Kommentar zur ZPO [3 ed.] 3211838880, 9783211838884

Auch die neue Kommentierung setzt die hohe Qualit t der fr heren Auflagen fort. Unter der Herausgeberschaft von Univ.-Pr

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German Pages 1967 [1993] Year 2006

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Kommentar zur ZPO [3 ed.]
 3211838880, 9783211838884

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W

Walter H. Rechberger (Hrsg.) Kommentar zur ZPO bearbeitet von Dr. Andreas Frauenberger, Rechtsanwalt in Wien Dr. Robert Fucik, Leitender Staatsanwalt im Bundesministerium für Justiz, Wien Dr. Edwin Gitschthaler, Hofrat des Obersten Gerichtshofs, Wien Dr. Erich Kodek, Senatspräsident des Obersten Gerichtshofs i. R., Wien Dr. Thomas Klicka, Univ.-Prof. am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht und Rechtsvergleichung an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Dr. Peter G. Mayr, ao. Univ.-Prof. am Institut für zivilgerichtliches Verfahren der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck DDr. Werner Melis, Obmann des Internationalen Schiedsgerichts der Wirtschaftskammer Österreich, Wien Dr. h.c. Dr. Walter H. Rechberger, o. Univ.-Prof. am Institut für Zivilverfahrensrecht der Universität Wien

3. Auflage

2006 SpringerWienNewYork

o. Univ.-Prof. Dr. h. c. Dr. Walter H. Rechberger Institut für Zivilverfahrensrecht der Universität Wien, Österreich Ludwig-Boltzmann-Institut für Rechtsvorsorge und Urkundenwesen, Wien, Österreich

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 1994, 2000 und 2006 Springer-Verlag/Wien Printed in Germany SpringerWienNewYork ist ein Unternehmen von Springer Science + Business Media springer.at Produkthaftung: Sämtliche Angaben in diesem Fachbuch/wissenschaftlichen Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung und Kontrolle ohne Gewähr. Eine Haftung der Autoren, des Herausgebers oder des Verlages aus dem Inhalt dieses Werkes ist ausgeschlossen. Textkonvertierung und Umbruch: Grafik Rödl, 2486 Pottendorf, Österreich Druck und Bindung: Konrad Triltsch, Print und digitale Medien GmbH, 97199 Ochsenfurt-Hohestadt, Deutschland Gedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier – TCF SPIN: 10895237

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN-10 3-211-83888-0 SpringerWienNewYork ISBN-13 978-3-211-83888-4 SpringerWienNewYork ISBN 3-211-83358-7 2. Aufl. SpringerWienNewYork IV

Vorwort Seit dem Erscheinen der zweiten Auflage dieses Kommentars – die erfreulicherweise eine fast noch freundlichere Aufnahme als die erste gefunden hat – sind (so wie zwischen 1. und 2. Auflage) sechs Jahre vergangen. Dass es vieles zu aktualisieren gab, liegt in erster Linie an der nach wie vor ungebrochenen Aktivität des österreichischen Gesetzgebers auf dem Gebiet des Verfahrensrechts: Vom Jahr 2000 bis zum Jahr 2006 haben nicht weniger als 15 Gesetze (auch) Änderungen in den Zivilprozessgesetzen vorgenommen. Erwähnt seien hier nur die Zivilverfahrens-Novelle 2002 (BGBl I 2002/76), die Zivilverfahrens-Novelle 2004 (BGBl I 2004/128) und das Schiedsrechts-Änderungsgesetz 2006 (BGBl I 2006/7), welches die komplette Neubearbeitung des Vierten Abschnittes des Sechsten Teils der ZPO notwendig machte. Dazu kam in diesem Zeitraum eine geradezu explosionsartige Entwicklung des Europäischen Zivilprozessrechts: EuGVVO, EuEheVO bzw EuGVVO II, EuZustVO und EuBewVO mussten gleichfalls entsprechende Berücksichtigung finden. Über die Aktualisierung des Standes der Gesetzgebung hinaus haben sich die Bearbeiter bemüht, die Judikatur- und Literaturhinweise durchgehend auf den neuesten Stand zu bringen sowie ihre Erläuterungen zu überprüfen und an vielen Stellen zu ergänzen. Grundsätzlich wurden dabei alle einschlägigen Quellen bis 31. 12. 2005 berücksichtigt; soweit dies technisch noch möglich war, wurden aber auch Entscheidungen und Publikationen aus dem Jahr 2006 verarbeitet. Als Herausgeber danke ich zunächst allen Autoren dafür, dass sie – der eine früher, der andere später – ihre Bearbeitungen geliefert haben, sowie für die damit verbundene Mühe. Einen besonderen Dank habe ich Prof. Dr. Thomas Klicka auszusprechen, der in einer schwierigen Situation in letzter Sekunde auf den fahrenden Zug aufgesprungen ist und es damit ermöglicht hat, dass dieser doch noch rechtzeitig ankommen konnte. Zu danken habe ich ferner den (zum Teil nunmehr ehemaligen) Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Instituts für Zivilverfahrensrecht der Universität Wien, die sich in vielfältiger Weise um das Erscheinen dieses Werkes verdient gemacht haben. Dr. Andrew Annerl, Dr. Caroline Graf und Dr. Elisabeth Schöberl haben wichtige inhaltliche Beiträge geliefert. Mag. Andreas Geroldinger, Mag. Ursula V

Vorwort Schrammel und Mag. Theresia Schur haben zuletzt bravourös die nicht leichten Aufgaben gemeistert, die mit der Endredaktion eines derartigen Werkes verbunden sind. Sie haben es vor allem geschafft, trotz recht unterschiedlicher Vorgaben der Kommentatoren ein sehr brauchbares Sachverzeichnis zu erstellen. Last not least habe ich wieder einmal Frau Eveline Matek dafür zu danken, dass manche Individualitäten der Kommentatoren in ein einheitliches Format gekleidet werden konnten. Wien, im „goldenen Herbst“ 2006

VI

Walter H. Rechberger

Inhaltsverzeichnis Bearbeitet haben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI Hinweise für den Gebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII Verzeichnis abgekürzt zitierter Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXVI Einführungsgesetz zur Jurisdiktionsnorm – EGJN . . . . . . . . .

1

Jurisdiktionsnorm – JN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

Erster Teil Von der Gerichtsbarkeit im allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . Erster Abschnitt – Gerichte und gerichtliche Organe (§§ 1–18) . Zweiter Abschnitt – Ablehnung von Richtern und anderen gerichtlichen Organen (§§ 19–27) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dritter Abschnitt – Zuständigkeit (§§ 27a–47) . . . . . . . . . . . . . . .

26 26 73 90

Zweiter Teil Von der Gerichtsbarkeit in Streitsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

198

Erster Abschnitt – Sachliche Zuständigkeit (§§ 49–64) . . . . . . . . Zweiter Abschnitt – Örtliche Zuständigkeit (§§ 65–104) . . . . . . .

198 251

Dritter Teil Von der Gerichtsbarkeit in Geschäften außer Streitsachen (§§ 104a–122) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

382

Einführungsgesetz zur Zivilprozeßordnung (EGZPO) . . . . . .

435

Zivilprozessordnung (ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

473

Erster Teil Allgemeine Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

474

Erster Abschnitt Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

474

Erster Titel – Prozeßfähigkeit (§§ 1–10) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweiter Titel – Streitgenossenschaft und Hauptintervention (§§ 11–16) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII

479 493

Inhaltsverzeichnis Dritter Titel – Beteiligung Dritter am Rechtsstreite (§§ 17–25) . Vierter Titel – Bevollmächtigte (§§ 26–39) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fünfter Titel – Prozesskosten (§§ 40–55) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sechster Titel – Sicherheitsleistung (§§ 56–62) . . . . . . . . . . . . . . . Siebenter Titel – Verfahrenshilfe (§§ 63–73) . . . . . . . . . . . . . . . . .

501 512 529 570 577

Zweiter Abschnitt Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

600

Erster Titel – Schriftsätze (§§ 74–86) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweiter Titel – Zustellungen (§§ 87–121) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . – Zustellgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dritter Titel – Fristen und Tagsatzungen (§§ 123–143) . . . . . . . . Vierter Titel – Folgen der Versäumung, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 144–154) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fünfter Titel – Unterbrechung und Ruhen des Verfahrens (§§ 155–170) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dritter Abschnitt Mündliche Verhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

600 660 668 790 828 871 924

Erster Titel – Öffentlichkeit (§§ 171–175) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 930 Zweiter Titel – Vorträge der Parteien und Prozessleitung (§§ 176–196) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 934 Dritter Titel – Sitzungspolizei (§§ 197–203) . . . . . . . . . . . . . . . . . 970 Vierter Titel – Vergleich (§§ 204–206) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 974 Fünfter Titel – Protokolle (§§ 207–217) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 993 Sechster Titel – Akten (§§ 218–219) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1013 Siebenter Titel – Strafen (§ 220) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1026 Achter Titel – Sonntagsruhe und verhandlungsfreie Zeit (§§ 221–225) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1031 Zweiter Teil Verfahren vor den Gerichtshöfen erster Instanz . . . . . . . . . . . 1045 Erster Abschnitt Verfahren bis zum Urteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1045 Erster Titel – Klage, Klagebeantwortung und Streitverhandlung (§§ 226–265) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweiter Titel – Allgemeine Bestimmungen über den Beweis und die Beweisaufnahme (§§ 266–291c) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dritter Titel – Beweis durch Urkunden (§§ 292–319) . . . . . . . . . Vierter Titel – Beweis durch Zeugen (§§ 320–350) . . . . . . . . . . . . Fünfter Titel – Beweis durch Sachverständige (§§ 351–367) . . . . Sechster Titel – Beweis durch Augenschein (§§ 368–370) . . . . . . VIII

1045 1142 1213 1245 1278 1303

Inhaltsverzeichnis Siebenter Titel – Beweis durch Vernehmung der Parteien (§§ 371–383) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1308 Achter Titel – Sicherung von Beweisen (§§ 384–389) . . . . . . . . . . 1320 Zweiter Abschnitt Urteile und Beschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1328 Erster Titel – Urteile (§§ 390–424) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1348 Zweiter Titel – Beschlüsse (§§ 425–430) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1453 Dritter Teil Verfahren vor den Bezirksgerichten (§§ 431–460) . . . . . . . . . . 1461 Vierter Teil Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1490 Erster Abschnitt – Berufung (§§ 461–501) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1501 Zweiter Abschnitt – Revision (§§ 502–513) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1593 Dritter Abschnitt – Rekurs (§§ 514–528a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1637 Fünfter Teil Nichtigkeits- und Wiederaufnahmsklage (§§ 529–547) . . . . . . 1688 Sechster Teil Besondere Arten des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1729 Erster Abschnitt Mandatsverfahren (§§ 548–554) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1729 Zweiter Abschnitt Verfahren in Wechselstreitigkeiten (§§ 555–559) . . . . . . . . . . . 1740 Dritter Abschnitt Verfahren bei Streitigkeiten aus dem Bestandvertrage (§§ 560–576) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1749 Vierter Abschnitt Schiedsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1782 Erster Titel – Allgemeine Bestimmungen (§§ 577–580) . . . . . . . . Zweiter Titel – Schiedsvereinbarung (§§ 581–585) . . . . . . . . . . . . Dritter Titel – Bildung des Schiedsgerichts (§§ 586–591) . . . . . . . Vierter Titel – Zuständigkeit des Schiedsgerichts (§§ 592–593) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fünfter Titel – Durchführung des Schiedsverfahrens (§§ 594–602) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sechster Titel – Schiedsspruch und Beendigung des Verfahrens (§§ 603–610) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX

1796 1803 1824 1838 1845 1856

Inhaltsverzeichnis Siebenter Titel – Rechtsbehelf gegen den Schiedsspruch (§§ 611–613) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Achter Titel – Anerkennung und Vollstreckbarerklärung ausländischer Schiedssprüche (§ 614) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neunter Titel – Gerichtliches Verfahren (§§ 615–616) . . . . . . . . . Zehnter Titel – Sonderbestimmungen (§§ 617–618) . . . . . . . . . . .

1874 1887 1890 1893

Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1899

X

Bearbeitet haben: Dr. Andreas Frauenberger: §§ 560 bis 576 ZPO Dr. Robert Fucik:

EGZPO (gemeinsam mit Dr. Walter H. Rechberger), §§ 1 bis 73 ZPO, §§ 171 bis 203 ZPO, §§ 244 bis 251 ZPO, §§ 431 bis 460 ZPO

Dr. Edwin Gitschthaler:

§§ 74 bis 170 ZPO (samt ZustG), §§ 204 bis 225 ZPO

Dr. Erich Kodek:

§§ 461 bis 559 ZPO

Dr. Thomas Klicka:

§§ 226 bis 240 und §§ 257 bis 265 ZPO (gemeinsam mit Dr. Walter H. Rechberger)

Dr. Peter G. Mayr:

EGJN und JN samt Europäisches Zivilprozessrecht

DDr. Werner Melis:

§§ 577 bis 599 ZPO (gemeinsam mit Dr. Walter H. Rechberger)

Dr. Walter H. Rechberger: EGZPO (gemeinsam mit Dr. Robert Fucik), §§ 226 bis 240 und §§ 257 bis 265 ZPO (gemeinsam mit Dr. Thomas Klicka), §§ 266 bis 430 ZPO, §§ 577 bis 599 ZPO (gemeinsam mit DDr. Werner Melis)

XI

Hinweise für den Gebrauch 1. Abkürzungen erfolgen generell nach Friedl/Loebenstein/Dax/ Liertzer, Abkürzungs- und Zitierregeln der österreichischen Rechtssprache und europarechtlicher Rechtsquellen (AZR)5 (2001). Allgemeinsprachliche bzw fachsprachliche Abkürzungen erfolgen nur soweit, als sie im gegebenen Zusammenhang leicht verständlich sind; sie finden sich dann im Abkürzungsverzeichnis. 2. Paragraphen ohne nähere Bezeichnung sind in der Kommentierung der EGJN und JN solche der JN, in der Kommentierung der EGZPO und der ZPO solche der ZPO. Andere Gesetze sind stets bezeichnet. 3. Entscheidungen ohne nähere Angabe sind solche des Obersten Gerichtshofs. Bei Mehrfachveröffentlichungen werden die Fundstellen in SZ, EvBl und JBl bevorzugt genannt; auf (weitere) Parallelfundstellen wird nur in beschränktem Ausmaß und insb dann hingewiesen, wenn dort eine Besprechung erschienen ist. Bei neueren Entscheidungen wird zusätzlich das Aktenzeichen angeführt. 4. Standardliteratur wird abgekürzt zitiert, die entsprechenden Vollzitate finden sich im „Verzeichnis abgekürzt zitierter Literatur“. Vgl im Übrigen die zu den einzelnen Paragraphen bzw Vorbemerkungen angeführte Literatur. 5. Zitiervorschlag: zB Mayr in Rechberger3 Vor § 1 JN Rz 3; Rechberger in Rechberger3 § 411 Rz 5.

XII

Abkürzungsverzeichnis aA aaO AbgEO ABGB abl ABl

anderer Ansicht am angeführten Ort Abgabenexekutionsordnung BGBl 1949/104 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch JGS 946 ablehnend Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften bzw der Europäischen Union Abs Absatz AcP (deutsches) Archiv für die civilistische Praxis (Band, Jahr, Seite) ADV Automatisierte Daten-Verarbeitung ADR Alternative Dispute Resolution aE am Ende AFV 2002 ADV-Form Verordnung 2002 BGBl I 2002/510 AGB Allgemeine Geschäftsbedingungen AHG Amtshaftungsgesetz BGBl 1949/20 AktG Aktiengesetz 1965 BGBl 98 AllgGAG Allgemeines Grundbuchsanlegungsgesetz BGBl 1930/75 aM anderer Meinung AmtSlg Entscheidungen des k.k. Obersten Gerichtshofes in Zivil- und Justizverwaltungssachen (Band Teil/ Nummer) AnfO Anfechtungsordnung RGBl 1914/337 AnwBl Österreichisches Anwaltsblatt (Jahr, Seite) AO Ausgleichsordnung BGBl 1934 II/221 ao außerordentlich, -e,-er,-es aoRev außerordentliche Revision Arb Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen der Gerichte und Einigungsämter ARD ARD-Betriebsdienst (Heft, Seite) Art Artikel ASG Arbeits- und Sozialgericht ASGG Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz BGBl 1985/104 AtomHG 1999 Atomhaftungsgesetz 1999 BGBl I 1998/170 Aufl Auflage AußStr-BegleitG Außerstreit-Begleitgesetz BGBl I 2003/112 XIII

Abkürzungsverzeichnis AußStrG 1854 AußStrG BB Bd BeitrZPR BG BGBl BGHS BGOrgG Wien BlgNR BMAA BMJ BörseG BPGG BStFG BRÄG 2006 1. BRBG BVergG 2006 bzw CIM CIV CMR COTIF ders DevG DFB dh DHG dies DJZ DRdA

Außerstreitgesetz RGBl 1854/208 Außerstreitgesetz BGBl I 2003/111 a) Beweisbeschluss b) Der Betriebsberater (Jahr, Seite) Band Beiträge zum Zivilprozeßrecht a) Bezirksgericht b) Bundesgesetz Bundesgesetzblatt Bezirksgericht für Handelssachen Bezirksgerichtsorganisationsgesetz für Wien BGBl 1985/203 Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates Bundesminister(ium) für auswärtige Angelegenheiten Bundesminister(ium) für Justiz Börsegesetz 1989 BGBl 555 Bundespflegegeldgesetz BGBl 1993/110 Bundesstraßenfinanzierungsgesetz BGBl 201/1996 Berufsrechts-Änderungsgesetz für Notare, Rechtsanwälte und Ziviltechniker BGBl I 2005/164 Erstes Bundesrechtsbereinigungsgesetz BGBl I 1999/191 Bundesvergabegesetz 2006 BGBl I 2006/17 beziehungsweise Internationales Übereinkommen über den Eisenbahnfrachtverkehr BGBl 1964/266 Internationales Übereinkommen über den Eisenbahn-, Personen- und Gepäcksverkehr BGBl 1964/ 267 Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationale Straßenverkehr BGBl 1961/138 Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr BGBl 1985/225 derselbe Devisengesetz BGBl 1946/162 Druckfehlerberichtigung das heißt Dienstnehmerhaftpflichtgesetz BGBl 1965/80 dieselbe Deutsche Juristenzeitung (Jahr, Seite) Das Recht der Arbeit (Jahr, Seite) XIV

Abkürzungsverzeichnis DREvBl dRGBl DSG 2000 DVEheG E ebd ecolex EDVuR EFSlg EF-Z EGG EGJN EGMR EGV EGZPO E-GovG EGUStG EheG Einf EisbEG EKHG ElWOG eM EMRK EO EO-Nov 1995 EO-Nov 2005 E-RBG ErgBd Erk Erl

Evidenzblatt der Rechtsmittelentscheidungen als Beilage zum „Deutschen Recht“ (Jahr, Nummer) (deutsches) Reichsgesetzblatt Datenschutzgesetz 2000 BGBl I 1999/165 Durchführungsverordnung zum Ehegesetz Entscheidung ebenda ecolex. Fachzeitschrift für Wirtschaftsrecht (Jahr, Seite) EDV und Recht Ehe- und familienrechtliche Entscheidungen (Nummer) Fachzeitschrift für Ehe- und Familienrecht Erwerbsgesellschaftengesetz BGBl 1990/257 Einführungsgesetz zur Jurisdiktionsnorm RGBl 1985/110 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften Einführungsgesetz zur Zivilprozessordnung RGBl 1985/112 E-Government-Gesetz BGBl I 2004/10 Einführungsgesetz zum Umsatzsteuergesetz 1972 BGBl 1972/224 Ehegesetz RGBl 1938 I 807 Einführung Eisenbahn-Enteignungsentschädigungsgesetz BGBl 1954/71 Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz BGBl 1959/48 Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz BGBl I 1998/143 einhellige Meinung Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten Exekutionsordnung RGBl 1896/79 Exekutionsordnungs-Novelle 1995 BGBl 519 Exekutionsordnungs-Novelle 2005 BGBl I 68 Energie- Regulierungsbehördengesetz BGBl I 2002/ 148 Ergänzungsband Erkenntnis Erläuterungen XV

Abkürzungsverzeichnis ErlRV ERV 2006 EU EuBewVO

EuEheVO

EuGH EuGVÜ

EuGVVO

EuGVVO II

EuInsVO EuLF EuRAG 2. EuroJuBeG EuZPR

Erläuterungen zur Regierungsvorlage Elektronischer Rechtsverkehr BGBl II 2005/481 Europäische Union Verordnung (EG) Nr 1206/2001 des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen ABl vom 27.6.2001 L 174 S 1 Verordnung (EG) Nr 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 („Brüssel IIa-VO“ oder EuGVVO II) über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr 1347/2000 („Brüssel II-VO“) ABl vom 23.12.2003 L 338 S 1 Europäischer Gerichtshof Europäisches Übereinkommen vom 27.9.1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivilund Handelssachen BGBl III 1998/167 und 209 Verordnung (EG) Nr 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ABl vom 16.1.2001 L 12 S 1 Verordnung (EG) Nr 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 („Brüssel IIa-VO“ oder EuEheVO) über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr 1347/2000 („Brüssel II-VO“) ABl vom 23.12.2003 L 338 S 1 Verordnung (EG) Nr 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren ABl vom 30.6.2000 L 160 S 1 European Legal Forum BG über den freien Dienstleistungsverkehr und die Niederlassung von europäischen Rechtsanwälten in Österreich BGBl I 2000/27 2. Euro-Justiz-Begleitgesetz BGBl I 2001/98 Europäisches Zivilprozessrecht XVI

Abkürzungsverzeichnis EuZustVO

EuZW EV EvBl EVHGB EWr EWR f FamRAnglV FamRZ FBG ff FG FinStrG FMedG FN ForstG FS FS-G FuR GAÖJT GBG GBSlg GebAG GedS GEG 1. GEN 2. GEN 3. GEN 4. GEN 5. GEN 6. GEN

Verordnung (EG) Nr 1348/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten ABl vom 30.6.2000 L 160 S 37 Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht a) Einführungsverordnung b) einstweilige Verfügung Evidenzblatt der Rechtsmittelentscheidungen (Jahr/Nummer); abgedruckt in der ÖJZ Vierte Verordnung zur Einführung handelsrechtlicher Vorschriften im Lande Österreich RGBl 1938 I 1999 Entscheidungen Wohnrecht Europäischer Wirtschaftsraum und der, die folgende Familienrechts-Angleichungsverordnung dRGBl I 1943, 80 (deutsche) Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Firmenbuchgesetz BGBl 1991/10 und die folgenden Festgabe Finanzstrafgesetz BGBl 1958/129 Fortpflanzungsmedizingesetz BGBl 1992/275 Fußnote Forstgesetz BGBl 1975/440 Festschrift BG über die Anwendung von Normen von Fernsehsignalen BGBl 2000/50 Zeitschrift „Film und Recht“ (bis 1983, dann ZUM) Gutachten des Österreichischen Juristentages Allgemeines Grundbuchsgesetz 1955 BGBl 39 Grundbuchsammmlung Gebührenanspruchsgesetz Gedächtnisschrift Gerichtliches Einbringungsgesetz 1962 BGBl 288 (1.) Gerichtsentlastungsnovelle RGBl 1914/118 2. Gerichtsentlastungsnovelle StGBl 1920/116 3. Gerichtsentlastungsnovelle BGBl 1921/743 4. Gerichtsentlastungsnovelle BGBl 1922/532 5. Gerichtsentlastungsnovelle BGBl 1925/183 6. Gerichtsentlastungsnovelle BGBl 1929/222 XVII

Abkürzungsverzeichnis 7. GEN 8. GEN GenG Geo GeoForm GesRÄG GesRZ GGG GH GKG GlUNF GmbHG GMG GOG GP GPR GRURInt HaRÄG HG HGB hL HlSchG Hrsg HS idF idgF IDR ieS iglS IHR Immolex ImmZ Ind

7. Gerichtsentlastungsnovelle BGBl 1932/6 8. Gerichtsentlastungsnovelle BGBl 1933/346 Genossenschaftsgesetz RGBl 1873/70 Geschäftsordnung für die Gerichte I. und II. Instanz BGBl 1951/264 Geschäftsordnungs-Formblatt Gesellschaftrechtsänderungsgesetz Der Gesellschafter (Jahr, Seite) Gerichtsgebührengesetz BGBl 1984/501 a) Gerichtshof b) Gerichtshalle (Jahr, Seite) Gerichtskommissärsgesetz BGBl 1970/343 Sammlung von zivilrechtlichen Entscheidungen des k.k. Obersten Gerichtshofes, Neue Folge, begründet von Glaser und Unger (Nummer) Gesetz über Gesellschaften mit beschränkter Haftung RGBl 1906/58 Gebrauchsmustergesetz BGBl 1994/211 Gerichtsorganisationsgesetz RGBl 1896/217 Gesetzgebungsperiode Zeitschrift für Gemeinschaftprivatrecht (Jahr/Nummer) Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Internationaler Teil Handelsrechts-Änderungsgesetz BGBl I 2005/120 Handelsgericht Handelsgesetzbuch RGBl 1897, 219 herrschende Lehre Halbleiterschutzgesetz BGBl 1988/372 Herausgeber Handelsrechtliche Entscheidungen (Nummer) in der Fassung in der geltenden Fassung Journal of International Dispute Resolution (Jahr, Seite) im engeren Sinn im gleichen Sinn Internationales Handelsrecht (Jahr, Seite) Neues Miet- und Wohnrecht (Jahr, Seite; Jahr/Nummer) Immobilien-Zeitung Index XVIII

Abkürzungsverzeichnis infas

Informationen aus dem Arbeits- und Sozialrecht (Jahr/Nummer) IngKG Ingenieurkammergesetz BGBl 1969/71 insb insbesondere InsNov 2002 Insolvenzrechts-Novelle 2002 BGBl I 2002/75 Int ALR International Arbitration Law Review IPR Internationales Privatrecht IPRax Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts (Jahr, Seite) IPRE Österreichische Entscheidungen zum internationalen Privat- und Verfahrensrecht IRÄG 1982 Insolvenzrechtsänderungsgesetz 1982 BGBl 370 IRÄG 1994 Insolvenzrechtsänderungsgesetz 1994 BGBl 153 IRÄG 1997 Insolvenzrechtsänderungsgesetz 1997 BGBl 114 iSd/iSv im Sinne des (der)/ im Sinn von iW im Wesentlichen iZm im Zusammenhang mit JAB Justizausschußbericht JABl Amtsblatt der Österreichischen Justizverwaltung JAP Juristische Ausbildung und Praxisvorbereitung (Jahr, Seite) JB Judikatenbuch des Obersten Gerichtshofes JBl Juristische Blätter (Jahr, Seite) JN Jurisdiktionsnorm RGBl 1895/111 JT Juristentag JUS Z Jus Extra, Zivilrechtliche E des OGH JuS Juristische Schulung (Jahr, Seite) JWG Jugendwohlfahrtsgesetz 1989 BGBl 161 JWT Jugendwohlfahrtsträger JZ (deutsche) Juristenzeitung (Jahr, Seite) K Kundmachung KAG Krankenanstaltengesetz BGBl 1957/1 KartG 1988 Kartellgesetz 1988 BGBl 600 KartG 2005 Bundesgesetz gegen Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellgesetz 2005) BGBl I 2005/61 KHVG 1994 Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsgesetz 1994 BGBl 651 KindRÄG 2001 Kindschaftsrechts-Änderungsgesetz 2001 BGBl I 2000/135 KlGG Kleingartengesetz BGBl 1959/6 KO Konkursordnung RGBl 1914/337 KOG Kartellobergericht XIX

Abkürzungsverzeichnis KommAustriaG Bundesgesetz über die Einrichtung einer Kommunikationsbehörde Austria („KommAustria“) und eines Bundeskommunikationssenates BGBl I 2001/32 krit kritisch KSchG Konsumentenschutzgesetz BGBl 1979/140 KWG Kreditwesengesetz BGBl 1979/63 leg cit legis citatae (der zitierten Vorschrift) LGVÜ Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, geschlossen in Lugano am 16. September 1988 BGBl 1996/448 LGZ Landesgericht für Zivilrechtssachen Lit Literatur LJZ Liechtensteinische Juristen-Zeitung LPG Landpachtgesetz BGBl 1969/451 MarkSchG Markenschutzgesetz 1970 BGBl 260 Mat Materialien mE meines Erachtens ME Ministerialentwurf MietSlg Mietrechtliche Entscheidungen (Nummer) MinroG Mineralrohstoffgesetz 1999 BGBl I 38 Mj minderjährig MR Medien und Recht (Jahr, Seite) MRG Mietrechtsgesetz BGBl 1981/520 MRK Europäische Menschenrechtskonvention BGBl 1958/210 MSA a) Manzsche Sonderausgabe b) Minderjährigen-Schutzabkommen MSch-Verfahren Verfahren nach MRG, WEG, WGG, WSG und WW MuSchG Musterschutzgesetz 1990 BGBl 497 mwN mit weiteren Nachweisen NBG Nationalbankgesetz 1984 BGBl 50 NBlRA Nachrichtenblatt der österreichischen Rechtsanwaltschaft (Jahr, Seite) NJW (deutsche) Neue Juristische Wochenschrift (Jahr, Seite) NO Notariatsordnung RGBl 1871/75 NotAktsG Notariatsaktsgesetz RGBl 1871/76 NRsp Neue Rechtsprechung des OGH NWG Notwegegesetz RGBl 1896/140 NZ Notariatszeitung (Jahr, Seite) NZG Neue Zeitung für Gesellschaftrecht (Jahr, Seite) XX

Abkürzungsverzeichnis ÖA ÖBA OBDK

Der Österreichische Amtsvormund (Jahr, Seite) Österreichisches Bankarchiv (Jahr, Seite) Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter ÖBl Österreichische Blätter für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht (Jahr, Seite) OGH Oberster Gerichtshof OGHG Bundesgesetz über den Obersten Gerichtshof BGBl 1968/328 ÖGZ Österreichische Gemeindezeitung (Jahr, Seite) OHG offene Handelsgesellschaft ÖJT Verhandlungen des österreichischen Juristentages ÖJZ Österreichische Juristen-Zeitung (Jahr, Seite) ÖJZ-LSK Leitsatzkartei in „Österreichische Juristen-Zeitung“ (Jahr/Nummer) OPM Oberster Patent- und Markensenat ÖStZ Österreichische Steuer-Zeitung (Jahr, Seite) OLG Oberlandesgericht oRev ordentliche Revision OrgHG Organhaftpflichtgesetz BGBl 1967/181 ÖRpfl Der Österreichische Rechtspfleger ÖstZB Die finanzrechtlichen Erkenntnisse des VwGH und des VfGH; Blg zur „Österreichischen SteuerZeitung“, (Jahr, Seite) ÖZW Österreichische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (Jahr, Seite) P Punkt PatAnwG Patentanwaltsgesetz BGBl 1967/214 PatG Patentgesetz 1970 BGBl 1967/214 PGH Patentgerichtshof PKHRL Richtlinie (EG) 2002/8 des Rates vom 27. Januar 2003 zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen ABl vom 31.1.2003 L 26 S 41 PolBefEntschG Polizeibefugnis-Entschädigungsgesetz BGBl 1988/735 PostG Postgesetz BGBl 1957/58 ProkG Prokuraturgesetz StGBl 1945/172 PSch-Verfahren Verfahren in Landpachtsachen PSG Privatstiftungsgesetz BGBl 1993/694 PStG Personenstandsgesetz BGBl 1983/60 XXI

Abkürzungsverzeichnis PStV PuG RabelsZ RAO RAT RDG RdM RdW RG RGBl RHEZiv 2004 RHPflG RiAA RIS RIW RLG Rp RPA Rpfleger RpflG RpflSlgE Rsp RV RWZ RZ Rz S s SchG SchiedsVZ SDG Slg SozSi SpaltG

Personenstandsverordnung BGBl 1983/629 Publizitätsrichtlinie-Gesetz BGBl I 2006/103 Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Rechtsanwaltsordnung RGBl 1868/96 Rechtsanwaltstarif BGBl 1969/189 Richterdienstgesetz BGBl 1961/305 Recht der Medizin (Jahr, Seite; Jahr/Nummer) Österreichisches Recht der Wirtschaft (Jahr, Seite) Reichsgericht Reichsgesetzblatt Erlass vom 7. 5. 2004 über die internationale Rechtshilfe und andere Rechtsbeziehungen mit dem Ausland in Zivilsachen, JABl 2004/13 Reichshaftpflichtgesetz RGBl 1871, 207 Richteramtsanwärter Rechtsinformationssystem des Bundes Recht der Internationalen Wirtschaft Rechnungslegungsgesetz BGBl 1990/475 Rechtspraktikant Recht und Praxis der öffentlichen Auftragsvergabe Der Deutsche Rechtspfleger Rechtspflegergesetz BGBl 1985/560 Sammlung von Rechtsmittelentscheidungen in Exekutionssachen Rechtsprechung Regierungsvorlage Österreichische Zeitschrift für Rechnungswesen (Jahr, Seite) Österreichische Richterzeitung (Jahr/Nummer; Jahr, Seite) Randzahl Schilling siehe Scheckgesetz 1955 BGBl 50 Zeitschrift für Schiedsverfahren (Jahr, Seite) BG über die allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen- und Dolmetscher BGBl 1975/137 idF BGBl I 1998/168 Sammlung der Rechtsprechung des EuGH und des EuG Soziale Sicherheit Spaltungsgesetz BGBl 1993/458 XXII

Abkürzungsverzeichnis SpR SPG SSV-NF StEG 2005 StGB StGBl StPO StProt str stRsp StruktVG StVO SVSlg SWK SWRÄG SZ TEG TKG ua uE UeKindG ÜG UGB UHG URG UrhG uva UVG UWG va V VAG VerfHG verst VersR

Spruchrepertorium des Obersten Gerichtshofes Sicherheitspolizeigesetz BGBl 1991/566 Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes in Sozialrechtssachen Strafrechtliches Entschädigungsgesetz 2005, BGBl I 2004/125 Strafgesetzbuch BGBl 1974/60 Staatsgesetzblatt Strafprozessordnung 1975 BGBl 631 stenographische Protokolle strittig ständige Rechtsprechung Strukturverbesserungsgesetz BGBl 1969/69 Straßenverkehrsordnung 1969 BGBl 159 Sozialversicherungsrechtliche Entscheidungen Österreichische Steuer- und Wirtschaftskartei Sachwalterrechts-Änderungsgesetz 2006 BGBl I 2006/92 Entscheidungen des österreichischen Obersten Gerichtshofes in Zivil- (und Justizverwaltungs-) sachen (Band/Nummer bzw Jahr/Nummer) Todeserklärungsgesetz 1950 BGBl 1951/23 Telekommunikationsgesetz BGBl I 1997/100 und andere unseres Erachtens Bundesgesetz über die Neuordnung der Rechtsstellung des unehelichen Kindes BGBl 1970/342 Übergangsgesetz vom 1.10.1920 idF BGBl 1925/368 Unternehmensgesetzbuch BGBl I 2005/120 Urkundenhinterlegungsgesetz BGBl 1974/326 Unternehmensreorganisationsgesetz BGBl I 1997/114 Urheberrechtsgesetz BGBl 1936/171 und viele andere Unterhaltsvorschussgesetz 1985 BGBl 451 Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb 1984 BGBl 448 vorallem Verordnung Versicherungsaufsichtsgesetz BGBl 1978/569 Verfahrenshilfegesetz BGBl 1973/569 verstärkt(er) (deutsches) Versicherungsrecht (Jahr, Seite) XXIII

Abkürzungsverzeichnis VersRdSch VersVG VerwGesG VfGG VfGH VfSlg VGebG vgl vH VO VwGH VwSlg 1. WÄG wbl WDK WEG 2002 WehrG WG WGN 1989 WGN 1997 WK WKG WKK wobl WR WrZ WrDiplKonv WTBO Wv Z Zak ZAS ZASB

Die Versicherungsrundschau (Jahr, Seite) Versicherungsvertragsgesetz 1958 BGBl 1959/2 Verwertungsgesellschaftengesetz BGBl 1936/112 Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 BGBl 85 Verfassungsgerichtshof Sammlung der Erkenntnisse und wichtigsten Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofes (Nummer) Vollzugsgebührengesetz BGBl I 2003/31 vergleiche vom Hundert Verordnung (EG) Verwaltungsgerichtshof Erkenntnisse und Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes (Nummer) Wohnrechtsänderungsgesetz BGBl 1987/340 Wirtschaftsrechtliche Blätter (Jahr, Seite) Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen BGBl 1966/66 Bundesgesetz über das Wohnungseigentum (Wohnungseigentumsgesetz 2002) BGBl I 2002/70 Wehrgesetz 1990 BGBl 305 Wechselgesetz 1955 BGBl 49 Erweiterte Wertgrenzen-Novelle 1989 BGBl 343 Erweiterte Wertgrenzen-Novelle 1997 BGBl I 140 Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch, hrsg von Höpfel/Ratz Wirtschaftskammergesetz 1998 BGBl I 1998/103 Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen BGBl 1969/318 Wohnrechtliche Blätter (Jahr, Seite) Wiener Richter (Nummer/Jahr) Wiener Zeitung Wiener Diplomatenkonvention BGBl 1966/66 Wirtschaftstreuhänder-Berufsordnung BGBl 1955/125 Wiederverlautbarung a) Zahl b) Ziffer Zivilrecht Aktuell (Jahr, Seite) Zeitschrift für Arbeitsrecht und Sozialrecht (Jahr, Seite) Zeitschrift für Arbeitsrecht und Sozialrecht, Judikaturbeilage (Jahr, Seite) XXIV

Abkürzungsverzeichnis ZBl ZfRV ZfV(B) ZIK ZInsO ZinsRÄG ZIP ZivMediatG ZivRÄG ZÖR ZPForm ZPO ZTKG zust ZustG ZustRAG ZUV ZVB ZVglRWiss ZVN 1983 ZVN 2002 ZVN 2004 ZVR ZZP ZZPInt

Zentralblatt für die juristische Praxis (Jahr/Nummer) Zeitschrift für Rechtsvergleichung, Internationales Privatrecht und Europarecht (Jahr, Seite bzw Entscheidungsnummer) Zeitschrift für Verwaltung (Beilage) Zeitschrift für Insolvenzrecht und Kreditschutz (Jahr, Seite) Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht Zinsenrechts-Änderungsgesetz BGBl I 2002/118 Zeitschrift für Wirtschaftrecht und Insolvenzpraxis (Jahr, Seite) Zivilrechts-Mediations-Gesetz BGBl I 2003/29 Zivilrechts-Änderungsgesetz 2004 BGBl I 2004/91 Zeitschrift für öffentliches Recht (Band, Seite) Zivilprozessformblatt Zivilprozessordnung RGBl 1895/113 Ziviltechnikerkammergesetz 1993 BGBl 1994/157 zustimmend Zustellgesetz BGBl 1982/200 Zustellrechtsanpassungsgesetz BGBl 1982/201 Zeitschrift der Unabhängigen Verwaltungssenate (Jahr, Heft, Seite) Zeitschrift für Vergaberecht und Beschaffungspraxis Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft Zivilverfahrens-Novelle 1983 BGBl 135 Zivilverfahrens-Novelle 2002 BGBl I 2002/76 Zivilverfahrens-Novelle 2004 BGBl I 2004/128 Zeitschrift für Verkehrsrecht (Jahr, Seite; Jahr/ Nummer) Zeitschrift für Zivilprozeß (Band, Seite) Zeitschrift für Zivilprozeßrecht International (Band, Seite)

XXV

Verzeichnis abgekürzt zitierter Literatur Angst (Hrsg), Kommentar zur Exekutionsordnung (2000) – Autor in Angst Ballon, Einführung in das österreichische Zivilprozessrecht. Streitiges Verfahren, 10. Aufl (2004) – Ballon Ballon/Hagen (Hrsg), Festschrift Franz Matscher zum 65. Geburtstag (1993) – FS Matscher Bajons, Zivilverfahren. Grundlehren des Prozesses und der Exekution (1991) – Bajons Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 64. Aufl (2006) – Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO Bittner/Klicka/Kodek/Oberhammer (Hrsg), Festschrift für Walter H. Rechberger zum 60. Geburtstag (2005) – FS Rechberger Brenn, Signaturgesetz (1999) – Brenn, Signaturgesetz Buchegger (/Holzhammer) (Hrsg), Beiträge zum Zivilprozeßrecht, I (1982), II (1986), III (1989), IV (1991), V (1995), VI (2002) – Autor, BeitrZPR I, II, III, IV, V, VI Buchegger/Deixler-Hübner/Holzhammer, Praktisches Zivilprozeßrecht I Streitiges Verfahren, 6. Aufl (1998) – Autor, PraktZPR I Burgstaller/Deixler-Hübner (Hrsg), Exekutionsordnung. Kommentar (Loseblattausgabe 1999 ff) – Autor in Burgstaller/Deixler-Hübner Burgstaller/Neumayr (Hrsg), Internationales Zivilverfahrensrecht (Loseblattausgabe, Stand: 6. Lfg 2006) – Autor in Burgstaller/Neumayr, IZVR Bydlinski M., Zivilprozessordnung und Jurisdiktionsnorm samt Einführungsgesetzen (2002) – M. Bydlinski, ZPO Czernich/Tiefenthaler/Kodek, Kurzkommentar Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht, 2. Aufl (2003) – Autor in Czernich/Tiefenthaler/Kodek Danzl, Kommentar zur Geschäftsordnung für die Gerichte I. und II. Instanz (Geo.) (elektronische Ausgabe Stand Jänner 2005) – Danzl Deixler-Hübner, Die Nebenintervention im Zivilprozeß (1993) – Deixler-Hübner, Nebenintervention Deixler-Hübner/Klicka, Zivilverfahren. Erkenntnisverfahren und Grundzüge des Exekutions- und Insolvenzrechts, 4. Aufl (2005) – Deixler-Hübner/Klicka Dolinar, Ruhen des Verfahrens und Rechtsschutzbedürfnis (1974) – Dolinar, Ruhen XXVI

Literatur Duchek/Schütz/Tarko, Zwischenstaatlicher Rechtsverkehr in Zivilrechtssachen, 2. Aufl (1998) – Duchek/Schütz/Tarko Fasching, Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen, 1. Aufl, I (1959), II (1962), III (1966), IV (1971), ErgBd (1974) – Fasching1 I, II, III, IV, ErgBd Fasching(/Konecny) (Hrsg), Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen, 2. Aufl, I (2000), II/1 (2002), II/2 (2003), III (2004), IV/1 (2005) – Autor in Fasching(/Konecny) Fasching, Schiedsgericht und Schiedsverfahren im österreichischen und im internationalen Recht (1973) – Fasching, Schiedsgericht Fasching, Lehrbuch des österreichischen Zivilprozeßrechts, 2. Aufl (1990) – Fasching Feil, Zustellwesen, 4. Aufl (1999) - Feil Feil/Kroisenbrunner, Zivilprozessordnung – Kurzkommentar für die Praxis (2003) – Feil/Kroisenbrunner Fucik/Hartl/Schlosser, Handbuch des Verkehrsunfalls I. Der Zivilprozeß in Verkehrsunfallssachen (1998) – Autor in Fucik/Hartl/ Schlosser, Verkehrsunfall I Fucik/Kloiber, Außerstreitgesetz (2005) – Fucik/Kloiber Geimer, Internationales Zivilprozeßrecht, 5. Aufl (2005) – Geimer, IZPR5 Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl (2004) – Geimer/Schütze Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht MRG und WEG (Loseblattausgabe 2001-2003) – Autor in Hausmann/Vonkilch Holzhammer, Österreichisches Zivilprozeßrecht, 2. Aufl (1976) – Holzhammer Holzhammer, Österreichisches Zwangsvollstreckungsrecht, 4. Aufl (1993) – Holzhammer, Zwangsvollstreckung Holzhammer/Jelinek/Böhm (Hrsg), Festschrift für Hans W. Fasching zum 65. Geburtstag (1988) – FS Fasching Jelinek/Böhm/Konecny/Buchegger (Hrsg), Festgabe für Hans W. Fasching zum 70. Geburtstag (1993) – FG Fasching Justizministerium (Hrsg), Materialien zu den österreichischen Civilproceßgesetzen, 2 Bde (1897) – Materialien I, II Klauser/Kodek, Jurisdiktionsnorm und Zivilprozessordnung – „Strohanzl“, 16. Aufl (2006) – Klauser/Kodek Klein, Vorlesungen über die Praxis des Civilprocesses (1900) – Klein, Vorlesungen Klein/Engel, Der Zivilprozeß Österreichs (1927) – Klein/Engel Klicka, Die Beweislastverteilung im Zivilverfahrensrecht (1995) – Klicka, Beweislastverteilung Klicka/Oberhammer, Außerstreitverfahren, 3. Aufl (2000) – Klicka/ Oberhammer XXVII

Literatur Kodek G., Die Besitzstörung (2002) – Kodek, Besitzstörung Kodek G., Handbuch Privatkonkurs (2002) – Kodek, Privatkonkurs Konecny/Schubert (Hrsg), Kommentar zu den Insolvenzgesetzen (1997 ff) – Autor in Konecny/Schubert König, Einstweilige Verfügungen im Zivilverfahren, 2. Aufl (2000) – König, EV König (Hrsg), Historiarum ignari semper sunt pueri. FS Rainer Sprung zum 65. Geburtstag (2001) – FS Sprung Koziol/Welser, Grundriss des bürgerlichen Rechts, 13. Aufl, I bearbeitet von Kletecka (2006), 12. Aufl, II (2002) – Koziol/Welser I, II Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht, 8. Aufl (2005) – Kropholler Kuderna, Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, 2. Aufl (1996) – Kuderna Matscher, Zuständigkeitsvereinbarungen im österreichischen und im internationalen Zivilprozeßrecht (1967) – Matscher, Zuständigkeitsvereinbarungen Mayr, Der gerichtliche Vergleichsversuch (2002) – Mayr, Vergleichsversuch Mayr/Czernich, Europäisches Zivilprozessrecht (2006) – Mayr/Czernich, EuZPR Mayr/Fucik, Das neue Verfahren außer Streitsachen, 3. Aufl (2006) – Mayr/Fucik Musielak, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 5. Aufl (2006) – Musielak, ZPO Neumann, Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen, 4. Aufl, 2 Bde (1927–28) – Neumann I, II Neumann/Lichtblau, Kommentar zur Exekutionsordnung, hrsg v Heller/Berger/Stix, 4. Aufl, I (1969), II (1972), III (1976) – Heller/ Berger/Stix Oberhammer, Die OHG im Zivilprozeß (1998) – Oberhammer, OHG Obermaier, Das Kostenhandbuch (2005) – Obermaier, Kostenhandbuch Petschek/Stagel, Der österreichische Zivilprozeß (1963) – Petschek/ Stagel Pollak, System des Österreichischen Zivilprozeßrechtes mit Einschluß des Exekutionsrechtes, 2. Aufl (1932) – Pollak Rauscher (Hrsg), Europäisches Zivilprozeßrecht (2004) – Autor in Rauscher, EuZPR Rechberger, Die fehlerhafte Exekution (1978) – Rechberger, Exekution Rechberger (Hrsg), Kommentar zum Außerstreitgesetz (2006) – Autor in Rechberger, AußStrG Rechberger (Hrsg), Entwurf eines neuen Schiedsverfahrensrechts mit Erläuterungen von Paul Oberhammer, Veröffentlichungen des LBI XXVII (2002) – Oberhammer, LBI XXVII XXVIII

Literatur Rechberger/Oberhammer, Exekutionsrecht, 4. Aufl (2005) – Rechberger/Oberhammer, Exekutionsrecht Rechberger/Simotta, Grundriss des österreichischen Zivilprozessrechts. Erkenntnisverfahren, 6. Aufl (2003) – Rechberger/Simotta Rechberger/Simotta, Exekutionsverfahren, 2. Aufl (1992) – Rechberger/ Simotta, Exekutionsverfahren Rechberger/Welser (Hrsg), Festschrift für Winfried Kralik zum 65. Geburtstag (1986) – FS Kralik Reiner, Das neue österreichische Schiedsrecht (2006) – Reiner, Schiedsrecht Roth M., Individualleistung und Geldersatz im Rahmen der Interessenklage (1993) – Roth, Interessenklage Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl (2004) – Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR Rummel (Hrsg), Kommentar zum Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch, 3. Aufl, I (2000), II (2002 ff), ErgBd (2003) – Autor in Rummel Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 4. Aufl (2006) – Schack, IZVR Schiemer/Jabornegg/Strasser, Kommentar zum Aktiengesetz, 3. Aufl (1993) – Autor in Schiemer/Jabornegg/Strasser, AktG Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 2. Aufl (2003) – Schlosser, EuZPR Schütze (Hrsg), Einheit und Vielfalt des Rechts. FS für Rudolf Geimer zum 65. Geburtstag (2002) – FS Geimer Schwimann (Hrsg), Praxiskommentar zum ABGB, 3. Aufl, I (2005), II (2005), III (2006), IV (2006), V (2006), VI (2006), VII (2005) – Autor in Schwimann Simotta (Hrsg), Der Zivilprozess zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Vergangenheit, Gegenwart und Perspektiven. FS für Wolfgang Jelinek zum 60. Geburtstag (2002) – FS Jelinek Sperl, Lehrbuch der Bürgerlichen Rechtspflege (1925–30) – Sperl Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 22. Aufl, 9 Bde (ab 1993) – Stein/Jonas Stohanzl, Jurisdiktionsnorm und Zivilprozeßordnung, 15. Aufl (2002) – Stohanzl Thomas/Putzo/Reichold/Hüßtege, Zivilprozeßordnung, 27. Aufl (2005) – Autor in Thomas/Putzo Wolff, Grundriß des österreichischen Zivilprozeßrechts, 2. Aufl (1947) – Wolff Würth/Zingher/Kovany, Miet- und Wohnrecht, 21. Aufl (2004) – Würth/Zingher/Kovany Zeiler, Schiedsverfahren (2006) – Zeiler, Schiedsverfahren

XXIX

Einführungsgesetz zur Jurisdiktionsnorm – EGJN Gesetz vom 1.8.1895, RGBl 110, betreffend die Einführung des Gesetzes über die Ausübung der Gerichtsbarkeit und die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte in bürgerlichen Rechtssachen (Jurisdiktionsnorm – EGJN)

1

Art I

Mayr

Art I. (1) Das Gesetz über die Ausübung der Gerichtsbarkeit und die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte in bürgerlichen Rechtssachen (Jurisdiktionsnorm) tritt in den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern gleichzeitig mit dem Gesetze über das gerichtliche Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (Zivilprozeßordnung) in Wirksamkeit. (2) Mit demselben Tage verlieren, soweit dieses Gesetz oder die Jurisdiktionsnorm nicht eine Ausnahme enthält, alle in anderen gesetzlichen Vorschriften enthaltenen Bestimmungen über Gegenstände, welche in der Jurisdiktionsnorm geregelt sind, ihre Wirksamkeit. [Stammfassung] Lit zur historischen Entwicklung: Sprung, Die Grundlagen des österreichischen Zivilprozeßrechts, ZZP 90 (1977) 380; ders, Die Ausgangspositionen österreichischer Zivilprozessualistik und ihr Einfluß auf das deutsche Recht, ZZP 92 (1979) 4; ders, 90 Jahre Zivilprozeßgesetze, in: Neuerungen im zivilgerichtlichen Verfahrensrecht, Richterwoche 1983 Badgastein (1984) 1; Dahlmanns, Österreich, in Coing (Hrsg), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte III/2 (1982) 2699; P. Böhm, Die österreichischen Justizgesetze von 1895/96, in Hofmeister (Hrsg), Kodifikation als Mittel der Politik (1986) 59; Schoibl, Die Entwicklung des österreichischen Zivilverfahrensrechts (1987); Hofmeister (Hrsg), Forschungsband Franz Klein (1988); Jelinek, Einflüsse des österreichischen Zivilprozeßrechts auf andere Rechtsordnungen, in Habscheid (Hrsg), Das deutsche Zivilprozeßrecht und seine Ausstrahlung auf andere Rechtsordnungen (1991) 41; Matscher, Die Entwicklung des zivilprozessualen Rechts, in Schambeck (Hrsg), Parlamentarismus und öffentliches Recht in Österreich (1993) 475; BMJ/Lewisch/Rechberger (Hrsg), 100 Jahre ZPO. Ökonomische Analyse des Zivilprozesses (1998); Mayr (Hrsg), 100 Jahre österreichische Zivilprozeßgesetze (1998); Sprung, 100 Jahre Österreichische Zivilprozessordnung, in CLC/IAPL (Hrsg), Procedural Law on the Threshold of a New Millennium (2002) 11; Rechberger, Ein Rückblick auf das Prozessrecht des 20. Jahrhunderts, in Gottwald (Hrsg), Aktuelle Entwicklungen des europäischen und internationalen Zivilverfahrensrechts (2002) 1. Fasching in Fasching I Einl; Ballon Rz 1 ff; Fasching Rz 25 ff; Rechberger/Simotta Rz 2 ff.

1 Die Jurisdiktionsnorm, die Zivilprozessordnung und die dazu gehörenden Einführungsgesetze wurden am 18. 7. 1895 vom Abgeordnetenhaus 2

EGJN Art I des Reichsrates in zweiter und dritter Lesung beschlossen (Sten Prot AH XI. Sess, 20851). Sie erhielten am 1.8.1895 die kaiserliche Sanktion, wurden am 9.8.1895 im Reichsgesetzblatt kundgemacht und traten gemeinsam am 1.1.1898 in Kraft. S auch Art I EGZPO. Nach dem Ende der Österreichisch-Ungarischen Monarchie verfügte 2 § 16 des Beschlusses der Provisorischen Nationalversammlung vom 30.10.1918, StGBl 1, die ausdrückliche Weitergeltung der Jurisdiktionsnorm (und der Zivilprozessordnung). Die (modifizierte) Weitergeltung der Zivilprozessgesetze nach der Befreiung Österreichs normierten §§ 1 und 2 Rechts-Überleitungsgesetz, StGBl 1945/6, und Art I des Gesetzes über Maßnahmen zur Wiederherstellung der österreichischen bürgerlichen Rechtspflege, StGBl 1945/188. Sie sind auch im Anhang des Ersten Bundesrechtsbereinigungsgesetzes (BGBl I 1999/191) ausdrücklich aufrecht erhalten worden. Das EGJN wurde bislang 9mal (zuletzt durch das SchiedsRÄG 2006), 3 die JN 52mal (zuletzt durch die ZVN 2004, das HaRÄG und das PuG), das EGZPO 21mal (zuletzt durch das HaRÄG und das SchiedsRÄG 2006) und die ZPO 78mal (zuletzt durch die ZVN 2004, das HaRÄG, das BRÄG 2006 und das SchiedsRÄG 2006) ausdrücklich abgeändert (s die Übersicht bis 1998 bei Mayr in Mayr, 100 Jahre 275 ff). Die einschneidendsten Neuerungen brachten dabei die (1.) Gerichtsentlastungsnovelle 1914 (RGBl 118), die Zivilverfahrens-Novelle 1983 (BGBl 135), die Erweiterte Wertgrenzen-Novelle 1989 (BGBl 343) und 1997 (BGBl I 140) sowie die Zivilverfahrens-Novelle 2002 (BGBl I 76). Die bislang letzte größere Novellierung der JN und der ZPO erfolgte (mit Wirksamkeit vom 1.12.2004 bzw 1.1.2005) durch die ZivilverfahrensNovelle 2004 (BGBl I 2004/128; zum genauen In-Kraft-Treten s dessen Art XVI). Die Bestimmungen der ZPO über das Schiedsverfahren (§§ 577 ff) wurden zuletzt durch das SchiedsRÄG 2006 (BGBl I 2006/7) mit Wirksamkeit ab dem 1.7.2006 neu gefasst. Das EGJN enthält iW Bestimmungen über die Aufhebung bzw Auf- 4 rechterhaltung der vor dem In-Kraft-Treten der JN in Geltung gestandenen einschlägigen Vorschriften und (heute bedeutungslos gewordene) Übergangsvorschriften. Dabei sind ausdrücklich aufrecht erhaltene Vorschriften auch vom 1. BRBG unberührt geblieben (s § 5 Abs 2 leg cit). Von Bedeutung sind heute nur noch die Art IX, XIV und XVIII EGJN. Art II. Gegenstandslos (betraf ausdrücklich aufgehobene Vorschriften) 3

Art VI

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Art III. Gegenstandslos (betraf die Gerichtsbarkeit des Obersthofmarschallamtes) Art IV. Gegenstandslos (betraf die Konsulargerichtsbarkeit) Art V. Gegenstandslos (betraf ausnahmsweise Begünstigungen für gewisse Gesellschaften, Anstalten und Vereine) Art VI. Unberührt bleiben: 1. gegenstandslos (betraf Vorschriften über den Wirkungskreis des Reichsgerichtes und die Entscheidung von Kompetenzkonflikten zwischen dem Verwaltungsgerichtshof und den ordentlichen Gerichten) 2. gegenstandslos (betraf das inzwischen aufgehobene Eisenbahnhaftpflichtgesetz RGBl 1869/27) 3. gegenstandslos (betraf die Gerichtsbarkeit in Elbe-Schifffahrtsangelegenheiten) 4. aufgehoben durch § 15 AHG 5. gegenstandslos durch § 371 Abs 4 HGB 6. gegenstandslos (betraf die Vorschriften des Erl RGBl 1856/150 über den Gerichtsstand der unehelichen und Findelkinder) Art VII. Gegenstandslos (betraf die Aufrechterhaltung von Vorschriften der zwischenzeitlich aufgehobenen Konkursordnung RGBl 1869/1) Art VIII. Desgleichen bleiben unberührt: 1. Das dem deutschen Ritterorden mit Patent vom 28. Juni 1840, JGS 451, eingeräumte Abhandlungsrecht über das frei eigene Vermögen des Hoch- und Deutschmeisters, der Ordensritter und Ordenspriester; 2. aufgehoben durch Art I 7. GEN 3. die Vorschriften über die Gerichtsbarkeit der inländischen Gerichte in Ansehung der Nachlässe von Ausländern, insbesondere die Vorschriften der §§ 22 bis 25 und 140 bis 144 des kaiserlichen Patentes vom 9. August 1854, RGBl 208, ferner die über die Zuständigkeit in Vormundschafts- und Kuratelsangelegenheiten der Ausländer im § 183 des kaiserlichen Patentes vom 9. August 1854, RGBl 208, und in anderen Vorschriften enthaltenen Bestimmungen, sowie die in Staatsverträgen enthaltenen Bestimmungen über das Verlassenschafts- und Pflegschaftswesen; 4. die Vorschriften des Gesetzes vom 18. Februar 1878, RGBl 30, über die Zuständigkeit der Gerichte in Fällen der Enteignung zum Zwecke der Herstellung und des Betriebes von Eisenbahnen; 4

EGJN Art VIII 5. gegenstandslos durch das FBG 6. die Vorschriften über die Aufnahme von Wechselprotesten und über die Mitwirkung der Gerichte in Angelegenheiten des Notariatswesens; 7. die Vorschriften des Gesetzes vom 16. Februar 1883, RGBl 20, über die Zuständigkeit für das Verfahren zum Zwecke der Todeserklärung oder der Beweisführung des Todes. [Stammfassung] Lit: Sprung, Abhandlungsbefugnis des Deutschen Ordens? JBl 1962, 78. Fasching in Fasching I Art VIII EGJN. Die in Z 1 aufrechterhaltene Abhandlungsbefugnis des Deutschen Or- 1 dens hat schon lange keinerlei praktische Bedeutung mehr und wäre de lege ferenda ersatzlos zu beseitigen (s Sprung, JBl 1962, 83). Das in Z 3 genannte AußStrG 1854 ist am 1.1.2005 durch das neue 2 Außerstreitgesetz (BGBl I 2003/111) abgelöst worden. Zur internationalen Zuständigkeit („inländischen Gerichtsbarkeit“) für die Abhandlung einer Verlassenschaft s nunmehr §§ 106 f JN idF AußStr-BegleitG und § 40 RHE Ziv 2004 mit Länderübersicht. Die in Z 4 genannte Rechtsquelle wurde als Eisenbahnenteignungsge- 3 setz 1954 BGBl 71 wiederverlautbart. Danach ist zur Feststellung der Entschädigung das BG zuständig, in dessen Sprengel die Enteignung zu vollziehen ist (§ 23 Abs 2). In dem seit dem 1.1.2005 geltenden Eisenbahn-Enteignungsentschädigungsgesetz (s Art XIII AußStr-BegleitG) wurde die Zuständigkeit für die Entscheidung über die Entschädigung (entgegen dem Trend der Gesetzgebung in den letzten Jahrzehnten) zum LG verlagert, in dessen Sprengel der Gegenstand der Enteignung liegt (§ 18 Abs 2 EisbEG nF). Z 6: Für die Aufnahme von Wechselprotesten gelten nunmehr die 4 §§ 79 ff WG 1955. Eine Mitwirkung der Gerichte in Angelegenheiten des Notariatswesens ist etwa vorgesehen in §§ 11 Abs 2, 12, 15 ff, 42 Abs 1, 93 Abs 4, 119 ff, 144, 150 ff, 155, 169 ff und 183 ff NO. Die in Z 7 genannte Rechtsquelle wurde als Todeserklärungsgesetz 5 1950 BGBl 1951/23 wiederverlautbart (dazu etwa Mayr/Fucik Rz 529 ff). Zur Todeserklärung ist (seit dem 1.1.2005) das BG zuständig, in dessen Sprengel der Verschollene seinen letzten inländischen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt hat, sonst das BG Innere Stadt Wien 5

Art IX

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(§ 13 TEG idF AußStr-BegleitG). Zur „inländischen Gerichtsbarkeit“ (bzw internationalen Zuständigkeit) für die Beweisführung des Todes s 3 Ob 264/00w = SZ 74/74 = EvBl 2001/186, 812 = ZfRV 2001/74, 232 und Fuchs, Internationale Zuständigkeit in Außerstreitverfahren (2004) Rz 429 ff. Art IX. (1) Die Vorschriften der Jurisdiktionsnorm haben auch auf bürgerliche Rechtssachen Anwendung zu finden, welche nach Völkerrecht der inländischen Gerichtsbarkeit unterstellt und nicht durch gesetzliche Vorschriften der Gerichtsbarkeit der ordentlichen Gerichte entzogen sind. (2) Die inländische Gerichtsbarkeit erstreckt sich auf Personen, die nach Völkerrecht Immunität genießen, wenn und insofern sie sich den inländischen Gerichten freiwillig unterwerfen oder die Rechtssache ihre im Inland gelegenen unbeweglichen Güter oder ihre dinglichen Rechte an inländischen Liegenschaften anderer Personen zum Gegenstand hat. (3) Wenn es zweifelhaft ist, ob die inländische Gerichtsbarkeit über eine Immunität genießende Person begründet oder die Immunität zugunsten einer Person anerkannt ist, so hat das Gericht hierüber die Erklärung des Bundesministeriums für Justiz einzuholen. [Fassung Art V WGN 1997] Lit: Herndl, Zur Frage der Staatenimmunität, JBl 1962, 15; Verdross/ Simma, Universelles Völkerrecht3 (1984) §§ 276 ff, 900 ff, 927 ff, 1168 ff; Bajons, Zwischenstaatliches Justizrecht (1981/89); Schneider/Schwarz, Handbuch für die Praxis des internationalen Rechtshilfeverkehrs in Zivilsachen (1987); Heß, Probleme der Staatenimmunität bei grenzüberschreitenden Unterlassungsklagen, JBl 1989, 285; Dahm/Delbrück/ Wolfrum, Völkerrecht2 I/1 (1989) 249, 277, 452; Seidl-Hohenveldern, Zur Immunität der EWG, ecolex 1990, 263; Schreuer, Die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche gegen ausländische Staaten, ÖJZ 1991, 41; Fischer, Die jüngste Judikatur der Höchstgerichte Österreichs in Völkerrechtsfragen, NZ 1991, 154; Kronke, Europäisches Übereinkommen über Staatenimmunität – Element der Kodifikation des deutschen internationalen Zivilverfahrensrechts, IPRax 1991, 141; Hess, Staatenimmunität bei Distanzdelikten (1992); Geimer, Verfassung, Völkerrecht und Internationales Zivilverfahrensrecht, ZfRV 1992, 321, 401; Seidl-Hohenveldern, Staatenimmunität gegenüber Dienstnehmerklagen von Botschaftspersonal, IPRax 1993, 190; ders, Die internationalen Beamten und ihr Recht auf den gesetzlichen Richter, FS Matscher (1993) 441; Richtsteig, Wiener Übereinkommen über diplomatische und konsularische 6

EGJN Art IX Beziehungen (1994); Wenckstern, Die Immunität internationaler Organisationen (= Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts Bd II/1, 1994); W. Habscheid, Die Immunität internationaler Organisationen im Zivilprozeß, ZZP 110 (1997) 269; Leipold, Immunität versus Rechtsschutzgarantie, FS Lüke (1997) 353; Köck/Fischer, Das Recht der Internationalen Organisationen3 (1997) 551, 574 ff; Duchek/Schütz/ Tarko, Zwischenstaatlicher Rechtsverkehr in Zivilrechtssachen 2 (1998); Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht (1998); Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren nach schweizerischem Recht (1998); Rensmann, Staatenimmunität und völkerrechtswidrige Hoheitsakte, IPRax 1998, 44; Seidl-Hohenveldern, Immunität der Arabischen Liga im Arbeitsstreit mit örtlich rekrutierten Bediensteten, IPRax 1999, 273; Burgstaller (Hrsg), Internationales Zivilverfahrensrecht (2000) 8 ff; M. Lüke, Die Immunität staatlicher Funktionsträger (2000); Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht10 (2000) Rz 1008 ff, 1085 ff, 1462 ff, 1498 ff; Seidl-Hohenveldern/Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen einschließlich der Supranationalen Gemeinschaften7 (2000) Rz 1901 ff; Mayr, Die Reform des internationalen Zivilprozessrechts in Österreich, JBl 2001, 144; Mankowski, Arbeitskräfte bei Staaten und staatsnahen Einrichtungen im Internationalen Privat- und Prozessrecht, IPRax 2001, 123; E. Habscheid, Die durch Art 6 I beschränkte Immunität internationaler Organisationen im Erkenntnisverfahren, IPRax 2001, 396; Matscher, Franz Klein und das österreichische IZPR, FS Sprung (2001) 243; Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht5 (2002) § 2 (37 ff); Walter, Internationales Zivilprozessrecht der Schweiz3 (2002) 63 ff; Obwexer, Staatenimmunität innerhalb der EU, ecolex 2002, 57; Beys, Die Staatenimmunität im Lichte des Grundsatzes der Achtung und des Schutzes der Menschenwürde, FS Geimer (2002) 67; E. Habscheid, Immunität internationaler Organisationen und Art 6 I EMRK, FS Geimer (2002) 255; Matscher, Völkerrechtliche Immunitäten und EMRK, FS Geimer (2002) 669; Boguslawskij, Die Regelung der Staatenimmunität in der Gesetzgebung der GUS-Staaten, IPRax 2002, 43; Tomuschat, Zur Immunität eines Staatsoberhauptes in familienrechtlichen Verfahren, IPRax 2002, 437; Kröll, Neuere Entwicklungen im französischen Recht der Vollstreckung in das Vermögen ausländischer Staaten – Vorbild oder Irrweg? IPRax 2002, 439; Hailbronner, Zulässigkeit und Verfahren der Zustellung gerichtlicher Verfügungen an zwischenstaatliche Organisationen, ZZPInt 7 (2002) 63; Walter, Die Staatenimmunität in der Schweiz, FS Beys II (2003) 1721; Cremer, Entschädigungsklagen wegen schwerer Menschrechtsverletzungen und Staatenimmuniät vor nationaler Zivilgerichtsbarkeit, Archiv des Völkerrechts Bd 41 (2003) 137; Dörr, Staatliche Immunität auf dem Rückzug? Archiv des Völkerrechts Bd 41 (2003) 201; Sato, Immunität Internatio7

Art IX

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naler Organisationen (2003); Schreuer, Staatenimmunität in den USA, ecolex 2004, 781; Kröll, Die Pfändung von Forderungen des russischen Staats gegen deutsche Schuldner – Investitionsschutz und Vollstreckungsimmunität, IPRax 2004, 223; Fischer/Köck, Völkerrecht6 (2004) Rz 421 ff, 750 ff, 800 ff und 840 ff; Neuhold/Hummer/Schreuer (Hrsg), Österreichisches Handbuch des Völkerrechts 4 I (2004) Rz 864 ff, 935 ff und 1758 ff; Doehring, Völkerrecht2 (2004) Rz 208 und 656 ff; Hailbronner in Graf Vitzthum (Hrsg), Völkerrecht3 (2004) 3. Abschnitt Rz 46 ff, 58 ff, 87 ff; Hobe/Kimminich, Einführung in das Völkerrecht8 (2004) 347 ff, 361 ff, 367 ff; Ipsen, Völkerrecht5 (2004) § 26 Rz 17 ff; § 31 Rz 31 ff; § 35 Rz 34 ff; § 36 Rz 8 f; § 37 Rz 4; § 38 Rz 11 ff; Tauchmann, Die Immunität internationaler Organisationen gegenüber Zwangsvollstreckungsmaßnahmen (2005); Geimer, Internationales Zivilprozeßrecht5 (2005) Rz 371 ff, 471 ff, 555 ff, 762 ff, 818 ff, 825 ff; Matscher, Zur prozessualen Behandlung der inländischen Gerichtsbarkeit, FS Schlosser (2005) 561; Stein/von Buttlar, Völkerrecht11 (2005) Rz 713 ff, 730 ff; Herdegen, Völkerrecht5 (2006) § 10 Rz 21 f, § 37 Rz 1 ff, § 38 Rz 1 ff; Fassbender, Neue deutsche Rechtsprechung zu Fragen der Staaten- und der diplomatischen Immunität, IPRax 2006, 129; Linke, Internationales Zivilprozeßrecht4 (2006) Rz 65 ff; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht4 (2006) Rz 130 ff. Matscher in Fasching I Art IX EGJN; Bajons Rz 28 ff; Ballon Rz 98; Buchegger, PraktZPR I 10; Fasching Rz 56 ff; Holzhammer 26; Rechberger/Simotta Rz 61 ff. Inhaltsübersicht Allgemeines 1–2 I. Immunität von Staaten 3–8 II. Immunität von Internationalen Organisationen und deren Personal 9–14 III. Immunität von Personen 15–20

IV. Immunität von Sachen Feststellung der Immunität Rechtsfolgen Erweiterung der „inländischen Gerichtsbarkeit“

21 22 23 24

1 Aus der souveränen Gleichheit der einzelnen Staaten untereinander ergibt sich, dass die Gerichtsbarkeit der österreichischen Gerichte auf das österreichische Staatsgebiet beschränkt ist (Territorialitätsprinzip; dazu etwa Seidl-Hohenveldern/Hummer in Handbuch4 I Rz 877 f sowie SZ 68/81 = JBl 1996, 59 = ZfRV 1995, 258 und RS0053182 sowie RS0053183; vgl auch 6 Ob 7/02a = SZ 2002/65 = JBl 2003, 54 = EFSlg 101.487). Werden im Rahmen eines österreichischen Gerichtsverfah8

EGJN Art IX rens Amtshandlungen im Ausland erforderlich (zB die Ladung oder Vernehmung von Zeugen), so muss das österreichische Gericht die zuständige ausländische Behörde ersuchen, die betreffende Handlung im Rechtshilfeweg vorzunehmen. S dazu näher §§ 38 ff und §§ 291a ff ZPO. Ob eine freiwillige persönliche Anhörung eines Betroffenen durch einen österreichischen Richter in den Räumlichkeiten einer österreichischen Botschaft im Ausland zulässig ist, ist umstritten (vgl 1 Ob 305/ 98d = SZ 71/198 = JBl 1999, 332 = EvBl 1999/88 = ZfRV 1999, 116 und dazu krit Bajons in Fasching I § 38 JN Rz 6; s zum Ganzen Geimer, IZPR Rz 396 ff). Zu Zustellungen im Ausland s §§ 106 Abs 2, 121 ZPO; § 11 Abs 1 ZustG (Anhang nach § 87 ZPO); V des BMJ vom 23.12.1960 BGBl 1961/10; § 141 Abs 2 und § 166 Geo; §§ 23 und 33 RHE Ziv 2004; Erlass des BMJ vom 25.6.2003 JABl 2003/23 (hinsichtlich den USA) sowie die EuZustellVO (dazu Nach § 27a JN Rz 9). Andererseits sind der österreichischen Gerichtsbarkeit aber grundsätz- 2 lich alle Personen (ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit) unterworfen, die sich auf österreichischem Staatsgebiet aufhalten, sowie alle Sachen, die sich in Österreich befinden. Ausnahmen (Exemtionen) von dieser Jurisdiktionsbefugnis Österreichs (der „inländischen Gerichtsbarkeit“ im engeren Sinn im Unterschied zur „inländischen Gerichtsbarkeit“ iSd internationalen Zuständigkeit; dazu Rz 1 zu § 27a JN) normieren die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts (Art 9 B-VG) und das Völkervertragsrecht. Diese Befreiungen werden heute allgemein als (völkerrechtliche) Immunität (von Personen bzw Sachen) bezeichnet (zur [beruflichen] Immunität von Mitgliedern gesetzgebender Körperschaften s Vor § 1 JN Rz 12). Der früher gebräuchliche Begriff „Exterritorialität“ verleitete zu einer falschen Vorstellung über den Charakter diese Ausnahme (s etwa Geimer, IZPR Rz 780) und wurde daher vom modernen (österreichischen) Gesetzgeber in Art IX EGJN und an verschiedenen anderen Stellen beseitigt (§ 31 Abs 1 EO idF EO-Nov 1995; § 32 JN idF WGN 1997; s auch § 29 Satz 2, § 42 Abs 2 JN und Mayr, JBl 2001, 150). Es ist zu unterscheiden: I. Immunität von Staaten Völkervertragsrechtlich besteht ua das Europäische Übereinkommen 3 über Staatenimmunität vom 16.5.1972 BGBl 1976/432 (abgedruckt auch bei Duchek/Schütz/Tarko 289 ff), das jedoch nur im Verhältnis zwischen den Vertragsstaaten untereinander anzuwenden ist (SZ 62/111 = JBl 1989, 799 = Arb 10.789 = DRdA 1990, 73 = ZfRV 1990, 300 = ZÖR 41, 188; 4 Ob 97/01w = SZ 74/86 = ecolex 2002/28, 59 (Obwexer) = ZfRV 2002/3, 23): Vertragsstaaten sind neben Österreich (nur) Belgien 9

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(BGBl 1976/432 und 1985/149), Deutschland (BGBl 1991/149 und 1992/432; dazu etwa Kronke, IPRax 1991, 141 mwN), Großbritannien (BGBl 1980/22 und 1988/79), Luxemburg (BGBl 1987/28), Niederlande (BGBl 1985/149), Schweiz (BGBl 1982/462 und 1985/149) und Zypern (BGBl 1976/432 und 1985/149). Die Ausübung der Gerichtsbarkeit iSd Art 21 dieses Übereinkommens regelt das BG BGBl 1976/ 433. Näheres dazu bei Matscher in Fasching I Art IX EGJN Rz 235 ff und Geimer, IZPR Rz 666 ff. Österreich hat ferner im Jänner 2005 das weltweite Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Immunitäten der Staaten und ihres Vermögens von der Gerichtsbarkeit unterzeichnet (dazu etwa Ipsen, Völkerrecht § 26 Rz 27 ff). Die Ratifikation dieses Übereinkommens durch Österreich steht unmittelbar bevor (s 1161 und 1406 BlgNR 22. GP). Dieses Übereinkommen stellt iW eine Kodifikation des diesbezüglich bestehenden völkerrechtlichen Gewohnheitsrechts dar. Das Übereinkommen geht vom Grundsatz der Immunität fremder Staaten aus (Art 5), führt aber in den Art 10 ff eine Reihe von wichtigen Bereichen an, in denen die Staatenimmunität nicht beansprucht werden kann (zB bei privatwirtschaftlichen Rechtsgeschäften, Arbeitsverträgen, Personen- und Sachschäden ua). Außerdem enthält das Übereinkommen besondere Bestimmungen über die Staatenimmunität von Zwangsmaßnahmen (Art 18 ff).

4 Darüber hinaus gilt nach allgemeinem Völkerrecht (herrschend) der Grundsatz der relativen (beschränkten) Immunität der Staaten (eingehend dazu bereits Verdross/Simma §§ 1168 ff oder; Doehring, Völkerrecht Rz 658 ff), dem sich auch die st(ö)Rsp angeschlossen hat. Danach sind ausländische Staaten nur in Ausübung ihrer hoheitlichen Funktionen (acta iure imperii) der inländischen Gerichtsbarkeit entzogen; in Rechtsstreitigkeiten aus Privatrechtsverhältnissen (acta iure gestionis) unterliegen sie hingegen der inländischen Gerichtsbarkeit (etwa SpR 28 = SZ 23/143 = EvBl 1950/356; JBl 1962, 43; SZ 36/26 = EvBl 1963/210; ZfRV 1993/34; SZ 68/72 = IPRax 1996, 41 [52: Seidl-Hohenveldern]; 2 Ob 156/03k = JBl 2004, 390 [M. Karollus] = ZfRV-LS 2004/13, 74; RS0045581 und RS0032107). Neuere Kodifikationen des (Staaten-) Immunitätsrechts haben allerdings diese Unterscheidung aufgegeben und eine grundsätzliche Immunitätsregel normiert, die durch eine taxative Liste von Ausnahmen nach Fallgruppen eingeschränkt wird (s etwa Heß, JBl 1989, 286; Schreuer, ÖJZ 1991, 42 und ders, ecolex 2004, 783 f). Zum neuesten Kodifikationsversuch der VN s oben Rz 3.

5 Die Abgrenzung zwischen hoheitlichen und nicht-hoheitlichen Staatsakten bereitet allerdings große Schwierigkeiten insb bei fremden Staats10

EGJN Art IX unternehmen (dazu etwa Ipsen, Völkerrecht § 26 Rz 33 f) oder im Bereich der der grenzüberschreitenden Unterlassungsklagen (dazu Heß, JBl 1989, 285 und ders, Staatenimmunität insb 158 mwN). Es hat sich hier der Grundsatz durchgesetzt, dass es bei der Abgrenzung nicht auf den Zweck des staatlichen Handelns (so aber noch LGZ Wien EFSlg 54.914), sondern in erster Linie auf dessen Natur ankommt (vgl Rensmann, IPRax 1998, 44). Entscheidend ist, ob ein Privater eine gleichartige Handlung hätte setzen können (Seidl-Hohenveldern/Hummer in Handbuch4 I Rz 869 ff oder JBl 1962, 43). So hat der OGH etwa entschieden (SZ 62/111 = JBl 1989, 799 = Arb 10.789 = ZfRV 1990, 300 [krit Seidl-Hohenveldern]; ebenso SZ 63/206 = Arb 10.884 = DRdA 1991, 455 [Simotta] und 1 Ob 100/98g = ZfRV 1999/6, 22 sowie LGZ Wien EFSlg 94.310; vgl auch VwGH DRdA 1986, 147 = VwSlg 11.757 A = ZÖR 37, 394), dass ein ausländischer Staat hinsichtlich eines Arbeitsvertrages über im Inland zu leistende Arbeiten ohne Rücksicht auf den Zweck der Arbeiten im Inland geklagt werden könne (dazu auch Fischer, NZ 1991, 154 ff; Schreuer, ÖJZ 1991, 42 ff und generell Seidl-Hohenveldern, IPRax 1993, 190). Ebenso hat das LGZ Wien wiederholt (MietSlg 51.615, 53.628, 55.596) eine Mietzinsklage gegen einen ausländischen Staat zugelassen, weil der Abschluss eines Mietvertrages durch einen fremden Staat selbst dann zu den Privatrechtsakten dieses Staates zu zählen ist, wenn in den gemieteten Räumen die Botschaft untergebracht ist. Der Abschluss von bilateralen Abkommen oder die Abgabe von Erklärungen des Außenministers zählen hingegen zu den (der Jurisdiktion österreichischer Gerichte nicht unterworfenen) Hoheitsakten eines anderen Staates (4 Ob 97/01w = SZ 74/86; zust Obwexer, ecolex 2002, 57 f); ebenso der Einsatz von Militärflugzeugen im Rahmen eines völkerrechtlichen Vertrages (2 Ob 156/03k = JBl 2004, 390 [M. Karollus] = ZfRV-LS 2004/13, 74) oder die Vornahme von Zustellungen im Rechtshilfeweg (8 ObA 201/00t = JBl 2002, 57 [krit Hintersteininger]). Bei der Abgrenzung zwischen hoheitlicher und nicht-hoheitlicher Tätigkeit ist – jedenfalls nach Ansicht des OGH – nicht auf das Recht des anderen Staates und auch nicht auf das Recht des Gerichtsstaates (lex fori; so aber etwa Stein/von Buttlar, Völkerrecht Rz 720; vgl zur Problematik auch Ipsen, Völkerrecht § 26 Rz 24 f oder Hailbronner in Graf Vitzthum, Völkerrecht Rz 90 f), sondern auf das allgemeine Völkerrecht abzustellen (EvBl 1988/118 = JBl 1988, 459 = RdW 1988, 165; SZ 68/72 = IPRax 1996, 41; 2 Ob 156/03k = JBl 2004, 390 [M. Karollus]; zust Heß, JBl 1989, 290; differenzierend ders, Staatenimmunität 47), wobei allerdings auch das Völkerrecht von einer klaren Abgrenzung weit entfernt ist (vgl die Beispiele bei Geimer, IZPR Rz 582 f und Matscher in Fasching I Art IX EGJN Rz 215). Nunmehr soll dieses Problem 11

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durch eine völkervertragliche Regelung in dem oben (Rz 3) genannten UN-Übereinkommen gelöst werden. Zur Zustellung an ausländische Staaten s § 11 Abs 2 ZustG (Anh zu § 87 ZPO) und Schreuer, ÖJZ 1991, 48 f sowie 8 ObA 201/00t = JBl 2002, 57 (krit Hintersteininger) und 9 ObA 14/03d = JBl 2004, 258 [krit M. Karollus] = ZfRV 2004/4, 13; zur Zustellung an internationale Organisationen s 10 Ob 53/04y = SZ 2004/176.

6 Die Zulässigkeit von Exekutionsmaßnahmen hängt hingegen nicht von der Art der Innehabung, sondern der Zweckbestimmung des Vermögens ab. Es ist also nicht schon eine Zwangsvollstreckung in jedes Bankguthaben eines ausländischen Staates deshalb zulässig, weil auch Private Bankguthaben besitzen können (Seidl-Hohenveldern/Hummer in Handbuch4 I Rz 875). Bei Vollstreckungsmaßnahmen gegen ausländische Staaten ist die Gerichtspraxis allerdings sehr zurückhaltend (Einzelheiten bei Geimer, IZPR Rz 562 und 589 ff). So hat der OGH festgestellt (SZ 59/76 = JBl 1986, 733 = RdW 1986, 274 = RZ 1987/1, 13 = ZÖR 37, 390; s auch 1 Ob 100/98g = ZfRV 1999/6, 22), dass Bankguthaben einer ausländischen Vertretungsbehörde nur dann der Exekution unterliegen, wenn diese ausschließlich privatrechtlichen Zwecken und auch nicht teilweise der Ausübung der Souveränitätsrechte dienen, wobei hinsichtlich dieses Umstandes die betreibende Partei die Behauptungs- und Beweislast trägt (dazu krit Schreuer, ÖJZ 1991, 45 f sowie Seidl-Hohenveldern, ZfRV 1990, 305 f). Schon die Einleitung eines Erkenntnisverfahrens gegen einen ausländischen Staat vom Nachweis des Vorhandenseins eines geeigneten Vollstreckungsobjektes abhängig zu machen, erscheint aber jedenfalls unzulässig (Schreuer, ÖJZ 1991, 47; vgl jedoch JBl 1988, 323 = RdW 1988, 165 und OLG Linz JBl 1990, 260). Jedenfalls zu beachten sind aber die Grenzen, die durch die Immunität von Sachen gezogen werden (s § 31 EO und unten Rz 21).

7 Außer den Staaten genießen auch seine Organe (dazu Art 7 Abs 2 Wiener Vertragsrechtskonvention) für offen gesetzte Hoheitsakte gerichtliche Immunität im Ausland (s auch unten Rz 15 ff), da gegen sie in solchen Angelegenheiten gerichtete Klagen als Klagen gegen ihren Staat betrachtet werden (Verdross/Simma § 1177 und eingehend Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht Rz 1482 ff). Weiters sind ausländische Truppen, Militärschiffe oder -flugzeuge bzw Staatsschiffe oder -flugzeuge im Hoheitsdienst immun (Verdross/Simma § 1027; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht Rz 1493 ff).

8 Keine Exemtion von der inländischen Gerichtsbarkeit besteht bei einem ausdrücklichen (nicht wieder rücknehmbaren) Verzicht auf die Immu12

EGJN Art IX nität durch den ausländischen Staat, bei einer Widerklage sowie bei Klagen betreffend Liegenschaften im Gerichtsstaat (s etwa Verdross/ Simma §§ 1174 f; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht Rz 1466 ff oder Ipsen, Völkerrecht § 26 Rz 28 f). II. Immunität von Internationalen Organisationen und deren Personal Diese ist geregelt in den Satzungen der betreffenden Organisation (zB 9 Art 105 Abs 1 der Satzung der Vereinten Nationen), in besonderen multilateralen Abkommen über Vorrechte und Befreiungen bestimmter Organisationen (zB das Übereinkommen über die Privilegien und Immunitäten der Vereinten Nationen, BGBl 1957/126, und der Spezialorganisationen der Vereinten Nationen, BGBl 1950/248, sowie über die Privilegien und Immunitäten des Europarates, BGBl 1957/127), ferner in speziellen Amtssitzabkommen zwischen der Internationalen Organisation und dem Staat des Amtssitzes (zB zwischen Österreich und den Vereinten Nationen: BGBl III 1998/99; UNIDO: BGBl III 1998/100; IAEO: BGBl 1958/82 idF BGBl 1971/413 und BGBl 1981/366; OPEC: BGBl 1974/382 und 1982/248; Europäische Patentorganisation: BGBl 1990/672) und in innerstaatlichen Vorschriften (zB BG über die Einräumung von Privilegien und Immunitäten an internationale Organisationen, BGBl 1977/677, sowie an nichtstaatliche internationale Organisationen, BGBl 1992/174). Eine Übersicht über die Internationalen Organisationen und Institutionen, denen in Österreich Privilegien und Immunitäten eingeräumt sind, gibt Matscher in Fasching I Art IX EGJN Rz 294, 308 ff, 316. Im Unterschied zu den Staaten (s oben Rz 4) gilt für Internationale 10 Organisationen der Grundsatz der absoluten Immunität, dh die Immunität erstreckt sich auch auf die „privaten“ Handlungen der Organisation (Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht Rz 1499; SZ 65/87 = EvBl 1992/161 = MietSlg 44.718 = ZfRV 1993/20 = RIW 1993, 237 [Seidl-Hohenveldern]; 10 Ob 53/04y = SZ 2004/176; 6 Ob 150/05k; vgl auch ZfRV 1998/51). Allerdings ist der Handlungsspielraum der Internationalen Organisationen aufgrund des funktionellen Charakters ihrer Rechtspersönlichkeit von vornherein auf Tätigkeiten beschränkt, die auf die Erfüllung ihrer Aufgaben gerichtet sind bzw mit dem Organisationszweck in enger Verbindung stehen. Insofern genießen internationale Organisationen also Immunität in demjenigen Umfang, der erforderlich ist, um ihre satzungsmäßigen Ziele erreichen zu können. Dem Bedürfnis nach Rechtsschutz Einzelner gegen Handlungen der Internationalen Organisation wird in der Praxis meist dadurch Rechnung getragen, dass in privatwirtschaftliche Verträge Schiedsklau13

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seln aufgenommen werden (etwa Abschnitt 29 Immunitätenübereinkommen BGBl 1957/126) oder die Organisation überhaupt auf ihre Immunität verzichtet (dazu 10 Ob 53/04y = SZ 2004/176). Vielfach enthält schon die Satzung der Organisation, insb dann, wenn sie sich am Wirtschaftsleben beteiligen soll, einen entsprechenden Immunitätsverzicht (s dazu Seidl-Hohenveldern/Loibl Rz 1910 ff).

11 Die internationalen Beamten, dh das Personal bzw der Verwaltungsapparat der internationalen Organisationen, genießen funktionelle, also eine auf ihre dienstliche Tätigkeit beschränkte Immunität (vgl 6 Ob 150/ 05k = Zak 2006/137, 79; LGZ Wien EFSlg 52.060, 79.041 und 90.701). Allerdings gilt diese Immunität – im Gegensatz zur Immunität der Diplomaten (s unten Rz 16) – nicht nur im Sitzstaat der internationalen Organisation, sondern auch im Heimatstaat der Beamten, und zwar auch nach der Beendigung ihrer Tätigkeit für die Organisation. Damit soll die Unabhängigkeit der internationalen Beamten, die von ihren Heimatstaaten keine Weisungen entgegennehmen dürfen, vor staatlicher Einflussnahme sichergestellt werden. Für die Beurteilung der Frage, ob eine konkrete Handlung eines internationalen Beamten als Diensthandlung oder als private Tätigkeit anzusehen ist, ist nach überwiegender Meinung die Ansicht der betroffenen Organisation als maßgeblich anzusehen (Seidl-Hohenveldern/Loibl Rz 1922; Wenckstern, Immunität Rz 541 ff).

12 Dem administrativen Leiter der Organisation, seinen unmittelbaren Stellvertretern und bestimmten leitenden Angestellten wird idR „diplomatische“ (s unten Rz 17), also absolute Immunität gewährt (vgl LGZ Wien MietSlg 30.637/40; KG Korneuburg ÖRPfl 1/1991, 38; JUS Z/401 = ZÖR 42, 472). Der geographische Geltungsbereich dieser Immunität ist allerdings nicht klar geregelt (vgl Seidl-Hohenveldern/Loibl Rz 1921): Dem Leiter der Organisation – wie einem Diplomaten – im Heimatstaat keine Immunität zuzubilligen, erscheint im Vergleich zu den ihm untergeordneten Beamten sachlich nicht gerechtfertigt; umgekehrt ist es ebenso wenig einsichtig, die absolute Immunität auch im Heimatstaat des leitenden Beamten wirken zu lassen, so dass wohl davon auszugehen ist, dass dem Leiter einer Internationalen Organisation in seinem Heimatstaat zumindest funktionelle Immunität zukommt. Grundsätzlich wird die Immunität den Beamten nicht zum persönlichen Vorteil, sondern im Interesse der Organisation verliehen. Die Organisation ist daher verpflichtet, auch gegen den Willen des betreffenden Beamten auf dessen Immunität zu verzichten, wenn die Immunität „den Lauf der Gerechtigkeit hindern würde“ und „auf sie ohne Nachteil für die Interessen der Organisation verzichtet werden kann“ 14

EGJN Art IX (so etwa Abschnitt 20 Immunitätenübereinkommen BGBl 1957/126). Hebt die Organisation hingegen die Immunität eines ihrer Beamten nicht auf, bleibt ein durch dessen Diensthandlungen Geschädigter ohne Rechtsschutz. Bei vielen Organisationen sind hier allerdings „geeignete“ Streitbeilegungsverfahren vorgesehen (etwa Abschnitt 29 Immunitätenübereinkommen BGBl 1957/126) oder es besteht die Möglichkeit der Erhebung einer Amtshaftungsklage (vgl Geimer, IZPR Rz 828). Die Delegierten, ds die von den Mitgliedstaaten in die Organe der 13 Organisation entsandten Staatenvertreter, die entsprechend den Weisungen ihrer Regierungen am Willensbildungsprozess der Organisation mitwirken, genießen eine funktionell beschränkte Immunität während der Ausübung ihrer Funktionen und auf ihrer Reise zum oder vom Ort der Sitzung, aber nur außerhalb des Staates, dem sie angehören (etwa Abschnitt 11 Immunitätenübereinkommen BGBl 1957/126; vgl auch Seidl-Hohenveldern/Loibl Rz 1935 und eingehend Wenckstern, Immunität Rz 757 ff sowie JBl 1999, 677 [Hintersteininger und Zemanek]). Entsprechend ihrer Aufgabe, die diplomatischen Beziehungen zwi- 14 schen ihrem Heimatstaat und der Internationalen Organisation wahrzunehmen, genießen nach überwiegender Meinung (s 6 Ob 150/05k) die ständigen Vertreter bei der Organisation (analog zu den Diplomaten im bilateralen Verkehr) absolute Immunität im Empfangsstaat. III. Immunität von Personen Fremde Staatsoberhäupter sind (während ihrer Amtszeit) von der 15 Gerichtsbarkeit des Gerichtsstaates, und zwar auch hinsichtlich ihrer privaten Akte, ausgenommen (SZ 37/94 = JBl 1964, 567 = RZ 1964, 201 sowie ausführlich mwN 7 Ob 316/00x = SZ 74/20 = EvBl 2001/139, 601 = JBl 2001, 790 [Matscher] = ZfRV 2001/55, 191 = EuGRZ 2001, 513 = EFSlg 97.834 = IPRax 2002, 418; dazu krit Tomuschat, IPRax 2002, 437 und Matscher in FS Geimer 669). Im Gegensatz zur Immunität für Amtshandlungen (oben Rz 7) endet die Immunität für Privatakte aber mit dem Ende ihrer Stellung als Staatsoberhaupt (Stein/von Buttlar, Völkerrecht Rz 725). Wer Staatsoberhaupt ist, richtet sich nach der Verfassung des Heimatstaates. In der völkerrechtlichen Literatur und Praxis nicht geklärt ist die Frage, ob auch der Regierungschef, der Außenminister und die sonstigen Ressortminister absolute Immunität genießen (s dazu etwa Doehring Rz 673; Köck in Handbuch4 Rz 1765 oder Geimer, IZPR Rz 763 f). Bei amtlichen Auslandsaufenthalten von Regierungsmitgliedern wird man diesen aber idR die Stellung eines Mitglieds einer Spezialmission 15

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zubilligen müssen (dazu etwa Ipsen, Völkerrecht § 36 und das einschlägige Übereinkommen vom 16.12.1969, BGBl 1985/380), dh sie werden wie Ad-hoc-Diplomaten zu behandeln sein (dazu etwa Fischer/Köck Rz 801) und genießen damit jene Immunitäten, die für Diplomaten vorgesehen sind (so Ipsen, Völkerrecht § 26 Rz 36). Vertreter im bilateralen Verkehr ist aber nur, wer von einem Staat als solcher entsandt und von einem anderen als solcher angenommen worden ist (3 Ob 258/98g = ZfRV 2000/16, 77). Siehe zur aktuellen Entwicklung auch die Resolution des Institut de Droit International von 2001, IPRax 2002, 148 f.

16 Für Diplomaten gilt das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen, BGBl 1966/66 (WDK), das iW bereits geltendes Völkergewohnheitsrecht kodifiziert und daher nicht nur zwischen Vertragsstaaten (s die Aufzählung bei Duchek/Schütz/Tarko 203 f), sondern auch gegenüber anderen Staaten anzuwenden ist (Duchek/Schütz/ Tarko 204 oder 3 Ob 258/98g = ZfRV 2000/16, 77).

17 Die Diplomaten (di der Missionschef und die Mitglieder des diplomatischen Personals der Mission, s Art 1 WDK und 3 Ob 258/98g = ZfRV 2000/16, 77) sind zwar grundsätzlich der Rechtsordnung des Empfangsstaates unterworfen (SZ 35/12 = EvBl 1962/272 = JBl 1962, 271 = ZVR 1962/156) und sind zur Befolgung der Gesetze des Empfangsstaates verpflichtet, genießen jedoch, sofern sie nicht Angehörige des Empfangsstaates sind (s dazu Art 38 Abs 1 WDK), eine absolute Immunität – auch für private Handlungen – von der Zivil- (sowie der Straf- und Verwaltungs-)gerichtsbarkeit des Empfangsstaates. Von der Gerichtsbarkeit des Entsendestaates (bzw auch eines dritten Staates) sind sie hingegen nicht ausgenommen (Art 31 Abs 4 WDK), allerdings muss die internationale Zuständigkeit eines Gerichtes des Entsendestaates bestehen. Diese ist für österreichische Diplomaten durch den Gerichtsstand des § 69 JN regelmäßig gegeben. Als Sanktion für wiederholte Gesetzesverletzungen durch immune Personen ist nur die Erklärung zur persona non grata möglich (ausführlich zur Problematik Leipold, FS Lüke 369 ff). Art 31 Abs 1 WDK nimmt jedoch – in Abänderung des Art IX Abs 2 EGJN (LGZ Wien ZfRV 1995, 162) – folgende Fälle von der zivilgerichtlichen Immunität aus: – dingliche Klagen (dh Klagen, mit denen ein dingliches Recht geltend gemacht wird; also nicht etwa für Bestandstreitigkeiten: LGZ Wien MietSlg 26.439, 30.637/40 und 36.716; mE aber durchaus zweifelhaft, s auch Leipold, FS Lüke 357 ff) in Bezug auf privates, im Hoheitsgebiet des Empfangsstaates gelegenes unbewegliches Vermögen; 16

EGJN Art IX –

Klagen in Nachlasssachen, in denen der Diplomat als Testamentsvollstrecker, Verwalter, Erbe oder Vermächtnisnehmer in privater Eigenschaft beteiligt ist; – Klagen im Zusammenhang mit einem freien Beruf oder einer gewerblichen Tätigkeit, die der Diplomat im Empfangsstaat neben seiner amtlichen Tätigkeit ausübt (dazu Art 42 WDK); Klagen einer immunen Partei werden von der öRsp ohne einen Nachweis zugelassen, dass der Entsendestaat ausdrücklich auf die Immunität verzichtet hat (2 Ob 166/98w = EFSlg 94.312 = ZfRV 2000/90, 233; LGZ Wien EFSlg 87.928). Bei einer Widerklage (auch ein Gegenantrag im Außerstreitverfahren: EvBl 1977/220 = ZÖR 28, 304), die mit der Hauptklage in unmittelbarem Zusammenhang steht, greift die diplomatische Immunität nicht (Art 32 Abs 3 WDK; dazu LGZ Wien ZfRV 1995, 162 mit Besprechung von Seidl-Hohenveldern). Wird die Hauptklage zurückgezogen, fällt die inländische Gerichtsbarkeit für die Widerklage weg (analog § 29 Satz 2 JN; aM EvBl 1977/220). Außerdem kann gem Art 32 WDK vom Entsendestaat (also nicht – wie Art IX Abs 2 vorsieht – vom Immunen selbst) durch ausdrückliche Erklärung auf die Immunität verzichtet werden (Fischer/Köck, Völkerrecht6 Rz 756; 2 Ob 166/98w = EFSlg 94.311 = ZfRV 2000/90, 233; LGZ Wien MietSlg 26.439 und 36.716; Mayr, JBl 2001, 151; aM Rechberger/ Simotta Rz 63: Ihnen ist ua entgegenzuhalten, dass ein völkerrechtswidriges Auslegungsergebnis tunlichst zu vermeiden und dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden kann; so 10 Ob 322/98w = SZ 71/203 = EvBl 1999/100 = ÖBA 1999/825, 906 [Tiefenthaler]). Eine bloße Einlassung in den Rechtsstreit genügt also nicht. Zur Vorgangsweise bei der Einholung des Verzichts s § 35 RHE Ziv 2004. Ein solcher Verzicht kann auch vom Missionschef (für die ihm untergeordneten Personen) erklärt werden (Hailbronner in Graf Vitzthum, Völkerrecht Rz 61). Er ist unwiderruflich (vgl SZ 38/10), erstreckt sich jedoch nur auf das Erkenntnisverfahren, für das Vollstreckungsverfahren ist ein besonderer Verzicht notwendig (Art 32 Abs 4 WDK). Darüber hinaus können Vollstreckungsmaßnahmen nur in den oben angeführten Fällen und unter der Voraussetzung getroffen werden, dass sie durchführbar sind, ohne die Unverletzlichkeit der Person des Diplomaten oder seiner Wohnung zu beeinträchtigen (s unten Rz 19). Diplomaten sind ferner nicht verpflichtet, als Zeugen auszusagen (Art 31 Abs 2 WDK). Zur Vorgangsweise s § 37 RHE Ziv 2004. Die zum Haushalt eines Diplomaten gehörenden Familienmitglieder 18 (dazu zählen nicht die Kinder des Ehegatten: EvBl 1977/220; dazu krit Fischer/Köck, Völkerrecht6 Rz 765) genießen die gleiche Immunität von der Zivilgerichtsbarkeit wie der Diplomat (Art 37 Abs 1 WDK). Mit17

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glieder des Verwaltungs- und technischen Personals der Mission und die zu ihrem Haushalt gehörenden Familienmitglieder genießen absolute Immunität von der Strafgerichtsbarkeit und funktionelle Immunität von der Zivilgerichtsbarkeit. Den Mitgliedern des dienstlichen Hauspersonals kommt Immunität nur in Bezug auf ihre in Ausübung ihrer dienstlichen Tätigkeit vorgenommenen Handlungen zu (Art 37 Abs 2 und 3 WDK). Privates Hauspersonal ist der inländischen Gerichtsbarkeit unterworfen (Art 37 Abs 4 WDK; SZ 44/56 = EvBl 1971/ 331 = JBl 1972, 48 = RZ 1971, 143).

19 Zur Ausführung gerichtlicher Verfügungen, die immune Personen betreffen, sowie zur Vornahme von gerichtlichen Amtshandlungen in deren Wohnungen (§ 32 Abs 3 und 4 JN) ist das BMaA im Wege des BMJ in Anspruch zu nehmen (§ 36 Abs 3 RHE Ziv 2004).

20 Für konsularisches Personal gilt das Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen BGBl 1969/318 (WKK), das in weiten Bereichen der WDK nachgebildet ist. Eine Übersicht über die Vertragsstaaten geben Duchek/Schütz/Tarko 212 und zuletzt BGBl III 2006/ 64. (Berufs- und Honorar-) Konsuln sowie Bedienstete des Verwaltungs- oder technischen Personals sind (sofern sie nicht gleichzeitig Diplomaten sind) nur in Bezug auf die von ihnen in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben gesetzten Handlungen der Zivilgerichtsbarkeit nicht unterworfen (funktionelle Immunität; 4 Ob 2135/96s = SZ 69/177 = MietSlg 48.713/30). Außerdem sind gegen sie Klagen aus Verträgen, sofern diese nicht ausdrücklich oder erkennbar im Auftrag ihrer Regierung abgeschlossen worden sind, sowie Schadenersatzklagen wegen eines im Empfangsstaat durch Land-, Wasser- oder Luftfahrzeuge verursachten Schadens zulässig (Art 43 WKK). Auf die Immunität kann durch ausdrückliche schriftliche Erklärung des Entsendestaates verzichtet werden (Art 45 WKK). Mitglieder der konsularischen Vertretungen unterliegen grundsätzlich der Zeugenpflicht, haben aber ein Aussageverweigerungsrecht für Fragen, die ihre Amtshandlungen betreffen (Art 44 WKK). Familienmitglieder eines Konsuls genießen keine Immunität von der Gerichtsbarkeit. (Honorar- oder Wahl-) Konsuln, die Angehörige des Empfangsstaates oder dort ständig ansässig sind, genießen lediglich Immunität von der Gerichtsbarkeit und persönliche Unverletzlichkeit in Bezug auf ihre in Wahrnehmung ihrer Aufgaben vorgenommenen Amtshandlungen (Art 71 Abs 1 WKK; dazu eingehend SZ 59/83 = JBl 1986, 728 = ZfRV 1986, 72 = ZÖR 37, 398; vgl auch VwGH ÖJZ 1983, 188 = VwSlg 10.767 A = ZVR 1983/352 und ZÖR 34, 157 = ZVR 1984/104). 18

EGJN Art IX IV. Immunität von Sachen Nach Art 22 WDK sind die Räumlichkeiten der diplomatischen Mis- 21 sion unverletzlich s auch § 31 EO). Sie, ihre Einrichtung und die sonstigen darin befindlichen Gegenstände sowie die Beförderungsmittel der Mission sind von jeder Durchsuchung, Beschlagnahme, Pfändung oder Vollstreckung ausgenommen (LGZ Wien MietSlg 36.715, 51.615). Außerdem sind die Archive und Schriftstücke der Mission (und der konsularischen Vertretung) immer unverletzlich (Art 24 WDK bzw Art 33, 61 WKK und 4 Ob 2135/96s = SZ 69/177 = MietSlg 48.713/30). Ferner genießen auch die Privatwohnung des Diplomaten, seine Papiere und Korrespondenz sowie sein Vermögen Unverletzlichkeit (Art 30 WDK; Näheres bei Verdross/Simma § 895; Stein/von Buttlar, Völkerrecht Rz 735 ff oder Ipsen, Völkerrecht § 35 Rz 60 ff). Die Gebäude, Räumlichkeiten, Archive und Schriftstücke der Internationalen Organisationen sind ebenso unverletzlich wie jene von diplomatischen Missionen. Die konsularischen Räumlichkeiten unterliegen hingegen grundsätzlich einer Zwangsvollstreckung (s Art 31 WKK). Ob eine Person (oder Sache) in Österreich Immunität genießt, ist vom 22 befassten Gericht selbständig festzustellen. Bei Zweifeln hat es nach Abs 3 bzw §§ 34, 38 Abs 2 RHE Ziv 2004 eine Auskunft des BMJ einzuholen, die zwar für das anfragende Gericht nicht verbindlich ist (etwa 3 Ob 258/98g = ZfRV 2000/16, 77 oder 7 Ob 316/00x = SZ 74/20 = EvBl 2001/139 = JBl 2001, 790 [Matscher] = EFSlg 97.835 ua), aber im Dschungel der verschiedensten Rechtsquellen eine wertvolle Hilfe darstellt (s auch die V des BMaA über die Ausstellung von Lichtbildausweisen an Angehörige jener Personengruppen, die in Österreich Privilegien und Immunitäten genießen, BGBl II 2003/189). Werden die dargestellten, völkerrechtlich gezogenen Grenzen der 23 österreichischen Jurisdiktionsbefugnis überschritten, liegt ein Mangel der inländischen Gerichtsbarkeit vor, der jederzeit auf Antrag oder von Amts wegen wahrzunehmen ist und zur Nichtigerklärung des durchgeführten Verfahrens und zur Zurückweisung der Klage führt (§ 42 Abs 1 JN). Eine perpetuatio fori tritt nicht ein (§ 29 Satz 2 JN). Der nachträgliche Wegfall des Hindernisses der fehlenden inländischen Gerichtsbarkeit wirkt hingegen heilend (2 Ob 166/98w und LGZ Wien EFSlg 101.548). Wenn die inländische Gerichtsbarkeit durch eine Unterwerfungserklärung begründet werden kann, ist vor einer diesbezüglichen Entscheidung im Wege des BMJ (§ 35 RHE Ziv 2004) eine (ausdrückliche) Erklärung der immunen Partei (bzw der dafür zuständigen Stelle) einzuholen 19

Art X

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(LGZ Wien MietSlg 30.637/40 und 36.717; vgl auch SZ 37/94 = JBl 1964, 567 = RZ 1964, 201). Sofern die inländische Gerichtsbarkeit nicht bereits bindend bejaht worden ist, kann deren Mangel vom OGH sogar noch nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens auf Antrag der obersten Verwaltungsbehörde (BMJ) wahrgenommen werden (Anwendungsfall etwa ZÖR 42, 472 und jüngst 9 Nc 18/03a). Näheres s bei § 42 JN.

24 Andererseits wird die „inländische Gerichtsbarkeit“ (hier iSd internationalen Zuständigkeit) aber auch durch das Völkerrecht erweitert: Zwischenstaatliche Übereinkommen insb im Bereich des Verkehrsrechts aber zT auch das EuGVÜ/LGVÜ (Art 14) verpflichten Österreich in bestimmten Fällen zur Ausübung der Gerichtsbarkeit (dazu ausführlich Matscher in Fasching I Art IX EGJN Rz 49 ff). Besteht dafür nach den Regeln des österreichischen Zuständigkeitsrechts (§§ 65 ff JN) kein örtlich zuständiges Gericht, so hat der OGH nach § 28 Abs 1 Z 1 JN ein (sachlich zuständiges) Gericht als örtlich zuständig zu bestimmen. Siehe Rz 3 zu § 28 JN. Art X. Als Inland im Sinne der Jurisdiktionsnorm gilt das Gebiet der Republik Österreich. Personen, welche in diesem Gebiete das Staatsbürgerrecht nicht genießen, sind in Bezug auf die Vorschriften der Jurisdiktionsnorm als Ausländer anzusehen. [Aktualisierte Stammfassung]

1 Dies gilt nicht für Flüchtlinge iSd Flüchtlingskonvention BGBl 1955/ 55, die nach deren Art 16 Abs 2 in Bezug auf die Zulassung zu den Gerichten die gleiche Behandlung wie eigene Staatsangehörige genießen (vgl LGZ Wien ÖA 1987, 139; JBl 1991, 599 = JUS Z/815). Vgl auch das Asylgesetz 1997 BGBl I 1997/76. Als Inländer gelten auch Doppelstaatsbürger (IPRax 1994, 222 = NZ 1993, 107 = ZfRV 1993/61; vgl auch Art XXIX EGZPO und Art XX EGEO). Zum Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft s §§ 6 ff StbG 1985 BGBl 311.

2 Nach Art 2 Abs 2 EuGVVO/EuGVÜ/LGVÜ (dazu Nach § 27a JN) sind auf Personen, die nicht dem Staat ihres Wohnsitzes angehören, die für Inländer maßgebenden Zuständigkeitsvorschriften anzuwenden (vgl auch Art 4 Abs 2 EuGVVO/EuGVÜ/LGVÜ). Diese Regelung hat für Österreich freilich keine Bedeutung, da die Zuständigkeitsvorschriften der JN (entgegen dem durch Art X EGJN erweckten Eindruck ohnehin) regelmäßig nicht auf die Staatsangehörigkeit der Parteien abstellen. 20

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Art XIV

Art XI. Gegenstandslos durch das OGHG BGBl 1968/328 Art XII. (1) Aufgehoben durch § 15 AHG. (2) Aufgehoben durch Art III Z 5 EO-Nov 2003 BGBl I 31. Art XIII. Aufgehoben durch Art I SchiedsRÄG 2006. Diese Bestimmung sah vor, dass die ordentlichen Gerichte den Schieds- 1 gerichten Rechtshilfe zu leisten haben. Regelungen über die gerichtliche Rechtshilfe für Schiedsgerichte trifft nunmehr der neue § 602 ZPO, sodass die erwähnte Vorschrift im Rahmen des SchiedsRÄG 2006 beseitigt werden konnte. Art XIV. Die bezirksgerichtlichen Rechtssachen, die zufolge § 79 JN bei einem Gerichtshofe erster Instanz angebracht werden müssen oder gemäß § 94 Abs 2 JN angebracht werden können, sind nach den für das Verfahren vor den Gerichtshöfen erster Instanz geltenden Bestimmungen zu erledigen. Es bleiben jedoch für die Verhandlung und Entscheidung die §§ 448 bis 459 ZPO maßgebend; die Verhandlung und Entscheidung ist vom Personalsenat einem Mitglied des Gerichtshofs als Einzelrichter zu übertragen; die Parteien sind nicht verpflichtet, sich bei dieser Verhandlung durch Rechtsanwälte vertreten zu lassen. [Satz 1 idF 1. GEN; Satz 2 idF ZVN 1983] Lit: Fasching in Fasching I Art XIV EGJN; Fasching Rz 287, 305, 1606. Für die bezeichneten Rechtsstreitigkeiten gilt also grundsätzlich das 1 Gerichtshofverfahren (aM [bezirksgerichtliches Verfahren] Fasching Rz 287, 305; richtig aber ders Rz 1606 und ders in Fasching I Rz 3 zu Art XIV EGJN) vor einem Einzelrichter, es finden aber die Vorschriften über das Mahnverfahren mit seinen bezirksgerichtlichen Besonderheiten (§ 448 ZPO idF ZVN 2002) und das Besitzstörungsverfahren (§§ 454 bis 459 ZPO) Anwendung. Das Mahnverfahren fand sonst bisher nur ausnahmsweise vor dem GH statt (insb nach § 56 ASGG, nicht aber im Amtshaftungsverfahren: OLG Wien RZ 2000/34, 228), seit der ZVN 2002 gibt es jetzt aber auch ein (reguläres) Mahnverfahren vor dem Gerichtshof (§§ 244 ff ZPO idF ZVN 2002). Entgegen dem (zu engen) Wortlaut des Art XIV sind vor dem ausnahmsweise zuständigen Gerichtshof auch die Sonderbestimmungen für das Verfahren in Ehesachen (§ 460 ZPO) anzuwenden. 21

Art XV

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2 Eine Anpassung des letzten Halbsatzes des 2. Satzes an die Neuregelung der Anwaltspflicht (s §§ 27, 29 ZPO) ist offenbar irrtümlich unterblieben, so dass eine einschränkende Auslegung geboten erscheint (ebenso Fasching Rz 287, 1606): Von der (absoluten) Anwaltspflicht befreit sind die Parteien (abgesehen von einer persönlichen Befreiung – § 28 ZPO) nur bei einem 4 000 Euro nicht übersteigenden Streitwert, ferner in Rechtssachen, die in die Eigenzuständigkeit der BG fallen würden, sowie bei einem gerichtlichen Vergleich, der nach § 27 Abs 3 ZPO vor dem Bezirksgericht jedenfalls von der Anwaltspflicht befreit ist (s Mayr, Vergleichsversuch 97). Art XV. Wenn in Gesetzen und Verordnungen, die durch das InKraft-Treten der Jurisdiktionsnorm nicht berührt werden, auf Rechtssachen der Realgerichtsbarkeit Bezug genommen wird, so ist dies auf die in den §§ 81, 83 und 117 JN bezeichneten Angelegenheiten zu beziehen. [Stammfassung] Art XVI. Aufgehoben durch Art III BGBl 1970/342 Art XVII. Aufgehoben durch Art I BGBl 1955/282 Art XVIII. Die Empfangnahme eines nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes gemachten gerichtlichen Erlages kann von keinem ordentlichen Gerichte aus dem Grunde der Unzuständigkeit zurückgewiesen werden. [Aktualisierte Stammfassung] Lit: Fasching in Fasching I Art XVIII EGJN; Danzl zu §§ 284 ff Geo; Mayr/Fucik Rz 666 ff.

1 Eine gerichtliche Hinterlegung „nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts“ (nicht daher für eine Abgabenschuld: EvBl 1989/107) ist vorgesehen in § 1425 ABGB und Art 42 WG. Nähere Bestimmungen über das Gerichtserlagswesen treffen die §§ 284 ff Geo.

2 Ungeachtet des zu weiten Gesetzeswortlautes kommt als Verwahrschaftsgericht nur ein (ordentliches) Gericht erster Instanz (also auch das ASG Wien: OLG Wien EvBl 1989/156), nicht jedoch ein OLG oder der OGH in Frage (SZ 55/107 = EvBl 1983/20 = JBl 1983, 264). 22

EGJN

Art XXIV

Art XIX bis XXIII. Gegenstandslos (betrafen zwischenzeitlich überholte Übergangsbestimmungen) Art XXIV. (1) Mit dem Vollzuge dieses Gesetzes ist der Bundesminister für Justiz beauftragt. (2) Derselbe hat alle zur Einführung und Durchführung des gegenwärtigen Gesetzes und der Jurisdiktionsnorm erforderlichen Anordnungen, und zwar, insoweit dieselben den Wirkungskreis anderer Bundesminister berühren, im Einvernehmen mit diesen zu erlassen. [Aktualisierte Stammfassung] Zur Bedeutung der Vollzugsklausel vgl VwGH 11.9.1998, 97/19/1523 = 1 ZfVB 2000/219.

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Jurisdiktionsnorm – JN Gesetz vom 1. 8. 1895, RGBl 111, über die Ausübung der Gerichtsbarkeit und die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte in bürgerlichen Rechtssachen (Jurisdiktionsnorm – JN)

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Erster Teil Von der Gerichtsbarkeit im allgemeinen Erster Abschnitt Gerichte und gerichtliche Organe Vor § 1: Zulässigkeit des Rechtswegs Lit: Ballon, Die Zulässigkeit des Rechtswegs (1980); Matscher, Die Verfahrensgarantien der EMRK in Zivilrechtssachen, ZÖR 1980, 1; Kopetzki, Neue Aspekte des Art 6 MRK für Österreich, JBl 1981, 470; Buchegger, Das „fair hearing“ – der Anspruch auf gerichtsförmige Behandlung privater Rechtssachen im Völkerrecht und seine Auswirkungen auf das innerstaatliche Zivilprozeßrecht, BeitrZPR I 3; Ballon, Der Einfluß der Verfassung auf das Zivilprozeßrecht, ZZP 96 (1983) 409; Bajons, Außergerichtliche Güteverfahren als Mittel zur Prozeßvermeidung und Konfliktlösung, ÖJZ 1984, 368; Huber, Verjährungsunterbrechung durch Privatbeteiligung? NZ 1985, 163; Matscher, Schiedsgerichtsbarkeit und EMRK, FS Nagel (1987) 227; Mayr, Die Tätigkeit der Schlichtungsstellen der Gemeinden, ImmZ 1987, 347; Mayr/Schmidt, Gesetzlich geregelte Alternativen innerhalb und außerhalb des Zivilprozesses in Österreich, ZVglRWiss 1987, 227; dies, Schieds- und Schlichtungsstellen in Tirol, in: Bundesministerium für Umwelt, Jugend und Familie (Hrsg), Verbraucherrecht, Verbraucherpolitik Bd 2: Probleme, Lösungen, Entscheidungen 1986–1987 (1988) 27; Mayr, Schlichtungsverfahren zwischen Wirtschaftstreuhändern als Prozeßvoraussetzung, RdW 1988, 159; Ermacora, Grundriß der Menschenrechte in Österreich (1988) Rz 496 ff; Mayer, Zivilrechtsbegriff und Gerichtszuständigkeit, ZfV 1988, 473; Kopetzki, Berufliche Immunität und zivilrechtliche Haftung, in Raschauer (Hrsg), Beiträge zum Verfassungsund Wirtschaftsrecht, FS Winkler (1989) 91; Rill, Die Artikel 5 und 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention, die Praxis der Straßburger Organe und des Verfassungsgerichtshofes und das österreichische Verfassungssystem, FS Winkler (1989) 13; Geuder, Baurecht und Civil Rights, ÖJZ 1990, 265; Matscher, Der Gerichtsbegriff der EMRK, FS Baumgärtl (1990) 363; Pernthaler, Rechtsweg als Menschenrecht – Zur neueren Auslegung des Art 6 MRK als Rechtsschutzgarantie für „civil 26

1.1 Gerichte und gerichtliche Organe

JN Vor § 1

rights“, FS Klecatsky zum 70. Geburtstag (1990) 221; Krejci, Recht ohne Gerichte. Einige Grundsatzfragen zur außergerichtlichen Streitbeilegung, FS Kastner zum 90. Geburtstag (1992) 251; Berchtold, Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, in Machacek/Pahr/ Stadler (Hrsg), Grund- und Menschenrechte in Österreich II (1992) 711; Laurer, Der Grundsatz des fair trial (Art 6 MRK) in den von der Zivilprozeßordnung beherrschten Verfahrenssystemen, FS Adamovich (1992) 314; Rath-Kathrein, Neuere Entwicklungen zum civil-rightsBegriff, in Pernthaler (Hrsg), Unabhängige Verwaltungssenate und Verwaltungsgerichtsbarkeit (1993) 45; F. Bydlinski, Kriterien und Sinn der Unterscheidung von Privatrecht und öffentlichem Recht, AcP 194 (1994) 319; Pfeifer, Zur Rechtswegzulässigkeit von Abgabenanfechtungen, DRdA 1994, 240; Mayr, Rechtsschutzalternativen in der österreichischen Rechtsentwicklung (1995); ders, Die Schlichtungstätigkeit der Kammern der freien Berufe, Wbl 1995, 269; Matscher, Der Einfluß der EMRK auf den Zivilprozeß, FS Henckel (1995) 593; Bernhard, Das Höchstgericht oder: Was ist ein negativer Kompetenzkonflikt? FS Winkler (1997) 89; Holzhammer, Lückenschließung durch Typenvergleich am Beispiel des Rechtsschutzverzichts, FS Winkler (1997) 337; Ziehensack, Flurverfassung und Gerichtszuständigkeit im Teilungsverfahren (§ 830 ABGB), ÖGZ 1997/3, 19; Hiesel, Die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zur Zulässigkeit gerichtlicher Verordnungsund Gesetzesprüfungsanträge, ÖJZ 1997, 841; Adamovich/Funk/Holzinger, Österreichisches Staatsrecht II (1998) 248 ff und III (2003) 81 ff; Berka, Die Grundrechte: Grundfreiheiten und Menschenrechte in Österreich (1999) Rz 772 ff, 786 ff; Mayr, Einführung in die außergerichtliche Streitschlichtung, in Mayr (Hrsg), Öffentliche Einrichtungen zur außergerichtlichen Vermittlung von Streitigkeiten (1999) 3; Kerschner, Art 6 MRK und das Zivilrecht, JBl 1999, 689; Gamerith, Der Oberste Patent- und Markensenat, eine Höchstinstanz in Konkurrenz zum OGH? ÖBl 1999, 111; Leeb, Dürfen die Länder das Verfahren und die Zuständigkeit der Gerichte auf dem Gebiet des Dienstvertragsrechtes regeln? JBl 2000, 359; Walter/Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts9 (2000) Rz 548 ff, 1472 ff; Koziol, Der Rechtsweg bei Staatshaftungsansprüchen, ZfV 2001/1563, 759; Schwarzenegger, Zur Gerichtszuständigkeit in Staatshaftungssachen, ZfRV 2002, 185; Mayer, Das österreichische Bundes-Verfassungsrecht3 (2002) 595 ff; Novak, Zivilprozess und Gewaltentrennung, FS Jelinek (2002) 199; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention (2003) 325 ff; Spenling, Das Anschluss- oder Adhäsionsverfahren, ZVR 2003, 344; Seiler, Strafprozessrecht7 (2004) Rz 182 ff; Bertel/Venier, Grundriss des österreichischen Strafprozessrechts8 (2004) Rz 218 ff, 1118; Öhlinger, Verfassungsrecht6 (2005) Rz 605 ff; Mayr, Die Zulässigkeit des 27

Vor § 1

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streitigen beziehungsweise außerstreitigen Verfahrens, FS Rechberger (2005) 363. Ballon in Fasching I § 1 JN und Fasching in Fasching I Einl; Fasching Rz 80 ff; Bajons Rz 12 ff; Ballon Rz 32 ff, 44 ff; Buchegger, PraktZPR I 8; Deixler-Hübner/Klicka Rz 11, 15 f, 57; Holzhammer 13; Rechberger/ Simotta Rz 29 f, 85 ff. Inhaltsübersicht Begriff, Einteilung, Grundlagen 1–3 Zulässigkeit des Rechtswegs (im engeren Sinn) 4–8 Kompetenzkonflikte 9 Aufforderungsverfahren etc 10

Schlichtungsverfahren 11 Parlamentarische Immunität 12 Ausschluss des Rechtswegs 13 Adhäsionsverfahren 14 Zulässigkeit des streitigen Verfahrens 15–16

1 Die Zulässigkeit des Rechtswegs beschäftigt sich mit der Abgrenzung der Aufgabenbereiche der verschiedenen Behörden, die zur Rechtsschutzgewährung eingerichtet sind, und – nach hM (s aber unten Rz 16) – mit der von den ordentlichen Gerichten anzuwendenden Verfahrensart. Zulässigkeit des Rechtswegs ist gegeben, wenn die Sache zur ordentlichen, streitigen Zivilgerichtsbarkeit gehört, sie also von den ordentlichen Zivilgerichten im streitigen (Erkenntnis-)Verfahren zu entscheiden ist. Nach hM (etwa Rechberger/Simotta Rz 85) sind dabei folgende Erscheinungsformen zu unterscheiden: – (Un)Zulässigkeit des Rechtswegs im engeren (eigentlichen) Sinn: Abgrenzung zwischen Gerichtsbarkeit und Verwaltung (dazu unten Rz 4 ff). – (Un)Zulässigkeit des streitigen (außerstreitigen) Rechtswegs: Abgrenzung der verschiedenen Zweige der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Besser sollte hier aber von einer (Un)Zulässigkeit des (streitigen oder außerstreitigen bzw Exekutions- oder Insolvenz-) Verfahrens gesprochen werden (dazu unten Rz 15 f). – (Un)Zulässigkeit des ordentlichen (außerordentlichen) Rechtswegs: Abgrenzung zwischen ordentlichen Gerichten und außerordentlichen (= Sonder-) Gerichten (dazu § 1 Rz 3 ff).

2 Die Staatsgewalt äußert sich in zwei Erscheinungsformen, in der Gesetzgebung, die generell-abstrakte Rechtsnormen schafft, und in der Vollziehung, die diese in die Wirklichkeit umsetzt. Das B-VG sieht zwei Arten der Vollziehung vor, die Verwaltung und die Gerichtsbarkeit, die sich durch die Stellung ihrer Organwalter unterscheiden lassen (weisungsgebundene Verwaltungsorgane – unabhängige Richter). 28

1.1 Gerichte und gerichtliche Organe

JN Vor § 1

Die Verwaltung ist von der Justiz in allen Instanzen getrennt (Art 94 B-VG), was ua bedeutet, dass ein Rechtszug von einer Verwaltungsbehörde an ein Gericht (oder umgekehrt) unzulässig ist (VfSlg 7882, 9590). In manchen Rechtsbereichen ist jedoch als Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtswegs (s etwa MietSlg 42.396) die vorherige Anrufung einer Verwaltungsbehörde vorgeschrieben. Erst wenn diese entschieden (oder innerhalb eines gewissen Zeitraumes nicht entschieden) hat, kann innerhalb einer bestimmten Frist das Gericht angerufen werden, wodurch die Entscheidung der Verwaltungsbehörde ex lege außer Kraft tritt. Dieses Modell der „sukzessiven Kompetenz“ (oder auch: „sukzessiven Zuständigkeit“) hält der VfGH (VfSlg 3236, 3424, 4359, 6537, 10452) und ihm folgend der Gesetzgeber (s RV zum ASGG, 7 BlgNR 16. GP 28 f) trotz Bedenken der Lehre mit dem gewaltentrennenden Prinzip für vereinbar. Es widerspricht auch nicht (grundsätzlich) den Anforderungen des Art 6 EMRK (s 1 Ob 506/95 = JBl 1996, 190; 1 Ob 119/00g = SZ 73/152). Ein verwaltungsbehördliches Vorverfahren ist insb vorgesehen im Bereich des Wohnrechts (§§ 39 f MRG, § 52 Abs 3 WEG 2002, § 22 Abs 4 WGG; vgl auch § 18 f StudheimG), im Leistungsstreitverfahren der Sozialversicherung (§§ 67 ff ASGG), in Enteignungsverfahren (etwa § 18 EisbEG idF AußStr-BegleitG; § 20 Abs 3 BundesstraßenG, § 19 Abs 5 StadtErnG, § 16 Abs 5 BodenbeschaffungsG; § 14 Abs 1 und § 31 Abs 8 ForstG; § 149 Abs 6 MinRoG ua) oder für einen Anspruch auf Rückzahlung der vom Stromkunden gezahlten Gebrauchsabgabe (§ 21 Abs 2 EIWOG; § 16 Abs 3 E-RBG: 4 Ob 287/04s = EvBl 2005/161). Die Gerichte sind als Vollzugsbehörden an die Gesetze gebunden; eine 3 inhaltliche Prüfung gehörig kundgemachter Gesetze, Verordnungen und Staatsverträge steht den Gerichten nicht zu (Art 89 Abs 1 B-VG). Hegt der OGH oder ein zur Entscheidung in zweiter Instanz berufenes (Berufungs- oder Rekurs-) Gericht gegen die Anwendung eines Gesetzes wegen Verfassungswidrigkeit Bedenken, so hat es den Antrag auf Aufhebung dieses Gesetzes beim VfGH zu stellen. Das gleiche gilt für alle Gerichte bei Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit einer Verordnung (Art 89 Abs 2 B-VG) bzw wegen Überschreitens der Ermächtigung bei einer anzuwendenden Wiederverlautbarung (Art 139a B-VG). Näheres zu den Erfordernissen bei Hiesel, ÖJZ 1997, 841. Den Parteien steht ein solches Antragsrecht nach stRsp nicht zu (etwa SSV-NF 11/ 104 oder 10 ObS 69/03z uva), jedoch können sie einen (gerichtlichen) Überprüfungsantrag anregen. Hat das Gericht einen solchen Antrag gestellt, dürfen (unter Nichtigkeitssanktion) in dieser Sache bis zur Zustellung der E des VfGH nur solche gerichtlichen Handlungen gesetzt werden, die durch das Erkenntnis des VfGH nicht beeinflusst 29

Vor § 1

Mayr

würden oder die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten (§§ 57 Abs 3, 62 Abs 3 VerfGG). Hält der VfGH die vorgebrachten Bedenken für begründet, dann hat er die überprüfte Rechtsvorschrift teilweise oder gänzlich aufzuheben (Art 139 ff B-VG). Daran ist dann das Gericht im fortgesetzten Verfahren gebunden.

4 Die Abgrenzung zwischen Gerichtsbarkeit und Verwaltung richtet sich in erster Linie nach der positiv-rechtlichen Zuweisung durch den Gesetzgeber (Vollzugsklausel). Ihm sind jedoch seit dem Inkrafttreten der EMRK insofern verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt, als nach Art 6 EMRK über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen („civil rights“) ein unabhängiges und unparteiisches Gericht („Tribunal“) zu entscheiden hat (s etwa VfGH ÖJZ 2000, 398 und ÖJZ 2001, 29 f hinsichtlich Vergabeverfahren). Nach Lehre und neuerer (österreichischer) Rechtsprechung muss daher (teilweise abweichend von der Judikatur der Straßburger Organe) jedenfalls im Kernbereich der civil rights ein Gericht (Behörde mit Tribunal-Qualität) entscheiden, die bloß nachprüfende Kontrolle durch den VwGH reicht hier nicht aus (etwa VfSlg 11.591 = JBl 1988, 309 = EuGRZ 1988, 177; VfSlg 11.646 = ÖJZ 1989, 251; VfSlg 11.760 = ÖJZ 1988, 700 = ÖJZ 1989, 631; VfSlg 12.470). Zu diesem traditionellen Kernbereich wurden vom VfGH etwa gezählt der Ersatz von Jagd- und Wildschäden (VfSlg 11.591, 11.646, 11.826), die Verpflichtung zur Entrichtung von Fütterungsbeiträgen (VfSlg 12.774), Streitigkeiten aus Einzelverträgen zwischen Krankenversicherungsträgern und Ärzten (VfSlg 11.729, 12.083), Enteignungsentschädigungen (VfSlg 11.760, 11.762) oder die Festsetzung der Pachtzinshöhe für einen Kleingarten (VfSlg 12.003 = ÖJZ 1990, 60 = wobl 1989/39 [Würth]; weitere – auch gegenteilige – Beispiele etwa bei Mayer, B-VG3, 597 f oder Öhlinger Rz 611 f sowie VfGH AnwBl 1999, 52 [Strigl] = ZfVB 1998/2249, 872). Diesem Grundsatz widersprechende Gesetze sind verfassungswidrig, jedoch so lange anzuwenden, bis sie vom VfGH (etwa auf Antrag eines Rechtsmittelgerichtes, s oben Rz 3) aufgehoben werden.

5 Gibt es keine (eindeutige) gesetzliche Zuweisung, so richtet sich die Abgrenzung nach der Einteilung in öffentliches oder Privatrecht: Nach § 1 wird die Gerichtsbarkeit in bürgerlichen Rechtssachen durch die ordentlichen Gerichte ausgeübt, das bedeutet, Privatrechtssachen gehören vor die Gerichte, öffentlichrechtliche Sachen vor die Verwaltungsbehörden. Zur Abgrenzung des öffentlichen Rechts vom Privatrecht hat die Lehre eine Reihe von Theorien entwickelt (s etwa Koziol/ Welser I 6; F. Bydlinski in Rummel I § 1 Rz 7 ff; Posch in Schwimann I § 1 Rz 4 ff). Am treffendsten erscheint die Subjektstheorie in Kombination 30

1.1 Gerichte und gerichtliche Organe

JN Vor § 1

mit der Subjektionstheorie (vgl Fasching Rz 100 und Rechberger/ Simotta Rz 86). Danach ist entscheidend, ob an einem rechtlichen Vorgang ein mit Hoheitsgewalt ausgestattetes Rechtssubjekt in Ausübung dieser Hoheitsgewalt beteiligt ist. Auch die Rsp (etwa SZ 51/161; JBl 1985, 240; SZ 63/96 = JBl 1991, 514; JBl 1992, 596; JBl 1993, 790) stellt bei der Zuordnung von Ansprüchen zum Privatrecht oder zum öffentlichen Recht primär auf die Beteiligung gleichberechtigter oder aber aufgrund von Hoheitsgewalt über- und untergeordneter, rechtsunterworfener Rechtssubjekte ab (eingehend OLG Wien wbl 1997, 524). Eine ausdehnende Auslegung von Vorschriften, die die Zuständigkeit einer Verwaltungsbehörde normieren, ist nicht zulässig. Mangels einer ausdrücklichen oder unzweifelhaft schlüssigen anderen gesetzlichen Anordnung sind bürgerliche Rechtssachen im Zweifel durch die Gerichte zu entscheiden (SZ 59/107; JBl 1990, 450; EvBl 1990/101 = JBl 1991, 53; SZ 64/57 = JBl 1992, 108; EvBl 1993/194; NZ 1996, 142; NZ 1998, 177; 2 Ob 255/02t = SZ 2002/164; 10 Ob 77/04b = EFSlg 108.667). Für die Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs ist nach 6 stRsp in erster Linie der Wortlaut des Klagebegehrens und darüber hinaus der Klagesachverhalt (die Klagebehauptungen) maßgebend. Es kommt auf die Natur, das Wesen des geltend gemachten Anspruchs an. Ist er privatrechtlicher Art, haben darüber die Zivilgerichte (im streitigen oder außerstreitigen Verfahren, unten Rz 15 f) zu entscheiden (SZ 61/88 = JBl 1988, 594; SZ 62/108; SZ 63/96 = JBl 1991, 514; SZ 64/57 = JBl 1992, 108; ÖBl 1993, 8; JBl 1994, 422; EvBl 1999/179; 4 Ob 263/01g = SZ 74/186 = EvBl 2002/77 = ÖBl 2002/26; 7 Ob 35/03b = MietSlg 55.597 uva; RS0045584). Was der Beklagte einwendet, ist grundsätzlich (s die Einschränkung von Ballon in Fasching I § 1 Rz 73 ff und 8 Ob 555/ 88 = SZ 61/154) ohne Einfluss (SZ 50/18; SZ 58/156; ZVR 1987/42; 1 Ob 63/02z = MietSlg 54.061 uva). Unerheblich ist auch, ob der behauptete Anspruch berechtigt ist, weil hierüber erst in der Sachentscheidung abzusprechen ist (SZ 51/41, SZ 66/13 ua). Bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Rechtswegs bleiben bloße Nebenforderungen unberücksichtigt; die Rechtswegzulässigkeit richtet sich nur nach der Hauptforderung (SZ 62/96 = EvBl 1989/151 = JBl 1989, 600 = SSV-NF 3/66). Rechtsbereiche, in denen die Grenzziehung zwischen den Aufgaben- 7 bereichen der Gerichte und der Verwaltungsbehörden Schwierigkeiten bereitet, bilden insb das –

Agrar- und Forstrecht (dazu aus der neueren Rsp OLG Graz EvBl 1990/130; EvBl 1990/101 = JBl 1991, 53; EvBl 1991/111 = NZ 1992, 31

Vor § 1

– – –

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Mayr

133; VwGH ÖJZ 1993/13 A; JBl 1993, 790; RZ 1994/31, 90; RZ 1994/32, 91; NZ 1996, 142; JBl 1997, 402; 7 Ob 304/00g = NZ 2002/ 70, 174; 4 Ob 11/01y = EvBl 2001/130 = NZ 2002/19, 50; 1 Ob 63/ 02z = MietSlg 54.061) Amtshaftungsrecht (etwa 9 ObA 32/03a = ecolex 2003/319, 778; OLG Wien EFSlg 97.840 und ZVR 2004/24, 87; s auch VfGH 6.3.2001 JBl 2001, 441) Bau- und Enteignungsrecht (etwa SZ 64/57 = JBl 1992, 108) Dienst-, Arbeits- und Sozialversicherungsrecht (dazu aus jüngerer Zeit SZ 62/108 = JBl 1990, 196 = Arb 10.804; OLG Innsbruck EvBl 1990/48; SZ 63/11 = ecolex 1990, 370; RZ 1990/77, 176; SSV-NF 6/ 139 und 6/152; Arb 11.020; SZ 65/35 = JBl 1992, 596; SZ 65/89 = MR 1992, 244 [M. Walter]; EvBl 1993/43; ecolex 1996, 745; VwGH ÖJZ 1997, 354/56 und 873/178; SZ 70/37; 8 ObA 185/01s = SZ 2002/67; 9 ObA 199/02h = RdW 2003/281, 342 [Kreil]) Finanz- und Abgabenwesen (6 Ob 321/00z = JBl 2002, 174; 8 ObA 110/04s = ecolex 2005/144, 308 = RdW 2005/391, 371) Gesundheits- und Fürsorgewesen (etwa SZ 62/100; 10 ObS 56/99d = DRdA 2000, 128; 1 Ob 50/99f = SZ 72/76 = EvBl 1999/179; 7 Ob 17/00a = EvBl 2000/189; 10 ObS 108/00f = SSV-NF 14/146, 733; 7 Ob 299/00x = SZ 74/129 = EvBl 2002/13 = JBl 2002, 36; 10 ObS 180/01w = EvBl 2002/15; 2 Ob 255/02t = SZ 2002/164 = JBl 2003, 532) Jagd- und Fischereirecht (7 Ob 35/03b = MietSlg 55.597; 7 Ob 251/ 03t = SZ 2003/143) Kostenrecht (2 Ob 328/99w = RZ 2000/25, 151; zur Geltendmachung von Mahn- und Inkassospesen nach dem ZinsRÄG s § 54 Rz 4 und Vor § 40 ZPO Rz 6) Kultus- und Unterrichtswesen (etwa SZ 69/53 = RdW 1997, 417 oder 7 Ob 285/03t = SZ 2003/176) Patent-, Urheber- und Markenrecht (vgl M. Walter, Urheberrechtsverletzungen durch die öffentliche Hand, MR 1992, 138; 4 Ob 263/ 01g = SZ 74/186 = EvBl 2002/77 = ÖBl 2002/26, 140) Post- und Fernmelderecht (dazu MR 1992, 152) Straßen- und Wegerecht (etwa JBl 1990, 450; LGZ Wien MietSlg 46.585; JBl 1995, 62 = RZ 1995/57, 205; VfGH ZfVB 1995/1626; 4 Ob 158/02t = EvBl 2002/207 = MietSlg 54.562; 2 Ob 8/02v) Vereins- und Genossenschaftsrecht (zur neuen Rechtslage nach dem VerG 2002 s Art XII EGZPO und § 577 Abs 4 ZPO sowie Hausmaninger/Stippl in Fasching/Konecny II/1 Art XII EGZPO Rz 9 ff) Wasserrecht (etwa EvBl 1993/194; JBl 1994, 169; SZ 67/6 und 25 = EvBl 1994/111; 1 Ob 300/01a = NZ 2003/17, 52). 32

1.1 Gerichte und gerichtliche Organe

JN Vor § 1

Im Einzelnen besteht eine reiche Abgrenzungskasuistik der Rsp, die insb von Ballon in Fasching I § 1 Rz 97 ff und von Klauser/Kodek, ZPO16, 22 ff detailliert dokumentiert wird. Die Zulässigkeit des Rechtswegs bildet eine allgemeine Prozessvoraus- 8 setzung, die jederzeit auf Antrag oder von Amts wegen wahrzunehmen ist und deren Mangel zur Aufhebung eines (allenfalls bereits) durchgeführten Verfahrens und zur Zurückweisung der Klage führt (§ 42; §§ 230 Abs 3, 477 Abs 1 Z 6 ZPO). Der Grundsatz der perpetuatio fori gilt nicht (§ 29 Satz 2). Nach Rechtskraft der Entscheidung kann die mangelnde Rechtswegszulässigkeit (ieS) ausnahmsweise noch aufgrund eines Antrags nach § 42 Abs 2 aufgegriffen werden. Näheres s dort. Streitigkeiten zwischen Gerichten und Verwaltungsbehörden über ihre 9 (ausschließliche) Zuständigkeit in derselben Sache (Kompetenzkonflikt) entscheidet der VfGH (Art 138 B-VG, §§ 42 ff VerfGG). Dabei ist zwischen einem positiven (sowohl ein Gericht als auch eine Verwaltungsbehörde nehmen für sich die Zuständigkeit in Anspruch, wobei eine Behörde tatsächlich zuständig ist) und einem negativen Kompetenzkonflikt (beide Behördengruppen lehnen eine Entscheidung ab, eine davon zu Unrecht) zu unterscheiden. Im ersten Fall ist primär die oberste Verwaltungsbehörde binnen vier Wochen nach amtlicher Kenntnisnahme des Kompetenzkonflikts antragsberechtigt. Die (unverzügliche) Mitteilung dieser Antragstellung an das Gericht unterbricht das gerichtliche Verfahren bis zur E durch den VfGH. Die Versäumung dieser Frist hat die Zuständigkeit des Gerichts zur Entscheidung der Rechtssache zur Folge (§ 42 Abs 3 VerfGG). Jedoch können auch die Parteien die hiezu befugte Verwaltungsbehörde auffordern, einen Antrag auf Entscheidung des Kompetenzkonflikts zu stellen. Wird diesem Antrag nicht binnen vier Wochen entsprochen, so ist die Partei selbst berechtigt, binnen weiterer vier Wochen den VfGH anzurufen (§ 48 VerfGG). Von einer erfolgten Antragstellung ist sofort das Gericht zu verständigen, was ebenfalls zu einer Unterbrechung des gerichtlichen Verfahrens führt (VfSlg 3039). Eine Antragstellung ist allerdings generell nicht mehr zulässig, wenn das Gericht bereits in der Hauptsache rechtskräftig entschieden hat (§ 42 Abs 1 VerfGG). Diesfalls ist nur noch nach § 42 Abs 2 ein Antrag der obersten Verwaltungsbehörde an den OGH auf Nichtigerklärung des gerichtlichen Verfahrens möglich (s § 42 Rz 7). Bei einem negativen Kompetenzkonflikt sind (nur) die beteiligten Parteien (unbefristet) antragsberechtigt (§ 46 VerfGG). Kompetenzkonflikte zwischen ordentlichen Gerichten und anderen (Sonder-)Gerichten entscheidet ebenfalls der VfGH nach den oben 33

Vor § 1

Mayr

angedeuteten Regeln (s § 43 VerfGG). Zuständigkeitsstreite zwischen ordentlichen Gerichten entscheidet hingegen das diesen Gerichten zunächst übergeordnete gemeinsame höhere Gericht (§ 47). Vom Kompetenzkonflikt grundsätzlich zu unterscheiden ist der Bindungskonflikt, von dem dann gesprochen wird, wenn eine Behörde die Bindung an die rechtskräftige Entscheidung einer Vorfrage durch eine andere Behörde ablehnt. Diesen entscheiden die Gerichte und Verwaltungsbehörden im Instanzenzug jeweils selbständig. Näheres in § 190 ZPO Rz 5.

10 Die Notwendigkeit eines vorherigen Aufforderungsverfahrens als Voraussetzung der Zulässigkeit des Rechtswegs ist im Bereich des § 8 AHG und des § 7 StEG (nunmehr § 9 StEG 2005) durch die WGN 1989 weggefallen, gilt aber noch nach § 7 OrgHG, § 70 Abs 1 Z 2 iVm § 73 ASGG und § 190 FinStrG. Einer Klage des Geschädigten gegen das handelnde Organ steht nach § 9 Abs 5 AHG (und § 12 Abs 2 StEG 2005) die Unzulässigkeit des Rechtswegs entgegen (etwa 1 Ob 33/99f = SZ 72/ 130 oder 1 Ob 8/03p = JBl 2003, 866 = EvBl 2003/106 = ZVR 2004/24, 78; s auch den interessanten Fall SZ 69/49 = EvBl 1997/35 = IPRax 1997, 345 [360: Seidl-Hohenveldern]). Nach § 341 BVerG 2006 (BGBl I 2006/17) ist (insb) eine Schadenersatzklage gegen den Auftraggeber (und eine Unterlassungsklage wegen unlauteren Wettbewerbs) nur dann zulässig, wenn die zuständige Vergabekontrollbehörde zuvor eine einschlägige Feststellung nach Abs 2 leg cit getroffen hat (zu den Unterschieden im Vergleich zum früheren § 184 BVerG 2002 s 1171 BlgNR 22. GP 146). Die im Feststellungsbescheid enthaltenen Feststellungen sind für das Gericht und die Parteien des Verfahrens vor dem Bundesvergabeamt bindend. Außerdem ist eine Schadenersatzklage auch (schon) dann zulässig, wenn die Erklärung des Widerrufs eines Vergabeverfahrens zwar nicht gegen das BVerG oder gegen die hierzu ergangenen Verordnungen verstoßen hat, aber vom Auftraggeber schuldhaft verursacht wurde (§ 341 Abs 3 BVerG 2006). Wenn das Gericht den Feststellungsbescheid für rechtswidrig erachtet und die Entscheidung des Rechtsstreits davon abhängt, hat es den VwGH gem Art 131 Abs 2 B-VG anzurufen und ist im fortgesetzten Verfahren an dessen Rechtsauffassung gebunden (§ 341 Abs 4 BVerG 2006).

11 Die Berufsordnungen der freien Berufe (bzw deren Berufsausübungsrichtlinien) schreiben häufig vor, dass Streitigkeiten zwischen Berufskollegen vor der Anrufung des ordentlichen Gerichtes der Kammer zur Schlichtung vorgelegt werden müssen: § 33 DentG, § 16 ZTKG, § 20 RL-BA 1977, § 94 ÄrzteG 1998 (dazu etwa Stellamor/Steiner, Hand34

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buch des österreichischen Arztrechts I [1999] 483) und (früher) § 25 Abs 2 und § 28a WTBO (dazu Mayr, wbl 1995, 270 f). Das Unterbleiben eines solchen Schlichtungsverfahrens bewirkt jedoch keine Unzulässigkeit des Rechtswegs (Mayr, RdW 1988, 159; Ballon in Fasching I § 1 Rz 14 und 93; SZ 62/133 = RZ 1990/29, 74 = wbl 1989, 349; ÖBl 1990, 184 = RdW 1990, 82). Durch § 87 Abs 5 des neuen (mit 1.7.1999 in Kraft getretenen) WirtschaftstreuhandberufsG (WTBG idF BGBl I 135/ 2001) wurde diese Rechtslage allerdings geändert: Für gewisse in § 87 Abs 1 WTBG aufgezählte Streitigkeiten ist das Beschreiten des Rechtswegs vor der Vorlage der Streitigkeit an den Schlichtungsausschuss oder vor der Beendigung des Schlichtungsverfahrens nunmehr ausdrücklich unzulässig (vgl 4 Ob 37/01x = ecolex 2001/350, 917 [Reich-Rohrwig/ Karollus-Brunner] und 4 Ob 228/02m = EvBl 2003/11 = RdW 2003/ 121, 144). In Anbetracht des Umstandes, dass der Gesetzgeber beim (neuen) ÄrzteG von 1998 (und seinen Novellierungen sowie den Novellen zum DentG und zum ZTKG) eine solche Änderung nicht vorgenommen hat, verbleibt es bei den anderen Berufsordnungen jedoch bei der bisherigen Rechtslage (Mayr, Außergerichtliche Streitschlichtung 16 ff). Der OGH hat allerdings in einer neuen E eine ohne vorherige Befassung des Schlichtungsausschusses der Ärztekammer (§ 94 ÄrzteG 1998) eingebrachte Klage wegen (derzeit) mangelnder Klagbarkeit bzw Fälligkeit abgewiesen (6 Ob 32/05g = RdM 2005, 182 [krit Mayr]). Diese Lösung vermag freilich nicht zu überzeugen. Zur Begründung hat sich der OGH auf jene Rsp gestützt, nach der eine in einem Kollektivvertrag (oder in Statuten) vorgesehene obligatorische Schlichtungsklausel keine Unzulässigkeit des Rechtswegs, sondern den über einen rechtzeitigen Einwand wahrzunehmenden Mangel der (derzeitigen) Klagbarkeit begründet, welcher im Fall seiner Berechtigung zur Abweisung des Klagebegehrens führt (8 ObA 2128/96s = wbl 1997, 390 = DRdA 1997, 407; 9 ObA 108/01z = SZ 74/144 = Arb 12.128 = DRdA 2002, 63 ua). Für Streitigkeiten aus dem Vereinsverhältnis steht nach § 8 Abs 1 VerG 2002 erst nach Ablauf von sechs Monaten ab Anrufung der Schlichtungseinrichtung des Vereins der ordentliche Rechtsweg offen (s dazu Art XII EGZPO und § 577 Abs 4 ZPO; zur früheren Rechtslage nach dem VereinsG 1951 s Mayr, Außergerichtliche Streitschlichtung 19 ff sowie zuletzt 6 Ob 40/02d = JBl 2003, 387 = ecolex 2003/82, 176 = RdW 2003/122, 144; 6 Ob 62/02i = MietSlg 54.724 oder 6 Ob 172/04v = ecolex 2005/243, 544). Nach der neueren Rsp ist dieser Begriff umfassend auszulegen, sodass nicht nur Meinungsverschiedenheiten über vereinsinterne Angelegenheiten oder Fälle typischer interner Selbstverwaltung erfasst werden (6 Ob 219/04f = JBl 2005, 732 = ecolex 2005/321, 698; 5 Ob 60/05t = ecolex 2005/402, 843). Nicht einsichtig ist jedoch (auch hier, s oben), warum einer Klage, die ohne vorherige Befassung 35

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der vereinsinternen Schlichtungseinrichtung (sofort) bei Gericht eingebracht worden ist, die materiellrechtliche Einwendung der mangelnden Klagbarkeit (und nicht das Prozesshindernis der Unzulässigkeit des Rechtswegs) entgegenstehen soll. Neuerdings verpflichtet Art III ZivRÄG 2004 (BGBl I 2003/91, gültig seit 1.7.2004) einen Nachbarn vor der Einbringung einer Klage im Zusammenhang mit dem Entzug von Licht oder Luft durch fremde Bäume oder Pflanzen (§ 364 Abs 3 ABGB) zur gütlichen Einigung eine Schlichtungsstelle zu befassen, einen Antrag auf prätorischen Vergleichsversuch (nach § 433 Abs 1 ZPO) zu stellen oder den Streit (einvernehmlich) einem Mediator zu unterbreiten. Die Klage ist nur zulässig, wenn nicht längstens innerhalb von drei Monaten ab Einleitung des Schlichtungsverfahrens, ab Einlangen des (Vergleichs-)Antrags bei Gericht oder ab Beginn der Mediation eine gütliche Einigung erzielt worden ist. Der Rechtsweg steht also (frühestens) drei Monate nach den genannten Zeitpunkten offen oder wenn der Kläger bereits mit der Klage eine Bestätigung einer (geeigneten) Schlichtungsstelle über die Erfolg- bzw Aussichtslosigkeit des Schlichtungsversuchs vorlegt (s dazu 173 BlgNR 22. GP 24 f und etwa P. Bydlinski, Neuerungen im Nachbarrecht, JBl 2004, 86 [90 ff]). Fakultative Schlichtungsverfahren lassen die Möglichkeit, den ordentlichen Rechtsweg zu beschreiten, unberührt (zB § 122 TKG 2003 BGBl I 70; § 28 PostG BGBl I 1998/18; § 7 FS-G BGBl I 2000/50; § 8 KommAustriaG BGBl I 2001/32).

12 Gem Art 57 Abs 1 B-VG dürfen die Mitglieder des Nationalrates wegen der in Ausübung ihres Berufes geschehenen Abstimmungen niemals, wegen der in diesem Beruf gemachten mündlichen oder schriftlichen Äußerungen nur vom Nationalrat verantwortlich gemacht werden, welche Regelung auch für die Mitglieder des Bundesrates (Art 58 B-VG) und die Mitglieder der Landtage (Art 96 Abs 1 B-VG), nicht aber für Gemeinderatsmitglieder (ecolex 1993, 475 = wbl 1993, 257; JBl 1989, 599) Geltung hat. Diese berufliche (parlamentarische) Immunität schließt nach hM auch jede zivilrechtliche Verantwortlichkeit des Abgeordneten (für Schadenersatz-, Widerrufs- oder Unterlassungsansprüche) aus, ist aber auf Äußerungen im Rahmen der parlamentarischen Tätigkeit im Vertretungskörper und seinen Ausschüssen beschränkt und erfasst etwa nicht Äußerungen im Rahmen einer Pressekonferenz, mögen sie auch das Thema eines im Vertretungskörper behandelten Gegenstandes zum Inhalt haben (etwa JBl 1989, 246; SZ 60/271 = EvBl 1988/79 = JBl 1989, 245 [zust Schmoller] = MR 1988, 88 [zust Korn] = ÖBl 1988, 68 = RdW 1988, 85; EvBl 1991/24 = JBl 1991, 724 = ecolex 1991, 312 = MR 1991, 18 = ÖBl 1991, 90; 6 Ob 79/00m = SZ 73/60 = MR 36

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2000, 228 [zust Ozlberger], jeweils mwN; Kopetzki, FS Winkler 91 ff und ders in Korinek/Holoubek [Hrsg], Österreichisches Bundesverfassungsrecht Rz 17 ff zu Art 57 B-VG). Ob dieser Ausschluss der Verantwortlichkeit als Unzulässigkeit des Rechtswegs im weitesten Sinn (so Fasching Rz 131/1; vgl auch denselben in Fasching I Einl Rz 115 und Ballon Rz 138/1) oder als materiellrechtliche Unklagbarkeit (so Rechberger/Simotta5 Rz 369) zu qualifizieren ist, ist nicht geklärt, aber ohne große praktische Bedeutung (zur Zulässigkeit im Hinblick auf Art 6 EMRK s EGMR ÖJZ 2004, 353). Die sachliche Immunität gem Art 33 B-VG ist auf die vom Redner verschiedenen dritten Berichterstatter beschränkt. Die Wiederholung von einer im Plenum des Nationalrates getätigten Äußerungen auf einer Pressekonferenz – sei es mündlich oder durch Verteilung von Kopien des stenografischen Protokolls – fällt nicht in die berufliche Immunität des Abgeordneten (SZ 50/111; 6 Ob 79/00m = SZ 73/60 = MR 2000, 228 [zust Ozlberger]). Die außerberufliche Immunität nach Art 57 Abs 3 B-VG bietet dem Abgeordneten hingegen nach hM keinen Schutz gegen zivilrechtliche Klagen, auch wenn diese politische Angelegenheiten betreffen (zuletzt etwa ecolex 1993, 475 = wbl 1993, 257 mwN). Ein gänzlicher Ausschluss des Rechtswegs durch Vereinbarung der 13 Parteien (im Voraus) ist nach hM unzulässig und unwirksam (Fasching Rz 5; ders in Fasching I Einl Rz 61 und 180; Bajons Rz 25; Ballon, Zulässigkeit 120 und ZZP 96, 464 sowie ders in Fasching I § 1 Rz 76; Matscher FS Nagel 229 f; SZ 49/40 = EvBl 1976/273 = JBl 1976, 541; ZVR 1984/ 182, SZ 65/65; vgl auch Deixler-Hübner/Klicka Rz 16a; Rechberger/ Simotta Rz 23 und SZ 61/197 = EvBl 1989/60 = JAP 1990/91, 106 [zust Klicka]; aM Holzhammer 3 und PraktZPR I 190; Dolinar, Ruhen 60). Zu prüfen ist allerdings, ob nicht ein materiellrechtlicher Verzicht vorliegt, der dann zur Klageabweisung mit Urteil führt. Die regelmäßig in Preisausschreiben vorkommende Klausel „unter Ausschluss des Rechtswegs“ hat somit keine verfahrensrechtliche Bedeutung. Bei Wettbewerben, bei denen die Preiszuerkennung vom Urteil eines Preisgerichtes („Jury“) abhängt, ist sie regelmäßig so auszulegen, dass nur die Bewertung der Preiswürdigkeit durch das Preisgericht (Schiedsgutachter) unüberprüfbar ist, dass die versprochene Leistung aber eingeklagt werden kann (Fasching Rz 2240; vgl SZ 54/ 130). Gewinnzusagen, die von Unternehmern an bestimmte Verbraucher gerichtet werden, können nach § 5j KSchG (grundsätzlich) gerichtlich eingefordert werden. Zur internationalen Zuständigkeit s zuletzt Leible, Luxemburg locuta – Gewinnmitteilung finita? NJW 2005, 796; Lorenz/Unberath, Gewinnmitteilungen und kein Ende? – Neues zur 37

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internationalen Zuständigkeit, IPRax 2005, 219; McGuire, Internationale Zuständigkeit für „isolierte Gewinnzusagen“, ecolex 2005, 489 oder Brenn, Irreführende Gewinnzusagen, ÖJZ 2005, 698 sowie § 88 Rz 16.

14 Innerhalb der (ordentlichen) Gerichtsbarkeit bereitet die Abgrenzung zwischen Zivilverfahren und Strafverfahren keine Schwierigkeiten: Während der Zivilgerichtsbarkeit die Ordnung privatrechtlicher Rechtsverhältnisse obliegt, wird in der Strafgerichtsbarkeit nach der StPO über Strafsachen entschieden. Darunter versteht man Anträge eines berechtigten Anklägers (Staatsanwalt als öffentlicher Ankläger, Geschädigter oder Verletzter als Privatankläger) auf Verhängung und Vollstreckung einer durch das Strafgesetz für ein bestimmtes Verhalten des Beschuldigten angedrohten Strafe. Ein und dieselbe Handlung (zB Körperverletzung, Sachbeschädigung) kann sowohl zivil- als auch strafrechtliche Folgen nach sich ziehen, jedoch bleiben auch in solchen Fällen Zivil- und Strafverfahren grundsätzlich voneinander unabhängig und getrennt. Aus prozessökonomischen Gründen ist allerdings vorgesehen (§§ 4, 47, 365 ff StPO; vgl auch § 57 VStG), dass sich der durch eine strafbare Handlung Geschädigte dem Strafverfahren mit seinen privatrechtlichen Schadenersatzansprüchen als Privatbeteiligter anschließen kann (Anschluss- oder Adhäsionsverfahren; dazu jüngst Spenling, ZVR 2003, 344). Ein solcher Anschluss unterbricht die Verjährung, sofern der Anspruch individualisiert bzw beziffert wird (Huber, NZ 1985, 166; Mayr in Fasching/ Konecny III Vor § 230 ZPO Rz 39 mwN). Er hindert nicht eine (gleichzeitige oder spätere) Beschreitung des Zivilrechtswegs, bewirkt also keine Streitanhängigkeit (Mayr in Fasching/Konecny III § 233 ZPO Rz 27 mwN). Auch umgekehrt kann sich der Geschädigte trotz eines bereits anhängigen Zivilverfahrens noch als Privatbeteiligter dem betreffenden Strafverfahren anschließen. Die materielle Rechtskraft wirkt hingegen auch im Verhältnis zwischen Zivilprozess und Anschlussverfahren im Strafprozess. Hat das Strafgericht also den Ersatzanspruch zugesprochen, so ist eine Geltendmachung dieses Anspruches – soweit er vom Strafgericht positiv erledigt wurde – vor dem Zivilgericht wegen rechtskräftig entschiedener Streitsache unzulässig. Ebenso darf das Strafgericht nicht über einen vom Zivilgericht bereits rechtskräftig erledigten Adhäsionsanspruch entscheiden, soweit nicht der Verletzte behauptet, über den zugesprochenen Titelbetrag hinaus geschädigt worden zu sein (s SSt 55/77 = EvBl 1985/95; Fasching Rz 120). Wird der Angeklagte nicht verurteilt, hält das Strafgericht den geltend gemachten Ersatzanspruch für nicht begründet oder ist es nicht ohne weiteres in der Lage, über ihn im Strafverfahren mitzuentscheiden, 38

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so wird der Privatbeteiligte auf den Zivilrechtsweg verwiesen (in der Praxis die Regel). Eine Abweisung des Privatbeteiligtenanspruches im Strafverfahren ist nicht zulässig (ÖJZ-LSK 1997/23). Die Kosten der Privatbeteiligung können dann im Zivilprozess als Prozesskosten geltend gemacht werden und bilden häufig überhaupt das Motiv für die Privatbeteiligung. Sie sollten aber nicht zugesprochen werden, wenn der Privatbeteiligte im Anschlussverfahren nicht einmal seine Forderung (konkret) beziffert und ein Minimum an Aktivität gesetzt hat (vgl Bertel/Venier, Strafprozessrecht8 Rz 1118). Über den Ersatz der Verteidigerkosten des wissentlich falsch Angezeigten hat hingegen ausschließlich das Strafgericht im Verfahren gegen den Anzeiger zu entscheiden (§ 390 Abs 4 StPO). Auch eine (unrichtige aber unbekämpft gebliebene) Verweisung auf den Rechtsweg führt hier nicht zur Begründung einer zivilgerichtlichen Kompetenz (SZ 68/62 = RdW 1995, 386). In der am 1.1.2008 in Kraft tretenden StPO idF StrafprozessreformG (BGBl I 2004/19) wird „Privatbeteiligter“ als jedes Opfer definiert, das erklärt, sich am Verfahren zu beteiligen, um Ersatz für den erlittenen Schaden oder die erlittene Beeinträchtigung zu begehren (§ 65 Z 2 StPO nF). §§ 67 ff StPO nF enthalten nähere Bestimmungen über die Privatbeteiligung. Die §§ 365 ff StPO bleiben unverändert. Zur Unterbrechung eines Zivilprozesses wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung und zu den Auswirkungen eines Strafverfahrens auf den Zivilprozess (nach der Aufhebung des § 268 ZPO) s § 191 ZPO, § 281a ZPO Rz 8 und § 411 ZPO Rz 13. Hinzuweisen ist, dass im Europäischen Zivilprozessrecht (dazu Nach § 27a) in Art 5 Z 4 EuGVVO/EuGVÜ/LGVÜ ein besonderer Gerichtsstand für Adhäsionsverfahren vor dem befassten Strafgericht vorgesehen ist. Dazu näher Schoibl, Adhäsionsverfahren und Europäisches Zivilverfahrensrecht, FS Sprung 321; kritisch insb Geimer, IPRax 2002, 74. Im Bereich der ordentlichen Zivilgerichtsbarkeit ist die Abgrenzung des 15 (streitigen) Zivilprozesses vom Vollstreckungs- und vom Insolvenzverfahren aufgrund des unterschiedlichen Verfahrenszweckes (meist) unproblematisch (s aber Art I EGZPO Rz 20 und 21 sowie Ballon in Fasching I § 1 Rz 252 ff und Rz 256 ff). Die Grenzziehung zum Verfahren außer Streitsachen ist jedoch schwierig, da dort ein institutioneller einheitlicher Verfahrenszweck nicht (mehr) erkennbar ist. Der Gesetzgeber hat nämlich in den letzten Jahrzehnten über den ursprünglichen Kernbereich der „klassischen“ Außerstreitangelegenheiten (insb Verlassenschafts- und Vormundschaftswesen) hinaus eine Vielzahl von – durchaus „streitigen“ – bürgerlichen Rechtssachen aus den unterschiedlichsten Motiven in das Außerstreitverfahren verwiesen. Diese Ent39

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wicklung ist auch in der jüngst erfolgten großen Reform des Außerstreitverfahrens weiter fortgesetzt worden (s etwa Mayr/Fucik Rz 37 ff); dies wird dadurch begünstigt, dass nach hM (EvBl 1983/31 = EFSlg 41.636) bei der Zuweisung einer Materie in die eine oder andere Verfahrensart für den (einfachen) Gesetzgeber – sofern die Grundsätze des Art 6 EMRK gewahrt bleiben – keine verfassungsrechtlichen Schranken bestehen (vgl Mayr/Fucik Rz 33). Eine inhaltliche Unterscheidung der im streitigen und im außerstreitigen Verfahren zu behandelnden Rechtssachen ist daher zumeist nicht (mehr) möglich. Es muss somit eine formelle Abgrenzung genügen: § 1 Abs 2 AußStrG ordnet an, dass das Außerstreitverfahren (nur) in denjenigen bürgerlichen Rechtssachen anzuwenden ist, für die dies im Gesetz angeordnet ist. Es besteht also – wie bereits nach dem früheren § 1 AußStrG 1854 – eine gesetzliche Subsidiaritätsregel zugunsten des streitigen Verfahrens. Darüberhinaus hat die stRsp aber auch jene Rechtssachen im Außerstreitverfahren behandelt, die vom Gesetzgeber (wenigstens) „unzweifelhaft schlüssig“ in das Außerstreitverfahren verwiesen worden sind (etwa SZ 54/129 = EvBl 1982/61; EFSlg 57.711; wobl 1991, 190/113; 5 Ob 270/00t = immolex 2001/53; RS0012214). Dabei wurde in der neueren Rsp insb auf den inneren Zusammenhang des jeweils geltend gemachten Anspruchs mit einer (ausdrücklich) entweder in das streitige oder das außerstreitige Verfahren verwiesenen Materie abgestellt (5 Ob 163/86 = SZ 60/18; 1 Ob 202/00p = SZ 73/129 = RZ 2001/14, 102; 1 Ob 219/01i = SZ 74/180 = MietSlg 53.816). Dies wird auch nach der neuen Rechtslage weiterhin Gültigkeit haben (s Mayr/Fucik Rz 35). Literaturangaben und Rsp zur Abgrenzung zwischen Streit- und Außerstreitverfahren s bei Art I EGZPO (insb Rz 6 ff) und (allerdings zur Rechtslage vor der Außerstreitreform) bei Ballon in Fasching I § 1 Rz 268 ff.

16 Streitiges und außerstreitiges Verfahren sind (jedenfalls seit der Außerstreitreform unzweifelhaft) zwei voneinander unabhängige und gleichberechtigte Zweige des zivilgerichtlichen Erkenntnisverfahrens. Sie werden nach der herkömmlichen hM durch die Schranke der Unzulässigkeit des streitigen (außerstreitigen) Rechtswegs voneinander abgegrenzt (hM, etwa Fasching Rz 113), was mit der sachlichen Eigenzuständigkeit des Gerichtes nichts zu tun hat (MietSlg 44.714 = wobl 1993/20; vgl 7 Ob 254/03h = SZ 2003/149). Es handelt sich aber eigentlich auch nicht um eine Rechtswegszulässigkeit, denn auch die Außerstreitmaterien sind bürgerliche Rechtssachen, die auf den Rechtsweg (Gerichtsweg) gehören. Man sollte daher besser von einer eigenständigen Verfahrensvoraussetzung „Zulässigkeit des (streitigen bzw 40

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außerstreitigen) Verfahrens“ sprechen (s näher Mayr in FS Rechberger 363 ff sowie Mayr/Fucik Rz 28; vgl bereits Dolinar, Außerstreitverfahrensrecht 38). Die Grenzen zwischen Streit- und Außerstreitverfahren sind zwingend und einer Parteienvereinbarung entzogen (Mayr/Fucik Rz 36; s auch § 104 Rz 14). Eine Verletzung bildet einen in jeder Lage des Verfahrens bis zur Rechtskraft (§ 42 Abs 2 gilt nicht) auf Antrag (s § 56 Abs 1 und § 66 Abs 1 Z 1 AußStrG) oder von Amts wegen wahrzunehmenden Verfahrensfehler, der auch durch eine Heilung nach § 104 Abs 3 oder § 38 Abs 1 ASGG nicht beseitigt werden kann (EvBl 1993/42). Nach hM gilt der Grundsatz der perpetuatio fori (s § 29 Rz 2). Eine Überweisung von der einen in die andere Verfahrensart – wie sie § 44 für die (örtliche und sachliche) Unzuständigkeit vorsieht – gibt es grundsätzlich nicht (s § 44 Rz 2). Zur Vorgangsweise bei Zweifeln über die anzuwendende Verfahrensart s § 40a. Ordentliche Gerichte § 1. Die Gerichtsbarkeit in bürgerlichen Rechtssachen wird, soweit dieselben nicht durch besondere Gesetze vor andere Behörden oder Organe verwiesen sind, durch Bezirksgerichte, Bezirksgerichte für Handelssachen, Landesgerichte, Handelsgerichte, durch Oberlandesgerichte und durch den Obersten Gerichtshof (ordentliche Gerichte) ausgeübt. [Fassung ZVN 1983 und BGBl 1993/91] Lit wie Vor § 1 und speziell zur Gerichtsorganisation: BMJ (Hrsg), Gesamtreform der Justiz (1969); Klecatsky, Über die Notwendigkeit und das Ziel einer umfassenden Reform der österreichischen Gerichtsorganisation, FS Schima (1969) 17; Sinzinger, Die Zuständigkeit in privatrechtlichen Schiffahrtssachen, JBl 1975, 172; Walter, Die Gerichtsorganisation in verfassungsrechtlicher Sicht, in BMJ (Hrsg), Verfassung – Verwaltung – Gerichtsbarkeit. Österreichische Richterwoche 1977 (1978) 69; Melichar, Die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Gerichtsorganisation, in: Österreichische Landesreferate zum X. Internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung in Budapest 1978 (1979) 53; Wresounig, Verfassungsrechtliche Probleme in der österreichischen Gerichtsorganisation, RZ 1979, 237; Piegler, Ist das einheitliche Erstgericht eine Utopie? RZ 1980, 21; Huber, Eine Stellungnahme zur Abhandlung „Ist das einheitliche Erstgericht eine Utopie?“, RZ 1980, 54; Walter, Die Gerichtsbarkeit, in Schambeck (Hrsg), Das österreichische Bundesverfassungsgesetz und seine Entwicklung (1980) 443; Fiedler, Zur österreichischen Gerichtsorganisation, Österreichisches Jahrbuch für Politik 41

§1

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1982 (1983) 143; Ballon, Die Gerichtsorganisation der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit, JBl 1987, 349; Fasching, Verfassungskonforme Gerichtsorganisation (1988); Mayer, Funktion und Grenzen der Gerichtsbarkeit im Rechtsstaat, 11. ÖJT 1991, Bd I/1; Mayr, Streitschlichtung durch Gemeindevermittlungsämter, ÖGZ 1993/7, 9; Wresounig, Gedanken zu den Entwicklungstendenzen im Organisationsgefüge der Gerichtsbarkeit in Niederösterreich und Wien, RZ 1994, 2, 26; Lebitsch, Verfassungsrechtliche Aspekte der Organisation der Bezirksgerichte, RZ 1994, 258 und FS Hofer-Zeni (1998) 149; Pernthaler/Rath-Kathrein, Die Regionen in den Bundesstaaten und die Organisation des Gerichtswesens: Bericht Österreich, in: Regionale Autonomien und Organisation des Gerichtswesens (Trient 1997) 17 ff; Walzel v. Wiesentreu, Der Bundesstaat und die ordentliche Zivil- und Strafgerichtsbarkeit – rechtshistorische, verfassungsdogmatische und rechtspolitische Aspekte, in Schambeck (Hrsg), Bundesstaat und Bundesrat in Österreich (1997) 101; Mayr, Jurisdiktionsnorm und Gerichtsorganisationsgesetz nach 100 Jahren, in Mayr (Hrsg), 100 Jahre österreichische Zivilprozeßgesetze (1998) 33; Mayr, Einführung in die außergerichtliche Streitschlichtung, in Mayr (Hrsg), Öffentliche Einrichtungen zur außergerichtlichen Vermittlung von Streitigkeiten (1999) 3; Walter/Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts9 (2000) Rz 760 ff; Mayr, Gedanken zur Reform der österreichischen Gerichtsorganisation, FS Jelinek (2002) 173; Trauner, Sprengel und Sitz der Bezirksgerichte – eine Rechtsfrage, JBl 2003, 554; Rassi, Three stepps to justice? Überlegungen zur geplanten Gerichtsreform aus der Sicht eines Richters, RZ 2005, 182; Maleczky (Hrsg), Kodex Gerichtsorganisation9 (2006). Ballon in Fasching I § 1 JN; Bajons Rz 41 ff; Ballon Rz 46, 50, 484; Fasching Rz 102 ff, 182 ff; Holzhammer 21; Rechberger/Simotta Rz 31 ff, 90/1 ff.

1 Die ausnahmsweise Verweisung von bürgerlichen Rechtssachen vor andere Behörden oder Organe muss in dem dafür notwendigen „besonderen Gesetz“ klar und unzweideutig zum Ausdruck gebracht werden (SZ 56/33; JBl 1987, 791; SZ 59/107; JBl 1990, 450; SZ 64/57 = JBl 1992, 108). Wie oben (Vor § 1 Rz 4) dargelegt, ist überdies zu beachten, dass die Übertragung (jedenfalls) von Kernbereichen der civil rights an (Verwaltungs-) Behörden ohne Tribunal-Qualität gegen Art 6 EMRK verstößt und verfassungswidrig ist.

2 Den ordentlichen Gerichten kommt – im Gegensatz zu den Sondergerichten – die volle Gerichtsgewalt zu. Sie besitzen also nicht nur Erkenntnisgewalt, sondern auch Vollstreckungs- und Ordnungsgewalt. Zu den ordentlichen Gerichten (in Zivilsachen) zählt außer den im § 1 42

1.1 Gerichte und gerichtliche Organe

JN § 1

aufgezählten Gerichten auch das Arbeits- und Sozialgericht Wien, dessen Sprengel das Gebiet des Sprengels des LGZ Wien umfasst (§ 2 ASGG). Kreisgerichte gibt es seit dem 1.3.1993 (BGBl 1993/91) nicht mehr; sie wurden auf Landesgerichte umbenannt. Die Kartellgerichtsbarkeit wurde schon durch die KartGNov 1995 (BGBl 520) in die ordentliche Gerichtsbarkeit einbezogen (keine Sondergerichtsbarkeit mehr, s 196 BlgNR 19. GP 7 f, 8 und Auer/Urlesberger, Kartellrecht5 [2003] 88; überholt daher Ballon Rz 46 und derselbe in Fasching I § 1 Rz 44). Es entscheidet (jeweils in besonders besetzten Senaten – s nunmehr § 59 KartG 2005; unten § 8 Rz 2) das OLG Wien als Kartellgericht (für das gesamte Bundesgebiet) und der OGH als Kartellobergericht in zweiter und letzter Instanz (§ 58 KartG 2005). Die Sondergerichte (außerordentlichen Gerichte) werden eingeteilt in: 3 I. Sondergerichte des öffentlichen Rechts 1. Der Verfassungsgerichtshof (Art 137 bis 148 B-VG) wird im Bereich des Privatrechts nur tätig als „Kausalgericht“ gem Art 137 B-VG (s §§ 37 ff VerfGG) oder wenn er über Schadenersatzansprüche im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Staatsgerichtshof (§ 79 Abs 1 VerfGG) entscheidet. 2. Der Verwaltungsgerichtshof (Art 129 bis 136 B-VG) entscheidet über privatrechtliche Ansprüche nur dann, wenn er über eine Beschwerde gegen einen Verwaltungsstrafbescheid erkennt, in dem gem § 57 VStG auch über die privatrechtlichen Ansprüche des durch das Verwaltungsdelikt Geschädigten abgesprochen worden ist (problematisch, s Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht8 [2003] Rz 909 ff). II. Sondergerichte des Privatrechts sind nach hM (Fasching Rz 102 ff; 4 Rechberger/Simotta Rz 92) die Schiedsgerichte (dazu bei §§ 577 ff ZPO). Ballon (Rz 46 und ders in Fasching I § 1 Rz 26 f und 33) zählt hingegen auch Schiedsgerichte, die durch Parteiendisposition errichtet worden sind, zu den ordentlichen Gerichten. Nach der Grundlage ihrer Entstehung sind zu unterscheiden: 1. Statutarische (institutionelle) Schiedsgerichte: Sie werden auf der Grundlage besonderer Gesetze durch die Statuten verschiedener Institutionen eingerichtet. Es gibt: – Zwangsschiedsgerichte mit ausschließlicher Zuständigkeit, bei denen die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte zwingend ausgeschlossen ist: Schiedsgericht nach § 12 JournalistenG (totes Recht: s Mayr/Schmidt, ZVglRWiss 1987, 249 f und Mayr, Außergerichtliche Streitschlichtung 13; das bisweilen genannte Schiedsgericht der Österreichischen Nationalbank nach §§ 41 und 46 NBG wurde 43

§1

Mayr

durch BGBl I 1998/60 beseitigt), das Schiedsgericht der Wiener Wertpapierbörse nach § 27 Abs 4 BörseG, der Wiener Warenbörse (vgl die Schiedsgerichtsordnung BGBl II 2000/230), das Schiedsgericht der new europe exchange (NEWEX) für Streitigkeiten aus Börsengeschäften nach § 27 BörseG (vgl die Schiedsgerichtsordnung BGBl II 2000/343). Die Schiedskommission nach § 14 VerwertungsgesellschaftenG (mit ausführender SchiedskommissionsV BGBl 1936/188) und die Schiedsstelle nach der Urheberrechtsgesetz-Novelle 1980 (dazu Mayr, Außergerichtliche Streitschlichtung 14 mwN oder Dittrich, Österreichisches und internationales Urheberrecht4 [2004] 847 ff, 853 ff) wurden durch das Verwertungsgesellschaftengesetz 2006 (BGBl I 2006/9) beseitigt (s die Übergangsregelung in § 44 Abs 2 VerwGesG 2006). – Fakultative Schiedsgerichte mit Unterwerfungszuständigkeit, dh sie sind nur für Parteien zuständig, die sich ihnen freiwillig unterwerfen: Börsenschiedsgerichte nach Art XIIIa, XIV und XIVa EGZPO (Näheres s dort); Schiedsgerichte der Rechtsanwaltskammern und des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages bzw der Notariatskammern und der Österreichischen Notariatskammer nach § 59 RAO bzw § 188 NO; ständige Schiedsgerichte der (Landes-)Wirtschaftskammern nach § 139 WKG. Die Schiedsgerichte der Landesingenieurkammern nach § 16 IngKG 1969 (s Mayr/ Schmidt, ZVglWiss 1987, 250 ff) wurden durch das ZTKG 1993 ersatzlos beseitigt, wodurch die Frage nach dem Schicksal entsprechender „alter“ Schiedsvereinbarungen entstanden ist. Dazu SZ 69/ 73 = EvBl 1996/130 = JBl 1996, 597 = ecolex 1996, 672 (zust Wilhelm) einerseits und (zutreffend) 7 Ob 502/96 andererseits; vgl auch (richtig) 6 Ob 186/97i = SZ 70/156 = EvBl 1998/5 = RdW 1998, 19 = RIW 1998, 635 (zust Seidl-Hohenveldern) und 8 Ob 179/00g = JBl 2001, 732 = EvBl 2001/164 sowie Mayr, Außergerichtliche Streitschlichtung 15 f mwN. 2. Private Schiedsgerichte (Gelegenheitsschiedsgerichte). Sie werden in schiedsfähigen Rechtssachen (§ 582 ZPO) auf Grund einer Schiedsvereinbarung der Parteien (insb Schiedsvertrag oder Schiedsklausel; s § 581 ZPO) nach den Bestimmungen der §§ 577 ff ZPO tätig (s dort).

5 Hinsichtlich der Folgen wird eine Unzulässigkeit des (außer-)ordentlichen Rechtswegs zum Teil (Verhältnis zu den Sondergerichten des öffentlichen Rechts und zu Schiedsgerichten mit Zwangszuständigkeit) wie eine Unzulässigkeit des Rechtswegs ieS (s Vor § 1 Rz 8), zum Teil (Verhältnis zu den Sondergerichten des Privatrechts) wie eine (sachliche) Unzuständigkeit behandelt. Näheres s § 42 Rz 9 und § 584 ZPO. 44

1.1 Gerichte und gerichtliche Organe

JN § 2

Überhaupt keine Gerichte sind die Gemeindevermittlungsämter, die 6 nach den Grundsatz-Gesetzen RGBl 1869/150 und 1907/59 und ausführenden Landesgesetzen (Kompetenzgrundlage bildet Art 12 Abs 1 Z 2 B-VG) in manchen Bundesländern noch vereinzelt bestehen. Es steht ihnen nämlich keinerlei Entscheidungsgewalt zu, sondern sie können nur (in bestimmten Rechtsbereichen) auf den (freiwilligen) Abschluss eines Vergleiches durch die Streitparteien hinwirken. Vorschriftsmäßig erzielte Vergleiche bilden allerdings einen Exekutionstitel nach § 1 Z 15 EO (Näheres bei Mayr, ÖGZ 1993/7, 9 und ders, Außergerichtliche Streitschlichtung 4 ff). Instanzenverhältnis der Gerichte § 2. (1) In erster Instanz sind zur Ausübung dieser Gerichtsbarkeit die Bezirksgerichte, die Landesgerichte und die Handelsgerichte berufen. (2) Besondere Bezirksgerichte für Handelssachen werden zur Ausübung der Gerichtsbarkeit in Handelssachen an allen Orten errichtet, in welchen ein selbständiges Handelsgericht besteht. Durch Verordnung können auch an anderen Orten solche Bezirksgerichte für Handelssachen errichtet werden. [Fassung ZVN 1983 und BGBl 1993/91] Lit wie zu § 1 und Nowotny, Das Bezirksgericht für Handelssachen Wien – ein überflüssiges Gericht? RZ 1996, 195; Oberhammer, Zum Weiterbestand des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien, RZ 1996, 272; Schmidt, Zur Zukunft des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien, RZ 1997, 27; Garai, Dilettantismus gefragt? RZ 1997, 29. Obwohl Österreich als Bundesstaat eingerichtet ist, geht die gesamte 1 Gerichtsbarkeit vom Bund aus (Art 82 Abs 1 B-VG). Die Gerichte sind daher immer Bundesbehörden. Ihre Verfassung und Zuständigkeit wird durch Bundesgesetz festgestellt (Art 83 Abs 1 B-VG). Änderungen in den Sprengeln der BG werden jedoch (mit Ausnahme von Wien: VfSlg 9667) durch Verordnung der Bundesregierung mit Zustimmung der Landesregierung verfügt (§ 8 Abs 5 lit d ÜG; VfSlg 5977 = BGBl 1969/314; dazu jüngst eingehend Trauner, JBl 2003, 554). Durch diese Verfassungsrechtslage wird eine – vom BMJ schon lange gewünschte – Zusammenlegung von zahlreichen Kleinst-Bezirksgerichten sehr erschwert (dazu Mayr in Mayr, 100 Jahre 38 ff). Erst in jüngster Zeit konnten in dieser Hinsicht einige wesentliche Fortschritte erzielt werden (vgl Mayr, FS Jelinek 173). Zu den derzeitigen Sprengeln der Bezirksgerichte s für 45

§2

Mayr



Burgenland: BGBl 1921/476 idF BGBl 1922/407, 1924/264, 1924/ 304, 1949/250 und 1952/104 – Kärnten: BGBl 1972/437 idF BGBl 1977/37 und 1979/168 – Niederösterreich: BGBl II 2002/81 idF BGBl II 2002/190 – Oberösterreich: BGBl II 2002/422; s auch BGBl I 2003/116 über die Verlegung des BG Linz-Land nach Traun – Salzburg: BGBl II 2002/287 – Steiermark: BGBl II 2002/82 idF BGBl II 2002/190, II 2003/132 und II 2006/295; s auch das BG BGBl I 2004/60 über die Organisation der Bezirksgerichte in Graz (idF BGBl I 2005/66) – Tirol: BGBl II 2002/240 – Vorarlberg: BGBl 1971/33 – Wien: Bezirksgerichts-Organisationsgesetz für Wien BGBl 1985/ 203 idF BGBl 1988/292, 1990/260, 1992/756, 1996/761 und I 1999/ 57; s auch § 103 Rz 1. Die Sprengel der Gerichtshöfe I. und II. Instanz sind nach Meinung des VfGH (VfSlg 7168 = RZ 1979/74, 250) von § 8 Abs 5 lit d ÜG nicht erfasst. Das LG Eisenstadt wurde mit BGBl 1958/269 errichtet. S auch das LG St. Pölten-Gesetz BGBl 1988/233 und Art X BGBl 1993/91.

2 Aus historischen Gründen wird die Zivilgerichtsbarkeit in erster Instanz von zwei Haupttypen von Gerichten ausgeübt, was den Zugang zum Recht unnötigerweise erschwert und verkompliziert (eingehend Fasching, Gerichtsorganisation 36 ff). Eine durchgreifende Reform der Gerichtsorganisation mit der Einführung eines einheitlichen Eingangsgerichtes dürfte jedoch noch für längere Zeit ein Wunschtraum bleiben (s auch Mayr in Mayr, 100 Jahre 40 f; ders, FS Jelinek 173 und Ballon in Fasching I § 2 Rz 8). Landesgerichte bestehen in allen Landeshauptstädten und in Feldkirch (nicht in Bregenz) für Vorarlberg. Darüber hinaus wurden mit 1.3. 1993 die bisher in Korneuburg, Krems/Donau, Leoben, Ried/Innkreis, Steyr, Wels und Wiener Neustadt bestandenen Kreisgerichte auf Landesgerichte umbenannt (Art I BGBl 1993/91).

3 Ein besonderes Bezirksgericht für Handelssachen und ein eigenes Handelsgericht bestehen (derzeit) nur in Wien, wobei die Existenzberechtigung des BGHS Wien umstritten ist (s oben die Literaturangaben). Dessen Sprengel umfasst die Wiener Bezirke I bis XXIII (§ 3 BGOrgG Wien). Im übrigen Österreich üben die (allgemeinen) BG die Gerichtsbarkeit „in Handelssachen“ aus bzw werden die LG „als Handelsgerichte“ tätig (aufgrund einer entsprechenden Bezeichnung in der Klage, s § 226 Abs 2 ZPO). Abs 2 Satz 2 ist heute verfassungswidrig (vgl VfSlg 5977). 46

1.1 Gerichte und gerichtliche Organe

JN § 4

In Wien ist darüber hinaus ein eigenes „Arbeits- und Sozialgericht Wien“ eingerichtet, dessen Sprengel sich mit jenem des LGZ Wien deckt (§ 2 Abs 2 und 3 ASGG). Außerhalb Wiens haben die LG in Ausübung der Gerichtsbarkeit in Arbeits- und Sozialrechtssachen ihrer Bezeichnung den Zusatz „als Arbeits- und Sozialgericht“ beizufügen (§ 36 ASGG). Der Jugendgerichtshof Wien – der auch gewisse zivilrechtliche Kompetenzen besaß – wurde mit Ablauf des 30.6.2003 aufgelassen (BGBl I 2003/30). Bei der Erledigung von Binnenschifffahrtssachen führen die BG die Bezeichnung „Schifffahrtsgericht“. Das BGHS Wien ist Schifffahrtsgericht für die Donau, soweit sie österreichisches Staatsgebiet durchfließt (s dRGBl 1937 I S. 97; dRGBl 1941 I S. 351; SZ 65/80 = JBl 1993, 530 = ecolex 1992, 696 = RdW 1993, 43 = ZVR 1993/114; 1 Ob 45/00z = ZVR 2000/80, 340). S auch §§ 3 f Rz 2. § 3. (1) Der Rechtszug gegen Urteile und Beschlüsse der Bezirksgerichte (Berufung, Rekurs) geht in zweiter Instanz an die Landesgerichte. Im Sprengel eines selbständigen Handelsgerichtes geht aber der Rechtszug gegen Urteile und Beschlüsse eines besonderen Bezirksgerichtes für Handelssachen und gegen die in Ausübung der Gerichtsbarkeit in Handelssachen gefällten, entsprechend bezeichneten (§ 446 ZPO) Urteile eines anderen Bezirksgerichtes an das Handelsgericht. (2) In dritter Instanz hat über Rechtsmittel gegen Urteile und Beschlüsse der Bezirksgerichte (Revision, Rekurs) der Oberste Gerichtshof zu entscheiden. [Fassung BGBl 1933/554, ZVN 1983 und BGBl 1993/91] § 4. Gegen die in erster Instanz von den Landesgerichten, sowie von den Handelsgerichten gefällten Urteile und Beschlüsse geht der Rechtszug in zweiter Instanz (Berufung, Rekurs) an die Oberlandesgerichte, und in dritter Instanz (Revision, Rekurs) an den Obersten Gerichtshof. [Fassung BGBl 1993/91] Lit wie zu § 1. Die österreichische Gerichtsorganisation ist vierstufig aufgebaut, es ist 1 aber nur ein (grundsätzlich) dreistufiger Instanzenzug vorgesehen, so dass es im Zivilverfahren je nach Eingangsgericht zwei verschiedene 47

§5

Mayr

Instanzenzüge gibt: Ist das Erstgericht ein BG (BGHS Wien) geht der Instanzenzug über das LG (HG Wien) zum OGH, schreitet in erster Instanz ein LG (HG Wien, ASG Wien) ein, ist zweite Instanz das OLG und dritte Instanz der OGH. Aus § 3 Abs 1 folgt, dass der OGH über einen Rekurs gegen einen Beschluss des Erstgerichtes, der vom Rekursgericht rechtsirrig als unzulässig zurückgewiesen worden ist, nur dann sachlich entscheiden kann, wenn die Begründung des Zurückweisungsbeschlusses inhaltlich die sachlichen Abweisungsgründe erfasst (SZ 43/ 212 = EvBl 1971/140; EvBl 1993/80 = GesRZ 1993, 110 = wbl 1993, 126).

2 Gemäß Art 2 dRGBl 1941 I S 351 ist die Verhandlung und Entscheidung über Berufungen und Rekurse gegen die Entscheidungen der Schifffahrtsgerichte den OLG übertragen, die hiebei die Bezeichnung „Schifffahrtsobergerichte“ führen (vgl EvBl 1972/132 = RZ 1972, 34; EvBl 1986/75). Die gerichtsorganisatorischen Besonderheiten in Binnenschifffahrtssachen treten mit 31. 12. 2009 (1. BRBG, BGBl I 191/ 1999) außer Kraft (vgl dazu auch Sinzinger, JBl 1975, 177 und Mayr in Mayr, 100 Jahre 41 f).

3 Die OLG und der OGH haben in Ausübung der Gerichtsbarkeit in Arbeits- und Sozialrechtssachen ihrer Bezeichnung den Zusatz „in Arbeits- und Sozialrechtssachen“ beizufügen (§ 36 ASGG). Ausübung der Gerichtsbarkeit bei den ordentlichen Gerichten § 5. Bei den Bezirksgerichten wird die Gerichtsbarkeit durch einen oder mehrere Einzelrichter ausgeübt. [Abs 2 bis 4 außer Kraft getreten durch BGBl 1921/422; sonst Stammfassung] Lit wie zu § 1 und Markel, Sicherung der richterlichen Unabhängigkeit, RZ 1984, 162; Novak, Das Verfassungsbild des Richters unter den Anforderungen der Gegenwart, RZ 1984, 194; Feitzinger, Die Entwicklung des Instituts des Rechtspflegers in der österreichischen Gerichtsbarkeit, ÖRpfl 1986 H 2, 3, 33 und 1987 H 1, 3; ders, Die verfassungsrechtliche Verankerung des Instituts des Rechtspflegers, Blg zu ÖRpfl 1988 H 1, 15; Fasching, Gerichtsorganisation; Mayr, Stellung und Aufgaben des Rechtspflegers in Österreich, dRpfleger 1991, 397; ders, Die österreichische Juristenausbildung2 (1998); Piska, Das Prinzip der festen Geschäftsverteilung in der ordentlichen Gerichtsbarkeit (1995); ders, Der „Sprengelrichter“ neuer Prägung, ÖJZ 1996, 481; ders, Die externe Vertretung von Richtern nach § 77 RDG, JBl 1997, 2; Spehar/Fellner, Richterdienstgesetz (RDG) und Gerichtsorganisationsgesetz (GOG)3 48

1.1 Gerichte und gerichtliche Organe

JN § 5

(1999); Sprinzel, Die Verwendung von Richtern gemäß § 77 Abs 3, 6 und 8 RDG, RZ 2001, 63; Helige, Zur Problematik des § 77 RDG aus der Sicht der Standesvertretung, RZ 2001, 210; Grafinger, § 77 RDG – abweichende Anmerkungen aus der Praxis, RZ 2001, 278; Feldner, Die Bindung des Zivilgerichts an seine im Aufhebungs- und Zurückverweisungsbeschluss geäußerte Rechtsansicht, ÖJZ 2002, 221. Ballon in Fasching I § 5 JN; Bajons Rz 17 ff; Buchegger, PraktZPR I 14; Ballon Rz 38, 43, 82 ff; Fasching Rz 138 ff; Holzhammer 30; Rechberger/Simotta Rz 41 ff. Die Richter genießen innerhalb der Staatsorgane eine Sonderstellung, 1 die sich aus ihrer verfassungsrechtlich garantierten Unabhängigkeit ergibt (Art 87 B-VG). Der Richter ist bei der Besorgung aller ihm nach dem Gesetz und der Geschäftsverteilung zustehenden gerichtlichen Geschäfte mit Ausschluss der Justizverwaltungssachen, die nicht durch Senate oder Kommissionen zu erledigen sind (Art 87 Abs 2 B-VG), an keine Weisungen der vorgesetzten Dienstbehörde gebunden (dazu näher Ballon in Fasching I § 1 Rz 17 ff). Unberührt davon bleibt freilich die im Gesetz ausdrücklich ausgesprochene Bindung an die Rechtsansicht einer Oberinstanz (§ 499 Abs 2, § 511 Abs 1 ZPO; vgl ecolex 1996, 450). Der Sicherung dieser sachlichen Unabhängigkeit vor Eingriffen durch Verwaltungsbehörden (oder Angehörige der gesetzgebenden Körperschaften) dient der Grundsatz der festen Geschäftsverteilung (Art 87 Abs 3 B-VG). Den Parteien steht kein Antragsrecht zu, dass ein anderer als der nach der festen Geschäftsverteilung vorgesehene Richter (oder Senat) über die Rechtssache entscheidet (1 Ob 23/01s = immolex 2001/ 131 = MietSlg 53.629/10). Zur Sanktionierung eines Verstoßes s § 28a GOG und § 260 ZPO Rz 16. Richter sind grundsätzlich unab- und unversetzbar. Sie treten mit Ablauf des Jahres, in dem sie das 65. Lebensjahr vollendet haben, in den dauernden Ruhestand (§ 99 RDG). Im übrigen dürfen Richter nur in den vom Gesetz vorgeschriebenen Fällen und Formen und auf Grund eines förmlichen richterlichen Erkenntnisses (eines Strafgerichtes oder eines OLG bzw des OGH als Dienst- oder Disziplinargericht) ihres Amtes entsetzt oder wider ihren Willen an eine andere Stelle oder in den Ruhestand versetzt werden (s Art 88 und 88a B-VG). Das Dienst- und Disziplinarrecht der Berufsrichter ist im Richterdienstgesetz BGBl 1961/305 idgF geregelt. Zu ihrer Ausbildung und Ernennung s Mayr, Juristenausbildung 193 ff mwN. Die Gerichtsbarkeit wird bei den BG immer durch Einzelrichter (Vor- 2 steher und Richter des BG) ausgeübt. Inwieweit auch Sprengelrichter oder Vertretungsrichter eingesetzt werden können, bestimmen die 49

§5

Mayr

§§ 65a und 77 RDG (Einzelheiten bei Piska, ÖJZ 1996, 481 und JBl 1997, 2). Die Geschäftsverteilung (s § 18 Geo) wird durch den Personalsenat des zuständigen GH nach den Bestimmungen der §§ 26 ff GOG jeweils im Vorhinein für ein Geschäftsverteilungsjahr (1. Februar bis 31. Jänner) festgelegt (Näheres bei Piska 154 ff). Dabei sind sowohl die Rechtssachen nach § 49 Abs 2 Z 1 bis 2b und Abs 3 als auch die Außerstreitangelegenheiten nach §§ 109 bis 114a und die Angelegenheiten zum Schutz vor Gewalt in der Familie nach § 382b EO derselben Gerichtsabteilung in der Weise zuzuweisen, dass alle dieselbe Personengruppe betreffenden familienrechtlichen Angelegenheiten auch zur selben Gerichtsabteilung gehören (§ 26 Abs 3 und 3a GOG idF AußStrBegleitG).

3 Bei einem BG sind außerdem nach Bedarf Rechtspfleger zu bestellen (§ 24 Abs 1 GOG). Dies sind besonders ausgebildete nichtrichterliche Bundesbedienstete, denen durch Bundesgesetz die Besorgung einzelner, genau zu bezeichnender Arten von Geschäften der Zivilgerichtsbarkeit erster Instanz übertragen ist. Rechtsgrundlage bilden Art 87a B-VG und das – zwischenzeitlich bereits mehrfach (zuletzt durch das AußStr-BegleitG) novellierte – Rechtspflegergesetz BGBl 1985/560. Bei der Besorgung dieser Geschäfte sind sie nur an die Weisungen des nach der Geschäftsverteilung zuständigen Richters gebunden, der sich auch die Erledigung vorbehalten oder an sich ziehen kann (§§ 8, 9 RpflG). Entscheidungen eines Rechtspflegers sind grundsätzlich wie die eines Richters anfechtbar. Über Rechtsbehelfe und nicht aufsteigende Rechtsmittel (mit Ausnahme der Vorstellung nach § 12 RPflG) entscheidet der Rechtspfleger. Einem (aufsteigenden) Rechtsmittel kann bereits der Richter stattgeben, allerdings nur, wenn er es zur Gänze für berechtigt hält. Andernfalls hat der Richter das Rechtsmittel mit dem Vorlagebericht des Rechtspflegers (und dem Beisatz des Richters, dem Rechtsmittel nicht Folge geben zu wollen) dem Rechtsmittelgericht vorzulegen (§ 11 RpflG). Entscheidungen, die nach den anzuwendenden Verfahrensvorschriften wegen des geringen Streitwertes nicht oder nur beschränkt anfechtbar sind, können mit einer Vorstellung an den Richter bekämpft werden (§ 12 RPflG). Diese Vorstellung ist binnen einer Notfrist von vierzehn Tagen beim erkennenden Gericht schriftlich einzubringen oder mündlich zu Protokoll zu geben und hat grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Sofern sie nicht als verspätet oder unzulässig zurückzuweisen ist, hat der Richter mit Beschluss in der Sache selbst zu erkennen. Im (unwahrscheinlichen) Konkurrenzfall mit einem Rechtsbehelf oder Rechtsmittel ist zuerst über die Vorstellung zu entscheiden. 50

1.1 Gerichte und gerichtliche Organe

JN § 7

Der Wirkungskreis des Rechtspflegers umfasst im Bereich des Zivilprozessrechts insb die Durchführung des Mahnverfahrens, einschließlich der Zurückweisung der Klage, bis die Anordnung einer Tagsatzung erforderlich wird (§ 16 Abs 1 Z 1 lit a RpflG). Dies umfasst auch die Entscheidung über einen Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Einspruchfrist (JBl 1985, 300 = RZ 1985/42, 113). Überschreitet der Rechtspfleger seinen Wirkungskreis, so ist die gefällte Entscheidung wegen nicht gehöriger Besetzung des Gerichts (§ 477 Abs 1 Z 2 ZPO) nichtig (hM, etwa SZ 70/269 = EvBl 1998/97 und Fasching Rz 1578 sowie Ballon in Fasching I § 5 Rz 22). S nunmehr auch § 58 Abs 4 Z 2 AußStrG. § 6. Außer Kraft getreten durch BGBl 1921/422 § 7. (1) Bei den Landes- und Handelsgerichten wird die Gerichtsbarkeit in bürgerlichen Rechtssachen, sofern nicht andere Vorschriften Abweichendes anordnen, in erster und in zweiter Instanz durch Senate ausgeübt, die aus einem Vorsitzenden und zwei Mitgliedern bestehen. (2) Soweit die Senate der selbständigen Handelsgerichte und die Senate der Landesgerichte in Handelssachen (Handelssenate) über bürgerliche Rechtsstreitigkeiten in erster Instanz und über Berufungen gegen die in Ausübung der Gerichtsbarkeit in Handelssachen gefällten Urteile der Bezirksgerichte nach den Vorschriften der §§ 480 bis 500 ZPO in zweiter Instanz entscheiden, wird die Stelle eines Mitglieds durch einen fachmännischen Laienrichter aus dem Handelsstand versehen. In allen anderen Fällen sind die Senate der Landes- und Handelsgerichte mit Richtern besetzt. [Fassung ZVN 1983 und BGBl 1993/91] Lit: P. Böhm, Zur Mitwirkung von Laienrichtern an der Zivilgerichtsbarkeit, in: Österreichische Landesreferate zum X. Internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung (1979) 33; Fasching, Die Änderung des Verfahrens zur Erlassung einstweiliger Verfügungen durch die Zivilverfahrens-Novelle 1983, GesRZ 1984, 62; Schmidt, Zur Gerichtsbesetzung in Patentsachen, ÖBl 1984, 89; Schoibl, Aspekte der Laiengerichtsbarkeit in Österreich, ZÖR 1987, 139; Ballon, Die Gerichtsorganisation der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit, JBl 1987, 349; Fink, Das Verfahren in Arbeitsrechtssachen vor dem Konkurs- und Ausgleichsgericht, DRdA 1988, 205; Kostka, Die Exekutionsklagen nach den §§ 35, 36 und 37 EO und das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, ZAS 1989, 79; Dokumentation Laienrichter in Österreich und Europa anläßlich 70 Jahre 51

§7

Mayr

Vereinigung der fachmännischen Laienrichter Österreichs (oJ [1992]); Fasching, Die Bedeutung des Gleichheitssatzes für das zivilgerichtliche Verfahren, FG Fasching (1993) 3; Piska, Das Prinzip der festen Geschäftsverteilung in der ordentlichen Gerichtsbarkeit (1995) 196 ff; Frank (Hrsg), Unabhängigkeit und Bindungen des Richters in der Bundesrepublik Deutschland, in Österreich und in der Schweiz2 (1997); Mayr, Jurisdiktionsnorm und Gerichtsorganisation nach 100 Jahren, in Mayr (Hrsg), 100 Jahre österreichische Zivilprozeßgesetze (1998) 43 ff; Steiner/Fleisch, Der „kleine“ Kommerzialrat und die Ungleichbehandlung in der österreichischen Laiengerichtsbarkeit, NZ 1997, 175; Kuderna, Die Entwicklung der Arbeitsgerichtsbarkeit in Österreich, DRdA 1997, 341; Klicka, Gedanken zur Entwicklung der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit, in Mayr (Hrsg), 100 Jahre österreichische Zivilprozeßgesetze (1998) 123; Schopf, Geschäftsverteilung in Konkurssachen, ZIK 2000, 187; Beran/Klaus/Nigl/Pühringer/Rassi/Schramm/Steinhauer, Die ZPO im 21. Jahrhundert, RZ 2002, 8; Fink, Auswirkungen der ZVN 2002 auf das Verfahren in Arbeits- und Sozialrechtssachen, DRdA 2003, 221; Schoibl, Neuerungen im arbeits- und sozialgerichtlichen Verfahren, ZAS 2003, 214. Ballon in Fasching I § 7 JN; Fasching Rz 151, 167 ff, 2252 ff; Bajons Rz 44 ff; Ballon Rz 82 ff, 448 f, 460 f; Buchegger, PraktZPR I 17; Burgstaller, PraktZPR I 522, 528; Holzhammer 35; Kuderna 71, 108, 110, 116, 204; Rechberger/Simotta Rz 54 ff, 1003 ff.

1 Das Gesetz geht (immer noch) davon aus, dass die Gerichtsbarkeit bei den Gerichtshöfen I. Instanz durch Senate ausgeübt wird, obwohl (insb wegen § 7a) die Einzelgerichtsbarkeit heute in erster Instanz den weit überwiegenden Regelfall darstellt (s Rechberger/Simotta Rz 55 FN 9). Eine obligatorische Senatsbesetzung in erster Instanz ist – abgesehen von wenigen Ausnahmen (s unten Rz 4) – nur noch im arbeits- und sozialgerichtlichen Verfahren (in allen Instanzen) vorgesehen (§ 10 ASGG; s unten Rz 7). Aber auch hier ist die Einzelrichterbesetzung stark im Vormarsch (s § 11a ASGG und unten zu § 7a Rz 3). Der Ministerialentwurf einer Zivilverfahrens-Novelle 2001 hatte daher ursprünglich (konsequentermaßen) eine (generelle) Beseitigung der Senatsgerichtsbarkeit in erster Instanz vorgeschlagen. Dieses Vorhaben wurde in der ZVN 2002 jedoch letztlich nicht verwirklicht. Ebenso wenig wurde der Plan des BMJ, die Senatsgerichtsbarkeit (wenigstens) außerhalb der Handelsgerichtsbarkeit zu beseitigen, in der ZVN 2004 umgesetzt. Der Senat wird von seinem Vorsitzenden geleitet. Er verteilt die Geschäfte unter die Senatsmitglieder und bestimmt für die einzelnen Rechtssachen die Berichterstatter (§ 32 Abs 3 GOG, § 21 Geo). Die Par52

1.1 Gerichte und gerichtliche Organe

JN § 7

tei hat kein verfassungsrechtlich gewährleistetes Recht, dass ein bestimmter der im Vorhinein durch die Geschäftsverteilung (s § 19 Geo) festgelegten Richter eines Senates die Sache vorträgt und den Entwurf der Entscheidung verfasst (so SZ 63/24; G. Kodek in Fasching/Konecny III § 260 ZPO Rz 51; anders Piska 85 ff). Der Vorsitzende hat auch selbst Urschriften von Urteilen und Beschlüssen abzufassen. Auch im Senatsprozess sind gewisse Prozesshandlungen und die Erledigung bestimmter Angelegenheiten (jedenfalls) dem Vorsitzenden des Senats oder einem von ihm bestimmten Senatsmitglied als Einzelrichter überlassen. Eine nicht durch das Gesetz gedeckte Handlung des Vorsitzenden (oder eines Senatsmitglieds) allein ist nichtig (§ 477 Abs 1 Z 2 ZPO). Näheres s bei §§ 34 f. Die Zivilsenate der LG sind mit drei Berufsrichtern besetzt. Sie kom- 2 men in allgemeinen Zivilsachen im Rechtsmittelverfahren regelmäßig, in erster Instanz nur dann zum Einsatz, wenn nicht Einzelgerichtsbarkeit besteht (s § 7a). Über Fristsetzungsanträge entscheidet der dem säumigen Gericht übergeordnete GH durch einen Senat von drei Berufsrichtern (§ 91 Abs 3 GOG). Der Begutachtungssenat des GH nach § 36 GOG setzt sich aus dem Präsidenten und sechs weiteren Richtern des GH zusammen. Der Kausalsenat besteht aus zwei Berufsrichtern und einem fachmän- 3 nischen Laienrichter aus dem Handelsstand. Zu diesem Ehrenamt kann jeder unbescholtene Inländer ernannt werden, der infolge seines Berufes über eine genaue Kenntnis des Handels und der dafür geltenden Gesetze und Gewohnheiten verfügt. Er muss das 30. Lebensjahr vollendet haben und darf nicht in der Verwaltung seines Vermögens durch Gesetz oder richterliche Anordnung beschränkt sein. Die Ernennung erfolgt nach Einholung von Vorschlägen der zuständigen Wirtschaftskammer und des Personalsenats des betreffenden GH durch den BMJ im Einvernehmen mit dem BM für wirtschaftliche Angelegenheiten für die Dauer von fünf Jahren. Eine Wiederernennung ist möglich (§ 20 GOG; V RGBl 1897/129). Nach ihrer Vereidigung sind die Laienrichter (mit dem Titel „Kommerzialrat“) Richter im Sinne des B-VG, ihnen kommen dieselben Rechte und Pflichten wie einem Berufsrichters zu. Sie können während ihrer Amtsdauer weder zeitweilig ihres Amtes enthoben noch an eine andere Stelle versetzt werden. Eine Amtsentsetzung ist nur durch das im RDG vorgesehene Verfahren möglich, wenn der fachmännische Laienrichter die Eigenberechtigung verliert, ohne genügende Entschuldigung die Pflichten seines Amtes dauernd vernachlässigt oder wenn er durch ein inländisches Gericht wegen einer mit Bereicherungsvorsatz 53

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Mayr

begangenen oder gegen die Sittlichkeit verstoßenden strafbaren Handlung verurteilt wird (§ 21 Abs 2 GOG). Die Vorschriften über die Ablehnung und Ausschließung von Richtern (§§ 19 ff) gelten auch für Laienrichter. Über eine Ablehnung entscheidet ein aus Berufsrichtern bestehender Senat (auch im arbeitsund sozialgerichtlichen Verfahren [§ 11 Abs 4 ASGG] und in der Kartellgerichtsbarkeit [1 Nc 67/04z = SZ 2004/99]). Zu den fachkundigen Laienrichtern im Bereich der Kartellgerichtsbarkeit s § 8 Rz 2.

4 In erster Instanz verhandelt und entscheidet ein Kausalsenat in Handelssachen (s § 51), sofern nicht Einzelgerichtsbarkeit besteht (s § 7a). Für Klagen und einstweilige Verfügungen nach dem PatentG, dem HalbleiterschutzG und dem GebrauchsmusterG hat jedoch (beim ausschließlich zuständigen HG Wien, s § 51 Rz 12) ohne Rücksicht auf den Streitwert der Kausalsenat zu entscheiden (§ 162 Abs 1 PatG, § 23 Abs 1 HlSchG, § 44 Abs 1 GMG; eine solche Anordnung enthalten § 38 Abs 1 MuSchG und § 24 Abs 2 SortenschutzG 2001 nicht). Für Verbandsklagen nach dem KSchG ist § 7 Abs 2 erster Satz (und § 8 Abs 2) nicht anzuwenden (§ 30 Abs 2 KSchG); es entscheiden also nur Berufsrichter (s auch 3 Ob 246/98t = SZ 72/81). Im Exekutionsverfahren werden fachmännische Laienrichter grundsätzlich nicht beigezogen (§ 50 EO; abweichend aber § 388 Abs 2 und 3 EO für bestimmte einstweilige Verfügungen, dazu EvBl 1991/39 = RZ 1991/75, 257 und § 7a Rz 4). Dies gilt nach neuerer Rsp jedoch nicht für exekutionsrechtliche Rechtsstreitigkeiten oder für die mit einem Exekutionsverfahren in Zusammenhang stehenden Zivilprozesse (SZ 45/64 = EvBl 1972/322 = ÖBl 1973, 63; RZ 1975/51, 116; EvBl 1986/ 158 = DRdA 1986, 430 [Fink] = RdW 1986, 154; Jakusch in Angst § 50 EO Rz 2). Auch im Insolvenz- und im Außerstreitverfahren gibt es (regelmäßig) keine Laienrichterbeteiligung. In zweiter Instanz kommt der Kausalsenat nur im Hauptverfahren vor dem Berufungsgericht zum Einsatz; also nicht im berufungsgerichtlichen Vorverfahren (vgl RZ 1984/60, 183) oder im Rekursverfahren. Außerdem muss das Urteil des Erstgerichtes (sofern es sich nicht um das BGHS Wien handelt) einen ausdrücklichen Beisatz über die Ausübung der Gerichtsbarkeit in Handelssachen (s § 446 ZPO) enthalten, ansonst entscheiden drei Berufsrichter (JBl 1976, 208 = RZ 1976/56, 97). Die (derzeit) geltenden Vorschriften bewirken, dass der Laienbeteiligung in Handelssachen – jedenfalls außerhalb Wiens – keine praktische Bedeutung (mehr) zukommt. Unabhängig von der grundsätzlichen Einstellung zur Laienbeteiligung (in Zivilsachen) ist somit festzustellen, dass die rechtstatsächliche Situation in einem auffallenden 54

1.1 Gerichte und gerichtliche Organe

JN § 7

Missverhältnis zum großen legistischen Aufwand steht, den diese Einrichtung verursacht. Eine Reform (in die eine oder andere Richtung) erscheint daher de lege ferenda geboten (vgl Mayr in Mayr, 100 Jahre 45 oder Beran ua, RZ 2002, 9 f), ist aber in den ZVN 2002 und 2004 nicht realisiert worden (s oben Rz 1). Zivilsenat und Kausalsenat stehen zueinander im Verhältnis der sach- 5 lichen Zuständigkeit (hM, etwa Fasching Rz 173, 253; s auch §§ 61 ff; aus verfassungsrechtlicher Sicht kritisch Piska 308 ff), eine unrichtige Besetzung bewirkt hier also eine prorogable Unzuständigkeit. Die Frage, ob ein Einzelrichter oder der Senat zur Entscheidung berufen ist, bildet hingegen keine Zuständigkeits-, sondern eine Besetzungsfrage, weshalb auch § 45 nicht anwendbar ist (SZ 51/152; RZ 1981/60, 229). Systemwidrig behandelt jedoch § 37 Abs 1 ASGG das Verhältnis zwischen Zivil- bzw Handelssenat (oder Einzelrichter) und arbeits- und sozialrechtlichem Senat desselben GH (und umgekehrt) als unrichtige Gerichtsbesetzung (so auch EvBl 1990/90 = RdW 1990, 261 = RZ 1990/51, 102; OLG Innsbruck EvBl 1994/82), weshalb ein solcher Beschluss nicht den Anfechtungsbeschränkungen des § 45 unterliegt (etwa 4 Ob 223/99v = SZ 72/142 = EvBl 2000/43; 9 ObA 5/01b = Arb 12.080). Das LGZ Wien, das HG Wien und das ASG Wien stehen hingegen zueinander im Verhältnis der sachlichen (Un-) Zuständigkeit (9 ObA 1/ 92 = wbl 1992, 195; s Rechberger/Simotta5 Rz 1006 und Ballon, JBl 1987, 351 ff sowie zu Recht kritisch Fasching in FG 8). Auch dort betrachten aber Teile der Rsp (OLG Wien EFSlg 66.854, anders aber 9 ObA 200, 201/91 = RZ 1993/26, 77 ua) das Verhältnis von allgemeinem Zivilgericht (bzw HG) zum ASG Wien jedenfalls insofern als Besetzungsfrage als sie hier den Rechtsmittelausschluss des § 45 für nicht anwendbar erklären (zur Problematik s etwa Kuderna, DRdA 1997, 345; G. Kodek in Fasching/Konecny III § 260 ZPO Rz 36 und § 45 Rz 4). Eine vorschriftswidrige Besetzung – ausgenommen wenn an Stelle des 6 Einzelrichters ein Senat entschieden hat – bildet einen (relativen) Nichtigkeitsgrund (§ 477 Abs 1 Z 2 und Abs 3 ZPO), der aber nicht mehr berücksichtigt werden kann, wenn sich beide Parteien in die mündliche Streit- (bzw Berufungs-)Verhandlung (vorbereitende Tagsatzung) oder in die abgesonderte Verhandlung über Prozesseinreden eingelassen haben, ohne diesen Mangel geltend zu machen (§ 260 Abs 4 ZPO). Näheres dazu und zur Abgrenzung zu einem Nichturteil s zu §§ 260–261 ZPO Rz 15 ff und § 477 ZPO Rz 5. In Arbeits- und Sozialrechtssachen setzt sich der Senat des LG bzw 7 des ASG Wien aus einem Berufsrichter als Vorsitzendem und je einem 55

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Mayr

fachkundigen Laienrichter aus dem Kreis der Arbeitgeber und dem Kreis der Arbeitnehmer zusammen (§ 11 Abs 1 ASGG). Zu den Grundsätzen der Senatsbildung s § 12 ASGG; dazu krit K. Korinek in Korinek/ Holoubek (Hrsg), Österreichisches Bundesverfassungsrecht zu Art 91/ 1 B-VG Rz 15. Den fachkundigen Laienrichtern kommen alle Rechte und Pflichten eines Richters (Senatsmitglieds) zu (§ 16 ASGG); sie sind in Ausübung ihres Amtes unabhängig, (grundsätzlich) unabsetzbar und unversetzbar (die Amtsenthebungsgründe sind in § 30 ASGG angeführt). Sie werden zu diesem Ehrenamt für die Dauer von fünf Jahren in einem komplizierten Verfahren von Wahlkörpern ihrer gesetzlichen Berufsund Interessenvertretungen gewählt (s §§ 18 ff ASGG). Für arbeitsrechtliche Prüfungsprozesse sind nach der Anfügung des Satz 2 an § 111 Abs 1 KO, gleichgültig ob die Klage vor oder nach der Konkurseröffnung eingebracht wurde, die Arbeits- und Sozialgerichte zuständig und die Bestimmungen des ASGG anzuwenden (eingehend Fink, ASGG 237 und Konecny in Konecny/Schubert § 111 KO Rz 7). Ebenso sind die Arbeits- und Sozialgerichte (seit 1.1.1995) für Oppositions- und Impugnationsklagen zuständig, wenn der Exekutionstitel von einem solchen Gericht in einer Arbeitsrechtssache nach § 50 ASGG ergangen ist (§ 35 Abs 2 Satz 2 und § 36 Abs 2 Satz 2 EO). Über Exszindierungsklagen entscheidet hingegen das nach § 37 Abs 3 EO zuständige Gericht (regelmäßig das Exekutionsgericht) nach den Bestimmungen der ZPO (dazu Fink, ASGG 230, 234, 235; Kuderna 72). Wiederaufnahmsklagen, die die Wiederaufnahme eines arbeitsrechtlichen Rechtsstreits zum Gegenstand haben, gehören vor den arbeits- und sozialrechtlichen Senat (SZ 64/172 = Arb 10.998).

8 Für die unrichtige Gerichtsbesetzung trifft § 37 ASGG folgende (komplizierte) Sonderregelungen: Ein Verstoß gegen § 12 Abs 2, 3 erster Halbsatz oder 4 bis 6 ASGG (insb die fachkundigen Laienrichter gehören nicht der Berufsgruppe der Streitparteien an) oder gegen § 26 Abs 4 ASGG (Beiziehung eines Laienrichters, der einem anderen Vorsitzenden zugeordnet ist) kann als bloße Ordnungswidrigkeit nicht geltend gemacht werden. Ansonsten bildet ein Besetzungsfehler einen Nichtigkeitsgrund nach § 477 Abs 1 Z 2 ZPO, sofern nicht § 477 Abs 3 ZPO (statt Einzelrichter hat Drei-Richter-Senat entschieden) oder § 11a Abs 4 ASGG (statt dem Vorsitzendem oder dem Dreiersenat hat ein ASGG-Senat entschieden) eingreift. Eine Heilung dieses Fehlers nach § 260 Abs 4 ZPO tritt nur dann ein, wenn beide Parteien zur Zeit des Verstoßes durch qualifizierte Personen iSd § 40 Abs 1 ASGG vertreten und diese Vertreter auch tatsächlich anwesend waren (RZ 1988/25, 113 = SVSlg 33.975; RZ 1989/54, 140). Eine 56

1.1 Gerichte und gerichtliche Organe

JN § 7

Heilung im Berufungsverfahren setzt daher eine mündliche Berufungsverhandlung voraus (s SSV-NF 1/31 = SVSlg 34.104; SZ 60/233 = SVNF 1/51 = RZ 1988/32, 139; SSV-NF 2/56 = SVSlg 33.978; 10 ObS 243/ 03p). Haben qualifiziert vertretene oder nachweisbar belehrte unvertretene Parteien auf die Beiziehung fachkundiger Laienrichter verzichtet, kann die unrichtige Besetzung im Rechtsmittelverfahren nicht mehr berücksichtigt werden (so SSV-NF 4/35 und OLG Innsbruck Arb 10.961; vgl § 11b Abs 1 ASGG). Ein heilbarer Besetzungsfehler liegt immer dann vor, wenn gegen § 11 (oder § 12 Abs 1 oder 3 zweiter Halbsatz) ASGG verstoßen wird, also auch, wenn die Zahl der Richter oder fachkundigen Laienrichter über- oder unterschritten wird (Arb 10.713 = DRdA 1989, 303 [im Ergebnis zust Fink] = RdW 1990, 26; OLG Innsbruck Arb 10.961; vgl Kuderna 206 ff; aM Fasching Rz 173, 1578, 2254; vgl auch § 260 ZPO Rz 18). Heilbar ist auch ein Verstoß gegen § 11b ASGG, also wenn eine Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung durch den Vorsitzenden allein durchgeführt worden ist, obwohl die Voraussetzungen dafür nicht erfüllt waren. Nicht erfasst ist allerdings eine Verletzung des § 11b Abs 2, 2. Halbsatz ASGG, wenn also der die Verhandlung allein durchführende Vorsitzende auch das Urteil gefällt hat (Fink, ASGG 54, 82 f; vgl auch RZ 1990/51, 102). Nicht heilbar ist, wenn der Vorsitzende (bzw der Dreiersenat beim OLG) unzulässigerweise allein (bzw ohne Laienrichter) entscheidet, obwohl die Voraussetzungen des § 11a ASGG (unten § 7a Rz 3) nicht vorliegen (SZ 68/139 = SSV-NF 9/68 = SVSlg 44.253; Arb 11.541 = ÖJZLSK 1997/101; Kuderna 117). Eine (selbstredend unheilbare) Nichtentscheidung ist jedoch dann gegeben, wenn an ihrem Zustandekommen eine (oder mehrere) Personen mitgewirkt haben, die weder Berufs- noch Laienrichter (also „Nichtrichter“) sind, oder wenn die Entscheidung überhaupt nur von Laienrichtern gefällt worden ist (Fink, DRdA 1989, 306). Wird die Richtigkeit der Gerichtsbesetzung (von Amts wegen oder von den Parteien) bezweifelt, so hat das Gericht – soweit ein etwaiger Besetzungsmangel nicht bereits geheilt ist – mit Beschluss auszusprechen, in welcher Gerichtsbesetzung das Verfahren fortzuführen ist. Dabei ist in Analogie zu § 40a der Inhalt des Begehrens und des Vorbringens (nur) der (klagenden) Partei maßgeblich (EvBl 1990/90 = RdW 1990, 261 = RZ 1990/51, 102; OLG Innsbruck EvBl 1994/82; s aber § 40a Rz 2). Sofern die anspruchsbegründenden und die die Gerichtsbesetzung begründenden Tatsachen jedoch nicht zusammenfallen, ist auch auf die Einwendungen des Beklagten Bedacht zu nehmen (4 Ob 223/99v = SZ 72/142 = EvBl 2000/43 = ecolex 2000/129, 306; 9 ObA 68/ 03w = Arb 12.348). 57

§ 7a

Mayr

Wird sofort in der Hauptsache weiterverhandelt, ist dieser Beschluss nicht gesondert auszufertigen und erst mit dem Rechtsmittel gegen die Endentscheidung in der Hauptsache anfechtbar. Andernfalls ist der Beschluss sofort auszufertigen und selbständig sowie ohne die Beschränkung des § 45 mit einem einseitigen (9 ObA 68/03w = Arb 12.348 oder 9 ObA 1/04v = Arb12.405) Rekurs anfechtbar (4 Ob 223/99v = SZ 72/ 142 = EvBl 2000/43; 1 Ob 2096/96h = RZ 1997/61, 197; 9 ObA 5/01b = Arb 12.080; G. Kodek in Fasching/Konecny III § 260 ZPO Rz 36), wobei für die Besetzung des Rekursgerichtes die Besetzung des Erstgerichtes maßgeblich ist (OLG Innsbruck EvBl 1994/82; RZ 1996/57, 204). Ändert sich durch den Beschluss die Gerichtsbesetzung, so ist nach § 412 Abs 2 ZPO die Verhandlung mit Benützung der Klage, der zu den Akten gebrachten Beweise und des Verhandlungsprotokolls von neuem durchzuführen. A limine gefasste Besetzungsbeschlüsse nach § 37 ASGG binden den Beklagten nicht und können von ihm auch nicht angefochten werden (anders noch 9 ObA 147/91 = EvBl 1992/60 = Arb 10.986; 8 ObA 134/98h = Arb 11.747 = SVSlg 47.218; s aber § 42 Rz 12). Dabei ist es irrelevant, ob die anspruchsbegründenden und die besetzungsrelevanten Tatsachen zusammenfallen. Diese Frage ist nur dafür entscheidend, welche Einwände der Beklagte in dem nach der Zustellung der Klage eingeleiteten Verfahren erheben kann (so zutreffend 9 Ob 6/04d = SZ 2004/10 gegen 5 Ob 1/01k). § 7a. (1) In Rechtsstreitigkeiten über vermögensrechtliche Ansprüche, die vor die Gerichtshöfe erster Instanz gehören, entscheidet ein Mitglied des Gerichts als Einzelrichter nach den Vorschriften für das Verfahren vor den Gerichtshöfen erster Instanz. (2) Übersteigt jedoch der Wert des Streitgegenstands an Geld oder Geldeswert (§§ 54 bis 60) den Betrag von 50 000 Euro, so entscheidet der Senat, wenn dies eine der Parteien beantragt; diesen Antrag hat der Kläger in der Klage, der Beklagte in der Klagebeantwortung zu stellen; wird der Streitwert erst nachträglich über diesen Betrag erweitert, so kann der Antrag nicht mehr gestellt werden. Wird nachträglich der Streitwert vor dem Schluß der mündlichen Streitverhandlung auf oder unter diesen Betrag eingeschränkt oder der Antrag auf Senatsbesetzung mit Zustimmung des Gegners bis zu diesem Zeitpunkt zurückgezogen, so tritt an die Stelle des Senats der Vorsitzende oder das sonst in der Geschäftsverteilung bestimmte Mitglied dieses Senats. (3) In Angelegenheiten der außerstreitigen Gerichtsbarkeit, über Anträge auf Erlassung von Zahlungsaufträgen im Mandats58

1.1 Gerichte und gerichtliche Organe

JN § 7a

verfahren und im Verfahren in Wechselstreitigkeiten, ferner über die Bestätigung der Vollstreckbarkeit und ihre Aufhebung sowie über Anträge auf Exekutionsbewilligung entscheidet beim Gerichtshof in erster Instanz jedenfalls der Einzelrichter. (4) Besondere Vorschriften, die die Entscheidung des Gerichtshofs erster Instanz durch den Senat vorsehen, bleiben durch die in den Abs 1 und 2 getroffene Regelung unberührt. [Fassung ZVN 1983, WGN 1997 und 2. Euro-JuBeG BGBl I 2001/ 98; Abs 3 idF Art I Z1a ZVN 2004] Lit wie zu § 7. In vermögensrechtlichen Streitigkeiten entscheidet beim GH grund- 1 sätzlich ein Einzelrichter. Nur wenn der Streitwert (im Zeitpunkt der Antragstellung) 50.000 Euro (früher 650.000 S) übersteigt und der Kläger in der Klage oder der Beklagte (spätestens) in der Klagebeantwortung einen entsprechenden Antrag stellt, entscheidet ein (Zivil- oder Kausal-) Senat. Auch bei einer nachträglichen Erhöhung des Streitwertes über die Senatsgrenze ist ein späterer Antrag auf Senatsbesetzung nicht mehr zulässig (Details dazu bei Ballon in Fasching I § 7a Rz 5 ff). Sinkt hingegen der Streitwert vor Schluss der mündlichen Streitverhandlung auf oder unter 50.000 Euro oder wird der Antrag einvernehmlich zurückgezogen, so führt der Vorsitzende des Senats (oder der nach der Geschäftsverteilung zuständige Richter) den Prozess als Einzelrichter weiter. Werden Ansprüche, die vor den Einzelrichter gehören, mit solchen verbunden, die vor den Senat gehören, so entscheidet über sämtliche Ansprüche der Senat (§ 227 Abs 2 ZPO). Für die Berechnung des Streitwertes gelten die §§ 54 bis 60 und insb § 55 Abs 1 bis 3 (§ 55 Abs 4). Für Entschädigungsansprüche nach dem FinStrG entscheidet jedoch gem § 192 Abs 2 FinstrG (idF BGBl 1975/335) „ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes“ jedenfalls der Senat (s Seiler/ Seiler, Finanzstrafgesetz [2004] § 192 Rz 4 ff). Die einschränkende Wendung „unbeschadet des § 7a JN“ ist nur vor dem Hintergrund der damals geltenden Fassung der zit Vorschrift verständlich, welche die Möglichkeit einer Vereinbarung der Einzelgerichtsbarkeit durch die Parteien vorgesehen hat (s 1130 BlgNR 13. GP 89). Die geltende Regelung des FinStrG ist freilich heute reformbedürftig (so auch Dorazil/ Harbich, Finanzstrafgesetz § 192 Anm 2). Jedenfalls von einem Einzelrichter entschieden werden die in Abs 3 2 aufgezählten Rechtssachen, wobei zu bemerken ist, dass seit der EONov 1995 für die Exekutionsbewilligung das Exekutionsgericht (also 59

§ 7a

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ein BG) zuständig ist (§ 4 EO; s aber auch § 375 EO). Durch die ZVN 2004 wurde klargestellt, dass in allen Angelegenheiten der außerstreitigen Gerichtsbarkeit – sofern sie überhaupt vor den Gerichtshof gehören (s § 104a) und nicht ausdrücklich Abweichendes angeordnet wird – jedenfalls der Einzelrichter entscheidet (s früher SZ 64/21 = EvBl 1991/92). Keiner Beschlussfassung des Senates bedürfen außerdem die in § 37 GOG (idF ZVN 2004) aufgezählten Geschäfte (s §§ 34 f Rz 3 und detailliert Ballon in Fasching I § 7 Rz 3). Schließlich verhandelt und entscheidet die gem § 79 oder § 94 Abs 2 vor einen GH gebrachten (bezirksgerichtlichen) Rechtsstreitigkeiten ein Einzelrichter (Art XIV EGJN).

3 § 7a Abs 1 und 2 ist im arbeits- und sozialgerichtlichem Verfahren nicht anzuwenden (§ 11 Abs 3 ASGG). Es hat also unabhängig vom Streitwert und von Anträgen der Parteien grundsätzlich der Senat zu entscheiden (§ 10 ASGG). § 7a Abs 3 und sonstige Bestimmungen über die Aufgaben des Vorsitzenden (insb § 37 GOG) bleiben aber unberührt. Diese „Grundregel“ wird jedoch seit der ASGG-Nov 1994 durch den neu eingefügten § 11a Abs 1 ASGG durchbrochen, dessen Anwendungsbereich von der ZVN 2002 entscheidend ausgeweitet worden ist: Nunmehr kann der Senatsvorsitzende allein nicht nur über die Bewilligung gerichtlicher Aufkündigungen etc entscheiden (Abs 1 Z 1), einen Vergleichsversuch unternehmen (Abs 1 Z 2) und einen Zahlungsbefehl erlassen (§ 56 ASGG), sondern auch alle Beschlüsse (in und außerhalb der mündlichen Verhandlung) mit Ausnahme von Endbeschlüssen fassen sowie einstweilige Verfügungen erlassen (Abs 1 Z 3). Durch diese vereinfachende Neuregelung sind viele frühere Zweifels- und Abgrenzungsfragen hinfällig geworden. Dem (vorsitzenden) Berufsrichter kommt jetzt die Befugnis zu, sämtliche Beschlüsse, die nicht über die Sache selbst ergehen (ausgenommen Endbeschlüsse), allein (ohne Laienrichter) zu fällen. Die Laienrichter entscheiden somit im Senat in erster Instanz (nur noch) über die Sache selbst (mit Urteil oder dem Endbeschluss im Besitzstörungsverfahren) sowie in zweiter und dritter Instanz über Rechtsmittel, die auf Grund der Anfechtung einer solchen erstinstanzlichen Senatsentscheidung gefällt werden (Abs 2 und 3). Entscheidet in erster Instanz statt des Einzelrichters ein Berufsrichter- oder ein ASGG-Senat, so liegt kein Nichtigkeitsgrund vor (§ 477 Abs 3 ZPO, § 11a Abs 4 ASGG). Wenn ein (oder beide) Laienrichter nicht zur mündlichen Streitverhandlung erscheinen und kein Ersatzrichter greifbar ist, kann der Vorsitzende nach § 11b Abs 1 ASGG die Verhandlung auch allein durchführen, wenn beide Parteien qualifiziert vertreten sind und dem ausdrücklich zustimmen. Die fehlende qualifizierte Vertretung (nach 60

1.1 Gerichte und gerichtliche Organe

JN § 8

§ 40 Abs 1 ASGG) einer oder beider Parteien kann nunmehr (seit der ZVN 2002) nach dem Vorbild des § 104 Abs 3 durch eine einschlägige, im Verhandlungsprotokoll festzuhaltende Belehrung durch den Vorsitzenden ersetzt werden. Ein Urteil oder einen Endbeschluss darf der Vorsitzende freilich nicht (allein) fällen (zu den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Regelung s Kuderna, DRdA 1997, 344 f und Klicka in Mayr, 100 Jahre 126 ff). Nicht nur im Außerstreit- und im Exekutionsverfahren, sondern auch 4 im Insolvenzverfahren (§ 172 Abs 1, § 179 Z 1 KO; § 76 Abs 2, § 77 AO) gilt grundsätzlich Einzelgerichtsbarkeit. Auch über Anträge, die sich auf einstweilige Verfügungen beziehen, entscheidet grundsätzlich der Einzelrichter (Vorsitzender des Senats, § 388 Abs 1 EO; dazu König, EV Rz 3/31 ff). Dies gilt seit der ZVN 2002 auch im arbeits- und sozialgerichtlichen Verfahren unabhängig von der Dringlichkeit des Provisorialverfahrens (§ 11a Abs 1 Z 3 ASGG), wodurch einige (verfahrensverzögernde) Streitfragen hinfällig geworden sind. Über einstweilige Verfügungen nach § 387 Abs 3 EO (unlauterer Wettbewerb [dazu 4 Ob 185/02p = RdW 2003/382, 450 = ÖBl 2003, 186], UrheberrechtsG, §§ 28 bis 30 KSchG) entscheidet jedoch der Senat in der für die Hauptsache vorgesehenen Zusammensetzung (RdW 1998, 367). In dringenden Fällen (s OLG Wien ARD 4987/ 10/98) kann allerdings auch hier der Vorsitzende des Senats allein entscheiden (§ 388 Abs 2 EO). Für die Besetzung des Rekursgerichtes ist dann wesentlich, ob das Erstgericht (soweit es sich nicht um das HG Wien handelt) einen Beisatz über die Ausübung der Gerichtsbarkeit in Handels- bzw in Arbeits- und Sozialrechtssachen in die Entscheidung aufgenommen hat (EvBl 1987/207 = wbl 1987, 280; ÖBl 1990, 34). Für einstweilige Verfügungen nach dem PatentG, dem HalbleiterschutzG und dem GebrauchsmusterG ist durchwegs kausale Senatsgerichtsbarkeit vorgesehen (§ 162 Abs 1 PatG, § 23 Abs 1 HlSchG, § 44 Abs 1 GMG). Von diesem selbständigen Einzelrichter ist zu unterscheiden der un- 5 selbständige Einzelrichter, der gewisse, genau bestimmte Geschäfte teils mit, teils ohne Entscheidungsbefugnis erledigt (s bei §§ 34 ff). § 8. (1) Bei den Oberlandesgerichten wird die Gerichtsbarkeit in bürgerlichen Rechtssachen, sofern nicht durch die Vorschriften über die innere Einrichtung und die Geschäftsordnung der Gerichte etwas anderes angeordnet ist, in Senaten von drei Richtern ausgeübt, von denen einer den Vorsitz führt. 61

§8

Mayr

(2) Soweit die Oberlandesgerichte über Berufungen gegen die in Ausübung der Gerichtsbarkeit in Handelsrechtssachen gefällten Urteile der Landes- und Handelsgerichte nach den Vorschriften der §§ 480 bis 500 ZPO entscheiden, wird die Stelle eines Mitgliedes des Berufungssenates durch einen fachmännischen Laienrichter aus dem Handelsstande versehen. (3) In welcher Art die Gerichtsbarkeit in bürgerlichen Rechtssachen bei dem Obersten Gerichtshofe auszuüben ist, wird durch ein besonderes Statut bestimmt. [Abs 1 idF 3. GEN; Abs 2 eingefügt durch 8. GEN und geändert durch ZVN 1983 sowie BGBl 1993/91; sonst Stammfassung] Lit wie zu § 7 und Huber, Das Evidenzbüro des Obersten Gerichtshofes, RZ 1976, 169; Graff, OGH-Judikatur muss zugänglich sein, AnwBl 1990, 115; Mayr, Die OGH-Gesetz-Novelle, JAP 1990/91, 175; Steininger, 150 Jahre Oberster Gerichtshof in Wien, RZ 1998, 262; Walter, Die Funktion der Höchstinstanzen im Rechtsstaat, RZ 1999, 58; Thiele, Die Publikation von Gerichtsentscheidungen im Internet, RZ 1999, 215; Feldner, Verstärkte Senate beim Obersten Gerichtshof (2001); Felzmann, Der Oberste Gerichtshof heute – unter besonderer Beachtung der europarechtlichen Einflüsse auf seine Organisation und Rechtsprechung, JRP 2001, 1; ders, Sind die Beisitzer des Kartellobergerichtes unabhängige Richter oder Vollstrecker des Willens der sie entsendenden Körperschaften? FS Barfuß (2002) 29; Felzmann/Danzl/ Hopf, Oberster Gerichtshof (2002).

1 Oberlandesgerichte bestehen in Wien (für Wien, Niederösterreich und das Burgenland), Graz (für die Steiermark und Kärnten), Linz (für Oberösterreich und Salzburg) und Innsbruck (für Tirol und Vorarlberg). Sie entscheiden als Berufungs- oder Rekursgerichte in einem (Zivil-) Senat von drei Berufsrichtern (ebenso über Fristsetzungsanträge nach § 91 Abs 3 GOG). Der Kausalsenat mit zwei Berufsrichtern und einem fachmännischen Laienrichter kommt zwingend (SZ 48/12) zum Einsatz im Berufungshauptverfahren (auch bei Exekutionsklagen s zu § 7 Rz 4) gegen Urteile des HG Wien oder eines LG als Handelsgericht (mit einem entsprechenden Beisatz; s EvBl 1987/207 = wbl 1987, 280). Ausnahmsweise bestimmt allerdings § 388 Abs 3 EO, dass bei den in § 387 Abs 3 EO erwähnten einstweiligen Verfügungen (wegen unlauteren Wettbewerbs, nach dem UrhG und §§ 28 bis 30 KSchG) der Senat auch im Rekursverfahren in der für die Hauptsache vorgesehenen Besetzung (also mit einem fachmännischen Laienrichter, s § 7a Rz 4) zu entscheiden hat (s auch § 162 Abs 1 PatG, § 23 Abs 1 HlSchG, § 44 Abs 1 GMG; vgl auch 4 Ob 185/02p = RdW 2003/382, 450 = ÖBl 2003, 186). 62

1.1 Gerichte und gerichtliche Organe

JN § 8

Dies gilt freilich nur für die E in der Sache selbst, nicht etwa für einen Kostenrekurs (OLG Wien EvBl 1985/2; OLG Graz EvBl 1986/164). Auch über Rechtsmittel gegen einstweilige Verfügungen eines Arbeitsund Sozialgerichtes entscheidet nunmehr (seit der ZVN 2002) immer ein Dreiersenat des OLG (§ 11a Abs 2 ASGG). Im Rechtsmittelverfahren über Verbandsklagen wird kein Laienrichter beigezogen (§ 30 Abs 2 KSchG; s 3 Ob 246/98t = SZ 72/81). Das OLG Wien als Kartellgericht (für das ganze Bundesgebiet, s § 1 2 Rz 2) ist (seit der Novelle BGBl I 2002/62) mit einem Senat aus einem Richter als Vorsitzenden, einem weiteren Richter und zwei fachkundigen Laienrichtern („Kommerzialräten“) besetzt (§ 59 Abs 1 Z 1 KartG 2005); bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden (§ 63 KartG 2005). Die einfachen Senate des OGH als Kartellobergericht bestehen (nunmehr) aus einem Richter als Vorsitzenden, zwei weiteren Richtern und zwei fachkundigen Laienrichtern, der verstärkte Senat aus sieben Richtern und zwei fachkundigen Laienrichtern (§ 59 Abs 1 Z 2 und 3 KartG 2005). Näheres über die Stellung, Ernennung, Amtsdauer und Amtsenthebung dieser fachkundigen Laienrichter (im Unterschied zu jenen nach dem ASGG) enthalten die §§ 64 ff KartG 2005 (bzw früher §§ 94 ff KartG 1988). Die im § 37 Z 1 bis 8 GOG bezeichneten Geschäfte und Erledigungen (s §§ 34 f Rz 3) bedürfen auch bei den OLG keiner Beschlussfassung des Senates (§ 47 Abs 2 GOG). Als Dienst- und Disziplinargericht für Richter entscheidet das OLG in einem Senat von fünf Berufsrichtern (§§ 93, 112 RDG). Die OLG entscheiden in Arbeits- und Sozialrechtssachen in einem 3 Senat aus drei Berufs- und zwei fachkundigen Laienrichtern (§ 11 Abs 1 ASGG) (nur noch) über Rechtsmittel gegen Entscheidungen, die schon in erster Instanz von einem Senat gefällt worden sind, also über Berufungen gegen Urteile und über Rekurse gegen Endbeschlüsse. Auch Aufhebungsbeschlüsse des Berufungsgerichts nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO sind von einem Fachsenat zu fällen (Fink, DRdA 2003, 223). Wenn in erster Instanz unnötigerweise ein Senat entschieden hat, so soll nach der E 10 ObS 136/95 = SZ 68/139 = SSV-NF 9/68 (sowie 10 ObS 40/01g = SVSlg 49.992) auch in zweiter Instanz ein gemischter Senat nach § 11 Abs 1 ASGG entscheiden. Diese Auffassung ist jedoch durch die Neufassung des § 11a Abs 2 ASGG im Rahmen der ZVN 2002 überholt. In allen anderen Fällen entscheidet beim OLG ein Senat aus drei Berufsrichtern (§ 11a Abs 2 ASGG idF ZVN 2002). Insb besteht (auch) bei Ablehnungs- (und Delegations-) Entscheidungen der Senat lediglich aus drei Berufsrichtern (§ 11 Abs 4 ASGG und § 31 Rz 5). 63

§8

Mayr

4 Nach Art 92 Abs 1 B-VG ist der OGH oberste Instanz in Zivil- und Strafsachen, was allgemein (nur) als eine Bestandsgarantie des OGH und als Verbot aufgefasst wird, eine (weitere) Instanz über dem OGH zu errichten. Es ist dem (einfachen) Gesetzgeber jedoch nicht verwehrt, den Instanzenzug zu beschränken (auch nicht nach der EMRK: SZ 64/ 1 = JBl 1991, 597; 1 Ob 362/97k = SZ 70/246; 6 Ob 44/99k = EvBl 1999/ 159 = ZfRV 1999, 193; 8 Ob 160/00p = MietSlg 53.788 ua), allerdings darf durch solche Maßnahmen die Bedeutung des OGH als oberste Instanz nicht entscheidend eingeschränkt werden (Walter/Mayer, Grundriß9 Rz 766; s auch St. Korinek in Korinek/Holoubek, Österreichisches Bundesverfassungsrecht Art 92 B-VG Rz 16 ff). Da es sich um eine Entscheidung der höchsten Instanz handelt, ist eine Entscheidung des OGH im innerstaatlichen Instanzenzug keinesfalls mehr überprüfbar (1 Ob 287/01i [Berichtigungsantrag]; 7 N 523/99 [Ablehnungsantrag]).

5 Die Organisation und Besetzung des OGH wird im OGHG (idF BGBl I 2001/95) geregelt. Die Geschäftsordnung über den inneren Geschäftsbetrieb des OGH ist bei Felzmann/Danzl/Hopf 91 ff, veröffentlicht und auch auf dessen Homepage (www.ogh.gv.at) abrufbar. Der OGH entscheidet in der Regel durch einfache Senate, die (auch in Handelssachen) aus fünf Berufsrichtern bestehen (§ 6 OGHG). Dreiersenate aus drei Berufsrichtern entscheiden – abgesehen von Fristsetzungsanträgen (§ 91 Abs 3 GOG) – ua über Ordinationen, Delegationen und Übertragungen der Zuständigkeit nach § 111 (§ 7 Abs 1 OGHG). Jedoch kann jeder Richter die Erledigung durch den einfachen Senat verlangen (§ 7 Abs 2 OGHG). Über das Recht auf Akteneinsicht entscheidet der Senatsvorsitzende allein (§ 5 Abs 1 OGHG). Der einfache Senat wird durch sechs weitere (Berufs-) Richter verstärkt, wenn er mit Beschluss ausspricht, dass die Entscheidung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung ein Abgehen von der ständigen Rechtsprechung des OGH oder von der in dieser Rechtsfrage zuletzt ergangenen Entscheidung eines verstärkten Senats bedeuten würde oder dass eine zu lösende Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung in der Rechtsprechung des OGH nicht einheitlich beantwortet worden ist (§ 8 Abs 1 OGHG; dazu eingehend Feldner, Verstärkte Senate 41 ff). Es handelt sich um ein Instrument, um die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu sichern, sohin um Rechtssicherheit zu gewährleisten (Felzmann/Danzl/Hopf 55). Den Parteien steht nach hM hinsichtlich eines verstärkten Senates kein Antragsrecht zu; ein dennoch gestellter Antrag ist als bloße Anregung aufzufassen (Felzmann/Danzl/ Hopf 56 mwN). Zur Abgrenzung von der Rechtsfrage mit „erheblicher Bedeutung“ iSd § 502 Abs 1 ZPO s dort Rz 11. 64

1.1 Gerichte und gerichtliche Organe

JN § 8

In Arbeits- und Sozialrechtssachen setzt sich der einfache Senat des OGH aus drei Berufs- und zwei fachkundigen Laienrichtern zusammen. Der Dreiersenat besteht aus drei Berufsrichtern, der verstärkte Senat aus sieben Berufsrichtern und vier fachkundigen Laienrichtern (§ 11 Abs 2 ASGG). Der Dreiersenat hat neben den sonst in § 7 Abs 1 OGHG genannten Angelegenheiten auch in den Fällen des § 11a Abs 3 ASGG zu entscheiden, also in jenen verfahrensrechtlichen Fragen, die schon in erster Instanz dem Senatsvorsitzenden und in zweiter Instanz einem Dreiersenat des Oberlandesgerichtes zur Entscheidung zugewiesen sind (s oben Rz 3 und § 7a Rz 3). Vorgesehen sind ferner – außerhalb seiner eigentlichen Funktion als Höchstgericht – noch (aus sieben Mitgliedern bestehende) Begutachtungssenate (§ 11 OGHG) und die von allen Mitgliedern gebildete Vollversammlung des OGH (§§ 9 f OGHG). § 14 OGHG bildet die gesetzliche Grundlage für das Evidenzbüro des 6 OGH, dessen wichtigste Aufgabe in der Erfassung und Aufbereitung von OGH-Entscheidungen im Rahmen einer allgemein zugänglichen, elektronischen Datenbank besteht (zur ursprünglich karteimäßigen Registrierung s Huber, RZ 1976, 170; WR 1987, 18/2). Weitere Bestimmungen zum Evidenzbüro enthalten die §§ 72 bis 76 OGH-Geo 2002 (abgedruckt in Felzmann/Danzl/Hopf 91 ff). Während die Entscheidungsdokumentation ursprünglich nur Zwecken des internen Amtsbetriebes (s Huber, RZ 1976, 169) diente, ist sie heute unter der Bezeichnung „Judikatur Justiz (OGH, OLG, LG)“ in das Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS) eingebettet und unter der Internetadresse http://www.ris.bka.gv.at iSd § 15a Abs 1 OGHG kostenlos für die Allgemeinheit zugänglich (zur früheren Rechtslage s VfGH VfSlg 12.409/1990 und BGBl 1990/542 sowie Graff, AnwBl 1990, 115). Die Entscheidungsdokumentation enthält neben ausgewählten Entscheidungen der OLG und LG in erster Linie Volltextentscheidungen und Rechtssätze des OGH; seit 1991 sind grundsätzlich alle OGH-Entscheidungen erfasst. Ausgenommen sind ausschließlich Entscheidungen, die sich in der begründungslosen Zurückweisung von Rechtsmitteln erschöpfen (s § 510 ZPO Rz 6) oder die aufgrund eines Beschlusses des erk Senates iSd § 15 Abs 2 OGHG nicht zu veröffentlichen sind, weil andernfalls die Anonymität der Betroffenen nicht sichergestellt wäre. Gegen Kostenersatz (derzeit 0,50 Euro bis 1,00 Euro pro Seite) können jedoch grundsätzlich alle bestimmt bezeichneten Entscheidungen des OGH, also auch jene, die nicht in die Entscheidungsdokumentation aufgenommen worden sind, über schriftliches Ersuchen (§ 70 Abs 2 OGH-Geo 2002) in Form eines anonymisierten Ausdrucks be65

§§ 9–14

Mayr

zogen werden (§ 15a Abs 2 OGHG). Dies gilt für rechtskräftige Entscheidungen der erst- und zweitinstanzlichen Gerichte sinngemäß, sofern sie von über den Einzelfall hinausgehendem Interesse sind (§ 48a Abs 1 GOG idF BGBl I 2001/95). Zu beachten ist, dass Entscheidungen in jedweder Form erst nach Ablauf einer zumindest einmonatigen Sperrfrist ab ihrer Abfertigung zugänglich gemacht werden dürfen. Diese Sperrfrist soll gewährleisten, dass die Zustellung von Entscheidungen an die (Parteien-)Vertreter jedenfalls vor der allgemeinen Zugänglichkeit erfolgt (§ 70 Abs 7 OGHGeo 2002, s Felzmann/DanzlHopf 159). Beratung und Abstimmung § 9. (1) Bei den vor Gerichtshöfen stattfindenden Verhandlungen in bürgerlichen Rechtssachen und bei allen in solchen Rechtssachen vorkommenden, dem Gerichte vorbehaltenen Entscheidungen darf die Zahl der Stimmführer in den Senaten mit Einschluß des Vorsitzenden nicht kleiner sein, als sie in den §§ 7 und 8 festgesetzt ist. (2) Zu Verhandlungen von längerer Dauer können vom Vorsitzenden Ergänzungsrichter zugezogen werden, welche an der Verhandlung teilnehmen und im Falle der Verhinderung eines Mitgliedes des Senates einzutreten haben. [Stammfassung] § 10. (1) Der Vorsitzende leitet die Abstimmung, sowie die der Abstimmung etwa vorausgehende Beratung. (2) Der Berichterstatter, wenn ein solcher bestellt ist, gibt seine Stimme zuerst, der Vorsitzende, welcher sich an der Abstimmung gleich jedem anderen Senatsmitgliede zu beteiligen hat, gibt die seine zuletzt ab. Außerdem stimmen die dem Dienstrange nach älteren Richter vor den jüngeren. Der fachmännische Laienrichter hat seine Stimme unmittelbar nach dem Berichterstatter, und wenn kein solcher bestellt ist, vor den übrigen Senatsmitgliedern abzugeben. [Stammfassung] § 11. (1) Kein Richter darf die Abstimmung über eine zur Beschlußfassung gestellte Frage verweigern; dies gilt namentlich auch dann, wenn er bei der Abstimmung über eine Vorfrage in der Minderheit geblieben ist. (2) Über die Zuständigkeit des Gerichtes, über die Notwendigkeit von Ergänzungen des Verfahrens und andere Vorfragen muß immer zuerst abgestimmt werden. Ist bei der Entscheidung der 66

1.1 Gerichte und gerichtliche Organe

JN §§ 9–14

Hauptsache über mehrere Ansprüche zu erkennen, so muß über jeden einzelnen Anspruch besonders abgestimmt werden. [Stammfassung] § 12. (1) Zu jedem Beschlusse des Gerichtes wird absolute Stimmenmehrheit, das ist mehr als die Hälfte sämtlicher Stimmen, erfordert. (2) Ergeben sich hiebei Schwierigkeiten, welche durch Teilung der Fragen und Wiederholung der Umfrage nicht behoben werden, so hat der Vorsitzende die Frage, über welche Beschluß zu fassen ist, in die einzelnen, für die Entscheidung erheblichen Punkte aufzulösen und durch Einleitung besonderer Abstimmungen über dieselben in geeigneter Weise die Vereinigung der Stimmen zu einem Mehrheitsbeschluß über den zur Verhandlung stehenden Gegenstand herbeizuführen. (3) Bilden sich in Beziehung auf Summen, über welche Beschluß zu fassen ist, mehr als zwei Meinungen, deren keine die Mehrheit für sich hat, so werden die für die größte Summe abgegebenen Stimmen den für die zunächst geringere Summe abgegebenen so lange hinzugezählt, bis sich eine absolute Stimmenmehrheit ergibt. [Stammfassung] § 13. Über Meinungsverschiedenheiten, welche über die Richtigkeit des vom Vorsitzenden bekanntgegebenen Ergebnisses einer Abstimmung entstehen, entscheidet der Senat. [Stammfassung] § 14. Die Aufzeichnungen über die Beratung und Abstimmung des Gerichtes sind in ein besonderes Protokoll aufzunehmen. Dessen Führung wird durch die über die innere Einrichtung und Geschäftsordnung der Gerichte erlassenen Vorschriften geregelt. [Stammfassung] Lit: Kossak, Vorsitzender und Berichterstatter im Berufungs- und Rekursverfahren, RZ 1994, 102; Piska, Das Prinzip der festen Geschäftsverteilung in der ordentlichen Gerichtsbarkeit (1995) 84 ff, 203 ff, 224 ff; Felzmann/Danzl/Hopf, Oberster Gerichtshof (2002) 49 ff. Ballon in Fasching I §§ 9–14 JN; Fasching Rz 176 ff; Danzl zu §§ 116 ff Geo; Holzhammer 37; Rechberger/Simotta Rz 56/2. Die Zahl der Richter darf im zivilgerichtlichen Verfahren weder gerin- 1 ger noch größer sein, als dies die einschlägigen Vorschriften anordnen. Ausnahmsweise können an einer Verhandlung und Beratung aber mehr 67

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Richter als vorgeschrieben teilnehmen, wenn sich der Senatsvorsitzende aus prozessökonomischen Gründen veranlasst sieht, Ergänzungsrichter beizuziehen. Dies ist entweder bei Verhandlungen von längerer Dauer (§ 9 Abs 2) oder im Falle der Bestreitung der (allgemeinen oder kausalen) Zuständigkeit nach §§ 61 ff vorgesehen, spielt in der Praxis aber keine Rolle.

2 Nähere (technische) Vorschriften über Beratung und Abstimmung enthalten die §§ 116 bis 122 Geo (s bei § 216 ZPO). Sie werden vom Senatsvorsitzenden geleitet und sind nicht (partei-) öffentlich (§ 413 ZPO). Auch eine Einsichtnahme in die diesbezüglichen Protokolle ist den Parteien nicht gestattet (§ 219 Abs 1 ZPO; s auch Felzmann/ Danzl/Hopf 49 f). Es wird also weder das Abstimmungsergebnis noch die Rechtsmeinung der überstimmten Senatsmitglieder („dissenting opinions“) bekanntgegeben. Die Sinnhaftigkeit der Einführung dieser Einrichtung (insb beim VfGH) ist rechtspolitisch sehr umstritten (für die Zivilgerichtsbarkeit zu Recht ablehnend Ballon in Fasching I §§ 9– 14 Rz 18).

3 Nach der ZPO kann der Vorsitzende in schwierigen Fällen (§ 413 ZPO) bzw muss der Vorsitzende für die mündliche Berufungsverhandlung (§ 486 Abs 1 ZPO) einen Berichterstatter bestellen (s § 116 Abs 3 Geo; SZ 63/24; vgl auch § 61 KartG 2005), wobei erstere Bestimmung jedoch durch die (spätere) Anordnung des § 32 Abs 3 (bzw § 46 Abs 2) GOG (idF GOG-Nov 1994 und ZVN 2004) überholt erscheint (Piska 227). Der Berichterstatter hat seinen Bericht mit einem Antrag auf eine bestimmte Erledigung zu verbinden und stimmt daher als erster ab. Ihm folgen bei der Stimmabgabe der fachmännische bzw die fachkundigen Laienrichter in der Reihenfolge ihres Lebensalters (ältere vor jüngeren; § 13 ASGG, § 63 KartG 2005). Es folgen die Berufsrichter, und zwar der dienstrangältere vor dem dienstrangjüngeren. Bei gleichem Dienstrang (s Art IX BGBl 1979/136) entscheidet das Lebensalter. Zuletzt gibt der Vorsitzende seine (gleichwertige) Stimme ab (vgl Felzmann/Danzl/ Hopf 50 f). Die einschlägigen Bestimmungen gehen daher davon aus, dass Vorsitzender und Berichterstatter nicht ein und dieselbe Person sind; ein Verstoß dagegen bildet allerdings keinen Nichtigkeitsgrund (SZ 66/97). Zum Auslastungsausgleich innerhalb des Senates hat jedoch auch der Senatsvorsitzende selbst (ausgenommen beim OGH) Urschriften von Urteilen und Beschlüssen abzufassen (s Kossak, RZ 1994, 102 und nunmehr § 32 Abs 3 und § 46 Abs 2 GOG).

4 In sachlicher Hinsicht wird vorerst über Vorfragen (Prozessvoraussetzungen), dann darüber, ob die Rechtssache vollständig erörtert wurde 68

1.1 Gerichte und gerichtliche Organe

JN § 15

und zur Sachentscheidung reif ist und schließlich über die Hauptsache abgestimmt. Bei einer Mehrheit von Ansprüchen muss über jeden Punkt gesondert abgestimmt werden. Es herrscht Abstimmungszwang, eine Stimmenthaltung ist nicht zu- 5 lässig. Wer bei einer Vorfrage überstimmt wurde, muss bei der weiteren Abstimmung von der Meinung der Mehrheit ausgehen („stante concluso“). Alle Stimmen zählen gleich viel. Es entscheidet die absolute Stimmenmehrheit, also mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen. Bei Stimmengleichheit muss die betreffende Frage durch den Vorsitzenden so lange in Einzelfragen zerlegt werden, bis die erforderliche Mehrheit erreicht wird. Bei einer Abstimmung über einen Geldbetrag wird die für die höchste Summe abgegebene Stimme der nächstniederen zugezählt und so fort, bis für eine Summe eine absolute Stimmenmehrheit erzielt wird. Zur Bindung bzw Widerruf der abgegebenen Stimme („Revotation“) s § 119 Abs 3 Geo. Verstöße gegen die Bestimmungen über Beratung und Abstimmung 6 des Senats bleiben in der Praxis schon deshalb sanktionslos, weil sie regelmäßig weder für die Parteien noch für das Rechtsmittelgericht manifest werden. Aber auch theoretisch lassen sich solche Verstöße wohl nur schwerlich unter die Nichtigkeitsgründe einreihen. Haben allerdings nicht alle Senatsmitglieder über die Entscheidungsanträge abgestimmt, so ist die Entscheidung nach § 477 Abs 1 Z 2 ZPO nichtig. Schriftführer § 15. Die zur Führung der Protokolle bei Verhandlungen und anderen gerichtlichen Amtshandlungen verwendeten Personen müssen hiezu beeidigt sein. [Stammfassung] Lit: Rath/Lenhard/Milowiz/Pecher, Handbuch für Rechtspraktikanten (2001). Ballon in Fasching I § 15 JN; Fasching Rz 159; Danzl zu § 3 und §§ 44 ff Geo. Der Schriftführer ist eine Urkundsperson, welche die Richtigkeit des 1 niedergeschriebenen Vorganges mit seiner Unterschrift beurkundet. Er darf nie allein tätig werden, sondern nur im Zusammenwirken und auf Weisung des Richters. Bei Meinungsverschiedenheiten über den zu pro69

§ 16

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tokollierenden Vorgang ist der Anweisung des Richters gemäß zu protokollieren, jedoch kann der Schriftführer seinen abweichenden Eindruck anfügen (Fasching Rz 159).

2 Die Zuziehung eines Schriftführers ist im Zivilprozess nicht obligatorisch (§ 207 Abs 3 ZPO) und wird in der gerichtlichen Praxis weitgehend durch die Verwendung eines Schallträgers (§ 212a ZPO) verdrängt. Jedoch ist bei jedem Gericht ständige Vorsorge für den Schriftführerdienst zu treffen (§ 3 Geo). Dazu werden in erster Linie Bedienstete des besonderen Schreibdienstes (§§ 44 ff Geo) und der Geschäftsstelle (§ 56 Abs 5 GOG) oder Rechtspraktikanten (§ 6 RPG) herangezogen. Die Angelobung als Rechtspraktikant ersetzt den Schriftführereid (§ 4 RPG). Den im Anhang V Punkt 9 Geo geregelten besonderen Schriftführereid haben nur noch Rechtshörer (Erlass des BMJ vom 3.6.1946, Zl 4346/46; abgedruckt etwa bei Mayr, Juristenausbildung2, 74) zu leisten, sofern sie auf ihr ausdrückliches Verlangen als Schriftführer herangezogen werden. Richteramtsanwärter sind als Schriftführer nur insoweit zu beschäftigen, als dies mit dem Zweck der Ausbildung vereinbar ist (§ 10 Abs 1 RDG). Zur Ablehnung von Schriftführern s § 26. Gerichtskanzlei § 16. Bei jedem Gerichte besteht eine Gerichtskanzlei. Dieser obliegt die Übernahme der an das Gericht gelangenden Akten, die Ausfertigung der gerichtlichen Entscheidungen und sonstigen Erledigungen, die Bewirkung der Zustellungen und Ladungen und die Verwahrung der gerichtlichen Akten, sowie die Vornahme aller anderen ihr durch Gesetz oder Verordnung zugewiesenen Amtshandlungen. [Abs 2 aufgehoben durch 6. GEN; sonst Stammfassung] Lit: Ballon in Fasching I §§ 16–18 JN; Fasching Rz 156 ff; Danzl zu § 2 und §§ 29 ff Geo.

1 Der hier (und in §§ 18, 26) verwendete Begriff der „Gerichtskanzlei“ ist heute iSd Organisationsvorschrift des § 2 Geo einheitlich nur mehr als „Geschäftsstelle“ zu verstehen (vgl Danzl Anm 3 zu § 2 Geo). Ihre Aufgaben in sachlicher wie personeller Hinsicht sind in den §§ 49 bis 61 und § 79 Abs 1 GOG sowie §§ 2, 29 bis 36 Geo geregelt. Zu den in § 16 besonders aufgezählten Tätigkeiten s im Einzelnen die §§ 106 ff (Aktenübernahme), §§ 144 ff (Ausfertigungen), §§ 153 ff (Zustellungen) und §§ 171 ff Geo (Aktenverwahrung). 70

1.1 Gerichte und gerichtliche Organe

JN § 18

Vollstreckungsorgane § 17. (1) Zur Vornahme von Exekutionshandlungen können bei einzelnen Gerichten nach Maßgabe des Bedarfes besondere Vollstreckungsbeamte bestellt werden. (2) Bei den Gerichten, für welche solche Vollstreckungsbeamte nicht bestellt sind, erfolgt die Vornahme der den Vollstreckungsorganen zugewiesenen Exekutionshandlungen durch Gerichtsdiener oder andere durch das Gesetz hiezu berufene Organe. [Stammfassung] Lit: Deixler-Hübner in Burgstaller/Deixler-Hübner zu §§ 24 ff EO und Jakusch in Angst zu §§ 24 ff EO. Diese Bestimmung ist durch § 24 EO (idF EO-Nov 1995) überholt (s 1 auch Danzl, Anm 42 zu § 29 Geo), wonach als Vollstreckungsorgane (grundsätzlich) die „Gerichtsvollzieher“ einschreiten (vgl auch den 2. Abschnitt des VGebG BGBl I 2003/31). Nur „in besonderen Fällen“ können auch andere dafür geeignete Gerichtsbedienstete herangezogen werden (vgl auch § 40 Abs 3 Geo). Durch den JME 20.11.1996 JMZ 195.15/2-III 1/96 erfolgte eine (durch die EO-Nov 1995 erforderlich gewordene) Neuabgrenzung zwischen den Aufgaben des Gerichtsvollziehers einerseits und der Geschäftsabteilung bzw Geschäftsstelle andererseits. Der in Abs 2 genannte „Gerichtsdiener“ wurde bereits durch das BesoldungsG, BGBl 1921/376, abgeschafft. § 18. (1) Zu Vorstehern und leitenden Beamten der Gerichtskanzlei, sowie zu Vollstreckungsbeamten können nur solche Personen bestellt werden, welche die Mittelschulstudien zurückgelegt und den Besitz der für ihre amtliche Tätigkeit erforderlichen besonderen Kenntnisse durch eine mit gutem Erfolge abgelegte Prüfung nachgewiesen haben. Die Vorschriften über die Gegenstände und die Einrichtung dieser Prüfung, sowie über die Zusammensetzung der Prüfungskommission sind im Verordnungswege zu erlassen. Diese Prüfung hat sich auch auf die zur Erfüllung des Amtes notwendigen Rechtskenntnisse zu erstrecken. (2) Gegenstandslos [Ursprünglicher Abs 2 aufgehoben durch RGBl 1903/203 und neu angefügt durch 1. GEN; sonst Stammfassung] Zu den Prüfungserfordernissen der in der Geschäftsstelle verwendeten 1 Personen s § 30 Abs 2 bis 4 Geo iVm den in der Anlage 1 zum Justiz71

§ 18

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schulstatut 1998 JABl 28 als noch in Geltung stehend aufgelisteten Grundausbildungsvorschriften für nichtrichterliche Bedienstete. § 18 Abs 2 über das Nachsichtsrecht des BMJ vom „Erfordernisse der Zurücklegung der Mittelschulstudien aus wichtigen Gründen“ ist somit gegenstandslos.

72

Zweiter Abschnitt Ablehnung von Richtern und anderen gerichtlichen Organen Vor § 19 Während die verfassungsrechtlichen Garantien des Richteramtes 1 (Art 87 ff B-VG) die Unabhängigkeit und Objektivität des Richters in abstracto sichern, soll dieser Abschnitt der JN (vgl auch §§ 67 ff StPO bzw §§ 43 ff StPO nF) – wie es auch Art 6 Abs 1 EMRK gebietet – die notwendige Objektivität und Unparteilichkeit der gerichtlichen Organe im konkreten Einzelfall sicherstellen. Die betreffenden Bestimmungen sind in allen zivilgerichtlichen Verfahrensarten, also auch im Exekutions- (EvBl 1980/101 = JBl 1980, 487 = RZ 1981/5, 19), Insolvenz- (§ 171 KO, § 76 AO) und im Außerstreitverfahren (etwa EFSlg 63.901 oder Mayr/Fucik Rz 79), anzuwenden. Nach mehreren Entscheidungen des OLG Linz müssen allerdings bei Mehrparteienverfahren, wie Konkursverfahren (2 R 98/98i, 2 R 99/ 98m = ZIK 1998, 209) oder nicht kontradiktorischen Außerstreitverfahren (insb Pflegschaftsverfahren: 2 R 168/02t), andere Maßstäbe für die Beurteilung der Befangenheit angelegt werden. Die Ablehnungsvorschriften gelten auch für fachkundige oder fachmännische Laienrichter (etwa Arb 11.006 = EvBl 1992/137). Lit: Ballon in Fasching I §§ 19–27 JN; Fasching Rz 160 ff; Ballon Rz 90 ff; Buchegger, PraktZPR I 21, 47, 390; Danzl zu §§ 182 f Geo; Holzhammer 38; Rechberger/Simotta Rz 50 ff. Ablehnung von Richtern § 19. Ein Richter kann in bürgerlichen Rechtssachen abgelehnt werden: 1. weil er im gegebenen Falle nach dem Gesetze von der Ausübung richterlicher Geschäfte ausgeschlossen ist; 2. weil ein zureichender Grund vorliegt, seine Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen. [Stammfassung] Lit: Schober, Zureichende Befangenheitsgründe? RZ 1973, 93; König/ Broll, Richteramt und Gemeinderatsmandat, RZ 1991, 186; Fasching, 73

§ 19

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Die „Selbstablehnung“ des Schiedsrichters wegen Befangenheit, FS Frotz (1993) 769; Rechberger/Rami, Die Ablehnung von Schiedsrichtern durch die Parteien, wbl 1999, 103.

1 Das Gesetz unterscheidet zwischen Befangenheits- und Ausschließungsgründen, die beide die Ablehnung eines Richters rechtfertigen, jedoch in Voraussetzungen und Wirkungen streng unterschieden werden müssen. Beide Gruppen von Ablehnungsgründen sind nicht nur auf Antrag jeder (§ 21 Abs 1) Partei (Ablehnungsantrag), sondern auch von Amts wegen wahrzunehmen (Selbstmeldung): Richter (und andere Gerichtspersonen) haben Umstände, die sie von der Ausübung ihres Amtes ausschließen oder die geeignet sind, ihre volle Unbefangenheit einem Zweifel auszusetzen, unverzüglich dem Leiter des Gerichtes anzuzeigen, der dann eine entsprechende Entscheidung herbeizuführen hat (§ 22 GOG, § 182 Geo; dazu Mayer-Maly, DRdA 1960, 123 [Entscheidungsbesprechung]).

2 Die einzelnen Ausschließungsgründe sind in § 20 (und § 537 ZPO) aufgezählt (s dort). Sie sind unverzichtbar und wirken absolut, bilden einen in jeder Lage des Verfahrens auf Antrag oder von Amts wegen (§ 22 Abs 4) wahrzunehmenden Nichtigkeitsgrund (§ 477 Abs 1 Z 1 ZPO) und nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens sogar einen Nichtigkeitsklagegrund (§ 529 Abs 1 Z 1 ZPO).

3 Die Befangenheitsgründe müssen hingegen rechtzeitig (dazu § 21 Abs 2) geltend gemacht werden, sonst tritt Heilung ein. Nur die rechtskräftig festgestellte Befangenheit des Richters bewirkt Nichtigkeit des von ihm (allenfalls nach § 25) durchgeführten Verfahrens (LGZ Wien EFSlg 60.685), die nötigenfalls mit Nichtigkeitsberufung geltend zu machen ist (§ 477 Abs 1 Z 1 ZPO). Nach rechtskräftiger Prozesserledigung kann eine Befangenheit jedoch keinesfalls mehr aufgegriffen werden, insb gibt es keine Nichtigkeitsklage (etwa RZ 1989/88, 247; vgl auch 7 Ob 314/04h = ecolex 2005/131, 288 [Klausegger/Hanusch]).

4 Die Gründe, die eine Befangenheit bewirken, sind (notwendigerweise) im Gesetz nicht erschöpfend aufgezählt. Nach Lehre und stRsp ist ein Richter dann als befangen anzusehen, wenn Umstände vorliegen, die es nach objektiver Prüfung und Beurteilung rechtfertigen, seine Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen. Dabei genügt schon die Besorgnis, dass bei der Entscheidung dieses Richters andere als rein sachliche Motive eine Rolle spielen könnten. Das Wesen der Befangenheit besteht in der Hemmung einer unparteiischen Entscheidung durch unsachliche psychologische Motive (s etwa JBl 1968, 94; SZ 43/104 = JBl 1971, 480; RZ 1984/81, 252; OLG Wien EFSlg 101.498 uva). Daraus ergibt sich, 74

JN § 19

1.2 Ablehnung von Richtern

dass immer nur ganz bestimmte Richter, nicht aber pauschal ein ganzer Senat oder das ganze Gericht (als Institution) abgelehnt werden können (EFSlg 52.062; EvBl 1989/18; 5 Ob 237/01s = wobl 2002/127 = MietSlg 54.564; EFSlg 105.443). Nötigenfalls müssen detailliert gegen jeden einzelnen Richter eines Gerichtes konkrete Befangenheitsgründe dargetan werden, es sei denn, dass ausnahmsweise der geltend gemachte Befangenheitsgrund auf alle Richter eines Gerichtes in gleicher Weise zutrifft (Arb 10.760; 5 Nc 11/04v = MietSlg 56.612). Dabei ist kein übertrieben formalistischer Standpunkt einzunehmen, sondern es genügt, wenn dem Antrag zu entnehmen ist, dass bei jedem einzelnen Richter iW dieselben Ablehnungsgründe vorliegen (EFSlg 75.909; NZ 1998, 334 = EFSlg 85.119, 85.120, 85.121). Bei der Prüfung der Unbefangenheit ist im Interesse des Ansehens der Justiz ein strenger Maßstab anzulegen (zuletzt etwa 4 Ob 193/03s = JBl 2004, 325; 5 Nc 11/04v = MietSlg 56.612 oder OLG Wien EFSlg 105.421): Es genügt, dass eine Befangenheit mit Grund befürchtet werden muss oder dass bei objektiver Betrachtungsweise auch nur der Anschein einer Voreingenommenheit entstehen könnte (Arb 10.760; JBl 1990, 122 [zust Schumacher] = RdW 1990, 166; 1 Nc 502/00 = MietSlg 52.670; 4 Ob 193/03s = JBl 2004, 325; LGZ Wien EFSlg 66.833, 66.839, 105.419 uva). Andererseits soll die Ablehnung aber auch nicht die Möglichkeit bieten, dass sich Parteien ihnen nicht genehmer Richter entledigen können (EFSlg 108.674). Bei einer Selbstmeldung des Richters ist Befangenheit grundsätzlich – sofern nicht Anzeichen für einen Missbrauch vorhanden sind – anzunehmen (stRsp, zuletzt etwa LGZ Wien EFSlg 105.435). Als Befangenheitsgründe kommen in erster Linie private persönliche 5 Beziehungen zu einer der Prozessparteien (etwa weil eine Partei Richter am selben Gerichtshof ist [s EvBl 1988/135 und § 79] und mehr als rein berufliche Kontakte bestehen [s 5 Nc 11/04v = MietSlg 56.612]) oder zu einem Nebenintervenienten (Deixler-Hübner, Nebenintervention 148), ihren Vertretern oder auch zu Zeugen (JBl 1990, 122) in Betracht. Ferner – eine auffallend einseitige Verhandlungsführung; – unsachliche persönliche Bemerkungen zu Parteien und Parteienvertretern (vgl § 52 Abs 2 Geo; nicht aber bloßer Ärger: LGZ Wien MietSlg 41.530) oder herabwürdigende Äußerungen über das Aussehen einer Partei (vgl OLG Wien 9 Ra 243/99t, ARD 5152/18/ 2000; zu dieser Problematik s Gerlach, ecolex 2000, 135 und Schindler, DRdA 2000, 382); – abwertende Pauschalurteile gegen gewisse Personengruppen (LGZ Wien EvBl 1992/30 = AnwBl 1992, 70); weiters 75

§ 19 –

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Mayr

eine (eingehende) Rechtsberatung oder die Erstattung eines Privatgutachtens in derselben Rechtssache (eine bloße Auskunftserteilung oder übliche Beratung einer Partei im Rahmen eines Amtstags ist hingegen unverdächtig: LGZ Wien EFSlg 57.661 und 97.855 sowie OLG Wien EFSlg 90.716; zutreffend eingeschränkt durch LGZ Wien EFSlg 66.834; vgl auch LGZ Wien EFSlg 105.433); die Mitgliedschaft im Gemeinderat der klagenden oder geklagten Gemeinde (dazu König/Broll, RZ 1991, 187 f); die Tätigkeit in einer Schlichtungsstelle, die von einer Prozesspartei (mit-)eingerichtet worden ist (4 Ob 193/03s = JBl 2004, 325); aber auch etwa ein besonderes, über ein normales kollegiales Verhältnis hinausgehendes Naheverhältnis zu dem Richter, dessen Entscheidung überprüft wird (vgl etwa 7 Ob 121/98i oder 8 N 15/99).

6 Keinen Befangenheitsgrund bilden nach der neueren Rsp etwa –



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die (bloße) Beschäftigung durch denselben Arbeitgeber (ohne Hinzutreten weiterer Umstände, s etwa 1 Nc 67/04z = SZ 2004/99) und Bekanntschaft auf kollegialer Basis (EvBl 1990/145; DRdA 1992, 55 = RdW 1992, 119); Mitgliedschaft im klagenden oder beklagten Verein, sofern nicht besondere persönliche Interessen oder Aktivitäten befürchten lassen, dass unsachliche Motive die Entscheidung beeinflussen könnten (EvBl 1992/117) oder es sich um einen sehr kleinen Verein handelt; Zugehörigkeit zu einer politischen Partei, soweit sich der Richter nicht in der Öffentlichkeit zu der streitentscheidenden Frage bereits eindeutig festgelegt hat (EvBl 1988/43); die im Verfahren zur Bewilligung der Verfahrenshilfe aus rechtlichen Gründen erfolgte Beurteilung der Rechtsverfolgung als aussichtslos (EvBl 1990/145; EFSlg 108.682; LGZ Wien EFSlg 105.432); der Versuch des Richters, (ohne Druckausübung) eine gütliche Einigung (Vergleich) der Parteien zu erreichen (LGZ Wien EFSlg 87.941 und 90.715; s dazu Mayr, Vergleichsversuch 26 f, 33, 125 FN 492); die Vertretung einer bestimmten Rechtsmeinung durch den Richter selbst dann, wenn diese Rechtsauffassung von der herrschenden Rechtsprechung abgelehnt wird (5 Ob 335/98w = RdW 1999, 350 = MietSlg 51.616; LGZ Wien MietSlg 56.613), wenn er seine Rechtsansicht in einem Zwischenstreit bereits geäußert oder in Form einer wissenschaftlichen Abhandlung in Fachzeitschriften veröffentlicht hat (RZ 1989/110, 282; 6 Ob 90/05m = ecolex 2005/278, 615; 6 Ob 106/05i = RdW 2005/706, 618); 76

JN § 20

1.2 Ablehnung von Richtern –



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Verfahrensmängel (etwa EFSlg 108.677), soweit nicht schwerwiegende Verstöße gegen Verfahrensgrundsätze, insb zum Schutz des Parteiengehörs, vorliegen, die an der Objektivität des Richters mit Grund zweifeln lassen (RZ 1989/110, 282; OLG Wien EFSlg 69.695 oder EFSlg 105.425; vgl LG Innsbruck AnwBl 1995, 584); eine unrichtige Beweiswürdigung (6 Ob 98/03k = RdW 2003/628, 706; EFSlg 105.422), ausgenommen bei offensichtlichen und groben Verstößen (OLG Wien EFSlg 66.832; LGZ Wien EFSlg 69.698; OLG Linz EFSlg 94.318 oder 105.423); eine (trotz pflichtgemäßer Ausübung des Richteramtes) unrichtige Entscheidung des Richters (RdW 1998, 18; Arb 11.218; LGZ Wien Arb 10.358 = ZAS 1985, 121; EFSlg 108.676); der Umstand (allein), dass eine Partei gegen den Richter (unbegründete) Straf- bzw Disziplinaranzeigen erstattet hat (1 Ob 575/91; 1 Ob 623/92; OLG Wien EFSlg 85.126 und 85.127) oder dass der Richter das Verhalten des Rechtsanwalts gem § 200 Abs 3 ZPO der Disziplinarbehörde gemeldet hat (OLG Wien EFSlg 85.122; LGZ Wien 85.123); (für sich allein betrachtet) die Ankündigung (oder sogar die Geltendmachung) von Amtshaftungsansprüchen wegen Entscheidungen des abgelehnten Richters im selben Sachkomplex (5 Ob 335/98w = RdW 1999, 350 = MietSlg 51.616; 7 Ob 281/02b = JBl 2003, 650; 6 Ob 213/05z = EFSlg 111.725; LGZ Wien EFSlg 79.052). Gerade bei den zuletzt genannten Umständen erscheint jedoch eine genaue und sensible Prüfung notwendig.

Außer den allgemeinen Ablehnungsgründen der §§ 19 und 20 recht- 7 fertigen im arbeits- und sozialgerichtlichen Verfahren auch die in § 34 ASGG (nicht taxativ) aufgezählten Umstände eine Ablehnung von fachkundigen Laienrichtern (s auch § 72 KartG 2005 [bzw § 102 KartG 1988]; dazu 1 Nc 67/04z = SZ 2004/99). Zur Ablehnung von Sachverständigen s § 355 ZPO (dazu etwa LG Ried/Innkreis SVSlg 50.007 oder 3 Ob 284/01p = RdW 2003/258, 316), zu jener von Schiedsrichtern s §§ 588 f ZPO nF (bzw § 586 ZPO aF; dazu etwa 7 Ob 265/02z = EvBl 2003/67 = RdW 2003/321, 383 oder 9 ObA 94/04w = JBl 2005, 192). § 20. Richter sind von der Ausübung des Richteramtes in bürgerlichen Rechtssachen ausgeschlossen: 1. in Sachen, in welchen sie selbst Partei sind, oder in Ansehung deren sie zu einer der Parteien in dem Verhältnisse eines Mitberechtigten, Mitverpflichteten oder Regreßpflichtigen stehen; 77

§ 20

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2. in Sachen ihrer Ehegatten oder solcher Personen, welche mit ihnen in gerader Linie verwandt oder verschwägert sind, oder mit welchen sie in der Seitenlinie bis zum vierten Grade verwandt oder im zweiten Grade verschwägert sind; 3. in Sachen ihrer Wahl- oder Pflegeeltern, Wahl- oder Pflegekinder, ihrer Mündel und Pflegebefohlenen; 4. in Sachen, in welchen sie als Bevollmächtigte einer der Parteien bestellt waren oder noch bestellt sind; 5. in Sachen, in welchen sie bei einem untergeordneten Gerichte an der Erlassung des angefochtenen Urteiles oder Beschlusses teilgenommen haben. [Z 2 idF BGBl 1975/412; sonst Stammfassung] Lit: König/Broll, Richteramt und Gemeinderatsmandat, RZ 1991, 186.

1 Die Aufzählung ist (abgesehen von den in § 537 ZPO und § 34 ASGG genannten weiteren Fällen) taxativ. Eine Erweiterung der Ausschließungsgründe über den Gesetzeswortlaut hinaus ist nur in einem engen Rahmen im Wege der teleologischen Interpretation zulässig, es dürfen aber keine völlig neuen Tatbestände eingeführt werden (vgl Ballon in Fasching I § 20 Rz 1 und 5 Ob 85/00m = SZ 73/192 = MietSlg 52.671; zu einschränkend LGZ Wien EFSlg 57.666). Ein gerade nicht mehr erfasster Sachverhalt bildet regelmäßig einen tauglichen Ablehnungsgrund wegen Befangenheit.

2 Unter die Bestimmung der Z 1 fallen nicht nur Richter, denen eine formelle Parteistellung – auch als Nebenintervenient – zukommt, sondern auch jene, die im Rahmen der Beweisaufnahme als Partei vernommen werden müssten, also etwa der Masseverwalter in Ansehung der Konkursmasse, die gesetzlichen Vertreter von Gesellschaften, Gemeinden, Vereinen etc (s § 373 Abs 2 und 3 ZPO), und zwar auch dann, wenn die Eigenschaft „gesetzlicher Vertreter“ im Zeitpunkt des Rechtsstreites nicht mehr besteht (s Z 4), die Angelegenheit aber aus der Zeit der gesetzlichen Vertretung stammt (RG DREvBl 1941/176). Die Gesellschafter einer GmbH, die nicht deren Geschäftsführer sind, sind allerdings in einem Rechtsstreit der Gesellschaft nicht ausgeschlossen (SZ 43/104 = JBl 1971, 480). Auch die bloße Mitgliedschaft des Richters bei einem Verein, der in einem Prozess Kläger oder Beklagter ist, bildet keinen Ausschließungsgrund (EvBl 1992/117), ebenso wenig (ohne Hinzutreten weiterer Umstände) die (bloße) Dienstnehmereigenschaft (1 Nc 67/04z = SZ 2004/99; RS0045952).

3 Unter die Z 2 fällt nicht nur ein Verwandtschafts- oder Schwägerschaftsverhältnis zur Partei selbst, sondern auch zum Bevollmächtig78

JN § 20

1.2 Ablehnung von Richtern

ten einer Partei (SpR 171 = GlUNF 1062; EvBl 1992/137 = Arb 11.006; LG Salzburg EFSlg 97.861) und zu einem Nebenintervenienten (1 N 516/01 = SZ 74/176 = EvBl 2002/64). Der Richter bleibt ausgeschlossen, selbst wenn dessen Eheverhältnis nicht mehr besteht (1 N 516/01 = SZ 74/176 = EvBl 2002/64 und 1 Nc 102/02v; vgl § 321 Abs 2 ZPO und § 67 StPO). In Sachen seiner (ihres) Lebensgefährtin(-en) oder Verlobten ist der (die) Richter(-in) dagegen nicht ausgeschlossen, regelmäßig aber befangen (so auch Ballon in Fasching I § 20 Rz 6). Die Z 3 erfasst auch Angelegenheiten behinderter Personen, für die der 4 Richter zum Sachwalter bestellt wurde. Die Beschäftigung des (Laien-)Richters und eines Parteienvertreters 5 durch denselben Arbeitgeber, dessen Arbeitnehmer nach § 40 Abs 1 Z 2 ASGG vertretungsbefugt sind, (allein) erfüllt nicht den Ausschließungstatbestand der Z 4 (DRdA 1992, 55 = RdW 1992, 119; vgl aber 16 Ok 24/03 = SZ 2004/92). Ausgeschlossen ist ein (Laien-)Richter aber immer (schon) dann, wenn er nach dem Inhalt der Vollmachtsurkunde mit der Vertretung betraut wurde (ARD 4905/18/98); also auch, wenn er den Vollmachtgeber nie gesehen hat und niemals in dieser Rechtssache tatsächlich vertreten hat (so richtig SSV-NF 2/144). Ob der Richter als Bevollmächtigter streitentscheidende Rechtshandlungen in der Rechtssache gesetzt hat oder nicht, ist nicht maßgebend (aM EFSlg 60.684 = 63.896 = NZ 1990, 302 = RZ 1992/38, 97). Dass ein Richter in einer anderen Rechtssache der Bevollmächtigte einer Partei war, bildet keinen Ausschließungs- (SSV-NF 8/37), wohl aber einen Befangenheitsgrund. Eine Stellungnahme des OLG nach § 8 AHG stellt keinen Ausschließungsgrund dar (SZ 70/260 = ecolex 1998, 471; vgl auch EFSlg 85.129). Die Z 5 gilt nur für einen Richter der Rechtsmittelinstanz, der an der 6 Erlassung der angefochtenen Entscheidung teilgenommen hat, daher nicht, wenn er bloß an der unterinstanzlichen Verhandlung teilgenommen (JBl 1981, 387) oder wenn er in erster Instanz in einer Rechtssache entschieden hat, die mit der jetzt zu entscheidenden nur in einem Zusammenhang steht (JBl 1950, 293; RZ 1983/3, 42 = EFSlg 41.584; EFSlg 57.665; SZ 61/276 = VersRdSch 1989, 349; 4 Ob 239/99x = EvBl 2000/ 46; LGZ Wien EFSlg 90.717), etwa wenn er an einer vorhergehenden strafgerichtlichen Entscheidung mitgewirkt hat (OLG Linz RZ 1992/ 88, 264), oder wenn der Richter zuvor Vorsitzender einer Disziplinarkommission war, die über dienstrechtliche Verfehlungen einer Partei entschieden hatte (SZ 68/165), wenn er nicht das angefochtene, sondern 79

§ 21

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ein früher aufgehobenes Urteil in der Prozesssache gefällt hat (SZ 6/38) oder wenn er als richterliches Mitglied einer Kommission im Verwaltungsverfahren tätig war (5 Ob 85/00m = SZ 73/192 = immolex 2001/76, 119 = MietSlg 52.671 = wobl 2001/194, 302 = NZ 2001, 481). Nicht ausgeschlossen ist auch ein Richter, der als Mitglied eines Berufungssenats an der Aufhebung einer Entscheidung mitgewirkt hat, bei der neuerlichen Entscheidung in 1. Instanz (LGZ Wien MietSlg 44.711). Regelmäßig wird in den genannten Fällen freilich (nach außen hin) der Anschein einer Befangenheit entstehen. Ausgeschlossen ist hingegen der Richter, wegen dessen Beteiligung an der Entscheidung eine Nichtigkeitsklage oder wegen dessen Verhalten eine Wiederaufnahmsklage angebracht worden ist (§ 537 ZPO; dazu SZ 67/234; analog auch für eine Klage auf Aufhebung eines Schiedsspruches [§ 611 ZPO nF bzw § 596 ZPO aF] oder bei einer Nichtigkeitsbeschwerde gegen ein Erkenntnis des Börsenschiedsgerichtes [Art XXIII EGZPO], an denen entgegen § 63 Abs 5 RDG ein Richter mitgewirkt hat). Einen Ausschließungsgrund bildet auch nahe Verwandtschaft oder Schwägerschaft (Z 2 und 3) zum Richter, dessen Entscheidung in höherer Instanz überprüft wird (Mayr, JBl 1993, 196; Ballon in Fasching I § 20 Rz 9). Der OGH nimmt hier allerdings – wenn überhaupt (s 1 Nc 68/04x) – nur eine Befangenheit an (1 N 513/02). § 21. (1) Das Ablehnungsrecht kann von jeder Partei ausgeübt werden, gleichviel ob nach Beschaffenheit der Verhältnisse die ablehnende Partei oder deren Gegner gefährdet erscheint. (2) Eine Partei kann einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei demselben, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat. [Stammfassung] Lit: Ballon, Die Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit nach Zustellung der Entscheidung, RZ 1991, 106.

1 Jeder Partei (aber auch dem Nebenintervenienten) – unabhängig davon, ob (möglicherweise) begünstigt oder gefährdet – steht das Recht zu, Ausschließungs- oder Ablehnungsgründe geltend zu machen (vgl auch LGZ Wien EFSlg 108.686).

2 Im Gegensatz zu den Ausschließungsgründen (s zu § 19 Rz 2) müssen – um Prozessverschleppungen zu vermeiden – (alle) Ablehnungsgründe 80

JN § 21

1.2 Ablehnung von Richtern

sofort nach ihrem Bekanntwerden (– ein bloßes „Kennenmüssen“ reicht somit nicht aus: MietSlg 44.712; 1 Ob 5/95 = EvBl 1995/136 und 7 Ob 90/01p), noch bevor sich die Partei in eine Verhandlung (nicht nur zur Hauptsache) einlässt oder Anträge (auch ein Rechtsmittel) stellt, geltend gemacht werden (SZ 42/147; RZ 1975/1, 9; RdW 1998, 18; LGZ Wien MietSlg 52.672), ansonsten können sie von den Parteien nicht mehr (wohl aber noch vom Richter selbst) aufgegriffen werden. Unter „Anträgen“ sind auch Anträge zu prozessualen Fragen, nicht aber bloße Vertagungsbitten zu verstehen (vgl 1 Ob 5/95 = EvBl 1995/136). Generell neigt die Rsp zu einer sehr strengen Auslegung (s RS0045982, RS0046040, RS0045977 oder OLG Linz EFSlg 94.324 und 94.325). ME sollten allerdings Handlungen, die eine Partei in der Annahme (bzw Hoffnung) vornimmt, dass der abzulehnende Richter gar nicht weiter verhandeln wird (bzw muss), wie etwa Vergleichsverhandlungen (aM SZ 42/147 und OLG Wien EFSlg 105.440) oder der Abschluss einer Ruhensvereinbarung (vgl 3 Ob 133/04m), keine heilende Wirkung zukommen. Ein Ablehnungsantrag ist auch vor Einleitung eines Rechtsstreites an- 3 lässlich eines Antrages auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zulässig (SZ 33/122 = EvBl 1960/382). Allgemein anerkannt ist ferner, dass eine Ablehnung (wegen Befangenheit) auch noch nach Schluss der Verhandlung und nach Urteilsfällung (SZ 43/104 = JBl 1971, 480; LGZ Wien EFSlg 105.441, 108.689 uva), aber nicht mehr nach rechtskräftiger Beendigung des Verfahrens (s oben § 19 Rz 3 sowie etwa 1 Ob 18/02g = EFSlg 101.523; 1 Nc 69/04v oder OLG Wien WR 398/1989) möglich ist. Strittig ist jedoch, ob nach Zustellung der Entscheidung der Unterinstanz die Befangenheit nur noch im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens (so Ballon, RZ 1991, 106; ders Rz 92 und ders in Fasching I § 21 Rz 3, ferner OLG Linz RZ 1991/33, 122 und RZ 1992/88, 264) oder nur durch einen eigenen Ablehnungsantrag beim Gericht unterer Instanz (so Fasching Rz 161) geltend gemacht werden kann. ME (s auch § 477 ZPO Rz 4) ist trotz der beachtlichen prozessökonomischen Argumente Ballons daran festzuhalten, dass über einen (rechtzeitigen) Ablehnungsantrag ein (eigenes) Ablehnungsverfahren vor den in § 23 genannten Organen durchzuführen ist. Der Ablehnungsantrag kann jedoch auch in den Rechtsmittelschriftsatz aufgenommen werden (und muss nicht unbedingt an dessen Spitze stehen: 1 Ob 26/02h = EFSlg 101.520). Das Rechtsmittelgericht hat diesfalls – sofern die Ablehnung nicht missbräuchlich erfolgte (s EvBl 1989/18) oder keine konkreten Ablehnungsgründe geltend gemacht wurden (1 Ob 623/92 = EFSlg 72.775; 6 Ob 70/01i = EFSlg 98.334) – das Rechtsmittelverfahren bis zur Entscheidung des Ablehnungsantrages durch 81

§ 22

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die zuständige Unterinstanz zu unterbrechen (s schon früher KOG ÖBl 1977, 76 und JBl 1989, 664; ferner nunmehr 1 Ob 26/02h = EFSlg 101.528 und 101.529; 8 ObA 259/01y = Arb 12.229; 1 Ob 31/03w = EFSlg 105.445; 4 Ob 124/03v ua). § 22. (1) Die Ablehnung ist bei dem Gerichte, welchem der abzulehnende Richter angehört, mittels Schriftsatzes oder mündlich zu Protokoll zu erklären. Dabei sind zugleich die Umstände genau anzugeben, welche die Ablehnung begründen. (2) Über eine solche Erklärung hat sich der abgelehnte Richter zu äußern. (3) Die wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnende Partei hat die vom Richter bestrittenen Ablehnungsgründe glaubhaft zu machen. Wird ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, bei welchem die Partei vor der Ablehnung sich bereits in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat, so ist von der Partei auch glaubhaft zu machen, daß der Ablehnungsgrund erst später entstanden oder ihr erst später bekannt geworden ist. (4) Von der Partei behauptete Ausschließungsgründe sind stets von Amts wegen festzustellen. [Stammfassung]

1 Für einen (schriftlichen oder in der mündlichen Verhandlung gestellten) Ablehnungsantrag gilt im Anwaltsprozess Anwaltspflicht (Ballon in Fasching I § 22 Rz 3). Die Ablehnungsgründe sind (bereits) im Antrag konkret und genau sowie in Bezug auf jeden einzelnen abgelehnten Richter gesondert (s Arb 10.760) anzuführen (etwa 1 Ob 623/92 = EFSlg 72.770). Es genügt nicht, wenn Ablehnungsgründe aus dem Vorbringen nur erschlossen werden können (LGZ Wien EFSlg 54.923). Erfüllt der (schriftliche) Ablehnungsantrag nicht die gesetzlichen Voraussetzungen, ist ein Verbesserungsverfahren (§§ 84 f ZPO) einzuleiten (3 Ob 207/02s = EFSlg 101.524; vgl auch G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 ZPO Rz 124; teilweise aM Ballon in Fasching I § 22 Rz 4). Zur gebotenen Ausdrucksweise im Ablehnungsantrag vgl OBDK AnwBl 1997, 494 (Strigl).

2 Der abgelehnte Richter hat eine Äußerung abzugeben; davon kann nur abgesehen werden, wenn die Ablehnungserklärung nicht hinreichend substantiiert ist (NZ 1998, 334 = EFSlg 85.131) oder wenn die Äußerung nur in einer Erläuterung einer gefällten Vorentscheidung bestehen könnte (1 N 506/99 = EvBl 1999/139). Eine Stellungnahme der Partei 82

JN § 23

1.2 Ablehnung von Richtern

zur Äußerung des Richters ist nicht vorgesehen (EvBl 1992/117; EFSlg 108.691). Nähere Bestimmungen über die Vorgangsweise bei Ablehnungsanträgen enthält § 183 Geo. Die Ablehnungsgründe sowie allenfalls die verspätete Kenntnisnahme 3 sind von der Partei glaubhaft zu machen, dh dass für die Überzeugung des Gerichtes vom Zutreffen der behaupteten Tatsache das Beweismaß auf überwiegende Wahrscheinlichkeit herabgesetzt ist (s § 274 ZPO und Ballon in Fasching I § 22 Rz 6). § 23. Über die Ablehnung entscheidet, falls der abgelehnte Richter einem Bezirksgerichte angehört, der Vorsteher des Bezirksgerichtes und, wenn dieser selbst, allein oder mit andern Richtern des Bezirksgerichtes, abgelehnt wird, das vorgesetzte Landes- oder Handelsgericht, falls der abgelehnte Richter einem Gerichtshofe angehört, dieser Gerichtshof und, wenn dieser durch das Ausscheiden des abgelehnten Richters beschlußunfähig werden sollte, der zunächst übergeordnete Gerichtshof. [Fassung 8. GEN und BGBl 1993/91] Das Verfahren betreffend die Ablehnung von Richtern ist keine Ange- 1 legenheit der Justizverwaltung, sondern Sache der Gerichtsbarkeit (VfGH VfSlg 3511 = ÖJZ 1959, 472 = JBl 1959, 545; VwGH VwSlg 6095/A; VfGH ZfVB 1976/1/105; VwGH ZfVB 1984/3/1163; ZfVB 1990/3/1021 = 1990/3/1165). Die Zuständigkeitsregelung kommt auch dann zur Anwendung, wenn 2 eine Partei zwar keinen formellen Ablehnungsantrag (wegen Ausgeschlossenheit) stellt, aber das Vorliegen eines Ausschließungsgrundes behauptet (OLG Linz RZ 1992/88, 264). Beim BG entscheidet über einen Ablehnungsantrag im Regelfall der Vorsteher. Wird er selbst – nicht also nur dessen Vertreter (LGZ Wien WR 200/1986) – abgelehnt, ist der übergeordnete GH zur Entscheidung berufen. Dasselbe gilt, wenn der Vorsteher gemeinsam mit (einem) anderen Richter(n) des BG abgelehnt wird (LGZ Wien EFSlg 108.692). Eine Zuständigkeitstrennung in der Form, dass vorerst über die Ablehnung des Vorstehers der GH und dann – nach einer negativen E des GH – der Vorsteher über die übrigen Ablehnungsanträge entscheiden könnte, ist nicht vorgesehen. Über einen Ablehnungsantrag entscheidet nur dann das OLG, wenn auch beim zuständigen GH nicht zumindest drei unbefangene Richter zur Verfügung stehen (3 Ob 175/97z = EvBl 1997/ 191). 83

§ 24

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3 Über die Ablehnung eines Richters des GH (auch wenn dieser gem § 77 Abs 3 RDG als Vertretungsrichter beim BG verwendet wird) entscheidet nicht der Präsident, sondern der hiefür nach § 19 Z 10 Geo bestellte Senat (RZ 1962, 278), der auch in Arbeits- und Sozialrechtssachen nur aus Berufsrichtern besteht (EvBl 1988/43 und nunmehr ausdrücklich § 11 Abs 4 ASGG; ebenso in der Kartellgerichtsbarkeit: 1 Nc 67/04z = SZ 2004/99). Der Gesetzgeber hat sich bei der Zuständigkeitsregelung also offenkundig nicht von der Besorgnis leiten lassen, dass die Entscheidung über die Ablehnungserklärung von und gegen einen Richter desselben GH das pflichtgemäße objektive Urteilsvermögen der anderen Richter dieses Gerichtes überfordern könnte (EvBl 1988/135; dies gilt auch, wenn die Ablehnung den Präsidenten des GH betrifft: 1 Ob 174/04a). Nur wenn der GH durch das Ausscheiden des abgelehnten Richters beschlussunfähig werden sollte – dies ist erst dann der Fall, wenn eine vorschriftsmäßige Besetzung der Senate unmöglich ist (EvBl 1977/87 = RZ 1977/67, 127; EFSlg 101.527) –, entscheidet der zunächst übergeordnete GH, der gegebenenfalls gleichzeitig eine Delegation nach § 30 anzuordnen hat. § 24. (1) Über die Ablehnung wird ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß entschieden, doch können vor der Beschlußfassung alle zur Aufklärung nötig erscheinenden Erhebungen und Einvernehmungen angeordnet werden. (2) Gegen die Stattgebung der Ablehnung findet kein Rechtsmittel, gegen die Zurückweisung der Rekurs an das zunächst übergeordnete Gericht statt. [Fassung 8. GEN] Lit: König/Broll, Zum Rechtsmittelverfahren in Ablehnungssachen, JBl 1990, 366; Thiele, Kostenersatz im zivilen Ablehnungsverfahren, RZ 2001, 270.

1 Die Entscheidung über einen Ablehnungsantrag erfolgt ohne mündliche Verhandlung. Zur Ermittlung der maßgeblichen Entscheidungsgrundlagen sind jedoch (von Amts wegen) die notwendigen Erhebungen durchzuführen. Rechtsmissbräuchlich ständig wiederholte Ablehnungsanträge müssen allerdings nicht zum Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung gemacht werden; es ist aber ein Aktenvermerk darüber ratsam (EvBl 1989/18; 1 N 506/99 = EvBl 1999/139; EFSlg 105.446; vgl auch EFSlg 72.755 und 75.899). 84

JN § 24

1.2 Ablehnung von Richtern

Das Rechtsmittelverfahren in Ablehnungssachen richtet sich – sofern 2 §§ 19 bis 25 keine Sonderregelungen enthalten – nach den Vorschriften des Verfahrens, in dem die Ablehnung erfolgt (stRsp, zuletzt etwa 2 Ob 22/04f = EFSlg 108.705), daher besteht etwa im Konkursverfahren auch vor dem OGH keine Anwaltspflicht (ZIK 1995, 159); anders aber etwa im sozialgerichtlichen Verfahren (10 ObS 134/03h = SSV-NF 17/58). Gegen einen Beschluss, mit welchem eine Befangenheit festgestellt 3 wird, ist ein Rechtsmittel jedenfalls ausgeschlossen. Es kann also auch nicht eine Partei gegen die Stattgebung der Selbstmeldung des Richters oder der Richter (oder die andere Partei) gegen die Stattgebung eines Ablehnungsantrages Rekurs ergreifen (RZ 1981/23, 91; LGZ Wien EFSlg 108.709). Zur Einbringung eines Rekurses gegen die Zurück- (Ab-) Weisung der 4 Ablehnung ist nur legitimiert, wer selbst in erster Instanz abgelehnt hat; gegen die Entscheidung über eine vom Richter selbst erstattete Befangenheitsanzeige können daher die Prozessparteien keinen Rekurs erheben (AnwBl 1992, 916 [zust Mayr]; RdW 1998, 138; OLG Linz EFSlg 101.540). Dem Richter, dessen Selbstmeldung wegen Befangenheit nicht stattgegeben wurde, steht dagegen ein Rekursrecht zu (ZBl 1929/ 216). Auch im Ablehnungsverfahren müssen schriftliche Rekurse mit der Unterschrift eines Rechtsanwaltes versehen sein (EvBl 1975/92; LGZ Wien MietSlg 47.568); dies gilt jedoch nicht in einem Verfahren ohne Anwaltspflicht (EvBl 1972/91; SZ 54/96 = EvBl 1981/219; EFSlg 101.539). Einzubringen ist der Rekurs bei dem Gericht, das in erster Instanz über die Ablehnung entschieden hat (SZ 13/108 = ZBl 1931/220; 7Ob 234/02s = EFSlg 101.526; Ballon in Fasching I § 24 Rz 5). Wird er beim unzuständigen Gericht eingebracht, so gilt er nach stRsp (EvBl 1995/90 oder RS0041584, insb 2 Ob 118/98m) nur dann als rechtzeitig, wenn er noch innerhalb der Rechtsmittelfrist beim zuständigen Gericht einlangt. Der Rechtszug geht von einem in erster Instanz entscheidenden LG an das OLG (6 Ob 99/04h = EFSlg 108.695). Die stRsp legt die Regelung des Abs 2 als abschließende Sonderregelung 5 über die Rechtsmittelzulässigkeit im Ablehnungsverfahren in dem Sinn aus, dass gegen die „Zurückweisung“ des Ablehnungsantrages der Rekurs nur an das zunächst übergeordnete Gericht stattfindet und gegen dessen Entscheidung kein weiteres Rechtsmittel zulässig sei. Obwohl gegen diese Auslegung in der Literatur Zweifel angemeldet wurden (König/Broll, JBl 1990, 366; zust Ballon, RZ 1991, 106), hält auch die neueste Judikatur (zum AußStrG und [früher] zum ASGG, beachte 85

§ 25

Mayr

sonst § 528 ZPO) an ihr fest (EvBl 1991/36 = EFSlg 63.899; Arb 10.989 = RZ 1992/47, 124; EvBl 1997/191; DRdA 1997, 508; NZ 1998, 334 = EFSlg 85.137; EvBl 1998/12; EFSlg 105.451; RS0074402, RS0098751, RS0007183, RS0046010, RS0046000 uva). Der OGH hegt hier auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken (5 Ob 263/04v). Eine Ausnahme wird nur dann gemacht (s außerdem unten § 25 Rz 3), wenn das Rekursgericht eine meritorische Behandlung des gegen die erstgerichtliche Sachentscheidung gerichteten Rekurses aus formellen Gründen ablehnte (SZ 42/74 = RZ 1969, 190; EvBl 1980/101 = JBl 1980, 487 = RZ 1981/5, 19; RdW 1996, 362; MietSlg 47.692; ZfRV 1998, 38; RdW 1998, 138; 3 Ob 195/03b = EvBl 2004/39 = EFSlg 105.453; 1 Ob 162/04m = EFSlg 108.703; RS0044509).

6 Eine Kostenersatzpflicht im Ablehnungsverfahren wird von der stRsp (etwa SZ 63/24; EFSlg 101.536 und RS0035778) generell mit dem Hinweis abgelehnt, dass eine solche im Gesetz nicht vorgesehen ist. Richtigerweise sollten die Kosten des Ablehnungswerbers jedoch als weitere Verfahrenskosten behandelt werden, die im Fall seines Obsiegens in der Hauptsache ersatzfähig sind (so überzeugend Thiele, RZ 2001, 270; vgl auch Ballon in Fasching I § 24 Rz 4 und die Rsp des OLG Linz, etwa AnwBl 1995, 898 oder 2 R 265/99z). § 25. Ein abgelehnter Richter hat bis zur rechtskräftigen Erledigung des Ablehnungsantrages alle Handlungen vorzunehmen, die keinen Aufschub gestatten; er hat ferner, wenn die Ablehnung offenbar unbegründet ist und die Absicht vermuten läßt, den Prozeß zu verschleppen, auch eine begonnene Verhandlung fortzusetzen, darf jedoch die Endentscheidung vor rechtskräftiger Zurückweisung der Ablehnung nicht fällen (§ 415 ZPO). Wird der Ablehnung stattgegeben, so sind die vom abgelehnten Richter vorgenommenen Prozeßhandlungen nichtig und, soweit erforderlich, aufzuheben. [Fassung 8. GEN]

1 Ein abgelehnter Richter ist (auch im Fall der Selbstmeldung oder der Ausgeschlossenheit) berechtigt, Prozesshandlungen vorzunehmen, die keinen Aufschub gestatten, das bedeutet, dass die Maßnahmen so dringend sein müssen, dass die Entscheidung über die Ablehnung nicht abgewartet werden kann (LGZ Wien EFSlg 57.668 oder OLG Wien EFSlg 101.545). Ist eine erfolgreiche Ablehnung eines Richters jedoch auf dessen rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten zurückzuführen, so können die Kosten des frustrierten Verfahrensaufwandes im Wege der Amtshaftung geltend gemacht werden (SZ 65/125). 86

JN § 26

1.2 Ablehnung von Richtern

§ 25 gilt auch für den von einer Partei abgelehnten Gerichtskommissär (LGZ Wien EFSlg 87.949; s auch unten § 26 Rz 3). Die vom abgelehnten Richter vorgenommenen Prozesshandlungen sind 2 nur dann nichtig, wenn der Ablehnung stattgegeben wird, bis dahin sind sie in Schwebe. Die Endentscheidung in der Hauptsache darf der Richter vor rechtskräftiger Zurück- (Ab-)weisung der Ablehnung keinesfalls fällen. Hat er dennoch entschieden und wird in der Folge der Ablehnungsantrag rechtskräftig zurück- (ab-)gewiesen, so liegt nur ein Mangel des Verfahrens vor, der jedoch das Zustandekommen einer richtigen Entscheidung nicht verhindern konnte und im Rechtsmittelverfahren nicht mehr zu berücksichtigen ist (SZ 43/161; EvBl 1992/117; 1 Ob 170/03m = EFSlg 105.455). Über ein Rechtsmittel gegen die Endentscheidung darf jedenfalls erst nach rechtskräftiger Erledigung des Ablehnungsantrages entschieden werden (SZ 41/164 = EvBl 1969/162; LGZ Wien EFSlg 60.685). Im Ablehnungsbeschluss ist zu entscheiden, ob und inwieweit die vom 3 abgelehnten Richter gesetzten Prozesshandlungen als nichtig aufgehoben werden, wobei grundsätzlich jeder Akt aufzuheben ist, der unter Mitwirkung des erfolgreich abgelehnten Richters zustande gekommen ist (SZ 65/125; LGZ Wien EFSlg 101.546). Es sind jedoch auch Fälle denkbar, in denen die Befangenheit des Richters nicht bis zu seiner erstmaligen Befassung mit der Rechtssache zurückreicht. Dann können – soweit dies unter Bedachtnahme auf den Unmittelbarkeitsgrundsatz überhaupt sinnvoll erscheint – Prozesshandlungen, die der Richter noch völlig unvoreingenommen vorgenommen hat, von der Aufhebung ausgenommen werden (1 Ob 45/97t = RdW 1998, 138). Unterbleibt eine solche Nichtigerklärung oder erfolgt sie nicht im begehrten Ausmaß, ist der Beschluss ungeachtet § 24 Abs 2 (auch von der Partei, die den Richter nicht abgelehnt hat) anfechtbar (EFSlg 69.706 und 69.707; 1 Ob 45/ 97t = RdW 1998, 138; 8 Ob 309/97t = SZ 71/24). Erwächst der Beschluss allerdings unangefochten in Rechtskraft, so ist auch das Rechtsmittelgericht an das Ausmaß der Nichtigerklärung gebunden (EFSlg 49.241 = ÖA 1986, 109; NZ 1988, 76; LGZ Wien EFSlg 82.057). Ablehnung anderer gerichtlicher Organe § 26. (1) Die Vorschriften über die Ablehnung von Richtern finden auch auf Schriftführer, Angestellte der Gerichtskanzlei und Vollstreckungsbeamte, sofern sie als Zustellungs-, Beurkundungs- oder Vollstreckungsorgane einschreiten, mit der Maßgabe Anwendung, daß zur Entscheidung der Gerichtsvorsteher berufen ist, welchem die Dienstesaufsicht über diese Organe zusteht. 87

§ 27

Mayr

(2) Diese Entscheidung kann durch ein Rechtsmittel nicht angefochten werden. [Stammfassung; zum Ausdruck „Gerichtskanzlei“ s § 16 Rz 1]

1 Die bezeichnete Personengruppe – darunter fallen (neben den jetzt [§ 24 EO idF EO-Nov 1995] Gerichtsvollzieher genannten Vollstreckungsbeamten) insbes auch Richteramtsanwärter (vgl § 22 GOG), Rechtspraktikanten und Rechtshörer – hat also sowohl das Vorliegen von Ausschließungs- als auch von Befangenheitsgründen selbst zu melden, kann aber auch von den Parteien abgelehnt werden. Zuständig ist der Vorsteher des BG oder – bei Personal des GH – der Präsident des GH. Dessen Entscheidung ist endgültig. Es handelt sich dabei um einen Akt der Rechtsprechung (VwGH VwSlg 4249/A = JBl 1957, 226 und oben § 23 Rz 1).

2 Die Vorschriften über die Ablehnung von Richtern sind auch auf Rechtspfleger anzuwenden. Auch hier entscheidet der Vorsteher des BG (Präsident des GH) endgültig (§ 7 RpflG, § 183 Abs 4 Geo; LGZ Wien EFSlg 105.437). Auch wenn ein Verfahren vom Rechtspfleger geführt wird, ist aber eine Ablehnung des zuständigen Richters möglich, wenn zu befürchten ist, dass er seine Befugnisse nach §§ 8 und 9 RpflG unsachlich wahrnehmen könnte (LGZ Wien EFSlg 82.034).

3 Die §§ 19 bis 25 sind auf Notare, die zum Gerichtskommissär bestellt sind, sinngemäß anzuwenden (Näheres § 6 GKG und Mayr/Fucik Rz 556 f; EFSlg 63.896 = NZ 1990, 302 = RZ 1992/38, 97; NZ 1997, 228; 8 Ob 2/03g = EFSlg 105.436). Eine Unterbrechung des Verfahrens ist nicht unbedingt nötig (1 Ob 307/03w = EvBl 2004/138). § 27. (1) Gerichtliche Organe, auf welche sich die vorstehenden Bestimmungen nicht beziehen, haben, wenn sie sich in einem Verhältnisse befinden, welches einen Richter von der Ausübung des Amtes ausschließen würde, dieses Verhältnis dem Vorsteher des Gerichtes anzuzeigen. (2) Der Vorsteher des Gerichtes hat in Ausübung der ihm zustehenden Geschäftsleitung zu bestimmen, ob sich solche gerichtliche Organe der Ausübung ihres Amtes im einzelnen Falle zu enthalten haben. [Stammfassung]

1 Bei Gericht verwendete (untergeordnete) Personen, die weder unter §§ 19 und 26 noch unter Sonderbestimmungen fallen, sind etwa Dol88

JN § 27

1.2 Ablehnung von Richtern

metscher (vgl LGZ Wien EvBl 1937/54) oder zugezogene Stenographen, nicht aber der Masseverwalter (VwGH VwSlg 6844/A; s § 87 KO; kritisch OLG Linz ZIK 1995, 190 zu einem Gläubigerausschussmitglied). Nach dem Wortlaut des Gesetzes müssen diese Gerichtsorgane nur Ausschließungsgründe (keine Befangenheitsgründe) anzeigen und ist eine Ablehnung durch die Parteien nicht vorgesehen, jedoch erscheint eine erweiternde Auslegung angebracht (s auch § 182 Abs 1 und § 183 Abs 5 Geo; Danzl, § 182 Geo Anm 2d). Ein formelles Ablehnungsverfahren ist nicht vorgesehen. Der Leiter des 2 betreffenden Gerichtes (Vorsteher oder Präsident) verfügt im Einzelfall unanfechtbar, ob und inwieweit das betreffende Organ dennoch zu der vorgesehenen Tätigkeit herangezogen wird.

89

Dritter Abschnitt Zuständigkeit Vor § 27a

1 Zuständigkeit bedeutet die Zugehörigkeit einer Rechtssache zum Geschäftskreis eines bestimmten Gerichtes. Sie setzt die Zulässigkeit des (ordentlichen) Rechtswegs und das Vorliegen der inländischen Gerichtsbarkeit voraus. Es sind folgende Arten der Zuständigkeit zu unterscheiden: Sachliche Zuständigkeit (§§ 49 bis 52 und § 104a) bedeutet die Zugehörigkeit einer bestimmten Rechtssache zu einem bestimmten Gerichtstyp (BG oder GH) oder zu einer bestimmten Kausalgerichtsbarkeit (allgemeine Zivilsache – Handelssache – Arbeits- und Sozialrechtssache [s aber § 7 Rz 5]) oder auch zu einem Schiedsgericht (s § 42 Rz 9). Die örtliche Zuständigkeit (§§ 65 ff, 105 ff) verteilt die Rechtssachen unter den Gerichten desselben Gerichtstyps (Bestimmung des Gerichtsstandes). Eine individuelle Zuständigkeit liegt vor, wenn das Gesetz von vornherein für gewisse Rechtssachen ein bestimmtes Gericht für (sachlich und örtlich) zuständig erklärt (zB §§ 76a, 77 Abs 2, 79, 94 Abs 2, 114a Abs 2 und 3; § 532 ZPO). Die funktionelle Zuständigkeit verteilt die verschiedenen Rechtspflegefunktionen in derselben Rechtssache an verschiedene Rechtspflegeorgane (Gericht erster Instanz – Rechtsmittelgericht; erkennendes Gericht – Rechtshilfegericht; Richter – Rechtspfleger). Der Ausdruck „internationale Zuständigkeit“ wird in der JN nach wie vor nicht verwendet, sondern (vom ausschließlich gebrauchten) Begriff „inländische Gerichtsbarkeit“ mitumfasst. Dennoch muss seit der WGN 1997 zwischen der „inländischen Gerichtsbarkeit“ im engeren (bzw im völkerrechtlichen) Sinn und der „internationalen Zuständigkeit“ unterschieden werden, da nunmehr insb auch die Rechtsfolgen dieser beiden Prozessvoraussetzungen (kraft Gesetzes) unterschiedlich sind (s etwa Mayr in Fasching/Konecny III § 230 ZPO Rz 8 ff und Rz 20 sowie unten § 27a Rz 1 und § 42 Rz 2 ff).

2 Nach dem Rechtsgrund der Zuständigkeit kann unterschieden werden: –

gesetzliche Zuständigkeit (sie ergibt sich direkt aus dem Gesetz: §§ 49 bis 103 und §§ 104a bis 122 sowie zahlreiche Sonderbestimmungen); 90

JN § 27a

1.3 Zuständigkeit – –

vereinbarte Zuständigkeit (§ 104) bzw Zuständigkeit aufgrund der Unterlassung einer rechtzeitigen Einrede (§ 43 Abs 1, § 104 Abs 3); gerichtlich bestimmte Zuständigkeit (§§ 28, 30, 31, 31a, 111).

Lit: Ballon in Fasching I Vor §§ 27a ff JN; Bajons Rz 47 ff; Ballon Rz 51 ff; Deixler-Hübner/Klicka Rz 59 ff; Fasching Rz 190 ff; Holzhammer 40; Rechberger/Simotta Rz 97 ff. Inländische Gerichtsbarkeit § 27a. (1) Sind für eine bürgerliche Rechtssache die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit eines Gerichts gegeben, so besteht die inländische Gerichtsbarkeit, ohne dass eine sonstige Voraussetzung erfüllt sein muss. (2) Der Abs 1 gilt nicht, soweit nach Völkerrecht zur Gänze oder zum Teil ausdrücklich anderes bestimmt ist. [Eingefügt durch Art VI Z 2 WGN] Lit: Mayr, EuGVÜ/LGVÜ und Jurisdiktionsnorm: Anpassungsbedarf des österreichischen Rechts? in Bajons/Mayr/Zeiler, Übereinkommen 103; ders, Das „Europäische Zivilprozeßrecht“ und Österreich, ÖJZ 1997, 847; ders, Jurisdiktionsnorm und Gerichtsorganisationsgesetz nach 100 Jahren, in Mayr (Hrsg), 100 Jahre österreichische Zivilprozessgesetze (1998) 33 (50); Matscher, Die Neuregelung der inländischen Gerichtsbarkeit durch die WGN 1997, JBl 1998, 488; Klicka, Die „Erweiterte Wertgrenzen-Novelle 1997“, JAP 1997/98, 260 = ZZPInt 3 (1998) 127; Burgstaller, Probleme der Prorogation nach dem LuganoÜbereinkommen, JBl 1998, 691; Heiss/Mayr, Neuerungen im österreichischen internationalen Verfahrens- und Vertragsrecht, IPRax 1999, 305; Simotta, Die Neuregelung der internationalen Zuständigkeit durch die Wertgrenzen-Novelle 1997, FS Schütze (1999) 831 ff; Oberhammer, Zur „Internationalisierung“ der Rechtsfindung, dargestellt am Beispiel des Verfahrensrechts, in: Global Business und Justiz, Österreichische Richterwoche 2000 (Schriftenreihe des BMJ Bd 104 [2000]) 369; Mayr, Die Reform des internationalen Zivilprozessrechts in Österreich, JBl 2001, 144 ff; Czernich, Österreichisch-Amerikanisches Zivilprozessrecht, JBl 2002, 613; Matscher, Zur prozessualen Behandlung der inländischen Gerichtsbarkeit, FS Schlosser (2005) 561. Von der älteren Literatur sind noch zu nennen: W. Kralik, Die internationale Zuständigkeit, ZZP 74 (1961) 2; Bajons, Ein österreichisches System der internationalen Zuständigkeit, ZfRV 1972, 91; Matscher, Überlegungen zu einem einheitlichen Begriff der inländischen Gerichtsbarkeit in Zivilrechtssachen, FS Verosta (1980) 229; Hoyer, Die 91

§ 27a

Mayr

Neuregelung des internationalen Zivilverfahrensrechts in Österreich, ZZP 95 (1982) 151; ders, Eine Richtungsänderung im österreichischen internationalen Zivilverfahrensrecht? ZfRV 1983, 59; Loewe, Erneuerung des österreichischen internationalen Zivilverfahrensrechts, ZfRV 1983, 180; Matscher, Zur Abgrenzung der inländischen Gerichtsbarkeit, vornehmlich in Vermögenssachen, JBl 1983, 505; derselbe, Die internationalrechtlichen Bestimmungen der Zivilverfahrens-Novelle 1983, in: Neuerungen im zivilgerichtlichen Verfahrensrecht. Richterwoche 1983 Badgastein (1984) 201; Schwimann, Streitfragen der inländischen Ziviljurisdiktion, FS Floretta (1983) 109; ders, Zur Abgrenzung der inländischen Gerichtsbarkeit bei Fehlen ausdrücklicher Vorschriften, JBl 1984, 9; ders, Örtliche Zuständigkeit und „inländische Gerichtsbarkeit“, RdW 1985, 332; Rechberger, Gibt es eine „internationale Zuständigkeit“ der österreichischen Gerichte? FS Nagel (1987) 294; Schwimann, Inländische Gerichtsbarkeit für Personenrechts-, Familienrechts- und Unterhaltssachen, JBl 1990, 760; H. Roth, Inländische Gerichtsbarkeit, ZVglRWiss 90 (1991) 298; Geimer, Verfassungsrechtliche Vorgaben bei der Normierung der internationalen Zuständigkeit, FS Schwind zum 80. Geburtstag (1993) 17; Matscher, Die Einwirkung der EMRK auf das Internationale Privat- und zivilprozessuale Verfahrensrecht, FS Schwind zum 80. Geburtstag (1993) 71; Mayr, Praxisprobleme der Zuständigkeit und der inländischen Gerichtsbarkeit, ÖJZ 1995, 329; Pfeiffer, Falscher vorauseilender Gehorsam in die richtige Richtung – Zur „Lugano-freundlichen“ Auslegung des autonomen österreichischen Zuständigkeitsrechts, IPRax 1996, 205; Matscher, Die Indikationentheorie an der Schwelle der Integration des österreichischen in das europäische Zivilprozeßrecht, JBl 1996, 277. Matscher in Fasching I § 27a JN; Ballon Rz 95 f; Deixler-Hübner/ Klicka Rz 376, 388 ff; Rechberger/Simotta Rz 64 ff.

1 Im Gegensatz etwa zu Deutschland, wo seit langem zwischen (inländischer) „Gerichtsbarkeit“ (bzw „Gerichtsgewalt“) und „internationaler Zuständigkeit“ als selbständige Prozessvoraussetzungen unterschieden wird (etwa Pfeiffer, IPRax 1996, 205; Schack, IZVR4 Rz 131 f oder Geimer, IZPR5 Rz 371 ff und 844 ff), kennt das österreichische Recht nach wie vor nur den einheitlichen Begriff der „inländischen Gerichtsbarkeit“ (s schon oben Vor § 27a Rz 1). Dennoch empfiehlt es sich (nunmehr), zwischen der inländischen Gerichtsbarkeit im engeren (bzw völkerrechtlichen) Sinn, welche (nur) durch die völkerrechtlichen Regeln über die Immunität (s Art IX EGJN) eingeschränkt wird, einerseits und der inländischen Gerichtsbarkeit im Sinne der „internationalen Zuständigkeit“, welche die Verteilung der Rechtssachen mit Auslandsbezug unter die verschiedenen Staaten regelt, andererseits zu unter92

JN § 27a

1.3 Zuständigkeit

scheiden (s etwa Mayr, JBl 2001, 150 oder Rechberger/Simotta Rz 64). Seit der WGN 1997 unterscheidet nämlich auch das Gesetz selbst insb bei der perpetuatio fori (§ 29) und den Rechtsfolgen bei einem Mangel (§ 42 Abs 2) zwischen diesen beiden Arten von Prozessvoraussetzungen. Außerdem gibt es jetzt im Anwendungsbereich des „Europäischen Zivilprozessrechts“ (dazu unten Nach § 27a) eine echte internationale Zuständigkeitsordnung, die (jedenfalls dort) zur Verwendung des Ausdrucks „internationale Zuständigkeit“ führen muss (vgl schon H. Roth, ZVglRWiss 1991, 303 oder Mankowski, IPRax 1998, 126). Darüber hinaus muss auch im Bereich der internationalen Zuständigkeit zwischen zwei Kategorien unterschieden werden, nämlich zwischen einer prorogablen (also durch Vereinbarung der Parteien begründbaren) und einer unprorogablen internationalen Zuständigkeit. Weiter verkomplizierend kommt noch dazu, dass die prorogable internationale Unzuständigkeit aber wie eine unprorogable (nationale) Unzuständigkeit behandelt wird und dass die unprorogable internationale Unzuständigkeit im Gegensatz zur nationalen unprorogablen Unzuständigkeit (bis zur Rechtskraft) nicht heilen kann (s bereits Mayr in Mayr, 100 Jahre 49; Näheres § 42 Rz 2 ff). Ausdrückliche (innerstaatliche) Regelungen über die Abgrenzung der 2 „inländischen Gerichtsbarkeit“ (iSd internationalen Zuständigkeit) haben bis zur WGN 1997 lediglich in personen-, familien- und erbrechtlichen Angelegenheiten bestanden, wobei hier regelmäßig an parteioder streitgegenstandsbezogene Kriterien angeknüpft wird (s §§ 76 Abs 2, 106 f, 108 Abs 3, 110, 113b, 114, 114a Abs 4; §§ 22 ff AußStrG 1854 bzw [jetzt] §§ 106 f JN nF; § 12 TEG). Für den weiten Bereich der vermögensrechtlichen Streitigkeiten fehlten hingegen (bis zur WGN 1997) solche Bestimmungen, was zu einem jahrelangen Theorienstreit und einer uneinheitlichen und unübersichtlichen Rsp geführt hat (s die Übersicht etwa bei Fasching Rz 72 ff). Zuletzt hatte freilich die Rsp einhellig und die Lehre überwiegend die sog Indikationentheorie vertreten (Nachweise etwa bei Mayr, ÖJZ 1995, 334). Danach bestand die „inländische Gerichtsbarkeit“ für alle Zivilrechtssachen, die durch positiv-gesetzliche Anordnung, durch völkerrechtliche Regeln oder zufolge eines durch die inländischen Verfahrensordnungen anerkannten Anknüpfungspunktes an das Inland, zB einen inländischen Gerichtsstand, vor die österreichischen Gerichte verwiesen waren. Wenn ein inländischer Gerichtsstand vorlag, eine hinreichende Nahebeziehung zum Inland aber fehlte, war die inländische Gerichtsbarkeit jedoch dennoch zu verneinen (zuletzt etwa EvBl 1998/58 = ZfRV 1998, 256 = ecolex 1998, 125 [Wilhelm] = RIW 1998, 637 [Seidl-Hohenveldern]). Dieses entscheidende Kriterium der ausreichenden Nahebeziehung bedeutete 93

§ 27a

Mayr

allerdings einen gewissen Unsicherheitsfaktor für den (insb österreichischen) Rechtssuchenden, dem kein wesentlicher Vorteil der Indikationentheorie gegenüberstand (kritisch zuletzt insb Matscher, JBl 1996, 277).

3 Wegen dieser Rechtsunsicherheit der Praxis und unter dem Einfluss des „Europäischen Zivilprozessrechts“, das nach hM eine „Indikationentheorie“ nicht kennt, sondern dessen Gerichtsstände (mit oder ohne Nahebeziehung) jedenfalls auch die internationale Zuständigkeit begründen (s etwa Mayr, ÖJZ 1997, 856 f mwN oder 9 ObA 265/97d = ÖJZ-LSK 1998/4 und 5 Nd 523/99), hat der Gesetzgeber der WGN 1997 mit der Einfügung des § 27a die Indikationentheorie ganz bewusst beseitigt. Nunmehr besteht (iSd Theorie von der Doppelfunktionalität der Gerichtsstände) „inländische Gerichtsbarkeit“ (iSd internationalen Zuständigkeit) immer schon dann, wenn nach den Bestimmungen der JN oder einer anderen Rechtsquelle (zB §§ 4 ff ASGG; § 35 Abs 2, § 36 Abs 2, § 37 Abs 3, § 368 Abs 2 EO; § 178 KO und § 77 AO; § 20 EKHG) ein Gerichtsstand in Österreich besteht. Dies gilt (grundsätzlich) auch für die Gerichtsstandsvereinbarung und die rügelose Einlassung vor einem inländischen Gericht (s aber § 104 Abs 4). Weitere Voraussetzungen – insb eine Nahebeziehung zum Inland – werden (ausdrücklich) nicht (mehr) verlangt (etwa 1 Ob 361/98i = JBl 2000, 47; 8 Ob 105/99w = ecolex 2000/341, 871 = ZfRV 2000/43, 115; 7 Ob 276/00i = ZfRV 2001/47, 150; 6 Ob 174/02k = ÖJZ-LSK 2003/34 = RdW 2003/123, 144 = ZfRV-LS 2003/32 uva). Bei Vorliegen der örtlichen Zuständigkeit eines österreichischen Gerichts, kann die „inländische Gerichtsbarkeit“ (internationale Zuständigkeit) daher nicht mehr verneint werden (außer es greift das Völkerrecht ein – unten Rz 4 – oder es ist eine internationale [nicht aber eine örtliche] Gerichtsstandvereinbarung ausgeschlossen – unten Rz 5). Auch der Umstand, dass eine inländische Entscheidung im Ausland nicht anerkannt und vollstreckt wird, ist kein Grund, eine nach österreichischem Recht gegebene internationale Entscheidungszuständigkeit zu verneinen (6 Ob 7/02a = JBl 2003, 54 = EFSlg 101.488 = ZfRV 2003/3, 18; vgl auch 1 Ob 221/02k = JBl 2004, 105 [Rotter] = ZfRV 2004/ 13, 77). Darüber hinaus besteht „inländische Gerichtsbarkeit“ aber auch dann, wenn – ohne Gerichtsstand in Österreich – die Voraussetzungen für eine Ordination nach § 28 vorliegen. Es ist daher in Wahrheit die Theorie von der „potentiellen Universalität“ der österreichischen Gerichtsbarkeit (iS Matschers) verwirklicht worden (s Mayr, JBl 2001, 152). § 27a ist (grundsätzlich) in allen zivilgerichtlichen Verfahrensarten, insb auch im Verfahren außer Streitsachen, anzuwenden (vgl etwa Mayr/Fucik Rz 58 und 3 Ob 264/00w = SZ 74/74 = EvBl 2001/186 = 94

JN § 27a

1.3 Zuständigkeit

ZfRV 2001/74, 232 oder 3 Ob 100/99y = ZfRV 1999/58, 191 für die Bewilligung einer Exekution). Trotz Vorliegens der örtlichen Zuständigkeit eines inländischen Ge- 4 richts dürfen inländische Gerichte allerdings dann nicht entscheiden, wenn das Völkerrecht „ausdrücklich“ etwas anderes anordnet (Abs 2). In der Literatur wird zwar teilweise vertreten, dass (nach Völkerrecht) ein Rechtsschutz zu verweigern ist, wenn überhaupt kein (relevanter) Nahebezug zum Inland besteht (vgl dazu etwa Böhm, JBl 1988, 388 f; Fischer/Köck, Völkerrecht6 Rz 423; Schack, IZVR4 Rz 186; Geimer, IZPR5 Rz 127 ff, 392 jeweils mwN), da es sich dabei aber sicherlich (wenn überhaupt) um keine „ausdrückliche“ Regel handelt, kann diese Ausnahme (abgesehen davon, dass das Vorliegen eines inländischen Gerichtsstandes regelmäßig auch bereits eine gewisse Nahebeziehung bedeutet) hier nicht greifen (vgl 8 Ob 105/99w = ecolex 2000/341, 871 = ZfRV 2000/43, 115). Gemeint sind vielmehr in erster Linie jene Exemtionen von der inländischen Gerichtsbarkeit (ieS), die auf Grund der (völkerrechtlichen) Immunität von Staaten, Internationalen Organisationen, Personen und Sachen bestehen (wobei diese Regelungen freilich bisweilen auch nicht „ausdrücklich“ sind). Näheres dazu bei Art IX EGJN. Ausnahmen von (aber auch Erweiterungen) der „inländischen Gerichtsbarkeit“ können sich freilich auch auf Grund von völkerrechtlichen Verträgen ergeben, welche die internationale Zuständigkeit der Vertragsstaaten regeln. Zu nennen sind hier etwa das Übereinkommen vom 19.5.1956, BGBl 1961/138, über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR) und das (neue) Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (Montrealer Übereinkommen, BGBl III 2004/131; s dazu § 28 Rz 3), aber auch die Übereinkommen von Brüssel und Lugano treffen insofern andere Anordnungen. Die Regelung des Abs 1 gilt selbstverständlich auch dann nicht, wenn in Rechtsakten der Europäischen Union (s die neue Formulierung in §§ 100 oder 116 AußStrG) etwas anderes angeordnet wird. Diese Bestimmungen werden im Anschluss an diesen Paragraphen näher behandelt. Schon vor der WGN 1997 wurde die „inländische Gerichtsbarkeit“ 5 allgemein als eine selbständige Prozessvoraussetzung betrachtet, die getrennt, und zwar vor der Prüfung der Zuständigkeit, zu klären war (JBl 1988, 386; SZ 62/101 = JBl 1990, 396; EvBl 1991/182; EvBl 1992/8 = JBl 1992, 331 uva, zuletzt etwa 7 Ob 269/97b = ZfRV 1998/17, 78). Dies gilt für die inländische Gerichtsbarkeit im engeren Sinn (völkerrechtliche Immunitätsfälle) weiterhin uneingeschränkt. Trotz der noch 95

Nach § 27a

Mayr

engeren Verknüpfung der örtlichen Zuständigkeit mit der internationalen Zuständigkeit als nach der bisherigen Indikationentheorie ist aber auch die internationale Zuständigkeit als selbständige Prozessvoraussetzung zu betrachten, die zwar mit der örtlichen Zuständigkeit nahe verwandt, aber doch klar von ihr zu trennen ist: Die internationale Zuständigkeit legt fest, ob die inländischen Gerichte in ihrer Gesamtheit für die Entscheidung des Rechtsstreits (mit Auslandsbezug) zuständig sind, während sich die örtliche Zuständigkeit stets nur auf das konkrete, vom Kläger angerufene Gericht bezieht (vgl Schack, IZVR4 Rz 188; Geimer, IZPR5 Rz 847; Mayr, JBl 2001, 151 f). Diese grundsätzliche Selbständigkeit zeigt sich insb in jenen (seltenen) Fällen, in denen die beiden Voraussetzungen auseinanderfallen können: Einerseits kann die internationale Zuständigkeit Österreichs auch ohne örtliche Zuständigkeit (in Österreich) bestehen, und zwar dann etwa, wenn eine Gerichtsstandsvereinbarung nur die internationale Zuständigkeit der österreichischen Gerichte festlegt (§ 104 Abs 1 Z 1), was dann einen Anlassfall für eine Ordination bildet (dazu § 28 Rz 5). Andererseits gibt es auch Fälle, in denen zwar eine örtliche, aber keine internationale Zuständigkeit gegeben ist, dann nämlich, wenn zwar die örtliche, nicht aber die internationale Zuständigkeit durch Parteienvereinbarung oder rügelose Einlassung begründet werden kann (insb § 38 Abs 2 EO und die in § 104 Abs 4 erwähnten Fälle der §§ 81, 83, 83b und 92b). Diesfalls hat also das angerufene Gericht die Klage wegen internationaler Unzuständigkeit (mangelnder „inländischer Gerichtsbarkeit“) zurückzuweisen, obwohl es durch eine Gerichtsstandsvereinbarung oder eine rügelose Einlassung örtlich zuständig (geworden) ist. Zur Prüfungsreihenfolge der gerichtsbezogenen Prozessvoraussetzungen und zum Prüfungsmaßstab s Mayr, JBl 2001, 154 f sowie § 42 Rz 5 und 6. Nach § 27a Das „europäische Zivilprozessrecht“ – Grundlagen und Grundsätze Deutschsprachige Gesamtdarstellungen (alphabetisch): Brenn, Europäischer Zivilprozess (2005); Burgstaller/Neumayr (Hrsg), Internationales Zivilverfahrensrecht (Loseblattausgabe Stand 6. Lfg 2006); Czernich/Tiefenthaler/Kodek, Kurzkommentar Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht2 (2003); Geimer, Internationales Zivilprozeßrecht5 (2005); Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht2 (2004); Geimer/Schütze (Hrsg), Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen (Loseblattausgabe Stand August 96

JN Nach § 27a

1.3 Zuständigkeit

2005); Gottwald in Lüke/Walchshöfer (Hrsg), Münchener Kommentar zur Zivilprozeßordnung2 Bd 3 (2001) 1978 ff und Aktualisierungsband (2002) 838 ff; Hüßtege in Thomas/Putzo, Zivilprozeßordnung27 (2005) 1447 ff; Klauser, JN-ZPO II – Europäisches Zivilprozessrecht (2002); Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht8 (2005); Linke, Internationales Zivilprozeßrecht4 (2006); Mayr/Czernich, Europäisches Zivilprozessrecht (2006); Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozeßrecht5 (2002); Rauscher (Hrsg), Europäisches Zivilprozeßrecht (2004); Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht4 (2006); Schlosser, EU-Zivilprozessrecht2 (2003); U. Schmidt, Europäisches Zivilprozessrecht (2004); Schütze, Deutsches Internationales Zivilprozessrecht unter Einschluss des Europäischen Zivilprozessrechts2 (2005); Walter, Internationales Zivilprozessrecht der Schweiz3 (2002); Zöller/Geimer, Zivilprozessordnung25 (2005) 29 ff, 2698 ff. Allgemein zur Entwicklung: Besse, Die justitielle Zusammenarbeit in Zivilsachen nach dem Vertrag von Amsterdam und das EuGVÜ, ZEuP 1999, 107; Tarko, Ein Europäischer Justizraum: Errungenschaften auf dem Gebiet der justitiellen Zusammenarbeit in Zivilsachen, ÖJZ 1999, 401; Müller-Graff/Kainer, Die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen in der Europäischen Union, DRiZ 2000, 350; Hess, Die „Europäisierung“ des internationalen Zivilprozessrechts durch den Amsterdamer Vertrag – Chancen und Gefahren, NJW 2000, 23; ders, Aktuelle Perspektiven der europäischen Rechtsangleichung, dJZ 2001, 573; ders, Die Integrationsfunktion des Europäischen Zivilverfahrensrechts, IPRax 2001, 389; Kohler, Europäisches Kollisionsrecht zwischen Amsterdam und Nizza (2001); Schlosser, Neue Dimensionen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in der Ziviljustiz, FS Werner Lorenz zum 80. Geburtstag (2001) 409; Tarko, Justitielle Zusammenarbeit in Zivilsachen in der Europäischen Union (2001); Sedlmeier, Internationales und europäisches Verfahrensrecht – Neuere Entwicklungen bei der gegenseitigen Urteilsanerkennung in Europa und weltweit, EuLF 2002, 35; Baur/Mansel (Hrsg), Systemwechsel im europäischen Kollisionsrecht (2002); Geimer, Aktuelles aus dem Europarecht und dem Internationalen Verfahrensrecht, in Rechberger (Hrsg), Winfried-KralikSymposion 2001 (2002) 1; Hess, Rechtsfragen des Vorabentscheidungsverfahrens, RabelsZ 66 (2002) 470; Linke, Die Europäisierung des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts – Traum oder Trauma? FS Geimer (2002) 529; Wagner, Vom Brüsseler Übereinkommen über die Brüssel I-Verordnung zum Europäischen Vollstreckungstitel, IPRax 2002, 75; Mayr, Die Entwicklung des europäischen Zivilverfahrensrechts, in Hummer (Hrsg), Europarecht im Wandel (= Recht und Europa Bd 5, 2003) 167; ders, Die Auswirkungen des europäischen auf das österreichische Zivilverfahrensrecht, FS Beys (2003) 1033; H. Koch, 97

Nach § 27a

Mayr

Konvergenz der Rechte im Europäischen Zivilprozeß, FS Beys (2003) 733; Kohler, Der europäische Justizraum für Zivilsachen und das Gemeinschaftskollisionsrecht, IPRax 2003, 401; Storme (Hrsg), Procedural Laws in Europe. Towards Harmonisation (2003); Stadler, Das Europäische Zivilprozessrecht – Wie viel Beschleunigung verträgt Europa? IPRax 2004, 2; Müller-Graff, Die ziviljustizielle Zusammenarbeit im „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ im System des Europäischen Verfassungsvertrages, FS Jayme (2004) 1323; Kerameus, Der Zivilprozess und die internationale Rechtsentwicklung, ÖJZ 2004, 661; Hau, Zur Entwicklung des Internationalen Zivilverfahrensrechts in der Europäischen Union seit 2004, GPR 2005, 143; Hess, Die Konstitutionalisierung des europäischen Privat- und Prozessrechts, dJZ 2005, 540; Mankowski, Entwicklungen im Internationalen Privat- und Prozessrecht 2004/05, RIW 2005, 481, 561; Wagner, Zur Vereinheitlichung des internationalen Zivilverfahrensrechts sechs Jahre nach dem InKraft-Treten des Amsterdamer Vertrags, NJW 2005, 1754; ders, Die zivil(-verfahrens-)rechtlichen Komponenten des Aktionsplans zum Haager Programm, IPRax 2005, 494; sowie generell die jährlich im Heft 6 der Zeitschrift IPRax erscheinenden Berichte von Jayme/Kohler über das europäische Kollisionsrecht, zuletzt IPRax 2005, 481. Literaturauswahl zu EuGVÜ und LGVÜ: Schlosser, Das internationale Zivilprozeßrecht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und Österreich, FS Kralik 287; Urlesberger, Ein einheitliches Gerichtsstandsrecht für ganz Westeuropa mit Ausnahme Österreichs im Werden, JBl 1988, 223; Hoyer, Das Parallelübereinkommen der EFTAStaaten mit der EG über Gerichtsstand und Vollstreckung, NZ 1989, 238; Schwander (Hrsg), Das Lugano-Übereinkommen (1990); Loewe, Zwischenstaatliche Beziehungen in Zivilrechtsachen im neuen Europa, NZ 1991, 147; Trunk, Die Erweiterung des EuGVÜ-Systems am Vorabend des Europäischen Binnenmarktes (1991); Reichelt, „Lugano“ und Österreich – Österreich vor der Ratifikation des Parallelübereinkommens zum EuGVÜ, in Jayme (Hrsg), Ein internationales Zivilverfahrensrecht für Gesamteuropa (1992) 273; Fasching, Österreich und das Europäische Zivilprozeßrecht, ZZP 105 (1992) 457; Bajons, Das Luganer Parallelübereinkommen zum EuGVÜ, ZfRV 1993, 45; Musger, Das Übereinkommen von Lugano: Internationales Zivilverfahrensrecht für den Europäischen Wirtschaftsraum, RZ 1993, 192 = in: Rechtsprechung und europäische Integration. Richterwoche 1993 Badgastein (Schriftenreihe des BMJ Bd 64 [1994]) 171; Mänhardt, Das Lugano-Übereinkommen und Österreich, in Reichelt (Hrsg), Europäisches Kollisionsrecht (1993) 81; Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft (Hrsg), Internationale Zuständigkeit und Urteilsanerkennung in Europa (1993); Schmidt-Parzefall, Die Auslegung des Parallelübereinkommens von 98

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1.3 Zuständigkeit

Lugano (1995); Frauenberger-Pfeiler, Das „Lugano-Abkommen“ – die Einbindung Österreichs in das gesamteuropäische Zivilverfahrenssystem, JAP 1994/95, 227; dies, Die Gerichtszuständigkeit nach dem Abkommen von Lugano, ecolex 1996, 659; Fucik, Die Zuständigkeit nach dem LGVÜ, RZ 1996, 241; Mayr, Ab wann ist das Luganer Übereinkommen anzuwenden? wbl 1996, 381; Lechner/Mayr, Das Übereinkommen von Lugano. Einführung – Text – Materialien – Judikatur – Literatur (1996); Mayr/Lechner, Das Zuständigkeits- und Vollstreckungsübereinkommen von Lugano, LJZ 1997, 17; König, Das österreichische Zivilverfahrensrecht und die EU, in Reichert-Facilides (Hrsg), Recht und Europa I (1997) 99; Bajons/Mayr/Zeiler (Hrsg), Die Übereinkommen von Brüssel und Lugano (1997); Mayr, Das „Europäische Zivilprozeßrecht“ und Österreich, ÖJZ 1997, 847; Rudisch, Das sogenannte Lugano-Übereinkommen und seine Bedeutung für die österreichische Versicherungswirtschaft, VersRdSch 1997, 201; Wagner, Der Beitritt Österreichs, Finnlands und Schwedens zum Brüsseler Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen vom 27.9.1968, RIW 1998, 590; Czernich/Tiefenthaler, Europäisches Gerichtsstands- und Kollisionsrecht für internationale Bankgeschäfte, ÖBA 1998, 663; dies, Neue Aspekte im internationalen Verfahrensrecht durch den Beitritt Österreichs zum EuGVÜ, JBl 1998, 745; Klauser, EuGVÜ und EVÜ in Kraft getreten, ecolex 1998, 903; ders, Abgrenzung und Unterschiede zwischen EuGVÜ und LGVÜ, ecolex 1999, 679; ders, EuGVÜ und EVÜ (1999); Kohlegger, Ein Vergleich zwischen EuGVÜ und LGVÜ, ÖJZ 1999, 41; König, Bedarf die EO einer LGVÜ-EuGVÜ-Nachbesserung? ecolex 1999, 310; Neumayr, EuGVÜ – LGVÜ (1999); Schoibl, Zum zeitlichen Anwendungsbereich und zum Ratifikationsstand des Brüsseler Übereinkommens und zum Konkurrenzverhältnis der beiden Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen EuGVÜ – LGVÜ, ÖJZ 2000, 481; Mayr, EuGVÜ und LGVÜ (2001). Literaturauswahl zur EuGVVO und ihrer Entstehung: Kerameus/Prütting, Die Revision des EuGVÜ – Bericht über ein GrotiusProjekt, ZZPInt 3 (1998) 265; Wagner, Die geplante Reform des Brüsseler und des Lugano-Übereinkommens, IPRax 1998, 241; Musger, Die Revision der Übereinkommen von Brüssel und Lugano, in: Recht sprechen in Europa, Richterwoche 1998 (1999) 217; Kohler, Die Revision des Brüsseler und des Luganer Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivilund Handelssachen – Generalia und Gerichtsstandsproblematik, und Stadler, Die Revision des Brüsseler und des Luganer Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – Vollstreckbarerklärung und internationale Vollstreckung, beide in Gottwald (Hrsg), Revision 99

Nach § 27a

Mayr

des EuGVÜ – Neues Schiedsverfahrensrecht (2000) 1, 37; Hausmann, Die Revision des Brüsseler Übereinkommens von 1968, EuLF 2000/01, 40; Finger, EuGVVO – Eine erste Übersicht über die neue Regelung, MDR 2001, 1394; Micklitz/Rott, Vergemeinschaftung des EuGVÜ in der Verordnung (EG) Nr. 44/2001, EuZW 2001, 325 und EuZW 2002, 15; Geimer, Salut für die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 (Brüssel I-VO), IPRax 2002, 69; Handig, Wesentliche Änderungen durch das In-KraftTreten der Brüssel I-VO im Vergleich zum EuGVÜ, ecolex 2002, 141; Junker, Vom Brüsseler Übereinkommen zur Brüsseler Verordnung – Wandlungen des Internationalen Zivilprozessrechts, RIW 2002, 569; Kohler, Vom EuGVÜ zur EuGVVO: Grenzen und Konsequenzen der Vergemeinschaftung, FS Geimer (2002) 461; Piltz, Vom EuGVÜ zur Brüssel-I-Verordnung, NJW 2002, 789; Wernicke/Hoppe, Die neue EuGVVO – Auswirkungen auf die internationale Zuständigkeit bei Internetverträgen, MMR 2002, 643; Rechberger, Die Vollstreckung notarieller Urkunden nach der EuGVVO, FS Weißmann (2003) 771; Schoibl, Vom Brüsseler Übereinkommen zur Brüssel I-Verordnung: Neuerungen im europäischen Zivilprozessrecht, JBl 2003, 149; Geimer, Gegenseitige Urteilsanerkennung im System der Brüssel I-Verordnung, FS Beys (2003) 391; Kohler, Von der EuGVVO zum Europäischen Vollstreckungstitel, in Reichelt/Rechberger (Hrsg), Europäisches Kollisionsrecht (2004) 63; Hess, Die intertemporale Anwendung des europäischen Zivilprozessrechts in den EU-Beitrittsstaaten, IPRax 2004, 374; Neumayr, Grundlegendes zur Brüssel I-Verordnung, vor allem zur internationalen Zuständigkeit, ERA-Forum 2005, 172. Literaturauswahl zur EuEheVO bzw zur EuGVVO II: Hau, Internationales Eheverfahrensrecht in der Europäischen Union, FamRZ 1999, 484; Hausmann, Neues internationales Eheverfahrensrecht in der Europäischen Union, EuLF 2000/01, 271 und 345; Hau, Das System der internationalen Entscheidungszuständigkeit im europäischen Eheverfahrensrecht, FamRZ 2000, 1333; Gruber, Die neue „europäische Rechtshängigkeit“ bei Scheidungsverfahren, FamRZ 2000, 1129; Wagner, Die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen nach der Brüssel II-Verordnung, IPRax 2001, 73; Spellenberg, Anerkennung eherechtlicher Entscheidungen nach der EheGVO, ZZPInt 6 (2001) 109; ders, Der Anwendungsbereich der EheGVO („Brüssel II“) in Statussachen, FS Schumann (2001) 423; Schack, Das neue Internationale Eheverfahrensrecht in Europa, RabelsZ Bd 65 (2001) 615; Rausch, Neue internationale Zuständigkeiten in Familiensachen, FuR 2001, 151; Puszkajler, Das internationale Scheidungs- und Sorgerecht nach In-Kraft-Treten der Brüssel II-Verordnung, IPRax 2001, 81; Neumayr in Burgstaller/Neumayr (Hrsg), Internationales Zivilverfahrensrecht Kapitel 41 (2001); Musger, Internationales Zivil100

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1.3 Zuständigkeit

verfahrensrecht in der Brüssel II-Verordnung und im KindRÄG 2001, RZ 2001, 89; Kohler, Internationales Verfahrensrecht für Ehesachen in der Europäischen Union: Die Verordnung „Brüssel II“, NJW 2001, 10; ders, Status als Ware: Bemerkungen zur europäischen Verordnung über das internationale Verfahrensrecht für Ehesachen, in Mansel (Hrsg), Vergemeinschaftung des Europäischen Kollisionsrechts (2001) 41; Helms, Die Anerkennung ausländischer Entscheidungen im Europäischen Eheverfahrensrecht, FamRZ 2001, 257; Finger, Die Verordnung (EU) Nr. 1347/2000 des Rates v. 29.5.2000 (EheGVO), JR 2001, 177; Coester-Waltjen, „Brüssel II“ und das „Haager Kindesentführungsübereinkommen“, FS Lorenz (2001) 305; Boele-Woelki, Brüssel II: Die Verordnung über die Zuständigkeit und die Anerkennung von Entscheidungen in Ehesachen, ZfRV 2001, 121; Coester-Waltjen, Multa non multum im internationalen Familienverfahrensrecht, FS Geimer (2002) 139; Rauscher, Leidet der Schutz der Ehescheidungsfreiheit unter der VO Brüssel II? FS Geimer (2002) 883; Spellenberg, Die Zuständigkeit für Eheklagen nach der EheGVO, FS Geimer (2002) 1257; Simotta, Die internationale Zuständigkeit Österreichs in eherechtlichen Angelegenheiten – Ein Vergleich zwischen der EheVO und dem autonomen österreichischen Recht, FS Geimer (2002) 1115; dies, Die internationale Zuständigkeit für Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten (Art 3 f EheVO), FS Jelinek (2002) 291; Kohler, Auf dem Weg zu einem europäischen Justizraum für das Familien- und Erbrecht, FamRZ 2002, 709; Helms, Internationales Verfahrensrecht für Familiensachen in der Europäischen Union, FamRZ 2002, 1594; Fuchs/Tölg, Die einstweiligen Maßnahmen nach der EheVO (EuGVVO II), ZfRV 2002, 95; Bauer, Neues internationales Verfahrensrecht im Licht der Kindesentführungsfälle, IPRax 2002, 179; Spellenberg, Einstweilige Maßnahmen nach Art 12 EheGVO, FS Beys (2003) 1583; Schulz, Die Zeichnung des Haager Kinderschutz-Übereinkommens von 1996 und der Kompromiss zur Brüssel IIa-Verordnung, FamRZ 2003, 1351; Niklas, Die europäische Zuständigkeitsordnung in Ehe- und Kindschaftsverfahren (2003); Dornblüth, Die europäische Regelung der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung von Ehe- und Kindschaftsentscheidungen (2003); Busch, Schutzmaßnahmen für Kinder und der Begriff der „elterlichen Verantwortung“ im internationalen und europäischen Recht – Anmerkungen zur Ausweitung der Brüssel II-Verordnung, IPRax 2003, 218; Becker-Eberhard, Die Sinnhaftigkeit der Zuständigkeitsordnung der EG-VO Nr 1347/2000 („Brüssel II“), FS Beys (2003) 93; Siehr, Die Europäische Verordnung über das Verfahren in Ehesachen, in Reichelt/Rechberger (Hrsg), Europäisches Kollisionsrecht (2004) 113; Dilger, Die Regelungen zur internationalen Zuständigkeit in Ehesachen in der Verordnung Nr 2201/2003 (2004); 101

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Gördes, Internationale Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über die elterliche Verantwortung (2004); Klauser/ Horn, Brüssel IIa-Verordnung in Kraft, ecolex 2004, 910; Busch/Rölke, Europäisches Kinderschutzrecht mit offenen Fragen, FamRZ 2004, 1338; Schulz, Die Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 (Brüssel IIa) – eine Einführung, NJW Beilage zu Heft 18/2004; Solomon, „Brüssel IIa“ – Die neuen europäischen Regeln zum internationalen Verfahrensrecht in Fragen der elterlichen Verantwortung, FamRZ 2004, 1409; Pirrung, Haager Kinderschutzübereinkommen und Verordnungsentwurf „Brüssel IIa“, FS Jayme (2004) 701; Rausch, Ehesachen mit Auslandsbezug vor und nach „Brüssel IIa“, FuR 2004, 154; ders, Elterliche Verantwortung – Verfahren mit Auslandsbezug vor und nach „Brüssel IIa“, FuR 2005, 53 und 112; Kropholler, Europäisches Internationales Zivilverfahrensrecht ohne europäisches Kollisionsrecht – ein Torso, FS Schlosser (2005) 449; Pirrung, Internationale Zuständigkeit in Sorgerechtssachen nach der Verordnung (EG) 2201/2003, FS Schlosser (2005) 695; Coester, Kooperation statt Konfrontation: Die Rückgabe entführter Kinder nach der Brüssel IIa-Verordnung, FS Schlosser (2005) 135; Coester-Waltjen, Die Berücksichtigung der Kinderinteressen in der neuen EU-Verordnung „Brüssel IIa“, FamRZ 2005, 241; Gruber, Die neue EheVO und die deutschen Ausführungsgesetze, IPRax 2005, 293; Schütz, Zwischenstaatliche Vereinbarungen, die für den Familienrichter bedeutsam sein könnten, RZ 2005, 234; Mayr/Czernich, EuZPR Rz 22 ff und 307 ff; Andrae, Zur Abgrenzung des räumlichen Anwendungsbereichs von EheVO, MSA, KSÜ und autonomem IZPR/IPR, IPRax 2006, 82. Rechberger/Simotta Rz 76 ff. Inhaltsübersicht Brüsseler Übereinkommen 1 Luganer Übereinkommen 2 Unterschiede zwischen den Übereinkommen 3 Auslegungskompetenz EuGVÜ – LGVÜ 4–5 Charakteristik der Übereinkommen 6–7 Neue Rechtsgrundlagen 8 Neue Rechtsquellen 9 Geographischer Anwendungsbereich der Rechtsquellen 10

Zeitlicher Anwendungsbereich 11 Auslegung der Rechtsquellen 12–13 Verhältnis der verschiedenen Rechtsquellen zueinander 14–15 Gliederung der EuGVVO 16 Sachlicher Anwendungsbereich 17 Räumlich-persönlicher Anwendungsbereich 18 Grundregel der Zuständigkeit 19 102

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1.3 Zuständigkeit Wahlgerichtsstände Besondere Gerichtsstände in Versicherungs-, Verbraucherund Arbeitsrechtssachen Ausschließliche Gerichtsstände Gerichtsstandsvereinbarungen Rügelose Einlassung

20 21 22 23 24

Einstweilige Maßnahmen Internationale Streitanhängigkeit Gliederung der EuGVVO II Sachlicher Anwendungsbereich Zuständigkeitsregelung Internationale Streitanhängigkeit

25 26 27 28 29 30

Gestützt auf Art 220 EGV (nunmehr Art 293 EGV idF von Amsterdam) 1 hat in den 60er Jahren ein Sachverständigenausschuss ein Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ausgearbeitet, das am 27.9.1968 von den sechs ursprünglichen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft (Belgien, Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und Niederlande) in Brüssel unterzeichnet worden („Brüsseler Übereinkommen“ oder EuGVÜ) und dann am 1.2.1973 zwischen diesen Ländern in Kraft getreten ist. Die „Gesetzesmaterialien“ zu diesem Übereinkommen bildet ein kommentarartig angelegter Bericht des belgischen Delegierten P. Jenard, der eine für die Auslegung der (Stamm-)Regelungen wichtige Hilfe darstellt (veröffentlicht im ABl 1979 Nr C 59, 1 oder auch bei Lechner/Mayr, Lugano 201 ff). Ergänzt wurde das Übereinkommen durch das sog Luxemburger Auslegungsprotokoll (AuslProt) vom 3.6.1971, mit dem die Kompetenz zur einheitlichen Vertragsauslegung dem EuGH übertragen wurde (dazu unten Rz 4). Der EG-Beitritt Dänemarks, Großbritanniens und Irlands machte erstmals eine Überarbeitung des Übereinkommens notwendig. Dies geschah entsprechend Art 63 Abs 2 EuGVÜ in der Form eines besonderen Beitrittsübereinkommens, das 1978 in Luxemburg unterzeichnet worden ist (ABl L 304, 1 vom 30.10.1978). Der (internationale) Bericht dazu stammt von Schlosser (ABl 1979 Nr C 59, 71 oder Lechner/Mayr, Lugano 293 ff). Weitere Überarbeitungen: – Beitrittsübereinkommen 1982 für Griechenland (ABl L 388, 1 vom 31.12.1982) mit Bericht Evrigenis/Kerameus (ABl 1986 Nr C 298, 1 ff oder Mayr, EuGVÜ und LGVÜ 141 ff); – Beitrittsübereinkommen 1989 für Spanien und Portugal (ABl L 285, 1 vom 3.10.1989) mit Bericht Almeida Cruz/Desantes Real/Jenard (ABl 1990 Nr C 189, 35 ff oder Mayr, EuGVÜ und LGVÜ 163 ff); – Beitrittsübereinkommen 1996 für Österreich, Finnland und Schweden (ABl C 15, 1 vom 15.1.1997 = BGBl III 1998/167); ein Bericht dazu ist nicht veröffentlicht worden. 103

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Eine konsolidierte aktuelle (Gesamt-)Fassung des EuGVÜ mit dem Auslegungsprotokoll ist im BGBl III 1998/209 idF BGBl III 2000/ 53 (= ABl C 27, 1 vom 26.1.1998) kundgemacht worden. Österreich hat das (4.) Beitrittsübereinkommen im Juli 1998 ratifiziert (BGBl III 1998/167; dazu 1285 und 1348 BlgNR 20. GP) und die Ratifizierungsurkunde am 19.9.1998 hinterlegt, sodass das Übereinkommen ab dem 1.12.1998 sukzessive gegenüber den anderen ratifizierenden Vertragsstaaten in Kraft getreten ist (s genauer Mayr in Fasching/Konecny III Vor § 230 ZPO Rz 52) und damit das Luganer Übereinkommen (unten Rz 2) verdrängt hat (s näher Schoibl, ÖJZ 2000, 481), bis es seinerseits von der EuGVVO abgelöst worden ist (s unten Rz 14). Heute ist es nur noch gegenüber Dänemark anzuwenden (s unten Rz 10).

2 Das Brüsseler Übereinkommen sieht einen Beitritt von Drittstaaten, die nicht der EU angehören, nicht vor. Um den (damaligen) EFTA-Staaten dennoch die Teilnahme am „freien Urteilsverkehr“ des EuGVÜ zu ermöglichen und um ihnen die Nachteile, denen Drittstaaten durch das EuGVÜ sonst ausgesetzt sind, zu ersparen, wurde am 16.9.1988 in Lugano auf Initiative der Schweiz von den EFTA- und den EG-Staaten ein Parallelübereinkommen abgeschlossen, das sich eng an das Brüsseler Übereinkommen anschließt (Luganer Übereinkommen oder LGVÜ; ABl 1988 Nr L 319, 9); die wenigen Abweichungen zum EuGVÜ werden unten in Rz 3 aufgezählt. Die Erläuterungen durch die Berichterstatter Jenard und Möller sind ebenfalls im Amtsblatt der EG veröffentlicht (ABl 1990 Nr C 189, 57 ff und bei Lechner/Mayr, Lugano, im Anschluss an die jeweiligen Bestimmungen). Das Luganer Übereinkommen ist nach und nach in allen 18 Unterzeichnerstaaten in Kraft getreten (das sind: Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Island, Italien, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden, Schweiz, Spanien; lediglich der neue EFTA-Staat Liechtenstein fehlt); zuletzt ist Polen mit Wirkung vom 1.2.2000 dem LGVÜ beigetreten (BGBl III 2000/104; s näher Mayr in Fasching/Konecny III Vor § 230 ZPO Rz 52). Österreich ist diesen Integrationsbestrebungen von Anfang an eher skeptisch bis ablehnend gegenübergestanden (s Urlesberger, JBl 1988, 223) und hat das Luganer Übereinkommen erst nach einem längeren Umdenkprozess relativ spät, nämlich mit Wirkung vom 1.9.1996, ratifiziert (BGBl 1996/448; dazu 34 und 88 BlgNR 20. GP). Damit hat Österreich (spät aber doch) den Anschluss an das „europäische Zivilprozessrecht“ gefunden (s etwa Mayr, ÖJZ 1997, 847). Das Luganer Übereinkommen hat durch die Erweiterung der Europäischen Union (und damit des Anwendungsbereichs des EuGVÜ bzw 104

JN Nach § 27a

1.3 Zuständigkeit

[nunmehr] der EuGVVO) sehr viel an Bedeutung eingebüßt. Es ist heute nur noch gegenüber der Schweiz, Norwegen und Island anzuwenden (s unten Rz 14). Eine Revision des Übereinkommens zur Anpassung an die neue EuGVVO (unten Rz 16 ff) ist zwar schon vor längerer Zeit vorbereitet worden, die Ratifizierung scheiterte aber bislang an der unklaren Kompetenzsituation (s Jayme/Kohler, IPRax 2004, 491 und ABl 2003 Nr C 101, 1), die erst kürzlich vom EuGH (in seinem Gutachten 1/03 vom 7.2.2006) geklärt worden ist. Da das Luganer dem Brüsseler Übereinkommen nachgebildet worden 3 ist (oben Rz 2), decken sich der Wortlaut des EuGVÜ (idFd Beitrittsübk 1996) und des LGVÜ weitestgehend. Abgesehen von einer Reihe von formal-technischen Abweichungen, die sich aus dem unterschiedlichen räumlichen Geltungsbereich der Übereinkommen ergeben, bestehen wesentliche Unterschiede nur bei folgenden Bestimmungen (Näheres etwa bei Czernich/Tiefenthaler, JBl 1998, 750 ff und Kohlegger, ÖJZ 1999, 44 ff): – Art 5 Abs 1 Satz 3: Klagen aus Individualarbeitsverträgen bei wechselndem Arbeitsort; – Art 16 Abs 1 lit b: Streitigkeiten über Miete und Pacht von Ferienwohnungen; – Art 17 Abs 5: Gerichtsstandsvereinbarungen bei Arbeitsverträgen; – Art 28: zusätzliche Anerkennungsverweigerungsgründe im LGVÜ. Darüber hinaus liegt der wohl bedeutsamste praktische Unterschied 4 zwischen den beiden Übereinkommen in der unterschiedlichen Vorgangsweise bei der Auslegung: Zur Sicherung einer einheitlichen Auslegung haben sich die Vertragsstaaten des Brüsseler Übereinkommens im bereits (oben Rz 1) erwähnten sog Luxemburger Protokoll von 1971 (idgF) einer Auslegungsbefugnis des EuGH unterworfen. Dieses Auslegungsprotokoll (AuslProt) sieht die Anrufung des EuGH auf zwei verschiedenen Wegen vor: Ein dem Art 177 bzw (nunmehr) 234 EGV angelehntes Vorabentscheidungsverfahren (dazu generell etwa Reichelt [Hrsg], Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH [1998]; Hakenberg/StixHackl, Handbuch zum Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof I3 [2005]; Koenig/Pechstein/Sander, EU-/EG-Prozessrecht2 [2002] Rz 750 ff; Schima, Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH2 [2004]) auf Ersuchen eines nationalen Gerichts und die nachträgliche Überprüfung einer rechtskräftigen Entscheidung auf Antrag eines Vertragsstaates („abstraktes Vorlageverfahren“ nach Art 4 AuslProt). Während die zweite Möglichkeit bisher keinerlei praktische Bedeutung erlangt hat, sind seit 1976 schon rund 150 Vorabentscheidungen des 105

Nach § 27a

Mayr

EuGH zum EuGVÜ gefällt worden (eine Übersicht bis zum Jahr 2002 bieten etwa Czernich/Tiefenthaler/Kodek 443 ff). Hält eines der Höchstgerichte eines Mitgliedstaates – für Österreich wird in Art 2 Z 1 AuslProt neben dem OGH auch der VwGH und der VfGH genannt – eine Frage der Auslegung des EuGVÜ (bzw eines Beitrittsübereinkommens oder Protokolls) in einem schwebenden Verfahren für entscheidungserheblich, so ist es verpflichtet, die Frage dem EuGH vorzulegen. Als Rechtsmittelgerichte entscheidende Gerichte (in Österreich also die LG oder OLG) sind unter den gleichen Voraussetzungen zur Vorlage berechtigt (Art 3 AuslProt). Erstinstanzliche Gerichte besitzen hingegen grundsätzlich (zu einer Ausnahme s König/Fischer, RZ 1997, 183) keine Vorlageberechtigung (s EuGH Rs C-555/03 Magali/Ryanair, ZER 2004, 113). Die Vorlageverpflichtung entfällt, wenn der EuGH die streitige Frage schon einmal entschieden hat (und keine Überprüfung notwendig erscheint), oder wenn die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel bleibt. Die Entscheidung des EuGH bindet das vorlegende Gericht nur für den anhängigen Rechtsstreit, entfaltet darüber hinaus aber eine faktische Bindungswirkung, da ein (berechtigtes) Gericht, das von der Rechtsprechung des EuGH abweichen will, die Rechtsfrage erneut dem EuGH vorlegen muss. Näheres dazu etwa bei Hackspiel in Bajons/Mayr/Zeiler, Übereinkommen 211 und unten Rz 12.

5 Für das Luganer Übereinkommen konnte hingegen keine gemeinsame Auslegungsinstanz eingerichtet werden und auch eine Vorlage an den EuGH ist (nach hM selbst dann, wenn ein Gericht eines EuGVÜMitgliedstaates eine mit dem EuGVÜ idente Norm des LGVÜ anzuwenden hat) nicht möglich (s auch etwa 1 Ob 319/97m = JBl 1998, 517 = ZfRV 1998, 170). Zur Wahrung der Parallelität der Auslegung von EuGVÜ und LGVÜ sowie der Einheitlichkeit der Auslegung innerhalb der LGVÜ-Vertragsstaaten wurde allerdings im Protokoll Nr 2 zum LGVÜ eine Kompromissregelung getroffen, die auf dem Informationsund Konsultationsprinzip beruht. Danach verpflichten sich die Gerichte eines jeden Vertragsstaates bei der Anwendung und Auslegung des LGVÜ jenen Grundsätzen „gebührend“ Rechnung zu tragen, die in „maßgeblichen Entscheidungen“ von Gerichten der anderen Vertragsstaaten zu den Bestimmungen dieses Übereinkommens (und des EuGVÜ) entwickelt worden sind (Art 1 Prot Nr 2). Das bedeutet, dass sie von deren tragenden Grundsätzen nicht ohne sachliche Begründung abweichen dürfen (dazu etwa 3 Nd 506/97 = SZ 70/162 = JBl 1998, 184; 1 Ob 319/97m = JBl 1998, 517 = ZfRV 1998, 170; 3 Ob 380/97x = JBl 1998, 726; 3 Ob 129/98m = JBl 1998, 729; 1 Ob 358/99z = SZ 73/76; 106

JN Nach § 27a

1.3 Zuständigkeit

RS0108538 und RS0110064). Zur Verwirklichung dieser Vorgabe wurde durch Art 2 Prot Nr 2 ein System für den Informationsaustausch über diese letztinstanzlichen und sonstigen besonders wichtigen rechtskräftigen Entscheidungen eingerichtet. Bedeutsam ist ferner, dass die Vertragsparteien in der Präambel des Protokolls Nr 2 ausdrücklich erklärt haben, dass sie volle Kenntnis von den bis zur Unterzeichnung des Luganer Übereinkommens ergangenen Entscheidungen des EuGH zum Brüsseler Übereinkommen besitzen und dass von diesen Entscheidungen bei den Vertragsverhandlungen ausgegangen worden ist. Diese älteren Entscheidungen stellen also quasi eine authentische Interpretation des Übereinkommens dar (3 Nd 506/ 97 = SZ 70/162 = JBl 1998, 184 ua; RS0108537); aber auch von der Auslegung gleichlautender EuGVÜ-Bestimmungen durch die neueren Entscheidungen des EuGH darf von den nationalen Gerichten (der LGVÜ-Staaten) nur bei besonders triftigen Gründen abgewichen werden. Ergänzt wird das Protokoll Nr 2 durch zwei einseitige Erklärungen, in denen einerseits die Vertreter der EG-Mitgliedstaaten erklärt haben, dass sie es für „angezeigt halten“, dass der EuGH bei der Auslegung des Brüsseler Übereinkommens auch den Grundsätzen gebührend Rechnung trägt, die sich aus der Rechtsprechung zum Luganer Übereinkommen ergeben. Andererseits haben die Regierungsvertreter der EFTA-Staaten eine ebensolche Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH und der Gerichte der EU-Mitgliedstaaten zu den vergleichbaren Bestimmungen des Brüsseler Übereinkommens durch die eigenen Gerichte versprochen. Zur Auslegung des Luganer Übereinkommens s auch die Erlässe des BMJ JABl 1998/1 und JABl 2001/18 mit angeschlossener Entscheidungssammlung. Zu den Auslegungsmethoden s unten Rz 13. Beim EuGVÜ und beim LGVÜ handelt(e) es sich um eine „convention 6 double“, dh es wird in diesen Übereinkommen nicht nur die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen (s dazu die Art 25 ff), sondern auch die internationale Zuständigkeit bzw – nach der (überkommenen) österreichischen Terminologie (s § 27a Rz 1) – die „inländische Gerichtsbarkeit“ der Vertragsstaaten geregelt (Art 2 ff). Man spricht insofern von einer „compétence directe“ im Unterschied zu der – in den bisherigen bilateralen Vollstreckungsabkommen üblichen – „compétence indirecte“, die als bloße Beurteilungsregel erst im Stadium der Anerkennung und Vollstreckung im Zweitstaat zu beachten ist. Die Übereinkommen sind daher bereits im Erkenntnisverfahren anzuwenden und ersetzen innerhalb ihres Anwendungsbereiches 107

Nach § 27a

Mayr

sowohl das nationale Zuständigkeitsrecht (also insb die JN) als auch (grundsätzlich) bilaterale Vollstreckungsabkommen (s unten Rz 15). Die (historische) Bedeutung der Übereinkommen liegt (bzw lag) nach allgemeiner Ansicht darin, dass mit ihnen erstmals eine umfassende Regelung der (direkten) internationalen Zuständigkeit in (vermögensrechtlichen) Zivil- und Handelssachen gelungen ist, deren Anwendbarkeit grundsätzlich nur vom Wohnsitz (bzw Sitz) des Beklagten in einem Vertragsstaat abhängt. Weiters wird die Anerkennung und Vollstreckung aller in den Vertragsstaaten erlassenen gerichtlichen Entscheidungen (sowie von öffentlichen Urkunden und gerichtlichen Vergleichen, Art 50 und 51) erheblich erleichtert und beschleunigt. Überdies stellen die Verträge in mehrfacher Hinsicht einen ersten wesentlichen Schritt zu einem echten „europäischen Zivilprozessrecht“ dar (s etwa Mayr, ÖJZ 1997, 851 f oder Storme [Hrsg], Procedural Laws in Europe. Towards Harmonisation [2003]).

7 Nach hM ist das EuGVÜ (und erst recht das LGVÜ) ein selbständiger völkerrechtlicher Vertrag, der zwar eng mit der EU (Art 220 bzw [nunmehr] 293 EGV) verknüpft ist, aber weder primäres noch sekundäres Gemeinschaftsrecht darstellt (sondern sog „begleitendes Gemeinschaftsrecht“; s auch 1285 BlgNR 20. GP 10). In Österreich sind die Übereinkommen als „self-executing“-Staatsverträge mit gesetzesänderndem oder gesetzesergänzendem Charakter (Art 50 Abs 1 B-VG) zu qualifizieren, die ohne spezielle Transformation unmittelbar anwendbar sind und in ihrem Anwendungsbereich entgegenstehende Normen des nationalen Rechts (insb der JN und der EO) verdrängen (etwa 4 Nd 513/96 = SZ 69/227 = AnwBl 1997, 218 [Lechner] oder 1 Ob 173/98t = SZ 71/129 = EvBl 1999/14 uva). Dieser Anwendungsvorrang der Übereinkommen ist zwar unstrittig (etwa RS0109738), im Einzelnen dogmatisch aber nicht so leicht zu begründen (s eingehend Czernich/ Tiefenthaler, JBl 1998, 746 ff). Hinsichtlich der anderen (in den Übereinkommen nicht geregelten) Verfahrensregeln verbleibt es hingegen bei den nationalen Verfahrensvorschriften, „soweit deren Anwendung die praktische Wirksamkeit der Übereinkommen nicht beeinträchtigt“ (Kropholler Einl Rz 19 und Vor Art 2 Rz 16 ff). Eine Anpassung des innerstaatlichen Rechts ist daher (jedenfalls im Zuständigkeitsbereich) nicht unbedingt notwendig (weil ohnehin das Konventionsrecht oder [jetzt] die einschlägigen EU-Verordnungen zur Anwendung kommen), aber wegen der sonst auftretenden Abgrenzungsschwierigkeiten oftmals sinnvoll und empfehlenswert. In Österreich gaben die (Neu-)Regelungen des „europäischen Zivilprozessrechts“ mehrfach Anlass für eine Anpassung der nationalen Rechtslage. Hervorzuheben sind hier etwa die EO-Novellen 1995 (BGBl 519) und 108

JN Nach § 27a

1.3 Zuständigkeit

2000 (BGBl I 59) für den Vollstreckungsbereich, die WGN 1997 für den Bereich der „inländischen Gerichtsbarkeit“ bzw der internationalen Zuständigkeit sowie das KindRÄG 2001 (BGBl I 2000/135; bzw das neue AußStrG) für die Anerkennung von Ehe- und Obsorgeentscheidungen und das BG BGBl I 2003/114 für die internationale Rechtshilfe. Dazu genauer Mayr in FS Beys II 1033 ff. Durch den am 1.5.1999 in Kraft getretenen Vertrag von Amsterdam ist 8 der oben (Rz 1) erwähnte Art 220 EGV zwar als Art 293 EGV nF aufrecht erhalten worden, ein großer Teil der justiziellen Zusammenarbeit ist jedoch von der dritten in die erste Säule der Europäischen Union übertragen und damit „vergemeinschaftet“ worden. Art 61 lit c EGV sieht jetzt vor, dass der Rat „zum schrittweisen Aufbau eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ (auch) Maßnahmen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen erlässt. Nach Art 65 EGV umfassen diese Maßnahmen ua die Verbesserung und Vereinfachung des Systems für die grenzüberschreitende Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke, der Zusammenarbeit bei der Erhebung von Beweismitteln und der Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher und außergerichtlicher Entscheidungen in Zivilund Handelssachen. Weiters wird eine „Beseitigung der Hindernisse für eine reibungslose Abwicklung von Zivilverfahren, erforderlichenfalls durch Förderung der Vereinbarkeit der in den Mitgliedstaaten geltenden zivilrechtlichen Verfahrensvorschriften“, angestrebt (Näheres zu Art 65 EGV etwa bei Tarko in Mayer, Kommentar zu EU- und EGVertrag [2003]). Im geplanten Vertrag über eine Verfassung für Europa (dazu etwa Obwexer, ecolex 2004, 674 ff) sind in diesem Bereich einige Weiterentwicklungen vorgesehen (s Art III-269; dazu etwa Jayme/Kohler, IPRax 2003, 485; Müller-Graff in FS Jayme 1323 und Hess, dJZ 2005, 540). Das weitere Schicksal dieses Vertragswerkes kann gegenwärtig nicht abgesehen werden. Auf der Basis dieser (neuen) Rechtslage sind bisher folgende Rechts- 9 akte (in chronologischer Reihenfolge) erlassen worden: – Verordnung (EG) Nr 1347/2000 des Rates vom 29.5.2000 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten (ABl 2000 L 160 S 19 idF ABl 2002 L 173 S 3; ABl 2003 L 236 S 713 und ABl vom 2004 L 334 S 3) – EuEheVO oder Brüssel II-VO; InKraft-Treten am 1.3.2001: Seit dem 1.3.2005 ist diese Rechtsquelle durch die EuGVVO II ersetzt worden; s dazu unten Rz 27 ff. 109

Nach § 27a –

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Mayr

Verordnung (EG) Nr 1348/2000 des Rates vom 29.5.2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (ABl 2000 L 160 S 37) – EuZustVO; In-Kraft-Treten am 31.5.2001; s dazu Mayr/ Czernich, EuZPR Rz 342 ff mwN und § 121 ZPO Rz 4 f. Verordnung (EG) Nr 1346/2000 des Rates vom 29.5.2000 über Insolvenzverfahren (ABl 2000 L 160 S 1 idF ABl 2003 L 236 S 711) – EuInsVO; In-Kraft-Treten am 31.5.2002. Verordnung (EG) Nr 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl 2001 L 12 S 1 idF ABl 2001 L 307 S 28, ABl 2002 L 225 S 13, ABl 2003 L 236 S 715, ABl 2004 L 334 S 3 und ABl 2004 L 381 S 10) – EuGVVO oder Brüssel I-VO; In-Kraft-Treten am 1.3.2002. Diese Rechtsquelle hat weitgehend die Übereinkommen von Brüssel und von Lugano verdrängt (s unten Rz 14) und einige wesentliche Neuerungen gebracht; dazu insb Handig, ecolex 2002, 141 ff oder Schoibl, JBl 2003, 149 ff und Rz 16 ff. Eine Textgegenüberstellung findet sich etwa bei Mayr/ Czernich, Das neue europäische Zivilprozessrecht (2002) 135 ff. Verordnung (EG) Nr 1206/2001 des Rates vom 28.5.2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen (ABl 2001 L 174 S 1) – EuBewVO; In-Kraft-Treten am 1.7.2001 bzw 1. 1. 2004; s dazu die Kommentierung zu §§ 38 bis 40. Richtlinie 2003/8/EG des Rates vom 27.1.2003 zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitigkeiten mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen (ABl 2003 L 26 S 41); Umsetzungsfrist bis 30.11.2004 bzw 30.5.2006. Die Umsetzung in Österreich erfolgte mit der ZVN 2004; dazu Schoibl, Gemeinsame Mindestvorschriften für die Europäische Prozesskostenhilfe in Zivilsachen, JBl 2006, 142 und 233. Verordnung (EG) Nr 2201/2003 des Rates vom 27.11.2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr 1347/ 2000 (ABl 2003 L 338 S 1) – EuGVVO II oder Brüssel IIa-VO (bzw auch „Brüssel II neu-VO“ oder „EuFamVO“); In-Kraft-Treten am 1.8.2004 bzw am 1.3.2005; s dazu unten Rz 27 ff. Verordnung (EG) Nr 805/2004 des europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen (ABl 2004 L 143 S 15); In-Kraft-Treten am 21.1.2005 bzw 21.10.2005; s dazu etwa 110

JN Nach § 27a

1.3 Zuständigkeit

Mayr/Czernich, EuZPR Rz 383 ff mwN sowie Stein, Der Europäische Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen, EuZW 2004, 679; Wagner, Die neue EG-Verordnung zum Europäischen Vollstreckungstitel, IPRax 2005, 189; ders, Der Europäische Vollstreckungstitel, NJW 2005, 1157; Mosser, Der Europäische Vollstreckungstitel im Überblick, ecolex 2005, 758; Sima, Der Europäische Vollstreckungstitel, ZIK 2005, 55; Burgstaller/Neumayr, Der Europäische Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen, ÖJZ 2006, 179. Bei diesen Rechtsquellen handelt es sich um (echtes) sekundäres Gemeinschaftsrecht. Als Verordnungen besitzen sie gem Art 249 EGV allgemeine Geltung. Sie sind in allen ihren Teilen verbindlich, gelten unmittelbar in jedem Mitgliedstaat und verdrängen dort entgegenstehendes nationales Recht. Weitere einschlägige europäische Rechtsquellen sind in Vorbereitung bzw stehen bereits kurz vor der Beschlussfassung. Zu nennen sind insb die Verordnungsvorschläge zur Einführung eines europäischen Mahnverfahrens (KOM [2006] 57 endgültig; dazu Mayr/Czernich, EuZPR Rz 37 und 414 ff mwN) und zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen (KOM [2005] 87 endgültig; dazu Mayr/Czernich, EuZPR Rz 43 ff). Mitgliedstaaten iSd der oben angeführten Rechtsquellen sind alle EU- 10 Mitgliedstaaten jedoch mit Ausnahme des Königreichs Dänemark. Gegenüber Dänemark gilt daher noch das EuGVÜ, wobei die Abgrenzungsmaßstäbe des Art 54b Abs 2 LGVÜ analog angewendet werden (s unten Rz 14). Eine (staatsvertragliche) Ausdehnung der EuGVVO und der EuZustVO auf Dänemark ist derzeit geplant (s etwa Mayr/Czernich, EuZPR Rz 38). Auch die neuen EU-Mitgliedstaaten Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Slowenien, Malta und Zypern sind mit ihrem Beitritt am 1.5.2004 Mitgliedstaaten iSd der oben genannten Rechtsquellen geworden (s ABl 2003 L 236 S 715 sowie ABl 2004 L 334 S 3 und ABl 2004 L 381 S 10); diese sind daher seit diesem Zeitpunkt anzuwenden (s auch unten Rz 11). Im Übrigen richtet sich der geographische Anwendungsbereich der europäischen Rechtsakte grundsätzlich nach Art 299 EGV. Sie gelten daher nicht in den souveränen Kleinstaaten, die nicht EU-Mitgliedstaaten sind, wie Vatikanstaat, San Marino, Andorra oder Monaco. Ebensowenig kommt das „europäische Zivilprozessrecht“ etwa auf den britischen Kanalinseln (Guernsey, Jersey, Alderney und Sark) und der Insel Man zur Anwendung. Es gilt hingegen in den französischen Überseedepartements (Martinique, Guadeloupe, Guyana und Reunion), auf den portugiesischen Inseln Azoren und Madeira sowie auf 111

Nach § 27a

Mayr

den zu Spanien gehörenden Balearen und den Kanarischen Inseln. Näheres s in Art 299 Abs 2 bis 6 EGV und etwa bei Kropholler Einl Rz 20 ff; Geimer/Schütze Einl Rz 202 ff oder Burgstaller/Neumayr in Burgstaller/Neumayr, IZVR Art 1 EuGVVO Rz 32 f.

11 Hinsichtlich des zeitlichen Anwendungsbereiches normiert Art 66 Abs 1 EuGVVO (ebenso wie Art 54 Abs 1 EuGVÜ/LGVÜ) das Prinzip der Nichtrückwirkung. Das bedeutet, dass die einschlägigen Rechtsquellen – uzw sowohl hinsichtlich der Zuständigkeitsvorschriften als auch hinsichtlich der Anerkennung und Vollstreckung – grundsätzlich nur auf jene Klagen (bzw Außerstreitanträge) oder öffentliche Urkunden anzuwenden sind, die nach ihrem In-Kraft-Treten erhoben oder aufgenommen worden sind (hM, etwa 2 Ob 33/97k = ZfRV 2000/12, 32; 3 Ob 20/02s = JBl 2003, 191; RS0111261 und 6 Ob 12/03p = EvBl 2003/137; RS0117841). Die EuGVVO ist (in allen [damaligen] Mitgliedstaaten einheitlich) am 1.3.2002 in Kraft getreten. In den zehn neuen Mitgliedstaaten gilt sie seit dem EU-Beitritt am 1.5.2004 (8 Ob 92/04v = EvBl 2005/ 116 = ZfRV-LS 2005/11, 69). Näheres dazu bei Hess, IPRax 2004, 374. Wann eine Klage als „erhoben“ gilt, richtet sich grundsätzlich nach dem Recht des Forumstaates, jedoch sollte im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung in den Mitgliedstaaten die Regelung des Art 30 EuGVVO auch hier zugrunde gelegt werden (so etwa Kropholler Art 66 EuGVVO Rz 2 oder Geimer/Schütze Art 66 EuGVVO Rz 2; zweifelnd Staudinger in Rauscher, EuZPR Art 66 EuGVVO Rz 2). In Österreich ist jedenfalls der Zeitpunkt der Gerichtsanhängigkeit der Klage für die Anwendbarkeit der Zuständigkeitsregelungen und der damit zusammenhängenden Bestimmungen maßgebend. Diese Grundregel soll nach der Rsp des EuGH (Slg 1979, 3423 Sanicentral/Collin) auch für Gerichtsstandsvereinbarungen gelten, sodass insb ursprünglich (nach nationalem Recht) ungültige Zuständigkeitsvereinbarungen nach dem InKraft-Treten der einschlägigen Rechtsquellen wirksam werden können (s auch 2 Ob 74/00x = ZfRV 2000/76, 187; 1 Ob 63/03a = ZfRV-LS 2004/27, 76; differenzierend Mayr in Fasching/Konecny III Vor § 230 ZPO Rz 50 mwN). Auch die Regeln über die Anerkennung und Vollstreckung von ausländischen Entscheidungen kommen grundsätzlich nur dann zur Anwendung, wenn im Zeitpunkt der Erhebung der Klage das EuGVÜ/ LGVÜ bzw die EuGVVO nicht nur im Ursprungsstaat sondern auch im Vollstreckungsstaat bereits in Kraft getreten war. Es ist also (grundsätzlich) nicht ausreichend, wenn das Übereinkommen im Zeitpunkt der Klageerhebung im Erststaat und im Zeitpunkt der Anerkennung auch im Vollstreckungsstaat gegolten hat. In Art 66 Abs 2 EuGVVO wird der zeitliche Anwendungsbereich allerdings – ähnlich 112

JN Nach § 27a

1.3 Zuständigkeit

wie bisher in Art 54 Abs 2 EuGVÜ/LGVÜ – etwas erweitert (dazu etwa 3 Ob 145/03z und genauer Mayr, wbl 1996, 383 f oder zuletzt Staudinger in Rauscher, EuZPR Art 66 EuGVVO Rz 9 ff). Die EuEheVO ist am 1.3.2001 in Kraft getreten (s 7 Ob 188/02a = JBl 2003, 326 = IPRax 2003, 456 [dazu Hau, IPRax 2003, 461]; 6 Ob 62/03s = EFSlg 106.834 = ZfRV-LS 2004/2, 25; 4 Ob 61/05g). Sie ist allerdings bereits von der EuGVVO II abgelöst worden, die seit dem 1.3.2005 (voll) anzuwenden ist (s Art 71 und 72 EuGVVO II). Genauere Übergangsvorschriften enthält Art 64 EuGVVO II. Zur Auslegung der genannten Rechtsquellen ist der EuGH im Rahmen 12 des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art 234 EGV berufen (dazu insb Hess, RabelsZ 2002, 470 ff). Art 68 EGV modifiziert dieses Verfahren jedoch in der Weise, dass nur ein Gericht, „dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können“, zur Vorlage befugt ist, was eine deutliche Einschränkung sowohl im Vergleich zu Art 234 EGV als auch zum Luxemburger Auslegungsprotokoll (oben Rz 4) bedeutet. Bei der Feststellung des vorlagebefugten letztinstanzlichen Gerichts ist nach hM eine konkret-fallbezogene (und nicht eine bloß abstrakt-institutionelle) Betrachtungsweise anzuwenden. Für die in letzter Instanz entscheidenden Gerichte besteht (ungeachtet des unklaren Wortlauts des § 68 Abs 2 EGV) eine Vorlagepflicht, es sei denn, dass die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel an der (richtigen) Entscheidung der gestellten Frage bleibt (sog acte clair). Daneben ist in Art 68 Abs 3 EGV in Fortentwicklung der „Divergenzvorlage“ des Art 4 AuslProt auch eine Vorlagebefugnis des Rats, der Kommission oder eines Mitgliedstaates vorgesehen. Nähere Einzelheiten können den Kommentierungen des Art 68 EGV, insb jener von Tarko in Mayer, Kommentar zu EU- und EG-Vertrag (2003), entnommen werden. Bei der Auslegung der Bestimmungen der Übereinkommen ist generell 13 zu berücksichtigen, dass es sich um internationales Einheitsrecht handelt. Dessen Zweck, Rechtseinheit für einen bestimmten Bereich zu schaffen, erfordert auch besondere methodische Grundsätze der Rechtsfindung, die diesen Zweck fördern. Als Auslegungskriterien sind grundsätzlich die vier klassischen Methoden, nämlich die grammatikalische, die systematische, die historische und die teleologische Interpretation, sowie die rechtsvergleichende Interpretation heranzuziehen (dazu eingehend Kropholler Einl Rz 42 ff). Bei der grammatikalischen Interpretation nach dem Wortlaut wirft insb die Mehrsprachigkeit des Brüsseler und Luganer Übereinkom113

Nach § 27a

Mayr

mens (alle Sprachfassungen sind gem Art 68 EuGVÜ/LGVÜ gleichermaßen verbindlich) Probleme auf. Bei Zweifelsfragen kann also ein Blick in eine fremdsprachige Fassung von Nutzen sein. Die systematische Interpretation nach dem Bedeutungszusammenhang, in dem eine Vorschrift steht, ist meist auf Argumente aus dem System des Übereinkommens selbst angewiesen. Für die historische Auslegung, die auf die Ermittlung des tatsächlichen Willens der Abkommensverfasser gerichtet ist, kommen den oben (Rz 1 und 2) genannten Berichten der Sachverständigen (insb jenen von Jenard, Schlosser und Jenard/Möller; abgedruckt auch bei Lechner/Mayr, Lugano) große Bedeutung zu. Im Zweifel muss aber freilich die teleologische Interpretation den Ausschlag geben, bei welcher die in den Präambeln zu EuGVÜ und LGVÜ genannten Ziele der Übereinkommen und der Zweck der auszulegenden Vorschrift maßgeblich sind. Nicht zu vergessen ist schließlich die rechtsvergleichende Auslegung, bei der es einerseits um eine Erschließung der einschlägigen Judikatur und Literatur aus den Vertragsstaaten und andererseits um eine Berücksichtigung der Lösungen der nationalen Rechtsordnungen der beteiligten Staaten geht. Hinzuweisen ist außerdem darauf, dass der EuGH die maßgeblichen Begriffe des Vertragstextes fast durchwegs vertragsautonom – also ohne Rückgriff auf das Recht des jeweiligen Gerichtsstaates (die lex fori) oder auf das im konkreten Fall anwendbare materielle Recht (die lex causae) – auslegt. Diese Haltung hat im Hinblick auf die bezweckte Rechtsvereinheitlichung weitgehende Zustimmung gefunden, weil ja eine gleichförmige Anwendung des Übereinkommens in allen Vertragsstaaten nur dann gewährleistet ist, wenn die verwendeten Begriffe überall denselben Inhalt haben (s etwa Kropholler Einl Rz 41 oder ausführlich Geimer/Schütze Einl Rz 125 ff). Auf die EuGVVO sind (grundsätzlich) die zum sekundären Gemeinschaftsrecht entwickelten Auslegungsmethoden heranzuziehen, die sich freilich von den herkömmlichen (oben erwähnten) Methoden nicht wesentlich unterscheiden, jedoch den Besonderheiten und Erfordernissen des Gemeinschaftsrechts angepasst sind. Es gilt außerdem insb das Prinzip der Kontinuität zwischen dem Brüsseler Übereinkommen und der Nachfolge-Verordnung, sodass die bisherige Interpretation der Regelungen des EuGVÜ durch die Lehre und die Rsp des EuGH grundsätzlich auch auf die gleichlautenden Bestimmungen der EuGVVO weiterhin herangezogen werden kann (s etwa Czernich/Tiefenthaler in Czernich/Tiefenthaler/Kodek Einl Rz 29 ff oder Staudinger in Rauscher, EuZPR Einl Rz 35 sowie 3 Ob 20/04v = EvBl 2004/179 und 3 Ob 189/04x = ZfRV-LS 2005/1, 32). Für die historische Interpretation kommt den einschlägigen Kommissionsvorschlägen (KOM [1999] 348 endgültig und KOM [2000] 689 endgültig) eine gewisse Bedeutung zu; 114

JN Nach § 27a

1.3 Zuständigkeit

bei der teleologischen Auslegung sind insb die Erwägungsgründe der Verordnung zu berücksichtigen. Die EuGVVO II ist ganz ähnlich wie die EuGVVO auszulegen, wobei insb auf die diesbezüglichen Erwägungsgründe und auf den erläuternden Bericht von Borrás zum ursprünglichen Übereinkommensentwurf (ABl 1998 C 221 S 27) Bedacht zu nehmen ist. Auch sollen die in beiden Rechtsquellen (bzw im EuGVÜ) gleichlautenden Begriffe grundsätzlich gleich ausgelegt werden, sodass in einem gewissen Ausmaß auch die Rsp zum EuGVÜ bzw (jetzt) zur EuGVVO herangezogen werden kann. Wegen der (teilweise nicht unerheblichen) Unterschiede, die zwischen 14 LGVÜ, EuGVÜ und EuGVVO bestehen, ist es mitunter notwendig, das Verhältnis dieser Rechtsquellen zueinander zu klären: Im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten tritt die EuGVVO an die Stelle des Brüsseler Übereinkommens (Art 68 Abs 1 EuGVVO). Gegenüber Dänemark gilt nach wie vor das EuGVÜ, wobei die Regelung des Art 54b LGVÜ analog zur Anwendung kommt. Die Abgrenzung zwischen Brüsseler und Luganer Übereinkommen nimmt Art 54b LGVÜ vor. Diese Regelung hat allerdings nur noch einen geringen (direkten) Anwendungsbereich, nämlich zwischen Dänemark einerseits und der Schweiz, Norwegen und Island andererseits. Da nach Art 68 Abs 2 EuGVVO Verweise auf das Brüsseler Übereinkommen jedoch als Verweise auf die EuGVVO gelten, kommt die Regelung auch auf das Verhältnis der EuGVVO-Mitgliedstaaten (zB Österreich) zu den „Nur-LGVÜ-Vertragsstaaten“ (Schweiz, Norwegen, Island) zur Anwendung. Nach Abs 2 des Art 54b LGVÜ ist das Luganer Übereinkommen von den Gerichten der EuGVVO-Mitgliedstaaten nur dann anzuwenden, wenn ein relevantes Bezugselement über den engeren Kreis dieser Staaten hinausführt und auf einen „NurLGVÜ-Vertragsstaat“ weist. Dabei werden drei Fälle genannt: a) Die gerichtliche Zuständigkeit bestimmt sich nach dem Luganer Übereinkommen (und nicht nach der EuGVVO), wenn der Beklagte seinen Wohnsitz bzw Sitz in einem LGVÜ-Staat hat oder wenn die Gerichte eines LGVÜ-Staates auf Grund der Vorschriften über ausschließliche Zuständigkeiten oder Gerichtsstandsvereinbarungen (Art 16 oder 17 LGVÜ) zuständig sind. b) Die Bestimmungen über Streitanhängigkeit (Art 21 LGVÜ) und Sachzusammenhang (Art 22 LGVÜ) richten sich nach dem Luganer Übereinkommen, wenn das eine Verfahren in einem EuGVVO-Staat, das andere Verfahren in einem LGVÜ-Staat anhängig ist. c) Die Anerkennung und Vollstreckung richtet sich nach dem Luganer Übereinkommen, wenn entweder der Ursprungsstaat oder der Vollstreckungsstaat ein LGVÜ-Staat ist. 115

Nach § 27a

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Nur in den genannten Fällen genießt also das Luganer Übereinkommen den Vorrang vor der EuGVVO, was insofern nunmehr eine größere Bedeutung (als früher im Verhältnis zum EuGVÜ) hat, als die inhaltlichen Unterschiede zwischen den Rechtsquellen durch die neue Verordnung (bis zur geplanten Anpassung des LGVÜ) größer geworden sind.

15 Bilaterale Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge, die zwischen den Mitgliedstaaten der EuGVVO bzw des LGVÜ abgeschlossen worden sind, werden grundsätzlich durch diese Vertragswerke ersetzt. Art 55 LGVÜ nennt in diesem Zusammenhang nicht weniger als 14 und Art 69 EuGVVO elf solcher Abkommen, die Österreich mit einem Lugano-Vertragsstaat bzw einem EuGVVO-Mitgliedstaat abgeschlossen hat. Diese verlieren jedoch (leider) nicht gänzlich an Bedeutung, sondern behalten einerseits ihre Wirksamkeit für diejenigen Rechtsgebiete, die vom sachlichen Anwendungsbereich des LGVÜ bzw der EuGVVO ausgenommen (s Art 1), aber teilweise von den bilateralen Verträgen erfasst sind. Andererseits bleiben die (alten) bilateralen Verträge auch für Entscheidungen und öffentliche Urkunden wirksam, die vor dem In-Kraft-Treten des EuGVÜ/LGVÜ bzw der EuGVVO ergangen oder aufgenommen worden sind (Art 56 EuGVÜ/LGVÜ; Art 70 EuGVVO). Von Bedeutung bleiben selbstverständlich auch die Verträge Österreichs mit Drittstaaten, also jene mit Israel (BGBl 1968/349), mit Liechtenstein (BGBl 1975/114), Tunesien (BGBl 1980/305) und der Türkei (BGBl 1992/571). Bi- oder multilaterale Übereinkommen, welche (auch) die gerichtliche Zuständigkeit, die Anerkennung oder Vollstreckung von Entscheidungen in besonderen Rechtsgebieten regeln, bleiben durch die EuGVVO (Art 71) bzw durch das EuGVÜ/LGVÜ (Art 57) grundsätzlich unberührt, genießen also Vorrang vor den „europäischen“ Rechtsquellen. Solche Spezialabkommen bestehen insb im Bereich des internationalen Transportrechts (s § 101 Rz 1) und im Familienrecht. Der OGH hat beispielsweise in einer Vielzahl von Entscheidungen den Vorrang des CMR als lex specialis vor LGVÜ/EuGVÜ/EuGVVO betont (etwa 3 Ob 31/02h = ZfRV 2003/19, 73 und RS0107256; ebenso für das (frühere) Warschauer Abkommen (7 Ob 92/00f = SZ 73/77 = ZfRV 2001, 73). In gleicher Weise bleiben gem Art 67 EuGVVO (bzw früher Art 57 Abs 3 EuGVÜ) auch die in (bestehenden oder künftigen) Rechtsakten des Gemeinschaftsrechts für besondere Rechtsgebiete enthaltenen Zuständigkeits- sowie Anerkennungs- bzw Vollstreckungsvorschriften von der EuGVVO unberührt (s etwa die GemeinschaftsmarkenVO und die Entsenderichtlinie). 116

JN Nach § 27a

1.3 Zuständigkeit

Zum Verhältnis der EuGVVO II zu anderen „Rechtsinstrumenten“ s deren Art 59 ff. Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über die allgemeinen Regelun- 16 gen der EuGVVO und der EuGVVO II (unten Rz 27 ff) gegeben werden. Wichtige Einzelbestimmungen dieser beiden Rechtsquellen (sowie der EuZustVO und der EuBewVO) werden überdies bei den entsprechenden Stellen des nationalen Rechts mitbehandelt. Kernstücke der EuGVVO bilden das in zehn Abschnitte unterteilte Kapitel II über die „Zuständigkeit“ (Art 2 bis 31) und das Kapitel III über die „Anerkennung und Vollstreckung“ (Art 32 bis 56). Besonders bedeutsam ist außerdem das (nur einen Artikel umfassende) Kapitel I über den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung (s unten Rz 17). Darüberhinaus regelt Kapitel IV die Vollstreckbarkeit von öffentlichen Urkunden und Prozessvergleichen (Art 57 und 58). Die „Allgemeinen Vorschriften“ des Kapitels V umschreiben den Wohnsitz bzw Sitz von physischen bzw juristischen Personen (Art 59 bis 65; s § 66 Rz 5 und § 75 Rz 3). Kapitel VI enthält Übergangsvorschriften (Art 66), Kapitel VII regelt das Verhältnis zu anderen Rechtsinstrumenten (Art 67 bis 72; s oben Rz 15) und das Kapitel VIII schließt mit einigen Schlussvorschriften von untergeordneter Bedeutung. Der EU-Verordnung vorangestellt sind (an Stelle der Präambeln von EuGVÜ und LGVÜ) 29 Erwägungsgründe (über die Beweggründe und Ziele der Rechtsquelle). Ergänzende Protokolle kennt die EuGVVO (im Gegensatz zu EuGVÜ/LGVÜ) keine (mehr): Deren Regelungen sind – soweit sie noch bedeutsam waren – in den Verordnungstext integriert und das Luxemburger Auslegungsprotokoll durch die allgemeine Regelung des Art 68 EGV ersetzt worden (s oben Rz 12). Dafür sind gewisse Aufzählungen (der Art 3 Abs 2, 32, 37 Abs 1, 37 Abs 2 EuGVÜ/LGVÜ) in die Anhänge I bis IV zur EuGVVO verlagert worden. Dort (Anhang V und VI) finden sich auch die neuen Formblätter für die Bestätigung der Vollstreckbarkeit von Urteilen, gerichtlichen Vergleichen und öffentlichen Urkunden. Der sachliche Anwendungsbereich der EuGVVO (bzw des EuGVÜ/ 17 LGVÜ) umfasst gem Art 1 Abs 1 ohne Rücksicht auf die „Art der Gerichtsbarkeit“ alle Zivil- und Handelssachen, wobei es sich bei den gesondert erwähnten Handelssachen nur um einen Unterfall der Zivilsachen handelt. Die genannten Rechtsquellen sind daher auch dann anzuwenden, wenn ein zivil- oder handelsrechtlicher Anspruch nach innerstaatlichem Recht nicht im (klassischen) Zivilprozess, sondern in einem außerstreitigen (3 Nd 506/97 = SZ 70/162 = JBl 1998, 184), ar117

Nach § 27a

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beits- oder strafgerichtlichen Verfahren (Adhäsionsverfahren) durchzusetzen ist. Fragen der völkerrechtlichen Immunität von Personen oder Staaten (also der inländische Gerichtsbarkeit ieS; s § 27a JN Rz 1) bleiben hingegen von diesen Rechtsquellen unberührt (4 Ob 97/01w = SZ 74/86; dazu Obwexer, ecolex 2002, 57). Was unter dem Begriff „Zivil- und Handelssache“ im Unterschied zu den in Art 1 Abs 1 zweiter Satz beispielhaft ausgeschlossenen „Steuerund Zollsachen sowie verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten“ zu verstehen ist, wird vom EuGH vertrags- (bzw verordnungs-) autonom (s oben Rz 13) ermittelt, was bedeutet, dass zu dessen Auslegung nicht das Recht eines der beteiligten Staaten maßgebend ist, sondern die Ziele und der Aufbau der EuGVVO (bzw von EuGVÜ/LGVÜ) zum einen und die sich aus der Gesamtheit der nationalen Rechtssysteme ergebenden allgemeinen Grundsätze heranzuziehen sind (Slg 1976, 1541 LTU/Eurocontrol). Entscheidendes Abgrenzungskriterium ist nach der Rsp des EuGH, ob das streitige Rechtsverhältnis in Zusammenhang mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse steht (etwa Slg 1980, 3807 Niederlande/Rüffer oder Slg 1993 I-1963 Sonntag/Waidmann; vgl auch 9 ObA 16/ 04z). Zu den neuesten einschlägigen E des EuGH s etwa Geimer, IPRax 2003, 512; Martiny, IPRax 2004, 195 oder Freitag, IPRax 2004, 305. In Art 1 Abs 2 werden einige Rechtsgebiete vom Anwendungsbereich der Übereinkommen ausdrücklich ausgeschlossen. Diese Ausnahmen sind ebenfalls vertragsautonom und eher einschränkend zu bestimmen. Sie müssen den Gegenstand des Rechtsstreits selbst bilden; Vorfragen aus den Ausschlussmaterien führen nicht zur Unanwendbarkeit der Übereinkommen. Es handelt sich um Angelegenheiten des Ehe-, Familien- und Erbrechts (s jetzt die EuGVVO II – unten Rz 27), um insolvenzrechtliche Verfahren (s jetzt die EuInsVO), um sozialversicherungsrechtliche Angelegenheiten und um die Schiedsgerichtsbarkeit. Näheres etwa bei Bajons in Bajons/Mayr/Zeiler, Übereinkommen 32. Nach Art 71 und 67 EuGVVO genießen auch Spezialübereinkommen und besondere Rechtsakte des Gemeinschaftsrechts Vorrang (s schon oben Rz 15).

18 Das europäische Zuständigkeitsrecht weist keinen einheitlichen räumlich-persönlichen Anwendungsbereich auf, sondern in den jeweiligen Regelungen der verschiedenen Gerichtsstände werden auch deren Anwendungsvoraussetzungen in räumlich-persönlicher Hinsicht normiert. Es gibt daher auch keine (eigene) Vorschrift in der EuGVVO (bzw EuGVÜ/LGVÜ), die den räumlich-persönlichen Anwendungsbereich (einheitlich) regeln würde, vielmehr muss bei jedem Gerichtsstand, den der Kläger in Anspruch nehmen möchte, geprüft werden, ob 118

JN Nach § 27a

1.3 Zuständigkeit

dessen räumlich-persönlicher Anwendungsbereich gegeben ist (s Mayr/ Czernich, EuZPR Rz 88 ff). So sind etwa die ausschließlichen (Zwangs-) Gerichtsstände des Art 22 EuGVVO unabhängig vom Wohnsitz der Parteien anwendbar (s unten Rz 22) oder wird für die Anwendung des Art 23 EuGVVO vorausgesetzt, dass eine der Parteien ihren (Wohn-) Sitz in einem Mitgliedstaat hat und ein Gericht (oder die Gerichte) eines Mitgliedstaats als zuständig vereinbart worden sind (zur Problematik s näher § 104 Rz 23). Andererseits verlangt etwa Art 5 EuGVVO/ EuGVÜ/LGVÜ für die Anwendung der (wichtigen) Wahlgerichtsstände, dass der Beklagte seinen (Wohn-)Sitz in einem Mitgliedstaat hat und die Klage in einem anderen Mitgliedstaat eingebracht wird. Eine selbständige Anwendungsvoraussetzung ist jedoch, dass der Sachverhalt einen (gewissen) Auslandsbezug aufweist. Reine Binnensachverhalte werden also nach (zutreffender) hM vom Anwendungsbereich der EuGVVO (bzw EuGVÜ/LGVÜ) nicht erfasst (etwa 9 Ob 22/00a = SZ 73/43 = JBl 2000, 603; 9 Ob 151/03a = ZfRV 2004/33, 234 [Mayr]; Staudinger in Rauscher, EuZPR Einl Rz 19 und Mankowski in Rauscher, EuZPR Vorbem zu Art 2 Rz 13 ua). In welchem Ausmaß diese notwendige Auslandsbeziehung gegeben sein muss, ist allerdings nach der E des EuGH vom 1.3.2005 Owusu/Jackson (= EuZW 2005, 345 = IPRax 2005, 244 = NJW 2005, 2979) nicht restlos geklärt (s näher Mayr/Czernich, EuZPR Rz 100 ff). Liegt ein ausreichender Auslandsbezug vor, so ist die EuGVVO (EuGVÜ/LGVÜ) insb auch dann anzuwenden, wenn die beklagte Partei ihren Wohnsitz (nicht bloß den gewöhnlichen Aufenthalt) bzw – bei Gesellschaften und juristischen Personen – ihren Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitglied- oder Vertragsstaates hat (Art 2 EuGVVO/EuGVÜ/ LGVÜ). Die (eher komplizierten) Regeln für die Bestimmung des Wohnsitzes natürlicher bzw des Sitzes juristischer Personen finden sich in den Art 59 und 60 EuGVVO bzw den Art 52 und 53 EuGVÜ/LGVÜ (dazu § 66 Rz 5 und § 75 Rz 3). Die Staatsangehörigkeit der Parteien spielt keine Rolle; ebensowenig der (Wohn-)Sitz des Klägers (s EuGH Slg 2000 I-5925 Group Josi = wbl 2000/308, 467 = IPRax 2000, 520 = NJW 2000, 3121). Sofern die in den betreffenden Zuständigkeitsvorschriften (jeweils) verlangten (unterschiedlichen) Anknüpfungspunkte nicht erfüllt sind, kommt das europäische Zuständigkeitsrecht nicht zur Anwendung, sondern die internationale Zuständigkeit des angerufenen Mitgliedoder Vertragsstaates richtet sich nach dessen autonomen Gesetzen (Art 4 EuGVVO/EuGVÜ/LGVÜ), in Österreich also insb nach § 27a. Nach der Grundregel des Art 2 EuGVVO/EuGVÜ/LGVÜ sind Per- 19 sonen, die ihren (Wohn-)Sitz in einem Mitgliedstaat (bzw Vertragsstaat) 119

Nach § 27a

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haben, in diesem Mitglied- (Vertrags-)staat zu klagen. Damit wird nur die internationale Zuständigkeit des Wohnsitzstaates festgelegt; die konkrete örtliche (und sachliche) Zuständigkeit innerhalb dieses Staates ist nach dem nationalen Verfahrensrecht zu ermitteln. Vor anderen Gerichten als jenen seines (Wohn-)Sitzstaates kann eine Partei mit (Wohn-)Sitz in einem Mitglied- (Vertrags-)staat nur dann geklagt werden, wenn eine besondere Zuständigkeit nach den Art 5 bis 24 EuGVVO (bzw 5 bis 18 EuGVÜ/LGVÜ) besteht (Art 3 Abs 1 EuGVVO/EuGVÜ/LGVÜ); nur in diesen Fällen kann also Wohnsitzstaat und Gerichtsstaat auseinanderfallen. Da einschlägige Zuständigkeitsregelungen des nationalen Verfahrensrechts (im Anwendungsbereich des europäischen Zuständigkeitsrechts) von vornherein nicht zur Anwendung kommen, hat die Aufzählung besonders unerwünschter (exorbitanter) Gerichtsstände der nationalen Zuständigkeitsordnungen im Anhang I zur EuGVVO (bzw in Art 3 Abs 2 EuGVÜ/LGVÜ) – darunter für Österreich der Vermögensgerichtsstand nach § 99 JN – nur demonstrativen Charakter. Gegen Personen ohne (Wohn-)Sitz in einem Mitglied- oder Vertragsstaat behalten dagegen die Vorschriften des nationalen Zuständigkeitsrechts (einschließlich der exorbitanten Gerichtsstände) ihre Gültigkeit (Art 4 EuGVVO/EuGVÜ/LGVÜ) und gewinnen sogar insofern an Bedeutung, als auch an exorbitanten Gerichtsständen erzielte Urteile (grundsätzlich) ohne weiteres in allen anderen Mitglied- (Vertrags-) staaten vollstreckt werden können.

20 Die besonderen Zuständigkeiten des 2. Abschnitts (Art 5 bis 7 EuGVVO bzw Art 5 bis 6a EuGVÜ/LGVÜ) begründen Wahlgerichtsstände außerhalb des (Wohn-)Sitzstaates der beklagten Partei: Der Kläger hat also die Wahl, ob er die Klage im Wohnsitzstaat des Beklagten oder außerhalb davon bei einem der durch die Art 5 f eingeräumten Gerichtsstände einbringen will. Diese regeln sowohl die internationale als auch die örtliche Zuständigkeit. Zu erwähnen ist insb der Gerichtsstand des Erfüllungsortes (Art 5 Z 1; dazu § 88 Rz 16), der Gerichtsstand für Unterhaltssachen (Art 5 Z 2; dazu § 76a Rz 4 und § 114 Rz 4), der Gerichtsstand für Deliktsklagen (Art 5 Z 3; dazu § 92a Rz 5 f), der Gerichtsstand für Adhäsionsverfahren (Art 5 Z 4) und der Gerichtsstand der Niederlassung (Art 5 Z 5; dazu § 87 Rz 10). Art 6 enthält einen Katalog von (Wahl-)Gerichtsständen, die es ermöglichen, Klagen mit einem gewissen Sachzusammenhang vor ein Gericht zu bringen, um einander widersprechende Entscheidungen zu vermeiden. Zu nennen ist hier der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft (Art 6 Z 1; dazu § 93 Rz 6), der Gerichtsstand der Gewährleistungs- und Interventionsklage (Art 6 Z 2; dazu § 94 Rz 3), der Ge120

JN Nach § 27a

1.3 Zuständigkeit

richtsstand der Widerklage (Art 6 Z 3; dazu § 96 Rz 5) und der Gerichtsstand für Immobiliargeschäfte (Art 6 Z 4; dazu § 91 Rz 4). Besondere Schutzbestimmungen sind in den Art 8 ff EuGVVO (bzw 21 Art 7 EuGVÜ/LGVÜ) für Versicherungsnehmer (dazu etwa Hub, Internationale Zuständigkeit in Versicherungssachen nach der VO 44/ 01/EG [EuGVVO] [2005]), in den Art 15 ff EuGVVO (bzw Art 13 ff EuGVÜ/LGVÜ) für Verbraucher (s dazu Vor § 83a JN § 14 KSchG Rz 12 ff) sowie in Art 18 ff EuGVVO für Arbeitnehmer vorgesehen (dazu insb Junker, Internationale Zuständigkeit für Arbeitssachen nach der Brüssel I-Verordnung, FS Schlosser [2005] 299). Diese Vorschriften verdrängen die anderen Zuständigkeitsregeln und sind dadurch gekennzeichnet, dass sie die typischerweise schwächere Partei zuständigkeitsrechtlich bevorzugen. Art 22 EuGVVO (bzw Art 16 EuGVÜ/LGVÜ) zählt taxativ aus- 22 schließliche Zuständigkeiten auf, die sowohl den allgemeinen Gerichtsstand (Art 2) als auch die besonderen Gerichtsstände (Art 5 ff) verdrängen; es ist weder eine abweichende Gerichtsstandsvereinbarung (daher handelt es sich nach österreichischer Terminologie um Zwangsgerichtsstände, s Vor § 83a Rz 1 f) noch eine rügelose Einlassung in den Prozess zulässig (Art 23 Abs 5 EuGVVO, Art 17 Abs 3 EuGVÜ/LGVÜ; Art 24 EuGVVO, Art 18 EuGVÜ/LGVÜ). Liegt einer der in Art 22 EuGVVO genannten Anknüpfungspunkte in einem Mitgliedstaat, so sind dessen Gerichte (die konkrete örtliche Zuständigkeit richtet sich nach nationalem Recht) unabhängig vom Wohnsitz oder der Staatsangehörigkeit der Parteien – also auch für Personen mit Wohnsitz in einem Drittstaat – ausschließlich international zuständig. Es handelt sich um die Gerichtsstände der gelegenen Sache (Art 22 Z 1 EuGVVO bzw Art 16 Z 1 EuGVÜ/LGVÜ; dazu § 81 Rz 8 und § 83 Rz 3), für Gesellschaftssachen (Art 22 Z 2 EuGVVO bzw Art 16 Z 2 EuGVÜ/LGVÜ; dazu § 83b Rz 4), für Registersachen (Art 22 Z 3 EuGVVO bzw Art 16 Z 3 EuGVÜ/ LGVÜ), für gewerbliche Schutzrechte (Art 22 Z 4 EuGVVO bzw Art 16 Z 4 EuGVÜ/LGVÜ; dazu § 83c Rz 6) und für exekutionsrechtliche Klagen (Art 22 Z 5 EuGVVO bzw Art 16 Z 5 EuGVÜ/LGVÜ; dazu 5 Nd 515/97 = EvBl 1998/96 = JBl 1998, 381 = IPRax 1999, 47 [50: H. Roth] = RdW 1998, 338 und 404 = ZfRV 1998/28). Art 23 EuGVVO bzw Art 17 EuGVÜ/LGVÜ gibt den Parteien, von 23 denen mindestens eine (nicht unbedingt die beklagte) ihren Wohnsitz in einem Mitglied- (Vertrags-)staat hat, die Möglichkeit, unter gewissen Voraussetzungen Vereinbarungen über die (internationale und örtliche) Zuständigkeit zu schließen (Näheres dazu in § 104 Rz 22 ff). 121

Nach § 27a

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Gerichtsstandsvereinbarungen sind jedoch unwirksam, wenn sie den Schutzbestimmungen in Versicherungs- und Verbrauchersachen oder arbeitsrechtlichen Streitigkeiten zuwiderlaufen oder wenn eine Zwangszuständigkeit nach Art 22 EuGVVO vorliegt (Art 23 Abs 5 EuGVVO; vgl Art 17 Abs 3 und Abs 5 EuGVÜ/LGVÜ).

24 Ein nach den Bestimmungen des europäischen Zuständigkeitsrechts unzuständiges Gericht eines Mitglied- bzw Vertragsstaates wird aber auch dadurch zuständig, dass sich der Beklagte rügelos auf das Verfahren einlässt (Art 24 EuGVVO; Art 18 EuGVÜ/LGVÜ; s näher § 104 Rz 26). Ausgenommen von dieser Heilungsmöglichkeit ist lediglich der Fall, dass aufgrund des Art 22 EuGVVO bzw Art 16 EuGVÜ/LGVÜ ein Gericht eines anderen Mitglied- bzw Vertragsstaates ausschließlich (zwangs-)zuständig ist. Diesfalls hat sich das angerufene Gericht in jeder Lage des Verfahrens und unabhängig von einer Einlassung des Beklagten von Amts wegen für unzuständig zu erklären (Art 25 EuGVVO; Art 19 EuGVÜ/LGVÜ). Alle anderen (im europäischen Recht geregelten) Unzuständigkeiten (auch in Versicherungs-, Verbraucherund Arbeitsrechtssachen) können jedoch durch eine vorbehaltlose Einlassung des Beklagten geheilt werden, sodass (hier) eine a limineZurückweisung der Klage durch das Gericht nicht statthaft ist. Das Gericht hat vielmehr (im Anwendungsbereich des europäischen Zuständigkeitsrechts) eine Klage auch dann zuzustellen, wenn es sich für (international und/oder örtlich) unzuständig hält (hM, etwa 7 Ob 338/ 98a = SZ 71/206 = RdW 1999, 349 = ZfRV 2000/18, 78 oder 4 Ob 13/05y = RdW 2005/630, 549; s auch § 41 Rz 6 und § 42 Rz 13). Lässt sich der Beklagte auf das Verfahren ein, ohne rechtzeitig (vor „Einlassung auf das Verfahren“) die Unzuständigkeit zu rügen, so wird das angerufene Gericht zuständig. Wird hingegen eine (rechtzeitige) Unzuständigkeitseinrede erhoben, so hat das Gericht (erst jetzt) die Zuständigkeit zu prüfen. Ebenso hat das Gericht seine Zuständigkeit, und zwar von Amts wegen, zu prüfen und gegebenenfalls seine Unzuständigkeit auszusprechen, wenn sich der Beklagte gar nicht auf das Verfahren eingelassen hat, er also säumig ist (Art 26 Abs 1 EuGVVO; Art 20 Abs 1 EuGVÜ/LGVÜ). Eine solche (auf das Vertrauen in die gewissenhafte Ausübung der Prüfungspflicht des Gerichts gestützte) Untätigkeit des Beklagten ist allerdings gefährlich, weil eine dennoch (trotz Unzuständigkeit) gefällte Sachentscheidung des angerufenen Gerichts (Versäumungsurteil) von den anderen Mitglied- bzw Vertragsstaaten grundsätzlich anzuerkennen und zu vollstrecken ist, weil die Zuständigkeit des Gerichts des Ursprungsstaates im Regelfall nicht mehr nachgeprüft werden darf (Art 35 Abs 3 EuGVVO; Art 28 Abs 3 EuGVÜ; Art 28 Abs 4 LGVÜ). 122

JN Nach § 27a

1.3 Zuständigkeit

Mit diesem System der Zuständigkeitsprüfung im europäischen Zivilprozessrecht ist die Konzeption des österreichische Mahnverfahrens nicht in Einklang zu bringen (dazu etwa Mayr in Bajons/Mayr/ Zeiler, Übereinkommen 106 f; ders, ÖJZ 1997, 857 und ausführlich G. Kodek, ZZPInt 1999, 125). Aus diesem Grund hat die WGN 1997 die Erlassung eines Zahlungsbefehls gegen einen ausländischen Beklagten generell verboten (ursprünglich § 448 Abs 2 Z 3 ZPO, jetzt § 244 Abs 2 Z 3 ZPO). Für die Zuständigkeit zur Erlassung von einstweiligen Maßnahmen 25 (zB einstweilige Verfügungen) verweist Art 31 EuGVVO bzw Art 24 EuGVÜ/LGVÜ auf das jeweilige nationale Recht (in Österreich also auf § 387 EO; dazu 1 Ob 140/02y = EvBl 2002/216; 1 Ob 159/02t = EvBl 2002/225 = RdW 2003/29, 24). Die demnach vorgesehenen Maßnahmen können auch dann gesetzt werden, wenn in der Hauptsache nach den Regeln der EuGVVO (bzw EuGVÜ/LGVÜ) ein anderes Gericht zuständig wäre (4 Ob 95/00z = ZfRV 2000/83, 231). Daneben können einstweilige Maßnahmen nach hM jedoch auch bei jenen Gerichten beantragt werden, die nach europäischem Recht in der Hauptsache zuständig sind (etwa Kropholler Art 31 Rz 10 oder 9 NdA 4/97 = SZ 71/1 = JBl 1998, 392). Einstweilige Maßnahmen werden in den anderen Mitglied- (Vertrags-)staaten (nur dann) anerkannt und vollstreckt, wenn das rechtliche Gehör des Gegners der gefährdeten Partei gewahrt worden ist (s etwa Burgstaller/Neumayr in Burgstaller/Neumayr, IZVR Art 31 EuGVVO Rz 24 oder Mayr/Czernich, EuZPR Rz 254). Die Gerichte der Mitgliedstaaten sind verpflichtet, in einem anderen 26 Mitgliedstaat früher eingebrachte Klagen „wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien“ bzw Klagen, „die im Zusammenhang stehen“ zu beachten. Näheres zur Regelung der internationalen Streitanhängigkeit bzw der (europäischen) „Rechtshängigkeit“ (Art 27 ff EuGVVO bzw Art 21 EuGVÜ/LGVÜ) s §§ 232–233 ZPO Rz 12 ff. Die EuGVVO II folgt in ihrem Aufbau weitgehend dem oben (Rz 16) 27 dargestellten Vorbild von EuGVVO (bzw EuGVÜ/LGVÜ): Nach 33 Erwägungsgründen legt das Kapitel I den Anwendungsbereich fest und trifft wesentliche Begriffsbestimmungen (Art 1 und 2). Die jeweils in mehrere Abschnitte unterteilten Kapitel II über die „Zuständigkeit“ (Art 3 bis 20) und III über „Anerkennung und Vollstreckung“ (Art 21 bis 52) bilden die Hauptteile der Rechtsquelle. Es folgen das Kapitel IV über die „Zusammenarbeit zwischen zentralen Behörden bei Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung“ (Art 53 bis 58) und das Kapitel V (Art 59 bis 63) über das „Verhältnis zu 123

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anderen Rechtsinstrumenten“ (Art 59 bis 63). Zwei Kapitel betreffend Übergangsvorschriften (Art 64) und Schlussbestimmungen (Art 65 bis 72) beschließen die EU-Verordnung. Sechs Anhänge mit Formblättern für Bescheinigungen, einer Entsprechungstabelle zu den Bestimmungen der aufgehobenen EuEheVO und den Erklärungen Schwedens und Finnlands ergänzen die in allen Mitgliedstaaten unmittelbar anzuwendende Rechtsquelle.

28 Der sachliche Anwendungsbereich der EuGVVO II (dazu näher Mayr/Czernich, EuZPR Rz 310 ff) erfasst – ungeachtet der Art der nach nationalem Recht zur Anwendung kommenden Gerichtsbarkeit – einerseits Ehesachen (Art 1 Abs 1 lit a EuGVVO II), also (nach österreichischem Recht) Klagen auf Scheidung, Aufhebung oder Nichtigerklärung einer Ehe und die (außerstreitige) einvernehmliche Scheidung, andererseits Zivilsachen, die „die Zuweisung, die Ausübung, die Übertragung sowie die vollständige oder teilweise Entziehung der elterlichen Verantwortung“ zum Gegenstand haben (Art 1 Abs 1 lit b EuGVVO II). Wie sich aus der detaillierten Aufzählung in Art 1 Abs 2 EuGVVO II ergibt, fallen darunter iW Fragen der Obsorge (einschließlich der Vermögensverwaltung), des Besuchsrechts und der Unterbringung des Kindes bei einer Pflegefamilie oder in einem Heim. Ausdrücklich ausgeschlossen sind ua die Feststellung des Eltern-Kind-Verhältnisses, Adoptionsentscheidungen, Namensrecht und Unterhaltsangelegenheiten (Art 1 Abs 3 EuGVVO II).

29 Die EuGVVO II enthält für ihren sachlichen Anwendungsbereich eine eigenständige Regelung der internationalen Zuständigkeit, die das nationale Recht verdrängt und diesem nur insoweit einen Restanwendungsbereich belässt, als sich nicht aus den einschlägigen Normen der Verordnung eine Zuständigkeit eines Mitgliedstaates ergibt (Art 7 und 14 EuGVVO II). Die Zuständigkeitsregelung der EuGVVO II ist folgendermaßen aufgebaut: Die verschiedenen Anknüpfungskriterien für die Zuständigkeit in Ehesachen werden in Art 3 taxativ aufgezählt (s dazu § 76 Rz 4). Die Art 4 und 5 enthalten (weniger bedeutsame) Spezialregelungen für Gegenanträge und Anträge auf Umwandlung einer Trennung ohne Auflösung des Ehebandes in eine Ehescheidung. Art 6 betont den ausschließlichen Charakter der Zuständigkeitsbestimmungen; nur für die von der EuGVVO II nicht erfassten „Restzuständigkeiten“ gilt – wie soeben erwähnt – das autonome Recht. Für Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung bestimmt Art 8 die allgemeine Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaates, in dem das Kind zum Zeitpunkt der Antragstellung seinen gewöhnlichen 124

JN § 28

1.3 Zuständigkeit

Aufenthalt hat (s auch § 110 Rz 6). Für eine Abänderung einer bereits ergangenen Besuchsrechtsentscheidung bleibt diese Zuständigkeit auch noch drei Monate nach einem rechtmäßigen Umzug des Kindes in einen anderen Mitgliedstaat aufrecht (Art 9). Zuständigkeitsregelungen für die Fälle der Kindesentführung enthalten die Art 10 und 11. Eine Annexzuständigkeit zu einem Eheverfahren und eine Regelung für Fälle, in denen eine „wesentliche Bindung“ des Kindes zum Gerichtsstaat besteht, sieht Art 12 vor. Wenn der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes nicht festgestellt werden kann, wird die (internationale) Zuständigkeit durch die bloße Anwesenheit im Mitgliedstaat begründet (Art 13). In allen anderen Fällen, insb bei einem Aufenthalt des Kindes in einem Drittstaat, bestimmt sich die Zuständigkeit nach nationalem Recht (Art 14). Nach Art 15 kann ausnahmsweise unter bestimmten Voraussetzungen eine Übertragung der Zuständigkeit an ein Gericht eines anderen Mitgliedstaates erfolgen, wenn dies den Fall besser beurteilen kann. Das angerufene Gericht hat seine (internationale) Zuständigkeit von Amts wegen und, ohne an die Angaben des Klägers (Antragstellers) gebunden zu sein, umfassend (materiell) zu prüfen. Wenn es die Gerichte eines anderen Mitgliedstaates für zuständig hält, muss es sich in jeder Lage des Verfahrens für unzuständig erklären (s Art 17 und 18). Da in der EuGVVO II eine Heilungsmöglichkeit der internationalen Unzuständigkeit nicht vorgesehen ist, besteht hier – anders als im Geltungsbereich von EuGVVO/EuGVÜ/LGVÜ (s oben Rz 24) – kein Grund, eine a-limine Zurückweisung für unzulässig zu halten. Art 20 sieht vor, dass die Gerichte eines Mitgliedstaates in dringenden Fällen einstweilige Maßnahmen einschließlich Schutzmaßnahmen ungeachtet der europäischen Zuständigkeitsbestimmungen nach ihrem eigenen Recht anordnen können. Da die verschiedenen Zuständigkeiten nach der EuGVVO II vielfach 30 miteinander konkurrieren können, sieht Art 19 eine Regelung für die (internationale) Streitanhängigkeit („Rechtshängigkeit“) vor, nach der sich das später angerufene Gericht zugunsten des zuerst angerufenen (zuständigen) Gerichtes „für unzuständig“ zu erklären hat. Wann ein Gericht als „angerufen“ gilt, wird in Art 16 (in gleicher Weise wie in Art 30 EuGVVO) festgelegt. Bestimmung der Zuständigkeit durch den Obersten Gerichtshof § 28. (1) Sind für eine bürgerliche Rechtssache die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit eines inländischen Gerichts im Sinne dieses Gesetzes oder einer anderen Rechtsvorschrift nicht ge125

§ 28

Mayr

geben oder nicht zu ermitteln, so hat der Oberste Gerichtshof aus den sachlich zuständigen Gerichten eines zu bestimmen, welches für die fragliche Rechtssache als örtlich zuständig zu gelten hat, wenn 1. Österreich auf Grund eines völkerrechtlichen Vertrages zur Ausübung von Gerichtsbarkeit verpflichtet ist; 2. der Kläger österreichischer Staatsbürger ist oder seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz im Inland hat und im Einzelfall die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar wäre; 3. die inländische Gerichtsbarkeit, nicht aber ein örtlich zuständiges Gericht vereinbart worden ist. (2) Die Bestimmung eines zuständigen Gerichts hat nach Abs 1 ohne Bedachtnahme darauf zu erfolgen, ob außer den Voraussetzungen des Abs 1 Z 2 oder 3 eine weitere erfüllt ist. (3) Der Abs 1 Z 2 und 3 sowie der Abs 2 sind nicht anzuwenden, soweit nach Völkerrecht oder besonderen gesetzlichen Anordnungen die inländische Gerichtsbarkeit nicht gegeben ist. (4) Die Bestimmung eines zuständigen Gerichts hat in streitigen bürgerlichen Rechtssachen auf Antrag einer Partei, sonst aber von Amts wegen zu geschehen. In streitigen bürgerlichen Rechtssachen hat der Kläger das Vorliegen der Voraussetzungen nach Abs 1 Z 2 oder 3 zu behaupten und zu bescheinigen. [Fassung Art VI Z 3 WGN 1997] Lit wie zu § 27a und Matscher, Zur Funktion und Tragweite des § 28 JN, FS Schwind (1978) 173; Verschraegen, Voraussetzungen der Ordination gem § 28 JN, ZfRV 1981, 15; Schwimann, § 28 JN und die Grenzen der inländischen Ziviljurisdiktion in Vermögens- und Wirtschaftsstreitigkeiten. Eine aktuelle Rechtsprechungsanalyse, ÖZW 1984, 97; Klicka, Die Beweislastverteilung im Zivilverfahrensrecht (1995) 83, 98; Saenger, Harmonisierung des internationalen Luftprivatrechts, NJW 2000, 169; Stefula, Neues Lufthaftungsübereinkommen vor In-Kraft-Treten, ecolex 2001, 877; Aufner, Neuerungen im Luftfahrt-Haftpflichtrecht, ZVR 2002, 328 Csoklich, Einige Fragen zur Zuständigkeit nach CMR und EuGV-VO, RdW 2003, 129, 186; ders, Neuerungen im internationalen Lufttransportrecht, RdW 2004, 648; Schollmeyer, Die Harmonisierung des Haftungsrechts im Luftverkehr zwischen Warschau, Montreal und Brüssel, IPRax 2004, 78; Boettge, Das Luftfrachtrecht nach dem Montrealer Übereinkommen, VersR 2005, 908; Burgstaller/Neumayr, Beobachtungen zu Grenzfragen der internationalen Zuständigkeit, FS Schlosser (2005) 119 (128). Matscher in Fasching I § 28 JN; Bajons Rz 30; Ballon Rz 97; Buchegger, PraktZPR I 56; Fasching Rz 205 f; Rechberger/Simotta Rz 68. 126

JN § 28

1.3 Zuständigkeit Inhaltsübersicht Grundvoraussetzungen Weitere Voraussetzungen Verfahren

1–2 3–7 8–9

Gerichtsbesetzung, Entscheidungen

10

Grundvoraussetzung für die Ordination eines Gerichtes durch den 1 OGH ist die Zulässigkeit des Rechtsweges (ieS). Außerdem darf die Rechtssache nicht durch eine (völkerrechtliche) Immunität (dazu Art IX EGJN) oder durch andere völkerrechtliche (oder innerstaatliche) Regelungen (s Abs 3; dazu unten Rz 7) der Entscheidungsbefugnis der inländischen Gerichte entzogen sein. Sofern diese Voraussetzungen gegeben sind, kann eine Ordination in allen zivilgerichtlichen Verfahrensarten stattfinden. Sie kann etwa auch zur Entscheidung über einen Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe (RZ 1979/47, 179), für eine Klage nach § 596 ZPO (JBl 1981, 437 [zust Pfersmann] = GesRZ 1980, 72) oder zur Bestimmung des Exekutionsgerichtes (ecolex 1990, 235 = RdW 1990, 313) erfolgen. Bedingung ist ferner, dass ein Gerichtsstand in Österreich nicht gegeben 2 oder nicht zu ermitteln ist. Dies hat der OGH von Amts wegen zu prüfen, wobei diese Prüfung (in Streitsachen) auf Grund der Angaben des Antragstellers bzw auf Grund der Aktenlage erfolgt (s § 41 Abs 1 und 2; 9 Nc 110/02d oder 7 Nc 14/05a). Es ist daher einerseits ein Ordinationsantrag abzuweisen, wenn ohnehin die örtliche Zuständigkeit eines inländischen Gerichts gegeben ist (stRsp, etwa EvBl 1981/60 und RS0046443). Ist andererseits ein inländisches Gericht bereits angerufen worden, so kann erst dann ordiniert werden, wenn dieses Gericht seine Zuständigkeit rechtskräftig verneint hat (3 Nd 514/94 = JUS extra Z/1752 = RS0036093 ua; RS0046443, RS0046450). Ein Ordinationsantrag kann allerdings auch schon vor der (endgültigen) Entscheidung des Zuständigkeitsstreites als Eventualantrag gestellt werden, wobei es (leicht) möglich ist, dass das angerufene (an sich unzuständige) Gericht (später) als örtlich zuständig bestimmt wird. Dadurch bleibt die Gerichtsanhängigkeit aufrecht (4 Ob 32/97b = RdW 1998, 76 = ZfRV 1997/ 43, 119). Weitere Voraussetzung für eine oberstgerichtliche Bestimmung der 3 (örtlichen) Zuständigkeit ist einerseits, dass Österreich auf Grund eines völkerrechtlichen Vertrages zur Ausübung der Gerichtsbarkeit verpflichtet ist (Abs 1 Z 1). So sind insb in manchen zwischenstaatlichen Vereinbarungen im Bereich des Verkehrsrechts Regelungen über die internationale Zuständigkeit der Vertragsstaaten für bestimmte Streitig127

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keiten getroffen worden. Soweit diese Regelungen nicht mit der innerstaatlichen Gerichtsorganisation der Vertragsstaaten übereinstimmen, ist es Pflicht der Vertragsstaaten, für die ihnen – ausschließlich oder konkurrierend – zugewiesenen Sachen eine Klagsführung im Inland zu ermöglichen und zu diesem Zweck, in Ermangelung eines Gerichtsstandes, einen solchen zu schaffen (669 BlgNR 15. GP 29). Näheres s bei Matscher in Fasching I § 28 Rz 23 ff. Der (bisher) in der Praxis häufigste Anwendungsfall einer staatsvertraglich gebotenen Ordination, nämlich jener nach Art 31 Abs 1 CMR (Übereinkommen vom 19.5.1956, BGBl 1961/138, über den Beförderungsvertrag im Internationalen Straßengüterverkehr; dazu etwa Csoklich, RdW 2003, 130; Matscher in Fasching I § 28 Rz 29 f; 2 Nd 512/00 oder 2 Nd 504/02 = TranspR 2003, 66 f [Rogov]; 8 Nc 16/04a = EvBl 2005/25 und die Judikaturkette RS0046376), ist durch die Einführung eines speziellen Wahlgerichtsstandes in § 101 JN durch die ZVN 2004 beseitigt worden (so auch etwa 10 Nc 3/05f = ecolex 2005/318, 692 [Mayr]). § 28 Abs 1 Warschauer Luftverkehrsabkommen (WA, BGBl 1961/ 286) bildete hingegen keinen Grund für eine Ordination, weil dort auch die örtliche Zuständigkeit konkret festgelegt wurde (9 Nd 515/00 = ZVR 2002/58, 246; RS0046194; Matscher in Fasching I § 28 Rz 31). Das für Österreich am 28.6.2004 in Kraft getretene Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (Übereinkommen von Montreal – MÜ, BGBl III 2004/131; dazu zuletzt Csoklich, RdW 2004, 648 und Boettge, VersR 2005, 908) übernimmt in seinem Art 33 Abs 1 die bisherigen vier Gerichtsstände des § 28 Abs 1 WA. In Art 33 Abs 2 MÜ wird jedoch ein neuer Aktivgerichtsstand für Klagen auf Ersatz des Schadens, der durch Tod oder Körperverletzung eines Reisenden entstanden ist, geschaffen. Da diese Schadenersatzklagen ua (ohne nähere örtliche Umschreibung) „im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats“ erhoben werden können, in dem der Reisende im Zeitpunkt des Unfalls seinen ständigen Wohnsitz hatte und in das oder aus dem der Luftfrachtführer Reisende im Luftverkehr gewerbsmäßig befördert (dazu 13 BlgNR 22. GP 10 f), wird hier ein neuer Anlassfall für eine Ordination eines örtlich zuständigen Gerichtes eröffnet. In der Literatur wird freilich häufig ungenau von einem Gerichtsstand am (ständigen) Wohnsitz des Reisenden gesprochen (s etwa Saenger, NJW 2000, 174 oder Stefula, ecolex 2001, 878). Im internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF, BGBl 1985/225 idgF; dazu etwa Geimer, IZPR5 Rz 1887 mwN) bieten insb die Art 52 CIV und Art 56 CIM mangels einer konkreten Regelung der örtlichen Zuständigkeit einen Anlassfall für eine Ordination (vgl EvBl 1978/10 und SZ 51/34 = JBl 1978, 653 = EvBl 1978/131 sowie Fasching Rz 205; aM Matscher in Fasching I § 28 Rz 34). 128

JN § 28

1.3 Zuständigkeit

Im abschließenden Zuständigkeitssystem des europäischen Zivilprozessrechts bleibt grundsätzlich kein Platz für eine Ordination eines österreichischen Gerichts (etwa 2 Nd 505/99 und Mayr, JBl 2001, 158). Wenn allerdings durch die einschlägigen Bestimmungen zwar die internationale Zuständigkeit Österreichs nicht aber die konkrete örtliche Zuständigkeit festgelegt wird, besteht eine Ordinationspflicht nach Abs 1 Z 1, so insb nach Art 14 EuGVÜ/LGVÜ (s eingehend Schoibl, JBl 1998, 771 oder 4 Nd 513/96 = SZ 69/227 = AnwBl 1997, 218 [Lechner] = RZ 1997/67, 203 = ZfRV 1997/6, 33 uva, RS0106680; vgl auch 2 Nc 39/03p = EvBl 2004/84 = RdW 2004/190, 222). Dieser Ordinationsanlassfall ist allerdings durch die – jetzt auch die örtliche Zuständigkeit umfassende – Neuregelung in Art 16 EuGVVO beseitigt worden (s etwa 9 Nd 502/00 = AnwBl 2002, 483 [Mayr]; 2 Nd 505/02; 3 Nc 1/06m uva). Werden (zulässigerweise) nur „die Gerichte“ eines Vertrags- oder Mitgliedstaates (nicht aber ein konkretes Gericht) als zuständig vereinbart (Art 23 Abs 1 EuGVVO, Art 17 Abs 1 EuGVÜ/ LGVÜ), muss freilich weiterhin ordiniert werden (etwa Mayr, JBl 2001, 158; vgl 2 Ob 78/02p = SZ 2002/61 = IPRax 2004, 259 [264: Oberhammer] und 4 Nc 32/03y = JUS Z/3735). Siehe auch unten Rz 5. Aus dem Haager Unterhaltsstatutübereinkommen (BGBl 1961/ 293) ergibt sich keine Verpflichtung Österreichs zur Ausübung der Gerichtsbarkeit (ZfRV 1996, 200 [Hoyer]). Das Vorliegen der Voraussetzung nach § 28 Abs 1 Z 1 muss nach Abs 4 (im Gegensatz zu den anderen Voraussetzungen nach Z 2 und 3 – s unten Rz 8) weder behauptet noch bescheinigt werden, da der Grundsatz iura novit curia gilt (Simotta in FS Schütze 844; Rechberger/Simotta Rz 68/1 und Mayr, JBl 2001, 158; aM 3 Nd 516/00 ua; Matscher, JBl 1998, 495 und Schoibl, JBl 1998, 772). Eine solche Vorgangsweise empfiehlt sich freilich für den Antragsteller nicht (vgl Mayr, AnwBl 2001, 682). Andererseits hat der OGH – um eine drohende Rechtsverweigerung 4 (déni de justice) zu vermeiden (vgl etwa Matscher in FS Schwind 79) – zu ordinieren, wenn der Kläger (oder Antragsteller) österreichischer Staatsbürger ist oder seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz im Inland hat und (kumulativ) „im Einzelfall“ die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar wäre (Abs 1 Z 2). Die erstgenannte Voraussetzung wurde von der WGN 1997 als Ersatz für die bislang von der Rsp verlangte (und nunmehr weggefallene) „hinreichende Nahebeziehung“ zum Inland (s unten Rz 6) eingefügt. Während die Gesetzesmaterialien (898 BlgNR 20. GP 33 f) diese Einschränkung ausdrücklich mit dem allgemeinen Diskriminierungsverbot des Art 6 bzw (nunmehr) Art 12 EGV für vereinbar halten, wer129

§ 28

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den in der Literatur sowohl daran Zweifel geäußert, als auch die Einschränkung auf die österreichischen Staatsbürger (etc) als zu eng betrachtet (s Matscher, JBl 1998, 494; Simotta in FS Schütze 848 f; Mayr, JBl 2001, 159). Unzumutbarkeit wird in Lehre (etwa Fasching Rz 78; Mayr, ÖJZ 1995, 336; Simotta, FS Schütze 849) und Rsp (vgl SZ 58/109 = JBl 1986, 191 [zust Pfersmann]; EvBl 1988/52 = JBl 1988, 322 [zust Pfersmann] = ZfRV 1988, 47; JBl 1988, 323 = RdW 1988, 165; RdW 1988, 133; EvBl 1988/118 = JBl 1988, 459 [krit Böhm] = RdW 1988, 165; ÖBl 1989, 61 = RdW 1989, 66; ecolex 1999/67, 168; 9 Nc 109/02g = SZ 2003/55 = EvBl 2004/4; RS0046148) insb dann angenommen, wenn die ausländische E in Österreich nicht anerkannt oder vollstreckt wird, wenn eine dringend notwendige E im Ausland nicht rechtzeitig erreicht werden kann, wenn eine Prozessführung im Ausland eine der Parteien politischer Verfolgung aussetzen würde oder wenn die Prozessführung im Ausland äußerst kostspielig wäre. Letzterer Grund sollte nach dem Willen der Gesetzesmaterialien – allerdings ohne Stütze im Gesetz (und ohne Gefolgschaft in der Judikatur: 9 Nd 509/00 ua) – „noch stärker zu berücksichtigen sein als bisher“ (898 BlgNR 20. GP 33). Wie überhaupt die Materialien der WGN 1997 durch die Einfügung der Worte „im Einzelfall“ eine Erleichterung der bisherigen Ordinationspraxis erreichen wollten. Inwieweit dieses Ziel erreicht wird, bleibt abzuwarten, da ja schon bisher jede Ordination (selbstverständlich) nur für den Einzelfall (eine bestimmte Rechtssache: unten Rz 9) getroffen werden konnte. Eine ungünstigere materielle Rechtslage allein bildet freilich keinen tauglichen Ordinationsgrund (vg 3 Nc 23/03t und 9 Nc 109/02g = SZ 2003/55 = EvBl 2004/4; dazu Burgstaller/Neumayr, FS Schlosser 128 ff). Für Amtspflichtverletzungen österreichischer Organe im Ausland ist hingegen ein österreichisches Gericht zu ordinieren (Schragel, AHG3 Rz 256; 1 Nd 16/98 oder 1 Nc 73/03f). In jüngerer Zeit hat der OGH etwa eine Ordination bei einer Klagsführung in New York (7 Ob 2421/96x = ÖBA 1998/704, 311), in Russland (5 Nd 501/98) und in Taiwan (9 Nd 509/00) abgelehnt, einem Ordinationsantrag bei einer Rechtsverfolgung in Usbekistan hingegen stattgegeben (6 Nd 512/01), ebenso einem Ordinationsantrag für eine Schadenersatzklage einer inländischen Verbraucherin gegen ein Internetcasino mit Sitz auf Curacao (10 Nc 19/05h = EvBl 2006/5 = RdW 2005/837, 757). Gegenüber Japan wurde in neueren Einzelfällen ordiniert (s 2 Nc 13/04s einerseits und 2 Nc 8/04f andererseits). Weitere Beispiele s bei Matscher in Fasching I § 28 Rz 69 ff. Eine Ordination wegen Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung gegenüber einem Vertragsstaat des EuGVÜ/LGVÜ bzw Mitgliedstaat der EuGVVO (oder EuGVVO II) ist (naturgemäß) 130

JN § 28

1.3 Zuständigkeit

regelmäßig ausgeschlossen (zB 9 NdA 4/97 = JBl 1998, 392 für die Schweiz; 2 Nd 505/99 für Italien; s schon oben Rz 3). Zu einer Ausnahme bei einer Unterlassungsexekution s 3 Nc 104/02b = AnwBl 2003, 223; 3 Nc 4/04z oder 3 Nc 27/05h. Schließlich besteht eine Ordinationsverpflichtung, wenn „die inländi- 5 sche Gerichtsbarkeit“, nicht aber ein örtlich zuständiges Gericht vereinbart worden ist (Abs 1 Z 3). Dies stellt eine klarstellende Ergänzung zur Neuregelung des § 104 Abs 1 Z 1 dar, nach der sich die Parteien durch ausdrückliche Vereinbarung der „inländischen Gerichtsbarkeit“ unterwerfen können, aber kein örtlich zuständiges Gericht vereinbaren müssen (s § 104 Rz 13). Für den Geltungsbereich des europäischen Zuständigkeitsrechts, in dem eine Vereinbarung (bloß) der internationalen Zuständigkeit ebenfalls möglich ist (Art 23 Abs 1 EuGVVO, Art 17 Abs 1 EuGVÜ/LGVÜ), ergibt sich eine solche Verpflichtung auch aus der Z 1 (völker- bzw europarechtliche Verpflichtung, s oben Rz 3). Im Gegensatz zur früheren Rsp, die – im Sinne der (früher herrschen- 6 den) Indikationentheorie (s § 27a Rz 2 f) – als (weitere) Voraussetzung für eine Ordination eine hinreichende Nahebeziehung zum Inland verlangte (etwa EvBl 1994/154 = JBl 1994, 762 = ZfRV 1994/40; dazu Mayr, ÖJZ 1995, 334; zuletzt etwa ZfRV 1998/42, 161), stellt der neue Abs 2 (nochmals) klar, dass außer der Erfüllung der Voraussetzungen nach Abs 1 keine weiteren Bedingungen für eine Ordination erfüllt sein müssen. Die Verbindung der Rechtssache zu Österreich wird nunmehr (ausschließlich) durch den (österreichischen) Kläger (Antragsteller) hergestellt (oben Rz 4). Eine Verweigerung der Ordination, wenn die begehrte E weder im Inland noch im Ausland durchgesetzt werden könnte und somit ein praktisch „wertloses Urteilspapier“ bleiben würde (so etwa 5 Nd 511/ 87 = JBl 1988, 323; 5 Nd 501/89; 6 Ob 556/92 = ZfRV 1993/21, 81 ua), ist hingegen mE nicht angebracht (s ÖJZ 1995, 336). Es kann wohl kaum jemals ausgeschlossen werden, dass die beklagte Partei in Zukunft zu verwertbaren Vermögen in Österreich (oder den Mitgliedstaaten von EuGVVO/LGVÜ/EuGVÜ) gelangen wird (vgl auch 6 Nd 512/01). Wenn nach Völkerrecht (etwa auch durch das EuGVÜ/LGVÜ) oder 7 durch „besondere gesetzliche Anordnungen“ Österreich zur Ausübung der Gerichtsbarkeit nicht befugt ist, scheidet auch eine Ordination aus (Abs 3; aM offenbar Matscher, JBl 1998, 491 und ders in Fasching I § 28 Rz 57). Darunter sind solche Bestimmungen zu verstehen (s 898 BlgNR 20. GP 34), welche die inländische Gerichtsbarkeit (internationale Zuständigkeit) ausdrücklich regeln, ihre Begründung durch Parteienver131

§ 28

Mayr

einbarung aber nicht vorsehen (etwa § 104 Abs 4 und §§ 76 Abs 2, 106 f; 108 Abs 3, 110, 113b, 114, 114a Abs 4 sowie § 38 Abs 2 EO; s Mayr, JBl 2001, 159 f und auch 9 Nd 501/98).

8 Die Ordination erfolgt (nach der Anordnung in Abs 4) „in streitigen bürgerlichen Rechtssachen“ (nur) auf Antrag einer Partei, außerhalb des Streitverfahrens (insb im Außerstreitverfahren: etwa EFSlg 34.277 oder Mayr/Fucik Rz 59) hat der OGH (ungeachtet einer Anregungsmöglichkeit durch die Parteien) von Amts wegen zu ordinieren (zB SZ 68/81 = JBl 1996, 59 = ZfRV 1995, 258). Dies muss sinngemäß auch dann gelten, wenn im Falle einer amtswegigen Überweisung nach § 475 Abs 2 ZPO oder § 38 Abs 2 ASGG kein örtlich zuständiges inländisches Gericht feststellbar ist (so Fasching Rz 206 und auch 8 NdS 1/00). Zu Recht hat der OGH aber jüngst ausgesprochen, dass (ungeachtet des Gesetzeswortlautes) für eine Ordination im Exekutionsverfahren ein entsprechender Antrag erforderlich ist (3 Nc 4/04z) und auch diesbezügliche Behauptungen aufgestellt werden müssen (3 Nc 33/04i). Im streitigen Verfahren hat der Antragsteller das Vorliegen der Voraussetzungen nach Abs 1 Z 2 und Z 3 zu behaupten und zu bescheinigen (dazu Klicka, Beweislastverteilung 83, 98). Gelingt diese Bescheinigung nicht, so wird der Ordinationsantrag abgewiesen, wobei von der hRsp dem Antragsteller unter Hinweis darauf, dass der Ordinationsantrag an keine Frist gebunden ist (s § 84 Abs 3 ZPO), auch keine Gelegenheit zur Ergänzung und/oder Verbesserung seines unzulänglichen Vorbringens gegeben wird (etwa EvBl 1988/52 = JBl 1988, 322 = MR 1993, 148 = ZfRV 1988, 47; 3 Nd 501/99 = JUS Z/2761 oder 8 Nd 502/ 01 = AnwBl 2001, 681 [abl Mayr]). Diese Meinung sollte jedoch überdacht werden (s Mayr, JBl 2001, 159; ders, AnwBl 2001, 682 f; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 ZPO Rz 158; vgl auch Matscher in Fasching I § 28 Rz 130 und 3 Nd 511/01 für das Fehlen von Bescheinigungsmitteln). Im Fall des Abs 1 Z 3 (Vereinbarung der internationalen Zuständigkeit) wird es notwendig sein, die betreffende (schriftliche) Vereinbarung (schon im Ordinationsantrag) vorzulegen (Mayr, JBl 2001, 159; Rechberger/Simotta Rz 68/3).

9 Eine Ordination ist nur für eine bestimmte Rechtssache möglich; dem Ordinationsantrag ist daher idR die Klage beizulegen (RZ 1979/47, 179); es genügt aber auch, wenn der Antrag durch eine Schilderung des zuständigkeitsbegründenden Sachverhaltes substantiiert wird (Lechner, AnwBl 1997, 220; Schoibl, JBl 1998, 772 mwN; 8 Nd 502/02 ua). Der Antrag ist mittels Schriftsatz (mit Anwaltspflicht: § 27 Abs 1 ZPO) direkt beim OGH einzubringen (bzw dem OGH unmittelbar 132

JN § 29

1.3 Zuständigkeit

vorzulegen: § 51 Abs 2 Geo). Er unterbricht nach hM die Verjährung (M. Bydlinski in Rummel II/3 § 1497 Rz 9 aE; Mayr in Fasching/ Konecny III Vor § 230 ZPO Rz 41; unklar Matscher in Fasching I § 28 Rz 137 ff). Das Ordinationsverfahren ist nur einseitig ausgestaltet, dh der potentielle Beklagte wird grundsätzlich nicht beigezogen. Zur Wahrung des rechtlichen Gehörs muss es daher dem Beklagten im Verfahren vor dem ordinierten Gericht möglich sein, das Nichtvorliegen der Ordinationsvoraussetzungen einzuwenden (Lechner, AnwBl 1997, 220; Schoibl, JBl 1998, 772 f mwN; vgl 6 Ob 56/01f = EvBl 2002/59 = JBl 2002, 259 [Pfersmann]). Zur Ordination ist nur der OGH berufen; er entscheidet in einem 10 Dreiersenat (§ 7 Abs 1 Z 1 OGHG), der jedoch auf Verlangen eines Mitglieds zu einem einfachen Senat „verstärkt“ werden kann (§ 7 Abs 2 OGHG). Die getroffene Entscheidung ist nicht anfechtbar. Diese Unanfechtbarkeit kann nicht dadurch umgangen werden, dass immer wieder neue, inhaltlich aber unveränderte Ordinationsanträge an den OGH gestellt werden. Nur bei einer nachträglichen Änderung der Verhältnisse kann ein neuer (und/oder entsprechend ergänzter) Antrag gestellt werden (10 Nc 21/03z = ÖJZ-LSK 2004/91; 2 Nc 11/04x). Ein Kostenersatz findet im Ordinationsverfahren nicht statt. Die anfallenden Kosten sind iSd § 41 ZPO zu behandeln; ihr Zuspruch hängt somit vom Ausgang des Hauptverfahrens ab (10 Nd 502/01 = ÖJZ-LSK 2001/180; 7 Nd 506/02). Dauer der Zuständigkeit § 29. Jedes Gericht bleibt in Rechtssachen, welche rechtmäßigerweise bei demselben anhängig gemacht wurden, bis zu deren Beendigung zuständig, wenn sich auch die Umstände, welche bei Einleitung des Verfahrens für die Bestimmung der Zuständigkeit maßgebend waren, während des Verfahrens geändert hätten. Dies gilt jedoch nicht von solchen Änderungen, auf Grund derer Personen Immunität genießen oder die Rechtssache dem Wirkungskreis der ordentlichen Gerichte entzogen ist. [Satz 2 idF Art VI Z 4 WGN 1997] Lit: Simotta, Die Neuregelung der internationalen Zuständigkeit durch die Wertgrenzen-Novelle 1997, FS Schütze (1999) 831 (873); Mayr, Die Reform des internationalen Zivilprozessrechts in Österreich, JBl 2001, 144 (160). 133

§ 29

Mayr

Ballon in Fasching I § 29 JN; Ballon Rz 77; Fasching Rz 228; Holzhammer 65; Rechberger/Simotta Rz 63/2, 69, 517.

1 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ist (grundsätzlich) jener der Klageeinbringung, also der Zeitpunkt des Eintritts der Gerichtsanhängigkeit durch Einlangen der Klage in der Einlaufstelle des Gerichts (s Ballon in Fasching I § 29 Rz 3; Mayr in Fasching/Konecny III Vor § 230 ZPO Rz 17; 2 Ob 86/ 99g = SZ 72/69 = EFSlg 97.871). War das Gericht zu diesem Zeitpunkt rechtmäßig zuständig, so haben nachträgliche Änderungen in den Zuständigkeitsvoraussetzungen keinen Einfluss auf die einmal begründete Zuständigkeit (gilt auch für eine durch Delegation oder Zuständigkeitsübertragung gem § 111 bewirkte Zuständigkeit: EFSlg 52.069). Dieser Grundsatz der perpetuatio fori bedeutet aber nicht, dass ein angerufenes unzuständiges Gericht jedenfalls unzuständig bleibt, vielmehr kann ein anfangs unzuständiges Gericht im Lauf des Prozesses zuständig werden, wenn die bei der Klageeinbringung fehlenden Zuständigkeitsvoraussetzungen später – bis zum Schluss der Verhandlung erster Instanz über die Unzuständigkeitseinrede oder, wenn keine abgesonderte Verhandlung über die Unzuständigkeitseinrede stattfindet, bis zum Schluss der Verhandlung erster Instanz in der Hauptsache – eintreten (SZ 56/159; DRdA 1983, 381 = RdW 1983, 116; EFSlg 63.902). Die Zuständigkeit bleibt auch dann aufrecht, wenn die (später eingetretenen) Zuständigkeitsvoraussetzungen nachträglich wieder wegfallen (SZ 47/97). § 29 normiert also aus prozessökonomischen Gründen eine Fortdauer der Zuständigkeit, nicht aber auch eine solche der Unzuständigkeit (EvBl 1985/110; LGZ Wien EFSlg 66.877).

2 Der Grundsatz der perpetuatio fori gilt für alle Arten der Zuständigkeit und für die anzuwendende Verfahrensart innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit, insb im Verhältnis streitiges – außerstreitiges Verfahren (hM, etwa Ballon in Fasching I § 29 Rz 19 ff; 4 Ob 2227/96w = EvBl 1997/110 und RS0106928). Ein bisher in der Praxis häufiger Anwendungsfall, nämlich dass im Lauf eines Unterhaltsverfahrens ein minderjähriges Kind volljährig wird (etwa RZ 1990/117, 283 = ÖA 1991, 136 = EFSlg 64.424), ist freilich durch die Zuweisung aller dieser Unterhaltsstreitigkeiten in das Verfahren außer Streitsachen mit der Außerstreitreform weggefallen (kritisch zur hM Mayr/Fucik Rz 28). Durch die Neufassung des 2. Satzes wurde klargestellt, dass die Perpetuierung der Zuständigkeit auch für die inländische Gerichtsbarkeit iSd internationalen Zuständigkeit (§ 27a Rz 1) gilt (5 Ob 114/04g = EFSlg 108.712 = MietSlg 56.614 = ZfRV-LS 2004/41, 187), was auch der im Bereich des europäischen Zuständigkeitsrechts vertretenen Auf134

JN § 29

1.3 Zuständigkeit

fassung entspricht (s Mayr, ÖJZ 1997, 855; Rechberger/Simotta Rz 69; Kropholler Vor Art 2 Rz 14 oder Mayr/Czernich, EuZPR Rz 104; 6 Nc 1/04f). Eine (rechtmäßig eingebrachte) Klage darf daher nicht deshalb zurückgewiesen werden, weil etwa der Beklagte nachträglich seinen Wohnsitz oder das für die Zuständigkeit maßgebliche Vermögen (§ 99) ins Ausland verlagert hat (überholt sind daher die früheren diesbezüglichen Meinungsdifferenzen, zuletzt etwa SZ 68/118 = RdW 1996, 63 = ZfRV 1996, 77). Zweifelhaft ist, ob die internationale Zuständigkeit auch in jenen (insb ehe- und familienrechtlichen) Angelegenheiten perpetuiert wird, in denen die Voraussetzungen für ihr Vorliegen ausdrücklich im Gesetz normiert sind (etwa §§ 76 Abs 2, 106 f, 108 Abs 3, 110, 114a Abs 4), da gerade in diesen Fällen nach der Absicht des Novellengesetzgebers (898 BlgNR 20. GP 37) – abweichend vom „Normalfall“ – auch eine Vereinbarung der internationalen Zuständigkeit und eine Heilung ihres Mangels nicht möglich sein soll (§ 104 Abs 5; s § 42 Rz 3). Im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut des Gesetzes, dem (auch unter Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien) keinerlei Anhaltspunkte dafür zu entnehmen sind, dass der Gesetzgeber auch andere als Immunitätsfälle von der Perpetuierung ausnehmen wollte (dazu unten Rz 4), und unter Berücksichtigung der legitimen Interessen des Klägers (Antragstellers) ist diese Frage (entgegen der bisherigen – auf den alten Gesetzeswortlaut gestützten – Rsp: SZ 22/137 oder 1 Ob 585/88 = IPRE 3/160 = RS0046167) zu bejahen. Siehe Mayr, JBl 2001, 160 mwN und auch § 76 Rz 3 oder § 110 Rz 1 und 12. Der Grundsatz gilt nicht für die Zulässigkeit des Rechtswegs (im enge- 3 ren Sinn) und für die Zulässigkeit des ordentlichen Rechtswegs, soweit dieses Verhältnis nicht als bloße Zuständigkeitsfrage anzusehen ist (dazu § 42 Rz 9): Wenn daher ein ordentliches Gericht mangels Wirksamkeit einer Schiedsvereinbarung einmal ordnungsgemäß angerufen worden ist, ändert auch die Abgabe einer Unterwerfungserklärung nichts mehr an der Gerichtszuständigkeit (7 Ob 67/01f = JBl 2002, 50 = ecolex 2001/343, 908 = RdW 2002/21, 25). Der nachträgliche Fortfall der Zulässigkeit des Rechtswegs hat immer die Nichtigerklärung des gesamten Verfahrens und die Zurückweisung der Klage zur Folge (auch im Rechtsmittelverfahren: SZ 63/11 = ecolex 1990, 370). Umgekehrt wirkt der nachträgliche Eintritt dieser Prozessvoraussetzung heilend (etwa 5 Ob 523/95 = JUS Z/1945). Er gilt auch nicht für die völkerrechtlich bestimmte inländische Ge- 4 richtsbarkeit: Wird daher einer (natürlichen oder juristischen) Person (Organisation) im Laufe eines Zivilverfahrens (völkerrechtliche) Im135

§ 30

Mayr

munität zuerkannt (dazu Art IX EGJN), so wird die (anfangs vorhandene) inländische Gerichtsbarkeit nicht perpetuiert, sondern das Verfahren muss für nichtig erklärt und die Klage zurückgewiesen werden (s § 42 Rz 2). Der nachträgliche Wegfall einer (ursprünglich vorhandenen) Immunität wirkt heilend (2 Ob 166/98w = ZfRV 2000/90, 233; LGZ Wien EFSlg 101.548).

5 Der Grundsatz der perpetuatio fori kommt auch im Exekutionsverfahren (EvBl 1979/26; LGZ Wien EFSlg 101.549), im Insolvenz- (§ 171 KO, § 76 AO; vgl OLG Linz ZIK 1996, 100) und im Außerstreitverfahren (stRsp, zuletzt etwa LGZ Wien EFSlg 97.874; ausgenommen § 120 Abs 4) zur Anwendung. Auch die für ein Provisorialverfahren begründete Zuständigkeit bleibt aufrecht, selbst wenn der Prozess beim angerufenen Gericht später nicht mehr anhängig ist (1 Ob 159/02t = RdW 2003/29, 24 = ZfRV 2003/21, 73; vgl König, Einstweilige Verfügungen Rz 3/23). Eine Ausnahme normiert hingegen § 7 Abs 3 iVm § 38 Abs 3 ASGG für Sozialrechtssachen. Vor § 30

1 Delegation ist die Übertragung einer Rechtssache von dem zuständigen Gericht an ein anderes durch gerichtliche Verfügung (forum iudiciale). Sie erfolgt entweder durch die Entscheidung eines übergeordneten Gerichtes (Delegation im engeren Sinn: §§ 30, 31) oder durch das angerufene Gericht selbst (direkte Zuständigkeitsübertragung: §§ 31a, 111). Zur Verfassungsrechtslage Walter (Verfassung und Gerichtsbarkeit [1960] 193 f) und Fasching (Gerichtsorganisation 35 f). Lit: Mayr, Die Delegation im zivilgerichtlichen Verfahren, JBl 1983, 293; Fucik, Die Zuständigkeit nach der Zivilverfahrens-Novelle 1983, RZ 1985, 236. Ballon in Fasching I §§ 30 ff JN; Ballon Rz 68, 70; Fasching Rz 207 ff; Holzhammer 61; Buchegger, PraktZPR I 57, 60; Rechberger/Simotta Rz 153 ff. Delegation § 30. Ist ein Gericht aus einem der im § 19 vorgesehenen Gründe an der Ausübung der Gerichtsbarkeit gehindert, so hat dasselbe diese Behinderung dem im Instanzenzuge übergeordneten Gerichte anzuzeigen. Dieses hat sodann ein anderes Gericht gleicher Gattung zur Verhandlung und Entscheidung der Rechtssache zu bestimmen. [Stammfassung] 136

JN § 31

1.3 Zuständigkeit

Eine sog notwendige Delegation erfolgt von Amts wegen durch das im 1 Instanzenzug übergeordnete Gericht an ein Gericht gleicher Gattung, wenn das Untergericht anzeigt, dass es wegen Ausgeschlossenheit oder Befangenheit (§ 19) gehindert ist, die Gerichtsbarkeit auszuüben. Sie ist nur zulässig, wenn das angerufene Gericht (– daher keine Delegation vor Verfahrenseinleitung: etwa 1 Nd 6/01 –) für die Rechtssache zuständig ist und tatsächlich so viele Richter ausgeschlossen oder befangen sind, dass eine vorschriftsmäßige Besetzung nicht mehr möglich ist (RZ 1973/128, 104; RZ 1982/35, 131). Personalschwierigkeiten oder Zweckmäßigkeitserwägungen bilden keinen Grund für eine Delegation nach § 30 (JBl 1976, 385). Spezielle Fälle einer notwendigen Delegation regeln neben § 8 Abs 2 OrgHG insb § 9 Abs 4 AHG (– auf welche Bestimmung § 12 StEG 2005 und § 9 Abs 3 PolBefEntschG verweisen). Der rechtspolitische Sinn dieser Bestimmung liegt darin, dass alle betroffenen Gerichte, aus deren Verhalten ein Amtshaftungsanspruch abgeleitet wird, von der Entscheidung über den Anspruch ausgeschlossen sein sollen (s etwa Schragel, AHG3 Rz 255). Eine der Voraussetzungen für eine amtswegige Delegierung ist somit, dass der Amtshaftungsanspruch überhaupt aus einer (gerichtlichen) Entscheidung abgeleitet wird (1 Ob 95/03g = EvBl 2003/ 152). Der Delegierungstatsbestand des § 9 Abs 4 AHG erfasst nicht nur Amtshaftungsklagen gegen Rechtsträger, sondern auch – gem § 9 Abs 5 AHG unzulässige – Klagen gegen Organe (1 Ob 33/99f = SZ 72/130). Er gilt auch für Verfahrenshilfeanträge, die der Vorbereitung eines Amtshaftungsverfahrens dienen (1 Nd 4/01 uva). Das zuständige Gericht ist „unter Bedachtnahme auf die Grundsätze 2 der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis“ (so § 8 Abs 2 OrgHG) zu bestimmen, im Falle eines besonderen oder prorogierten Gerichtsstandes ist das Gericht des allgemeinen Gerichtsstandes zu bevorzugen. Die Entscheidung des übergeordneten Gerichtes ist unter Berücksichti- 3 gung der allgemeinen Rekursbeschränkungen (§§ 517, 528 ZPO) anfechtbar. Einzubringen ist der Rekurs bei jenem Gericht, das über die Delegation entschieden hat (Miet 46.586; s auch unten § 31 Rz 6). Ist dies ein GH I, geht der Rechtszug über das OLG zum OGH (Mayr, JBl 1983, 295 und NZ 1985, 229 [Entscheidungsbesprechung]; Ballon in Fasching I § 30 Rz 8; aM etwa RZ 1982/35, 131). § 31. (1) Auch kann aus Gründen der Zweckmäßigkeit auf Antrag einer Partei von dem Oberlandesgerichte, in dessen Sprengel das zuständige Gericht gelegen ist, an Stelle desselben ein anderes im 137

§ 31

Mayr

Sprengel dieses Oberlandesgerichtes gelegenes Gericht gleicher Gattung zur Verhandlung und Entscheidung bestimmt werden. (2) Delegierungen aus einem Oberlandesgerichtssprengel in einen anderen sind dem Obersten Gerichtshofe vorbehalten. (3) Ein Antrag auf Delegierung hat keine das Verfahren aufschiebende Wirkung. Die Entscheidung über denselben erfolgt ohne vorgängige mündliche Verhandlung. Vor der Entscheidung sind jedoch dem Gerichte, welches zur Verhandlung oder Entscheidung an sich zuständig wäre, sowie den Parteien unter Bestimmung einer Frist die zur Aufklärung nötigen Äußerungen abzufordern. [Abs 1 Satz 2 aufgehoben durch KindRÄG 2001; sonst Stammfassung]

1 Zweckmäßige Delegation: Sie ist in allen zivilgerichtlichen Verfahrensarten, insb im Außerstreitverfahren (auch im Pflegschafts- [OLG Wien EFSlg 79.064] oder Verlassenschaftsverfahren [EFSlg 94.335]), aber etwa auch im Provisorialverfahren, nicht jedoch bei der Führung des Firmenbuches (§ 120 Abs 5), zulässig. Ein ausschließlicher Gerichtsstand steht einer Delegierung nicht entgegen (EFSlg 82.064 oder 6 Nd 1/01). Bei Vorliegen eines Zwangsgerichtsstands ist eine besonders sorgfältige Prüfung der Zweckmäßigkeitsgründe notwendig (vgl unten Rz 4).

2 Voraussetzung ist die Gerichtsanhängigkeit der Rechtssache (SZ 21/63 oder MietSlg 50.675) und die Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes (EFSlg 87.957 ua). Eine Delegationsentscheidung darf daher erst nach der Klärung eines (allfälligen) Zuständigkeitsstreites erfolgen (OLG Wien EFSlg 72.790 ua). Eine Delegation ist auch nicht sinnvoll, wenn das Verfahren bereits abgeschlossen ist (OLG Wien EFSlg 82.073; s auch EFSlg 85.145) oder noch gar nicht sicher ist, dass es überhaupt zu einer Verhandlung kommen wird (vgl ÖJZ-LSK 1998/186).

3 Antragsberechtigt sind (nur) die Parteien (nicht das betroffene Gericht) sowie der streitgenössische (SZ 28/161) und der einfache Nebenintervenient; nicht aber ein noch nicht erbserklärter Erbe (EFSlg 94.336 oder 101.552). Im Delegierungsantrag ist das Gericht (genau) zu bezeichnen, an das delegiert werden soll (5 Ob 239/03p = EFSlg 105.469). Die Delegierung kann aber nur an ein Gericht gleicher Gattung erfolgen; daher kann eine allgemeine Zivilsache nicht an das HG (oder BGHS) Wien delegiert werden (4 Nc 18/03i ua). Der überholte Satz 2 des § 31 Abs 1 (dazu Mayr, JBl 1983, 295 f) ist durch das KindRÄG 2001 auch formell aufgehoben worden. Eine Delegation an eine andere Abteilung oder an einen anderen Rechtsmittelsenat desselben Gerichts ist ausgeschlossen (OLG Wien EFSlg 75.935). 138

JN § 31

1.3 Zuständigkeit

Um Verfahrensverschleppungen zu verhindern, hat ein Delegationsantrag nach § 31 keine aufschiebende Wirkung. Eine bloß teilweise Delegation (s aber § 111) ist nicht vorgesehen (vgl EFSlg 63.912 = JUS Z/491). Nach hL (Ballon in Fasching I § 31 Rz 6 ff) und stRsp (JBl 1986, 53; 4 EFSlg 105.458 f uva) soll eine Delegierung nur den Ausnahmefall darstellen und keinesfalls durch eine großzügige Handhabung der Delegierungsmöglichkeiten eine faktische Durchbrechung der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung hervorgerufen werden. Wenn sich daher die Frage der Zweckmäßigkeit nicht eindeutig zugunsten beider Parteien lösen lässt und eine Partei der Delegation widersprochen hat, so ist die Delegation abzulehnen (etwa MietSlg 54.566 oder EFSlg 101.551; 9 Nc 5/04s uva). Ein besonderes Gewicht kommt dem Widerspruch insb dann zu, wenn er von einem beim Gerichtsstand nach § 14 KSchG beklagten Konsumenten erhoben wird (vgl dazu die uneinheitliche Judikatur 2 Nd 510/86 sowie 6 Nd 512/96 = KRES 1f/20 einerseits und 4 Nd 514/02 sowie 10 Nc 19/03f andererseits). Beantragen dagegen beide Parteien einvernehmlich eine Delegation, so ist bei der zu treffenden Ermessensentscheidung kein allzu strenger Maßstab anzulegen (EvBl 1960/305; EFSlg 82.068; 2 Nd 4/00), zumal in § 31a Abs 1 sogar ein (bindender) Überweisungsantrag der Parteien vorgesehen ist. Zweckmäßigkeitsgründe bilden etwa der Wohnort der Parteien und der zu vernehmenden Zeugen oder die Lage des Augenscheinsgegenstandes. Zielsetzung der Delegation ist eine wesentliche Verkürzung und/oder Verbilligung des Verfahrens sowie eine Erleichterung des Gerichtszuganges oder der Amtstätigkeit (EFSlg 82.065, 87.953, 94.331 f und RS0046333; OLG Linz 105.460 f uva). Dies ist ua dann der Fall, wenn das Beweisverfahren (oder zumindest der maßgebliche Teil desselben) vor dem erkennenden Gericht durchgeführt werden kann, weil die Wahrung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes bedeutsamer erscheint als die Einhaltung der örtlichen Zuständigkeitsordnung (vgl EFSlg 87.960). Regelmäßig ausgeschlossen ist eine Delegation, wenn die Zuständigkeit des Gerichtes auf einer Vereinbarung der Parteien beruht, es sei denn, dass nachträglich wesentliche Zweckmäßigkeitsgründe eingetreten sind, auf welche die Parteien bei Abschluss der Vereinbarung nicht Bedacht nehmen konnten (RZ 1989/107, 280; MietSlg 53.631, 54.565 und 56.615; zu streng wohl 4 Nc 20/04k; vgl auch Mayr, JBl 1983, 299) oder wenn sie beide die Delegation beantragen. Ein Delegationsantrag kann weder auf Ablehnungsgründe (EFSlg 94.334 oder 105.465) noch auf das Vorliegen von ungünstigen oder sogar unrichtigen Entscheidungen oder Verfahrensverstößen des bisher zuständigen Gerichts gestützt 139

§ 31

Mayr

werden (EFSlg 82.071 oder 105.466). Soweit die stRsp Verfahrensverzögerungen als taugliche Delegierungsgründe kategorisch ausschließt (EFSlg 79.067, 82.071), ist ihr zwar insofern Recht zu geben, als eine Delegation nicht dazu dienen soll, weniger expeditive Richter zu umgehen, insoweit die Gründe für die (weitere) Verfahrensverzögerung jedoch objektiv nachvollziehbar sind (zB Personalengpässe) und auch die Gegenpartei nicht widerspricht (s § 31a Abs 1), ist mE kein strenger Maßstab anzulegen (vgl schon Mayr, JBl 1983, 299), zumal damit auch einem von Fasching (FS Henckel [1995] 165) de lege ferenda erstatteten Vorschlag (zum Teil) Rechnung getragen werden könnte. Eine mehrfache Delegation bzw eine neuerliche Delegation zurück an das ursprünglich angerufene Gericht ist im Gesetz nicht (grundsätzlich) ausgeschlossen, sie sollte jedoch nur in ganz besonderen Ausnahmefällen erfolgen (so auch 2 Nc 41/04h; vgl EvBl 1985/139).

5 Zuständig für die Entscheidung über einen Delegationsantrag ist, soweit die Delegation innerhalb eines OLG-Sprengels erfolgen soll, das betreffende OLG, sonst der OGH (direkte Vorlage: § 51 Abs 2 Geo), der in einem Dreiersenat entscheidet (§ 7 Abs 1 Z 2 OGHG). Auch in Arbeits- und Sozialrechtssachen entscheiden sowohl beim OLG als auch beim OGH drei Berufsrichter (§ 11a Abs 2 und 3 ASGG; § 7 Abs 1 Z 9 OGHG). Die Entscheidung erfolgt ohne mündliche Verhandlung, jedoch nach Einholung von Äußerungen des Gerichtes und der Gegenpartei (1 Ob 128/03k = EFSlg 105.470). Sind solche nicht angeschlossen, leitet der OGH den Antrag zur Nachholung regelmäßig (s aber 1 Nd 501/00) an das Prozessgericht zurück (etwa 1 Nc 1/04v; 2 Nc 6/04m). Auch eine Zurückstellung zur Verbesserung (bzw Ergänzung) des Delegierungsantrags ist möglich (vgl 9 NdA 1/02; 9 Nc 2/03y). Der erfolglose Delegierungswerber hat dem Prozessgegner dessen notwendige Kosten seiner ablehnenden Äußerung zum Delegierungsantrag (unabhängig vom Ausgang des Rechtsstreits) zu ersetzen (und zwar nach TP 2; s 10 Nd 515/01 oder 7 Nc 4/05f). Der unterlegene Delegationsgegner hat seine Äußerungskosten selbst zu tragen (8 Nc 6/04f).

6 Sowohl die Genehmigung als auch die Verweigerung einer Delegation durch das OLG ist mit Rekurs an den OGH anfechtbar, wobei die Rekursbeschränkung des § 517 ZPO, nicht aber jene des § 528 ZPO, zu beachten sind (1 Ob 80/02z = EvBl 2002/160; 3 Ob 250/02i = EFSlg 105.471). Er ist bei dem Gericht einzubringen, das über den Delegationsantrag entschieden hat (Ballon in Fasching I § 31 Rz 12; 5 Ob 550/ 87 = AnwBl 1987, 672; 7 Ob 600/87 = EvBl 1987/204). 140

JN § 31a

1.3 Zuständigkeit

§ 31a. (1) In Streitsachen hat das Gericht erster Instanz die Sache einem anderen Gericht gleicher Art zu übertragen, wenn die Parteien dies spätestens zu Beginn der mündlichen Streitverhandlung übereinstimmend beantragen. Dies gilt auch, wenn die Delegierung einer nicht ausschließlich einem Gerichtshof erster Instanz zugewiesenen Sache an ein Bezirksgericht beantragt wird. (2) Eine Streitsache kann auch ohne Antrag und nach Beginn der mündlichen Streitverhandlung einem anderen Gericht gleicher Art übertragen werden, wenn ihr Gegenstand der Anspruch auf Ersatz von Schäden aus der Tötung oder Verletzung einer oder mehrerer Personen, aus einer Freiheitsberaubung oder aus der Beschädigung einer körperlichen Sache ist, bei dem anderen Gericht ein Verfahren über einen gleichartigen Anspruch aus demselben schädigenden Ereignis anhängig ist und wenn diese Delegierung, besonders wegen der Gleichartigkeit der zu lösenden Tat- und Rechtsfragen, geeignet ist, den Verfahrensaufwand zu verringern. Die Sache darf nur demjenigen Gericht übertragen werden, bei dem als erstem eine Klage eingebracht worden ist. Die übertragene ist mit der bereits anhängigen Sache zu verbinden (§ 187 ZPO), auch wenn weder die Kläger noch die Beklagten der beiden Verfahren ident sind. (3) Entscheidungen nach Abs 2, die bei einer Verhandlung vor dem Senat getroffen werden, obliegen diesem, sonstige Entscheidungen nach Abs 1 oder 2 dem Vorsitzenden des Senates. Für den weiteren Gang des Verfahrens gilt der § 261 Abs 6 sechster bis achter Satz ZPO sinngemäß. Im übrigen ist der § 31 Abs 3 anzuwenden. [Eingefügt durch ZVN 1983] Voraussetzung für die – rechtspolitisch bedenkliche (Mayr, JBl 1983, 1 301 ff; Fasching Rz 210; Ballon in Fasching I § 31a Rz 6) – Übertragung der Zuständigkeit nach Abs 1 ist (lediglich) das Vorliegen des streitigen Verfahrens und ein rechtzeitiger, dh spätestens am Beginn der mündlichen Streitverhandlung (vorbereitenden Tagsatzung) – aber auch schon früher – gestellter, übereinstimmender Antrag beider Parteien, der auch in zwei getrennten (aber rechtzeitigen!) Schriftsätzen gestellt werden kann (6 Nd 502/97, 1 Nc 1/04v). Eine Prüfung der Zweckmäßigkeit der Zuständigkeitsverlagerung ist hingegen nicht vorgesehen (etwa 6 Nd 510/02); die Übertragung geht einer Delegierung aus Zweckmäßigkeitserwägungen (nach § 31) vor (1 Nc 115/02f; 7 Nc 18/ 04p). Die Gesetzesmaterialien (669 BlgNR 15. GP 30) bezeichnen diese Übertragung daher als „nachträgliche Konsensprorogation“ und auch Ballon (Rz 64, 68) zählt sie – offenbar daran anschließend – zur Zuständigkeitsvereinbarung. Zu Recht weist Fasching (Rz 211) aber darauf hin, 141

§ 31a

Mayr

dass die Übertragung nicht unmittelbar durch die Parteien, sondern konstitutiv durch das Gericht verfügt wird. Unzulässig ist eine solche Übertragung innerhalb desselben Gerichtes von einer Gerichtsabteilung zur anderen und – wie sich aus dem Gesetzeswortlaut klar ergibt – von einem BG zu einem GH oder von einem eigenzuständigen GH zu einem BG. Hingegen unterliegen Zuständigkeitsübertragungen in örtlicher Hinsicht keinen Beschränkungen (s näher Fasching Rz 210 f und Mayr, JBl 1983, 303; 1 Nd 40/00; 1 Nc 115/02f). Insb können (seit der WGN 1997) auch die Schranken des § 14 KSchG ohne weiteres überschritten werden (s Simotta in Fasching I Vor §§ 83a und 83b Rz 99 f). Wird der Übertragungsantrag verspätet gestellt, so ist er (allenfalls nach einer Verbesserung durch die Nachtragung von Zweckmäßigkeitsgründen) wie ein Antrag nach § 31 zu behandeln (4 Nc 18/03i), für dessen Erledigung wegen der Übereinstimmung der Parteien kein strenger Maßstab anzulegen ist (s § 31 Rz 4).

2 Sind die gesetzlichen Voraussetzungen eingehalten, so hat das Gericht zu übertragen und das Adressatgericht muss die Streitsache übernehmen. Nach der stRsp (NRsp 1988/174; SZ 66/92; OLG Wien EFSlg 97.879) gilt Letzteres selbst für einen nicht gesetzeskonformen Übertragungsbeschluss, sodass das Adressatgericht (jedenfalls) an den Übertragungsbeschluss gebunden ist. ME sollte hier jedoch ausnahmsweise dem zweiten Gericht die Verweigerung der Zuständigkeitsübernahme gestattet werden, damit eine Kontrolle der Einhaltung der (ohnehin geringen) Zulässigkeitsschranken des Gesetzes gewährleistet wird (Mayr, JBl 1983, 302; aM Ballon in Fasching I § 31a Rz 5).

3 Der Übertragungsbeschluss und (insb) die Verweigerung einer beantragten Übertragung sind – innerhalb der Grenzen des § 517 ZPO (aM Fasching Rz 211) – mit Rekurs anfechtbar.

4 Eine Übertragung der Zuständigkeit nach Abs 2 kann auf Antrag oder von Amts wegen erfolgen, wenn bei verschiedenen Gerichten gleicher Art (daher nicht vom BG zum GH oder umgekehrt: NRsp 1989/244 = NRsp 1989/254) Schadenersatzprozesse wegen deliktischer und (in Analogie zu § 92a – s dort Rz 1) vertraglicher Schadenshaftung (einschließlich Erfolgs- und Gefährdungshaftung) aus demselben Sachverhalt anhängig sind (s auch Burgstaller, JBl 1994, 74 f). Voraussetzung ist jedenfalls, dass die Übertragung eindeutig geeignet ist, den Verfahrensaufwand im konkreten Fall zu verringern. Dies ist regelmäßig nur dann der Fall, wenn das andere Verfahren im Zeitpunkt der Übertragung zumindest gleich weit oder weiter gediehen ist, andererseits aber 142

JN § 32

1.3 Zuständigkeit

auch nicht bereits kurz vor dem Abschluss steht. Eine Zuständigkeitsübertragung nach Abs 2 wird daher nur selten angebracht sein. Nur bei völlig gleichem Verfahrensstand entscheidet das frühere Einbringen der Klage (Fasching Rz 213). Eine mündliche Verhandlung ist nicht notwendig, jedoch müssen vor 5 der Übertragungsentscheidung (allenfalls unter Fristsetzung) die Stellungnahmen der Parteien eingeholt werden. Gegen den begründeten Widerspruch einer oder (um so mehr) beider Parteien ist die Streitsache regelmäßig nicht zu übertragen. Zur Entscheidung ist das befasste Erstgericht zuständig (2 Nd 3/02). Der Übertragungsbeschluss ist (abgesehen von § 517 ZPO) ohne Einschränkung (OLG Wien 18 R 305/86) anfechtbar (s 1337 BlgNR 15. GP 3). Fechten die Parteien einen Beschluss, der (gesetzwidrigerweise) eine Übertragung an einen anderen Gerichtstyp verfügt, nicht an, so liegt darin eine Unterwerfung unter die (neue) Zuständigkeit, die auch vom Adressatgericht nicht mehr aufgegriffen werden kann. Auch sonst ist das andere Gericht regelmäßig an den (rechtskräftigen) Übertragungsbeschluss gebunden und darf insb dessen Zweckmäßigkeit nicht überprüfen (vgl RZ 1986/4, 9 und Buchegger, PraktZPR I 62). Ist beim Adressatgericht jedoch gar kein Rechtsstreit aus demselben schädigenden Ereignis (mehr) anhängig, so muss es ausnahmsweise berechtigt sein, die Übernahme der Zuständigkeit zu verweigern (vgl Mayr, JBl 1983, 305). Die beiden Streitsachen sind (jedenfalls) zur gemeinsamen Verhandlung 6 und Entscheidung zu verbinden (§ 187 ZPO). Diese Verbindung kann allerdings wieder aufgehoben werden, wenn sie zu einer Verzögerung oder Verteuerung führen würde (1337 BlgNR 15. GP 2). Der Verweis in Abs 3 auf § 261 Abs 6 sechster bis achter Satz ZPO ist seit der Aufhebung des vierten und des siebenten Satzes des § 261 Abs 6 ZPO durch die ZVN 2002 als Verweis auf den fünften und sechsten Satz zu verstehen. Das bedeutet, dass die Streitanhängigkeit durch die Übertragung nicht aufgehoben wird, und dass die neue Verhandlung mit Benützung der bisherigen Verhandlungsergebnisse durchzuführen und iSd § 138 ZPO einzuleiten ist. Beschränkung der Zuständigkeit auf den Gerichtsbezirk § 32. (1) Jedes Gericht hat die zu seinem Wirkungskreis gehörenden Amtshandlungen innerhalb des ihm zugewiesenen Sprengels selbst vorzunehmen. (2) Jedoch dürfen, soweit im § 15 des Zustellgesetzes, BGBl 2000/ 1982, nicht anderes bestimmt ist, gerichtliche Amtshandlungen in 143

§ 33

Mayr

Kasernen oder auf anderen militärisch genützten Liegenschaften nur nach vorgängiger Anzeige an den Kommandanten und unter Zuziehung eines von diesem beizugebenden Soldaten oder Bediensteten der Heeresverwaltung vorgenommen werden. (3) Zur Ausführung der gerichtlichen Verfügungen, die Personen betreffen, die Immunität genießen, ist die Vermittlung des Bundesministeriums für Auswärtige Angelegenheiten in Anspruch zu nehmen. (4) Das gilt auch, wenn gerichtliche Amtshandlungen gegen Personen, die der inländischen Gerichtsbarkeit unterliegen, in den Wohnungen von Personen vorzunehmen sind, die Immunität genießen. [Fassung BGBl 1982/201; Abs 3 und 4 idF Art VI Z 5 WGN 1997] § 33. Ein Gericht darf zur Vornahme der Amtshandlung die Grenzen seines Sprengels überschreiten, wenn Gefahr im Verzug ist, wenn eine Amtshandlung an der Grenze des Gerichtssprengels stattfinden soll oder wenn dies zur Sicherung der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme unter Bedachtnahme auf die Raschheit und die Sparsamkeit der Verfahrensführung geboten ist. Das Gericht, in dessen Sprengel eine solche Amtshandlung vollzogen wird, ist hievon zu verständigen. [Fassung ZVN 1983] Lit: Ballon in Fasching I §§ 32, 33 JN; Buchegger, PraktZPR I 63; Fasching Rz 271.

1 Grundsätzlich hat jedes Gericht Amtshandlungen innerhalb seines Sprengels selbst vorzunehmen (Ausnahmen unten Rz 2 und § 36), ist jedoch andererseits mit seinen Amtshandlungen auch auf diesen Gerichtssprengel beschränkt. Die Sprengelgrenzen dürfen nur unter den Voraussetzungen des § 33 überschritten werden (1 Ob 167/02v = EFSlg 101.557; s auch § 249 Abs 2 EO idF EO-Nov 1995), also wenn Gefahr in Verzug ist (Anwendungsfall: SZ 49/24 = JBl 1977, 596 = NZ 1980, 103 = RZ 1976/126, 243), bei Amtshandlungen an der Sprengelgrenze oder wenn dies zur Sicherung der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme unter Berücksichtigung der Verfahrensökonomie (vgl LGZ Wien EFSlg 101.558) sinnvoll erscheint (insb bei der Durchführung eines Lokalaugenscheins, s 669 BlgNR 15. GP 30). Die Gerichtsgewalt der österreichischen Gerichte endet an den Grenzen des österreichischen Staatsgebietes. Ob ein österreichisches Gericht die Staatsgrenzen überschreiten darf, ist nach völkerrechtlichen Regeln zu beurteilen (1337 BlgNR 15. GP 3; 1 Ob 305/98d = SZ 71/198 = EvBl 1999/88 = JBl 1999, 332 = 144

JN §§ 34–35

1.3 Zuständigkeit

ZfRV 1999, 116) bzw kann sich aus Rechtsakten der Europäischen Union ergeben (s unten §§ 38–40 Rz 1). Ein Verstoß gegen diese Bestimmungen ist nicht durch verfahrensrechtliche Folgen sanktioniert, bewirkt also keine Nichtigkeit (SZ 51/ 140; Ballon in Fasching I §§ 32, 33 Rz 6 und 10). Die Angehörigen des Bundesheeres sind (selbstverständlich) der Zivil- 2 gerichtsbarkeit unterworfen. Gerichtliche Amtshandlungen (mit Ausnahme von Zustellungen: dazu § 15 ZustG nach § 87 ZPO) in militärischen (oder militärisch genützten) Gebäuden sind jedoch nur nach vorgängiger Anzeige an den betreffenden Kommandanten und unter Zuziehung einer Militärperson zulässig. Die Vermittlung des BMaA zur Ausführung gerichtlicher Verfügungen, die Immunität genießende Personen (oder Staaten: 9 ObA 14/ 03d = JBl 2004, 258 [M. Karollus] = RdW 2003/565, 642 = DRdA 2003, 581 = ZfRV 2004/4, 27) betreffen, und zur Vornahme von gerichtlichen Amtshandlungen in deren Wohnungen (s Art IX EGJN) ist im Wege des BMJ in Anspruch zu nehmen (§ 36 Abs 3 RHEZiv 2004). Wenn aber bereits ein Prozess- oder Zustellungsbevollmächtigter bestellt worden ist, ist diesem unmittelbar zuzustellen. Ob im konkreten Fall eine Immunität vorliegt, hat das befasste Gericht – ev nach Einholung einer (nicht bindenden) Auskunft des BMJ – selbst zu beurteilen (s Art IX EGJN Rz 23). Vor § 34 Der selbständige Einzelrichter ist Träger der vollen Gerichtsgewalt. 1 Dem unselbständigen (kommissarischen) Einzelrichter kommen hingegen nur gewisse beschränkte Aufgaben zu. Er ist entweder beauftragter Richter, der als Mitglied des erkennenden Senats bestimmte ihm durch Gesetz oder Senatsbeschluss übertragene Geschäfte ohne Sachentscheidungsbefugnis erledigt, oder ersuchter Richter eines anderen Gerichtes, der insb Beweisaufnahmen im Rechtshilfeweg eigenverantwortlich durchführt. Übertragung einzelner Geschäfte an den Vorsitzenden oder an einen beauftragten Richter § 34. (1) Die Vornahme gerichtlicher Handlungen durch den Präsidenten des Gerichtshofes oder durch den Vorsitzenden des Senates, welchem eine Rechtssache zur Verhandlung oder Entscheidung zugewiesen ist, oder die Übertragung gerichtlicher Handlungen an ein einzelnes Mitglied dieses Senates oder des zuständigen Gerichtshofes 145

§§ 34–35

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(beauftragter Richter) ist nur in den gesetzlich bestimmten und in den durch die Vorschriften über die innere Einrichtung und Geschäftsordnung der Gerichte bezeichneten Fällen zulässig. (2) Die Übertragung gerichtlicher Handlungen an ein Mitglied des Senates oder des zuständigen Gerichtshofes steht, wenn nicht durch die hierauf bezüglichen Vorschriften etwas anderes angeordnet oder insbesondere der Vorsitzende hiezu ermächtigt ist, nur dem zur Verhandlung und Entscheidung der Rechtssache berufenen Senate zu. [Stammfassung] § 35. (1) Richterliche Amtshandlungen, welche außerhalb einer mündlichen Verhandlung oder außerhalb einer Sitzung vorzunehmen sind, ohne dass die Bedingungen für ein deshalb an ein anderes Gericht zu stellendes Ersuchen vorhanden wären, sind im Verfahren vor Gerichtshöfen einem beauftragten Richter zu übertragen. (2) Beschlüsse eines beauftragten Richters können, sofern im Gesetze nichts anderes bestimmt ist, von dem Gerichte, welches den Auftrag erteilt hat, auf Antrag oder von Amts wegen abgeändert werden. Vor der Entscheidung sind die zur Aufklärung des Sachverhaltes erforderlichen Erhebungen zu pflegen. [Stammfassung] Lit: Ballon in Fasching I § 7 JN Rz 2 und 3, §§ 34, 35 JN; Fasching Rz 171, 175.

1 Ein Tätigwerden des Senatsvorsitzenden oder eines Mitglieds des Senats als beauftragter Richter ist nur bei Senatsprozessen (im Gerichtshofverfahren) denkbar; durch die fortschreitende Zurückdrängung der Senatsgerichtsbarkeit in erster Instanz (s § 7 Rz 1) kommt den diesbezüglichen Bestimmungen daher eine immer geringere praktische Bedeutung zu. Der Einsatz eines einzelnen Richters bildet im Senatsprozess eine – nicht ausdehnend auszulegende (RZ 1989/104, 279) – Ausnahme, die nur dann zulässig ist, wenn dies im Gesetz (oder der Geo) entweder ausdrücklich vorgesehen oder dem Senat ein entsprechender Beauftragungs-Beschluss eingeräumt ist. Dadurch nicht gedeckte Handlungen eines unselbständigen Richters sind nichtig (§ 477 Abs 1 Z 2 ZPO; RZ 1989/104, 279; vgl auch RZ 1990/51, 102). So ist etwa die globale Übertragung sämtlicher Beweisaufnahmen an ein Senatsmitglied trotz formellen Senatsbeschlusses mit Nichtigkeit bedroht (RZ 1984/60, 183).

2 Dem Senatsvorsitzenden obliegt insb die Vorbereitung und Leitung der mündlichen Verhandlung sowie die Verkündung und Ausfertigung 146

JN §§ 34–35

1.3 Zuständigkeit

der vom Senat getroffenen Entscheidungen. Seine prozessleitenden Verfügungen können durch Widerspruch beim Senat angefochten werden (§ 186 Abs 1 ZPO). Weiters sind ihm insb zugewiesen (Näheres bei Ballon in Fasching I § 7 Rz 2 und 3 und § 34 Rz 6): Entscheidungen über eine Übertragung der Zuständigkeit nach § 31a (soweit sie außerhalb der mündlichen Verhandlung getroffen werden: § 31a Abs 3); Entbindung des Beklagten von der Klage bei Eintritt des Auktors (§ 23 Abs 2 ZPO); Zurückweisung von Schriftsätzen ohne Anwaltsunterschrift in Anwaltsprozessen (§ 38 Abs 2 ZPO); Durchführung eines Verbesserungsverfahrens (§ 84 Abs 3 ZPO); Anordnung von Zustellungen (§ 87 Abs 3 ZPO); Bestimmung von Fristen und die Anberaumung von Tagsatzungen (§ 140 ZPO); die Schließung der mündlichen Verhandlung (§ 193 Abs 1 ZPO); Ausübung der Sitzungspolizei (§ 197 ZPO); Erklärung zur Ferialsache (§ 224 Abs 2 ZPO); Auftrag zur Klagebeantwortung (§ 230 Abs 1 ZPO; über den in dieser Klagebeantwortung gestellten Antrag auf aktorische Kaution entscheidet jedoch der Senat: RZ 1989/104, 279); Entscheidung über die Kostenersatzpflicht bei Klage- oder Rechtsmittelzurücknahme außerhalb der mündlichen Verhandlung (§ 237 Abs 3, § 484 Abs 3 ZPO); Anberaumung der vorbereitenden Tagsatzung (§ 257 Abs 1 ZPO); Entscheidung über Beweissicherungsanträge (§ 386 Abs 2 ZPO); Entscheidung über einen Antrag auf Erlassung eines Versäumungs-, Verzichts- oder Anerkenntnisurteils (§ 397 ZPO); Anberaumung und Leitung der mündlichen Berufungsverhandlung (§§ 480, 486 ZPO) ua. Darüber hinaus bedürfen zahlreiche weitere in § 37 GOG (idF ZVN 3 2004) aufgezählte Angelegenheiten keiner Beschlussfassung des Senates, können also vom Vorsitzenden (bzw vom beauftragten Richter) allein entschieden werden, zB die einstweilige Zulassung eines Bevollmächtigten gem § 38 ZPO, die Bewilligung der Verfahrenshilfe, die Aufforderung zur Vorlage und Rückstellung von Urkunden (§§ 82, 83 ZPO), die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Klagebeantwortungsfrist, Aufträge zur Zustellung und Vorlage von Schriftsätzen und Akten im Rechtsmittelverfahren und bestimmte Kostenentscheidungen. Im arbeits- und sozialgerichtlichen Verfahren bleiben die Bestimmungen über die Aufgaben des Senatsvorsitzenden unberührt (§ 11 Abs 3 ASGG). Darüberhinaus werden in § 11a Abs 1 ASGG dem Vorsitzenden eine Reihe von weiteren Befugnissen eingeräumt (s § 7a Rz 3). Generell müssen einem Senatsmitglied als beauftragtem Richter alle 4 Amtshandlungen außerhalb einer mündlichen Verhandlung oder Sitzung übertragen werden (§ 35 Abs 1), ihm können etwa die Durchführung eines Vergleichsversuches (§ 204 Abs 2 ZPO; dazu Mayr, Ver147

Vor § 36

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gleichsversuch 75 ff) oder von Beweisaufnahmen (§§ 276 ff, 282 ff ZPO) durch Senatsbeschluss übertragen werden. Zur Form der Bestellung s § 50 Abs 2 und § 546 Geo.

5 Eine Abänderungsbefugnis des Senats besteht – abgesehen von Sonderregelungen (§ 342 ZPO) – nur bei Beschlüssen prozessleitender Natur (§ 425 Abs 2 ZPO). Der in § 516 ZPO (und § 548 Geo) vorgeschrieben gewesene Abänderungsantrag beim Senat ist durch die ZVN 1983 beseitigt worden (dazu 669 BlgNR 15. GP 59). Die notwendige Anpassung des § 35 Abs 2 ist aber unterblieben. Vor § 36

1 Rechtshilfe ist die Vornahme einzelner Amtshandlungen durch ein vom Prozessgericht verschiedenes Gericht (ersuchtes Gericht), weil die Durchführung dieser Amtshandlung durch das ersuchende Gericht selbst unzulässig oder unzweckmäßig wäre. Sie ist wegen der grundsätzlichen Beschränkung der Amtstätigkeit der Gerichte auf ihren Sprengel (§§ 32 f) notwendig und entspricht dem allgemeinen verfassungsrechtlichen Gebot der Amtshilfe (Art 22 B-VG). Lit: Ballon in Fasching I Vor §§ 36–40 JN; Buchegger, PraktZPR I 64; Fasching Rz 314 ff; Holzhammer 67. Übertragung des Vollzuges von Amtshandlungen an andere Gerichte § 36. (1) Der Vollzug von Amtshandlungen, die ein Landes- oder Handelsgericht gemäß § 32 Abs 1 selbst vorzunehmen hätte, ist einem im Sprengel dieses Gerichtshofes gelegenen Bezirksgerichte zu übertragen, wenn dies entweder durch besondere gesetzliche Vorschriften angeordnet ist, oder wenn dadurch die Behandlung der Sache erleichtert oder unnützer Kostenaufwand vermieden werden kann. Wegen des Vollzuges der außerhalb seines Sprengels vorzunehmenden Amtshandlungen (Rechtshilfe) hat sich das Gericht, bei welchem die Rechtssache anhängig ist, an das Gericht zu wenden, bei welchem oder in dessen Sprengel die Handlung vorzunehmen ist. (2) Die Übertragung des Vollzuges von Amtshandlungen an ein anderes Gericht (ersuchter Richter) geschieht durch ein an dasselbe gestelltes Ersuchen. Wird ein ausländisches Gericht ersucht, so sind dabei die besonderen hierauf bezüglichen Anordnungen (Staatsverträge, Regierungserklärungen, Ministerialverordnungen) zu beobachten. 148

JN § 36

1.3 Zuständigkeit

(3) Um die Aufnahme eines Beweises darf ein Landes- oder Handelsgericht ein Bezirksgericht seines Sprengels nur dann ersuchen, wenn der Aufnahme des Beweises durch das erkennende Gericht unübersteigliche Hindernisse entgegenstehen oder sie unverhältnismäßige Kosten verursachen würde. [Fassung BGBl 1993/91; Abs 1 Satz 1 letzter Halbsatz angefügt durch BGBl 1978/280 und wieder aufgehoben durch das KindRÄG 2001; Abs 3 angefügt durch ZVN 1983; sonst Stammfassung] Gegenstand der Rechtshilfe kann nur die Vornahme einzelner im 1 Rechtshilfeersuchen genau zu beschreibender Amtshandlungen (insb Beweisaufnahmen s §§ 282 ff ZPO) sein, nicht aber die Fällung von (dem ersuchenden Gericht vorbehaltenen) Entscheidungen (RZ 1983/ 21, 71) oder die Durchführung der mündlichen Verhandlung. Andererseits ist aber bereits das Ersuchen um Aktenübersendung für Beweiszwecke als Rechtshilfeersuchen zu qualifizieren (SZ 57/161). Da die Rechtshilfe eine Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrund- 2 satzes bedeutet, ist sie nur dann zulässig, wenn sie entweder ausdrücklich vorgesehen ist (etwa § 509 Abs 3 ZPO) oder wenn Gründe der Zweckmäßigkeit und der Verfahrensökonomie eindeutig für die Vornahme im Rechtshilfeweg sprechen. Dabei werden in Abs 3 für die Beweisaufnahme durch ein BG im Sprengel (aber außerhalb des Sitzes) des ersuchenden GH besonders strenge Kriterien aufgestellt (analog § 375 Abs 3 ZPO). Eine Verletzung dieser Voraussetzungen bildet einen wesentlichen Verfahrensmangel (ebenso Ballon in Fasching I § 36 Rz 3), kann aber nicht vom ersuchten Gericht wahrgenommen werden (s auch § 37 Rz 1). Zur Form des (schriftlichen) Ersuchschreibens und zur Geschäftsbe- 3 handlung s §§ 141, 154, 432 ff, 526 und 546 Geo; dazu jeweils Danzl, Geo. Die einschlägigen (österreichischen) Bestimmungen über die inter- 4 nationale Rechtshilfe (zum Begriff s Bajons in Fasching I § 38 Rz 17 ff) verweisen vorrangig auf das zwischenstaatliche Recht (etwa § 36 Abs 2 und § 38 Abs 1; Art XXXV EGZPO; § 121 ZPO; § 12 Abs 1 ZustG). Für den vertragslosen Rechtshilfeverkehr bestehen einige wenige innerstaatliche Bestimmungen (§§ 38 ff; § 283 ZPO sowie der RHEZiv 2004), welche mit der bestehenden völkerrechtlichen Übung übereinstimmen (s Bajons in Fasching I § 38 Rz 24 ff). Im Anschluss an die am 1.1.2004 in Kraft getretene europäische Beweisaufnahmeverordnung (EuBewVO, ABl 2001 L 174 S 1; s oben Nach § 27a Rz 9 und unten §§ 38–40 Rz 1) 149

§ 37

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regeln der neue § 39a speziell die Beweisaufnahme durch ausländische Gerichte im Inland und die neuen §§ 291a ff ZPO die Beweisaufnahme durch inländische Gerichte im Ausland. Siehe dazu die Literaturhinweise bei §§ 38–40. Rechtshilfe auf Ersuchen inländischer Gerichte § 37. (1) Die im Geltungsgebiete dieses Gesetzes befindlichen Gerichte haben sich gegenseitig Rechtshilfe zu leisten. (2) Das Ersuchen um eine im Geltungsgebiete dieses Gesetzes zu gewährende Rechtshilfe ist, wenn nichts anderes bestimmt ist, an das Bezirksgericht zu stellen, in dessen Sprengel die Amtshandlung vorgenommen werden soll. Das Ersuchen um Vornahme solcher Amtshandlungen, die nur bei einem bestimmten Gerichte vorgenommen werden können, ist an das Gericht zu stellen, welches die Amtshandlung vorzunehmen hat. (3) Das Ersuchen ist abzulehnen, wenn der ersuchte Richter zu der betreffenden Handlung örtlich unzuständig ist. (4) Wird ein Rechtshilfeersuchen an ein unzuständiges Gericht gerichtet und ist diesem die Bestimmung des zuständigen Gerichtes möglich, so hat es das Ersuchen an dieses weiterzuleiten. Hiebei ist der Abs 5 sinngemäß anzuwenden. (5) Wären in einer Gemeinde für mehrere Amtshandlungen in derselben Rechtssache verschiedene Bezirksgerichte zuständig, so hat alle Amtshandlungen dasjenige Bezirksgericht vorzunehmen, das das ersuchende Gericht auswählt; bei dieser Auswahl hat es nach den Grundsätzen des § 36 Abs 1 vorzugehen. [Abs 2 idF StGBl 1945/188 (im 2. Satz unrichtig „sind“); Abs 4 und 5 idF BGBl 1988/291; sonst Stammfassung]

1 Die inländischen Gerichte sind verpflichtet, einander Rechtshilfe zu leisten. Darüber hinaus ist (grundsätzlich) insb auch Schiedsgerichten und Schiedsrichtern (§ 602 ZPO, Art XXII EGZPO), dem Patentamt und dem Obersten Patent- und Markensenat (§ 126 PatG), dem VwGH (§ 36 Abs 9 VwGG), den Abgabenbehörden (§ 158 Abs 3 BAO) und den Sozialversicherungsträgern (§ 360 ASVG) Rechtshilfe zu gewähren (vgl auch Art 22 B-VG). Nach dem Gesetz darf das ersuchte Gericht die Durchführung der Rechtshilfe nur dann ablehnen, wenn es dazu örtlich (wohl aber auch sachlich) unzuständig ist. Diesfalls (nicht aber, weil das ersuchte Gericht etwa ein anderes Gericht für geeigneter hält) ist das Rechtshilfeersuchen an das (bestimmbar) zuständige Gericht weiterzuleiten (s dazu 563 BlgNR 17. GP 3). Streitigkeiten zwischen diesen beiden (ersuchten) 150

JN § 37

1.3 Zuständigkeit

Gerichten entscheidet das gemeinsam übergeordnete Gericht (analog § 47; Fasching Rz 317 will hingegen § 40 anwenden). Darüber hinaus ist der Rechtshilferichter nach stRsp auch berechtigt, die Unzulässigkeit des Rechtswegs für die begehrte Rechtshilfehandlung sowie deren Unerlaubtheit und deren Unbestimmtheit zu beachten, die Prüfung der Zweckmäßigkeit oder der prozessualen Richtigkeit des Rechtshilfeersuchens ist dem ersuchten Gericht jedoch versagt (etwa RZ 1979/44, 178 = RZ 1980/35, 172; EFSlg 43.949 = ÖA 1984, 49; EFSlg 87.963; OLG Wien WR 250/1986; LGZ Wien EFSlg 94.340). Nach Fasching Rz 317 (in Anschluss an Holzhammer 68) darf das ersuchte Gericht ferner eine gesetzwidrige Rechtshilfe(handlung) ablehnen, jedoch ist auch eine unzweckmäßige oder den Bestimmungen der §§ 328 oder 375 ZPO nicht entsprechende Rechtshilfe streng genommen eine gesetzwidrige Rechtshilfe (vgl OLG Wien SVSlg 33.872). Sachlich zuständig für die Vornahme der Rechtshilfe sind grundsätz- 2 lich die Bezirksgerichte und zwar auch im arbeits- und sozialgerichtlichen Verfahren, da dem ASGG keine abweichende Sondernorm zu entnehmen ist. Ein Rechtshilfeersuchen wäre hier nur dann unzulässig, wenn die auswärtige Amtshandlung vom ersuchenden Gericht bei einem nach § 35 ASGG abzuhaltenden Gerichtstag selbst durchzuführen wäre (OLG Wien SVSlg 33.867, 33.869, 33.870; Ballon in Fasching I § 37 Rz 3; aM OLG Innsbruck 25 Nc 1/00t): Hier ist wohl eine „unerlaubte“ Rechtshilfe anzunehmen. Örtlich zuständig ist jenes Gericht, in dessen Sprengel die Amtshandlung vorgenommen werden soll, also etwa das BG, in dessen Sprengel der Sachverständige tätig werden soll (EvBl 1965/221). Einem übereinstimmenden Antrag beider Parteien, dass ein bestimmtes Gericht eine Rechtshilfevernehmung durchführen möge, ist jedoch zu entsprechen (EvBl 1990/36). Der ersuchte Richter ist zwar an den Inhalt des Rechtshilfeersuchens 3 gebunden, die Durchführung der Erledigung ist jedoch eine selbständige Amtshandlung des Rechtshilfegerichts und nicht der Kontrolle durch das Prozessgericht unterworfen (EFSlg 87.961). Rechtsmittel gegen E des Rechtshilfegerichtes sind daher (bei diesem Gericht einzubringen und) an das dem Rechtshilfegericht übergeordnete Gericht zu richten (LGZ Wien EFSlg 101.559). Über Wiedereinsetzungsanträge gegen die Versäumung von Tagsatzungen oder von Fristen des ersuchten Richters entscheidet dieser Richter. Streitigkeiten zwischen ersuchendem und ersuchtem Gericht über die 4 Ausübung der Rechtshilfe entscheidet in analoger Anwendung des § 47 der beiden Gerichten zunächst übergeordnete Gerichtshof (stRsp, zuletzt etwa 9 Nd 501/02 = EFSlg 101.560 oder SZ 57/161 und EvBl 1990/36). 151

§§ 38–40

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Rechtshilfe auf Ersuchen ausländischer Gerichte § 38. (1) Die im Geltungsgebiete dieses Gesetzes befindlichen Gerichte haben ausländischen Gerichten über Ersuchen Rechtshilfe zu leisten, sofern nicht besondere hierauf bezügliche Anordnungen (Staatsverträge, Regierungserklärungen, Ministerialverordnungen) etwas anderes festsetzen. (2) Die Rechtshilfe ist zu verweigern: 1. wenn die von dem ersuchenden Gerichte begehrte Handlung nach den im Inlande hiefür geltenden Bestimmungen dem Geschäftskreise der Gerichte entzogen ist; sollte die begehrte Handlung im Geschäftskreise anderer inländischer Behörden gelegen sein, so kann das ersuchte Gericht das Ersuchen an die hiernach zuständige Behörde leiten; 2. wenn die Vornahme einer Handlung begehrt wird, welche durch die für das inländische Gericht verbindlichen Gesetze verboten ist. [Abs 2 Z 3 aufgehoben durch ZVN 1983; sonst Stammfassung] § 39. (1) Die begehrte Rechtshilfe ist nach den Vorschriften der für das ersuchte Gericht verbindlichen Gesetze zu gewähren. Soweit es nach diesen Gesetzen zulässig ist, hat das ersuchte Gericht alle zur Erfüllung des Ersuchens erforderlichen Vorkehrungen und Verfügungen von Amts wegen zu treffen. (2) Bei Gewährung der Rechtshilfe von den Vorschriften der im Inlande geltenden Gesetze abzuweichen ist nur dann gestattet, wenn ausdrücklich ersucht wurde, bei den vorzunehmenden Handlungen einen bestimmten, durch das ausländische Recht geforderten Vorgang einzuhalten, und dieser Vorgang durch keine Vorschrift der inländischen Gesetzgebung verboten erscheint. (3) Auf die Teilnahme des ersuchenden Gerichtes an der Beweisaufnahme ist Art 12 der Verordnung (EG) Nr 1206/2001, ABl Nr 2001, L 174, S 1, auch dann entsprechend anzuwenden, wenn es sich um kein Gericht eines Mitgliedstaates im Sinne dieser Verordnung handelt. [Abs 3 angefügt durch BGBl I 2003/114, sonst Stammfassung] Beweisaufnahme durch ausländische Gerichte § 39a. (1) Eine unmittelbare Beweisaufnahme durch ausländische Gerichte ist im Inland nur zulässig, wenn sie vom Bundesminister für Justiz genehmigt wurde. (2) Außerhalb des Geltungsbereichs der Verordnung (EG) Nr 1206/2001, ABl Nr 2001, L 174, S 1, ist die Genehmigung zu erteilen, wenn 152

JN §§ 38–40

1.3 Zuständigkeit

1. die Gegenseitigkeit gewährleistet ist, 2. die beabsichtigte Beweisaufnahme nicht gegen Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung einschließlich der Bestimmungen der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), BGBl Nr 210/1958, verstößt, 3. sichergestellt ist, dass alle von der Beweisaufnahme betroffenen Personen freiwillig mitwirken und dass das ausländische Gericht im Inland keine Zwangsmaßnahmen setzt, sowie 4. die beabsichtigte Beweisaufnahme nicht völkerrechtlichen Verpflichtungen oder außenpolitischen Interessen der Republik Österreich zuwiderläuft; insofern ist vor Abgabe der Erklärung das Einvernehmen mit dem Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten herzustellen. (3) Die Genehmigung kann davon abhängig gemacht werden, dass das nach § 37 Abs 2 zuständige Gericht an der Beweisaufnahme teilnimmt. Droht bei dieser Beweisaufnahme 1. im Geltungsbereich der Verordnung (EG) Nr 1206/2001, ABl Nr 2001, L 174, S 1, ein Verstoß gegen deren Art 17 Abs 2 oder Abs 5 lit c oder 2. außerhalb des Geltungsbereichs der Verordnung (EG) Nr 1206/ 2001, ABl Nr 2001, L 174, S 1, ein Verstoß gegen Abs 2 Z 2 und 3, so hat dieses Gericht die Beweisaufnahme insofern zu untersagen. (4) Das nach § 37 Abs 2 zuständige Gericht hat auf Ersuchen des ausländischen Gerichtes bei der Durchführung der Beweisaufnahme tatsächliche Unterstützung zu gewähren. [eingefügt durch BGBl I 2003/114] § 40. Wird die Gewährung der Rechtshilfe von dem ersuchten Gerichte verweigert, oder entstehen aus Anlaß der Gewährung der Rechtshilfe in Bezug auf deren Ausführung oder in anderer Hinsicht Meinungsverschiedenheiten zwischen dem ersuchenden und dem ersuchten Gerichte, so hat auf Begehren des ersuchenden ausländischen Gerichtes oder eines anderen hiezu berufenen ausländischen öffentlichen Organes das dem ersuchten Gerichte vorgesetzte Oberlandesgericht ohne vorhergehende mündliche Verhandlung über die Rechtmäßigkeit der Weigerung oder über den sonstigen Gegenstand der Meinungsverschiedenheit zu entscheiden. [Stammfassung] Lit zur internationalen Rechtshilfe: Schlemmer, Internationaler Rechtshilfeverkehr (1970); Nagel, Nationale und internationale Rechtshilfe im Zivilprozeß (1971); Okresek, Hoheitsakte auf fremdem Staatsgebiet, ÖZöRV 35 (1985) 325; Schneider/Schwarz, Handbuch für die 153

§§ 38–40

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Praxis des internationalen Rechtshilfeverkehrs in Zivilsachen (1987); Fasching, Österreich und das „Europäische Zivilprozeßrecht“, ZZP 105 (1992) 457; Volken, Die internationale Rechtshilfe in Zivilsachen (1996); Duschek/Schütz/Tarko, Zwischenstaatlicher Rechtsverkehr in Zivilrechtssachen2 (1998); E. Geimer, Internationale Beweisaufnahme (1998); Nigg, Das Beweisrecht bei internationalen Privatrechtsstreitigkeiten (Diss St. Gallen 1999); Christian/Burgstaller in Burgstaller, IZVR I (2000) Rz 8.10 ff; Christian in Burgstaller, IZVR I Rz 9.1 ff; Daoudi, Extraterritoriale Beweisverschaffung im deutschen Zivilprozess (2000); Dörschner, Die Beweissicherung im Ausland (2000); Markus, Neue Entwicklungen bei der internationalen Rechtshilfe in Zivil- und Handelssachen, Schweizerische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2002, 65; Jayme, Exterritoriale Beweisverschaffung für inländische Verfahren und Vollstreckungshilfe durch ausländische Gerichte, FS Geimer (2002) 375; Musielak, Beweiserhebung bei auslandsbelegenen Beweismitteln, FS Geimer (2002) 761; Schack, IZVR4 Rz 167 ff; Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 29. Lfg (Stand 2005); Geimer, IZPR5 Rz 3630 ff. Lit zur Europäischen Beweisaufnahmeverordnung: Berger, Die EG-Verordnung über die Zusammenarbeit der Gerichte auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- und Handelssachen, IPRax 2001, 522; Hess/Müller, Die Verordnung 1206/01/EG zur Beweisaufnahme im Ausland, ZZPInt 6 (2001) 149; Schulze, Dialogische Beweisaufnahmen im internationalen Rechtshilfeverkehr – Beweisaufnahmen im Ausland durch und im Beisein des Prozessgerichts, IPRax 2001, 527; Klauser, Europäisches Zivilprozessrecht (2002) 417 ff; Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht5 (2002) § 8 Rz 6 ff; Stadler, Grenzüberschreitende Beweisaufnahmen in der Europäischen Union – die Zukunft der Rechtshilfe in Beweissachen, FS Geimer (2002) 1281; Leipold, Neue Wege im Recht der internationalen Beweiserhebung – Einige Bemerkungen zur Europäischen Beweisaufnahmeverordnung, FS Schlechtriem (2003) 91; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht2 (2003) 595 ff; Alio, Änderungen im deutschen Rechtshilferecht – Beweisaufnahme nach der Europäischen Beweisaufnahmeverordnung, NJW 2004, 2706; Huber, Die Europäische Beweisaufnahmeverordnung (EuBVO): Überwindung der traditionellen Souveränitätsvorbehalte? GPR 2004, 115; Jastrow, Europäische Zustellung und Beweisaufnahme 2004 – Neuregelungen im deutschen Recht und konsularische Beweisaufnahme, IPRax 2004, 11; Müller, Grenzüberschreitende Beweisaufnahme im Europäischen Justizraum (2004); von Hein in Rauscher (Hrsg), Europäisches Zivilprozeßrecht (2004) 859 ff; Hess, Neue Formen der Rechtshilfe in Zivilsachen im Europäischen Justizraum, GedS Blomeyer (2004) 617; Neumayr/Kodek in Burgstaller/Neumayr, IZVR Kapitel 83 (2004); 154

JN §§ 38–40

1.3 Zuständigkeit

Hau, Grenzüberschreitende Beweisaufnahmen im Europäischen Justizraum, ERA-Form 2005, 224; Mayr/Czernich, EuZPR Rz 364 ff. Bajons in Fasching I §§ 38 ff JN; Fasching Rz 318; Mayr in Burgstaller/Neumayr, IZVR Kapitel 82 (2004). Grundsätzlich ist zu beachten, dass die einschlägigen Vorschriften des 1 österreichischen Rechts im Bereich der internationalen Rechtshilfe vorrangig auf zwischenstaatliches Recht verweisen (s eingehend Bajons in Fasching I § 38 Rz 24 ff). Die Regelungen der JN kommen somit nur zur Anwendung, soweit nicht durch bi- oder multilaterale völkerrechtliche Verträge oder durch Europarecht abweichende Anordnungen getroffen werden (s auch § 16 RHEZiv 2004). Hier ist einerseits insb das Haager Prozessübereinkommen 1954, BGBl 1957/91, zu nennen (dazu insb Bajons in Fasching I Anh A nach §§ 38 – 40 JN; Duchek/Schütz/Tarko 146 ff und Christian in Burgstaller, IZVR I Rz 9.1 ff; vgl auch Fasching, ZZP 105, 464), andererseits die Verordnung (EG) Nr 1206/2001 des Rates vom 28.5.2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- und Handelssachen (EuBewVO, ABl 2001 L 174 S 1), die innerhalb ihres Anwendungsbereichs nicht nur das nationale Recht, sondern auch einschlägige bilaterale oder multilaterale Übereinkommen verdrängt (Art 21 EuBewVO). Nähere Einzelheiten sind der oben angeführten Literatur zu entnehmen. Auch außerhalb von völkervertrags- und gemeinschaftsrechtlichen Ver- 2 pflichtungen haben inländische Gerichte ausländischen Gerichten (grundsätzlich) Rechtshilfe zu leisten. Ob dies (im vertragslosen Zustand) in Erfüllung einer völkerrechtlichen Verpflichtung geschieht, oder bloß einer (allgemein beobachteten) Völkerrechtssitte entspricht, ist nicht endgültig geklärt (s Bajons in Fasching I § 38 Rz 1 f oder Geimer, IZPR5 Rz 3631). Die Rechtshilfe ist jedoch zu verweigern, wenn das ersuchte Gericht unzuständig ist oder Unzulässigkeit des Rechtsweges vorliegt. Diesfalls ist das Ersuchen an das zuständige Gericht (analog § 37 Abs 4) oder an die zuständige Behörde weiterzuleiten. Ferner ist die Vornahme der Rechtshilfe zu verweigern, wenn damit die Grenzen der inländischen Gerichtsgewalt überschritten würden, wenn sie nach inländischen Gesetzen unzulässig ist oder dem inländischen ordre public (vgl § 6 IPRG) widerspricht. Eine Prüfung der Zweckmäßigkeit des Ersuchens oder der ersuchten Handlung steht dem inländischen Gericht hingegen nicht zu (so auch 10 Ob 322/98w = SZ 71/203 = EvBl 1999/100 = ÖBA 1999/825, 906 [Tiefenthaler] und LGZ Wien EFSlg 105.472). 155

§§ 38–40

Mayr

3 Bei der Erledigung eines ausländischen Rechtshilfeersuchens sind grundsätzlich die inländischen Verfahrensvorschriften anzuwenden (Prinzip der lex fori; vgl auch § 290 ZPO). Ausländisches Verfahrensrecht darf nur auf ausdrückliches Ersuchen beobachtet werden, wenn es überdies nicht durch inländisches Recht verboten oder durch den inländischen ordre public ausgeschlossen ist. Der (neu eingefügte) § 39 Abs 3 regelt (nunmehr; zur früheren Rechtslage Bajons in Fasching I § 39 Rz 18 ff) die Frage, ob das ersuchende ausländische Gericht an der Beweisaufnahme teilnehmen kann. Durch die vorgeschriebene „entsprechende Anwendung“ des Art 12 EuBewVO auch auf Gerichte von Drittstaaten soll nach den Gesetzesmaterialien (250 BlgNR 22. GP 3) klargestellt werden, dass eine bloße (passive) Anwesenheit eines Vertreters des ersuchenden Gerichts bei der Beweisaufnahme jedenfalls zu dulden ist. Auch eine aktive Beteiligung ist auf Antrag des ersuchenden Gerichts mit Zustimmung des ersuchten Gerichts möglich, jedoch obliegt die Leitung der Beweisaufnahmetagsatzung weiterhin dem Rechtshilfegericht.

4 § 39a regelt die Vorgangsweise bei einer unmittelbaren Beweisaufnahme durch ausländische Gerichte. Er soll einerseits Lücken in Art 17 EuBewVO schließen und andererseits eine umfassende Regelung im Verhältnis zu Drittstaaten darstellen. Nach Abs 1 ist eine unmittelbare Beweisaufnahme nur dann zulässig, wenn sie vom BMJ genehmigt worden ist. Diese Zuweisung der Entscheidungsbefugnis an ein Verwaltungsorgan ist mE (s auch Mayr in Burgstaller/Neumayr, IZVR Kapitel 82 § 39a Rz 3) verfassungsrechtlich bedenklich, fällt doch nach hM die Erledigung von Rechtshilfeersuchen in die Kompetenz der ordentlichen Gerichte und gehört somit zu jenen Agenden, die von ihnen in voller richterlicher Unabhängigkeit ausgeübt werden müssen (so ausdrücklich 2 Ob 273/02i = SZ 2002/155 = RdW 2003/221, 269 in Anschluss an Bajons in Fasching I § 38 Rz 28). Außerhalb des Anwendungsbereichs der EuBewVO ist diese Genehmigung zu erteilen (Abs 2), wenn (kumulativ) – die Gegenseitigkeit gewährleistet ist, dh dass auch österreichische Gerichte im anderen Staat unmittelbar Beweis aufnehmen können. Wenn eine solche Praxis (noch) nicht vorliegt (oder nicht bekannt ist), soll eine Zusicherung der Gegenseitigkeit im Rahmen des Ersuchens ausreichen; – die beabsichtigte Beweisaufnahme nicht den Grundwertungen des österreichischen Rechts (ordre public) und der EMRK widerspricht; – durch entsprechende Erklärungen und Belehrungen des ersuchenden Gerichts sichergestellt ist, dass die Beweisaufnahme auf freiwilliger Basis erfolgt und keine Zwangsmaßnahmen gesetzt werden; 156

JN §§ 38–40

1.3 Zuständigkeit –

der (bzw die) BMaA erklärt hat, dass die beabsichtigte Beweisaufnahme nicht völkerrechtlichen Verpflichtungen oder außenpolitischen Interessen der Republik Österreich zuwiderlaufen würde (zB Sanktionen des UN-Sicherheitsrates, EU-Embargobeschlüsse etc). Die Genehmigung einer unmittelbaren Beweisaufnahme kann davon abhängig gemacht werden, dass das (für eine [mittelbare] Beweisaufnahme im Rechtshilfeweg) zuständige inländische (Bezirks-) Gericht daran teilnimmt (Abs 3). Droht bei dieser Beweisaufnahme ein Verstoß gegen den inländischen ordre public oder gegen das Verbot von Zwangsmaßnahmen, so hat das inländische Gericht die Beweisaufnahme (bzw die Fortsetzung derselben) zu untersagen. Im Normalfall wird sich die Tätigkeit des beigegebenen Gerichts auf die Aufnahme eines kurzen Protokolls über die Tätigkeit des ausländischen Gerichts beschränken. Generell hat nach Abs 4 das zuständige inländische Gericht auf Ersuchen des ausländischen Gerichts „tatsächliche Unterstützung“ zu gewähren. Gedacht ist dabei insb an die Überlassung von geeigneten Räumlichkeiten (Verhandlungssaal) oder die Übertragung eines Verhandlungsprotokolls. Für einen ev erforderlichen Dolmetscher hat das ausländische Gericht selbst zu sorgen, jedoch hat das inländische Gericht auch bei der Auswahl und Kontaktaufnahme mit dem Dolmetscher behilflich zu sein. Über die Rechtmäßigkeit der Verweigerung der Rechtshilfe oder über sons- 5 tige Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Durchführung der Rechtshilfe entscheidet auf Antrag des ersuchenden ausländischen Gerichtes – also nicht des inländischen Gerichtes oder der Parteien (vgl OLG Wien SSV 19/96 = SVSlg 26.362; krit Christian/Burgstaller in Burgstaller, IZVR I Rz 8.15) – das übergeordnete Oberlandesgericht (nicht der GH I. Instanz). Es handelt sich um eine formlose und nicht fristgebundene Beschwerde, die direkt beim (zuständigen) OLG einzubringen ist (Bajons in Fasching I § 40 Rz 2 und Rz 8). Dieses entscheidet nach Einholung der nötigen Informationen (Akt des Rechtshilfegerichtes, ev Stellungnahme des BMJ oder des BMaA) ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Ob gegen die Entscheidung des OLG ein Rechtsmittel an den OGH zulässig ist, ist in der Literatur umstritten (dafür Neumann I 95; Fasching1 I 257; Christian/Burgstaller in Burgstaller, IZVR I Rz 8.15; dagegen insb Bajons in Fasching I § 40 Rz 4 mwN). Da eine Anfechtbarkeit nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist (vgl § 514 ZPO), sollte mE eine Befassung des OGH mit diesen – oftmals heiklen – Fragen möglich sein. § 40 kommt auch zur Anwendung bei Meinungsverschiedenheiten zwischen einem ersuchenden (auch ausländischen) Schiedsgericht und dem (österreichischen) Rechtshilfegericht (s früher Art XIII EGJN und nunmehr § 602 ZPO). 157

§ 40a

Mayr Prüfung der Zuständigkeit

§ 40a. In welchem Verfahren eine Rechtssache zu behandeln und zu erledigen ist, richtet sich nicht nach der Bezeichnung durch die Partei, sondern nach dem Inhalt des Begehrens und des Vorbringens der Partei. Ist zweifelhaft, welches Verfahren anzuwenden ist, so hat das Gericht darüber zu entscheiden; dieser Beschluss ist selbständig anfechtbar. [Eingefügt durch ZVN 1983] Lit: Fucik, Die Zuständigkeit nach der Zivilverfahrens-Novelle 1983, RZ 1985, 208; Petrasch, Die Zivilverfahrens-Novelle 1983 in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, ÖJZ 1985, 258; Simotta, Das Vergreifen in der Verfahrensart und seine Folgen, FS Fasching (1988) 463; Fasching, Die Umdeutung von Parteiprozeßhandlungen im österreichischen Zivilprozeßrecht, FS Baumgärtel (1990) 65 = FG Fasching 54; Schneider, Die Auslegung von Parteiprozesshandlungen (2004) 100 ff; Mayr, Die Zulässigkeit des streitigen beziehungsweise außerstreitigen Verfahrens, FS Rechberger (2005) 363. Ballon in Fasching I § 40a JN; Ballon Rz 49 f; Fasching Rz 114; Klicka/ Oberhammer Rz 8 f; Mayr/Fucik Rz 29 f; Rechberger/Simotta Rz 96.

1 Diese Bestimmung ist anzuwenden, wenn der Rechtsschutzwerber innerhalb der verschiedenen Zweige des zivilgerichtlichen Verfahrens die falsche Verfahrensart gewählt hat (s Fucik, RZ 1985, 208), besitzt aber insb für die Unterscheidung zwischen streitigem und außerstreitigem Verfahren praktische Bedeutung. Nicht anwendbar ist sie allerdings (Simotta, FS Fasching 466), – wenn bereits bindend über die Zulässigkeit der anzuwendenden Verfahrensart abgesprochen worden ist; – wenn es sich um ein von Amts wegen eingeleitetes Verfahren außer Streitsachen handelt; – wenn im Außerstreitverfahren (die) Parteien einander nicht kontradiktorisch gegenüberstehen; – wenn das streitige Verfahren unzulässig ist, das Außerstreitverfahren aber nur von Amts wegen eingeleitet werden dürfte. Ferner scheidet eine Anwendung aus, wenn die Partei eine Wahlmöglichkeit zwischen zwei Verfahrensarten hat. Von der getroffenen Wahl kann das Gericht ohne Zustimmung der Partei nicht abgehen (NZ 1993, 44). Auch ein vom Präs des OLG ausdrücklich auf die Bestimmungen des UVG gestützter Rückforderungsanspruch kann nicht in ein Schadenersatzbegehren umgedeutet und ins streitige Verfahren überwiesen werden (ÖA 1993, 21 = RZ 1993/99, 282). 158

JN § 40a

1.3 Zuständigkeit

Generell nicht anwendbar ist diese Vorschrift schließlich bei einer Unzulässigkeit des Rechtswegs (im engeren Sinn) und einer Unzulässigkeit des (außer-) ordentlichen Rechtswegs. Wenn man für die Geltendmachung vorprozessualer Kosten den Rechtsweg für unzulässig hält (s Vor § 40 ZPO Rz 5), ist es zwar konsequent, aber rechtspolitisch unbefriedigend, wenn man eine Umdeutung in das Kostenverzeichnis für unzulässig hält (so die Rsp, etwa RZ 1995/92, 283 = RdW 1995, 12; LGZ Wien WR 171/1985; HG Wien WR 224/1986 und 541/1991 gegen Fasching Rz 461). Die Rsp (LGZ Wien EFSlg 82.078 und 108.714; LG Salzburg EFSlg 101.563) lehnt eine Anwendung des § 40a überdies ab, „wenn der Rechtsschutzwerber bewusst eine bestimmte (wenn auch die falsche) Verfahrensart wählt und darauf beharrt“. Es ist aber unklar, wann diese Bedingungen vorliegen sollen, denn der Rechtsschutzwerber wird (im Regelfall) immer „bewusst“ eine bestimmte Verfahrensart wählen und auch in der Folge auf seiner Rechtsansicht „beharren“. Abgesehen von den angeführten Ausnahmen ist ein falsch bezeichnetes 2 Rechtsschutzgesuch nicht zurückzuweisen, sondern umzudeuten und im richtigen Verfahren zu behandeln. Dies gilt auch, wenn dem unrichtig gewählten Außerstreitverfahren eine Gemeindeschlichtungsstelle nach § 39 MRG vorgeschaltet war (RZ 1986/2, 8 = MietSlg 36.725/47). Im umgekehrten Fall ist eine Überweisung in das außerstreitige Verfahren mit einer vorgeschalteten Schlichtungsstelle (Verwaltungsbehörde) jedoch unmöglich (RZ 1988/63, 280 = MietSlg 40.509; MietSlg 44.713 = wobl 1992/140, 207; wobl 1996/54, 154 = JUS Z/1872; 5 Ob 456/97p = MietSlg 49.582 = immolex 1998/103, 172). Nach stRsp ist bei der Beurteilung der Frage, ob eine Rechtssache im streitigen oder im außerstreitigen Verfahren zu behandeln ist, ausschließlich der Inhalt des Begehrens und des Vorbringens der antragstellenden Partei maßgebend (EvBl 1997/110); die Einwendungen des Antragsgegners sowie amtliches Wissen bleiben außer Betracht (EFSlg 46.597 = MietSlg 36.722; EFSlg 52.071; JBl 1991, 322; immolex 1998/ 191, 306 = MietSlg 50.628 = wobl 1998/157, 239; 1 Ob 219/01i = SZ 74/ 180 = MietSlg 53.635 und Fucik, RZ 1985, 208 f; s auch Art I EGZPO Rz 6). Simotta (FS Fasching 467 f) fordert jedoch aus verfahrensökonomischen Gründen eine Anwendung des § 40a auch dann, wenn das Gericht erst aufgrund von Erhebungen oder amtlichen Wissens zur Ansicht gelangt, dass sich der Rechtsschutzwerber in der Verfahrensart vergriffen hat (ebenso auch Ballon in Fasching I § 40a Rz 3 und Rechberger/Simotta Rz 96 sowie jüngst LGZ Wien EFSlg 108.713). In Wahrheit liegt hier freilich keine echte Meinungsdifferenz vor (s eingehend Mayr, FS Rechberger 369 ff): Die maßgebende Entscheidungsgrundlage muss 159

§ 40a

Mayr

das Vorbringen der klagenden bzw antragstellenden Partei bilden, das zwar durch (amtliche) Erhebungen des Gerichts und auch unter Einbeziehung des Vorbringens der anderen Partei(en) verdeutlicht und klargestellt, nicht aber verändert werden kann. Ist zweifelhaft, in welcher Verfahrensart das solcherart verdeutlichte Begehren zu behandeln ist, ist § 40a anzuwenden.

3 § 40a ist – soweit noch keine bindende Entscheidung nach § 42 Abs 3 vorliegt – in jeder Lage des Verfahrens (also auch im Rechtsmittelverfahren) bis zur Rechtskraft der Entscheidung anzuwenden und führt zur Nichtigerklärung des durchgeführten Verfahrens und zur Aufhebung von bereits ergangenen (noch nicht rechtskräftigen) Entscheidungen. Die Verfahrenseinleitung selbst wird jedoch von der Nichtigerklärung nicht erfasst, sondern ist umzudeuten (Simotta, FS Fasching 465 f; EvBl 1990/153 = EFSlg 63.917; EvBl 1991/85 = AnwBl 1992, 234 und 754 = ecolex 1991, 465 = GesRZ 1991, 160 = RdW 1991, 232; MietSlg 44.714 = wobl 1993/20, 28; 6 Ob 66/02b = EvBl 2002/179). Die Ergebnisse des in der unrichtigen (und daher nichtigen) Verfahrensart durchgeführten Verfahrens dürfen auch nicht nach § 281a ZPO im neuen Verfahren verwertet werden (Simotta, FS Fasching 474; Ballon in Fasching I § 40a Rz 5; LGZ Salzburg EFSlg 97.884; aM Klicka/Oberhammer Rz 8).

4 Ist das angerufene Gericht durch die Umdeutung unzuständig geworden, so ist die in einen Außerstreitantrag umgedeutete Klage nach § 44 an das zuständige Gericht zu überweisen (SZ 70/237 = EvBl 1998/68; MietSlg 51.619), der in eine Klage umgedeutete Antrag jedoch wegen (sachlicher oder örtlicher) Unzuständigkeit des Gerichtes zurückzuweisen, da es hier (im streitigen Verfahren) für eine Überweisung (an das sachlich und örtlich zuständige Gericht) keine gesetzliche Grundlage gibt (Simotta, FS Fasching 469; Klicka/Oberhammer Rz 9; Mayr/ Fucik Rz 30; Rechberger/Simotta Rz 96; 5 Ob 330/98k = immolex 1999/ 135, 234 = MietSlg 51.617/5 = wobl 2000/43, 94 [zust Oberhammer]; 3 Ob 281/00w = SZ 74/76 gegen Ballon Rz 50; ders in Fasching I § 40a Rz 7 und Fasching Rz 114; offenbar missverstanden von LGZ Wien EFSlg 82.077). Jedoch kann in der Folge ein Überweisungsantrag nach § 230a ZPO (bzw § 261 Abs 6 ZPO) gestellt werden. Missverständlich ist daher der Rechtssatz (RS0057140; 1 Ob 211/99g = SZ 72/123 und 8 Ob 164/02d = EvBl 2003/40 = ZIK 2003/41 = EFSlg 102.727; LG Salzburg EFSlg 105.474), dass eine Zurückweisung eines im außerstreitigen Verfahren gestellten Antrags wegen Unzulässigkeit des außerstreitigen Rechtswegs nur dann in Betracht komme, wenn das Gericht für das richtige Verfahren nicht sachlich und örtlich zuständig (und auch 160

JN § 40a

1.3 Zuständigkeit

nicht § 44 JN anzuwenden) sei: Eine Zurückweisung wegen Unzulässigkeit des streitigen (außerstreitigen) Rechtswegs kommt nämlich nur unter den oben (Rz 1) angeführten Voraussetzungen in Frage, allenfalls muss aber ein richtigerweise als Klage zu behandelnder Antrag wegen (sachlicher oder örtlicher) Unzuständigkeit zurückgewiesen werden. Eine Verbindung des Beschlusses über die anzuwendende Verfahrensart mit dem Zurückweisungs- bzw Überweisungsbeschluss erscheint nur dann sinnvoll, wenn mit großer Sicherheit zu erwarten ist, dass der Feststellungsbeschluss nicht angefochten wird, andernfalls würde sich eine – möglicherweise unnötige – Häufung von Rechtsmitteln oder Rechtsbehelfen ergeben, die noch dazu in verschiedenen Verfahrensarten zu behandeln wären (aM Simotta, FS Fasching 471, vgl aber aaO 476 für eine Aufhebung im Rechtsmittelverfahren). Stimmt durch die Umdeutung von einer Klage in einen Außerstreitantrag oder umgekehrt die Geschäftsverteilung nicht mehr, ist die Rechtssache gem § 17 Abs 7 Geo an die nach der Geschäftsverteilung zuständige Abteilung abzutreten. Bei Form- oder Inhaltsmängeln des umgedeuteten Rechtsschutzantrages ist ein Verbesserungsverfahren (§§ 84 f ZPO, § 10 Abs 4 AußStrG) einzuleiten. Bei Zweifeln über die anzuwendende Verfahrensart ist darüber mit Be- 5 schluss zu entscheiden (LGZ Wien EFSlg 85.149, 87.966; eine Bejahung nur in den Entscheidungsgründen genügt nicht; aM MietSlg 40.545). Solche Zweifel sind immer dann gegeben, wenn für das Gericht selbst Zweifel über die anzuwendende Verfahrensart bestehen, wenn die Einrede der Unzulässigkeit des (außer-)streitigen Verfahrens (bzw Rechtswegs) erhoben wurde oder wenn das Gericht in Anwendung des § 40a die Rechtssache nicht in der vom Verfahrenseinleitenden gewählten Verfahrensart behandelt. Nur wenn eindeutig ist, dass der Rechtsschutzwerber seinen Rechtsschutzantrag nur irrtümlich falsch bezeichnet hat, kann von einem Beschluss abgesehen werden (vgl LGZ Wien MietSlg 54.567). Diesfalls muss dem Verfahrenseinleitenden aber die Möglichkeit gegeben werden, sich mit einer Einrede der Unzulässigkeit des (außer-)streitigen Verfahrens (Rechtswegs) gegen die abweichende Verfahrensart zur Wehr zu setzen (Simotta, FS Fasching 478). Dieser Beschluss ist nach den Regeln der vom Verfahrenseinleitenden 6 gewählten Verfahrensart selbständig anfechtbar (Simotta, FS Fasching 479; Ballon in Fasching I § 40a Rz 11; EvBl 1991/85 = AnwBl 1992, 234 und 754; EvBl 1993/42; RZ 1995/5, 19 = wobl 1995/35, 64; EFSlg 87.967 = MietSlg 50.676). Dabei ist jedoch zu unterscheiden, ob er im streitigen Verfahren oder im Außerstreitverfahren gefällt worden ist: 161

§ 40a

Mayr

Die Überweisung einer Rechtssache vom streitigen in das außerstreitige Verfahren ist ein zweiaktiger Vorgang. Da der erste Akt das besondere Prozessrechtsverhältnis nach der ZPO beendet und die Überweisung einer Klagszurückweisung aus formellen Gründen gleichzuhalten ist, ist diese Entscheidung, wenn sie von der ersten Instanz gefällt wird, gem § 517 Z 1 ZPO auch bei einem Streitwert von unter 2.000 Euro mit Rekurs anfechtbar (Ballon in Fasching I § 40a Rz 12). Wenn der Beschluss nach § 40a (erstmals) vom Berufungsgericht getroffen wurde, ist er in Analogie zu § 519 Abs 1 Z 1 ZPO auch ohne einen Ausspruch über die Zulässigkeit mit (zweiseitigem) Rekurs an den OGH bekämpfbar (6 Ob 521/85 = EvBl 1986/6 = MietSlg 37.716/14; 2 Ob 533/88 = EvBl 1988/101; 2 Ob 560/90 = EvBl 1990/173 = ÖA 1991, 21; 1 Ob 612/90 = EvBl 1991/62; 5 Ob 121/92 = JUS Z/1274; 5 Ob 77, 78/91 = MietSlg 43.508/22 = wobl 1991/145, 238; 4 Ob 2018/96 = RZ 1997/11, 36; 1 Ob 2386/96f = EFSlg 82.313; 1 Ob 202/00p = SZ 73/129 = MietSlg 52.674; 9 Ob 52/01i; Ballon Rz 402 Anm 131). Vor diesem Hintergrund ist auch die rekursgerichtliche Bestätigung eines Ausspruchs des Erstgerichts, dass über einen Antrag im außerstreitigen Verfahren zu verhandeln und zu entscheiden sei, unter den sonstigen Voraussetzungen des § 528 ZPO anfechtbar (Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 519 Rz 80; Ballon in Fasching I § 40a Rz 13 und ders Rz 403 Anm 140). Diese Meinung vertreten auch die Mehrheit der Senate des OGH (1 Ob 2117/96x; 1 Ob 2386/96f = MietSlg 48.682; 6 Ob 315/99p = EvBl 2001/23 = MietSlg 52.679; 9 Ob 52/01i; 6 Ob 30/ 03k = wobl 2005/63, 207 = MietSlg 55.759; RS0106813 und RS0103854) im Gegensatz allerdings zum 5. Senat, der (bislang) eine bestätigende E des Rekursgerichts jedenfalls für unanfechtbar gehalten hat (5 Ob 75/93 = RZ 1995/5, 19 = MietSlg 45.730 = wobl 1995/35, 64; 5 Ob 2115/96g = JUS Z/2120 = EFSlg 82.311 = MietSlg 48.680; 5 Ob 6/98p = MietSlg 50.489 = immolex 1998/169, 264 = wobl 1999/124, 244; 5 Ob 129/04p = MietSlg 56.767; RS0044445 und RS0044538). Letztere Ansicht sowie die (scheinbar) vermittelnde Ansicht der E 2 Ob 309/03k (= JBl 2004, 727 = ecolex 2004/281, 612; vgl auch 9 ObA 85/05y) ist von Zechner (in Fasching/Konecny IV/1 § 519 Rz 82) jedoch zutreffend abgelehnt worden. Das Rekursverfahren ist zweiseitig (analog § 521a Abs 1 Z 3 ZPO: EvBl 1986/6; MietSlg 44.827; 1 Ob 2117/96x und 1 Ob 19/06k). Im umgekehrten Fall der Überweisung vom außerstreitigen in das streitige Verfahren kann ein erstinstanzlicher Beschluss gem § 45 AußStrG (immer) mit (zweiseitigem; s § 48 AußStrG und Mayr/Fucik Rz 263) Rekurs angefochten werden. Dies gilt auch, wenn der Überweisungsbeschluss (erstmals) vom Rekursgericht gefasst wurde (Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 519 Rz 83; vgl auch Mayr/Fucik Rz 252). Ein 162

JN § 41

1.3 Zuständigkeit

Revisionsrekurs (gegen einen bestätigenden oder abändernden Beschluss des Rekursgerichtes) ist bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zulässig (Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 519 Rz 85 ff). Auch die Kostenentscheidung im Zwischenverfahren richtet sich nach den einschlägigen Bestimmungen desjenigen Verfahrens, das die verfahrenseinleitende Partei gewählt hat (etwa 1 Ob 219/01i = SZ 74/ 180 = MietSlg 53.635 und RS0046245). Grundsätzlich entfaltet ein Beschluss über die anzuwendende Verfah- 7 rensart – wenn er rechtskräftig geworden ist – eine bindende Wirkung (vgl 5 Ob 456/97p = MietSlg 49.582 = immolex 1998/103, 172). Dies ergibt sich (auch) daraus, dass § 42 Abs 4 den § 42 Abs 3 über die Bindungswirkung auch im Verhältnis zwischen Streit- und Außerstreitverfahren für anwendbar erklärt. Von dieser Bindungswirkung ausgenommen sind lediglich a-limine-litis-Entscheidungen, die im streitigen Verfahren gefasst worden sind; sie sind nicht bindend und können vom Beklagten daher auch nicht angefochten werden (5 Ob 132/01z = MietSlg 53.634 = wobl 2002/106, 311). Sonst kann der Beschluss über die anzuwendende Verfahrensart von beiden Parteien angefochten werden (6 Ob 66/02b = EvBl 2002/179; s auch Ballon in Fasching I § 40a Rz 10). § 41. (1) Sobald eine Rechtssache der streitigen oder freiwilligen Gerichtsbarkeit bei einem Gerichte anhängig wird, hat dasselbe seine Zuständigkeit von Amts wegen zu prüfen. (2) Diese Prüfung erfolgt in bürgerlichen Streitsachen auf Grund der Angaben des Klägers, dafern diese nicht dem Gerichte bereits als unrichtig bekannt sind. (3) In nicht streitigen bürgerlichen Rechtssachen jedoch, ferner im Exekutionsverfahren, sowie bei Erlassung einstweiliger Verfügungen und bei Eröffnung des Konkurses hat das Gericht, ohne an die Angaben der Parteien gebunden zu sein, die für die Zuständigkeit maßgebenden Verhältnisse von Amts wegen zu untersuchen. Es kann zu diesem Zwecke von den Beteiligten alle nötigen Aufklärungen fordern. [Stammfassung] Lit: Holzhammer, Die einfache Vermutung im Zivilprozeß, FS Kralik 205; Ballon, Die Rechtsprechung in Zuständigkeitsfragen, FS Fasching 56; ders, Die Beachtung des rechtlichen Gehörs iSd Art 6 MRK durch die Rechtsmittelgerichte, JBl 1995, 623; Schoibl, Die Prüfung der inter163

§ 41

Mayr

nationalen Zuständigkeit und der Zulässigkeit des Verfahrens nach dem Brüsseler und dem Luganer Übereinkommen, FS Schütze (1999) 777; Czernich, EuGVÜ: Die Rückkehr der a-limine Zurückweisung in Verbrauchersachen, RZ 2001, 139; Mayr, Die Reform des internationalen Zivilprozessrechts in Österreich, JBl 2001, 144; Simotta, Wann darf von einem österreichischen Gericht die Klage a limine wegen internationaler Unzuständigkeit zurückgewiesen werden? FS Beys II (2003) 1515; Burgstaller/Neumayr, Die grenzüberschreitende Überweisung in der Europäischen Union, RZ 2003, 242; McGuire, Forum Shopping und Verweisung, ZfRV 2005, 83; G. Kodek, Überweisung von Klagen im europäischen Justizraum? RZ 2005, 217; Geimer, Unterwerfung des Beklagten als Basis internationaler Zuständigkeit, FS Rechberger (2005) 155. Ballon in Fasching I § 41 JN; Ballon Rz 72; Buchegger, PraktZPR I 36; Deixler-Hübner/Klicka Rz 72 f; Fasching Rz 227; Holzhammer 63; Mayr/Czernich, EuZPR Rz 242 ff; Rechberger/Simotta Rz 144 ff und 519.

1 In allen zivilgerichtlichen Verfahrensarten hat das angerufene Gericht, sobald eine Rechtssache bei ihm anhängig gemacht wird, das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Sachverhandlung (die sog Verfahrensbzw Prozessvoraussetzungen) von Amts wegen zu prüfen (s auch § 42 und § 230 ZPO Rz 1 sowie Mayr in Fasching/Konecny III § 230 ZPO Rz 2 ff).

2 Für die Prüfung der (sachlichen und örtlichen) Zuständigkeit gelten folgende Besonderheiten (zur internationalen Zuständigkeit s unten Rz 6 f): In Streitsachen erfolgt die Zuständigkeitsprüfung grundsätzlich (nur) auf Grund der Angaben in der Klage. Daraus folgt, dass ein Kläger, der einen anderen als den allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten in Anspruch nimmt, schon in der Klage ausdrücklich und konkret jene Tatsachen behaupten muss, die den besonderen Gerichtsstand begründen (Kompetenzsachverhalt; 7 Ob 202/00g = JBl 2001, 521 = EFSlg 97.885). Fehlen solche Angaben gänzlich, wurde die Klage aber dennoch nicht bei dem sich aus der Adresse ergebenden allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten eingebracht, so ist sie sofort – ohne Durchführung eines Verbesserungsverfahrens – wegen Unzuständigkeit zurückzuweisen (HG Wien WR 360/1988; vgl 6 Ob 681/76 = RZ 1977/84, 171). Sind dagegen die (vorhandenen) Zuständigkeitsangaben lediglich unvollständig oder unklar (auch unter Berücksichtigung mit vorgelegter Urkunden: HG Wien WR 687/1994), ist ein Verbesserungsverfahren einzuleiten (OLG Graz EvBl 1987/26 [zust Ballon in 164

JN § 41

1.3 Zuständigkeit

FS Fasching 64]; LGZ Wien WR 347/1988, 686/1995; JBl 1991, 195 [dazu Mayr, JAP 1991/92, 173]; 9 ObA 207/97z = SZ 70/161 = JBl 1998, 60 = RdW 1998, 635; 3 Ob 109/03f = SZ 2003/111 = RdW 2004/ 128, 160; 1 Ob 114/04b = JUS Z/3830; 1 Ob 83/04v = EvBl 2005/136 = JUS Z/3966). Zur Frage der Berücksichtigung offenkundiger Tatsachen s HG Wien WR 719/1995. Im streitigen Verfahren hat das Gericht nur eine abstrakte Prüfung der 3 Zuständigkeit unter Annahme der Richtigkeit der Klageangaben vorzunehmen (ecolex 1995, 561; SZ 70/161 = JBl 1998, 60 = RdW 1998, 635); ob die zuständigkeitsbegründenden Angaben tatsächlich zutreffen, ist erst über Einwendung der Unzuständigkeit zu prüfen (formelles Prüfungsrecht; Rechberger/Simotta Rz 519/1 und Mayr in Fasching/Konecny III § 230 ZPO Rz 16; OLG Wien EvBl 1946/299; EvBl 1965/428; LGZ Wien WR 428/1989 und 686/1995 ua). Eine Ausnahme von dieser unbedingten Bindung an die Klageangaben besteht nur –

– –

wenn die Zuständigkeitsangaben dem Gericht bereits im Zeitpunkt des Einlangens der Klage in seiner amtlichen Eigenschaft als unrichtig bekannt sind (vgl LGZ Wien EFSlg 69.721). Diesfalls sind der Zuständigkeitsentscheidung die amtsbekannt richtigen Tatsachen zugrunde zu legen. Eine Verwertung von Privatwissen des Richters sowie amtswegige Ermittlungen über die Unrichtigkeit der Klageangaben (und entsprechende Aufträge an den Kläger) scheiden somit aus (LGZ Wien WR 359/1988). bei Anwendung des § 60. Hier kann der GH von Amts wegen die klägerische Bewertung überprüfen (OLG Linz EvBl 1948/70; LGZ Wien Arb 8186); bei der Prüfung der prozessualen Voraussetzungen der Zuständigkeiten nach §§ 76a, 91, 93 bis 96: Das Gericht darf zB amtswegig erheben, ob im Fall des § 76a noch ein Scheidungsverfahren anhängig ist (LGZ Wien EFSlg 72.791).

Ein Teil der Lehre (insb Fasching Rz 227 und Ballon in Fasching I Vor § 41 Rz 5 sowie § 41 Rz 3 und 5) und Teile der Rsp (EvBl 1979/105; OLG Innsbruck EvBl 1988/136; offenbar auch LG Innsbruck AnwBl 1992, 672 [krit Grill] und OLG Wien AnwBl 1995, 582) räumen hingegen dem Gericht auch dann ein materielles Prüfungsrecht ein, wenn der Verdacht einer unprorogablen Unzuständigkeit vorliegt. Auch wenn man diese Vorgangsweise (ua aus Gründen der Prozessökonomie) billigt, bleibt das – ohnehin bloß theoretisch – allumfassende Prüfungsrecht des Gerichtes ohne Beteiligung des Beklagten notwendigerweise unvollständig, so dass mE ein a limine Zurückweisungsbeschluss keine bindende Wirkung entfalten kann, sondern es dem Beklagten im 165

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fortgesetzten Verfahren freisteht, eine Unzuständigkeitseinrede zu erheben. Dies vertritt auch die stRsp, die auf das Judikat 61 neu (= SZ 27/ 290 = EvBl 1955/10 = JBl 1955, 43 = Arb 6125) zurückgeht. Es besteht dann auch keine Notwendigkeit, den Beschluss des Rekursgerichtes, mit dem die Zurückweisung der Klage aufgehoben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufgetragen wird, dem Beklagten zuzustellen und ihm zur Wahrung des rechtlichen Gehörs ein Rechtsmittelrecht an den OGH einzuräumen (so aber insb Fasching Rz 231 sowie Holzhammer 66 gegen die stRsp, etwa JBl 1986, 668; MietSlg 46.588; EFSlg 60.914 und 79.074; Arb 10.927 und 11.423; wobl 1998/125, 187 [zust Oberhammer] ua). Die hier vertretene Auffassung bedingt zwar (möglicherweise) einen erhöhten Verfahrensaufwand, dieser erscheint jedoch (auch) durch den erhöhten Rechtsschutz des Beklagten gerechtfertigt (so treffend Ballon, FS Fasching 56 und ders, JBl 1995, 628).

4 Erhebt der Beklagte eine Unzuständigkeitseinrede, so hat das Gericht bei seiner Entscheidung alle Tatsachen zu berücksichtigen, die der Beklagte in seiner (rechtzeitigen) Einrede vorbringt und beweist (EvBl 1965/330 und 428; 5 Ob 112/01h = ZfRV 2002/9, 24; Fasching Rz 227). Sind die die Zuständigkeit begründenden Tatsachen allerdings zugleich auch Anspruchsvoraussetzungen (sog „doppelrelevante Tatsachen“), dann ist die Frage der Zuständigkeit allein auf Grund der Klagebehauptungen zu prüfen (SZ 48/136; JBl 1980, 430; s auch § 93 Rz 1 und 4). Begründen schon diese Klageangaben die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nicht, dann ist die Klage zurückzuweisen, begründen sie die Zuständigkeit, erweisen sie sich aber im Lauf des Verfahrens als unrichtig, dann ist die Klage nicht mit gesondertem Beschluss zurückzuweisen, sondern mit Urteil abzuweisen (EvBl 1986/85; 5 Ob 274/02h = MietSlg 54.569 und 54.574; 7 Ob 310/02t = RdW 2003/320, 383; 9 Ob 130/03p uva; RS056159 und RS0046201). Im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung kann sich der Kläger auch noch auf weitere, in der Klage noch nicht geltend gemachte Zuständigkeitsgründe stützen (EvBl 1965/330; OLG Innsbruck EvBl 1988/136). Es genügt, wenn das angerufene Gericht die Zuständigkeit auch nur auf Grund eines der sich aus dem vorgetragenen Sachverhalt ableitbaren Rechtsgründe besitzt (stRsp, etwa JBl 1962, 614; Arb 9821 = EFSlg 34.535; 4 Ob 66/01m = SZ 74/121 = EvBl 2002/3), außer wenn sich der Kläger ausdrücklich ausschließlich auf einen bestimmten Rechtsgrund festgelegt hat (JBl 1971, 310), jedoch ist auch ein bloß eventualiter geltend gemachter Klagegrund zu berücksichtigen (4 Ob 169/02k = SZ 2002/104). Der Kläger kann sich nach der Rsp im Rechtsmittelverfahren aber nicht auf weitere (Wahl-) Gerichtsstände berufen, wenn er das 166

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1.3 Zuständigkeit

dafür notwendige Tatsachensubstrat nicht schon im erstinstanzlichen Verfahren vorgetragen hatte (10 Ob 519/95 = JBl 1996, 795 [krit Matscher]; vgl § 42 Rz 10). In allen anderen zivilgerichtlichen Verfahrensarten (außerhalb des 5 streitigen Verfahrens) hat das angerufene Gericht (auch hinsichtlich der Zuständigkeit) ein unbeschränktes, materielles Prüfungsrecht, ohne an die Angaben der Parteien oder Beteiligten gebunden zu sein (s etwa Mayr/Fucik Rz 52). Im Anwendungsbereich der EuGVVO (bzw von EuGVÜ/LGVÜ; 6 dazu Nach § 27a) besteht für das österreichische Gericht eine amtswegige Prüfungspflicht a limine litis nur hinsichtlich der in Art 22 (bzw Art 16) vorgesehenen ausschließlichen (Zwangs-)Zuständigkeiten (Art 25 EuGVVO bzw Art 19 EuGVÜ/LGVÜ). In allen anderen Fällen darf das (möglicherweise [international] unzuständige) Gericht die Klage nicht a limine zurückzuweisen, sondern muss sie dem Beklagten zustellen, um ihm die Möglichkeit zu geben, sich auf das Verfahren einzulassen (hM, etwa 7 Ob 338/98a = SZ 71/206 = RdW 1999, 349 = ZfRV 2000/18, 78 oder 4 Ob 13/05y = RdW 2005/630, 549 sowie Tiefenthaler in Czernich/Tiefenthaler/Kodek Art 24 Rz 4). Lässt sich der (ordnungsgemäß geladene) Beklagte aus einem anderen Vertragsstaat jedoch nicht auf das Verfahren ein (oder rügt er rechtzeitig die Unzuständigkeit – Art 24 EuGVVO bzw Art 18 EuGVÜ/LGVÜ), so hat das Gericht (nun) von Amts wegen zu überprüfen, ob es (nach den Bestimmungen der Übereinkommen) zuständig ist (Art 26 EuGVVO bzw Art 20 EuGVÜ/LGVÜ). Dabei ist insofern eine besondere Sorgfalt geboten, als der Beklagte die (internationale) Unzuständigkeit des Gerichts im Vollstreckungsverfahren (grundsätzlich) nicht mehr einwenden kann. Das Gericht ist dabei nicht an die unwidersprochen gebliebenen Angaben des Klägers gebunden, sondern muss – wenn es Zweifel an diesen Angaben hegt – amtswegige Ermittlungen über seine Zuständigkeit anstellen (s etwa Schoibl in Fasching I Anh zu § 42 JN Rz 19). Verneint das Gericht seine (internationale) Zuständigkeit, so hat es (kein Versäumungsurteil zu fällen, sondern) die Klage zurückzuweisen (eine Überweisung an das zuständige ausländische Gericht ist – abgesehen von Art 15 EuGVVO II – nicht vorgesehen; dazu Burgstaller/ Neumayr, RZ 2003, 242 und G. Kodek, RZ 2005, 217). Dies gilt aber nur für die in den Übereinkommen geregelte (internationale und örtliche) Zuständigkeit. Ist die (insb sachliche, teilweise aber auch örtliche) Zuständigkeit hingegen im europäischen Recht nicht geregelt (s Vor § 49 Rz 3 und Vor § 65 Rz 4), so bleiben insofern die nationalen Bestimmungen maßgebend (s Geimer/Schütze Art 24 Rz 33 und 34). 167

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Im Anwendungsbereich der EuGVVO II hat das angerufene Gericht seine (internationale) Zuständigkeit von Amts wegen zu prüfen und sich gegebenenfalls in jeder Lage des Verfahrens (auch a limine litis) für unzuständig zu erklären (Art 17 EuGVVO II; s Mayr/Czernich, EuZPR Rz 325).

7 Auch bei der Prüfung der internationalen Zuständigkeit nach nationalem (österreichischen) Recht sind gem § 41 Abs 2 (zunächst) die Klagsangaben maßgebend (1 Ob 236/01i = EvBl 2002/65 = RdW 2002/414, 414 = ZfRV 2002/18, 197; 7 Ob 148/02v ua; Mayr, JBl 2001, 155). Der Kläger muss also in die Klage (auch hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit) einen entsprechenden Zuständigkeitstatbestand aufnehmen (Mayr, JBl 2001, 154): Wird ein anderer als der allgemeine Gerichtstand in Anspruch genommen, so hat der Kläger bereits in der Klage ausdrücklich und konkret jene Tatsachen zu behaupten, die den besonderen Gerichtsstand (und damit die internationale Zuständigkeit) begründen (3 Ob 2/04x = MietSlg 56.616 = ZfRV 2004/35, 238). § 42. (1) Ist die anhängig gewordene Rechtssache der inländischen Gerichtsbarkeit oder doch den ordentlichen Gerichten entzogen, so hat das angerufene Gericht in jeder Lage des Verfahrens seine Unzuständigkeit und die Nichtigkeit des vorangegangenen Verfahrens sofort durch Beschluss auszusprechen; dies gilt nicht, wenn das Fehlen der inländischen Gerichtsbarkeit nach § 104 geheilt ist. Das gleiche hat seitens der Gerichte höherer Instanz zu geschehen, wenn der Mangel erst hier offenbar wird. (2) Ist eine Rechtssache auf Grund einer Immunität der inländischen Gerichtsbarkeit oder doch den ordentlichen Gerichten entzogen und wird ein solcher Mangel erst nach rechtskräftigem Abschluß des Verfahrens offenbar, so ist auf Antrag der obersten Verwaltungsbehörde vom Obersten Gerichtshof die Nichtigkeit des durchgeführten gerichtlichen Verfahrens auszusprechen. (3) Ein Ausspruch im Sinne des Abs 1 und 2 kann nicht erfolgen, wenn demselben in Ansehung des Grundes der Nichtigkeit eine von demselben oder von einem anderen Gerichte gefällte, noch bindende Entscheidung entgegensteht. (4) Die Bestimmungen des Abs 1 und 3 haben auch Anwendung zu finden, wenn eine Angelegenheit, welche einen Gegenstand der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht bildet, im Verfahren außer Streitsachen bei Gericht anhängig gemacht wurde. [Abs 1 Satz 1 und Abs 2 idF Art VI Z 6 WGN 1997] 168

JN § 42

1.3 Zuständigkeit

Lit zur Zulässigkeit des Rechtsweges s Vor § 1; zur „inländischen Gerichtsbarkeit“ s bei § 27a sowie Simotta, Wann darf von einem österreichischen Gericht die Klage a limine wegen internationaler Unzuständigkeit zurückgewiesen werden? FS Beys II (2003) 1515. Ballon in Fasching I § 42 JN; Ballon Rz 50, 96; Fasching Rz 79, 101, 108, 113; Deixler-Hübner/Klicka Rz 57a; 391 f; Rechberger/Simotta Rz 63, 69 ff, 89, 93, 96. Inhaltsübersicht Unzulässigkeit des Rechtswegs Mangel der inländischen Gerichtsbarkeit im engeren Sinn Mangel der unprorogablen internationalen Zuständigkeit Mangel der prorogablen internationalen Zuständigkeit Prüfungsreihenfolge Prüfungsmaßstab

1 2 3 4 5 6

Abs 2 7 Unzulässigkeit des (außer-)streitigen Verfahrens 8 Unzulässigkeit des ordentlichen Rechtswegs 9 Neuerungsverbot? 10 Abs 3 11 Rekursrecht des Gegners 12 Europäisches Zivilprozessrecht 13

Die Zulässigkeit des Rechtswegs (s Vor § 1 Rz 1) bildet eine absolute 1 Prozess- (Verfahrens-) Voraussetzung, die in jeder Lage des Verfahrens bis zur Rechtskraft der Entscheidung (beachte aber Abs 2, unten Rz 7) von Amts wegen (etwa aus Anlass eines zulässigen Rechtsmittels: MietSlg 33.667; EFSlg 108.715 ua) oder auf Antrag (etwa eine Nichtigkeitsberufung nach § 477 Abs 1 Z 6 ZPO) wahrzunehmen ist. Maßgebend ist dabei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung über die Voraussetzung (EvBl 1985/110; OLG Wien EFSlg 97.888). Eine perpetuatio fori (§ 29) tritt nicht ein (s § 2 Rz 39) und auch eine Heilung dieses Mangels (etwa durch rügelose Einlassung) ist nicht vorgesehen. Ihr Fehlen führt vielmehr immer – auch in der Rechtsmittelinstanz (Ausnahme unten Rz 11) – zur Nichtigerklärung des durchgeführten Verfahrens einschließlich bereits gefällter Entscheidungen und zur Zurückweisung der Klage bzw des Antrags (s auch Vor § 1 Rz 8). Der einheitliche gesetzliche Begriff „inländische Gerichtsbarkeit“ ist 2 seit der WGN 1997 in mehrere Kategorien aufgespaltet (s schon § 27a Rz 1), die wegen der damit verbundenen (teilweise) unterschiedlichen Rechtsfolgen auseinandergehalten werden müssen (s auch § 27a Rz 5 und Mayr, JBl 2001, 150 f). Zu unterscheiden ist (s auch Mayr in Fasching/Konecny III § 230 ZPO Rz 8 ff): 169

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a) Der Mangel der inländischen Gerichtsbarkeit auf Grund einer Immunität (inländische Gerichtsbarkeit im engeren Sinn) wird so behandelt wie (bis zur WGN 1997) das Fehlen der „inländische Gerichtsbarkeit“ insgesamt bzw (wie auch heute noch) die Unzulässigkeit des Rechtswegs ieS (s oben Rz 1). Das bedeutet, dass das Vorliegen der inländischen Gerichtsbarkeit ieS eine absolute Prozessvoraussetzung darstellt, die jederzeit von Amts wegen zu prüfen und wahrzunehmen ist. Es gibt keine Heilung durch Parteiverhalten (abgesehen von einem Verzicht auf die Immunität, s Art IX EGJN Rz 17) und keine perpetuatio fori (s § 29 Rz 4). Der Mangel bildet einen Nichtigkeitsgrund (§ 477 Abs 1 Z 3 ZPO) und kann sogar auch noch nach Rechtskraft aufgegriffen werden (7 Ob 316/00x = SZ 74/20 = EvBl 2001/139 = JBl 2001, 790 [Matscher] = EFSlg 97.890 sowie unten Rz 7).

3 b) Das Vorliegen der internationalen Zuständigkeit bildet teilweise eine absolute, teilweise eine relative (unten Rz 4) Prozessvoraussetzung. Der Mangel der internationalen Zuständigkeit, der auch durch eine Parteienvereinbarung oder durch eine rügelose Einlassung nicht beseitigt werden kann (unprorogable internationale Unzuständigkeit), ist jederzeit von Amts wegen wahrzunehmen und bildet einen Nichtigkeitsgrund (§ 477 Abs 1 Z 3 ZPO). Im Gegensatz zur inländischen Gerichtsbarkeit ieS (oben Rz 2) heilt dieser Mangel jedoch mit Rechtskraft der Entscheidung (dh keine Anwendung des Abs 2, unten Rz 7) und es kommt auch der Grundsatz der perpetuatio fori zur Anwendung (s § 29 Rz 2). Im Unterschied zur prorogablen internationalen Unzuständigkeit (unten Rz 4) ist aber eine Heilung dieses Mangels (vor Rechtskraft) nicht möglich. Es handelt sich dabei einerseits um Rechtssachen, in denen eine „internationale“ Prorogation und eine Heilung der internationalen Unzuständigkeit ausdrücklich durch § 104 Abs 4 ausgeschlossen werden (§§ 81, 83, 83b und 92b) oder wenn gem § 104 Abs 5 „besondere gesetzliche Anordnungen ausdrücklich anderes“ (nämlich keine Prorogations- und Heilungsmöglichkeit) vorsehen (so § 38 Abs 2 EO). Andererseits zählen auch jene Sachen dazu, in denen die Voraussetzungen für die „inländische Gerichtsbarkeit“ im Gesetz taxativ aufgezählt werden, eine Gerichtsstandsvereinbarung aber nicht genannt wird. Die Gesetzesmaterialien (898 BlgNR 20. GP 37) nennen in diesem Zusammenhang die §§ 76 Abs 2 (sowie §§ 76b Abs 2, 76c Abs 3) und 114a Abs 4, aber etwa auch die §§ 107, 108 Abs 3, 110 und 113b sind nicht zu vergessen. Ferner zählen dazu besondere völkervertragsrechtliche oder europarechtliche Regelungen über die internationale Zuständigkeit, die einer Prorogation nicht zugänglich sind (s etwa Art 23 Abs 5 EuGVVO bzw Art 17 Abs 3 EuGVÜ/LGVÜ und die Zuständigkeiten nach der 170

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1.3 Zuständigkeit

EuGVVO II). Siehe auch § 104 Rz 13 und genauer Mayr, JBl 2001, 152 f sowie Rechberger/Simotta Rz 71. c) Der Mangel der internationalen Zuständigkeit, der durch eine Par- 4 teienvereinbarung oder durch eine rügelose Einlassung beseitigt werden kann (prorogable internationale Unzuständigkeit), kann hingegen nicht jederzeit von Amts wegen aufgegriffen werden (s auch § 43 Rz 6). Er heilt vielmehr unter den gleichen Voraussetzungen, unter denen sonst eine unprorogable sachliche oder örtliche Unzuständigkeit heilt (§ 104 Abs 3; vgl auch § 38 Abs 1 ASGG), also durch rügelose Sacheinlassung des (vertretenen oder belehrten) Beklagten (Näheres § 104 Rz 18 f). Bis zum Eintritt einer solchen Heilung hat das angerufene Gericht freilich auch das Fehlen dieser Art der „inländischen Gerichtsbarkeit“ jederzeit von Amts wegen wahrzunehmen, also die Klage auch a limine litis „sofort“ zurückzuweisen. Die gegenteilige Ansicht (insb) Burgstallers (JBl 1998, 697), der in Anlehnung an das „europäische Recht“ (dazu oben § 41 Rz 6 und unten Rz 13) eine a-limine-Zurückweisung nicht für möglich hält, geht (de lege lata) zu weit und scheitert am (entgegenstehenden) Wortlaut des Gesetzes (s eingehend Mayr, JBl 2001, 156 f). Sie ist daher zu Recht vom OGH (1 Ob 236/01i = EvBl 2002/65 = RdW 2002/414, 414 = ZfRV 2002/18, 197) abgelehnt worden (s auch Simotta, FS Beys II 1515 ff). In der mündlichen Streitverhandlung (bzw wohl bereits nach der Zustellung der Klage und Ladung an den Beklagten) darf der Richter allerdings nicht mehr „sofort“ zurückweisen, sondern er muss gem § 182 Abs 2 ZPO dem Beklagten die Möglichkeit der Streiteinlassung geben. Lässt sich der Beklagte freilich nicht ein (oder ist er säumig), muss der Richter die Klage zurückweisen. Hat ein (örtlich oder) international unzuständiges Gericht, dessen Unzuständigkeit noch nicht durch eine qualifizierte Einlassung geheilt worden ist, ein (Versäumungs-)Urteil gefällt, so leidet dieses an einem Nichtigkeitsgrund gem § 477 Abs 1 Z 3 ZPO. Nach Eintritt der Rechtskraft kann eine fehlende prorogable (oder auch unprorogable) internationale Zuständigkeit allerdings nicht mehr geltend gemacht werden. Nachdem die internationale Zuständigkeit – abgesehen von den in Rz 3 erwähnten (seltenen) Ausnahmen – regelmäßig durch Parteienvereinbarung begründet werden kann (s § 104 Abs 1), handelt es sich bei der prorogablen internationalen (Un-)Zuständigkeit, um jene Form der „inländischen Gerichtsbarkeit“, die in der Praxis am häufigsten vorkommen wird. Einen Sonderfall bildet die Regelung der § 9 Abs 1a ASGG, § 14 Abs 1 KSchG und § 15b Abs 1 VersVG: Hier ist eine (internationale) Zuständigkeitsvereinbarung zwar nur sehr eingeschränkt zulässig 171

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(nämlich nur für bereits entstandene Streitigkeiten; s dazu Vor § 83a JN § 14 KSchG Rz 7), eine Heilung der Unzuständigkeit durch rügelose Einlassung aber (jedenfalls) möglich (§ 38 Abs 1 ASGG; § 14 Abs 2 KSchG; § 15b Abs 1, 2. Halbsatz VersVG).

5 Über die Frage nach der Reihenfolge der Prüfung der verschiedenen (das Gericht betreffenden) Prozessvoraussetzungen werden sowohl in Österreich (s etwa Fasching Rz 736 f; Rechberger/Simotta Rz 381; Mayr in Fasching/Konecny III § 230 ZPO Rz 39 und Vor § 226 ZPO Rz 7) als auch in Deutschland (etwa Schack, IZVR4 Rz 390 oder Geimer, IZPR5 Rz 1840 ff) sehr unterschiedliche Meinungen vertreten. ME (s auch JBl 2001, 154 f) empfiehlt sich (seit der WGN 1997) folgende Prüfungsreihenfolge: Zuerst ist die Zulässigkeit des Rechtswegs (ieS) und die inländische Gerichtsbarkeit im engeren Sinn zu prüfen. Da diese beiden Prozessvoraussetzungen gleichwertig sind, entscheidet zwischen ihnen die Prozessökonomie: Vorerst ist also jene Voraussetzung zu prüfen, deren Mangel für das Gericht am leichtesten feststellbar ist. Dann ist die sachliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts zu klären, da erst nach der Feststellung des zuständigen Gerichtstyps auch das konkret örtlich zuständige Gericht festgestellt werden kann. Obwohl die internationale Zuständigkeit an sich eine logische Voraussetzung für die örtliche Zuständigkeit bildet, ist daraufhin die örtliche Zuständigkeit zu prüfen, denn die internationale Zuständigkeit ist (nach autonomen österreichischen Recht) regelmäßig erst und nur dann gegeben, wenn auch eine örtliche Zuständigkeit (in Österreich) besteht (§ 27a JN). Man muss sich allerdings im Klaren sein, dass die Verneinung der örtlichen Zuständigkeit des konkret angerufenen Gerichts noch keine abschließende Aussage (auch) über die internationale (Un-)Zuständigkeit Österreichs bedeuten muss, da einerseits die internationale Zuständigkeit auch durch ein anderes örtlich zuständiges Gericht in Österreich bewirkt sein könnte (und dem Kläger insofern auch die Möglichkeit eines Überweisungsantrags [§§ 230a, 261 Abs 6 ZPO] an ein „nicht offenbar unzuständiges Gericht“ [in Österreich] offen stehen muss). Andererseits ist es auch möglich, dass sich Österreich für einen konkreten Rechtsstreit international zuständig erklärt, obwohl eine örtliche Zuständigkeit nicht besteht (oder nicht zu ermitteln ist): Für die Ordination bildet es gerade eine Voraussetzung, dass das angerufene – vermeintlich zuständige – österreichische Gericht, seine örtliche Unzuständigkeit rechtskräftig ausgesprochen hat (s § 28 Rz 2). Hat diese – nach den Maßstäben für die Prüfung der Zuständigkeit zu erfolgende (s § 41 Rz 3 und unten Rz 6) – Prüfung ergeben, dass ein Gerichtsstand in Österreich vorliegt, ist abschließend – von Amts wegen – zu überprüfen, ob nicht dennoch 172

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1.3 Zuständigkeit

ausnahmsweise keine internationale Zuständigkeit besteht, da diese (durch Völkerrecht oder besondere gesetzliche Anordnungen) ausdrücklich ausgeschlossen ist (s § 104 Abs 4 und 5 und oben Rz 3). Zur Frage des anzulegenden Prüfungsmaßstabes vertritt Matscher 6 (ohne nähere Begründung) die Ansicht (JBl 1998, 492), dass der Richter bei der Prüfung der „inländischen Gerichtsbarkeit“ in allen Fällen nicht an die Klageangaben gebunden sei, sondern ihm (jedenfalls) ein materielles Prüfungsrecht zustehe (s auch Ballon in Fasching I § 41 Rz 13) und er daher im Zweifelsfall eigene Ermittlungen durchzuführen habe. Diese Lehrmeinung hat den Wortlaut des Gesetzes für sich, der – wie sonst auch – nicht zwischen den verschiedenen Kategorien der „inländischen Gerichtsbarkeit“ unterscheidet. ME (s auch JBl 2001, 155; anders jüngst 6 Ob 190/05t) besteht dieses umfassende Prüfungsrecht jedoch nur in den Fällen der mangelnden inländischen Gerichtsbarkeit im engeren Sinn (oben Rz 2) und bei einer unprorogablen internationalen Unzuständigkeit (s oben Rz 3; so auch Geimer, IZPR5 Rz 1816, der eine Amtsprüfung nur dort für gerechtfertigt hält, wo die internationale Zuständigkeit nicht durch rügelose Einlassung des Beklagten begründet werden kann). Die prorogable internationale Zuständigkeit ist jedoch so eng mit der örtlichen Zuständigkeit verbunden, dass dafür auch deren Prüfungsmaßstab gelten muss (somit formelles Prüfungsrecht nach § 41 Abs 2: Siehe Mayr in Fasching/Konecny III § 230 ZPO Rz 15 und oben § 41 Rz 3). Andernfalls käme man nämlich – entgegen § 41 Abs 2 – in allen Fällen, in denen (außerhalb des Anwendungsbereichs des europäischen Zivilprozessrechts) irgendein Auslandsbezug besteht, zu einer amtswegigen Untersuchung auch der örtlichen Zuständigkeit: Das Gericht könnte – obwohl sich aufgrund der (nicht bereits als unrichtig gerichtsbekannten) Klageangaben eine örtliche Zuständigkeit ergibt – diese Klageangaben häufig unter dem Gesichtspunkt (bzw dem Vorwand) der (möglicherweise) fehlenden internationalen Zuständigkeit (nochmals und diesmal) umfassend prüfen und so zu einer Klagszurückweisung kommen. Um der größeren Bedeutung, die der internationalen Zuständigkeit im Vergleich zur örtlichen (und sachlichen) Zuständigkeit zukommt, Rechnung zu tragen, erscheint es aber berechtigt, wenn das Gericht – ähnlich wie nach Art 26 EuGVVO bzw Art 20 EuGVÜ/LGVÜ (dazu oben § 41 Rz 6) – vor der Erlassung einer Säumnisentscheidung gegen den (ausländischen) Beklagten nochmals – freilich aber wiederum nur anhand der schlüssigen (und nicht gerichtsbekannt unrichtigen) Angaben in der Klage – sorgfältig seine (internationale) Zuständigkeit prüft. Die hier vertretene Auffassung passt auch besser zur Rechtslage nach dem europäischen Zuständigkeitsrecht, das (in diesem Verfahrensstadium) – abgesehen von den Zwangszuständig173

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keiten nach Art 22 EuGVVO bzw Art 16 EuGVÜ/LGVÜ – überhaupt kein Prüfungsrecht des Gerichts kennt, sondern dem Beklagten (jedenfalls) die Möglichkeit einer rügelosen Streiteinlassung vor dem international unzuständigen Gericht einräumt (dazu § 41 Rz 6 und unten Rz 13). Diese Bedachtnahme auf das „europäische Recht“ kann aber mE nicht so weit gehen, dass man – wie dies Burgstaller (JBl 1998, 696) verlangt – (contra legem) sogar die Möglichkeit einer a-limine-Zurückweisung verneint (s schon oben Rz 4). Ergibt sich vielmehr bereits aus den Klageangaben, dass das angerufene Gericht örtlich und/oder international unzuständig ist, so hat das Gericht – außerhalb des Anwendungsbereiches von EuGVVO/EuGVÜ/LGVÜ – die Klage sofort (ohne Zustellung an den Beklagten) zurückzuweisen.

7 Gem Abs 2 können die Unzulässigkeit des Rechtsweges (ieS; s unten Rz 8) und das Fehlen der „inländischen Gerichtsbarkeit“ auf Grund einer (völkerrechtlichen) Immunität – also das Fehlen der inländischen Gerichtsbarkeit ieS (s oben Rz 2) – auch noch nach Rechtskraft der Entscheidung wahrgenommen werden. Voraussetzung dafür ist allerdings zum einen ein entsprechender (unbefristeter) Antrag der zuständigen obersten Verwaltungsbehörde an den OGH. Die Parteien des gerichtlichen Verfahrens haben weder ein Antragsrecht noch einen Anspruch auf Antragstellung durch die Verwaltungsbehörde (VfGH Slg 8672 = VfVB 1980/1006; VwGH Slg 10.052 A = ZfVB 1980/1866 = ÖJZ 1981/1 A sowie jüngst 9 Nc 18/03a und 3 Nc 9/05m). Zuständig ist die höchste Verwaltungsbehörde des betreffenden Verwaltungszweiges (vgl EvBl 1995/89 = SSV-NF 8/B 8) ohne Rücksicht darauf, ob der Rechtszug im konkreten Fall tatsächlich bis zu dieser Behörde reicht; somit in Angelegenheiten, die in den Bereich der Bundesverwaltung fallen, dasjenige Bundesministerium, zu dem die Sache ressortiert, und in Angelegenheiten, die durch die Landesverwaltung zu vollziehen sind, die jeweilige Landesregierung, in Angelegenheiten der Bodenreform der Oberste Agrarsenat (SZ 55/122 = EvBl 1982/190). Zum anderen darf die Zulässigkeit des Rechtswegs oder die inländische Gerichtsbarkeit ieS (also das Nichtvorliegen einer Immunität) noch nicht von einem Gericht bindend bejaht worden sein (Abs 3), wobei die hL (Fasching Rz 79, 88 und 101; Ballon in Fasching I § 42 Rz 14) eine ausdrückliche rechtskräftige Entscheidung, etwa die Abweisung einer diesbezüglichen Einrede, verlangt. Eine Behandlung (und Bejahung) der betreffenden Verfahrensvoraussetzung (nur) in den Entscheidungsgründen schließt demnach eine Verfahrensaufhebung nach Abs 2 nicht aus. Die (ältere) Rsp hält Abs 2 im Hinblick auf den Geset174

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1.3 Zuständigkeit

zeswortlaut überhaupt nur dann für anwendbar, wenn der betreffende Mangel im ordentlichen Verfahren gänzlich unbeachtet geblieben ist und erst nach dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens entdeckt wurde (AmtlSlgNF 1384 und 1810; SZ 7/175). Erachtet der OGH den von der obersten Verwaltungsbehörde behaupteten Mangel für gegeben, so hat er (ohne Anstellung von Zweckmäßigkeitserwägungen) die rechtskräftige Entscheidung mit dem vorangegangenen Verfahren als nichtig aufzuheben und die Klage (oder den Antrag) zurückzuweisen (etwa 9 Nc 18/03a). Die Regelung des Abs 2 gilt auch in den anderen zivilgerichtlichen Verfahrensarten, insb im Außerstreitverfahren (SZ 38/194 = EvBl 1966/ 198; SZ 61/77 = EvBl 1989/12; Mayr/Fucik Rz 26), obwohl auf sie in Abs 4 nicht verwiesen wird (s Ballon in Fasching I § 42 Rz 28). Diese Regelung gilt (außer für eine nicht berücksichtigte völkerrecht- 8 liche Immunität) nur für die Unzulässigkeit des Rechtswegs im engeren Sinn (Abgrenzung Gerichtsbarkeit – Verwaltung; s Vor § 1 Rz 4 ff). Ist hingegen die innerhalb der ordentlichen Zivilgerichtsbarkeit anzuwendende Verfahrensart zweifelhaft, liegt also insb eine Unzulässigkeit des (außer-)streitigen Verfahrens (bzw Rechtswegs – s zur Terminologie Vor § 1 Rz 16) vor, oder so kommt § 40a zur Anwendung. Nur wenn eine Anwendung nicht möglich ist oder zu keinem Erfolg führt, ist ein allenfalls bereits durchgeführtes (falsches) Verfahren für nichtig zu erklären und der in der falschen Verfahrensart gestellte Rechtsschutzantrag mit Beschluss zurückzuweisen (s Abs 4). Die Heilungsmöglichkeit nach § 104 Abs 3 und § 38 Abs 1 ASGG kommt nicht zur Anwendung (EvBl 1993/42). Eine rechtskräftige Entscheidung über die (Un-)Zulässigkeit des (außer-)streitigen Verfahrens ist bindend (etwa 1 Ob 197/99y = SZ 73/31 = JBl 2000, 666 = EvBl 2000/156 = MietSlg 52.676 = EFSlg 94.341). Nach Rechtskraft der Sachentscheidung kann eine Unzulässigkeit des (außer-)streitigen Verfahrens nicht mehr geltend gemacht werden, Abs 2 ist im Verhältnis streitiges – außerstreitiges Verfahren unanwendbar (etwa SZ 23/235 oder Mayr/Fucik Rz 28). Bei den Folgen der Unzulässigkeit des ordentlichen Rechtswegs (Ab- 9 grenzung ordentliche Gerichte – Sondergerichte; s § 1 Rz 3 ff) ist zu unterscheiden: Das Verhältnis von ordentlichen Gerichten zu Sondergerichten des öffentlichen Rechts und zu einem Zwangsschiedsgericht mit ausschließlicher Zuständigkeit ist wie die Unzulässigkeit des Rechtswegs im engeren Sinn zu behandeln, richtet sich also nach § 42. Zwischen ordentlichen Gerichten und privaten (Gelegenheits-) Schiedsgerichten oder institutionellen Schiedsgerichten (mit fakultati175

§ 42

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ver Zuständigkeit) bestand bisher nach hL und stRsp (etwa Fasching Rz 108 und 2184; Rechberger/Simotta Rz 93 und 956; SZ 55/89; JBl 1989, 594 = RZ 1989/67, 189; EvBl 1996/41; 6 Ob 41/03b = JBl 2004, 387 = ecolex 2004/50, 104 = RdW 2004/132, 162 uva) ein Verhältnis der prorogablen sachlichen Zuständigkeit. Nunmehr ordnet § 584 Abs 1 ZPO (idF SchiedsRÄG 2006) an, dass das Gericht eine Klage in einer Angelegenheit, die Gegenstand einer Schiedsvereinbarung ist, zurückzuweisen hat, sofern der Beklagte nicht zur Sache vorbringt oder mündlich verhandelt, ohne dies zu rügen (vgl § 104 Abs 3). Es besteht also jetzt ein Verhaltnis ähnlich wie bei einer unprorogablen (sachlichen oder örtlichen) Unzuständigkeit (s § 104 Rz 18 f), jedoch mit der Ausnahme (s außerdem § 43 Rz 6), dass (auch) bei unvertretenen Beklagten keine richterliche Belehrungspflicht vorgeschrieben ist. Konkret muss somit der (vertretene oder unvertretene) Beklagte die diesbezügliche Einrede in der Klagebeantwortung, im Einspruch gegen den Zahlungsbefehl, in den (Sachvorbringen enthaltende) Einwendungen gegen einen (Wechsel-)Zahlungsauftrag oder in einem (vor der mündlichen Streitverhandlung eingebrachten) vorbereitenden Schriftsatz (mit Sachvorbringen) erheben. Nur wenn im bezirksgerichtlichen Verfahren der Einspruch gegen den Zahlungsbefehl (zulässigerweise) kein Sachvorbringen enthielt (§ 448 Z 1 ZPO) oder vorweg kein vorbereitender Schriftsatz (mit Sachvorbringen) eingebracht wurde, kann noch am Beginn der mündlichen Streitverhandlung die Unzulässigkeit des ordentlichen Rechtswegs (Unzuständigkeit des Gericht aufgrund einer Schiedsvereinbarung) eingewendet werden. Im umgekehrten Fall muss die Einrede der Unzuständigkeit des Schiedsgerichts (bzw der Unzulässigkeit des außerordentlichen Rechtswegs) spätestens mit dem ersten Vorbringen zur Sache (vor dem Schiedsgericht) erhoben werden. Eine Ausnahme besteht nur, wenn die Versäumung nach der Überzeugung des Schiedsgerichts genügend entschuldigt werden kann (§ 592 Abs 2 ZPO). Da eine Überweisung (nach dem Vorbild der §§ 230a und 261 Abs 6 ZPO) aus systematischen Gründen nicht möglich ist, sieht § 584 Abs 4 ZPO (zur Vermeidung von Verjährungsproblemen) vor, dass das Verfahren als gehörig fortgesetzt gilt, wenn nach der Unzuständigkeitsentscheidung des Gerichts oder des Schiedsgerichts (oder wenn ein Schiedsspruch wegen Unzuständigkeit des Schiedsgerichts aufgehoben worden ist) die Klage unverzüglich vor dem Schiedsgericht oder dem ordentlichen Gericht erhoben wird.

10 Für das Rechtsmittelverfahren ist zu beachten, dass von der stRsp (ZfRV 1995/48; RZ 1996/25, 97 = ZfRV 1996/1; ZfRV 1997/60; aM OLG Wien AnwBl 1995, 429 [zust Sitta]) – gestützt auf die Formulierung des § 42 176

JN § 42

1.3 Zuständigkeit

Abs 1 – eine Ausnahme vom Neuerungsverbot lediglich in Bezug auf solche Tatsachen gemacht wird, aus denen hervorgeht, dass die Rechtssache der „inländischen Gerichtsbarkeit“ entzogen ist. Tatsachen, die im Rekurs gegen einen Zurückweisungsbeschluss zum (positiven) Vorliegen der „inländischen Gerichtsbarkeit“ vorgebracht werden, sollen dagegen dem Neuerungsverbot unterliegen. Abgesehen davon, dass dies dann gleichermaßen auch für die Zulässigkeit des Rechtswegs gelten müsste und der hM (s nur Fasching Rz 1731 oder P. Böhm, ecolex 1992, 20) von der Ausnahme der Prozessvoraussetzungen vom Novenverbot widerspricht, wurde diese Haltung ferner zu Recht als „rechtspolitisch problematisch“ qualifiziert (Matscher, JBl 1996, 798 und Ballon in Fasching I § 42 Rz 26) und ist insb auch aus prozessökonomischen Gründen abzulehnen (Simotta, FS Schütze 874 f; Mayr, JBl 2001, 158). Eine Wahrnehmung des Mangels der Zulässigkeit des Rechtswegs und 11 der „inländischen Gerichtsbarkeit“ ist außerdem nicht mehr möglich, wenn bereits eine bindende Gerichtsentscheidung (auch eines Untergerichts) über diese Voraussetzung erfolgt ist (Abs 3). Dieser Grundsatz wird seit dem Judikat 63 (SZ 28/265 = JBl 1956, 126 = EvBl 1956/88 = RZ 1956, 126) von Lehre und Rsp auf alle Prozesshindernisse ausgedehnt (etwa SZ 70/45 und Ballon in Fasching I § 42 Rz 20), insb auch auf die Zulässigkeit des streitigen bzw außerstreitigen Verfahrens (etwa 8 Ob 262/00p = immolex 2001/176, 325 = wobl 2002/64, 231 = MietSlg LIII/18). Im Gegensatz zur Lehre (Fasching Rz 735; Ballon, Zulässigkeit des Rechtswegs 153; ders in Fasching I § 42 Rz 19 und 24 sowie § 44 Rz 10), die eine ausdrückliche spruchmäßige Entscheidung fordert, bejaht die neuere stRsp eine Bindung bereits dann, wenn sich ein Gericht nur in den Entscheidungsgründen mit dem Vorliegen der Prozessvoraussetzung auseinandergesetzt hat (etwa SZ 54/190 = RZ 1982/55, 199; RZ 1988/61, 277; SZ 63/128; 1 Ob 146/00b = SZ 73/123 = JBl 2001, 181 = MietSlg 52.677 uva), nicht aber, wenn es sie nur implizit durch meritorische Behandlung des Klagsanspruchs und Fällung einer Sachentscheidung bejaht hat (1 Ob 50/99f = SZ 72/76 = EvBl 1999/179 = RdW 1999, 655 und 1 Ob 76/00h = SZ 73/128 gegen 10 ObS 23/96 = SSV-NF 10/ 38). Verneint das angerufene Gericht seine örtliche Zuständigkeit und überweist es nach § 261 Abs 6 ZPO die Klage an ein anderes inländisches Gericht, so ist darin aber noch keine rechtskraftfähige Entscheidung über die „inländische Gerichtsbarkeit“ zu erblicken (1 Ob 2054/96g = ZfRV 1996/84, 248). Nach stRsp gelten die Grundsätze des Judikats 61 neu (= SZ 27/290 ua; 12 s oben § 41 Rz 3) für alle Fälle, in denen das Erstgericht die Klage ohne 177

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Sachentscheidung aus formellen Gründen vor Eintritt der Streitanhängigkeit zurückgewiesen und das Rekursgericht dem Erstgericht die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens aufgetragen hat (etwa EvBl 1997/ 7; 9 ObA 131/95 = Arb 11.423; RS0039200), so auch für die Unzulässigkeit des Rechtswegs und die fehlende „inländische Gerichtsbarkeit“ (SZ 37/94; JBl 1967, 90) sowie für die Verneinung des Rechtsschutzbedürfnisses (EFSlg 46.654; Arb 10.927; EvBl 1997/7) oder die Zurückweisung wegen Streitanhängigkeit oder wegen entschiedener Rechtssache. Gegen einen solchen a-limine Zurückweisungsbeschluss hat die – bislang am Verfahren nicht beteiligte – gegnerische Partei daher kein Rekursrecht; der Zurückweisungsbeschluss ist aber auch nicht bindend, so dass im fortgesetzten Verfahren eine Einrede erhoben werden kann (etwa 5 Ob 286/97p = wobl 1998/125, 187 [zust Oberhammer]).

13 Die Zulässigkeit des Rechtswegs und die inländische Gerichtsbarkeit ieS (oben Rz 2) werden durch das europäische Zivilprozessrecht nicht geregelt. Es bleiben daher die diesbezüglichen nationalen Vorschriften maßgebend. Auch die sachliche Zuständigkeit bleibt im Regelfall (s Vor § 49 Rz 3) unberührt. Hält sich dagegen das angerufene Gericht nach den Bestimmungen der EuGVVO (bzw von EuGVÜ/LGVÜ) für örtlich und/oder international unzuständig (s Geimer/Schütze Art 24 Rz 32 f), so darf es die Klage grundsätzlich nicht (ausgenommen es liegt eine ausschließliche [= Zwangs-] Zuständigkeit nach Art 22 EuGVVO bzw Art 16 EuGVÜ/LGVÜ vor) a limine zurückweisen, sondern muss dem Beklagten die Möglichkeit zur rügelosen Einlassung in den Rechtsstreit geben (Art 24 EuGVVO bzw Art 18 EuGVÜ/LGVÜ) und daher die Klage dem Beklagten zustellen und auf seine Reaktion warten (hM, etwa 7 Ob 338/98a = SZ 71/206 = RdW 1999, 349 = ZfRV 2000/18, 78 oder auch 1285 BlgNR 20. GP 28; s bereits oben § 41 Rz 6). § 43. (1) Hält sich das angerufene Gericht aus anderen als den im § 42 angeführten Gründen für unzuständig (§ 41 Abs 2), so ist die Klage von Amts wegen zurückzuweisen. Sobald jedoch über die Klage die Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung bestimmt, die Beantwortung der Klage aufgetragen oder ein bedingter Zahlungsbefehl erlassen worden ist, kann sich das Gericht nur dann für unzuständig erklären, wenn 1. der Beklagte rechtzeitig die Einrede des Fehlens der sachlichen oder örtlichen Zuständigkeit erhebt; 2. der Umstand noch nicht geheilt ist (§ 104), dass entweder die inländische Gerichtsbarkeit fehlt oder das Gericht nach den Bestimmungen des gegenwärtigen Gesetzes selbst durch ausdrückliche 178

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1.3 Zuständigkeit

Vereinbarung der Parteien für die betreffende Rechtssache nicht sachlich oder örtlich zuständig gemacht werden kann. (2) Dieser Ausspruch erfolgt mittels Beschluss. (3) Wenn über die Streitsache der Einzelrichter eines Gerichtshofes zu entscheiden hat (§ 7a), kann die Einrede der Unzuständigkeit nicht darauf gestützt werden, dass für die Streitsache ein anderer Gerichtshof sachlich zuständig ist. Ebenso kann in Streitsachen, die vor ein Bezirksgericht gehören, die Einrede der Unzuständigkeit nicht darauf gestützt werden, dass für die Streitsache ein anderes Bezirksgericht sachlich zuständig ist. [Abs 1 Satz 2 idF Art VI Z 7 WGN 1997 und Art I Z 2 ZVN 2004; Abs 3 Satz 1 eingefügt durch StGBl 1920/116, Satz 2 durch 7. GEN] Lit: Fucik, Die Zuständigkeit nach der Zivilverfahrens-Novelle 1983, RZ 1985, 258; Fink, Die Heilung von Unzuständigkeiten nach dem ASGG, RdW 1987, 261; ders, Nochmals: Zur Heilung von Unzuständigkeiten nach dem ASGG, RdW 1989, 305; Kuderna, Erfahrungen mit dem ASGG aus der Sicht des OGH, DRdA 1989, 173; Mayr, Praxisprobleme der Zuständigkeit und der inländischen Gerichtsbarkeit, ÖJZ 1995, 329; G. Kodek, Aufhebung des Zahlungsbefehls wegen Unzuständigkeit? RZ 1998, 154; Schoibl, Die Prüfung der internationalen Zuständigkeit und der Zulässigkeit des Verfahrens nach dem Brüsseler und dem Luganer Übereinkommen, FS Schütze (1999) 777; Mayr, Die Reform des internationalen Zivilprozessrechts in Österreich, JBl 2001, 144; Deixler-Hübner, Fortschritte und Rückschritte durch die Zivilverfahrensnovelle 2002, FS Beys I (2003) 209; Mayr, Die Wahrnehmung der Unzuständigkeit nach der ZVN 2002, ÖJZ 2004, 361. Ballon in Fasching I § 43 JN; Ballon Rz 71 ff; Deixler-Hübner/ Klicka Rz 71 f; Fasching Rz 215 ff; Rechberger/Simotta Rz 144 ff. Inhaltsübersicht Allgemeines Arten der Unzuständigkeit Wahrnehmung der prorogablen Unzuständigkeit Wahrnehmung der unprorogablen Unzuständigkeit

1–2 3 4–5

Wahrnehmung der internationalen Unzuständigkeit Europäisches Zivilprozessrecht Die Regelung des Abs 3

7 8 9

6

Diese Vorschrift war ursprünglich – wie sich aus dem unverändert bei- 1 behaltenen Einleitungssatz des Abs 1 deutlich ergibt – nicht für die in 179

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§ 42 genannten Prozessvoraussetzungen (also nicht für die Zulässigkeit des Rechtswegs und die „inländische Gerichtsbarkeit“), sondern nur für die sachliche und örtliche Zuständigkeit konzipiert. Nunmehr wird jedoch durch die Neufassung des zweiten Satzes (im Widerspruch zum ersten Satz) auch die „inländische Gerichtsbarkeit“ (allerdings nur iSd der internationalen Zuständigkeit) in die Regelung miteinbezogen (s schon Mayr in Mayr, 100 Jahre 53). Überhaupt sind die verstreuten gesetzlichen Regelungen über die Wahrnehmung der (verschiedenen Arten der) Unzuständigkeit (insb §§ 41, 43, 104 JN; §§ 240, 441 ZPO) wenig koordiniert und reichlich unklar, sodass zahlreiche Streitfragen bestehen. Zu beachten ist insb, dass die Änderungen der ZVN 2002 (indirekt) auch einen Einfluss auf die hier zu behandelnde Rechtslage haben und daher die frühere Literatur und Judikatur nur noch eingeschränkt verwendet werden kann (s ausführlich Mayr, ÖJZ 2004, 361 ff).

2 Die Regelsanktion bei Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts ist im streitigen Verfahren (Ausnahme § 38 Abs 2 ASGG, dazu § 44 Rz 5) die sofortige (a-limine) Zurückweisung der Klage durch Beschluss, der in seinem Spruch den Zurückweisungsgrund enthält. Allenfalls muss die Klage allerdings vorher zur Verbesserung zurückgestellt werden (s zuletzt 1 Ob 83/04v = EvBl 2005/136 und § 41 Rz 2). Für den Kläger besteht jedoch die Möglichkeit, binnen 14 Tagen nach Zustellung des Zurückweisungsbeschlusses einen Überweisungsantrag an das zuständige Gericht zu stellen (Näheres bei § 230a ZPO). Hat das Gericht nach Beginn der mündlichen Streitverhandlung Bedenken gegen seine Zuständigkeit (und ist eine allfällige Unzuständigkeit noch nicht geheilt – daher ein praktisch sehr seltener Fall), so darf es die Klage nicht sofort zurückweisen, sondern hat den Parteien die Gelegenheit zu einer Heilung der Unzuständigkeit bzw zur Stellung eines Überweisungsantrags nach § 261 Abs 6 ZPO zu geben (§ 182 Abs 2 ZPO; s dort). Gegen den Beschluss, mit dem das Rekursgericht die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens über die vom Erstgericht a limine zurückgewiesenen Klage aufträgt, steht dem Beklagten nach stRsp kein Rekursrecht zu (etwa EvBl 1997/7 oder OLG Wien EFSlg 101.566 uva; s schon oben § 41 Rz 3; aM insb Fasching Rz 231 für die Zurückweisung wegen unprorogabler Unzuständigkeit).

3 Hinsichtlich der Wahrnehmbarkeit der Unzuständigkeit von Amts wegen als auch hinsichtlich der Einwendungsmöglichkeit der Unzuständigkeit durch den Beklagten muss (seit der ZVN 2002 allerdings nur noch in wenigen Ausnahmefällen) unterschieden werden zwischen einer 180

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1.3 Zuständigkeit – –

prorogablen Unzuständigkeit: Sie liegt vor, wenn das angerufene Gericht durch eine Parteienvereinbarung zuständig gemacht werden könnte; und einer unprorogablen Unzuständigkeit: Sie ist gegeben, wenn das angerufene Gericht auch durch eine Parteienvereinbarung (Prorogation) nicht zuständig gemacht werden kann. Durch Prorogation nicht verändert werden können die sachliche Zuständigkeit mit Ausnahme der Wertzuständigkeit vom GH zum BG und der Kausalzuständigkeit sowie im Bereich der örtlichen Zuständigkeit die Zwangsgerichtsstände (s etwa §§ 83a, 83b; § 14 KSchG; § 532 ZPO; § 9 ASGG; § 111 Abs 1 KO). Näheres Vor § 83a Rz 1 und bei § 104 Rz 15 ff.

Diese Unterscheidung muss auch im arbeits- und sozialgerichtlichen Verfahren getroffen werden. Eine einheitliche Behandlung (als unprorogable Unzuständigkeit) mag zwar rechtspolitisch erwünscht sein, scheitert aber am Wortlaut des Gesetzes (§ 59 Abs 1 Z 3 ASGG; s Fink, RdW 1987, 261 und RdW 1989, 305 sowie [offenbar] LGZ Wien MietSlg 40.737 gegen Kuderna 218 und DRdA 1989, 177; aM nunmehr auch Ballon Rz 459 und ders in Fasching I § 43 Rz 3; unklar Fasching Rz 2267 einerseits und Rz 2285 andererseits). Auch bei der internationalen Unzuständigkeit ist zwischen einer prorogablen und einer unprorogablen Unzuständigkeit zu unterscheiden, wobei jedoch die prorogable internationale Unzuständigkeit prozessual wie eine unprorogable (sachliche oder örtliche) Unzuständigkeit behandelt wird (s § 42 Rz 4 und unten Rz 6 f). Das Vorliegen einer (durchführbaren) Schiedsvereinbarung wird ähnlich (aber nicht deckungsgleich) behandelt wie eine unprorogable Unzuständigkeit (s § 584 ZPO und § 42 Rz 9 sowie unten Rz 6). Eine prorogable Unzuständigkeit kann vom Gericht nur wahrgenom- 4 men werden bis zur –

– – –

Erlassung eines bedingten Zahlungsbefehls im Mahnverfahren (vor dem BG oder dem GH: §§ 244 ff, 448 ZPO); danach kann eine Unzuständigkeit daher von Amts wegen nicht mehr aufgegriffen werden (richtig G. Kodek, RZ 1998, 154 gegen die Praxis bei manchen Wiener Gerichten); Erteilung eines Auftrags zur Klagebeantwortung (im Gerichtshofverfahren: § 230 Abs 1 ZPO); Erteilung eines Auftrags zum Wechsel vorbereitender Schriftsätze an durch Rechtsanwälte vertretene Parteien (im bezirksgerichtlichen Verfahren: § 440 Abs 3 ZPO); (sofortigen) Anberaumung einer vorbereitenden Tagsatzung (im bezirksgerichtlichen Verfahren: § 440 Abs 1 ZPO); 181

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Erlassung des (Wechsel-)Zahlungsauftrags im (Wechsel-)Mandatsverfahren oder von Mandaten im Bestandverfahren. Näheres bei Mayr, ÖJZ 2004, 362 f. Nach der Erlassung der genannten Verfügungen kann sich das angerufene Gericht nur noch aufgrund einer rechtzeitigen Einrede des Beklagten (dazu unten Rz 5) für unzuständig erklären oder wenn das Fehlen der „inländischen Gerichtsbarkeit“ (iSd internationalen Zuständigkeit) oder der unprorogablen sachlichen oder örtlichen Zuständigkeit noch nicht geheilt ist (dazu unten § 104 Rz 17 ff).

5 Rechtzeitig ist die Unzuständigkeitseinrede des Beklagten, wenn sie im (von der Anwaltspflicht beherrschten) Gerichtshofverfahren – in der Klagebeantwortung bzw in dem bereits auch eine Klagebeantwortung umfassenden Antrag auf Prozesskostensicherheit (JBl 1989, 594 = RZ 1989/67, 189); im Widerspruch gegen ein Versäumungsurteil ist die Einrede verspätet (Mayr, ÖJZ 2004, 366 f und [allerdings vor der ZVN 2002] 5 Ob 753/82 = EvBl 1983/35; 1 Ob 136/98a = JBl 1999, 255); – im Einspruch gegen den Zahlungsbefehl oder – in den Einwendungen gegen den (Wechsel-)Zahlungsauftrag vorgebracht wird. Näheres dazu bei Mayr, ÖJZ 2004, 365 ff. Wird der Beklagte (im bezirksgerichtlichen Verfahren) nicht durch einen Rechtsanwalt (oder Notar) vertreten, so muss die Einrede der prorogablen Unzuständigkeit spätestens am Beginn der mündlichen Streitverhandlung (vorbereitenden Tagsatzung) bevor er sich auf die Verhandlung über die Hauptsache einlässt, eingewendet werden. Dies entspricht der hM (s Ballon Rz 72 oder Rechberger/Simotta Rz 441). Was zu gelten hat, wenn der Beklagte im bezirksgerichtlichen Verfahren durch einen Rechtsanwalt (oder Notar) vertreten wird, ist sehr umstritten. ME (s ausführlich mwN Mayr, ÖJZ 2004, 368 ff) muss (auch) die (prorogable) Unzuständigkeit spätestens eingewendet werden – in einem (aufgetragenen oder freiwillig erstatteten) vorbereitenden Schriftsatz, in dem vor der mündlichen Streitverhandlung zur Sache vorgebracht wird; – in einem Einspruch gegen einen Zahlungsbefehl, wenn darin zur Sache vorgebracht wird; – in den Einwendungen gegen einen (Wechsel-)Zahlungsauftrag; – in den Einwendungen gegen einen Übergabe- oder Übernahmeauftrag, wenn darin zur Sache vorgebracht wird; – in allen anderen Fällen am Beginn der mündlichen Streitverhandlung bevor sich der Beklagte in die Verhandlung über die Haupt182

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1.3 Zuständigkeit

sache einlässt. Im Widerspruch gegen ein Versäumungsurteil ist die Unzuständigkeitseinrede verspätet. Generell spielt die Reihung von Einwendungen in der Hauptsache und der Unzuständigkeitseinrede durch den Beklagten (im betreffenden Schriftsatz oder im mündlichen Vorbringen) keine Rolle (EvBl 1991/ 182 = RZ 1993/20, 75; JBl 1992, 331 = EvBl 1992/8; Mayr, ÖJZ 2004, 366 FN 54 und 368 FN 80 mwN). Hat sowohl das Gericht bei der Klageprüfung in limine litis die prorogable Unzuständigkeit übersehen als auch der Beklagte nicht rechtzeitig die Unzuständigkeitseinrede erhoben (zweifache Präklusion), so ist die Unzuständigkeit geheilt und kann nicht mehr wahrgenommen werden. Sie kann als Nichtigkeitsgrund daher nur wahrgenommen werden, wenn die Einrede zeitgerecht erhoben und der in das Urteil aufgenommene Ausspruch über die Unzuständigkeitseinrede angefochten worden ist (s § 471 Z 6 ZPO). Die unprorogable Unzuständigkeit kann hingegen von Amts wegen 6 (unter Beachtung des § 182 Abs 2 ZPO) oder auf Einrede des Beklagten so lange wahrgenommen werden, als noch keine Heilung nach § 104 Abs 3 erfolgt ist (s auch § 240 ZPO). Diese tritt nach der genannten Bestimmung dann ein, wenn der durch einen Rechtsanwalt (oder Notar) vertretene Beklagte (schriftlich) zur Sache vorbringt oder mündlich verhandelt, ohne die Unzuständigkeitseinrede zu erheben. Ist der Beklagte nicht durch einen Rechtsanwalt (oder Notar) vertreten, so muss der Beklagte überdies vorher durch den Richter über die Möglichkeit der Unzuständigkeitseinrede und deren Wirkung belehrt und diese Belehrung im Verhandlungsprotokoll beurkundet worden sein. Näheres s § 104 Rz 18 ff. Im Ergebnis bedeutet dies, dass hinsichtlich der amtswegigen Wahrnehmbarkeit der Unzuständigkeit (trotz der unterschiedlichen gesetzlichen Regelung) keine wesentlichen Unterschiede zwischen einer prorogablen (s oben Rz 4) und einer unprorogablen Unzuständigkeit bestehen. Die (praktisch wenig bedeutsamen) Abweichungen sind bei Mayr, ÖJZ 2004, 363 ff, angeführt. Im arbeits- und sozialgerichtlichen Verfahren tritt eine Heilung der Unzuständigkeit auch dann ein, wenn eine qualifizierte Person iSd § 40 ASGG für den Beklagten zur Sache vorbringt oder mündlich verhandelt (§ 38 Abs 1 und § 40 Abs 3 ASGG). Wird vor einem (staatlichen) Gericht Klage in einer Sache erhoben, die Gegenstand einer Schiedsvereinbarung ist, so hat das Gericht gem § 584 Abs 1 ZPO die Klage zurückzuweisen, sofern der Beklagte nicht rügelos zur Sache vorbringt oder mündlich verhandelt. Ob das Gericht die Klage auch von Amts wegen (a limine litis) zurückweisen darf, ist 183

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unklar, wird aber zu verneinen sein (ebenso Reiner, Schiedsrecht 14 Anm 50; vgl auch 2 Ob 603/50), sodass auch insofern im Vergleich zur Wahrnehmung der (prorogablen oder unprorogablen) Unzuständigkeit ein Unterschied besteht (s auch § 42 Rz 9). Da dem Gericht das Vorliegen einer Schiedsvereinbarung ohne entprechende (rechtzeitige) Einrede des Beklagten im Regelfall aber ohnehin nicht (amts-)bekannt sein wird, hat diese Frage allerdings wenig praktische Relevanz.

7 Seit der WGN 1997 heilt die „inländische Gerichtsbarkeit“ unter den gleichen Voraussetzungen wie eine unprorogable sachliche oder örtliche Unzuständigkeit. Dies gilt jedoch nicht für die Fälle der inländischen Gerichtsbarkeit ieS, also wenn die Rechtssache durch (völkerrechtliche) Immunität den inländischen Gerichten entzogen ist (s § 42 Rz 2), sondern grundsätzlich nur für die Fälle einer internationalen Unzuständigkeit. Aber auch die internationale Unzuständigkeit kann gem § 104 Abs 4 in Rechtssachen nach den §§ 81, 83, 83b und 92b nicht durch rügelose Einlassung begründet werden (unprorogable internationale Unzuständigkeit). Eine Heilung (vor Rechtskraft des Urteils) scheidet nach § 104 Abs 5 ferner aus, wenn abweichende besondere gesetzliche Regelungen bestehen (zB § 38 Abs 2 EO) oder wenn durch Völkerrecht (zB LGVÜ oder EuGVÜ) oder Europarecht (EuGVVO und EuGVVO II) anderes bestimmt ist (s näher Mayr, JBl 2001, 152 f und § 104 Rz 20).

8 Im Anwendungsbereich des Europäischen Zuständigkeitsrechts hat sich das angerufene Gericht nur in den Fällen einer ausschließlichen (Zwangs-)Zuständigkeit nach Art 22 EuGVVO bzw Art 16 EuGVÜ/ LGVÜ (und im Anwendungsbereich der EuGVVO II, s Mayr/Czernich, EuZPR Rz 325) jederzeit von Amts wegen für unzuständig zu erklären (Art 25 EuGVVO bzw Art 19 EuGVÜ/LGVÜ). In allen anderen Fällen darf das angerufene Gericht seine Zuständigkeit erst und nur dann prüfen, wenn der Beklagte säumig ist (Art 26 Abs 1 EuGVVO bzw Art 20 Abs 1 EuGVÜ/LGVÜ) oder wenn er rechtzeitig die Unzuständigkeit rügt. Nach Art 24 EuGVVO (Art 18 EuGVÜ/LGVÜ) wird nämlich das angerufene (unzuständige) Gericht dadurch zuständig, „wenn sich der Beklagte vor ihm auf das Verfahren einlässt“ (s auch § 104 Rz 26 und etwa Mayr/Czernich, EuZPR Rz 245 ff). Zu welchem Zeitpunkt bzw mit welchen Prozesshandlungen diese unzuständigkeitsheilende „Einlassung in das Verfahren“ im nationalen Recht erfolgt, ist im Detail noch nicht abschließend geklärt, da der einschlägigen Rsp des EuGH (Elefantenschuh/Jacqmain, Slg 1981, 1671) bisher nur zu entnehmen ist, dass die „Rüge der fehlenden Zuständigkeit … keinesfalls mehr nach Abgabe derjenigen Stellungnahme erhoben werden 184

JN § 44

1.3 Zuständigkeit

kann, die nach dem innerstaatlichen Prozessrecht als das erste Verteidigungsvorbringen vor dem angerufenen Gericht anzusehen ist“. Nicht als rügelose Einlassung ist es anzusehen, wenn der Beklagte nur tätig wird, um die fehlende Zuständigkeit zu rügen, oder wenn sich der Beklagte bloß eventualiter – also nur für den Fall, dass seine Zuständigkeitsrüge keinen Erfolg hat – zu einer anderen Prozessvoraussetzung oder zur Hauptsache äußert (EuGH Rohr/Ossberger, Slg 1981, 2431 oder 2 Ob 304/98i = SZ 71/191 = ZfRV 2000/17, 78). Geheilt ist die Unzuständigkeit hingegen, wenn die (selbst postulationsfähige oder anwaltlich vertretene) Partei ohne Zuständigkeitsrüge (schriftlich oder mündlich) zur Hauptsache vorbringt, also (im Gerichtshofverfahren) eine Klagebeantwortung erstattet oder (im bezirksgerichtlichen Verfahren) in der vorbereitenden Tagsatzung mündlich zur Sache vorbringt oder schon davor einen vorbereitenden Schriftsatz (mit Sachvorbringen) einbringt. Auch ein begründeter Einspruch gegen einen Zahlungsbefehl, der entgegen des Verbots des § 244 Abs 2 Z 3 ZPO erlassen worden ist, hat heilende Wirkung (etwa Simotta in Fasching I § 104 JN Rz 349; aM 9 Ob 246/97k = JBl 1998, 518 [abl König]; 1 Ob 173/98t = SZ 71/129 = EvBl 1999/14). Gem Abs 3 ist vor dem Einzelrichter des GH und beim BG die Einrede 9 der kausalen oder nichtkausalen (nicht aber der örtlichen) Unzuständigkeit ausgeschlossen. Da hier (in erster Instanz) jedenfalls ein Berufsrichter als Einzelrichter entscheidet, hätte eine Änderung der Zuständigkeit lediglich eine Auswirkung auf die Besetzung des Berufungssenates, was jedoch keinen Zuständigkeitsstreit rechtfertigt. Im Senatsprozess ist hingegen eine Einrede der kausalen Unzuständigkeit möglich. Da es sich um eine prorogable Unzuständigkeit handelt (s § 7 Rz 5), muss die Einrede jedoch rechtzeitig (bei erster Gelegenheit) erhoben werden. Sowohl der Beschluss über die Bejahung als auch über die Verneinung der allgemeinen oder der Handels-Gerichtsbarkeit ist unanfechtbar (§ 45; das richtigerweise sachlich zuständige Gericht hat immer den Sitz in derselben Gemeinde). Nötigenfalls ist ein Berufsrichter durch einen fachmännischen Laienrichter zu ersetzen. Wird über die Unzuständigkeitseinrede nicht sofort, sondern erst im Urteil entschieden, kann dem Verfahren ein entsprechender Ergänzungsrichter beigezogen werden (§§ 61 ff). § 44. (1) Ist für eine zur nichtstreitigen Gerichtsbarkeit gehörige Rechtssache, ferner im Exekutionsverfahren, im Verfahren bei Erlassung einstweiliger Verfügungen sowie im Konkursverfahren ein anderes als das angerufene Gericht sachlich oder örtlich zuständig, 185

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Mayr

so hat letzteres seine Unzuständigkeit in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen oder auf Antrag durch Beschluss auszusprechen und, sofern ihm die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach den Verhältnissen des einzelnen Falles möglich ist, die Rechtssache an das örtlich oder sachlich zuständige Gericht zu überweisen. (2) Von diesem ohne vorhergehende mündliche Verhandlung zu fassenden Überweisungsbeschluß sind die Parteien durch das Gericht zu verständigen, an das die Sache überwiesen worden ist. (3) Das Gericht, welches seine Unzuständigkeit ausgesprochen hat, ohne einen Überweisungsbeschluss zu fassen, kann bis zum Eintritt der Rechtskraft jenes Ausspruches alle zur Wahrung öffentlicher Interessen oder zur Sicherung der Parteien oder des Zweckes des Verfahrens nötigen Verfügungen treffen. [Abs 1 idF Art VI Z 8 WGN 1997; Abs 2 idF ZVN 1983] Lit: Feil, Ist eine Überweisung gemäß § 44 JN im Grundbuchsverfahren bei reinen Grundbuchsstücken (§ 89 GV) zulässig? ÖJZ 1957, 653; Streller, Bindung an die Überweisung nach § 44 JN? RZ 1985, 102; Ballon, Die Gerichtsorganisation der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit, JBl 1987, 350; Rechberger, Das ASGG aus der Sicht der Rechtswissenschaft, DRdA 1989, 263; Ballon, Zuständigkeitsprobleme im österreichischen Zivilverfahren, insbes im Bereich des Insolvenzrechts, FS Gaul (1997) 1; Burgstaller/Neumayr, Die grenzüberschreitende Überweisung in der Europäischen Union, RZ 2003, 242; McGuire, Forum Shopping und Verweisung, ZfRV 2005, 83; G. Kodek, Überweisung von Klagen im europäischen Justizraum? RZ 2005, 217. Ballon in Fasching I § 44 JN; Fasching Rz 223.

1 Im Außerstreitverfahren, im Exekutionsverfahren und im Verfahren zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung sowie im Insolvenzverfahren hat das Gericht die für die Zuständigkeit maßgebenden Verhältnisse von Amts wegen zu prüfen (§ 41 Abs 3). Eine (sachliche oder örtliche) Unzuständigkeit ist (soweit keine bindende Entscheidung entgegensteht) bis zur Rechtskraft der Entscheidung jederzeit auf Antrag oder von Amts wegen wahrzunehmen (vgl SZ 55/178; RdW 1996, 476). Eine Heilung der Unzuständigkeit durch rügelose Einlassung ist in diesen Verfahrensarten grundsätzlich nicht vorgesehen, im neuen AußStrG kann jedoch gem § 56 Abs 2 nur noch die sachliche Unzuständigkeit als Rekursgrund geltend gemacht werden (dazu Mayr/Fucik Rz 53 f) und auch für das Konkursverfahren hat der OGH eine Verletzung der Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit (grundsätzlich) nicht als Nichtigkeitsgrund angesehen (8 Ob 240/99y = SZ 72/159 = JBl 2000, 600 [König]; dazu auch G. Kodek, Privatkonkurs Rz 50). 186

JN § 44

1.3 Zuständigkeit

Im Gegensatz zum streitigen Verfahren (s § 43; OLG Wien EFSlg 2 85.165) ist in den genannten Verfahrensarten (auch im Erlagsverfahren: SZ 55/107 = JBl 1983, 264 = EvBl 1983/20; nicht aber in Grundbuchssachen: SZ 30/14 = EvBl 1957/212; Feil, ÖJZ 1957, 653) die Rechtssache nicht zurückzuweisen, sondern an das (sachlich und örtlich) zuständige Gericht zu überweisen (Ausnahme § 60 Abs 3, §§ 474 Abs 1, 475 Abs 2 ZPO und unten Rz 5). Ob ein Antrag auf Eröffnung des Schuldenregulierungsverfahrens (auch) von einem BG an einen GH zu überweisen ist (so insb G. Kodek, Privatkonkurs Rz 48 mwN) oder wegen Fehlens einer Anspruchsvoraussetzung (nämlich dass der Schuldner kein Unternehmen betreibt) abzuweisen ist (so 8 Ob 90/98p = SZ 71/137 = ZIK 1998, 209; 8 Ob 217/01x = SZ 74/181 = ZIK 2002/87) ist umstritten. Ist das zuständige Gericht nicht (einwandfrei) feststellbar, so ist vorerst zu versuchen, im Wege eines Verbesserungsverfahrens die Zuständigkeit zu klären und erst nach dessen Erfolglosigkeit der Antrag zurückzuweisen (so auch Ballon in Fasching I § 44 Rz 1 und 13; aM LGZ Wien EFSlg 63.920, das den Antrag ohne Verbesserungsverfahren sofort zurückweist). Nötigenfalls sind dann bis zur Rechtskraft des Zurückweisungsbeschlusses geeignete Sicherungsmaßnahmen zu treffen (Abs 3). Zur Abweisung von Sicherungsanträgen ist das (unzuständige) Gericht nicht befugt (RdW 1995, 170). Zur Entscheidung über einen Kostenbestimmungsantrag ist – auch in einem Überweisungsfall (noch) – das Gericht berufen, bei dem die Handlung, für die Kostenersatz begehrt wird, vorgenommen worden ist (LGZ Graz RPflSlgE 1995/102). Eine Überweisung setzt voraus, dass ein Antrag in einer der genannten Verfahrensarten, jedoch bei einem unzuständigen Gericht gestellt wurde (SZ 51/168). Streng genommen scheidet somit eine Überweisung eines vor Klageeinbringung gestellten Verfahrenshilfeantrags aus (so OLG Wien WR 60/1984), jedoch erscheint hier eine erweiternde analoge Auslegung geboten (so auch OLG Wien WR 280/1987 und 858/ 1999; EFSlg 72.792 und Ballon in Fasching I § 44 Rz 1). Eine Überweisung von einer zivilgerichtlichen Verfahrensart in eine andere ist nicht vorgesehen (s Vor § 1 Rz 16; vgl LG Linz EFSlg 105.475). Eine Zurückweisung des in der falschen Verfahrensart eingebrachten Antrags wird jedoch regelmäßig durch eine Anwendung des § 40a vermieden: Nach Rechtskraft des Beschlusses über die richtigerweise anzuwendende Verfahrensart wird das Verfahren in dieser Verfahrensart fortgesetzt. Die Überweisung erfolgt mit Beschluss. Dieser hat zuerst die Unzu- 3 ständigkeit des angerufenen Gerichts auszusprechen und sodann die Überweisung an das zuständige Gericht zu verfügen. Der Überwei187

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Mayr

sungsbeschluss ist den Parteien (erst) durch das Zweitgericht zuzustellen (Abs 2). Durch eine Überweisung bleibt die (Gerichts-)Anhängigkeit gewahrt (LGZ Wien MietSlg 51.462); auch die vom unzuständigen Gericht vorgenommenen Sicherungshandlungen bleiben aufrecht (SZ 25/ 309); ebenso einstweilige Vorkehrungen nach § 73 KO (OLG Wien WR 742/1995; LGZ Wien ZIK 1996, 174). Über einen Rekurs gegen eine vom unzuständigen Gericht erlassene einstweilige Verfügung hat noch das (dem unzuständigen Gericht) übergeordnete Gericht sachlich zu entscheiden und gegebenenfalls erst dann die Rechtssache an das zuständige Gericht zu überweisen (JBl 1982, 593; EvBl 1981/188). Ist die Überweisung rechtskräftig erfolgt, dann muss das Erstgericht auch den Antrag auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung dem zuständigen Gericht überweisen, darf ihn also nicht wegen Unzuständigkeit zurückweisen (SZ 52/118).

4 Nach hRsp enthält ein Überweisungsbeschluss eine – auch in örtlicher Hinsicht – bindende Zuständigkeitsentscheidung: Das Adressatgericht kann seine Zuständigkeit nicht mit der Begründung ablehnen, dass das überweisende Gericht zuständig ist (SZ 40/97 = EvBl 1968/76; JBl 1980, 601 = EvBl 1980/52 = MietSlg 31.616; EvBl 1980/123; EFSlg 85.153; s aber § 47 Rz 5). Diese bestrittene (s Streller, RZ 1985, 102) Bindungswirkung besteht jedoch – auch nach der (älteren) Rsp (etwa LGZ Wien EFSlg 46.599, 57.671, 63.922; OLG Wien EFSlg 75.943) – nur an rechtskräftige Überweisungsentscheidungen. Da seit der ZVN 1983 der Überweisungsbeschluss den Parteien erst durch das Gericht, an das die Sache überwiesen worden ist, zugestellt wird, ist er beim Einlangen beim Adressatgericht regelmäßig noch nicht rechtskräftig, so dass auch dieses Gericht seine Unzuständigkeit aussprechen kann (so auch Fucik, RZ 1985, 240 FN 91a und Ballon in Fasching I § 44 Rz 12; OLG Innsbruck ZIK 1995, 160; OLG Linz ZIK 1996, 138). Die neuere gegenteilige Rsp (SZ 68/217 = EvBl 1996/104 = ZIK 1996, 63; EFSlg 85.154 f; 5 Ob 292/02f = JBl 2003, 876 = MietSlg 55.598; 3 Nc 34/03k; 5 Nc 35/04y; LGZ Wien EFSlg 108.716) schneidet zwar Zuständigkeitskonflikte (prozessökonomisch) ab, ist aber – wie Ballon (FS Gaul 11) ausführlich dargelegt hat – dogmatisch nicht schlüssig zu begründen und daher unhaltbar. Beide Unzuständigkeitsbeschlüsse sind dann – sofern nicht eine Überweisung an ein drittes Gericht in Frage kommt – den Parteien zuzustellen. Die Entscheidung des Zuständigkeitsstreites erfolgt schließlich entweder im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens oder auf Grund eines Antrags einer Partei oder einer Anzeige eines beteiligten Gerichtes durch das gemeinsam übergeordnete Gericht (§ 47). 188

JN § 44

1.3 Zuständigkeit

Der Rekurs gegen den ersten Unzuständigkeitsbeschluss ist beim überweisenden Gericht einzubringen (§ 520 Abs 1 ZPO; RdW 1997, 724). Wurde er irrtümlicherweise beim Adressatgericht eingebracht, ist er an das zuständige Gericht zu überweisen, jedoch ist die stRsp zu beachten, wonach sich die Rechtzeitigkeit eines unrichtig adressierten Rechtsmittels nicht nach dem Zeitpunkt der Postaufgabe, sondern nach dem Tag des Einlangens beim zuständigen Gericht richtet (etwa EFSlg 44.528, 64.165, 64.601), jedoch sollte – wenigstens in diesem Fall – das Rechtsmittel als rechtzeitig betrachtet werden (so auch Fasching Rz 223; vgl LGZ Wien MietSlg 46.613 und 50.515). Ist anstelle des angerufenen Gerichts ein anderes Gericht als Arbeits- 5 und Sozialgericht zuständig (s Arb 10.842), so hat das angerufene Gericht den Rechtsstreit gem § 38 Abs 2 ASGG an das nicht offenbar unzuständige Gericht von Amts wegen zu überweisen. Voraussetzung ist freilich, dass die Unzuständigkeit noch nicht geheilt ist. Ferner ist der Kläger vor der Überweisung zur Auswahl des Adressatgerichtes (schriftlich oder mündlich) zu hören. Diese Vorgangsweise kommt nach dem Wortlaut des Gesetzes allerdings nur dann zur Anwendung, wenn eine Arbeits- und Sozialrechtssache bei einem zur Ausübung der allgemeinen oder der Handelsgerichtsbarkeit berufenen Gericht eingebracht wurde. Ist hingegen umgekehrt eine allgemeine Zivil- oder Handelssache bei einem Gerichtshof als Arbeits- und Sozialgericht (oder dem ASG Wien) anhängig gemacht worden, so gilt § 38 Abs 2 ASGG nicht, eine Überweisung erfolgt hier nur nach §§ 230a bzw 261 Abs 6 ZPO auf Antrag des Klägers (Kuderna 218; Ballon, JBl 1987, 354; Rechberger, DRdA 1989, 264; aM Fasching Rz 2267). Überhaupt keine Zuständigkeits-, sondern eine Besetzungsfrage liegt schließlich vor, wenn (außerhalb Wiens) der angerufene GH in einer anderen Besetzung zuständig bleibt. Es ist dann die Klage nicht zu über- oder zurückzuweisen, sondern nach § 37 ASGG vorzugehen (s § 7 Rz 5 und 8). Fällt die Rechtssache in den Anwendungsbereich von EuGVVO/ 6 EuGVÜ/LGVÜ (handelt es sich also etwa um eine Zivil- oder Handelssache, die in Österreich im Außerstreitverfahren zu erledigen ist) und regeln diese Rechtsquellen (neben der internationalen Zuständigkeit) auch die örtliche Zuständigkeit, so gibt es bei einer örtlichen Unzuständigkeit keine (sofortige) a limine-Überweisung an das (tatsächlich) zuständige Gericht in Österreich (und auch nicht im Ausland). Vielmehr ist (wie sonst auch – s § 41 Rz 6) der verfahrenseinleitende Antrag vorerst dem (ausländischen) Gegner zuzustellen. Lässt er sich rügelos auf das Verfahren ein, ist das Gericht (örtlich und international) zustän189

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dig geworden. Ist er hingegen säumig oder rügt er rechtzeitig die Unzuständigkeit, ist die Zuständigkeit zu prüfen und nach einer allfälligen Unzuständigkeitsentscheidung die Rechtssache gem § 44 an das zuständige Gericht (in Österreich) zu überweisen. Eine Überweisung an ein Gericht im Ausland ist (abgesehen von Art 15 EuGVVO II) auch im europäischen Zivilverfahrensrecht nicht vorgesehen (OLG Linz ZIK 2004/230, 178; zum Problemkreis s Burgstaller/Neumayr, RZ 2003, 242 und jüngst McGuire, ZfRV 2005, 83 sowie G. Kodek, RZ 2005, 217). § 45. Nach Eintritt der Streitanhängigkeit getroffene Entscheidungen, mit denen ein Gericht seine sachliche Zuständigkeit bejaht, sind nicht anfechtbar, solche, mit denen es seine sachliche Unzuständigkeit ausspricht, nur dann, wenn das Gericht, das nach dieser Entscheidung sachlich zuständig wäre, seinen Sitz nicht in derselben Gemeinde hat. [Fassung ZVN 1983] Lit: Fucik, Die Zuständigkeit nach der Zivilverfahrens-Novelle 1983, RZ 1985, 237; Klicka, Zur Anfechtbarkeit von Entscheidungen über die Zuständigkeit eines privaten Schiedsgerichts, RZ 1986, 235 und 269; Fasching, Die Bedeutung des Gleichheitssatzes für das zivilgerichtliche Verfahren, FG Fasching 3; Ballon, Die Rechtsprechung in Zuständigkeitsfragen, FS Fasching 57; ders, Die Beachtung des rechtlichen Gehörs iSd Art 6 MRK durch die Rechtsmittelgerichte, JBl 1995, 623; Klauser/ Madersbacher, Neues zur „Sammelklage“, ecolex 2004, 168. Ballon in Fasching I § 45 JN; Ballon Rz 79; Buchegger, PraktZPR I 38; Fasching Rz 230 ff; Rechberger/Simotta Rz 157/1.

1 Aus dem Bestreben heraus, Zuständigkeitsstreitigkeiten möglichst zu beschränken, hat der Gesetzgeber folgende Anfechtungsbeschränkungen von (Un-)Zuständigkeitsentscheidungen getroffen: Bei einem Streitwert bis 2.000 Euro sind generell nur Unzuständigkeitsentscheidungen anfechtbar (§ 517 Z 1 ZPO), nicht aber Beschlüsse, mit denen die Zuständigkeit bejaht und die Unzuständigkeitseinrede abgewiesen werden.

2 Abgesehen von dieser Einschränkung sind Unzuständigkeitsentscheidungen, die vor Streitanhängigkeit getroffen werden, immer anfechtbar, und zwar durch einseitigen Rekurs (nur) durch den Kläger (stRsp seit Jud 61 neu = SZ 27/290, etwa EFSlg 60.914 oder JUS Z/1152; aM Fasching Rz 231 und Holzhammer 66, welche bei einer unprorogablen Unzuständigkeit dem Beklagten ein Rekursrecht gewähren). 190

JN § 45

1.3 Zuständigkeit

Zuständigkeitsentscheidungen nach Eintritt der Streitanhängigkeit, die die örtliche Zuständigkeit betreffen, sind stets (mit zweiseitigem Rekurs – § 521a Abs 1 Z 3 ZPO) anfechtbar. Entscheidungen nach Eintritt der Streitanhängigkeit (auch des Gerichtes zweiter Instanz: JBl 1987, 792; EFSlg 69.724 oder 3 Ob 182/02i = MietSlg 54.575), die die sachliche Zuständigkeit bejahen, sind (unabhängig von der Begründung) unanfechtbar (MietSlg 48.562 und 58.563; RdW 1997, 724; 8 Ob 20/02b = EvBl 2003/39 = ZIK 2003/43, 31). Solche, die die Zuständigkeit verneinen, können nur dann angefochten werden, wenn das Gericht, das nach dieser Entscheidung sachlich zuständig wäre, seinen Sitz nicht in derselben Gemeinde hat (aus EMRKSicht kritisch Ballon, JBl 1995, 629). Dabei genügt es, wenn sich aus der Unzuständigkeitsentscheidung in Verbindung mit den Klageangaben ergibt, dass das eigentlich zuständige Gericht seinen Sitz in derselben Gemeinde hat (EvBl 1985/128; LGZ Wien MietSlg 43.433 oder EFSlg 105.479; krit Fasching Rz 232; vgl auch Ob 322/00i = MietSlg 53.636). Nach stRsp ist es ausreichend, dass das andere Gericht eindeutig bestimmbar ist (etwa 7 Ob 225/02t = MietSlg 54.573). Der Rechtsmittelausschluss gilt nach stRsp uneingeschränkt und unabhängig davon, mit welcher Begründung die Entscheidung erfolgte (zuletzt etwa 3 Ob 133/03k = JBl 2004, 118 = EvBl 2004/21). Ein Rechtsmittel wird selbst dann ausgeschlossen, wenn eine Nichtigkeit oder ein ähnlich schwerwiegender Verfahrensverstoß oder eine Verletzung zwingenden Rechts geltend gemacht wird (3 Ob 266/02t = MietSlg 54.577). Die Unanfechtbarkeit gilt auch dann, wenn der GH den Streitwert gem § 60 herabgesetzt und die Rechtssache an ein BG in derselben Gemeinde abgetreten hat (RZ 1987/44, 175). Eine Ausnahme ist jedoch dann zu machen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anwendung dieser Bestimmung gar nicht vorliegen (2 Ob 169/02w = EvBl 2003/28; s auch § 60 Rz 4). Die Anfechtungsbeschränkung des § 45 (gegen die der OGH keine ver- 3 fassungsrechtlichen Bedenken hegt: 7 Ob 299/97i = ZVR 1999/12, 50) schließt auch eine amtswegige Wahrnehmung der sachlichen Unzuständigkeit durch das Rechtsmittelgericht aus (etwa EvBl 1980/14 = MietSlg 31.618). Voraussetzung für die Bindungswirkung ist allerdings nach einhelliger Lehre (etwa König, JBl 1976, 324 f [Entscheidungsbesprechung]; Fucik, RZ 1985, 238; Fasching Rz 233; Ballon in Fasching I § 45 Rz 4), dass die Entscheidung über die Zuständigkeit ausdrücklich erfolgte und die Zuständigkeit nicht bloß durch eine Sachentscheidung schlüssig bejaht wurde (so aber die stRsp, etwa SZ 51/101 = RZ 1978/ 139, 271 oder EvBl 1981/70, 237 = MietSlg 32.605; vgl auch 4 Ob 116/ 191

§ 46

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05w = ecolex 2005/359, 766). Dieser Streitpunkt hat freilich durch die ausgedehnten Regelungen über die Heilung der Unzuständigkeit kaum noch praktische Relevanz.

4 Bei Entscheidungen über die individuelle Zuständigkeit ist zu differenzieren (aM Fasching1 I 283 und 410 sowie ders Rz 231): Bewirkt die Bejahung der individuellen Zuständigkeit auch eine Veränderung der örtlichen Zuständigkeit, so ist der Rechtsmittelausschluss nicht anwendbar (so generell SZ 53/159 = ÖBl 1981, 85). Führt hingegen die Bejahung der individuellen Zuständigkeit lediglich zu einer Zuständigkeitsverschiebung in sachlicher Hinsicht, so gilt die Anfechtungsbeschränkung (Fink, JBl 1987, 794 [Entscheidungsbesprechung]; SZ 51/ 101 = RZ 1978/139, 271; 5 Ob 292/02f = JBl 2003, 876 = MietSlg 55.599). Die Rechtsmittelbeschränkung des § 45 gilt auch im Konkursverfahren (8 Ob 20/02b = EvBl 2003/39 = ZIK 2003/43, 31). Auf Zuständigkeitsentscheidungen, die das Verhältnis zwischen ordentlichen Gerichten (also auch Arbeits- und Sozialgerichten) und Schiedsgerichten betreffen, ist § 45 nicht anwendbar (so [zur früheren Rechtslage] SZ 58/60; EvBl 1996/41; 10 Ob 199/97f = SZ 70/206 = JBl 1998, 258 = RZ 1999/4, 30; 7 Ob 310/02t; Klicka, RZ 1986, 235; Ballon, FS Fasching 58). Ebenso wenig, wenn das Gericht seine (sachliche) Zuständigkeit auf das Bestehen oder Nichtbestehen einer Zuständigkeitsvereinbarung stützt (SZ 44/31 = EvBl 1972/6 = RZ 1971, 196; aM Fasching1 I 284) oder wenn es sich um einen Verstoß gegen die Geschäftsverteilung handelt (LG Klagenfurt EvBl 1996/74). Der OGH hat § 45 auch im Verhältnis zwischen dem ASG Wien und den anderen ordentlichen Gerichten für anwendbar erklärt (9 ObA 200, 2001/91 = RZ 1993/26, 77; 8 ObA 324/98z = SZ 72/124 = ZVR 2000/28, 89; LGZ Wien MietSlg 48.564; anders OLG Wien EFSlg 66.854), was allerdings eine Ungleichbehandlung des Gerichtszugangs zwischen Wien und den Bundesländern zur Folge hat (s Fasching, Die Bedeutung des Gleichheitssatzes, FG Fasching 8; Ballon in Fasching I § 45 Rz 5; 4 Ob 1/03f und § 7 Rz 5). § 46. (1) Ist die Unzuständigkeit eines Gerichtes auf Grund der Bestimmungen über die sachliche Zuständigkeit der Gerichte rechtskräftig ausgesprochen, so ist diese Entscheidung für jedes Gericht bindend, bei welchem die Rechtssache in der Folge anhängig wird. (2) Auf Grund der Entscheidung eines Bezirksgerichtes, welches sich mit Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes für unzuständig erklärte, kann die Rechtssache schon vor Eintritt der Rechtskraft dieser Entscheidung bei einem Gerichtshofe erster In192

JN § 46

1.3 Zuständigkeit

stanz mit der Wirkung angebracht werden, dass die über die Zuständigkeit erflossene Entscheidung des Bezirksgerichtes für den Gerichtshof erster Instanz insolange maßgebend bleibt, als sie nicht in höherer Instanz rechtskräftig abgeändert wird. (3) Der nämliche Grundsatz hat zur Anwendung zu kommen, wenn die Rechtssache von einem Handelsgerichte oder von einem zur Ausübung der Handelsgerichtsbarkeit berufenen Senat als nicht dorthin gehörig an ein Gericht oder einen Senat verwiesen wurde, welche die allgemeine Gerichtsbarkeit auszuüben haben, oder wenn letztere sich mit Rücksicht auf § 51 für unzuständig erklärten. [Abs 3 idF ZVN 1983; sonst Stammfassung] Lit: Simotta, Die Überweisung nach § 230a ZPO, JBl 1988, 259, 423; Ballon, Die Beachtung des rechtlichen Gehörs iSd Art 6 MRK durch die Rechtsmittelgerichte, JBl 1995, 623. Ballon in Fasching I § 46 JN; Ballon Rz 79; Buchegger, PraktZPR I 39; Fasching Rz 236; Holzhammer 66; Rechberger/Simotta Rz 158. Rechtskräftige Entscheidungen über die sachliche Unzuständigkeit (in 1 Beschlussform: s § 45 Rz 2) binden die anderen Gerichte in der Weise, dass sie nicht aussprechen dürfen, dass das ursprünglich angerufene Gericht zuständig gewesen wäre. Dies gilt auch im Konkursverfahren (8 Ob 20/02b = EvBl 2003/39 = ZIK 2003/43, 31). Das zweite Gericht kann seine Unzuständigkeit allerdings mit der Begründung aussprechen, dass ein dritter Gerichtstyp (sachlich) zuständig wäre. Von dieser Bindungswirkung ausgenommen sind jedoch (stRsp seit Jud 61 neu = SZ 27/290 = JBl 1955, 43 = EvBl 1955/10 = Arb 6125; JBl 1955, 368; EvBl 1960/291 = RZ 1960, 181; RZ 1964, 121; OLG Wien WR 967/2003) Unzuständigkeitsentscheidungen in limine litis, weil hier dem Gericht nur ein formelles Prüfungsrecht zukommt (§ 41 Abs 2) und die Entscheidung ohne Beteiligung des Beklagten zustandegekommen ist (ebenso Rechberger/Simotta Rz 158 und im Ergebnis Ballon in Fasching I § 46 Rz 5 ff; aM Fasching Rz 236 und Buchegger, PraktZPR I 39, die a limine Zurückweisungen wegen unprorogabler sachlicher Unzuständigkeit Bindungswirkung zuerkennen). Eine rechtskräftige Überweisung nach § 44 entfaltet hingegen Bindungswirkung (s § 44 Rz 4). Zur Bindungswirkung von Überweisungsbeschlüssen nach § 230a ZPO s dort Rz 4 und Mayr in Fasching/Konecny III § 230a Rz 22 ff, zu jener nach § 261 Abs 6 ZPO s dort Rz 13 und G. Kodek in Fasching/Konecny III § 261 ZPO Rz 175 ff. Nicht bindend ist ein vom zurückweisenden Gericht wegen § 45 zweiter Halbsatz getroffener Ausspruch über das sachlich zuständige Gericht (Fasching Rz 236; aM Ballon in Fasching I § 46 Rz 10). 193

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2 Das (Arbeits- und Sozial-) Gericht, an das eine Arbeits- und Sozialrechtssache gem § 38 Abs 2 ASGG überwiesen worden ist (s § 44 Rz 5), ist an den rechtskräftigen Ausspruch über die sachliche Zuständigkeit (jedenfalls) gebunden (vgl EvBl 1994/19). Hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit ist es daran gebunden, dass das überweisende Gericht jedenfalls unzuständig ist, es kann jedoch zum Ergebnis kommen, dass ein drittes Gericht örtlich zuständig ist (§ 38 Abs 4 ASGG). Bei einer im Vorprüfungsverfahren erfolgten Überweisung muss dem Beklagten zur Wahrung seines rechtlichen Gehörs die Erhebung einer Unzuständigkeitseinrede möglich sein (Ballon, JBl 1995, 629).

3 Aus den ausdrücklichen Bindungsvorschriften ist zu schließen, dass andere Zuständigkeitsentscheidungen grundsätzlich nicht binden, insb nicht Entscheidungen über die örtliche Zuständigkeit (Fucik, RZ 1985, 238; Buchegger, PraktZPR I 41; Ballon Rz 79 und ders in Fasching I § 46 Rz 2 und 10; LGZ Wien EFSlg 101.570; s auch 8 Nd 2/00 = JBl 2001, 254 und zuletzt 8 Nc 35/04w für das Konkursverfahren).

4 Zur Beschleunigung des Verfahrens ermöglichen es die in der Praxis unbedeutenden Regelungen der Abs 2 und 3, dass in bestimmten Fällen schon vor dem Eintritt der Rechtskraft der Unzuständigkeitsentscheidung die Rechtssache bei einem anderen Gericht anhängig gemacht wird, ohne dass dieser Vorgangsweise vorläufig Streitanhängigkeit entgegenstehen würde. Streitigkeiten über die Zuständigkeit zwischen inländischen Gerichten § 47. (1) Streitigkeiten zwischen verschiedenen Gerichten erster Instanz über die Zuständigkeit für eine bestimmte Rechtssache sind von dem diesen Gerichten zunächst übergeordneten gemeinsamen höheren Gerichte zu entscheiden. (2) Die Entscheidung erfolgt auf Antrag einer Partei, auf Anzeige eines der beteiligten Gerichte oder aus Anlaß der Entscheidung über einen Rekurs gegen eine Zuständigkeitsentscheidung mit Beschluss. Die Entscheidung ist ohne vorhergehende mündliche Verhandlung zu erlassen; es kann jedoch das Gericht vor der Entscheidung den Gerichten, welche sich in der Rechtssache für zuständig oder für nicht zuständig erklärten, sowie den Parteien die zur Aufklärung erforderlichen Äußerungen unter Anberaumung einer Frist abfordern. (3) Die Entscheidung, welche durch ein Rechtsmittel nicht angefochten werden kann, ist den Parteien durch das als zuständig bestimmte Gericht mitzuteilen. 194

JN § 47

1.3 Zuständigkeit

(4) Das zur Entscheidung berufene höhere Gericht kann alle Verfügungen treffen, welche sich in der Zwischenzeit zur Wahrung öffentlicher Interessen oder zur Sicherung der Parteien oder des Zweckes des Verfahrens nötig erweisen. [Abs 2 Satz 1 idF ZVN 1983; sonst Stammfassung] Lit: Ballon in Fasching I § 47 JN; Ballon Rz 81; Buchegger, PraktZPR I 41; Fasching Rz 238 ff; Rechberger/Simotta Rz 159. Ein positiver Zuständigkeitskonflikt zwischen Gerichten ist nur dann 1 denkbar, wenn eine Klage gleichzeitig bei verschiedenen Gerichten streitanhängig wird (und sich beide Gerichte für zuständig halten). Andernfalls hat das später angerufene Gericht (abgesehen von den unbedeutenden Ausnahmen gem § 46 Abs 2 und 3) die Klage wegen Streitanhängigkeit (s §§ 232–233 ZPO Rz 7) zurückzuweisen (s auch Mayr in Fasching/Konecny III § 232 ZPO Rz 3). Erklären sich in Sozialrechtssachen mehrere Gerichte für zuständig, so genießt dasjenige den Vorrang, bei dem die Rechtssache als erstem anhängig gemacht worden ist (so § 38 Abs 5 ASGG, dessen Anwendungsbereich jedoch unklar erscheint). Ein negativer Zuständigkeitskonflikt entsteht dann, wenn zwei oder mehrere Gerichte hintereinander ihre (sachliche oder örtliche) Zuständigkeit in der gleichen Rechtssache rechtskräftig (EFSlg 69.726; OLG Wien EFSlg 82.081 = ÖA 1996, 65 ua) in der Art verneinen, dass die Zuständigkeit eines weiteren Gerichtes nicht in Betracht kommt (JUS Z/1089 = NRsp 1992/113; OLG Wien WR 480/1990 und EFSlg 105.480; beachte aber SZ 31/107). Ist noch keine Rechtskraft eingetreten, muss Abhilfe mit einem Rekurs gesucht werden. Ein negativer Kompetenzkonflikt liegt auch vor bei einer Überweisung nach § 230a ZPO und einer Rücküberweisung nach § 261 Abs 6 ZPO (OLG Wien WR 399/1989; 6 Nd 516/00; 5 Nc 13/04p; Mayr in Fasching/Konecny III § 230a ZPO Rz 24). Die Regelung des § 47 ist ferner anwendbar bei der Frage, welches Gericht einen Antrag auf nachträgliche Kostenbestimmung nach § 54 Abs 2 ZPO zu erledigen hat (RdW 1986, 308) und bei Streitigkeiten zwischen ersuchendem und ersuchtem Gericht (s § 37 Rz 4). Voraussetzung für ein Verfahren nach § 47 ist, dass es sich um eine 2 Sache handelt, die vor die inländischen ordentlichen Gerichte gehört (SZ 30/60 = EvBl 1958/82; vgl auch 4 Nc 4/04g). Der Zuständigkeitsstreit zwischen inländischen und ausländischen Gerichten ist ein Problem der internationalen Streitanhängigkeit. Siehe näher §§ 232–233 ZPO Rz 12 ff. 195

§ 47

Mayr

Zu den Kompetenzkonflikten zwischen Gerichten und Verwaltungsbehörden (bzw Sondergerichten) s Vor § 1 Rz 9.

3 Zuständig für die Entscheidung ist der den streitenden Gerichten organisatorisch unmittelbar übergeordnete GH ohne Rücksicht darauf, ob ihm in der Hauptsache selbst eine Entscheidungsbefugnis zukommt oder nicht (EFSlg 63.925, 66.856), also das LG für Streitigkeiten zwischen BG seines Sprengels, das OLG für Streitigkeiten zwischen einem BG und einem GH seines Sprengels sowie zwischen BG verschiedener GH-Sprengel und schließlich der OGH für Streitigkeiten zwischen Gerichten verschiedener OLG-Sprengel sowie zwischen dem OGH selbst und einem anderen Gericht (SZ 55/107 = JBl 1983, 264 = EvBl 1983/20). Der OGH entscheidet mangels einer Ausnahmeregel in einem einfachen Senat.

4 Die Entscheidung erfolgt auf Antrag einer Partei oder Anzeige eines beteiligten Gerichts sowie von Amts wegen nach einer (rechtskräftig gewordenen) Rekursentscheidung in einer Zuständigkeitsfrage ohne mündliche Verhandlung, aber nötigenfalls nach Erhebungen mit unanfechtbarem (ausgenommen die Entscheidung über den Kompetenzkonflikt wird aus formellen Gründen abgelehnt: EvBl 1994/19) und die konkurrierenden Gerichte bindendem Beschluss. In der Folge hat bei einem positiven Kompetenzkonflikt das für unzuständig erklärte Gericht die Klage zurückzuweisen. Im Falle eines negativen Kompetenzkonfliktes bestimmt dieser Beschluss das zuständige Gericht und hebt gleichzeitig den Unzuständigkeitsbeschluss dieses Gerichtes auf (SSVNF 2/64). Der Beschluss ist durch das für zuständig bestimmte Gericht den Parteien zuzustellen (Abs 3). Der Zuständigkeitsstreit könnte auch dahin erledigt werden, dass keines der angerufenen Gerichte zuständig ist (SZ 31/107). Der entscheidende Gerichtshof hat im Verfahren auf öffentliche Interessen und auf jene der Parteien Bedacht zu nehmen und nötigenfalls entsprechende (vorläufige) Schutzmaßnahmen zu treffen (Abs 4; vgl auch § 44 Abs 3).

5 Nach stRsp (EvBl 1980/123; EFSlg 85.158 uva) ist (auch in Sozialrechtssachen: SSV-NF 2/64) bei einer Entscheidung über einen negativen Zuständigkeitskonflikt auf eine allfällige Bindungswirkung des ersten Beschlusses, selbst wenn dieser unrichtig war, Bedacht zu nehmen (ebenso Ballon in Fasching I § 47 Rz 17). Zur Vermeidung von Kompetenzkonflikten nimmt es der Gesetzgeber in Kauf, dass auch an sich unzuständige Gerichte gebunden (und damit zuständig) werden. Die Rsp (NRsp 1988/174; SZ 66/92) wendet diesen Grundsatz – mE zu 196

JN § 47

1.3 Zuständigkeit

Unrecht (s § 31a Rz 2) – auch auf nicht gesetzeskonforme Übertragungsbeschlüsse nach § 31a an, andererseits hat das OLG Wien (WR 480/1990) aber einen (rechtskräftigen) Unzuständigkeitsbeschluss, den ein Rechtspfleger in Überschreitung seiner Entscheidungsbefugnis gefasst hat, von der Bindungswirkung ausgenommen. Eine Bindung besteht gem § 46 Abs 1 jedoch nur an rechtskräftige Entscheidungen über die sachliche Zuständigkeit (s § 46 Rz 3), sodass die neuere Rsp – bisher allerdings nur für das Konkursverfahren – dazu übergegangen ist, im Rahmen der Entscheidung eines negativen Kompetenzkonflikts die (rechtskräftige) Entscheidung über die örtliche Unzuständigkeit des überweisenden Gerichts zu überprüfen (8 Nd 2/00 = JBl 2001, 254; 8 Nc 35/04w; RS0114074). § 48. Samt Überschrift („Streitigkeiten über die Zuständigkeit mit ausländischen Behörden“) aufgehoben durch Art II Z 17 ZVN 1983

197

Zweiter Teil Von der Gerichtsbarkeit in Streitsachen Erster Abschnitt Sachliche Zuständigkeit Vor § 49 Lit: Simotta in Fasching I §§ 49 ff JN; Bajons Rz 47 ff; Ballon Rz 52 ff, 445 f, 451, 458 f, 468 f; Buchegger, PraktZPR I 24; Fasching Rz 242 ff; Holzhammer 42; Rechberger/Simotta Rz 98 ff.

1 Die sachliche Zuständigkeit verteilt die Rechtssachen unter den verschiedenen Gerichtstypen der ersten Instanz bzw zwischen (allgemeinen) Zivilgerichten und Kausalgerichten (s aber § 37 Abs 1 ASGG: § 7 Rz 5) oder (Börsen-)Schiedsgerichten (s § 1 Rz 4 und § 42 Rz 9). Sie richtet sich entweder nach der Beschaffenheit der anhängig gemachten Rechtssache (Eigenzuständigkeit) oder nach ihrem Wert (Wertzuständigkeit). Die Eigenzuständigkeit geht der Wertzuständigkeit vor.

2 Zur Verhandlung und Entscheidung von Arbeits- und Sozialrechtssachen sind die LG bzw – für den Sprengel des LGZ Wien – das ASG Wien zuständig. Arbeitsrechtssachen sind in § 50 ASGG, Sozialrechtssachen in § 65 ASGG aufgezählt. Näheres dazu etwa bei Fasching Rz 2257 ff; Rechberger/Simotta Rz 995 ff oder Kuderna 299 und 426.

3 Die sachliche Zuständigkeit wird (ebenso wie die funktionelle Zuständigkeit) durch das Europäische Zuständigkeitsrecht (dazu Nach § 27a) grundsätzlich nicht geregelt (Ausnahme etwa Art 6 Z 3 EuGVVO/ EuGVÜ/LGVÜ). Es sind also regelmäßig die nationalen Vorschriften anzuwenden. Bezirksgerichte § 49. (1) Vor die Bezirksgerichte gehören Streitigkeiten über vermögensrechtliche Ansprüche einschließlich der zum Mandatsverfahren gehörigen Streitigkeiten, wenn der Streitgegenstand an Geld oder Geldeswert den Betrag von 10 000 Euro nicht übersteigt, und 198

JN § 49

2.1 Sachliche Zuständigkeit

diese Streitigkeiten nicht ihrer Beschaffenheit nach ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes Gerichtshöfen erster Instanz zugewiesen sind. (2) Ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes gehören vor die Bezirksgerichte: 1. Streitigkeiten über die dem Vater eines unehelichen Kindes gegenüber der Mutter des Kindes gesetzlich obliegenden Pflichten; 2. Streitigkeiten über den aus dem Gesetz gebührenden Unterhalt, mit Ausnahme der Angelegenheiten des gesetzlichen Unterhalts zwischen in gerader Linie verwandten Personen; 2a. Streitigkeiten über die Scheidung, die Aufhebung oder die Nichtigerklärung einer Ehe oder über das Bestehen oder Nichtbestehen einer Ehe zwischen den Parteien; 2b. die anderen aus dem gegenseitigen Verhältnis der Ehegatten entspringenden Streitigkeiten; 3. Streitigkeiten über die Bestimmung oder Berichtigung von Grenzen unbeweglicher Güter, sowie Streitigkeiten über die Dienstbarkeit der Wohnung und über Ausgedinge; 4. Streitigkeiten wegen Besitzstörung, wenn das Klagebegehren nur auf den Schutz und die Wiederherstellung des letzten tatsächlichen Besitzstandes gerichtet ist; 5. alle Streitigkeiten aus Bestandverträgen über die im § 560 ZPO bezeichneten Sachen und mit ihnen in Bestand genommene bewegliche Sachen sowie aus genossenschaftlichen Nutzungsverträgen (§ 1 Abs 1 Mietrechtsgesetz) und aus dem im § 1103 ABGB bezeichneten Vertrag über solche Sachen einschließlich der Streitigkeiten über die Eingehung, das Bestehen und die Auflösung solcher Verträge, die Nachwirkungen hieraus und wegen Zurückhaltung der vom Mieter oder Pächter eingebrachten oder der sonstigen dem Verpächter zur Sicherstellung des Pachtzinses haftenden Fahrnisse, schließlich Streitigkeiten zwischen wem immer über verbotene Ablösen (§ 27 Mietrechtsgesetz); 6. aufgehoben durch § 99 Z 2 lit a ASGG 7. Streitigkeiten zwischen Reedern, Schiffern, Flößern, Fuhrleuten oder Wirten und ihren Auftraggebern, Reisenden und Gästen über die aus diesen Verhältnissen entspringenden Verpflichtungen; 8. Streitigkeiten wegen Viehmängel. (3) Die im Abs 2 Z 1 bis 2b begründete Zuständigkeit besteht auch in Fällen, in denen der Rechtsstreit vom Rechtsnachfolger einer Partei oder von einer Person geführt wird, die kraft Gesetzes anstelle der ursprünglichen Person hiezu befugt ist. (4) Zum Wirkungskreise der Bezirksgerichte gehören auch die Verfügungen über gerichtliche Aufkündigungen von Bestandver199

§ 49

Mayr

trägen über die in Z 5 bezeichneten Gegenstände, die Erlassung von Aufträgen zur Übergabe oder Übernahme solcher Bestandgegenstände und die Aufnahme der Seeverklarung. [Abs 1 idF BGBl 1985/70 sowie WGN 1997 und 2.Euro-JuBeG; Abs 2 Z 1 bis 2b idF Art III Z 1 AußStr-BegleitG BGBl I 2003/112; Abs 2 Z 5 idF ZVN 1983, letzter Halbsatz angefügt durch WGN 1989; Abs 3 eingefügt durch BGBl 1985/70 und Zitat geändert durch ZVN 2004; sonst Stammfassung] Lit wie Vor § 49 und Simotta, Die sachliche Zuständigkeit in Ehe- und Familiensachen, JBl 1980, 348; dies, Die Änderungen der Zuständigkeit in Ehe- und Familiensachen in der geplanten „ZivilverfahrensNovelle“, ÖJZ 1982, 29, 66; P. Bydlinski, Grundfragen der Gewährleistung für Viehmängel, JBl 1982, 225; Maurer, Was sind familienrechtliche Streitigkeiten gemäß § 49a JN? RZ 1983, 116; Matscher, Zur Zuständigkeit der österreichischen Gerichte für Rechtsstreitigkeiten aus Gastaufnahme- und Beherbergungsverträgen mit ausländischen Gästen, IPRax 1984, 223; Fucik, Die Zuständigkeit nach der Zivilverfahrens-Novelle 1983, RZ 1985, 206, 234, 258; Sprung/König, Rechtsnatur des Garagen-Kurzparkvertrags, RdW 1985, 235; dies, Bestimmbarkeit der Bestandsache und Garagen-Kurzparkvertrag, RdW 1986, 200; Simotta, Wann treten in Ehe- und Familiensachen die neuen Zuständigkeitsbestimmungen in und die alten außer Kraft, ÖJZ 1986, 705; Schalich, Führt eine Kompetenzerweiterung der Bezirksgerichte in allgemeinen Zivilsachen bis zu einem Streitwert von S 100.000,– tatsächlich zu einer Verbesserung der Zivilgerichtsbarkeit? RZ 1988, 245; Rueprecht, Die Rückforderung verbotener Ablösezahlungen, ÖJZ 1989, 555; Simotta, Die sachliche Zuständigkeit für Klagen gegen den gesetzlichen Bürgen nach § 1 USchG 1985, ÖA 1990, 8; dies, Was sind Streitigkeiten aus dem Eheverhältnis? – Eine Judikaturanalyse, BeitrZPR IV 191; Palten, Bestandverfahren (1991) Rz 5 ff; Gaeta, Gerichtliche Zuständigkeiten in streitigen Seeschiffahrtssachen, ZVR 1992, 356; Ostermayer, Verbotene Ablösen im Mietrecht (1996) Rz 243 ff; Simotta, Die Entwicklung der Gerichtsbarkeit in Familiensachen in Österreich, in FS Nakamura (1996) 539 ff. Inhaltsübersicht Allgemeines 1 Ehe- und familienrechtliche Streitigkeiten (Abs 2 Z 1 bis 2b und Abs 3) 2–8 200

Grenzstreitigkeiten (Abs 2 Z 3) 9 Besitzstörungsstreitigkeiten (Abs 2 Z 4) 10

JN § 49

2.1 Sachliche Zuständigkeit Bestandstreitigkeiten (Abs 2 Z 5 und Abs 4) Streitigkeiten mit Wirten etc (Abs 2 Z 7)

11 12

Viehmängelstreitigkeiten (Abs 2 Z 8) Weitere Eigenzuständigkeiten

13 14

Vor die BG gehören kraft Wertzuständigkeit alle vermögensrecht- 1 lichen Streitigkeiten bis zu einem Streitwert von (einschließlich) 10.000 Euro, soweit nicht eine Eigenzuständigkeit des GH (LG, HG, ASG) besteht (s dazu § 50 Rz 1 und 2 sowie § 51 Rz 2). Die BG haben daher heute – entgegen der ursprünglichen Konzeption von JN und ZPO – einen Großteil der Zivilsachen zu erledigen. Zur Berechnung des Werts des Streitgegenstandes s §§ 54 ff. Für die Auslegung der Z 1 bis 2b des Abs 2 ist vorauszuschicken, dass 2 der Gesetzgeber bei der (ursprünglichen) Neuregelung dieser Bestimmungen durch das sog FamiliengerichtsG (BGBl 1985/70) bestrebt war, die (bisherige) Kompetenzzersplitterung für Verfahren mit familienrechtlichem Bezug zu beseitigen (528 BlgNR 16. GP 2). Diese Regelungen wurden im Zuge der Außerstreitreform durch das AußerstreitBegleitgesetz neuerlich abgeändert (und neu durchnummeriert), weil nunmehr (seit dem 1.1.2005) alle Abstammungsangelegenheiten und sämtliche Unterhaltsansprüche zwischen Eltern und Kindern nicht mehr im streitigen sondern im außerstreitigen Verfahren zu erledigen sind (s Art I EGZPO Rz 7 f und §§ 108, 114). Die erwähnten Zuständigkeitsbestimmungen sind auch für die Rechtsmittelzulässigkeit von großer Bedeutung (s insb § 502 Abs 4 und 5 ZPO). Eigene „familienrechtliche Abteilungen“ bei gewissen Schwerpunktbezirksgerichten (§ 49a und § 104b JN aF) bestehen zwar seit 1.1.1987 nicht mehr, jedoch sind die Rechtssachen nach § 49 Abs 2 Z 1 bis 2b und Abs 3 sowie nach §§ 109 bis 114a bei den BG eigenen Abteilungen und beim GH demselben Rechtsmittelsenat zuzuweisen (§§ 26 Abs 3 und 32 Abs 4 GOG). Zur Entwicklung s näher Simotta, FS Nakamura 539 ff. Die frühere Z 1 des Abs 2 („Streitigkeiten über die Vaterschaft zu einem 3 unehelichen Kind“) wurde durch das AußStr-BegleitG aufgehoben, weil Abstammungsstreitigkeiten (bzw -angelegenheiten) jetzt im Außerstreitverfahren zu erledigen sind (s § 108). Die nunmehrige Z 1 übernimmt aus der früheren Z 1a (nur) die Streitigkeiten über die dem Vater eines unehelichen Kindes gegenüber der Mutter des Kindes gesetzlich obliegenden Pflichten (und nennt somit solche Streitigkeiten zwischen Vater und unehelichem Kind nicht mehr). Darunter fallen 201

§ 49

Mayr

insb (s Simotta in Fasching I § 49 Rz 13 f) Klagen auf Ersatz der Entbindungskosten (§ 168 ABGB; LGZ Wien EFSlg 43.955), Klagen der unehelichen Mutter gem § 1042 ABGB auf Ersatz des von ihr getragenen Aufwandes und Ersatzansprüche wegen Schwängerung oder sexuellen Missbrauchs nach § 1328 ABGB (Fasching Rz 242; OLG Wien EFSlg 79.081; aM noch OLG Wien EFSlg 7185/18). Streitigkeiten nach Abs 2 Z 1 sind Ferialsachen (§ 224 Abs 1 Z 4 ZPO).

4 Die bisherige Z 2 des Abs 2 musste neu gefasst werden, weil Angelegenheiten des gesetzlichen Unterhalts zwischen in gerader Linie verwandten Personen nicht mehr in das streitige Verfahren gehören (s Art I EGZPO Rz 7 ff). Diese Vorschrift gilt somit (nur noch) für alle anderen Streitigkeiten über den aus dem Gesetz gebührenden Unterhalt, insb also für Unterhaltsstreitigkeiten zwischen Ehegatten bei aufrechter oder nach aufgelöster Ehe. Erfasst sind nicht nur Klagen auf Leistung, sondern etwa auch auf Erhöhung, Herabsetzung oder Erlöschen des Unterhalts (vgl EFSlg 23.055; 2 Ob 155/00h = EFSlg 94.351; LGZ Wien EFSlg 75.949). Die Bestimmung wurde (schon bisher) von der Rsp weit ausgelegt (vgl 2 Ob 80/98y = EFSlg 87.978 und 87.980; 1 Ob 1/98y = EFSlg 87.979; 6 Ob 279/99v = EFSlg 90.726). So ist das BG nach hRsp auch eigenzuständig für Klagen über den Bestand eines Unterhaltsvergleichs (7 Ob 257/97p = EFSlg 85.162; 6 Ob 279/99v = EFSlg 90.727; 4 Ob 210/ 01p = EFSlg 97.897; 6 Ob 115/04m = JBl 2005, 390 = EFSlg 108.719; aM Simotta in Fasching I § 49 Rz 25) und für die auf § 1042 ABGB gestützten Klagen eines Dritten auf Ersatz der anstelle des Unterhaltspflichtigen getätigten Aufwendungen (SZ 64/168 = EvBl 1992/38 = EFSlg 66.859 = ÖA 1992, 25 = RZ 1993/50, 149; OLG Wien EFSlg 46.610; OLG Innsbruck AnwBl 1987, 612 [abl Grill] = EFSlg 54.935; Simotta in Fasching I § 49 Rz 19) und für Klagen auf Rückzahlung irrtümlich in Erfüllung einer vermeintlichen Unterhaltspflicht gezahlter Beträge (2 Ob 81/98w = EvBl 1998/148 = EFSlg 87.982; 2 Ob 155/00h = EFSlg 94.352; aM Simotta in Fasching I § 49 Rz 27) sowie für Klagen nach § 1 USchG 1985 (Simotta, ÖA 1990, 8 und dies in Fasching I § 49 Rz 20; LGZ Wien EFSlg 82.082). Oppositionsklagen fallen unter die Zuständigkeitsnorm, wenn der Unterhaltsanspruch der Beklagten strittig ist, nicht jedoch, wenn nur zu prüfen ist, ob der Unterhaltsanspruch infolge Aufrechnung oder durch Zahlung erloschen ist (3 Ob 34/93 = EvBl 1993/147; 3 Ob 68/93 = ÖA 1994, 33 = EFSlg 73.023; 3 Ob 216/00m = EFSlg 97.896). Unter § 49 Abs 2 Z 2 und Abs 3 fallen auch auf der Unterhaltspflicht des Drittschuldners beruhende Klagen (LGZ Wien EFSlg 97.906). 202

JN § 49

2.1 Sachliche Zuständigkeit

Streitigkeiten über den aus dem Gesetz gebührenden Unterhalt sind Ferialsachen (§ 224 Abs 1 Z 4 ZPO; dazu etwa 4 Ob 210/01p = EFSlg 98.213). Die frühere Z 2a des Abs 2 („Streitigkeiten über die eheliche Abstam- 5 mung“) wurde im Zuge der Außerstreitreform beseitigt, weil Abstammungsstreitigkeiten nunmehr in das Außerstreitverfahren gehören. Zur Zuständigkeit s § 108. Die (jetzige) Z 2a entspricht wörtlich der früheren Z 2b und umfasst alle 6 streitigen Ehesachen (s §§ 20 ff EheG). Eine Wiederaufnahmeklage kann allerdings nicht als Klage „über die Scheidung“ qualifiziert werden (6 Ob 115/04m = JBl 2005, 390). Für die außerstreitigen Eheangelegenheiten gilt § 114a. Die frühere Z 2c wurde mit dem AußStr-BegleitG zur Z 2b, wobei „die 7 anderen aus dem Verhältnis zwischen Eltern und Kindern entspringenden Streitigkeiten“ ausgeklammert wurden, weil diese Angelegenheiten nunmehr in das Außerstreitverfahren fallen (s Art I EGZPO Rz 6 ff). Voraussetzung für diese Zuständigkeit ist, dass die Streitigkeit im Familienrecht wurzelt und familienrechtlichen Charakter hat. Dies ist nur dann der Fall, wenn die Streitigkeit ohne das Eheverhältnis gar nicht denkbar wäre (etwa 2 Ob 81/98w = EvBl 1998/148 = EFSlg 87.972; 1 Ob 205/01f = EFSlg 97.900; OLG Wien EFSlg 94.346, 101.581 uva; RS0044093; Simotta in Fasching I § 49 Rz 38). Ist für den geltend gemachten Rechtsgrund das ehe- (bzw [früher] familien-)rechtliche Verhältnis zwischen den Streitteilen hingegen irrelevant, so wird diese Zuständigkeitsnorm nicht verwirklicht (etwa LGZ Wien EFSlg 87.973 uva) und es gilt Wertzuständigkeit. Dabei kommt es nicht auf die individuelle tatsächliche Ausgestaltung der Beziehungen unter den konkreten Streitteilen an, sondern auf die abstrakte normative Regelung der Rechtsbeziehungen von Ehegatten (6 Ob 620/90 = EFSlg 66.861; 5 Ob 1540/93 = EFSlg 72.800; OLG Wien 82.083 oder 87.974; anders offenbar LGZ Wien EFSlg 87.975 und 87.983). Ob die Ehe noch aufrecht oder bereits geschieden ist, spielt für die Beurteilung des familienrechtlichen Charakters keine Rolle (OLG Wien EFSlg 57.678; LGZ Wien EFSlg 85.160, 105.483; Simotta in Fasching I § 49 Rz 39). Unter die genannte Eigenzuständigkeit fallen etwa (s näher Simotta, BeitrZPR IV 193 ff und dies in Fasching I § 49 Rz 41 f): – Streitigkeiten, die sich aus der Schlüsselgewalt (§ 96 ABGB) ergeben. – Klagen, welche die nach § 97 ABGB besonders geschützte Ehewohnung betreffen (JBl 1992, 704 = EFSlg 69.730 = wobl 1993/19; OLG Wien EFSlg 39.082, 94.349). 203

§ 49 – –



Mayr

Klage des ausgesperrten Ehegatten auf Zutritt zur Ehewohnung und auf Ersatz des erlittenen Schadens (OLG Wien EvBl 1985/16 = WR 110/1984 = EFSlg 46.601; EFSlg 72.801). Streitigkeiten aus einer Vereinbarung, die aus Anlass einer (streitigen oder einvernehmlichen) Scheidung geschlossen worden sind und der vermögensrechtlichen Auseinandersetzung im Rahmen der Auflösung der ehelichen Gemeinschaft dienen. Diese Ansicht wird von der hRsp vertreten (etwa RZ 1983/35, 149 = EFSlg 39.084; 1 Ob 160/01p = EFSlg 97.902 und 97.903; 2 Ob 227/03a = EFSlg 105.481 und 105.482; OLG Wien EFSlg 57.678, 60.702, 75.952; s auch schon oben Rz 4), während Simotta in Fasching I § 49 Rz 40 (und dies, BeitrZPR IV 218 ff, 251; ebenso OLG Wien EFSlg 72.802) mit guten Gründen für Wertzuständigkeit eintritt. die Ergänzungsklage zur Geltendmachung weiterer Verschuldensgründe nach bereits erfolgter Scheidung.

Hingegen fallen nicht in die Eigenzuständigkeit des BG, weil für den geltend gemachten Rechtsgrund das familienrechtliche Verhältnis zwischen den Streitteilen irrelevant ist (etwa 1 Ob 287/99h = EFSlg 90.733, 90.734 und 90.735 uva; Einzelheiten bei Simotta in Fasching I § 49 Rz 43 ff): – –

– – –





Herausgabeklagen, die auf das (Allein-)Eigentum gestützt werden (stRsp, etwa OLG Wien EFSlg 60.703; vgl auch EFSlg 79.084). Klagen aus dem Miteigentum (EvBl 1994/36 = ÖA 1994, 74; wobl 1996/61; OLG Wien EFSlg 49.251, 57.681; LG St. Pölten EFSlg 82.088), soweit das Begehren nicht auf einem infolge Scheidung aufgelösten Ehepakt beruht (1 Ob 205/01f = EFSlg 97.900). Klagen auf Schadenersatz bzw Feststellung der Haftung für zukünftige Schäden (OLG Wien EFSlg 52.078, 57.680; LGZ Wien EFSlg 57.682). Regressklagen wegen der Inanspruchnahme als Bürge (OLG Wien EFSlg 49.252) oder als Mitschuldner (OLG Wien EvBl 1989/133). Klagen aus Verträgen, die während aufrechter Ehe geschlossen worden sind, etwa die Klage auf Rückzahlung eines von der Ehefrau dem Ehegatten gewährten Darlehens (EFSlg 66.861; LGZ Wien EFSlg 94.348). Klagen eines Ehegatten gegen den anderen aus einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (OLG Wien WR 743/1996) oder auf Feststellung, dass zwischen den Ehegatten eine Erwerbsgesellschaft bürgerlichen Rechts besteht (OLG Wien EFSlg 41.600). Klagen, die auf ungerechtfertigte Bereicherung gestützt sind (OLG Wien EFSlg 46.605; 5 Ob 545/94 = JUS Z/1676). 204

JN § 49

2.1 Sachliche Zuständigkeit –

– –

Klagen gegen den präsumtiven Ehestörer auf Ersatz von Detektivkosten, weil diese Streitigkeit nicht aus dem gegenseitigen Verhältnis der Eheleute entspringt (so zutreffend 5 Ob 45/01f = RZ 2001, 126 und 2 Ob 102/03v = EFSlg 105.484 gegen LGZ Wien 69.729 und 101.582 sowie Simotta in Fasching I § 49 Rz 41). Klagen auf Schmerzengeld auf Grund einer Körperverletzung, die bei einer Auseinandersetzung zwischen Ehegatten entstanden ist (LGZ Wien EFSlg 101.583). Rückforderungsansprüche nach der Auflösung einer Lebensgemeinschaft (OLG Wien EFSlg 94.350).

Die erwähnte Eigenzuständigkeit besteht nach Abs 3 auch weiter, 8 wenn der Rechtsstreit von einem oder gegen einen Rechtsnachfolger einer Partei oder von einer Person geführt wird, die kraft Gesetzes anstelle der ursprünglichen Person hiezu befugt ist, also etwa (s näher Simotta in Fasching I § 49 Rz 115 ff) bei Klagen von und gegen Singular- oder Universalsukzessoren, bei Drittschuldnerklagen oder wenn der Sozialhilfeträger auf ihn übergegangene Unterhaltsansprüche geltend macht (RZ 1995/77, 254 = EFSlg 79.083; EFSlg 87.981; 6 Ob 232/ 98f = EFSlg 90.730). Durch diese Norm soll gewährleistet werden, dass über die angeführten familienrechtlichen Ansprüche – ohne Unterschied, wer als Kläger oder Beklagter auftritt – immer nur das BG entscheidet. Die in Abs 2 Z 3 erwähnten Grenzstreitigkeiten (§§ 850 ff ABGB) ge- 9 hören großteils in das außerstreitige Verfahren (zur Abgrenzung s SZ 54/144 = RZ 1982/18, 58 = MietSlg 33.092/20 und Art I EGZPO Rz 17). Wird eine Klage auf Feststellung einer behaupteten Grenze auf das Eigentumsrecht oder auf Zuhaltung eines Vertrages gestützt, gilt Wertzuständigkeit. Zu den Streitigkeiten über die Dienstbarkeit der Wohnung (§ 521 ABGB) gehören auch Schadenersatzansprüche wegen Verhinderung der Ausübung dieser Dienstbarkeit (SZ 46/90 = MietSlg 25.504) und Streitigkeiten über den Aufenthalt im Hausgarten und die Mitbenützung eines Badestegs als Teil eines Wohnungsrechts (RZ 1977/111, 216). Ein Streit um ein Ausgedinge (vgl § 530 ABGB) liegt nur vor, wenn es sich um eine auf einem Bauerngut ruhende dingliche Verpflichtung zu Natural-, Geld- und Arbeitsleistungen zum Zweck des Unterhalts des früheren Eigentümers handelt (EvBl 1965/214; vgl auch EvBl 1971/ 94). Zur Eigenzuständigkeit gehören auch Streitigkeiten über die Feststellung und Verbücherung des Ausgedinges (SZ 12/246 und Novak zu JBl 1960, 564), nicht aber eine Klage auf Rückübertragung einer seinerzeit mit Übertragsvertrag gegen Ausgedingeleistungen übertragenen 205

§ 49

Mayr

Liegenschaft wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage (OLG Wien EFSlg 66.862). Ebensowenig begründet die Anfechtung eines Schenkungsvertrages, weil dieser die vereinbarten Ausgedingeleistungen nicht enthalte, diese Eigenzuständigkeit (OLG Wien EFSlg 66.863). Für Rechtsstreitigkeiten über andere Dienstbarkeiten und Reallasten gilt Wertzuständigkeit.

10 Die Streitigkeiten wegen Besitzstörung (Z 4) fallen nur dann in die Eigenzuständigkeit der BG, wenn es sich um ein Besitzstörungsverfahren nach den §§ 454 bis 460 ZPO handelt (s Kodek, Besitzstörung 726). Zur örtlichen Zuständigkeit s §§ 81, 82 und 92. Diese Streitigkeiten sind Ferialsachen (§ 224 Abs 1 Z 3 ZPO).

11 Seit der ZVN 1983 ist die örtliche (§ 83) und die sachliche Zuständigkeit für Streitigkeiten aus Bestandverträgen, genossenschaftlichen Nutzungsverträgen nach § 1 Abs 1 MRG (vgl LG Linz MietSlg 36.730) und Teilpachtverträgen gem § 1103 ABGB sowie für die in Abs 4 angeführten Verfügungen und Aufträge völlig gleich geregelt. Diese Zuständigkeitsbestimmung darf nach der Rsp (MietSlg 2688; 7 Ob 152/99z = MietSlg 51.621; LGZ Wien MietSlg 29.589 ua) nicht ausdehnend ausgelegt werden. Sie ist daher nur auf reine Bestandverträge (Nutzungsverträge, Teilpachtverträge), nicht auf gemischte Verträge oder mietähnliche Verhältnisse anzuwenden (2 Ob 233/99z = MietSlg 51.622; LGZ Wien MietSlg 31.634, 33.591, 34.680, 35.732; OLG Wien WR 720/1995 [Kooperationsvereinbarung mit bestandrechtlichen Elementen] uva; vgl aber LGZ Wien MietSlg 41.531 und 55.605 [Messeteilnahmevertrag]; LG Linz MietSlg 36.735 und LGZ Wien MietSlg 53.638 [Campingvertrag] oder LGZ Wien 45.608 [Tonstudio]). So gilt die Zuständigkeitsregelung nach stRsp nicht für (die üblichen) Garagierungsverträge (HG Wien WR 138/1985; LGZ Wien MietSlg 33.597 = HS 13.374; LGZ Wien MietSlg 39.724, 41.532; OLG Wien WR 510/ 1991; aM Sprung/König, RdW 1985, 235 und RdW 1986, 200, die die heutigen Kurzparkverträge zutreffend als „lupenreine Mietverträge“ qualifizieren) oder für den Gastaufnahmevertrag (Pensionsvertrag; SZ 50/74 = MietSlg 29.588 = RZ 1977/135, 262; IPRax 1984, 215; EvBl 1992/8 = JBl 1992, 331; LGZ Wien MietSlg 48.567). Ferner ist die Z 5 nicht anwendbar auf das Verhältnis zwischen Wohnungseigentumsorganisator und Wohnungseigentumsbewerber (LGZ Graz MietSlg 35.731; OLG Graz EvBl 1986/103); ebensowenig auf Streitigkeiten aus einem Vertrag mit einem Reiseveranstalter über eine Ferienwohnung (HG Wien WR 201/1985), aus der Überlassung einer Dienst- oder Naturalwohnung an einen Beamten (LGZ Wien MietSlg 33.591 und 37.722), zwischen Wohnungseigentümern wegen 206

JN § 49

2.1 Sachliche Zuständigkeit

Darlehens- und Heizkostenrückständen (LGZ Wien MietSlg 36.734) oder aus einer jederzeit widerruflichen Benützungsvereinbarung (5 Ob 1110/92 = MietSlg 45.715 = wobl 1993/108; 2 Ob 244/00x = MietSlg 52.682). Eine Bestandstreitigkeit liegt ferner nicht vor, wenn die im Zuge eines Scheidungsverfahrens übernommene Verpflichtung zur Zahlung der halben Wohnungskosten, Betriebskosten und Garagenkosten für einen bestimmten Zeitraum geltend gemacht wird (LGZ Wien EFSlg 66.870). Die Eigenzuständigkeit der Z 5 gilt nur (noch) für unbewegliche und diesen gleichzuhaltenden Sachen (OLG Wien MietSlg 35.730). Bewegliche Sachen werden nur erfasst, wenn sie mit unbeweglichem Gut mitvermietet worden sind (LGZ Wien MietSlg 36.729; vgl auch 4 Ob 138/04d = MietSlg 56.617). Der Streit muss sich aber nicht auf den gesamten „Bestandgegenstand“ beziehen, es genügt, wenn er sich auf einzelne Teile (einzelne Räumlichkeiten, Teilflächen einer Wohnung oder eines Hauses) bezieht (MietSlg 45.604). Die Zuständigkeitsbestimmung gilt ausdrücklich auch für Streitigkeiten über das Eingehen, das Bestehen und die Aufhebung solcher Verträge und die Nachwirkungen hieraus (RZ 1992/94, 289 = ZfRV 1992, 136 [krit Hoyer]). Dazu gehören auch Streitigkeiten über Aufwand- oder Schadenersatzansprüche aus einem Bestandvertrag (etwa 2 Ob 5/01a = immolex 2001/132, 233 = wobl 2001/192, 299 = MietSlg 53.637) und alle anderen aus dem Gesetz abgeleiteten Ersatzansprüche (etwa nach §§ 1041, 1042, 1111, 1120, 1431 f ABGB), sofern sie mit dem Bestandvertrag verknüpft sind (OLG Wien MietSlg 34.662 und WR 399/1989 oder LGZ Wien MietSlg 44.720 uva), und zwar auch dann, wenn die Klage erst nach Beendigung des Bestandverhältnisses erhoben wird (LGZ Wien MietSlg 38.739 uva). An der Zuständigkeit ändert sich auch nichts, wenn die Partner des Bestandvertrages über die Art und Höhe der Schadenersatzleistungen einen Vergleich geschlossen haben (OLG Wien MietSlg 27.612; LGZ Graz MietSlg 40.735). Es reicht aber nicht aus, wenn die Streitigkeit nur in irgendeinem Bezug zu einem Bestandvertrag steht. Zumindest dann, wenn die Vereinbarung nicht nur einen Gelegenheits- oder Anlassbezug zum Mietverhältnis aufweist, sondern sich als Ausführung jener Verpflichtungen darstellt, die bereits aus einem Mietverhältnis entstehen und insoweit nur konkretisiert werden sollen, ist eine Bestandstreitigkeit aber bereits zu bejahen (so jüngst OLG Wien MietSlg 55.604 mit Anführung von zahlreichen Beispielsfällen). Auch für eine Klage, mit der die Gültigkeit eines Vergleichs über Ansprüche aus der Beendigung eines Bestandverhältnisses bekämpft wird, hat der OGH die Eigenzuständigkeit des BG jedenfalls dann bejaht, wenn die Unwirksamkeit des Vergleichs (auch) aus materiellrechtlichen, die Beurteilung der wechselseitigen Verpflich207

§ 49

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tungen aus dem Bestandvertrag erfordernden Gründen geltend gemacht wird (5 Ob 35/05s = EFSlg 111.772). Ob eine Bestandstreitigkeit vorliegt ist – wie sonst auch (s §41 Rz 3 f) – nach den Klagebehauptungen zu beurteilen (etwa 1 Ob 115/01w = MietSlg 53.752; 10 Ob 2/03x = MietSlg 55.601 uva). So sind Räumungsklagen nur dann als Bestandstreitigkeiten iSd § 49 Abs 2 Z 5 anzusehen, wenn sie aus der Beendigung eines Bestandverhältnisses resultieren (7 Ob 152/99z = MietSlg 51.621; 2 Ob 234/00a = MietSlg 52.681). Wurde das Räumungsbegehren hingegen auf eine von Anfang an titellose Benützung gestützt, weil mit dem Beklagten niemals ein Mietvertrag geschlossen worden sei, so handelt es sich dabei nach stRsp nicht um eine unter § 49 Abs 2 Z 5 fallende Streitigkeit über eine Kündigung, über eine Räumung oder über das Bestehen oder Nichtbestehen des Vertrags iSd § 502 Abs 5 Z 2 ZPO (zuletzt etwa 10 Ob 2/03x = MietSlg 55.601; 6 Ob 186/04b = MietSlg 56.739; RS0046865). Ist lediglich die Anwendbarkeit des MRG strittig, liegt kein Streit über den Bestand des Mietvertrages vor (3 Ob 95/98m = immolex 1998/ 171). Voraussetzung ist grundsätzlich, dass es sich um einen Streit unmittelbar zwischen den Parteien des Bestandverhältnisses oder Nutzungsvertrages (MietSlg 36.728 = RZ 1985/51, 136; LGZ Wien MietSlg 39.721) bzw den seinerzeitigen Vertragspartnern des Bestandvertrages (LGZ Wien MietSlg 40.734) oder deren Einzel- oder Gesamtrechtsnachfolger (etwa LGZ Wien MietSlg 35.736, 38.739 f und 49.592; EvBl 1994/74; 1 Ob 328/99p = EvBl 2000/125 = MietSlg 52.680) handelt. Ein Rechtsstreit zwischen dem Mietrechtszedenten und -zessionar (wobl 1994/31 = MietSlg 45.605) oder dem gegenwärtigen und dem künftigen Mieter fällt daher nicht unter den Zuständigkeitstatbestand (LGZ Wien MietSlg 37.717); ebensowenig Streitigkeiten aus einem Vertrag zwischen Vor- und Nachmieter (LGZ Wien MietSlg 45.606), zwischen dem Hausverwalter und den Miteigentümern des Hauses (2 Nc 16/03f = MietSlg 55.603) oder Klagen gegen den Bürgen und Zahler (OLG Wien MietSlg 48.566; LGZ Wien MietSlg 54.580). Bestandstreitigkeiten iSd § 49 Abs 2 Z 5 sind auch solche iSd § 10 Z 2 lit a RATG und § 16 Abs 1 Z 1 lit c GGG (5 Ob 99/02y). Seit der WGN 1989 fallen allerdings Streitigkeiten über verbotene Ablösen unabhängig von den beteiligten Personen unter die Eigenzuständigkeit. Diese Neuerung lässt jedoch nicht den Schluss zu, der Gesetzgeber habe den Grundsatz, dass die Eigenzuständigkeit nur gegeben ist, wenn der Rechtsstreit zwischen den Parteien des Bestandverhältnisses geführt wird, durchbrechen und eine Eigenzuständigkeit ganz allgemein für alle Streitigkeiten aus Bestandverträgen schaffen wollen (RdW 1993, 367). Zu beachten ist freilich, dass mit dem 2. WÄG 208

JN § 49

2.1 Sachliche Zuständigkeit

(seit dem 1.3.1991) die Erledigung von Streitigkeiten über „Rückzahlungen von verbotenen Leistungen und Entgelten“ (unverständlicherweise) in das Außerstreitverfahren verwiesen worden ist (§ 37 Abs 1 Z 14 und Abs 3 MRG). Erfasst sind diese allerdings nur, sofern sie in § 27 MRG genannt sind; andere Rückforderungsansprüche sind weiterhin im streitigen Verfahren geltend zu machen (Ostermayer Rz 246 ff; ImmZ 1995, 455; immolex 1997/155 = MietSlg 49.417 uva). Die Eigenzuständigkeit des (allgemeinen) BG besteht auch dann, wenn der Beklagte ein Kaufmann und der Bestandvertrag auf dessen Seite ein Handelsgeschäft ist (LGZ Wien MietSlg 35.733, 46.591, 46.593, 52.683 ua). Für eine Mietzinsklage gegen einen Kaufmann aus einem Leasingvertrag über eine bewegliche Sache gilt hingegen wertabhängige Kausalzuständigkeit (OLG Wien WR 166/1985). Zu den in Z 7 angeführten Streitigkeiten zählen nicht nur jene mit 12 Boots- und Fährleuten, sondern auch die (schwierigen) Streitigkeiten aus und im Zusammenhang mit Seefrachtgeschäften und See-Personenbeförderungsverträgen, was de lege ferenda zu ändern wäre (Gaeta, ZVR 1992, 357). Die in Abs 4 erwähnte (in das Außerstreitverfahren gehörende) Seeverklarung ist in einem küstenlosen Staat ohne Bedeutung (Gaeta, ZVR 1992, 359). Die Eigenzuständigkeit der BG ist auf Streitigkeiten mit Fuhrleuten eingeschränkt, Ansprüche aus Frachtverträgen mit Frachtführern gehören nicht dazu (EvBl 1948/703). Der Begriff „Wirt“ ist weit auszulegen und umfasst außer den Gastwirten ieS auch Inhaber anderer Betriebe, bei denen eine Gastaufnahme erfolgt, wie Hotels, Pensionen, Herbergen, Kaffeehäuser, Bars und Heurigenlokale (SZ 44/156; HG Wien WR 511/1991), aber auch Schwimmbäder, Saunas oder Kuranstalten (vgl AmtlSlgNF 1318; JBl 1912, 395 und 540). Die Zuständigkeit des (allgemeinen) Bezirksgerichtes (keine Handelsgerichtsbarkeit!) erfasst – ohne Rücksicht auf die Verteilung der Parteirollen – alle Streitigkeiten zwischen Gästen oder Auftraggebern (1 Ob 198/01a = EvBl 2002/26) und Wirten, gleichgültig, ob es sich um Klagen aus dem Gastaufnahmevertrag (und die Gastwirtehaftung nach §§ 970 ff ABGB) oder um Deliktsklagen (Haftung nach § 1316 ABGB) handelt (EvBl 1957/45 = JBl 1957, 189; SZ 44/156; HG Wien WR 511/1991). Streitigkeiten wegen Viehmängel iSd Z 8 (s auch §§ 925 ff, 932a, 933 13 ABGB) gehören in keinem Fall zur Handelsgerichtsbarkeit (HG Wien RZ 1957, 59). Sie umfassen Gewährleistungs- oder Schadenersatzansprüche (nur) zwischen den Vertragspartnern (SZ 26/122). Unter den Begriff „Mängel“ fallen nicht nur die Krankheiten und Mängel iSd § 925 209

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ABGB, sondern auch das Fehlen von bedungenen Eigenschaften iSd § 922 ABGB (SZ 26/128 = JBl 1954, 20; LGZ Wien JBl 1955, 253 [Trächtigkeit]). Die Mängel müssen jedoch nach stRsp Tiere betreffen, die üblicherweise als Zubehör zu einer Landwirtschaft betrachtet werden (SZ 9/291, SZ 26/128 = JBl 1954, 20), also nicht etwa Chinchillas (EvBl 1962/284) oder Reit- und Springpferde (EvBl 1979/113; aM [alle Tiere] zu Recht P. Bydlinski, JBl 1982, 225 mwN und Simotta in Fasching I § 49 Rz 113).

14 Weitere Eigenzuständigkeiten des BG bestehen insb nach § 37 Abs 2 (Rechtshilfe), nach § 64 Abs 1 Z 4 und § 65 Abs 1 ZPO (Verfahrenshilfe) sowie nach § 384 Abs 3 ZPO (Beweissicherung). § 49a. Aufgehoben durch Art I Z 2 BGBl 1985/70 Gerichtshöfe erster Instanz § 50. Vor die Gerichtshöfe erster Instanz gehören alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, welche nicht den Bezirksgerichten zugewiesen sind. [Abs 2 aufgehoben durch ZVN 1983] Lit wie Vor § 49 und Ballon, Die Gerichtsorganisation der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit, JBl 1987, 349.

1 Seit dem 1.1.1987 besteht für die GH I. Instanz in Ausübung der allgemeinen Gerichtsbarkeit (Landesgerichte) – abgesehen von § 79 – keine in der JN selbst geregelte Eigenzuständigkeit mehr. Eine sondergesetzliche Eigenzuständigkeit der LG besteht nach § 615 Abs 1 ZPO sowie für Amtshaftungsklagen gegen den Rechtsträger (§ 9 Abs 1 AHG); für Ersatzansprüche nach dem Polizeibefugnis-EntschädigungsG (§ 9 Abs 3) und dem Strafrechtlichen EntschädigungsG 2005 (§ 12 Abs 1 StEG 2005; beide Rechtsquellen verweisen auf § 9 AHG) sowie nach dem Finanzstrafgesetz (§ 192 Abs 1 FinStrG); für Klagen nach dem DatenschutzG (§ 32 Abs 4 DSG 2000); für Klagen wegen Schäden durch ionisierende Strahlung und auf Ersatz der Kosten für Vorbeugemaßnahmen (§ 22 AtomHG 1999); für Schadenersatzklagen (ua) nach dem Bundesvergabegesetz (§ 341 Abs 1 BVergG 2006); für Klagen nach §§ 111 und 178 KO bzw §§ 72 und 77 AO (in Wien aber des HG Wien: § 64 KO, § 1 AO). Die teilweise bestandene Differenzierung zwischen Landes- und Kreisgerichten ist mit der Umbenennung der letzteren mit 1.3.1993 weggefallen (BGBl 1993/91). 210

JN § 51

2.1 Sachliche Zuständigkeit

Die Landesgerichte (bzw das Arbeits- und Sozialgericht Wien) sind als 2 Arbeits- und Sozialgerichte zuständig für alle Arbeitsrechtssachen (§ 50 ASGG) und alle Sozialrechtssachen (§ 65 ASGG), für Regressklagen des Rechtsträgers gegen das schuldtragende Organ (§ 9 Abs 3 AHG) und für Ersatzklagen nach dem OrgHG (§ 8 Abs 1). Kraft Wertzuständigkeit gehören vor die GH I. Instanz alle vermö- 3 gensrechtlichen Streitigkeiten, deren Streitwert den Betrag von 10.000 € übersteigt. Handelsgerichte § 51. (1) Vor die selbständigen Handelsgerichte gehören, falls der Streitgegenstand an Geld oder Geldeswert den Betrag von 10 000 Euro übersteigt: 1. Streitigkeiten aus Handelsgeschäften, wenn die Klage gegen einen Kaufmann, eine Handelsgesellschaft oder eine registrierte Genossenschaft gerichtet ist und das Geschäft auf Seiten des Beklagten ein Handelsgeschäft ist; 2. Streitigkeiten, die aus den Berufsgeschäften von Handelsmäklern (Sensalen), Wägern, Messern und anderen Personen, die zur Vornahme und Bestätigung solcher Geschäfte im Handelsverkehr bestellt sind, entstehen, wenn diese Streitigkeiten zwischen ihnen und ihren Auftraggebern geführt werden; 3. Streitigkeiten aus den Rechtsverhältnissen der Kaufleute mit ihren Prokuristen, Handlungsbevollmächtigten und Handlungsgehilfen, ferner aus den Rechtsverhältnissen aller dieser Personen zu Dritten, denen sie sich im Gewerbe des Arbeitgebers verantwortlich gemacht haben, und aus den Rechtsverhältnissen zwischen Dritten und solchen Personen, die wegen mangelnder Prokura oder Handlungsvollmacht haften, soweit nicht das Gewerbegericht zuständig ist; 4. Streitigkeiten aus der Veräußerung eines Handelsgewerbes zwischen den Vertragsteilen; 5. Streitigkeiten über das Recht der Verwendung einer Handelsfirma und die sich aus diesem Recht ergebenden Streitigkeiten; 6. Streitigkeiten aus dem Rechtsverhältnis zwischen den Mitgliedern einer Handelsgesellschaft oder zwischen dieser und ihren Mitgliedern, zwischen den Mitgliedern der Verwaltung und den Liquidatoren der Gesellschaft und der Gesellschaft oder deren Mitgliedern, zwischen dem stillen Gesellschafter und dem Inhaber des Handelsgewerbes, zwischen den Teilnehmern einer Vereinigung zu einzelnen Handelsgeschäften für gemeinschaftliche Rechnung sowie Streitig211

§ 51

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keiten aus Rechtsverhältnissen aller dieser Personen zu Dritten, denen sie sich in dieser Eigenschaft verantwortlich gemacht haben, und zwar in allen diesen Fällen sowohl während des Bestandes als auch nach der Auflösung des gesellschaftlichen Verhältnisses, sofern es sich nicht um eine Arbeitsrechtssache (§ 50 Abs 1 ASGG) handelt; 7. sonstige Streitigkeiten nach dem Aktiengesetz und dem Gesetz über Gesellschaften mit beschränkter Haftung; 8. Streitigkeiten aus Wechselgeschäften und aus scheckrechtlichen Rückgriffsansprüchen; 8a. Streitigkeiten nach dem Produkthaftungsgesetz; 8b. Streitigkeiten nach dem § 1330 ABGB wegen einer Veröffentlichung in einem Medium (§ 1 Abs 1 Z 1 Mediengesetz). (2) Ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes gehören vor die Handelsgerichte: 9. Streitigkeiten aus den Rechtsverhältnissen, die sich auf den Schutz und den Gebrauch von Erfindungen, Mustern, Modellen und Marken beziehen, insoweit hiefür nicht andere gesetzliche Vorschriften bestehen; 10. Streitigkeiten wegen unlauteren Wettbewerbs – sofern es sich nicht um eine Arbeitsrechtssache handelt –, nach dem Urheberrechtsgesetz und nach den §§ 28 bis 30 des Konsumentenschutzgesetzes; 11. Streitigkeiten, die sich auf die Seeschiffe und Seefahrt beziehen, sowie aus allen sonstigen Rechtsverhältnissen, die nach dem Privatseerecht oder dem Recht der Binnenschiffahrt zu beurteilen sind, sofern nicht die Bestimmungen des § 49 Abs 2 Z 5 bis 7 zur Anwendung kommen oder hiefür andere gesetzliche Vorschriften bestehen. (3) Wo ein selbständiges Handelsgericht nicht besteht, wird die Gerichtsbarkeit in allen vorgenannten Rechtsstreitigkeiten durch die Handelssenate der Landesgerichte ausgeübt. [Wertgrenze des Abs 1 idF WGN 1997 und 2. Euro-JuBeG; Abs 1 Z 3, 6 und Abs 2 Z 10 unter Bedachtnahme auf § 100 ASGG; Abs 1 und 2 idF StGBl 1945/188; Abs 1 Z 6 bis 8 idF ZVN 1983; Abs 1 Z 8a und 8b eingefügt durch BGBl 1992/756; Abs 2 Z 10 idF ZVN 1983; Abs 3 idF ZVN 1983 und BGBl 1993/91] Durch Art XIV Z 1 Handelsrechts-Änderungsgesetz, BGBl I 2005/ 120, wird § 51 (ab dem 1.1.2007, s unten Rz 19) wie folgt geändert: Abs 1 Z 1 lautet: „1. Streitigkeiten aus unternehmensbezogenen Geschäften, wenn die Klage gegen einen im Firmenbuch eingetragenen Unternehmer gerichtet ist und das Geschäft auf Seiten des Beklagten ein unternehmensbezogenes Geschäft ist.“ 212

JN § 51

2.1 Sachliche Zuständigkeit

In Z 2 wird der Begriff „Handelsverkehr“ durch den Begriff „Geschäftsverkehr“ ersetzt. In Z 3 werden der Begriff „Kaufleute“ durch „Unternehmer“ und der Begriff „Gewerbe“ durch „Unternehmen“ ersetzt und lautet der letzte Halbsatz „sofern es sich nicht um eine Arbeitsrechtssache handelt“. In Z 4 wird der Begriff „Handelsgewerbes“ durch den Begriff „Unternehmens“ ersetzt. In Z 5 wird der Begriff „Handelsfirma“ durch den Begriff „Firma“ ersetzt. In Z 6 werden der Begriff „Handelsgewerbes“ durch den Begriff „Unternehmens“ und der Begriff „Handelsgeschäften“ durch den Begriff „unternehmensbezogenen Geschäften“ ersetzt und lautet der letzte Halbsatz „sofern es sich nicht um eine Arbeitsrechtssache handelt“. In Abs 2 lautet Z 10: „10. Streitigkeiten wegen unlauteren Wettbewerbs – sofern es sich nicht um eine Arbeitsrechtssache handelt –, nach dem Urheberrechtsgesetz, nach den §§ 28 bis 30 des Konsumentenschutzgesetzes und nach Artikel V des Zinsenrechts-Änderungsgesetzes, BGBl. I Nr. 118/2002;“ Lit wie Vor § 49 und Sinzinger, Die Zuständigkeit in privatrechtlichen Schiffahrtssachen, JBl 1975, 172; Fasching, Die Zuständigkeit der Gerichte für Klagen der Verwertungsgesellschaften auf Zahlung von Aufführungsentgelten, ÖBl 1983, 100; Wünsch, Gedanken zur Kaufmannseigenschaft juristischer Personen, FS Kralik 597; Hämmerle/Wünsch, Handelsrecht4 I (1990) 51; Gaeta, Gerichtliche Zuständigkeiten in streitigen Seeschiffahrtssachen, ZVR 1992, 356; Sitta, Produkthaftung: Kausalgericht nicht zuständig – oder: Die gespaltene Zuständigkeit bei Produkthaftungsansprüchen, AnwBl 1992, 623; Posch, Das Produkthaftungsgesetz in der Praxis, wbl 1993, 101; Kreimel, Der Kaufmann; Tatsache und/oder Rechtsbegriff? WR 1993/30, 13; Warbek, ProduktPiraten als Delikts-Kavaliere? Österreich und die Plagiate, ecolex 1996, 762; Loos, Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums: Verfahren und Sanktionen, ÖBl 1997, 267; Jabornegg (Hrsg), Kommentar zum HGB (1997); Rassi, Verfahrensrechtliche Fragen der Bucheinsicht, ÖJZ 1997, 891; Holzhammer, Allgemeines Handelsrecht und Wertpapierrecht8 (1998) 8 ff; Roth/Fitz, Handels- und Gesellschaftsrecht (2000) 28 ff; Alversammer, Zuständigkeitsprobleme bei Schadenersatzklagen gegen Mitglieder des Aufsichtsrates, DRdA 2001, 239; Kalss/Schauer, Allgemeines Handelsrecht (2002) 23 ff; Straube (Hrsg), Kommentar zum Handelsgesetzbuch3 I (2003) Einführung Rz 46 ff; 213

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Dillenz/Gutman, Praxiskommentar zum Urheberrecht2 (2004) 318 ff; Fitz/Grau/Reindl, Produkthaftung2 (2004); Ebner/Pablik, Klagen der Handelsgerichtsbarkeit, ÖJZ 2004, 488; Haberl, Neue Aspekte der Handelsgerichtsbarkeit nach dem Entwurf eines Unternehmergesetzbuches, RZ 2004, 269; S. Bydlinski, Das Projekt eines Unternehmensgesetzbuchs – Darstellung der Weichenstellungen im Ministerialentwurf, JBl 2004, 2; Dehn, Vom Kaufmann zum Unternehmer, JBl 2004, 5; Krejci, Handelsrecht3 (2005); ders, Gesellschaftsrecht I (2005); Rauter, Unternehmer statt Kaufmann, JAP 2005/06, 101; S. Bydlinski, Das Unternehmensgesetzbuch im Überblick, ÖJZ 2006, 41; Dehn, Der Unternehmer nach §§ 1 ff UGB, ÖJZ 2006, 44; dies, Das UGB: Die wichtigsten Neuerungen, ecolex 2006, 274. Inhaltsübersicht Allgemeines Voraussetzungen der Z 1 Kaufmannseigenschaft Handelsgeschäft Z 3 (Handelsvertreter) Z 4 (Veräußerung eines Handelsgewerbes) Z 6 und 7 (gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten) Z 8 (Wechselstreitigkeiten)

1–2 3 4 5 6 7 8 9

Z 8a (Produkthaftung) Z 8b (Medien) Z 9 (Patente etc) Z 10 (UWG) Z 11 (Schifffahrt) Sondervorschriften Selbständiges Handelsgericht (Abs 3) Neuregelungen durch das HaRÄG

10 11 12 13 14 15 16 17–19

1 Handelsgerichtsbarkeit und allgemeine Zivilgerichtsbarkeit stehen zueinander im Verhältnis der prorogablen Unzuständigkeit, das bedeutet insb, dass Streitigkeiten, die in die Handelsgerichtsbarkeit fallen, innerhalb der Grenzen des § 104 Abs 2 durch Parteienvereinbarung vor die allgemeinen Zivilgerichte gebracht werden können und umgekehrt (s auch Simotta in Fasching I § 51 Rz 4 ff). Die Frage, ob eine Rechtssache zur allgemeinen Gerichtsbarkeit oder zur Handelsgerichtsbarkeit gehört, hat lediglich (und das auch nur in bestimmten Fällen) eine Auswirkung auf die Besetzung der Gerichte (s § 7 Rz 4 und § 8 Rz 1).

2 Die in die Handelsgerichtsbarkeit fallenden Streitigkeiten werden in § 51 (sowie in Sondervorschriften, unten Rz 15) aufgezählt, wobei für die in Abs 2 Z 9 bis 11 genannten Angelegenheiten (kausale) Eigenzuständigkeit der GH („als Handelsgerichte“ bzw des HG Wien) besteht, während es bei den in Abs 1 Z 1 bis 8b bezeichneten Streitigkeiten vom Streitwert abhängt, ob die BG „in Handelssachen“ bzw das BGHS oder 214

JN § 51

2.1 Sachliche Zuständigkeit

die LG „als Handelsgerichte“ bzw das HG Wien zuständig sind: Bis einschließlich 10.000 € besteht (kausale) Wertzuständigkeit der BG, bei einem höheren Streitwert sind die GH zuständig. Die Zuständigkeitsabgrenzung selbst ist überaus kompliziert und teilweise sachlich unbefriedigend (vgl Schmidt, RZ 1997, 28). Das Handelsrechts-Änderungsgesetz wird erfreulicherweise einige Vereinfachungen bringen (dazu unten Rz 17 ff). Die Zuständigkeit nach Z 1 wird begründet, wenn die beklagte Partei 3 ein (Voll- oder Minder-) Kaufmann, eine Handelsgesellschaft oder eine registrierte Genossenschaft (s § 13 GenG) ist, das dem Rechtsstreit zugrunde liegende Geschäft für sie ein (ein- oder zweiseitiges) Handelsgeschäft darstellt und aus dem Handelsgeschäft selbst geltend gemacht wird (RZ 1994/79, 285 = HS 24.754). Die Kaufmannseigenschaft des Beklagten ist nach §§ 1 ff HGB zu be- 4 urteilen, wozu auf die einschlägige handelsrechtliche Literatur zu verweisen ist, die zwischen sog Muss- (§ 1 HGB), Soll- (§ 2 HGB), Kann- (§ 3 HGB), Schein- (§ 5 HGB) und Formkaufleuten (§ 6 HGB) unterscheidet (eingehend etwa Hämmerle/Wünsch I 95 ff; Holzhammer, Handelsrecht 14 ff; Kalss/Schauer Rz 2/1 ff; Krejci 31 ff). Dieser Kaufmannsbegriff des HGB ist nicht mit dem Unternehmerbegriff des KSchG identisch (SZ 55/157 = HS 10.020; RZ 1984/59, 182 = HS 12.021 ua; zur Neuregelung s unten Rz 17). Als Kaufleute hat die neuere Judikatur beispielsweise qualifiziert: Trafikanten (OLG Wien WR 366/1988), Tischler (OLG Wien WR 78/ 1984), Hafnermeister (LGZ Wien WR 597/1993), Inhaber einer Bootswerft, sofern in deren Gewerbebetrieb auch Boote angekauft und weiterverkauft werden (HS 14.002), Gastwirte (auch Inhaber einer Diskothek, nicht aber bloße Herbergswirte: HS 10.001, 12.006, 12.016, 14.003), Fleischhauer (HS 14.005), Frachtführer (HS 10.013). Die bloße, wenn auch gewerbsmäßige Anschaffung und Verwendung von Hilfsstoffen macht Werkunternehmer nicht zu Kaufleuten nach § 1 Abs 2 Z 1 HGB, daher sind etwa Maler und Anstreicher (HG Wien WR 252/1986; LGZ Wien WR 253/1986) oder Tapezierer (HG Wien WR 363/1988 gegen LGZ Wien HS 10.007) keine Kaufleute. Keine Kaufleute sind ferner Fliesenleger, Zimmermeister (HS 8004), Installateure und Parkettfußbodenleger (HS 12.014); ebensowenig Bauunternehmer bzw Baumeister (SZ 51/74 = HS 10.004; HS 10.005, 12.001), Bauschlosser (HG Wien WR 364/1988), (reine) Bautischler (aM LGZ Wien HS 10.002 mit krit Anm des Hrsg; vgl auch SZ 53/164 und LGZ Wien WR 597/1993) oder Gartengestalter (SZ 61/ 162). 215

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Die Übernahme der Bearbeitung oder Verarbeitung von Waren für andere begründet die Kaufmannseigenschaft nur dann, wenn der Betrieb über den Umfang des Handwerks hinausgeht (Lohnfabrikationsgeschäfte § 1 Abs 2 Z 2 HGB). So ist zB das Mechanikergewerbe nur dann ein (die Kaufmannseigenschaft begründendes) Grundhandelsgewerbe, wenn es nicht handwerksmäßig betrieben wird (JBl 1977, 543; HG Wien WR 512/1991). Für diese Beurteilung sind sowohl qualitative als auch quantitative Merkmale maßgebend (SZ 62/106 = EvBl 1990/4 = RdW 1989, 363; NZ 1989, 155). Weitere Judikaturbeispiele sind insb bei Simotta in Fasching I § 51 Rz 19 ff angeführt. Handelsgesellschaften sind Kaufleute, wenn sie ein Handelsgewerbe iSd § 1 HGB betreiben oder ein Unternehmen iSd §§ 2 oder 3 HGB vorliegt oder auf Grund ihrer Rechtsform Kaufmannseigenschaft besitzen (s näher Simotta in Fasching I § 51 Rz 37 ff). Auch eine Klage gegen eine minderkaufmännisch tätige EEG fällt (ebenso wie eine solche gegen deren Gesellschafter) – bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen – in die Handelsgerichtsbarkeit (7 Ob 159/04i = SZ 2004/115 = wbl 2005, 92 [Torggler] = RdW 2004/620, 669; 3 Ob 216/05v). Die Kaufmannseigenschaft muss (bloß) im Zeitpunkt der Klageeinbringung gegeben sein (HG Wien RZ 1956, 156). Die Berufsbezeichnung „Kaufmann“ im Rubrum der Klage allein rechtfertigt allerdings noch nicht ohne weiteres die Annahme, dass die betreffende Person auch tatsächlich Kaufmann iSd HGB ist. Eine solche Bezeichnung ist als rechtliche Qualifikation anzusehen, nicht aber als eine zur Zuständigkeitsbegründung ausreichende Tatsachenbehauptung (JBl 1977, 543 = HS 9010; HG Wien WR 511/1991). Lassen die Angaben in der Klage eine verlässliche Beurteilung der Zuständigkeit nicht zu, ist freilich ein Verbesserungsverfahren (§§ 84 f ZPO) einzuleiten (s § 41 Rz 2; 3 Ob 109/03f = SZ 2003/111 = RdW 2004/128, 160; LGZ Wien WR 686/1995; OLG Wien 18 R 59/85 und Holzhammer, Handelsrecht 165; aM offenbar HG Wien WR 364/1988 und 512/1991; vgl auch Kreimel, WR 30, 13). Bei einer Nichtbefolgung eines Verbesserungsauftrags ist die Klage wegen sachlicher Unzuständigkeit zurückzuweisen. Durfte der Kläger auf den vom Beklagten in zurechenbarer Weise gesetzten Rechtsschein, er sei Kaufmann (bzw eine Handelsgesellschaft) vertrauen (s Simotta in Fasching I § 51 Rz 17) und hat er sich daher auf den Zuständigkeitstatbestand des § 51 gestützt, so darf die Klage nicht zurückgewiesen werden, weil tatsächlich keine Handelssache vorliegt (so treffend Oberhammer, OHG 233).

5 Handelsgeschäfte sind alle Geschäfte eines Kaufmanns, die zum Betrieb seines Handelsgewerbes gehören (§ 343 Abs 1 HGB). Im Zweifel gelten die von einem Kaufmann vorgenommenen Rechtsgeschäfte als 216

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2.1 Sachliche Zuständigkeit

zum Betrieb seines Handelsgewerbes gehörig (§ 344 Abs 1 HGB). Diese Rechtsvermutung tritt aber nur in Zweifelsfällen ein, es bedarf daher dann nicht eines Gegenbeweises, wenn nach der Sachlage außer Zweifel steht, dass das Geschäft nicht zum Handelsgewerbe gehört (HS 5200; LGZ Wien HS 13.369; OLG Wien WR 49/1984; s auch 3 Ob 109/03f = SZ 2003/111 = RdW 2004/128, 160). Bei Handelsgesellschaften gibt es dagegen keine Aufspaltung in geschäftliche und private Sphäre, alle Geschäfte der Gesellschaft sind automatisch Handelsgeschäfte (Simotta in Fasching I § 51 Rz 47). Für Klagen eines Verbrauchers gegen eine GmbH wegen irreführender Gewinnzusagen (gem § 5j KSchG) ist daher die Handelsgerichtsbarkeit zuständig (3 Ob 40/03h = RdW 2003/ 441, 509 = ZfRV-LS 2003/61, 189). Voraussetzung für die Begründung der Zuständigkeit nach Abs 1 Z 1 ist nicht ein direkter Geschäftsabschluss zwischen den Prozessparteien, sondern nur, dass das dem Rechtsstreit zugrundeliegende Geschäft auf Seiten des Beklagten ein Handelsgeschäft ist. Leitet also jemand aus einem solchen Rechtsgeschäft (unmittelbar) einen Rechtsanspruch ab, so muss er diesen vor dem Handelsgericht durchsetzen (RZ 1994/79, 285; MietSlg 29.585 = HS 11.886; OLG Wien WR 666/1994 und 721/1995). Ist der Klagsanspruch hingegen von der rechtlichen Eigenart des angefochtenen Rechtsgeschäftes unabhängig, so ist das für die handelsgerichtliche Zuständigkeit erforderliche Hervorgehen des Klagsanspruchs aus einem Handelsgeschäft zu verneinen (10 Ob 2/04y = RdW 2004/426, 473). So gehören Ansprüche nach Auflösung des Rechtsgeschäftes oder nach Rücktritt vom Vertrag nicht unter die Z 1. Für einen Kondiktionsanspruch nach § 1431 ABGB ist die handelsgerichtliche Zuständigkeit nur dann gegeben, wenn ein Handelsgeschäft unmittelbar die Grundlage für die Beurteilung der Berechtigung des Anspruchs bildet (OLG Wien WR 365/1988; HS 15.042/12 mwN und ausdrücklich zustimmend Kerschner in Jabornegg § 343 HGB Rz 14). Diese stRsp des OLG Wien (s zuletzt WR 721/1995 und 783/1996) wird allerdings vom OGH nicht geteilt (keine Kausalzuständigkeit: RZ 1994/ 79, 285 = HS 24.754; vgl auch Simotta in Fasching I § 51 Rz 67), wobei allerdings nur graduelle Unterschiede bestehen dürften. Schadenersatzansprüche gegen einen Kaufmann gehören nur dann vor die Handelsgerichte, wenn sie aus Erfüllung, Schlechterfüllung, Nichterfüllung oder Vereitelung eines Handelsgeschäftes abgeleitet werden (2 Ob 599/89 = NRsp 1990/72; 4 Ob 203/00g = SZ 73/126 = JBl 2001, 327 = EvBl 2001/17; OLG Wien WR 365/1988 und WR 783/ 1996). Die Bevollmächtigung eines Rechtsanwalts durch einen Kaufmann ist für diesen insoweit ein (akzessorisches) Handelsgeschäft, als sich die Vertretung auf Firmen- (und Betriebs-) Angelegenheiten bezieht (SZ 22/44; LGZ Wien HS 11.896). 217

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Im dargelegten Sinn gehört etwa eine Klage auf Rückgabe der unter Eigentumsvorbehalt verkauften Sachen nicht zur Handelsgerichtsbarkeit (LGZ Wien WR 77/1984); ebenso nicht eine Klage auf Zahlung von Benützungsentgelt wegen einer von Anfang an titellosen Benützung einer Liegenschaft durch eine GmbH (2 Ob 599/89 = NRsp 1990/33). Auch für eine Klage gegen eine gemeinnützige Bau-, Wohnungs- und Siedlungsgenossenschaft besteht keine Handelsgerichtsbarkeit (OLG Wien MietSlg 28.554 = HS 9002 und MietSlg 34.673 = HS 12.022 = 13.371); ebenso nicht für die Regressklage nach § 158 f VersVG (OLG Wien EvBl 1988/113; HG Wien WR 362/1988).

6 Das Begehren des Handelsvertreters auf Buchauszug und Büchereinsicht nach § 16 HVertrG 1993 ist im Außerstreitverfahren geltend zu machen und fällt daher nicht unter die kausalgerichtliche Zuständigkeit nach Abs 1 Z 3 (LGZ Wien WR 251/1987; zu Recht kritisch allerdings Rassi, ÖJZ 1997, 898).

7 Zu den Streitigkeiten nach Z 4 zählen nicht nur Klagen auf Übergabe des Betriebes, eines Teiles hievon oder des Warenlagers, auf vollständige Vertragserfüllung, auf Bezahlung des Entgeltes, auf Rücktritt vom Vertrag, auf Gewährleistung oder auf Schadenersatz, sondern auch jene Streitigkeiten, die aus der Übernahme der Haftung durch den Erwerber oder aus einem in den Veräußerungsvertrag aufgenommenen Konkurrenzverbot oder einer anderen Nebenverbindlichkeit entstehen (so Simotta in Fasching I § 51 Rz 88). Der Klagsanspruch muss seine Grundlage jedoch im Veräußerungsvertrag oder in den Vorschriften über die Firmenfortführung (§§ 22 ff HGB) und nicht in den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechts über die Gültigkeit von Verträgen haben (10 Ob 2/04y = RdW 2004/426, 473).

8 Durch die Novellierung der Z 6 mit der ZVN 1983 sollte eine Konzentration der Streitigkeiten aus Rechtsverhältnissen der dort bezeichneten Personen zu Dritten, denen sie sich in ihrer gesellschaftsbezogenen Funktion verantwortlich gemacht haben, erreicht werden (s 1337 BlgNR 15. GP 4). Es gehören daher Schadenersatzansprüche, die sich auf ein deliktisches Verhalten von (Alt-)Gesellschaftern einer GmbH stützen (4 Ob 169/02k = SZ 2002/104 = EvBl 2002/214 = RdW 2003/26, 23 = ecolex 2003/23, 37), oder Streitigkeiten aus einer Bürgschaftserklärung, die der Geschäftsführer einer GmbH gegenüber einem Sozialversicherungsträger für rückständige Beiträge der Gesellschaft abgegeben hat, bei Inanspruchnahme des Geschäftsführers zur Zuständigkeit der Handelsgerichte (OLG Wien EvBl 1987/27 = HS 17.023 = WR 221/ 1986; EvBl 1992/146 = ecolex 1992, 635 = RdW 1992, 374 = wbl 1992, 218

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2.1 Sachliche Zuständigkeit

263). Es muss allerdings ein enger Konnex zwischen der privatrechtlichen gesellschaftsbezogenen Verpflichtung für Verbindlichkeiten der Gesellschaft und einer zumindest allfälligen deliktischen Haftung des Beklagten vorliegen (JBl 1995, 467 = ecolex 1995, 561 = GesRZ 1996, 116 = HS 26.879; 10 Ob 55/04t = RdW 2005/381, 359). Die Regelung der Z 6 gilt auch für Erwerbsgesellschaften (6 Ob 65/01d = RdW 2001/674, 668). Die Kausalzuständigkeit besteht – sofern die Verpflichtung aus dem Gesellschaftsverhältnis abgeleitet wird – auch nach dessen Auflösung weiter (OLG Wien WR 167/1985). Keine Kausalgerichtsbarkeit besteht jedoch für Streitigkeiten, die sich aus im eigenen Namen abgegebenen Verpflichtungen eines Prokuristen ergeben (RdW 1994, 177 = HS 24.755). Da Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften keine Arbeitnehmer und regelmäßig auch nicht arbeitnehmerähnlich sind (s § 51 ASGG), kommt für Streitigkeiten aus der Tätigkeit als Vorstandsmitglied der Vorbehalt zugunsten der Arbeitsgerichtsbarkeit nicht zur Anwendung (ecolex 1996, 787 = wbl 1997, 77; vgl auch RdW 1998, 635). Für die in Z 6 genannten Streitigkeiten mit Ausnahme von Klagen gegen Dritte besteht eine örtliche Wahlzuständigkeit beim Sitzgericht der Gesellschaft (§ 92b). Für eine Klage auf Aufhebung und Rückabwicklung eines Vertrages über die entgeltliche Abtretung von Geschäftsanteilen an einer GmbH ist das Handelsgericht weder nach Z 6 noch nach Z 7 zuständig, es hat vielmehr das allgemein zuständige Gericht einzuschreiten (ecolex 1991, 96 = RdW 1991, 48). Streitigkeiten aus Wechselgeschäften sind alle Klagen, bei denen das 9 Recht unmittelbar aus einem wechselrechtlichen Verpflichtungsakt abgeleitet wird, die materiellrechtliche Grundlage des Anspruchs also das Wechselgeschäft selbst bildet (SZ 32/139; RZ 1967, 203; SZ 44/34 = EvBl 1971/301 = RZ 1971, 178; nicht etwa ein Vergleich über Wechselforderungen: OLG Wien EvBl 1948/446). Wegen der abstrakten Natur der Wechselverpflichtung berühren weder der Rechtsgrund des Grundgeschäftes noch die Natur seiner Entstehung die (seit der ZVN 1983 bestehende Wert-) Zuständigkeit der Handelsgerichte (SZ 49/61 = Arb 9468). Voraussetzung für eine solche Klage ist aber, dass der vorgelegte Wechsel sämtliche gesetzlichen Formalerfordernisse aufweist (JBl 1911, 130). Unter Streitigkeiten aus scheckrechtlichen Rückgriffsansprüchen iSd Z 8 sind solche zu verstehen, die vom Scheckinhaber gegen die Indossanten, den Aussteller oder die anderen Scheckverpflichteten nach dem 6. Abschnitt des ScheckG geführt werden. Das Schadenersatzbe219

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gehren des Scheckkartenversicherers wegen Ausgabe ungedeckter Schecks gehört daher nicht zur Handelsgerichtsbarkeit (LGZ Wien WR 367/1988).

10 Im Hinblick auf die E SZ 64/82 = EvBl 1992/23 = ecolex 1991, 767 (dazu Sitta, AnwBl 1992, 623) sollte durch die Einfügung der neuen Z 8a in Abs 1 eine einheitliche sachliche Zuständigkeit für Produkthaftungsansprüche sichergestellt werden (780 BlgNR 18. GP 2; s auch Posch, wbl 1993, 102). S auch generell Reindl in Fitz/Grau/Reindl Vorbem Rz 28.

11 Die Z 8b wurde aus verfahrensökonomischen Gründen in das Gesetz eingefügt, um Streitigkeiten nach § 1330 ABGB wegen einer Veröffentlichung in einem Medium (dazu zählen auch die Aussendungen der APA: OLG Wien WR 744/1996) der gleichen sachlichen Zuständigkeit zuzuweisen wie die in Z 10 genannten und oft damit zusammenhängenden Streitigkeiten über Bildnisschutz oder wegen unlauteren Wettbewerbs (so 780 BlgNR 18. GP 2). Der Zuständigkeitstatbestand ist auch dann erfüllt, wenn Äußerungen zum Zwecke der Weitergabe an Medien verbreitet werden (OLG Wien MR 1996, 101).

12 Die Erteilung, Widerruf, Rücknahme, Nichtigerklärung, Aberkennung und Abhängigerklärung von Patenten sowie die Entscheidung über die Nennung als Erfinder, über das Bestehen des Vorbenützerrechtes, über Lizenzeinräumungen, über Feststellungsanträge und alle Eintragungen in das Patentregister obliegen dem Patentamt (§ 57 Abs 1 PatG) als (Bundes-)Verwaltungsbehörde mit Sitz in Wien (§ 58 Abs 1 PatG). Auch zur Beschlussfassung und zu den sonstigen Erledigungen in Angelegenheiten des Muster-, Marken-, Halbleiter- und des Gebrauchsmusterschutzes ist grundsätzlich das Patentamt zuständig (§ 26 MuSchG, § 35 MarkSchG, § 16 HlSchG, § 33 GMG). Wer in seinen Patentrechten, seinem Muster-, Halbleiter-, Gebrauchsmuster- oder Sortenschutzrecht verletzt worden ist, hat Anspruch auf Unterlassung, Beseitigung, Urteilsveröffentlichung, angemessenes Entgelt, Schadenersatz, Herausgabe der Bereicherung, angemessene Entschädigung sowie auf Rechnungslegung und (seit der Nov BGBl I 2004/149) auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg des benützten Erzeugnisses (§§ 147 ff PatG, § 34 MuSchG, § 21 HlSchG, § 41 GMG, § 24 Abs 1 SortenschutzG 2001). Für diese Klagen und einstweiligen Verfügungen ist ausschließlich das HG Wien zuständig (§ 162 PatG, § 38 MuSchG, § 23 HlSchG, § 44 GMG, § 24 Abs 2 SortenschutzG 2001; s auch unten Rz 15 und Vor § 83a Rz 1). Die Zuständigkeit der Handelsgerichte nach Z 9 geht aber über jene nach 220

JN § 51

2.1 Sachliche Zuständigkeit

§ 162 PatG hinaus. Sie schließt nicht nur Streitigkeiten ein, die sich aus den Rechtsverhältnissen hinsichtlich nicht patentierter Erfindungen ergeben, sondern auch Streitigkeiten aus sonstigen Verträgen, sofern nur Gegenstand des Vertrags eine Erfindung ist (SZ 48/136 = JBl 1976, 542 = ÖBl 1976, 63). Es ist also eine enge sachliche Verknüpfung zwischen Erfindung und geltend gemachtem vertraglichen Anspruch notwendig (s 4 Ob 271/00g = EvBl 2001/70 = ÖBl 2002, 42). Streitigkeiten wegen Dienstnehmererfindungen sind allerdings Arbeitsrechtssachen (s 7 BlgNR 16. GP 47). Der in seinen Kennzeichenrechten Verletzte hat ebenfalls Anspruch auf Unterlassung, angemessenes Entgelt, Schadenersatz und Herausgabe der Bereicherung ((§ 9 UWG; §§ 51 ff MarkSchG). Hier ist jedoch keine ausschließliche Sonderzuständigkeit des HG Wien normiert. Die weitergehende Formulierung „Streitigkeiten wegen unlauteren 13 Wettbewerbs“ wurde von der ZVN 1983 deshalb gewählt, um mit Sicherheit alle wettbewerbsrechtlichen Streitigkeiten (auch außerhalb des UWG) – mit Ausnahme von Arbeitsrechtssachen – zu erfassen (1337 BlgNR 15. GP 4 f). Ein durch die Erfüllung des wettbewerbsrechtlichen Hauptanspruches selbständig gewordener Kostenersatzanspruch fällt jedoch nicht in die handelsgerichtliche Eigenzuständigkeit (HS 13.368 = ÖBl 1982, 82). Infolge der (abweichenden) Formulierung „Streitigkeiten nach dem Urheberrechtsgesetz“ umfasst die handelsgerichtliche Eigenzuständigkeit hingegen nicht alle urheberrechtlichen Streitigkeiten schlechthin, sondern ist auf Rechte und Ansprüche beschränkt, die im UrhG selbst geregelt sind. Es sind dies (Näheres etwa bei Dillenz/Gutman, Praxiskommentar 318 ff) der Unterlassungsanspruch gem § 81 UrhG, die Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche nach §§ 82 bis 84 UrhG, das Urteilsveröffentlichungsbegehren nach § 85 UrhG, der Anspruch auf angemessenes Entgelt nach § 86 UrhG (MR 1997, 33), der Anspruch auf Schadenersatz und auf Herausgabe des Gewinnes nach § 87 UrhG sowie der Anspruch auf Rechnungslegung und auf Auskunft nach §§ 87a und 87b UrhG (HG Wien MR 1998, 30). Eine Streitigkeit nach dem UrhG liegt auch dann vor, wenn das Bestehen oder der Umfang eines Werknutzungsrechts oder einer Werknutzungsbewilligung (§§ 24 ff UrhG) strittig ist. Ansprüche aus Urheberrechtsverträgen und deren Verletzung fallen hingegen nicht unter diesen Zuständigkeitstatbestand (Fasching, ÖBl 1983, 101; HG Wien WR 30/1983 und MR 1990, 138). Die §§ 28 bis 30 KSchG treffen Regelungen über die Verbandsklage zum Schutz von Konsumenteninteressen. Danach können die in § 29 KSchG genannten Verbände Personen, die in Allgemeinen Geschäfts221

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bedingungen oder in Formblättern für Verträge Bedingungen vorsehen, die gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstoßen, auf Unterlassung (der Verwendung dieser Bedingungen) klagen. Es entscheiden ausschließlich Berufsrichter, fachmännische Laienrichter werden nicht beigezogen (§ 30 Abs 2 KSchG; s § 7 Rz 4 und § 8 Rz 1). Eine Herabsetzung des Streitwerts und eine Abtretung an ein Bezirksgericht (in Handelssachen) nach § 60 ist daher nicht möglich. Ob eine Anfechtung eines solchen gesetzwidrigen Beschlusses zulässig ist, ist in Hinblick auf § 45 umstritten (s 2 Ob 169/02w = EvBl 2003/28 und § 45 Rz 2und § 60 Rz 4). Mit dem In-Kraft-Treten des HaRÄG wird in der Z 10 auch ausdrücklich die Verbandsklage nach Art V ZinsRÄG genannt. Für Streitigkeiten nach Abs 1 Z 8b und Abs 2 Z 9 und 10 normiert § 83c eine ausschließliche örtliche Zuständigkeit.

14 Die Z 11 erfasst alle mit der Seeschifffahrt zusammenhängenden Streitigkeiten, sofern sie nicht unter § 49 Abs 2 Z 7 (insb Streitigkeiten zwischen Reedern und ihren Auftraggebern) fallen oder andere gesetzliche Vorschriften (insb das ASGG) bestehen. Für Binnenschifffahrtssachen sind das BGHS Wien bzw die BG in Handelssachen als Schifffahrtsgerichte zuständig (Näheres bei Sinzinger, JBl 1975, 172; Gaeta, ZVR 1992, 356 und unten § 52 Rz 2).

15 Infolge von Sondervorschriften sind die Handelsgerichte ferner eigenzuständig nach § 615 Abs 2 ZPO sowie für Nichtigkeitsbeschwerden und Unwirksamkeitsklagen gegen Erkenntnisse der Börsenschiedsgerichte (Art XXIII und XXV EGZPO), für Klagen auf Nichtigerklärung eines Gesellschafterbeschlusses einer GmbH (§ 42 Abs 2 GmbHG), für Anfechtungsklagen von Hauptversammlungsbeschlüssen einer AG (§ 197 Abs 1 AktG; ebenso nach §§ 201 Abs 1, 216 Abs 4 AktG). Hinzuweisen ist, dass die zivilprozessualen Bestimmungen der §§ 122 bis 124 KartG 1988 nicht in das neue KartG 2005 übernommen worden sind. Für Klagen und einstweilige Verfügungen nach dem PatG, dem HalbleiterschutzG, dem MusterschutzG, dem GebrauchsmusterG und dem SortenschutzG ist (österreichweit) ausschließlich das HG Wien zuständig (§ 162 Abs 1 PatG, § 23 Abs 1 HlSchG, § 38 Abs 1 MuSchG, § 44 Abs 1 GMG, § 24 Abs 2 SortenschutzG 2001 [hier fehlt im Gesetzeswortlaut allerdings das Wort „ausschließlich“]). Dieser Gerichtsstand steht jedoch nicht für Klagen auf Übertragung des Rechtes aus einer Patentanmeldung zu Verfügung (ecolex 1993, 255). Ebenso können Klagen gegen die Nationalbank (ausgenommen solche, die in die Zuständigkeit der Arbeits- und Sozialgerichte fallen: SZ 51/54 = HS 11.884) nur beim HG Wien erhoben werden (§ 75 Abs 1 NBG). 222

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2.1 Sachliche Zuständigkeit

Ein selbständiges Handelsgericht besteht nur in Wien. Im übrigen 16 Österreich werden die LG aufgrund einer entsprechenden Adressierung der Klage (s § 226 Abs 2, 2. Satz ZPO) „als Handelsgerichte“ tätig, was einzig eine Auswirkung auf die Besetzung zur Folge hat (Kausalsenat mit einem fachmännischen Laienrichter s § 7 Rz 4). Hervorzuheben ist, dass das HGB durch das – iW am 1.1.2007 in Kraft 17 tretende – Handelsrechts-Änderungsgesetz (HaRÄG, BGBl I 2005/ 120) einer grundlegenden Rechtsbereinigung und Modernisierung unterzogen wird, die auch durch die Umbenennung in Unternehmensgesetzbuch (UGB) deutlich dokumentiert wird (generell dazu etwa S. Bydlinski, ÖJZ 2006, 41 ff oder Dehn, ecolex 2006, 272 ff). Insbes wird der komplizierte (und überholte) Grundtatbestand des Kaufmanns aufgegeben und durch den des Unternehmers ersetzt. Die Legaldefinition des Unternehmers findet sich in § 1 Abs 1 UGB (dazu insb Dehn, ÖJZ 2006, 44 ff). Danach ist Unternehmer, wer ein Unternehmen betreibt. Diese Definition bezieht sich sowohl auf physische als auch auf juristische Personen einschließlich rechtsfähiger Personengesellschaften. Nach § 1 Abs 2 UGB ist ein Unternehmen jede auf Dauer angelegte Organisation selbständiger wirtschaftlicher Tätigkeit. Auf eine Gewinnerzielungsabsicht kommt es nicht an. Damit deckt sich diese Umschreibung (bewusst) mit jener des § 1 Abs 2 Satz 1 KSchG, sodass zur Begriffsbestimmung auf die diesbezügliche Literatur und Judikatur zurückgegriffen werden kann. Unternehmensbezogene Geschäfte sind gem § 343 Abs 2 UGB alle Geschäfte eines Unternehmers, die zum Betrieb seines Unternehmens gehören. Dabei gelten die von einem Unternehmer vorgenommenen Rechtsgeschäfte im Zweifel als zum Betrieb seines Unternehmens gehörig (§ 344 UGB). Vorbereitungsgeschäfte zählen jedoch nicht dazu (§ 343 Abs 3 UGB). Diese Änderung des Grundtatbestandes hat auch Auswirkungen auf die 18 Gerichtszuständigkeit in § 51. Dabei hat der Gesetzgeber danach getrachtet, eine Neuregelung zu treffen, die einerseits Zuständigkeitsstreitigkeiten möglichst minimiert, und andererseits in das bestehende Zuständigkeitssystem in geringstmöglicher Weise eingreift (s 1058 BlgNR 22. GP 78). § 51 Abs 1 Z 1 JN idF HaRÄG normiert, dass Streitigkeiten aus unternehmensbezogenen Geschäften dann der Handelsgerichtsbarkeit unterliegen, wenn die Klage gegen einen (zum Zeitpunkt der Klagseinbringung) im Firmenbuch eingetragenen Unternehmer gerichtet ist und es sich auf dessen Seite um ein unternehmensbezogenes Geschäft handelt. Hinsichtlich der Personen- und Kapitalgesellschaften ergeben 223

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sich dadurch kaum Änderungen gegenüber der bisherigen Rechtslage. Einzelunternehmerisch tätige natürliche Personen unterliegen aber nur dann der Handelsgerichtsbarkeit, wenn sie im Firmenbuch eingetragen sind. Eine diesbezügliche Eintragungspflicht besteht gem § 8 Abs 1 iVm § 189 UGB, wenn eine Rechnungslegungspflicht besteht (Schwellenwert 400.000 € Umsatz pro Jahr). Allen anderen Einzelunternehmern ist eine Eintragung freigestellt. Mit seiner freiwilligen Eintragung in das Firmenbuch gibt ein „kleiner“, nicht bilanzierungspflichtiger Unternehmer jedoch zu erkennen, dass er sich die nötige Geschäftserfahrung zutraut, um sich dem Unternehmensrecht zur Gänze zu unterstellen. Die Anwendbarkeit der Handelsgerichtsbarkeit auf ihn ist daher eine logische Konsequenz dieser seiner Entscheidung. Der Vorteil dieser Lösung des Gesetzgebers liegt darin, dass künftig der Kläger mit einem Blick in das Firmenbuch auch Aufschluss über die Zuständigkeit erhält, wodurch (insofern) langwierige Zuständigkeitsstreitigkeiten vermieden werden können. Nur im Bereich der eingetragenen Personengesellschaften (OG, KG), die nach dem HaRÄG 2005 für jeden – auch nichtunternehmerischen – Zweck offen stehen, muss danach differenziert werden, ob sie unternehmerisch tätig sind (und daher dem § 51 Abs 1 Z 1 unterliegen) oder nicht (s 1058 BlgNR 22. GP 78).

19 Die übrigen Änderungen in § 51 Abs 1 Z 1, 2, 3, 4, 5 und 6 betreffen nur sprachliche Anpassungen an den neuen Grundtatbestand. In Abs 2 Z 10 wird zur Klarstellung auch ausdrücklich die Verbandsklage nach Art V ZinsRÄG genannt. Die Änderungen in § 51 sind auf Klagen anzuwenden, die nach dem 1.1.2007 bei Gericht eingebracht werden (Art XXXII Abs 2 HaRÄG). § 52. (1) An Orten, an denen ein selbständiges Handelsgericht und Bezirksgerichte für Handelssachen bestehen, gehören die im § 51 Abs 1 angeführten Streitigkeiten, bei denen der Streitgegenstand an Geld oder Geldeswert die Summe von 10 000 Euro nicht übersteigt, vor die Bezirksgerichte für Handelssachen. (2) Im gleichen Umfange sind die etwa an anderen Orten bestehenden besonderen Bezirksgerichte für Handelssachen zur Ausübung der Gerichtsbarkeit in Streitsachen zuständig. [Abs 1 idF ZVN 1983 und BGBl 1992/756; Wertgrenze idF WGN 1997 und 2. Euro-JuBeG; Abs 2 idF StGBl 1945/188] Lit wie Vor § 49 und Nowotny, Das Bezirksgericht für Handelssachen Wien – ein überflüssiges Gericht? RZ 1996, 195; O. Oberhammer, Zum 224

JN § 52

2.1 Sachliche Zuständigkeit

Weiterbestand des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien, RZ 1996, 272; Schmidt, Zur Zukunft des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien, RZ 1997, 27, Garai, Dilettantismus gefragt? RZ 1997, 29. Ein eigenes Bezirksgericht für Handelssachen besteht nur in Wien (für 1 die Bezirke I bis XXIII; § 3 BGOrgG Wien; zur Diskussion um dessen Existenzberechtigung s die obigen Literaturangaben). Ihm übergeordnet ist das Handelsgericht Wien. Im übrigen Österreich haben die (allgemeinen) Bezirksgerichte auf Antrag den Beisatz „als Bezirksgericht in Handelssachen“ in das Urteil aufzunehmen, sofern sie ihn für zutreffend erachten (§ 446 ZPO). Es entscheidet dann über die Berufung (im Hauptverfahren) ein Kausalsenat (mit fachmännischem Laienrichter) des LG. Gegen die Abweisung dieses Antrags ist kein selbständiges Rechtsmittel zulässig, jedoch können die Parteien in der Berufung oder in der Berufungsbeantwortung beantragen, das Gericht möge in der von ihnen gewünschten Besetzung entscheiden (§ 479a ZPO). Diese Entscheidung ist dann unanfechtbar. Das BGHS Wien bzw die BG in Handelssachen sind (wert-)zuständig 2 für die in § 51 Abs 1 aufgezählten Streitigkeiten, sofern der Streitwert 10.000 € nicht übersteigt. Kraft Eigenzuständigkeit schreiten sie als Schifffahrtsgerichte für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten ein, die sich aus der Benutzung von Binnengewässern durch Schifffahrt und Flößerei ergeben und Ansprüche folgender Art zum Gegenstand haben (Binnenschifffahrtssachen): Schadenersatzansprüche aus Zusammenstößen oder anderen Schifffahrtsunfällen sowie aus unerlaubten Handlungen, die sonst mit der Benutzung der Gewässer zusammenhängen, Ansprüche auf Lotsenvergütungen, Bergung und Hilfeleistung (§ 1 BinnenschiffahrtsG DRGBl 1937 I S. 97). Das BGHS Wien ist Schifffahrtsgericht für die gesamte Donau (SZ 65/80 = JBl 1993, 530 = ecolex 1992, 696 = RdW 1993, 43 = ZVR 1993/114; 1 Ob 45/00z = ZVR 2000/80, 340). Der Instanzenzug geht über die OLG als Schifffahrtsobergerichte zum OGH (s auch § 3 Rz 2). In Streitigkeiten, die gem § 49 Abs 2 in die Eigenzuständigkeit der (all- 3 gemeinen) Bezirksgerichte fallen, also insb für Bestand- und Viehmängelstreitigkeiten oder Streitigkeiten zwischen Wirten und ihren Gästen bzw Auftraggebern, sind immer die allgemeinen Bezirksgerichte (eigen-)zuständig (Simotta in Fasching I § 52 JN Rz 15; 1 Ob 198/01a = EvBl 2002/26; OLG Wien WR 28/1983; HG Wien WR 29/1983 und WR 511/1991; s auch § 49 Rz 11, 12 und 13). § 53. Samt Überschrift aufgehoben durch Art II Z 23 ZVN 1983 225

Vor § 54

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Vor § 54 Lit: Thiele, Anwaltskosten (2000); Tschugguel/Pötscher, Die Gerichtsgebühren7 (2002); Obermaier, Das Kostenhandbuch (2005) Rz 447 ff; Feil/Wennig, Anwaltsrecht4 (2006) 470 ff. Gitschthaler in Fasching I § 54 JN; Bajons Rz 51; Ballon Rz 55 ff; Buchegger, PraktZPR I 24; Deixler-Hübner/Klicka Rz 63; Fasching Rz 257 ff; Holzhammer 45; Rechberger/Simotta Rz 103 ff.

1 Streitwert ist der Wert des Streitgegenstandes (zum Begriff des Streitgegenstandes s Vor § 226 ZPO Rz 14 ff). Er wird im Gesetz im Abschnitt über die sachliche Zuständigkeit geregelt, weil er für die Bestimmung der sachlichen Wertzuständigkeit das entscheidende Abgrenzungskriterium bildet. Darüber hinaus ist der Streitwert von Bedeutung für: – die Gerichtsbesetzung (§ 7a); – die Zulässigkeit des Mahnverfahrens (§§ 244 ff ZPO); – die Beschränkung der Berufungsgründe (§ 501 Abs 1 ZPO); – die Zulässigkeit des Rekurses (§ 517 ZPO), der Revision (§ 502 Abs 2, 3 und 4 ZPO) und des Revisionsrekurses (§ 528 Abs 2 Z 1 und 1a ZPO); – die Anwaltspflicht (§§ 27, 29 ZPO); – die Gerichtsgebühren, da grundsätzlich der nach den Bestimmungen der §§ 54 bis 60 ermittelte Streitwert die Bemessungsgrundlage bildet (§ 14 GGG); – die Rechtsanwaltskosten, da sich die diesbezügliche Bemessungsgrundlage grundsätzlich nach den Vorschriften der §§ 54 bis 59 richtet (§ 4 RATG). Die (speziellen) Bemessungsgrundlagen des RATG gelten allerdings nur für die Vertretungskosten und sind für den für das Gericht maßgebenden Wert des Streitgegenstandes ohne Bedeutung (JBl 1980, 103 = MietSlg 31.626/23; AnwBl 1992, 674 = MietSlg 43.438 = RZ 1993/80, 213).

2 Bei Zwischenstreiten (etwa auch über die Verfahrenshilfe) kommen die allgemeinen Bestimmungen über den Streitwert und die Bemessungsgrundlage (§§ 54 ff; § 3 RATG) zur Anwendung (HG Wien AnwBl 1995, 898).

3 Die Bewertungsvorschriften lassen sich in zwei Fallgruppen einteilen (s näher Gitschthaler in Fasching I § 54 Rz 10 ff): a) Gebundene Bewertung: Die Streitwertangabe durch den Kläger kann an objektiv überprüfbaren Bewertungsmaßstäben gemessen werden, an die auch der Kläger gebunden ist. So bestimmt sich der Streit226

JN § 54

2.1 Sachliche Zuständigkeit

wert eines reinen Geldleistungsbegehrens (ausschließlich) nach der begehrten Geldsumme (ohne Nebenforderungen: § 54 Abs 2; s auch § 56 Abs 1, §§ 57, 58). b) Freie Bewertung: Der Wert des Streitgegenstandes kann (in Ermangelung einer objektiver Berechnungsmöglichkeit) vom Kläger (weitgehend) frei bewertet werden (s § 56 Abs 2 und § 59). Wert des Streitgegenstandes § 54. (1) Für die Berechnung des für die Zuständigkeit maßgebenden Wertes des Streitgegenstandes ist der Zeitpunkt der Anbringung der Klage entscheidend. (2) Zuwachs, Früchte, Zinsen, Schäden und Kosten, die als Nebenforderungen geltend gemacht werden, bleiben bei der Wertberechnung unberücksichtigt. [Stammfassung] Lit wie Vor § 54 und Pfersmann, Zu den Begriffen „Nebenforderungen“ und „Kostenpunkt“, besonders bei Anwendung exekutionsrechtlicher Bestimmungen, ÖJZ 1985, 205; Hoyer, Lockerung der Rechtsmittelbeschränkungen im Meistbotsverteilungsverfahren, ÖBA 1996, 249; Hofmann, Vorprozessuale Kosten aus dem Titel „Vereinbarung“ oder „Schadenersatz“ Rechtsweg nicht zulässig! RZ 1997, 52; Illedits, Vorprozessuale Mahn- und Inkassospesen, RdW 1997, 182; Breycha, Mahn- und Inkassospesen in der Praxis des Mahnverfahrens, RZ 1998, 50; M. Bydlinski, Der Anspruch auf Ersatz „vorprozessualer Kosten“, JBl 1998, 69, 143; Fucik, Vorprozessuale Kosten und/oder Nebenforderung? ÖRpfl 1/1998, 32; M. Mohr, Zum legislativen Handlungsbedarf betreffend den Ersatz für Mahn- und Inkassospesen, RdW 1998, 533; Beran, Mahn- und Inkassospesen – ein rechtspolitischer Vorschlag, RZ 1999, 34; Rabl, Gedanken der Inkassodienste Inland des Kreditschutzverbandes von 1870 zur Problematik der Mahn- und Inkassospesen, ZIK 2000, 12; Chvosta, Prozeßkostenrecht (2001) 28 ff; ders, Inkassospesen im Lichte der EU-ZahlungsverzugsRL, ZIK 2001, 40; DeixlerHübner, Zum Schicksal außerprozessualer Aufwendungen, in FS Jelinek (2002) 47; dies, Ersatz für außerprozessuale Aufwendungen – Anspruchsgrundlagen und Anspruchshöhe, ÖJZ 2002, 372; Dehn, Das Zinsrechts-Änderungsgesetz, RdW 2002, 514; Spunda, Änderungen durch das Zinsenrechts-Änderungsgesetz (ZinsRÄG), ecolex 2002, 653; Huter, Die Geltendmachung von „Inkassospesen“ nach dem Zinsrechtsänderungsgesetz, AnwBl 2003, 646; Karollus/Lukas, Inkassokosten als Verspätungsschäden, in FS Gottfried Mayer (2004) 71; Christandl, Ersatz vorprozessualer Anwaltskosten, RZ 2004, 262 (dazu 227

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Steflitsch, RZ 2005, 41); Obermaier, Das Kostenhandbuch (2005) Rz 463 ff; M. Bydlinski, Die Geltendmachung anwaltlicher Betreibungskosten im Prozess, Zak 2006, 108.

1 Der für die Beurteilung der Gerichtszuständigkeit maßgebliche Zeitpunkt ist jener des Eintritts der Gerichtsanhängigkeit (dazu §§ 232– 233 ZPO Rz 1 f). Ist allerdings im Zeitpunkt der Entscheidung über eine Unzuständigkeitseinrede das Gericht infolge einer Streitwertänderung zuständig geworden, ist nicht mehr der Zeitpunkt der Überreichung der Klage, sondern jener der Entscheidung maßgebend (RZ 1936, 146). Nachträgliche Änderungen des Streitwertes haben keinen Einfluss auf die (rechtmäßig begründete) Zuständigkeit (perpetuatio fori, § 29). Auch bei einer – gem § 235 Abs 2 ZPO mit (stillschweigender) Zustimmung des Beklagten möglichen – Klageerweiterung über die bezirksgerichtliche Wertgrenze hinaus bleibt das BG zuständig.

2 Ob für die Gerichtsbesetzung ebenfalls (nur) der Zeitpunkt der Gerichtsanhängigkeit oder der Zeitpunkt der diesbezüglichen Antragstellung (in der Klage oder in der Klagebeantwortung) maßgeblich sein soll, ist in der Literatur nicht endgültig geklärt (s Ballon in Fasching I § 7a Rz 5 f), diese Frage hat jedoch keine praktische Bedeutung. Gesetzlich geregelt ist (§ 7a Abs 2), dass eine nachträgliche Erweiterung des Streitwertes keinen Einfluss auf die (Einzelrichter-) Besetzung hat, während eine Einschränkung des Streitwerts auf oder unter 50.000 € ex lege zu einer Einzelrichterbesetzung führt (s § 7a Rz 1). Allerdings wird man für den (eher theoretischen) Fall einer (bloßen) Streitwertreduzierung (ohne Klageeinschränkung) durch den Kläger die Zustimmung des Gegners zu der damit intendierten Änderung der Gerichtsbesetzung verlangen müssen (Roth, Interessenklage 36).

3 Der Streitwert (= Wert des Streitgegenstandes) richtet sich nur nach dem Wert der Hauptforderung. Nebengebühren und Nebenforderungen wie Zinsen, Früchte und Kosten haben keinen Einfluss auf den Streitwert (s etwa ÖBA 1992/361 = RdW 1992, 374). Nur wenn sie selbständig geltend gemacht werden, fallen sie nicht unter diese Regel (vgl RZ 1992/ 96, 290). Der Streitwert richtet sich dann nach der Höhe der eingeklagten Nebenforderung (EFSlg 75.958). Selbst wenn die Klage im Zuge des Verfahrens auf Zinsen und/oder Kosten eingeschränkt wird, bedeutet dies aber nicht, dass die Zinsen nunmehr als selbständig eingeklagt gelten (MietSlg 45.719; 1 Ob 342/98w = RZ 1999/62, 231 = MietSlg 50.786). Die in Abs 2 genannten „Schäden“ sind nicht als Schadenersatzansprüche iSd §§ 1293 ff ABGB zu verstehen; diese bilden einen eigenen materiellrechtlichen Anspruch (vgl Gitschthaler in Fasching I § 54 Rz 30). 228

JN § 54

2.1 Sachliche Zuständigkeit

Im Exekutionsverfahren sind – abgesehen vom Meistbotsverteilungsverfahren nach der Zwangsversteigerung einer Liegenschaft, in dem § 54 Abs 2 nicht anzuwenden ist (verstärkter Senat SZ 68/93 = JBl 1995, 662 [Pfersmann] = ÖBA 1996, 299/541 = ZIK 1995, 198 und ÖBA 1996, 138/528 [Buchegger]) – Zinsen und Kosten als Nebengebühren bei der Berechnung des Entscheidungsgegenstandes nicht zu berücksichtigen (s eingehend Gitschthaler in Fasching I § 54 Rz 24 ff; RS 0003389 sowie etwa 3 Ob 47/95 = NZ 1998, 269 gegen Hoyer, ÖBA 1996, 249). Dies gilt auch für den Streitwert einer Anfechtungsklage (2 Ob 169/00t = ZIK 2000/227, 177 unter Ablehnung der bei Stohanzl, ZPO15 unter E 14 zu § 54 JN zit älteren Entscheidungen). Ohne Berücksichtigung bleiben bei der Streitwertberechnung insb Zin- 4 sen, wenn sie als Nebenforderung, also in einer Klage gemeinsam mit der ihnen zugrundeliegenden Hauptforderung (oder auch nur einem Teil davon), geltend gemacht werden (NZ 1982, 154 ua). Dies gilt auch dann, wenn sie aus dem Titel des Schadenersatzes gefordert werden, da es auf den Rechtsgrund für die als Nebenforderung begehrten Zinsen nicht ankommt (EvBl 1964/450; RdW 1997, 724 ua). Ebensowenig ist entscheidend, ob die Zinsen als eine durch Kapitalbetrag, Zinsfuß und Zeit umschriebene Größe oder als kapitalisierter Betrag geltend gemacht oder zum Kapital dazugerechnet wurden (s RZ 1955, 62; MietSlg 48.568; RdW 1997, 724; 8 Ob 535/81; OLG Wien EvBl 1953/20 und WR 635/1993; HG Wien EvBl 1935/42 und Gitschthaler in Fasching I § 54 Rz 37 f). Ausdrücklich genannt werden in Abs 2 auch „Kosten“. Hinsichtlich der umstrittenen Frage der Geltendmachung von (vorprozessualen) Mahn- und Inkassokosten (dazu Gitschthaler in Fasching I § 54 Rz 32 ff; M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 41 ZPO Rz 44 f und die oben zit ältere Lit) ist durch die Einführung des § 1333 Abs 3 ABGB mit dem ZinsRÄG (BGBl I 2002/118) eine Änderung (aber keine vollständige Klärung – s etwa Fialka, AnwBl 2003, 646) der Rechtslage eingetreten: Nunmehr sind Inkassospesen (jedenfalls) als Nebenforderungen iSd § 54 Abs 2 anzusehen (s auch LG Salzburg EFSlg 101.585), die auch gesondert eingeklagt werden können. Dies kann allerdings – wenn die Hauptforderung noch besteht – Kostenfolgen haben (1 Ob 46/ 03a = EvBl 2004/150 = JBl 2004, 580 = ecolex 2004/368, 789 = RdW 2004/360, 408; OLG Wien 12 R 207/04f = AnwBl 2005, 36 [Anzböck]). Näheres s in der oben zit (neueren) Lit sowie 3 Ob 127/05f = Zak 2006/ 202, 117 und Vor § 40 ZPO Rz 6. Hingegen bilden keine Nebenforderungen iSd § 54 Abs 2: die in den 5 eingeklagten Reparaturkosten enthaltene Umsatzsteuer, auch wenn sie in der Rechnung gesondert ausgewiesen wird (EvBl 1975/149); die in 229

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der Deckungsklage geltend gemachten Exekutionskosten auf Grund des Urteils im Haftungsprozess (SZ 47/38 = JBl 1974, 579 = VersRdSch 1975, 155 = ZVR 1975/95); das Begehren auf Urteilsveröffentlichung (ÖBl 1988, 161; ÖBl 1989, 86; Ciresa, Handbuch der Urteilsveröffentlichung3 [2006] Rz 339) oder der Anspruch auf Wechselprovision (Art 48 Abs 1 Z 4 WG) ebenso wie Protestkosten (Art 48 Abs 1 Z 3 WG; OLG Wien EvBl 1936/264 und WR 745/1996; aM Gitschthaler in Fasching I § 54 Rz 31). § 55. (1) Mehrere in einer Klage geltend gemachte Ansprüche sind zusammenzurechnen, wenn 1. sie von einer einzelnen Partei gegen eine einzelne Partei erhoben werden und in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen, oder 2. sie von mehreren Parteien oder gegen mehrere Parteien erhoben werden, die Streitgenossen nach § 11 Z 1 ZPO sind. (2) Wird der gleiche Anspruch durch oder gegen mehrere Personen geltend gemacht, denen der Anspruch solidarisch zusteht oder für den sie solidarisch haften, so richtet sich der Wert nach der Höhe des einfachen Anspruchs. (3) Wird nur ein Teil einer Kapitalsforderung begehrt, so ist der Gesamtbetrag der noch unberichtigten Kapitalsforderung maßgebend. (4) Die Abs 1 bis 3 sind auch für die Besetzung des Gerichts (§ 7a), die Zulässigkeit von Rechtsmitteln und die Berufungsgründe (§ 501 ZPO) maßgebend. [Abs 1, 4 und 5 idF ZVN 1983 und WGN 1989 sowie 2. EuroJuBeG; früherer Abs 4 aufgehoben und früherer Abs 5 zu Abs 4 umbenannt durch ZVN 2004; sonst Stammfassung] Lit wie Vor § 54 und M. Roth, Neuerungen der Zivilverfahrensnovelle 1983 im Bereich der Klagenhäufung, BeitrZPR II 209; Ertl, Noch immer nicht Veraltetes zur Teileinklagung von Schmerzengeldansprüchen, RZ 1997, 146; G. Kodek, Die „Sammelklage“ nach österreichischem Recht, ÖBA 2004, 615; Rechberger, Verbandsklagen, Musterprozesse und „Sammelklagen“, FS Welser (2004) 871; Obermaier, Das Kostenhandbuch (2005) Rz 490 ff.

1 Zusammenrechnung von Ansprüchen findet statt, wenn die Ansprüche in einer Klage geltend gemacht werden (also nicht nach Prozessverbindung: EvBl 1983/6; AnwBl 1991, 109; JUS Z/2168 uva; s § 187 ZPO Rz 4) und entweder 230

JN § 55

2.1 Sachliche Zuständigkeit

a) bei objektiver Klagenhäufung in tatsächlichem oder rechtlichem Zusammenhang stehen (s unten Rz 2 f) oder b) bei subjektiver Klagenhäufung von oder gegen materielle(n) Streitgenossen, also in Rechtsgemeinschaft hinsichtlich des Streitgegenstands „im engeren Sinn“ (nicht nur im Vorfragenbereich: 5 Ob 47/90 = MietSlg 42.483; 1 Ob 267/02z = SZ 2003/7) stehende(n) oder aus demselben tatsächlichen Grund verpflichtete(n) Streitgenossen (s § 11 ZPO Rz 1 f), erhoben werden. Bei (bloß) formellen Streitgenossen wird nicht zusammengerechnet (etwa wobl 1995/88 oder 10 Ob 106/00m = MietSlg 52.684; Gitschthaler in Fasching I § 55 Rz 23; für die Gebührenbemessung wird in § 15 Abs 2 erster Satz GGG allerdings nicht zwischen den verschiedenen Arten der Streitgenossenschaft unterschieden, sondern immer zusammengerechnet; etwa VwGH 97/16/0195). Von mehreren aus einem Unfall geschädigten Personen (als formelle Streitgenossen – s § 11 ZPO Rz 3) in einer Klage geltend gemachte Ansprüche sind daher nicht zusammenzurechnen (2 Ob 248/98d = JUS Z/2656; 2 Ob 94/01i; vgl auch 1 Ob 143/04t = EFSlg 108.720). Im Falle einer Solidarhaftung ist freilich nur der einfache Wert des Anspruchs anzusetzen (Abs 2; dazu Gitschthaler in Fasching I § 55 Rz 24). Dies gilt auch für die Gebührenbemessung (§ 14 GGG; VwGH ÖstZB 2002/106 oder ÖStZB 2002/237). Bei der Beurteilung, ob zwischen mehreren Forderungen ein tatsäch- 2 licher oder rechtlicher Zusammenhang besteht, ist immer (allein) vom Vorbringen des Klägers auszugehen (RZ 1995/31, 97; EvBl 1997/111; RS0106759). Mehrere Ansprüche stehen in tatsächlichem Zusammenhang, wenn sie allesamt aus demselben Klagesachverhalt abgeleitet werden können; wenn also das für einen Anspruch erforderliche Sachvorbringen ausreicht, um auch über die anderen geltend gemachten Ansprüche entscheiden zu können, ohne dass noch ein ergänzendes Sachvorbringen erforderlich wäre (stRsp, etwa 1 Ob 173/98t = SZ 71/129 oder OLG Wien EFSlg 101.586 und RS0042766); so zB Kosten mehrerer Polizeieinsätze wegen einer fehlerhaften Alarmanlage (JBl 1980, 267 = RZ 1980/64, 271); Kaufpreise mehrerer gleichzeitig bestellter Waren (SZ 52/67); mehrere Schadenersatzansprüche aus demselben Unfall (EFSlg 36.774; SVSlg 33.442; EFSlg 85.164 und RZ 1999/3, 29; Ansprüche des Geschädigten und seines Kaskoversicherers: ZVR 1992/28; Ansprüche nach § 334 ASVG wegen Leistungen an mehrere Geschädigte: SZ 57/17 = JBl 1985, 111 = ZAS 1985/24 [Koziol] ua) oder Urheberrechtsverstoß (RZ 1988/56, 256 = MR 1988, 90); Rückforderung von Ablösen für verschiedene Wohnungen, die zu einem gemeinsamen Wohnungsverband vereinigt worden sind (MietSlg 30.660). 231

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3 Ein rechtlicher Zusammenhang liegt vor, wenn die Ansprüche aus demselben Vertrag oder derselben (auf einen einheitlichen Sachverhalt angewendeten) Rechtsnorm abgeleitet werden (EvBl 1999/41), zB mehrere Ansprüche aus einem einheitlichen Lieferungsvertrag (SZ 14/188 = GH 1933, 80 = RZ 1933, 51 = ZBl 1933/17), Mietzinsansprüche für verschiedene Perioden (JBl 1934, 417; LGZ Wien EvBl 1938/127), Rechnungslegungs- und Ausfolgungsansprüche (SZ 20/155), mehrere Oppositionsklagen wegen desselben Einstellungsgrunds (JBl 1936, 434), die Klage auf Aufhebung des Schiedsspruchs und auf Ersatz der Auslagen des Schiedsverfahrens (EvBl 1988/145). Für die Beurteilung der Zulässigkeit eines Rechtsmittels sind die Streitwerte der Klage und des vom Kläger oder Beklagten gestellten Zwischenantrags auf Feststellung grundsätzlich zusammenzurechnen (Jud 65 neu = SZ 29/77 = EvBl 1957/ 206 = JBl 1957, 295; MietSlg 24.565; Fasching Rz 1086; Gitschthaler in Fasching I § 55 Rz 25); zur Zulässigkeit eines solchen Antrags im bezirksgerichtlichen Verfahren s jüngst 1 Ob 290/04k = EvBl 2005/144. Dagegen ist eine Zusammenrechnung zu verneinen, wenn jeder einzelne Anspruch unabhängig von den anderen besteht, also jeder ein ganz verschiedenes rechtliches Schicksal haben kann, und die Ansprüche weder aus einer gemeinsamen Tatsache noch aus einem gemeinsamen Rechtsgrund abgeleitet werden und auch kein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen den mehreren Ansprüchen besteht (SZ 56/186; SZ 63/188 = EvBl 1991/16 = JBl 1992, 256 = ÖBA 1991, 384; wbl 1992, 335; RZ 1995/31, 97 ua). So etwa bei Ansprüchen aus gleichartigen Verträgen (JBl 1980, 430; EvBl 1999/41), zB mehrere Reparaturen am selben Fahrzeug (SZ 43/185 = EvBl 1971/151), mehrere Leasingverträge (SZ 63/188 = EvBl 1991/16 = JBl 1992, 256), bei mehreren (verschiedenen) Aufträgen über die Lieferung gleichartiger Sachen, selbst bei Bestehen einer ständigen Geschäftsverbindung (RZ 1995/31, 97), Honorar für verschiedene notarielle Beurkundungen für dieselbe GmbH (wbl 1992, 335), mehrere Versicherungsprämien aus verschiedenen Versicherungsverträgen (ZBl 1934/280; GesRZ 1990, 41 = VersRdSch 1990, 119; VersRdSch 1994, 356 = VersE 1611), bei Ansprüchen aus verschiedenen (gleichartigen) Schadensereignissen (MietSlg 43.437), bei einzeln abgetretenen Forderungen (ÖBA 1988, 929; vgl auch HG Wien WR 598/1993) oder legalzessionsweise gem § 332 ASVG übergegangenen Ansprüchen mehrerer Geschädigter (SZ 57/17 = JBl 1985, 111 = ZAS 1985/24 [Koziol]; vgl auch AnwBl 1993, 514), bei mehreren Wechselforderungen (RZ 1978/105, 219; nach der Rsp selbst bei identem Grundgeschäft: SZ 69/244 = RdW 1997, 276; 8 Ob 86/97y; aM Gitschthaler in Fasching I § 55 Rz 19), bei Unterhaltsansprüchen mehrerer Unterhaltsberechtigter (zuletzt EFSlg 105.485), schließlich im Verfahren über einstweiligen Ehegatten- und Kindesunterhalt (NRsp 1991/ 232

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2.1 Sachliche Zuständigkeit

110) und bei Anfechtung verschiedener Zahlungen des Gemeinschuldners (ÖBA 1989, 539 = RdW 1989, 100 = wbl 1989, 67; 7 Ob 282/01y = ZIK 2002/86, 64 = MietSlg 53.640 ua). Für die Beurteilung der Zulässigkeit des Revisionsrekurses im Verfahren auf Bewilligung der Exekution zur Hereinbringung von Forderungen auf Grund mehrerer Exekutionstitel werden nach stRsp die betriebenen Forderungen – selbst im Falle eines tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhangs aller Forderungen – nicht zusammengerechnet (SZ 60/181 = RZ 1988/10, 36; 3 Ob 265/00t = JUS Z/3162; RS0002316). Das gilt auch für exequierbare Kostenforderungen auf Grund von Exekutionsanträgen zur Hereinbringung der Hauptforderung (RZ 1991/62, 200; 3 Ob 286/02h = SZ 2003/ 40; RS0002246). Auch wenn ein Anfechtungskläger sowohl die (rechtsgestaltende) Unwirksamerklärung einer Rechtshandlung begehrt, als auch den aus dieser Rechtsgestaltung abgeleiteten Leistungsanspruch erhebt, ist als Gesamtstreitwert des Streitgegenstandes nur der Wert des Leistungsbegehrens anzusehen (SZ 61/101 = EvBl 1989/21 oder 7 Ob 225/02t = ZIK 2003/81, 61 = ecolex 2003, 587). Zweifelhaft erscheint die Verneinung des rechtlichen Zusammenhangs von Lohnrest und Kündigungsentschädigung (ZBl 1936/28; vgl nun DRdA 1987, 432; ZAS 1989/5) und die These, dass eine Zusammenrechnung von tatsächlich konnexen mit rechtlich konnexen Forderungen nicht statthaben könne (arg „oder“, aM SZ 23/155). Honoraransprüche eines Rechtsanwalts stehen dann in einem (tatsächlichen oder rechtlichen) Zusammenhang, wenn die Leistungen aufgrund eines einheitlichen Auftrags erfolgten oder eine Gesamtzahlungsverpflichtung vorliegt (2 Ob 255/98h = MietSlg 50.680; 6 Ob 283/99g = MietSlg 52.685; vgl auch JBl 1976, 436). Es kommt darauf an, ob dem beauftragten Rechtsanwalt ein oder mehrere Aufträge erteilt wurden und nicht darauf, ob diesen Aufträgen ein oder mehrere Vollmachten zugrunde liegen (aM ZBl 1929/110; ZBl 1929/111; Rsp 1929/121 [abl Wahle]). Bei Teileinklagung einer Kapitalforderung schlägt der Gesamtstreit- 4 wert durch, sofern ein – etwa noch nicht fälliger – schon ziffernmäßig bestimmter (vgl SZ 18/228; OLG Wien EvBl 1947/225; RdW 1997, 277) Rest offen bleibt (etwa 2 Ob 60/05w = JBl 2005, 658 = ZVR 2006/44, 197 oder LGZ Wien EFSlg 85.167). Nur dann, wenn Gesamtansprüche in unbestimmter Höhe behauptet werden oder die Möglichkeit allfälliger weiterer Ansprüche besteht, dann richtet sich der Streitwert nach dem tatsächlich eingeklagten Betrag (2 Ob 9/95 = ZVR 1996/14; OLG Linz EFSlg 105.486). Dies gilt insb auch bei Schadenersatzansprüchen, falls sich der Kläger weitere Ansprüche ausdrücklich vorbehält (2 Ob 60/ 05w = JBl 2005, 658 = ZVR 2006/44, 197). Auch wenn nur mehr der Rest einer bereits teilweise berichtigten oder erloschenen Forderung einge233

§ 55

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klagt wird, bestimmt sich der Streitwert nach dem Restbetrag (Fasching Rz 262; SZ 12/267). Durch diese (de lege ferenda zu beseitigende: s Graff, AnwBl 1991, 497 [Entscheidungsbesprechung]) Regelung soll die Möglichkeit ausgeschaltet werden, durch willkürliche Teileinklagung die Zuständigkeit des GH zu übergehen (JBl 1991, 595) bzw bei geringem Kostenrisiko einen Musterprozess zu führen (s Gitschthaler in Fasching I § 55 Rz 27). Daher ist § 55 Abs 3 bei Einklagung des gesamten überwiesenen Forderungsteils durch den Überweisungsgläubiger nicht anzuwenden (SZ 63/213 = AnwBl 1991, 495 [zust Graff]; AnwBl 1991, 497 [zust Baldinger] und etwa HG Wien AnwBl 1991, 410). Die Anwendung der Teileinklagungsregel des § 55 Abs 3 im Bereich der Revisions- und Revisionsrekursbeschränkungen ist umstritten (s nur Roth, BeitrZPR II 225 ff und Gitschthaler in Fasching I § 55 Rz 36 mwN); nach neuerer Rsp (anders SZ 63/213 = AnwBl 1991, 495 [zust Graff]; AnwBl 1991, 497 [Baldinger]) ist sie nicht anzuwenden (s etwa SZ 64/150 = AnwBl 1992, 675; 3 Ob 151/04h; RS0042348), sodass hier (nur) auf den Wert jenes (Teil-)Streitgegenstandes abzustellen ist, über den das Berufungs- bzw Rekursgericht tatsächlich entschieden hat. Ferner ist sowohl nach dem GGG (§ 15 Abs 3) als auch nach dem RATG (§ 5 Abs 1) nur der eingeklagte Teil einer Kapitalforderung maßgebend und auch für die Berechnung des Verhältnisses zwischen Streitwert und Wert des im Inland befindlichen Vermögens (s §99 Abs 1 letzter Halbsatz) sowie für die Frage der Anwendbarkeit des Mahnverfahrens (§ 244 Abs 1 ZPO) gilt Abs 3 nicht (Gitschthaler in Fasching I § 55 Rz 34).

5 Um „Musterprozesse“ streitwertunabhängig führen zu können (991 BlgNR 17. GP 6), bestimmte der frühere Abs 4 einen fiktiven Mindeststreitwert von 4.500 Euro für Verbandsklagen iSd § 29 KSchG (vgl 7 Ob 124/04t = ZVR 2004/70, 252). In dieser Regelung erblickte der VfGH keine (verfassungswidrige) unsachliche Bevorzugung einer gewissen Gruppe von Gläubigern (VfSlg 13.989 = ÖJZ 1996, 474/6 = wbl 1995, 214; vgl auch SZ 70/224). Durch die ZVN 2004 sollte die (bewährte) bestehende Regelung über die reinen Geldleistungsklagen hinaus derart ausgedehnt werden, dass ein Musterprozess zum Schutz überindividueller Interessen unabhängig von der Natur des abgetretenen Anspruchs geführt werden kann (s 613 BlgNR 22. GP 7 f). Es wurde daher der bisherige § 55 Abs 4 beseitigt und in § 502 Abs 5 Z 3 ZPO eine allgemeine Regelung über die Revisionszulässigkeit in diesen Streitigkeiten geschaffen (Näheres s dort; vgl auch § 517 Abs 2 ZPO nF, § 27 Abs 1 ZPO nF und § 10 Z 6b RATG).

6 Die Bedeutung der Streitwerte geht über die Zuständigkeitsfrage hinaus (s schon oben Vor § 54): Abs 4 (bzw vor der ZVN 2004: Abs 5) erklärt 234

JN § 56

2.1 Sachliche Zuständigkeit

die Zusammenrechnungsregeln ausdrücklich auch in anderen Bereichen für maßgebend, nämlich für die Gerichtsbesetzung (§ 7a) und die Rechtsmittelbeschränkungen (§§ 501, 502, 528 ZPO: etwa EvBl 1997/ 111 und RZ 1999/3, 29). Sie gelten nach überwiegender (aber sehr umstrittener) Meinung auch für die Anwaltspflicht (s § 27 ZPO Rz 5 und Zib in Fasching/Konecny II/1 § 27 ZPO Rz 15 f; aM insb Gitschthaler in Fasching I § 55 Rz 5 ff), nicht aber für die „Mahngrenze“ (s § 244 ZPO Rz 4 sowie Gitschthaler in Fasching I § 55 Rz 4; G. Kodek in Fasching/ Konecny III § 244 ZPO Rz 37). § 56. (1) Erbietet sich der Kläger, an Stelle der angesprochenen Sache eine bestimmte Geldsumme anzunehmen oder stellt er ein alternatives Begehren auf Zuerkennung einer Geldsumme, so ist die in der Klage angegebene Geldsumme für die Beurteilung der Zuständigkeit und für die Besetzung des Gerichtes (§ 7a) maßgebend. (2) In allen anderen Fällen hat der Kläger den Wert eines nicht in einem Geldbetrag bestehenden vermögensrechtlichen Streitgegenstandes in der Klage anzugeben. Dies gilt insbesondere auch in Ansehung von Feststellungsklagen. Unterläßt der Kläger eine Bewertung in einer Klage, so gilt der Betrag von 4 000 Euro als Streitwert. (3) Bei der Bewertung des Streitgegenstandes sind die dem Kläger etwa obliegenden Gegenleistungen nicht in Abzug zu bringen. [Abs 1 idF 2. GEN; Abs 2 Satz 1 idF ZVN 1983; Abs 2 Satz 3 idF WGN 1989, WGN 1997 und 2. Euro-JuBeG] Lit wie Vor § 54 und Enzinger, Zur Höhe des Streitwertes bei Unterlassungsklagen aus dem Wettbewerbsrecht, ÖBl 1986, 1; Gitschthaler, Zum Streitwert der Exszindierungsklage, ÖJZ 1988, 41; Klicka, Bestimmtheit des Begehrens bei Leistungsklagen (1988) 23ff; M. Roth, Individualleistung und Geldersatz im Rahmen der Interessenklage (1993) 34 ff; Adamovic, Beratung und Bewertung bei betriebsverfassungsrechtlichen Streitigkeiten, AnwBl 1998, 365; Gerlach, Zur Frage der Bewertung arbeitsrechtlicher Feststellungsbegehren, ecolex 1998, 647 und ders, ecolex 1999, 489; Oberhammer, Apropos „Zugang zum Recht“: Bewertung des Klagebegehrens, Prozeßkosten und Rechtsschutzversicherung, in 100 Jahre ZPO. Ökonomische Analyse des Zivilprozesses (1998) 163 und ders, Apropos „Bewertung arbeitsrechtlicher Feststellungsbegehren“, ecolex 1998, 788; Obermaier, Das Kostenhandbuch (2005) Rz 473 ff und 485 ff; Ciresa, Handbuch der Urteilsveröffentlichung3 (2006) Rz 339 ff. Besteht der Streitgegenstand in einem Geldbetrag, so bestimmt aus- 1 schließlich die begehrte Geldsumme (ohne Nebenforderungen: § 54 235

§ 56

Mayr

Abs 2) den Streitwert; eine abweichende Bewertung durch den Kläger ist unmöglich. Dieser Grundsatz gilt auch für eine Lösungsbefugnis (§ 410 ZPO) oder wenn ein gestelltes Alternativ- oder Eventualbegehren (SZ 25/163) auf Geld lautet (dazu ausführlich Gitschthaler in Fasching I § 56 Rz 1 ff). Eine abweichende Bezifferung ist unwirksam und von Amts wegen richtigzustellen (Fasching Rz 264). Gem § 57 ASGG ist das Gericht jedoch in Arbeitsrechtssachen nicht an den Abfindungsbetrag oder an den vom Kläger angegebenen Streitwert gebunden, allerdings fehlt dieser Bestimmung ein Anwendungsbereich (Fink, ÖJZ 1988, 103). Ist eine Klage auf Fremdwährungsbeträge gerichtet, so ist der Streitwert dadurch zu bestimmen, dass der begehrte Fremdwährungsbetrag nach dem Devisenkurs des Tages des Einlangens der Klage bei Gericht in Euro umgerechnet wird (Gitschthaler in Fasching I § 54 Rz 21; vgl auch LGZ Wien EFSlg 101.584 sowie § 6 Abs 3 GGG und § 6 RATG).

2 Bei geldgleichen Ansprüchen hat nach stRsp keine Bewertung zu erfolgen (s RS0114182 und Gitschthaler in Fasching I § 56 Rz 10), eine dennoch vorgenommene Bewertung hat keine bindende Wirkung. So etwa bei einer Klage auf Ausfolgung eines Gerichtserlags (AnwZ 1933, 297; vgl JBl 1960, 101) oder eines realisierbaren Sparkassenbuches (ZBl 1936/486; SZ 61/146); ebenso nicht bei einer Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer ziffernmäßig bestimmten Geldforderung (Fasching Rz 265; 8 Ob 288/99g = JBl 2001, 62 = RdW 2000/ 733, 738 = ZIK 2000/220, 173; 1 Ob 214/00b = EvBl 2001/42 = ÖBA 2001/972, 556; aM GlUNF 3973; RZ 1938, 58) oder der Haftung für den Ersatz eines bestimmten Geldbetrags (1 Ob 197/01d = SZ 74/179 = JBl 2002, 304). Diese Rsp wurde durch die ZVN 2004 in § 15 Abs 3a GGG für die Bemessungsgrundlage der Gerichtsgebühren ausdrücklich festgeschrieben (s 613 BlgNR 22. GP 26). Bei einer Klage nach § 10 EO betreffend einen auf Zahlung eines Geldbetrages lautenden Exekutionstitel ist der Streitwert gleich der Höhe des Kapitalbetrages (SZ 51/125). Ebenso entspricht bei einem Prüfungsprozess nach § 110 KO der Wert des Streitgegenstandes der bestrittenen Forderung, deren Prüfung beantragt wird (8 Ob 310/99t = JBl 2001, 62 = RdW 2000/734, 738 = ZIK 2000/220, 173; 9 Ob 17/03w = ZIK 2004/221, 174; aM Konecny in Konecny/Schubert § 110 KO Rz 36). Auch bei einer Widerspruchsklage nach § 231 EO handelt es sich um einen geldgleichen Anspruch (vgl SZ 68/93 = JBl 1995, 662 [zust Pfersmann]; Gitschthaler in Fasching I § 56 Rz 12). Wird Rechtsgestaltung wegen Verletzung über die Hälfte und die Rückzahlung des geleisteten Kaufpreises begehrt, ist das Rechtsgestaltungsbegehren nicht gesondert zu bewerten (RZ 1989/43, 119). 236

JN § 56

2.1 Sachliche Zuständigkeit

Auch bei Rechtsmittelklagen hat eine selbständige Streitbewertung nicht zu erfolgen; der Streitgegenstand ist denknotwendig derselbe wie im Hauptprozess (ZBl 1936/156; SZ 64/172 = Arb 10.998; Arb 11.142; vgl LGZ Wien EFSlg 52.081). Bei allen anderen vermögensrechtlichen Streitigkeiten (für nicht ver- 3 mögensrechtliche bestehen im Zuständigkeits- und Rechtsmittelrecht ohnehin Sonderregelungen) hat der Kläger die „Höhe seines Interesses“ (§ 59) als Streitwert in der Klage anzugeben. Dazu gehören insb (vermögensrechtliche) Feststellungs- (Ausnahme § 58 Abs 2 und oben Rz 2) und Rechtsgestaltungsklagen (auch Zwischenanträge auf Feststellung) sowie Individualleistungsklagen, wie sie in § 59 beispielhaft aufgezählt werden. Zu bewerten sind auch Besitzstörungsklagen (etwa LGZ Wien WR 296/1987; EFSlg 79.085 und Kodek, Besitzstörung 810 f), Manifestationsklagen (GH 1919, 11), beide (zusammenzurechnende) Begehren der Stufenklage (Fasching Rz 1046) und das Begehren auf Urteilsveröffentlichung (dazu Ciresa Rz 341 f) sowie Klagen auf Räumung titellos benutzter Räume (JBl 1980, 103 = MietSlg 31.626/23; MietSlg 43.438 ua). Ob auch Klagen auf Feststellung des Fortbestandes eines Arbeitsverhältnisses vom Kläger nach § 56 Abs 2 zu bewerten sind, ist umstritten (s Oberhammer in 100 Jahre ZPO 163 ff und ders, ecolex 1998, 788 einerseits und Gerlach, ecolex 1998, 647 und ecolex 1999, 489 andererseits). Die Rsp (s JBl 1976, 497 = Arb 9408 = DRdA 1976, 164 = ZAS 1996/25 ua; RS0042257) scheint einer analogen Anwendung der Berechnungsregel des § 58 Abs 2 zuzuneigen (s auch § 58 Rz 5), welche Haltung jedoch aus den von Oberhammer ausführlich dargelegten Gründen nicht zu überzeugen vermag. Im Fall einer Kündigungsanfechtung ist für die Kostenberechnung (nicht § 56 Abs 2 anzuwenden, sondern) der „Zweifelsstreitwert“ des § 14 lit a RATG (früher 300.000 S, jetzt 21.800 €) zugrunde zu legen (8 ObA 86/98z; RS0109949 und 8 ObA 61/98y = Arb 11.702; RS0109658). In jenen Fällen, in denen keine zwingenden Bewertungsvorschriften 4 bestehen, ist der Kläger in seiner Bewertung weitgehend frei. Beklagter, Gericht (GlUNF 4193; SZ 4/36 ua), aber auch der Kläger (SZ 25/172; OLG Wien 16 R 23/85 = REDOK 1313) sind an diese Bewertung gebunden (OLG Linz EFSlg 101.590). Eine Ausnahme besteht nur in den Fällen des § 60 (s dort; vgl OLG Wien WR 689/1995) und – allerdings nur für die Kostenentscheidung – der §§ 7 und 8 RATG (s § 60 Rz 6) sowie nach § 197 Abs 6 AktG für aktienrechtliche Anfechtungsklagen (dazu Diregger in Doralt/Nowotny/Kalss (Hrsg), AktG § 197 Rz 67 ff). Letztere Ausnahme kann jedoch im (GmbH- und) Genossenschaftsrecht nicht analog angewendet werden (SZ 68/20 = EvBl 1995/ 123 = ecolex 1995, 903 = wbl 1995, 339). 237

§ 56

Mayr

5 Nach der Rsp (zuletzt etwa LGZ Wien EFSlg 108.722) stellt die bloße Angabe des Streitwerts im Rubrum der Klage keine ausreichende Bewertung des Streitgegenstandes iSd § 56 Abs 2 oder § 59 dar. Zu beachten ist ferner die möglicherweise unterschiedliche Bewertung nach dem RATG, dem GGG und der JN. Bewertet der Kläger ausdrücklich (nur) nach dem RATG oder dem GGG, so liegt darin noch keine Bewertung iSd § 56 Abs 2, so dass der Zweifelsstreitwert von 4.000 € (unten Rz 6) eingreift (vgl LGZ Wien WR 296/1987 sowie EFSlg 63.928 oder 108.723; MietSlg 44.721 = wobl 1993/47).

6 Als Zweifelstreitwert gilt mangels Angabe des Klägers in der Klage (für jeden einzelnen von mehreren gehäuften Ansprüchen) der Betrag von 4.000 €. Das Verfahren unterliegt daher nicht der Anwaltspflicht (s 991 BlgNR 17. GP 6). Ein Verbesserungsverfahren zur Nachholung der klägerischen Bewertung ist nach Fasching (Rz 265) unzulässig (zustimmend Gitschthaler in Fasching I § 56 Rz 29 und G. Kodek in Fasching/ Konecny II/2 §§ 84, 85 ZPO Rz 152). ME ist jedoch Roth (Interessenklage 46) jedenfalls insofern zuzustimmen, als bei einer unbewerteten (Individualleistungs-, Feststellungs- oder Rechtsgestaltungs-)Klage, die beim GH eingebracht worden ist, vor der (sonst drohenden) Zurückweisung wegen sachlicher (Wert-)Unzuständigkeit ein Verbesserungsverfahren einzuleiten ist. Ob der Zweifelsstreitwert von 4.000 € wegen der (allgemeinen) Verweisung in § 17 (iVm § 14) GGG und in § 14 (iVm § 4) RATG (auch) auf § 56 auch für die Bemessung der Gerichtsgebühren und der Anwaltskosten gilt, ist angesichts der detaillierten Spezialregelung in den zit Kostenvorschriften – die bejahendenfalls weitgehend ihren Anwendungsbereich verlieren würden – (zumindest) zweifelhaft und ist mE zu verneinen (ebenso 8 ObA 61/98y = Arb 11.702 [angeführt bei Adamovic, AnwBl 1998, 365]; LGZ Wien MietSlg 53.641 und MietSlg 53.657 sowie Gitschthaler in Fasching I § 56 Rz 30; anders hingegen Roth, Interessenklage 52; [offenbar] Arnold, AnwBl 1989, 209 sowie AnwBl 1991, 912 [Entscheidungsbesprechungen] und [offenbar] VwGH AnwBl 1990, 640). Beide Fallgruppen müssen aber jedenfalls gleich behandelt werden (aM OLG Innsbruck 5 Ra 138/91, wonach für die Anwaltskosten § 56 Abs 2 letzter Satz, für die Gerichtsgebühren hingegen die Ansätze des § 17 GGG gelten sollen; vgl hingegen VwGH AnwBl 1991, 831 mit Besprechung von Arnold).

7 Dem Kläger allenfalls obliegende Gegenleistungen haben nach Abs 3 bei der Bewertung des Streitgegenstandes außer Betracht zu bleiben. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass das Gericht jedenfalls über die Gesamtforderung als Streitgegenstand entscheiden muss. Dies gilt auch 238

JN § 57

2.1 Sachliche Zuständigkeit

für Gegenforderungen, die der Beklagte im Lauf des Verfahrens einwendet (vgl 1 Ob 68/97z = EvBl 1997/151; Gitschthaler in Fasching I § 56 Rz 31 f). § 57. Bei Streitigkeiten, welche nur die Sicherstellung einer Forderung oder ein Pfandrecht zum Gegenstande haben, ist der Betrag der Forderung, oder wenn der Pfandgegenstand einen geringeren Wert hat, dessen Wert für die Bewertung des Streitgegenstandes maßgebend. [Stammfassung] Lit wie zu § 56 und Obermaier, Das Kostenhandbuch (2005) Rz 341 ff und 502 ff. Es gilt das pfandrechtliche Niederstwertprinzip: Bei Streitigkeiten 1 (nur) um die Sicherstellung einer Forderung oder ein Pfandrecht ist der geringere Wert (der Forderung oder des Sicherungsgegenstandes) anzusetzen (ÖBA 1992/361 = RdW 1992, 374; vgl auch EvBl 1997/164). Ist der Einheitswert der Liegenschaft (§ 60 Abs 2) niedriger als die darauf sichergestellte Forderung, so ist jener für den Wert des Entscheidungsgegenstandes maßgebend (EvBl 1994/161; s auch ÖBA 1995/497). Die Werte mehrerer Pfandgegenstände sind grundsätzlich nicht zusammenzurechnen, außer es handelt sich um eine Gesamtsache oder der Klagegrund ist ein derart einheitlicher Rechtsgrund, dass es zu einer divergierenden Entscheidung in Ansehung der einzelnen Gegenstände gar nicht kommen kann (Gitschthaler, ÖJZ 1988, 45; SZ 39/54 = EvBl 1967/98; EvBl 1970/366; vgl RS0001181). Streitigkeiten, die ein Pfandrecht zum Gegenstand haben, sind auch 2 jene (s Gitschthaler in Fasching I § 57 Rz 4) auf Pfandrechtslöschung (GlUNF 5353; Rsp 1923, 151; EvBl 1994/161 = wobl 1994, 230), Rangfeststellung (GlUNF 4183; LGZ Wien EvBl 1937/340 = NZ 1938, 34), auf Einräumung, Einschränkung oder Ausdehnung eines Pfandrechts, Rückgabe oder Auswechslung des Pfandgegenstands, auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens sowohl an beweglichen wie an unbeweglichen Sachen, sowohl als Verkehrs- wie als Höchstbetragshypothek (vgl ZBl 1934/158 = AnwZ 1934, 230). Auch für Pfandvorrechtsklagen (§ 258 EO) gilt die Bewertungsvorschrift des § 57 (3 Ob 100/ 98x). Außer Pfandrechten sind unter § 57 zu subsumieren alle Sicherheiten 3 (vgl EvBl 1997/164), die einen eigenen Nennwert (Wechsel, Bankgaran239

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tien, Bürgschaften in bestimmter Höhe) oder Sachwert (Sachen unter Vorbehalts- oder Sicherungseigentum) haben (nicht aber wohl die Gehaltsabtretung).

4 Die Anwendung des § 57 auf Klagen nach §§ 35 ff EO ist zT umstritten: Während die ältere Rsp Oppositionsklagen dem § 57 unterworfen hat (JB 242 = GlUNF 7662 = JBl 1916, 213 = ZBl 1916/181), bildet nach neuerer Rsp und hL grundsätzlich die Höhe der betriebenen Forderung den Streitwert der Oppositionsklage (Gitschthaler in Fasching I § 56 Rz 14; Jakusch in Angst § 35 EO Rz 84; Dullinger in Burgstaller/Deixler-Hübner § 35 EO Rz 77, jeweils mwN; 3 Ob 232/03v). Dieser richtet sich bei Unterhaltsansprüchen nach § 58 (dreifache Jahresleistung) zuzüglich eines allenfalls betriebenen Unterhaltsrückstands (etwa 3 Ob 201/01g = SZ 74/141; 3 Ob 274/04x; RS0001624). Der Streitwert der Impugnationsklage (betreffend eine Exekution wegen Geldforderungen) richtet sich so wie jener der Oppositionsklage nach dem unter Anwendung der §§ 54 und 56 ermittelten Wert des betriebenen und von der Klage betroffenen Anspruchs (etwa 3 Ob 2084/96h; 3 Ob 98/98b = RdW 1999, 27; 3 Ob 299/99p = EvBl 2000/201; Gitschthaler in Fasching I § 56 Rz 17; Jakusch in Angst § 36 EO Rz 47; Rebernig in Burgstaller/Deixler-Hübner § 36 EO Rz 55). Bei einer Exszindierungsklage ist für den Wert des Streitgegenstandes nach überwiegender (und mE zutreffender) Meinung immer (nur) der Wert der exszindierten Sache maßgeblich (und nicht die Höhe der betriebenen Forderung): s Rechberger/Simotta, Exekutionsverfahren Rz 378; Holzhammer, Zwangsvollstreckungsrecht 168; Gitschthaler, ÖJZ 1988, 41; ders in Fasching I § 56 Rz 18 f mwN; Burgstaller/Holzner in Burgstaller/Deixler-Hübner § 37 EO Rz 156; zuletzt 3 Ob 320/02h = SZ 2003/134; vgl RS0107702). Nach anderer Meinung richtet sich der Streitwert hingegen nach § 57, wobei die im Exekutionsverfahren hereinzubringende Forderung die Bewertungsobergrenze bildet (3 Ob 119/97i; RS010771 und RS0001178; ferner Jakusch in Angst § 37 EO Rz 60). Für die Anwaltskosten gilt § 5 Abs 2 RATG. Die Gerichtsgebühren für exekutionsrechtliche Klagen richten sich gem § 16 Z 1 lit d GGG stets nach einer fixen Bemessungsgrundlage (derzeit 630 €). § 58. (1) Als Wert des Rechtes auf den Bezug von Zinsen, Renten, Früchten oder anderen wiederkehrenden Nutzungen und Leistungen ist bei immerwährender Dauer das Zwanzigfache, bei unbestimmter oder auf Lebenszeit beschränkter Dauer das Zehnfache, sofern es sich um Ansprüche auf Unterhalts- oder Versorgungsbe240

JN § 58

2.1 Sachliche Zuständigkeit

träge und auf Zahlung von Renten wegen Körperbeschädigung oder Tötung eines Menschen handelt, das Dreifache der Jahresleistung, bei bestimmter Dauer aber der Gesamtbetrag der künftigen Bezüge, jedoch in keinem Fall mehr als das Zwanzigfache der Jahresleistung anzunehmen. (2) Ist das Bestehen eines Pacht- oder Mietverhältnisses streitig, so ist der Betrag des auf die gesamte streitige Zeit fallenden Zinses der Bewertung zugrunde zu legen. [Abs 1 idF ZVN 1983; sonst Stammfassung] Lit wie Vor § 54 sowie Obermaier, Das Kostenhandbuch (2005) Rz 467 ff. Die Bewertungsvorschriften des § 58 sind zwingendes Recht (etwa 1 OLG Linz EFSlg 105.487 ua). Eine abweichende Bewertung bindet das Gericht nicht; es hat diese vielmehr von Amts wegen richtigzustellen (LGZ Wien MietSlg 31.628 und EFSlg 85.168 f sowie Gitschthaler in Fasching I § 60 Rz 5). Eine Bewertung nach Abs 1 findet nur statt, wenn es sich um Streitigkeiten über das Recht zum Bezug der dort genannten Leistungen oder Nutzungen handelt. Sie ist anzuwenden, wenn es um die wiederkehrende Leistung als Ganzes, nicht nur um einzelne Teilbeträge geht (SZ 7/146; JBl 1953, 298; 5 Ob 152/99k). Ein Begehren auf Unterlassung des Wasserbezugs aus einer Quelle ist kein Streit iSd § 58, der Streitwert ist vielmehr vom Kläger nach § 59 anzugeben (AnwBl 1992, 238 und 387 = RZ 1992/16, 42). Nur immerwährende Leistungen sind mit dem Zwanzigfachen, sons- 2 tige, wenn auch mehr als zehn Jahre dauernde Leistungen sind bloß mit dem Zehnfachen zu bewerten (SZ 20/130). Die wichtigsten Fälle der Unterhaltsansprüche sind mit der dreifachen Jahresleistung (= 36fache Monatsleistung) zu bewerten, auch wenn sie für eine längere Zeit begehrt werden (ÖA 1990, 22 = RZ 1990/ 13, 43; EFSlg 101.591, 105.488 oder 108.724). Zusätzlich begehrte, bereits fällige Ansprüche sind nicht zusätzlich neben diesem Dreifachen zu bewerten (LGZ Wien EFSlg 52.084 und 82.091; 2 Ob 294/00z = ÖJZ-LSK 2001/73 = EFSlg 95.032; 1 Ob 210/03v = EFSlg 105.491; RS0114353). Streitwert für das Begehren auf Erhöhung einer Rente nach § 1327 ABGB ist der dreifache Jahresbetrag der Erhöhung, nicht aber des nach der Erhöhung zu leistenden gesamten Rentenbegehrens (etwa EFSlg 105.490 oder EFSlg 108.727). Die Bewertung mit dem Dreifachen führt allerdings schon für sich genommen zu einem unsozial hohen Streitwert, der im Lichte der meist niedrigeren Bewertung sozial241

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rechtlicher Renten durch § 77 Abs 2 ASGG (3.600 €) unsachlich und verfassungsrechtlich bedenklich erscheint (vgl nunmehr § 9 Abs 3 RATG).

3 Abs 1 kommt auch für die Bemessung der Gerichtsgebühren zur Anwendung (vgl § 14 GGG; LGZ Wien EFSlg 101.598); ausgenommen sind Klagen auf künftige Leistung von Ehegattenunterhalt (einschließlich des nachehelichen Unterhalts), wo nach § 15 Abs 5 GGG (s auch § 23 GGG für Unterhaltsansprüche im Außerstreitverfahren) nur das Einfache der Jahresleistung als Bemessungsgrundlage anzunehmen ist (vgl LGZ Wien EFSlg 101.603). Zur Bewertung von Unterhalts-, Versorgungs- und Rentenansprüchen für die Bestimmung der Rechtsanwaltskosten s § 9 RATG (dazu EFSlg 101.599 oder EFSlg 105.493). Zur Problematik der – oftmals exorbitant hohen – Gerichtsgebühren bei Räumungsvergleichen s etwa VwGH wobl 1998/127 und 128 jeweils mit krit Besprechung von Arnold.

4 Die Anwendung des Abs 2 setzt voraus, dass das Vorliegen eines Bestandvertrags mit einer bestimmten Zinshöhe behauptet wird. Fehlt es an einer solchen Behauptung oder ist sie begrifflich nicht möglich, weil etwa auf Feststellung des Nichtbestehens eines Bestandvertrags geklagt wird, dann ist die Bewertung des Streitgegenstands nach § 56 Abs 2 vom Kläger vorzunehmen (EvBl 1973/159; LGZ Wien MietSlg 36.733). Dies gilt auch für ein Übergabsbegehren wegen titelloser Benützung (MietSlg 37.720; AnwBl 1992, 674 = MietSlg 43.438 = RZ 1993/80, 213 ua). Abs 2 ist auch auf einen Streit über die Rechtsnatur eines Bestandvertrages anzuwenden, wenn das zu leistende Entgelt unbestritten ist (JBl 1986, 54 = MietSlg 37.719) und auf ein Begehren auf Feststellung der Rechtsgültigkeit einer Mietzinsvereinbarung (RZ 1977/134, 262). Als Streitwert für eine Klage auf Feststellung eines Bestandverhältnisses ist bei bestimmter Restdauer der gesamte ausständige Zinsbetrag, bei unbestimmter Dauer (in Zusammenhalt mit Abs 1) das Zehnfache der Jahresleistung anzunehmen (LGZ Wien MietSlg 33.589; OLG Wien MietSlg 34.676 ua). Ist nicht das Bestandrecht an sich, sondern nur der Bestandzins strittig, so ist dessen Gesamtbetrag maßgebend (vgl VwGH AnwBl 1989, 567 [zust Arnold] = wobl 1989/53; Gitschthaler in Fasching I § 58 Rz 10).

5 Abs 2 wird von der überwiegenden Rsp (JBl 1976, 497 = Arb 9408 = DRdA 1976, 164 [Hagen] = ZAS 1976/25 [König]; EvBl 1979/139; vgl auch EvBl 1993/201; 7 Ob 198/98p = ecolex 1999/198, 487 = VR 2002/ 581, 155 = VersE 1804; 8 ObA 75/04v; RS0042257) auf Klagen auf 242

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2.1 Sachliche Zuständigkeit

Feststellung des aufrechten Bestands des Arbeitsverhältnisses analog angewendet (Streitwert somit zehnfacher Jahresgehalt; ebenso Gitschthaler in Fasching I § 58 Rz 12); die Richtigkeit dieser Ansicht ist allerdings zu bezweifeln (s Oberhammer in 100 Jahre ZPO 167 ff und oben § 56 Rz 3). Abs 2 wird für die Bemessung der Gerichtsgebühren durch § 16 Z 1 lit c 6 GGG ersetzt. Für die Entlohnung des Rechtsanwalts gilt (zwingend: OLG Wien WR 540/1992) § 10 Z 2 RATG (dazu Obermaier, Kostenhandbuch Rz 460 ff sowie Zingher/Zingher, Der Kostenstreitwert der Räumungsklage, AnwBl 1992, 454 und kritisch Oberhammer in 100 Jahre ZPO 178 FN 41). § 59. Bei Klagen auf Vornahme von Arbeiten oder anderen persönlichen Leistungen, auf Duldung oder Unterlassung, auf Abgabe von Willenserklärungen ist die vom Kläger angegebene Höhe seines Interesses als Wert des Streitgegenstandes anzusehen. [Stammfassung] Lit wie Vor § 54 und zu § 56. Diese Bestimmung wiederholt die generelle Anordnung des § 56 Abs 2, 1 wonach die Streitwertbestimmung bei (vermögensrechtlichen) Streitgegenständen, die nicht in einem Geldbetrag bestehen, im Ermessen des Klägers steht und verdeutlicht dies durch die beispielhafte Aufzählung von gewissen Individualleistungsklagen. Nicht auf Geld gerichtete Leistungsklagen sind also nach den zu § 56 2 Abs 2 genannten Grundsätzen nach dem Interesse des Klägers zu bewerten, so etwa Unterlassungsklagen (dazu Enzinger, ÖBl 1986, 1; SZ 55/186 = EFSlg 41.603 = MietSlg 34.677; AnwBl 1992, 238 und 387 = RZ 1992/16, 42; vgl auch LGZ Wien EFSlg 66.864) oder Klagen auf Abschluss eines Mietvertrags (MietSlg 30.661). Weitere Beispiele s bei Gitschthaler in Fasching I § 59 Rz 3 ff. § 60. (1) Erscheint bei einer Klage, welche bei einem Gerichtshofe erster Instanz angebracht wurde, die vom Kläger angegebene Summe, zu deren Annahme an Stelle der angesprochenen Sache er sich erboten hat (§ 56 Abs 1), oder die im Sinne des § 56 Abs 2 erfolgte Bewertung des Streitgegenstandes übermäßig hoch gegriffen, so kann das Gericht, wenn es zugleich wahrscheinlich ist, daß bei rich243

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tigerer Bewertung des Streitgegenstandes dieser die für die Zuständigkeit des Gerichtshofes oder für die Besetzung des Gerichtes (§ 7a) maßgebende Wertgrenze nicht erreichen dürfte, von Amts wegen die ihm zur Prüfung der Richtigkeit der Wertangabe nötig erscheinenden Erhebungen und insbesondere die Einvernehmung der Parteien, die Vornahme eines Augenscheines und, wenn es ohne erheblichen Kostenaufwand und ohne besondere Verzögerung geschehen kann, auch die Begutachtung durch Sachverständige anordnen. Dies kann erforderlichenfalls auch schon vor Anberaumung der mündlichen Verhandlung geschehen. (2) Als Wert einer grundsteuerpflichtigen unbeweglichen Sache ist jener Betrag anzusehen, welcher als Steuerwert für die Gebührenbemessung in Betracht kommt. (3) Muß infolge der Ergebnisse solcher Erhebungen und Beweisführungen die Streitsache von dem Gerichtshofe an das Bezirksgericht abgetreten werden, so hat der Kläger die durch diese Erhebungen und Beweisführungen entstandenen Kosten zu tragen oder zu ersetzen. Dasselbe gilt, wenn nach dem Ergebnisse solcher Erhebungen und Beweisführungen der mit mehr als 50 000 Euro angegebene Wert des Streitgegenstandes den Betrag von 50 000 Euro nicht übersteigt (§ 7a). (4) Außer dem in Abs 1 bezeichneten Falle ist die in der Klage enthaltene Bewertung des Streitgegenstandes in Ansehung der Zuständigkeit und der Besetzung des Gerichtes (§ 7a) sowohl für das Gericht als für den Gegner bindend. [Abs 1 idF 1. und 2. GEN; Abs 3 idF 1. GEN, ZVN 1983 und 2. Euro-JuBeG; Abs 4 idF 2. GEN; sonst Stammfassung] Lit wie Vor § 54 und Burgstaller, Streitwertangabe und Entscheidungskontrolle, FS Matscher 65; Pfersmann, Bemerkenswertes aus der SZ 64, ÖJZ 1994, 73; Obermaier, Das Kostenhandbuch (2005) Rz 482 ff, 506 ff und 512 ff.

1 Abs 4 bildet die Grundregel: Die Bemessung des Streitwertes ist für Gericht und Parteien grundsätzlich bindend. Davon bestehen folgende Ausnahmen: – Streitwertherabsetzung nach Abs 1 (dazu unten Rz 3 ff); – Streitwertbemängelung nach §§ 7 f RATG (dazu unten Rz 6); – beim Ausspruch, ob der Streitgegenstand 4.000 € übersteigt (§ 500 Abs 2 Z 1 ZPO), ist das Berufungsgericht nicht an die Bewertung des Klägers gebunden (RZ 1984/69, 211; wobl 1991/124 ua; zur Frage der Bindung des OGH an den Bewertungsausspruch der 2. Instanz s § 500 ZPO Rz 3 und etwa SZ 63/117 = EvBl 1990/146 = 244

JN § 60

2.1 Sachliche Zuständigkeit

JAP 1991/92, 49 [mit zust Erläuterung von Klicka]; RZ 1992/1, 17; AnwBl 1992, 238 = RZ 1992/16, 42; EvBl 1991/156 = NZ 1992, 106; EvBl 1994/161). Dagegen ist nach der Rsp (SZ 59/198; EvBl 1987/ 110 = EFSlg 52.222; AnwBl 1992, 674 = MietSlg 43.438 = RZ 1993/ 80, 213) die Bewertung des Klägers im Hinblick auf §§ 501, 517 ZPO bindend, sofern nicht eine offensichtliche Unterbewertung vorliegt (aM mit guten Gründen Burgstaller in FS Matscher 65). Als Wert einer grundsteuerpflichtigen unbeweglichen Sache ist – sofern 2 die Liegenschaft selbst streitverfangen ist (SZ 55/186 = EFSlg 41.603 = MietSlg 34.677; EvBl 1991/156 = NZ 1992, 106; ÖA 1995, 100), also etwa wenn das Klagebegehren auf die Einverleibung oder die Löschung des Eigentumsrechts an einer Liegenschaft gerichtet ist (6 Ob 202/02b) – (nunmehr) das Dreifache des Einheitswerts (§ 6 GrESt) anzunehmen (5 Ob 180/02k = MietSlg 54.583; s auch § 15 Abs 1 GGG). Nur dann, wenn nicht ein ideeller, sondern ein realer Teil einer Liegenschaft ohne eigenen Einheitswert streitverfangen ist, muss eine Bewertung (nach dem gemeinen Wert) erfolgen (7 Ob 667/90 = SZ 64/1 = JBl 1991, 597; 2 Ob 354/98t = EFSlg 90.746; 10 Ob 66/00d = MietSlg 52.687). Durch diese Erhöhung des maßgeblichen Wertes im Rahmen des Budgetbegleitgesetzes 2001 (BGBl I 2000/142) sind die in der Lit (zuletzt Gitschthaler in Fasching I § 60 Rz 35 mwN) geäußerten Bedenken hinsichtlich der Verfassungskonformität dieser Regelung (zumindest weitgehend) beseitigt worden und auch der VfGH hat einem Antrag auf Aufhebung des § 60 Abs 2 (insb in Hinblick auf die neue Rechtslage) keine Folge gegeben (VfSlg 17083/2003 = ZfVB 2004/1214; s auch 3 Ob 320/02h = SZ 2003/134). Beträgt der Einheitswert null Euro, so besteht eine Bindung an einen die Bagatellgrenze des § 25 BewG nicht übersteigenden Wert (MietSlg 44.722, 46.592). Auf welchen Rechtsgrund der Kläger sein Begehren stützt und aus welchen Gründen dieses Begehren bestritten wird, ist unerheblich; eine Einschränkung auf Klagen aus einem dinglichen Recht ist Abs 2 nicht zu entnehmen (RZ 1990/38, 95; SZ 64/1 = JBl 1991, 597). Der Einheitswert ist daher auch für Teilungsklagen (EvBl 1986/128 = MietSlg 37.764; MietSlg 38.784, 39.775, 52.782; OLG Wien EFSlg 101.609; aM [Bewertung durch den Kläger] VwGH AnwBl 1991, 831 und immolex 1998, 286/184), im Verfahren zur freiwilligen Feilbietung (RZ 1992/92, 288) und im Grundbuchsverfahren (NZ 1992, 81 = RZ 1992/28, 73; JUS Z/916; NRsp 1992/75; EvBl 1994/161) heranzuziehen; nicht aber etwa bei Streitigkeiten über nicht selbständig bewertete Grundparzellen (JBl 1954, 402; vgl auch RZ 1990/38, 95), bei grundbücherlich einverleibten Bestandrechten (EFSlg 63.932 = NRsp 1990/193) oder für einen Anspruch auf Ablichtungen aus der Urkundensammlung (EvBl 1993/18); 245

§ 60

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ferner nicht, wenn lediglich die Unterlassung der Nutzung einer Liegenschaft begehrt wird (EFSlg 72.807), bei einer Eigentumsfreiheitsklage oder bei einem Streit um die Löschung oder Aufrechterhaltung eines Wegerechts (s OLG Wien WR 636/1993) oder über den Umfang der zulässigen Benützung eines Weges (3 Ob 295/98y = MietSlg 51.624). Ist für ein Grundstück allerdings kein eigener Einheitswert festgesetzt, so ist für die Bewertung dessen gemeiner Wert maßgebend (1 Ob 11/98v = MietSlg 50.681; 6 Ob 246/01x = MietSlg 53.642; 1 Ob 50/04s = MietSlg 56.618). Zu beachten ist allerdings, dass die Bewertungsvorschrift des Abs 2 im Verfahren erster Instanz nur für die Überprüfung des Werts des Streitgegenstands bei einer übermäßig hohen Bewertung iSd Abs 1 (unten Rz 3) von Bedeutung ist, das Gericht daher an eine Bewertung unter dem steuerlichen Einheitswert gebunden ist (1 Ob 348/97a = EvBl 1998/ 74 = EFSlg 85.171 = MietSlg 49.593).

3 Voraussetzung für eine Streitwertherabsetzung nach Abs 1 ist, dass der Kläger bei der Angabe der Lösungsbefugnis (gilt nicht für ein Alternativ- oder Eventualbegehren: OLG Wien 16 R 108/85 = REDOK 1444) oder der Bewertung nach § 56 Abs 2 sowie § 59 (RZ 1975/53, 117) übermäßig (eine geringfügige Überbewertung ist daher unbeachtlich, s Materialien I 67 f) hoch (eine Unterbewertung ist somit nicht korrigierbar: SZ 4/36; RZ 1937, 410; 1 Ob 348/97a = EvBl 1998/74) gegriffen hat und dadurch wahrscheinlich die für die Zuständigkeit des GH oder – sofern überhaupt ein Antrag auf Senatsbesetzung gestellt wurde (s OLG Wien EFSlg 97.920) – für die Senatsbesetzung maßgebenden Wertgrenzen (also 10.000 € oder 50.000 €) überschritten wurden. Nur unter diesen Bedingungen kann der Richter bzw der Senat des GH auf Anregung der beklagten Partei (ein Parteienantrag ist nicht ausdrücklich vorgesehen: OLG Wien WR 636/1993) oder von Amts wegen (OLG Wien 17 R 296/87 = REDOK 12.717) auch ohne mündliche Verhandlung (OLG Wien EvBl 1949/588: aus Gehörgründen problematisch) nach allenfalls erforderlichen, möglichst zeit- und kostensparenden Erhebungen (vgl RZ 1965, 46) mit Beschluss entscheiden, dass die erwähnten Wertgrenzen „bei richtigerer Bewertung“ nicht überschritten wurden (zu einer Festsetzung eines neuen Streitwertes ist das Gericht somit nicht befugt: OLG Wien EFSlg 97.917), die Sache daher dem BG bzw dem Einzelrichter des GH abgetreten wird und der Kläger die durch die Erhebungen entstandenen Kosten (nicht die der Klagebeantwortung: OLG Wien EvBl 1937/341 und 18 R 126/86 = REDOK 14.549) zu ersetzen hat (Abs 3; s OLG Wien WR 904/2001). Bei einem Auftrag des Gerichts an den Kläger iSd § 60 Abs 1 handelt es sich um einen Verbesserungsauftrag nach §§ 84 f ZPO (vgl 1 Ob 246

JN § 60

2.1 Sachliche Zuständigkeit

83/04v = EvBl 2005/136), der nicht (abgesondert) angefochten werden kann (1 Ob 114/04b = JUS Z/3830). Der Beschluss, mit dem ein GH eine Herabsetzung des Streitwerts 4 ablehnt, ist unanfechtbar (RZ 1965, 46); ebenso jener, mit dem (nach Eintritt der Streitanhängigkeit: 3 Ob 302/01k = JUS Z/3319) die Rechtssache an ein BG am Sitz des GH abgetreten wird, weil der Rechtsmittelausschluss des § 45 zur Anwendung kommt (RZ 1987/44, 175; OLG Wien WR 903/2000). Eine Ausnahme hat der OGH jedoch – in Anlehnung an die Judikatur zu § 261 Abs 6 ZPO (dazu §§ 260–261 ZPO Rz 11; s auch unten Rz 6 hinsichtlich § 7 RATG) – dann gemacht, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Anwendung des § 60 gar nicht gegeben waren (2 Ob 169/02w = EvBl 2003/28; vgl aber 3 Ob 266/02t = MietSlg 54.577). Andere Abtretungsbeschlüsse können (a limine litis nur vom Kläger; aM Fasching, Kommentar1 I 365) mit (einseitigem, da kein Fall des § 521a Abs 1 Z 3 ZPO vorliegt) Rekurs angefochten werden. Rechtskräftige Abtretungsbeschlüsse sind iSd § 46 bindend (s Gitschthaler in Fasching I § 60 Rz 18). Die Streitwertherabsetzung nach § 60 wirkt (außer für die Besetzung 5 und Zuständigkeit des Gerichts) auch für die Gerichtsgebühren (§ 14 GGG verweist auch auf § 60), hat aber für den Rechtsanwaltstarif keine Bedeutung (der Verweis des § 4 RATG klammert § 60 aus; OLG Wien EFSlg 97.921). Sie kann aber freilich – sofern dessen Voraussetzungen gegeben sind – mit einem Beschluss nach § 7 RATG (dazu unten Rz 6) einhergehen (vgl LGZ Wien EFSlg 87.987). Findet der Beklagte die Bewertung durch den Kläger (nur) nach §§ 56 6 oder 59 (OLG Wien WR 635/1993) offenbar zu hoch oder (auch) zu niedrig, so hat der Richter nach § 7 RATG auf rechtzeitigen (dh spätestens in der vorbereitenden Tagsatzung gestellten) Antrag (nicht von Amts wegen) des Beklagten (oder beider Parteien [LG Eisenstadt EFSlg 101.605]; nicht aber des Klägers allein [LGZ Wien RPflSlgE 1970/67]) nach Anhörung beider Teile aufgrund einer Parteieneinigung oder nach freiem Ermessen im Rahmen der gestellten Anträge (möglichst ohne weitere Erhebungen und ohne wesentliche Verzögerung der Erledigung oder Verursachung zusätzlicher Kosten) mit unanfechtbarem Beschluss (auch ein Kostenrekurs darf nicht zur Umgehung dieses Rechtsmittelausschlusses verwendet werden: LGZ Wien EvBl 1937/822) den Streitwert festzulegen. Entsprechendes gilt auch für eine Streitwertänderung im Lauf eines Prozesses; diesfalls ist aber auch der Kläger antragsberechtigt (s § 8 RATG). 247

§§ 61–64

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Den rigorosen Rechtsmittelausschluss hält der VwGH (AnwBl 1993, 107) für verfassungsrechtlich unbedenklich (zu Recht krit Arnold, AnwBl 1993, 108 und Gitschthaler in Fasching I § 60 Rz 29). Nach allgemeinen Regeln (vgl §§ 260–261 ZPO Rz 11) gilt die Rechtsmittelbeschränkung allerdings nicht, wenn § 7 RATG gar nicht hätte angewendet werden dürfen (OLG Wien WR 635/1993; vgl auch OLG Wien WR 540/ 1992 und 839/1998 sowie LGZ Wien MietSlg 46.608; s auch oben Rz4). Auch der Zweifelsstreitwert nach § 56 Abs 2 letzter Satz kann nach § 7 RATG bemängelt werden, ansonsten hätte es der Kläger in der Hand, dem Beklagten durch eine willkürliche Unterlassung der Bewertung einen zu hohen oder zu niedrigen Streitwert aufzuzwingen (so auch Oberhammer in 100 Jahre ZPO 175 f FN 33; Gitschthaler in Fasching I Rz 28 und LGZ Wien EFSlg 90.737; aM offenbar Arnold, Kostenfragen im besonderen Feststellungsverfahren nach § 54 Abs 1 ASGG, RdW 1987, 129). Der nach § 7 RATG festgesetzte Streitwert gilt auch – sofern nicht eine feste Bemessungsgrundlage nach § 16 GGG eingreift – als Bemessungsgrundlage für die Gerichtsgebühren (§ 18 Abs 2 Z 1 GGG; s VwGH ÖStZB 2000/213 und ÖStZB 2002/244). Auf die Zuständigkeit und Besetzung der Gerichte, die Anwaltspflicht und die Rechtsmittelzulässigkeit hat er hingegen keine Auswirkungen (LGZ Wien EFSlg 108.731). Bestreitung der Zuständigkeit eines Zivil-, Handels- oder bergrechtlichen Senates § 61. (1) Wenn in einer vor dem Zivilsenate eines Landesgerichtes verhandelten Rechtssache der Antrag auf Verweisung der Rechtssache vor den Handelssenat desselben Gerichtshofes gestellt wird (Einrede der Unzuständigkeit) und das Gericht dem Antrage noch vor Schluß der Verhandlung zur Hauptsache stattgeben zu müssen erachtet, kann es, sofern der Stand der Verhandlung eine solche Maßregel zweckmäßig erscheinen läßt, zugleich mit der Entscheidung über die Unzuständigkeitseinrede den Beschluß fassen, daß sofort an Stelle eines der Senatsmitglieder ein fachmännischer Beisitzer zu treten habe und die Verhandlung vor dem so veränderten Senate gleich durchzuführen sei. (2) Dasselbe kann vermittels Ersatzes des fachmännischen Beisitzers durch einen richterlichen Beamten geschehen, wenn die Unzuständigkeit des Handelssenates deshalb behauptet wird, weil die Rechtssache zur allgemeinen Gerichtsbarkeit gehört. (3) Die Entscheidung über die Einrede der Unzuständigkeit ist in diesen Fällen nicht besonders auszufertigen, sondern in die nach 248

JN §§ 61–64

2.1 Sachliche Zuständigkeit

Schluß der Verhandlung zur Hauptsache ergehende Entscheidung aufzunehmen. [Fassung ZVN 1983 (bergrechtliche Senate bestehen seither nicht mehr, eine Anpassung der Überschrift ist jedoch unterblieben) und BGBl 1993/91] § 62. (1) Wird in den im § 61 bezeichneten Fällen die Entscheidung über die Einrede der Unzuständigkeit vom Gerichte dem nach Schluß der Verhandlung zur Hauptsache ergehenden Ausspruche vorbehalten, so kann der Vorsitzende, je nachdem die Verweisung an einen Handelssenat oder an einen Zivilsenat begehrt wurde, einen fachmännischen Beisitzer oder einen richterlichen Beamten der Verhandlung als Ergänzungsrichter beiziehen. Wird sodann die Einrede der Unzuständigkeit von dem Senate, vor welchem die Verhandlung anberaumt war, auf Grund der Ergebnisse der Verhandlung als gerechtfertigt erkannt, so hat, sofern die vor einem Zivilsenate verhandelte Rechtssache vor einen Handelssenat gehört, der als Ergänzungsrichter beigezogene fachmännische Beisitzer zum Zwecke der Entscheidung der Hauptsache an Stelle eines der Mitglieder jenes Senates zu treten. Bei Rechtssachen, welche vor einen Zivilsenat gehören, hat hingegen der richterliche Beamte, welcher als Ergänzungsrichter an der Verhandlung teilgenommen hat, an die Stelle des fachmännischen Beisitzers des ursprünglich zur Verhandlung berufenen Senates zu treten. Gegen diese Beschlüsse ist ein abgesondertes Rechtsmittel nicht zulässig. (2) Die Veränderung in der Zusammensetzung des Senates und die Namen der Senatsmitglieder, welche an der Urteilsfällung tatsächlich mitgewirkt haben, sind in diesem Falle bei der Verkündung der Entscheidung stets bekanntzugeben. (3) Dasjenige Mitglied des Senates, welches infolge der erhobenen Einrede der Unzuständigkeit vor der Entscheidung der Hauptsache kraft Gerichtsbeschlusses aus dem Senate ausschied, hat sich an der Beratung und Abstimmung über das Urteil nicht zu beteiligen. Es ist jedoch verpflichtet, dem Vorsitzenden seine Meinung über die Entscheidung der Streitsache in besonderer schriftlicher Ausfertigung innerhalb drei Tagen bekanntzugeben. Dieses Votum ist dem Beratungsprotokolle beizulegen. [Abs 1 idF ZVN 1983; sonst Stammfassung] § 63. Die Bestimmungen der §§ 61 und 62 sind auch anwendbar, sofern in einer bei einem selbständigen Handelsgerichte angebrachten Rechtssache die Einrede der Unzuständigkeit deshalb erhoben wird, weil die Rechtssache vor das zur Ausübung der allgemeinen 249

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Gerichtsbarkeit berufene Landesgericht gehört, oder bei diesem, weil die Rechtssache vor das Handelsgericht gehört. [Abs 1 idF 1. GEN, ZVN 1983 und BGBl 1993/91; Abs 2 aufgehoben durch 1. GEN] § 64. Wenn eine gemäß § 62 unter Zuziehung eines Ergänzungsrichters gefällte Entscheidung wegen Unzuständigkeit des Gerichtes angefochten wird und die höhere Instanz der Ansicht ist, daß der Senat, vor welchem die Verhandlung anberaumt war, zur Entscheidung der Rechtssache tatsächlich zuständig gewesen wäre, so ist dennoch auf die Unzuständigkeit nicht weiter Bedacht zu nehmen, falls auch das vor der Endentscheidung aus dem Senate ausgeschiedene Mitglied nach Inhalt seines den Akten beiliegenden Votums die Rechtssache so entschieden hätte, wie es durch den angefochtenen Spruch geschehen ist. [Stammfassung] Lit: Gitschthaler in Fasching I §§ 61–64 JN; Fasching, Lehrbuch Rz 177.

1 Die Anordnungen der §§ 61 bis 64 bezwecken eine Einschränkung von Zuständigkeitsstreiten zwischen den allgemeinen Zivilsenaten und den Kausalsenaten desselben Gerichtshofes bzw zwischen dem HG und dem LGZRS in Wien. Da diese Bestimmungen einerseits keine besonderen Auslegungsschwierigkeiten verursachen und ihnen andererseits insb durch die weitgehende Zurückdrängung der erstinstanzlichen Senatsgerichtsbarkeit keinerlei praktische Bedeutung (mehr) zukommt (im „Hohenecker-Index“ wird seit 1945 keine einzige Fundstelle angeführt), erübrigt sich hier eine eingehende Kommentierung. Siehe aber näher Gitschthaler in Fasching I §§ 61 – 64 Rz 3 ff.

2 Immerhin ergibt sich aus den §§ 61 ff eindeutig, dass Zivilsenat und Kausalsenat zueinander im Zuständigkeitsverhältnis stehen. Systemwidrig wird hingegen das Verhältnis zwischen Zivil- bzw Handelssenat (oder Einzelrichter) und arbeits- und sozialgerichtlicher Senat desselben GH (und umgekehrt) als unrichtige Gerichtsbesetzung behandelt (§ 37 Abs 1 ASGG; s § 7 Rz 5).

250

Zweiter Abschnitt Örtliche Zuständigkeit Vor § 65 Die örtliche Zuständigkeit legt fest, welches von mehreren gleicharti- 1 gen Gerichten eine bestimmte Rechtssache zu erledigen hat (Gerichtsstand). Dabei ist zu unterscheiden zwischen dem allgemeinen Gerichtsstand (§§ 65 bis 75), der im Zweifel für alle Klagen gegen eine im Inland befindliche Person besteht, und den besonderen Gerichtsständen (§§ 76 bis 104), die für bestimmte Arten von Klagen neben oder statt dem allgemeinen Gerichtsstand gegeben sind. Diese besonderen Gerichtsstände sind Wahlgerichtsstände (§§ 86 bis 104), wenn der Kläger zwischen ihnen und dem allgemeinen Gerichtsstand wählen kann, und ausschließliche Gerichtsstände (§§ 76 bis 85), wenn durch sie jeder andere (allgemeine oder Wahl-) Gerichtsstand – nicht aber eine Gerichtsstandsvereinbarung – ausgeschlossen wird. Ist ausnahmsweise eine Vereinbarung der Parteien über die Zuständigkeit ausgeschlossen, so spricht man (in Österreich) von einem Zwangsgerichtsstand (insb §§ 83a und 83b; s auch § 14 KSchG [dazu Vor § 83a JN] sowie § 9 ASGG). Die Lehre unterscheidet ferner zwischen persönlichen Gerichtsstän- 2 den, die an die Parteien des Prozesses, und zwar entweder an die beklagte (Passivgerichtsstand) oder an die klagende Partei (Aktivgerichtsstand), anknüpfen, und sachlichen Gerichtsständen, die durch die Beziehungen der Streitsache zum Gerichtssprengel begründet werden. Die örtliche Zuständigkeit in Arbeitsrechtssachen regeln die §§ 4 bis 6 3 ASGG, jene in Sozialrechtssachen § 7 ASGG. Nähere Einzelheiten dazu s insb bei Fasching Rz 2261 ff und 2266; Rechberger/Simotta Rz 999 ff sowie Kuderna 76 ff und 93 ff. Die EuGVVO und das Brüsseler bzw Luganer Übereinkommen (dazu 4 Nach § 27a) regeln neben der internationalen Zuständigkeit häufig auch die örtliche Zuständigkeit; so insb bei den „besonderen Zuständigkeiten“ der Art 5 und 6. Bei der Regelung der allgemeinen Zuständigkeit (Art 2) und den „ausschließlichen Zuständigkeiten“ nach Art 22 EuGVVO bzw Art 16 EuGVÜ/LGVÜ wird hingegen nur die internationale Zuständigkeit eines Mitglied- bzw Vertragsstaates festgelegt, 251

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sodass hier zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit innerhalb des betreffenden Staates auf die einschlägigen nationalen Vorschriften zurückzugreifen ist. Durch die EuGVVO II wird im Regelfall nur die internationale Zuständigkeit der Mitgliedstaaten festgelegt. Allgemeiner Gerichtsstand § 65. Alle Klagen, für welche nicht ein besonderer Gerichtsstand bei einem anderen Gerichte begründet ist, sind bei dem sachlich zuständigen Bezirksgerichte oder Gerichtshofe erster Instanz anzubringen, bei welchem der Beklagte seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. [Stammfassung] Lit: Simotta in Fasching I § 65 JN; Bajons Rz 52 ff; Ballon Rz 61; Fasching Rz 272 ff; Holzhammer 49; Rechberger/Simotta Rz 109, 111.

1 Das Gericht des allgemeinen Gerichtsstandes der beklagten Partei ist für alle Klagen (örtlich) zuständig, für die das Gesetz nicht einen abweichenden ausschließlichen Gerichtsstand (§§ 76 bis 85) vorsieht. Bei Vorliegen eines oder mehrerer Wahlgerichtsstände steht dem Kläger zwischen diesem(n) und dem allgemeinen Gerichtsstand die Wahl offen. Sie ist mit der Zustellung der Klage an den Beklagten vollzogen (§ 102). Liegt eine Gerichtsstandsvereinbarung vor, so hängt die Zuständigkeit des Gerichts des allgemeinen Gerichtsstands davon ab, ob bloß ein Wahlgerichtsstand oder ein ausschließlicher Gerichtsstand geschaffen werden sollte (s § 104 Rz 11).

2 Der allgemeine Gerichtsstand ist regelmäßig mit der Person des Beklagten verknüpft (Passivgerichtsstand). Zum Ausgleich dafür wird in § 64 Abs 1 Z 4 und § 65 Abs 1 ZPO dem Kläger in bestimmten Fällen die Möglichkeit eingeräumt, seine Klage gemeinsam mit dem Antrag auf Verfahrenshilfe beim BG seines Aufenthaltes einzubringen. Er ist regelmäßig selbständig, da er sich nach Verhältnissen des Beklagten selbst richtet, ausnahmsweise abgeleitet, wenn die Verhältnisse einer anderen Person maßgebend sind. § 66. (1) Der allgemeine Gerichtsstand einer Person wird durch deren Wohnsitz bestimmt. Der Wohnsitz einer Person ist an dem Orte begründet, an welchem sie sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, daselbst ihren bleibenden Aufenthalt zu nehmen. (2) Der allgemeine Gerichtsstand einer Person wird auch durch ihren gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Der Aufenthalt einer 252

JN § 66

2.2 Örtliche Zuständigkeit

Person bestimmt sich ausschließlich nach tatsächlichen Umständen; er hängt weder von der Erlaubtheit noch von der Freiwilligkeit des Aufenthalts ab. Bei der Beurteilung, ob ein Aufenthalt als gewöhnlicher Aufenthalt anzusehen ist, sind seine Dauer und seine Beständigkeit sowie andere Umstände persönlicher oder beruflicher Art zu berücksichtigen, die dauerhafte Beziehungen zwischen einer Person und ihrem Aufenthalt anzeigen. (3) Wenn eine Person ihren Wohnsitz und ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Sprengel desselben Gerichtes oder wenn sie in den Sprengeln mehrerer Gerichte einen Wohnsitz oder einen gewöhnlichen Aufenthalt hat, so ist für sie bei jedem dieser Gerichte ein allgemeiner Gerichtsstand begründet. Es steht in einem solchen Fall dem Kläger die Wahl frei, bei welchem der verschiedenen Gerichte er die Klage anbringen will. [Abs 2 und 3 idF ZVN 1983; sonst Stammfassung] Lit wie zu § 65 und Loewe, Die Empfehlung des Europarats zur Vereinheitlichung der Rechtsbegriffe „Wohnsitz“ und „Aufenthalt“, ÖJZ 1974, 144; Baetge, Der gewöhnliche Aufenthalt im Internationalen Privatrecht (1994); Wiederin, Anmerkungen zur Versteinerungstheorie, in FS Winkler (1997) 1231 (1253); Häußl, Allgemeiner Gerichtsstand und Hauptwohnsitz, AnwBl 2001, 341; Kropholler, Der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes und das Aufenthaltsbestimmungsrecht, FS Jayme (2004) 471; Geimer, Einige Bemerkungen zur Zuständigkeitsordnung der Brüssel I-Verordnung, FS Musielak (2004) 169. Inhaltsübersicht Anknüpfungspunkt allgemeiner Gerichtsstand Wohnsitz

1 2

Aufenthalt Wahlrecht des Klägers Europäisches Zivilprozessrecht

3 4 5

Seit der ZVN 1983 wird der allgemeine Gerichtsstand einer physischen 1 Person gleichermaßen durch deren Wohnsitz als auch (nach Wahl des Klägers) durch deren gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Maßgebend ist der Zeitpunkt der Gerichtsanhängigkeit. Zur Begründung eines Wohnsitzes ist einerseits notwendig das körper- 2 liche Moment des tatsächlichen Aufenthalts an einem bestimmten Ort und andererseits das Willensmoment der erweislichen, nach außen erkennbaren Absicht, dort einen bleibenden (nicht notwendig immerwährenden: JBl 1955, 407; EvBl 1967/367; JBl 1985, 629 = RZ 1985/53, 137) Aufenthalt zu nehmen (SSV-NF 6/84; ZfRV 1991/18 und 1998/42; 8 Ob 225/01y = ZfRV 2002/29, 73; LGZ Wien EFSlg 63.935 ua). 253

§ 66

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Der Wohnsitzbegriff setzt aber nicht eine dauernde körperliche Anwesenheit voraus; Reisen und längere geschäftliche oder dienstliche Aufenthalte an anderen Orten, insb auch im Ausland, vermögen den einmal begründeten Wohnsitz nicht zu beenden, solange die – sich aus den Umständen des Einzelfalls allenfalls auch schlüssig ergebende – Absicht fortbesteht, am bisherigen Ort den bleibenden Aufenthalt weiter bestehen zu lassen. Die Dauer des (Inlands-)Aufenthaltes ist für sich allein nicht ausschlaggebend; wesentlich ist vielmehr selbst bei einer nur kurzen Aufenthaltsdauer, ob Umstände vorliegen, die dauernde Beziehungen zwischen einer Person und ihrem Aufenthalt anzeigen (RZ 1990/52, 102; ZfRV 1991/18). So beseitigt zwar etwa die Wohnungsnahme aus dienstlichen Gründen in einer anderen Stadt regelmäßig den gewöhnlichen Aufenthalt, sie muss aber nicht bedeuten, dass auch der bisherige Wohnsitz aufgegeben wird (LGZ Wien EFSlg 60.707). Selbst die Begründung eines neuen Wohnsitzes hat nicht zwingend die Aufgabe des alten zur Folge (LGZ Wien EFSlg 63.934), vielmehr können bei Vorliegen aller Voraussetzungen auch zwei oder mehrere Wohnsitze (auch teils im Inland, teils im Ausland) nebeneinander bestehen (EvBl 1987/25 = EFSlg 52.085; SSV-NF 6/84; VfGH VfSlg 9598 und JBl 1987, 34; 9 Ob 22/00a = SZ 73/43 = JBl 2000, 603 = EFSlg 94.362). Eine weitere Voraussetzung für die Begründung eines Wohnsitzes ist die faktische und rechtliche Verfügungsfähigkeit darüber, welcher Ort als Lebensmittelpunkt gewählt wird; diese Wahlmöglichkeit fehlt etwa Strafgefangenen und Kranken in Krankenhäusern, behinderten Personen, denen ein Sachwalter zur Besorgung aller Angelegenheiten (§ 273 Abs 3 Z 3 ABGB) bestellt worden ist (LGZ Wien EFSlg 60.706), sowie Minderjährigen (s § 71). Aus den genannten Voraussetzungen ergibt sich, dass die polizeiliche Meldung an einem Ort für sich allein keinen hinreichenden Beweis für die Begründung eines Wohnsitzes bilden kann (RZ 1984/17, 45; LGZ Wien EFSlg 63.933; VwGH SVSlg 41.093), ebenso wie auch die polizeiliche Abmeldung allein über die Beibehaltung oder Aufgabe des Wohnsitzes keinen zwingenden Beweis liefert; sie kann aber im Zusammenhang mit anderen Umständen Indizwirkung haben (LGZ Wien EFSlg 97.922). Wenn allerdings durch eine behördliche Meldung nach außen hin der Rechtsschein erweckt wird, es bestehe dort ein Wohnsitz, so muss sich mE die betreffende Person auch gefallen lassen, dass sie dort geklagt wird (vgl für den Gerichtsstand der Niederlassung § 87 Rz 3).

3 Der Aufenthalt einer Person bestimmt sich dagegen ausschließlich nach tatsächlichen Umständen; er wird also nur durch die körperliche Anwesenheit, nicht durch ein Willenselement bestimmt (etwa EFSlg 57.684; OLG Wien EFSlg 105.494 uva), hängt also weder von der Erlaubtheit 254

JN § 66

2.2 Örtliche Zuständigkeit

noch von der Freiwilligkeit des Aufenthaltes ab (etwa EFSlg 82.092, 82.094 = ZfRV 1996/39; LGZ Wien EFSlg 105.495). Ob ein gewöhnlicher Aufenthalt vorliegt, hängt (in erster Linie: vgl EFSlg 49.259) von seiner Dauer und Beständigkeit ab (JBl 1989, 394 = RZ 1989/90, 248 = EFSlg 60.717). Er muss nicht ein ständiger Aufenthalt (iSd § 175 ASVG) sein (OLG Linz SVSlg 32.815; OLG Wien SVSlg 34.871). Es genügt, dass objektiv überprüfbare Umstände persönlicher oder beruflicher Art darauf hindeuten, dass die Person nicht bloß vorübergehend, sondern längere Zeit an diesem Ort bleiben wird (EvBl 1984/62 = ÖA 1984, 105; RZ 1990/54, 103 = SSV-NF 3/117 = SVSlg 36.519; LGZ Wien EFSlg 101.615) und sie diesen Ort zum Mittelpunkt ihres Lebens, ihrer wirtschaftlichen Existenz und ihrer sozialen Beziehungen macht (OLG Wien EFSlg 54.938; LGZ Wien EFSlg 105.501 oder 108.734), so dass es im Einzelfall unerheblich ist, dass der tatsächliche Aufenthalt eben erst begonnen oder nur kurz gedauert hat (EFSlg 82.092 = ZfRV 1996/39; LGZ Wien EFSlg 101.614 und 108.735; vgl auch LG Krems EFSlg 105.499). Sonst wird für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts im Allgemeinen eine Aufenthaltsdauer von rund 6 Monaten vorausgesetzt (zuletzt etwa LGZ Wien EFSlg 105.498; Simotta in Fasching I § 66 Rz 25). Die ist aber nur eine Richtschnur bzw eine Orientierungshilfe (LGZ Wien EFSlg 79.089 oder EFSlg 101.617; vgl auch SSV-NF 10/83 zu § 3 Abs 1 BPGG). Der Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes deckt sich somit regelmäßig mit dem Beschäftigungsort (vgl LGZ Wien EFSlg 46.611, 46.612); der frühere Wahlgerichtsstand des Beschäftigungsortes (§ 86) konnte daher beseitigt werden (669 BlgNR 15. GP 38; s aber § 14 Abs 1 KSchG, abgedruckt Vor § 83a). Auch die stationäre Aufnahme in ein Pensionisten- oder Pflegeheim begründet regelmäßig einen gewöhnlichen Aufenthalt und zwar auch dann, wenn die betreffende Person ihre bisherige Wohnung nicht aufgegeben hat (zuletzt LGZ Wien EFSlg 101.621). Die dargelegten Grundsätze kommen auch für die Bestimmung des „gewöhnlichen Aufenthalts im Inland“ nach § 292 Abs 1 ASVG zur Anwendung (s etwa LG Innsbruck SVSlg 46.148; OLG Wien SVSlg 46.129 und 46.130; LG Salzburg SVSlg 49.076). Bei einem bloß vorübergehenden Aufenthalt ist dagegen erkennbar, dass sich der Betreffende an diesem Ort etwa nur zur Durchreise, zu Urlaubszwecken oder sonst nur für einen kürzeren, klar abgrenzbaren Zeitabschnitt, zB zu einem Wochenendbesuch der Familie (EvBl 1985/ 110), wegen eines kurzfristigen Krankenhausaufenthaltes (LGZ Wien EF 105.506) oder anlässlich einer Ferialpraxis, aufhält (OLG Wien EFSlg 54.937; LGZ Wien EFSlg 101.618; aM offenbar LGZ Wien EFSlg 69.740). Meldezettel sind zur Ermittlung des gewöhnlichen Aufenthaltes nur eingeschränkt (im Sinne eines Indizes) hilfreich, weil sie nur die 255

§ 66

Mayr

Tatsache der Meldung beurkunden, nicht aber über die tatsächlichen Verhältnisse Auskunft geben (LGZ Wien EFSlg 66.866 oder 105.503; vgl auch LGZ Wien EFSlg 57.693, 82.093).

4 Hat die beklagte Partei mehrere Wohnsitze, mehrere gewöhnliche Aufenthalte (vgl KG Krems EFSlg 49.258 = ÖA 1985, 148; LGZ Wien EFSlg 72.809 und 105.505) oder mehrere Wohnsitze und gewöhnliche Aufenthalte in den Sprengeln verschiedener Gerichte, so hat der Kläger die Wahl, bei welchem Gericht er die Klage einbringen will.

5 Die Zuständigkeitsordnung des Brüsseler und des Luganer Übereinkommens sowie der EuGVVO (dazu Nach § 27a Rz 19 ff) knüpft generell an den Wohnsitz des Beklagten an. Auf den gewöhnlichen Aufenthalt kommt es nur in Einzelfällen (Art 5 Z 2 EuGVVO/EuGVÜ/ LGVÜ; Art 17 Z 3 EuGVVO; Art 15 Z 3 EuGVÜ/LGVÜ), auf die Staatsangehörigkeit der Parteien überhaupt nicht an (s Art 2 Abs 1 EuGVVO/EuGVÜ/LGVÜ). Eine einheitliche Begriffsbestimmung des Wohnsitzes enthalten diese Rechtsquellen jedoch nicht (krit etwa Geimer, FS Musielak 172 ff), vielmehr hat gem Art 59 Abs 1 EuGVVO bzw Art 52 Abs 1 EuGVÜ/LGVÜ das Gericht bei der Entscheidung, ob eine Partei ihren Wohnsitz im Gerichtsstaat hat, sein eigenes Recht anzuwenden; in Österreich also insb § 66 Abs 1, aber auch §§ 68, 69 und 71 (s Simotta in Fasching I § 66 Rz 39 ff). Besteht kein Wohnsitz im Gerichtsstaat, so ist das Vorliegen eines Wohnsitzes in einem anderen Mitglieds- bzw Vertragsstaat nach dessen Recht zu beurteilen (Art 59 Abs 2 EuGVVO; Art 52 Abs 2 EuGVÜ/LGVÜ). Bei Bestehen eines Wohnsitzes sowohl im Gerichtsstaat als auch in einem anderen Mitglieds-(Vertrags-)staat, geht der Wohnsitz im Gerichtsstaat vor (9 Ob 22/00a = SZ 73/43 = JBl 2000, 603 = ZfRV 2000/70, 185). Ausnahmsweise wird in bestimmten Fällen (aus Schutzgründen) ein Wohnsitz in einem Mitglieds-(Vertrags-)staat fingiert (Art 9 Abs 2, Art 15 Abs 2, Art 18 Abs 2 EuGVVO; Art 8 Abs 2, Art 13 Abs 2 EuGVÜ/LGVÜ).

6 Im Anwendungsbereich der EuGVVO II (dazu Nach § 27a Rz 27 ff) wird die Zuständigkeit hingegen sowohl für die Ehesachen als auch für die Angelegenheiten der elterlichen Verantwortung regelmäßig am gewöhnlichen Aufenthalt angeknüpft (Art 3 und 8 EuGVVO II). Nachdem diese Rechtsquelle keine Definition dieses Begriffs enthält, muss die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts autonom erfolgen. Dabei sollte auch die Auslegung dieses Begriffs in den einschlägigen Haager Übereinkommen berücksichtigt werden (s unten § 110 Rz 9). Als gewöhnlicher Aufenthalt ist somit der vom Betroffenen gewählte Daseinsmittelpunkt, der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse in fa256

JN § 68

2.2 Örtliche Zuständigkeit

miliärer und beruflicher Hinsicht zu verstehen. Inwieweit auch ein Willenselement zu berücksichtigen ist, ist umstritten (s dazu etwa Mayr/ Czernich, EuZPR Rz 318; Neumayr in Burgstaller/Neumayr, IZVR Art 2 EheGVVO Rz 8; Rechberger/Simotta Rz 84/6; Hüßtege in Thomas/Putzo Art 3 Rz 2 und Art 8 EuEheVO Rz 4 oder Rauscher in Rauscher, EuZPR Art 2 Brüssel II-VO Rz 12). § 67. Für Personen, die weder im Inland noch anderswo einen Wohnsitz oder einen gewöhnlichen Aufenthalt haben, wird der allgemeine Gerichtsstand durch den Ort ihres jeweiligen Aufenthalts im Inland begründet. Mangels eines solchen oder bei Unbekanntheit des inländischen Aufenthaltsortes können diese Personen wegen aller während ihres Aufenthaltes im Inlande begründeten oder hier zu erfüllenden Verbindlichkeiten bei dem Gerichte des letzten Wohnsitzes oder Aufenthaltes belangt werden, den sie im Inlande gehabt haben. [Satz 1 idF ZVN 1983; sonst Stammfassung] Lit wie zu §§ 65 und 66. Der subsidiäre allgemeine Gerichtsstand nach Satz 1 wird nur für phy- 1 sische Personen begründet, die weder im Inland noch im Ausland – somit nirgendwo – einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben (SZ 39/16 = EvBl 1966/242; Arb 8948). Er richtet sich nach dem jeweiligen Aufenthalt im Inland, das ist der Ort, wo sich die betreffende Person zur Zeit der Klageerhebung tatsächlich aufhält, unabhängig davon, ob dieser Aufenthalt längerdauernd oder nur vorübergehend (zB in einem Spital: LGZ Wien EFSlg 101.623), geplant oder zufällig, freiwillig oder unfreiwillig (zB in einer Strafanstalt: OLG Wien EFSlg 25.245), erlaubt oder verboten (Fasching Rz 277 gegen Holzhammer 50) ist (so auch LGZ Wien EFSlg 101.622). Haben die erwähnten Personen nicht einmal einen (ermittelbaren) Auf- 2 enthalt im Inland, so besteht (nur) für die im Gesetz angeführten Verbindlichkeiten mit Inlandsbezug ein besonderer Gerichtsstand beim Gericht des letzten Wohnsitzes oder Aufenthaltes im Inland (SZ 39/16 = EvBl 1966/242). § 68. (1) Für die in aktiver Dienstleistung stehenden Personen des Heeres, einschließlich aller bei der Militärverwaltung in aktiver Dienstleistung stehenden Militärpersonen sowie endlich für die in aktiver Dienstleistung stehenden Personen der Bundespolizei gilt in Ansehung des Gerichtsstandes der Ort der Garnison als Wohnsitz. 257

§ 68

Mayr

(2) Der hiedurch begründete Gerichtsstand dauert im Falle eines Wechsels der Garnison bis zum Eintreffen in eine neue Garnison fort. (3) Als Wohnsitz der Militärpersonen, welche sich nicht im Inlande befinden, gilt bei Ausmittlung des Gerichtsstandes der letzte inländische Garnisonsort des Militärkörpers, dem sie angehören, oder der letzte inländische Garnisonsort dieser Militärpersonen. [Aktualisierte Stammfassung] Lit wie zu §§ 65 und 66.

1 Der hier (immer noch) normierte (aber eigentlich unnötig gewordene) sog Amtswohnsitz gilt für Personen, die im Präsenzstand (nicht im Milizstand oder im Reservestand) des Bundesheeres stehen, und für alle aktiven Beamten und Vertragsbediensteten der Heeresverwaltung (s § 1 Abs 6 WehrG 2001). Dem Präsenzstand gehören an Personen, die zum Präsenzdienst oder zum Ausbildungsdienst einberufen sind, ferner Personen, die dem Bundesheer auf Grund eines Dienstverhältnisses angehören als Militärpersonen des Dienststandes, Berufsoffiziere des Dienststandes, Beamte und Vertragsbedienstete, die für die Ausübung einer Unteroffiziersfunktion herangezogen werden, Militärpiloten auf Zeit und Vertragsbedienstete des Bundes mit Sondervertrag für eine Verwendung in Organisationseinheiten des Bundesheeres mit hohem Bereitschaftsgrad für die Entsendung zu Auslandseinsätzen (§ 1 Abs 3 WehrG 2001). In der Originalfassung des Gesetzes war auch noch von einem Garnisonsort für Personen der Gendarmerie die Rede. Abgesehen davon, dass die Gendarmerie (auch bisher) keine Garnisonen gekannt hat, ist die Gendarmerie überhaupt mit 1.7.2005 (SPG-Novelle 2005, BGBl I 2004/151) in den einheitlichen Wachkörper „Bundespolizei“ eingegliedert worden (§ 5 Abs 2 Z 1 SPG), die jedoch auch keine Garnison kennt.

2 Garnisonsort ist der Ort, dem der Heeresangehörige zur dauernden Dienstleistung zugewiesen ist, der Ort, an dem der kleinste selbständige Truppenkörper, dem er angehört, seine Kommandostelle hat (KG Wr Neustadt EFSlg 14.141). § 2 Z 11 Allgemeine Dienstvorschriften für das Bundesheer (ADV, BGBl 1979/43) definiert den Garnisonsort als den durch besondere Vorschriften bestimmten territorialen Bereich, in dem Teile des Bundesheeres ständig untergebracht sind. Zur Garnisonierung s § 7 WehrG 2001.

3 Durch § 68 sollte offenbar ein „besonderer“ allgemeiner Gerichtsstand für die dort genannten Personen geschaffen werden, der den „natür258

JN § 69

2.2 Örtliche Zuständigkeit

lichen“ allgemeinen Gerichtsstand des § 66 verdrängt (so auch EvBl 1965/205 = JBl 1965, 521 [Novak]). Es erscheint aber (heute) sinn- und zweckwidrig, könnte ein Angehöriger des Bundesheeres nur beim Gericht seiner Garnison und nicht auch bei jenem Gericht geklagt werden, in dessen Sprengel er seinen tatsächlichen Wohnsitz hat und wo er sich außerhalb der Dienstzeit dauernd aufhält (s auch Simotta in Fasching I § 68 Rz 9). Verdrängt wird der Gerichtsstand der Garnison aber jedenfalls von einem ausschließlichen Gerichtsstand (vgl GlUNF 6542). Er bleibt auch während einer (kurzfristigen) zeitlichen Beurlaubung gegeben und gilt bei einem Garnisonswechsel bis zum Dienstantritt in der neuen Garnison. Der Abs 3 hat durch das BVG über Kooperation und Solidarität bei der 4 Entsendung von Einheiten und Einzelpersonen in das Ausland (KSEBVG; BGBl I 1997/38) und das ausführende AuslandseinsatzG (BGBl I 2001/55) wieder einen (geringen) Anwendungsbereich erhalten. § 69. Österreichische Staatsangehörige, welche sich in ständiger amtlicher Stellung als Beamte der Republik Österreich außerhalb des Geltungsgebietes dieses Gesetzes aufhalten, behalten den allgemeinen Gerichtsstand, den sie im Geltungsgebiete dieses Gesetzes hatten. Ist ein solcher nicht begründet oder doch nicht zu ermitteln, so ist für sie der allgemeine Gerichtsstand in Wien, und zwar im Sprengel desjenigen Bezirksgerichtes begründet, in welchem das Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten seinen Sitz hat. [Aktualisierte Stammfassung] Lit wie zu §§ 65 und 66 sowie Leipold, Immunität versus Rechtsschutzgarantie, FS Lüke (1997) 353. Voraussetzung für die Beibehaltung des allgemeinen Gerichtsstandes 1 in Österreich ist nach dieser Bestimmung, dass es sich um einen österreichischen Staatsbürger handelt, der in einem Dienstverhältnis als Beamter (oder Vertragsbediensteter) zur Republik Österreich steht (also etwa nicht ein Honorarkonsul: SZ 11/263 = AnwZ 1930, 331) und sich in einer amtlichen Funktion auf Dauer im Ausland aufhält. Dies trifft insb auf Angehörige des diplomatischen oder konsularischen Dienstes zu (zur Führung von Verwendungsbezeichnungen im auswärtigen Dienst s BGBl 1996/300). Diese Bestimmung dient also der Erleichterung der Rechtsverfolgung für einen inländischen Kläger, da es ihm die Prüfung erspart, ob 259

§ 71

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der Beklagte tatsächlich einen Wohnsitz in Österreich behalten hat oder nicht. Er eröffnet aber auch die Rechtsverfolgung, wenn wegen einer dem Beklagten im Empfangsstaat zukommenden Immunität eine Rechtsverfolgung dort nicht möglich ist (s Art IX EGJN Rz 17). Diesfalls muss trotz eines mangelnden Inlandsbezuges des Rechtsstreits „inländische Gerichtsbarkeit“ gegeben sein (s nunmehr § 27a) und müssen ev sogar ausschließliche Zuständigkeitsregeln des europäischen Zuständigkeitsrechts durchbrochen werden (dazu eingehend Leipold in FS Lüke 365 ff).

2 Im Zweifel wird die Zuständigkeit des für den I. Wiener Gemeindebezirk sachlich zuständigen Gerichts begründet. § 70. Aufgehoben durch Art III Z 2 BGBl 1975/412 § 71. Ein minderjähriges Kind teilt den allgemeinen Gerichtsstand seines gesetzlichen Vertreters. Sind beide Eltern (Wahleltern) gesetzliche Vertreter, so teilt es deren gemeinsamen allgemeinen Gerichtsstand, haben sie keinen solchen, den allgemeinen Gerichtsstand des Elternteils (Wahlelternteils), dessen Haushalt es angehört. [Fassung BGBl 1977/403] Lit wie zu §§ 65 und 66 sowie Hofmann-Wellenhof, Der allgemeine Gerichtsstand Minderjähriger, ÖJZ 1978, 365; Stockart-Bernkopf, Das Jugendwohlfahrtsgesetz 1989 und die Ausführungsgesetze der Bundesländer, ÖA 1992, 175; Knoll, Aus dem Rechtsalltag des Außerstreit- und Familienrichters, RZ 1992, 246; Ferrari/Hopf (Hrsg), Reform des Kindschaftsrechts (2001); Stabentheiner in Rummel 3, 1. ErgBd (2003).

1 Der allgemeine Gerichtsstand Minderjähriger, dh von Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (§ 21 Abs 2 ABGB), wird durch den allgemeinen Gerichtsstand ihrer(s) gesetzlichen Vertreter(s) bestimmt; auf den (tatsächlichen) Aufenthalt des Kindes kommt es nicht an (vgl EvBl 1975/298). Im Regelfall sind beide Elternteile gesetzliche Vertreter des minderjährigen Kindes (§§ 144, 154 ABGB). Haben die (Wahl-)Eltern einen gemeinsamen allgemeinen Gerichtsstand, so ist dieser auch der (abgeleitete) allgemeine Gerichtsstand des Kindes. Haben sie keinen gemeinsamen allgemeinen Gerichtsstand, so kommt es bei der Bestimmung des allgemeinen Gerichtsstandes des Kindes darauf an, welchem der Haushalte (dazu RZ 1981/66, 252 = EFSlg 39.100) seiner gesetzlichen Vertreter es angehört. Der Gerichtsstand dieses Elternteils ist dann auch jener des Minderjährigen. Gehört das 260

JN § 74

2.2 Örtliche Zuständigkeit

Kind keinem der (verschiedenen) Haushalte seiner Eltern (gesetzlichen Vertreter) an, so bestehen zwei allgemeine Gerichtstände, zwischen denen der Kläger die Wahl hat (Hofmann-Wellenhof, ÖJZ 1978, 365). Auch für Prozesse über Sachen, über die der mündige Minderjährige gem § 151 Abs 2 ABGB (selbst) verfügen kann, richtet sich der allgemeine Gerichtsstand nach § 71 (so überzeugend Simotta in Fasching I § 71 Rz 4 ff gegen Hofmann-Wellenhof, ÖJZ 1978, 368 f). Gesetzliche Vertreter können außerdem sein die außereheliche Mutter 2 (§ 166 ABGB), die Großeltern (§ 145 ABGB), der uneheliche Vater (§§ 145, 167 ABGB), die Pflegeeltern (§ 186a ABGB) oder eine „andere geeignete Person“ (§ 187 ABGB). Dies kann in gewissen Fällen kraft Gesetzes (§ 211 ABGB) oder durch Gerichtsbestellung (§ 213 ABGB) auch der Jugendwohlfahrtsträger sein. Dies ist immer das jeweilige Bundesland (s § 215a ABGB). Die örtliche Zuständigkeit verschiedener Organisationseinheiten desselben Jugendwohlfahrtsträgers richtet sich weiterhin ausschließlich nach den entsprechenden landesgesetzlichen Vorschriften (§ 4 Abs 2 JWG; LG Linz EFSlg 96.754). Ist die Bezirksverwaltungsbehörde gesetzlicher Vertreter des Kindes, so richtet sich die Zuständigkeit nach deren Sitz (und nicht nach dem Sitz der Landesregierung; vgl LGZ Wien EFSlg 39.099 und EFSlg 39.110/9 sowie Knoll, RZ 1992, 250). Die Ehegattin hat selbstverständlich (aber erst seit der Aufhebung des 3 § 70 im Jahr 1975) einen eigenen allgemeinen Gerichtsstand. Personen, für die nach § 273 ABGB ein Sachwalter bestellt worden ist, teilen nicht dessen allgemeinen Gerichtsstand, sondern haben einen eigenen (durch ihren gewöhnlichen Aufenthalt begründeten) allgemeinen Gerichtsstand. §§ 72 und 73. Aufgehoben durch Art VIII Z 2 BGBl 1977/403 § 74. (1) Der allgemeine Gerichtsstand des Ärars oder eines Landes wird durch den Sitz des öffentlichen Organes bestimmt, welches nach den hierüber geltenden Vorschriften das Ärar oder das Land in der Streitsache zu vertreten berufen ist. (2) Der allgemeine Gerichtsstand einer Gemeinde richtet sich nach dem Sitze der Gemeindevorstehung. [Stammfassung] Lit wie zu §§ 65 und 66. 261

§ 75

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1 Die Republik Österreich (die überholte Bezeichnung „Ärar“ wurde bisher erst in der EO [zB §§ 265, 295] ersetzt) wird durch die Finanzprokuratur (dazu näher bei Art XXXII EGZPO) vertreten (§ 2 Abs 1 Z 1 ProkG), die im I. Wiener Gemeindebezirk ihren Sitz hat. Zur Erleichterung der Rechtsverfolgung gegen jene Rechtssubjekte, für die die Finanzprokuratur einzuschreiten hat, normiert § 86a einen Wahlgerichtsstand in der Hauptstadt des Bundeslandes (bzw für Vorarlberg in Feldkirch), in welchem der Kläger seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Die Bundesländer werden durch ihren Landeshauptmann vertreten (Art 105 Abs 1 B-VG). Sitz der Landesregierung und des Landeshauptmannes ist die jeweilige Landeshauptstadt. Das Organ, das zur Vertretung der Gemeinde berufen ist (vgl Art 117 B-VG und die Gemeindeordnungen der einzelnen Bundesländer), hat seinen Sitz regelmäßig in der betreffenden Gemeinde (Gemeindeamt). § 75. (1) Sofern nichts anderes in allgemein verbindlicher Weise festgesetzt ist, bestimmt sich der allgemeine Gerichtsstand von offenen [Handels-] Gesellschaften, Kommanditgesellschaften, Aktiengesellschaften, Genossenschaften, Gewerkschaften, öffentlichen Fonden und Korporationen, Kirchen, Pfründen, Stiftungen, zu öffentlichen Zwecken bestehenden Anstalten, Vermögensmassen, Vereinen und anderen nicht zu den physischen Personen gehörigen Rechtssubjekten, welche nicht unter die Bestimmungen des § 74 fallen, nach ihrem Sitze. Als Sitz gilt im Zweifel der Ort, wo die Verwaltung geführt wird. (2) Hat für eines dieser Rechtssubjekte der Vertreter des Ärars oder eines Landes einzuschreiten oder untersteht dasselbe der Verwaltung einer Gemeinde, so ist der allgemeine Gerichtsstand nach den Bestimmungen des § 74 zu beurteilen. [Im Abs 1 wird durch Art XIV Z 2 HaRÄG der Begriff „offenen Handelsgesellschaften“ durch „offenen Gesellschaften“ ersetzt; sonst Stammfassung] Lit wie zu §§ 65 und 66 sowie Schnyder, Der Sitz von Gesellschaften im Internationalen Zivilverfahrensrecht, FS Schütze (1999) 767; Eckert, Internationale Zuständigkeit nach EuGVVO bei Kapitalgesellschaften, ecolex 2003, 76; Krejci, Gesellschaftsrecht I (2005) 14 ff; Schilling, Die ausschließliche internationale Zuständigkeit für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten vor dem Hintergrund der Niederlassungsfreiheit, IPRax 2005, 208. 262

JN § 75

2.2 Örtliche Zuständigkeit

Bei juristischen Personen und anderen parteifähigen Gebilden (nicht 1 Vermögensmassen ohne Rechtspersönlichkeit: SZ 28/66 = JBl 1955, 307; 8 Ob 244/02v = JBl 2003, 943 = ecolex 2003/197, 512) richtet sich der allgemeine Gerichtsstand nach deren Sitz (Sitztheorie). Dies gilt auch für Erwerbsgesellschaften (6 Ob 65/01d = RdW 2001/674, 668). Der allgemeine Gerichtsstand der dahinter stehenden physischen Personen (Personaltheorie) ist daher ebensowenig von Bedeutung (vgl SZ 25/7 = JBl 1952, 270) wie die Lage des Vermögens der juristischen Person (Vermögenstheorie). Der Sitz wird in erster Linie durch gesetzliche Bestimmungen, sonst durch Satzung, Statut oder (Gesellschafts-) Vertrag bestimmt. Nur in den Fällen, in denen weder diese Bestimmungen noch die Eintragung in das Firmenbuch den Sitz der juristischen Person erkennen lassen, kommt es auf die tatsächlichen Verhältnisse, nämlich darauf an, wo die Verwaltung geführt wird (GesRZ 1980, 219; Arb 9986 = GesRZ 1982, 53 = HS 13.373; Diregger in Doralt/ Nowotny/Kalss, AktG § 197 Rz 21). Dies gilt allerdings nur im Zweifel (s eingehend 6 Ob 267/97a = SZ 71/23 = ecolex 1998, 562 = NZ 1998, 401 = RdW 1998, 401 = wbl 1998, 315). Bei Rechtssubjekten, die durch die Finanzprokuratur (s § 2 ProkG) 2 oder den Landeshauptmann vertreten werden oder der Verwaltung einer Gemeinde unterstehen, bestimmt sich der allgemeine Gerichtsstand nicht nach deren Sitz, sondern gem § 74 nach dem Sitz des sie vertretenden Organs. Im Europäischen Zuständigkeitsrecht (dazu Nach § 27a) wird der Sitz 3 von Gesellschaften und juristischen Personen dem Wohnsitz natürlicher Personen gleichgestellt. Für die Entscheidung, wo sich ihr Sitz befindet, hat das Gericht im Anwendungsbereich von EuGVÜ und LGVÜ die Vorschriften „seines internationalen Privatrechts“ anzuwenden (Art 53 Abs 1 Satz 2 EuGVÜ/LGVÜ; zur Auslegung dieses Begriffs s König, JBl 2000, 603 [Entscheidungsbesprechung]; s generell Czernich in Czernich/Tiefenthaler/Kodek Art 60 EuGVVO Rz 7 ff). In Österreich wird der Sitz einer juristischen Person durch den tatsächlichen Sitz seiner Hauptverwaltung bestimmt (§ 10 IPRG; dazu jüngst Verschraegen in Rummel zu § 10 IPRG). Im Anwendungsbereich der EuGVVO definiert hingegen Art 60 Abs 1 EuGVVO nunmehr (anders aber Art 22 Z 2 EuGVVO für gesellschaftsrechtliche Klagen) den Sitz autonom. Er befindet sich (gleichermaßen) an dem Ort, an dem sich der satzungsmäßige Sitz, die Hauptverwaltung oder die Hauptniederlassung der Gesellschaft oder juristischen Person befindet. Zur Auslegung dieser Begriffe kann auf die Auslegung der identen Begriffe des Art 48 Abs 1 EGV zurückgegriffen werden 263

Vor § 76

Mayr

(s etwa Czernich in Czernich/Tiefenthaler/Kodek Art 60 EuGVVO Rz 3 oder Staudinger in Rauscher, EuZPR Art 60 Brüssel I-VO Rz 1). Besondere Gerichtsstände 1. Ausschließliche Vor § 76

1 Die besonderen Gerichtsstände sind entweder Wahlgerichtsstände oder ausschließliche Gerichtsstände. Die Wahlgerichtsstände der §§ 86a ff eröffnen dem Kläger die Möglichkeit, zwischen dem allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten und einem vom Gesetz zur Verfügung gestellten Wahlgerichtsstand zu wählen. Die ausschließlichen Gerichtsstände (§§ 76 bis 84) schließen hingegen den allgemeinen Gerichtsstand und allfällige Wahlgerichtstände aus (etwa 3 Ob 163/04y = SZ 2004/112 = EvBl 2005/26). Ist ausnahmsweise auch eine abweichende Gerichtsstandsvereinbarung durch die Parteien ausgeschlossen, so spricht man (in Österreich) von einem Zwangsgerichtsstand.

2 Ausschließliche Gerichtsstände außerhalb der JN sehen insb vor (s auch Simotta in Fasching I Vor §§ 76–84 Rz 4 ff): – § 9 Abs 1 AHG (und § 9 Abs 3 PolBefEntschG) für Ersatzklagen des Geschädigten gegen den Rechtsträger beim LG, in dessen Sprengel die Rechtsverletzung begangen wurde; nach § 12 Abs 1 StEG 2005 ist auf das Verfahren gegen den Bund und das Rückersatzverfahren gegen ein Organ ua § 9 AHG anzuwenden. Dabei handelt es sich nach überwiegender Meinung nicht um einen Zwangsgerichtsstand: Siehe etwa Schragel, Kommentar zum Amtshaftungsgesetz3 [2003] Rz 248). – § 341 Abs 1 BVergG 2006 für Schadenersatzansprüche das LG, in dessen Sprengel der Auftraggeber seinen Sitz hat; hilfsweise das LGZ Wien; es handelt sich um einen ausschließlichen, nicht aber um einen Zwangsgerichtsstand (Steiner/Windisch, Einführung in das Vergaberecht [2004] 265 gegen Schwartz, Bundesvergabegesetz [2003] § 185 BVerG 2002 Rz 1; zweifelnd auch Aicher in Schramm ua, Bundesvergabegesetz 2002 [2005] § 184 BVergG 2002 Rz 1 FN 3). – § 32 Abs 4 und § 33 Abs 4 DSG 2000 für Klagen nach dem DSG 2000 beim LG, in dessen Sprengel der Betroffene seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz hat (Klagen des Betroffenen können auch bei dem LG erhoben werden, in dessen Sprengel der Auftraggeber oder der Dienstleister seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz hat); dazu näher Dohr/Weiss/Pollirer, Datenschutzrecht2 (Loseblattausgabe Stand 2004) § 32 DSG 2000 Anm 7. 264

JN § 76

2.2 Örtliche Zuständigkeit –

§ 35 Abs 2, § 36 Abs 2 und § 37 Abs 3 EO (sowie § 14 Abs 3 AbgEO: 3 Ob 163/04y = SZ 2004/111 = EvBl 2005/26 = ecolex 2004/402, 858) für die Oppositionsklage, die Impugnationsklage und die Exszindierungsklage. Die Zuständigkeitsvorschriften für Exekutionsverfahren im eigentlichen Sinn können hingegen durch eine Parteienvereinbarung nicht abgeändert werden (Zwangsgerichtsstände nach § 51 EO; s etwa Simotta in Fasching I Vor §§ 76–84 Rz 13 ff oder Jakusch in Angst § 51 EO Rz 1). – § 192 Abs 1 FinStrG für Rechtsstreitigkeiten, die einen Entschädigungsanspruch betreffen, beim LG, in dessen Sprengel der einen Entschädigungsanspruch bewirkende Freiheitsentzug oder Verfallsausspruch erfolgt ist (Hilfszuständigkeit des LGZ Wien). Weitere ausschließliche Gerichtstände, die zugleich Zwangsgerichtstände sind, werden Vor § 83a angeführt. Streitigkeiten aus dem Eheverhältnis § 76. (1) Für Streitigkeiten über die Scheidung, die Aufhebung, die Nichtigerklärung oder die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer Ehe zwischen den Parteien ist das Gericht ausschließlich zuständig, in dessen Sprengel die Ehegatten ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben oder zuletzt gehabt haben. Hat zur Zeit der Erhebung der Klage keiner der Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Sprengel oder haben sie im Inland einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt nicht gehabt, so ist das Gericht ausschließlich zuständig, in dessen Sprengel der gewöhnliche Aufenthalt des beklagten Ehegatten oder, falls ein solcher gewöhnlicher Aufenthalt im Inland fehlt, der gewöhnliche Aufenthalt des klagenden Ehegatten liegt, sonst das Bezirksgericht Innere Stadt Wien. (2) Die inländische Gerichtsbarkeit für die im Abs 1 genannten Streitigkeiten ist gegeben, wenn 1. einer der Ehegatten österreichischer Staatsbürger ist oder 2. der Beklagte, im Fall der Nichtigkeitsklage gegen beide Ehegatten zumindest einer von ihnen, seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat oder 3. der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und entweder beide Ehegatten ihren letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland gehabt haben oder der Kläger staatenlos ist oder zur Zeit der Eheschließung österreichischer Staatsbürger gewesen ist. [Überschrift und Abs 1 idF BGBl 1985/70; Abs 2 idF ZVN 1983] 265

§ 76

Mayr

Lit: Simotta, Die Änderungen der Zuständigkeit in Ehe- und Familiensachen in der geplanten „Zivilverfahrens-Novelle“, ÖJZ 1982, 29, 66; Loewe, Erneuerung des österreichischen internationalen Zivilverfahrensrechts, ZfRV 1983, 180; Matscher, Die internationalrechtlichen Bestimmungen der Zivilverfahrens-Novelle 1993, in: Neuerungen im zivilgerichtlichen Verfahrensrecht, Richterwoche 1983 Badgastein (1984) 201; Simotta, Wann treten in Ehe- und Familiensachen die neuen Zuständigkeitsbestimmungen in und die alten außer Kraft? ÖJZ 1986, 705; Schwimann, Inländische Gerichtsbarkeit für Personenrechts-, Familienrechts- und Unterhaltssachen, JBl 1990, 760; Simotta, Die internationale Zuständigkeit in Ehe- und Abstammungsstreitigkeiten, FS Broniewicz (1998) 331. Zur EuEheVO bzw zur EuGVVO II s Nach § 27a. Simotta in Fasching I § 76 JN; Ballon Rz 452 f; Fasching Rz 279 ff; Holzhammer, PraktZPR I 467, 479; Mayr/Czernich, EuZPR Rz 307 ff; Rechberger/Simotta Rz 65/1, 84/1 ff, 113.

1 § 76 regelt in seinem Abs 1 die örtliche Zuständigkeit für Streitigkeiten über die Scheidung, die Aufhebung, die Nichtigerklärung oder die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer Ehe zwischen den Parteien (s § 49 Abs 2 Z 2a) und trifft in Abs 2 für diese Streitigkeiten eine ausdrückliche (und abschließende: EFSlg 66.867) Regelung über die Abgrenzung der internationalen Zuständigkeit der österreichischen Gerichte, die allerdings nur dann zur Anwendung kommt, wenn nicht völker- oder europarechtliche Regelungen eingreifen (dazu unten Rz 4). Die örtliche und die internationale Zuständigkeit für die außerstreitigen Eheangelegenheiten ist in § 114a geregelt. Für die Ehenichtigkeitsklage des Staatsanwalts nach §§ 23, 28 EheG ist diese Norm nicht anwendbar (4 Ob 39/00i = SZ 73/27 = EvBl 2000/126 = JBl 2000, 804 = EFSlg 94.364 = ZfRV 2000/63, 150; 1 Ob 39/ 00t = ZfRV 2001, 33; 8 Ob 69/04m = EFSlg 108.736 und RS0113165 gegen 7 Ob 347/98z = EFSlg 90.757 = ZfRV 1999/78, 232). Zuständig ist das Gericht am allgemeinen Gerichtsstand (§§ 65, 66) des (der) beklagten Ehegatten. Für den Ehegatten, für den das angerufene Gericht nicht das Gericht seines allgemeinen Gerichtsstands ist, ist der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft nach § 93 Abs 1 begründet (s § 93 Rz 2).

2 Für die genannten Ehestreitigkeiten ist jenes (Bezirks-)Gericht ausschließlich (aber nicht zwangs-)zuständig, in dessen Sprengel die Ehegatten ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben oder zuletzt gehabt haben. Zum gewöhnlichen Aufenthalt s § 66 Abs 2 (vgl auch 6 Ob 2021/96s = ZfRV 1996/39, 161 oder 9 Ob 174/00d = ZfRV 2001/ 33, 111; OLG Wien EFSlg 54.938; LGZ Wien EFSlg 60.708). Gemein266

JN § 76

2.2 Örtliche Zuständigkeit

sam ist ein gewöhnlicher Aufenthalt nur dann, wenn die Ehegatten zusammen leben und der betreffende Ort zum Mittelpunkt des ehelichen Lebens gemacht wird (EFSlg 12.223; LG Salzburg EFSlg 90.754; LGZ Wien EFSlg 101.624). Die Eheleute können auch mehr als einen gewöhnlichen Aufenthaltsort haben (SZ 45/60 = EvBl 1973/16 = EFSlg 18.448 = MietSlg 24.450; LGZ Wien EFSlg 66.868 und 85.198). Eine bloß vorübergehende Haushaltsführung begründet allerdings keine Zuständigkeit des gemeinsamen ehelichen Aufenthaltes (OLG Wien EFSlg 54.938; LGZ Wien EFSlg 60.709). Bedingung ist aber jedenfalls, dass zumindest einer der Ehegatten bei der Klageerhebung noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Sprengel hat (vgl etwa EFSlg 60.710). Ist dies nicht der Fall oder haben die Ehegatten im Inland niemals einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt, so ist subsidiär das Gericht des gewöhnlichen Aufenthaltes des beklagten Ehegatten, hilfsweise des klagenden Ehegatten und zuletzt das BG Innere Stadt Wien zuständig. Voraussetzung für das Vorliegen der internationalen Zuständigkeit 3 („inländischen Gerichtsbarkeit“) österreichischer Gerichte in den genannten Ehestreitigkeiten ist, dass einer der Ehegatten (ohne Rücksicht darauf, wo er wohnt oder sich aufhält) österreichischer Staatsbürger ist oder der beklagte Ehegatte – im Fall der Nichtigkeitsklage zumindest einer der beklagten Ehegatten – seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat. Der inländische gewöhnliche Aufenthalt des Klägers (dazu LGZ Wien EFSlg 108.737) vermag die internationale Zuständigkeit nur dann zu begründen, wenn dieser entweder staatenlos oder zur Zeit der Eheschließung österreichischer Staatsbürger gewesen ist oder wenn beide Ehegatten ihren letzten gemeinsamen Aufenthalt im Inland gehabt haben (EFSlg 60.710). Wer österreichischer Staatsbürger ist, bestimmt das Staatsbürgerschaftsrecht (StbG BGBl 1985/311); auch Doppelstaatsbürger sind österreichische Staatsbürger (vgl etwa NZ 1993, 107 und Simotta in Fasching I § 76 Rz 19). Da Konventionsflüchtlinge, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, Inländern gleichgestellt sind, können sie wie Inländer auf Ehescheidung klagen, auch wenn ihre Gatten im Ausland leben (EFSlg 63.938 und LG Krems EFSlg 90.755; vgl auch OLG Wien EFSlg 43.957 und 49.261). Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, so kann die internationale Zuständigkeit der österreichischen Gerichte auch nicht durch eine Parteienvereinbarung oder durch eine rügelose Einlassung begründet werden (§ 104 Abs 5; Simotta in Fasching I § 76 Rz 4). Fallen jene Elemente, welche die internationale Zuständigkeit (etwa Staatsbürgerschaft, gewöhnlicher Aufenthalt im Inland) rechtmäßig begründet haben, im 267

§ 76

Mayr

Lauf des Verfahrens weg, so hat dies keinen Einfluss auf das Verfahren: Nach der Novellierung des § 29 Satz 2 tritt nunmehr (anders noch 1 Ob 585/88 = JUS 1988/46, 20) perpetuatio fori ein (s auch § 29 Rz 2). Tritt umgekehrt die internationale Zuständigkeit erst im Lauf des Verfahrens ein, so ist dies (auch im Rechtsmittelverfahren) zu berücksichtigen (s Simotta in Fasching I § 76a Rz 31).

4 Auf Streitigkeiten über den Personenstand und über „eheliche Güterstände“ (dazu 7 Ob 267/03w = ZfRV-LS 2004/24, 76) ist die EuGVVO und das Brüsseler bzw Luganer Übereinkommen nicht anzuwenden (Art 1 Abs 2 lit a bzw Z 1). Für die Ehescheidung, die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes und die Ungültigerklärung einer Ehe gilt jedoch die Verordnung (EG) Nr 2201/2003 des Rates vom 27.11.2003, ABl 2003 L 338 S 1 (EuGVVO II), die mit 1.3.2005 die Vorgängerverordnung Nr 1347/2000 (EuEheVO oder Brüssel II-VO) abgelöst hat (s oben Nach § 27a Rz 9 und 27 ff). Sie verdrängt innerhalb ihres Anwendungsbereichs das autonome österreichische Recht (s etwa LGZ Wien EFSlg 105.507), das nur noch dann zur Anwendung kommt, wenn sich nicht aus den Art 3, 4 und 5 EuGVVO II eine Zuständigkeit eines Mitgliedstaats ergibt (Art 7 EuGVVO II). Nach österreichischem Recht fallen die Klage auf Scheidung, Aufhebung und auf Nichtigerklärung der Ehe sowie die im Außerstreitverfahren durchzuführende einvernehmliche Scheidung in den (sachlichen) Anwendungsbereich der EuGVVO II (s näher Simotta, FS Geimer 1144 ff). Für diese Ehesachen räumt Art 3 EuGVVO II dem Kläger bzw Antragsteller eine Wahlmöglichkeit zwischen einer Reihe von gleichrangigen Zuständigkeitstatbeständen ein (dazu etwa Neumayr in Burgstaller/Neumayr, IZVR Art 2 EheGVVO Rz 2 ff). Danach sind die österreichischen Gerichte dann zuständig, wenn (s Simotta, FS Jelinek 323 oder Mayr/Czernich, EuZPR Rz 321 f) – beide Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich haben; – die Ehegatten zuletzt beide ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hatten, sofern einer von ihnen dort noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat; – der Beklagte (Antragsgegner) seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hat; – im Fall eines gemeinsamen Antrags einer der Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hat; – der Kläger (Antragsteller) seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hat, wenn er sich dort seit mindestens einem Jahr unmittelbar vor der Klage (Antragstellung) aufgehalten hat; – der Kläger (Antragsteller) seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hat, wenn er sich dort mindestens sechs Monate unmittel268

JN § 76a

2.2 Örtliche Zuständigkeit

bar vor der Klage (Antragstellung) aufgehalten hat und er österreichischer Staatsbürger ist; – beide Ehegatten österreichische Staatsbürger sind. Zum Begriff „gewöhnlicher Aufenthalt“ s § 66 Rz 3. § 76a. Das Gericht, bei dem eine im § 76 Abs 1 genannte Streitigkeit anhängig ist oder gleichzeitig anhängig gemacht wird, ist für die aus dem gegenseitigen Verhältnis der Ehegatten entspringenden sonstigen Streitigkeiten einschließlich jener über den gesetzlichen Unterhalt ([§ 49] Abs 2 Z 2 und 2b sowie Abs 3) ausschließlich zuständig. Das gilt nicht, wenn die Verhandlung über die Scheidung, die Aufhebung, die Nichtigerklärung oder das Bestehen oder Nichtbestehen der Ehe in erster Instanz bereits geschlossen ist. [Eingefügt durch BGBl 1985/70; Zitat idF ZVN 2004] Lit wie zu § 76 und Fuchs, Begriff „Unterhaltsberechtigter“ in Art 5 Nr 2 EuGVÜ geklärt, IPRax 1998, 327; Schulze, Internationale Annexzuständigkeit nach dem EuGVÜ, IPRax 1999, 21; Weller, Zur Abgrenzung von ehelichem Güterrecht und Unterhaltsrecht im EuGVÜ, IPRax 1999, 14; Martiny, Unterhaltsrückgriff durch öffentliche Träger im europäischen internationalen Privat- und Verfahrensrecht, IPRax 2004, 195. Simotta in Fasching I § 76a JN; Fasching Rz 281/1; Czernich/Mayr, EuZPR Rz 146 ff; Rechberger/Simotta Rz 81/4, 114. Aus Gründen der Verfahrenskonzentration ist das nach § 76 zustän- 1 dige Gericht auch für alle anderen aus dem gegenseitigen Verhältnis der Ehegatten entspringenden (vermögensrechtlichen oder nicht rein vermögensrechtlichen) Streitigkeiten (§ 49 Abs 2 Z 2 und 2b sowie Abs 3) – nicht aber schlechthin für alle privatrechtlichen Streitigkeiten zwischen Ehegatten (LGZ Wien EFSlg 63.939) – zuständig, sofern dort bereits eine Ehestreitigkeit anhängig und die erstinstanzliche Verhandlung noch nicht geschlossen ist (oder derart unmittelbar vor dem Schluss steht, sodass eine Verbindung der beiden Verfahren zeitlich gar nicht mehr möglich ist: s 2 Ob 86/99g = SZ 72/69 = EFSlg 97.923) oder eine Ehesache gleichzeitig anhängig gemacht wird. Eine Klage auf Wiederaufnahme des Ehescheidungsverfahrens hinsichtlich des Verschuldens an der Zerrüttung der Ehe kann jedoch nicht als Klage „über die Scheidung“ iSd § 76 Abs 1 qualifiziert werden, sodass § 76a nicht zur Anwendung gelangt (6 Ob 115/04m = JBl 2005, 390 = EFSlg 108.738). Ebenso wie bei § 76 handelt es sich um einen ausschließlichen Gerichtsstand, die Vereinbarung eines anderen Gerichtsstandes ist jedoch 269

§ 76a

Mayr

zulässig (so auch 528 BlgNR 16. GP 2; kritisch Simotta in Fasching I § 76a Rz 3).

2 Das Gesetz enthält hier keine eigene Regelung über die „inländische Gerichtsbarkeit“ (iSd internationalen Zuständigkeit), jedoch ist jene für streitige Ehesachen (§ 76 Abs 2) analog anzuwenden (s eingehend Simotta in Fasching I § 76a Rz 42 und Loewe, ZfRV 1983, 181; Matscher, Richterwoche 1983, 210; vgl LGZ Wien EFSlg 72.813; krit Schwimann, JBl 1990, 762).

3 Ergänzt wird die Zuständigkeitsregelung durch den Wahlgerichtsstand des § 100, der jedoch nur dann gewählt werden kann, wenn nicht § 76a zur Anwendung gelangt, also nur bei nicht rein vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn keine Ehesache gleichzeitig anhängig gemacht wird oder in erster Instanz anhängig ist. Das nach § 76 zuständige Gericht ist außerdem nach § 114a Abs 3 für (alle) außerstreitigen Eheangelegenheiten zuständig, sofern die mündliche Streitverhandlung erster Instanz über die (streitige) Ehesache noch nicht geschlossen ist (s § 114a Rz 5).

4 Für Unterhaltssachen räumt das europäische Zuständigkeitsrecht (dazu Nach § 27a) einen Aktivgerichtsstand ein (s nunmehr auch § 114): Gem Art 5 Z 2 EuGVVO/EuGVÜ/LGVÜ kann (nur) der Unterhaltsberechtigte (aus einem Mitglied- bzw Vertragsstaat) den Unterhaltsverpflichteten (aus einem anderen Mitglied- bzw Vertragsstaat: vgl 9 Ob 22/00a = JBl 2000, 603) auch vor dem Gericht seines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes (iSd Haager Unterhaltsübereinkommens) klagen (dazu EuGH 20.3.1997 Farrel/Long Slg 1997, I-1683 = ecolex 1997, 638 = wbl 1997, 206 = IPRax 1998, 354 [327: Fuchs]) und zuletzt EuGH 15.1.2004 Blijdenstein Slg 2004, I-981 = IPRax 2004, 237 [195: Martiny]). Dabei hat der OGH auch Ansprüche auf einmalige Abfindungszahlungen (den außerstreitigen Ausstattungsanspruch) als „Unterhalt“ qualifiziert (3 Nd 506/97 = SZ 70/162 = JBl 1998, 184 = ZfRV 1998, 39). Bei einer Verbindung von Unterhaltsbegehren mit einem Statusverfahren ist das für letzteres Verfahren zuständige Gericht auch für die Unterhaltsentscheidung (wahl-)zuständig, soweit dessen Zuständigkeit nicht bloß auf der Staatsangehörigkeit einer der Parteien beruht (vgl § 76 Abs 2 Z 1). Auf „die ehelichen Güterstände“ sind EuGVVO/EuGVÜ/LGVÜ hingegen gem Art 1 Abs 2 Z 1 nicht anzuwenden (dazu EuGH 27.3.1979 De Cavel/De Cavel Slg 1979, I-1055). Zu beachten ist auch, dass Verfahren über „Unterhaltspflichten“ generell vom Anwendungsbereich der EuGVVO II ausgenommen sind (s Art 1 Abs 3 lit e und Erwägungsgrund 11 EuGVVO II). 270

JN § 77

2.2 Örtliche Zuständigkeit

§§ 76b. und 76c. Samt Überschrift („Streitigkeiten über die Vaterschaft“) aufgehoben durch Art III Z 2 AußStr-BegleitG BGBl I 2003/112. Alle Abstammungsangelegenheiten und sämtliche Unterhaltsansprüche 1 zwischen Eltern und Kindern gehören seit der Außerstreitreform nicht mehr in das streitige Verfahren, sondern sind (wenn der verfahrenseinleitende Antrag nach dem 31.12.2004 eingebracht worden ist) im Verfahren außer Streitsachen zu erledigen. Die entsprechenden Zuständigkeitsbestimmungen waren daher an dieser Stelle zu beseitigen und eine neue Zuständigkeitsnorm in den dritten Teil der JN (§ 108 und § 114) aufzunehmen. Verlassenschaftsangelegenheiten § 77. (1) Der Gerichtsstand für Klagen, durch die Ansprüche aus Vermächtnissen oder sonstigen Verfügungen auf den Todesfall geltend gemacht werden, sowie für Klagen der Verlassenschaftsgläubiger aus Ansprüchen gegen den Erblasser oder die Erben als solche bestimmt sich, solange die Verlassenschaft nicht rechtskräftig eingeantwortet wurde, nach dem Sitz des Gerichtes, bei dem das Verlassenschaftsverfahren anhängig ist. (2) Klagen auf Teilung der Erbschaft gehören vor das Gericht, bei dem die Verlassenschaftsabhandlung anhängig ist; dies gilt auch nach der Einantwortung der Verlassenschaft. [Neu gefasst durch Art III Z 3 AußStr-BegleitG; Übergangsregelung in Art XXXII § 3 Abs 2] Lit: Holzhammer, Das Wesen der ausschließlichen Gerichtsstände, ÖJZ 1960, 561; Bajons, Die OGH-Judikatur zur internationalen Nachlassabwicklung im Lichte des neuen AußStrG und AußStr-BegleitG, NZ 2004, 289 sowie NZ 2005, 43 und 66; dies, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht in grenzüberschreitenden Erbrechtsfällen innerhalb des europäischen Justizraums, FS Heldrich (2005) 495; Fucik, Das neue Verlassenschaftsverfahren (2005) Rz 25; Rudolf, Vereinheitlichtes Europäisches Erbrecht – Das Grünbuch „Erb- und Testamentsrecht“, NZ 2005, 297. Simotta in Fasching I § 77 JN; Ballon Rz 63; Fasching Rz 286; Holzhammer 52; Mayr/Fucik Rz 549; Rechberger/Simotta Rz 117. Siehe auch zu §§ 105 ff. Die Erbrechtsklage ist durch die Außerstreitreform weggefallen. Es 1 musste daher auch der Gerichtstand für Klagen, durch welche „Erbrechte“ geltend gemacht werden, entfallen. Die anderen Anwendungsbereiche blieben hingegen weitgehend unverändert aufrecht. 271

§ 77

Mayr

Für Pflichtteils- und Vermächtnisklagen sowie für Klagen zur Durchsetzung sonstiger Verfügungen auf den Todesfall und für Klagen der Verlassenschaftsgläubiger aus Ansprüchen gegen den Erblasser oder den Erben ist bis zur rechtskräftigen Einantwortung dasjenige Gericht örtlich zuständig, in dessen Sprengel das Abhandlungsgericht gelegen ist. Diese Bestimmung regelt also nur die örtliche Zuständigkeit (OLG Wien EFSlg 85.172) – die sachliche richtet sich nach §§ 49 ff –, solange noch keine Einantwortung erfolgt ist (somit nicht für die Erbschaftsklage, die erst nach der Einantwortung möglich ist). Nach diesem Zeitpunkt gilt der allgemeine Gerichtsstand des beklagten Erben oder anderer Nachlassberechtigter.

2 § 77 ist im Gesetz zwar unter die ausschließlichen Gerichtsstände eingereiht, da das Verlassenschaftsverfahren gem § 105 aber beim Gericht des allgemeinen Gerichtsstandes des Verstorbenen geführt wird, setzt § 77 Abs 1 gegenüber den Gläubigern des Erblassers dessen allgemeinen Gerichtsstand bis zur Einantwortung fort (Fasching Rz 286). Er wird daher von der hM als allgemeiner Gerichtsstand des Nachlasses aufgefasst (Neumann I 192 f; Pollak 338; Simotta in Fasching I § 77 Rz 7; OLG Wien EFSlg 85.172; aM Holzhammer, ÖJZ 1960, 563 f), der durch einen (echten) ausschließlichen Gerichtsstand (insb § 81) verdrängt wird und die Anrufung eines Wahlgerichtsstandes (etwa §§ 88, 89, 93) nicht auszuschließen vermag (vgl SZ 59/205 = IPRax 1988, 246 [dazu Hoyer, IPRax 1988, 255] = ZfRV 1988, 134).

3 Nach dem (bloß sprachlich modernisierten) Abs 2 ist für Erbteilungsklagen (ohne Rücksicht auf den Streitwert) vor und nach der Einantwortung (s § 176 ff AußStrG) das Abhandlungsgericht (§ 105) örtlich und sachlich (also individuell) zuständig. Darunter sind alle Klagen zu verstehen, deren Rechtsgrund im Erbrecht liegt und die auf die Teilung des Nachlassvermögens gerichtet sind, gleichgültig, ob diese mangels Einigung erst in einer bestimmten Richtung durchgesetzt werden soll oder ein Erbteilungsübereinkommen vorliegt, auf dessen Durchführung die Klage zielt (SZ 25/206 = JBl 1953, 75; SZ 51/101; 2 Ob 263/02y = ecolex 2003/71, 171 = NZ 2003/38, 120 = ZfRV-LS 2003/34, 99 = EFSlg 101.626 und 101.627). Für die Klage auf Herausgabe der Erbschaft und andere Klagen iSd Abs 1 oder für die Klage auf Zahlung des Pflichtteils (7 Ob 202/00g = JBl 2001, 521 = ZfRV 2001/43, 150 = EFSlg 97.924; OLG Wien EFSlg 18.452) gilt Abs 2 nicht (vgl auch OLG Wien EFSlg 75.965). Zur Anwendung der Anfechtungsbeschränkung des § 45 auf Entscheidungen über die individuelle Zuständigkeit s § 45 Rz 4 und zuletzt 5 Ob 292/02f = JBl 2003, 876. 272

JN § 79

2.2 Örtliche Zuständigkeit

Sowohl die Zuständigkeit nach Abs 1 als auch nach Abs 2 kann durch 4 eine Parteienvereinbarung abgeändert werden; es liegt also kein Zwangsgerichtsstand vor (s auch Simotta in Fasching I § 77 Rz 8 und 13). Für die internationale Zuständigkeit besteht keine spezielle Regelung. 5 Es gilt daher § 27a (Simotta in Fasching I § 77 Rz 14; 2 Ob 236/02y = ecolex 2003/71, 171 = NZ 2003/38, 120 = ZfRV-LS 2003/34, 99 = EFSlg 101.625; s auch Bajons, NZ 2005, 66 f). Das „Gebiet des Erbrechts einschließlich des Testamentsrechts“ ist vom Anwendungsbereich der EuGVVO und des Brüsseler bzw Luganer Übereinkommens ausgenommen (Art 1 Abs 2 lit a EuGVVO; Art 1 Abs 2 Z 1 EuGVÜ/LGVÜ). Diese Ausnahme kommt nach hM zum Tragen, wenn der Anspruch unmittelbar aus dem Erbrecht resultiert (s etwa Kropholler Art 1 Rz 28), so zB bei Streitigkeiten über die Auslegung eines Testaments bzw Kodizills (s 1 Ob 361/98i = JBl 2000, 47 = EFSlg 90.800 = ZfRV 1999/42, 149; s auch Burgstaller/Neumayr in Burgstaller/Neumayr, IZVR Art 1 EuGVVO Rz 12 oder Czernich in Czernich/Tiefenthaler/Kodek Art 1 Rz 15). Eine einheitliche europäische Regelung wird jedoch vorbereitet: Siehe das Grünbuch über Erbund Testamentsrecht vom 1.3.2005 KOM (2005) 65 endg. § 78. Gegenstandslos (betraf Fideikommiss- und Lehensangelegenheiten) Klagen von Richtern und gegen Richter § 79. (1) Klagen gegen Personen, die bei dem nach den Bestimmungen über die sachliche und örtliche Zuständigkeit zur Verhandlung und Entscheidung berufenen Bezirksgerichte als Einzelrichter in Verwendung stehen, gehören vor das Landesgericht, in dessen Sprengel sich das Bezirksgericht befindet. Klagen gegen den Vorsteher eines Gerichtshofes erster Instanz, welche vor diesen Gerichtshof oder vor ein im Sprengel desselben gelegenes Bezirksgericht gehören würden, sind bei einem der Gerichtshöfe erster Instanz anzubringen, deren Sprengel an den jenes ersten Gerichtshofes unmittelbar angrenzt. (2) Dieselben Vorschriften haben zur Anwendung zu kommen, wenn ein Einzelrichter eine Klage erhebt, für welche an sich das Bezirksgericht, bei dem er zur Zeit tätig ist, zuständig wäre, oder wenn der Vorsteher eines Gerichtshofes erster Instanz in einer Rechtssache als Kläger auftritt, welche durch die Bestimmungen dieses Gesetzes dem Gerichtshofe, dem er vorsteht, oder einem Bezirksgerichte im Gerichtshofsprengel zugewiesen ist. [Stammfassung unter Berücksichtigung von BGBl 1993/91] 273

§ 79

Mayr

Lit: Simotta in Fasching I § 79 JN; Fasching Rz 287; Holzhammer 53; Rechberger/Simotta Rz 118.

1 Durch diese Bestimmung soll die Durchführung eines Ablehnungsverfahrens und eine möglicherweise notwendig werdende amtswegige Delegation (§ 30), aber auch schon der Anschein einer möglichen Befangenheit von vornherein vermieden werden. Vorausgesetzt ist, dass die klagende oder beklagte Person bei demjenigen BG, das für die Klage (aus welchen Grund auch immer) zuständig wäre, als (aktiver) Richter (auch als Gerichtsvorsteher oder Sprengel- oder Vertretungsrichter) verwendet wird. Diesfalls ist dann das übergeordnete LG (beim BGHS Wien das HG Wien) ausschließlich (individuell) zuständig. Für Klagen von oder gegen den Präsidenten eines GH I. Instanz, die nach den Zuständigkeitsbestimmungen vor diesen GH oder vor ein BG in dessen Sprengel gehören würden, ist nach Wahl des Klägers ein unmittelbar angrenzender GH ausschließlich zuständig. Eine Gerichtsstandsvereinbarung auf die durch § 79 ausgeschlossenen Gerichte ist unzulässig (Simotta in Fasching I § 79 Rz 14).

2 § 79 schafft keinen (neuen) allgemeinen Gerichtsstand für die betroffenen Richter (er wird daher auch nicht von dessen minderjährigen Kindern geteilt). Hat der Richter seinen allgemeinen Gerichtsstand außerhalb seines Dienstsprengels, so greift § 79 insoweit nicht ein, als die Klage dort eingebracht werden kann. Wird allerdings das Dienstgericht (bzw ein BG im Sprengel des Dienstgerichtshofes) als Gericht des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes, als Wahlgerichtsstand oder als vereinbarter Gerichtsstand in Anspruch genommen, so kommt § 79 zur Anwendung. Es handelt sich um einen ausschließlichen Gerichtsstand, der auch andere ausschließliche Gerichtsstände (zB nach §§ 76, 81, 83) verdrängt.

3 § 79 gilt nur für die angeführten Personen, also etwa nicht für den (die) Vizepräsidenten und für Richter des GH I. Instanz oder für Präsidenten und Richter der OLG oder des OGH und auch nicht für Angehörige der erfassten Richter. Eine Ausnahme ist jedoch dann zu machen, wenn der Richter als gesetzlicher Vertreter der klagenden oder beklagten Partei auftritt (ebenso Simotta in Fasching I § 79 Rz 7). Er gilt ferner nicht nur für (alle Arten von) Klagen, sondern auch für die gerichtliche Aufkündigung und für Anträge auf Erlassung eines Übergabe- oder Übernahmeauftrages und es ist trotz der Einordnung der kommentierten Bestimmung unter die Vorschriften über die „Gerichtsbarkeit in Streitsachen“ kein Grund ersichtlich, warum sie nicht auch auf Richter als Antragsteller bzw Antragsgegner im Außerstreitverfahren (und im Exekutions- und Insolvenzverfahren) analog angewendet werden sollte 274

JN § 81

2.2 Örtliche Zuständigkeit

(ebenso Simotta in Fasching I § 79 Rz 4; aM LGZ Wien MietSlg 17.747 und LG Innsbruck wobl 2000/155, 275 [abl Mayr]). Zu den anzuwendenden Verfahrensvorschriften s Art XIV EGJN.

4

§ 80. Aufgehoben durch § 15 AHG Streitigkeiten um unbewegliches Gut § 81. (1) Klagen, durch welche ein dingliches Recht auf ein unbewegliches Gut, die Freiheit von einem solchen Rechte oder die Aufhebung desselben geltend gemacht wird, Teilungs-, Grenzberichtigungs- und Besitzstörungsklagen gehören vor das Gericht, in dessen Sprengel das unbewegliche Gut gelegen ist. (2) Betrifft die Klage eine Grunddienstbarkeit oder eine Reallast, so ist die Lage des dienenden oder belasteten Grundstückes entscheidend. [Stammfassung] Lit: Czernich/Tiefenthaler, Art 16 EuGVÜ: Liegenschaftsstreitigkeiten mit Auslandsbezug, wobl 1999, 255; Rechberger/Frauenberger-Pfeiler, Der österreichische Oberste Gerichtshof und der räumlich-persönliche Anwendungsbereich des EuGVÜ/LGVÜ, ZZPInt 6 (2001) 3; Lepeska, Immissionen ohne Schranken – grenzenloser Umweltschutz? RdU 2001, 50; Kerschner, Abwehrklagen gegen grenznahe Atomkraftwerke, RdU 2003, 128; Hinteregger/Kissich, Atomhaftungsgesetz 1999 (2004) § 22 Rz 5 ff; Wehdeking, Internationale Zuständigkeit der Zivilgerichte bei grenzüberschreitenden Immissionen, DZWIR 2004, 323; Tiefenthaler/ Hanusch, Internationale Zuständigkeit für vorbeugende Immissionsabwehrklagen, ecolex 2004, 330; Hadeyer, Nochmals zur Zuständigkeit bei grenzüberschreitenden Unterlassungsklagen, ecolex 2004, 828; Hager/ Hartmann, Internationale Zuständigkeit für vorbeugende Immissionsabwehrklagen, IPRax 2005, 266; Schack, Abwehr grenzüberschreitender Immissionen im dinglichen Gerichtsstand?, IPRax 2005, 262. Simotta in Fasching I § 81 JN; Fasching Rz 288; Holzhammer 53; Mayr/Czernich, EuZPR Rz 209 ff; Rechberger/Simotta Rz 119. Inhaltsübersicht Normzweck 1 Abs 1: Dingliches Recht als Klagegegenstand 2–4

Abs 2 5–6 Ausländische Liegenschaften 7 Europäisches Zuständigkeitsrecht 8

Die Bestimmung bezweckt für unbewegliche Sachen eine Konzentra- 1 tion der Rechtsstreite bei dem Gericht, in dessen Sprengel die unbeweg275

§ 81

Mayr

liche Sache gelegen ist. Die Schaffung dieses Gerichtsstandes beruhte auf der Erwägung, dass dieses Gericht wegen der örtlichen Nähe und der damit verbundenen erleichterten Einsichtsmöglichkeit am ehesten zu einer sicheren Feststellung und Würdigung der Rechtsverhältnisse in der Lage ist (1 Ob 102/97z = SZ 70/87 = RZ 1998/42, 141 = MietSlg 49.594). Sie regelt jedoch nur die örtliche, nicht auch die sachliche Zuständigkeit. Unterliegt eine Streitsache gem § 51 der Handelsgerichtsbarkeit, dann ist daher das Kausalgericht örtlich zuständig, in dessen Sprengel die unbewegliche Sache liegt (1 Ob 309/01z = EvBl 2002/ 98 = RdW 2002/413, 414).

2 Nach dem Wortlaut des Gesetzes gehören nur Klagen, mit denen ein dingliches Recht an einer unbeweglichen Sache, die Aufhebung eines dinglichen Rechts oder die Freiheit von einem dinglichen Recht geltend gemacht wird, (ausschließlich) vor den Gerichtsstand der gelegenen Sache. Was ein dingliches Recht ist, bestimmt das bürgerliche Recht: Dazu zählen das Recht des Eigentums, des Pfandes und der Dienstbarkeit (vgl § 308 ABGB), ferner Reallast- und Bergwerksberechtigungen (§§ 22 ff MinRoG) und das Baurecht (§ 1 BauRG) sowie die durch die Einverleibung im Grundbuch verdinglichten Rechte, wie Bestand-, Vor- und Wiederkaufsrechte oder Veräußerungs- und Belastungsverbote gem § 364c ABGB (SZ 16/96 = JBl 1934, 258 [krit Klang]; 1 Ob 174/97p = EFSlg 85.174; für das europäische Zivilprozessrecht (unten Rz 8) s jedoch 6 Ob 337/97w = SZ 71/2 = JBl 1998, 380 = MietSlg 50.682).

3 Zu den Klagen, mit denen die Freiheit von oder die Aufhebung eines dinglichen Rechtes geltend gemacht werden, zählen insb die Eigentumsfreiheitsklage, aber auch (nach österreichischem Verständnis; s unten Rz 8) die Immissionsabwehrklage (3 Nd 511/87 = JBl 1988, 323; 5 Nd 509/87 = EvBl 1988/118 = JBl 1988, 459 [abl P. Böhm] = RdW 1988, 165; 2 Ob 656/87 = SZ 61/278 = JBl 1989, 239 [zust Wilhelm] = EvBl 1989/89; 10 Ob 506/95 = SZ 68/55 = RdU 1996/92, 93 [Lux]; OLG Linz JBl 1987, 577 [zust Ballon, FS Fasching 63]; aM OLG Wien WR 271/1987) sowie die Löschungsklage (§§ 61 ff GBG). Auch Klagen auf Zustimmung zur Löschung einer Streitanmerkung gehören vor das Gericht, in dessen Sprengel das unbewegliche Gut gelegen ist, auf das sich die Streitanmerkung bezieht (SZ 66/49 = EvBl 1993/148). Ebenso ist für Klagen auf Einwilligung in die lastenfreie Abschreibung eines Grundstückes (SZ 53/129 = EvBl 1981/130) und bei einer negativen Feststellungsklage eines nicht verbücherten Fischereiberechtigten auf Freiheit des öffentlichen Gutes von einem verbücherten Fischereirecht des Beklagten der Gerichtsstand der gelegenen Sache gegeben (1 Ob 102/97z = SZ 70/87 = RZ 1998/42, 141). Für eine Ausschließungsklage nach (§ 22 WEG bzw) 276

JN § 81

2.2 Örtliche Zuständigkeit

§ 36 WEG 2002 ist § 81 nicht anwendbar; es gilt der allgemeine Gerichtsstand (OLG Wien MietSlg 33.489; krit Hausmann in Hausmann/ Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht, § 36 WEG 2002 Rz 24). Das dingliche Recht muss Klagegegenstand und nicht nur Klagegrund 4 sein (JBl 1988, 323; 1 Ob 174/97p = EFSlg 85.173); der Gerichtsstand des § 81 gilt daher nicht für Räumungsklagen wegen titelloser Benützung (etwa 8 Ob 623/90 = EFSlg 63.941 = MietSlg 42.484 = wobl 1991/55, 67; LGZ Wien MietSlg 37.721). Für bloß obligatorische Rechte an einer Liegenschaft, wie zB das aus einem Kaufvertrag abgeleitete Recht auf Übergabe einer Liegenschaft oder auf Einwilligung in die grundbücherliche Einverleibung gilt § 81 nicht (vgl EvBl 1966/453; MietSlg 30.662 und 49.594; 1 Ob 361/98i = JBl 2000, 47 = EFSlg 90.759 = ZfRV 1999/42, 149; LGZ Wien EFSlg 90.758 ua), jedoch kann das Gericht der gelegenen Sache als Wahlgerichtsstand angerufen werden (§ 91 Abs 3). Teilungsklagen, also Klagen eines Miteigentümers auf Aufhebung der 5 Miteigentumsgemeinschaft (§§ 830, 841 ABGB), fallen unter § 81, sofern sie eine Liegenschaft betreffen. Streitigkeiten über die Berichtigung von Grenzen (§§ 850 f ABGB) gehören großteils in das Verfahren außer Streitsachen (s Art I EGZPO Rz 17). Besitzstörungsklagen gehören, sofern sie unbewegliche Sachen betreffen, ausschließlich vor das Gericht der gelegenen Sache, sofern sie Wasserrechte betreffen, ausschließlich vor das Gericht des Störungsortes (§ 82) und, sofern sie bewegliche Sachen betreffen, wahlweise vor das Gericht des Störungsortes (§ 92); dazu näher G. Kodek, Besitzstörung 727 f. Bei Klagen betreffend eine Grunddienstbarkeit oder eine Reallast ist die 6 Lage des dienenden oder belasteten Grundstückes entscheidend (Abs 2). Liegt das Grundstück in verschiedenen Gerichtssprengeln, so hat der Kläger die Wahl, bei welchem Gericht er die Klage einbringen will (§ 84). Streitigkeiten um eine ausländische Liegenschaft gehörten nach bishe- 7 riger Rsp vor den inländischen allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten (SZ 9/53 = ZBl 1927/155; vgl auch SZ 59/205 = IPRax 1988, 246 [dazu Hoyer, IPRax 1988, 255] = ZfRV 1988, 134). Diese Ansicht ist im Anwendungsbereich des europäischen Zivilprozessrechts jedenfalls überholt, weil bei einer Liegenschaft in einem Mitglied- bzw Vertragsstaat jedenfalls die Gerichte dieses Staats (zwangs-)zuständig sind (s unten Rz 8) und auch bei Streitigkeiten um Liegenschaften in Drittstaaten nimmt die überwiegende Meinung eine Reflexwirkung des Art 22 Z 1 277

§ 81

Mayr

EuGVVO (bzw Art 16 Z 1 EuGVÜ/LGVÜ) zugunsten der Gerichte des Drittstaates an (etwa Kropholler Art 22 Rz 7 oder Simotta in Fasching I § 81 Rz 26 und Vor §§ 83a und 83b Rz 158). Dem wird man insb für dingliche Klagen, für die der Drittstaat eine Zwangszuständigkeit in Anspruch nimmt und daher auch eine Durchsetzung der inländischen Entscheidung im Drittstaat unmöglich ist, zustimmen müssen. Für obligatorische Klagen (aus einem Bestandverhältnis) kann uU etwas anderes gelten (s § 83 Rz 2 und Tiefenthaler in Czernich/Tiefenthaler/ Kodek Art 22 Rz 7).

8 Das europäische Zuständigkeitsrecht (dazu Nach § 27a) sieht in Art 22 Z 1 EuGVVO (bzw Art 16 Z 1 lit a EuGVÜ/LGVÜ) unabhängig vom Wohnsitz der Parteien für Klagen, welche dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen (sowie die Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen; dazu § 83 Rz 3) zum Gegenstand haben, die ausschließliche (Zwangs-) Zuständigkeit der Gerichte des Mitglied- (bzw Vertrags-) Staats vor, in dem die unbewegliche Sache gelegen ist. Diese Bestimmung regelt also nur die internationale Zuständigkeit, die örtliche Zuständigkeit bestimmt sich nach dem nationalen Recht (insb § 81). Die so bestimmte (internationale) Zuständigkeit kann weder durch eine Vereinbarung (Art 23 EuGVVO) noch durch eine rügelose Einlassung (Art 24 EuGVVO) verändert werden. Die Unzuständigkeit ist jederzeit – auch a limine litis – von Amts wegen wahrzunehmen (Art 25 EuGVVO) und bildet sogar einen Anerkennungsverweigerungsgrund (Art 35 und 45 Abs 1 EuGVVO). Der Begriff der „dinglichen Rechte“ wird nach hM autonom ausgelegt (EuGH Reichert/Dresdner Bank, Slg 1990, I-27; 6 Ob 337/97w = SZ 71/2 = JBl 1998, 380; 3 Ob 266/03v; aM 7 Ob 286/99f = SZ 72/192 = RZ 2000/44, 277). Er umfasst nur diejenigen Klagen, die in den Anwendungsbereich der EuGVVO (bzw des EuGVÜ/LGVÜ) fallen und darauf gerichtet sind, Umfang oder Bestand einer unbeweglichen Sache, das Eigentum, den Besitz oder das Bestehen anderer dinglicher Rechte hieran zu bestimmen und den Inhabern dieser Rechte den Schutz der mit ihrer Rechtsstellung verbundenen Vorrechte zu sichern. Es ist ein gegen jedermann wirkendes und sich in diesem Punkt von bloß persönlichen Rechten unterscheidendes Recht erforderlich. Nicht ausreichend ist, dass ein dingliches Recht an einer unbeweglichen Sache von der Klage nur berührt wird oder dass die Klage in einem Zusammenhang mit einer unbeweglichen Sache steht (etwa 5 Ob 8/02s = MietSlg 54.584 = wobl 2002/98, 304 oder 7 Ob 188/03b = EvBl 2004/30, 141 = RdW 2004/73, 95 = ZfRV 2004/18, 105). Die Zuständigkeitsregel ist vor allem zum Schutz der beklagten Partei und zur Vermeidung der Gefahr weiterer Ausdehnung im Zwei278

JN § 83

2.2 Örtliche Zuständigkeit

fel eng auszulegen, dh nicht weiter, als dies ihr Ziel erforderlich macht (7 Ob 286/99f = SZ 72/192 = RZ 2000/44, 277; 3 Ob 266/03v ua). Die Frage, ob Immissionsabwehrklagen unter Art 22 Z 1 EuGVVO (bzw Art 16 Z 1 EuGVÜ/LGVÜ) fallen (oder Art 5 Z 3 EuGVVO/ EuGVÜ/LGVÜ einschlägig ist) hat der OGH vorerst (in Anschluss an seine frühere Rsp – s oben Rz 3) bedenkenlos bejaht (1 Ob 221/02k = JBl 2004, 105 [Rotter] = RdU 2003/89, 155 [Lepeska] = RdW 2004/18, 25 = ZfRV 2004/13, 77), was ihm viel Kritik in der Lit eingetragen hat (etwa Tiefenthaler/Hanusch, ecolex 2004, 330; Oberhammer in Schwimann II § 364 Rz 25; Hager/Hartmann, IPRax 2005, 266; Schack, IPRax 2005, 262). Richtigerweise hat wenig später ein anderer Senat des OGH diese Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt (3 Ob 266/03v = ecolex 2004/404, 859 [Mayr] = ecolex 2005/13, 41 = RdW 2005/218, 167) und der EuGH hat sie letztlich jüngst (Rs C-343/04, Oberösterreich/CEZ) verneint (dazu Musger, Zak 2006, 203 und McGuire, ecolex 2006, 709). Zur Qualifikation von Klagen aus Timesharing-Verträgen s etwa Kropholler Art 22 Rz 17 und jüngst EuGH Rs C-73/04, Klein/Rhodos = immolex 2006/27, 58 (Binder/Keiler) = IPRax 2006, 159 (124: Hüßtege) = Zak 2005/99, 59 (Neumayr). Wasserrechts-Besitzstörungsstreitigkeiten § 82. Streitigkeiten wegen Störung des Besitzes (§ 49 Abs 2 Z 4) an Wasserrechten gehören vor das Gericht, in dessen Sprengel die Störung erfolgte. [Stammfassung] Lit: Simotta in Fasching I § 82 JN; G. Kodek, Besitzstörung 728. Wasserrechts-Besitzstörungsstreitigkeiten gehören – sofern dafür über- 1 haupt der Rechtsweg zulässig ist (s Vor § 1 Rz 7) – ausschließlich vor das Gericht des Störungsortes. Bestandstreitigkeiten § 83. (1) Die im § 49 Abs 2 Z 5 bezeichneten Streitigkeiten gehören vor das Gericht, in dessen Sprengel die Sache liegt. (2) Dieses Gericht ist auch zur Erlassung der im § 49 Abs 4 angeführten Verfügungen und Aufträge in Bestandsachen zuständig. [Fassung ZVN 1983 und WGN 1989 (Richtigstellung des Zitats in Abs 2)] Lit: Palten, Bestandverfahren (1991) Rz 15 ff; Czernich/Tiefenthaler, Liegenschaftsstreitigkeiten mit Auslandsbezug, wobl 1999, 255; Rech279

§ 83

Mayr

berger/Frauenberger-Pfeiler, Der österreichische Oberste Gerichtshof und der räumlich-persönliche Anwendungsbereich des EuGVÜ/ LGVÜ, ZZPInt 6 (2001) 3. Simotta in Fasching I § 83 JN; Fasching Rz 289.

1 Seit der ZVN 1983 ist für alle in § 49 Abs 2 Z 5 bezeichneten Bestandstreitigkeiten sowie für die in § 49 Abs 4 bezeichneten Verfügungen und Aufträge dasjenige (Bezirks-)Gericht örtlich zuständig, in dessen Sprengel die Sache (Bestandgegenstand) liegt. Sachliche und örtliche Zuständigkeit decken sich also, so dass auf die Ausführungen zur sachlichen Zuständigkeit (§ 49 Rz 11) verwiesen werden kann. Damit fallen insb auch Bestandstreitigkeiten über Unternehmen unter diese Zuständigkeitsbestimmung, selbst wenn es sich dabei nicht um eine unbewegliche Sache handelt (669 BlgNR 15. GP 38). Hervorzuheben ist, dass die Rsp § 83 (und § 49 Abs 2 Z 5) restriktiv auslegt und eine Anwendung auf gemischte Verträge oder auf mietähnliche Verhältnisse ablehnt. So ist die Zuständigkeitsnorm etwa nicht anzuwenden bei einem (heute üblichen) Garagierungsvertrag (etwa OLG Wien WR 510/1991; aM allerdings zu Recht Sprung/König, RdW 1985, 235 und RdW 1986, 200) oder bei einem Gastaufnahmevertrag (etwa SZ 50/74 = MietSlg 29.588 = RZ 1977/135, 262; LGZ Wien MietSlg 48.567), sehr wohl aber bei der Miete einer Ferienwohnung (MietSlg 31.634) oder bei einem Jagdpachtvertrag (SZ 37/26 = EvBl 1964/326 = RZ 1964, 120; LGZ Wien MietSlg 29.590). Wenn es sich nicht um eine Streitigkeit über eine verbotene Ablöse nach § 27 MRG sondern zB um einen Kondiktionsanpruch handelt, kommt die Zuständigkeitsregelung des (§ 49 Abs 2 Z 5 und) § 83 nicht zur Anwendung (LGZ Wien MietSlg 45.481). Durch § 14 KSchG wird sie hingegen nicht eingeschränkt (etwa LG Steyr RPflSlgE 1996/99).

2 Es handelt sich um einen ausschließlichen Gerichtsstand (der auch einen Wahlgerichtsstand ausschließt), nicht aber um einen Zwangsgerichtsstand (EvBl 1970/230 = MietSlg 22.596; LGZ Wien MietSlg 46.595). Andererseits kann die internationale Zuständigkeit aber durch eine Parteienvereinbarung oder durch eine rügelose Einlassung nicht begründet werden (§ 104 Abs 4 idF WGN 1997). Seit dieser – durch das Europäische Recht (s Art 16 Z 1 lit a EuGVÜ/LGVÜ und Art 22 Z 1 EuGVVO; unten Rz 3) veranlassten – Neuerung ist fraglich, ob jene bisherige Rsp aufrecht erhalten werden kann (EvBl 1985/140; LG Feldkirch MietSlg 27.625; LGZ Wien MietSlg 39.723, 40.736, 47.572), die bei einem (unbeweglichen) Bestandgegenstand im Ausland (Drittstaat) die Klage aus diesem Bestandverhältnis beim (inländischen) allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten zugelassen hat (vgl auch oben § 81 Rz 7). Der OGH hat dies in der E 3 Ob 267/00m = SZ 74/75 = JBl 280

JN Vor § 83a

2.2 Örtliche Zuständigkeit

2002, 52 = JAP 2001/02, 246 (Frauenberger-Pfeiler) bejaht. Ihm ist im Ergebnis zuzustimmen, weil im konkreten Fall das Urteil aus dem Belegenheitsstaat (dem damaligen Drittstaat Ungarn) in Österreich nicht hätte anerkannt und vollstreckt werden können, was zu einer Justizverweigerung geführt hätte (s Rechberger/Frauenberger-Pfeiler, ZZPInt 2001, 18 ff). Generell kann eine Reflexwirkung des Art 22 EuGVVO (bzw Art 16 EuGVÜ/LGVÜ) zugunsten eines Drittstaats (bei schuldrechtlichen Ansprüchen) nur angenommen werden, wenn der Drittstaat in der fraglichen Angelegenheit selbst eine ausschließliche internationale Zuständigkeit in Anspruch nimmt und die Entscheidung des Drittstaats in dem die Zuständigkeit ablehnenden Staat durchgesetzt werden könnte (vgl Kropholler Art 22 Rz 7 und Czernich/Tiefenthaler, wobl 1999, 257 f). Nach Art 22 Z 1 EuGVVO (bzw Art 16 Z 1 lit a EuGVÜ/LGVÜ; dazu 3 Nach § 27a) sind für Klagen, welche die Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben ausschließlich die Gerichte des Vertragsstaates (zwangs-) zuständig, in dem die unbewegliche Sache gelegen ist (s auch § 81 Rz 8). Der EuGH (Rösler/Rottwinkel, Slg 1998, 99) wendet diese Bestimmung auf alle Rechtsstreitigkeiten an, welche die sich (unmittelbar) aus dem Mietvertrag ergebenden jeweiligen Verpflichtungen des Vermieters oder Mieters betreffen, somit auch auf reine Mietzinsklagen oder Streitigkeiten über die vom Mieter zu tragenden Nebenkosten, wie Kosten für Wasser, Gas oder Strom (so auch 6 Ob 207/99f = ecolex 2000/46, 112 = MietSlg 51.625 = wobl 2001/17, 29 = ZfRV 2000/22, 79). Für Streitigkeiten aus kurzfristigen Gebrauchsüberlassungen (Ferienwohnungen) wird diese strikte Zuständigkeitsregelung allerdings geringfügig gelockert, wobei zu beachten ist, dass insofern sowohl die EuGVVO, als auch das Brüsseler und das Luganer Übereinkommen (dort Art 16 Z 1 lit b) jeweils eine geringfügig unterschiedliche Fassung aufweisen (s Kropholler Art 22 Rz 29 ff oder Tiefenthaler in Czernich/ Tiefenthaler/Kodek Art 22 Rz 26 ff). Vor § 83a Die in §§ 83a und 83b geregelten Gerichtsstände sind Zwangsgerichts- 1 stände, dh eine Veränderung der Zuständigkeit durch Vereinbarung der Parteien ist unzulässig (vgl Vor § 65 und Vor § 76 jeweils Rz 1). Außerhalb der JN gibt es insb noch folgende Zwangsgerichtsstände: – Für Klagen in bestimmten Arbeitssrechtssachen nach § 4 Abs 1 Z 2, § 4 Abs 1 Z 3 und §§ 5a, 5b und 5c ASGG. – Für Klagen in Sozialrechtssachen nach § 7 ASGG. 281

Vor § 83a – –



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Mayr

Regelmäßig im Außerstreitverfahren (ausgenommen nach § 114a Abs 1). In reinen Exekutionssachen und im Verfahren zur Erlassung von einstweiligen Verfügungen (§ 402 Abs 4 EO) sind gem § 51 EO Gerichtsstandsvereinbarungen wirkungslos. Dagegen ist für die exekutionsrechtlichen und den sonstigen mit dem Exekutionsverfahren im Zusammenhang stehenden Klagen eine Gerichtsstandsvereinbarung zulässig (hM, s etwa Simotta in Fasching I Vor §§ 83a und 83b Rz 4 und § 104 Rz 159 f oder Fucik in Burgstaller/DeixlerHübner, § 51 EO Rz 1). Im Konkurs- und Ausgleichsverfahren sind Vereinbarungen über die Zuständigkeit der Gerichte gem § 172 Abs 2 KO bzw § 76 Abs 2 AO unwirksam. Trotz der Ausnahmeregelung des § 179 Z 4 KO gilt die Prorogationsunzulässigkeit auch für Rechtsstreitigkeiten über die Richtigkeit und Rangordnung von Konkursforderungen nach § 111 Abs 1 KO (Simotta in Fasching I § 104 Rz 162 ff; s auch 8 Ob 25/94 = ZIK 1995, 57; aA Konecny in Konecny/Schubert § 111 KO Rz 2) und für Anfechtungsklagen des Masseverwalters beim Konkursgericht nach § 43 Abs 5 KO (dazu eingehend König, Die Anfechtung nach der Konkursordnung3 [2003] Rz 17/89). Für Klagen des Unternehmers gegen den Verbraucher nach § 14 KSchG; Näheres dazu sogleich unten. § 197 Abs 1 und § 201 Abs 1 AktG für Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen gegen Hauptversammlungsbeschlüsse einer AG sowie § 216 Abs 1 AktG für Klagen auf Nichtigerklärung einer AG bei dem für den Sitz der Gesellschaft zuständigen, zur Ausübung der Gerichtsbarkeit in Handelssachen berufenen GH I. Instanz (s auch § 83b). § 42 Abs 2 GmbHG für Klagen auf Nichtigerklärung eines Gesellschafterbeschlusses bei dem zur Ausübung der Handelsgerichtsbarkeit zuständigen GH des Sitzes der Gesellschaft (s auch § 83b). § 75 NBG für Klagen gegen die Nationalbank – soweit es sich nicht um eine Arbeitsrechtssache handelt – ausschließlich beim HG Wien (individuelle Zwangszuständigkeit); dazu Simotta in Fasching I Vor §§ 83a und 83b Rz 12. § 162 Abs 1 PatG, § 23 Abs 1 HlSchG, § 38 Abs 1 MuSchG, § 44 Abs 1 GMG und § 24 Abs 2 SortenschutzG 2001 für Klagen und einstweilige Verfügungen nach diesen Gesetzen ausschließlich beim HG Wien (individuelle Zwangszuständigkeit); dazu Simotta in Fasching I Vor §§ 83a und 83b Rz 11. Für Klagen nach § 178g VersVG nur beim HG Wien (individuelle Zwangszuständigkeit); dazu Simotta in Fasching I Vor §§ 83a und 83b Rz 15. 282

JN Vor § 83a

2.2 Örtliche Zuständigkeit –



§ 48 VersVG für Klagen aus dem Versicherungsverhältnis gegen den Versicherer bei dem Gericht, in dessen Sprengel der den Vertrag vermittelnde oder abschließende Versicherungsagent seine gewerbliche Niederlassung (oder ersatzweise seinen Wohnsitz) hat. Es handelt sich hier nach hM (etwa Matscher, Zuständigkeitsvereinbarungen 48 f und 65 f; anders allerdings Simotta in Fasching I Vor §§ 83a und 83b Rz 6) um einen sog „unabdingbaren Zwangsgerichtsstand“, der durch Parteiendisposition nicht ausgeschlossen werden kann, neben dem aber die weiteren gesetzlichen Zuständigkeiten aufrecht bleiben (s näher § 87 Rz 8). § 532 ZPO für Nichtigkeits- und Wiederaufnahmsklagen (individuelle Zwangszuständigkeit; s Simotta in Fasching I § 104 Rz 157 mwN oder 8 Ob 240/00b = ZIK 2001/329, 213).

Nach § 104 Abs 4 kann die internationale Zuständigkeit Österreichs in 2 Rechtssachen nach §§ 81, 83, 83b und 92b durch Vereinbarung (oder rügelose Einlassung) nicht begründet werden (unprorogable internationale Unzuständigkeit). Im Bereich des europäischen Zivilprozessrechts zählt Art 22 EuGVVO (bzw Art 16 EuGVÜ/LGVÜ) eine Reihe von „ausschließlichen Zuständigkeiten“ auf, die auch durch eine Gerichtstandsvereinbarung nicht abbedungen werden können (Art 23 Abs 5 EuGVVO bzw Art 17 Abs 3 EuGVÜ/LGVÜ). Es handelt sich also nach österreichischer Terminologie um internationale Zwangszuständigkeiten (s Nach § 27a Rz 22). Im Anwendungsbereich der EuGVVO II sind Zuständigkeitsvereinbarungen überhaupt nicht vorgesehen. § 14 KSchG lautet: Gerichtsstand § 14. (1) Hat der Verbraucher im Inland seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder ist er im Inland beschäftigt, so kann für eine Klage gegen ihn nach den §§ 88, 89, 93 Abs 2 und 104 Abs 1 JN nur die Zuständigkeit eines Gerichtes begründet werden, in dessen Sprengel der Wohnsitz, der gewöhnliche Aufenthalt oder der Ort der Beschäftigung liegt; dies gilt nicht für Rechtsstreitigkeiten, die bereits entstanden sind. (2) Das Fehlen der inländischen Gerichtsbarkeit sowie der örtlichen Zuständigkeit des Gerichts ist in jeder Lage des Verfahrens auf Antrag oder von Amts wegen wahrzunehmen; die Bestimmungen über die Heilung des Fehlens der inländischen Gerichtsbarkeit oder der sachlichen oder örtlichen Zuständigkeit (§ 104 Abs 3 JN) sind jedoch anzuwenden. (3) Eine Vereinbarung, mit der für eine Klage des Verbrauchers gegen den Unternehmer ein nach dem Gesetz gegebener 283

Vor § 83a

Mayr

Gerichtsstand ausgeschlossen wird, ist dem Verbraucher gegenüber rechtsunwirksam. (4) Die Abs 1 bis 3 sind insoweit zur Gänze oder zum Teil nicht anzuwenden, als nach Völkerrecht oder besonderen gesetzlichen Anordnungen ausdrücklich anderes bestimmt ist. [BGBl 1979/140; Abs 2 geändert durch ZVN 1983; Abs 1 und 2 geändert sowie Abs 4 angefügt durch Art XXIII WGN 1997] Lit: Schragel, Konsumentenschutz im Zivilprozeß, in: Verbesserter Zugang zum Recht. Richterwoche 1979 Badgastein, 217; Jelinek, Gerichtszuständigkeit im Verbraucherprozeß (§ 14 KSchG), in Krejci (Hrsg), Handbuch zum Konsumentenschutzgesetz (1981) 859; Csoklich, Die Allgemeinen Österreichischen Spediteurbedingungen und das Konsumentenschutzgesetz, ÖJZ 1986, 437; ders, Neue AÖSp, Verbesserungen – alte Fehler – Versäumnisse, RdW 1989, 54; Schoibl, Zum Abschluß von Gerichtsstandsvereinbarungen im deutsch-österreichischen Rechtsverkehr, BeitrZPR IV (1991) 185; Klicka, Der OGH und die Schiedsklausel im Konsumentengeschäft, ecolex 1995, 883; Czernich, Kauf- und Dienstleistungsverträge im Internet, ecolex 1996, 82; Rudisch, Das sogenannte Lugano-Übereinkommen und seine Bedeutung für die österreichische Versicherungswirtschaft, VersRdSch 1997, 201; Schoibl, Die Zuständigkeit für Verbrauchersachen nach europäischem Zivilverfahrensrecht des Brüsseler und des Luganer Übereinkommens (EuGVÜ/LGVÜ), JBl 1998, 700, 767; Simotta, Der Verbraucher als Streitgenosse – § 14 Abs 1 KSchG versus § 93 Abs 1 JN, FS Sprung (2001) 359; Krejci in Rummel II/4 (2002) 377; Mankowski, Internationaler Verbraucherschutz und Internet, in: Studiengesellschaft für Wirtschaft und Recht (Hrsg), Internet und Recht (2002) 191; Mochar/Seidl, Internationales Verbraucherschutzrecht und e-commerce, ÖJZ 2003, 241; Riedler, Änderungen des KSchG durch das ZRÄG 2004, RZ 2003, 266; Wagner, Internationale und örtliche Zuständigkeit in Verbrauchersachen im Rahmen des Brüsseler Übereinkommens und der Brüssel I-Verordnung, WM 2003, 116; Teuber, Die internationale Zuständigkeit bei Verbraucherstreitigkeiten (2003); Geimer, Einige Bemerkungen zur Zuständigkeitsordnung der Brüssel I-Verordnung, FS Musielak (2004) 169 (180); Kosesnik-Wehrle/Lehofer/Mayer/Langer, Konsumentenschutzgesetz2 (2004) 187; Mayr, Die Wahrnehmung der Unzuständigkeit nach der ZVN 2002, ÖJZ 2004, 361; Geimer, Die Sonderrolle der Versicherungssachen im Brüssel I-System, FS Heldrich (2005) 627; Mäsch, Schiedsvereinbarungen mit Verbrauchern, FS Schlosser (2005) 529; Heiderhoff, Zum Verbraucherbegriff der EuGVVO und des LugÜ, IPRax 2005, 230; M. Roth, Der Schutz des Verbrauchers im internationalen Privat- und Verfahrensrecht bei Inter284

JN Vor § 83a

2.2 Örtliche Zuständigkeit

netverträgen, FS Rechberger (2005) 471; Hub, Internationale Zuständigkeit in Versicherungssachen nach der VO 44/01/EG (EuGVVO) (2005); Kathrein in KBB § 14 KSchG Rz 1 ff; Apathy in Schwimann3 V (2006) § 14 KSchG Rz 1 ff. Simotta in Fasching I Vor §§ 83a und 83b JN (§ 14 KSchG); Ballon Rz 66; Buchegger, PraktZPR I 35; Fasching Rz 293; Mayr/Czernich, EuZPR Rz 181 ff; Rechberger/Simotta Rz 82, 140. Inhaltsübersicht Normzweck Zeitlicher Anwendungsbereich Sachlicher Anwendungsbereich Klagen gegen den Verbraucher (Abs 1) Schiedsvereinbarungen

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Unzulässige Vertragsklauseln in AGB 9 Heilung der Unzuständigkeit (Abs 2) 10 Klagen gegen den Unternehmer (Abs 3) 11 Europäisches Zivilprozessrecht 12–15

Der Zweck des § 14 KSchG liegt in erster Linie darin, den Verbraucher 1 bei Streitigkeiten aus privaten Geschäften, vor jenen Nachteilen zu schützen, die ungünstige, weit entfernt liegende Gerichtstände mit sich bringen. Diese Bestimmung schafft aber keine positive, die JN verdrängende Zuständigkeitsordnung für Klagen aus Verbrauchergeschäften, sondern enthält nur bestimmte, (lediglich) die örtliche Zuständigkeit betreffende Prorogationsverbote bzw –einschränkungen (SZ 56/159 = EvBl 1984/97; SZ 63/188 = EvBl 1991/16 = JBl 1992, 256), und zwar in Abs 1 (s unten Rz 4 ff) für Klagen des Unternehmers gegen den Verbraucher und in Abs 3 (s unten Rz 11) für Klagen des Verbrauchers gegen den Unternehmer. § 14 KSchG ist nur auf Zuständigkeitsvereinbarungen anzuwenden, die 2 nach dem In-Kraft-Treten des KSchG (am 1.10.1979) abgeschlossen worden sind (Jelinek, Gerichtszuständigkeit 926; LGZ Wien WR 503/ 1991 gegen LGZ Graz MietSlg 32.258/40). Eine seit dem KSchG unzulässige Gerichtsstandsvereinbarung kann auch nicht als Zusatz zu einem schon länger bestehenden Vertragsverhältnis wirksam geschlossen werden (SZ 54/74 = EvBl 1981/233 = RZ 1981/67, 253). Die Neufassung des § 14 KSchG (Abs 1, 2 und 4) durch die WGN 1997 ist auf Klagen anzuwenden, die nach dem 31.12.1997 bei Gericht angebracht worden sind (Art XXXII Pkt 8 WGN 1997). Besondere Schwierigkeiten bereitet der zeitliche Anwendungsbereich der verschiedenen Regelungen hinsichtlich der Zulässigkeit von Schiedsvereinbarungen (s unten Rz 8). 285

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3 Diese Prorogationsverbote erfassen alle aus dem zwischen Verbraucher und Unternehmer bestehenden Rechtsverhältnis entspringenden Rechtsstreitigkeiten, wie zB Klagen über Erfüllungsansprüche und über den Bestand des Rechtsverhältnisses, Schadenersatz- und Bereicherungsklagen, Herausgabeansprüche etc (Krejci in Rummel II/4 § 14 KSchG Rz 3 und Simotta in Fasching I Vor §§ 83a und 83b Rz 39 ff). Ob ein Verbrauchergeschäft vorliegt, ob den Beteiligten Verbraucher- bzw Unternehmereigenschaft zukommt, sind Vorfragen, die nach § 1 KSchG zu prüfen sind. Gem § 1 Abs 1 KSchG gilt das I. Hauptstück dieses Gesetzes für Rechtsgeschäfte, an denen einerseits jemand, für den das Geschäft zum Betrieb seines Unternehmens gehört (Unternehmer), und andererseits jemand, für den dies nicht zutrifft (Verbraucher), beteiligt sind. Unternehmen iSd § 1 Abs 1 Z 1 KSchG ist nach § 1 Abs 2 KSchG jede auf Dauer angelegte Organisation selbständiger geschäftlicher Tätigkeit, mag sie auch nicht auf Gewinn gerichtet sein (so auch § 1 Abs 2 UGB). Juristische Personen des öffentlichen Rechts gelten immer als Unternehmer. Näheres dazu etwa bei Krejci in Rummel II/4 § 1 KSchG Rz 1 ff; Apathy in Schwimann V § 1 KSchG Rz 9 ff oder Simotta in Fasching I Vor §§ 83a und 83b Rz 28 ff). Bei der Prüfung der Zuständigkeitsvoraussetzungen ist das Gericht gem § 41 Abs 2 (grundsätzlich) an die Angaben des Klägers gebunden. Bloße Zweifel an den Klagsangaben berechtigen das Gericht nicht zur Erlassung eines Verbesserungsauftrags oder zu amtswegigen Erhebungen (s § 41 Rz 3; Simotta in Fasching I Vor §§ 83a und 83b Rz 48; aM Krejci in Rummel II/4 § 14 KSchG Rz 3 und Kosesnik-Wehrle, KSchG2 § 14 Rz 8; beide aber nur unter Berufung auf LG Innsbruck AnwBl 1992, 672 [abl Grill]).

4 Das Prorogationsverbot des Abs 1 gilt nur, wenn der Verbraucher im Inland seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Beschäftigungsort hat. Fehlt dieser verlangte Inlandsbezug (im Zeitpunkt des Abschlusses der Gerichtsstandsvereinbarung, s unten Rz 6), so ist die Möglichkeit des Abschlusses einer Gerichtsstandsvereinbarung mit einem Verbraucher nicht beschränkt (9 Ob 287/97i = EvBl 1998/58 = ecolex 1998, 125 = ZfRV 1998, 256; 6 Ob 12/03p = EvBl 2003/137 = RdW 2003/440, 508 = ÖBA 2003/1151, 871 [Haas] = ZfRV-LS 2003/54, 187). Bei einem Verbraucher mit Wohnsitz in einem Vertrags- bzw Mitgliedsstaat des europäischen Zuständigkeitsrechts greifen allerdings die Verbraucherschutzbestimmungen dieser Rechtsquellen ein (dazu unten Rz 12 f).

5 Die Regelung des Abs 1 bedeutet nicht, dass der Verbraucher überhaupt nur an seinem Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Beschäfti286

JN Vor § 83a

2.2 Örtliche Zuständigkeit

gungsort geklagt werden darf. Dem Kläger stehen vielmehr alle Gerichtsstände zur Verfügung, die nicht durch § 14 Abs 1 KSchG eingeschränkt werden (JBl 1990, 385; Jelinek, Gerichtszuständigkeit 876). Ausdrücklich betroffen sind der vereinbarte Gerichtsstand nach § 104 Abs 1, der Gerichtsstand des Erfüllungsortes (§ 88 Abs 1; der Fakturengerichtsstand nach § 88 Abs 2 steht künftig nur noch Unternehmern zu) und der Gerichtsstand des Wechselzahlungsortes (§§ 89, 93 Abs 2). Mittelbar betroffen ist der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft gem § 93 Abs 1, der nach hM dem Verbraucher gegenüber nur mit der Beschränkung des § 14 Abs 1 KSchG begründet werden kann (5 Ob 525/90 = NRsp 1990/158 = JUS extra Z/447; 8 Ob 108/00s; HG Wien WR 53/ 1984; OLG Wien WR 256/1987; Krejci in Rummel II/4 § 14 KSchG Rz 6; Kosesnik-Wehrle in KSchG2 § 14 Rz 4 ua). Aufgrund der von Simotta (FS Sprung 359 ff) durchgeführten, sehr eingehenden Untersuchungen kann dieser Auffassung jedoch nicht länger gefolgt werden (ebenso Simotta in Fasching I Vor §§ 83a und 83b Rz 55; s auch § 93 Rz 3). Der Gerichtsstand der Widerklage (§ 96) wird hingegen (auch) nach (schon bisher) überwiegenden Meinung (etwa Ballon Rz 290 mwN) durch das KSchG nicht beschränkt (s § 96 Rz 3), ebensowenig die anderen in Frage kommenden Wahl- oder ausschließlichen Gerichtsstände (etwa § 83). Bei den vom KSchG betroffenen Bestimmungen ist eine Vereinbarung der Zuständigkeit nur insofern zulässig, als der Verbraucher (im Zeitpunkt ihres Abschlusses) im Sprengel des vereinbarten Gerichts seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Beschäftigungsort hat. Diese Umschreibung der notwendigen örtlichen Nahebeziehung des Verbrauchers deckt sich (seit der Erweiterung des § 66 durch die ZVN 1983) regelmäßig mit dessen allgemeinen Gerichtsstand (ebenso Ballon Rz 66 und Simotta in Fasching I Vor §§ 83a und 83b Rz 65). Zur Frage der Zulässigkeit einer Delegation s § 31 Rz 4 und § 31a Rz 1. Ob eine abgeschlossene Gerichtsstandsvereinbarung zulässig ist, richtet 6 sich ausschließlich nach den Verhältnissen zur Zeit ihres Abschlusses (hM, etwa Schoibl, Gerichtsstandsvereinbarungen 187 f mwN und 1 Ob 673/90 = SZ 63/188 = EvBl 1991/16 = JBl 1992, 256 = ecolex 1991, 240 = ÖBA 1991/276 = RdW 1991, 110). Eine zulässig getroffene Zuständigkeitsvereinbarung bleibt somit auch dann wirksam, wenn der vereinbarte Anknüpfungspunkt (etwa der Beschäftigungsort) in der Folge wegfällt (LGZ Wien WR 19/1983; 7 Ob 595/91; Fasching Rz 293 ua). Dies gilt auch, wenn der beklagte Konsument seinen Wohnsitz nach Vertragsabschluss ins Ausland verlegt (vgl Art 17 Z 3 EuGVVO; Art 15 Z 3 EuGVÜ/LGVÜ). 287

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Wenn es aber beim Wegfall des Anknüpfungspunktes darauf ankommt, ob die Zuständigkeitsvereinbarung bei ihrem Eingehen zulässig war, dann muss dies umgekehrt auch für den Fall gelten, dass sie ursprünglich unzulässig war und durch Wegfall der im § 14 KSchG genannten inländischen Gerichtsstände zum Zeitpunkt der Klageeinbringung nunmehr zulässig wäre. Der Kläger kann sich daher auf eine dem § 14 KSchG widersprechende Vereinbarung nicht berufen, hätte eine solche Vereinbarung auch zu einem späteren Zeitpunkt gültig abgeschlossen werden können. Der Verbraucher verliert demnach den bei Vertragsabschluss gegebenen Schutz des § 14 KSchG auch dann nicht, wenn er nach Abschluss des Vertrages in das Ausland (Drittstaat) übersiedelt, sofern er nicht dann eine neue Gerichtsstandsvereinbarung abschließt (1 Ob 673/90 = SZ 63/188 = EvBl 1991/16 = JBl 1992, 256).

7 Seit der WGN 1997 gilt „dies“ (nämlich der erste Halbsatz des Abs 1) nicht für Rechtsstreitigkeiten, die bereits entstanden sind. Diese Änderung erfolgte in Angleichung an das europäische Recht, wo eine von den Schutzvorschriften in Versicherungs- und Verbrauchersachen (bzw in Arbeitsrechtssachen) abweichende Vereinbarung ebenfalls dann zulässig ist, wenn sie „nach der Entstehung der Streitigkeit getroffen wird“ (s unten Rz 12). Sie geht aber insofern über ihr europäisches Vorbild hinaus, als dort nur Vereinbarungen über die internationale Zuständigkeit erfasst sind (ebenso betreffen § 9 Abs 1a ASGG und § 15b Abs 1 VersVG nur die „inländische Gerichtsbarkeit“), während hier (mE unnötigerweise) Vereinbarungen über die (rein innerstaatliche) örtliche Zuständigkeit ermöglicht werden (krit Heiss/Mayr, IPRax 1999, 306 und Mayr, JBl 2001, 153). Das bedeutet, dass etwa eine (dem Abs 1 an sich widersprechende) Vereinbarung des Erfüllungsortes oder des Gerichtsstandes dann zulässig ist, wenn sie sich auf einen bereits entstandenen Rechtsstreit bezieht. Der Umstand, dass die Vereinbarung erst nach dem Entstehen des Rechtsstreits getroffen worden ist, muss bereits in der Klage behauptet werden. Geschieht dies nicht (und wird die Klage bei einem nach dem KSchG unzulässigen Gerichtsstand eingebracht), so ist vorerst ein Verbesserungsversuch zu unternehmen (s § 41 Rz 2); bleibt dieser erfolglos, ist die Klage zurückzuweisen. Zur Beantwortung der Frage, ab wann eine Rechtsstreitigkeit bereits „entstanden“ ist, kann auf die Auslegung der ähnlichen Bestimmung des § 9 Abs 2 ASGG und der Vorbild-Vorschriften der Art 12 Z 1 und Art 15 Z 1 EuGVÜ/LGVÜ bzw (jetzt) Art 13 Z 1, 17 Z 1 und 21 Z 1 EuGVVO zurückgegriffen werden. Zur ersteren Bestimmung stellen die Materialien (zum ASGG) fest, dass die Vereinbarung einen „schon ganz konkret bestimmten, bestehenden Rechtsstreit zum Gegenstand haben“ müsse (527 BlgNR 16. GP 2). Zu EuGVVO/EuGVÜ/LGVÜ ist 288

JN Vor § 83a

2.2 Örtliche Zuständigkeit

es hM, dass ein gerichtliches Verfahren zwischen den Parteien „unmittelbar oder in Kürze bevorstehen“ müsse, dass also bereits „konkrete Streitigkeiten“ bestünden, aber das Verfahren noch nicht bei Gericht anhängig sei (etwa Schoibl, JBl 1998, 774 mwN und Staudinger in Rauscher, EuZPR Art 13 Rz 4). Die Frage, ob Schiedsvereinbarungen in Verbrauchergeschäften ge- 8 genüber dem Konsumenten zulässig sind, wurde früher in Lehre und Rsp nicht einheitlich beantwortet (s nur etwa Simotta in Fasching I Vor §§ 83a und 83b Rz 78 mwN und 5 Ob 538/94 = SZ 67/186 = EvBl 1995/ 124 [dazu kritisch Klicka, ecolex 1995, 883]). ME sind (bzw waren) sie zulässig, sofern das vereinbarte Schiedsgericht an einem Ort tagt, zu dem der beklagte Verbraucher die in § 14 Abs 1 KSchG geforderte Nahebeziehung aufweist. Dies gilt weiterhin für Verträge, die vor dem 1.1.2004 geschlossen worden sind (s § 41a Abs 15 KSchG). Nach dem durch das ZivRÄG 2004 (BGBl I 2003/91) in das KSchG eingefügten § 6 Abs 2 Z 7 war dann eine Vertragsbestimmung, nach der ein Rechtsstreit zwischen dem Unternehmer und dem Verbraucher durch einen oder mehrere Schiedsrichter entschieden werden soll, nur dann für den Verbraucher verbindlich, wenn der Unternehmer beweisen konnte, dass sie im Einzelnen ausgehandelt worden ist (Näheres zu diesem Erfordernis s etwa Krejci in Rummel II/4 § 6 KSchG Rz 146 ff). Das bedeutete, dass Schiedsvereinbarungen in vorformulierten AGB regelmäßig unwirksam waren. Bei Vereinbarungen, die individuell ausgehandelt und im Vorhinein, also noch vor dem Ausbruch der Auseinandersetzung, geschlossen wurden, durfte nur ein Schiedsgericht vereinbart werden, das am Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Beschäftigungsort (allgemeinen Gerichtsstand) des Verbrauchers tagt. Diese (nicht unbedingt zwingende und logische) Konsequenz ergibt sich aus den ErlRV (173 BlgNR 22. GP 21 f), welche betonen, dass sich „im Übrigen“ an der Unwirksamkeit von Schiedsvereinbarungen, die den zwingenden Vorgaben des § 14 KSchG widersprechen, nichts ändern solle. Wurde die Schiedsvereinbarung erst nach dem Entstehen der Streitigkeit (oben Rz 7) „im Einzelnen ausgehandelt“, so bestehen in örtlicher Hinsicht keine Beschränkungen. Zu beachten ist, dass – wie bereits oben erwähnt – § 6 Abs 2 Z 7 KSchG auf Verträge oder Vertragserklärungen, die vor dem 1.1.2004 geschlossen bzw abgegeben worden sind, nicht anzuwenden war (§ 41a Abs 15 KSchG). Die geschilderte Rechtslage bildete jedoch nur eine Übergangsphase: Am 1.7.2006 ist nunmehr die Sonderbestimmung des § 617 ZPO in Kraft getreten, welche (ohne Anpassung des § 6 Abs 2 Z 7 KSchG) Schiedsvereinbarungen zwischen Unternehmern und Verbrauchern umfassend (und sehr kompliziert und restriktiv) regelt (s dort). Da sich 289

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gem Art VII Abs 3 SchiedsRÄG 2006 die Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen, die vor dem 1.7.2006 geschlossen worden sind, nach den bisher geltenden Bestimmungen richtet, hat die frühere Rechtslage noch längere Zeit Bedeutung.

9 Vertragsklauseln wie „Gerichtsstand und Erfüllungsort ist Wien“ oder „Als Gerichtsstand gilt ausnahmslos der Firmensitz des Auftragnehmers“ verstoßen (unabhängig von der Frage, unter welchen Bedingungen sie überhaupt Vertragsbestandteil werden; s § 88 Rz 6 und § 104 Rz 9) gegen § 14 KSchG (s etwa HG Wien KRES 1d/21, 23 und 28 oder OLG Wien KRES 1d/26, 1h/20 oder OGH KRES 1h/12). Wer solche Klauseln im geschäftlichen Verkehr in Allgemeinen Geschäftsbedingungen verwendet, kann daher nach § 28 KSchG auf Unterlassung geklagt werden. Eine Gerichtsstandsvereinbarung muss außerdem den Anforderungen der Klausel-Richtlinie (RL 93/13/EWG, ABl 1993 L 95 S 29) standhalten (vgl EuGH Rs C-240 bis 244/98 = wbl 2000/235, 364 = IPRax 2001, 96 [Hau], 128).

10 Die in Abs 2 ursprünglich normierte Form der Heilung der Unzuständigkeit durch qualifizierte Einlassung wurde durch die ZVN 1983 auf jede Art einer unprorogablen Unzuständigkeit ausgedehnt (§ 104 Abs 3; s 669 BlgNR 15. GP 31 f). Ein Verstoß gegen § 14 Abs 1 KSchG heilt somit – wie jede andere unprorogable Unzuständigkeit – dadurch, dass der qualifiziert vertretene Beklagte schriftlich oder mündlich zur Sache vorbringt (s 1337 BlgNR 15. GP 6) oder sich der unvertretene Beklagte trotz einer protokollierten richterlichen Belehrung in die (weitere) Verhandlung zur Hauptsache einlässt (Näheres bei Mayr, ÖJZ 2004, 365 ff und § 104 Rz 18 f). Nach Rechtskraft der Sachentscheidung kann eine Unzuständigkeit keinesfalls mehr geltend gemacht werden (anders früher § 12 Abs 3 RatG 1961). In diese Regelung wurde durch die WGN 1997 auch die Heilung des Mangels der „inländischen Gerichtsbarkeit“ (iSd internationalen Zuständigkeit) einbezogen, jedoch ist nicht ersichtlich, welchen Anwendungsbereich diese Neuregelung haben soll, da Abs 1 ohnehin nur zur Anwendung kommt, wenn der Verbraucher im Inland seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Beschäftigungsort hat.

11 Für Klagen des Verbrauchers gegen den Unternehmer enthält Abs 3 ein Verbot des Ausschlusses von „nach dem Gesetz gegebenen Gerichtsständen“ (vgl auch § 48 VersVG und § 6 Abs 3 VAG 1978; dazu § 99 Rz 11). Die gesetzlichen Gerichtsstände des Unternehmers werden also unabdingbar gemacht. Dieses Verbot bezieht sich nur auf Vereinba290

JN Vor § 83a

2.2 Örtliche Zuständigkeit

rungen, die den Ausschluss einer örtlichen Zuständigkeit oder der internationalen Zuständigkeit österreichischer Gerichte (s Mayr, JBl 2001, 153) zum Gegenstand haben; ergänzende (positive) Gerichtsstandsvereinbarungen zur Begründung von Wahlgerichtsständen für Klagen des Verbrauchers gegen den Unternehmer werden davon nicht betroffen (Jelinek, Gerichtszuständigkeit 923; Schoibl, Gerichtsstandsvereinbarungen 189). Ein besonderer Inlandsbezug auf Seiten einer der Parteien wird (im Gegensatz zu Abs 1) nicht verlangt. Die Rechtsfolge eines Verstoßes gegen Abs 3 besteht darin, dass der Verbraucher weiterhin jeden gesetzlichen Gerichtstand anrufen kann und sich der Unternehmer dagegen nicht mit einer Unzuständigkeitseinrede zur Wehr setzen kann. Da Schiedsgerichtsklauseln darauf abzielen, gesetzliche Gerichtsstände auszuschließen, widersprechen sie an und für sich dem Abs 3. Dies war bisher hM (s nur Jelinek, Gerichtszuständigkeit 925 oder Simotta in Fasching I Vor §§ 83a und 83b Rz 96 mwN). Später erklärte § 6 Abs 2 Z 7 KSchG jedoch als lex posterior und als lex specialis (unterschiedslos) „im Einzelnen ausgehandelte“ Schiedsvereinbarungen (generell) für zulässig (s oben Rz 8). Nunmehr gilt für Schiedsvereinbarungen zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher generell § 617 ZPO. Die EuGVVO und das Brüsseler bzw Luganer Übereinkommen (s 12 dazu Nach § 27a), auf welche Rechtsquellen der Abs 4 indirekt verweist, enthalten jeweils im 4. Abschnitt des II. Titels besondere Zuständigkeitsvorschriften für Verbrauchersachen, die (innerhalb ihres Anwendungsbereiches) die nationalen Regelungen verdrängen. Diese unterscheiden sich von § 14 KSchG in zwei Aspekten wesentlich: Während § 14 KSchG nur einen Schutz davor schafft, dass der Konsument seinem allgemeinen Gerichtsstand entzogen wird, gehen die europäischen Bestimmungen weiter, indem sie neben Prorogationsbeschränkungen zugunsten des Verbrauchers auch einen Klägergerichtsstand für den Verbraucher schaffen. Allerdings bleibt das europäische Recht hinsichtlich des Kreises der von den Sonderbestimmungen für Verbraucher erfassten Verträge hinter § 14 KSchG zurück, da sie nur für ganz bestimmte, in Art 15 Abs 1 EuGVVO (bzw in Art 13 Abs 1 EuGVÜ/LGVÜ) aufgezählte Geschäfte gelten. Nähere Einzelheiten – allerdings noch zur Rechtslage nach dem EuGVÜ bzw LGVÜ – können dem Spezialaufsatz von Schoibl (JBl 1998, 700, 767) entnommen werden. Der Verbraucherbegriff umfasst nach Art 15 Abs 1 EuGVVO (bzw 13 Art 13 Abs 1 EuGVÜ/LGVÜ) jede Person, die einen Vertrag abge291

Vor § 83a

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schlossen hat, der nicht (frei-)beruflichen oder gewerblichen Zwecken dient. Ausschlaggebend für die – (vertrags-)autonom erfolgende – Beurteilung der Verbrauchereigenschaft ist die Stellung der Person innerhalb eines konkreten Vertrags in Verbindung mit dessen Natur und Zielsetzung (vgl aus der öRsp 6 Ob 12/03p = EvBl 2003/137 = RdW 2003/440, 508 = ÖBA 2003/1151, 871 [Haas] = ZfRV-LS 2003/54, 187). Da die Normierung eines Klägergerichtsstands zugunsten des Verbrauchers eine Ausnahme von der allgemeinen Grundregel des Art 2 EuGVVO/ EuGVÜ/LGVÜ darstellt, befürwortet der EuGH eine enge Auslegung des Verbraucherbegriffs (s etwa Kropholler Art 15 Rz 6 oder Mankowski, RIW 2005, 563). So hat der EuGH bei einem teilweise beruflichgewerblichen, teilweise privaten Vertrag aufgrund einer österreichischen Vorlagefrage (6 Ob 56/01f = JBl 2002, 259 [Pfersmann] = EvBl 2002/59) jüngst ausgesprochen (20.1.2005, Rs C-464/01, Gruber/Bay Wa = wbl 2005/48, 119 = RdW 2005/216, 166 = ELR 2005, 328 [Wittwer] = EuZW 2005, 241 [Reich] = IPRax 2005, 505 [Mankowski ], 537), dass ein Verbrauchervertrag nur dann anzunehmen ist, wenn der beruflich-gewerbliche Zweck derart nebensächlich ist, dass er im Gesamtzusammenhang des betreffenden Geschäfts nur eine ganz untergeordnete Rolle spielt (Folgeentscheidung 6 Ob 19/05w = EvBl 2005/179 = JBl 2005, 594 [Pfersmann]). Die besonderen Zuständigkeitsregeln für Verbrauchersachen gelten ferner nur dann, wenn der Verbraucher selbst Kläger oder Beklagter ist, sie kommen also nicht bei einer Verbandsklage zur Anwendung oder auch nicht einem Zessionar zugute, der in Ausübung seiner beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit die Forderung des Zedenten einklagt (Kropholler Art 15 Rz 11 f mwN; 3 Nd 515/ 99 und 9 Nc 4/05w). Von den Schutzbestimmungen erfasst werden nur Teilzahlungskäufe über bewegliche Sachen (Art 15 Abs 1 lit a EuGVVO, Art 13 Abs 1 Z 1 EuGVÜ/LGVÜ; dazu 5 Ob 130/02g = RdW 2002/660, 737 = RdW 2003/80, 91), ferner Anschaffungsdarlehen für den Kauf beweglicher Sachen (Art 15 Abs 1 lit b EuGVVO, Art 13 Abs 1 Z 2 EuGVÜ/ LGVÜ) sowie nach dem – gegenüber dem EuGVÜ/LGVÜ wesentlich umgestalteten – Art 15 Abs 1 lit c EuGVVO alle anderen Arten von Geschäften mit Verbrauchern, sofern entweder der Unternehmer beruflich oder gewerblich im Wohnsitzstaat des Verbrauchers tätig wird oder er eine solche Tätigkeit auf irgend einem Wege auf den Wohnsitzstaat des Verbrauchers ausrichtet. Die Auslegung dieses Tatbestands und insb die Konkretisierung des Begriffs „Ausrichten“ bereitet freilich gerade im Zusammenhang mit dem Internet erhebliche Schwierigkeiten (s etwa Kropholler Art 15 Rz 23 ff; Staudinger in Rauscher, EuZPR Art 15 Rz 13 ff oder Mochar/Seidl, ÖJZ 2003, 251 f sowie 9 Nc 110/02d und LG Feldkirch AnwBl 2004, 185). Generell ist davon auszugehen, 292

JN Vor § 83a

2.2 Örtliche Zuständigkeit

dass das „Ausrichten einer Tätigkeit“ sämtliche absatzfördernden Maßnahmen erfasst (Tiefenthaler in Czernich/Tiefenthaler/Kodek Art 15 Rz 24). Von der Anwendung ausgenommen sind nach Art 13 Abs 3 EuGVÜ/LGVÜ Beförderungsverträge (dazu 2 Nc 39/03p = EvBl 2004/84), wobei Art 15 Abs 3 EuGVVO ausdrücklich eine Gegenausnahme zugunsten von Pauschalreiseverträgen macht (so auch bereits 4 Nd 501/99). Für (Aktiv-)Klagen des Verbrauchers gegen die andere Vertragspartei 14 (Unternehmer) sind neben den Gerichten des Mitgliedstaates, in dem die beklagte Partei ihren Wohnsitz hat, auch das Gericht des Ortes zuständig, an dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat (Art 16 Abs 1 EuGVVO). Da nunmehr die EuGVVO – im Gegensatz zu Art 14 Abs 1 EuGVÜ/LGVÜ – auch konkret die örtliche Zuständigkeit festlegt, bedarf es (in ihrem Geltungsbereich) keiner Ordination durch den OGH mehr (etwa 9 Nd 502/02 = AnwBl 2002, 483 [Mayr]; s auch § 28 Rz 3). Die Klage eines Unternehmers kann hingegen nur vor den (örtlich zuständigen) Gerichten des Wohnsitzstaates des Verbrauchers eingebracht werden (Art 16 Abs 2 EuGVVO, Art 14 Abs 2 EuGVÜ/ LGVÜ). Diese Zuständigkeitsregeln werden durch Prorogationsbeschränkungen abgesichert (Art 17 EuGVVO, Art 15 EuGVÜ/LGVÜ). Eine Gerichtsstandsvereinbarung zu Lasten des Verbrauchers ist iW nur dann zulässig, wenn sie erst nach der Entstehung der Streitigkeit getroffen wurde (s schon oben Rz 7). Eine Zuständigkeitsbegründung durch rügelose Einlassung auf das Verfahren (Art 24 EuGVVO, Art 18 EuGVÜ/LGVÜ; dazu § 104 Rz 26) ist jedoch auch hier (ebenso wie in Versicherungs- und Arbeitsrechtssachen) möglich (etwa Kropholler Art 24 Rz 16). Zu beachten ist, dass eine Entscheidung, die unter Verletzung der Zuständigkeitsvorschriften in Verbraucher- (oder Versicherungs-)sachen zustande gekommen ist, in den anderen Mitgliedstaaten nicht anerkannt wird (Art 35 Abs 1 EuGVVO, Art 28 Abs 1 EuGVÜ/ LGVÜ). Für Versicherungssachen enthalten der 3. Abschnitt des II. Kapitels 15 von EuGVVO (Art 8 bis 14) bzw von EuGVÜ/LGVÜ (Art 7 bis 12a) ganz ähnliche Zuständigkeitsregeln zum Schutz des Versicherungsnehmers. Für nähere Einzelheiten muss hier auf die einschlägige Spezialliteratur verwiesen werden (s Mayr/Czernich, EuZPR Rz 173 ff; s auch OLG Wien 13 R 82/03d = WR 963/2003 zur Direktklage des Geschädigten gegen den Versicherer des Schädigers). 293

§ 83a

Mayr Streitigkeiten aus Teilschuldverschreibungen

§ 83a. (1) Streitigkeiten über Ansprüche, die nach dem Gesetze durch oder gegen einen gemeinsamen Kurator geltend gemacht werden müssen, gehören vor jenen Gerichtshof, der den Kurator zu bestellen hat. (2) Für Streitigkeiten über Ansprüche aus Teilschuldverschreibungen und ähnlichen Schuldtiteln, auf die gemäß § 17 des Gesetzes vom 24. April 1874, RGBl 49, die Bestimmungen dieses Gesetzes keine Anwendung finden, ist das Gericht des allgemeinen Gerichtsstandes des Schuldners ausschließlich zuständig. (3) Die Änderung dieser Gerichtsstände durch Vereinbarung der Parteien ist unzulässig. [Eingefügt durch 1. GEN] Lit: Kubiczek, Bundeshaftungen für Anleihen und Kredite von Sondergesellschaften und Treuhandgesellschaften, ÖBA 1988, 567. Simotta in Fasching I § 83a JN; Fasching Rz 290; Holzhammer 54.

1 Rechtsgrundlage für eine gemeinsame Kuratorenbestellung bildet (heute noch) das Gesetz vom 24.4.1874, RGBl 49, betreffend die gemeinsame Vertretung der Rechte der Besitzer von auf Inhaber lautenden oder durch Indossament übertragbaren Teilschuldverschreibungen und die bücherliche Behandlung der für solche Teilschuldverschreibungen eingeräumten Hypothekarrechte (sog KuratorenG, abgedruckt bei Haschek/Braumann/Doralt/Csoklich, Österreichisches Bank- und Börserecht3 [1994] 807 und Weilinger [Bearb], Banken- und Börserecht9 [2004] 255). Nach dessen § 1 ist für die jeweiligen Besitzer der genannten Teilschuldverschreibungen in allen jenen Fällen ein gemeinsamer Kurator zu bestellen, in denen es sich ergibt, dass die Rechte dieser Besitzer wegen des Mangels einer gemeinsamen Vertretung gefährdet oder die Rechte eines anderen „in ihrem Gange gehemmt würden“ oder wenn der Emittent in Konkurs fällt. Für die Bestellung zuständig ist nach § 2 KuratorenG jener GH (Handelsgericht), in dessen Firmenbuch die Firma des Schuldners eingetragen ist (s § 120), sonst der GH, in dessen Sprengel die Teilschuldverschreibungen ausgestellt wurden, oder, wenn der Ort der Ausstellung nicht bekannt oder im Ausland gelegen ist, der GH, in dessen Sprengel sich der inländische Zahlungsort befindet. Dieser GH ist für alle Klagen von oder gegen den gemeinsamen Kurator (bzw Vertreter; s § 15b KuratorenG) ausschließlich zuständig (individuelle Zuständigkeit).

2 Die Bestimmungen des KuratorenG finden nach dessen § 17 auf die vom Staat, Land (Bezirk) oder Gemeinde ausgegebenen Teilschuldverschrei294

JN § 83b

2.2 Örtliche Zuständigkeit

bungen keine Anwendung, wenn keine Hypothek zur Sicherstellung der Besitzer der Teilschuldverschreibungen bestellt worden ist. Gilt demnach das KuratorenG nicht, so ist nach Abs 2 für Streitigkeiten über Ansprüche aus Teilschuldverschreibungen das (sachlich zuständige) Gericht des allgemeinen Gerichtsstandes des Schuldners (§ 74) ausschließlich zuständig. In beiden Fällen des § 83a ist eine abweichende Zuständigkeitsvereinba- 3 rung ausgeschlossen; es handelt sich also um einen (praktisch allerdings bedeutungslosen) Zwangsgerichtsstand. Die Vereinbarung eines ausländischen Gerichtsstandes für Streitigkeiten aus Teilschuldverschreibungen österreichischer Emittenten ist jedoch möglich, sofern überhaupt eine Auslandsbeziehung gegeben ist (so Kubiczek, ÖBA 1988, 575; beachte aber nunmehr das europäische Zuständigkeitsrecht). Streitigkeiten aus dem Verbandsverhältnisse § 83b. (1) Streitigkeiten aus dem Rechtsverhältnisse zwischen einer Aktiengesellschaft, einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung oder Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft und den Mitgliedern, sofern es sich um Ansprüche handelt, die allen oder einer bestimmten Gruppe von Teilnehmern gemeinsam sind, sowie Klagen wegen Anfechtung der Generalversammlungsbeschlüsse der genannten Vereinigungen gehören vor den sachlich zuständigen Gerichtshof des Sitzes der Vereinigung. (2) Die Änderung dieses Gerichtsstandes durch Vereinbarung der Parteien ist unzulässig. [Eingefügt durch 1. GEN] Lit: Paschinger, Die Gesellschaften und Genossenschaften im Zivilprozeß (1979); Keinert, Österreichisches Genossenschaftsrecht (1988) Rz 316; Reich-Rohrwig, Das österreichische GmbH-Recht1 (1983); Holzhammer/Roth, Gesellschaftsrecht2 (1997) 185, 242; Koppensteiner, GmbH-Gesetz Kommentar2 (1999); Hempel, Zur Schiedsfähigkeit von Rechtstreitigkeiten über Beschlussmängel in der GmbH, FS Krejci II (2001) 1769; Jabornegg/Strasser (Hrsg), Kommentar zum Aktiengesetz4 III (2002); Eckert, Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO bei Kapitalgesellschaften, ecolex 2003, 76; Krejci, Gesellschaftsrecht I (2005); Schilling, Die ausschließliche internationale Zuständigkeit für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten vor dem Hintergrund der Niederlassungsfreiheit, IPRax 2005, 208. Simotta in Fasching I § 83b JN; Fasching Rz 291; Holzhammer 54; Mayr/Czernich, EuZPR Rz 219. 295

§ 83b

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1 Dieser Gerichtsstand umfasst nur Klagen zwischen Kapitalgesellschaften (AG, GmbH und SE [Societas Europaea]; die in der ursprünglichen Gesetzesfassung außerdem genannte Kommanditgesellschaft auf Aktien und der Aktienverein wurden zwischenzeitlich beseitigt) oder Genossenschaften (nicht aber OG und KG) und ihren Aktionären, Gesellschaftern oder Genossenschaftern, sofern es sich um Ansprüche handelt, die allen oder einer bestimmten Gruppe dieser Personen gemeinsam sind. Voraussetzung ist also, dass es sich nicht um eine individuelle Streitigkeit zwischen der Gesellschaft und einem einzelnen Mitglied handelt – für diese gilt die (Wert-)Zuständigkeit nach § 51 Abs 1 Z 5 oder 6 bzw §§ 65 ff –, sondern dass die Bedeutung des Streites über den Einzelfall hinausgeht (SZ 68/188 = ÖJZ-LSK 1996/140). So fallen insb die Geltendmachung von Minderheitsrechten unter diese Zuständigkeitsbestimmung, nicht aber die Klage der GmbH gegen den Gesellschafter auf Einzahlung der Stammeinlage (OLG Wien ZBl 1938/29) oder der Genossenschaft gegen einen Genossenschafter auf Zahlung rückständiger Pflichtsparraten (SZ 18/40) oder auf Zahlung von Haftungsbeiträgen (OLG Wien EvBl 1938/118 und Simotta in Fasching I § 83b Rz 4 gegen OLG Graz JBl 1961, 364). Ausgenommen von dieser Einschränkung sind jedoch die Anfechtungsklagen von Haupt- oder Generalversammlungsbeschlüssen, die jedenfalls (also auch wenn sie nur von einem einzigen erhoben werden) unter die Zuständigkeitsnorm des § 83b fallen. Auch für die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit eines Hauptversammlungs- (§ 201 AktG), Gesellschafter- oder Generalversammlungsbeschlusses (vgl EvBl 1989/ 187 = ecolex 1990, 418 [Thiery] = RdW 1989, 365) und für die Klage auf Nichtigerklärung der AG (§ 216 AktG) ist § 83b analog anzuwenden.

2 Die genannten Streitigkeiten gehören vor den sachlich zuständigen Gerichtshof, in dessen Sprengel der Sitz der Gesellschaft oder Genossenschaft (§ 75) liegt (s auch Diregger in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 197 Rz 21). Sachlich zuständig ist das HG Wien bzw ein LG „als Handelsgericht“. Dies folgt für die AG und die GmbH aus § 51 Abs 1 Z 6 und 7 bzw § 197 Abs 1 AktG und § 42 Abs 2 GmbHG und muss wohl für die Genossenschaften analog gelten (vgl JBl 1947, 111 und Keinert Rz 316; aM [allgemeine Gerichtsbarkeit] Paschinger 90, 92 und 98 unter Berufung auf Fasching1 I 324 f).

3 Der Gerichtsstand für Streitigkeiten aus dem Verbandsverhältnis ist ein Zwangsgerichtsstand; eine abweichende Zuständigkeitsvereinbarung wird in Abs 2 ausdrücklich ausgeschlossen. Dies gilt auch für die Anfechtung von Gesellschafterbeschlüssen, obwohl § 197 Abs 1 AktG und § 42 Abs 2 GmbH lediglich von einem „ausschließlichen“ Gerichtsstand 296

JN § 83c

2.2 Örtliche Zuständigkeit

sprechen (Strasser in Jabornegg/Strasser § 197 AktG Rz 4; Diregger in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 197 Rz 19; Koppensteiner § 42 GmbHG Rz 5; Reich-Rohrwig 397, 546 f; aM hinsichtlich der AG Paschinger 24 unter Berufung auf Fasching1 I 426). Zur Schiedsfähigkeit dieser Streitigkeiten s früher Strasser in Jabornegg/Strasser § 197 AktG Rz 4; Diregger in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 197 Rz 17; Koppensteiner § 42 GmbHG Rz 6 und Hempel in FS Krejci II 1669 sowie 7 Ob 221/98w = ecolex 1999, 268 = RdW 1999, 206 und jetzt § 582 ZPO. Für Klagen, welche die Gültigkeit, die Nichtigkeit oder die Auflösung 4 einer Gesellschaft oder juristischen Person oder der Beschlüsse ihrer Organe zum Gegenstand haben (auch diesbezügliche Feststellungsklagen: OLG Wien JBl 1999, 259), sind nach Art 22 Z 2 EuGVVO (bzw Art 16 Z 2 EuGVÜ/LGVÜ; dazu Nach § 27a Rz 22) die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Gesellschaft oder juristische Person ihren Sitz hat, ausschließlich (dh nach österreichischer Terminologie zwangs-) zuständig. Bei der Bestimmung des Sitzes hat das Gericht hier (s sonst Art 60 EuGVVO in § 75 Rz 3) die Vorschriften seines Internationalen Privatrechts (in Österreich also § 10 IPRG) anzuwenden (s näher Schilling, IPRax 2005, 208). Auch im nationalen Recht ist eine Begründung der „inländischen Gerichtsbarkeit“ (internationalen Zuständigkeit) in Streitigkeiten nach § 83b (und § 92b) durch Vereinbarung oder rügelose Einlassung unzulässig (§ 104 Abs 4). Es handelt sich also um eine unprororable internationale Zwangszuständigkeit. Streitigkeiten aus gewerblichem Rechtsschutz und Urheberrecht sowie Verbandsklagen § 83c. (1) Sind in den im § 51 Abs 1 Z 8b und Abs 2 Z 9 und 10 angeführten Streitigkeiten Personen geklagt, deren Unternehmen sich im Inland befindet oder die mit Rücksicht auf ihre Tätigkeit bei einem im Inland befindlichen Unternehmen in Anspruch genommen werden, ist hiefür – soweit nicht andere gesetzliche Vorschriften bestehen – ausschließlich das Gericht zuständig, in dessen Sprengel dieses Unternehmen liegt, bei Vorhandensein mehrerer Niederlassungen wahlweise das Gericht der Hauptniederlassung oder derjenigen Niederlassung, auf die sich die Handlung bezieht. In Ermangelung eines Unternehmens im Inland richtet sich die Zuständigkeit nach dem allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten. Für Personen, die im Inland weder ein Unternehmen noch ihren allgemeinen Gerichtsstand haben, ist zuständig das Gericht des inländischen Aufenthaltsortes oder, wenn ein solcher nicht bekannt ist, das Gericht, in dessen Sprengel die Handlung begangen worden ist. 297

§ 83c

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(2) Mehrere Personen, für die auf Grund des Abs 1 der Gerichtsstand bei verschiedenen Gerichten begründet ist, können, wenn sonst die Voraussetzungen des § 11 ZPO gegeben sind, als Streitgenossen vor jedem dieser Gerichte geklagt werden. (3) Wird die gesetzwidrige Handlung durch den Inhalt von Schriften oder Druckwerken oder durch andere Gegenstände bewirkt, die vom Ausland abgesendet worden sind, so gilt für die Zuständigkeit jeder Ort des Inlandes als Begehungsort, wo der Gegenstand eingelangt oder zur Abgabe oder Verbreitung gelangt ist. [Eingefügt durch ZVN 1983; Abs 1 idF BGBl 1992/756] Lit: Seber, Der Umfang der österreichischen inländischen Gerichtsbarkeit für Klagen im gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, ZfRV 1983, 270; Pöch, Zur österreichischen internationalen Zuständigkeit bei in Deutschland begangenen Wettbewerbsverstößen, IPRax 1984, 222; Prunbauer, Anwendbares Wettbewerbsrecht bei Werbefahrten ins grenznahe Ausland, RdW 1985, 268; ders, Inländische Gerichtsbarkeit für Wettbewerbsverstöße aus dem Ausland? RdW 1988, 285; Herzig, Nochmals: Inländische Gerichtsbarkeit für Wettbewerbsverstöße aus dem Ausland, RdW 1988, 415; ders, Rechtliche Probleme grenzüberschreitender Werbung, ÖBl 1988, 251; Schoibl, Die Niederlassung im österreichischen Zivilprozeßrecht, in Schuhmacher/Gruber (Hrsg), Rechtsfragen der Zweigniederlassung (1993) 348; Koppensteiner, Österreichisches und europäisches Wettbewerbsrecht3 (1997) § 35 Rz 3 ff; Thiele, Der Gerichtsstand bei Wettbewerbsverstößen im Internet, ÖJZ 1999, 754; Grabinski, Zur Bedeutung des Europäischen Gerichtsstandsund Vollstreckungsübereinkommens (Brüsseler Übereinkommens) und des Lugano-Übereinkommens in Rechtsstreitigkeiten über Patentverletzungen, GRURInt 2001, 199; Berger, Die internationale Zuständigkeit bei Urheberrechtsverletzungen in Internet-Websites aufgrund des Gerichtsstands der unerlaubten Handlung nach Art 5 Nr 3 EuGVO, GRURInt 2005, 465; Adolphsen, Europäisches und internationales Zivilprozessrecht in Patentsachen (2005); Hye-Knudsen, Marken-, Patent- und Urheberrechtsverletzungen im europäischen Internationalen Zivilprozessrecht (2005); Körner, Internationale Rechtsdurchsetzung von Patenten und Marken nach europäischem Prozessrecht, FS Kurt Bartenbach (2005) 401. Simotta in Fasching I § 83c JN; Fasching Rz 292; Rechberger/ Simotta Rz 120.

1 Durch die Einfügung des § 83c sollten die früher in verschiedenen Rechtsquellen enthaltenen, voneinander abweichenden Zuständigkeitsregelungen für Streitigkeiten aus gewerblichem Rechtsschutz ua nach 298

JN § 83c

2.2 Örtliche Zuständigkeit

dem Vorbild des – nunmehr aufgehobenen – § 23 UWG vereinheitlicht, mit der Regelung der sachlichen Zuständigkeit koordiniert und in einer Bestimmung zusammengefasst werden (s 669 BlgNR 15. GP 38). Durch die 3. Novelle zum BG-Organisationsgesetz für Wien (Art VI BGBl 1992/756) wurde – ebenso wie die sachliche (s § 51 Rz 12 f) – auch die örtliche Zuständigkeit für Streitigkeiten nach dem § 1330 ABGB wegen einer Veröffentlichung in einem Medium mit jener für Streitigkeiten wegen unlauteren Wettbewerbs harmonisiert (s 780 BlgNR 18. GP 2 f). Örtlich zuständig für die in § 51 Abs 1 Z 8b und Abs 2 Z 9 und 10 2 genannten Streitigkeiten unter Einschluss von Klagen auf Feststellung des Nichtbestehens eines wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruches (Schoibl, Niederlassung 350 und Simotta in Fasching I § 83c Rz 3 gegen ÖBl 1989, 61 = RdW 1989, 66) ist – sofern nicht besondere Vorschriften (wie § 162 Abs 1 PatG) Abweichendes anordnen – das Gericht, in dessen Sprengel das (inländische) Unternehmen der beklagten (physischen oder juristischen) Person (MR 1997, 207 = MR 1998, 15 und OLG Wien WR 785/1997) bzw das Unternehmen, bei dem diese ihre Tätigkeit entfaltet hat, gelegen ist. Dabei ist nach einer Entscheidung des OLG Wien (WR 746/1996) nicht der (bloße) firmenbuchmäßige Sitz (an dem keinerlei Tätigkeit ausgeübt wird), sondern der tatsächliche Mittelpunkt des Erwerbslebens des Unternehmens maßgebend. Gibt es mehrere Niederlassungen (dazu § 87 Rz 3 und MR 1997, 207 = MR 1998, 15; 4 Ob 65/00p) im Inland, so besteht für den Kläger (zur Vermeidung von Zuständigkeitsstreitigkeiten; so 1337 BlgNR 15. GP 5) eine Wahlmöglichkeit zwischen dem Gericht der Hauptniederlassung und derjenigen Niederlassung, auf die sich die Handlung bezieht. Zwischen der beanstandeten Handlung und der jeweiligen Zweigniederlassung muss kein besonderer sachlicher oder rechtlicher Zusammenhang bestehen; es genügt, dass sich die betreffende Handlung auch auf diese Zweigniederlassung bezieht (4 Ob 4/05z = EvBl 2005/152 = ecolex 2005/290, 632). Die Ausübung dieses Wahlrechts hat keine materiellrechtlichen Auswirkungen (ÖBl 1990, 87). Zur Frage der Streitanhängigkeit von Klagen aus gleichartigen Wettbewerbsverletzungen, die vor verschiedenen Gerichten anhängig gemacht werden, s Schoibl, Niederlassung 350 mwN. Besteht kein Unternehmen im Inland, so richtet sich die Zuständigkeit nach dem allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten (s §§ 65 ff). Ist auch ein allgemeiner Gerichtsstand im Inland nicht begründet, so ist das Gericht des inländischen Aufenthaltsortes maßgebend. Fehlt schließlich auch ein solcher, ist das Gericht, in dessen Sprengel die wettbewerbs299

§ 83c

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verletzende Handlung „begangen worden ist“, zuständig. Als „Begehungsort“ kann hier – im Gegensatz zu § 92a, wo das Gesetz eine andere Formulierung verwendet (s § 92a Rz 2) – iSd der „Ubiquitätstheorie“ (s § 92a Rz 6) sowohl der Ort betrachtet werden, an dem der Täter gehandelt hat, als auch der Ort, an dem der Erfolg der gesetzwidrigen Handlung ganz oder teilweise eingetreten ist (so auch Simotta in Fasching I § 83c Rz 13). Ein inländischer Begehungsort ist auch bei Werbefahrten ins Ausland anzunehmen (Simotta in Fasching I § 83c Rz 14 und Prunbauer, RdW 1985, 269).

3 Neben diesen letzten Bestimmungen dient insb Abs 3 der Abgrenzung der internationalen Zuständigkeit der österreichischen Gerichte. Diese Vorschrift schafft aber keinen Gerichtsstand für ein inländisches Unternehmen (4 Ob 59/04m = EvBl 2004/167): Wird die gesetzwidrige Handlung durch Schriften, Druckwerke oder andere Gegenstände bewirkt, die vom Ausland abgesendet worden sind, so gilt jener inländische Ort als zuständigkeitsbegründender Begehungsort, wo der Gegenstand eingelangt oder zur Abgabe oder Verbreitung gelangt ist (gegebenenfalls auch der Ort der drohenden Verbreitung: 6 Ob 264/02w = ZfRV-LS 2003/33, 98). Ob der ausländische Händler/Erzeuger selbst die Waren ins Inland befördert oder sich eines Mittelsmannes bedient, ist unmaßgeblich; nach der neueren Rsp genügt es zur Begründung der örtlichen Zuständigkeit, dass er davon weiß, dass bestimmte Gegenstände (auch) nach Österreich gebracht werden (EvBl 1991/54 = JBl 1991, 800 = RdW 1991, 79 [krit Prunbauer]; anders offenbar noch ÖBl 1986, 97 und SZ 62/84, die davon ausgehen, dass der beanstandete Eingriffsgegenstand bestimmungsgemäß in das für die Zuständigkeit maßgebende Gebiet gebracht werden müsse). Der Begriff des „Einlangens“ darf dabei nicht (nur) auf den Fall des Eintreffens des Gegenstandes an seinem Bestimmungsort (nach Durchlaufen des geplanten Transportweges) eingeengt werden (4 Ob 118/00g = RdW 2000/516, 540 = wbl 2000/297, 430; 4 Ob 126/00h = SZ 73/83 = EvBl 2000/212). Ist aber der inländische Gerichtsstand nach § 83c Abs 3 gegeben, so lag auch schon nach der früher vertretenen Indikationentheorie (dazu § 27a Rz 2) eine hinreichende Nahebeziehung zum Inland und damit „inländische Gerichtsbarkeit“ vor, weil sich durch das Abstellen der Zuständigkeitsnorm auf den Begehungsort der geltend gemachte Wettbewerbsverstoß auf den österreichischen Markt auswirkte (SZ 60/106 = GRURInt 1988, 431 = ÖBl 1988, 106 = wbl 1987, 279 [zust Ballon in FS Fasching 63 und Herzig, RdW 1988, 415; abl Prunbauer, RdW 1988, 285]; MR 1988, 93 [M. Walter] = IPRE 2/212a; MR 1988, 208 = ÖBl 1989, 74 = RZ 1990/16, 45; MR 1989, 135 [M. Walter] = ÖBl 1990, 40; 300

JN § 84

2.2 Örtliche Zuständigkeit

vgl MR 1994, 26 = ZfRV 1994/12, 73). Diese Rsp ist durch § 27a JN bestätigt worden, wonach jetzt die Verwirklichung eines inländischen Gerichtsstandes (jedenfalls) auch die internationale Zuständigkeit („inländische Gerichtsbarkeit“) bewirkt. Abs 2 erweitert den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft (§ 93 Abs 1) 4 insofern, als mehrere Personen, für die nach Abs 1 verschiedene Gerichte zuständig wären, dann (auch als bloß formelle Streitgenossen) vor einem dieser Gerichte geklagt werden können, wenn – abgesehen von der Zuständigkeit – die Voraussetzungen des § 11 ZPO gegeben sind (4 Ob 62/02z; vgl auch MR 1988, 93). § 83c normiert einen ausschließlichen Gerichtsstand, der den allgemei- 5 nen Gerichtsstand oder Wahlgerichtsstände verdrängt, im Gegensatz zu den §§ 83a und 83b aber keinen Zwangsgerichtsstand, so dass eine abweichende Zuständigkeitsvereinbarung möglich bleibt. Im Anwendungsbereich des europäischen Zivilprozessrechts (s dazu 6 Nach § 27a) besteht für Streitigkeiten wegen unlauteren Wettbewerbs (etwa Kropholler Art 5 Rz 74), der Verletzung von Immaterialgüterrechten (etwa Leible in Rauscher, EuZPR Art 5 Rz 79) und für Verbandsklagen (etwa Geimer/Schütze Art 5 Rz 72 und 232) eine Wahlzuständigkeit beim Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach Art 5 Z 3 EuGVVO/EuGVÜ/LGVÜ (s dazu § 92a Rz 5 f). Für Klagen, welche die Eintragung oder die Gültigkeit von Patenten, Marken, Mustern und Modellen sowie ähnlicher Rechte, die einer Hinterlegung oder Registrierung bedürfen, zum Gegenstand haben, gilt hingegen nach Art 22 Z 4 EuGVVO (vgl auch Art 16 Z 4 EuGVÜ/ LGVÜ) ein internationaler Zwangsgerichtsstand. Ausschließlich zuständig sind die Gerichte des Mitglied- (bzw Vertrags-) Staats, in dessen Hoheitsgebiet die Hinterlegung oder Registrierung beantragt oder vorgenommen worden ist oder aufgrund eines Gemeinschaftsrechtsakts oder eines zwischenstaatlichen Übereinkommens als vorgenommen gilt. Näher dazu in der oben zit Spezialliteratur sowie etwa bei Kropholler Art 22 Rz 43 ff. Lage der Sache in verschiedenen Sprengeln § 84. (1) Ist eine Sache in den Sprengeln mehrerer Gerichte gelegen, so hat in allen Fällen, in welchen die Lage der Sache für die Bestimmung des Gerichtsstandes maßgebend ist, der Kläger die Wahl, bei welchem dieser Gerichte er die Klage anbringen wolle. Gleiches gilt, wenn es mit Rücksicht auf die Grenzen verschiedener 301

Vor § 86

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Gerichtsbezirke zweifelhaft ist, welches von mehreren Gerichten als das nach dem Orte der gelegenen Sache zuständige anzusehen ist. (2) Wenn in einer Klage mehrere Ansprüche verbunden werden, welche nach den vorstehenden Bestimmungen mit Rücksicht auf die Lage der Sache, auf welche sie sich beziehen, vor verschiedene Gerichte gehören würden, so kann diese Klage nach Wahl des Klägers bei jedem dieser Gerichte erhoben werden. [Stammfassung]

1 Liegt die unbewegliche Sache oder das Bestandobjekt in den Sprengeln mehrerer Gerichte oder ist im Hinblick auf die grenznahe Lage der Sache zweifelhaft, welches Gericht tatsächlich zuständig ist, hat der Kläger die Wahl zwischen den in Frage kommenden Gerichten. Die Wahl ist mit der Zustellung der Klage an den Beklagten vollzogen (§ 102).

2 Nach dem – wenig praktischen – Abs 2 kann der Kläger mehrere Ansprüche, für die gem §§ 81 oder 83 verschiedene Gerichte (örtlich) zuständig wären, entgegen der Vorschrift des § 227 Abs 1 Z 1 ZPO in einer Klage geltend machen und diese nach seiner Wahl bei einem der beiden örtlich zuständigen Gerichte einbringen. Die übrigen Voraussetzungen für eine Klagenhäufung müssen aber vorliegen. § 85. Samt Überschrift („Exterritoriale Personen“) aufgehoben durch Art VI Z 13 WGN 1997 2. Wahlgerichtsstände Vor § 86

1 Im Bereich der besonderen Gerichtsstände sieht die JN neben den ausschließlichen Gerichtsständen (§§ 76 ff), die an die Stelle des allgemeinen Gerichtsstands treten, eine Reihe von Gerichtsständen vor (§§ 86a ff), die wahlweise anstelle des allgemeinen Gerichtsstandes angerufen werden können. Weitere Wahlgerichtsstände außerhalb der JN sehen insb vor: § 8 ASGG für (weitere) arbeitsrechtliche (Abs 1) oder zivilrechtliche (Abs 2) Ansprüche, die mit arbeitsrechtlichen Ansprüchen im tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen, vor dem Arbeitsund Sozialgericht; § 32 Abs 4 DSG 2000 für Klagen des Betroffenen (auch) bei dem LG, in dessen Sprengel der Auftraggeber oder der Dienstleister seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz hat; 302

JN § 86a

2.2 Örtliche Zuständigkeit

§ 368 EO für die Interessenklage (neben dem sonst hiefür zuständigen Gericht [auch HG: OLG Wien WR 139/1985]) beim Exekutionsgericht; § 371 Abs 4 HGB für die Klage des Zurückbehaltungsberechtigten auf Gestattung der Befriedigung beim allgemeinen Gerichtsstand oder beim Gerichtsstand der Niederlassung des Gläubigers (Aktivgerichtsstand); dazu etwa Schuhmacher in Straube, HGB3 I (2003) § 371 HGB Rz 6; diese besondere Zuständigkeitsnorm wird durch Art I Z 145 lit d HaRÄG beseitigt (s dazu 1058 BlgNR 22. GP 60); § 178 KO für bestimmte Klagen im Rahmen eines Konkurses vor dem Konkursgericht (s auch § 10 Abs 1 Z 2 und Abs 2 Z 2 IEG; dazu EvBl 1993/131). Zu den in besonderen Gesetzen vorgesehenen Wahlgerichtsständen der Schadenszufügung s § 92a Rz 3. § 86. Samt Überschrift („Gerichtsstand des Ortes der Beschäftigung“) aufgehoben durch Art II Z 38 ZVN 1983 § 86a. Die Rechtssubjekte, für welche die Finanzprokuratur einzuschreiten hat, können bei den sachlich zuständigen Gerichten in der Landeshauptstadt des Landes geklagt werden, in dem der Kläger seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Für das Land Vorarlberg tritt an die Stelle der Landeshauptstadt die Stadt Feldkirch. Im Bereiche der Stadt Wien sind solche Klagen bei den für den ersten Bezirk örtlich zuständigen Gerichten einzubringen. [eingefügt durch StGBl 1945/188; Satz 1 idF ZVN 1983; Satz 2 idF BGBl 1988/233] Lit: Kühne, Nochmals zur Rechtsprechung in Enteignungsangelegenheiten und zur Vertretung der Republik durch die Finanzprokuratur, JBl 1986, 347; Swoboda, Die Funktion der Finanzprokuratur der Republik Österreich und die österreichische Rechtsanwaltschaft, AnwBl 1987, 567; Kremser (Hrsg), Anwalt und Berater der Republik. FS zum 50. Jahrestag der Wiedererrichtung der österreichischen Finanzprokuratur (1995); Kühne, Finanzprokuratur – „Anwalt und Berater der Republik“? ÖJZ 1998, 201, dazu Kremser, ÖJZ 1999, 441 und wiederum Kühne, ÖJZ 2000, 262. Simotta in Fasching I § 86a JN. Der allgemeine Gerichtsstand jener Rechtssubjekte, welche nach § 2 1 ProkG von der Finanzprokuratur (dazu Art XXXII EGZPO) vertreten werden, ist gem § 74, 75 Abs 2 beim Gericht am Sitz der Finanzproku303

§ 87

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ratur verwirklicht, also beim LGZ Wien, dem HG Wien oder dem BG Innere Stadt Wien bzw dem BGHS Wien. Zur Erleichterung der Rechtsverfolgung gegen diese Rechtsträger normiert § 86a einen (abgeschwächten) Aktivgerichtsstand beim sachlich zuständigen Gericht in der Hauptstadt des Bundeslandes (bzw in Feldkirch für Vorarlberg), in dem der Kläger seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Dies gilt seit 1.1.1989 (BGBl 1988/233) auch in Bezug auf St. Pölten für Niederösterreich (unzutreffend daher Fasching Rz 296). Es handelt sich um einen Wahlgerichtsstand, der bei Vorliegen eines ausschließlichen Gerichtsstandes nicht angerufen werden kann (vgl 3 Ob 163/04y = SZ 2004/111 = EvBl 2005/26). Aufgrund der Sonderbestimmung des § 9 Abs 1 AHG findet § 86a in Amtshaftungsprozessen keine Anwendung. Gerichtsstand der Niederlassung § 87. (1) Personen, die außerhalb des Gerichtssprengels ihres Wohnsitzes oder ihres gewöhnlichen Aufenthalts ein Bergwerk, eine Fabrik, eine Handelsniederlassung oder eine sonstige Betriebsstätte ihres Geschäftes oder Berufes haben, können in streitigen Rechtssachen, die sich auf ihre geschäftliche oder berufliche Tätigkeit beziehen, bei dem Gericht geklagt werden, in dessen Sprengel sich ihre Niederlassung oder Betriebsstätte befindet. (2) Wenn Inhaber von Bergwerken, Fabriken, Handels- oder gewerblichen Unternehmungen außerhalb des Sitzes des Unternehmens besondere Niederlassungen haben, so kann gegen sie in streitigen Rechtssachen, die sich auf diese Niederlassungen beziehen, bei dem Gerichte des Ortes geklagt werden, an dem sich die Niederlassung befindet. (3) Personen, welche ein mit Wohn- oder Wirtschaftsgebäuden versehenes Gut als Eigentümer, Nutznießer oder Pächter bewirtschaften oder durch von ihnen Bestellte bewirtschaften lassen, können aus allen, auf die Bewirtschaftung des Gutes sich beziehenden Rechtsverhältnissen bei dem Gerichte geklagt werden, in dessen Sprengel das Gut gelegen ist. [Abs 1 idF ZVN 1983; sonst Stammfassung] Lit: Hagen, Der Gerichtsstand der Niederlassung, JBl 1969, 61; Schoibl, Gerichtsstandsfragen im österreichischen Straßenbeförderungsrecht, ZVR 1992, 257; ders, Die Niederlassung im österreichischen Zivilprozeßrecht, in Schuhmacher/Gruber (Hrsg), Rechtsfragen der Zweigniederlassung (1993) 301; ders, Die inländische Niederlassung als Anknüpfungspunkt im österreichischen internationalen Zivilprozeßrecht, in 304

JN § 87

2.2 Örtliche Zuständigkeit

Schuhmacher/Gruber (Hrsg), Rechtsfragen der Zweigniederlassung (1993) 375; Pulkowski, Außervertragliche Forderungen „aus dem Betrieb einer Zweigniederlassung“ im Sinne von Art 5 Nr 5 Luganer Übereinkommen, IPRax 2004, 543. Simotta in Fasching I § 87 JN; Ballon Rz 62; Fasching Rz 297; Holzhammer 55; Mayr/Czernich, EuZPR Rz 158 ff; Rechberger/Simotta Rz 122 und 81/7. Inhaltsübersicht Einleitung Abs 1 Abs 2 Abs 3

1 2–5 6 7

Ähnliche Gerichtsstände Internationale Zuständigkeit Europäisches Zivilprozessrecht

8 9 10

Für die Begründung des Wahlgerichtsstandes nach § 87 ist Vorausset- 1 zung, dass die beklagte (physische oder juristische) Person außerhalb des Gerichtssprengels ihres allgemeinen Gerichtsstandes eine geschäftliche Niederlassung bzw eine sonstige Erwerbsstätte bzw ein bewirtschaftetes landwirtschaftliches Gut hat. Da für den Vermögensgerichtsstand auf Grund einer inländischen Niederlassung (§ 99 Abs 3) hingegen Bedingung ist, dass ein inländischer allgemeiner Gerichtsstand nicht besteht, stehen diese beiden Bestimmungen zueinander in keinem Verhältnis der Konkurrenz oder Spezialität (OLG Wien RdW 1989, 67; Schoibl, Niederlassung 337). Die – legistisch nicht besonders geglückte (vgl schon Pollak 313) – Fassung des § 87 normiert drei verschiedene (Wahl-)Gerichtsstände: Der Gerichtsstand der Niederlassung oder sonstigen Betriebsstätte 2 nach Abs 1: Dieser wird nach hM (SZ 38/18 = EvBl 1965/289; EvBl 1972/335 und Schoibl, Niederlassung 319 mwN) bereits durch die Hauptniederlassung oder durch die einzige Niederlassung bzw Betriebsstätte des Beklagten begründet (zuletzt 7 Ob 150/04s). Die Zweigniederlassung wird durch Abs 2 erfasst (s unten Rz 6). Der Begriff der Niederlassung des Prozessrechts deckt sich nach stRsp 3 (SZ 51/29 = ÖBl 1979, 25; SZ 57/206 = RdW 1985, 212 = RZ 1985/83, 252; OLG Wien EvBl 1989/144) nicht mit jenem des Handels- und des Gewerberechts. Er wird durch folgende Merkmale bestimmt: Es muss sich um ein Erwerbsunternehmen im weitesten Sinn handeln (Simotta in Fasching I § 87 Rz 6 ff). Darunter fällt jede auf Erzielung von Vermögensvorteilen gerichtete, nachhaltig betriebene Tätigkeit; jede auf Erwerb abzielende Unternehmung. Dazu zählen auch 305

§ 87

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Betriebe der Urproduktion und der Landwirtschaft, die freien Berufe (Ärzte, Architekten, Rechtsanwälte etc) sowie künstlerische und erzieherische Tätigkeiten wie Privatschulen, Fortbildungsanstalten etc (ausführlich dazu mwN Schoibl, Niederlassung 321). Die (reine) Verpachtung eines Unternehmens ist hingegen nicht als Erwerbstätigkeit iSd Abs 1 anzusehen (SZ 27/98). Erforderlich für die Annahme einer Niederlassung ist deren zeitliche Beständigkeit, die sich auch in ihrer äußerlichen Einrichtung manifestiert. Eine Erwerbstätigkeit, die an diesem Standort (geplantermaßen) nur wenige Tage ausgeübt wird, wie auf Märkten und Messen, genügt nicht. Die Niederlassung muss zwar nicht unbedingt unter selbständiger Leitung stehen, muss aber zu selbständigem Handeln im geschäftlichen Verkehr berechtigt sein und auf diese Weise – wenngleich häufig in nur eingeschränktem Umfang – Mittelpunkt eines (größeren oder kleineren) Kreises von Rechtsbeziehungen des Unternehmens zu dritten Personen sein (etwa SZ 51/29 = ÖBl 1979, 25 ua). Dadurch unterscheidet sich die Niederlassung von der – ebenfalls den Gerichtsstand nach Abs 1 begründenden – Betriebsstätte, die als ein vollkommen unselbständiger Teil eines Unternehmens nicht selbständig im Wirtschafts- und Rechtsleben bestehen kann. Weitere Voraussetzung für den Bestand einer Niederlassung (im prozessualen Sinn) ist, dass das Gewerbe (iwS) am Ort der Niederlassung seinen Mittelpunkt hat, wenn auch nur zu einem Teil des gesamten Geschäftsumfanges (Simotta in Fasching I § 87 Rz 14). Der Rechtstitel des Beklagten an der Niederlassung ist ohne Bedeutung: Ob er Eigentümer, Pächter, Nutznießer oder titelloser Inhaber der (unter seinem Namen betriebenen) Niederlassung ist, spielt keine Rolle. Er muss sich auch nicht am Ort seiner Niederlassung aufhalten. Ist eine handelsrechtliche Zweigniederlassung im Firmenbuch eingetragen, so muss dies – wie Schoibl (Niederlassung 326) überzeugend dargelegt hat – aus Schutzüberlegungen der Publizität im Geschäftsverkehr für die Begründung des Gerichtsstandes ausreichend sein, auch wenn tatsächlich die Niederlassung dort nicht mehr besteht (aM ZBl 1918/203; Fasching I 436; Hagen, JBl 1969, 64). Aus Gründen des Schutzes von Treu und Glauben im Rechtsverkehr ist eine (gerichtsstandbegründende) Niederlassung iSd Abs 1 (und des § 99 Abs 3 sowie der Zweigniederlassung nach Abs 2) auch dann anzunehmen, wenn die beklagte (ausländische) Partei im Geschäftsverkehr durch eigene Unterlagen (Briefpapier, Rechnungen, Prospekte) den Eindruck erweckt, sie habe an einem bestimmten Ort (im Inland) eine – tatsächlich nicht existente – Niederlassung (hM beruhend auf Fasching I 436; SZ 57/206 = HS 15.045 = RdW 1985, 212 = RZ 1985/83, 252 [zust Ballon in FS 306

JN § 87

2.2 Örtliche Zuständigkeit

Fasching 63 f]; RZ 1995/37, 126 = HS 25.769 = ZfRV 1994/56, 211; Simotta in Fasching I § 99 Rz 21). Für die Annahme einer – nach Abs 1 ebenfalls zuständigkeitsbegrün- 4 denden – Betriebsstätte ist im Gegensatz zur Niederlassung nur die Ausübung einer vorübergehenden Erwerbstätigkeit notwendig. Auch ist nicht erforderlich, dass es sich bei der in der Betriebsstätte ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeit um eine selbständige Tätigkeit handelt; es genügt vielmehr, wenn gewisse Teile oder einzelne Stadien einer längeren wirtschaftlichen Tätigkeit dort durchgeführt werden (SZ 35/ 138 = EvBl 1963/150; Schoibl, Niederlassung 329 f mit Judikaturbeispielen; Simotta in Fasching I § 87 Rz 23 ff). Voraussetzung ist schließlich, dass die klageweise geltend gemachten 5 Ansprüche einen Bezug zur geschäftlichen oder beruflichen Tätigkeit des Beklagten aufweisen. Sie müssen also nicht Geschäfte betreffen, die unmittelbar durch die Niederlassung selbst abgeschlossen worden sind, wohl aber muss der geltend gemachte Klageanspruch zum Geschäftsbetrieb in einem ursächlichen wirtschaftlichen Zusammenhang stehen (SZ 35/138 = EvBl 1963/150 und Simotta in Fasching I § 87 Rz 27). Im Gegensatz zur Regelung des Abs 2 ist jedoch ein unmittelbarer Bezug des Geschäftes zur betreffenden Niederlassung nicht verlangt (aM offenbar Fasching Rz 297). Es können daher Geschäfte mit der Hauptniederlassung (Abs 1) nur an deren Sitz und nicht auch am Sitz der Zweigniederlassung (Abs 2) eingeklagt werden, umgekehrt jedoch Rechtssachen der Zweigniederlassung (auch) bei der (Haupt-)Niederlassung geltend gemacht werden (Schoibl, Niederlassung 332 unter Berufung auf Holzhammer 55 f). Die (ältere) Rsp legt diese Regelung ohne zwingenden Grund eher streng aus (s LGZ Wien DREvBl 1938/467; SZ 21/113; SZ 36/160 = EvBl 1964/274 = JBl 1964, 373 = HS 4140; dagegen zu Recht Schoibl, Niederlassung 333). Es muss sich nicht um Vertragsklagen handeln, sondern es können auch Deliktsklagen (etwa GlUNF 1168 = ZBl 1901/453; GlUNF 3131 = ZBl 1905/313), Bereicherungs- und Verwendungsklagen sowie Klagen auf eine nicht geldwerte Leistung (zB Klage auf Unterlassung der Firmenführung), nicht aber familienrechtliche Ansprüche, beim Gerichtsstand der Niederlassung erhoben werden, sofern sie den geforderten Bezug zur geschäftlichen oder beruflichen Tätigkeit aufweisen (Simotta in Fasching I § 87 Rz 28 f). Der Gerichtsstand der Zweigniederlassung nach Abs 2: 6 Dieser ist nach dem Gesetz vorgesehen für eine „besondere Niederlassung“ außerhalb des Sitzes des Unternehmens (§ 75) oder für eine 307

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Zweigniederlassung, die sich nach stRsp nicht mit der (echten) Zweigniederlassung iSd HGB decken muss (zuletzt OLG Wien EvBl 1989/ 144). Es genügt aus prozessualer Sicht vielmehr das Bestehen einer vom Unternehmen (Hauptniederlassung) gesonderten Niederlassung, einer vom Sitz der Unternehmung örtlich getrennten Abteilung (SZ 8/12 ua). Zur Begründung des Wahlgerichtsstandes nach Abs 2 ist allerdings Voraussetzung, dass sich die geltend gemachten Ansprüche auf den engeren Geschäftsbetrieb der Zweigniederlassung beziehen (zuletzt 2 Ob 202/ 01x = EvBl 2002/137): Der Anspruch muss aus einem Ereignis herrühren, das in einem ursächlichen wirtschaftlichen Zusammenhang mit der betreffenden Niederlassung steht; der Klagsgegenstand muss sich also als Folge dieses Betriebes darstellen (Neumann I 210; Simotta in Fasching I § 87 Rz 33; SZ 38/18 = EvBl 1965/289; vgl zuletzt 5 Ob 14/ 05b). In einer neueren E (1 Ob 301/01y = SZ 2002/7 = EvBl 2002/123 = RdW 2002/553, 602 = wbl 2002/228, 330) hat der OGH allerdings eine einschränkende Auslegung abgelehnt und einen (bloßen) wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Zweigniederlassung als ausreichend angesehen. Der zu Abs 1 entwickelte Anscheinsgrundsatz (oben Rz 3) gilt auch für die Gerichtsstandsbegründung nach Abs 2 (2 Ob 202/01x = EvBl 2002/137 = wbl 2002/229, 331).

7 Der Gerichtsstand des bewirtschafteten Gutes nach Abs 3: Voraussetzung für dessen Begründung ist ein landwirtschaftlich bewirtschaftetes Gut von gewisser Mindestgröße (Kleinbauernschaft), eine (Wohnzwecken dienende) Villa mit Garten genügt nicht (GlUNF 2064 = ZBl 1902/491). Es muss sich aber nicht um einen (echten) landwirtschaftlichen Erwerbsbetrieb handeln, ein Wirtschaftsgut zur Selbstversorgung des Beklagten und seiner Familie reicht hin (Simotta in Fasching I § 87 Rz 36). Die beklagte Partei muss Eigentümer, Nutznießer oder Pächter des (nicht mit einem Fruchtgenuss belasteten) Wirtschaftsgutes sein. Nicht erforderlich ist hingegen, dass sie das Gut selbst bewirtschaftet. Der Klageanspruch muss in einem ursächlichen rechtlichen oder wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Bewirtschaftung des Gutes stehen. Hierher gehören also etwa Ansprüche aus dem Verkauf von Wirtschaftsprodukten, aus dem Kauf der zur Bewirtschaftung notwendigen Sachen oder Klagen aus Lieferverträgen im Zuge der Bewirtschaftung (Schoibl, Niederlassung 340 f mwN).

8 Abgesehen von § 83c, § 87a und § 120 (s auch § 99 Abs 3) sind außerhalb der JN noch Gerichtsstände vorgesehen, die an einer (Zweig-) Niederlassung anknüpfen, in: 308

JN § 87

2.2 Örtliche Zuständigkeit –

§ 6 ASGG für Arbeitsrechtssachen, für die im Inland keiner der in den §§ 4 und 5 ASGG genannten Gerichtsstände gegeben ist, (neben den in Betracht kommenden Gerichtsständen der JN) bei dem Gericht, in dessen Sprengel sich die Zweigniederlassung des Unternehmens befindet (Näheres bei Kuderna 91 f). – § 371 Abs 4 HGB für Klagen zur Verwirklichung des kaufmännischen Zurückbehaltungsrechts (neben den Gerichtsständen der JN) bei dem Gericht, in dessen Sprengel der Gläubiger seinen allgemeinen Gerichtsstand oder den Gerichtsstand der Niederlassung (auf deren Geschäftsbetrieb es sich unmittelbar bezieht) hat (s Schumacher in Straube, HGB3 I [2003] § 371 HGB Rz 6). Dieser besondere Gerichtsstand wird jedoch durch das HaRÄG beseitigt werden. – § 48 Abs 1 VersVG für Klagen aus dem Versicherungsverhältnis gegen den Versicherer bei dem Gericht, in dessen Sprengel der den Vertrag vermittelnde oder abschließende Versicherungsagent zur Zeit der Vermittlung oder des Abschlusses des Vertrags seine gewerbliche Niederlassung (oder in deren Ermangelung seinen Wohnsitz) hatte. Dieser Gerichtsstand kann zwar durch Parteienvereinbarung nicht ausgeschlossen werden (§ 48 Abs 2 VersVG), die übrigen Gerichtsstände der JN bleiben daneben aber unberührt aufrecht (daher „unabdingbarer“ oder „Wahl-Zwangsgerichtsstand“: Schoibl, Niederlassung 352 f und 354 f mwN; vgl auch Prölss/ Martin, Versicherungsvertragsgesetz27 [2004] § 48 VersVG Rz 2; aM Simotta in Fasching I Vor §§ 83a und 83b Rz 5 f). – § 39 Abs 2 CMR (iVm § 439a Abs 1 HGB bzw UGB) für den Rückgriffsprozess eines Frachtführers bei Beförderung durch aufeinanderfolgende Frachtführer (dazu EvBl 1991/46 = RdW 1991, 206) beim Gericht, in dessen Sprengel der gewöhnliche Aufenthaltsort, die Hauptniederlassung, die vertragsvermittelnde Zweigniederlassung oder Geschäftsstelle eines der beteiligten Frachtführer liegt (wahlweiser Zwangsgerichtsstand; dazu eingehend Schoibl, ZVR 1992, 257). Auf all diese Gerichtsstände sind die von Lehre und Rsp zum Gerichtsstand der Niederlassung nach § 87 entwickelten Grundsätze weitgehend analog anzuwenden (s dazu eingehend – auch zu § 6 Abs 3 VAG 1978, § 63 Abs 2 KO, § 65 lit b AÖSp und § 1 Abs 1 RGBl 1868/36 – Schoibl, Niederlassung 351 ff). Bei einer Verwirklichung des Gerichtsstandes nach § 87 ist jedenfalls 9 auch die „inländische Gerichtsbarkeit“ iSd internationalen Zuständigkeit Österreichs gegeben (§ 27a). Eine inländische Niederlassung bildet überdies in zahlreichen internationalen Übereinkommen (s Art 31 Abs 1 CMR, Art 56 CIM 1980, Art 52 § 2 CIV 1980, Art 33 Abs 1 Mont309

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realer Übereinkommen) einen Anknüpfungspunkt für die internationale Zuständigkeit der österreichischen Gerichte (dazu ausführlich Schoibl, Anknüpfungspunkt 375 ff).

10 Auch im „europäischen Zivilprozessrecht“ (dazu Nach § 27a) besteht gem Art 5 Z 5 EuGVVO/EuGVÜ/LGVÜ die Möglichkeit, dass eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates hat, in einem anderen Mitgliedstaat geklagt werden kann, wenn es sich um Streitigkeiten aus dem Betrieb einer Zweigniederlassung, einer Agentur oder einer sonstigen Niederlassung handelt, und zwar vor dem Gericht des Ortes, an dem sich diese befindet. Der EuGH definiert die Niederlassung als „einen Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit, der auf Dauer als Außenstelle eines Stammhauses hervortritt“ (EuGH Slg 1978, 2183 Somafer/Saar-Ferngas). Sie muss insb folgende Merkmale aufweisen: 1. der Kontrolle des Beklagten unterstehen, 2. für eine gewisse Dauer errichtet sein, und 3. im Namen des Beklagten handeln und ihn verpflichten können. Ein selbständiger Handelsvertreter fällt nicht in den Anwendungsbereich des Art 5 Z 5 (EuGH Slg 1981, 819 Blanckaert & Willems/Trost). Diese Zuständigkeit ist allerdings auch dann eröffnet, wenn der Beklagte in einem anderen Mitgliedstaat zwar keine unselbständige Zweigniederlassung unterhält, dort aber seine Tätigkeiten mit Hilfe einer gleichnamigen selbständigen Gesellschaft mit identischer Geschäftsführung entfaltet, die in seinem Namen verhandelt und Geschäfte abschließt und derer er sich wie eine Außenstelle bedient (EuGH Slg 1987, 4905 Schotte/Parfums Rothschild). Ferner kommt eine Zuständigkeit nach Art 5 Z 5 nur dann in Betracht, wenn die Verbindlichkeit der beklagten Partei durch ihre Niederlassung begründet wurde (1 Ob 34/02k = ZfRV-LS 2002/49, 231; 6 Ob 181/99g = ZfRV 2000/21, 79; Näheres zur notwendigen Betriebsbezogenheit der Klage etwa bei Schoibl, Anknüpfungspunkt 379 f oder Geimer/Schütze Art 5 EuGVVO Rz 316 ff). Für die Begründung des Wahlgerichtsstands genügt grundsätzlich ein dem Beklagten zurechenbarer Rechtsschein (hM, etwa Kropholler Art 5 Rz 97). Gerichtsstand für Warenforderungen der Kaufleute [Unternehmer] § 87a. Gegen Kaufleute [Unternehmer] können protokollierte Kaufleute [Unternehmer] wegen ihrer Forderungen aus einem im Kreise ihres Geschäftes erfolgten Verkaufe innerhalb zweier Jahre von der letzten Bestellung an gerechnet auch vor dem Gerichte des Ortes ihrer Niederlassung klagen, wenn sie die als Grundlage der 310

JN § 87a

2.2 Örtliche Zuständigkeit

Forderung dienende Bestellung und die tatsächliche Übernahme (Ablieferung) der Ware urkundlich nachweisen. Bei Geschäften, die auf Grund einer Bevollmächtigung abgeschlossen wurden, muss die Vollmacht des Bestellers urkundlich nachgewiesen werden. [Eingefügt durch 1. GEN; der Ausdruck „Kaufleute“ wird durch Art XIV Z 3 HaRÄG ab 1.1.2007 durch „Unternehmer“ ersetzt; s § 51 Rz 17 ff] Lit: C.N., Gerichtsstand für Warenforderungen und Vollstreckung in der BRD, RdW 1987, 115; Schoibl, Der Gerichtsstand für Warenforderungen der Kaufleute nach § 87a JN und der österreichisch-deutsche Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrag 1959, AnwBl 1989, 121. Simotta in Fasching I § 87a JN; Fasching Rz 299; Holzhammer 56. Nach dieser Bestimmung können protokollierte Kaufleute (bzw in das 1 Firmenbuch eingetragene Unternehmer) ihre Forderungen aus einem beiderseitigen Handelsgeschäft (bzw aus einem unternehmensbezogenen Geschäft) (s §§ 343 ff HGB bzw UGB) gegen Voll- und Minderkaufleute (bzw Unternehmer nach dem HaRÄG) neben dem allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten wahlweise auch beim Gerichtsstand ihrer eigenen Niederlassung (iSd § 87) einbringen. Dieser – in der Praxis zwar selten in Anspruch genommene, für die Rechtsverfolgung gegen ausländische Beklagte (außerhalb des europäischen Zivilprozessrechts; unten Rz 4) aber nicht uninteressante (s C.N., RdW 1987, 115 und Schoibl, AnwBl 1989, 124 f) – Aktivgerichtsstand ist allerdings auf die Dauer von zwei Jahren seit der letzten Bestellung beschränkt, wobei nur die Verhältnisse zur Zeit der letzten Bestellung und nicht die zur Zeit der Klageeinbringung bestandenen Verhältnisse maßgebend sind (SZ 7/95; Schoibl, AnwBl 1989, 123; Simotta in Fasching I § 87a Rz 4). Erforderlich ist ferner der urkundliche Nachweis sowohl der als 2 Grundlage der Forderung dienenden Bestellung als auch der Nachweis der tatsächlichen Übernahme bzw Ablieferung der Ware sowie – bei Geschäften im Vollmachtsnamen – auch der Vollmacht des Bestellers (vgl SZ 45/86). Dieser urkundliche (nicht urschriftliche) Nachweis muss nach hM nicht bereits in der Klage erbracht werden (SZ 7/128; Schoibl, AnwBl 1989, 123 f; Fasching Rz 299; Simotta in Fasching I § 87a Rz 11). Es genügt, dass in der Klage das Vorliegen dieses Gerichtsstandes ausdrücklich behauptet und die entsprechenden Urkunden als Beweis angeboten werden. Erst im Bestreitungsfall (oder auf gerichtliche Aufforderung im Rahmen der amtswegigen Zuständigkeitsprüfung) sind die entsprechenden Urkunden, für die aus Rücksicht auf den kaufmännischen Verkehr keine bestimmten Formalitäten vorgeschrieben sind 311

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(GlUNF 7582 = JBl 1915, 624; ZBl 1916/182; Simotta in Fasching I § 87a Rz 8), dem Gericht vorzulegen.

3 Der Gerichtsstand erstreckt sich nur auf Forderungen aus einem im Rahmen des kaufmännischen Betriebes (bzw Unternehmens) erfolgten Verkaufs (nicht Kaufs) von Waren (nach der Rsp daher nicht aus einem Werklieferungsvertrag: ZfRV 1992/34, 310; s aber § 88 Rz 9), wobei auch Schadenersatz- und Bereicherungsforderungen aus diesem Geschäft erfasst werden (Schoibl, AnwBl 1989, 124; Simotta in Fasching I § 87a Rz 2).

4 Seit der WGN 1997 (Einfügung des § 27a) ist bei Verwirklichung des Gerichtsstandes nach § 87a immer auch die internationale Zuständigkeit („inländische Gerichtsbarkeit“) Österreichs gegeben (früher aM RdW 1995, 219 = ZfRV 1995/15, 72; ZfRV 1996/67, 198 und zuletzt 2 Ob 33/97k = ZfRV 2000/12, 32). Eine auf § 87a gestützte Zuständigkeit bildete früher auch keinen Versagungsgrund für eine Entscheidungsanerkennung nach dem österreichisch-deutschen Anerkennungsund Vollstreckungsvertrag 1959 (OLG Karlsruhe IPRax 1987, 169 = IPRE 2/258 = RIW 1987, 56; dazu C.N., RdW 1987, 116 und eingehend Schoibl, AnwBl 1989, 125 ff mwN), jedoch ist dieser bilaterale Vertrag zwischenzeitlich durch das Luganer sowie das Brüsseler Übereinkommen und die EuGVVO (dazu Nach § 27a) ersetzt worden (s Art 55, 56 LGVÜ/LGVÜ bzw Art 69, 70 EuGVVO). Überhaupt darf aber nicht übersehen werden, dass dieser Gerichtsstand (ebenso wie alle anderen Gerichtsstände des nationalen Rechts) gegenüber Beklagten mit Wohnsitz (Sitz) in einem Mitglied- bzw Vertragsstaat des europäischen Zivilprozessrechts nicht (mehr) zur Anwendung kommt (obwohl er in Art 3 LGVÜ/EuGVÜ und im Anhang I zur EuGVVO nicht ausdrücklich genannt wird; s Nach § 27a Rz 16). Gerichtsstand des Erfüllungsortes § 88. (1) Klagen auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Vertrages, auf Erfüllung oder Aufhebung desselben sowie auf Entschädigung wegen Nichterfüllung oder wegen nicht gehöriger Erfüllung können bei dem Gerichte des Ortes erhoben werden, an welchem der Vertrag nach Übereinkunft der Parteien vom Beklagten zu erfüllen ist. Die Vereinbarung muss urkundlich nachgewiesen werden. (2) Unter Personen, welche ein Handelsgewerbe betreiben, [Unternehmern] wird der Gerichtsstand des Erfüllungsortes auch durch die Annahme einer zugleich mit der Ware oder schon vor ihrem 312

JN § 88

2.2 Örtliche Zuständigkeit

Einlangen übersendeten Faktura begründet, welche mit dem Vermerke versehen ist, daß die Zahlung an einem bestimmten Orte zu leisten ist und daß an demselben Orte die Klagen aus dem Geschäfte angebracht werden können, es sei denn, daß dieser Vermerk oder die Faktura im allgemeinen als vertragswidrig beanständet oder die Faktura ohne Bemerkung zurückgestellt oder die fakturierte Sendung als nicht bestellt zurückgewiesen wird. [Fassung 1. GEN; in Abs 2 wird durch Art XIV Z 4 HaRÄG die Wortfolge „Personen, welche ein Handelsgewerbe betreiben“, ab 1.1.2007 durch den Ausdruck „Unternehmern“ ersetzt (s § 51 Rz 17 ff; s auch die Übergangsbestimmung in Art XXXII Abs 2 HaRÄG] Lit: Schröder, Internationale Zuständigkeit (1971) 318; Jelinek, Gerichtszuständigkeit im Verbraucherprozeß (§ 14 KSchG), in Krejci (Hrsg), Handbuch zum Konsumentenschutzgesetz (1981) 892; Schack, Der Erfüllungsort im deutschen, ausländischen und internationalen Privat- und Zivilprozeßrecht (1985) 189; Fasching, Abgrenzungs- und Anwendungsprobleme beim Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach österreichischem Recht, FS Nagel (1987) 26; Czernich, Der Erfüllungsgerichtsstand im Lugano-Übereinkommen, AnwBl 1996, 426; Schoibl, Ausgewählte Zuständigkeitstatbestände in der Rechtsprechung des EuGH: Die gerichtlichen Zuständigkeiten am Erfüllungsort des Vertrages nach Art 5 Nr 1 und die Zuständigkeitsvereinbarung nach Art 17 des Brüsseler und des Luganer Übereinkommens, in Bajons/Mayr/Zeiler, Die Übereinkommen 61; Tiefenthaler, LGVÜ: Gerichtsstand am „Erfüllungsort des Bereicherungsanspruchs“? ÖJZ 1998, 544; Thiele, Erfüllungsort und Honorarklagen österreichischer Anwälte nach Art 5 EuGVÜ/LGVÜ, AnwBl 2000, 258; Hau, Der Vertragsgerichtsstand zwischen judizieller Konsolidierung und legislativer Neukonzeption, IPRax 2000, 354; Kropholler/Von Hinden, Die Reform des europäischen Gerichtsstands am Erfüllungsort (Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ), GedS Lüderitz (2000) 401; Leipold, Internationale Zuständigkeit am Erfüllungsort – das Neueste aus Luxemburg und Brüssel, GedS Lüderitz (2000) 431; Bajons, Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes: Rück- und Ausblick auf eine umstrittene Norm, FS Geimer (2002) 15; Martiny, Internationale Zuständigkeit für „vertragliche Streitigkeiten“, FS Geimer (2002) 641; Czernich, Der Erfüllungsgerichtsstand im neuen Europäischen Zuständigkeitsrecht, wbl 2002, 337; Gsell, Autonom bestimmter Gerichtsstand am Erfüllungsort nach der Brüssel I-Verordnung, IPRax 2002, 484; Magnus, Das UN-Kaufrecht und die Erfüllungsortzuständigkeit in der neuen EuGVO, IHR 2002, 45; M. Roth, Internationales Vertrags- und Wettbewerbsrecht bei Internetsachverhalten, in 313

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Gruber/Mader (Hrsg), Privatrechtsfragen des e-commerce (2003) 253 (257 ff); Furrer/Schramm, Zuständigkeitsprobleme im europäischen Vertragsrecht, SJZ 2003, 105, 137; Hager/Bentele, Der Lieferort als Gerichtsstand – zur Auslegung des Art 5 Nr 1 lit b EuGVO, IPRax 2004, 73; Thorn, Gerichtsstand des Erfüllungsorts und intertemporales Zivilverfahrensrecht, IPRax 2004, 354; Theiss/Bronnen, Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes im europäischen Zivilprozessrecht unter besonderer Berücksichtigung des Werkliefervertrages, EWS 2004, 350; Geimer, Einige Bemerkungen zur Zuständigkeitsordnung der Brüssel I-Verordnung, FS Musielak (2004) 169; Stadler, Vertraglicher und deliktischer Gerichtsstand im europäischen Zivilprozessrecht, FS Musielak (2004) 569; Ignatova, Art 5 Nr 1 EuGVO – Chancen und Perspektiven der Reform des Gerichtsstands am Erfüllungsort (2005); Klemm, Erfüllungsortvereinbarungen im Europäischen Zivilverfahrensrecht (2005); Lorenz/Unberath, Gewinnmitteilungen und kein Ende? – Neues zur internationalen Zuständigkeit, IPRax 2005, 219; McGuire, Internationale Zuständigkeit für „isolierte Gewinnzusagen“, ecolex 2005, 489. Simotta in Fasching I § 88 JN; Ballon Rz 62, 447; Fasching Rz 300 f; Holzhammer 57; Mayr/Czernich, EuZPR Rz 112 ff; Rechberger/Simotta Rz 81/1 ff; 124 f. Inhaltsübersicht Voraussetzungen Nachweis Fakturengerichtsstand KSchG

1–5 6–7 8–13 14

Internationale Zuständigkeit 15 Europäisches Zivilprozessrecht 16–19

1 Voraussetzung für die Begründung des Gerichtsstandes des Erfüllungsortes nach Abs 1 ist das Vorliegen einer diesbezüglichen Vereinbarung der Vertragspartner (ausgenommen § 2 Abs 1 VWG 1955, der einen gesetzlichen Erfüllungsort und Gerichtsstand normiert; s SZ 52/126 = VersRdSch 1981, 155). Es genügt also nicht, dass der Erfüllungsort aus dem Gesetz (s 1 Ob 308/99x), durch Handelsbrauch oder durch sonstige Übung ermittelt werden kann (Fasching, FS Nagel 27; vgl EvBl 1956/370). Es handelt sich somit um eine Sonderform des „vereinbarten Gerichtsstandes“ nach § 104, die jedoch – im Gegensatz zu jenem (s § 104 Rz 11) – stets nur einen Wahlgerichtsstand bildet und lediglich einen Einfluss auf die örtliche (nicht sachliche) Zuständigkeit haben kann. Das Zustandekommen und die Gültigkeit dieser Vereinbarung ist ferner – anders als bei der Gerichtsstandsvereinbarung nach § 104 – nach den Regeln des (nach dem IPRG anzuwendenden) materiellen Rechts zu beurteilen (Fasching, FS Nagel 29 f). Es ist daher auch § 864a ABGB zu beachten, wonach Bestimmungen ungewöhnlichen Inhalts in Allge314

JN § 88

2.2 Örtliche Zuständigkeit

meinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern dann nicht Vertragsbestandteil werden, wenn sie dem anderen Teil nachteilig sind und er mit ihnen nach den Umständen nicht zu rechnen brauchte (s Fasching, FS Nagel 30 f). Die Vereinbarung selbst kann formfrei, insb auch mündlich, abge- 2 schlossen werden. Ob sie ausdrücklich getroffen werden muss oder auch schlüssig (konkludent) zustande kommen kann, ist in der Rsp strittig (dafür: LGZ Wien EvBl 1936/1055; SZ 39/17 = EvBl 1966/240; HG Wien WR 254/1986; dagegen: EvBl 1963/488 = RZ 1963, 199; EvBl 1968/306 = JBl 1969, 563 [Matscher]), wird aber zu bejahen sein (Simotta in Fasching I § 88 Rz 16; Schröder 319 f). Allerdings kommt dieser Streitfrage wenig praktische Relevanz zu, da jedenfalls auch eine bloß schlüssige Vereinbarung (im Bestreitungsfall) urkundlich nachgewiesen werden muss (s etwa EvBl 1972/273; SZ 47/146; ZfRV 1997/58, 156 und unten Rz 6). Unwirksam wird die Vereinbarung, wenn sie ausdrücklich oder zumindest in einer jeden Zweifel ausschließenden konkludenten Form aufgehoben wird (Simotta in Fasching I § 88 Rz 18; vgl GlUNF 7429). Eine einseitige Stornierung des Vertrages reicht nicht aus. Der Erfüllungsort muss nach hM namentlich genannt sein (Simotta in 3 Fasching I § 88 Rz 8; Fasching, FS Nagel 33 f, 34 f; EvBl 1951/19; RZ 1975/27, 54). ME muss es aber auch genügen, wenn der Ort so eindeutig und bestimmt umschrieben ist, dass ihn das angerufene Gericht ohne zusätzliche Erhebungen und Schwierigkeiten zweifelsfrei feststellen kann (vgl Schröder 319 f und Iro in Avancini/Iro/Koziol, Österreichisches Bankvertragsrecht I [1987] Rz 1/150). Der Erfüllungsort muss auch nicht in der Urkunde selbst genannt werden (aM EvBl 1951/19), es genügt, wenn sich dieser Ort aus einer anderen mit ihr in einem ausdrücklichen Wechselbezug stehenden und gleichfalls vorgelegten Urkunde eindeutig ergibt (Fasching, FS Nagel 35). Die (Wahl-)Zuständigkeit ist dann begründet, wenn der vereinbarte Erfüllungsort im Sprengel des angerufenen Gerichtes liegt. Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes kann nach dem Wortlaut des 4 Gesetzes nur vom Gläubiger (und nicht vom Schuldner) in Anspruch genommen werden (SpR 263 = AmtlSlg 1734 = ZBl 1917/14). Bei zweiseitig entgeltlichen Geschäften ist allerdings jeder der beiden Vertragsteile Gläubiger. Er gilt aber nur für die Vertragsteile und deren Universal- und Singularsukzessoren (Pollak 316; GlUNF 6232; LGZ Wien EvBl 1935/351; 3 Ob 2325/96z = ZfRV 1997, 246), nicht aber etwa für Bürgen (Simotta in Fasching I § 88 Rz 31). 315

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5 Der Gerichtsstand ist nach hM (Simotta in Fasching I § 88 Rz 34; Fasching, FS Nagel 33 mwN) beschränkt auf die im Gesetz (taxativ) aufgezählten Streitigkeiten, also auf Klagen auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens des Vertrages, auf seine Erfüllung, auf Aufhebung des Vertrages und auf Entschädigung wegen Nichterfüllung oder Schlechterfüllung.

6 Die Vereinbarung eines Erfüllungsortes ist zwar in der Klage zu behaupten, sie muss aber nach völlig hM (s nur Simotta in Fasching I § 88 Rz 20 oder ZfRV 1995/26, 158) nicht bereits in der Klage, sondern erst im Bestreitungsfall (nicht daher, wenn Vorliegen und Gültigkeit der Vereinbarung außer Streit gestellt wird: ZBl 1936/189; LGZ Wien EvBl 1938/ 42) oder im Zuge einer (begründeten) amtswegigen Zuständigkeitsprüfung (vgl OLG Innsbruck EvBl 1988/136; s § 41 Rz 3) dem Gericht urkundlich nachgewiesen werden. Die Heranziehung anderer Beweismittel ist also ausgeschlossen (EvBl 1963/488 = RZ 1963, 199 mwN). Dafür ist nicht unbedingt eine zweiseitig unterfertigte Urkunde erforderlich, die Vereinbarung kann etwa auch im Wege eines Briefwechsels der Parteien (GlUNF 3807) oder dadurch erfolgen, dass der schriftliche Antrag, einen Erfüllungsort zu vereinbaren, schriftlich angenommen wird (JBl 1976, 378). Als urkundlicher Nachweis genügt auch eine nur vom Beklagten (und nicht etwa von demjenigen, der sich darauf stützen will) unterfertigte Urkunde (EvBl 1968/306 = JBl 1969, 563 [Matscher]; SZ 47/146; RZ 1977/135, 262), wie etwa ein unterschriebener Bestellschein (ZBl 1912/163 ua). Soweit es sich allerdings um einseitige Erklärungen handelt, muss aus dem Text und Bild der Vereinbarung klar erkennbar sein, dass die Bestimmung des Erfüllungsortes von der Unterschrift mitumfasst war (Simotta in Fasching I § 88 Rz 14; EvBl 1972/273; JUS Z/514 = RdW 1990, 408; OLG Innsbruck EvBl 1988/136). Dies kann etwa zweifelhaft sein, wenn sich die Klausel mit der Vereinbarung des Erfüllungsortes unterhalb der Unterschrift befindet, ist jedoch diesfalls zu bejahen, wenn sie dem Besteller bei gewöhnlicher Aufmerksamkeit auffallen musste (EvBl 1961/272 = JBl 1961, 512; JBl 1975, 548; vgl auch ZfRV 1996/37, 160). Ob eine vom Beklagten unterfertigte Vereinbarung der Geltung der (beiliegenden oder aufliegenden) AGB ausreicht, ohne dass die AGB selbst unterschrieben wurden, ist in Lehre und Rsp nicht abschließend geklärt (s Iro in Avancini/Iro/Koziol, Bankvertragsrecht I [1987] Rz 1/150 mwN; vgl auch § 104 Rz 9). Der OGH hat jedenfalls in EvBl 1972/7 eine auf der nicht unterzeichneten Rückseite eines Bestellformulares befindliche Vereinbarung auch dann als nicht hinreichend qualifiziert, wenn auf der unterschriebenen Vorderseite darauf hingewiesen wurde (anders aber bei einer Vereinbarung unter Kaufleuten 316

JN § 88

2.2 Örtliche Zuständigkeit

[Unternehmern]: RZ 1981/63, 251 = HS 13.375 und 13.376). Zu beachten ist außerdem die Anwendbarkeit von § 864a ABGB (oben Rz 1) und § 14 KSchG (unten Rz 14). Das Erfordernis einer eigenhändigen Unterschrift bereitet im Bereich des E-Commerce Schwierigkeiten und wird nur durch die sichere elektronische Signatur nach § 4 Abs 1 SigG erfüllt (s etwa M. Roth in Gruber/Mader, Privatrechtsfragen 257 ff). Wurde die Vereinbarung durch Bevollmächtigte abgeschlossen, so 7 muss auch die Vollmacht (nur) des Beklagten (SZ 45/86) urkundlich nachgewiesen werden (Simotta in Fasching I § 88 Rz 27; RZ 1964, 40). Dabei kann die Verwendung einer Geschäftsstampiglie allein den Nachweis der Bevollmächtigung durch den Geschäftsinhaber nicht ersetzen (JBl 1954, 541; EvBl 1956/132). Die Vertretungsmacht nach § 96 ABGB („Schlüsselgewalt“) umfasst jedoch auch die Vereinbarung eines Erfüllungsortes (LGZ Wien EFSlg 39.108) und die Bevollmächtigung eines Rechtsanwaltes oder Notars muss im Prozess nicht urkundlich nachgewiesen werden (§ 8 Abs 1 RAO, § 5 Abs 4a NO). Der Fakturengerichtsstand des Abs 2 wird im Gesetz zwar als Unter- 8 fall des Gerichtsstands des Erfüllungsortes behandelt, zu dessen Begründung bedarf es jedoch keiner Parteienvereinbarung, sondern es genügt eine einseitige Erklärung (RdW 1988, 11). Im Gegensatz zu Abs 1 ist allerdings Bedingung, dass die beteiligten Personen ein Handelsgewerbe betreiben, also gewerbsmäßig in ihrem Geschäftsbetrieb mit Gegenständen Umsatzgeschäfte machen, die mit diesem Betrieb im Zusammenhang stehen, gleichgültig, ob sie diese Gegenstände selbst erzeugen oder bloß einkaufen und weiterverkaufen (GlUNF 6672). Die handelsrechtliche Kaufmannseigenschaft ist nicht Voraussetzung (SZ 25/94; LGZ Wien EvBl 1950/201 und WR 253/1986). Nicht erfasst werden aber etwa die Angehörigen freier Berufe (zB Zahnärzte: LGZ Wien EvBl 1951/420). Ab dem 1.1.2007 spricht das Gesetz (auch hier) von „Unternehmern“ (Art XVI Z 4 HaRÄG; s § 51 Rz 17 ff). Für Unternehmer wird der Fakturengerichtsstand (idnF) begründet, wenn die Faktura nach In-Kraft-Treten des HaRÄG (1.1.2007) angenommen wird (Art XXXII Abs 2 HaRÄG). Er gilt auch für die Einzel- und Gesamtrechtsnachfolger der beiden Vertragspartner (Fasching1 I 452 f mwN). Es handelt sich um einen Wahlgerichtsstand, auf den sich nur die klagende Partei berufen kann (EvBl 1958/225 = JBl 1958, 407). Sachlich beschränkt ist der Fakturengerichtsstand auf die in Abs 1 ge- 9 nannten Klagen aus Kaufverträgen, nach denen Waren übersendet wur317

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den (SZ 24/229; SZ 29/6 = EvBl 1956/110; EvBl 1968/306 = JBl 1969, 563; OLG Innsbruck EvBl 1988/136). Es ist jedoch kein ausreichender Grund ersichtlich, warum er nicht auch bei Werklieferungsverträgen Anwendung finden sollte (so zutreffend Matscher, JBl 1969, 566 [Entscheidungsbesprechung]; zustimmend Simotta in Fasching I § 88 Rz 38 und jüngst OLG Wien WR 946/2002; aM etwa noch ZfRV 1992/ 34, 310; diese Frage offen lassend 8 Ob 326/97t).

10 Begründet wird der Gerichtsstand mit der (unbeanstandeten s unten Rz 13) Annahme der Faktura, wobei es genügt, dass sie vom Verkäufer einem Empfangsboten des Käufers ausgehändigt wird, ohne dass es auf das Vorhandensein oder den Umfang einer Vollmacht ankommt (RdW 1988, 11). Voraussetzung ist aber, dass die (auf Gefahr des Verkäufers reisende) Faktura rechtzeitig, dh spätestens gleichzeitig mit der (letzten Teillieferung der) Ware, beim Käufer (oder einem von ihm namhaft gemachten Dritten: EvBl 1962/422) einlangt. Auch durch eine (anstandslose) Annahme einer erst nach Einlangen der Ware eingetroffenen Faktura kann daher der Fakturengerichtsstand nicht begründet werden (ZBl 1927/216 [zust Petschek]; SZ 36/87 = EvBl 1963/409; RZ 1984/47, 148). Wird das Geschäft in mehreren Teillieferungen erfüllt, ist mit der Annahme der Faktura der ersten Lieferung der Gerichtsstand für das gesamte Geschäft begründet (SZ 23/169 ua). Nicht notwendig ist eine Absendung der Ware (HG Wien EvBl 1937/437; OLG Wien EvBl 1948/ 12), was insb dann von Bedeutung ist, wenn Vorauszahlung nach Erhalt der Faktura vereinbart war und diese Zahlung nicht erfolgt (SZ 6/118). Bei Kommissionsgeschäften kann der Fakturengerichtsstand nicht begründet werden, wenn die Waren bereits vor Abschluss des Verkaufsgeschäftes übersendet werden, weil dann die Faktura nicht mehr zumindest gleichzeitig mit den zu verkaufenden Waren beim Kommissionär einlangen kann (RdW 1998, 615).

11 Was als Faktura (Warenrechnung, nicht etwa Lieferschein oder Transportrechnung) anzusehen ist, richtet sich nach den Umständen, insb nach den Handelsbräuchen und dem Inhalt der vorgelegten Urkunde (vgl GlUNF 6260 = JBl 1913, 166). Die Faktura muss mit dem Vermerk versehen sein, dass die Zahlung an einem bestimmten Ort zu leisten ist und dass an demselben Ort auch die Klagen aus diesem Geschäft angebracht werden können. Üblich ist die Wendung „zahlbar und klagbar in …“; es genügt aber, wenn der verwendete Vermerk dem Sinn des Gesetzes entspricht, wie etwa „Erfüllungsort und Gerichtsstand …“ (EvBl 1984/49 = HS 15.046). Die Fakturenklausel muss aber eindeutig sein (s SZ 10/335) und darf etwa nicht mehrere (in verschiedenen Gerichtssprengeln gelegene) Zahlungs318

JN § 88

2.2 Örtliche Zuständigkeit

orte nennen (SZ 9/231). Sie muss in einer solchen Form auf der Warenrechnung angebracht sein, dass sie bei üblichem und zumutbarem Geschäftsgang leicht wahrgenommen werden kann (so JBl 1991, 393 = RZ 1991/46, 144 = RdW 1991, 81). Zahlungsort und Ort der Klagbarkeit dürfen (nur dann) differieren, wenn sich in letzterem Ort das für den Zahlungsort zuständige Gericht befindet. Besitzt der im Fakturenvermerk angeführte Ort kein (sachlich zuständiges) Gericht, ist jenes Gericht zuständig, in dessen Sprengel der angegebene Ort liegt (GlUNF 1674 und 3401 = JBl 1906, 274). Der Kläger hat in der Klage die zuständigkeitsbegründenden Tatsachen 12 (nur) zu behaupten und diese (erst) im Bestreitungsfall oder aufgrund einer gerichtlichen Aufforderung im Rahmen der amtswegigen Zuständigkeitsprüfung (§ 41 Abs 2) zu beweisen. Insb hat der Kläger die Übersendung der Faktura vor oder gleichzeitig mit der Ware zu beweisen. Ist dieser Beweis erbracht, muss der Beklagte beweisen, dass die Faktura nicht oder erst nach der Ware eingelangt ist (EvBl 1962/422; RZ 1984/ 47, 148; EvBl 1984/49 = HS 15.046). Der Käufer kann die Begründung des Fakturengerichtsstandes dadurch 13 verhindern, dass er entweder die Ware als nicht bestellt zurückweist (insb wenn ein aliud geliefert wurde: s EvBl 1955/186; EvBl 1975/64) oder dass er den Fakturenvermerk oder die ganze Faktura als vertragswidrig beanstandet oder schließlich die Faktura (auch ohne ausdrückliche Begründung) zurückschickt. Diese Beanstandungen sind empfangsbedürftig und müssen innerhalb der angemessenen Frist des § 862 ABGB erfolgen, also längstens bis zu dem Zeitpunkt, zu dem der Verkäufer unter der Voraussetzung, dass die Faktura rechtzeitig angekommen sei, bei rechtzeitiger und ordnungsgemäßer Absendung der Beanstandung deren Eintreffen erwarten darf (Fasching Rz 301). Gem § 14 Abs 1 KSchG können beide Gerichtsstände des § 88 gegen 14 einen Verbraucher mit Inlandsbezug nur dann begründet werden, wenn er in diesem Gerichtssprengel (im Zeitpunkt der Zuständigkeitsbegründung) seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Beschäftigungsort hat (oder gehabt hat). Näheres Vor § 83a. Die in § 88 Abs 1 und 2 geregelten Gerichtsstände bewirken auch ohne 15 besondere Nahebeziehung zu Österreich die „inländische Gerichtsbarkeit“ iSd internationalen Zuständigkeit (§ 27a). Die unter der Geltung der Indikationentheorie diesbezüglich herrschende Unklarheit (vgl etwa JBl 1991, 393 [zust Pfersmann] = RdW 1991, 81 = RZ 1991/46, 144 = ZfRV 1991/10, 42; SZ 67/188 = HS 25.771 = wbl 1995, 165 = IPRax 319

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1996, 201 [205: Pfeiffer] = ZfRV 1995/16, 72; ZfRV 1995/26, 158 und ZfRV 1996/67, 198) ist damit überholt. Zu beachten ist außerdem, dass der Fakturengerichtsstand des § 88 Abs 2 gem Art 2 Z 5 des österreichisch-deutschen Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrages 1959 (soweit er überhaupt noch zur Anwendung kommt – s Art 69 f EuGVVO bzw Art 55 f EuGVÜ/LGVÜ) einen Grund für die Versagung der Urteilsanerkennung bildet. Im europäischen Zivilprozessrecht wird er zwar bei den ausgeschlossenen exorbitanten Gerichtsständen nicht ausdrücklich erwähnt (s Anhang I zur EuGVVO bzw Art 3 Abs 2 EuGVÜ/LGVÜ), in dessen Geltungsbereich kommt er aber dennoch nicht zur Anwendung (s Nach § 27a Rz 19). Eine Erfüllungsorts- und Gerichtsstandsklausel für einen inländischen Ort kann nicht als wirksame Wahl österreichischen Rechts gewertet werden (DRdA 1990, 206 [zust Schwimann] = wbl 1988, 90 ua).

16 Der „europäische“ Gerichtsstand des Erfüllungsortes hat durch das InKraft-Treten der EuGVVO (dazu Nach § 27) einschneidende Änderungen erfahren. Zum einen wird nunmehr der Erfüllungsort für die praktisch wichtigen Kauf- und Dienstleistungsverträge gem Art 5 Z 1 lit b EuGVVO autonom bestimmt und zum anderen wurden Klagen aus individuellen Arbeitsverträgen aus dessen Anwendungsbereich herausgenommen und in den Art 18 ff speziell geregelt (dazu etwa Mayr/Czernich, EuZPR Rz 201 ff mwN). Der Anwendungsbereich des Art 5 Z 1 EuGVVO ist eröffnet, wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden. Die Begriffe werden von der hM autonom (5 Ob 313/93w = ZfRV-LS 2004/35, 156; 4 Ob 233/97m = SZ 70/176) ausgelegt und umfassen nicht nur die unmittelbaren vertraglichen Verpflichtungen, sondern auch diejenigen, die an die Stelle einer nicht erfüllten vertraglichen Verbindlichkeit treten, wie etwa Schadenersatz- oder Rückerstattungsansprüche, und zwar auch dann, wenn sie (erst) aus dem Gesetz folgen (7 Ob 375/97s = JBl 1998, 515 = ZfRV 1998/33, 157; 7 Ob 336/97f = RdW 1998, 552 = ZfRV 1998/43, 161; 7 Ob 132/00p = SZ 73/106), sowie im Wege der Legalzession übergegangene vertragliche Ansprüche (9 Ob 104/04s = EvBl 2005/147). Am Gerichtsstand des Erfüllungsortes kann auch dann geklagt werden, wenn das Zustandekommen eines Vertrages zwischen den Parteien strittig ist (7 Ob 188/ 03b = EvBl 2004/30; 6 Ob 148/04i = EvBl 2005/147). Darunter fällt auch eine Klage, mit der ein Verbraucher von einem Versandhandelsunternehmen die Auszahlung eines scheinbar gewonnenen Preises verlangt, wenn diese nicht an eine Warenbestellung gekoppelt ist und der Verbraucher auch tatsächlich keine Bestellung aufgegeben hat (sog „isolierte Gewinnzusagen“; vgl EuGH Rs C-27/02, Engler/Janus, RdW 320

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2.2 Örtliche Zuständigkeit

2005/215, 166 = wbl 2005/49, 122 und etwa McGuire, ecolex 2005, 489 oder Lorenz/Unberath, IPRax 2005, 219 uva). Zur Problematik bei Ansprüchen aus culpa in contrahendo vgl Mankowski, IPRax 2003, 127 ff. Allgemein zum Vertragsbegriff im europäischen Zivilprozessrecht s Martiny, FS Geimer 641 ff und Stadler, FS Musielak 575 ff. Nach Art 5 Z 1 lit b EuGVVO liegt der Erfüllungsort für den Verkauf 17 beweglicher Sachen an jenem Ort, an dem diese nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen und für Dienstleistungen an jenem Ort, an dem diese nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen. Der Begriff des Kaufvertrags ist autonom zu bestimmen und wird als Vereinbarung definiert, die den Verkäufer zur Lieferung von Ware und Verschaffung des Eigentums und den Käufer zu deren Annahme und Bezahlung verpflichtet, wobei darunter alle Arten von Kaufverträgen wie Sukzessivlieferungsverträge, Spezifikationskäufe, der Kauf nach Muster oder Probe, der Streckenkaufvertrag und weiters auch allfällige Nebenabreden wie das Vorkaufsrecht oder Wiederkaufsrecht sowie der Vorvertrag zu einem Kaufvertrag, fallen (Czernich, wbl 2002, 339). Der Umstand, dass die Ware ursprünglich nicht auf Grund eines Kaufvertrags ausgeliefert, sondern „in Kommission“ überlassen wurde, schadet dabei nicht (1 Ob 123/03z = JBl 2004, 186). Der Begriff des Dienstleistungsvertrags ist ebenso verordnungsautonom auszulegen und umfasst alle Verträge, die die entgeltliche Herbeiführung eines bestimmten faktischen Erfolgs und – in Abgrenzung zum Arbeitsvertrag – nicht nur die schlichte Verrichtung einer Tätigkeit zum Gegenstand haben (6 Ob 148/04i = EvBl 2005/147 [Vermittlung von Charterverträgen zwischen Reiseveranstaltern und Luftverkehrsunternehmen]; 1 Ob 63/03a = EvBl 2004/83 [Hotelunterbringungsvertrag, sofern er über eine bloße Raummiete hinausgeht]). Die Neuregelung schafft einen einheitlichen Gerichtsstand für alle Ansprüche aus dem Vertrag am Erfüllungsort der vertragscharakteristischen Leistung (1 Ob 63/03a = EvBl 2004/83). Die bisher im Anwendungsbereich des EuGVÜ vorzunehmende Isolierung der jeweils streitigen Verpflichtung (EuGH Slg 1976, 1497 DeBloos/Bouyer), die zu einer Zersplitterung des Vertragsverhältnisses und somit der Zuständigkeit führte (dazu ausführlich Bajons, FS Geimer 20 ff), ist daher nicht mehr notwendig. Nach den Intentionen des Verordnungsgebers (KOM [1999] 348 endg 15) soll die Bestimmung des Erfüllungsortes pragmatisch, nach einem rein faktischen Kriterium erfolgen, was jedoch mit dem Verordnungstext, der auf den vertragsgemäßen Erfüllungsort abstellt, in Widerspruch steht. Da faktisches Verhalten niemals vertragliche Vereinbarungen derogieren kann, ist zunächst zu prüfen, ob sich 321

§ 88

Mayr

aus dem Vertragsinhalt ein ausdrücklicher oder konkludent vereinbarter Erfüllungsort ableiten lässt (4 Ob 147/03a = RdW 2004/379, 416). Dabei kann auch den sog Lieferklauseln (4 Ob 147/03a = RdW 2004/ 379, 416 [„frei Haus“]; abl 1 Ob 94/04m = ZfRV-LS 2005/8, 69 [bzgl Incoterms]; 6 Ob 253/04f = ZfRV-LS 2005/6, 33 [bzgl einer „Preisstellungsklausel“]) gerichtsstandsbegründende Wirkung zukommen. Der tatsächliche Erfüllungsort ist (nur) dann maßgeblich, wenn der Leistungsempfänger die Leistung dort als vertragsgemäß annimmt (1 Ob 94/ 04m = ZfRV-LS 2005/8, 69), und zwar auch dann, wenn dieser vom (ursprünglich) vereinbarten Erfüllungsort abweicht (vgl 6 Ob 148/04i = EvBl 2005/147). Kommt es zu keiner Leistungserbringung, bleibt es bei der Maßgeblichkeit des vereinbarten Erfüllungsortes.

18 Ist Art 5 Z 1 lit b EuGVVO nicht anwendbar, so verweist lit c auf lit a, dem somit eine Auffangfunktion zukommt. In dessen Anwendungsbereich fallen somit nicht als Kauf- oder Dienstleistungsverträge qualifizierte Vereinbarungen (Klage der GmbH bzw des Gemeinschuldners gegen den Geschäftsführer aus einem Vertragsverhältnis nach § 22 URG und § 25 GmbHG [OLG Wien 3 R 49/03b; unentschieden 3 Ob 2/04x = ZfRV 2004/35, 238 = ZIK 2004/274, 213]; Klagen aus Gewinnzusagen, wenn diese nicht an eine Warenbestellung gekoppelt sind und tatsächlich auch keine Warenbestellung aufgegeben wird [Lorenz/Unberath, IPRax 2005, 223]) sowie Kauf- oder Dienstleistungsverträge, aus denen sich – nach Ausschöpfung aller erdenklichen Auslegungsmöglichkeiten (idS Kropholler Art 5 Rz 49; ähnlich Klemm, Erfüllungsortvereinbarungen 72) – kein vertragsgemäßer Erfüllungsort ableiten lässt (sofern nicht ein vom Leistungsempfänger akzeptierter tatsächlicher Erfüllungsort vorliegt) bzw deren Erfüllungsort sich außerhalb des Anwendungsbereiches der EuGVVO befindet (KOM [1999] 348 endg 15). Zur Klärung der Rechtslage bei mehreren Erfüllungsorten in einund demselben Mitgliedstaat hat der OGH jüngst eine Vorlagefrage an den EuGH gerichtet (7 Ob 149/05w). Im Anwendungsbereich des lit a bleibt weiterhin die bisherige Rsp des EuGH in Geltung, wonach der Erfüllungsort nicht autonom, sondern sich nach der lex causae, dh dem Recht, das nach den Kollisionsnormen des mit dem Rechtsstreit befassten Gerichts für die streitige Verpflichtung maßgebend ist (EuGH Slg 1976, 1473 Tessili/Dunlop; OLG Wien 3 R 39/03b), jedoch nur soweit, als nicht materielles Einheitsrecht eingreift und das Kollisionsrecht des Forumsstaates verdrängt (4 Ob 299/97t = EvBl 1998/57 = JBl 1998, 379 = RZ 1999/9, 52 = JAP 1998/99, 91 [Thiele] = RIW 1998, 639 [Thiele] = ZfRV 1998, 167 [bei Beherbergungsverträgen ist der Ort der Beherbergung Erfüllungsort für beide Vertragsteile]; 2 Ob 208/98x = ZfRV 1999/8, 23 = RdW 322

JN § 89

2.2 Örtliche Zuständigkeit

1999, 210; 2 Ob 221/98h = JBl 1999, 333 = RdW 1999, 210 = ZfRV 1999/ 9, 23; 1 Ob 173/98t = SZ 71/129 = EvBl 1999/14 = ZfRV 1999/4, 22). Maßgebliche Verpflichtung ist diejenige vertragliche (Haupt-)Pflicht, die konkret den Gegenstand der Klage bildet (4 Ob 233/97m = SZ 70/ 176; 6 Ob 216/98b = ZfRV 1999/11, 24; s auch Tiefenthaler, ÖJZ 1998, 546 f; 5 Ob 313/03w = ZfRV-LS 2004/35, 156), wobei deren Isolierung ebenso anhand der lex causae erfolgt (Bajons, FS Geimer 22). Da sich die bisherige Rsp-Linie (nach Tessili/Dunlop und DeBloos/ Bouyer) als äußerst problemträchtig erwiesen hat, fordert ein Teil der Lehre (etwa Bajons, FS Geimer 64 ff; Junker, RIW 2002, 572; Kienle, IPRax 2005, 115; Klemm, Erfüllungsortvereinbarungen 64 f; Kohler, FS Geimer 478; Leible in Rauscher, EuZPR Art 5 Rz 36; Kropholler Art 5 Rz 31; Kropholler/von Hinden, GedS Lüderitz 409; Micklitz/Rott, EuZW 2001, 329) zunehmend eine Auslegung der lit a im Lichte der Regelung in lit b. Es ist in der Tat nicht nachvollziehbar, warum eine vom Verordnungsgeber selbst als nachteilig empfundene Rsp (KOM [1999] 348 endg 15) im Rahmen von lit a fortbestehen soll. Dafür wird es jedoch einer klarstellenden E des EuGH bedürfen. Der Erfüllungsort wird nicht nur durch Gesetz bestimmt, sondern kann 19 auch – soweit es das anzuwendende Recht zulässt – durch Vereinbarung festgelegt werden, wobei diese ernsthaft auf die materiell-rechtliche Begründung eines tatsächlichen Leistungsortes abzielen muss; eine rein prozessual wirkende („abstrakte“) Vereinbarung wäre hingegen nach Art 23 EuGVVO zu beurteilen (EuGH Slg 1997, I-911, Mainschifffahrtsgenossenschaft/Gravières Rhénanes; 8 Ob 83/05x = Zak 2006/66, 39). Die Vereinbarung braucht nicht urkundlich nachgewiesen zu werden (4 Ob 313/97a = SZ 70/226 = ecolex 1998, 313 = ZfRV 1998/6, 35; 7 Ob 117/00g = ZfRV 2001/46, 150). Bis zur Erfüllung ist auf den rechtlichen, danach auf den tatsächlichen Erfüllungsort abzustellen. Im Anwendungsbereich von lit b wird den Erfüllungsortvereinbarungen geringe praktische Bedeutung zukommen, da ein vertragsgemäßer Erfüllungsort immer auch einen (zumindest konkludent) vereinbarten Erfüllungsort darstellt, und eine vom vertragscharakteristischen Erfüllungsort abweichende Vereinbarungen in der Regel als „abstrakt“ zu qualifizieren sein werden (vgl Leipold, GedS Lüderitz 449; Kropholler Art 5 Rz 51 und Schlosser, EuZPR2 Art 5 Rz 11). § 89. Aus einem Wechsel verpflichtete Personen können vom Inhaber des Wechsels bei dem Gerichte des Zahlungsortes belangt werden. [Stammfassung] 323

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Lit: Jelinek, Gerichtszuständigkeit im Verbraucherprozeß (§ 14 KSchG), in Krejci (Hrsg), Handbuch zum Konsumentenschutzgesetz (1981) 859; Schumacher, Der Gerichtsstand des Wechselzahlungsortes, RdW 1988, 416; Pimmer, Wechselgesetz und Scheckgesetz9 (1992); Holzhammer, Allgemeines Handelsrecht und Wertpapierrecht8 (1998) 330; Hauser, Wechsel- und Scheckrecht2 (1999) Rz 41 ff, 335 ff; G. Roth, Grundriß des österreichischen Wertpapierrechts2 (1999) 29. Simotta in Fasching I § 89 JN; Fasching Rz 302; Rechberger/Simotta Rz 126.

1 Durch den Wahlgerichtsstand des Wechselzahlungsortes – welcher auch für scheckrechtliche Rückgriffsansprüche gilt (Art 59a SchG) – soll im Interesse des Handelsverkehrs die Einklagung von Wechseln erleichtert werden (so etwa JBl 1958, 37). Er ist auch dann gegeben, wenn der Wechselanspruch nicht im Urkundenprozess iSd § 557 ZPO, sondern im gewöhnlichen Verfahren geltend gemacht wird. Diesfalls muss der Wechsel nicht bereits in der Klage vorgelegt werden (Rsp 1931/410 [zust Wahle]). Daneben ist auch eine (abweichende) Gerichtsstandsvereinbarung zulässig; sie muss nicht im Wechsel selbst enthalten sein (SZ 46/96 = EvBl 1974/28). Die sachliche Zuständigkeit richtet sich nach § 51 Abs 1 Z 8.

2 Voraussetzung für die Begründung dieses Gerichtsstandes ist die Angabe eines (vom Standpunkt eines dritten Lesers aus) bestimmten Zahlungsortes im Wechsel (s Art 1 Z 5 WG). Zum Bestimmtheitserfordernis der Ortsangabe s etwa SZ 58/173 = EvBl 1986/59 = JBl 1986, 324 und die weitere bei Pimmer unter E 60 ff zu Art 1 WG angeführte Rsp. Ein Wechsel mit zwei oder mehreren Zahlungsorten ist ungültig (etwa SZ 31/132 = EvBl 1959/57 = JBl 1959, 212). Mangels einer besonderen Angabe gilt jedoch nach Art 2 Abs 3 WG der beim Namen des Bezogenen angegebene (Adress-)Ort als Zahlungsort. Werden freilich mehrere Bezogene mit verschiedenen Wohnorten angeführt, ist der Wechsel ungültig (JBl 1914, 290 = ZBl 1914/375; EvBl 1938/399). Ergibt sich der Zahlungsort aus dem der Wechselmandatsklage beigelegten Originalwechsel, sind keine Behauptungen über das Vorliegen eines besonderen Gerichtsstandes erforderlich (HG Wien WR 52/1983).

3 Eine eigenmächtige, nicht verkehrsübliche, insb die Lage des Akzeptanten erschwerende Domizilierung eines Blankowechsels vermag den Gerichtsstand nicht zu begründen (SZ 49/6 = EvBl 1976/196; OLG Wien EvBl 1985/44 = HS 15.048; ÖBA 1990, 226 = RdW 1990, 82). Dem gutgläubigen Wechselerwerber gegenüber muss sich der Wechselverpflichte324

JN § 91

2.2 Örtliche Zuständigkeit

te die nachträgliche zuständigkeitsbegründende Beifügung des Wechselzahlungsortes im Blankett gefallen lassen (Schumacher, RdW 1988, 418). Gegen einen Verbraucher (nicht daher gegen einen Minderkaufmann: 4 8 Ob 199/00y = EvBl 2001/28 = ecolex 2001/3, 42 = ÖBA 2001/973, 557 = RdW 2001/91, 87) mit Inlandsbeziehung kann gem § 14 KSchG (dazu Vor § 83a) der Gerichtsstand des Wechselzahlungsortes nur dann begründet werden, wenn er bei Einräumung der Wechselverbindlichkeit in diesem Sprengel seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Beschäftigungsort (= allgemeiner Gerichtsstand) gehabt hat; ein nachträglicher Wechsel des allgemeinen Gerichtsstandes hat hingegen keinen Einfluss (Jelinek, Gerichtzuständigkeit 898; LGZ Wien WR 19/1983). § 90. Streitigkeiten aus der Schiffsmiete, aus dem Dienstverhältnisse der Schiffsmannschaft und aus Seefrachtgeschäften können auch bei dem Gerichte des Ortes angebracht werden, in welchem sich der Beklagte aufhält, wo die Ware abgeliefert werden soll, wo der Transport des Reisenden zu beendigen ist oder wo die Reise abgebrochen wird. [Stammfassung] Lit: Gaeta, Gerichtliche Zuständigkeit in streitigen Seeschiffahrtssachen, ZVR 1992, 356. Simotta in Fasching I § 90 JN. Der Gerichtsstand stellt totes Recht dar (vgl Fasching Rz 312 [unter 1 irrtümlicher Zitierung des § 98]): Judikatur aus den letzten Jahrzehnten ist nicht auffindbar, in der neueren Literatur wird er nur von Gaeta (ZVR 1992, 358) (etwas eingehender) behandelt. Pollak (316) meinte etwa bereits 1932, § 90 sei durch den Zusammenbruch der Monarchie entfallen. Gerichtsstand der gelegenen Sache § 91. (1) Bei dem nach § 81 zuständigen Gerichte kann mit der Klage zur Geltendmachung des Pfandrechtes die Klage auf Zahlung der pfandrechtlich versicherten Forderung, mit der Klage auf Aufhebung (Löschung) des Pfandrechtes die Klage auf Feststellung des Nichtbestehens der pfandrechtlich versicherten Forderung verbunden werden, wenn beide Klagen wider denselben Beklagten gerichtet sind. (2) Klagen auf die aus einer Reallast rückständigen Leistungen können gegen den Besitzer des belasteten Grundstückes bei dem Gerichte erhoben werden, in dessen Sprengel das belastete Grundstück gelegen ist. 325

§ 91

Mayr

(3) Klagen über Verträge über die Übergabe der im § 560 ZPO angeführten Sachen können – auch wenn sie nicht unter den § 83 fallen – bei dem Gericht erhoben werden, in dessen Sprengel die unbewegliche Sache liegt. [Überschrift geändert und Abs 3 angefügt durch ZVN 1983] Lit: Simotta in Fasching I § 91 JN; Fasching Rz 303; Holzhammer 58; Rechberger/Simotta Rz 128.

1 Abs 1 eröffnet einen Wahlgerichtsstand beim (ausschließlichen) Gerichtsstand der gelegenen Sache (§ 81) für obligatorische Klagen, die gemeinsam mit der dinglichen Klage erhoben werden. Im Einzelnen kann – selbst wenn die gleiche sachliche Zuständigkeit nicht gegeben wäre (§ 95 Abs 1) – die Klage auf Zahlung der durch das Pfandrecht gesicherten Forderung mit der Pfandrechtsklage und die Klage auf Feststellung des Nichtbestehens der durch das Pfandrecht gesicherten Forderung mit der Löschungsklage beim Realgerichtsstand erhoben werden, sofern Personal- und Realschuldner identisch sind. Im ersteren Fall kann daher ein günstig gelegener Realgerichtsstand Motiv dafür sein, um neben der Schuldklage auch eine Pfandrechtsklage zu erheben. Die sachliche Zuständigkeit richtet sich immer nach der dinglichen Klage (Fasching Rz 303; Simotta in Fasching I § 91 Rz 4).

2 Klagen auf ausständige Leistungen aus einer Reallast können unabhängig von der Geltendmachung eines dinglichen Rechtes gegen den derzeitigen Eigentümer (außer bei dessen allgemeinen Gerichtsstand auch) beim Gericht des belasteten Grundstückes eingebracht werden (vgl § 81 Abs 2).

3 Zur Abrundung des Realgerichtsstandes und zur Vermeidung von Abgrenzungsschwierigkeiten zu § 83 (669 BlgNR 15. GP 38) gilt der Gerichtsstand der gelegenen Sache (als Wahlgerichtsstand) auch für obligatorische Ansprüche auf Überlassung unbeweglicher oder für unbeweglich erklärter Sachen (§ 560 ZPO: auch Unternehmen, zu denen unbewegliche Sachen gehören). Dazu zählt etwa die (von § 81 nicht erfasste) Klage auf Einwilligung in die grundbücherliche Einverleibung (1 Ob 361/98i = JBl 2000, 47) oder auf die Unterfertigung eines Wohnungseigentumsvertrags (2 Ob 250/03h = SZ 2003/139 = MietSlg 55.609 = wobl 2004/58, 192 = RdW 2004/266, 283). Auch für eine Klage auf Übergabe von Wohnungsschlüsseln besteht der Wahlgerichtsstand nach Abs 3, wenn das Klagebegehren auf die Behauptung gestützt wird, dass die Wohnungsübergabe in den physischen Besitz des Käufers mit der Schüsselübergabe als vollzogen gelte (1 Ob 336/97m = EvBl 1998/75). 326

JN § 92a

2.2 Örtliche Zuständigkeit

Einen ähnlichen Gerichtsstand sieht auch das europäische Zuständig- 4 keitsrecht (dazu Nach § 27a) in Art 6 Z 4 EuGVVO/EuGVÜ/LGVÜ für schuldrechtliche Klagen vor, die mit dinglichen verbunden werden. Näher dazu Simotta in Fasching I § 91 Rz 8 ff und Czernich in Czernich/ Tiefenthaler/Kodek Art 6 Rz 26 f. Gerichtsstand für Besitzstörungsstreitigkeiten § 92. Besitzstörungsklagen (§ 49 Abs 2 Z 4) können, sofern sie nicht eine unbewegliche Sache betreffen, bei dem Gerichte angebracht werden, in dessen Sprengel die Störung erfolgte. [Stammfassung] Lit: Simotta in Fasching I § 92 JN; G. Kodek, Besitzstörung 728 f. Während Klagen wegen einer Besitzstörung an einem unbeweglichen 1 Gut ausschließlich vor den Gerichtsstand der gelegenen Sache gehören (§ 81) und für Wasserrechts-Besitzstörungsstreitigkeiten ausschließlich das Gericht des Störungsortes zuständig ist (§ 82), sind Besitzstörungsklagen betreffend bewegliches Gut (Sachen oder Rechte) beim allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten oder wahlweise bei jenem Gericht einzubringen, in dessen Sprengel die Störung erfolgte. Die internationale Zuständigkeit für Besitzstörungsstreitigkeiten be- 2 treffend bewegliche Sachen ist gem Art 2 EuGVVO/EuGVÜ/LGVÜ gegeben, wenn der Beklagte seinen Wohnsitz in Österreich hat. Außerhalb des Anwendungsbereichs des europäischen Zuständigkeitsrechts richtet sich die internationale Zuständigkeit nach § 27a. Gerichtsstand der Schadenszufügung § 92a. Streitigkeiten über den Ersatz des Schadens, der aus der Tötung oder Verletzung einer oder mehrerer Personen, aus einer Freiheitsberaubung oder aus der Beschädigung einer körperlichen Sache entstanden ist, können auch bei dem Gericht angebracht werden, in dessen Sprengel das den Schaden verursachende Verhalten gesetzt worden ist. [Eingefügt durch ZVN 1983] Lit: Ballon, Die Rechtsprechung in Zuständigkeitsfragen, FS Fasching 62; M. König, Buchungsstornierungen im Fremdenverkehr, RdW 1989, 187; Musger, Grenzüberschreitende Umweltbelastungen im Internationalen Zivilprozeßrecht (1991) 97; Maxl, Produkthaftung, Internationales Zivilprozeßrecht und Internationales Privatrecht, JBl 1992, 156; Lorenz, 327

§ 92a

Mayr

Internationale Zuständigkeit österreichischer Gerichte für Klagen gegen ausländische Produzenten, IPRax 1993, 193; Burgstaller, Prozeßverbindung, Querklage und Interventionsklage, JBl 1994, 69; Zeiler, Neue Zuständigkeitsordnung für medienrechtliche Entschädigungsansprüche, MR 1996, 224; Böhm, Atomhaftung und inländische Gerichtsbarkeit, in BMUJF (Hrsg), Atomare Risken (1997) 60; Frauenberger-Pfeiler, Transnationale Deliktsklagen, ecolex 1997, 74; Thiele, Der Gerichtsstand bei Wettbewerbsverstößen im Internet, ÖJZ 1999, 754; Coester-Waltjen, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeitsverletzungen, FS Schütze (1999) 175; Uhl, Internationale Zuständigkeit gemäß Art. 5 Nr. 3 des Brüsseler und Lugano-Übereinkommens (2000); Lepeska, Immissionen ohne Schranken – grenzenloser Umweltschutz? RdU 2001, 50; Kerschner, Abwehrklagen gegen grenznahe Atomkraftwerke, RdU 2003, 128; Tiefenthaler/Hanusch, Internationale Zuständigkeit für vorbeugende Immissionsabwehrklagen, ecolex 2004, 330; Hadeyer, Nochmals zur Zuständigkeit bei grenzüberschreitenden Unterlassungsklagen, ecolex 2004, 828; Stadler, Vertraglicher und deliktischer Gerichtsstand im europäischen Zivilprozessrecht, FS Musielak (2004) 569; Hager/Hartmann, Internationale Zuständigkeit für vorbeugende Immissionsabwehrklagen, IPRax 2005, 266; Schack, Abwehr grenzüberschreitender Immissionen im dinglichen Gerichtsstand? IPRax 2005, 262. Simotta in Fasching I § 92a JN; Ballon Rz 62; Fasching Rz 308 f; Mayr/Czernich, EuZPR Rz 151 ff; Rechberger/Simotta Rz 81/5 und 130. Inhaltsübersicht Anspruchsarten und Voraussetzungen Anknüpfungspunkte/ Zuständigkeit

1

Ähnliche Gerichtstände Internationale Zuständigkeit Art 5 Z 3 EuGVVO

3 4 5–6

2

1 Weder dem Gesetzestext noch den Materialien (669 BlgNR 15. GP 38 f) ist – wie die hRsp (OLG Wien WR 222/1986; SZ 63/105 = RdW 1991, 147; SZ 67/189 = AnwBl 1995, 581 = HS 25.772 = ZfRV 1995/17, 156) und Ballon (FS Fasching 62) richtig ausführen – eine Einschränkung des Gerichtsstandes auf deliktische Schadenersatzansprüche zu entnehmen, er gilt daher grundsätzlich auch für Schadenersatzansprüche aus Vertragsverletzungen (aM allerdings Fasching Rz 308). Voraussetzung ist aber jedenfalls, dass der Schaden aus der Tötung oder Verletzung einer oder mehrerer Personen (etwa 1 Ob 298/02h = RdW 2003/380, 450), aus einer Freiheitsberaubung oder aus der Beschädigung einer körperlichen Sache (§§ 1325 bis 1329 sowie 1331 und 1332 ABGB) entstanden ist (SZ 64/123 = RdW 1992, 112; HS 24.756 = RdW 1994, 177 = ZfRV 1994/11, 72). Damit scheidet eine Anwendung des § 92a aus, wenn nur 328

JN § 92a

2.2 Örtliche Zuständigkeit

reine Vermögensschäden wegen Vertragsverletzung (ohne Beschädigung einer körperlichen Sache) geltend gemacht werden (vgl OLG Wien EvBl 1990/65), wenn eine körperliche Sache (ohne Beschädigung) an sich mangelhaft war (SZ 64/124 = RdW 1992, 112) oder auch bei einer (bloßen) Entziehung der Verfügungsmacht über eine körperliche Sache (EvBl 1992/147 = RZ 1993/79, 212 = ZfRV 1992/53, 384) oder wenn auf Einhaltung eines außergerichtlichen Vergleichs über einen Schadenersatzanspruch geklagt wird (EFSlg 79.090). Auch Ersatzansprüche aus der Nichterfüllung eines Gastaufnahmevertrags (Pensionsvertrag) betreffen keinen Schaden iSd § 92a (EvBl 1992/8 = JBl 1992, 331 = ZfRV 1991/36, 470; vgl M. König, RdW 1989, 189). Für den Fall einer positiven Vertragsverletzung (Begleitschaden, Mängelfolgeschaden) ist der (Wahl-)Gerichtsstand der Schadenszufügung hingegen anwendbar (OLG Wien WR 222/1986; SZ 63/105 = RdW 1991, 147; vgl SZ 64/123 = RdW 1992, 112); ebenso wie für Schadenersatzansprüche aus Gefährdungshaftung (zB Produkthaftung) oder für nachbarrechtliche Ansprüche nach §§ 364a und 364b ABGB (10 Ob 7/05k = EvBl 2005/142 = JBl 2005, 588 = EFSlg 111.808). Er steht nicht nur dem Geschädigten, sondern auch dem Legalzessionar nach § 158f VersVG zur Verfügung (OLG Wien WR 272/1986; SZ 63/105). Zuständig ist nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes im Zusammen- 2 halt mit den ErlRV (669 BlgNR 15. GP 39) (nur) jenes Gericht, in dessen Sprengel das schadensverursachende Verhalten gesetzt worden ist. Im Falle einer Unterlassung ist dies jener Ort, wo zu handeln gewesen wäre (2 Ob 308/02m). Bei einem Auseinanderfallen von Handlungs- und Erfolgsort ist somit der Ort, an dem der Schaden eingetreten ist, ohne Bedeutung (OLG Innsbruck EvBl 1987/188; EvBl 1992/138 = JBl 1992, 655 = ecolex 1992, 629 = IPRax 1993, 187 [dazu Lorenz, IPRax 1993, 193] = ZfRV 1993/6, 32). Fasching (Rz 308) lehrt hingegen, dass bei Distanzhandlungen sowohl der Ort der Einleitung der Handlung als auch der Ort, in welchem die Handlung den Schaden verursachte, zuständigkeitsbegründend seien. Dies kann jedoch nach Ansicht des OLG Innsbruck (EvBl 1987/ 67) – wenn überhaupt – nur dann gelten, wenn die Verursachung des Schadens am entfernten Ort beabsichtigt war, also nicht bei Fernwirkungen unbeabsichtigter technischer Pannen ausländischer Kernkraftwerke. Auch Simotta (in Fasching I § 92a Rz 9; ebenso Rechberger/ Simotta Rz 130) vertritt die Auffassung, dass § 92a analog zu Art 5 Z 3 EuGVVO/EuGVÜ/LGVÜ (dazu unten Rz 5) dahingehend ausgelegt werden muss, dass dem Kläger ein Wahlrecht zwischen dem Forum am Handlungsort und dem Forum am Erfolgsort eingeräumt wird (vgl 329

§ 92a

Mayr

bereits Maxl, JBl 1992, 158 ff). Dieser Meinung ist der OGH jedoch zu Recht nicht gefolgt (9 Ob 130/03p; 2 Ob 157/04h = JBl 2005, 260 = ecolex 2004/406, 860 [zust Mayr]).

3 Ähnliche Gerichtsstände außerhalb der JN (vgl §§ 81, 82, 92) sehen (trotz der Einführung des § 92a) vor: – § 20 EKHG für Klagen nach diesem Gesetz (auch) bei dem Gericht, in dessen Sprengel sich der Unfall ereignet hat. Bei diesem Gericht können auch anderweitige aus dem Schadensfall abgeleitete Klageansprüche gegen den Betriebsunternehmer oder den Halter oder einen sonst Ersatzpflichtigen erhoben werden. Diese Bestimmung gilt gem § 10 Abs 2 RohrleitungsG (BGBl 1975/411) sinngemäß für Schadenersatzklagen nach dem zit Gesetz. Ebenso ist für Klagen nach dem RHPflG und dem LuftfahrtG (auch) das Gericht zuständig, in dessen Sprengel sich der Unfall ereignet hat (Art V EVzRHPflG bzw § 160 LFG idF BGBl I 1997/102). – Das AtomHG 1999 normiert in seinem § 22 Abs 2 für einschlägige Klagen (und Anträge auf Erlassung einstweiliger Verfügungen) einen Wahlgerichtsstand (anders früher § 42 AtomHG) sowohl bei jenem Gerichtshof, in dessen Sprengel der Schaden verursacht als auch wo er eingetreten ist (s dazu die Erwägungen der EB 1357 BlgNR 20. GP 10 f, 33 f). Dies stellt eine wesentliche Abweichung vom internationalen Atomhaftungsrecht dar, die eine Vielzahl von schwierigen Problemen aufwirft. Näher dazu Hinteregger/Kissich, AtomHG 1999 (2004) § 22 Rz 4 ff. – Nach § 57 Abs 2 ForstG ist für Klagen auf Grund von forstschädlichen Luftverunreinigungen auch das Gericht zuständig, in dessen Sprengel die Immissionsschäden aufgetreten sind (Wahlgerichtsstand). – § 9 AHG und § 9 Abs 3 PolBefEntschG normieren hingegen einen ausschließlichen Gerichtsstand (nach hM kein Zwangsgerichtsstand s Vor § 76 Rz 2 oder Mader in Schwimann, Praxiskommentar VIII § 9 AHG Rz 2) bei jenem LG, in dessen Sprengel die Rechtsverletzung begangen wurde (vgl auch § 12 Abs 1 StEG 2005 und § 192 Abs 1 FinStrG).

4 Die Frage, ob der Gerichtsstand der Schadenszufügung iSd (früheren) Indikationentheorie eine für die Begründung der „inländischen Gerichtsbarkeit“ iSd internationalen Zuständigkeit (jedenfalls) ausreichende Nahebeziehung zum Inland repräsentiert, kann seit der Einfügung des § 27a in die JN dahingestellt bleiben (dazu früher OLG Linz EvBl 1987/180; SZ 67/189 = ZfRV 1995/17, 156; SZ 68/19 = EvBl 1995/ 137 = JBl 1995, 595 = RdW 1995, 219 = ZfRV 1995/29, 207). Sind 330

JN § 92a

2.2 Örtliche Zuständigkeit

nämlich die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit nach § 92a in Österreich erfüllt, ist auch die internationale Zuständigkeit („inländische Gerichtsbarkeit“) der österreichischen Gerichte gegeben. Der bereits im Brüsseler und im Luganer Übereinkommen bestehende 5 (Wahl-)Gerichtsstand für außervertragliche Schadenersatzansprüche wurde in geringfügig modifizierter Form (betreffend vorbeugende Unterlassungsklagen; s unten) von Art 5 Z 3 EuGVVO übernommen. Durch diesen praktisch bedeutsamen Gerichtsstand kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates hat, in einem anderen Mitgliedstaat geklagt werden, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden. Klagen aus „unerlaubten Handlungen“ werden vom EuGH als solche definiert, „mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird und die nicht an einen ‚Vertrag‘ iSd Art 5 Z 1 anknüpfen“ (EuGH Slg 1988, 5565 Kalfelis/Schröder; ebenso etwa 9 NdA 4/97 = JBl 1998, 392; 4 Ob 122/03z = ecolex 2004/59, 119 = RdW 2004/71, 94 = ZfRV-LS 2003/77, 226; vgl auch RS0115357). Für Schadenersatzansprüche aus einem Vertrag kommt also (nur) der Gerichtsstand nach Art 5 Z 1 (und nicht nach Z 3) zur Anwendung (2 Ob 208/98x = ZfRV 1999/8, 23; 2 Ob 220/00t = ZfRV 2001/34, 111), und zwar auch dann, wenn sich der Kläger auf die Verletzung eines strafgesetzlichen Tatbestands berufen hat (9 Ob 2/05t). In den Anwendungsbereich des Art 5 Z 3 fallen insb alle Schadenersatzansprüche nach §§ 1293 ff ABGB (7 Nc 45/04h), weiters Straßenverkehrsunfälle, Umweltbeeinträchtigungen, Kartellverstöße, unlauterer Wettbewerb, Verletzung von Immaterialgüterrechten (7 Ob 291/02y = ZfRV-LS 2003/48, 148), Schädigungen durch fehlerhafte Produkte, Schutzgesetzverstöße und auch reine Produkthaftungsansprüche (7 Ob 132/00p = JBl 2001, 185), Ansprüche aus der Verletzung von Markenrechten (4 Ob 110/01g = EvBl 2001/194 = ecolex 2001/318, 849 [Schönherr] = RdW 2001/752, 737 = ZfRV 2002/8, 24) und Urheberrechten (4 Ob 347/98b = ZfRV 2000, 156) sowie aus culpa in contrahendo, sofern es zu keinem Vertrag gekommen ist (EuGH Slg 2002, I-7357 Tacconi/HWS). Einer unerlaubten Handlung sind etwa Ansprüche aus der Gefährdungshaftung gleichgestellt, nicht dagegen Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung (7 Ob 375/97s = JBl 1998, 515). Die Bestimmung ist also nicht auf Personen- und Sachschäden beschränkt, sondern erfasst auch Ansprüche auf den Ersatz reiner Vermögensschäden (zuletzt etwa 2 Ob 106/04h). Dass auch vorbeugende Unterlassungsklagen vom Anwendungsbereich des Art 5 Z 3 mit umfasst sind, war von der hM bereits im Anwendungsbereich des EuGVÜ anerkannt, wurde jetzt aber durch die 331

§ 92b

Mayr

Anfügung der Worte „ … oder einzutreten droht“ im Rahmen der EuGVVO auch legistisch klargestellt (s auch EuGH Slg 2002, I-8111 VKI/Henkel [Verbandsklage auf Untersagung der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden]). Zur Immissionsabwehrklage s jüngst EuGH Rs C-343/04, Oberösterreich/CEZ (s auch oben § 81 Rz 8).

6 Örtlich zuständig ist das „Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht“. Bei der Auslegung dieser Bestimmung folgen der EuGH und die hM der sog Ubiquitätstheorie, nach welcher sowohl der Handlungs- als auch der Erfolgsort umfasst wird (EuGH Slg 1976, 1735 Bier/Mines de Potasse; 4 Ob 122/03z = ZfRV-LS 2003/77, 226; RS0115357; Frauenberger-Pfeiler, ecolex 1997, 76; Czernich in Czernich/Tiefenthaler/Kodek Art 5 Rz 81 ua). Diese Ansicht führt freilich oft zu einem Klägergerichtsstand, weil der Schadenseintrittsort in der Regel der Ort ist, an dem die Vermögensverminderung eingetreten ist. Diese Folgewirkungen der Auslegung werden allerdings dadurch eingeschränkt, dass die Sonderzuständigkeit nur zugunsten des unmittelbar Geschädigten angewendet wird und der Eintritt eines reflexartigen Folgeschadens in einem weiteren Staat in diesem Staat nicht (nochmals) zuständigkeitsbegründend wirkt. Es kommt vielmehr allein darauf an, wo der Schaden zuerst aufgetreten ist (EuGH Slg 1995, I-2719 Mariani/Lloyds Bank; 4 Ob 146/04f = EvBl 2005/24 = RdW 2005/48, 31). Art 5 Z 3 wird allerdings nicht schon deshalb am Ort des Klägerwohnsitzes als Ort des Mittelpunkts seines Vermögens begründet, weil dem Kläger durch Verlust von Vermögensbestandteilen in einem anderen Vertragsstaat ein finanzieller Schaden entstanden ist (EuGH Rs C-168/02, Kronhofer/Maier, wbl 2004, 329/ 161; österreichische Folgeentscheidung 4 Ob 149/04x = EvBl 2005/61; vgl auch 5 Ob 188/03p und 7 Ob 135/05m). Für ehrenrührige Äußerungen in Medien (Pressedelikte) gilt die Besonderheit, dass außerhalb des Wohnsitzstaates des Herausgebers nur jener Teil des Schadens eingeklagt werden kann, der dort tatsächlich eingetreten ist (sog Mosaiktheorie; EuGH Slg 1995, I-415 Shevill/Press Alliance). Streitigkeiten aus dem Gesellschaftsverhältnis § 92b. Die im § 51 Abs 1 Z 6 genannten Streitigkeiten, mit Ausnahme von Klagen gegen Dritte, können bei dem Gericht des Ortes angebracht werden, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat. [Eingefügt durch ZVN 1983] Lit: Simotta in Fasching I § 92b JN; Fasching Rz 307. 332

JN § 93

2.2 Örtliche Zuständigkeit

Diese Bestimmung eröffnet einen Wahlgerichtsstand für die in § 51 1 Abs 1 Z 6 genannten Streitigkeiten aus dem Gesellschaftsverhältnis bei jenem (sachlich zuständigen) Gericht, in dessen Sprengel die Gesellschaft ihren Sitz (§ 75) hat und dient somit der Konzentration von gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten bei einem Gericht. Die sachliche und örtliche Zuständigkeit stimmen grundsätzlich überein, ausdrücklich ausgenommen von der örtlichen Wahlzuständigkeit sind lediglich Klagen der Gesellschaft oder der in § 51 Abs 1 Z 6 genannten Personen gegen Dritte; hier gilt der allgemeine Gerichtsstand des Beklagten und kein Aktivgerichtsstand. Die örtliche Wahlzuständigkeit gilt – ebenso wie die sachliche Zuständigkeit – auch nach Auflösung der Gesellschaft weiter (RdW 1989, 366). Im Anwendungsbereich des europäischen Zuständigkeitsrechts ist die 2 internationale Zuständigkeit Österreichs dann gegeben, wenn die beklagte Partei ihren Wohnsitz (Sitz) in Österreich hat (Art 2 EuGVVO/ EuGVÜ/LGVÜ). Außerhalb davon begründet § 92b iVm § 27a die internationale Zuständigkeit Österreichs (s schon früher ecolex 1994, 773 = HS 25.773 = wbl 1994, 313 = ZfRV 1994, 166). Eine Vereinbarung der internationalen Zuständigkeit („inländischen Gerichtsbarkeit“) bzw eine Heilung des Fehlens dieser Prozeßvoraussetzung durch rügelose Einlassung ist in diesen Rechtssachen aber nach § 104 Abs 4 ausgeschlossen. Gerichtsstand der Streitgenossenschaft § 93. (1) Mehrere Personen, welche ihren allgemeinen Gerichtsstand vor verschiedenen Gerichten haben, können als Streitgenossen, sofern nicht für den Rechtsstreit ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand begründet ist, vor jedem inländischen Gerichte geklagt werden, bei welchem einer der Streitgenossen oder, wenn sich unter ihnen Haupt- und Nebenverpflichtete befinden, einer der Hauptverpflichteten seinen allgemeinen Gerichtsstand hat, es sei denn, daß das Gericht auch durch Vereinbarung der Parteien nicht zuständig gemacht werden kann. (2) Aus einem Wechsel verpflichtete Personen können als Streitgenossen beim Gerichte des Zahlungsortes geklagt werden. [Abs 1 idF 1. GEN] Lit: M. Roth, Neuerungen der Zivilverfahrensnovelle 1983 im Bereich der Klagenhäufung, BeitrZPR II (1986) 209; Schumacher, Der Gerichtsstand des Wechselzahlungsortes, RdW 1988, 416; König, Zur Prüfungs333

§ 93

Mayr

pflicht beim Gerichtsstand der Streitgenossenschaft (Art 6 Z 1 LGVÜ/ EuGVÜ), RZ 1997, 240; Mankowski, Die österreichischen Gerichtsstände der Streitgenossenschaft, des Vermögens und der inländischen Vertretung mit Blick auf das Lugano-Übereinkommen, IPRax 1998, 122; Simotta, Der Verbraucher als Streitgenosse – § 14 Abs 1 KSchG versus § 93 Abs 1 JN, FS Sprung (2001) 359; Schurig, Der Konnexitätsgerichtsstand nach Art 6 Nr 1 EuGVVO und die Verschleifung von örtlicher und internationaler Zuständigkeit im europäischen Zivilverfahrensrecht, FS Musielak (2004) 493. Simotta in Fasching I § 93 JN; Ballon Rz 117; Fasching Rz 304; Holzhammer 58; Mayr/Czernich, EuZPR Rz 161 ff; Rechberger/Simotta Rz 132 f und 81/8.

1 Bilden mehrere Personen, die ihren allgemeinen Gerichtsstand vor verschiedenen Gerichten haben, eine (passive) materielle Streitgenossenschaft iSd § 11 Z 1 ZPO (oder eine einheitliche Streitpartei nach § 14 ZPO), nicht aber eine bloß formelle Streitgenossenschaft nach § 11 Z 2 ZPO (Ausnahme § 83c Abs 2), so können sie gemeinsam beim Wahlgerichtsstand der Streitgenossenschaft geklagt werden (hM, etwa Simotta in Fasching I § 93 Rz 1; Fasching Rz 304 oder SZ 60/277 = JBl 1989, 48 uva). Jede Solidarverpflichtung reicht also aus (s § 11 Z 1 dritter Fall ZPO), um die verpflichteten Personen gemeinsam als Streitgenossen klagen zu können (3 Ob 514, 515/94 = IPRax 1998, 111 [122: Mankowski] = ZfRV 1996/35, 159 ua), wobei Solidarschuld keineswegs bedeutet, dass die gemeinsame Schuld aus demselben Rechtsgrund entstanden ist. Sie kann auch aus jeweils verschiedenen, bei den einzelnen Verpflichteten vorliegenden Rechtsgründen entstehen (7 Ob 148/02v = ecolex 2003/ 72, 171 = RdW 2003/222, 270; 6 Ob 174/02k = RdW 2003/123, 144 ua). Ob die Voraussetzungen für eine (materielle) Streitgenossenschaft vorliegen, ist nach den Klagsangaben (§ 41 Abs 2) zu beurteilen (Neumann I 231; Pollak 333; JBl 1980, 430; SZ 56/162 = EvBl 1984/55; 6 Ob 316/02t = EvBl 2003/110; s auch unten Rz 4). Maßgebend ist der Zeitpunkt der Klageeinbringung, danach tritt perpetuatio fori (§ 29) ein (6 Ob 208/02k; Simotta in Fasching I § 93 Rz 4). Für die sachliche Zuständigkeit ist die Streitwertberechnung nach § 55 Abs 1 Z 2 (bei Solidarhaftung aber nur der einfache Anspruch) maßgebend.

2 Der Gerichtsstand ist (nur) dort begründet, wo einer der Streitgenossen bzw – bei Haupt- und Nebenverpflichteten – einer der Hauptverpflichteten seinen allgemeinen Gerichtsstand hat; also nicht bei einem nur gegenüber einem einzelnen Streitgenossen bestehenden Wahl- (SZ 7/ 149) oder vereinbarten Gerichtsstand (OLG Wien EvBl 1935/734). 334

JN § 93

2.2 Örtliche Zuständigkeit

Allerdings muss § 77 als allgemeiner Gerichtsstand des Nachlasses angesehen werden (ZBl 1937/81; JBl 1957, 321; s auch § 77 Rz 2). Voraussetzung ist allerdings, dass für sie alle kein „gemeinschaftlicher besonderer“, also ausschließlicher (etwa §§ 81, 83), gewählter (etwa §§ 87, 88, 92a) oder vereinbarter Gerichtsstand besteht (9 Ob 253/ 02z = RdW 2003/380, 450 ua; RS0117202). Nur dann, wenn dieser besondere Gerichtsstand nicht allen Beklagten gemeinsam ist, kann (trotz seines Vorhandenseins) der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft angerufen werden (EvBl 1973/91; LGZ Wien WR 223/1986). § 93 kommt zB auch bei einer Ehenichtigkeitsklage des Staatsanwalts zur Anwendung, weil nach neuerer Rsp hier der besondere Gerichtsstand des § 76 nicht einschlägig ist (4 Ob 39/00i = SZ 73/27 = JBl 2000, 804 = EvBl 2000/126; RS0113167; s auch § 76 Rz 1). Bedingung ist ferner, dass das angerufene Gericht für die mitbeklagten 3 Streitgenossen nicht unprorogabel unzuständig ist (Prorogabilitätsklausel). Es können daher sowohl Kaufleute (Unternehmer) zusammen mit einem Nichtkaufmann als materielle Streitgenossen vor dem allgemeinen Gericht in Anspruch genommen werden (SZ 7/34) als auch Nichtkaufleute zusammen mit einem Kaufmann (Unternehmer) vor dem Kausalgericht (6 Ob 316/02t = EvBl 2003/110; HG Wien WR 255/ 1986; vgl auch für eine auf § 111 KO gestützte Klage: JBl 1995, 260 = ZIK 1995, 57). Die bisher hM vertrat die Ansicht, dass der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft nach Abs 1 gegen Verbraucher nur mit der Beschränkung des § 14 Abs 1 KSchG begründet werden kann (so etwa 5 Ob 525/ 90 = JUS extra Z/447 = NRsp 1990/158; 8 Ob 108/00s; HG Wien WR 53/1984; OLG Wien WR 256/1986; anders Jelinek in Krejci, Handbuch 885 f und Roth, BeitrZPR II 233 ff). Nach der eingehenden Untersuchung von Simotta (FS Sprung 359 ff) kann dieser Auffassung aber nicht länger gefolgt werden (s auch Simotta in Fasching I § 93 Rz 8 und Vor §§ 83a und 83b Rz 55). Für einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 387 Abs 2 EO gegen mehrere Antragsgegner kann der Gerichtsstand des § 93 nicht angewendet werden (SZ 59/128 = JBl 1987, 115 = IPRax 1988, 33 = ÖBA 1986, 486 = RdW 1986, 341). Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft setzt nicht voraus, dass alle 4 Beklagten ihren allgemeinen Gerichtsstand vor einem inländischen Gericht haben. Durch § 27a ist nunmehr klargestellt (s früher SZ 56/162 = EvBl 1984/55; SZ 59/205 = IPRax 1988, 246 [255: Hoyer] = ZfRV 1988, 134; SZ 60/277 [zust Pfersmann, ÖJZ 1991, 123 f] = JBl 1989, 48 [zust Schwimann] = RdW 1989, 67; ZfRV 1996/35, 159 = IPRax 1998, 111 335

§ 93

Mayr

[122: Mankowski]), dass auch für einen ausländischen Streitgenossen (mit Wohnsitz außerhalb des Anwendungsbereichs des europäischen Zivilprozessrechts, s unten Rz 6) – sofern die Voraussetzungen des § 93 erfüllt sind – jedenfalls die internationale Zuständigkeit („inländische Gerichtsbarkeit“) Österreichs besteht (ebenso Simotta in Fasching I § 93 Rz 30; 7 Ob 148/02v = ecolex 2003/72, 171 = RdW 2003/222, 270 und RS0045425). Freilich muss das angerufene Gericht durch Parteienvereinbarung auch international zuständig gemacht werden können (s § 104 Abs 4). Die Prüfung der Zuständigkeitsvoraussetzungen des § 93 erfolgt auch dann (nur) nach den zuständigkeitsbegründenden Angaben in der Klage, wenn es um die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts geht (s sonst oben Rz 1 und generell § 41 Rz 3). Die insofern früher abweichende Judikatur (3 Ob 639/86 = SZ 60/277 = JBl 1989, 48) hat der OGH nach der Einführung des § 27a im Anschluss an die in der Vorauflage vertretenen Meinung (vgl auch Mayr, JBl 2001, 155) ausdrücklich abgelehnt (6 Ob 174/02k = ÖJZ-LSK 2003/34 = RdW 2003/ 123, 144 = ZfRV-LS 2003/32, 98).

5 Mehrere aus einem Wechsel (oder Scheck: Art 59a SchG) verpflichtete Personen können nach Abs 2 beim Gericht des Zahlungsortes (§ 89) geklagt werden. Seit der Erweiterung des § 11 Z 1 ZPO durch die ZVN 1983 bilden mehrere Wechselschuldner allerdings (ohnehin) regelmäßig eine materielle Streitgenossenschaft, für die grundsätzlich Abs 1 anzuwenden wäre. Nach Aussage der Materialien (669 BlgNR 15. GP 45) wurde der Abs 2 aber deshalb aufrechterhalten, um an der „herrschenden Ansicht“ nichts zu ändern, dass der Abs 2 – soweit die Berufung auf ihn zulässig ist – die Anwendung des Abs 1 ausschließt. Der Abs 1 steht also zum Abs 2 im Verhältnis der Subsidiarität, er kann nur in Anspruch genommen werden, wenn nicht Abs 2 greift (Roth, BeitrZPR II 232 f; Schumacher, RdW 1988, 418; 8 Ob 108/00s). Der Gerichtsstand nach Abs 2 (nicht aber jener nach Abs 1: s oben Rz 3) kann gem § 14 KSchG (dazu Vor § 83a) nur bei dem Gericht begründet werden, in dessen Sprengel der beklagte Verbraucher seinen allgemeinen Gerichtsstand hat.

6 Gem Art 6 Z 1 EuGVVO/EuGVÜ/LGVÜ (dazu Nach § 27a) können mehrere Personen zusammen vor jenem Gericht beklagt werden, in dessen Sprengel einer der Beklagten seinen Wohnsitz (und nicht einen anderen Gerichtsstand: 6 Ob 67/05d) hat. Ob dieser Gerichtsstand auch dann zur Anwendung kommt, wenn einer der Beklagten seinen (Wohn-) Sitz in einem Drittstaat hat, ist zweifelhaft und in der Lit umstritten, müsste jedoch nach dem Wortlaut der Bestimmung verneint werden 336

JN § 94

2.2 Örtliche Zuständigkeit

(vgl etwa Kropholler Art 6 Rz 7; Geimer/Schütze Art 6 Rz 4 ff; Leible in Rauscher, EuZPR Art 6 Rz 7 oder Czernich in Czernich/Tiefenthaler/ Kodek Art 6 Rz 6). Voraussetzung ist aber jedenfalls, dass zwischen den geltend gemachten Ansprüchen ein so enger Zusammenhang besteht, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um widersprechende Entscheidungen zu vermeiden (dazu zuletzt 5 Ob 188/03p = RdW 2005/49, 31). Dieses Erfordernis eines Zusammenhangs wurde von der hM bereits für das EuGVÜ und LGVÜ aufgestellt (s etwa 7 Ob 29/01t = ZfRV 2002/7, 23) und nunmehr – im Anschluss an die Formulierung des Art 28 Abs 3 EuGVVO (bzw Art 22 Abs 3 EuGVÜ/LGVÜ) – ausdrücklich in den Art 6 Z 1 EuGVVO aufgenommen. Da der erforderliche Sachzusammenhang autonom zu bestimmen ist, ist es grundsätzlich irrelevant, welche Art der Streitgenossenschaft nach nationalem Recht vorliegt (s etwa Czernich in Czernich/ Tiefenthaler/Kodek Art 6 Rz 13). Für die Prüfung der Zuständigkeit ist die Schlüssigkeit der Klagsangaben („doppelrelevante Tatsachen“) ausreichend (s auch Kropholler Art 25 Rz 5), ob der geforderte Zusammenhang tatsächlich vorliegt, ist grundsätzlich erst im Hauptverfahren zu entscheiden (etwa 5 Ob 188/03p; RS0116404; OLG Wien JBl 1999, 259). Darüberhinaus ist es einhellige Meinung (s etwa Simotta in Fasching I § 93 Rz 23), dass der in Art 6 Z 2 EuGVVO/EuGVÜ/LGVÜ ausdrücklich vorgesehene Missbrauchsschutz, wonach die Zuständigkeit nicht gegeben ist, wenn die Klage nur erhoben worden ist, um diese Personen dem für sie zuständigen Gericht zu entziehen, auch für den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft nach Art 6 Z 1 gilt. Siehe dazu auch die Vorlagefrage des OGH 9 Ob 95/04t = RdW 2005/473, 430 = ZIK 2005/115, 111. Gerichtsstand des Hauptprozesses § 94. (1) Klagen, womit ein Anspruch auf eine Sache oder ein Recht geltend gemacht wird, über welchen zwischen anderen Personen ein Rechtsstreit anhängig ist (Hauptintervention), können bis zur rechtskräftigen Entscheidung dieses Prozesses bei demselben Gerichte angebracht werden. (2) Klagen der Prozeß- und Zustellungsbevollmächtigten wegen Gebühren und Auslagen können beim Gerichte des Hauptprozesses angebracht werden. [Stammfassung] Lit: Burgstaller, Prozeßverbindung, Querklage und Interventionsklage, JBl 1994, 69; Mansel, Gerichtspflichtigkeit von Dritten: Streitverkündung und Interventionsklage (Deutschland), in Bajons/Mayr/Zeiler, 337

§ 94

Mayr

Übereinkommen 117; Loimer, Grundsätzliches zur grenzüberschreitenden Durchsetzung von zivilrechtlich begründeten Honoraransprüchen gegen den eigenen Mandanten nach EuGVÜ bzw LGVÜ, AnwBl 1996, 661; Thiele, Erfüllungsort und Honorarklagen österreichischer Anwälte nach Art 5 EuGVÜ/LGVÜ, AnwBl 2000, 258. Simotta in Fasching I § 94 JN; Fasching Rz 305; Holzhammer 59; Mayr/Czernich, EuZPR Rz 166 f.

1 Eine Hauptinterventionsklage (s § 16 ZPO) kann bis zur rechtskräftigen Erledigung des Hauptprozesses bei diesem Gericht bzw – wenn sich der Hauptprozess bereits in der Rechtsmittelinstanz befindet – beim Gericht erster Instanz des Hauptprozesses eingebracht werden (individuelle Wahlzuständigkeit). Maßgeblich ist, dass im Zeitpunkt der Einbringung der Hauptinterventionsklage der Hauptprozess beim angerufenen Gericht (bereits) (streit-)anhängig ist (bzw war) und noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist. Wird diese Anhängigkeit später beseitigt, so hat dies keinen Einfluss auf die eingebrachte Hauptinterventionsklage (Simotta in Fasching I § 94 Rz 5).

2 Prozessbevollmächtigte (§§ 26 ff ZPO; nicht nur Rechtsanwälte) und Zustellungsbevollmächtigte (§§ 97, 99 ZPO; §§ 9, 10 ZustG) können gem Abs 2 Klagen auf Ersatz ihrer Honorare und Auslagen (auch noch nach rechtskräftiger Entscheidung des Hauptverfahrens) bei dem Gericht anhängig machen, bei welchem jenes Verfahren, aus dem die Vertretungskosten entstanden sind (auch Exekutionsverfahren: GlUNF 7361), anhängig ist bzw (in erster Instanz) anhängig gewesen ist (individuelle Wahlzuständigkeit). Dies gilt auch, wenn der Hauptprozess vor dem ASG stattgefunden hat (ÖJZ-LSK 1997/231 = DRdA 1997, 407; s auch Kuderna 113). Für Kosten, die im Zusammenhang mit der Vertretung vor Verwaltungsbehörden entstanden sind, kann § 94 Abs 2 daher nicht angewendet werden (vgl SZ 58/109 = JBl 1986, 191). Nach dem Sinn des Gesetzes muss diese Zuständigkeit auch dem Mandanten für seine Feststellungsklage über denselben Prozessgegenstand zur Verfügung stehen (so auch Pollak 267, 336). Unter Auslagen sind nur die durch die Prozessführung verursachten Barauslagen, nicht aber etwa Beträge zu verstehen, die der Anwalt für die Bezahlung von Schulden seines Klienten aufgewendet hat (SZ 29/40). Der Gerichtsstand gilt nur für Klagen des Bevollmächtigten gegen die eigene Partei, nicht aber für Klagen des Bevollmächtigten (oder der Partei) gegen den (ehemaligen) Prozessgegner (OLG Wien EvBl 1948/304). Er kann auch nicht für den Kostenanspruch des Rechtsanwalts gegen seinen Substituten herangezogen werden (LGZ Wien AnwMitt 1933, 29). 338

JN § 95

2.2 Örtliche Zuständigkeit

Dieser Gerichtsstand für Honorarklagen wird durch das KSchG nicht beschränkt (s dazu Vor § 83a), was insofern von Bedeutung ist, als Rechtsanwälte im Verhältnis zu ihren Klienten als Unternehmer (iSd § 1 KSchG) anzusehen sind (SZ 54/74 = EvBl 1981/233 = RZ 1981/67, 253). Zur (sachlichen) Zuständigkeit und zur Besetzung s § 95. Die inter- 3 nationale Zuständigkeit Österreichs richtet sich (außerhalb des Anwendungsbereichs des europäischen Zivilprozessrechts) nach § 27a. Das europäische Zivilprozessrecht (dazu Nach § 27a) kennt keine eige- 4 nen Zuständigkeitsvorschriften für die Hauptinterventionsklage und für Klagen der Prozess- und Zustellungsbevollmächtigten. Die internationale Zuständigkeit Österreichs ist daher – soweit kein besonderer Gerichtsstand nach Art 5 ff EuGVVO/EuGVÜ/LGVÜ eingreift – dann gegeben, wenn die beklagte Partei ihren Wohnsitz bzw Sitz in Österreich hat (Art 2 EuGVVO/EuGVÜ/LGVÜ). Eine Klage auf Gewährleistung oder eine Interventionsklage (di eine „Streitverkündung in Klageform“; dazu Czernich in Czernich/ Tiefenthaler/Kodek Art 6 Rz 16 ff oder Burgstaller/Neumayr in Burgstaller/Neumayr, IZVR Art 6 Rz 9 ff) kann gem Art 6 Z 2 EuGVVO/ EuGVÜ/LGVÜ auch vor dem Gericht des Hauptprozesses erhoben werden. Diese Zuständigkeit kann allerdings nach Art 65 EuGVVO (bzw Art V des Protokolls zum EuGVÜ bzw des Protokolls Nr 1 zum LGVÜ) in Österreich (und in Deutschland) nicht in Anspruch genommen werden. Interventionsentscheidungen anderer Mitglied- (bzw Vertrags-) Staaten müssen freilich in Österreich anerkannt und vollstreckt werden (vgl 3 Ob 31/02h = RdW 2003/77, 90). Andererseits werden auch die Wirkungen der (österreichischen) Streitverkündung nach § 21 ZPO von den anderen Mitgliedstaaten anerkannt. Diese Rechtslage bot einem verstärkten Senat des OGH das entscheidende Argument bei der Beurteilung der Bindungswirkung bei einer Nebenintervention (1 Ob 2123/96d = SZ 70/60 = JBl 1997, 368 [611: Klicka] = ecolex 1997, 422 [Oberhammer] = JAP 1997/98, 41 [Chiwitt-Oberhammer]). § 95. (1) Die in den §§ 91 und 94 bezeichneten Klagen können bei den daselbst benannten Gerichten auch dann angebracht werden, wenn diese Gerichte in Gemäßheit der über die sachliche Zuständigkeit geltenden Bestimmungen zur Entscheidung über den mittels Klage geltend gemachten vermögensrechtlichen Anspruch an sich nicht zuständig wären. (2) Die gemäß § 94 Abs 1 bei einem Gerichtshof erster Instanz angebrachten Klagen und die im § 94 Abs 2 bezeichneten Klagen, 339

§ 96

Mayr

wofern sie vor rechtskräftiger Beendigung des Hauptprozesses bei einem Gerichtshofe erster Instanz angebracht werden, gehören ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes vor den Senat oder Einzelrichter (§ 7a) des Gerichtshofes, vor dem der Hauptprozeß geführt wird. Werden jedoch die im § 94 Abs 2 bezeichneten Klagen erst später bei einem Gerichtshof erster Instanz angebracht, so bleibt für die Besetzung des Gerichtes der Wert des Streitgegenstandes maßgebend. [Abs 2 angefügt durch 2. GEN] Lit: Simotta in Fasching I § 95 JN.

1 Der Gerichtsstand der gelegenen Sache nach § 91 und der Gerichtsstand für Hauptinterventions- und für Kostenklagen nach § 94 bestehen selbst dann, wenn das nach § 81 zuständige Gericht oder das Gericht des Hauptprozesses für die neue Klage nicht sachlich zuständig wäre (so auch OLG Wien AnwBl 1994, 907 [Sitta]).

2 Für Hauptinterventionsklagen und für Klagen der Zustellungs- und Prozessbevollmächtigten, die vor der rechtskräftigen Beendigung des Hauptverfahrens (beim Gerichtshof) anhängig gemacht werden, gilt die gleiche Besetzung wie im Hauptprozess. Für Klagen auf Vertretungskosten, die erst nach Abschluss des Hauptverfahrens beim früheren Gericht eingebracht werden, gelten die normalen Besetzungsvorschriften (also § 7a). Es gilt grundsätzlich das Gerichtshofverfahren, jedoch sind die Vorschriften über das bezirksgerichtliche Mahnverfahren (§ 448 ZPO) anzuwenden. Bei einem Streitwert unter 4.000 € besteht keine Anwaltspflicht (s näher Art XIV EGJN). Gerichtsstand der Widerklage § 96. (1) Bei dem Gerichte der Klage kann eine Widerklage angebracht werden, wenn der mit letzterer geltend gemachte Anspruch mit dem Anspruche der Klage im Zusammenhange steht oder sich sonst zur Kompensation eignen würde, ferner wenn die Widerklage auf Feststellung eines im Laufe des Prozesses streitig gewordenen Rechtsverhältnisses oder Rechtes gerichtet ist, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung über das Klagebegehren ganz oder zum Teile abhängt. (2) Der Gerichtsstand der Widerklage tritt nicht ein, wenn die Zuständigkeit des Gerichtes für den mit der Widerklage geltend gemachten Anspruch oder für eine derartige Feststellungsklage auch durch Vereinbarung der Parteien nicht begründet werden könnte, 340

JN § 96

2.2 Örtliche Zuständigkeit

oder wenn zur Zeit der Anbringung der Widerklage die mündliche Verhandlung über die Klage in erster Instanz bereits geschlossen ist. [Stammfassung] Lit: Jelinek, Gerichtszuständigkeit im Verbraucherprozeß (§ 14 KSchG), in Krejci (Hrsg), Handbuch zum Konsumentenschutz (1981) 859; Heger, Widerklage und Aufrechnung, ZfRV 2003, 171. Simotta in Fasching I § 96 JN; Ballon Rz 289 ff.; Buchegger, PraktZPR I 50; Deixler-Hübner/Klicka Rz 109 f; Fasching Rz 306, 1301 ff; Holzhammer 59, 223 und PraktZPR I 174; Mayr/Czernich, EuZPR Rz 168 f; Rechberger/Simotta Rz 135, 423 ff. Widerklage ist die vom Beklagten gegen den Kläger beim Gericht der 1 Vorklage erhobene Klage, die als stärkstes aktives Verteidigungsmittel des Beklagten zu einem selbständigen Verfahren führt, das jedoch mit dem Vorverfahren zu einer gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden werden kann (s § 187 und § 404 Abs 2 ZPO). Die Fällung eines Teilurteils ist möglich (s § 391 Abs 2 ZPO). Näheres insb bei Simotta in Fasching I Vor § 96 Rz 2 ff. Mit der Widerklage werden der Vorkläger zum Widerbeklagten und der Vorbeklagte zum Widerkläger. Für eine Widerklage müssen folgende materiellen Voraussetzungen al- 2 ternativ vorliegen (vgl 4 Ob 119/92 = JUS Z/1254): – Es muss ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen Klage und Widerklage bestehen (Konnexität), dh der Anspruch der Widerklage muss zumindest teilweise aus dem gleichen Tatsachenkomplex oder aus dem gleichen Rechtsgrund abgeleitet werden können. Es genügt ein tatsächlicher, selbst bloß wirtschaftlicher Zusammenhang (Fasching Rz 1304; Rechberger/Simotta Rz 423/5; EvBl 1979/138; JBl 1989, 58 = RdW 1989, 68; 4 Ob 564/94 = RdW 1995, 181 ua). Ebenso wie bei der Zusammenrechnung nach § 55 Abs 1 (dazu § 55 Rz 2) liegt der geforderte enge Zusammenhang aber nicht vor, wenn bloß gleichartige Ansprüche erhoben werden, die zwar nach derselben Norm zu beurteilen sind, aber weder aus einer gemeinsamen Tatsache noch aus einem gemeinsamen Rechtsgrund abgeleitet werden (4 Ob 231/98v = SZ 71/160 = EvBl 1999/41). Ob eine Verfahrensverbindung nach § 187 ZPO zweckmäßig wäre oder nicht, hat für die Begründung des Gerichtsstands keine Bedeutung. – Die beiden Ansprüche müssen sich nach den Voraussetzungen der §§ 1438 ff ABGB zur Aufrechnung eignen (Kompensabilität), wobei Kompensabilität mit einem erhobenen Eventualbegehren genügt (4 Ob 564/94 = RdW 1995, 181). 341

§ 96 –

Mayr

Die Widerklage muss gerichtet sein auf Feststellung eines vor oder während des Rechtsstreites über die Klage streitig gewordenen Rechts oder Rechtsverhältnisses, von dem die Entscheidung über die Klage abhängt (Präjudizialität).

3 Zur Begründung des Wahlgerichtsstandes der Widerklage ist ferner kumulativ verlangt, dass – die Parteien der Erst- und der Widerklage ident sind (Parteienidentität). Es muss aber nicht in jedem Fall die Widerklage von sämtlichen Beklagten des Vorprozesses gegen sämtliche Kläger eingebracht werden, bei einer einfachen Streitpartei (§ 11 ZPO) genügt es, wenn die Parteien der Widerklage Parteien eines der mehreren parallel laufenden Rechtsstreite sind (4 Ob 564/94 = RdW 1995, 181); – die Vorklage dem Beklagten (und Widerkläger) bereits zugestellt (also streitanhängig) ist, die mündliche Verhandlung (erster Instanz) über die Vorklage aber noch nicht geschlossen worden ist (Rechtzeitigkeit; s auch § 233 Abs 2 ZPO); und dass – das Gericht der Vorklage für die Widerklage wenigsten durch Parteienvereinbarung (§ 104 Abs 2) zuständig gemacht werden könnte (Prorogabilität). Der Gerichtsstand ist daher ausgeschlossen, wenn für die Widerklage wegen einer abweichenden Eigenzuständigkeit, wegen einer unprorogablen Wertzuständigkeit (s 1 Ob 598/94 = JUS Z/1753), wegen einer örtlichen Zwangszuständigkeit oder wegen der Zuständigkeit des Arbeits- und Sozialgerichts (§ 9 ASGG) nicht das Erstgericht zuständig ist. Eine Heilung der Unzuständigkeit nach § 104 Abs 3 ist jedoch auch hier möglich (Fasching Rz 1305; Ballon Rz 290). Die Vorschrift des § 14 KSchG kann hingegen nach dem Sinn und Zweck dieser Regelungen der Begründung des Gerichtsstands der Widerklage nicht entgegenstehen (Simotta in Fasching I § 96 Rz 5; Fasching Rz 1305; Ballon Rz 290; vgl Jelinek, Gerichtszuständigkeit 885 f). Auch eine Schiedsvereinbarung für die Widerklage hindert nicht die Anrufung dieses Gerichtsstandes, jedoch kann der Widerbeklagte (rechtzeitig) eine diesbezügliche Einrede erheben (s § 584 ZPO).

4 Ist die Widerklage rechtmäßig beim Gericht der Vorklage eingebracht worden, so bleibt dieses weiterhin zuständig, auch wenn die Vorklage zurückgenommen oder zurückgewiesen wird (§ 29; Simotta in Fasching I § 96 Rz 1; vgl LGZ Wien EFSlg 60.711).

5 Nach der Einfügung des § 27a in die JN bewirkt der Gerichtsstand der Widerklage jedenfalls auch die „inländische Gerichtsbarkeit“ (internationalen Zuständigkeit), was früher unter der Geltung der Indikatio342

JN § 97

2.2 Örtliche Zuständigkeit

nentheorie zweifelhaft war (s JBl 1992, 330 [zust Pfersmann] = ÖBA 1991, 831 = RdW 1991, 326 = ZfRV 1991/35, 469; vgl auch JBl 1989, 58 = RdW 1989, 67 und nunmehr 1 Ob 38/03z = SZ 2003/98 = ÖBA 2004, 382 [Apathy]). Das CMR-Übereinkommen (dazu insb § 101 Rz 6) schließt den Gerichtsstand der Widerklage nicht aus, ob dieser vorliegt, ist nach nationalem Recht zu prüfen (so 7 Ob 224/97k = ZfRV 1998/65, 247). Eine Widerklage, die „auf denselben Vertrag oder Sachverhalt wie die 6 Klage selbst gestützt ist“, kann gem Art 6 Z 3 EuGVVO/EuGVÜ/ LGVÜ (dazu Nach § 27a) auch vor jenem Gericht eingebracht werden, bei dem die Vorklage anhängig ist. Das im europäischen Recht einzig maßgebliche Konnexitätserfordernis wird nach hM (vertrags-) autonom bestimmt und vom OGH eng ausgelegt (dazu etwa 4Ob 34/98y = ÖJZLSK 1998/150 = ZfRV 1998/41, 160 = RdW 1998, 615 und 9 Ob 110/04y). Nach Ansicht des EuGH (Slg 1995, I-2053 Danvaern/Otterbeck) gilt der Gerichtsstand nur für eine Klage des Beklagten auf gesonderte Verurteilung und nicht für den Fall, dass der Beklagte eine Forderung gegenüber dem Kläger als bloßes Verteidigungsmittel geltend macht. Die Art und Voraussetzungen dieser Verteidigungsmittel bestimmen sich nach nationalem Recht. Vor österreichischen Gerichten kann daher weiterhin mit nicht konnexen Gegenforderungen aufgerechnet werden. Eine abweichende Gerichtsstandsvereinbarung für die Widerklage schließt den (Wahl-) Gerichtsstand aus (2 Ob 74/00x = ZfRV 2000/76, 187; s auch § 104 Rz 25). Gerichtsstand des früheren Wohnsitzes § 97. (1) Handwerker, Kleinverschleißer, Wirte, Schiffer, Fuhrleute und sonstige Gewerbetreibende, ferner Gesellen, Gehilfen, Dienstleute und sonstige Arbeiter um Lohn können wegen ihrer Forderungen für gelieferte Erzeugnisse und Waren, für geleistete Dienste und Arbeiten innerhalb neunzig Tagen von der Zeit der letzten Lieferung oder Leistung bei dem nach dem früheren allgemeinen Gerichtsstand des Abnehmers oder Arbeitgebers zuständigen Gericht klagen, wenn dieser mittlerweile seinen allgemeinen Gerichtsstand in einen anderen Gerichtsbezirk verlegt hat. (2) Ein Gleiches steht den Privatlehrern in Betreff ihres Entlohnungsanspruches zu. [Abs 1 idF ZVN 1983 (die notwendige Anpassung der Überschrift wurde übersehen)] Lit: Simotta in Fasching I § 97 JN; Fasching Rz 298; Holzhammer 56. 343

§ 98

Mayr

1 Dieser – heute praktisch bedeutungslose – Wahlgerichtsstand verfolgt den Zweck, den Personen, welche einen für ihre wirtschaftliche Lage wichtigen, an sich aber häufig geringfügigen Anspruch zu stellen haben, die Möglichkeit zu bieten, ihre Forderungen leicht und mit geringem Kostenaufwand verfolgen zu können (Neumann I 238). Daraus und aus den angeführten Beispielen von Gewerbetreibenden ergibt sich, dass mit den „sonstigen Gewerbetreibenden“ nur solche mit einem geringen Geschäftsbetrieb gemeint sind. Für Forderungen dieser Kleingewerbetreibenden (vgl § 250 Abs 1 Z 2 EO) (nur) für (bereits) gelieferte Erzeugnisse und Waren wird der allgemeine Gerichtsstand des Abnehmers für einen Zeitraum von 90 Tagen ab der letzten Lieferung perpetuiert, dh er wird vom Gesetz als weiter bestehend fingiert, auch wenn der Beklagte zwischenzeitlich in einen anderen Gerichtssprengel (oder ins Ausland) verzogen ist.

2 Dieser Wahlgerichtsstand („der armen Leute“: so Holzhammer 56) steht auch für die Entlohnungsansprüche von unselbständigen manuellen Arbeitern und von Privatlehrern zur Verfügung, und zwar selbst dann, wenn es sich bei der Streitigkeit um eine Arbeitsrechtssache iSd § 50 ASGG handelt, da durch die Zuständigkeitsregelung des § 4 Abs 1 Z 1 ASGG die Gerichtsstände der JN nicht verdrängt werden (s Kuderna 78 f). Gerichtsstand der Schiffer und der Schiffsmannschaft § 98. Gegen Schiffer und Personen der Schiffsmannschaft können Forderungen der in § 97 bezeichneten Art auch dann bei dem nach dem jeweiligen Aufenthalt des Beklagten zuständigen Gericht geltend gemacht werden, wenn dieser an einem anderen Ort seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. [Fassung ZVN 1983] Lit: Simotta in Fasching I § 98 JN.

1 Diese Bestimmung bildet insofern eine – heute nicht mehr berechtigte – Besonderheit, als sonst der jeweilige Aufenthalt einer Person nur dann zuständigkeitsbegründend wirkt, wenn diese Person keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat (§ 67). Forderungen auf Bezahlung von gelieferten Waren und Erzeugnissen sowie von Diensten und Arbeiten gegen Schiffer und Personen der Schiffsmannschaft können hingegen auch dann beim Gericht ihres jeweiligen Aufenthalts eingeklagt werden, wenn diese Seefahrer woanders einen allgemeinen Gerichtsstand besitzen. 344

JN § 99

2.2 Örtliche Zuständigkeit

Pollak (311) schrieb bereits 1932 zu Recht, dass dieser Gerichtsstand 2 zwar nicht aufgehoben, aber gegenstandslos sei, weil er sich nur auf die Besatzung von Seeschiffen beziehe und es für diese mangels Küstenbesitzes kein österreichisches Gericht des Aufenthaltes gäbe. Warum der Gesetzgeber diese Bestimmung zwischenzeitlich nicht ersatzlos beseitigt, sondern mit der ZVN 1983 sogar novelliert hat (Anpassung an den neugeregelten allgemeinen Gerichtsstand), ist nicht einsichtig. Gerichtsstand des Vermögens § 99. (1) Gegen Personen, die im Inland keinen allgemeinen Gerichtsstand haben, kann wegen vermögensrechtlicher Ansprüche bei jedem Gericht eine Klage angebracht werden, in dessen Sprengel sich Vermögen dieser Personen oder der mit der Klage in Anspruch genommene Gegenstand selbst befindet. Der Wert des im Inland befindlichen Vermögens darf jedoch nicht unverhältnismäßig geringer sein als der Wert des Streitgegenstandes; für dessen Berechnung gilt der § 55 Abs 3 nicht. (2) Bei Forderungen gilt der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthalt des Drittschuldners als der Ort, an welchem sich das Vermögen befindet. Hat der Drittschuldner im Inlande weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt, befindet sich jedoch eine Sache, welche für diese Forderung zur Sicherheit haftet, im Inlande, so ist der Ort, wo diese Sache gelegen ist, für die Bestimmung des Gerichtsstandes maßgebend. (3) Ausländische Anstalten, Vermögensmassen, Gesellschaften, Genossenschaften und andere Personenvereine können überdies auch bei dem inländischen Gerichte geklagt werden, in dessen Sprengel sich ihre ständige Vertretung für das Inland oder ein mit der Besorgung der Geschäfte solcher Anstalten und Gesellschaften betrautes Organ befindet. (4) Für Streitigkeiten, welche sich auf Seeschiffe und Seefahrten beziehen, gilt der im Inlande gelegene Heimathafen des betreffenden Seeschiffes als der Ort, an welchem sich das Vermögen befindet. [Abs 1 und 2 idF ZVN 1983] Lit: Kropholler, Möglichkeiten einer Reform des Vermögensgerichtsstandes, ZfRV 1982, 1; Schack, Vermögensbelegenheit als Zuständigkeitsgrund – Exorbitant oder sinnvoll? ZZP 97 (1984) 46; Gaeta, Gerichtliche Zuständigkeiten in streitigen Seeschiffahrtssachen, ZVR 1992, 356; Schoibl, Die Niederlassung im österreichischen Zivilprozeßrecht, in Schuhmacher/Gruber (Hrsg), Rechtsfragen der Zweigniederlassung (1993) 301; Bajons, Das Luganer Parallelübereinkommen zum 345

§ 99

Mayr

EuGVÜ, ZfRV 1993, 45; Lurger, Inlandsbezug von Vermögensgerichtsständen, ZfRV 1995, 61; Sitta, Der Vermögensgerichtsstand – ein verrufener Gerichtsstand, AnwBl 1995, 786; Czernich, Vermögensgerichtsstand und Europäisches Zivilprozeßrecht, AnwBl 1996, 286; Mankowski, Die österreichischen Gerichtsstände der Streitgenossenschaft, des Vermögens und der inländischen Vertretung mit Blick auf das Lugano-Übereinkommen, IPRax 1998, 122; Schütze, Das Vermögen als Anknüpfungspunkt für die internationale Zuständigkeit, FS Ishikawa (2001) 493; Althuber, Vermögensgerichtsstand und Wertpapiere, ecolex 2003, 510; Oberhammer, „Ausländische“ Aktien an inländischen Gesellschaften und § 99 JN, ecolex 2003, 667; ders, Vermögensbelegenheit und Funktion des Vermögensgerichtsstands, FS Schlosser (2005) 651; Mansel, Vermögensgerichtsstand und Inlandsbezug bei der Entscheidungs- und Anerkennungszuständigkeit am Beispiel der Anerkennung US-amerikanischer Urteile in Deutschland, FS Jayme (2004) 561. Simotta in Fasching I § 99 JN; Bajons Rz 55; Ballon Rz 61; Fasching Rz 310 f; Holzhammer 56; ders, PraktZPR I 112; Rechberger/Simotta Rz 138. Inhaltsübersicht Subsidiarität Vermögensrechtliche Ansprüche Anwendungsbereich Lokalisierung des Vermögens (Abs 2) Begriff des Vermögens Forderungen als Vermögen Unabhängigkeit vom Klageanspruch

1 2 3 4 5 6

Wertrelation 8 Gerichtsstand des Streitgegenstandes 9 Maßgeblicher Zeitpunkt 10 Abs 3 11 Abs 4 12 Internationale Zuständigkeit 13–14

7

1 Der Wahlgerichtsstand des § 99 (in seinen beiden Ausprägungsformen s unten Rz 4) kann nur dann von einem (in- oder ausländischen) Kläger (s JBl 1988, 386 = IPRE 2/215 = MietSlg 39.725) in Anspruch genommen werden, wenn der (in- oder ausländische) Beklagte keinen allgemeinen Gerichtsstand und keinen ausschließlichen besonderen Gerichtsstand für die Streitsache im Inland hat (Subsidiarität). Eine weitergehende Einschränkung dieses Gerichtsstandes ist dem Gesetz nicht zu entnehmen (Simotta in Fasching I § 99 Rz 3; SZ 48/80 = EvBl 1975/277; vgl auch EvBl 1967/242 = JBl 1967, 382; aM Fasching Rz 311). Zur Verdrängung des § 99 durch das europäische Zuständigkeitsrecht s unten Rz 14. 346

JN § 99

2.2 Örtliche Zuständigkeit

Er gilt nur für vermögensrechtliche Ansprüche, also Ansprüche, die 2 auf Geld oder Geldeswert gerichtet sind oder sich aus vermögensrechtlichen Beziehungen ableiten lassen und – in der Regel – vererblich oder veräusserlich sind (Simotta in Fasching I § 99 Rz 14 ff), so etwa für einen Anspruch auf Rechnungslegung (ZfRV 1979, 205), für Unterhaltsansprüche (EvBl 1954/315; LGZ Wien EFSlg 20.710), für Ansprüche nach § 1330 Abs 2 ABGB (SZ 45/72 = JBl 1973, 43; vgl 6 Ob 283/01p = SZ 2002/107) oder auch für eine Klage auf Unwirksamerklärung eines Schiedsspruches (EvBl 1988/145). Die Anwendbarkeit des § 99 ist auf das streitige Verfahren beschränkt, 3 er gilt daher nicht für die Prozesse des Exekutionsverfahrens oder im Außerstreitverfahren (LGZ Wien EFSlg 39.109). Für Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung, die vor Einleitung eines Rechtsstreits oder nach dessen rechtskräftigem Abschluss, jedoch vor Beginn der Exekution gestellt werden, gilt § 387 Abs 2 EO; weitere Zuständigkeitsbestimmungen, wie etwa (§ 93 und) § 99, kommen nicht zum Tragen (SZ 59/128 = JBl 1987, 115 = IPRax 1988, 33 = ÖBA 1986, 486 = RdW 1986, 341). Für Arbeitsrechtssachen nach § 50 Abs 1 Z 1 bis Z 3 ASGG ist er dagegen anwendbar (Kuderna, ASGG2, 78 f). Der Gerichtsstand wird bei dem (sachlich zuständigen) Gericht begrün- 4 det, in dessen Sprengel sich entweder das inländische Vermögen des Beklagten (Gerichtsstand des Vermögens) oder der Klagsgegenstand selbst befindet (Gerichtsstand des Streitgegenstandes, s unten Rz 9). Befinden sich die Vermögensgegenstände in mehreren Gerichtssprengeln, so hat der Kläger zwischen den verschiedenen Gerichten die Wahl (RdW 1993, 111 = wbl 1993, 194). Besteht das Vermögen aus einer Forderung (s unten Rz 6), so richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach der Regelung des Abs 2, also nach dem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Drittschuldners (bzw der satzungsmäßige Sitz einer GmbH: GesRZ 1980, 219 = HS 11.347). Fehlt ein solcher im Inland, so ist bei einer pfandgesicherten Forderung die Lage der Pfandsache im Inland maßgebend. Wertpapiere, bei denen das Recht aus der Forderung mit dem Besitz des Wertpapiers verknüpft ist, fallen nicht unter § 92 Abs 2, so zB alle Inhaber- und Orderpapiere sowie Namenspapiere mit Wertpapiercharakter. Für sie ist also der (inländische) Aufbewahrungsort maßgeblich (9 Nc 109/02g = SZ 2003/55 = EvBl 2004/4; 2 Ob 212/03w = ZfRV-LS 2004/1, 25). Lässt sich die Lage des Vermögens – wie etwa bei einem Urheberrecht – nicht feststellen, so kann nach Ansicht der Rsp auch der Vermögensgerichtsstand nicht begründet werden (EvBl 1988/52 = JBl 1988, 322 = MR 1993, 148 = ZfRV 1988, 47). (Österreichische) Patentrechte 347

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sind jedoch beim Sitz des Patentamtes in Wien zu lokalisieren (ecolex 1993, 255 = GRURInt 1993, 876 = MR 1993, 149 [krit M. Walter] = ZfRV 1993/42, 149 gegen SZ 28/29; dazu zu Recht krit Simotta in Fasching I § 99 Rz 83; s auch jüngst 4 Ob 128/03g = SZ 2003/77 = EvBl 2003/179 = JBl 2004, 525 = MR 2003, 242 [Walter] = ÖBl 2004, 31 [Daum] und 4 Ob 204/05m für eine internationale Marke).

5 Ein Vermögen iSd § 99 Abs 1 bilden nur diejenigen Güter, die dem Beklagten eine Verfügungsmacht gewähren, somit alle Güter und Rechte, die wirtschaftlich verwertbar sind (SZ 51/155 = MietSlg 30.668 = RZ 1980/26, 135; RdW 1993, 111 = wbl 1993, 194; Fasching Rz 311). Gegenstände, die für andere Personen als den Beklagten keinen vermögensrechtlichen Wert haben, kommen somit nicht in Frage (JBl 1974, 269; ZfRV 1998/42, 161 = EFSlg 88.000). Es muss sich jedenfalls um ein „Vermögen“ im üblichen Sprachgebrauch handeln, so dass ganz geringwertige Sachen selbst dann für die Begründung des Gerichtsstandes ausscheiden, wenn auch der Streitwert gering ist (EvBl 1984/133; EvBl 1991/182 = IPRax 1992, 164 = RdW 1991, 325 = RZ 1993/20, 75). Ob es sich dabei (jedenfalls) um ein exekutiv verwertbares Vermögen handeln muss, ist umstritten (dafür OLG Wien EvBl 1988/76, dagegen ZBl 1937/438; offen gelassen in 6 Ob 208/02k), die Bedenken von Simotta (in Fasching I Rz 26 f) gegen diese Meinung erscheinen aber berechtigt. Eine Ausnahme ist nur für jenes Vermögen zu machen, auf das aus völkerrechtlichen Immunitätsgründen keine Exekution geführt werden darf (s Art IX Rz 21 EGJN). Ein „Vermögen“ bildet etwa (weitere Beispiele bei Simotta in Fasching I § 99 Rz 35 ff) eine internationale Marke, für die Schutz in Österreich beansprucht wird (4 Ob 128/03g = EvBl 2003/179 = JBl 2004, 525 = RdW 2004/12, 22 = ZfRV 2004/8, 34) oder ein Geschäftsanteil an einer inländischen GmbH (etwa 10 Ob 187/99v). Für dessen Wert ist nicht die Summe der Stammeinlage, sondern der Verkehrswert des Geschäftsanteils maßgeblich (ecolex 1993, 322 = RdW 1993, 111 = wbl 1993, 195 = ZfRV 1993/55, 210). Ebenso bildet eine Liegenschaft, die zwar bereits verkauft und außerbücherlich übergeben wurde, so lange ein taugliches Vermögen, als das grundverkehrsbehördliche Genehmigungsverfahren noch anhängig ist (SZ 51/155 = MietSlg 30.668 = RZ 1980/26, 135). Ein derzeit in gerichtlicher Verwahrung befindliches Sparbuch begründet den Gerichtsstand des Vermögens auch dann, wenn sein Inhaber verpflichtet sein sollte, etwa unrechtmäßig an sich gebrachte Gelder zurückzuzahlen und dann auch Exekution auf das Sparbuch zu dulden (NRsp 1993/229 = ZfRV 1993/95, 252). Dass die Vermögensstücke gepfändet, verpfändet oder sicherungsweise abgetreten sind, schadet nicht (SZ 45/21 = EvBl 1972/259; JBl 1975, 101); auch nicht, 348

JN § 99

2.2 Örtliche Zuständigkeit

wenn Liegenschaften übermäßig mit Hypotheken belastet sind (6 Ob 208/02k). Das Vermögen muss außerdem zweifelsfrei (s EvBl 1959/21 = JBl 1959, 38) dem Beklagten selbst zustehen (vgl SZ 37/50). Das Vermögen kann auch aus Forderungen des Beklagten gegen einen 6 Inländer bestehen. Die Richtigkeit dieser Forderung muss erweislich sein (vgl JBl 1936, 369; 7 Ob 276/00i = JBl 2001, 795). Das bedeutet aber nicht, dass das Bestehen dieser Forderung schon zur Zeit der Klageeinbringung durch Gerichtsentscheid festgestellt oder vom Drittschuldner anerkannt sein müsste. Als Vermögen können vielmehr auch dubiose Forderungen gelten, sofern sie zum Zeitpunkt der Klageeinbringung noch nicht als zu Unrecht bestehend erkannt worden sind (so OLG Wien EvBl 1986/4 = HS 17.024). Eine zweifellos uneinbringliche Forderung vermag den Gerichtsstand des Vermögens aber nicht zu begründen (SZ 20/18). Dass eine Kostenforderung auch aus einem noch nicht rechtskräftigen Urteil gerichtsstandbegründend wirkt (so AnwZ 1930, 117 und ZBl 1930/95), geht mE zu weit (vgl auch Pollak 324 Anm 16). Ferner kann der Gerichtsstand nicht durch eine Kostenforderung erschlichen werden, die dem Beklagten dadurch entstanden ist, dass der Kläger denselben Anspruch früher bei einem unzuständigen Gericht eingeklagt hat (SZ 10/347 = AnwZ 1929, 113; vgl auch JBl 1975, 101 und Simotta in Fasching I § 99 Rz 63). Auch eine Gegenforderung des Beklagten gegen den Kläger kann den Gerichtsstand begründen (EvBl 1965/452 ua); dies gilt aber freilich nicht für eine Gegenforderung, deren Bestehen der Kläger selbst bestreitet (EvBl 1962/422), etwa weil sie nach dem Klagsvorbringen bereits durch Aufrechnung erloschen ist (ZBl 1930/20; SZ 68/118 = RdW 1996, 63 = ZfRV 1996, 77; ZfRV 1996/25, 119). Eine vom Beklagten gegenüber einem Dritten abrufbare Bankgarantie begründet aber auch dann den Vermögensgerichtsstand, wenn der Kläger mit seiner Klage begehrt, dem Beklagten den Abruf zu untersagen (8 Ob 92/04v = EvBl 2005/116 = ÖBA 2005/1289, 496 = ecolex 2005/161, 368; vgl auch RS0046410). Für die Begründung des Vermögensgerichtsstandes muss das Vermögen 7 vom Klageanspruch verschieden und von der Entscheidung über das Klagebegehren unabhängig sein (etwa ZfRV 1998/65, 247 ua); ein vermögensrechtlicher Anspruch des Beklagten, der sich erst auf Grund des Prozesses allenfalls ergeben könnte, reicht nicht aus (EvBl 1978/212 = JBl 1979, 320; ecolex 1993, 811 = RZ 1994/77, 284 = RdW 1993, 335 = ZfRV 1994/3, 32; SZ 68/118 = RdW 1996, 63 = ZfRV 1996, 77). Ebensowenig ist der Anspruch auf Erbringung der Gegenleistung durch den 349

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Beklagten in Erfüllung des eingeklagten Anspruchs hinreichend und es genügt daher nicht, dass dem Beklagten noch allfällige Erfüllungsansprüche aus dem Vertrag gegenüber dem Kläger zustehen (SZ 51/34 = EvBl 1978/131 = JBl 1978, 653).

8 Der Gerichtsstand des Vermögens wird (seit der ZVN 1983) nur dann begründet, wenn der (in der Klage anzuführende) Wert des im Inland befindlichen Vermögens „nicht unverhältnismäßig geringer“ ist als der Wert des Streitgegenstandes. Die Höhe des Vermögens (Forderung) muss daher in der Klage zumindest so weit genannt werden, dass eine Beurteilung dieser Voraussetzung erfolgen kann (5 Ob 1565/90 = NRsp 1991/10; 7 Ob 276/00i = JBl 2001, 795 = ZfRV 2001/47, 150). Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit ist nach der Rsp kein „allzu engherziger Maßstab“ anzulegen: Das Vermögen darf nicht in einem krassen Missverhältnis, sondern muss in einer angemessenen Relation zum Streitwert stehen (EvBl 1984/133; EvBl 1991/182 = IPRax 1992, 164 [dazu Schlosser, IPRax 1992, 140] = RdW 1991, 325 = RZ 1993/20, 75; RS0046741). Dies ist dann gegeben, wenn das Vermögen ca 20% des Streitwertes erreicht (EvBl 1991/182 = RdW 1991, 325 = RZ 1993/20, 75; RdW 1993, 111 = wbl 1993, 194; SZ 68/118 = RdW 1996, 63 = ZfRV 1996, 77; ZfRV 1996/80, 247; 10 Ob 187/99v = ZfRV 2000/81, 230; 4 Ob 128/03g = EvBl 2003/179 = JBl 2004, 525; RS0046752; vgl auch EvBl 1984/133; EFSlg 63.943; AnwBl 1991, 742 [Graff] = ZfRV 1991/37, 470 und OLG Wien WR 54/1984; Simotta in Fasching I § 99 Rz 67; aM Fasching Rz 311, für den bereits ein 10% übersteigendes Vermögen ausreicht). Auf die Relation des Vermögenswertes zu den voraussichtlichen Kosten der Rechtsverfolgung kommt es nicht an (EvBl 1984/133; EvBl 1991/182 = RdW 1991, 325 = RZ 1993/20, 75). Es besteht auch keine absolute Wertgrenze, bei deren Erreichen der Gerichtsstand nach § 99 (jedenfalls) gegeben wäre (ZfRV 1996/80, 247), jedoch erscheint bei extrem hohen Streitwerten (bzw inländischem Vermögen) eine großzügigere Vorgangsweise angebracht. Bei der Beurteilung des Vorliegens des Vermögensgerichtsstandes ist eine wirtschaftliche Betrachtungsweise anzuwenden. Er ist daher nicht gegeben, wenn vor Klagseinbringung das Vermögen durch Überweisungsauftrag in das Ausland oder Begebung eines Schecks und nachfolgende Gutschrift oder Einlösung wirtschaftlich im Inland nicht mehr verwertbar ist (ecolex 1992, 696 [zust Wilhelm] = RdW 1992, 374 = ZfRV 1993/16, 34). Überhaupt darf es sich nicht um ein bloß kurzfristig (OLG Innsbruck AnwBl 1985, 270) oder rein zufällig (EvBl 1991/182 = RdW 1991, 325 = RZ 1993/20, 75) im Inland befindliches Vermögen handeln. Wurde nur ein Teilbetrag eingeklagt, so ist – entgegen der Regel des § 55 Abs 3 – bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit nur dieser 350

JN § 99

2.2 Örtliche Zuständigkeit

Teilbetrag zu berücksichtigen. Befindet sich das inländische Vermögen an mehreren Orten, dann ist der Gesamtwert maßgebend (RdW 1993, 111 = wbl 1993, 194). Der Gerichtsstand des Streitgegenstandes ist nicht auf körperliche 9 Sachen beschränkt; er kann auch für Feststellungsklagen in Anspruch genommen werden, wenn sich das behauptete Recht oder Rechtsverhältnis im Sprengel des angerufenen Gerichtes befindet. Es ist auch gleichgültig, ob der Anspruch auf den Streitgegenstand ein dingliches oder ein obligatorisches Recht ist (ÖBl 1969, 144) oder ob der Streitgegenstand als solcher ein dingliches oder ein obligatorisches Recht ist. Er gilt daher etwa für das Begehren auf Einwilligung des Beklagten in die Auszahlung eines Gerichtserlags (SZ 24/105) oder für eine Anfechtungsklage, mit der die Feststellung der Unwirksamkeit eines Veräußerungs- und Belastungsverbots betreffend einer inländischen Liegenschaft geltend gemacht wird (JBl 1989, 731 = RZ 1990/28, 74). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen 10 für die Begründung des Gerichtsstandes gegeben sind, ist jener der Anhängigmachung der Klage (Gerichtsanhängigkeit; etwa SZ 52/60 = EvBl 1980/15; AnwBl 1991, 742 = ZfRV 1991/37, 470; RZ 1994/77, 284 = ZfRV 1994/3, 32) bzw jener der Entscheidung über die Unzuständigkeitseinrede (vgl ZfRV 1994/16, 74). Ist die Zuständigkeit einmal rechtmäßig begründet, hat ein nachträglicher Wegfall (oder Verringerung) des Vermögens (im Inland) keinen Einfluss auf die (örtliche und internationale) Zuständigkeit; es tritt also perpetuatio fori ein. Diese frühere Streitfrage (dazu zuletzt iSd Indikationentheorie SZ 68/118 = HS 26.880 = RdW 1996, 63 = ZfRV 1996, 77) ist durch die Neufassung des 2. Satzes des § 29 eindeutig geklärt worden (s auch § 29 Rz 2). Treten umgekehrt die nicht vorhanden gewesenen Voraussetzungen für den Vermögensgerichtsstand erst im Lauf des Verfahrens ein, so ist die frühere Unzuständigkeit geheilt und die Klage kann nicht mehr wegen Unzuständigkeit zurückgewiesen werden (JBl 1975, 101). Ausländische juristische Personen, die keinen allgemeinen Gerichts- 11 stand im Inland haben (EvBl 1964/275), können nach Abs 3 (auch) bei dem Gericht geklagt werden, in dessen Sprengel sich ihre ständige Vertretung für das Inland oder ein mit der Besorgung ihrer Geschäfte betrautes Organ befindet, wobei sich der eingeklagte vermögensrechtliche Anspruch nach hM nicht auf die Geschäftstätigkeit dieser Vertretung oder dieses Organs beziehen muss (8 Ob 105/99w = ecolex 2000/341, 871 = ZfRV 2000/43, 115; OLG Wien RdW 1989, 67; Schoibl, Niederlassung 344 f mwN; Simotta in Fasching I § 99 Rz 88; aM jedoch 3 Ob 351

§ 99

Mayr

514, 515/94 = IPRax 1998, 111; zust Mankowski, IPRax 1998, 125 f). Der Gerichtsstand steht daher auch dem Inlandsvertreter einer ausländischen juristischen Person bei Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Vertreterverhältnis zu (1 Ob 579/95 = SZ 68/118 = RdW 1996, 63 = ZfRV 1996, 77). Der Gerichtsstand der inländischen Niederlassung geht ebenso wie jener der Niederlassung nach § 87 (s dort Rz 3) nicht von einer rechtlichen Konstruktion, sondern von einer faktischen Situation aus. Es kommt somit nicht darauf an, welche Vertretungsmacht der inländischen Vertretung wirklich zusteht und ob die Vertretungsmacht ausdrücklich oder allenfalls auch nur konkludent eingeräumt worden ist (OLG Wien EvBl 1989/144; SZ 57/206 = RdW 1985, 212 = RZ 1985/83, 252). Er bleibt auch noch während der Liquidation der inländischen Repräsentanz aufrecht (RZ 1995/37, 126 = ZfRV 1994/56, 211). Unter „Organ“ iSd Abs 3 sind im Hinblick auf den Sprachgebrauch des ABGB auch (ausdrücklich oder konkludent) Bevollmächtigte iSd §§ 1002 ff ABGB zu verstehen (EvBl 1977/128). Unter „Organ“ werden somit hier nicht nur die gesetzlichen oder satzungsgemäß zur Vertretung der Gesellschaft berufenen Personen angesehen, sondern grundsätzlich auch ihre Bevollmächtigten und Beauftragten als ausdrücklich oder konkludent bestellte rechtsgeschäftliche Vertreter, nicht aber bloße Abschlussvermittler (ecolex 1991, 768 = RdW 1992, 211 = ZfRV 1992/8, 130 = ZVR 1992/158; SZ 68/118 = RdW 1996, 63 = ZfRV 1996, 77). Der Gerichtsstand wird auch für eine ausländische juristische Person begründet, die durch ihr doloses Verhalten im geschäftlichen Verkehr den Eindruck erweckt, sie habe im Inland eine entsprechende ständige Vertretung bzw besitze ein mit der Besorgung der Geschäfte beauftragtes Organ (SZ 57/206 = RdW 1985, 212 = RZ 1985/83, 252; RZ 1995/37, 126 = HS 25.776 = ZfRV 1994/56, 211; Schoibl, Niederlassung 435 f). Für Klagen aus Versicherungsverträgen, die gegen ein konzessioniertes ausländisches Versicherungsunternehmen aus dem inländischen Geschäftsbetrieb erhoben werden, besteht nach § 6 Abs 3 VAG 1978 (neben anderen Gerichtsständen auch) der Gerichtsstand der ständigen inländischen Vertretung nach § 99 Abs 3, der für Klagen aus dem inländischen Geschäftsbetrieb nicht ausgeschlossen werden darf.

12 § 6 Abs 1 Seeschiffahrtsgesetz (BGBl 1981/174) ordnet an, dass in dem Fall, dass für den Eigentümer oder für den Kapitän eines österreichischen Seeschiffes ein allgemeiner Gerichtsstand im Inland nicht begründet ist, sich die gerichtliche Zuständigkeit für Verfahren, die mit dem Erwerb und dem Betrieb dieses Seeschiffes zusammenhängen, nach dem Sitz des für die Führung des Seeschiffsregisters zuständigen Gerichtes 352

JN § 99

2.2 Örtliche Zuständigkeit

(= BG Innere Stadt Wien) richtet (vgl Gaeta, ZVR 1992, 358). § 99 Abs 4 erscheint dadurch derogiert. Sind die Voraussetzungen des § 99 verwirklicht, so besteht (jedenfalls) 13 auch die internationale Zuständigkeit („inländische Gerichtsbarkeit“) Österreichs. Die früher hM, die iSd Indikationentheorie (s § 27a Rz 2) zusätzlich eine Nahebeziehung des Streitgegenstandes oder der Parteien zum Inland zur Begründung der „inländischen Gerichtsbarkeit“ verlangte (etwa SZ 65/141 = EvBl 1993/93 = JBl 1993, 666 [zust Pfersmann] = ZfRV 1993/43, 150; RdW 1995, 18 und 99 = ZfRV 1995/12, 35; EvBl 1995/145 = JBl 1996, 402 = RZ 1996/30, 117 = ZfRV 1996/2, 23; AnwBl 1996, 703 = ecolex 1996, 742 = ZfRV 1996/44, 193; ZfRV 1998/17, 78 und zuletzt 10 Ob 187/99v = ZfRV 2000/81, 230) ist seit der Einfügung des § 27a überholt (8 Ob 105/99w = ecolex 2000/341, 871 = ZfRV 2000/ 43, 115; 7 Ob 276/00i = JBl 2001, 795 = RdW 2001/455, 412 = ZfRV 2001/47, 150; 6 Ob 174/02k = ÖJZ-LSK 2003/34 = RdW 2003/123, 144 = ZfRV-LS 2003/32, 98). In Deutschland wird sie zu § 23 dZPO allerdings noch vertreten (ausführlich zur einschlägigen deutschen Rechtslage etwa Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR § 36 Rz 4 ff; Schack, IZVR4 Rz 323 ff oder Geimer, IZPR5 Rz 1346 ff). Zu beachten ist allerdings, dass gegenüber Personen, die ihren Wohnsitz 14 (Sitz) in einem Mitgliedstaat der EuGVVO (oder in einem Vertragsstaat des Luganer bzw Brüsseler Übereinkommens) haben (dazu Nach § 27a Rz 19), der Gerichtsstand nach § 99 – ebenso wie alle anderen Gerichtsstände des nationalen Rechts – nicht in Anspruch genommen werden kann (so auch ÖJZ-LSK 1998/126 = JBl 1998, 380 = RdW 1998, 338 = immolex 1998, 268 = ZfRV 1998/30, 156; ZfRV 1998, 163). Die Anführung des § 99 in der Aufzählung der (besonders) verpönten nationalen Gerichtsstände im Anhang I zur EuGVVO bzw im Art 3 Abs 2 EuGVÜ/LGVÜ (krit dazu Bajons, ZfRV 1993, 47 f Anm 18) hat daher nur demonstrativen Charakter (so etwa auch Czernich in Czernich/ Tiefenthaler/Kodek Art 3 EuGVVO Rz 6). Andererseits hat durch die Ratifizierung des LGVÜ/EuGVÜ bzw durch das In-Kraft-Treten der EuGVVO (und der Beseitigung des Erfordernisses einer zusätzlichen Nahebeziehung durch die WGN 1997) der Vermögensgerichtsstand aber auch an Bedeutung gewonnen, weil ein an diesem Gerichtsstand in Österreich erzieltes Urteil gegen eine Person aus einem Drittstaat (vorbehaltlich eines besonderen bilateralen Vertrags nach Art 59 EuGVÜ/ LGVÜ; s nunmehr Art 72 EuGVVO) in allen Vertragsstaaten des EuGVÜ/LGVÜ bzw Mitgliedstaaten der EuGVVO anerkannt und vollstreckt wird (s schon Lechner/Mayr, Lugano 39, 43 f oder Czernich, AnwBl 1996, 287 f). 353

§ 100

Mayr Klagen aus dem Eheverhältnis

§ 100. Das im § 76 Abs 1 bezeichnete Gericht ist auch für andere Klagen wegen nicht rein vermögensrechtlicher Streitigkeiten aus dem Eheverhältnis zuständig. [Fassung BGBl 1985/70] Lit: Simotta in Fasching I § 100 JN; Fasching Rz 312; Rechberger/Simotta Rz 139.

1 Für nicht rein vermögensrechtliche Streitigkeiten aus dem Eheverhältnis – dazu zählen etwa (s genauer Simotta in Fasching I § 100 Rz 2) Klagen, welche die Führung des Ehenamens betreffen, auf Zutritt zur Ehewohnung, auf Unterlassung von ehewidrigen Beziehungen oder auf Unterlassung bzw Schadenersatz nach § 97 ABGB (nicht aber etwa bei einem Unterhaltsanspruch: LGZ Wien EFSlg 85.175) – bestehen zwei besondere Gerichtsstände: Der ausschließliche Gerichtsstand nach § 76a und der Wahlgerichtsstand nach § 100. Letzterer kann daher nur dann zur Anwendung kommen, wenn nicht § 76a greift, also nur dann, wenn nicht gleichzeitig eine Klage in Ehesachen (§ 76 Abs 1) anhängig gemacht wird oder aber über eine solche anhängig gemachte Klage die erstinstanzliche Verhandlung bereits geschlossen ist. In diesen Fällen hat der Kläger die Wahl zwischen dem allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten und dem nach § 76 Abs 1 zuständigen (Bezirks-)Gericht (§ 49 Abs 2 Z 2c).

2 Soweit nicht das europäische Zivilprozessrecht eingreift (insb die EuGVVO II; s Nach § 27a Rz 27 ff), ist die (autonome) Regelung über die internationale Zuständigkeit in Ehesachen (§ 76 Abs 2) analog auch auf die nicht rein vermögensrechtlichen Streitigkeiten aus dem Eheverhältnis anzuwenden (Simotta in Fasching I § 100 Rz 6). Klagen aus CMR § 101. Für Rechtsstreitigkeiten aus einer Beförderung, die dem Übereinkommen vom 19. Mai 1956 über den Beförderungsvertrag im Internationalen Straßengüterverkehr (CMR) unterliegt, ist auch das Gericht zuständig, in dessen Sprengel der Ort der Übernahme des Gutes oder der für die Ablieferung des Gutes vorgesehene Ort liegt. [Ursprüngliche Fassung aufgehoben durch Art II Z 45 ZVN 1993; neu eingefügt durch Art I Z 7 ZVN 2004; gem Art XVI Abs 2 ZVN 2004 anzuwenden auf Klagen, die nach dem 31.12.2004 bei Gericht eingelangt sind] 354

JN § 101

2.2 Örtliche Zuständigkeit

Lit: Jesser, Frachtführerhaftung nach der CMR (1992); Thume (Hrsg), Kommentar zur CMR (1994); Mankowski, Spezialabkommen und EuGVÜ, EWS 1996, 301; Schmid/Kehl, Die Haftung des CMR-Frachtführers nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo, TranspR 1996, 89; Basedow in Münchener Kommentar zum Handelsgesetzbuch VII (1997) 855 ff; Haubold, Internationale Zuständigkeit nach CMR und EuGVÜ/LGVÜ, IPRax 2000, 91; Koller, Übernahmeort und Gerichtsstand bei der Einschaltung von Fixkostenspediteuren und Unterfrachtführern, TranspR 2000, 152; ders, Gehilfen des CMR-Frachtführers und Art 31 CMR, TranspR 2002, 133; Ebenroth/Boujong/Joost (Hrsg), Handelsgesetzbuch II (2001) 1108 ff; Csoklich, Einige Fragen zur Zuständigkeit nach CMR und EuGV-VO, RdW 2003, 129, 186; Schütz in Straube (Hrsg), Kommentar zum Handelsgesetzbuch3 I (2003) § 452 Anhang I; Koller, Transportrecht5 (2004) 1299 ff; Haubold, CMR und europäisches Zivilverfahrensrecht – Klarstellungen zu internationaler Zuständigkeit und Rechtshängigkeit, IPRax 2006, 224. Das Übereinkommen vom 19.5.1956 über den Beförderungsvertrag im 1 internationalen Straßengüterverkehr (CMR), BGBl 1961/138 (idF BGBl 1981/192), hat für den Straßengüterverkehr in Europa eine überragende Bedeutung. Als Spezialübereinkommen iSd Art 71 EuGVVO (bzw Art 57 EuGVÜ/LGVÜ) geht es den einschlägigen Regeln des europäischen Rechts grundsätzlich vor (stRsp, etwa 3 Ob 31/02h = ZfRV 2003/19, 73 oder 8 Nc 106/02h und RS0107256; s aber 3 Ob 145/ 03z und 3 Ob 189/04x für bloß vorläufig vollstreckbare Entscheidungen). Im Detail bestehen jedoch einige Abgrenzungsprobleme, auf die in der oben angeführten Literatur näher eingegangen wird. Siehe zuletzt EuGH Rs C-148/03, Nürnberger/Portbridge, wbl 2005/12, 37 = ecolex 2005, 264 (Jud) = EWiR 2004, 1219 (Vogel) = IPRax 2006, 256 (224: Haubold) und 10 Ob 147/05y (dazu Girsch, ecolex 2006, 622). Wegen Streitigkeiten aus einer der CMR unterliegenden Beförderung 2 kann nach Art 31 Z 1 lit b CMR der Kläger die Gerichte eines Vertragsstaates anrufen, auf dessen Gebiet der Ort der Übernahme des Gutes oder der für die Ablieferung vorgesehene Ort liegt. Unter diesen Voraussetzungen ist also die internationale Zuständigkeit des betreffenden Vertragsstaates gegeben. Mangels einer Festlegung (auch) der örtlichen Zuständigkeit musste aber bisher in diesen Fällen der OGH das konkret zuständige Gericht im Wege einer Ordination nach § 28 Abs 1 Z 1 bestimmen (s die Judikaturketten RS0113199 und RS0046376, sowie § 28 Rz 3). Da solche Fälle in letzter Zeit vermehrt aufgetreten sind, hat der Gesetzgeber der ZVN 2004 zur Vereinfachung und Beschleunigung dieser Verfahren, aber auch zur Verminderung der Kosten mit § 101 einen 355

§ 101

Mayr

Wahlgerichtsstand geschaffen, welcher der klagenden Partei nunmehr den Umweg über den OGH erspart (s 613 BlgNR 22. GP 8; 10 Nc 3/05f = ecolex 2005/318, 692 [Mayr]). Diesbezügliche Ordinationsanträge müssen daher abgewiesen werden (etwa 5 Nc 3/05v = EvBl 2005/135). Im Anwendungsbereich des (neuen) Übereinkommens von Montreal (MÜ) verbleibt es allerdings – ebenso wie im internationalen Eisenbahnverkehr (CIV und CIM) – teilweise bei der Ordinationsnotwendigkeit (s § 28 Rz 3).

3 Die CMR gilt gem Art 1 Abs 1 für jeden Vertrag über die entgeltliche Beförderung von Gütern auf der Straße mittels Fahrzeugen, wenn der Ort der Übernahme des Gutes und der für die Ablieferung vorgesehene Ort in zwei verschiedenen Staaten liegen, von denen mindestens einer Vertragsstaat ist (etwa SZ 49/3 oder 4 Ob 235/03t = SZ 2004/32). Bei rein innerösterreichischen Transporten ist Art 31 CMR nicht anwendbar (vgl 3 Nd 516/99 = RS 0113086). Alles, was die CMR als Vertragsordnung selbst nicht regelt, ist nach dem nationalen Vertragsrecht der jeweiligen Staaten zu beurteilen (3 Ob 103/01w = ZfRV-LS 2002/47, 192 und RS0073696). Anknüpfungsmoment für die Anwendbarkeit des CMR ist nicht die Beförderung an sich, sondern allein der zugrunde liegende Vertrag (Jesser, Frachtführerhaftung 19). Die Bestimmungen beanspruchen daher nach überwiegender Meinung sowohl für den ausgeführten als auch den nicht ausgeführten Beförderungsvertrag Geltung. Die tatsächliche Beförderung und ihr Beginn sind unerheblich (Demuth in Thume, Kommentar Art 31 Rz 2; Koller, Transportrecht Art 31 Rz 1; Huther in Ebenroth/Boujong/Joost II Art 31 Rz 6; Csoklich, RdW 2003, 129; 4 Nd 508/01 = RS 0115358; aM Schütz in Straube, Kommentar3 I Art 31 Rz 1). Nicht anwendbar sind die Bestimmungen der CMR, wenn ein wirksamer Beförderungsvertrag nicht abgeschlossen worden ist. Die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der CMR hat der Kläger zu behaupten und (im Bestreitungsfall) zu beweisen. Stellt die Frage der Wirksamkeit des Beförderungsvertrags allerdings eine doppelrelevante Tatsache dar (s dazu § 41 Rz 4), so genügt (wie sonst auch) die schlüssige Behauptung des Klägers (Demuth in Thume, Kommentar Art 31 Rz 3; vgl 7 Ob 286/99f = SZ 72/192 = RZ 2000/44, 277; 6 Ob 70/ 04v).

4 Der CMR unterliegen in erster Linie alle in der CMR selbst geregelten Vertragsansprüche (Demuth in Thume, Kommentar Art 31 Rz 4; 7 Nd 2/87 = IPRE 3/203), also insb aus Verlust, Beschädigung und Überschreitung der Lieferfrist (Art 17 CMR). Darüberhinaus genügt und kommt es allein darauf an, dass sich die Ansprüche aus einem CMR356

JN § 101

2.2 Örtliche Zuständigkeit

Transport ergeben (so Basedow in MünchKommHGB Art 31 Rz 3) bzw dass sie mit einer CMR-Beförderung in sachlichem Zusammenhang stehen (s Koller, TranspR 2003, 133). Erfasst werden demnach auch Ansprüche, die auf dem ergänzenden nationalen Vertragsrecht oder – bei außervertraglichen Ansprüchen – auf nationalem Delikts-, Bereicherungs- oder Sachenrecht beruhen (etwa Basedow in MünchKommHGB Art 31 Rz 3; Demuth in Thume, Kommentar Art 31 Rz 4 f oder Koller, Transportrecht Art 31 Rz 1). Der Anwendungsbereich von Art 31 CMR erstreckt sich auch auf Ansprüche wegen Nichterfüllung des Beförderungsvertrags (Basedow in MünchKommHGB Art 31 Rz 4; 4 Nd 508/01 = RS0115358 und RS0111681). Auf Ansprüche aus culpa in contrahendo soll Art 31 CMR dagegen keine Anwendung finden (Demuth in Thume, Kommentar Art 31 Rz 3; Huther in Ebenroth/Boujong/Joost II Art 31 Rz 6; vgl jedoch Schmid/Kehl, TranspR 1996, 89). Der personelle Anwendungsbereich des Art 31 CMR erstreckt sich 5 zunächst auf die Parteien (Absender, Frachtführer, Empfänger) des Beförderungsvertrags. Nach hM ist diese Vorschrift auch auf Ansprüche anwendbar, die gegen Gehilfen des Frachtführers iSv Art 3 CMR geltend gemacht werden (Demuth in Thume, Kommentar Art 31 Rz 8; Huther in Ebenroth/Boujong/Joost II Art 31 Rz 4; Koller, Transportrecht Art 31 Rz 1). Personen, die am Frachtvertrag überhaupt nicht beteiligt sind, werden aber nicht erfasst (Basedow in MünchKommHGB Art 31 Rz 5; Huther in Ebenroth/Boujong/Joost II Art 31 Rz 4; vgl etwa SZ 56/83 = RdW 1984, 44). Mit dem Ort der Übernahme des Gutes und dem für die Ablieferung 6 des Gutes vorgesehenen Ort übernimmt § 101 wortgleich die Gerichtsstände des Art 31 Abs 1 lit b CMR. Es können daher die diesbezügliche (reiche) Literatur und Rsp zur Auslegung der neuen Vorschrift herangezogen werden. Um durch die Schaffung des neuen Gerichtsstandes keine (zusätzlichen) Zuständigkeitsstreitigkeiten hervorzurufen, hat der Novellengesetzgeber bewusst keinen subsidiären Gerichtsstand, sondern einen echten Wahlgerichtsstand eingerichtet, von dem auch dann, wenn ein anderer inländischer Gerichtsstand vorliegt, Gebrauch gemacht werden kann (so 613 BlgNR 22. GP 8). Beim Ort der Übernahme des Gutes kommt es auf den tatsächlichen 7 Ort der Übernahme und nicht auf den vertraglich vereinbarten Ort an (hM, etwa Csoklich, RdW 2003, 130 mwN), wodurch dem Erfordernis der Beweisnähe Rechnung getragen wird (Basedow in MünchKommHGB Art 31 Rz 22). Fehlt es an einer tatsächlichen Übernahme, ist 357

§ 102

Mayr

analog zum Ablieferungsort der vertraglich vereinbarte Ort maßgebend (Huther in Ebenroth/Boujong/Joost II Art 31 Rz 10). Im Falle einer Beförderung durch Haupt- und von diesem beauftragte Unterfrachtführer ist als Übernahmeort jener Ort anzusehen, an dem das Gut ursprünglich (beim Absender) übernommen wurde, und zwar auch dann, wenn die Klage gegen den Unterfrachtführer gerichtet ist, der das Gut an einem anderen Ort als jenem der ursprünglichen Übernahme übernommen hat (4 Nd 503/99 = SZ 72/62 = RdW 1999, 659 [Csoklich] = TranspR 2000, 34; 3 Ob 31/02h = ZfRV 2003/19, 73 und die deutsche Rsp, etwa BGH MDR 2002, 283 = VersR 2002, 213; OLG Köln TranspR 2004, 359; zust Csoklich, RdW 2003, 130 FN 14 und Huther in Ebenroth/Boujong/Joost II Art 31 Rz 10; ablehnend hingegen Koller, TranspR 2000, 152 und Schütz in Straube3 I Art 31 Rz 3), was damit begründet wird, dass nach Sinn und Zweck des Art 31 CMR die einschlägigen Streitigkeiten auf ganz bestimmte Gerichtsstände beschränkt und dadurch Klagen aus ein und demselben Beförderungsvertrag vor unterschiedlichen Gerichten verschiedener Staaten vermieden werden sollen.

8 Bei dem „für die Ablieferung des Gutes vorgesehenen Ort“ ist hingegen der vertraglich vereinbarte Ablieferungsort maßgeblich (hM, etwa Csoklich, RdW 2003, 130 mwN). Bei einer vertraglichen Änderung des Ablieferungsortes entscheidet der letztvereinbarte Ort (Demuth/Seltmann in Thume, Kommentar Art 31 Rz 26). Der für die Ablieferung vorgesehene Ort bleibt auch dann als Gerichtsstand erhalten, wenn das Gut im Hinblick auf seine Beschädigung nicht abgeliefert, sondern zurückbefördert wird (Basedow in MünchKommHGB Art 31 Rz 22 FN 55 und BGH TranspR 2004, 169). Mehrheit von Gerichtsständen § 102. Unter mehreren zuständigen Gerichten hat der Kläger die Wahl; dieselbe ist mit der Zustellung der Klage an den Beklagten vollzogen. [Stammfassung] Lit: Simotta in Fasching I § 102 JN.

1 Aus welchem Grund die mehreren Gerichte nebeneinander gleichrangig zuständig sind, spielt keine Rolle. Eine Konkurrenz kann also bestehen zwischen mehreren allgemeinen Gerichtsständen (s § 66 Abs 3), (selbstredend) zwischen dem allgemeinen Gerichtsstand und einem oder mehreren Wahlgerichtsständen, zwischen mehreren Wahlgerichtsständen und auch zwischen mehreren ausschließlichen Gerichtsstän358

JN § 103

2.2 Örtliche Zuständigkeit

den, sofern es sich nicht um einen Zwangsgerichtsstand handelt, der jedenfalls vorgeht. Da durch eine Zuständigkeitsvereinbarung im Zweifel nur ein (zusätzlicher) Wahlgerichtsstand geschaffen wird (s § 104 Rz 11), kann auch hier eine Zuständigkeitskonkurrenz entstehen. Das Wahlrecht des Klägers wird durch die Zustellung der Klage an den Beklagten (also mit dem Eintritt der Streitanhängigkeit) konsumiert. Es ist insoweit klagsbezogen, als es sich ausschließlich auf die betreffende Klage sowie auf den darin geltend gemachten Klageanspruch und Rechtsgrund erstreckt (LGZ Wien Arb 8333). Mehrheit von Bezirksgerichten an einem Orte § 103. (1) Ist jemand bei dem Bezirksgericht an einem Ort zu klagen, wo mehrere Bezirksgerichte eingerichtet sind, so ist die Klage bei demjenigen Bezirksgerichte anzubringen, in dessen Sprengel der Beklagte seinen Wohnsitz, seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder – ist keines der Fall – seinen Aufenthalt hat. Wenn hingegen der Beklagte an diesem Orte sich nicht wirklich aufhält, so hat der Kläger zwischen den mehreren Bezirksgerichten die Wahl (§ 102). (2) Bestehen am Sitz einer zur Vertretung eines Minderjährigen berufenen Bezirksverwaltungsbehörde oder einer zur Anstalts- oder Vereinsvormundschaft berufenen Stelle mehrere Bezirksgerichte, so ist für Klagen, die von der betreffenden Stelle in Vertretung des Minderjährigen bei einem Bezirksgericht erhoben werden, auch das Bezirksgericht zuständig, in dessen Sprengel die die Vertretung besorgende Stelle ihren Sitz hat. [Abs 1 Satz 1 idF ZVN 1983; Abs 2 idF BGBl 1977/403] Lit: Simotta in Fasching I § 103 JN. Mehrere BG (gleicher Art) bestehen (lediglich) in Wien, und zwar – das BG Innere Stadt Wien für die Bezirke I, III bis VI und XI; – das BG Josefstadt für die Bezirke VII bis IX; – das BG Favoriten für den Bezirk X; - das BG Meidling für den Bezirk XII; – das BG Hietzing für den Bezirk XIII; – das BG Fünfhaus für die Bezirke XIV und XV; – das BG Hernals für die Bezirke XVI und XVII; – das BG Döbling für die Bezirke XVIII und XIX; – das BG Leopoldstadt für die Bezirke II und XX; – das BG Floridsdorf für den Bezirk XXI; – das BG Donaustadt für den Bezirk XXII; – das BG Liesing für den XXIII. Bezirk. 359

1

§ 104

Mayr

Daneben besteht in Wien noch das BGHS Wien für die Bezirke I bis XXIII. Das Exekutionsgericht Wien und das Strafbezirksgericht Wien wurden 1997 aufgelöst, der Jugendgerichtshof Wien mit Wirkung vom 1.7.2003 beseitigt (Art I BGBl I 2003/30). Näheres zur Wiener Gerichtsorganisation s im Bezirksgerichts-Organisationsgesetz für Wien BGBl 1985/203, zuletzt geändert durch BGBl I 1999/57. Ab dem 1.1.2007 sind (auch) in Graz zwei (Voll-)Bezirksgerichte, nämlich das Bezirksgericht Graz-West und das Bezirksgericht GrazOst, eingerichtet. Zu dieser Neuordnung der Bezirksgerichts-Organisation s das BG BGBl I 2004/60 (mit den EB 472 BlgNR 22. GP) idF BGBl I 2005/66.

2 In Wien (und in Graz) ist daher die Klage bei demjenigen BG einzubringen, in dessen Sprengel der Beklagte seinen allgemeinen Gerichtsstand oder (ersatzweise) Aufenthalt hat. Wurde hingegen Wien oder Graz (ohne nähere örtliche Präzisierung) als Gerichtsstand oder als Erfüllungsort vereinbart (s § 104 Rz 5) und hält sich der Beklagte gar nicht in Wien (Graz) auf (so LGZ Wien EvBl 1950/256), so hat der Kläger die Wahl zwischen den mehreren BG (LGZ Wien WR 503/1991).

3 Nach § 4 Abs 3 Wiener JugendwohlfahrtsG 1990 (LGBl 36) obliegt die gesetzliche Vertretung eines Minderjährigen – soweit sie überhaupt dem Jugendwohlfahrtsträger zukommt (Amtsvormund) – dem Magistrat der Stadt Wien. Die zuständige Magistratsabteilung 11 hat ihren Sitz im III. Wiener Gemeindebezirk, so dass sie Klagen in Vertretung des Minderjährigen (auch) bei dem (für den III. Bezirk zuständigen) BG Innere Stadt Wien erheben kann. § 103 Abs 2 schafft aber keinen Aktivgerichtsstand, sondern findet nur dann Anwendung, wenn der Beklagte nach den allgemeinen Zuständigkeitsvorschriften in Wien zu klagen wäre (so Fasching1 I 492 zur früheren Regelung, die jedoch nach den Gesetzesmaterialien [587 BlgNR 14. GP 17] im Wesentlichen der gegenwärtigen Rechtslage entsprach; nunmehr auch Simotta in Fasching I § 103 Rz 5). Eine Anstalts- und Vereinsvormundschaft iSd § 25 JWG 1954 kennt das JWG 1989 nicht mehr. Vereinbarung über die Zuständigkeit der Gerichte § 104. (1) Die Parteien können sich durch ausdrückliche Vereinbarung unterwerfen: 1. der inländischen Gerichtsbarkeit; 2. einem oder mehreren Gerichten erster Instanz namentlich angeführter Orte. 360

JN § 104

2.2 Örtliche Zuständigkeit

Die Vereinbarung muss urkundlich nachgewiesen werden; eine sonstige Voraussetzung muss nicht erfüllt sein. (2) Die Vereinbarung hat nur dann rechtliche Wirkung, wenn sie sich auf einen bestimmten Rechtsstreit oder auf die aus einem bestimmten Rechtsverhältnisse entspringenden Rechtsstreitigkeiten bezieht. Jedoch können Angelegenheiten, welche dem Wirkungskreise der ordentlichen Gerichte überhaupt entzogen sind, durch solche Vereinbarungen nicht vor diese Gerichte, Rechtssachen, welche vor ein Bezirksgericht gehören, nicht vor einen Gerichtshof erster Instanz und ausschließlich den Gerichtshöfen erster Instanz zugewiesene Streitigkeiten nicht vor ein Bezirksgericht gebracht werden. (3) Ein an sich auf Grund des Fehlens der inländischen Gerichtsbarkeit oder der sachlichen oder örtlichen Zuständigkeit unzuständiges Gericht wird auch dadurch zuständig, daß der Beklagte zur Sache vorbringt (§ 74 ZPO) oder mündlich verhandelt, ohne die Einrede des Fehlens der inländischen Gerichtsbarkeit oder der sachlichen oder örtlichen Zuständigkeit zu erheben, sofern er dabei durch einen Rechtsanwalt oder einen Notar vertreten ist oder sofern er vorher durch den Richter über die Möglichkeit einer derartigen Einrede und deren Wirkung belehrt und diese Belehrung im Verhandlungsprotokoll beurkundet worden ist. (4) In Rechtssachen nach den §§ 81, 83, 83b und 92b kann die inländische Gerichtsbarkeit nach den Abs 1 oder 3 nicht begründet werden. (5) Die Abs 1 bis 4 sind insoweit zur Gänze oder zum Teil nicht anzuwenden, als nach Völkerrecht oder besonderen gesetzlichen Anordnungen ausdrücklich anderes bestimmt ist. [Abs 1 und 3 idF Art VI Z 14 WGN 1997; Abs 2 idF 1. GEN; Abs 4 und 5 angefügt durch Art VI Z 14 WGN 1997] Lit: Matscher, Zuständigkeitsvereinbarungen im österreichischen und im internationalen Zivilprozeßrecht (1967); Lorenz-Liburnau, Zur Frage der Zuständigkeitsvereinbarungen in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen, ZVR 1969, 57 = VersRdSch 1969, 77; Jelinek, Gerichtszuständigkeit im Verbraucherprozeß (§ 14 KSchG), in Krejci (Hrsg), Handbuch zum Konsumentenschutzgesetz (1981) 859; Fucik, Die Zuständigkeit nach der Zivilverfahrens-Novelle 1983, RZ 1985, 258; Csoklich, Die Allgemeinen Österreichischen Spediteurbedingungen und das Konsumentenschutzgesetz, ÖJZ 1986, 437; Fink, Die Heilung von Unzuständigkeiten nach dem ASGG, RdW 1987, 261; ders, Nochmals zur Heilung von Unzuständigkeiten nach dem ASGG, RdW 1989, 305; Klicka, Wann ist ein „echtes“ und wann ein „unechtes“ Versäumungs361

§ 104

Mayr

urteil zu fällen? JBl 1990, 434; Schoibl, Zum Abschluß von Gerichtsstandsvereinbarungen im deutsch-österreichischen Rechtsverkehr, BeitrZPR IV 121; Mayr, Praxisprobleme der Zuständigkeit und der inländischen Gerichtsbarkeit, ÖJZ 1995, 329; Gottwald, Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen, Verträge zwischen Prozessrecht und materiellem Recht, FS Henkel (1995) 295; Oberhammer, Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen: Konkurrierende oder ausschließliche Zuständigkeit? JBl 1997, 434; Schoibl, Ausgewählte Zuständigkeitstatbestände in der Rechtsprechung des EuGH: Die gerichtlichen Zuständigkeiten am Erfüllungsort des Vertrages nach Art 5 Nr 1 und die Zuständigkeitsvereinbarung nach Art 17 des Brüsseler und des Luganer Übereinkommens, in Bajons/Mayr/Zeiler, Die Übereinkommen 61; Burgstaller, Probleme der Prorogation nach dem Lugano-Übereinkommen, JBl 1998, 691; Simotta, Die Neuregelung der internationalen Zuständigkeit durch die Wertgrenzen-Novelle 1997, FS Schütze (1999) 831; Heiss, Die Form internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen, ZfRV 2000, 202; Handig, Gerichtsstandsvereinbarungen im Internet? RdW 2001, 722; Mayr, Die Reform des internationalen Zivilprozessrechts in Österreich, JBl 2001, 144; Parenti, Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen: Lex fori oder lex causae Anknüpfung? ZfRV 2003, 221; Oberhammer, Group Josi, Coreck – Roma locuta, causa non finita? IPRax 2004, 264; Heiss/Zobel, Zur Dichotomie des internationalen Zivilverfahrensrechts: Das Neben-, Mit- und Gegeneinander des autonomen und europäischen Rechts, IPRax 2004, 266; Mayr, Die Wahrnehmung der Unzuständigkeit nach der ZVN 2002, ÖJZ 2004, 361; Schneider, Die Auslegung von Parteiprozesshandlungen (2004) 34 ff, 227 ff; Czernich, Gerichtsstandsvereinbarung und Auslandsbezug, wbl 2004, 458; Burgstaller/Neumayr, Beobachtungen zu Grenzfragen der internationalen Zuständigkeit, FS Schlosser (2005) 119 (121); Lindacher, Internationale Gerichtsstandsklauseln in AGB unter dem Geltungsregime von Brüssel I, FS Schlosser (2005) 491; McGuire, Forum Shopping und Verweisung, ZfRV 2005, 83; G. Kodek, Überweisung von Klagen im europäischen Justizraum? RZ 2005, 217; Coester-Waltjen, Parteiautonomie in der internationalen Zuständigkeit, FS Heldrich (2005) 549; Rühl, Das Haager Übereinkommen über die Vereinbarung gerichtlicher Zuständigkeiten: Rückschritt oder Fortschritt? IPRax 2005, 410; Frauenberger-Pfeiler, Der „reine Binnensachverhalt“, Art 23 EuGVVO und der öOGH, FS Rechberger (2005) 125; Horn, Einwand des Rechtsmissbrauchs gegen eine Gerichtsstandsvereinbarung iSd Art 23 EuGVO? IPRax 2006, 2. Simotta in Fasching I § 104 JN; Bajons Rz 118; Ballon Rz 64 ff, 73 ff; Buchegger, PraktZPR I 30, 36, 95; Deixler-Hübner/Klicka Rz 70 ff, 390 ff; Fasching Rz 196 ff; Holzhammer 62; Mayr/Czernich, EuZPR Rz 222 ff, 242 ff; Rechberger/Simotta Rz 70 ff, 142 ff, 998 ff. 362

JN § 104

2.2 Örtliche Zuständigkeit Inhaltsübersicht Rechtsnatur Auslegung Bedingung, Befristung, Auflösung Parteien Bestimmtheit Ausdrücklichkeit Urkundlicher Nachweis Ausschließlicher oder Wahlgerichtsstand Negative Gerichtsstandsvereinbarung

1 2 3 4 5–6 7 8–10 11 12

Internationale Gerichtsstandsvereinbarung 13 Grenzen der Parteienvereinbarung 14–16 Heilung der Unzuständigkeit 17–19 Heilung der internationalen Unzuständigkeit 20 Amtswegige Wahrnehmung der Unzuständigkeit 21 Europäisches Zivilprozessrecht 22–26

Die Zuständigkeitsvereinbarung stellt nach (österreichischer) hM eine 1 außerhalb des Prozesses geschlossene (vorprozessuale; vgl § 31a Rz 1) Prozesshandlung (bzw einen „Prozessvertrag“) der Parteien dar, die bezüglich ihrer Wirksamkeit (Zulässigkeit und Gültigkeit) ausschließlich nach den Regeln des (österreichischen: SZ 10/162; EvBl 1957/386) Zivilverfahrensrechts zu beurteilen ist (etwa Simotta in Fasching I § 104 Rz 1 f; Fasching Rz 196; HS 17.026 = wbl 1987, 17; SZ 63/188 = EvBl 1991/16 = JBl 1992, 256 = ÖBA 1991/276; JBl 1994, 546 = MietSlg 45.609 = ZfRV 1993/69, 213; ZfRV 1998/61, 209 = ecolex 1998, 627; 1 Ob 25/05s uva). Immer mehr wird jedoch (auch in Österreich) eine Beurteilung nach materiellem Recht angeregt (s Simotta in Fasching I § 104 Rz 5 und Parenti, ZfRV 2003, 221). Sie teilt daher nicht das Schicksal der materiellrechtlichen Hauptvereinbarung und bleibt unabhängig davon bestehen, ob die Hauptvereinbarung bestritten, ihr Bestand überhaupt verneint oder ihre Auflösung begehrt wird (Simotta in Fasching I § 104 Rz 6; JBl 1932, 544 = GH 1932, 164 = Rsp 1932/253; ecolex 1995, 887 = RdW 1995, 426 = ZfRV 1996/7, 25; 5 Ob 112/01h = ZfRV 2002/9, 24 ua). Sie kann auch nicht aus materiellrechtlichen Gründen bekämpft bzw ihre Aufhebung wegen eines Willensmangels (zB List, Irrtum, Zwang) begehrt werden (Simotta in Fasching I § 104 Rz 8; Fasching Rz 762). Aus der Qualifikation der Gerichtsstandsvereinbarung als Prozess- 2 handlung folgt, dass zu ihrer Auslegung nicht die materiellrechtlichen Vorschriften über die Auslegung von Verträgen (§§ 914 ff ABGB) heranzuziehen sind (Simotta in Fasching I § 104 Rz 9; Fasching Rz 750, 757; SZ 36/138 = EvBl 1964/85; ZfRV 1996/15, 75 ua; vgl auch Ballon Rz 502). Soweit das Prozessrecht keine Auslegungsregeln zur Verfügung stellt, ist primär der objektive Erklärungswert festzustellen. Wenn 363

§ 104

Mayr

dies nicht ausreicht, ist entsprechend den für alle Rechtsgebiete wirksamen allgemeinen Auslegungsregeln des § 7 ABGB vorzugehen (so zuletzt 1 Ob 25/05s; s dazu ausführlich Schneider, Auslegung 228 ff). Insb darf die Zuständigkeitsvereinbarung nicht unter Heranziehung von Beweisen, die über den Wortlaut der Urkunde hinausgehen, also etwa durch eine Zeugen- oder Parteieneinvernahme, beurteilt werden (Schoibl, Gerichtsstandsvereinbarungen 162 mwN sowie etwa JBl 1994, 546 = MietSlg 45.609 = ZfRV 1993/69, 213 oder ZfRV 1995/15, 72). Eine mit den Mitteln der Urkundenauslegung nicht behebbare Unklarheit geht zu Lasten der Partei, die sich auf die beurkundete Vereinbarung beruft. Der Beweis, dass die Urkunde über die Zuständigkeitsvereinbarung nicht der tatsächlich getroffenen Vereinbarung entspricht, ist dadurch aber nicht ausgeschlossen. Die Beweislast trifft denjenigen, der die Richtigkeit des Urkundeninhaltes bestreitet (HS 17.026 = wbl 1987, 17; EvBl 1995/51 = RdW 1995, 259 = ZfRV 1995/20, 156).

3 Gerichtsstandsvereinbarungen müssen – wie auch die anderen Prozesshandlungen (s Fasching Rz 758) – unbedingt sein (SZ 37/170; Simotta in Fasching I § 104 Rz 104). Eine klare Befristung der Wirksamkeit einer solchen Vereinbarung erscheint jedoch möglich, da dadurch die Bestimmtheit der Vereinbarung nicht beeinträchtigt wird (Matscher, Zuständigkeitsvereinbarungen 55; Schoibl, Gerichtsstandsvereinbarungen 163; aM Simotta in Fasching I § 104 Rz 103). Sie erlischt durch eine einverständliche Auflösung der Vereinbarung.

4 Zum wirksamen Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung ist (als Prozesshandlung) die Prozessfähigkeit der Parteien iSd §§ 1 ff ZPO erforderlich (etwa Simotta in Fasching I § 104 Rz 16 oder Fasching Rz 196; RZ 1957, 107 stellt hingegen allein auf die privatrechtliche Handlungsfähigkeit ab). Die Vereinbarung muss zwischen den Parteien des Rechtsstreits oder ihren Rechtsvorgängern abgeschlossen worden sein. Sie wirkt somit nach hM (etwa Simotta in Fasching I § 104 Rz 15 und 98 ff; ZBl 1933/226) auch für und gegen die Einzel- oder Gesamtrechtsnachfolger der vertragsschließenden Personen, soweit nicht diese Wirkung ausdrücklich ausgeschlossen worden ist. Auch diese Einzel- oder Gesamtrechtsnachfolge muss in der Klage behauptet und (erst) im Bestreitungsfall (s unten Rz 8) urkundlich nachgewiesen werden (ZfRV 1995/26, 158; ZfRV 1997, 246; vgl auch [zur Rechtslage vor der WGN 1989] Rsp 1930/113; GesRZ 1977, 26; JBl 1980, 43). Die Gerichtsstandsvereinbarung einer OEG (oder einer OHG bzw einer OG) bindet im Regelfall nicht auch die persönlich haftenden Gesellschafter (1 Ob 163/99y = SZ 72/122 = EvBl 2000/25 = wbl 2000/27, 41 = RdW 2000/71, 93). 364

JN § 104

2.2 Örtliche Zuständigkeit

Bei einem Abschluss durch Dritte (dazu ausführlich Simotta in Fasching I § 104 Rz 20 ff) ist (im Bestreitungsfall) auch der urkundliche Nachweis der Bevollmächtigung notwendig (etwa SZ 10/243; EvBl 1968/45; Simotta in Fasching I § 104 Rz 46 und eingehend Schoibl, Gerichtsstandsvereinbarungen 166 ff mwN). Eine ohne Vollmacht geschlossene Gerichtsstandsvereinbarung kann allerdings durch nachträgliche Zustimmung genehmigt werden, indem etwa die Klage bei dem vereinbarten Gerichtsstand eingebracht wird und der Kläger so zum Ausdruck bringt, dass er zu der in seinem Vollmachtsnamen abgeschlossenen Vereinbarung steht (JBl 1980, 43; RZ 1980/63, 271; SZ 53/ 4 = RZ 1981/26, 108). Eine Gerichtsstandsvereinbarung muss hinsichtlich des gewählten Ge- 5 richts eindeutig bestimmt oder zumindest eindeutig bestimmbar sein (dazu Schneider, Auslegung 260 ff). Zur Bestimmtheit der Gerichtsstandsvereinbarung genügt es jedoch, wenn der Ort bzw die Gemeinde, die aufgrund der einschlägigen gesetzlichen Vorschriften je nach der sachlichen Zuständigkeit ganz bestimmten Gerichtssprengeln zugeteilt ist, namentlich angeführt ist. Dass nur ein Ort, in dem auch ein Gericht seinen Sitz hat, Gegenstand einer Gerichtsstandsvereinbarung sein kann und dementsprechend dieser Ort auch namentlich in der Vereinbarung genannt werden müsse, kann dem Gesetz nicht entnommen werden (so richtig RZ 1994/16, 42 = ZfRV 1993/41, 125 zu einer Gerichtsstandsvereinbarung auf das [jeweils] für Vöcklabruck zuständige Gericht). Wird jedoch (ausdrücklich und absichtlich) ein Ort vereinbart, an dem sich nur ein BG befindet, so liegt darin auch eine im Rahmen der Voraussetzungen des Abs 2 zulässige Vereinbarung der sachlichen Zuständigkeit dieses BG (Simotta in Fasching I § 104 Rz 80; ZBl 1923/180). Der vereinbarte Ort muss nicht in der Gerichtsstandsklausel selbst namentlich genannt sein; es genügt, wenn dieser (namentlich und) zweifelsfrei der Urkunde selbst entnommen werden kann, auch wenn er (bloß) an einer anderen Stelle der Urkunde ersichtlich ist (etwa OLG Wien RdW 1989, 67; ZfRV 1996/19, 76 und Schoibl, Gerichtsstandsvereinbarungen 170 f mwN). So können die Parteien wirksam den (Wohn-) Sitz einer (oder auch beider) Partei(en) als Gerichtsstand vereinbaren, wenn dieser Ort in der Urkunde namentlich genannt wird (s JBl 1932, 544 = GH 1932, 164 = Rsp 1932/253; JUS Z/1008 = ZfRV 1992/23, 233; JBl 1994, 343 = HS 24.760 = ZfRV 1994, 124). Es muss mE aber auch genügen, wenn der vereinbarte Ort nicht in der (Vertrags-)Urkunde selbst aufscheint, sondern in einer anderen mit ihr in einer ausdrücklichen Wechselbeziehung stehenden und ebenfalls vorgelegten Urkunde genannt wird (s § 88 Rz 3). 365

§ 104

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Die Vereinbarung muss sich nicht auf einen (einzigen) Ort beschränken, sondern es können auch wahlweise Gerichte verschiedener namentlich bestimmter (oder bestimmbarer) Orte ausdrücklich vereinbart werden (etwa GlUNF 4588; OLG Wien RdW 1989, 67; Simotta in Fasching I § 104 Rz 77). Zwischen mehreren vereinbarten Gerichten hat der Kläger die Wahl. Ist (zulässigerweise: etwa Simotta in Fasching I § 104 Rz 82; RZ 1980/63, 271; LG Linz RpflSlgE 1994/103; aM Schoibl, Gerichtsstandsvereinbarungen 171 f) die Zuständigkeit der „Gerichte Wiens“ vereinbart worden, so ist § 103 Abs 1 anzuwenden (Neumann I 256; Petschek/Stagel 127). Vereinbart werden kann aber nur ein Gericht erster Instanz; Zuständigkeitsvereinbarungen hinsichtlich des Rechtsmittelverfahrens (der funktionellen Zuständigkeit; s auch § 532 ZPO) sind daher nicht möglich (hM, etwa Simotta in Fasching I § 104 Rz 83).

6 Die Gerichtsstandsvereinbarung muss auch hinsichtlich ihres Gegenstandes bestimmt sein: Sie kann gem Abs 2 nur für einen bestimmten Rechtsstreit oder für die aus einem bestimmten Rechtsverhältnis oder Recht entspringenden Rechtsstreitigkeiten gültig vereinbart werden (einschränkend § 9 Abs 1 ASGG; s unten Rz 15). Eine Vereinbarung für „alle aus diesem Vertrag entstehenden Streitigkeiten“ ist daher zulässig, eine solche für „alle Streitigkeiten zwischen den Vertragspartnern“ hingegen unzulässig (Fasching Rz 197). Sie gilt jedoch für alle Arten von Klagen (Leistungs-, Rechtsgestaltungs- oder Feststellungsklagen: SZ 26/13) und erfasst mangels ausdrücklicher gegenteiliger Vereinbarung auch Streitigkeiten, die sich auf Abreden beziehen, welche vor, neben oder nach der Errichtung der Vertragsurkunde getroffen wurden (RZ 1966, 165; EvBl 1973/40; MietSlg 34.682; RdW 1998, 139); sie gilt im Zweifel also etwa auch für ein ergänzendes Zusatzübereinkommen (JBl 1956, 367). Ungeachtet davon ist jedoch grundsätzlich daran festzuhalten, dass ausschließlich der Wortlaut der urkundlich nachgewiesenen Prorogationsklausel Auskunft darüber gibt, ob sie auch den beim vereinbarten Gericht geltend gemachten Anspruch umfasst (JBl 1994, 546).

7 Die Gerichtsstandsvereinbarung muss ausdrücklich erfolgen, eine schlüssige Handlung reicht nicht aus (ZBl 1920/231; SZ 2/48; EvBl 1959/236 = JBl 1959, 502; EvBl 1963/488 = RZ 1963, 199; ZfRV 1992/23, 233 uva; Schneider, Auslegung 255 f). Die unterlassene Beanstandung aufliegender Formulare oder plakatierter Geschäftsbedingungen (SZ 24/106; Fasching Rz 196) oder das Stillschweigen zu einer Klausel in der Auftragsbestätigung (EvBl 1967/242 = JBl 1967, 382) genügt daher nicht (s auch Simotta in Fasching I § 104 Rz 34). 366

JN § 104

2.2 Örtliche Zuständigkeit

Die Zuständigkeitsvereinbarung muss zwar nicht unbedingt schriftlich 8 getroffen werden, sie muss jedoch in der Klage behauptet und – seit der WGN 1989 – (erst) im Bestreitungsfall oder auf Grund einer zulässigen (dazu LGZ Wien WR 428/1989 und Grill gegen LG Innsbruck AnwBl 1992, 672) amtswegigen Zuständigkeitsprüfung (§ 41 Abs 2) dem Gericht urkundlich nachgewiesen werden, wobei die Urkundenvorlage bis zur Entscheidung über die Unzuständigkeitseinrede möglich ist (stRsp, etwa JBl 1980, 43; SZ 54/10 = JBl 1981, 482; EvBl 1990/123 = RZ 1990/ 72, 174). Diese urkundliche Nachweispflicht trifft auch den Beklagten, der seine Unzuständigkeitseinrede auf das Vorliegen einer (ausschließenden) Gerichtsstandsvereinbarung stützt (SZ 24/106; SZ 26/294). Der verlangte urkundliche Nachweis stellt keine Formvorschrift, son- 9 dern eine Beweisregelung dar (Matscher, Zuständigkeitsvereinbarungen 54 mwN; Simotta in Fasching I § 104 Rz 56; Schneider, Auslegung 234 ff). Diesem Erfordernis entspricht eine gemeinsame Vertragsurkunde, ein Briefwechsel (etwa durch Brief und Gegenbrief, Schuldschein, Bestellschein oder Antragsformular, Kommissionsnote und Schlussbrief), ebenso ein Schriftwechsel unter Verwendung moderner Kommunikationstechniken (wie Telefax oder E-Mail) oder eine (nur) vom Beklagten unterschriebene Urkunde im Zusammenhang mit der erhobenen Klage (s etwa GlUNF 6739 = SpR 230; JBl 1998, 726 = ZfRV 1998/39, 159; 2 Ob 33/97k = ZfRV 2000/12, 32 sowie Simotta in Fasching I § 104 Rz 60 und Schoibl, Gerichtsstandsvereinbarungen 176, jeweils mwN). Urkundlich nachgewiesen ist eine Parteienerklärung aber nur insoweit, als deren Inhalt durch die folgende Unterschrift gedeckt ist (JUS Z/514 = RdW 1990, 408; vgl ZfRV 1992/34, 310; 6 Ob 127/98i = ecolex 1998, 627 und 3 Ob 380/97x = SZ 71/29). Ob die Unterfertigung eines auf der Vorderseite enthaltenen Hinweises auf die rückseitig angeführten Vertragsbedingungen ausreichend ist, wird in der Rsp nicht einhellig beantwortet (dafür RZ 1933, 25 = ZBl 1932/274 und LGZ Wien EvBl 1936/470; dagegen EvBl 1972/7). Jedenfalls unter Kaufleuten (Unternehmern) ist eine Gerichtsstandsklausel in AGB (dazu generell Schoibl, Gerichtsstandsvereinbarungen 180 ff) aber durchaus üblich und auch für einen unerfahrenen Vertragspartner nicht überraschend (s § 864a ABGB), sodass sie als vereinbart gilt (RZ 1981/63, 251 = HS 13.376; EvBl 1995/51 = RdW 1995, 259 mwN; vgl auch SZ 42/112 und SZ 53/ 128 sowie Simotta in Fasching I § 104 Rz 66). Bei Geschäften mit Verbrauchern ist – soweit diese Frage wegen § 14 KSchG noch Relevanz hat – auf die konkreten Umstände des Einzelfalles abzustellen. Nicht ausreichend ist jedenfalls ein (bloßer) Hinweis auf etwa im Geschäftslokal angeschlagene bzw ausgehängte AGB des einen Ver367

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tragspartners mit einer abweichenden Zuständigkeitsregelung (s schon oben Rz 7) oder die generelle Bezugnahme auf AGB mit einer Gerichtsstandsklausel, die – ohne selbst unterschrieben zu sein – der Vertragsurkunde bzw dem schriftlichen Angebot beigefügt sind (EvBl 1951/19; EvBl 1963/488 = RZ 1963, 199; RdW 1996, 59; ZfRV 1998/61, 209 = ecolex 1998, 627; Csoklich, ÖJZ 1986, 445; Simotta in Fasching I § 104 Rz 40; vgl auch SZ 39/17 = EvBl 1966/240). Ein Lieferschein dient schon seiner Funktion nach nicht dem Abschluß einer Gerichtsstandsvereinbarung; er muss daher nicht auf das Vorhandensein entsprechender Klauseln untersucht werden (EvBl 1994/113 = RZ 1995/68, 236 = ZfRV 1994/57, 246; vgl auch 9 ObA 81/04h = wbl 2005/38, 88 = RdW 2005/54, 37 = DRdA 2005/19, 305 [Binder]).

10 Die (notwendige) Unterschrift (vgl EvBl 1975/64) muss grundsätzlich eigenhändig beigesetzt werden, eine im Durchschreibeverfahren – jedoch kein Faksimile oder mittels eines Stempels – hergestellte Unterschrift genügt aber (SZ 53/4 = RZ 1981/26, 108). Der geforderte urkundliche Nachweis kann auch durch die Vorlage einer (nicht beglaubigten) Fotokopie (nicht aber einer bloßen Abschrift) erbracht werden (Mayr gegen LG Innsbruck AnwBl 1986, 727; Böhm, JBl 1988, 388 [Entscheidungsbesprechung]; Fasching Rz 196; Simotta in Fasching I § 104 Rz 71; Ballon Rz 67; OLG Wien AnwBl 1989, 581; EvBl 1990/123 = RZ 1990/72, 174; 2 Ob 33/97k = ZfRV 2000/12, 32; aM OLG Wien WR 273/1987). Bezweifelt das Gericht die Echtheit der Urkunde oder macht der Gegner durch ein entsprechendes Vorbringen solche Zweifel geltend, so hat das Gericht die Vorlage der Originalurkunde aufzutragen. Eine Nichtvorlage führt zur Beurteilung der Echtheit der vorliegenden Kopie im Rahmen der richterlichen Beweiswürdigung. Im Bereich des E-Commerce erfüllt nur eine sichere elektronische Signatur gem § 4 Abs 1 SigG das Erfordernis einer eigenhändigen Unterschrift (sofern nicht ausnahmsweise durch Gesetz oder Parteienvereinbarung etwas anderes bestimmt ist).

11 Nach bisher hM schafft eine Zuständigkeitsvereinbarung im Zweifel nur einen Wahlgerichtsstand, doch kann die ausschließliche Zuständigkeit des prorogierten Gerichts ausdrücklich vereinbart werden oder sich aus dem Gesamtzusammenhang der Vereinbarung unmittelbar ergeben (Fasching Rz 196; Schoibl, Gerichtsstandsvereinbarungen 172 f; Simotta in Fasching I § 104 Rz 90 ff; SZ 44/31 = EvBl 1972/6 = RZ 1971, 196; EvBl 1994/112 = RZ 1995/97, 286; 1 Ob 221/00g = MietSlg 52.688). Für internationale Gerichtsstandsvereinbarungen vertritt jedoch Oberhammer (JBl 1997, 434) mit überzeugenden Argumenten (insb einem 368

JN § 104

2.2 Örtliche Zuständigkeit

Verweis auf die Rechtslage nach Art 17 EuGVÜ/LGVÜ [bzw nunmehr Art 23 Abs 1 EuGVVO]; dazu unten Rz 25) die Auffassung, dass mangels ausdrücklicher Vereinbarung einer konkurrierenden Zuständigkeit eine ausschließliche Zuständigkeit des vereinbarten Gerichts anzunehmen ist (zustimmend Simotta in Fasching I § 104 Rz 97; vgl auch 6 Ob 275/01m = EFSlg 101.628, 101.630, 101.631 = IPRax 2004, 261 [dazu Heiss/Zobel, IPRax 2004, 266]), sodass insgesamt eine kritische Überprüfung der bisherigen Meinung notwendig erscheint (s eingehend Schneider, Auslegung 265 ff mwN). Die Geltung von negativen Gerichtsstandsvereinbarungen, mit de- 12 nen die Zuständigkeit von bestimmten Gerichten ausgeschlossen wird (Derogation), ist in Österreich – soweit keine Ausnahmeregelungen bestehen (§ 14 Abs 3 KSchG, § 48 Abs 2 VersVG, § 6 Abs 3 VAG 1978) – grundsätzlich anerkannt (Fasching Rz 199; Simotta in Fasching I § 104 Rz 170; SZ 24/106; EvBl 1967/242 = JBl 1967, 382). Für sie gelten die gleichen Vorschriften wie für positive Vereinbarungen. Eine vollständige Derogation sämtlicher (zuständigen) Gerichte – somit ein gänzlicher Ausschluss des Rechtswegs – ist jedoch nach hM unzulässig (Simotta in Fasching I § 104 Rz 172 oder Schoibl, Gerichtsstandsvereinbarungen 163 f mwN; s ferner Vor § 1 Rz 13). Auch die ausschließliche Prorogation auf ein ausländisches Gericht, dessen Entscheidung in Österreich nicht anerkannt werden würde, stellt einen unzulässigen (gänzlichen) Verzicht auf den staatlichen Rechtsschutz dar (EvBl 1960/259; Matscher, Zuständigkeitsvereinbarungen 82 ff; vgl Simotta in Fasching I § 104 JN Rz 94). Seit der WGN 1997 können sich die Parteien unter den oben angeführ- 13 ten Voraussetzungen auch der „inländischen Gerichtsbarkeit“ unterwerfen. Dabei ist jedoch zu unterscheiden: Die völkerrechtlich gezogenen Grenzen der inländischen Gerichtsbarkeit (im engeren Sinn – s § 42 Rz 2) können durch eine Parteienvereinbarung nicht überwunden werden (s § 104 Abs 5). Insb bewirkt eine Gerichtsstandsvereinbarung mit einer immunen Person (allein) noch nicht einen (der Person selbst gar nicht möglichen) Verzicht auf die Immunität (s Art IX EGJN Rz 17). Personen, die an sich (völkerrechtliche) Immunität genießen, können eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung daher nur hinsichtlich jener Sachen treffen, in denen sie der inländischen Gerichtsbarkeit unterliegen, oder wenn ein (wirksamer) Immunitätsverzicht vorliegt (Simotta in Fasching I § 104 Rz 110). Die „inländische Gerichtsbarkeit“ iSd internationalen Zuständigkeit kann hingegen grundsätzlich durch Parteienvereinbarung begrün369

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det werden. Es kommen entweder (und zwar vorrangig) die einschlägigen Bestimmungen des europäischen Rechts (bzw des Völkerrechts) oder – außerhalb von dessen Anwendungsbereich (dazu unten Rz 23) – des autonomen österreichischen Rechts zur Anwendung. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang, dass auf völkerrechtlicher Ebene am 30.6.2005 das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen verabschiedet worden ist, welches nunmehr aber erst ratifiziert werden muss (s dazu etwa Rühl, IPRax 2005, 410). Nach österreichischem Recht kann in Anlehnung an das europäische Vorbild (Art 23 EuGVVO, Art 17 EuGVÜ/LGVÜ) in Rechtssachen nach den §§ 81, 83, 83b und 92b, für Klagen nach §§ 35, 36 und 37 EO und in Sozialrechtssachen die internationale Zuständigkeit („inländische Gerichtsbarkeit“) durch eine Parteienvereinbarung nicht begründet werden (so ausdrücklich § 104 Abs 4, § 38 Abs 2 EO und § 9 Abs 1a ASGG). Ebenfalls in Angleichung an die „europäische“ Rechtslage werden in § 15b Abs 1 VersVG, § 9 Abs 1a ASGG und § 14 Abs 1 KSchG Vereinbarungen über die „inländische Gerichtsbarkeit“ (bzw im Fall des § 14 KSchG auch über die örtliche Zuständigkeit) nur „für bereits entstandene Streitigkeiten“ zugelassen (s Vor § 83a JN § 14 KSchG Rz 7). Darüberhinaus liegt ein Fall der unprorogablen internationalen (Un-)Zuständigkeit dann vor, wenn in besonderen gesetzlichen Anordnungen die Voraussetzungen für das Vorliegen der „inländischen Gerichtsbarkeit“ taxativ aufgezählt werden, eine Gerichtsstandsvereinbarung aber nicht vorgesehen ist, also insb in ehe- und familienrechtlichen Sachen nach den §§ 76 Abs 2, 106, 108 Abs 3, 110, 113b und 114a Abs 4 (s § 42 Rz 3), oder wenn es im betreffenden Verfahren überhaupt keine Prorogation gibt (s näher Simotta in Fasching I § 104 Rz 115 ff und Mayr, JBl 2001, 152 f). In allen anderen Streitigkeiten kann dagegen die internationale Zuständigkeit Österreichs („inländische Gerichtsbarkeit“) durch Vereinbarung der Parteien begründet werden (prorogable internationale [Un-]Zuständigkeit – s § 42 Rz 4). Diese Vereinbarung muss – wie sonst auch (oben Rz 8 f) – im Bestreitungsfall urkundlich nachgewiesen werden. Weitere (spezielle) Voraussetzungen – insb eine Nahebeziehung zum Inland – müssen hingegen nicht (mehr) vorliegen. Damit ist die unter der Geltung der Indikationentheorie (s § 27a Rz 2) diesbezüglich bestandene Rechtsunsicherheit beseitigt worden (s etwa EvBl 1995/ 51 = RdW 1995, 259 = ZfRV 1995/20, 156; ecolex 1995, 887 = RdW 1995, 426 = ZfRV 1996/7, 25; ZfRV 1996/54, 195; ZfRV 1996/72, 198 = RdW 1997, 75; JBl 1996, 795 [krit Matscher]). Wurde nur die (internationale) Zuständigkeit Österreichs bzw der „österreichischen Gerichte“ vereinbart, so muss im Wege einer Ordination das örtlich zuständige Gericht festgelegt werden (§ 28 Abs 1 Z 3; dazu § 28 Rz 5). 370

JN § 104

2.2 Örtliche Zuständigkeit

Parteienvereinbarungen über die Zulässigkeit des Rechtswegs sind (so- 14 weit sie nicht ausnahmsweise als eine Frage der prorogablen sachlichen Zuständigkeit behandelt wird, s § 1 Rz 5 und § 42 Rz 9) nicht möglich (Abs 2 Satz 2). Es können daher nicht Verwaltungssachen und Sachen, die vor nicht privatrechtliche Sondergerichte gehören, vor die ordentlichen Gerichte gebracht werden. Ebenso ist eine Vereinbarung der Parteien über das (innerhalb des „Rechtswegs“) anzuwendende Verfahren unzulässig; insb scheidet also eine Vereinbarung der Parteien darüber, ob streitiges oder außerstreitiges Verfahren anzuwenden ist, aus (hM, etwa Mayr/Fucik Rz 36). Die Grenzen der Vereinbarkeit, die im Bereich der „inländischen Gerichtsbarkeit“ bestehen, wurden bereits oben (Rz 13) dargestellt. Durch die Regelung des Abs 2 Satz 2, 2. Halbsatz wird im Bereich der 15 sachlichen Zuständigkeit eine Zuständigkeitsveränderung durch Parteienvereinbarung weitgehend ausgeschlossen: Lediglich eine Verschiebung vom wertzuständigen GH zum BG und zwischen allgemeiner und Kausalgerichtsbarkeit ist möglich. Das bedeutet, dass Rechtssachen, für die (Eigen- oder Wert-) Zuständigkeit des (allgemeinen oder kausalen) BG besteht, niemals vor den (allgemeinen oder kausalen) GH gebracht werden können und dass für Rechtssachen, die in die Eigenzuständigeit der (allgemeinen oder kausalen) GH fallen, nicht die Zuständigkeit der (allgemeinen oder kausalen) BG begründet werden kann. Andererseits kann aber durch Prorogation nicht nur die Zuständigkeit vom HG zum (allgemeinen) LG (oder vom BGHS zum allgemeinen BG) und umgekehrt verlagert werden, sondern auch statt des wertzuständigen HG oder LG ein (allgemeines) BG oder das BGHS zuständig gemacht werden. Neben der Anrufung des betreffenden Gerichts ist nicht auch noch eine Behauptung erforderlich, dass die Gerichtsstandsvereinbarung auch eine Verschiebung der sachlichen Zuständigkeit mitumfasst (EvBl 1994/112 = MietSlg 46.596 = RdW 1994, 177 = RZ 1995/97, 286). In Arbeits- und Sozialrechtssachen kann die sachliche Zuständigkeit durch eine Parteienvereinbarung nicht geändert werden (§ 9 Abs 1 ASGG). Eine Arbeits- und Sozialrechtssache kann daher nicht vor ein BG oder vor ein allgemeines LG oder das HG gebracht werden. Umgekehrt wird durch den Gesetzeswortlaut nicht ausgeschlossen, dass eine vor das (allgemeine) LG oder das HG gehörende Nicht-Arbeitsoder Sozialrechtssache vor das Arbeits- und Sozialgericht gebracht wird (Fink, RdW 1987, 262 f FN 14; Rechberger/Simotta Rz 142/2; aM Ballon Rz 461). Zu beachten ist allerdings grundsätzlich, dass nach § 37 Abs 1 ASGG das Verhältnis zwischen Zivil- oder Handelssenat (bzw Einzelrichter) und arbeits- und sozialrechtlichem Senat desselben GH 371

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nicht als (un-)prorogable Unzuständigkeit, sondern als unrichtige Gerichtsbesetzung behandelt wird (s § 7 Rz 5).

16 Die örtliche Zuständigkeit kann hingegen sehr weitgehend durch eine Parteienvereinbarung verschoben werden. Eine solche ist nur dort unzulässig, wo sie das Gesetz ausdrücklich ausschließt. Dies geschieht etwa in den (praktisch wenig bedeutsamen) Fällen der §§ 83a, 83b (zu den weiteren Anwendungsfällen s Vor § 83a) sowie insb durch § 14 Abs 1 KSchG. Danach ist eine (vor Entstehung der Streitigkeit getroffene) Gerichtsstandsvereinbarung für Klagen gegen einen Verbraucher mit inländischem Anknüpfungspunkt nur insoweit zulässig, als sich der vereinbarte Gerichtsstand mit dem Ort deckt, in dem der Verbraucher seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat oder seiner Beschäftigung nachgeht (dazu näher Vor § 83a). Außerdem kann eine im Gesetz namentlich genannte Zuständigkeit nicht durch eine Vereinbarung abgeändert werden (Simotta in Fasching I § 104 Rz 151). In Arbeitsrechtssachen kann die örtliche Zuständigkeit nur für einen bestimmten einzelnen Rechtsstreit der im § 50 Abs 1 Z 1 bis 3 ASGG genannten Art sowie für besondere Feststellungsverfahren nach § 54 Abs 1 ASGG geändert werden. In den nicht genannten Arbeitsrechtssachen sowie in sämtlichen Sozialrechtssachen ist eine Verschiebung der örtlichen Zuständigkeit hingegen ausgeschlossen. Eine individuelle Zuständigkeit kann durch Parteienvereinbarung geändert werden, wenn dies entweder der Gesetzgeber ausdrücklich erlaubt (s § 114a Abs 2 und 3) oder es der ratio der Bestimmung nicht widerspricht (so Simotta in Fasching I § 104 Rz 152). Die funktionelle Zuständigkeit ist – wie bereits oben (Rz 5 aE) erwähnt – einer Parteienvereinbarung entzogen. Außerhalb des streitigen Verfahrens – im Exekutionsverfahren (§ 51 Satz 2 EO), im Insolvenzverfahren (§ 172 Abs 2 KO, § 76 Abs 2 AO) und im Außerstreitverfahren (Ausnahme § 114a Abs 1) – ist eine Zuständigkeitsvereinbarung regelmäßig ausgeschlossen (s näher Simotta in Fasching I § 104 Rz 158 ff).

17 Kann ein an sich unzuständiges Gericht durch eine Parteienvereinbarung zuständig gemacht werden, so spricht man von einer prorogablen Unzuständigkeit. Ist hingegen nach den eben angeführten Regeln eine Prorogation ausgeschlossen, so liegt eine unprorogable Unzuständigkeit vor. Beide Arten der Unzuständigkeit heilen dadurch, dass der Richter seine Unzuständigkeit nicht rechtzeitig wahrnimmt und es die beklagte Partei verabsäumt, eine rechtzeitige Unzuständigkeitseinrede zu erheben. Wegen des (bisweilen) unterschiedlichen Zeitpunktes der Heilung und der teilweise notwendigen richterlichen Belehrung muss 372

JN § 104

2.2 Örtliche Zuständigkeit

jedoch (leider) in manchen Fallkonstellationen zwischen diesen beiden Ausprägungsformen der Unzuständigkeit unterschieden werden (s unten). Nicht geheilt werden kann hingegen ein Verstoß gegen die funktionelle Zuständigkeit. Auf die – wesentliche Elemente der funktionellen Zuständigkeit enthaltende – Regelung des § 532 Abs 2 ZPO ist der Abs 3 daher nicht anwendbar (SZ 60/238 = EFSlg 55.069 = NZ 1989, 11 [zust Fink]). Auch bei der internationalen Unzuständigkeit ist zwischen einer prorogablen und einer unprorogablen Unzuständigkeit zu unterscheiden (s schon oben Rz 13 und unten Rz 20). Letztere kann nämlich nicht durch eine rügelose Einlassung der beklagten Partei heilen. Dieser Mangel heilt vielmehr erst mit Eintritt der Rechtskraft. Zur Wahrnehmbarkeit einer prorogablen Unzuständigkeit s § 43 Rz 4 f. Bei Vorliegen einer unprorogablen Unzuständigkeit ist zu unter- 18 scheiden: Ist der Beklagte durch einen Rechtsanwalt (oder die Finanzprokuratur [1 Nd 17/02 = EFSlg 101.633]) oder einen Notar (zu dessen Vertretungsbefugnis s § 5 Abs 2 NO idF AußStr-BegleitG) vertreten oder ist er persönlich von der Anwaltspflicht befreit (§ 28 Abs 1 ZPO; vgl dazu 1 Ob 237/04s = AnwBl 2005, 345 [Mayr]) oder schreitet für ihn im arbeits- und sozialgerichtlichen Verfahren eine gem § 40 Abs 1 ASGG qualifizierte Person ein (§ 38 Abs 1 ASGG), so heilt die Unzuständigkeit, wenn dieser Vertreter schriftlich oder mündlich zur Sache (s 1337 BlgNR 15. GP 6; Fucik, RZ 1985, 259) vorbringt, ohne die Unzuständigkeitseinrede zu erheben (§ 104 Abs 3). Das bedeutet im Einzelnen: Im bezirksgerichtlichen Verfahren muss die Einrede grundsätzlich in der ersten mündlichen Streitverhandlung (vorbereitenden Tagsatzung) vor Einlassung in die Hauptsache erhoben werden. Bloß wegen einer nicht exakten Reihung der Worte im Vorbringen tritt jedoch keine Präklusion ein (NBlRA 1955, 31; EvBl 1992/8 = JBl 1992, 331). Die Erhebung der Unzuständigkeitseinrede in einem Widerspruch gegen das Versäumungsurteil nach § 442 Abs 1 ZPO ist verspätet (Mayr, ÖJZ 2004, 369; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny III § 397a ZPO Rz 9; vgl Deixler-Hübner/Klicka Rz 71 und 248; aM G. Kodek in Fasching/Konecny III § 441 ZPO Rz 8 und § 442a ZPO Rz 7), das Versäumungsurteil kann jedoch mit einer Nichtigkeitsberufung (nach § 477 Abs 1 Z 3 ZPO) bekämpft oder allenfalls durch einen Wiedereinsetzungsantrag beseitigt werden. Nicht geklärt ist, ob eine Heilung der Unzuständigkeit durch die (rügelose) Einbringung eines vorbereitenden Schriftsatzes mit Sach373

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vorbringen eintritt. Entgegen der Rsp (etwa 3 Ob 117/99y = SZ 72/193 = ecolex 2001, 46/13 = RdW 2000/253, 284 = ZfRV 2000, 197 oder 3 Ob 187/00x = JBl 2001, 327 und 6 Ob 41/03b = JBl 2004, 387) kann es jedenfalls keinen Unterschied machen, ob dieser Schriftsatz vom Gericht aufgetragen, „freigestellt“ oder von der beklagten Partei freiwillig erstattet worden ist (Mayr, ÖJZ 2004, 369 f; zustimmend G. Kodek in Fasching/Konecny III § 441 ZPO Rz 10). ME (so auch [früher] Simotta in Fasching I § 104 Rz 186) sprechen nunmehr – nach der ZVN 2002 – mehr Argumente dafür, dass durch die Einbringung eines Schriftsatzes mit Sachvorbringen eine Heilung der Unzuständigkeit eintritt (s ausführlich Mayr, ÖJZ 2004, 370 f; Deixler-Hübner/Klicka Rz 71a; aM G. Kodek in Fasching/Konecny III § 441 ZPO Rz 13). Ebenso wird nunmehr – anders als nach der Rechtslage vor der ZVN 2002 (s Rz 15 der Vorauflage) – auch durch einen mit Sachvorbringen versehenen Einspruch im Mahnverfahren eine Heilung der Unzuständigkeit eintreten (s näher Mayr, ÖJZ 2004, 371 f). Im Bestandverfahren (im BG-Verfahren) und im Mandats- oder Wechselmandatsverfahren (im BG- oder GH-Verfahren) muss die Unzuständigkeitseinrede in den Einwendungen gegen die Aufkündigung oder den (Wechsel-)Zahlungsauftrag erhoben werden, wenn diese ein Sachvorbringen enthalten (s Mayr, ÖJZ 2004, 372 f). Im Gerichtshofverfahren ist die Unzuständigkeitseinrede (des notwendigerweise vertretenen Beklagten) ausschließlich in der Klagebeantwortung oder im Einspruch gegen einen Zahlungsbefehl zu erheben, und zwar auch dann, wenn diese (gesetzwidrigerweise) (sonst) „leer“ sind (und dieser Umstand von der Rsp weiterhin hingenommen werden sollte; s Mayr, ÖJZ 2004, 366 und ders in Fasching/Konecny III § 239 ZPO Rz 19 ff). Dabei schadet es aber nicht, wenn im selben Schriftsatz zuerst die Einwendungen in der Hauptsache und erst dann die Prozesseinreden vorgebracht werden (s etwa Mayr in Fasching/ Konecny III § 239 ZPO Rz 30). Die Erhebung der Einrede im Widerspruch gegen ein Versäumungsurteil (§ 397a ZPO) ist mE (seit der ZVN 2002) verspätet (Mayr, ÖJZ 2004, 366 f; s auch Rechberger/Simotta Rz 504 und Deixler-Hübner in Fasching/Konecny III § 397a ZPO Rz 7). Die Äußerung der beklagten Partei zu dem von der klagenden Partei mit ihrer Klage verbundenen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung ist keine Einlassung in die Hauptsache, eine Heilung einer (allfälligen) Unzuständigkeit tritt daher nicht ein (4 Ob 4/05z = EvBl 2005/ 152 = ecolex 2005/290, 632).

19 Ist der Beklagte nicht qualifiziert vertreten, so kann eine Heilung der unprorogablen Unzuständigkeit erst dann eintreten, wenn er sich trotz einer beurkundeten Belehrung durch den Richter in die Verhandlung 374

JN § 104

2.2 Örtliche Zuständigkeit

zur Hauptsache einlässt. Der Richter muss dem Beklagten die Gründe für seine Zuständigkeitsbedenken darlegen und ihn über die Möglichkeit und die (nicht nur positiven) Folgen einer Unzuständigkeitseinrede informieren. Diese Belehrung ist im Verhandlungsprotokoll festzuhalten. Eine bloß mündlich erteilte, aber nicht protokollierte Belehrung bewirkt keine Heilung der Unzuständigkeit (etwa Fasching Rz 204 oder Simotta in Fasching I § 104 Rz 195). Verhandelt der Beklagte nach der Belehrung ohne Unzuständigkeitseinrede (zur Sache) weiter, ist die Unzuständigkeit geheilt und kann später nicht mehr geltend gemacht oder aufgegriffen werden. Erfolgt keine Belehrung, bleibt die Unzuständigkeit so lange aufrecht, bis der (nunmehr) qualifiziert vertretene Beklagte zur Sache schriftlich vorbringt (etwa in der Berufung: 2 Ob 197/05t = Zak 2006/239, 136) oder mündlich verhandelt, ohne die Einrede zu erheben. Eine noch nicht geheilte unprorogable Unzuständigkeit bildet einen Nichtigkeitsgrund (§ 477 Abs 1 Z 3 ZPO). Wird das Urteil des Erstgerichtes vom Berufungsgericht wegen Unzuständigkeit aufgehoben, so hat es die Rechtssache auf Antrag oder von Amts wegen an das zuständige Gericht zu überweisen (§ 475 Abs 2 ZPO). Die soeben (Rz 18 und 19) angeführten (komplizierten) Regelungen 20 über die Heilung der (sachlichen und örtlichen) Unzuständigkeit gelten auch für die Heilung der prorogablen internationalen Unzuständigkeit (s oben Rz 13 und § 42 Rz 4). Nicht heilen kann hingegen (vor dem Eintritt der Rechtskraft) eine unprorogable internationale Unzuständigkeit (Ausnahme § 14 Abs 2 KSchG, § 38 Abs 2 ASGG, § 15b Abs 1 VersVG) und der Mangel der inländischen Gerichtsbarkeit im engeren Sinn wegen Vorliegens eines Immunitätsfalles (s schon § 42 Rz 2 und § 43 Rz 7). Letztere kann sogar noch nach Rechtskraft der Entscheidung mittels eines Antrags nach § 42 Abs 2 aufgegriffen werden (s auch Mayr, JBl 2001, 153 f). Von Amts wegen kann (und muss) die unprorogable Unzuständigkeit 21 in jeder Lage des Verfahrens wahrgenommen werden, sofern sie nicht nach den oben angeführten Regeln bereits geheilt ist (s § 43 Rz 6 und ausführlich Mayr, ÖJZ 2004, 362 ff). Der Richter darf die Parteien jedoch im Zuge des Verfahrens nicht mit einer amtswegigen Unzuständigkeitserklärung überraschen. Kommen ihm Bedenken gegen seine (sachliche oder örtliche) Zuständigkeit (und ist eine allfällige Unzuständigkeit noch nicht geheilt), so hat er den Parteien gem § 182 Abs 2 ZPO vor der diesbezüglichen Entscheidung Gelegenheit zu einer Heilung der Unzuständigkeit nach § 104 Abs 3 bzw zur Stellung eines Überweisungsantrags nach § 261 Abs 6 ZPO zu geben. Wurde dem Kläger diese 375

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Gelegenheit gesetzwidrigerweise nicht geboten, so steht ihm (auch) die Möglichkeit offen, einen Überweisungsantrag nach § 230a ZPO zu stellen (s näher Mayr in Fasching/Konecny III § 230a ZPO Rz 5 f und G. Kodek in Fasching/Konecny III § 261 ZPO Rz 130 ff, jeweils mwN sowie EvBl 1993/100 und SZ 68/37). Das Gleiche gilt nunmehr auch bei Bedenken des Richters an seiner (prorogablen) internationalen Zuständigkeit, wobei hier allerdings nur eine Heilung der internationalen Unzuständigkeit durch rügeloses (Weiter-)Verhandeln des (qualifiziert vertretenen oder entsprechend belehrten unvertretenen) Beklagten, jedoch keine Überweisung an ein ausländisches Gericht in Frage kommt (dazu zuletzt McGuire, ZfRV 2005, 83 und G. Kodek, RZ 2005, 217). Eine unprorogable internationale Unzuständigkeit ist jederzeit bis zur Rechtskraft wahrzunehmen (s näher Mayr in Fasching/Konecny III § 230 ZPO Rz 13 f).

22 Im europäischen Zuständigkeitsrecht (s dazu Nach § 27a) sieht Art 23 EuGVVO (bzw Art 17 EuGVÜ/LGVÜ) die Möglichkeit von Parteienvereinbarungen sowohl über die örtliche Zuständigkeit eines Gerichtes als auch über die internationale Zuständigkeit eines Mitglied- (Vertrags-) Staates vor (etwa 2 Ob 78/02p = SZ 2002/61). Es handelt sich um eine übereinstimmende Willenserklärung der Parteien über die Zuständigkeitsbegründung, die nicht nach nationalen Regeln, sondern autonom auszulegen ist (etwa 5 Ob 130/02g = RdW 2002/660, 737). Innerhalb des Anwendungsbereichs wird das nationale Recht verdrängt (etwa 3 Ob 380/97x = SZ 71/29 = ZfRV 1998/39, 159 oder 1 Ob 63/03a = EvBl 2004/83 = ZfRV-LS 2004/27, 76) und auch die zu § 104 entwickelten Beweislastregeln sind insofern nicht anwendbar (1 Ob 149/00v = JBl 2001, 327 = ZfRV 2001, 113). Dem innerstaatlichen Recht bleibt nur die Klärung bestimmter Vorfragen wie etwa der Geschäftsfähigkeit oder der Stellvertretung, vorbehalten (1 Ob 149/00v = JBl 2001, 327 = ZfRV 2001, 113; 9 Ob 134/04b oder 5 Ob 32/04y = MietSlg 56.619). Wird jedoch in einer „europäischen“ Gerichtsstandsvereinbarung lediglich die internationale Zuständigkeit Österreichs vereinbart, findet hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit wiederum ergänzend innerstaatliches Recht Anwendung (4 Nc 32/03y = JUS Z/3735). Nach Ansicht des EuGH (Slg 1979, 3423 Sanicentral/Collin) stellt eine Gerichtsstandsvereinbarung ihrem Wesen nach eine bloße Zuständigkeitsoption dar, die erst dann Wirkungen entfaltet, wenn die Klage erhoben worden ist (so auch 9 Ob 134/04b = RdW 2005/475, 431 = ZfRV-LS 2005/7, 69). Dass eine derartige Vereinbarung bereits vor Inkrafttreten der EuGVVO (bzw des EuGVÜ/LGVÜ) getroffen worden ist, ändert somit nichts an deren Anwendbarkeit (1 Ob 358/99z = SZ 73/ 76 = JBl 2001, 117 = RdW 2000/728, 736 = ZfRV 2001, 34; 2 Ob 74/00x 376

JN § 104

2.2 Örtliche Zuständigkeit

= ZfRV 2000/76, 187; 9 ObA 78/04t = ZfRV-LS 2005/5, 32; differenzierend Mayr in Fasching/Konecny III Vor § 230 ZPO Rz 50). Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Art 23 EuGVVO ist in 23 räumlich-persönlicher Hinsicht, dass wenigstens eine der Prozessparteien (also nicht unbedingt die beklagte) ihren (Wohn-) Sitz in einem Mitgliedstaat hat und die Zuständigkeit eines (bestimmten) Gerichtes oder der Gerichte eines Mitgliedstaates vereinbart worden ist. Weitere Voraussetzungen sind – abgesehen vom Vorliegen eines Auslandsbezugs, sodass reine Binnensachverhalte (wie sonst auch) nicht erfasst werden – nicht aufzustellen (s näher Mayr/Czernich, EuZPR Rz 223 ff). Soweit der OGH in der Vergangenheit allerdings weitere (ungeschriebene) Voraussetzungen verlangt hat (s 3 Ob 380/97x = SZ 71/29 = JBl 1998, 726 = ecolex 1998, 694 [abl Oberhammer] = ZfRV 1998/39, 159; dazu krit Burgstaller, JBl 1998, 691 und Rechberger/Frauenberger-Pfeiler, ZZPInt 2001, 3; 1 Ob 4/02y = ZfRV-LS 2002/48, 231), ist diese Auffassung entweder durch neuere EuGH-Entscheidungen überholt (s schon 2 Ob 78/02p = SZ 2002/61 = IPRax 2004, 259 [264: Oberhammer] = ZfRV-LS 2003/2, 18) oder nicht haltbar (s 1 Ob 240/02d = EvBl 2004/20, 105 = JBl 2004, 187 [abl Klicka]; dazu abl Czernich, wbl 2004, 458; Burgstaller/Neumayr, FS Schlosser 121 ff und Frauenberger-Pfeiler, FS Rechberger 125 ff). Weiters besteht ein Bestimmtheitserfordernis insofern, als eine Vereinbarung nur dann wirksam ist, wenn sie sich auf einen bereits entstandenen Rechtsstreit oder auf Streitigkeiten aus einem bestimmten Rechtsverhältnis bezieht. Das zuständige Gericht (bzw der zuständige Mitgliedstaat) muss entweder bestimmt sein oder aus den Umständen bestimmbar sein, sodass es etwa genügt, wenn vereinbart wird, dass die beklagte Partei beim Gericht ihres Sitzes zu klagen ist (s 9 Ob 134/04b = RdW 2005/475, 431 = ZfRV-LS 2005/7, 69). Wesentlich ist ferner, dass Art 23 EuGVVO (ebenso wie Art 17 EuGVÜ/LGVÜ) für die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsklausel eine „Vereinbarung“ verlangt, sodass das angerufene Gericht zu prüfen hat, ob die seine Zuständigkeit begündende Klausel tatsächlich Gegenstand einer Willenseinigung zwischen den Parteien war, die klar und deutlich aus dem Wortlaut der Gerichtsstandsvereinbarung oder aus der Gesamtheit der dem Vertrag zu entnehmenden Anhaltspunkte oder der Umstände des Vertragsabschlusses zum Ausdruck gekommen ist. Die in der zit Norm aufgestellten Formerfordernisse sollen gewährleisten, dass die Einigung zwischen den Parteien tatsächlich feststeht (so zuletzt 5 Ob 233/05h = ZfRV-LS 2006/9, 70). Die Willenseinigung hat diejenige Partei zu beweisen, die sich auf die zuständigkeitsbegründende Klausel beruft (etwa 7 Ob 203/04k ua). 377

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Hinsichtlich der Form verlangt Art 23 Abs 1 EuGVVO (teilweise abweichend zu § 104), dass die Gerichtsstandsvereinbarung entweder schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung („halbe Schriftlichkeit“) geschlossen wird (lit a) oder in einer Form, „welche den Gepflogenheiten entspricht, die zwischen den Parteien entstanden sind“ (lit b), oder schließlich (lit c) in einer im internationalen Handelsverkehr gebräuchlichen Form. Auf die Einhaltung der nationalen Formerfordernisse des § 104 kommt es somit nicht an (1 Ob 149/00v = JBl 2001, 327). Das Schriftformerfordernis der lit a zielt darauf ab, den unbemerkten Eingang von Gerichtsstandsklauseln in den Vertrag zu verhindern und im Interesse der Rechtssicherheit die andere Partei vor überraschenden Gerichtsständen zu schützen. Es soll jedenfalls gewährleistet sein, dass die Parteien einer Klausel, die von den allgemeinen Zuständigkeitsbestimmungen abweicht, tatsächlich zugestimmt haben (etwa 5 Ob 32/04y = MietSlg 56.619 oder RS0113570). Zuständigkeitsvereinbarungen sollen also nicht unbemerkt Inhalt eines Vertrags werden (8 Ob 83/ 05x = Zak 2006/66, 39). Die Voraussetzungen für die Gültigkeit von Gerichtsstandsklauseln sind daher grundsätzlich eng auszulegen (etwa 7 Ob 320/00k = RdW 2001/678, 671 = ZfRV 2001/71, 231; 7 Ob 117/00g = ZfRV 2001/46, 150; 1 Ob 63/03a = EvBl 2004/83; 6 Ob 176/03f = RdW 2004/129, 161 = ZfRV-LS 2004/8, 26), doch ist andererseits jeder mit der kaufmännischen Praxis unvereinbare überspitzte Formalismus zu vermeiden (7 Ob 176/98b = JBl 2000, 121; 7 Ob 256/02a = JBl 2003, 519). Dem Schriftformerfordernis kann auch durch eine Bezugnahme auf Allgemeine Geschäftsbedingungen entsprochen werden, wenn der Vertragstext ausdrücklich auf die AGB Bezug nimmt (etwa 2 Ob 41/99i = SZ 72/37 = RdW 1999, 413; 1 Ob 63/03a = EvBl 2004/83; RS0111715 und RS0109865). Es genügt auch ein entsprechender Hinweis in getrennten Schriftstücken (7 Ob 117/00g = ZfRV 2001/46, 150; 6 Ob 176/ 03f = RdW 2004/129, 161 = ZfRV-LS 2004/8, 26), wenn die andere Partei diesem unter Anwendung normaler Sorgfalt nachgehen kann (also nicht bei einer unauffällig versteckt stehenden Klausel: 7 Ob 320/ 00k = RdW 2001/678, 671 = ZfRV 2001/71, 231; 4 Ob 199/01w = EvBl 2002/35; 6 Ob 253/04f = RdW 2005/474, 431 = ZfRV-LS 2005/6, 33) und die genannten AGB dieser Partei tatsächlich zugegangen sind (s zuletzt 5 Ob 233/05h = ecolex 2006/166, 384 = Zak 2006/248, 138 = ZfRV 2006/9, 70). Zur Einbeziehung von fremdsprachigen AGB’s s zuletzt 7 Ob 275/03x = SZ 2003/175 = JBl 2004, 449 = RdW 2004/252, 275 = ZfRV 2004/20, 110 und 1 Ob 30/04z = SZ 2004/53 = EvBl 2004/ 185 = JBl 2004, 716. Neu eingefügt wurde in Art 23 Abs 2 EuGVVO die Bestimmung, dass elektronische Übermittlungen, die eine dauerhafte Aufzeichnung 378

JN § 104

2.2 Örtliche Zuständigkeit

der Vereinbarung ermöglichen, der Schriftform gleichgestellt sind. Damit sollte die Entwicklung neuer Kommunikationstechniken berücksichtigt werden, wobei man insb Gerichtsstandsvereinbarungen in Verträgen, die in elektronischer Form geschlossen worden sind, im Auge gehabt hat. Überhaupt darf das Schriftlichkeitsgebot nicht im Sinne einer (nach nationalem Recht erforderlichen) „Unterschriftlichkeit“ verstanden werden (vgl 1 Ob 358/99z = JBl 2001, 117 = ecolex 2001/16, 47 = RdW 2000/728, 736 = ZfRV 2001, 34). Gepflogenheiten iSd lit b sind Verhaltensweisen, die nicht allgemein, sondern nur zwischen den Parteien beachtet werden, wobei eine gewisse Dauer bzw Intensität vorausgesetzt wird (7 Ob 38/01s = RdW 2001/676, 669 = ZfRV 2001/63, 193). Ein Handelsbrauch nach lit c besteht dann, wenn die in einem bestimmten Geschäftszweig tätigen Kaufleute (Unternehmer) bei Abschluss einer bestimmten Art von Verträgen allgemein und regelmäßig ein bestimmtes Verhalten befolgen (s EuGH Slg 1997, I-911 MSG/Les Gravières Rhénanes und EuGH Slg 1999, I-1597 Castelletti/Trumpy). Grundsätzlich unwirksam sind Gerichtsstandsvereinbarungen, wenn 24 sie den Zuständigkeitsbestimmungen in Versicherungs-, Verbraucheroder Arbeitsrechtssachen (Art 13, 17 und 21 EuGVVO) zuwiderlaufen (und nicht nach dem Enstehen der Streitigkeit geschlossen wurden) oder wenn eine internationale Zwangszuständigkeit nach Art 22 EuGVVO abbedungen werden soll (Art 23 Abs 5 EuGVVO). Im Gegensatz zu der in Österreich (noch) hM (s oben Rz 11) führt eine 25 Gerichtsstandsvereinbarung nach Art 23 EuGVVO im Zweifel (mangels einer anderen Vereinbarung der Parteien) zu einer ausschließlichen Zuständigkeit, die sowohl die allgemeine Wohnsitzzuständigkeit des Art 2 als auch die besonderen Zuständigkeitsregeln der Art 5 und 6 ausschließt (5 Ob 32/04y = MietSlg 56.619; 6 Ob 275/01m = IPRax 2004, 261 = ZfRV-LS 2002/43, 192; 1 Ob 358/99z = SZ 73/76; 2 Ob 96/99b = ZfRV 1999/63, 191). Wird jedoch dennoch bei einem anderen als dem vereinbarten Gericht die Klage eingebracht, so bleibt aber eine Heilung der Unzuständigkeit durch rügelose Einlassung möglich. Ein nach den Vorschriften des europäischen Zuständigkeitsrechts (ört- 26 lich oder international) unzuständiges Gericht eines Mitglied- (Vertrags-) Staates wird gem Art 24 EuGVVO (bzw Art 18 EuGVÜ/ LGVÜ) auch dadurch zuständig, dass sich der Beklagte rügelos „auf das Verfahren einlässt“, es sei denn, dass eine internationale Zwangszuständigkeit nach Art 22 EuGVVO (bzw Art 16 EuGVÜ/LGVÜ) entgegensteht oder er sich nur hilfsweise (also für den Fall, dass die Unzu379

§ 104

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ständigkeitseinrede keinen Erfolg hat,) eingelassen hat (so bereits 2 Ob 304/98i = SZ 71/191 = ZfRV 2000/17, 78 zum EuGVÜ/LGVÜ). Außer bei einer anderweitigen Zwangszuständigkeit ist daher dem angerufenen Gericht eine Zurückweisung der Klage a limine litis (vor der Zustellung an den Beklagten) verwehrt (hM, zuletzt etwa 4 Ob 13/05y = RdW 2005/630, 549; s schon Nach § 27a Rz 24 oder § 41 Rz 6 und § 42 Rz 13). Lässt sich in der Folge der Beklagte aus einem Mitglied- (Vertrags-) Staat jedoch nicht auf das Verfahren ein, so hat das befasste Gericht (nunmehr) seine (internationale und allenfalls örtliche) Zuständigkeit (vor der Fällung eines Versäumungsurteils) von Amts wegen zu prüfen und gegebenenfalls seine Unzuständigkeit auszusprechen (5 Ob 312/ 01w = ZfRV-LS 2002/37, 191; 6 Ob 70/04v). Auch wenn die vorgenommene Zuständigkeitsprüfung positiv ausgegangen ist, darf das angerufene Gericht ein Versäumungsurteil aber erst dann fällen, wenn feststeht, dass der Beklagte die Klage so rechtzeitig empfangen hat, dass er ausreichend Zeit hatte, um seine Verteidigung zu organisieren (Art 26 Abs 2 EuGVVO iVm Art 19 EuZustVO). Der Begriff der „Einlassung auf das Verfahren“ (nicht: „in die Hauptsache“) ist nach hM (vertrags-) autonom, also unabhängig von den Vorschriften der jeweiligen nationalen Prozessordnung, auszulegen (etwa Tiefenthaler in Czernich/Tiefenthaler/Kodek Art 24 Rz 7 oder 3 Ob 117/99y = ZfRV 2000, 197). Darunter ist jede Verteidigung zu verstehen, die unmittelbar auf die Klageabweisung abzielt, im Unterschied zu Handlungen im Vorfeld der Verteidigung wie Mitteilungen und Anzeigen an das Gericht, Anregungen zum Ablauf des Verfahrens etc (so Kropholler Art 24 Rz 7). Richtigerweise hat daher der OGH in einer aktuellen Entscheidung klargestellt (1 Ob 73/06a), dass die in früheren Entscheidungen verwendete Formulierung (s etwa 9 Ob 246/97k = JBl 1998, 518 [krit König] = ecolex 1998, 695 = RdW 1998, 615 = ZfRV 2000/49, 147 oder 2 Ob 22/99w = ZfRV 1999/39, 148), dass sich der relevante Zeitpunkt nach den innerstaatlichen Vorschriften richte, insoweit einzuschränken sei, als dabei stets die vom europäischen Zuständigkeitsrecht gezogenen Grenzen zu beachten sind. Es kommt somit nicht darauf an, welche Einlassungshandlung der Beklagte nach innerstaatlichem Verfahrensrecht hätte setzen können oder sollen, sondern ausschließlich darauf, wie er sich tatsächlich auf das Verfahren eingelassen hat. Heilend wirkt daher typischerweise die rügelose Einbringung einer Klagebeantwortung im Gerichtshofverfahren oder das mündliche Vorbringen am Beginn der mündlichen Streitverhandlung im bezirksgerichtlichen Verfahren oder auch die vorherige Einbringung eines vorbereitenden Schriftsatzes (ohne Zuständigkeitsrüge). (Die Erlassung eines Zahlungsbefehls oder eines [Wechsel-] Zahlungsauftrags gegen einen Beklagten mit [Wohn-] Sitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im 380

JN § 104

2.2 Örtliche Zuständigkeit

Ausland ist unzulässig. Ein Einspruch oder Einwendungen mit Sachvorbringen würden jedoch heilende Wirkung haben.) Eine Einrede der (internationalen) Unzuständigkeit in einem Widerspruch gegen ein wegen Nichterstattung der Klagebeantwortung erlassenes Versäumungsurteil ist daher (im Gegensatz zum nationalen Recht, oben Rz 18) noch rechtzeitig (1 Ob 73/06a). Nur wenn der (nicht säumige) Beklagte rechtzeitig eine Unzuständigkeitseinrede erhoben hat (und er diese während des gesamten Rechtsstreits aufrechterhält: 2 Ob 75/03y = SZ 2003/39 = RdW 2003/ 439, 507 = RdW 2003/496, 576 = ZfRV-LS 2003/65, 190), ist die Zuständigkeit vom Gericht zu prüfen. Eine Belehrungspflicht durch das Gericht ist im europäischen Zuständigkeitsrecht nicht vorgesehen. Allerdings ist es dem Richter nicht verwehrt, im Rahmen seiner Manuduktionspflicht den (unvertretenen, aber postulationsfähigen) Beklagten über die Folgen einer rügelosen Einlassung zu belehren (so 1285 BlgNR 20. GP 26 f). Der räumlich-persönliche Anwendungsbereich ist auch hier noch nicht endgültig geklärt. Schon wegen des systematischen Zusammenhangs mit Art 23 EuGVVO (Art 17 EuGVÜ/LGVÜ) erscheint es aber gerechtfertigt, dessen Voraussetzungen (s oben Rz 23) auch in den Art 24 EuGVVO „hineinzulesen“, sodass es ausreicht, wenn ein internationaler Bezug gegeben ist und eine der Parteien ihren (Wohn-) Sitz in einem Mitglied- (Vertrags-) Staat hat (s Tiefenthaler in Czernich/Tiefenthaler/Kodek Art 24 Rz 6 und Burgstaller/Neumayr in Burgstaller/ Neumayr, IZVR Art 24 Rz 3; 2 Ob 78/02p = SZ 2002/61 = IPRax 2004, 259 [264: Oberhammer]).

381

Dritter Teil Von der Gerichtsbarkeit in Geschäften außer Streitsachen Sachliche Zuständigkeit § 104a. Soweit nicht anderes bestimmt ist, sind in Geschäften außer Streitsachen die Bezirksgerichte sachlich zuständig. [Eingefügt durch BGBl 1978/280] Lit: Frauenberger-Pfeiler, Das neue Außerstreitgesetz, JAP 2004/2005, 245. Fucik in Fasching I § 104a JN; Fucik/Kloiber, Außerstreitgesetz (2005) 35 f, 207 f; Mayr/Fucik Rz 43 ff.

1 Einen aktuellen Katalog jener Materien, die im Außerstreitverfahren zu erledigen sind, geben Mayr/Fucik Rz 39 f und Fucik/Kloiber § 1 AußStrG Rz 2; s auch unten Art I EGZPO Rz 6 ff und (vor der Außerstreitreform) Fucik in Fasching I § 104a JN Rz 1.

2 § 104a hält als Grundsatz fest, dass zur Durchführung eines außerstreitigen Verfahrens die (allgemeinen) BG (nicht das BGHS) berufen sind. Ausnahmen davon normieren etwa die §§ 115, 120, 120a sowie § 92 ASGG, § 40 PSG oder § 18 Abs 2 EisbEG, welche die Zuständigkeit des GH vorsehen. Auch dort entscheidet aber ein Einzelrichter (§ 7a Abs 3). Die örtliche Zuständigkeit wird in den §§ 105 ff und in zahlreichen Sonderbestimmungen geregelt.

3 Eine Vereinbarung der Parteien über die (sachliche, örtliche, internationale) Zuständigkeit ist nach hL (etwa Simotta in Fasching I § 104 Rz 167 oder Mayr/Fucik Rz 45, 48, 58) und stRsp (etwa EvBl 1981/150 = EFSlg 39.065; EFSlg 46.962 = ÖA 1985, 49) im Bereich des Außerstreitverfahrens ausgeschlossen. Eine Ausnahme normiert lediglich § 114a für die örtliche Zuständigkeit in außerstreitigen Eheangelegenheiten (dazu § 114a Rz 2 ff). Die früher umstrittene Streitfrage der Zulässigkeit von Schiedsvereinbarungen im Außerstreitverfahren (s Mayr/Fucik Rz 46 mwN) ist durch § 582 ZPO idF SchiedsRÄG 2006 beantwortet worden. 382

JN § 105

3 Außerstreitverfahren

Das angerufene Gericht hat seine Zuständigkeit jederzeit von Amts 4 wegen oder auf Einrede einer Partei zu prüfen. Es ist dabei gem § 41 Abs 3 nicht an die Angaben der Parteien gebunden, sondern hat die maßgebenden Verhältnisse von Amts wegen zu untersuchen (materielle Zuständigkeitsprüfung). Hält es ein anderes Gericht für sachlich oder örtlich zuständig, so hat es seine Unzuständigkeit auszusprechen und die Rechtssache (von Amts wegen) an das zuständige Gericht zu überweisen (§ 44 Abs 1), das dann die Parteien vom Überweisungsbeschluss verständigt (§ 44 Abs 2). Eine Heilung der Unzuständigkeit durch rügelose Einlassung auf das (Außerstreit-)Verfahren vor einem (sachlich, örtlich oder international) unzuständigen Gericht ist im Verfahren außer Streitsachen nicht vorgesehen (Mayr/Fucik Rz 53 und 65; Fucik/Kloiber Vor § 1 AußStrG Rz 2). Eine Unzuständigkeitseinrede ist daher im gesamten erstinstanzlichen Verfahren möglich. Die örtliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts kann jedoch als Rekursgrund nicht mehr geltend gemacht werden (und von der Rechtsmittelinstanz auch nicht von Amts wegen wahrgenommen werden). Nur wenn es (ohnehin) aus anderen Gründen zu einer Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung kommt, ist (in analoger Anwendung des § 44 bzw von § 475 Abs 2 ZPO) an das örtlich zuständige Gericht erster Instanz zurückzuverweisen (Mayr/Fucik Rz 54; aM Frauenberger-Pfeiler, JAP 2004/2005, 247). Im (unwahrscheinlichen) Fall, dass der angefochtene Beschluss von einem sachlich unzuständigen Gericht gefällt wurde, ist er (auf Antrag oder von Amts wegen) aufzuheben und die Sache an das sachlich (und örtlich) zuständige Gericht erster Instanz zu „verweisen“ (§ 56 Abs 2 AußStrG). § 104b. Aufgehoben durch Art I Z 10 BGBl 1985/70 Verlassenschaftsabhandlung § 105. Die Verlassenschaftsverfahren (§§ 143 bis 185 AußStrG) gehören vor das Gericht, in dessen Sprengel der Verstorbene seinen allgemeinen Gerichtsstand in Streitsachen hatte. Lässt sich ein solcher im Inland nicht ermitteln oder ist er bei mehreren Gerichten begründet, so gehören sie vor das Gericht, in dessen Sprengel sich der größte Teil des im Inland gelegenen Vermögens des Verstorbenen befindet, sonst vor das Bezirksgericht Innere Stadt Wien. [Fassung Art III Z 4 AußStr-BegleitG; Übergangsregelung Art XXXII § 3 Abs 2] 383

§ 105

Mayr

Lit: Bajons, Die OGH-Judikatur zur internationalen Nachlassabwicklung im Lichte des neuen AußStrG und AußStr-BegleitG, NZ 2004, 289 und NZ 2005, 43 sowie 66; dies, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht in grenzüberschreitenden Erbrechtsfällen innerhalb des europäischen Justizraums, FS Heldrich (2005) 495; Fuchs, Internationale Zuständigkeit in Außerstreitverfahren (2004) Rz 25 ff; Potyka, Die inländische Gerichtsbarkeit und die Zuständigkeit in Verlassenschaftssachen nach dem Außerstreit-Begleitgesetz unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnisses zu Deutschland, RZ 2005, 6; Fucik, Das neue Verlassenschaftsverfahren (2005) Rz 11 ff; Gumpoltsberger, Das Verlassenschaftsverfahren bei Erbfällen mit Auslandsbezug (insb zu Deutschland), ecolex 2006, 197. Kralik in Fasching I § 105 JN (zur alten Rechtslage); Fucik/Kloiber, Außerstreitgesetz (2005) 573; Mayr/Fucik Rz 545 ff; Potyka in Burgstaller/Neumayr, IZVR Kapitel 61 (2006) insb Rz 3 ff und Rz 49 ff.

1 Die früheren Bestimmungen über die Zuständigkeit und die „inländische Gerichtsbarkeit“ für Verlassenschaftsverfahren waren durch die Verteilung auf die JN und das (alte) AußStrG (§§ 20 ff) nur schwer zu durchschauen und außerdem inhaltlich unbefriedigend. Diese alte Rechtslage sollte im Zuge der Außerstreitreform durch „eine einfache, durchschaubare und die Grenzen der Verlassenschaftsgerichtsbarkeit vernünftig auslotende Neuregelung“ ersetzt werden (so RV 225 BlgNR 22. GP 8).

2 Sachlich zuständig ist immer das (allgemeine) Bezirksgericht (§ 104a). In örtlicher Hinsicht war schon bisher dasjenige Gericht zur Verlassenschaftsabhandlung berufen, in dessen Sprengel der Verstorbene im Zeitpunkt des Todes seinen allgemeinen Gerichtsstand in Streitsachen (§§ 65 ff: Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt) hatte. Nunmehr werden ausdrücklich auch alle sonstigen Verlassenschaftsverfahren (§§ 143 bis 185 AußStrG; s Mayr/Fucik Rz 540) in die Regelung miteinbezogen. Wenn sich ein allgemeiner Gerichtsstand im Inland nicht ermitteln lässt oder wenn ein solcher bei mehreren (inländischen) Gerichten begründet ist (Zweitwohnsitz), so ist dasjenige Gericht zuständig, in dessen Sprengel sich der größte Teil des im Inland befindlichen Vermögens des Verstorbenen befindet. Dabei ist mit Potyka (RZ 2005, 8 ff) auf den Wert der Vermögensteile ohne Abzug der Verbindlichkeiten abzustellen. Wenn zwar inländische Abhandlungszuständigkeit besteht, aber kein Vermögen im Inland vorhanden ist (s § 106 Abs 1 Z 3), ist das Bezirksgericht Innere Stadt Wien zuständig. Durch diese Auffangzuständigkeit werden einschlägige Ordinationsanträge unnötig gemacht (vgl 2 N 504/97 oder 8 Nd 503/99). 384

JN §§ 106–107

3 Außerstreitverfahren

Die Aufgabenverteilung (funktionelle Zuständigkeit) zwischen Ge- 3 richt und Notar regelt das (durch Art XVIII AußStr-BegleitG und das BRÄG 2006 umfassend novellierte) GKG (dazu etwa Fucik, Verlassenschaftsverfahren Rz 27 ff oder Mayr/Fucik Rz 551 ff), jene zwischen Richter und Rechtspfleger § 18 RpflG (dazu Fucik, Verlasssenschaftsverfahren Rz 68 ff). § 106. (1) Die inländische Gerichtsbarkeit für die Abhandlung einer Verlassenschaft und für diese ersetzende Verfahren (§§ 153 ff AußStrG) ist gegeben 1. über das im Inland befindliche unbewegliche Vermögen; 2. über das im Inland befindliche bewegliche Vermögen, wenn a) der Verstorbene zuletzt österreichischer Staatsbürger war oder b) der Verstorbene seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte oder c) die Durchsetzung aus dem Erbrecht, Pflichtteilsrecht oder einer letztwilligen Erklärung abgeleiteter Rechte im Ausland unmöglich ist; 3. über das im Ausland befindliche bewegliche Vermögen, wenn der Verstorbene zuletzt österreichischer Staatsbürger war und a) seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte oder b) die Durchsetzung aus dem Erbrecht, Pflichtteilsrecht oder einer letztwilligen Erklärung abgeleiteter Rechte im Ausland unmöglich ist. (2) Die inländische Gerichtsbarkeit nach Abs 1 erstreckt sich auch auf eine Substitutionsabhandlung. [Fassung Art III Z 4 AußStr-BegleitG; Übergangsregelung Art XXXII § 3 Abs 2] § 107. Die inländische Gerichtsbarkeit für die Todesfallaufnahme, das Ausfolgungsverfahren und jeweils damit zusammenhängende Sicherungsmaßnahmen ist stets gegeben. [Fassung Art III Z 4 AußStr-BegleitG; Übergangsregelung Art XXXII § 3 Abs 2] Lit wie zu § 105. Die „inländische Gerichtsbarkeit“ (besser: internationale Zuständig- 1 keit) für die Verlassenschaftsabhandlung und diese ersetzende Verfahren (Unterbleiben der Abhandlung nach § 153 AußStrG, Überlassung an Zahlungs statt nach §§ 154 f AußStrG) bedurfte einer Neuregelung, 385

§§ 106–107

Mayr

die im Vergleich zu den bisherigen Grenzen der Abhandlungsgerichtsbarkeit (§§ 21 ff AußStrG 1854) „restriktiver“ formuliert worden ist (so RV 225 BlgNR 22. GP 8; zu den wesentlichen Neuerungen s insb Bajons, NZ 2004, 289 ff).

2 Vorweg ist festzuhalten, dass die Verlassenschaftsverfahren vom sachlichen Anwendungsbereich des Europäischen Zivilprozessrechts (derzeit noch) ausgenommen sind (Art 1 Abs 2 lit a EuGVVO; Art 1 Abs 2 Z 1 EuGVÜ/LGVÜ). Für die ausgeschlossenen Rechtsbereiche bleiben daher die bilateralen Abkommen, die Österreich mit anderen Vertrags- bzw Mitgliedsstaaten abgeschlossen hat, aufrecht (Art 70 Abs 1 EuGVVO; Art 56 Abs 1 EuGVÜ/LGVÜ). Daneben bestehen noch einige völkerrechtliche Verträge mit Drittstaaten (s eingehend Fuchs Rz 26 ff; Bajons, NZ 2005, 70 ff und Potyka in Burgstaller/Neumayr, IZVR Kap 61 Rz 21 ff), die durch die Neuregelung des autonomen Rechts selbstverständlich unberührt geblieben sind (225 BlgNR 22. GP 8).

3 Nach autonomem österreichischem Recht gilt Folgendes: Für das im Inland befindliche unbewegliche Vermögen besteht (immer) die internationale Zuständigkeit österreichischer Gerichte (für ausländisches unbewegliches Vermögen hingegen niemals). Bewegliches Vermögen, das sich im Inland befindet, unterliegt dann der österreichischen Abhandlungsgerichtsbarkeit, wenn der Verstorbene entweder österreichischer Staatsbürger war oder er (bei einem ausländischen oder staatenlosen Erblasser) zuletzt seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hatte oder die Rechtsdurchsetzung für den Erbprätendenten im – für die Durchsetzung sonst in Frage kommenden – Ausland unmöglich ist (§ 106 Abs 1 Z 2). In den anderen Fällen wird das im Inland gelegene bewegliche Vermögen ausgefolgt (§ 150 AußStrG). Über das im Ausland befindliche bewegliche Vermögen wollte der Reformgesetzgeber die internationale Zuständigkeit Österreichs möglichst einschränken. Die Abhandlung über ausländische Fahrnisse und Forderungen bereite große praktische Schwierigkeiten und sei in der Regel nicht so gut geeignet, die Interessen der Erben und sonstigen Beteiligten wahrzunehmen, wie eine Abhandlung im Lagestaat. Realistischerweise führe daher eine Ausdehnung der diesbezüglichen inländischen Abhandlungsgerichtsbarkeit nicht zu einer Verfeinerung des Rechtsschutzes, sondern zu langen aufgeblähten und letztlich enttäuschenden Verfahren (RV 225 BlgNR 22. GP 9). Daher wurde die internationale Zuständigkeit österreichischer Gerichte an folgende Voraussetzungen geknüpft: In jedem Fall ist notwendig, dass der Erblasser 386

JN §§ 106–107

3 Außerstreitverfahren

zuletzt österreichischer Staatsbürger gewesen ist. Zusätzlich muss der (österreichische) Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Inland gehabt haben oder es muss die Rechtsdurchsetzung für die Erbprätendenten im Ausland unmöglich sein (§ 106 Abs 1 Z 3). Dass durch diese Neuregelung „der bisherige einfache Gleichlauf der beiden Absätze des § 28 IPRG gestört wird“, halten die Gesetzesmaterialien für tolerierbar. Das Verfahren ist nur auf Antrag einer Partei einzuleiten, die ihre Erbenstellung bescheinigen kann (§ 143 Abs 2 AußStrG). Keine inländische Zuständigkeit besteht somit für das ausländische bewegliche Nachlassvermögen eines nichtösterreichischen Erblassers. Als österreichische Staatsbürger (s dazu das StbG idgF) sind auch Doppelstaatsbürger (mit österreichischer Staatsbürgerschaft) anzusehen (vgl 7 Ob 633/92 = EvBl 1993/84 = IPRax 1994, 222 [dazu Lurger, IPRax 1994, 235] und zuletzt 7 Ob 309/03x = NZ 2005/5, 10 = ZfRV-LS 2004/33, 156; dazu ausführlich Bajons, NZ 2004, 294 ff). Zur Behandlung von Flüchtlingen, Staatenlosen und Personen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit s 2 Ob 641/90 = SZ 64/19 = JBl 1991, 593 = EFSlg 67.485/3 und eingehend Bajons, NZ 2004, 292 ff. Abgestellt wird im Gesetz ferner auf den (letzten) „gewöhnlichen Aufenthalt“ (und nicht auf den Wohnsitz). Er bestimmt sich gem § 66 Abs 2. In welchen Fällen das (in § 106 Abs 1 Z 2 lit c und Z 3 lit b verlangte) Kriterium der Unmöglichkeit der Rechtsdurchsetzung im Ausland gegeben ist, wird vom Gesetzgeber nicht näher umschrieben oder erläutert (krit Schwimann in Rummel II/6 zu § 28 IPRG Rz 8). Im Grunde geht es um die Eröffnung einer inländischen Notkompetenz für Fälle eines besonderen Schutzbedürfnisses, im Einzelnen ist aber manches unklar (s dazu Schwimann in Rummel II/6 § 28 IPRG Rz 8 und Potyka, RZ 2005, 7 f). Hinsichtlich eines in Deutschland gelegenen beweglichen Vermögens eines verstorbenen Österreichers erscheint die Rechtsdurchsetzung in Deutschland jedenfalls möglich, sodass für dieses Vermögen keine Zuständigkeit österreichischer Gerichte besteht (s näher Potyka, RZ 2005, 10 f). Besteht keine Unmöglichkeit der Rechtsdurchsetzung im Ausland, so ist ein (dennoch bei einem inländischen Gericht) gestellter Antrag (§ 143 Abs 2 AußStrG) wegen fehlender internationaler Zuständigkeit („inländischer Gerichtsbarkeit“) zurückzuweisen. § 106 Abs 2 erstreckt die internationale Verlassenschaftsgerichtsbarkeit auf die Substitutionsabhandlung. Eine solche Substitutionsabhandlung ist daher nach den Regeln für die Erstabhandlung zu beurteilen. Die internationale Zuständigkeit Österreichs ist nach § 107 für die To- 4 desfallaufnahme, das Ausfolgungsverfahren und jeweils damit zusammenhängende Sicherungsmaßnahmen immer gegeben. Das bedeutet 387

§ 108

Mayr

selbstverständlich nicht, dass österreichische Gerichte nach jeder wo auch immer verstorbenen Person eine Todesfallaufnahme durchzuführen hätten. Die Gesetzesmaterialien erläutern (225 BlgNR 22. GP 9), dass diese Bestimmung jedes in Österreich gelegene Objekt – vor allem das im Inland befindliche bewegliche Vermögen – der „provisorischen inländischen Gerichtsbarkeit“ unterwerfen soll. Eine Todesfallaufnahme könne aber auch schlechthin dazu dienen, Anhaltspunkte für die Notwendigkeit eines inländischen Verlassenschaftsverfahrens zu gewinnen (s auch Potyka, RZ 2005, 7 FN 6).

5 Zum anwendbaren (materiellen) Recht s §§ 28 bis 30 IPRG (dazu zuletzt Schwimann in Rummel II/6; Fucik, Verlassenschaftsverfahren Rz 20 ff und Potyka in Burgstaller/Neumayr, IZVR Kap 61 Rz 60 ff). Abstammung § 108. (1) Für Abstammungsverfahren nach dem Ersten Abschnitt des II. Hauptstücks des Außerstreitgesetztes einschließlich allfälliger damit verbundener gesetzlicher Ansprüche ist das Gericht zuständig, das zur Führung der Pflegschaft über das minderjährige Kind berufen ist, sonst das Gericht, in dessen Sprengel das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat; mangels eines solchen im Inland das Gericht, in dessen Sprengel die Mutter ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, sonst das Gericht, in dessen Sprengel ein Mann, zu dem die Abstammung oder Nichtabstammung des Kindes festzustellen ist, seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat; fehlt auch ein solcher im Inland das Bezirksgericht Innere Stadt Wien. (2) Solange ein Abstammungsverfahren von einem Gericht geführt wird, ist dieses auch für weitere, das gleiche Kind betreffende Abstammungsverfahren zuständig. (3) Die inländische Gerichtsbarkeit für die im Abs 1 genannten Angelegenheiten ist gegeben, wenn das Kind, der festgestellte oder festzustellende Vater oder die Mutter des Kindes österreichischer Staatsbürger ist oder das Kind oder der festgestellte oder festzustellende Vater seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat. [Fassung Art III Z 5 AußStr-BegleitG; Übergangsbestimmung Art XXXII § 3 Abs 1] Lit: Fuchs, Internationale Zuständigkeit in Außerstreitverfahren (2004) Rz 300 ff; Fucik, Außerstreitverfahren in Abstammungs-, Adoptions-, Ehe- und Sachwalterschaftssachen, ecolex 2004, 920; Fucik/Kloiber, Außerstreitgesetz (2005) 579; Weitzenböck, Das neue materielle und formelle Recht der Abstammung und der Adoption, ÖStA 2005, 68, 84. 388

JN § 108

3 Außerstreitverfahren

Fuchs in Burgstaller/Neumayr, IZVR Kapitel 51 (2006) Rz 2 ff; Mayr/Fucik Rz 347 ff. Durch die Außerstreitreform wurden alle Abstammungsverfahren in 1 das außerstreitige Verfahren verlagert. Es waren daher die §§ 76b und 76c aufzuheben und eine entsprechende Zuständigkeitsbestimmung in den Dritten Teil der JN einzufügen (an der Stelle des obsolet gewordenen früheren § 108). Erfasst sind alle Abstammungsverfahren (von minderjährigen als auch volljährigen Kindern) nach den §§ 81 bis 85 AußStrG (dazu Mayr/Fucik Rz 339 ff) einschließlich der damit verbundenen gesetzlichen Ansprüche. Wenn das betroffene Kind noch minderjährig ist, so ist das durch § 109 2 bestimmte Pflegschaftsgericht örtlich zuständig. Sonst ist das Gericht zuständig, in dessen Sprengel das (volljährige) Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Fehlt ein solcher im Inland, ist der gewöhnliche Aufenthalt der Mutter maßgeblich. Ist ein solcher im Inland nicht verwirklicht, so ist ersatzweise das Gericht zuständig, in dessen Sprengel der Mann (oder einer der Männer), zu dem die Abstammung oder Nichtabstammung festzustellen ist, seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Ist auch diese Zuständigkeitsanknüpfung nicht gegeben, so ist als letzte Auffangzuständigkeit die Zuständigkeit des BG Innere Stadt Wien vorgesehen. Für den Sonderfall von mehreren Abstammungsverfahren gegenüber 3 mehreren Personen sieht Abs 2 einen Attraktionsgerichtsstand vor. Entscheidend ist, bei welchem Gericht zuerst ein Abstammungsverfahren eingeleitet worden ist. Die internationale Zuständigkeit („inländische Gerichtsbarkeit“) 4 Österreichs ist gegeben, wenn entweder das Kind, der festgestellte oder festzustellende Vater oder die Mutter die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt oder wenn (ohne österreichische Staatsbürgerschaft) das Kind oder der festgestellte oder festzustellende Vater seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hat. Ein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland der Mutter allein ist hingegen nicht ausreichend. Die Feststellung und die Anfechtung des Eltern-Kind-Verhältnisses fallen nicht in den sachlichen Anwendungsbereich der EuGVVO II (Art 1 Abs 3 lit a EuGVVO II) und auch eine Anwendung des Haager Minderjährigenschutzübereinkommens (MSA) und seiner Nachfolgekonvention (KSÜ) scheidet aus.

389

§ 109

Mayr Obsorge, Sachwalterschaft und Kuratel

§ 109. (1) Zur Besorgung der Geschäfte, die nach den Bestimmungen über die Rechte zwischen Eltern und minderjährigen Kindern, die Obsorge einer anderen Person, die Sachwalterschaft und die Kuratel dem Gericht (Pflegschaftsgericht) obliegen, ist das Gericht zuständig, in dessen Sprengel der Minderjährige oder sonstige Pflegebefohlene seinen gewöhnlichen Aufenthalt, mangels eines solchen im Inland seinen Aufenthalt hat; handelt es sich um eine juristische Person oder ein sonstiges parteifähiges Gebilde, so ist der Sitz maßgebend. (2) Fehlt ein Aufenthalt im Inland, so ist das Gericht zuständig, in dessen Sprengel der gesetzliche Vertreter seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat; mangels eines solchen im Inland, sofern es sich um einen Minderjährigen handelt, das Gericht, in dessen Sprengel ein Elternteil den gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern es sich um einen sonstigen Pflegebefohlenen handelt, das Gericht seines letzten gewöhnlichen Aufenthalts im Inland; sonst das Bezirksgericht Innere Stadt Wien. [Fassung ZVN 1983; Überschrift und Abs 1 idF Art IV Z 3 und 4 KindRÄG 2001] Lit: Fucik, Außerstreitverfahren in Abstammungs-, Adoptions-, Eheund Sachwalterschaftssachen, ecolex 2004, 920; Gitschthaler, Unterhalt, Besuchsrecht, Obsorge und Vermögensverwaltung, ecolex 2004, 924. Fucik in Fasching I § 109 JN; Fuchs in Burgstaller/Neumayr, IZVR Kapitel 51 (2006) Rz 33 ff; Mayr/Fucik Rz 403 ff und 459.

1 Diese zentrale Zuständigkeitsbestimmung für Pflegschaftssachen wurde durch die ZVN 1983 grundlegend neu gefasst (dazu 669 BlgNR 15. GP 40 f und 1337 BlgNR 15. GP 6). Durch das KindRÄG 2001 erfolgten bloß terminologische Anpassungen an die neue materielle Rechtslage (296 BlgNR 21. GP 83). Durch letzteres Gesetz wurde nämlich der Begriff der „Vormundschaft“ durch den der „Obsorge einer anderen Person“ ersetzt und damit die Rechtsfürsorge für Minderjährige iS einer terminologischen und systematischen Bereinigung des Kindschaftsrechts ausschließlich dem Rechtsinstitut der Obsorge – im Unterschied zur Sachwalterschaft für volljährige Personen und den Sonderfällen der Kuratel – zugeordnet (s 296 BlgNR 21. GP 40 f).

2 Der Anwendungsbereich des § 109 umfasst alle im dritten Hauptstück („Von den Rechten zwischen Eltern und Kindern“: §§ 137 bis 186a ABGB) und im vierten Hauptstück („Von der Obsorge einer anderen 390

JN § 109

3 Außerstreitverfahren

Person, der Sachwalterschaft und der Kuratel“: §§ 187 bis 284 ABGB) des ersten Teils des ABGB geregelten Angelegenheiten. Örtlich ist in erster Linie jenes BG zuständig, in dessen Sprengel der 3 Minderjährige (oder sonstige Pflegebefohlene) am Tag der Einleitung des Verfahrens (etwa LGZ Wien EFSlg 79.091 oder LG Krems EFSlg 105.510) seinen – rechtmäßig begründeten (etwa LGZ Wien EFSlg 60.713) – (nicht Wohnsitz, sondern) gewöhnlichen Aufenthalt oder mangels eines solchen seinen (schlichten tatsächlichen) Aufenthalt hat (EvBl 1984/62 = EFSlg 42.959 = ÖA 1984, 105; EFSlg 60.714 = RZ 1990/ 52, 102). Kommen mehrere BG in Frage, gilt der Grundsatz des Zuvorkommens (LGZ Wien EFSlg 60.715). Leben die Eltern eines minderjährigen Kindes getrennt, so hat es seinen gewöhnlichen Aufenthalt bei dem Elternteil, der (nach außen erkennbar) will, dass das bei ihm befindliche Kind dauernd bei ihm bleibt (EvBl 1984/62 = EFSlg 42.959; EFSlg 60.714 = RZ 1990/52, 102). Im Gegensatz zum (schlichten) Aufenthalt ist der gewöhnliche Aufenthalt (s auch eingehend § 66 Rz 3) regelmäßig von einer gewissen Dauer und Beständigkeit (ungefähr sechs Monate: JBl 1989, 394 = EFSlg 60.717 = RZ 1989/90, 248; LGZ Wien EFSlg 82.096 ua) oder bei einer kürzeren Aufenthaltsdauer davon abhängig, dass Umstände vorliegen, die dauerhafte Beziehungen zwischen dem Minderjährigen (oder Pflegebefohlenen) und seinem Aufenthalt anzeigen (EvBl 1984/62 = EFSlg 43.959; EFSlg 60.714 = RZ 1990/52, 102; LGZ Wien EFSlg 101.636; vgl auch EFSlg 49.259 und 49.260). Da es sich aber um den tatsächlichen Daseinsmittelpunkt handeln muss, reicht dafür etwa die Begleitung zu einem reinen, auf die Sommermonate beschränkten Arbeitsaufenthalt der Mutter nicht aus (LGZ Wien EFSlg 52.088 = IPRE 2/188). Für die subsidiäre Zuständigkeit des Abs 2 hat weder der Wohnsitz 4 noch der letzte gewöhnliche Aufenthalt eines Elternteils eine Bedeutung (LGZ Wien EFSlg 54.941 = RpflSlgA 1986/7644 = ÖA 1987, 20); es kommt nur auf den gewöhnlichen Aufenthalt des gesetzlichen Vertreters oder hilfsweise eines Elternteils des Minderjährigen bzw auf den letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Pflegebefohlenen im Inland an. Mangels anderer Anknüpfungspunkte ist zuletzt das BG Innere Stadt Wien örtlich zuständig (ausführlich zu den Gründen für diese Regelung 669 BlgNR 15. GP 41). Voraussetzung ist freilich, dass Österreich für die betreffende Angelegenheit überhaupt international zuständig ist. Die „inländische Gerichtsbarkeit“ (iSd internationalen Zuständigkeit) regelt (im nationalen Recht) § 110. 391

§ 109a

Mayr

5 Zur geschäftsordnungsmäßigen Konzentration aller Außerstreitangelegenheiten nach §§ 109 bis 114a bei derselben Gerichtsabteilung s § 26 Abs 3 GOG; dazu Knoll, RZ 1996, 276. Zum Wirkungskreis des Rechtspflegers in Pflegschaftssachen s § 19 RPflG; dazu Fucik in Fasching I § 109 Rz 5. § 109a. Für die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung ausländischer Entscheidungen über die Obsorge und das Recht auf persönlichen Verkehr ist das in § 109 bezeichnete Bezirksgericht zuständig, soweit nicht nach Völkerrecht oder in Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaften anderes bestimmt ist. [eingefügt durch Art IV Z 5 KindRÄG 2001] Lit: Schütz, Zwischenstaatliche Vereinbarungen, die für Familienrichter bedeutsam sein könnten, RZ 2005, 234; Kaller, Europaweite Durchsetzung von Obsorge- und Besuchsrecht, FamZ 2006, 37. Fuchs in Burgstaller/Neumayr, IZVR Kapitel 51 (2006) Rz 55 ff; Mayr/Czernich, EuZPR Rz 337; 340; Mayr/Fucik Rz 433; Neumayr in Burgstaller/Neumayr, IZVR Kapitel 42 (2001).

1 Für die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung von ausländischen Obsorge- und Besuchsrechtsentscheidungen (dazu §§ 112 bis 116 AußStrG bzw früher §§ 185d bis 185h AußStrG 1854) ist grundsätzlich das nach § 109 zu bestimmende Gericht zuständig.

2 Völkerrechtliche Regelungen und Bestimmungen des Europäischen Rechts gehen jedoch vor. So wird in Art 29 Abs 2 EuGVVO II (früher Art 22 Abs 2 EuEheVO) das örtlich zuständige Gericht durch den gewöhnlichen Aufenthalt der Person, gegen die Vollstreckung erwirkt werden soll, oder durch den gewöhnlichen Aufenthalt eines Kindes, auf das sich der Antrag bezieht, bestimmt. Hilfsweise wird das örtlich zuständige Gericht durch den Ort der Vollstreckung bestimmt. Für reine Anerkennungsverfahren versagt diese subsidiäre Anknüpfung an den Ort der Vollstreckung. Die Materialien zum KindRÄG 2001 schlagen zur Schließung dieser Lücke vor, ergänzend § 109 Abs 2 heranzuziehen (296 BlgNR 21. GP 83). Zu beachten ist, dass gem Art 41 EuGVVO II für Besuchsrechtsentscheidungen aus einem Mitgliedstaat gar kein Vollstreckbarerklärungsverfahren mehr vorgesehen ist (Abschaffung des Exequaturverfahrens); sie sind wie inländische Besuchsrechtsentscheidungen zu vollstrecken (s § 110 AußStrG). Auf völkerrechtlicher Basis besteht insb (zu weiteren Rechtquellen s etwa Fuchs in Burgstaller/Neumayr, IZVR Kap 51 Rz 56 ff) das Euro392

JN § 110

3 Außerstreitverfahren

päische Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgerechts (ESÜ), BGBl 1985/321, mit Durchführungsgesetz BGBl 1985/322 idF Art XXI BGBl I 2003/112 (dazu zuletzt Schütz in Burgstaller/Neumayr, IZVR Kap 54). § 110. (1) Für die im § 109 genannten Angelegenheiten ist die inländische Gerichtsbarkeit gegeben, wenn der Minderjährige oder sonstige Pflegebefohlene 1. österreichischer Staatsbürger ist oder 2. seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder, soweit es um dringende Maßnahmen geht, zumindest seinen Aufenthalt im Inland hat oder 3. Vermögen im Inland hat, soweit es um dieses Vermögen betreffende Maßnahmen geht. (2) Hat der österreichische Minderjährige oder sonstige Pflegebefohlene seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder Vermögen im Ausland oder handelt es sich um einen ausländischen Minderjährigen oder sonstigen Pflegebefohlenen, so kann das Gericht von der Einleitung oder Fortsetzung des Verfahrens absehen, soweit und solange durch die im Ausland getroffenen oder zu erwartenden Maßnahmen die Rechte und Interessen des Minderjährigen oder sonstigen Pflegebefohlenen ausreichend gewahrt werden. Im Falle eines österreichischen Minderjährigen ist vor der Entscheidung die Bezirksverwaltungsbehörde zu hören, in deren Sprengel das Gericht seinen Sitz hat. [Fassung ZVN 1983] Lit: Schwimann, Das Haager Minderjährigenschutzabkommen und seine Anwendung in Österreich, JBl 1976, 233; Kropholler, Das Haager Abkommen über den Schutz Minderjähriger2 (1977); Schwimann, Internationales Zivilverfahrensrecht (1979) 47; Oberloskamp, Haager Minderjährigenschutzabkommen (1983); Schütz, Die Neuregelung der inländischen Gerichtsbarkeit in Vormundschafts- und Pflegschaftssachen, ÖA 1983, 92; Matscher, Die internationalrechtlichen Bestimmungen der Zivilverfahrens-Novelle 1983, in: Neuerungen im zivilgerichtlichen Verfahren, Richterwoche 1983 Badgastein (1984) 201; Schwimann, Personen- und familienrechtliche Neuerungen im internationalen Zivilverfahrensrecht Österreichs, FamRZ 1985, 673; ders, Inländische Gerichtsbarkeit für Personenrechts-, Familienrechts- und Unterhaltssachen, JBl 1990, 760; Schwind, Internationales Privatrecht (1990) Rz 342 ff; Geimer, Internationalrechtliches zum Außerstreitverfahren, in Kralik/Rechberger (Hrsg), Symposion Außerstreitreform (1992) 93; 393

§ 110

Mayr

Hintermüller, Zur Zurückziehung des Vorbehalts zu Art 13 des Minderjährigenschutzübereinkommens (MSA) durch Österreich, ÖStA 1992, 46; M. Roth/Döring, Das Haager Abkommen über den Schutz von Kindern, JBl 1999, 758 = ÖA 1999, 163; Anzinger in Burgstaller (Hrsg), Internationales Zivilverfahrensrecht (2000) 179; Schwimann, Internationales Privatrecht3 (2001) 168; Simotta, Die internationale Zuständigkeit für Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten (Art 3 f EheVO), FS Jelinek (2002) 291; Posch, Internationales Privatrecht3 (2002) 63; Schulz, Internationale Regelungen zum Sorge- und Umgangsrecht, FamRZ 2003, 336; Bauer, Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts und perpetuatio fori in Sorgerechtsverfahren, IPRax 2003, 135; Kropholler, Internationales Privatrecht5 (2004) § 48 II.1 (385 ff); Fuchs, Internationale Zuständigkeit in Außerstreitverfahren (2004) Rz 114 ff und 232 ff; Gördes, Internationale Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über die elterliche Verantwortung (2004); Klauser/Horn, Brüssel IIa-Verordnung in Kraft, ecolex 2004, 910; Schütz, Zwischenstaatliche Vereinbarungen, die für Familienrichter bedeutsam sein könnten, RZ 2005, 234; Rass-Schell, Überlegungen zum Kindeswohl, dem Haager Kindesentführungsübereinkommen sowie der Verordnung (EG) Nr 2201/2003, ÖA 2005, 77; Andrae, Zur Abgrenzung des räumlichen Anwendungsbereichs von EheVO, MSA, KSÜ und autonomem IZPR/ IPR, IPRax 2006, 82; Looschelders, Die Europäisierung des internationalen Verfahrensrechts für Entscheidungen über die elterliche Verantwortung, JR 2006, 45; Kaller, Europaweite Durchsetzung von Obsorgeund Besuchsrecht, FamZ 2006, 37. Fucik in Fasching I § 110 JN; Barth/Mosser in Burgstaller/Neumayr, IZVR Kapitel 57 (2006) Rz 5 ff; Fuchs in Burgstaller/Neumayr, IZVR Kapitel 51 (2006) Rz 44 ff; Mayr/Czernich, EuZPR Rz 323 f; Mayr/ Fucik Rz 403 f. Inhaltsübersicht Allgemeines Voraussetzungen Abs 2 Anfechtung

1 2 3–4 5

EuGVVO II 6 Völkerrechtliche Verträge 7 Minderjährigenschutzübereinkommen 8–11

1 Diese Bestimmung regelt – sofern nicht besondere Vorschriften eingreifen (s unten Rz 6 ff) – für die in § 109 angeführten (außerstreitigen) Angelegenheiten (auch für die Bestellung eines Sachwalters: 3 Ob 2008/ 96g = SZ 69/67 = ZfRV 1996/49, 194; vgl auch 6 Ob 218/02f = ZfRV-LS 2003/28, 75) die internationale Zuständigkeit österreichischer Gerichte („inländische Gerichtsbarkeit“). Ist danach das Einschreiten eines in394

JN § 110

3 Außerstreitverfahren

ländischen Gerichtes gedeckt, so hat dieses (auch für die Beurteilung der Zulässigkeit von Rechtsmitteln) österreichisches Verfahrensrecht anzuwenden, auch wenn nach den Regeln des internationalen Privatrechts auf die Entscheidung in der Sache selbst ausländisches materielles Recht anzuwenden ist (etwa 3 Ob 587/86 = ZfRV 1988, 41 [zust Hoyer]; RS 0009195). Die Einleitung eines inländischen Verfahrens wird dabei durch ein inhaltsgleiches ausländisches Verfahren nicht gehindert, weil im Hinblick auf Abs 2 das Problem der Streitanhängigkeit nicht auftauchen kann (3 Ob 552/88 = JBl 1989, 394 = EFSlg 60.720 = RZ 1989/ 90, 248). Das Fehlen der internationalen Zuständigkeit („inländischen Gerichtsbarkeit“) ist in jeder Lage des Verfahrens (bis zur Rechtskraft) von Amts wegen zu prüfen und führt zur Nichtigerklärung des (allenfalls bereits) durchgeführten Verfahrens und zur Zurückweisung des Antrags (§ 42 Abs 1; vgl LGZ Wien EFSlg 57.688, 69.745). Eine Heilung des Fehlens der internationalen Zuständigkeit – wie sie seit der WGN 1997 § 104 Abs 3 für das streitige Verfahren vorsieht – ist im Außerstreitverfahren nicht vorgesehen (Mayr/Fucik Rz 65), jedoch gilt seit der Neufassung des § 29 Satz 2 durch die WGN 1997 – anders als bisher (zuletzt etwa LGZ Wien EFSlg 82.100 und 90.761) – auch hier der Grundsatz der perpetuatio fori (5 Ob 114/04g = ZfRV-LS 2004/41, 187; s § 29 Rz 2). Freilich kann das Gericht aber gegebenenfalls von der Möglichkeit des Abs 2 (unten Rz 3 f) Gebrauch machen und von einer Fortsetzung des Verfahrens absehen (LGZ Wien EFSlg 97.934; s auch 7 Ob 221/05h = Zak 2006/28, 18). Internationale Zuständigkeit („inländische Gerichtsbarkeit“) ist nach 2 Abs 1 immer dann gegeben, wenn es sich bei dem Minderjährigen oder sonstigen Pflegebefohlenen um einen österreichischen Staatsbürger handelt (Z 1) – unabhängig davon, ob er auch noch eine weitere (sogar „effektive“) Staatsbürgerschaft besitzt (LGZ Wien IPRE 2/191 = ÖA 1986, 23; LGZ Wien EFSlg 94.368 oder EFSlg 101.637 ua) – oder wenn er seinen gewöhnlichen Aufenthalt (s dazu § 109 Rz 3 und § 66 Rz 3) in Österreich hat (Z 2, 1. Fall; 4 Ob 112/02b = SZ 2002/74 = ZfRV-LS 2003/6, 19). Im ersteren Fall schadet es nicht, wenn sich der Minderjährige oder sonstige Pflegebefohlene – auch dauernd – im Ausland aufhält (vgl etwa LGZ Wien EFSlg 46.614 und IPRE 2/191; ZfRV 1993/53, 153; ZfRV 1997/53, 155), im letzteren Fall nicht, wenn er keine österreichische Staatsbürgerschaft besitzt. Fehlen aber sowohl österreichische Staatsangehörigkeit als auch ein gewöhnlicher Aufenthalt in Österreich, so liegt grundsätzlich keine inländische Gerichtsbarkeit nach Abs 1 vor (ZfRV 1993/80, 248; LGZ Wien EFSlg 54.942 ua), es sei denn, es würde sich um eine dringende Maßnahme im Zu395

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sammenhang mit dem (schlichten) Aufenthalt (Z 2, 2. Fall) oder um eine Maßnahme handeln, die in Österreich befindliches Vermögen des Minderjährigen oder sonstigen Pflegebefohlenen betrifft (Z 3); etwa um die pflegschaftsbehördliche Genehmigung einer Schadenersatzklage eines ausländischen Minderjährigen gegen eine österreichische Haftpflichtversicherung (2 Ob 13/94 = EFSlg 79.094 = ZfRV 1996/10, 26 = ZVR 1997/32, 83; LGZ Wien EFSlg 101.638) oder einer Drittschuldnerklage (LGZ Wien EFSlg 90.764) oder um eine dringende Maßnahme betreffend Liegenschaften eines iSd § 273 ABGB behinderten Ausländers in Österreich (IPRE 2/32 = ZfRV 1988, 41; vgl aber auch 3 Ob 2008/96g = SZ 69/67 = ZfRV 1996/49, 194 und 4 Nc 4/04g). Bei Forderungen gilt der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt des Schuldners als Ort des Vermögens (s § 99 Abs 2; 1 Ob 199/03a = EvBl 2004/27 = ZfRV-LS 2004/16, 74). Ist das Schutzobjekt ein von der natürlichen Person verschiedenes parteifähiges Gebilde (s § 109 Abs 1 letzter Halbsatz), so ist die internationale Zuständigkeit für sachwalterschafts- oder kuratelrechtliche Maßnahmen bei einem inländischen Sitz dieses Gebildes gegeben. Hinzuweisen ist, dass die frühere Spezialregelung des § 19 Abs 3 StbG durch die Novelle BGBl I 1998/124 beseitigt worden ist (dazu Fuchs Rz 233).

3 Ob trotz des Bestehens der „inländischen Gerichtsbarkeit“ (internationalen Zuständigkeit) nach Abs 1 ein Verfahren nicht eingeleitet oder nicht fortgesetzt wird, ist vom (gebundenen) Ermessen des Gerichtes abhängig, das sich nur am Wohl des Minderjährigen oder sonstigen Pflegebefohlenen (s § 13 Abs 2 AußStrG und § 178a ABGB) zu orientieren hat (etwa EFSlg 66.878 = ZfRV 1992/10; LGZ Wien EFSlg 105.514 uva). Das Gericht darf nur dann nach Abs 2 vorgehen, wenn gesichert (also nicht bloß anzunehmen) ist, dass die Rechte und Interessen des Minderjährigen oder sonstigen Pflegebefohlenen durch die Behörden des ausländischen Staates ausreichend gewahrt sind (EFSlg 52.089 = ÖA 1987, 139; EFSlg 57.686; EFSlg 66.878 = ZfRV 1992/10; 6 Ob 96/ 00m = ZfRV 2000/91, 233; 7 Ob 238/00a = JBl 2001, 396 = ZfRV 2001/ 30, 72 = EFSlg 94.369, 94.370 und 97.933; LGZ Wien EFSlg 101.646 ua), wobei bei einem österreichischen Minderjährigen zusätzlich vor der entsprechenden Entscheidung (zwingend) die zuständige Bezirksverwaltungsbehörde zu hören ist (LGZ Wien IPRE 2/186 = WR 274/1987; LG Feldkirch EFSlg 101.645). Hinsichtlich eines österreichischen Minderjährigen oder sonstigen Pflegebefohlenen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland kommt eine Vorgangsweise nach Abs 2 generell nicht in Betracht, sofern es sich nicht um Maßnahmen betreffend ausländisches Vermögen handelt. 396

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3 Außerstreitverfahren

Das Vorliegen der Voraussetzungen des Abs 2 beendet nicht die internationale Zuständigkeit („inländische Gerichtsbarkeit“; aM offenbar LGZ Wien EFSlg 49.263 = IPRE 2/193); die österreichischen Gerichte sind nur ermächtigt, von ihrer Jurisdiktionsbefugnis insoweit und so lange keinen Gebrauch zu machen, als durch ausländische Maßnahmen das Kindeswohl ausreichend gewahrt wird (EFSlg 49.264 = IPRE 2/184; LGZ Wien EFSlg 105.512; vgl auch KG Krems EFSlg 60.718). Sind diese Voraussetzungen nicht mehr (im hinreichenden Ausmaß) gegeben, so ist ein inländisches Verfahren einzuleiten oder fortzusetzen. Die Regelung des Abs 2 ermöglicht es also, die Wahrnehmung der „inländischen Gerichtsbarkeit“ mit einem allfälligen (ausreichenden) ausländischen Rechtsschutz zu koordinieren (vgl LGZ Wien EFSlg 105.513). Eine Vorgangsweise nach Abs 2 kommt erst dann in Betracht, wenn 4 bereits eine E der ausländischen Behörden vorliegt oder auf Grund eines anhängigen Verfahrens konkret (nicht bloß allenfalls, etwa LGZ Wien EFSlg 105.515) und in angemessener Zeit zu erwarten ist (LGZ Wien IPRE 2/189 = RPflSlgA 1986/7667 und EFSlg 49.263 = IPRE 2/193 sowie EFSlg 82.099). Zudem muss diese E für den inländischen Rechtsbereich entsprechende Wirkungen entfalten können (so 669 BlgNR 15. GP 43; LGZ Wien EFSlg 46.615): Die getroffenen oder zu erwartenden ausländischen Maßnahmen müssen (soweit sie für ein im Inland zu beurteilendes Recht oder Rechtsverhältnis erheblich sind: Matscher, Richterwoche 1983, 215 FN 26) also im Inland anerkannt oder zumindest anerkennungsfähig sein (LG Salzburg EFSlg 105.516; Schwimann, JBl 1990, 767 mwN; vgl 7 Ob 238/00a = JBl 2001, 396). Österreichische Gerichte haben ihre Zuständigkeit also etwa dann wahrzunehmen, wenn das Verfahren im Ausland längere Zeit in Anspruch nehmen würde und die Entscheidung dann in Österreich vollstreckt werden müsste (EFSlg 52.090 = ÖA 1987, 139; LG Feldkirch EFSlg 101.643), wenn die E in Österreich nicht durchgesetzt werden könnte (KG Krems EFSlg 60.719), wenn im Unterhaltsbereich ein ganz geringer (LGZ Wien EFSlg 57.687 = WR 368/1988) oder nur ein vorläufiger Mindestunterhaltstitel (LGZ Wien IPRE 2/194 = WR 293/1987) im Ausland geschaffen wurde (LG Feldkirch EFSlg 101.644), wenn im Obsorgebereich im Ausland nur ein Strafverfahren (etwa wegen Kindesentführung: LGZ Wien IPRE 2/185) eingeleitet wurde oder wenn im Sachwalterschaftsverfahren auf Grund einer dort angefochtenen ausländischen E der ernannte Beistand noch nicht tätig werden kann (ZfRV 1993/53, 153). Hat hingegen der Heimatstaat zum angestrebten Regulierungsgegenstand erst kürzlich eine Entscheidung erlassen, muss ein triftiger Grund (etwa geänderte Umstände) für die Einleitung (oder 397

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Fortsetzung) des inländischen Verfahrens vorliegen (vgl LGZ Wien WR 140/1984).

5 Sowohl Entscheidungen, die die Einleitung oder Fortsetzung eines Verfahrens nach Abs 2 ablehnen, als auch solche, die sie zulassen, sind anfechtbar (stRsp und etwa Matscher, Richterwoche 1983, 216; vgl auch Schwimann, JBl 1990, 766), nicht jedoch dann, wenn es sich um eine bloße Mitteilung über den Stand des Verfahrens handelt (ÖA 1993, 114 [zust Gamerith] = ZfRV 1993/27, 83: Mitteilung des Erstgerichtes, dass der Akt einer ausländischen Behörde übermittelt wurde).

6 Hervorgehoben muss werden, dass die Regelungen des § 110 im Verhältnis zu europarechtlichen sowie multi- und bilateralen Staatsverträgen nur subsidiär anzuwenden ist. Europarechtlich gilt seit 1.3.2005 die neue Brüssel IIa-Verordnung (EuGVVO II; zu deren zeitlichen Anwendungsbereich s Art 64 iVm Art 72 EuGVVO II und etwa 4 Ob 61/05g = ZfRV-LS 2005/21, 157 oder 8 Ob 120/05p = Zak 2006/249, 139 = ZfRV-LS 2006/7, 70). Sie ist in allen (auch den neuen) EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahme von Dänemark unmittelbar anzuwenden. Sie gilt – unabhängig von der Art der zur Anwendung gelangenden Gerichtsbarkeit (Streit- oder Außerstreitverfahren) – für Ehesachen (s dazu § 76 Rz 4 und § 114a Rz 8) und für die „Zuweisung, die Ausübung, die Übertragung sowie die vollständige oder teilweise Entziehung der elterlichen Verantwortung“ (Art 1 Abs 1 EuGVVO). Sie umfasst daher nunmehr (anders noch als die vorangegangene EuEheVO) alle Obsorge- und Besuchsrechtsentscheidungen hinsichtlich aller (ehelichen oder unehelichen) Kinder unabhängig von einem Ehescheidungsverfahren der Kindeseltern (s die Aufzählungen bzw Definitionen in Art 1 Abs 2 und Art 2 EuGVVO II). Die (das nationale Recht verdrängende) Regelung der internationalen Zuständigkeit enthalten die Art 8 bis 15 EuGVVO. Danach sind grundsätzlich die Gerichte des Mitgliedstaates zuständig, in dem das Kind zum Zeitpunkt der Antragstellung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art 8 EuGVVO II). Sondernormen bestehen für Besuchsrechtsentscheidungen bei einer rechtmäßigen Übersiedelung des Kindes (Art 9 EuGVVO II), für Kindesentführungen (Art 10 und 11 EuGVVO II; dazu etwa Schütz, RZ 2005, 236 oder Mayr/Fucik Rz 432g) und für Verfahren, die mit einem Eheverfahren verbunden sind (Art 12 EuGVVO II). Kann der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes nicht festgestellt werden (insb auch bei Flüchtlingen), so reicht subsidiär die Anwesenheit des Kindes in einem Mitgliedstaat aus, um dessen Zuständigkeit zu begründen (Art 13 EuGVVO II). Nur wenn sich nach den erwähnten Bestimmungen keine Zuständigkeit eines Gerichts eines 398

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3 Außerstreitverfahren

Mitgliedstaates ergibt, bestimmt sich die Zuständigkeit nach nationalem Recht (Restzuständigkeit nach Art 14 EuGVVO II). Schließlich führt Art 15 EuGVVO II die (ausnahmsweise) Möglichkeit einer Überweisung der Sache an ein besser geeignetes mitgliedstaatliches Gericht ein. Die EuGVVO II ersetzt (grundsätzlich) einschlägige bilaterale Ab- 7 kommen, die zwischen Mitgliedstaaten abgeschlossen worden sind (Art 59 EuGVVO II), sodass für Österreich nur noch wenige bilaterale Verträge von Bedeutung sind (s näher Fuchs Rz 210 ff). Gem Art 60 EuGVVO II genießt diese Rechtsquelle im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten aber auch insoweit Vorrang vor bestimmten multilateralen Übereinkommen als diese Bereiche betreffen, die auch in der EU-Verordnung geregelt sind (s auch 3 Ob 89/05t = JBl 2005, 793). Genannt werden insb das Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom 5.10.1961, BGBl 1975/ 446 (Haager Minderjährigenschutzübereinkommen – MSA), das Europäische Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgerechts vom 20.5.1980, BGBl 1985/321 (Europäisches Sorgerechtsübereinkommen – ESÜ; s dazu das österr Durchführungsgesetz BGBl 1985/322 und zuletzt die Erläuterungen von Schütz in Burgstaller/Neumayr, IZVR Kap 54 [2006]) sowie das Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25.10.1980, BGBl 1988/512 (Haager Kindesentführungsübereinkommen – HKÜ; s dazu das österr Durchführungsgesetz BGBl 1988/513 und zuletzt die Erläuterungen von Schütz in Burgstaller/Neumayr, IZVR Kap 54 [2006]). Auch gegenüber dem (Haager) Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern vom 19.10.1996 (Haager Kinderschutzübereinkommen – KSÜ), das in den meisten EU-Mitgliedstaaten (zB in Österreich) noch nicht in Kraft getreten ist, wird die EuGVVO II anwendbar bleiben, wenn das betreffende Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat hat (Art 61 EuGVVO II). Für Rechtsgebiete, die durch die EuGVVO II nicht geregelt werden, behalten hingegen die bi- und multilateralen Verträge ihre Wirksamkeit (Art 62 EuGVVO II). Näheres zur komplizierten Rechtslage s bei Andrae, IPRax 2006, 82 ff. In der Praxis große Bedeutung hat (bzw hatte) das bereits erwähnte 8 Haager Minderjährigenschutzübereinkommen (MSA; dazu etwa 399

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Anzinger in Burgstaller, IZVR Rz 5.52 ff und Schwimann, IPR3, 169 ff sowie die zahlreichen Literaturhinweise bei Duchek/Schütz/Tarko, Zwischenstaatlicher Rechtsverkehr2, 282 f), welches § 110 vorgeht (vgl SZ 60/212 = ÖA 1988, 51 und LG Salzburg EFSlg 108.649), aber seinerseits selbst (sowie auch das künftige KSÜ) durch die EuGVVO II verdrängt wird (s oben Rz 7). Es regelt (außerhalb des Anwendungsbereichs der EuGVVO II) die internationale Zuständigkeit und (darüber hinaus) das anzuwendende Recht (– wofür die EuGVVO II keine Regelungen enthält) für die elterliche Obsorge und die gesetzliche Vertretung von Minderjährigen aus Vertragsstaaten. Vertragsstaaten sind außer Österreich Deutschland, Frankreich, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Niederlande, Portugal (und das Sonderverwaltungsgebiet Macao; s BGBl III 2001/105), Schweiz, Spanien und die Türkei. Polen ist dem MSA zwar bereits 1993 beigetreten, mangels Zustimmung Österreichs (s Art 21 MSA) ist es jedoch gegenüber Österreich noch nicht in Kraft getreten (vgl 8 Ob 255/97a = ZfRV 1998/56, 208).

9 Persönliche Voraussetzung für die Anwendung des Übereinkommens ist, dass der Betroffene sowohl nach dem Recht des Staates, dem er angehört, als auch nach dem Recht seines gewöhnlichen Aufenthaltes minderjährig ist (Schwimann, IPR3, 169; Schwind, IPR Rz 344; Anzinger in Burgstaller, IZVR Rz 5.60 ff). Es ist auf alle Minderjährigen anzuwenden, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem Vertragsstaat (wie Österreich) haben (Art 13 Abs 1 MSA). Nach der Rückziehung des österreichischen Vorbehalts iSd Art 13 Abs 3 MSA mit Wirkung vom 7.8.1990 (BGBl 1990/439) spielt es keine Rolle mehr, ob es sich um einen Staatsangehörigen eines Vertragsstaates handelt oder nicht (3 Ob 538/92 = IPRax 1994, 55 [dazu Mottl, IPRax 1994, 60] = ZfRV 1993/4, 31; 4 Ob 1540/92 = EFSlg 69.657 = ZfRV 1993/9, 32; 7 Ob 43/03d = EFSlg 105.382 f = ZfRV 2003/57, 188; LGZ Wien EFSlg 101.466, 108.644 uva). Der gewöhnliche Aufenthalt wird (auch iSd MSA; s sonst oben Rz 2) dort begründet, wo das Kind den Schwerpunkt seiner Bindungen, den Mittelpunkt der Lebensführung hat (dazu eingehend Schwimann, Zivilverfahrensrecht 84; Schwind, IPR Rz 189 f; Anzinger in Burgstaller, IZVR Rz 5.64 ff). Im Einzelfall sind die jeweiligen Umstände (insb auch das Alter des Kindes) genau zu prüfen (etwa LGZ Wien EFSlg 66.814 = WR 482/1991), im Zweifel wird jedoch regelmäßig ein Aufenthalt von etwa sechs Monaten bei weitgehender sozialer Integration (SZ 60/212 = ÖA 1988, 51; EFSlg 60.657, 79.024; ZfRV 1998/58, 209; 1 Ob 220/02p = ZfRV-LS 2003/31, 98; 8 Ob 107/03y = ZfRV-LS 2004/20, 75; RS 0074198; LGZ Wien EFSlg 108.653 uva), nicht jedoch von drei Monaten (EFSlg 49.226 = 49.231 = IPRax 1986, 385 [zust Henrich, IPRax 1986, 400

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3 Außerstreitverfahren

364] = IPRE 2/163; LG Salzburg EFSlg 97.815) als hinreichend angesehen (s aber auch EFSlg 60.660 = IPRax 1992, 176 [dazu Mottl, IPRax 1992, 178]: ausnahmsweise ca sechs Wochen ausreichend). Zum unrechtmäßigen Aufenthaltswechsel insb in Form einer Kindesentführung s EvBl 1988/120 = EFSlg 57.644; EFSlg 82.006 = ZfRV 1996/75, 246; 4 Ob 88/98i = SZ 71/61 = EvBl 1998/146 = ZfRV 1998/52, 206 und 8 Ob 368/97v = ZfRV 1998/57, 208; ferner LG Salzburg EFSlg 97.813, 108.654 und Bauer, IPRax 2003, 136 f. Der sachliche Geltungsbereich erstreckt sich auf Maßnahmen zum 10 Schutz der Person und des Vermögens des Minderjährigen (sowie auf gesetzliche Gewaltverhältnisse iSd Art 3 MSA; dazu etwa 4 Ob 63/03y = EFSlg 105.385 und Fuchs Rz 200). Unter den Begriff der Schutzmaßnahme sind alle rechtsgestaltenden staatlichen Individualakte – seien sie privat- oder öffentlichrechtlichen Charakters – zu subsumieren, die im Interesse des Kindes erforderlich und überdies geeignet sind, die Rolle der Eltern zu ergänzen und zu ersetzen (so Anzinger in Burgstaller, IZVR Rz 5.75 ff mwN) bzw alle schützenden Eingriffe und regelnden Maßnahmen mit Gestaltungscharakter zur Wahrung und Förderung des Kindeswohles zu verstehen (so zuletzt 7 Ob 294/05v), also zB die Bestellung oder Abberufung eines Vormunds, Kurators oder Sachwalters (EvBl 1991/74 = EFSlg 63.871 = ZfRV 1991, 310; LGZ Wien EFSlg 85.087), die Regelung der elterlichen Obsorge und des Besuchsrechts (4 Ob 552/88 = RZ 1988/41, 169 = EFSlg 57.646 = IPRax 1989, 245 [dazu Siehr, IPRax 1989, 253]; 7 Ob 294/05v; 2 Ob 272/05x; RS0047773; LGZ Wien EFSlg 101.468, 108.646, 108.647) oder eine Klagsgenehmigung (LG Salzburg EFSlg 105.395). Das MSA kommt hingegen nicht zur Anwendung in Unterhaltssachen (JBl 1989, 394 = EFSlg 60.664 = IPRax 1990, 59 = RZ 1989/90, 248; 6 Ob 348/97p = SZ 70/269 = EvBl 1998/97 = EFSlg 85.090; LG Eisenstadt EFSlg 97.812), im Bereich des Namensrechts (JBl 1983, 159 [zust Schwimann] = IPRE 1/38 = ZfRV 1982, 41 [zust Schwind]), für die Volljährigerklärung (LGZ Wien EFSlg 66.821), für die Vaterschaftsfeststellung (SZ 69/76 = EFSlg 82.017 = ZfRV 1996/38) oder bei Adoptionsmaßnahmen (etwa 1 Ob 190/03b = EFSlg 105.396). Das Übereinkommen verteilt die internationale Zuständigkeit für 11 Schutzmaßnahmen auf den Staat des gewöhnlichen Aufenthalts (Art 1 und 2 MSA) und auf den Heimatstaat (Art 4 MSA), die jeweils ihr eigenes Sachrecht (lex fori) anzuwenden haben. Die Zuständigkeit der Behörden des Aufenthaltsstaates und des Heimatstaates besteht nebeneinander (8 Ob 559/77 = EvBl 1978/128 = ÖA 1979, 22; 2 Ob 557/82 = JBl 1984, 153 [Schwimann] = IPRax 1984, 164 [Hoyer] = ZfRV 1984, 308 401

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[Verschraegen]; RS0074189). Die Maßnahmen der Heimatbehörden verdrängen aber jene der Behörden am gewöhnlichen Aufenthalt und schließen für die Zeit ihrer Dauer (mit Ausnahme der Gefährdungszuständigkeit nach Art 8 MSA; dazu zuletzt 4 Ob 7/06t) auch die weitere Zuständigkeit der Behörden des gewöhnlichen Aufenthaltes aus. Insofern besteht ein eindeutiger Vorrang der Heimatbehörden (8 Ob 653/ 87 = SZ 60/234; RS0074231; zuletzt 2 Ob 272/05x). Dieser Vorrang besteht jedoch nur hinsichtlich der Wirkungen der betreffenden Maßnahmen. Davon zu unterscheiden ist die Frage, wann bzw unter welchen Umständen die Heimatbehörde einzuschreiten hat. Hier gilt, dass primär die Behörden (Gerichte) des Aufenthaltsstaates des Minderjährigen zuständig sind. Die Heimatbehörde hat daher sorgfältig abzuwägen, ob das Wohl des Kindes ihr Einschreiten erfordert (so jüngst 7 Ob 294/05v mwN).

12 Für die Beurteilung der Frage, ob nach dem MSA die internationale Zuständigkeit gegeben ist, ist nach (bisheriger) öRsp (dazu krit Bauer, IPRax 2003, 137 f) der Zeitpunkt der E des Gerichts erster Instanz (8 Ob 587/85 = IPRax 1986, 385 [dazu krit Henrich, IPRax 1986, 364]; 2 Ob 609/89 = IPRax 1992, 176 [dazu Mottl, IPRax 1992, 178]; 7 Ob 598/93 = ZfRV 1994/35, 158; RS0046199; LG Salzburg EFSlg 97.809, 108.651) bzw der Zeitpunkt der Erlassung der Schutzmaßnahme maßgeblich. Eine perpetuatio fori trat nicht ein (7 Ob 598/93 = ZfRV 1994/35, 158; LG Salzburg EFSlg 108.650 ua; aM nach der WGN 1997 Fucik in Fasching I § 110 Rz 6) und ein nachträglicher Wegfall der Zuständigkeitsvoraussetzungen sollte rückwirkend die Nichtigkeit des gesamten Verfahrens zur Folge haben (etwa 2 Ob 557/82 = JBl 1984, 153 [zust Schwimann] = IPRax 1984, 159 [dazu krit Hoyer, IPRax 1984, 164] = ÖA 1984, 19 = ZfRV 1984, 308 [krit Verschraegen]; 4 Ob 535/87 = SZ 60/212 = IPRE 2/164 = ÖA 1988, 51; 1 Ob 577/88 = EvBl 1988/120 = EFSlg 57.643 = ÖA 1990, 19; RS0007405). Bei der Beantwortung der Frage hinsichtlich einer allfälligen perpetuatio fori ist jedoch zu unterscheiden: Wird der gewöhnliche Aufenthalt während eines anhängigen Verfahrens in einen Nichtvertragsstaat verlagert, so ist gem Art 13 Abs 1 MSA eine weitere Anwendung des MSA ausgeschlossen und es kommen die autonomen Zuständigkeitsregeln zur Anwendung (vgl etwa LGZ Wien EFSlg 101.467); in Österreich also § 29 JN, sodass die (internationale) Zuständigkeit (jedenfalls seit der WGN 1997) perpetuiert wird (s oben Rz 1), jedoch die Möglichkeit besteht, von der Fortsetzung des Verfahrens gem § 110 Abs 2 abzusehen (s 7 Ob 221/05h = Zak 2006/28, 18). Liegt der neue gewöhnliche Aufenthalt in einem (anderen) Vertragsstaat, so bleiben die von den Behörden des Staates des früheren 402

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3 Außerstreitverfahren

gewöhnlichen Aufenthaltes bereits getroffenen Maßnahmen so lange in Kraft, bis die Behörden des neuen gewöhnlichen Aufenthaltes sie aufheben oder ersetzen (Art 5 Abs 1 und 2 MSA). Für Maßnahmen, die vor dem Aufenthaltswechsel schon beantragt, aber noch nicht getroffen worden sind, gilt nach hM keine perpetuatio fori (s etwa Kropholler, Haager Abkommen 68 ff; Oberloskamp Art 1 Rz 134 ff sowie ausführlich Bauer, IPRax 2003, 137 f; zuletzt Andrae, IPRax 2006, 83 FN 7), sodass die Zuständigkeit auf den neuen Aufenthaltsstaat übergeht. § 111. (1) Wenn dies im Interesse eines Minderjährigen oder sonst Pflegebefohlenen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird, kann das zur Besorgung der pflegschaftsgerichtlichen Geschäfte zuständige Gericht von Amts wegen oder auf Antrag seine Zuständigkeit ganz oder zum Teil einem anderen Gerichte übertragen. (2) Die Übertragung wird wirksam, wenn das andere Gericht die Zuständigkeit oder die ihm übertragenen Geschäfte übernimmt. Im Falle der Weigerung des anderen Gerichtes bedarf die Übertragung zu ihrer Wirksamkeit der Genehmigung des den beiden Gerichten zunächst übergeordneten gemeinsamen höheren Gerichtes. [Abs 1 idF Art IV Z 6 KindRÄG 2001; Abs 2 Satz 2 idF ZVN 1983; Aufhebung des Abs 3 durch ZVN 1983] Lit: Mayr, Die Delegation im zivilgerichtlichen Verfahren, JBl 1983, 293. Fucik in Fasching I § 111 JN; Mayr/Fucik Rz 50. Neben der Delegation aus Gründen der Zweckmäßigkeit nach § 31 (zur 1 Abgrenzung s Mayr, JBl 1983, 300) sieht § 111 auf Antrag oder von Amts wegen eine (gänzliche oder teilweise) direkte Übertragung der Zuständigkeit in Pflegschaftssachen an ein anderes BG ohne Einschaltung eines Obergerichtes vor. Voraussetzung für diese Durchbrechung des Grundsatzes der perpetuatio fori ist einerseits die (örtliche wie internationale) Zuständigkeit des übertragenden Gerichts (zuletzt 7 Nc 21/03b = EFSlg 105.518 oder 2 Nc 7/05k; OLG Wien EFSlg 75.974 und 82.107; bei einer örtlichen Unzuständigkeit wäre nach § 44 vorzugehen: EFSlg 46.616 = NZ 1985, 228 = ÖA 1985, 49 = RPflSlgA 1984/7534; LGZ Wien EFSlg 79.127) und andererseits, dass sie im Interesse des Minderjährigen oder Pflegebefohlenen (also im Interesse des Kindeswohls; s § 13 Abs 2 AußStrG) gelegen ist (stRsp, etwa EFSlg 85.181, 105.521, 108.744 uva). Die Zuständigkeitsübertragung soll die wirksame Handhabung des pflegschaftsbehördlichen Schutzes sichern oder ver403

§ 111

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bessern (zuletzt etwa 4 Ob 5/04v = EFSlg 108.745 uva). Als Ausnahmebestimmung ist sie jedoch grundsätzlich einschränkend auszulegen (etwa OLG Innsbruck EFSlg 41.616 = NZ 1983, 14 [zust Mayr] und zuletzt OLG Wien EFSlg 105.520 sowie LGZ Wien EFSlg 108.743).

2 Die Bestimmung nimmt darauf Bedacht, dass ein (örtliches) Naheverhältnis zwischen dem Pflegschaftsgericht und dem Mündel (Minderjährigen) oder (sonstigen) Pflegebefohlenen idR zweckmäßig (vgl EFSlg 57.690) und von wesentlicher Bedeutung ist (9 Nc 16/03g = EFSlg 105.525; 6 Ob 117/04f = EFSlg 108.746; OLG Wien EFSlg 85.193). Besteht daher dieses Naheverhältnis zwischen dem ursprünglich zuständigen Gericht und dem Minderjährigen oder sonstigen Pflegebefohlenen nicht mehr, verlegt er also insb den Mittelpunkt seiner gesamten Lebensführung und wirtschaftlichen Existenz in einen anderen Gerichtssprengel (stRsp, etwa EFSlg 60.722; EFSlg 82.110 = ÖA 1997, 171), so kann (gebundenes Ermessen: Wahrung der Interessen des Minderjährigen oder sonstigen Pflegebefohlenen) das Gericht die Zuständigkeit an jenes Gericht übertragen, in dessen Sprengel der neue Lebensmittelpunkt liegt, wo der Betreffende also seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen (ständigen) Aufenthalt hat (EFSlg 63.950, 66.882, 105.523, 105.526 uva). Es kommt immer nur auf den Mittelpunkt der Lebensführung – nicht auf die polizeiliche Meldung (LGZ Wien EFSlg 82.109 und 105.524; vgl auch § 66 Rz 3) – des Minderjährigen oder sonstigen Pflegebefohlenen an (4 Ob 254/04p = EFSlg 108.748), (grundsätzlich) nicht (Ausnahme etwa EFSlg 66.881 und 82.113) aber auf jenen seiner Eltern (9 Nd 514/01 = EFSlg 97.942; vgl LGZ Wien EFSlg 60.724, 60.725) oder des Kurators (zum Sachwalter LGZ Wien ÖA 1987, 20 [krit Gamerith] = WR 168/1985; ÖA 1987, 58 und EFSlg 66.896).

3 Über die notwendigen Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsübertragung im Einzelfall besteht eine reiche Kasuistik, die in den jährlichen Bänden der EFSlg dokumentiert wird (s auch Fucik in Fasching I § 111 Rz 3). Daraus ist hervorzuheben: Überwiegend (s aber auch LGZ Wien EFSlg 66.884) wird etwa die Meinung vertreten, dass die gemeinsame Führung des Pflegschaftsaktes für alle Kinder aus derselben Ehe oder Lebensgemeinschaft (vgl § 420 Abs 4 Geo) zweckmäßig ist und daher eine Zuständigkeitsübertragung rechtfertigen kann (EFSlg 79.107; LGZ Wien EFSlg 75.936, 82.116; vgl auch OLG Wien EFSlg 82.117, 101.670, 105.543). Abgelehnt wird hingegen (beispielsweise) eine Zuständigkeitsverlagerung, wenn der künftige Aufenthalt in einem der beiden Gerichtssprengel noch nicht feststeht (4 Nc 37/03h = ÖA 2004, 338) oder so lange der Aufenthalt des Kindes (noch) nicht stabil ist (LGZ Wien EFSlg 105.528 und 108.750; 404

JN § 111

3 Außerstreitverfahren

OLG Wien EFSlg 79.104), wie überhaupt bloß kurzfristige Absenzen vom gewöhnlichen Aufenthaltsort (etwa Wochenend- oder Ferienaufenthalte) eine Zuständigkeitsübertragung nicht zu rechtfertigen vermögen (LGZ Wien EFSlg 54.954, 82.114). Die Rsp (etwa LGZ Wien EFSlg 85.196 und OLG Wien EFSlg 79.103) nimmt bei einer Zuständigkeitsübertragung auch auf die Wünsche der betroffenen Partei Rücksicht, was zwar häufig sinnvoll (und zuvorkommend) ist, aber für die Entscheidung sicherlich nicht allein ausschlaggebend sein darf. Bei einem österreichischen Minderjährigen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland kommt eine Zuständigkeitsübertragung an ein anderes österreichisches Gericht erst in Betracht, wenn eine Fortsetzung des (österreichischen) Verfahrens iSd § 110 Abs 2 geboten ist (EFSlg 54.982, 57.696 und EFSlg 66.897). Offene Anträge (auch Unterhaltsanträge) hindern eine Übertragung 4 grundsätzlich nicht (EFSlg 69.764; ÖA 1998, 74 = EFSlg 85.186; EFSlg 108.753 ua; RS0047032), doch kann im Einzelfall eine Entscheidung durch das (schon) bisher zuständige Gericht zweckmäßiger sein (EFSlg 69.767 f, 82.121 = ÖA 1997, 171; EFSlg 105.534 ua), insb wenn dem übertragenden Gericht eine besondere Sachkenntnis zukommt (etwa 4 Ob 5/04w = EFSlg 108.755; OLG Wien EFSlg 101.667 ua) oder sich dieses bereits eingehend mit dem offenen Antrag befasst und dazu Vernehmungen durchgeführt hat, weil die gewonnenen Eindrücke am besten von ihm selbst verwertet werden können (EFSlg 63.954 oder 85.188 ua). Um welche Art von Antrag es sich dabei handelt, kann wohl nicht von ausschlaggebender Bedeutung sein, allerdings macht die Rsp für offene Anträge auf Zuteilung der Obsorge regelmäßig eine Ausnahme (etwa EFSlg 75.991, 82.131 und RS0047027; OLG Wien EFSlg 101.668, 105.540; vgl auch OLG Wien EFSlg 60.733). Knapp vor dem Erreichen der Volljährigkeit erscheint eine Übertragung der Zuständigkeit regelmäßig nicht mehr sinnvoll (6 Nd 508/01 = EFSlg 97.963; OLG Wien EFSlg 101.669; LGZ Wien EFSlg 108.759). In der Frage, ob innerhalb Wiens eine Zuständigkeitsübertragung er- 5 folgen kann, ist die Rsp offenbar gespalten (großzügig LGZ Wien EFSlg 82.137, 94.401, 101.660, 105.531; dagegen restriktiv LGZ Wien EFSlg 82.135, 90.792 f, 94.403 f, 101.661, 105.532; krit dazu Fucik in Fasching I § 111 Rz 4). Es empfiehlt sich, in diesen Fällen einen besonders strengen Maßstab anzulegen und eine Übertragung nur bei Vorliegen ganz besonderer Umstände zu genehmigen (so auch LGZ Wien EFSlg 82.136, 85.195, 90.791, 94.402, 97.949, 101.659, 105.530 ua; vgl auch ÖA 1979, 29 = RZ 1977/82, 171; 7 Ob 579/93 = NRsp 1994/1 und LGZ Wien EFSlg 60.745). 405

§ 111

Mayr

6 Ein Übertragungsbeschluss kann auf Antrag oder von Amts wegen erfolgen und sich (in der Praxis allerdings sehr selten) auch nur auf einzelne Angelegenheiten beziehen. Gegen den Beschluss des Pflegschaftsgerichtes, mit dem es einen Antrag auf Übertragung der Zuständigkeit (oder einzelner Geschäfte) ablehnt oder mit dem es seine Zuständigkeit auf (einseitigen) Antrag oder von Amts wegen einem anderen Gericht überträgt, steht den Parteien (grundsätzlich) ein Rechtsmittelrecht zu (hM, etwa 1 Nd 506/79 = ÖA 1981, 56 = RZ 1980/49, 204; 9 Ob 229/02w = EFSlg 101.674; OLG Wien EFSlg 34.339; LGZ Wien EFSlg 108.761 ua), das sich nach den einschlägigen Bestimmungen des AußStrG richtet. Der Rekurs (bzw Revisionsrekurs) ist zweiseitig (§§ 48 und 68 AußStrG; vgl Mayr/Fucik Rz 263 und 1 Ob 19/06k = Zak 2006/336, 199). Der Übertragungsbeschluss wird allerdings nach Abs 2 erst dann wirksam, wenn das andere Gericht die Zuständigkeit (oder die übertragenen Geschäfte) übernimmt. Bis dahin bleibt es also in Schwebe, ob überhaupt ein Zuständigkeitswechsel eintritt (LGZ Wien EFSlg 66.905 oder 97.968; LG Krems EFSlg 82.139), so dass es bis dahin auch keinen Rekurs dagegen und keine Rekursentscheidung darüber geben kann (EFSlg 20.729 = RZ 1973/175, 173; EFSlg 76.010; LGZ Wien EFSlg 101.677, 105.550, 108.763; aM LGZ Wien EFSlg 82.140) Es erscheint daher sinnvoll, dass der (anfechtbare) Übertragungsbeschluss in Analogie zu § 44 Abs 2 erst von dem anderen Gericht, das die Zuständigkeit übernimmt, den Parteien zugestellt wird (so auch 6 Nd 510/94 = EFSlg 76.010; 9 Ob 115/99y = EFSlg 90.788; 8 Nc 15/03b; LGZ Wien EFSlg 101.678; zust Fucik in Fasching I § 111 Rz 10 und Fuchs in Burgstaller/ Neumayr, IZVR Kap 51 Rz 53; aM aber LGZ Wien EFSlg 97.967 und 101.673). Der Übernahmebeschluss durch das neue Gericht ist dann nicht (auch noch) anfechtbar (aM LGZ Wien EFSlg 108.760; LG Wels EFSlg 108.765). Lehnt dieses hingegen die Übernahme ab – dies kann auch ohne formellen Beschluss geschehen, es genügt, wenn es seine Weigerung dem übertragenden Gericht kundtut (1 Nd 506/79 = EFSlg 34.340 = ÖA 1981, 56 = RZ 1980/49, 204; 9 Nc 34/03d; 9 Nc 1/05d; OLG Wien EFSlg 60.748 ua) –, so hat es den Akt dem übertragenden Gericht zurückzustellen, welches nunmehr das Verfahren entweder selbst weiterführen kann, indem es den Übertragungsbeschluss (in Folge geänderter Umstände) widerruft (1 Nd 506/79 = EFSlg 34.340 = ÖA 1981, 56 = RZ 1980/49, 204; LGZ Wien EFSlg 66.905; vgl auch LG Wels EFSlg 108.768), oder (jetzt) den Übertragungsbeschluss den Parteien zustellt und dessen Rechtskraft abwartet (s 9 Nc 39/04s = EFSlg 111.844). Nach neuerer Rsp des OGH ist nämlich erst nach Eintritt der Rechtskraft des Übertragungsbeschlusses der Akt dem gemeinsam übergeordneten Ge406

JN § 112

3 Außerstreitverfahren

richt (sofern nicht dieses bereits im Rechtsmittelweg befasst war) zur Entscheidung nach Abs 2 vorzulegen (zuletzt etwa 2 Nc 1/06d und 3 Nc 6/06x; RS0047067; gegenteilig noch 8 Nc 15/03b und 9 Nc 22/04s; s auch OLG Wien EFSlg 90.790 und 94.400 sowie LGZ Wien EFSlg 108.769 und 108.770). Auch diese Entscheidung kann dann (sofern die Zuständigkeitsübertragung nicht genehmigt wird und sie nicht vom OGH stammt) von den Parteien angefochten werden (5 Ob 151/69 = SZ 42/86 = EvBl 1969/410), wobei die Rsp die Meinung vertritt, dass der Rechtszug – auch vom LG – direkt zum OGH geht (6 Ob 580/84 = EFSlg 46.629 = NZ 1985, 228 = ÖA 1985, 49; EFSlg 67.281). Es handelt sich bei dieser E jedoch um eine erstinstanzliche und nicht um eine Rechtsmittelentscheidung (so auch 5 Ob 151/69 = SZ 42/86 = EvBl 1969/410), so dass sich der Rechtsmittelzug nach § 4 richtet (Kremzow, Österreichisches Sachwalterrecht [1984] 221 und Mayr, NZ 1985, 229 [Entscheidungsbesprechung]; vgl auch § 30 Rz 3; aM Fucik in Fasching I § 111 Rz 10). Der OGH entscheidet in einem Dreiersenat (§ 7 Abs 1 Z 4 OGHG), 7 der freilich auf Verlangen (nur) eines Mitglieds zu einem einfachen Senat „verstärkt“ werden kann (§ 7 Abs 2 OGHG). § 112. (1) Welche Gerichte zur Bestellung eines Kurators für einzelne Streitsachen oder Geschäfte berufen sind, ist nach den für einzelne Fälle von Kuratelen erlassenen besonderen Vorschriften, nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes und endlich nach den für das gerichtliche Verfahren geltenden Bestimmungen zu beurteilen. (2) In Ermangelung einer anderweitigen Vorschrift ist für die Bestellung eines Kurators das Bezirksgericht zuständig, bei welchem die um die Bestellung eines Kurators ansuchende Partei zur Zeit des Ansuchens ihren allgemeinen Gerichtsstand in Streitsachen hat. [Stammfassung] Lit: Knell, Die Kuratoren im österreichischen Recht (1974) 134; Fuchs, Internationale Zuständigkeit in Außerstreitverfahren (2004) Rz 250 ff. Fucik in Fasching I § 112 JN; Fuchs in Burgstaller/Neumayr, IZVR Kapitel 51 (2006) Rz 36 ff und 50 f. Es handelt sich um eine subsidiäre Zuständigkeitsvorschrift sowohl 1 für die Bestellung als auch für die Abberufung von Kuratoren (s dazu Koziol/Welser/Kletecka13 I 565 ff), die nur dann Platz greift, wenn weder die in Abs 1 bezeichneten Sondernormen (dazu ausführlich Fucik in Fasching I § 112 Rz 2) noch § 109 zur Anwendung kommen (Fucik in 407

§ 113

Mayr

Fasching I § 112 Rz 3; SZ 34/99; EvBl 1962/212; vgl SZ 38/45 = EvBl 1966/36 und EFSlg 25.267). Es verbleibt ihr damit nur ein geringer Anwendungsbereich (s Fuchs Rz 274). Subsidiär ist das BG zuständig, in dessen Sprengel der Antragsteller (nicht dessen Vertreter: vgl SZ 31/107 = EvBl 1958/367) im Zeitpunkt des Antrags seinen allgemeinen Gerichtsstand (§§ 65 ff) hat.

2 Eine Regelung der internationalen Zuständigkeit (bzw der „inländischen Gerichtsbarkeit“) enthält § 112 nicht. Soweit nicht spezielle Vorschriften bestehen (etwa § 76 Abs 2, § 110, § 5 AußStrG), ist davon auszugehen, dass der Mangel der internationalen Zuständigkeit für den durchzusetzenden Anspruch auch für den Antrag auf Kuratorenbestellung wirkt (vgl Fuchs Rz 274). Legitimation unehelicher Kinder § 113. Sofern bei einer Legitimation unehelicher Kinder das Gericht mitzuwirken hat, ist hiezu, wenn für die zu legitimierende Person bereits ein Pflegschaftsverfahren anhängig ist, das Pflegschaftsgericht, sonst aber das Bezirksgericht zuständig, bei dem der Vater des zu legitimierenden unehelichen Kindes den allgemeinen Gerichtsstand in Streitsachen hat. [Fassung Art IV Z 7 KindRÄG 2001; Abs 2 aufgehoben durch BGBl 1970/342] Lit: Edlbacher, Die internationalrechtliche Seite der Reskriptlegitimation nach österreichischem Recht, ZfRV 1969, 161; Schwimann, Streitfragen der inländischen Ziviljurisdiktion, FS Floretta (1983) 109; Matscher, Die internationalrechtlichen Bestimmungen der ZivilverfahrensNovelle 1983, in: Neuerungen im zivilgerichtlichen Verfahrensrecht, Richterwoche 1983 Badgastein (1984) 201; Schwimann, Inländische Gerichtsbarkeit für Personenrechts-, Familienrechts- und Unterhaltssachen, JBl 1990, 760; Anzinger in Burgstaller (Hrsg), Internationales Zivilverfahrensrecht (2000) Rz 5.13 ff; Fuchs, Internationale Zuständigkeit in Außerstreitverfahren (2004) Rz 276 ff. Fucik in Fasching I § 113 JN; Fuchs in Burgstaller/Neumayr, IZVR Kapitel 51 (2006) Rz 22 ff; Mayr/Fucik Rz 369 ff.

1 Voraussetzungen und Wirkungen der Legitimation unehelicher Kinder (durch nachfolgende Eheschließung der Eltern oder durch Begünstigung des Bundespräsidenten) sind in den §§ 161 ff ABGB geregelt; verfahrensrechtliche Besonderheiten enthält § 92 AußStrG (dazu Mayr/ Fucik Rz 371 f). 408

JN § 113a

3 Außerstreitverfahren

Die Zuständigkeitsregelung des § 113 ist sowohl auf minderjährige als 2 auch auf volljährige uneheliche Kinder anzuwenden. Ist für die zu legitimierende Person bereits ein Pflegschaftsverfahren anhängig, so ist das Pflegschaftsgericht (§ 109) zuständig. Andernfalls (also bei minderjährigen Kindern, für die im Inland kein Pflegschaftsverfahren geführt wird, und bei volljährigen Kindern) richtet sich die Zuständigkeit nach dem allgemeinen Gerichtsstand des Vaters der zu legitimierenden Person (aM Fuchs in Burgstaller/Neumayr, IZVR Kap 51 Rz 26). Das Vorliegen der internationalen Zuständigkeit („inländischen Ge- 3 richtsbarkeit“) wird im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt und ist daher umstritten (s eingehend Anzinger in Burgstaller, IZVR Rz 5.17 ff; Fuchs Rz 284 ff und dies in Burgstaller/Neumayr, IZVR Kap 51 Rz 27 mwN). ME muss im Hinblick auf den Wortlaut des Gesetzes im Zusammenhang mit der (Neu-)Regelung des § 27a (abweichend zur Vorauflage) folgende (rechtspolitisch nicht immer befriedigende) Lösung vertreten werden: Für den Normalfall, nämlich dass für das zu legitimierende Kind bereits ein Pflegschaftsverfahren anhängig ist, richtet sich die internationale Zuständigkeit über § 109 nach der Regelung des § 110. In den anderen Fällen bewirkt ein allgemeiner Gerichtsstand des Vaters der zu legitimierenden Person im Inland über § 27a auch die internationale Zuständigkeit für das Legitimationsverfahren. Annahme an Kindes statt § 113a. (1) Zur Bewilligung der Annahme an Kindesstatt ist das zur Führung der Pflegschaft über das Wahlkind berufene Gericht, in Ermangelung eines solchen das Bezirksgericht zuständig, in dessen Sprengel das Wahlkind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Fehlt ein solcher im Inland, so ist das Bezirksgericht zuständig, in dessen Sprengel der Annehmende, im Falle der Annahme durch Ehegatten einer von ihnen, seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, in Ermangelung eines solchen das Bezirksgericht Innere Stadt Wien. (2) Die vorstehenden Bestimmungen gelten für den Widerruf der Bewilligung und die Aufhebung der Wahlkindschaft sinngemäß. [Eingefügt durch BGBl 1960/58; Abs 1 idF Art IV Z 8 KindRÄG 2001] Lit: Weitzenböck, Das neue materielle und formelle Recht der Abstammung und der Adoption, ÖStA 2005, 68, 84. Fucik in Fasching I § 113a JN; Mayr/Fucik Rz 362 f. Durch diese Bestimmung soll dem zur Führung der Pflegschaft berufenen 1 Gericht, dem die Sorge um die Person des Kindes anvertraut ist (s §109), 409

§ 113b

Mayr

in jedem Fall auch die Zuständigkeit zur Bewilligung der Adoption übertragen werden, um dieses Gericht nicht zu übergehen. Dadurch wird gewährleistet, dass das zur Führung der Pflegschaft zuständige Gericht, falls ein solches im Inland besteht, jedenfalls auch die Kompetenz zur Adoptionsbewilligung hat (EFSlg 43.985; vgl auch 107 BlgNR 9. GP 30). Für Minderjährige, die nicht der inländischen Pflegschaftsgerichtsbarkeit unterliegen, und für die Adoption volljähriger Personen ist das BG zuständig, bei dem der gewöhnliche Aufenthalt des Wahlkindes, bei Fehlen eines solchen im Inland der des (oder eines der) Annehmenden liegt. Zuletzt besteht eine Auffangzuständigkeit des BG Innere Stadt Wien. § 113a ist daher sowohl für minderjährige als auch auf eigenberechtigte Kinder anzuwenden (LGZ Wien EFSlg 101.681). Der Zuständigkeitstatbestand gilt auch für den Widerruf der Bewilligung und die Aufhebung der Wahlkindschaft (Abs 2).

2 Das materielle Adoptionsrecht findet sich in den §§ 179 ff ABGB, das Verfahren regeln die §§ 86 ff AußStrG (dazu Mayr/Fucik Rz 356 ff). § 113b. (1) Für die Bewilligung der Annahme an Kindesstatt ist die inländische Gerichtsbarkeit gegeben, wenn 1. der Annehmende, im Falle der Annahme durch Ehegatten einer von ihnen, oder das Wahlkind österreichischer Staatsbürger ist oder 2. auch nur eine dieser Personen staatenlos ist und ihren gewöhnlichen Aufenthalt, bei Fehlen eines solchen ihren Aufenthalt im Inland hat. (2) Außer den Fällen des Abs 1 ist die inländische Gerichtsbarkeit nur gegeben, wenn 1. der Annehmende, im Falle der Annahme durch Ehegatten einer von ihnen, und das Wahlkind ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben oder 2. nur eine dieser Personen ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und überdies entweder die inländische Pflegschaftsgerichtsbarkeit für das Wahlkind gegeben ist oder keiner der Staaten, denen eine der genannten Personen angehört, in dieser Sache Gerichtsbarkeit für die Annahme an Kindesstatt gewährt. (3) Die vorstehenden Bestimmungen gelten für den Widerruf der Bewilligung und die Aufhebung der Wahlkindschaft sinngemäß. [Eingefügt durch BGBl 1960/58; Abs 2 Z 2 idF Art IV Z 9 KindRÄG 2001] Lit: BMJ, Ist die Zustimmung einer ausländischen Behörde zur Adoption eines Kindes erforderlich? ÖA 1987, 133; Schwimann, Inländische 410

JN § 113b

3 Außerstreitverfahren

Gerichtsbarkeit für Personenrechts-, Familienrechts- und Unterhaltssachen, JBl 1990, 760; Pichler, Zur Frage der Gültigkeit von in Rumänien durchgeführten Adoptionen in Österreich, ÖA 1991, 50; BMJ, Anerkennung ausländischer Adoptionsbewilligungsbeschlüsse, ÖStA 1991, 49; Anzinger in Burgstaller (Hrsg), Internationales Zivilverfahrensrecht (2000) Rz 5.13; Rudolf, Das Haager Übereinkommen über die internationale Adoption, ZfRV 2001, 183; Fuchs, Internationale Zuständigkeit in Außerstreitverfahren (2004) Rz 290 ff; Peer, Das anzuwendende Recht bei Auslandsadoptionen, ÖA 2004, 232; dazu Schütz, Internationale Adoptionen, ÖA 2005; 239; ders, Zwischenstaatliche Vereinbarungen, die für Familienrichter bedeutsam sein könnten, RZ 2005, 234 (240). Fucik in Fasching I § 113b JN; Fuchs in Burgstaller/Neumayr, IZVR Kapitel 51 (2006) Rz 11 ff; Mayr/Fucik Rz 361 und 368a. Die 1960 eingeführte Regelung über die internationale Adoptionszu- 1 ständigkeit (dazu 107 BlgNR 9. GP 30 f) ist durch die ZVN 1983 unverändert aufrechterhalten worden (s Schwimann, JBl 1990, 764). Auch der Beitritt Österreichs zur EU hat den Anwendungsbereich nicht geändert (LGZ Wien EFSlg 82.141). Insb fällt die Adoption weder in den sachlichen Anwendungsbereich der EuEheVO (vgl 1 Ob 190/03b = EFSlg 105.552) noch in jenen der Nachfolgeverordnung (s Art 1 Abs 3 lit b EuGVVO II). Nach autonomem Recht ist die Zuständigkeit Österreichs insb gegeben, wenn der Annehmende und das Wahlkind ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben (etwa 6 Ob 63/97a = ZfRV 1997/59, 156). § 113b kommt allerdings nur subsidiär zur Anwendung, wenn nicht 2 spezielle völkerrechtliche Regelungen bestehen. Das (Haager) Übereinkommen über die behördliche Zuständigkeit, das anzuwendende Recht und die Anerkennung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Annahme an Kindesstatt (BGBl 1978/581) steht heute nicht mehr in Geltung (s die Kündigung BGBl III 2004/136 = EFSlg 108.627), Österreich ist aber Vertragsstaat des (Haager) Übereinkommens über die internationale Adoption von 1993 (BGBl III 1999/145). Dazu Rudolf, ZfRV 2001, 183 ff; Fuchs Rz 292 ff und Schütz in Burgstaller/Neumayr, IZVR Kap 52 (2006) sowie zuletzt 8 Ob 140/03a = EFSlg 108.633; vgl auch 1 Ob 21/04a = SZ 2004/174. Adoptionsmaßnahmen fallen nicht in den Anwendungsbereich des Haager Minderjährigenschutzübereinkommens (vgl SZ 51/170 = IPRE 1/143; 1 Ob 190/03b = EFSlg 105.396; s § 110 Rz 8 ff) und auch nicht unter das (künftige) KSÜ. § 113c. Aufgehoben durch Art II Z 55 ZVN 1983 411

§ 114

Mayr

Unterhalt und sonstige aus dem Verhältnis zwischen Kindern und Eltern entspringende Ansprüche § 114. (1) Das zur Führung der Pflegschaft für das minderjährige Kind berufene Gericht ist auch zur Entscheidung über gesetzliche Unterhaltsansprüche und sonstige dem minderjährigen Kind aus dem Verhältnis zwischen Kindern und Eltern gesetzlich zustehende Ansprüche zuständig. (2) Für gesetzliche Unterhaltsansprüche sonstiger in gerader Linie verwandter Personen ist das Gericht zuständig, in dessen Sprengel der Unterhaltsberechtigte seinen allgemeinen Gerichtsstand in Streitsachen hat, mangels eines solchen im Inland das Gericht, in dessen Sprengel der in Anspruch Genommene seinen allgemeinen Gerichtsstand in Streitsachen hat. (3) Zur Entscheidung über sonstige aus dem Verhältnis zwischen Kindern und Eltern entspringende Ansprüche ist das Gericht zuständig, in dessen Sprengel das Kind seinen allgemeinen Gerichtsstand in Streitsachen hat, mangels eines solchen im Inland das Gericht, in dessen Sprengel der in Anspruch Genommene seinen allgemeinen Gerichtsstand in Streitsachen hat. [Fassung Art III Z 6 AußStr-BegleitG; Übergangsbestimmung Art XXXII § 3 Abs 1] Lit: Gitschthaler, Unterhalt, Besuchsrecht, Obsorge und Vermögensverwaltung, ecolex 2004, 924; Fuchs, Internationale Zuständigkeit in Außerstreitverfahren (2004) Rz 77 ff; Barth, Geltendmachung von Unterhaltsforderungen im EU-Ausland durch den österreichischen Jugendwohlfahrtsträger, ÖA 2004, 4; Wagner, Ein neues unterhaltsrechtliches Übereinkommen aus Den Haag, FamRZ 2005, 410; Schütz, Zwischenstaatliche Vereinbarungen, die für Familienrichter bedeutsam sein könnten, RZ 2005, 234; Faetan, Internationale Rechtsgrundlagen im Unterhaltsrecht sowie Europäische und Internationale Vollstreckungsübereinkommen, ÖA 2005, 296; Looschelders/Boos, Das grenzüberschreitende Unterhaltsrecht in der internationalen und europäischen Entwicklung, FamRZ 2006, 374. Barth/Mosser in Burgstaller/Neumayr, IZVR Kapitel 57 (2006) Rz 1 ff und 21 ff; Fuchs in Burgstaller/Neumayr, IZVR Kapitel 51 (2006) Rz 62 ff; Fucik/Kloiber, Außerstreitgesetz (2005) 584; Mayr/Czernich, EuZPR Rz 146 ff; Mayr/Fucik Rz 435 und 448 f.

1 Der Regelungsinhalt des bisherigen § 114 („Anerkennung der Vaterschaft; vermögensrechtliche Ansprüche des unehelichen Kindes“) ist im Zuge der Außerstreitreform vom neuen § 108 („Abstammung“) über412

JN § 114

3 Außerstreitverfahren

nommen worden. Seit dieser Reform fallen jedoch sämtliche Unterhaltsansprüche zwischen in gerader Linie verwandten Personen in das Außerstreitverfahren (nur Ehegatten- und Scheidungsunterhalt ist weiterhin im Zivilprozess geltend zu machen). Für diese (außerstreitigen) Angelegenheiten war daher eine eigene allgemeine Zuständigkeitsregelung in der JN notwendig. Ansprüche auf Grund von vermögensrechtlichen Vereinbarungen zwischen Eltern und Kindern fallen jedoch – soweit sie nicht bloß einen gesetzlichen Anspruch konkretisieren – nicht in das Außerstreitverfahren und sind daher von dieser Zuständigkeitsnorm nicht erfasst (s 225 BlgNR 22. GP 10). Die Neuregelung ist auf bereits vor dem 1.1.2005 anhängig gemachte Ansprüche nicht anzuwenden (§ 202 AußStrG; Art XXXII § 3 Abs 1 AußStr-BegleitG; 1 Ob 112/04h; 4 Ob 12/06b). Gesetzliche Unterhaltsansprüche Minderjähriger und sonstige einem 2 minderjährigen Kind aus dem Verhältnis zwischen Eltern und Kindern unmittelbar auf Grund des Gesetzes zustehende Ansprüche gehören vor das nach § 109 bestimmte Pflegschaftsgericht (Abs 1). Für gesetzliche Unterhaltsansprüche sonstiger (volljähriger) Personen – einschließlich solcher von nicht der inländischen Pflegschaftsgerichtsbarkeit unterworfenen Personen – ist das Gericht zuständig, in dessen Sprengel der Unterhaltsberechtigte seinen allgemeinen Gerichtsstand in Streitsachen hat (Aktivgerichtsstand). Hat er keinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland, so ist das Gericht zuständig, in dessen Sprengel die in Anspruch genommene Person ihren allgemeinen Gerichtsstand hat (Abs 2). Für sonstige Ansprüche aus dem Verhältnis zwischen Eltern und volljährigen Kindern gilt das Gleiche: In erster Linie ist das Gericht zuständig, in dessen Sprengel das Kind seinen allgemeinen Gerichtsstand hat, hilfsweise das Gericht des allgemeinen Gerichtsstands des in Anspruch Genommenen (Abs 3). Diese Bestimmungen kommen (jetzt) auch für Ansprüche auf Bestellung eines Heiratsgutes zur Anwendung (4 Ob 12/06b; anders die frühere Rechtslage: s 4 Nd 511/96 = EFSlg 82.142). Funktionell ist im Regelfall der Rechtspfleger zuständig (§ 19 Abs 1 Z 1 3 und 4 RPflG), nicht jedoch bei Unterhaltsansprüchen von Eltern/ Großeltern gegenüber ihren Kindern/Enkeln und wenn ausländisches Recht anzuwenden ist (§ 16 Abs 2 Z 6 RPflG). Die internationale Zuständigkeit richtet sich für minderjährige Kinder 4 nach § 110, sonst (mangels einer Spezialregelung) nach der örtlichen Zuständigkeit (§ 27a; Mayr/Fucik Rz 448). 413

§ 114a

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Im Anwendungsbereich des europäischen Zivilprozessrechts sieht Art 5 Z 2 EuGVVO/EuGVÜ/LGVÜ für „Unterhaltssachen“ – unabhängig davon, in welcher Verfahrensart sie (nach nationalem Verfahrensrecht) zu behandeln sind – einen Wahlgerichtsstand beim Gericht des Ortes vor, an dem der Unterhaltsberechtigte seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat (s auch § 76a Rz 4). Verfahren über „Unterhaltspflichten“ sind demgemäß vom Anwendungsbereich der EuGVVO II ausgenommen (s Art 1 Abs 3 lit e und Erwägungsgrund 11 EuGVVO II oder Fuchs Rz 77 ff). Zu diesen Unterhaltssachen hat der OGH auch den Anspruch auf Bestellung eines Heiratsgutes nach § 1220 ABGB gezählt (3 Nd 506/97 = SZ 70/162 = JBl 1998, 184 = EFSlg 85.204 = ZfRV 1998, 39). Dieser Aktivgerichtsstand diente als Vorbild für die (oben beschriebene) österreichische Neuregelung in § 114 Abs 2. Aktuell befindet sich ein eigenständiger europäischer Rechtsakt in Vorbereitung (s den Verordnungsvorschlag des Rates vom 15.12.2005, KOM [2005] 649 endgültig). Daneben bestehen auf völkerrechtlicher Ebene noch multilaterale Übereinkommen und bilaterale Abkommen (dazu eingehend Fuchs Rz 89 ff). Außerdem wird ein neues einschlägiges Haager Übereinkommen vorbereitet; dazu Wagner, FamRZ 2005, 410 und Barth/Mosser in Burgstaller/Neumayr, IZVR Kap 57 Rz 213 ff. Eheangelegenheiten § 114a. (1) Für die Zuständigkeit in Eheangelegenheiten gelten die §§ 76 Abs 1 und 104 sinngemäß. Für die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung über den Bestand einer Ehe ist das Gericht ausschließlich zuständig, in dessen Sprengel der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Fehlt ein solcher im Inland, so ist das Gericht zuständig, in dessen Sprengel der gewöhnliche Aufenthalt des Antragsgegners liegt, sonst das Bezirksgericht Innere Stadt Wien. (2) Ist bei einem Gericht ein Antrag auf Feststellung der Rechtmäßigkeit des Verlangens auf Verlegung der gemeinsamen Wohnung, der Weigerung mitzuziehen oder der gesonderten Wohnungsnahme durch einen Ehegatten, ein Antrag auf angemessene Abgeltung der Mitwirkung im Erwerb des anderen Ehegatten oder auf Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse oder ein Antrag auf Anerkennung einer ausländischen Entscheidung über den Bestand einer Ehe anhängig und ist das Verfahren hierüber in erster Instanz noch nicht beendet, so ist dieses Gericht auch für jeden weiteren derartigen Antrag zuständig; dies schließt jedoch die Zulässigkeit einer Vereinbarung über die Zuständigkeit eines anderen Gerichtes nicht aus. 414

JN § 114a

3 Außerstreitverfahren

(3) Der Abs 2 gilt sinngemäß für ein Gericht, bei dem eine im § 76 Abs 1 genannte Streitigkeit anhängig, die mündliche Streitverhandlung in erster Instanz aber noch nicht geschlossen ist. (4) Die inländische Gerichtsbarkeit in Eheangelegenheiten ist gegeben, wenn einer der Ehegatten österreichischer Staatsbürger ist oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat. Für die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung über den Bestand einer Ehe ist die inländische Gerichtsbarkeit auch dann gegeben, wenn eine örtliche Zuständigkeit hiefür besteht. [Überschrift idF ZVN 1983; Abs 1, Abs 2 und 4 idF Art IV Z 11, 12 und 13 KindRÄG 2001; sonst BGBl 1985/70] Lit: Simotta, Die Änderung der Zuständigkeit in Ehe- und Familiensachen in der geplanten „Zivilverfahrens-Novelle“, ÖJZ 1982, 29, 66; Loewe, Erneuerung des österreichischen internationalen Zivilverfahrensrechts, ZfRV 1983, 180; Matscher, Die internationalrechtlichen Bestimmungen der Zivilverfahrens-Novelle 1983, in: Neuerungen im zivilgerichtlichen Verfahrensrecht, Richterwoche 1983 Badgastein (1984) 201; Simotta, Die einvernehmliche Scheidung während eines anhängigen Eheprozesses, ÖJZ 1987, 129, 167; dies, Die Prozeßfähigkeit in (außerstreitigen) Eheangelegenheiten, ÖJZ 1989, 577; Schwimann, Inländische Gerichtsbarkeit für Personenrechts-, Familienrechts- und Unterhaltssachen, JBl 1990, 760; Simotta, Die internationale Zuständigkeit in Ehe- und Abstammungsstreitigkeiten, FS Broniewicz (1998) 331; Simotta, Die internationale Zuständigkeit Österreichs in eherechtlichen Angelegenheiten, FS Geimer (2002) 1115; Fuchs, Internationale Zuständigkeit in Außerstreitverfahren (2004) Rz 311 ff; Teschner, Die Inzidentanerkennung ausländischer eheauflösender Entscheidungen, ÖStA 2005, 29, 37. Zur EuEheVO bzw zur EuGVVO II s Nach § 27a. Simotta in Fasching I § 114a JN; Mayr/Czernich, EuZPR Rz 307 ff; Mayr/Fucik Rz 380 ff; Neumayr in Burgstaller/Neumayr, IZVR Kapitel 42 (2001). Inhaltsübersicht Außerstreitige Materien 1 Zuständigkeit gem § 76 Abs 1 2 Anerkennung ausländischer Entscheidungen 3

Attraktionsgerichtsstand Abs 2 4 Abs 3 5 Zuständigkeitsvereinbarung 6 Internationale Zuständigkeit 7–8

Zu den außerstreitigen Eheangelegenheiten zählen 1 – die einvernehmliche Scheidung (§ 55a EheG); – die Abgeltung der Mitwirkung eines Ehegatten im Erwerb des anderen (§§ 98 ff ABGB); 415

§ 114a – –



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die Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse (§§ 81 ff EheG; etwa LGZ Wien EFSlg 105.553); die Feststellung, ob das Verlangen eines Ehegatten auf Verlegung der gemeinsamen Wohnung oder die Weigerung des anderen mitzuziehen oder die gesonderte Wohnungsnahme durch einen Ehegatten rechtmäßig war oder ist (§ 92 Abs 3 ABGB); der Antrag, das Gericht möge mit Wirkung für den Gläubiger aussprechen, dass derjenige Ehegatte, der im Innenverhältnis zur Zahlung verpflichtet ist, Hauptschuldner, der andere Ausfallsbürge wird (§ 98 EheG).

2 Für all diese Angelegenheiten ist die Zuständigkeitsbestimmung des § 76 Abs 1 sinngemäß anzuwenden. Das bedeutet, dass in erster Linie dasjenige BG zur Verhandlung und Entscheidung berufen ist, in dessen Sprengel die Ehegatten ihren (oder einen ihrer mehreren: LGZ Wien EFSlg 85.198) gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben oder zuletzt gehabt haben (s etwa EFSlg 49.284). Wenn bei Antragstellung keiner der Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Sprengel hat oder wenn die Ehegatten im Inland keinen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt haben, so ist jenes BG zuständig, in dessen Sprengel der gewöhnliche Aufenthalt des Antragsgegners oder subsidiär des Antragstellers gelegen ist. Bei einer Scheidung im Einvernehmen – bei der es keinen Antragsgegner gibt – ist wahlweise der gewöhnliche Aufenthalt jeder Partei (Erst- oder Zweitantragsteller) zuständigkeitsbegründend (Simotta in Fasching I § 114a Rz 17; LGZ Wien EFSlg 52.124 und 54.983). Aushilfsweise ist zuletzt das BG Innere Stadt Wien zuständig. Zu beachten ist allerdings, dass die in Abs 2 und Abs 3 geregelten Gerichtsstände den allgemeinen Gerichtsstand für Eheangelegenheiten nach Abs 1 ausschließen (Simotta in Fasching I § 114a Rz 10).

3 Mit dem KindRÄG 2001 wurden dem Abs 1 zwei Sätze über die örtliche Zuständigkeit für die (mit dieser Novelle den [Bezirks-]Gerichten zugewiesene) Anerkennung (und die Feststellung der Nichtanerkennung) ausländischer eheauflösender Entscheidungen angefügt (s §§ 228a bis 228d AußStrG aF bzw nunmehr §§ 97 bis 100 AußStrG; dazu Mayr/Fucik Rz 398 und ausführlich Fuchs Rz 341 ff). Die örtliche Zuständigkeit knüpft grundsätzlich am gewöhnlichen Aufenthalt des (bzw eines) Antragstellers an (zu den Gründen s 296 BlgNR 21. GP 84). Ist ein solcher im Inland nicht vorhanden, ist der gewöhnliche Aufenthalt des Antragsgegners maßgebend. Subsidiär ist das BG Innere Stadt Wien zuständig. Wird der Antrag von einer juristischen Person oder Behörde gestellt (s § 98 AußStrG), so ist statt des 416

JN § 114a

3 Außerstreitverfahren

gewöhnlichen Aufenthalts deren Sitz heranzuziehen (s § 109 Abs 1 letzter Halbsatz). Die Zuständigkeitsregelung gilt sowohl für Entscheidungen aus Mitgliedstaaten der EuGVVO II als auch für jene aus Drittstaaten. Das nach Abs 1 zuständige (Bezirks-)Gericht soll im Sinne einer wün- 4 schenswerten Verfahrenskonzentration auch für alle weiteren Anträge in außerstreitigen Eheangelegenheiten ausschließlich zuständig sein, sofern das erstinstanzliche Verfahren noch nicht beendet ist (Attraktionsgerichtsstand nach Abs 2). Diese Regelung gilt nicht nur für die in Abs 2 ausdrücklich genannten Anträge, sondern – wie Simotta überzeugend nachgewiesen hat (ÖJZ 1986, 710 f und ÖJZ 1987, 130 ff) – für alle Eheangelegenheiten, also insb auch für die einvernehmliche Ehescheidung oder für einen Antrag nach § 98 EheG (s auch Simotta in Fasching I § 14a Rz 23). Eine abweichende Gerichtsstandsvereinbarung der Parteien bleibt jedoch zulässig. In analoger Anwendung des § 187 ZPO empfiehlt sich eine Verbindung zu einer gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung (Simotta in Fasching I § 114a Rz 32). Zur Prozessfähigkeit in miteinander verbundenen Eheangelegenheiten s Simotta, ÖJZ 1989, 585 und § 2a ZPO Rz 1. Mit dem KindRÄG 2001 wurde die Aufzählung des Abs 2 um den Antrag auf Anerkennung einer ausländischen Entscheidung über den Bestand einer Ehe erweitert. Dies ermöglicht die Konzentration solcher getrennt eingebrachter Anträge. Nach Abs 3 gilt die Attraktionsbestimmung des Abs 2 sinngemäß auch 5 für das Gericht, bei dem eine streitige Ehesache (§ 76 Abs 1) anhängig und die mündliche Streitverhandlung in erster Instanz noch nicht geschlossen ist. In den Anwendungsbereich dieser Regelung fallen auch die einvernehmliche Scheidung und der Antrag nach § 98 EheG (Simotta in Fasching I § 114a Rz 38). Das Gericht, bei dem ein Eheprozess gerichtsanhängig ist, ist daher auch für die einvernehmliche Scheidung (ausschließlich) zuständig (s § 460 Z 10 ZPO), sofern die erstinstanzliche Verhandlung noch nicht geschlossen ist. Dies dient der Verfahrenskonzentration, denn wenn auch eine Verbindung von streitigem und außerstreitigem Verfahren nicht möglich ist, wird doch durch § 26 Abs 3 GOG sichergestellt, dass die denselben familienrechtlichen Personenkreis betreffenden Verfahren vom selben Richter geführt werden (s 528 BlgNR 16. GP 2 f). Eine abweichende Gerichtsstandvereinbarung ist jedoch auch hier möglich. Durch den ausdrücklichen Verweis auf § 104 kann (ausnahmsweise; s 6 oben § 104a Rz 3) die örtliche Zuständigkeit für außerstreitige Eheangelegenheiten durch eine Parteienvereinbarung verändert werden. Diese 417

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Möglichkeit einer Zuständigkeitsvereinbarung ist vor allem in Hinblick auf die einvernehmliche Scheidung geschaffen worden und dort auch sinnvoll, sie gilt jedoch auch für die individuelle Zuständigkeit nach Abs 2 und 3 und widerspricht dort dem Zweck dieser Regelungen, nämlich der Verfahrenskonzentration und -ökonomie (krit Simotta in Fasching I § 114a Rz 44 ff). Ob (und unter welchen Bedingungen) damit auch die Heilungsmöglichkeit der Unzuständigkeit nach § 104 Abs 3 anwendbar wird, ist unklar (dafür 528 BlgNR 16. GP 2; s dazu ausführlich Simotta in Fasching I § 114a Rz 57 ff). Die internationale Zuständigkeit kann jedenfalls (wegen des Verweises [auch] auf § 104 Abs 5) nach der Absicht des Novellengesetzgebers (898 BlgNR 20. GP 38) weder durch Vereinbarung noch durch rügelose Einlassung begründet werden (s § 104 Rz 13; ebenso Simotta in Fasching I § 104 Rz 116).

7 Die internationale Zuständigkeit („inländische Gerichtsbarkeit“) für außerstreitige Eheangelegenheiten ist in Abs 4 ähnlich geregelt wie für die streitigen Ehesachen in § 76 Abs 2. Jedoch genügt hier schon (die Staatsbürgerschaft oder) – ohne weitere hinzutretende Voraussetzungen – der gewöhnliche Aufenthalt eines Ehegatten (bzw ehemaligen Ehegatten) im Inland für die Begründung der österreichischen Zuständigkeit (vgl EvBl 1991/2 = ÖA 1991, 109 = ZfRV 1991/15). Diese Abweichung wird in den ErlRV (669 BlgNR 15. GP 44 f; ebenso Loewe, ZfRV 1983, 181 f und Matscher, Richterwoche 1983, 211) insb damit begründet, dass im bedeutendsten Anwendungsfall, nämlich der einvernehmlichen Scheidung, das Verfahren ohnehin nur auf gemeinsamen Antrag beider Ehegatten eingeleitet werden könne, wodurch die Interessen des im Ausland aufhältigen Ehegatten hinreichend geschützt seien (zu Recht krit Schwimann, JBl 1990, 762). Der Argumentation Simottas (in Fasching I § 114a Rz 67 ff) diese Regelung sei gleichheitswidrig, weil sie (außer bei der einvernehmlichen Scheidung) zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Differenzierung führe je nachdem, ob die Rechtssache im streitigen oder außerstreitigen Verfahren zu erledigen ist, ist der OGH nicht gefolgt (6 Ob 7/02a = SZ 2002/65 = JBl 2003, 54 = ZfRV-LS 2003/3, 18). Ebenso hat der OGH die Ansicht Simottas (in Fasching I § 114a Rz 78) abgelehnt, dass die Einbeziehung von im Ausland befindlichen unbeweglichen Vermögens in das in Österreich durchzuführende Aufteilungsverfahren (so 4 Ob 242/00t = ZfRV 2001/53, 152; 9 Ob 52/01i = EFSlg 97.969) den Grundsätzen des internationalen Verfahrensrechts widerspreche (6 Ob 7/02a = SZ 2002/ 65; 8 Ob 82/05z = Zak 2006/65, 39 = ZfRV 2006/6, 37). Für die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung über den Bestand einer Ehe besteht „inländische Gerichtsbarkeit“ (iSd inter418

JN § 115

3 Außerstreitverfahren

nationalen Zuständigkeit), wenn hiefür eine örtliche Zuständigkeit besteht. Diese dem Konzept des § 27a folgende Klarstellung wurde durch das KindRÄG 2001 eingefügt (dazu 296 BlgNR 21. GP 84). Im Ergebnis bedeutet dies, dass eine (österreichische) Anerkennungsentscheidung immer dann ergehen kann, wenn die Voraussetzungen des § 98 Abs 1 AußStrG erfüllt sind. Die autonome Regelung der internationalen Zuständigkeit wird freilich 8 im Anwendungsbereich der EuGVVO II durch deren Vorschriften verdrängt, die unabhängig von der „Art der Gerichtsbarkeit“, also streitiges oder außerstreitiges Verfahren, zur Anwendung kommen. Einschlägig ist insb Art 3 EuGVVO II, der dem früheren Art 2 EuEheVO entspricht. Siehe dazu § 76 Rz 4 und etwa Fuchs Rz 313 ff oder Mayr/ Czernich, EuZPR Rz 317 ff mwN. § 114b. Aufgehoben durch Art II Z 57 ZVN 1983 Amortisierung von Urkunden § 115. (1) Aufforderungen zum Zwecke der Amortisierung von Staatsobligationen und der denselben gleichgeachteten Kreditpapiere sind bei demjenigen Gerichtshofe erster Instanz zu beantragen, an dessen Amtssitze die bezüglichen Kreditbücher geführt werden. (2) Für die Amortisierung von abhanden gekommenen Wechseln, sowie von Urkunden, deren Amortisierung sich zufolge gesetzlicher Vorschrift nach Artikel 90 des Wechselgesetzes 1955 zu richten hat, ist das Handelsgericht (Handelssenat des Landesgerichtes) des Zahlungsortes zuständig. (3) Der Gerichtsstand zur Einleitung und Bewilligung der Amortisierung aller anderen Urkunden ist nach den darüber erlassenen besonderen Bestimmungen zu beurteilen. (4) In Ermangelung einer anderweitigen Vorschrift ist für das Amortisierungsverfahren und die Bewilligung der Amortisierung das Bezirksgericht zuständig, bei welchem die um Amortisierung ansuchende Partei zur Zeit des Ansuchens ihren allgemeinen Gerichtsstand in Streitsachen hat. [Aktualisierte Stammfassung unter Berücksichtigung von BGBl 1993/91] Lit: Zedtwitz, Kraftloserklärung von Urkunden (1973); Edlbacher, Verfahren außer Streitsachen2 (1984) 1023; Fuchs, Internationale Zuständigkeit in Außerstreitverfahren (2004) Rz 397 ff; Dräxler, Kraftloserklärungsverfahren, NZ 2005, 338. 419

§ 115

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Fucik in Fasching I § 115 JN; Deixler-Hübner, PraktZPR II 195; Mayr/Fucik Rz 661 ff.

1 Urkunden, die abhanden gekommen oder vernichtet worden sind, können nach den Bestimmungen des KEG in einem außerstreitigen Aufgebotsverfahren für kraftlos erklärt werden (§ 1 KEG idF AußStrBegleitG). Keiner Kraftloserklärung unterliegen aber etwa Staats- und Banknoten, Lose von Lotterien, Erneuerungsscheine (Talons) der Wertpapiere, Karten und Marken des täglichen Verkehrs (§ 2 Abs 2 KEG) und auch sonst bleiben gem § 2 Abs 1 KEG bestehende Vorschriften, die die Kraftloserklärung zulassen oder ausschließen, ausdrücklich in Geltung. S in diesem Zusammenhang insb § 15 Abs 5 und 6 PostsparkassenG sowie § 3 Abs 2 VersVG; vgl auch § 1428 Satz 3 ABGB und §§ 67, 179 AktG.

2 Die Regelung der Zuständigkeit für die Kraftloserklärung ist kompliziert und unzweckmäßig (so auch Fucik in Fasching I § 115 Rz 3). Leider hat die Außerstreitreform keine Änderung dieser undurchsichtigen Rechtslage gebracht (vgl Mayr/Fucik Rz 662). Für die Kraftloserklärung von Staatsobligationen (Bundesanleihen) und gleichgestellten Kreditpapieren (vgl SZ 27/176 = ÖBA 1957, 271 = HS 2417) ist nach § 115 Abs 1 das LG zuständig, in dessen Sprengel die Kreditbücher geführt werden.

3 Ebenso wie für Wechsel (s Art 90 WG; dazu 8 Ob 108/97h = EvBl 1997/ 180 = ÖBA 1997, 1028) sind für das (praktisch allerdings keine Rolle spielende) Verfahren zur Kraftloserklärung von Schecks gem Art 59 Abs 3 SchG die LG als Handelsgerichte bzw (in Wien) das HG des Zahlungsortes zuständig. Es entscheidet nicht – wie in Abs 2 (und Art 59 Abs 3 SchG noch immer) angegeben – der Kausalsenat, sondern der Einzelrichter bzw der Rechtspfleger (s unten Rz 6). Können Ansprüche aus einem Wechsel, dessen Zahlungsort im Ausland liegt, vor dem ausländischen Gericht durchgesetzt werden, ohne dass es einer Kraftloserklärung des in Verlust geratenen Wechsels bedarf, und ist die Durchsetzung des Wechselanspruches vor diesem Gericht nicht unzumutbar oder unmöglich, so besteht kein Grund für die Bestimmung eines inländischen Gerichtes zur Kraftloserklärung des Wechsels (6 Nd 509/85 = SZ 58/194; s auch unten Rz 7). Nach den für Wechsel geltenden Vorschriften werden auch die in § 363 HGB (bzw UGB) genannten Urkunden (kaufmännische bzw unternehmerische Anweisungen und Verpflichtungsscheine etc) für kraftlos erklärt (§ 365 Abs 2 HGB, Art 8 Nr 12 der 4. EVHGB bzw § 365 Abs 2 und 3 UGB). Zuständig ist das Landes- als Handelsgericht des Ausstellungsortes, in Wien das HG (so Zedtwitz 59 f, 86). 420

JN § 115

3 Außerstreitverfahren

Als wichtigste Sondervorschrift über die Zuständigkeit zur Kraftlos- 4 erklärung iSd Abs 3 ist das (leider noch immer nicht in den § 115 eingearbeitete) G vom 3.5.1868, RGBl 36, zu nennen. Nach dessen § 1 sind zur Kraftloserklärung von Wertpapieren (Aktien, Pfandbriefen, Schuldverschreibungen, Sparbüchern, Genussscheinen etc), die von „privaten“ juristischen Personen (Aktiengesellschaften, Vereinen, Anstalten und Unternehmungen, die mit staatlicher Bewilligung errichtet sind und der Aufsicht des Staates unterstehen) ausgegeben werden, „ausschließlich“ das LG zuständig, in dessen Sprengel sich entweder der Sitz der das Wertpapier ausgebenden juristischen Person (also etwa der Bank, welche die Sparurkunde ausgegeben hat) oder der Sitz ihrer Zweigniederlassung befindet, von der das zu amortisierende Wertpapier selbständig ausgegeben worden ist. Der hier verwendete Begriff der Zweigstelle geht über jenen der handelsrechtlichen Zweigniederlassung iSd HGB (UGB) hinaus und umfasst auch sog bloße „Zweig- und Zahlstellen“ (Avancini in Avancini/Iro/Koziol, Bankvertragsrecht I [1987] Rz 9/99 f). Gem § 2 leg cit sind zur Amortisierung der von anderen Körperschaften, von einzelnen Personen oder von Gemeinden ausgegebenen Wertpapiere, wenn diese entweder auf Überbringer lauten oder wenn ihnen auf Überbringer lautende Zinscoupons beigegeben sind, ausschließlich dasjenige LG zuständig, in dessen Sprengel der Ausstellungsort des zu amortisierenden Wertpapiers liegt. Zur Kraftloserklärung von Wertpapieren und sonstigen Urkunden der Nationalbank ist das LGZ Wien zuständig (§ 75 Abs 2 NBG). Greift keine Sondervorschrift ein, so ist für das Kraftloserklärungsver- 5 fahren subsidiär dasjenige BG zuständig, bei dem der Antragsteller seinen allgemeinen Gerichtsstand in Streitsachen (§§ 65 ff) hat (Abs 4). Die Durchführung von Kraftloserklärungsverfahren bis zur Erhebung 6 eines Widerspruchs oder einer vergleichbaren Verfahrenshandlung fällt in den Wirkungskreis des Rechtspflegers (§ 16 Abs 1 Z 1 lit b RpflG). Sonst entscheidet (auch beim GH) jedenfalls der Einzelrichter (§ 7a Abs 3). Die Grenzen der „inländischen Gerichtsbarkeit“ (iSd internationalen 7 Zuständigkeit) bei der Kraftloserklärung von Urkunden sind im Gesetz nicht ausdrücklich festgelegt, da die Gesetzesverfasser der Meinung waren, dass die Kraftloserklärung ausländischer Urkunden schon mangels einer Kompetenzbestimmung nicht möglich sei und auch nicht die Gefahr vorliege, dass der im § 115 normierte subsidiäre Gerichtsstand etwa als Gerichtsstand für Kraftloserklärung ausländischer Urkunden betrachtet werde (so JABl 1927, 45; abgedruckt auch bei Edlbacher 1032; ebenso Rsp 1936, 155; OLG Wien EvBl 1946/23). 421

§ 117

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Die internationale Zuständigkeit Österreichs besteht daher gem § 27a dann, wenn ein österreichisches Gericht örtlich zuständig ist (vgl Mayr/Fucik Rz 58). Andernfalls sind ausländische Gerichte zuständig. Allenfalls kommt eine Ordination nach § 28 in Frage (vgl 6 Nd 509/85 = SZ 58/194). Österreichische Entscheidungen über die Kraftloserklärung einer Urkunde können (bzw müssen) nach den Bestimmungen der EuGVVO (bzw EuGVÜ/LGVÜ) in den anderen Mitgliedsstaaten anerkannt werden. Ebenso sind solche Entscheidungen aus den Mitgliedstaaten in Österreich anzuerkennen. S näher Fuchs Rz 404 ff. § 116. Gegenstandslos infolge Auflösung der Fideikommisse durch dRGBl 1938 I S 825 Realangelegenheiten § 117. Die Vornahme aller Realakte, als insbesondere eines Augenscheines und Sachverständigenbefundes, einer Inventur, Schätzung, Feilbietung, Einführung eines Verwalters kommt, sofern nicht bezüglich einzelner Akte oder bestimmter Verfahren etwas anderes angeordnet ist, dem Bezirksgerichte zu, in dessen Sprengel sich die Sache befindet. [Fassung 2. GEN] Lit: Fuchs, Internationale Zuständigkeit in Außerstreitverfahren (2004) Rz 407 ff; Mayr/Fucik Rz 673 ff. Fucik in Fasching I § 117 JN.

1 Realakte iSd § 117 sind alle außerstreitigen Gerichtshandlungen, die Liegenschaften zum Gegenstand haben und auf Grund selbständiger Anträge vorzunehmen sind. Die Aufzählung ist nur eine beispielsweise und umfasst neben der (freiwilligen) Feilbietung von Liegenschaften, Superädifikaten und Baurechten nach §§ 191 ff AußStrG etwa auch die Erneuerung und Berichtigung der Grenzen nach §§ 850 ff ABGB, die rechtsgestaltenden Entscheidungen nach den §§ 834 f ABGB und die Bestellung eines Verwalters für eine im Miteigentum stehende Liegenschaft nach § 836 ABGB (MietSlg 20.672). Soll eine Inventur oder Schätzung im Zuge eines anderen außerstreitigen Verfahrens, insb eines Verlassenschaftsverfahrens, vorgenommen werden, bleibt für die Bewilligung der Schätzung und Inventarisierung das Abhandlungsgericht zuständig, wobei gemäß § 37 Abs 2 im Rechtshilfeweg um Vollzug zu ersuchen ist, doch auch das nur dann, wenn für die Inventur und Schät422

JN § 118

3 Außerstreitverfahren

zung eine Besichtigung durch Gerichtsorgane erforderlich ist. Andernfalls hat auch der Vollzug der Schätzung und Inventarisierung vom Abhandlungsgericht zu erfolgen (Fucik in Fasching I § 117 Rz 3; 7 Nd 509/81 = RZ 1983/21, 71; vgl auch JMVBl 1915, 154 f). Die Zuständigkeitsvorschrift gilt nur für Realakte des Verfahrens außer 2 Streitsachen und soweit nicht besondere Vorschriften Abweichendes anordnen, wie etwa § 18 Abs 2 EisbEG (Zuständigkeit des LG, in dessen Sprengel der Gegenstand der Enteignung liegt), § 11 EisBG RGBl 1874/70 (Zuständigkeit des GH, bei welchem eine Eisenbahneinlage errichtet wird), § 9 Abs 2 NWG (Zuständigkeit des BG, in dessen Sprengel sich die notleidende Liegenschaft befindet) sowie § 12 Abs 6 BTVG und § 10 Abs 5 TNG. Mit der örtlichen Zuständigkeit wird auch die internationale Zuständig- 3 keit Österreichs begründet (§ 27a; s Fuchs Rz 408). Anlegung und Führung der öffentlichen Bücher § 118. Zur Anlegung und Führung der öffentlichen Bücher, für die das Allgemeine Grundbuchsgesetz 1955 gilt, sind nach der Lage der unbeweglichen Sachen zuständig: 1. bei unbeweglichen Sachen, die Gegenstand der Landtafeln sind, a) das Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz für Steiermark, b) das Bezirksgericht Klagenfurt für Kärnten, c) das Bezirksgericht Linz für Oberösterreich, d) das Bezirksgericht Innere Stadt Wien für Wien, Niederösterreich und Burgenland; 2. bei unbeweglichen Sachen, die Gegenstand der Bergbücher sind, a) das Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz für den Sprengel des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz, b) das Bezirksgericht Innsbruck für Tirol und Vorarlberg, c) das Bezirksgericht Klagenfurt für Kärnten, d) das Bezirksgericht Leoben für den Sprengel des Landesgerichtes Leoben, e) das Bezirksgericht Salzburg für Salzburg, f) das Bezirksgericht Steyr für Oberösterreich, g) das Bezirksgericht Innere Stadt Wien für Wien, Niederösterreich und Burgenland; 3. bei unbeweglichen Sachen, die Gegenstand der Eisenbahnbücher sind, das Bezirksgericht am Sitze des Gerichtshofes, der nach den besonderen Vorschriften zur Anlegung und Führung der Eisenbahnbücher 423

§ 118

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zuständig war, in Wien das Bezirksgericht Innere Stadt Wien, in Graz das Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz; 4. bei anderen unbeweglichen Sachen das Bezirksgericht, in dessen Sprengel die unbeweglichen Sachen ganz oder mit ihren Hauptbestandteilen liegen. [Fassung BGBl 1955/282, BGBl 1962/140 und BGBl 1993/91] Lit: Rechberger/Bittner, Grundbuchsrecht (1999) Rz 187 ff; Fuchs, Internationale Zuständigkeit in Außerstreitverfahren (2004) Rz 411 ff; Feil/Marent/Preisl, Grundbuchsrecht (2005) zu § 75 GBG. Fucik in Fasching I § 118 JN.

1 Diese Vorschrift regelt die sachliche (ausschließlich BG) und die örtliche Zuständigkeit für die Anlegung und Führung der Landtafeln (s §§ 67 f AllgGAG), der Bergbücher (s § 67 AllgGAG, §§ 40 ff MinRoG), der Eisenbahnbücher (s §§ 1 ff EisBG RGBl 1874/70 und §§ 1 ff EisBV BGBl 1930/77) und der Grundbücher. § 75 Abs 1 GBG führt § 118 Z 4 insofern aus, als um die Bewilligung von Eintragungen grundsätzlich (s die Aufzählung der Ausnahmen etwa bei Dittrich/Angst/Auer, Grundbuchsrecht4 [1991] 246) bei dem Grundbuchsgericht anzusuchen ist, bei dem sich die Einlage, in der die Eintragung erfolgen soll, befindet. Eine Überweisung an das zuständige Gericht nach § 44 ist in Grundbuchssachen nicht zulässig (EvBl 1993/ 136; SZ 30/14 = EvBl 1957/212; LGZ Wien RPflSlgG 5 = 1101 [1953]; aM LGZ Wien EvBl 1956/237 = NZ 1956, 141; s auch § 44 Rz 2). Zur Zuständigkeit für die Bewilligung und den Vollzug der Urkundenhinterlegung s §§ 2 und 23 UHG. Zum Wirkungskreis des Rechtspflegers in Grundbuchssachen s § 21 Abs 1 RpflG.

2 Der Sprengel des BG Innere Stadt Wien umfasst in allen Angelegenheiten der Führung der Landtafeln, soweit die unbeweglichen Sachen, die bisher Gegenstand der Landtafel waren, in Wien, Niederösterreich oder dem Burgenland liegen, das Gebiet dieser Bundesländer; in allen Angelegenheiten der Führung der Bergbücher, soweit das Bergwerkseigentum ganz oder mit seinen Hauptbestandteilen in Wien, Niederösterreich oder dem Burgenland liegt, das Gebiet dieser Bundesländer; in allen Angelegenheiten der Führung des Eisenbahnbuches, soweit es nach den am 12.3.1938 geltenden Vorschriften vom LGZ Wien zu führen war, das nach diesen Vorschriften bestimmte Gebiet (§ 2 Z 1 lit c bis e BGOrgG Wien). An die Stelle des mehrfach genannten Bezirksgerichts für Zivilrechtssachen Graz tritt am 1.1.2007 das Bezirksgericht Graz-Ost (§ 3 BGBl I 2004/60 idF BGBl I 2005/66). 424

JN § 120

3 Außerstreitverfahren

Die internationale Zuständigkeit österreichischer Gerichte ist gegeben, 3 wenn die Liegenschaft im Inland gelegen ist. Das europäische Zivilprozessrecht kommt nicht zur Anwendung (s Fuchs Rz 413). Aufkündigung von Hypothekarforderungen § 119. Die gerichtliche Aufkündigung einer Hypothekarforderung (§ 60 Allgemeines Grundbuchsgesetz 1955) hat stets bei dem Grundbuchsgerichte zu erfolgen. [Aktualisierte Stammfassung] Lit: Fucik in Fasching I § 119 JN. Kündigungen von Hypothekarforderungen gehören in die Außerstreit- 1 abteilung des nach § 118 Z 4 zuständigen Grundbuchsgerichts. Bei einer gerichtlichen Aufkündigung hat das Gericht nicht zu beurteilen, ob sie richtig oder falsch ist. Es hat lediglich zu prüfen, ob überhaupt eine Aufkündigung vorliegt, dh ob eine bestimmte Erklärung abgegeben wurde, dass das Rechtsverhältnis zu einem bestimmten Zeitpunkt beendet sein soll. Wurde eine solche Erklärung abgegeben, dann hat das Gericht die Zustellung zu verfügen. Es bleibt dem Aufgekündigten überlassen, ob er die Rechtsgültigkeit einer solchen Aufkündigung anerkennen oder sie im Klageweg bestreiten will (LGZ Wien RPflSlgG 111 = 1167 [1951]). Eine bedingte Aufkündigung ist unzulässig (EvBl 1936/951 = JBl 1936, 434 = NZ 1937, 14). Die Anmerkung der Aufkündigung der Hypothekarforderung hat nach § 60 Abs 3 GBG die Wirkung, dass die Fälligkeit der Forderung auch gegen jeden Nachfolger des Schuldners geltend gemacht werden kann. Führung des Firmenbuchs; gesellschaftsrechtliche Angelegenheiten § 120. (1) Die mit Handelssachen betrauten Gerichtshöfe erster Instanz sind sachlich zuständig 1. zur Führung des Firmenbuchs; 2. für die nach §§ 146 Abs 2, 147, 157 Abs 2, 166 Abs 3, 270 Abs 3 bis 5, 282, 283 und 338 Abs 3 HGB [§§ 146 Abs 2, 147, 157 Abs 2, 166 Abs 3, 183 Abs 3, 270 Abs 3 bis 5, 282 und 283 UGB] vom Gericht zu erledigenden Angelegenheiten; 3. für die gemäß §§ 225c bis 225l AktG vom Gericht zu erledigenden Angelegenheiten; 4. für die nach dem SpaltG vom Gericht zu erledigenden Angelegenheiten; 425

§ 120

Mayr

5. für die nach dem UmwG vom Gericht zu erledigenden Angelegenheiten; 6. für die nach dem GesAusG vom Gericht zu erledigenden Angelegenheiten. (2) Örtlich zuständig ist jenes Gericht (Abs 1 Z 1 und 2), in dessen Sprengel das Unternehmen seine Hauptniederlassung oder seinen Sitz hat. Dieses Gericht hat auch zu prüfen, ob eine Zweigniederlassung errichtet und ob § 30 HGB [§ 29 UGB] beachtet ist; die gesetzlich vorgeschriebenen Unterschriften bezüglich einer Zweigniederlassung sind jedoch bei jenem Gericht zu zeichnen und aufzubewahren, in dessen Sprengel die Zweigniederlassung liegt. (2) Örtlich zuständig ist jenes Gericht (Abs 1 Z 1 und 2), in dessen Sprengel das Unternehmen seine Hauptniederlassung oder seinen Sitz hat. Dieses Gericht hat auch zu prüfen, ob eine Zweigniederlassung errichtet und ob § 29 UGB beachtet ist. (3) Liegt die Hauptniederlassung oder der Sitz eines Unternehmens im Ausland, so richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach dem Ort der inländischen Zweigniederlassung, bei mehreren inländischen Zweigniederlassungen nach dem Ort der frühesten inländischen Zweigniederlassung. (4) Ist vor der Entscheidung ein anderes als das angerufene oder von Amts wegen eingeschrittene Gericht nach Abs 2 oder 3 zuständig geworden, so ist die Sache an dieses zu überweisen. (5) Eine Delegation aus Gründen der Zweckmäßigkeit ist unzulässig. (5a) Örtlich zuständig ist jenes Gericht für die Angelegenheiten 1. gemäß Abs 1 Z 3, in dessen Sprengel die übernehmende Gesellschaft ihren Sitz hat; 2. gemäß Abs 1 Z 4, in dessen Sprengel die übertragende Gesellschaft ihren Sitz hat; 3. gemäß Abs 1 Z 5, in dessen Sprengel die umzuwandelnde Kapitalgesellschaft ihren Sitz hat. (6) Entsteht eine neue Gesellschaft durch Spaltung nach dem SpaltG, so ist für ihre erste Eintragung und für die Auskunftserteilung gemäß § 16 SpaltG das Gericht örtlich zuständig, in dessen Sprengel die übertragende Gesellschaft ihren Sitz hat. Ist nach dem UmwG bei einer Umwandlung ein Nachfolgerechtsträger in das Firmenbuch einzutragen, so ist für dessen Eintragung das Gericht örtlich zuständig, in dessen Sprengel die umzuwandelnde Kapitalgesellschaft ihren Sitz hat. (7) Werden Gesellschaften verschmolzen, so ist sowohl für die Eintragung bei der übernehmenden Gesellschaft als auch bei der übertragenden Gesellschaft das Gericht zuständig, in dessen Spren426

JN § 120

3 Außerstreitverfahren

gel die übernehmende Gesellschaft ihren Sitz hat. Wird eine Gesellschaft zur Aufnahme gespalten, so ist sowohl für die Eintragung bei der übertragenden Gesellschaft als auch bei der übernehmenden Gesellschaft das Gericht zuständig, in dessen Sprengel die übertragende Gesellschaft ihren Sitz hat. [Fassung Art XII Z 3 BGBl 1991/10 und Art VII BGBl 1996/304; Abs 1 Z 2 idF Art XIV Z 4a HaRÄG; Abs 1 Z 6 angefügt durch Art 3 Z 1 Publizitätsrichtlinie-Gesetz (PuG), BGBl I 2006/103; Abs 2 wird nach einer Anpassung durch Art XIV Z 5 HaRÄG durch Art 3 Z 2 PuG neu gefasst] Lit: Danzl, Das neue Firmenbuch (1991) 34 f, 138 ff; Eiselsberg/Schenk/ Weißmann, Firmenbuchgesetz (1991) 219 ff; Schoibl/Gruber, Miszellen zum Firmenbuchgesetz, wbl 1991, 109; Schoibl, Die Niederlassung im österreichischen Zivilprozeßrecht, in Schuhmacher/Gruber (Hrsg), Rechtsfragen der Zweigniederlassung (1993) 367; ders, Das neue Firmenbuch in Österreich, DNotZ 1993, 561; Burgstaller in Jabornegg, Kommentar zum HGB (1997) BG-FB Art XII; Rassi, Verfahrensrechtliche Fragen der Bucheinsicht, ÖJZ 1997, 891; Holzhammer, Allgemeines Handelsrecht und Wertpapierrecht8 (1998) 37; Schenk in Straube, Kommentar zum Handelsgesetzbuch I3 (2003) zu § 8 Anh I; Eckert, Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO bei Kapitalgesellschaften, ecolex 2003, 76; Kalss in Doralt/Nowotny/Kalss, Kommentar zum Aktiengesetz I (2003) 134 ff; Fuchs, Internationale Zuständigkeit in Außerstreitverfahren (2004) Rz 414 ff; G. Kodek in Kodek/Nowotny/ Umfahrer, Firmenbuchgesetz (2005) § 15 FBG Rz 46 ff; Krejci, Handelsrecht3 (2005) 61 ff; Geist in Jabornegg/Strasser, Kommentar zum Aktiengesetz4 I/1 (2006) 147 ff. Fucik in Fasching I § 120 JN. Zur Führung des Firmenbuchs sind die LG bzw – für den Sprengel des 1 LGZ Wien – das HG Wien sachlich zuständig. Diese Regelung gilt auch für die in Abs 1 Z 2 (nicht taxativ) genannten gesellschaftsrechtlichen Angelegenheiten; dazu zählen die Ernennung und Abberufung von Liquidatoren für eine Personenhandels(oder eingetragene Erwerbs-) Gesellschaft (§ 146 Abs 2, § 147 HGB/ UGB), die Bestimmung eines Verwahrers für die Bücher und Papiere einer aufgelösten Gesellschaft (§ 157 Abs 2 HGB/UGB), die Anordnung der Vorlage bestimmter Informationen auf Antrag eines Kommanditisten (§ 166 Abs 3 HGB/UGB), die Mitteilung eines Status oder sonstiger Aufklärungen auf Antrag eines stillen Gesellschafters (§ 183 Abs 3 HGB/UGB; vgl OLG Wien NZ 1994, 36 = HS 24.073), die Bestellung eines Abschlussprüfers gem § 270 Abs 3 und 4 HGB/UGB 427

§ 120

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und die Festsetzung seiner Entlohnung (§ 270 Abs 5 HGB/UGB), die Prüfung der gem §§ 277 bis 281 HGB/UGB eingereichten Unterlagen (§ 282 HGB/UGB) sowie die Verhängung von Zwangsstrafen gem § 283 HGB/UGB. Das EU-GesRÄG hat ferner aus systematischen Gründen und zur Konzentration der Zuständigkeit in den Bereichen der Verschmelzung, Spaltung und Umwandlung dem Abs 1 die Z 3 bis 5 angefügt und in den Abs 5a bis 7 die örtliche Zuständigkeit detailliert geregelt (Anwendungsfall etwa 6 Ob 170/01w = SZ 74/155 = ecolex 2002/104, 260). Mit der Anfügung der Z 6 im Rahmen des Publizitätsrichtlinie-Gesetz wurde klargestellt, dass (auch) für die nach dem Gesellschafter-Ausschlussgesetz (Art 6 BGBl I 2006/75) vom Gericht zu erledigenden Angelegenheiten das Außerstreitverfahren anzuwenden ist. Die Zuständigkeitsregelung gilt außerdem für die Außerstreitverfahren nach dem AktienG (§ 14 AktG), dem GmbHG (§ 102 GmbHG), dem EWIVG (§ 13 EWIVG), dem SE-Gesetz (§ 4 SEG), dem SCEGesetz (§ 4 SCEG BGBl I 2006/104) und dem PrivatstiftungsG (§ 40 PSG) sowie für die Entscheidung von Meinungsverschiedenheiten zwischen der Gesellschaft und dem Abschlussprüfer (§ 276 HGB/UGB). Siehe auch Fuchs Rz 416.

2 Örtlich zuständig zur Führung des Firmenbuchs ist allein das LG bzw das HG Wien, in dessen Sprengel das Unternehmen seine Hauptniederlassung oder seinen Sitz (§ 75) hat (kritisch zu dieser unnötigen terminologischen Differenzierung Schoibl/Gruber, wbl 1991, 110 f). Das Gericht der (inländischen) Hauptniederlassung hat auch alle Eintragungen bezüglich einer (inländischen) Zweigniederlassung durchzuführen. (Ausländische Zweigniederlassungen inländischer Unternehmen können nicht ins Firmenbuch eingetragen werden: 6 Ob 33/92 = EvBl 1993/ 126 = ecolex 1993, 751 = RdW 1993, 181.) Ihm obliegt auch die Prüfung, ob die Zweigniederlassung tatsächlich errichtet wurde und ob § 30 HGB bzw § 29 UGB (Firmenausschließlichkeit) beachtet ist. Die vorgeschriebenen Unterschriftsproben bezüglich einer Zweigniederlassung konnten bisher nur beim Sprengelgericht der Zweigniederlassung unterfertigt und hinterlegt werden (Abs 2 letzter Halbsatz). Mit der Umsetzung der Richtlinie 2003/58/EG vom 15.7.2003 im Publizitätsrichtlinie-Gesetz (BGBl I 2006/103) verliert diese besondere Zuständigkeit jedoch ihren Sinn, weil diese Unterschriftsproben nur mehr in elektronischer Form aufbewahrt werden und folglich von jedem Ort aus abrufbar sind (s 1427 BlgNR 22. GP 11). Die Regelung des Abs 2 konnte daher entsprechend angepasst werden. Wenn die Hauptniederlassung/Sitz eines Unternehmens im Ausland liegt, bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit nach dem Ort der 428

JN § 120

3 Außerstreitverfahren

inländischen Zweigniederlassung. Diese sind firmenbuchrechtlich wie inländische Hauptniederlassungen zu behandeln (§ 13 HGB bzw § 12 UGB). Bei mehreren Zweigniederlassungen ist der Ort der frühesten – noch bestehenden (Schoibl/Gruber, wbl 1991, 112) – inländischen Zweigniederlassung maßgebend (Abs 3). Bei einer Auflassung der frühesten inländischen Zweigniederlassung ist wie bei einer ADV-unterstützten Verlegung des Sitzes des Rechtsträgers nach § 13a HGB bzw § 13 UGB vorzugehen (Danzl, Firmenbuch 139). Die (durch das GesRÄG 1993 bzw das EU-GesRÄG) neu eingefügten Abs 5a bis 7 regeln die örtliche Zuständigkeit in den Bereichen der Verschmelzung, Spaltung und Umwandlung (dazu G. Kodek in Kodek/ Nowotny/Umfahrer, FBG § 15 Rz 52 ff). Über alle oben in der Rz 1 genannten Angelegenheiten verhandelt und 3 entscheidet der Einzelrichter (§ 7a Abs 3; s auch EvBl 1991/92 = GesRZ 1991, 158 = RdW 1991, 206 = wbl 1991, 175). Funktionell zuständig ist großteils der Rechtspfleger. Die richterlichen Vorbehaltssachen zählt § 22 Abs 2 RPflG auf. Überschreitet der Rechtspfleger seine Befugnisse, so ist dessen Entscheidung als nichtig aufzuheben (s § 58 Abs 4 Z 2 AußStrG und Mayr/Fucik Rz 71, 278, 286). Ist ein anderes als das angerufene Gericht sachlich oder örtlich zustän- 4 dig, so hat das Letztere seine Unzuständigkeit in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen oder auf Antrag auszusprechen und die Sache an das zuständige Gericht zu überweisen (§ 44). Darüber hinaus sieht Abs 4 eine amtswegige Überweisung auch dann vor, wenn das ursprünglich (örtlich) zuständige Gericht im Lauf des Verfahrens (aber vor der Entscheidung) unzuständig wird. Dies stellt eine Durchbrechung des Grundsatzes der perpetuatio fori (§ 29) dar. Hat ein sachlich unzuständiges Gericht entschieden, ist die Entscheidung aufzuheben und die Sache an das sachlich und örtlich zuständige Gericht erster Instanz zu verweisen (§ 56 Abs 2 AußStrG). Eine örtliche Unzuständigkeit führt hingegen nicht zu einer Aufhebung (s Mayr/Fucik Rz 54). Eine Delegation aus Gründen der Zweckmäßigkeit (§ 31) wird durch Abs 5 ausgeschlossen (vgl schon früher RZ 1979/35, 145). Ebenso sind Zuständigkeitsvereinbarungen – wie sonst auch im Außerstreitverfahren (Ausnahme § 114a; s 104a Rz 3) – unzulässig (krit G. Kodek in Kodek/Nowotny/Umfahrer, FBG zu § 15 Rz 66). Die internationale Zuständigkeit Österreichs ist gegeben, wenn die ört- 5 liche Zuständigkeit eines österreichischen Gerichts normiert ist (§ 27a). Zur Frage der Anwendbarkeit des europäischen Zivilprozessrechts s Eckert, ecolex 2003, 77 ff und Fuchs Rz 419. 429

§ 120a

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Bestätigungen über die Führung der Handelsbücher § 120a. Zur Erteilung von Bestätigungen über die gesetzmäßige Beschaffenheit der Handelsbücher ist, wenn die Bücher an einem Orte geführt werden, an welchem ein Handelsgericht oder ein Landesgericht seinen Sitz hat, dieser Gerichtshof, sonst aber das Bezirksgericht zuständig, in dessen Sprengel die Handelsbücher geführt werden. [Bisheriger § 120 (Art XII Z 2 BGBl 1991/10) idF BGBl 1993/91] Lit: Fucik in Fasching I § 120a JN.

1 Zuständig für die angeführten Bestätigungen (s §§ 189 f HGB bzw § 190 UGB, § 82 AktG, § 22 Abs 1 GmbHG, § 22 Abs 1 GenG), die nach hA nur für die Vorlagepflicht der Handelsbücher im Rechtsstreit (§§ 213 ff HGB bzw UGB) praktische Bedeutung haben, ist der Einzelrichter (§ 37 Abs 1 Z 10 GOG) des LG bzw – in Wien – des HG, wenn an diesem Ort die Handelsbücher (zum Begriff Torggler/Torggler in Straube, HGB2 II/RLG [2000] Vor § 189 HGB Rz 36 f oder Krejci, Handelsrecht3 [2005] 148) geführt werden. Außerhalb der Gerichtshoforte ist dasjenige BG zuständig, in dessen Sprengel die Bücher geführt werden. Beglaubigung von Unterschriften und Abschriften, und Aufnahme letztwilliger Anordnungen § 121. Die Beglaubigung von Unterschriften, die Vidimierung von Abschriften und die gerichtliche Aufnahme letztwilliger Anordnungen können von jedem Bezirksgerichte vorgenommen werden. [Stammfassung] Lit: Kaufmann, Die Beglaubigung der Unterschrift, RPfl 1990/2, 18; 1991/1, 52; 1991/2, 58; Vatter, Verträge und Urkunden im Rechtsverkehr mit dem Ausland (Loseblattausgabe Stand 2004); Fuchs, Internationale Zuständigkeit in Außerstreitverfahren (2004) Rz 422 ff, Danzl, Geo §§ 426 ff; Mayr/Fucik Rz 670 ff. Fucik in Fasching I § 121 JN.

1 Für die nachfolgend angeführten Geschäfte sind alle mit der Gerichtsbarkeit in Außerstreitsachen befassten Bezirksgerichte Österreichs (also nicht das BGHS Wien: Neumann I 295) zuständig: – Die Ausstellung von Amtsbestätigungen über aktenmäßig bei Gericht bekannte Tatsachen (§ 186 Abs 1 AußStrG); 430

JN § 121a

3 Außerstreitverfahren –

die Beglaubigung von Abschriften („Vidimierung“ nach § 187 AußStrG; dazu § 431 Geo); – die Beglaubigung von Unterschriften („Legalisierung“ nach § 188 AußStrG; dazu näher §§ 426 ff Geo); – die Beglaubigung von Übersetzungen (§ 190 AußStrG); ferner – die gerichtliche Aufnahme letztwilliger Erklärungen nach §§ 587 ff, 568 und 569 ABGB sowie – andere gerichtliche Beurkundungen wie der Erbverzicht (§ 551 ABGB; dazu 5 Ob 123/01a = SZ 74/98 = EvBl 2001/202) oder der Erbschaftskauf (§ 1278 ABGB) und auch – der Gerichtserlag (dazu Art XVIII EGJN). Diese Amtstätigkeiten kann daher kein BG wegen (örtlicher oder internationaler) Unzuständigkeit ablehnen. Die sog „Überbeglaubigung“ obliegt hingegen dem Präsidenten des Gerichtshofs erster Instanz für diejenigen öffentlichen Urkunden, die Gerichte oder Notare seines Sprengels ausgestellt haben (§ 189 AußStrG). Das öffentliche gerichtliche Testament muss vor wenigstens einem 2 Richter, dem am Ort der Testamentserrichtung das Richteramt zusteht, und einer zweiten beeideten Gerichtsperson (Richter, Rechtspfleger, Schriftführer) oder vor einem Richter und zwei Zeugen errichtet werden (§ 589 ABGB). Der Richter kann unter den Voraussetzungen des § 33 seine Sprengelgrenze überschreiten (s SZ 49/24 = JBl 1977, 596 = NZ 1980, 103 = RZ 1976/126, 243), aber auch sonst bewirkt die Unzuständigkeit des Richters keine Ungültigkeit der Erklärung (Kralik, Das Erbrecht [1983] 140; s auch SZ 51/140; aM Welser in Rummel §§ 587–590 ABGB Rz 2). Beratung und Zustimmung nach dem Fortpflanzungsmedizingesetz § 121a. Die Beratung und die Protokollierung der Zustimmungsund Einwilligungserklärungen nach dem Fortpflanzungsmedizingesetz können von jedem zur Gerichtsbarkeit in Pflegschaftssachen berufenen Bezirksgericht vorgenommen werden. [Eingefügt durch BGBl 1992/275; idF Art IV Z 14 KindRÄG 2001] Lit: Eder-Rieder, Die rechtlichen Grundlagen der medizinisch unterstützten Fortpflanzung, JAP 1998/99, 165; Fuchs, Internationale Zuständigkeit in Außerstreitverfahren (2004) Rz 424 ff. Fucik in Fasching I § 121a JN. Gem § 7 Abs 3 Fortpflanzungsmedizingesetz (FMedG, BGBl 1992/ 1 275) hat einer medizinisch unterstützten Fortpflanzung bei Lebensge431

§ 122

Mayr

fährten in jedem Fall, bei Ehegatten nur, wenn der Samen eines Dritten verwendet wird, eine eingehende Beratung durch ein Gericht (oder einen Notar) über die rechtlichen Folgen der Zustimmung voranzugehen. Eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung darf bei Ehegatten nur mit deren Zustimmung durchgeführt werden; bei Lebensgefährten muss die Zustimmung in Form eines gerichtlichen Protokolls oder eines Notariatsaktes erteilt werden. Bei Verwendung von Samen eines Dritten bedarf die Zustimmung zu dieser Methode stets eines gerichtlichen Protokolls oder eines Notariatsaktes (§ 8 Abs 1 FMedG). Ein beschränkt Handlungsfähiger hat seine Zustimmung selbst zu erklären. Sie bedarf aber der Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters, für welche die eben angeführten Formvorschriften gelten (§ 8 Abs 2 FMedG). Nähere Vorschriften über den Inhalt dieser Erklärungen enthält § 8 Abs 3 FMedG. Für diese Beratungs- und Protokollierungstätigkeit ist jedes BG zuständig, das in Pflegschaftssachen tätig werden kann (s § 109). Die dort tätigen Familienrichter (keine Rechtspflegerzuständigkeit!) erscheinen auf Grund ihrer Befassung mit Fragen des Familien- und Erbrechts zur Belehrung der Ehegatten oder Lebensgefährten besonders geeignet (so 216 BlgNR 18. GP 26). Mehrheit von Bezirksgerichten an einem Orte § 122. Sind die zur nicht streitigen Gerichtsbarkeit gehörigen Rechtssachen bei dem Bezirksgericht an einem Ort anzubringen, für den mehrere Bezirksgerichte eingerichtet sind, so wird das zuständige Gericht durch den Wohnsitz, den gewöhnlichen Aufenthalt oder, wenn sie an diesem Ort keines von beiden hat, durch den Aufenthalt derjenigen Person bestimmt, deren allgemeiner Gerichtsstand in Streitsachen für die Zuständigkeit entscheiden soll. Hat diese Person an diesem Ort weder Wohnsitz noch Aufenthalt, so kann die Rechtssache bei jedem der an diesem Ort befindlichen Bezirksgerichte anhängig gemacht werden. [Fassung ZVN 1983] Lit: Fucik in Fasching I § 122 JN.

1 Es handelt sich um die Parallelbestimmung zu § 103 für das außerstreitige Verfahren. Sie hat lediglich (eine geringe) Bedeutung für Wien, wo nach dem diesbezüglichen Bezirksgerichts-Organisationsgesetz (BGBl 1985/203 idgF) mehrere Bezirksgerichte eingerichtet sind, und für Graz, wo es ab dem 1.1.2007 zwei Bezirksgerichte gibt (BGBl I 2004/60 idF BGBl I 2005/66). Immerhin hat der OGH aber aus dieser Regelung (zutreffend) abgeleitet (EFSlg 82.142), dass für jene Außerstreitangele432

JN § 122

3 Außerstreitverfahren

genheiten, deren Zuständigkeit nicht in den §§ 105 ff (oder sonstigen Vorschriften) geregelt ist (zB [früher] Heiratsgutbestellung [nunmehr § 114; s dort Rz 2]), der allgemeine Gerichtsstand (des Antragsgegners) iSd §§ 65 ff maßgeblich ist. Anlage. Aufgehoben durch Art I Z 12 BGBl 1985/70

433

Einführungsgesetz zur Zivilprozessordnung (EGZPO) Gesetz vom 1. 8. 1895, RGBl 112, betreffend die Einführung des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (Zivilprozessordnung – ZPO) (Einführungsgesetz zur Zivilprozessordnung – EGZPO)

435

Art I. (1) Das Gesetz über das gerichtliche Verfahren in bürgerlichen Rechtssachen (Zivilprozeßordnung) tritt mit dem ersten Tage des auf die Kundmachung folgenden dritten Kalenderjahres als Vorschrift für das Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten in Wirksamkeit, die den ordentlichen Gerichten in der Republik Österreich zur Entscheidung zugewiesen sind. (2) Mit demselben Tage verlieren, soweit dieses Gesetz oder die Zivilprozeßordnung nicht eine Ausnahme enthält, alle in anderen gesetzlichen Vorschriften enthaltenen Bestimmungen über Gegenstände, welche in der Zivilprozeßordnung geregelt sind, ihre Wirksamkeit. [Aktualisierte Stammfassung] Lit: Jensik, Grenzstreit, Rechtslexikon (1962); ders, Miteigentum – Wohnungseigentum (1962); Reinl, Die Zulässigkeit von Besitzstörungsklagen bei eingetretener Grenzverwirrung, JBl 1963, 195; P. Böhm, Widerspruch gegen die Verteilung (§ 213 EO) und Klage aus dem besseren Recht (§ 231 Abs 4 EO), ÖJZ 1974, 533; Schimetschek, Zivilprozeß oder Außerstreitverfahren, ImmZ 1977, 19; Ballon, Zulässigkeit 57; Maurer, Verfahrenskunterbunt im Eherecht, RZ 1982, 17; Würth, Rechtsweg und Außerstreitverfahren nach §§ 37 ff MRG. Einige Abgrenzungsprobleme, ImmZ 1984, 5; Fink, Neue Streitfragen um § 54 AO, JBl 1986, 80; Welser, Sachverständigenhaftung und Insolvenzverfahren, in Jelinek (Hrsg), Insolvenz- und Wirtschaftsstrafrecht (1987) 25; Kerzendorfer, Die Abgrenzung der Kompetenzbereiche der Streitund Außerstreitgerichte in Miteigentumssachen, BeitrZPR III (1989) 169; Rassi, Verfahrensrechtliche Fragen der Bucheinsicht, ÖJZ 1997, 891; Mayr, Die Zulässigkeit des streitigen bzw außerstreitigen Verfahrens, FS Rechberger (2005) 363. Ballon in Fasching I § 1 JN; Konecny in Fasching/Konecny II/1 Art I EGZPO; Ballon Rz 48 f; Fasching, Rz 111 ff; Rechberger/Simotta Rz 95. Inhaltsübersicht Allgemeines zum streitigen Rechtsweg 1–4 Abgrenzung zu übrigen Verfahrensarten 5 Zivilprozess und Außerstreitverfahren 6–19 Unterhaltsansprüche 7–8 436

Eheangelegenheiten Sonstige familienrechtliche Ansprüche Verlassenschaftsabhandlung Miteigentumsstreitigkeiten

9 10 11–12 13

EGZPO Art I Wohnungseigentumsstreitigkeiten Grenzstreit Bestandrecht Unternehmensrecht

14 15 16 17

Zivilprozess und Exekutionsverfahren Zivilprozess und Insolvenzverfahren

18 19

Zum In-Kraft-Treten s Rz 1, zur Rechtsüberleitung Rz 2, zu den Novel- 1 lierungen Art I EGJN Rz 3. Außer im streitigen Erkenntnisverfahren ist die ZPO (subsidiär) anzu- 2 wenden im a) Exekutionsverfahren (§ 78 EO), b) Konkurs- (§ 171 KO) und Ausgleichsverfahren (§ 76 AO), c) Verfahren in Arbeits- und Sozialrechtssachen (§ 2 Abs 1 ASGG) und d) vor dem VfGH (§ 35 Abs 1 VfGG). Intertemporales Recht: Wenn nichts anderes in Übergangsbestim- 3 mungen vorgesehen ist, so sind Verfahrensgesetze immer nach ihrem letzten Stand anzuwenden (SZ 55/17). Internationales Recht: Inländische Gerichte haben selbst dann, wenn 4 ausländisches Sachrecht anzuwenden ist (s IPR), das österreichische Verfahrensrecht anzuwenden (eM, s nur JBl 1983, 652; ZfRV 1988, 41 [krit Hoyer]; Böhm, FS Fasching 107). Vom streitigen Rechtsweg spricht man in Abgrenzung von den üb- 5 rigen Verfahrensarten vor den ordentlichen Gerichten, wobei die Abgrenzung zum a) Verfahren außer Streitsachen, b) Exekutions- und c) Insolvenzverfahren interessiert. Zu den allgemeinen Grundsätzen der Prüfung s bei § 1 JN, zu den Folgen des Vergreifens in der Verfahrensart s bei § 40a JN. Die Abgrenzung von Zivilprozess und Verfahren außer Streitsa- 6 chen. Zivilrechtliche Ansprüche sind grundsätzlich im Prozessweg geltend zu machen; nur dann, wenn ein Gesetz dies ausdrücklich oder schlüssig bestimmt, ist das Verfahren außer Streitsachen anzuwenden (EFSlg 57.711; wobl 1991, 190/113; LGZ Wien EFSlg 61.176). Die Frage nach der zulässigen Verfahrensart ist ausschließlich nach den Angaben des Antragstellers/Klägers, nicht nach dem gegnerischen Vorbringen zu prüfen (EvBl 1960/258 = JBl 1960, 608 uva, EFSlg 57.711). Im Einzelnen besteht eine überreiche Kasuistik, die sich etwa bei Klauser/Kodek 272 ff dokumentiert findet. Die aktuellste Übersicht über die Außerstreitmaterien bieten Fucik/Kloiber, AußStrG (2005) § 1 Rz 2, Mayr/Fucik, Das neue Verfahren außer Streitsachen3 (2006) 437

Art I

Fucik/Rechberger

Rz 39 ff und Rechberger in Rechberger, AußStrG § 1 Rz 6–10. Hier sollen nur die wichtigsten Abgrenzungsfragen – anhand beider AußStrG – dargestellt werden.

7 Unterhaltsansprüche: Gesetzliche Unterhaltsansprüche minderjähriger (ehelicher wie unehelicher) Kinder waren schon bisher im Verfahren außer Streitsachen geltend zu machen (Jud 237 = GlUNF 7608; SZ 38/163; 44/161 uva, zuletzt SZ 62/149 = EvBl 1990/2 = EFSlg 61.177; LGZ Wien EFSlg 82.557). Dies umfasste auch Begehren auf Verzugszinsen (1 Ob 202/00p = EFSlg 92.793 = ÖA 2001, 264/U 333), Erhöhung oder Herabsetzung des Unterhalts (selbst wenn sie nur für einen Zeitraum vor Antragstellung gestellt werden; allerdings nur bis zur Exekutionsbewilligung; SZ 62/149 = EvBl 1990/2 = EFSlg 61.177). Begehren, die vor Erreichen der Volljährigkeit gestellt wurden, sind auch nach deren Erreichen noch im Verfahren außer Streitsachen zu erledigen (EFSlg 61.179 f; LGZ Wien RZ 1985/26 = ÖA 1986, 78 = EfSlg 46.934; ÖA 1994, 25 ua, zuletzt 3 Ob 169/02b = RZ 2002/42 = EFSlg 100.097). Dagegen mussten volljährige Kinder und minderjährige Kinder ausländischer Staatsangehörigkeit, die nicht im Inland unter Pflegschaft oder Vormundschaft stehen (§ 110 JN), ihre Ansprüche im streitigen Verfahren durchsetzen (SZ 47/51; 50/133; JBl 1989, 394 = RZ 1989/90 = EFSlg 61.182; zuletzt LG Krems und LGZ Wien EFSlg 100.095). Nicht ins Verfahren außer Streitsachen gehören weiters Ansprüche auf vertraglichen Unterhalt (LGZ Wien EFSlg 63.978; 79.128 ua), Titelergänzungsklagen (LGZ Wien EFSlg 46.631) oder Klagen auf Anfechtung eines Unterhaltsvergleichs (LGZ Wien EFSlg 18.479; 79.130), Ansprüche zwischen den Unterhaltspflichtigen (§ 1042 ABGB, LGZ Wien EFSlg 34.350 ua), Rückforderung zu Unrecht bezahlter Beträge (1 Ob 295/00i = ZRInfo 2001/62; LGZ Wien EFSlg 36.676, 66.911 ua; nicht aber Ansprüche nach § 29 UVG: LGZ Wien EFSlg 61.188).

8 Das neue AußStrG beseitigt die subtilen Abgrenzungen und bestimmt den außerstreitigen Rechtsweg für alle Unterhaltsansprüche zwischen in gerader Linie verwandten Personen (§ 101 AußStrG neu iVm § 114 JN, § 19 RpflG). Für Verfahren, die nach dem 31.12.2004 eingeleitet werden (Art XXXII § 3 Abs 1 AußStr-BegleitG), ist also auch dann der streitige Rechtsweg nicht mehr zulässig, wenn es sich um Ansprüche volljähriger Kinder, der inländischen Pflegschaftsgerichtsbarkeit nicht unterworfener Kinder oder um Ansprüche der Eltern gegen die Kinder (§ 143 ABGB) handelt. In Sachen des Kindesunterhalts (§ 19 Abs 1 Z 1 bzw Z 4 RpflG idF BGBl I 2003/112) wird jedenfalls der Rechtspfleger entscheiden (außer bei Anwendung ausländischen Rechts, § 16 Abs 2 Z 6 RpflG), ansonsten der Richter. 438

EGZPO Art I Eheangelegenheiten: Gelegentlich macht die Festlegung des Umfangs 9 des Verfahrens zur Aufteilung ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse Schwierigkeiten. Ins Verfahren außer Streitsachen gehören nur die in den §§ 85, 94 EheG aufgezählten Ansprüche (vgl SZ 69/174; Jus extra 12, 15), insb nicht Streitigkeiten über die Herausgabe vom Aufteilungsverfahren iSd § 82 EheG ausgenommener Sachen (SZ 53/52 = EvBl 1980/156 = JBl 1980, 594, EFSlg 37.486; SZ 53/ 150 = JBl 1981, 483 = EFSlg 37.487/1 = MietSlg 32.755/37; SZ 53/153 = EvBl 1981/75; SZ 54/126 = EvBl 1982/184; SZ 58/37 = EFSlg 48.917; Stabentheiner in Rummel § 82 EheG Rz 15). Bei Berufung auf eine Aufteilungsvereinbarung ist der streitige Rechtsweg zu beschreiten (SZ 53/150 = JBl 1981, 483 = EFSlg 37.482/1 = MietSlg 32.755; SZ 53/153 = EvBl 1981/75 = EFSlg 37.482; EvBl 1990/153; Stabentheiner in Rummel § 97 EheG Rz 4 mwN). Andrerseits können der Aufteilung unterliegende Sachen auch unter dem Rechtsgrund Bereicherung nicht mit Klage herausverlangt werden (SZ 52/129 = EFSlg 34.110 = MietSlg 31.615/33). Lebensgefährten müssen in jedem Fall klagen (EFSlg 41.014 = MietSlg 34.654). Das neue AußStrG ändert nichts an diesen Abgrenzungen. Sonstige familienrechtliche Ansprüche: Herausgabeansprüche des 10 Kindes gegen die Eltern gehören in das Pflegschaftsverfahren (EvBl 1989/32 = RZ 1988/57; OLG Wien EFSlg 61.187; LGZ Wien EFSlg 64.426; 67.209; gegen Großmutter LGZ Wien EFSlg 67.210 aA NZ 1995, 64 = EFSlg 76.012; LGZ Wien EFSlg 79.133;), Vertrags- und Schadenersatzansprüche in den Zivilprozess (LGZ Wien EFSlg 63.978 f). Gesetzliche Ansprüche auf Bestellung eines Heiratsguts (einer Ausstattung) gehören (anders als auf eine vertragliche Zusage gestützte Ansprüche) in das Verfahren außer Streitsachen (Spr 178 = GlUNF 2966; SZ 17/109; NZ 1988, 41 = EFSlg 51.478 uva; M. Bydlinski in Rummel § 1221 Rz 2). Vgl im Übrigen Klauser/Kodek E 16 ff. Die Abgrenzung von Verlassenschaftsabhandlung und Zivilprozess 11 interessiert in zweifacher Hinsicht. Es geht einerseits um die Frage nach der Reichweite des Verlassenschaftsverfahrens (vgl nur RZ 1992/ 84; zur Stellung der Legatare und Noterben, s SZ 23/232; 54/122 = JBl 1982, 646 = EFSlg 38.479/2, zu Streitigkeiten zwischen verwaltenden Miterben, s SZ 50/56 = JBl 1979, 199), andrerseits um die Entscheidung darüber, ob gewisse für die Einantwortung präjudizielle Rechtsfragen noch im Verlassenschaftsverfahren selbst gelöst werden können oder ein streitiges Verfahren erfordern (Näheres zu §§ 125 ff AußStrG 1854 va bei Welser in Rummel §§ 799, 800 Rz 23 ff; Deixler-Hübner, PraktZPR 40). 439

Art I

Fucik/Rechberger

12 Ein Kernpunkt des neuen AußStrG ist freilich die Integration der Feststellung des Erbrechts in die Abhandlung (§§ 161 ff AußStrG neu). Für Verfahren, die nicht vor dem 1.1.2005 eingeleitet werden konnten (§ 205 AußStrG neu), wird daher keine „Verteilung der Klägerrollen“ mehr in Frage kommen und vor Rechtskraft (präziser: Bindung des Erstgerichts) der Einantwortung kein Erbrechtsstreit mehr im Zivilprozess ausgetragen werden können. An der Erbschaftsklage ändert sich hingegen nichts.

13 Miteigentumsstreitigkeiten: Bei dieser Abgrenzung kann weitestgehend auf die ursprüngliche Abgrenzung der Aufgaben von Prozess und Außerstreitverfahren zurückgegriffen werden, dass es also im streitigen Verfahren um die Entscheidung über subjektive Ansprüche geht, während im Verfahren außer Streitsachen die Gedanken der präventiven und rechtsfürsorgenden Rechtsgestaltung verwirklicht werden (vgl nur Kerzendorfer, BeitrZP 172; Gamerith in Rummel § 835 Rz 11; Egglmeier/Gruber/Sprohar in Schwimann § 835 Rz 32 ff). Im Verfahren außer Streitsachen waren nur die sich aus dem Gesetz selbst ergebenden Rechte zu regeln (SZ 24/84 ua). So war etwa eine Benützungsregelung (Gamerith in Rummel § 835 Rz 5) im Verfahren außer Streitsachen zu treffen, während die Rechte aus einer Benützungsvereinbarung einzuklagen waren (SZ 68/169 = JBl 1996, 595; JBl 1953, 16; dies umfasste auch Klagen auf Feststellung des Bestehens einer Benützungsvereinbarung, SZ 51/5, oder ihrer Aufhebung, SZ 17/141; EvBl 1964/263; instruktiv zur Abgrenzung LGZ Wien MietSlg 41.034). Der streitige Rechtsweg stand offen zur Durchsetzung von Mehrheitsbeschlüssen in Angelegenheiten der ordentlichen Verwaltung (EvBl 1994/142 = WoBl 1994, 31; MietSlg 45.545 (22); Gamerith in Rummel § 833 Rz 13) oder von richterlich genehmigten wichtigen Veränderungen (SZ 35/52 = EvBl 1962/470); für Rechnungslegung und Ertragsteilung (Gamerith in Rummel § 830 Rz 1 f, § 836 Rz 8, § 839 Rz 7, § 840 Rz 2), für Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche (SZ 49/52; MietSlg 31.558; EvBl 1982/61 ua). Die Festsetzung eines künftigen Benützungsentgelts hatte im Verfahren außer Streitsachen zu erfolgen (EvBl 1959/201; 1961/2 uva), Bereicherungsansprüche sind hingegen einzuklagen (MietSlg 33.576 ua). Zur Verwalterbestellung MietSlg 40.057; Gamerith in Rummel § 836 Rz 3, 6 bis 8 mwN. Auch hier ist die Außerstreitreform um Flurbereinigung bemüht gewesen und hat sämtliche einschlägige Miteigentümerkonflikte in das Verfahren außer Streitsachen verwiesen (§ 838a ABGB).

14 Wohnungseigentumsstreitigkeiten: § 52 Abs 1 WEG 2002 enthält die Aufzählung verschiedener Anträge, über die im weitestgehend dem 440

EGZPO Art I „MSch-Verfahren“ angenäherten besonderen Verfahren außer Streitsachen (§ 52 Abs 2 WEG 2002 iVm § 37 Abs 3 Z 1, 6, 8, 10 bis 19 und Abs 4 MRG) zu entscheiden ist, über diese Anträge hinausgehende Rechtsschutzbegehren sind in der gleichen Weise dem Verfahren außer Streitsachen bzw dem Zivilprozess zuzuordnen wie beim schlichten Miteigentum (Würth/Zingher/Kovany, Miet- und Wohnrecht, § 52 WEG Rz 3). Grenzstreit: Das Verfahren außer Streitsachen kommt zur Anwen- 15 dung, wenn behauptet wird, dass eine unkenntliche Grenze nach dem letzten ruhigen Besitzstande, allenfalls nach billigem Ermessen, festzusetzen sei (§ 851 ABGB), das streitige Verfahren hingegen, wenn eine bestimmte Grenze als richtig behauptet wird und deren Verlauf festgestellt werden soll (SZ 54/144 = RZ 1982/18). In das streitige Verfahren gehören weiters Besitzstörungsklagen (JBl 1946, 532), Klagen, für die der Grenzverlauf nur Vorfrage ist (Unterlassungs-, Beseitigungs- und Schadenersatzansprüche aus Grenzverletzung; Gamerith in Rummel § 851 Rz 8) und Ansprüche aus einverständlicher Grenzfestsetzung (Gamerith in Rummel § 850 Rz 5; Egglmeier/Gruber/Sprohar in Schwimann § 851 Rz 8). Beachtlich bleibt der Rechtswegausschluss hinsichtlich im Grenzkataster eingetragener Grundstücke (§ 853a ABGB; Gamerith in Rummel § 853a Rz 2). Bestandsachen: Neben den außerstreitigen Angelegenheiten nach § 12 16 LPG (s Würth in Rummel) müssen hier die in § 37 Abs 1 MRG (nicht taxativ; Würth in Rummel § 37 MRG Rz 2) aufgezählten „MSch-Sachen“ erwähnt werden, bei denen „weitgehend systemlos Ansprüche verschiedenster Art der Entscheidung im Außerstreitverfahren zugewiesen“ (Würth, Verfahrensrechtliche Probleme des MRG, in Korinek/ Krejci, HdBMRG 501) werden; es handelt sich um Leistungs-, Feststellungs- und Rechtsgestaltungsansprüche, die teils auf bestimmte formalisierte Anträge beschränkt sind, teils alle Fragen in einem bestimmten Bereich umfassen. Weiterführend Würth/Zingher/Kovany, Miet- und Wohnrecht zu § 37 MRG; M. Mohr in Hausmann/Vonkilch zu § 37. Unternehmensrecht: An Verfahren außer Streitsachen sind hier va die 17 Bucheinsicht des Handelsvertreters (§ 16 HVertrG 1993; nach der E eines verst Senats des OGH besteht hier allerdings ein Wahlrecht zwischen außerstreitiger Bucheinsicht und Stufenklage: SZ 65/165 = EvBl 1993/52 = JBl 1993, 249 [zust Jabornegg] = ecolex 1993, 236) und der Gesellschafter (§§ 118, 166, 183 HGB/UGB, § 22 GmbHG), die Bestellung eines Notgeschäftsführers (§ 15a GmbHG) sowie die Verfahren nach § 14 AktG (dazu Jabornegg in Schiemer/Jabornegg/Strasser, AktG, 441

Art II

Fucik/Rechberger

§ 14 Rz 15) und § 102 GmbHG (vgl nur RdW 1990, 47; SZ 63/150 = EvBl 1991/47 = ecolex 1991, 25; SZ 64/21 = ecolex 1991, 323) zu nennen.

18 Die Abgrenzung von Zivilprozess und Exekutionsverfahren interessiert in zweifacher Hinsicht. Es geht einerseits um die Frage nach der Reichweite des Exekutionsverfahrens (zB Ansprüche des oder gegen den Zwangsverwalter, JBl 1955, 368; RZ 1970, 62; Herausgabeansprüche gegen den verbotswidrig inkassierenden Verpflichteten, ZBl 1935/ 36; Ansprüche des oder gegen den Ersteher, SZ 50/13 = MietSlg 29.697; SZ 57/54 ua; Ersatzansprüche nach Aufschiebung, SZ 16/77 = ZBl 1934/ 289; RZ 1936, 46 und nach Einstweiliger Verfügung, JBl 1957, 564), andererseits um die Entscheidung darüber, ob gewisse für das Exekutionsverfahren präjudizielle Rechtsfragen noch in diesem Verfahren selbst gelöst werden können oder ein streitiges Verfahren erfordern (Oppositions- und Impugnationsgesuch bzw Klagen nach §§ 35, 36 EO; s nur Rechberger/Simotta, Exekutionsverfahren, Rz 356 f, 371 f; Rechberger/Oberhammer, Exekutionsrecht Rz 208 ff, 220; Holzhammer, ZVR 154, 161; Widerspruchsklage im Verteilungsverfahren, §§ 232 f EO, vgl P. Böhm, ÖJZ 1974, 533).

19 Die Abgrenzung von Zivilprozess und Insolvenzverfahren ist weitgehend ähnlich derjenigen zum Exekutionsverfahren (Ansprüche des oder gegen den Masseverwalter: SZ 36/57 = EvBl 1963/348 = JBl 1964, 42; EvBl 1965/31; EvBl 1992/87; wN bei Welser in Jelinek 36). Zur Prozesssperre s § 159 ZPO Rz 4. Die nichtbestrittene Eintragung in das Anmeldungsverzeichnis hindert nicht die gesonderte Einklagung (§ 60 Abs 2 KO, § 54 Abs 4 AO; Fasching Rz 1508; Fink, Neue Streitfragen um § 54 AO, JBl 1986, 80; SZ 57/138 = EvBl 1985/61; JBl 1986, 126). Nach LGZ Wien WR 76 soll nach Ausgleichsbestätigung der streitige Rechtsweg nur hinsichtlich der wiederauflebenden Quote zulässig sein.

20 Durch Abs 2 wurde weder den Bestimmungen über Testamentszeugen (GlUNF 588 ua) noch dem § 904 ABGB (AmtlSlgNF 1025), wohl aber dem § 891 Satz 3 erster Satzteil ABGB (GlUNF 2934, 3804 = ZBl 1908/ 273; 2 Ob 339/72; Gamerith in Rummel § 891 Rz 9) materiell derogiert. Art II. Wo in Gesetzen und Verordnungen, die durch das Inkrafttreten der Zivilprozeßordnung nicht berührt werden, oder in staatlich genehmigten Statuten einzelner Gesellschaften, Anstalten und Vereine auf das rechtliche Verfahren in Streitsachen verwiesen oder, wenn auch mit Einschränkungen und Abänderungen, die Anwendung der Vorschriften der Gerichtsordnungen, des ordentlichen 442

EGZPO

Art IV

schriftlichen oder mündlichen Prozesses, der Bestimmungen des Gesetzes über den summarischen Prozeß oder über das Bagatellverfahren vorgeschrieben ist, treten an die Stelle der bezogenen Bestimmungen die Vorschriften des ersten bis fünften Teiles der Zivilprozeßordnung, und zwar in der Art, daß je nach Verschiedenheit des zuständigen Gerichtes die in der Zivilprozeßordnung für das Verfahren vor Gerichtshöfen oder die für das bezirksgerichtliche Verfahren aufgestellten Vorschriften zur Anwendung zu kommen haben. [Stammfassung] Die alten Verweisungen gelten somit als auf die ZPO bezogen (vgl etwa § 7 1 AußStrG 1854). Die Verweisung auf das Bagatellverfahren ist überholt. Art III. Inzwischen gegenstandslose Aufzählung außer Kraft getretener Vorschriften. Art IV. Unberührt bleiben: 1. und 2. durch ProkG überholt 3. durch RATG überholt 4. Die Vorschriften der Gesetze vom 24. April 1874, RGBl 48 und 49, über die Bestellung eines gemeinsamen Kurators der Besitzer von Pfandbriefen und von auf Inhaber lautenden oder indossablen Teilschuldverschreibungen. 5. Die Vorschriften der §§ 1, 2, 3 und 5 der Justizministerialverordnung vom 8. Juni 1857, RGBl 114, betreffend die Behandlung der Winkelschreiber. Gegen die Entscheidung, wodurch jemand wegen Winkelschreiberei bestraft wird, steht demselben der Rekurs nach Maßgabe der §§ 514 bis 528 ZPO zu. Von der Einleitung einer Untersuchung hat das Gericht die zuständige Rechtsanwalts- und Notariatskammer zu verständigen; diese Kammern sind zur Akteneinsicht und Antragstellung berechtigt; Beschlüsse, womit eine Untersuchung eingestellt oder der Beschuldigte freigesprochen wird, sind ihnen zuzustellen; sie können dagegen Rekurs nach Maßgabe der §§ 514 bis 528 ZPO erheben. [Z 5 Satz 3 angefügt durch 6. GEN; sonst Stammfassung] Lit: Zierl, Zur Winkelschreiberei nach § 57 RAO, AnwBl 1988, 196; Keinert, Gerichtlicher Charakter der Strafe nach der Winkelschreiberverordnung 1857, BeitrZPR III (1989) 101; Illedits/Reich-Rohrwig, Die Vertretungsbefugnis der Immobilienverwalter vor Gerichten und Verwaltungsbehörden im Lichte der jüngsten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, ImmZ 1995, 75. 443

Art IV

Fucik/Rechberger

Konecny in Fasching/Konecny II/1 Art IV EGZPO; Deixler-Hübner, PraktZPR 155; Fasching, Rz 455.

1 Zur Finanzprokuratur s bei Art XXXII. 2 Winkelschreiberei wird von demjenigen Gericht, bei dem der Winkelschreiber unmittelbar oder mittelbar eingeschritten ist oder bei dem eine von ihm verfasste Urkunde oder Eingabe überreicht worden ist (§2 WinkelschrV), von Amts wegen untersucht (JBl 1958, 628 = RZ 1958, 154) und mit Geldstrafe bis zu 60.000 S (= 4.360,37 €) oder Haft bis zu sechs Wochen bestraft (§ 3 WinkelschrV). Der Vollzug der (nicht verfassungswidrigen, JBl 1958, 628 = RZ 1958, 154; SZ 36/97 = EvBl 1963/452 = RZ 1963, 198) WinkelschrV ist Rechtsprechung, nicht Justizverwaltung (VfSlg 3161/1957). OLG und OGH können selbst nach der WinkelschrV vorgehen oder ein Gericht erster Instanz mit der Untersuchung und Entscheidung beauftragen (§ 2 letzter Satz WinkelschrV). Der Rechtszug richtet sich nach den §§ 514 bis 528 (3 Ob 278/00d = EFSlg 94.416).

3 Winkelschreiber ist, wer a) in Prozessen mit Anwaltspflicht, ohne berechtigter Rechtsfreund zu sein, für Parteien einschreitet oder Eingaben für sie verfasst, oder b) die Verfassung von Urkunden oder Eingaben oder die Vertretung von Parteien zu seinem Geschäftsbetriebe macht (§ 1 WinkelschrV). Für die (nur im Fall b) erforderliche) Gewerbsmäßigkeit genügt die Absicht, sich eine – auch nur unregelmäßige, nebenberufliche – Einnahmequelle zu verschaffen (EvBl 1987/206). Winkelschreiberei kann ein Inkassobüro (KG Wr. Neustadt NBlRA 1966, 99; EvBl 1955/71 ua; s nun insb § 118 Abs 2 GewO 1994 idF BGBl I 2002/111), ein Vereinsfunktionär (SZ 12/16 = NZ 1930, 112; JBl 1958, 628 = RZ 1958, 154; Konecny Rz 73), Vor § 117 Abs 5 GewO 1994 auch ein Immobilienmakler und -verwalter (EvBl 1976/234 = JBl 1977, 39 = MietSlg 28.561/5 = ÖBl 1976, 132) begehen. Sie ist wohl eine gerichtliche Disziplinarstrafe und kein Verwaltungsdelikt, die (hinsichtlich jedes einzelnen Aktes) binnen drei Monaten verjährt (SZ 26/76 = NZ 1956, 46; EvBl 1954/282; JBl 1958, 628 = RZ 1958, 154; vgl SZ 36/97 = EvBl 1963/452 = RZ 1963, 198).

4 Auch das 1. BRBG BGBl I 1999/191 hat die WinkelschreibereiV nicht aufgehoben (3 Ob 278/00d = EFSlg 94.416). Art V. Aufgehoben durch StGBl 1920/148. Art VI. Durch inhaltliche Änderung der §§ 99, 157 und 158 ABGB und durch das StGBl 1919/209 gegenstandslos. 444

EGZPO

Art XII

Art VII. Unberührt bleiben die Vorschriften des bürgerlichen Rechtes: 1. durch welche bestimmte Urkunden als öffentlich erklärt oder den inländischen öffentlichen Urkunden gleichgestellt werden; 2. durch welche die Beweiskraft einer Privaturkunde von bestimmten Erfordernissen abhängig gemacht ist; 3. und 4. gegenstandslos 5. die Vorschriften über die Vorlegung der Tagebücher der Handelsmäkler und der Urschrift von Notariatsurkunden. [Stammfassung] Bezogene Vorschriften: §§ 884, 886, 1001, 1426 ABGB, § 1 NZwG. 1 Z 5 ist hinsichtlich der Tagebücher der Handelsmäkler gegenstandslos (§ 2 MaklerG, davor § 102 HGB). Zu den Notariatsurkunden s § 50 Abs 1 NO. Art VIII bis X. Gegenstandslos; betrafen nicht mehr in Kraft stehende Konsularverträge; JMinV über Kreditanstalten; Sondervorschriften für Dalmatien. Art XI. Aufgehoben durch AHG bzw BGBl 1957/257. Art XII. Unberührt bleiben nachfolgende, die schiedsgerichtliche Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten betreffende Vorschriften: 1. bis 5. Gegenstandslos infolge Wegfalls des Anwendungsbereiches 6. Die gesetzlichen Vorschriften, durch welche Körperschaften, Anstalten und Vereine das Recht erhalten haben, zur Entscheidung gewisser Streitigkeiten Schiedsgerichte zu bestellen. [Stammfassung] Lit: Rummel, Privates Vereinsrecht im Konflikt zwischen Autonomie und rechtlicher Kontrolle, FS Strasser (1983) 813; Sprung/König, Überprüfung und inhaltliche Voraussetzungen eines Vereinsausschlusses, RdW 1984, 226, Rechberger/Frauenberger, Der Verein als „Richter“, ecolex 1994, 5. Hausmaninger/Stippl in Fasching/Konecny II/1 Art XII EGZPO. Die Bestimmung betrifft gesetzlich eingerichtete Sondergerichte, die 1 der ZPO überhaupt nicht unterliegen, und gegen deren Entscheidungen daher (mangels besonderer gesetzlicher Bestimmung) auch keine Aufhebungsklage gem § 611 zulässig ist. Größtenteils ist Art XII bereits 445

Vor Art XIII–XXVII

Fucik/Rechberger

überholt, da die gesetzlichen Bestimmungen, auf die sich die Z 1 bis 5 bezogen, aufgehoben oder die bezüglichen Körperschaften aufgelöst wurden (vgl Hausmaninger/Stippl in Fasching/Konecny II/1 Art XII EGZPO Rz 4 ff).

2 Aufgrund besonderer gesetzlicher Anordnung bestehende Schiedsgerichte bleiben gem Z 6 von den §§ 577 ff unberührt, und zwar sowohl jene, die bereits vor In-Kraft-Treten der ZPO existiert haben, als auch jene, die erst später eingerichtet wurden (vgl etwa die in den LandesJagdG vorgesehenen Wildschadensschiedsgerichte [zB § 95 Sbg-JagdG 1993]; weiters § 41 Abs 4 NationalbankG, wiederverlautbart BGBl 1984/50 idF BGBl 1998/60).

3 Nicht vom Geltungsbereich der ZPO ausgenommen sind jedoch die sog Vereinsgerichte oder Vereinsschiedsgerichte (Rummel, FS Strasser 831; Rechberger/Frauenberger, ecolex 1994, 5). Vgl Näheres zu den Vereinsgerichten zu § 577 ZPO Rz 5 und Hausmaninger/Stippl in Fasching/Konecny II/1 Art XII EGZPO Rz 9-33; SZ 70/206. Vor Art XIII bis XXVII (Börsenschiedsgerichte) Lit: Neuteufel, Art XXIX EGEO und das New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche, ÖJZ 1984, 320; ders, Das Schiedsgericht der Wiener Warenbörse, AnwBl 1986, 578; Schiedsgerichtsordnung, in: Wiener Börse, Schiedsgericht der Wiener Warenbörse (1991); Aicher/Kalss/Oppitz, Grundfragen des neuen Börserechts (1998). Konecny in Fasching/Konecny II/1 Art XIII ff EGZPO; Fasching Rz 2242 ff.

1 Nach § 27 Abs 4 BörseG (BGBl 1989/555 idF BGBl I Nr 127/1998) sind Streitigkeiten aus Börsegeschäften (zu diesen s § 27 Abs 1 bis 3 BörseG) durch das Börsenschiedsgericht zu entscheiden, dessen rechtliche Grundlage sich in den Art XIII bis XXVII EGZPO und der darauf aufbauenden Schiedsgerichtsordnung (dem Börsestatut) findet. Das Statut ist als Verordnung für die Wertpapierbörse durch das BM für Finanzen, für die allgemeine Warenbörse durch das BM für wirtschaftliche Angelegenheiten und für eine landwirtschaftliche Börse durch das BM für Land- u Forstwirtschaft, jeweils im Einvernehmen mit dem BM für Justiz, zu erlassen. Es hat „nach Maßgabe der Art XIIIa bis XXVII EGZPO“ Regelungen über die Zusammensetzung des Schiedsgerichtes, den Wirkungskreis des Schiedsgerichts und das Verfahren vor dem Schiedsgericht zu enthalten. 446

EGZPO

Art XIII

Die Börsenschiedsgerichte gehören demnach zu den Sondergerichten 2 des Privatrechts (s Rz 4 zu § 1 JN); es handelt sich um statutarische Schiedsgerichte, denen teils ausschließliche Zuständigkeit (nämlich für die Streitigkeiten aus Börsegeschäften nach § 27 BörseG), teils Unterwerfungszuständigkeit (nämlich für die Streitigkeiten nach Art XIIIa – vgl dort aber Rz 2 –, XIV, XIVa EGZPO) zukommt (s Rz 4 zu § 1 JN). Derzeit bestehen an der Wiener Börse zwei Schiedsgerichte, jenes der Wertpapierbörse und jenes der Warenbörse. Die Mitglieder der Börsenschiedsgerichte werden für die Warenbörse 3 von der Gesamtheit der Börsebesucher (das sind gem § 20 BörseG diejenigen physischen Personen, die zur Erteilung von Aufträgen und zum Abschluss von Geschäften für Börsemitglieder an der Börse oder im Handelssystem berechtigt und vom Börseunternehmen als Börsebesucher zugelassen sind) der Warenbörse, für die Wertpapierbörse von der Gesamtheit der Börsebesucher der Wertpapierbörse gewählt. Daneben gibt es sog Listenrichter, das sind Schiedsrichter, die nicht der Börse angehören. Sie werden von der Wirtschaftskammer Wien gemäß der VO vom 11. 2. 1896, RGBl 28 ernannt und sind in eine beim Schiedsgericht aufliegende und dort angeschlagene Liste aufzunehmen (Näheres bei Art XVI EGZPO). Dem Börsenschiedsgericht muss zwingend der Sekretär zugezogen werden (Näheres bei Art XV EGZPO). Das Verfahren vor den Börsenschiedsgerichten ist gem Art XVII iVm 4 Art XIII EGZPO durch das Börsenstatut zu regeln; die §§ 594 ff finden keine Anwendung. Die Art XVIII bis XXII EGZPO legen aber (teilweise sehr ähnlich) bestimmte zwingende Verfahrensgrundsätze fest. Die Erkenntnisse der Börsenschiedsgerichte können durch Nichtig- 5 keitsbeschwerde (Art XXIII EGZPO) und durch Unwirksamkeitsklage (Art XXV EGZPO) beim Handelsgericht angefochten werden. Während Erstere zur Geltendmachung prozessualer Mängel dient, können mit Zweiterer dieselben materiellrechtlichen Unwirksamkeitsgründe geltend gemacht werden, die auch die Anfechtung eines Schiedsspruches mit Aufhebungsklage nach § 611 ermöglichen. Art XIII. (1) Das Börsestatut ist die Schiedsgerichtsordnung für eine Börse und ist als Verordnung für eine Wertpapierbörse durch das Bundesministerium für Finanzen, für eine allgemeine Warenbörse durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten und für eine landwirtschaftliche Börse durch das Bundes447

Art XIII

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ministerium für Land- und Forstwirtschaft, jeweils im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Justiz, zu erlassen. (2) In das Börsestatut sind nach Maßgabe der Art XIIIa bis XXVII Regelungen über 1. die Zusammensetzung des Schiedsgerichtes, 2. den Wirkungskreis des Schiedsgerichtes und 3. das Verfahren vor dem Schiedsgericht aufzunehmen. (3) Das die jeweilige Börse leitende und verwaltende Börseunternehmen hat für die Einrichtung eines Schiedsgerichtes zu sorgen und den Aufwand für dieses Gericht zu tragen. Das Börsestatut hat von den Prozeßparteien zu entrichtende Gebühren vorzusehen, die dem Börseunternehmen diesen Aufwand ausgleichen sollen. Das die Wiener Börse leitende und verwaltenden Börseunternehmen hat für die Einrichtung eines sowohl für die Wertpapier- als auch für die allgemeine Warenbörse zuständigen Schiedsgerichtes zu sorgen und dessen Aufwand zu tragen. Das im Zeitpunkt der Auflösung der Wiener Börsekammer im Rahmen der Wiener Börsekammer eingerichtete Schiedsgericht gilt als dieses Schiedsgericht. Die im Zeitpunkt der Auflösung der Wiener Börsekammer in Kraft befindliche Schiedsgerichtsordnung, Statut der Wiener Börse, II. Teil, gilt als erste Verordnung (Börsestatut) gemäß dem Abs 1. (4) Die nach diesem Bundesgesetz den Börseunternehmen zukommenden Aufgaben sind für eine landwirtschaftliche Börse von der zuständigen Börseleitung wahrzunehmen. Die am 31. Dezember 1997 geltenden Schiedsgerichtsordnungen für die Schiedsgerichte landwirtschaftlicher Börsen gelten als Verordnungen gemäß Abs1 weiter. [BGBl I 1998/11]

1 Die Bestimmungen über das Börsestatut waren ursprünglich in § 13 BörseG (BGBl 1989/555) geregelt; im Zuge der Börsegesetznovelle 1998 (BGBl I 1998/11) wurden sie in das EGZPO aufgenommen. Art XIIIa. (1) Die Wirksamkeit der Börsenschiedsgerichte kann in dem Börsenstatut in der Richtung erweitert werden, daß dem Börsenschiedsgerichte auch Streitigkeiten aus anderen als Börsegeschäften, und zwar aus den im Börsenverkehr üblichen Effekten-, Devisen-, Valuten-, Lombard-, Eskompte- und Darlehensgeschäften, unterworfen werden, sofern sie zwischen Mitgliedern oder Besuchern einer Effektenbörse, sei es unmittelbar, sei es durch Vermittlung eines an einer Effektenbörse bestellten Börsesensals geschlossen werden und sofern die Parteien nichts anderes schriftlich vereinbart haben. 448

EGZPO Art XIV (2) Die Zuständigkeit des Schiedsgerichtes erstreckt sich auch auf die Streitigkeiten zwischen den Parteien und dem Börsesensal. [Eingefügt durch 5. GEN] Es handelt sich um die erste Bestimmung, die die Zuständigkeit der 1 Börsenschiedsgerichte über die Streitigkeiten aus Börsegeschäften (§ 27 BörseG) hinaus, nämlich auf Streitigkeiten aus bestimmten anderen Geschäften, die zwischen Mitgliedern oder Besuchern einer Effektenbörse (eigentlich: Wertpapierbörse) geschlossen werden, erweitert. Voraussetzung ist, dass dies im Börsestatut (vgl hiezu Art XIII EGZPO) festgelegt ist und dass die Parteien nichts anderes schriftlich vereinbart haben. Sofern die Parteien die Zuständigkeit des Börsenschiedsgerichts nicht ausdrücklich ausgeschlossen haben, tritt diese kraft Gesetzes ein. Für die Zuständigkeit des Börsenschiedsgerichts bedarf es daher zwar keines Schiedsvertrags, diese Zuständigkeit ist aber auch keine Zwangszuständigkeit. Abs 2 erstreckt die Zuständigkeit des Börsenschiedsgerichts auch auf 2 Streitigkeiten zwischen den Parteien und dem Börsesensal (s dazu das BörsesensaleG, BGBl 1949/3), sofern es um solche aus Börsegeschäften (§ 27 BörseG) und den in Art XIIIa EGZPO genannten Geschäften geht (Fasching1 II 31). In diesem Fall handelt es sich um eine Zwangszuständigkeit des Börsenschiedsgerichts. Art XIV. (1) Die Wirksamkeit der Börsenschiedsgerichte kann in dem Börsenstatut ferner in der Richtung erweitert werden, daß dem Börsenschiedsgericht auch Streitigkeiten aus Warengeschäften, die außerhalb der Börse geschlossen wurden, unterworfen werden, jedoch lediglich unter den nachstehenden Voraussetzungen: 1. Jeder der Streitteile muß entweder ein Organ der öffentlichen Verwaltung, eine Handelsgesellschaft, eine Erwerbs- oder Wirtschaftsgenossenschaft, ein Mitglied oder Besucher einer Börse oder eine Person sein, die sich berufsmäßig mit der Erzeugung, dem Umsatz oder der Verarbeitung derjenigen beweglichen Sachen beschäftigt, die den Gegenstand des Geschäftes bilden oder die solche bewegliche Sachen in ihrem industriellen, gewerblichen oder Handelsbetrieb verwendet; 2. der Börsenverkehr der Börse, deren Schiedsgericht angerufen wird, muß sich nach dem Börsenstatut auf das Geschäft, das Gegenstand des Streites ist, erstrecken dürfen; 3. beide Teile müssen sich in einem dem § 583 Abs 1 ZPO entsprechenden Schiedsvertrag dem Ausspruch des Schiedsgerichtes un449

Art XIV

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terworfen haben. Der Schiedsvertrag kann auch allgemein für die Geschäfte, die zwischen den beiden Teilen unmittelbar oder durch Vermittlung eines Dritten zustande kommen, geschlossen werden; doch kann die Wirksamkeit derartiger Vereinbarungen jederzeit für weitere zu schließende Geschäfte einseitig schriftlich widerrufen werden. Protokollierte Kaufleute [Unternehmer] und Mitglieder oder Besucher einer Börse werden schon durch die Annahme eines Schlußbriefes, der die Bestimmung enthält, daß Rechtsstreitigkeiten aus dem Geschäfte vom Börsenschiedsgerichte zu entscheiden sind, diesem unterworfen, es sei denn, daß die bezeichnete Bestimmung oder der Schlußbrief im allgemeinen als vertragswidrig beanstandet oder der Schlußbrief ohne Bemerkung zurückgestellt wird. (2) Als Warengeschäfte im Sinne des Abs 1 gelten auch Werkverträge, Verträge zum Zwecke der Vereinigung zu einzelnen Handelsgeschäften über Waren für gemeinschaftliche Rechnung, Vermittlungsgeschäfte über Waren einschließlich der Verträge mit Handelsvertretern und die dem Verkehre mit Waren dienenden Hilfsgeschäfte. (3) Falls eine der Parteien den landwirtschaftlichen Berufskreisen angehört, hat das Schiedsgericht die erhobene Klage auf Antrag oder von Amts wegen als zum schiedsgerichtlichen Verfahren nicht geeignet zurückzuweisen, wenn das Warengeschäft, das den Gegenstand des Streites bildet, in offenbarem Mißverhältnisse zum landwirtschaftlichen Betriebe der betreffenden Partei steht. (4) Das Börsenstatut kann bestimmen, daß die im Abs 1 Z 1 und im Abs 3 enthaltenen Beschränkungen auf Ausländer keine Anwendung finden. Im Statut kann ferner festgesetzt werden, daß Ausländer, auch wenn sie nicht protokollierte Kaufleute [Unternehmer] und nicht Mitglieder oder Besucher einer Börse sind, dem Börsenschiedsgericht im Sinne des Abs 1 Z 3 schon durch die Annahme eines Schlußbriefes unterworfen werden. [Abs 1 idF 5. GEN, 6. GEN, ZVN 1983 ubd SchiedsRÄG 2006; Abs 2 idF 6. GEN; Abs 3 Stammfassung; Abs 4 idF 5. GEN; der Ausdruck „Kaufleute“ wird durch Art XV HaRÄG ab 1. 1. 2007 durch „Unternehmer“ ersetzt]

1 Das Börsenstatut kann die Zuständigkeit des Börsenschiedsgerichts auch auf Streitigkeiten aus Warengeschäften (vgl dazu auch Abs 2), die außerhalb der Börse geschlossen werden, erweitern.

2 Voraussetzung ist hier, dass sich die Streitteile dem Börsenschiedsgericht in einem formgültigen (§ 583 Abs 1) Schiedsvertrag unterworfen haben. Eine solche Schiedsvereinbarung kann so lange geschlossen wer450

EGZPO

Art XIVa

den, als das Geschäft nicht zur Gänze abgewickelt ist (JBl 1974, 629). Wird der Schiedsvertrag durch einen Vertreter abgeschlossen, muss auch die Bevollmächtigung schriftlich erfolgen (SpR 250 = GlUNF 7287; Rsp 1928/379). Abs 1 Z 3 weicht insofern von den vergleichbaren Bestimmungen des 3 § 104 Abs 2 JN und § 581 Abs 1 ZPO ab, als sich der Schiedsvertrag nicht auf einen bestimmten Rechtsstreit oder die aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringenden Streitigkeiten beziehen muss; es genügt die Vereinbarung, dass allgemein alle Streitigkeiten aus den zwischen den Parteien – innerhalb eines bestimmten Zeitraumes (Fasching1 II 33) – abgewickelten Geschäften vor das Börsenschiedsgericht gehören. Für protokollierte Unternehmer, Mitglieder (s §§ 14 ff BörseG) und 4 Besucher (s § 20 BörseG) einer Börse (vgl aber zu Ausländern Abs 4) wird die Zuständigkeit des Börsenschiedsgerichts für die im Art XIV EGZPO genannten Warengeschäfte gem Abs 1 Z 3 schon durch die Annahme eines Schlussbriefs begründet (ein Kaufbrief begründet keine Zuständigkeit, weil er nur die Bestätigung einer mündlichen Bestellung bedeutet: SZ 7/128; dasselbe gilt von Bestätigungsschreiben über mündlich geschlossene Verträge; auch durch das Stillschweigen auf einen brieflichen Vorschlag, für Streitigkeiten die Zuständigkeit des Börsenschiedsgerichts zu vereinbaren, wird diese nicht begründet: SZ 12/248). Nach SZ 15/197 ist der Grundgedanke der Bestimmung auch auf das Vollmachtsverhältnis zu übertragen; Vertreter dieses Personenkreises bedürfen zur Annahme des Schlussbriefs keiner neuerlichen Vollmacht. Die Z 3 übernimmt hier vollinhaltlich die Bestimmungen des § 88 Abs 2 JN über den Fakturengerichtsstand (s Näheres dort). Das Börsenschiedsgericht ist daher unzuständig, wenn der Schlussbrief mit der Erklärung zurückgesendet wird, dass der Antrag wegen Abweichens im Punkte über die Zahlungsbedingungen überhaupt nicht angenommen wird (ZBl 1930/227). Durch das einverständliche Stornieren des Geschäftes wird die im Schlussbrief enthaltene Vereinbarung unwirksam (JBl 1912, 274). Art XIVa. (1) Das Börsenstatut kann weiters bestimmen, daß unter den im Art XIV Abs 1 Z 1 und 2 aufgestellten Voraussetzungen protokollierte Kaufleute [Unternehmer], Mitglieder oder Besucher einer Börse aus Geschäften, die zwischen ihnen an oder außerhalb der Börse durch Vermittlung einer zur Ausübung der Vermittlertätigkeit an dieser Börse von der Börseleitung legitimierten Personen 451

Art XV

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zustande kommen, dem Schiedsgerichte schon dann unterworfen werden, wenn beide Streitteile vom Vermittler unterfertigte Schlußbriefe erhalten haben, welche die Bestimmung enthalten, daß Rechtsstreitigkeiten aus dem Geschäfte vom Börsenschiedsgerichte zu entscheiden sind. Die Zuständigkeit des Schiedsgerichtes tritt jedoch nicht ein, wenn die Unterwerfung unter das Börsenschiedsgericht vor oder bei Erteilung des Auftrages an den Vermittler ausdrücklich ausgeschlossen wurde. (2) Die Zuständigkeit des Schiedsgerichtes erstreckt sich auch auf die Streitigkeiten zwischen den Parteien und dem Vermittler. (3) Das Börsenstatut kann festsetzen, daß die Vorschriften der vorhergehenden Absätze auf Ausländer auch dann Anwendung finden, wenn sie nicht protokollierte Kaufleute [Unternehmer] und nicht Mitglieder oder Besucher einer Börse sind. [Eingefügt durch 5. GEN; der Ausdruck „Kaufleute“ wird durch Art XV HaRÄG ab 1. 1. 2007 durch „Unternehmer“ ersetzt]

1 Die dritte dem Börsenstatut eingeräumte Erweiterungsmöglichkeit der Zuständigkeit des Börsenschiedsgerichts betrifft Streitigkeiten aus jenen Warengeschäften, die sowohl an der Börse als auch außerhalb zwischen den in Art XIV Abs 1 Z 1 EGZPO genannten Personen durch Vermittlung eines Börsesensals zustande kommen.

2 Begründet wird die Zuständigkeit schon durch die Zustellung von vom Börsesensal (haben beim Geschäft zwei Vertreter mitgewirkt, müssen nicht beide den Schlussbrief unterschrieben haben: Rsp 1931/362) unterfertigten Schlussbriefen an beide Parteien, in denen die Zuständigkeit des Börsenschiedsgerichts festgelegt wird. Die Grundsätze des § 88 Abs 2 JN einschränkend, wird die Zuständigkeit nur dann nicht begründet, wenn die Unterwerfung vor oder bei Erteilung des Auftrages an den Vermittler ausdrücklich ausgeschlossen wurde.

3 Abs 2 entspricht Art XIIIa Abs 2; Abs 3 entspricht Art XIV Abs 4. Art XV. (1) Zur gültigen Zusammensetzung jedes Börsenschiedsgerichtes ist es erforderlich, daß demselben ein Sekretär zugezogen wird. Dieser Sekretär muß die Notariats-, die Rechtsanwalts- oder die Richteramtsprüfung erfolgreich abgelegt haben und seine Bestellung muß vom Bundesministerium für Finanzen im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Justiz, dem Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft und dem Bundesministerium für wirt452

EGZPO Art XVI schaftliche Angelegenheiten genehmigt worden sein. Dem Sekretär ist vom Börseunternehmen eine Vergütung zu leisten, die in einem angemessenen Verhältnis zu seiner Tätigkeit steht. Die Höhe der Vergütung bedarf der Genehmigung des Bundesministeriums für Finanzen im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Justiz, dem Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten. (2) Der Sekretär des Börsenschiedsgerichtes nimmt die Klagen entgegen, gibt den Parteien die nötige Anleitung, überwacht das Zustellungswesen, besorgt die notwendigen schriftlichen Aufzeichnungen während der Verhandlung, nimmt an den Beschlußfassungen des Schiedsgerichtes mit beratender Stimme teil und fertigt die Erkenntnisse des Schiedsgerichtes aus. [Abs 2 neu gefasst durch BGBl I 1998/11; sonst aktualisierte Stammfassung] Die Zuziehung des Sekretärs des Börsenschiedsgerichts ist Vorausset- 1 zung für die gültige Zusammensetzung dieses Gerichts. Ist sie unterlassen worden, kann das Erkenntnis des Börsenschiedsgerichts nach Art XXIII Abs 1 Z 7 mit Nichtigkeitsbeschwerde angefochten werden. Der Aufgabenkreis des Sekretärs, den Abs 2 festlegt, kann vom Börsen- 2 statut zwar erweitert, nicht aber eingeschränkt werden. Zur Zurückweisung von Klagen muss das Schiedsgericht zusammentreten (Fasching1 II 38). Art XVI. (1) Personen, welche nicht Mitglieder oder Besucher der Börse sind, haben das Recht, die Schiedsrichter, welche sie zu bezeichnen haben, aus einer Liste von Personen zu entnehmen, die der Börse nicht angehören. Diese Liste hat einen im Börsenstatute festzusetzenden Teil der Gesamtzahl der Schiedsrichter zu enthalten. (2) gegenstandslos (3) gegenstandslos (4) Die Liste ist im Lokale des Schiedsgerichtes anzuschlagen. (5) Das Börsenstatut hat für den Fall Bestimmungen zu treffen, als die Befugnis, aus dieser Liste Schiedsrichter zu wählen, nicht rechtzeitig ausgeübt wird, oder die gewählten Schiedsrichter zur Verhandlung nicht erscheinen. (6) Wenn das Schiedsgericht aus Mitgliedern oder Besuchern der Börse und aus Personen zusammengesetzt sein soll, die der Börse nicht angehören, und die Schiedsrichter sich über den Obmann nicht 453

Art XVII

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einigen können, so ist derselbe von dem Präsidenten des Schiedsrichterkollegiums nach der Reihenfolge der Streitfälle abwechselnd aus der Zahl der der Börse angehörenden Schiedsrichter oder aus den in die Liste aufgenommenen Schiedsrichtern zu ernennen. [Stammfassung]

1 Die Regelung der Aufnahme von Personen in die Schiedsrichterliste ist im Börsestatut enthalten. Abs 2 und 3, die die Benennung dieser Personen und die Listenanlegung enthielten, sind damit gegenstandslos geworden.

2 Art XVI EGZPO will in erster Linie eine gerechte Besetzung des Schiedsgerichts für den Fall sichern, dass eine der Streitparteien nicht Mitglied oder Besucher der Börse ist. Art XVII. Das Verfahren vor den Schiedsgerichten wird durch das Börsenstatut geregelt. Auf dasselbe haben die §§ 577 bis 618 ZPO keine Anwendung; jedoch sind die folgenden Vorschriften den Statuten zugrunde zu legen. [Fassung SchiedsRÄG 2006]

1 So wie das Schiedsverfahren in erster Linie durch den Schiedsvertrag bestimmt wird (vgl § 594 Abs 1), wird das Verfahren vor dem Börsenschiedsgericht in erster Linie durch das Börsenstatut geregelt. Die Bestimmungen der §§ 577 bis 618 über das Verfahren vor den Schiedsrichtern sind nicht anwendbar; den Statuten sind jedoch die (vielfach ähnlichen) Bestimmungen der Art XVIII bis XXV EGZPO zugrunde zu legen. Art XVIII. Das Börsenstatut hat Bestimmungen über die Zustellungen zu enthalten, welche geeignet sind, die verläßliche Besorgung derselben zu gewährleisten. Ebenso hat das Statut die Gründe festzustellen, aus denen ein Mitglied des Schiedsgerichtes von den Parteien abgelehnt werden kann. Das Statut hat Vorschriften über die Aufnahme von Vergleichen zu enthalten. [Stammfassung]

1 Demnach hat das Statut zu regeln: a) die Zustellungen, b) die Ablehnung der Mitglieder des Schiedsgerichts und c) die Aufnahme von Vergleichen (s dazu auch Art XXI Abs 2 EGZPO). 454

EGZPO Art XXI Art XIX. (1) Die Verhandlungen des Schiedsgerichtes sind öffentlich. In Ansehung der Ausschließung der Öffentlichkeit gelten die Vorschriften der Zivilprozeßordnung (§§ 172 und 173). (2) Im Falle die Öffentlichkeit ausgeschlossen wird, hat jede der Parteien das im § 174 ZPO bestimmte Recht. (3) Dem Obmanne des Schiedsgerichtes steht die Sitzungspolizei im Umfange der §§ 197 und 198 ZPO zu. [Stammfassung] Aus der ZPO wird der Grundsatz der Öffentlichkeit samt den Bestim- 1 mungen der §§ 172, 173, 174 Abs 1 übernommen. Der Ausschluss der Öffentlichkeit kann mit Nichtigkeitsbeschwerde gem Art XXIII Abs 1 Z 8 EGZPO geltend gemacht werden. Dem Obmann des Schiedsgerichts kommt zwar die Sitzungspolizei iS der §§ 197, 198 zu, nicht aber Disziplinar- oder Strafgewalt. Art XX. Die Parteien sind berechtigt, sich bei der Verhandlung vertreten zu lassen. Als Parteienvertreter sind vor dem Schiedsgerichte die in die Liste auf Grund des Art XVI aufgenommenen Personen, Rechtsanwälte, öffentliche Gesellschafter, Prokuristen und sonstige Angestellte der Parteien, ferner Mitglieder oder Besucher der Börse und gerichtlich bestellte Kuratoren oder Abhandlungspfleger zuzulassen. [Stammfassung] Vor dem Börsenschiedsgericht besteht kein Anwaltszwang; Art XX 1 EGZPO nennt den ziemlich großen Personenkreis, der als Vertreter in Frage kommt; von diesem können aber nur Rechtsanwälte, Mitglieder oder Besucher der Börse und die anderen in die Schiedsrichterliste gem Art XVI EGZPO aufgenommenen Personen jede Partei vertreten; alle anderen naturgemäß nur ihre Gesellschaft, ihr Unternehmen, ihren Dienstgeber, ihren Kuranden oder den von ihnen vertretenen Nachlass (Fasching1 II 42). Die Finanzprokuratur ist zur Vetretung der in § 2 ProkG aufgezählten Rechtsträger befugt. Art XXI. (1) Der Obmann des Schiedsgerichtes und der Sekretär haben für die richtige Ausfertigung des Erkenntnisses Sorge zu tragen. Die Ausfertigung hat die Namen sämtlicher Schiedsrichter auszuweisen, welche an der Verhandlung teilgenommen haben. Dieselbe ist vom Obmanne und dem Sekretär zu unterzeichnen. (2) Die vor dem Schiedsgericht abgeschlossenen Vergleiche sind nur gültig, wenn sie von beiden Parteien unterschrieben sind. 455

Art XXII

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(3) Auf Verlangen einer Partei ist der Eintritt der Rechtskraft und Vollstreckbarkeit vom Sekretär auf einer Ausfertigung des Erkenntnisses oder des Vergleichs schriftlich zu bestätigen. [Stammfassung] Lit: Fasching Rz 2246.

1 Abweichend vom § 606 Abs 1 sind die Ausfertigungen des Erkenntnisses des Börsenschiedsgerichts (nur) vom Obmann und vom Sekretär zu unterschreiben, haben aber die Namen sämtlicher an der Verhandlung teilnehmender Schiedsrichter auszuweisen.

2 Schiedsvergleiche werden ausdrücklich geregelt: Sie sind von beiden Parteien zu unterschreiben.

3 Abs 3 entspricht § 606 Abs 6, jedoch ist der Eintritt der Rechtskraft und Vollstreckbarkeit nicht vom Obmann, sondern vom Sekretär zu bestätigen. Art XXII. (1) Das Schiedsgericht kann Parteien, Zeugen und Sachverständige, auch unter Eid, vernehmen. Auf die eidliche Vernehmung finden die Vorschriften der Zivilprozeßordnung Anwendung. Ist eine Partei, ein Zeuge oder ein Sachverständiger nicht bereit, sich vor dem Schiedsgerichte vernehmen oder beeidigen zu lassen, so ist das Bezirksgericht, in dessen Sprengel die zu vernehmende oder zu beeidigende Person wohnt oder sich aufhält, um die Vornahme zu ersuchen. Das ersuchte Gericht hat dem Sekretär des Schiedsgerichtes auf dessen Verlangen Gelegenheit zu geben, der Beweisaufnahme beizuwohnen und Fragen zu stellen. (2) Ein solches Ansuchen kann auch gestellt werden, wenn die Beweisaufnahme außerhalb des Ortes stattfinden soll, wo das Schiedsgericht seinen Sitz hat. [Abs 1 idF 5. GEN (letzter Satz angefügt durch ZVN 1983); Abs 2 Stammfassung]

1 Anders als ein Gelegenheitsschiedsgericht kann das Börsenschiedsgericht Zeugen, Parteien und Sachverständige auch unter Eid vernehmen, aber ebensowenig wie dieses Erscheinen, Aussage oder Eid erzwingen. Bei Weigerung dieser Personen muß es daher das ordentliche Gericht um Rechtshilfe ersuchen (vgl dazu § 602). Einer Beweisaufnahme im Rechtshilfeweg ist der Sekretär des Börsenschiedsgerichts auf sein Verlangen beizuziehen. 456

EGZPO

Art XXIII

Art XXIII. (1) Ein Erkenntnis des Börsenschiedsgerichtes kann mittels Nichtigkeitsbeschwerde angefochten werden: 1. wenn der Schiedsvertrag ungültig ist; ein Schiedsvertrag ist insbesondere ungültig, wenn der Beschwerdeführer denselben mit Rücksicht auf die von Mitgliedern eines Unternehmerverbandes (Kartell) getroffene Verabredung eingegangen ist, wonach für seine gewerbliche Produktion erforderliche Stoffe, Werkzeuge und sonstige Hilfsmittel im inländischen Verkehre nur unter der Bedingung veräußert werden sollen, daß sich der Käufer in Ansehung der aus dem Geschäfte entspringenden Streitigkeiten einem Börsenschiedsgerichte unterwerfe; auf die Geltendmachung dieser Ungültigkeit kann vor Beginn der schiedsgerichtlichen Verhandlung nicht wirksam verzichtet werden; 2. wenn das Schiedsgericht sich mit Unrecht für zuständig oder für unzuständig erklärte; 3. wenn das Schiedsgericht die Klage nicht nach Vorschrift des Art XIV vorletzter Absatz zurückgewiesen hat; 4. wenn die Zustellung der Klage nicht statutenmäßig erfolgt ist oder einer Partei die Möglichkeit, vor Gericht zu verhandeln, durch statutenwidrigen Vorgang entzogen wurde; 5. wenn eine Person verhandelt hat, welche hiezu gesetzlich nicht befähigt oder nicht berechtigt war; 6. wenn ein auf Grund der Statuten abgelehnter Richter an der Verhandlung teilgenommen hat; 7. wenn das Schiedsgericht nicht ordnungsmäßig zusammengesetzt war; 8. wenn die Öffentlichkeit in ungerechtfertigter Weise ausgeschlossen wurde. (2) Die Nichtigkeitsbeschwerde ist beim Gerichtshof erster Instanz (Handelsgericht), in dessen Sprengel das Schiedsgericht seinen Sitz hat, binnen vierzehn Tagen nach Zustellung des schiedsgerichtlichen Erkenntnisses einzubringen. Der Gerichtshof entscheidet nach Anhörung der Parteien und erforderlichenfalls des Obmannes und Sekretärs des Schiedsgerichtes durch Beschluß. (3) Durch die Einbringung der Nichtigkeitsbeschwerde gegen den Schiedsspruch wird die Exekution desselben nicht gehemmt. Wenn jedoch die obsiegende Partei durch den Vollzug einer Exekutionshandlung oder in anderer Weise sichergestellt ist, oder wenn, soweit im Schiedsspruche eine Geldleistung auferlegt wurde, der fragliche Geldbetrag gerichtlich erlegt wird, ist die Exekution auf Antrag bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Nichtigkeitsbeschwerde aufzuschieben. [Stammfassung] 457

Art XXIII

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Lit: Fasching Rz 2247.

1 Gegen die Erkenntnisse des Börsenschiedsgerichts gibt es kein Rechtsmittel, da das Gesetz eine Oberinstanz nicht vorsieht.

2 Der Nichtigkeitsbeschwerde, die binnen 14 Tagen nach Zustellung des schiedsrichterlichen Erkenntnisses beim Handelsgericht, in dessen Sprengel das Schiedsgericht seinen Sitz hat, eingebracht werden kann, kommt aber insofern Rechtsmittelfunktion zu, als mit ihr außer der Ungültigkeit des Schiedsvertrages vor allem solche prozessuale Mängel geltend gemacht werden können, die den Nichtigkeitsgründen des § 477 entsprechen. Aufgrund ihrer Rechtsmittelfunktion kann die Nichtigkeitsbeschwerde nicht nachträglich durch Anführung weiterer Anfechtungsgründe ergänzt werden (SZ 31/12).

3 Ungültig ist der Schiedsvertrag insb dann, wenn er in einem Kartellvertrag enthalten ist. Ungültig ist zB auch ein Schiedsvertrag, der von einem Pflegebefohlenen ohne pflegschaftsbehördliche Genehmigung eingegangen wird (SZ 24/72).

4 Das Börsenschiedsgericht muss auch für die compensando eingewendete Gegenforderung des Beklagten zuständig sein, um über eine solche Einwendung entscheiden zu können (Schiedsgericht der Börse für landw Produkte in Wien; JBl 1957, 80).

5 Hat ein nur zur Kollektivvertretung befugter Geschäftsführer einer GmbH allein verhandelt, ist das Erkenntnis nichtig (EvBl 1965/263, HS 5557). Obwohl nur bei der Z 1 bestimmt wird, dass vor Beginn der schiedsgerichtlichen Verhandlung auf die Geltendmachung des Mangels nicht wirksam verzichtet werden kann, muss dies grundsätzlich für alle Nichtigkeitsgründe gelten. Eine Ausnahme macht nur der Besetzungsmangel, der auch im Zivilprozess (vgl § 260 Abs 4) und im Verfahren vor den Gelegenheitsschiedsgerichten (vgl § 611 Rz 7) durch Einlassung geheilt werden kann. Wenn daher eine Partei vor den Schiedsrichtern verhandelt, obwohl anstelle der von ihr namhaft gemachten und ausgebliebenen Schiedsrichter vom Präsidenten Ersatzschiedsrichter bestellt worden sind, ist das Erkenntnis nicht nichtig (ZBl 1925/121).

6 Das ordentliche Gericht ist befugt, aufgrund der Nichtigkeitsbeschwerde Beweise aufzunehmen oder zumindest Erhebungen zu pflegen (OLG Wien ZBl 1932/91 [zust Petschek]). Es entscheidet nach Anhörung der Parteien (und erforderlichenfalls des Obmannes und des Se458

EGZPO

Art XXV

kretärs des Schiedsgerichts) durch Beschluss. Dieser ist mit Rekurs nach §§ 514 ff anfechtbar (ZBl 1925/121); die Rekursfrist beträgt daher 14 Tage, das Rekursverfahren ist einseitig (EvBl 1987/3). Der Revisionsrekurs richtet sich nach §§ 526 ff. Über die Kosten der Nichtigkeitsbeschwerde ist gem § 51 zu entscheiden (OLG Wien EvBl 1937/171). Die Nichtigkeitsbeschwerde hat keine aufschiebende Wirkung; bei entsprechender Sicherstellung der obsiegenden Partei ist jedoch die Exekution auf Antrag aufzuschieben (s Art XXX EGEO, §§ 43, 44 EO). Art XXIV. Hat sich das Schiedsgericht rechtskräftig für unzuständig erklärt, oder die Klage auf Grund des Art XIV vorletzter Absatz rechtskräftig zurückgewiesen, so kann das ordentliche Gericht die Verhandlung und Entscheidung dieser Rechtssache nicht ablehnen. [Stammfassung] Die ordentlichen Gerichte sind an rechtskräftige Entscheidungen der 1 Börsenschiedsgerichte, in denen sich diese für unzuständig erklären oder die Klage gem Art XIV Abs 3 zurückweisen, gebunden. Diese Bindung entspricht jener des § 46 Abs 1 JN. Art XXV. (1) Wenn der Schiedsspruch mit den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung unvereinbar ist oder gegen zwingende Rechtsvorschriften verstößt, deren Anwendung auch bei einem Sachverhalt mit Auslandsberührung nach § 35 IPR-Gesetz durch eine Rechtswahl der Parteien nicht abbedungen werden kann, ferner wenn das Schiedsgericht in Streitigkeiten, die nicht aus Börsengeschäften (§ 27 des Gesetzes vom 8. 11. 1989 BGBl Nr 555) herrühren, über die Einwendung, daß dem eingeklagten Anspruch ein als Spiel oder Wette zu beurteilendes Differenzgeschäft zugrunde liege, überhaupt nicht oder unrichtig entschieden hat, kann das schiedsrichterliche Erkenntnis mittels Klage vor dem ordentlichen Gericht als unwirksam angefochten und das kraft des Erkenntnisses Geleistete zurückgefordert werden. (2) Diese Klage ist binnen dreißig Tagen nach Zustellung des schiedsgerichtlichen Erkenntnisses beim Gerichtshof erster Instanz (Handelsgericht), in dessen Sprengel das Schiedsgericht seinen Sitz hat, zu erheben. Durch die Erhebung derselben wird die Exekution des schiedsgerichtlichen Erkenntnisses nicht gehemmt, jedoch findet die Bestimmung des Art XXII Abs 3 auch hier Anwendung. [Abs 1 idF ZVN 1983 (aktualisiert); Abs 2 Stammfassung] 459

Art XXV

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1 Die Unwirksamkeitsklage entspricht in ihrer Funktion vollkommen der Aufhebungsklage gegen Schiedssprüche gem § 611: Auch ein Erkenntnis des Börsenschiedsgerichts soll wegen besonders unerträglicher materiellrechtlicher (vgl SZ 33/87) Mängel angefochten werden können. Diese Mängel sind jedoch auf zwei eingeschränkt: a) den Verstoß gegen Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung oder zwingende Rechtsvorschriften, deren Anwendung auch bei einem Sachverhalt mit Auslandsberührung (die Anwendung dieser Bestimmung ist jedoch nicht auf Rechtssachen mit Auslandsbezug beschränkt; vgl dazu SZ 68/ 154 = EvBl 1996, 42 = ÖBA 1996, 544 = RdW 1996, 362) nicht abbedungen werden kann (entspricht § 595 Abs 1 Z 6 aF, während § 611 Abs 1 Z 8 den Verstoß gegen zwingende Rechtsvorschriften nicht mehr enthält; vgl aber § 617 Abs 6 Z 1, § 618), und b) bei Streitigkeiten, die nicht aus Börsegeschäften nach § 27 BörseG herrühren, denen die unrichtige Entscheidung über den Einwand, dass dem Anspruch ein als Spiel oder Wette zu beurteilendes Differenzgeschäft zugrunde liegt (was gem § 28 BörseG bei Börsegeschäften sowie bei Optionen und Finanzterminkontrakten unstatthaft ist).

2 Mit der Unwirksamkeitsklage kann gleichzeitig das kraft des Erkenntnisses Geleistete zurückgefordert werden (Abs 1 aE, vgl auch SZ 33/ 87).

3 Der Einwand des Differenzgeschäfts kann Schiedssprüchen aller Art (also auch ausländischen) entgegengehalten werden (SZ 56/77 = EvBl 1983/142). Art XXIX EGEO eröffnet bei einem ausländischen Schiedsspruch noch im Exekutionsverfahren die Prüfung, ob über die Einwendungen, dem Anspruch liege ein Differenzgeschäft zugrunde, nicht oder unrichtig entschieden wurde (EvBl 1983/84 = ZfRV 1983, 206 [zust Hoyer]) – sofern man nicht davon ausgeht, dass dem Art XXIX EGEO durch das New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (BGBl 1961/200) in dessen Anwendungsbereich derogiert wird (vgl dazu Neuteufel, ÖJZ 1984, 320). Diesfalls könnte ein Differenzeinwand bei ausländischen Schiedssprüchen nur als ordre public-Widrigkeit im Rahmen des Art V Abs 2 lit b des Übereinkommens und nur im Vollstreckbarerklärungsverfahren geltend gemacht werden.

4 Die Klage muss binnen dreißig Tagen nach Zustellung des Erkenntnisses beim Handelsgericht eingebracht werden; im Übrigen gelten für den aufgrund dieser Klage eingeleiteten Prozess die Vorschriften der ZPO. 460

EGZPO

Art XXIX

Art XXVI. (1) In allen Angelegenheiten, welche das Börseschiedsgericht betreffen, hat sich die Börseleitung an das Bundesministerium für Finanzen zu wenden, welches im Einvernehmen mit den Bundesministerien für Justiz und für wirtschaftliche Angelegenheiten und nach Lage der Sache auch im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft entscheidet. (2) Das Bundesministerium für Justiz kann jederzeit durch einen Delegierten von der Rechtsprechung des Schiedsgerichtes Kenntnis nehmen, die Akten einsehen und sich vom ordnungsmäßigen Gang der Geschäfte überzeugen. Zu diesem Zwecke ist in das Statut auch die Bestimmung aufzunehmen, daß die Börsenschiedsgerichte dem Bundesministerium für Justiz alljährlich genaue statistische Ausweise über ihre Geschäftstätigkeit vorzulegen haben. (3) Durch vorstehende Bestimmungen werden im übrigen die gesetzlichen Vorschriften über die staatliche Börsenaufsicht nicht berührt. [Aktualisierte Stammfassung] Diese Bestimmungen regeln das staatliche Aufsichtsrecht in den Ange- 1 legenheiten der Börsenschiedsgerichte. Aufsichtsbehörde ist das BM für Finanzen, das im Einvernehmen mit dem BM für Justiz und dem BM für wirtschaftliche Angelegenheiten bzw dem BM für Land- und Forstwirtschaft entscheidet. Die staatliche Börsenaufsicht, soweit sie nicht die Börsenschiedsgerichte betrifft, ist in den §§ 45, 46 BörseG geregelt. Art XXVII. Art XIII und Art XV Abs 1 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 11/1998 treten am Tag nach der Auflösung der Wiener Börsekammer in Kraft. [BGBl I 1998/11] Gemäß § 3 Abs 1 BörsefondsüberleitungsG (BGBl I 1998/11) gilt die 1 Börsekammer mit dem Zeitpunkt der Rechtskraft der Konzessionserteilung an die Wiener Börse AG durch das BM für Finanzen im Einvernehmen mit dem BM für wirtschaftliche Angelegenheiten gem § 2 Abs 2 und § 49 BörseG als aufgelöst; dies trat am 3.4.1998 ein (s ABl der WrZ vom 8.4.1998). Art XXVIII. Aufgehoben durch ZVN 1983 Art XXIX. (1) Als Inland im Sinne der Zivilprozeßordnung gilt das Gebiet der Republik Österreich. Personen, welche in diesem Ge461

Art XXX

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biete das Staatsbürgerrecht nicht genießen, sind in bezug auf die Vorschriften der Zivilprozeßordnung als Ausländer anzusehen. (2) Gegenstandslos seit Auflösung der österr-ungar Monarchie. [Abs 1 aktualisierte Stammfassung]

1 Konventionsflüchtlinge sind den Inländern gleichgestellt (s Art X EGJN Rz 1). Art XXX. Insoferne sich die Zivilprozeßordnung auf die Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes beruft, sind darunter nicht nur die Vorschriften des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches, sondern auch jene des Handelsrechtes und des Wechselgesetzes und die in anderen Gesetzen enthaltenen Normen des Privatrechtes zu verstehen. [Stammfassung] Lit: Konecny in Fasching/Konecny II/1 Art XXX EGZPO.

1 Bürgerliches Recht iSd ZPO ist also das gesamte materielle Zivilrecht, also einschließlich Unternehmensrecht, Konsumentenschutzrecht, Arbeitsrecht und IPR; die ZPO nimmt auf dieses zB in §§ 21 Abs 1, 24 Abs 2, 33 Abs 2, 304 Abs 1 Z 2 Bedacht. Art XXXI. Gegenstandslos seit III. TN; betraf Einstandspflicht im Gewährleistungsprozess. Art XXXII. Die Bestimmungen der Zivilprozeßordnung über Rechtsanwälte und deren Stellvertreter sind sinngemäß auch auf die Finanzprokuratur anzuwenden. [Stammfassung] Lit: Swoboda, Die Funktion der Finanzprokuratur der Republik Österreich und die österreichische Rechtsanwaltschaft, AnwBl 1987, 567; Kremser, Anwalt und Berater der Republik (1995); Kühne, Finanzprokuratur – „Anwalt und Berater der Republik“? ÖJZ 1998, 201. Konecny in Fasching/Konecny II/1 Art IV EGZPO, Art XXXII EGZPO; Fasching Rz 454.

1 Die Finanzprokuratur ist eine (zur Finanz ressortierende) Behörde der Republik Österreich, die zur Vertretung der Republik Österreich (ihrer Anstalten, Unternehmungen und Betriebe usw) berufen ist (also 462

EGZPO

Art XXXVI

nicht zur Vertretung der Länder, Gemeinden usw; Näheres in § 2 ProkG [Klauser/Kodek 298]). Sie bedarf zu ihrem Einschreiten keiner Vollmacht, ihre mit Amtslegitimation versehenen Funktionäre dürfen auch in Prozessen mit Anwaltspflicht einschreiten (§ 4 ProkG); in Parteiprozessen kann Organen anderer Dienststellen „substituiert“ werden. In jedem Fall gebühren der Prokuratur Kosten gleich einem Rechtsanwalt (§ 5 Abs 1 ProkG). Klagen gegen die Personen, die von der Finanzprokuratur vertreten werden, sind gleich an diese zuzustellen (SZ 25/262). Die Gleichstellung der Finanzprokuratur mit den Rechtsanwälten be- 2 trifft die Art XX (Vertretung vor den Börsenschiedsgerichten), §§ 83, 112, 113 (Mitteilung von Urkunden bzw Schriftsätzen), 200 (Sitzungspolizei gegen Bevollmächtigte), 212 Abs 3 (Niederschrift der Protokollsrüge), 440 (Schriftsatzwechsel vor BG) ZPO. Art XXXIII. Aufgehoben durch ZVN 1983. Art XXXIV. Aufgehoben durch Vollzugs- und WegegebührenG 1975. Art XXXV. Für den Verkehr der Gerichte mit den im Auslande befindlichen Behörden und Parteien sind die in den bestehenden und in Hinkunft zu erlassenden Anordnungen (Staatsverträge, Regierungserklärungen, Ministerialverordnungen) enthaltenen näheren Bestimmungen maßgebend. [Stammfassung] Zum internationalen Rechtsverkehr in Zivilsachen s insb Duchek/ 1 Schütz/Tarko, Zwischenstaatlicher Rechtsverkehr in Zivilrechtssachen2 (1998); Burgstaller/Neumayr, Internationales Zivilverfahren I (2000) II; Bajons in Fasching/Konecny II/1 Art XXXV EGZPO. Art XXXVI. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die verhandlungsfreie Zeit finden keine Anwendung auf die Angelegenheiten des strafgerichtlichen und des außerstreitigen Verfahrens. Das Gericht kann jedoch während der verhandlungsfreien Zeit in Angelegenheiten des außerstreitigen Verfahrens, mit Ausnahme von Grundbuchsachen, Entscheidungen oder Verfügungen unterlassen, soweit eine schleunige Erledigung nicht erforderlich ist. [Fassung 5. GEN, IRÄG 1982, ZVN 2002] 463

Art XXXVII

Fucik/Rechberger

1 Vgl § 7 Abs 2 AußStrG 1854, § 39 Abs 4 ASGG; Näheres bei § 225 ZPO. Vgl auch EFSlg 79.135; 85.205; MietSlg 47.632/35.

2 § 23 Abs 1 AußStrG enthält einen Verweisungsausschluss: Die Bestimmungen der ZPO über die Fristen, „ausgenommen diejenigen über die Unterbrechung durch die verhandlungsfreie Zeit“, sind sinngemäß anzuwenden. Art XXXVII. Die dem Besitzer einer unbeweglichen Sache oder eines dinglichen Rechtes gemäß §§ 340 bis 342 ABGB zustehende Berechtigung, das Verbot einer beabsichtigten Bauführung vor Gericht zu fordern, hat nicht mehr statt, wenn der Bauführer nach Inhalt der für die Bauführungen geltenden Vorschriften das Begehren um Erteilung der Baubewilligung gestellt hat, der angeblich gefährdete, zur Baukommission gehörig und rechtzeitig geladene Besitzer jedoch bei derselben nicht erschienen ist oder gegen die begehrte Baubewilligung keine Einwendungen erhoben hat. [Stammfassung]

1 Die Beschränkung der Präklusion auf am Bauverfahren Beteiligte ist ein Argument dafür, die Bindung an Verwaltungsbescheide allgemein nur inter partes wirken zu lassen (vgl Rz 5 zu § 190 ZPO).

2 Details bei Kodek, Besitzstörung (2000) 664 ff und Konecny in Fasching/ Konecny II/1 Art XXXVII EGZPO. Art XXXVIII. Aufgehoben durch OrgHG. Art XXXIX. Aufgehoben durch GBG. Art XL. Wenn nach den Vorschriften der Zivilprozeßordnung ein Eid abzulegen ist, so sind bei der Vornahme der Beeidigung die Bestimmungen des Gesetzes vom 3. Mai 1868, RGBl 33, zu beachten. [Stammfassung] Lit: Gampl/Potz/Schinkele, Staatskirchenrecht II 89. Konecny in Fasching/Konecny II/1 Art XL EGZPO. Inhaltsübersicht Eidesfälle Eidesvorschriften

1 2 464

Eidesformeln Verfahrensrechtliches

3 4

EGZPO

Art XLI

Eidesfälle: a) Paupertätseid (§ 60 ZPO), b) vereinbarter Eid vor der 1 ZVN 2002 (§ 205 ZPO), c) Eid des Stenographen (§ 280 ZPO) und Schriftführers (Anh V Z 9 Geo), Angelobung des Rechtspraktikanten (§ 4 RPG), d) Zeugeneid (§ 337 ZPO), e) Sachverständigen- (§ 358 ZPO, § 5 SDG) und Dolmetschereid (§ 84 Geo, § 14 SDG), f) Parteieneid (§§ 377 bis 380, 273, 307, 481), g) Manifestationseid (Art XLII), h) Eid der fachmännischen (§ 21 GOG) bzw Gelöbnis der fachkundigen (§ 29 ASGG) Laienrichter. Eidesvorschriften: Gesetz 3.5.1868 RGBl 33 (allgemein, insb Personen 2 christlichen und mosaischen Bekenntnisses); HfD 10.1.1816 JGS 1201 (Personen, deren Religion Eidesablegung verbietet); 21.12.1832 JGS 2582 (Personen helvetischen Bekenntnisses); 26.8.1826 JGS 2217 (Muslime); 28.9.1842 JGS 644 (Stumme); JME 23.9.1850 Z 12.926 (Taubstumme) – Texte bei Klauser/Kodek 319. Die wichtigsten Eidesformeln: „Ich schwöre bei Gott dem Allmächti- 3 gen und Allwissenden einen reinen Eid, dass a) (Zeuge) ich über alles, worüber ich vom Gerichte befragt worden bin (werde befragt werden), die reine und volle Wahrheit und nichts als die Wahrheit ausgesagt habe (aussagen werde); b) (Sachverständiger) ich den Befund und mein Gutachten nach bestem Wissen und Gewissen und nach den Regeln der Wissenschaft (der Kunst, des Gewerbes) abgeben werde; c) (Partei: variabler Text); (alle) so wahr mir Gott helfe!“ Wenn ein Eid abzulegen ist, hat das Gericht die anzuwendende Vor- 4 schrift von Amts wegen zu ermitteln. Die Verwendung einer falschen Eidesformel kann einen erheblichen Verfahrensmangel begründen (6 Ob 195/99s = EvBl 2000/91). Art XLI. Vormünder und Kuratoren können in den Prozessen ihrer Mündel und Pflegebefohlenen die Beweisführung durch Vernehmung der Parteien beantragen, ohne hiezu der Einwilligung des vormundschaftlichen oder Kuratelsgerichtes zu bedürfen. [Stammfassung] Die Bestimmung ist nur historisch (Abgrenzung von der AGO) erklär- 1 bar (Näheres bei Fasching1 II 87; Konecny in Fasching/Konecny II/1 XLI EGZPO). 465

Art XLII

Fucik/Rechberger

Art XLII. (1) Wer nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes ein Vermögen oder Schulden anzugeben verpflichtet ist, oder wer von der Verschweigung oder Verheimlichung eines Vermögens vermutlich Kenntnis hat, kann mittels Urteiles dazu verhalten werden, allenfalls unter Vorlage eines Verzeichnisses des Vermögens oder der Schulden anzugeben, was ihm von diesem Vermögen, von den Schulden oder von der Verschweigung oder Verheimlichung des Vermögens bekannt ist, und einen Eid dahin zu leisten, daß seine Angaben richtig und vollständig sind. (2) Zur Klage ist befugt, wer ein privatrechtliches Interesse an der Ermittlung des Vermögens oder des Schuldenstandes hat. (3) Wenn mit der Klage auf eidliche Angabe des Vermögens die Klage auf Herausgabe desjenigen verbunden wird, was der Beklagte aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnisse schuldet, so kann die bestimmte Angabe der Leistungen, welche der Kläger beansprucht, vorbehalten werden, bis die eidliche Angabe über das Vermögen gemacht hat. [Stammfassung] Lit: Hagen, Probleme der Stufenklage, ÖJZ 1971, 511; Dittrich, Zum Rechnungslegungsanspruch des Arbeitnehmers nach dem Urheberrechtsgesetz, FS Strasser (1983) 139; Auer, Stufenklage im Anfechtungsprozeß? AnwBl 1986, 120; Feil, Die Stufenklage im Wirtschaftsrecht, GesRZ 1986, 138; Klicka, Bestimmtheit des Begehrens bei Leistungsklagen (1989) 20; ders, ZAS 1993, 183 (Entscheidungsanm). Konecny in Fasching/Konecny II/1 Art XLII; Ballon 187; Fasching Rz 1046; Holzhammer 182; Rechberger/Simotta Rz 391. Inhaltsübersicht Allgemeines Zivilrechtliche Verpflichtung auf Angabe des Vermögens Zivilrechtlicher Anspruch auf Angabe des Vermögens

1 2 3

Stufenklage 4 Anwendung auf periodenbezogene Abrechnung? 5 Erzwingung der Vermögensangabe oder Rechnungslegung 6

1 Abs 1 regelt zwei Fälle: Danach kann a) derjenige, der nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts dazu verpflichtet ist, ein Vermögen anzugeben, durch Urteil dazu und zur Beeidigung dieser Vermögensangabe verhalten werden (Rz 2); b) kann auch derjenige, der von der Verschweigung oder Verheimlichung eines Vermögens vermutlich Kenntnis hat, mittels Urteils dazu verhalten werden, anzugeben, was ihm von diesem Vermögen oder von dessen Verschweigung oder Ver466

EGZPO

Art XLII

heimlichung bekannt ist (Rz 3). In beiden Fällen ist nach Abs 2 nur zur Klage befugt, wer ein privatrechtliches Interesse an der Ermittlung des Vermögens hat; im ersten Fall des Abs 1 ergibt sich dieses privatrechtliche Interesse schon aus dem Bestehen eines bürgerlichrechtlichen Anspruchs auf Bekanntgabe des Vermögens, während im zweiten Fall das Vorliegen dieses privatrechtlichen Interesses jeweils zu prüfen ist (Rz 3; SZ 69/174, 260). Abs 3 regelt die sog Stufenklage (Rz 4); teilweise finden die Vorschriften des Art XLII über den Wortlaut dieser Bestimmung hinaus auch auf die Durchsetzung privatrechtlicher Rechnungslegungsansprüche Anwendung (Rz 5). Abs 1 Fall a schafft keinen eigenen Anspruch auf Angabe eines Ver- 2 mögens, sondern setzt vielmehr eine zivilrechtliche Verpflichtung des Beklagten hiezu voraus. Der Begriff „bürgerliches Recht“ ist hier in einem weiten Sinne zu verstehen (SZ 3/65); nicht in Frage kommen daher lediglich öffentlich-rechtliche Verpflichtungen zur Angabe eines Vermögens. Eine solche bürgerlichrechtliche Verpflichtung zur Angabe eines Vermögens kann sich aus Vertrag oder Gesetz (vgl zB § 87a UrhG) ergeben, wird aber auch ohne ausdrückliche Rechnungslegungspflicht anerkannt (4 Ob 237/02k = MR 2003, 111). Die bloße Existenz einer anderweitigen zivilrechtlichen Leistungspflicht, die ein Interesse an der Angabe des Vermögens des Verpflichteten begründet, wird jedoch meist nicht als hinreichend angesehen (für den Fall von Wettbewerbsverstößen: SZ 32/128 = JBl 1960, 193 = ÖBl 1960, 4; JBl 1960, 340 = ÖBl 1960, 14; für Unterhaltsverpflichtungen: SZ 30/54 = JBl 1958, 129 = EvBl 1958/10, für Zulässigkeit der Stufenklage hier aber 2 Ob 217/04g = EvBl 2005/66 = JBl 2005, 311; für den Fall der Verletzung von Vertragspflichten: MietSlg 35.741). Insb ist auch mangels einer eigenen bürgerlichrechtlichen Auskunftspflicht des Schadenstifters eine Rechnungslegungsklage zur Ermittlung der Schadenshöhe unbegründet (SZ 31/114 = EvBl 1958/388; EvBl 1960/364). Eine vertragliche Rechnungslegungspflicht kann ausdrücklich vereinbart, aber auch durch Auslegung des Vertrags ermittelt werden (wenn etwa vereinbart worden ist, dass die Höhe eines zu entrichtenden Preises von den Herstellkosten für den Kaufgegenstand abhängig sein soll: vgl MietSlg 30.671; MietSlg 32.628). Wenn nach EvBl 1959/163 der bloße Hinweis auf Treu und Glauben, die Grundsätze des redlichen Verkehrs und die kaufmännischen Gepflogenheiten die mangelnde vertragliche oder gesetzliche Grundlage eines geltend gemachten Rechnungslegungsanspruches nicht ersetzen können sollen, so erscheint dies aber zu apodiktisch, da die Vertragsauslegung nach Treu und Glauben im Einzelfall durchaus zur Annahme eines Anspruches auf Angabe eines Vermögens 467

Art XLII

Fucik/Rechberger

führen kann. Zutreffend ist indes, dass nicht schon aufgrund bloßer Beweisprobleme des (potentiellen) Klägers diesem ein zivilrechtlicher Anspruch auf Angabe eines Vermögens zuzuerkennen sein wird.

3 Im Unterschied zum ersten Fall normiert Abs 1 Fall b einen eigenen privatrechtlichen Anspruch auf Angabe eines Vermögens (6 Ob 206/ 02s = EFSlg 101.711). Voraussetzung dafür ist, dass der Beklagte von der Verschweigung oder Verheimlichung des anzugebenden Vermögens vermutlich Kenntnis hat. Dabei ist kein strenger Maßstab anzulegen: Schon der bloße Verdacht, dass der Beklagte von der Verschweigung oder Verheimlichung des Vermögens Kenntnis hat, reicht aus (SZ 24/ 114; SZ 69/260; 5 Ob 30/01z = NZ 2002, 150); aus dem Wort „vermutlich“ leitet die Rsp zutreffend ab, dass der Kläger die Kenntnis des Beklagten lediglich zu bescheinigen hat (JBl 1959, 161; Fasching1 II 95). Daneben ist zu prüfen, ob der Kläger ein „privatrechtliches Interesse“ an der Ermittlung des Vermögens hat; dabei wird vom Begriff des „rechtlichen Interesses“ (§§ 17 Abs 1, 219 Abs 2, 228, 384 Abs 2 ZPO) auszugehen sein. In der Form des Abs 1 Fall b wird Art XLII auch im (außerstreitigen) Aufteilungsverfahren grundsätzlich angewendet (SZ 69/174; 8 Ob 255/99d = SZ 73/45; 5 Ob 30/01z = SZ 74/164; nicht jedoch im Verlassenschaftsverfahren: 5 Ob 30/01z = NZ 2002/63). Durch die EO-Nov 1991 (BGBl 1991/628) wurde das frühere Offenbarungseidverfahren im Exekutionsrecht beseitigt und durch das (unbeeidete) Vermögensverzeichnis (§§ 47 ff, 253a EO) ersetzt. In diesem Zusammenhang ist fraglich, inwieweit diese Entscheidung des Gesetzgebers durch eine Klage gem Abs 1 wieder konterkariert werden kann; geht man davon aus, dass der betreibende Gläubiger jedenfalls ein „privatrechtliches Interesse“ an der Feststellung von Vermögen des Verpflichteten hat, könnte er im Falle der Verheimlichung oder Verschweigung dieses Vermögens gem Abs 1 auf Eidesleistung klagen. Im Hinblick auf die klare Entscheidung des Gesetzgebers zur Beseitigung des Offenbarungseidesverfahrens wird jedoch im bisherigen Anwendungsbereich dieses Instituts auch von einer Unzulässigkeit der Klage auf Eidesleistung gem Abs 1 auszugehen sein. Wünschenswert wäre hier freilich eine entsprechende Klarstellung durch den Gesetzgeber (vgl auch SZ 69/174; EFSlg 85.206).

4 Bei der Stufenklage handelt es sich um die Möglichkeit, eine Klage auf Leistung mit einer Klage gem Abs 1 zu verbinden, wobei die bestimmte Angabe der begehrten Leistung vorbehalten werden kann, bis die eidlichen Angabe über das Vermögen gemacht worden ist. Das Gesetz gestattet dabei eine Ausnahme vom Gebot der Bestimmtheit des Kla468

EGZPO

Art XLII

gebegehrens (Fasching Rz 1046; vgl auch SZ 69/253). Zunächst ist das Verfahren über die Klage gem Abs 1 (Manifestationsklage) durchzuführen und darüber mit Teilurteil zu entscheiden (OLG Wien MR 1985 H 3, A 14); erst dann ist das Klagebegehren ausreichend bestimmt zu gestalten, wobei allerdings das Vorliegen des Teilurteils nicht unbedingte Voraussetzung der Bezifferung des Leistungsbegehrens ist (EvBl 1976/170). Wird das Begehren der Manifestationsklage abgewiesen, so ist unter einem auch der (an sich gegen das Bestimmtheitsgebot verstoßende) Leistungsanspruch abzuweisen (SZ 48/114 = JBl 1976, 372 = EvBl 1977/42; JBl 1987, 601 = RdW 1987, 379 = Arb 10.613; SZ 70/195). Die Textierung des Abs 1 (Angabe eines „Vermögens“ oder von „Schul- 5 den“) hat die Frage entstehen lassen, ob sich diese Bestimmung auch auf periodenbezogene Abrechnungen, oder lediglich auf die Angabe von zeitpunktbezogenen Bestandsgrößen bezieht (vgl etwa Fasching1 II 98). Die Rsp geht davon aus, dass sich die Klage auf Eidesleistung immer nur auf einen statischen Vermögenszustand, nicht aber auf eine Vermögensentwicklung beziehen kann (JBl 1957, 25; SZ 46/68 = EvBl 1974/49; RdW 1986, 112). Völlig verfehlt erscheint in diesem Zusammenhang die Aussage, dass es bei der Rechnungslegung (dh also bei der Angabe von dynamischen Vermögensgrößen) Tatsachen zu beschwören gäbe, die sich der persönlichen Kenntnis des Schwörenden entziehen könnten; dabei wird übersehen, dass sich die Eidesleistung bei Unkenntnis des Verpflichteten – egal ob es sich um die Angabe eines statischen Zustandes eines Vermögens im engsten Sinne oder um eine Rechnungslegung handelt – immer nur darauf zu beziehen hat, dass der den Eid Leistende keine Kenntnis von bestimmten Umständen hat. Auch die Ableitung der Beschränkung auf bloß statische Größen aus dem Wortlaut des Abs 1 scheint sehr begriffsjuristisch; sowohl die Entwicklung des Wirtschaftslebens als auch jene des Rechnungslegungswesens seit Erlassung der EGZPO lassen eine solche statische Betrachtungsweise nicht mehr angebracht erscheinen. Der Anwendungsbereich des Art XLII EGZPO ist daher auch auf periodenbezogene Abrechnungen auszudehnen. Die Erzwingung der Vermögensangabe oder Rechnungslegung erfolgt 6 nach § 353 EO (Bucheinsicht durch Sachverständigen als Ersatzvornahme) oder nach § 354 EO; ebenso ist die Pflicht zur Eidesleistung gem § 354 EO zu erzwingen. Fraglich ist, welchen Bestimmungen die Eidesleistung zu folgen hat; eine Anwendung der Bestimmungen der §§ 47 ff EO (alt) über das Offenbarungseidesverfahren wurde schon vor Abschaffung dieses Instituts von der Rsp (s Art XL EGZPO) abgelehnt (LGZ Wien DREvBl 1939/651); die Durchführung einer Eidestagsatzung, zu der der Gegner zu laden wäre, wurde nicht als erforderlich 469

Art XLIII

Fucik/Rechberger

angesehen. Die bloße Ladung des zur Eidesleistung Verpflichteten ist deshalb ausreichend, weil der Eid nur vor dem Gericht und nicht etwa gegenüber dem Gegner abzugeben ist; die Durchführung der Eidesleistung richtet sich nach RGBl 1868/33 (vgl auch EFSlg 85.206). Art XLIII. Die Vorlage einer gemeinschaftlichen Urkunde (§ 304 ZPO) kann auch außerhalb eines anhängigen Rechtsstreites im Wege der Klage gefordert werden. [Stammfassung] Lit: Konecny in Fasching/Konecny II/1 Art XLIII.

1 § 304 Abs 1 normiert eine Vorlagepflicht für den Fall, dass der Gegner nach bürgerlichem Recht zur Vorlage der Urkunde verpflichtet ist; Z 3 ordnet eine solche Vorlagepflicht dann an, wenn die Urkunde ihrem Inhalt nach eine beiden Parteien gemeinschaftliche ist. Für letzteren Fall sieht Art XLIII EGZPO vor, dass die Urkundenvorlage auch außerhalb eines anhängigen Rechtsstreits im Wege der Klage gefordert werden kann. Da § 304 diesen Fall eindeutig von jenen Konstellationen unterscheidet, in denen die Urkundenvorlage schon aufgrund zivilrechtlicher Bestimmungen geschuldet ist, wird durch Art XLIII EGZPO ein eigener zivilrechtlicher Anspruch auf Urkundenvorlage im Falle der Gemeinschaftlichkeit der vorzulegenden Urkunde geschaffen (aA Fasching1 II 99). Zur Gemeinschaftlichkeit von Urkunden vgl § 304 Rz 3. Nach SZ 18/189 sind Krankengeschichten keine gemeinschaftlichen Urkunden des behandelnden Arztes/der Krankenanstalt und des Patienten, weshalb ein Anspruch auf Einsichtnahme in die Krankengeschichte nicht auf Art XLIII EGZPO gestützt werden könne (ebenso Fasching II 99). Dem ist entgegenzuhalten, dass zur Ermittlung der Gemeinschaftlichkeit einer Urkunde auf deren Inhalt abzustellen ist; es kommt also nicht darauf an, dass die Urkunde von beiden Parteien gemeinsam errichtet oder unterfertigt wurde (s § 304 Rz 3). Da sich eine Krankengeschichte ihrem Inhalt nach in höchstem Maße auf die Beziehung zwischen behandelndem Arzt bzw Krankenanstalt und Patient bezieht, ja geradezu eine Dokumentation dieser Beziehung enthält, ist sie aber als gemeinschaftliche Urkunde iS von § 304 anzusehen; daher kann auch ein Anspruch auf Einsichtnahme in die Krankengeschichte auf Art XLIII EGZPO gestützt werden. Ein Anspruch auf Ausfolgung von Urkunden hat in Art XLIII EGZPO keine Stütze (NZ 1968, 43). Die Rspr verlangt zudem ein rechtliches Interesse des Klägers an der Vorlage der Urkunde, das dieser 470

EGZPO

Art XLVI

im Falle der Bestreitung zu bescheinigen habe (SZ 23/363; MietSlg 24.546). Das Bestehen dieses rechtlichen Interesses ist nach den Umständen des Einzelfalles unter billiger Würdigung der beiderseitigen Interessen zu prüfen (JUS 1989 Z/11; wN in Klauser/Kodek 335). Art XLIV. Aufgehoben durch EVHGB 1938. Art XLV. Aufgehoben durch EG zum WG 1932, BGBl 1932/291. Art XLVI. Eine während des Prozesses oder erst nach dessen Beendigung eingetretene Ersitzung oder Verjährung eines Rechtes kann nicht zum Nachteil dessen geltend gemacht werden, dem nachträglich die Wiederaufnahme des über dieses Recht geführten Prozesses bewilligt wird. [Stammfassung] Diese Bestimmung ergänzt die materiellrechtlichen Verjährungsbestim- 1 mungen, insb § 1497 ABGB (vgl M. Bydlinski in Rummel § 1497 Rz 6 und 9). Ohne sie müsste im wiederaufgenommenen Verfahren (das mit Abweisung geendet hat) vom Verjährungseintritt ausgegangen werden. Gleiche Wirkung ist bei Nichtigkeitsklage und Wiedereinsetzung anzunehmen (Konecny in Fasching/Konecny Art XLVI EGZPO Rz 2). Art XLVII bis LIV. Übergangsbestimmungen. Siehe die Nachweise bei Fasching1 II 101. Art LV. Vollzugsklausel.

471

Zivilprozessordnung (ZPO) Gesetz vom 1. 8. 1895, RGBl 113, über das gerichtliche Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (Zivilprozessordnung – ZPO)

473

Erster Teil Allgemeine Bestimmungen Erster Abschnitt Parteien Vor § 1 Lit: Paschinger, Die Gesellschaften und Genossenschaften im Zivilprozeß (1979) 5; Schmelhaus, Zur Partei- und Insolvenzfähigkeit einer nicht registrierten offenen Handelsgesellschaft, RZ 1984, 26; Konecny, Zur Erweiterung der Verbesserungsvorschriften durch die ZivilverfahrensNovelle 1983, JBl 1984, 13, 61; Feil, Verbesserung der unrichtigen Parteienbezeichnung, Parteiwechsel, mangelnde Parteifähigkeit, GesRZ 1985, 12; Buchegger, Zur „Einstellung des Verfahrens“, BeitrZPR II (1986) 19; Rechberger, Mangel der Parteiexistenz, Mangel der Parteifähigkeit und mangelhafte Parteibezeichnung, FS Fasching (1988) 385; Ballon, Zur Parteifähigkeit von politischen Personenvereinigungen, JBl 1990, 2; Mahr, Rechtsprobleme bei Vollbeendigung einer Personenhandelsgesellschaft während des Rechtsstreites, GesRZ 1990, 148; Dellinger, Personenhandelsgesellschaft, Gläubigerschutz und Vollbeendigung während eines Passivprozesses, JBl 1991, 629; Holzhammer, Die Parteifähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, FS Strasser (1993) 127; Wünsch, Handelsrecht II4 (1993) 280; Jabornegg, in Schiemer/ Jabornegg/Strasser, AktG3 (1993) § 1 Rz 40 f, 49 f; Oberhammer, Richterliche Rechtsgestaltung und rechtliches Gehör (1994); Mahr, Die Vollbeendigung einer Personenhandelsgesellschaft während eines gegen sie anhängigen Rechtsstreites (Passivprozeß), GesRZ 1995, 170; Rechberger, Parteilehre, Streitgegenstand und der österreichische Oberste Gerichtshof, FS Henckel (1995) 679; Wolf, Aktivlegitimation im Kündigungsverfahren, immolex 1997, 331; Jabornegg in Jabornegg, HGB (1997) § 124 Rz 44 ff; Oberhammer, Die Offene Handelsgesellschaft im Zivilprozeß (1998); Oberhofer, Klagslegitimation der Wohnungseigentümergemeinschaft im Ausschließungsverfahren nach § 22 WEG? Immolex 1998, 187; Oberhammer, Amtslöschung einer GmbH im anhängigen Passivprozeß – Anmerkungen zur Entscheidung eines verstärkten Senats vom 22.10.1998, 8 ObA 2344/96f, JBl 1999, 268; Ziehensack, Rechtsfähigkeit und Vertretung der Universitätsinstitute, 474

Vor § 1

1.1 Parteien

ÖJZ 2000, 41; Fink, Vollbeendigung von Kapitalgesellschaften im Zivilprozess; FS Sprung (2001) 143 ff; Roth, Die Prozessstandschaft, ebd 165. Schubert in Fasching/Konecny II/1 Vor § 1; Fasching Rz 319; Holzhammer 69 und PraktZPR 114; Bajons Rz 43; Ballon Rz 99 ff; Rechberger/Simotta Rz 160 ff. Inhaltsübersicht Prozessrechtsverhältnis Formeller Parteibegriff Fehlerhafte Parteibezeichnung Prozessstandschaft

1 2 3 4

Parteifähigkeit Verstoß gegen das Zweiparteiensystem Parteiwechsel

5–6 7 8

Das für ein kontradiktorisches Verfahren charakteristische Rollendrei- 1 eck Antragsteller – Gericht – Antragsgegner (Fasching Rz 18) lässt sich als öffentlich-rechtliches Prozessrechtsverhältnis betrachten, das von Einlangen der Klage bei Gericht bis zu ihrer Zustellung an den Beklagten (a limine litis) zweiseitig, danach dreiseitig ist. Mehr oder weniger als zwei Parteienseiten sind ausgeschlossen (Zweiparteienverfahren; Schubert in Fasching/Konecny II/1 Vor § 1 Rz 12 ff). Aus dem Prozessrechtsverhältnis erfließen Rechte, Obliegenheiten und echte Pflichten der Parteien (Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht, § 178; Pflicht zu konzentrierter und sorgfältiger Prozessführung, §§ 146 ff, 179, 44, 48, 530 ua). Näheres Fasching (Rz 132 bis 137). Partei des ZP ist der, in dessen Namen (Kläger), und der, gegen den 2 (Beklagter) der Rechtsschutzantrag (die Klage) eingebracht wird (Formeller Parteibegriff; Fasching Rz 321, Rechberger/Simotta Rz 160; zum „streitgegenstandsbezogenen Parteibegriff“ s Oberhammer, Rechtsgestaltung 74 und OHG 199). Zur Mehrheit von Parteien s §§ 11 ff. Bestimmungsmerkmale sind in erster Linie die nach § 75 geforderten Angaben (Vor- und Zuname, Beruf, Adresse), darüber hinaus auch tunliche Zusätze (Geburtsdatum, Firmenbuch-Nr, „sen“ oder „jun“) und im Hinblick auf § 235 Abs 5 der gesamte Inhalt der Klageschrift, weil die Person, die unter Betrachtung dieses gesamten Inhalts objektiv zweifelsfrei gemeint war, – allenfalls unter Berichtigung der Parteibezeichnung – als Partei behandelt wird (Schubert in Fasching/Konecny, Vor § 1 Rz 17 ff; Fasching Rz 322 f; Rechberger/Simotta Rz 163; Feil, GesRZ 1985, 12; Rechberger, FS Fasching 385; Rsp bei § 235). Von der Frage, wer Partei ist, ist zu unterscheiden, ob diese auch richtig bezeichnet, ob sie parteifähig (s Rz 5), ob sie prozessfähig bzw ordnungsgemäß vertreten (s § 1, 6) ist und ob sie auch in materiellrechtlicher Hinsicht zu Recht klagt (Aktivlegitimation) oder geklagt 475

Vor § 1

Fucik

wird (Passivlegitimation). Diese Frage (Oberbegriff Sachlegitimation, Rechtszuständigkeit) ist nicht von Amts wegen, sondern nur über Einwendung zu prüfen (Rsp 1937/118 [zust Schima]; SZ 30/38; 42/105). Unter Prozesslegitimation wird eine nicht notwendig mit der materiellen Sachlegitimation zusammenfallende prozessuale Befugnis, in eigenem Namen als Kläger (oder Beklagter) aufzutreten, verstanden (Prozessstandschaft, s Rz 4 und Fasching Rz 345).

3 Fehlerhafte Parteibestimmung ist unterschiedlich zu behandeln: 1) Ist nur die Bezeichnung unzutreffend, greift § 235 Abs 5 (s dort); 2) ist einer vom Kläger gar nicht gewollten Person zugestellt worden, so wird sie, a) wenn die Identifizierungsmerkmale des § 75 auf sie gar nicht zutreffen, nicht Partei, Prozesshandlungen gegen sie sind unwirksam, sie kann auch ihre Unwirksamerklärung erwirken (Fasching Rz 325; Rechberger/Simotta Rz 167; Holzhammer, PraktZPR 124), b) wenn die Identifizierungsmerkmale des § 75 aber zutreffen und sich aus dem Klageinhalt auch sonst nicht interpretativ ergibt, dass sie nicht gemeint sein kann (zB gleichnamiger Altbauer im Ausnahmsstüberl bei Klage aus landwirtschaftlichem Geschäft; vgl auch die Diskussion zu wbl 1992, 262 = JAP 1992/93, 120 [krit Frauenberger]; RZ 1993/9), wird sie Partei (SZ 26/227; EvBl 1970/231; hat nach SZ 33/129 insb ein Antrags- und Rechtsmittelrecht zur Beendigung des Prozessrechtsverhältnisses; und müsste nach EvBl 1971/129 ein Versäumungsurteil gegen sich gelten lassen).

4 Prozessstandschaft bedeutet Klage ohne eigenen Anspruch und ist grundsätzlich nicht möglich (ZBl 1931/18; SZ 42/105; 47/3; JBl 1979, 491 ua). Der Zedent kann nach neuer Rsp (SZ 68/36; EvBl 1998/208) auch nicht bei stiller Zession oder Rückzession zum Inkasso oder als Treuhänder des Zessionars klagen (anders noch SZ 42/105, vgl RZ 1991/ 66), der Minderheitseigentümer mit Zustimmung der Mehrheit, SZ 23/ 108; aA 43/157). Gesetzliche Prozessstandschaften kommen vor, zB bei § 53 Abs 2 ASGG, § 234 (s dort), § 66 Abs 2 UrhG. Auch die Stellung des Masseverwalters, der Aktiv- oder Passivprozesse für die Konkursmasse führt, des Zwangsverwalters, des StA und der klagebefugten Verbände (§ 14 UWG, §§ 28 ff KSchG) lässt sich als Prozessstandschaft (aber auch anders) deuten (vgl Fasching Rz 338 ff; Rechberger/Simotta Rz 169 ff; zur actio pro socio Oberhammer, OHG 365, zu § 84 Abs 5 AktG Dellinger, FS Frotz 187; allgemein nun Roth, FS Sprung 165). Wenn überhaupt, lässt sich nur durch die Figur der Prozessstandschaft die Ansicht des OGH zu 6 Ob 275/03i = JBl 2005, 43 rechtfertigen, dass einem für ungeborene Nacherben bestellten Substitutionskurator in einem durch Klage der Erben eingeleiteten Prozess betreffend die Rech476

Vor § 1

1.1 Parteien

te dieser Ungeborenen aus der Nacherbschaft die Parteistellung als Beklagter zukommen soll. Dem Phänomen der Massenklagen (Sammelklage, Gruppenklage) ließe sich durch eine Prozessstandschaft beikommen (wenn diese Lösung auch nicht zu empfehlen wäre. Näheres bei § 11 Rz 7). Parteifähigkeit ist (anders als in § 50 dZPO) in der ZPO nicht beson- 5 ders geregelt. Parteifähig ist, wer rechtsfähig ist, also va 1) alle natürlichen Personen und 2) alle juristischen Personen (ausländische, wenn sie nach ihrem Personalstatut – §§ 10, 12 IPRG – rechtsfähig sind), zB AG, GmbH (von der Eintragung, bis zur Löschung und Vollbeendigung, solange sie noch Vermögen besitzt, NZ 1988, 82; EvBl 1991/125; MietSlg 47.573/34) und Gen, Verein (ab Aufnahme seiner Tätigkeit, SZ 11/9, auch nach Auflösung, SZ 21/160; ZIK 1996, 32). Grundlegend nun ein verstSenat JBl 1999, 126 = SZ 71/175: wird die beklagte Kapitalgesellschaft während des Prozesses gelöscht, so ist das Verfahren auf Begehren des Klägers fortzusetzen, sonst aber für nichtig zu erklären und die Klage zurückzuweisen (krit Oberhammer, JBl 1999, 268; seit 1 Ob 135/02k = SZ 2003/27 wird dem Kläger mangels Äußerung in angemessener Frist nach Bekanntgabe der Löschung ein Wille zur Fortsetzung des Prozesses unterstellt); Privatstiftung (PSG BGBl 1993/694) und Stiftung nach dem BStFG, Wohnungseigentümergemeinschaft (§ 13c Abs 1 WEG idF 3. WÄG BGBl 1993/800; vgl Oberhofer, immolex 1998, 187; Löcker, Die Wohnungseigentümergemeinschaft), politische Partei (JBl 1990, 33 = SZ 62/1; Ballon, JBl 1990, 2), nach kanonischem Recht rechtsfähige Einrichtungen der römischkatholischen Kirche, zB Diözesen (SZ 25/222; 37/3), Klöster (EvBl 1981/1), Pfarrkichen (SZ 47/59) und Pfarrpfründen (SZ 43/202; SZ 47/ 59), sowie heute die nach § 2 Abs 2 UOG (§ 3 UOG 1993) teilrechtsfähigen Universitätsinstitute (JBl 1996, 396; SZ 70/10 = JBl 1997, 463; aA noch SZ 54/61; vgl Aicher in Rummel, § 26 Rz 6; Rummel, Zur Privatrechtsfähigkeit von Universitäten [1987]), schließlich 3) Gebilde, denen die Rechtsordnung nicht den Status einer jur Person, aber die Fähigkeit, vor Gericht zu klagen oder geklagt zu werden, verliehen hat, zB a) die OG, KG (vgl SZ 21/170; 23/87; EvBl 1965/288), auch schon vor Eintragung (SZ 68/225) und noch in Liquidation (SZ 29/39) bis zur endgültigen Abwicklung (RZ 1978/84; SZ 62/127 = RdW 1990, 11 = wbl 1990, 85 = GesRZ 1990, 156; ecolex 1992, 419 [insoweit zust Dellinger]: Parteifähigkeit nur, solange die OG selbst behauptet, Forderungen zu haben; aA SZ 62/43: Weiterführung auch nach Vollbeendigung, weil sich eine Partei nicht durch einseitige Aktion entziehen könne; vgl Jabornegg in Jabornegg, § 124 HGB Rz 46 ff und Oberhammer, OHG 189, 209, der im Passivprozess der vollbeendeten OG einen 477

Vor § 1

Fucik

Parteiwechsel auf die Gesellschafter befürwortet; in JBl 1999, 126 ohne Einwand vom OGH wiedergegeben; zum Fall einer Einbringung einer KEG in eine GmbH: EvBl 2000/127), b) der ruhende Nachlass (SZ 11/3; NZ 1986, 280; auch nach iure crediti-Einantwortung, LGZ Wien WR 95), c) die Zwangsverwaltungsmasse (SZ 21/150) und die Konkursmasse (Rechberger/Simotta Rz 170; aA SZ 44/126), d) eine Agrargemeinschaft (SZ 24/98) oder Wassergenossenschaft (SZ 48/76), e) nicht nur in Arbeitsrechtssachen der Betriebsrat (ecolex 1991, 473 = EvBl 1991/114 = NRsp 1991/111: UWG-Klage; s aber auch SZ 70/62) oder f) der Klub der Landtagsabgeordneten einer politischen Partei (wegen einer Belangsendung: 6 Ob 270/01a; uzw auch nach seiner Auflösung nach der Legislaturperiode [6 Ob 207/02b]). Nicht parteifähig sind zB ARGE (SZ 51/3; alle Gesellschafter müssen klagen bzw geklagt werden) oder sonstige GesbR (allenfalls kann einer mit Zustimmung der übrigen klagen, etwa der „federführende“, SZ 45/113), stille Gesellschaften (GesRZ 1974, 62), Vereinssektionen (EvBl 1947/66), Gemeinderatsparteien, die weder Vereine noch politische Parteien sind (JBl 1990, 33 = SZ 62/1), eine Jagdgenossenschaft iSd § 21 oö JagdG (NRsp 1994/244), die Personengesamtheit unbekannter Begünstigter einer Wohltätigkeitsstiftung (6 Ob 744/89; 7 Ob 234/01i), Behörden und Ämter (JBl 1946, 186; wohl aber das Arbeitsamt in Sozialrechtssachen gem § 65 Abs 1 Z 7 ASGG; vgl ecolex 1990, 568) oder ein Kartell (EvBl 1966/433).

6 Wahrnehmung mangelnder Parteifähigkeit erfolgt wie die der mangelnden Prozessfähigkeit, deren Voraussetzung sie ja ist (ZBl 1929/177 [zust Petschek]; SZ 11/9; 28/265); sie lässt sich durch Verbesserung (§§ 6, 235 Abs 5) beheben, wenn dadurch ein parteifähiges Gebilde nicht erst geschaffen wird (Rechberger, FS Fasching 390 mwN), ist sonst ein Prozesshindernis und Nichtigkeitsgrund (JBl 1960, 641), nach der Rsp aber kein Grund zur Nichtigkeitsklage (ZBl 1929/177; ebenso Fasching Rz 337; aA Rechberger/Simotta Rz 181 und schon Rechberger, Die fehlerhafte Exekution 83). Wessen Parteifähigkeit strittig ist, muß während des (Zwischen-)Streits darüber als parteifähig behandelt werden (Fasching Rz 337; vgl SZ 23/87; 6 Ob 275/03i = JBl 2005, 43). Gegen die Zurückweisung mangels Parteifähigkeit ohne Prüfung auch der Zulässigkeit des Rechtsweges bestehen mangels Hierarchie der Prozessvoraussetzungen keine Bedenken (7 Ob 234/01i).

7 Verstoß gegen das Zweiparteiensystem, ob (selten) ursprünglich oder im Laufe des Verfahrens (durch Fusion mit oder Vererbung an den Prozessgegner), führt zur Nichtigerklärung des Verfahrens und Zurückweisung der Klage (JBl 1999, 126; Rechberger/Simotta Rz 168) 478

§1

1.1 Parteien

bzw „Einstellung“ (EvBl 1985/81; Fasching Rz 330; dagegen Buchegger, BeitrZPR II 19; JBl 1999, 126). Parteiwechsel, also Ausscheiden der bisherigen und Neueintritt einer 8 anderen Partei ist möglich 1) kraft Gesetzes, etwa nach Tod einer Prozesspartei (Nachfolger: ruhender Nachlass bzw Erben), Konkurseröffnung (Masseverwalter bzw Konkursmasse), Ausgleichseröffnung mit den Beschränkungen des § 3 Abs 2 dritter Satz AO (Fasching Rz 386; vgl SZ 57/107), (auch partieller, SZ 68/91 = ecolex 1994, 94 = RdW 1994, 145; Rechberger/Oberhammer, Gesamtrechtsnachfolge während des Zivilprozesses, ecolex 1993, 513) Gesamtrechtsnachfolge; 2) als gewillkürter Parteiwechsel in den Fällen des § 19 Abs 2 (Eintritt des Nebenintervenienten), § 23 Abs 1 (Auktor) und § 234. Sonstige gewillkürte Parteiwechsel sind unzulässig (Fasching Rz 388; Rechberger/Simotta Rz 213; aA Holzhammer 95 und PraktZPR 121; wbl 1992, 262 = JAP 1992/93, 120 [krit Frauenberger]), ebenso ein Parteibeitritt (Fasching Rz 390; der Effekt ist durch Beitritt als streitgenössischer Nebenintervenient oder – zu verbindende – weitere Klage erreichbar).

Erster Titel Prozeßfähigkeit § 1. Eine Person ist insoweit fähig, selbständig vor Gericht als Partei zu handeln (Prozeßfähigkeit), als sie selbständig gültige Verpflichtungen eingehen kann. Das Vorhandensein dieser Verpflichtungsfähigkeit, die Notwendigkeit der Vertretung von Parteien, welchen die Prozeßfähigkeit mangelt, sowie das Erfordernis einer besonderen Ermächtigung zur Prozeßführung oder zu einzelnen Prozeßhandlungen ist, soweit nicht dieses Gesetz abweichende Anordnungen enthält, nach den bestehenden gesetzlichen Bestimmungen zu beurteilen. [Stammfassung] Lit: Koziol/Welser I 54 und II 421, sonst wie Vor § 1. Prozessfähigkeit als Fähigkeit, alle Prozesshandlungen selbst oder 1 durch einen selbstgewählten Vertreter wirksam vorzunehmen oder entgegenzunehmen (Fasching Rz 346) richtet sich grundsätzlich (Ausnahmen §§ 2, 2a) nach dem bürgerlichen Recht (Koziol/Welser I 54). Prozessfähig sind daher alle volljährigen natürlichen Personen (zu Minderjährigen bei §§ 2, 2a), denen kein Sachwalter bestellt wurde (s bei § 6a), auch Blinde (NZ 1933, 157) und Ordensgeistliche (SZ 66/105 = SSVNF 479

§2

Fucik

7/80 = DRdA 1994/42; Koziol/Welser II 421; anders noch ZBl 1912/458; GlUNF 5900). Als prozessunfähig zu behandeln oder zumindest wegen der Verfügungsbeschränkung einem Prozessunfähigen gleichzuhalten ist auch der Gemeinschuldner (Fasching Rz 350; JBl 1969, 154 uva, zuletzt ÖBA 1997, 562 = ZIK 1997, 19 [Samiyeh]; aA SZ 8/44; vgl SZ 34/ 124; zum Ausgleichsschuldner SZ 47/122; RdW 1987, 412; Konecny, Zur Prozessführung durch den Ausgleichsschuldner, JBl 1986, 367) und der Verpflichtete hinsichtl der in Zwangsverwaltung gezogenen Liegenschaft (Fasching Rz 350) oder der gepfändeten und überwiesenen Forderung (LGZ Wien Arb 8212). Juristische Personen (3 Ob 300/05x) und sonstige parteifähige Gebilde sind stets prozessunfähig.

2 Die Wahrnehmung der Prozessfähigkeit erfolgt als Prozessvoraussetzung in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen. Mangelnde Prozessfähigkeit führt – allerdings erst nach Sanierungsversuch (s bei § 6) – zur Nichtigerklärung des betroffenen Verfahrensabschnitts, allenfalls auch Zurückweisung der Klage. Sie ist Nichtigkeitsgrund (§ 477 Abs 1 Z 5) und Nichtigkeitsklagegrund (§ 529 Abs 1 Z 2). Näheres bei § 7. Wessen Prozessfähigkeit strittig ist, muss während des (Zwischen-) Streits darüber als prozessfähig behandelt werden (Fasching Rz 359).

3 Postulationsfähig ist, wer selbst wirksam Prozesshandlungen setzen kann, also nicht die Partei im Anwaltsprozess (s § 26 Rz 3) und derjenige, der sich nicht verständlich äußern kann (s bei § 185). § 2. Ein mündiger Minderjähriger bedarf in Rechtsstreitigkeiten über Gegenstände, in denen er nach dem bürgerlichen Recht geschäftsfähig ist, nicht der Mitwirkung seines gesetzlichen Vertreters. [Fassung KindG] Lit: Dullinger, Zur Prozeßfähigkeit minderjähriger und geistig behinderter Personen, RZ 1989, 6; Gitschthaler, Prozess- und Verfahrensfähigkeit minderjähriger und besachwalteter Personen, RZ 2003, 175. Koziol/Welser I 54.

1 Die Prozessfähigkeit beschränkt Geschäftsfähiger (beschränkt ist die Prozessfähigkeit nie innerhalb des Verfahrens, sondern nur auf bestimmte Verfahren, in denen der Mj dann aber voll prozessfähig ist) richtet sich nach bürgerlichem Recht. Danach ist minderjährig, wer das 18., unmündig, wer das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat (§ 21 Abs 2 ABGB). Mündige Minderjährige können über Sachen, die ihnen zur freien Verfügung überlassen worden sind, und über Einkommen 480

§ 2a

1.1 Parteien

aus eigenem Erwerb so weit verfügen und sich verpflichten, als dadurch nicht die Befriedigung ihrer Lebensbedürfnisse gefährdet wird (§ 151 Abs 2 ABGB). Weiters können sie sich vertraglich zu Dienstleistungen, ausgenommen aufgrund von Lehr- od sonstigen Ausbildungsverträgen, verpflichten (§ 152 ABGB). Ohne Einfluss auf die Prozessfähigkeit bleibt die Geschäftsfähigkeit im Rahmen des Taschengeldparagraphen (§ 151 Abs 3 ABGB; vgl Dullinger, RZ 1989, 6 gegen Fasching Rz 348; Rechberger/Simotta Rz 182); die Prozessfähigkeit kann durch Unterhaltsgefährdung iSd § 151 Abs 2 ABGB wohl nicht beschränkt werden (aA Dullinger, RZ 1989, 9 mwN). Fälle, in denen der Minderjährige daher ohne gesetzl Vertreter prozes- 2 sieren kann, sind etwa Besitzstörungsklagen wegen eines zum freien Gebrauch überlassenen Grundstücks (GlUNF 4018); nicht aber über (deliktische) Schadenersatzansprüche (zuletzt LGZ Wien EFSlg 36.680; Fasching Rz 348), auch dann nicht, wenn der Minderjährige einen Verkehrsunfall mit einem durch eigenen Fleiß erworbenen Fahrzeug verursacht hat (SZ 56/16), oder über seinen Exszindierungsanspruch (ZBl 1912/219). Arbeitsvertragsprozesse kann der Minderjährige selbst führen, außer 3 solche über den vom gesetzlichen Vertreter erklärten Austritt oder über Lehrverträge (ÖA 1982, 64). In Sozialrechtssachen sind Minderjährige nicht prozessfähig (JBl 1999, 262). Zu aus anderen Gründen als ihrer Minderjährigkeit Geschäftsunfähigen 4 s bei § 6a (vgl EvBl 1992/93 = JBl 1992, 608). § 2a. In Ehesachen (§ 49 Abs 2 Z 2a JN) sind Personen, die sonst wegen ihrer Minderjährigkeit nur beschränkt geschäftsfähig sind, fähig, selbständig vor Gericht als Partei zu handeln. Der § 35 Abs 1 zweiter Satz EheG bleibt unberührt. [Eingefügt durch BGBl 1983/566; JN-Zitat Fassung AußStr-BegleitG] Lit: Dullinger, RZ 1989, 11; Simotta, Die Prozeßfähigkeit in Ehesachen und sonstigen Streitigkeiten aus dem Eheverhältnis, ÖJZ 1989, 321. Anwendung findet § 2a nur auf reine Ehesachen, also weder auf die 1 vermögensrechtlichen (Unterhalt; § 49 Abs 2 Z 2 JN) noch auf nicht rein vermögensrechtliche Streitigkeiten (§ 49 Abs 2 Z 2b JN). Bei Verbindung solcher Verfahren mit der Ehesache bleibt – unpraktisch und allenfalls durch getrennte Verhandlung (§ 188) zu beheben – die Partei 481

§3

Fucik

für die Ehesache prozessfähig, für die übrigen Sachen prozessunfähig (Simotta, ÖJZ 1989, 331; Fasching Rz 348).

2 Aus anderem Grund als der Minderjährigkeit beschränkt Geschäftsfähige werden von § 2a nicht erfasst. Solche Personen sind prozessfähig, wenn ihr Sachwalter nicht (ausdrücklich nach § 273 [ab 1. 7. 2007: § 268] Abs 3 Z 1 oder Z 2 ABGB oder durch generelle Sachwalterschaft iSd § 273 [ab 1. 7. 2007: § 268] Abs 3 Z 3 ABGB) zur Führung von Eheprozessen bestellt wurde (Simotta, ÖJZ 1989, 327).

3 Eheaufhebungsklagen beschränkt Geschäftsfähiger sind durch deren gesetzl Vertreter zu führen (§ 35 Abs 1 Satz 3 EheG).

4 Bei Bestreitung der ehelichen Geburt ist der minderjährige Scheinvater gem § 157 ABGB prozessfähig. § 3. Ein Ausländer, welchem nach dem Rechte seines Landes die Prozeßfähigkeit mangelt, ist vor den inländischen Gerichten als prozeßfähig zu behandeln, wenn ihm nach den im Inlande geltenden Bestimmungen die Prozeßfähigkeit zukommt. [Stammfassung] Lit: W. Kralik, Die Prozeßfähigkeit des Ausländers, ZfRV 1970, 161; P. Böhm, Die Rechtsschutzformen im Spannungsfeld von lex fori und lex causae, FS Fasching 109.

1 Meistbegünstigung des Ausländers insoweit, als es genügt, dass er entweder nach österr oder nach dem Prozessrecht (W. Kralik, ZfRV 1970, 171) seines Heimatstaats prozessfähig ist.

2 Staatenlose sind nach österr Recht, Konventionsflüchtlinge nach dem österr oder dem Recht ihres Aufenthaltsstaats zu beurteilen (Schubert in Fasching/Konecny II/1 § 3 Rz 1).

3 Konkurseröffnung außerhalb Österreichs (und des von der EuInsVO umfassten Raums) hat auf die Prozessfähigkeit des Gemeinschuldners keinen Einfluss, es sei denn, dies wäre staatsvertraglich bestimmt (Fasching Rz 347; 1 Ob 120/00d = ZIK 2001/264). § 4. (1) Die gesetzlichen Vertreter solcher Parteien, welchen die Prozeßfähigkeit mangelt, haben ihre Vertretungsbefugnis und die im einzelnen Falle etwa noch nötige besondere Ermächtigung zur 482

§4

1.1 Parteien

Prozeßführung, soweit nicht beides bereits bei Gericht offenkundig ist, bei der ersten Prozeßhandlung urkundlich nachzuweisen, welche sie vor Gericht vornehmen. (2) Die zu einer einzelnen Prozeßhandlung erforderliche besondere Ermächtigung muß in gleicher Weise bei Vornahme dieser Prozeßhandlung nachgewiesen werden. [Stammfassung] Lit: Held, Der gesetzliche Vertreter, ÖA 1985, 31. Gesetzliche Vertreter 1) physischer Personen sind a) der Sachwalter 1 behinderter Personen, allenfalls der einstweilige Sachwalter iSd § 120 AußStrG; b) der Abwesenheitskurator (§ 8 bzw § 276 [ab 1. 7. 2007: § 270] ABGB); c) bei Minderjährigen sind beide Elternteile (bei unehelichen Minderjährigen die Mutter, § 166 ABGB, der Vater nur auf Pflegschaftsbeschluss iSd § 167 ABGB) im Rahmen der Obsorge vertretungsbefugt (§ 144 ABGB), wenn nicht einer iSd § 145 ABGB behindert ist oder besondere Vertretungsreglungen eingreifen (zB §§ 145b, 145c, 271 ABGB), wobei die Vertretungshandlung eines Elternteils allein wirksam ist (§ 154 Abs 1 ABGB). Vorzeitige Lösung eines Dienst- oder Ausbildungsverhältnisses und Vaterschaftsanerkenntnis bedarf dagegen auch der Zustimmung des anderen Elternteils (§ 154 Abs 2 ABGB). In Vermögensangelegenheiten, die nicht zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb gehören, ist neben der Zustimmung des anderen Elternteils auch die Genehmigung des Pflegschaftsgerichts erforderlich (§ 154 Abs 3 ABGB). § 154a ABGB bestimmt in zivilgerichtlichen Verfahren allerdings, um Wechsel der Bezugsperson zu vermeiden, dass nur ein Elternteil zur Vertretung berechtigt ist, nämlich derjenige, der die erste Verfahrenshandlung setzt. Die Eltern können sich jedoch auf den anderen als Verfahrensvertreter einigen. Gleiches gilt zwischen Eltern und Jugendwohlfahrtsträger iSd § 212 ABGB (RZ 1991/55). Zu den Fällen pflegschaftsgerichtl Genehmigung s Rz 2. 2) Vertretung juristischer Personen: Vorstand der AG (bei Prozess AG gegen Vorstand des Aufsichtsrats), (geschäftsfähiger [OLG Wien 4 R 99/04i]) Geschäftsführer der GmbH (zwischen diesen: Aufsichtsrat), Vorstand der Gen (zwischen diesen: Aufsichtsrat); Vereinsvorstand, Stiftungsvorstand (§ 17 PSG), Verwalter der Wohnungseigentumsgemeinschaft (§ 17 WEG idF 3. WÄG). 3) Sonstige parteifähige Gebilde: a) ruhender Nachlass: vor Überlassung der Besorgung und Verwaltung ein zu bestellender Verlassenschaftskurator; danach der erbantrittserklärte Erbe, dem Benützung, Verwaltung und Vertretung zusteht (§ 810 ABGB; er kann vom Gerichtskommissär eine Bestätigung darüber verlangen [§ 172 AußStrG]; 483

§5

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uU kann dennoch ein Verlassenschaftskurator bestellt werden); b) die nach dem Gesellschaftsvertrag vertretungsbefugten Gesellschafter der Personengesellschaften. Bei kollektivvertretungsbefugten Organen ist gemeinsames Handeln erforderlich (SZ 26/274; für GmbH: SZ 8/239; EvBl 1965/263).

2 Genehmigung der Prozessführung durch das Pflegschaftsgericht ist zB erforderlich bei Teilungsklage (GlU 362), Haftpflichtprozess (EFSlg 51.228; Stabentheiner in Rummel §§ 154, 154a ABGB Rz 13/14 für Bagatell-Schadenersatzklagen), Feststellungsklage (MietSlg 42.486). Ebenso wie die Prozessführung sind wichtige Dispositionsakte genehmigungsbedürftig, wie Ausdehnung, Anerkenntnis, Verzicht, Vergleich (Fasching Rz 355; Stabentheiner Rz 15), nicht aber Außerstreitstellungen (LGZ Wien WR 392). Für Passivprozesse und Exekutionsverfahren bedarf es nie einer Genehmigung (KG Korneuburg EFSlg 43.291). Genehmigungsbedürftigkeit iSd § 154 Abs 3 ABGB gilt auch für Vormünder (§ 245 ABGB) sowie Sachwalter und Kuratoren (§§ 282, 245 ABGB).

3 Nachweis der Stellung als gesetzlicher Vertreter wird nur in Zweifelsfällen, Nachweis der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung dagegen immer zu fordern (§ 6) sein (Fasching1 II 146). Eine materielle Prüfung der Genehmigung kommt nicht in Frage (SZ 2/17; 13/132; auch nicht, wenn das Pflegschaftsgericht ausspricht, eine Genehmigung sei nicht erforderlich, SZ 33/31).

4 Fehlen der gesetzlichen Vertretung oder Genehmigung ist Prozesshindernis und führt – nicht ohne Sanierungsversuch – zu Nichtigerklärung, allenfalls Zurückweisung der Klage. Sie ist Nichtigkeitsgrund (§ 477 Abs 1 Z 5) und Nichtigkeitsklagegrund (§ 529 Abs 1 Z 2; vgl JBl 1996, 743 = RdW 1996, 117). § 5. Soweit dieses Gesetz nicht unterscheidet, sind dessen Bestimmungen über Parteien auch auf deren gesetzliche Vertreter zu beziehen. [Stammfassung]

1 Allgemein treffen also die Vorschriften für Parteien auch ihre Vertreter, zB Säumnisfolge bei Entfernung nach § 198 Abs 2, Verschulden iSd § 146 (OLG Innsbruck, EvBl 1987/68; B. Fink, Wiedereinsetzung 79) ua. Der gesetzliche Vertreter kann statt oder neben der Partei selbst als Partei vernommen werden (§ 373 Abs 1). Der Sachwalter eines Geschäftsführers kann freilich nicht für die GmbH handeln (OLG Wien 4 R 99/04i). 484

§6

1.1 Parteien

Ausnahmen bestehen bei Sonderregeln, zB Verfahrenshilfe, Tod des 2 gesetzlichen Vertreters (§ 158), Verhandlungsunfähigkeit (§ 185 Abs 2). § 6. (1) Der Mangel der Prozeßfähigkeit, der gesetzlichen Vertretung sowie der etwa erforderlichen besonderen Ermächtigung zur Prozeßführung ist in jeder Lage des Rechtsstreites von Amts wegen zu berücksichtigen. (2) Kann dieser Mangel beseitigt werden, so hat das Gericht die hiezu erforderlichen Aufträge zu erteilen und zu ihrer Erfüllung von Amts wegen eine angemessene Frist zu bestimmen, bis zu deren fruchtlosem Ablaufe der Ausspruch über die Rechtsfolgen des Mangels aufgeschoben bleibt. Ist jedoch mit dem Verzuge für die prozeßunfähige Partei Gefahr verbunden, so kann diese oder die für dieselbe als Vertreter einschreitende Person noch vor Ablauf dieser Frist, vorbehaltlich der Beseitigung des Mangels, zur Vornahme der notwendigen Prozeßhandlungen zugelassen werden. (3) Die im Abs 2 bezeichneten gerichtlichen Verfügungen können durch ein abgesondertes Rechtsmittel nicht angefochten werden. Eine Verlängerung der zur Behebung des Mangels gewährten Frist ist nur dann zulässig, wenn die Behebung des Mangels durch Umstände behindert wird, auf deren Beseitigung die Partei oder deren Vertreter einen Einfluß zu nehmen nicht vermag. [Stammfassung] Lit: Zib, Zum Vertrauensschutz nach § 15 HGB im Zivilprozeß, GesRZ 1988, 96, 160. Die Prüfung der Prozessvoraussetzungen von Amts wegen hat in 1 Anwendung des Untersuchungsgrundsatzes trotz Anerkennung durch den Gegner zu erfolgen (SZ 11/19, aA SZ 24/191), auch noch im Rechtsmittelverfahren (SZ 49/17 ua; dort kann sie freilich nicht in der Zurückweisung des Rechtsmittels gegen den erstinstanzlichen Zurückweisungsbeschluss wegen dieses Mangels bestehen, weil darin eine Vermischung von meritum und Zulässigkeit läge, sondern nur in der (meritorischen) Bestätigung des Zurückweisungsbeschlusses; vgl P. Böhm zu JBl 1982, 210; zum Revisionsverfahren JBl 1957, 131; 510). Unbehebbare Mängel führen zur sofortigen Zurückweisung der Klage, 2 allenfalls Nichtigerklärung aller – nicht rechtskraftfähigen – bisherigen Verfahrensschritte (vgl EFSlg 39.131). Behebbare Mängel unterliegen dieser Sanktion erst nach einem zwin- 3 genden Sanierungsversuch (durch den Senat, § 230 Abs 2, bzw den 485

§ 6a

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Einzelrichter), etwa bei der a) Parteiunfähigkeit uU die Berichtigung der Parteienbezeichnung (§ 235 Abs 5; vgl SZ 6/268; 27/241), b) Prozessunfähigkeit die Beiziehung oder auch Veranlassung der Bestellung (RZ 1978/119; hier kann ein Zuwarten auf die Ergebnisse eines bereits eingeleiteten Rechtsfürsorgeverfahrens genügen [zB Bestellung eines vorläufigen Verwalters iSd WEG, vgl 5 Ob 282/03m]) des gesetzlichen Vertreters und die – ausdrückliche, unbedingte (SZ 56/65) – Genehmigung der bisherigen Verfahrensschritte durch diesen (allenfalls durch den mittlerweile eigenberechtigt gewordenen, RZ 1937, 106), c) mangelnden pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der Prozessführung deren Nachreichung (vgl auch OLG Wien 5 R 112/02f = WR 922 zur konkursgerichtlichen Genehmigung der Prozessführung durch den eigenverwaltenden Schuldner im Schuldenregulierungsverfahren), d) mangelnden Vertretung die Nachreichung der Vollmacht. Für die Sanierung muss eine (erstreckbare) richterliche Frist gesetzt werden. Unterlassung eines Sanierungsversuchs macht das Verfahren nichtig (5 Ob 282/03m = immolex 2004/119).

4 Einstweilige Zulassung der prozessunfähigen Partei oder ihres gewillkürten Vertreters setzt Gefahr im Verzug voraus, also etwa Verjährungs- oder Präklusionsgefahr (Fasching1 II 155), steht aber auch unter der Bedingung nachträglicher Sanierung. Wäre für den Gegner Gefahr im Verzug, so ist § 8 anzuwenden.

5 Die Rechtsmittelbeschränkung umfasst mangels Differenzierungsgrundes wohl auch Beschlüsse betreffend die Parteiunfähigkeit (aA EvBl 1963/93 = RZ 1963, 53). Wer sich gegen die Erteilung eines Auftrags wehren will, ist auf die nächste anfechtbare Entscheidung, zB die Nichtigkeitsberufung, wer sich gegen die Nichterteilung wehren will, ist auf den Rekurs gegen den Zurückweisungsbeschluss verwiesen. § 6a. Ergeben sich bei einer Partei, die der inländischen Pflegschaftsgerichtsbarkeit (§ 110 JN) unterliegt, Anzeichen für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 273 ABGB mit Beziehung auf den Rechtsstreit, so ist das Pflegschaftsgericht zu verständigen. Das Pflegschaftsgericht hat dem Prozeßgericht ehestens mitzuteilen, ob ein (einstweiliger) Sachwalter bestellt oder sonst eine entsprechende Maßnahme getroffen wird. An die Entscheidung des Pflegschaftsgerichts ist das Prozeßgericht gebunden. Der § 6 Abs 2 zweiter Satz und Abs 3 erster Satz ist sinngemäß anzuwenden. [Eingefügt durch SachwG] 486

§ 6a

1.1 Parteien

Lit: Pichler, Probleme, Erfreuliches und gesetzgeberische Fehlleistungen im neuen Sachwalterrecht, JBl 1984, 225; Steinbauer, Die Handlungsfähigkeit geistig Behinderter nach dem neuen Sachwalterrecht, ÖJZ 1985, 385, 427; Dullinger, Zur Prozeßfähigkeit minderjähriger und geistig behinderter Personen, RZ 1989, 6; Gitschthaler, Die Verständigungspflicht des § 6a ZPO idF des SachwG und ihre Auswirkungen, JBl 1991, 291; Maurer/Tschugguel, Sachwalterrecht 115; Gitschthaler, Prozess- und Verfahrensfähigkeit minderjähriger und besachwalteter Personen, RZ 2003, 175. Fasching Rz 349; Bajons Rz 78; Ballon Rz 109; Rechberger/Simotta Rz 185. Das Monopol des Pflegschaftsgerichts bei der Entscheidung, ob einer 1 Person ein Sachwalter (SW) zu bestellen ist, erfordert die Verständigungspflicht des Prozessgerichts, bei dem eine Partei (oder ein Nebenintervenient; Gitschthaler, JBl 1991, 293; Fasching Rz 353) „auffällig wird“ (vgl EvBl 1992/93; MietSlg 42.487; LG Salzburg EFSlg 108.786 ua; selbst noch im Revisionsverfahren, SSV-NF 6/57; vgl aber EFSlg 85.207). Das Monopol ist nur Bestellungsmonopol, nicht Beurteilungsmonopol; es reicht daher nicht so weit, dass das Prozessgericht die Wirksamkeit früherer Prozesshandlungen nicht überprüfen könnte. Ab wann das frühere Verfahren wegen Nichtigkeit aufzuheben ist, bleibt vom Prozessgericht zu beurteilen; dem Sachwalterschaftsgericht steht darüber keine Kognititon zu (SZ 71/97). Personenidentität des (Prozess- und Pflegschafts-)Richters ändert daran nichts, weil es um die einzuhaltenden Verfahren geht (4 Ob 195/04m = EFSlg 108.788) und nicht um ein „Vieraugenprinzip“. Vorliegen der Voraussetzungen des § 273 ABGB (ab 1.7.2007 ist diese 2 Verweisung als solche auf § 268 ABGB zu lesen [Art X § 1 Abs 2 SWRÄG 2006]) in Beziehung auf den Rechtsstreit bedeutet die auf psychischer Krankheit oder geistiger Behinderung beruhende Unfähigkeit, den Prozess oder einzelne Prozesshandlungen ohne Nachteil für sich selbst zu besorgen. Zweifel an der zivilrechtlichen Verpflichtungsfähigkeit (EvBl 1988/13) fallen ebenso darunter wie Zweifel daran, dass die Partei sich des Wesens und der Bedeutung der gegen sie erhobenen Klage bewusst ist und im Prozess ihre Rechte wahren (EvBl 1979/160) und die Tragweite des Prozessführungsauftrags an den gewählten Rechtsanwalt absehen kann (EFSlg 54.990 = SZ 60/56). Die Bestellung eines Rechtsanwalts allein reicht nicht aus, wenn die Partei nun nicht mehr in der Lage ist, diesen zu überwachen (Gitschthaler, JBl 1991, 296; vgl NRsp 1990/5; immolex 1997/113; aA noch JBl 1989, 117; iSd SWRÄG [s nächste Rz] werden dazu konkrete Bedenken erforderlich 487

§ 6a

Fucik

sein). Allerdings rechtfertigen nur konkrete und substantiierte Bedenken eine für die betroffene Partei gravierende Verständigung nach § 6a (LGZ Wien 42 R 435/03m = EFSlg 105.568). Die Prozessfähigkeit eines Vertreters (SZ 69/205: Liquidator) ist nach § 6, nicht nach § 6a zu prüfen.

3 Ab 1.7.2007 drängt das SWRÄG 2006, dem Subsidiaritätsprinzip folgend, die Sachwalterbestellung zugunsten einer Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger (§ 284b ABGB) und einer Vorsorgevollmacht (§ 284f ABGB) zurück. Für das Vorgehen nach § 6a ändert dies wenig. Die Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger umfasst außer Alltagsgeschäften nur die Durchsetzung von Pflegegeld, kann also allenfalls im Sozialrechtsverfahren wegen Pflegegeldansprüchen die Bestellung eines Sachwalters erübrigen. Die Vorsorgevollmacht erübrigt grundsätzlich die Sachwalterbestellung. Ein Sachwalter ist freilich gem § 284g ABGB dann zu bestellen, wenn der vorsorglich Bevollmächtigte nicht oder nicht im Sinne des Bevollmächtigungsvertrags tätig wird oder konkrete (!) Nachteile zu besorgen sind. Die Notwendigkeit einer Sachwalterbestellung zur Kontrolle des bestellten Vertreters (siehe vorige Rz) wird entsprechend restriktiver anzunehmen sein als nach der bisherigen Rsp.

4 Verfahrensfortgang. Was bis zur Mitteilung der E des Pflegschaftsgerichts mit dem Prozess zu geschehen hat, sagt das Gesetz nicht. Nach Fasching (Rz 349) ist das Verfahren auszusetzen, was nach älterer Rsp (RZ 1988/39) nicht als Unterbrechung iSd § 190 verstanden werden darf, nach jüngerer Rsp (EvBl 1992/127; JBl 1999, 536 = NZ 2000, 309; 4 Ob 245/04i = EFSlg 108.790) aber jedenfalls nach § 190 zu beurteilen ist. Gitschthaler (JBl 1991, 295) schlägt vor, den Akt (Handakt) auf Kalender zu legen. Jedenfalls darf die Fortsetzung nicht von einem Parteiantrag abhängig gemacht werden (RZ 1988/39). Bei Gefahr im Verzug sind allerdings Handlungen der Partei oder ihres gewillkürten Vertreters vorläufig zuzulassen (§ 6a iVm § 6 Abs 2).

5 Das Pflegschaftsgericht hat nach der Erstanhörung den Akt nicht formlos abzulegen, sondern muss entweder einen Einstellungsbeschluss fassen oder einen (einstweiligen) SW bestellen. Nur Beschlüsse, mit denen entweder ein SW bestellt oder die Notwendigkeit einer solchen Maßnahme verneint wird, binden das Prozessgericht (EFSlg 54.992/4 = SZ 60/56).

6 Sanierung des bisherigen, ohne SW durchgeführten Verfahrens erfordert dessen Erklärung, das bisherige Verfahren zu genehmigen. Dazu ist 488

§7

1.1 Parteien

eine (erstreckbare) richterliche Frist zu setzen. Mangels Genehmigung ist das bisherige Verfahren für nichtig zu erklären (vgl OLG Linz JBl 1997, 183 [abl Gitschthaler]). Verwiesen wird auch auf die Rechtsmittelbeschränkung des § 6 Abs 3 7 (vgl zuletzt LGZ Wien EFSlg 108.792). S § 6 Rz 5. Trotz dieses eindeutigen Verweises nimmt jener Teil der Rechtsprechung, der § 190 anwendbar erachtet, bei Unterbrechung auch ein Rekursrecht an. Das lässt sich allenfalls dann rechtfertigen, wenn im Beschluss (anders als nach den §§ 6 und 6a) angeordnet ist, dass das Verfahren nur auf Antrag fortgesetzt werde, führt aber auch dann oft zu verzögernden Verfahrenslagen. Es scheint dem Gesetzgeber ebenso gut zusinnbar, dass er die Bekämpfung eines Beschlusses, dessen Zweck die Prüfung der Prozessfähigkeit einer Partei ist, durch diese (doch eher prozessunfähige) Partei ausschließen wollte und damit unvermeidbare Verzögerungen (aber eben nur diese) in Kauf nimmt. Ein Einfluss des Vorgehens nach § 6a auf Rechtsmittelfristen wurde 8 mangels Unterbrechungswirkung und mangels gesetzlicher Anordnung verneint (LGZ Wien WR 484). Analog ist § 6a anwendbar, wenn zwischen einem Prozessunfähigen 9 und seinem gesetzlichen Vertreter während des Prozesses eine Interessenkollision eintritt (OLG Linz RZ 1996/17). § 7. (1) Wenn der Mangel der Prozeßfähigkeit, der gesetzlichen Vertretung oder der Ermächtigung zur Prozeßführung nicht beseitigt werden kann, oder doch die hiezu gewährte Frist fruchtlos abgelaufen ist, hat das Gericht erster oder höherer Instanz, bei welchem die Rechtssache eben anhängig ist, die Nichtigkeit des von dem Mangel betroffenen Verfahrens durch Beschluß auszusprechen. (2) Dieser Ausspruch kann nicht erfolgen, wenn demselben in Ansehung des Grundes der Nichtigkeit eine von demselben oder von einem anderen inländischen Gerichte gefällte, noch bindende Entscheidung entgegensteht. [Stammfassung] Die Nichtigkeitssanktion (§ 477 Abs 1 Z 5) setzt mangelnde Sanierung 1 voraus (vgl JBl 1997, 183 [zust Gitschthaler]; auch nach Fristablauf erfolgte Sanierung verhindert Nichtigerklärung, SZ 27/14). Betrifft das Fehlen der Prozessvoraussetzung den Kläger, so ist auch die Klage zurückzuweisen (Fasching Rz 356). 489

§8

Fucik

2 Der Beschluss, mit dem das Verfahren für nichtig erklärt und die Klage zurückgewiesen wird, muss auch eine Kostenentscheidung enthalten. S bei § 51.

3 Als bindende Entscheidung über die Prozessfähigkeit ist nur eine solche anzusehen, die ausdrücklich das Vorliegen der Prozessvoraussetzung bejaht (EvBl 1961/505), wenn auch in einer anderen Rechtssache (JBl 1914, 115). Für den Erstrichter ist auch sein eigenes Urteil eine bindende Entscheidung (EvBl 1959/247 ua). § 8. (1) Soll wider eine prozeßunfähige Partei, die eines gesetzlichen Vertreters entbehrt, eine Prozeßhandlung vorgenommen werden, und wäre mit dem Verzuge für den Gegner der prozeßunfähigen Partei Gefahr verbunden, so hat das Prozeßgericht auf dessen Antrag für die prozeßunfähige Partei einen Kurator zu bestellen. (2) Der Kurator hat für diese Partei bis zum Eintreten des gesetzlichen Vertreters am gerichtlichen Verfahren teilzunehmen und, wenn nötig, die Bestellung des gesetzlichen Vertreters durch geeignete Anträge zu veranlassen. [Stammfassung] Lit: Knell, Die Kuratoren im österreichischen Recht (1974); Rassi, Der prozessuale Abwesenheitskurator, RZ 1996, 215.

1 Voraussetzungen für die Kuratorbestellung sind das Fehlen oder die kollisionsbedingte Behinderung eines gesetzlichen Vertreters der (parteifähigen aber) prozessunfähigen Partei (nicht des Nebenintervenienten; Schubert in Fasching/Konecny II/1 § 8 Rz 2) sowie das Erfordernis, gegen sie eine Prozesshandlung vorzunehmen, insb eine Klage zuzustellen, schließlich, dass für den Gegner Gefahr im Verzug gegeben wäre (vgl RZ 1973/116: Gefahr im Scheidungsverfahren verneint; zu bejahen etwa zur Wahrung von Aufkündigungsfristen). Die Kuratorenbestellung erfolgt nie von Amts wegen, sondern nur auf Antrag des Prozessgegners (EvBl 1983/132 uva), uU auch erst durch das Rechtsmittelgericht (EvBl 1969/164 = RZ 1969, 50, 105). Die Bestellung eines Kurators, obwohl die Voraussetzungen dazu nicht gegeben sind, bewirkt Nichtigkeit iSd § 477 Abs 1 Z 5 (JBl 1980, 267; Burgstaller, PraktZPR 98).

2 Der Umfang der Befugnisse des Prozesskurators bestimmt sich nach den vorzunehmenden Prozesshandlungen. Kuratorenbestellung im Exekutionsverfahren ermächtigt zB nicht zur Anfechtung des Titels 490

§9

1.1 Parteien

(LG Wien EvBl 1934/305). Das Amt des Kurators erlischt erst durch Enthebung, nicht ipso jure (OLG Wien EvBl 1937/344). Zur pflegschaftsgerichtlichen Kuratel verhält sich die Prozesskuratel 3 (nach § 8 wohl nicht anders als nach § 116) seit dem KindRÄG 2001 folgendermaßen: subsidiär ist die Bestellung eines Abwesenheitskurators iSd § 276 ABGB. Nur wenn von vornherein klar ist, dass wegen weiterer erforderlicher Handlungen für den Abwesenden außerhalb des Verfahrens die Voraussetzungen des § 276 ABGB vorliegen, ist nach dieser Bestimmung vorzugehen (Hopf in KBB § 276 Rz 3; Weitzenböck in Schwimann/Verschraegen, § 276 Rz 11). Das schließt freilich nicht aus, dass bereits ein Abwesenheitskurator bestellt wurde, bevor sich die Frage nach § 8 stellt. Wurde schon ein (Sachwalter oder) Abwesenheitskurator im Pflegschaftsverfahren (zB Kollisionskurator) bestellt, erübrigt dies die Kuratorenbestellung nach § 8 (vgl SZ 38/45 = EvBl 1966/ 36 = JBl 1966, 90). S auch §§ 116 ff Rz 1. Wurde ein Kurator nach § 8 bestellt, fällt das Bedürfnis nach einem Notgeschäftsführer nach § 15a GmbHG weg (6 Ob 129/00i = JBl 2001, 62; 6 Ob 48/05k). § 9. (1) Die Entscheidung über einen im Sinne des § 8 Abs 1 gestellten Antrag erfolgt durch Beschluß und, wenn der Antrag nicht bei einer mündlichen Verhandlung gestellt wurde, ohne vorhergehende mündliche Verhandlung. Es können jedoch vor der Entscheidung alle zur Aufklärung erforderlichen Erhebungen eingeleitet werden. (2) Im Verfahren vor Gerichtshöfen hat über den Antrag, wenn derselbe nicht während einer mündlichen Verhandlung gestellt wird, der Vorsitzende des Senates zu entscheiden, dem die Rechtssache zugewiesen ist. (3) Das gleiche gilt in allen anderen Fällen, in welchen nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes oder nach diesem Gesetze durch das Prozeßgericht für eine Partei in bürgerlichen Streitsachen ein Kurator zu bestellen ist. [Stammfassung] Verfahren zur Kuratorenbestellung: Es gilt gleichermaßen für Kura- 1 toren nach § 8 wie in den übrigen Fällen (§ 116: Zustellkurator für Abwesende; § 121 Abs 2: Zustellkurator für im Ausland Unerreichbare; § 386 Abs 3: Kurator für den unbekannten Gegner im Beweissicherungsverfahren; vgl auch §§ 34, 174, 297 Abs 3, 310 Abs 4, 314 EO). Es ist in einer mündlichen Verhandlung Sache des Senats (Einzelrichters), außerhalb dagegen des Senatsvorsitzenden (Einzelrichters) und erfordert keine mündliche Verhandlung oder Anhörung der Parteien. Zur Auswahl der Person s § 86 Geo; Rassi, NZ 1998, 321. 491

§ 10

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2 Die Entscheidung ergeht als Beschluss (vgl ZPForm Nr 47, 48), für den die Anfechtungsbeschränkungen des § 517 gelten.

3 Bekanntmachung der Kuratorenbestellung durch Ediktsdatei (allenfalls auch Zeitungsinserat) ist nur beim Zustellkurator erforderlich (§ 117), nicht in den übrigen Fällen (SZ 27/302 ua). § 10. Die durch die Prozeßführung verursachten, zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Kosten (§ 41) eines vom Prozeßgericht oder von einem anderen Gerichte bestellten Kurators hat die Partei, durch deren Prozeßhandlung die Bestellung oder Mitwirkung des Kurators veranlaßt wurde, unbeschadet eines ihr etwa zustehenden Ersatzanspruches zu bestreiten. [Fassung BGBl 1955/282] Lit: Rassi, Die Kosten des Abwesenheitskurators im Zivilprozeß, RZ 1997, 234

1 Kostentragung für die Kuratorkosten trifft den Gegner der Partei, für die er bestimmt wurde, ohne Rücksicht auf den Ausgang des Verfahrens. Kostenersatz für Kuratorkosten kommt daher nur vom Vertretenen an den Gegner, nicht aber umgekehrt in Betracht (maW kann der Kurator nie Kostenersatz für den Vertretenen verlangen). Klagt der Staatsanwalt, so hat der Kurator Anspruch auf Kostenersatz aus Amtsgeldern (OLG Wien EFSlg 20.739). Zur Verfahrenshilfe s § 64, zum Uneinbringlichkeitsfall SZ 34/30; LGZ Wien MietSlg 45.610 ua.

2 Ersetzt werden nur die zur zweckentsprechenden Prozessführung notwendigen Kosten. S § 41 Rz 5, also nicht Kosten eines von vornherein aussichtlosen (LGZ Wien MietSlg 38.743; 47.577 uva), etwa eines auf geradezu unvertretbaren Rechtsansichten beruhenden Rechtsmittels (LGZ Wien MietSlg 23.633).

3 Alle durch den Gegner veranlassten Aktionen des Kurators erfolgen auf Rechnung des Gegners, auch die eines vom Pflegschaftsgericht bestellten Kurators oder SW (3 Ob 71/00p = SZ 73/188; OLG Wien WR 369; WR 514: Wiederaufnahme- oder Nichtigkeitsklage des SW durch Gegner als Kläger des Hauptprozesses veranlasst; OLG Wien EvBl 1989/152 = WR 370: Klage des SW nicht vom Gegner veranlasst; LGZ Wien WR 401) oder eines vom Firmenbuchgericht gem § 15a GmbHG bestellten Notgeschäftsführers (OLG Wien WR 724; 3 Ob 492

§ 11

1.1 Parteien

71/00p = SZ 73/188) bzw des Verlassenschaftskurators (LGZ Wien WR 747; Gegenausnahme OLG Wien WR 786), nicht aber die Kosten eines Kurators, der auf Antrag des Beklagtenvertreters nach Vollmachtskündigung im Anwaltsprozess bestellt wurde (OLG Wien WR 723). Kostenbestimmungsverfahren: Der Kurator kann seine Kosten vor 4 Beendigung der Kuratel oder des Prozesses (LGZ Wien EvBl 1946/322; EFSlg 57.719 ua) oder auch nach Abschluss des Prozesses ohne Bindung an die Fristen des § 54 bekannt geben (OLG Wien EvBl 1937/ 978; LG Salzburg EFSlg 108.794 ua). Die Kosten sind stets durch das bestellende Gericht, idR also das Erstgericht (EvBl 1972/299; OLG Wien EFSlg 25.280 uva) bzw dessen Senatsvorsitzenden mit Beschluss (OLG Wien EFSlg 27.745 ua, uzw mit Leistungsbefehl, LG St. Pölten EFSlg 85.209; LGZ Wien EFSlg 108.796 ua) zu bestimmen, der vom Kurator, vom Gegner und vom Kuranden (LGZ Wien MietSlg 37.724) mit Rekurs – auch bei Streitwerten bis zu 2.000 € (§ 517 Z 5) – angefochten werden kann. Im Rekursverfahren gibt es freilich keinen Kostenzuspruch (OLG Wien EFSlg 29.955 uva). Die Auferlegung eines Kostenvorschusses für die Kuratorkosten kommt nicht in Frage (OLG Linz EFSlg 34.356; OLG Wien WR 485; 722). Keine Tragung von Kuratorenkosten im Verfahren außer Streit- 5 sachen, soweit dies nicht von § 78 AußStrG gedeckt ist (zum Konkurs: HG Wien WR 637), und bei Zustellung einer Aufkündigung, gegen die keine Einwendungen erhoben werden (LGZ Wien MietSlg 9221).

Zweiter Titel Streitgenossenschaft und Hauptintervention § 11. Außer den in anderen Gesetzen besonders bezeichneten Fällen können mehrere Personen gemeinschaftlich klagen oder geklagt werden (Streitgenossen): 1. wenn sie in Ansehung des Streitgegenstandes in Rechtsgemeinschaft stehen oder aus demselben tatsächlichen Grund oder solidarisch berechtigt oder verpflichtet sind; 2. wenn gleichartige, auf einem im wesentlichen gleichartigen tatsächlichen Grunde beruhende Ansprüche oder Verpflichtungen den Gegenstand des Rechtsstreites bilden, und zugleich die Zuständigkeit des Gerichtes hinsichtlich jedes einzelnen Beklagten begründet ist. [Fassung ZVN 1983] 493

§ 11

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Lit: Holzhammer, Parteienhäufung und einheitliche Streitpartei (1966); Roth, Neuerungen der Zivilverfahrensnovelle 1983 im Bereich der Klagenhäufung, BeitrZPR II 209. Fasching Rz 364 ff; Bajons Rz 66 ff; Buchegger, PraktZPR 34; Holzhammer, ebenda 128; Ballon Rz 115 ff; Rechberger/Simotta Rz 194 ff.

1 Unterscheide materielle (Z 1) und formelle (Z 2) Streitgenossen einerseits, einfache Streitgenossen (Parteienhäufung, sie kann formelle oder materielle Streitgenossenschaft sein) und einheitliche Streitpartei (Näheres bei § 14 Rz 6) andrerseits. Materielle Streitgenossenschaft begründet einen gemeinsamen Gerichtsstand (§ 93 JN), formelle setzt einen solchen voraus; die Streitwerte der Ansprüche materieller Streitgenossen sind – außer bei solidarischer Berechtigung oder Verpflichtung (§ 55 Abs 2 JN) – zusammenzurechnen (§ 55 Abs 1 Z 2 JN); materielle Streitgenossen sind stets, formelle nur bezüglich des rechtserzeugenden Sachverhalts ihrer eigenen Ansprüche als Partei (Fasching Rz 378) zu vernehmen.

2 Materielle Streitgenossen sind zB als in Rechtsgemeinschaft stehend die Miteigentümer eines Hauses bezüglich der Mietzinsklage (MietSlg 17.753), Erben (EvBl 1959/129 = JBl 1959, 322 = RZ 1959, 70 ua), gekoppelt Fischereiberechtigte (SZ 68/41) nicht aber mehrere selbständig fahrlässig handelnde Schädiger (JBl 1982, 266), mehrere eingeantwortete Erben mangels zusätzlicher Sachverhaltselemente (1 Ob 302/02a).

3 Formelle Streitgenossen sind zB gemeinsam klagende Unterhaltsberechtigte (EFSlg 57.721), mehrere aus einem Unfall Geschädigte (ZVR 1986/20; OLG Linz EvBl 1987/193), mehrere Hinterbliebene, die Ansprüche nach § 1327 ABGB geltend machen (JBl 1953, 541); Rechtsträger und Mitschuldige im Amtshaftungsprozess (1 Ob 45/00z; NRsp 1990/134 = RZ 1990/108).

4 Zu Lenker, Halter und Haftpflichtversicherer s § 14 Rz 4. 5 Verbindung von Prozessen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung (§ 187) bewirkt keine Streitgenossenschaft (JBl 1957, 321; Arb 7336 = EvBl 1961/305; MietSlg 27.647).

6 Gesetzliche Streitgenossenschaften s in §§ 37 Abs 2, 258 (betreibender Gläubiger und Verpflichteter bei Exszindierungs- bzw Pfandvorrechtsklage), 128, 232 Abs 1, 286, 332 Abs 3 (Kläger, die mit ihrem Widerspruch gegen die Verteilung der Masse auf den Prozessweg verwiesen wurden) EO, § 110 Abs 1 KO (Bestreitende im Prüfungsprozess); Art 47 Abs 2 WG (mehrere Wechselverpflichtete), Art 44 Abs 2, 59 ScheckG. 494

§ 12

1.1 Parteien

Derzeit stark in Diskussion ist eine Sammelklage österreichischer Prä- 7 gung (zur Abgrenzung von der – minder erwünschten – class action oft „Gruppenklage“ genannt). Im Wege der Zession lassen sich Massenklagen (zulässig [ecolex 2002/212, 218; Klauser, Sammelklage und Prozessfinanzierung gegen Erfolgsbeteiligung auf dem Prüfstand, ecolex 2002, 805; Klauser/Maderbacher, Neues zur „Sammelklage“, ecolex 2004, 168; U. Schrammel, Die „Sammelklage“ in der Ausgestaltung des OGH, JAP 2006/2007/8]) vereinfachen. Das Hauptproblem, dem sich der Gesetzgeber wird stellen müssen, liegt wohl in der Wirkung auf Nichtmitglieder der Gruppe; kann jeder einzelne davon nach Erledigung der Gruppenklage noch individuell sein Recht verfolgen, fällt die Herstellung von Rechtssicherheit fort (und damit die eigentliche Rechtfertigung eines eigenen Instituts). Hier seien aus der Diskussion hervorgehoben: Kloiber, Ökonomische und sachgerechte Bewältigung von Massenklagen – welche Fragen stellen sich, AnwBl 2006, 70; Kodek, Möglichkeiten zur gesetzlichen Regelung von Massenverfahren, in Gabriel/Pirker-Hörmann, Massenverfahren – Reformbedarf für die ZPO? (2005) 365; Klauser, Massenschäden erfordern Sammelklagen, ebd 11; Kodek, Zivilrechtliche Probleme bei Großverfahren, ecolex 2005, 751; ders, Möglichkeiten der Prozessleitung in Massenverfahren, RZ 2005, 34; ders, Massenverfahren – Reformbedarf für die ZPO, AnwBl 2006, 72; Klauser, Von der „Sammelklage nach österreichischem Recht“ zur echten Gruppenklage, ecolex 2005, 744; Scheuba, „Sammelklage“ – Inhaltliche Anforderungen, AnwBl 2006, 64; Knötzl, Sammelklage – Unsere ZPO am Prüfstand?, AnwBl 2006, 82; siehe auch schon Rechberger, Prozessrechtliche Aspekte von Kumul- und Großschäden, VR 2003, 15. § 12. Soweit nicht die Beschaffenheit der eingegangenen Bürgschaft im Wege steht, können der Hauptschuldner und der Bürge gemeinschaftlich geklagt werden. [Stammfassung] Hauptschuldner und Bürge fielen vor der ZVN 1983 weder unter § 11 1 Z 1 noch Z 2. Die Zulässigkeit gemeinsamer Klage (außer bei Entschädigungsbürgen, § 1348 ABGB; Ausfallsbürgen, § 1356 ABGB) ergab sich erst aus § 12. Eine Ausweitung der Vorschrift auf Garanten oder beitretende Schuldner blieb der Rsp fremd. Aus der Neufassung des § 11 („oder solidarisch“) lässt sich jetzt aber die materielle Streitgenossenschaft zwanglos ableiten (Schubert, ÖJZ 1997, 839).

2

Gerichtsstand s § 93 Abs 1 JN. 495

§ 13

Fucik

§ 13. Jeder der Streitgenossen ist dem Gegner gegenüber im Prozesse derart selbständig, daß die Handlungen und Unterlassung des einen Streitgenossen dem anderen weder zum Vorteile noch zum Nachteile gereichen. [Stammfassung]

1 Selbständigkeit der (einfachen) Streitgenossen, von denen jeder so zu betrachten ist, als führe er für sich allein Prozess; nur bloße Betreibungshandlungen wirken für alle (s § 15 Rz 1). Es sind daher Beginn der Streitanhängigkeit (Klagszustellung), Dispositionen über den Streitgegenstand (Anerkenntnis, Verzicht, Vergleich, Aufrechnungseinrede), Fristenlauf, Verfahrensdispositionen (Klagezurücknahme, -änderung; Rechtsmittelzurücknahme und -verzicht usw) getrennt zu betrachten. Jeder (einfache) Streitgenosse kann für sich allein in Säumnis verfallen (SZ 14/59 = RZ 1932, 87). Daraus folgt auch, dass bei entsprechendem rechtlichen Interesse ein Streitgenosse im Prozess des anderen als Nebenintervenient beitreten kann (Fasching Rz 378). Die Stoffsammlung kommt allerdings idR allen Streitgenossen zugute (Beweis wird nur einmal aufgenommen und einheitlich gewürdigt; die beweisbefreiende Wirkung des Geständnisses wäre grob überzogen, wenn ein Streitgenosse, der anders als die übrigen bestimmte Tatsachen zugestanden hat, falls das Gericht zu einer Beweiswürdigung gelangt, die das Vorliegen der zugestandenen Tatsachen verneint, an sein Geständnis gebunden bliebe; so noch Fasching1 II 190; dagegen Rechberger, NZ 1991, 69).

2 Zustellungsbevollmächtigte s §§ 97 ff Rz 2. § 14. Wenn die Wirkung des zu fällenden Urteils sich kraft der Beschaffenheit des streitigen Rechtsverhältnisses oder kraft gesetzlicher Vorschrift auf sämtliche Streitgenossen erstreckt, so bilden dieselben eine einheitliche Streitpartei. Sind einzelne Streitgenossen säumig, so erstreckt sich die Wirkung der Prozeßhandlungen der tätigen Streitgenossen auch auf sie. [Stammfassung] Lit: Holzhammer, PraktZPR 126; sonst wie Vor § 11. Inhaltsübersicht Begriff Anspruchsgebundene einheitl Streitpartei

1 2 496

Wirkungsgebundene einheitl Streitpartei

3

§ 14

1.1 Parteien Lenker, Halter und Haftpflichtversicherer Fälle verneinter einheitl Streitpartei

4

Wirkungen der einheitl Streitpartei

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Einheitliche Streitpartei ist eine Streitgenossenschaft dann, wenn sich 1 die Urteilswirkungen kraft der Beschaffenheit des streitgen Rechtsverhältnisses („anspruchsgebunden“) oder kraft gesetzlicher Vorschrift („wirkungsgebunden“) auf alle Einzelpersonen erstrecken. Von notwendiger Streitgenossenschaft spricht man, wenn es das materielle Recht gebietet, die Klage für oder gegen alle übrigen Partner zu erheben (Problem der Sachlegitimation; vgl Fasching Rz 364; JBl 1989, 526 = RZ 1989/97; so sind zB Miteigentümer als Vermieter im Kündigungsstreit zwar einheitliche Streitpartei [LGZ Wien MietSlg 35.748], aber nicht notwendige [vgl Gamerith in Rummel, § 833 Rz 12] Streitgenossen; mehrere Anfechtungsgegner können in getrennten Prozessen geklagt werden, auch wenn die Befriedigungstauglichkeit vom Gesamterfolg abhängt [RdW 1992, 374]). Im Zweifel liegt eine einheitliche Streitpartei vor, wenn wegen Nichterfassung aller Beteiligten „die Gefahr unlösbarer Verwicklungen durch divergierende Einzelentscheidungen besteht“ (SZ 51/4 = MietSlg 30.675 (9); 7 Ob 125/04i = EFSlg 108.799 ua) und wo die positive Erledigung einer Einzelklage nicht zu einem von weiteren Erfolgen unabhängigen endgültigen Erfolg führte (MietSlg 35.743 uva). Eine anspruchsgebundene einheitliche Streitpartei bilden zB a) meh- 2 rere Miteigentümer bei der Klage auf Feststellung des Miteigentums (JBl 1982, 435 = MietSlg 34.693; LGZ Graz MietSlg 42.488), bei Streitigkeiten über Servituten (SZ 27/64; Eigentumsfreiheitsklage: SZ 56/60 = EvBl 1983/137 = JBl 1983, 645 ua, zuletzt SZ 69/110; nicht aber bei schlichter Unterlassungsklage, MietSlg 47.581), Verbücherung (SZ 28/ 138 = JBl 1954, 592 = MietSlg 3700 = NZ 1955, 12), Klage nach § 25 WEG (EvBl 1997/66), Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Bestandvertrags (EvBl 1961/222; JBl 1965, 316 uva) sowie bei der Teilungsklage (an welchem Prozess alle, auch die zustimmenden Miteigentümer beteiligt sein müssen; JBl 1961, 510), bei Aufkündigung und Räumung durch Miteigentümer als Vermieter (LGZ Wien MietSlg 35.748); ebenso b) Wohnungseigentümer (ImmZ 1968, 334 = MietSlg 20.676: Streit um gemeinsame Rechte und Pflichten; NRsp 1989/281: Übertragung der Hausbesorgerdienstwohnung; JBl 1975, 201 = ImmZ 1975, 90 = MietSlg 26.043: Streitigkeiten mit Verwalter; SZ 51/4 = RZ 1978/118 = MietSlg 30.675 (9) ua; Ausschlussklage: 5 Ob 196/00k ua), insb die Partnerschaftseigentümer oder Ehegattenwohnungseigentümer (5 Ob 303/03z), c) Mitmieter (SZ 45/70; JBl 1980, 545 = MietSlg 497

§ 14

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32.637; JBl 2000, 803; 5 Ob 223/04m; 5 Ob 301/05h uva), Mieter und die mit ihm gemeinsam auf Räumung geklagten, ihr Wohnrecht von ihm ableitenden Personen (SZ 41/95 = JBl 1969, 97), d) Gesellschafter bzw Liquidatoren einer GesBR (GesRZ 1985, 32) oder Personengesellschaft (EvBl 1976/67 = GesRZ 1975, 131 = HS 9133; EvBl 1960/10 ua; zur Kombination von Klage auf Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis und Zustimmungsklage ecolex 1992, 95 = RdW 1992, 111; zur Klage auf Feststellung der Gesellschaftereigenschaft ecolex 1992, 481); oder Ausschlussklage (verstSenat 1 Ob 40/01s = SZ 74/81, nach dem das Klagebegehren gegen den Auszuschließenden und den klageunwilligen Dritten lauten kann: „Der Erstbeklagte wird mit Wirkung auch gegen den Zweitbeklagten aus der Gesellschaft ausgeschlossen“), e) KG und GmbH im Streit um Sacheinlagevertrag (SZ 69/94) oder mehrere Betreiber eines Unternehmens, denen wettbewerbswidriges Verhalten vorgeworfen wird (EvBl 1963/292 = ÖBl 1964,9), f) (vor der Außerstreitreform:) Miterben aus demselben Berufungsgrund (EvBl 1992/6 = JBl 1992, 110 = NRsp 1991/165), g) Ehegatten im Streit um die Unwirksamkeit wechselseitiger Veräußerungs- und Belastungsverbote (5 Ob 196/ 00k).

3 Eine wirkungsgebundene einheitliche Streitpartei bilden zB a) die Ehegatten im vom StA eingeleiteten Ehenichtigkeitsprozess (1 Ob 39/ 00t; SZ 43/239 = EvBl 1971/180); (vor der Außerstreitreform:) Scheinvater und StA im Ehelichkeitsbestreitungsprozess (SZ 21/92), b) (vor der Außerstreitreform:) mehrere Erbrechtskläger (EFSlg 5507 ua), c) mehrere eine angemeldete Forderung Bestreitende im Prüfungsprozess (§ 110 Abs 1 KO) oder im Verfahren über die Widerspruchsklage bei der Meistbotsverteilung (§ 232 Abs 2 EO), d) alle Gesellschafter einer GmbH bei Klage auf Nichtigerklärung eines Generalversammlungsbeschlusses (§ 42 GmbHG), Aktionäre, Vorstand und Aufsichtsrat bei aktienrechtlichen Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen (§§ 200, 201, 216 AktG).

4 Lenker, Halter und Haftpflichtversicherer: Lenker und Halter sind als solidarisch Haftende Streitgenossen iSd § 11 Z 1 (entgegen dem Leitsatz auch ZVR 1978/84; unrichtig ZVR 1982/365). Halter (als Versicherter) und Haftpflichtversicherer sind darüber hinaus durch eine eigenartige Rechtskrafterstreckung verbunden. Soweit nämlich durch rechtskräftiges Urteil ein Schadenersatzanspruch des geschädigten Dritten aberkannt wird, wirkt gem § 26 KHVG 1994 (für Unfälle vor dem 1.9.1994: § 22 KHVG 1987, vor dem 1.8.1987: § 63 KFG 1967) ein zwischen Drittem und Versichertem ergangenes Urteil auch zugunsten des Versicherers, ein zwischen Drittem und Versicherer ergangenes 498

§ 14

1.1 Parteien

Urteil auch zugunsten des Versicherten. Die Heranziehung der Grundsätze des § 14 verbietet sich jedoch insoweit, als im Hinblick auf die Verschiedenheit der Haftung von Versicherer und Versichertem ein die Klage hinsichtlich des einen Streitgenossen abweisendes Urteil keinesfalls auch gegenüber dem anderen im gleichen Sinn ausfallen muss. Sie bilden bloß insoweit eine einheitliche Streitpartei, als der gegen sie vorgebrachte Haftungsgrund identisch ist und es zur Verwirklichung der in § 28 KHVG 1994/24 KHVG 1987/63 KFG vorgesehenen Erstreckungswirkung eines die Schadenersatzklage rechtskräftig aberkennenden Urteils erforderlich ist. Darüber hinaus bleibt die den Parteien zustehende Dispositionsbefugnis aber aufrecht (ZVR 1990/108 uva). Wer sich daher im Verfahren nicht beteiligt, gegen den kann trotz § 24 KHVG ein Versäumungsurteil erlassen (Vrba/Lampelmayer/ Wulff-Gegenbaur, Schadenersatz C.IV.2 Rz 2) oder ein Zahlungsbefehl rechtskräftig (ZVR 1990/108) werden. Keine einheitliche Streitpartei entsteht bloß wegen Solidarverpflich- 5 tung (SZ 46/35 = EvBl 1973/234 = RZ 1973/130; SZ 48/46 ua), bei Klage gegen OHG und ihre Gesellschafter (SZ 6/58), bei Aufkündigung gegen Verlassenschaft und Eintrittsberechtigte (MietSlg 31.649 (32) ua), bei Räumungsklage gegen mehrere titellos Benützende (EvBl 1958/62), bei Besitzstörung durch einen Miteigentümer (4 Ob 245/00h). Weitere Einzelfälle bei Klauser/Kodek § 14 E 72 ff. Wirkungen der einheitlichen Streitpartei: Kann man bei einfachen 6 Streitgenossen das Verfahren gedanklich in Einzelprozesse zerlegen, so ist die einheitliche Streitpartei als ein Parteisubjekt aufzufassen. Daher beginnen Fristen für alle erst mit der Zustellung an den letzten Streitgenossen zu laufen, wirken Prozesshandlungen eines der Streitgenossen auch für alle anderen, so dass es kein Versäumungsurteil gegen einzelne Säumige gibt (Fasching Rz 380) und ein Einspruch gegen den Zahlungsbefehl diesen gegen alle Streitgenossen außer Kraft setzt. Ein einzelner Streitgenosse kann den Anspruch weder wirksam anerkennen (9 Ob 36/ 05t; SZ 30/29 = EvBl 1957/325 ua) noch sich vergleichen (SZ 27/64) oder Ruhen des Verfahrens vereinbaren (JBl 1958, 627). Die hL leitet daraus für die Frage, was bei widersprechenden Erklärungen der Streitgenossen zu geschehen hat, die Wirksamkeit nach dem „prozessualen Günstigkeitsprinzip“ ab, hält also jene Handlung für wirksam, die abstrakt und objektiv (nicht nach Wirtschaftlichkeit oder anderen außerjuristischen Chancenkalküls beurteilt) dem (ursprünglichen) Prozessstandpunkt des Klägers bzw Beklagten günstiger ist (näher bei EvBl 1992/6 = JBl 1992, 110 und Fasching Rz 381 mwN). Bei der Stoffsammlung unterliegen Geständnisse einzelner Streitgenossen, die von den anderen 499

§ 15

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widerrufen werden, der freien Beweiswürdigung (Fasching Rz 381). Auch wegen persönlicher Prozessvoraussetzungen kann die Klage einem Mitglied der einheitlichen Streitpartei gegenüber zurückgewiesen und das Verfahren mit den übrigen fortgesetzt werden (7 Ob 316/00x). Der Konkurs eines Genossen unterbricht das Verfahren gegen alle (2 Ob 249/00g).

7 Einzelne Mitglieder der einheitlichen Streitpartei verlieren das eigene Rechtsmittelrecht durch Fristablauf; die Rechtsmittelfrist wird bloß durch den anderen Streitgenossen gewahrt (5 Ob 165/00a = SZ 73/116; LGZ Wien 40 R 176/00d; der Rechtsmittelwerber kann es freilich auch wieder allein zurückziehen, 9 Ob 36/05t). § 15. (1) Das Recht zur Betreibung des Prozesses kann von jedem einzelnen der Streitgenossen ausgeübt werden. (2) Unter den in § 14 genannten Voraussetzungen sind zu jeder auf Antrag eines der Streitgenossen oder des Gegners anberaumten Tagsatzung außer den sonst beteiligten Personen stets auch sämtliche Streitgenossen, und zwar selbst dann zu laden, wenn eine frühere, in derselben Rechtssache abgehaltene Tagsatzung von ihnen versäumt wurde. [Stammfassung]

1 Der Prozessbetrieb hängt gelegentlich von Parteienanträgen ab. § 15 bestimmt – für die einheitliche Streitpartei überflüssig, für die einfache Streitgenossenschaft notwendig –, daß derartige Betreibungshandlungen von einem Streitgenossen für alle wirksam gesetzt werden können, so zB Fortsetzungsanträge (§§ 155 Abs 3, 164, 190, 191, 169), Vertagungsanträge; Klagebeantwortung und Überweisungsantrag zählen nicht zu den bloßen Betreibungshandlungen (Fasching1 II 202).

2 Abs 2 kann zum Umkehrschluss dienen, dass in allen anderen Fällen säumige Parteien nicht mehr zur nächsten Tagsatzung zu laden sind. § 16. Wer die Sache oder das Recht, worüber zwischen anderen Personen ein Rechtsstreit anhängig ist, ganz oder teilweise für sich in Anspruch nimmt, kann bis zur rechtskräftigen Entscheidung dieses Rechtsstreits beide Parteien gemeinschaftlich klagen (Hauptintervention). [Stammfassung] Lit: Fasching Rz 391 f. 500

§ 17

1.1 Parteien

Die (seltene) Hauptintervention erfolgt nicht innerhalb des Prozesses, 1 sondern mit selbständiger Klage (MietSlg 42.489; zur Zuständigkeit: §§ 94, 95 JN), die als Hauptinterventionsklage zwischen Streitanhängigkeit des Erstprozesses und dessen rechtskräftiger Erledigung zulässig ist (RZ 1991/41). Es könnte zweckmäßig sein, beide Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung (nicht aber Entscheidung) zu verbinden. Die Parteien des Erstprozesses sind im Hauptinterventionsprozess 2 gesetzliche Streitgenossen iSd § 11 Z 1. Ist Streitgegenstand die Herausgabe einer Sache, so geht das Klagebegehren im Hauptinterventionsprozess gegen den besitzenden Beklagten auf Herausgabe, gegen den nichtbesitzenden auf Feststellung. Auch im Hauptinterventionsprozess ist eine Feststellungsklage unzulässig, wenn auf Leistung geklagt werden kann (SZ 15/85 = ZBl 1934/19; RZ 1991/41). Urteilswirkungen: das Urteil im Hauptinterventionsprozess hat keine 3 Bindungswirkung im Erstprozess (Fasching Rz 392). Wer als Hauptintervenient in Betracht kommt, kann nicht als Neben- 4 intervenient einschreiten (zB heimfallberechtigte Republik im Erbrechtsstreit, OLG Wien WR 786).

Dritter Titel Beteiligung Dritter am Rechtsstreite Nebenintervention § 17. (1) Wer ein rechtliches Interesse daran hat, daß in einem zwischen anderen Personen anhängigen Rechtsstreite die eine Person obsiege, kann dieser Partei im Rechtsstreite beitreten (Nebenintervention). (2) Zu solchem Beitritte sind ferner alle Personen befugt, welchen durch gesetzliche Vorschriften die Berechtigung zur Nebenintervention eingeräumt ist. [Stammfassung] Lit: Holzhammer, Parteienhäufung und einheitliche Streitpartei; P. Böhm, Die Lehre vom Rechtsschutzbedürfnis, JBl 1974, 1; Ballon, Drittinteressen im Zivilprozeß nach österreichischem Recht, ZZP 101, 413; Deixler-Hübner, Die Nebenintervention im Zivilprozeß (1993); Chvosta, Prozesskostenrecht (2001); Pochmarski/Strauss, Die Rechtsprechung des OGH zum Regress von Prozesskosten, JBl 2002, 353; 501

§ 17

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Schubert in Fasching/Konecny II/1 Vor § 17, § 17; Fasching Rz 393 ff; Bajons Rz 70 ff; Ballon Rz 135; Deixler-Hübner, PraktZPR 133; Holzhammer 86; Rechberger/Simotta Rz 215 ff. Inhaltsübersicht Begriff des Nebenintervenienten Zulassungsvoraussetzungen

1 2

Insb rechtliches Interesse Gesetzliche Nebenintervention

3 4

1 Nebenintervention ist der Beitritt eines Dritten in einem zwischen anderen Personen (7 Ob 237/05m) anhängigen Prozess (auch im Mahnverfahren [3 Ob 51/05d]) zur Unterstützung einer Partei (als Streithelfer), an deren Obsiegen er ein rechtliches Interesse hat.

2 Voraussetzungen für die Zulässigkeit, die nach dem Zeitpunkt der Beschlussfassung zu beurteilen ist (EvBl 1963/410 = RZ 1963, 157 = ZVR 1964/23 ua), sind im Einzelnen: a) Partei- und Prozessfähigkeit des Nebenintervenienten (JBl 1954, 396); b) anhängiger Rechtsstreit (ab Klagszustellung; bis in das Revisions-, Wiederaufnahme- oder Nichtigkeitsklageverfahren; Ballon, ZZP 101, 413; Näheres bei Deixler-Hübner 33); c) zwischen anderen Personen (Partei kann nicht zugleich Nebenintervenient sein [7 Ob 237/05m], wohl aber Gesellschafter im Prozess der OG und umgekehrt; Fasching Rz 396 mwN; aA OLG Wien EvBl 1936/269); d) ein rechtliches Interesse am Obsiegen einer Partei.

3 Rechtliches Interesse (s eingehend Deixler-Hübner 79; vgl Vor § 226 Rz 9) ist gegeben, wenn die Entscheidung unmittelbar oder mittelbar auf die privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Verhältnisse des Nebenintervenienten günstig oder ungünstig einwirkt (MietSlg 26.467 ua). Wirtschaftliche Interessen reichen nicht aus, etwa die Verschlechterung der Bonität des Unterliegenden (SZ 14/21) oder das Interesse an der Einbringlichmachung einer dem Dritten haftenden, aber nicht überwiesenen Forderung (SZ 55/39: Deckungsanspruch), das Interesse am Ausgang eines Musterprozesses (SZ 53/163 = EvBl 1981/112 = MietSlg 32.643), jenes an bestimmten Beweisergebnissen (SZ 53/168 = EvBl 1981/112 = MietSlg 32.643) oder jenes des Anwalts am Obsiegen seiner Partei (LG Wien DREvBl 1941/15). Rechtliches Interesse bestand etwa für die Mutter im Vaterschaftsprozess des Kindes (LG Wien EFSlg 29.956 ua) und im Ehelichkeitsbestreitungsprozess (EFSlg 57.722 ua; auch für den als natürlicher Vater in Frage kommenden Mann: SZ 58/ 130; EvBl 1985/155); für den Haftpflichtversicherer im Prozess gegen den Versicherten (SZ 36/81 = EvBl 1963/410 = RZ 1963, 157 = ZVR 502

§ 18

1.1 Parteien

1964/23); für nicht erbserklärte Erben im Prozess der Verlassenschaft (RZ 1937, 235); für den Liegenschaftskäufer im Prozess eines anderen Käufers gegen den Verkäufer auf Verbücherung des Eigentums (GlUNF 3928); für den Regresspflichtigen, insb im Wechselprozess (EvBl 1960/ 103), für den Untermieter im Räumungsstreit gegen den Mieter (s § 20 Rz 2); für Mitbewohner der Wohnung im Aufkündigungsverfahren nur in besonderen Fällen (Antrag der Gattin auf Zuweisung der Wohnung schon gestellt (MietSlg 6107 (49), Eintrittsberechtigte [SZ 18/33 = RZ 1936, 117]; idR dagegen nur wirtschaftliches Interesse, LGZ Wien MietSlg 26.468; 36.745; 18.655; 15.610 = EFSlg 3221); ebenso im Verhältnis von Gemeinschuldner zu Masseverwalter (SZ 70/2). Der Nebenintervenient kann uU wählen, auf wessen Seite er dem Ver- 4 fahren beitritt (1 Ob 287/02s). Gesetzliche Nebenintervention iSd Abs 2 erfordert keine Prüfung des 5 rechtlichen Interesses; Fälle: Organwalter im Amtshaftungsverfahren (§ 10 AHG); betreibende Gläubiger und Verpflichteter im Drittschuldnerprozess (§ 310 EO); GmbH-Gesellschafter im Nichtigkeitsprozess (§ 42 Abs 5 GmbHG); vgl ferner § 9 KuratorenG, § 29 Abs 3 DSG, § 25 Abs 3 GenG (Deixler-Hübner 77). Zum Regress von Kosten s bei § 21 Rz 3. § 18. (1) Die Nebenintervention kann in jeder Lage des Rechtsstreites bis zu dessen rechtskräftiger Entscheidung durch Zustellung eines Schriftsatzes an beide Parteien erfolgen. Der Intervenient hat das Interesse, welches er am Siege einer der Prozeßparteien hat, bestimmt anzugeben. (2) Über den von einer der Prozeßparteien gestellten Antrag auf Zurückweisung des Nebenintervenienten ist nach vorhergehender mündlicher Verhandlung zwischen dem Bestreitenden und dem Intervenienten durch Beschluß zu entscheiden. Hiedurch wird der Fortgang des Hauptverfahrens nicht gehemmt. (3) Solange dem Zurückweisungsantrage nicht rechtskräftig stattgegeben ist, muß der Intervenient dem Hauptverfahren zugezogen werden und können Prozeßhandlungen desselben nicht ausgeschlossen werden. (4) Die Entscheidung, durch welche die Nebenintervention für zulässig erklärt wird, kann nicht durch ein abgesondertes Rechtsmittel angefochten werden. [Stammfassung] 503

6

§ 18

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Lit: Schubert in Fasching/Konecny II/1 § 18.

1 Im Beitrittsverfahren erfolgt über eine Schlüssigkeitsprüfung (EvBl 1999/148) hinaus keine meritorische Prüfung des rechtlichen Interesses, wenn nicht eine Hauptpartei remonstriert (SZ 45/141 = EvBl 1973/145 = JBl 1973, 421 [zust König] = RZ 1973/31 = EFSlg 18.486 ua; krit Deixler-Hübner 115). Das Gericht prüft daher bei Einlangen der Beitrittserklärung nur die formellen Voraussetzungen, bei deren Fehlen – allenfalls nach Sanierungsversuch – der Beitritt zurückzuweisen ist (Fasching Rz 401; SZ 13/12; JBl 1984, 265; LGZ Wien MietSlg 34.700).

2 Die Beitrittserklärung ist bei jener Instanz einzubringen, bei der die Rechtssache anhängig ist (SZ 45/141; wobl 1997/117 [Deixler-Hübner] = MietSlg 48.579; während ruhenden Verfahrens wirkt sie nicht, WR 947). Wird sie mit einer Berufung des Beitretenden verbunden, so muss sie den Hauptparteien, wenn diese nicht selbst berufen haben, noch vor Ablauf der Berufungsfrist zugestellt worden sein (SZ 36/85 = EvBl 1962/495; EvBl 1970/64 = JBl 1970, 261). Die Beitrittserklärung muss jene Tatsachen anführen, aus denen sich das Interventionsinteresse ableitet (EvBl 1967/10; RZ 1992/31 ua; Deixler-Hübner 68; bei Fehlen Verbesserungsverfahren [Fasching Rz 400; Deixler-Hübner 70]), aber nicht unbedingt als „Beitritt“ oder „Nebenintervention“ bezeichnet werden. Es genügt, dass dem Schriftsatz der Charakter als Beitritt deutlich zu entnehmen ist (RZ 1969, 32 = Arb 8568). Zugestellt wird der Schriftsatz auf Verfügung des Vorsitzenden (§ 25; doch kann die Zustellung durch Vortrag des Beitrittsschriftsatzes in der Tagsatzung ersetzt werden [4 Ob 224/01x = SZ 74/175 = JBl 2002, 395 ua]). Eine Schlüssigkeitsprüfung ist auch von Amts wegen vorzunehmen (Deixler-Hübner 113; EvBl 1999/148). In Arbeitsrechtssachen ist auch eine zu Protokoll gegeben Beitrittserklärung wirksam (SZ 68/218).

3 Der Zurückweisungsantrag steht der gegnerischen wie der zu unterstützenden Hauptpartei zu; er ist nicht form- (in der Verhandlung zu Protokoll; sonst schriftlich; OLG Wien JBl 1933, 281) und nicht fristgebunden (muss aber vor Einlassung des Bestreitenden in die Hauptsache erfolgen; Fasching Rz 402; Deixler-Hübner 117; NRsp 1990/180 = ZAS 1990/23). Es entscheidet das Gericht, bei dem der Beitritt erklärt wurde (Berufungsgericht im Berufungs- [EvBl 1960/292], OGH im Revisionsverfahren [RZ 1958, 59]), zwingend nach mündlicher Verhandlung mit dem Bestreitenden und dem Nebenintervenienten (der nun die Beitrittsvoraussetzungen glaubhaft zu machen hat) mit Beschluss (des Senats). Wird der Beitritt zurückgewiesen, so hat der Nebenintervenient 504

§ 19

1.1 Parteien

dem Bestreitenden die Kosten dieses Zwischenstreits zu ersetzen (OLG Wien WR 80; OLG Linz RZ 1992/31; Deixler-Hübner 132). Keine Unterbrechungswirkung des Bestreitungsverfahrens; auch eine 4 Unterbrechung nach § 190 wird mangels Präjudizialität (keine Bindung an die bloß bescheinigten Voraussetzungen) zweckwidrig sein. Rechtswirksame Handlungen des Nebenintervenienten bis zur 5 rechtskräftigen Zurückweisung seiner Beitrittserklärung. Danach sind an Stelle der Hauptpartei gesetzte Prozesshandlungen für unwirksam zu erklären (Fasching Rz 402; krit Deixler-Hübner 127). Rekurs: a) Gegen die Zurückweisung der Nebenintervention ist Re- 6 kurs (auch bis zu 2.000 €; § 517 Z 1; Fasching Rz 402) des Beitretenden und des Bestreitenden (uU verbunden mit Berufung in der Hauptsache, RZ 1998/67), nicht aber der anderen Hauptpartei (JBl 1984, 265) statthaft; b) gegen die Zulassung des Beitritts steht (auch in Arbeits- und Sozialrechtssachen, RZ 1991/61) kein abgesonderter Rekurs, sondern erst Rekurs gegen die nächste selbständig anfechtbare Entscheidung zu, meist also gegen die Endentscheidung (auch wenn diese unbekämpft bleiben soll, AnwZ 1934, 230; vgl JBl 1992, 120), mit deren Zustellung die Rekursfrist zu laufen beginnt (JBl 1987, 459 = RZ 1987/35; s auch Deixler-Hübner 128). § 19. (1) Der Intervenient muß den Rechtsstreit in der Lage annehmen, in welcher sich derselbe zur Zeit seines Beitrittes befindet. Er ist berechtigt, zur Unterstützung derjenigen Partei, an deren Sieg er ein rechtliches Interesse hat (Hauptpartei), Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend zu machen, Beweise anzubieten und alle sonstigen Prozeßhandlungen vorzunehmen. Seine Prozeßhandlungen sind insoweit für die Hauptpartei rechtlich wirksam, als sie nicht mit deren eigenen Prozeßhandlungen im Widerspruche stehen. (2) Mit Einwilligung beider Prozeßparteien kann der Intervenient auch an Stelle desjenigen, dem er beigetreten ist, in den Rechtsstreit als Partei eintreten. [Stammfassung] Lit: Schubert in Fasching/Konecny II/1 § 19. Prozesshandlungen des einfachen Nebenintervenienten wirken zu- 1 gunsten der Hauptpartei (zum Kostenersatz Vor § 40 Rz 6); er kann für 505

§ 20

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diese Prozesshandlungen vornehmen, so etwa neue Beweise anbieten (GlUNF 3317), Säumnisfolgen wie das Versäumungsurteil (GlUNF 3027; LGZ Wien Ind 1983/6, 14) oder Saumsalruhen (RZ 1933, 99) durch sein Erscheinen verhindern; Wiederaufnahme- und Nichtigkeitsklage erheben (SZ 46/216). Einzelheiten zu dogmatischen Einordnungsversuchen bei Deixler-Hübner (136, 145).

2 Einschränkungen der Rechte des einfachen Nebenintervenienten: a) Er muss den Prozess in der aktuellen Lage annehmen (Einzelheiten bei Fasching Rz 404); b) Dispositionsakte bleiben der Hauptpartei vorbehalten, so dass der Nebenintervenient nicht anerkennen, verzichten, die Klage ändern oder zurücknehmen, einen Zwischenfeststellungsantrag stellen (KG Leoben Arb 7825) oder Aufrechnungseinreden erheben kann (aA Deixler-Hübner 154); c) seine Prozesshandlungen dürfen nicht im Widerspruch zu jenen der Hauptpartei stehen, weil sie sonst wirkungslos sind (ZBl 1924/182; LGZ Graz MietSlg 47.586); so kann der Nebenintervenient nichts gegen eine Ruhensvereinbarung tun (RZ 1933, 99; LGZ Wien EvBl 1952/393; wohl aber Saumsalruhen verhindern, Deixler-Hübner 147); d) der einfache Nebenintervenient ist als Zeuge, nicht als Partei zu vernehmen. Aus all dem ergibt sich, dass er (außer iSd bei § 21 Rz 3 dargestellten Bindungswirkung) nicht von den Urteilswirkungen erfasst sein kann. Seine eigene Rechtsstellung wird nur durch eine ihn treffende Kostenentscheidung berührt (OLG Wien EvBl 1934/417.

3 Rechtsmittelrecht: a) auch dem einfachen Nebenintervenienten ist seit der E verstSenat 1 Ob 145/02h = SZ 2002/168 = JBl 2003, 315 Folgeentscheidungen zB 9 OBA 188/02s; 10 ObS 174/03s; 2 Ob 257/03p; 3 Ob 102/05d) eine eigene Urteilsausfertigung zuzustellen, sodass Fristen ab der Zustellung an den Nebenintervenienten laufen. b) Er kann – mangels Widerspruchs (zB Rechtsmittelverzicht der Hauptpartei, GlUNF 4369; Deixler-Hübner 146) – anstelle oder neben der Hauptpartei Rechtsmittel ergreifen (SZ 50/136 = JBl 1978, 600 uva).

4 Zum Kostenersatz des einfachen Nebeninterventienten s Vor § 40 Rz 7; Deixler-Hübner 176, Chvosta, Der Kostenersatzanspruch des Nebenintervenienten, ecolex 2001, 266.

5 Abs 2 gestattet – ausnahmsweise – einen gewillkürten Parteiwechsel. § 20. Wenn das in einem Prozesse ergehende Urteil kraft der Beschaffenheit des streitigen Rechtsverhältnisses oder kraft gesetzlicher Vorschrift auch in Bezug auf das Rechtsverhältnis des Interve506

§ 20

1.1 Parteien

nienten zum Gegner der Hauptpartei rechtlich wirksam ist, kommt dem Intervenienten die Stellung eines Streitgenossen zu (§ 14). [Stammfassung] Lit: Oberhammer, Das Auftragsverfahren in Bestandstreitigkeiten (1992) 126; Rechberger/Oberhammer, Das Recht auf Mitwirkung im österreichischen Zivilverfahren im Lichte von Art 6 EMRK, ZZP 106 (1993) 347; Deixler-Hübner, Nebenintervention 187. Schubert in Fasching/Konecny II/1 § 20; Fasching Rz 407; DeixlerHübner, PraktZPR 138; Rechberger/Simotta Rz 222. Die Voraussetzungen entsprechen denen für das Entstehen einer ein- 1 heitlichen Streitpartei (§ 14 Rz 1 bis 3); doch tritt ein Streitgenosse hier nicht als Hauptpartei auf. Zu dogmatischen Einordnungsversuchen s Deixler-Hübner (190); Fälle s § 14 Rz 2 und 3, Deixler-Hübner (204). Der Unterbestandnehmer wird von der Rsp nach § 20 behandelt, wo- 2 bei seine prozessuale Stellung infolge der Abhängigkeit seines Rechts vom Hauptbestandnehmer Besonderheiten aufweist. Er kann den Kündigungsstreit nicht gegen den Willen des Hauptmieters fortsetzen (SZ 2/ 36; SZ 10/55 = JB 31 uva, zuletzt JBl 1987, 182), kann Einwendungen für diesen nur innerhalb der dem Hauptmieter zustehenden Fristen erheben (SZ 10/55 = JB 31 ua, zuletzt LGZ Wien MietSlg 40.746). Fasching (Rz 407) subsumiert den Untermieter mangels Rechtskrafterstreckung nicht unter § 20. Oberhammer (Auftragsverfahren 126) gelangt bei eingehender Untersuchung zum Ergebnis, dass weder Rechtskraft noch Vollstreckbarkeit im technischen Sinn den Unterbestandnehmer betreffen (s Rz 3 zu § 568), er daher bloß einfacher Nebenintervenient sein kann (zust Deixler-Hübner 210). Dem streitgenössischen Nebenintervenienten kommt die Stellung 3 eines Streitgenossen nach § 14 zu. Die ganz überwiegende Lehre (Rechberger/Simotta Rz 222; Holzhammer 89, 96; Ballon Rz 92; Oberhammer, Auftragsverfahren 185; Rechberger/Oberhammer, ZZP 106, 355; Deixler-Hübner 199) behandelt ihn daher in jeder Hinsicht wie einen Streitgenossen einer einheitlichen Streitpartei (§ 14 Rz 6); dem folgt nunmehr (anlässlich einer Klage nach § 42 Abs 5 GmbHG) in EvBl 1990/30 = JBl 1990, 185 = ecolex 1990, 31 [zust Strigl] = NRsp 1990/23 = RdW 1990, 80 mit ausführlicher Argumentation auch der OGH. Nach Fasching (Rz 410) und Schubert in Fasching/Konecny § 20 Rz 11 sowie der früheren Rsp (EvBl 1989/40 ua) ist der streitgenössische Nebenintervenient jedoch nur im Prozess wie eine Partei zu behandeln, ohne es zu sein. Danach folgt seine Stellung nur hinsichtlich Betreibung 507

§ 21

Fucik

und Verfahrensdisposition dem § 14 (Delegierungsantrag: SZ 28/161; Fortsetzungsantrag: SZ 20/185), hinsichtlich von Sachdispositionen jedoch § 19 (SZ 24/341; LGZ Wien MietSlg 38.754).

4 Zum Kostenersatz s Vor § 40 Rz 7 und Deixler-Hübner 202. Streitverkündigung § 21. (1) Wer behufs Begründung zivilrechtlicher Wirkungen einen Dritten von einem Rechtsstreite zu benachrichtigen hat (Streitverkündigung), kann dies durch Zustellung eines Schriftsatzes bewirken, in welchem auch der Grund der Benachrichtigung anzugeben und die Lage des Rechtsstreites, falls derselbe bereits begonnen hat, kurz zu bezeichnen ist. (2) Mit einer solchen Benachrichtigung kann eine in den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes begründete Aufforderung zur Leistung der Vertretung im bereits anhängigen Rechtsstreite (Nebenintervention) verbunden werden. (3) Die Streitverkündigung gibt der benachrichtigenden Partei nicht das Recht, die Unterbrechung des anhängigen Rechtsstreites, die Erstreckung von Fristen oder die Verlegung einer zur Verhandlung bestimmten Tagsatzung zu begehren. [Stammfassung] Lit: Reischauer, Streitverkündung und Bindungswirkung, ÖJZ 1979, 57; Klicka, Bindungswirkung bei einfacher Nebenintervention und Streitverkündung? RZ 1990, 2; Rechberger/Oberhammer, ZZP 106, 347; Deixler-Hübner, Nebenintervention 157; Klicka, Wirkungen der Streitverkündung und der Nebenintervention, ecolex 1995, 397; Rassi, Pflicht zur amtswegigen Beiladung Dritter im Zivilprozeß, RZ 1996, 102; Rechberger, Rechtssicherheit, Entscheidungsharmonie und Bindung an Vorfrageentscheidungen. Überlegungen zu den objektiven Grenzen der Rechtskraft im österreichischen Zivilprozessrecht, FS Nakamura (1996) 477; Klicka, Die Bindungswirkung bei Nebenintervention und Streitverkündung – Zur Einführung der §§ 68 und 74 dZPO in Österreich durch den OGH mittels des LGVÜ, JBl 1997, 611; Kahl, Die Streitverkündung (1998). Schubert in Fasching/Konecny II/1 § 21; Fasching Rz 412 ff; DeixlerHübner, PraktZPR 143; Rechberger/Simotta Rz 223 ff.

1 Fälle: a) Gesetzlich vorgeschrieben ist die Streitverkündung insb in den Fällen der §§ 931 ABGB (Vormann bei Rechtsmängelhaftung), 310 EO (Verpflichteter bei Drittschuldnerklage), 10 AHG (regresspflichtiger 508

§ 21

1.1 Parteien

Organwalter), 3 Abs 1, 4 Abs 1 DHG (ausgleichspflichtiger Dienstgeber bzw regresspflichtiger Dienstnehmer), Art 71 WG, 53 Abs 2 SchG (regresspflichtige Wechsel- bzw Scheckverpflichtete); vgl §§ 2 Abs 2 MRG, 39 Abs 1 CMR, 29 Abs 3 DSG, 98 Abs 3 EheG; b) zweckmäßige Streitverkündung liegt vor, wo dem Adressaten damit der Einwand in einem Regressprozess genommen werden soll, die Partei habe das Verfahren nicht sorgfältig geführt (weshalb der Regress wegen Mitverschuldens zu mindern sei) und ein Streithelfer gewonnen werden soll (vgl SZ 67/145). Das Verfahren erschöpft sich in der ungeprüften Zustellung (Verfü- 2 gung des Vorsitzenden, § 25) an den Adressaten (SZ 37/130 = JBl 1965, 212). Jeder, der ein rechtliches Interesse am Verfahrensausgang hat, ist zur Streitverkündung berechtigt, nicht nur eine Partei (4 Ob 252/03t). Will der Adressat beitreten, so geschieht dies nach § 18 (JBl 1984, 265). Es besteht keine Rechtsgrundlage für eine amtswegige Beiladung (1 Ob 80/04b). Wirkung der Streitverkündigung: a) Auf den Lauf des Prozesses hat 3 sie keinen Einfluss; b) Bindungswirkung des Urteils im Hauptprozess gegen den erfolglos zur Nebenintervention Aufgeforderten? Die Bindung wurde zuletzt von einem verstSenat des OGH (SZ 70/60 = JBl 1997, 368 = ecolex 1997, 422 [krit Oberhammer], dazu auch Klicka, JBl 1997, 611) mit ausführlicher Darstellung der bisherigen Entwicklung der Lehre und Rsp vor allem wegen der durch das LGVÜ geschaffenen Anerkennungslagen bejaht: Sowohl der Nebenintervenient als auch der erfolglos durch Streitverkündung Aufgeforderte dürfen nach dieser E als Parteien eines Folgeprozesses keine rechtsvernichtenden oder rechtshemmenden Einreden erheben, die mit den notwendigen Elementen der Entscheidung des Vorprozesses in Widerspruch stehen. Die Rsp des OGH ist an diese E gebunden (vgl seither DRdA 1998, 34; ZfRV 1998, 168; SZ 70/200; SZ 70/241 = ecolex 1998, 307; 4 Ob 252/03t = EvBl 2004/70 ua), die Lehre (Rechberger/Simotta Rz 226; Deixler-Hübner, PraktZPR 143; Oberhammer, ecolex 1997, 422; Klicka, JBl 1997, 611; Chiwitt-Oberhammer, JAP 1997/98, 41; Hoyer, ecolex 1997, 741; Kahl, Streitverkündung 116) begegnet ihr hingegen mit einer Skepsis, die vor allem zeigt, wie dringend die Entwicklung eines umfassenden Bindungskonzepts wäre. c) Aus dem unterlassenen Beitritt und dem Umstand, dass die Partei ausreichend deutlich zeigt, die Sache des zum Beitritt Aufgeforderten vertreten zu wollen, kann ein Regressanspruch auch für Kosten resultieren (SZ 74/6; ecolex 2002/212, 576; ÖBA 2003/ 1087, 70). 509

§ 22

Fucik Benennung des Auktors

§ 22. (1) Wer als Besitzer einer Sache oder eines dinglichen Rechtes geklagt wird, sich aber in den Rechtsstreit nicht einlassen will, weil er im Namen eines Dritten zu besitzen behauptet, hat diesen (Auktor) sogleich nach Zustellung der Klage aufzufordern sich über sein Verhältnis zum Streitgegenstande oder zu dem in der Klage geltend gemachten Anspruch binnen vier Wochen mit Schriftsatz zu erklären. (2) Die Aufforderung an den Auktor erfolgt durch Zustellung eines Schriftsatzes, welcher die zur Begründung dieser Aufforderung erforderliche Mitteilung über den eingeleiteten Rechtsstreit zu enthalten hat. Eine Ausfertigung dieses Schriftsatzes ist dem Kläger mitzuteilen. [Fassung ZVN 2002 für nach dem 31.12.2002 bei Gericht eingelangte Klagen] Lit: Schubert in Fasching/Konecny II/1 § 22 ff; Fasching Rz 416 f.

1 Die Auktorbenennung ist eine besondere Art der Streitverkündung, die auf Übernahme statt Beitritt zum Prozess zielt. Die komplizierten Vorschriften werden selten praktiziert.

2 Voraussetzung ist eine Klage wegen Besitzes einer Sache oder eines dinglichen Rechts; bei schuldrechtlichen Ansprüchen ist sie nicht anwendbar (LG Wien EvBl 1936/764). Die E SZ 71/6 = EvBl 1998/125 = ÖBA 1998, 731 sieht sie als ein Mittel zur Abschüttelung der Prozesslast und ihrer Überwälzung auf den juristischen Besitzer. Sie ist daher nur statthaft, wenn der Beklagte als Besitzer einer Sache oder eines dinglichen Rechts belangt wird, diesen Besitz auch zugesteht, zugleich aber behauptet, nicht im eigenen, sondern im Namen eines Dritten zu besitzen (nicht also, wenn sich der Beklagte auf irrtümliche Zumittlung der Sache beruft). Bei einer Teilungsklage dient sie nicht dazu, den beklagten bücherlichen Miteigentümer durch einen Anteilskäufer zu ersetzen (2 Ob 141/01a = JBl 2002, 53).

3 Das Verfahren erschöpft sich in der – vom Vorsitzenden zu verfügenden (§ 25) – Zustellung des Schriftsatzes.

§ 23. (1) Erkennt der Auktor das vom Beklagten behauptete Verhältnis an, so kann er mit Zustimmung des Beklagten an dessen Stelle als Partei in den Rechtsstreit eintreten. Die Zustimmung des 510

§ 24

1.1 Parteien

Klägers ist hiezu nur insoweit erforderlich, als derselbe Ansprüche geltend macht, welche durch das zwischen Auktor und dem Beklagten bestehende Vertretungsverhältnis nicht berührt werden. (2) Kommt infolge der vom benannten Auktor abgegebenen Erklärung eine Einigung der Beteiligten in Ansehung der Übernahme des Prozesses durch den Auktor zustande, so hat der Vorsitzende auf entsprechenden Antrag den Beklagten noch vor der vorbereitenden Tagsatzung von der Klage zu entbinden. [Fassung ZVN 2002 für nach dem 31.12.2002 bei Gericht eingelangte Klagen] Lit: Wie bei § 22. Übernahme des Prozesses erfordert Erklärungen des Auktors und des 1 Beklagten (OLG Graz ZBl 1935/103). Kostenersatz gebührt nur im Zwischenstreit, wenn also der Kläger mit 2 seinem Widerspruch gegen die Übernahme unterliegt (GlUNF 1004), nicht aber, wenn der Auktor den Eintritt ablehnt (GlUNF 3638) oder sich der Kläger nicht gegen den Eintritt wendet (OLG Wien EvBl 1949/ 319). Das Rechtsmittelverfahren über einen Entbindungsbeschluss ist zwei- 3 seitig (2 Ob 293/00b = ÖJZ-LSK 2001/87).

§ 24. (1) Erstattet der Auktor trotz gehöriger Aufforderung keinen Schriftsatz, bestreitet er die Behauptung des Beklagten oder erklärt er sich in seinem Schriftsatz überhaupt nicht, so ist der Beklagte berechtigt, sich durch Befriedigung des Anspruchs des Klägers von der Klage zu befreien. (2) Inwiefern dem Auktor hieraus ein Anspruch auf Schadenersatz erwächst, ist nach dem bürgerlichen Recht zu beurteilen. [Abs 1 id Fassung ZVN 2002 für nach dem 31.12.2002 bei Gericht eingelangte Klagen] Lit: Wie bei § 22. Abs 1 ist wie Abs 2 als Verweisung auf das materielle Recht zu verstehen 1 (Schubert in Fasching/Konecny II/1 § 24 Rz 1).

511

§ 25

Fucik

§ 25. Die Zustellung der in den §§ 18, 21 und 22 bezeichneten Schriftsätze wird vom Vorsitzenden ohne vorgängige Beschlußfassung des Senates verfügt. [Stammfassung] Lit: Schubert in Fasching/Konecny II/1 § 25.

1 Kein Rekurs ist gegen die verfügte Zustellung zulässig (SZ 37/130 = JBl 1965, 212). Der Vortrag in der Tagsatzung ersetzt die Zustellung (4 Ob 224/01x = SZ 74/175 ua).

Vierter Titel Bevollmächtigte § 26. (1) Die Parteien können, sofern in diesem Gesetze nicht etwas anderes bestimmt ist, Prozeßhandlungen entweder in Person oder durch Bevollmächtigte vornehmen. (2) Die Vertretung durch einen Bevollmächtigten schließt auch in jenen Fällen, in welchen die Vertretung durch Rechtsanwälte geboten ist, nicht aus, daß die Partei in Begleitung ihres Bevollmächtigten vor Gericht erscheint und daselbst neben diesem mündliche Erklärungen abgibt. [Stammfassung] Lit: Frieders, Der Stand der anwaltlichen Freizügigkeit nach Inkrafttreten des EWR-Vertrages, AnwBl 1993, 297; Hempel, Der europäische Rechtsanwalt vor den österreichischen Gerichten, LJZ 1998, 73. Zib in Fasching/Konecny II/1 § 26; Fasching Rz 418 ff; Bajons Rz 82 ff; Ballon Rz 124 ff; Rechberger/Simotta Rz 235 ff.

1 Stellvertreter im Prozess ist, wer im Namen der Partei und an deren Stelle Prozesshandlungen vornimmt. Dies geschieht einerseits durch den gesetzlichen Vertreter des Prozessunfähigen, andrerseits durch gewillkürte Vertreter, also Prozessbevollmächtigte. Gesetzlicher Regelfall ist die Freiheit, ob und welchen Vertreter die – prozessfähige – Partei beizieht. Weitgehende Ausnahmen verpflichten aber in vielen Fällen die Partei, a) einen Rechtsanwalt beizuziehen (absolute Anwaltspflicht, § 27) oder b) nur entweder selbst oder durch einen Rechtsanwalt aufzutreten (relative Anwaltspflicht, § 29).

2 Das Vertretungsverhältnis im Prozess wird von der ZPO nicht abschließend geregelt, sondern setzt die Anwendung der privatrechtlichen 512

§ 26

1.1 Parteien

Vorschriften der Stellvertretung voraus (Koziol/Welser I 162 ff). Auch im Prozess sind daher Innenverhältnis (zB Auftrag an den RA; zum Verhältnis RA–Mandant ausführlich F. Graf, Anwaltshaftung (1991) 5 mwN) und Außenverhältnis (Vollmacht) zu trennen. Aufgrund des dreipersonalen, wenig auf die Vertrauens- und viel auf die Erklärungstheorie bauenden Prozessrechtsverhältnisses fragt das Prozessrecht aber nur nach dem Außenverhältnis (Fasching Rz 425). Partei und Anwalt können im Prozess ohne Anwaltspflicht (Partei- 3 prozess) auch nebeneinander handeln (zB statt des nichterschienenen Anwalts agieren, ZBl 1923/207; Näheres bei § 34). In allen, auch der Anwaltspflicht unterliegenden Prozessen (Anwaltsprozess) kann die Partei selbst Wissenserklärungen abgeben; sie (und nicht der RA) ist vom Richter informativ zu befragen (SZ 6/107; ZBl 1927/355). Das Standesrecht der Anwälte behandeln insb Tades/Hoffmann, RAO8 4 (2005) und Fasching (Rz 444 ff), jenes der Notare Wagner/Knechtel, NO4 (2003) und Fasching (Rz 453 ff) je mwN, das Recht der Berufsanwärter Mayr (Die österreichische Juristenausbildung2 [1998]). Mit Inkrafttreten des EWR hat auch das EWR-RAG 1993, BGBl 21, 5 Geltung erlangt, wonach einerseits (in Ausführung der Diplomanerkennungsrichtlinie) erleichterte Eintragungsmöglichkeiten für in anderen EWR-Staaten schon zugelassene Anwälte, andrerseits (in Ausführung der Dienstleistungsrichtlinie) die Vertretung durch ausländische Anwälte vor österreichischen Gerichten ermöglicht wird. An Stelle des EWR-RAG ist das EuRAG getreten. An sich hat der fremde Anwalt die Rechte und Pflichten eines österreichischen (§ 5 Abs 1 EuRAG; LGZ Wien EFSlg 85.211), bedarf allerdings im Anwaltsprozess des Einvernehmens eines in Österreich eingetragenen RA, der darauf hinzuwirken hat, dass der ausländische RA bei der Vertretung die Erfordernisse einer geordneten Rechtspflege beachtet, ohne dass zwischen Partei und inländischem Einvernehmensanwalt ein Vertretungsverhältnis zustande käme (§ 5 Abs 1 EuRAG). Das Einvernehmen ist bei der ersten Verfahrenshandlung gegenüber dem Gericht schriftlich nachzuweisen (ebenso ein Widerruf). Ohne Einvernehmensnachweis vorgenommene Rechtshandlungen des ausländischen Anwalts gelten als nicht von einem RA vorgenommen (§ 5 Abs 2 EuRAG). Zuzustellen ist dem vom ausländischen Anwalt namhaft gemachten inländischen Zustellungsbevollmächtigten, mangels Namhaftmachung in Anwaltsprozessen dem Einvernehmensanwalt; in Parteiprozessen gilt § 10 ZustG (Hinterlegung ohne Zustellversuch; § 6 EuRAG). Vgl auch Frieders, AnwBl 1993, 297; Hempel, LJZ 1998, 73 und Tades/Hoffmann, RAO8, 248. 513

§ 27

Fucik

§ 27. (1) Vor den Bezirksgerichten in Sachen, deren Streitwert an Geld oder Geldeswert 4000 Euro übersteigt, in Rechtsstreitigkeiten nach § 502 Abs 5 Z 3 und vor allen höheren Gerichten müssen sich die Parteien durch Rechtsanwälte vertreten lassen (absolute Anwaltspflicht). (2) Der Abs 1 findet – vorbehaltlich des § 29 Abs 1 – keine Anwendung auf die Angelegenheiten, die von Gesetzes wegen ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes vor die Bezirksgerichte gehören, und, soweit dieses Gesetz nicht etwas anderes bestimmt, auch nicht auf diejenigen Prozeßhandlungen, welche vor einem ersuchten oder beauftragten Richter, vor dem Gerichtsvorsteher oder Vorsitzenden eines Senates vorgenommen werden; der Abs 1 gilt auch nicht für die in der Gerichtskanzlei vorzunehmenden Erklärungen und Handlungen. (3) Der Abs 1 findet ferner keine Anwendung auf eine Tagsatzung, in der ein Klagebegehren mit einem Streitwert bis 4000 Euro auf einen solchen über 4000 Euro erweitert wird, und schließlich auch nicht auf Vergleiche vor einem Bezirksgericht, selbst wenn deren Betrag oder Geldeswert 4000 Euro übersteigt. (4) Die Vertretungsbefugnis der Finanzprokuratur bleibt auch in den Fällen, in welchen die Vertretung der Parteien durch Rechtsanwälte geboten ist, unberührt. [Abs 1 idF ZVN 2004 (für nach dem 31.12.2004 bei Gericht eingelangte Klagen); Abs 2 idF ZVN 2002 (für nach dem 31.12.2002 bei Gericht eingelangte Klagen); Abs 3 idF 2. Euro-JuBeG; Art XXXII Z 8 WGN 1997); Abs 4 (vor WGN 1989 als Abs 3) Stammfassung] Lit: M. Bydlinski/K. Nowakowski, Streitwert und Anwaltszwang beim Bezirksgericht, RZ 1990, 164; Hule, Ungeplante Änderungen von Rechtsnormen? Drei Beispiele aus der WGN 1989, RZ 1991, 134; Robl, Nochmals: Streitwert und Anwaltspflicht beim Bezirksgericht, RZ 1992, 112. Zib in Fasching/Konecny II/1 § 27; Fasching Rz 436 ff; Bajons Rz 82; Ballon Rz 130 ff; Dolinar/Holzhammer, Zivilprozeßrecht I 7; Rechberger/Simotta Rz 242. Inhaltsübersicht Wesen der Anwaltspflicht Absolute Anwaltspflicht Sachliche Ausnahmen Persönliche Ausnahmen

1 2 3 4 514

Zusammenrechnung und Anwaltspflicht Vergleiche Verstoß gegen Anwaltspflicht

5 6–7 8

§ 27

1.1 Parteien

Anwaltspflicht (vor der WGN 1989: „Anwaltszwang“; von Dolinar/ 1 Holzhammer 7 zutreffend „Anwaltslast“ genannt) legt den Parteien bei einer Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten die Obliegenheit auf, sich durch einen Rechtsanwalt vertreten zu lassen; mit Art 6 Abs 3 MRK ist dies vereinbar (1 Ob 108/00i = JBl 2001, 327; JBl 1970, 617 = RZ 1970/104), geschieht es doch primär im Interesse rechtsunkundiger Parteien, denen mit der richterlichen Belehrungspflicht allein nicht immer geholfen wäre; auch Gericht und Allgemeinheit können durch rechtskundig geführte Prozesse entlastet werden. Absolute Anwaltspflicht besteht a) vor den BG in Rechtssachen mit 2 einem 4.000 € übersteigenden Streitwert (Ausnahmen s Rz 3); b) vor den GH I, OLG und dem OGH in allen Rechtssachen. Sachliche Ausnahmen von der absoluten Anwaltspflicht bestehen in 3 bestimmten Rechtssachen, nämlich a) in Verfahren mit Eigenzuständigkeit des BG (s § 49 JN Rz 2 ff), va Unterhalts-, Ehelichkeitsbestreitungs-, Ehe-, Besitzstörungs- und Bestandsachen; mit der EONov 1991 wurde die von Hule (RZ 1991, 134) gerügte zu enge Fassung der WGN 1989 erweitert, so dass nun auch Fälle individueller Zuständigkeit des BG, va also exekutionsrechtliche Klagen (Exszindierungsklage [ecolex 2000/88, 203 = RZ 2000/39]; Oppositions- und Impugnationsklagen, sofern sie nicht bei einem GH I als Titelgericht angebracht werden) umfasst sind; alle Ehesachen (7 Ob 10/05d) und die übrigen Rechtssachen dann, wenn der Streitwert 4.000 € übersteigt, unterliegen allerdings der relativen Anwaltspflicht; b) Verfahren, die gem § 79 (Klagen von und gegen Richter), § 94 Abs 2 JN (Honorarklagen der Prozessund Zustellbevollmächtigten) oder § 179 KO vor einem GH I angebracht werden (Art XIV EGJN); c) Arbeits- und Sozialrechtssachen: § 40 ASGG lässt in erster und zweiter Instanz Vertretung durch qualifizierte Personen (Rechtsanwälte, Funktionäre und Arbeitnehmer gesetzlicher Interessenvertretungen oder freiwilliger kollektivvertragsfähiger Berufsvereinigungen, Arbeitnehmer, Prokuristen, Organmitglieder der Versicherungsträger, Bedienstete der Arbeitsämter), in erster Instanz darüber hinaus Vertretung durch andere Personen (Arbeitnehmer, Prokuristen, Organmitglieder; Betriebsratsmitglieder, andere geeignete Personen; Näheres bei Kuderna 241) zu; nur vor dem OGH herrscht auch hier absolute Anwaltspflicht. Weiters sind einzelne Prozeßhandlungen von der absoluten Anwaltspflicht ausgenommen, und zwar d) Prozesshandlungen im Rahmen des Verfahrens vor dem ersuchten Richter (nicht aber Dispositionsakte, die in die mStV gehören, OLG Wien EvBl 1935/462: Klagezurücknahme in einer Rechtshilfetagsatzung), vor dem beauftragten 515

§ 27

Fucik

Richter bzw dem Vorsitzenden; f) Protokollaranträge vor der Gerichtskanzlei (zB Ablehnung); g) Anträge nach den §§ 72 Abs 3 (Verfahrenshilfe), 324 Abs 2 (Zeugnisverweigerung), 367 (Verweigerung von Befund bzw Gutachten), 451 Abs 1 (Erhebung und Zurücknahme des Einspruchs), 465 Abs 2 (Protokollarberufung), 520 Abs 1 (Protokollarrekurs), 582 Abs 1 (Schiedsrichterbestellung), §§ 38 Abs 1 (Gebührenbestimmunganträge) und 41 Abs 3 (Gebührenrekurse) GebAG 1975; h) Tagsatzungen, in denen Klagebegehren von einem Streitwert bis 4.000 € auf einen solchen darüber ausgedehnt werden; i) zum Vergleich s Rz 6.

4 Persönliche Ausnahmen von der absoluten Anwaltspflicht bestehen a) im Rahmen des § 28 (s dort); b) für die Jugendwohlfahrtsträger für Klagen und Verfahren erster Instanz über Feststellung der Vaterschaft und Unterhalt (Art XXXIX WGN 1989); c) für jene Rechtsträger, die von der Finanzprokuratur vertreten werden (s ProkG StGBl 1945/ 172; abgedruckt zB bei Klauser/Kodek 298).

5 In der Frage, ob Anwaltspflicht besteht, wenn mehrere, einzeln nicht

4.000 € übersteigende Ansprüche gemeinsam geltend gemacht werden, ist in analoger Anwendung des § 55 Abs 5 JN danach zu differenzieren, ob die Streitwerte nach § 55 Abs 1 JN zusammenzurechnen sind (RZ 1990/97 [abl M. Bydlinski/K. Nowakowski]; Robl, RZ 1992, 114; für Zusammenrechnung in jedem Fall M. Bydlinski/K. Nowakowski, RZ 1990, 164; Fasching Rz 442).

6 Vergleiche: a) Vor den BG können die Parteien Vergleiche (auch wenn materiell ein Anerkenntnisvertrag dahinter steht [JBl 2003, 251]) ohne Anwalt schließen (und bedingte Vergleiche widerrufen; SZ 65/12 = EvBl 1992/83), auch wenn der Streitwert 4.000 € übersteigt; b) vor dem GH I bedarf der Vergleich anwaltlicher Mitwirkung (unvertreten geschlossene Vergleiche sind nur materiell-rechtlich wirksam; SZ 24/ 313; RZ 1957, 13 ua), doch können die Parteien unvertreten Vergleiche über Gegenstände schließen, die nicht Prozessgegenstand waren (EvBl 1961/436 = JBl 1962,90; diese Vergleiche sind jenen nach § 433 gleichzuhalten) und Dritte können in einem Verfahren mit Anwaltspflicht unvertreten einem zwischen den Parteien geschlossenen Vergleich beitreten (SZ 56/98 = EvBl 1983/165 = JBl 1984, 500; vgl aber Mayr, Der Tonbandvergleich mit Dritten, RZ 2000, 210).

7 Dritte trifft idR keine Anwaltspflicht (zB Rekurs des Zeugen [LGZ Wien MietSlg 45.619] oder Vertreters [EvBl 1999/15] gegen eine Ordnungsstrafe). 516

§ 28

1.1 Parteien

Ein Verstoß gegen die Anwaltspflicht bildet keinen Nichtigkeits- 8 grund, sondern allenfalls einen Verfahrensmangel (EvBl 1999/32; 2 Ob 197/05t). Schriftliche Prozesshandlungen sind zur Verbesserung zurückzustellen, in Tagsatzungen tritt Säumnis ein (5 Ob 93/01i). § 28. (1) Rechtsanwälte, Notare, zur Ausübung des Richteramtes befähigte Personen und Beamte der Finanzprokuratur, die die Rechtsanwaltsprüfung abgelegt haben, bedürfen, wenn sie in einem Rechtsstreite als Partei einschreiten, weder in der ersten noch in einer höheren Instanz der Vertretung durch einen Rechtsanwalt. (2) Wird gegen eine solche Partei während der Dauer des Prozesses die Disziplinarstrafe der Streichung von der Rechtsanwaltsliste, der Entsetzung vom Amte, der Versetzung in den Ruhestand oder der Dienstentlassung verhängt, so ist von ihr für das weitere Verfahren, sofern in demselben die Vertretung durch Rechtsanwälte geboten ist, ein Rechtsanwalt zu bestellen. Eine Unterbrechung des Verfahrens findet deshalb nicht statt. [Abs 1 idF BGBl 1987/523, sonst Stammfassung] Lit: Popp, Die neue Zustellung zwischen Rechtsanwälten im Zivilprozess, RdW 2000, 523. Zib in Fasching/Konecny II/1 § 28, sonst wie bei § 27. Persönlich von der Rechtsanwaltspflicht ausgenommen sind die in 1 § 28 aufgezählten Personen, die eine der „klassischen juristischen Berufsprüfungen“ absolviert haben. Da jene ordentlichen Universitätsprofessoren, die für ein „judizielles 2 Fach“ der Richteramtsprüfung (§ 16 Abs 4 Z 1 bis 4 RDG: Bürgerliches Recht samt IPR und Arbeitsrecht, Handels-, Wertpapier-, Immaterialgüterrecht und gewerbl Rechtsschutz, Zivilgerichtsverfahrensrecht, Straf- und Strafprozessrecht) ernannt sind, gem § 26 Abs 2 RDG auch ohne die Voraussetzungen des Abs 1 zu Richtern ernannt werden können, sind sie als zum Richteramt befähigt anzusehen (vgl Mayr, Juristenausbildung2, 252, aber wohl auch Fasching Rz 441 arg: „soweit sie nicht die Befähigung zum Richteramt haben“). Nach dem Wortlaut könnte vertreten werden, dass emeritierte Anwäl- 3 te vom Selbstvertretungsrecht ausgenommen sind (so etwa EvBl 1989/ 33 = NRsp 1988/116 = AnwBl 1988, 422 [abl Strigl]), va Gleichbehandlungserwägungen führen aber zum Ergebnis, dass freiwilliger Verzicht auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft nicht zum Wiederaufleben 517

§ 29

Fucik

der Anwaltspflicht führt (1 Ob 237/04s = SZ 2004/166 = EFSlg 1068.801; NRsp 1988/85; ebenso OLG Wien WR 275; vgl Gebauer, Alles klar? Der nicht mehr aktive Rechtsanwalt, AnwBl 1988, 648).

4 Von der Anwaltspflicht ausgenommen sind die genannten Personen nicht nur als Partei, sondern auch als gesetzlicher Vertreter (SZ 42/8 ua) oder Organ (SZ 42/190).

5 Erlöschen der persönlichen Befreiung tritt nur in den in Abs 2 genannten Fällen ein, nicht also etwa bei Einstellung der Rechtsanwaltschaft nach § 17 DSt (EvBl 1983/33), Abweisung eines Konkursantrags mangels kostendeckenden Vermögens (9 ObA 98/05k) oder Suspendierung eines Notars (SZ 6/121). Zum europäischen Rechtsanwalt vgl 1 Ob 175/ 03x = EvBl 2004/70. § 29. (1) Soweit eine Vertretung durch Rechtsanwälte nicht geboten ist, kann jede eigenberechtigte Person zum Bevollmächtigten bestellt werden, jedoch sind in Ehesachen (§ 49 Abs 2 Z 2a JN) und in Sachen, deren Streitwert an Geld oder Geldeswert 4000 Euro übersteigt, an Orten, an denen wenigstens zwei Rechtsanwälte ihren Sitz haben, nur Rechtsanwälte als Bevollmächtigte zuzulassen (relative Anwaltspflicht). (2) Der § 27 Abs 3 gilt sinngemäß. (3) Personen, welche dem Richter als Winkelschreiber bekannt sind, dürfen weder zur Verhandlung, noch zu anderen Prozeßhandlungen als Bevollmächtigte zugelassen werden. Gegen diese Verweigerung der Zulassung ist ein abgesondertes Rechtsmittel nicht statthaft. [Abs 1 idF AußStr-BegleitG; Abs 2 idF WGN 1989 (für nach dem 31.7.1989 angebrachte Klagen, Art XLI Z 7 lit a WGN 1989); Abs 3 (vor WGN 1989 als Abs 2) Stammfassung] Lit: Zib in Fasching/Konecny II/1 § 29, sonst wie bei § 27.

1 Relative Anwaltspflicht besteht in Ehesachen und vor dem BG in

Streitsachen, deren Streitwert 4.000 € übersteigt, die aber – Eigenzuständigkeit, individuelle Zuständigkeit – von der absoluten Anwaltspflicht ausgenommen sind. Nur wenn am Ort des Gerichts nicht wenigstens zwei – nicht soziierte – Rechtsanwälte ihren Sitz haben, gilt nicht einmal relative Anwaltspflicht. Zur Zusammenrechnung s § 27 Rz 5.

2 Vertretungsrecht der Notare besteht trotz Anwaltspflicht an Orten, an denen nicht wenigstens zwei – nicht soziierte – Rechtsanwälte ihren 518

§ 30

1.1 Parteien

Kanzleisitz haben und er als GKoär herangezogen wird (§ 5 Abs 2 NO; siehe Fasching, Die Stellung des Notars im Zivilprozeß nach den letzten Änderungen des Zivilverfahrensrechts, FS Wagner [1987] 113). Winkelschreiber sind Personen, die unbefugterweise in Verfahren mit 3 absoluter Anwaltspflicht einschreiten oder entgeltlich für Parteien vor Gericht agieren oder Schriftsätze verfassen (vgl Art IV EGZPO Rz 2 f; WinkelschreiberV, RGBl 1857/114, abgedruckt zB bei Klauser/Kodek 301). § 30. (1) Bevollmächtigte haben bei der ersten von ihnen in einer Streitsache vorgenommenen Prozeßhandlung ihre Bevollmächtigung durch eine Urkunde (Vollmacht) darzutun, welche in Urschrift oder in beglaubigter Abschrift vorzulegen ist und bei Gericht zurückbehalten werden kann. Geschieht dies mit einer Privaturkunde und entstehen gegen deren Echtheit Bedenken, so kann das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen eine gerichtliche oder notarielle Beglaubigung der Unterschrift anordnen; diese Anordnung kann durch ein Rechtsmittel nicht angefochten werden. (2) Schreitet ein Rechtsanwalt oder Notar ein, so ersetzt die Berufung auf die ihm erteilte Bevollmächtigung deren urkundlichen Nachweis. (2a) Schreitet ein Jugendwohlfahrtsträger als Sachwalter (§ 212 Abs 2 oder 3 ABGB) oder auf Grund eines gerichtlichen Beschlusses ein, so ist der Abs 2 sinngemäß anzuwenden. (3) Die Erklärung über die erteilte Bevollmächtigung kann vor Bezirksgerichten, wenn die Parteien bei einer in der Streitsache anberaumten Tagsatzung mit dem Bevollmächtigten persönlich vor Gericht erscheinen, auch zu gerichtlichem Protokoll aufgenommen werden. [Abs 1 und 2 idF ZVN 1983; Abs 2a eingefügt mit WGN 1997; Abs 3 Stammfassung] Lit: Oberhammer, Erlauben §§ 30 Abs 2 ZPO, 8 Abs 1 RAO und 5 Abs 4a NO eine konkludente Berufung auf die erteilte Vollmacht? RdW 1994, 271; H. Pichler, Was bringt die Erweiterte Wertgrenzen-Novelle Wichtiges für das Jugendamt? ÖA 1998, 84. Zib in Fasching/Konecny II/1 § 30, sonst wie bei § 31. Voraussetzungen einer wirksamen Bevollmächtigung sind Geschäfts- 1 fähigkeit des Machtgebers (SZ 58/192 = JBl 1986, 778; s auch Hoyer, Gesetzlicher Unterhalt nach einverständlicher Scheidung, JBl 1986, 519

§ 30

Fucik

772) und des Bevollmächtigten (daher keine Vollmacht an OG oder juristische Person; LGZ Wien MietSlg 36.747; auch die Funktionäre iSd § 40 ASGG bedürfen daher einer namentlichen Vollmacht des Vertretenen, Kuderna 203; anders allerdings § 21e RAO, wonach eine einer Rechtsanwalts-Gesellschaft erteilte Vollmacht jedem vertretungsbefugten Partner als erteilt gilt, soweit der Klient nichts anderes bestimmt), nicht aber eine bestimmte Form (SZ 41/95 uva). Verweisung auf die in einem anderen Akt erliegende Vollmachtsurkunde reicht aus (LGZ Wien EvBl 1952/67; nicht auf Akten anderer Gerichte: SZ 43/52).

2 Berufung auf die erteilte Vollmacht genügt bei RA (RA-Partnerschaft), Anwaltsgehilfen (LGZ Wien RPflSlgE 1994/92), Finanzprokuratur (SZ 69/242) und Notar. In der Formulierung „vertreten durch“ kann man entgegen LG Feldkirch, AnwBl 1983, 661, keine ausreichend deutliche Berufung auf die erteilte Vollmacht erkennen (RZ 1993/87; LGZ Wien EFSlg 60.755), weil sich eine Vertretungsmacht nicht nur aus einer Vollmacht ableiten lässt (Oberhammer, RdW 1994, 241; NZ 1994, 291; MietSlg 48.580). Nähere Prüfung, ob tatsächlich eine Vollmacht erteilt wurde, ist nur wegen konkreter Bedenken angezeigt (OLG Wien, AnwBl 1984, 404; SZ 57/131; dazu Petrasch, ÖJZ 1985, 258; Pfersmann, ÖJZ 1987, 110; NZ 1997, 330; s auch EFSlg 82.153), ein auf Vollmachtsvorlage gerichteter Auftrag ist unanfechtbar (OLG Wien 3 R 192/00b). Auch der RA, der eine juristische Person vertritt, muss nicht angeben, wer – als gesetzlicher Vertreter – für sie Vollmacht erteilt hat (SZ 57/131 = AnwBl 1984/629 (zust Eder); LGZ Wien WR 170; aA noch OLG Wien WR 13). Der erleichterte Nachweis zwingt den RA freilich disziplinär zur besonderen Sorgfalt (OBDK AnwBl 1996, 622).

3 Erleichterter Vollmachtsnachweis ist auch im Exekutions- und Insolvenzverfahren möglich. Für das Grundbuchsverfahren (§ 77 GBG) war dies nach der ZVN 1983 strittig (zum Streitstand vgl Fasching Rz 428; EFSlg 64.458; 52.497/8), doch ersetzt nun (seit 1.1.1991, BGBl 1990/474) die Berufung auf die Bevollmächtigung vor allen Gerichten und Behörden deren urkundlichen Nachweis (§ 8 Abs 1 Satz 2 RAO, § 5 Abs 4a NO). Auch in § 6 Abs 4 AußStrG wird nun auf § 30 verwiesen.

4 Beim Jugendwohlfahrtsträger ersetzt die Berufung auf den entsprechenden Tatbestand den urkundlichen Nachweis a) der schriftlichen Zustimmung in den Fällen des § 212 Abs 2 ABGB (Muss-SW bei Unterhalts- und Vaterschaftssachen) und des § 212 Abs 3 ABGB (Kann-SW in den übrigen Fällen), b) des Bestellungsbeschlusses (§ 213 ABGB), c) des Beschlusses über die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen (§ 9 UVG) und wohl auch d) aller anderen Umstände, aus denen sich eine Ein520

§ 31

1.1 Parteien

schreiterbefugnis ergeben kann (§ 211 ABGB: Findelkind, minderjährige außereheliche Mutter; vgl H. Pichler, ÖA 1998, 85). § 31. (1) Die einem Rechtsanwalte erteilte Vollmacht zur Prozeßführung (Prozeßvollmacht) ermächtigt kraft Gesetzes: 1. zur Anbringung und Empfangnahme der Klage und zu allen den Rechtsstreit betreffenden Prozeßhandlungen einschließlich derjenigen, welche durch eine Widerklage, durch eine Wiederaufnahme des Verfahrens, durch den Antrag auf einstweilige Verfügungen, oder durch eine im Sinne des § 16 erfolgte Klageführung veranlaßt werden; 2. zum Abschlusse von Vergleichen über den Gegenstand des Rechtsstreites, zu Anerkenntnissen der vom Gegner behaupteten Ansprüche, sowie zu Verzichtsleistungen auf die von der bevollmächtigten Partei geltend gemachten Ansprüche; 3. zur Einbringung der Exekution wider den Prozeßgegner, zur Vornahme aller im Exekutionsverfahren auf Seiten des Exekutionsführers vorkommenden Handlungen und zur Erwirkung des Sicherungsverfahrens; 4. zur Empfangnahme der von dem Prozeßgegner zu erstattenden Prozeßkosten. (2) Der Rechtsanwalt kann die ihm erteilte Prozeßvollmacht für einzelne Akte oder Abschnitte des Verfahrens an einen anderen Rechtsanwalt übertragen. Inwiefern der Rechtsanwalt berechtigt ist, sich durch einen Rechtsanwaltsanwärter vertreten zu lassen, regelt die Rechtsanwaltsordnung. (3) Der Rechtsanwalt kann sich ferner bei den im Zwangsvollstreckungsverfahren vorkommenden Vollzugshandlungen, Tagsatzungen und Einvernehmungen durch einen bei ihm angestellten, vertretungsbefugten Kanzleibeamten vertreten lassen. Die Vertretungsbefugnis wird vom Ausschusse der Rechtsanwaltskammer auf Antrag des Rechtsanwalts durch Ausfertigung einer Beglaubigungsurkunde gewährt. Sie kann vom Ausschusse jederzeit zurückgenommen werden. [Abs 1 Stammfassung. Abs 2 idF DSt 1990, BGBl 474 seit 1.1.1991; Abs 3 idF ZVN Abs 2 idF ZVN 2002 für nach dem 31.12.2002 bei Gericht eingelangte Klagen] Lit: Frauenberger, Zur Reichweite der kleinen LU im Zivilverfahren, RZ 1995, 154; Saria, Grenzen des Einsatzes von Rechtsanwaltsanwärtern mit kleiner LU, JAP 1995/96, 174. Zib in Fasching/Konecny II/1 § 31; Fasching Rz 427 ff; Ballon Rz 133; Rechberger/Simotta Rz 236 ff. 521

§ 31

Fucik Inhaltsübersicht

Umfang der Prozessvollmacht 1 Substitution 2 Rechtsanwaltsanwärter 3

Mittlerweiliger Stellvertreter Kanzleibedienstete

4 5

1 Prozessvollmacht als Legalvollmacht hat iw unbeschränkbar (s aber § 32) einen gesetzlich umschriebenen Inhalt. Sie deckt jedoch nicht vom Streitgegenstand nicht umfasste rechtsgeschäftliche Willenserklärungen (JBl 1988, 654 = AnwBl 1988, 475). Hinsichtlich des einem Hauptverfahren, in dem eine EV erlassen worden war, folgenden Verfahrens nach § 394 EO wirkt sie weiter (SZ 68/32), aber hinsichtlich des dem Hauptverfahren folgenden Exekutionsverfahrens deckt sie weder die Vertretung des Verpflichteten (EvBl 1970/10), noch die Führung von Prozessen nach §§ 35 bis 37 EO (EvBl 1963/429) oder die Anerkennung des Eigentums eines Exszindierungswerbers (GlUNF 6426). Auch zur Empfangnahme anderer Gelder als Prozesskosten bedarf es einer besonderen Vollmacht („Geldvollmacht“).

2 Substitution begründet kein Vollmachtsverhältnis zwischen Mandanten und Substituten (EvBl 1963/164 = SZ 35/130); den Anwalt, der einem anderen substituiert, trifft keine Erfüllungsgehilfenhaftung, sondern nur ein allfälliges Auswahlverschulden (F. Graf, Anwaltshaftung 115). Die Substitutionsbefugnis des § 14 RAO wird durch § 6 Abs 2 Z 2 KSchG beschränkt (F. Graf 117 mwN).

3 Rechtsanwaltsanwärter kann der RA (bei voller Erfüllungsgehilfenhaftung; Tades/Hoffmann, RAO8, 35) heranziehen, wenn a) keine absolute (Frauenberger, RZ 1995, 155; LGZ Wien MietSlg 47.587; Ballon Rz 133) Anwaltspflicht besteht (§ 15 Abs 3 RAO) oder b) der RAA substitutionsberechtigt ist (§ 15 Abs 1 RAO), was durch große LU (Legitimationsurkunde) nachgewiesen wird (§ 15 Abs 4 RAO). Substitutionsberechtigt sind Rechtsanwaltsanwärter mit Prüfung ex lege und andere RAA, denen der Ausschuss der RAK sie verliehen hat (Näheres in § 15 Abs 2 RAO), sowie die gemäß § 9a RDG einem RA zugeteilten Richteramtsanwärter (§ 9a Abs 6 RDG).

4 Vom Ausschuss der RAK bestellte mittlerweilige Stellvertreter (§ 28 Abs 1 lit h RAO) sind ohne Prozessvollmacht nicht vertretungsbefugt (EvBl 1972/44 = RZ 1971, 175 ua).

5 Kanzleibedienstete zieht der RA auf eigene Gefahr heran. 522

§ 33

1.1 Parteien

§ 32. Eine Beschränkung des gesetzlichen Umfanges der Prozeßvollmacht hat, auch wenn sie in der Urkunde ausgedrückt ist, dem Gegner gegenüber nur insoweit rechtliche Wirkung, als die Beschränkung die im § 31 Abs 1 Z 2 und 3 bezeichneten Befugnisse betrifft und dem Gegner besonders bekannt gegeben wurde. [Stammfassung] Lit: wie bei § 31. Im Außenverhältnis kann die Prozessvollmacht nur im Rahmen des 1 § 32 beschränkt werden (EvBl 1977/43); zur Bekanntgabe reicht mündliche oder außergerichtliche schriftliche Mitteilung aus (ZfRV 1987, 205). Zeitliche Beschränkungen der Prozessvollmacht sind zulässig (EvBl 2 1989/49 = JBl 1989, 51 = RZ 1990/17: zur Verrichtung der mündlichen Berufungsverhandlung). § 33. (1) Personen, welche nicht Rechtsanwälte sind, kann die Partei entweder eine Prozeßvollmacht erteilen, oder sie kann dieselben auch nur für einzelne bestimmte Prozeßhandlungen bevollmächtigen. (2) Umfang, Wirkung und Dauer der Prozeßvollmacht sind nach den Bestimmungen dieses Gesetzes, Umfang, Wirkung und Dauer einer Vollmacht zu einzelnen Prozeßhandlungen aber, sofern im folgenden nichts anderes angeordnet ist, nach dem Inhalte dieser Vollmacht und nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes zu beurteilen. [Stammfassung] Lit: Zib in Fasching/Konecny II/1 § 33, sonst wie bei § 31. Einem Rechtsanwalt (einer RA-Gesellschaft) kann nur Prozessvoll- 1 macht erteilt werden, anderen Personen entweder Prozessvollmacht oder eine andere Vollmacht. Die Verwendung der Bezeichnung „Prozessvollmacht“ ist nicht wesentlich, eine sinngemäß entsprechende Formulierung reicht aus (Fasching1 II 281). Während die Prozessvollmacht in der ZPO näher geregelt ist, sind an- 2 dere Vollmachten nach dem Vollmachtsrecht der §§ 1002 ff ABGB, 49, 54 UGB zu beurteilen. Die einer juristischen Person erteilte Vollmacht, Rechtsmittel zu ergreifen und Treuhänder und Stellvertreter zu bestel523

§ 34

Fucik

len, ermächtigt deren Organe zur Erteilung einer Prozessvollmacht (EvBl 1973/25). § 34. Die auf Grund einer Prozeßvollmacht von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozeßhandlungen haben im Verhältnis zur Gegenpartei dieselbe Wirkung, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen worden wären. Dies gilt jedoch von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen nur insoweit, als sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden. [Stammfassung] Lit: Zib in Fasching/Konecny II/1 § 34; Fasching Rz 432 f.

1 Dem Wesen direkter Stellvertretung entsprechend wirken die Rechtshandlungen (und Unterlassungen, SZ 42/46) des Vertreters gegen den Vertretenen. Handelt es sich um eine Prozessvollmacht, so kann die Partei selbst die Prozesshandlung nicht widerrufen, ist also trotz ihres gleichzeitigen Widerspruchs an die Erklärung ihres Vertreters gebunden (OLG Wien EvBl 1937/707).

2 Wissenserklärungen des Vertreters kann die Partei dagegen sofort widerrufen und berichtigen; geschieht dies nicht sofort, so ist dies nach § 266 Abs 2 zu beurteilen, also frei zu würdigen. § 35. (1) Die Prozeßvollmacht wird weder durch den Tod des Vollmachtsgebers noch durch eine Veränderung in Betreff seiner Prozeßfähigkeit oder seiner gesetzlichen Vertretung aufgehoben. (2) Die Rechtsnachfolger des Vollmachtsgebers, der für die prozeßunfähig gewordene Partei bestellte gesetzliche Vertreter und der an Stelle des bisherigen gesetzlichen Vertreters neu eintretende gesetzliche Vertreter können jedoch die Prozeßvollmacht jederzeit widerrufen. [Stammfassung] Lit: Zib in Fasching/Konecny II/1 § 35.

1 Bei Tod des Vollmachtsgebers vor Einleitung des Rechtsstreits ist § 35 nicht anzuwenden (EvBl 1967/267; 1961/96; SZ 26/164 = JBl 1953, 417 ua; Fasching1 II 285; Strasser in Rummel §§ 1020 bis 1026 Rz 21a; krit Zib in Fasching/Konecny II/1 § 35 Rz 14; EvBl 1960/141), sondern nach 524

§ 36

1.1 Parteien

§ 1022 ABGB zu prüfen, ob die Vollmacht im Einzelfall so ausgestaltet ist, dass sie ohne Rücksicht auf die Voraussetzungen des § 1022 ABGB (dispositives Recht!) über den Tod des Vollmachtsgebers hinaus fortdauert (EvBl 1991/107; MietSlg 36.096; Strasser in Rummel I §§ 1020 bis 1026 Rz 26). Den im § 35 genannten Fällen sind die Auflösung oder Löschung der 2 Firma (EvBl 1935/737), die Fusionierung einer AG (SZ 13/261 = ZBl 1932/123) und die Auflösung eines Vereins (EvBl 1937/980) gleichzuhalten. Nachträglicher Verlust der Handlungsfähigkeit berührt die erteilte 3 Prozessvollmacht ebensowenig (EFSlg 57.723 = JBl 1989, 117; SZ 58/33; EvBl 1992/76 = NRsp 1992/23 = RdW 1992, 106; RZ 1992/88 uva, zuletzt SZ 70/33) wie das Erreichen der Handlungsfähigkeit, nachdem der gesetzliche Vertreter Prozessvollmacht erteilt hat (EFSlg 37.129 = ÖA 1981, 49). Vergleiche kann der mit Prozessvollmacht versehene Vertreter auch 4 dann wirksam schließen, wenn der Vertretene in diesem Zeitpunkt geschäftsunfähig war (JBl 1976, 489 ua, zuletzt EvBl 1992/76 = NRsp 1992/23 = RdW 1992, 106; aA SZ 12/37 = ZBl 1930/158). § 36. (1) Die durch Widerruf oder Kündigung herbeigeführte Aufhebung der Vollmacht zur Prozeßführung oder zur Vornahme einzelner Prozeßhandlungen erlangt dem Prozeßgegner gegenüber erst dann rechtliche Wirksamkeit, wenn ihm das Erlöschen der Vollmacht, in Rechtssachen aber, in welchen die Vertretung durch Rechtsanwälte geboten ist, die Bestellung eines anderen Rechtsanwaltes von der Partei angezeigt wird. Diese Anzeige hat durch Zustellung eines Schriftsatzes zu geschehen. In Bezug auf diese Zustellung gilt die Vorschrift des § 25. (2) Nach Kündigung der Vollmacht bleibt der Bevollmächtigte noch durch vierzehn Tage berechtigt und verpflichtet, für den Vollmachtgeber zu handeln, soweit dies nötig ist, um letzteren vor Rechtsnachteilen zu schützen. [Stammfassung] Lit: Zib in Fasching/Konecny II/1 § 36. Beendigung des Vollmachtsverhältnisses im Innenverhältnis (Wi- 1 derruf durch den Vertretenen, Kündigung durch den Vertreter, einvernehmliche Auflösung) wirkt uU sofort (vgl § 11 Abs 3 RAO; SZ 41/ 525

§ 37

Fucik

100), im Außenverhältnis aber erst mit (vom Vorsitzenden zu verfügender, § 25) Zustellung des entsprechenden Schriftsatzes an den Prozessgegner (keine amtswegige Wahrnehmung des Vollmachtswiderrufs [SZ 72/31]. Bis zu dieser Zustellung gehen Gericht und Gegner vom Bestand des Vertretungsverhältnisses aus (OLG Wien EvBl 1937/707; EvBl 1962/38 ua), so dass va Zustellungen noch an den Vertreter erfolgen (AnwBl 1977, 354 [zust Strigl] = RZ 1978/26; EFSlg 49.299 uva, zuletzt OLG Linz RZ 1993/10). Im Parteienprozess muss die Anzeige des Erlöschens der Vollmacht nicht mit der Bekanntgabe eines anderen Rechtsanwalts verbunden werden (RZ 1968, 54).

2 Im Anwaltsprozess ist über die Anzeige hinaus auch noch die Mitteilung erforderlich, welcher andere Rechtsanwalt bestellt wurde (EvBl 1962/38 uva). Ohne Bestellungsanzeige ist weiterhin dem vorbestellten zuzustellen, auch nach Ablauf der (nur im Innenverhältnis maßgeblichen) Frist des Abs 2 (Fasching1 II 291; AnwBl 1977, 354 [zust Strigl] = RZ 1978/26; OLG Linz RZ 1993/10). Für die Bestellung eines Kurators besteht diesfalls kein Anlass (OLG Wien WR 723). Der Antrag auf Kuratorenbestellung ersetzt nicht die Anzeige (1 Ob 335/99t = SZ 73/56 = EvBl 2000/168).

3 Ein Antrag auf Bestellung eines Rechtsanwalts als Verfahrenshelfer wirkt als Anzeige des Erlöschens des bisherigen Vollmachtsverhältnisses (EvBl 1976/68 = RZ 1976/38 = SZ 48/93).

4 Für eine Unterbrechung des Verfahrens iSd § 158 nach Vollmachtskündigung besteht kein Anlass (4 Ob 31/04v = SZ 2004/34).

5 Trotz § 36 ist kein Anwalt legitimiert, 13 Jahre nach Beendigung des Vollmachtsverhältnisses das Verfahren fortzusetzen (OLG Wien 17 R 276/99d). § 37. (1) Das Gericht hat den Mangel der Vollmacht in jeder Lage des Rechtsstreites von Amts wegen zu berücksichtigen. (2) Im Anwaltsprozesse überreichte Klage- und Klagebeantwortungsschriften, welche den Nachweis der Bestellung eines Rechtsanwaltes nicht enthalten, sind vom Vorsitzenden des Senates, dem die Rechtssache zugewiesen ist, zurückzuweisen, wenn die Partei nicht innerhalb einer ihr vom Vorsitzenden zu bestimmenden Frist einen Rechtsanwalt bestellt und denselben dem Gerichte namhaft macht. Eine Verlängerung dieser Frist ist nicht zulässig. [Abs 2 idF ZVN 1983, sonst Stammfassung] 526

§ 38

1.1 Parteien

Lit: Zib in Fasching/Konecny II/1 § 37; Fasching Rz 435; Rechberger/ Simotta Rz 241. Wahrnehmung der Vollmacht erfolgt als Prozessvoraussetzung in 1 jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen. Mangelnde Vertretungsmacht führt – allerdings erst nach Sanierungsversuch – zur Nichtigerklärung des betroffenen Verfahrensabschnitts, allenfalls auch zur Zurückweisung der Klage. Sie ist Nichtigkeitsgrund (§ 477 Abs 1 Z 5) und Nichtigkeitsklagegrund (§ 529 Abs 1 Z 2). Sanierung ist zwar auch ohne gerichtlichen Auftrag möglich (JBl 1960, 2 383), doch ist eine nach Ablauf der gesetzten Frist (die allerdings durch einen Verfahrenshilfeantrag – in analoger Anwendung des § 73 Abs 2 – unterbrochen wird) eingebrachte Klagebeantwortung zurückzuweisen und ein Versäumungsurteil zu fällen (JBl 1976, 96). Materiell-rechtliche Rückwirkung: Nach Sanierung gilt die Verjäh- 3 rungsfrist bereits mit Einbringung der nicht prozessordnungsgemäßen Klage als unterbrochen (RZ 1983/44). Rechtsmittel eines Scheinvertreters: Für die Frage ob ihm Vertretungs- 4 macht zukommt, ist er als rechtsmittellegitimiert anzusehen (LGZ Wien 43 R 538/04t = EFSlg 108.805); seine Rechtsmittel in der Hauptsache sind freilich bei Verneinung seiner Vertretungsmacht zurückzuweisen (SZ 70/246 = EvBl 1998/85). § 38. (1) Wer für eine Partei, ohne die erfolgte Bevollmächtigung nachweisen zu können, behufs Vornahme einzelner dringlicher Prozeßhandlungen einschreiten will, kann nach Ermessen des Gerichtes entweder gegen vorgängige Sicherheitsleistung für Kosten und Schäden, oder auch ohne solche Sicherheitsleistung als Bevollmächtigter einstweilig zugelassen werden. (2) Das Gericht hat zugleich die nachträgliche Vorlage einer zu jenen Prozeßhandlungen berechtigenden Vollmacht oder die Beibringung der Genehmigung der Partei anzuordnen und bis zum Ablaufe der hiefür bestimmten Frist mit der zu erlassenden Entscheidung oder Verfügung inne zu halten. Nach fruchtlosem Ablauf der Frist ist ohne Rücksicht auf jenes Einschreiten vorzugehen; der Gegner hat Anspruch auf Ersatz der durch die einstweilige Zulassung verursachten Kosten und Schäden. (3) Mit Ausnahme des Beschlusses über den Ersatz der Kosten und Schäden können die im Sinne der vorstehenden Absätze erge527

§ 38

Fucik

henden gerichtlichen Beschlüsse durch ein abgesondertes Rechtsmittel nicht angefochten werden. [Stammfassung] Lit: Zib in Fasching/Konecny II/1 § 38; Fasching Rz 434; Rechberger/ Simotta Rz 240.

1 Einstweilige Zulassung ist – ohne Ermessensfreiheit (EvBl 1955/187 = JBl 1955, 363 = SZ 28/32) – für alle Personen geboten, von denen anzunehmen ist, dass sie eine Vollmacht nachträglich werden nachweisen können, seien sie im Zeitpunkt des Einschreitens a) nur nicht im Besitz des nötigen Vollmachtsnachweises (für Rechtsanwälte und Notare seit Einführung der Berufung auf die erteilte Vollmacht obsolet) oder auch b) nur Geschäftsführer ohne Auftrag (GlUNF 5709; EvBl 1935/943 uva). Nur Personen, die selbst bei Vollmachtsnachweis nicht einschreiten könnten, insb Winkelschreiber, sind nicht zuzulassen (GH 1915, 650).

2 Dringliche Prozesshandlungen sind jene, bei deren Unterbleiben Nachteile drohen (EvBl 1955/187 = JBl 1955, 363 = SZ 28/32), also etwa die Verrichtung der vorbereitenden Tagsatzung für den Beklagten, wenn der Kläger erschienen ist (LG Linz AnwZ 1936, 116; ist also der Kläger nicht da, besteht kein Anlass zur einstweiligen Zulassung, weil nur Ruhen droht).

3 Mit der einstweiligen Zulassung ist dem Einschreiter eine richterliche Frist zur Beibringung der Vollmacht zu setzen. Ihr Einhalten macht rückwirkend die Vertretungsakte unbedingt wirksam (9 Ob 36/05t; Fasching Rz 434). Wird die Frist nicht eingehalten, so treten Säumnisfolgen ein. Bei einstweiliger Zulassung für den Beklagten in der 1. Tagsatzung hat der Kläger sogleich ein Versäumungsurteil für den Fall nicht rechtzeitigen Nachweises zu beantragen (hA seit LGZ Wien AnwZ 1929, 448).

4 Der einstweilen Zugelassene (nicht aber die Partei, für die er einschreitet [OLG Graz RZ 1937, 294; LGZ Wien EvBl 1954/174]) haftet für die durch seine Zulassung entstandenen Kosten und Schäden, zu deren Sicherstellung das Gericht nach Ermessen Kaution verlangen kann. Das Ersatzverfahren ist nicht näher geregelt. Es wird nur auf Antrag durch Beschluss, den der Verpflichtete mit Rekurs anfechten kann, durchzuführen sein. Eine verfallene Kaution ist nicht zuzuweisen, sondern dient als Objekt einer Pfändung des Ausfolgungsanspruchs (Zib in Fasching/Konecny II/1 § 38 Rz 33). 528

Vor § 40

1.1 Parteien

§ 39. Soweit dieses Gesetz nicht unterscheidet, sind dessen Bestimmungen über die Parteien auch auf deren Bevollmächtigte zu beziehen. [Stammfassung] Lit: Frauenberger, Wiedereinsetzung nach der ZPO bei verschuldeter Säumnis, ÖJZ 1992, 113; B. Fink, Wiedereinsetzung 79, 97; Ertl, Der Wiedereinsetzungswerber und seine Gehilfen, RZ 1998, 3. Zib in Fasching/Konecny II/1 § 39; Fasching Rz 426. Allgemein treffen also die Vorschriften für Parteien auch ihre Vertreter, 1 insb bei den Ausschließungsgründen (§ 20 Rz 3) und der Beurteilung des Verschuldens iSd § 146 (SSV-NF 15/143; HG Wien WR 61; OLG Wien EFSlg 44.012; 2 Ob 7/91; vgl Frauenberger, ÖJZ 1992, 115). Ausnahmen bestehen bei Sonderregeln, zB beim Kostenersatz (§ 42), 2 der Verfahrenshilfe, bei Urkunden- und Schriftsatzzustellung (§§ 83, 112), bei der Sitzungspolizei (§ 200); der Bevollmächtigte ist als Zeuge, nicht als Partei zu vernehmen (§ 371 ff). Im Urkundeneditionsverfahren gilt er als Dritter (§ 303).

Fünfter Titel Prozeßkosten Vor § 40 Lit: Hule, Nochmals: Vorprozessuale Kosten, ÖJZ 1958, 651; Stagel, Prozeßkosten, RL Pro; Hule, Die Kostenentscheidung nach § 43 Abs 1 ZPO, ÖJZ 1973, 480; Hule, Die Kostenentscheidung nach Einschränkung der Klage auf Kosten, ÖJZ 1976, 373; Schütz, Recht muß Recht bleiben – um jeden Preis? RZ 1980, 238; Piegler, Endlose Prozesse – ungeheure Kosten, RZ 1982, 252; Fucik, Die Rechtsmittelbeschränkungen der §§ 501, 517 ZPOnF, RZ 1984, 55; Klinger, Probleme des Kosten- und Gebührenrechts und der Amtshaftung, WR 1986/14, 21; Barchetti, Gilt der erste Satz des § 42 Abs 2 ZPO auch für vor- und außerprozessuale Kosten? ÖJZ 1987, 321; Klinger (/Robl), Probleme des Kostenersatzrechts, WR 1988/20, 19; Klinger, Einige Fragen des Kosten- und Gebührenrechts, WR 1988/21, 15; M. Bydlinski, Klagseinschränkung auf Kosten oder auf Feststellung? RZ 1989, 131, 157; Klinger (/Bayones), Probleme des Kostenersatzrechtes, WR 1990/23, 18; Barfuß, Verfahrens- und Kostenersatzfragen vorprozessualer Gutachten, in Aicher/Funk, Der Sachverständige im Wirtschaftsleben (1990) 529

Vor § 40

Fucik

86; M. Bydlinski, Kostenersatz im Zivilprozeß (1992); Illedits, Die gerichtliche Geltendmachung vorprozessualer Mahn- und Inkassospesen, AnwBl 1992, 701; Hofmann, Mahnverfahren: Überklagung – keine Handhabe von Amts wegen? RZ 1995, 112; Fucik, Neues im Mahnverfahren: Handhabe gegen Überklagung, RZ 1995, 191; Hofmann, Vorprozessuale Kosten aus dem Titel „Vereinbarung“ oder „Schadenersatz“ Rechtsweg nicht zulässig! RZ 1997, 52; Illedits, Vorprozessuale Mahn- und Inkassospesen, RdW 1997, 182; Jensik, RZ 1997, 276; Breycha, Mahn- und Inkassospesen in der Praxis des Mahnverfahrens, RZ 1998, 50; Fucik, Vorprozessuale Kosten und/oder Nebenforderung? ÖRpfl 1998, 32; Bauer, Judikaturübersicht Inkassokosten, Konsumentenpolitisches Jahrbuch 1996–1997, 57; M. Bydlinski, Der Anspruch auf Ersatz „vorprozessualer Kosten“, JBl 1998, 69, 143; M. Mohr, Zum legislativen Handlungsbedarf betreffend den Ersatz für Mahn- und Inkassokosten, RdW 1998, 533; Beran, Mahn- und Inkassokosten – ein rechtspolitischer Vorschlag, RZ 1999, 34; Chvosta, Prozesskostenrecht (2001); ders, Vereinbarung über Kostenersatz, RZ 2001, 5; ders, Kostenersatzanspruch des Nebenintervenienten, ecolex 2001, 266; DeixlerHübner, Ersatz für außerprozessuale Aufwendungen – Anspruchsgrundlagen und Anspruchshöhe, ÖJZ 2002, 372; Dehn, Das Zinsenrechts-Änderungsgesetz, RdW 2002, 514; Mahrer, Zum Kostenersatz bei Mietzins- und Räumungsklagen, AnwBl 2003, 593; Huter, Die Geltendmachung von Inkassospesen nach dem ZinsRÄG, AnwBl 2003, 646; Christandl, Ersatz vorprozessualer Anwaltskosten, RZ 2004, 262; Obermaier, Das Kostenhandbuch (2005). M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 Vor § 40; Fasching Rz 456; Bajons Rz 168; Ballon Rz 424 ff; Buchegger, PraktZPR 69; Fucik in Fucik/Hartl/Schlosser, Verkehrsunfall I Rz 85 ff; Holzhammer 110; Rechberger/Simotta Rz 292 ff; Deixler-Hübner/Klicka Rz 181 ff. Inhaltsübersicht Begriff der Prozesskosten 1–2 Aufgaben des Kostenrechts 3 Rechtsnatur des Kostenersatzanspruchs 4

Vor- und außerprozessuale Kosten Kostengläubiger und -schuldner

5–6 7

1 Wirtschaftliche Erwägungen: Der Prozess kostet (wenn nicht die Partei, so ihren Versicherer) Geld. Praktische Erfahrung zeigt, dass es fast unmöglich ist, einen Prozess mit einem Streitwert etwa bis 3.000 € so zu führen, dass die insgesamt auflaufenden Kosten das Punktum nicht übersteigen (Schütz, RZ 1980, 238; Piegler, RZ 1982, 252; Fucik, RZ 1984, 55; Fasching Rz 456). 530

Vor § 40

1.1 Parteien

Prozesskosten iwS sind alle Aufwendungen, die die Parteien anlässlich 2 der Prozessführung (nicht notwendig erst ab Verfassung der Klage) treffen. Sie lassen sich einteilen in a) Gerichtskosten (§ 64 Abs 1 Z 1), also Gerichtsgebühren, andere staatliche Gebühren (zB Vollmachtsstempel, Konsulargebühren), Kosten der Amtshandlungen außerhalb des Gerichts, Gebühren der Zeugen, Sachverständigen, Dolmetsche und Beisitzer, Kosten der notwendigen Verlautbarungen und der Kuratoren sowie die Barauslagen des Verfahrenshelfers und b) sonstige Kosten, also tarifmäßige (§ 41 Abs 2) Vertretungskosten der RA, Notare und der Finanzprokuratur, Entschädigung für Zeitversäumnis, Reisekosten (§ 42 Abs 1), vor- und außerprozessuale Kosten sowie die gem § 42 allerdings nicht zu ersetzenden Kosten der persönlichen Mühewaltung der Partei und sonstiger Vertreter (krit zu Versicherungsberatern Barchetti, ÖJZ 1987, 321). Details bei Chvosta 24 ff. Aufgaben des Kostenrechts: IwS fällt unter das Kostenrecht die Frage, 3 wer dem Staat für die Kosten des Verfahrens haftet (dies ist va in GGG und GebAG 1975 geregelt). IeS stellt sich die Frage der Kostentragung zwischen den Parteien. Hier hat vorläufig jede Partei ihre Kosten selbst zu tragen (§ 40; der Kläger finanziert durch die Pauschalgebühren den Prozess von den Gerichtsgebühren her sogar für beide Parteien vor). Ob und inwieweit sie diese Kosten von der anderen Partei erhalten kann, regeln die Bestimmungen über den Kostenersatz (§§ 41 ff). Rechtsnatur des Kostenersatzanspruchs: a) Die Frage, welche Partei 4 dem Staat die Kosten zu ersetzen hat, ist rein öffentlich-rechtlich geregelt. Die Einbringung der Gerichts-, Zeugen-, Sachverständigenund Dolmetschgebühren ist Justizverwaltungssache, die in erster Linie vom Kostenbeamten zu vollziehen ist. Rechtsmittel gegen seine E sind regelmäßig ausgeschlossen, doch stehen den Parteien Rückzahlungs-, Berichtigungs-, Stundungs- und Nachlassanträge offen, über die der Präs des GH I (§ 30 GGG, § 7 GEG) oder der Präs des OLG (§§ 8, 9 GEG, uU der BMJ) unanfechtbar entscheidet. VwGH-Beschwerde steht offen. b) Der Anspruch auf Kostenersatz zwischen den Parteien ist nach M. Bydlinski (RZ 1989, 156; Kostenersatz 53) ein privatrechtlicher, nach der hRsp ein öffentlich-rechtlicher. Chvosta (103 ff) sieht das Kostenrecht doppelfunktionell mit (vorrangigen) prozessualen und (ergänzenden) materiell-rechtlichen Komponenten und erkennt das „Streitverschulden“ als Rechtsgrund: Wer ohne Not prozessiert, hat dem Gegner die Kosten zu ersetzen. Die Einordnung kann aber dahinstehen, wenn man sich nur an folgende Gesichtspunkte hält: – Der Kostenersatz richtet sich nicht nach ABGB, sondern nur nach den Regeln der ZPO (JBl 1998, 126 [krit M. Bydlinski]; 531

Vor § 40







Fucik

Fasching Rz 468; womit aber eine Lückenschließung durch Normen des ABGB nicht schlechthin ausgeschlossen werden soll). Der Kostenersatzanspruch ist nur gemeinsam mit dem Hauptanspruch geltend zu machen („akzessorisch“, vgl M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 Vor § 40 Rz 3; Fasching Rz 468; SZ 14/76 uva); erst wenn – etwa durch Erfüllung – kein Hauptanspruch mehr besteht, können die Kosten selbständig eingeklagt werden (Hule, ÖJZ 1959, 651; SZ 50/135; ZVR 1987/72 ua). Der Kostenersatzanspruch ist nicht im Rechtsweg, sondern in einem eigenen Kostenbestimmungsverfahren geltend zu machen; Kosten werden nicht im Klagebegehren begehrt, sondern in der Kostennote verzeichnet. Soweit kein Kostenersatz vorgesehen ist, können Kosten nicht verfahrensintern geltend gemacht werden. Damit ist eine verfahrensexterne Geltendmachung (selbständige Klage) noch nicht ausgeschlossen (zum Abgrenzungsproblem, insb zur Reichweite des Ausschließlichkeitsgrundsatzes, JBl 1998, 126 [M. Bydlinski] und M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 40 Rz 10 ff), wenn ein anderer Rechtsgrund zur Verfügung steht, sei es gegen den schuldhaft rechtswidrig handelnden Gegner (F. Bydlinski, Schadenersatz wegen materiell rechtswidriger Verfahrenshandlungen, JBl 1986, 626; Lovrek, Schadenersatz für Prozesshandlungen im Wohnrecht, wobl 2000, 281), sei es gegen den Bund aufgrund eines unvertretbar rechtswidrigen Organverhaltens (Schragel, AHG3 Rz 173, 315; Meier, Prozesskosten und Amtshaftung, JBl 1979, 619, 630; AnwBl 1994, 902).

5 Vor- und außerprozessuale Kosten: Vorprozessuale Kosten sind solche, die zum Zweck der Prozessführung schon vor Einleitung des Prozesses aufgewendet wurden (Fasching Rz 461; M. Bydlinski, Kostenersatz 145; JBl 1998, 69, 143 und in Fasching/Konecny II/1 § 41 Rz 36 ff). Auch während des Prozesses können Kosten entstehen, die nicht unmittelbar durch das gerichtliche Verfahren bewirkt werden (Obermaier Rz 44: „nebenprozessuale Kosten“) Sie teilen grundsätzlich das Schicksal der Prozesskosten, sind also in die Kostennote aufzunehmen und werden nach den allgemeinen Regeln über den Prozesskostenersatz behandelt. Werden sie dennoch nicht in der Kostennote verzeichnet, sondern als Teil der Hauptforderung geltend gemacht, so ist insoweit der Rechtsweg unzulässig (JBl 1998, 123 uva). Die Rsp (OLG Graz EvBl 1988/99, LGZ Wien WR 71, HG Wien WR 224) lehnt es – unzutreffend – ab, iSd § 40a JN ein Kostenbegehren im Punktum als Kostenverzeichnis umzudeuten (Fasching Rz 461). In die Kostennote aufzunehmen und gleich wie die Prozesskosten zu ersetzen sind va die Kosten außergerichtlicher Vergleichsverhand532

Vor § 40

1.1 Parteien

lungen (2 Ob 261/04b = EvBl 2005/143 = ZVR 2005/118; OLG Innsbruck AnwBl 1973, 138), uU die Kosten einer Erkundigungsfahrt zur Unfallstelle (ZVR 1960/201; Obermaier Rz 75), die Kosten der Einholung einer abhandlungs- oder pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung der Klage (OLG Wien WR 405; 789; EFSlg 82.157; 82.164; Obermaier Rz 65 ff: der Höhe nach idR TP 2, bei substantiellen Ausführungen über die Klage hinaus TP 3A RAT; unrichtig OGH AnwBl 1992, 239, der diese Leistung unzutreffend – weil nicht unter TP 5, 6 oder 9 RAT zu subsumieren (§ 23 RATG) – als vom Einheitssatz umfasst sieht), nicht aber (sie sind vom Einheitssatz umfasst) die Kosten von Berichten an das Gericht (Obermaier Rz 67), die Kosten eines Beweissicherungsantrags (RZ 1992/26 = ecolex 1992, 17; Obermaier Rz 56 ff) oder einer einstweiligen Verfügung vor Prozessbeginn, die Kosten der Privatbeteiligung im vorangegangenen Strafverfahren (auch nach Entfall der Bindung va im Hinblick auf § 281a nach wie vor zutreffend). Nach hA sind die Privatbeteiligtenkosten bei teilweisem Obsiegen im gleichen Verhältnis zuzusprechen wie die Prozesskosten selbst (OLG Wien WR 31, 58; werden bei Veränderungen während des Prozesses Phasenbildungen nötig, sprechen manche E ohne Rechtsgrundlage einen Mittelwert aus den Ersatzquoten der einzelnen Phasen zu; richtigerweise sind sie dem ersten Verfahrensabschnitt zuzurechnen [1 Ob 41, 42/94; OLG Wien WR 206; näheres bei Hule, ÖJZ 1973, 484; Obermaier Rz 53]) und die Kosten eines vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens (7 Ob 112/04b = SZ 2002/94; 7 Ob 189/05b; 1 Ob 187/ 05i) sowie eines außergerichtlichen Güteverfahrens (zB Schiedsstelle der Ärztekammer [OLG Innsbruck 1 R 193/00t], Schlichtung des Streits ums Recht auf Licht gem § 364 Abs 3 ABGB [Art III ZivRÄG 2004; vgl Obermaier Rz 52). An sich sind auch die Kosten einer notwendigen außergerichtlichen Sammlung des Beweismaterials und des Prozessstoffs zu ersetzen (Fasching Rz 461), doch beurteilt die Rsp hier das Notwendigkeitskriterium besonders streng. Außergerichtliche Gutachten (Privatgutachten) dienen einerseits der Tatsachenfeststellung, andererseits der Abschätzung der eigenen Prozesschancen. Notwendig sind sie aber nur aus dem Gesichtspunkt späterer Prozessführung (nicht dessen Ersparnis; vgl 1 Ob 302/02x = EvBl 2003/102 = JBl 2003, 857; 1 Ob 49/03t), wenn also der augenblickliche Zustand einer Person oder Sache die sofortige Begutachtung erforderlich macht, ein gerichtliches Beweissicherungsverfahren dies nicht leisten könnte oder wenn durch die außergerichtliche Begutachtung die Prozesskosten selbst vermindert werden konnten (OLG Wien WR 337; vgl Barfuß in Aicher/Funk, Der Sachverständige im Wirtschaftsleben 86; großzügiger OLG Graz ZVR 1993/102; OLG Linz AnwBl 1995, 436 = EFSlg 76.019). 533

Vor § 40

Fucik

Keine vorprozessualen Kosten (weil nicht auf Vorbereitung, sondern Verhinderung des Regressprozesses zielend) sind im Regressprozess die Kosten des Vorprozesses (HG Wien WR 601 = AnwBl 1994, 218). Kommt es zu keinem Prozess über den Hauptanspruch mehr (etwa, weil er im Gegensatz zu den Kosten ohne Klage erfüllt wurde), so sind die außerprozessualen Kosten gesondert einklagbar (und zwar nach den Regeln der §§ 40 ff; Fasching Rz 461; vgl Hule, Nochmals: Vorprozessuale Kosten, ÖJZ 1958, 651; allenfalls nach Vereinbarung).

6 In jüngster Zeit besonders umstritten ist die Frage, ob Mahn- und Inkassospesen dem Kostenregime der §§ 40 ff als vorprozessuale Kosten unterworfen sind oder als materiell-rechtlicher Anspruch (Verspätungsschaden) eingeklagt werden können. Die wohl überwiegende Rsp lehnte eine materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage weitgehend ab; nur Vereinbarungen sind danach in der Lage, die Akzessorietät aufzuheben, wobei wiederum strittig ist, ob dies nur Vereinbarungen nach Entstehen der Kosten vermögen (LGZ Wien EFSlg 85.215; HG Wien WR 787a; LG Krems RPflSlgE 1997/3 = EFSlg 85.216 ua) oder auch Vorwegvereinbarungen (LG Korneuburg RZ 1997/71; LGZ Wien RZ 1998/49). Weiters besteht Streit darüber, ob eine Vorwegvereinbarung anlässlich der Schlüssigkeitsprüfung im Mahnverfahren auf Sittenwidrigkeit und Unbestimmtheit überprüft werden kann (bejahend Breycha, RZ 1998, 50, verneinend Fucik, öRpfl 1998, 32; LG Korneuburg RZ 1997/71). Einen völlig anderen Ansatz vertreten M. Bydlinski, JBl 1998, 74 (der seine frühere These vom Wahlrecht [Kostenersatz 172] aufgegeben hat [JBl 1998, 81 FN 87]) und OLG Wien RZ 1998/66 = WR 787: Dienen Aufwendungen nicht der Vorbereitung, sondern der Vermeidung eines Prozesses, so sind sie gar keine vorprozessualen Kosten (besser abgegrenzt in SZ 14/76: Aufwendungen, die für den folgenden Prozess gar nicht von Wert sind, können keine vorprozessualen Kosten sein). Dieser Ansicht sind die LG nicht gefolgt (vgl va HG Wien WR 818). Der Ruf nach dem Gesetzgeber wurde daher immer deutlicher (vgl Bauer 57; M. Mohr, RdW 1998, 533; Beran, RZ 1999, 34). Diesem Ruf ist der Gesetzgeber des ZinsRÄG in § 1333 Abs 3 ABGB gefolgt: Seit dessen In-Kraft-Treten mit 1.8.2002 können vorprozessuale Betreibungskosten als materiell-rechtlicher Schadenersatzanspruch geltend gemacht werden, was mit 8 Ob 25/03i = ecolex 2004, 175, für alle nach dem 31.7.2002 eingebrachten Klagen (und nicht nur für nach diesem Datum entstandene Ansprüche – so aber 2 Ob 251/02d, 2 Ob 70/02m; 1 Ob 46/03a = EvBl 2004/150 = ecolex 2004, 789) gilt. Diese Mahnspesen müssen freilich „in einem angemessenen Verhältnis zur betriebenen Forderung stehen“ (was schwer, jedenfalls 534

Vor § 40

1.1 Parteien

nicht durch starre Prozentsätze, zu konkretisieren ist). Daraus folgt: a) diese Ansprüche sind im Klagebegehren geltend zu machen und erhöhen damit den zuzusprechenden Betrag (vgl Feldgruppe 06 im Mahnklageformblatt), gem § 54 JN aber nicht den Streitwert (vgl Feldgruppe 03 und 10 im Mahnklageformblatt); b) neben das Notwendigkeits- und das Zweckmäßigkeitskriterium setzt § 1333 noch ein Angemessenheitskriterium; c) dieses ist von Amts wegen (als Schlüssigkeitserfordernis; vgl Obermaier Rz 81) aufgreifbar und muss nicht (als Verletzung der Schadenminderungsobliegenheit) vom Beklagten (zB im [Teil-]Einspruch) eingewendet werden; d) einer Honorierung kann entgegenstehen, dass der Aufwand vom Einheitssatz des § 23 RATG gedeckt, also pauschal abgegolten ist (Obermaier Rz 84: wenn nämlich nicht iSd § 23 Abs 4 RATG „ein erheblicher Aufwand and Zeit und Mühe“ damit verbunden war); e) mangels tariflicher Regelung sind auch vorprozessuale Kosten zu belegen (vgl § 52); viele Kostenbegehren scheitern an dieser fehlenden Bescheinigung (so auch Obermaier Rz 9). Überwachungskosten sind als eigenständige Schadenersatzansprüche zu ersetzen, wenn ein über die Sammlung des Prozessstoffes hinausgehendes Interesse besteht (zB im Eheverhältnis [zuletzt SZ 52/138; JBl 1998, 732] oder im Arbeitsrecht [EvBl 1981/121], nicht aber im Bestandrecht [MietSlg 48.586]; Näheres zu den Detektivkosten bei Obermaier Rz 72 f). Weiter Fälle vorprozessualer Kosten: Gebühr für die Befassung von Sicherheitsbehörden bei einem Verkehrsunfall ohne Personenschaden gem § 4 Abs 5b StVO („Blaulichtsteuer“; s LGZ Wien ZVR 2001/75; 76; aA 2 Ob 260/02b; LG St.Pölten 36 R 329/03f; vgl Obermaier Rz 50); Papieraufwand, Kopieraufwand (Obermaier Rz 76) oder EDV-Abfragegebühren (Obermaier Rz 50; zur nach § 273 zuzuerkennenden ZMR-Anfrage vgl LG St. Pölten 36 R 191/03m; LG Salzburg 22 R 168/04s; LG Ried 180/04v), nicht aber Kosten der rechnerischen Überprüfung einfacher arbeitsrechtlicher Entgeltansprüche durch den Steuerberater (OLG Wien 7 Ra 141/03m). Kostengläubiger und -schuldner: Gläubiger des Kostenersatzan- 7 spruchs ist immer die Partei (belastet durch ein gesetzliches Pfandrecht des RA iSd § 19a RAO, RZ 1967, 121) und der Nebenintervenient (ZBl 1916/297; OLG Wien WR 454; OLG Innsbruck EvBl 1991/190 uva; Obermaier Rz 258; zum Fall des § 45 Abs 5 GmbHG OLG Wien ecolex 1992, 780; krit Reich-Rohrwig, ecolex 1992, 778). Schuldner ist die Hauptpartei (zum Verhältnis Masse/Gemeinschuldner s SZ 70/170 = RZ 1998/32), niemals der Nebenintervenient in der Hauptsache (wobl 2001/115; JBl 1957, 293; Fasching Rz 411, 462 mwN; für den streitgenössischen Nebenintervenienten bejaht allerdings die überwiegende Rsp eine Kostenersatzpflicht: SZ 2/36; 5/194; LGZ Wien EvBl 1950/ 535

§ 40

Fucik

177, 404, 1952/68, MietSlg 20.681, 29.599; ggt zB GlUNF 6531; EvBl 1974/71 = EFSlg 20.743; EvBl 1987/133; OLG Wien WR 749), wohl aber für die Kosten eines erfolglosen Beitrittsverfahrens (SZ 53/168; OLG Wien WR 80). Zur Haftung von Streitgenossen s § 41 Rz 6, § 43 Rz 6 und bei § 46. Auch Realschuldner haften für die Prozesskosten unbeschränkt und nicht bloß mit den für die Hauptansprüche haftenden Sachen (3 Ob 138/03w). Zeugen und Sachverständige, die unentschuldigt fernbleiben, Aussage oder Eid verweigern bzw Gutachten und Befund nicht rechtzeitig erstatten, haften für die dadurch entstandenen Mehrkosten (§§ 326 Abs 2, 333, 354 Abs 1). § 40. (1) Jede Partei hat die durch ihre Prozeßhandlung verursachten Kosten zunächst selbst zu bestreiten. Die Kosten solcher gerichtlicher Handlungen, welche von beiden Parteien gemeinschaftlich veranlaßt oder vom Gerichte im Interesse beider Parteien auf Antrag oder von Amts wegen vorgenommen werden, sind von beiden Parteien gemeinschaftlich zu bestreiten. (2) Inwiefern den Parteien ein Anspruch auf Ersatz der von ihnen bestrittenen Kosten zusteht, ist, soweit dieses Gesetz nicht besondere Anordnungen enthält, nach den Bestimmungen dieses Titels zu beurteilen. [Stammfassung]

1 Zum Unterschied von Kostentragung und Kostenersatz s Vor § 40 Rz 3 und 4.

2 Gebührenpflichten nach GGG entstehen mit Überreichung der Klage, Beginn der Niederschrift, Überreichung des Ausdehnungschriftsatzes usw (Näheres bei Tschugguel/Pötscher, Gerichtsgebühren7 [2002]).

3 Zu den Kostenvorschüssen s bei § 332; zur Bestimmung der Sachverständigengebühren va Krammer/Schmidt (SDG, GebAG3 2001) und Krammer in Fasching/Konecny III § 365 Anh.

4 Neben dem Kostenersatzrecht der §§ 40 ff enthalten insb noch die §§ 60 Abs 3 JN (Kosten des durch Überbewertung entstandenen Verfahrens), 113 Abs 2 (Mehrkosten durch Zustellung zwischen Anwälten), 142, 200 Abs 2 (Kosten der Erstreckung einer Tagsatzung), 154 (Kosten des Wiedereinsetzungsverfahrens), 237 Abs 3, 484 Abs 2 (Kosten der Zurücknahme der Klage bzw Berufung), 280 Abs 4 (Stenographiekosten), 308 Abs 3 (Kosten der Urkundenvorlage) und die in Vor § 40 Rz 6 genannten besondere Bestimmungen. 536

§ 41

1.1 Parteien

§ 41. (1) Die in dem Rechtsstreite vollständig unterliegende Partei hat ihrem Gegner, sowie dem diesem beigetretenen Nebenintervenienten alle durch die Prozeßführung verursachten, zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Kosten zu ersetzen. Welche Kosten als notwendig anzusehen sind, hat das Gericht bei Feststellung des Kostenbetrages ohne Zulassung eines Beweisverfahrens nach seinem von sorgfältiger Würdigung aller Umstände geleiteten Ermessen zu bestimmen. (2) Soweit das Maß der Entlohnung des Rechtsanwaltes oder sonst die Höhe der Kosten durch Tarife geregelt ist, hat die Feststellung des Kostenbetrages nach diesen Tarifen zu geschehen. (3) Die Vorschriften des ersten Absatzes gelten insbesondere auch hinsichtlich der Kosten, welche durch Zuziehung eines nicht am Sitze des Prozeßgerichtes oder des ersuchten Richters wohnenden Rechtsanwaltes entstanden sind. Die Kosten, welche dadurch verursacht wurden, daß für die nämliche Partei mehrere Rechtsanwälte beigezogen wurden, sind jedenfalls nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten der Beiziehunmg eines Rechtsanwalts nicht übersteigen, oder als in der Person des Rechtsanwaltes ein Wechsel eintreten mußte. [Stammfassung] Lit: Görlich, Kostenfolgen bei Aufrechnungseinrede und Widerklage, RZ 1967, 95; Lambauer, Die Klagseinschränkung auf Kostenersatz, ÖJZ 1969, 169; Lorber, „Die Einschränkung des Klagebegehrens auf Kostenersatz“, JBl 1971, 612; Reiterer (= Grisss), Die Aufrechnung (1976) 99; Fasching, Glosse JBl 1981, 326; Jabornegg, Probleme des Mitverschuldens bei Verkehrsunfällen, ZVR 1983, 193; Zeder, Die „Klagseinschränkung auf Kosten“, RZ 1989, 55; Breycha, Replik zum Thema Klagseinschränkung auf Kosten, RZ 1996, 126; Obermaier Rz 109 ff; 116 ff. M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 41; Deixler-Hübner/ Klicka Rz 188; sonst wie Vor § 40. Inhaltsübersicht Prinzip der Erfolgshaftung Vollständiges Obsiegen Einschränkung der Klage auf Kosten

1 2

Ersatzfähige Kosten Maßgeblicher Tarif Personenmehrheit

5 6 7

3–4

Primär gilt für den Kostenersatz das Prinzip der Erfolgshaftung (Fa- 1 sching Rz 464; OLG Wien JBl 1954, 21; zum andersartigen Ansatz als Eingriffshaftung siehe M. Bydlinski, Kostenersatz 59, 62). Auf den 537

§ 41

Fucik

Grund des Erfolgs kommt es dabei (soweit nicht Kostenseparation eingreift) nicht an, so dass der Beklagte auch dann volle Kosten erhält, wenn nur eine seiner Einwendungen Erfolg hat, der Kläger, wenn von mehreren geltend gemachten Rechtsgründen nur einer Stich hält (Obermaier Rz 117; OLG Graz ZBl 1931/254; OLG Wien EvBl 1953/118). Obsiegt der Kläger nur mit dem Eventualbegehren, so gebühren ihm volle Kosten – auf Basis des Streitwerts des Eventualbegehrens (SZ 68/77; OLG Wien WR 372; aA JBl 1999, 194, wonach § 43 anzuwenden sei).

2 Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn der Beklagte nur deshalb obsiegt, weil er eine Gegenforderung eingewendet hat, die die Höhe der Klageforderung erreicht. Auch der durch „Aufopferung“ seiner Gegenforderung siegreiche Beklagte gilt als voll obsiegend (Klinger, WR 23, 18; WR 14, 26; Hule, ÖJZ 1973, 480; ausführlich Görlich, RZ 1967, 95; M. Bydlinski, Kostenersatz 183; aA Reiterer, Die Aufrechnung 99; Jabornegg, ZVR 1983, 193; Dullinger, Handbuch der Aufrechnung 204; M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 41 Rz 48 ff; Obermaier Rz 118).

3 Das Konzept lässt sich jedoch für den Fall, dass der Beklagte während des Prozesses erfüllt (auf Zurücknahmen aus anderen Gründen nicht ausdehnbar [OLG Wien 7 Ra 2/04x]) und daher vor Schluss der Verhandlung der Anspruch erloschen ist, nicht durchziehen. Die Rsp (zuletzt OLG Wien 10 Ra 45/04t) hat – von Stimmen der Lehre abwechselnd bekämpft (Lorber, JBl 1971, 612; Zeder, RZ 1989, 55) und bestätigt (Lambauer, ÖJZ 1969, 169; Hule, ÖJZ 1976, 373; M. Bydlinski, RZ 1989, 131) – das Institut der Einschränkung der Klage auf Kosten anerkannt: Schränkt der Kläger das Klagebegehren auf Kosten ein, so ist ohne Beweiserleichterung der Rechtsstreit über das Kostenbegehren – und damit als Vorfrage: über die ursprüngliche Berechtigung des Klagebegehrens – fortzusetzen. Die Rsp entscheidet in solchen Verfahren mit Urteil, gegen das allerdings nur Kostenrekurs zulässig ist (zu alldem va Fasching Rz 470; Rechberger/Simotta Rz 649; M. Bydlinski, RZ 1989, 132 ff; ders, Kostenersatz 452 und in Fasching/Konecny II/1 § 45 Rz 17; Hule, ÖJZ 1976, 373. Für die von der hL längst geforderte Entscheidung mit Beschluss statt Urteil nun auch LGZ Wien EFSlg 64.006). Vgl auch §§ 237, 238 Rz 12.

4 Zum Kostenersatz bei Zahlung kurz vor Einbringen der Klage s § 45 Rz 6.

5 Ersatzfähige Kosten sind nur die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung bzw -verteidigung notwendigen Kosten (Notwendigkeits538

§ 41

1.1 Parteien

kriterium; Obermaier Rz 109); als zweckentsprechend hat jede Aktion zu gelten, die zum prozessualen Ziel der Partei führen kann (enger schon hier auf Erfolgsoptimierung abstellend Fasching Rz 460 und OLG Wien WR 3); notwendig ist jede Aktion, deren Zweck mit geringerem Aufwand nicht erreicht werden kann (OLG Wien WR 3; s auch M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 41 Rz 20 ff). IdR ist dies ex ante zu prüfen (RZ 1994/26; 9 Ob 104/00k ua; Obermaier Rz 110). Zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig sind zB die Kosten der Beiziehung eines Anwalts (GlUNF 5176), eines zulässigen Schriftsatzes (OLG Wien EvBl 1955/51; AnwBl 1981, 276 [zust Schmidt]; LGZ Graz MietSlg 45.622; zur Honorierung unzulässiger, aber verwerteter Schriftsätze nach TP 2 I Z 1 lit e RATG siehe OLG Innsbruck, JBl 1987, 392 [zust Danzl]; OLG Wien WR 542 ua), Kosten der Bekanntgabe der richtigen Adresse des Beklagten, wenn die zunächst angegebene Adresse bei Einbringung der Klage richtig war (OLG Wien WR 83 ua; uU sind hier sogar Detektivkosten zu ersetzen, vgl HG Wien WR 205), Kosten der Vergleichsverhandlungen (GlUNF 2507; OLG Wien AnwZ 1937, 112), die Kosten der Dienste eines Gläubigerschutzverbandes (Fasching, JBl 1981, 326 f), die Kosten einer Anmeldung iSd KHVG, wenn sie ausnahmsweise einen erheblichen Aufwand an Zeit und Mühe verursacht hat (LGZ Wien WR 694). Nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig sind die Kosten mehrerer gesonderter Klagen (OLG Wien WR 750; OLG Graz 2 R 139/05m), die Kosten eines Verbesserungsschriftsatzes (LGZ Wien WR 453; 516), die Mehrkosten, die durch Unterlassung des Antrags auf Fällung eines Wechselzahlungsauftrags entstehen (OLG Wien WR 726) oder durch Einklagung bei einem unzuständigen Gericht entstehen (Kosten des Überweisungsantrags nach § 230a), die Kosten eines Vertagungsantrags (dies ergibt sich aus § 48; s 9 Ob 91/04d = MietSlg 56.638; § 48 Rz 2, aA jedoch EvBl 1962/191), die Kosten einer Kommission zu Gericht, um zu klären, ob eine Klagebeantwortung erstattet wurde (OLG Wien WR 172, 278), die Kosten der Beantwortung eines unzulässigen Rechtsmittels, die nicht auf die Unzulässigkeit hinweist (2 Ob 120/05v = EFSlg 111.924; EFSlg 85.220; LGZ Wien 48 R 71/05d uva), die Kosten einer bloß affirmativen, auf die Rechtsmittelgründe gar nicht konkret eingehenden Rechtsmittelbeantwortung (OLG Wien WR 879; 950), die Kosten eines – wenn auch zulässigen – Schriftsatzes, der kein wesentliches zusätzliches Vorbringen enthält (OLG Wien WR 880), die Kosten der Beiziehung eines Inkassobüros (OLG Wien JBl 1981, 326, WR 3; LGZ Wien EFSlg 85.219; großzügiger OLG Innsbruck EvBl 1985/17 und Illedits, AnwBl 1992, 701). Ein gutes Beispiel für die Argumentation liefert Abs 3: Die Mehrkosten (zB doppelter Einheitssatz) durch einen auswärtigen Anwalt 539

§ 41

Fucik

werden ersetzt, wenn die Partei ihren Wohnsitz am selben Ort wie dieser Anwalt hat (OLG Wien WR 81, oder ebenfalls außerhalb des Gerichtsorts) oder ein besonderes Vertrauensverhältnis zu diesem Anwalt dargetan wird (OLG Wien AnwBl 1995, 437; LGZ Wien 39 R 98/ 04g = MietSlg 56.634; EFSlg 111.895 f; M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 41 Rz 32; Obermaier Rz 112). Dies gilt auch für die Finanzprokuratur (OLG Innsbruck EvBl 1995/19).

6 Der RAT ist maßgeblich, soweit in ihm Tarife für die in Rede stehende Leistung enthalten sind. Der Rechtsanwalt kann zwar im Innenverhältnis von seinem Mandanten mehr verlangen, dieser aber nicht über den Tarif hinaus von seinem Gegner Kostenersatz erhalten (Obermaier Rz 41). Zum anwaltlichen Tarifrecht s nur Obermaier Rz 447 bis 630. Wenig verlässlich Thiele, Anwaltskosten (2000).

7 Personenmehrheit: Haften die gänzlich Unterliegenden in der Hauptsache solidarisch (idR die Beklagten im Haftpflichtprozess), so erstreckt sich die Solidarhaftung auch auf die Prozesskosten (§ 46 Abs 2). Sonst (zB bei gemeinsam klagenden Parteien, die unterliegen [OLG Wien EFSlg 79.151]) ist der Kostenersatz nach Kopfteilen – bei erheblicher Verschiedenheit der Beteiligung aber nach dem Verhältnis der Beteiligung – aufzuerlegen (§ 46 Abs 1; wobl 1993/107 = MietSlg 45.635, Obermaier Rz 231 ff). Der Prozesserfolg von Streitgenossen ist getrennt zu betrachten. Obsiegt der eine, unterliegt aber der andere (zB Beifahrer und – letztlich alleinschuldiger – Lenker des Klagsfahrzeugs) so hat der Siegreiche Anspruch auf Ersatz seiner Kosten, der Erfolglose hat dem Gegner Kosten zu ersetzen (vgl Klinger, WR 21, 19; Fucik, Verkehrsunfall Rz 93). Strittig ist freilich, in welcher Höhe die Kosten zu ersetzen sind, wenn unterschiedlich erfolgreiche Streitgenossen vom selben Rechtsanwalt vertreten sind. Je nachdem, ob man den „mathematischen Gesamterfolg von 100%“ verteilt oder ein mehr schadenersatzrechtliches Grundkonzept („welche Rechtsverfolgungskosten wurden vom Unterlegenen verursacht?“) unterlegt, sind verschiedene Ergebnisse vertreten worden. Die „mathematische Linie“ (zB 1 Ob 2402/96h; 3 Ob 35/98p; 2 Ob 157/00b; OLG Linz 3 R 253/01y) gibt dem gegen einen Beklagten siegreichen, gegen den anderen unterlegenen Kläger nur die anteiligen (im Zweifel: halben) Kosten. Die „Verursacher-Linie“ (4 Ob 77/95; 6 Ob 1888/02v = EFSlg 105.587; 6 Ob 246/02y; OLG Wien 6 R 531/95 = RZ 1995/98 = AnwBl 1996, 42; 15 R 72/98p; 11 R 75/99a = AnwBl 2000, 361; OLG Linz 1 R 113/01w; 6 R 79/04m = AnwBl 2005, 151) spricht dem Kläger gegen den erfolglosen Beklagten volle 540

§ 42

1.1 Parteien

Kosten (ohne Streitgenossenzuschlag) zu (zust M. Bydlinski, Kostenersatz 406 und in Fasching/Konecny II/1 § 46 Rz 8). Der siegreiche Beklagte erhält nach der mathematischen Linie (1 Ob 2502/96h; 2 Ob 157/00b; 7 Ob 86/03b = EFSlg 105.614; OLG Wien 12 R 175/98p = AnwBl 2000, 361; 17 R 167/01f; OLG Linz 6 R 79/04m = AnwBl 2005, 151 ua [Obermaier, Rz 233]) nur anteilige Kosten, nach der Verursacher-Linie (OGH 6 Ob 246/02y; OLG Wien 17.8.1995, 6 R 531/95 = RZ 1995/98 = AnwBl 1996, 42 ua) stehen ihm volle Kosten zu. Obermaier Rz 235 ff diskutiert ausführlich die Vor- und Nachteile aller Linien und befürwortet iaR die mathematische Linie mit Ausnahme einiger Konstellationen (insb bei Nebenintervention), für die er eine eigene dritte Linie findet, die die Erfolgsquoten aufsummiert und die interne Verteilung dem Innenverhältnis überlässt (Details bei Obermaier Rz 243 f). Sind nicht alle Beklagten vom selben Rechtsanwalt vertreten, so werden die Kosten von der Rsp einhellig gesondert bemessen. Den darin liegenden Wertungswiderspruch löst Obermaier Rz 240 f durch eine Differenzierung danach, ob die Betrauung mehrerer Anwälte durch das Verhalten der Gegenseite erzwungen wurde oder auf eigenen Wünschen beruht. Beim sog sukzessiven Versäumungsurteil geht die Rsp jedoch zT anders vor (Übersicht mit Varianten bei Obermaier Rz 246 ff): bei mehreren als Solidarschuldner in Anspruch genommenen Beklagten stehen schon gegenüber dem ersten kontumazierten Beklagten die vollen Kosten (allerdings ohne Streitgenossenzuschlag) zu (OLG Wien WR 375, 407; RZ 1995/98; OLG Linz AnwBl 1996, 780; OLG Innsbruck 4 R 108/05x). Andere Senate sprechen nur die halben Kosten zu; vgl OLG Innsbruck EvBl 1995/44 = RZ 1996/1 [abl M. Bydlinski]). S dazu auch Obermaier Rz 246 ff, der häufigere Kostenvorbehalte befürwortet. § 42. (1) Für ihre persönlichen Bemühungen kann die Partei wie der Nebenintervenient bei Feststellung der Prozeßkosten eine Vergütung nicht ansprechen. Wenn deren persönliches Erscheinen vor Gericht notwendig war, und insbesondere, wenn die Partei in dem Verfahren vor Bezirksgerichten ohne einen Bevollmächtigten erscheint, ist für den durch Zeitversäumnis etwa entstandenen Schaden, sowie für die Reiseauslagen Ersatz zu leisten. (2) Wird eine Partei durch Bevollmächtigte vertreten, welche nicht dem Rechtsanwalts- oder Notariatsstande angehören, so ist der unterliegende Gegner nur zum Ersatze der Gerichtsgebühren und anderen Staatsgebühren und der durch die Prozeßführung verursachten notwendigen Barauslagen zu verhalten. Diese Bestim541

§ 43

Fucik

mung gilt jedoch nicht für die Kostenersatzansprüche der durch die Finanzprokuratur vertretenen Parteien; hiebei macht es keinen Unterschied, ob die Finanzprokuratur selbst einschreitet oder durch Verwaltungsbehörden oder Ämter vertreten wird. [Abs 2 letzter HS angefügt durch BGBl 1929/222, sonst Stammfassung]

1 Kosten der Partei sind im Umfang des § 42 zu ersetzen (zB Kosten der Vertretung eines selbständigen Steuerberaters während dessen verhandlungsbedingter Abwesenheit [LG St. Pölten 36 R 165/00h]). In Sozialrechtssachen hat der Versicherte als Kläger darüber hinaus gegen den Staat Anspruch auf Ersatz seiner Kosten nach dem GebAG (§ 79 ASGG).

2 Vertreter, die nicht Rechtsanwälte (Notare, Beamte der Finanzprokuratur) sind, vermitteln ihrer Partei nicht einmal Ersatzansprüche wegen Verdienstentgang und Reisekosten (zB Wirtschaftsprüfer als Masseverwalter, OLG Wien WR 792). Dies gilt nach der Rsp (RZ 1978/29 = SZ 50/135 = ZVR 1979/144; Versicherungsberater) auch für vorprozessuale Kosten (dagegen Barchetti, ÖJZ 1987, 321). § 43. (1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Der zu ersetzende Teil kann ziffernmäßig oder im Verhältnis zum Ganzen bestimmt werden. Die von der Partei getragenen Gerichtsgebühren und anderen bundesgesetzlich geregelten staatlichen Gebühren, Kosten von Amtshandlungen außerhalb des Gerichtes, Gebühren der Zeugen, Sachverständigen, Dolmetscher, Übersetzer und Beisitzer, Kosten der notwendigen Verlautbarungen sowie Kosten eines Kurators, die die Partei nach § 10 zu bestreiten hatte, sind ihr dabei verhältnismäßig mit dem Teil zuzusprechen, der dem Ausmaß ihres Obsiegens entspricht. (2) Das Gericht kann jedoch auch bei solchem Ausgange des Rechtsstreites der einen Partei den Ersatz der gesamten, dem Gegner und dessen Nebenintervenienten entstandenen Kosten auferlegen, wenn der Gegner nur mit einem verhältnismäßig geringfügigen Teile seines Anspruches, dessen Geltendmachung überdies besondere Kosten nicht veranlaßt hat, unterlegen ist, oder wenn der Betrag der von ihm erhobenen Forderung von der Feststellung durch richterliches Ermessen, von der Ausmittlung durch Sachverständige, oder von einer gegenseitigen Abrechnung abhängig war. [Abs 1 Satz 3 eingefügt durch GGG, sonst Stammfassung] 542

§ 43

1.1 Parteien

Lit: Hule, Die Kostenentscheidung nach § 43 Abs 1 ZPO, ÖJZ 1973, 480; Musil/Ubl, Das Teilanerkenntnis im Prozeß, ZVR 1975, 258; Klicka, Bestimmtheit des Begehrens bei Leistungsklagen (1989) 52; Klicka, Zur Kostenentscheidung nach § 43 Abs 2 ZPO, ÖJZ 1990, 721; M. Bydlinski, Neues vom OGH zum Kostenersatz, Zak 2005/76, 43; Obermaier Rz 119 ff. M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 43; Deixler-Hübner/ Klicka, Rz 188; sonst wie Vor § 40. Inhaltsübersicht I. Kostenersatz nach Abs 1 II. Kostenersatz nach Abs 2

1–8

III. Kombinierte Anwendung von § 43 Abs 1 und Abs 2 15–17

9–14

I. Kostenersatz nach Abs 1 Teilweises Obsiegen liegt auch dann vor, wenn dem unbedingten Kla- 1 gebegehren nur mit Zug-um-Zug-Verpflichtung (LGZ Wien WR 455) stattgegeben wurde. Wenn zwar dem Klagebegehren im Hauptanspruch voll stattgegeben, ein Teil der Nebengebühren (insb ein Zinsenmehrbegehren) aber abgewiesen wurde, wendet die ältere Rsp ebenfalls § 43 an (5 Ob 677/81; Klinger, WR 23, 18), während jüngere E (LG Salzburg 22 R 109/04i) hier § 41 für einschlägig halten und Mehraufwand nur gem §§ 44, 48 berücksichtigen. Bei nicht in Geld bestehenden Ansprüchen ist die Quote des Obsiegens nach freiem Ermessen zu bestimmen (1 Ob 578/84, wobei aber dieses Ermessen etwa bei Stattgebung eines Feststellungsbegehrens mit einer Quote – Verschuldensteilung – wohl nur durch Ansatz dieser Quote ausgeübt werden kann). Mangels anderer Anhaltspunkte sind Unterliegen und Obsiegen gleich zu bewerten (4 Ob 234/03w ua; Obermaier Rz 123). Zu gegenseitigem Kostenersatz hat es nicht zu kommen (SZ 67/143 = 2 JBl 1995, 381; Hule, ÖJZ 1973, 481, Klinger, WR 21, 16; Obermaier Rz 119 ff; aA aber M. Bydlinski, Kostenersatz 215 und in Fasching/ Konecny II/1 § 43 Rz 9, der wechselseitigen Kostenersatz befürwortet), gegenseitige Ersatzansprüche können also in der Kostenentscheidung gegeneinander aufgerechnet werden (SZ 67/143 = JBl 1995, 381; Klinger, WR 23, 18; WR 20, 26; dagegen ließe sich freilich einwenden, dass ein „ipso jure compensatur“ der österreichischen Rechtsordnung sonst fremd ist und die richterliche Aufrechnung den Anwälten ein Pfandrecht entzieht). 543

§ 43

Fucik

Dass die dem Obsiegen entsprechenden Kostenersatzansprüche der Parteien (Erfolgsquote) zu ermitteln und gegeneinander aufzurechnen seien (Kostenkompensation statt Quotenkompensation [Obermaier Rz 119], kann seit dem GGG nicht mehr vertreten werden, weil sonst der eingefügte 3. Satz sinnlos wäre (Klinger, WR 23, 16. M. Bydlinski, Kostenersatz 222, deutet diesen – nicht überzeugend – statt als Sonderregel als (zu eng geratene) Klarstellung).

3 Die hRsp geht bei der Ermittlung der Quoten von runden Bruchzahlen aus (7 Ob 575/84; OLG Wien WR 606; LGZ Wien EFSlg 82.168; Hule, ÖJZ 1973, 482, Klinger, WR 23, 18; WR 21, 16; gegen eine durch den Taschenrechner provozierte Scheingenauigkeit auch M. Bydlinski, Kostenersatz 202), doch spricht auch nichts gegen eine prozentuelle Berechnung. Plastisch unterscheidet Obermaier Rz 122 und in vielen Beispielen hier zwischen „Taschenrechner-Senaten“ und „Kopfrechner-Senaten“.

4 Kostenaufhebung lässt die Rsp eintreten, wenn sich Obsiegen und Unterliegen etwa gleich gewichtig gegenüberstehen, wobei Toleranzen bis 5% geduldet werden. Kostenaufhebung tritt also (als grobe Faustregel genommen) bei Verhältnissen zwischen 50 : 50 und 45 : 55 ein (Klinger, WR 20, 20; M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 43 Rz 10). Die Kostenaufhebung muss auch unabhängig davon eintreten, ob beide Parteien Kostennote gelegt haben (LGZ Wien WR 376; MietSlg 56.639; OLG Wien WR 488; WR 546 = EvBl 1992/173; Klinger, WR 21, 17 mit ausführlicher Ablehnung der Gegenmeinung; ebenso M. Bydlinski, Kostenersatz 233).

5 Kostenersatz bei anderen Quoten: Von den in § 43 Abs 1 3. Satz (taxativ, auf andere Arten der „Barauslagen“ nicht auszudehnen) genannten, nach der Obsiegensquote zu ersetzenden Kosten abgesehen, sind die Kosten nach folgender Methode („Quotenkompensation“, vgl auch M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 43 Rz 5 ff) zu berechnen: Zuerst ermittelt man den Prozesserfolg, die Erfolgsquote als Verhältnis von zugesprochenem zu eingeklagtem Betrag: Erfolgsquote =

zugesprochener Betrag eingeklagter Betrag

.

6 Da der auf 100% fehlende Wert (Erfolgsquote des Gegners) einen eige-

nen gegenseitigen Ersatzanspruch geben würde, wenn man ihn nicht bereits vom Anteil abzöge, ist zur Ermittlung der Ersatzquote die Erfolgsquote um die gegnerische Erfolgsquote zu mindern. Am ein544

§ 43

1.1 Parteien

fachsten geschieht dies im Zeitalter des Taschenrechners durch Multiplikation der Erfolgsquote mit 2 und Abzug der 100er Stelle, also: in Faktoren: (0,n x 2) – 1 oder in Prozentsätzen: (n % x 2) – 100. Ersatzquote = Erfolgsquote x 2 – 100. Mathematisch ist das einfach ableitbar: Gesucht ist n – (100 – n) also n – 100 + n oder 2n – 100 Es werden zB eingeklagt 100, zugesprochen 75. Erfolgsquote: 75 %, Ersatzquote: (2 x 75) – 100 = 150 – 100 = 50 %. Insgesamt ergeben sich folgende Quoten: Erfolg

Barauslagen (§ 43 Abs 1 3. Satz)

Sonstige Kosten (§ 43 Abs 1 1. Satz)

50 55 60 66,67 70 75 80 85 90

50 50 60 66,67 70 75 80 85 100

0 0 20 33,33 40 50 60 70 100

: 50 : 50 : 40 : 33,33 : 30 : 25 : 20 : 15

(§ 43 Abs 2)

Recht kompliziert wird die Kostenentscheidung bei gemeinsamer 7 Vertretung und verschiedenem Prozesserfolg von Streitgenossen; auf die Kostenentscheidung hat überdies auch noch die Verbindung zur gemeinsamen Verhandlung iSd § 187 Einfluss; für die Dauer der Verbindung mehrerer Prozesse sind nach § 12 Abs 1 RATG die Streitwerte zusammenzurechnen und bilden die (erhöhte) Bemessungsgrundlage (Beispiel bei Klinger, WR 23, 17 bis 19; Fucik, Verkehrsunfall Rz 97; s auch M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 46 Rz 9 ff). Phasenbildung: Wenn eine Partei in verschiedenen Verfahrensab- 8 schnitten (zB bei Ausdehnung und/oder Einschränkung) verschieden 545

§ 43

Fucik

erfolgreich war, so ist nicht der letzte Abschnitt (Schluss der Verhandlung) maßgeblich (so noch Fasching1 II 329), sondern das Verfahren ist in Abschnitte zu gliedern (Phasenbildung, „horizontale Teilung der Kostennote“) und Erfolgs- sowie Ersatzquoten sind für jede Phase gesondert zu bilden (vgl OLG Wien WR 153; Klinger, WR 20, 25, Hule, ÖJZ 1973, 482; Obermaier Rz 139). Die Pauschalgebühren werden von einem Teil der Rsp auf die Verfahrensabschnitte im Verhältnis der Kosten aufgeteilt (OLG Graz nach Klinger, WR 23, 18; LGZ Wien EFSlg 82.167), nach richtiger Ansicht dem ersten Verfahrensabschnitt, in dem sie ja tatsächlich entstanden sind, zugerechnet. Ein wichtiger Fall solcher Phasenbildung ist die Situation nach Anbot einer Teilzahlung. Zahlreiche E (OLG Wien ZVR 1973/112; ZVR 1993/11= WR 539; LGZ Wien ZVR 1979/143) differenzieren bei der kostenrechtlichen Beurteilung zwischen Fällen, in denen (Teil-) Ansprüche zur Gänze anerkannt wurden (in welchem Fall der Kläger insoweit kostenfällig wird, weil er unnötig prozessiert hat) und sonstigen Teilanerkenntnissen (die sie nicht zugunsten des Beklagten berücksichtigen, weil sonst im Ergebnis der Gläubiger entgegen § 1415 ABGB zur Annahme von Teilzahlungen gezwungen wäre). Mit OLG Wien ZVR 1993/30 = WR 642; OLG Linz ZVR 1994/138; AnwBl 1995, 436 = EFSlg 76.028 ist aber bei jedem Teilanerkenntnis – ob die Fällung eines Teilanerkenntnisurteils beantragt wurde oder nicht – davon auszugehen, dass dieser Teil des eingeklagten Anspruchs nicht mehr strittig ist und daher bei der Kostenberechnung ab dem Teilanerkenntnis nicht mehr zu berücksichtigen ist (OLG Wien ZVR 1975/81, WR 96, HG Wien AnwBl 1987, 474, Musil/Ubl, ZVR 1975, 258 f, Vrba/Lampelmayer/Wulff-Gegenbaur, Schadenersatz Rz 1201). Das führt bei vollem Obsiegen bloß dazu, dass ab dem Anerkenntnis von einem um die anerkannte Summe verminderten Streitwert 100% zuzusprechen sind, bei Teilerfolg zu einem der kombinierten Anwendung von § 43 Abs 1 und Abs 2 entsprechenden Vorgehen (s Rz 13; vgl OLG Wien ZVR 1993/30: für die Beurteilung der Überklagung ist der gezahlte Teilbetrag zum streitverfangenen dazuzuzählen). II. Kostenersatz nach Abs 2

9 Voller Kostenersatz bei teilweisem Obsiegen: Während die §§ 41, 43 Abs 1, 45 und 47 alle Ausfluss des strengen Erfolgshaftungsprinzips sind, lässt § 43 Abs 2 eine Ausnahme in zwei streng voneinander zu trennenden Fallgruppen zu:

10 Verhältnismäßig geringfügiges Unterliegen: Für diesen Fall gebieten die Prozessökonomie und der dem Kostenrecht innewohnende Vereinfachungsgedanke (M. Bydlinski, RZ 1989, 158) den Zuspruch voller 546

§ 43

1.1 Parteien

Kosten. Daher ist immer zu beachten, dass der letztlich abgewiesene Teilanspruch oder Anspruchsteil keine besonderen Kosten veranlasst haben darf (wie dies zB bei Zinsenmehrbegehren – Vertagung zur Beischaffung einer Bankbestätigung – der Fall sein kann). Verhältnismäßig geringfügig ist ein Unterliegen nach der Rsp dann, wenn es 10% des Gesamtstreitwerts nicht übersteigt (Klinger, WR 20, 20; M. Bydlinski, Kostenersatz 245; den veröff E ist diese als Richtwert anzusehende Grenze nicht zu entnehmen, dort wird nur ausgeführt, dass 30% (LG Wien AnwZ 1926, 44), 16% (LGZ Wien AnwBl 1979, 239 [krit Waldeck]) oder 12,5% (AnwBl 1986, 729) nicht mehr geringfügig seien (zu streng wohl AnwBl 1985, 55, wo 7% als nicht mehr geringfügig angesehen werden. Die E trennt übrigens, wie die an sich zutreffende Kritik Flendrovskys, nicht ausreichend deutlich die beiden Fälle, also Geringfügigkeit und Ausmittlung durch Sachverständige). Näheres bei M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 43 Rz 17; Obermaier Rz 130 ff. Ausmittlung durch Sachverständige, richterliches Ermessen, gegen- 11 seitige Abrechnung: Grundgedanke dieser Variante ist es, dass dem Kläger eine genaue Bezifferung des Klagebegehrens ausnahmslos abverlangt wird, aber nicht immer mit absoluter Richtigkeit vorweg getroffen werden kann. Wer könnte vor Prozessbeginn das ihm zustehende Schmerzengeld oder die Wertminderung genau beziffern? Das hier sonst unvermeidliche Kostenrisiko des Klägers soll ihm – weil unzumutbar – durch § 43 Abs 2 2. Fall abgenommen werden. Die Anwendung setzt voraus, dass nicht der Grund des Anspruchs, sondern nur seine Höhe strittig ist (arg: „Betrag“, „Ausmittlung“, OLG Wien EvBl 1936/478; M. Bydlinski, Kostenersatz 245). Sind Teile des Begehrens zB nicht unfallkausal, so kommt Abs 2 nicht zur Anwendung (OLG Wien ZVR 1994/69). Großzügig OLG Wien WR 489; 727; 853, wo ein ex ante tunliches Feststellungsbegehren über die Haftung für künftige Folgen nach dem Sachverständigengutachten fallen gelassen wurde; dagegen wendet OLG Wien WR 728; 735, ein, dass ein Feststellungsbegehren nicht „der Höhe nach“ strittig sein kann. Allerdings lässt sich die zeitliche Zufälligkeit (wenn schon im Klagezeitpunkt entstanden Frage der Höhe, danach Frage des Grundes?) zugunsten der großzügigeren Ansicht ins Treffen führen (vgl M. Bydlinski in Fasching/ Konecny II/1 § 43 Rz 18). Weiters kommt ein voller Kostenzuspruch nur dann in Frage, wenn dem Kläger nicht vorzuwerfen ist, er habe „offenbar überklagt“, also von den Unsicherheiten in der Bezifferung unabhängig einen offensichtlich übermäßigen Anspruch geltend gemacht (OLG Wien EvBl 1952/10 ua). Die Rsp nimmt – wieder als grobe Orientierung (nach Obermaier Rz 13 ist mehr Flexibilität angebracht) gesagt – Überkla547

§ 43

Fucik

gung etwa dann an, wenn mehr als doppelt so viel eingeklagt als zugesprochen wird, also bei Abweisungen über 100% (= Stattgebungen unter 50%, vgl LGZ Wien EvBl 1934/426, NBlRA 1955, 57, WR 316, ZVR 1979/143; OLG Wien WR 454; 855; 2 Ob 261/04b = EvBl 2005/ 143 = ZVR 2005/118; 2 Ob 155/05s = EFSlg 111.913; bei Phasenbildung kommt es für die Überklagungsprüfung nur auf das ursprüngliche Begehren an, wenn später Teilzahlungen geleistet wurden [2 Ob 261/04b = EvBl 2005/143 und dazu M. Bydlinski, Zak 2005/76, 45; OLG Wien ZVR 1993/30 = WR 643; OLG Linz AnwBl 1995, 436]; großzügiger OLG Wien WR 572: keine Überklagung trotz bloß 36% Zuspruch, WR 668: bloß 20% Zuspruch wegen zwischenzeitiger Todesfolge). Schließlich wird auch nicht für schutzwürdig angesehen, wer aufgrund eigener Fachkenntnisse die Höhe der Forderung abschätzen konnte (LGZ Wien WR 456; MietSlg 47.601; HG Wien AnwBl 1993, 438). M. Bydlinski, Kostenersatz 251 vermisst eine Regelung für den Fall, dass nicht die Klageforderung, sondern die Gegenforderung von richterlichem Ermessen oder Sachverständigengutachten abhängt. Hier mag es weiterhelfen, die 3. Variante (gegenseitige Abrechnung) im Sinne von gegenseitiger Aufrechnung zu verstehen.

12 Ein plötzliches Umschlagen von § 43 Abs 2 auf § 43 Abs 1 lässt sich aber vermeiden (OLG Wien WR 695; LGZ Wien EvBl 1934/83; vgl Klicka, ÖJZ 1990, 723, FN 22, der mit der „Maßfigur eines sorgfältigen Klägers“ operiert, ähnlich M. Bydlinski, Kostenersatz 249 und in Fasching/Konecny II/1 § 43 Rz 25). Es hat auch etwas für sich, § 43 Abs 2 nur für die Zeit der Unsicherheit anzuwenden, also ab dem Zeitpunkt, in dem die Bezifferung im Prozess möglich ist, vom Kläger eine Klageeinschränkung zu verlangen. In den meisten Fällen führt dies jedoch nicht weiter, weil die Ausmittlung des Schmerzengelds vom richterlichen Ermessen abhängt und auch nach der Erstattung des Gutachtens (dessen Schmerzperioden ja nicht Bemessungsgrundlage, sondern nur Bemessungshilfe sind) nicht verlässlich beurteilt werden kann, welches Schmerzengeld (genau beziffert) zuerkannt werden wird, weshalb man vom Kläger nicht verlangen sollte, nach Erstattung des Sachverständigengutachtens jedenfalls einzuschränken (richtig OLG Wien ZVR 1975/81; LGZ Wien MietSlg 45.634). Volle Kosten? 13 a) Bei geringfügigem Unterliegen lässt sich § 43 Abs 2 auch dann anwenden, wenn durch Einklagen auch des letztlich abgewiesenen Teils ein „Tarifsprung“ eingetreten ist (das sind – gegen M. Bydlinski, Kostenersatz 243 – nicht die im Gesetz gemeinten besonderen Kosten). Es wäre aber ungerecht, die Kosten vom ursprünglichen, also objektiv zu hohen 548

§ 43

1.1 Parteien

Streitwert zu berechnen. Die Kosten sind vielmehr nur auf Basis des obsiegten Betrags zuzusprechen (OLG Wien AnwZ 1933, 134 ua). Das erfordert in jedem Fall, in dem ein Tarifsprung auftritt, eine völlige Neuberechnung der verzeichneten Kosten nach den niedrigeren Ansätzen. Statt aufgrund des fiktiven (niedrigeren) Streitwerts die Kostennote neu durchzurechnen, schlägt das OLG Wien WR 86 eine einfachere Methode vor. Man trennt (in der Kostennote ohnehin üblich) „Verdienstsumme“ samt USt und „Barauslagen“ und vergleicht die Tarifansätze des echten und des fiktiven Streitwerts (hier wird man sich – die einzelnen TP differieren um wenige Promille – an die Ansätze zu TP 3A RAT halten können). Daraus ergibt sich eine „Tarifquote“ als Kürzungsfaktor. Tarifquote =

TP 3A für fiktiven Streitwert TP 3A für eingeklagten Streitwert

.

b) Auch für den 2. Fall wendet die Rsp diesen Rechtssatz an, auch hier 14 sind volle Kosten nur auf Basis des Ersiegten zuzusprechen, Verdienstsumme wie Pauschalgebühren (8 Ob 32/02t; 6 Ob 295/03f; 2 Ob 261/ 04b = EvBl 2005/143; 2 Ob 180/04s; 7 Ob 262/05p; OLG Wien WR 279; wN bei Klicka, ÖJZ 1990, 722, Klinger, WR 21, 17). Dieser Ansicht ist die überwiegende Lehre mit ausführlicher Begründung entgegengetreten (Hule, ÖJZ 1973, 484, Klicka, Bestimmtheit des Begehrens und Leistungsklage 54 f, Klicka, ÖJZ 1990, 721 ff, Bajons Rz 170; M. Bydlinski, Kostenersatz 254), die vollen Kostenersatz auf Basis des eingeklagten Streitwerts befürwortet. Das führte allerdings zu einer Besserstellung desjenigen, der objektiv überhöht einklagt, gegenüber demjenigen, der äußerste Sorgfalt anwendet (so nun auch 2 Ob 295/01y = EFSlg 98.060; OLG Linz 2 R 124/03y = EFSlg 105.640; s auch schon Roth, Individualleistung 71; OLG Wien WR 642). III. Kombinierte Anwendung von § 43 Abs 1 und Abs 2 Ist hinsichtlich der Höhe des Anspruchs (oder eines von mehreren 15 Ansprüchen) § 43 Abs 2 anwendbar, kommt es aber (wegen Mitverschuldens oder Teilabweisung anderer Ansprüche) auch aus anderen Gründen zu Teilabweisungen, so sind beide Abs des § 43 kombiniert anzuwenden. Im Mittelpunkt der Problemlösung steht die Ermittlung des kostenrelevanten Streitwerts (Obermaier Rz 138): § 43 Abs 2 ist bei der Ermittlung der Erfolgsquote heranzuziehen (also der kosten-erfolgs-neutrale [Obermaier Rz 138: kostenunschädliche] abgewiesene Teil auszuscheiden) und dann iSd § 43 Abs 1 ZPO vom reduzierten Betrag die Ersatzquote zu bilden (vgl OLG Wien WR 80; Beispiel s Fucik, Verkehrsunfall Rz 108). 549

§ 44

Fucik

16 Mit der kombinierten Anwendung bei Personenmehrheiten ist die Krönung komplizierter Kostenberechnung erreicht: Man muss noch einen weiteren Faktor einführen, nämlich das Verhältnis zwischen Gesamtstreitwert und Einzelstreitwert. Teilungsquote =

Einzelstreitwert Gesamtstreitwert

.

17 Der Kostenersatz einer Partei richtet sich nach dem Verhältnis von

Gesamtkosten : Teilungsquote : Ersatzquote. Bei Anwendung des § 43 Abs 2 ZPO sind zu bilden: 1) die fiktive Tarifquote als Verhältnis der RAT-Ansätze bei niedriger Einklagung („fiktiver Gesamtstreitwert“ zu „realer Gesamtstreitwert“), 2) die fiktive Teilungsquote als Verhältnis des fiktiven Teilstreitwerts zum fiktiven Gesamtstreitwert und 3) die Ersatzquote (weitere Hinweise s bei OLG Wien WR 86, WR 226; Beispiel bei Fucik, Verkehrsunfall Rz 109). § 44. (1) Werden tatsächliche Behauptungen oder Beweismittel unter Umständen angebracht, aus welchen das Gericht die Überzeugung gewinnt, daß die Partei imstande war, dieselben früher geltend zu machen, und wird durch die Zulassung eines solchen Vorbringens die Erledigung des Rechtsstreites verzögert, so kann das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen der Partei, welche ein solches Vorbringen gemacht hat, auch wenn sie obsiegt, den Ersatz der Prozeßkosten ganz oder teilweise auferlegen. (2) Dies gilt insbesondere auch von Anführungen und Beweisanbietungen, die bereits in einem von der obsiegenden Partei überreichten vorbereitenden Schriftsatze hätten angebracht werden sollen und deren späteres Vorbringen eine Verzögerung der Verhandlung oder der Erledigung des Rechtsstreites bewirkt hat. [Stammfassung]

1 § 44 macht eine Ausnahme vom Erfolgshaftungsprinzip (OLG Wien

WR 490) bei schuldhafter Prozessverzögerung (OLG Wien AnwBl 1981, 82): Die siegreiche Partei ist auf Antrag oder von Amts wegen dennoch zum Kostenersatz zu verpflichten, wenn Vorbringen oder Beweisanbot verspätet erstattet wurde. Von der Kostenseparation des § 48 unterscheidet sich die Kostenstrafe des § 44 dadurch, dass sie erst in der endgültigen Kostenentscheidung stattfindet (OLG Wien AnwBl 1998, 331 = WR 821; LGZ Wien Arb 7817), sich nicht strikt auf die Mehrkosten bezieht und jedenfalls Verschulden voraussetzt (s auch Obermaier Rz 179 ff). 550

§ 45

1.1 Parteien

§ 44 dient somit (als Pendant zu § 45) dazu, den obsiegenden, aber zur 2 Abweisung führende Beweismittel und Sachverhaltsmitteilungen zurückhaltenden Beklagten zum Kostenersatz zu verpflichten (OLG Wien AnwBl 1998, 331 = WR 821; WR 889; M. Bydlinski, Kostenersatz 349; vgl auch 8 ObA 185/01s = SZ 2002/67). Auch eine verspätete Urkundenvorlage lässt sich unter § 44 subsumieren (OLG Wien WR 927). § 45. Hat der Beklagte durch sein Verhalten zur Erhebung der Klage nicht Veranlassung gegeben und den in der Klage erhobenen Anspruch sofort bei erster Gelegenheit anerkannt, so fallen die Prozeßkosten dem Kläger zur Last. Er hat auch die dem Beklagten durch das eingeleitete gerichtliche Verfahren verursachten Kosten zu ersetzen. [Fassung ZVN 2002 für nach dem 31.12.2002 bei Gericht eingelangte Klagen] Lit: Blasbichler, Die verfrühte Erhebung der Oppositionsklage und ihre Kostenfolgen, RZ 1974, 186; Fasan, Die verfrühte Erhebung der Oppositionsklage und ihre Kostenfolgen, RZ 1975, 4; Hoyer, Exszindierungsklage, Beweislast und Kostenersatzpflicht, FS Matscher (1993) 207; Schimanko, Die Klage auf Unterlassung und § 45 ZPO, ÖJZ 2002, 127. M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 45, sonst wie Vor § 40. Inhaltsübersicht Allgemeines Vorraussetzungen

1 2–4

Kostenersatz bei Exszindierungsklage Zahlung vor Klagseinbringung

5 6

Als Konsequenz, nicht als Ausnahme der Kostenersatzbestimmungen 1 hat der Kläger dem Beklagten, der durch sein Verhalten nicht zur Klage Anlass gegeben und den Klageanspruch sofort bei der ersten Gelegenheit anerkannt, als Verursacher eines ohne Not geführten Prozesses die Kosten zu ersetzen (vgl sehr ausführlich M. Bydlinski, Kostenersatz 270). Die Kostenersatzpflicht des siegreichen Klägers setzt voraus, dass der 2 Beklagte keinen Anlass zur Klage gab; Anlass ist zB Verzug, Bestreitung, Berühmung, Vorenthalten (OLG Wien EvBl 1953/449), so dass einer Klage auf eine fällige Forderung keine Mahnung vorangehen muss (Klinger, WR 14, 24; M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 45 Rz 3; aA 551

§ 45

Fucik

Rechberger/Simotta Rz 299 mit Beispiel); auch eine Unterlassungsklage nach dem UWG (OLG Wien ÖBl 1976, 176) setzt (außer nach Vereinbarung [4 Ob 106/00t]) keine vorherige Abmahnung voraus (ebenso eine Besitzstörungsklage). Die Veranlassung zur Teilungsklage ist dagegen so lange nicht gegeben, als der Kläger nicht versucht hat, den anderen Teilhaber zur Aufhebung der Gemeinschaft zu bestimmen bzw aufzufordern (SZ 44/139; OLG Wien WR 491; 695; 15 R 195/00g; OLG Linz JBl 1995, 195 [krit M. Bydlinski]). Zu den exekutionsrechtlichen Klagen siehe Rz 5. Zu den Unterlassungsbegehren vgl Schimanko, ÖJZ 2002, 127, mit subtiler (von der hA [4 Ob 15/99f = EvBl 1999/147; Obermaier Rz 176] nicht geteilter) Unterscheidung zwischen dem Anerkenntnis der Unterlassungspflicht und der Frage der Wiederholungsgefahr.

3 Weiters muss der Beklagte bei der ersten Gelegenheit (OLG Wien WR 32; 173 ua), also in der direkt aufgetragenen Klagebeantwortung, in den Einwendungen, im begründeten Einspruch oder nach nicht begründetem Einspruch in der vorbereitenden Tagsatzung das Klagebegehren rückhaltlos anerkennen (vgl M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 45 Rz 7; Obermaier Rz 173 [überholt noch mit der „Ersten Tagsatzung“]). Wird der Anspruch erst während des Prozesses fällig, so ist nach hA (Obermaier Rz 174) der Beklagte nur dann von einem „Umschlagen des Kostenrisikos“ befreit, wenn er die Klageforderung sogleich anerkennt. Sonst muss er auch die vor Fälligkeit entstandenen Kosten ersetzen (OLG Wien JBl 1995, 258 [krit M. Bydlinski]). In manchen Fällen fordert die Rsp noch mehr: rechtzeitige Räumung (LGZ MietSlg 20.618), Antrag auf Einstellung der Exekution (LGZ Wien EvBl 1934/550), nicht aber auch schon Zahlung des anerkannten Betrags (OLG Wien WR 173; s aber M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 45 Rz 10: Erfüllung in angemessener Frist, nicht notwendig „umgehend“).

4 Ein Antrag auf Kostenzuspruch ist nicht erforderlich, wohl aber muss der Beklagte die Kosten verzeichnen.

5 Wer beim Verpflichteten Sachen pfänden lässt, gibt einem Exszindierungswerber damit noch nicht Anlass zur Klage. Er kann daher durch sofortiges Anerkenntnis den Exszindierungskläger kostenersatzpflichtig machen (vgl M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 45 Rz 6). Der Exszindierungskläger tut deshalb gut daran, vor Klageführung den betreibenden Gläubiger zur Einstellung der Exekution aufzufordern (GlUNF 3120), sein Eigentum ausreichend konkret zu behaupten (GlUNF 5335; LGZ Wien RpflSlgE 1995/21) und auf Verlangen des betreibenden Gläubigers zu belegen (LG Wien EvBl 1934/549). Der 552

§ 45a

1.1 Parteien

Verpflichtete, der eine Forderung erfüllt hat, muss es nicht auf die Exekutionsführung ankommen lassen; hat er den Betreibenden aufgefordert, ihm das Erlöschen der Forderung zu bestätigen, was dieser ignoriert, so gibt der betreibende Gläubiger damit zur Klage Anlass (LGZ Wien EFSlg 64.000). Gar nicht so selten ist der Fall, dass sich Zahlung und Klage über- 6 schneiden, also zwischen Klageauftrag und Einlangen der Klage beim Gericht Zahlung erfolgt ist. Das Erfolgshaftungsprinzip trifft hier den Kläger. Langt das überwiesene Geld vor Klagseinbringung auf dem Konto des Klägers ein (LG Innsbruck AnwBl 1987, 476 [abl Grill]; auf das bloße Erteilen des Überweisungsauftrags kann es bei bereits fälliger Geldschuld nicht ankommen, so auch M. Graff zu OLG Wien, AnwBl 1973, 291; Obermaier Rz 182), so wird der Kläger kostenersatzpflichtig, auch wenn sein RA gar nicht rechtzeitig von der Zahlung Kenntnis erlangen konnte (GlUNF 806; LG St. Pölten 36 R 281/02w; großzügiger HG Wien WR 691 bei Zahlung am Tag der Klage). § 45a. (1) Wird auf Scheidung oder Aufhebung der Ehe erkannt oder die Ehe für nichtig erklärt, ohne daß der unterlegene Teil hieran schuldig ist, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben. Hat eine Partei von den im § 43 Abs 1 letzter Satz angeführten Barauslagen mehr als die Hälfte bestritten, so hat ihr der andere Ehegatte den Mehrbetrag zu ersetzen. (2) Wird die Ehe nach § 55 Ehegesetz geschieden und enthält das Scheidungsurteil einen Ausspruch über das Verschulden an der Zerrüttung, so hat der schuldige Ehegatte dem anderen die Kosten zu ersetzen. [Abs 1 1. Satz eingefügt durch EheG, 2. Satz durch GGG, Abs 2 durch EheRÄndG 1978] Die Sonderregeln ergänzen die allgemeinen Bestimmungen, verdrän- 1 gen sie aber nicht; bei Abweisung der Scheidungsklage besteht Kostenersatzpflicht nach § 41; mangels eines Verschuldensausspruchs sind aber trotz Scheidungserfolgs die Kosten (von überanteiligen Barauslagen iSd § 43 Abs 1 3. Satz abgesehen) gegeneinander aufzuheben. Dem Alleinverschulden steht das überwiegende Verschulden auch im Kostenersatzrecht gleich (OLG Wien EFSlg 46.637; 64.001; LGZ Wien EFSlg 85.235; 111.909 uva). Anwendung des § 43 Abs 1 ist möglich, wenn ein auf §§ 47 bis 49 EheG 2 gestütztes Begehren erfolglos blieb, ein Eventualbegehren nach §§ 50 f 553

§ 46

Fucik

EheG aber mit Verschuldensausspruch Erfolg hatte (OLG Wien EFSlg 34.362 ua).

3 Im Ehenichtigkeitsverfahren erfolgt ein Kostenzuspruch nur, wenn das Urteil einen Schuldausspruch enthält; nur als Vorfrage für die Kostenentscheidung allein wird das Verschulden nicht geprüft (LGZ Wien EFSlg 82.173; 111.918).

4 Ausgeschlossen ist es, Kosten lediglich deshalb zuzusprechen, „um Härten zu vermeiden“ (LGZ Wien EFSlg 101.803; 111.921). § 46. (1) Besteht der zum Kostenersatz verpflichtete Teil aus mehreren, in der Hauptsache nicht solidarisch haftenden Personen, so ist denselben der Kostenersatz nach Kopfteilen aufzuerlegen. Bei einer erheblichen Verschiedenheit der Beteiligung am Rechtsstreit hat jedoch das Gericht die Ersatzanteile nach dem Verhältnisse dieser Beteiligung zu bestimmen. (2) Sofern die zum Kostenersatz verpflichteten Personen nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes in der Hauptsache solidarisch zu haften haben, erstreckt sich diese Haftung auch auf die dem Gegner zugesprochenen Prozeßkosten. Für die Kosten, welche durch die von einzelnen Beteiligten vorgenommenen besonderen Prozeßhandlungen erwachsen sind, haben die übrigen Beteiligten nicht zu haften. [Stammfassung]

1 Sofern die Kosten nicht ausdrücklich solidarisch auferlegt werden, haften die Streitgenossen nur nach Kopfteilen (NZ 1933, 213 ua).

2 Bei gemeinsamer Vertretung mehrerer Personen durch denselben Rechtsanwalt ist davon auszugehen, dass er nach Kopfteilen entlohnt werde; die einzelnen Streitgenossen können daher nur anteilige Kosten verlangen (OLG Wien AnwBl 1976, 414).

3 Personen, die eine einheitliche Streitpartei bilden, haften nach hA solidarisch (OLG Innsbruck JBl 1993, 58 [krit M. Bydlinski]).

4 S im Übrigen § 41 Rz 7; § 43 Rz 7 und 15. § 47. (1) Die Kosten eines abgeschlossenen Vergleiches sind, wenn nicht etwas anderes vereinbart wird, als gegenseitig aufgehoben anzusehen. Dasselbe gilt von den Kosten des durch Vergleich erledig554

§ 48

1.1 Parteien

ten Rechtsstreites, soweit deren Ersatz nicht bereits einer der Parteien rechtskräftig auferlegt ist. (2) Bleiben Vergleichsverhandlungen erfolglos, so ist die Verpflichtung zum Ersatze der mit denselben verbundenen Kosten von der Entscheidung der Hauptsache abhängig. [Stammfassung] Lit: Knoll, Kostenentscheidung nach Vergleichsabschluß auf Grund Parteienvereinbarung (§ 47 ZPO), RZ 1991, 214; M. Graff, Rechtsschutzinteresse und Kostenersatz, ecolex 1991, 761. M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 47, sonst wie Vor §§ 40 bis 55. Eine Vereinbarung, dass bei Vergleich in der Hauptsache die Kosten- 1 bestimmung durch das Gericht erfolgen soll, ist nach der Mehrzahl der veröff E nicht vorgesehen (Knoll, RZ 1991, 214. Entgegen Graff, ecolex 1991, 763, gibt der neue § 50 Abs 2 zu dieser Frage nichts her), doch können die Parteien das gleiche Ergebnis dadurch erzielen, dass sie nach dem Vergleich (ausführlich SZ 65/63 = EvBl 1993/17 = JBl 1993, 55 = NRsp 1992/246; allenfalls auch nach Teilanerkenntnis) auf Kosten einschränken. Vergleichen sich die Hauptparteien, so kommt auch kein Kostenersatz 2 an den Nebenintervenienten in Frage. Ob die Kosten des Nebenintervenienten in einem Regressprozess oder wegen Schikane (§ 1295 Abs 2 ABGB) ersetzt werden können, ist nach materiellem Recht zu klären (Obermaier Rz 29 f). Teilvergleich beseitigt mangels anderer Vereinbarung die Kostener- 3 satzpflicht wohl nicht, sondern behält ihre Beurteilung der Endentscheidung vor (HG Wien EvBl 1935/463). § 48. (1) Werden einer Partei dadurch, daß ihr Gegner schuldhaft tatsächliche Anführungen oder Beweisanbietungen verspätet vorbringt, oder lediglich durch Zwischenfälle, die infolge eines Verschuldens des Gegners oder eines ihm widerfahrenden Zufalls im Laufe des Verfahrens eintreten, Kosten verursacht, so kann ihr das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen den Ersatz dieser Kosten unabhängig vom Ausgange des Rechtsstreites zusprechen. Ist im Zeitpunkt dieser Entscheidung nicht oder nur mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten festzustellen, welche Kosten durch die Verspätung beziehungsweise den Zwischenfall verursacht worden oder 555

§ 48

Fucik

wie hoch sie sind, so ist der Ersatzbetrag in sinngemäßer Anwendung des § 273 zu bestimmen. (2) Die Partei, welcher der Ersatz solcher Kosten bereits während des Rechtsstreites zugesprochen wurde, ist zu deren Wiedererstattung auch dann nicht verpflichtet, wenn sie in der Hauptsache zum Ersatze der Gerichtskosten verurteilt wird. [Abs 1 idF 5. GEN; letzter Satz angefügt durch ZVN 1983; Abs 2 Stammfassung] Inhaltsübersicht Kostenseperation Fälle

1 2

Ermittlung des Mehraufwandes Sonderregeln

3 4

1 Kostenseparation während des Prozesses und unabhängig von dessen Ausgang (auch der letztlich Unterlegene hat bereits erhaltene Kosten nicht zurückzuzahlen, Abs 2) erfolgt mit einem gesonderten Beschluss auf Antrag oder von Amts wegen (Verzeichnung erst in der nächsten Tagsatzung schadet daher nicht [LGZ Wien 48 R 458/04i = EFSlg 111.922]). Neben den in § 44 genannten Fällen kennt § 48 va noch den in der eigenen Sphäre gelegenen Zufall als Kostenzurechnungsgrund (s auch Obermaier Rz 162 ff; OLG Wien 14 R 50/01b = EFSlg 98.077). Derartige Zwischenfälle in der eigenen Sphäre verschaffen auch nie einen Ersatzanspruch gegen den unterlegenen Gegner (OLG Wien EvBl 1947/461).

2 Fälle: Vertagung, weil der beantragte Zeuge sich als uninformiert herausstellt, was bei gehöriger Aufmerksamkeit voraussehbar gewesen wäre (LGZ Wien EvBl 1935/559); Partei kann – wenn auch entschuldigt – nicht zur PV erscheinen (OLG Wien, AnwBl 1976, 464 [Strigl]); der Vertreter ist verhindert (OLG Wien WR 798); durch Ausbleiben eines aufgetragenen Schriftsatzes kommt es zu einer Verzögerung (LGZ Wien EvBl 1936/954); ein Zeuge wurde verspätet beantragt (OLG Wien WR 822), unvollständiges Vorbringen erfordert Mehraufwand (6 Ob 286/99y).

3 Probleme macht uU die Ermittlung der Mehrkosten, weil bei Antragstellung oft noch nicht feststeht, welche zusätzlichen Kosten die Prozessverzögerung letztlich verursachen wird. § 48 erlaubt hier einerseits die Festsetzung nach freier Überzeugung (§ 273), andererseits wird das Gericht mit der Kostenentscheidung auch zuwarten können, bis sich der tatsächliche Mehraufwand (soweit er nämlich die „SowiesoKosten“ bei Durchführung nur einer Tagsatzung übersteigt [OLG Wien WR 822]) feststellen lässt (vgl M. Bydlinski, Kostenersatz 361). 556

§ 50

1.1 Parteien

Dem § 48 entsprechen die Sonderregeln der §§ 154 (Kosten der Wieder- 4 einsetzung; Obermaier Rz 186 ff), 397a (Widerspruch gegen ein Versäumungsurteil; vgl LGZ Wien AnwBl 1993, 45; Obermaier Rz 199 f), 142 Abs 1 und Abs 3 (Erstreckung einer TS; Obermaier Rz 168), 185 (Verhandlungsunfähigkeit), 261 Abs 6 (Überweisungsantrag; Obermaier Rz 192 ff), 359 (unzureichende Mitwirkung am Sachverständigenbeweis; Obermaier Rz 197). § 49. Aufgehoben durch ZVN 1983 (betraf die Kostenersatzpflicht der Prozessvertreter) § 50. (1) Die Bestimmungen der §§ 40 bis 49 sind auch für das Rechtsmittelverfahren und für die Entscheidungen maßgebend, welche von den Gerichten zweiter und dritter Instanz über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens, sowie im Falle der Änderung einer untergerichtlichen Entscheidung über die Kosten des gesamten vorangegangenen Verfahrens zu fällen sind. Der Umstand, daß eine Partei Sprüche der unteren Instanzen für sich hat, ist für die Frage des Kostenersatzes nicht maßgebend. (2) Fällt bei einem Rechtsmittel das Rechtsschutzinteresse nachträglich weg, so ist dies bei der Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens nicht zu berücksichtigen; würde hiebei die Klärung von Tatsachen einen unverhältnismäßigen Verfahrensaufwand fordern, so ist über den Kostenersatz nach freier Überzeugung zu entscheiden (§ 273). [Abs 1 Stammfassung, Abs 2 eingefügt durch EONov 1991 (anzuwenden, wenn das Datum der Entscheidung über das Rechtsmittel nach dem 29.2.1992 liegt; Art XXXIV Abs 12 EONov 1991)] Lit: Mayr, Die Exekutionsordnungs-Novelle 1991 (1992) 144; M. Graff, Rechtsschutzinteresse und Kostenersatz, ecolex 1991, 761; Pfersmann, Ende der Beschwer-Judikatur, AnwBl 1992, 260; Swoboda, § 50 Abs 2 ZPO – Verfehlte Euphorie? AnwBl 1995, 537; Delle-Karth, Die Abänderung der erstinstanzlichen Kostenentscheidung durch das Berufungsgericht gemäß § 50 Abs 1 ZPO und das Verbot der reformatio in peius, RZ 1997, 185; Weber, Kostenersatz im Rechtsmittelverfahren bei nachträglichem Wegfall des Rechtsschutzinteresses, RZ 2004, 76, 105; Obermaier, Zur Ersatzfähigkeit der „Berufung im Kostenpunkt“, AnwBl 2006, 314. M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 50. Bei Abänderung oder Bestätigung im Rechtsmittelverfahren gelten 1 die §§ 40 bis 48 ZPO, wobei (anders als nach der AGO) der Erfolg in den Vorinstanzen unbeachtlich ist. 557

§ 51

Fucik

Zu beachten bleiben die verschiedenen Streitwerte in erster Instanz einerseits, für die eigene Berufung (zB gegen Teilstattgebung) und die gegnerische Berufungsbeantwortung bzw die gegnerische Berufung (zB gegen Teilabweisung) und die eigene Berufungsbeantwortung andererseits.

2 Bei Wegfall der Beschwer vor der Entscheidung des Rechtsmittelgerichts (ÖJZ-LSK 1997/99) wird nicht mehr in der Sache erkannt, weil es nicht Aufgabe der Rechtsmittelgerichte ist, theoretische Fragen zu lösen (SZ 61/6 uva). Könnte es daraufhin noch zu einer Verhandlung kommen, wäre die Einschränkung auf Kosten möglich. Da dies hier nicht funktioniert, schafft Abs 2 Abhilfe. Bei der Kostenentscheidung ist der Erfolg des Rechtsmittels hypothetisch nachzuvollziehen, so dass der Rechtsmittelwerber, der ohne Wegfall der Beschwer seine Kosten erhalten hätte, diese auch so zugesprochen bekommt. „Nachträglich“ bedeutet Wegfall der Beschwer zwischen Einbringung des Rechtsmittels und der Entscheidung darüber. Wer den Wegfall der Beschwer selbst zu vertreten hat, dem kommt § 50 Abs 2 nicht zu Gute (6 Ob 302/00f = MietSlg 53.665). Da das Nachvollziehen des Rechtsmittelerfolgs manchmal noch aufwendige Erhebungen erfordern könnte (ohne Wegfall der Beschwer wäre zB mit Aufhebungs- und Zurückverweisungsbeschluss vorzugehen gewesen) ist in Anlehnung an § 273 eine Entscheidung nach freier Überzeugung möglich (LGZ Wien 47 R 362/03p = EFSlg 105.618). Dies kann auch zu einer Kostenteilung im Verhältnis der Erfolgschancen des Rechtsmittels führen (M. Graff, ecolex 1991, 761). Über die Kosten der Unterinstanzen – zu deren Abänderung es ohne Wegfall der Beschwer hätte kommen müssen – entscheidet der OGH auch nach § 50 Abs 2 nicht (ecolex 1992, 771); auch die Verweisung eines Kostenrekurses auf die Berufungsentscheidung ist kein Anwendungsfall des § 50 Abs 2. Einzelfälle siehe AnwBl 1993, 192; 346; 1995, 742; 4 Ob 177/01k; 4 Ob 178/01g = SZ 74/174; LGZ Wien WR 548; s weiters M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 50 Rz 16 ff; Obermaier Rz 301 ff. § 51. (1) Wenn das Verfahren infolge eines Rechtsmittels oder von Amts wegen aufgehoben oder dessen Nichtigkeit ausgesprochen wird, und wenn es zugleich einer der Parteien zum Verschulden zugerechnet werden kann, daß das Verfahren trotz des vorhandenen Aufhebungs- oder Nichtigkeitsgrundes eingeleitet oder fortgeführt wurde, oder wenn der Grund der Aufhebung im Verschulden einer Partei selbst gelegen ist, so kann dieser Partei auf Antrag oder von Amts wegen der Ersatz der Kosten des aufgeho558

§ 51

1.1 Parteien

benen Verfahrens, sowie des etwaigen Rechtsmittelverfahrens auferlegt werden. (2) Außer diesen Fällen sind die Kosten gegenseitig aufzuheben. [Stammfassung; Abs 2 als Abs 3; der ursprüngliche Abs 2 wurde durch die ZVN 1983 aufgehoben] Inhaltsübersicht Anwendbarkeit Fälle des Verschuldens

1 2–3

Kostenaufhebung

4

Keine Anwendung findet § 51 auf Beschlüsse, mit denen nur die Ent- 1 scheidung, nicht das vorangehende Verfahren aufgehoben wird (EvBl 1967/290; NRsp 1992/146; 1 Ob 144/02m; HG Wien AnwBl 1995, 897 ua; M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 51 Rz 11; Obermaier Rz 215) oder auf die Kosten der Nichtigkeitsklage (EvBl 1936/374 ua). Fälle des Verschuldens: Nichtigkeitsberufung hat Erfolg, Beklagter 2 hätte aber vertragsgemäß (OLG Wien AnwBl 1979, 490) oder nach dem Melderecht (OLG Wien WR 517) Adressenänderung bekannt geben müssen, Kläger unterrichtet sich nicht über Wohnort (LGZ Wien Arb 8309) oder Prozessfähigkeit (LGZ Wien AnwMitt 1930, 30; s aber LGZ Wien MietSlg 47.602: keine Nachforschungspflicht) oder unterlässt eine Firmenbucheinsicht (OLG Wien 7 Ra 82/03k). Die Unkenntnis des Klägers von der Eröffnung des Konkurses über das 3 Vermögen des Beklagten (einschließlich Schuldenregulierungsverfahren [2 Ob 215/98a; 4 Ob 276/98m]) wird von der Rsp mit unterschiedlichster Gewichtung als Verschulden angesehen (vgl nur M. Bydlinski, Kostenersatz 378 mwN; etwa OLG Innsbruck EvBl 1989/13; LG Klagenfurt EvBl 1990/56; 1992/17; HG Wien EvBl 1990/30; LG St. Pölten 36 R 108/00a; zusammenfassend LGZ Wien EvBl 1992/94, wonach es auf sorgfältige Beobachtung der Verlautbarungen im Amtlichen Teil der Wiener Zeitung ankommt; wird der Konkurs erst nach Klagseinbringung eröffnet, so hat der Gemeinschuldner dies dem Gericht mitzuteilen, weshalb der Kläger nicht als allein Schuldiger kostenersatzpflichtig werden kann). Um den Verschuldensmaßstab nicht zu überspannen, wird danach zu differenzieren sein, ob dem Kläger die Tatsache der Konkurseröffnung bei Anwendung der zumutbaren Sorgfalt hätte bekannt sein müssen: je nach Distanz des Wohnsitzes des Klägers zum Konkursgericht und Zeitraum zwischen Verlautbarung der Konkurseröffnung und Einbringung der Klage kann das Verhalten des Klägers im Einzelfall noch nicht vorwerfbar sein. Rechtsanwälte und alle Unternehmer sind 559

§ 52

Fucik

freilich verhalten, vor jeder Klageeinbringung die Insolvenzdatei abzufragen (Mohr, ZIK 2000, 4; Obermaier Rz 219).

4 Trifft das Verschulden nicht eine Partei allein (sondern keine oder beide), so tritt Kostenaufhebung ein; Fehler des Gerichts sind (spätestens seit der ZVN 1983) nur im Amtshaftungsverfahren zu relevieren. § 52. (1) In jedem Urteile und in den Beschlüssen, welche eine Streitsache für die Instanz vollständig erledigen, ist auch über die Verpflichtung zum Kostenersatze zu entscheiden. In anderen Beschlüssen kann über den Ersatz der Kosten nur insoweit erkannt werden, als die Ersatzpflicht von dem Ausgange der Hauptsache unabhängig ist. (2) Ist das Gericht bei Erlassung eines Teilurteiles nicht in der Lage, hinsichtlich des abgeurteilten Anspruches oder Teilanspruches zugleich über die Kosten zu entscheiden, so ist im Urteile auszusprechen, inwiefern eine solche Entscheidung noch einem weiteren Urteile vorbehalten bleibt. (3) Über die Verpflichtung zum Kostenersatz ist auch ohne einen bezüglichen Parteiantrag zu entscheiden, sofern nur das Kostenverzeichnis rechtzeitig vorgelegt wurde (§ 54). [Stammfassung] Lit: Simotta, Kostenersatz im Bestandverfahren vor der Erhebung von Einwendungen, RdW 1987, 400; Brandstetter, Kostenersatz im Bestandverfahren vor der Erhebung von Einwendungen? RdW 1989, 61. M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 52, sonst wie Vor § 40. Inhaltsübersicht Verfahren allgemein Kostenentscheidung und Kostenvorbehalt Verfahrenseinleitende Schriftsätze im Bestandverfahren

1 2–3

Kosten eines Zwischenstreits 5 Kosten eines Rechtsmittelverfahrens 6

4

1 Der Kostenzuspruch erfolgt auch ohne Antrag, aber nur bei rechtzeitiger Vorlage des Kostenverzeichnisses (s bei § 54 Rz 1 f).

2 In Urteilen hat regelmäßig eine Kostenentscheidung (die aber, wie sich aus § 55 ergibt, als Beschluss behandelt wird, der nur in das Urteil 560

§ 52

1.1 Parteien

aufgenommen wurde) zu erfolgen; der Kostenvorbehalt (nicht mit dem zu § 53 zu besprechenden Vorbehalt der ziffernmäßigen Bestimmung zu verwechseln) bei Teilurteilen und bei Zwischenurteilen (§ 393 Abs 4) bildet aber eine wichtige Ausnahme; beim Teilurteil kommt eine sofortige Kostenentscheidung in Frage, wenn der dem Endurteil vorbehaltene Teil des Streitgegenstands weniger als 50% des Gesamtstreitwerts ausmacht. Selbst wenn man nämlich vom vollständigen Unterliegen des im Teilurteil Siegreichen im Endurteil ausginge, ließe sich dann ja schon ein Kostenersatzanspruch errechnen, der ihm jedenfalls zusteht (M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 52 Rz 5 spricht sich freilich zurecht für sparsame Anwendung solcher Vorwegersätze aus). Prozessbeendende Beschlüsse haben ebenfalls eine Kostenentschei- 3 dung zu enthalten, also (nach Streitanhängigkeit getroffene) Zurückweisungsbeschlüsse (hinsichtlich der Klage: §§ 42, 43 JN, §§ 60 Abs 3, 261 Abs 1, 5 und 6, 477, 478 Abs 1, 494, 513; hinsichtlich der Rechtsmittel §§ 495, 513) sowie rechtskraftfähige Beschlüsse über das Rechtsschutzbegehren, also Endbeschlüsse im Besitzstörungsverfahren (§ 459), Zahlungsaufträge im Mandats- und Wechselmandatsverfahren (§§ 550 Abs 2, 557 ff) und bedingte Zahlungsbefehle im Mahnverfahren (§ 246 Z 2). Hingegen kommt nach der Rsp kein Kostenersatz für die verfahrens- 4 einleitenden Schriftsätze im Bestandverfahren (Aufkündigung, Übergabe- bzw Übernahmeauftrag) in Betracht, wenn es in der Folge nicht durch Erhebung von Einwendungen zu einem strittigen Verfahren kommt. Die jüngere Lehre (Simotta, RdW 1987, 400; Brandstetter, RdW 1989, 61; M. Bydlinski, Kostenersatz 187) lehnt diese Ansicht als unbegründet ab; dennoch ist die überwiegende Rsp auch weiterhin bei dieser Ansicht geblieben (LGZ Wien MietSlg 40.747 = wobl 1988/85 = WR 336; WR 725; MietSlg 47.597; 48.588; LGZ Graz MietSlg 41.538; der neuen Lehre folgend aber LG Feldkirch MietSlg 40.748 = wobl 1988/85; vgl differenzierend § 561 Rz 4). Über die Kosten eines Zwischenstreits (Obermaier Rz 201 ff) ist eben- 5 falls bereits im diesen erledigenden Beschluss zu entscheiden, also etwa bei erfolglosen Prozesseinreden, über die gesondert verhandelt wurde, zB bei Verhandlung über die Zuständigkeit, (GlUNF 6155; OLG Wien EvBl 1935/355; LGZ Wien Arb 9118; HG Wien WR 545), die Streitanhängigkeit (LGZ Wien Arb 8333), die aktorische Kaution (GlUNF 685), die Klageänderung (GlUNF 3595), die Nebenintervention (LGZ Wien Arb 8211; OLG Linz RZ 1992/31) oder einen Unterbrechungsantrag (OLG Wien EvBl 1987/122), bei Aberkennung der Verfahrenshilfe 561

§ 53

Fucik

(OLG Wien AnwBl 1995, 213; HG Wien AnwBl 1995, 898) sowie allfälligen Rekursverfahren über diese Fragen (M. Bydlinski, Kostenersatz 367). Vgl im Übrigen die Sonderregeln der §§ 154 (Wiedereinsetzung) 230a, 261 Abs 6 (Überweisung). Kein Zwischenstreit ist zB das Verfahren nach § 7 Abs 3 EO (LGZ Wien WR 823) oder das Ablehnungsverfahren (LG Linz AnwBl 1995, 898).

6 Wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen, so bilden die Kosten des Rechtsmittelverfahrens weitere Verfahrenskosten. § 53. (1) Gleichzeitig mit der Entscheidung über die Verpflichtung zum Kostenersatze hat das Gericht, sofern nicht die Kosten gegeneinander aufgehoben werden, den Betrag der zu ersetzenden Kosten festzusetzen. (2) Bei der mündlichen Verkündung des Urteiles oder eines die Verpflichtung zum Kostenersatze aussprechenden Beschlusses kann jedoch in allen Fällen, in welchen das Urteil oder der Beschluß noch schriftlich auszufertigen sind, die Festsetzung des Kostenbetrages dieser schriftlichen Ausfertigung vorbehalten werden. [Stammfassung] Lit: M. Schwaighofer, Kostenverzeichnis und Kostenentscheidung im Zivilprozeß, AnwBl 1991, 436. Inhaltsübersicht Zweistufige Kostenentscheidung Vorbehalt der ziffernmäßigen Bestimmung

1 2

Einschränkung der Klage auf Kosten 3 Begründung der Kostenentscheidung 4

1 Nach M. Bydlinski (Kostenersatz 459 und in Fasching/Konecny II/1 § 52 Rz 8) ist die Kostenentscheidung stets zweistufig zu fassen, nämlich nach Quoten und Ziffern (zB: „Der Beklagte ist schuldig, dem Kläger binnen 14 Tagen 25% seiner mit 10.000 S bestimmten Kosten, also 2.500 S zu ersetzen“). Dadurch sei bei Auftreten nachträglicher Kosten die gleiche Ersatzquote besser gewährleistet. Die Praxis begnügt sich mit der ziffernmäßigen Bestimmung durch Leistungsbefehl (Obermaier Rz 268). 562

§ 54

1.1 Parteien

Der Vorbehalt der ziffernmäßigen Bestimmung der Kosten bei Ver- 2 kündung setzt voraus, dass die Kosten dem Grunde nach zugesprochen werden (§ 414 Abs 2; verkündet wird also nur die Quote, nicht die Zahl). Über den nach Einschränkung der Klage auf Kosten allein strittigen 3 Kostenersatzanspruch entscheidet die Rsp seit Jud 6 neu stets mit Urteil, während die Lehre einhellig für die Entscheidung mit Beschluss eintritt (vgl § 41 Rz 3). Die Kostenentscheidung wird meist recht kursorisch mit Zitierung des 4 § 41 oder § 43 ZPO begründet. Es mag dem Geist der ZPO entsprechen, dem Urteil eine Kopie des Kostenverzeichnisses, nach dem die Kosten bestimmt wurden, anzuschließen (M. Schwaighofer, AnwBl 1991, 436, abl HG Wien WR 707), das Gesetz ordnet dies freilich nicht an. § 54. (1) Die Partei, welche Kostenersatz anspricht, hat bei sonstigem Verluste des Ersatzanspruches das Verzeichnis der Kosten samt den zur Bescheinigung der Ansätze und Angaben dieses Verzeichnisses etwa erforderlichen Belegen vor Schluß der der Entscheidung über den Kostenersatzanspruch (§ 52) unmittelbar vorangehenden Verhandlung, wenn aber die Beschlußfassung ohne vorgängige Verhandlung erfolgen soll, bei ihrer Einvernehmung oder gleichzeitig mit dem der Beschlußfassung zu unterziehenden Antrage dem Gerichte zu übergeben. (2) Entstehen einer Partei nach dem Zeitpunkt, bis zu dem nach Abs 1 das Kostenverzeichnis einzureichen ist, weitere Kosten, deren Ersatz sie von dem anderen Teil verlangen kann, so kann sie eine Ergänzung der Entscheidung über die Höhe der zu ersetzenden Kosten beantragen. Bestehen die Kosten in einer Zahlungspflicht, so gelten sie als mit deren Begründung entstanden; haftet jedoch mit der zum Kostenersatz berechtigten Partei auch deren Gegner solidarisch, gelten die Kosten erst mit der Zahlung als entstanden. Der Antrag auf Ergänzung der Kostenentscheidung ist binnen einer Notfrist von vier Wochen ab dem Entstehen der Kosten zu stellen; bestehen jedoch die Kosten in einer Zahlungspflicht und ist der Gläubiger nicht der Bevollmächtigte der Partei, so beginnt die Frist erst zu laufen, wenn der Partei ihre Verbindlichkeit zahlenmäßig bekanntgegeben und wenn sie fällig oder wenn sie vorher gezahlt wird. Das Gericht entscheidet ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß; im Verfahren vor dem Gerichtshof entscheidet der Vorsitzende. [Abs 1 Stammfassung, Abs 2 eingefügt durch DRGBl 1942 I 93; ab 2. Satz idF ZVN 1983] 563

§ 54

Fucik

Lit: M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 54; Obermaier Rz 266 ff. Inhaltsübersicht Geltendmachung des Kostenersatzanspruchs Inhalt des Kostenverzeichnisses Vereinfachte Verzeichnung

1 2 3

Rechtzeitigkeit Nachträgliche Kosten Wiedereinsetzungsmöglichkeit Sondervorschriften des Abs 2 USt und Vorsteuerabzug

4 5 6 7 8

1 Es ist nicht nötig, Kosten zu „beantragen“, weder in der Klage noch in der Klagebeantwortung („kostenpflichtige Klagsabweisung“ heißt es ebenso häufig wie sprachlich unsinnig) oder den Rechtsmittelschriften. Sie müssen jedoch von der Partei bei sonstigem Verlust des Ersatzanspruchs durch rechtzeitige Übergabe des Kostenverzeichnisses beansprucht werden. Zu berücksichtigen sind allerdings nicht bloß die vor Schluss der Verhandlung, sondern auch alle bereits früher verzeichneten Kosten (HG Wien AnwBl 1993, 438; Obermaier Rz 11).

2 Das Kostenverzeichnis muss folgenden Inhalt haben: – – –

– – –

Tarifansätze, Einheitssatz und Streitgenossenzuschlag (die Anführung der die Kosten erzeugenden Vorgänge allein reicht nicht aus [1 Ob 8/06f]); Barauslagen (großzügig allerdings OLG Innsbruck ZBl 1936/440 für eingezahlten, versehentlich nicht verzeichneten Kostenvorschuss); USt mit Prozentsatz (nach allgemeinen Regeln ist bei einer UStErhöhung für nicht abgeschlossene Leistungen insgesamt der höhere USt-Satz anzuwenden [OLG Wien WR 82]; ausländische Unternehmer unterliegen nicht der österr USt, weshalb ihnen nicht der österr Steuersatz zuzuerkennen ist, sondern [nur bei entsprechenden Behauptungen und Bescheinigungen] der ausländische [7 Ob 165/00s; 7 Ob 38/01s; 4 Ob 199/01w; 2 Ob 253/03z; 8 ObA 88/04f = SZ 2004/152 ua]); allenfalls erforderliche Belege (insb für vorprozessuale Kosten [vgl ZfRV 1977, 123 (krit Hoyer), LGZ Wien WR 171]; auch Privatbeteiligungskosten sind aufzuschlüsseln [OLG Wien WR 930]), eine Addition ist jedoch nicht erforderlich (zuletzt LGZ Wien 48 R 98/03x = EFSlg 108.815); Rechenfehler sind von Amts wegen richtig zu stellen (zuletzt 7 Ob 11/04z; LGZ Wien 48 R 98/03x = EFSlg 108.815).

3 Für Routineabläufe hat das BMJ eine V über Normalkosten erlassen, die eine vereinfachte Verzeichnung der Kosten (eben als „Normalkosten“) 564

§ 54

1.1 Parteien

ermöglicht. Gilt ein neuer NKT noch nicht, so ist bei Verzeichnung der Normalkosten der alte Tarif maßgeblich (KG Leoben NBlRA 1969, 139), werden für (der Art nach) nicht im NKT verzeichnete Leistungen Normalkosten begehrt, so sind keine Kosten zuzusprechen (OLG Wien WR 757; KG St. Pölten NBlRA 1958, 133; daraus lässt sich nicht ableiten, dass bei Verzeichnung von Normalkosten für einen Streitwert über 36.240 € keine Kosten zuzusprechen sind; hier wird man Normalkosten für 36.240 € zusprechen müssen [OLG Wien WR 756]). Zulässig ist die Verzeichnung von „Normalkosten samt Fahrtkosten von …“ (OLG Wien WR 57 = AnwBl 1984, 172; s auch Obermaier Rz 21 f). Rechtzeitigkeit: a) Grundsatz ist, dass die Kosten so bald wie möglich 4 zu verzeichnen sind, bei Beschlussfassung ohne Verhandlung also im Antrag, sonst am Schluss der Verhandlung. Die Parteien dürfen naturgemäß nicht mit dem Schluss der Verhandlung überrascht werden; den RA ist vor Schluss der Verhandlung angemessene Zeit zur Verfertigung des Kostenverzeichnisses zu gewähren (1 Ob 618/90 = JBl 1991, 321 = RZ 1991/65; LGZ Wien MietSlg 46.614; AnwBl 1998, 633). b) Nachträglich entstandene Kosten: Sowohl für die Frage, ob die Kosten überhaupt „nachträglich entstanden“, als auch dafür, ob sie rechtzeitig verzeichnet worden sind, gelten folgende Regeln (s auch M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 54 Rz 13 ff): Kosten, die in einer Zahlungspflicht bestehen, gelten als mit deren Begründung entstanden, wenn nicht auch der Gegner solidarisch für sie haftet. Kosten, die in einer Zahlungspflicht bestehen und deren Gläubiger nicht der Bevollmächtigte der Partei ist, lösen den Fristenlauf des § 54 Abs 2 außerdem erst aus, wenn die Verbindlichkeit zahlenmäßig bekannt gegeben und wenn sie fällig oder vorher gezahlt wird. Kosten, die in einer Zahlungspflicht bestehen, die die Partei und ihren Gegner solidarisch trifft, gelten erst mit der Zahlung als entstanden. Nach diesen Regeln sind zB verzeichnete, aber noch nicht entrichtete Pauschalgebühren als bereits entstanden zuzusprechen (OGH ÖJZ 1985, 260 zit nach Petrasch; zur Ausdehnung vgl LGZ Wien 40 R 303/04m), können Zeugengebühren, deren Höhe beim Schluss der Verhandlung noch nicht feststand (OLG Innsbruck AnwBl 1986, 262 [zust Grill]) oder später bestimmte Kuratorenkosten (LGZ Wien EvBl 1946/238) nachträglich verzeichnet werden. Bei den Sachverständigengebühren ist Vorsicht geboten: die Verzeichnung eingezahlter Kostenvorschüsse ist tunlich, wenn auch noch nicht feststeht, wie weit sie verbraucht werden (das Gericht muss nicht benötigte Kostenvorschüsse ohnehin zurück überweisen und dies bei der Kostenentscheidung berücksichtigen). Übernehmen die Parteien die direkte Zahlung (nicht durch Vorschüsse gedeckter) Gebühren iSd § 37 Abs 2 GebAG, so ge565

§ 54a

Fucik

schieht dies iaR nicht solidarisch, sondern anteilig, so dass die Kosten mit der Erklärung entstanden, also auch gleich in der Kostennote bei Schluss der Verhandlung zu verzeichnen (und nicht erst nachträglich – nach Zahlung – geltend zu machen) sind (vgl weiters Klinger, WR 23, 21; LGZ Wien WR 669; MietSlg 56.641). Bis zur Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache muss mit der nachträglichen Kostenbestimmung nicht gewartet werden (OLG Wien WR 824). Die Zahlungspflicht entsteht nicht schon mit dem Ausspruch nach § 2 Abs 2 GEG, sondern erst mit Zugang des Zahlungsauftrags (LGZ Wien 41 R 129/03d = MietSlg 55.640; s auch Obermaier Rz 17).

5 Für den Antrag auf nachträgliche Kostenbestimmung gebühren Kosten nach TP 1 RAT. Zur Bestimmung nachträglich entstandener Kosten ist iaR das Erstgericht zuständig (Obermaier Rz 19 mwN).

6 Gegen die Versäumung der Frist des § 54 Abs 2 wäre Wiedereinsetzung möglich; nach dem OLG Wien (AnwBl 1994, 381; WR 827) ebenso gegen die Versäumung des Kostenverzeichnis-Legens vor Schluss der Verhandlung. Eine Verbesserungspflicht für unrichtige Kostenverzeichnisse wird überwiegend abgelehnt (OLG Wien 16 R 70/02k).

7 Dem § 54 Abs 2 entsprechende Sondervorschriften finden sich in den §§ 237 Abs 3 (Zurücknahme der Klage) und 484 Abs 3 (Zurückziehung der Berufung).

8 USt aus den Kosten und Vorsteuerabzug: Dass ein kostenersatzberechtigter Unternehmer vorsteuerabzugsberechtigt ist (§ 12 UStG 1972 bzw 1994), berührt die Ersatzpflicht nicht, sondern gibt bei tatsächlicher Zahlung bloß einen Rückersatzanspruch (Art XII Z 3 EGUStG). Zur Vermeidung dieses Rückersatzanspruchs wird es tunlich sein, den auf die USt entfallenden Kostenbetrag gar nicht erst in Exekution zu ziehen. An seinem Zuspruch in der Kostenentscheidung ändert dies aber nichts (LGZ Wien WR 277; Huber/Hofinger, Zivilrechtliche Fragen im Zusammenhang mit der Einführung des Umsatzsteuergesetzes 1972, ÖJZ 1975, 343; G. Kodek, Prozeßkostenersatz und Umsatzsteuer, RdW 1988, 56; Beirer, Die Praxis und Artikel XII Z 3 EGUStG 1972, AnwBl 1991, 873; Kilches, Umsatzsteuerfragen im Zusammenhang mit Prozesskostenersatz von Anwaltskosten, ecolex 1999, 349). § 54a. (1) Wird der zugesprochene Kostenbetrag nicht vor Eintritt der Vollstreckbarkeit der Entscheidung über die Ersatzpflicht gezahlt, so ist die ersatzpflichtige Partei zur Vergütung der gesetzli566

§ 55

1.1 Parteien

chen Verzugszinsen vom Kostenbetrag ab dem Datum der Kostenentscheidung verpflichtet. Dies bedarf keines Ausspruchs in der Kostenentscheidung. (2) Auf Verlangen der ersatzberechtigten Partei ist in dem Beschluß, mit dem auf Grund der Kostenentscheidung die Exekution bewilligt wird, auch die Exekution zur Hereinbringung der Zinsen zu bewilligen. [Eingefügt durch WGN 1989] Die WGN 1989 hat mit einer Verzinsung des Kostenersatzanspruchs 1 ein altes Anliegen der Anwaltschaft befriedigt: Bei Verzug mit der Kostenzahlung ordnet das Gesetz die Zahlung gesetzlicher Verzugszinsen (hier mangels Subsumierbarkeit des Kostenersatzes unter ein unternehmerbezogenes Geschäft immer die nach bürgerlichem Recht (§ 1000 ABGB, zZ also 4% [LG Linz 37 R 156/03h = AnwBl 2004/7929; Obermaier Rz 311) vom Kostenbetrag ab dem Datum der Kostenentscheidung an, ohne dass dies in der Kostenentscheidung ausgesprochen werden müsste. Von besonderer Bedeutung (Zinsen als Verzugsfolge wären auch aus § 918 ABGB ableitbar) ist Abs 2, weil danach die Exekution auf Antrag des Kostengläubigers auch zur Hereinbringung dieser Zinsen (nicht aber der USt aus diesen Zinsen, OLG Wien WR 549) zu bewilligen ist, es sich daher um eine „titellose“ (besser vielleicht: aus dem Gesetz titulierte) Exekution handelt, der freilich schon nach den Regeln über lex specialis und lex posterior § 7 Abs 1 EO nicht entgegenstehen kann (so aber Schalich, Die Erweiterte Wertgrenzen-Novelle, Blg zu WR 23). Der Wortlaut des § 54a deckt nicht den Zinsenzuspruch für in einem 2 Vergleich enthaltene Kosten (LGZ Graz RpflSlgE 1997/146; M. Bydlinski, Kostenersatz 26 und in Fasching/Konecny II/1 § 54a Rz 4; Obermaier Rz 310), aber auch ausländische Urteile (LGZ Wien RpflSlgE 1998/71; zw M. Bydlinski, Kostenersatz 26 und in Fasching/Konecny II/1 § 54a Rz 4). § 55. Die in einem Urteile des Prozeßgerichtes erster Instanz oder des Berufungsgerichtes enthaltene Entscheidung über den Kostenpunkt kann ohne gleichzeitige Anfechtung der in der Hauptsache ergangenen Entscheidung nur mittels Rekurs angefochten werden. [Stammfassung] Lit: Fucik, Die einheitliche Rechtsmittelfrist, ÖJZ 1984, 432; Petrasch, Der Weg zum Obersten Gerichtshof nach der erweiterten Wertgren567

§ 55

Fucik

zen-Novelle 1989, ÖJZ 1989, 743; W. Kralik, Der Zugang zum OGH im Außerstreitverfahren, JBl 1991, 283; Bajons, Der Wandel im Rechtsmittelsystem – oder: Von der ZVN 1983 zur WGN 1989, ÖJZ 1993, 145; M. Bydlinski, Zur Reichweite der Rechtsmittelschranke im „Kostenpunkt“, FS Sprung (2001) 25; Obermaier Rz 274 ff. M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 55. Inhaltsübersicht Bekämpfung von Kostenentscheidungen Rekursfrist Ergänzungs- und Berichtigungsantrag

1 2

Erstinstanzliche Kostenentscheidungen 5–7 Kostenentscheidungen der zweiten Instanz 8

3–4

1 Gegen selbständige Kostenbeschlüsse steht der Rekurs (einseitig, binnen 14 Tagen) zu, gegen die in ein Urteil aufgenommene Kostenentscheidung sowohl die gesonderte Anfechtung mit Rekurs (§ 55) als auch die Anfechtung des Kostenpunkts im Rahmen der Berufung (Obermaier Rz 278).

2 Nach dem – vor der ZVN 1983 und an anderen Fällen entwickelten – Grundsatz der einheitlichen Rechtsmittelfrist (Fucik, ÖJZ 1984, 432 mwN) müsste selbst für den selbständigen Kostenrekurs eine Frist von 4 Wochen offen stehen (LGZ Wien MietSlg 35.812, OGH MietSlg 36.781), zumal die Berufungsfrist auch dazu dient, zu entscheiden, ob überhaupt Berufung erhoben wird (bejahendenfalls erübrigt sich der Kostenrekurs), doch hat sich diese Ansicht nicht durchgesetzt (M. Bydlinski, Kostenersatz 475; OLG Innsbruck EvBl 1991/153 hält sie sogar für ein die Wiedereinsetzung hinderndes grobes Verschulden). In der Praxis wird daher davon auszugehen sein, dass binnen 14 Tagen Kostenrekurs zu erheben ist.

3 Fehlt die Kostenentscheidung überhaupt, so kann der Obsiegende wahlweise Ergänzungsantrag iSd §§ 423 f, allenfalls sogar Berichtigungsantrag iSd § 419 (Berichtigung von Auslassungen, siehe zu § 419 Rz 3 f), oder Kostenrekurs erheben (LGZ Wien NZ 1969, 61; aA GlUNF 2947: nur Ergänzungsantrag; ausführlich M. Bydlinski, Kostenersatz 485).

4 Durch die Berichtigung offenbarer Rechenfehler iSd § 419 lässt sich der Rekurswerber mitunter beschwerlos stellen (6 Ob 23/00a; Obermaier Rz 290). 568

§ 55

1.1 Parteien

Alle erstinstanzlichen Kostenentscheidungen sind seit der ZVN 1986 5 anfechtbar (§ 517 Z 5; M. Bydlinski, Kostenersatz 480; zur Lage nach der ZVN 1983 vgl Fucik, RZ 1984, 56), doch können, wenn der durch das Rechtsmittel ersiegte (nach Obermaier Rz 284 der angefochtene) Betrag 100 € nicht übersteigt, nur Barauslagen, nicht aber Rechtsanwaltskosten verzeichnet werden (§ 11 RATG; sonst sind Kostenrekurse nach TP 3A zu honorieren). Umstritten ist die weitere Kostenentscheidung, also jene über die Kosten des Kostenrekursverfahrens, seit der Einführung einer Rekursbeantwortung (Obermaier Rz 284). Die allzu pauschale Verweisungstechnik in § 11 RATG lässt sich wohl am ehesten so lösen: Alle zum Kostenpunkt erklärten Anfechtungen bilden einen Gesamtstreitwert. Die Obsiegens- und Ersatzquoten richten sich nach § 43. Zuzugeben ist freilich, dass dieses rechtspolitisch wünschenswerte Ergebnis dem § 11 RATG schwer zu entnehmen ist. Zum Verhältnis einer erfolglosen Berufung in der Hauptsache und 6 einer erfolgreichen Bekämpfung der Kostenentscheidung: Bislang wurden hier Kosten eines „angenommenen Kostenrekurses“ (4 Ob 27/ 94; 6 Ob 14/99y uva) den Kosten der Berufungsbeantwortung gegenüber gestellt und der Saldo zugesprochen. Nach M. Bydlinski (in Fasching/Konecny II/1 § 50 Rz 6; dems, Neues vom OGH zum Kostenersatz, in Zak 2005/76) und der jüngsten Rsp (8 ObA 117/04w = RZ-EÜ 2005/113; s auch LGZ Wien 40 R 311/02k = MietSlg 55.633) soll dies wegen der Zweiseitigkeit des Rekursverfahrens und wegen § 54 Abs 2 JN nicht (mehr) zutreffen (abl Obermaier Rz 178 und in AnwBl 2006, 314). Zu einer Verschiedenbehandlung von selbständigen Kostenrekursen und Berufungen im Kostenpunkt sollte dies freilich nicht führen. Zum Verbot der reformatio in peius vgl OLG Linz 2 R 163/03h = EFSlg 7 105.616; M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 50 Rz 6a. Kostenentscheidungen der zweiten Instanz sind immer unanfecht- 8 bar (Fasching Rz 471, 2019). Für den Rekurs gegen Entscheidungen des Rekursgerichts ergibt sich das aus § 528 Abs 2 Z 3, für Entscheidungen des Berufungsgerichts aus § 519 Abs 1 und analog zu § 528 Abs 2 Z 3, der bis zur WGN 1989 unmittelbar anwendbar war, woran die neue engere Textierung („Revisionsrekurs“) nichts geändert hat (Petrasch, ÖJZ 1989, 750 wendet in diesem Fall § 528 an, soweit über einen in das Ersturteil aufgenommenen Beschluss entschieden wurde; für Kostenentscheidungen des Berufungsgerichts aufgrund einer Abänderung trifft dieses Argument jedoch 569

§ 56

Fucik

nicht zu). Unter „Revisionsrekurs“ ist wohl weiterhin jeder Rekurs an den OGH zu verstehen (aA W. Kralik, JBl 1991, 258, bei striktem terminologischem Verständnis, wonach die zweitinstanzliche Kostenentscheidung vom Ausschluss des Revisionsrekurses nicht umfasst wäre), weil es wohl nicht die Absicht der WGN 1989 war, den OGH zur Entscheidung über Kostenrekurse zu berufen (JUS Z 967; MietSlg 46.691 ua; Fasching Rz 2019; M. Bydlinski, Kostenersatz 480; Ballon Rz 433; Buchegger, PraktZPR 74, 77; vgl Bajons, ÖJZ 1993, 157 ff; Obermaier Rz 279). Daher lässt sich auch weiterhin die Ansicht aufrechterhalten, dass der Wendung „oder des Berufungsgerichtes“ materiell derogiert ist.

Sechster Titel Sicherheitsleistung Art der Sicherheitsleistung § 56. (1) Die Bestellung einer auf Grund der Bestimmungen dieses Gesetzes zu leistenden Sicherheit erfolgt, wenn die Parteien nichts anderes vereinbaren, durch gerichtlichen Erlag von barem Gelde oder von inländischen Wertpapieren, welche sich nach den hierüber bestehenden Vorschriften zur Anlegung der Gelder von Minderjährigen eignen, und nur in Ermangelung solcher durch den gerichtlichen Erlag von anderen inländischen, an einer Börse notierten Wertpapieren, welche nach richterlichem Ermessen genügende Deckung bieten. Die Wertpapiere dürfen nicht außer Kurs gesetzt und müssen mit den laufenden Zins- oder Gewinnanteilscheinen und Talons versehen sein. Sie sind nach dem Kurse des Erlagstages zu berechnen. (2) Nach Ermessen des Gerichtes können insbesondere auch Einlagebücher einer inländischen Sparkasse oder einer inländischen landwirtschaftlichen oder sonstigen Vorschußkasse behufs Bewirkung einer Sicherheitsleistung zugelassen werden. Eine Sicherheitsleistung mittels einer gesetzliche Sicherheit bietenden Hypothek an einem inländischen Grundstücke oder durch zahlungsfähige Bürgen, die ihren allgemeinen Gerichtsstand im Inlande haben, kann der Richter zulassen, wenn eine andere Art der Sicherheit von dem zur Sicherheitsleistung Verpflichteten nicht oder nur schwer beschafft werden kann. (3) Mit dem gerichtlichen Erlage wird an dem Gegenstande desselben ein Pfandrecht für den Anspruch begründet, in Ansehung dessen die Sicherheitsleistung erfolgt. [Stammfassung] 570

§ 57

1.1 Parteien

Lit: Schoibl, Die Bankgarantie als prozessuale Sicherheitsleistung nach § 56 ZPO, ÖBA 1997, 159; ders, Die Bürgschaft als Prozeßsicherheit nach § 56 Abs 2 ZPO im österreichischen Recht und im Lichte des Europäischen Gemeinschaftsrechts, JBl 1997, 215. Schoibl in Fasching/Konecny II/1 § 56; Fasching Rz 472 ff; Buchegger, PraktZPR 74. Fälle der Sicherheitsleistung sind die §§ 38 (einstweilige Zulassung als 1 Vertreter), 57 ff (aktorische Kaution), 407 (Verurteilung zum Erlag einer Sicherheit für Geldrente), 458 (Sicherheitsleistung als Voraussetzung für die Erlassung einer einstweiligen Vorkehrung), 524 (Sicherheit als Voraussetzung für die Zuerkennung aufschiebender Wirkung beim Rekurs) sowie die Fälle von Sicherheitsleistungen im Exekutionsverfahren, insb §§ 43 Abs 2, 44 Abs 2 (Aufschiebung), 220 Abs 1, 229 Abs 2 (Zuweisung auflösend bedingter Forderungen), 280 Abs 1 (bei Freihandverkauf), 266 (bei Verwertung verderblicher Sachen), 304 (bei Überweisung überdeckender Forderung), 306 (für Rückausfolgungsanspruch des Drittschuldners), 355 Abs 2 (für durch ferneres Zuwiderhandeln entstehenden Schaden), 371a, 377 (bei der Exekution zur Sicherstellung), 390, 398 bis 400 EO (bei einstweiligen Verfügungen), im Verfahren außer Streitsachen §§ 133 (Verwaltung des Vermögens Pflegebefohlener) und § 176 AußStrG (Pflichtteils- bzw Legatsnachweis) und im Insolvenzverfahren (Übersicht zu materiell-rechtlichen Fällen bei Schoibl in Fasching/Konecny II/1 Vor § 56 Rz 7). Neben den in Abs 1 und 2 genannten Mitteln kommen etwa auch Ein- 2 lagebücher einer Bank (GlUNF 984) oder Raiffeisenkasse (JBl 1958, 46) sowie Bankgarantien (SZ 56/55 = ÖBl 1983, 116 = RZ 1984/48; EFSlg 85.239 ua; uU sogar befristete, keinesfalls aber bedingte [SZ 70/ 77; vgl auch RZ 1983/69; wbl 1987, 277]; detailliert Schoibl in Fasching/ Konecny II/1 § 56 Rz 55 ff) in Frage; vinkulierte Sparbücher nur dann, wenn Legitimationsschein oder bestätigtes Losungswort miterlegt wird (ZBl 1935/330); zu nicht identifizierten Sparbüchern s 8 ObA 122/01a. Erlegt wird bei voraussichtlich kurzer Verfahrensdauer und Beträgen 3 bis zum Wert von 4.000 € beim Rechnungsführer, darüber bei der Verwahrungsabteilung des OLG (§ 287 Geo). Sicherheitsleistung für Prozeßkosten § 57. (1) Wenn Ausländer vor einem im Geltungsgebiete dieses Gesetzes gelegenen Gerichte als Kläger auftreten, haben sie dem Beklagten auf dessen Verlangen für die Prozeßkosten Sicherheit zu 571

§ 57

Fucik

leisten, sofern nicht durch Staatsverträge etwas anderes festgesetzt ist. (2) Eine solche Verpflichtung zur Sicherheitsleistung tritt jedoch nicht ein: 1. wenn der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hat; 1a. wenn eine gerichtliche Entscheidung, die dem Kläger den Ersatz von Prozeßkosten an den Beklagten auferlegte, im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts des Klägers vollstreckt würde; 2. wenn der Kläger im Geltungsbereiche dieses Gesetzes ein zur Dekkung der Prozeßkosten hinreichendes Vermögen an unbeweglichen Gütern oder an Forderungen besitzt, die auf solchen Gütern bücherlich sichergestellt sind; 3. bei Klagen in Ehestreitigkeiten; 4. bei Klagen in Mandats- und Wechselverfahren, bei Widerklagen, sowie bei Klagen, welche infolge einer öffentlichen, gerichtlichen Aufforderung angestellt werden. (3) Auf die Ermittlung der Gesetzgebung und des Verhaltens des Staates, in dem der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, ist § 4 Abs 1 des IPR-Gesetzes, BGBl Nr 304/1978, sinngemäß anzuwenden. [Abs 2 Z 1 und 1a sowie Abs 3 idF ZVN 1983, sonst Stammfassung] Inhaltsübersicht Normzweck Kautionsverpflichtung Ausnahmen

1 2 3–4

Beweislast Weitere Befreiungstatbestände

5 6–7

Lit: Schoibl, Verbandsklage und aktorische Kaution im Ministerialentwurf 1991 eines Umwelthaftungsgesetzes, ÖJZ 1992, 607; Czernich, Die Ausländerprozeßkostensicherheit nach § 57 ZPO, ÖJZ 1998, 251; Bajons, Aktorische Kaution und gemeinschaftsrechtliches Diskriminierungsverbot, ÖJZ 2002, 581; Schoibl, Zur Sicherheitsleistung für Prozesskosten im schiedsgerichtlichtlichen Verfahren, FS Jelinek (2002) 263. Schoibl in Fasching/Konecny II/1 § 57; Fasching Rz 475; Buchegger, PraktZPR 75; Rechberger/Simotta Rz 303.

1 Zweck der aktorischen Kaution ist der Schutz der (auch ausländischen, SZ 22/18 = EvBl 1949/510) Beklagten (und des auf Beklagtenseite beigetretenen Nebenintervenienten, ecolex 1992, 780) vor kostenverursachender Rechtsanmaßung durch (nicht privilegierte) Ausländer. Sie 572

§ 57

1.1 Parteien

dient als Deckungsfonds zur Realisierung der Prozesskostenersatzansprüche gegen den sachfälligen Kläger, allerdings nur durch Pfändung des Ausfolgungsanspruchs, nicht durch direkten Zugriff (für alle Schoibl, ÖJZ 1992, 607 mwN). Kautionspflichtig sind diejenigen Ausländer, auf die die Ausnahmebe- 2 stimmungen nicht zutreffen, also natürliche Personen, die nicht die österreichische Staatsbürgerschaft haben (vgl Art X EGJN) und keine Konventionsflüchtlinge sind, sowie juristische Personen, die ihren Sitz im Ausland haben. Inländische Inkassozessionare sind nicht kautionspflichtig (OLG Wien EvBl 1936/377); die Zession ist nur anfechtbar, wenn durch sie der Kostenersatzanspruch gefährdet wäre (SZ 38/4 = EvBl 1965/258 = RZ 1965, 61). Befreit sind (seit der ZVN 1983) insb Ausländer mit gewöhnlichem 3 Aufenthalt im Inland und Ausländer aus Staaten, die österreichische Prozesskostenentscheidungen vollstrecken (siehe dazu RHEZiv 1997, JABl 40). „Ehestreitigkeiten“ sind die in §§ 76, 76a JN genannten einschließlich folgender Nichtigkeits- und Wiederaufnahmeklagen (OLG Linz EvBl 1947/255). Die Widerklage befreit den Kläger des ersten Prozesses nicht von der Kautionspflicht (ZVR 1961/203). Klagen aufgrund öffentlicher gerichtlicher Aufforderung sind etwa 4 jene von Berechtigten, die sich nach Ablauf der Ediktalfrist melden (§§ 128, 139 AußStrG, §§ 38, 46 AllgGAG und §§ 5, 12 KEG), nicht aber die Erbrechtsklage nach § 125 AußStrG vor der Außerstreitreform (SZ 55/41 = EvBl 1982/118). Für selbständige Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung muß keine Kaution gestellt werden (RdW 1992, 147). Den Beklagten trifft nicht die Beweislast für das Vorliegen der Kau- 5 tionspflicht (bei non liquet ist die Kaution daher aufzuerlegen). Befreiungstatbestände muss der Kläger nachweisen (SZ 41/178 = EvBl 1969/ 222). Weitere Befreiungstatbestände ergeben sich aus bilateralen und multi- 6 lateralen Staatsverträgen (zu den Grenzen der Befreiung nach PVÜ und WUA vgl RZ 1989/2) und aus dem Europarecht (vgl SZ 67/237; Schoibl, JBl 1997, 215; Czernich, ÖJZ 1998, 251). So ist eine Schlechterbehandlung aller EU-Bürger unzulässig; ausgeschlossen ist die aktorische Kaution etwa auch im Bereich des AuslandsunterhaltsG, des New Yorker Unterhaltsübk, des Haager UnterhaltsvollstreckungsÜbk 1958 oder des HKÜ (Näheres bei Schoibl in Fasching/Konecny II/1 § 57 Rz 27 ff, 95 f und die Länderübersicht im Anhang zu § 57). 573

§ 58

Fucik

7 Zu Abs 3 und § 4 IPRG s bei § 271 und Schoibl in Fasching/Konecny II/1 § 57 Rz 125. § 58. Der Beklagte kann auch dann Sicherheitsleistung verlangen, wenn der Kläger während des Rechtsstreites die Eigenschaft eines Inländers verliert oder die Voraussetzung, unter welcher der Ausländer von der Sicherheitsleistung befreit war, wegfällt und nicht ein zur Deckung ausreichender Teil des Anspruches unbestritten ist. [Stammfassung]

1 Nachträgliche Veränderungen der Voraussetzungen sind zu berücksichtigen, weshalb umgekehrt auch durch nachträglichen Eintritt oder nachträgliches Hervorkommen der Befreiungstatbestände (ZBl 1928/ 272; OLG Wien EvBl 1953/144) die Kautionspflicht wegfällt bzw die erlegte Kaution freizugeben ist (OLG Wien EvBl 1949/14). § 59. (1) Außer den beiden Fällen des § 58 muß der Antrag auf Sicherheitsleistung für Prozeßkosten bei sonstigem Ausschlusse gestellt werden, bevor der Beklagte zur Sache vorbringt (§ 74) oder mündlich verhandelt. (2) In dem Antrage ist stets die Höhe der Sicherheitssumme anzugeben. Über den Antrag ist durch Beschluß zu entscheiden. [Abs 1 idF ZVN 2002 für nach dem 31.12.2002 bei Gericht eingelangte Klagen]

1 Die Kaution wird nur aufgrund eines rechtzeitigen und bestimmten Antrags des Beklagten auferlegt. Auch wenn der Beklagte erst später von der Kautionspflicht erfährt, kann der Antrag nicht mehr gestellt werden (EvBl 1952/202). Mangels Bezifferung ist ein Verbesserungsverfahren einzuleiten (HG Wien WR 143), bei dessen Erfolglosigkeit allerdings auch dann keine Kaution aufzuerlegen, wenn der Kläger eine solche in bestimmter Höhe angeboten hat (EvBl 1951/497 = JBl 1951, 598).

2 Rechtzeitig ist der Antrag a) im Gerichtshofverfahren nur in der direkt aufgetragenen Klagebeantwortung (§ 243 Abs 4, auch wenn er in diesem Schriftsatz erst nach dem Sachvorbringen gestellt wird: OLG Wien WR 90; RZ 1995/21) oder den sie ersetzenden Einwendungen (Einspruch), b) im bezirksgerichtlichen Verfahren vor Einlassung in die Hauptsache (also auch bei Stellung am Beginn der mündl Streitverhandlung vor Vortrag des nur Sacheinwendungen enthaltenden vorbereitenden Schriftsatzes, EvBl 1967/370). 574

§ 60

1.1 Parteien

Anfechtbarkeit: Die Entscheidung, ob eine Kaution auferlegt wird, ist 3 keine Entscheidung im Kostenpunkt (ZVR 1961/203; EvBl 1965/26), wohl aber die Bestimmung der Höhe (SZ 21/65; EvBl 1982/118; 1995/ 116 uva). Die (Revisions-)Rekursfrist beträgt 14 Tage (1 Ob 189/02d = EvBl 2003/103). § 60. (1) Wird dem Antrage stattgegeben, so ist zugleich der Betrag der zu leistenden Sicherheit und die Frist zu bestimmen, binnen welcher dieser Betrag gerichtlich zu erlegen oder die Unfähigkeit zum Erlage vom Kläger eidlich zu bekräftigen ist. (2) Bei Bestimmung der Höhe der Sicherheitssumme sind die Kosten, welche der Beklagte zu seiner Verteidigung wahrscheinlich aufzuwenden haben wird, nicht aber auch die durch eine etwaige Widerklage erwachsenden Kosten in Anschlag zu bringen. Zum Zwecke der eidlichen Bekräftigung seiner Unfähigkeit zum Erlage der Sicherheitssumme hat der Kläger bei dem Prozeßgerichte innerhalb der ihm hiezu offen gestellten Frist um Anberaumung einer Tagsatzung anzusuchen. Die Ablegung des Eides kann bei dem Gerichte des Wohnsitzes oder Aufenthaltes des Klägers erfolgen. (3) In der dem Kläger zuzustellenden schriftlichen Ausfertigung des Beschlusses ist ihm zu eröffnen, daß im Falle fruchtlosen Ablaufes der im Abs 1 erwähnten Frist die Klage auf Antrag des Beklagten vom Gerichte für zurückgenommen erklärt, oder, wenn der Antrag während des Rechtsmittelverfahrens gestellt wird (§ 58), das vom Kläger eingelegte Rechtsmittel als zurückgezogen angesehen würde. Beides geschieht mittels Beschluß; der Beschlußfassung hat die mündliche oder schriftliche Einvernehmung des Klägers vorauszugehen. [Stammfassung] Lit: I. Welser, Zur Verfassungswidrigkeit des Paupertätseides, AnwBl 1994, 257. Schoibl in Fasching/Konecny II/1 855. Inhaltsübersicht „Paupertätseid“ Fristsetzung zur Leistung der Sicherheit

1

Fingierte Klagszurücknahme

3–5

2

Die in §§ 60 f genannten Rechtsfolgen verleihen der aktorischen Kauti- 1 on – und nur ihr – die Wirkungen einer echten Sachverhandlungsvor575

§ 61

Fucik

aussetzung (im Gegensatz zu allen Prozessvoraussetzungen; s Vor § 226 Rz 6). Darin liegt für den Kläger allerdings keine Rechtsverweigerung, kann er sich doch durch Verfahrenshilfe oder durch den Paupertätseid vom Erlag befreien (1 Ob 189/02d). Die Alternative zum Erlag, der „Paupertätseid“ wurde – wohl nur durch die Seltenheit des Verfahrens erklärbar – weder anlässlich des VerfahrenshilfeG noch anlässlich der EONov 1991 (die sogar den Offenbarungseid abgeschafft hat) angetastet. Der Eid kann nach SZ 25/45 = EvBl 1952/376; SZ 26/214; LGZ Wien EFSlg 85.241 sogar vor einem ausländischen Gericht abgelegt werden.

2 Da sich der Kläger auf die Klageführung vorbereiten kann, ist die Frist zum Erlag kurz zu bemessen (vgl SZ 27/163); die Säumnisfolgen sind anzukündigen. Die nach Ablauf der Erlagsfrist geleistete Kaution ist nicht zurückzuweisen, auch sie hindert vielmehr die Beschlussfassung nach Abs 3 (SZ 11/266 ua).

3 Dem Beschluss, mit dem die Klage (bzw das Rechtsmittel) für zurückgenommen erklärt wird, muss ein Antrag des Beklagten und die Vernehmung (Einräumung einer Äußerungsfrist) des Klägers vorangehen. Wurde der Kläger zum Antrag des Beklagten nicht gehört, so liegt ein Nichtigkeitsgrund (Schoibl in Fasching/Konecny II/1 § 60 Rz 46; zumindest ein Verfahrensmangel, so Fasching1 II 403) vor; einfache Nachzahlung nach Beschlussfassung wird gegen LGZ Wien ZBl 1936/441 die Säumnisfolgen nicht mehr beseitigen können.

4 Die Klage gilt als ohne Anspruchsverzicht zurückgenommen (OLG Wien RZ 1957, 74); eine neuerliche Einklagung ist daher möglich, unterliegt aber wieder der Kautionspflicht (Fasching Rz 479).

5 Die Bestätigung des Zurücknahmebeschlusses ist iSd § 528 Abs 2 Z 2 einer Zurückweisung der Klage gleichzuhalten (EvBl 1998/170). § 61. (1) Wird ein Antrag auf Sicherheitsleistung für Prozeßkosten rechtzeitig gestellt, so ist der Beklagte bis zur Entscheidung über denselben zur Fortsetzung des Verfahrens in der Hauptsache nicht verpflichtet. (2) Wird der Antrag abgewiesen, so kann die Fortsetzung dieses Verfahrens vom Gerichte angeordnet werden, ohne daß die Rechtskraft des abweisenden Beschlusses abgewartet werden muß. Gegen diese Anordnung findet ein Rekurs nicht statt. [Stammfassung] 576

§ 63

1.1 Parteien

Der Beklagte hat – anders als bei den Prozesseinreden (§ 260 Abs 1) – 1 das Recht, die Einlassung in die Hauptsache (und in Verhandlungen über sonstige Prozessvoraussetzungen; Fasching1 II 404) zu verweigern („echte prozesshindernde Einrede“; s nun auch Schoibl in Fasching/ Konecny II/1 § 61 Rz 2; ZfRV 1999, 231). § 62. (1) Nach rechtzeitigem Erlage der Sicherheitssumme oder Ableistung des Eides ist das Verfahren in der Hauptsache auf Antrag einer Partei fortzusetzen. (2) Ergibt sich im Laufe des Rechtsstreites, daß die geleistete Sicherheit nicht hinreicht, so kann der Beklagte die Ergänzung derselben beantragen, sofern nicht ein zur Deckung ausreichender Teil des erhobenen Anspruches unbestritten ist. Einem solchen Antrage kommt aufschiebende Wirkung nicht zu; der Beschluß, wodurch die Ergänzung der Sicherheit angeordnet wird, ist nach eingetretener Rechtskraft vollstreckbar. [Stammfassung] Eine Ergänzung der aktorischen Kaution berechtigt nicht neuerlich zur 1 Einlassungsverweigerung. An die Stelle des indirekten Drucks (Zurücknahmefiktion) tritt direkter (Vollstreckbarkeit des Ergänzungsauftrags; vgl SZ 13/41). Siebenter Titel Verfahrenshilfe § 63. (1) Verfahrenshilfe ist einer Partei so weit zur Gänze oder zum Teil zu bewilligen, als sie außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint. Als notwendiger Unterhalt ist derjenige Unterhalt anzusehen, den die Partei für sich und ihre Familie, für deren Unterhalt sie zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung benötigt. Als mutwillig ist die Rechtsverfolgung besonders anzusehen, wenn eine nicht die Verfahrenshilfe beanspruchende Partei bei verständiger Würdigung aller Umstände des Falles, besonders auch der für die Eintreibung ihres Anspruches bestehenden Aussichten, von der Führung des Verfahrens absehen oder nur einen Teil des Anspruches geltend machen würde. (2) Einer juristischen Person oder einem sonstigen parteifähigen Gebilde ist die Verfahrenshilfe zu bewilligen, wenn die zur Führung 577

§ 63

Fucik

des Verfahrens erforderlichen Mittel weder von ihr (ihm) noch von den an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint; das gleiche gilt für ein behördlich bestelltes Organ oder einen gesetzlichen Vertreter, die für eine Vermögensmasse auftreten, wenn die zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel weder von der Vermögensmasse noch von den an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können. (3) Die Bestimmungen über die Verfahrenshilfe gelten auch für den Nebenintervenienten. [Abs 1 idF WGN 1997; sonst Fassung VerfHG (Abs 3 als Abs 4; damaliger Abs 3 aufgehoben durch ZVN 1983)] Lit: Nowak, Handbuch der Verfahrenshilfe (1974); Kininger, Der wirtschaftlich Schwache im österreichischen Zivilprozeß, ÖJZ 1976, 9; Barozon/Jesionek/Weitzer, Erfahrungen mit der Verfahrenshilfe, ÖJZ 1977, 658; König, Chancengleichheit im und vor dem Gerichtssaal, AnwBl 1978, 55; Kohlegger, Probleme der Verfahrenshilfe und der Verfahrenskosten, in: BMJ, Verbesserter Zugang zum Recht (Richterwoche 1979) 23; Kininger, Zehn Jahre Verfahrenshilfe im Licht der Judikatur, BeitrZPR II 95; Schumacher, Verfahrenshilfe an den Masseverwalter, JBl 1986, 498; Pichler, Grundsätze der österreichischen Verfahrenshilfe vor den Zivilgerichten, ÖA 1987, 122; Delle-Karth, Verfahrenshilfe für ideelle Vereine, RZ 1988, 54; Rechberger, Gehördefizite im österreichischen Rechtsmittelverfahren, FS Matscher (1993) 373; Riel, Die Befugnisse des Masseverwalters (1995) 148; ders, Verfahrenshilfe für die Konkursmasse, RZ 1997, 187. M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 63; Fasching Rz 481 ff; Bajons Rz 172; Buchegger, PraktZPR 80; Ballon Rz 438; Rechberger/Simotta Rz 304 ff; Deixler-Hübner/Klicka Rz 198 ff. Inhaltsübersicht Zweck der Verfahrenshilfe Verfahrenshilfe für natürliche Personen

1 2–3

Verfahrenshilfe für juristische Personen Mutwilligkeit Aussichtslosigkeit

4 5 6

1 Zweck der Verfahrenshilfe ist es, mittellosen Parteien den Zugang zum Gericht zu eröffnen. Dazu wird aber nur eine vorläufige Befreiung von der Kostentragung gewährt; auch die Verfahrenshilfe genießende Partei hat hingegen bei Prozessverlust die gegnerischen Kosten zu ersetzen; 578

§ 63

1.1 Parteien

insoweit bleibt das Kostenrisiko. Voraussetzung der Verfahrenshilfe ist einerseits die Verfahrenshilfebedürftigkeit (Unterhaltsgefährdung durch die Kostentragung), andererseits die Verfahrenhilfewürdigkeit (Fehlen von Mutwillen und Aussichtslosigkeit). Anspruch auf die Gewährung von Verfahrenshilfe besteht für natür- 2 liche Personen, deren notwendiger Unterhalt durch die Verfahrenskosten beeinträchtigt wäre. Bei einkommens- und vermögenslosen Personen sind grundsätzlich die Verhältnisse der Unterhaltspflichtigen maßgebend (OLG Innsbruck JBl 1977, 324; OLG Wien EFSlg 55.003 uva). Dieser Grundsatz wurde freilich problematisch, wenn es gerade um die Durchsetzung von Ansprüchen gegen Unterhaltspflichtige ging (klärend zuletzt LGZ Wien WR 988), was mit der GIN zu einer Neuregelung im §§ 101 Abs 5 bzw 82 Abs 3 AußStrG (bei Verfahrenshilfe zur Durchsetzung von Unterhalts- und Abstammungsfragen bleiben Unterhaltsansprüche bei der Prüfung der Verfahrenshilfebedürftigkeit unberücksichtigt) führte, die wohl als pars pro toto zu lesen und auf vergleichbare Fälle (insb im Exekutionsstadium) auszudehnen sind (Stabentheiner, Kindesunterhalt und Verfahrenshilfe, EF-Z 2006, 9). Auch bei natürlichen Personen bleibt die „wirtschaftliche Beteiligung“ nach der Rsp nicht außer Betracht, weshalb zB dem haftpflichtversicherten Kraftfahrer (OLG Graz ZVR 1958/126; OLG Wien JBl 1962, 45) oder dem im Gegensatz zum Zedenten mittellosen Inkassozessionar (ausführlich OLG Wien EvBl 1993/69 = WR 608 mwN) die Verfahrenshilfe versagt wird. Als notwendiger Unterhalt wird ein zwischen dem „notdürftigen“ 3 und dem „standesgemäßen“ Unterhalt liegender angesehen (OLG Innsbruck JBl 1977, 324; OLG Wien EFSlg 39.145 uva, zuletzt EFSlg 108.817; 111.926), der abstrakt zwischen dem statistischen Durchschnittseinkommen eines unselbständig Erwerbstätigen und dem Existenzminimum liegt (OLG Wien RZ 1974/88; LGZ Wien EFSlg 85.246) und unter Würdigung der Umstände des Einzelfalls (LGZ Wien EFSlg 64.007; 111.928 uva) eine die Bedürfnisse des einzelnen berücksichtigende bescheidene Lebensführung gestattet (OLG Wien EFSlg 41.656; LGZ Wien EFSlg 57.732; LG Salzburg 21 R 531/04s u LGZ Wien 45 R 442/04i = EFSlg 108.819 ua). Auch das Vermögen ist zu berücksichtigen (OLG Wien EFSlg 41.658; LGZ Wien EFSlg 64.008 uva), soweit seine Belehnung oder Verwertung zumutbar ist (LGZ Wien EFSlg 60.779; 64.009; bei Liegenschaftseigentum idR nicht zumutbar, 1 Ob 164/02b; OLG Wien EFSlg 27.757; LGZ Wien EFSlg 60.780 ua, LGZ Wien EFSlg 108.831: aus Einkommen finanzierbarer, aber mit Liegenschaft zu besichernder Kredit; EFSlg 111.951 ff), ebenso 579

§ 63

Fucik

Sparguthaben (freilich nicht ohne Belassung nennenswerter Reserven; EFSlg 108.833 f; 111.958 ff). Die Möglichkeit, während längerer Verfahrensdauer Beträge anzusparen, wird berücksichtigt (OLG Wien EFSlg 60.782; LGZ Wien EFSlg 60.781). Ratenverpflichtungen bilden nach einer strengen Judikaturlinie keine gesonderte Abzugspost (OLG Wien EFSlg 31.999; LGZ Wien EFSlg 85.247; hier wird für vor dem Prozess eingegangene Ratenverpflichtungen indes doch danach zu differenzieren sein [M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 63 Rz 5; ebenso nun LGZ Wien EFSlg 111.969], ob die Weiterveräußerung der angeschafften Gegenstände [va Luxusgüter] zur Tilgung der Schuld zumutbar wäre), Schmerzengeld bildet kein Sondervermögen, auf das nicht Bedacht genommen werden dürfte (OLG Wien EvBl 1987/109; 1993/70 = ZVR 1994/16; AnwBl 1996, 321; OLG Graz 5 R 101/00p; aA OLG Innsbruck EvBl 1985/69; 1988/27). Dass ein frei gewählter Anwalt betraut wurde, lässt noch nicht auf ausreichende Mittel schließen (OLG Wien EFSlg 41.662; LGZ Wien EFSlg 64.010). Einzelfälle s bei EFSlg 57.734; 60.784 bis 60.787; 64.011 bis 64.017; 76.035 f; 82.180 f; 85.249; WR 729; zuletzt EFSlg 105.629 bis 105.6652; 108.822 bis 108.843; 111.934 bis 111.971). Sondergesetzlich wird manchmal auf die Prüfung der Verfahrenshilfebedürftigkeit verzichtet, zB (endgültig) in §§ 5, 10 AuslUG, § 6 Abs 3 DurchführungsG zum New Yorker UnterhaltsÜbk, § 5 Abs 2 DurchführungsG zum HKÜ, (vorläufig) in § 104 Abs 3 AußStrG (Revisionsrekurs eines verfahrensfähigen Minderjährigen).

4 Juristische Personen und sonstige parteifähige Gebilde können Verfahrenshilfe erlangen, wenn auch die wirtschaftlich Beteiligten mittellos sind. Wirtschaftlich Beteiligte sind bei der OG alle Gesellschafter (OLG Wien EvBl 1934/318; vgl Paschinger, Die Gesellschaften und Genossenschaften im Zivilprozeß 9), bei der KG auch alle Kommanditisten (OLG Graz RZ 1978/69), bei der GmbH ebenfalls alle Gesellschafter (OLG Linz EvBl 1987/160; s auch EvBl 1996/73; OLG Wien WR 799; HG Wien AnwBl 1996, 702), beim Verein uU die Mitglieder (OLG Wien WR 609; aber nicht beim typischen ideellen Verein [OLG Wien 15 R 163/01b]), beim ruhenden Nachlass die vermuteten Erben (ZVR 2003/57). Eine Kapitalgesellschaft ist idR entweder kreditwürdig oder zahlungsunfähig und deshalb nur in begründeten Ausnahmefällen verfahrenshilfebedürftig (EvBl 1987/160; LGZ Wien MietSlg 55.642 ua). Eine Konkursmasse (der Masseverwalter) hat keinen Anspruch auf Verfahrenshilfe, wenn die Prozesskosten von einem Gläubiger, dessen Forderungen bei Prozesserfolg in beachtlichem Ausmaß befriedigt werden könnten, aufgebracht werden können (OLG Wien EvBl 1986/104 = JBl 1986, 531 = WR 144, dazu Schumacher, JBl 1986, 498; WR 800; OLG 580

§ 63

1.1 Parteien

Innsbruck JBl 1988, 120 [zust Schumacher]; dies wird insb bei aussichtsreichen Anfechtungsprozessen zu bejahen sein [aA OLG Wien WR 33; OLG Innsbruck EvBl 1987/157]; die Berücksichtigung der Konkursgläubiger eines in Konkurs gegangenen Gläubigers geht aber jedenfalls zu weit [OLG Wien 3 R 9/04x]). Die Masse kann aber nicht nur bei „günstiger Prozessaussicht“ Verfahrenshilfe erlangen (ZIK 2000/168). Offenbar mutwillig führt Prozess, wer sich der Unrichtigkeit seines 5 Prozessstandpunktes bewusst ist und sich in diesem Bewusstsein in den Prozess einlässt (OLG Wien EFSlg 34.363; LGZ Wien EFSlg 64.019 f; MietSlg 42.494; EFSlg 108.853) oder wer zur Erzielung eines nicht durch die Rechtsordnung geschützten Zwecks (Publicity, Feindseligkeit, Sensationslust) prozessiert (Fasching Rz 491). Neben diesen Missbrauchsfällen kennt das Gesetz noch die Mutwilligkeit, die sich aus dem Wegfall der Kostentragung entwickelt: dass eine nahezu vermögenslose Partei „völlig risikolos und mit dem ganzen Mute der Verzweiflung“ prozessieren kann, weil ihr klar ist, dass ihr Gegner auch im Falle des Prozessverlusts seine Kostenersatzansprüche nicht durchsetzen kann (M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 63 Rz 19; vgl LGZ Wien EFSlg 105.663). Mutwillig ist insb die Einklagung einer verjährten Forderung (OLG Wien WR 730; LGZ Wien EFSlg 111.972), nicht aber die Klage eines Masseverwalters, die zu einer Befriedigung von nur 1% der angemeldeten Forderungen führen könnte (vgl OLG Wien AnwBl 1997, 213 und die Kritik von M. Bydlinski). Trifft die Mutwilligkeit auf einen von mehreren geltend gemachten Ansprüchen zu, so ist die Verfahrenshilfe für diesen Teil des Klagebegehrens, trifft dies auf einen Großteil eines geltend gemachten Anspruchs zu, so ist sie zur Gänze zu versagen (OLG Wien EvBl 1936/770; 1937/709; LGZ Wien EFSlg 64.019; LGZ Wien EFSlg 108.855). Ist nicht der Großteil eines Anspruchs mutwillig, aber doch ein nennenswerter Anteil, lässt sich – zumindest bei selbständigen Anträgen vor Klageerhebung – auch an die Gewährung von Verfahrenshilfe mit einer quantitativen Einschränkung denken („bewilligt, soweit der Antragsteller nicht mehr als … geltend macht“). Offenbar aussichtslos ist eine Prozessführung, deren Erfolglosigkeit 6 schon ohne nähere Prüfung der Angriffs- oder Abwehrmittel erkannt werden kann (OLG Wien EFSlg 34.363 ua, zuletzt LGZ Wien MietSlg 42.494; OLG Linz EFSlg 105.653; 108.848; Beispiele: Berufung einer vermögenslosen GmbH HG Wien 1 R 60/94 = WR 856; Klage gegen vermögenslose und gelöschte GmbH: OLG Wien WR 975). Die Aussicht auf einen Prozesserfolg muss eine gewisse Wahrscheinlichkeit haben (LGZ Wien EFSlg 36.695). So hindert (zwar nicht ein bloßer [OLG 581

§ 64

Fucik

Linz EFSlg 105.657; LGZ Wien EFSlg 105.658], wohl aber) ein unbehebbarer Beweisnotstand (nach Außerstreitstellung, LGZ Wien WR 408; LG Wels EFSlg 111.974) die Verfahrenshilfe, doch kann bei ausständigen Beweisergebnissen noch nicht von offenbar aussichtsloser Prozeßführung gesprochen werden (EvBl 1986/132). Auch eine (unbehebbare) Unschlüssigkeit des Begehrens macht die Rechtsverfolgung aussichtslos (7 Ob 213/02b). Größte Zurückhaltung bei der Annahme von Aussichtslosigkeit ist schon deshalb angebracht, weil sonst durch die Verfahrenshilfeentscheidung bereits die Sachentscheidung vorweggenommen würde (LGZ Wien EFSlg 101.834; 108.850; vgl schon Kininger, ÖJZ 1976, 10). Insoweit kann vor Entscheidung ein Verbesserungsverfahren angezeigt sein (M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 63 Rz 22). § 64. (1) Die Verfahrenshilfe kann für einen bestimmten Rechtsstreit und ein nach Abschluß des Rechtsstreits eingeleitetes Vollstreckungsverfahren die folgenden Begünstigungen umfassen: 1. die einstweilige Befreiung von der Entrichtung a) der Gerichtsgebühren und anderen bundesgesetzlich geregelten staatlichen Gebühren; b) der Kosten von Amtshandlungen außerhalb des Gerichtes; c) der Gebühren der Zeugen, Sachverständigen, Dolmetscher, Übersetzer und Beisitzer; d) der Kosten der notwendigen Verlautbarungen; e) der Kosten eines Kurators, die die Partei nach § 10 zu bestreiten hätte; f) der notwendigen Barauslagen, die von dem vom Gericht bestellten gesetzlichen Vertreter oder von dem der Partei beigegebenen Rechtsanwalt oder Vertreter gemacht worden sind; diese umfassen jedenfalls auch notwendige Übersetzungs- und Dolmetscherkosten; die unter den Buchstaben b bis e und die unter diesem Buchstaben genannten Kosten, Gebühren und Barauslagen werden vorläufig aus Amtsgeldern berichtigt; 2. die Befreiung von der Sicherheitsleistung für die Prozeßkosten; 3. sofern die Vertretung durch einen Rechtsanwalt gesetzlich geboten ist oder es nach der Lage des Falles erforderlich erscheint, die vorläufig unentgeltliche Beigebung eines Rechtsanwalts, die sich auch auf eine vorprozessuale Rechtsberatung im Hinblick auf eine außergerichtliche Streitbeilegung erstreckt; dieser bedarf keiner Prozeßvollmacht, jedoch der Zustimmung der Partei zu einem Anerkenntnis, einem Verzicht oder der Schließung eines Vergleiches; § 31 Abs 2 und 4 sind sinngemäß anzuwenden; 582

§ 64

1.1 Parteien

4. sofern in einer Rechtssache, in der die Vertretung durch einen Rechtsanwalt gesetzlich nicht geboten ist und der Partei auch ein Rechtsanwalt nicht beigegeben wird, die Klage bei einem Gericht außerhalb des Bezirksgerichtssprengels angebracht werden soll, in dem die Partei ihren Aufenthalt hat, das Recht, die Klage gemeinsam mit dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe beim Bezirksgericht ihres Aufenthalts zu Protokoll zu erklären und zu begehren, daß dieses Protokoll dem Prozeßgericht übersendet und daß von diesem für die Partei zur unentgeltlichen Wahrung ihrer Rechte bei der mündlichen Verhandlung ein Gerichtsbediensteter oder Rechtspraktikant als ihr Vertreter bestellt werde; deren Auswahl obliegt dem Vorsteher des Gerichtes; 5. sofern das Gericht deren persönliche Anwesenheit zur Einvernahme oder zur Erörterung des Sachverhalts anordnet, den Ersatz der notwendigen Reisekosten einer Partei in sinngemäßer Anwendung der für Zeugen geltenden Bestimmungen des GebAG 1975; diese Kosten werden vorläufig aus Amtsgeldern ersetzt. (2) Bei Bewilligung der Verfahrenshilfe ist auszusprechen, welche der im Abs 1 aufgezählten Begünstigungen und welche zur Gänze oder zum Teil gewährt werden. Die Begünstigung nach Abs 1 Z 3 darf nur im vollen Ausmaß gewährt werden. (3) Soweit die Verfahrenshilfe bewilligt wird, treten die Befreiungen und Rechte nach Abs 2 mit dem Tag ein, an dem sie beantragt worden sind. Die Befreiungen nach Abs 1 Z 1 Buchstaben b bis e können wirksam noch bis zur Entrichtung dieser Kosten und Gebühren beantragt werden. [Abs 1 idF ZVN 2004, Z 3 idF ZVN 2004 (ab 1.12.2004); Z 4 und Abs 3 idF ZVN 1983; Abs 2 idF WGN 1997; Z 5 eingefügt durch ZVN 2004 sonst idF VerfHG] Lit: Barth, Der Rechtsanwalt als Sachwalter, ÖJZ 2005, 62. M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 64. Inhaltsübersicht Umfang der Verfahrenshilfe 1 Beigebung eines Rechtsanwaltes 2–4 Barauslagen 5

Verfahrenshilfe im Exekutionsverfahren Rückwirkung der Verfahrenshilfe

6 7

Der Umfang der Verfahrenshilfe richtet sich nach dem Ausspruch des 1 Gerichts. Die möglichen Begünstigungen zählt § 64 auf, der mit der ZVN 2004 um jene Fälle erweitert wurde, die nach der Richtlinie 2003/ 583

§ 64

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8/EG („Prozesskostenhilferichtlinie“) von solchen Begünstigungen mindestens umfasst sein müssen (seither insb auch Reisekosten, Übersetzungs- und Dolmetscherkosten, Verfahrenshilfe in jedem Exekutionsverfahren [auch nach Jahresfrist], vorprozessuale Rechtsberatung und außergerichtliche Streitbeilegung). Für die Begünstigungen nach Abs 1 Z 1 (und Z 2, bei Z 4 eher unpraktisch) ist auch Teilverfahrenshilfe möglich, sei es durch Befreiung über einen bestimmten Betrag („Selbstbehalt“, zB je 200 € pro Sachverständigenbestellung), sei es durch Stundung (LGZ Wien EFSlg 36.697; LG Salzburg EFSlg 105.672) oder Ratengewährung (KG Krems EFSlg 60.796). Die Teilverfahrenshilfe wurde vor der WGN 1997 eher selten praktiziert (EB 38), sollte aber mit dem sprachlich eigentlich entbehrlichen Zusatz „zur Gänze oder zum Teil“ verdeutlicht werden. Eine „Teilverfahrenshilfe“ für bestimmte Prozesshandlungen oder Verfahrensabschnitte ist dagegen ausgeschlossen (JBl 1997, 465 = RdW 1997, 724; OLG Linz EFSlg 105.669). Die Beigabe eines Verfahrenshilfeanwalts ist nach der WGN 1997 zwar weiterhin nicht als Teilverfahrenshilfe möglich, muss aber nicht mehr mit einer Befreiung von den Gerichtsgebühren (Abs 1 Z 1 lit a) verbunden sein. Neben dem Prozess und einem in Jahresfrist anschließenden Exekutionsverfahren umfasst die Verfahrenshilfe auch ein Ablehnungsverfahren (RZ 1975/37) und exekutionsrechtliche Prozesse (Fasching, Kommentar zur ZPO ErgBd (1974) 15; LGZ Wien EFSlg 82.182), nicht aber selbständige Provisorialverfahren (Fasching ErgBd 15) oder Rechtsmittelklagen (Wiederaufnahmeklage: OLG Wien EvBl 1947/547).

2 Beigebung eines Rechtsanwalts ist zu erlangen a) bei absoluter Anwaltspflicht (siehe bei § 27) und b) dort, wo der Rechtsfall besondere Schwierigkeiten in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht erwarten lässt und einen Verlauf nehmen kann, der sich der Übersicht und Einsicht der Partei entzieht (OLG Wien EFSlg 41.669 ua, zuletzt EFSlg 108.857 ff), insb wenn die Partei nur über einen geringen Grad von Rechtsverständnis und Rechtskenntnis verfügt und damit auch der richterlichen Anleitung Grenzen gesetzt sind (LGZ Wien WR 409; EFSlg 85.252; 105.676). Einzelfälle s EFSlg 55.009 f; 57.736; 60.794 f; 64.022, 79.169 ff, 82.183 ff, 85.253 f; 105.674 ff; 108.860 ff; 111.978 ff; MietSlg 47.606; WR 457; c) nach Sonderregeln, wie etwa § 10 AuslUG, § 6 Abs 3 DurchführungsG zum New Yorker UnterhaltsÜbk, § 5 Abs 2 DurchführungsG zum HKÜ. Zum Verhältnis zwischen Verfahrenshilfe und Sachwalterschaft vgl OLG Wien 16 R 148/02f = WR 932; Barth, Der Rechtsanwalt als Sachwalter, ÖJZ 2005, 58 f.

3 Zur Stellung des Verfahrenshilfeanwalts s bei § 67. 584

§ 64a

1.1 Parteien

Die Beiziehung eines Vertreters im Distanzprozess (Abs 1 Z 4) ist trotz 4 relativer Anwaltspflicht möglich (LGZ Wien EFSlg 39.155; LGZ Graz EFSlg 60.792 = RPflSlg A 1988, 78). Barauslagen erhält der Verfahrenshelfer, der nicht auch noch eigenes 5 Geld aufzuwenden hat, aus Amtsgeldern. Eine Befristung des Anspruchs auf Erstattung der Barauslagen lässt sich aus § 54 nicht ableiten (OLG Wien WR 98; 15 R 49/02i = WR 934; 16 R 166/04f). Der Auslagenersatz unterliegt der USt (OLG Wien 12 R 22/00v = WR 911). Verfahrenshilfe im Titelverfahren umfasst auch jedes Exekutionsver- 6 fahren (seit die ZVN 2004 zur Anpassung an die PKHRL die Jahresfrist des Abs 1 Einleitungssatz beseitigt hat) die Sperrkosten im Exekutionsverfahren (OLG Wien 15 R 161/01h = WR 933), die exekutionsrechtlichen Streitigkeiten einschließlich der Drittschuldnerklage (ASG Wien 21 Cga 118/05h) und der Kosten der Drittschuldneräußerung (so im Ergebnis auch M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 64 Rz 11). Rückwirkung der Verfahrenshilfe vom Zeitpunkt der Bewilligung auf 7 den Antragszeitpunkt bedeutet bei den Gerichtsgebühren, dass die Verfahrenshilfe mit der Klage (der Berufung, Revision) beantragt werden muss (vgl § 9 Abs 1 GGG). Für Leistungen iSd Abs 1 Z 1 lit b bis e (insb Zeugen- und Sachverständigengebühren) kann Verfahrenshilfe auch noch nach ihrem Entstehen, selbst nach ihrer Vorschreibung iSd GEG beantragt werden. Der frei gewählte Rechtsanwalt wird nicht rückwirkend zum Verfahrenshelfer bestellt (OLG Linz RZ 1985/2). § 64a. Eine Partei, der in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union für einen bestimmten Rechtsstreit Verfahrenshilfe gewährt worden ist, hat für das Verfahren zur Anerkennung und Vollstreckung der in diesem Rechtsstreit ergangenen Entscheidung Anspruch auf Verfahrenshilfe gemäß diesem Titel. Die Partei hat in ihrem Antrag zu bescheinigen, dass ihr im Erkenntnisverfahren Verfahrenshilfe gewährt wurde, dem Antrag ein Vermögensbekenntnis (§ 66) anzuschließen und anzugeben, welche der in § 64 Abs 1 aufgezählten Begünstigungen sie begehrt. Das Gericht hat auszusprechen, in welchem Ausmaß der Partei die Begünstigungen des § 64 Abs 1 gewährt werden. [Eingefügt mit ZVN 2004 (ab 1.12.2004)] Lit: Brenn, Europäischer Zivilprozess (2005) Rz 219 ff; Mayr/Czernich Rz 33 f; Schoibl, Gemeinsame Mindestvorschriften für die Europäische Prozesskostenhilfe in Zivilsachen, JBl 2006, 142, 233. 585

§ 64b

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1 Diese Bestimmung dient der Umsetzung der PKHRL, insb des Prinzips der Kontinuität der Prozesskostenhilfe.

2 S auch das Europäische Übk über die Übermittlung von Anträgen auf Verfahrenshilfe (BGBl 1982/190) samt DurchführungsG (BGBl 1982/ 191 idF ZVN 2004), Klauser/Kodek 517.

3 Das Zusammenspiel der Rechtsquellen, also der unmittelbar anzuwendenden PKHRL, der §§ 63 ff und des oz DurchführungsG lässt sich grob wie folgt skizzieren: Besteht kein Auslandsbezug, gilt nur die ZPO. Zeigt sich ein grenzüberschreitender Bezug (Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt einer Partei) zu einem anderen „justiziellen EU-Land“ (also einem anderen EU-Mitgliedstaat als Österreich und Dänemark), so gelten die PKHRL und die sie ausführenden innerstaatlichen Normen (ZPO, II. Abschnitt [§§ 9 ff] des oz DurchführungsG). Weist der grenzüberschreitende Bezug auf einen Drittstaat, der dem Europarat angehört, gelten das oz Übk und das DurchführungsG (§§ 4 ff) dazu.

4 Kennzeichen des Verfahrens ist – wie in der neuesten Generation justizieller Zusammenarbeit en vogue – eine Dezentralisierung: Übermittlungs- und Empfangsstellen sind die (Bezirks-)Gerichte, die direkt (und nicht mehr über Zentralstellen [wie das BMJ]) kommunizieren. § 64b. Zur außergerichtlichen Streitbeilegung in nachbarrechtlichen Streitigkeiten nach § 364 Abs 3 ABGB wird Verfahrenshilfe für den Antrag nach § 433 Abs 1 gewährt. Diese umfasst die Begünstigungen nach § 64 Abs 1 Z 1 und 5. [Eingefügt mit ZVN 2004 (ab 1.12.2004)]

1 Wer gem § 364 Abs 3 ABGB sein „Recht auf Licht“ geltend machen will, muss zuvor einen außergerichtlichen Einigungsversuch anstreben. Da der Gesetzgeber des § 364 Abs 3 ABGB als „außergerichtlichen“ Einigungsversuch auch den gerichtlichen Vergleichsversuch aufgezählt hat, ein Rechtsstreit aber vor diesem Versuch unzulässig ist und daher solange die Verfahrenshilfe für die (bei Einigung nicht mehr erforderliche) Klage aussichtslos schien, hat das Gesetz hier einen weiteren Verfahrenshilfetatbestand eingeführt (nach den Mat bloße Klarstellung). Die alternativ vorgesehenen Streitbeilegungsverfahren mussten nach der PKHRL nicht gefördert werden, weshalb der Gesetzgeber davon absah. 586

§ 66

1.1 Parteien

§ 65. (1) Die Verfahrenshilfe ist beim Prozeßgericht erster Instanz schriftlich oder zu Protokoll zu beantragen. Hat das Prozessgericht seinen Sitz außerhalb des Bezirksgerichtssprengels, in dem die Partei ihren Aufenthalt hat, so kann sie den Antrag beim Bezirksgericht ihres Aufenthalts zu Protokoll erklären; im Fall des § 64 Abs 1 Z 4 kann sie gemeinsam mit diesem Antrag die Klage, den Widerspruch gegen ein Versäumungsurteil oder den Einspruch gegen einen Zahlungsbefehl zu Protokoll erklären. (2) Über den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe hat stets das Prozeßgericht erster Instanz zu entscheiden, auch wenn sich die Notwendigkeit hierzu erst im Verfahren vor einer höheren Instanz ergibt. Der Beschluß über den Antrag darf dem Gegner frühestens mit der Klage zugestellt werden. [Abs 1 idF ZVN 2002, Abs 2 idF VerfHG] Lit: M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 65. Es gibt keine Verfahrenshilfe von Amts wegen. Der Antrag begrenzt 1 auch den Umfang der Verfahrenshilfe (§ 405; LG Wels EFSlg 111.994). Der Antrag kann sich freilich auch aus dem Gesamtzusammenhang ergeben (zB Hinweis darauf, sich keinen Anwalt leisten zu können) und muss dann zu einem Verbesserungsverfahren führen (JBl 2001, 249). Der Verfahrenshilfeantrag kann nicht beliebig oft wiederholt werden; neuerliche meritorische Prüfung setzt Änderung der Verhältnisse voraus (LGZ Wien EFSlg 57.730; 60.789; 108.872). Der rechtskräftige Verfahrenshilfebeschluss (auch eines anderen als des Prozessgerichts) ist bindend (RdW 1996, 15). Über den Antrag entscheidet der Richter, Vorsitzende bzw Rechtspfle- 2 ger (§ 16 Abs 1 Z 4 RPflG), der in erster Instanz zuständig ist. Selbständige Verfahrenshilfeanträge werden im Nc- bzw N-Register eingetragen (§ 473 lit a Geo). Die Vernehmung des Gegners vor Beschlussfassung kommt regelmäßig nicht in Frage (OLG Wien EFSlg 82.187). Bei Zurückziehung im Rekursstadium ist § 483 Abs 3 sinngemäß anzuwenden (OLG Wien 17 R 37/01p = WR 912). Ein beim unzuständigen Gericht gestellter selbständiger Verfahrens- 3 hilfeantrag ist gem § 44 JN an das zuständige Gericht zu überweisen (OLG Wien 17 R 132/99b = WR 858). § 66. (1) In dem Antrag ist die Rechtssache bestimmt zu bezeichnen, für die die Verfahrenshilfe begehrt wird. Zugleich sind ein nicht mehr als vier Wochen altes Bekenntnis der Partei (ihres gesetzlichen 587

§ 66

Fucik

Vertreters) über die Vermögens-, Einkommens- und Familienverhältnisse der Partei (Vermögensbekenntnis) und, soweit zumutbar, entsprechende Belege beizubringen; in dem Vermögensbekenntnis sind besonders auch die Belastungen anzugeben, weiter die Unterhaltspflichten und deren Ausmaß, sowie ob eine andere Person für die Partei unterhaltspflichtig ist. Für das Vermögensbekenntnis ist ein vom Bundesminister für Justiz aufzulegendes und im Amtsblatt der österreichischen Justizverwaltung zu verlautbarendes Formblatt zu verwenden. Ist dem Antrag kein solches Vermögensbekenntnis angeschlossen, so ist nach den §§ 84 und 85 vorzugehen, wobei jedoch in allen Fällen nach § 85 Abs 2 eine Frist zu setzen ist; gleichzeitig ist den Parteien das Formblatt zuzustellen. (2) Über den Antrag ist auf der Grundlage des Vermögensbekenntnisses zu entscheiden. Hat das Gericht gegen dessen Richtigkeit oder Vollständigkeit Bedenken, so hat es das Vermögensbekenntnis zu überprüfen. Hierbei kann es auch die Partei unter Setzung einer angemessenen Frist zur Ergänzung des Vermögensbekenntnisses und, soweit zumutbar, zur Beibringung weiterer Belege auffordern. Der § 381 ist sinngemäß anzuwenden. [Abs 1 letzter Satz angefügt durch ZVN 1983; sonst idF VerfHG] Lit: M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 66. Inhaltsübersicht Inhalt und Form des Verfahrenshilfeantrags

1–2

Verbesserung des Verfahrenshilfeantrags Rechtsmissbrauch

3 4

1 Notwendiger Inhalt eines Verfahrenshilfeantrags umfasst bei Minderjährigen als Verfahrenshilfewerber die eigenen wie die Verhältnisse der Unterhaltspflichtigen, bei Personen, die ihre Unterhaltspflichten ins Treffen führen, die Verhältnisse der Unterhaltsberechtigten (OLG Linz EvBl 1988/68) – vgl aber § 63 Rz 2), bei an einer GmbH Beteiligten die Jahresabschlüsse der GmbH (OLG Linz EvBl 1988/68), bei Vereinen die Jahresabschlüsse bzw Kassenaufzeichnungen (OLG Innsbruck RZ 1988/12).

2 Das Formblatt nach Abs 1 ist das ZPForm 1 (JABl 1983, 62 idF Erl BMJ-B19.000/0007-I 8/2004). Es ist von der Partei selbst, nicht vom Anwalt, zu unterschreiben (OLG Wien WR 758). Eine gründlichere Überarbeitung des Formblatts, das noch auf die Sozialverhältnisse der 1970iger Jahre abstellt, steht zur Diskussion. In der Praxis führt das Fehlen einer Unterrubrik über die monatliche Belastung bei den Schulden häufig zu Feststellungsmängeln. 588

§ 67

1.1 Parteien

Fehlerhafte Verfahrenshilfeanträge sind iSd §§ 84 f verbesserungsfähig 3 (LG Linz 15 R 402/04z = EFSlg 108.875; LGZ Wien 44 R 485/05g = EFSlg 112.006 f ua), wobei immer eine Frist zu setzen ist. Als Erhebungen kommen va die Vernehmung der Partei, aber auch ihres Gegners in Betracht (vgl LGZ Wien EFSlg 105.688 ff; 112.011 ff). Kommt der Verfahrenshilfewerber Ergänzungsaufträgen nicht (auch nicht verspätet [EvBl 1996/73; LGZ Wien EFSlg 108.887]) nach, so ist dies iSd § 381 frei (idR zu seinem Nachteil) zu würdigen; ohne dass die Partei besonders auf die Rechtsfolgen des § 381 hinzuweisen wäre (M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 66 Rz 12; aA OLG Wien WR 891 und die Voraufl). Wie bei Ablehnungen lässt sich auch bei ständig wiederholten Verfah- 4 renshilfeanträgen ohne neue Substanz (ein bei einer Handvoll Personen mit verdichtetem Rechtsbewusstsein gebräuchliches Spiel) vorgehen und sie als rechtsmissbräuchlich nicht mehr meritorisch behandeln (OLG Wien 14 R 163/05a). Dies ist freilich mit großer Vorsicht und Augenmaß zu praktizieren. § 67. Hat das Gericht die Beigebung eines Rechtsanwalts beschlossen, so hat es den Ausschuß der nach dem Sitz des Prozeßgerichts zuständigen Rechtsanwaltskammer zu benachrichtigen, damit der Ausschuß einen Rechtsanwalt zum Vertreter bestelle. Wünschen der Partei über die Auswahl des Rechtsanwalts ist im Einvernehmen mit dem namhaft gemachten Rechtsanwalt nach Möglichkeit zu entsprechen. [Letzter Satz eingefügt durch ZVN 1983, sonst idF VerfHG] Die Bestellung des Verfahrenshilfeanwalts erfolgt durch den Kam- 1 merausschuss nach Bewilligung der Beigabe eines Anwalts durch das Gericht (das durch Ausfertigungen von ZPForm 4 den Ausschuss verständigt) gem §§ 45 f RAO. Der Bescheid des Ausschusses ergeht iaR vor Rechtskraft des Bewilligungsbeschlusses. Er wirkt jedenfalls insoweit, als der bestellte Rechtsanwalt die Partei wirksam vertreten kann, auch wenn der Bewilligungsbeschluss später abgeändert wird. Er wirkt aber nicht über die Abweisung des Verfahrenshilfeantrags durch das Rekursgericht oder die Rechtskraft (§ 68 Abs 4) des Erlöschens- oder Entziehungsausspruchs (dazu 1 Ob 154/01f) hinaus. Stellung des Verfahrenshilfeanwalts im Prozess: Der Verfahrenshilfe- 2 anwalt schreitet aufgrund des Bestellungsbescheids – ohne Prozessvoll589

§ 68

Fucik

macht – ein. Im Gegensatz zum mit Prozessvollmacht ausgestatteten Anwalt ist er ohne Zustimmung der Partei nicht zu Sachdispositionen, also zur Abgabe eines Anerkenntnisses, Verzichts, Vergleichs, einer Zurücknahme der Klage unter Anspruchsverzicht oder eines Rechtsmittels befugt. Er kann sich, wie der Prozessbevollmächtigte, durch Rechtsanwaltsanwärter oder Kanzleibedienstete vertreten lassen. Verhandlungen außerhalb des Gerichtshofsprengels, in dem er seinen Sitz hat, kann er selbst verrichten oder beim Ausschuss der zuständigen Rechtsanwaltskammer die Bestellung eines dortigen Anwalts zur Vornahme der auswärtigen Prozesshandlung beantragen (§ 45 Abs 3 RAO). Er hat kein Recht zur Kündigung des Vertretungsverhältnisses, aber das Recht, dessen Beendigung durch Anträge nach § 68 zu erwirken. Da der Tod der Partei die Verfahrenshilfe erlöschen lässt (§ 68 Abs 1), gilt § 35 nicht für den Verfahrenshilfeanwalt. Der Verfahrenshilfeanwalt kann Kostenersatz bei Obsiegen von der gegnerischen Partei nach den §§ 41 ff erlangen, von der von ihm vertretenen Partei aber nur nach § 71. Nicht mehr nach diesen Regeln, sondern nach Prozessvollmachtsrecht richtet sich seine Stellung freilich dann, wenn ihm die Partei, der er beigegeben wurde, Prozessvollmacht erteilt. Der bereits frei gewählte Rechtsanwalt wird nicht rückwirkend zum Verfahrenshelfer bestellt (AnwBl 2001/7727, 104).

3 Umbestellung: Der Kammerausschuss kann unter den Voraussetzungen des § 45 Abs 4 RAO auch eine Umbestellung vornehmen. Diese wird mit Verständigung des Gerichts wirksam (EFSlg 55.011 = RPflSlg A 1987, 141 = RZ 1987/73). § 68. (1) Die Verfahrenshilfe erlischt mit dem Tod der Partei. Das Prozeßgericht erster Instanz hat von Amts wegen oder auf Antrag – auch des bestellten Rechtsanwalts – die Verfahrenshilfe so weit zur Gänze oder zum Teil für erloschen zu erklären, als Änderungen in den Vermögensverhältnissen der Partei dies erfordern, oder die weitere Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint. (1a) Wird nicht innerhalb eines Jahres nach Abschluss des Rechtsstreits ein Vollstreckungsverfahren eingeleitet, so ist bei dessen Einleitung von Amts wegen zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für die Gewährung von Verfahrenshilfe weiterhin vorliegt. (2) Das Prozeßgericht erster Instanz hat von Amts wegen oder auf Antrag – auch des bestellten Rechtsanwalts – die Verfahrenshilfe so weit zur Gänze oder zum Teil zu entziehen, als sich herausstellt, daß die seinerzeit angenommenen Voraussetzungen nicht gegeben 590

§ 68

1.1 Parteien

gewesen sind. In diesem Fall hat die Partei die im § 64 Abs 1 Z 1 genannten Beträge, von deren Bestreitung sie einstweilen befreit gewesen ist, insoweit zu entrichten bzw zu ersetzen und den ihr beigegebenen Rechtsanwalt nach dem Tarif zu entlohnen. Über den Entlohnungsanspruch hat das Gericht mit Beschluß zu entscheiden. (3) Im Zug eines in den Abs 1, 1a und 2 vorgesehenen Verfahrens kann das Gericht die Parteien unter Setzung einer angemessenen Frist zur Beibringung eines neuen Vermögensbekenntnisses und, soweit zumutbar, von Belegen auffordern. Der § 381 ist sinngemäß anzuwenden. (4) Erklärt das Gericht die Verfahrenshilfe für erloschen oder entzieht es sie, so bleibt der bestellte Rechtsanwalt noch bis zum Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses berechtigt und verpflichtet, für die Partei zu handeln, soweit dies nötig ist, um sie vor Rechtsnachteilen zu schützen. Die Zustellung des Beschlusses, womit das Gericht die Verfahrenshilfe für erloschen erklärt oder entzieht, an den Rechtsanwalt unterbricht den Lauf der Frist zur Beantwortung der Klage bzw Erhebung von Rechtsmitteln gegen andere Entscheidungen des Gerichtes bis zum Eintritt der Rechtskraft des genannten Beschlusses. Mit dem Eintritt der Rechtskraft beginnt die volle Frist von neuem zu laufen. [Abs 1 u 2 idF WGN 1997; Abs 1a eingefügt mit ZVN 2004 (ab 1.12. 2004); sonst Fassung VerfHG] Lit: Greiter, Verfahrenshilfe – Gleiche Sorgfalt und noch größere Geduld, AnwBl 2001, 604. M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 68. Inhaltsübersicht Beendigung durch gerichtliche Entscheidung Enthebungsantrag

1 2

Teilerlöschen Fristunterbrechung

3–4 5

Während das Erlöschen der Verfahrenshilfe als Reaktion auf geänderte 1 Verhältnisse nur ex nunc wirkt (LG Salzburg EFSlg 108.891), beseitigt die Entziehung der Verfahrenshilfe deren Wirkungen ex tunc (LGZ Wien EFSlg 41.666). Die Verfahrenshilfe ist nicht zu entziehen, weil sie rechtsirrtümlich bewilligt wurde (1 Ob 164/02b = EvBl 2002/223 = ZVR 2003/24; LGZ Wien EFSlg 105.692) oder weil dem Antragsteller ein Irrtum unterlief (OLG Wien 13 R 31/05g). Die Entscheidung über Erlöschen oder Entziehung hat nicht automatisch, sondern nur nach selbständiger Prüfung gem § 71 den Ausspruch einer Nachzahlungsverpflichtung zur Folge (LGZ Wien EFSlg 105.695). 591

§ 69

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2 Beide Endigungsgründe können von Amts wegen wie auf Antrag des Prozessgegners, des Verfahrenshilfeanwalts (OLG Wien 17 R 41/00z = WR 892), des Revisors oder der die Verfahrenshilfe genießenden Partei, wahrgenommen werden. Der Enthebungsantrag ist der Verfahrenshilfe genießenden Partei zur Äußerung zuzustellen (OLG Wien 12 R 139/01a). Er unterbricht keine Fristen (6 Ob 230/02w, 7 Ob 45/04z).

3 Auszahlung eines Teilbetrags (auch Schmerzengeld, OLG Linz RZ 1977/13) kann zum Erlöschen der Verfahrenshilfe führen, wenn er nicht sofort für Unterhalt oder Schuldenzahlung verbraucht wurde (OLG Wien ZBl 1936/148). Änderungen der Verhältnisse können auch zu einem Teilerlöschen der Verfahrenshilfe führen (OLG Wien EFSlg 25.298).

4 Zu den Erhebungsmöglichkeiten vgl § 66 Rz 3. 5 Beschlüsse nach § 68 Abs 1 oder 2 unterbrechen die im Lauf befindlichen Notfristen, die nach Rechtskraft des Erlöschens- oder Entziehungsbeschlusses (Zustellung an die Partei, nicht nur an den Verfahrenshelfer nötig [OLG Wien WR 825]) neuerlich zu laufen beginnen (vgl § 73 Abs 2; Fasching Rz 504). § 69. Gegen denjenigen, der durch unrichtige oder unvollständige Angaben im Vermögensbekenntnis (§ 66) die Verfahrenshilfe erschleicht, hat das Prozeßgericht erster Instanz eine Mutwillensstrafe zu verhängen. Derjenige, gegen den eine solche Mutwillensstrafe rechtskräftig verhängt wurde, schuldet überdies – vorbehaltlich der Nachzahlungspflicht der Partei (§ 68 Abs 2) – die Gerichtsgebühren in zweifacher Höhe. Schließlich hat das Prozeßgericht den Sachverhalt in jedem Fall der Staatsanwaltschaft anzuzeigen. [Fassung 2. Euro-JuBeG] Lit: M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 69.

1 Die strengen Sanktionen sind Korrelat für die weitgehende Abhängigkeit von den Angaben der Partei. Allerdings müssen sich die unrichtigen Angaben auf das Vermögensbekenntnis beziehen, nicht auf den Anspruchsgrund (OLG Wien 13 R 31/05g). Zur Haftung für die zweifachen Gerichtsgebühren tritt schließlich noch ein Schadenersatzanspruch des Gegners und des Verfahrenshilfeanwalts nach bürgerlichem Recht. Der Erschleichungssachverhalt ist der Staatsanwaltschaft anzuzeigen, die ihn idR als (Behörden- oder Prozess-) Betrug zu verfol592

§ 71

1.1 Parteien

gen hat (Fabrizy, StGB9 [2006] § 146 Rz 17; Kirchbacher/Presslauer in WK § 146 Rz 41 f; Leukauf/Steininger, StGB3 § 146 Rz 30 ff; Bertel/ Schwaighofer, Strafrecht Besonderer Teil I9 [2006] § 146 Rz 11; Kienapfel, Strafrecht BT II3 [1993] § 146 Rz 60). § 70. Die im § 64 Abs 1 Z 1 genannten Beträge, von deren Bestreitung die Partei einstweilen befreit ist, sowie die der Partei gemäß § 64 Abs 1 Z 5 einstweilen ersetzten Reisekosten sind unmittelbar beim Gegner einzuheben, soweit diesem die Kosten des Rechtsstreits auferlegt worden sind oder er sie in einem Vergleich übernommen hat. Das Gericht hat auch dann, wenn die Partei zwar obsiegt, aber keinen Kostenersatz beansprucht, darüber zu entscheiden, ob und wieweit der Gegner zum Ersatz der im § 64 Abs 1 Z 1 und Z 5 genannten Beträge verpflichtet ist. Ist der Gegner der Partei zum Kostenersatz verpflichtet, so ist bei der Kostenfestsetzung so vorzugehen, als wäre der Rechtsanwalt der Partei nicht vorläufig unentgeltlich beigegeben worden. [Fassung ZVN 2004 (ab 1.12.2004)] Lit: M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 70. Die Gerichtsgebühren und anderen vorgeschossenen Kosten sind beim 1 kostenersatzpflichtigen Gegner der Partei, die Verfahrenshilfe genießt, einzuheben (vgl § 20 GGG, § 2 Abs 3 GEG). Enthält ein Vergleich keine Kostenersatzpflicht oder tritt Ruhen ein, so kommt keine Einhebung in Betracht (vgl Tschugguel/Pötscher, Gerichtsgebühren7 [2002] 113; LGZ Wien MietSlg 47.609; EFSlg 112.021). Obsiegt die die Verfahrenshilfe genießende Partei, macht sie aber keinen 2 Kostenersatz geltend, so hat das Gericht von Amts wegen die Zahlungspflicht des Gegners auszusprechen, soweit es um die in § 64 Abs 1 Z 1 genannten Beträge geht. Rechtsanwaltskosten können hingegen ohne ein Kostenverzeichnis nicht zugesprochen werden. § 71. (1) Die die Verfahrenshilfe genießende Partei ist mit Beschluß zur gänzlichen oder teilweisen Nachzahlung der Beträge zu verpflichten, von deren Berichtigung sie einstweilen befreit gewesen ist oder die ihr zur Bestreitung ihrer Reisekosten einstweilen aus Amtsgeldern ersetzt worden sind, und die noch nicht berichtigt sind, wie ebenso zur tarifmäßigen Entlohnung des ihr beigegebenen Rechtsanwalts, soweit und sobald sie ohne Beeinträchtigung des notwendi593

§ 71

Fucik

gen Unterhalts dazu imstande ist. Nach Ablauf von drei Jahren nach Abschluß des Verfahrens kann die Verpflichtung zur Nachzahlung nicht mehr auferlegt werden. (2) In dem Beschluß über die Nachzahlung ist der Partei zunächst der Ersatz der im § 64 Abs 1 Z 1 Buchstaben b bis f und Z 5 genannten Beträge aufzuerlegen, dann die Leistung der Entlohnung des Rechtsanwalts unter gleichzeitiger Bestimmung ihrer Höhe und endlich die Entrichtung der im § 64 Abs 1 Z 1 Buchstabe a genannten Beträge. Dieser Beschluß ist erst nach Eintritt der Rechtskraft vollstreckbar. (3) In Verfahren nach den Abs 1 und 2 kann das Gericht die Parteien unter Setzung einer angemessenen Frist zur Beibringung eines neuen Vermögensbekenntnisses und, soweit zumutbar, von Belegen auffordern. Der § 381 ist sinngemäß anzuwenden. [Abs 1 u 2 idF ZVN 2004 (ab 1.12.2004), Abs 3 idF WGN 1997] Lit: M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 71. Inhaltsübersicht Voraussetzung der Nachzahlung

1–2

Nachzahlungsbeschluss Anwendbarkeit des § 381

3–5 6

1 Voraussetzung der Nachzahlung ist, dass die Partei nun ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts (§ 63 Rz 3; s auch AnwBl 1996, 321; EFSlg 76.037) dazu imstande ist, was idR bei Änderung der Verhältnisse (LGZ Wien EFSlg 36.699; 64.032; OLG Wien EFSlg 105.702), insb durch Teilzahlungen im Prozess (AnwBl 2004/7949), uU aber auch durch die Ansparmöglichkeiten seit Prozessbeginn (LGZ Wien ÖA 1986, 113; EFSlg 108.902) eintritt. Privatschulden sind gegenüber der Nachzahlung nicht bevorrangt (LGZ EFSlg 25.304).

2 Zu den Erhebungsmöglichkeiten s § 66 Rz 3. Der Auftrag ergeht trotz bestehenden Vollmachtsverhältnisses an die Partei selbst (OLG Wien 12 R 199/99 = WR 893; LGZ Wien 45 R 419/04g = EFSlg 108.894). Die Vertretungsbefugnis des Verfahrenshilfeanwalts erstreckt sich nicht auf das Verfahren nach § 71 (OLG Wien 15 R 5/01t = WR 913).

3 Der Beschluss hat die Nachzahlung im Allgemeinen nicht nur festzustellen, sondern einen vollstreckbaren Leistungsbefehl zu enthalten (LGZ Wien EFSlg 49.317 = WR 174; EFSlg 85.259; 108.895 f). Die Trennung von Justiz (§§ 70 f) und Verwaltung (Einbringung der Gerichtsgebühren nach GEG) zwingt aber bei den in § 64 Abs 1 Z 1 lit a 594

§ 72

1.1 Parteien

genannten Gebühren zur Beschränkung auf den Ausspruch der Ersatzpflicht dem Grunde nach (OLG Wien WR 91; EFSlg 60.801; LGZ Wien EFSlg 64.033; 85.260; aA OLG Wien EvBl 1993/70 = ZVR 1994/ 16; die jüngere Rsp sieht hier eine Pflicht des Kostenbeamten vor, die Kosten aus Anlass des Beschlusses zu berechnen: LGZ Wien EFSlg 108.897 mwN; 112.023). Der Nachzahlungsbeschluss muss innerhalb der Dreijahresfrist ab Abschluss des Verfahrens (der auch in einer Unterbrechung iSd § 7 KO liegen kann; andere Einzelfälle: EFSlg 105.713 ff) der Partei zugestellt worden sein (OLG Wien WR 208). Eine Teilnachzahlung oder Nachzahlung in Raten ist möglich (Terminsverlustklausel wäre allerdings widersinnig). Die Verpflichtung des Prozessgegners gem § 70 schließt einen Nachzahlungsbeschluss gem § 71 nicht aus (OLG Wien 13 R 212/05z). Weitergehende Zahlungsverpflichtungen können sich auch aus einem Vergleich ergeben (OLG Wien 16 R 210/02y = WR 951). Dem Verfahrenshilfeanwalt sind tarifmäßige Kosten, also solche nach 4 dem RAT, zuzusprechen, nicht aber Kosten für Verfahrensschritte in einem nichtigen Verfahren (OLG Innsbruck EvBl 1992/7). Für einen Beschluss, mit dem die Beträge für endgültig uneinbringlich 5 erklärt werden, besteht keine Rechtsgrundlage (OLG Wien 10 Ra 73/ 05m = Zak 2005/24). Gegen das Unterbleiben der Nachzahlungsanordnung haben weder die Parteien noch der Revisor ein Rekursrecht (LG Ried 6 R 68/05z; Weber, RZ 2005, 265). Die WGN 1997 entzieht der Rsp (zuletzt LGZ Wien EFSlg 85.257), 6 § 381 sei unanwendbar, den Boden. Unterlässt eine Partei daher, Belege vorzulegen oder Widersprüche aufzuklären, so kann das Gericht (idR, doch kann sich aus der Gesamtaktenlage anderes ergeben, zB wenn ein 78 Jahre alter Sozialhilfeempfänger „auf Tauchstation geht“ [OLG Wien 14 R 181/02v = WR 952]) davon ausgehen, dass sie über ausreichende Mittel zur Nachzahlung verfügt (vgl schon LGZ Wien MietSlg 45.638; zuletzt EFSlg 105.708 ff; 108.908). § 72. (1) Die nach diesem Titel ergehenden Beschlüsse sind ohne mündliche Verhandlung zu fassen, sofern das Prozeßgericht eine solche nicht zur Erörterung ihm erheblich scheinender Tatsachen für erforderlich hält. (2) Gegen die nach diesem Titel ergehenden Beschlüsse steht auch dem Gegner sowie dem Revisor der Rekurs zu. Das Recht, einen Antrag nach § 68 Abs 1 oder 2 zu stellen, bleibt ihnen vorbehalten. 595

§ 72

Fucik

(2a) Ein Rekurs ist, vorbehaltlich des § 65 Abs 2, den Parteien und dem Revisor zuzustellen. Diese können binnen 14 Tagen ab Zustellung des Rekurses eine Rekursbeantwortung einbringen. (3) Einer Vertretung durch Rechtsanwälte bedürfen die Parteien bei den nach diesem Titel bei Gericht vorzunehmenden Handlungen auch im Anwaltsprozeß nicht. Rekurse gegen Beschlüsse über die Verfahrenshilfe sowie Rekursbeantwortungen können auch bei den Gerichtshöfen mündlich zu Protokoll erklärt werden. Ein Kostenersatz findet nicht statt. [Abs 2 u 3 idF, Abs 2a eingefügt durch ZVN 2004 (für nach dem 31.11.2004 datierte E); Abs 1 Fassung VerfHG] Lit: Weber, Das Rekursrecht des Revisors in Verfahrenshilfesachen (§ 72 ZPO), RZ 2005, 262. M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 72 (vor ZVN 2004). Inhaltsübersicht Verfahrensvorschriften zur Beschlussfassung Zustellung und Rekursrecht

1 2

Anwaltspflicht und Kostenersatz Rekursrecht des Revisors

3–4 5

1 Das Verfahren über alle Beschlüsse in Verfahrenshilfesachen regelt zusammenfassend § 72. Das Gericht kann nach gebundenem Ermessen (Weber, RZ 2005, 269) sich mit Aktenverfahren begnügen, einseitige Vernehmungen oder – aus Gehörerwägungen vorzuziehen – allseitige Erhebungstagsatzungen pflegen (vor Klagezustellung verbieten sich zweiseitige Verfahren allerdings wegen § 65 Abs 2 aE [Details bei Weber, RZ 2005, 266]).

2 Beschlüsse sind stets beiden Parteien (dem Beklagten aber nicht vor der Klage, § 65 Abs 2 aE) und dem Revisor (Abs 2a) zuzustellen (jedoch, wenn sie stattgebend sind, nicht zu begründen, LGZ Wien Arb 9333; LG Salzburg EFSlg 112.038 ua; einer Begründung bedarf der die Verfahrenshilfe bewilligende Beschluss jedenfalls dann nicht, wenn kein widerstreitender Antrag des Gegners vorliegt [Weber, RZ 2005, 264]). Der Gegner hat (nach Zustellung der Klage, OLG Wien WR 492; LGZ Wien EFSlg 82.192) ebenso wie der Revisor (wenn nicht § 517 anzuwenden ist [Weber, RZ 2005, 266; M. Bydlinski in Fasching/Konecny § 72 Rz 8; Zechner in Fasching/Konecny § 517 Rz 24]) stets ein Rekursrecht, obwohl er nicht als formell beschwert erachtet werden kann. Dies soll die Kontrollmöglichkeit verbessern und wirksamer gegen den Missbrauch der Verfahrenshilfe schützen (Fasching ErgBd 50; OLG Wien 596

§ 73

1.1 Parteien

WR 610). Der Rekurs unterliegt aber dem Neuerungsverbot (LGZ Wien EFSlg 55.012; 64.037; 105.718 ff; 108.916; 112.044 ua). Die Einseitigkeit, die zu einem bedenklichen Gehördefizit geführt hatte (Rechberger, FS Matscher 378 ff), wurde mit der ZVN 2004 beseitigt, die Rekursbeantwortungen des Rekursgegners und des Revisors vorsieht (zur Vorlage erst nach Abwarten der Rekursbeantwortungen: LGZ Wien EFSlg 112.041; zur Beschwer: LGZ Wien EFSlg 112.043). Um (zumindest praktische, wenn nicht gar logische) Friktionen auszu- 3 schließen, ist in Verfahrenshilfefragen keinerlei Anwaltspflicht (auch keine relative [OLG Wien AnwBl 1998, 330 = WR 826]) vorgesehen. Neben Protokollaranträgen (auch vor dem Gerichtshof) kommen daher auch schriftliche Parteienrekurse (Fasching ErgBd 50) in Betracht. Dies wird man ausdehnend auch auf Wiedereinsetzungsverfahren (OLG Wien WR 493) und Ablehnungsverfahren (OLG Wien WR 699) in Zusammenhang mit einem Verfahrenshilfeantrag anzuwenden haben. Kostenersatz kommt nach Abs 3 letzter Satz idF ZVN 2004 nicht mehr 4 in Frage (bisherige Rsp zum Zwischenstreit und zur Bemessungsgrundlage ist daher überholt). Rechtspolitisch war die Einführung eines Rekurses für den Revisor 5 wenig glücklich. Es mag schon sein, dass die Richterschaft sich teilweise mehr um den Zugang zum Recht als um fiskalische Belange gekümmert hat, aber zumindest technisch ist die Rekurslösung abzulehnen. Es wäre weitaus umsichtiger, auf den Rekurs gegen die Gewährung von Verfahrenshilfe (dessen Spektrum durch das Neuerungsverbot reichlich beschränkt ist und Zusatzinformationen nur über den Weg des Verfahrensmangels und der Aufhebung berücksichtigen kann) gänzlich zu verzichten und die berechtigten gegnerischen und fiskalischen Interessen nur mit einem remonstrativen Antrag zu wahren. § 73. (1) Weder der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe noch ein anderer nach diesem Titel zulässiger Antrag berechtigt die Parteien, die Einlassung in den Rechtsstreit oder die Fortsetzung der Verhandlung zu verweigern oder die Erstreckung von Fristen oder die Verlegung von Tagsatzungen zu begehren. (2) Hat die beklagte Partei vor Ablauf der Frist, innerhalb deren sie die Klage zu beantworten, den Einspruch gegen einen Zahlungsbefehl, die Einwendungen im Mandatsverfahren und im Bestandverfahren oder den Widerspruch gegen ein Versäumungsurteil einzu597

§ 73

Fucik

bringen hätte, die Bewilligung der Verfahrenshilfe einschließlich der Beigebung eines Rechtsanwalts beantragt, so beginnt die Frist zur Einbringung der Klagebeantwortung, des Einspruchs gegen einen Zahlungsbefehl, der Einwendungen im Mandatsverfahren und im Bestandverfahren oder des Widerspruchs gegen ein Versäumungsurteil frühestens mit der Zustellung des Bescheides, mit dem der Rechtsanwalt bestellt wird, beziehungsweise mit dem Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses, mit dem die Beigebung eines Rechtsanwalts versagt wird. Der Bescheid über die Bestellung des Rechtsanwalts ist durch das Gericht zuzustellen. (3) Wird nach dem Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses, mit dem die Beigebung eines Rechtsanwalts versagt wird, von derselben Partei neuerlich ein Antrag gestellt, ihr einen Rechtsanwalt kostenlos beizugeben, so bleibt hievon der weitere Ablauf der schon einmal nach dem Abs 2 unterbrochenen Frist unberührt. [Abs 1 idF VerfHG, Abs 2 idF ZVN 2002 (auf nach dem 31.12.2002 bei Gericht einlangende Klagen bzw verfahrenseinleitende Anträge), Abs 3 eingefügt durch WGN 1997] Lit: M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 73.

1 Durch Abs 1 ist klargestellt, dass Verfahrenshilfeanträge keine prozesshindernden Einreden sind.

2 Der Einfluss der Verfahrenshilfeanträge auf Fristen des Prozessrechts muss als allgemeines Schutzprinzip über § 73 Abs 2 (Fristen zur Klagebeantwortung, zum Einspruch und zum Widerspruch) und § 464 Abs 3 (Berufungsfrist) iVm §§ 550 Abs 2, 559 (Einwendungen gegen den Zahlungsauftrag im Mandats- und Wechselmandatsverfahren und im Bestandverfahren), 468 Abs 3 (Berufungsbeantwortung), 505 Abs 2 (Revision), 507 Abs 2 (Revisionsbeantwortung), 521 Abs 3 (Rekurs) und 521a Abs 1 (Rekursbeantwortung) sowie § 85 Abs 3 (Verbesserungshandlung) hinaus auf alle Prozesshandlungen ausgedehnt werden, die einer Notfrist unterliegen, insb also Wiedereinsetzung (Fasching Rz 499; OLG Wien 15 R 233/00w = WR 914; LGZ Wien EFSlg 105.724), Nichtigkeits- und Wiederaufnahmeklage (Fasching Rz 499), ohne Besorgnis der Rangverschiebung auch für Rekursfrist in Grundbuchsverfahren (5 Ob 249/02g = SZ 2002/174), nicht aber auf materiellrechtliche Fristen (Besitzstörungsklage: LGZ Wien WR 207; zur Verjährung KG Wr. Neustadt ZAS 1981, 41; aber auch SZ 60/286 = JBl 1988, 527 = AnwBl 1988, 637 [zust Arnold] = RZ 1988/26, wo ein Verfahrenshilfeantrag in einer Amtshaftungssache bereits als Klage iSd § 1497 ABGB gewertet wurde). 598

§ 73

1.1 Parteien

Vor Fristbeginn gestellte Anträge unterbrechen diese gleichfalls (3 Ob 130/05x = EFSlg 112.053). Nach Ablauf der Frist gestellte beseitigen die Rechtskraftwirkung nicht (auch nicht nach Bewilligung [5 Ob 116/05b = EFSlg 112.051]). Mangels Erfüllung von Verbesserungsaufträgen ist der Antrag abzuweisen (3 Ob 130/05x = EFSlg 112.052; eine Zurückweisung ist in eine Abweisung umzudeuten). Abs 3 stellt klar (ErlRV 40), dass dieselbe Frist nur einmal durch einen 3 Verfahrenshilfeantrag unterbrochen werden kann (so schon RZ 1987/9; OLG Wien WR 759), was für Anträge mit Neuerungen auch normativen, sonst aber, sind doch auch abweisende Beschlüsse der Rechtskraft fähig (vgl M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 65 Rz 6), bloß klarstellenden Inhalt hat.

599

Zweiter Abschnitt Verfahren Erster Titel Schriftsätze Vor § 74 Lit: Holzer, „Parteienverkehr nur Dienstag und Freitag?“ AnwN 1958, 128; M. Walter, Gerichtliche Eingaben im telegraphischen Wege, ÖJZ 1963, 377; Wünsch, Zur Behandlung fehlerhafter Schriftsätze, JBl 1964, 118; Hule, Nochmals: Fehlerhafte Schriftsätze, ÖJZ 1964, 480, 507; M. Walter, Telegramm und Fernschreiben im gerichtlichen Verfahren, ÖJZ 1967, 617; Würth, Fehlerhafte Schriftsätze, JBl 1964, 583; Hagen, Die Vorbereitung der Streitverhandlung, JBl 1970, 120; Vollkommer, Formstrenge und prozessuale Billigkeit (1973); Stölzle, Die telegraphische Eingabe im zivilgerichtlichen Verfahren, AnwBl 1974, 443; ders, Ist in einer Klage gegen eine Handelsgesellschaft die Anführung ihrer vertretungsberechtigten Organe notwendig? AnwBl 1978, 505; Mayr, JBl 1981, 489 (Entscheidungsbesprechung); Feil, Der Gebrauch moderner Bürotechnik im Rechtsalltag, GesRZ 1978, 66; Buchegger, Der Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung, ÖJZ 1983, 645; Gitschthaler, Der Amtstag – Gesetz und Praxis, RZ 1984, 168; KunzSchmidt, Das Unterschriftserfordernis für bestimmende Schriftsätze im Zivilprozess (1985); Mayr, Zur Verbesserbarkeit des Fehlens von Beilagen, BeitrZPR II (1986) 151; Klötzl, Gesetz- und Verfassungswidrigkeiten im automationsunterstützten Mahnverfahren, ÖJZ 1986, 433; Bosina/Schneider, Das neue Mahnverfahren (1987); Ballon, Die Rechtsprechung in Zuständigkeitsfragen, FS Fasching (1988) 55; Grill, AnwBl 1988, 109 (Entscheidungsbesprechung); Benn-Ibler, Die Einführung des automationsunterstützten Datenaustausches mit den Gerichten – eine Chance für die Anwaltschaft, AnwBl 1989, 59; Schneider, Elektronischer Rechtsverkehr auf Grund der Erweiterten Wertgrenzen-Novelle 1989, AnwBl 1989, 451; ders, „Netzwerk Justiz“, Elektronischer Rechtsverkehr im Justizbereich, EDVuR 1989, 110; ohne Autor, ADVMahnklage: Wie funktioniert das?, EDVuR 1989, 114; ohne Autor, Neues vom elektronischen Rechtsverkehr, AnwBl 1989, 670; Bosina, Die neuen Verordnungen zum elektronischen Rechtsverkehr, RPfl 1989, 2, 1; Fasching, Die Form der Schiedsvereinbarung, ÖJZ 1989, 289; Bosina/Schneider, Die elektronische Klage (1990); Schneider, Elektro600

Vor § 74

1.2 Verfahren

nischer Rechtsverkehr – Missverständnisse in der Anwaltschaft? AnwBl 1990, 539; Souhrada, Amtshilfe an Gerichte, SozSi 1990, 428; Rummel, Telefax und Schriftform, FS Ostheim (1990) 211; Reckenzaun, Gerichtsjahr: Erster Einsatz – Amtstag, JAP 1990/91, 130; Swoboda, Zustellung von Beilagen im Provisorialverfahren, ÖJZ 1990, 176; Wilhelm, Telefax: Zugang, Übermittlungsfehler und Formfragen, ecolex 1990, 208; Connert/Schwamberger, Verfahrensrecht und Telekommunikation, EDVuR 1991, 184; Fasching, Die Bedeutung des Gleichheitssatzes für das zivilgerichtliche Verfahren, FG (1993) 3; Gitschthaler, JBl 1993, 732 (Entscheidungsbesprechung); Kreimel, Der Kaufmann; Tatsache und/oder Rechtsbegriff?, WR 1993/30, 13; Ciresa/Widerin/L. Hofmeister, „Amtstag real“, AnwBl 1994, 415; Mohr, Vereinfachtes Bewilligungsverfahren und andere am 1.10.1995 in Kraft getretene Bestimmungen der EO-Nov 1995, ÖJZ 1995, 889; O. Oberhammer, Das neue Firmenbuch – Meilenstein der Erneuerung des Justizbetriebs, AnwBl 1995, 7; Hule/Heinke, Schriftsätze im Zivilprozeß5 (1997); P. Oberhammer, wobl 1998, 185 (Entscheidungsbesprechung); E. Schneider, Über gekrümmte Linien, Bogen, Striche, Haken und Unterschriften, NJW 1998, 1844; Weninger, FinanzOnline im Echtbetrieb: Elektronisches Anbringen – elektronische Akteneinsicht – elektronische Erledigungen, ÖStZ 1998, 162; Schneider/Frank/Kirschbichler/Moravec/ P. Roth, Der Elektronische Rechtsverkehr mit den Gerichten – ERV (1999); Rainer, Die Benutzung von E-Mail gemäß § 112 ZPO, AnwBl 1999, 783; Thiele, Die Benutzung von E-Mail zur Klientenkommunikation, AnwBl 1999, 634; Sykora, e-mail – Ein neues Medium im rechtsgeschäftlichen Verkehr, AnwBl 1999, 540; Thiele, Form- und Fristwahrung durch elektronische Übermittlung einer Textdatei? MR 1999, 7; Kolonovits, Sprachenrecht in Österreich (1999); Vollkommer, Formzwang und Formzweck im Prozessrecht, FS Hagen (1999) 49; Schumacher, Sichere Signaturen im Beweisrecht, ecolex 2000, 860; Thiele, Deutsche Gerichte gestatten Eingaben per Computerfax, MR 2000, 281; Popp, Die neue „Zustellung“ zwischen Rechtsanwälten im Zivilprozess, RdW 2000/501, 523; Kneihs, Wann ist eine per Telefax eingebrachte Berufung rechtzeitig? ZfV 2000, 2033; Gruber, Elektronische Übermittlung der Jahresabschlüsse an das Firmenbuchgericht, wbl 2001, 159; Konecny, Schriftsatzrecht und Kommunikationsmittel. Oder: Von Feder-, Blei- und Tintenstift zum elektronischen Rechtsverkehr, FS Sprung (2001) 217; Heinemann, Neubestimmung der prozessualen Schriftform (2002); Iqbal, Bericht über die Diskussion zum Thema „Der Zivilprozeß und neue Formen der Informationstechnik“, ZZP 2002, 491; G. Kodek, Der Zivilprozeß und neue Formen der Informationstechnik, ZZP 2002, 445; Stadler, Der Zivilprozess und neue Formen der Kommunikationstechnik, ZZP 2002, 413; Konecny, Schriftsatzrecht 601

Vor § 74

Gitschthaler

und Kommunikationsmittel, FS Sprung (2002) 217; Mohr, Insolvenzrecht 2002 (2002); Fellner, IT-Netzwerke Justiz, FS Weißmann (2003) 207; Hule/Heinke, Schriftsätze im Exekutions- und Sicherungsverfahren (2003); IT-LAW (Hrsg), e-Mail, elektronische Post im Recht (2003); Rechberger, Rechtsschutz und Verfahrensgarantien im Zivilverfahren, in Schoibl (Hrsg), Rechtsschutz und Verfahrensgarantien (2003) 13; Starl, Der elektronische Rechtsverkehr (2003); Mahrer, Zulässigkeit von „leeren“ Klagebeantwortungen, AnwBl 2004, 336; Dohr/Pollirer/ Weiss, E-Government-Gesetz (2004); Sander, Das neue Zustellrecht im Verwaltungsverfahren, ZfV 2004/608. Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 74; Ballon Rz 152; Fasching Rz 508; Feil/Kroisenbrunner 292; Holzhammer 154; Rechberger/Simotta Rz 310.

1 Parteiprozesshandlungen sind Willensbetätigungen der Parteien zur Gestaltung des Verfahrens (Rechberger/Simotta Rz 448; vgl dort [Rz 449 ff] auch Näheres zu ihrer Einteilung und zu den Handlungsvoraussetzungen; vgl auch Ballon Rz 143) und unterstehen in ihren Voraussetzungen, ihren Formgeboten, ihrem Zweck und ihrem Inhalt sowie in ihrer Wirkung ausschließlich dem Verfahrensrecht, niemals aber dem Privatrecht (6 Ob 658/79; LGZ Wien EFSlg 105.725); zu den doppelfunktionellen Parteiprozesshandlungen vgl Rechberger/Simotta Rz 456 ff. Da das Verfahrensrecht aber keine stillschweigenden Parteihandlungen kennt (SZ 40/85 = EvBl 1968/113, EvBl 1975/50, SZ 66/ 178, 1 Ob 139/97s, 8 ObA 247/97z, 7 Ob 291/00w) – es gibt daher auch weder eine schlüssige Antragsrückziehung (SZ 40/85, EvBl 1975/50) noch einen schlüssigen Rechtsmittelverzicht (SZ 24/29, 8 Ob 261/67, 1 Ob 2079/96h) –, müssen sie grundsätzlich entweder schriftlich (§§ 74 ff) oder zu Protokoll (§§ 207 ff) erklärt werden. Wurden Parteihandlungen wirksam vorgenommen, sind sie dann unwiderruflich, wenn sie bereits entweder zum Gegenstand einer Entscheidung gemacht wurden (Rechberger/Simotta Rz 455; vgl auch 5 Ob 556/93) oder der Gegner Rechte daraus erworben hat (Fasching Rz 763; Holzhammer 152; ders, PraktZPR 233; Ballon Rz 143; RZ 1990/14). Unwiderruflich sind somit insb Außerstreitstellungen (OLG Linz 2 R 144/97b; vgl Näheres auch bei §§ 266, 267), ein Rechtsmittelverzicht (EvBl 1963/386, 6 Ob 182/98b, 9 Ob 140/00d), ein Anerkenntnis (SZ 25/234, EvBl 1957/192, SZ 59/30 = EvBl 1987/10, 9 ObA 205/98g; Holzhammer, PraktZPR 233; aA [bis zur Anerkenntnisurteilsfällung ist ein Widerruf möglich] Ballon Rz 143, 274; Rechberger/Simotta Rz 455, 477; JBl 1992, 805, immolex 1997/144) oder ein Anspruchsverzicht (aA [bis zur Verzichtsurteilsfällung ist ein Widerruf möglich] Ballon Rz 143, 274; Rechberger/Simotta Rz 455, 476). 602

Vor § 74

1.2 Verfahren

Trotz des Mündlichkeits- und des Unmittelbarkeitsgrundsatzes 2 (Entscheidungsgrundlage sind nur die in der Verhandlung durch die Parteien mündlich vorgetragenen Anträge und Tatsachenbehauptungen [Fasching1 II 525; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 74 Rz 1]) lässt die ZPO aus Zweckmäßigkeitsgründen dennoch schriftliche Eingaben zu. Schriftsätze sind dabei an das Gericht adressierte schriftliche Prozesshandlungen insb der Parteien und Nebenintervenienten (Ballon Rz 152), welche Anträge, Gesuche oder Mitteilungen (vgl § 74) enthalten (Rechberger/Simotta Rz 310). Es können aber auch alle anderen Prozessbeteiligten Schriftsätze einbringen, also etwa Zeugen oder Sachverständige (Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 74 Rz 7). Man unterscheidet grundsätzlich folgende Schriftsätze (vgl Holzhammer 154; Fasching Rz 508; Ballon Rz 153; Rechberger/Simotta Rz 311 ff; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 74 Rz 8): a) Bestimmende Schriftsätze, welche nur Sachanträge enthalten, wie etwa ein Rekurs. b) Vorbereitende Schriftsätze gemäß § 78, die der Vorbereitung einer mündlichen Verhandlung dienen und sich somit auf den Prozessstoff beziehen. c) Gemischte Schriftsätze, die sowohl Sachanträge enthalten als auch der Vorbereitung einer Verhandlung dienen, wie etwa die Klage oder eine Berufung, wenn eine mündliche Berufungsverhandlung beantragt wird. d) Einfache Schriftsätze, die Mitteilungen, etwa eine Adressenbekanntgabe, enthalten oder der Urkundenvorlage dienen. Bedingt durch den rapiden Fortschritt der Informationstechnologie 3 wird heute begrifflich zwischen „alter“ (Schriftsätze, Telegramme) und „neuer“ (Telex, Telefax, Computerfax, elektronischer Rechtsverkehr, E-Mail uä) Schriftlichkeit unterschieden (vgl Konecny in Fasching/ Konecny II/2 § 74 Rz 3). Dabei stellen die („alten“) Regelungen über schriftliche Eingaben im telegrafischen Weg (s § 74 Rz 5) für den österreichischen Rechtsbereich eine Analogiebasis auch für die „neuen“ Medien dar. Wesentlichstes Problem dabei ist die Bedeutung der Unterschrift (vgl § 75 Rz 6). Dieses Formerfordernis steht idR einer weitergehenden Rationalisierung im Wege: so sind zwar Telefaxeingaben zulässig (§ 74 Rz 7), müssen aber einem Verbesserungsverfahren unterzogen werden, um eine Originalunterschrift aufzuweisen, was jedenfalls zu Zeitverzögerungen führt. Ein erster diesbezüglicher Fortschritt wurde im Bereich des Zivilverfahrensrechts allerdings beim elektronischen Rechtsverkehr gemacht (vgl § 74 Rz 11); zu weitergehenden Überlegungen s bei Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 74 Rz 3, 4 mwN. Auch die grundsätzlichen Regelungen des E-GovG über die „Bürgerkarte“ zur 603

§ 74

Gitschthaler

Förderung rechtserheblicher elektronischer Kommunikation zwischen Bürgern und Behörden sind zu begrüßen, betreffen aber derzeit lediglich das Verwaltungsverfahren und das Zustellwesen.

4 Die Vorschriften über die Schriftsätze gelten grundsätzlich für den gesamten Bereich des zivilgerichtlichen Verfahrens (Konecny in Fasching/ Konecny II/2 § 74 Rz 6), also etwa gemäß § 78 EO in exekutionsrechtlichen Verfahren (OLG Wien EFSlg 44.212) einschließlich der Sicherungsverfahren (Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 74 Rz 6), gemäß § 10 AußStrG in sämtlichen Verfahren außer Streitsachen sowie gemäß § 171 KO, § 76 AO in Insolvenzverfahren.

§ 74. Die eine Streitsache betreffenden, außerhalb der mündlichen Verhandlung vorzubringenden Anträge, Gesuche oder Mitteilungen erfolgen, soweit das Gesetz nicht ein Anbringen zu Protokoll gestattet, mittels Schriftsätzen. [Stammfassung] Lit: Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 74; Fasching Rz 508/1; Feil/ Kroisenbrunner 292; Rechberger/Simotta Rz 317. Inhaltsübersicht Parteiprozesshandlungen Schriftsätze/Protokolle Telegrafische Eingaben Telekopie (Telefax)

1 2–4 5–6 7–10

Elektronische Eingaben 11–14 E-mail-Verkehr 15 Telefonisches Anbringen 16

1 Zu Parteiprozesshandlungen, also zu Prozesshandlungen der Parteien im Allgemeinen vgl Vor § 74 Rz 1. Diese müssen auf folgende Art und Weise vorgenommen werden:

2 Eingaben mittels Schriftsatzes oder zu Protokoll. Während die Überreichung von Schriftsätzen anlässlich einer mündlichen Verhandlung unzulässig ist, sind Anträge, Gesuche und Mitteilungen außerhalb der mündlichen Verhandlung grundsätzlich mittels Schriftsätzen vorzunehmen, es sei denn das Gesetz gestattet ausdrücklich protokollarisches Anbringen wie etwa in § 22 Abs 1 JN, § 64 Abs 1 Z 4, § 65 Abs 1, § 72 Abs 3, § 162 Abs 2, § 286 Abs 2, § 323 Abs 1, §§ 348, 355 Abs 2, § 384 Abs 3, § 434, § 465 Abs 2, § 468 Abs 2, § 520 Abs 1 ZPO oder § 90 Abs 2 GOG (zu den Protokollen vgl Näheres bei §§ 207 ff). 604

§ 74

1.2 Verfahren

Die nähere technische Beschaffenheit von Schriftsätzen regelt § 58 3 Geo hinsichtlich der zu verwendenden Papiergröße und Schreibmaterialien sowie der textlichen Gestaltung der Schriftstücke usw (vgl LG Innsbruck AnwBl 1988, 107 [abl Grill]; Danzl § 58 Geo Anm 1; nunmehr ausführlich auch Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 74 Rz 13– 19). Verfügt die Partei über eine gut leserliche Handschrift mit gleichmäßigem Schriftbild und hält sie entsprechende Zeilenabstände ein, schreibt also nicht engzeilig und damit unübersichtlich und schwer lesbar, sind auch handschriftliche Eingaben zulässig (LG Salzburg 21 R 465/02f; Danzl § 58 Geo Anm 8). Bei Eingaben an Gerichte in Verfahren, die mittels automationsunterstützter Datenverarbeitung durchzuführen sind (Mahn- und Exekutionsverfahren), haben die Parteien die Besonderheiten der ADV-Form Verordnung – AFV 2002 BGBl II 2002/510 idF BGBl II 2003/506 zu beachten (Konecny in Fasching/ Konecny II/2 § 74 Rz 19). Schriftsätze sind grundsätzlich bei der Einlaufstelle des angerufenen 4 Gerichts (und nicht etwa beim zuständigen Richter selbst [§ 99 Abs 1 Geo] oder in der Geschäftsstelle) zu überreichen. Sie können auch auf dem Postweg übermittelt werden (§ 89 Abs 1 GOG; vgl auch bei §§ 124–126). Erst ihr Einlangen bei der Einlaufstelle bewirkt jedoch Gerichtsanhängigkeit (SZ 45/110, VersRdSch 1974, 99, SZ 56/157 = JBl 1985, 49 [König], SZ 60/35 = RdW 1987, 260, SZ 66/80, 2 Ob 86/99g, 1 Ob 112/00b). Dort sind sämtliche Schriftstücke durch einen deutlichen Stampiglienaufdruck mit einem Eingangsvermerk zu versehen (§ 102 Abs 1 Geo). Dies gilt auch dann, wenn das Schriftstück bei einem nicht angerufenen Gericht einlangt; erst danach darf der Irrläufer an das angerufene Gericht abgegeben werden (1 Ob 112/00b). Der Eingangsvermerk hat Tag, Monat und Jahr des Einlangens zu enthalten, die Uhrzeit jedoch nur bei Grundbuchs- und bei als dringlich bezeichneten sonstigen Eingaben (2 Ob 86/99g). Der Briefumschlag jeder Eingabe, deren Postaufgabedatum von Wichtigkeit sein könnte, ist dieser anzufügen (§ 108 Geo). Das Datum des Poststempels bzw des Freistempelaufdrucks ist auf sämtlichen Eingaben festzuhalten, wenn in einem Briefumschlag mehrere Schriftstücke enthalten waren (§ 107 Geo). Der Eingangsvermerk des Erstgerichts gilt als öffentliche Urkunde und ist daher mit besonderer Beweiskraft ausgestattet. Allerdings kann der Gegenbeweis iS des § 292 Abs 2 ZPO angetreten werden (5 Ob 133/02y), insb wenn bereits aktenkundige Bedenken bestehen (9 ObA 11/03p). Telegrafische Eingaben. Die in § 89 Abs 3 GOG, § 60 Geo vorgese- 5 henen telegrafischen Eingaben sind praktisch nicht mehr relevant; die 605

§ 74

Gitschthaler

Telekom Austria hat jedenfalls mit Ende 2005 den inländischen Telegrammdienst eingestellt. Unter telegrafischen Eingaben versteht man Telegramme und Fernschreiben (Telex; idS wohl auch Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 74 Rz 27). Anhang: Bestimmungen des Gerichtsorganisationsgesetzes (GOG) und der Geschäftsordnung für die Gerichte I. und II. Instanz (Geo): § 89 GOG (3) Schriftliche Eingaben an das Gericht können auch im telegraphischen Wege erfolgen; insbesondere kann die Erhebung der Berufung, Revision oder des Rekurses telegraphisch geschehen. Die näheren Vorschriften über die geschäftliche Behandlung solcher Depeschen sind im Verordnungswege zu erlassen. § 60 Geo Telegraphische Eingaben (§ 89 GOG) müssen in der sonst für Eingaben vorgeschriebenen Form mit Schriftsatz wiederholt werden, worin die telegraphische Eingabe bestätigt, allenfalls ergänzt wird; insbesondere kann dem Erfordernisse der Unterschrift durch die nachträgliche schriftliche Erklärung, mit dem Inhalte des Telegramms einverstanden zu sein, genügt werden. Vor Einlangen dieses Schriftsatzes dürfen Beschlüsse, die die Rechte anderer Parteien berühren, nicht erlassen werden.

6 Zwar können auch befristete Eingaben (etwa Rechtsmittel, aber auch Vergleichswiderrufe [2 Ob 238/68, 6 Ob 1697/93, 9 ObA 23/96 = ecolex 1996, 699]) auf telegrafischem Weg überreicht werden, wegen des Fehlens der Unterschrift des Einschreiters sind sie jedoch einem befristeten (SZ 50/41 = JBl 1977, 496, JBl 1981, 489 [Mayr], 8 Ob 553/90; Ballon Rz 157) Verbesserungsverfahren (s bei §§ 84, 85) zu unterziehen (vgl VfGH VfSlg 2664; BGBl 1954/95; SZ 47/35 = JBl 1974, 433 [verst Senat], 7 Ob 511/90; Ballon Rz 157; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 126 Rz 26). Dies ist nur dann nicht erforderlich, wenn die Eingabe den zwingenden Inhaltserfordernissen (etwa eines Rechtsmittels) überhaupt nicht genügt (JBl 1981, 489 [zust Mayr]; Gitschthaler, JBl 1993, 732). Die Überreichung des Verbesserungsschriftsatzes ist auch vor Erteilung des Verbesserungsauftrags zulässig (JBl 1993, 732 [zust Gitschthaler]). Maßgeblich für die Fristenwahrung ist der Zeitpunkt der Aufgabe des Telegramms bzw des Fernschreibens (Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 126 Rz 26). Näheres s Konecny in Fasching/ Konecny II/2 § 74 Rz 23–27.

7 Eingaben mittels Telekopierers (Telefax, Fax). Diese – dies gilt auch für Klagen (1 Ob 41/99g = SZ 72/75 = JBl 1999, 661), Rechtsmittel (5 Ob 606

§ 74

1.2 Verfahren

288/01s) und Vergleichswiderrufe (vgl §§ 204, 206 Rz 19) – sind nach nunmehr hM (vgl die Nachweise bei Konecny in Fasching/Konecny § 74 Rz 28; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 85) in analoger Anwendung von § 89 Abs 3 GOG (allenfalls § 13 AVG, § 86a BAO [vgl dazu Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 74 Rz 30]) und e contrario § 5 Abs 1 Satz 2 ERV als zulässig anzusehen (zur Einschränkung im Bereich des elektronischen Rechtsverkehrs s Rz 14). Sie sind auch fristenwahrend, wobei Voraussetzung das Einlangen des Telefax (am Empfangsgerät [5 Ob 154/02m, 8 Ob 85/04i; OLG Wien 4 R 164/00t; OLG Linz 2 R 51/04i; LG Salzburg 21 R 179/02y]) bei Gericht vor 24 Uhr des letzten Tages der Frist (7 Ob 94/04f = EvBl 2004/205; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 74 Rz 37 mwN) ist, ohne dass es jedoch einer (physischen) Übernahme des Telefax durch die Einlaufstelle des Gerichts bedürfte (vgl dazu ausführlich Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 74 Rz 37; OLG Wien ARD 4594/13/94; OLG Linz 2 R 51/04i); das Schriftstück wird automatisch mit einem dem Eingangsvermerk gemäß § 102 Geo entsprechenden Vermerk versehen (7 Ob 94/04f = EvBl 2004/205). Das Risiko von Einbringungsfehlern, technischen Gebrechen und der Belegung des Empfangsgeräts zum Übersendungszeitpunkt trägt der Einreicher (vgl dazu ausführlich Konecny in Fasching/ Konecny II/2 § 74 Rz 38–39 mwN; OLG Linz 2 R 51/04i; 7 Ob 94/04f = EvBl 2004/205). Dies gilt auch für das Risiko, dass das Telefax infolge Abschaltung des Empfangsgeräts zum Übersendungszeit erst nach Ablauf der Frist (oder vielleicht auch gar nicht mehr, weil es zu keiner Speicherung infolge Erschöpfung der Kapazitäten kommt) empfangen wird, wird doch in diesem Fall das Telefax erst mit einem Eingangsvermerk (§ 102 Geo) vom nächsten Tag versehen (OLG Linz 2 R 51/04i; vgl auch Kneihs, ZfV 2000, 2033 FN 9). Jene Partei, die einen Schriftsatz mittels Telefax an das Gericht abgesendet hat, hat sich demnach jedenfalls zu vergewissern, dass die Übertragung erfolgreich durchgeführt worden ist, weil sie die Gefahr des Verlusts bis zum Einlangen bei Gericht trifft (OLG Linz 2 R 51/04i; vgl auch VwGH Zl 95/21/1246, 97/07/0179). Die erfolgreiche Übertragung kann sie mit Hilfe des von ihr zu erstellenden Sendeberichts ihres Faxgeräts bescheinigen. Der Telefaxschriftsatz muss durch Beibringung einer gleichlautenden 8 und mit eigenhändiger Unterschrift des Einschreiters versehenen Ablichtung verbessert werden, weil die auf dem Telefax aufscheinende – fernkopierte – Unterschrift dem § 75 Z 3 nicht entspricht (SZ 65/162 = JBl 1993, 732 [zust Gitschthaler], JBl 1994, 119 [abl Rummel] = wobl 1994, 70 [Würth] = ecolex 1994, 159 [Wilhelm], 3 Ob 2194/96k, 2 Ob 607

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Gitschthaler

285/97v, 5 Ob 288/01s ua; LG Salzburg EFSlg 98.172, 101.905; LG Krems MietSlg 53.733 [Besitzstörungsklage]; Wilhelm, ecolex 1990, 208; Iro, RdW 1993, 2; Gitschthaler, JBl 1993, 732; zuletzt Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 74 Rz 34; aA zwar nicht zur Frage der Zulässigkeit von Eingaben mittels Telefax, wohl aber zur Frage der Notwendigkeit einer Originalunterschrift Rummel, FS Ostheim 211; ders, JBl 1994, 119 [Entscheidungsanmerkung]; jüngst wieder Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 126 Rz 27 [ein Fax mit Unterschriftfaksimile ist als „unterschrieben“ anzusehen]). Auch die (ohne Verbesserungsauftrag) übermittelte unterfertigte Eingabe ist als Verbesserung des nur in Telefaxform eingebrachten Schriftsatzes zu werten (3 Ob 98/03p, 8 Ob 1/04m). Außerdem kann die Originalunterschrift auch auf dem Telefaxschriftsatz nachgetragen werden (LGZ Wien EFSlg 46.620, 44 R 376/ 01x; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 85; unklar Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 74 Rz 25, 35) bzw kann die Partei nachträglich erklären, mit dem Inhalt der Telefax-Eingabe einverstanden zu sein (LG Salzburg EFSlg 98.173); Letzteres aber wohl nur schriftlich (vgl LG Salzburg 21 R 53/02v).

9 Liegt der Originalschriftsatz nicht vor und wurde die Unterschrift auch nicht auf der Telefaxeingabe original nachgetragen – es macht keinen Unterschied, ob die Verbesserung (innerhalb angemessener Frist) aus eigenem Antrieb der Partei oder auf Grund eines gerichtlichen Auftrags erfolgte (1 Ob 153/02k) -, ist ein Verbesserungsverfahren – unter Fristsetzung – einzuleiten (Gitschthaler, JBl 1993, 732; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 74 Rz 34, 35; 1 Ob 41/99g = SZ 72/75 = JBl 1999, 661; 5 Ob 288/01s, 1 Ob 153/02k, 3 Ob 98/03p). Die Auffassung (LGZ Wien EFSlg 67.597), bei Übermittlung eines Schriftsatzes aus dem Ausland mittels Telekopierers bedürfe es keines Bestätigungsschriftsatzes, wenn aufgrund eines Unterschriftenvergleichs mit einer bereits im Akt erliegenden Originalunterschrift Bedenken in Richtung einer Fälschung nicht bestehen (vgl auch RZ 1995/26), mag praxisorientiert sein. Sie übersieht aber, dass es nicht um die Frage geht, ob die Unterschrift echt ist, sondern ob sie vom Unterschriftenverfasser auch tatsächlich auf dieses Schriftstück gesetzt wurde (idS nunmehr auch Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 74 Rz 34). Im Hinblick auf den Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels auch bei Verbesserung (s dazu bei §§ 84, 85) ist der Austausch eines mittels Telekopierers eingebrachten Rechtsmittelschriftsatzes, der zur Verbesserung zurückgestellt worden war, durch einen anderen Rechtsmittelschriftsatz innerhalb der Verbesserungsfrist unzulässig (Gitschthaler, JBl 1993, 732; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 85; ebenso wohl Danzl § 60 Geo Anm 1b). 608

§ 74

1.2 Verfahren

Diese Regelungen (Rz 7–9) gelten sowohl für herkömmliche Faxgeräte 10 als auch für das Computerfax, bei dem eine Datei direkt auf ein Faxgerät des Gerichts übermittelt wird; § 5 Abs 1 Satz 2 ERV steht dem nicht entgegen, weil es sich nicht um elektronischen Rechtsverkehr handelt (vgl dazu Näheres bei Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 74 Rz 31). Elektronisch eingebrachte Eingaben. Aufgrund der durch die WGN 11 1989 eingefügten §§ 89a ff (vgl Rz 12) sind auch elektronische Eingaben möglich. Die Einzelheiten, auch der technischen Ausgestaltung des elektronischen Rechtsverkehrs, bestimmt die VO des BMfJ BGBl II 481/2005 (vgl Rz 13). Der Vorteil des elektronischen Rechtsverkehrs liegt für die Gerichte darin, dass sofort mittels automationsunterstützter Datenverarbeitung bearbeitbare formatierte Daten zur Verfügung stehen (Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 74 Rz 40). Verstärkte praktische Bedeutung kommt dem elektronischen Rechtsverkehr aufgrund der Ausdehnung des Mahnverfahrens (vgl bei § 244) durch die ZVN 2002 und in Exekutionssachen zu (§ 54a EO), aber auch in Insolvenzverfahren wegen der Möglichkeit der elektronischen Forderungsanmeldung durch § 104 KO idF InsNov 2002 (Mohr, Insolvenzrecht 2002, 80; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 74 Rz 6). Zur Speicherung von (Grundbuchs-)Urkunden in einer Urkundendatenbank anstelle der bisherigen Urkundensammlung nach § 1 GBG vgl nunmehr BGBl I 94/ 2003. Anhang 1: Bestimmungen des Gerichtsorganisationsgesetzes (GOG): 12 § 89a GOG (1) Eingaben können, soweit dies durch eine Regelung nach § 89b vorgesehen ist, statt mittels eines Schriftstücks elektronisch angebracht werden. (2) Anstelle schriftlicher Ausfertigungen gerichtlicher Erledigungen sowie anstelle von Gleichschriften und Rubriken von Eingaben, die elektronisch angebracht worden sind, kann das Gericht die darin enthaltenen Daten an Einschreiter, die Eingaben elektronisch anbringen (Abs 1), auch elektronisch übermitteln. § 89b GOG (1) Der Bundesminister für Justiz hat nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten sowie unter Bedachtnahme auf eine einfache und sparsame Verwaltung und eine Sicherung vor Mißbrauch 1. die Eingaben zu bestimmen, die elektronisch angebracht werden dürfen, 609

§ 74

Gitschthaler

2. die gerichtlichen Erledigungen zu bestimmen, deren Inhalt anstatt in der Form schriftlicher Ausfertigungen elektronisch übermittelt werden darf. (2) Die nähere Vorgangsweise bei diesen elektronischen Übermittlungen ist durch Verordnung des Bundesministers für Justiz zu regeln. In der Regelung kann vorgeschrieben werden, dass sich der Einbringer einer Übermittlungsstelle zu bedienen hat. § 89c GOG (1) Für elektronische Eingaben gelten die Bestimmungen über den Inhalt schriftlicher Eingaben; sie bedürfen weder einer Unterschrift, noch der Gleichschriften und Rubriken. Soweit Gleichschriften und Rubriken einer Eingabe benötigt werden, hat das Gericht Ausdrucke herzustellen. Beilagen der elektronischen Eingabe, die nicht im Original vorgelegt werden müssen, dürfen elektronisch übermittelt werden, wenn die technischen Voraussetzungen dafür bei Gericht gegeben sind; in den anderen Fällen sind die sonstigen Bestimmungen über Beilagen anzuwenden. (2) Für elektronisch übermittelte gerichtliche Erledigungen gelten die Bestimmungen über den Inhalt schriftlicher Ausfertigungen gerichtlicher Erledigungen; sie bedürfen weder einer Unterschrift noch einer Beglaubigung. Der Name des Richters oder Rechtspflegers, der die Entscheidung getroffen hat, ist anzuführen. § 89d GOG (1) Elektronische Eingaben (§ 89a Abs 1) gelten als bei Gericht angebracht, wenn ihre Daten zur Gänze bei der Bundesrechenzentrum GmbH eingelangt sind. Ist vorgesehen, dass die Eingaben über eine Übermittlungsstelle zu leiten sind (§ 89b Abs 2), und sind sie auf diesem Weg bei der Bundesrechenzentrum GmbH tatsächlich zur Gänze eingelangt, so gelten sie als bei Gericht mit demjenigen Zeitpunkt angebracht, an dem die Übermittlungsstelle dem Einbringer rückgemeldet hatte, dass sie die Daten der Eingabe zur Weiterleitung an die Bundesrechenzentrum GmbH übernommen hat. (2) Elektronisch übermittelte gerichtliche Erledigungen und Eingaben (§ 89a Abs 2) gelten als zugestellt, sobald ihre Daten in den elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers gelangt sind.

13 Anhang 2: Verordnung der Bundesministerin für Justiz über den elektronischen Rechtsverkehr BGBl II Nr 481/2005 (ERV 2006): 610

§ 74

1.2 Verfahren

§1 Zulässigkeit des elektronischen Rechtsverkehrs (1) Eingaben und Beilagen können nach Maßgabe von § 5 bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften elektronisch eingebracht werden, im Grundbuch- und Firmenbuchverfahren jedoch nur, soweit dies für Firmenbucheingaben in § 9 und Beilagen in § 10 vorgesehen wird. (2) Eine zur Verbesserung (§§ 84, 85 ZPO) zurückgestellte Eingabe kann nicht neuerlich elektronisch eingebracht werden. Die zur Verbesserung einer dazu zurückgestellten Eingabe erforderlichen Erklärungen können jedoch elektronisch eingebracht werden. (3) Erledigungen und Beilagen können nach Maßgabe von § 5 an Einbringer, sofern sie vom elektronischen Rechtsverkehr Gebrauch machen, elektronisch zugestellt werden. Unbeschadet der Wirksamkeit der elektronischen Zustellung ist auf Antrag im Einzelfall die Erledigung auch schriftlich auf Papier auszufertigen. (4) In der Zeit zwischen 16.00 Uhr und 24.00 Uhr sowie an Samstagen, Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen ist eine elektronische Zustellung nicht zulässig. (5) Erledigungen, die zu eigenen Handen zuzustellen sind, sind ebenso wie der Beschluss, mit dem eine Anmerkung der Rangordnung bewilligt wird (§ 54 GBG), von der elektronischen Zustellung ausgenommen. (6) Die in dieser Verordnung verwendeten personenbezogenen Ausdrücke umfassen Frauen und Männer gleichermaßen. §2 IT-Verfahren (1) Die elektronische Übermittlung von Eingaben und Erledigungen geschieht durch automationsunterstützte, strukturierte Datenübertragung im Textformat. (2) Die Daten in Eingaben und Erledigungen sowie Beilagen sind so zu übermitteln, dass sie grundsätzlich vom Empfänger elektronisch weiterverarbeitet werden können. §3 (1) Der Einbringer einer elektronischen Eingabe hat sich einer Übermittlungsstelle zu bedienen. Die Übermittlungsstellen sind von der Bundesministerin für Justiz auf der Internethomepage der Justiz bekannt zu machen. (2) Die Bundesministerin für Justiz kann, soweit dies auf Grund der technischen Möglichkeiten zweckmäßig ist oder einer 611

§ 74

Gitschthaler

einfacheren und sparsameren Verwaltung dient, anordnen, dass bestimmte Eingaben und Erledigungen unmittelbar im Wege der Bundesrechenzentrum GmbH zu übermitteln sind (Direktverkehr). Diesfalls treffen die Bundesrechenzentrum GmbH die Pflichten der Übermittlungsstelle. (3) Für die Anordnung des Direktverkehrs (Abs 2) ist überdies erforderlich, dass die technischen und organisatorischen Bedingungen für eine sichere und wirtschaftliche Datenübertragung erfüllt sind; hiezu ist die Bundesrechenzentrum GmbH anzuhören. (4) Vor Aufnahme der Übertragungen hat die Übermittlungsstelle in einem Testbetrieb sicher zu stellen, dass ein einwandfreier Betrieb gewährleistet ist. (5) Bei schwerwiegenden Verstößen gegen diese Verordnung oder gravierender Unzuverlässigkeit im Betrieb kann der Übermittlungsstelle der weitere Betrieb untersagt werden. §4 Einbringungsdatum, Zustelldatum (1) Hat die Übermittlungsstelle die Daten der Eingabe zur Weiterleitung an die Bundesrechenzentrum GmbH übernommen, so hat sie dies dem Einbringer sofort mitzuteilen und den Zeitpunkt (Tag und Uhrzeit) dieser Rückmeldung zu protokollieren; dieses Datum ist mit den Daten der Eingabe zu übermitteln. (2) Die Bundesrechenzentrum GmbH hat zu protokollieren, wann die Daten der Eingabe bei ihr eingelangt sind (Tag und Uhrzeit). (3) Die Übermittlungsstelle hat das Datum (Tag und Uhrzeit), an dem die Daten der Erledigungen in den elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers gelangt sind (elektronische Zustellung), zu protokollieren und der Bundesrechenzentrum GmbH zur Weiterleitung an das absendende Gericht oder die absendende Staatsanwaltschaft zu übermitteln (§ 89d Abs 2 GOG). Das Datum (Tag und Uhrzeit), an dem die Daten der Erledigungen vom Empfänger tatsächlich übernommen wurden, ist ebenfalls zu protokollieren und auf Anfrage dem Absender bekannt zu geben; dieses Protokoll ist mindestens drei Jahre aufzubewahren. §5 Form elektronischer Übermittlungen (1) Elektronisch eingebrachte Eingaben und elektronisch zuzustellende Erledigungen sowie Beilagen müssen einer Schnittstellenbeschreibung nach Abs 2 entsprechen, Mahnklagen und 612

§ 74

1.2 Verfahren

Exekutionsanträge überdies der ADV-Form Verordnung, BGBl II Nr 510/2002. Fax und E-Mail sind keine zulässigen Formen des elektronischen Rechtsverkehrs im Sinne dieser Verordnung. (2) Die Übermittlungsstelle hat für alle elektronischen Eingabe- und Erledigungsarten eine Beschreibung über die Art der Datenübermittlung, der vollständigen Datenstruktur, der zulässigen Beilagenformate, einschließlich der Regeln über die Feldinhalte und den höchstzulässigen Umfang (Schnittstellenbeschreibung) im Internet dauerhaft bereit zu stellen. (3) Die Übermittlungsstelle hat sicherzustellen, dass elektronische Eingaben und elektronisch zuzustellende Erledigungen sowie Beilagen nur dann übernommen und weiterverarbeitet werden, wenn sie der Schnittstellenbeschreibung nach Abs 2 entsprechen. §6 Datensicherheit (1) Zur Sicherung vor Missbräuchen ist von den am elektronischen Rechtsverkehr Beteiligten durch geeignete technische und organisatorische Maßnahmen zu gewährleisten, dass die Eingabe nur von demjenigen elektronisch eingebracht werden kann, der in der Eingabe als Einbringer bezeichnet wird. (2) Ebenso ist sicherzustellen, dass die Daten elektronisch zugestellter Erledigungen nur aus dem Verfügungsbereich des in der Zustellung bestimmten Empfängers abgerufen werden können und dort vor missbräuchlichen Zugriffen gesichert werden. (3) Zur Sicherstellung der Datenintegrität hat jede Übertragung von Eingaben, Beilagen und Erledigungen verschlüsselt zu erfolgen. Zur Sicherstellung der Authentizität sind von allen an der Übertragung Beteiligten Zertifikate, die von einem registrierten Zertifizierungsdiensteanbieter ausgestellt sind, oder ein ausschließlich für den Zweck der Übertragung von Eingaben, Beilagen und Erledigungen errichtetes Netzwerk mit automatisch ablaufenden mehrstufigen Authentifizierungsverfahren, zu verwenden. Im Direktverkehr und in der Kommunikation zwischen der Übermittlungsstelle und der Bundesrechenzentrum GmbH können auch von der Bundesrechenzentrum GmbH ausgestellte Zertifikate verwendet werden. §7 Anschriftcode (1) Zur Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr ist für den Einbringer eine Zeichenfolge zu erstellen, unter der dessen Name und Anschrift sowie eine Kennung, dass und in welcher Art er 613

§ 74

Gitschthaler

am elektronischen Rechtsverkehr teilnimmt, in der Bundesrechenzentrum GmbH gespeichert werden. Der Anschriftcode kann auch Bankverbindungen zur Einziehung der Gerichtsgebühren (AEV- Konto), gegebenenfalls ein Konto zur Einzahlung von Geldbeträgen (Einzahlungskonto), die der nach Abs 2 zuständigen Kammer bekannt gegebene Übermittlungsstelle sowie zusätzliche Angaben betreffend Einbringer (etwa die nach § 21 Abs 4 des Datenschutzgesetzes 2000, BGBl I Nr 165/1999, in der jeweils geltenden Fassung zu führende Registernummer) zu enthalten. (2) Der Anschriftcode ist für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsgemeinschaften von der zuständigen Rechtsanwaltskammer, für Notare und Notarpartnerschaften von der zuständigen Notariatskammer, für Wirtschaftstreuhänder von der Kammer der Wirtschaftstreuhänder, für Ziviltechniker von der zuständigen Architekten- und Ingenieurkonsulentenkammer und für sonstige Antragsteller von der Bundesministerin für Justiz auf Antrag oder von Amts wegen zu erstellen und der Bundesrechenzentrum GmbH zu übermitteln. Schon bestehende Anschriftcodes dürfen weiter verwendet werden, wenn sie die Angaben des Abs 1 umfassen. (3) Änderungen von Daten, die zu einem Anschriftcode gespeichert sind, sind vom Teilnehmer entsprechend Abs 2 unverzüglich bekannt zu geben und weiter zu leiten. (4) Elektronisch eingebrachte Eingaben haben den jeweiligen Anschriftcode des Einbringers zu enthalten; bei elektronischen Erledigungen dient der Anschriftcode zur Bezeichnung des Empfängers. §8 Ausdruck der Eingaben (1) Von einer elektronisch eingebrachten Eingabe ist erforderlichenfalls ein Ausdruck herzustellen. Für die weitere Erledigung, insbesondere für gekürzte Urschriften, ist dieser Ausdruck zu verwenden. (2) Dieser Ausdruck muss die in den Formblättern der ADVForm Verordnung vorgesehenen feststehenden Textteile nicht enthalten; § 3 Abs 1 ADV-Form Verordnung ist sinngemäß anzuwenden. §9 (1) Der Einbringer hat im Datensatz einer elektronisch übermittelten Unterlage nach §§ 277 bis 281 HGB den Familiennamen und mindestens einen ausgeschriebenen Vornamen der614

§ 74

1.2 Verfahren

jenigen Personen anzuführen, die den Jahresabschluss im Original unterfertigt haben. Überdies ist entweder das Geburtsdatum oder die Personenkennung (Buchstabenkennung laut Firmenbuchauszug) der betreffenden Person anzuführen. Wurde der übermittelte Jahresabschluss von einem Abschlussprüfer geprüft, so ist auch der Text des Prüfungsvermerkes sowie der Familienname und mindestens ein ausgeschriebener Vorname des Abschlussprüfers, gegebenenfalls die Firma, im Datensatz anzuführen. (2) Werden elektronisch eingebrachte Unterlagen nach §§ 277 bis 281 HGB zur Verbesserung zurückgestellt, so können sie abweichend von § 1 Abs 2 in verbesserter Form neuerlich elektronisch eingebracht werden. Die verbesserten Unterlagen sind zur Gänze neu einzureichen. § 10 Besondere Bestimmungen für das Einbringen von Beilagen im Grundbuch- und Firmenbuchverfahren Beilagen im Grundbuch- und Firmenbuchverfahren können in der Form elektronisch eingebracht werden, dass in der außerhalb des elektronischen Rechtsverkehrs eingebrachten Eingabe auf den Speicherort samt Zugriffsschlüssel des Archivs gemäß des Art XIII § 18 BRÄG 2006, BGBl I Nr 164/2005, verwiesen und so dem Gericht ermöglicht wird, die Beilagen aus diesem Archiv abzuholen. Ferner sind in dieser Eingabe die Beilageneigenschaften (Urkundenart, Datum der Errichtung sowie allfällige Anmerkungen zur Beilage) anzugeben. § 3 Abs 2 ist nicht anzuwenden. § 11 In-Kraft-Treten (1) Diese Verordnung tritt mit dem 1. Jänner 2006 in Kraft. Die Verordnung des Bundesministers für Justiz über den Elektronischen Rechtsverkehr (ERV 1995), BGBl Nr 559/1995, wird mit Ablauf des 31. Dezember 2005 aufgehoben. Die ERV legt die Eingaben, welche elektronisch eingebracht, und die 14 gerichtlichen Erledigungen, welche elektronisch übermittelt werden können, fest (Rechberger/Simotta Rz 317; vgl auch Gruber, wbl 2001, 159). Dabei können nunmehr grundsätzlich alle Eingaben und Beilagen (die der Schnittstellenbeschreibung iS des § 5 ERV entsprechen) aller Verfahrensbeteiligten (Näheres dazu bei Konecny in Fasching/ Konecny § 74 Rz 42–44; Buchegger in Fasching/Konecny § 126 Rz 28) im elektronischen Rechtsverkehr eingebracht werden; zu den Beson615

§ 74

Gitschthaler

derheiten im Grundbuch- und Firmenbuchverfahren vgl § 10 ERV. Dies gilt für Telefaxeingaben nicht (vgl dazu krit Konecny in Fasching/ Konecny § 74 Rz 32). § 5 Abs 1 ERV ist dabei nicht im technischen Sinn zu verstehen, sondern ist die Telefaxübertragung im Anwendungsbereich der ERV ausgeschlossen (vgl Konecny in Fasching/Konecny § 74 Rz 32). Zulässige Eingaben im elektronischen Rechtsverkehr sind dann rechtzeitig eingebracht, wenn alle Daten binnen der maßgeblichen Frist zur Gänze bei der Bundesrechenzentrum GmbH eingelangt sind. Hat sich der Einbringer einer Übermittlungsstelle zu bedienen, gilt die Eingabe bei Gericht mit demjenigen Zeitpunkt angebracht, an dem die Übermittlungsstelle dem Einbringer rückgemeldet hat, dass sie die Daten der Eingabe zur Weiterleitung an die Bundesrechenzentrum GmbH übernommen hat (Fasching Rz 549; Buchegger in Fasching/Konecny § 126 Rz 28). Zur Frage der Fristenwahrung im elektronischen Rechtsverkehr vgl auch Konecny in Fasching/Konecny § 74 Rz 44, 52. Im Rahmen des elektronischen Rechtsverkehrs ist insb das Unterschriftserfordernis weggefallen. Es müssen auch keine Gleichschriften beigebracht werden; benötigt das Gericht letztere, hat es Ausdrucke herzustellen (Rechberger/Simotta Rz 317).

15 E-mail-Verkehr. Wie schnell sich die technische Entwicklung im Kommunikationsbereich abspielt, zeigt etwa der Umstand, dass beim Erscheinen der Vorauflage (2000) die Gerichte (mit Ausnahme der Justizverwaltung) noch nicht mit Internetanschlüssen ausgerüstet waren und daher weder das Computerfax (vgl dazu Rz 10) noch der E-mail-Verkehr eine praktische Rolle spielten. Dies hat sich zwischenzeitig geändert. Nunmehr verfügt jeder Richter und Rechtspfleger über einen Internetanschluss und eine E-mail-Adresse (Vorname.Nachname@ justiz.gv.at). E-mails sind unformatierte Eingaben und können daher nicht sofort mittels automationsunterstützter Datenverarbeitung bearbeitet werden. Deshalb sollen auch nicht die Regelungen über den elektronischen Rechtsverkehr auf sie angewendet werden können (Konecny in Fasching/Konecny § 74 Rz 57). Fraglich war bereits unter dem Regime der ERV 1995, ob derartige Eingaben tatsächlich (idS offenbar Konecny in Fasching/Konecny § 74 Rz 56, der allerdings selbst auf die organisatorischen und technischen Schwierigkeiten hinweist; vgl jedoch ders in Fasching/Konecny § 75 Rz 30 [… sollten künftig E-mail-Eingaben ermöglicht werden …) allein deshalb zulässig und in Analogie zu Telegramm, Telex und Telefax rechtlich erfassbar gewesen sein sollen, weil sie nicht ausdrücklich verboten und (nunmehr) technisch möglich waren; auch telefonisches Anbringen ist technisch möglich und dennoch 616

§ 75

1.2 Verfahren

unstatthaft bzw wirkungslos (vgl Rz 16). Durch § 5 Abs 1 ERV ist nunmehr aber ausdrücklich klargestellt, dass E-mails keine zulässige Form des elektronischen Rechtsverkehrs ist. Keinesfalls zulässig – und vor allem nicht fristenwahrend (etwa bei Rechtsmitteln) – ist somit das Anbringen von Eingaben unmittelbar beim zuständigen Richter, wie sich dies aus einer Analogie zu den Schriftsätzen ergibt, die grundsätzlich bei der Einlaufstelle, nicht jedoch beim zuständigen Richter selbst einzubringen sind (§ 99 Abs 1 Geo). Eine Klarstellung durch den Gesetzgeber erschiene jedenfalls zweckmäßig (vgl dazu Konecny in Fasching/Konecny § 74 Rz 58). Telefonisches Anbringen (Sachdispositionserklärungen) ist (auch in 16 Verfahren außer Streitsachen [9 Ob 506/94; LG Salzburg EFSlg 94.931, 21 R 53/02v; LGZ Wien EFSlg 67.220, 43 R 403/04i]; daran hat auch § 10 AußStrG grundsätzlich nichts geändert [vgl Näheres bei Fucik/Kloiber, AußStrG § 10 Rz 1]) unstatthaft und wirkungslos (Ballon Rz 157; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 74 Rz 62; EvBl 1962/466, ÖJZLSK 1982/101, 15 Os 115/89). Ansonst kann aber der Verkehr der Partei mit dem Gericht in Einzelfällen überhaupt formlos gestaltet sein, wie etwa bei der Einholung von Auskünften oder Aufklärungen sowie eventuell bei Urkunden- und Aktenvorlagen außerhalb der mündlichen Verhandlung (Fasching1 II 527; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 74 Rz 62). § 75. Jeder Schriftsatz hat zu enthalten: 1. die Bezeichnung des Gerichtes, dann der Parteien nach Namen (Vor- und Zuname), Beschäftigung, Wohnort und Parteistellung, die Angabe der für die Parteien handelnden Vertreter und die Bezeichnung des Streitgegenstandes; 2. die Bezeichnung der Beilagen und ihrer Zahl sowie die Angabe, ob die Beilagen in Urschrift oder Abschrift angeschlossen sind; 3. die Unterschrift der Partei selbst oder ihres gesetzlichen Vertreters oder Bevollmächtigten, im Anwaltsprozesse aber, wenn nicht die Bestimmung des § 28 Absatz 1 zur Anwendung kommt, die Unterschrift des Rechtsanwalts. [Z 3 geändert durch StGBl 1919/95; sonst Stammfassung] Lit: Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 75; Ballon Rz 154; Fasching Rz 509; Feil/Kroisenbrunner 297; Rechberger/Simotta Rz 310. Der Schriftsatz muss – in deutscher Sprache (EvBl 1985/101; Fasching 1 Rz 509; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 75 Rz 41), Ausnahmen be617

§ 75

Gitschthaler

stehen aufgrund von Schutzvorschriften für sprachliche Minderheiten – alle Angaben enthalten, die seine geschäftliche Behandlung durch das Gericht ermöglichen (Fasching Rz 509; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 75 Rz 1). Dies sind die Formalangaben des § 75, die Unterschrift der Partei oder ihres Vertreters, wobei die Vertreterstellung offen zu legen ist (3 Ob 511/84), nach § 76 eine knappe Sachverhaltsdarstellung, die Angabe der Beweismittel und gemäß § 77 die Bezeichnung der Beilagen. § 75 dient der einwandfreien Identifizierung der Parteien des konkreten Verfahrens (2 Ob 650/84, 9 ObA 87/04s). Die einzelne Person soll so genau individualisiert werden, dass es zu keinen Verwechslungen kommt (9 ObA 87/04s).

2 Es ist immer Sache des Klägers, die Parteien zu bezeichnen, sodass sich die Frage, wer Partei ist, in erster Linie nach den Angaben in der Klage bestimmt. Diese sind vom Gericht objektiv zu betrachten und auszulegen (6 Ob 685/84, 7 Ob 599/86, MietSlg 41.545, wbl 1993, 57, 6 Ob 219/99w, 4 Ob 119/00d; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 75 Rz 4; s auch bei §§ 84, 85 und bei § 235). Dem durch die Angaben nicht gedeckten Willen des Klägers kommt demnach zwar keine Bedeutung zu (7 Ob 599/86, 6 Ob 50/97i), es kommt aber nicht nur auf die im Kopf des Schriftsatzes angeführten Angaben an, sondern auf den gesamten Klagsinhalt (6 Ob 50/97i, 4 Ob 13/99m; idS wohl auch Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 75 Rz 4). Im Rahmen der Parteienbezeichnung ist auch anzugeben, in welcher Rolle die einzelne Partei im Verfahren auftritt, also als Kläger, Beklagter, Nebenintervenient; auch die Parteistellung muss aus der Klage klar und deutlich hervorgehen (6 Ob 219/ 99w; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 75 Rz 10). Der Prozessvertreter (als direkter Stellvertreter der von ihm vertretenen Partei) muss bei seinen Prozesshandlungen seine Vertreterstellung und die vertretene Partei klarstellen (3 Ob 511/84, 10 ObS 347/ 99y). Unterschreibt ein Beamter einer Körperschaft öffentlichen Rechts mit dem Beisatz „im Auftrag“ und ist die Klage mit einem Amtssiegel versehen, besteht kein Anlass für das Gericht, den Nachweis der Approbationsbefugnis zu verlangen (LG Eisenstadt 13 R 29/05w). Ist die Partei prozessunfähig, bedarf es der Angabe des gesetzlichen Vertreters (Eltern, Sachwalter); vgl auch bei § 87 (§ 13 ZustG). Im Hinblick auf diese Notwendigkeit der individuellen Bezeichnung der Prozessparteien schon in der Klage liegt dann, wenn eine Partei sachlich eindeutig beschrieben wird und nur die formellen Voraussetzungen für ihre genaue Bezeichnung nicht erfüllt sind, ein Fall unrichtiger Parteibezeichnung für ein existierendes Rechtssubjekt vor, das nach dem Willen der Gegenpartei belangt werden soll, und kein Mangel der Parteifähigkeit. Eine solche Unrichtigkeit der Parteibe618

§ 75

1.2 Verfahren

zeichnung ist ein von Amts wegen (durch Verbesserungsauftrag) nach § 84 verbesserungsfähiger Mangel (Formgebrechen; 5 Ob 48/99s = immolex 2000/17; Näheres s auch bei §§ 84, 85). Zur Frage, ob eine Berichtigung der Parteienbezeichnung zulässig ist, wenn der Kläger den Namen des Beklagten in der Klage unrichtig anführt, vgl ausführlich bei § 235. Passt die Bezeichnung auf keine andere Person, ist eine Berichtigung in der Regel zulässig (vgl 2 Ob 77/60; OLG Linz 2 R 154/03k). Da sich die Frage, welche Angaben eine in Österreich eingebrachte 3 Klage enthalten muss, immer nach österreichischem Recht richtet, muss bei natürlichen Personen auch der Vorname der Partei vollständig angeführt sein, die Bezeichnung mit dem Anfangsbuchstaben reicht nicht aus (JBl 1988, 322 [zust Pfersmann]); der Gebrauch sämtlicher Vornamen ist aber nicht zwingend (EvBl 1993/41). Ebenfalls unzureichend ist die Angabe von (lediglich) Spitz- oder Rufnamen oder (etwa vom Wohnort) abgeleitete Bezeichnungen (Hofnamen; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 75 Rz 6). Die Angabe der Beschäftigung einer Partei ist nur ein subsidiäres Identifizierungsmerkmal, sodass ihr Fehlen grundsätzlich die ordnungsgemäße Behandlung des Schriftsatzes nicht hindert (LGZ Wien WR 611; OLG Linz 2 R 154/03k; aA Kreimel, WR 1993/30, 13 mit Nachweisen aus der Rsp, wenn eine allfällige Kausalgerichtsbarkeit [Berufsangabe „Kaufmann“] gegeben sein könnte). Zu berücksichtigen ist nämlich, dass die genaue Angabe der Beschäftigung der Gegenpartei vielfach schwierig sein wird (zu allgemeinen Angaben wie „Angestellter“, „Privater“ udgl vgl Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 75 Rz 8). Nach § 17 Abs 2 HGB idF BGBl I 1998/158 kann ein Kaufmann in zivilgerichtlichen Verfahren seine Firma als Parteibezeichnung führen und mit seiner Firma auch als Partei bezeichnet werden (ausführlich dazu Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 75 Rz 7). Eine unter der bisherigen einzelkaufmännischen Firma fortgeführte OHG kann auch nur unter der tatsächlichen, sich aus dem Firmenbuch ergebenden Firmenbezeichnung ohne Beifügung eines Gesellschaftszusatzes klagen und geklagt werden. Ein Verbesserungsauftrag, die Rechtsform der klagenden Partei zur Unterscheidung anzugeben, ist in diesem Fall unzulässig (LG Feldkirch 4 R 79/99v). Handelt es sich um eine Klage von einer oder gegen eine juristische 4 Person, so ist die Bezeichnung nach dem Firmenbuch zu wählen, was auch für Personenhandelsgesellschaften (Fasching1 II 533; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 75 Rz 13) und Erwerbsgesellschaften nach dem EGG gilt (bei klagenden Kapitalgesellschaften ist nach § 14 Abs 1 HGB idF des FBG auch die Firmenbuchnummer anzugeben, jene der beklag619

§ 75

Gitschthaler

ten Gesellschaft kann angegeben werden [Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 75 Rz 13]). Andere juristische Personen sind mit ihrem vollen Namen zu bezeichnen (etwa Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit, Verlassenschaften, Konkursmassen [Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 75 Rz 13]). Nicht zu bezeichnen sind jedoch die vertretungsbefugten Organe, weil dies für die einwandfreie Identifizierung der mit Namen und Sitz umschriebenen juristischen Person nicht notwendig ist und ihr Fehlen auch kein Hindernis für eine gesetzmäßige Zustellung darstellt (OLG Wien EvBl 1989/144 mwN; VwGH JUS 1991/681; Ballon Rz 154; nunmehr auch Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 75 Rz 19; aA Fasching1 II 533; vgl dazu ausführlich auch § 87 [§ 2 ZustG] Rz 2).

5 Der Wohnort bzw Sitz muss auch innerhalb der Ortschaft – je nach Erfordernis mit Straße und/oder Hausnummer – so genau bezeichnet werden, dass eine einwandfreie Zustellung des Schriftsatzes an der richtigen Stelle ermöglicht wird (VwGH ZfV 1976/890; LG Wien EvBl 1936/796; 2 Ob 650/84; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 75 Rz 9, 15). Eine ladungsfähige Anschrift liegt somit nicht vor, wenn zwar die Adresse mit einem Firmenschlagwort, einem Postfach und dem Sitz des Unternehmens angegeben ist, eine genaue geografische Bezeichnung (Straßenangabe) aber unterlassen wird (4 Ob 175/03v = ecolex 2004/5).

6 Z 3 (Unterschrift) ist nicht nur eine Formalvorschrift, sie soll vielmehr klarstellen, dass die Einbringung des Schriftsatzes und sein Inhalt dem Willen der Partei entsprechen. Die Unterschrift ist daher unbedingtes Erfordernis des Schriftsatzes (RZ 1992/56, JBl 1994, 119 = wobl 1994, 70 [Würth], 1 Ob 41/99g = SZ 72/75 = JBl 1999, 661, 6 Ob 42/00w, 3 Ob 23/02g; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 75 Rz 27). Sie muss eigenhändig (für E-mails wäre eine elektronische Signatur notwendig [vgl § 4 SigG; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 75 Rz 30]; zur Unzulässigkeit von Eingaben mittels E-mail vgl aber ohnehin § 74 Rz 15) erfolgen, weshalb die Kopie der Unterschrift auf dem Originalschriftsatz nicht ausreicht (JBl 1994, 119). Das Fehlen der Unterschrift etwa auf einer Klage müsste daher bei Unmöglichkeit der Sanierung des Mangels zur Nichtigerklärung des über sie eingeleiteten Verfahrens führen (SZ 21/37; ähnlich RZ 1992/56; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 75 Rz 38). Die Unterschrift ist auf der ersten Seite der Eingabe oder am Schluss des Schriftsatzes handschriftlich mit Tinte oder Tintenstift anzubringen (§ 58 Abs 4 Geo) – auch die Verwendung eines Kugelschreibers ist zulässig (Fasching1 II 534; Grill, AnwBl 1988, 109; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 75 Rz 35; aA LG Innsbruck AnwBl 1988, 107). Der mit Maschinschrift am Ende des Schriftsatzes aufschei620

§ 77

1.2 Verfahren

nende Name des Klägers ist daher nicht als Unterfertigung des Schriftsatzes zu werten (LGZ Wien EFSlg 34.809). Die Unterfertigung mit Bleistift oder Farbstift oder der Ersatz der Unterschrift durch einen Stampiglienaufdruck sind ebenfalls unzulässig (§ 58 Abs 4 Geo). Näheres s Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 75 Rz 27–39. § 76. In jedem Schriftsatze sind ferner die tatsächlichen Verhältnisse, durch welche die im Schriftsatze gestellten Anträge begründet werden, in knapper, übersichtlicher Fassung gedrängt darzustellen und, wenn es eines Beweises oder einer Glaubhaftmachung dieser Anführungen bedarf, auch die Beweismittel im Einzelnen zu bezeichnen, deren man sich behufs Erbringung dieses Nachweises oder behufs Glaubhaftmachung bedienen will. [Stammfassung] Lit: Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 76; Feil/Kroisenbrunner 299. Unter Vermeidung weitwendiger Ausführungen sollen Schriftsätze 1 eine übersichtliche Darstellung der erforderlichen Tatsachen in knapper und gedrängter Form bieten. Ein Prozessvorbringen wird dabei schon immer dann als vollständig angesehen werden können, wenn es das Beweisthema so klar erscheinen lässt, dass eine sinnvolle Beweisaufnahme nach den Prozessvorschriften (also etwa die Ausübung des Fragerechts und die Erkennbarkeit der Relevanz vorgelegter Urkunden) möglich ist. Nur bei Unklarheiten über den geltend gemachten Rechtsgrund oder den Umfang des Anspruchs wird auf eine Ergänzung des Vorbringens zu drängen sein (6 Ob 132/99a). Die Aufnahme von Rechtsausführungen ist nicht untersagt (Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 76 Rz 2; vgl bei § 78). Ein Verstoß gegen § 76 durch zu weitwendige Ausführungen ist (hinge- 2 gen) sanktionslos und kann weder zur Verbesserung noch zur Zurückweisung des Schriftsatzes führen (Fasching1 II 535 mwN; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 76 Rz 3). § 77. (1) Wenn über den im Schriftsatze gestellten Antrag mündlich verhandelt werden soll, sind dem Schriftsatze nur Abschriften der Urkunden beizulegen, auf welche im Schriftsatze Bezug genommen wird; falls nur einzelne Teile einer Urkunde in Betracht kommen, genügt die Beifügung eines Auszuges, welcher den Eingang, die zur Sache gehörende Stelle, den Schluß, das Datum und die Unterschriften enthält. 621

§ 77

Gitschthaler

(2) Sind die Urkunden dem Gegner bereits bekannt oder von bedeutendem Umfange, so ist es ausreichend, wenn im Schriftsatze die Urkunden genau bezeichnet und das Anerbieten gemacht wird, deren Einsicht dem Gegner zu gewähren, oder dieselben dem Gerichte auf Verlangen vorzulegen. (3) Befinden sich die Urkunden nicht in den Händen der Partei, so hat sie anzugeben, auf welche Weise die Herbeischaffung dieser Urkunden zu veranlassen sei. [Stammfassung] Lit: Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 77.

1 Grundsätzlich sind nur Abschriften (oder Fotokopien [idS nunmehr auch Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 77 Rz 2) – diese brauchen nicht amtlich beglaubigt zu sein (Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 77 Rz 2) – der Urkunden dem Schriftsatz beizulegen, die §§ 82, 183 Abs 1 Z 2, §§ 299, 548, 557 und 558 sehen jedoch uU die Vorlage der Originalurkunde vor. Nach § 30 Abs 1 ZPO ist darüber hinaus die Vollmachtsurkunde in Urschrift oder in beglaubigter Abschrift vorzulegen, welche Bestimmung im Hinblick auf § 30 Abs 2 aber nur mehr von untergeordneter Bedeutung ist. § 77 gilt auch für Forderungsanmeldungen in Insolvenzverfahren (OLG Graz ZIK 2000/217). Zur Speicherung von (Grundbuchs-)Urkunden in einer Urkundendatenbank anstelle der vormaligen Urkundensammlung nach § 1 GBG vgl nunmehr BGBl I 94/2003.

2 Nach § 379 Abs 1 Geo ist auf den Beilagen die Geschäftszahl des zugehörigen Geschäftsstücks ersichtlich zu machen, und sind nach dessen Abs 2 die vom Kläger oder vom Antragsteller vorgelegten Beilagen mit großen lateinischen Buchstaben, die vom Gegner vorgelegten Beilagen mit arabischen Ziffern und die von anderen Personen eingelegten Beilagen mit römischen Ziffern mit Farbstift zu bezeichnen, wobei in Eingaben die Bezeichnung der Beilagen am Rande auszuwerfen ist.

3 Ist eine Urkunde in einer fremden Sprache verfasst, dann muss sie in deutscher Übersetzung vorgelegt werden (s auch § 75 und bei §§ 84, 85), dies allerdings ohne amtliche Beglaubigung der Übersetzung (Fasching1 II 536; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 77 Rz 5).

4 Die Parteien haben sich auf vorhandene Urkunden sofort zu beziehen und dürfen dies nicht erst im Wege eines weiteren Vorbringens nachholen. Die Einhaltung dieses Gebots ist durch rigorose Anwendung kostenrechtlicher Folgen und des § 179 (Verschleppung) durchzusetzen 622

§ 78

1.2 Verfahren

(Fasching1 II 537; Stohanzl § 77 Anm 2; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 77 Rz 1). Besteht im Einzelfall eine Vorlagepflicht, stellt ein Verstoß gegen § 77 ein Formgebrechen dar, das zu einem Verbesserungsverfahren führen muss (Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 77 Rz 1; LGZ Wien Arb 8344). § 78. (1) Schriftsätze, die zur Vorbereitung einer mündlichen Verhandlung bestimmt sind (vorbereitende Schriftsätze), haben nebst den sonstigen Erfordernissen eines Schriftsatzes zu enthalten: 1. die Anträge, welche die Partei bei der mündlichen Verhandlung zu stellen beabsichtigt; 2. eine der Vorschrift des § 76 entsprechende Darstellung der tatsächlichen Verhältnisse, auf welche sich die Partei zur Begründung ihrer Anträge oder zur Bekämpfung gegnerischer Anträge bei der mündlichen Verhandlung berufen will, sowie die Angabe der Beweismittel, welche die Partei bei dieser Verhandlung zur Bewahrheitung ihrer eigenen Anführungen oder zur Widerlegung tatsächlicher Behauptungen des Gegners zu benützen beabsichtigt; 3. nach Lage der Sache die Erklärungen über die Wahrheit, Richtigkeit und Vollständigkeit des in einem vorausgegangenen Schriftsatze des Gegners enthaltenen tatsächlichen Vorbringens und über die Zulässigkeit der vom Gegner bezeichneten Beweismittel. (2) Darlegungen über die Wahrscheinlichkeit oder Glaubwürdigkeit einzelner tatsächlicher Behauptungen oder über die vermutliche Beweiskraft angebotener Beweise dürfen in einen vorbereitenden Schriftsatz nicht aufgenommen werden. (3) Schriftsätze, die nur Rechtsausführungen enthalten, sind unzulässig. [Abs 2 neu gefasst und Abs 3 angefügt durch ZVN 1983; sonst Stammfassung] Lit: Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 78; Fasching Rz 508; Feil/Kroisenbrunner 300; Rechberger/Simotta Rz 311. Seit der ZVN 1983 sind Rechtsausführungen zulässig, wenn der 1 Schriftsatz auch anderes (zulässiges) Vorbringen enthält (Stohanzl § 78 Anm 1; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 78 Rz 4). Das Gericht kann sich damit schon vor einer mündlichen Verhandlung über die Rechtsstandpunkte der Parteien informieren, die allerdings nicht an diese Ausführungen gebunden sind (Buchegger, ÖJZ 1983, 647; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 78 Rz 4; vgl dazu auch Vor § 226 und wobl 1998/124 [P. Oberhammer]). Unter Rechtsausführungen werden alle 623

§ 79

Gitschthaler

Stellungnahmen in rechtlicher Hinsicht verstanden, also Hinweise auf Gesetzesbestimmungen oder Rsp oder Lehre zu bestimmten Rechtsfragen ebenso wie die Darlegung eigenständiger rechtlicher Lösungsvorschläge (Buchegger, ÖJZ 1983, 654; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 78 Rz 4).

2 Enthält ein Schriftsatz ausschließlich Rechtsausführungen und/oder Erörterungen der Wahrscheinlichkeit, Glaubwürdigkeit oder Beweiskraft, so ist er als unzulässig (Rechberger/Simotta Rz 311) zurückzuweisen (Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 78 Rz 4; aA Fasching1 II 540), weil das von der Partei erstattete Vorbringen den Schriftsatz als ganzes unzulässig macht. Ein Verbesserungsverfahren ist nicht einzuleiten (Fasching1 II 503, 539, 540). Daran hat auch die ZVN 2002 (formell) nichts geändert, fraglich erscheint allerdings, ob im Hinblick auf die verstärkte Erörterung von Rechtsfragen (vgl §§ 182, 258 Abs 1 Z 3) die Regelung des Abs 3 teleologisch nicht zu einer Sollbestimmung reduziert wurde (krit auch Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 78 Rz 4). § 79. (1) Ein die Stelle des Schriftsatzes versehendes protokollarisches Anbringen ist nach den Bestimmungen über die Schriftsätze einzurichten. (2) Aufgehoben [Abs 2 aufgehoben durch 6. GEN; sonst Stammfassung] Lit: Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 79; Ballon Rz 157; Fasching Rz 623; Feil/Kroisenbrunner 303.

1 Eine Aufstellung jener Fälle, in denen protokollarisches Anbringen zulässig ist, s bei Fasching Rz 624. Allerdings ist dies auch in diesen Fällen nur dann zulässig, wenn die Partei nicht durch einen Rechtsanwalt (anders bei sonstigen Bevollmächtigten [RZ 1985/59]) vertreten ist.

2 Nimmt das Gericht unzulässigerweise Anbringen einer Partei zu Protokoll, so ist der Parteiantrag ohne Verbesserungsverfahren sachlich zu erledigen (EvBl 1991/140, 3 Ob 180/93; Konecny in Fasching/ Konecny II/2 § 79 Rz 1; aA EvBl 1981/221, 6 Ob 694/90, 5 Ob 607/90). Maßgeblich ist dabei immer der Zeitpunkt der Aufnahme des Protokolls, auch wenn ein unzuständiges Gericht tätig wurde (EvBl 1985/82; Ballon, FS Fasching 64; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 79 Rz 5).

3 Anhang: Bestimmungen des Gerichtsorganisationsgesetzes (GOG) und der Geschäftsordnung für die Gerichte I. und II. Instanz (Geo): 624

§ 79

1.2 Verfahren

§ 56 GOG (1) Anträge, Gesuche und bei Gericht abgegebene Erklärungen, die mündlich vorgebracht werden dürfen und nicht nach gesetzlicher Vorschrift vom Richter selbst entgegenzunehmen sind, können in der Geschäftsstelle zu Protokoll genommen werden. § 34 Geo (1) Der selbständige Wirkungskreis umfasst die Geschäfte, welche die in der Geschäftsstelle verwendeten Personen nach besonderen Vorschriften oder nach dieser Geschäftsordnung auch ohne richterlichen Auftrag zu besorgen haben. Hieher gehören insbesondere die in §§ 54, 55, 56 Abs 1 bis 4 GOG aufgezählten Amtshandlungen. (2) Mündliches Vorbringen der Parteien kann, soweit es nicht nach gesetzlicher Vorschrift vom Richter entgegenzunehmen ist, in der Geschäftsstelle selbständig zu Protokoll genommen werden (§ 56 Abs 1 GOG). In welchem Umfange von dieser Möglichkeit im streitigen, Exekutions-, außerstreitigen und Strafverfahren Gebrauch zu machen ist, hängt von den verfügbaren Kräften, ihrer Ausbildung und ihrer Belastung ab. Die hiezu erforderlichen Anordnungen sind vom Leiter der Gerichtsabteilung nach den Weisungen des Gerichtsvorstehers zu erlassen. (3) Der Bedienstete der Geschäftsstelle hat in schwierigen Fällen sowie dann, wenn er ein Anbringen wegen Unzuständigkeit des Gerichtes oder mangels anderer gesetzlicher Voraussetzungen für unzulässig oder für unbegründet hält, die Weisung des Richters einzuholen. Der Richter kann das Anbringen selbst entgegennehmen, wobei der Bedienstete als Schriftführer verwendet werden kann; er kann auch anordnen, dass die Geschäftsstelle das Protokoll aufnimmt. Grundsätzlich sind rechtlich schwierige Fälle vom Richter zu proto- 4 kollieren (etwa Rechtsmittelklagen, Rekurse und Rekursbeantwortungen, Feststellungsklagen, Klagen zur Durchsetzung dinglicher Rechte ua [vgl Fasching Rz 623; Danzl § 34 Geo Anm 1]). In allen anderen Fällen ist auch eine Protokollierung durch die Geschäftsstelle zulässig. Insb im Rahmen von Amts- und Gerichtstagen werden in der Praxis auch Rechtspraktikanten und Richteramtsanwärter tätig, die allerdings in jenen Fällen, in denen die Protokollierung durch den Richter zu erfolgen hat, diesen nicht substituieren können. Hier erfolgt die Protokollierung entweder unter Anleitung des Richters oder hat der Richter jedenfalls die Protokollierung abzuschließen. 625

§ 80

Gitschthaler

§ 80. (1) Falls ein Antrag mittels Schriftsatzes gestellt wird, oder eine auch dem Gegner zur Kenntnis zu bringende Mitteilung an das Gericht mittels Schriftsatzes erfolgt, desgleichen von allen vorbereitenden Schriftsätzen, sind, soweit nicht in diesem Gesetze etwas anderes angeordnet wird, so viele gleichlautende Ausfertigungen des Schriftsatzes zu überreichen, dass jedem der Gegner eine Ausfertigung zugestellt und überdies eine für die Gerichtsakten zurückbehalten werden kann. Den Schriftsätzen sind ferner die zur Verständigung sonstiger Beteiligter erforderlichen Rubriken beizulegen. (2) Die Rubriken haben die Bezeichnung des Gerichtes, der Parteien und des Streitgegenstandes in der in § 75 bestimmten Weise zu enthalten. In den zur Herstellung der Ausfertigungen in gekürzter Form mit Benützung der Rubrik geeigneten Fällen ist in die Rubrik anstatt des Streitgegenstandes das Begehren gleichlautend mit dem Schriftsatze aufzunehmen. Die näheren Bestimmungen sind durch Verordnung zu erlassen. [Abs 2 neu gefasst durch 1. GEN; sonst Stammfassung] Lit: Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 80; Fasching Rz 519; Rechberger/Simotta Rz 315; Feil/Kroisenbrunner 303.

1 Bei Überreichung eines Schriftsatzes ist neben dem Präsentationsschriftsatz für das Gericht (Fasching1 II 543) für jeden Gegner eine Ausfertigung vorzusehen, deren inhaltliche Übereinstimmung das Gericht aber nicht zu prüfen hat (GlUNF 4154; GlUNF 6004 = ZBl 1912/426, AnwZ 1934, 31; Fasching1 II 542; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 80 Rz 5). Fällt dem Richter allerdings eine Abweichung auf, ist ein Verbesserungsverfahren einzuleiten (Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 80 Rz 5, 8). Nach § 89 Abs 2 GOG können anstelle weiterer Ausfertigungen des Schriftsatzes Ablichtungen der ersten Ausfertigung angeschlossen werden, wobei zwar nur das Original und nicht jede Gleichschrift unterfertigt werden (RZ 1990/119; aA zu Klagen OLG Wien SVSlg 47.285), die Ablichtungen aber eine originalgetreue Abbildung der Unterschrift aufweisen müssen (RZ 1992/56). Ein Verstoß gegen die Verpflichtungen des § 80 Abs 1 führt zu einem Verbesserungsverfahren, kann jedoch niemals die Präklusion materieller Rechte zur Folge haben (JBl 1977, 428 [zust Sprung]; HG Wien WR 285, 702; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 80 Rz 7).

2 Auch für den der Gegenpartei (den Gegenparteien) beigetretenen Nebenintervenienten (Fasching1 II 542; Stohanzl Anm 3 zu § 80; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 80 Rz 4), nicht jedoch für den eigenen (6 Ob 795/82; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 80 Rz 3) oder für eine auf derselben Seite stehende Hauptpartei (Stohanzl § 80 Anm 4; 626

§ 81

1.2 Verfahren

Konecny in Fasching/Konecny § 80 Rz 3) ist eine Ausfertigung vorzusehen. Haben mehrere Gegner einen gemeinsamen Vertreter bzw Bevollmächtigten (Konecny in Fasching/Konecny § 80 Rz 4) oder auch nur einen gemeinschaftlichen Zustellungsbevollmächtigten (Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 9 ZustG] Rz 13; aA Stohanzl § 80 Anm 3 und Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 80 Rz 4, welche Auffassung jedoch den klaren Wortlaut des § 9 Abs 4 ZustG außer Acht lässt), so ist die Überreichung eines einzigen Schriftsatzes für sämtliche Vertretenen ausreichend. Ist einem sonstigen Beteiligten zwar keine Ausfertigung zuzustellen, 3 dieser aber wohl zu verständigen (etwa der eigene Nebenintervenient oder eine Hauptpartei auf eigener Seite), so reicht die Überreichung von Rubriken (§ 58 Abs 6 Geo). Zum Inhalt und Umfang von Rubriken s Abs 2 sowie § 58 Abs 6 Geo. 4 Zur Vorlage von Rubriken zur Herstellung gekürzter Urschriften s § 58 Abs 2, §§ 112, 146 Geo sowie Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 80 Rz 10–19). Zur Zustellung von Gleichschriften zwischen Rechtsanwälten s § 112. § 81. (1) Sofern nach den Bestimmungen dieses Gesetzes ein Exemplar des überreichten Schriftsatzes dem Gegner zuzustellen ist, sind demselben auch Abschriften der Beilagen des Schriftsatzes anzuschließen. (2) Die bei dem Gerichte zurückbehaltenen Urschriften von Beilagen sind dem Gegner auf sein Verlangen jederzeit zur Einsichtnahme vorzulegen. [Stammfassung] Lit: Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 81; Fasching1 II 545. Jeder Gegner jener Partei, die einen Schriftsatz überreicht, muss auch 1 Abschriften oder Fotokopien (so nunmehr auch Konecny in Fasching/ Konecny II/2 § 81 Rz 1; LG Linz 15 R 405/03i) – diese müssen nicht amtlich beglaubigt sein (Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 81 Rz 1) – jener Urkunden erhalten, die diesem Schriftsatz beigelegt wurden. Dies ist vom Gericht wahrzunehmen und hat allenfalls zur Einleitung eines Verbesserungsverfahrens (Fasching1 II 545; LG Linz 15 R 405/ 03i), nicht jedoch zur Schriftsatzzurückweisung zu führen (OLG Wien REDOK 4528; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 81 Rz 1). Grundvoraussetzung für die Anwendbarkeit des § 81 ist aber, dass dem Gegner 627

§ 82

Gitschthaler

auch tatsächlich eine Schriftsatzgleichschrift zuzustellen ist und überdies der Eingabe auch tatsächlich Urkunden angeschlossen waren (LG Linz 15 R 405/03i).

2 Zur Einsichtnahme in die bei Gericht erliegenden Urschriften der Beilagen s das viel weiter gehende Recht auf Akteneinsicht gemäß § 219.

3 § 81 gilt nach § 53 Abs 2 EO nicht für rein exekutionsrechtliche, wohl aber in Provisorial- (zutr Swoboda, ÖJZ 1990, 176; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 81 Rz 2; aA die stRsp, etwa ÖBl 1974, 89, ÖBl 1977, 159 [abl Schönherr]) und in Insolvenzverfahren (§ 171 KO, § 76 AO). Für Verfahren außer Streitsachen sieht nunmehr § 10 AußStrG Sonderregelungen vor. § 82. (1) Wenn eine Partei in einem Schriftsatze auf in ihren Händen befindliche Urkunden Bezug genommen hat, ist sie auf Verlangen des Gegners verpflichtet, diese Urkunden in Urschrift innerhalb drei Tagen bei Gericht niederzulegen und den Gegner hievon zu benachrichtigen. Der Gegner kann sodann die Urkunden innerhalb drei Tagen nach empfangener Benachrichtigung einsehen und davon Abschrift nehmen. (2) Die Frist zur Einsichtnahme kann, wenn die Partei die Urkunde erweislich dringend benötigt, vom Gerichte und im Verfahren vor Gerichtshöfen vom Vorsitzenden des Senates, dem die Rechtssache zugewiesen ist, auf Antrag entsprechend abgekürzt werden. Gegen den über einen solchen Antrag ergehenden Beschluß findet ein Rechtsmittel nicht statt. [Stammfassung] Lit: Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 82; Feil/Kroisenbrunner 305.

1 Abs 1 (Recht auf Einsichtnahme in Originalurkunden bei Gericht) dient dem Informationsbedürfnis des Gegners (Fasching1 II 546; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 82 Rz 1), umfasst aber nur jene Fälle, in denen die (bereits existierende, nicht erst zu schaffende [MietSlg 44.743]) Urkunde entweder ausdrücklich als Beweismittel bezeichnet oder doch als für das eigene Tatsachenvorbringen wesentliche Grundlage genannt wird (OLG Wien WR 551; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 82 Rz 2). Die Urkundeneinsicht erfolgt in der Geschäftsabteilung (Fasching1 II 547). Voraussetzung ist ein Vorlageantrag des Gegners (Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 82 Rz 2). Es besteht grundsätzlich Vorlagepflicht (SZ 7/372, EvBl 1992/84), doch sind die Verweigerungs628

§§ 84–85

1.2 Verfahren

rechte des § 305 zu beachten (Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 82 Rz 2). Außerdem führt die Nichtbefolgung eines Auftrags nach Abs 1 zu keiner unmittelbaren gesetzlichen Sanktion, denkbar wären jedoch Kostenfolgen (Fasching1 II 547; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 82 Rz 8). Sowohl eine Abkürzung/Verlängerung der Fristen nach Abs 1 als 2 auch eine einem Antrag nach Abs 1 stattgebende gerichtliche Anordnung sind unanfechtbar (SZ 7/372, 4 Ob 44/05g; aA Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 82 Rz 4). Die Abweisung eines derartigen Antrags kann allerdings mit abgesondertem Rekurs angefochten werden (EvBl 1992/84, 5 Ob 122/91; OLG Wien WR 551), desgl ein Beschluss, mit dem einer Partei eine weitergehende Vorlage von Urkunden als derjenigen aufgetragen wird, auf die sie sich ausdrücklich berufen hat (OLG Wien 4 R 141/95). § 83. (1) Rechtsanwälten steht es frei, die Mitteilung der Urschriften von Urkunden von Hand zu Hand gegen Empfangsbescheinigung vorzunehmen. (2) Gibt ein Rechtsanwalt die ihm eingehändigte Urkunde nicht binnen der vereinbarten Frist und mangels einer Vereinbarung binnen drei Tagen nach Empfang zurück, so ist er auf Antrag nach vorgängiger mündlicher oder schriftlicher Einvernehmung durch Beschluss zur unverzüglichen Zurückgabe zu verhalten. In bezug auf diesen Beschluss haben die Bestimmungen des § 82 Absatz 2 zu gelten. Der Beschluss ist sofort vollstreckbar. [Abs 1 und Abs 2 Satz 1 geändert durch StGBl 1919/95; sonst Stammfassung] Lit: Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 83. Voraussetzung ist, dass auf beiden Seiten die Parteien durch Rechtsan- 1 wälte vertreten und diese mit dieser Vorgangsweise einverstanden sind. Wird der Rechtsanwalt zur Rückgabe verpflichtet, so ist dieser Beschluss sofort vollstreckbar und darüber hinaus unanfechtbar; über entsprechenden Antrag des Rechtsanwalts kann das Gericht jedoch gemäß § 128 ZPO die Frist verlängern (Fasching1 II 548; vgl auch Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 83 Rz 1, 2). § 84. (1) Soweit in diesem Gesetze nichts anderes angeordnet ist, hat das Gericht die Beseitigung von Formgebrechen, welche die ordnungsmäßige geschäftliche Behandlung eines überreichten Schrift629

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Gitschthaler

satzes zu hindern geeignet sind, von Amts wegen anzuordnen. Ein solcher Beschluss kann durch ein abgesondertes Rechtsmittel nicht angefochten werden. (2) Als derartiges Formgebrechen ist es insbesondere anzusehen, wenn die Vorschriften der §§ 75 und 77 nicht beachtet wurden, oder wenn es an der erforderlichen Anzahl von Schriftsatzexemplaren oder von Rubriken fehlt. Die unrichtige Benennung eines Rechtsmittels, eines Rechtsbehelfs oder von Gründen ist unerheblich, wenn das Begehren deutlich erkennbar ist. (3) War bei der Überreichung des Schriftsatzes eine Frist einzuhalten, so ist nach Abs 1 auch vorzugehen, wenn in dem Schriftsatz Erklärungen oder sonstiges Vorbringen fehlen, die für die mit dem Schriftsatz vorgenommene Prozeßhandlung vorgeschrieben sind. Durch solche Verbesserungen und sonstige Ergänzungen des zu verbessernden Schriftsatzes darf jedoch das darin enthaltene Vorbringen nicht so geändert werden, dass dadurch in die bereits eingetretene Rechtskraft einer Entscheidung eingegriffen würde; war dem zurückgestellten Schriftsatz nicht eindeutig zu entnehmen, dass die Entscheidung nur zum Teil oder inwieweit sie angefochten wird, so gilt sie als zur Gänze angefochten. (4) Im Verfahren vor Gerichtshöfen steht die Erlassung dieser Anordnungen dem Vorsitzenden des Senates zu, dem die Rechtssache zugewiesen ist. [Abs 2 Satz 2 angefügt durch die 1. GEN und neu gefasst sowie Abs 3 eingefügt (bisheriger Abs 3 wurde Abs 4) durch ZVN 1983; sonst Stammfassung] § 85. (1) Zum Zwecke der Beseitigung von Formgebrechen kann die Partei vorgeladen oder ihr der Schriftsatz mit der Anweisung zur Behebung der gleichzeitig zu bezeichnenden Formgebrechen zurückgestellt werden. (2) War bei Überreichung des Schriftsatzes eine Frist einzuhalten, so ist letzterenfalls für die Wiederanbringung eine neuerliche Frist festzusetzen, bei deren Einhaltung der Schriftsatz als am Tage seines ersten Einlangens überreicht anzusehen ist. Eine Verlängerung dieser Frist ist nicht zulässig. Hat eine die Verfahrenshilfe genießende oder beantragende Partei innerhalb der gesetzten Frist die Beigebung eines Rechtsanwalts beantragt, so beginnt diese Frist mit der Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Rechtsanwalts beziehungsweise mit dem Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses, womit die Beigebung eines Rechtsanwalts versagt wird, zu laufen; der Bescheid ist durch das Gericht zuzustellen. Der § 73 Abs 3 gilt sinngemäß. 630

§§ 84–85

1.2 Verfahren

(3) Gegen die auf Grund vorstehender Bestimmungen ergehenden Beschlüsse ist ein abgesondertes Rechtsmittel nicht statthaft; inwiefern deshalb das Aufsichtsrecht der übergeordneten Gerichtsbehörden angerufen werden kann, ist nach den über die innere Einrichtung und Geschäftsordnung der Gerichte erlassenen Vorschriften zu beurteilen. [Abs 2 Satz 3 angefügt durch ZVN 1983, Satz 4 angefügt durch WGN 1997; sonst Stammfassung] Lit: Berger, Die Verbesserung der gerichtlichen Aufkündigung, ÖJZ 1959, 116; Wünsch, Zur Behandlung fehlerhafter Schriftsätze, JBl 1964, 118; Würth, Fehlerhafte Schriftsätze, JBl 1964, 583; Hule, Nochmals: Fehlerhafte Schriftsätze, ÖJZ 1964, 480, 507; Novak, Einige Probleme des Zivilprozessrechts, JBl 1964, 1, 57; Schuppich, Die nachgeholte Anwaltsunterschrift, AnwBl 1967, 20; Rechberger, ZAS 1970, 223 (Entscheidungsbesprechung); Hagen, Allgemeine Verfahrenslehre und verfassungsgerichtliches Verfahren (1971); Vollkommer, Formstrenge und prozessuale Billigkeit (1973); Rechberger, Das Unschlüssigkeitsurteil im Versäumnisfall, JBl 1974, 562; Mayr, Der Grundsatz der „Einmaligkeit des Rechtsmittels“ im zivilgerichtlichen Verfahren, JBl 1981, 458, 520; Rechberger, JBl 1981, 384 (Entscheidungsbesprechung); ders, Pro futuro? Die Regierungsvorlage zu einer „Zivilverfahrens- Novelle 1981“, NZ 1981, 145; Mayr, JBl 1981, 489 (Entscheidungsbesprechung); ders, Verlängerung oder Verlängerbarkeit der Rechtsmittelfristen im Zivilprozeß? ÖJZ 1981, 651; Buchegger, Zur Verbesserung mangelhafter Schriftsätze (§ 84 ZPO), BeitrZPR I (1982) 27; Fasching, Die Zivilverfahrensnovelle 1981, JBl 1982, 68, 120 = FG 145; König, Bemerkungen zur Regierungsvorlage einer Zivilverfahrens-Novelle 1983, JBl 1982, 406; Schalich, Überblick über die Zivilverfahrensnovelle 1983, ÖJZ 1983, 253, 287; Pichler, Gedanken zur angeblichen Einmaligkeit des Rechtsmittels, JBl 1983, 82; Konecny, Zur Erweiterung der Verbesserungsvorschriften durch die Zivilverfahrens-Novelle 1983, JBl 1984, 13, 61; Fasching, Die Änderungen des Verfahrens zur Erlassung einstweiliger Verfügungen durch die Zivilverfahrens-Novelle 1983, GesRZ 1984, 62; Feil, Verbesserung der unrichtigen Parteibezeichnung, Parteiwechsel, mangelnde Parteifähigkeit, GesRZ 1985, 12; Rechberger, Möglichkeiten und Grenzen der analogen Anwendungen von Vorschriften der Zivilprozeßordnung im Grundbuchsverfahren, NZ 1985, 121; Petrasch, Die Zivilverfahrens-Novelle 1983 in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, ÖJZ 1985, 257, 291; Mayr, Zur Verbesserbarkeit des Fehlens von Beilagen, BeitrZPR II (1986) 151; Ballon, Die Novellierung des Zivilprozeßrechtes – Verbesserter Zugang zum Recht, FS Kralik (1986) 37; Mayr, Die Einmaligkeit des Rechtsmittels nach der Zivilverfahrens631

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Gitschthaler

Novelle 1983, RZ 1987, 265; Pimmer, Die Zivilverfahrensnovellen, im besonderen Verbesserungsverfahren und Verfahrenshilfe, WR 1987/17, 19; Ballon, Die Rechtsprechung in Zuständigkeitsfragen, FS Fasching (1988) 55; Simotta, Das Vergreifen in der Verfahrensart (§ 40a JN), FS Fasching (1988) 463; Klamaris, Rechtsvergleichende Betrachtungen zum Grundsatz der Einmaligkeit der Rechtsmittelerhebung, FS Fasching (1988) 269; Konecny, Zur Anwendung fremden Rechts bei der Anspruchsprüfung im Provisorialverfahren, ÖBA 1988, 1184; Bosina/ Schneider, Verbesserungen der Klage im ADV-Mahnverfahren, WR 1989/22, 8; Klicka, Bestimmtheit des Begehrens bei Leistungsklagen (1989); Fasching, Zur Auslegung der Zivilverfahrensgesetze, JBl 1990, 749 = FG 25; ders, Die Umdeutung von Prozesshandlungen im österreichischen Zivilprozessrecht, FS Baumgärtel (1990) 65 = FG 54; ders, Die Bedachtnahme auf Treu und Glauben im österreichischen Zivilprozeß, ÖJZ 1992, 366 = FG 45; ders, Die Bedeutung des Gleichheitssatzes für das zivilgerichtliche Verfahren, FG (1993) 3; Fucik, Neues im Mahnverfahren: Handhabe gegen Überklagung, RZ 1995, 191; Mohr, Vereinfachtes Bewilligungsverfahren und andere am 1.10.1995 in Kraft getretene Bestimmungen der EO-Nov 1995, ÖJZ 1995, 889; Hoyer, Grundbuchsrecht und Grundbuchspraxis II, NZ 1996, 79; ders, Exekutionsanträge mit Grundbuchsbezug verbesserungsfähig, ecolex 1996, 902; Hausmann, Zur Bezeichnung des Bestandgegenstandes im Kündigungsverfahren, wobl 1996, 129; Petsch/Hüppe, Gläubigerantrag auf Konkurseröffnung – neue Grazer Praxis, ZIK 1997, 51; G. Kodek, Zum Prüfungsumfang im Mahnverfahren, RZ 1998, 154; Rechberger/Bittner, Grundbuchsrecht (1999); Zechner, Sicherstellungsexekution und einstweilige Verfügung (1999); Popp, Die neue „Zustellung“ zwischen Rechtsanwälten im Zivilprozess, RdW 2000/501; Schumacher, Richterliche Anleitungspflichten (2000); G. Kodek, Das Kostendeckungsprinzip im Schuldenregulierungsverfahren, RZ 2001, 111; Gitschthaler/Höllwerth, JBl 2003, 654 (Entscheidungsanmerkung); Czernich/Tiefenthaler/Kodek, Europäisches Gerichtsstand- und Vollsteckungsrecht 2 (2003). G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 § 84; Ballon Rz 155, 198, 340; Fasching Rz 510 ff; Feil/Kroisenbrunner 306; Holzhammer 154, 187; Holzhammer, PraktZPR 118,123; Rechberger/Simotta Rz 521. Inhaltsübersicht Anwendungsbereich Unzulässigkeit einer Verbesserung Formgebrechen Bezeichnungsfehler

1–2 3–4 5–6 7–9 632

Inhaltsmängel/ Unvollständigkeit Einmaligkeit des Rechtsmittels Teilrechtskraft

10–14 15 16

§§ 84–85

1.2 Verfahren Verbesserungsauftrag Verbesserungsfrist Vornahme der Verbesserung

17–18 19–21 22–23

Erfolglosigkeit des Verbesserungsauftrags Rechtsmittelzulässigkeit

24 25–26

Die Verbesserungsvorschriften der §§ 84, 85 sind nicht nur in jenen Ver- 1 fahren (einschließlich der Rechtsmittelverfahren [Petrasch, ÖJZ 1985, 260]) anzuwenden, die in der ZPO selbst geregelt sind (also auch im Mahn- [LGZ Wien WR 346, 347], in Besitzstörungs- [KG Krems MietSlg 36.777] und in Verfahrenshilfeverfahren [3 Ob 187/01y; LG Linz 14 R 535/01x]), sondern auch in Exekutionsverfahren (§ 78 EO; LGZ Wien EFSlg 46.768, 60.937, 64.254; SZ 55/42 = EvBl 1982/172, RZ 1990/112, ZIK 1998, 36, 3 Ob 23/02g), in Verfahren nach dem ASGG (infas 1986/A 80, JBl 1988, 472, SSV-NF 2/5, SSV-NF 5/9 uva), in Gebührenbestimmungsverfahren nach dem GebAG (OLG Wien Sach 1991/4, 21) sowie in Insolvenzverfahren (vgl etwa 8 Ob 38/02z = ZIK 2002/293 [Konkurseröffnungsantrag]). Für Verfahren außer Streitsachen einschließlich etwa der Verfahren nach dem UVG und der wohnrechtlichen Verfahren vgl nunmehr § 10 Abs 4 und 5 AußStrG. In Grundbuchsverfahren sollen nach früherer Rsp (vgl etwa SZ 36/ 90, EvBl 1963/347, NZ 1980, 159, NZ 1984, 33, GBSlg 4 [zust Auer], NZ 1984, 115, GBSlg 14 [abl Hofmeister, NZ 1984, 117; Petrasch, ÖJZ 1985, 260], ZfRV 1986, 133 [abl Hoyer], RdW 1986, 82, SZ 63/99, NZ 1993, 20 unter ausdrücklicher Ablehnung von Hofmeister und Petrasch [neuerlich abl Hofmeister, NZ 1993, 23] uva; aA außerdem Hoyer, Anm zu ZfRV 1989, 215; ders, NZ 1996, 79; ders, ecolex 1996, 902) die Verbesserungsvorschriften im Hinblick auf § 95 GBG generell nicht zur Anwendung kommen. Richtigerweise ist allerdings dahingehend zu differenzieren, dass zwar zur Vermeidung von Rangverschiebungen Grundbuchsgesuche selbst (im Verfahren I. Instanz) nicht, wohl aber Rechtsmittel in Grundbuchssachen verbesserungsfähig sind (vgl dazu ausführlich Rechberger, NZ 1985, 127; idS nunmehr EvBl 1999/89 unter Hinweis auf Hofmeister, Petrasch, Rechberger und Hoyer; vgl auch 3 Ob 119/95 = SZ 69/151; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 32, 212). Damit ist ein Verbesserungsverfahren auch dann zulässig, wenn ein Rekurs mittels Telefax eingebracht wird (5 Ob 90/04b = immolex 2005/23; vgl dazu Näheres § 74 Rz 8). Das AußStrG BGBl I 2003/111 und BGBl I 2003/112 haben daran wohl nichts geändert. Die Verbesserungsvorschriften, die auf Schriftsätze (zu Protokollar- 2 anbringen vgl G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 9 mit beachtlichen Argumenten), nicht jedoch auf Beilagen anzuwenden sind (G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 8 mwN; LGZ Wien 633

§§ 84–85

Gitschthaler

RpflSlgE 2003/15), unterscheiden zwischen Formgebrechen, welche die ordnungsgemäße geschäftliche Behandlung zu hindern geeignet sind (§ 84 Abs 1), Fehlern in der Bezeichnung von Schriftsätzen (§ 84 Abs 2) und Inhaltsmängeln (§ 84 Abs 3). Bei letzteren wird auf das Fehlen von Inhaltserfordernissen abgestellt. Darüber hinaus sollen sie nur bei solchen Schriftsätzen verbesserungsfähig sein, bei deren Überreichung eine Frist einzuhalten war. Sowohl von der Rsp als auch der Lehre werden diese Bestimmungen jedoch heute nicht nur nicht einschränkend (idS EvBl 1985/29; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 4), sondern sogar eher ausdehnend ausgelegt und angewendet, was wohl auch den Intentionen des Gesetzgebers entsprechen dürfte (Konecny, JBl 1984, 62). Gerade auch die ZVN 2002 zeigt, dass ein modernes Verständnis des Zivilprozesses mit dem Prozessgrundsatz des Vorrangs der Sacherledigung (vgl Fasching, JBl 1990, 754; Konecny, JBl 1984, 62; G. Kodek in Fasching/ Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 2) weniger eine formelle, sondern mehr eine – auch inhaltlich – richtige Entscheidung des Gerichts verlangt (vgl §§ 182, 182a). Der Prozesserfolg soll demnach nicht an Formalismen scheitern (ähnlich G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 1; Konecny, JBl 1984, 15; Fasching Rz 510; vgl auch 1 Ob 83/04v). Allerdings soll weder beim Verbesserungs- noch beim Wiedereinsetzungsverfahren einer übertriebenen Nachgiebigkeit gegenüber Formvorschriften das Wort geredet werden (idS Matscher, JBl 1969, 615). Daher führt auch die Tendenz des Gesetzgebers, Parteifehler mit immer weniger schädlichen Konsequenzen zu bedenken, nicht dazu, dass die Gegenpartei zur Tragung zusätzlicher Kosten (etwa der Kosten jenes Schriftsatzes, mit dem eine Verbesserung oder Berichtigung vorgenommen wird) verpflichtet werden kann (LGZ Wien WR 494). An der Verpflichtung jeder Partei, fehlerfreie Klagen oder Rechtsmittelschriften zu überreichen, hat auch die Erweiterung der Verbesserungsvorschriften nichts geändert (G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 299). Sind hingegen dem Gegner des Einschreiters im Rahmen eines Verbesserungsverfahrens uU Kosten erwachsen, so sind diese bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen der §§ 40 ff vom Einschreiter zu ersetzen (G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 301). Und schließlich darf auch nicht völlig außer Acht gelassen werden, dass die Einräumung von (zusätzlichen) Verbesserungsmöglichkeiten idR prozessverzögernd wirkt, was wiederum zu einer Konfrontation mit Art 6 EMRK führen kann.

3 Jedenfalls unzulässig ist eine Verbesserung in folgenden Fällen: a) Die geschäftsordnungsgemäße Weiterbehandlung des Schriftsatzes wird nicht gehindert (Rechberger/Simotta Rz 521). Etwa 634

§§ 84–85

1.2 Verfahren

schlechte Lesbarkeit oder eine ungewöhnliche äußere Form des Schriftsatzes führen zu keinem Verbesserungsverfahren, weil dieses nur eine an sich sinnlose Verzögerung des Hauptverfahrens bewirken würde (OLG Wien JBl 1964, 472; Mayr, BeitrZPR II 157 mwN). Dies darf aber nicht zur Folge haben, dass die vor allem in der Geo vorgesehenen Vorschriften über die Gestaltung von Schriftsätzen völlig unbeachtet bleiben (s dazu bei § 74; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 91). b) Der zu verbessernde Schriftsatz ist ohnehin als unzulässig zurückzuweisen (G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 33–34), etwa weil er (als Rechtsmittel [RZ 1989/51, SSV-NF 6/68] oder als Vergleichswiderruf [EvBl 1980/125, 4 Ob 108/80, 3 Ob 536/94) verspätet oder unzulässig (EvBl 1957/46, 4 Ob 542/73, 5 Ob 288/01s, 6 Ob 125/02d = EFSlg 101.906, 3 Ob 283/04w = EFSlg 108.925) oder das angerufene Gericht unzuständig ist oder weil es Rechtsmittelklagen an besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen mangelt (EFSlg 44.010). Zum Problem des „Nichtschriftsatzes“ vgl G. Kodek (in Fasching/ Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 27, 28), dem zwar beizupflichten ist, dass insb bei Formmängeln auch bei sehr mangelhaften Schriftsätzen ein Verbesserungsverfahren einzuleiten ist; der Missbrauchsvorbehalt (vgl dazu G. Kodek in Fasching II/2 §§ 84, 85 Rz 45–49) ist aber immer zu machen (vgl die Rsp zu rechtsmissbräuchlich unzulässig ständig wiederholten Anträgen, die zwar nicht Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung werden müssten, hinsichtlich welcher es aber ratsam sei, einen Aktenvermerk über die Unterlassung anzufertigen [8 N 10/88 = EvBl 1989/18, 4 Ob 176/00m, 6 Ob 70/01i, 3 Ob 7/03f]). c) Einem Rechtsmittel kann ohnehin (auch nach Verbesserung) kein Erfolg beschieden sein (OLG Wien Sach 1988/4, 21). Dies gilt allerdings nur in von vorneherein eindeutigen Fällen (einschränkend 8 Ob 38/02z = ZIK 2002/293 zum Konkursverfahren bei unvertretenen Schuldnern). d) Eine telegrafische (JBl 1981, 489 [zust Mayr]) oder mittels Fernkopierers (Telefax) eingebrachte Eingabe weist weitere nicht verbesserungsfähige Mängel auf und ist daher ohnehin zurückzuweisen. e) Eine behinderte Person, der ein Sachwalter nach § 273 Abs 3 ABGB bestellt wurde, bringt Klagen und/oder Rechtsmittel ein und stellt schriftliche Anträge, wobei sie trotz Belehrung beharrlich davon ausgeht, keiner Genehmigung ihrer Prozesshandlungen zu bedürfen (NZ 1986, 231). f) In den zu verbessernden Schriftsatz sind absichtlich zur Verfahrensverzögerung Formfehler eingebaut worden (AnwZ 1935, 90, JBl 1965, 475, EvBl 1966/406, SZ 58/17 = JBl 1985, 684 [zust Pfersmann], 5 Ob 427/97y, 10 ObS 376/98m = ARD 5030/25/99; VfGH VfSlg 11.976). 635

§§ 84–85

Gitschthaler

g) Über den zu verbessernden Schriftsatz ist bereits entschieden worden (RZ 1936, 230, 4 Ob 112/55, EvBl 1970/183; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 35). h) Die Partei hat das ihrem Schriftsatz anhaftende Formgebrechen bereits von sich aus beseitigt (3 Ob 53/77, JBl 1987, 795, 3 Ob 152/88, 7 Ob 570/95, ZfRV 2001/39; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 30). i) Bei Fehlen wesentlicher Urkunden, etwa eines ausländischen Titels, wird die Existenz derselben nicht einmal behauptet (SZ 51/18, 3 Ob 123/77, SZ 52/160, 3 Ob 88/91). j) Es wurde zwar zu Unrecht ein Verbesserungsverfahren nicht eingeleitet und der Antrag abgewiesen, im Rechtsmittel jedoch die Verbesserung (zulässigerweise [Neuerungsverbot]) nachgeholt (LG Eisenstadt RPflSlgE 1986/154; vgl auch G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 31). k) Wegen der Fehlerhaftigkeit des Schriftsatzes drohen keine Präklusionsfolgen, weil der Mangel (etwa weil er eine unbefristete Prozesshandlung betrifft) auch noch in einem späteren Verfahrensstadium behoben werden kann (Mayr, BeitrZPR II 160; G. Kodek in Fasching/ Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 42). l) Es handelt sich um ein „inhaltsleeres Rechtsmittel“ (etwa: „ich erhebe Berufung“; „ich werde die Begründung nachreichen“; „Einwendungen“; „Widerspruch“), also wenn sich der Schriftsatz in der bloßen Benennung des Rechtsmittels oder in der Erklärung erschöpft, die Entscheidung zu bekämpfen (SZ 12/305, JBl 1957, 190, 1 Ob 522/80). Von einem Rechtsmittel als Gegenstand eines Verbesserungsverfahrens kann nämlich grundsätzlich nur dann gesprochen werden, wenn darüber hinaus wenigstens erkennbar wird, welche Fehler der Entscheidung vorgeworfen werden und wodurch sich die Partei benachteiligt erachtet (NRsp 1988/148, 5 Ob 624/89; Fasching, JBl 1982, 121; ders Rz 518). Bei Prüfung des konkreten Rechtsmittels ist grundsätzlich zu bedenken, dass einerseits die ZPO die Zweiteilung eines Rechtsmittels in Anmeldung und Ausführung samt Fristverlängerung nicht vorsieht (LG Salzburg 22a R 265/93; 5 Ob 520/88, 5 Ob 624/89, 6 Ob 121/02s) und dass andererseits auch nicht immer einwandfrei erkennbar ist, ob der Rechtsmittelwerber bewusst missbräuchlich oder aus Unwissenheit ein inhaltsleeres Rechtsmittel eingebracht hat, auf welches Unterscheidungskriterium jedoch insb die Lehre (Konecny, JBl 1984, 18; Petrasch, ÖJZ 1985, 300; Ballon Rz 340; ders, FS Kralik 53) und Teile der Rsp (7 Ob 570/95, 2 Ob 2175/96h, 6 Ob 182/98b, 1 Ob 219/03t; LGZ Wien EFSlg 90.883, 98.174; OLG Linz EFSlg 101.907; vgl auch VwGH 2005/05/0115) abstellen wollen. Keinem Verbesserungsverfahren zu unterziehen sind jedenfalls inhaltsleere Rechtsmittel eines Rechtsanwalts, weil hier die Ver636

§§ 84–85

1.2 Verfahren

schleppungsabsicht offensichtlich ist (Fasching Rz 514 und die angeführten Autoren; JBl 1985, 684 [zust Pfersmann]), sodass etwa die Übermittlung (lediglich) des Deckblatts eines Rechtsmittels durch einen Rechtsanwalt nicht verbesserbar ist (10 Ob 34/04d). Näheres zu den leeren Rechtsmitteln vgl bei G. Kodek in Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 170–176. Zu den Anforderungen an ein Rechtsmittel im Verfahren außer Streitsachen vgl nunmehr § 47 Abs 3 AußStrG (vgl dazu Klicka in Rechberger, AußStrG § 47 Rz 2), zu „inhaltsleeren Rekursen“ vgl Fucik/Kloiber, AußStrG § 47 Rz 3 . m) Wenn ein Rechtsmittel lediglich einen unbestimmten Rechtsmittelantrag enthält oder ein Kostenbestimmungsantrag (etwa Privatbeteiligtenkosten [OLG Wien 16 R 70/02k]) unbestimmt ist. Dies gilt etwa für einen Rekurs gegen eine Unterhaltsbemessung (1 Ob 595/94, 8 Ob 114/03b), gegen einen Gebührenbestimmungsbeschluss oder gegen eine Kostenentscheidung (OLG Linz 2 R 208/03a ua) ohne Nennung eines ziffernmäßig bestimmten Rekursantrags, weil hier nicht erkennbar ist, welche Abänderung des angefochtenen Beschlusses der Rekurswerber konkret anstrebt, und daher die Gefahr des Eingriffs in die bereits eingetretene Teilrechtskraft besteht (8 Ob 114/03b; OLG Wien Sach 1988/4, 21). In Ermangelung eines betraglich eindeutig bestimmten Rechtsmittelantrags ist in diesen Fällen eine sachliche Erledigung des Rechtsmittels ausgeschlossen, ohne dass es der Einleitung eines Verbesserungsverfahrens bedürfte (6 Ob 745/83, 1 Ob 595/94, 8 Ob 114/03b; OLG Linz 2 R 208/03a; idS wohl auch G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 177). Dies gilt allerdings nicht bei einem bloß inhaltlich verfehlten Anfechtungsantrag, wenn der richtige Antrag aus dem sonstigen Inhalt des Rechtsmittels zwanglos ableitbar ist (SZ 59/134, 2 Ob 296/00v = ZVR 2001/39, 5 Ob 261/03y; OLG Linz 2 R 208/03a; ähnlich G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 180 mwN). Unzulässiger Verbesserungsauftrag. Erteilt das Gericht zu Unrecht 4 einen Verbesserungsauftrag und kommt die Partei diesem nach, so kann der Entscheidung dennoch nicht der verbesserte Schriftsatz zugrunde gelegt werden (MietSlg 34.761, AnwBl 1993, 189; LGZ Wien EFSlg 101.910). War das Rechtsmittel bereits ursprünglich verspätet, tritt auch durch die Verbesserung eine Sanierung der Fristversäumung nicht ein (SSV-NF 6/68, 5 Ob 275/98x = EvBl 1999/67, 5 Ob 86/01k; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 33). Es entspricht auch nicht dem Zweck des § 84, einer Partei Verbesserungsaufträge zu erteilen, die ein von ihr gar nicht angestrebtes Ergebnis (etwa Entscheidung im Streitverfahren statt der vom Antragsteller ausdrücklich gewünschten Entscheidung im Verfahren außer Streitsachen) ermöglichen (5 Ob 50/91 = MietSlg XLIII/36, 5 Ob 170/01p = MietSlg 53.669). 637

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Gitschthaler

5 Formgebrechen. Dabei handelt es sich vor allem um Parteifehler, durch welche die Formvorschriften über Schriftsätze verletzt werden (insb §§ 75, 77, 80; vgl Fasching Rz 512; Rechberger/Simotta Rz 521; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 66). Verbesserungsfähig sind daher Verstöße gegen die Vorschriften über die notwendigen Angaben im Schriftsatzkopf, über die Bezugnahme auf Urkunden und die Beilegung notwendiger Urkunden und über die Anzahl der einzureichenden Schriftsatzexemplare.

6 Formgebrechen sind etwa: a) Die mangelhafte Bezeichnung der Parteien (SZ 23/7, SZ 23/27 = JBl 1950, 341, immolex 1999/174, wobl 2000/183), uzw insb das Fehlen von nach § 75 vorgesehenen Individualisierungsmerkmalen, also etwa, wenn weder dem Kopf des Schriftsatzes noch dem Klagsinhalt zu entnehmen ist, welche Person der Kläger als Beklagten in Anspruch nehmen will oder wer Kläger sein soll (Feil, GesRZ 1985, 12 mwN; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 74). Im übrigen s dazu Vor § 1 und zu § 235. Das Fehlen oder die Unrichtigkeit von Angaben schadet allerdings nicht, soweit nach den im Schriftsatz vorhandenen Informationen eine einzige Person klar und unzweifelhaft festgelegt ist (9 ObA 87/04s). b) Die verfehlte Bezeichnung der Parteien (4 Ob 301/80, 1 Ob 580/81, 5 Ob 305/81; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 74), so etwa die Bezeichnung des Hausverwalters als Kläger in einem die ordentliche Verwaltung betreffenden Verfahren (SZ 19/186, 7 Ob 755/79, 6 Ob 541/90, 9 Ob 48/98v); eine amtswegige Richtigstellung der Parteienbezeichnung auf die Eigentümer scheidet jedenfalls dann aus, wenn der Hausverwalter trotz des Einwands der mangelnden Aktivlegitimation auf seiner Berechtigung, im eigenen Namen zu klagen, beharrt (9 Ob 48/98v). Es ist auch ein Verbesserungsverfahren einzuleiten, wenn etwa ein Notar ausdrücklich in Vertretung eines Kindes die Bewilligung eines Adoptionsvertrags beantragte, gegen die abweisliche Entscheidung jedoch einen Rekurs erhob, in dem er nicht ausdrücklich auf seine Eigenschaft als Vertreter der Parteien hinwies (1 Ob 180/00b). Dies gilt jedenfalls auch in Unterhaltsverfahren, in denen sich der obsorgeberechtigte Elternteil (irrtümlich) anstelle des Kindes als Rekurswerber bezeichnet, sofern man nicht ohnehin davon ausgeht, Rekurswerber ist das Kind (Bezeichnungsfehler; vgl Rz 7). c) Das Fehlen der Unterschrift der den Schriftsatz überreichenden Partei oder ihres einschreitenden Vertreters auf dem Schriftsatz (AnwBl 1980, 122 [zust Fenzl], 10 ObS 53/88, RZ 1992/56, 3 Ob 23/02g, 6 Ob 255/03y, 10 Ob 52/05b; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 76), uzw auch dann, wenn eine Klage in einem Prozess mit Anwalts638

§§ 84–85

1.2 Verfahren

pflicht zu Protokoll genommen worden ist (1 Ob 589/95, 7 Ob 90/05v). Dies gilt auch für telegrafisch oder mittels Fernkopierers (Telefax) eingebrachte Eingaben (vgl 1 Ob 41/99g = SZ 72/75 = JBl 1999, 661). d) Der mangelnde Nachweis einer allenfalls notwendigen Bevollmächtigung (Rechberger/Simotta Rz 522; G. Kodek in Fasching/ Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 101; LGZ Wien EFSlg 55.193 ua; 8 Ob 22/95 [Rechtsanwalt], 9 ObA 2277/96k [arbeitsgerichtliches Verfahren], 10 ObS 347/99y). e) Das Fehlen einer allenfalls notwendigen pflegschaftsbehördlichen Genehmigung (LGZ Wien EFSlg 55.013; G. Kodek in Fasching/ Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 102) oder der Zustimmung des anderen Elternteils (§ 154 Abs 3 ABGB; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 102) sowie das Fehlen einer Anwaltsunterschrift bei absoluter Anwaltspflicht (§ 27; Rechberger/Simotta Rz 522; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 77, 78; 1 Ob 41/99g = SZ 72/75 = JBl 1999, 661, 3 Ob 311/99b, 1 Ob 153/02k, 3 Ob 23/02g, 3 Ob 98/03p, 10 Ob 66/05m). Die Verletzung der Anwaltspflicht durch die Parteien hat also nicht die Nichtigkeit des Verfahrens zur Folge, sondern bewirkt bei schriftlichen Prozesshandlungen deren Zurückstellung zur Verbesserung, bei Tagsatzungen zufolge § 133 Abs 3 Säumnis (5 Ob 93/01i). f) Das Fehlen der erforderlichen Anzahl von Gleichschriften oder gesetzlich vorgeschriebenen Rubriken (Rechberger/Simotta Rz 522). Fasching (Rz 512) hält die amtliche Herstellung von Kopien auf Kosten des Einreichers für die schnellere und bessere Lösung. Dies ist an sich richtig (vgl auch G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 80 und nunmehr § 10 Abs 2 AußStrG), widerspricht aber dem klaren Gesetzeswortlaut und fördert uU den Missbrauch durch den Einschreiter. g) Das Fehlen der Bezeichnung der Streitsache (Rechberger/ Simotta Rz 522; Ballon Rz 155), eines Klagebegehrens (OLG Wien DREvBl 1938/406; Holzhammer 187; Konecny, JBl 1984, 14 FN 5; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 87) oder etwa der Erklärung in einer Wiederaufnahms- oder in einer Nichtigkeitsklage, welche andere Entscheidung in der Hauptsache begehrt wird (ZBl 1932/ 125; LGZ Wien EvBl 1948/261). h) Die Verfassung des Schriftsatzes in einer anderen als der deutschen Sprache, wenn keine Übersetzung durch den Schriftenverfasser beigebracht wurde (EvBl 1985/101; LGZ Wien 42 R 554/02k; Ballon Rz 155; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 96–99); Ausnahmeregelungen bestehen aber für Minderheiten nach dem VolksgruppenG. i) Die Vornahme einer unzulässigen objektiven Klagenhäufung, wenn das angerufene Gericht ohnehin für alle Ansprüche zuständig ist 639

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(3 Ob 90/95); andernfalls käme nämlich nicht eine Verbesserung, sondern eine teilweise Zurückweisung der Klage in Betracht (G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 100). j) Das Fehlen einer notwendigen Beilage (Mayr, BeitrZPR II 156 mit zahlreichen Beispielen; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 103–111; SZ 63/99, JBl 1978, 492, 3 Ob 142/03h; aA unzutr LGZ Wien EFSlg 46.768; OLG Innsbruck EvBl 1985/77; LG Innsbruck AnwBl 1986, 727 [abl Mayr]). Darunter werden etwa – soweit überhaupt notwendig – eine mit der Vollstreckbarkeitsbestätigung versehene Ausfertigung des Exekutionstitels (JBl 1958, 629, 3 Ob 269/59, EvBl 1979/229, 3 Ob 87/88), der Nachweis der Rechtsnachfolge nach § 9 EO (3 Ob 2416/96g), eine allenfalls notwendige Zustellurkunde (SZ 35/119, EvBl 1972/130, RdW 1986, 82, SZ 69/151), eine Bestätigung (SZ 67/113) oder eine Schiedsvereinbarung (ZfRV 1968, 123 [Zacherl], SZ 51/18, ZfRV 1992, 234) anlässlich der Einbringung eines Exekutionsbewilligungsantrags verstanden, uzw auch dann, wenn zunächst die Ablichtung der Urkunde vorgelegt wurde (3 Ob 272/75, EvBl 1979/15, SZ 55/ 42 = EvBl 1982/172, EFSlg 46.786, SZ 69/151). Als derartige (notwendige) Beilagen anzusehen sind auch Grundbuchsauszug und Interessentenverzeichnis anlässlich eines Antrags auf Bewilligung der Zwangsversteigerung (SZ 56/142 = NZ 1984, 176, 3 Ob 48/84, 3 Ob 131/95; für Grundbuchssachen vgl allerdings ausführlich Rz 1), eine mandatsfähige Urkunde und der Wechsel im Mandats- oder Wechselmandatsverfahren (Mayr, BeitrZPR II 158 mwN) sowie der Bescheid des Sozialversicherungsträgers bei einer Klage im Leistungsstreitverfahren nach § 83 ASGG (OLG Wien SSV 24/110, 10 Rs 56/97x). Zu den Bescheinigungsmitteln im Wiedereinsetzungsverfahren vgl §§ 148, 149 Rz 2. k) Das Fehlen des Vermögensbekenntnisses bei einem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe (10 ObS 165/95). Wird nicht verbessert, führt dies aber nicht zur Zurück-, sondern zur Abweisung des Verfahrenshilfebewilligungsantrags (3 Ob 130/05x). l) Das Vorliegen von Mängeln der äußeren Form des Schriftsatzes (Rechberger/Simotta Rz 522), wie etwa die Verwendung einer falschen Papiergröße oder eines Bleistifts bei der Unterfertigung des Schriftsatzes (Näheres dazu s § 74; vgl auch G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 91–94). m) Die Nichtverwendung eines Formblatts laut AFV 2002 BGBl II 2002/510 (G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 90, 154; OLG Wien WR 968) oder die Nichtanführung der dort geregelten feststehenden Textbausteine (LG Salzburg 33 R 78/87) bei Überreichung einer Mahnklage oder eines Exekutionsantrags, auf welche Formgebrechen § 251 Z 3 ZPO, § 54a Abs 3 Z 3 EO ausdrücklich Bezug nehmen (s auch Konecny, JBl 1984, 71); desgl die Nichtverwendung des ZP640

§§ 84–85

1.2 Verfahren

Form 1 (Vermögensbekenntnis) bei einem Verfahrenshilfeantrag (LG Linz 14 R 535/01x). n) Nach Popp (RdW 2000, 526) und G. Kodek (in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 84) soll auch das Fehlen des Übertragungsvermerks nach § 112 verbesserungsbedürftig sein. Kleinliche Formalismen sind jedoch zu vermeiden, weil maßgeblich die Frage ist, ob der Schriftsatz dem Gegenvertreter tatsächlich übermittelt worden ist oder nicht. o) Seit dem 1.1.2002 die Unterlassung der Angabe eines Eurobetrags im Leistungsbegehren einer Klage (LG Linz 14 R 184/02f). Bezeichnungsfehler. Mit der Neufassung des § 84 Abs 2 durch das 7 KSchG wurde klargestellt, dass die unrichtige Benennung eines Rechtsmittels, eines Rechtsbehelfs oder von Gründen unerheblich ist, wenn nur das Begehren deutlich erkennbar ist. Allein auf Grund der unrichtigen Bezeichnung kommt daher die Einleitung eines Verbesserungsverfahrens nicht in Frage, was auch für verfahrenseinleitende Schriftsätze (Klagen oder Anträge) zu gelten hat (s dazu ausführlich bei § 40a JN und Rz 14). Eine unrichtige Bezeichnung schadet aber nur dann nicht, wenn das Begehren deutlich erkennbar ist. Dabei kommt es auf die Auslegung des Parteienvorbringens im Einzelfall an (9 Ob 36/04s). Bezeichnet etwa ein Revisionswerber nicht gesondert jene Gründe, die für die Zulassung seines außerordentlichen Rechtsmittels sprechen, bedarf es keines Verbesserungsverfahrens, wenn sich diese Gründe insgesamt aus dem Revisionsvorbringen ergeben (RZ 1994/45, 3 Ob 561/ 94, 10 ObS 1003/96, 2 Ob 149/97v, 4 Ob 204/02g = EFSlg 101.902). Auch für die Lösung der Frage, welche Rechtssache ein Schriftsatz betrifft, kommt es allein auf dessen Inhalt und nicht auf die unrichtige Angabe des Aktenzeichens an (3 Ob 90/95, 3 Ob 9/96). Es kommt weiters nicht darauf an, wie die geltend gemachten Berufungsgründe bezeichnet werden, sondern darauf, welchem Berufungsgrund die Ausführungen in der Berufung zuzuzählen sind (2 Ob 323/98h, 3 Ob 283/ 02t = EFSlg 101.903, 8 ObA 200/02y = MietSlg 55.726). Anzuwenden soll § 84 Abs 2 Satz 2 auch dann sein, wenn eine Partei unrichtig bezeichnet wurde, aber klar erkannt werden kann, wer gemeint ist (2 Ob 24/98p). Richtigerweise ist hier jedoch nach § 235 Abs 5 vorzugehen (G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 65). Liegt lediglich ein Bezeichnungsfehler vor und stellt die Partei diesen richtig, kann ihr dies nicht untersagt werden. So verstößt auch ein „berichtigtes“ Rechtsmittel nicht gegen den Grundsatz der Einmaligkeit von Rechtsmitteln (3 Ob 72/00k). Wird unrichtigerweise ein Antrag im Verfahren außer Streitsachen 8 eingebracht, ist das gesetzmäßige streitige Verfahren einzuleiten (Fa641

§§ 84–85

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sching Rz 512; SZ 54/129 = EvBl 1982/61, EvBl 1982/196, SZ 55/184, NZ 1984, 9, SZ 62/119, 1 Ob 661/90). Erforderlichenfalls ist allerdings ein Verbesserungsauftrag dahingehend zu erteilen, dass die Bezeichnung des Schriftsatzes, der Parteien und des Rechtsschutzbegehrens geändert sowie der Streitwert zur Beurteilung der sachlichen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts angegeben wird (NZ 1984, 9; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 54). Dieser Grundsatz ist auch auf den Kündigungstermin in einer Kündigung anzuwenden (7 Ob 7/57, MietSlg 23.680, 4 Ob 2239/96k), nicht aber dann, wenn der Bestandgegenstand nicht hinreichend bezeichnet ist (5 Ob 549/95, 6 Ob 206/97f, 3 Ob 24/98w; weniger streng 1 Ob 217/98p = JBl 1999, 475, 2 Ob 315/99h [die genaue Bezeichnung des aufgekündigten Bestandobjekts darf kein formalistischer Selbstzweck sein]; vgl G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 64).

9 Hat sich bereits das Gericht in der Entscheidungsform vergriffen (etwa ein Urteil anstelle eines Beschlusses ausgefertigt), ist die Zulässigkeit eines erhobenen Rechtsmittels an der wahren Verfahrenslage zu messen und gemäß § 84 die richtige Entscheidungsform der Erledigung zugrunde zu legen (JBl 1960, 260, SZ 48/81, MietSlg 42.496, JBl 1990, 253, ÖBl 1992, 160, 4 Ob 508/94; vgl auch G. Kodek in Fasching/ Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 63).

10 Inhaltsmängel. Eine der wesentlichsten Neuerungen der ZVN 1983 war die Ausdehnung der Verbesserungsvorschriften auf die (bis dahin nicht verbesserungsfähigen [s die Nachweise für den Meinungsstand vor der ZVN 1983 bei Konecny, JBl 1984, 14 FN 5]) Inhaltsmängel, wobei der Wortlaut des § 84 Abs 3 allerdings mehrere Einschränkungen vornimmt und im Einzelfall die Abgrenzung von Formgebrechen und Inhaltsmängeln schwierig sein kann, weil in vielen Fällen beides vorliegt (Ballon Rz 156, der zutr als Beispiel das völlige Fehlen einer Berufungsbegründung, die gleichzeitig Zulässigkeitsvoraussetzung und Inhaltserfordernis ist, anführt; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 67). § 10 AußStrG unterscheidet daher überhaupt nicht mehr zwischen Form- und Inhaltsmängeln. Unvollständigkeiten. Während § 84 Abs 3 nur vom – offensichtlich gänzlichen – Fehlen des gesetzlich vorgeschriebenen Inhalts in einem bestimmenden Schriftsatz spricht (JAP 1991/92, 173 [zust Mayr]), sind dem auch Unvollständigkeiten gleichzuhalten, welche die vom Gesetz vorgesehene Art der sachlichen Erledigung des Antrags hindern (Fasching Rz 513; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 128; JBl 1991, 195; zum fehlenden Kostenbegehren in einem Schriftsatz s LGZ Wien WR 607 [keine Verbesserungsmöglichkeit; aA G. Kodek in 642

§§ 84–85

1.2 Verfahren

Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 190–192]; vgl zur Frage der Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Vor § 146 Rz 3). Ein Inhaltsmangel liegt demnach vor: 11 a) Wenn eine Klage nur ein unbestimmtes Klagebegehren enthält (Konecny, JBl 1984, 63; Ballon Rz 156; Fasching Rz 513; Rechberger/ Simotta Rz 523; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 143, 151; SZ 60/47, wobl 1991/99, RZ 1993/8, ÖJZ-LSK 1997/141). Dies gilt aber nicht, wenn sich das gestellte Begehren unzweifelhaft aus dem mit dem Begehren eine Einheit bildenden Tatsachenvorbringen ergibt (§ 226 Abs 1 ZPO), sodass es nur einer deutlicheren und klareren Fassung des Urteilsspruchs bedürfte (SZ 60/47). b) Wenn einer Klage jegliche Klagebegründung fehlt (Fasching Rz 1041; Ballon Rz 156; Rechberger/Simotta Rz 523). Dies gilt auch für Unterhaltsvorschussanträge, denen vollständige Angaben fehlen (LGZ Wien 43 R 57/01b). Zur Schlüssigkeitsprüfung einer Mahnklage vgl bei § 244. c) Wenn sachliche Einwendungen in einer Klagebeantwortung fehlen („leere Klagebeantwortung“; NZ 1916, 377, ZBl 1926/207; Konecny, JBl 1984, 64 mwN; Fasching Rz 513), wobei allerdings selbst eine unterbliebene Verbesserung nicht zu Säumnisfolgen führen kann (Stohanzl § 84 Anm 2; Petrasch, ÖJZ 1985, 261; G. Kodek in Fasching/ Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 159; Mahrer, AnwBl 2004, 336). d) Wenn im Konkursverfahren Anträge von Gläubigern eine zielführende Erklärung des Masseverwalters oder der anderen Konkursgläubiger nicht zulassen, ob die Richtigkeit und/oder die Rangordnung der angemeldeten Forderungen bestritten werden soll (8 Ob 9/90, 8 Ob 2091/96z, 8 Ob 138/98x, 8 Ob 153/98b). Auch meritorische Mängel eines Zwangsausgleichsvorschlags sind verbesserbar (OLG Linz ZIK 2000/169; 8 Ob 327/99t = ZIK 2000/279); ebenso wenn nicht sämtliche Voraussetzungen des § 183 KO erfüllt sind (8 Ob 5/05a). e) Wenn ein Rechtsmittel keine Begründung oder keinen Antrag enthält (Ballon Rz 156; vgl auch G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 164–185; JBl 1981, 489 [zust Mayr], SZ 59/134 = JBl 1987, 189, JBl 1993, 459; vgl auch 1 Ob 121/97v [außerordentliche Revision], 5 Ob 342/98z, 4 Ob 43/99y, 4 Ob 48/99h, 3 Ob 243/00g [Fehlen eines Strafantrags bei Exekution nach § 355 EO], 8 Ob 46/01s = EFSlg 98.170, 3 Ob 248/01t = EFSlg 98.170, 6 Ob 167/02f = EFSlg 101.904; 10 Ob 66/ 05m); zum „inhaltsleeren „Rechtsmittel“ s Rz 3 lit l. Eine Verweisung einer Rechtsmittelschrift auf Inhalt und Anträge einer früheren Rechtsmittelschrift oder eines anderen Schriftsatzes ist unbeachtlich und stellt einen – nicht verbesserungsfähigen (SZ 69/209, 1 Ob 170/00g = MietSlg 52.798, 1 Ob 236/01i) – Inhaltsmangel dar (vgl SZ 53/89, SZ 643

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Gitschthaler

69/209, ZVR 1993/137, MietSlg 51.738, 1 Ob 148/99t, 1 Ob 117/00p). Wird ein Rechtsmittel mittels Telefax übermittelt und die Übertragung nach mehreren Seiten unterbrochen, ist ein Inhaltmangel anzunehmen, wenn ersichtlich ist, dass es sich nicht bloß um ein leeres Rechtsmittel handelte, um eine Fristverlängerung zu bewirken (9 ObA 116/03d). f) Wenn in einer Berufung ein Aufhebungs-, jedoch kein Abänderungsantrag gestellt wird, obwohl letzterer zwanglos aus dem Inhalt der Berufung ableitbar wäre (SZ 59/134 = JBl 1987, 189, 7 Ob 629/88; zutr die Notwendigkeit eines Verbesserungsverfahrens überhaupt verneinend OLG Wien EvBl 1993/146 und wohl auch 9 ObA 290/92). g) Wenn eine Partei im Zulassungsbereich nach § 502 Abs 3, § 528 Abs 2 Z 1a ZPO (1 Ob 78/98x, wobl 1998/211 [M. Mohr], 4 Ob 321/98d, 6 Ob 292/01m = EFSlg 98.171) – dies gilt auch in Arbeits- und Sozialrechtssachen seit der ZVN 2002 (10 ObS 159/03k, 8 ObA 106/03a) – oder § 63 AußStrG (6 Ob 148/05s) anstelle eines Antrags an das Gericht II. Instanz, seinen Zulassungsausspruch dahin abzuändern, dass ein ordentliches Rechtsmittel an den OGH doch für zulässig erklärt werde, ein außerordentliches Rechtsmittel an den OGH beim Erstgericht einbringt. Im Hinblick auf § 84 Abs 2 Satz 2 wird es in diesen Fällen aber zutr auch für zulässig erachtet, dass das Erstgericht das außerordentliche Rechtsmittel sofort dem Gericht II. Instanz vorlegt und dieses das Rechtsmittel als Abänderungsantrag behandelt (etwa 2 Ob 100/98i, 4 Ob 48/99h). h) Wenn in einer Berufung zwar beantragt wird, das angefochtene Urteil „nach Beweiswiederholung“ in eine bestimmte Richtung abzuändern, ein Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung nach § 492 Abs 1 jedoch nicht gestellt wird (JBl 1988, 472, RZ 1991/76; etwas einschränkend SSV-NF 5/9). Wenn bloß die Aufhebung der Entscheidung samt Auftrag zur neuerlichen Entscheidung durch das Rechtsmittelgericht in merito beantragt wird, schadet dies nicht, wenn bereits alle rechtlichen Voraussetzungen für eine Entscheidung in der Sache erfüllt sind, weil die Einleitung eines Verbesserungsverfahrens (zur Nachholung eines Abänderungsantrags) entbehrlich ist und ein bloßer verfahrensverzögernder Formalismus wäre (7 Ob 107/02i). i) Wenn sich die Ausführungen einer Berufung zum Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung auf einzelne von mehreren geltend gemachten Ansprüchen beschränken, sich aus dem übrigen Inhalt der Berufung aber zwanglos ableiten lässt, dass sich der Berufungswerber auch in anderen Punkten als beschwert erachtet (SSV-NF 1/14, 6 Ob 570/93). j) Wenn die Zuständigkeitsangaben unklar oder unvollständig sind (Rechberger/Simotta Rz 523), also aufgrund der Angaben in einer Klage 644

§§ 84–85

1.2 Verfahren

die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts oder dessen Besetzung (Arbeits- oder Sozialrechtssache) nicht mit hinreichender Sicherheit geklärt, jedoch auch nicht ausgeschlossen werden kann, dass das angerufene Gericht tatsächlich zuständig oder keine Arbeits- oder Sozialrechtssache vorliegt (OLG Graz EvBl 1987/26 [zust Mayr, BeitrZPR II 165; Ballon, FS Fasching 64]; vgl auch SZ 70/161). Anderes gilt hingegen, wenn die Klagsangaben zur Beurteilung dieser Fragen ausreichen, etwa weil der allgemeine Gerichtsstand des Beklagten bestimmbar ist (HG Wien WR 360 mwN; 2 Ob 531/90, JAP 1991/92, 173 [zust Mayr], 5 Ob 14/05b; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 150; aA LGZ Wien WR 347; vgl auch bei § 41 JN). Im Hinblick auf Art 26 EuGVVO hat das Gericht ein Verbesserungsverfahren einzuleiten, wenn – außerhalb des ausschließlichen Zuständigkeitsbereichs des Art 22 EuGVVO – sich der Beklagte in den Streit nicht einlässt und der Klage Angaben zur Zuständigkeit des angerufenen Gerichts fehlen oder unzureichend sind (5 Ob 312/01w). k) Wenn aufgrund eines Schriftsatzes eines Versicherten keine Klarheit darüber besteht, ob er einen bestimmten Bescheid eines Sozialversicherungsträgers bei Gericht anfechten oder einen (weiteren) Leistungsanspruch beim Sozialversicherungsträger geltend machen will (10 ObS 233/98g; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 143). l) Wenn im Widerspruch des Beklagten gegen ein Versäumungsurteil das für die Klagebeantwortung vorgeschriebene Inhaltsvorbringen, in Wiedereinsetzungsanträgen die versäumte Prozesshandlung (JBl 1987, 795, 3 Ob 65/88, 6 Ob 255/03y; s auch bei §§ 148, 149), in einer außerordentlichen Revision oder in einem außerordentlichen Revisionsrekurs die Begründung, warum das Rechtsmittel trotzdem zulässig sein soll, oder in Nichtigkeits- und Wiederaufnahmsklagen die Ausführung des Nichtigkeits- oder Wiederaufnahmsgrunds (Fasching Rz 513) fehlen oder die neuen Beweismittel mangelhaft bezeichnet sind (SZ 68/113, 7 Ob 306/01b). m) Wenn eine Mahnklage nicht jene Angaben enthält, die ihre Prüfung im Hinblick auf § 244 Abs 2 Z 2 zulassen (Konecny, JBl 1984, 15). n) Wenn zur Begründung der sachlichen Zuständigkeit des Arbeits- und Sozialgerichts lediglich behauptet wird, dem Beklagten komme arbeitnehmerähnliche Stellung zu (SZ 70/161). o) Wenn ein Antrag auf pfandweise Beschreibung das Bestandobjekt unzureichend beschreibt (aA LG Innsbruck RPflSlgE 1992/65). p) Wenn innerhalb der Frist des § 40 MRG lediglich eine Minderheit der vermietenden Miteigentümer den Antrag auf Entscheidung durch das Gericht eingebracht hat (5 Ob 446/97t = immolex 1999/7, 5 Ob 321/99p, 5 Ob 230/00k, 5 Ob 68/01p, 5 Ob 289/02i). 645

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Gitschthaler

q) Wenn in einem Antrag auf Bewilligung der Unterlassungsexekution (§ 355 EO) ein Zuwiderhandeln gegen den Exekutionstitel überhaupt nicht behauptet wird (3 Ob 162/05b).

12 Unschlüssiges (unbestimmtes, unvollständiges, widersprüchliches) Vorbringen einer Klage stellt grundsätzlich einen verbesserungsfähigen Inhaltsmangel des Schriftsatzes dar (1 Ob 606/95, 8 Ob 294/01w, 1 Ob 15/02s, 7 Ob 179/02b, 1 Ob 73/03x = JBl 2003, 653 [Gitschthaler/Höllwerth], 2 Ob 117/04a = AnwBl 2004/7962 [Mayr], 1 Ob 83/04v, 6 Ob 51/05a; Ballon Rz 314; Fasching Rz 514; Konecny, JBl 1984, 16; Gitschthaler/Höllwerth, JBl 2003, 654; aA Rechberger/Simotta Rz 523; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 146). Einer Unterscheidung dahingehend, ob es sich um eine Unvollständigkeit des Vorbringens handelt, die die Klage unschlüssig macht und die vom Gesetz vorgesehene Art der Erledigung in jeder Richtung hin hindert (Verbesserung; idS OLG Graz EvBl 1987/26; 2 Ob 531/90, JUS 1992/Z/1238 [Exszindierungsklage], SZ 68/113 [Wiederaufnahmeklage], 6 Ob 182/00h, 2 Ob 222/01p ua), oder ob das Vorbringen zwar unvollständig und damit auch unschlüssig, eine sachliche Erledigung aber nicht ausgeschlossen (wenn auch nicht im stattgebenden Sinn) ist (keine Verbesserung; EvBl 1985/153, SZ 57/69, SZ 59/134 = JBl 1987, 189, RdW 1987, 54, 4 Ob 1009/88, 2 Ob 531/90, SZ 68/113, 2 Ob 2390/96a, 8 ObA 149/00w = ARD 5276/58/2002), bedarf es nicht, weil ja eine sachliche Erledigung (iS einer Klagsabweisung) einer unschlüssigen Klage immer möglich wäre (1 Ob 73/03x = JBl 2003, 653 [Gitschthaler/Höllwerth]; 2 Ob 117/04a = AnwBl 2004/7962 [Mayr], 9 ObA 7/04a). Zur Verbesserungsnotwendigkeit von unschlüssigen Mahnklagen (ebenso G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 154) unter Fristsetzung s ausführlich Gitschthaler/Höllwerth, JBl 2003, 654. Eine Verbesserung hat allerdings zu unterbleiben, wenn nicht erkennbar ist, in welcher Weise die Schlüssigkeit des Begehrens herbeigeführt werden könnte (SZ 66/97; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 146). Keine Verbesserung ist auch möglich, wenn das Vorbringen zwar formell vollständig, inhaltlich jedoch unschlüssig ist, weil der Kläger eine unrichtige rechtliche Beurteilung (Subsumption) vorgenommen hat, wenn also Inhaltsmängel iS sachlich unrichtiger Ausführungen gegeben sind (Fasching Rz 513; Rechberger/Simotta Rz 523; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 144, 147; EvBl 1985/153, infas 1986/A 80, RdW 1987, 54, JAP 1991/92, 173 [zust Mayr], AnwBl 1991, 749 [zust Strigl 677], Arb 10.982, 8 Ob 216/97s, 9 ObA 214/97d, 3 Ob 243/00g, 1 Ob 284/01y; aA Konecny, JBl 1984, 13; 8 ObA 2308/96m = SZ 69/256). Die Verbesserungsvorschriften sollen 646

§§ 84–85

1.2 Verfahren

jedenfalls nicht dazu dienen, sachlich unrichtige oder unschlüssige Ausführungen zu korrigieren (5 Ob 86/01k = MietSlg 53.668). Die Fristgebundenheit des Schriftsatzes als generelle Voraussetzung 13 für die Verbesserung eines Inhaltsmangels (Hauptanwendungsfälle wären damit Rechtsmittel und Anträge auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand; s Konecny, JBl 1984, 13, 65; Mayr, BeitrZPR II 160 unter Hinweis auf die Mat) ließe im Bereich der verfahrenseinleitenden Anträge nur eine Verbesserung von Nichtigkeits-, Wiederaufnahms- und Besitzstörungsklagen (zu Letzteren vgl G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 155) zu (krit dazu bereits Fasching, JBl 1982, 120 FN 46; Konecny, JBl 1984, 62). Daher geht die hM (neben Fasching und Konecny auch Ballon Rz 198; ders, FS Kralik 51; ders, FS Fasching 65; Mayr, AnwBl 1986, 727; ders, AnwBl 1992, 238 [jeweils Entscheidungsbesprechungen]; Rechberger/Simotta Rz 523; Stohanzl § 84 Anm 3; Gitschthaler/Höllwerth, JBl 2003, 654; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 119–123; KG Krems MietSlg 36.777, 38.191; OLG Graz EvBl 1987/26 [zust Mayr, BeitrZPR II 165]; LGZ Wien WR 347, MietSlg 40.208; SZ 60/286 = AnwBl 1988, 637 [zust Arnold], AnwBl 1992, 237 [zust Mayr], JAP 1991/92, 173 [zust Mayr], wobl 1991/99, SZ 68/113, 1 Ob 41/99g = SZ 72/75 = JBl 1999, 661, 2 Ob 222/01p; aA Holzhammer 187; LG Innsbruck AnwBl 1986, 727 [abl Mayr]; HG Wien WR 360) zutr davon aus, dass bei allen Klagen die Verbesserung von Inhaltsmängeln zulässig ist. Zwischen den Parteien muss Waffengleichheit bestehen; die fristgebundene Klagebeantwortung wäre nämlich einer Verbesserung von Inhaltsmängeln jedenfalls zugänglich. Dies gilt zwar auch für andere verfahrenseinleitende Anträge (etwa in 14 Verfahren außer Streitsachen; Konecny, JBl 1984, 62; vgl G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 124; vgl auch § 10 Abs 4 AußStrG), nicht jedoch für Anträge auf Ordination nach § 28 JN. Da sie an keine Frist gebunden sind, kommt eine Verbesserung nicht in Betracht (JBl 1988, 322 [zust Pfersmann], 3 Nd 501/99, 2 Nc 11/04x), uzw hinsichtlich allfälliger Inhaltsmängel, während bei Formmängeln ein Verbesserungsverfahren einzuleiten ist (G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 158). Für Exekutionsbewilligungsanträge galt bis 1995, dass bei Fehlen der gemäß § 54 Abs 1 EO erforderlichen Angaben der Bewilligungsantrag abzuweisen war (RZ 1990/112, 3 Ob 126, 127/93), nunmehr liegt aber ein verbesserungsfähiger Inhaltsmangel vor, wenn ein Exekutionsantrag nicht das gesetzlich vorgeschriebene Vorbringen enthält (§ 54 Abs 3 EO idFd EO-Novelle 1995; 3 Ob 2323/96f, 3 Ob 86/ 97m, 3 Ob 276/98d; LG Eisenstadt 13 R 37/02t). Eine Beschränkung 647

§§ 84–85

Gitschthaler

dieses Grundsatzes auf das vereinfachte Bewilligungsverfahren ist dabei nicht vorgesehen. Nach der Rsp (SZ 60/286 = AnwBl 1988, 637 [zust Arnold], 4 Ob 141/93, 2 Ob 2390/96a; ebenso Fasching Rz 513; G. Kodek in Fasching/ Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 153) ist eine Eingabe, die auf Bewilligung von Verfahrenshilfe und Beigebung eines Rechtsanwalts gerichtet ist und deren Inhalt auch den Sachverhalt und das Begehren der (vom Verfahrenshilfeanwalt einzubringenden) beabsichtigten Klage deutlich erkennen lässt, als verbesserungsfähige Klageschrift anzusehen, die auch eine Unterbrechung der Verjährungsfrist bewirkt. Allerdings muss dieser Verfahrenshandlung der Partei auch das Rechtsschutzziel zu entnehmen sein, damit einen Zivilprozess einleiten und eine Sachentscheidung über einen Urteilsantrag begehren zu wollen. Ein (nicht näher substanziierter) Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe reicht nicht aus (2 Ob 533/90, AnwBl 1992, 237 [zust Mayr], 4 Ob 141/93, 1 Ob 45/05g [zur Frist nach § 95 EheG]).

15 Einmaligkeit des Rechtsmittels und Verbesserung. Vor der ZVN 1983 war nach der überwL (s die Nachweise bei Mayr, JBl 1981, 458, 520; aA Fasching IV 26; Rechberger, ZAS 1970, 223; ders, JBl 1981, 384; Holzhammer 318; Pichler, JBl 1983, 82) und insb der Rsp (s die Nachweise bei Mayr, RZ 1987, 267 FN 4) die Erhebung eines Rechtsmittels im zivilgerichtlichen Verfahren eine einheitliche und abgeschlossene Prozesshandlung, die einer Partei gegen dieselbe Entscheidung nur einmal zustehen sollte. Seit der ZVN 1983 – insb im Hinblick auf die nunmehr auch vorhandene Möglichkeit der Verbesserung von Inhaltsmängeln und die Neuformulierung des § 84 Abs 3 („… und sonstige Ergänzungen …“) – vertritt die Lehre (Konecny, JBl 1984, 70; Ballon Rz 341; ders, FS Kralik 53; Fasching Rz 1693; Rechberger/Simotta Rz 830; Holzhammer 318; Pichler, JBl 1983, 82) überwiegend die Auffassung, dieser Grundsatz der Einmaligkeit eines Rechtsmittels sei beseitigt worden. Nach der Rsp (RdW 1987, 54, AnwBl 1987, 296 [zust Mayr], SSV-NF 2/5, EvBl 1989/93, SSV-NF 3/76, 7 Ob 258/00t, 1 Ob 310/01x = JBl 2002, 520, 7 Ob 270/03m, 6 Ob 124/04k; ebenso Mayr, RZ 1987, 265; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 139–142) sind jedoch der Austausch oder die Verbesserung von Rechtsmittelschriften nur zulässig, wenn die ursprüngliche Rechtsmittelschrift an einem den – nunmehr erweiterten – Verbesserungsvorschriften unterliegenden Mangel gelitten hat; dies allerdings auch nach Ablauf der Rechtsmittelfrist (Mayr, RZ 1987, 266) und vor Erteilung des Verbesserungsauftrags (so nunmehr auch G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 141). Der Austausch einer Rechtsmittelschrift oder das Nachtragen von weiteren Rechtsmittelgründen sind aber unzulässig (vgl etwa SSV-NF 2/5), wenn 648

§§ 84–85

1.2 Verfahren

kein fehlerhaftes Rechtsmittel vorgelegen ist (Mayr, RZ 1987, 267; aA möglicherweise 8 Ob 264/00g = EvBl 2001/211 zu Einwendungen gegen einen Wechselzahlungsauftrag). Damit beschränkt sich der Auffassungsunterschied zwischen hL und Rsp auf jene wenigen Fälle, in denen der Rechtsmittelwerber ein formal einwandfreies, zur meritorischen Behandlung geeignetes Rechtsmittel einbringt, dieses aber noch während offener Rechtsmittelfrist abändern oder ergänzen will. Dazu kommt, dass Rechtsmittel ohnehin idR am Ende der Frist überreicht werden und für einen weiteren Rechtsmittelschriftsatz sohin zeitlich kein Raum mehr bleibt (Mayr, RZ 1987, 267). Der Grundsatz der Einmaligkeit eines Rechtsmittels gilt auch im Verfahren außer Streitsachen (EFSlg 82.681, 9 Ob 41/00w, 1 Ob 156/ 01z, 9 Ob 40/02a, 10 Ob 60/03a [alle zur Rechtslage des AußStrG 1854]), woran auch durch das AußStrG BGBl I 2003/111 nichts geändert wurde (3 Ob 52/05a; Rechberger in Rechberger, AußStrG § 47 Rz 3; Fucik/Kloiber, AußStr § 45 Rz 6). Teilrechtskraft einer angefochtenen Entscheidung tritt bei Zurückstel- 16 lung des Rechtsmittels zur Verbesserung im Hinblick auf §84 Abs 3 nur ein, wenn die (lediglich) Teilanfechtung zweifelsfrei und nach objektiven Auslegungskriterien feststeht; dabei ist der gesamte Inhalt der Rechtsmittelschrift heranzuziehen (1 Ob 542/90, 6 Ob 570/93). Dies ist etwa dann der Fall, wenn in der Anfechtungserklärung und auch im -antrag genau differenziert wird (2 Ob 339/62, 5 Ob 95/74, 2 Ob 24/98p, 9 Ob 272/98k). Eine Verbesserung nach Ablauf der Rechtsmittelfrist kann sich daher nicht gegen bereits in Teilrechtskraft erwachsene Teile der angefochtenen Entscheidung richten (LGZ Wien EFSlg 76.045). Vgl ausführlich auch G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 136–138. Verbesserungsauftrag. Nach § 85 Abs 1 kann (Ermessen des Gerichts 17 [RZ 1933, 242, 10 ObS 347/99y; LG Salzburg 21 R 43/02y]) die Partei zum Zweck der Verbesserung entweder vorgeladen – die in § 126 Abs 2 lit a Geo vorgesehene Ladung ohne Zustellnachweis ist problematisch, weil nicht klar ist, ob die Partei die Aufforderung nicht erhalten hat oder nicht verbessern will; kommt die Partei der Vorladung nicht nach, ist der Schriftsatz jedenfalls nicht zurückzuweisen, sondern an die Partei mit den nötigen Auflagen zurück zu stellen (Fasching Rz 515; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 245) – oder ihr der Schriftsatz im Original (LGZ Wien WR 578; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 243) mit der Anweisung (allenfalls urschriftlich auf dem Schriftsatz [§ 115 Abs 1 Geo]) zur Behebung der gleichzeitig zu bezeichnenden Formgebrechen zurückgestellt werden. Gemäß § 59 Abs 1 Geo ist der Partei eine möglichst einfache Gelegenheit zu geben 649

§§ 84–85

Gitschthaler

(10 ObS 347/99y), worunter etwa auch die Erteilung eines telefonischen Verbesserungsauftrags zu verstehen ist, wenn bei dieser Vorgangsweise mit einer Verbesserung gerechnet werden kann (LGZ Wien EFSlg 60.805; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 240). Im Anwendungsbereich des AußStrG ist zu berücksichtigen, dass § 10 Abs 4 die nachweisliche Zustellung der Aufforderung zur Mängelbehebung vorsieht, was dafür spricht, auch im Bereich der streitigen Verfahren auf die Einhaltung größerer Formstrenge zu achten. Den Verbesserungsauftrag hat grundsätzlich, uzw auch im Rechtsmittelverfahren, das Erstgericht zu erteilen (3 Ob 23/02g; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 227–230). Doppelverbesserung. Da vom Gericht sämtliche zu verbessernden Mängel (vgl § 59 Abs 1 Geo; LGZ Wien EFSlg 82.193, 85.262; MietSlg 49.621) anzuführen sind, ist ein weiterer Verbesserungsauftrag zu erteilen, wenn beim ersten Auftrag vom Gericht Mängel übersehen und daher vom Einschreiter auch nicht verbessert wurden (6 Ob 602/95, 3 Ob 131/95, 10 Ob 66/05m; LGZ Wien MietSlg 52.717, EFSlg 101.909; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 292). Dies gilt hingegen nicht, wenn nur ein untauglicher Verbesserungsversuch durch den Einschreiter vorgenommen wird, sodass der Schriftsatz weiterhin an einem Mangel leidet (LGZ Wien EFSlg 61.023; SZ 24/218, 3 Ob 75/01b = EvBl 2001/177; Konecny, JBl 1984, 19; aA G. Kodek in Fasching/Konecny II/ 2 §§ 84, 85 Rz 289, 294). Grundsätzlich ist aber das Verbesserungsverfahren, uzw auch bei Verbesserungsaufträgen, die mit keiner Fristsetzung verbunden sind, auf einen einmaligen Versuch zu beschränken (3 Ob 75/01b). Hält erst das Berufungsgericht das Klagebegehren für verbesserungsbedürftig (etwa für zu wenig bestimmt), so kann es diese Verbesserung entweder in der mündlichen Berufungsverhandlung selbst durchführen lassen oder das angefochtene Urteil zum Zweck der Verbesserung aufheben (6 Ob 120/58, NZ 1969, 42, JBl 1979, 153, RZ 1979/ 91, AnwBl 1990, 656 [Ortner], 5 Ob 72/97t, 7 Ob 149/03t = MietSlg 55.644; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 89, 253); sofort abweisen darf es das Klagebegehren nicht (G. Kodek in Fasching/ Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 253). Die Wahrnehmung der Mangelhaftigkeit durch Unterlassung der Verbesserungsmöglichkeit bereits im erstinstanzlichen Verfahren setzt aber eine entsprechende Rüge im Rechtsmittel voraus (6 Ob 51/05a). Im Rechtsmittelverfahren über einen Sicherungsantrag (Einstweilige Verfügung) kann ein Verbesserungsverfahren wegen der Unbestimmtheit des Begehrens hingegen nicht durchgeführt werden (1 Ob 27/91). Schreitet ein nicht zur Vertretung Befugter (etwa Rechtsanwaltsanwärter in einem Verfahren mit Anwaltspflicht) ein, ist der Verbesse650

§§ 84–85

1.2 Verfahren

rungsauftrag der Partei selbst zuzustellen (EvBl 1989/176), bringt jedoch der Bevollmächtigte einer Partei ein verbesserungsbedürftiges Rechtsmittel ein, ist es diesem zur Verbesserung zurückzustellen (5 Ob 271/70, 1 Ob 744/78). Inhalt des Verbesserungsauftrags. Bei Erteilung eines derartigen Auf- 18 trags, uzw an den Vertreter der Partei (EvBl 1989/176) – der Auftrag kann auch nicht deshalb unterlassen werden, weil die Partei ohnehin anwaltlich vertreten ist (G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 26, 238; Konecny, JBl 1984, 18, der bei einem Verbesserungsauftrag an einen Rechtsanwalt jedoch den Hinweis auf das Vorliegen eines Mangels zutr als ausreichend ansieht und eine Belehrung, wie dieser zu beseitigen sei, nicht für erforderlich erachtet; idS auch 1 Ob 188/01f; LG Salzburg 33 R 78/87; anders hingegen bei der unvertretenen Partei LGZ Wien 42 R 156/01d; Fasching Rz 515), – sind die Mängel einzeln und konkret zu bezeichnen (1 Ob 188/01f [Schlüssigstellung eines Klagebegehrens], 10 Ob 66/05m, 2 Ob 188/05v [Möglichkeit der Vertretung in Verfahren außer Streitsachen auch durch einen Notar]; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 247; vgl zur Gefahr der Präjudizierung des Richters Konecny, JBl 1984, 18; Fasching Rz 513; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 23–25). Eine Ladung der Partei „zwecks Verbesserung des Rechtsmittels“ kann nicht als ausreichend angesehen werden (6 Ob 643/84; aA G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 244). Wird ein Verbesserungsauftrag nicht ordnungsgemäß erteilt, beginnt die Verbesserungsfrist nicht zu laufen (6 Ob 643/84), die Verbesserung bleibt weiterhin möglich (JBl 1987, 795, 10 Ob 66/05m). Die Festsetzung einer Verbesserungsfrist ist zwingend, wenn bei 19 Überreichung des Schriftsatzes eine Frist einzuhalten war. Dies gilt nicht nur bei Rechtsmittelschriften (vgl etwa 7 Ob 314/98x) und fristgebundenen verfahrenseinleitenden Anträgen (etwa Besitzstörungsklagen), sondern auch bei nicht fristgebundenen Verfahrenseinleitungsanträgen (1 Ob 41/99g = SZ 72/75 = JBl 1999, 661; Gitschthaler/Höllwerth, JBl 2003, 654 insb zu Mahnklagen; im Hinblick auf eine allfällige Verjährung kommt es auf den Zeitpunkt des Einlangens der nicht prozessordnungsgemäßen Klage an [EvBl 1985/101, 7 Ob 112/04b, 4 Ob 187/04k; s auch SZ 60/286 = JBl 1988, 527; Schubert in Rummel § 1497 ABGB Rz 6]). Die Frist beginnt mit Zustellung des Verbesserungsbeschlusses zu laufen. Wurde die Verbesserung eines Antrags auf Bewilligung der Verfahrenshilfe durch Anschluss eines Vermögensbekenntnisses aufgetragen, beginnt sie erst mit Zustellung auch des entsprechenden Formulars (10 ObS 165/95). Das Gericht ist dabei nicht verpflichtet, 651

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Gitschthaler

den Einschreiter über die Folgen einer Versäumung der Verbesserungsfrist zu belehren (EvBl 1966/60), auch wenn dies bei unvertretenen Parteien ratsam erscheint (vgl § 432; idS nunmehr auch G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 248). Die Verbesserungsfrist behält den Charakter der ursprünglichen Frist (4 Ob 285/04x; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 263, 264). Dies hat Bedeutung im Zusammenhang mit allfälligen Fristverlängerungen durch den Einfluss der verhandlungsfreien Zeit, dh konkret in den Fällen des § 225 Abs 2 (ebenso G. Kodek in Fasching/ Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 263; aA wohl Deixler-Hübner in Fasching/ Konecny II/2 § 148 Rz 9, nach deren Auffassung die verhandlungsfreie Zeit den [verbesserungs-]Fristenlauf immer unberührt lässt), aber auch für die Beurteilung, ob es sich um eine Notfrist handelt (3 Ob 75/01b). Allerdings verliert die als richterliche Frist des Prozessrechts zu beurteilende Verbesserungsfrist diesen Charakter nicht, wenn der zu verbessernde Antrag in einer (materiellrechtlichen) Fallfrist (etwa gemäß § 95 EheG) eingebracht wurde (4 Ob 285/04x). Die Verbesserungsfrist wird mit Zustellung des Verbesserungsauftrags in Gang gesetzt (1 Ob 181/05g). Wiedereinsetzung in die versäumte Verbesserungsfrist ist bei Vorliegen der Voraussetzungen nach § 146 möglich (G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 298).

20 Wird vom Gericht gesetzwidrigerweise keine Verbesserungsfrist festgelegt, gilt nach der Rsp (2 Ob 488/59, SZ 41/18, 8 ObA 2353/96d, 8 ObA 150/01v = immolex 2001/70; LG Salzburg 21 R 341/02x) der Schriftsatz nur dann als zum ursprünglichen Zeitpunkt überreicht, wenn die Wiedervorlage alsbald und ohne unnötigen Aufschub erfolgte. Zu bedenken ist dabei aber, dass der Verbesserungsauftrag fehlerhaft war (Fehlen einer gesetzlich vorgeschriebenen Frist) und daher ein ordnungsgemäßes Verbesserungsverfahren noch gar nicht in Gang gesetzt worden ist, die Verbesserung also auch unbefristet vorgenommen werden kann (vgl zum Mahnverfahren Gitschthaler/Höllwerth, JBl 2003, 654; idS wohl auch G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 262; EvBl 1985/299, 10 ObS 89/04t, 9 ObA 87/04s [wird ein Verbesserungsauftrag nicht ordnungsgemäß erteilt, beginnt die Verbesserungsfrist nicht zu laufen und die Verbesserung bleibt weiterhin möglich]; vgl auch Rz 19). Nach 1 Ob 217/03y soll nunmehr eine Verbesserung dann rechtzeitig sein, wenn sie innerhalb eines Zeitraums erfolgt, der jener Frist entspricht, die für die Einbringung des zu verbessernden (fristgebunden) Schriftsatzes offen stand. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, es könne nunmehr von einem Verbesserungsauftrag überhaupt Abstand genommen und bloß zugewartet werden, weil die Partei ja dann gar nicht weiß, dass ihr Schriftsatz verbesserungsnotwendig ist. 652

§§ 84–85

1.2 Verfahren

Eine Verbesserung kann von der Partei grundsätzlich auch schon vor ihrer Anordnung vorgenommen werden, weil die zu erteilende Frist in diesem Fall noch gar nicht in Lauf gesetzt worden war (SZ 23/ 79, EvBl 1985/299, JBl 1987, 795, EFSlg 55.014, 7 Ob 646/94; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 20, 262). Ähnlich wie § 464 Abs 3 nimmt § 85 Abs 2 letzter Satz (vgl RZ 1989/51) 21 auf den Fall Bedacht, dass eine Partei während des Laufs der Verbesserungsfrist einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe und Beigabe eines Rechtsanwalts stellt. In diesem Fall beginnt die Verbesserungsfrist (nicht aber etwa eine Rechtsmittelfrist, die schon vorher abgelaufen war [EvBl 1970/316, 7 Ob 208/70, RZ 1989/51, 10 ObS 67/ 98w]) mit Zustellung des Bescheids über die Bestellung eines Rechtsanwalts oder mit Rechtskraft des Abweisungsbeschlusses neu zu laufen. Dies gilt auch, wenn der ursprünglich bestellte Rechtsanwalt zur Verfahrenshilfe während des Laufs der Verbesserungsfrist enthoben und ein neuer Rechtsanwalt bestellt wird (AnwBl 1987, 296 [zust Mayr]). Im Vorbringen jener Partei, der der Verbesserungsauftrag erteilt wurde, zufolge ihrer schlechten finanziellen Verhältnisse sei sie nicht in der Lage, dem Verbesserungsauftrag entsprechend einen Rechtsanwalt zu bestellen, ist ein Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zu erblicken (SSV-NF 6/106). Seit der WGN 1997 enthält § 85 Abs 2 einen Verweis auf § 73 Abs 3, womit klargestellt ist, dass mehrmals gestellte derartige Anträge nicht zu einer wiederholten Unterbrechung der Verbesserungsfrist führen (vgl Rechberger/Simotta Rz 522; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 265). Hält die Partei die Verbesserungsfrist ein, gilt der Schriftsatz als im ursprünglichen Zeitpunkt eingebracht (Rechberger/Simotta Rz 522). Dies gilt auch dann, wenn das Gericht unzulässigerweise eine weitere Verbesserungsfrist erteilt hat. Wurde diese eingehalten, ist auf den letztlich verbesserten Schriftsatz Bedacht zu nehmen (AnwZ 1937, 257, 1 Ob 269/67, 1 Ob 255/67, SSV-NF 5/67, 3 Ob 82/97y, 3 Ob 160/01b; LG Innsbruck EujurZ 1999/1, 64 [Grill]; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 260). Dies mag zwar aus Gründen des Vertrauensschutzes zu billigen sein, Tatsache ist aber, dass damit uU in eine an sich bereits eingetretene Rechtskraft eingegriffen wird; in extremen Fällen könnten sich daraus sogar Amtshaftungsansprüche der Gegenpartei ergeben. Vornahme der Verbesserung. Wird der Partei ein Schriftsatz zur Ver- 22 besserung zurückgestellt, kann diese auch zu gerichtlichem Protokoll vorgenommen werden, uzw selbst dann, wenn die Verbesserung in der 653

§§ 84–85

Gitschthaler

Unterfertigung des Schriftsatzes durch einen Rechtsanwalt bestanden hätte (3 Ob 154/62, NZ 1982, 78, RZ 1984/2, EFSlg XXII/5, 3 Ob 89/86, RZ 1989/29; aA SZ 17/44; LGZ Wien EFSlg 64.038; vgl auch § 58 Abs 8 Geo). Dies gilt allerdings nur insoweit, als Protokollaranbringen gestattet ist (vgl SZ 13/139, NZ 1982, 78). Schreitet aufgrund des Verbesserungsauftrags nunmehr ein Rechtsanwalt ein, kann er – entweder den ursprünglichen Schriftsatz (unverändert) zusammen mit einem neuen und den Formerfordernissen entsprechenden Schriftsatz vorlegen (EvBl 1961/529, SZ 41/18 = RZ 1968, 139, SZ 43/3 = ZAS 1970, 221 [Rechberger], 3 Ob 106/74, 5 Ob 616/80, 5 Ob 746/80, AnwBl 1987, 296, 8 Ob 23/94), – den ursprünglichen Schriftsatz unterfertigen und in einer ergänzenden Eingabe die zur Beseitigung der Formgebrechen erforderlichen Erklärungen abgeben (2 Ob 607/56, EvBl 1961/529, Arb 8027, RZ 1966, 147 uva) oder – (jedenfalls im Anwaltsprozess) nach der jüngeren Rsp (RZ 1984/2, AnwBl 1987, 296 [zust Mayr], SSV-NF 2/19, ARD 4635/13 [Einwendungen gegen einen Wechselzahlungsauftrag], JUS Z/3113, 2 Ob 331/00s, 6 Ob 124/04k; LGZ Wien EFSlg 82.194, 101.908) lediglich einen anderen Schriftsatz überreichen. Dies wird damit begründet, dass der erste Schriftsatz überhaupt unwirksam gewesen sei, weshalb aufgrund des eingeleiteten Verbesserungsverfahrens ein anderer Schriftsatz überreicht habe werden können; der Rechtsanwalt sei aufgrund der mangelnden Postulationsfähigkeit der Partei bei Verbesserung des von der Partei ursprünglich selbst verfassten Schriftsatzes nicht an den Inhalt dieses Schriftsatzes gebunden und brauche ihn daher auch nicht wieder vorlegen (krit G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 215–217). Die ältere Rsp (EvBl 1961/529, SZ 41/18 = RZ 1968, 139, 8 Ob 23/94), wonach die Wiedervorlage des ursprünglichen Schriftsatzes mit der Begründung für zwingend angesehen wurde, nur bei dessen Anschluss könne geprüft werden, ob der verbesserte Schriftsatz den Rahmen des erteilten Verbesserungsauftrags nicht überschreite (EvBl 1972/161, 1 Ob 92/73, 4 Ob 631/75), sein Nichtanschluss wäre daher ein neuer – allerdings nur innerhalb der noch offenen Frist verbesserungsfähiger (3 Ob 58/53, EvBl 1972/161; Fasching1 II 560; aA JBl 1954, 151, 5 Ob 746/80, 8 Ob 23/94) – Formmangel (SZ 13/227, JBl 1954, 151, SZ 24/218, 3 Ob 131/95), scheint damit jedenfalls im Anwaltsprozess überholt (so ausdrücklich 2 Ob 331/ 00s), nicht aber in sonstigen Verfahren, weil hier das Argument der mangelnden Postulationsfähigkeit ins Leere geht. Urschriftlich zur Verbesserung zurückgestellte Urkunden, etwa zur Beibringung 654

§§ 84–85

1.2 Verfahren

einer Übersetzung, müssen aber jedenfalls wieder vorgelegt werden (JUS Z/1986). Ein beim BG des Aufenthalts zu Protokoll erklärter und dem Prozessgericht übermittelter Widerspruch gegen ein Versäumungsurteil im Gerichtshofverfahren kann durch Unterfertigung durch einen Rechtsanwalt verbessert werden (EvBl 1981/221). Der verbesserte Schriftsatz ist grundsätzlich bei dem Gericht einzu- 23 bringen, welches den Verbesserungsauftrag erteilt hat. Verbesserte Rechtsmittelschriften können jedoch auch bei dem Gericht wieder eingebracht werden, bei dem sie ursprünglich anzubringen gewesen sind (SSV-NF 5/67, SSV-NF 6/103, 7 Ob 2261/96t). Hat das Gericht unberechtigterweise einen Schriftsatz zur Verbesserung zurückgestellt, ist er dennoch innerhalb der festgesetzten Frist wieder vorzulegen, um als am Tag seines ersten Einlangens überreicht angesehen werden zu können (8 ObA 2353/96d). Bei erfolglosem Verbesserungsauftrag ist der Schriftsatz zurück- und/ 24 oder das Begehren zurück- oder abzuweisen. Dies richtet sich nach den jeweils vorgesehenen Rechtsfolgen einer fehlerhaften Antragstellung (Konecny, JBl 1984, 19); idR wird es bei Formgebrechen zur Zurückweisung kommen (vgl Rechberger/Simotta Rz 522; 6 Ob 255/03y = EFSlg 108.928, 7 Ob 90/05v), bei Inhaltsmängeln zur Abweisung (vgl G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 223). Ist nicht sofort mit einer Zurückweisung des Schriftsatzes vorzugehen, sondern kommt es in weiterer Folge zu einer mündlichen Verhandlung, so ist eine Verbesserung hier dann noch möglich, wenn die Nichtbefolgung des Verbesserungsauftrags keine Präklusionsfolgen nach sich gezogen hat. Wurde der Schriftsatz im Original zurückgestellt und nicht mehr vorgelegt, kann an sich eine – den mangelhaften Schriftsatz zurückweisende – Entscheidung entfallen, auch wenn eine Kopie des Schriftsatzes im Akt erliegt (9 Ob 91/00y, 3 Ob 23/02g; LGZ Wien WR 578, EFSlg 101.911; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 272). Jüngere Rsp (10 ObS 258/01s, 10 ObS 134/03h, 6 Ob 181/05v) hält es aus Gründen der Klarstellung allerdings bei Vorliegen einer Kopie im Akt für sinnvoll, eine endgültige Entscheidung/Zurückweisung zu treffen. Wurde der Schriftsatz unverbessert wieder vorgelegt, ist er jedenfalls einer Entscheidung zu unterziehen (Fasching Rz 515; SZ 13/52, 8 Ob 127/77, 3 Ob 72/00k, 6 Ob 255/03y; LG Innsbruck AnwBl 1988/2796; LGZ Wien EFSlg 101.912). Während nach älterer Rsp (SZ 26/163, SSt 31/69) telegrafisch eingebrachte Schriftsätze, die nicht fristgerecht schriftlich bestätigt worden sind, als „nullum“ nicht in Behandlung zu ziehen gewesen sind, sind sie richtigerweise zurückzuweisen (vgl 1 Ob 655

§§ 84–85

Gitschthaler

647/77, wobl 1994, 70 [Würth]). Dies gilt auch für fernkopierte Schriftsätze, sofern sie nicht im Zuge des Verbesserungsverfahren zurückgestellt worden sind.

25 Rechtsmittelbeschränkungen. Sowohl § 84 Abs 1 letzter Satz als auch § 85 Abs 3 (letzterer ist nur auf die in § 85 Abs 1 und 2 vorgesehenen Verfügungen anzuwenden [EvBl 1989/181]) ordnen an, dass ein abgesondertes Rechtsmittel gegen Verbesserungsaufträge enthaltende Beschlüsse nicht zulässig ist, gleichgültig, ob sie vom Erst- oder einem Rechtsmittelgericht stammen (RZ 1985/7, 1992/4, 4 Ob 271/98a). Nach hA (Fasching1 II 559; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 280; 5 Ob 117/68, EvBl 1971/296, AnwBl 1988, 422, SSV-NF 2/135, EvBl 1989/181, RZ 1990/39, RZ 1992/2, 4 Ob 271/98a, 1 Ob 114/04b, 1 Ob 181/05g; möglicherweise aA 8 Ob 22/95 [abgesondertes Rechtsmittelrecht]) kann jedoch ein Verbesserungsauftrag überhaupt nicht erfolgreich bekämpft werden, uzw selbst dann nicht, wenn er über Antrag einer Partei ergangen ist, auch wenn § 84 Abs 1 von einem amtswegigen Verbesserungsverfahren spricht (EvBl 1989/181). Ebenso wenig kann die – gesetzwidrige – Ankündigung des Gerichts bekämpft werden, über einen Antrag nur nach Erfüllung eines Verbesserungsauftrags zu entscheiden (8 Ob 5/04z).

26 Grundsätzlich ist daher zu differenzieren: a) Erhält der Einschreiter einen Verbesserungsauftrag, so kann er diesen überhaupt nicht anfechten. Seine Rechtsstellung wird erst durch die Zurückweisung des nicht verbesserten Schriftsatzes berührt, welche bekämpft werden kann (5 Ob 117/68, EvBl 1971/296, SSV-NF 2/135, RZ 1990/39, 8 Ob 53/99y, 4 Ob 286/00p; LG Salzburg 21 R 465/02f). b) Wird ein – an sich notwendiger – Verbesserungsauftrag vom Gericht nicht erteilt, so kann dies im Rechtsmittelverfahren gegen den Zurückweisungsbeschluss oder die abweisende Sachentscheidung als Mangelhaftigkeit geltend gemacht werden (G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 286). c) Nimmt der Einschreiter – ohne gerichtlichen Auftrag – selbst eine Verbesserung vor, weist das Gericht den verbesserten Schriftsatz jedoch zurück, so kann auch diese Entscheidung nicht angefochten werden, weil es sich um einen Beschluss im Rahmen eines Verbesserungsverfahrens handelt (idS EvBl 1989/181) und der Zweck der Rechtsmittelbeschränkungen in der Verhinderung von Verfahrensverzögerungen liegt (aA G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 285). d) Solange der Gegner des Einschreiters am Verfahren nicht beteiligt ist, steht ihm ein Rechtsmittelrecht gegen Verbesserungsaufträge nicht zu (RZ 1985/7). 656

§ 86

1.2 Verfahren

e) Gegen einen Beschluss des Berufungs- oder Rekursgerichts, mit dem dem Erstgericht die Einleitung eines Verbesserungsverfahrens aufgetragen wird, kann der OGH auf keinen Fall angerufen werden (RZ 1992/2, 8 ObS 282/00d, 3 Ob 252/03k). § 86. (1) Gegen eine Partei, welche die dem Gerichte schuldige Achtung in einem Schriftsatze durch beleidigende Ausfälle verletzt oder welche in einem Schriftsatze den Gegner, einen Vertreter, Bevollmächtigten, Zeugen oder Sachverständigen beleidigt, kann unbeschadet der deshalb etwa eintretenden strafgerichtlichen Verfolgung vom Gerichte eine Ordnungsstrafe verhängt werden. (2) Aufgehoben [Abs 2 aufgehoben durch ZVN 1983; sonst Stammfassung] Lit: Ballon, Die Beachtung des rechtlichen Gehörs iSd Art 6 MRK durch die Rechtsmittelgerichte, JBl 1995, 623; Grabenwarter/Geppert, Die Bedeutung des Art 6 MRK für die Verhängung von Ordnungs- und Mutwillensstrafen, JBl 1996, 159, 237; Weninger, FinanzOnline im Echtbetrieb: Elektronisches Anbringen – elektronische Akteneinsicht – elektronische Erledigungen, ÖStZ 1998, 162. Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 86; Fasching Rz 519; Feil/Kroisenbrunner 315. Zu grundsätzlichen Fragen über Ordnungsstrafen s § 220. § 86 gilt auch 1 in Exekutions- und Insolvenzverfahren. Für Verfahren außer Streitsachen stellte § 85 GOG nach der Rechtslage des AußStrG 1854 die korrespondierende Bestimmung dar (vgl 10 Ob 2412/96w, 10 Ob 322/ 02d = EFSlg 101.913; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 86 Rz 7). Seit 1.1.2005 ist § 85 GOG durch BGBl I 2003/112 aufgehoben und gilt durch die Verweise des Allgemeinen Teils des AußStrG BGBl I 2003/ 111 auf die ZPO als ersetzt (vgl § 22 AußStrG). § 86, der nicht gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 2 MRK verstößt (VfGH VfSlg 10.700; 5 Ob 129/92, 4 Ob 2323/96p = EFSlg 82.649, 3 Ob 98/03p; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 86 Rz 4), dient der Wahrung einer sachlichen und unpersönlichen Ausdrucksweise (1 Ob 94/05p). Er soll dazu beitragen, die am Verfahren beteiligten Personen zu einem zweckgerichteten Verhalten zu veranlassen (LGZ Wien EFSlg 67.243) und das Verfahren zu „entschärfen“ (MietSlg 40.760, 5 Ob 118/92, 1 Ob 235/97h, 2 Ob 29/02g, 10 Ob 322/ 02d = EFSlg 101.913, 3 Ob 98/03p; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 86 Rz 1). Es soll nicht sachlich berechtigte Kritik verhindert, sondern nur jede an das Gericht gerichtete Eingabe, deren Inhalt die dem Gericht 657

§ 86

Gitschthaler

schuldige Achtung verletzt, unter Sanktion gestellt werden (5 Ob 12/ 04g, 1 Ob 94/05p). Bei der Beurteilung eines Verhaltens darf aber nicht jedes Wort allein betrachtet werden, sondern muss auf die Bedeutung der Gesamtäußerung abgestellt werden (vgl 5 Ob 129/92, 1 Ob 31/03w, 3 Ob 98/03p = EFSlg 105.736). Zu Einzelfällen s Konecny in Fasching/ Konecny II/2 § 86 Rz 16.

3 Die Verletzung der dem Gericht (auch einem Rechtspfleger [3 Ob 25/ 68]), aber wohl auch allen anderen Verfahrensbeteiligten (Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 86 Rz 13; LGZ Wien EvBl 1935/249 [gerichtlich bestellter Zwangsverwalter]; 10 Ob 322/02d [andere Partei]) schuldigen Achtung (8 Ob 652/89, 1 Ob 235/97h) ist nicht nur dann mit einer Ordnungsstrafe zu ahnden, wenn sie in der Absicht vorgebracht wurde, das Gericht zu verunglimpfen. Die Sanktionsmöglichkeit besteht auch dann, wenn die Verletzung einem Mangel an Überlegung entsprungen ist (1 Ob 586/51, SZ 35/122 = RZ 1963, 94, RZ 1979/16, MietSlg 40.76, 3 Ob 98/03p, 6 Ob 126/04d) oder wenn eine an sich berechtigte Kritik in einer beleidigenden oder ausfälligen Form vorgebracht wird (RZ 1937, 236, EvBl 1966/263, 1 Ob 235/97h, 1 Ob 181/98v, 10 Ob 322/ 02d = EFSlg 101.914; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 86 Rz 15). Es kommt auch grundsätzlich nicht darauf an, ob sich der Angegriffene selbst beleidigt fühlte (2 Ob 665/53, 2 Ob 2256/96w; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 86 Rz 20), ob der Schriftsatz an die Öffentlichkeit gelangte (6 Ob 20/74, 4 Ob 609/75, 8 Ob 197/83, 2 Ob 552/88, 1 Ob 636/89) oder ob die Äußerung den strafrechtlichen Tatbestand der Beleidigung iS des § 115 StGB erfüllt. Daher kommt auch ein Wahrheitsbeweis für Beleidigungen nicht in Frage (1 Ob 636/89, 10 Ob 322/ 02d = EFSlg 101.915, 101.916, 5 Ob 12/04g).

4 Auch wenn es dabei nicht auf die tatsächlichen Absichten des Verfassers des Schriftsatzes (vgl Rz 3) oder seinen Erregungszustand (LGZ Wien EFSlg 67.244), sondern nur auf die Beurteilung der Äußerung nach objektiven Gesichtspunkten (5 Ob 397/63, MietSlg 40.760, 2 Ob 2256/96w, 1 Ob 235/97h, 1 Ob 291/98w; Fasching1 II 562) ankommen soll, ist dennoch eine gewisse Dispositionsfähigkeit des Schriftenverfassers zu fordern. Rechtsstaatlich bedenklich ist daher eine „Bestrafung“ von Personen, denen bereits ein Sachwalter nach § 273 Abs 1 ABGB bestellt wurde, die aber immer noch selbst beleidigende Schriftsätze verfassen (unklar hier LGZ Wien EFSlg 67.244). Bei Unzurechnungsfähigkeit hat eine Bestrafung daher zu unterbleiben (vgl dazu nunmehr auch Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 86 Rz 17). Umgekehrt legen krasse Beschimpfungen in stereotyper Weise uU den Verdacht nahe, dass der Einschreiter infolge einer paranoiden Fixiertheit außerstande ist, in Ge658

§ 86

1.2 Verfahren

richtsverfahren, an denen er als Partei beteiligt ist, eigenverantwortlich zu handeln, ohne dadurch Nachteile für sich zu verursachen, müssten doch über ihn nach solchen Beschimpfungen immer wieder Ordnungsstrafen in nicht unbeträchtlicher Höhe verhängt werden. Dies indiziert eine Vorgehensweise iSd § 6a ZPO (1 Ob 80/05d; Näheres s dort). Nicht hinreichend ist allerdings die Verantwortung des Beleidigers, er habe als „Laie“ im Gegensatz zu Rechtsanwälten lediglich Verfehlungen von Organen der Gerichtsbarkeit aufzeigen wollen und sei in der „Justizsprache“ nicht geschult, wenn es sich bei seinen Äußerungen um reine Beleidigungen gehandelt hat (1 Ob 181/98v). § 86 bietet weder für die Erteilung einer Rüge wegen ungenügender 5 Beachtung der Vorschriften des § 75 (OLG Graz EvBl 1987/123; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 86 Rz 2) noch für die Verhängung einer Ordnungsstrafe außerhalb einer Verhandlung eine Grundlage (3 Ob 184/98z = JBl 1999, 397, 5 Ob 83/99p). Seit der ZVN 1983 können Verstöße gegen § 86 außerdem immer nur gegenüber der Partei, niemals aber gegenüber deren Vertreter, auch wenn es sich dabei nicht um einen Rechtsanwalt handelt, geahndet werden. Dabei soll es nicht darauf ankommen, von wem die Verstöße begangen worden sind (3 Ob 184/ 98z = JBl 1999, 397, 5 Ob 83/99p; LGZ MietSlg 53.672). Allerdings kann wohl eine Ordnungsstrafe gegen die Partei wegen beleidigender Ausfälle in einem von ihrem Rechtsanwalt gefertigten Schriftsatz nicht verhängt werden (so auch OLG Graz 8 R 163/99y; LGZ Wien EFSlg 108.929). Dies gilt auch für Zeugen und Sachverständige (vgl auch Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 86 Rz 13). Ist ein Rechtsanwalt aus dem Stand ausgeschieden, unterliegt er nicht mehr der Disziplinargerichtsbarkeit, womit die Verhängung einer Ordnungsstrafe gegen ihn zulässig ist (8 Ob 150/03x = ZIK 2004/273, 5 Ob 83/05z). Zur Verhängung der Ordnungsstrafe ist jenes Gericht berufen, an 6 welches der beleidigende Schriftsatz gelangt ist. Bei Rechtsmittelschriften können daher sowohl das Gericht erster Instanz als auch das zuständige Rechtsmittelgericht tätig werden (GlUNF 5303, AnwZ 1935, 133, EvBl 1966/263, 1 Ob 181/98v, 3 Ob 98/03p; Fasching1 II 563; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 86 Rz 19). Hat das Prozessgericht den Akt mit dem Antrag vorgelegt, eine Ordnungsstrafe zu verhängen, das Rechtsmittelgericht diesen Antrag jedoch nicht erledigt, kann die Ordnungsstrafe vom Prozessgericht nachträglich nicht mehr verhängt werden (GlUNF 5303; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 86 Rz 19). Wenn umgekehrt das Rechtsmittelgericht wegen beleidigender Äußerungen im Rechtsmittel eine Geldstrafe verhängt, obwohl schon das Prozessgericht eine solche verhängt hatte, verstößt es gegen den Grundsatz „ne bis in 659

Vor § 87

Gitschthaler

idem“; es spielt dabei auch keine Rolle, dass das Rechtsmittelgericht andere Äußerungen im Schriftsatz als beleidigend angesehen hat (3 Ob 159/65). Zweiter Titel Zustellungen Lit: Miricka, Klagebehändigung und Postvollmacht, JBl 1895, 361; Novak, Schutzverordnung und Kuratorenbestellung, ÖJZ 1946, 454; Ratzenhofer, Der Abwesenheitskurator und seine Kosten, ÖJZ 1949, 258; Wentzel, Prozeßkurator und Urteilsfällung, ÖJZ 1946, 65; Zimmeter, Kuratorbestellung nach § 276 ABGB und nach § 116 ZPO, JBl 1947, 75; Schellander, Zwei Fragen zu § 109 ZPO, JBl 1953, 249; Schaginger/ Trpin, Postgesetz und Postordnung (1958); Barfuß, Gesetzestechnische Bemerkungen zum Entwurf eines Postzustellgesetzes, ÖJZ 1965, 340; Schuppich, Rechtsanwalt und Post, AnwBl 1968, 31; ders, Noch einmal: Rechtsanwalt und Post, AnwBl 1968, 116; Mayer, Das Recht der Zustellung im AVG und in der BAO – eine interne Prozeßrechtsvergleichung, ÖJZ 1973, 173, 204; Bajons, ZfRV 1975, 46 (Entscheidungsbesprechung); Klement, Die Vertretungsbedürftigen und ihre Vertreter im Verlassenschaftsverfahren, NZ 1979, 108; Haller, Zum Entwurf eines Zustellgesetzes, ZfV 1981, 1; Berchtold, Zustellgesetz (1982); Strobl, Das neue Zustellrecht, AnwBl 1982, 679; Achatz, Das neue Zustellrecht, NZ 1983, 113; Hauer, Einige Bemerkungen zum neuen Zustellgesetz, ÖGZ 1983, 34; Huemer, Ab 1. März gelten neue Zustellvorschriften, ImmZ 1983, 143; König, Ersatzzustellung bei längerer Abwesenheit, ÖGZ 1983, 116; Ellinger, Änderungen im Bereich des Zustellwesens, ÖStZ 1983, 50; Ritz, Die Ersatzzustellung nach dem Zustellgesetz, ÖStZ 1983, 198; Schwaighofer, Problematische Neuerungen im Zustellrecht, AnwBl 1983, 379; Walter/Mayer, Zustellrecht (1983); dies, Zur Durchführung des Zustellgesetzes, ÖGZ 1983, 85; Hellbling, Zustellung zu eigenen Handen, StB 1983, 90; Mayer, Das neue Zustellgesetz, ÖJZ 1984, 421; Wolny, Die Auswirkungen des neuen Zustellrechts auf die gerichtlichen und gemeindebehördlichen Nutzwertfestsetzungsverfahren gemäß § 3 (1) iVm § 26 WEG 1975, ÖGZ 1984, 306; Gaisbauer, Zur Zulässigkeit der Nachsendung von amtlichen Postsendungen, ÖGZ 1984, 456; Schwaighofer, Zustellung bei vorübergehender Abwesenheit des Empfängers, RdW 1984, 367; Szirba, ZfV 1985, 597 (Entscheidungsbesprechung); Edlbacher, „Vermögenskurator für die Scheidungswaise“, ÖJZ 1985, 675; Ladurner, Vermögenskurator für die Scheidungswaise, ÖJZ 1985, 673; Knirsch, Der mittlerweilige Stellvertreter, AnwBl 1986, 388; Dullinger, Falsche Adressenangabe im Versicherungsvertrag, JBl 1986, 13; Pfersmann, Bemerkenswertes aus der SZ 660

Vor § 87

1.2 Verfahren

57, ÖJZ 1987, 67, 106; Ringhofer, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze I (1987); Rechberger, MR 1988, 26 (Entscheidungsbesprechung); Wiederin, Zustellung bei Abwesenheit des Empfängers, ZfV 1988/3, 222, 375; Lechner, Das Mahnverfahren und der Abwesenheitskurator, RPfl 1988/1, 25; Wanke, Zustellungsfragen im Abgabenverfahren. Teil 1: Bescheidadressat, Empfänger, ÖStZ 1988, 255; ders, Zustellungsfragen im Abgabenverfahren. Teil 2: Vertreter, Zustellungsbevollmächtigter, ÖStZ 1988, 283; ders, Zustellungsfragen im Abgabenverfahren. Teil 3: Änderung und Erlöschen der Vollmacht, ÖStZ 1988, 297; Hoyer, JBl 1989, 326 (Entscheidungsanmerkung); Zib, Keine Heilung bei falscher Zustellverfügung? Zur Auslegung des § 7 ZustG, ÖJZ 1990, 129; Zierl, Sachwalterprobleme und ordnungsgemäße Zustellung, OöGZ 1990, 104; Fasching, Zur Auslegung der Zivilverfahrensgesetze, JBl 1990, 749 = FG 25; Ritz, Folgen gescheiterter Zustellversuche, ÖStZ 1990, 256; Mannlicher/Quell, Das Verwaltungsverfahren8 (1990); Klicka, Die Zustellung durch den Notar, NZ 1991, 92; Schreuer, Die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche gegen ausländische Staaten, ÖJZ 1991, 41; Holzinger/Köhler, Verwaltungsverfahrensrecht (1991); Ringhofer, Verwaltungsverfahren11 (1992); Stürner, Förmlichkeit und Billigkeit bei der Klagszustellung im europäischen Zivilprozeß, DJZ 1992, 325; Ritz, Zustellung an berufsmäßige Parteienvertreter (§ 13 Abs 4 ZustG), ÖJZ 1992, 145; Schlosser, Die internationale Zustellung zwischen staatlichem Souveränitätsanspruch und Anspruch der Prozeßpartei auf ein faires Verfahren, FS Matscher (1993) 387; Kreimel, Der Kaufmann; Tatsache und/oder Rechtsbegriff? WR 1993/30, 13; Madlberger, Zustellung bei unbekannter Abgabestelle im Abgabenverfahren, ÖStZ 1993, 313; Wiehe, Zustellungen, Zustellungsmängel und Urteilsanerkennung am Beispiel fiktiver Inlandszustellungen in Deutschland, Frankreich und den USA (1993); Ritz, Fiskalvertreter, ÖStZ 1994, 420; Knoll, Die Sachwalterschaft des Jugendwohlfahrtsträgers (JWT) aus der Perspektive des Unterhaltsvorschußgesetzes, RZ 1994, 202; Schwaighofer, Strafbarkeit des Unterschreibens für andere, JBl 1994, 223; Kuras, Verfahrensrechtliche Änderungen im Zusammenhang mit dem EWRAbkommen, in: Rechtsprechung und Europäische Integration, Schriftenreihe des BMJ 1994/64, 247; Oberhammer, „Änderung der Abgabestelle“ durch Delogierung und Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch, wobl 1994, 18; Pichler, Wann wird der Scheidungsbeschluß rechtskräftig? RZ 1994, 32; Stoll, Bundesabgabenordnung I (1994); ohne Autor, Zustellungsvollmacht erteilt? SWK 1994, A 215; Baldauf, Zustellung im Umlaufwege?, SWK 1995, A 271; Thienel, Massenverfahren – typische Probleme und mögliche Lösungen, ZfV 1996, 1; Rassi, Der prozessuale Abwesenheitskurator, RZ 1996, 215; ders, Pflicht zur amtswegigen Beiladung Dritter im Zivilprozeß, RZ 1996, 661

Vor § 87

Gitschthaler

102; Zib, Firmenbuch und Verkehrsschutz (1996); Birkner, Parteistellung und rechtliches Gehör im Außerstreitverfahren (1996); Burgstaller, JBl 1996, 67 (Buchbesprechung); Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5 (1996); Langheinrich/Ryda, Die Zustellung im Abgabeverfahren, Finanz-Journal 1997, 144, 166; Fröhlich, Der verhängnisvolle Bescheidadressat: Der Wandel des Bescheidadressaten durch Rechtsnachfolge, ÖStZ 1997, 44; Oberhammer, Zustellvereitelung durch Ortsabwesenheit von Unternehmern, RdW 1997, 384; Bischof, Die Zustellung im internationalen Rechtsverkehr in Ziviloder Handelssachen (1997); Löwe/Löwe, Zum Wegfall des öffentlichen Urkundencharakters bei Postzustellungen – ein bislang unbemerktes Opfer der Poststrukturreform, ZIP 46/97, 2002; Bischof, Die Zustellung im internationalen Rechtsverkehr in Zivil- oder Handelssachen (1997); Rassi, Die Kosten des Abwesenheitskurators im Zivilprozeß, RZ 1997, 234; Stratil, Postgesetz 1997 (1998); Novacek, Gewerbeausübung ohne österreichischen Wohnsitz – EG-rechtliche Bedenken gegen die geltende Regelung, RdW 1998, 625; Rassi, Die Bestellung des Abwesenheitskurators, NZ 1998, 321; Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht7 (1998) 83 ff; Walter/Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze13 (1998); dies, Die Verwaltungsverfahrensnovellen (1999) 207 ff; Feil, Zustellwesen4 (1999); Ritz, Bundesabgabenordnung – Kommentar2 (1999); Neumayr, EuGVÜ/LGVÜ (1999); Weiss, Zustellrecht, Finanz-Journal 1999, 70, 92; Urtz/Zehetner, Falsches Zustelldatum in der Bescheidbeschwerde – neue Rechtsschutzmöglichkeiten nach der Judikaturänderung, ÖJZ 1999, 788; Rainer, Die Benutzung von E-Mail gemäß § 112 ZPO, AnwBl 1999, 783; Thiele, Die Benutzung von E-Mail zur Klientenkommunikation, AnwBl 1999, 634; Attlmayr, Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des „Bezugnehmens“ auf Normen anderer Rechtssetzungsautoritäten, ÖJZ 2000, 96; Schwaighofer, Der Kärntner „Unterschriftenskandal“ – eine strafrechtliche Nachlese, ÖJZ 2000, 294; Popp, Die neue „Zustellung“ zwischen Rechtsanwälten im Zivilprozess, RdW 2000/501, 523; Heß, Die Zustellung von Schriftstücken im europäischen Justizraum, NJW 2001, 15; Zehetner, Die Schließung von Zweigniederlassungen ausländischer Kapitalgesellschaften, FS Krejci (2001) 389; Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze15 (2002); F. M. Adamovich, Das Bewegliche System in der Rechtsordnung, JBl 2002, 681; Konecny, Insolvenzdatei: Neue/auffallende Rechtsprobleme, ÖJZ 2002, 492; Beran et alteri, Die ZPO im 21. Jahrhundert, Gedanken zur kommenden und zur übernächsten Zivilverfahrensnovelle (Teil 1), RZ 2002, 8; Schack, Einheitliche und zwingende Regeln der internationalen Zustellung, FS Geimer (2002) 931; Barth, Kann ein Rückkehrverbot nach § 382b Abs 1 Z 2 EO gegen jemanden erlassen werden, dessen Aufenthalt unbekannt ist? AnwBl 662

§ 87

1.2 Verfahren

2002, 83; Lienbacher, Vereinsfreiheit und innere Angelegenheiten gesetzlich anerkannter Kirchen und Religionsgesellschaften, ZfV 2002/ 1463; Klauser, Europäisches Zivilprozessrecht (2002); Brenn, Europäische ZustellungsVO (2002); Dokalik/Trauner, Die Nichtigkeitsklage – vom Mauerblümchen zum Massenverfahren, RZ 2005, 206. Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 87; Bajons Rz 32, 37, 90; Ballon Rz 158; Deixler-Hübner/Klicka Rz 91; Fasching Rz 520; Feil/Kroisenbrunner 316; Holzhammer 143; Holzhammer, PraktZPR 242; Rechberger/Simotta Rz 318. § 87. (1) Soweit dieses Gesetz nicht anderes vorsieht, ist von Amts wegen nach dem Zustellgesetz, BGBl Nr 200/1982, zuzustellen. (2) Gegen Anordnungen nach diesem Titel ist kein abgesondertes Rechtsmittel zulässig. (3) Solche Anordnungen kommen im Verfahren vor einem Senat dem Vorsitzenden zu. [Fassung ZustRAG] Inhaltsübersicht Zustellgesetz Weitere Vorschriften Zustellung – Definition – Beurkundung

1 2 3–8 3–4 5

– Überwachung – Mängel – Unwirksamkeit Rechtsmittelzulässigkeit

6 7 8 9–10

Sämtliche verwaltungsbehördlichen (einschließlich jener der Sozial- 1 versicherungsträger [10 ObS 221/92, SSV-NF 6/152, SZ 68/54, 10 ObS 355/00d = SSV-NF 15/14] und der Schlichtungsstellen [LGZ Graz MietSlg 46.713]) und gerichtlichen (einschließlich jener in Verfahren außer Streitsachen [§ 24 AußStrG], in Exekutions- und Sicherungs- sowie in Insolvenzverfahren und in allen Verfahren, die nach diesen Verfahrensordnungen zu führen sind [Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 87 Rz 1]) Zustellungen richten sich seit 1.3.1983 grundsätzlich nach dem dem öffentlichen Recht zuzuordnenden (3 Ob 1088/92) Zustellgesetz, BGBl 1982/200. Dieses wurde mit 1.1.1991 durch BGBl 1990/ 357, mit 1.1.1999 durch BGBl I 1998/158, mit 1.1.2002 durch BGBl I 2001/137, mit 20.4.2002 durch BGBl I 2002/65 und mit 1.3.2004 durch BGBl I 2004/10 teilweise geändert (vgl dazu Stumvoll in Fasching/ Konecny II/2 § 87 Rz 2; Attlmayr, ÖJZ 2000, 88). In seinen Schutzbereich sind dabei nicht nur die Empfänger von Sendungen, sondern auch derjenige, auf dessen Betreiben eine Zustellung stattzufinden hat, einbezogen (1 Ob 353/99i = JBl 2000, 530, 1 Ob 9/00f = JBl 2000, 732). 663

§ 87

Gitschthaler

2 Im gerichtlichen Verfahren kommt einerseits die Zustellung von Gerichtsstücken (Beschlüsse, Urteile, Ladungen udgl) – die Zustellwirkungen ergeben sich insb aus § 416; zur Zustellung als fristenauslösendes Ereignis s bei §§ 124 bis 126 – und andererseits die Zustellung von Schriftsätzen der Parteien und Nebenintervenienten in Frage (Holzhammer 143; Fasching Rz 525; Rechberger/Simotta Rz 319). Die Vorschriften der ZPO, also insb die §§ 87 ff, aber auch etwa § 283 Abs 2, § 581 Abs 3 und § 592 Abs 1, gehen dabei den Bestimmungen des ZustG grundsätzlich als leges speciales vor (Feil § 87 ZPO Rz 1; Rechberger/Simotta Rz 318; Walter/Mayer, Zustellrecht 162). Nicht derogiert wurde jedoch den Bestimmungen des ZustG etwa durch § 3 Z 4 FBG, wonach bei allen Rechtsträgern im Firmenbuch ua der Sitz und die für Zustellungen maßgebliche Geschäftsanschrift einzutragen sind (HG Wien 1 R 448/98y). Außerdem gehen die Regelungen des ZustG den postrechtlichen Vorschriften, also im wesentlichen PostG und PostO, vor; letztere sind nur anzuwenden, wenn das ZustG keine Regelungen vorsieht (Berchtold 2; OLG Wien WR 709). Zustellungen in Österreich richten sich somit grundsätzlich nach österreichischem Recht (4 Ob 374/83, 5 Ob 511/84, 10 Ob 99/ 00g), zur mit 31.5.2001 in Kraft getretene EuZustVO vgl aber bei § 121.

3 Unter Zustellung versteht man ein gesetzlich geregeltes Verfahren, das aus zwei rechtlich zu unterscheidenden Akten besteht. Dies sind einerseits die Zustellverfügung (vgl § 89 ZPO, § 5 ZustG) und andererseits der eigentliche Zustellvorgang, der die Zustellverfügung ausführt (10 ObS 87/92; VwGH Zl 2082/52; Walter/Mayer, Zustellrecht 20; dies, Verwaltungsverfahrensrecht Rz 197). Sie ist ein an eine gesetzliche Form geknüpfter, hoheitlicher (1 Ob 667/86, 1 Ob 505/88; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 87 Rz 4) Vorgang, durch den dem als Empfänger des Schriftstücks bezeichneten Adressaten Gelegenheit geboten wird, von einem im Auftrag des Gerichts oder einer anderen Behörde (Amtswegigkeit des Zustellwesens) an ihn gerichteten Schriftsatz Kenntnis zu nehmen (Fasching Rz 522; Rechberger/Simotta Rz 319; RdW 1997, 275, 3 Ob 106/97b, immolex 1998/8 [Pfiel]; vgl Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 87 [§ 1 ZustG] Rz 10). Die Zustellung hat das Ziel, dem jeweiligen Adressaten das Schriftstück zukommen zu lassen (1 Ob 667/86, 1 Ob 505/88). An den rechtmäßigen oder – unter bestimmten Bedingungen (§ 7 ZustG; vgl dort) – tatsächlichen Vollzug der Zustellung knüpfen sich die Rechtswirkungen behördlicher, schriftlich ausgefertigter Erledigungen (Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht Rz 198); andernfalls ist die Zustellung ohne Wirkung. Im gerichtlichen Verfahren ist ein Zustellverzicht zwar bei Beschlüssen, nicht jedoch bei Urteilen möglich und zulässig (Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 87 Rz 7). 664

§ 87

1.2 Verfahren

Auch das Zustellwesen richtet sich nach dem allgemeinen Grundsatz, 4 dass in Österreich die Amtssprache deutsch ist. Dass der Empfänger der deutschen Sprache allenfalls nicht mächtig ist, macht daher grundsätzlich eine Zustellung ohne beigefügte Übersetzung nicht unzulässig (vgl VwGH ZfVB 2002/1370). Soll allerdings ein Schriftstück einer österreichischen Behörde an eine Person zugestellt werden, auf die die Bestimmungen des VolksgruppenG anzuwenden sind, liegt nach Auffassung des VfGH (VfSlg 13.850) eine rechtswirksame Zustellung erst vor, wenn das Zustellstück in beiden in Betracht kommenden Sprachen abgefasst war. Der VwGH (Zl 83/10/0231, 95/10/0211) sieht diese Notwendigkeit hingegen – durchaus praxisorientiert – erst dann als gegeben, wenn die betreffende Person iSd § 15 VolksgruppenG bekannt gibt, dass sie auch tatsächlich von der Volksgruppensprache Gebrauch machen wolle. Zur Zustellung „ausländischer“ Schriftstücke in Österreich s bei § 121. Eine ordnungsgemäße Zustellung bedarf ihrer Beurkundung (s bei § 22 5 ZustG). Außerdem muss sie an einer zulässigen Abgabestelle (§ 2 ZustG [s dort]) und an den im Zustellstück genannten Empfänger (§ 13 ZustG), allenfalls durch Hinterlegung (§ 17 ZustG) oder durch Ersatzzustellung (§ 16 ZustG [s auch bei § 103 ZPO]), vorgenommen worden sein; zu den notwendigen intellektuellen Fähigkeiten des Empfängers s bei § 2 ZustG. Das Zustellwesen ist grundsätzlich von Amts wegen zu überwachen 6 (RZ 1970, 221, EvBl 1974/147, RZ 1977/26, 3 Ob 288/97t, 4 Ob 329/ 98f, 3 Ob 76/00y; VwGH ÖStZB 2001/51; Feil § 22 ZustG Rz 3 ff, § 7 ZustG Rz 15; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 87 Rz 4). Dabei wird allerdings zunächst einmal – bei Fehlen aktenkundiger Bedenken – die Ordnungsmäßigkeit der Zustellung vermutet, dies insb bei vollständigem und mängelfreiem Rückschein. Vgl dazu ausführlich bei § 22 ZustG. Mangelhaft ist eine Zustellung etwa: 7 a) bei Nennung der falschen Abgabestelle (Feil § 7 ZustG Rz 6), b) bei unzulässiger Ersatzzustellung oder Hinterlegung (vgl etwa 7 Ob 647/92, 2 Ob 568/94, 7 Ob 29/97h), c) bei Nichtbeachtung der Notwendigkeit einer Zustellung zu eigenen Handen (Feil § 7 ZustG Rz 6), d) bei Übermittlung lediglich eines unvollständigen Schriftstücks (RPflSlgE 1993/122), sei es, dass eine Skizze fehlt, die dem Urteil als integrierender Bestandteil angeschlossen wurde (7 Ob 124/68), sei es, dass eine Entscheidung weder die Unterschrift des Entscheidungs665

§ 87

Gitschthaler

organs selbst noch die Unterschrift des Leiters der Geschäftsabteilung samt Unterfertigungsstampiglie aufweist (10 Ob 2469/96b; idS wohl auch VwGH ZfVB 2003/119), oder e) bei Zustellung eines Schriftstücks, das die zuzustellende Ausfertigung der Entscheidung gar nicht enthalten hat (5 Ob 592/77, RPflSlgE 1993/122, 3 Ob 95/95). Hingegen stellt eine unvollständige Bezeichnung des Empfängers keinen Zustellmangel dar, wenn eine konkrete Verwechslungsmöglichkeit gar nicht bestanden hat (VwGH ARD 4905/19/97, 4905/19/98 [Weglassen eines akademischen Grades]; OLG Wien WR 617; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 Anh [§ 7 ZustG] Rz 3). Vgl auch Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 87 Rz 9, Anh § 87 (§ 7 ZustG) Rz 4. Die Frage der Ordnungsmäßigkeit der Zustellung hat auch nichts mit der Frage zu tun, ob der Empfänger schuldhaft von der Zustellung keine Kenntnis erlangt hat (1 Ob 694/52).

8 Nach allgemeinem Verständnis, aber mit unterschiedlicher Terminologie, entfaltet eine fehlerhafte bzw mangelhafte „Zustellung“ keine Wirkungen (Fasching Rz 521 [„der gesetzwidrige Zustellvorgang ist nichtig“]; Ballon Rz 165 [„der Zustellvorgang ist unwirksam“]; Feil § 7 ZustG Rz 10 [„der Mangel verhindert eine rechtswirksame Zustellung“]; Holzhammer, PraktZPR 244 [„die Zustellung gilt als nicht vollzogen“]; Rechberger/Simotta Rz 228 [„die Zustellung ist nicht wirksam“]; Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht Rz 228 [„ein derartiger Vorgang äußert keine Rechtswirkungen“]; die Rsp [vgl etwa 4 Ob 374/83, 5 Ob 511/85 uva] „prüft, ob der konkret eingehaltene Vorgang als rechtswirksame Zustellung angesehen werden kann“). Sie ist vom Gericht oder der Verwaltungsbehörde nicht für nichtig zu erklären, sondern – von Amts wegen (HG Wien WR 581) – zu wiederholen (EvBl 1962/192, 7 Ob 194/72; LG Linz 15 R 434/04f; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 87 Rz 4). Dies wird damit begründet, dass sonst dann, wenn etwa einer Partei die Möglichkeit zur Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung genommen wurde, das auf dem unwirksamen, weil gesetzwidrigen Zustellvorgang beruhende weitere Verfahren und eine daraufhin gefällte Entscheidung gemäß § 477 Abs 1 Z 4 nichtig wären (Fasching Rz 521) oder ein Bescheid eines Sozialversicherungsträgers (mangels Zustellung) als überhaupt nicht ergangen gelten würde, wenn dem Bescheidadressaten bei fehlerhafter Zustellung nicht bewiesen werden kann, dass ihm der Bescheid tatsächlich zugekommen ist (10 ObS 221/92, SSV-NF 6/152, SZ 68/ 54). Bleibt allerdings die Zustellung einer Klage unwirksam, ist es Sache des Klägers, den Fortgang des Verfahrens mit einem Zustellantrag 666

§ 87

1.2 Verfahren

voranzutreiben, der auch bei mehrfacher Wiederholung nicht abgewiesen werden darf (LGZ Wien WR 520). Zu allfälligen Kostenfolgen s § 41. Vgl dazu allgemein auch bei §§ 5 und 22 ZustG. Der Rechtsmittelausschluss des Abs 2 erfasst grundsätzlich nur jene 9 die Zustellung betreffenden Verfügungen, wie sie üblicherweise in der der Urschrift beizusetzenden Zustellverfügung (vgl § 89 ZPO, § 5 ZustG) zusammengefasst werden (1 Ob 632/95, RPflSlgA 8483; Walter/Mayer, Zustellrecht 162; Rassi, RZ 1996, 219). Unanfechtbar wären daher etwa die Bestimmung eines Miteigentümers oder eines Wohnungseigentümers zwecks Vornahme der individuellen Zustellung iSd § 37 MRG bzw § 26 WEG (5 Ob 28/89), die Anordnung der neuerlichen Zustellung einer gerichtlichen Entscheidung (EvBl 1962/496, SZ 39/129 = JBl 1967, 321 [mangelnde Beschwer], 3 Ob 227/99z = EvBl 2000/159 [auf das allfällige Fehlen einer Beschwer oder deren Wegfalls kommt es seit dem ZustRAG nicht mehr an]), die Anordnung einer im Rechtshilfeweg beantragten Zustellung (2 Ob 273/02i = RdW 2003/ 221) oder die Anordnung der Zustellung einer Streitverkündung (7 Ob 213/98v). Die Anfechtung fehlerhafter Zustellanordnungen soll erst mit dem Rechtsmittel gegen die nächstfolgende anfechtbare Entscheidung stattfinden können (Walter/Mayer, Zustellrecht 163; Feil § 87 Rz 3). Richtigerweise ist dies aber wohl so zu verstehen, dass sie überhaupt nicht anfechtbar sind. Es ist vielmehr deren Richtigkeit iZm mit der Prüfung der Ordnungsmäßigkeit einer konkreten Zustellung zu prüfen. Wird daher etwa in der Zustellanordnung ein nach den jeweiligen Verfahrensvorschriften unrichtiger Empfänger genannt, kann eine Heilung nach § 7 ZustG nicht eintreten (RdW 1997, 275, 5 Ob 2392/96t; vgl auch bei § 7 ZustG). Nicht anwendbar ist der Rechtsmittelausschluss des Abs 2 10 a) auf einen Beschluss auf Abweisung eines Antrags auf Zustellung von Urteils- oder Beschlussausfertigungen (1 Ob 632/95; idS auch OLG Linz 2 R 270/98h), b) auf den Auftrag zur Namhaftmachung eines Zustellungsbevollmächtigten (Abs 1; Walter/Mayer, Zustellrecht 176, 177 [abgesonderte Anfechtbarkeit]; aA Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 97 Rz 12 [überhaupt kein Rechtsmittel zulässig, es sei denn, der Auftrag würde an den Gegner der säumigen Partei ergehen]) als auch auf dessen Bestellung (Abs 2; Fasching Rz 529; aA Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 97 Rz 17); dabei ist auch der zu Unrecht bestellte Zustellungsbevollmächtigte – er könnte darüber hinaus bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 97 Abs 3 2. Satz auch einen Enthebungsantrag stellen – wegen 667

§ 87

Gitschthaler

der ihn nach § 99 treffenden Verpflichtungen als beschwert zu erachten (SZ 59/138), sowie c) auf eine Kuratorbestellung nach § 116 und auch deren Verweigerung (Walter/Mayer, Zustellrecht 194; Rassi, RZ 1996, 218; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 116 Rz 27; aA Feil § 116 ZPO Rz 2; Rsp 1931/143, SZ 21/155; LGZ Wien MietSlg 38.796; OLG Linz 2 R 271/ 97d). Näheres dazu vgl § 116–119 Rz 7, 8. Vgl zur Frage der Rechtsmittelzulässigkeit auch ausführlich bei Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 87 Rz 11–16. Bundesgesetz über die Zustellung behördlicher Dokumente (Zustellgesetz – ZustG) Abschnitt I. Allgemeine Bestimmungen § 1. Dieses Bundesgesetz regelt die Zustellung der von Gerichten und Verwaltungsbehörden in Vollziehung der Gesetze zu übermittelnden Dokumente sowie die durch sie vorzunehmende Zustellung von Dokumenten ausländischer Behörden. [Neu gefasst durch E-GovG] 1

Das Zustellgesetz BGBl 200/1982 war Gegenstand zahlreicher Novellierungen, die umfassendste erfolgte mit dem BGBl I 2004/10 („E-Government-Gesetz“), das mit 1.3.2004 in Kraft getreten ist. Dabei wurde auch der Gesetzestitel neu gefasst. Der bislang verwendete Begriff des „Schriftstücks“ schien dem Gesetzgeber für elektronische Nachrichten zu eng. Deshalb führte er den allgemeineren Begriff „Dokument“ in die Terminologie des ZustG ein; es sollte der Aspekt der inhaltlichen Nachweisbarkeit von zuzustellenden Nachrichten gegenüber der technischen Form ihrer Darstellung in den Vordergrund gerückt werden (vgl § 2 ZustG Rz 5).

2

Wesentlichste Änderung war die Einführung des (als solcher neu bezeichneten) Abschnitts III über die Elektronische Zustellung. Erklärte Absicht des Gesetzgebers war an sich (wieder) eine größere Vereinheitlichung bestehender Zustellvorschriften in Verwaltung und Gerichtsbarkeit. Dabei wurde allerdings auch anerkannt, dass, nicht zuletzt im Hinblick auf die internationale Verflechtung des gerichtlichen Zustellrechts, eine vollkommene Angleichung nicht möglich ist. Hinsichtlich der Verwendung gleichartiger Techniken bei der elektronischen Zustellung durch die Gerichte wurde außerdem auf „in der nächsten Zukunft“ beabsichtigte Änderungen im elektronischen Rechtsverkehr (§§ 89a ff GOG) verwiesen. Derzeit sollten jedoch generell die für die Zustellung im Rahmen des 668

§ 87 (§ 2 ZustG)

1.2 Verfahren

elektronischen Rechtsverkehrs in der Gerichtsbarkeit gemäß §§ 89a ff GOG geltenden Regelungen als leges speciales zur Gänze aufrechterhalten werden. Dies wurde auch ausdrücklich in § 37 ZustG ausgesprochen. Von einer Kommentierung des Abschnitts III wird daher im Rahmen dieses „ZPO-Kommentars“ abgesehen. 3

Im Hinblick auf §§ 89a bis 89i GOG ist eine Zustellung von Erledigungen im Wege der elektronischen Übermittlung nur unter bestimmten Voraussetzungen vorsehen. Grundvoraussetzung ist aber, dass diejenige Person, an die auf elektronischem Weg zugestellt werden soll, gemäß § 89a Abs 1 GOG iVm § 1 ERV vom elektronischen Rechtssverkehr „Gebrauch macht“. Der Anwendungsbereich für gerichtliche Zustellungen wurde damit gegenüber der ERV 1995 (vgl Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 1 ZustG] Rz 20–27) erheblich ausgeweitet. Gerichtliche Erledigungen mittels Telefax können nicht ordnungsgemäß vorgenommen werden (9 ObA 29/04m; Liebmann, ecolex 2000, 352 mwN; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 1 ZustG] Rz 23). § 1a. Aufgehoben [Eingefügt durch BGBl 1990/357; wieder aufgehoben durch BGBl I 1998/158] Begriffsbestimmungen § 2. Im Sinne dieses Bundesgesetzes bedeuten die Begriffe: 1. „Empfänger“: die von der Behörde in der Zustellverfügung (§ 5) namentlich bezeichnete Person, in deren Verfügungsgewalt das zuzustellende Dokument gelangen soll; 2. „Dokument“ („Sendung“): eine Aufzeichnung, unabhängig von ihrer technischen Form, insbesondere eine behördliche schriftliche Erledigung; 3. „Adresse“: die für die Erreichbarkeit des Empfängers in einer bestimmten Kommunikationsform notwendigen Angaben; 4. „Zustelladresse“: eine Abgabestelle (Z 5) oder elektronische Zustelladresse (Z 6); 5. „Abgabestelle“: die Wohnung oder sonstige Unterkunft, die Betriebsstätte, der Sitz, der Geschäftsraum, die Kanzlei oder auch der Arbeitsplatz des Empfängers, im Falle einer Zustellung anlässlich einer Amtshandlung auch deren Ort, oder ein vom Empfänger der Behörde für die Zustellung in einem laufenden Verfahren angegebener Ort; 669

§ 87

Gitschthaler

6. „elektronische Zustelladresse“: eine vom Empfänger einem elektronischen Zustelldienst (Z 9) benannte oder vom Empfänger der Behörde für die Zustellung in einem laufenden Verfahren angegebene andere elektronische Adresse; 7. „elektronisches Aktensystem“: ein durchgehend elektronisch geführtes Aktenbearbeitungs- und -verwaltungssystem einer Behörde; 8. „Post“: die Österreichische Post AG (§ 2 Z 2 des Postgesetzes 1997, BGBl I Nr 18/1998); 9. „Zustelldienst“: die Post und andere Universaldienstebetreiber nach § 5 Abs 1 bis 3 des Postgesetzes 1997 im Bereich des Abschnitts II sowie behördliche Zustelldienste und durch Bescheid des Bundeskanzlers als elektronischer Zustelldienst zugelassene Stellen (§ 29) im Bereich des Abschnitts III. [Neu gefasst durch E-GovG] Inhaltsübersicht Empfänger Dokument Adresse 1

1–4 5 6

Abgabestellen Zustelldienst

7–16 17

Wer Empfänger eines Schriftstücks sein soll, richtet sich nach den jeweiligen Verfahrensvorschriften, auf welche die Zustellverfügung (Näheres dazu bei § 5 ZustG) Bedacht zu nehmen hat. Es ist jene Person, für die das zuzustellende Dokument bestimmt ist (Rechberger/Simotta Rz 325), also jene Person, die in der Zustellverfügung der Behörde (vgl dazu § 89) und auf dem Zustellstück selbst genannt ist (vgl bei § 7 ZustG). Wohnen an einer Abgabestelle zwei Personen mit gleichem Vor- und Zunamen, sind weitere Individualisierungsmerkmale wie etwa „jun.“ oder „sen.“ von besonderer Bedeutung. Die Bezeichnung „Kaufmann“ reicht für sich allein zwar nicht aus (RdW 1998, 277), kann aber zur näheren Individualisierung herangezogen werden (vgl OLG Linz 2 R 154/03k; Kreimel, WR 1993/30, 13). Scheint auf dem Zustellstück noch der Mädchenname der Empfängerin auf, kann an sie trotzdem zugestellt werden, wenn unzweifelhaft erkennbar ist, dass sie lediglich infolge Eheschließung nunmehr einen anderen Namen trägt (OLG Wien ARD 5098/30/1999). Wohnt an der Abgabestelle eine weitere Person gleichen Vorund Zunamens, sind weitere Individualisierungsmerkmale aber nicht vorhanden und hat diese weitere Person auf dem Rückschein die Rubrik „Empfänger“ angekreuzt, dann ist sie nicht als Ersatz670

§ 87 (§ 2 ZustG)

1.2 Verfahren

empfänger desjenigen anzusehen, an den zugestellt hätte werden sollen, sondern ist die Zustellung rechtsunwirksam (RdW 1998, 277). 2

Grundsätzlich kann an den Empfänger nur dann unmittelbar zugestellt werden, wenn es sich um eine natürliche Person handelt. Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Zustellung ist, dass der Empfänger das Wesen der Zustellung zu erfassen vermag (RZ 1935, 147). Dies erfordert auch, dass er im Zeitpunkt der Zustellung die Tragweite etwa des konkreten Verfahrens erkennen kann (vgl 4 Ob 329/98f). Soll also an eine natürliche Person zugestellt werden, so setzt dies Prozess- und Handlungsfähigkeit des Empfängers voraus (vgl VwGH VwSlg 6659/A; 10 ObS 87/92, 10 ObS 202/98y, 4 Ob 174/01v = EvBl 2002/28; Gitschthaler, ÖA 1991, 19 [Entscheidungsbesprechung]; Fucik, AußStrG2 [1998] 200; Walter/Mayer, Zustellrecht 77; dies, Verwaltungsverfahrensrecht Rz 198; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 13 ZustG] Rz 7). Ist diese Voraussetzung nicht gegeben, ist an den gesetzlichen oder bestellten Vertreter zuzustellen. Diesen hat die Behörde dann aber schon von vorneherein als Empfänger festzulegen (10 ObS 87/92, 10 ObS 202/98y; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 13 ZustG] Rz 7), es sei denn der bestellte Vertreter ist selbst Verfahrenspartei (3 Ob 204/00x). Eine dennoch gegenüber dem Prozessunfähigen vorgenommene Zustellung wäre unwirksam (Frauenberger, ÖJZ 1992, 116; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 13 ZustG] Rz 7). Hievon bestehen allerdings Ausnahmen nach § 27 UbG und § 124 AußStrG. Insolvenzrechtliche Vorschriften kennen Postsperren zu Lasten des Empfängers (§ 78 KO, §§ 3, 76 AO).

3

Bei juristischen Personen und Personenvereinigungen ohne eigene Rechtspersönlichkeit (EvBl 1991/142) ist an einen zur Empfangnahme befugten Vertreter zuzustellen. Wer dabei im Einzelfall befugter Vertreter ist, richtet sich nach den die Organisation der „nicht natürlichen Person“ regelnden Vorschriften (RZ 1990/125, EvBl 1991/142, SZ 64/67 = EvBl 1992/4, EvBl 1997/67; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 13 ZustG] Rz 17). Insofern geht § 13 Abs 3 ZustG, der festlegt, wer Empfänger ist, § 2 ZustG vor, der sodann bestimmt, an welchem Ort dem damit festgelegten Empfänger zugestellt werden darf (RZ 1990/125, SZ 64/67 = EvBl 1992/4, RdW 1998, 676; OLG Wien WR 619, 871; vgl Stumvoll in Fasching/ Konecny II/2 Anh § 87 [§ 4 ZustG] Rz 26, Anh § 87 [§ 13 ZustG] Rz 22; EvBl 1991/142 = ecolex 1991, 637). Dieser Vertreter wird 671

§ 87

Gitschthaler

somit zum „Empfänger im formellen Sinn“ (vgl RZ 1990/125; OLG Linz 2 R 197/98y; vgl auch Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 13 ZustG] Rz 22; EvBl 1991/142 = ecolex 1991, 637). Daher darf ihm auch an seiner Wohnanschrift (2 Ob 315/99h = wobl 2001/169; LGZ Wien WR 287; OLG Wien WR 619, 7 Ra 34/98s; OLG Linz 2 R 197/98y), am Sitz der von ihm vertretenen juristischen Person jedoch nur dann zugestellt werden, wenn sich dort auch seine Wohnung, seine Unterkunft, seine Kanzlei, sein Geschäftsraum oder sein Arbeitsplatz befinden (VwGH ARD 4924/ 25/98). Sowohl in der Zustellverfügung als auch auf dem Zustellstück ist allerdings zum Ausdruck zu bringen, dass er nur für die juristische Person handelt (vgl Feil § 13 ZustG Rz 9). Da er zum „formellen“ Empfänger wird, kann nach § 16 ZustG auch an seinen Ersatzempfänger zugestellt werden (4 Ob 90/77; OLG Wien WR 619; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 16 ZustG] Rz 20). Dies gilt unabhängig davon, ob der Vertreter der juristischen Person ausdrücklich auf dem Zustellstück genannt ist oder sich aus § 13 Abs 3 ZustG ergibt (Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 16 ZustG] Rz 20). Bei einer OHG ist an einen der – unbeschadet einer allfälligen Kollektivvertretungsbefugnis – Gesellschafter zuzustellen, der nicht durch den Gesellschaftsvertrag von der Vertretung ausgeschlossen ist (EvBl 1997/67), bei der KG an einen zur Vertretung befugten Gesellschafter (idR Komplementär) oder auch an den Liquidator (SZ 59/138 = JBl 1986, 796, EvBl 1991/142, SZ 64/67, RdW 1997, 275, 2 Ob 315/99h = wobl 2001/169). Bei (Wohnungs-)Eigentümergemeinschaften nach § 18 WEG 2002 kann an den bestellten Verwalter oder den Eigentümervertreter zugestellt werden. Dies gilt auch für bestellte Liegenschaftsverwalter in den in § 37 MRG genannten Verfahren (wobl 1998/119 [zust Call]). Diese Verwalter sind kraft Gesetzes Zustellungsbevollmächtigte ohne Rücksicht auf ihren Willen, ihre Ermächtigung und den Umfang ihrer konkreten Vertretervollmacht (LGZ Wien MietSlg 46.459). Vgl dazu auch Prader, AnwBl 1998, 424. Vgl allgemein zu den Vertretern von Personenvereinigungen ohne eigene Rechtspersönlichkeit Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 (§ 13 ZustG) Rz 18. Sind sowohl der Empfänger als auch der Vertreter iSd § 13 Abs 3 ZustG verzogen, ist nach §§ 116 ff vorzugehen (RdW 1998, 676), es sei denn es liegt ein Anwendungsfall des § 8 ZustG vor (vgl dort). 4

Grundsätzlich braucht bei Zustellungen der zur Empfangnahme befugte Vertreter der „nicht natürlichen Person“ nicht angegeben werden (VwGH ZfVB 1986/2302, Zl 90/04/0073, 92/02/0068; 672

§ 87 (§ 2 ZustG)

1.2 Verfahren

8 ObA 184/98m, 8 Ob 106/03a; Feil § 13 ZustG Rz 9). Fehler des Zustellorgans, welches etwa die Zeichnungsvorschriften des GmbHG nicht hinreichend beachtet hat, gehen dann aber zu Lasten jener Partei, deren Schriftsatz zuzustellen gewesen wäre (LGZ Wien MietSlg 36.837; OLG Linz Arb 11.437, 2 R 197/98y). Ein befugter Vertreter kann aber auch bereits von der Behörde als Empfänger bezeichnet werden (VwGH SWK 2001, R 69; ÖStZB 2001/ 357), dann ist an diesen zuzustellen. Wird der befugte Vertreter angegeben und dabei unrichtig bezeichnet, ist dennoch an den tatsächlich Vertretungsbefugten zuzustellen (Ind 1979/2, 9, EvBl 1997/67; OLG Linz 2 R 197/98y). Dabei können diese „Korrekturen“ aber nicht vom Zustellorgan selbst, sondern nur von der Behörde bei Erlassung der Zustellverfügung vorgenommen werden (vgl Walter/Mayer, Zustellrecht 173). Wird daher etwa in einer Klage der tatsächlich Empfangsberechtigte unrichtig bezeichnet und dieser Fehler nicht in der Zustellverfügung berichtigt, geht dies zu Lasten des Klägers (vgl SZ 41/184). Ist der als Empfänger bezeichnete Vertreter zum Zeitpunkt der Zustellung tatsächlich gar nicht mehr vertretungsbefugt, vermag eine dennoch vorgenommene Zustellung keine Wirksamkeit zu entfalten (LGZ Wien MietSlg 45.760). Allerdings hat das Zustellorgan, wenn sich dies während des Zustellvorgangs herausstellt, im Hinblick auf die Amtswegigkeit des Zustellwesens das Zustellstück an eine für die Gesellschaft tatsächlich zumindest zustellungsbevollmächtigte Person auszufolgen (4 Ob 68/78). Handelt es sich beim Empfänger um eine öffentliche Organisation, schadet eine unrichtige Bezeichnung der „Empfangsstelle“ dann nicht, wenn die Zustellung nach den Organisationsvorschriften materiell wirksam war (SZ 24/40, 3 Ob 777/52, RZ 1991/39 [Zustellung an eine andere als die nach dem Aufgabenkreis dazu berufene Abteilung des Magistrats der Stadtgemeinde Wien]). 5

Durch die weite Definition des Begriffs „Dokument“ ist klargestellt, dass darunter nicht nur Schriftstücke im engeren Sinn, sondern alle Aufzeichnungen (also etwa auch Pläne oder Fotos) zu verstehen sind. Der Begriff „elektronisches Dokument“ wird auch in § 4 Abs 3 des SigG verwendet und ist vor allem in der deutschen Rechtssprache gebräuchlich (vgl etwa § 130a dZPO).

6

Zentraler Begriff für eine Zustellung ist die „Adresse“ des Empfängers. In § 2 Z 3 bis 6 ZustG werden Definitionen gewählt, die sämtliche Kommunikationsformen berücksichtigen. Neben den für das physische Auffinden an einem Ort notwendigen Angaben muss der 673

§ 87

Gitschthaler

Adressbegriff auch die für das virtuelle Erreichen einer Person notwendigen Daten umfassen. Die Abgrenzung zwischen der traditionellen „postalischen“ Form der Zustellung und der elektronischen Zustellung wurde rechtstechnisch dadurch erreicht, dass die „Abgabestelle“ als örtlich definierte Zustelladresse von der nur virtuell definierten „elektronischen Zustelladresse“ unterschieden wird. Für die Zustellung von gerichtlichen Schriftstücken spielt dies aber derzeit keine Rolle (vgl § 87 Rz 1). 7

Unter Abgabestelle versteht man jenen Ort, an dem eine konkrete „postalische“ Zustellung stattfinden darf (Rechberger/Simotta Rz 323). Durch die von der Behörde angegebene Person (als Empfänger) werden die im konkreten Fall in Betracht kommenden Abgabestellen bestimmt (RZ 1990/125, SZ 64/67, RdW 1998, 676). Ein Ort kann nur dann als taugliche Abgabestelle angesehen werden, wenn sich der Empfänger dort tatsächlich auch regelmäßig aufhält (Ballon Rz 164; Rechberger/Simotta Rz 323; Fasching Rz 532; Feil § 4 ZustG Rz 4; vgl auch SZ 57/141 = EvBl 1985/24, SZ 60/226 = EvBl 1988/22, RZ 1989/27, 1 Ob 23/97g, 7 Ob 369/97h). Auf die Dauer des jeweiligen Aufenthalts an der Abgabestelle kommt es dabei aber nicht an (SZ 57/141, SZ 60/226, RdA 1997, 408). Ein regelmäßiger Aufenthalt des Empfängers liegt demnach selbst dann vor, wenn dieser am Tag der Zustellung an der Abgabestelle nicht anwesend war (VwGH ARD 4882/20/97), wenn er etwa lediglich jeden zweiten Tag die Abgabestelle aufsucht (RdA 1997, 408) oder wenn er berufsbedingt tagsüber von der Abgabestelle abwesend ist (VwGH ÖJZ 1986, 509/A 306; SZ 57/141; vgl auch Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht Rz 213). Voraussetzung ist allerdings, dass der Empfänger immer wieder an die Abgabestelle zurückkehrt (1 Ob 137/05m). Maßgebend für die Beurteilung des Umstands, ob im konkreten Fall eine Abgabestelle vorliegt oder vorlag, ist dabei nicht allein der Zeitpunkt der „Zustellung“. Vielmehr sind die berücksichtigungswürdigen Tatsachen ex post nach objektiven Gesichtspunkten, dh ohne Rücksicht darauf, wie sich dem Zustellorgan die Verhältnisse subjektiv geboten haben, und ohne Rücksicht auf eine entsprechende Absicht des Empfängers zu ermitteln und zu beurteilen (1 Ob 23/97y; LG Linz 15 R 434/04f).

8

Das ZustG stellt beim Begriff Wohnung einerseits auf eine einigermaßen feste Beziehung zwischen einer Person und ihrem Aufenthaltsort und andererseits auf eine gewisse Dauer des Nutzungsverhältnisses ab (LG Linz EFSlg 109.560). Dabei kommt es 674

§ 87 (§ 2 ZustG)

1.2 Verfahren

immer auf den Einzelfall an (1 Ob 23/97y). Eine Wohnung iSd § 2 ZustG ist eine nach außen hin abgeschlossene Räumlichkeit, sodass Wohnung auch ein Wohn- oder ein Zirkuswagen sein kann (VwGH ZfVB 1999/395; aA VwGH ZfVB 2001/1062). Dies gilt auch für das Gefängnis bei einem Häftling (SZ 37/40 = EvBl 1964/430), weil es nicht auf die Freiwilligkeit des Aufenthalts, sondern das tatsächliche Bewohnen ankommt (Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 4 ZustG] Rz 15). In der Wohnung muss der Empfänger seine ständige Unterkunft haben, dh er muss dort gewöhnlich nächtigen oder sich sonst dauernd – fallweise Benützung reicht ebenso wenig aus (VwGH ZfVB 1999/1108) wie häufige Besuche (LGZ Wien MietSlg 38.812) – aufzuhalten pflegen (Mittelpunkt seiner Lebensverhältnisse; Feil § 4 ZustG Rz 9; SZ 60/226 = EvBl 1988/22, 1 Ob 23/97y; VwGH Zl 1399/61, Zl 95/21/0109, ZfVB 2001/1062; LG Linz EFSlg 94.490). Auf die meldebehördliche Anmeldung kommt es jedoch ebenso wenig an (SZ 60/226, 1 Ob 23/97y, 7 Ob 369/97h; VwGH ARD 4913/36/98, ZfVB 2000/2181) wie auf die Erfüllung der Kriterien des § 66 JN (RZ 1937, 295). Ist der Empfänger zwar noch in der Wohnung gemeldet, jedoch dort nur mehr fallweise aufhältig, dann liegt selbst dann keine Abgabestelle vor, wenn er dafür Vorsorge getroffen hat, dass für ihn einlangende Post gesammelt wird, er sie abholen kann und auch vom Einlangen wichtiger Poststücke verständigt wird (OLG Graz AnwBl 1996/6150 [abl Grill, dessen Anregungen sich aber an den Gesetzgeber richten müssten]). Während einer – wenn auch mehrwöchigen (SZ 66/68 = EvBl 1994/10 [etwa acht Wochen]) – urlaubsbedingten Abwesenheit geht der Charakter einer Wohnung als Abgabestelle ebenso wenig verloren (SZ 60/74 = RdW 1987, 374; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 4 ZustG] Rz 21; aA VwGH ZfVB 1985/1175 [abl Szirba, ZfV 1985, 597], wbl 2000/357 [bereits bei einwöchiger Urlaubsreise]) wie während der Ableistung des Grundwehrdiensts durch den Empfänger (VwGH ZfVB 1989/636), wohl aber bei Verbüßung einer zumindest längeren Haftstrafe (RZ 1984/26 [15 Monate]; ähnlich VwGH JUS A/3462 [14 Monate]; VwGH ZfVB 2002/1608 [zwei Monate sind nicht ausreichend]) oder bei einer rund viermonatigen Benützung einer anderen Wohnung durch den Empfänger. Letzteres gilt insb dann, wenn dieser seinen Lebensmittelpunkt dadurch verlegt hat, dass er zu seiner „Freundin“ gezogen ist (1 Ob 23/97y) oder wenn er sich während eines längeren Zeitraums auf einem auswärtigen Arbeitsplatz aufhält und die Wohnung nur an den Wochenenden aufsucht (AnwBl 1980, 256 [zust Arnold], vgl auch SZ 52/128). 675

§ 87

Gitschthaler

Wird die bisherige Wohnung „aufgegeben“, fehlt jeder Bezugspunkt für eine Zustellung (VwGH ZfVB 2003/1127). Dann ist es bei Beurteilung der Wohnung als Abgabestelle aber ohne Bedeutung, wie weit der neue Aufenthaltsort des Empfängers entfernt ist (1 Ob 23/97y; aA offensichtlich EvBl 1989/85) oder ob er Vorsorge für die Sammlung und Abholung der dort einlangenden Post getroffen hat (LGZ Wien EFSlg 109.562). Zur Frage der Übersiedlung s auch Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 4 ZustG] Rz 21, 22. 9

Sonstige Unterkunft ist jede nicht als Wohnung zu qualifizierende Unterkunft, etwa ein Schuppen (VwGH Zl 94/03/0149), eine Flüchtlingsbetreuungsstelle (VwGH ZfVB 2001/1062), ein Internat (Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 4 ZustG] Rz 16), ein Senioren- oder Studentenheim (ZfVB 2001/1062) oder ein Hotelzimmer (VwGH Zl 92/01/0317, 94/20/0610), nicht aber eine Garage (OLG Wien 33 Ra 121/92); Letzteres gilt allerdings wohl nur dann, wenn es sich nicht um den Lebensmittelpunkt des Empfängers handelt. Durch BGBl I 2001/28 wurde in § 1 Abs 9 MeldeG festgehalten, dass obdachlos derjenige ist, der nirgends Unterkunft hat, wobei nach § 19a Abs 1 MeldeG dem Obdachlosen aber auf seinen Antrag hin eine Hauptwohnsitzbestätigung für seine Kontaktstelle ausgestellt werden kann, also für jene Stelle im Gebiet der Gemeinde, in der er seit mindestens 1 Monat den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hat, die er regelmäßig aufsucht. Diese Kontaktstelle gilt als Abgabestelle, sofern der Obdachlose hiezu die Zustimmung des für diese Stelle Verfügungsberechtigten nachweist (§ 19a Abs 2 MeldeG). In der Praxis wird es sich dabei idR etwa um ein Obdachlosenheim oder eine sonstige Betreuungsstätte handeln. Einen Sonderfall sehen auch § 382c Abs 4 EO, § 38a Abs 3 SPG für den Fall der Wegweisung des Gegners eines Gewaltopfers bei Erlassung einer Gewaltschutz-EV vor.

10 Betriebsstätte ist jede räumliche Einheit, in der der Empfänger seinen Betrieb führt. Die Durchführung lediglich von Lohnverrechnung bzw Buchhaltung wird als nicht ausreichend angesehen (OLG Wien ARD 5186/51/2001). Er muss sich dort zum Zweck der Betriebsführung regelmäßig aufhalten (Feil § 4 ZustG Rz 11; EvBl 1989/85), uzw solange, als die Betriebsstätte nicht aufgelassen wird (VwGH wbl 2000/357). Dies gilt auch für einen Wochenpendler (9 ObA 13/89, SZ 60/226 = EvBl 1988/22); nach Ansicht des VwGH (ZfVB 1999/1100) handelt es sich bei einer von einem Pendler während der Woche benutzten Wohngelegenheit allerdings um eine sonstige Unterkunft (vgl dazu auch Stumvoll in Fasching/Konecny 676

§ 87 (§ 2 ZustG)

1.2 Verfahren

II/2 Anh § 87 [§ 4 ZustG] Rz 20). Betriebsstätten sind auch die Filialdirektionen von Versicherungen (vgl 2 Ob b 72/88) und von Banken, die Landesgeschäftsstellen von Bausparkassen (LG Salzburg 21 R 404/01k) sowie die Zweigniederlassungen von Handelsunternehmen (vgl Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 4 ZustG] Rz 24). Dies gilt aber nur, wenn nicht eine Eigenhandzustellung vorgenommen werden soll (vgl bei § 21 ZustG) und wenn ein zur Empfangnahme Befugter nicht ausdrücklich angeführt ist, weil nämlich dann an diesen zuzustellen wäre; andernfalls kann eine Ersatzzustellung auch an Arbeitnehmer vorgenommen werden (OLG Wien ARD 5382/17/2003; vgl § 16 ZustG Rz 5). Eine bloße Belegenheit, also etwa ein Lagerplatz, ein Magazin oder ein Lagerraum, stellt keine Betriebsstätte dar, weil eine solche eine regelmäßige und andauernde betriebliche Tätigkeit voraussetzt (HG Wien 1 R 970/96k). Auch ein vom Empfänger gemietetes Geschäftslokal, in dem nicht er selbst, sondern eine Gesellschaft ihre Geschäfte betreibt, von der er zwar Gesellschafter, nicht aber auch Geschäftsführer ist, kann selbst dann nicht als seine Abgabestelle angesehen werden, wenn er fallweise Kontrollfunktionen als Gesellschafter ausübt (MietSlg 35.833). 11 Sitz ist jener Standort, an dem die zentrale Verwaltung einer juristischen Person geführt wird, an dem also der als juristische Person existente Empfänger durch seine Organe tätig wird bzw die Agenden der Zentralverwaltung wahrnimmt (VfGH VfSlg 5513; Feil § 4 ZustG Rz 12). Die im Firmenbuch eingetragene Geschäftsanschrift einer Gesellschaft stellt dabei allerdings keine taugliche Abgabestelle für verfahrenseinleitende Anträge dar, wenn der Empfänger laut Postfehlbericht verzogen ist oder unter der eingetragenen Anschrift auch nie irgendwelche Tätigkeiten entfaltet hat (OLG Wien 28 R 57/98b, 7 Ra 208/98d; RdW 1998, 676; Zib, Firmenbuch 146; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 4 ZustG] Rz 26; aA OLG Wien ARD 4855/41/97; Oberhammer, RdW 1997, 384). Ist also der handelsrechtliche Sitz einer Gesellschaft eine „reine Briefkastenadresse“, dann tritt an die Stelle dieses Sitzes als Abgabestelle jener Ort, an dem deren Hauptverwaltung geführt wird (3 Ob 393/97h). An diesen Überlegungen hat auch § 41 FBG idF BGBl I 74/1999 nichts geändert, wonach bei Misslingen der Zustellung an der Geschäftsanschrift zunächst die Zustellung an die Privatanschriften der Mitglieder des vertretungsbefugten Organs der Gesellschaft zu versuchen und dann eine öffentliche Bekanntmachung durch Aufnahme in die Ediktsdatei vorzunehmen ist, weil diese Regelung sich ausschließlich auf das Firmenbuchver677

§ 87

Gitschthaler

fahren bezieht. Stellt die inländische Anschrift des Beklagten lediglich eine „Briefkastenanschrift“ dar und liegt die einzige bekannte Abgabestelle, an der ein Zahlungsbefehl wirksam zugestellt werden könnte, im Ausland, darf ein Zahlungsbefehl nicht erlassen werden (OLG Wien ARD 5235/51/2001). Die Vereinsadresse stellt eine für die Zustellung an den Obmann taugliche Abgabestelle dar (VwGH ZfVB 1991/2253), dies allerdings wohl nur dann, wenn ihm das Zustellstück auch tatsächlich in dieser Funktion zugestellt werden soll (vgl dazu auch Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 4 ZustG] Rz 26). 12 Kanzlei ist jener Raum, in dem eine zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte und in dieser Eigenschaft als Empfänger fungierende Person, für die das Schriftstück bestimmt ist, ihre Tätigkeit ausübt (Feil § 4 ZustG Rz 14). Zustellungen an einen Parteienvertreter in eigener Sache sind an allen seinen Abgabestellen iSd § 2 ZustG zulässig (VwGH AnwBl 1989, 434 = 753; SZ 64/67 = EvBl 1992/4, RdW 1993, 277; aA LG Salzburg RPflSlgE 1993/128), schreitet er jedoch als Parteienvertreter ein, dann nur in seiner Kanzlei (SZ 64/67). Zu den bei Gericht für Parteienvertreter eingerichteten Fächern vgl bei § 88 Rz 4. 13 Arbeitsplatz ist die feste Arbeitsstätte eines Erwerbstätigen, dessen örtlicher Mittelpunkt seiner Tätigkeit weder als Betriebsstätte noch als Geschäftsraum noch als Kanzlei aufgefasst werden kann (Walter/Mayer, Zustellrecht 34; Feil § 4 ZustG Rz 15). Um einen Arbeitsplatz iSd § 2 ZustG handelt es sich dabei aber nur, wenn der Empfänger dort auch tatsächlich arbeitet (VwGH ZfVB 1994/465). Gemeint ist damit „örtlich jener Platz, an dem der Empfänger arbeitet“, und nicht lediglich der Arbeitgeber an sich, wenn dieser über mehrere Arbeitsstellen verfügt (VwGH ARD 4924/23/98 [Bundesministerium mit mehreren Dienststellen]). Zu Pendlern s auch Rz 10. 14 Der Geschäftsraum ist nur dann eine taugliche Abgabestelle, wenn sich der Empfänger dort regelmäßig aufhält. Ein Geschäftsraum, in dem sich der Empfänger – von urlaubsbedingten Abwesenheiten abgesehen – ein- bis zweimal in der Woche aufhält, kann dabei durchaus noch als Abgabestelle angesehen werden (LGZ Wien MietSlg 45.763; Feil § 4 ZustG Rz 13). 15 Neu eingefügt wurde nunmehr die Möglichkeit der Bestimmung einer – von den übrigen Orten abweichenden – Abgabestelle für ein konkretes Verfahren. 678

§ 87 (§ 2 ZustG)

1.2 Verfahren

16 Keine tauglichen Abgabestellen stellen etwa ein unbesetztes Büro mit Anrufbeantworter (HG Wien WR 286), ein Postschließfach, welches dem Empfänger lediglich zur Abholung von nicht bescheinigten Briefsendungen zur Verfügung gestellt werden kann (SZ 38/136 = JBl 1967, 151, SSV-NF 6/128, 10 ObS 221/92, 2 Ob 190/98z, 10 ObS 276/98f, 4 Ob 175/03v = ecolex 2004/5; VwGH ZfVB 1993/249), ein Postfach (§ 252 PostO; 4 Ob 175/03v = ecolex 2004/5; VwGH Zl 96/11/0137; OLG Linz 2 R 54/99w; Feil § 4 ZustG Rz 17) oder ein für berufsmäßige Parteienvertreter bei der Behörde eingerichtetes Fach (vgl dazu auch bei § 88 Rz 4) dar; in all diesen Fällen fehlt es nämlich an der dargestellten Nahebeziehung. 17 Die Regelungen des § 2 Z 8 und 9 ZustG waren im Wesentlichen bereits in § 2a Abs 1 ZustG aF enthalten. Diese Bestimmung war mit 1.1.1999 in Kraft getreten und hing mit der Umstrukturierung der Post- und Telegraphenverwaltung des Bundes zusammen. Nach den Bestimmungen des PoststrukturG, BGBl 1996/ 201, und der Novellen zum PostG, BGBl 1996/765 und BGBl I 1998/18, sind die Rechtsbeziehungen der Post und Telekom Austria AG zwar grundsätzlich privatrechtlicher Natur, an der Rechtsnatur des Zustellvorgangs als Hoheitsakt hat sich aber durch die erwähnten Bestimmungen nichts geändert (vgl Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensnovellen 208 unter Hinweis auf die Mat zu BGBl I 1998/158). Da mit BGBl I 2000/24 die PTA durch Verschmelzung gesetzlich erloschen ist, meinte § 2a Abs 1 Z 1 ZustG sodann die Post AG (Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 2a ZustG] Rz 3). Im Hinblick auf die Liberalisierung der Dienstleistungen wurde der Begriff des „elektronischen Zustelldiensts“ so gefasst, dass jede geeignete – öffentliche oder private – Institution bei Erfüllung der in den §§ 28 bis 30 ZustG genannten Voraussetzungen mit dieser Funktion betraut werden kann. Dabei wurde allerdings auch der Umstand berücksichtigt, dass nach wie vor die Behörde selbst für die Zustellung ihrer Schriftstücke Sorge tragen kann, wenn sie sich dafür entscheidet. Für den Bereich der traditionellen „postalischen“ Zustellung wurde hinsichtlich der mit der Zustellung betrauten Stellen auf die Regelungen des PostG zurückgegriffen. § 2a. Aufgehoben [Eingefügt durch BGBl I 1998/158; Abs 2 neu gefasst durch BGBl I 2001/137; wieder aufgehoben durch E-GovG] 679

§ 87

Gitschthaler Zustellorgane

§ 3. (1) Mit der Zustellung dürfen, sofern die Behörde sie nicht durch eigene Bedienstete vornimmt, die Post, ein anderer Zustelldienst oder, wenn dies im Interesse der Zweckmäßigkeit, Einfachheit und Raschheit gelegen ist, andere Behörde oder jene Gemeinde, in deren örtlichem Zuständigkeitsbereich die Abgabestelle liegt, betraut werden. (2) Die mit der Zustellung betrauten Organe und jene Personen, die zur Zustellung tatsächlich herangezogen werden (Zusteller), handeln hinsichtlich der Wahrung der Gesetzmäßigkeit der Zustellung für die Behörde, deren Dokument zugestellt werden soll. [Neu gefasst durch E-GovG] 1

In dieser Bestimmung wurden die früheren §§ 2 und 3 ZustG zusammengefasst. Weggefallen ist zwar der Gesetzesvorbehalt „soweit die für das Verfahren geltenden Vorschriften nicht eine andere Form der Zustellung vorsehen“. Darunter wäre etwa die Veröffentlichung in der Ediktsdatei zu verstehen (s dazu bei § 25 ZustG). Allerdings kommt dem wohl keine gesetzgeberische Absicht zu.

2

Die Zustellung behördlicher Schriftstücke durch eine andere Behörde oder eine Gemeinde bedarf einer ausdrücklichen Betrauung derselben durch die zustellende Behörde (vgl VwGH Zl 85/07/ 0307).

3

Der Zusteller gilt als Organ jener Behörde, in deren Namen das Schriftstück zugestellt werden soll (9 ObA 224/93; vgl auch Feil § 22 ZustG Rz 7). Dies ist deshalb von Bedeutung, weil für Schäden, die sich aus einer schuldhaften Verletzung des ZustG und den anzuwendenden postrechtlichen Vorschriften durch den Zusteller ergeben, die Behörde, in deren Namen die Zustellung erfolgte, nach dem AHG haftet (vgl Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren2, Anm 2 zu § 3 ZustG; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 3 ZustG] Rz 7, 8). Die Einhaltung der gesetzlichen Zustellvorschriften hat nämlich unabhängig vom Ermessen und der Überzeugung des Zustellorgans zu erfolgen (LGZ Wien MietSlg 39.813). Bestimmung der Zustelladresse § 4. (1) Soweit gesetzlich nicht die Zustellung an bestimmte Zustelladressen vorgeschrieben ist, darf einem Empfänger an jede Zustelladresse zugestellt werden. Sie ist in der Zustellverfü680

§ 87 (§ 4 ZustG)

1.2 Verfahren

gung zu benennen. Sieht die Zustellverfügung eine elektronische Zustellung mit Zustellnachweis vor, darf nur eine elektronische Zustelladresse verwendet werden, die einem elektronischen Zustelldienst bekannt gegeben wurde. (2) Bei der Bestimmung der Zustelladresse ist neben den Zwecken des Verfahrens und den konkreten Umständen darauf Bedacht zu nehmen, dass bei der Zustellung von behördlichen Erledigungen aus einem elektronischem Aktensystem der elektronischen Zustellung der Vorzug zu geben ist. (3) Als Zustelladresse darf eine Abgabestelle nicht verwendet werden, von welcher der Empfänger durch längere Zeit hindurch dauernd abwesend ist, oder eine elektronische Adresse, an welcher der Empfänger durch längere Zeit hindurch nicht erreichbar ist. Dies ist außer in Fällen offensichtlichen Missbrauchs von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn der Empfänger diesen Umstand bei der Behörde oder beim Zustelldienst rechtzeitig bekannt gegeben hat. Hat der Empfänger die Bekanntgabe seiner länger dauernden Abwesenheit von einer Abgabestelle unterlassen, dieses Geschehen aber in der Folge glaubhaft gemacht, wird die Zustellung erst mit dem auf seine Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam. (4) Mangels einer Zustelladresse darf – unbeschadet der Möglichkeit einer Zustellung nach § 8 – dem Empfänger an jedem Ort zugestellt werden, an dem er angetroffen wird; die Zustellung kann zudem auch durch öffentliche Bekanntmachung gemäß § 25 erfolgen. (5) Trotz Vorhandenseins einer Zustelladresse darf an jedem Ort zugestellt werden, an dem der Empfänger angetroffen wird, wenn er die Annahme der Sendung nicht verweigert. Für die Zustellung durch unmittelbare Ausfolgung in Amtsräumen gilt § 24. Dieser gilt hinsichtlich der elektronischen Übergabe von Dokumenten durch die Behörde an den Empfänger im onlineDialogverkehr sinngemäß mit der Maßgabe, dass die Zustellung nur zulässig ist, wenn der Empfänger vor der elektronischen Entgegennahme des Dokuments der Behörde seine Identität und die Authentizität der Kommunikation in geeigneter Form nachgewiesen hat. [Neu gefasst durch E-GovG] 1

Das Gesetz stellt den Grundsatz auf, dass die Behörde nach Beurteilung aller Umstände im Einzelfall die zweckmäßigste Vorgangsweise durch Auswahl der geeigneten Zustelladresse bestimmen soll. Dabei gilt eine Präferenz für die elektronische Zustellung, die aller681

§ 87

Gitschthaler

dings derzeit für gerichtliche Zustellungen (noch) nicht in Betracht kommt (vgl § 1 ZustG Rz 2). 2

An sich kann zum selben Zeitpunkt an mehreren Stellen eine Abgabestelle des Empfängers vorliegen (VwGH ZfVB 1999/1100; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 4 ZustG] Rz 5). Die Wahl, an welchem dieser in Betracht kommenden Orte zugestellt werden soll, steht in erster Linie der Partei, auf deren Antrag hin die Zustellung erfolgen soll, und nicht dem Zustellorgan zu (2 Ob 152/75, 4 Ob 90/77, SZ 64/67, 9 ObA 224/93, 8 Ob 107/99i; OLG Wien ZAS-Judikatur 2003/14). Dieses ist also selbst nicht befugt, an einer anderen Abgabestelle zuzustellen (9 ObA 224/93 unter Ablehnung älterer Rsp [etwa SZ 40/140 = EvBl 1968/197, MietSlg 27.636, 30.693]; OLG Wien ZAS-Judikatur 2003/14). Daran hat auch das E-GovG nichts geändert. Der Gesetzgeber weist selbst darauf hin, dass oberstes Gebot bei der Zustellung Effizienz, Praktikabilität und Verwendungskomfort für die am Zustellvorgang Beteiligten sein soll, weshalb einem besonderen Adress-Wunsch des Empfängers möglichst Rechnung zu tragen sei; eine Einschränkung bestehe nur dahingehend, dass bei der Zustellung mit Nachweis darauf geachtet werden müsse, dass eine Adresse bestimmt wird, die „nachweisfähig“ ist.

3

Wurde die Anschrift der Abgabestelle erkennbar lediglich verschrieben, können sowohl das Gericht als auch das Zustellorgan eine diesbezügliche Korrektur vornehmen. Dies stellt keine eigenmächtige Auswahl einer anderen Abgabestelle dar, sondern trägt nur dem ohnehin beabsichtigten Zustellort Rechnung (HG Wien 1 R 660/96x). Daher kann die Zustellung auch dann an der tatsächlichen Wohnanschrift erfolgen, wenn auf dem Gerichtsbrief eine andere Anschrift angegeben ist (SZ 40/140 = EvBl 1968/197; VwGH ZfVB 1999/394). Allerdings darf es sich bei dieser Anschrift dann nicht um eine andere Abgabestelle des Empfängers handeln, weil sonst ja das Zustellorgan die Wahl zwischen mehreren Abgabestellen trifft. Während Stumvoll (in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 4 ZustG] Rz 6, Anh § 87 [§ 13 ZustG] Rz 9) überhaupt keine Bindung an die Abgabestelle auf dem Zustellnachweis annimmt, meint 8 Ob 107/99i, es dürfe an einer dem Zusteller bekannten, jedoch auf der Sendung und dem Rückschein nicht angeführten Abgabestelle nicht hinterlegt werden (idS auch 9 ObA 224/93 = RdW 1993, 277).

4

Ordnet das Gericht in der Zustellverfügung eine bestimmte Zustelladresse an, ist das Zustellorgan daran gebunden. Dabei sind alle in 682

§ 87 (§ 5 ZustG)

1.2 Verfahren

§ 2 Z 5 ZustG als Abgabestelle genannten Orte – darunter ist aber nicht eine politische Gemeinde gemeint, in der der Empfänger etwa wohnt (1 Ob 23/97y) – als gleichrangig anzusehen (SZ 38/35 = EvBl 1965/290, 4 Ob 90/77, SZ 64/67, 9 ObA 224/93 = RdW 1993, 277; VwGH ÖJZ 1993, 326/A 114). 5

Die Rechtsfolgen des Abs 3 entsprechen jenen des § 17 Abs 3 letzter Satz ZustG. Eine bloß vorübergehende – und damit unschädliche – Abwesenheit des Empfängers von der Abgabestelle ist anzunehmen, wenn der Empfänger dadurch bloß vorübergehend an der Wahrnehmung eines Zustellvorgangs gehindert wird, was etwa bei einer Reise, bei einem Urlaubs- oder einem Krankenhausaufenthalt oder bei einem sonstigen, diesen Fällen gleichzuhaltenden Abwesenheitsgrund zutrifft (1 Ob 23/97y; aA VwGH ZfVB 2001/1069 für den Fall einer einwöchigen Urlaubsreise). Die Eigenschaft eines Ortes als Abgabestelle geht jedoch verloren, wenn die Nahebeziehung des Empfängers dazu auf Dauer oder doch für einen so langen Zeitraum erlischt, dass nach den Gepflogenheiten des Lebens das Warten auf eine Rückkehr in angemessener Zeit nicht zumutbar ist (Fasching Rz 532; SZ 66/68 = EvBl 1994/10, 1 Ob 23/97y).

6

Abs 4 und 5 entspricht dem – allerdings insofern aufgehobenen – § 13 Abs 5 und 6 ZustG vor dem E-GovG. Zustellverfügung § 5. Die Zustellung wird von der Behörde angeordnet, deren Dokument zuzustellen ist. Sie hat – soweit dies notwendig ist – in geeigneter Form zu bestimmen: 1. den Empfänger, dessen Identität möglichst eindeutig zu bezeichnen ist, 2. die Zustelladresse, wobei die Behörde für die Feststellung der Zustelladresse die Mithilfe eines Zustelldienstes in Anspruch nehmen kann, 3. ob die Zustellung mit oder ohne Zustellnachweis zu erfolgen hat, 4. ob eine Zustellung zu eigenen Handen (§ 21) vorzunehmen ist, 5. die für die Zustellung sonst, insbesondere gemäß §§ 13 bis 16 wesentlichen Vermerke, 6. die Art oder das technische Verfahren, in dem zuzustellen ist, sofern sich dies nicht schon allein aus der Zustelladresse ergibt. [Neu gefasst durch E-GovG] 683

§ 87

Gitschthaler

1

Durch diese Regelung wird die Verantwortung zwischen Behörde und Zustelldienst abgegrenzt. Die Zustellverfügung ist kein förmlicher Akt und insb kein Bescheid.

2

Das Erfordernis einer möglichst eindeutigen Bezeichnung des Empfängers soll eine ausdrücklichere Rechtsgrundlage als bisher dafür schaffen, dass in manchen Fällen das Geburtsdatum als Identifikationsdatum des Empfängers in der Adressierung angeführt wird. Die Datenschutzkommission hat mehrfach entschieden, dass dies dann zulässig ist, wenn nach dem Inhalt des zuzustellenden Schriftstücks (etwa ein Strafbescheid) die eindeutige Bezeichnung des Empfängers besonders wichtig ist.

3

Vgl im Übrigen zu Zustellverfügungen der Gerichte § 89 ZPO. Mehrmalige Zustellung § 6. Ist ein Dokument zugestellt, so löst die neuerliche Zustellung des gleichen Dokuments keine Rechtswirkungen aus. [Neu gefasst durch E-GovG]

1

Durch die Anordnung des § 6 ZustG ist klargestellt, dass auch bei – idR wohl irrtümlicher, jedoch beim ersten Mal ordnungsgemäßer (JBl 1979, 210, 4 Ob 528/80, NZ 1990, 451, 1 Ob 632/95) – mehrmaliger Zustellung des gleichen Dokuments (gemeint: einer inhaltlich vollkommen identischen Ausfertigung eines Dokuments [vgl Stohanzl § 6 ZustG Anm 1; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 6 ZustG] Rz 3; idS auch VwGH ZfVBBerK 1999/7, ZfVB 2001/261]) lediglich der Zeitpunkt der ersten Zustellung maßgeblich sein kann. Auch bei wiederholter Zustellung beginnen daher etwa Rechtsmittelfristen nicht jedes Mal wieder neu zu laufen (vgl VwGH Zl 609/66; JBl 1979, 210, 4 Ob 528/80, NZ 1990, 451, 1 Ob 632/95). Dies gilt selbst dann, wenn in verbundenen Rechtssachen (vgl dazu bei § 187) mehrere Parteien durch einen gemeinsamen Vertreter vertreten werden. Auch in einem solchen Fall ist dem Vertreter nur einmal zuzustellen, bei mehrmaliger Zustellung ist die erste maßgeblich (7 Ob 645/95, 3 Ob 131/90, 10 ObS 85/98t). Darüber hinaus ist § 6 ZustG auch in jenen Fällen anzuwenden, in denen sich eine Partei in einem Verfahren – durchaus zulässigerweise – mehrerer Vertreter bedient; maßgeblich ist die Zustellung an den von der Partei als Empfänger namhaft gemachten Vertreter, sonst die zeitlich erste (LGZ Wien EFSlg 79.178). 684

§ 87 (§ 7 ZustG)

1.2 Verfahren 2

Ist ein Schriftstück inhaltlich für mehrere Personen bestimmt, dann muss es grundsätzlich an alle diese Personen zugestellt werden (VwGH Zl 84/17/0037 uva), es sei denn es wurde ein gemeinsamer Zustellungsbevollmächtigter bestellt (vgl § 97). Andernfalls gilt es nur als jener Person zugestellt, die es tatsächlich ausgefolgt erhalten hat (VwGH Zl 89/07/0077). Heilung von Zustellmängeln § 7. (1) Unterlaufen im Verfahren der Zustellung Mängel, so gilt die Zustellung als in dem Zeitpunkt dennoch bewirkt, in dem das Dokument dem Empfänger tatsächlich zugekommen ist. (2) Der Versuch der Zustellung an einer gemäß § 4 nicht vorgesehenen Adresse ist ein Zustellmangel im Sinne des Abs. 1. [Neu gefasst durch E-GovG]

1

Bis zum 31.12.1998 definierte § 7 ZustG den Empfänger als jene Person, für die (das zuzustellende) Schriftstück bestimmt war. Dann stellte § 7 ZustG klar, dass es nicht um die Person geht, für die das Schriftstück inhaltlich (!) bestimmt ist, die es also betrifft, sondern um die Person, an die es die Behörde gerichtet (!) hat, die also in der Zustellverfügung (vgl dazu § 5 ZustG) von ihr als Empfänger angegeben worden ist (Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensnovellen 209). Nach den Gesetzesmaterialien sollte aber nur die bisherige Rechtslage klargestellt werden. Daran hat sich auch durch die neuerliche (sprachliche) Änderung des § 7 ZustG durch das E-GovG nichts geändert. Zum Empfängerbegriff vgl ausführlich bei § 2 ZustG.

2

Damit nicht jede fehlerhafte bzw mangelhafte Zustellung (vgl dazu bei § 87) wiederholt werden muss, sieht § 7 ZustG unter bestimmten Voraussetzungen eine Heilung des Zustellmangels vor (Holzhammer, PraktZPR 244; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 7 ZustG] Rz 2). Die Frage einer allfälligen Heilung eines von einer österreichischen Behörde verfügten Zustellvorgangs richtet sich zwar ausschließlich nach österreichischem Recht (4 Ob 374/83, 5 Ob 511/84), die Heilung kann aber auch dann eintreten, wenn das zuzustellende Schriftstück dem Empfänger im Ausland tatsächlich zukommt (4 Ob 374/83, 5 Ob 511/84, 5 Ob 545/84, 10 Ob 53/04y; LG Salzburg 21 R 493/02z). Dies würde nur dann nicht gelten, wenn ein Verstoß gegen ein völkerrechtliches Zustellverbot vorliegt (VwGH ZfVB 1999/400; vgl auch 10 Ob 53/04y [Zustellung an eine Internationale Organisation, die auf Immunität nicht verzichtet hat; die Annahme des Schriftstücks bedeutet keinen Immunitätsver685

§ 87

Gitschthaler

zicht]) oder das Schriftstück erforderlichenfalls (vgl dazu bei § 121) nicht übersetzt ist (10 Ob 99/00g = ARD 5338/29/2002). Die Frage, ob ein bei der Zustellung unterlaufener Fehler im Hinblick auf § 7 ZustG geheilt wurde, ist von der Behörde von Amts wegen zu prüfen (3 Ob 100/92). Grundvoraussetzung für die Anwendbarkeit des § 7 ZustG ist aber jedenfalls, dass bei der Zustellung tatsächlich ein Mangel unterlaufen ist (VwGH ÖStZB 1997, 756). Hingegen ist eine Verletzung von Zustellvorschriften immer dann unschädlich, wenn der Zweck der Zustellung trotz der Zustellmängel, auf welchem Weg immer, erreicht wurde (VwGH ARD 4539/39/92). 3

Ein fehlerhafter bzw mangelhafter Zustellvorgang heilt grundsätzlich nur dann, wenn folgende Voraussetzungen (Rz 4–7) vorliegen. Zeitpunkt der Zustellung ist dann jener Tag, an dem der Vorgang des tatsächlichen Zukommens beendet ist (Feil § 7 ZustG Rz 7). Dieser Vorgang bedarf einer einwandfreien Feststellung durch die Behörde (JBl 1968, 481; OLG Linz Arb 11.437; Feil § 7 ZustG Rz 4).

4

a) Sowohl in der Zustellverfügung der Behörde (s dazu bei § 89 ZPO, § 5 ZustG) als auch auf dem Zustellstück selbst muss der nach dem jeweils anzuwendenden Verfahrensrecht richtige Empfänger genannt sein (VwGH ZfVB 1987/299, ZfVB 1987/1764, ÖStZB 2000/381; JBl 1969, 612, EvBl 1974/212, EvBl 1986/144, RdW 1997, 599, 3 Ob 55/97b, RdW 1997, 599, 2 Ob 305/99p; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 7 ZustG] Rz 17; krit Zib, ÖJZ 1990, 129; Feil § 7 ZustG Rz 4, 7). Gerade dies wurde durch die durch BGBl I 1998/158 vorgenommene Neuformulierung des § 7 ZustG klargestellt (Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensnovellen 209). Damit kann eine Heilung etwa dann nicht eintreten, wenn das Schriftstück, das an eine natürliche Person adressiert ist, dieser zwar zukommt, Empfänger aber die juristische Person gewesen wäre, die von der natürlichen Person vertreten wird; in diesem Fall war ja die Zustellung gerade nicht an die juristische Person verfügt (5 Ob 2396/96f, 3 Ob 106/97b). Ebenso wenig kann eine Heilung eintreten, wenn die Sendung überhaupt an eine andere Person adressiert war (JBl 1969, 612, EvBl 1974/212; LGZ Wien EFSlg 85.327). Es genügt auch nicht, dass dem Empfänger eine Ausfertigung des zuzustellenden Schriftstücks, die ihm gar nicht zugestellt werden sollte, von einer anderen Person zugemittelt wird (7 Ob 504/92, RdW 1997, 599). Vgl dazu auch Stumvoll in Fasching/ Konecny II/2 Anh § 87 (§ 7 ZustG) Rz 16. 686

§ 87 (§ 7 ZustG)

1.2 Verfahren

Wurde ein Schriftstück – der Zustellverfügung durchaus entsprechend – nicht an den ausgewiesenen Prozess- oder Zustellungsbevollmächtigten, sondern an die Partei selbst zugestellt, heilt der Zustellmangel nach stRsp (JBl 1957, 76, 3 Ob 141/68, 3 Ob 26/90, 4 Ob 38/92; VwGH ZfVB 2002/1369) mit der tatsächlichen Ausfolgung des Schriftstücks an den Bevollmächtigten durch die Partei. Dies entsprach auch der ausdrücklichen Anordnung des § 9 Abs 1 Satz 2 ZustG, die durch das E-GovG allerdings nicht in § 9 Abs 3 ZustG übernommen wurde. Der UVS Burgenland (ZUV 2005/5) schloss daraus, dass „angesichts des eindeutigen Fehlens einer Regelung“ davon auszugehen sei, dass die nunmehrigen Bestimmungen keine Heilung durch Übergabe des Schriftstücks an den Bevollmächtigten durch den Vertretenen mehr zuließen. Da allerdings der Gesetzgeber ausdrücklich lediglich die bisherigen §§ 8a und 9 ZustG zusammenfassen sowie gemeinschaftsrechtlichen Bedenken (vgl § 9 ZustG Rz 8) Rechnung tragen wollte und außerdem § 7 Abs 1 ZustG ganz allgemein von „unterlaufenen Mängeln im Verfahren der Zustellung“ spricht, ist an der vor dem E-GovG vertretenen Auffassung festzuhalten. Eine Heilung tritt ein, wenn das Schriftstück der Partei von ihrem ehemaligen Rechtsanwalt, an den noch irrtümlich zugestellt wurde, übersendet worden ist (1 Ob 190/99v; krit Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 7 ZustG] Rz 17). 5

b) Dem Empfänger muss das zuzustellende Schriftstück im Original (9 ObA 321/00x = RdW 2001/383b, 1 Ob 66/01i) – Telefax reicht nicht aus (4 Ob 38/92 [Übermittlung des Originals durch falschen an den richtigen Empfänger mittels Telefax], 9 ObA 29/ 04m [Übermittlung der Entscheidung durch das Gericht an den richtigen Empfänger mittels Telefax]; vgl auch VwGH ZfVB 2002/ 1369; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 7 ZustG] Rz 16, Anh § 87 [§ 1 ZustG] Rz 24; Ritz § 97 BAO Rz 7) – auch tatsächlich zugekommen sein, er muss es also in die Hand bekommen haben (Fasching Rz 521; Rechberger/Simotta Rz 331; Zib, ÖJZ 1990, 132, FN 32; Feil § 7 ZustG Rz 4; Stumvoll in Fasching/ Konecny II/2 Anh § 87 [§ 7 ZustG] Rz 11–15; JBl 1968, 481, RdW 1994, 177, ZfRV 1997/9, 3 Ob 55/97b, 2 Ob 46/00d, 10 Ob 47/03i; VwGH ZfVB 2001/1433). Die Beweispflicht für das tatsächliche Zukommen trifft die Behörde; der Empfänger muss also nicht das Fehlen von Umständen beweisen, die zur Sanierung führten (OLG Linz 4 R 166/95; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 7 ZustG] Rz 20). 687

§ 87

Gitschthaler

6

Die bloße Kenntnis vom Inhalt des zuzustellenden Schriftstücks (3 Ob 1032/85, MietSlg XL/29, RdW 1994, 177, 10 ObS 202/98y = SZ 71/204, 9 ObA 321/00x = RdW 2001/383b, 2 Ob 46/00d, DRdA 2001, 272; VwGH ÖJZ 1985, 317/A 179; Fasching Rz 521; Rechberger/Simotta Rz 331) oder gar nur die Kenntnis von seinem Vorhandensein (OLG Linz Arb 11.437; 2 Ob 46/00d, 1 Ob 66/01i) reichen nicht aus. Dies gilt auch dann, wenn der Empfänger (lediglich) Akteneinsicht nimmt (SZ 23/70, SZ 23/264, MietSlg 15.619, SZ 39/ 200 = EvBl 1967/231, 1 Ob 667/86, 3 Ob 106/97b, 9 Ob 19/03i; VwGH ZfVB 1999/351), auch wenn er sich dabei eine Kopie des Zustellstücks anfertigt (vgl VwGH Zl 90/18/0058; RdW 2001/403, RdW 2001/383). Dabei handelt es sich ja nicht um die für ihn vorgesehene Ausfertigung der Erledigung (zum Sonderfall des Revisors vgl Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 7 ZustG] Rz 13 mwN). Auch dass das Schriftstück lediglich in die Einflusssphäre des Empfängers gekommen ist und von ihm behoben werden könnte, reicht nicht aus (SZ 27/39 uva; OLG Linz Arb 11.437; Feil § 7 ZustG Rz 10).

7

Eine Heilung ist jedenfalls dann eingetreten, wenn der Empfänger bereits eine Verfügung über das Schriftstück (etwa durch Erhebung eines Rechtsmittels) getroffen hat (vgl JBl 1968, 481, RdW 1994, 177, 7 Ob 75/04m = EFSlg 109.566; VwGH ZfRV 1997/9; OLG Linz 2 R 49/02t; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 7 ZustG] Rz 12, 23). Eine solche Verfügung liegt etwa auch dann vor, wenn sich der Empfänger einer Urteilsausfertigung in einem anderen Gerichtsverfahren ausdrücklich auf dieses Urteil und dessen Rechtskraft beruft (RdW 2000/133). Maßgeblich ist lediglich, ob der Empfänger dem Zustellinhalt gemäß reagiert hat (10 Ob 47/03i, 7 Ob 75/04m = EFSlg 109.566). Dabei kommt es grundsätzlich auch nicht darauf an, ob diese Verfügung vom Empfänger selbst oder von jemandem anderen ausgeführt worden ist, etwa durch einen Mitarbeiter oder durch einen Vertreter des Empfängers ohne Zustellvollmacht (8 Ob 2090/96b, 1 Ob 190/99v, 7 Ob 75/04m = EFSlg 109.566; OLG Linz 2 R 49/02t; einschränkend 1 Ob 66/01i [derartige Verfügungen können noch nicht getroffen worden sein, solange sich das Schriftstück noch bei Gericht bzw auf dem Weg zwischen Gerichten befunden hat]). Erfolgt ein derartiges Einlassen des Empfängers, soll es auch unmaßgeblich sein, ob der Empfänger in der Zustellverfügung genannt worden ist (7 Ob 75/04m = EFSlg 109.566).

8

Abwesenheit des Empfängers von der Abgabestelle oder Annahmeverweigerung durch ihn hindern die Heilung einer mangelhaften 688

§ 87 (§ 8 ZustG)

1.2 Verfahren

Zustellung. Auf den Umstand, ob der Empfänger gewillt ist, auch tatsächlich vom Inhalt des ihm zugekommenen Schriftstücks Kenntnis zu nehmen (4 Ob 543/92), oder ob er etwa dessen Bedeutung verkennt (13 Os 196/84), kommt es hingegen nicht an. Eine Erkundigungspflicht trifft den Empfänger jedenfalls nicht (7 Ob 405/56, SZ 27/39 = EvBl 1954/100, MietSlg 6110, 6111, 15.619, 5 Ob 2396/96f). 9

Beim Empfänger darf es sich nicht um eine prozess- und handlungsunfähige Person handeln, weil in diesem Fall zwar das Schriftstück tatsächlich zukommt, der Empfänger aber die Zustellung (rechtlich) nicht zur Kenntnis nehmen kann (4 Ob 543/92, 10 ObS 87/92, 10 ObS 202/98y; ebenso Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren2 § 7 ZustG E 11; aA VwGH Zl 1294/55; vgl dazu auch bei § 2 ZustG). Daran vermag auch nichts zu ändern, wenn das Schriftstück etwa dem (einstweiligen) Sachwalter oder dem gesetzlichen Vertreter zugestellt wurde, weil diese nicht die von der Behörde in der Zustellverfügung genannten Empfänger waren (10 ObS 87/92). Wurde an den späteren (einstweiligen) Sachwalter zugestellt, der zum Zeitpunkt der „Zustellung“ aber noch gar nicht (einstweiliger) Sachwalter gewesen ist, tritt eine Heilung selbst zu dem Zeitpunkt nicht ein, zu dem dieser später dann tatsächlich zum (einstweiligen) Sachwalter bestellt wurde (Feil § 7 ZustG Rz 10; SZ 46/13, NZ 1999, 72). Fällt die Prozess- und Handlungsunfähigkeit des Empfängers später weg, dann setzt eine Heilung des ursprünglich unwirksamen Zustellvorgangs voraus, dass dem Empfänger auch tatsächlich bewusst ist, dass ihm die betreffende Sendung bereits zugekommen ist. An das Wiedererlangen der Prozess- und Handlungsfähigkeit kann daher nicht ohne Weiteres die Rechtsfolge des Beginns des Laufs etwa einer Rechtsmittelfrist geknüpft werden (SZ 46/13, SZ 60/116 = EvBl 1988/7, 4 Ob 543/92, 3 Ob 37/98g, 10 ObS 202/98y = SZ 71/ 204). Hiezu bedürfte es ebenso entsprechender Erhebungen der Behörde wie in jenem Fall, in dem an einen zwischenzeitig verstorbenen Empfänger „zugestellt“ wurde und nunmehr dessen Prozessund Handlungsfähigkeit angezweifelt wird (LGZ Wien MietSlg 47.710). Bleiben Zweifel, gehen diese zu Lasten der Behörde. Vgl dazu auch bei Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 (§ 7 ZustG) Rz 18, Anh § 87 (§ 13 ZustG) Rz 7. § 8. (1) Eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, hat dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen. 689

§ 87

Gitschthaler

(2) Wird diese Mitteilung unterlassen, so ist, soweit die Verfahrensvorschriften nicht anderes vorsehen, die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, falls eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann. [Stammfassung] 1

§ 8 ZustG gilt in gerichtlichen Verfahren grundsätzlich für Parteien und Nebenintervenienten (Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 8 ZustG] Rz 2), nicht aber für Zeugen, es sei denn sie verfolgen eigene (etwa Kosten-)Ansprüche (Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 8 ZustG] Rz 2). Er gilt außerdem für die Parteienvertreter (Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 8 ZustG] Rz 2; aA RdW 1993, 277), die ja Zustellungsbevollmächtigte sind.

2

Zu berücksichtigen ist grundsätzlich, dass lediglich für gewisse Personenkreise, uzw insb für Rechtsanwälte, aber auch für Kaufleute (SZ 13/67, 5 Ob 228/63, EvBl 1967/307; Oberhammer, RdW 1997, 384), die immer auf eine Zustellung gefasst sein müssen, Mitteilungs- und Vorsorgepflichten bei Änderung ihrer Abgabestelle bestehen. Nach 4 Ob 91/02i (= EvBl 2002/151; ebenso OLG Wien ARD 5235/55/2001) soll dies bei Kaufleuten aber nicht so weit gehen, dass ihnen die Berufung auf Ortsabwesenheit schon allein deshalb zu verwehren wäre, weil sie verpflichtet sind, dafür zu sorgen, dass eine empfangsberechtigte Person an der Abgabestelle anwesend ist. Für die Bejahung einer derartigen Sorgfaltspflicht soll jedenfalls dann kein Anlass bestehen, wenn der Empfänger ohnehin rechtzeitig – dh noch während der Abholfrist – vom Zustellvorgang Kenntnis erlangt. Hingegen müssen Rechtsanwälte auch außerhalb des § 8 ZustG stets auf eine behördliche Zustellung gefasst sein und Nachschau halten oder für eine Nachsendung (Nachsendeauftrag nach § 205 PostO) oder Vertretung Vorsorge treffen (1 Ob 23/97y).

3

Sonstige potenzielle Empfänger sind dazu hingegen ebenso wenig verpflichtet (SZ 60/226 = EvBl 1988/22, 1 Ob 23/97y, 9 Ob 296/ 00w) wie dazu, organisatorische Maßnahmen zur Bewirkung einer Ersatzzustellung (VwGH ZfVB 2000/1907) oder Vorsorge für die Ermöglichung einer Eigenhandzustellung (RZ 1970, 222; OLG Wien ARD 5235/55/2000) zu treffen. Dies wäre nur anders, wenn konkrete gesetzliche (§ 8 ZustG) oder vertragliche (insb in Versicherungsverträgen) Sonderregelungen bestehen. Hat die Partei einen Bevollmächtigten (und sei es auch nur ein Postbevollmächtigter [LGZ Wien Arb 8735, Ind 1977/4, 12]), so ist sie grundsätzlich 690

§ 87 (§ 8 ZustG)

1.2 Verfahren

nicht verpflichtet, die Änderung ihrer Abgabestelle bekannt zu geben (vgl etwa SZ 41/110 = EvBl 1969/83; aA Stumvoll in Fasching/ Konecny II/2 Anh § 87 [§ 25 ZustG] Rz 8). Dies gilt an sich nur bis zur Beendigung dieses Vollmachtsverhältnisses, es sei denn die Partei hat hievon keine Kenntnis gehabt (9 ObA 126/88). Bei protokollierten Unternehmen führt eine Verletzung ihrer Verpflichtung, Änderungen der Geschäftsanschrift dem Firmenbuchgericht bekannt zu geben, nicht zu einer Vorgangsweise nach Abs 2 (vgl RdW 1998, 676; OLG Wien 7 Ra 208/98d; aA OLG Wien 7 Ra 126/97v, ARD 4855/41/97). 4

Lag die bisherige Abgabestelle des Empfängers im Ausland, kann nach § 8 Abs 2 ZustG nur vorgegangen werden, wenn entweder sein Heimatrecht eine derartige Zustellung kennt oder er darüber belehrt wurde (8 Ob 507/92, 10 Ob 2148/96x). Fraglich ist allerdings, ob dies tatsächlich auch dann gilt, wenn es sich um einen inländischen Empfänger handelt und die Hinterlegung bei der zustellenden Behörde vorgenommen wird (§ 23 ZustG), bzw umgekehrt, ob nicht auch eine Zustellung nach Abs 2 bei einer bisherigen Abgabestelle im Inland einer Bedachtnahme auf das Heimatrecht des Empfängers oder einer entsprechenden Belehrung bedürfte, wenn es sich tatsächlich um eine ausländische Partei handelt; dies ließe sich damit begründen, dass eine ausländische Partei § 8 Abs 2 ZustG wohl nicht kennen muss (§ 2 ABGB; idS auch EFSlg 69.837 [Rechtsbelehrung oder gleichartige Zustellvorschrift im Heimatland]; aA Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 8 ZustG] Rz 12).

5

In Verfahren außer Streitsachen ist § 8 ZustG ebenfalls anzuwenden (§ 24 AußStrG). In lange andauernden Verfahren wie etwa in Pflegschaftsverfahren muss allerdings unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Überlegungen (Art 6 MRK) davon ausgegangen werden, dass das Verfahren nicht erst mit dem Erreichen der Volljährigkeit, sondern mit jedem einzelnen Verfahrensabschnitt (Besuchsrechtsverfahren, Verfahren über einen Unterhaltserhöhungsantrag udgl) als beendet anzusehen ist (idS auch 9 Ob 296/00w; LG Linz 14 R 317/00m; LGZ Wien 44 R 294/04t; Stumvoll in Fasching/ Konecny II/2 Anh § 87 [§ 8 ZustG] Rz 4). Die insofern unterschiedliche Regelung zur Fortdauer eines Vollmachtsverhältnisses (vgl § 93 Rz 6 sowie § 142 AußStrG) lässt sich hiermit nicht vergleichen, weil für den Fall, dass das Vollmachtsverhältnis zwischenzeitig beendet worden sein sollte, mit einer entsprechenden Reaktion des vormaligen Bevollmächtigten zu rechnen sein wird; im Anwen691

§ 87

Gitschthaler

dungsbereich des § 8 ZustG käme es jedoch zu einer Hinterlegung ohne Zustellversuch, auf welche die Partei nicht reagieren könnte. Die Verpflichtung eines Verfahrensbeteiligten zur Bekanntgabe einer Abgabestellenänderung erstreckt sich im Verfahren nach dem TEG nicht auch auf ein allfälliges, im Hauptverfahren gar nicht absehbares Berichtigungsverfahren nach § 23 Abs 1 TEG, welches als eigenständiges Verfahren zu beurteilen ist (9 Ob 154/04v). 6

Eine Änderung der Abgabestelle liegt nicht nur dann vor, wenn die Partei sie auf dauernd verlegt (SZ 19/193; LGZ Wien MietSlg 34.712; Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht Rz 206), sondern bereits dann, wenn die Partei an der bisherigen Abgabestelle (zumindest) für einen unverhältnismäßig langen Zeitraum nicht anzutreffen sein wird und die Möglichkeit eines Zustellversuchs während dieser Zeit vorhersehbar ist (9 ObA 172/92, 2 Ob 44/02p). Verlässt die Partei allerdings nur vorübergehend, also etwa wegen eines Urlaubs- oder Krankenhausaufenthalts, die Abgabestelle, so liegt keine mitteilungspflichtige Änderung vor (JBl 1989, 187, 9 ObA 172/92; Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht Rz 206; vgl zur Frage der Beendigung einer Abgabestelle auch bei § 2 ZustG). Allerdings stellt auch die Aufgabe einer Abgabestelle eine Änderung derselben dar, wenn der Empfänger sodann obdachlos (VwGH ÖJZ 2003/108 A; vgl zur Obdachlosigkeit auch bei § 2 ZustG) oder delogiert wird (JBl 1979, 210). Vgl dazu ausführlich auch Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 8 ZustG] Rz 6. Auch die Aufgabe einer von zwei der Behörde bekannt gegebenen Abgabestellen ist eine Änderung der Abgabestelle iS des § 8 ZustG (VwGH ÖJZ 1987, 190/107 A).

7

Die von § 8 ZustG erfassten Personen haben eine Mitteilung von der Änderung ihrer Abgabestelle dann zu machen, wenn sie von einem bestimmten Verfahren Kenntnis haben, dh es muss entweder das Verfahren auf ihren Antrag hin eingeleitet oder ihr jedenfalls der verfahrenseinleitende Schriftsatz rechtswirksam zugestellt worden sein (Walter/Mayer, Zustellrecht 44; dies, Verwaltungsverfahrensrecht Rz 206; Fasching Rz 1181; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 8 ZustG] Rz 3; LGZ Wien Arb 7911; vgl auch SZ 40/134 = JBl 1968, 376). IdR wird es sich dabei um Klage bzw Klagebeantwortung oder im Verfahren außer Streitsachen um den verfahrenseinleitenden Schriftsatz handeln (vgl Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 8 ZustG] Rz 3). Nach 7 Ob 61/05d soll es auch ausreichen, dass eine Partei aufgrund eines Telefonats mit dem Richter Kenntnis von einem Verfahren hat. 692

§ 87 (§ 8 ZustG)

1.2 Verfahren

Vorausgesetzt wird bisweilen die positive Kenntnis der Partei iS von subjektiver Kenntnis von dem gegen sie anhängig gemachten Verfahren. Dann würde selbst eine rechtswirksame Zustellung einer Partei nicht notwendigerweise Kenntnis vom Inhalt des gegen sie anhängig gemachten Verfahrens verschaffen, wenn etwa die Klage als nicht behoben an das Gericht zurückgestellt worden ist (OLG Wien 4 R 20/00s; LGZ Wien WR 969, EFSlg 109.568; Feil § 8 ZustG Rz 6). Richtigerweise ist aber davon auszugehen, dass die Verpflichtung des § 8 ZustG unabhängig von der Zustellart (Hinterlegung, Zurücklassen usw) besteht (Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 8 ZustG] Rz 3), hätte es doch sonst die Partei in der Hand, durch das Nichtbeheben von behördlichen Schriftstücken die Rechtswirkungen des § 8 ZustG zu unterlaufen. Das Verfahren darf außerdem noch nicht beendet worden sein (MietSlg 24.555; LGZ Wien MietSlg 36.835, 37.797, 38.813). Dies ist mit Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung im Titelverfahren der Fall; ein Exekutionsverfahren nach dem Titelverfahren ist sodann ein neues Verfahren (LGZ Graz RpflSlgE 2004/79). 8

Was als Beginn (Verfahrenseinleitung) und Ende eines Verfahrens anzusehen ist, bestimmt sich nach den jeweiligen Verfahrensvorschriften (Walter/Mayer, Zustellrecht 43; Oberhammer, wobl 1994, 20). Dabei bestehen bisweilen Auffassungsunterschiede: So vertreten Teile der Rsp (etwa LGZ Wien MietSlg 21.907; ebenso Feil § 8 ZustG Rz 5) die Auffassung, im Falle einer zwangsweisen Räumung iSd § 349 EO werde das Zwangsvollstreckungsverfahren mit der Delogierung des Verpflichteten beendet, weil damit die Herstellung des titelmäßigen Zustands abgeschlossen ist; für die Zustellung von erst nach dem Vollzug zu erlassenden Beschlüssen (insb Kostenbestimmungsbeschlüsse) sei daher ein Kurator nach § 116 zu bestellen. Oberhammer (wobl 1994, 18; ihm folgend nunmehr auch Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 8 ZustG] Rz 4) geht hingegen mit durchaus beachtlichen Argumenten von einer Anwendbarkeit des § 8 Abs 2 ZustG aus, weil eben das Zwangsvollstreckungsverfahren noch nicht beendet sei (im Ergebnis ebenso LGZ Wien 48 R 185/89; JBl 1979, 210). Nach anderen Entscheidungen (etwa LGZ Wien MietSlg 45.762, 46.714) ist von einer Kenntnis des delogierten Empfängers vom an die tatsächliche Räumung anschließenden Verwertungsverfahren auszugehen, wenn ihm mit der Zustellung der Exekutionsbewilligung bereits unter Androhung der Rechtsfolgen des § 349 Abs 2 EO mitgeteilt worden ist, dass er für die Übernahme der nicht in Bestand genommenen Fahrnisse Sorge zu tragen habe. 693

§ 87 9

Gitschthaler

Als bisherige Abgabestelle ist jene anzusehen, die nach Kenntnisstand der Partei im konkreten Verfahren der Behörde als ihre Abgabestelle bekannt ist (RZ 1986, 9, 6 Ob 601/86, 6 Ob 606/93, 10 Ob 2148/96x, 10 ObS 276/98f). Die Anwendung des § 8 Abs 2 setzt somit ua voraus, dass es bisher eine Abgabestelle gegeben hat, an der die Behörde Zustellungen vorgenommen oder die die Partei der Behörde zur Kenntnis gebracht hat (VwGH ÖJZ 2003/111 A; aA Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 8 ZustG] Rz 5), also etwa wenn der Beklagte im Einspruch gegen einen Zahlungsbefehl anstelle seiner Wohnung seine Betriebsadresse angeführt hat (OLG Graz AnwBl 1996, 251 [Grill]).

10 Die Mitteilung nach Abs 1 kann entweder ausdrücklich oder auch dadurch erfolgen, dass eine Partei in einem Schriftsatz eine von ihrer bisherigen Abgabestelle abweichende Adresse angibt (1 Ob 1504/ 84; LGZ Wien MietSlg 27.643), uzw zu dem konkreten Verfahren. Durch eine allgemeine (etwa an einen größeren Gerichtshof; vgl SZ 33/91 = JBl 1961, 327; VwGH ZfVB 2001/1788) oder zu einem anderen Verfahren ergangene Mitteilung ist Abs 1 nicht entsprochen. Die Mitteilung hat aber jedenfalls die Angabe einer neuen Abgabestelle zu enthalten, weshalb die Angabe etwa eines Postfachs als nicht ordnungsgemäße Meldung angesehen werden muss (10 ObS 276/98f; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 8 ZustG] Rz 5; vgl dazu auch § 2 ZustG Rz 16). Die Mitteilung hat an die jeweilige Behörde zu erfolgen. Das Postamt, dem ein Nachsendeauftrag erteilt wurde, ist nicht die Behörde iSd § 8 ZustG (LG Salzburg 21 R 166/88). 11 Wird die Mitteilung von der Änderung der Abgabestelle trotz Vorliegens der Voraussetzungen des Abs 1 unterlassen, ist nach Abs 2 iVm § 23 ZustG jedenfalls dann vorzugehen, wenn die bisherige Abgabestelle im Inland gelegen ist und an einen Inländer zuzustellen gewesen wäre. Dann ist das Zustellstück beim Postamt, bei der Gemeinde oder bei der Behörde ohne Zustellversuch zu hinterlegen. Dass bei einer Zustellung durch die Post zwingend beim Postamt zu hinterlegen wäre (so allerdings offensichtlich Feil § 8 ZustG Rz 11), lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen; vgl dazu auch § 23 ZustG Rz 1. Hinterlegung bei Gericht bedeutet dabei idR Hinterlegung im Akt. Die Hinterlegung wirkt als Zustellung unabhängig davon, wo sich die Partei befindet und welche Abgabestelle für sie sonst in Betracht gekommen wäre (4 Ob 174/01v = EvBl 2002/28). Die Einleitung eines Verbesserungsverfahrens (Aufforderung an die Partei, die neue Abgabestelle anzugeben) nach §§ 84, 85 (3 Ob 694

§ 87 (§ 8 ZustG)

1.2 Verfahren

69/84) oder die Bestellung eines Kurators für die Partei ist unzulässig, die Bestellung des Kurators wäre nichtig und die an ihn bewirkten Zustellungen unwirksam (RZ 1986, 9, 6 Ob 601/86, 6 Ob 606/ 93, 10 Ob 2148/96x, 10 ObS 276/98f, 7 Ob 190/99p = SZ 72/155; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 8 ZustG] Rz 10; vgl dazu §§ 116–119 Rz 7). 12 Erlangt das Gericht von der Änderung der Abgabestelle keine Kenntnis, so ist ihm die – in § 8 Abs 2 vor Anordnung der Zustellung durch vorausgehenden Zustellversuch aufgetragene – Feststellung der nunmehrigen Abgabestelle regelmäßig schon deshalb nicht „ohne Schwierigkeiten“ möglich, weil es gar keinen Grund hat, Nachforschungen anzustellen. Dies gilt insb dann, wenn auch aus dem Akteninhalt kein Anhaltspunkt für die Annahme aufscheint, dass die verzogene Partei nach dem behaupteten Verlassen der gerichtlich bekannten Abgabestelle über eine Abgabestelle verfügt hätte, deren Feststellung dem Gericht möglich gewesen wäre (VwGH ZfVB 1999/1920; 4 Ob 174/01v = EvBl 2002/28; LGZ Wien 43 R 679/04b; krit Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 8 ZustG] Rz 10). 13 Weiß das Gericht jedoch, dass es eine neue Abgabestelle gibt und kann diese tatsächlich ohne Schwierigkeiten festgestellt werden, dann ist eine Vorgangsweise nach Abs 2 unzulässig. Dies gilt insb dann, wenn aus dem Gerichtsakt selbst die neue Wohnanschrift ersichtlich ist (etwa aufgrund eines im Akt erliegenden Rückscheins [LG Salzburg 32 R 152/87; 4 Ob 174/01v = EvBl 2002/28]) und die Zustellung durch die Post auch tatsächlich bewirkt werden könnte, weil sich der Empfänger dort auch regelmäßig aufhält (3 Ob 610/ 89). Dass eine – nicht gemeldete – Änderung der Abgabenstelle aufgrund des postalischen Vermerks des Zustellers für die Behörde nicht erkennbar war, geht jedoch zu Lasten der Partei (VwGH ÖJZ 1987, 190/107 A). 14 Das Gericht hat auch über den Akteninhalt hinaus weitere Erhebungen zu tätigen wie etwa die Einholung von Meldeauskünften (9 Ob 296/00w; VwGH Zl 95/19/1305, ZfVB 2001/1637, 2002/972 uva) – eine unrichtige Auskunft der Meldebehörde über das Fehlen einer ihr bekannten Anschrift ändert nichts an der Berechtigung zur Hinterlegung (VwGH ZfVB 1997/2190) – oder von Auskünften bei der Gewerbebehörde bei natürlichen Personen oder die Einsichtnahme in das Firmenbuch bei protokollierten Unternehmen (HG Wien 1 R 751/96d; vgl auch Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht Rz 206). Die erlaubte einfache Zustellung durch 695

§ 87

Gitschthaler

Hinterlegung darf die Behörde daher nicht veranlassen, gar nicht erst zu versuchen, mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln auf zumutbare Weise die neue Abgabestelle auszuforschen. Eine Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch ist somit nur dann mit der Wirkung der Zustellung ausgestattet, wenn die Behörde ergebnislos den ihr zumutbaren und ohne Schwierigkeiten zu bewältigenden Versuch unternommen hat, eine (neue) andere Abgabestelle festzustellen, ansonst bewirkt in diesen Fällen die Hinterlegung nicht die Rechtswirksamkeit der Zustellung. Daran soll sich auch nichts ändern, wenn sich nachträglich herausstellen sollte, dass die der Behörde zumutbar gewesenen Ausforschungsversuche ergebnislos verlaufen wären (VwGH ZfVB 1999/1928, 2003/821). Vgl dazu ausführlich auch Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 8 ZustG] Rz 8. Zustellungsbevollmächtigter § 8a. Aufgehoben [Eingefügt durch BGBl I 1998/158; wieder aufgehoben durch BGBl I 2004/10] § 9. (1) Soweit in den Verfahrensvorschriften nicht anderes bestimmt ist, können die Parteien und Beteiligten andere natürliche oder juristische Personen, Personengesellschaften des Handelsrechts und eingetragene Erwerbsgesellschaften gegenüber der Behörde ausdrücklich zur Empfangnahme von Dokumenten bevollmächtigen (Zustellvollmacht). (2) Einer natürlichen Person, die keinen Hauptwohnsitz im Inland hat, kann eine Zustellungsvollmacht nicht wirksam erteilt werden. Gleiches gilt für eine juristische Person, Personengesellschaft des Handelsrechts oder eingetragene Erwerbsgesellschaft, wenn diese keinen zur Empfangnahme von Dokumenten befugten Vertreter mit Hauptwohnsitz im Inland hat. Das Erfordernis des Hauptwohnsitzes im Inland gilt nicht für Staatangehörige von EWR-Vertragsstaaten, falls Zustellungen durch Staatsverträge mit dem Vertragsstaat des Wohnsitzes des Zustellungsbevollmächtigen oder auf andere Weise sichergestellt sind. (3) Ist ein Zustellungsbevollmächtigter bestellt, so hat die Behörde, soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, diesen als Empfänger zu bezeichnen. (4) Haben mehrere Parteien oder Beteiligte einen gemeinsamen Zustellungsbevollmächtigten, so gilt mit der Zustellung 696

§ 87 (§ 9 ZustG)

1.2 Verfahren

einer einzigen Ausfertigung des Dokumentes an ihn die Zustellung an alle Parteien oder Beteiligte als bewirkt. Hat eine Partei oder hat ein Beteiligter mehrere Zustellungsbevollmächtigte, so gilt die Zustellung als bewirkt, sobald sie an einen von ihnen vorgenommen worden ist. (5) Wird ein Anbringen von mehreren Parteien oder Beteiligten gemeinsam eingebracht und kein Zustellungsbevollmächtigter namhaft gemacht, so gilt die an erster Stelle genannte Person als gemeinsamer Zustellungsbevollmächtigter. [neu gefasst durch BGBl I 2004/10] 1

Nach der Rechtslage vor BGBl I 1998/158 konnte Zustellungsbevollmächtigter nur eine „im Inland wohnende Person“ sein, worunter lediglich natürliche Personen zu verstehen waren (vgl § 9 Abs 1 aF). Nunmehr kommen daneben – auch in zivilgerichtlichen Verfahren (Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 8a ZustG] Rz 2) – auch juristische Personen, also GmbHs und AGs, Personengesellschaften des Handelsrechts, also OHGs und KGs, und eingetragene Erwerbsgesellschaften, also OEGs und KEGs, in Betracht (vgl Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensnovellen 209 f; Walter/ Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht Rz 202). § 8a ZustG vor dem E-GovG bzw nunmehr § 9 Abs 1 und 2 ZustG haben aber am Vollmachtsrecht im gerichtlichen Verfahren an sich nichts geändert, welches – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – den Grundsatz der Erteilung von Vollmachten nur an natürliche Personen kennt (Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 8a ZustG] Rz 2).

2

Die natürliche Person muss eigenberechtigt sein (Walter/Mayer, Zustellrecht 176; Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren2 § 9 ZustG Anm 3]). Dass sie lediglich im Besitz ihres Verstands ist, reicht somit nicht aus (so aber Fasching1 II 575; unklar Feil § 97 ZPO Rz 3), weil sich die Tätigkeit des Zustellungsbevollmächtigten nicht in der bloßen Entgegennahme von Sendungen erschöpft (Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 8a ZustG] Rz 11, § 97 Rz 14). Darin liegt der Unterschied zum Ersatzempfänger (vgl bei § 16 ZustG). Zur Eignung einer natürlichen Person als Empfänger vgl bei § 2 ZustG.

3

Während eine allgemeine Vertretungsvollmacht die Zustellungsbevollmächtigung im Allgemeinen einschließt, ist umgekehrt der Zustellungsbevollmächtigte kein Prozessbevollmächtigter (s dazu § 93), sondern nur ein zur Entgegennahme von Zustellungen besonders ermächtigter Vertreter (Feil § 97 ZPO Rz 1; zum Verhältnis 697

§ 87

Gitschthaler

Prozessbevollmächtigter – Zustellungsbevollmächtigter vgl ausführlich Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 8a ZustG] Rz 2–4). Allerdings ist der Zustellungsbevollmächtigte sowohl in der Zustellverfügung (vgl dazu § 89 ZPO, § 5 ZustG) als auch auf dem Schriftstück als Empfänger zu bezeichnen (Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht Rz 202; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 8a ZustG] Rz 4). Wurde eine juristische Person, eine Personengesellschaft des Handelsrechts oder eine eingetragene Erwerbsgesellschaft zum Zustellungsbevollmächtigten bestellt, dann hat die Behörde die Möglichkeit, entweder diese Person oder den zur Empfangnahme befugten Vertreter als Empfänger zu bezeichnen (Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensnovellen 211 FN 474 mwN). 4

§ 9 Abs 4 ZustG gilt in zivilgerichtlichen Verfahren nicht (Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 9 ZustG] Rz 1).

5

Die Namhaftmachung eines Zustellungsbevollmächtigten kann entweder durch schriftliche oder mündliche Vollmacht oder auch durch „Namhaftmachung“ (Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht Rz 202) erfolgen; es reicht dabei etwa die Formulierung „Für allfällig an mich ergehende Schreiben mache ich (Name) namhaft“ (VwGH ÖStZB 2002/155]).

6

Wurde der Zustellungsbevollmächtigte namhaft gemacht, kann in diesem Verfahren – eine Zustellbevollmächtigung bezieht sich nur auf das Verfahren, in dem sie abgegeben wird, und nicht auf andere bei der Behörde anhängig werdende Verfahren (VwGH ARD 5338/ 30/2002) – rechtswirksam nur mehr an diesen, nicht mehr aber an die Partei selbst zugestellt werden (10 ObS 221/92, 8 ObA 237/ 00m; VwGH VwSlgNF 2027 A, 5222 A, 9598 A; Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht Rz 202). An den zuständigen Bevollmächtigten ist nämlich als Empfänger und nicht nur ersatzweise zuzustellen (2 Ob 545/82 = MietSlg 34.011, 8 ObA 237/00m). Dies gilt nur dann nicht, wenn die Verfahrensvorschriften etwas Anderes vorsehen (etwa im Bereich der StPO [JBl 1991, 199] oder des StEG [15 Os 20/91, 15 Os 22/91, 15 Os 50/97]) oder es läge eine Interessenkollision vor (8 ObA 237/00m; vgl auch bei § 93 ZPO und § 13 ZustG). Zur Frage der Heilung des Zustellmangels bei Zustellung an den Vertretenen selbst vgl § 7 ZustG Rz 4.

7

Bestellt eine Verfahrenspartei mehrere Zustellungsbevollmächtigte, sind gerichtliche Zustellungen nur an einen von ihnen zu 698

§ 87 (§ 10 ZustG)

1.2 Verfahren

bewirken (1 Ob 632/95), den die Behörde bereits in der Zustellverfügung als Empfänger zu bezeichnen hat. Wird trotz Bestehens einer Zustellbevollmächtigung unmittelbar an die Partei zugestellt, gilt die Zustellung erst in dem Zeitpunkt als bewirkt, in dem das Schriftstück dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zukommt (Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensnovellen 211; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 8a ZustG] Rz 7– 11). Dies gilt so lange, als die Zustellvollmacht nicht widerrufen worden ist, wobei jedoch ein schlüssiger Widerruf durch Bekanntgabe einer eigenen Zustelladresse nicht vorliegt (VwGH ZfVB 2001/1818). 8

So wie schon § 8a ZustG schließt § 9 Abs 2 ZustG die Bestellung von natürlichen Personen ohne inländischen Hauptwohnsitz und die Bestellung von juristischen Personen, Personen des Handelsrechts und eingetragenen Erwerbsgesellschaften ohne befugten Vertreter mit inländischem Hauptwohnsitz als Zustellungsbevollmächtigte aus. Dies wurde zu § 8a ZustG vor dem E-GovG als europarechtswidrig angesehen, weil bei berufsmäßigen Parteienvertretern dadurch der Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit jedenfalls dann eingeschränkt werde, wenn mit dem Sitzstaat des Zustellungsbevollmächtigten ein Zustellungsübereinkommen bestehe (vgl Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensnovellen 210; Novacek, RdW 1998, 625; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 8a ZustG] Rz 10). Dem hat der Gesetzgeber nunmehr durch § 9 Abs 2 letzter Satz ZustG Rechnung getragen. Ungeachtet des gemäß § 357 Abs 1 ASVG in Verbindung mit § 21 AVG für das Verfahren vor den Versicherungsträgern in Leistungssachen geltenden § 9 ZustG bleibt es aber der Behörde unbenommen, eine Zustellung an einen im Ausland wohnhaften Zustellungsbevollmächtigten vorzunehmen; von den gemäß § 357 Abs 1 ASVG anwendbaren §§ 10 bis 12 AVG wird dies nicht ausgeschlossen (10 ObS 87/03x = ARD 5430/12/2003). § 10. Einer sich nicht nur vorübergehend im Ausland aufhaltenden Partei oder einem solchen Beteiligten kann von der Behörde aufgetragen werden, innerhalb einer gleichzeitig zu bestimmenden mindestens zweiwöchigen Frist für ein bestimmtes oder für alle bei dieser Behörde anhängig werdenden, sie betreffenden Verfahren einen Zustellungsbevollmächtigen namhaft zu machen. Wird diesem Auftrag nicht fristgerecht nachgekommen, so wird die Zustellung ohne Zustellversuch durch Hin699

§ 87

Gitschthaler

terlegung bei der Behörde vorgenommen. Der Auftrag, einen Zustellungsbevollmächtigten namhaft zu machen, muß einen Hinweis auf diese Rechtsfolge enthalten. [Neu gefasst durch BGBl I 1998/158] 1

Durch Entfall der Überschrift „Namhaftmachung eines Zustellungsbevollmächtigten“ durch BGBl I 1998/158 vor § 10 ZustG wird diese Bestimmung nunmehr von der vor § 8a ZustG (nunmehr § 9 ZustG) eingefügten Überschrift „Zustellungsbevollmächtigter“ mitumfasst (Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensnovellen 212). Dadurch ist klargestellt, dass § 9 ZustG auch auf einen Zustellungsbevollmächtigten nach § 10 ZustG anzuwenden ist.

2

Voraussetzung für einen Auftrag nach § 10 ZustG ist, dass sich die Partei oder ein sonstiger Beteiligter – dies gilt auch für juristische Personen, wenn eine taugliche inländische Abgabestelle nicht vorhanden ist (Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 10 ZustG] Rz 4; Feil § 10 Rz 4) – nicht nur vorübergehend (das sind mehr als sechs Wochen; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 10 ZustG] Rz 5) im Ausland aufhalten oder (in einem konkreten Verfahren) ein Auslandsaufenthalt absehbar ist (Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 10 ZustG] Rz 7). Das Gericht darf daher einen Auftrag nach § 10 ZustG erlassen, wenn das Bestehen einer inländischen Zweigniederlassung der beklagten Partei in der Klage nicht behauptet wird und aus ihr auch nicht hervorgeht; diesbezüglich ist von den Klagsangaben auszugehen (OLG Wien 7 Ra 15/04h).

3

§ 10 ZustG ist nicht gemeinschaftsrechtswidrig, weil er die Tendenz verfolgt, mit einem – im weiteren Sinn – ausländischen Verfahrensbeteiligten tunlichst über einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten zu verkehren; dies erscheint eine ausreichende sachliche Rechtfertigung zu sein (7 Ob 135/04k). Es erscheint allerdings fraglich, ob die Bestimmung, dass eine Partei auch verhalten werden kann, für alle bei einer bestimmten Behörde anhängig werdenden, also zukünftigen und noch gar nicht absehbaren, Verfahren einen Zustellungsbevollmächtigten namhaft zu machen, nicht exorbitant ist. Zu berücksichtigen ist ja, dass bei Nichtbestellung eines Zustellungsbevollmächtigten durch die Partei auch die verfahrenseinleitenden Anträge und/oder Entscheidungen der Behörde ohne Zustellversuch durch Hinterlegung bei dieser Behörde vorgenommen werden und die Partei daher keinerlei Kenntnis davon erlangen kann, dass überhaupt ein Verfahren gegen sie anhängig ist; damit 700

§ 87 (§ 10 ZustG)

1.2 Verfahren

erscheint aber das Recht der Partei auf rechtliches Gehör und fair trial verletzt und § 10 ZustG in diesem Belang verfassungs- und konventionswidrig (Art 6 MRK; vgl dazu auch Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 10 ZustG] Rz 11). 4

Hat eine Partei, die sich nicht nur vorübergehend im Ausland aufhält, einen Verfahrenshelfer gemäß § 64 Abs 1 Z 3, so ist die an sie gerichtete Aufforderung zur Namhaftmachung eines Zustellbevollmächtigten unzulässig, wenn eine Zustellung an den Verfahrenshelfer möglich und Schwierigkeiten oder eine Interessenkollision nicht zu erkennen sind (8 ObA 237/00m = EvBl 2001/195). Dies gilt auch, wenn für die Person ein sonstiger inländischer Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigter bestellt ist (Stumvoll in Fasching/ Konecny II/2 Anh § 87 [§ 10 ZustG] Rz 4).

5

Nach § 6 EuRAG haben dienstleistende europäische Rechtsanwälte in gerichtlichen und behördlichen Verfahren bei ihrer ersten Verfahrenshandlung einen im Inland wohnhaften Zustellungsbevollmächtigen namhaft gemacht, widrigenfalls in Verfahren mit Anwaltspflicht der Einvernehmensanwalt als Zustellungsbevollmächtigter gilt; ansonsten gilt § 10 ZustG (vgl bei Stumvoll in Fasching/ Konecny II/2 Anh § 87 [§ 10 ZustG] Rz 17). Diese Bestimmung ist nicht gemeinschaftsrechtswidrig (Zib in Fasching/Konecny II/1 §§ 31, 32 Rz 107; 7 Ob 135/04k).

6

Der Auftrag der Behörde, einen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen, kann nur an die im Ausland aufhältige Partei ergehen, die Behörde selbst darf keinen bestellen (SZ 59/138 = JBl 1986, 796, 3 Ob 535/86; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 10 ZustG] Rz 15); dies im Gegensatz zu einem Zustellungsbevollmächtigten für mehrere Personen nach § 97 (Näheres s dort). Es ist auch nicht zulässig, den Gegner der im Ausland aufhältigen Partei mit der Bestellung zu beauftragen (SZ 59/138). Ob die Behörde aber überhaupt einen Auftrag erteilt oder nicht, liegt in ihrem Ermessen (Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensnovellen 212). Im Hinblick auf die eingeschränkte Bedeutung des Rechtsmittelausschlusses des § 87 Abs 2 (vgl bei § 87) ist ein (abgesondertes) Rechtsmittel sowohl gegen einen Auftrag nach § 10 ZustG an die im Ausland aufhältige Partei (Fasching Rz 529; idS nunmehr auch 8 ObA 237/00m = EvBl 2001/195 und Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 10 ZustG] Rz 10) als auch dann zulässig, wenn das Gericht selbst einen Zustellungsbevollmächtigten bestellt oder dem Gegner dieser Partei einen solchen Auftrag erteilt. 701

§ 87 7

Gitschthaler

Kommt die Partei dem gerichtlichen Auftrag nicht nach, ist nach § 23 ZustG vorzugehen, ohne dass es einer weiteren Beschlussfassung bedürfte (Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 10 ZustG] Rz 15). Im Gegensatz zu § 8 Abs 2 ZustG kommt aber nur eine Hinterlegung bei der Behörde in Betracht. Die Zustellung gilt mit dem ersten Tag der Hinterlegung als bewirkt (§ 23 Abs 4 ZustG); mit diesem Zeitpunkt beginnen auch allfällige Rechtsmittelfristen zu laufen (fristenauslösendes Ereignis; vgl dazu bei §§ 124–126). Auf den Tag, an dem der Empfänger das Schriftstück tatsächlich erhält, kommt es jedoch nicht an (2 Ob 190/98z). Macht die Partei verspätet einen Zustellungsbevollmächtigten namhaft, ändert dies zwar nichts an bereits erfolgten Zustellungen durch Hinterlegung, für die Zukunft ist dann aber an den Zustellungsbevollmächtigten zuzustellen (vgl Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 10 ZustG] Rz 16). §§ 11, 12 ZustG (Zustellungen mit Auslandsbezug s bei § 121 ZPO) Abschnitt II. Zustellung an eine Abgabestelle § 13. (1) Die Sendung ist dem Empfänger an der Abgabestelle zuzustellen. Ist aber auf Grund einer Anordnung einer Verwaltungsbehörde oder eines Gerichtes an eine andere Person als den Empfänger zuzustellen, so tritt diese an die Stelle des Empfängers. (2) Bei Zustellungen durch Organe der Post oder der Gemeinde darf auch an eine gegenüber der Post oder der Gemeinde zur Empfangnahme solcher Sendungen bevollmächtigte Person zugestellt werden, soweit dies nicht durch einen Vermerk auf der Sendung ausgeschlossen ist. (3) Ist der Empfänger keine natürliche Person, so ist die Sendung einem zur Empfangnahme befugten Vertreter zuzustellen. (4) Ist der Empfänger eine zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Person, so ist die Sendung in deren Kanzlei zuzustellen und darf an jeden dort anwesenden Angestellten des Parteienvertreters zugestellt werden; durch Organe der Post darf an bestimmte Angestellte nicht oder nur an bestimmte Angestellte zugestellt werden, wenn der Parteienvertreter dies schriftlich bei der Post verlangt hat. Die Behörde hat Angestellte des Parteienvertreters wegen ihres Interesses an der Sache oder auf Grund einer zuvor der Behörde schriftlich abgegebenen 702

§ 87 (§ 13 ZustG)

1.2 Verfahren

Erklärung des Parteienvertreters durch einen Vermerk auf der Sendung und dem Rückschein von der Zustellung auszuschließen; an sie darf nicht zugestellt werden. [Abs 5 und 6 aufgehoben durch E-GovG; Stammfassung] 1

Zum Begriff des Empfängers vgl § 2 ZustG Rz 1–4.

2

Nach Abs 2 kann an einen Postbevollmächtigten des Empfängers rechtswirksam, uzw auch außerhalb dessen Abgabestelle (RZ 1996/ 74, immolex 1998/8 [Pfiel]; OLG Linz 2 R 154/03k), zugestellt werden, wofür auch § 187 PostO spricht, der den postordnungsmäßig Übernahmsberechtigten dem Empfänger gleichstellt (vgl RZ 1996/74, ecolex 1997, 20, immolex 1998/8 [Pfiel]). Abs 2 meint dabei nicht nur die förmliche Postvollmacht nach § 150 PostO, sondern auch jede andere – auch schlüssige (RdW 2000/409, RdW 2001/383) – Bevollmächtigung, die lediglich gegenüber der Post bestehen, nicht aber auch dieser gegenüber erklärt worden sein muss. Es reicht also auch aus, dass der Empfänger als Vertretener diese Befugnis seinem Postbevollmächtigten als Vertreter erklärt hat (5 Ob 2270/ 96a = ecolex 1997, 20, 9 ObA 239/99h = ARD 5098/28/2000, 1 Ob 246/00h = RdW 2001/383; OLG Linz 2 R 51/00h; aA Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 13 ZustG] Rz 12, der eine ausdrückliche und schriftliche Postvollmacht verlangt). Eine Zustellung an den Postbevollmächtigten darf nur dann nicht erfolgen, wenn dies durch einen Vermerk auf der Sendung ausgeschlossen worden ist (1 Ob 246/00h; LG Salzburg 21 R 25/02a). Zur (Spezial-) Postvollmacht für eigenhändig zuzustellende Schriftstücke s bei § 21 ZustG.

3

Die Zustellung an den Postbevollmächtigten erfolgt durch Ausfolgung des Schriftstücks, wobei sie dem Empfänger gegenüber selbst dann wirksam ist, wenn der (ursprüngliche) Hinterlegungsvorgang bei ihm fehlerhaft war (RZ 1996/74, immolex 1998/8 [Pfiel]; OLG Linz 2 R 154/03k; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 13 ZustG] Rz 14, 15). Umgekehrt ist – anders als beim Zustell- oder beim Prozessbevollmächtigten – eine Zustellung auch dann wirksam, wenn trotz bestehender Postbevollmächtigung an den Empfänger selbst zugestellt wird, weil Abs 2 nur von „dürfen“ spricht (idS auch Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 13 ZustG] Rz 13).

4

Bereits bei Erlassung der Zustellverfügung (Näheres bei § 89) hat das Gericht von Amts wegen zu berücksichtigen, dass im Anwendungsbereich des FinprokG Zustellungen nicht an den Rechtsträ703

§ 87

Gitschthaler

ger, sondern sofort an die Finanzprokuratur vorzunehmen sind (SZ 25/262, 5 Ob 259/59, 5 Ob 149/98t), ansonst die Zustellung wirkungslos bliebe (5 Ob 149/98t). Vgl dazu auch Kühne, ÖJZ 1998, 201. 5

Der Widerruf der Postvollmacht bedarf eines gleichwertigen actus contrarius, dh dort wo eine mündliche Ermächtigung des Empfängers ausreicht, um sie zu erteilen, kann sie auch mündlich widerrufen werden (OLG Linz 2 R 154/03k). Hinsichtlich einer (Spezial-) Postvollmacht für eigenhändig zuzustellende Schriftstücke s bei § 21 ZustG. Solange die Postvollmacht nicht (gesetzmäßig) widerrufen ist, muss sich der Vollmachtgeber den Empfang einer Sendung durch den mit Postvollmacht Ausgestatteten anrechnen lassen (OLG Linz 2 R 154/03k; vgl auch EvBl 1964/29, 4 Ob 88/81).

6

Wer zur Empfangnahme befugter Vertreter iS des Abs 3 ist, richtet sich grundsätzlich nach den die Organisation der juristischen Person regelnden Vorschriften (9 ObA 88/90 = RZ 1990/125, 9 ObA 91/91 = EvBl 1991/142, 5 Ob 2391/96w, 14 Os 94/04).

7

Abs 4 richtet sich an die Behörde, die als Abgabestelle des Parteienvertreters dessen Kanzlei anzugeben hat (Feil § 13 ZustG Rz 12; SZ 64/67; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 13 ZustG] Rz 27). Er erstreckt sich nur auf jene Fälle, in denen an eine zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Person in ihrer Funktion als Parteienvertreter (Rechtsanwalt, Notar, Patentanwalt, Steuerberater, Wirtschaftstreuhänder, Immobilientreuhänder, Ziviltechniker und Unternehmensberater, nicht jedoch Hausverwalter [LGZ Wien MietSlg 50.820] und Immobilienmakler), nicht aber an Mitbeschäftigte des Empfängers zugestellt werden soll. Daher kann etwa ein für einen Notariatskandidaten oder Rechtsanwaltsanwärter bestimmtes Zustellstück nicht an einen Angestellten des Notars oder Rechtsanwalts rechtswirksam ausgefolgt werden (5 Ob 2270/ 96a = SZ 60/237 = NZ 1987, 113). Es ist ausschließlich in deren Kanzlei zuzustellen (SZ 64/67 = EvBl 1992/4, 2 Ob 510/93).

8

Betrifft die Zustellung eine Angelegenheit, die nicht die Eigenschaft des Empfängers als berufsmäßigen Parteienvertreter betrifft, kann bei Abwesenheit des Empfängers von dieser Abgabestelle nur zugestellt werden, wenn er rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen kann (§ 16 Abs 5 ZustG; OLG Wien WR 871). Im Übrigen kann aber – unter den allgemeinen Voraussetzungen – an allen Abgabestellen zugestellt werden (vgl Stumvoll in Fasching/Konecny 704

§ 87 (§ 13 ZustG)

1.2 Verfahren

II/2 Anh § 87 [§ 13 ZustG] Rz 28). In Angelegenheiten der berufsmäßigen Parteienvertretung kann die Zustellung jedoch an jeden anwesenden Angestellten erfolgen, uzw selbst dann, wenn eigenhändige Zustellung angeordnet wurde (5 Ob 547/91 = JUS Z/1013) und der Parteienvertreter selbst – etwa wegen eines Krankenhausaufenthalts oder wegen Urlaubs – gar nicht anwesend ist, sich also nicht nur gerade eben nicht an der Abgabestelle aufhält (VwGH AnwBl 1987, 166, VwSlg 12.903 A, AnwBl 1989, 434; 15 Os 6/88 = JUS 1988/45, 25, 14 Os 74/92; vgl auch Ritz, ÖJZ 1992, 145). 9

Der Begriff „Angestellter“ ist nicht im arbeitsvertragsrechtlichen Sinn zu verstehen (vgl VwGH VwSlg 10.239 A; Feil § 13 ZustG Rz 13; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 13 ZustG] Rz 30). Es sind vielmehr alle in der Kanzlei tätigen Angestellten gemeint, dh Dienstnehmer des Parteienvertreters, die mit Kanzleiarbeiten befasst sind (Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 13 ZustG] Rz 30 mwN; zu weitgehend daher 8 Ob 119/72, wonach unter diesen Begriff auch die Aufräumfrau fallen soll). Bei Kanzleigemeinschaften von Parteienvertretern (etwa Rechtsanwaltssozietäten; vgl Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 13 ZustG] Rz 29) kann daher an alle Partner zugestellt werden. Darüber hinaus ist eine Zustellung auch etwa an den Ehepartner des Rechtsanwalts (oder auch des Notars) rechtswirksam möglich, sofern er in der Kanzlei des Rechtsanwalts dauernd eine, wenn auch unentgeltliche, Tätigkeit, die in dessen Interesse erfolgt, entfaltet (SZ 44/47 = AnwBl 1974, 114 [zust Stölzle]).

10 Ein Parteienvertreter ist zwar nicht verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass in seiner Abwesenheit jederzeit Zustellungen an Kanzleiangestellte durchgeführt werden können, weil er dazu auch gar nicht in der Lage wäre (vgl 12 Os 181/84). Er muss aber grundsätzlich schon stets auf eine behördliche Zustellung gefasst sein (vgl 1 Ob 23/97y). Dieser Widerspruch lässt sich dahin auflösen, dass der Parteienvertreter regelmäßig Nachschau zu halten oder für eine Nachsendung oder für eine Vertretung Sorge zu tragen hat (vgl wiederum 1 Ob 23/97y). Weil gemäß § 7a Abs 4 RAO sowohl die „Kanzlei“ eines Rechtsanwalts als auch die Niederlassungen Abgabestellen iS des § 13 Abs 4 sind, müssen dieselben als Abgabestelle für eingeschriebene Briefe oder gar Rückschein-Sendungen aller Art regelmäßig zur Verfügung stehen (Bkv 11/99). 11 Besteht im Anwendungsbereich des § 13 ZustG eine Interessenkollision zwischen dem Empfänger und dem zur Empfangnahme 705

§ 87

Gitschthaler

befugten Vertreter, kommt im Hinblick auf die ausdrückliche Regelung des Abs 4 eine rechtswirksame Zustellung an diesen nur dann nicht in Betracht, wenn es sich um einen seiner Angestellten in seiner Funktion als berufsmäßiger Parteienvertreter handelt. Eine Ausdehnung dieser Regelung auch auf andere Fälle einer Interessenkollision scheint nicht zielführend, weil dies das Zustellwesen mit erheblichen Unsicherheiten belasten würde (diese Frage ausdrücklich offenlassend EvBl 1991/142; unklar auch Feil § 13 ZustG Rz 9). Keine Interessenkollision ist zwar anzunehmen, wenn etwa an eine Kapitalgesellschaft zu Handen ihres Geschäftsführers ein Drittverbot iSd § 301 EO betreffend die Bezüge dieses Geschäftsführers zugestellt werden soll (vgl 9 ObA 66/92; zu einer Drittschuldnerklage EvBl 1981/12), wohl aber, wenn der Liquidator einer Kapitalgesellschaft gegen die in Liquidation befindliche Gesellschaft eine Klage einbringt (vgl SZ 54/123 = EvBl 1982/86). Bei einer offenkundigen Interessenkollision zwischen dem Empfänger und dem Postbevollmächtigten ist ein urkundlicher Nachweis der Zustimmung des in seinen Interessen beeinträchtigten Machtgebers zu fordern. Die an das Zustellungspostamt gerichtete Postvollmacht kann nicht als ausreichender urkundlicher Nachweis einer bereits vorher erteilten Einwilligung zur Doppelvertretung oder des Insichgeschäftes angesehen werden (9 ObA 258/99b). § 14. Untersteht der Empfänger einer Anstaltsordnung und dürfen ihm auf Grund gesetzlicher Bestimmungen Sendungen nur durch den Leiter der Anstalt oder durch eine von diesem bestimmte Person oder durch den Untersuchungsrichter ausgehändigt werden, so ist die Sendung dem Leiter der Anstalt oder der von ihm bestimmten Person vom Zusteller zur Vornahme der Zustellung zu übergeben. [Stammfassung] 1

Aus dieser Bestimmung kann geschlossen werden, dass das betreffende Anstaltsorgan bei Zustellungen durch die Post als deren verlängerter Arm tätig wird (SZ 58/148 = JBl 1986, 596; VwGH VwSlg 11.473 A; Feil § 14 ZustG Rz 5); vgl daher zur Postaufgabe auch § 89 GOG (bei §§ 124–126). § 89 Abs 1 GOG ist so anzuwenden, dass in den Fällen des § 14 ZustG auch die Zeit dem Postlauf zuzurechnen und daher nicht in die Rechtsmittelfrist einzurechnen ist, die zwischen der Übergabe des Schriftstücks an das dazu berufene Organ 706

§ 87 (§ 16 ZustG)

1.2 Verfahren

der „Anstalt“ (Strafvollzugsanstalt, Justizanstalt, gerichtliches Gefangenenhaus) und der durch dieses veranlassten, durch die Überwachung aufgeschobenen Aufgabe zur Post vergeht. Damit ist ein innerhalb der Rechtsmittelfrist der Leitung der Justizanstalt übergebenes Rechtsmittel rechtzeitig (3 Ob 110/85 = SZ 58/148 = JBl 1986, 596). Allgemein zu § 14 ZustG s auch bei Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 (§ 14 ZustG). 2

Unterliegen Personen in einem Heim keiner Anstaltsordnung, kann die Verständigung über die Hinterlegung einer Sendung bei der Heimleitung zurück gelassen werden (VwGH ZfVB 1993/1204). § 15. (1) Zustellungen an Soldaten, die Präsenz- oder Ausbildungsdienst leisten, sind durch das unmittelbar vorgesetzte Kommando vorzunehmen. (2) Bei sonstigen Zustellungen in Kasernen oder auf anderen militärisch genutzten Liegenschaften ist das für deren Verwaltung zuständige Kommando vorher davon in Kenntnis zu setzen. Auf Verlangen des Kommandos ist ein von ihm zu bestimmender Soldat oder Bediensteter der Heeresverwaltung dem Zusteller beizugeben. [Abs 1 neu gefasst durch BGBl I 1998/158; sonst Stammfassung]

1

Die Neuformulierung des Abs 1 durch BGBl I 1998/158 stand in inhaltlichem Zusammenhang mit der Erlassung des Gesetzes über die Ausbildung von Frauen im Bundesheer (BGBl I 1998/30). Zuvor bezog sich diese Bestimmung nämlich (lediglich) auf Soldaten, die Präsenz- oder Ausbildungsdienst leisteten (vgl auch Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensnovellen 212 unter Hinweis auf die Mat).

2

§ 15 ZustG war vor dem E-GovG bei Zustellungen durch Organe der Post ohne Zustellnachweis nicht anzuwenden (Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren2 § 15 ZustG Vor Anm 1; Feil § 15 ZustG Rz 1); dies ist infolge Aufhebung des § 2a Abs 2 ZustG nunmehr aber fraglich und wohl eher zu bejahen. Näheres s bei Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 15 ZustG]. § 16. (1) Kann die Sendung nicht dem Empfänger zugestellt werden und ist an der Abgabestelle ein Ersatzempfänger anwesend, so darf an diesen zugestellt werden (Ersatzzustellung), 707

§ 87

Gitschthaler

sofern der Zusteller Grund zur Annahme hat, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält. (2) Ersatzempfänger kann jede erwachsene Person sein, die an derselben Abgabestelle wie der Empfänger wohnt oder Arbeitnehmer oder Arbeitgeber des Empfängers ist und die – außer wenn sie mit dem Empfänger im gemeinsamen Haushalt lebt – zur Annahme bereit ist. (3) Durch Organe der Post darf an bestimmte Ersatzempfänger nicht oder nur an bestimmte Ersatzempfänger zugestellt werden, wenn der Empfänger dies schriftlich bei der Post verlangt hat. (4) Die Behörde hat Personen wegen ihres Interesses an der Sache oder auf Grund einer schriftlichen Erklärung des Empfängers durch einen Vermerk auf der Sendung und dem Rückschein von der Ersatzzustellung auszuschließen; an sie darf nicht zugestellt werden. (5) Eine Ersatzzustellung gilt als nicht bewirkt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam. [Stammfassung] 1

Unter Ersatzzustellung versteht man die Zustellung eines Schriftstücks an eine vom Empfänger verschiedene Person (Feil § 16 ZustG Rz 3), bei der es sich nicht um einen Post- oder sonstigen Zustellungsbevollmächtigten handelt; der Empfänger selbst darf an der Abgabestelle nicht anwesend sein. Sie ist ausgeschlossen, wenn die zustellende Behörde die Zustellung zu eigenen Handen (vgl dazu § 21 ZustG, § 106 ZPO) angeordnet hat (Feil § 16 ZustG Rz 5; Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren § 16 ZustG Anm 1; VwGH VwSlg 9440 A).

2

Das Risiko der rechtzeitigen Weitergabe des Zustellstücks an den Empfänger durch den Ersatzempfänger trägt grundsätzlich ersterer (6 Ob 630/84, 4 Ob 329/98f = SZ 57/141 = EvBl 1985/24; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 16 ZustG] Rz 36). Auch für einen allfälligen Fristenlauf kommt es nicht auf den Zeitpunkt der Übergabe des Schriftstücks an den Empfänger an (JBl 1961, 426), doch stellt die nicht rechtzeitige Weitergabe allenfalls einen Wiedereinsetzungsgrund nach § 146 (vgl auch dort) dar (SZ 57/141, 1 Ob 708

§ 87 (§ 16 ZustG)

1.2 Verfahren

716/84, 1 Ob 638/86; Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht Rz 215; aA VwGH VwSlgNF 247 A, 1141 A, 7403 A). Handelte es sich beim Ersatzempfänger hingegen nicht um eine geeignete Person (vgl Rz 4, 5) und war dies dem Zusteller bekannt (2 Ob 279/ 98p), hielt sich der Empfänger nicht regelmäßig an der Abgabestelle auf (1 Ob 638/86, 1 Ob 669/87, 5 Ob 541/89) oder war er von der Abgabestelle abwesend (Abs 5), dann ist es seine Sache, diese Umstände darzutun (SZ 57/141 = EvBl 1985/24, 1 Ob 716/84, 4 Ob 329/ 98f; vgl auch Oberhammer, RdW 1997, 384; aA Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 16 ZustG] Rz 31). Gelingt ihm dies, ist die Ersatzzustellung als rechtsunwirksam anzusehen. Die bloße Behauptung einer Ortsabwesenheit ohne Angabe des Aufenthaltsorts und der Dauer der Abwesenheit ist zwar nicht geeignet, die sofortige Wirksamkeit einer Ersatzzustellung in Zweifel zu ziehen (LGZ Wien MietSlg 43.523). Bleiben allerdings Unklarheiten, geht dies zu Lasten der zustellenden Behörde. Vgl dazu auch bei § 17 ZustG. 3

Ob im konkreten Fall eine Ersatzzustellung erfolgen darf, kann oder muss, liegt nicht im Ermessen des Zustellorgans, das auch nicht frei ist in seiner Wahl, ob es eine Ersatzzustellung vornehmen oder das Schriftstück iSd § 17 ZustG hinterlegen will (Feil § 16 ZustG Rz 7; Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren § 16 ZustG Anm 7; SZ 57/141 = EvBl 1985/24, 1 Ob 715/84, 4 Ob 286/98g; LGZ Wien MietSlg 39.813). Diese Frage darf auch nicht von allfälligen Vereinbarungen zwischen Empfänger und Zustellorgan abhängig gemacht werden (JBl 1968, 482). Während sich Abs 3 an die Post richtet, ist nach Abs 4 jene Person, an die nicht zugestellt werden darf, in der Zustellverfügung (s § 89 ZPO, § 5 ZustG) der zustellenden Behörde und durch einen Vermerk sowohl auf der Sendung als auch auf dem Rückschein zu benennen (Walter/Mayer, Zustellrecht 185). In der Zustellverfügung ist dabei zu verfügen „Keine Ersatzzustellung an …“ (§ 125 Abs 7 Geo). Eine Ersatzzustellung ist jedenfalls nicht schon dann zulässig, wenn sich der Empfänger lediglich in einem anderen Raum an der Abgabestelle aufhält (VwGH ÖJZ 1992, 525/A 232; vgl auch Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 16 ZustG] Rz 9), wohl aber, wenn der Empfänger zwar anwesend ist, sich dem Zustellorgan jedoch nicht zu erkennen gibt (Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht Rz 213).

4

Eine Ersatzzustellung darf nur an „Erwachsene“ erfolgen, was zwar nicht Volljährigkeit, sondern lediglich Mündigkeit bedeutet 709

§ 87

Gitschthaler

(VwGH AnwBl 1989, 692 [krit Arnold], BauSlg 2001/9; SZ 39/200, SZ 57/22, 2 Ob 279/98p; Feil § 16 ZustG Rz 11; Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht Rz 213; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 16 ZustG] Rz 14). Es muss sich aber um eine Person handeln, die nicht unter Sachwalterschaft steht, weil auch die Zustellung Prozess- und Handlungsfähigkeit voraussetzt (s § 2 ZustG Rz 2; vgl Berchtold 32; Pfersmann, ÖJZ 1987, 108 [Entscheidungsbesprechung]; aA Feil § 16 ZustG Rz 10; SZ 57/22; aA Fasching1 II 586; Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren2 § 16 ZustG Anm 12). Der Ersatzempfänger muss nach dem äußeren Eindruck des Zustellers in der Lage sein, den Ernst und die Tragweite einer gerichtlichen Zustellung zu erkennen, und dem Anschein nach auch über ein genügendes Verantwortungsbewusstsein verfügen, dem Empfänger das zuzustellende Schriftstück tatsächlich auszufolgen bzw ihm unverzüglich von der erfolgten Zustellung eine genügend klare und verständliche Mitteilung zu machen (2 Ob 279/98p; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 16 ZustG] Rz 14). 5

Beim Ersatzempfänger muss es sich nicht um einen Familienangehörigen handeln (Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 16 ZustG] Rz 16). Er muss lediglich an derselben Abgabestelle wohnen (im gemeinsamen Wohnungsverband, jedenfalls aber an derselben Adresse); Wohnungsnachbarn oder der Hausbesorger sind daher keine tauglichen Ersatzempfänger (Stumvoll in Fasching/ Konecny II/2 Anh § 87 [§ 16 ZustG] Rz 17). Es ist auch begrifflich ausgeschlossen, dass eine juristische Person selbst an der Abgabestelle wohnen könnte (LGZ Wien MietSlg 46.716). Ersatzempfänger können auch der Arbeitgeber (dies muss aber eine natürliche Person sein [2 Ob 4/00b = SZ 73/143 = EvBl 2001/ 33]) bzw -nehmer des Empfängers sein. Letzterer muss in einem Abhängigkeits- und Unselbständigkeitsverhältnis zum Empfänger stehen (SZ 57/181 = JBl 1986, 36, SZ 60/237 = NZ 1988, 113, wobl 1993, 29; Dullinger, JBl 1986, 13; Hofmeister, NZ 1988, 117 jeweils in Entscheidungsbesprechungen). Ein selbstständiger Buchhalter ist daher etwa kein Ersatzempfänger (OLG Wien ARD 5088/54/ 1999). Auf Entgeltlichkeit kommt es jedoch ebenso wenig an (RZ 1937, 406; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 16 ZustG] Rz 18) wie auf den Umstand, ob der Arbeitnehmer in jenem Betrieb beschäftigt ist, für welchen die Zustellung erfolgt (VwGH ÖJZ 2002/43 A). Ist Empfänger eine juristische Person, kann ebenfalls an einen Arbeitnehmer zugestellt werden (VwGH ecolex 1993, 357; 4 Ob 90/ 77; LGZ Wien Arb 10.046; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh 710

§ 87 (§ 16 ZustG)

1.2 Verfahren

§ 87 [§ 16 ZustG] Rz 19). § 16 ZustG ist auch auf Körperschaften des öffentlichen Rechts als Empfänger anzuwenden (VwGH ARD 4887/23/97). Ersatzempfänger kann zwar sowohl ein Lebensgefährte (SZ 35/58 = EvBl 1962/472, JBl 1989, 324; VwGH VwSlg 3564 A; Feil § 16 ZustG Rz 12) als auch der Inhaber einer Fremdenpension (VwGH ZfVB 1992/635; Feil § 16 ZustG Rz 12) sein, nicht aber ein Mitbeschäftigter (SZ 38/35 = EvBl 1965/290) oder etwa ein untergeordneter Beamter oder Vertragsbediensteter, wenn die Zustellung an den Vorgesetzten (als Empfänger) in seiner Funktion als Obmann eines privatrechtlichen Vereins vorgenommen werden sollte (ecolex 1997, 20). 6

Ist der Ersatzempfänger nicht zur Annahme bereit, kann von einer Annahmeverweigerung iSd § 20 ZustG nur ausgegangen werden, wenn er mit dem Empfänger im gemeinsamen Haushalt lebt (VwGH wbl 2001/298 [im Gegensatz zum Arbeitnehmer]). Dies setzt ein engeres Naheverhältnis als ledigliches Wohnen an derselben Abgabestelle voraus (Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren2 § 16 ZustG Anm 16; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 16 ZustG] Rz 22 [Eltern, Kinder, Lebensgefährten, uzw wohl auch gleichgeschlechtliche]). Der Ersatzempfänger ist nicht nur dann zur Annahme bereit, wenn er schon „bereit steht“ oder von sich aus initiativ wird, sondern auch schon dann, wenn er eine entsprechende Frage des Zustellorgans bejaht, dh das Zustellorgan hat auch einen zwar anwesenden, jedoch gerade beschäftigten Ersatzempfänger zu fragen, ob er zur Annahme bereit ist (4 Ob 286/98g; vgl auch Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 16 ZustG] Rz 23). Zur Frage allfälliger Interessenkollisionen zwischen Empfänger und Ersatzempfänger (Abs 4) vgl auch bei § 13 ZustG.

7

Weitere Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Ersatzzustellung (zu den gleichen Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Hinterlegung nach § 17 ZustG vgl § 17 ZustG Rz 1; von diesbezüglich identen Voraussetzungen ausgehend auch Stumvoll in Fasching/ Konecny II/2 Anh § 87 [§ 16 ZustG] Rz 27) ist, dass sich der Empfänger regelmäßig (vgl dazu auch bei § 2 ZustG) an der Abgabestelle aufhält (SZ 57/141 = EvBl 1985/24, SZ 60/226 = EvBl 1988/ 22, 8 Ob 613/89, EvBl 1989/85, RZ 1994/5, SZ 65/127, 3 Ob 555/95, RdA 1997, 408, 1 Ob 23/97y, 15 Os 35/03; Feil § 16 ZustG Rz 6; Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht Rz 213; vgl auch Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 16 ZustG] Rz 10). In 711

§ 87

Gitschthaler

diesem Fall gilt die Zustellung als mit dem Tag der Ersatzzustellung bewirkt (Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht Rz 223 mwN). Andernfalls wäre der dennoch vorgenommene Zustellvorgang mangelhaft und könnte nur nach § 7 ZustG heilen. Nach § 7 ZustG löst nämlich ein tatsächliches Zukommen der Sendung stets mit dem Tag dieses Zukommens die Heilung des Zustellfehlers aus, unabhängig davon, ob sonst eine wirksame Ersatzzustellung vorlag (5 Ob 123/05g). Andernfalls würden nicht die Rechtsfolgen des Abs 5 eintreten. Der Unterschied liegt dabei darin, dass es nach § 7 ZustG auf das tatsächliche Zukommen des Zustellstücks ankommt, nach Abs 5 jedoch lediglich darauf, wann der Empfänger an die Abgabestelle zurückkehrt. Insofern gehen § 2 (Qualifizierung eines Orts als Abgabestelle) und § 16 Abs 1 ZustG (vgl auch § 17 Abs 1 ZustG) von denselben Voraussetzungen aus. Hatte der Zusteller bei Vornahme der Ersatzzustellung Grund zur Annahme eines regelmäßigen Aufenthalts des Empfängers an der Abgabestelle, dann ist die erfolgte Zustellung im Regelfall wirksam. Dies gilt nur dann nicht, wenn der Empfänger während des Zustellvorgangs tatsächlich von der Abgabestelle abwesend gewesen ist und dadurch vom Zustellvorgang nicht rechtzeitig Kenntnis erlangen konnte. In diesem Fall würden dann die Rechtsfolgen des Abs 5 eintreten. 8

Bei Beurteilung der Frage, ob sich der Empfänger regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, kommt es auf den subjektiven Eindruck des Zustellorgans an (arg: … Grund zur Annahme …; ebenso 1 Ob 638/ 86, 1 Ob 669/87, 5 Ob 541/89; Feil § 16 ZustG Rz 6; aA Wiederin, ZfV 1988, 222 ff; Feil § 17 ZustG Rz 7; SZ 60/226 = EvBl 1988/22, EvBl 1989/85 [maßgeblich sind die tatsächlichen Umstände]). Diesen Eindruck hat sich das Zustellorgan allenfalls auch durch Auskunftseinholung bei den an der Abgabestelle anwesenden Personen oder bei den Nachbarn zu verschaffen (HG Wien WR 580; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 16 ZustG] Rz 9; aA Arb 8309). Grund zu einer solchen Annahme hat der Zusteller, wenn bestimmte objektive Tatsachen wie Namensschild, frühere Zustellungen am selben Ort udgl vorliegen, aus denen er mit einiger Sicherheit ableiten kann, dass sich der Empfänger regelmäßig an der Abgabestelle aufhält (LGZ Wien MietSlg 45.761). Dabei sind aber an das Zustellorgan keine allzu großen Anforderungen zu stellen. Muss das Zustellorgan allerdings aus vorgefundenen Umständen ableiten, dass der Empfänger nicht bloß vorübergehend abwesend ist, oder ist ihm dies sogar bekannt, dann darf er eine Ersatzzustellung nicht vornehmen (1 Ob 638/86, 1 Ob 669/87, 5 Ob 541/89). 712

§ 87 (§ 16 ZustG)

1.2 Verfahren 9

Der Empfänger ist zwar nicht schon dann von der Abgabestelle abwesend iSd Abs 5, wenn er – von kurzfristigen und durchaus auch periodischen Abständen abgesehen (etwa ein Vereinsobmann, der jeden 2. Tag das Vereinsbüro aufsucht [ARD 4887/22/1997]) – immer wieder an die Abgabestelle zurückkehrt (SZ 57/141 = EvBl 1985/24, SZ 60/226 = EvBl 1988/22, 1 Ob 23/97y). Rechtlich bedeutsame Abwesenheit iSd Abs 5 liegt aber bei einer urlaubs- (5 Ob 621/79, SZ 57/141, SZ 65/127, wbl 1994, 213 [Betriebsurlaub]) oder krankheitsbedingten (3 Ob 110/86) oder sonst längeren durchgehenden (ÖA 1993, 140) Abwesenheit (VwGH ÖAMTC-LSK 2002/22) vor. Dabei reicht nach der Rsp des VwGH (Zl 1435/67) bereits eine dreitägige, nach jener des OLG Wien (MietSlg 44.856) eine sechstägige und nach jener des OGH (EvBl 1967/307) erst eine achttägige, jedenfalls aber eine sechswöchige (RZ 1994/5) Abwesenheit aus. Dies gilt auch dann, wenn der Empfänger zwar nicht verreist ist, sondern sich in derselben Stadt aufhält, seiner Wohnung jedoch für längere Zeit fern geblieben ist (1 Ob 23/97y). Der Unterschied (vgl SZ 57/141, 4 Ob 329/98f) zwischen Abs 1 (Regelmäßigkeit) und Abs 5 (Abwesenheit) liegt darin, dass etwa eine urlaubsbedingte Abwesenheit des Empfängers zwar weder die Qualifikation eines Ortes als Abgabestelle aufhebt noch eine Ersatzzustellung hindert. Wenn das Zustellorgan aber keine Hinweise darauf hatte, kann die Zustellung nicht mit dem Tag der Ersatzzustellung, sondern erst mit dem der Rückkehr des Empfängers folgenden Tag als bewirkt angesehen werden. Vgl zum Verhältnis dieser Bestimmungen zueinander auch Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 (§ 16 ZustG) Rz 28.

10 Nicht jede Abwesenheit des Empfängers von der Abgabestelle löst die Rechtsfolgen des Abs 5 aus, sondern nur eine solche, die den Empfänger daran hindert, rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis zu erlangen (vgl inhaltsgleich § 17 Abs 3 ZustG zur Hinterlegung). Rechtzeitig ist dabei unter Bezugnahme auf den Inhalt des Zustellstücks zu prüfen (EvBl 1968/240; SZ 57/141 = EvBl 1985/24, 2 Ob 265/97b; VfGH ZfVB 1987/6/2432; Achatz, NZ 1983, 124; Berchtold 33; Walter/Mayer, Zustellrecht 184; Feil § 16 ZustG Rz 19; aA König, ÖGZ 1983, 117; Rechberger, MR 1988, 26; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 16 ZustG] Rz 32). Handelte es sich etwa um eine Ladung, dann gilt die Ersatzzustellung nicht als ordnungsgemäß bewirkt, wenn der Empfänger sie wegen Verstreichens des Termins nicht mehr befolgen konnte (Feil § 16 ZustG Rz 19; HG Wien MietSlg 35.837) oder wenn er sie erst 713

§ 87

Gitschthaler

unmittelbar vor dem Termin erhalten hat. Bei der Zustellung von Entscheidungen ist „rechtzeitig“ dahin zu verstehen (und damit die Ersatzzustellung oder die Zustellung durch Hinterlegung rechtswirksam und die Zustellung als mit dem Tag der Ersatzzustellung oder der Hinterlegung bewirkt [vgl Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht Rz 223 mwN]), dass dem Empfänger noch jener Zeitraum für ein (allfälliges) Rechtsmittel zur Verfügung gestanden sein muss, der auch einem großen Teil der Bevölkerung unter Berücksichtigung deren Berufstätigkeit zur Verfügung gestanden wäre (SZ 57/34 = JBl 1985, 115 [abl Schwaighofer, RdW 1984, 367; Pfersmann, ÖJZ 1987, 109], 7 Ob 636/84, 1 Ob 716/84, RdW 1993, 334, RZ 1994/5, 7 Ob 180/98s; OLG Linz 1 R 185/00g; vgl dazu auch Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht Rz 223; Feil § 16 ZustG Rz 19; vgl auch Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 16 ZustG] Rz 33). Dies ist nach der Rsp nicht mehr der Fall, wenn der Empfänger erst fünf Tage (LGZ Wien MietSlg 46.715) bzw drei Tage (8 ObA 61/03h) bzw mehrere Tage (VwGH ZfVB 1999/1546) nach der Ersatzzustellung bzw Hinterlegung an die Abgabestelle zurückkehrt, wohl aber, wenn er noch am Tag des Zustellversuchs bzw der Ersatzzustellung oder am Tag danach zurückkehrt (Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 16 ZustG] Rz 34; idS auch VwGH BauSlg 2001/63), jedenfalls aber innerhalb weniger, unmittelbar an die Ersatzzustellung oder Hinterlegung anschließender Werktage (7 Ob 180/98s; OLG Linz 1 R 185/00g) bzw innerhalb von zwei Tagen (VwGH ZfVB 2002/1591). Die Grenze wird daher bei längstens zwei Werktagen nach Ersatzzustellung oder Hinterlegung liegen. 11 War der Empfänger abwesend und konnte er dadurch nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen, wird die Zustellung erst mit dem der Rückkehr des Empfängers an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam. An diesem Tag findet also das fristenauslösende Ereignis statt (vgl bei §§ 124–126). Dabei kommt es nicht darauf an, wann der Empfänger das Schriftstück tatsächlich erhält (vgl VwGH ZfVB 1994/1149). Maßgeblich ist vielmehr, dass er infolge seiner Rückkehr vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte (VwGH ÖStZB 1997, 756). Damit ist die Möglichkeit einer Sanierung nach Abs 5 an sich zeitlich unbegrenzt (OLG Wien EvBl 1987/59; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 16 ZustG] Rz 35). Die Ergebnislosigkeit von Erhebungen über den Zeitpunkt der Rückkehr des Empfängers an die Abgabestelle wirkt zum Vorteil desjenigen, dem gegenüber die Zustellung wirksam sein soll (7 Ob 180/98s, 10 ObS 346/02h = ARD 5382/16/2003). 714

§ 87 (§ 17 ZustG)

1.2 Verfahren

§ 17. (1) Kann die Sendung an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist das Schriftstück im Falle der Zustellung durch die Post beim zuständigen Postamt, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen. (2) Von der Hinterlegung ist der Empfänger schriftlich zu verständigen. Die Verständigung ist in den für die Abgabestelle bestimmten Briefkasten (Briefeinwurf, Hausbrieffach) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus-, Gartentüre) anzubringen. Sie hat den Ort der Hinterlegung zu bezeichnen, den Beginn und die Dauer der Abholfrist anzugeben, sowie auf die Wirkung der Hinterlegung hinzuweisen. (3) Die hinterlegte Sendung ist mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem die Sendung erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Sendungen gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem die hinterlegte Sendung behoben werden könnte. (4) Die im Wege der Hinterlegung vorgenommene Zustellung ist auch dann gültig, wenn die im Abs 2 oder die im § 21 Abs 2 genannte Verständigung beschädigt oder entfernt wurde. [Stammfassung] 1

Grundsätzlich ist an den Empfänger unmittelbar zuzustellen (§ 13 ZustG), doch lässt § 17 ZustG die Möglichkeit einer Zustellung durch Hinterlegung zu, wenn die Sendung an der Abgabestelle nicht zugestellt werden kann, weil weder der Empfänger noch – sofern nicht ohnehin Eigenhandzustellung vorgesehen ist – ein Ersatzempfänger (vgl § 16 ZustG, § 103) angetroffen werden können. Sind die Voraussetzungen für eine Ersatzzustellung gegeben, darf daher nicht hinterlegt werden (1 Ob 716/84, SZ 57/141 = EvBl 1985/24, 8 ObA 61/03h; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 16 ZustG] Rz 5). Eine Hinterlegung ist auch nicht zulässig, wenn es sich bei der angegebenen Zustelladresse gar nicht um eine 715

§ 87

Gitschthaler

Abgabestelle des Empfängers handelt (UVS Wien ZUV 2005/1) oder sich der Empfänger nicht regelmäßig an der Abgabestelle aufhält (vgl dazu bei § 16 ZustG; Stumvoll in Fasching/Konecny II/ 2 Anh § 87 [§ 17 ZustG] Rz 6, 19). Selbst wenn für einen solchen Fall der Empfänger mit dem Zustellorgan eine Zustellung durch Hinterlegung trotz entgegenstehender rechtlicher Umstände vereinbart haben sollte, wäre die vorgenommene Zustellung unwirksam (SZ 42/12 = JBl 1968, 482, 9 ObA 224/93, vgl auch 8 ObA 184/98m = RZ 1999/53; aA SZ 40/140 = EvBl 1968/197). 2

Die Wirksamkeit (GlUNF 565, SZ 13/186; OLG Wien EvBl 1935/ 143) der Hinterlegung ist davon abhängig, dass eine schriftliche Anzeige (an der im Rückschein angegebenen Abgabestelle [VwGH ZfVB 2000/327]) hinterlassen wird (RZ 1936, 226; VwGH ZfVB 1993/611, ÖStZB 1998, 320). Dabei kommt es aber auf die Verwendung des hiefür an sich vorgeschriebenen Formulars nicht an (Feil § 17 ZustG Rz 8; VwGH ÖStZB 1985, 73; aA LGZ Wien 44 R 275/ 01v). Auch eine Unterschrift des Zustellers auf der Verständigung über die Hinterlegung soll nicht zu den notwendigen Angaben einer Hinterlegungsanzeige gehören (VwGH ZfVB 2002/1878).

3

Die Verständigung ist in den Briefkasten (Briefeinwurf, Hausbrieffach) der Abgabestelle einzulegen, an dieser zurückzulassen oder an deren Eingangstüre anzubringen (Abs 2). Sie darf nicht bloß a) unter der Eingangstüre der Abgabestelle durchgeschoben (SZ 13/186, 1 Ob 180/56, 6 Ob 24/65; VwGH wbl 1998/337; aA Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 21 ZustG]) Rz 13), b) zwischen Tür und Türstock festgeklemmt (EvBl 1964/131), c) auf das Fensterbrett (OLG Graz EvBl 1953/397) d) bzw in ein Kästchen im Hausinneren neben der Eingangstür (VwGH wbl 1998/337) gelegt, e) durch ein offenes Fenster geworfen (Stumvoll in Fasching/ Konecny II/2 Anh § 87 [§ 21 ZustG]) Rz 13; aA VwGH ZfVB 1991/ 2230; Feil § 17 ZustG Rz 9), f) in einen an der verschlossenen Wohnungstür angebrachten Briefkasten eingeworfen (SZ 10/22) oder g) in einen bereits beschädigten und daher auch für unbefugte Dritte zugänglichen Briefkasten eingelegt werden (idS wohl auch Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 21 ZustG] Rz 14); nach aA (LGZ Wien MietSlg 45.646; OLG Linz 2 R 146/00d; VwGH ZfVB 1992/653) soll das Risiko der Entfernung der Verständigung durch Unbefugte sowohl im Fall der Anbringung an der 716

§ 87 (§ 17 ZustG)

1.2 Verfahren

Wohnungseingangstür als auch im Fall eines defekten Hausbrieffachs gegeben sein; h) die Verständigung darf auch nicht in einen Briefkasten, der für mehrere Wohnungen bestimmt ist (VwGH ÖJZ 1990, 467/A 168; 1 Ob 247/99a = EvBl 2000/160; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 21 ZustG]) Rz 14), eingelegt oder i) unter der Windschutzscheibe eines dem Empfänger gehörenden Fahrzeuges zurückgelassen (Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 21 ZustG] Rz 13) oder j) in ein Postfach des Empfängers beim Postamt eingeworfen werden (LGZ Wien Arb 7493). 4

Grundsätzlich muss objektive Gewähr dafür bestehen, dass die Verständigung den Empfänger auch tatsächlich erreichen kann (EvBl 1993/196, 1 Ob 247/99a). Ist diese Gewähr gegeben, hat der Zusteller ein Wahlrecht, wo er die Hinterlegungsanzeige anbringt (EvBl 1993/196). Unter diesem Gesichtspunkt kann eine Hinterlegungsanzeige rechtswirksam einer an der Abgabestelle aufhältigen Person daher nur dann übergeben werden, wenn anzunehmen ist, dass diese dem Ersuchen des Zustellorgans, sie dem Empfänger unverzüglich auszufolgen, nachkommen wird (3 Ob 62/79). Ob die Zurücklassung der Hinterlegungsanzeige an der Abgabestelle möglich ist oder nicht, hat das Zustellungsorgan im Einzelfall zu beurteilen; eine nachfolgende Kontrollpflicht oder -möglichkeit durch die Behörde besteht nicht (SZ 68/167 = RdW 1996, 117).

5

Selbst ein bewusstes Entfernen der (ordnungsgemäßen [ARD 4516/45/1993; OLG Linz 2 R 146/00d; LGZ Wien 44 R 275/01v]) Hinterlegungsanzeige durch einen Dritten (Abs 4; 12 Os 28/68, MietSlg 51.759; OLG Linz 2 R 146/00d) oder deren unverschuldetes Übersehen durch den Empfänger (RZ 1994/5; OLG Linz 2 R 146/00d; OLG Wien ARD 5235/56/2001) machen die Zustellung durch Hinterlegung nicht unwirksam (LGZ Wien EvBl 1949/539; vgl auch EvBl 1993/196 = RZ 1994/46). Wurden seit Dienstübernahme eines bestimmten Zustellungsorgans öfters Briefe oder sonstige Poststücke falsch verteilt, kann bei entsprechender Behauptung durch den Empfänger, die Hinterlegungsanzeige nach Abs 2 sei verreiht und er daher nicht von der Hinterlegung verständigt worden, hingegen nicht von einer rechtswirksamen Zustellung ausgegangen werden (VwGH ARD 4905/ 21/98).

6

Das Zustellstück ist bei dem Postamt (und nicht in irgendeinem dem Zusteller zufällig bekannten Postfach [VwGH ÖStZB 2002/ 717

§ 87

Gitschthaler

156]) zu hinterlegen, in dessen Sprengel die Abgabestelle gelegen ist (Rechberger/Simotta Rz 328; EvBl 1971/217; VwGH ZfVB 1988/2282). Widrigenfalls würde die Zustellung erst mit der Abholung des Zustellstücks wirksam (VwGH ZfVB 1988/2282; Feil § 17 ZustG Rz 23). Sie ist dort mindestens zwei Wochen zur Abholung bereit zu halten; diese Frist kann weder verlängert noch verkürzt werden (Feil § 17 ZustG Rz 11). Damit macht eine sofortige Rücksendung des Zustellstücks durch das Postamt an das Gericht (OLG Wien WR 415) die Zustellung ebenso unwirksam wie die Verweigerung der Herausgabe der hinterlegten Sendung durch das Postamt während dieser Frist (aA VwGH AnwBl 1993, 949 [krit Arnold]: nur ein Wiedereinsetzungsgrund), weil der Empfänger in beiden Fällen keine Möglichkeit zur Behebung hatte. Nach Auffassung des OLG Wien (ARD 4812/32/97) soll es in letzterem Fall offensichtlich auf die Ausbildung und das Durchsetzungsvermögen des Empfängers ankommen, ob ihm vorgeworfen werden könnte, dass er sich nicht Gewissheit über den Inhalt des zugestellten Schriftstücks verschafft hat. Unwirksam macht die Hinterlegung auch der Umstand, dass das Zustellstück wegen Verlusts beim Postamt vom Empfänger nicht behoben werden kann (7 Ob 773/79, 8 Ob 106/03a; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 17 ZustG] Rz 13). Dass der Empfänger, etwa ein Asylwerber, das für ihn beim Zustellpostamt hinterlegte Zustellstück nicht beheben konnte, weil er sich nicht auszuweisen vermochte, berührt die Gesetzmäßigkeit der Zustellung hingegen nicht (VwGH ÖJZ 2002/44 A). 7

Ist die Zustellung durch Hinterlegung vorschriftsmäßig erfolgt, dann gilt grundsätzlich der Tag der Hinterlegung als Zustelltag (1 Ob 92/63, EvBl 1971/217, SZ 53/26 = RZ 1981/6, 8 ObA 184/ 98m), also als fristenauslösendes Ereignis (vgl bei §§ 124–126; OLG Linz 1 R 185/00g). Dies gilt aber nur, wenn das zuzustellende Schriftstück noch am Tag des (bei Eigenhandzustellung zweiten) Zustellversuchs beim Postamt zur Abholung bereitgehalten wird (1 Ob 657/87, 11 Os 38/89, 8 Ob 546/90, 14 Os 92/93, 9 Ob A 297/ 00t = RdW 2001/574, 8 Ob 106/03a), uzw jedenfalls ab 14 Uhr (1 Ob 657/87). Sonst ist der erste Abholtag maßgeblich (Beginn der Abholfrist; Fasching Rz 537; Rechberger/Simotta Rz 328; offensichtlich generell für diesen Tag 7 Ob 38/02t, 7 Ob 220/03h, 9 Ob 85/ 03w, 10 Ob 27/05a). Fristen beginnen dann mit dem jeweils nächsten Tag zu laufen (11 Os 38/89, 2 Ob 504/90, 14 Os 92/93; OLG Linz 1 R 185/00g). 718

§ 87 (§ 17 ZustG)

1.2 Verfahren 8

Da nach Abs 3 – diese Regelung entspricht dem § 16 Abs 5 ZustG bei der Ersatzzustellung – eine Zustellung durch Hinterlegung nicht rechtswirksam ist, wenn der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, ist eine Hinterlegung nur dann als ordnungsgemäß (und mit dem Tag der Hinterlegung fristenauslösend) anzusehen, wenn der Empfänger durch den Zustellvorgang nicht erst später die Möglichkeit erhalten hat, in den Besitz der Sendung zu kommen, als dies bei einem großen Teil der Bevölkerung infolge deren Berufstätigkeit der Fall gewesen wäre (vgl dazu ausführlich bei § 16 ZustG). Diese Heilungsmöglichkeit nach § 17 Abs 3 ZustG ist auch bei Zustellungen zu eigenen Handen (§ 21 ZustG) zu bejahen und davon unabhängig, ob der Empfänger beim ersten Zustellversuch ortsanwesend oder ortsabwesend war (SZ 66/68 = EvBl 1994/10, 3 Ob 6/95, 9 ObA 101/95, 1 Ob 23/97g, 7 Ob 180/98s, 9 ObA 5/ 03f). Vgl hiezu auch bei § 16 ZustG. Konnte der Empfänger von der Hinterlegung allerdings rechtzeitig Kenntnis erlangen, kann er durch nachträgliches Verlassen der Abgabestelle die eintretende gesetzliche Zustellwirkung des Abs 3 Satz 3 ZustG nicht beeinflussen (UVS Wien ZUV 2005/2; LGZ Wien EFSlg 109.569). Die Hinterlegung ist rechtswirksam, wenn der Empfänger noch am Hinterlegungstag, der zugleich auch als erster Abholtag festgelegt worden ist, an die Abgabestelle zurückkehrte, eine tatsächliche Abholung im Hinblick auf den Dienstschluss des Hinterlegungspostamts aber nicht mehr möglich war (Fasching Rz 537; SZ 57/34; vgl auch Rechberger/Simotta Rz 331; Schwaighofer, AnwBl 1983, 379; ders, RdW 1984, 368 [samt Hinweisen auf ggt Auffassungen in der Lit]; Ballon Rz 165). Nicht wirksam ist sie hingegen, wenn der Empfänger nicht spätestens an dem der Hinterlegung nächstfolgenden Werktag die Möglichkeit hatte, die Sendung zu beheben (JUS 1993/Z/1297; LG Salzburg 21 R 380/03h; vgl auch VwGH AnwBl 1992, 915; aA VwGH AnwBl 1992, 424 [abl Arnold]). Hatte er zwar diese Möglichkeit, lag jedoch ein Wochenende zwischen dem ersten Tag der Abholfrist und dem nächstfolgenden Werktag, ist die Hinterlegung dennoch unwirksam (5 Ob 513/93, 2 Ob 265/97b; aA Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 17 ZustG] Rz 23; VwGH ZfVB 2001/724). Vgl zur Frage der „rechtzeitigen“ Rückkehr auch bei § 16 ZustG.

9

War die Hinterlegung infolge Ortsabwesenheit des Empfängers gesetzwidrig, heilt die dennoch vorgenommene Zustellung im Hinblick auf § 7 ZustG erst, wenn das Zustellstück dem Empfänger tatsächlich zukommt (EvBl 1989/85, 7 Ob 647/92, 2 Ob 568/94, 719

§ 87

Gitschthaler

1 Ob 23/97y, 7 Ob 29/97h, RdW 1998, 676). Auf den Zeitpunkt einer allfälligen Rückkehr des Empfängers während der Abholfrist kommt es dabei nicht an (vgl etwa VwGH ARD 5338/36/2002). Ist der Empfänger bloß vorübergehend abwesend, gilt die Zustellung mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag als bewirkt, an dem das Zustellstück behoben werden könnte, also dem nächsten Werktag (vgl VwGH SWK 1997, R 145). Voraussetzung ist aber weiters, dass dieser Tag noch innerhalb der Abholfrist liegt (ARD 4721/38/1995; OLG Wien ARD 5076/35/1999; LGZ Wien AnwBl 1984, 290 [Schwaighofer]; VwGH ÖJZ 1985, 572/A 399, ZfVB 1998/1715; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 17 ZustG] Rz 23). Dieser Tag ist dann fristenauslösend (vgl 11 Os 38/89, 2 Ob 504/90, 14 Os 92/93; aA offensichtlich VwGH SWK 1997, R 145). Voraussetzung ist daher die Rückkehr des Empfängers spätestens am vorletzten Tag der Abholfrist (SZ 57/34, SZ 60/131 = MR 1988, 26 [krit Rechberger]), weil dem Empfänger zur Behebung der Sendung noch ein voller Tag der Abholfrist zur Verfügung stehen muss (SZ 60/131; LGZ Wien MietSlg 40.824; LGZ Graz MietSlg 41.593; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 17 ZustG] Rz 24). Eine Sanierung der zufolge Ortsabwesenheit unwirksamen Zustellung erfolgt jedoch nicht, wenn der Empfänger keine subjektive Möglichkeit hatte, das hinterlegte Schriftstück zu beheben, etwa weil keine Hinterlegungsanzeige mehr vorhanden gewesen war (LGZ Wien MietSlg 45.758, 46.715 mwN). Erfolgt die Rückkehr überhaupt erst nach Ablauf der Abholfrist, scheidet eine Zustellung durch Hinterlegung von Vorneherein aus (Ballon Rz 165), weil der Empfänger die Sendung nicht mehr beheben kann. Kenntnis bedeutet nämlich nicht nur Kenntnis vom Zustellvorgang an sich, sondern auch die Möglichkeit, Kenntnis vom Zustellstück zu erhalten (OLG Linz ÖJZ-LSK 1985/20). Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn der Empfänger nur kurzfristig zurückkehrt (SZ 60/74 = RdW 1987, 374; aA VwGH ZfVB 1988/2266). Maßgeblich ist aber, ob die Abholung der Sendung beim Postamt möglich gewesen wäre (VwGH JUS 2003/ 3994). 10 Die Ergebnislosigkeit von Erhebungen über den Zeitpunkt der Rückkehr zur Abgabestelle wirkt zugunsten desjenigen, dem gegenüber die Zustellung nicht wirksam sein soll (7 Ob 180/98s, 10 ObS 346/02h = ARD 5382/16/2003). Kann daher etwa die Behauptung eines Zustellempfängers, zur Zeit der Zustellung unter der betreffenden Anschrift unerreichbar gewesen zu sein, nicht wi720

§ 87 (§ 18 ZustG)

1.2 Verfahren

derlegt werden, ist die postamtliche Hinterlegung zwar grundsätzlich ohne Zustellwirkung (RZ 1974/7 = EvBl 1974/147, 13 Os 165/ 74), die Partei ist allerdings schon verpflichtet, einer Aufforderung der Behörde zur Mitwirkung an der Ermittlung des zur Beurteilung der Wirksamkeit der Zustellung maßgebenden Sachverhalts nachzukommen, liegt es doch in der Natur der Sache, dass der Partei allein konkrete Unterlagen über ihre Ortsabwesenheit bekannt und zugänglich sind (VwGH ZfVB 1995/690, ARD 5235/57/2001, ZfVB 2002/576). Die bloße Behauptung, eine Hinterlegungsanzeige bei der Rückkehr nicht vorgefunden zu haben, reicht von Vorneherein ebenso wenig aus, die Angaben des Zustellers im Rückschein zu entkräften (VwGH ARD 4613/58/1994, ZfVB 1997/2163, ARD 5338/34/2002; LGZ Wien 44 R 275/01v), wie die Behauptung, ortsabwesend gewesen zu sein (3 Ob 60/04a). Derartige Behauptungen lösen noch keine Prüfungspflicht der Behörde aus; maßgeblich bleibt der Akteninhalt (3 Ob 60/04a). Elektronische Bereithaltung § 17a. Aufgehoben [Eingefügt durch BGBl I 2002/65; wieder aufgehoben durch E-GovG] 1

Diese Bestimmung hatte im Bereich des Gerichtsbetriebs im Hinblick auf die leges speziales der §§ 89a ff GOG (vgl bei § 74 ZPO) ohnehin keinen Anwendungsbereich (Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 17a ZustG] Rz 2). § 18. (1) Hält sich der Empfänger nicht regelmäßig (§ 17 Abs 1) an der Abgabestelle auf, so ist die Sendung an eine andere inländische Abgabestelle nachzusenden, wenn sie 1. durch Organe der Post zugestellt werden soll und nach den für die Beförderung von Postsendungen geltenden Vorschriften die Nachsendung vorgesehen ist; 2. durch Organe der Behörde oder einer Gemeinde zugestellt werden soll, die neue Abgabestelle ohne Schwierigkeit festgestellt werden kann und im örtlichen Wirkungsbereich der Behörde oder der Gemeinde liegt. (2) Sendungen, deren Nachsendung durch einen auf ihnen angebrachten Vermerk ausgeschlossen ist, sind nicht nachzusenden. [Stammfassung] 721

§ 87

Gitschthaler

1

Eine Verpflichtung zur Einrichtung eines Nachsendeauftrags nach § 205 PostO besteht nicht, weshalb aus § 18 ZustG auch nicht geschlossen werden kann, dass bei Nichteinrichtung eines Nachsendeauftrags und längerer Abwesenheit des Empfängers von der Abgabestelle – etwa entgegen §§ 16, 17 ZustG – eine Ersatzzustellung oder eine Hinterlegung vorgenommen werden dürften (SZ 60/226 = EvBl 1988/22, 1 Ob 23/97g; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 18 ZustG] Rz 9).

2

Im Falle der Nachsendung wird die Zustellung an der Nachsendeadresse bewirkt, dies allerdings nur dann, wenn sich dort auch tatsächlich eine Abgabestelle befindet (vgl § 2 ZustG; OLG Wien 4 R 125/95; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 18 ZustG] Rz 9). Nach dem Wortlaut des § 18 (vgl auch Gaisbauer, ÖGZ 1984, 457; Ritz, BAO § 18 ZustG Rz 3; Feil § 18 ZustG Rz 4) soll eine Nachsendung nur zulässig sein, wenn die bisherige Abgabestelle noch nicht aufgegeben wurde. Regelfall wird aber sein, dass der Empfänger verzogen ist (und damit die Abgabestelle aufgegeben hat) und ein Nachsendeauftrag besteht. Wird das Zustellstück an die neue Abgabestelle tatsächlich nachgesendet, kann dort entgegen dem zu engen Wortlaut des § 18 ZustG ordnungsgemäß zugestellt werden (vgl HG Wien 1 R 27/97k; aA Feil § 18 ZustG Rz 4). Jede andere Auslegung wäre völlig praxisfremd und übertrieben formalistisch (idS nun wohl auch Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 18 ZustG] Rz 7). § 19. (1) Sendungen, die weder zugestellt werden können noch nachzusenden sind oder die zwar durch Hinterlegung zugestellt, aber nicht abgeholt worden sind, sind der Behörde zurückzustellen. (2) Auf der Sendung ist der Grund der Zurückstellung zu vermerken. [Stammfassung]

1

Wird ein zurückzustellendes Schriftstück dennoch in den Briefkasten des Empfängers eingeworfen, ist die Zustellung unwirksam (VwGH Zl 2887/78; Feil § 19 ZustG Rz 5). Vgl ausführlich auch Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 (§ 19 ZustG). § 20. (1) Verweigert der Empfänger oder ein im gemeinsamen Haushalt mit dem Empfänger lebender Ersatzempfänger die Annahme ohne Vorliegen des in § 13 Abs 5 genannten oder eines 722

§ 87 (§ 20 ZustG)

1.2 Verfahren

anderen gesetzlichen Grundes, so ist die Sendung an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, nach § 17 ohne die dort vorgesehene schriftliche Verständigung zu hinterlegen. (2) Zurückgelassene Sendungen gelten damit als zugestellt. (3) Wird dem Zusteller der Zugang zur Abgabestelle verwehrt, verleugnet der Empfänger seine Anwesenheit, oder läßt er sich verleugnen, so gilt dies als Verweigerung der Annahme. [Stammfassung] 1

Unter Annahme versteht man die tatsächliche, körperliche Übergabe. Wird diese verweigert, ist § 20 ZustG anzuwenden; wird hingegen die Bestätigung der Übernahme verweigert, kommt § 22 ZustG zu Anwendung (Feil § 20 ZustG Rz 4; vgl auch bei § 22 ZustG). Erklärt der Empfänger seine Weigerung erst nach Bestätigung der Übernahme des Zustellstücks, ist analog § 20 ZustG vorzugehen (9 ObA 17/96; Fasching Rz 540), wobei der in § 22 Abs 2 ZustG vorgesehene Vermerk zu entfallen hat und das Zustellstück an der Abgabestelle zurückzulassen ist. Nach wirksamer Zustellung ist eine Annahmeverweigerung nicht mehr möglich (Stumvoll in Fasching/ Konecny II/2 Anh § 87 [§ 20 ZustG] Rz 6).

2

Die Rechtsfolgen einer Annahmeverweigerung nach § 20 ZustG treten nur dann ein, wenn die Zustellung an einer Abgabestelle des Empfängers versucht wurde (EvBl 1989/85) und der Zustellvorgang an sich ordnungsgemäß wäre (Feil § 20 ZustG Rz 7). Fehlt daher eine ausreichende Individualisierung des Empfängers etwa aufgrund von Namensgleichheit unter gleicher Anschrift, entfaltet eine „Annahmeverweigerung“ keine Rechtswirkungen (VwGH ZfVB 1988/ 1144). Eine unvollständige und/oder unrichtige Anschrift des Empfängers berechtigt ihn aber nur dann zur Verweigerung, wenn dieser Fehler die Identifizierung des (richtigen) Empfängers zumindest sehr erschweren oder gar vollständig ausschließen würde (8 Ob 643/87), eine unrichtige Schreibweise des Namens des Empfängers nur dann, wenn für diesen nicht erkennbar sein muss, dass das Schriftstück für ihn bestimmt ist (GlUNF 3075; LGZ Wien RZ 1935, 124, EvBl 1934/433, Arb 4834), also nicht auch bei bloß geringfügiger Abweichung der Schreibweise (vgl LGZ Wien WR 413). Wurde eine GmbH in eine AG umgewandelt, so soll die Zustellung auch unter der Bezeichnung GmbH als bewirkt gelten (VwGH ÖJZ 1991, 214), was aber im Hinblick auf die Änderung der Rechtspersönlichkeit zumindest als bedenklich erscheint. Vgl dazu ausführlich auch Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 (§ 20 ZustG) Rz 14. 723

§ 87

Gitschthaler

3

Im Falle einer Annahmeverweigerung durch den Empfänger kann von einer gültigen Zustellung zwar grundsätzlich nur dann ausgegangen werden, wenn das Zustellorgan das Schriftstück auch tatsächlich an der Abgabestelle zurücklässt (VwGH Zl 91/05/0137; aA 8 ObA 295/95 = SZ 68/167 = RdW 1996, 117). Ist dies jedoch nicht möglich, dann hat das Zustellorgan das Schriftstück zu hinterlegen (Abs 1), wobei die Frage, ob die Zurücklassung möglich ist oder nicht, das Zustellorgan selbst im Einzelfall zu beurteilen hat (8 ObA 295/95 = SZ 68/167). Es soll dabei nicht vorgesehen sein, dass die zustellende Behörde später diese „Bedingung“ der Unmöglichkeit nachzuprüfen und die Rechtswirksamkeit der Zustellung davon abhängig zu machen hätte (SZ 68/167 = RdW 1996, 117; ebenso Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 20 ZustG] Rz 2, 15).

4

Die Weigerung des beklagten Staates (hier: USA), dem Rechtshilfeersuchen um Zustellung von Klage und Ladung nachzukommen, ist dem Hoheitsbereich (Staatenimmunität) zuzuordnen, weshalb eine Vorgangsweise nach § 20 ZustG nicht in Betracht kommt (8 ObA 201/00t). § 21. (1) Dem Empfänger zu eigenen Handen zuzustellende Sendungen dürfen nicht an einen Ersatzempfänger zugestellt werden. (2) Kann die Sendung beim ersten Zustellversuch nicht zugestellt werden, so ist der Empfänger schriftlich unter Hinweis auf die sonstige Hinterlegung zu ersuchen, zu einer gleichzeitig zu bestimmenden Zeit an der Abgabestelle zur Annahme des Schriftstückes anwesend zu sein. Dieses Ersuchen ist in den für die Abgabestelle bestimmten Briefkasten (Briefeinwurf, Hausbrieffach) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus-, Gartentüre) anzubringen. Zur angegebenen Zeit ist ein zweiter Zustellversuch durchzuführen. Ist auch dieser erfolglos, ist nach § 17 zu hinterlegen. [Stammfassung]

1

Hat die zustellende Behörde Eigenhandzustellung, die bewirken soll, dass der Empfänger des Zustellstücks im erhöhten Maß Gelegenheit erhält, dieses persönlich zu erhalten (VwGH ZfVB 1988/ 882; Feil § 21 ZustG Rz 3), angeordnet – wann zu eigenen Handen zuzustellen ist, ist nicht dem ZustG, sondern den einzelnen Verfahrensvorschriften zu entnehmen (JBl 1999, 333; Stumvoll in Fa724

§ 87 (§ 21 ZustG)

1.2 Verfahren

sching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 21 ZustG]) Rz 3) –, scheidet eine Ersatzzustellung nach § 16 ZustG, § 103 ZPO aus. Das Schriftstück kann aber an einen mit (schriftlicher) Spezial(post)vollmacht (GlUNF 3239, SZ 24/115 = EvBl 1951/245, 5 Ob 295/71; LGZ Wien MietSlg 30.704, 45.641; OLG Linz 2 R 154/03k; VwGH Zl 86/03/ 0228; Walter/Mayer, Zustellrecht 186; Feil § 21 ZustG Rz 5; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 106 Rz 6) ausgestatteten Vertreter zugestellt werden; eine allgemein zur Empfangnahme aller Poststücke erteilte Vollmacht genügt dabei nicht. Auch eine mündliche Ermächtigung des Empfängers gegenüber dem Zustellorgan, für ihn bestimmte Poststücke einer bestimmten Person auszufolgen, entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen nach § 21 ZustG (vgl SZ 52/128, 1 Ob 793/82). Hingegen kann aber ein Rechtsanwalt seine diesbezügliche Vollmacht im Substitutionsweg nach § 14 RAO an einen anderen Rechtsanwalt übertragen (Ds 6/76). Der Widerruf einer derartigen Postvollmacht bedarf eines actus contrarius (OLG Linz 2 R 154/03k), dh der Schriftform (SZ 52/128, 1 Ob 793/82). Solange die Postvollmacht nicht (gesetzmäßig) widerrufen ist, muss sich der Vollmachtgeber den Empfang einer Sendung durch den mit Postvollmacht Ausgestatteten anrechnen lassen (OLG Linz 2 R 154/03k; vgl auch EvBl 1964/29, 4 Ob 88/81). 2

Bei Unmöglichkeit einer unmittelbaren Zustellung an den Empfänger ist zweimal ein Zustellversuch, uzw an verschiedenen Tagen (GlUNF 5287; VwGH ÖJZ 1988, 188/A 233 uva; Feil § 21 ZustG Rz 7; Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht Rz 217; aA EvBl 1963/345 [wenn nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge anzunehmen ist, dass der Empfänger die Aufforderung befolgen kann]), vorzunehmen. Der Empfänger ist vor dem zweiten Versuch zu ersuchen, zu dieser gleichzeitig zu bestimmenden Zeit (gemeint ist nicht die Uhrzeit, sondern der Tag [VwGH ARD 4905/20/98; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 21 ZustG]) Rz 9]) anwesend zu sein. Diese Aufforderung sollte sich nach älterer Rsp (SZ 41/184; LGZ Wien MietSlg 36.837, 36.836; OLG Linz Arb 11.437) begrifflich nur an eine physische Person richten können, nach jüngerer Rsp jedoch auch an eine juristische Person, wenn diese der Empfänger ist (8 ObA 184/98m, RZ 1999/53; VwGH JUS 1991/681; ebenso Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 21 ZustG]) Rz 7). Zur Rechtswirksamkeit der Hinterlassung eines derartigen Ersuchsschreibens vgl bei § 17 ZustG. Die Ankündigung des zweiten Zustellversuchs ist unwirksam, wenn sich aus der Aufforderung nicht ergibt, welche Behörde welchem Empfänger ein behördliches Schriftstück zuzustellen beabsichtigt (VwGH JUS 725

§ 87

Gitschthaler

A/476). Wurde bereits beim ersten Zustellversuch eine Hinterlegungsanzeige und nicht ein Ersuchen um Anwesenheit beim zweiten Versuch zurückgelassen, ist der Zustellvorgang mangelhaft geblieben; die Zustellung gilt in diesem Fall erst mit dem tatsächlichen Zukommen des Zustellstücks als bewirkt (§ 7 ZustG; vgl 7 Ob 147/ 56, 12 Os 92/90; OLG Linz 12 R 199/98s; VwGH ÖStZ 1987, 244; Feil § 21 ZustG Rz 7). 3

War der Empfänger beim ersten Versuch ortsabwesend (vgl dazu § 13 Abs 5 ZustG und bei § 16 ZustG), scheidet eine Hinterlegung grundsätzlich aus (Walter/Mayer, Zustellrecht 116; Feil § 21 ZustG Rz 7 und § 106 ZPO Rz 5; VwGH ZfVB 1987/765, ÖJZ 1988, 58/A 106, ecolex 1991, 656 [zust Perthold-Stoitzner]; SZ 19/193, 24/51). Dies gilt aber dann nicht, wenn der Empfänger vor dem zweiten Zustellversuch noch so rechtzeitig an die Abgabestelle zurückkehrt, dass er von diesem Kenntnis erlangt (SZ 66/68 = EvBl 1994/10, 3 Ob 6/95, 7 Ob 180/98s; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 21 ZustG]) Rz 21; aA VwGH ÖJZ 1992, 71/A 76; JUS A/476).

4

Da der beim ersten Versuch nicht ortsabwesende Empfänger an einer wirksamen Zustellung mitzuwirken hat, scheidet lediglich bei objektiver Unmöglichkeit der Ortsanwesenheit des Empfängers beim zweiten Versuch eine Hinterlegung aus (OLG Wien WR 204; HG Wien WR 582; LGZ Wien MietSlg 45.759; vgl auch 5 Ob 599/90, 6 Ob 502/91, SZ 65/127, ecolex 1998, 209 [Wilhelm]). Ein Verhalten eines Mitarbeiters des Empfängers, das dazu geführt hat, dass der Empfänger vom zweiten Zustellversuch keine Kenntnis hatte, macht daher eine Zustellung durch Hinterlegung nicht unwirksam (ARD 4721/38/96). Dies gilt etwa auch bei einem Urlaubsantritt des Empfängers zwischen den beiden Zustellversuchen (LGZ Wien MietSlg 45.759; zur Problematik einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vgl bei § 146 und HG Wien WR 700), nicht aber bei einer zwingenden Dienstreise (OLG Wien WR 204). Maßgeblich ist, ob der Empfänger einen triftigen Grund hatte, nicht anwesend zu sein (ecolex 1998, 209 [Wilhelm]), wobei die Beurteilung dieser Umstände eine Frage des Einzelfalls ist (9 Ob 46/97s, 9 ObA 5/03f; idS auch Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 21 ZustG]) Rz 22). Nach einzelnen Entscheidungen des OGH (SZ 60/132 = AnwBl 1988, 165 ua) soll unabhängig von den Gründen eine Hinterlegung bei Ortsabwesenheit des Empfängers beim zweiten Zustellversuch immer unzulässig und nach jenen des VwGH (ZfVB 1987/765, ecolex 1991, 68, ecolex 1991, 656 uva) unabhängig von den Gründen 726

§ 87 (§ 22 ZustG)

1.2 Verfahren

eine Hinterlegung bei Ortsabwesenheit des Empfängers beim zweiten Zustellversuch immer zulässig sein. 5

Scheitert auch der zweite Zustellversuch, ist das Zustellstück nach § 17 ZustG zu hinterlegen (vgl dazu und zur Hinterlegungsanzeige bei § 17 ZustG). Sind die Zustellversuche und die Hinterlegung vorschriftsmäßig erfolgt, dann gilt im Hinblick auf die Anordnung des § 17 Abs 3 ZustG jener Tag als Zustelltag, an dem das Zustellstück erstmals zur Abholung bereit gehalten wurde („erster Tag der Abholfrist“ [14 Os 92/93]; aA 1 Ob 92/63, EvBl 1971/217, 7 Ob 226/70, 8 ObA 184/98m [Tag der Hinterlegung]). Dieser ist dann als fristenauslösendes Ereignis anzusehen (vgl bei §§ 124–126). Bei einer gesetzwidrigen Zustellung kommt es jedoch nur darauf an, wann das zuzustellende Schriftstück dem Empfänger tatsächlich zugekommen ist, wann er es also tatsächlich erhalten hat (7 Ob 405/56, SZ 27/39 = EvBl 1954/100, RdW 1994, 177 = ARD 4561/31/94, 8 Ob 2090/96b). § 22. (1) Die Zustellung ist vom Zusteller auf dem Zustellnachweis (Zustellschein, Rückschein) zu beurkunden. (2) Der Übernehmer der Sendung hat die Übernahme durch Unterfertigung des Zustellnachweises unter Beifügung des Datums und, soweit er nicht der Empfänger ist, seines Naheverhältnisses zu diesem zu bestätigen. Verweigert der Übernehmer die Bestätigung, so hat der Zusteller die Tatsache der Verweigerung, das Datum und gegebenenfalls das Naheverhältnis des Übernehmers zum Empfänger auf dem Zustellnachweis zu vermerken. (3) Der Zustellnachweis ist unverzüglich an die Behörde zurückzusenden. [Stammfassung]

1

Für die Rechtswirksamkeit einer Zustellung ist ua (vgl bei § 87) auch die Beurkundung der Zustellung (Fasching Rz 522) durch das Zustellorgan notwendig. Dabei sind Poststempel und Postparafe des Postzustellers ebenso anzubringen (vgl VwGH AnwBl 1991, 923 [Arnold]) wie das Datum der Zustellung (vgl auch Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 22 ZustG] Rz 9). Nach der Rsp kann allerdings auch ein internationaler Rückschein eine Bestätigung über die erfolgte Zustellung darstellen (VwGH ZfVB 1986/ 389, ZfRV 1996/77, ZfVB 1999, 246; 10 Ob 2148/96x), obwohl in diesem Fall häufig die Unterschrift des Zustellers fehlt (Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 22 ZustG] Rz 3, 5). Einem 727

§ 87

Gitschthaler

Schreiben „per EMS“ kann hingegen kein Nachweis einer ordnungsgemäßen Zustellung entnommen werden (LGZ Wien 43 R 230/04y). 2

Die vom Zustellorgan erstellten Zustellnachweise sind öffentliche Urkunden, die den Beweis erbringen, dass die Zustellung vorschriftsmäßig erfolgt ist (1 Ob 137/05m). Ist daher auf einem Zustellschein unter der Übernahmebestätigung (neben einer unleserlichen Unterschrift) das Kästchen für „Empfänger“ angekreuzt und geht die Behörde deshalb davon aus, dass der Empfänger das Schriftstück persönlich übernommen hat, kommt seinem Vorbringen, am Zustellort hätte mangels seiner „Ansässigkeit“ keine Zustellung erfolgen dürfen, keine Relevanz zu (VwGH ARD 5275/33/ 2002). Die Vermutung der vorschriftsmäßigen Zustellung ergibt sich auch dann, wenn auf dem Rückschein das Vorhandensein einer Postbevollmächtigung aufscheint (VwGH ZfVB 2001/1039), desgl hinsichtlich des Zustelldatums (VwGH ÖStZB 2003/295). Dies alles setzt jedoch einen die gehörige äußere Form aufweisenden Zustellnachweis voraus (VwGH ÖStZB 2003/295). Fehlt daher auf dem Rückschein die Beurkundung durch das Zustellorgan, ist er also nicht vollständig und mängelfrei (LGZ Wien 44 R 275/01v; VwGH ZfVB 2002/573), liegt gar kein Zustellnachweis, für den die Vermutung der Richtigkeit und der Vollständigkeit sprechen würde, vor. Wird in einem solchen Fall die Zustellung bestritten, hat die Behörde die Tatsache und den Zeitpunkt der Zustellung nachzuweisen (VwGH Zl 93/18/0109). Das Fehlen einer schriftlichen Übernahmebestätigung soll hingegen nur die Frage des Nachweises der Ausfolgung des Schriftstücks berühren, jedoch nicht zur Rechtsunwirksamkeit der Zustellung durch Ausfolgung führen (VwGH ZfVB 1994/1171, ZfVB 2003/1376).

3

Die Behörde hat von Amts wegen auf allfällige Unrichtigkeiten der Beurkundung der Zustellung Bedacht zu nehmen (EFSlg 46.983; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 22 ZustG] Rz 8; vgl allgemein zur Amtswegigkeit des Zustellwesens bei auch bei § 87 ZPO). Die Behörde kann in diesem Zusammenhang etwa auch die Richtigstellung eines auf dem Zustellnachweis irrig angegebenen Zustelldatums vornehmen (RZ 1977/26, 3 Ob 95/95, 3 Ob 288/97t, 2 Ob 64/99x). Jedenfalls hat sie Erhebungen einzuleiten, wenn etwa in einem Rechtsmittel ein Zustelldatum behauptet wird, welches vom Rückschein abweicht, weil in diesem Fall der Rückschein keine unbedenkliche Urkunde mehr darstellt (vgl 4 Ob 165/05a). 728

§ 87 (§ 22 ZustG)

1.2 Verfahren 4

Auch bei unbedenklichem Zustellnachweis steht der Partei der Gegenbeweis nach § 292 offen (RZ 1970, 221, RZ 1977/26, SZ 66/68 = EvBl 1994/10, 7 Ob 2026/96h, 5 Ob 217/01z, 3 Ob 60/04a, 1 Ob 137/05m; VwGH VwSlg 10.687 A, AnwBl 1991, 923, Zl 96/5/0054, 0055, ÖStZB 2001/197, SWK 2003, R 41; ebenso etwa LG Linz EFSlg 94.488; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 22 ZustG] Rz 6, 7). Dazu bedarf es konkreter Darlegungen und eines entsprechenden Beweisanbots (VwGH ARD 5275/33/2002; 1 Ob 282/03g, 3 Ob 60/04a). Werden Zustellmängel behauptet, die nicht offenkundig sind, müssen sie außerdem erwiesen werden (VwGH ZVR 1980/69; RZ 1977/26, EFSlg 46.983, RPflSlgE 1993/122; SZ 66/68 = EvBl 1994/10; OLG Linz 2 R 146/00d; Feil § 7 ZustG Rz 15). Die Behörde ist bei Prüfung und Ermittlung der von Amts wegen festzustellenden Tatsachen nicht an die strengen Formen des Beweisverfahrens gebunden. Es kann sich daher auch mit einer schriftlichen Auskunft des Zustellorgans (nicht jedoch des Postamtsleiters) begnügen (teilw aA Feil § 22 ZustG Rz 6 unter Hinweis auf VwGH Zl 85/10/0134, 0135). Sie hat kraft Inquisitionsmaxime nicht nur die Möglichkeit, sondern sogar die Pflicht, ohne oder auch gegen allfällige Parteienanträge die erforderlichen Tatumstände festzustellen (vgl 5 Ob 541/89). Daher gilt auch kein Neuerungsverbot (7 Ob 154/01z = wobl 2002/51, 3 Ob 202/03g), die Parteien sind zu hören, die Verfahrensergebnisse sind ihnen vor der Entscheidung bekannt zu geben (OLG Linz 2 R 228/04v). Hat die Partei Bescheinigungsmittel dafür angeboten, dass die Zustellung nicht ordnungsgemäß erfolgt ist, sind diese – bei sonstiger Mangelhaftigkeit des Verfahrens – auch aufzunehmen (LG Linz 15 R 212/03g). Die Erhebungspflichten gelten auch für den OGH (4 Ob 14/78, 6 Ob 711/78), obwohl dieser an sich keine Tatsacheninstanz ist (und deshalb in der Praxis auch dem Erstgericht die entsprechenden Erhebungen aufträgt). Vgl dazu auch Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 87 Rz 5.

5

Kann die Behauptung der Prozess- und Handlungsunfähigkeit von der Behörde nicht mit Sicherheit widerlegt werden, hat die an sich erfolgte „Zustellung“ keine Rechtswirkungen nach sich gezogen (LGZ Wien MietSlg 47.710). In der Praxis wird es allerdings idR zu einer Heilung nach § 7 ZustG gekommen sein, wenn die Beurkundung mangelhaft ist. In einem solchen Fall berührt dann eine mangelnde oder mangelhafte Beurkundung einer Zustellung ihre Gültigkeit tatsächlich nicht (idS wohl 14 Os 74/92). Bleiben letztlich Zweifel an der Rechtswirksamkeit einer Zustellung, dann 729

§ 87

Gitschthaler

geht dies zu Lasten der Behörde (HG Wien WR 581; idS auch 10 Ob 221/92, SSV-NF 6/152, SZ 68/54) und hat daher etwa ein Rechtsmittel die Vermutung der Rechtzeitigkeit für sich (LGZ Wien 42 R 371/03z). 6

Die Verweigerung der Unterschrift auf der Übernahmsbestätigung berührt die Rechtswirksamkeit der Zustellung durch Ausfolgung nicht (VwGH ZfVB 1994/1171; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 22 ZustG] Rz 13). Ist der Empfänger zur Unterfertigung nicht fähig, ist nach § 164 PostO ein Zeuge beizuziehen (vgl dazu ausführlich auch Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 22 ZustG] Rz 14). § 23. (1) Hat die Behörde auf Grund einer gesetzlichen Vorschrift angeordnet, daß eine Sendung ohne vorhergehenden Zustellversuch zu hinterlegen ist, so ist diese sofort beim Postamt, beim Gemeindeamt oder bei der Behörde selbst zur Abholung bereitzuhalten. (2) Die Hinterlegung ist vom Postamt oder vom Gemeindeamt auf dem Zustellnachweis, von der Behörde auch auf andere Weise zu beurkunden. (3) Soweit dies zweckmäßig ist, ist der Empfänger durch eine an die angegebene inländische Abgabestelle zuzustellende schriftliche Verständigung oder durch mündliche Mitteilung an Personen, von denen der Zusteller annehmen kann, daß sie mit dem Empfänger in Verbindung treten können, von der Hinterlegung zu unterrichten. (4) Die so hinterlegte Sendung gilt mit dem ersten Tag der Hinterlegung als zugestellt. [Stammfassung]

1

Die Anordnung einer Zustellung ohne vorhergehenden Zustellversuch an der Abgabestelle des Empfängers kann nur von der zustellenden Behörde, nicht aber vom Zustellorgan getroffen werden (Feil § 23 ZustG Rz 3; VwGH Zl 91/15/0098, 0099). Dabei kommen als gesetzliche Vorschriften iSd Abs 1 §§ 8 und 10 ZustG (s Näheres dort) in Betracht. Eine Zustellung ohne Zustellversuch bedeutet dabei keinen bloßen Formalakt, sondern es soll dadurch dem Empfänger die Möglichkeit geboten werden, sich durch regelmäßiges Nachfragen beim bisher zuständigen Postamt im Falle des § 8 ZustG oder bei der Behörde im Falle der §§ 8, 10 ZustG über allfällige Hinterlegungen zu informieren und hinterlegte Schrift730

§ 87 (§ 24 ZustG)

1.2 Verfahren

stücke auch tatsächlich zu beheben (vgl OLG Wien 12 R 268/86). Damit setzt diese Zustellart eine tatsächliche Hinterlegung voraus, welche bei sofortiger Rücksendung des Schriftstücks an die Behörde nicht erfüllt ist (VwGH ZfVB 2000/328). Eine Zustellung durch Hinterlegung ohne Zustellversuch kann rechtswirksam nicht durch eine Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung nach § 25 ZustG, § 115 ZPO ersetzt werden, weil es sich dabei um völlig verschiedene Arten der Zustellung handelt. Daran vermag auch nichts zu ändern, dass einer öffentlichen Bekanntmachung eine größere Publizitätswirkung zukommen würde (VwGH Zl 91/ 14/0156). 2

Betreffend Abholfrist und deren Beginn ist § 17 Abs 3 ZustG sinngemäß anzuwenden (Walter/Mayer, Zustellrecht 121; Feil § 23 ZustG Rz 5; Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren2 § 23 ZustG Anm 7; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 23 ZustG] Rz 11).

3

Abs 3 stellt eine sanktionslose Ordnungsvorschrift dar, deren Missachtung auf die Rechtswirksamkeit der verfügten Zustellung durch Hinterlegung ohne Zustellversuch ohne Einfluss ist (VwGH ZfVB 1997/2190; vgl auch Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 23 ZustG] Rz 10). Unmittelbare Ausfolgung § 24. Dem Empfänger können ausgefolgt werden: 1. versandbereite Schriftstücke unmittelbar bei der Behörde; 2. Sendungen, die einer anderen Dienststelle telegraphisch, fernschriftlich, mit Telefax, im Wege automationsunterstützter Datenübertragung oder in einer anderen technisch möglichen Weise übermittelt worden sind, unmittelbar bei dieser Dienststelle. Die Ausfolgung ist von der Behörde (Dienststelle) zu beurkunden. § 22 Abs 2 und 3 gilt sinngemäß. [Neu gefasst durch BGBl I 1998/158]

1

Da § 24 ZustG idF BGBl I 1998/158 lediglich eine Klarstellung und Präzisierung der Rechtslage vor der Novelle darstellt (Walter/ Thienel, Verwaltungsverfahrensnovellen 213 unter Hinweis auf die Mat), kann grundsätzlich auf die frühere Rsp zurückgegriffen werden. § 24 ZustG ist nicht auf eigene Zustellstücke der ausfolgenden Behörde beschränkt, was sich nunmehr eindeutig aus Satz 1 Z 2 ergibt (zur früheren Rechtslage vgl schon VwGH 93/01/0016). 731

§ 87

Gitschthaler

2

Eine wirksame Zustellung nach § 24 ZustG kann nur durch Aushändigung des Zustellstücks (nicht einer Kopie desselben [VwGH ZfVB 1999/1524]) direkt an den Empfänger (oder dessen rechtsgeschäftlich Bevollmächtigten [RZ 1982/51]), nicht jedoch durch Einlegen in ein speziell für den Empfänger reserviertes Postfach mit anschließender Übermittlung auf dem Postweg (LGZ Wien WR 583) oder durch Ausfolgung an einen Ersatzempfänger nach § 16 ZustG erfolgen (vgl § 160 Abs 1 Geo; Walter/Mayer, Zustellrecht 124; Danzl § 160 Geo Anm 1; vgl auch Stumvoll in Fasching/ Konecny II/2 Anh § 87 [§ 24 ZustG] Rz 7). Nicht nach § 24 ZustG, sondern nach § 2 Z 5 vorletzte Alternative ZustG zu beurteilen ist die Ausfolgung eines zuzustellenden Schriftstücks aus Anlass und am Ort einer behördlichen Amtshandlung (Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensnovellen 213).

3

Ebenso wie bei der Ersatzzustellung hinsichtlich des Ersatzempfängers (vgl § 16 ZustG) ist auch bei unmittelbarer Ausfolgung hinsichtlich des Empfängers von einer Art „Anscheinsvollmacht“ auszugehen, welchem Gedanken § 160 Abs 1 Geo („Der Übernehmer muss dem Bediensteten [der Behörde] bekannt sein oder sich verlässlich ausweisen.“) vollauf gerecht wird (RZ 1982/51). Ist ein Rechtsanwalt als Empfänger bezeichnet, kann auch ein mit Legitimationsurkunde ausgewiesener Rechtsanwaltsanwärter, der schon wiederholt Schriftstücke für diesen Rechtsanwalt, bei dem er in Verwendung steht, bei der Behörde übernommen hat, das Zustellstück rechtswirksam übernehmen (RZ 1982/51). Bei unmittelbarer Ausfolgung eines Schriftstücks bei der Behörde an den zur Vertretung einer juristischen Person befugten Geschäftsführer ergibt sich aus der Formulierung der Beurkundung „Dieses Schriftstück wird dem Empfänger gemäß § 24 ZustG … unmittelbar ausgefolgt“ iZm dem Hinweis, dass der Empfänger zu unterschreiben habe, dass die Behörde denjenigen als Empfänger iS des § 13 Abs 3 ZustG bestimmt hat, dessen Unterschrift sie eingeholt hat. Mit der Ausfolgung des an die juristische Person gerichteten Zustellstücks an den von der Behörde als Empfänger bezeichneten Geschäftsführer gilt die Zustellung an die juristische Person als bewirkt, ohne dass es eines Hinweises auf das bestehende Vertretungsverhältnis des Empfängers zur juristischen Person bedürfte (VwGH ARD 5235/58/2001, ÖStZB 2001/357).

4

Nach der früheren Rechtslage war umstritten, ob bei Fehlen einer schriftlichen Übernahmsbestätigung oder bei deren Verweigerung durch den Empfänger der Zustellvorgang rechtswirksam war 732

§ 87 (§ 25 ZustG)

1.2 Verfahren

(VwGH Zl 92/18/0462, ZfVB 1994/1171; Ringhofer, Verwaltungsverfahrensgesetze I § 24 ZustG Anm 5; Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht Rz 226) oder nicht (VwGH Zl 2169/76 uva; Feil § 24 ZustG Rz 4). Nunmehr ist durch den Verweis auf § 22 Abs 2 ZustG klargestellt, dass die Zustellung auch dann gültig vollzogen worden ist, wenn der Empfänger zwar das Zustellstück übernommen, die Unterfertigung der Übernahmsbestätigung jedoch verweigert hat (Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensnovellen 213; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 24 ZustG] Rz 12). 5

Der Empfänger, der sich bei der Behörde einfindet, ist zur Übernahme des Schriftstücks verpflichtet (Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht Rz 226; Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensnovellen 213; VwGH Zl 88/01/0076), was eine Abweichung von § 13 Abs 5 ZustG darstellt (Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensnovellen 213). Dies gilt auch dann, wenn dies nicht im Rahmen einer Amtshandlung erfolgt (Walter/Mayer, Zustellrecht 123; Feil § 24 ZustG Rz 3; Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensnovellen 213; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 24 ZustG] Rz 8; aA Berchtold 45). Es spielt also keine Rolle, weshalb sich der Empfänger bei der Behörde aufhält (VwGH ZfVB 2003/543). Die Annahmeverweigerung ist nach § 22 Abs 2 ZustG zu beurkunden (vgl zur Annahmeverweigerung ausführlich auch Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 (§ 24 ZustG) Rz 11. § 25. (1) Zustellungen an Personen, deren Abgabestelle unbekannt ist, oder an eine Mehrheit von Personen, die der Behörde nicht bekannt sind, können, wenn es sich nicht um ein Strafverfahren handelt, kein Zustellungsbevollmächtigter bestellt ist und nicht gemäß § 8 vorzugehen ist, durch Anschlag an der Amtstafel, daß ein zuzustellendes Schriftstück bei der Behörde liegt, vorgenommen werden. Findet sich der Empfänger zur Empfangnahme des Schriftstückes (§ 24) nicht ein, so gilt, wenn gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, die Zustellung als bewirkt, wenn seit dem Anschlag an der Amtstafel der Behörde zwei Wochen verstrichen sind. (2) Die Behörde kann die öffentliche Bekanntmachung in anderer geeigneter Weise ergänzen. [Stammfassung]

1

Sind entweder die Abgabestelle einer (Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 25 ZustG] Rz 6) oder mehrerer Personen 733

§ 87

Gitschthaler

oder eine Mehrheit von Personen unbekannt, an die Zustellungen erfolgen sollen, bewirkt die Zustellung jedoch keine prozessuale Handlungspflicht des Empfängers (Fasching Rz 542; Ballon Rz 162; LGZ Wien WR 317, 430; JBl 1989, 187, 8 ObA 230/98a), ist ein Anschlag an der Amtstafel – etwaige Veröffentlichungen in Tageszeitungen oder weitere Anschläge (etwa am Gemeindeamt) sind hinsichtlich gerichtlicher Zustellungen zwar zulässig, aber für sich allein nicht rechtsfolgenauslösend (arg: … kann … [Abs 2]; vgl dazu auch Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 25 ZustG] Rz 12) – anzubringen, aus dem hervorgeht, dass das zuzustellende Schriftstück bei Gericht erliegt (Rechberger/Simotta Rz 329). Die Zustellung durch Anschlag an der Amtstafel ist aber grundsätzlich nur dann rechtmäßig, wenn die Feststellung des Adressaten auch tatsächlich und ergebnislos versucht worden ist (1 Ob 6/97g, 8 ObA 230/98a; VwGH Zl 95/04/0201; vgl auch Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht Rz 225; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 25 ZustG] Rz 7). In gerichtlichen Verfahren ist auf § 115 ZPO Bedacht zu nehmen (vgl Näheres dort). 2

Kein unbekannter Aufenthalt liegt vor, wenn sich der Empfänger lediglich auf Geschäfts- oder Urlaubsreise befindet (OLG Wien EvBl 1935/743; JBl 1989, 187), auch wenn sein dortiger Aufenthaltsort nicht bekannt ist oder wenn er als Partei während des Verfahrens unbekannt wohin verzogen ist; hier wäre nach § 8 Abs 2 ZustG vorzugehen (OLG Wien ZfRV 1975, 43 [zust Bajons]; vgl EvBl 1958/26, 5 Ob 131/62, RZ 1986/3; VwGH ZfVB 2003/1364; Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht Rz 225). Auch die Tatsache eines Auslandswohnsitzes allein ist noch kein Anwendungsfall des § 25 ZustG bzw der §§ 115, 116 ZPO (LGZ Wien EFSlg 85.265).

3

Dem tatsächlich unbekannten Aufenthalt gleichzuhalten sind die Unerreichbarkeit des Empfängers an einer vorhandenen Adresse (OLG Wien JBl 1946, 58 [zust Hunna], EvBl 1947/14; SZ 38/45 = JBl 1966, 90, JUS 1985/8, 13) oder dessen Auslandsaufenthalt ohne ständigen Wohnsitz (OLG Wien EvBl 1937/611), wenn (in beiden Fällen) keine erfolgversprechenden Möglichkeiten vorhanden sind, den tatsächlichen Aufenthaltsort zu ermitteln (vgl Fasching1 II 617, 621; LGZ Wien EFSlg 49.321, 79.179). Zum Auslandsaufenthalt s auch § 121. Ein Anwendungsfall des § 25 ZustG liegt auch vor, wenn der Empfänger auf längere Zeit verreist, nach den Umständen des Falls mit seiner Rückkehr in absehbarer Zeit nicht zu rechnen und er darüber hinaus nirgends erreichbar ist (ZBl 1932/225; OLG Wien EvBl 1934/556; LGZ Wien Arb 7988, EFSlg 82.198). 734

§ 87 (§ 26 ZustG)

1.2 Verfahren 4

Die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung ist bewirkt, wenn der Empfänger die Sendung übernimmt, spätestens aber zwei Wochen nach erfolgtem Anschlag an der Amtstafel (24.00 Uhr des 14. Tages nach dem Anschlag; vgl auch VwGH Zl 812 A). Dies gilt auch dann, wenn die Behörde eine längere Anschlagsfrist verfügt hat (VwGH Zl 1964/70; Feil § 25 ZustG Rz 6). Vgl dazu auch Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 (§ 25 ZustG) Rz 10.

5

Zur Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung in insolvenzrechtlichen Verfahren vgl § 173a KO. Die frühere Rsp, wonach der Anschlag an der Gerichtstafel die Wirkung der Zustellung hatte und Rechtsmittelfristen sowohl gegenüber dem Gemeinschuldner (5Ob 303/76, 5 Ob 308/78, ZIK 1998, 104) als auch gegenüber den Gläubigern in Gang setzte (SZ 27/281, 8 Ob 285/98i, 8 Ob 339/98f), uzw unabhängig davon, ob auch noch eine besondere Zustellung an Beteiligte erfolgt ist (ZIK 1998, 205, ZIK 1999, 22 uva), kommt nunmehr insofern zum Tragen, als die öffentliche Bekanntmachung durch Aufnahme in die Insolvenzdatei zu erfolgen hat (8 Ob 168/00i, 8 Ob 214/00d, 8 Ob 139/01a, 8 Ob 317/01b uva). Dies gilt etwa für die Konkurseröffnung, die Abweisung eines Konkursantrags mangels kostendeckenden Vermögens (ZIK 1998, 104, ZIK 1999, 22 uva), die Aufhebung des Konkurses, die Einleitung des Abschöpfungsverfahrens (8 Ob 139/01a) oder die Genehmigung des Verteilungsentwurfs (8 Ob 49/02t) sowie in allen Fällen, in denen die öffentliche Zustellung im Gesetz ausdrücklich vorgeschrieben ist (ZIK 1997, 104). Zustellung ohne Zustellnachweis § 26. (1) Wurde die Zustellung ohne Zustellnachweis angeordnet, wird das Dokument zugestellt, indem es in den für die Abgabestelle bestimmten Briefkasten (Briefeinwurf, Hausbrieffach) eingelegt oder an der Abgabestelle zurückgelassen wird. (2) Die Zustellung gilt als am dritten Werktag nach der Übergabe an das Zustellorgan bewirkt. Im Zweifel hat die Behörde die Tatsache und den Zeitpunkt der Zustellung von Amts wegen festzustellen. Die Zustellung wird nicht bewirkt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam. [neu gefasst durch BGBl I 2004/10]

1

Aus (vermeintlichen [oftmals sind nämlich Erhebungen oder nochmalige Zustellungen mit der Konsequenz der Verfahrensverzöge735

§ 87

Gitschthaler

rung notwendig]) Kostenersparnisgründen gewinnt diese Zustellart auch in gerichtlichen Verfahren zunehmende Bedeutung (vgl Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 26 ZustG] Rz 6). 2

Nach Abs 2 wird (widerleglich) vermutet, dass das Schriftstück, das von der Behörde, der Gemeinde oder dem behördlichen Zusteller übergeben worden ist, am dritten Werktag nach der Übergabe auch tatsächlich zugestellt wurde (Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensnovellen 214). Dabei handelt es sich um eine gesetzliche Vermutung, die ursprünglich durch die bloße Behauptung ihrer Unrichtigkeit gegenstandslos wurde. Jetzt wird auf – aufgrund welcher Tatsache immer – auftretende Zweifel der Zustellbehörde betreffend die Zustellung an sich oder den Zustelltag abgestellt, ohne dass dies die Forderung eines Negativbeweises durch den Empfänger beinhalten würde (vgl dazu Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 26 ZustG] Rz 12). Nach einer derartigen Behauptung (bzw nunmehr Zweifeln) hat die zustellende Behörde die Tatsache der Zustellung nachzuweisen (Feil § 26 ZustG Rz 3; Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht Rz 211; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 26 ZustG] Rz 14; VwGH Zl 297/65, ÖJZ 1986, 565, JUS A/3463, ZfVB 2001/1422). Nach Auffassung des VwGH (ÖStZB 2003/629; vgl auch ZfVB 2001/1257) muss im Falle des Misslingens dieses Beweises die Behauptung der Partei über die nicht erfolgte Zustellung auch dann als richtig angenommen werden, wenn ein den Lebenserfahrungen widersprechender Umstand nicht auszuschließen ist. Ist der Tag der Zustellung strittig, hat der vom Empfänger angegebene Tag der Zustellung so lange als der wirkliche Zustelltag zu gelten, als von der Behörde nicht die Unrichtigkeit dieser Behauptung bewiesen wird (VwGH VwSlg 6685 A, 12.365 A, JUS A/3463). § 26a. Aufgehoben [Eingefügt durch BGBl I 1998/158; wieder aufgehoben durch E-GovG] Ausstattung der Dokumente, Zustellformulare § 27. Die Bundesregierung hat durch Verordnung, soweit erforderlich, nähere Bestimmungen über 1. die Ausstattung der zuzustellenden Dokumente und 2. die Formulare für Zustellvorgänge zu erlassen. [Neu gefasst durch E-GovG] 736

§ 87 (§§ 28–37 ZustG)

1.2 Verfahren 1

Diese Verordnung wurde am 30.11.1982 erlassen (Verordnung der Bundesregierung BGBl 1982/600 über die Formulare für Zustellvorgänge [Zustellformularverordnung 1982]). Vgl dazu ausführlich Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 (§ 27 ZustG). Im Anwendungsbereich der EuZustVO betreffend Zustellungen in Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist ein eigenes Zustellformular zu verwenden (vgl Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 22 ZustG] Rz 10).

2

Ein Zustellvorgang ist nicht unwirksam, wenn das Zustellorgan nicht die in dieser VO angeführten Formulare verwendet (VwGH ÖStZB 1985, 73, Zl 82/03/0301; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 27 ZustG] Rz 7). Abschnitt III Elektronische Zustellung Aufgaben eines elektronischen Zustelldienstes § 28. (1) Ein elektronischer Zustelldienst muss jedenfalls die folgenden Dienstleistungen in der in diesem Abschnitt näher geregelten Form erbringen: 1. die Führung eines Verzeichnisses jener Personen, die mit dem Zustelldienst vertraglich vereinbart haben, dass er an sie nach den näheren Bestimmungen dieses Bundesgesetzes behördliche Dokumente zustellt; 2. das Betreiben einer technischen Einrichtung für die sichere elektronische Bereithaltung der zuzustellenden Dokumente; 3. die Ersichtlichmachung von länger dauernden Zeiten der Unerreichbarkeit an einer dem Zustelldienst gemeldeten elektronischen Adresse oder der Abwesenheit von der nach § 32 Abs 1 angegebenen Abgabestelle über Ersuchen des Betroffenen; 4. die Versendung der Verständigung an den Empfänger, dass für ihn auf der technischen Einrichtung ein Dokument zur Abholung bereit liegt; 5. die verschlüsselte Aufbewahrung und Versendung des zuzustellenden Dokuments, wenn der Empfänger die hiefür notwendigen Angaben gemacht hat; 6. die Bereitstellung eines Verfahrens zur identifizierten und authentifizierten Abholung der bereit gehaltenen Dokumente; 7. die Führung von Aufzeichnungen über den Zeitpunkt der Absendung von Verständigungen und der Abholung; 8. die Vorlage des Zustellnachweises an die Behörde; 737

§ 87

Gitschthaler

9. Beratung des Empfängers, um rasche Abhilfe bei technischen Problemen bei der Abholung von Dokumenten von der technischen Einrichtung zu schaffen; 10. gegen Ersatz der Kosten auf Verlangen des Empfängers Kopien des zuzustellenden Dokuments auf Papier oder gängigen elektronischen Speichermedien herzustellen und in geeigneter Form zu übermitteln. (2) Weitere Dienstleistungen, wie insbesondere die nachweisbare Zusendung von Dokumenten im Auftrag von Privaten, können in den Geschäftsbedingungen als fakultativer Vertragsinhalt angeboten werden. Für die nachweisbare Zusendung von Dokumenten im Auftrag von Privaten darf die Verteilerleistung (§ 30 Abs 2 Z 2) zu denselben Bedingungen wie für die Verteilung von behördlichen Dokumenten in Anspruch genommen werden. Zulassung als elektronischer Zustelldienst § 29. (1) Soweit eine Behörde nicht selbst die Aufgaben eines elektronischen Zustelldienstes wahrnimmt (behördlicher Zustelldienst) und dies dem Bundeskanzler bekannt gibt, dürfen Leistungen nach § 28 Abs 1 nur von Einrichtungen erbracht werden, die durch Bescheid des Bundeskanzlers als elektronischer Zustelldienst zugelassen wurden, nachdem sie die notwendige technische und organisatorische Leistungsfähigkeit und rechtliche, insbesondere datenschutzrechtliche Verlässlichkeit im Hinblick auf die ordnungsgemäße Erfüllung der von ihnen zu erbringenden Leistungen dargetan haben. Falls erforderlich können zur Gewährleistung der Aufrechterhaltung der Zulassungsvoraussetzungen im Bescheid Bedingungen und Auflagen erteilt werden. Der Bundeskanzler veröffentlicht im Internet die Liste der ihm gemeldeten und der von ihm zugelassenen Zustelldienste einschließlich der bei der Zulassung gemachten Auflagen und Bedingungen. (2) Die Zulassung nach Abs 1 ist durch Bescheid zu widerrufen, wenn feststeht, dass 1. eine der für die Erteilung der Zulassung erforderlichen Voraussetzungen nicht mehr erbracht wird; oder 2. ein ursprünglicher oder noch fortdauernder Mangel nachträglich hervorgekommen ist, der der Zulassung entgegengestanden wäre, und nicht behoben werden kann oder innerhalb gesetzter Frist nicht behoben wurde; oder 3. sonstige Mängel trotz Aufforderung durch den Bundeskanzler innerhalb angemessener Frist nicht behoben wurden; oder 738

§ 87 (§§ 28–37 ZustG)

1.2 Verfahren

4. ein nicht behebbarer Mangel vorliegt; oder 5. der Betrieb des Zustelldienstes nicht innerhalb eines Jahres nach rechtskräftiger Zulassung aufgenommen oder die Ausübung für einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten eingestellt wird. Nähere Umstände der Leistungserbringung § 30. (1) Den gemäß § 29 zugelassenen Zustelldiensten gebührt für die Erbringung der in § 28 Abs 1 Z 1 bis 9 bezeichneten Leistungen ein Entgelt, das von der den Zustellauftrag erteilenden Behörde zu begleichen ist. Dieses Entgelt entspricht dem Entgelt, das jener zugelassene Zustelldienst für die Zustellleistung (Abs 2 Z 1) erhält, dem nach Durchführung eines Vergabeverfahrens gemäß den Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes 2002, BGBl I Nr 99/2002, die Erbringung der Verteilerleistung (Abs 2 Z 2) und der Verrechnungsleistung (Abs 2 Z 3) zugeschlagen wurde. (2) Folgende Leistungen von Zustelldiensten sind zu unterscheiden: 1. Die Zustellleistung ist die Zustellung von Dokumenten gemäß § 28 Abs 1 Z 1 bis 9 an die eigenen Kunden eines Zustelldienstes; 2. die Verteilerleistung hat die Weiterleitung zuzustellender Dokumente an andere zugelassene Zustelldienste zum Zweck der Zustellung an deren Kunden zum Gegenstand; 3. die Verrechnungsleistung umfasst die Weiterleitung des von der Behörde für eine Zustellung bezahlten Entgelts an andere zugelassene Zustelldienste, sofern diese an einen ihrer Kunden zugestellt haben, und die Verrechnung der weitergegebenen Entgelte mit den Auftrag gebenden Behörden. (3) Die Zustelldienste sind hinsichtlich der von ihnen für die Besorgung der Aufgaben nach § 28 verwendeten Daten Auftraggeber im Sinne des § 4 Z 4 DSG 2000. Sie haben alle ihnen über ihre Kunden zur Kenntnis gelangenden Daten ausschließlich für Zwecke der Zustellung zu verwenden, soweit keine besonderen vertraglichen Vereinbarungen mit ihren Kunden bestehen. Diese Vereinbarungen dürfen keine Weitergabe von Daten über Herkunft und Inhalt zuzustellender Dokumente vorsehen. Der Abschluss eines Vertrages über die Zustellleistung darf nicht von der Zustimmung zur Weitergabe von Daten an Dritte abhängig gemacht oder inhaltlich beeinflusst werden. (4) Zustelldienste dürfen in ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen Einschränkungen dahingehend vorsehen, dass sie 739

§ 87

Gitschthaler

Zustellungen nur an bestimmte Personengruppen anbieten. Angehörige einer solchen Personengruppe dürfen bei Einhaltung der allgemeinen Geschäftsbedingungen vom Abschluss eines Vertrages über die Teilnahme an den gemäß § 28 Abs 1 angebotenen Dienstleistungen nicht ausgeschlossen werden. Die Geschäftsbedingungen dürfen keine Einschränkungen hinsichtlich der Herkunft der zuzustellenden behördlichen Dokumente enthalten. Die Geschäftsbedingungen des Zustelldienstes sind mit dem Antrag auf Zulassung vorzulegen und bei Übereinstimmung mit den gesetzlichen Voraussetzungen und Eignung zur Gewährleistung der ordnungsgemäßen und sicheren Erbringung der Zustellleistung im Zulassungsbescheid zu genehmigen. (5) Die von einem Zustelldienst gemäß § 28 zu erbringenden Zustellleistungen sind so zu gestalten, dass nach dem jeweiligen Stand der Technik der barrierefreie Zugang zu diesen Dienstleistungen für behinderte Menschen gewährleistet ist. Aufsicht § 31. (1) Die nach § 29 zugelassenen elektronischen Zustelldienste unterliegen der Aufsicht durch den Bundeskanzler. (2) Der Bundeskanzler ist als Aufsichtsbehörde berechtigt, im Falle von Beschwerden oder sonst hervorgekommenen Bedenken alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, insbesondere Auskünfte einzuholen und sonstige Ermittlungen zu führen, um zu prüfen, ob Zustelldienste den für ihre Tätigkeit maßgeblichen rechtlichen Vorschriften genügen. (3) Wurden aufgrund eines aufsichtsbehördlichen Verfahrens Mängel festgestellt, ist ihre Behebung binnen angemessener Frist aufzutragen. Der Bundeskanzler kann auch zusätzliche Auflagen und Bedingungen mit Bescheid vorschreiben, wenn anders die Einhaltung der von einem Zustelldienst vorzusorgenden technischen und organisatorischen Leistungsfähigkeit und rechtlichen Verlässlichkeit im Hinblick auf die ordnungsgemäße Erfüllung der von ihm angebotenen Leistungen gemäß § 28 Abs 1 nicht gewährleistet ist. Wird den Anordnungen der Aufsichtsbehörde nicht fristgerecht entsprochen, ist die Zulassung als Zustelldienst mit Bescheid zu widerrufen. Anmeldung § 32. (1) Jeder Zustelldienst hat im Internet ein elektronisches Verfahren bereit zu stellen, nach dem die Anmeldung zur elektronischen Zustellung mit Hilfe der Bürgerkarte möglich ist. Für 740

§ 87 (§§ 28–37 ZustG)

1.2 Verfahren

jeden Angemeldeten sind jedenfalls die folgenden Daten zu ermitteln: 1. Name bzw. Bezeichnung, 2. das zu seiner eindeutigen Identifikation im Bereich „Zustellwesen“ notwendige bereichsspezifische Personenkennzeichen (bPK gemäß § 9 E-GovG) bzw. für nicht-natürliche Personen ihre Stammzahl (§ 6 E-GovG), 3. die zur inhaltlichen Verschlüsselung von zuzustellenden Dokumenten notwendigen Angaben, wenn sie vom Anmelder zur Verfügung gestellt werden und 4. die vom Angemeldeten benannten Zustelladressen, wobei neben der elektronischen Adresse auch jene Abgabestelle bezeichnet sein muss, an welche der Angemeldete eine allfällige nicht-elektronische Verständigung gemäß § 34 Abs 3 zugesandt erhalten will. Mehrere elektronische Zustelladressen oder Abgabestellen sind zu verzeichnen, wenn als Zusatzleistung im Sinne des § 28 Abs 2 vertraglich vereinbart wurde, die Verständigung gemäß § 34 Abs 3 an mehrere oder alle diese Adressen zu versenden. Die Ermittlung weiterer Daten ist zulässig, soweit sie für die technische Abwicklung der Zustellleistung und für die Erbringung und Verrechnung von Zusatzleistungen notwendig sind. (2) Die Verantwortung dafür, dass die in Abs 1 Z 1, 3 und 4 bezeichneten Angaben laufend richtig sind, trägt der Anmeldende insofern, als es seine Aufgabe ist, Änderungen dem Zustelldienst bekannt zu geben; der Zustelldienst ist dafür verantwortlich, dass Änderungsmeldungen umgehend in seinen Aufzeichnungen Berücksichtigung finden. Ermittlung des zuständigen Zustelldienstes § 33. (1) Zum Zweck der Abfassung der Zustellverfügung beauftragt die Behörde den gemäß § 30 Abs 1 für die Verteilerleistung zuständigen Zustelldienst, zu ermitteln, ob und bei welchem elektronischen Zustelldienst der Empfänger angemeldet ist. Liegt eine solche Anmeldung vor, sind diese Information und, soweit vorhanden, die für eine inhaltliche Verschlüsselung notwendigen Angaben an die Behörde rückzumitteln. Verfügt die Behörde daraufhin die elektronische Zustellung, ist das Dokument, wenn möglich in verschlüsselter Form, dem zuständigen Zustelldienst zur weiteren Veranlassung zu übergeben. (2) Die Abfrage an die Zustelldienste nach Abs 1 darf ausschließlich für Zwecke der Verteilerleistung erfolgen und hat sich auf das Aufsuchen von namentlich und allenfalls durch ihr 741

§ 87

Gitschthaler

Personenkennzeichen bezeichneten Angemeldeten zu beschränken. Es ist insbesondere unzulässig, Querschnittsabfragen nach allen Angemeldeten, die ein oder mehrere bestimmte Merkmale erfüllen, durchzuführen. (3) Hat sich ein Empfänger bei mehreren elektronischen Zustelldiensten angemeldet, so kann die Behörde frei wählen, welcher Zustelldienst mit der Zustellung des Dokuments beauftragt wird. Zustelldiensten, bei welchen Angaben zur inhaltlichen Verschlüsselung gemacht wurden, ist der Vorzug zu geben. Elektronische Zustellung mit Zustellnachweis § 34. (1) Der Zustelldienst, bei dem der Empfänger angemeldet ist, hat nach Übergabe des zuzustellenden Dokuments ohne unnötigen Aufschub den Empfänger durch Benachrichtigung an seine elektronische Zustelladresse davon zu verständigen, dass für ihn ein Dokument zur Abholung von der technischen Einrichtung bereit liegt. Hat der Empfänger beim Zustelldienst mehrere elektronische Zustelladressen bekannt gegeben, so ist die Benachrichtigung nach den näheren vertraglichen Vereinbarungen an diese Adressen vorzunehmen; für den Eintritt der Zustellwirkungen maßgeblich ist der Zeitpunkt der erstmaligen Versendung einer Verständigung. (2) Die elektronische Verständigung hat in deutlich sichtbarer und leicht erkennbarer Weise zu enthalten: 1. das Datum der Absendung der elektronischen Verständigung, 2. die elektronische Adresse, unter der das zuzustellende Schriftstück zur Abholung bereit liegt, 3. das Ende der Abholfrist, 4. das Erfordernis einer Signierung bei der Abholung (§ 35) zum Zweck des Nachweises der Zustellung und 5. einen Hinweis auf den Zeitpunkt des Eintritts der Wirkungen der Zustellung, insbesondere hinsichtlich des Beginns des Laufes von Rechtsmittelfristen. Die Bundesregierung hat durch Verordnung, soweit erforderlich, die Anforderungen an die elektronischen Verständigungsformulare näher zu regeln. (3) Verzeichnet die technische Einrichtung des Zustelldienstes keine Abholung des Dokumentes innerhalb der auf die Versendung der Verständigung folgenden beiden Tage, so wird die elektronische Verständigung wiederholt. Wird das Dokument auch innerhalb der nächsten 24 Stunden nicht abgeholt, so wird dem Adressaten an die dem Zustelldienst bekannt gegebene Ab742

§ 87 (§§ 28–37 ZustG)

1.2 Verfahren

gabestelle eine Verständigung mit dem in Abs 2 bezeichneten Inhalt auf nicht-elektronischem Wege übersandt. Die Verständigung an diese Abgabestelle kann sofort erfolgen, wenn sich schon die Durchführung der ersten elektronischen Verständigung als nicht möglich erweist. (4) Die Rechtswirkungen der Zustellung treten mit dem Zeitpunkt der Abholung, spätestens jedoch eine Woche nach dem Tag der Versendung der ersten Verständigung ein. Stellt sich nachträglich heraus, dass die Verständigung an die dem Zustelldienst bezeichnete Abgabestelle wegen länger dauernder Abwesenheit des Empfängers nicht erfolgreich war, so wird die Zustellung erst an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam. (5) Falls der Empfänger das zuzustellende Dokument innerhalb offener Frist nicht abgeholt hat, ist die Behörde hievon unverzüglich nach Ablauf der Frist zu verständigen. Das bereitgehaltene Dokument ist im Fall der Abholung oder auch des erfolglosen Ablaufs der Abholfrist durch zwei weitere Wochen hindurch in der technischen Einrichtung zu speichern, worauf es zu löschen ist. Abholung und Zustellnachweis § 35. (1) Die elektronische Abholung des bereitgehaltenen Dokuments ist nur einem Betroffenen zu ermöglichen, der sich als Empfänger bei der Abholung mit Hilfe der Bürgerkarte eindeutig identifiziert und authentifiziert hat. (2) Hat die Behörde die elektronische Zustellung mit Zustellnachweis angeordnet, so wird dieser Nachweis durch die elektronische Signatur des Empfängers beim Abholvorgang erbracht. An die Stelle der sicheren elektronischen Signatur darf aufgrund besonderer Vereinbarung mit dem Zustelldienst eine an die Verwendung sicherer Technik gebundene automatisiert ausgelöste Signatur treten. Der Zugriff auf das in der technischen Einrichtung hinterlegte Dokument ist dem Betroffenen erst nach Einlangen dieses Nachweises beim Zustelldienst zu ermöglichen. (3) Der Zustelldienst hat die eingegangenen Zustellnachweise zu protokollieren und die Information über die erfolgreiche Zustellung an die Auftrag gebende Behörde weiterzuleiten. Elektronische Zustellung ohne Zustellnachweis § 36. Hat die Behörde verfügt, dass die Zustellung an eine bei einem Zustelldienst angemeldete elektronische Adresse keines Nachweises bedarf, gilt § 34 mit der Maßgabe, dass 743

§ 87

Gitschthaler

1. die in Abs 3 vorgesehene nicht-elektronische Verständigung an die Abgabestelle entfällt, es sei denn, dass sich eine elektronischen Verständigung als nicht möglich erwiesen hat, 2. im Falle der Nicht-Abholung von der technischen Einrichtung die Behörde die Tatsache und den Zeitpunkt der Zustellung von Amts wegen festzustellen hat, wenn Zweifel daran bestehen, dass die Verständigung von der Bereithaltung des Dokuments auf der technischen Einrichtung in den Verfügungsbereich des Empfängers gelangt ist. Anwendungsbereich der elektronischen Zustellung § 37. Soweit die für das Verfahren geltenden Vorschriften nicht anderes bestimmen, ist eine elektronische Zustellung nach den Bestimmungen dieses Abschnitts vorzunehmen. Die elektronische Zustellung der Gerichte richtet sich nach den §§ 89a ff GOG. [§§ 28 bis 37 eingefügt durch E-GovG] 1

Die §§ 28 bis 36 ZustG über die Elektronische Zustellung sind gemäß § 37 ZustG auf gerichtliche Zustellungen nicht anzuwenden (vgl § 1 ZustG Rz 2). Abschnitt IV Verweisungen § 38. (1) Verweisungen in den Verfahrensvorschriften auf Bestimmungen, die Angelegenheiten des Zustellwesens regeln, gelten als Verweisungen auf die entsprechenden Bestimmungen dieses Bundesgesetzes. (2) Soweit in diesem Bundesgesetz auf Bestimmungen anderer Bundesgesetze verwiesen wird, sind diese in ihrer jeweils geltenden Fassung anzuwenden. (3) bis (5) Aufgehoben [Abs 1 und 2 zuletzt neu gefasst und Abs 3 bis 5 aufgehoben durch BGBl I 1998/158; Paragrafenbezeichnung geändert durch E-GovG] Vollziehung § 39. Mit der Vollziehung dieses Bundesgesetzes ist die Bundesregierung betraut. [Eingefügt durch BGBl I 1998/158; Paragrafenbezeichnung geändert durch E-GovG] 744

§ 88

1.2 Verfahren Art der Zustellung

§ 88. (1) Zustellungen im Inland sind in der Regel durch die Post durchzuführen. Die Zustellung durch Bedienstete des Gerichtes oder durch die Gemeinde kann in folgenden Fällen angeordnet werden: 1. wenn für den Ort, an dem zugestellt werden soll, kein Postzustelldienst eingerichtet ist; 2. wenn bei Zustellung durch die Post die Zustellung zu spät käme oder der Zustellnachweis nicht rechtzeitig vorläge; 3. wenn die Person, der zuzustellen ist, oder ihre Anschrift nicht genau bekannt ist und erst durch den Zusteller ermittelt werden soll; 4. wenn das Schriftstück zu einer Zeit zugestellt werden muß, zu der Postzustellungen nicht vorgenommen werden; 5. wenn das Schriftstück anläßlich einer anderen Amtshandlung oder an einen Verhafteten (Gefangenen) zuzustellen ist; 6. wenn das Schriftstück in der Umgebung des Gerichtsgebäudes oder im Verkehr mit nahegelegenen Amtsstellen oder Notariatskanzleien zuzustellen ist, und wenn der damit verbundene Verwaltungsaufwand geringer ist als bei Zustellung durch die Post. (2) Gerichtsbedienstete dürfen Zustellungen nur innerhalb des Sprengels des Gerichtes, dem sie angehören, Gemeindebedienstete nur innerhalb des Gemeindegebietes durchführen. [Fassung ZustRAG] Zum Begriff „Post“ vgl nunmehr zunächst einmal § 2 ZustG.

1

Die Zustellung gerichtlicher Schriftstücke hat grundsätzlich, soweit 2 nicht einer der Ausnahmefälle des § 88, dessen Aufzählung als taxativ anzusehen ist (Walter/Mayer, Zustellrecht 165; Feil § 88 ZPO Rz 2), vorliegt, durch Organe der Post zu erfolgen. Dabei geht diese Bestimmung § 2 ZustG vor, schließt aber die Ausfolgung der Zustellsache bei der Behörde gemäß § 24 ZustG nicht aus (Feil § 88 ZPO Rz 1). Ist eine Zustellung durch die Post unmöglich, so sind zunächst die weiteren Möglichkeiten des § 88 auszuschöpfen; die sofortige Anordnung einer Zustellung ohne vorhergehenden Zustellversuch wäre unzulässig (OLG Wien WR 498). Keine Zustellung durch die Post stellt das Einordnen der für Behörden 3 oder Ämter bestimmten Postsendungen in ein offenes Fach beim Postamt nach § 252 ZPO dar. Erst die Übernahme der Sendung durch den Postabholer bewirkt hier die Zustellung (SZ 38/136 = JBl 1967, 151 [abl F. Bydlinski und Koziol], 7 Ob 120/71, SZ 45/110, 7 Ob 146/98s, 3 Ob 76/00y, 3 Ob 77/02y = immolex 2003/196; Stumvoll in Fasching/ 745

§ 89

Gitschthaler

Konecny II/2 Anh § 87 [§ 24 ZustG] Rz 9, § 88 Rz 11; Feil § 88 ZPO Rz 1). Dies gilt auch ganz allgemein für Postschließfächer, die keine zulässige Abgabestelle für bescheinigte Briefsendungen darstellen (vgl dazu bei § 2 ZustG).

4 Dem gleich zu halten sind jene Fächer, die in den Gerichten für berufsmäßige Parteienvertreter eingerichtet sind (vgl dazu LGZ Wien WR 583; 7 Ob 146/98s, 3 Ob 76/00y, 3 Ob 77/02y = immolex 2003/196; OLG Linz 2 R 252/99p; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 13 ZustG] Rz 6, Anh § 87 [§ 24 ZustG] Rz 4). Wird daher eine Zustellung an einen Rechtsanwalt durch das Einordnen des Schriftstücks in ein solches Fach vorgenommen und der Rückschein dabei entgegen § 160 Abs 2 und 3 Geo nicht auch von einem Gerichtsbediensteten unterfertigt, dann stellt er keine öffentliche Urkunde dar und unterliegt der freien Beweiswürdigung (SZ 69/151, 7 Ob 146/98s, 3 Ob 76/00y, 3 Ob 77/02y = immolex 2003/196; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 24 ZustG] Rz 9). Der Empfänger kann dann bescheinigen, dass er das Schriftstück erst zu einem späteren als dem aus dem Rückschein ersichtlichen Datum übernommen hat (7 Ob 146/98s). Wird das Zustellstück nicht abgeholt, ist auf üblichem Weg zuzustellen, eine weitere Bereithaltung findet in Hinkunft aber nicht mehr statt (§ 160 Abs 3 Geo; LGZ Wien WR 583; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 24 ZustG] Rz 4). In der Praxis wird bisweilen zu lange toleriert, dass Parteienvertreter Zustellungen durch unregelmäßiges oder gar gezieltes (späteres) Entleeren ihrer Fächer hinauszögern. Dies dadurch abzustellen, dass dem betreffenden Parteienvertreter kein Fach mehr zur Verfügung gestellt wird, wäre Sache des jeweiligen Behördenleiters, wenn er von den Bediensteten der Post- bzw (bei Gerichten) der Einlaufstelle oder von den Rechtsmittelinstanzen darüber informiert wird. Es kann aber jedenfalls – und dies auch nicht bei einer offenkundigen Verzögerung der Übernahme durch den Parteienvertreter – nicht eine Zustellwirkung mit der ersten Möglichkeit der Behebung (etwa am Tag nach der Einlegung) abgeleitet werden (3 Ob 76/00y; aA JBl 1977, 270 [Zugangsfiktion]). § 89. (1) Die Bestimmung der Zustellungsart obliegt dem Gerichte, dessen Urteile, Beschlüsse oder Ladungen zugestellt werden sollen oder bei welchem der zuzustellende Schriftsatz überreicht oder das Protokoll aufgenommen worden ist. Dieses Gericht hat auch die wegen der Zustellung nötigen Verfügungen zu treffen. (2) Aufgehoben [Abs 2 aufgehoben durch ZustRAG; sonst Stammfassung] 746

§ 91

1.2 Verfahren

Alle im Zusammenhang mit einer Zustellung stehenden Anordnungen 1 (Zustellanordnung) sind grundsätzlich Sache des Gerichts (Einzelrichter, Vorsitzender des Senats oder [allenfalls zuständiger] Rechtspfleger), wobei die wesentlichste Anordnung die Zustellverfügung ist (vgl dazu ausführlich Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 89 Rz 1, 2). Sie ist der erste Teil der Zustellung (10 ObS 87/92; s auch bei § 87) und ordnet den einzuhaltenden Zustellvorgang an, bestimmt also die Zustellungsart. Sie ist grundsätzlich vom Richter (Rechtspfleger) auf der Urschrift des zuzustellenden Geschäftsstücks anzubringen (Rechberger/Simotta Rz 320; Holzhammer, PraktZPR 198, 242). Sie kann nach § 129 Abs 1 Geo entfallen, wenn mit Sicherheit erwartet werden kann, dass die Geschäftsstelle die dem Gesetz und den bestehenden Vorschriften entsprechenden Zustellungen auch ohne ausdrückliche Zustellverfügung ordnungsgemäß ausführen wird. Die Zustellverfügung ist an sich jedoch ein Beschluss (Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 89 Rz 2), dessen Anfechtbarkeit sich nach § 87 Abs 2 richtet (vgl Näheres dort). Weitere Verfügungen wären etwa die Anordnung, 2 a) ob die Zustellung zu eigenen Handen zu erfolgen hat, b) ob nicht allenfalls an einen Post- oder Generalbevollmächtigten (§ 13 Abs 2 ZustG) c) oder an den gesetzlichen oder bestellten Vertreter eines Prozessund Handlungsunfähigen (10 ObS 87/92, 10 ObS 202/98y) zuzustellen ist, d) ob allenfalls an bestimmte Angestellte eines Parteienvertreters (§ 13 Abs 4 ZustG) oder e) an bestimmte Ersatzempfänger nicht zugestellt werden darf (§ 16 Abs 4 ZustG), f) ob die Nachsendung ausgeschlossen sein soll (§ 18 Abs 2 ZustG), g) ob die Hinterlegung ohne Zustellversuch (§ 23 Abs 1 ZustG) stattfinden soll (Feil § 89 ZPO Rz 1; vgl auch Walter/Mayer, Zustellrecht 168), h) ob trotz Eröffnung des Konkursverfahrens und damit verbundener Postsperre oder i) an welcher von mehreren Abgabestellen zugestellt werden soll (VwGH ÖJZ 1993, 326/A 114). Vgl dazu auch bei Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 89 Rz 5, 6. § 90. Durch das ZustRAG aufgehoben § 91. Wenn das Verhalten einer der mit der Ausführung der Zustellung beauftragten Personen (Zustellungsorgane) zur Beschwerde Anlaß gibt, so hat der Vorsitzende des Senates, der mit der Aufsicht 747

§ 93

Gitschthaler

über die Gerichtskanzlei betraute Richter oder der Gerichtsvorsteher, sobald er hievon Kenntnis erlangt, das Geeignete zu veranlassen, um Abhilfe zu gewähren. Der Beschwerdegrund kann mündlich angezeigt werden. [Stammfassung]

1 Die in der Praxis kaum angewendete Form einer Aufsichtsbeschwerde, auf deren Erledigung kein Rechtsanspruch besteht (Feil § 91 ZPO Rz 2; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 91 Rz 2), kann durch einen Akt der Rechtsprechung oder auch durch einen solchen der Justizverwaltung behandelt werden (Walter/Mayer, Zustellrecht 170; Feil § 91 ZPO Rz 1; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 91 Rz 3, 4). § 92. Durch das ZustRAG aufgehoben § 93. (1) Hat eine Partei für einen Rechtsstreit Prozeßvollmacht erteilt, so haben bis zur Aufhebung der Prozeßvollmacht (§ 36) alle diesen Rechtsstreit betreffenden Zustellungen an den namhaft gemachten Bevollmächtigten zu geschehen. (2) In Rechtssachen, die sich auf den Betrieb des Handelsgewerbes einer Person beziehen, kann die Zustellung für den Prinzipal an den Prokuristen geschehen. (2) In Rechtssachen, die sich auf den Betrieb des Unternehmens einer Person beziehen, kann die Zustellung für den Empfänger an den Prokuristen erfolgen. [Stammfassung; Abs 2 geändert durch HaRÄG ab 1.1.2007]

1 Zur Prozessvollmacht im Allgemeinen, zu deren Erteilung und deren Beendigung s bei §§ 26 ff. Eine allgemeine Vertretungsmacht (Prozessvollmacht) umfasst immer auch eine Zustellungsbevollmächtigung (Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht Rz 202; LGZ Graz MietSlg 46.713; VwGH ZfVB 2002/1352 [Rechtsanwalt], SWK 2003, R 39 [Wirtschaftstreuhänder]), uzw auch dann, wenn der Bevollmächtigte kein Rechtsanwalt ist (EFSlg 34.838, 6 Ob 645/80, 2 Ob 642/86). Die Bestellung eines mittlerweiligen Stellvertreters für einen Rechtsanwalt nach § 28 Abs 1 RAO begründet aber kein Vollmachtsverhältnis mit der Partei, weshalb Zustellungen an ihn unwirksam sind; die Übernahme des Schriftstücks durch einen Angestellten ändert daran nichts (LGZ Wien EFSlg 72.932 mwN). Allerdings darf sich auch der im Rahmen der Verfahrenshilfe beigegebene Rechtsanwalt eines Substituten bedienen. Hat er dabei nach außen keine Erklärung über den Umfang der Substitution abgegeben, ist das Gericht verpflichtet, Zustellungen 748

§ 93

1.2 Verfahren

weiterhin an den Verfahrenshelfer (und nicht unmittelbar an dessen Substituten) vorzunehmen (10 ObS 351/01t = EvBl 2002/99). Zu weiteren Anwendungsfällen s Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 93 Rz 3, 16. Besteht eine Interessenkollision zwischen der Partei und ihrem Bevoll- 2 mächtigten, dann ist an die Partei selbst zuzustellen (EvBl 1968/3; OLG Wien WR 825; vgl ausführlich bei Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 93 Rz 19; aA Walter/Mayer, Zustellrecht 173 [Zustellung an den Bevollmächtigten]). Dies wäre etwa der Fall, wenn die der Partei bewilligte Verfahrenshilfe über Antrag oder Anregung des Verfahrenshilfeanwalts für erloschen erklärt oder entzogen wird (OLG Wien WR 825). Geht das Gericht hingegen von Amts wegen vor oder hat die Gegenpartei einen derartigen Antrag gestellt, ist der Beschluss dem Verfahrenshilfeanwalt zuzustellen (ZBl 1936/492). Ladungen zur Parteienvernehmung sind trotz ausgewiesener Bevollmächtigung grundsätzlich an die Partei selbst zuzustellen (LGZ Wien 40 R 216/01p), es sei denn es liegt nunmehr ein Anwendungsfall des § 371 Abs 2 idF ZVN 2002 vor (vgl Näheres dort). Vgl auch Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 93 Rz 18. Grundvoraussetzung ist, dass der Bevollmächtigte durch die Partei 3 („eine etwa vom Versicherer für den Versicherten erteilte“ Prozessvollmacht ersetzt daher die Bevollmächtigung durch diesen nicht [SZ 42/20 = EvBl 1969/307]) für ein bestimmtes Verfahren namhaft gemacht worden ist (8 Ob 601/85). Grund der Bestimmung ist, dass dem Gericht aufgrund der Aktenlage die Möglichkeit gegeben wird, allfällige Vertretungsverhältnisse auch berücksichtigen zu können (9 ObA 144/ 98m). Ein Rechtsanwalt kann sich auf die erteilte Vollmacht berufen (vgl § 32 ZPO, § 8 RAO; Feil § 93 ZPO Rz 2; zu Wirtschaftstreuhändern vgl § 33 WTBO, zu Notaren § 5 NotO). Das Gericht kann aber weder über Anzeige des Prozessgegners noch durch gelegentliche amtswegige Zustellungen oder Verständigungen eine Person als Bevollmächtigten einer Partei behandeln (JBl 1957, 48, 8 Ob 601/85). Unzulässig ist auch die Zustellung etwa einer Drittschuldnerklage an den inländischen Rechtsanwalt eines im Ausland wohnhaften Drittschuldners (1 Ob 818/ 54). Der in einem bestimmten Rechtsstreit für eine Partei mit Prozessvoll- 4 macht auftretende Vertreter kann nicht zur Vertretung der Partei in einer anderen Rechtssache herangezogen werden; damit kann auch an ihn dort nicht zugestellt werden (LG Salzburg 21 R 137/03y; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 93 Rz 8). Die Berechtigung zur Empfangnahme von Zustellungen, uzw auch von künftigen (HG Wien WR 522), 749

§ 93

Gitschthaler

bezieht sich nämlich grundsätzlich nur auf jenes Verfahren, in welchem die Bevollmächtigung erteilt wurde (GlUNF 6613, SZ 13/14, AnwBl 1990, 451 [zust Graff], 5 Ob 2268/96g, 1 Ob 115/03y; VwGH ÖJZ 1991, 431, ecolex 1991, 822 [zust Siess]; Feil § 93 ZPO Rz 3). Allerdings können zu einem bestimmten Rechtsstreit auch die mit diesem unmittelbar zusammenhängenden Streitigkeiten gerechnet werden (4 Ob 2/95 = JBl 1995, 467, SZ 68/32, RZ 1998/6, 3 Ob 190/98g; LG Salzburg 21 R 137/03y; Fasching1 II 574; Walter/Mayer, Zustellrecht 172; Feil § 93 ZPO Rz 3; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 93 Rz 6). Dabei kommt es darauf an, ob diese Streitigkeiten vom gesetzlichen Umfang der dem Rechtsanwalt erteilten Prozessvollmacht gedeckt sind (1 Ob 115/03y). Dazu gehören Verfahren über eine Widerklage, eine Hauptintervention, eine Wiederaufnahms- oder Nichtigkeitsklage oder über eine Einstweilige Verfügung (einschließlich der Geltendmachung von Ersatzansprüchen nach § 394 EO [SZ 68/32 = JBl 1995, 467; LG Salzburg 21 R 137/03y]) sowie ein Verfahren über einen Aufschiebungsantrag im Zusammenhang mit einem Verfahren über eine Klage etwa nach §§ 35 ff EO (3 Ob 142/64) oder ein Verfahren nach § 98 EheG nach einvernehmlicher Ehescheidung (1 Ob 115/03y; aA LG Salzburg 21 R 137/03y), nicht aber etwa ein Verfahren betreffend eine erlegte Sache im Zusammenhang mit dem Hauptverfahren (1 Ob 493/57) oder ein Verfahren betreffend Ersatzansprüche des Mieters iZm einem Kündigungsverfahren (5 Ob 2268/96g).

5 Wurden mehrere Rechtssachen verbunden, so gilt die Zustellung an den in einem Verfahren Bevollmächtigten für alle Verfahren, es sei denn die Prozesspartei hat in diesen Verfahren verschiedene Bevollmächtigte beauftragt (EvBl 1977/174; aA LGZ Wien 43 R 815/03a [bloße Verfahrensverbindung beseitigt Vertretungsdefizit nicht]). In diesem Fall wäre an jeden Bevollmächtigten zuzustellen. Wird eine Partei durch mehrere Bevollmächtigte in einem Verfahren vertreten, so gilt die Zustellung mit jenem Zeitpunkt bewirkt, zu welchem das Schriftstück an den (zeitlich) ersten Bevollmächtigten zugestellt wurde (SZ 41/113 = EvBl 1969/65, 5 Ob 185/75, SSV-NF 3/56, 10 ObS 85/98t, 4 Ob 102/04k; vgl auch Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 93 Rz 15). Dies gilt auch dann, wenn dessen Vollmachtsverhältnis nach diesem Zeitpunkt beendet wird (SZ 41/113, AnwBl 1992, 673 uva).

6 Besteht ein aufrechtes Vollmachtsverhältnis, ist es keine Ermessensfrage, ob an den Prozessbevollmächtigten (als Empfänger [MietSlg 34.011]) oder an die Partei zugestellt werden soll. Eine Zustellung an letztere ist daher wirkungslos (RdW 1985, 371, EvBl 1989/176, 3 Ob 515/95; OLG Linz JBl 1956, 416; LGZ Wien EFSlg 57.739, MietSlg 750

§ 93

1.2 Verfahren

45.640; Fasching1 II 573; ders Rz 528; Walter/Mayer, Zustellrecht 172; Feil § 93 ZPO Rz 3), löst weder Säumnis- und Präklusionsfolgen (LGZ Wien EFSlg 57.739, MietSlg 45.640) aus noch setzt Rechtsmittelfristen (MietSlg 37.736, 5 Ob 751/81, 3 Ob 26/90, 3 Ob 516/95) in Gang. Bei dennoch erfolgter Zustellung an die Partei wird sie erst mit der Übergabe des Schriftstücks an den Bevollmächtigten durch die Partei wirksam (JBl 1957, 76, 3 Ob 141/68, MietSlg 37.736, 4 Ob 38/92; Fasching Rz 528; Feil § 93 ZPO Rz 3). Dies gilt auch dann, wenn eine durch einen frei gewählten Bevollmächtigten vertretene Partei Verfahrenshilfe selbst beantragt (LGZ Wien WR 34 [Zustellung an den Bevollmächtigten]). Eine Rechtsmittelentscheidung ist auch dann dem Verfahrenshelfer zuzustellen, wenn das Rechtsmittel nicht von ihm verfasst wurde (3 Ob 114/05v). Vgl dazu ausführlich auch Stumvoll in Fasching/Konecny II/ 2 § 93 Rz 2. Die Prozessbevollmächtigung endet erst dann, wenn deren Beendigung 7 dem Gericht angezeigt wird (1 Ob 595/84, 9 ObA 89/93, 9 ObA 144/ 98m; LG Salzburg 21 R 283/03v). Im Anwaltsprozess haben bis zur Bestellung eines neuen Vertreters (vgl § 36) alle Zustellungen an den bisherigen Vertreter zu erfolgen (AnwZ 1934, 437, RZ 1937, 236, AnwBl 1977, 354 [krit Strigl], EFSlg 49.299, RdW 1985, 371; Feil § 93 ZPO Rz 3), sodass eine Zustellung an ihn auch dann wirksam ist, wenn er das Schriftstück mit dem Hinweis an das Gericht zurückstellt, das Vollmachtsverhältnis sei bereits erloschen (MietSlg 36.748). Auch der Beschluss über das Erlöschen der Verfahrenshilfe ist daher dem bisherigen Verfahrenshilfeanwalt zuzustellen (ZBl 1936/492; vgl auch 4 Ob 528/80). Vgl dazu auch Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 93 Rz 13. Änderungen in den Vollmachtsverhältnissen, die erst nach Erlassung der Zustellverfügung dem Gericht bekannt werden, können für die konkrete Zustellung nur noch dann relevant sein, wenn das Gericht noch rechtzeitig darauf reagieren kann, dh wenn das konkrete Zustellstück noch nicht abgefertigt worden ist. Auf den Zeitpunkt der Zustellung kommt es jedenfalls nicht an (HG Wien WR 522; OLG Linz 2 R 12/04d; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 93 Rz 14). Abs 2 enthält eine Ermessensentscheidung. Dabei ist grundsätzlich im- 8 mer der Zweck einer möglichst raschen und sicheren Zustellung zu beachten (Walter/Mayer, Zustellrecht 173). Er bezieht sich auf Rechtssachen, in denen es um rechtsgeschäftliche oder deliktische Ansprüche oder Verpflichtungen geht, die von einem Kaufmann im Rahmen seines Handelsgewerbes vorgenommen werden. Obwohl mit Prinzipal der Einzelkaufmann gemeint ist, kann im Hinblick auf § 13 Abs 3 ZustG auch an den Prokuristen einer Gesellschaft wirksam zugestellt werden 751

§ 93

Gitschthaler

(Walter/Mayer, Zustellrecht 173; Feil § 93 ZPO Rz 4; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 93 Rz 24; ZfRV 1996/75), uzw auch an einen lediglich mitzeichnungsberechtigten Prokuristen einer Kapitalgesellschaft. Auf die Vertretungsbefugnis eines Prokuristen einer ausländischen Gesellschaft ist das Recht jenes Staats anzuwenden, in dem der Prokurist nach dem erkennbaren Willen des Geschäftsherrn tätig werden sollte. Ist seine Bestellung auf eine österreichische Zweigniederlassung beschränkt und bezieht sich das zuzustellende Schriftstück auf diese, kann an ihn nach österreichischem Recht zugestellt werden (ecolex 1996, 102). Die Neuformulierung des Abs 2 durch das HaRÄG (ab 1.1.2007) nimmt Bezug auf § 1 UBG, wonach Unternehmer ist, wer ein Unternehmen betreibt. Ein solches ist jede auf Dauer angelegte Organisation selbstständiger wirtschaftlicher Tätigkeit, mag sie auch nicht auf Gewinn gerichtet sein. Inhaltlich erfährt § 93 Abs 3 aber wohl keine Änderung.

9 Abs 2 gilt auch für eigenhändige Zustellungen, die den Kaufmann bzw die Gesellschaft (ab 1.1.2007 das Unternehmen) als Empfänger betreffen (2 Ob 202/71). An den Prokuristen dürfen zwar auch Exekutionsbewilligungen (ecolex 1996, 102), nicht aber Konkurseröffnungsanträge von Gläubigern des Geschäftsherrn (OLG Wien ZIK 1995, 155) zugestellt werden. Er kommt jedoch nicht zur Anwendung, wenn der Gegner ausdrücklich die Zustellung an den Empfänger beantragt hat (OLG Linz 3 R 13/86). Allfällige Beschränkungen der Prokura gelten lediglich im Innenverhältnis (LGZ Wien RPflSlgE 2003/8).

10 § 93 ist auch in Verfahren außer Streitsachen (§ 24 AußStrG) anzuwenden. Eine Beschränkung auf einzelne Verfahrensabschnitte (etwa die Erledigung eines Unterhaltserhöhungsantrags) besteht nicht. Solange die Vollmachtsanzeige im Akt erliegt und die Vollmacht nicht widerrufen wurde (persönliches Auftreten der Partei bedeutet keinen Vollmachtswiderruf [EFSlg 34.838, 6 Ob 645/80]), besteht für die Partei auch keine Veranlassung, das Fortbestehen des Vollmachtsverhältnisses besonders zu betonen (5 Ob 345/58, 6 Ob 439/61, 6 Ob 645/80; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 93 Rz 11). Im Hinblick auf § 142 AußStrG gilt dies aber nicht für Verfahren des II. Hauptstücks, die nicht in einem gemeinschaftlichen Gerichtsakt zusammengefasst sind. Grundsätzlich ist § 93 auch in exekutionsrechtlichen Verfahren anzuwenden (RZ 1998/6, 3 Ob 190/98g; vgl auch AnwBl 1992, 673). Die im Titelverfahren erteilte Prozessvollmacht wird allerdings lediglich bei der betreibenden Partei im Exekutionsverfahren als erteilt angesehen (EvBl 1970/10; Feil § 93 ZPO Rz 1). Ebenso gilt er in Grundbuchs752

§ 99

1.2 Verfahren

verfahren (Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 93 Rz 4) und in Insolvenzverfahren. Daher erstreckt sich die im Zuge der Anmeldung einer Konkursforderung ausgewiesene Vollmacht auch auf das Verwertungsverfahren (8 Ob 20/03d = JBl 2004, 588). §§ 94–96. Durch das ZustRAG aufgehoben Zustellungsbevollmächtigter § 97. (1) Ist eine Prozeßhandlung durch oder gegen mehrere Personen vorzunehmen, die keinen gemeinschaftlichen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten haben, so kann ihnen das Gericht auf Antrag des Gegners oder von Amts wegen auftragen, einen von ihnen oder einen Dritten als gemeinschaftlichen Zustellungsbevollmächtigten namhaft zu machen. (2) Wird dieser Auftrag nicht befolgt, so hat das Gericht ihnen auf Antrag des Gegners oder von Amts wegen auf ihre Gefahr und Kosten einen gemeinschaftlichen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen. (3) Das Gericht hat eine solche Anordnung dann zu treffen, wenn zu erwarten ist, daß dadurch das Verfahren vereinfacht oder beschleunigt wird. Es hat sie zu unterlassen, zu ändern oder aufzuheben, wenn erkennbar ist oder diese Personen glaubhaft machen, daß sie ein rechtliches Interesse daran haben, nicht gemeinsam vertreten zu werden. (4) Der § 9 Abs 3 des Zustellgesetzes gilt nicht. [Fassung ZustRAG] § 98. Durch das ZustRAG aufgehoben § 99. Der für eine einzelne Person bestellte Zustellungsbevollmächtigte hat dieser die für sie bestimmten, ihm zugestellten Schriftstücke jeweils ohne Aufschub zu übersenden. Der gemeinschaftliche Zustellungsbevollmächtigte hat, wenn nicht durch Vereinbarung etwas anderes bestimmt ist, unverzüglich den Personen, für welche er die Zustellung übernommen hat, Einsicht in die empfangenen Schriftstücke zu gewähren und die Herstellung von Abschriften davon zu ermöglichen. [Fassung ZustRAG] Zum Zustellungsbevollmächtigten vgl zunächst einmal grundsätzlich 1 bei § 9 ZustG. Er wird von der Partei/den Parteien entweder freiwillig 753

§ 100

Gitschthaler

(§ 9 ZustG) oder auf gerichtlichen Auftrag hin namhaft gemacht (§ 97 Abs 1 ZPO, § 10 ZustG) oder vom Gericht bestellt (§ 97 Abs 2).

2 Voraussetzung für einen gerichtlichen Auftrag nach § 97 Abs 1 und 2 – sinnvollerweise unter Fristsetzung (Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 97 Rz 11) – ist, dass eine Prozesshandlung entweder durch oder gegen mehrere (dies sind mehr als eine [Stumvoll in Fasching/Konecny II/ 2 § 97 Rz 6; aA Walter/Mayer, Zustellrecht 175; Feil § 97 ZPO Rz 2]) Personen vorzunehmen ist, die keinen gemeinschaftlichen Vertreter oder (freiwillig bestellten) Zustellungsbevollmächtigten haben. Wird der Auftrag nicht befolgt, dann hat das Gericht die Bestellung von Amts wegen auf Gefahr und Kosten der säumigen (SZ 59/138, 5 Ob 108/90, 5 Ob 2144/96x) Partei vorzunehmen. Das Gesetz sieht jedoch weder die Möglichkeit vor, dem Gegner einer oder mehrerer Parteien den Auftrag zu geben, für diese einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, noch jene der gerichtlichen Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten für eine einzelne Partei, auch wenn diese mehrere Vertreter hat (SZ 59/138 = JBl 1986, 796). Das Gericht kann nach § 97 vorgehen, wenn zu erwarten ist, dass dadurch das Verfahren vereinfacht (5 Ob 25/83 [erleichtert]) oder beschleunigt wird (Verfahrensökonomie; vgl Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 97 Rz 19). Allerdings ist daraus nicht zu schließen, dass andernfalls Einzelzustellungen unwirksam wären.

3 Jede Bestellung erfolgt auf Gefahr und Kosten des oder der Vertretenen, auch wenn die Vertretung über Antrag des Gegners erfolgte (§ 10 ZPO kommt nicht zur Anwendung; vgl auch Stumvoll in Fasching/ Konecny II/2 § 97 Rz 16). Der Zustellungsbevollmächtigte hat die Zustellstücke anzunehmen und entweder an die Partei zu übersenden, wenn er nur für eine Partei tätig wird (dabei kann es sich dann allerdings nur um einen von der Partei selbst bestellten Zustellungsbevollmächtigten handeln [SZ 59/138]), oder die Einsichtnahme und die Herstellung von Abschriften durch die Parteien zu ermöglichen, wenn es sich um einen gemeinschaftlichen Zustellungsbevollmächtigten handelt (§ 99). Dabei trifft ihn eine Verständigungspflicht, weil die Parteien sonst nicht wissen können, dass etwas zur Einsicht aufliegt (Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 99 Rz 4; idS wohl auch Walter/Mayer, Zustellrecht 182; aA Feil § 99 ZustG Rz 4). Zeit der Zustellung § 100. (1) An Samstagen, Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen darf eine Zustellung, sofern sie nicht durch die Post vollzogen wird, nur mit Erlaubnis des Gerichtes erfolgen, das die Zustellung veran754

§ 103

1.2 Verfahren

laßt. Die Erlaubnis ist nur zu erteilen, wenn die Zustellung wegen der Gefahr des Ablaufes einer Frist oder des Verlustes eines Rechtes oder aus einem ähnlich wichtigen Grund dringlich ist. Sie ist auf dem zuzustellenden Schriftstück ersichtlich zu machen. (2) Der Beschluß, durch welchen die Erlaubnis erteilt oder verweigert wird, kann durch ein Rechtsmittel nicht angefochten werden. (3) Die vorstehenden Bestimmungen haben auch Anwendung zu finden, wenn eine Zustellung zur Nachtzeit bewirkt werden soll. [Abs 1 Fassung ZustRAG; sonst Stammfassung] Eine Zustellung an Samstagen, Sonntagen, gesetzlichen Feiertagen (s bei 1 § 221) oder zur Nachtzeit (22.00 Uhr bis 6.00 Uhr [§ 26 Geo]) kann nur über Antrag (Walter/Mayer, Zustellrecht 184; aA Stumvoll in Fasching/ Konecny II/2 § 100 Rz 8) und über eine – nicht anfechtbare (Abs 2) – Anordnung des Gerichts idR durch Organe des Gerichts (nach den §§ 5, 10 PostO stellt zu diesen Zeiten die Post nicht zu; vgl auch Walter/ Mayer, Zustellrecht 183; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 100 Rz 2) erfolgen. Die Zustellung ist zu bewilligen, wenn etwa für die Partei ein Rechtsnachteil dadurch entstehen würde, dass ein Schriftsatz nicht bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zugestellt ist (etwa eine rechtswirksame Aufkündigung nach § 563), oder wenn die Rechtsverwirklichung bei nicht rechtzeitiger Zustellung wesentlich erschwert würde (etwa eine Einstweilige Verfügung, die die Zerstörung oder Verbringung einer Sache verbietet; Näheres s bei Walter/Mayer, Zustellrecht 183; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 100 Rz 6). §§ 101, 102. Durch das ZustRAG aufgehoben Ersatzzustellung § 103. Die Ersatzzustellung an eine im § 16 Abs 2 des Zustellgesetzes genannte Person darf nicht erfolgen, wenn sie an dem Rechtsstreit als Gegner des Empfängers beteiligt ist. [Fassung ZustRAG] Allgemeines zur Ersatzzustellung s bei § 16 ZustG.

1

Als Gegner des Empfängers am Rechtsstreit beteiligt ist derjenige, 2 gegen den der Empfänger Rechtsansprüche oder rechtliche Interessen geltend macht (etwa Beklagter, Verpflichteter, Antragsgegner) oder der solche gegen den Empfänger geltend macht (Kläger, Betreibender, Antragsteller), desgl derjenige, der auf Seiten einer solchen Partei beteiligt 755

§ 106

Gitschthaler

ist (etwa Nebenintervenient; Walter/Mayer, Zustellrecht 185; Feil § 103 ZPO Rz 2; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 103 Rz 3).

3 In Verfahren außer Streitsachen sind als Gegner des Empfängers nicht nur die formellen Antragsgegner (3 Ob 98/54) zu verstehen, sondern auch jene Personen, deren Rechte im laufenden Verfahren in Widerstreit zu den Rechten des Empfängers treten können (SZ 39/200 = EvBl 1967/231, 7 Ob 83/72; vgl zum materiellen Parteibegriff § 2 AußStrG).

4 In einem Exekutionsverfahren wegen kridamäßiger Versteigerung sind Masseverwalter und Gemeinschuldner Gegner iSd § 103 (vgl SZ 34/ 165 = EvBl 1962/42, SZ 44/189 = EvBl 1972/135, 3 Ob 8/96, 3 Ob 266/ 99k, 3 Ob 282/02w, 3 Ob 171/03y). §§ 104, 105. Durch das ZustRAG aufgehoben Zustellung von Klagen § 106. (1) Klagen und Schriftstücke, die wie Klagen zuzustellen sind, können nur zu eigenen Handen des Empfängers oder seines zur Übernahme von Klagen oder anderen wie solche zuzustellenden Schriftstücken ermächtigten Vertreters oder in Rechtssachen, die sich auf den Betrieb eines Handelsgewerbes [Unternehmens] beziehen, zu Handen eines Prokuristen (Gesamtprokuristen) des Empfängers zugestellt werden. (2) Erfolgt die Zustellung im Ausland durch Behörden des Zustellstaates, so genügt die Einhaltung jener Vorschriften, die das Recht dieses Staates für die Zustellung entsprechender Schriftstücke vorsieht. Das gilt nicht, wenn die Anwendung dieser Vorschriften mit Art. 5 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl Nr 210/1958, unvereinbar wäre. [Abs 1 neu gefasst durch ZustRAG, ab 1.1.2007 idF HaRÄG; Abs 2 eingefügt durch ZVN 2004]

1 Zur Eigenhandzustellung im Allgemeinen s bei § 21 ZustG. 2 Die Notwendigkeit einer Eigenhandzustellung hängt nicht davon ab, ob es sich um Zustellungen handelt, die bedeutende Rechtsfolgen auslösen können. Sie ist vielmehr nur dort gegeben, wo sie vom Gesetzgeber angeordnet wird (kein Ermessen: Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 106 Rz 3). Sie ist außerhalb der ZPO (dort neben § 106 noch in § 155 756

§ 106

1.2 Verfahren

Abs 4, § 247 Abs 2, § 550 Abs 3, §§ 559, 564 Abs 1 und § 567 Abs 3 [1 Ob 317/98v]) etwa in §§ 171, 294, 395 EO, § 120 GBG, in § 8 Abs 2, § 124 AußStrG oder in § 15 NotwG, für die Aufforderung des Sozialversicherungsträgers an den Leistungsempfänger, sich einer Nachuntersuchung zu unterziehen (ARD 4725/13/96), oder für die Aufforderung zur Abgabe einer Drittschuldnererklärung (vgl OLG Wien ARD 5382/17/ 2003) vorgesehen, nicht aber für die Fortsetzung eines ruhenden (LG Wien EvBl 1935/47) oder unterbrochenen (ausgenommen §§ 155, 156) Verfahrens oder bei Zustellung von Urteilen (4 Ob 22/79, 4 Ob 24/82, 1 Ob 317/98v = JBl 1999, 333). Weitere Beispiele s bei Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 106 Rz 2. Bei einer offenkundigen Interessenkollision bei der Zustellung der Kla- 3 ge des Postbevollmächtigten zu Handen desselben ist der urkundliche Nachweis der Zustimmung des in seinen Interessen beeinträchtigten Machtgebers zu fordern. Eine an das Zustellungspostamt gerichtete Postvollmacht (iS des § 150 PostO) kann nicht als ausreichender urkundlicher Nachweis einer bereits vorher erteilten Einwilligung zur Doppelvertretung oder des Insichgeschäftes angesehen werden (9 ObA 258/99b). Durch Einfügung des Abs 2 durch die ZVN 2004 wurde eine Rechts- 4 unsicherheit beseitigt. Die Eigenhandzustellung ist eine österreichische Besonderheit. Die meisten anderen Rechtsordnungen kennen nur eine einheitliche Zustellform, ohne zwischen Klagen und anderen Schriftstücken zu differenzieren. Das führte bei Klagszustellungen im Rechtshilfeweg zu Problemen: Nach dem Grundsatz locus regit actum reicht an sich zwar die Einhaltung der Vorschriften des Zustellstaats aus (Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 1 ZustG] Rz 7; 3 Ob 316/97k, 4 Ob 276/01v, 4 Ob 60/05k; vgl Näheres bei § 121 Rz 8). Der OGH vertrat jedoch in einer strafrechtlichen Entscheidung die Auffassung, dass um eigenhändige Zustellung ersucht werden müsse, wenn dies nach den im Verhältnis zum Zustellstaat geltenden Vorschriften möglich sei (12 Os 93/90; dies ausdrücklich ablehnend zwischenzeitig allerdings 4 Ob 60/05k). Dies führte zu Problemen, weil solche Ersuchen zwar nach den meisten internationalen Rechtsquellen möglich sind (vgl insb Art 7 Abs 1 ZustellVO), in der Praxis aber häufig nicht befolgt wurden. Wird der Empfänger nicht angetroffen, wird idR daher eine nach dem Recht des Zustellstaats zulässige Ersatzzustellung (iwS) vorgenommen, uzw entweder durch Übergabe an einen nach dem Recht dieses Staats bestimmten Ersatzempfänger oder durch eine nicht den strengen Voraussetzungen des § 21 Abs 2 ZustG entsprechende Hinterlegung (Niederlegung). 757

§ 112

Gitschthaler

Abs 2 brachte nun insofern eine Klarstellung: Wird im Rechtshilfeweg zugestellt, soll die Einhaltung der im Zustellstaat für die Zustellung entsprechender Schriftstücke geltenden Vorschriften jedenfalls ausreichen. Nach Maßgabe dieses Rechts wäre daher sowohl die Zustellung an einen Ersatzempfänger als auch die Hinterlegung (Niederlegung) ohne vorherigen zweiten Zustellversuch als wirksam anzusehen. Um die Einhaltung einer besonderen Zustellform müsste daher nicht mehr ersucht werden. Das ist sachlich gerechtfertigt: Bei Aufenthalt im Ausland gibt es kein schutzwürdiges Vertrauen auf die Einhaltung österreichischer Zustellvorschriften. Der Empfänger ist durch die Einhaltung der Vorschriften des Aufenthaltsstaates nicht beschwert, müsste er sie doch auch für Zustellungen von Schriftstücken dieses Staates hinnehmen (vgl auch 4Ob 60/05k). Die Formulierung, dass die Anwendung der Vorschriften des Zustellstaates „genügt“, lässt aber auch die Anwendung der österreichischen Regelungen zu. Eine Zustellung durch Behörden des Zustellstaats ist demnach immer dann wirksam, wenn entweder die Vorschriften dieses Staats oder jene des österreichischen Rechts eingehalten wurden. §§ 107–111. Durch das ZustRAG aufgehoben Zustellung zwischen Rechtsanwälten § 112. Sind beide Parteien durch Rechtsanwälte vertreten, so hat jeder dieser Rechtsanwälte, der einen Schriftsatz einbringt, die für den Gegner bestimmte Gleichschrift dessen Rechtsanwalt durch einen Boten, die Post oder mittels Telefax oder elektronischer Post direkt zu übersenden; diese Übersendung ist auf dem dem Gericht überreichten Stück des Schriftsatzes zu vermerken. Dies gilt nicht für Schriftsätze, die dem Empfänger zu eigenen Handen zuzustellen sind oder durch deren Zustellung eine Notfrist in Lauf gesetzt wird. [Neu gefasst durch Budgetbegleitgesetz 2000] § 113. Durch Budgetbegleitgesetz 2000 aufgehoben

1 Die direkte Übermittlung von Schriftsätzen zwischen den (auch ausländischen iS des EuRAG) Rechtsanwälten dient insb der Entlastung der Gerichte (Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 112 Rz 8), bedurfte aber im Hinblick auf § 113 bis 1.6.2000 der Zustimmung des gegnerischen Rechtsanwalts (Walter/Mayer, Zustellrecht 188; Feil § 112 ZPO Rz 1). Seit diesem Zeitpunkt ist § 112 nicht mehr fakultativ, sondern zwingend angeordnet. Die Übermittlung kann – wie schon bisher (vgl zum Telefax schon OLG Wien AnwBl 1991, 56 und Rainer, AnwBl 1999, 634, 758

§ 112

1.2 Verfahren

783) – durch Boten, durch die Post oder mittels Telekopierers (Telefax) erfolgen, nunmehr ausdrücklich auch durch elektronische Post, also durch E-mail-Verkehr. Nicht anwendbar ist § 112 auf sonstige Bevollmächtigte, es sei denn es handelt sich um qualifizierte Vertreter iS des § 40 Abs 1 ASGG (Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 112 Rz 9). Die Übermittlung hat immer auf Kosten der Partei, deren Rechts- 2 anwalt das Schriftstück übermittelt, zu erfolgen; diese Kosten sind als im Einheitssatz gedeckt anzusehen (Popp, RdW 2000, 525; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 112 Rz 13). Enthält eine gemäß § 112 übermittelte Gleichschrift eines Schriftsatzes Beilagen, dann sind dem Gegner auch Abschriften dieser Beilagen zu übermitteln (LG Linz 405/03i). Die Vorgangsweise nach § 112 ist nicht zulässig bei Rechtsmittelschrif- 3 ten, deren Beantwortung vorgesehen ist (Walter/Mayer, Zustellrecht 189), weil damit eine Notfrist in Gang gesetzt wird (LGZ Wien EFSlg 98.180, 101.917), und bei eigenhändig zuzustellenden verfahrenseinleitenden Schriftsätzen. Nach der Rsp (9 Ob 361/98y) besteht aber kein rechtliches Hindernis für die direkte Zustellung der Gleichschrift eines Antrags auf Erlassung einer EV, weil es sich dabei – anders als etwa bei Klagen und Rechtsmitteln – um keinen Schriftsatz handelt, der dem Empfänger eigenhändig zuzustellen ist oder durch dessen Zustellung eine Notfrist in Lauf gesetzt wird. Die gefährdete Partei, die diesen Weg der Zustellung wählt, bringt sich allerdings in jenen Fällen, in denen vom Gericht ohne Anhörung des Antragsgegners entschieden werden kann, um die Möglichkeit, dass der Antragsgegner erst durch den zuzustellenden Beschluss des Gerichts vom Antrag auf Erlassung einer EV Kenntnis erlangt. Wird unzulässigerweise nach § 112 vorgegangen, scheidet eine Heilung 4 nach § 7 ZustG aus. Eine Analogie (idS Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 112 Rz 16) scheint aber wohl jedenfalls dort geboten, wo der Gegner auf den Schriftsatz bereits reagiert hat (vgl dazu bei § 7 ZustG), würde doch in einem solchen Fall die Einleitung eines Verbesserungsverfahrens mit dem Auftrag, eine Gleichschrift vorzulegen, um diese dann durch das Gericht zustellen lassen zu können, einen sinnentleerten Ritualakt darstellen. Nicht denkbar ist in einem solchen Fall aber die Zurückweisung der gegnerischen Rechtshandlung (etwa Rechtsmittelbeantwortung) mit der Begründung, diese sei verspätet, weil ja unter Bedachtnahme auf § 112 eine rechtswirksame Zustellung noch gar nicht stattgefunden hat. § 114. Durch das ZustRAG aufgehoben 759

§ 115

Gitschthaler Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung

§ 115. Durch öffentliche Bekanntmachung (§ 25 des Zustellgesetzes) ist zuzustellen, wenn das Vorliegen der dafür erforderlichen Voraussetzungen glaubhaft gemacht wird. Die öffentliche Bekanntmachung erfolgt durch Aufnahme einer Mitteilung in die Ediktsdatei, dass ein zuzustellendes Schriftstück bei Gericht liegt. Die Mitteilung hat auch eine kurze Angabe des Inhalts des zuzustellenden Schriftstücks, die Bezeichnung des Prozessgerichts und der Streitsache sowie die Möglichkeiten zur Abholung des Schriftstücks und einen Hinweis auf die Rechtsfolgen dieser Bekanntmachung zu enthalten. Mit der Aufnahme in die Ediktsdatei gilt die Zustellung als vollzogen. [Satz 1 neu gefasst durch ZustRAG; Satz 2 bis 4 angefügt durch AußStr-BegleitG]

1 Allgemeines zur Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung s bei § 25 ZustG (Zustellung durch Anschlag an der Amtstafel). § 115 ist im Allgemeinen auf die erstmalige Zustellung an eine Person eingeschränkt (vgl Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 115 Rz 10).

2 Der Gegner – in einem amtswegigen Verfahren das Gericht selbst (§ 115 ZPO Rz 4) – hat das Vorliegen der Voraussetzungen des § 25 ZustG glaubhaft zu machen (zu bescheinigen [SZ 38/45 = JBl 1966, 90, JBl 1980, 267, RdW 1995, 427, 10 Ob 288/98w]; vgl auch Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 115 Rz 16), uzw bereits im Verfahren erster Instanz; ein entsprechendes Vorbringen erst im Rekurs verstößt somit gegen das Neuerungsverbot (OLG Linz 2 R 168/03v; LG Linz 15 R 307/03b).

3 Der Umstand, dass der „Gang der Rechte Dritter“ gehindert wird, genügt für sich allein nicht (SZ 38/45, JBl 1980, 267, 10 Ob 288/98w). Grundvoraussetzung ist nämlich zunächst einmal, dass ein Zustellversuch an einer bekannten Adresse unternommen worden ist (LGZ Wien MietSlg 34.713, EFSlg 82.199). Bei der Glaubhaftmachung ist ein strenger Maßstab anzulegen (Feil § 115 ZPO Rz 3), der Gegner hat aber nicht allzu umfangreichen (SZ 25/10, MietSlg 6112, JBl 1980, 267, MietSlg 37.737, RdW 1998, 676, 10 Ob 288/98w, 1 Ob 301/04b, 7 Ob 142/05s; OLG Linz 2 R 168/03v) oder gar unzumutbaren (MietSlg 35.758, 37.737 uva) Aufwand zu betreiben. Es sind auch nicht alle denkbaren Anfragen nötig, so etwa nicht bei bloßen Vermutungen über den Aufenthaltsstaat der Partei (LGZ Wien 42 R 412/04f). Sind aufgrund der Sachlage Nachforschungen bzw 760

§ 115

1.2 Verfahren

Erhebungen von vornherein wenig aussichtsreich bzw nicht erfolgversprechend, ist eine Vorgangsweise nach §§ 115 ff auch ohne diese möglich (7 Ob 142/05s). Der Gegner der abwesenden Partei hat aber grundsätzlich schon zu versuchen, eine Abgabestelle des Empfängers auszuforschen (SZ 25/ 10, SZ 38/45 = JBl 1966, 90; Fasching1 II 621), uzw bei jenen Personen, die üblicherweise davon Kenntnis haben, wo sich der Empfänger aufhält (SZ 25/10, SZ 38/45, 5 Ob 767/80, MietSlg 35.758, JUS 1985/8, 13, RdW 1998, 676, 1 Ob 301/04b, 7 Ob 142/05s; LG Eisenstadt 13 R 127/ 03d). Dies wären etwa leicht erreichbare Angehörige, Mitbewohner und Angestellte (SZ 25/10, 10 Ob 288/98w, 1 Ob 301/04b, 7 Ob 142/ 05s), Arbeitgeber bzw Berufsvorgesetzte (LGZ Wien EFSlg 72.933), Arbeitskollegen (LGZ Wien 42 R 820/03d), der Rechtsvertreter (LGZ Wien MietSlg 36.754) und Wohnungsnachbarn (LGZ Wien MietSlg 37.738) des Empfängers sowie sonstige aktenkundige Personen, denen der Aufenthalt des Empfängers möglicherweise bekannt sein könnte (LGZ Wien EFSlg 72.933; VwGH Zl 91/14/0156; Feil § 25 ZustG Rz 2; Madlberger, ÖStZ 1993, 313). Dabei hat der Gegner diese Personen zunächst selbst ausfindig zu machen (LGZ Wien WR 430). Auch naheliegende Nachforschungen bei (ausländischen) Behörden können geboten sein (1 Ob 301/04b, 7 Ob 142/05s). In Betracht käme jedenfalls auch eine Anfrage beim Gemeindeamt (OPM ÖBl-LS 2002/95). Unbekannt ist der Aufenthalt des Empfängers daher erst dann, wenn der Aufenthalt auch all diesen Personen und Behörden nicht bekannt ist (OLG Linz 2 R 168/03v). Vgl dazu ausführlich auch Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 115 Rz 16, § 116 Rz 13–16. Als nicht ausreichend angesehen werden etwa 4 a) die Bescheinigung der erfolgten Delogierung (LGZ Wien MietSlg 37.738; vgl dazu auch bei § 8 ZustG), b) ein Postfehlbericht (JBl 1955, 477, SZ 38/45, RdW 1998, 676; OLG Linz 2 R 168/03v), c) das Nichteinlangen eines Rückscheins ohne Postfehlbericht (LGZ Wien EFSlg 94.493), d) eine negative Auskunft der Meldebehörde (RdW 1995, 427, RdW 1998, 676; OLG Linz 2 R 168/03v; LG Eisenstadt 13 R 127/03d), uzw insb dann, wenn sich aus der Auskunft ein Hinweis auf den nunmehrigen Aufenthaltsort – möglicherweise auch im Ausland (8 ObA 132/98i = RdW 1998, 676; OLG Linz 1 R 68/00a; aA offensichtlich JBl 1954, 593, 6 Ob 592/85) – ergibt (RdW 1998, 676), e) eine negative Sozialversicherungsauskunft (LGZ Wien EFSlg 108.933), 761

§ 115

Gitschthaler

f) die bloße Auskunft, der Empfänger halte sich in einem bestimmten Staat auf (VwGH AnwBl 1992, 238 [Liechtenstein]; OLG Linz 1 R 68/00a [Türkei]), oder g) eine Anfrage beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger (LGZ Wien EFSlg 94.492). Eine positive Meldeauskunft schließt für sich allein zwar noch nicht eine „unbekannte Abgabestelle“ aus (VwGH VwSlg 7600 A; Feil § 25 ZustG Rz 2), sie kann aber ein Indiz dafür sein, dass der Empfänger an der Adresse, unter der er gemeldet ist, auch tatsächlich wohnt (Feil § 25 ZustG Rz 2).

5 Eine aufrechte Bevollmächtigung eines Rechtsanwalts oder die Vertretung durch einen Verfahrenshelfer schließen eine Vorgangsweise nach §§ 115 ff aus (LG Wels EFSlg 108.934).

6 IZm der Neuregelung des Verfahrens außer Streitsachen durch das AußStrG BGBl I 2003/111 wurden auch die §§ 115 ff ZPO über die öffentliche Bekanntmachung insofern den technischen Gegebenheiten der Gegenwart angepasst, als der Anschlag von Edikten an der Gerichtstafel durch deren Aufnahme in die Ediktsdatei ersetzt wird; diese hat größere Publizitätswirkung. Auch wenn der Ediktsdatei im Hinblick auf § 115 Satz 2 nicht der gesamte Inhalt des Zustellstücks entnommen werden kann, tritt die Zustellung dennoch bereits mit der Aufnahme in die Ediktsdatei und nicht erst mit einer allfälligen späteren Behebung ein, was eine gewisse Durchbrechung des (zustellrechtlichen) Grundsatzes bedeutet, dass Zustellwirkungen erst eintreten sollen, wenn dem Empfänger das (gesamte Original-)Zustellstück tatsächlich zugekommen ist.

7 Anhang: Gerichtsorganisationsgesetz (GOG): § 89j (1) Der Bundesminister für Justiz hat eine allgemein zugängliche Datenbank (Ediktsdatei) einzurichten, in die von den Gerichten die Daten jener gerichtlichen Bekanntmachungen aufzunehmen sind, die auf Grund gesetzlicher Vorschriften durch die Aufnahme in die Ediktsdatei bekanntzumachen sind. Wird eine solche Bekanntmachung angeordnet, so treten ihre Wirkungen mit der Aufnahme ihrer Daten in die Ediktsdatei ein. (2) Die Daten gerichtlicher Bekanntmachungen, die nicht durch die Aufnahme in die Ediktsdatei bekanntzumachen sind, können zur Erleichterung ihrer Kenntnisnahme nach Maßgabe des Abs 3 Z 4 in die Ediktsdatei aufgenommen werden; einer sol762

§ 115

1.2 Verfahren

chen Aufnahme in die Ediktsdatei kommt die Wirkung einer gerichtlichen Bekanntmachung jedoch nicht zu. (3) Der Bundesminister für Justiz wird ermächtigt, nach Maßgabe der technischen und personellen Möglichkeiten sowie unter Bedachtnahme auf eine einfache und sparsame Verwaltung und eine Sicherung vor Mißbrauch durch Verordnung insbesondere festzulegen, 1. welche Übermittlungsstellen für die Abfrage einzurichten sind, 2. welche Abfragen anhand bestimmter Kriterien (etwa zeitliche oder örtliche Grenzen, Verfahrensumstände, Verfahrensarten oder Namen), die eine Vielzahl von Ergebnissen erwarten lassen, auch zulässig und wie diese durchzuführen sind (Sammelabfragen), 3. welche Bedingungen für einen sicheren Betrieb der Ediktsdatei einzuhalten sind sowie 4. – im Fall des Abs 2 – welche Daten ab welchem Zeitpunkt von den Gerichten in die Ediktsdatei aufzunehmen sind und ab welchem Zeitpunkt diese Daten zur Abfrage nicht mehr zur Verfügung zu stehen haben. (4) Fehler von Dateneingaben in die Ediktsdatei und fehlerhafte Abfragemöglichkeiten sind auf Antrag oder von Amts wegen von dem Gericht zu berichtigen, das für jenes Verfahren zuständig ist, in dem die Bekanntmachung vorgenommen worden ist. Der Antrag kann von jedem gestellt werden, der von einem Fehler der Dateneingabe oder ihrer Abfragbarkeit betroffen ist. § 89k (1) Jedermann kann in die Ediktsdatei durch eine Abfrage mittels automationsunterstützter Datenübermittlung Einsicht nehmen. (2) Von allen Bezirksgerichten und von den Gerichtshöfen erster Instanz ist eine Einsicht in die Ediktsdatei durch die Erteilung eines Ausdrucks zu gewähren; von einem Gerichtshof erster Instanz aber nur dann, wenn er für ein Verfahren zuständig ist, in dem die nachgefragten Daten bekanntgemacht werden könnten. (3) Kurze Mitteilungen aus der Ediktsdatei sind von den nach Abs 2 zuständigen Gerichten jedoch mündlich zu erteilen; statt dessen kann eine dementsprechende Einsicht in die Ediktsdatei mit Hilfe geeigneter technischer Vorrichtungen gewährt werden. (4) Kann eine Einsicht durch Sammelabfrage nicht automationsunterstützt vorgenommen werden, so ist sie schriftlich bei einem Gericht zu beantragen, das für eines der Verfahren zuständig ist, in dem die nachgefragten Daten bekanntgemacht werden könnten. 763

§§ 116–119

Gitschthaler Zustellung an den Kurator

§ 116. Für Personen, an welche die Zustellung wegen Unbekanntheit des Aufenthaltes nur durch öffentliche Bekanntmachung geschehen könnte, hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen einen Kurator zu bestellen (§ 9), wenn diese Personen infolge der an sie zu bewirkenden Zustellung zur Wahrung ihrer Rechte eine Prozeßhandlung vorzunehmen hätten und insbesondere, wenn das zuzustellende Schriftstück eine Ladung derselben enthält. [Stammfassung] § 117. (1) Die Bestellung des Kurators, dessen Name und Wohnort und eine kurze Angabe des Inhaltes des zuzustellenden Schriftstückes sind nebst der Bezeichnung des Prozeßgerichtes und der Streitsache durch Edikt bekannt zu machen. Das Edikt hat die Bemerkung zu enthalten, daß die Person, für welche der Kurator bestellt wurde, bis zu ihrem eigenen Auftreten oder der Namhaftmachung eines Bevollmächtigten auf ihre Gefahr und Kosten durch den Kurator vertreten werde. (2) Der Inhalt des Edikts ist in die Ediktsdatei aufzunehmen. Wenn dies im einzelnen Fall zweckmäßig erscheint und nicht mit einem im Vergleich zum Streitgegenstand zu großen Kostenaufwand verbunden ist, kann auf Antrag oder vom Amts wegen angeordnet werden, dass das Edikt auch in Zeitungen eingeschaltet werde. Gegen diese Anordnung ist ein Rechtsmittel nicht zulässig. Im Verfahren vor Gerichtshöfen steht diese Anordnung dem Vorsitzenden des Senates zu, dem die Rechtssache zugewiesen ist. Die Bekanntmachung des Edikts ist von Amts wegen zu bewirken. (3) Aufgehoben [Abs 2 neu gefasst durch AußStr-BegleitG; Abs 3 aufgehoben durch ZVN 1983; sonst Stammfassung] § 118. (1) Die Zustellung gilt mit Aufnahme des Inhalts des Ediktes in die Ediktsdatei und der nachfolgenden Übergabe des zuzustellenden Schriftstücks an den Kurator als vollzogen. (2) Die Kosten der Bekanntmachung und der Kuratorbestellung sind unbeschadet eines Anspruches auf Ersatz von der Partei zu bestreiten, durch deren Prozeßhandlung beides veranlaßt wurde. [Abs 1 neu gefasst durch AußStr-BegleitG mit Wirkung ab 1.1.2005; sonst Stammfassung] § 119. (1) Das Edikt über die Bestellung des Kurators ist zu löschen, sobald der Kurator rechtskräftig seines Amtes enthoben wurde oder die Kuratel sonst erloschen ist. 764

§§ 116–119

1.2 Verfahren

(2) Die Mitteilung nach § 115 ist zu löschen, wenn seit ihrer Aufnahme ein Monat vergangen ist und das Gericht keine längere Bekanntmachungsdauer bestimmt hat. [Durch das ZustRAG zunächst aufgehoben; neu eingefügt durch AußStr-BegleitG] Inhaltsübersicht Begriff des Zustellkurators Bestellungsvoraussetzungen Bestellungsvorgang Nichtigkeit und Wahrnehmung

1 2–5 6 7–9

Vertretung Kosten Enthebung des Zustellkurators Außerstreitverfahren

10 11 12 13

Die Bestellung eines Zustellkurators nach § 116 (prozessualer Abwe- 1 senheitskurator, Zustellkurator, Prozesskurator) stellt einen Spezialfall einer allgemeinen Abwesenheitskuratorernennung nach dem bürgerlichen Recht dar (vgl Zimmeter, JBl 1947, 75; JBl 1947, 75, SZ 21/155 = JBl 1949, 553, SZ 60/219 = ÖA 1988, 20). Der Antragsteller hatte – bis zum KindRÄG 2001 – allerdings bei konkurrierenden Voraussetzungen die Wahl zwischen dem vom Prozessgericht zu bestellenden Zustellkurator nach § 116 und dem vom Pflegschaftsgericht zu bestellenden Abwesenheitskurator nach § 276 ABGB (SZ 24/15, 1 Ob 530/53, 1 Ob 818/53, RZ 1955, 60, SZ 38/45 = JBl 1966, 90, ÖA 1988, 20, 6 Ob 610/91; aA LGZ Wien NBlRA 1953, 48, WR 35), wobei bei Identität von Prozess- und Pflegschaftsgericht das Gericht nicht an eine konkrete Antragstellung gebunden war (LGZ Wien WR 761). Dieses Wahlrecht ist aber seit 1.7.2001 dann ausgeschlossen, wenn bereits ein Prozesskurator bestellt worden ist, weil in diesem Falle nicht mehr gesagt werden kann, dass ohne Bestellung eines Abwesenheitskurators die Rechte des anderen in ihrem Gang gehemmt würden; ein derartiger Antrag ist mangels Rechtsschutzbedürfnisses zurückzuweisen (8 Ob 184/02w; idS wohl auch Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 116 Rz 2, 3). Während der nach § 276 ABGB oder § 116 ZPO ausschließlich für einen bestimmten Prozess bestellte Kurator zur Vertretung der Partei in einem anschließenden Exekutionsverfahren ebenso wenig berechtigt ist (SZ 2/21, EvBl 1947/352, SZ 23/391, SZ 44/139, EvBl 1977/56, 3 Ob 35/ 82) wie zur Leistung von Zahlungen aus dem Vermögen der Partei (SZ 57/52 = JBl 1985, 235) oder zur Empfangnahme einer Mahnung etwa im Rahmen einer Klage, uzw selbst dann nicht, wenn die Fälligkeit der klagsweise geltend gemachten Forderung von der Mahnung abhängt (SZ 57/52; LGZ Wien MietSlg 47.137, WR 761; in diesem Fall müsste ein Kurator nach § 276 ABGB bestellt werden [LGZ WR 761]), hat ein allgemein nach § 276 ABGB bestellter Abwesenheitskurator die Partei 765

§§ 116–119

Gitschthaler

bei der Verwaltung ihres Vermögens und daher auch in einem gegen sie eingeleiteten Exekutionsverfahren zu vertreten (SZ 44/139, EvBl 1977/ 56, 8 Ob 184/02w). Des Weiteren ist § 276 ABGB insoweit weiter gefasst, als Abwesenheit auch dann vorliegt, wenn trotz Bekanntheit des Aufenthaltsorts des Abwesenden die Rechte Dritter gehemmt sind, etwa weil die Zustellung unmöglich ist (SZ 38/45, 8 Ob 184/02w). Vgl ausführlich auch Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 116 Rz 2–8.

2 Grundvoraussetzung für die Bestellung eines Zustellkurators ist das Vorliegen der Voraussetzungen des § 115 (vgl dort) (7 Ob 190/99p = SZ 72/155). Da der Grundsatz des rechtlichen Gehörs die Beteiligung der Partei selbst am Verfahren erfordert und die Bestellung eines Kurators stets die Gefahr in sich birgt, dass durch zu weitherzige Auslegung der Bestellungsvoraussetzungen, durch zu großzügige Annahme der Abwesenheit oder durch wissentlich falsche Behauptung von Tatsachen die Kuratorbestellung und damit die Durchführung des Verfahrens ermöglicht wird, in dem der Partei jedoch faktisch das rechtliche Gehör verweigert wird, sind diese Voraussetzungen streng zu prüfen. Dass der Kurator als gesetzlicher Vertreter der Partei ohnehin deren Interessen wahrzunehmen hat, ändert daran nichts (LGZ Wien 42 R 820/03d).

3 Für Personen, deren Abgabestelle unbekannt ist (s dazu bei § 25 ZustG), was von ihrem Gegner glaubhaft zu machen ist (vgl dazu § 115; JBl 1980, 267, 8 Ob 557/82, 6 Ob 557/95) oder an deren Abgabestelle im Ausland eine Zustellung nicht möglich ist (JBl 1954, 593, 2 Ob 230/50, 6 Ob 592/85), kann von Amts wegen oder über Antrag (ein derartiger Antrag kann nur bei Änderung der maßgeblichen Verhältnisse zulässigerweise wiederholt werden [OLG Wien WR 833], hält aber im Hinblick auf die Verjährung die Gerichtsanhängigkeit aufrecht [ecolex 1999/151]) durch das Prozessgericht ein Zustellkurator bestellt werden. Voraussetzung ist weiters, dass die Zustellung eine prozessuale Handlungspflicht des Empfängers bewirkt (Fasching Rz 542, 543; Rassi, RZ 1996, 217; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 25 ZustG] Rz 3, § 116 Rz 21–23; 1 Ob 232/71, DRdA 1999, 396; OLG Linz 2 R 271/97d), also insb bei Zustellung einer Klage (OLG Linz 2 R 271/97d), einer Ladung (7 Ob 190/99p = SZ 72/155) oder einer anfechtbaren Entscheidung (9 Ob 154/04v, 1 Ob 301/04b, 7 Ob 142/05s; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 116 Rz 22; aA 3 Ob 84/88). § 116 sieht hingegen eine Kuratorbestellung für unbekannte Personen nicht vor (Walter/Mayer, Zustellrecht 192; Feil § 116 ZPO Rz 1), obwohl § 25 ZustG ausdrücklich von der Mehrheit von Personen spricht, die der Behörde nicht bekannt sind. Daraus will Stumvoll (in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 25 ZustG] Rz 4) nunmehr eine plan766

§§ 116–119

1.2 Verfahren

widrige Unvollständigkeit des § 116 ableiten, während Walter/Mayer (Zustellrecht 192) für eine Abhilfe durch Bestellung eines Abwesenheitskurators eintreten. Das aus dem US-amerikanischem Recht bekannte System von Sammelklagen (als Kläger tritt ein zahlen- und personenmäßig völlig unbestimmtes Kollektiv auf; class action) kann aber auch auf diesen Wegen nicht ins österreichische Zivilverfahren eingeschleust werden, ist doch eine anonyme, namentlich nicht identifizierte Personengesamtheit unbekannter Kläger – schon infolge laufender starker Fluktuation – völlig unbestimmt (6 Ob 744/89) und daher nicht parteifähig (7 Ob 22/99g, 7 Ob 234/01i = EvBl 2003/21; idS wohl auch Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 116 Rz 6). In Anwendung des § 116 kann auch für einen abwesenden Drittschuld- 4 ner ein Zustellkurator bestellt werden (JBl 1997, 606); desgl ist, wenn eine Gesellschaft oder Genossenschaft nur von kollektivvertretungsbefugten Geschäftsführern oder Vorstandsmitgliedern vertreten wird und einer von ihnen gegen die Gesellschaft oder Genossenschaft auftritt, für diese ein Kurator zu bestellen (SZ 25/244 = NZ 1953, 43). Einen Anwendungsfall des § 116 stellt auch der iS des § 38a Abs 1 SPG aus der gemeinsamen Wohnung weggewiesene Ehepartner dar, von dem nunmehr eine Abgabestelle nicht bekannt ist und gegen den ein Rückkehrverbot gemäß § 382b Abs 1 Z 2 EO ausgesprochen werden soll (Barth, AnwBl 2002, 83). Beim zu bestellenden Zustellkurator muss es sich um eine eigenberech- 5 tigte, natürliche Person, im Anwaltsprozess zweckmäßigerweise um einen Rechtsanwalt handeln (Walter/Mayer, Zustellrecht 194). Die ausgewählte Person ist grundsätzlich zur Übernahme des Kuratorenamts verpflichtet (Rassi, NZ 1998, 323; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 116 Rz 28; NZ 1994, 134), uzw grundsätzlich auch ein Rechtsanwalt. Auch diesen treffen gewisse Sozialpflichten, wie dies im Übrigen im Sachwalterrecht stRsp ist (2 Ob 296/98p, 2 Ob 55/01d = EFSlg 96.832 ua). Die Kuratorbestellung erfolgte nach der Rechtslage vor BGBl I 2003/ 6 112 rechtswirksam durch den Anschlag des Edikts (Bestellungsbeschlusses) an der Gerichtstafel (§ 117 aF), durch dessen Einschaltung in der Wiener Zeitung und durch Zustellung des Bestellungsbeschlusses an den Zustellkurator (SZ 22/200, 1 Ob 271/51, SZ 27/302 = RZ 1955, 60, JBl 1997, 606). Seit 1.1.2005 ist im Hinblick auf § 117 Abs 2 idF BGBl I 2003/112 das Edikt in die Ediktsdatei aufzunehmen (vgl dazu auch bei § 115) und kann – unter Bedachtnahme auf allfällige Kosten – auch in Zeitungen eingeschaltet werden. Da die Bestellung erst mit dem Anschlag rechtswirksam wurde (ZBl 1922/346, SZ 22/200, SZ 27/302, JBl 1962, 381, NZ 1968, 190), dh 767

§§ 116–119

Gitschthaler

nunmehr mit der Ediktsveröffentlichung, dürfen zwar grundsätzlich erst danach Bestellungsbeschluss und zuzustellendes Schriftstück (§ 118 Abs 1) an den Kurator ausgehändigt werden (SZ 27/302). Eine verfrühte Aushändigung heilt aber durch nachfolgendes Edikt (zum nachfolgenden Anschlag vgl EvBl 1979/188; Fasching1 II 626; Feil § 118 ZPO Rz 1; aA LGZ Wien EFSlg 27.770; Walter/Mayer, Zustellrecht 198). Als Zustelltag gilt daher immer der Tag der Ediktsveröffentlichung, wenn spätestens zu diesem Zeitpunkt der Bestellungsbeschluss und das Schriftstück zugestellt werden. Auf die Rechtskraft des Bestellungsbeschlusses kommt es nicht an (10 Ob 2148/96x; Rassi, NZ 1998, 324). Solange der Bestellungsbeschluss mangels Zustellung noch nicht wirksam geworden ist, kann auch der Kurator nicht wirksam für die Partei tätig werden (1 Ob 663/88, 10 Ob 2148/96x). Darin, dass ein verfahrenseinleitender Schriftsatz an eine Person zugestellt wurde, die von ihrem Gegner fälschlich als zur Vertretung befugt bezeichnet wurde, ist zwar nicht schon die Bestellung dieser Person zum Zustellkurator zu sehen, doch wird die Zustellung durch die spätere Bestellung dieser Person saniert (SZ 40/127). Vgl dazu auch Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 117 Rz 5.

7 Sowohl die Kuratorbestellung als auch das mit dem Kurator durchgeführte Verfahren sind nichtig iS von zwar rechtswirksam – bis zu seiner Beseitigung ist ein auf Bestellung eines Zustellkurators lautender Beschluss daher zu beachten (Pfiel, immolex 1997, 209 [Entscheidungsbesprechung]) –, aber vernichtbar (EvBl 1951/403, SZ 27/102, JBl 1980, 267, MietSlg 35.758, RZ 1986/3, immolex 1997/112 [Pfiel], 7 Ob 190/99p = SZ 72/155, 8 Ob 27/03h, 7 Ob 61/05d; Bajons ZfRV 1975, 46 [Entscheidungsbesprechung]; Walter/Mayer, Zustellrecht 193; Feil § 116 ZPO Rz 2; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 115 Rz 5), a) wenn der Antragsteller und/oder das Gericht die vorprozessualen Sorgfaltspflichten vernachlässigt haben (s insb bei § 25 ZustG und § 115 ZPO [Erhebungen und Nachforschungen]); dies ist nämlich einer erschlichenen Kuratorbestellung gleichzuhalten (EvBl 1951/403, SZ 27/ 102, JBl 1980, 267, MietSlg 35.758, RdW 1995, 427, 6 Ob 557/95; LGZ Wien MietSlg 53.673, EFSlg 101.921; vgl auch Stumvoll in Fasching/ Konecny II/2 § 116 Rz 18, § 116 Rz 35–37); es kommt nicht darauf an, ob die unzureichenden Erhebungen und Nachforschungen subjektiv vorwerfbar sind (RdW 1995, 427); b) wenn das Gericht die Aufnahme des Edikts in die Ediktsdatei nicht vorgenommen hat (zum Anschlag an die Gerichtstafel vgl 7 Ob 164/68; LGZ Wien MietSlg 39.743); c) wenn nach § 8 ZustG vorgegangen hätte werden müssen (EvBl 1958/26, 5 Ob 131/62, RZ 1986/3, SSV-NF 12/108, 7 Ob 190/99p = SZ 768

§§ 116–119

1.2 Verfahren

72/155 = EFSlg 90.886, 8 Ob 27/03h, 8 Ob 48/03x; OLG Wien WR 859; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 116 Rz 38, 39); oder d) wenn ein (zunächst ordnungsgemäß) bestellter Kurator in weiterer Folge trotz Vorliegens der Enthebungsvoraussetzungen nicht enthoben wird (LGZ Wien 45 R 176/04x); die Nichtigkeit bezieht sich in diesem Fall aber nur auf diesen Verfahrensabschnitt. Keine Nichtigkeit ist hingegen anzunehmen, wenn zwar der Kläger die vorprozessualen Sorgfaltspflichten nicht eingehalten hat, er den Beklagten aber auch bei deren Beachtung nicht hätte erreichen können (6 Ob 592/85), oder wenn der Grundsatz des Parteiengehörs nicht verletzt wurde (6 Ob 557/95). Unmaßgeblich ist auch, ob die Voraussetzungen der Kuratorbestellung vor derselben bescheinigt worden sind, weil es lediglich darauf ankommt, ob die gesetzlichen Voraussetzungen tatsächlich vorgelegen sind (EvBl 1951/403, 1 Ob 200/55). Der Partei, der zu Unrecht ein Zustellkurator bestellt worden ist, 8 steht die Möglichkeit offen, den Bestellungsbeschluss anzufechten, sofern die Rekursfrist noch nicht abgelaufen ist; diese beginnt allerdings wohl grundsätzlich bereits mit der Zustellung an den Kurator zu laufen (vgl 1 Ob 6/01s [verstSenat] = SZ 74/200, 6 Ob 127/03z = immolex 2004/58; vgl auch Dokalik/Trauner, RZ 2005, 215, insb 216; aA noch 1 Ob 714/84). Ansonst hat sie nur die Möglichkeit, eine Nichtigkeitsklage nach § 529 Abs 1 Z 2 gegen die das Verfahren erledigende Entscheidung einzubringen (idS auch Dokalik/Trauner, RZ 2005, 215). Das früher (EvBl 1977/56; LGZ Wien WR 652; Stumvoll in Fasching/ Konecny II/2 § 115 Rz 7, § 116 Rz 46, 51) vorgesehene Wahlrecht zwischen Antrag auf Zustellung der Entscheidung und Erhebung eines Rechtsmittels unter Geltendmachung der Nichtigkeit einerseits und Nichtigkeitsklage andererseits, ist nicht mehr gegeben. Der Zustellkurator selbst kann seine Bestellung sowohl im eigenen Namen (SZ 21/155 = JBl 1949, 553, SZ 60/219 = ÖA 1988, 20 [Pichler], 10 ObS 276/98f = SSV-NF 12/108, 7 Ob 190/99p = SZ 72/155, 8 Ob 184/02w, 9 Ob 154/04v, 7 Ob 142/05s; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 116 Rz 26) als auch im Namen der vertretenen Partei (immolex 1997/112 [Pfiel]; Rassi, NZ 1998, 326; aA LGZ Wien EFSlg 49.751, 73.400, 98.185) anfechten. Bei Erledigung des Rechtsmittels wäre eine allfällige Nichtigkeit der Kuratorbestellung von Amts wegen wahrzunehmen (Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 116 Rz 45 mwN), also etwa auch, wenn sich der Kurator auf das Fehlen der Voraussetzungen gar nicht beruft, sondern etwa persönliche Gründe geltend macht. Die Beschwer durch die Bestellung eines Zustellkurators ist trotz zwischenzeitiger Enthebung nicht weggefallen, wenn es um die Frage geht, ob eine Zustellung an ihn rechtswirksam gewesen ist (6 Ob 609/89). 769

§§ 116–119

Gitschthaler

9 Handelt es sich nicht um einen Kurator nach § 116, hat das Prozessgericht nur das Vorliegen eines ordnungsgemäßen Bestellungsbeschlusses zu prüfen, wenn ein Abwesenheitskurator, ein Verlassenschaftskurator oder ein Masseverwalter einschreiten. Die Bestellung selbst kann hingegen nur beim Pflegschaftsgericht, beim Verlassenschaftsgericht oder beim Konkursgericht angefochten werden (EvBl 1977/56; LGZ Wien 40 R 98/98b).

10 Der Zustellkurator vertritt die Partei auf ihre Gefahr, sodass sie seine Handlungen als rechtswirksam – unbeschadet eines allfälligen Schadenersatzanspruchs – gegen sich wirken lassen muss (Walter/Mayer, Zustellrecht 196; JBl 1979, 487). Zustellungen erfolgen rechtswirksam an den Zustellkurator, eine spätere Zustellung an die Partei selbst hat keine prozessuale Bedeutung (EvBl 1966/139). Ein Widerspruch gegen ein Versäumungsurteil steht dem Beklagten daher nicht mehr zu, wenn der Auftrag zur schriftlichen Klagebeantwortung bereits dem für den Beklagten gemäß § 116 bestellten Kurator zugestellt worden ist (OLG Innsbruck 5 R 69/01p). Gerichtliche Vergleiche, Anerkenntnisse und Verzichtserklärungen des Kurators bedürfen der gerichtlichen Genehmigung (JB 180); dies gilt jedenfalls dann, wenn es sich um einen Abwesenheitskurator nach § 276 ABGB handelt. Die Genehmigung wäre dann vom Pflegschaftsgericht zu erteilen. Einen nach § 116 bestellten Zustellkurator hält die Rsp (vgl LGZ Wien 42 R 916/03x) hingegen an sich für nicht befugt, etwa Vergleiche abzuschließen; vielmehr müsste das Pflegschaftsgericht zuvor eine Abwesenheitskuratel nach § 276 ABGB eröffnen und dann über die Vergleichsgenehmigung entscheiden. Nach der Lehre bedarf er hingegen keiner Genehmigungen des Prozessgerichts (vgl Vorauflage §§ 116–119 Rz 17; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 116 Rz 8).

11 Der Zustellkurator vertritt die Partei außerdem auf ihre Kosten. Zu den Kuratorkosten gehören neben seinen (durch die Prozessführung verursachten, zur zweckentsprechenden Rechtserverfolgung oder -verteidigung notwendigen [LGZ Wien EFSlg 101.926]) Kosten im Verfahren auch die notwendigen Kosten für die Ausforschung des Aufenthaltsorts des Abwesenden (LGZ Wien EFSlg 71.963) und jene für die Einschaltung des Edikts. Die Kosten sind von jener Partei vorzustrecken, die den Antrag auf Bestellung des Kurators gestellt oder deren Prozesshandlung das Gericht veranlasst hat, von Amts wegen einen Kurator zu bestellen (§ 118 Abs 2; Walter/Mayer, Zustellrecht 199; Feil § 118 ZPO Rz 2). Eine derartige Veranlassung hat aber etwa der Kläger nicht gegeben, wenn der Beklagte während des Verfahrens mit absoluter Anwaltspflicht seine 770

§§ 116–119

1.2 Verfahren

bisherige Abgabestelle unbekannt wohin verlässt und der bisherige Beklagtenvertreter dem Gericht die Vollmachtskündigung bekannt gibt (OLG Wien WR 761). Die (gesamten) Kuratorkosten sind vom Gericht im Verfahren selbst mit eigenem Beschluss zu bestimmen und dem Gegner zum Ersatz an den Zustellkurator aufzuerlegen (mittels Leistungsbefehls [LG Salzburg EvBl 1994/75; LGZ Wien EFSlg 108.942]), uzw unabhängig von der Beendigung der Tätigkeit des Kurators (LGZ Wien EFSlg 101.925). Dabei handelt es sich aber nicht um einen Kostenersatzanspruch gegenüber dem Gegner, sondern um eine Vorleistung des Gegners auf den Belohnungsanspruch des Kurators gegenüber dem Abwesenden (vgl LGZ EFSlg 58.127, 73.369). Der Erlag eines Kostenvorschusses ist dabei lediglich hinsichtlich der Zustellkuratorbestellungskosten (§ 10) vorgesehen (OLG Wien WR 485, 722). Vgl auch Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 117 Rz 11. Dem Kurator steht es aber auch frei, seinen Belohnungsanspruch sofort im Innenverhältnis gegenüber dem Vertretenen mit eigener Klage (GlUNF 6411, SZ 34/30; OLG Graz DREvBl 1939/57; LGZ Wien NBlRA 1953, 95, EFSlg 76.051; Fasching1 II 626; Walter/Mayer, Zustellrecht 199; Feil § 118 ZPO Rz 2) oder im Verfahren selbst (LG Salzburg EvBl 1994/75; LGZ Wien EFSlg 76.051, 94.497, 101.924) geltend zu machen. In letzterem Fall ist ebenfalls ein Leistungsbefehl zu erlassen (LG Salzburg EvBl 1994/75). Vgl auch bei Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 118 Rz 4–18. Eine – auch nicht vorläufige (LGZ Wien EFSlg 108.940) – Kostenersatzpflicht des Bundes gegenüber dem Kurator besteht nicht. Daher tritt auch bei Nichtbezahlung der Kuratorkosten durch die an sich zahlungspflichtige Partei keine Haftung des Bundes ein (LGZ Wien 43 R 30/04m). Verfahrenshilfe kann somit für diese Kosten nicht bewilligt werden (LGZ Wien 43 R 30/04m). Der Zustellkurator hat zwar Nachforschungen – dabei soll es sich sogar 12 um seine vordringlichste Verpflichtung handeln (LGZ Wien EFSlg 71.963), was aber bezweifelt werden muss – über den Aufenthalt der von ihm vertretenen Person anzustellen, um dieser die Möglichkeit einer eigenen Interessenvertretung zu geben (RG DREvBl 1939/502). Er darf seine Tätigkeit aber auch bei deren Erfolg nicht von sich aus einstellen (OLG Wien AnwZ 1936, 436, EvBl 1937/344). Solange der Kuratorbestellungsbeschluss aufrecht ist, ist der Kurator zu vertretungsweisem Einschreiten befugt (8 Ob 33/05v) und auch verpflichtet. Der Kurator ist vielmehr erst zu entheben, wenn der Abwesende selbst unter Benennung einer Abgabestelle (LGZ Wien EFSlg 46.642; Fasching Rz 544) vor Gericht erscheint und vom anhängigen Verfahren 771

§§ 116–119

Gitschthaler

Kenntnis nimmt, also im Prozess selbst auftritt (ZfRV 1994/43, 7 Ob 61/05d; LGZ Wien EFSlg 69.838, 79.182; LG Linz 14 R 264/02w), wenn er einen Bevollmächtigten benennt (7 Ob 61/05d; vgl auch Feil § 116 ZPO Rz 2) oder wenn sich der Bevollmächtigte – berechtigterweise (§ 30 Abs 2) und unzweifelhaft – auf dieselbe beruft (8 Ob 33/05v). Die Partei muss sich also zweifelsfrei am Verfahren beteiligen (8 Ob 33/05v, 7 Ob 61/05d). Die alleinige Angabe einer Anschrift reicht daher ebenso wenig aus (SZ 26/198, JBl 1954, 593, 7 Ob 280/65, 5 Ob 167/68; LG Linz 14 R 264/02w; Fasching1 II 622; ders Rz 544; Walter/Mayer, Zustellrecht 197) wie die Vorlage von Korrespondenz des Kurators mit dem Abwesenden (LGZ Wien EFSlg 94.496, 45 R 176/04x). Der Enthebungsbeschluss wird als rechtsgestaltender Beschluss bereits mit seiner Zustellung – und nicht erst mit Eintritt der Rechtskraft – wirksam (10 Ob 2148/96x, 3 Ob 247/02y = JUS Z/3499). Mit dem LG Linz (14 R 264/02w) wird man aber wohl davon ausgehen müssen, dass im Falle der Anfechtung des Enthebungsbeschlusses bis zur Entscheidung über dieses Rechtsmittel der Zustellkurator noch vertretungsbefugt ist, würde sich doch sonst eine ungewollte Rechtsschutzlücke auftun. Ersucht innerhalb einer laufenden Rechtsmittelfrist ein Zustellkurator, der nicht Rechtsanwalt ist, um seine Abberufung und wird ein Rechtsanwalt zum Zustellkurator bestellt, wird die ursprüngliche Frist unterbrochen; sie beginnt für den neu bestellten Kurator mit seiner Bestellung (mit Zustellung des Beschlusses [vgl 10 Ob 2148/96x]) von neuem zu laufen (1 Ob 212/54).

13 § 116 ist neben streitigen Verfahren auch in Unterhaltsvorschuss- (LGZ Wien EFSlg 72.574), in Exekutions- (RdW 1995, 427, NZ 1995, 67 [einschließlich Anschlag des Edikts]) und sonstigen Verfahren außer Streitsachen (RdW 1995, 427, 7 Ob 190/99p = SZ 72/155, 7 Ob 142/05s zur Rechtslage des AußStrG 1854) anzuwenden (vgl für öffentlich bekannt zu machende Entscheidungen nach dem 1.1.2005 nunmehr § 24 AußStrG, wo neben der Aufnahme der Edikte in die Ediktsdatei auch eine ortsübliche Bekanntmachung vorgesehen ist). Vgl auch Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 § 116 Rz 1. Rsp, wonach eine analoge Anwendung des § 118 Abs 2 und des § 10 (Kostenersatzpflicht der die Kuratorbestellung veranlassenden Partei) im Verfahren außer Streitsachen generell ausgeschlossen sei (zuletzt LGZ Wien EFSlg 108.943), ist im Hinblick auf § 78 AußStrG als überholt zu betrachten.

14 § 119 ergänzt ab 1.1.2005 die Ediktalbestimmungen hinsichtlich der Ediktsdatei und soll deren Überfrachtung mit nicht mehr aktuellen Inhalten verhindern. 772

§ 121

1.2 Verfahren § 120. Durch das ZustRAG aufgehoben Zustellung im Ausland

§ 121. (1) Für Zustellungen an Personen im Ausland, die nicht zu den im § 11 Abs 2 und 3 des Zustellgesetzes aufgezählten Empfängern gehören, kann der Bundesminister für Justiz im Einvernehmen mit dem Bundeskanzler durch Verordnung die Zustellung durch die Post unter Benützung der im Weltpostverkehr üblichen Rückscheine nach denjenigen Staaten zulassen, in denen die Zustellung nach § 11 Abs 1 des Zustellgesetzes nicht möglich oder mit Schwierigkeiten verbunden ist. (2) Wenn die Bestätigung über die erfolgte Zustellung an eine im Ausland befindliche Person binnen einer angemessenen Zeit nicht einlangt, kann die betreibende Partei je nach Lage der Sache die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung (§ 25 des Zustellgesetzes) oder eine Kuratorbestellung nach § 116 beantragen. Gleiches gilt auch für den Fall, daß eine Zustellung im Ausland vergeblich versucht worden ist oder das Ersuchen wegen offenkundiger Verweigerung der Rechtshilfe durch die ausländische Behörde keinen Erfolg verspricht. [Fassung ZustRAG] Anhang: Bundesgesetz über die Zustellung behördlicher Schriftstü- 1 cke (Zustellgesetz) – BGBl 1982/200 § 11 (1) Zustellungen im Ausland sind nach den bestehenden internationalen Vereinbarungen oder allenfalls auf dem Weg, den die Gesetze oder sonstigen Rechtsvorschriften des Staates, in dem zugestellt werden soll, oder die internationale Übung zulassen, erforderlichenfalls unter Mitwirkung der österreichischen Vertretungsbehörden, vorzunehmen. (2) Zur Vornahme von Zustellungen an Ausländer oder internationale Organisationen, denen völkerrechtliche Privilegien und Immunitäten zustehen, ist unabhängig von ihrem Aufenthaltsort oder Sitz die Vermittlung des Bundesministeriums für Auswärtige Angelegenheiten in Anspruch zu nehmen. (3) Zustellungen an Personen, die nach den Vorschriften des Bundesverfassungsgesetzes über Kooperation und Solidarität bei der Entsendung von Einheiten und Einzelpersonen in das Ausland (KSE-BVG), BGBl. I Nr. 38/1997, in das Ausland entsendet wurden, sind im Wege des zuständigen Bundesministers, sofern aber diese Personen anlässlich ihrer Entsendung zu einer 773

§ 121

Gitschthaler

Einheit oder zu mehreren Einheiten zusammengefasst wurden, im Wege des Vorgesetzten der Einheit vorzunehmen. [Abs 3 neu gefasst durch BGBl I 2001/137; sonst Stammfassung] § 12 (1) Zustellungen von Schriftstücken ausländischer Behörden im Inland sind nach den bestehenden internationalen Vereinbarungen, mangels solcher nach diesem Bundesgesetz vorzunehmen. Einem Ersuchen um Einhaltung einer bestimmten davon abweichenden Vorgangsweise kann jedoch entsprochen werden, wenn eine solche Zustellung mit den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung vereinbar ist. (2) Die Zustellung eines ausländischen, fremdsprachigen Schriftstücks, dem keine, im gerichtlichen Verfahren keine beglaubigte, deutschsprachige Übersetzung angeschlossen ist, ist nur zulässig, wenn der Empfänger zu dessen Annahme bereit ist; dies ist anzunehmen, wenn er nicht binnen drei Tagen gegenüber der Behörde, die das Schriftstück zugestellt hat, erklärt, daß er zur Annahme nicht bereit ist; diese Frist beginnt mit der Zustellung zu laufen und kann nicht verlängert werden. (3) Ist die Erklärung gemäß Abs 2 verspätet oder unzulässig, so ist sie zurückzuweisen; sonst hat die Behörde zu beurkunden, daß die Zustellung des fremdsprachigen Schriftstücks mangels Annahmebereitschaft des Empfängers als nicht bewirkt anzusehen ist. (4) Für die Zustellung von Schriftstücken ausländischer Behörden in Verwaltungssachen gelten, falls in Staatsverträgen nicht anderes bestimmt ist, außerdem die folgenden Bestimmungen: 1. Schriftstücke werden nur zugestellt, wenn gewährleistet ist, dass auch der ersuchende Staat einem gleichartigen österreichischen Ersuchen entsprechen würde. Das Vorliegen von Gegenseitigkeit kann durch Staatsverträge, die nicht unter Art 50 B-VG fallen, festgestellt werden. 2. Im Übrigen sind das Europäische Übereinkommen über die Zustellung von Schriftstücken in Verwaltungssachen im Ausland, BGBl Nr 67/1983, und die von der Republik Österreich gemäß diesem Abkommen abgegebenen Erklärungen sinngemäß anzuwenden. [Abs 4 angefügt durch BGBl I 2001/137; sonst Stammfassung]

2 Zustellungen im Ausland an Personen und Organisationen, die in § 11 Abs 2 und 3 ZustG genannt sind – auch ausländische Staaten fallen 774

§ 121

1.2 Verfahren

unter „Ausländer oder internationale Organisationen“ iS des § 11 Abs 2 ZustG (JBl 1958, 212, 9 ObA 14/03d = infas 2003/A 97, 10 Ob 53/04y) –, bedürfen der Mitwirkung des Bundesministeriums für Auswärtige Angelegenheiten bzw des zuständigen Bundesministeriums. Eine Zustellung in anderer Weise, also etwa mittels Post, ist gesetzwidrig (10 Ob 53/04y). Bei Zustellungen an andere Personen im Ausland ist zunächst auf 3 bestehende Staatsverträge Bedacht zu nehmen (vgl dazu die Zusammenstellungen bei Duchek/Schütz/Tarko, Zwischenstaatlicher Rechtsverkehr in Zivilrechtssachen2 [Stand Nov 1997] und Bischof, Zustellung im internationalen Rechtsverkehr), insb auf das Haager Prozeßübereinkommen 1954 (HPÜ). Danach erfolgt die Zustellung (grundsätzlich, es sei denn, es gäbe zwischenstaatliche Abkommen) im konsularischen Weg über die vom ersuchten Staat bezeichnete Behörde (Art 1) in Ägypten, Argentinien, Armenien, Belarus, Bosnien-Herzegowina, Volksrepublik China, Dänemark (trotz EuZustVO [Stohanzl § 121 ZPO Anm 1; Klauser Art 1 EuZustVO Anm 6], wobei allerdings erklärt worden ist, die Bestimmungen der EuZustVO anzuwenden [Klauser Art 25 EuZustVO Anm 3]), Vatikan (Heiliger Stuhl), Israel, Japan, Bundesrepublik Jugoslawien, Kirgisistan, Kroatien 662/1993, Lettland, Libanon, Marokko, Mazedonien, Moldau, Norwegen, Rumänien, Russische Föderation, Surinam, Türkei, Ukraine, und Usbekistan bzw im unmittelbaren Verkehr zwischen den Behörden in Deutschland (trotz EuZustVO, weil ein Vorbehalt zu Gunsten des unmittelbaren Verkehrs nach HPÜ ausgesprochen wurde [Stohanzl § 11 ZustG Anm 1; Klauser Art 20 EuZustVO Anm 1; LG Salzburg 21 R 493/02z]; die Zustellung mittels internationalen Rückscheins ist jedenfalls unzulässig [LG Salzburg 21 R 210/03h; LGZ Wien 45 R 76/04s]) und in der Schweiz. Von besonderer (praktischer) Bedeutung ist nunmehr die mit 31.5.2001 4 in Kraft getretene EuZustVO (Rz 5) hinsichtlich der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (ausgenommen Deutschland und Dänemark), die in ihrem Anwendungsbereich sowohl den §§ 11, 12 ZustG als auch dem HPÜ vorgeht (Art 20; vgl Stohanzl § 11 ZustG Anm 1). Sie soll eine Verbesserung und Beschleunigung der Übermittlung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen, die in einem anderen Mitgliedstaat der EU (außer Deutschland und Dänemark) zugestellt werden, bewirken. Sie bringt jedoch kein einheitliches europäisches Zustellrecht (Rechberger/Simotta Rz 318; vgl auch den Einführungserlass zur EuZustVO JABl 2001/4 und Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 22 ZustG] Rz 10 insb hinsichtlich des zu verwendenden Zustellformulars nach Art 10 EuZustVO). 775

§ 121

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5 Anhang: Verordnung (EG) über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen – Nr. 1348/2000 Art 1 Anwendungsbereich (1) Diese Verordnung ist in Zivil- oder Handelssachen anzuwenden, in denen ein gerichtliches oder außergerichtliches Schriftstück von einem in einen anderen Mitgliedstaat zum Zwecke der Zustellung zu übermitteln ist. (2) Diese Verordnung gilt nicht, wenn die Anschrift des Empfängers des Schriftstücks unbekannt ist. Art 2 Übermittlungs- und Empfangsstellen (1) Jeder Mitgliedstaat benennt die Behörden, Amtspersonen oder sonstigen Personen, die für die Übermittlung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke, die in einem anderen Mitgliedstaat zuzustellen sind, zuständig sind, im folgenden „Übermittlungsstellen“ genannt. (2) Jeder Mitgliedstaat benennt die Behörden, Amtspersonen oder sonstigen Personen, die für die Entgegennahme gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke aus einem anderen Mitgliedstaat zuständig sind, im folgenden „Empfangsstellen“ genannt. (3) Die Mitgliedstaaten können entweder eine Übermittlungsstelle und eine Empfangsstelle oder eine Stelle für beide Aufgaben benennen. Bundesstaaten, Staaten mit mehreren Rechtssystemen oder Staaten mit autonomen Gebietskörperschaften können mehrere derartige Stellen benennen. Diese Benennung ist für einen Zeitraum von fünf Jahren gültig und kann alle fünf Jahre erneuert werden. (4) Jeder Mitgliedstaat teilt der Kommission folgende Angaben mit: a) die Namen und Anschriften der Empfangsstellen nach den Absätzen 2 und 3, b) den Bereich, für den diese örtlich zuständig sind, c) die ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten für den Empfang von Schriftstücken und d) die Sprachen, in denen das Formblatt im Anhang ausgefüllt werden darf. Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission jede Änderung dieser Angaben mit. 776

§ 121

1.2 Verfahren Artikel 3 Zentralstelle

Jeder Mitgliedstaat benennt eine Zentralstelle, die a) den Übermittlungsstellen Auskünfte erteilt; b) nach Lösungswegen sucht, wenn bei der Übermittlung von Schriftstücken zum Zwecke der Zustellung Schwierigkeiten auftreten; c) in Ausnahmefällen auf Ersuchen einer Übermittlungsstelle einen Zustellungsantrag an die zuständige Empfangsstelle weiterleitet. Bundesstaaten, Staaten mit mehreren Rechtssystemen oder Staaten mit autonomen Gebietskörperschaften können mehrere Zentralstellen benennen. Art 4 Übermittlung von Schriftstücken (1) Gerichtliche Schriftstücke sind zwischen den nach Artikel 2 benannten Stellen unmittelbar und so schnell wie möglich zu übermitteln. (2) Die Übermittlung von Schriftstücken, Anträgen, Zeugnissen, Empfangsbestätigungen, Bescheinigungen und sonstigen Dokumenten zwischen den Übermittlungs- und Empfangsstellen kann auf jedem geeigneten Übermittlungsweg erfolgen, sofern das empfangene Dokument mit dem versandten Dokument inhaltlich genau übereinstimmt und alle darin enthaltenen Angaben mühelos lesbar sind. (3) Dem zu übermittelnden Schriftstück ist ein Antrag beizufügen, der nach dem Formblatt im Anhang erstellt wird. Das Formblatt ist in der Amtssprache des Empfangsmitgliedstaats oder, wenn es in diesem Mitgliedstaat mehrere Amtssprachen gibt, der Amtssprache oder einer der Amtssprachen des Ortes, an dem die Zustellung erfolgen soll, oder in einer sonstigen Sprache, die der Empfangsmitgliedstaat zugelassen hat, auszufüllen. Jeder Mitgliedstaat hat die Amtssprache oder die Amtssprachen der Europäischen Union anzugeben, die er außer seiner oder seinen eigenen für die Ausfüllung des Formblatts zuläßt. (4) Die Schriftstücke sowie alle Dokumente, die übermittelt werden, bedürfen weder der Beglaubigung noch einer anderen gleichwertigen Formalität. (5) Wünscht die Übermittlungsstelle die Rücksendung einer Abschrift des Schriftstücks zusammen mit der Bescheinigung nach Artikel 10, so übermittelt sie das betreffende Schriftstück in zweifacher Ausfertigung. 777

§ 121

Gitschthaler Art 5 Übersetzung der Schriftstücke

(1) Der Verfahrensbeteiligte wird von der Übermittlungsstelle, der er das Schriftstück zum Zweck der Übermittlung übergibt, davon in Kenntnis gesetzt, daß der Empfänger die Annahme des Schriftstücks verweigern darf, wenn es nicht in einer der in Artikel 8 genannten Sprachen abgefaßt ist. (2) Der Verfahrensbeteiligte trägt etwaige vor der Übermittlung des Schriftstücks anfallende Übersetzungskosten unbeschadet einer etwaigen späteren Kostenentscheidung des zuständigen Gerichts oder der zuständigen Behörde. Art 6 Entgegennahme der Schriftstücke durch die Empfangsstelle (1) Nach Erhalt des Schriftstücks übersendet die Empfangsstelle der Übermittlungsstelle auf schnellstmöglichem Wege und so bald wie möglich, auf jeden Fall aber innerhalb von sieben Tagen nach Erhalt des Schriftstücks, eine Empfangsbestätigung unter Verwendung des Formblatts im Anhang. (2) Kann der Zustellungsantrag aufgrund der übermittelten Angaben oder Dokumente nicht erledigt werden, so nimmt die Empfangsstelle auf schnellstmöglichem Wege Verbindung zu der Übermittlungsstelle auf, um die fehlenden Angaben oder Schriftstücke zu beschaffen. (3) Fällt der Zustellungsantrag offenkundig nicht in den Anwendungsbereich dieser Verordnung oder ist die Zustellung wegen Nichtbeachtung der erforderlichen Formvorschriften nicht möglich, sind der Zustellungsantrag und die übermittelten Schriftstücke sofort nach Erhalt zusammen mit dem Formblatt im Anhang für die Benachrichtigung über Rücksendung an die Übermittlungsstelle zurückzusenden. (4) Eine Empfangsstelle, die ein Schriftstück erhält, für dessen Zustellung sie örtlich nicht zuständig ist, leitet dieses Schriftstück zusammen mit dem Zustellungsantrag an die örtlich zuständige Empfangsstelle in demselben Mitgliedstaat weiter, sofern der Antrag den Voraussetzungen in Artikel 4 Absatz 3 entspricht; sie setzt die Übermittlungsstelle unter Verwendung des Formblatts im Anhang davon in Kenntnis. Die örtlich zuständige Empfangsstelle teilt der Übermittlungsstelle gemäß Absatz 1 den Eingang des Schriftstücks mit. 778

§ 121

1.2 Verfahren Art 7 Zustellung der Schriftstücke

(1) Die Zustellung des Schriftstücks wird von der Empfangsstelle bewirkt oder veranlaßt, und zwar entweder nach dem Recht des Empfangsmitgliedstaats oder in einer von der Übermittlungsstelle gewünschten besonderen Form, sofern dieses Verfahren mit dem Recht des Empfangsmitgliedstaats vereinbar ist. (2) Alle für die Zustellung erforderlichen Schritte sind so bald wie möglich vorzunehmen. Konnte die Zustellung nicht binnen einem Monat nach Eingang des Schriftstücks vorgenommen werden, teilt die Empfangsstelle dies der Übermittlungsstelle unter Verwendung der Bescheinigung mit, die in dem Formblatt im Anhang vorgesehen und gemäß Artikel 10 Absatz 2 auszustellen ist. Die Frist wird nach dem Recht des Empfangsmitgliedstaats berechnet. Art 8 Verweigerung der Annahme eines Schriftstücks (1) Die Empfangsstelle setzt den Empfänger davon in Kenntnis, daß er die Annahme des zuzustellenden Schriftstücks verweigern darf, wenn dieses in einer anderen als den folgenden Sprachen abgefaßt ist: a) der Amtssprache des Empfangsmitgliedstaats oder, wenn es im Empfangsmitgliedstaat mehrere Amtssprachen gibt, der Amtssprache oder einer der Amtssprachen des Ortes, an dem die Zustellung erfolgen soll, oder b) einer Sprache des Übermittlungsmitgliedstaats, die der Empfänger versteht. (2) Wird der Empfangsstelle mitgeteilt, daß der Empfänger die Annahme des Schriftstücks gemäß Absatz 1 verweigert, setzt sie die Übermittlungsstelle unter Verwendung der Bescheinigung nach Artikel 10 unverzüglich davon in Kenntnis und sendet den Antrag sowie die Schriftstücke, um deren Übersetzung ersucht wird, zurück. Art 9 Datum der Zustellung (1) Unbeschadet des Artikels 8 ist für das Datum der nach Artikel 7 erfolgten Zustellung eines Schriftstücks das Recht des Empfangsmitgliedstaats maßgeblich. (2) Wenn jedoch die Zustellung eines Schriftstücks im Rahmen eines im Übermittlungsmitgliedstaat einzuleitenden oder 779

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Gitschthaler

anhängigen Verfahrens innerhalb einer bestimmten Frist zu erfolgen hat, ist im Verhältnis zum Antragsteller als Datum der Zustellung der Tag maßgeblich, der sich aus dem Recht des Übermittlungsmitgliedstaats ergibt. (3) Ein Mitgliedstaat kann aus angemessenen Gründen während eines Übergangszeitraums von fünf Jahren von den Absätzen 1 und 2 abweichen.Dieser Übergangszeitraum kann von einem Mitgliedstaat aus Gründen, die sich aus seinem Rechtssystem ergeben, in Abständen von fünf Jahren erneuert werden. Der Mitgliedstaat teilt der Kommission den Inhalt der Abweichung und die konkreten Einzelheiten mit. Art 10 Bescheinigung über die Zustellung und Abschrift des zugestellten Schriftstücks (1) Nach Erledigung der für die Zustellung des Schriftstücks vorzunehmenden Schritte wird nach dem Formblatt im Anhang eine entsprechende Bescheinigung ausgestellt, die der Übermittlungsstelle übersandt wird. Bei Anwendung von Artikel 4 Absatz 5 wird der Bescheinigung eine Abschrift des zugestellten Schriftstücks beigefügt. (2) Die Bescheinigung ist in der Amtssprache oder in einer der Amtssprachen des Übermittlungsmitgliedstaats oder in einer sonstigen Sprache, die der Übermittlungsmitgliedstaat zugelassen hat, auszufüllen. Jeder Mitgliedstaat hat die Amtssprache oder die Amtssprachen der Europäischen Union anzugeben, die er außer seiner oder seinen eigenen für die Ausfüllung des Formblatts zuläßt. Art 11 Kosten der Zustellung (1) Für die Zustellung gerichtlicher Schriftstücke aus einem anderen Mitgliedstaat darf keine Zahlung oder Erstattung von Gebühren und Auslagen für die Tätigkeit des Empfangsmitgliedstaats verlangt werden. (2) Der Verfahrensbeteiligte hat jedoch die Auslagen zu zahlen oder zu erstatten, die dadurch entstehen, a) daß bei der Zustellung eine Amtsperson oder eine andere nach dem Recht des Empfangsmitgliedstaats zuständige Person mitwirkt; b) daß eine besondere Form der Zustellung eingehalten wird. 780

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1.2 Verfahren Art 12 Übermittlung auf konsularischem oder diplomatischem Weg

Jedem Mitgliedstaat steht es in Ausnahmefällen frei, den nach Artikel 2 oder Artikel 3 benannten Stellen eines anderen Mitgliedstaats gerichtliche Schriftstücke zum Zweck der Zustellung auf konsularischem oder diplomatischem Weg zu übermitteln. Art 13 Zustellung von Schriftstücken durch die diplomatischen oder konsularischen Vertretungen (1) Jedem Mitgliedstaat steht es frei, Personen, die ihren Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat haben, gerichtliche Schriftstücke unmittelbar durch seine diplomatischen oder konsularischen Vertretungen ohne Anwendung von Zwang zustellen zu lassen. (2) Jeder Mitgliedstaat kann nach Artikel 23 Absatz 1 mitteilen, daß er eine solche Zustellung in seinem Hoheitsgebiet nicht zuläßt, außer wenn das Schriftstück einem Staatsangehörigen des Übermittlungsmitgliedstaats zuzustellen ist. Art 14 Zustellung durch die Post (1) Jedem Mitgliedstaat steht es frei, Personen, die ihren Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat haben, gerichtliche Schriftstücke unmittelbar durch die Post zustellen zu lassen. (2) Jeder Mitgliedstaat kann nach Artikel 23 Absatz 1 die Bedingungen bekanntgeben, unter denen er eine Zustellung gerichtlicher Schriftstücke durch die Post zuläßt. Art 15 Unmittelbare Zustellung (1) Diese Verordnung schließt nicht aus, daß jeder an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligte gerichtliche Schriftstücke unmittelbar durch Amtspersonen, Beamte oder sonstige zuständige Personen des Empfangsmitgliedstaats zustellen lassen kann. (2) Jeder Mitgliedstaat kann nach Artikel 23 Absatz 1 erklären, daß er die Zustellung gerichtlicher Schriftstücke nach Absatz 1 in seinem Hoheitsgebiet nicht zuläßt. 781

§ 121

Gitschthaler Art 16 Übermittlung

Außergerichtliche Schriftstücke können zum Zweck der Zustellung in einem anderen Mitgliedstaat nach Maßgabe dieser Verordnung übermittelt werden. Art 17 Durchführungsbestimmungen Die zur Durchführung dieser Verordnung erforderlichen Maßnahmen in bezug auf die nachstehenden Sachbereiche sind nach dem Beratungsverfahren des Artikels 18 Absatz 2 zu erlassen: a) die Erstellung und jährliche Aktualisierung eines Handbuchs mit den von den Mitgliedstaaten nach Artikel 2 Absatz 4 mitgeteilten Angaben; b) die Erstellung eines Glossars in den Amtssprachen der Europäischen Union über die Schriftstücke, die nach Maßgabe dieser Verordnung zugestellt werden können; c) die Aktualisierung oder technischen Anpassungen des Formblatts im Anhang. Art 18 Ausschuß (1) Die Kommission wird von einem Ausschuß unterstützt. (2) Wird auf diesen Absatzes Bezug genommen, so gelten die Artikel 3 und 7 des Beschlusses 1999/468/EG. (3) Der Ausschuß gibt sich eine Geschäftsordnung. Art 19 Nichteinlassung des Beklagten (1) War ein verfahrenseinleitendes Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nach dieser Verordnung zum Zweck der Zustellung in einen anderen Mitgliedstaat zu übermitteln und hat sich der Beklagte nicht auf das Verfahren eingelassen, so hat das Gericht das Verfahren auszusetzen, bis festgestellt ist, a) daß das Schriftstück in einer Form zugestellt worden ist, die das Recht des Empfangsmitgliedstaats für die Zustellung der in seinem Hoheitsgebiet ausgestellten Schriftstücke an dort befindliche Personen vorschreibt, oder b) daß das Schriftstück tatsächlich entweder dem Beklagten persönlich ausgehändigt oder nach einem anderen in dieser Verord782

§ 121

1.2 Verfahren

nung vorgesehenen Verfahren in seiner Wohnung abgegeben worden ist, und daß in jedem dieser Fälle das Schriftstück so rechtzeitig ausgehändigt bzw. abgegeben worden ist, daß der Beklagte sich hätte verteidigen können. (2) Jeder Mitgliedstaat kann nach Artikel 23 Absatz 1 mitteilen, daß seine Gerichte ungeachtet des Absatzes 1 den Rechtsstreit entscheiden können, auch wenn keine Bescheinigung über die Zustellung oder die Aushändigung bzw. Abgabe eingegangen ist, sofern folgende Voraussetzungen gegeben sind: a) Das Schriftstück ist nach einem in dieser Verordnung vorgesehenen Verfahren übermittelt worden. b) Seit der Absendung des Schriftstücks ist eine Frist von mindestens sechs Monaten verstrichen, die das Gericht nach den Umständen des Falles als angemessen erachtet. c) Trotz aller zumutbaren Schritte bei den zuständigen Behörden oder Stellen des Empfangsmitgliedstaats war eine Bescheinigung nicht zu erlangen. (3) Unbeschadet der Absätze 1 und 2 kann das Gericht in dringenden Fällen einstweilige Maßnahmen oder Sicherungsmaßnahmen anordnen. (4) War ein verfahrenseinleitendes Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nach dieser Verordnung zum Zweck der Zustellung in einen anderen Mitgliedstaat zu übermitteln und ist eine Entscheidung gegen einen Beklagten ergangen, der sich nicht auf das Verfahren eingelassen hat, so kann ihm das Gericht in bezug auf Rechtsmittelfristen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligen, sofern a) der Beklagte ohne sein Verschulden nicht so rechtzeitig Kenntnis von dem Schriftstück erlangt hat, daß er sich hätte verteidigen können, und nicht so rechtzeitig Kenntnis von der Entscheidung erlangt hat, daß er sie hätte anfechten können, und b) die Verteidigung des Beklagten nicht von vornherein aussichtslos scheint. Ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nur innerhalb einer angemessenen Frist, nachdem der Beklagte von der Entscheidung Kenntnis erhalten hat, gestellt werden. Jeder Mitgliedstaat kann nach Artikel 23 Absatz 1 erklären, daß dieser Antrag nach Ablauf einer in seiner Mitteilung anzugebenden Frist unzulässig ist; diese Frist muß jedoch mindestens ein Jahr ab Erlaß der Entscheidung betragen. (5) Absatz 4 gilt nicht für Entscheidungen, die den Personenstand betreffen. 783

§ 121

Gitschthaler

Art 20 Verhältnis zu Übereinkünften oder Vereinbarungen, die die Mitgliedstaaten abgeschlossen haben (1) Die Verordnung hat in ihrem Anwendungsbereich Vorrang vor den Bestimmungen, die in den von den Mitgliedstaaten geschlossenen bilateralen oder multilateralen Übereinkünften oder Vereinbarungen enthalten sind, insbesondere vor Artikel IV des Protokolls zum Brüsseler Übereinkommen von 1968 und vor dem Haager Übereinkommen vom 15. November 1956. (2) Die Verordnung hindert einzelne Mitgliedstaaten nicht daran, Übereinkünfte oder Vereinbarungen zur weiteren Beschleunigung oder Vereinfachung der Übermittlung von Schriftstücken beizubehalten oder zu schließen, sofern sie mit dieser Verordnung vereinbar sind. (3) Die Mitgliedstaaten übermitteln der Kommission a) eine Abschrift der zwischen den Mitgliedstaaten geschlossenen Übereinkünfte oder Vereinbarungen nach Absatz 2 sowie Entwürfe dieser von ihnen geplanten Übereinkünfte oder Vereinbarungen sowie b) jede Kündigung oder Änderung dieser Übereinkünfte oder Vereinbarungen. Art 21 Prozeßkostenhilfe Artikel 23 des Abkommens über den Zivilprozeß vom 17. Juli 1905, Artikel 24 des Übereinkommens über den Zivilprozeß vom 1. März 1954 und Artikel 13 des Abkommens über die Erleichterung des internationalen Zugangs zu den Gerichten vom 25. Oktober 1980 bleiben im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten, die Vertragspartei dieser Übereinkünfte sind, von dieser Verordnung unberührt. Art 22 Datenschutz (1) Die Empfangsstelle darf die nach dieser Verordnung übermittelten Informationen – einschließlich personenbezogener Daten – nur zu dem Zweck verwenden, zu dem sie übermittelt wurden. (2) Die Empfangsstelle stellt die Vertraulichkeit derartiger Informationen nach Maßgabe ihres nationalen Rechts sicher. (3) Die Absätze 1 und 2 berühren nicht das Auskunftsrecht von Betroffenen über die Verwendung der nach dieser Verord784

§ 121

1.2 Verfahren

nung übermittelten Informationen, das ihnen nach dem einschlägigen nationalen Recht zusteht. (4) Die Richtlinien 95/46/EG und 97/66/EG bleiben von dieser Verordnung unberührt. Art 23 Mitteilung und Veröffentlichung (1) Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission die Angaben nach den Artikeln 2, 3, 4, 9, 10, 13, 14 und 15, Artikel 17 Buchstabe a) und Artikel 19 mit. (2) Die Kommission veröffentlicht die Angaben nach Absatz 1 im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften. Art 24 Überprüfung Die Kommission legt dem Europäischen Parlament, dem Rat und dem Wirtschafts- und Sozialausschuß spätestens am 1. Juni 2004 und danach alle fünf Jahre einen Bericht über die Anwendung dieser Verordnung vor, wobei sie insbesondere auf die Effizienz der in Artikel 2 benannten Stellen und auf die praktische Anwendung von Artikel 3 Buchstabe c) und Artikel 9 achtet. Diesem Bericht werden erforderlichenfalls Vorschläge zur Anpassung dieser Verordnung an die Entwicklung der Zustellungssysteme beigefügt. Art 25 Inkrafttreten (1) Diese Verordnung tritt am 31. Mai 2001 in Kraft. (2) Diese Verordnung ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt gemäß dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften unmittelbar in den Mitgliedstaaten. Besteht ein Staatsvertrag nicht und kommt auch die EuZustVO nicht 6 zur Anwendung, sind die Rechtsvorschriften jenes Staates anzuwenden, in dem zuzustellen ist, sofern dort Rechtsvorschriften über die Zustellung von Schriftstücken ausländischer Behörden bestehen (VwGH JUS 2003/3977; 8 ObA 201/00t = JBl 2002, 57). Die Zustellung erfolgt in diesen Fällen idR also mittels Rechtshilfeersuchens im diplomatischen Weg. Dabei handelt es sich um einen dem Hoheitsbereich zuzuordnenden Vorgang (8 ObA 201/00t = JBl 2002, 57, 9 ObA 14/03d = infas 2003/ A 97). Darüber hinaus ist aber auch die internationale Übung maßgeblich; darunter ist ein Vorgehen (etwa Zustellung mit der Post unter 785

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Gitschthaler

Verwendung eines internationalen Rückscheins [vgl ZfVB 1999, 246]) zu verstehen, das nicht auf den Protest des Staates stößt, in dem zugestellt werden soll (10 ObS 376/02w; VwGH JUS 2003/3977Walter/ Mayer, Zustellrecht 58; dies, Verwaltungsverfahrensrecht Rz 207). Nach § 121 Abs 1 gilt dies insb auch dann, wenn Zustellungen sonst nicht möglich oder mit Schwierigkeiten verbunden sind. In der VO des BMfJ BGBl 1961/10 wurde dabei für die Vereinigten Staaten von Amerika (vgl dazu ausführlich Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 121 Rz 5– 10; nunmehr auch Erlass des BMfJ vom 25.6.2003, JABl 2003/23 [Zustellersuchen sind vom Gericht ohne Einschaltung des BMfJ und unter Verwendung eines Formulars direkt an das Unternehmen Process Forwarding International zu richten]), Argentinien, Bolivien, Brasilien, Sri Lanka, Chile, Costa Rica, die Dominikanische Republik, Ecuador, Guatemala, Haiti, die Republik Honduras, Indien, Jordanien, Kambodscha, Kolumbien, Kuba, Laos, den Libanon, Libyen, Mexiko, Nicaragua, Pakistan, Panama, Paraguay, Peru, El Salvador, Thailand, Uruguay und Venezuela – unbeschadet einer allfälligen Zulässigkeit der Zustellung von Schriftstücken durch die Post nach Maßgabe zwischenstaatlicher Vereinbarungen – die Zustellung durch die Post unter Benützung der im Weltpostverkehr üblichen Rückscheine zugelassen (vgl Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 121 Rz 1–4); dies gilt auch für Kanada (EvBl 1968/80, 7 Ob 142/05s). Diese Zustellform ist allerdings insofern nicht vom Belieben des Empfängers abhängig, als nur eine Annahme der Sendung eine wirksame Zustellung darstellen könnte (LGZ Wien 43 R 721/00y). Liegen die Voraussetzungen für eine Zustellung mittels internationalen Rückscheins iS des § 121 Abs 1 ZPO nicht vor, wäre also gemäß § 11 Abs 1 ZustG im Rechtshilfeweg zuzustellen gewesen, ist eine dennoch mit internationalem Rückschein vorgenommene Zustellung gesetzwidrig und (bis zur allfälligen Heilung des Zustellungsmangels) unwirksam (3 Ob 166/83, 10 ObS 347/99y; LGZ Wien 43 R 288/03a).

7 § 121 kann nicht für jene besonderen Fälle der Zustellung im Ausland herangezogen werden, bei denen an Personen oder Einrichtungen zugestellt werden soll, die sich auf ihre diplomatische Immunität berufen. Für einen derartigen Fall gelten spezielle Normen, so etwa § 11 ZustG. Da die Durchführung (ebenso wie die Verweigerung) eines Rechtshilfeersuchens um Zustellung dem Hoheitsbereich eines Staates zuzurechnen ist, steht nach Berufung einer Partei auf ihre diplomatische Immunität mangels eines diese Frage regelnden Abkommens nur mehr der diplomatische Weg offen (9 ObA 14/03d = infas 2003/A 97).

8 Voraussetzungen und Wirksamkeit eines Zustellvorgangs im Ausland richten sich grundsätzlich nach dem Recht des ersuchten Staa786

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1.2 Verfahren

tes (3 Ob 316/97k, 4 Ob 276/01v = ARD 5338/32/2002, 1 Ob 172/02d, 4 Ob 60/05k; zur Zustellung von Klagen vgl § 106 Abs 2 ZPO; vgl außerdem Art 7 EuZustVO). Die Wirkungen der erfolgten Zustellung (etwa der Beginn eines Fristenlaufs [HG Wien 1 R 555/96f; 4 Ob 276/ 01v = ARD 5338/32/2002, 4 Ob 60/05k] oder die Frage der Heilung von Zustellmängeln [4 Ob 374/83, 5 Ob 511/84, 10 Ob 53/04y, 4 Ob 60/ 05k]) richten sich jedoch grundsätzlich nach österreichischem Recht. Ermöglicht eine zwischenstaatliche Vereinbarung – etwa über Ersuchen der zustellenden Behörde – die Einhaltung österreichischer Zustellvorschriften (vgl etwa Art 7 EuZustVO) und wird tatsächlich ein derartiges Ersuchen gestellt, kommt es überhaupt nur auf österreichisches Recht (und nicht auf allenfalls abweichende ausländische Bestimmungen) an. Dies gilt dann auch für die Beurteilung der Rechtswirksamkeit der Zustellung (vgl 12 Os 92/90 = JUS St/320; OLG Linz 12 R 199/98s). Dieses Ersuchen muss allerdings konkret den gewünschten Zustellvorgang bezeichnen und beschreiben. Ein Verweis lediglich auf österreichische Bestimmungen reicht nicht aus (8 Ob 287/98h). Vgl dazu ausführlich und mit weiteren Nachweisen Stumvoll in Fasching/ Konecny II/2 Anh § 87 (§ 1 ZustG) Rz 7. Entgegen früherer Rsp (12 Os 92/90 = JUS St/320) besteht allerdings keine Verpflichtung, ein derartiges Ersuchen zu stellen (4 Ob 60/05k). Im (noch verbliebenen) Anwendungsbereich von LGVÜ und EuG- 9 VÜ – soweit nicht ohnehin auf die EuZustVO Bedacht zu nehmen ist – sind Fragen der Rechtswirksamkeit und der Art des Nachweises einer Zustellung nach dem Recht jenes Staats zu beurteilen, dessen Gericht die Zustellung veranlasst hat (Czernich/Tiefenthaler, Die Übereinkommen von Lugano und Brüssel [1997] Art 47 Rz 3; Geimer/Schütze, Europäisches Zivilprozeßrecht Art 47 LGVÜ Rz 3; Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht7 Art 47 Rz 5; OLG Linz 2 R 270/98h). Damit ist auch eine Zustellung einer Entscheidung durch Hinterlegung ohne Zustellversuch (etwa nach § 10 ZustG) rechtswirksam (OLG Linz 2 R 270/98h). Strebt eine Partei jedoch im Ausland die Zwangsvollstreckung auf Grund dieser Entscheidung an, ist über Antrag ihrem Gegner eine Ausfertigung derselben an einer seiner Abgabestellen zuzustellen, um ihr den urkundlichen Nachweis der Zustellung der Entscheidung iSd Art 47 Nr 1 LGVÜ zu ermöglichen (OLG Linz 2 R 270/98h). Dies ändert allerdings nichts daran, dass nach österreichischem Recht die Entscheidung bereits rechtswirksam zugestellt ist, sodass die neuerliche Zustellung keine weitere Rechtsmittelfrist auszulösen vermag. Werden die anzuwendenden Zustellvorschriften jenes Staates verletzt, 10 in dem zugestellt werden soll, dann ist die Zustellung unwirksam, es sei 787

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denn es kommt zu einer Heilung des Zustellmangels iSd § 7 ZustG (3 Ob 166/83; LGZ Wien 43 R 288/03a; Feil § 11 ZustG Rz 5).

11 Unwirksam ist eine Zustellung im fremdsprachigen Ausland, wenn dem fremdsprachigen Empfänger ein verfahrenseinleitendes Schriftstück unmittelbar mit der Post zugestellt wurde, das nicht in seiner Sprache abgefasst und auch nicht übersetzt war. Dies verstößt gegen den Grundsatz des fair trial und auch gegen die analoge Regelung des § 12 Abs 2 ZustG (vgl Rz 15). Grundvoraussetzung jeder wirksamen Zustellung ist nämlich, dass der Empfänger versteht, worum es geht. Daran fehlt es aber, wenn Schriftstücke zugestellt werden, die nicht in der Amtssprache des Zustelllandes abgefasst und auch nicht übersetzt sind, weil mangels entsprechender Sprachkenntnisse der Empfänger häufig gar nicht erkennen wird können, um welche Art von Schriftstücken es sich überhaupt handelt (EvBl 1998/193, 10 ObS 347/99y = ARD 5235/ 50/2001, 10 Ob 99/00g = ARD 5338/29/2002 [das Erfordernis der Übersetzung des zuzustellenden Geschäftsstücks dient der Wahrung des rechtlichen Gehörs]). Dies gilt selbst dann, wenn der Empfänger das Schriftstück angenommen hat (10 ObS 347/99y = ARD 5235/50/2001), es sei denn er verfügt über entsprechende Sprachkenntnisse (10 Ob 99/ 00g = ARD 5338/29/2002); dies wird im Einzelfall allerdings schwer festzustellen sein. Fremdsprachig ist ein Schriftstück, das ganz oder zum Teil nicht in der (offiziellen) Sprache jenes Landes abgefasst ist, in dem die Zustellung erfolgen soll (vgl Feil § 12 ZustG Rz 3). Im Anwendungsbereich der EuZustVO vgl Art 5, 8.

12 § 121 Abs 2 ergänzt § 25 ZustG, § 115 (Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung) und § 116 (Bestellung eines Zustellkurators) für jene Fälle, in denen die Abgabestelle im Ausland zwar bekannt, eine Zustellung samt Einlangen des Zustellnachweises in angemessener Zeit jedoch nicht möglich ist (JBl 1954, 593, 2 Ob 230/50, 6 Ob 592/85), die Zustellung vergeblich versucht wurde (vgl dazu etwa ZfRV 1986, 138 [krit Hoyer]) oder die ausländische Behörde die Rechtshilfe verweigert (vgl Walter/Mayer, Zustellrecht 203; LG Salzburg 21a R 33/94). Abs 2 setzt also jedenfalls voraus, dass der Aufenthalt der Partei im Ausland bekannt ist (LG Salzburg 21a R 33/94; LG Eisenstadt 13 R 127/03d). Eine Kuratorbestellung kommt aber auch dann nicht in Betracht, wenn zwar die Abgabestelle der Partei im Ausland im Zeitpunkt der Bestellung unbekannt ist, im Laufe des Verfahrens sich aber herausstellt, dass der Beklagte zum Zeitpunkt der Kuratorbestellung an der ursprünglich angegebenen Abgabestelle tatsächlich gewohnt hat (LG Eisenstadt 13 R 127/03d).

13 Die Frage der Angemessenheit ist im Einzelfall unter Bedachtnahme auf die übliche Dauer der versuchten Zustellung im Ausland und die 788

§ 121

1.2 Verfahren

Dringlichkeit der Rechtssache zu prüfen (EvBl 1950/532; vgl Walter/ Mayer, Zustellrecht 203). Dabei muss sich zwar eine Partei, die die Verfolgung ihrer Rechte gegen eine andere betreibt, die sich im Ausland aufhält, auf eine längere Dauer des Zustellvorgangs einstellen (EvBl 1973/155). Nach jedenfalls acht Monaten kann aber ein Zustellversuch als gescheitert angesehen werden (MietSlg 33.010 mwN). Langt der Zustellnachweis nach der Zustellung durch öffentliche Be- 14 kanntmachung oder nach der Zustellung an den bestellten Zustellkurator ein, kommt dem keine prozessuale Bedeutung mehr zu (EvBl 1966/139; Walter/Mayer, Zustellrecht 203; Feil § 121 ZPO Rz 2). Im Anwendungsbereich des Art 19 EuZustVO wird trotz Bestellung eines Kurators nach § 121 bei Zustellung eines verfahrenseinleitenden Schriftstücks in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union (außer Dänemark und Deutschland), die zu einer Säumnisentscheidung geführt hat, die Wiedereinsetzung nach Art 4 binnen angemessener Frist zulässig sein (Brenn, Europäische Zustellungsverordnung Art 19 Anm 6; Klauser, Europäisches Zivilprozessrecht Art 19 EuZustVO Anm 17; vgl auch bei §§ 148, 149). Für Zustellungen von ausländischen Schriftstücken in Österreich 15 ordnet § 12 Abs 2 ZustG grundsätzlich die Notwendigkeit beglaubigter, deutschsprachiger Übersetzungen an. Soweit dem Empfänger noch nach der faktischen Übernahme die Möglichkeit zukommt, die Annahme zu verweigern, kann er dieses Recht nur dann ausüben, wenn er, wie bei einer Zustellung durch Behörden, entsprechend belehrt wird. Fehlt eine solche Belehrung, weil das fremdsprachige Schriftstück unmittelbar durch die Post zugestellt wurde, widerspricht es rechtsstaatlichen Grundsätzen, die Wirksamkeit der Zustellung damit zu begründen, dass der Empfänger zur Annahme bereit gewesen sei (EvBl 1998/193). § 12 Abs 2 ZustG ist demnach teleologisch dahin zu reduzieren, dass die darin enthaltene Fiktion der Bereitschaft des Empfängers zur Annahme des fremdsprachigen Schriftstücks nur dann greift, wenn durch eine Behörde und nicht bloß durch die Post und nach entsprechender Belehrung das Schriftstück ausgehändigt wurde. Fremdsprachig ist dabei ein Schriftstück, das ganz oder zum Teil nicht in deutscher Sprache abgefasst ist. Ob der Empfänger des zuzustellenden Schriftstücks sprachenkundig ist oder nicht, ist bedeutungslos (Feil § 12 ZustG Rz 3; Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren2 § 12 ZustG Anm 8; vgl auch SZ 64/165; LGZ Wien RpflSlgA 2003/8865). § 122. Durch ZustRAG aufgehoben 789

§ 123

Gitschthaler Dritter Titel Fristen und Tagsatzungen Fristen

§ 123. Soweit die Dauer der Fristen zur Vornahme von Prozeßhandlungen nicht unmittelbar durch das Gesetz bestimmt wird (gesetzliche Fristen), hat sie der Richter mit Rücksicht auf die Erfordernisse und die Beschaffenheit des einzelnen Falles festzusetzen (richterliche Fristen). [Stammfassung] Lit: Schultze, Von den prozessualen Zeitbestimmungen, FS Planck (1887); Schuster, Zur Frage der Einrechnung der Tage des Postenlaufes nach §89 GOG, JBl 1898, 473; Lecarque, Die Anwendbarkeit des § 89 GOG auf das materielle Recht, NZ 1903, 90; Hellmer, Gilt die Bestimmung des § 89 Abs 1 des Gerichtsorganisationsgesetzes, beziehungsweise des §6 Abs 3 der Strafprozeßordnung auch bei Übergabe an eine ausländische Postanstalt?, JBl 1913, 460; Heinl, Die geltende Feiertagsordnung, JBl 1946, 410; Moser, Der Karfreitag und die Verfahrensgesetze, JBl 1956, 355; Schima, Prozeßgesetz und Prozeßpraxis, JBl 1967, 545; Hagen, Die Vorbereitung der Streitverhandlung, JBl 1970, 120; Puck, Zur Anwendbarkeit des AVG (im besonderen auf die Fristenberechnung) und zum Instanzenzug im Verfahren vor den Notariatskammern, NZ 1978, 187; Stölzle, Unterbricht der Antrag eines zur Verfahrenshilfe bestellten Anwaltes, die Verfahrenshilfe für erloschen zu erklären, die Rechtsmittelfrist? AnwBl 1981, 391; Haslinger, Fristen im Rechtsstaat, AnwBl 1980, 374; Mayr, Die Fristenvereinheitlichung im Zivilverfahren, AnwBl 1984, 189; Fucik, Die einheitliche Rechtsmittelfrist, ÖJZ 1984, 432; Petrasch, Die Zivilverfahrens- Novelle 1983 in der Rechtsprechung des OGH, ÖJZ 1985, 257, 291; Kerzendorfer, Zum Unterschied zwischen Verjährungsfristen und Präklusivfristen, BeitrZPR III (1989) 203; Fink, Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Zivilprozeßrecht (1994); Aichlreiter, Verfahrensrechtliche oder materiellrechtliche Frist am Beispiel des § 117 Abs 4 WRG, AnwBl 1995, 865; Gounalakis, Die Flucht vor Präklusion bei verspätetem Vorbringen im Zivilprozeß (1995); G. Kodek, Die Besitzstörung – Materielle Grundlagen und prozessuale Ausgestaltung des Besitzschutzes (2002) 598; Hopf, Das Zivilrechts-Mediations-Gesetz, ÖJZ 2004, 41; Fuchshuber, Mediation im Zivilrecht – Neue Wege der Konfliktlösung (2004) 7; Roth/Markowetz, Bundesgesetz über Mediation in Zivilrechtssachen – Ein Überblick über die neuen Bestimmungen, JBl 2004, 296. Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 123; Bajons Rz 191; Ballon Rz 147; Fasching Rz 547; Feil/Kroisenbrunner 357; Holzhammer 138; Rechberger/Simotta Rz 332. 790

§ 123

1.2 Verfahren

Materiellrechtliche Fristen sind Zeiträume, in oder vor denen eine 1 bestimmte Handlung gesetzt oder ein bestimmtes Ereignis eingetreten sein muss, woran das Gesetz bestimmte materielle Rechtsfolgen knüpft (ARD 4502/18/93, 1 Ob 34/94; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 123 Rz 10). Derartige Fristen sind die Verjährungsfrist (Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 123 Rz 10), die Frist für eine gerichtliche Aufkündigung (Fasching Rz 2143; Rechberger/Simotta Rz 334), die Leistungsfrist des § 409 (Rechberger/Simotta Rz 334; aA Fasching Rz 548 [materiellrechtlicher und prozessualer Charakter], ihm folgend Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 123 Rz 11), die vereinbarte Vergleichswiderrufsfrist (vgl §§ 204, 206 Rz 20), die Fristen zur Einbringung eines Antrags nach § 95 EheG (1 Ob 45/05g; 5 Ob 63/05h) oder einer Besitzstörungsklage gemäß § 454 Abs 1 (Fasching Rz 549, 1651; Rechberger/Simotta Rz 334; Ballon Rz 147; Holzhammer 138; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 123 Rz 10; GlUNF 1858; aA G. Kodek, Besitzstörung 632). Fristen im Prozessrecht, deren Einhaltung von Amts wegen wahrzu- 2 nehmen ist (kein Parteibetrieb [Fasching Rz 551; Buchegger in Fasching/ Konecny II/2 § 123 Rz 20]) und im Rechtsmittelverfahren sogar mit außerordentlichem Revisionsrekurs (SZ 62/165) überprüft werden kann, sind Zeiträume, bis zu deren Ablauf die Parteien oder das Gericht bestimmte Handlungen (Prozesshandlungen) vorzunehmen haben (Handlungsfristen; Rechberger/Simotta Rz 332; Ballon Rz 147; Fasching Rz 547; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 123 Rz 2) oder die den Parteien zur Vorbereitung von Tagsatzungen einzuräumen sind (Fasching Rz 547; Ballon Rz 147; aA Rechberger/Simotta Rz 332 [Warte- oder Vorbereitungsfristen sind keine prozessualen Fristen). Werden Parteiprozesshandlungen nicht vorgenommen, treten Präklusionsfolgen ein (Ballon Rz 147; Rechberger/Simotta Rz 333). Eine prozessuale Frist ist grundsätzlich nur jene, die entweder durch 3 ein Verfahren ausgelöst wird oder in einem Verfahren läuft. Wird hingegen die Einleitung eines Verfahrens an eine Frist gebunden, so handelt es sich bei dieser nicht um eine prozessuale Frist (VfGH ÖVA 1981, 17; 1 Ob 665/90, 1 Ob 34/94). Ob eine bestimmte Frist dem Verfahrens- oder dem materiellen Recht zuzurechnen ist, hängt nicht davon ab, in welcher Rechtsvorschrift sie angeordnet ist, sondern ob an ihre Einhaltung verfahrens- oder materiellrechtliche Folgen geknüpft sind (1 Ob 665/90, 1 Ob 34/94). Die verfahrensrechtlichen Fristen, also die in den Verfahrensgesetzen geregelten Fristen, sind – mit Ausnahme der unter Rz 1 angeführten Fristen – grundsätzlich prozessuale Fristen (Holzhammer 138; Ballon 791

§ 123

Gitschthaler

Rz 147; Rechberger/Simotta Rz 332). Dies gilt aber etwa auch für die Fristen zur Anrufung des Gerichts bei sukzessiven Kompetenzverteilungen (SZ 69/224 = JBl 1997, 179 [verst Senat]), also etwa die Fristen nach § 117 WRG (RdW 1998, 11; aA SZ 67/209 = JBl 1995, 533 [Fink]), nach § 67 ASGG (SZ 66/51 = SSV-NF 7/40, 10 ObS 359/97k), nach § 40 MRG (MietSlg 40.579, JBl 1997, 179; Fink, JBl 1995, 535 [Entscheidungsbesprechung]) oder nach § 18 Abs 1 EisEG.

4 Wichtigster Unterschied ist die Nichtanwendbarkeit der Regelungen der §§ 123 ff, insb die Nichteinrechnung des Postlaufs (§ 89 Abs 1 GOG; GlUNF 3865) und die Nichtanwendbarkeit der Regelungen über Samstage, Sonntage, Feiertage und Karfreitage (LGZ Wien EFSlg 57.771), jener über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, jener über den Einfluss der Unterbrechung und des Ruhens des Verfahrens sowie jener über die verhandlungsfreie Zeit auf materiellrechtliche Fristen (vgl Rechberger/Simotta Rz 334; Ballon Rz 147; ausführlich Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 123 Rz 10; ARD 4502/18/93). Hingegen ist die Fortlaufshemmung des § 22 MediationsG zwar auf materiell-, nicht jedoch auf formellrechtliche Fristen anzuwenden (Hopf, ÖJZ 2004, 49; Fuchshuber, Mediation 8; Roth/Markowetz, ÖJZ 2004, 301).

5 Relative und absolute Fristen. Absolute Fristen werden durch den Zeitpunkt, zu dem sie enden, bestimmt (etwa ein Kalendertag, vgl § 125 Abs 3). Bei relativen Fristen werden Beginn und Dauer angegeben (Holzhammer 138; Fasching Rz 550; Ballon Rz 148; Rechberger/Simotta Rz 356; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 123 Rz 8). Gesetzliche und richterliche Fristen. Hier kommt es darauf an, ob die Frist bereits durch das Gesetz vorgegeben (etwa die Rechtsmittelfristen) oder vom Richter bestimmt wird (etwa Verbesserungsfristen); vgl dazu die Aufzählungen bei Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 123 Rz 16 und 17. Gibt das Gesetz im letzteren Fall Richtlinien für die Bemessung der Dauer der Frist vor, so handelt es sich um eine instruktionelle Frist (Holzhammer 139; Fasching Rz 551; Ballon Rz 148; Rechberger/Simotta Rz 335; Buchegger in Fasching/Konecny II/ 2 § 123 Rz 18). Erstreckbare und unerstreckbare Fristen. Erstere können durch den Richter verlängert werden, letztere nicht (Notfristen s bei §§ 128, 129; Fasching Rz 552; Ballon Rz 148; Rechberger/Simotta Rz 337; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 123 Rz 6). Wiederherstellbare und nicht wiederherstellbare Fristen. Vgl dazu Vor § 146; vgl auch bei Buchegger in Fasching/Konency II/2 § 123 Rz 7. 792

§§ 124–126

1.2 Verfahren

Die Regelungen über die Fristenberechnung (§§ 124–126) und § 89 6 Abs 1 GOG gelten nicht nur in den in der ZPO geregelten Verfahren, sondern gemäß § 78 EO auch in exekutionsrechtlichen Verfahren, gemäß § 23 AußStrG in Verfahren außer Streitsachen (insb auch die Berechnungsregeln der §§ 124–126 [6 Ob 51/00v, 7 Ob 111/01a]), aber auch in Insolvenzverfahren sowie in Verfahren nach dem ASGG und in Verfahren nach dem MRG (etwa 5 Ob 275/98x = MietSlg 50.499), nach dem WEG und nach dem WGG (vgl dazu auch BGBl I 2003/113). In Grundbuchsverfahren gelten diese Regelungen lediglich eingeschränkt (EvBl 1980/62, 5 Ob 5/82; Fasching Rz 549). So dürfen etwa Sonn- und Feiertage (§ 81 Abs 2 GBG) von einer Rechtsmittelfrist ebenso wenig abgerechnet werden wie die Tage des Postlaufs (§ 81 Abs 2 GBG) oder Ferialtage (5 Ob 112/95). Fällt hingegen das Ende der Frist auf einen solchen Tag, dann ist der nächste Werktag als letzter Tag anzusehen (Europäisches Übereinkommen über die Berechnung von Fristen, BGBl 1983/254; NZ 1991, 205, GBSlg 213 [Hofmeister], 5 Ob 112/95). Dies wurde nunmehr durch das AußStr-BegleitG, BGBl I 2003/ 113, ausdrücklich klargestellt (Fucik/Kloiber, AußStrG, Anh 1 636 f). § 124. Der Lauf einer richterlichen Frist beginnt, sofern nicht bei Festsetzung derselben etwas anderes bestimmt wurde, mit Zustellung des die Frist anordnenden Beschlusses an die Partei, welcher die Frist zugute kommt; wenn es aber einer Zustellung des Beschlusses nicht bedarf, mit der Verkündung des Beschlusses. [Stammfassung] § 125. (1) Bei Berechnung einer Frist, welche nach Tagen bestimmt ist, wird der Tag nicht mitgerechnet, in welchen der Zeitpunkt oder die Ereignung fällt, nach der sich der Anfang der Frist richten soll. (2) Nach Wochen, Monaten oder Jahren bestimmte Fristen enden mit dem Ablaufe desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monates, welcher durch seine Benennung oder Zahl dem Tage entspricht, an welchem die Frist begonnen hat. Fehlt dieser Tag in dem letzten Monate, so endet die Frist mit Ablauf des letzten Tages dieses Monates. (3) Das Ende einer Frist kann auch durch Angabe eines bestimmten Kalendertages bezeichnet werden. [Stammfassung] § 126. (1) Der Beginn und Lauf von gesetzlichen und richterlichen Fristen wird durch Sonn- und Feiertage nicht behindert. 793

§§ 124–126

Gitschthaler

(2) Fällt das Ende einer Frist auf einen Sonntag oder Feiertag, so ist der nächste Werktag als letzter Tag der Frist anzusehen. [Stammfassung] Lit: Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 124; Ballon Rz 149; Fasching Rz 554; Feil/Kroisenbrunner 363; Holzhammer 139; Rechberger/Simotta Rz 339. Inhaltsübersicht Beginn des Fristenlaufs Fristenberechnung Fristenende

1–2 3–7 8

Fristenwahrung Postlauf § 89 Abs 1 GOG

9 10–15

1 Fristenbeginn. Dieser richtet sich nach einem bestimmten (fristenauslösenden) Ereignis und datiert mit dem dem auslösenden Ereignis folgenden Tag um 00.00 Uhr (SZ 57/65 = AnwBl 1984, 351, RZ 1985/5, MietSlg 38.764 uva; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 124 Rz 1 mwN). Der Tag, an dem das fristenauslösende Ereignis stattfindet, wird daher nicht mitgerechnet (OLG Wien ARD 5186/53/2001). Als fristenauslösende Ereignisse kommen dabei in Betracht: a) der Eintritt jenes Ereignisses, welches der Richter bei Anordnung einer richterlichen Frist als Beginn der Frist festsetzte (Fasching1 II 665; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 124 Rz 4); b) (sofern die Voraussetzungen dazu vorliegen [s etwa § 426 Abs 3]) die Verkündung (bei richterlichen Fristen) jenes Beschlusses, mit dem der Richter eine bestimmte Frist angeordnet hat (Fristenerteilungsbeschluss; etwa die Verbesserung eines Rechtsmittels odgl [vgl Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 124 Rz 7]) und (bei gesetzlichen Fristen) jener gerichtlichen Entscheidungen, an welche das Gesetz selbst bestimmte Fristenläufe knüpft (etwa die Verkündung eines Anerkenntnisurteils); c) am häufigsten die Zustellung von gerichtlichen Entscheidungen (1 Ob 566/78 = RZ 1978/98), sofern das Gesetz nicht bereits deren Verkündung als fristenauslösend anordnet, wobei allerdings die Zustellung von Schriftstücken auf verschiedenste Weise möglich ist (Fasching1 II 665; im einzelnen s ZustG [nach § 87]); dies gilt auch für das tatsächliche Zukommen iS des § 7 ZustG (10 ObS 326/01s = ARD 5350/30/ 2002); d) der Wegfall des Hindernisses, welches die Versäumung verursacht hat (§ 148 Abs 3; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 148 Rz 9); e) die Versäumung einer mündlichen Verhandlung (§ 170) oder die Anzeige des Ruhens (§ 168) durch beide Parteien; 794

§§ 124–126

1.2 Verfahren

f) der Ablauf der verhandlungsfreien Zeit im Fall der Zustellung einer gerichtlichen Entscheidung oder eines Beschlusses während der verhandlungsfreien Zeit (§ 225 Abs 1); g) die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und die Aufnahme eines Protokolls darüber in Kurzschrift oder auf Schallträger (§ 212 Abs 5, § 212a Abs 3); h) die Kündigung der Bevollmächtigung durch den Bevollmächtigten (§ 36 Abs 2); i) das Entstehen von Kosten, etwa Zahlung eines Rechnungsbetrags (§ 54 Abs 2); j) der Empfang von Urkunden (§ 82 Abs 1, § 83 Abs 2); k) der Eintritt der Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung (etwa §§ 334, 354 Abs 1, § 409 Abs 1, §§ 207, 208 EO), wobei die Frist am ersten Tag nach dem letzten Tag der ursprünglichen Rechtsmittelfrist zu laufen beginnt; l) das Einlangen eines Zustellnachweises (etwa § 402 Abs 1); m) der Schluss der Verhandlung (§ 415); n) die Urteilsverkündung (§ 414 Abs 3, § 417a Abs 1 und 3); o) die Kenntnis von einer Störungshandlung (§ 454 Abs 1); oder p) die Veröffentlichung des (Konkurseröffnungs-)beschlusses in der Ediktsdatei (§ 2 Abs 1, § 173a KO); die mit dem IRÄG 1997 eingeführte Anordnung, dass die Wirkungen der Konkurseröffnung erst mit Beginn des Folgetags eintreten, betrifft nur die materiellrechtlichen Wirkungen, wobei gegen die daher unverändert gebliebene Regelung des Fristenlaufs weder europa- noch verfassungsrechtliche Bedenken bestehen (8 Ob 231/98y = EvBl 1999/69). Der Beginn eines Fristenlaufs wird zwar im Hinblick auf § 126 Abs 1 2 und § 1 Abs 1 BGBl 1961/37 (BG über die Hemmung des Fristenlaufs durch Samstage und den Karfreitag) nicht dadurch gehindert, dass das fristenauslösende Ereignis und/oder der erste Tag der Frist auf einen Sonn- oder Feiertag (s die Aufstellung bei § 221), auf einen Samstag oder auf den Karfreitag (VwGH AnwBl 1992, 317 [unzutr krit Arnold]) fallen (Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 126 Rz 1). In einer Nichtferialsache wird jedoch der Beginn durch die Gerichtsferien gehindert; hier beginnen die Fristen erst am 26. August oder 7. Jänner um 00.00 Uhr zu laufen (RZ 1978/109, SZ 57/65 = AnwBl 1984, 351, MietSlg 38.764, 42.501, RdW 1995, 264, 6 Ob 57/98w; Buchegger in Fasching/ Konecny II/2 § 126 Rz 11). Dies gilt selbst dann, wenn es sich dabei um einen Samstag, einen Sonntag oder einen Feiertag handelt (JBl 1962, 452, RZ 1989/108, 3 Ob 1503/89; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 126 Rz 11). 795

§§ 124–126

Gitschthaler

3 Fristenberechnung. Während § 125 auf in der ZPO praktisch kaum vorkommende (etwa § 231 Abs 2) stündliche Fristen nicht anwendbar ist und diese daher sofort zu laufen beginnen (Fasching1 II 666; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 125 Rz 2), ordnen die Abs 1 und 2 des § 125 scheinbar (EFSlg 57.781, 60.808, 10 ObS 24/98x = SSV-NF 12/17) unterschiedliche Rechtsfolgen für nach Tagen und für nach Wochen, Monaten oder Jahren bestimmte Fristen an. Der aus Abs 1 ersichtliche Grundsatz wird allerdings iS einer Gleichbehandlung der Parteien in allen Fällen angewendet (SZ 57/65 = AnwBl 1984, 351, MR 1989, 212 [M. Walter], Arb 11.142, EvBl 1993/195, SZ 70/159, 10 ObS 359/97k, 7 Ob 274/98i; Holzhammer 139; Fasching Rz 554; Ballon Rz 149). Abs 2 kann also nicht dahingehend verstanden werden, dass eine Frist von vier Wochen anders zu berechnen wäre als eine Frist von 28 Tagen (10 ObS 24/98x = SSV-NF 12/17, 7 Ob 274/98i, 10 Ob 58/03g; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 125 Rz 6).

4 Bei Tages- und Wochenfristen ist zur Tageszahl jenes Datums, an welchem das fristenauslösende Ereignis stattfindet, die Dauer der Frist in Tagen (1 Woche = 7 Tage [OLG Wien ARD 5292/45/2002]) hinzuzuzählen. Wird dabei ein Monatsende überschritten, so wird die Anzahl der Tage des Vormonats wieder abgezogen (bei allfälligem mehrmaligen Überschreiten eines Monatsendes die Gesamtanzahl der Tage sämtlicher Vormonate). Bei dem auf diese Art und Weise errechneten Tag (24 Uhr) handelt es sich um den letzten Tag der Frist. Beispiel 1: Zustellung des Urteils am 16. April; Ende der Berufungsfrist? 16 + 28 = 44 – 30 = 14 (Mai) Beispiel 2: Zustellung des Beschlusses am 27. Jänner; Ende der Rekursfrist? 27 + 14 = 41 – 31 = 10 (Februar)

5 Da die Fristen in Nichtferialsachen in der verhandlungsfreien Zeit stillstehen, läuft der Rest der jeweiligen Frist nach der verhandlungsfreien Zeit weiter, wenn sie davor zu laufen begonnen hat, aber bei Beginn der verhandlungsfreien Zeit noch nicht vollständig abgelaufen war (Fasching Rz 618; vgl § 225 Abs 1). Die verhandlungsfreie Zeit bewirkt damit nicht eine Ablaufs-, sondern eine Fortlaufshemmung (Fasching1 II 669). Reicht ein Fristenlauf daher in die verhandlungsfreie Zeit hinein oder darüber hinaus, so verlängert sich die Frist um deren Dauer, also um 42 Tage im Sommer und um 14 Tage im Winter. 796

§§ 124–126

1.2 Verfahren

Beispiel 3: Zustellung des Urteils am 19. Dezember; Ende der Berufungsfrist? 19 + 28 + 14 = 61 – 31 = 30 (Jänner) Beispiel 4: Zustellung eines Beschlusses am 13. Juli, Ende der Rekursfrist? 13 + 14 + 42 = 69 – 31 = 38 – 31 = 7 (September) Beginnt der Lauf einer Frist während der verhandlungsfreien Zeit und 6 ist ihr Ende mit einem Kalendertag bestimmt, so wird die Frist um den bei ihrem Beginn noch übrigen Teil der verhandlungsfreien Zeit verlängert (GlUNF 2793, SZ 48/26 = JBl 1975, 551, 1 Ob 2014/96z). Dies gilt auch, wenn das kalendermäßig bestimmte Ende selbst in die verhandlungsfreie Zeit fällt – Fristverlängerung um den restlichen Teil dieser Zeit (SZ 45/77, 7 Ob 113/75, 4 Ob 536/76; Buchegger in Fasching/ Konecny II/2 § 126 Rz 12; aA Fasching1 II 1027 [letzter Tag der Frist ist der erste Tag nach der verhandlungsfreien Zeit]) – oder wenn die Frist vor der verhandlungsfreien Zeit zu laufen beginnt, das kalendermäßig bestimmte Ende jedoch danach liegt, außer der Richter bringt zum Ausdruck, dass die Frist durch die verhandlungsfreie Zeit nicht verlängert werden soll (SZ 48/26, 1 Ob 2014/96z). Dies könnte er etwa durch den Beisatz „unter Außerachtlassung der Gerichtsferien bzw der verhandlungsfreien Zeit“. Andernfalls ist zunächst festzustellen, welche Dauer die festgesetzte Frist rein rechnerisch hatte, um sie dann um die Dauer der verhandlungsfreien Zeit zu verlängern. Beispiel 5: Zustellung des Verbesserungsauftrags am 12. Juli, angeordnetes Fristenende am 30. Juli; tatsächliches Ende der Verbesserungsfrist? 30 – 12 = 18 + 12 (Zustelltag) + 42 (verhandlungsfreie Zeit) = 72 – 31 = 41 – 31 = 10 (September) Bei Monats- und Jahresfristen ist nach § 125 Abs 2 vorzugehen, weil 7 Monate und Jahre – im Unterschied zu Wochen – eine unterschiedliche Anzahl an Tagen aufweisen, sodass diese Fristen um 24 Uhr jenes Tags enden, der seiner Zahl nach jenem Tag entspricht, an welchem das fristenauslösende Ereignis stattgefunden hat (GlUNF 2818, 5 Ob 275/ 98x = MietSlg 50.499). Dies gilt etwa auch für die Zweimonatsfrist des § 117 Abs 4 WRG (1 Ob 207/98t = SZ 72/47 [Beginn 30.6., Ende 30.8.]). Weist dieses Monat (etwa einen 31.) oder dieses Jahr (etwa einen 29. Februar) diesen Tag nicht auf, so endet die Frist mit Ablauf des letzten Tags dieses Monats, also etwa am 30. oder am 28. Februar, wodurch die 797

§§ 124–126

Gitschthaler

Monatsfrist verkürzt wird (Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 125 Rz 7; OLG Linz 2 R 216/00y). Eine Verlängerung auf Grund § 125 Abs 2 ist nicht vorgesehen (GlUNF 2818; OLG Linz 2 R 216/00y).

8 Fristenende. Fällt das Ende einer Frist auf einen Samstag, Sonn- oder Feiertag oder einen Karfreitag, so wird der Ablauf der Frist nach § 126 Abs 2 bzw nach § 1 Abs 1 BGBl 1961/37 gehemmt, sodass die Frist erst am nächstfolgenden Werktag endet (JBl 1962, 452, 3 Ob 1503/89; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 126 Rz 7). Dies gilt nunmehr auch im Grundbuchsverfahren (vgl bei § 123) und für die Frist zur Einbringung einer Nichtigkeits- oder Wiederaufnahmeklage (6 Ob 515/81). Ist der erste Tag nach der verhandlungsfreien Zeit ein Samstag, Sonn- oder Feiertag, endet die Frist ebenfalls erst am nächstfolgenden Werktag (so auch Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 126 Rz 13). Bei Beginn des Laufs einer Frist in der verhandlungsfreien Zeit (und sei es auch bereits an deren erstem Tag [RZ 1978/109]) ist als fristenauslösendes Ereignis immer der Ablauf des letzten Ferientags anzusehen. Dies gilt selbst dann, wenn der letzte Tag ein Samstag, Sonn- oder Feiertag ist (EvBl 1993/195, 1 Ob 504/94; Buchegger in Fasching/ Konecny II/2 § 126 Rz 11). Diese Fristen enden daher immer (MietSlg 41.559, 42.501) um 24 Uhr jenes Tags, der so viele Tage vom letzten Tag der verhandlungsfreien Zeit entfernt ist, wie die Frist Tage hat, also im Sommer Berufungsfristen am 22. September (SZ 57/65 = AnwBl 1984, 351, 7 Ob 1004/84, RZ 1985/5, EFSlg 60.808, MietSlg 42.501, 5 Ob 257/ 98z = MietSlg 51.652, 3 Ob 40/99z) bzw Rekursfristen am 8. September (RZ 1978/109, 3 Ob 622/81, 3 Ob 579/87) und im Winter Berufungsfristen am 3. Februar (RZ 1989/108, 1 Ob 535/95, 6 Ob 57/98w) bzw Rekursfristen am 20. Jänner. Dies gilt in all diesen Fällen allerdings nur dann, wenn der Fristenlauf nicht schon vor Beginn der verhandlungsfreien Zeit eingesetzt hat und/oder das errechnete Fristenende nicht auf einen Samstag oder Sonntag fällt.

9 Zur Fristenwahrung muss die befristete Handlung innerhalb der jeweiligen Frist durchgeführt werden, sohin spätestens am letzten Tag der Frist. Sie ist jedenfalls gewahrt, wenn die Prozesshandlung an diesem Tag unmittelbar dem Gericht gegenüber vorgenommen wird. Wird ein Protokollarrechtsmittel erhoben, ist für die Rechtzeitigkeit immer der Tag der Protokollierung maßgeblich, auch wenn das Protokoll unzulässigerweise oder vom falschen Gericht aufgenommen und an das zuständige Gericht übermittelt wurde (EvBl 1991/140). Rechtzeitig ist auch die Überreichung des befristeten Schriftsatzes in der Einlaufstelle des Gerichts innerhalb der Frist. Diese hat die Eingabe an die richtige Gerichtsabteilung weiter zu leiten, uzw auch dann, wenn sie an 798

§§ 124–126

1.2 Verfahren

den Richter unmittelbar oder an ein anderes (falsches) Gericht adressiert wäre (Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 126 Rz 8). Eine Eingabe kann dem Gericht allerdings auch übermittelt werden. Bei elektronisch eingebrachten Eingaben richtet sich die Rechtzeitigkeit nach dem Zeitpunkt, in dem die Daten zur Gänze beim Bundesrechenamt bzw bei der Übermittlungsstelle (Datakom Austria GmbH) eingelangt sind, bei mittels Fernkopierers (Telefax) eingebrachten Eingaben nach dem Einlangen des Telex oder des Telefax am Empfangsgerät des Gerichts – uzw auch außerhalb der Amtsstunden – und bei Telegrammen nach dem Zeitpunkt seiner Aufgabe. Vgl Näheres bei § 74. Wird die schriftliche Eingabe mit der Post übermittelt, so ist auf § 89 Abs 1 GOG Bedacht zu nehmen, der die §§ 124 bis 126 ergänzt (Rz 10–15). Anhang: Gerichtsorganisationsgesetz (GOG):

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§ 89 (1) Bei gesetzlichen oder richterlichen Fristen, die in bürgerlichen Rechtssachen einer Partei zur Abgabe von Erklärungen, Anbringung von Anträgen, Überreichung von Schriftsätzen oder zur Vornahme anderer, ein gerichtliches Verfahren betreffenden Handlungen offenstehen, werden die Tage des Postenlaufes in die Frist nicht eingerechnet. Sowohl in streitigen als auch in Verfahren außer Streitsachen (§ 23 Auß- 11 StrG), aber auch in Insolvenz-, Exekutions- und Anfechtungsverfahren (Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 126 Rz 16) werden prozessuale, nicht aber materiellrechtliche Fristen (SZ 26/136 = EvBl 1953/352, SZ 13/166, 13 Os 127/95; Fasching1 II 671; ders Rz 549) und diejenigen Fristen, welche die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens präkludieren, also etwa Fristen zur Einbringung einer Nichtigkeits- oder einer Wiederaufnahmsklage (3 Ob 232/98h), nicht aber die Frist zur Einbringung einer Besitzstörungs- (materiellrechtliche Präklusionsfrist [§ 454; LGZ Wien EFSlg 57.771]) oder einer Gewährleistungs- bzw Schadenersatzklage (SZ 26/136 uva) durch § 89 Abs 1 GOG um die Dauer des Postlaufs verlängert (aA Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 126 Rz 16 und 20, der § 89 Abs 1 GOG auch auf materiellrechtliche Fristen anwenden will, sofern sie aus Anlass eines Verfahrens laufen oder ein Verfahren anhängig gemacht werden soll). Die Post tritt in einem solchen Fall als „verlängerte“ Einlaufstelle des Gerichts auf (4 Ob 134/ 98d). Dies gilt allerdings nicht für die Abgabe einer Erbantrittserklärung, die vor Ablauf der Rekursfrist gegen die Einantwortung bei Gericht eingelangt sein muss (SZ 44/72 = EvBl 1972/164, SZ 46/117 = NZ 1976, 107, 7 Ob 2398/96i). 799

§§ 124–126

Gitschthaler

12 Voraussetzung ist, dass das Schriftstück mit der befristeten Prozesshandlung am letzten Tag der Frist aufgegeben wird. Dabei muss es so zur Post gegeben werden, dass es nach den Einrichtungen des jeweiligen Postamts noch mit dem Postaufgabevermerk dieses Tags versehen werden kann (JB 143, GlUNF 5562, 2 Ob 653/50, EvBl 1962/421, SZ 35/62, SZ 46/32 = JBl 1973, 426, 11 Os 94/92, JUS 1993/Z/1316) und auch tatsächlich wird. Davon hat sich der Absender zu überzeugen (SZ 46/32, 11 Os 94/92, 9 ObA 173/00g = RdA 2001, 182; LGZ Wien WR 288, EFSlg 57.847); er hat dies auch bei Nichteinlangen des Schriftstücks bei Gericht zu beweisen (JUS 1993/Z/1316, 2 Ob 140/04h [etwa durch eine Auskunft des Aufgabepostamts]). Er muss das Schriftstück also entweder am Schalter abgeben oder so rechtzeitig in den Postkasten einwerfen, dass die planmäßige Aushebung noch am selben Tag erfolgt (Arb 8921, SZ 46/32, 8 Ob 73/75). Es reicht aber auch die Verwendung einer Freistempelmaschine (SZ 61/202). Unterbleibt eine solche postalische Behandlung, gilt das Schriftstück als nicht rechtzeitig eingelangt (9 ObA 173/00g = RdA 2001, 182). Vgl ausführlich auch Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 126 Rz 21. Die Postsendung am letzten Tag in einen Postkasten einzuwerfen (dies auch dann, wenn seine Aushebung konkret angekündigt wird [9 ObA 173/00g]) oder einem Postbediensteten formlos zur Weiterleitung an die für die Abstempelung zuständige Stelle zu übergeben, ist allein nicht ausreichend (SZ 46/32; LGZ Wien WR 288, EFSlg 57.847). Dies gilt nur dann nicht, wenn die Postsendung tatsächlich noch einer Behandlung am selben Tag unterzogen wird. Das Risiko der Fristversäumung bei der Übermittlung des Schriftstücks an das Postamt (einschließlich des Risikos, dass die Post infolge Verwendung des Vermerks „Postgebühr bar bezahlt“ keinen Datumsstempel anbringt [LG Linz 14 R 317/02i]) trägt der Schriftsatzverfasser (5 Ob 510/93, 9 ObA 173/00g).

13 Das Schriftstück kann auch bei einem ausländischen Postamt aufgegeben werden (SZ 44/134, 7 Ob 263/72, EvBl 1980/87, SZ 52/155 = JBl 1980, 382, 8 Ob 582/82; aA Fasching Rz 549 hinsichtlich Rechtsanwälten und Notaren unter Hinweis auf deren gesetzliche Residenzpflicht in Österreich; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 126 Rz 21). Dies gilt aber nicht, wenn die Aufgabe offenkundig zu Verschleppungsabsichten im Ausland erfolgen sollte (Fasching Rz 549). Darüber hinaus kann ein dienstlich im Ausland weilender österreichischer Diplomat sein Schriftstück einem diplomatischen Kurier übergeben (RZ 1989/1) bzw ein Gefangener dem Stockwerksbeamten des Gefangenenhauses, in dem er einsitzt (SZ 58/148 = JBl 1986, 596; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 126 Rz 24; aA OLG Wien WR 175). Beides ist der Postaufgabe gleichzuhalten, sodass die in eine Frist 800

§§ 124–126

1.2 Verfahren

nicht einzurechnenden Tage des Postlaufs mit der Übergabe an die genannten Personen beginnen. Dies gilt auch für Patienten, die auf oder ohne ihr Verlangen nach den Bestimmungen des UbG untergebracht sind, und für jene Fälle, in denen das Schriftstück an das österreichische Konsulat oder die österreichische Botschaft des Aufenthaltsorts im Ausland am letzten Tag der Frist übergeben wird (analog § 89 Abs 1 GOG). Weitere Voraussetzung ist, dass das Schriftstück (auf dem Kuvert) an 14 das zuständige Gericht – unter Angabe der richtigen Anschrift (EvBl 1995/90, 10 Ob 2063/96x, 2 Ob 121/97a, 10 ObS 93/00z = ARD 5186/ 46/2001; OLG Wien EFSlg 101.929; LG Eisenstadt EFSlg 101.929) – adressiert ist (Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 126 Rz 16, 22). Andernfalls kann eine befristete Prozesshandlung nur dann als rechtzeitig angesehen werden, wenn sie noch innerhalb der offenstehenden Frist beim zuständigen Gericht einlangt (SZ 2/71, 2 Ob 826/53, EvBl 1980/87, SZ 52/155, SSV-NF 7/50, 7 Ob 111/01a, 10 Ob 51/03b; Fasching Rz 2048; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 126 Rz 22), etwa weil das irrigerweise in der Adresse angeführte Gericht das Schriftstück an das richtige Gericht weitergeleitet hat (SZ 24/10, 9 ObA 2310/96p; OLG Innsbruck Sach 2000, 178). Dies gilt auch in Verfahren außer Streitsachen (§ 23 AußStrG) und grundsätzlich (vgl die Ausnahmen nach § 35 Abs 8 ASGG) in Verfahren vor den Arbeits- und Sozialgerichten (10 ObS 171/94), nicht jedoch für Nichtigkeits- und Wiederaufnahmsklagen (3 Ob 232/98h). In der Praxis häufig sind jene Fälle, in denen etwa eine Berufung (LGZ Wien MietSlg 40.797), ein Rekurs (7 Ob 309/00t) oder eine Revision (EFSlg 34.932) an das Berufungs- bzw Rekursgericht, ein ordentlicher Revisionsrekurs (ÖA 1993, 109), eine außerordentliche Revision (RdW 1988, 424, ÖA 1993, 24) oder eine Revisionsbeantwortung (5 Ob 14/84, SZ 67/179, 3 Ob 556/95) an den OGH und nicht an das Erstgericht oder die Beantwortung einer zugelassenen (außerordentlichen) Revision an das Erst- und nicht an das Berufungsgericht (10 Ob 51/03b) adressiert werden. Dabei ist es jedoch unschädlich, wenn das Rechtsmittel zwar an das Rechtsmittelgericht adressiert wird, dieses und das Erstgericht aber eine gemeinsame (getrennte Einlaufstellen im selben Gebäude reichen nicht [7 Ob 549/78, Arb 11.886, 5 Ob 275/01d = MietSlg 53.674]) Einlaufstelle haben (4 Ob 581/74, 1 Ob 589/81, RZ 1991/31, 2 Ob 391/97g, 7 Ob 166/05w; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 126 Rz 22). Zum Vergleichswiderruf vgl bei §§ 204, 206. § 89 Abs 1 GOG wird auch in jenen Fällen angewendet, in denen ein Schriftsatz beim falschen Gericht persönlich überreicht und von diesem an das richtige Gericht weitergeleitet wird. Langt es dort nicht innerhalb 801

§§ 128–129

Gitschthaler

offener Frist ein, ist es verspätet, weil die in der Entgegennahme und Weiterleitung des Schriftsatzes gelegene Amtstätigkeit des Gerichts nicht als „Postaufgabe“ des Schriftsatzverfassers angesehen werden kann (6 Ob 856/82, 2 Ob 599/87 ua).

15 Kommt es nicht sofort zur Weiterleitung und langt deshalb das Schriftstück verspätet beim richtigen Gericht ein, ist auch dann Verfristung anzunehmen, wenn es bei sofortiger Weiterleitung noch vor Ablauf der Frist eingelangt wäre (SZ 69/164). Der Postlauf zwischen dem Gericht, an welches das Schriftstück adressiert war, und dem tatsächlich zuständigen Gericht geht daher immer zu Lasten des Einschreiters (RZ 1990/109). Gelegentlich wird idZ die Frage aufgeworfen, ob allenfalls Amtshaftungsansprüche denkbar sein könnten, wenn das Schriftstück nicht sofort weitergeleitet wurde, bei rechtzeitiger Weiterleitung jedoch eine Fristversäumnis nicht eingetreten wäre. Auch wenn das Adressgericht das Schriftstück „ehestens“ dem richtigen Gericht zu übermitteln hat (10 Ob 89/00m), ist ein Amtshaftungsanspruch zu verneinen, weil den den Schaden (Fristversäumnis) auslösenden Fehler die Partei zu verantworten hat und nicht damit rechnen konnte, dass das Gericht unrichtig adressierte Schriftstücke schon rechtzeitig an die richtige Stelle weiterleiten würde. Sollte die unvertretene Partei etwa aufgrund einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung oder eines sonstigen Irrtums das falsche Gericht/Adresse gewählt haben, stünde ihr ohnehin die Wiedereinsetzung zu. Sollte hingegen Wiedereinsetzung wegen der Schwere des Fehlers der Partei (grobes Verschulden) nicht möglich sein, spricht dies erst recht dafür, Amtshaftungsansprüche der Partei zu verneinen. Gewahrt ist die Frist dann, wenn eine Pflegschaftssache zwar gemäß § 111 JN an ein anderes Gericht übertragen wurde, eine Partei ein Rechtsmittel aber noch beim übertragenden Gericht einbringt (ÖA 1985, 145) oder wenn das Gericht, welches die angefochtene Entscheidung gefällt hat, aufgelöst wurde, die Partei ihr Rechtsmittel aber noch an dieses Gericht adressiert hat (infas 1988/S 12; Buchegger in Fasching/ Konecny II/2 § 126 Rz 23). § 127. Durch ZVN 1983 aufgehoben § 128. (1) Gesetzliche Fristen, mit Ausnahme derjenigen, deren Verlängerung das Gesetz ausdrücklich untersagt (Notfristen), sowie die richterlichen Fristen, hinsichtlich welcher in diesem Gesetze nichts anderes bestimmt ist, können vom Gerichte verlängert werden. Eine Verlängerung von Fristen durch Übereinkommen der Parteien ist unzulässig. 802

§§ 128–129

1.2 Verfahren

(2) Das Gericht kann eine solche Verlängerung auf Antrag bewilligen, wenn die Partei, welcher die Frist zugute kommt, aus unabwendbaren oder doch sehr erheblichen Gründen an der rechtzeitigen Vornahme der befristeten Prozeßhandlung gehindert ist und insbesondere ohne die Fristverlängerung einen nicht wieder gutzumachenden Schaden erleiden würde. (3) Der Antrag muss vor Ablauf der zu verlängernden Frist bei Gericht angebracht werden. Über den Antrag kann ohne vorhergehende mündliche Verhandlung entschieden werden; vor Bewilligung der wiederholten Verlängerung einer Frist ist jedoch, wenn der Antrag nicht von beiden Parteien einverständlich gestellt wird, der Gegner einzuvernehmen. (4) Die zur Rechtfertigung des Antrages angeführten Umstände sind dem Gerichte auf Verlangen glaubhaft zu machen. Mangels hinreichender Begründung ist der Antrag zu verwerfen. (5) Bei Verlängerung der Frist ist stets zugleich der Tag zu bestimmen, an welchem die verlängerte Frist endet. [Stammfassung] § 129. (1) Alle Fristen können durch Vereinbarung der Parteien abgekürzt werden. Die Vereinbarung muss, um für das Gericht wirksam zu sein, urkundlich nachgewiesen werden. (2) Das Gericht kann richterliche und gesetzliche Fristen auf Antrag nur einer der Parteien abkürzen, wenn Umstände glaubhaft gemacht werden, welche eine solche Abkürzung zur Abwendung drohender erheblicher Nachteile geboten erscheinen lassen und wenn zugleich der Partei, für deren Handeln die Frist bestimmt ist, die Vornahme der bezüglichen Prozeßhandlung während der abgekürzten Frist ohne Schwierigkeit möglich ist. [Abs 2 Satz 2 aufhoben durch RGBl 1914/118; sonst Stammfassung] Lit: Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 128; Fasching Rz 555; Feil/ Kroisenbrunner 364; Holzhammer 140. § 129 sieht zwar weitgehende Möglichkeiten einer Fristabkürzung, 1 § 128 dagegen nur eingeschränkte Möglichkeiten der Fristverlängerung vor. Dadurch sollen Prozessverschleppungen durch Einräumung zu langer Fristen oder durch Verlängerung ursprünglich kürzerer Fristen vermieden werden (Fasching1 II 675, 681; ders Rz 555). Auf materiellrechtliche Fristen sind die §§ 128 und 129 jedoch nicht anwendbar (so zur Vergleichswiderrufsfrist ausdrücklich RZ 1965, 162; zur Frist nach § 454 Abs 1 allerdings aA Fasching1 II 682). 803

§§ 128–129

Gitschthaler

2 Eine Parteienübereinkunft über eine Fristabkürzung führt ohne weitere Überprüfung der Voraussetzungen durch das Gericht und ohne Beschlussfassung (Holzhammer 140; aA Fasching1 II 682; ders Rz 556; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 129 Rz 3) zur Abkürzung, muss jedoch durch eine schriftliche Vereinbarung, etwa durch Einbringen eines gemeinsamen Schriftsatzes durch die Parteien nachgewiesen werden (Fasching1 II 681; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 129 Rz 3). Durch die vereinbarte Abkürzung einer gesetzlichen Frist hört diese nicht auf, eine gesetzliche Frist zu sein (SZ 23/333). Parteienvereinbarungen über eine Fristverlängerung (Konventionalfristen) sind der ZPO hingegen überhaupt fremd (Fasching1 II 675; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 128 Rz 1, 11) und als Verlängerungsanträge anzusehen. Hier wird das Gericht nur von seiner Verpflichtung zur Anhörung des Gegners nach § 128 Abs 3 (Fasching1 II 677; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 128 Rz 11) entbunden. Eine Verlängerung über den Parteienantrag hinaus, also von Amts wegen, ist dann unzulässig, wenn dadurch in bereits von einer Partei erworbene Rechte eingegriffen werden würde (SZ 41/107 = EvBl 1969/66). Eine amtswegige Abkürzung oder Verlängerung von Fristen ist im Hinblick auf § 128 Abs 4 und § 129 Abs 2 (über Antrag einer Partei) nach zutr Ansicht Holzhammers (140; weitere Nachweise bei Fasching1 II 677; ebenso SZ 41/107 = EvBl 1969/66) unzulässig (aA Fasching1 II 677; ders Rz 555; nunmehr auch Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 128 Rz 12).

3 Während eine beschlussmäßige Fristabkürzung über Antrag einer Partei in der Praxis kaum vorkommt (vgl dazu Buchegger in Fasching/ Konecny II/2 § 129 Rz 4), ist eine Fristverlängerung nur zu bewilligen, wenn der Antrag vor Ablauf der ursprünglichen Frist eingebracht (Rsp 1928/295, EFSlg 55.016) und die Gründe glaubhaft gemacht wurden (Fasching Rz 555; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 128 Rz 21; LGZ Graz RPflSlgE 1992/123). Damit reicht etwa die nicht konkretisierte Behauptung der Unpässlichkeit für die Bewilligung einer Fristverlängerung nicht aus (1 Ob 71/58). Die Gründe sind auch zu bescheinigen (LG Krems RpflSlgE 2003/34); enthält der Antrag keine Bescheinigungsmittel, so ist er zur Verbesserung zurückzustellen, wenn nicht das Gericht ohnehin hinreichende eigene Sachkenntnis hat (SZ 41/125; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 128 Rz 22) „Unabwendbarkeit“ und „Erheblichkeit“ sind nach einem subjektiven Maßstab zu beurteilen (Holzhammer 140; aA Fasching1 II 678; ders Rz 555; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 128 Rz 13). Eine Fristverlängerung wegen eines Antrags auf Bewilligung der Verfahrenshilfe (§ 73 Abs 1) oder wegen einer Streitverkündigung (§ 21 804

§§ 128–129

1.2 Verfahren

Abs 3) schließt das Gesetz ausdrücklich aus. Bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen kommt allerdings etwa eine Verlängerung in Betracht, wenn die Parteien Vergleichsverhandlungen führen (§ 204 Abs 2; zweifelnd Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 128 Rz 15) oder eine Partei ortsabwesend ist (SZ 41/125). Die Verlängerung der Frist zum Erlag eines Kostenvorschusses (etwa im Konkursverfahren) ist prinzipiell zulässig, doch müssen unabwendbare oder doch sehr erhebliche Gründe den Antragsteller am rechtzeitigen Erlag hindern (OLG Graz EvBl 1985/47). Über einen Verlängerungsantrag, dem keine aufschiebende Wirkung zukommt (Fasching1 II 679; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 128 Rz 18; vgl auch OLG Graz ZBl 1935/105; 7 Ob 187/57), muss nicht mündlich verhandelt werden (Fasching1 II 680; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 128 Rz 23). Der Gegner ist nur bei einer wiederholten Verlängerung zu hören. Im Fall der Verlängerung hat das Gericht den Tag zu bestimmen, an welchem die verlängerte Frist endet (§ 128 Abs 5; s auch § 125 Abs 3), widrigenfalls die nach Tagen, Wochen, Monaten oder Jahren bestimmte Verlängerung der ursprünglichen Frist an diese anzuhängen ist (Fasching1 II 680). Notfristen sind sowohl als gesetzliche als auch als richterliche Fristen 4 (Holzhammer 139; aA Fasching1 II 675 [nur gesetzliche Fristen als Notfristen]) unerstreckbar (Fasching Rz 552; vgl auch 10 Ob 58/03g), sie können aber abgekürzt werden. Eine Fristverlängerung zur Beibringung einer ausführlichen Sachverhaltsdarstellung kann daher im Zusammenhang etwa mit einer Nichtigkeits- oder Wiederaufnahmsklage nicht gewährt werden (10 ObS 363/98z). Gesetzliche Notfristen sind a) die Frist zum Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung (§ 148 Abs 2), b) die Berufungsfrist und die Frist zur Erstattung der Berufungsbeantwortung (§ 464 Abs 1, § 468), c) die Frist zur Anmeldung einer Berufung gegen ein mündlich verkündetes Urteil (§ 417a Abs 1), d) die Revisionsfrist und die Frist zur Erstattung der Revisionsbeantwortung (§ 505 Abs 2, § 507), e) die Rekursfrist und die Frist zur Erstattung der Rekursbeantwortung (§ 521 Abs 1, § 521a Abs 1), f) die Frist zur Erhebung eines Einspruchs gegen einen Zahlungsbefehl (§ 248 Abs 2), g) die Frist zur Erhebung der Nichtigkeits- und der Wiederaufnahmsklage (§ 534 Abs 1), 805

Vor § 130

Gitschthaler

h) die Fristen zur Erhebung von Einwendungen im Mandats-, im Wechselmandats- und in den Bestandverfahren (§ 550 Abs 2, § 557 Abs 1, §§ 558, 562 Abs 1, § 567 Abs 1, 570), i) die Frist nach § 569 (§ 570), sowie j) die gesetzlichen Fristen im Exekutionsverfahren (§ 58 EO). Richterliche Notfristen sind a) die Frist zur Behebung eines Mangels nach § 6 Abs 1 (zu den Einschränkungen s bei § 6), b) die Frist zur Namhaftmachung eines Rechtsanwalts im Anwaltsprozess (§ 37 Abs 2), sowie c) die Frist für die Wiederanbringung eines zur Verbesserung zurückgestellten Schriftsatzes, wenn der zurückgestellte Schriftsatz bereits innerhalb einer Notfrist zu überreichen gewesen ist (vgl OLG Linz EvBl 1985/51; s auch bei §§ 84, 85).

Tagsatzungen Vor § 130 Lit: Falke v. Lilienstein, Die Streiteinlassung und die Ungehorsamsfolgen im österreichischen Zivilprozeßrecht, GZ 1897, 113; Schima, Prozeßgesetz und Prozeßpraxis, JBl 1967, 545; Hagen, Die Vorbereitung der Streitverhandlung, JBl 1970, 120; Dolinar, Ruhen (1974); Gitschthaler, Der Amtstag – Gesetz und Praxis, RZ 1984, 168; P. Böhm, JBl 1985, 503 (Entscheidungsbesprechung); Reckenzaun, Gerichtsjahr: Erster Einsatz – Amtstag, JAP 1990/91, 130; Ciresa/Widerin/Hofmeister, „Amtstag real“, AnwBl 1994, 415; Hanke, Oberlandesgericht Linz – Ein Beitrag zu seiner Geschichte (1999). Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 130; Ballon Rz 151; DeixlerHübner/Klicka Rz 117; Fasching Rz 557; Feil/Kroisenbrunner 366; Holzhammer 140; Rechberger/Simotta Rz 340.

1 Während bei Sitzungen nur die Mitglieder des Senats tätig werden (Holzhammer 140; Rechberger/Simotta Rz 340), sind Tagsatzungen vom Gericht (im voraus [Holzhammer 140]) angeordnete Zusammenkünfte von Gericht und Parteien oder dritten Personen zur Vornahme von Verfahrenshandlungen (Fasching1 II 683; Holzhammer 140; Fasching Rz 557; Ballon Rz 151; Rechberger/Simotta Rz 340; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 130 Rz 1), die a) der Vernehmung der Parteien oder anderer Personen im Rahmen amtswegiger Erhebungen (etwa auch vor dem ersuchten Richter), 806

§ 130

1.2 Verfahren

b) der mündlichen Verhandlung (Erörterung eines Gegenstands durch das Gericht unter Zuziehung der Parteien, etwa über einen Wiedereinsetzungsantrag oä) oder c) der mündlichen Streitverhandlung (die Verhandlung über die Hauptsache einschließlich deren Vorbereitung [§ 258; vorbereitende Tagsatzung]) dienen (Fasching Rz 557; vgl G. Kodek in Fasching/Konecny III § 258 Rz 2). § 130. (1) Die Anberaumung von Tagsatzungen erfolgt, sofern das Gesetz nichts anderes anordnet, auf Antrag einer Partei. Vorbehaltlich besonderer in diesem Gesetze enthaltener Bestimmungen obliegt die Anberaumung der Tagsatzung einschließlich der Festsetzung von Ort, Tag und Stunde der Tagsatzung dem Gerichte. (2) Die Anberaumung einer Tagsatzung, sowie jede Ladung zu einer Tagsatzung kann durch ein abgesondertes Rechtsmittel nicht angefochten werden. [Stammfassung] Da die Anberaumung der Tagsatzungen (auch ihre Absetzung, Er- 1 streckung und Verlegung) vom Gerichtsbetrieb beherrscht wird (Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 130 Rz 8), steht den Parteien ein unmittelbarer Einfluss auf die Gestaltung nicht zu (zur Notwendigkeit straffer Verhandlungsleitung durch den Richter s Fasching1 II 686). Anberaumung bedeutet das Festsetzen von Ort und Zeit der Tagsatzung – dies sind die Mindesterfordernisse (LGZ Wien EFSlg 55.017) – unter Berücksichtigung der instruktionellen Detailregelungen des § 56 Geo. Diese sind zwar nicht unmittelbar durchsetzbar, ihre Nichtbeachtung könnte jedoch neben einer Mangelhaftigkeit des Verfahrens uU auch Amtshaftungsansprüche auslösen; letzteres etwa im Hinblick auf jenen Schaden, den ein als Zeuge geladener Arzt infolge seines stundenlangen Zuwartens erleidet, wenn er nach den Bestimmungen des GebAG nur einen Teil seines tatsächlichen Verdienstentgangs ersetzt erhält. Vgl dazu ausführlich auch Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 130 Rz 12. Zum Verbot der Abhaltung von Tagsatzungen an Samstagen, Sonn- und 2 Feiertagen s bei § 221; zur Abhaltung von Tagsatzungen in Nichtferialsachen während der verhandlungsfreien Zeit s bei § 223; zum Tagsatzungsort s § 132. Die §§ 257 und 480 sehen Vorbereitungs- (Einlassungs-) fristen vor (Näheres s auch bei §§ 133 bis 139). Zur Anfechtbarkeit von Beschlüssen nach § 130 s bei §§ 140–142. 807

§ 131

Gitschthaler

§ 131. (1) Die Verständigung von der Anberaumung der Tagsatzung und Aufforderung zum Erscheinen bei derselben (Ladung) erfolgt an die Partei, welche um die Anberaumung der Tagsatzung angesucht hat, mittels Rubrik, an die Gegenpartei durch Zustellung eines mit der Ausfertigung der Ladung versehenen Exemplares des Schriftsatzes oder der Protokollsabschrift. Bei einer von Amts wegen erfolgenden Anberaumung der Tagsatzung sind beide Parteien durch Zustellung von Rubriken zu laden. (2) Im Anwaltsprozesse muss die erste Ladung zur mündlichen Verhandlung, sofern dieselbe nicht bereits an einen Rechtsanwalt ergeht, insbesondere auch die Aufforderung enthalten, rechtzeitig einen Rechtsanwalt als Vertreter zu bestellen, und den Parteien bekanntgeben, welche Nachteile das Gesetz mit der Nichtbestellung eines Rechtsanwalts und mit dem Versäumen der Tagsatzung verbindet. (3) Zu Tagsatzungen, welche in mündlich verkündeten gerichtlichen Entscheidungen anberaumt werden, sind die Parteien nur insoweit besonders zu laden, als weder sie noch ihre Vertreter oder Bevollmächtigten bei der Verkündung anwesend waren. [Abs 2 geändert durch StGBl 1919/95; sonst Stammfassung]

1 Ladungen erfolgen idR schriftlich. Nach § 56 Abs 2, § 125 Abs 9 Geo soll bei der Anberaumung der Tagsatzung allen Beteiligten der Zweck der Ladung mitgeteilt werden. Dies gilt auch in Verfahren außer Streitsachen (vgl 6 Ob 585/83), woran auch das AußStrG BGBl I 2003/111 nichts geändert hat. Sie können aber auch mündlich erfolgen (vgl Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 131 Rz 10), uzw während einer Tagsatzung für die nächste Tagsatzung. Die – in der Praxis häufige – Abgabe eines „Ladungsverzichts“ (samt dessen Protokollierung) ist dabei nicht notwendig (Stohanzl § 131 Anm 5); zweckmäßig wäre allerdings die Mitgabe eines Schriftstücks mit entsprechendem Hinweis auf Ort und Zeit der nächsten Tagsatzung (§ 54 Abs 5 Geo). Telefonische Ladungen außerhalb einer Tagsatzung sind nicht rechtswirksam (LGZ Wien EFSlg 108.944). Ladungen dürfen nicht dem Gegner oder dessen Vertreter überlassen werden (Fasching1 II 687). Damit sieht die ZPO weder das „Stelligmachen“ von Parteien oder Zeugen durch die Parteienvertreter – ausgenommen nunmehr (ZVN 2002) § 371 Abs 2, wenn der Partei die Ladung zur Parteienvernehmung nicht zugestellt werden kann, und § 258 Abs 2 (Stelligmachen der Partei oder einer informierten Person bei der Vorbereitenden Tagsatzung) – noch die Bekanntgabe des Termins durch den Gegner vor (8 Ob 237/98f = SZ 72/210 = ZIK 2000/120).

2 Unter Ladung ist die Aufforderung zum Erscheinen in der Tagsatzung zu verstehen (Holzhammer 141). Sie hat grundsätzlich unter Ver808

§ 132

1.2 Verfahren

wendung von Rubriken, also von Ladungsformularen (Fasching1 II 688) zu erfolgen, die (früher) im Formbuch zur Zivilprozessordnung und Exekutionsordnung (ZPForm) und nunmehr (Durchführung eines ADVunterstützten Verfahrens) im ADV-Handbuch/C-Verfahren (LAD) aufgelistet sind. Die Ladung der Partei selbst mittels ZPForm 44 (LAD C1) reicht nicht aus: das Nichterscheinen der Partei zur Parteieneinvernahme macht nämlich nicht säumig, sondern kann nur bei der Beweiswürdigung berücksichtigt werden. Wird die Partei daher nicht auch mit ZPForm 27 (LAD B1) zur Verhandlung geladen, liegt Nichtigkeit vor (HG Wien JBl 1985, 503), wenn sie nicht vertreten ist und auch der Prozessvertreter keine Ladung erhalten hat. Dies wird in der Praxis oft nicht hinreichend beachtet. Die Partei ist auch auf eine allfällige Anwaltspflicht hinzuweisen, ansonsten ein Versäumungsurteil nicht ergehen dürfte (aA LG St.Pölten 21 R 49/04w [Wiedereinsetzung möglich]). Näheres vgl auch Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 131 Rz 3–5. Die Belehrungspflicht des Abs 2, die auch die Säumnisfolgen ausdrück- 3 lich zu erwähnen hat (LGZ Wien WR 675), erstreckt sich zwar nur auf unvertretene Parteien und außerdem nur auf die erste Ladung. Allerdings führt ein Verstoß gegen eine tatsächlich bestehende Belehrungspflicht nicht nur zur Mangelhaftigkeit des Verfahrens (so noch ZBl 1933/123, 4 Ob 148/55, 7 Ob 91/57; Fasching1 II 688), sondern zur Nichtigkeit eines etwa dennoch erlassenen Versäumungsurteils nach § 477 Abs 1 Z 4 (LGZ Wien WR 675; Fasching Rz 570; unklar Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 131 Rz 2 versus 7). Bei Kündigung der Vollmacht des Rechtsanwalts im Verlauf des Verfahrens kann eine nochmalige Belehrung entfallen (SZ 23/125, 6 Ob 309/61; OLG Linz RZ 1993/10; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 131 Rz 2, 9). Dies gilt aber nicht, wenn etwa der Masseverwalter zunächst eine Forderung einklagt, diese dann aber dem Gemeinschuldner zur freien Verfügung überlassen wird (ZIK 1997, 29); anders hingegen, wenn der Konkurs während des Verfahrens aufgehoben wird, weil in diesem Fall eine Unterbrechung des Verfahrens analog § 160 eintritt, wenn der Gemeinschuldner nicht anwaltlich vertreten ist (vgl § 160 Rz 5). § 132. (1) Die Tagsatzungen werden, sofern das Gesetz nichts anderes bestimmt, im Gerichtshause abgehalten. (2) Tagsatzungen zur mündlichen Verhandlung können an einem Orte außerhalb des Gerichtshauses anberaumt werden, wenn die Verhandlung an diesem Orte leichter durchgeführt oder hiedurch ein größerer Kostenaufwand vermieden werden kann. 809

§ 132

Gitschthaler

(3) An Tagsatzungen dürfen nur unbewaffnete Personen teilnehmen. Personen, welche vermöge ihres öffentlichen Dienstes zum Tragen einer Waffe verpflichtet sind oder denen nach den §§ 2 und 8 des Gerichtsorganisationsgesetzes, RGBl Nr 217/1896, die Mitnahme einer bestimmten Waffe in das Gerichtsgebäude oder bei einer außerhalb des Gerichtsgebäudes stattfindenden Dienstverrichtung des Gerichts gestattet worden ist, darf die Anwesenheit nicht verweigert werden. [Abs 3 angefügt durch BGBl 1996/760; sonst Stammfassung]

1 Tagsatzungen sind dann im Verhandlungssaal – im Amtszimmer des Richters darf nur verhandelt werden, wenn ein für Verhandlungen eingerichteter besonderer Raum nicht zur Verfügung steht (§ 57 Abs 1 Geo), darüber hinaus wohl auch, wie in der Praxis häufig üblich, bei vorbereitenden Tagsatzungen iS des § 258 idF ZVN 2002 (vormals Beweisbeschlusstagsatzungen; Danzl § 57 Geo Anm 1) – des Gerichtsgebäudes abzuhalten, wenn sie nicht an einem anderen Ort leichter oder kostengünstiger durchgeführt werden können. Dies wäre der Fall, wenn etwa a) alle Parteien und Zeugen in einem anderen Gerichtssprengel wohnen, b) Augenscheinsgegenstände mit hohem Kostenaufwand zum Gericht transportiert werden müssten, c) die Durchführung einer Augenscheinstagsatzung an Ort und Stelle („Ortsaugenschein“) – etwa am Unfallort – notwendig ist (s bei §§ 352, 368) oder d) kranke, behinderte oder exterritoriale Personen außerhalb des Gerichtsgebäudes zu vernehmen sind (Fasching Rz 559).

2 Freies Ermessen des Gerichts, wo es verhandeln will, besteht nicht. § 72 Abs 1 Geo ordnet nämlich ausdrücklich an, dass Amtshandlungen außerhalb des Gerichtsgebäudes nur vorgenommen werden dürfen, wenn es das Gesetz oder überwiegende Zweckmäßigkeit notwendig erscheinen lassen. Nach dem Dienstbuch zur Geo (§ 72 Abs 1 Geo Anm 1 und 3) sind insb auswärtige Dienstverrichtungen, die mit Gebührenansprüchen gegen den Bundesschatz verbunden sind, auf das unbedingt notwendige Maß zu beschränken. Im übrigen kann Anträgen der Parteien entgegengekommen werden, wenn dies ohne Beeinträchtigung der übrigen Amtsgeschäfte möglich ist, was insb für die Fälle gilt, in denen eine Verhandlung an Ort und Stelle für die Partei mit weniger Kosten verbunden ist, als die Ladung aller Beteiligten, der Zeugen usw vor Gericht. 810

§ 132

1.2 Verfahren

Die Frage der Zweckmäßigkeit der Anberaumung einer Tagsatzung außerhalb des Gerichtsgebäudes bzw der Vermeidung eines größeren Kostenaufwands wird sich nur aufgrund einer Gesamtbetrachtung im Einzelfall beantworten lassen, also unter Berücksichtigung der Kosten des Gerichts und der Parteien. Dazu zählen allfällige Reisekosten des Gerichts, der Parteien und der Parteienvertreter sowie auch allfällige (höhere oder niedrigere) Rechtsanwaltskosten (vgl etwa die Verdoppelung des Einheitssatzes nach § 23 RATG bei Tagsatzungen, die nicht am Kanzleisitz des Rechtsanwalts stattfinden, oder bei „auswärtigen“ Berufungsverhandlungen). Nur wenn diese Gesamtbetrachtung zu Gunsten der „auswärtigen“ Tagsatzung ausfällt, ist deren Vornahme zulässig, ansonst ist im Gerichtsgebäude zu verhandeln. Im Übrigen scheint aus dem Dienstbuch zur Geo hervorzugehen, dass die geltende Rechtslage eher ein Verhandeln außerhalb des Gerichtsgebäudes über Parteienantrag vorsieht, nicht jedoch von Amts wegen. Führt das Gericht unzulässigerweise eine Tagsatzung außerhalb des 3 Gerichtsgebäudes durch und nimmt eine Partei an dieser nicht teil, wodurch ihr die Mitwirkung in diesem Verfahrensstadium abgeschnitten wird, liegt zwar keine Nichtigkeit iS des § 477 Abs 1 Z 4 vor. Allerdings wird ein – rügepflichtiger, dh die Partei muss sich nach Erhalt der Ladung dagegen aussprechen – Mangel anzunehmen sein, wenn Verfahrensrelevanz gegeben ist. Die Partei muss somit im Rechtsmittel darlegen, warum ihre Teilnahme an der Tagsatzung im Gerichtsgebäude zu einem anderen Verfahrensergebnis geführt hätte. Auch im Rahmen der Kostenentscheidung spielt die Frage eine Rolle, ob das Gericht zulässigerweise außerhalb des Gerichtsgebäudes verhandelt hat, uzw dann, wenn die unterliegende Partei mit (zusätzlichen) Kosten dieser Tagsatzung (etwa Reisekosten des Gerichts) belastet wird. Nach § 1 Z 5 lit a GEG hat das Gericht in bürgerlichen Rechtssachen nämlich zwar die Kosten von Amtshandlungen außerhalb des Gerichts, die aus Amtsgeldern berichtigt wurden, von Amts wegen einzubringen. Dies gilt aber nur dann, wenn sie von einer Partei zu ersetzen sind, für welche Verpflichtung wiederum eine gesetzliche Grundlage vorhanden sein muss, die sich lediglich aus § 132 Abs 2 ergeben könnte. Daran vermag auch nichts zu ändern, wenn das Gericht gemäß § 3 GEG, § 233 Geo der anderen Partei einen Kostenvorschuss zur Deckung anfallender Gebühren aufgetragen hat, weil im Rahmen der Kostenentscheidung ja wiederum die unterliegende Partei damit belastet wird. Die (angeblich auf einer Vereinbarung des damaligen Präsidenten des 4 OLG Linz und der Salzburger Rechtsanwaltskammer beruhende jahr811

§ 132

Gitschthaler

zehntelange [vgl zu den offensichtlichen historischen Hintergründen Hanke, „Salzburg – wie eine Braut umworben“, in OLG Linz Seite 83]) Gerichtsübung des OLG Linz, mündliche Berufungsverhandlungen in Verfahren des LG Salzburg im Gerichtsgebäude des LG Salzburg durchzuführen, kann zwar in Verfahren nach dem ASGG dessen § 35 zugeordnet werden. In sonstigen zivilgerichtlichen Verfahren kommt jedoch § 29 GOG nicht in Betracht, weil es diesbezüglich keine VO des BMfJ gibt. Die Zulässigkeit dieser Gerichtsübung, für die somit keine (sonstige) rechtliche Basis besteht, kann sich damit nur nach § 132 Abs 2 richten. Im Einzelfall ist daher zu prüfen, ob die Durchführung der Berufungsverhandlung in Salzburg insgesamt betrachtet zu keinem größeren Kostenaufwand führt. Einerseits entstehen Reisekosten des Berufungssenats, andererseits entfallen Reisekosten der Parteienvertreter und ersparen sich die Parteien den erhöhten Einheitssatz nach § 23 Abs 9 RATG (dies allerdings nur, wenn beide Parteienvertreter ihren Kanzleisitz in der Landeshauptstadt Salzburg haben). Erlegen beide Parteien die zur Deckung der Reisekosten des Berufungssenats aufgetragenen Kostenvorschüsse, scheidet von Vorneherein die Geltendmachung einer Mangelhaftigkeit des Verfahrens aus (vgl Rz 3), weil die Parteien der Vorgangsweise des Berufungssenats zugestimmt haben. Nicht zulässig erscheint es aber, von der anderen Partei den doppelten Kostenvorschuss einzuheben, wenn eine der Parteien sich weigert, ihren Anteil zu erlegen, und die Berufungsverhandlung in Salzburg zu einem größeren Kostenaufwand führt, dh nicht nach § 132 Abs 2 gerechtfertigt ist. Im Fall des Obsiegens der anderen Partei kommt es nämlich uU wiederum zu einer Kostenersatzverpflichtung. In diesem Fall ist im Gerichtsgebäude des OLG Linz zu verhandeln.

5 Nach § 29 GOG (die Durchführungsbestimmungen dazu sind die §§ 54, 69 ff Geo [Gitschthaler, RZ 1984, 170; Näheres s auch bei § 439]) und nach dem ASGG (§ 35) kann das BMfJ Gerichtstage außerhalb des (Landes-)Gerichtsgebäudes mittels VO festsetzen (vgl Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 132 Rz 4–11; Gitschthaler, RZ 1984, 168 [einschließlich der Erörterung haftungsrechtlicher Problematiken]; Reckenzaun, JAP 1990/91, 130; Ciresa/Widerin/Hofmeister, AnwBl 1994, 415 ).

6 Abs 3, der auch für Verfahren außer Streitsachen, in Insolvenz- und Exekutions- sowie in Verfahren nach dem ASGG gilt, wurde angefügt durch BGBl 1996/760 und stellt iVm § 171 Abs 2 die gesetzliche Grundlage dafür dar, dass grundsätzlich nur unbewaffnete Personen an Tagsatzungen teilnehmen dürfen. Öffentlich-rechtliche Grundlage für die dazu erforderlichen Personenkontrollen in Gerichtsgebäuden sind §§ 1 812

§ 133

1.2 Verfahren

bis 14 GOG. Zur Ausfolgung bzw zum Verfall von ausgehändigten Waffen s Rz 7. Anhang: Gerichtsorganisationsgesetz (GOG):

7

§6 (1) Die nach § 1 Abs 2 übergebene Waffe ist dem Besitzer auf sein Verlangen möglichst beim Verlassen des Gerichtsgebäudes auszufolgen. Gleiches gilt für eine in einem Schließfach verwahrte Waffe, wenn für dessen Öffnung die Mitwirkung eines Kontrollorgans beziehungsweise Gerichtsbediensteten (§§ 1 Abs 2, 3 Abs 1) erforderlich ist. (2) Sofern es sich um eine Waffe handelt, für die der Besitzer eine waffenrechtliche Urkunde benötigt, darf sie nur ausgefolgt werden, wenn er eine solche vorweist. Andernfalls ist die Sicherheitsbehörde zu verständigen, die Waffe bis zu deren Eintreffen zurückzubehalten und deren Verfügung abzuwarten. (3) Waffen, deren Ausfolgung nicht binnen sechs Monaten nach Übergabe verlangt wird, gelten als verfallen. Verfallene Waffen sind zu vernichten; sofern ihr Wert aber 1 000 Euro offenkundig übersteigt, durch Freihandverkauf zu verwerten. Stellt der Eigentümer oder rechtmäßige Besitzer noch zeitgerecht vor der Verwertung oder Vernichtung einen Antrag auf Ausfolgung der Sache, so ist ihm die Waffe vorbehaltlich des Abs 2 auszufolgen. (4) Die Verwertung oder Vernichtung ist vom Verwalter des Gerichtsgebäudes (§ 1 Abs 2) anzuordnen. Sofern der Übergeber bei Übergabe der Waffe seinen Namen und seine Anschrift bekannt gegeben hat, ist er zeitgerecht vor der Verwertung oder Vernichtung unter Hinweis darauf zur Abholung aufzufordern. Ein allenfalls erzielter Erlös der Verwertung ist dem Eigentümer, wenn er dies binnen drei Jahren nach Eintritt des Verfalls verlangt, auszufolgen. Abs 3 und 4 wurden durch die ZVN 2002 eingefügt und gelten grund- 8 sätzlich für alle übernommenen Waffen, die sechsmonatige Ausfolgefrist konnte aber erst mit 1.7.2002 zu laufen beginnen. § 133. (1) Die Tagsatzung beginnt mit dem Aufrufe der Sache. (2) Die Tagsatzung ist von einer Partei versäumt, wenn die Partei zu der für die Tagsatzung anberaumten Zeit nicht erscheint oder, wenn erschienen, ungeachtet richterlicher Aufforderung nicht verhandelt oder nach dem Aufrufe der Sache sich wieder entfernt. 813

§ 133

Gitschthaler

(3) Als versäumt gilt die Tagsatzung auch dann, wenn die Partei bei denjenigen Prozeßhandlungen, für welche die Beiziehung eines Rechtsanwalts im Gesetze vorgeschrieben ist, ohne Rechtsanwalt erscheint. [Abs 3 geändert durch StGBl 1919/95; sonst Stammfassung]

1 Eine Tagsatzung beginnt mit dem korrekten (§ 63 Abs 3 Geo) Aufruf der Sache und endet mit der Unterfertigung des Tagsatzungsprotokolls (Holzhammer 141). Ein Aufruf hat auch dann zu erfolgen, wenn der Richter durch eigene Wahrnehmung (etwa bei Betreten des Verhandlungssaals) festgestellt hat, dass niemand erschienen ist (Petschek, ZBl 1930, 607; Fasching1 II 691; aA ZBl 1930/232). Dies gilt auch dann, wenn sich beide Parteien bei Erscheinen des Richters bereits im Verhandlungssaal aufhalten (Fasching1 II 691; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 133 Rz 1), weil im Hinblick auf die Kostenfolgen klargestellt sein muss, wann die Tagsatzung beginnt (Festhalten im Protokoll). Geht die Amtsuhr falsch, erfolgt daher der Aufruf objektiv zur falschen Zeit und erleidet die Partei dadurch Nachteile (etwa Säumnisfolgen), kann sie dies in einem Rechtsmittel geltend machen. Sie darf nicht lediglich auf die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verwiesen werden (aA DREvBl 1938/51). Ein verfrühter Aufruf ist wirkungslos (Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 133 Rz 7).

2 Auch wenn weder Abs 1 noch § 63 Abs 4 Geo nähere Einzelheiten der Durchführung eines ordnungsgemäßen Aufrufs festlegen, so muss er doch in deutscher Sprache (Art 8 B-VG) – sofern nicht besondere Regelungen zum Schutz sprachlicher Minderheiten anderes anordnen (Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 133 Rz 3) – unter Nennung beider Parteien und des Gegenstands des Rechtsstreits (LGZ Graz Arb 7904) so deutlich erfolgen, dass er von den Parteien auch verstanden werden kann (LGZ Graz Arb 7904; Fasching1 II 692 [kein Flüstern oder Murmeln]; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 133 Rz 2). Er hat im Hinblick auf den modernen Gerichtsbetrieb, in welchem zahlreiche Verhandlungen in unmittelbarer Abfolge nacheinander im Verhandlungssaal stattfinden und die Parteien vor dem Verhandlungssaal warten (müssen), auch vor dem Verhandlungssaal zu erfolgen (aA LG Wien EvBl 1934/227, EvBl 1936/487, EvBl 1938/47, MietSlg 26.524; LGZ Graz Arb 7904; Fasching1 II 692; zuletzt wieder Buchegger in Fasching/ Konecny II/2 § 133 Rz 2 [dass der Richter neben dem Aufruf im Amtszimmer keinen weiteren Aufruf auf dem Gang oder vor dem Gerichtsgebäude anordnet, kann den allfälligen Eintritt von Versäumungsfolgen bzw des Ruhens des Verfahrens nicht hindern]). Wird außerhalb des Gerichtsgebäudes (§ 132) verhandelt, so hat der Aufruf genau an jener 814

§ 133

1.2 Verfahren

Stelle zu erfolgen, die in der Ladung als Ort der Tagsatzung bestimmt wurde (Fasching1 II 692). Ein mangelhafter Aufruf führt nicht zur „Säumnis“ der Partei und ist 3 unbeachtlich (vgl auch Rz 1), die Tagsatzung ist aber bei ordnungsgemäßen Aufruf versäumt, a) wenn die Partei bis zum Schluss der Tagsatzung nicht erscheint, sich vor dem (wenn auch verspäteten [RZ 1972, 134]) Aufruf wieder entfernt, zwar anwesend ist, sich aber nicht meldet (Fasching1 II 693; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 133 Rz 10) oder im Anwaltsprozess ohne Rechtsanwalt auftritt (vgl 7 Ob 313/57, SZ 65/12 = EvBl 1992/83; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 133 Rz 9, 15); trifft all dies auf beide Parteien zu, tritt Ruhen des Verfahrens ein (§ 168–170); b) wenn die Partei trotz richterlicher Aufforderung nicht verhandelt (vgl RZ 1981/65, 6 Ob 764/83, 5 Ob 516/87); diese Aufforderung ist im Verhandlungsprotokoll festzuhalten, kann im Fall des Einschreitens eines Rechtsanwalts in Form eines bloßen Befragens erfolgen (SZ 56/174) und muss bei unvertretenen Parteien auch die Belehrung über den Eintritt von Versäumungsfolgen umfassen (Fasching1 II 694; auch § 398 idF ZVN 2002 bzw 2004 enthält keine über § 432 Abs 1 hinausgehenden Belehrungspflichten); Verhandeln bedeutet dabei das Tätigen von Prozesshandlungen im technischen Sinne, die sich unmittelbar auf die Erledigung in der Hauptsache beziehen (Fasching1 II 694; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 133 Rz 11); Säumnisfolgen treten allerdings nicht ein, wenn die Partei sich zwar bei Aufruf der Sache nicht meldet, vor Schluss der Verhandlung aber Sachanträge stellt (GlUNF 2511, 6814), wodurch sie als Beklagte etwa die Fällung eines Versäumungsurteils verhindert; Nichtverhandeln liegt auch dann vor, wenn nur eine Partei erscheint, aber keinen Antrag auf Erlassung einer Säumnisentscheidung stellt (vgl dazu § 398) – die Unterlassung eines Antrags auf Fällung eines Anerkenntnis- bzw Verzichtsurteils wird dem wohl nicht gleich zu stellen sein (EvBl 1986/31; aA Fasching1 III 610; Dolinar, Ruhen 47; Holzhammer, PraktZPR 261; Rechberger/Simotta Rz 348/1); oder c) wenn die Partei sich nach Aufruf der Sache wieder entfernt; die Versäumungsfolgen treten aber erst mit der Entfernung ein, vorher vorgenommene Prozesshandlungen bleiben aufrecht (vgl RZ 1981/65, 6 Ob 764/83, 5 Ob 516/87); eine richterliche Aufforderung oder Belehrung ist nicht vorgesehen; entfernen sich beide Parteien vor Schluss der Verhandlung, so tritt Ruhen des Verfahrens ein (vgl EvBl 1953/57, EvBl 1978/103, 6 Ob 665/83); dies ist aber etwa dann nicht der Fall, wenn der Kläger erklärt, der Beklagte habe die Klagsforderung samt Kosten berichtigt, und sich entfernt, ein Nebenintervenient auf seiner Seite aber auf Kosten einschränkt (SZ 23/87). 815

§§ 134–139

Gitschthaler

§ 134. Tagsatzungen können nur durch richterliche Entscheidung verlegt werden (Erstreckung). Solche Erstreckung kann auf Antrag oder von Amts wegen stattfinden: 1. wenn sich dem rechtzeitigen Erscheinen einer oder beider Parteien oder der Aufnahme oder Fortsetzung der Verhandlung zwischen ihnen ein für sie unübersteigliches oder doch ein sehr erhebliches Hindernis entgegenstellt und insbesondere ohne die Erstreckung eine Partei einen nicht wieder gut zu machenden Schaden erleiden würde; 2. wenn das Gericht durch anderweitige unaufschiebbare amtliche Obliegenheiten oder aus sonstigen wichtigen Gründen an der Aufnahme oder Fortsetzung der Verhandlung behindert ist; 3. wenn eine nicht sofort vor dem Prozeßgerichte vollziehbare, für die Weiterführung der Verhandlung jedoch wesentliche Beweisaufnahme angeordnet wird oder sich behufs Fortsetzung und Durchführung der Verhandlung die Herbeischaffung von Urkunden, Auskunftssachen oder Augenscheinsgegenständen notwendig erweist; 4. wenn die Verhandlung bei der vom Gerichte hiezu anberaumten Tagsatzung auch ohne Dazwischenkunft der vorerwähnten Hindernisse nicht zum Abschlusse gebracht werden kann. [Stammfassung] § 135. (1) Der Antrag auf Erstreckung einer Tagsatzung ist im Falle des § 134 Z 1 auch dann, wenn er von beiden Parteien einverständlich gestellt wird, durch Angabe der das Erscheinen oder die Aufnahme oder Fortsetzung der Verhandlung hindernden Umstände zu rechtfertigen. Die zur Begründung des Antrages angeführten Umstände sind dem Gerichte auf Verlangen glaubhaft zu machen. (2) Mangels hinreichender Begründung ist der Antrag zu verwerfen. [Stammfassung] § 136. (1) Der Antrag auf Erstreckung einer Tagsatzung kann bei dieser Tagsatzung selbst oder vor Beginn derselben gestellt werden. (2) Im ersteren Falle ist über den Antrag, nach Anhörung des anwesenden Gegners, ohne Aufschub durch Beschluß zu entscheiden und, wenn die Erstreckung verweigert wird, ohne weitere Unterbrechung die Verhandlung aufzunehmen oder fortzusetzen. Gegen die Partei, welche sich vor der Entscheidung entfernt hat oder nach Zurückweisung des Antrages sich weigert, zur Sache zu verhandeln, treten die Rechtsfolgen der Versäumung der Tagsatzung ein. 816

§§ 134–139

1.2 Verfahren

(3) Auf Erstreckungsanträge, welche vor der Tagsatzung einlangen, finden die Bestimmungen des § 128 Absatz 3 entsprechende Anwendung. [Stammfassung] § 137. (1) Wird eine Tagsatzung erstreckt, so ist vom Gerichte Tag und Stunde der neuerlichen Tagsatzung den Parteien, wenn tunlich, sofort mündlich bekanntzugeben. Andernfalls hat die Verständigung mittels Rubrik zu geschehen. (2) Diese Bestimmung hat insbesondere auch Anwendung zu finden, wenn die Erstreckung einer Tagsatzung zum Zwecke einer Beweisaufnahme erfolgt. [Stammfassung] § 138. Wenn nicht wegen einer Veränderung in der Besetzung des Gerichtes eine neuerliche Verhandlung stattfinden muss, hat im Falle der Erstreckung einer Tagsatzung der Richter oder der Vorsitzende des Senates, vor welchem die Verhandlung stattfindet, bei der späteren Tagsatzung die wesentlichen Ergebnisse der früheren mündlichen Verhandlung auf Grund des Verhandlungsprotokolles und der sonst zu berücksichtigenden Prozeßakten mündlich vorzuführen und die Fortsetzung der abgebrochenen Verhandlung hieran anzuknüpfen. [Stammfassung] § 139. Wenn die Zustellung eines vorbereitenden Schriftsatzes oder einer Protokollsabschrift, über welche eine Ladung erging, derart verzögert wird, dass die zwischen der Zustellung der Ladung und der anberaumten Tagsatzung liegende Frist dem Gegner eine genügende Vorbereitung für die mündliche Verhandlung oder in den Fällen des Anwaltsprozesses die rechtzeitige Bestellung eines Rechtsanwalts nicht mehr gestattet, und wenn zugleich der Gegner an dieser Verzögerung der Zustellung keine Schuld trägt, so hat das Gericht oder im Verfahren vor Gerichtshöfen der Vorsitzende des Senates, vor welchem die Verhandlung stattfinden soll, die anberaumte Tagsatzung auf Antrag oder von Amts wegen, noch vor ihrer Abhaltung zu erstrecken. Hievon sind alle zur Tagsatzung geladenen Personen ohne Aufschub zu verständigen. [Abs 1 Satz 1 geändert durch StGBl 1919/95; sonst Stammfassung] Grundsätzlich sind folgende richterliche Eingriffe in Tagsatzungster- 1 mine möglich: a) Absetzung. Die bereits anberaumte Tagsatzung wird vor ihrer Durchführung widerrufen, ohne dass ein neuer Termin festgesetzt 817

§§ 134–139

Gitschthaler

würde (Holzhammer 141 [Aufhebung einer Tagsatzung]; Fasching Rz 562; Rechberger/Simotta Rz 343). Eine Absetzung kann den endgültigen Widerruf der Tagsatzung oder eine Verlegung auf unbestimmte Zeit bedeuten. b) Verlegung. Die bereits anberaumte Tagsatzung wird vor ihrer Durchführung auf einen späteren oder früheren Termin verlegt (Holzhammer 142; Fasching Rz 562; Rechberger/Simotta Rz 343). Dabei kommen sowohl eine Vorverlegung über Parteiantrag und mittels Beschlusses als auch eine amtswegige Vorverlegung (§ 129 Abs 2 analog [EvBl 1992/148]; vgl auch Holzhammer 142; Fasching Rz 564), nicht jedoch eine solche durch Parteiübereinkunft in Betracht. Sie darf nur stattfinden, wenn sie der Abwendung drohender erheblicher Nachteile dient und dem Gegner die Wahrnahme der vorverlegten Tagsatzung ohne Schwierigkeiten möglich ist (§ 129 Abs 2 analog). c) Erstreckung. Die Tagsatzung wird nach ihrem Beginn um einen weiteren Termin ergänzt, also auf einen anderen Termin vertagt (Holzhammer 142; Fasching Rz 562; Rechberger/Simotta 362).

2 Jede Absetzung, Verlegung oder Erstreckung bedarf konkreter Gründe, die zum Teil (aA iS von taxativ SZ 27/237; Rechberger/Simotta 343; Holzhammer 142) in § 134 aufgezählt sind (vgl auch Fasching1 II 699; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 134 Rz 25). Daher ist die Absetzung einer Tagsatzung möglich, wenn sie etwa durch eine Änderung der gesetzlichen Lage, durch Abschluss eines Staatsvertrags (Beispiele s bei Fasching1 II 695) oder durch eine Änderung der Prozesslage (etwa Zurücknahme der Klage, Abschluss eines außergerichtlichen Vergleichs, Mitteilung einer Ruhensvereinbarung, Zurückziehung eines Rechtsmittels uä) überflüssig (zwecklos) oder unzulässig wäre oder wenn sämtliche geplanten Beweisaufnahmen in dieser Tagsatzung infolge Abwesenheit der Zeugen und der Parteien (Parteienvernehmung) nicht möglich sein würden.

3 Sowohl eine Verhinderung des Gerichts (§ 134 Z 2; vgl ausführlich Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 134 Rz 18–21) als auch eine solche der Partei oder des Bevollmächtigten (§ 134 Z 1; vgl ausführlich Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 134 Rz 8–17) können eine Absetzung oder Verlegung, aber auch eine Erstreckung rechtfertigen. Als Beispiele kämen in Betracht, dass a) der Richter erkrankt oder versetzt wird oder technische Unmöglichkeiten (Bauarbeiten am Gerichtsgebäude uä) vorliegen; willkürliche Verlegungen von Tagsatzungen durch den Richter lässt § 134 Z 2 an sich aber nicht zu (Näheres s bei Fasching1 II 698), 818

§§ 134–139

1.2 Verfahren

b) ein zu vernehmender Zeuge der Amtsverschwiegenheit unterliegt und die Entbindung davon durch die vorgesetzte Dienststelle bislang weder ausgesprochen noch abgelehnt wurde (2 Ob 555/58, SZ 45/ 56 = EvBl 1972/336), d) die Parteien oder ihre Vertreter nicht rechtzeitig zur Tagsatzung erscheinen können; lediglich die Notwendigkeit der Beschaffung von Reisekostenvorschüssen für den Parteienvertreter ist aber kein Absetzungs- oder Verlegungsgrund (3 Ob 321/55), e) sonstige Hindernisse der Aufnahme oder Fortsetzung der Verhandlung entgegenstehen oder f) wenn die Parteien Vergleichsverhandlungen führen (§ 204 Abs 2); bisweilen (LGZ Wien EFSlg 90.890) wird dazu die Auffassung vertreten, eine außergerichtliche Ruhensvereinbarung sei keiner der im Gesetz genannten Erstreckungsgründe, dies erscheint aber eher praxisfremd. Grundsätzlich ist eine Verschleppung des Verfahrens durch das Stel- 4 len von Verlegungsanträgen zwar zu verhindern, doch ist bei Beurteilung der Hinderungsgründe ein subjektiver, wenn auch strenger Maßstab anzulegen (Fasching1 II 696; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 134 Rz 10). Unter dem Begriff „nicht wieder gut zu machender Schade“ iSd § 134 Z 1 sind dabei aber nicht die durch die Fortsetzung des Verfahrens auflaufenden Prozesskosten, sondern Schäden zu verstehen, die einer Partei dadurch entstehen, dass die Tagsatzung an dem bestimmten Tag stattfindet. Gründe wären etwa, dass die Partei an diesem Tag nicht zur Tagsatzung erscheinen kann und hiedurch ein erheblicher Nachteil für sie entstehen würde, oder dass die Abhaltung der Tagsatzung gerade an diesem Tag für die Partei aus anderen Gründen mit Nachteilen verbunden wäre (SZ 27/237). Eine Terminkollision des Rechtsanwalts oder seine Erkrankung recht- 5 fertigen eine Verlegung dann nicht (auch nicht im Berufungsverfahren [OLG Wien EvBl 1950/62; JBl 1958, 238]), wenn der Sachverhalt nicht so kompliziert ist, dass die Verhandlung nicht auch ohne weiteres von einem Substituten des Rechtsanwalts (oder einem Kanzleipartner) mit gleichem Erfolg verrichtet werden könnte (OLG Wien EvBl 1950/62, EFSlg 72.935; LGZ Wien EFSlg 79.183). Erfordert die bevorstehende Erörterung eines eingeholten Gutachtens und/oder die Einvernahme von Zeugen die genaue Kenntnis des Aktes, muss es einem rechtzeitig bestellten Substituten jedoch noch möglich sein, sich die erforderliche Aktenkenntnis anzueignen (OLG Wien EFSlg 72.936). Behauptet der einschreitende Rechtsanwalt im Verlegungsantrag eine Terminkollision und die Unmöglichkeit einer Substitution, so 819

§§ 134–139

Gitschthaler

hat er jedenfalls auch zu behaupten und zu bescheinigen, weshalb eine Substitution nicht im anderen Verfahren möglich ist (Fasching1 II 697).

6 Ein Verlegungsgrund wäre etwa der Umstand, dass sich die Partei in Haft befindet und es ihr auch nicht möglich ist, aus der Haft heraus einen Bevollmächtigten zu bestellen (RZ 1936, 70); dass sie aufgrund ihrer Mittellosigkeit nicht in der Lage ist, zur Verhandlung zuzureisen (Arb 7164); oder dass sie vor dem Termin erkrankt, ohne in der Lage zu sein, einen Bevollmächtigten zu bestellen. Demgegenüber kann die Ortsabwesenheit der Partei infolge Urlaubs- und Erholungsreisen eine Verlegung nicht rechtfertigen, wenn sie ihre Reise erst zu einem Zeitpunkt bucht, zu welchem sie vom Termin schon Kenntnis hatte, ansonst nur dann, wenn eine Bevollmächtigung zeitgerecht nicht möglich war (vgl RZ 1936, 70; s auch Fasching1 II 698).

7 Die instruktionellen Einlassungsfristen etwa der §§ 257, 480 ZPO bzw des § 39 ASGG dienen der Prozessvorbereitung (Fasching1 II 697). Ihre Nichteinhaltung kann daher Nichtigkeit nur dann begründen, wenn es der Partei dadurch unmöglich gemacht wird, zur angeordneten Tagsatzung zu erscheinen (RZ 1976/58, SSV-NF 4/13). Mangelhaftigkeit des Verfahrens kann aber gegeben sein, wenn hiedurch die sachgemäße Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung unmöglich gemacht wird (RZ 1976/58, SSV-NF 4/13; Fasching Rz 559). Eine Verlegung wegen Nichteinhaltung der Einlassungsfristen setzt Unmöglichkeit zur rechtzeitigen Prozessvorbereitung in den subjektiven Verhältnissen der Partei voraus (Fasching1 II 705) und scheidet daher bei Verschulden der Partei an der verspäteten Zustellung der Ladung (etwa Annahmeverweigerung, Nachsendung infolge Änderung der Abgabestelle durch die Partei ohne Mitteilung an das Gericht uä) aus. Desgl stellt mangelnde Prozessvorbereitung keinen Verlegungs- oder Erstreckungsgrund dar (GlUNF 1626, 6 Ob 50/74; Fasching1 II 709).

8 Es kann zwar zu einer Erstreckung kommen, wenn eine beschlossene Beweisaufnahme nicht sogleich durchführbar ist, etwa weil ein Vorakt erst beigeschafft oder ein weiterer Zeuge erst geladen werden müssen (§ 134 Z 3), oder wenn die Verhandlung aus sonstigen Gründen nicht zum Abschluss gebracht werden kann (§ 134 Z 4; Fasching1 II 699), etwa weil ein geladener Zeuge oder die vertretene Partei zur Parteienvernehmung entschuldigt nicht erscheinen oder ein Akt oder ein Rechtshilfeersuchen nicht rechtzeitig einlangen (vgl Fasching Rz 563), nicht jedoch deshalb, weil ein Beweis noch nicht durchführbar ist oder die Partei das für die Rechtsverfolgung erforderliche Tatsachen- und Beweismaterial noch nicht beigeschafft hat (GlUNF 210; Fasching1 II 709). In diesen 820

§§ 134–139

1.2 Verfahren

Fällen wäre die Partei auf die Wiederaufnahmsklage zu verweisen (EvBl 1934/554, EvBl 1968/264; LGZ Wien EFSlg 18.503; aA RZ 1966, 203). Sonstige Erstreckungsgründe enthalten § 185 Abs 1, § 200 Abs 2, 9 §§ 379, 402 Abs 3 und § 73 Abs 1 (vgl auch Buchegger in Fasching/ Konecny II/2 § 134 Rz 26–29). Zur Erstreckung einer Tagsatzung wegen nicht rechtzeitiger und damit die Prozessvorbereitung hindernder Zustellung von Klagen, Einwendungen, Klagebeantwortungen, Wiedereinsetzungsanträgen und Berufungen s Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 139 Rz 1–6. Alle Absetzungs-, Verlegungs- und Erstreckungsanträge sind selbst 10 dann zu begründen (jede Absetzung, Verlegung oder Erstreckung einer Tagsatzung ist lediglich als gut zu begründende Ausnahme zulässig [1 Ob 8/94]) und die Gründe auf Verlangen des Gerichts glaubhaft zu machen, wenn der Antrag von beiden Parteien übereinstimmend gestellt wird (Fasching1 II 700). In diesem Fall entfällt lediglich die Anhörung des Gegners beim wiederholten Erstreckungsantrag (§ 136 Abs 3 iVm § 128 Abs 3). Absetzungs- und Verlegungsanträge sind vor Beginn der Tagsatzung zu stellen, eine aufschiebende Wirkung kommt ihnen nicht zu (Fasching1 II 701; 6 Ob 288/00x, 6 Ob 53/02s, 3 Ob 54/02s; OLG Linz EFSlg 105.764). Daher tritt Säumnis ein, wenn dem Antrag nicht Folge gegeben wird, die Partei aber die Tagsatzung nicht wahrgenommen hat (analog § 136 Abs 2 Satz 2; 5 Ob 162/75, SZ 54/105, 6 Ob 53/02s, 3 Ob 54/02s, 6 Ob 264/04y; LGZ Wien WR 230, 412). Hat sich eine Partei bereits vor der Entscheidung über einen Erstreckungsantrag entfernt oder weigert sie sich nach Abweisung des Antrags, zur Sache zu verhandeln, so gilt sie als säumig (Fasching1 II 702). Wird eine Tagsatzung verlegt oder erstreckt, so sind grundsätzlich so- 11 fort Tag, Stunde und Ort des weiteren Termins festzusetzen, andernfalls eine Verlegung oder Erstreckung auf unbestimmte Zeit vorläge (LGZ Wien EFSlg 55.017; zu allfälligen Rechtsmitteln dagegen s bei §§ 140 bis 143). Beim neuen Termin hat der Richter die wesentlichen Ergebnisse der früheren mündlichen Verhandlung vorzutragen (§ 138); dies auch im Falle der Fortsetzung eines ruhenden oder unterbrochenen (Berufungs- [1 Ob 633/80]) oder der Fortführung eines nach § 261 Abs 6 überwiesenen Verfahrens (Fasching1 II 704; vgl auch JBl 1958, 312, 6 Ob 350/64, RZ 1983/74). Damit nicht vergleichbar ist jedoch der Fall der Neudurchführung des Verfahrens nach § 412 Abs 2 infolge Richterwechsels (vgl 6 Ob 59/72, ZAS 1974, 14 [zust Rinner], 3 Ob 570/89, 8 ObA 226/94). Ein Verstoß gegen § 138 führt nach hPraxis weder zu 821

§ 140

Gitschthaler

einer Nichtigkeit noch zu einer Mangelhaftigkeit des Verfahrens (zutr einschränkend Fasching1 II 704; diese hPraxis berücksichtigt wohl etwas zu wenig den dem § 138 zugrundeliegenden Grundsatz der Unmittelbarkeit). Gemeinsame Bestimmungen § 140. (1) Wenn die Bestimmung von Fristen oder die Anberaumung von Tagsatzungen nicht in einer Entscheidung des Gerichtes oder bei einer mündlichen Verhandlung erfolgt, obliegt sie im Verfahren vor Gerichtshöfen dem Vorsitzenden des Senates, dem die Rechtssache zugewiesen ist. (2) Gleiches gilt von der Entscheidung über einen Antrag auf Verlängerung oder Abkürzung einer Frist oder auf Erstreckung einer Tagsatzung, falls nicht der Antrag während einer mündlichen Verhandlung gestellt wird. [Stammfassung]

1 Über Absetzungs- und Verlegungsanträge entscheidet der Richter (der Vorsitzende im Senatsprozess [§ 140 Abs 1]) ohne mündliche Verhandlung, jedoch nach Anhörung des Gegners bei wiederholten Anträgen (§ 136 Abs 3 iVm § 128 Abs 3) und bei Vorverlegungsanträgen (§ 129 Abs 2). Über den Antrag ist vor Eingehen in die Sache zu entscheiden (ZBl 1929/114, SZ 54/105, 6 Ob 53/02s, 3 Ob 54/02s), andernfalls ein wesentlicher Verfahrensmangel – nicht aber Nichtigkeit – gegeben wäre (SZ 54/105, 6 Ob 288/00x, 6 Ob 53/02s; LGZ Wien WR 230, 412). Die Nichterledigung solcher Anträge stellt aber jedenfalls keinen Wiedereinsetzungsgrund dar (Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 61; Fink 111; OLG Wien EvBl 1937/529; LGZ Wien JBl 1946, 259).

2 Über Erstreckungsanträge hat der Richter (der Senat im Senatsprozess [Fasching1 II 701]) – nach Anhörung des anwesenden Gegners – sofort durch Beschluss zu entscheiden und nach allfälliger Abweisung des Antrags im unmittelbaren Anschluss daran in die Sache einzugehen. Entscheidungen in der Sache selbst sind vor Beschlussfassung über den Erstreckungsantrag unzulässig, andernfalls das Verfahren mit Mangelhaftigkeit belastet wäre (Fasching1 II 702; ZBl 1929/114). § 141. Die erste Verlängerung einer Frist und die erste Erstreckung einer Tagsatzung kann durch ein Rechtsmittel nicht angefochten werden, soferne die bewilligte Fristverlängerung die Dauer der ur822

§ 141

1.2 Verfahren

sprünglichen Frist und die bewilligte Erstreckung der Tagsatzung die Dauer von vier Wochen nicht überschreitet. Gegen die Verweigerung der Abkürzung einer Frist ist ein Rechtsmittel ausgeschlossen. [Stammfassung] Hinsichtlich der Anfechtbarkeit von Beschlüssen iZm Fristen und 1 Tagsatzungen ist neben § 141 auch § 130 Abs 2 zu beachten, sodass sich insgesamt folgendes Rechtsmittelsystem ergibt: Nicht abgesondert anfechtbar (vgl § 515) sind

2

a) die Anberaumung einer Tagsatzung (§ 130 Abs 2; ebenso etwa in Konkursverfahren [8 Ob 304/98h = ZIK 1999, 101]), b) die Ladung dazu (8 Ob 543/88, 2 Ob 251/97y), c) die Anordnung einer weiteren Tagsatzung (LGZ Wien EFSlg 55.017 [selbst, wenn dies ohne Anführung einer bestimmten Zeit und eines bestimmten Orts geschieht]), d) die Ladung eines Zeugen oder eines Sachverständigen zu einer Tagsatzung (Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 130 Rz 15), e) der Auftrag des Rekursgerichts, über eine a limine zurückgewiesene Klage das gesetzliche Verfahren einzuleiten (SZ 27/290, JBl 1986, 668, Arb 10.927, JUS 1992/Z/1152, 3 Ob 512/94, 4 Ob 508/95), f) Beschlüsse, mit denen eine geschlossene Verhandlung gemäß § 194 wiedereröffnet (gleichgültig, ob gleichzeitig eine Tagsatzung anberaumt wird oder nicht) oder die Wiedereröffnung (mittels grundsätzlich überflüssigen Beschlusses [RZ 1973/35]) abgelehnt wird (OLG Wien EvBl 1936/488; OLG Innsbruck EvBl 1986/172; LGZ Wien EvBl 1946/128; 8 Ob 78/79, EFSlg 41.679; Buchegger in Fasching/Konecny II/ 2 § 130 Rz 15), g) die Fortsetzung eines unterbrochenen Verfahrens (Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 130 Rz 15), sowie h) der einen Erstreckungsantrag abweisende Beschluss dann, wenn zugleich auch die Sachentscheidung, etwa ein Versäumungsurteil, gefällt wird; in diesem Fall wäre die Abweisung als Mangelhaftigkeit im Berufungsverfahren geltend zu machen (Fasching1 II 708; ZBl 1933/ 231). Aus § 141 ergibt sich bzw wird geschlossen, dass folgende Beschlüsse 3 nicht anfechtbar sind, uzw jener über a) die Verweigerung der Abkürzung einer Frist (§ 141 Satz 2), b) die Verweigerung der Vorverlegung einer anberaumten Tagsatzung (AnwBl 1992, 592 [Krömer]; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 141 Rz 18), 823

§ 141

Gitschthaler

c) die Verlängerung einer Frist erstmalig höchstens um ihre ursprüngliche Dauer (Verdoppelung) und d) die Verlegung oder Erstreckung einer Tagsatzung erstmalig höchstens um vier Wochen. Diese Rechtsmittelbeschränkungen gelten selbst dann, wenn die Veränderung der Frist oder der (zeitliche) Eingriff in die anberaumte Tagsatzung überhaupt unzulässig gewesen wären (SZ 23/344, 2 Ob 857/ 53, ÖBl 1976, 85; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 141 Rz 2), also etwa auch bei Verlängerung von Notfristen (SZ 25/41, 7 Ob 162/64), einer Frist aufgrund eines erst nach Fristablauf eingebrachten Verlängerungsantrags (ZBl 1933/15, SZ 25/41) oder einer Verbesserungsfrist (Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 141 Rz 2), nicht aber, wenn die Verlängerung einer Frist oder die Verlegung oder Erstreckung einer Tagsatzung ohne Antrag einer Partei bewilligt wurde (LG Wien EvBl 1936/71; Fasching1 II 707). Der Rechtsmittelausschluss ist auch bei der Entscheidung über ein Rechtsmittel gegen die Sachentscheidung zu beachten, sodass nicht auf Umstände eingegangen werden darf, die nach § 141 unanfechtbar wären (Rsp 1937/119 [abl Wahle]; aA auch Fasching1 II 707).

4 Anfechtbar sind Beschlüsse, mit denen a) festgesetzte Fristen abgekürzt (Fasching1 II 708; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 141 Rz 3, 17), b) anberaumte Tagsatzungen vorverlegt, c) Fristen wiederholt verlängert oder erstmals mehr als verdoppelt, d) Tagsatzungen wiederholt oder erstmals um mehr als vier Wochen erstreckt oder verlegt oder e) Fristverlängerungs-, Absetzungs-, Verlegungs- (nach hinten) oder Erstreckungsanträge abgewiesen werden (Stohanzl § 141 Anm 1; OLG Graz 4 R 27/04d); dies gilt aber nicht für Beschlüsse des Berufungsgerichts (§ 519 Abs 1; SZ 51/52, 7 Ob 581/78; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 141 Rz 10; aA JBl 1958, 238) oder wenn die Partei die entsprechende Verfahrenshandlung (Erstattung mündlichen Vorbringens anstelle Einbringung eines Schriftsatzes; 8 Ob 56/63) bereits vorgenommen hat, f) Tagsatzungen auf unbestimmte Zeit erstreckt (Fasching1 II 707; SZ 27/237, 7 Ob 55/56, 1 Ob 8/94) oder vorläufig abgesetzt (Fasching1 II 707) werden und dies seiner Wirkung nach einem Unterbrechungsbeschluss gleichkommt (SZ 3/63, ZBl 1937/387; LGZ Graz RPflSlgE 1992/82 [Abwarten der rechtskräftigen Beendigung eines anderen Prozesses]; ZBl 1937/281 [Einleitung eines Zwangsversteigerungsverfah824

§ 142

1.2 Verfahren

rens]; SZ 27/237 [Einleitung eines „Entmündigungsverfahrens“; vgl hier nunmehr aber auch § 6a]), sowie mit denen g) die Anberaumung einer Tagsatzung verweigert (Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 131 Rz 6; SZ 39/49 = JBl 1966, 569, RZ 1994/ 26) oder h) die Fortsetzung des Verfahrens verweigert wird (§ 192 Abs 2; SZ 42/61, 1 Ob 132/71, 7 Ob 13/77, RZ 1978/55, 4 Ob 45/78; Buchegger in Fasching II/2 § 130 Rz 21), sowie i) für einen Beschluss, der zwar formell eine Tagsatzung anordnet, inhaltlich jedoch etwa die Einrede der Unzuständigkeit oder der entschiedenen Rechtssache verwirft (SZ 13/1, SZ 42/61 = JBl 1970, 319, 4 Ob 45/78). Die Anfechtbarkeit derartiger Beschlüsse richtet sich nach den für sie geltenden Regeln (etwa §§ 517, 528; s Fasching1 II 686; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 130 Rz 20). Über sie hat das Rechtsmittelgericht im Rahmen der Erledigung des Rechtsmittels gegen die Sachentscheidung zu entscheiden (ZBl 1933/231; s auch bei §§ 133–139), wenn in der fortgesetzten Verhandlung bereits die Sachentscheidung gefällt wurde (Fasching1 II 708), sonst abgesondert. Verneint im letzteren Fall das Rekursgericht die Rechtsmittelzulässigkeit mit der Begründung, die Erstreckung der Tagsatzung auf unbestimmte Zeit komme einer Unterbrechung des Verfahrens nicht gleich, ist eine weitere Anfechtung dieses Beschlusses beim OGH nicht möglich (1 Ob 8/94).

§ 142. (1) Der Partei, welche zur Verlängerung einer Frist oder zur Erstreckung einer Tagsatzung Anlaß gegeben hat, ist auf Antrag des Gegners oder von Amts wegen der Ersatz der diesem hiedurch verursachten Kosten in dem vom Gerichte festzustellenden Betrage aufzuerlegen. Die Wiedererstattung dieser Kosten kann auch dann nicht begehrt werden, wenn der Gegner in der Hauptsache zum Ersatze der Gerichtskosten verurteilt wird. (2) Wird ein solcher Antrag auf Kostenersatz bei einer Tagsatzung gestellt, so ist über denselben unverweilt, nach Anhörung des anwesenden Gegners, zu entscheiden. (3) Wird eine Tagsatzung durch das Nichterscheinen beider Parteien vereitelt, so fällt jeder Partei die Hälfte der dadurch verursachten Kosten zur Last. [Abs 1 Satz 1 geändert durch die 5. GEN; sonst Stammfassung] Lit: M. Bydlinski, Kostenersatz im Zivilprozeß (1992) 340. Buchegger in Fasching/Konecny II § 142; Feil/Kroisenbrunner 378. 825

§ 142

Gitschthaler

1 Kostenseparation. Ein vom Ausgang des Rechtsstreits (§ 142 Abs 1 letzter Satz) unabhängiger Ersatzanspruch (§ 142) kann sich nur auf Kosten beziehen, die durch die Verlängerung, Absetzung, Verlegung oder Erstreckung zusätzlich (ZBl 1930/231) entstanden sind, also etwa auf die Kosten der weiteren Tagsatzung im Falle einer Erstreckung (OLG Wien EvBl 1947/587, WR 612), nicht aber, wenn diese weitere Tagsatzung ohnehin notwendig gewesen wäre (OLG Wien ZBl 1930/ 231, 7 Ra 372/00b; LGZ Wien EFSlg 60.809; Buchegger in Fasching/ Konecny II/2 § 142 Rz 5). Damit sind jedenfalls die Kosten jener Tagsatzung, in der der Separationsantrag erst gestellt worden ist, nicht ersatzfähig (OLG Wien 7 Ra 372/00b).

2 Voraussetzung für die Kostenseparation ist, dass die Partei Anlass zur Fristverlängerung oder Tagsatzungserstreckung gegeben hat (OLG Wien WR 895; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 142 Rz 1). Ein Verschulden der verursachenden Partei ist hingegen nicht notwendig (GlUNF 3918; Fasching1 II 708; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 142 Rz 1, 2). Sie hat daher auch den Zufall (OLG Wien EvBl 1936/ 1063; HG Wien 1 R 106/96a; M. Bydlinski 340) oder ein unabwendbares Ereignis (Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 142 Rz 2) zu tragen. Damit entsteht die Kostenersatzpflicht auch dann, wenn Grund für eine – an sich unzulässige (§ 73 Abs 1) – Fristverlängerung oder Absetzung, Verlegung oder Erstreckung einer Tagsatzung ein Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe (OLG Wien EvBl 1935/144) oder für eine (sogar mehrmalige) Erstreckung der Tagsatzung die Unwissenheit erschienener Zeugen (HG Wien 1 R 106/96a) gewesen ist. Dies gilt erst recht, wenn die Partei zur Verhandlung ungenügend vorbereitet war (GlUNF 1626), weil für die Klage notwendige Ausführungen nachträglich beigebracht werden müssen (GlUNF 210, 6 Ob 286/99y) oder die Partei die Beigebung eines Verfahrenshilfeanwalts beantragt (OLG Wien EvBl 1935/144; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 142 Rz 3).

3 Wird etwa ein Verlängerungsantrag gestellt, so kommt es auch nicht darauf an, ob ihm stattgegeben wird oder nicht. Der Gegner hat daher jedenfalls Anspruch auf Ersatz der Kosten seiner Äußerung zu diesem Antrag (OLG Wien ZBl 1938/30). Unerheblich ist auch, ob über Parteiantrag die Frist zu Unrecht verlängert oder die Tagsatzung zu Unrecht abgesetzt, verlegt oder erstreckt wurde, weil auch in diesen Fällen § 142 eingreift (Fasching1 II 709). Dem Gegner stehen daher etwa auch Kosten eines Rekurses gegen die Verlegung einer Tagsatzung zu, wenn zwischenzeitig die Beschwer infolge Verstreichens des Termins weggefallen ist (LG Salzburg 21 R 409/01w). 826

§ 143

1.2 Verfahren

Der Antragsteller hat seine Kosten immer (einschränkend OLG Wien WR 798 [nur wenn die Ursache für den Vertagungs- oder Fristerstreckungsantrag in seiner Sphäre gelegen ist]) endgültig selbst zu tragen (M. Bydlinski 340), uzw einschließlich der Kosten eines allfälligen Rechtsmittelverfahrens (3 Ob 57/85). Selbst wenn der Gegner keine Kostenseparation beantragt, erlangt die den Zwischenfall verursachende Partei selbst im Falle ihres Obsiegens niemals einen Anspruch auf ihre diesbezüglichen Kosten (OLG Wien 895 mwN; aA EvBl 1962/ 191). Vor der Entscheidung über einen Separationsantrag – von Amts wegen 4 oder auch über Antrag (Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 142 Rz 4) – ist der anwesende Gegner zu hören (LGZ Wien Arb 8261 [andernfalls offensichtlich Mangelhaftigkeit des Verfahrens vorliegen soll; zwingender wäre aber Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 4]). Über den Antrag, der nach Maßgabe des § 54 zu stellen ist (GlUNF 4629; LG Wien AnwZ 1928, 198; Fasching1 II 709; Buchegger in Fasching/ Konecny II/2 § 142 Rz 8), ist an sich sofort zu entscheiden, uzw vom Senat im Senatsprozess, wenn er in der mündlichen Verhandlung gestellt wurde (§ 140), sonst vom Vorsitzenden. Stehen die zusätzlich verursachten Kosten (etwa einer weiteren Streitverhandlung) noch nicht fest, ist erst anlässlich des nächsten Verhandlungstermins zu entscheiden (OLG Wien EvBl 1947/587). Fasst das Gericht einen eigenen Kostenbeschluss, so ist dieser abgesondert anfechtbar – die Rechtsmittelbeschränkungen des § 141 greifen hier nicht ein –, sonst zusammen mit der Sachentscheidung. § 143. Die in diesem Titel dem Gerichte oder dem Vorsitzenden des Senates beigelegten Befugnisse stehen auch dem beauftragten oder ersuchten Richter in Ansehung der von demselben zu bestimmenden Fristen und Tagsatzungen zu. [Stammfassung] Die Entscheidungsbefugnis von Prozess- oder Rechtshilfegericht hin- 1 sichtlich Fristen, Tagsatzungen (Absetzung, Verlegung oder Erstreckung) und Kostenseparationsanträgen gemäß § 142 bezieht sich immer nur auf selbst festgesetzte Fristen oder anberaumte Tagsatzungen (Näheres dazu bei Fasching1 II 710). Dies gilt auch dann, wenn das Rechtshilfegericht den Akt bereits an das Prozessgericht zurückgesandt hat, weil die Frage, wo sich der Akt gerade zufällig befindet, nicht Entscheidungskompetenzen verschieben kann (aA Fasching1 II 711 zu Kostenseparationsanträgen; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 143 Rz 4). 827

§§ 144–145

Gitschthaler

Vierter Titel Folgen der Versäumung, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Folgen der Versäumung § 144. Die Versäumung einer Prozeßhandlung hat, unbeschadet der in diesem Gesetze für einzelne Fälle bestimmten weiteren Wirkungen, zur Folge, dass die Partei von der vorzunehmenden Prozeßhandlung ausgeschlossen wird. [Stammfassung] § 145. (1) Einer Androhung der gesetzlichen Folgen der Versäumung bedarf es nur in den im Gesetze besonders bezeichneten Fällen. Diese Folgen treten von selbst ein, sofern nicht durch die Bestimmungen dieses Gesetzes ihr Eintritt von einem auf Verwirklichung der Rechtsnachteile der Versäumung gerichteten Antrage abhängig gemacht ist. (2) Im letzteren Falle kann die versäumte Prozeßhandlung, wenn für dieselbe eine Frist bestimmt war, bis zu dem Tage, an welchem der Antrag bei Gericht gestellt wurde, wenn aber die versäumte Prozeßhandlung bei einer Tagsatzung vorzunehmen war, bis zum Schlusse der über den Antrag auf Verwirklichung der Versäumungsfolgen stattfindenden Verhandlung nachgeholt werden. [Stammfassung] Lit: Klein, Die schuldhafte Parteihandlung (1885); Sperl, Die Urteile in Versäumnisfällen (1898); Pollak, Die Konzentration der mündlichen Streitverhandlung, GZ 1900, 257; Sperl, Zur Lehre von der civilprozessualen Versäumnis, GZ 1901, 71; Degenkolb, Beiträge zum Zivilprozeß (1905); Schima, Die Versäumnis im Zivilprozeß (1928); R. Kralik, Verspätete Klagebeantwortungen, ÖJZ 1950, 129; Berger, Das Verhandeln der Parteien bei der ersten Tagsatzung, ÖJZ 1956, 630; Ortner, Zur Frage des Verhandelns der Parteien bei der ersten Tagsatzung, ÖZ 1957, 313; Novak, Einige Probleme des Zivilprozeßrechts, JBl 1964, 1, 57; Reinl, Das Versäumungsurteil und seine Anfechtung, JBl 1965, 346; Sprung, Konkurrenz von Rechtsbehelfen im zivilgerichtlichen Verfahren (1966); Hauer, Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, ImmZ 1967, 99, 134, 148; Hule, Zur Konkurrenz von Rechtsbehelfen im zivilgerichtlichen Verfahren, ÖJZ 1968, 590; Jelinek, Die Wiederaufnahmsklage wegen neuer Tatsachen und Beweismittel im Eheverfahren, JBl 1968, 510; Rechberger, Das Unschlüssigkeitsurteil im Versäumnisfall, JBl 1974, 562; Feil, Urteil in Versäumnisfällen (1980); König, Programmierte Prozeßverzögerung durch Widerspruch gegen das Versäumungsurteil, AnwBl 1980, 419; Fasching, Die Rechtsbehelfe gegen Versäumungsurteile im deut828

§§ 144–145

1.2 Verfahren

schen und im österreichischen Zivilprozeß, FS Baur (1981) 387 = FG 488; Rechberger, Probleme bei der Bekämpfung des Versäumungsurteils nach § 396 ZPO, JBl 1981, 179; Schlosser, Das Versäumnisverfahren im Zivilprozeß, Jura 1981, 141; Marcelli, Keine Säumnis bei unschlüssiger Klage? NJW 1981, 2558; Meier, Widerspruch gegen Versäumungsurteile, ÖJZ 1981, 57; Habscheid, Das Versäumnisverfahren nach deutschem Zivilprozeßrecht, Dt. Landesreferate zum Privatrecht und Handelsrecht 1982, 57; Pimmer, Die neuen Bestimmungen beim Widerspruch gegen das Versäumungsurteil, ÖJZ 1984, 141; Leipold, Auf der Suche nach dem richtigen Maß bei der Zurückweisung verspäteten Vorbringens, ZZP 97 (1984) 395; Rechberger, Zum Widerspruch gegen das Versäumungsurteil nach § 398 ZPO, RdW 1985, 5; Wienerroither, Die Bekämpfung von Säumnisfolgen der Partei im zivilgerichtlichen Verfahren unter Berücksichtigung des innerstaatlichen Rechtsvergleichs (1988); Weth, Zurückweisung verspäteten Vorbringens im Zivilprozeß (1988); Klicka, Wann ist ein „echtes“ und wann ein „unechtes“ Versäumungsurteil zu fällen?, JBl 1990, 434; Mackh, Präklusion verspäteten Vorbringens im Zivilprozeß (1991); Feil, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (1993); Steininger, Klagebeantwortungs-Analogie im Verfahren vor Bezirksgerichten bei absoluter Anwaltspflicht, RZ 1993, 106; Deixler-Hübner, Die Eventualmaxime im Oppositionsverfahren, ÖJZ 1995, 170; dies, Fortschritte und Rückschritte durch die ZVN 2002, FS Beys (2004). Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 144; Bajons Rz 125; Ballon Rz 298; Deixler-Hübner/Klicka Rz 120; Fasching Rz 565; Feil/ Kroisenbrunner 380; Holzhammer 156; ders, PraktZPR 238; Rechberger/Simotta Rz 494. Inhaltsübersicht Begriff der Säumnis Rechtsfolgen

1 2

Voraussetzungen Rechtsbehelfe

3–5 6–7

Versäumung (= Versäumnis, Säumnis) liegt vor, wenn eine Prozess- 1 partei eine durch Gesetz oder richterliche Verfügung innerhalb einer bestimmten Frist oder bei einer Tagsatzung vorzunehmende Prozesshandlung gar nicht, nicht rechtzeitig oder nicht in der zwingend vorgeschriebenen Form – etwa nicht durch einen Rechtsanwalt im Anwaltsprozess (LGZ Wien MietSlg 47.588) – vornimmt (Fasching1 II 712; ders Rz 566; Holzhammer 156; ders, PraktZPR 238; Rechberger/Simotta Rz 494; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 144 Rz 1; 1 Ob 20/ 82, 1 Ob 45/98v; OLG Linz 2 R 92/99h). Dies gilt jedoch nicht, wenn eine Prozesshandlung mangelhaft oder unzweckmäßig vorgenommen wurde (1 Ob 20/82, 1 Ob 45/98v; OLG Linz 2 R 175/97m, 2 R 92/99h, EFSlg 108.945 [unvollständiges oder fehlerhaftes Kostenverzeichnis; 829

§§ 144–145

Gitschthaler

aA OLG Wien AnwBl 1994/4705; zum fehlenden Kostenverzeichnis vgl aber Vor § 146 Rz 3]; Hiesel, AnwBl 1998, 26; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 Vor § 146 Rz 2 [keine Wiedereinsetzung wegen schlechter rechtsfreundlicher Vertretung]).

2 Rechtsfolge einer Versäumung (Versäumungsfolgen) ist der Ausschluss der Partei von der vorzunehmenden Prozesshandlung (Rechberger/Simotta Rz 495; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 144 Rz 8, 9), also der Verlust von Rechten (Fasching Rz 567; ausführlich Fasching1 II 713). Die Parteien treffen daher keine Handlungspflichten, sondern nur Handlungslasten (Holzhammer, PraktZPR 238; DeixlerHübner in Fasching/Konecny II/2 § 144 Rz 3). Damit treten Versäumungsfolgen grundsätzlich unabhängig vom Vorliegen eines allfälligen Verschuldens der säumigen Partei (Fasching1 II 713; ders Rz 570; Holzhammer, PraktZPR 238; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 144 Rz 3) sogar bei unabwendbarem Zufall oder höherer Gewalt ein (Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 144 Rz 3). Es gibt allgemeine Versäumungsfolgen (Verlust von Rechten [Präklusionswirkung; s auch Holzhammer 156; Fasching Rz 568; Holzhammer, PraktZPR 239; Ballon Rz 299; Rechberger/Simotta Rz 495; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 144 Rz 10, 17]), die den Ausschluss der Partei von der versäumten Prozesshandlung bewirken (Versäumungsurteile, Zurückweisung verspätet eingebrachter befristeter Prozesshandlungen, insb von Rechtsmitteln [Fasching Rz 569] und Klagebeantwortungen [Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 144 Rz 16, § 147 Rz 2], Eintritt des Ruhens des Verfahrens bei Versäumung durch beide Parteien), sowie besondere Versäumungsfolgen, die an verschiedenen Stellen im Gesetz angeordnet sind (vgl dazu Fasching Rz 568; Stohanzl § 144 Anm 2; Ballon Rz 299; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 144 Rz 11–16). Da durch die Säumnisfolgen einerseits die Mitwirkung der Partei erzwungen und andererseits dem Untätigen die Möglichkeit genommen werden soll, das Verfahren aufzuhalten, gibt es keine oder nur geringe Säumnisfolgen in Verfahren, in denen der Untersuchungsgrundsatz herrscht (Rechberger/Simotta Rz 495; Deixler-Hübner in Fasching/ Konecny II/2 § 144 Rz 4).

3 Versäumungsfolgen treten grundsätzlich auch dann ein, wenn die säumige Partei vorher nicht über die Rechtsfolgen einer allfälligen Versäumung belehrt wurde und ohne dass es eines Antrags der gegnerischen Partei bedürfte (§ 145 Abs 1). Einer Androhung bzw einer Belehrung bedürfen aber (vgl auch Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 145 Rz 3–8) 830

§§ 144–145

1.2 Verfahren

a) die erste Ladung der unvertretenen Partei im Anwaltsprozess (§ 131), b) der Auftrag zur Bestellung eines Bevollmächtigten (§ 185), c) die Entfernung einer Partei (§ 198), d) die Ladung einer Partei im bezirksgerichtlichen Verfahren (§ 432), e) die Entscheidungen der Bezirksgerichte (§§ 432, 447), f) die Zahlungsaufträge im Mandats- und Wechselmandatsverfahren (§§ 550, 557, 558), g) die Kündigungen und sonstigen Aufträge in Bestandverfahren (§§ 562, 567), h) die Zahlungsbefehle in Mahnverfahren (§ 244) und i) die mündlich verkündeten Urteile (§ 414). Verfügt das Gericht Säumnisfolgen, ohne dass vorher eine (vorgesehene) Androhung stattgefunden hat, sind diese unwirksam. Sind bereits Entscheidungen infolge Säumnis ergangen, soll nach Fasching (Rz 570) und Deixler-Hübner (in Fasching/Konecny II/2 § 145 Rz 8) Nichtigkeit iS des § 477 Abs 1 Z 4 vorliegen, was aber nicht zwingend erscheint, liegt doch kein Gehördefizit im eigentlichen Sinn vor, sondern lediglich ein Verstoß gegen Belehrungspflichten. Daher ist lediglich ein – zu rügender – Verfahrensmangel anzunehmen (so auch Fasching1 II 720). Voraussetzung für den Eintritt der Säumnisfolgen ist außerdem ein 4 Antrag des Gegners etwa für (vgl auch Deixler-Hübner in Fasching/ Konecny II/2 § 145 Rz 11) a) b) 367), c) d)

die Fortsetzung des Verfahrens (§§ 156, 160, 167), die Fortsetzung der Verhandlung (§§ 279, 283, 332, 335, 365, die Fiktion der Zurücknahme der Klage (§ 460) und die Fällung von Versäumungsurteilen.

Bedarf es keines Antrags des Gegners, so treten die Versäumungsfolgen 5 ex lege mit Ablauf der versäumten Frist oder dem Schluss der versäumten Tagsatzung ein (Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 145 Rz 9). Ist hingegen ein gegnerischer Antrag notwendig, so treten sie erst mit dem Zeitpunkt dieser Antragstellung ein. Bis dahin – der Tag der Antragstellung durch den Gegner ist allerdings schon zu spät (Fasching1 II 722; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 145 Rz 13) – kann die „versäumte“ Prozesshandlung nach § 145 Abs 2 nachgeholt werden; eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt dann nicht in Betracht (Fasching Rz 571; vgl auch Rechberger/Simotta Rz 496). Ist die Prozesshandlung anlässlich einer Tagsatzung vorzunehmen, so kann sie sogar über den Zeitpunkt der Antragstellung hinaus bis zum 831

§§ 144–145

Gitschthaler

Schluss der Tagsatzung nachgeholt werden. Dies galt vor der ZVN 2002 auch für den Fall des § 399 („unechtes“ Versäumungsurteil; SZ 41/138, 8 Ob 25/69), nach der hRsp (SZ 39/47, 46/23, JBl 1991, 194; OLG Wien 16 R 212/98h) gegen die überwL (vgl die Nachweise bei Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 145 Rz 15) jedoch nicht für jenen des § 398 (Versäumung der Klagebeantwortungsfrist). Die ZVN 2002 hat in § 396 Abs 4 die Ansicht der Rsp festgeschrieben, sodass eine verspätete Klagebeantwortung zurückzuweisen und ein Versäumungsurteil zu erlassen ist (vgl dazu auch Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 147 Rz 2 und bei § 396).

6 Versäumungsfolgen können beseitigt werden durch a) Berufung oder Rekurs gegen ein Versäumungsurteil oder einen Versäumungsendbeschluss insb wegen Nichtigkeit, wenn ein dem Gesetz entsprechender Zustellvorgang nicht vorgelegen ist (§ 477 Abs 1 Z 4), oder auch wegen Mangelhaftigkeit bei sonstigen wesentlichen Gerichtsfehlern (zur Frage, ob in diesen Fällen auch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt werden kann, s Vor § 146); b) Widerspruch gemäß § 397a, 442a bei Versäumungsurteilen innerhalb einer feststehenden Frist (im durch die ZVN 2002 eingeschränkten Umfang); c) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 146 ff im Wesentlichen in allen Fällen einer Versäumung, die auf Zufall oder Parteifehler, nicht jedoch auf einem Gerichtsfehler basieren; d) in Einzelfällen steht einer Partei gegen ein Versäumungsurteil neben der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch die Wiederaufnahmsklage (kumulativ) zur Verfügung (6 Ob 76/03z = JBl 2004, 119).

7 Grundsätzlich sind zwar Konkurrenzen von Rechtsbehelfen nicht vorgesehen (SZ 46/32 = JBl 1973, 426) und auch bedingte Prozesshandlungen untersagt (SZ 38/93, 8 Ob 95/69, RZ 1994/14, 1 Ob 608/94; Meier, ÖJZ 1981, 94), doch ist eine Kumulierung von mehreren Rechtsbehelfen zulässig (SZ 38/93, JBl 1974, 46, SZ 66/109; Holzhammer 159; Meier, ÖJZ 1981, 91; Fasching Rz 586; Wienerroither 154; Ballon Rz 305; Rechberger/Simotta Rz 511), soweit sie vom Gesetz nicht ausdrücklich ausgeschlossen wird (Rechberger/Simotta Rz 511 mwN). Im Fall der (zulässigen) Kumulierung ist bei ausdrücklicher Reihung der erhobenen Behelfe durch die säumige Partei diese bei der Erledigung einzuhalten (SZ 38/93; LGZ Wien MietSlg 22.627, wobl 1992/150; OLG Linz AnwBl 1992, 507 [zust Morscher]; Ballon Rz 305; Rechberger/Simotta Rz 513; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 147 Rz 6; aA Feil, Wiedereinsetzung 11). Eine Reihung erfolgt dabei durch 832

§§ 144–145

1.2 Verfahren

das Stellen von Haupt- und Eventualanträgen, nicht jedoch lediglich durch textliche Aneinanderreihung der Anträge, weil dies ja zwangsläufig immer zu einer Reihung führen müsste. Nimmt die Partei keine ausdrückliche Reihung vor, ist zuerst über eine Berufung und dann erst über einen Wiedereinsetzungsantrag (JBl 1974, 46, JBl 1980, 161, ÖBl 1990, 273; Rechberger, JBl 1981, 185; Rechberger/Simotta Rz 513; aA Fasching Rz 586; unklar Feil, Wiedereinsetzung 11) bzw zuerst über eine Berufung und dann erst über einen Widerspruch zu entscheiden (ÖBl 1985, 53, JBl 1980, 161; Rechberger, JBl 1981, 185; Rechberger/Simotta Rz 513; aA Fasching, FS Baur 396; Wienerroither 163). Werden Widerspruch und Wiedereinsetzungsantrag kumuliert, so geht die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag vor (OLG Linz AnwBl 1992, 507 [zust Morscher]; Meier, ÖJZ 1981, 95; Rechberger, JBl 1981, 185; Holzhammer, PraktZPR 241; aA Fasching Rz 587; Feil, Wiedereinsetzung 12; Wienerroither 160). Bei Kumulierung aller drei Rechtsbehelfe lautet die Erledigungsreihenfolge: Berufung, Wiedereinsetzungsantrag, Widerspruch (Rechberger, JBl 1981, 185; Rechberger/Simotta Rz 513; aA Fasching, FS Baur 396). Hat die Partei Rekurs gegen die Zurückweisung einer Prozesshandlung erhoben und außerdem die Wiedereinsetzung begehrt, ist zunächst über den Rekurs zu entscheiden (5 Ob 621/79). Diese Überlegungen lassen sich damit begründen, dass immer zuerst über jenen Rechtsbehelf zu entscheiden ist, der den weitergehenden Schutz gewährt, dh durch dessen Erfolg die Rechtsstellung des Antragstellers die weitergehende Verbesserung erfährt (Rechberger, JBl 1981, 185; Rechberger/Simotta Rz 513). Die Auffassung, es sei generell über den „einfacheren“, „rascheren“, „billigeren“ bzw „sichersten“ Rechtsbehelf zuerst zu entscheiden (Ballon Rz 305; Sprung 53; DeixlerHübner in Fasching/Konecny II/2 § 147 Rz 7), übersieht, dass es auf den umfassenderen Rechtsschutz der Partei und nicht auf eine Arbeitserleichterung für den Richter ankommen muss. Die Auffassung, eine Partei, die den „teureren an Stelle des billigeren Rechtsbehelfs“ wähle, habe die Mehrkosten selbst zu tragen (Rechberger/Simotta Rz 511; Kralik, ÖJZ 1968, 415; Hule, ÖJZ 1968, 593; Fasching Rz 1688), ist jedenfalls dann inkonsequent, wenn der „teurere“ Rechtsbehelf den umfassenderen Rechtsschutz der Partei gewährleistet. Wurde über einen Rechtsbehelf zugunsten der säumigen Partei entschieden, so sind die – in der Erledigungsreihenfolge nachfolgenden – Rechtsbehelfe mangels Rechtsschutzinteresses zurückzuweisen (LGZ Wien MietSlg 22.603; vgl auch EvBl 1971/152, 3 Ob 66/87; Meier, ÖJZ 1981, 95; Rechberger/Simotta Rz 513; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 147 Rz 9). 833

Vor § 146

Gitschthaler Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Vor § 146 Lit: Grabscheid, Gibt es ein Ruhen des Restitutionsverfahrens? GZ 1901/36; Hellmer, Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Verfahren außer Streitsachen, GZ 1916, 71; Johannsen, Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach der Rechtsprechung des BGH, NJW 1952, 525; Bukovic, Probleme der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, RZ 1955, 18, 38, 50, 86; Reinl, Verschulden als Wiedereinsetzungsgrund, JBl 1964, 500; Hauer, Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, ImmZ 1967, 99, 134, 148; Schwank, Zur Kostenfrage im Wiedereinsetzungsverfahren, JBl 1971, 356; Bernárd, Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Verfahren vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts, ZfV 1981, 126; Fasching, Die Rechtsbehelfe gegen Versäumungsurteile im deutschen und im österreichischen Zivilprozeß, FS Baur (1981) 387 = FG 488; Schwaighofer, AnwBl 1984, 291 (Entscheidungsbesprechung); Fasching, Die Weiterentwicklung des österreichischen Zivilprozeßrechts im Lichte der Ideen Franz Kleins, KleinForschungsband (1987) 109; Kralik, Die paraten Beweismittel, GesRZ 1987, 178; Holzhammer, Das zivilgerichtliche Ermessen, FS Fasching (1988) 227; Aichlreiter, Zur Wasserrechtsgesetz-Novelle 1988, AnwBl 1989, 595; Arnold, Wiedereinsetzung und der mindere „Grad des Versehens“, RdW 1988, 173; Pichler, Zur Wiedereinsetzungspraxis des Verwaltungsgerichtshofes, AnwBl 1990, 178; Rechberger, Die Kostenfolgen einer Exekutionseinstellung wegen Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, BeitrZPR IV (1991) 51; Frauenberger, Wiedereinsetzung nach der ZPO bei verschuldeter Säumnis, ÖJZ 1992, 113; Noll, Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof, AnwBl 1992, 275; Brugger, AnwBl 1992, 843 (Entscheidungsbesprechung); M. Bydlinski, Kostenersatz im Zivilprozeß (1992) 342; Feil, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (1993); Oberhammer, Einstellung der Räumungsexekution infolge eines Wiedereinsetzungsantrages des Verpflichteten und § 75 EO, wobl 1993, 129; Deixler-Hübner, Die Nebenintervention im Zivilprozeß (1993); Oberhammer, Judikaturwende bei Exekutionskosten im Wiedereinsetzungsfall?, RdW 1994, 202; Fink, Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Zivilprozeßrecht (1994); Aichlreiter, Verfahrensrechtliche oder materiellrechtliche Frist am Beispiel des § 117 Abs 4 WRG, AnwBl 1995, 865; Ertl, Der Wiedereinsetzungswerber und seine Gehilfen, RZ 1998, 3; Hiesel, Die Wiedereinsetzungspraxis des Verfassungsgerichtshofes, AnwBl 1998, 25; Müller, Die Rechtsprechung des BGH zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, NJW 2000, 322; G. Kodek, Die 834

Vor § 146

1.2 Verfahren

Besitzstörung (2002); ders, Zur Zweiseitigkeit des Rekursverfahrens, ÖJZ 2004, 589. Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 146; Bajons Rz 213; Ballon Rz 302; Fasching Rz 573; Feil/Kroisenbrunner 382; Holzhammer 157; ders, PraktZPR 239; Rechberger/Simotta Rz 497 ff. Die Bewilligung einer Wiedereinsetzung kommt in Betracht

1

a) in den in der ZPO geregelten Verfahren und jener im Laufe eines Exekutionsverfahrens und aus Anlass desselben sich ergebenden Prozesse, also etwa die Verfahren nach § 35–37 EO; diese Verfahren sind nämlich nach den Bestimmungen der ZPO zu verhandeln und zu entscheiden (§ 58 Abs 2 letzter Halbsatz EO; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 Vor § 146 Rz 9); b) in Verfahren über einen Widerspruch gegen die Vollstreckbarerklärung ausländischer Exekutionstitel nach § 79 ff EO idF vor (SZ 70/119 = ZIK 1998, 140) und nach (3 Ob 175/03m = EvBl 2004/169) der EO-Nov 2000; c) in Prüfungs- und Anfechtungsprozessen (Fink 15; DeixlerHübner in Fasching/Konecny II/2 Vor § 146 Rz 9); d) nach § 21 AußStrG in Verfahren außer Streitsachen einschließlich der Verfahren nach MRG, WEG und WGG, sowie e) in Verfahren nach dem ASGG (einschließlich der Frist nach § 67 Abs 2 [SSV-NF 7/40]).

2

Nicht restituierbar sind hingegen a) gemäß § 58 Abs 2 erster Halbsatz EO grundsätzlich die Fristen in exekutionsrechtlichen Verfahren (Deixler-Hübner in Fasching II/2 Vor § 146 Rz 9), was auch für das Provisorialverfahren zu gelten hat (JBl 1983, 493; ÖBl 1986, 45; 4 Ob 93/05p; Deixler-Hübner in Fasching II/2 Vor § 146 Rz 10); b) die Fristen des GBG (5 Ob 34/77; 5 Ob 20/04h; Fasching Rz 553, 578; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 123 Rz 7; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 Vor § 146 Rz 4), c) Fristen des Kraftloserklärungsverfahrens (Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 Vor § 146 Rz 4) und d) jene der Insolvenzverfahren (Ballon Rz 148; Rechberger/Simotta Rz 502; Fasching Rz 578; LGZ Wien ZIK 1996, 138 [dies gilt aber nicht für richterliche Fristen]) einschließlich des Konkurseröffnungsverfahrens (OLG Wien ZIK 2004/177).

Die Wiedereinsetzung ist möglich bei Versäumung einer Tagsatzung 3 oder einer prozessualen Frist. Dazu gehören etwa auch 835

Vor § 146

Gitschthaler

a) die Fristen des § 575 (SZ 10/219; LGZ Wien MietSlg 15.662, 17.807), b) jene zur Einbringung einer Erbschaftsklage (LGZ Wien EFSlg 47.279; aA Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 40), c) eines Wiedereinsetzungsantrags selbst, d) einer Wiederaufnahmsklage (Fasching Rz 2048; SZ 23/217 = JBl 1950, 530, SZ 68/31 = EvBl 1995/176, SZ 69/224 = JBl 1997, 179 [verst Senat]) davon ausgenommen ist die absolute zehnjährige Verjährungsfrist (§ 534 Abs 3; SZ 23/217; Fasching Rz 2049, 2075; Ballon Rz 148), e) einer Nichtigkeitsklage (SZ 69/224); wiederum ausgenommen die absolute zehnjährige Verjährungsfrist, f) einer Klage gegen einen Schiedsspruch (SZ 41/90 = JBl 1969, 153, SZ 69/224), g) die Klagefristen in Sozialrechtssachen (aA Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 41), h) jene zur Anfechtung einer Kündigung (OLG Wien ARD 4655/13/95, 4939/9/97; OLG Wien ARD 5160/34/00; aA DeixlerHübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 41) bzw einer Anfechtung einer Entlassung oder einer Betriebsratswahl, i) Fristen bei sukzessiver Kompetenz (SSV-NF 7/40, SZ 69/224 = JBl 1997, 179 [verst Senat]; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 45) sowie j) jene zur Geltendmachung von Kostenansprüchen (OLG Wien AnwBl 1994/4705, WR 827; OLG Linz 2 R 175/97m [nur bei fehlendem Kostenverzeichnis]; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 35; vgl auch M. Bydlinski 439).

4 Hingegen findet Wiedereinsetzung nicht statt in materiellrechtliche Fristen (Fasching Rz 574; Rechberger/Simotta Rz 502; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 Vor § 146 Rz 10; 7 Ob 653/78, SZ 69/224; OLG Linz 2 R 175/97m). Dies gilt etwa für a) die Verjährungsfrist (Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 123 Rz 10), b) die Frist für eine gerichtliche Aufkündigung (Fasching Rz 2143; Rechberger/Simotta Rz 334; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 39), c) die Frist zum Widerruf eines bedingt abgeschlossenen Vergleichs (EvBl 1962/39, RZ 1965, 162, AnwBl 1980, 122 [abl Fenzl], EvBl 1980/125, SZ 68/227, RdW 2000/69; LGZ Wien MietSlg 41.550; Feil, Wiedereinsetzung 9; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 41; aA Fasching Rz 574), d) die Frist zur Einbringung einer Besitzstörungsklage nach § 454 Abs 1 (Fasching Rz 1651; Rechberger/Simotta Rz 334, 502; Ballon 836

Vor § 146

1.2 Verfahren

Rz 147; Holzhammer 138; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 123 Rz 10; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 39; GlUNF 1858; aA G. Kodek, Besitzstörung 632, 731) e) oder eines Antrags auf Aufteilung ehelichen Gebrauchsvermögens und ehelicher Ersparnisse nach § 95 EheG (RZ 1999/15; aA Pichler in Rummel 2 Rz 1 § 95 EheG Rz 1), f) die Weitergewährungsfrist nach § 18 Abs 1 UVG (LG Linz 15 R 489/04v), g) die Leistungsfrist nach § 409 (Fasching Rz 549, 578, 1651; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 Vor § 146 Rz 10, § 146 Rz 39; vgl auch Rechberger/Simotta Rz 334; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 123 Rz 11), h) die Anfechtungsfristen des Insolvenzrechts (Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 40) und i) die Aufforderungsfrist nach § 8 AHG (Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 40). Schließlich beschränkt noch § 556 die Möglichkeiten einer Wiedereinsetzung in Rechtsstreitigkeiten aus Wechseln (Fasching Rz 578; Rechberger/Simotta Rz 502; vgl auch RdW 1998, 277; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 Vor § 146 Rz 10). Keine Wiedereinsetzung findet in die zur Durchführung der Par- 5 teienvernehmung anberaumt gewesene und von der Partei versäumte Tagsatzung statt (Fasching Rz 577; Brugger, AnwBl 1992, 843; Feil, Wiedereinsetzung 12; LGZ Wien WR 145, MietSlg 40.766, 55.647; aA HG Wien WR 227; OLG Wien AnwBl 1992, 843 [abl Brugger], WR 731). Bei der Parteienvernehmung handelt es sich nicht um eine Prozesshandlung, sondern um ein Beweismittel. Dass diese Auffassung für die Partei uU einen evidenten Rechtsnachteil bedeuten kann (vgl OLG Wien WR 731), mag zwar richtig sein, ändert aber nichts am klaren Wortlaut des § 146 Abs 1. Denkbar wäre allerdings die Argumentation, die (versäumte) Prozesshandlung könnte in der (versäumten) Entschuldigung des Fernbleibens verbunden mit einem Vertagungs- bzw Erstreckungsantrag bestanden haben (vgl HG Wien WR 227); jedenfalls im Anwaltsprozess hätte dann aber der Rechtsanwalt diese Entschuldigung vornehmen müssen. Vgl dazu ausführlich nunmehr DeixlerHübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 32–34. Ebenfalls als nicht zulässig angesehen wird eine Wiedereinsetzung, wenn ein Rechtsmittelgericht in letzter Instanz aufgrund eines unrichtigen Postaufgabevermerks nach § 108 Abs 3 Geo das Rechtsmittel als verspätet zurückgewiesen hat; vgl allerdings zur Möglichkeit einer Berichtigung – analog – nach § 419 die Rsp (3 Ob 618/53, EvBl 1971/40, SZ 67/36, 6 Ob 176/97v, 4 Ob 299/98v). 837

Vor § 146

Gitschthaler

6 Ist im konkreten Fall eine Wiedereinsetzung ausgeschlossen (vgl Rz 1 bis 5), wird sie aber dennoch bewilligt, so ist sie nach hA (Ballon Rz 302; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 Vor § 146 Rz 9; EvBl 1982/ 119, JBl 1983, 493, EvBl 1986/100, Arb 10.768, NZ 1992, 158, SZ 67/209 = JBl 1995, 533 [Fink], SZ 68/227, RdW 2000/69, 2001/38, 4 Ob 93/05p; aA 1 Ob 242/53; Jakusch in Angst § 58 EO Rz 3) unwirksam und (etwa vom Rechtsmittelgericht) nicht zu beachten. Dies erscheint bedenklich: Wird der Bewilligungsbeschluss nicht angefochten, steht dieser „Unbeachtlichkeit der Bewilligung der Wiedereinsetzung“ die Rechtskraft des Bewilligungsbeschlusses entgegen. Es fördert nicht gerade die Rechtssicherheit, rechtskräftige Beschlüsse einfach für unbeachtlich zu erklären. Jedenfalls bedeutet die hA nicht, dass etwa auch eine trotz verspäteten Antrags bewilligte Wiedereinsetzung unbeachtlich wäre (1 Ob 230/99a = EvBl 2000/16; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 153 Rz 5). Zur Frage der Anfechtung einer – an sich unzulässigen – Bewilligung vgl aber § 153 Rz 2.

7 Als Grundvoraussetzung für eine Wiedereinsetzung muss eine Prozesshandlung (vollständig [VfGH ZfRV 1994/1556; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 Vor § 146 Rz 2]) versäumt worden sein (§ 147 Abs 1; s auch VwGH AnwBl 1992, 592 [Arnold]; Hiesel, AnwBl 1998, 26). Ein Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung der Einspruchsfrist vor Zustellung des Zahlungsbefehls (LGZ Wien MietSlg 21.797) oder gegen die Versäumung der Einwendungsfrist vor Zustellung der gerichtlichen Aufkündigung (JBl 1963, 486) ist daher ebenso zurückzuweisen ist wie Wiedereinsetzungsanträge, die sich auf Prozesshandlungen beziehen, die noch nachgeholt werden können oder vor Eintritt der Versäumung hätten nachgeholt werden können, dh wenn etwa der Antrag auf Wiedereinsetzung in eine Frist noch während dieser laufenden Frist gestellt wird (§ 147 Abs 1; vgl auch DeixlerHübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 35). Wäre ein Erstreckungsantrag möglich gewesen (§ 147 Abs 3) oder wurde ein solcher tatsächlich gestellt, dieser jedoch – wenn auch nicht rechtskräftig (OLG Wien WR 965; aA Deixler-Hübner in Fasching/ Konecny II/2 § 146 Rz 61) – abgewiesen, so kommt eine Wiedereinsetzung nicht in Frage (§ 146 Abs 2), wenn die geltend gemachten Wiedereinsetzungsgründe schon im Erstreckungsantrag behauptet wurden (OLG Wien WR 965). Ein derartiger Wiedereinsetzungsantrag wäre jedoch nicht zurück-, sondern abzuweisen (§ 147 Abs 3 [nicht stattgegeben]). Ein Wiedereinsetzungsantrag ist auch abzuweisen, wenn zwar ein unabwendbares oder unvorhergesehenes Ereignis eingetreten, dieses jedoch vor Eintritt von Versäumungsfolgen wieder weggefallen ist (§ 147 Abs 3 letzter Satz). 838

Vor § 146

1.2 Verfahren

Dem Wiedereinsetzungswerber muss durch die Versäumung der Pro- 8 zesshandlung ein Rechtsnachteil entstanden sein (LGZ Wien EFSlg 52.153; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 47). Dies ist zwar bei Versäumung einer Berufungsverhandlung – auch in einem vom Neuerungsverbot beherrschten Verfahren – der Fall (Fasching Rz 577; Feil, Wiedereinsetzung 12; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 48; wohl auch 1 Ob 897/51; aA JBl 1935, 304, SZ 24/299, 8 Ob 49/71, 2 Ob 722/86), nicht jedoch bei Versäumung der Berufungsbeantwortungsfrist (SZ 24/299; OLG Linz 2 R 233/97s; aA Fasching Rz 577; Feil, Wiedereinsetzung 12; ÖJZ-LSK 1999/172). Hätte die Partei mit der versäumten Prozesshandlung keinesfalls Erfolg haben können, ist ihr Wiedereinsetzungsantrag mangels Auswirkungen der Versäumung zurückzuweisen (7 Ob 38/85, 2 Ob 722/86), so etwa wenn sie die Wiedereinsetzung in die Rekursfrist gegen eine unanfechtbare Entscheidung anstrebt (OLG Wien 7 Ra 331/00y). Als Säumnisgrund muss ein unvorhergesehenes oder unabwendba- 9 res Ereignis im Bereich (in der Sphäre) der säumigen Partei vorliegen; dies im Unterschied zur Berufung, welche ausschließlich der Geltendmachung von Gerichtsfehlern dienen soll (Fasching Rz 576; SZ 46/32 = JBl 1973, 426, ARD 4678/15/95). Damit ist ein Wiedereinsetzungsantrag zurückzuweisen, wenn der Wiedereinsetzungswerber nicht eigene Säumnisse, sondern sachliche Unrichtigkeiten der infolge seiner „Säumnis“ ergangenen Entscheidung geltend macht oder behauptet, von der Zustellung (etwa einer Entscheidung oder einer Ladung) infolge eines gesetzwidrigen Zustellvorgangs – aufgrund eines Gerichtsfehlers, wozu auch Fehler des Zustellorgans gehören (ARD 4678/15/95) – keine Kenntnis erlangt zu haben (Fasching1 II 732; ders Rz 576; Rechberger, JBl 1981, 183; Frauenberger, ÖJZ 1992, 116; Feil, Wiedereinsetzung 11; Rechberger/Simotta Rz 510; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 29; GlUNF 7195, SZ 46/32, SZ 47/99, 9 ObA 357/97h, 9 ObA 272/01t = MietSlg 53.675; HG Wien WR 62; LGZ Wien AnwBl 1984, 290 [zust Schwaighofer], MietSlg 36.757, 37.739, EFSlg 46.645, 66.984, 101.934, 108.946). Die Gegenmeinung (Hule, ÖJZ 1968, 598; Dolinar, Ruhen 137; Holzhammer 159; Wienerroither 149; Ballon Rz 302; 1 Ob 694/52; LGZ Wien MietSlg 22.627, Arb 7478; OLG Linz RZ 1987/36; OLG Wien WR 495, 804), die auch hier eine Wiedereinsetzung zulassen will, argumentiert damit, dass eine Wiedereinsetzung einfacher, billiger und rascher sei. Allerdings wird damit übersehen, dass eine mangelhafte Zustellung gar keine Zustellung ist (9 ObA 357/97h) und daher eine Versäumung der Partei auch nicht vorliegen kann (s dazu auch Frauenberger, ÖJZ 1992, 116]). 839

§ 146

Gitschthaler

In diesen Fällen wäre grundsätzlich ein Antrag auf neuerliche Zustellung anzubringen. Wird jedoch gesetzwidrige Zustellung einer Klage behauptet und ist bereits ein Versäumungsurteil ergangen, dann muss der Beklagte dieses mit Nichtigkeitsberufung anfechten. Das Begehren auf neuerliche Zustellung der verfahrenseinleitenden Schriftstücke allein reicht ebenso wenig aus (4 Ob 159/98f; OLG Linz 2 R 12/03b) wie ein Antrag auf Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung (vgl 1 Ob 247/99a). Aufgrund dieser Berufung sind das Versäumungsurteil und das vorangegangene Verfahren einschließlich Klagezustellung als nichtig aufzuheben und dem Beklagten die Klage neuerlich zuzustellen, außer der Beklagte hätte zwischenzeitig bereits eine Klagebeantwortung erstattet (4 Ob 159/98f; OLG Linz 2 R 51/00h, 2 R 12/03b). § 146. (1) Wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis – so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat –, am rechtzeitigen Erscheinen bei einer Tagsatzung oder an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozeßhandlung verhindert wurde, und die dadurch verursachte Versäumung für die Partei den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozeßhandlung zur Folge hatte, so ist dieser Partei, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt. (2) Der Wiedereinsetzungsantrag kann nicht auf Umstände gestützt werden, die das Gericht bereits für unzureichend befunden hat, um daraufhin derselben Partei die Verlängerung der sodann versäumten Frist oder die Erstreckung der versäumten Tagsatzung zu bewilligen. [Abs 1 geändert durch VO DRGBl 1940 I, 1340 und Satz 2 angefügt durch ZVN 1983; sonst Stammfassung] Inhaltsübersicht Ereignis Verschulden – Leichte Fahrlässigkeit – Grobe Fahrlässigkeit – Maßstab – Rechtsmittelbelehrung

1–5 6–16 6 7 8 9 840

– Fremdsprachigkeit – Schlamperei – Erkrankungen – Verkehr – Rechtsirrtum Haftung für Dritte

10 11 12 13 14–16 17–23

§ 146

1.2 Verfahren

Unter Ereignis ist idR jedes Geschehen oder jede Tatsache zu verste- 1 hen, wobei es nicht auf die Außergewöhnlichkeit des Ereignisses ankommt (Fink 65; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 4). Es muss kausal sein, dh nur dann, wenn die Versäumung ausschließlich auf dieses Ereignis zurückzuführen ist, kann es einen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund darstellen (Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 8, § 147 Rz 10). Nach Lehre (Fasching Rz 579; Frauenberger, ÖJZ 1992, 113; Feil, Wie- 2 dereinsetzung 15; Rechberger/Simotta Rz 499) und Rsp (EvBl 1965/ 368, SZ 47/99) ist ein Ereignis „unabwendbar“, wenn es auch mit den einem Durchschnittsmenschen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nicht verhindert hätte werden können, auch wenn sein Eintritt vorhersehbar war. Praktisch sind hier insb die Fälle der höheren Gewalt (OLG Innsbruck EvBl 1992/139) gemeint. Bei Prüfung der Unabwendbarkeit ist von einem objektiven Maßstab auszugehen (Fasching Rz 579; Rechberger/Simotta Rz 499; Deixler-Hübner in Fasching/ Konecny II/2 § 146 Rz 7; SZ 47/99; OLG Innsbruck EvBl 1992/139; OLG Linz EFSlg 101.930; aA [subjektiver Maßstab] Frauenberger, ÖJZ 1992, 114). Es muss sich dabei allerdings nicht um eine „absolute“ Unabwendbarkeit handeln. Es reicht vielmehr aus, dass das Ereignis auch ein Durchschnittsmensch anstelle der säumigen Partei nicht hätte abwenden können. Hätte es zwar dieser Durchschnittsmensch, nicht jedoch die säumige Partei verhindern können, so hindert dies die Wiedereinsetzung nur, wenn die Partei an diesem Unvermögen mehr als ein leichtes Verschulden trifft (s Rz 6–8). „Unvorhergesehen“ ist nicht nur ein Ereignis, welches ein Durch- 3 schnittsmensch nicht vorhersehen konnte, sondern auch ein solches, welches die Partei nicht einberechnet hat und dessen Eintritt sie auch unter Bedachtnahme auf die ihr persönlich zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwarten konnte (Fasching1 II 726; Holzhammer 158; Fasching Rz 579; Frauenberger, ÖJZ 1992, 113; Feil, Wiedereinsetzung 15; Rechberger/Simotta Rz 499; LGZ Wien Arb 8026; EvBl 1965/ 368, 4 Ob 507/77). Der Begriff ist daher iS von subjektiv unverschuldet unvorhergesehen (OLG Innsbruck EvBl 1992/139; OLG Linz EFSlg 101.931; LGZ Wien MietSlg 45.644, EFSlg 90.891; Rechberger/Simotta Rz 499; Fasching Rz 579; Fink 67; Frauenberger, ÖJZ 1992, 113; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 6) zu verstehen. Ein solches Ereignis ist dann tatsächlich ein für die Partei unvorhersehbares Ereignis gewesen (Frauenberger, ÖJZ 1992, 113). Hätte es die säumige Partei vorhersehen können, hat sie dies aber nicht getan, so hindert auch dies die Wiedereinsetzung nur, wenn die Partei mehr als ein leichtes 841

§ 146

Gitschthaler

Verschulden trifft (idS wohl auch VwGH AnwBl 1992, 231 [Arnold]; s Rz 6–8).

4 Die Wiedereinsetzung ist zu verweigern, wenn die Versäumung aufgrund eines vorhersehbaren Ereignisses durch ein der Partei zumutbares Verhalten hätte abgewendet werden können (EvBl 1991/18, AnwBl 1991, 110, 9 ObA 357/97h), weil die Versäumung dann letztlich willentlich herbeigeführt worden ist (10 ObS 71/00i = JBl 2001, 328; OLG Wien WR 93, ARD 4913/34/98; VfGH ZfVB 1986/1527, B 697/03; LGZ Graz MietSlg 41.549; LGZ Wien EFSlg 66.985; Hiesel, AnwBl 1998, 26; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 4). Dies gilt insb in jenen Fällen, in denen aufgrund pessimistischer Beurteilung der Erfolgsaussichten einer Klageführung oder einer Bekämpfung einer gerichtlichen Entscheidung die Einbringung einer Klage bzw eines Rechtsmittels (zunächst) unterlassen wurde (10 ObS 71/00i = JBl 2001, 328).

5 Umstände, die – bei Annahme lediglich leichter Fahrlässigkeit des Säumigen im Einzelfall (6 Ob 213/00t, 8 ObA 61/02g, 10 ObS 117/02g) – zur Wiedereinsetzung führen können, wären demnach etwa (vgl weitere Beispiele bei Feil, Wiedereinsetzung 16; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 9a–29), a) höhere Gewalt (OLG Innsbruck EvBl 1992/139), also etwa Naturkatastrophen (Holzhammer 157; Ballon Rz 302), Kriegswirren (Holzhammer 157) oder sonstige Reisehindernisse, wie etwa ein erzwungener Auslandsaufenthalt infolge eines Streiks oder eines Unfalls (Holzhammer 158; Ballon Rz 302; Rechberger/Simotta Rz 499), aber auch Bahn- oder Busstreiks im Inland (vgl Deixler-Hübner in Fasching/ Konecny II/2 § 146 Rz 9a), das Auftreten von so starkem Glatteis, dass jegliche Fortbewegung unmöglich wird, oder das Unpassierbarwerden einer Straße, für die es keine Umfahrung gibt (Rechberger/Simotta Rz 499); weitere Voraussetzung in all diesen Fällen ist aber, dass durch das Ereignis auch eine Kontaktaufnahme mit dem Gericht oder einem Vertreter verhindert wurde (idS LGZ Wien EFSlg 64.044; DeixlerHübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 9a); das Fehlen notwendiger Geldmittel zur Vornahme von Prozesshandlungen (Beiziehung eines Rechtsanwalts, Anreise zu Gericht udgl) rechtfertigen hingegen grundsätzlich eine Wiedereinsetzung nicht, weil die Partei um Verfahrenshilfe hätte ansuchen können, was zu einer Fristenunterbrechung geführt hätte (§ 73 Abs 2; Fink 96; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 11; LGZ Wien Arb 7176); b) psychische (OLG Wien ZBl 1933/227; OLG Linz 3 R 57/04d) und körperliche (LG Wien EvBl 1934/218; HG Wien DREvBl 1938/ 842

§ 146

1.2 Verfahren

111; LGZ Wien Arb 8026; EvBl 1972/44) Erkrankungen (Holzhammer 158; Ballon Rz 302; Rechberger/Simotta Rz 499), die so plötzlich auftreten, dass für eine Vertretung nicht mehr gesorgt werden kann (9 ObA 57/93, 10 ObS 191/98f), oder die die Dispositionsfähigkeit der Partei ausschließen (Noll, AnwBl 1992, 278), uzw sowohl Erkrankungen der Partei selbst als auch ihres Vertreters (SZ 44/43 = AnwBl 1974, 113 [zust Stölzle]); vgl auch Rz 12 sowie bei Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 12, 13; c) Erinnerungsfehler (OLG Wien ZBl 1933/227, EvBl 1935/48; LGZ Wien EFSlg 98.189); d) eine unrichtige Auskunft eines Gerichtsbeamten (LG Wien EvBl 1935/252) oder eine unrichtige bzw fehlende Rechtsmittelbelehrung, allenfalls auch deren Missverstehen durch die Partei (vgl dazu ausführlich Rz 9); e) das Versagen der Uhr der Partei (LG Wien AnwMitt 1933, 29), das Auftreten eines Computerdefekts, der die Abfassung von Eingaben hindert (ARD 4718/38/96), das Falschgehen der Amtsuhr (DREvBl 1938/51) oder Zwischenfälle auf dem Weg zur Tagsatzung; dazu gehören etwa Parkplatzmangel (aA LGZ Wien Arb 8822; DeixlerHübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 10), mangelnde Kenntnis der genauen Lage des Gerichtsgebäudes (LGZ Wien EFSlg 79.189; aA OLG Wien ARD 5271/24/2001), Verkehrsstörungen (vgl Rechberger/ Simotta Rz 499; aA LG Wien EvBl 1934/90, EvBl 1946/239; DeixlerHübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 10), Verkehrskontrollen (Fink 90; aA Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 10) oder ein Defekt am Fahrzeug (idS VfGH AnwBl 1989, 583; Ballon Rz 302); maßgeblich ist aber in all diesen Fällen auch, ob es der Partei im Einzelfall vorgeworfen werden kann, nicht rechtzeitig Gegenmaßnahmen zu ergriffen zu haben; vgl auch Rz 13; f) Irrtümer über Rechtsvorschriften oder Gerichtsabläufe bzw deren Unkenntnis (vgl dazu ausführlich Rz 14–16); g) die Nichteinhaltung der Vereinbarung mit der Gegenseite, eine Rechtssache ruhen zu lassen (LGZ Wien EvBl 1935/950, WR 614, MietSlg 45.644; aA LGZ Wien EvBl 1934/558, MietSlg 29.611; OLG Wien EvBl 1938/124, WR 93; LG Linz Arb 7480; Holzhammer 299; Fink 91; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 49 [der Partei stehen lediglich Wiederaufnahms- bzw Impugnationsklage zu]); h) das verspätete Ausheben des Einlaufkastens durch das Gericht (OLG Wien DREvBl 1939/662) oder Hindernisse im Bereich der Post (Noll, AnwBl 1992, 278 mwN; VwGH AnwBl 1992, 231 [Arnold]); hat der Empfänger aufgrund Ortsanwesenheit an der Abgabestelle von einer gesetzmäßigen postalischen Zustellung rechtzeitig Kenntnis erlangt, ist er jedoch verhindert, die Sendung anzunehmen oder rechtzei843

§ 146

Gitschthaler

tig zu beheben, soll dies nach dem UVS Wien (ZUV 2005/2) einen Wiedereinsetzungsgrund darstellen (dies wird aber wohl überhaupt nur bei Eigenhandzustellungen denkbar sein); i) Kommunikations-, Organisations- und/oder Handlungsfehler im Bereich der säumigen Partei (OPM ÖBl-LS 2003/133), insb auch in Kanzleien von berufsmäßigen Parteienvertretern (s Rz 20–23); war bei einer Kommunikationsstörung zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten die Versäumung voraussehbar und hätte sie durch ein der Partei zumutbares Verhalten abgewendet werden können, liegt kein Wiedereinsetzungsgrund vor (OLG Wien 7 Ra 61/00i); j) das Verlegen und/oder Vergessen einer Postsendung (vgl 2 Ob 366/97f); vgl auch Rz 11; k) die Unkenntnis einer ordnungsgemäßen Zustellung, etwa weil die Hinterlegungsanzeige beschädigt oder entfernt worden ist (JBl 1980, 161, EvBl 1993/196); l) die (unverschuldete) Unkenntnis der Zustellung eines verfahrenseinleitenden Schriftstücks aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union (außer Dänemark und Deutschland), die zu einer Säumnisentscheidung geführt hat (Art 19 EuZVO; vgl auch bei §§ 148, 149 und bei § 121 sowie Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 22 ZustG] Rz 10 und Klauser, Europäisches Zivilprozessrecht Anm 13–17 zu Art 19 EuZVO).

6 Verschulden. Selbst wenn die Versäumung auf einem Ereignis beruht, welches objektiv abwendbar oder subjektiv vorhersehbar gewesen wäre, ist die Wiedereinsetzung bei bloß leichter Fahrlässigkeit des Säumigen zu bewilligen. Abs 1 verwendet den aus § 1332 ABGB, §§ 2, 3, 4 und 6 DHG und § 3 OrgHG entnommenen Begriff des minderen Grades des Versehens (Rechberger/Simotta Rz 499). Dieser wird von allen drei Höchstgerichten iS von leichter Fahrlässigkeit verstanden (OGH 9 ObA 223/88, EvBl 1987/94, infas 1989/A 60, RZ 1989/69, EvBl 1991/18, AnwBl 1991/110, 8 ObA 274/94, 9 ObA 174/95; VwGH AnwBl 1988, 289, AnwBl 1992, 231 [Arnold]; VfGH ÖJZ 1984, 528, ÖJZ 1986, 122, AnwBl 1988, 56). Dem Wiedereinsetzungswerber schadet daher ein Fehler nicht, der zwar das Ausmaß einer entschuldbaren Fehlleistung übersteigt (LGZ Wien MietSlg 41.548), gelegentlich jedoch auch einem sorgfältigen Menschen unterläuft (EvBl 1991/18 ua; OLG Linz EFSlg 101.932; Noll, AnwBl 1992, 278; Frauenberger, ÖJZ 1992, 114). Dies gilt selbst dann, wenn es sich um mehrere derartige Fehler handelt (Noll, AnwBl 1992, 278 mwN), sofern diese auch in Summe noch als leicht fahrlässig anzusehen sind. Vgl auch DeixlerHübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 57. Im Anwendungsbereich des Art 19 EuZVO ist jedoch Schuldlosigkeit an der Unkenntnis von 844

§ 146

1.2 Verfahren

der Zustellung eines verfahrenseinleitenden Schriftstücks Voraussetzung (vgl Rz 5 lit l). An das Maß der zur Annahme eines unvorhergesehenen Ereignisses erforderlichen Aufmerksamkeit und Voraussicht ist zwar ein strenger Maßstab anzulegen, doch darf es nicht zu einer Überspannung der an die Partei zu stellenden Anforderungen kommen. Es ist also jenes Maß zu fordern, wie es nach der Lebenserfahrung von einer vernünftigen und durchschnittlich gewissenhaften Person angesichts der Bedeutung der vorzunehmenden Handlung unter den gegebenen Umständen aufgewendet zu werden pflegt (4 Ob 507/77). Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Fehler auf auffallende Sorg- 7 losigkeit des Wiedereinsetzungswerbers zurückzuführen ist, also auf ein extremes Abweichen von der gebotenen Sorgfalt. Dies ist dann der Fall, wenn etwas unbeachtet blieb, was im gegebenen Fall jedem („Vergleichsmenschen“) leicht einleuchten hätte müssen, oder wenn einfache und naheliegende Überlegungen nicht angestellt wurden, zusammengefasst dem Wiedereinsetzungswerber also eine Sorgfaltswidrigkeit unterlaufen ist, die einem ordentlichen Menschen in der gegebenen Situation keinesfalls unterlaufen wäre (RZ 1989/69, 8 ObA 274/94, 10 ObS 238/ 94, 9 ObA 174/95, RdW 1998, 140, 2 Ob 366/97f); vgl auch DeixlerHübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 58–60. Dieses – prozessuale – Verschulden, das sich auf das Nichtvorhersehen 8 des Hindernisses für die rechtzeitige Vornahme der Prozesshandlung oder auf eine unzulängliche Vorsorge für den Fall einer tatsächlich erkannten Gefahr des Auftretens eines derartigen Hindernisses beziehen muss (EvBl 1965/368), ist an einer durchschnittlich sorgfältigen Partei mit denselben individuellen Fähigkeiten und Kenntnissen zu messen (Frauenberger, ÖJZ 1992, 114; LG Salzburg 22a R 6/89). Daher ist der Sorgfaltsmaßstab bei einem rechtskundigen und im Umfang mit Gerichten vertrauten Menschen deutlich höher anzulegen (EvBl 1987/ 94, RdW 1991, 56, 9 ObA 234/91, ARD 1992/4344, ARD 4616/12/95, 10 ObS 238/94, RdW 1998, 140; Frauenberger, ÖJZ 1992, 114) – insb bei Rechtsanwälten, Notaren, Steuerberatern oder Wirtschaftstreuhändern (s auch Rz 15, 16) – als bei unkundigen Personen. Kommt es auf die Beurteilung des Verschuldens von Hilfskräften an (vgl Rz 18–19), darf der Entscheidung über die Wiedereinsetzung nicht eine strengere Interpretation der leichten Fahrlässigkeit zugrunde gelegt werden, als dies in einem (allenfalls nachfolgenden) arbeitsgerichtlichen Verfahren gegen die Hilfskraft der Fall wäre (Ertl, RZ 1998, 7; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 54). Wird allerdings erst durch einen Anlassfall ein Organisationsmangel aufgedeckt, hindert das nicht, das 845

§ 146

Gitschthaler

Verhalten im Anlassfall selbst als geringes Versehen zu qualifizieren (9 Ob A 249/01k = ecolex 2002/48), auch wenn im Wiedereinsetzungsverfahren grobe Fahrlässigkeit angenommen wurde.

9 Rechtsmittelbelehrung. Sowohl deren Fehlen (SSV-NF 7/89, 1 Ob 154/98y, 8 Ob 121/01d, 3 Ob 224/04v, 7 Ob 290/04d; einschränkend offensichtlich Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 20) als auch deren Unrichtigkeit (EvBl 1964/211, 3 Ob 83/66, Arb 10.114, 9 ObA 217/90, SSV-NF 7/89, 7 Ob 290/04d; LGZ Wien EFSlg 98.188) stellen grundsätzlich ein unabwendbares und unvorhergesehenes Ereignis dar (vgl Rz 1, 2). Zur Bewilligung der Wiedereinsetzung kann es bei ihrem Fehlen allerdings nur bei rechtsunkundigen Personen (1 Ob 154/ 98y; iglS OLG Linz 2 R 3/04f; LGZ Wien EFSlg 108.947), nicht jedoch auch bei rechtskundigen Säumigen kommen (vgl LG Wien EvBl 1936/ 1064; Noll, AnwBl 1992, 278 mwN); vgl auch Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 20. Vertraut eine rechtsunkundige Partei auf eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung, so stellt dies grundsätzlich einen Wiedereinsetzungsgrund dar (EvBl 1964/211, 9 ObA 217/90, SSV-NF 7/89), außer der Partei ist die Unrichtigkeit aufgefallen oder hätte ihr auffallen müssen (grobe Fahrlässigkeit; vgl auch VfGH VfSlg 8874, 9143). Eine rechtskundige Person kann die Unrichtigkeit der Belehrung jedenfalls nicht exkulpieren, weil sie immer grob fahrlässig handelt. Missversteht eine unvertretene Partei eine Rechtsmittelbelehrung, so stellt dies für einen Kaufmann/Unternehmer zumindest dann eine grobe Fahrlässigkeit dar (OLG Innsbruck EvBl 1987/68; krit dazu Fasching Rz 580), wenn er Unklarheiten hat und sich nicht einer fachkundigen Beratung bedient (s auch Frauenberger, ÖJZ 1992, 118). Im übrigen ist zwar eher von leichter Fahrlässigkeit auszugehen (VfGH JUS 1991/Vf/622; LGZ Wien MietSlg 40.762; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 21), dabei jedoch ein strenger Maßstab anzulegen, wäre doch sonst jede Befristung von Prozesshandlungen illusorisch (OLG Innsbruck EvBl 1987/68; OLG Linz 2 R 3/04f [die Verwechslung von Monatsfrist und 4-Wochenfrist schadet auch einem Unvertretenen, weil es zu den Grundkenntnissen eines durchschnittlich intelligenten Menschen gehört, dass ein Kalendermonat mit Ausnahme des Februar nicht vier Wochen entspricht]). Der Rechtskundige kann sich auch hier nicht mit einem Missverständnis exkulpieren (DeixlerHübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 21; aA LGZ Wien WR 828). Prinzipiell ist es außerdem jeder Partei zumutbar sich zu informieren, wenn ihr eine Belehrung unklar ist; die Wiedereinsetzung ist nur zulässig, wenn die Partei leicht fahrlässig glaubte, sie kenne sich aus (LGZ Wien MietSlg 52.720). 846

§ 146

1.2 Verfahren

Unterlässt die Partei das Lesen der Rechtsmittelbelehrung eines Versäumungsurteils und bemüht sie sich auch nicht unverzüglich um die Beigebung eines Verfahrenshilfeanwalts, als ihr bewusst wird, dass ihre Meinung, sie könne ohne Verhandlung nicht verurteilt werden, unrichtig ist, handelt sie grob fahrlässig (EvBl 1987/94). Dies gilt auch dann, wenn sie sich in Kenntnis der Dauer einer bestimmten Rechtsmittelfrist und des langen Postwegs zwischen ihrem Wohnort (Kanada) und der Kanzlei ihres Rechtsfreunds (Österreich) erst unmittelbar vor Ablauf dieser Frist schriftlich an letzteren wendet, wodurch letztlich die Frist versäumt wird (ARD 4635/14/95), oder wenn sie nach Erhebung eines Einspruchs gegen einen Zahlungsbefehl vor Antritt einer Urlaubsreise keine Vorkehrungen für den Fall der Zustellung einer Ladung trifft (OLG Wien ARD 5104/25/99). Informiert sich ein vom Betriebsrat über die Anfechtungsmöglichkeit einer Kündigung belehrter Arbeitnehmer nicht über die Anfechtungsfrist des § 105 Abs 4 ArbVG, scheidet eine Wiedereinsetzung infolge grob fahrlässigen Verhaltens aus (RdW 1997, 33). Ist die Partei der Gerichtssprache nicht mächtig, hat sie sich über den 10 Inhalt eines Gerichtsschreibens zu informieren. Unterlässt sie dies, handelt sie jedenfalls grob fahrlässig (VfGH SWK 1993, R 140, VfSlg 10.473; VwGH JUS 1985/8, 4; LGZ Wien WR 459, EFSlg 101.936; OLG Wien ARD 4569/36/94); vgl allerdings zur Frage, ob überhaupt eine ordnungsgemäße Zustellung gegeben ist, § 121 Rz 15. Wendet sie sich jedoch an einen selbst zwar rechtsunkundigen, jedoch der Gerichtssprache mächtigen Dritten, so hat sie nur leicht fahrlässig gehandelt, wenn ihr eine falsche Auskunft erteilt wird (LGZ Wien MietSlg 40.762). Dies gilt auch dann, wenn sich eine Partei telefonisch um eine Auskunft bei Gericht bemüht und dabei Missverständnisse auftreten (9 ObA 217/90, 9 ObA 1028/92); vgl auch Deixler-Hübner in Fasching/ Konecny II/2 § 146 Rz 17. Das Verlegen – dem ist das versehentliche Wegwerfen zusammen etwa 11 mit Werbematerial gleichzuhalten (LGZ Wien MietSlg 40.765, 51.653, EFSlg 90.899) – eines gerichtlichen Schriftstücks oder einer Ladung oder dessen Vergessen stellen im Zweifel nur leichte Fahrlässigkeit dar (LG Salzburg 22 R 529/88; OLG Wien ARD 5191/27/2001; OPM ÖBlLS 2003/133; zu streng wohl VfGH JUS 1990/Z/371, VfSlg 12.370; LGZ Wien EFSlg 101.935). Dies gilt aber nicht, wenn die Rechtssache etwa aufgrund des Streitwerts eine hervorragende Bedeutung für die Partei hat (LG Salzburg 22 R 5/88), wenn es sich bei der Partei um einen Kaufmann/Unternehmer handelt, dessen Unternehmen das Verfahren betrifft (LGZ Wien WR 458; OLG Wien ARD 5201/32/2001), wenn die 847

§ 146

Gitschthaler

Partei es von vorneherein unterlassen hat, das Schriftstück einzusehen (infas 1993/A 77, 8 ObA 31/01v = ARD 5224/57/2001, 8 ObA 61/02g; OLG Wien ARD 4149/18/89, 5201/32/2001; LGZ Wien WR 458), oder wenn sie die Behandlung eines gerichtlichen Schriftstücks ohne jede weitere Nachfrage einer, wenn auch sonst verlässlichen Büroangestellten überlassen hat (OLG Wien ARD 5191/29/2001); vgl auch DeixlerHübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 26, 27.

12 Wird die Partei infolge einer Erkrankung an der Vornahme einer Prozesshandlung gehindert und hat sie von ihrer Grunderkrankung gewusst, so liegt leichte Fahrlässigkeit vor, wenn die Erkrankung nur gelegentlich oder unvermutet auftritt (vgl LGZ Wien EvBl 1935/359; OLG Wien EvBl 1937/612); dies kann aber nicht mehr angenommen werden, wenn es sich um eine Dauererkrankung handelt, wie etwa Sehstörungen (vgl LGZ Wien EvBl 1936/486, EvBl 1951/266). Wäre die Partei zwar in der Lage gewesen, rechtzeitig für eine Vertretung zu sorgen, hat sie dies jedoch nicht getan, so ist sie – zumindest bei schwereren Krankheiten – idR wohl als nur leicht fahrlässig anzusehen (HG Wien WR 613; OLG Wien ARD 5271/23/2001; aA LGZ Wien MietSlg 53.677). Säumnis wegen alkoholbedingter Indisponiertheit wird schon allein deshalb keine Wiedereinsetzung erlauben, weil (übermäßiger) Alkoholkonsum etwa am Tag vor einer Verhandlung grob schuldhaft sein wird (LGZ Wien ÖA 1978, 140, EFSlg 76.518); davon ausgenommen wäre aber wohl der Fall krankhaften schweren Alkoholmissbrauchs. Die Erkrankung des vertretenden Rechtsanwalts kann für sich allein niemals Grund für eine Wiedereinsetzung sein, weil er nach § 14 RAO die Möglichkeit hat, im Verhinderungsfall an einen anderen Rechtsanwalt zu substituieren. Nur dann, wenn zufolge der Krankheit die Dispositionsfähigkeit des Rechtsanwalts ausgeschlossen wäre, wenn er also zufolge der Krankheit nicht einmal mehr für eine Stellvertretung sorgen könnte, wäre die Erkrankung ein Ereignis, aufgrund dessen es unmöglich wäre, die versäumte Frist einzuhalten (15 Os 163/01; VfGH VfSlg 8801/1980). Vgl auch Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 12, 13.

13 Inwieweit Parkplatzsuche, Verkehrsstörungen und Fahrzeugpannen, welche zu einer Versäumung etwa einer Tagsatzung führen, leichte oder grobe Fahrlässigkeit bewirken können, ist im Einzelfall zu prüfen. Maßgeblich wird es dabei auf Vorinformationen und Erfahrungen der Partei ankommen (Kenntnis von Parkplatzproblemen in der Großstadt, regelmäßige Stauungen auf der beabsichtigten Route, Reparaturanfälligkeit etwa eines überalterten Fahrzeuges uä); vgl auch Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 10. 848

§ 146

1.2 Verfahren

Unterlaufen rechtsunkundigen Parteien Rechtsirrtümer und tritt 14 daraufhin Säumnis ein, haben sie idR nur leichte Fahrlässigkeit zu verantworten. Allgemein ist dabei auf die Unkenntnis von Rechtsvorschriften abzustellen (ÖJZ-LSK 1996/361; LG Graz MietSlg 50.714; OLG Linz 2 R 18/04m); vgl auch Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 15, 18–24. Dies gilt etwa, wenn die Partei nicht weiß, dass eine Verhandlung nur im Verhandlungssaal, nicht jedoch auch vor diesem aufgerufen werden kann (vgl LGZ Wien MietSlg 31.676; aA LGZ Wien EvBl 1938/47; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 18), dass auch bei Nichterledigung eines Verlegungsantrags vor der Tagsatzung Versäumung eintreten kann (aA LGZ Wien EvBl 1934/434, EvBl 1937/69, JBl 1946, 259; OLG Wien EvBl 1937/529; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 24) oder dass eine Versäumung auch eintreten kann, wenn sich ein Streitgenosse aufgrund der Mitteilung eines anderen Streitgenossen, die Sache sei erledigt, von der Tagsatzung entfernt (aA OLG Wien RZ 1966, 89; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 18). Leichte Fahrlässigkeit ist weiters idR anzunehmen, wenn die (rechtsunkundige) Partei eine Frist nicht ab dem Tag der Hinterlegung, sondern erst ab dem Tag der Abholung des Schriftstücks berechnet (VfGH VfSlg 11.186; OLG Wien SVSlg 41.804; Frauenberger, ÖJZ 1992, 118) oder wenn sie – bei fehlender Rechtsbelehrung – keine Kenntnis vom Bestehen außerordentlicher Rechtsmittel (VfGH-Beschwerde) hat. Die Auffassung des VfGH (ZfVB 2003/278), es obliege jedermann selbst, sich Kenntnis von allenfalls bestehenden außerordentlichen Rechtsschutzinstrumenten zu verschaffen, erscheint übertrieben. Grob fahrlässig handelt hingegen auch eine rechtsunkundige Partei, wenn sie sich mit einem Zahlungsbefehl an einen Rechtsanwalt wendet, dieser die Vertretung ablehnt und ihr den Zahlungsbefehl wieder aushändigt, die Partei jedoch der Auffassung ist, bereits durch das Aufsuchen des Rechtsanwalts wäre der Zahlungsbefehl außer Kraft getreten, und daher die Einspruchsfrist versäumt (OLG Linz 2 R 18/04m). Juristische Kunstfehler (Irrtum oder Unkenntnis) eines Rechtskundi- 15 gen – dazu gehören zwar auch die qualifizierten Personen iSd § 40 Abs 1 Z 2 ASGG (9 ObA 297/00t, 9 ObA 249/01k), nicht jedoch etwa der Bürgermeister einer kleinen Gemeinde (OLG Wien ARD 5201/23/ 2001) – sind grundsätzlich immer auf grobe Fahrlässigkeit zurückzuführen (Frauenberger, ÖJZ 1992, 118; OLG Linz 6 R 266/89, EFSlg 101.937, 101.938). Dies gilt zumindest dann, wenn es sich um einen berufsmäßigen Parteienvertreter handelt (idS wohl auch Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 16; 3 Ob 175/03m [Rechtsanwälte unterliegen dem Haftungsmaßstab des § 1299 ABGB]; aA OLG Linz 849

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4 R 4/04t [ein Rechtsanwalt handelt nur leicht fahrlässig, wenn er sich auf eine fehlerhafte Fristentabelle im Juristenkalender verlässt]). Dies gilt insb für Fehler a) bei der Fristenberechnung (infas 1989/A 60, EvBl 1991/18, RdW 1998, 140); dabei darf sich der Vertreter nicht auf unbestimmte Angaben der Partei über das Zustelldatum verlassen (ARD 4616/12/95, AnwBl 1991, 110, 9 ObA 357/97h; LGZ Wien EFSlg 98.198); b) bei der Fristenvormerkung, auch wenn Klarheit über die Frist bestanden hat (Frauenberger, ÖJZ 1992, 117; VfGH AnwBl 1989, 583; EvBl 1991/18, 9 ObA 234/91, infas 1993/A 25, RZ 1993/97; aA VfGH VfSlg 11.959), bzw bei Unterlassung der Vormerkung einer Rechtsmittelfrist (VfGH AnwBl 1989, 434 [abl Arnold, AnwBl 1989, 590]; AnwBl 1991, 110); dabei spielt es keine Rolle, ob der Fehler auf diesbezügliche Missverständnisse zwischen dem Rechtsanwalt und seinen Mitarbeitern (LG Salzburg 22a R 12–14/90; aA infas1989/A 60) bzw zwischen seinen Mitarbeitern (aA 9 ObA 260/88) oder auf mangelnde Information durch einen Mitarbeiter (VfGH SWK 1988/R/90) zurückzuführen ist; nach der Rsp (LG Salzburg 21 R 581/04v) sollen auch der unrichtige Eintrag des Datums auf dem Rückschein und die falsche Einstellung des Datums auf dem Eingangsstempel grob fahrlässig sein, wenn letztere bei Neueinstellung am nächsten Tag immer noch nicht auffällt; tatsächlich liegen hier aber gar keine Wiedereinsetzungsfälle vor, weil (etwa für die Fristberechnung) maßgeblich der tatsächliche Tag der Zustellung und nicht der bescheinigte ist; c) bei der Beurteilung der Frage, ob eine Ferialsache vorliegt oder nicht (LGZ Wien EFSlg 49.323, 64.050, MietSlg 53.676, 43 R 229/05b; OLG Graz Arb 10.686; LG Salzburg 22a R 6/89, EFSlg 94.498), oder bei der Einschätzung der Frist zur Einbringung einer Wiederaufnahmsklage (10 ObS 371/01h = SSV-NF 15/143); d) bei der Evidenthaltung von Fristen (EvBl 1991/18, AnwBl 1991, 110), auch wenn Ursache der Versäumung ein Vergessen war; dazu gehört auch der Fall der unrichtigen Wahrnehmung einer richtig eingetragenen Vormerkung (OLG Linz 1 R 2/00w); e) bei der Beurteilung der Frage, ob die kürzere oder die längere Frist anzuwenden ist (OLG Innsbruck EvBl 1991/153); dies gilt auch dann, wenn dazu eine wechselnde Rsp vorlag, weil es Sache des Vertreters ist, im Zweifel die kürzere zu wählen; f) bei der Abfassung oder Unterfertigung von Schriftsätzen an das Gericht, insb wenn der Fehler dadurch entstanden ist, dass der Parteienvertreter den diktierten Schriftsatz nicht mehr kontrolliert hat (VfGH VfSlg 10.295; VwGH AnwBl 1993, 371); g) bei der Adressierung von Schriftstücken an das Gericht (VfGH JUS 1991/Vf/632, VfSlg 12.655, ZfVB 2001/1201; aA HG Wien WR 61; 850

§ 146

1.2 Verfahren

VfGH ZfVB 1991/1294, VfSlg 12.631 ua); dass der Vertreter „lediglich eine unerwartete Namensverwechslung überlesen“ hat, kann daran wohl nichts ändern (so aber OLG Wien 1 R 207/95); h) bei der Postaufgabe, so etwa wenn ein Rechtsmittel am letzten Tag der Frist so spät in einen Postkasten geworfen wird, dass mit dessen Aushebung nicht mehr gerechnet werden kann, statt dass es zu einem noch geöffneten Postamt gebracht wird (8 ObA 95/99z = EFSlg 90.896); differenzierend hiezu jedoch Frauenberger, ÖJZ 1992, 117 mit Nachweisen aus der Rsp (vgl auch VfGH VfSlg 12.261); i) bei Übernahme einer Vertretung, aber auch bei Bestellung als Verfahrenshilfeanwalt (LG Salzburg 54 R 491/97p), wenn der Vertreter keine Erkundigungen über Verfahrensstand und erforderliche Maßnahmen einholt; j) infolge Unkenntnis verfahrensrechtlicher Vorschriften (9 ObA 5/89, 2 Ob 7/91); k) wenn ein Rechtsanwalt, dem eine Entscheidung kurz vor Weihnachten zugestellt wurde, seinen Mandanten nur in einem Schreiben um Weisung ersucht, ob ein Rechtsmittel erhoben werden soll, obwohl er damit rechnen muss, dass dieser einen Urlaub in seinem Heimatland verbringt (8 ObA 139/00z = ARD 5201/22/2001); oder l) wenn ein Rechtsanwalt ungelesen eine Protokollabschrift ablegt und sich dadurch des Rechts auf Protokollberichtigung oder Widerspruchserhebung begibt (OLG Linz EFSlg 94.499). Auch im täglichen Gerichtsbetrieb unterliegt der rechtskundige und 16 insb der mit den Verhältnissen bei Gericht vertraute Rechtsanwalt einem erhöhten Sorgfaltsmaßstab, sodass ihn etwa grobes Verschulden trifft, wenn er eine Tagsatzung versäumt, weil er trotz des in den Akten wiederholt vorkommenden Termins dessen Uhrzeit nicht richtig beachtet (OLG Innsbruck EvBl 1992/139; vgl auch VfGH VfSlg 1992/ 766) oder den auf einem Blatt Papier im Format A4 mit großer Schrift angebrachten Hinweis übersieht, dass die Tagsatzung in einen anderen Verhandlungssaal verlegt wurde (LGZ Wien EFSlg 64.047). Nach 3 Ob 175/03m soll dem Parteienvertreter, der die ihm vom Rekursgericht freigestellte Stellungnahme nicht an dieses, sondern an das Erstgericht adressierte, nur leichte Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden können, wenn dazu eine ausdrückliche gesetzliche Anordnung fehlt und im zweitinstanzlichen Beschluss, mit dem die Möglichkeit der Stellungnahme eingeräumt wurde, nicht angeführt ist, ob die Stellungnahme beim Rekurs- oder beim Erstgericht einzubringen ist. Der Parteienvertreter hat in Fristsachen genaue Erkundigungen bei den zuständigen Stellen anzustellen und bei unmittelbarem Bevorstehen des Ablaufs einer Frist alles für die Rechtzeitigkeit seiner Pro851

§ 146

Gitschthaler

zesshandlung zu tun. Erkundigt er sich bei dem einen Postamt über die Öffnungszeiten eines anderen Postamts und erhält er eine falsche Auskunft, auf die er vertraut, soll er grob fahrlässig gehandelt haben (LG Steyr RpflSlgE 2004/74). Diese Entscheidung erscheint hart, lässt sich aber im Ergebnis damit rechtfertigen, dass der Parteienvertreter mit der Einbringung seines Schriftsatzes bis zum allerletzten Zeitpunkt zugewartet hat und daher nunmehr jegliches Risiko trägt.

17 Der Wiedereinsetzungswerber hat bei eigener Prozessfähigkeit sein eigenes Verschulden am Eintritt der Versäumung zu vertreten, bei Fehlen der Prozessfähigkeit jenes seines gesetzlichen Vertreters (Frauenberger, ÖJZ 1992, 115).

18 Gemäß § 39 verantwortet der (freiwillige) Vertreter des Wiedereinsetzungswerbers eigenes Verschulden (Frauenberger, ÖJZ 1992, 115; Fasching Rz 579; Hiesel, AnwBl 1998, 27; HS 9105; OLG Wien EFSlg 44.012; LG Salzburg 22a R 6/89; LGZ Wien EFSlg 64.046; EvBl 1991/ 18), der Wiedereinsetzungswerber hat sich daher dieses Verschulden ebenso anrechnen zu lassen (4 Ob 507/77, 2 Ob 7/91) wie jenes eines Subbevollmächtigten (Substitut [VfGH VfSlg 9817]) einschließlich jener Personen, die nach den Verfahrensvorschriften (etwa § 31 Abs 3 oder § 15 RAO) selbst Vertretungshandlungen vor Gericht vornehmen dürfen, oder eines Postbevollmächtigten (LGZ Wien MietSlg 45.642). Eine schlechte rechtsfreundliche Vertretung (1 Ob 20/82) oder ein unentschuldbares Verhalten des Rechtsfreunds (1 Ob 443/52) können daher für die Partei selbst eine Wiedereinsetzung nicht begründen, die Partei wäre lediglich auf Haftungsansprüche zu verweisen.

19 Die hA (Fasching Rz 580; Hiesel, AnwBl 1998, 27; HG Wien WR 61, 575; LGZ Wien EFSlg 49.322; LG Linz 14 R 496/01m; OLG Linz 2 R 281/99b, EFSlg 101.933; OLG Graz Arb 10.686; OLG Wien 7 Rs 164/ 96; infas 1989/A 60, AnwBl 1991, 110, 1 Ob 373/98d = SZ 72/51 = ÖJZLSK 1999/171, 9 ObA 297/00t, 9 ObA 249/01k, 10 ObS 371/01h, 3 Ob 264/04a; VfGH VfSlg 11.797]) vertritt die Meinung, auch grobes Verschulden der Hilfskräfte des Vertreters (etwa Kanzleiangestellte oder Rechtsanwaltsanwärter [Konzipienten]) bei Versäumung befristeter Prozesshandlungen sei im Wiedereinsetzungsverfahren der Partei zuzurechnen. Richtigerweise muss sich die Partei Fehler Dritter aber nicht zurechnen lassen. Diese sind nämlich prozessual nicht als Erfüllungsgehilfen des Rechtsanwalts iSd § 1313a ABGB anzusehen, weshalb ihre Fehler weder dem Bevollmächtigten noch der Partei zurechenbar sind (VwGH AnwBl 1993, 370 [zust Arnold]; Reinl JBl 1964, 500; Frauen852

§ 146

1.2 Verfahren

berger, ÖJZ 1992, 115; Feil, Wiedereinsetzung 15; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 52; wohl auch Ertl, RZ 1998, 3; idS offensichtlich nunmehr auch OLG Wien ARD 5201/24/2001 [das Verhalten der Kanzleiangestellten stellte für den Rechtsanwalt ein unvorhersehbares Ereignis dar], 7 Ra 15/04h [es kommt nur auf das Verschulden der Partei selbst an, nicht jedoch auf das Ausmaß des Verschuldens ihrer Angestellten]). Obwohl je nach Lage des Falls auch eine Rechtsschutzversicherung die Verpflichtung treffen kann, für eine Bevollmächtigung eines Rechtsanwalts und für dessen fristgerechtes Einschreiten Sorge zu tragen, ist sie lediglich ein „Dritter“, dessen Verschulden sich die säumige Partei nicht zurechnen lassen muss (OLG Wien ARD 4554/23/94). Ein Eigenverschulden des Bevollmächtigten oder der Partei kann dabei 20 (Rz 19) im Einzelfall allerdings darin liegen, dass sie Hilfskräfte mangelhaft ausgewählt, ausgebildet oder überwacht oder ihnen Aufgaben übertragen haben, die sie wegen ihrer Schwierigkeit und Bedeutung selbst hätten erledigen müssen (Frauenberger, ÖJZ 1992, 116; Feil, Wiedereinsetzung 19; HG Wien 1 R 126/97v). Liegt ein derartiges Verschulden vor, so muss es zwar nicht von vorneherein als grobes angesehen werden, weil dies insb davon abhängt, wie lange schon und wie zuverlässig der konkrete Mitarbeiter bisher gearbeitet hat (vgl etwa VwGH AnwBl 1993, 536, AnwBl 1993, 774 [abl Arnold]; 4 Ob 507/77, AnwBl 1991, 110, 3 Ob 175/03m), doch ist im Einzelfall zusätzlich zu prüfen, ob den Bevollmächtigten nicht ein Verschulden bei der (etwa Frist-)Überwachung trifft (LGZ Wien EFSlg 98.192). Bei Geltendmachung einer Fehlleistung von Kanzleiangestellten muss 21 der Rechtsanwalt glaubhaft machen, dass er die ihm obliegenden Aufsichts- und Kontrollpflichten eingehalten hat (LGZ Wien EFSlg 79.187, MietSlg 48.500; vgl auch VwGH AnwBl 1993, 536). Insb die Verletzung von Überwachungs- und Kontrollpflichten begründet nämlich ein Verschulden des Bevollmächtigten (VwGH AnwBl 1993, 188, AnwBl 1993, 371, ZVR 1993/31; LG Salzburg RPflSlgE 1993/130; LG Linz 14 R 496/01m; 4 Ob 507/77, SSV-NF 9/6, ARD 4904/27/97; LGZ Wien MietSlg 46.626, EFSlg 90.897); stichprobenartige Kontrollen reichen nur in Ausnahmefällen (OLG Wien 7 Rs 164/96, ARD 4820/38/ 97), etwa wenn es sich um gut eingeschulte und verlässliche Kanzleikräfte handelt (LGZ Wien EFSlg 98.194–98.196). Behält sich der Rechtsanwalt die Endkontrolle (etwa von Termineintragungen) vor, können sich seine Mitarbeiter darauf verlassen (vgl RdW 1998, 140); übersieht der Rechtsanwalt dabei einen unrichtigen Fristenvormerk, liegt grobes Verschulden vor (LGZ Wien EFSlg 90.897, 98.197), was 853

§ 146

Gitschthaler

erst recht gilt, wenn er (etwa nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub [LGZ Wien EFSlg 90.898]) überhaupt keine Kontrolle vornimmt. Auch eine große Aktiengesellschaft ist verpflichtet, ihre Angestellten entsprechend zu überwachen und zu kontrollieren; steht die Verlässlichkeit der Mitarbeiter, die mit der Ausführung einer Handlung betreffend ein Gerichtsverfahren befasst sind, nicht fest, so stellt es eine grobe Fahrlässigkeit der Partei dar, wenn sie die Mitarbeiter nicht kontrolliert und diese den beauftragten Rechtsanwalt daher nicht von einem bevorstehenden Verhandlungstermin informieren (OLG Wien 7 Ra 15/ 04h).

22 Die laufenden Überwachungs- und Kontrollpflichten dürfen allerdings nicht überdehnt werden und sind unter dem Gesichtspunkt des in einer Rechtsanwaltskanzlei bestehenden Arbeitsdrucks zu werten (LGZ Wien MietSlg 51.655; vgl auch OLG Wien ARD 5191/25/2001 [bei überdurchschnittlichem Arbeitsanfall und erhöhtem Arbeitsdruck unmittelbar vor Feiertagen ist das Hineinrutschen eines Schriftstücks in einen anderen Akt auch im Rahmen einer sorgfältigen Büroorganisation nie vollkommen ausschließbar]; VfGH ZfVB 2003/276 [Kuvert mit Eingabe rutschte auf den Boden, das Fehlen des Kuverts ist aufgrund der Vielzahl der Poststücke nicht aufgefallen]). Irrtümer und Fehler von Kanzleiangestellten stehen daher einer Wiedereinsetzung nicht im Weg, wenn sie trotz Einhaltung der berufsgebotenen Sorgfalt bei der Kontrolle der Termin- und Fristenevidenz und trotz bisheriger objektiver Eignung und Bewährung der Kanzleiangestellten unterlaufen und durch die konkreten Umstände des Einzelfalls als bedingt entschuldbare Fehlleistungen anzusehen sind (LGZ EFSlg 98.193; vgl auch 10 ObS 82/99s), insb wenn es sich um ein einmaliges Versehen einer seit langen Jahren tätigen Kanzleileiterin handelte (10 ObS 117/02g = RdW 2003/42).

23 Ist der Fehler auf eine mangelhafte Organisation (infas 1993/A 25, RZ 1993/97, 3 Ob 175/03m) zurückzuführen, so stellt dies im Zweifel grobes Verschulden der Partei oder ihres Vertreters dar, weil sie auf derartige Fehlerquellen im vorhinein Bedacht zu nehmen gehabt hätten, insb wenn bereits ähnliche Fehler passiert sind (AnwBl 1993, 774 [der gleiche Fehler bereits vor mehreren Jahren], SSV-NF 9/6 [der Mitarbeiter hat Termine bereits mehrfach unrichtig eingetragen]). Jedenfalls eine diesbezügliche Unterschreitung des Standards einer gut organisierten Rechtsanwaltskanzlei schließt die Entschuldbarkeit von Fristversäumungen aus (BGH NJW 1991, 1178; ecolex 1992, 453; HG Wien WR 575; OLG Wien 3 R 225/96x). Zu einer den gebotenen Sorgfaltsmaßnahmen entsprechenden Kanzleiorganisation gehört es etwa, Kontrollmechanismen – etwa ein Postausgangsbuch – anzulegen, die Gewähr 854

§§ 148–149

1.2 Verfahren

leisten, dass bei einer – oft nur schwer zu überblickenden – größeren Zahl von Postausgangsstücken am Postamt tatsächlich all jene Poststücke übergeben werden, die in der Kanzlei hiefür vorbereitet wurden (VfGH ZfVB 2002/1658), desgl nicht nur die Errichtung einer Fristenevidenz, sondern auch deren Kontrolle (9 ObA 9/00i = ARD 5186/54/ 2001). § 147. (1) Der Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung ist ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen, solange die Partei die versäumte Prozeßhandlung im Sinne des § 145 Absatz 2 unmittelbar nachholen kann. (2) Wird von derselben Partei die Wiedereinsetzung gegen ein infolge Versäumung ergangenes Urteil und die Wiedereinsetzung gegen den Ablauf der Frist zur Berufung wider dieses Urteil beantragt, so ist das Verfahren über letzteren Wiedereinsetzungsantrag bis nach rechtskräftiger Entscheidung über das erstere Wiedereinsetzungsbegehren aufzuschieben. (3) Dem Antrage auf Bewilligung der Wiedereinsetzung ist nicht stattzugeben, wenn die Partei wegen der zur Rechtfertigung des Wiedereinsetzungsantrages angeführten Behinderungen um Verlängerung der Frist oder Verlegung der Tagsatzung hätte einschreiten können, oder wenn diese Behinderungen bereits wieder zu einer Zeit weggefallen sind, da die Partei gemäß § 145 Absatz 2 die Prozeßhandlung selbst noch hätte nachholen können. [Stammfassung] Nach Abs 2 ist bis zur rechtskräftigen Entscheidung das Wiedereinset- 1 zungsverfahren hinsichtlich der Berufungsfrist aufzuschieben, worunter eine formelle Unterbrechung aber nicht verstanden werden kann (Fasching1 II 738). Aufschiebung bedeutet vielmehr eine – sanktionslose – Anweisung an den Richter, in welcher Reihenfolge er über die beiden Anträge zu entscheiden hat (Fink 47; Deixler-Hübner in Fasching/ Konecny II/2 § 147 Rz 5). Die Aufhebung des Versäumungsurteils infolge Bewilligung der Wiedereinsetzung führt zur Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags in die Berufungsfrist mangels Rechtsschutzinteresses (LGZ Wien MietSlg 21.796, 22.603; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 147 Rz 5). § 148. (1) Der Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung ist bei dem Gerichte anzubringen, bei welchem die versäumte Prozeßhandlung vorzunehmen war. 855

§§ 148–149

Gitschthaler

(2) Der Antrag muss, sofern das Gesetz nichts anderes bestimmt, innerhalb vierzehn Tagen gestellt werden. Diese Frist beginnt mit dem Tage, an welchem das Hindernis, welches die Versäumung verursachte, weggefallen ist; sie kann nicht verlängert werden. (3) Offenbar verspätet eingebrachte Anträge sind ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen. [Stammfassung] § 149. (1) Die Partei, welche die Wiedereinsetzung beantragt, hat in dem bezüglichen Schriftsatze oder in dem den Schriftsatz ersetzenden Anbringen zu Protokoll alle den Wiedereinsetzungsantrag begründenden Umstände anzuführen und die Mittel zu ihrer Glaubhaftmachung anzugeben. Zugleich mit dem Antrage ist auch die versäumte Prozeßhandlung selbst, oder bei Versäumung einer Tagsatzung dasjenige nachzuholen, was zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung seitens der säumigen Partei vorzubringen war. (2) Über den Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entscheidet das Gericht durch Beschluß, und zwar nach mündlicher Verhandlung, wenn es eine solche für erforderlich hält. [Abs 2 neu gefasst durch VO DRGBl 1943 I, 7; sonst Stammfassung] Inhaltsübersicht Antrag Bescheinigung Prozesshandlung

1–2 3 4

Frist Gericht Delegierung

5–9 10–12 13

1 Grundvoraussetzung für die Einleitung eines Wiedereinsetzungsverfahrens ist das Vorliegen eines Antrags der säumigen Partei (Fasching Rz 582) oder ihres spätestens gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag eintretenden (streitgenössischen oder einfachen) Nebenintervenienten (Deixler-Hübner 46; dies in Fasching/Konecny § 146 Rz 1, 2; aA Fasching1 II 213) oder jeder Person, die durch eine Entscheidung des Gerichts unmittelbar in ihren Rechten betroffen wird, also etwa auch eines Zeugen oder eines Sachverständigen (Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 146 Rz 3). Eine amtswegige Wiedereinsetzung ist hingegen unzulässig, stellt einen schweren Verstoß gegen einen elementaren Verfahrensgrundsatz dar und kann daher auch im Rechtsmittelweg – trotz § 153 – korrigiert werden (Deixler-Hübner in Fasching/ Konecny II/2 § 148 Rz 6; LGZ Wien AnwBl 1993, 45 [Wallner]; vgl auch SZ 68/227, EvBl 1997/131, SZ 70/169, 9 ObA 333/97d und bei § 153). 856

§§ 148–149

1.2 Verfahren

Im Antrag sind sämtliche Wiedereinsetzungsgründe und Bescheini- 2 gungsmittel anzugeben, widrigenfalls diese präkludiert wären (Eventualmaxime [OLG Wien EvBl 1946/215; LGZ Wien EFSlg 98.200; VfGH VfSlg 11.188; VwGH AnwBl 1993, 189; Holzhammer 158; ders, PraktZPR 240; Ballon Rz 302; Hiesel, AnwBl 1998, 27; Rechberger/ Simotta Rz 501; aA Fasching1 II 741; ders Rz 583; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 149 Rz 2). Dies bedeutet aber nicht, dass der Wiedereinsetzungswerber auch Umstände ausdrücklich behaupten müsste, die für die Fristversäumung im konkreten Fall gar nicht ursächlich waren (LGZ Wien EFSlg 98.200). Darüber hinaus hat der Wiedereinsetzungsantrag auch konkret zu bezeichnen, in welche Frist wiedereingesetzt werden sollte, wenn mehrere Prozesshandlungen in Betracht kommen können (OLG Linz 2 R 274/98x [„Wiedereinsetzung in den Stand vor Rechtskraft des Versäumungsurteils“; in Betracht kämen hier nämlich Widerspruch und/oder Berufung]). Ist der Beginn der Wiedereinsetzungsfrist nicht aktenkundig, muss auch dieser vom Antragsteller bescheinigt werden (SZ 66/51, EvBl 2000/16; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 149 Rz 3). Trotz Eventualmaxime soll der Wiedereinsetzungsantrag einem Verbesserungsverfahren nach den §§ 84, 85 zugänglich sein (Fasching Rz 583; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 149 Rz 3, 5; LGZ Wien EFSlg 72.945, MietSlg 46.625), wenn notwendige Bescheinigungsmittel nicht vorgelegt werden (LG Wien ZBl 1930/329; OLG Wien EvBl 1934/435; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 95, 107; zutr aA LGZ Wien MietSlg 55.653 [Abweisung des Wiedereinsetzungsantrags mangels parater Bescheinigungsmittel]). Inhaltsmängel sind jedenfalls nicht verbesserbar (VfGH VfSlg 15.119/1998, ZfVB 2002/ 1664), desgl auch nicht die Unterlassung der Angabe von Bescheinigungsmitteln (Hiesel, AnwBl 1998, 27) oder der Ausführung der versäumten Prozesshandlung (vgl Rz 5). Zur Glaubhaftmachung der behaupteten Gründe s allgemein bei § 274. 3 Eine solche ist grundsätzlich dann vorzunehmen, wenn bestimmte Tatsachen nicht offenkundig sind (vgl OLG Wien 7 Rs 54/96). Die erstgerichtliche Praxis begnügt sich dabei häufig (zust Fink 127; Holzhammer 238; ohne eigene Stellungnahme Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 149 Rz 3; vgl auch die Rsp zum Provisorialverfahren [etwa 6 Ob 241/68 = SZ 41/111, 4 Ob 315/72 = ÖBl 1972, 92, 4 Ob 408/79 = ÖBl 1981, 121, 6 Ob 506/88 = SZ 61/39, 4 Ob 40/04t; LGZ Wien EFSlg 44.345]) mit der Vorlage „Eidesstättiger Erklärungen“, also von urkundlichen Angaben von Zeugen und Sachverständigen. Sie sollen als Privaturkunden taugliche Bescheinigungsmittel sein und daher Verwendung finden dürfen. 857

§§ 148–149

Gitschthaler

Im Hinblick auf den möglichen Missbrauch ohnehin bedenklich und der ZPO an sich auch fremd (Rsp 1936/331, 8 Ob 300/66, 1 Ob 512/ 78 = JBl 1978, 424; LGZ Wien 43 R 680/04z; Klein, Vorlesungen 169) genügen sie aber dem Unmittelbarkeitsgrundsatz nicht und sind daher abzulehnen (Fasching Rz 809). Sie sind kein Aussagensurrogat (13 Os 21/01, 13 Os 50/01; idS auch 4 Ob 311/83, 1 Ob 28/86 = JBl 1986, 583 = SZ 59/93). Daher wurde völlig zu Recht ausgeführt (OLG Wien 12 R 4/ 02z), in einem Wiedereinsetzungsverfahren seien „Eidesstättige Erklärungen“ jedenfalls dann keine geeigneten Bescheinigungsmittel, wenn die zu bescheinigende Tatsache durch unmittelbare Beweisaufnahme, also etwa durch eine Auskunftsperson, bescheinigt werden könnte; das Gericht sei auch nicht verpflichtet, den Wiedereinsetzungswerber zur anderweitigen Bescheinigung seines Anspruchs aufzufordern, wenn auch die Bescheinigung durch unmittelbare Beweisaufnahme möglich wäre, er sich aber nur auf eine „Eidesstättige Erklärung“, also ein im konkreten Fall unzulängliches Bescheinigungsmittel, berufen habe. Im Übrigen wurde auch im Provisorialverfahren bereits mehrfach ausgeführt, eine „Eidesstättige Erklärung“ sei kein geeignetes Bescheinigungsmittel (SZ 50/25 = JBl 1977, 646, 1 Ob 512/78 = JBl 1978, 424, 5 Ob 628/80, 4 Ob 158/99k; OLG Linz 1 R 201/00k, 2 R 213/03m), und der Unmittelbarkeitsgrundsatz besonders betont (SZ 66/164 = EvBl 1994/53 [verst Senat], SZ 70/272, 7 Ob 313/98z).

4 Die unbeeidete Vernehmung des Wiedereinsetzungswerbers ist jedoch zulässig; Auskunftspersonen hat er nicht selbst stellig zu machen, sie sind vom Gericht zu laden (OLG Wien EvBl 1946/393 [Wahle]; LGZ Wien EvBl 1948/249; 9 ObA 143/00w = ARD 5271/26/2001). Eine Beweisaufnahme, die sich nicht sofort durchführen lässt, eignet sich zwar nicht zur Glaubhaftmachung (OLG Wien EFSlg 66.989), weshalb auch die Vernehmung von Auskunftspersonen durch den ersuchten Richter nicht möglich (LGZ Wien MietSlg 50.715) und das Gericht zur neuerlichen Ladung ausgebliebener Auskunftspersonen nicht verpflichtet ist (LGZ Wien Arb 8437, MietSlg 44.754; OLG Wien EFSlg 66.989; 9 ObA 143/00w = ARD 5271/26/2001 [jedenfalls dann nicht, wenn eine 5-tägige Frist von der Ausschreibung der Tagsatzung bis zum Termin für die Auskunftsperson eingehalten wurde]; vgl auch Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 149 Rz 4). Allerdings ist die Vorladung von Zeugen – wie die Beischaffung von Akten und Urkunden – grundsätzlich zulässig, wenn dadurch keine dem Sinn und Zweck des Bescheinigungsverfahrens widersprechende Verzögerung eintritt (9 ObA 143/00w = ARD 5271/26/2001). Möglich ist eine Bescheinigung auch durch Vorlage von Urkunden, uzw selbst nur in Fotokopie (ÖBA 1988, 609). Ärztliche Bestäti858

§§ 148–149

1.2 Verfahren

gungen reichen dabei aber nur dann aus, wenn sich aus ihnen auch ergibt, dass der Wiedereinsetzungswerber die Prozesshandlung tatsächlich nicht vornehmen konnte (VfGH SWK 1989/R/150). Die Bestätigung einer Krankheit allein ist hingegen ungenügend. Zugleich mit dem Wiedereinsetzungsantrag muss auch die versäumte 5 Prozesshandlung nachgeholt werden (VfGH ZfVB 1995/1175; Hiesel, AnwBl 1998, 27; aA ZBl 1929/173 [die Prozesshandlung kann bis zum Ablauf der 14-tägigen Frist nachgeholt werden]; unklar Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 149 Rz 7]). Dabei ist allerdings auch hier allenfalls ein Verbesserungsverfahren durchzuführen (JBl 1987, 795, 3 Ob 65/88; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 149 Rz 6; aA ZBl 1929/173 [Petschek]; VfGH VfSlg 9337; Rechberger/Simotta Rz 501 [betonen die Eventualmaxime]). Nicht nachgeholt werden muss die Prozesshandlung dann, wenn sie (etwa ein – ursprünglich verspätetes – Rechtsmittel) bereits vor dem Wiedereinsetzungsantrag vorgenommen worden ist (EvBl 1951/388, EvBl 1964/367, 1 Ob 131/73, 3 Ob 65/88; VfGH SWK 1987/R/112). Dies gilt in bezirksgerichtlichen Verfahren auch für Einsprüche gegen Zahlungsbefehle, weil ja aus dem Wiedereinsetzungsantrag die Absicht zur Einspruchserhebung hervorgeht (vgl § 448). Soweit allerdings Deixler-Hübner (in Fasching/Konecny II/2 § 149 Rz 7) die Auffassung vertritt, auch in Gerichtshofverfahren müsste ein Einspruch nicht nachgeholt werden, was auch für die Klagebeantwortung gelte, weil „leere“ Klagebeantwortungen ausreichten, ist dem entgegen zu halten, dass das Gesetz ausdrücklich für Einsprüche (§ 248 Abs 1) und Klagebeantwortungen (§ 239 Abs 1) Inhaltserfordernisse aufstellt, die der Wiedereinsetzungswerber wohl jedenfalls dann einzuhalten hat, wenn er die ursprüngliche Frist schon versäumt hat. Der Antrag ist innerhalb von 14 Tagen ab jenem Tag zu stellen, an 6 welchem das Hindernis weggefallen ist; dieser Tag ist vom Wiedereinsetzungswerber zu bescheinigen (SSV-NF 4/43, SSV-NF 7/40, SZ 66/ 51). Die Einhaltung dieser Frist ist – auch noch im Rechtsmittelverfahren – von Amts wegen wahrzunehmen (4 Ob 160/52; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 148 Rz 14). Eine Verlängerung der Frist kommt nicht in Betracht (Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 148 Rz 7). Ist diese Frist abgelaufen, kann es im Anwendungsbereich des Art 19 EuZustVO (vgl § 146 Rz 4, § 121; Stumvoll in Fasching/Konecny II/2 Anh § 87 [§ 22 ZustG] Rz 10) möglicherweise trotzdem noch zu einer Wiedereinsetzung bei unverschuldeter Unkenntnis der Zustellung eines verfahrenseinleitenden Schriftsatzes aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union (außer Dänemark und Deutschland), die zu 859

§§ 148–149

Gitschthaler

einer Säumnisentscheidung geführt hat, kommen, wenn die angemessene Frist des Art 19 Abs 4 EuZustVO noch nicht abgelaufen ist (Brenn, Europäische Zustellungsverordnung Anm 6c zu Art 19; Klauser, Europäisches Zivilprozessrecht Anm 15 zu Art 19 EuZVO). Dabei scheint aber fraglich, wie lange diese nach Ansicht des EuGH zu sein hat. Stellt der unvertretene Wiedereinsetzungswerber während der Frist einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe und Beigebung eines Verfahrenshilfeanwalts, so wird die Frist grundsätzlich nur dann unterbrochen, wenn ursprünglich eine Einspruchs-, eine Widerspruchs-, eine Klagebeantwortungs-, eine Rechtsmittel- (Fasching Rz 583; Fink 113; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 148 Rz 8) oder (infolge Neufassung des § 73 Abs 2 durch die ZVN 2002) eine Einwendungsfrist im Mandatsverfahren versäumt wurde, desgl wenn ursprünglich die Bewilligung der Verfahrenshilfe einschließlich Beigebung eines Rechtsanwalts beantragt wurde (OLG Wien AnwBl 2001, 347).

7 Hat das Hindernis in einem Irrtum bestanden (etwa über eine Rechtsmittelfrist oder über den Umstand, dass eine Prozesshandlung tatsächlich verspätet vorgenommen worden ist), so beginnt der Lauf der Wiedereinsetzungsfrist jedenfalls mit der tatsächlichen Aufklärung des Irrtums (7 Ob 248/56, EvBl 1971/182, SSV-NF 4/43, AnwBl 1991, 110; LGZ Wien EFSlg 98.199; LG Salzburg 55 R 116/00f; Fasching Rz 583; Frauenberger, ÖJZ 1992, 119). Dies wäre etwa die Zustellung des die Prozesshandlung als verspätet zurückweisenden Beschlusses (SSV-NF 4/43, AnwBl 1991, 110), das Erkennen, dass ein falscher Fristenvormerk gesetzt wurde (VfGH ZfVB 1990/1522), oder das Erkennen der Verspätung selbst (VfGH VfSlg 11.902, 11.706; SSV-NF 4/43, SSV-NF 7/72; OLG Wien 16 R 299/04i), zusammengefasst also das Erlangen zureichender Kenntnis vom Sachverhalt (OLG Wien EvBl 1934/435). Dabei beginnt die Frist auch dann zu laufen, wenn sich zwar nicht beim Parteienvertreter, wohl aber bei einem Mitarbeiter (OLG Wien 7 Ra 203/ 04f) oder beim Wiedereinsetzungswerber selbst der Irrtum aufklärt (VfGH VfSlg 11.902, 11.706, 11.959).

8 Die Frist beginnt nicht nur mit dem tatsächlichen Wegfall des Hindernisses zu laufen, also etwa mit Wegfall des Irrtums, sondern etwa bereits dann, wenn dem Rechtsmittelwerber bei Bearbeitung des (verspäteten) Rechtsmittels die Verspätung hätte auffallen müssen (VfGH VfSlg 12.365, 12.543; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 148 Rz 11). Sie beginnt also bereits mit einer allenfalls schon bestehenden, vom Wiedereinsetzungswerber jedoch tatsächlich nicht ausgeschöpften Möglichkeit des Wegfalls (9 Ob 179/98h, 1 Ob 77/05p; OLG Linz EFSlg 94.500; LG Salzburg 55 R 116/00f). Dies wäre etwa der Umstand, 860

§§ 148–149

1.2 Verfahren

dass er Informationen hätte einholen können (LG Salzburg 22 R 349/93 [über den Titel anlässlich eines Exekutionsverfahrens]) oder eine nachträgliche Kontrolle möglich gewesen wäre (AnwBl 1991, 110). Eine Wiedereinsetzung ist demnach ausgeschlossen, wenn die Partei nicht nur ein leichtes Verschulden daran trifft, dass für sie das Hindernis nicht bereits früher weggefallen ist (VfGH ZfVB 1991/1290; SSV-NF 4/43; AnwBl 1991, 110, 9 Ob 179/98h, 1 Ob 77/05p, 3 Ob 34/05d; Frauenberger, ÖJZ 1992, 118). Bei Beurteilung dieser Frage kommt es nur auf solche Umstände an, die nach der Versäumung gelegen sind, während die davor liegenden erst bei der Frage der sachlichen Begründetheit des Wiedereinsetzungsantrags zu prüfen sind (Frauenberger, ÖJZ 1992, 119 FN 63). Darüber hinaus darf bei Beurteilung dieser Frage nicht ein strengerer Maßstab angelegt werden als bei Versäumung der Frist selbst (AnwBl 1991, 110, 9 Ob A 1028/92, SZ 66/51 = SSV-NF 7/40, 2 Ob 366/97f, 9 Ob 179/98h, 3 Ob 34/05d; OLG Linz EFSlg 94.500; LG Salzburg 55 R 116/00f). Wurde eine Tagsatzung versäumt, so darf nicht auf die Zustellung des 9 Versäumungsurteils gewartet werden; die Frist beginnt vielmehr mit der Kenntnis von der Versäumung zu laufen (LGZ Wien Ind 1980/6, 22). Einen Rechtsanwalt trifft zwar bei Unterfertigung eines von seinem Rechtsanwaltsanwärter ausgearbeiteten (verspäteten) Rechtsmittels idR noch nicht die Verpflichtung, einen Wiedereinsetzungsantrag zu stellen (diese Frage ausdrücklich offen lassend 6 Ob 1525/92, 10 Ob 1505/94), außer ihm wäre die Verspätung aufgefallen. War die erstmalige Fristberechnung jedoch Kanzleiangestellten überlassen worden und wird das Rechtsmittel am letzten Tag vom Rechtsanwalt unterfertigt, hat dieser zu prüfen, ob die Rechtsmittelfrist tatsächlich noch offen ist; andernfalls beginnt die Wiedereinsetzungsfrist zu laufen (1 Ob 77/05p). Dies gilt auch, wenn der Gegner in der Rechtsmittelbeantwortung auf die Verspätung des Rechtsmittels hinweist; reagieren der Wiedereinsetzungswerber und sein Vertreter erst nach Zustellung des Zurückweisungsbeschlusses mit einem Wiedereinsetzungsantrag, so ist dieser jedenfalls dann verspätet, wenn einer von beiden die Rechtsmittelbeantwortung tatsächlich gelesen hat, weil ab diesem Zeitpunkt der Irrtum aufgeklärt ist. Wurde die Beantwortung nicht gelesen, so kann dies einen berufsmäßigen Parteienvertreter im Hinblick auf seine umfassenden Diligenzpflichten nicht entlasten (vgl LGZ Wien EFSlg 79.186; aA möglicherweise SSV-NF 4/43 [Wiedereinsetzungsantrag binnen 14 Tagen nach Zurückweisungsbeschluss, sofern der Irrtum nicht bereits vorher aufgeklärt „wurde“]). Der Wiedereinsetzungsantrag ist immer bei dem Gericht einzubrin- 10 gen, bei dem die Prozesshandlung versäumt wurde, also etwa beim 861

§§ 148–149

Gitschthaler

Berufungsgericht im Falle der Versäumung einer Berufungsverhandlung (RZ 1934, 160) oder beim OGH im Falle der Versäumung einer freigestellten Revisionsbeantwortung (1 Ob 373/98d = ÖJZ-LSK 1999/ 172 = SZ 72/51). Auch bei Wiederaufnahms- oder Nichtigkeitsklagen muss es sich nicht zwingend um das Erstgericht handeln. Wurde allerdings eine Rechtsmittelfrist versäumt, so ist das Erstgericht für die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag zuständig (NZ 1964, 175, EvBl 1966/140, 5 Ob 561/80, 10 Ob 1523/95, 1 Ob 1538/96; DeixlerHübner in Fasching/Konecny II/2 § 148 Rz 1; aA Fink 143). Wird der Wiedereinsetzungsantrag beim funktionell unzuständigen Gericht eingebracht, so hat dieses ihn zurückzuweisen. Sendet es den Antrag an das zuständige Gericht weiter, so gilt er nur dann als rechtzeitig eingebracht, wenn er dort noch während der ursprünglichen Wiedereinsetzungsfrist einlangt (JUS 1988/46, 20; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 148 Rz 4). Der Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in die Frist zur Erhebung einer Klage gegen einen Bescheid eines Sozialversicherungsträgers kann auch bei letzterem eingebracht werden, zu entscheiden hat aber das Gericht (SZ 66/51; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 148 Rz 5).

11 Über einen Wiedereinsetzungsantrag ist eine Verhandlung anzuberaumen, wenn Bescheinigungsmittel (etwa Parteieinvernehmung oder Zeugen) aufzunehmen sind (LGZ Wien MietSlg 44.748; LGZ Graz MietSlg 47.623; OLG Wien 15 R 80/98i). Zu dieser ist – bei sonstiger Nichtigkeit – auch der Gegner zu laden, jedenfalls ist er aber zu hören, bedeutet doch die Bewilligung der Wiedereinsetzung uU einen Eingriff in bereits eingetretene Rechtskraft (LGZ Graz MietSlg 47.623; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 149 Rz 11; aA Holzhammer, PraktZPR 221 und Rechberger/Simotta Rz 503, die dies aber immerhin als für dem Grundsatz des beiderseitigen rechtlichen Gehörs widersprechend halten; vgl idZ zum Rechtsmittelverfahren § 153 Rz 5). Wird die über den Wiedereinsetzungsantrag anberaumte Verhandlung von den Parteien nicht besucht, so tritt kein Ruhen des Verfahrens ein (OLG Wien EvBl 1953/319; Fasching Rz 584; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 149 Rz 12). Es ist zwar auch eine Säumnisentscheidung nicht möglich, über den Antrag des Wiedereinsetzungswerbers kann aber sofort entschieden werden (OLG Wien WR 114), uzw nicht nur antragsabweisend, auch wenn dies der Regelfall sein wird (LGZ Wien EvBl 1934/436). Grundsätzlich ist aber auch eine Vertagung der Verhandlung über den Wiedereinsetzungsantrag möglich (OLG Wien EvBl 1937/783; aA Deixler-Hübner in Fasching/ Konecny II/2 § 149 Rz 10), etwa zur Ladung von ausgebliebenen Aus862

§ 150

1.2 Verfahren

kunftspersonen, wozu das Gericht aber nicht verpflichtet sein soll (vgl Rz 4). Das Gericht entscheidet über einen Wiedereinsetzungsantrag im Se- 12 natsprozess gemäß § 37 Z 5 GOG durch seinen Vorsitzenden, wenn die Erste Tagsatzung versäumt wurde, sonst im Senat (9 ObA 126/88, SSVNF 3/21; aA Fasching Rz 584, der offensichtlich immer eine Entscheidungskompetenz des Vorsitzenden annimmt), ansonst durch den Richter (durch den Rechtspfleger, wenn sich der Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung der Einspruchsfrist gegen einen Zahlungsbefehl richtet und das erstinstanzliche Entscheidungsorgan nicht eine mündliche Verhandlung für erforderlich erachtet [JBl 1985, 300]), mittels eines Beschlusses, der auch dem Gegner zuzustellen ist, wenn bereits Streitanhängigkeit vorliegt. Vor der Entscheidung über einen Wiedereinsetzungsantrag gegen die 13 Versäumung der Einspruchsfrist gegen einen Zahlungsbefehl ist eine Delegierung nicht möglich (ÖJZ-LSK 1998/186). § 150. (1) Durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung tritt der Rechtsstreit in die Lage zurück, in welcher er sich vor dem Eintritte der Versäumung befunden hat. Ein infolge der Versäumung bereits erlassenes Urteil ist bei Bewilligung der Wiedereinsetzung aufzuheben. (2) Wurde eine Tagsatzung versäumt, so kann schon bei der zur Verhandlung über den Wiedereinsetzungsantrag anberaumten Tagsatzung das Verfahren über den Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung mit der Verhandlung, zu deren Vornahme die versäumte Tagsatzung bestimmt war, verbunden oder doch im Falle der Bewilligung des Wiedereinsetzungsantrages sogleich diese Verhandlung vorgenommen werden. [Stammfassung] Bei Bewilligung der Wiedereinsetzung fallen – auch zu Gunsten einer 1 einheitlichen Streitpartei (§ 14) und der Nebenintervenienten (DeixlerHübner in Fasching/Konecny II/2 § 150 Rz 3; SZ 24/131) – grundsätzlich ex lege (SSV-NF 9/1, ÖJZ-LSK 1999/49, 6 Ob 19/03t, 3 Ob 41/04g; aA Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 150 Rz 1 [die für eine Aufhebung ex lege lediglich hinsichtlich des Verfahrens, jedoch nicht auch hinsichtlich der Säumnisentscheidungen eintritt]; 4 Ob 645/71, RZ 1977/81, 4 Ob 32/84, 8 Ob 640/86 [sind aufzuheben]) aufgrund der Versäumung ergangene Beschlüsse weg. Dies gilt etwa für Beschlüsse, 863

§ 150

Gitschthaler

mit denen eine Klage (vgl Fasching1 II 746) oder ein verspätetes Rechtsmittel (4 Ob 645/71, RZ 1977/81, 3 Ob 65/88, SSV-NF 9/1, ÖJZ-LSK 1999/49) zurückgewiesen wurden, ebenso aber auch für – allfällige – prozessbeendende Beschlüsse (4 Ob 645/71, 8 Ob 56/87, 9 ObA 1005/ 89, 9 ObA 333/97d, 5 Ob 138/01g = wobl 2002/107 [Sachbeschluss nach dem MRG]) oder Beschlüsse anderer Gerichte, etwa eines Rechtsmittelgerichts (LGZ Wien EFSlg 46.646). Unterlässt daher das Bewilligungsgericht derartige Aufhebungserklärungen, so ist seine Entscheidung nicht unvollständig, weil ein Aufhebungsbeschluss lediglich deklarative Bedeutung hätte (3 Ob 65/88, SSV-NF 9/1, 6 Ob 274/98g = EvBl 1999/ 68, 5 Ob 138/01g = wobl 2002/107, 3 Ob 273/99i = RdW 2001/38, 3 Ob 41/04g; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 150 Rz 4). Es bedarf also keiner Ergänzung der Entscheidung, über das ursprünglich als verspätet zurückgewiesene Rechtsmittel ist trotzdem zu entscheiden (JUS 1988/46, 20). Fällt allerdings eine prozessbeendigende Entscheidung (etwa ein Sachbeschluss nach dem MRG) weg, kann darüber nicht mehr im Rechtsmittelverfahren entschieden werden (5 Ob 138/01g = wobl 2002/107). Im Hinblick auf Abs 1 gelten diese Überlegungen allerdings nicht für Versäumungsurteile; diese sind vielmehr ebenso ausdrücklich aufzuheben (6 Ob 274/98g, 5 Ob 138/01g = wobl 2002/107) wie Vollstreckbarkeitsbestätigungen (dies aus Gründen der Rechtssicherheit) und Entscheidungen, die nicht unmittelbar auf die Säumnis zurückzuführen waren (8 Ob 56/87, 9 ObA 1005/89, 9 ObA 333/97d). Wird ein derartiger Ausspruch unterlassen, kann die Ergänzung des Beschlusses beantragt oder aber auch diese auch von Amts wegen nachgetragen werden, widrigenfalls Nichtigkeit des weiteren Verfahrens vorliegen soll (Fink 174; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 150 Rz 5; aA Fasching Rz 594; EvBl 1981/172, SZ 59/16 [bloßer Formverstoß]). Das Rekursgericht darf hingegen mangels funktioneller Zuständigkeit nicht infolge Rekurses gegen die Entscheidung über einen Wiederseinsetzungsantrag die Nichtigkeit des Hauptverfahrens aussprechen und die Klage zurückweisen (4 Ob 228/02m = EvBl 2003/11).

2 Wurde ein Rechtsmittel nach dessen Beantwortung durch den Gegner als verspätet zurückgewiesen und sodann dem Rechtsmittelwerber die Wiedereinsetzung bewilligt, bedarf es keiner „Wiederholung“ der Rechtsmittelbeantwortung. Infolge Wegfalls der ursprünglichen Kostenentscheidung betreffend diese Beantwortung ist allerdings in Erledigung des – nunmehr fristgerechten – Rechtsmittels über deren Kosten (neuerlich) zu entscheiden (OLG Linz 2 R 236/98h, 2 R 89/99t, 2 R 12/ 04d). Hat der Wiedereinsetzungswerber die Frist zur Anmeldung einer Berufung (§ 461 Abs 2) versäumt, so hat die Bewilligung der Wie864

§ 152

1.2 Verfahren

dereinsetzung keinen Einfluss auf den Beginn der Berufungsfrist mit Zustellung der gekürzten Ausfertigung des Urteils (RdW 1994, 15). Hat der Bestandgeber trotz Kenntnis des vom rechtskräftig gekündigten Bestandnehmer eingebrachten Wiedereinsetzungsantrags in die Einwendungsfrist Räumungsexekution geführt und das Bestandobjekt sodann einem Dritten in Bestand gegeben, muss er dem (früheren) Bestandnehmer bei Bewilligung der Wiedereinsetzung das Bestandobjekt wieder übergeben (SZ 10/221). Andernfalls äußert die Bewilligung der Wiedereinsetzung aber auf ein bereits eingeleitetes Exekutionsverfahren keine unmittelbare Wirkung, sondern muss die Einstellung nach § 39 Abs 1 Z 1 EO beantragt werden (vgl Deixler-Hübner in Fasching/ Konecny II/2 § 150 Rz 7). Zu den materiellrechtlichen Wirkungen der Bewilligung einer Wieder- 3 einsetzung (Verjährungs- und Präklusivfristen) vgl Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 150 Rz 9. § 151. Durch ZVN 1983 aufgehoben § 152. (1) Durch den Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird der Fortgang des Rechtsstreites nicht gehemmt. Das Gericht kann jedoch auf Antrag dessen einstweilige Unterbrechung anordnen, wenn dies unumgänglich notwendig erscheint, um der voraussichtlich zu bewilligenden Wiedereinsetzung vollen Erfolg zu sichern, und wenn zugleich die Unterbrechung des Prozesses dem Gegner des Wiedereinsetzungswerbers einen erheblichen Nachteil nicht zufügt. (2) Wird der Rechtsstreit zu dieser Zeit in einer höheren Instanz verhandelt, so ist dieselbe von der angeordneten einstweiligen Unterbrechung des Rechtsmittelverfahrens sofort zu verständigen. (3) Nach Erledigung des Wiedereinsetzungsantrages ist das unterbrochene Verfahren auf Antrag oder von Amts wegen aufzunehmen. [Stammfassung] In der Praxis wird von § 152 kaum Gebrauch gemacht, weil das Gericht 1 – vor Vornahme weiterer Verfahrenshandlungen – idR ohnehin zunächst über den Wiedereinsetzungsantrag entscheidet. Am ehesten denkbar wäre eine Anwendungsmöglichkeit in jenen Fällen, in denen sich das Verfahren bereits im Rechtsmittelstadium befindet. Allerdings fordert in der Praxis das Erstgericht, bei dem ein Wiedereinsetzungsantrag einlangt, den Akt vom Rechtsmittelgericht zurück (schon allein, 865

§ 153

Gitschthaler

um eine entsprechende Entscheidungsgrundlage zu haben), sodass auf Grund dieses Umstandes das Rechtsmittelverfahren ohnehin praktisch zum Stillstand kommt. § 153. Gegen die Entscheidung, wodurch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt wird, ist ein Rechtsmittel nicht zulässig. [Stammfassung]

1 Bewilligt das Gericht, auch wenn es sich dabei um ein Instanzgericht handelt (ZBl 1915/533, JBl 1953, 100, JBl 1954, 101), die Wiedereinsetzung, so ist dieser Beschluss unanfechtbar. Dieser Rechtsmittelausschluss ist verfassungsrechtlich unbedenklich, weil die Garantien des Art 6 MRK nicht für rein verfahrenstechnische Angelegenheiten, die keinen Einfluss auf die Rechtsdurchsetzung und die Sache selbst haben, gelten (JBl 1996, 601, EvBl 1997/131, EFSlg 91.906, 6 Ob 282/01s; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 153 Rz 1]). Der Zwischenstreit über die Wiedereinsetzung soll rasch und ohne große Mühe überwunden werden, uzw auch dann, wenn elementare Verfahrensgrundsätze verletzt worden sein sollten (6 Ob 282/01s; Fink 182). Die Kostenentscheidung in einem Beschluss über einen Wiedereinsetzungsantrag kann jedoch unabhängig von § 153 angefochten werden (Schwank, JBl 1971, 357; Fink 198; Deixler-Hübner in Fasching II/2 § 153 Rz 6; OLG Linz EFSlg 105.772).

2 Der Rechtsmittelausschluss soll jedoch nicht gelten, wenn die Bewilligung antragslos erfolgte (LGZ Wien AnwBl 1993, 45 [Wallner]) oder sonstige elementare Verfahrensgrundsätze verletzt wurden, also etwa eine Wiedereinsetzung gegen die Versäumung einer materiellrechtlichen Frist (SZ 68/227, 8 Ob 86/97y) oder im Exekutions- bzw Insolvenzverfahren (EvBl 2000/16; Fink 183; Burgstaller BeitrZPR I 76; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 153 Rz 5) bzw überhaupt ohne gesetzliche Grundlage (JBl 1983, 493, SZ 70/169, EvBl 1997/131, RdU 2001, 23; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 153 Rz 5) erfolgte. Wurde einem – an sich zulässigen – Wiedereinsetzungsantrag trotz Verspätung stattgegeben, gilt der Rechtsmittelausschluss aber schon (1 Ob 230/99a = EvBl 2000/16; Deixler-Hübner in Fasching/ Konecny II/2 § 153 Rz 5). In diesen Fällen muss das Rechtsmittelrecht auf die Frage der Zulässigkeit des Wiedereinsetzungsantrags beschränkt sein, wohingegen dessen materielle Berechtigung nicht geprüft werden kann (SZ 68/227, EvBl 1997/131, SZ 70/169, 9 ObA 333/97d; OLG Linz 3 R 227/00y). Im Übrigen ist diese Auffassung auf jene Verfahren zu beschränken, in 866

§ 153

1.2 Verfahren

denen es überhaupt keine Wiedereinsetzungsmöglichkeiten gibt, weil dann auch der Rechtsmittelausschluss nicht gelten kann. Die Differenzierung von antragslosen und verspäteten Bewilligungen ist hingegen fragwürdig und mit dem Gesetz nicht begründbar. Vgl zur „Unbeachtlichkeit der Bewilligung einer Wiedereinsetzung“ auch Vor § 146 Rz 6. Wird der Wiedereinsetzungsantrag zurück- oder abgewiesen, so 3 steht eine abgesonderte Anfechtungsmöglichkeit selbst dann offen, wenn der Beschluss von einem Rekursgericht – funktionell in erster Instanz – gefasst wurde (idS [für alle zweitinstanzlichen Gerichte] SZ 16/87, JBl 1935, 304, SZ 24/299), nicht jedoch dann, wenn den Beschluss das Berufungsgericht gefasst hat (EvBl 1990/75, 9 ObA 333/97d; vgl zur ähnlichen Konstellation eines Beschlusses nach § 6a EvBl 1992/127; aA SZ 16/87, SZ 24/299, RZ 1965, 162, EFSlg 55.119, MR 1991, 28; DeixlerHübner in Fasching II/2 § 153 Rz 5 mit der unzutr Begründung, es liege kein Fall des § 519 vor, weil der Beschluss nicht im Berufungsverfahren ergehe). Weist das Rekursgericht einen Rekurs gegen einen den Wiedereinset- 4 zungsantrag abweisenden Beschluss des Erstgerichts zurück und liegen keine sonstigen Ausschlussgründe nach § 528 vor, so steht dem Wiedereinsetzungswerber die Anrufung des OGH offen (Fasching Rz 2017; Fink 187; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 153 Rz 7). Hebt das Rekursgericht infolge Rekurses gegen einen den Wiedereinsetzungsantrag abweisenden Beschluss diesen auf, so ist nach § 527 vorzugehen (Fasching1 II 750; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/ 2 § 153 Rz 9; aA SZ 13/167, JBl 1953, 100, JBl 1954, 101, EvBl 1963/74, JBl 1995, 467, 9 ObA 333/97d iS eines gänzlichen Rechtsmittelausschlusses). Es kommt demnach darauf an, ob das Rekursgericht den Rekurs an den OGH für zulässig erklärt hat oder nicht. Dies soll allerdings nicht gelten, wenn das Rekursgericht – an sich schon unzulässigerweise – einen bewilligenden Beschluss aufgehoben hat (JBl 1929, 334, JBl 1954, 101, EvBl 1959/386; offensichtlich auch Fasching1 II 750). Dies erscheint aber bedenklich, weil § 153 nur Bewilligungsbeschlüsse für unanfechtbar erklärt, die genannten Beschlüsse aber gerade die Bewilligung – zumindest derzeit – verweigern (idS auch Fink 183; DeixlerHübner in Fasching/Konecny II/2 § 153 Rz 9). Bestätigt das Rekursgericht die Zurück- oder Abweisung des Wiedereinsetzungsantrags, so spricht zwar nicht § 153 gegen einen Revisionsrekurs, wohl aber § 528 Abs 2 Z 2 (Deixler-Hübner in Fasching/ Konecny II/2 § 153 Rz 7; 1 Ob 2228/96w, 1 Ob 35/05m, 5 Ob 22/05d, 6 Ob 63/05s). Dies gilt infolge Aufhebung des § 47 ASGG durch die 867

§ 154

Gitschthaler

ZVN 2002 nunmehr auch in Verfahren nach dem ASGG (aA DeixlerHübner in Fasching/Konecny II/2 § 153 Rz 7 unter Zitierung der überholten Rechtslage), weil die Verweisung in § 528 Abs 2 Z 1 auf § 502 Abs 5 Z 4 idF ZVN 2002 lediglich die Streitwertgrenzen betrifft, nicht aber den Fall der Konformatbeschlüsse (idS wohl auch die RV zu § 502 idF der ZVN 2002, wo ebenfalls nur von den Wertgrenzen die Rede ist).

5 Das Rechtsmittelverfahren in Wiedereinsetzungsverfahren sollte zweiseitig ausgestaltet sein, weil durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung in der nächsten Instanz ja sogar in die Rechtskraft von Entscheidungen eingegriffen werden kann und iS der Waffengleichheit (vgl dazu EGMR ÖJZ 2001, 516/16) dem Rekursgegner daher eine Äußerungsmöglichkeit eingeräumt sein muss (OLG Linz 2 R 16/04t, 2 R 23/ 04x; ebenso für den Fall des Eingriffs in die Rechtskraft einer Entscheidung G. Kodek, ÖJZ 2004, 593; OLG Wien 9 Ra 19/05p; aA OLG Linz 3 R 57/04d). Dabei hat es allerdings bei der zweiwöchigen Rekursfrist zu bleiben, weil die Zweiseitigkeit des Rechtsmittelverfahrens nicht mit einer Analogie zu § 521a ZPO, sondern mit Art 6 EMRK und Rechtsprechung des EGMR begründet wird (OLG Linz 2 R 23/04x; vgl auch 1 Ob 189/02d, 3 Ob 96/03v).

6 Die zum Sicherungsverfahren vertretene Auffassung (SZ 66/164 = EvBl 1994/53 [verst Senat], SZ 70/272, 7 Ob 313/98z), die Überprüfung der Beweiswürdigung des Erstgerichts durch das Rekursgericht sei insoweit ausgeschlossen, als dieses den Sachverhalt aufgrund vor ihm abgelegter Zeugen- oder Parteienaussagen als bescheinigt angenommen hat, hat auch im Wiedereinsetzungsverfahren zu gelten (LGZ Wien EFSlg 90.900, 90.901 [selbst bei Beweisaufnahme mittels Telefon]). In der Praxis begnügen sich die Erstgerichte allerdings meist ohnehin mit Urkundenbeweisen (zu den „Eidesstättigen Erklärungen“ s aber §§ 148, 149 Rz 3).

7 Ob eine Wiedereinsetzung nicht zu bewilligen ist, weil es sich nicht um einen minderen Grad des Versehens handelt, ist regelmäßig von den Umständen des Einzelfalles abhängig, eine Anrufung des OGH – abgesehen vom Fall einer groben Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen abgesehen – somit ausgeschlossen (8 ObA 61/02g, 3 Ob 175/03m, 1 Ob 77/05p). § 154. Der Partei, welche die Wiedereinsetzung beantragt hat, ist ohne Rücksicht darauf, ob dem Antrage stattgegeben wurde oder nicht, der Ersatz aller Kosten, welche dem Gegner durch die Ver868

§ 154

1.2 Verfahren

säumung und durch die Verhandlung über den Wiedereinsetzungsantrag verursacht sind, sowie der Ersatz der Kosten des infolge der Wiedereinsetzung unwirksam gewordenen Verfahrens aufzuerlegen. [Stammfassung] Die Kostenregelung des § 154 ist eine abschließende und endgültige 1 (Fasching1 II 751; OLG Linz 2 R 245/99h; vgl auch Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 154 Rz 1, 12, die die Anwendung von §§ 42, 44, 48 und 49 für zulässig erachtet) und stellt einen Sonderfall der Kostenseparation dar (Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 154 Rz 1). Voraussetzung seiner Anwendung ist allerdings, dass in dem konkreten Verfahren auch tatsächlich eine Kostenersatzregelung besteht (DeixlerHübner in Fasching/Konecny II/2 § 154 Rz 2). Dies gilt auch für Verfahren außer Streitsachen (Fasching1 II 751; aA Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 154 Rz 11 [immer anwendbar]; Hellmer, GZ 1916, 73; Müller 4 [nie anwendbar]; vgl nunmehr § 78 AußStrG). Entstehen dem Gegner zusätzliche Kosten im weiteren Verlauf des 2 Verfahrens, hat der Wiedereinsetzungswerber diese – gleichgültig, ob ihn an der Versäumung der Prozesshandlung ein Verschulden trifft oder nicht (M. Bydlinski 343; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 154 Rz 1; s dazu auch § 146) – neben seinen eigenen endgültig zu tragen (OLG Graz EvBl 1987/43; LGZ Wien MietSlg 39.745; M. Bydlinski 343). Der Ersatzbetrag ist durch Vergleich der tatsächlich aufgelaufenen Kosten mit jenen zu ermitteln, die auch bei regulärem Verlauf entstanden wären (M. Bydlinski 343; vgl LG Eisenstadt 13 R 56/04i). Der Wiedereinsetzungswerber hat die Kosten seines Antrags und auch jene eines erfolgreichen Rekurses im Wiedereinsetzungsverfahren (LGZ Wien RZ 1936, 122, WR 146, EFSlg 101.941; OLG Linz 1 R 172/98i; 2 Ob 366/97f; aA hinsichtlich der Rekurse im Kostenpunkt Fasching Rz 588) selbst zu tragen; er muss auch dem Gegner die Kosten einer schriftlichen Stellungnahme ersetzen, wenn diese über gerichtliche Aufforderung erstattet wurde (OLG Wien AnwBl 1976, 317; OLG Linz 2 R 245/99h; LGZ Wien MietSlg 30.713, 34.717, 38.761, EFSlg 101.939; LG Wels 22 R 447/03x), andernfalls jedenfalls dann, wenn keine Verhandlung über den Wiedereinsetzungsantrag stattgefunden hat (LGZ Wien WR 648, EFSlg 101.940; LG Wels 22 R 447/03x; OLG Wien 10 Ra 183/04m) oder wenn die Äußerung sonst zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war (OLG Wien 15 R 113/ 03b unter Hinweis auf Art 6 EMRK; LG Wels 22 R 447/03x). Auf den Erfolg der Äußerung kommt es jedenfalls nicht an (OLG Wien 15 R 113/03b; Fink 197). Auch die Kosten einer – erfolgreichen (LGZ Wien 869

§ 154

Gitschthaler

EFSlg 101.942) – Kostenrekursbeantwortung des Gegners hat der Wiedereinsetzungswerber zu tragen. Kostenersatzpflicht des Wiedereinsetzungswerbers entsteht auch, wenn bereits entstandene Kosten frustriert sind. Dies gilt etwa für die Kosten des nunmehr unwirksamen Verfahrensteils einschließlich etwa eines Rechtsmittelverfahrens (LGZ Wien MietSlg 30.713), selbst wenn dieses erst zusammen mit dem Wiedereinsetzungsantrag anhängig gemacht wurde (ZBl 1913/211; LGZ Wien EvBl 1934/551 [Berufung und Wiedereinsetzungsantrag gegen ein Versäumungsurteil]; vgl auch Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 154 Rz 7, 8). Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, ob aufgrund von Verfahrenserklärungen der Parteien (etwa Zustimmung zur Verlesung von Beweisaufnahmeprotokollen gemäß § 281a) Teile des unwirksam gewordenen Verfahrensabschnitts weiter verwendbar sein werden (zur sinngemäßen Anwendbarkeit des § 48 Abs 1 letzter Satz s M. Bydlinski 344).

3 Wird über den Wiedereinsetzungsantrag und die versäumte Prozesshandlung in einer Tagsatzung verhandelt (§ 150 Abs 2), so sind die auf die Verhandlung über den Wiedereinsetzungsantrag entfallenden Kosten dem Gegner grundsätzlich gesondert zuzusprechen (LGZ Wien EvBl 1936/584, EvBl 1937/614, MietSlg 37.740, MietSlg 41.551 uva). Dies gilt nur dann nicht, wenn die Tagsatzung insgesamt nicht mehr als eine Stunde gedauert hat, weil in einem solchen Fall im Hinblick auf die Tarifgestaltung des RATG keine zusätzlichen Kosten aufgelaufen sind (M. Bydlinski 343; Fasching Rz 588; OLG Graz EvBl 1987/43; LGZ Wien MietSlg 39.745). Wird diese Dauer jedoch überschritten, so hat der Gegner Anspruch auf den auf die Dauer der Wiedereinsetzungsverhandlung entfallenden Teil der gesamten Kosten der Tagsatzung, also etwa auf 1/3, wenn eine halbe Stunde über die Wiedereinsetzung und eine Stunde in der Hauptsache verhandelt wurde (LGZ Wien MietSlg 37.740 mwN; aA LGZ Wien MietSlg 41.551 mwN). Vgl dazu auch Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 154 Rz 5, 6. Findet im Zuge eines Wiedereinsetzungsverfahrens eine Rechtshilfetagsatzung statt, so muss der Gegner des Wiedereinsetzungswerbers seine Kosten anlässlich der Intervention verzeichnen, widrigenfalls er keinen Kostenersatzanspruch mehr geltend machen kann, wenn das Gericht bereits aufgrund der Ergebnisse dieser Tagsatzung entscheidet (LGZ Wien WR 318; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 154 Rz 12).

4 Wird aufgrund jenes Titels, der infolge einer Versäumung entstanden und/oder rechtskräftig geworden ist, bereits Exekution geführt, so ist bei Bewilligung der Wiedereinsetzung dieses Verfahren zwar nach 870

Vor § 155

1.2 Verfahren

§ 39 Abs 1 Z 1 EO einzustellen, die Kostentitel des Gegners bleiben jedoch aufrecht, weil a) auf Grund einer teleologischen Interpretation des § 75 EO dieser bei bewilligter Wiedereinsetzung unanwendbar ist (Rechberger, BeitrZPR IV 51; M. Bydlinski 345; Feil, Wiedereinsetzung 25; ders, EO4 § 75 Rz 6a; Fink 202; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 154 Rz 9; LG Feldkirch R 226, 250/93, 2 R 266/98b; aA GlUNF 4923, SZ 66/110 = JBl 1994, 480; OLG Wien 17 R 241/87; LGZ Wien 46 R 181/93; LG Steyr RPflSlgE 1993/82; LG Salzburg RPflSlgE 1992/143, 53 R 267/96p, 53 R 329/96f; LG Linz RPflSlgE 1995/33; Fasching1 II 363; Heller/ Berger/Stix 752; Fasching Rz 588), b) nach § 78 EO eine direkte Anwendung des § 154 im Exekutionsverfahren stattfindet, sodass die Kosten eines infolge einer Wiedereinsetzung unwirksam gewordenen Exekutionsverfahrens vom Wiedereinsetzungswerber zu tragen sind (Oberhammer, wobl 1993, 131; ders, RdW 1994, 202; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny II/2 § 154 Rz 9), und c) auch eine schadenersatzrechtliche Betrachtungsweise zu diesem Ergebnis kommt (vgl etwa SZ 43/60). Hat der Gegner noch keinen Kostentitel erwirkt, so ist über seine 5 Exekutionskosten anlässlich der Kostenentscheidung durch das Prozess- (Rechberger, BeitrZPR IV 70; Oberhammer, wobl 1993, 131; aA M. Bydlinski 347; Fink 202; ohne eigene Stellungnahme DeixlerHübner in Fasching/Konecny II/2 § 154 Rz 10), über nachträglich entstehende Kosten jedoch durch das Exekutionsgericht (Rechberger, BeitrZPR IV 71) abzusprechen.

Fünfter Titel Unterbrechung und Ruhen des Verfahrens Vor § 155 Lit: Amschl, Contumazierung eines Verstorbenen, GZ 1899, 88; Falke von Lilienstein, Einiges über das Ruhen des Verfahrens, GZ 1899, 395; Pollak, Urtheilsfällung während der Unterbrechung des Verfahrens, GZ 1899, 146; Gabrielcic, Einiges über das „Ruhen des Verfahrens“, GZ 1900, 37; Grabscheid, Gibt es ein Ruhen des Restitutionsverfahrens? GZ 1901, 289; Hellmer, Einiges vom Ruhen des Verfahrens, NZ 1912, 421; Coulon, Gerichtsferien und Ruhen des Verfahrens, NZ 1913, 127; Prochaska, Über das Ruhen des Verfahrens in der Berufungsinstanz, NZ 1913, 157; Schrutka, Der Einfluß der Konkurseröffnung auf die anhängigen Rechtsstreitigkeiten des Gemeinschuldners, GrünhutsZ 41 871

Vor § 155

Gitschthaler

(1915) 565; Keifl, Zur Frage des Ruhens des Verfahrens nach § 168 Z.P.O. im Rechtsmittelverfahren, JBl 1925, 69; Schuster, Über die Zulässigkeit von Parteihandlungen im zivilgerichtlichen Rechtshilfeverfahren, GZ 1928, 120; R. Kralik, Die Firma des Einzelkaufmanns im Prozeß, ÖJZ 1949, 270; Stanzl, Die Firma im Exekutionsverfahren, JBl 1951, 530; Baumgartner, Steuerforderungen im Konkurs, ÖJZ 1955, 401; Bajons, Der Erbschaftserwerb bei geringfügigen Nachlässen, JBl 1970, 169; Jelinek, § 53a Ausgleichsordnung – Bedeutung und Wirkungen, ÖJZ 1970, 5, 34; Sprung, JBl 1973, 426 (Entscheidungsbesprechung); Dolinar, Ruhen des Verfahrens und Rechtsschutzbedürfnis (1974); Sprung, Studien zum „Ruhen des Verfahrens“, FS Grass I (1974) 709; Rechberger, Das Unschlüssigkeitsurteil im Versäumnisfall, JBl 1974, 562; Fasching, Rechtsschutzverzichtsverträge im österreichischen Prozeßrecht?, ÖJZ 1975, 431; König, JBl 1976, 150 (Entscheidungsbesprechung); Bokelmann, Der Prozess gegen eine im Handelsregister gelöschte GmbH, NJW 1977, 1130; K. Schmidt, Unterlassungsanspruch, Unterlassungsklage und deliktischer Ersatzanspruch im Konkurs, ZZP 90 (1977) 38; Fasching, Prozessrechtliche Probleme der Kollision bei kollektivvertretungsbefugten Gesellschaftern einer offenen Handelsgesellschaft, GesRZ 1977, 37; Rechberger, Die fehlerhafte Exekution (1978); Sobalik, Das Klagebegehren im Prüfungsprozeß (§§ 110 f KO), RZ 1979, 189; Kininger, Urteilsfällung in dem durch Konkurseröffnung unterbrochenen Zivilprozeß (§ 159 ZPO und § 7/1 KO), BeitrZPR I (1982) 147; Jelinek, Privatbeteiligung im Strafverfahren gegen den Gemeinschuldner, GesRZ 1983, 169, GesRZ 1984, 19; König/ Fink, Der Anschlußkonkurs und § 2 KO, JBl 1984, 397; Schalich, Das neue streitige Eheverfahren, RZ 1985, 13, 26, 50; Steinbauer, Die Handlungsfähigkeit geistig Behinderter nach dem neuen Sachwalterrecht, ÖJZ 1985, 385; Konecny, Zur Prozeßführung durch den Ausgleichsschuldner, JBl 1986, 353; Buchegger, Zur „Einstellung des Verfahrens“ (Entscheidungskommentar), BeitrZPR II (1986) 19; Maurer, Das Sachwalterrecht für behinderte Personen, RZ 1986, 50, 75; Jelinek, Konkursfreiheit und Gläubigerrecht, FS Kralik (1986) 229; Rechberger, Das Urteil im unterbrochenen Zivilprozeß – Exekutionsakte im aufgeschobenen Exekutionsverfahren, FS Kralik (1986) 273; Jelinek, Allgemeine Auswirkungen der Konkurseröffnung auf außerstreitige Verfahren, FS Wagner (1987) 203; Eypeltauer, Das besondere Feststellungsverfahren nach § 54 Abs 1 ASGG, JBl 1987, 490, 561; Rechberger, Mangel der Parteiexistenz, Mangel der Parteifähigkeit und mangelnde Parteibezeichnung, FS Fasching (1988) 385; Sprung/Fink, Privatbeteiligung des Konkursgläubigers in einem Strafverfahren gegen den Gemeinschuldner und „konkursrechtliches Titelerwerbsverbot“, FS Fasching 491; Zib, Zum Vertrauensschutz nach § 15 HGB im Zivilprozeß, GesRZ 872

Vor § 155

1.2 Verfahren

1988, 96, 160; Gamerith, Die besonderen Feststellungsverfahren nach § 54 ASGG, DRdA 1988, 303; Fink, Das Verfahren in Arbeitsrechtssachen vor dem Konkurs- und Ausgleichsgericht, DRdA 1988, 205; Grabenwarter, Schenkung auf den Todesfall und Abhandlungspflege, ÖJZ 1988, 558; Schumacher, Ewiges Ruhen des Verfahrens, JBl 1988, 641; K. Schmidt, Die Handels-Personengesellschaft in Liquidation, ZHR 153 (1989) 270; Heil, Insolvenzrecht (1989); Mahr, Rechtsprobleme bei Vollbeendigung einer Personenhandelsgesellschaft während eines Rechtsstreites, GesRZ 1990, 148; Blomeyer, Soll man die vermögenslose GmbH für den Fall ihrer Klage oder ihres Rechtsmittels zur Sicherheitsleistung für die Prozesskosten verpflichten? FS Baumgärtel (1990) 29; Klicka, Zivilprozessuale Fragen bei Unternehmensveräußerung, ecolex 1990, 205; Graff, „Si tacuisses …“ – Erwiderung auf eine Kritik am EGG, RdW 1990, 338; Klicka, „Ewiges“ Ruhen des Verfahrens, Zulässigkeit des Rekurses, JAP 1990/91, 106 (Entscheidungsbesprechung); Dellinger, Personenhandelsgesellschaft, Gläubigerschutz und Vollbeendigung während eines Passivprozesses, JBl 1991, 629; Klicka, Zur Fortsetzung eines nach Schluß der Verhandlung durch Konkurs unterbrochenen Zivilprozesses, RdW 1991, 106; Bork, Die als vermögenslos gelöschte GmbH im Prozess, JZ 1991, 841; Dellinger, GesRZ 1991, 227 (Entscheidungsbesprechung); Graff, AnwBl 1991, 745 (Entscheidungsbesprechung); Zib, Fragen des Rechtsformwechsels bei der eingetragenen Erwerbsgesellschaft, wbl 1991, 7; Gitschthaler, Die Verständigungspflicht des § 6a ZPO idF des SachwG und ihre Auswirkungen, JBl 1991, 291; W. Kralik, Das ewige Ruhen des Verfahrens, BeitrZPR IV (1991) 31; Knoll, Aus dem Rechtsalltag des Außerstreitund Familienrichters, RZ 1992, 246, 271; Schoibl, Verbandsklage und aktorische Kaution im Ministerialentwurf 1991 eines Umwelthaftungsgesetzes, ÖHZ 1992, 601; Habscheid, Wege zu einem Europäischen Konkursrecht, FS Matscher (1993) 163; Frauenberger, Gewillkürter Parteiwechsel – Änderung der Judikatur!, JAP 1992/93, 120 (Entscheidungsbesprechung); Rechberger/Oberhammer, Gesamtrechtsnachfolge während des Zivilprozesses, ecolex 1993, 513; Deixler-Hübner, Die Nebenintervention im Zivilprozeß (1993); Sager, Wie aus Fortschritt Rückschritt wurde, AnwBl 1993, 11; Grassl, Parteiwechsel im Zivilprozeß auf Grund partieller Gesamtrechtsnachfolge im Sinne des §§ 61a und 61b VAG (Entscheidungsbesprechung), RdW 1994, 138; Reckenzaun, Die Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen gegen den Gemeinschuldner, ÖJZ 1994, 113; Rechberger, Parteilehre, Streitgegenstand und der österreichische Oberste Gerichtshof, FS Henckel (1995) 679; Leitner, Der grenzüberschreitende Konkurs (1995); Konecny, Eigenverwaltung im Konkurs privater Schuldner, BeitrZPR V (1995) 45; Mahr, Die Vollbeendigung einer Personenhandelsgesellschaft wäh873

Vor § 155

Gitschthaler

rend eines gegen sie anhängigen Rechtsstreites (Passivprozeß), GesRZ 1995, 170; Riel, Befugnisse des Masseverwalters im Zivilverfahrensrecht (1995); K. Schmidt, Das Prozeßrechtsverhältnis bei Umstrukturierung, Auflösung und Konkurs einer Handelsgesellschaft, FS Henckel (1995) 749; Lindacher, Die Nachgesellschaft – Prozessuale Fragen bei gelöschten Kapitalgesellschaften, FS Henckel (1995) 549; Rinner, Bemerkungen zur einstweiligen Verfügung, insbesondere nach § 382 Abs 1 Z 8 lit b EO, BeitrZPR V (1995) 109; Rechberger, Parteilehre, Streitgegenstand und der österreichische Oberste Gerichtshof, FS Henckel (1995) 679; Mahr, Zur Haftung von Liquidatoren einer GmbH & Co KG im engeren Sinn aus Schutzgesetzverletzung der §§ 149, 155 HGB, wbl 1996, 304; Holzhammer, Lückenschließung durch Typenvergleich am Beispiel des Rechtsschutzverzichts, FS Winkler (1997) 337; Bachmann, Abgabenforderungen im konkursrechtlichen Feststellungsverfahren, RZ 1997, 230; Grießer, Zur verfahrenstechnischen Umsetzung des § 3 AVRAG, RdW 1997, 669; Kalos, Handkommentar zur Verschmelzung, Spaltung, Umwandlung (1997); Jelinek/Nunner, Kein konkursfreies Vermögen im Konkurs juristischer Personen, ZIK 1997, 115; Dellinger, Gläubigerschutz durch zwingenden Kapitalschutz auch in der Liquidation einer gesetzestypischen OHG? wbl 1997, 408; Grießer, Zur verfahrenstechnischen Umsetzung des § 3 AVRAG, RdW 1997, 669; Oberhammer, Die Offene Handelsgesellschaft im Zivilprozeß (1998); Nunner, Die Freigabe von Konkursvermögen (1998); Fremuth, Schiedsverfahren und Konkurs, ÖJZ 1998, 848; Weber, Frauenspezifische Aspekte des Konkurs- und Exekutionsrechts, in Deixler-Hübner, Die rechtliche Stellung der Frau (1998) 145; Feil, Konkursordnung2 (1998); Oberhammer, Amtslöschung einer GmbH im anhängigen Passivprozeß – Anmerkungen zur Entscheidung eines verstärkten Senats vom 22.10.1998, 8 ObA 2344/96f, JBl 1999, 268; Schubert in Konecny/Schubert, Kommentar zu den Insolvenzgesetzen (1999); Feil/Wennig, Anwaltsrecht2 (1999); Schuppich/Tades, Rechtsanwaltsordnung6 (1999); Buchegger in Bartsch/ Pollak/Buchegger, Österreichisches Insolvenzrecht 4 (2000); Fink, Vollbeendigung von Kapitalgesellschaften im Zivilprozeß, FS Sprung (2001) 143; Kemper, Die Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren, ZIP 2001, 1609; Konecny, Außerstreitreform: Wirkung der Konkurseröffnung auf Außerstreitverfahren, NZ 2001, 34; Reckenzaun, Überlegungen zum Kostenersatzanspruch des Prozessgegners bei Prozessfortsetzung durch den Masseverwalter, ZIK 2001/5; Stöger, Der Entwurf zum neuen Außerstreitgesetz und die Unterbrechungswirkung der Konkurseröffnung im Außerstreitverfahren, AnwBl 2001, 186; Winkler, Mahnverfahren und Konkurs, ZIK 2001/127; Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Europäische Insolvenzverordnung (2002); Mohr, Insolvenzrecht 2002 (2002); König, Die Anfechtung nach der 874

Vor § 155

1.2 Verfahren

Konkursordnung3 (2003); Simotta, Der Tod eines Ehegatten während eines Eheprozesses (§ 460 Z 8 ZPO), FS Welser (2004). Fink in Fasching/Konecny II/2 § 155; Bajons Rz 59, 124, 128; Ballon Rz 102, 135, 269; Deixler-Hübner/Klicka Rz 41, 172; Fasching Rz 383, 596; Feil/Kroisenbrunner 397; Holzhammer 93, 230; Holzhammer, PraktZPR 121, 158, 255; Rechberger/Simotta Rz 211, 345;. Stellt das Gericht etwa wegen Überlastung oder wegen der Vakanz von 1 Planstellen usw seine Tätigkeit faktisch ein, so berührt dieser Stillstand die Gültigkeit allenfalls in diesem Zeitraum gesetzter Partei- oder Gerichtshandlungen nicht (Fink in Fasching/Konecny II/2 Vor § 155 Rz 1). Dies gilt auch, wenn das Verfahren von einem konkreten Parteiantrag, etwa auf Fortsetzung des Verfahrens nach Präklusion eines Beweismittels gemäß § 279, abhängt, dieser Antrag bislang aber noch nicht gestellt wurde. Davon sind jedoch die Fälle der Unterbrechung des Verfahrens – 2 entweder ex lege (§§ 61, 155 bis 161 ZPO, § 42, 43 VfGG [s dazu auch bei § 42 JN], § 76 ASGG) oder kraft richterlichen Beschlusses (§§ 152, 162, 190, 191, 460, 539, 544, 545 ZPO, §§ 11, 12 AHG) – und des Ruhens des Verfahrens (§§ 168 bis 170) zu unterscheiden (Fasching Rz 596; Rechberger/Simotta Rz 345), die zu einer gänzlichen oder teilweisen Unzulässigkeit von Partei- und Gerichtshandlungen führen. Zur Problematik einer Anregung iSd § 6a s dort und bei § 167. In der Lehre (Rechberger/Simotta Rz 346; ähnlich Holzhammer 230) wird der Begriff der „Unterbrechung iwS“ (im Gegensatz zum Ruhen des Verfahrens), welche die „Unterbrechung ieS“ (Unterbrechung ex lege) und die „Aussetzung“ (Unterbrechung kraft richterlichen Beschlusses) umfasst, verwendet. Häufig (vgl etwa Fasching Rz 596) wird neben der Unterbrechung (iwS) und dem Ruhen des Verfahrens unter dem Titel „Stillstand des Verfahrens“ auch die durch die verhandlungsfreie Zeit verursachte Behinderung des Verfahrensablaufs erfasst, die aber vor allem Gerichtshandlungen nicht gänzlich unzulässig macht (vgl §§ 222 ff). Zur Terminologie vgl auch Fink in Fasching/ Konecny II/2 Vor § 155 Rz 2. Die Unterbrechungsfälle der ZPO sind auf ein im Zuge des Rechtsstreits 3 durchgeführtes Verfahren zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung nicht anzuwenden (vgl etwa 4 Ob 2386/96b = EvBl 1997/152 [präjudizielles Verfahren], 4 Ob 10/05g [Aussetzung gemäß § 6a, § 158]; aA Fink in Fasching/Konecny II/2 Vor § 155 Rz 5). Da der Ausdruck „Rechtsstreitigkeiten“ nicht zu eng verstanden werden darf, fallen darunter auch Verfahren, in denen gemäß § 394 EO Schadenersatz begehrt wird (1 Ob 276/99s = ZIK 2000/112), und Sicherungsanträge vor Einleitung eines Prozesses (1 Ob 615/81, 3 Ob 332/98i = ZIK 1999, 59). 875

Vor § 155

Gitschthaler

Diese Grundregel gilt allerdings nicht für den Fall der Konkurseröffnung nach § 159 EvBl 1978/57, ÖBl 1995, 280, 4 Ob 2386/96b, SZ 70/1, 3 Ob 332/98i, 1 Ob 276/99s = ZIK 2000/112; Schubert in Konecny/ Schubert § 7 KO Rz 11; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 159 Rz 42–50; aA 2 Ob 64/75), bei Einstellung der Amtstätigkeit des Gerichts nach § 161 (Fasching1 II 757; 2 Ob 64/75, 4 Ob 316/76, 4 Ob 10/05g; OLG Linz EFSlg 16.631) sowie für die Fälle des § 162 (Fink in Fasching/ Konecny II/2 Vor § 155 Rz 5).

4 Nach § 78 EO sind an sich die Bestimmungen der ZPO auch auf exekutionsrechtliche Verfahren anzuwenden (aA Fink in Fasching/Konecny II/2 Vor § 155 Rz 4), die EO enthält aber zahlreiche Sonderregelungen: So ordnet etwa § 34 EO an, dass im Falle des Todes des Verpflichteten nach Bewilligung der Exekution diese in Ansehung des hinterlassenen Vermögens ohne neuerliche Bewilligung in Vollzug gesetzt und fortgeführt werden kann, sobald eine Erbantrittserklärung angebracht oder ein Nachlasskurator ernannt worden ist. Bei Exekutionen auf Liegenschaften kann auch ohne vorherige Bestellung eines Nachlassvertreters eine zu Lebzeiten des Verpflichteten begonnene Exekution fortgeführt werden, wenn die Zwangsverwaltung oder Zwangsversteigerung bereits vor dem Tod des Verpflichteten bücherlich angemerkt worden ist.

5 In arbeitsrechtlichen Verfahren gelten zwar grundsätzlich die Unterbrechungstatbestände, in sozialrechtlichen Verfahren unterbricht der Tod des Klägers das Verfahren an sich aber in jeder Lage und unabhängig von weiteren Voraussetzungen (§ 76 ASGG; infas 1993/S 33, ARD 4887/17/97, 10 ObS 29/97f, 10 ObS 274/97k, 10 ObS 384/97m), also auch dann, wenn die verstorbene Partei durch einen Rechtsanwalt oder einen sonstigen Prozessbevollmächtigten vertreten war (SSV-NF 8/78, 10 ObS 26/02z, 10 ObS 210/02h, 10 ObS 146/04z). Zum Eheverfahren s die Sonderregelung des § 460 Z 8. Ebenfalls unterbrochen werden Streitigkeiten über die Aufkündigung von Bestandverhältnissen (9 Ob 321/98s = ZIK 2000/67), aber auch Wiederaufnahmeklagen (3 Ob 190/00p).

6 § 25 AußStrG übernimmt für das Verfahren außer Streitsachen sämtliche Unterbrechungsgründe der ZPO. Zur Konkurseröffnung über das Vermögen einer Partei wird angeordnet, das Verfahren werde unterbrochen, wenn die Bestimmungen der KO dies vorsehen. Eine nähere gesetzliche Klarstellung soll in Ausarbeitung sein (Fucik/Kloiber, AußStrG § 25 Rz 1). Bis dahin ist somit auf die bisherige Rsp zurückzugreifen: Verfahren außer Streitsachen werden durch die Eröffnung des Konkurses bzw eines Schuldenregulierungsverfahrens über das Vermögen 876

Vor § 155

1.2 Verfahren

einer Partei zwar grundsätzlich nicht unterbrochen (SZ 58/77, SZ 62/79 [Verlassenschaftsverfahren], JBl 1991, 530), außer es handelt sich um vermögensrechtliche Streitigkeiten (5 Ob 287/97k). Damit werden aber etwa auch Verfahren nach dem MRG, dem WEG und dem WGG durch Konkurseröffnung unterbrochen (wobl 1997/115, ZIK 1998, 24, 5 Ob 287/97k, 5 Ob 230/98d, 5 Ob 224/98x; aA JBl 1991, 530), desgl Unterhaltsverfahren hinsichtlich rückständigen Unterhalts aus der Zeit vor der Konkurseröffnung (1 Ob 639/90 = EFSlg 65.021, 8 Ob 527/93 = EFSlg 70.830; LGZ Wien EFSlg 101.943; Gitschthaler, Unterhaltsrecht Rz 474, zur konkreten Vorgangsweise Rz 476) und Aufteilungsverfahren nach §§ 81 ff EheG, wenn der Konkurs nach Geltendmachung des Anspruchs eröffnet wird (JBl 1994, 764, 1 Ob 276/99s = ZIK 2000/112); vgl dazu ausführlich Schubert in Konecny/Schubert § 7 KO Rz 15–22 und Fink in Fasching II/2 Vor § 155 Rz 10–12, § 159 Rz 34–40. In Verfahren betreffend die Einziehung gerichtlicher Verwahrnisse (BGBl 1963/281) ist bei Erlöschen der Erlegerin nicht ein Abwesenheitskurator zu bestellen, sondern nach § 155 Abs 3 ZPO vorzugehen (8 Ob 185/00i). In § 28 AußStrG ist nunmehr auch ein Ruhen des (außerstreitigen) Verfahrens vorgesehen, in § 29 ein Innehalten. Insolvenzrechtliche Verfahren werden durch den Tod des Gemein- 7 schuldners nicht unterbrochen (§ 155; Fink in Fasching/Konecny II/2 Vor § 155 Rz 7 mwN). Diese sind von Amts wegen gegen den Nachlass weiter zu führen (SZ 36/85 = NZ 1964, 22). Unterbrochen werden können in allen Fällen nur anhängige Verfahren, 8 wobei Gerichtsanhängigkeit ausreicht (vgl Fink in Fasching/Konecny II/2 Vor § 155 Rz 17). Die Rsp geht hingegen von der Notwendigkeit der Zustellung der Klage (JBl 1915, 289, 9 ObA 17/98k = ARD 4980/21/ 98), der Aufkündigung (LGZ Wien EvBl 1935/653; SZ 40/82 = RZ 1967, 203, SZ 41/101 = EvBl 1969/103, MietSlg 24.600) oder des verfahrenseinleitenden Antrags im Verfahren außer Streitsachen aus (differenzierend Fasching1 II 756). Nach Eintritt der Rechtskraft der prozessbeendigenden Entscheidung ist eine Unterbrechung nicht mehr möglich (GH 1915, 250, EvBl 1972/275). Ein Unterbrechungsbeschluss ist – außer im Falle des § 162 – weder vorgesehen noch zwingend notwendig. Wird er dennoch gefasst, ist er zwar lediglich deklarativ, soll aber anfechtbar sein (Rechberger/ Simotta Rz 346; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 155 Rz 55; EvBl 1994/ 163, 1 Ob 200/98p; zu einer Unterbrechung infolge Konkurseröffnung vgl bei § 159). 877

§§ 155–157

Gitschthaler Tod einer Partei

§ 155. (1) Durch den Tod einer Partei wird das Verfahren nur dann unterbrochen, wenn die verstorbene Partei weder durch einen Rechtsanwalt, noch durch eine andere von ihr mit Prozeßvollmacht ausgestattete Person vertreten war. (2) Die Unterbrechung dauert bis zur Aufnahme des Verfahrens durch die Rechtsnachfolger der verstorbenen Partei, oder wenn der Gegner früher die Bestellung eines Kurators beantragt (§ 811 ABGB), um wider diesen das Verfahren fortzusetzen, bis zur Aufnahme des Verfahrens durch den Kurator. (3) Um die Aufnahme des Verfahrens durch die Rechtsnachfolger der verstorbenen Partei zu bewirken, kann der Gegner bei dem Gerichte, bei welchem die Rechtssache zur Zeit des Todes der verstorbenen Partei anhängig war, auch die Ladung dieser Rechtsnachfolger beantragen. Zufolge eines solchen Antrages sind dieselben zur Aufnahme des Verfahrens und zugleich zur Verhandlung der Hauptsache oder zur Fortführung dieser Verhandlung zu laden. (4) Diese Ladung ist nach den für Klagen geltenden Bestimmungen zuzustellen. [Abs 1 geändert durch StGBl 1919/94; Abs 4 neu gefasst durch BGBl 1955/282; sonst Stammfassung] § 156. (1) Erscheint keiner der geladenen Rechtsnachfolger, so ist das Verfahren bei genügender Bescheinigung der behaupteten Rechtsnachfolge auf Antrag des Gegners vom Gerichte durch Beschluß als von den Rechtsnachfolgern der verstorbenen Partei aufgenommen zu erklären. (2) Bei der Tagsatzung, in welcher der die Aufnahme des Verfahrens betreffende Beschluß verkündet wurde, kann gleich das Verfahren in der Hauptsache aufgenommen werden. [Stammfassung] § 157. Wenn die geladenen Rechtsnachfolger oder einzelne derselben bei der Tagsatzung erscheinen und die Verpflichtung, in den Prozeß einzutreten, bestreiten, hat das Gericht hierüber nach mündlicher Verhandlung zu entscheiden. Falls das Gericht im Sinne einer Verpflichtung zur Aufnahme des Verfahrens entscheidet, kann nach Verkündung dieser Entscheidung in der nämlichen Tagsatzung nach Lage der Sache das Verfahren in der Hauptsache aufgenommen oder fortgesetzt werden. Dies hat insbesondere zu gelten, wenn ein Rekurs gegen den verkündeten Beschluß voraussichtlich ohne Erfolg bleiben dürfte. [Stammfassung] 878

§§ 155–157

1.2 Verfahren Inhaltsübersicht Tod einer Partei Fehlen einer Prozessbevollmächtigung Physische Personen Gesellschaften

1 2 3–5 6–15

– Als Kläger 7 – Als Beklagter 8 – Beendigung 10–12 – Rechtsnachfolge 13–15 Fortsetzung des Verfahrens 16–18

Obwohl der Tod einer Prozesspartei zwangsläufig auch materiellrecht- 1 liche Auswirkungen hat, ist die Frage des Einflusses des Todes auf den laufenden Prozess nicht Gegenstand des materiellen, sondern des formellen Rechts (8 Ob 148/73). Diese Frage ist daher nach §§ 155 bis 157 zu beantworten, die sowohl auf physische Personen als auch auf Personenhandelsgesellschaften und juristische Personen anzuwenden sind. Bei Personenhandelsgesellschaften und juristischen Personen kommt es dabei auf ihre Vollbeendigung bzw auf ihre Einbringung in eine andere Gesellschaft oder ihre Umwandlung an. Zur ex lege Unterbrechung des Verfahrens führt der Tod einer Partei oder auch jener eines von mehreren Streitgenossen gemäß § 14 (MietSlg 42.497; SZ 51/10 = EvBl 1978/123; Fasching Rz 601), nicht jedoch jener eines einfachen Nebenintervenienten (Fasching1 II 763; Stohanzl Anm 2 zu § 155; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 155 Rz 48; 6 Ob 106/01h) während des Verfahrens (vgl dazu Vor § 155 Rz 8). Weitere Voraussetzung für eine Unterbrechung ist grundsätzlich das 2 Fehlen eines Prozessbevollmächtigten (e contrario § 155 [Rechberger/ Simotta Rz 211; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 155 Rz 49; 3 Ob 190/ 00p]). Die Bevollmächtigung eines allfälligen Prozessvertreters wirkt zwar über den Tod der Partei hinaus, dies gilt allerdings nicht für einen Verfahrenshilfeanwalt (4 Ob 557/72, JBl 1978, 603, RZ 1990/45, EFSlg 66.990, 6 Ob 106/01h; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 155 Rz 52; aA Fasching1 II 763; SZ 19/328, 2 Ob 338/57). Die Bevollmächtigung kann auch nicht durch gerichtliche Maßnahmen (etwa des Verlassenschaftsgerichts) beeinflusst werden (RZ 1937, 547, 3 Ob 302/61; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 155 Rz 50). Auch bei juristischen Personen kommt es zur Unterbrechung des Verfahrens nach § 155 nur, wenn die Gesellschaft nicht durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten wird (Rechberger/Simotta Rz 211; SZ 35/112 = EvBl 1963/93, Arb 7679, SZ 51/3 = EvBl 1978/144, SZ 56/1 = ZAS 1984, 26 [zust Aichinger], GesRZ 1988, 49, 2 Ob 570/90). Soweit zu Personenhandelsgesellschaften die Auffassung vertreten wird, § 155 komme bei deren Vollbeendigung nicht zur Anwendung, weil das Verfahren von diesem Zeitpunkt an gegen die Gesellschafter zu führen sei (Dellinger, JBl 1991, 641 FN 115; SZ 37/132, 6 Ob 1/77; vgl Rz 11), ist dies abzulehnen, weil 879

§§ 155–157

Gitschthaler

gerade in diesem Fall die Unterbrechung des Verfahrens alle Beteiligten vor Rechtsnachteilen schützen kann. Vielmehr wird hier das Verfahren grundsätzlich unterbrochen, weil der Vertreter der Gesellschaft nicht zwingend auch der Vertreter der Gesellschafter ist (Fink in Fasching/ Konecny II/2 § 155 Rz 33; vgl aber auch Rz 11).

3 Physische Personen. Durch den Tod, uzw nicht bereits durch den „klinischen Tod“ (Herzschlag und Atmung haben aufgehört, die allerdings künstlich aufrecht erhalten werden können), sondern erst durch den „Hirntod“ (die Hirnströme sind endgültig so lange versiegt, dass irreparable Schäden eingetreten sind [Leukauf/Steininger, Strafgesetzbuch3 Rz 4 zu § 75 mwN]; irreversibler Funktionsverlust des gesamten Gehirns [Fink in Fasching/Konecny II/2 § 155 Rz 4]) einer physischen Person erlischt ihre Parteifähigkeit (Fasching Rz 332; SZ 34/122 = EvBl 1961/505). Der Beweis des Todes erfolgt regelmäßig durch den Totenschein, wobei der Tod gemäß § 28 PStG im Sterbebuch eingetragen wird (Koziol/Welser I13 52). Eine Bindung des Gerichts an die Auffassung der Verwaltungsbehörde in der Frage des Todeseintritts ist aber nicht gegeben (so nunmehr auch Fink in Fasching/Konecny II/2 § 155 Rz 5), weil die Eintragung in das Sterbebuch (§ 3 PStG) mit Tag, Monat, Jahr, Stunde und Minute des Todes (Zeyringer, Personenstandsrecht2 53) nur eine Beurkundung darstellt, eine Bindung des Gerichts an Verwaltungsakte gemäß § 190 jedoch einen rechtskräftigen Bescheid voraussetzt (vgl bei § 190). Das Gericht kann daher auch eine eigenständige Prüfung der Vorfrage des Todeszeitpunkts vornehmen. Nach § 9 TEG hat das (für die Todeserklärung zuständige) Gericht auch den Zeitpunkt des Todes festzustellen, der Beweis eines anderen Zeitpunkts ist jedoch möglich (SZ 37/39 = EvBl 1964/357).

4 An die Stelle dieser verstorbenen Person – ist eine unvertretene Partei zwar nicht hirntot, wohl aber klinisch tot, so wäre nicht nach § 155, sondern nach §§ 158, 6a vorzugehen – tritt grundsätzlich der ruhende Nachlass, weil die Gesamtrechtsnachfolge auch die Rechtsnachfolge in alle Prozessrechtsverhältnisse des Erblassers umfasst (Fasching Rz 384; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 155 Rz 1; SZ 67/235, MietSlg 46.630, 2 Ob 517/95). Die Bezeichnung der betroffenen Prozesspartei ist auf „Verlassenschaft nach dem verstorbenen …“ umzustellen (5 Ob 639/79, 1 Ob 36/80, EvBl 1985/81, 3 Ob 190/00p). Der ruhende Nachlass ist partei-, aber nicht prozessfähig (Buchegger, BeitrZPR II 23 mwN). Er wird bis zur Einantwortung von den präsumtiven Erben bzw dem Verlassenschaftskurator vertreten.

5 Wird in weiterer Folge die Verlassenschaft eingeantwortet, dann bewirkt dies einen im Prozess ex lege zu berücksichtigenden Partei880

§§ 155–157

1.2 Verfahren

wechsel (1 Ob 36/80, 1 Ob 783/81, RZ 1985/8), wobei sämtliche Erben als Parteien in das Verfahren eintreten (1 Ob 783/81) und als einheitliche Streitgenossen zu betrachten sind. Stellt sich nunmehr heraus, dass nicht alle Erben durch denselben Machthaber vertreten werden, stellt dies dennoch keinen Anlass für eine Unterbrechung des Verfahrens oder für die Bestellung eines Verlassenschaftskurators dar (2 Ob 217/57). Unterbleibt eine Abhandlung gemäß § 153 AußStrG, kommt es also zu keiner Einantwortung, dann greift bis zu einer allfälligen Erbschaftsannahme die Rechtsvermutung des § 547 ABGB ein; die Verlassenschaft ist so zu betrachten, als wenn sie noch vom Verstorbenen besessen würde (NZ 1974, 92). Sie bleibt weiterhin eine juristische Person und somit Partei des Verfahrens. Bei der Überlassung einzelner Nachlassstücke an Zahlungs statt an einzelne Nachlassgläubiger (in-iurecrediti-Einantwortung; § 154 AußStrG) treten diese in den diese Gegenstände betreffenden Verfahren an die Stelle des Nachlasses (Rechberger/ Simotta Rz 212; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 155 Rz 58; EvBl 1993/ 112). Gesellschaften. Dem Hirntod einer physischen Person ist die Vollbe- 6 endigung einer Personenhandelsgesellschaft oder einer juristischen Person gleichzuhalten. Vollbeendigung wird nicht schon allein durch die Löschung im Firmenbuch bewirkt. Diese hat lediglich rein deklarativen Charakter und berührt nicht die zivilprozessuale Partei- und Prozessfähigkeit der Gesellschaft (zur Personenhandelsgesellschaft etwa AnwBl 1991, 744 [zust Graff]; zur Kapitalgesellschaft etwa EvBl 1991/125 = GesRZ 1991, 225 [zust Dellinger], 3 Ob 24/95, 1 Ob 22/ 01v; vgl allgemein Fink in Fasching/Konecny II/2 § 155 Rz 17). Solange nämlich die Gesellschaft noch verwertbares und verteilbares Vermögen hat (EvBl 1991/125, 7 Ob 23/01k; OLG Wien infas 1992/A 63; Dellinger, GesRZ 1991, 227; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 155 Rz 15) bzw noch Abwicklungsbedarf besteht (7 Ob 23/01k mwN), weil ihre Rechtsverhältnisse zu Dritten noch nicht abgewickelt sind (GesRZ 1978, 82, SZ 58/168, 7 Ob 23/01k; VwGH GesRZ 1992, 21; krit Fink in Fasching/Konecny II/2 § 155 Rz 15) – dabei dürfen aber nicht nur Verbindlichkeiten vorhanden sein (Fink in Fasching/Konecny II/2 § 155 Rz 16) –, treten weder Vollbeendigung noch Verlust der Parteifähigkeit ein. Eine Unterbrechung nach § 155 oder eine Klagezurückweisung kommen nicht in Betracht. Dies gilt selbst dann, wenn eine GmbH aufgelöst wird (Koppensteiner, GmbHG § 84 Rz 27; 3 Ob 24/95). Nach § 40 Abs 1 FBG idF BGBl I 74/1999 wird die Vermögenslosigkeit einer Kapitalgesellschaft allerdings vermutet, wenn sie trotz Aufforderung durch das Firmenbuchgericht die Jahresabschlüsse und gegebenenfalls die Lageberichte von zwei aufeinanderfolgenden 881

§§ 155–157

Gitschthaler

Geschäftsjahren nicht vollständig vorlegt, es sei denn sie hat offenkundig Vermögen. Zur Vollbeendigung von Vereinen vgl nunmehr § 27 VereinsG 2002, der die Eintragung der Auflösung des Vereins bzw die Beendigung seiner Abwicklung als konstitutiv für das Ende der Rechtspersönlichkeit des Vereins anordnet (vgl Fink in Fasching/Konecny II/2 § 155 Rz 27).

7 Ist die Gesellschaft Kläger, so soll sie allein aufgrund ihrer Behauptung, ihr stehe ein Anspruch zu, der eben der Gegenstand des Rechtsstreits ist, noch Vermögen haben und damit nicht vollbeendet sein (SZ 62/127 = wbl 1990, 85 [zust Aicher], EvBl 1991/125, 8 Ob 6/94, 4 Ob 1509/96, 7 Ob 23/01k, 1 Ob 22/01v, JBl 2001, 598). Dabei muss es sich allerdings entweder um einen vermögensrechtlichen Anspruch handeln oder es steht hinter dem Anspruch etwa auf Unterlassung oder Rechtsgestaltung zumindest ein vermögensrechtliches Interesse (idS Oberhammer, OHG 176; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 155 Rz 18). Damit wird eine Vollbeendigung auf Klagsseite praktisch nicht relevant sein (vgl idS Rechberger/Simotta Rz 213/1; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 155 Rz 18). Von einem Vermögen auf Klagsseite in Form eines potenziellen Kostenersatzanspruchs kann aber wohl nur dann ausgegangen werden, wenn der geltend gemachte Anspruch schlüssig begründet ist (so auch Fink in Fasching/Konecny II/2 § 155 Rz 18) und in Anbetracht der angebotenen Beweismittel eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Prozesserfolgs gegeben ist, dh die Prozessführung nicht offenbar aussichtslos iS der Rsp zur Verfahrenshilfe erscheint, also schon ohne nähere Prüfung der Angriffs- und Abwehrmittel die Aussichtslosigkeit erkannt werden kann (vgl dazu bei § 63).

8 Die Rsp (EvBl 1991/125) hielt dies auch auf den Fall für anwendbar, in dem die Gesellschaft Beklagter ist, weil diese im Fall der Klageabweisung einen Kostentitel erlange und somit ihre Vermögenslosigkeit während des laufenden Prozesses noch nicht feststehe. Diese Auffassung wurde von Dellinger (GesRZ 1991, 227) und Hämmerle/Wünsch (Handelsrecht Bd 2 280) zutr mit dem Hinweis darauf kritisiert, dass eine Exekutionsführung gegen eine ansonst vermögenslose Gesellschaft – bei Prozessverlust steht ihr ja eine Prozesskostenforderung nicht zu – nicht möglich und daher die Weiterführung des Prozesses dem Gegner nicht zumutbar sei. Dem hat sich nunmehr auch die Rsp angeschlossen (8 Ob 6/94, 8 Ob 8/95, 1 Ob 2002/96k; aA Fink in Fasching/Konecny II/2 § 155 Rz 21, der generell jeden potenziellen Kostenersatzanspruch für ein die Vollbeendigung vorerst hinderndes Vermögen hält). Der Einwand gilt allerdings nicht, wenn die beklagte Gesellschaft eine 882

§§ 155–157

1.2 Verfahren

Gegenforderung einwendet (9 ObA 412/97x = ARD 4977/27/98; VwGH ARD 4977/27/98) oder Widerklage erhebt (Fink in Fasching/ Konecny II/2 § 155 Rz 19, 20 mwN), weil hier ja eine sonstige Forderung – wie auf Klagsseite – behauptet wird. Voraussetzung ist aber jedenfalls, dass die Klage überhaupt jemals zugestellt werden konnte (ARD 4980/ 21/98). Der gegen EvBl 1991/125 erhobene Einwand (Rz 8) gilt freilich auch für 9 eine klagende Gesellschaft, deren einziges Vermögen die behauptete Klagsforderung ist (aA Fink, JBl 2001, 674): Verliert sie den Prozess, so kann der Gegner auch hier seine Kosten nicht hereinbringen und gerät, wenn es sich um eine hohe Klagsforderung handelt, möglicherweise selbst in wirtschaftliche Schwierigkeiten, muss er sich doch gegen die Klagsforderung wehren, da sonst ein Titel gegen ihn ergehen würde (Versäumungsurteil). In 1 Ob 22/01v wurde allerdings dem Einwand der beklagten Partei, die ihr im Fall des Nichtbestehens der eingeklagten Forderung erwachsende Kostenbeschwer mache sie besonders schutzwürdig, mit dem (für sie wohl eher unbefriedigenden) Argument entgegen getreten, „es könne nicht rechtens sein, einem Kläger die Geltendmachung seiner allenfalls zu Recht bestehenden Forderung zu verwehren, um die beklagte Partei eines – wenn auch erheblichen – Prozesskostenrisikos zu entheben“. Mit der Vollbeendigung erlischt die Gesellschaft jedenfalls und ver- 10 liert auch grundsätzlich ihre Parteifähigkeit (SZ 62/127 = RdW 1990, 11, EvBl 1991/125, JBl 1999, 126 [verst Senat], 9 Ob 378/97x, 7 Ob 126/98z; VwGH GesRZ 1992, 211; Rechberger, Exekution, 68, 78; Fasching Rz 329; Dellinger, JBl 1991, 637; aA SZ 62/43 = ecolex 1990, 89 [abl Reich-Rohrwig]), weil es sich dabei um ein rechtliches Nichts handeln würde (Fasching Rz 329; SZ 62/127 = RdW 1990, 11, RdW 1995, 139). Wird eine Gesellschaft in eine andere Gesellschaft eingebracht oder ihr Vermögen durch eine andere Person übernommen, dann ist nach § 155 vorzugehen, wenn es sich im konkreten Fall um eine Gesamtrechtsnachfolge handelt (Fasching1 II 765; Ballon Rz 102; LGZ Graz MietSlg 41.552). Diese Frage ist nach handels- und gesellschaftsrechtlichen Vorschriften zu beurteilen. Eine formwechselnde Umwandlung einer juristischen Person führt hingegen nicht einmal zu einem Parteiwechsel, weil die Identität der betroffenen Gesellschaft gewahrt bleibt (vgl dazu ausführlich Fink in Fasching/Konecny II/2 § 155 Rz 12), sodass hier kein Anwendungsfall des § 155 gegeben ist. Im Fall der Vollbeendigung einer Personengesellschaft trat die Rsp 11 zunächst überwiegend für die Einstellung des Verfahrens ein, weil ge883

§§ 155–157

Gitschthaler

gen ein rechtliches Nichts nicht prozessiert werden könne (SZ 62/127 = RdW 1990, 11, RdW 1995, 139). Seit JBl 1999, 126 (verst Senat) ist dies jedoch dezidiert ausgeschlossen. SZ 62/43 wollte das Verfahren mit der vollbeendeten Gesellschaft zu Ende führen, was jedoch ebenfalls der Ansicht von JBl 1999, 126 (verst Senat) und dem Grundrecht auf ein faires Verfahren widersprechen dürfte (vgl bei Fink in Fasching/Konecny II/2 § 155 Rz 39). Das Verfahren kann zwar nicht gegen die Gesellschafter der vollbeendeten Personengesellschaft lediglich unter Berichtigung der Parteienbezeichnung fortgeführt werden (SZ 62/43, SZ 62/127, EvBl 1991/125; Dellinger, JBl 1991, 629; Rechberger/Simotta Rz 213/1; aA SZ 7/270, HS X/XI/3; Fasching1 II 762 und Rz 385). Dem Gegner ist aber die Möglichkeit einzuräumen, einen (gewillkürten) Parteiwechsel zu beantragen und dadurch die bisherigen Gesellschafter in den Prozess einzubeziehen (Zib, GesRZ 1988, 162; Dellinger, JBl 1991, 641; Oberhammer, OHG 189; ders, JBl 1999, 269; Ballon Rz 102; Rechberger/ Simotta Rz 213/1). Das Gericht hat die Zustimmung der Gesellschafter zu ersetzen, wenn sich ihre Weigerung nicht auf schutzwürdige Interessen stützt (Dellinger, JBl 1991, 629; Torggler/Kucsko in Straube, HGB2 § 157 Rz 4; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 155 Rz 34; vgl auch JAP 1992/93, 120 [abl Frauenberger] = wbl 1992, 262 [zust Dellinger]). Dieser Beschluss, der nach mündlicher Verhandlung zu fassen ist (§ 157), ist anfechtbar. Nach Oberhammer (OHG 210; vgl ders, JBl 1999, 268) und Rechberger/Simotta (Rz 213/1) soll gegen die Gesellschafter zunächst auf eine Feststellungs- („dass die Gesellschaft geschuldet hat“) und dann erst auf eine Leistungsklage umgestellt werden (offensichtlich zust referierend nunmehr Fink in Fasching/Konecny II/2 § 155 Rz 35, 36). Dies scheint unnötig kompliziert, zweckmäßiger ist die Aufrechterhaltung der bisherigen Leistungsklage.

12 Ist eine Kapitalgesellschaft vollbeendet, dann kann ihr Gegner nicht gezwungen werden, das Verfahren fortzusetzen, weil dadurch zwar weitere Kosten verursacht werden, von der wegen Vermögenslosigkeit gelöschten, rechtsnachfolgelosen Gesellschaft aber nichts mehr zu holen ist. Dem Gegner ist daher die Weiterführung des Prozesses nicht zumutbar. Das bisherige Verfahren ist für nichtig zu erklären (bei Kostenaufhebung) und die Klage zurückzuweisen. Allerdings kann der Gegner auch die Fortsetzung des Verfahrens gegen die vollbeendete Kapitalgesellschaft verlangen (JBl 1999, 126 [verstSenat], 9 Ob 378/97x, 7 Ob 126/98z; vgl dazu auch Oberhammer, JBl 1999, 268; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 155 Rz 37–44). Dies gilt sowohl für den Fall der amtswegigen Löschung der Kapitalgesellschaft als auch für den Fall der 884

§§ 155–157

1.2 Verfahren

Abweisung eines Konkursantrags mangels kostendeckenden Vermögens (8 Ob 197/02g, 1 Ob 153/02k, 7 Ob 242/03v, 7 Ob 167/05t). Der Wille zur Verfahrensfortsetzung gegen die aufgelöste oder gelöschte Kapitalgesellschaft muss allerdings nicht ausdrücklich erklärt werden, sondern kann sich vielmehr auch daraus ergeben, dass der Gegner trotz der ihm bekannten, den Verlust der Parteifähigkeit herbeiführenden Umstände das Verfahren durch Anträge oder Rechtsmittel fortsetzt (1 Ob 153/02k). Rechtsnachfolge. Liegt Gesamtrechtsnachfolge (vgl etwa SZ 62/127 13 [einer von zwei Gesellschaftern einer Personenhandelsgesellschaft scheidet aus], MietSlg 46.630, 3 Ob 81/01k = ecolex 2002/199 [Verschmelzung zweier GmbHs], 6 Ob 178/98i = MietSlg 50.731, 2 Ob 156/ 01g [Übertragung einer GmbH auf einen Gesellschafter], 9 Ob 135/04z [Verschmelzung einer AG]; s auch die Beispiele bei Fasching1 II 761, bei Fink in Fasching/Konecny II/2 § 155 Rz 9 und bei § 235) vor und wird die Gesellschaft durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten, so ist die Parteibezeichnung auf den oder die Gesamtrechtsnachfolger richtig zu stellen (Fasching1 II 765; Grießer, RdW 1997, 671; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 155 Rz 8; 9 Ob 135/04z). Die Gesamtrechtsnachfolger treten auch im Prozessverhältnis ipso iure an deren Stelle (Rechberger/Simotta Rz 211). Wird sie jedoch nicht vertreten, so sind die §§ 155 bis 157 analog anzuwenden (Zib, GesRZ 1988, 162; Dellinger, JBl 1991, 640; vgl auch SZ 62/127). Es tritt Unterbrechung ein und die Gesamtrechtsnachfolger können (oder auch müssen) unter den zu Rz 11 beschriebenen Voraussetzungen in den Prozess eintreten (vgl SZ 67/ 235, 2 Ob 517/95, EvBl 1995/66; aA Fink in Fasching/Konecny II/2 § 155 Rz 8 unter Berufung auf Rechberger/Oberhammer, ecolex 1993, 515). Auch in diesem Fall ist dann die Parteienbezeichnung richtig zu stellen. Gibt es nur eine Einzelrechtsnachfolge (so etwa bei Einbringung eines 14 Einzelunternehmens [7 Ob 397/97a] oder einer KG [EvBl 1991/125; aA Graff, AnwBl 1991, 745] in eine AG, bei Einbringung einer AG in eine andere AG nach § 1 StruktVG [NZ 1993, 282] oder bei Übernahme des gesamten Vermögens einer Personenhandelsgesellschaft durch eine GmbH [SZ 37/132, JZ 62/43], ebenso bei Bestandsübertragungen nach §§ 13, 13a, 13b, 13e VAG; weitere Beispiele bei Fasching1 II 761 und Fink in Fasching/Konecny II/2 § 155 Rz 13), so ist nach § 234 vorzugehen. Gibt es keinen Rechtsnachfolger, ist die Klage grundsätzlich zurückzuweisen (Buchegger, BeitrZPR II 21; Rechberger, FS Fasching 389; Dellinger, JBl 1991, 637 FN 85; Ballon Rz 105; EvBl 1991/125, SZ 62/127) und das bisherige Verfahren für nichtig zu erklären. 885

§§ 155–157

Gitschthaler

15 Partielle Gesamtrechtsnachfolge. Dabei handelt es sich um eine materiellrechtliche Gesamtrechtsnachfolge in bestimmte Vermögensteile, die nicht zum Untergang des Rechtsvorgängers führt (vgl etwa § 8a KWG, § 61a VAG, § 1 Abs 2 Z 2 SpaltG, die Bank- und Versicherungsbetriebe sowie „gespaltene“ Kapitalgesellschaften betreffen). Sie ist prozessual beachtlich (JBl 1994, 626, RdW 1994, 145, 6 Ob 508/95, ecolex 1998, 398). Dabei kann es im Einzelfall allerdings strittig sein, ob das konkrete Verfahren vom Übergang betroffen ist (Rechberger/Oberhammer, ecolex 1993, 513; Grießer, RdW 1997, 671). Diese Frage ist in analoger Anwendung des § 157 nach mündlicher Verhandlung vom Gericht mit Beschluss zu entscheiden (Rechberger/Oberhammer, ecolex 1993, 513; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 155 Rz 11; SZ 68/91 = wbl 1995, 465; krit Grießer, RdW 1997, 671) und sodann die Parteienbezeichnung richtig zu stellen (SZ 68/91). Die Frage, ob das Verfahren unterbrochen wird oder nicht, ist so zu lösen wie bei der Gesamtrechtsnachfolge.

16 Fortsetzung des Verfahrens. Das unterbrochene Verfahren kann entweder von den Gesamtrechtsnachfolgern – also nicht von Einzelrechtsnachfolgern oder Nachfolgern aufgrund einer Sonderrechtsnachfolge (etwa gemäß § 14 Abs 2 MRG [LGZ Graz MietSlg 41.552]), aber auch nicht von einem Nebenintervenienten (OLG Linz 2 R 79/02d) – der verstorbenen physischen Person bzw der vollbeendeten, eingebrachten oder umgewandelten Gesellschaft oder von dem (vom Abhandlungsgericht) bestellten Verlassenschaftskurator aufgenommen werden (§ 155 Abs 2). Dabei kann auch der Gegner die Bestellung eines Verlassenschaftskurators beim Verlassenschaftsgericht veranlassen (zu den Kostenfolgen s § 10). Weder die Nachfolger noch der Verlassenschaftskurator sind jedoch verpflichtet, aus eigenem den Rechtsstreit selbst aufzunehmen.

17 Dem Gegner steht das Recht zu, die Aufnahme des Verfahren dadurch zu bewirken, dass er die Ladung der Rechtsnachfolger oder des Verlassenschaftskurators beantragt, wobei er die behauptete Rechtsnachfolge auch bescheinigen muss (Fasching Rz 384). Andernfalls wäre der Antrag von vornherein abzuweisen. Wurde die Rechtsnachfolge bescheinigt, so sind die Rechtsnachfolger mittels RSa-Sendung (§ 155 Abs 4) zu laden. Die Ladung hat im Anwaltsprozess auch die Aufforderung, rechtzeitig einen Rechtsanwalt zu bestellen, sowie eine Belehrung über die Rechtsfolgen einer allfälligen Unterlassung zu enthalten (7 Ob 91/57). In der Tagsatzung ist das Verfahren gegen sie – mittels Beschlusses – unter Angabe des genauen Zeitpunkts der Aufnahme (§ 166 Abs 1) als aufgenommen zu erklären, uzw dann, wenn die 886

§ 158

1.2 Verfahren

Rechtsnachfolger zu dieser Tagsatzung entweder nicht erscheinen oder unbegründet ihre Verpflichtung, in den Prozess eintreten zu müssen, bestreiten. Die Verhandlung kann in der Sache selbst sofort aufgenommen werden, auch wenn der Aufnahmebeschluss noch nicht rechtskräftig geworden ist (§ 157). Bestreiten jedoch die „Rechtsnachfolger“ erfolgreich ihre Verpflichtung, in den Prozess eintreten zu müssen, so ist der Aufnahmeantrag abzuweisen (Fasching Rz 384). Eine Aufnahme des Verfahrens muss in allen Fällen durch Beschluss 18 angeordnet werden (RZ 1986/40, MietSlg 42.497; Ballon Rz 271). Eine konkludente Aufnahme ist nicht möglich (s insb auch § 164), weil es keine konkludenten Prozesshandlungen und keine impliziten Gerichtsentscheidungen gibt (MietSlg 42.497; vgl auch Vor § 74). Dieser Beschluss ist anfechtbar (SZ 66/178). Vgl ausführlich Fink in Fasching/ Konecny II/2 § 155 Rz 56–66. Verlust der Prozeßfähigkeit, Wechsel in der Person des gesetzlichen Vertreters § 158. (1) Wenn eine Partei die Prozeßfähigkeit verliert, oder wenn der gesetzliche Vertreter einer Partei stirbt oder dessen Vertretungsbefugnis aufhört, ohne dass die Partei prozeßfähig geworden ist, wird das Verfahren nur dann unterbrochen, wenn die von diesen Veränderungen betroffene Partei weder durch einen Rechtsanwalt, noch durch eine andere mit Prozeßvollmacht ausgestattete Person vertreten ist. (2) Die Unterbrechung dauert in diesen Fällen so lange, bis der gesetzliche Vertreter oder der neue gesetzliche Vertreter von seiner Bestellung dem Gegner Anzeige macht und das Verfahren aufnimmt. (3) Um eine solche Aufnahme zu bewirken, kann auch der Gegner die Ladung des gesetzlichen Vertreters der prozeßunfähig gewordenen Partei oder des neuen gesetzlichen Vertreters beantragen. [Abs 1 geändert durch StGBl 1919/95; sonst Stammfassung] Grundsätzlich kann Prozessunfähigkeit etwa auch infolge Einleitung 1 eines Zwangsverwaltungsverfahrens gegen eine Partei eintreten (s Näheres dazu bei Fasching1 II 772; Angst in Angst § 109 Rz 11 EO; LGZ Wien EvBl 1936/403; aA SZ 64/183 = JBl 1992, 319, 7 Ob 502/94, 1 Ob 23/01s = JBl 2001, 598, 6 Ob 276/01h; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 158 Rz 9), idR handelt es sich aber um jene Fälle, in welchen die Partei aufgrund nunmehr fehlender intellektueller Fähigkeiten als prozessunfähig angesehen werden muss (zur Frage der Prozessunfähigkeit s § 1). Umfasst sind jene Fälle, in welchen eine Partei, die keinen Prozessbevollmächtigten hat, „handlungsunfähig“ wird, uzw weil sie 887

§ 158

Gitschthaler

a) selbst während des Prozesses (eine schon ursprünglich bestandene Prozessunfähigkeit ist kein Anwendungsfall des § 158 [LGZ Wien EFSlg 98.201; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 158 Rz 2, 6]) ihre Prozessfähigkeit oder b) – bereits zuvor prozessunfähig – ihren gesetzlichen Vertreter verliert, ohne dadurch selbst prozessfähig zu werden (etwa durch Eintritt ihrer Volljährigkeit oder durch Beendigung der Sachwalterbestellung). Dabei ist es unerheblich, ob der gesetzliche Vertreter gestorben ist oder seine eigene Prozessfähigkeit verloren hat. Steht allerdings die Prozessfähigkeit einer Partei fest, liegt kein Anwendungsfall des § 158 ZPO vor, wenn der gewillkürte Vertreter (im Anwaltsprozess) seine Vollmacht kündigt (4 Ob 31/04v = RdW 2004/ 493).

2 § 158 ist sowohl auf physische als auch auf juristische Personen anzuwenden (9 ObA 92/02y = GesRZ 2002, 209). Nach Fasching1 (II 158) soll eine Unterbrechung auch dann eintreten, wenn ein Abwesenheitskurator enthoben wird (idS wohl auch 1 Ob 212/54), desgl dann, wenn der gesetzliche Vertreter einer prozessunfähigen Partei – ohne Bestellung eines Nachfolgers – enthoben wird. Bei juristischen Personen kann zwar lediglich der Wechsel der zur Vertretung berechtigten Personen nicht zu einer Unterbrechung führen (GlUNF 1653; Fasching1 II 772; Oberhammer, OHG 158; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 158 Rz 13, 15 [Wechsel des Vertreters ohne „Interregnum“]). Ist jedoch einer von zwei kollektivvertretungsbefugten Vertretern einer Gesellschaft aufgrund einer Interessenkollision nicht mehr befugt, rechtswirksame Erklärungen für die Gesellschaft abzugeben, wird das Verfahren ebenfalls unterbrochen (vgl SZ 54/123 = EvBl 1982/86). Dies gilt auch dann, wenn etwa ein Geschäftsführer einer GmbH diese Gesellschaft, vertreten durch den zweiten Geschäftsführer, klagt und während des Verfahrens dessen Funktion erlischt. In diesen Fällen wird das Verfahren unterbrochen, wenn die juristische Person nicht anwaltlich vertreten war, und bleibt unterbrochen, bis ein neuer Geschäftsführer oder (Kollisions-)Kurator bestellt wird (9 ObA 92/02y = GesRZ 2002, 209). Weitere Einzelfälle s bei Fink in Fasching/Konecny II/2 § 158 Rz 13.

3 Bei Enthebung, Tod oder Amtsverlust des Masseverwalters kommt es nach hM (Buchegger in Bartsch/Pollak/Buchegger § 7 Rz 54; Riel, Befugnisse 136; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 158 Rz 14; vgl auch SZ 64/ 183 = JBl 1992, 319; aA OLG Linz 11 Ra 104/03y) zur Unterbrechung des Verfahrens in analoger Anwendung des § 158, es sei denn es wird sofort, also uno actu, ein neuer Masseverwalter bestellt (SZ 64/183, 9 ObA 149/03g = ZIK 2004/172; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 158 Rz 14). 888

§ 158

1.2 Verfahren

Nach Auffassung des OLG Linz (11 Ra 104/03y) sollen aber auch in letzterem Fall Fristen neu zu laufen beginnen, weil es sich um eine der Umbestellung eines Verfahrenshelfers vergleichbare Situation handle. Diese Auffassung ist im Ergebnis zu billigen, weil die zu § 159 angeführten Begründungen, warum ein Verfahren bei Konkurseröffnung unterbrochen werden soll, auch hier zu berücksichtigen sind: es sollen nämlich allfällige Säumnisfolgen hintan gehalten und dem mit dem Rechtsstreit nicht vertrauten Masseverwalter eine Einarbeitungs- und Überlegungszeit eingeräumt werden (JBl 2001, 598; Schubert in Konecny/Schubert § 7 KO Rz 1; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 159 Rz 2). Gerade dies trifft aber auch auf den „neuen“ Masseverwalter zu, abgesehen davon, dass auch die Berufung auf § 158 den Schutz der Vermögensmasse als die Vertretene in den Vordergrund stellt (vgl Fink in Fasching/Konecny II/2 § 158 Rz 14). Der OGH (9 ObA 149/03g = ZIK 2004/172) hat diese Auffassung allerdings mit der Begründung abgelehnt, es komme überhaupt nicht zu einer Unterbrechung des Verfahrens, weil es in der Praxis üblich sei, bei Enthebung des früheren Masseverwalters sofort einen neuen Masseverwalter zu bestellen. Der Prozess wird dann mit Eintritt der Prozessunfähigkeit ex lege (die 4 Fassung eines deklarativen Unterbrechungsbeschlusses wäre iSd Rechtssicherheit wünschenswert) unterbrochen, wenn die Partei nicht durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten ist (RZ 1967, 93). Die Beurteilung der Prozessfähigkeit von der inländischen Pflegschaftsgerichtsbarkeit unterworfenen psychisch kranken oder geistig behinderten Personen ist aber seit Einführung des § 6a ausschließlich dem Pflegschaftsgericht zugewiesen (SZ 60/56; Gitschthaler, JBl 1991, 294; ders, JBl 1997, 183 [Entscheidungsbesprechung]; Fink in Fasching/ Konecny II/2 § 158 Rz 7). Damit wird im Anwendungsbereich des SachwG § 158 insofern ergänzt, als die dort vorgesehene Unterbrechung zwar sofort eintritt, das Prozessgericht die Frage, ob tatsächlich Prozessunfähigkeit gegeben ist oder nicht, jedoch nicht selbstständig prüfen darf. Es hat vielmehr das Sachwalterschaftsgericht zu verständigen, an dessen Beschluss es gebunden ist (idS bereits Fasching Rz 357; EvBl 1986/162). Da der Verlust der Geschäftsfähigkeit des Vollmachtgebers das Bestehen der vorher erteilten Prozessvollmacht nicht berührt (§ 35 Abs 1 zweiter Fall), kann die Partei durch einen vor dem Verlust der Geschäftsfähigkeit gültig bestellten Vertreter jedoch vor Gericht weiter handeln (SZ 58/33 = JBl 1986, 51, JBl 1989, 117, EvBl 1992/76; Gitschthaler, JBl 1991, 295; ders, JBl 1997, 183 [Entscheidungsbesprechung]; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 158 Rz 4); eine Unterbrechung tritt in diesem Fall nicht ein. Das Gericht hat aber nach § 6a auch in diesen 889

§ 159

Gitschthaler

Fällen das Sachwalterschaftsgericht zu verständigen (Gitschthaler, JBl 1991, 296; ders, JBl 1997, 183 [Entscheidungsbesprechung]; Ballon Rz 109; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 158 Rz 4; aA JBl 1989, 117), wenn sich bei einer Partei Anzeichen für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 273 ABGB ergeben.

5 Im Gegensatz zu § 155 wird nach § 158 ein Verfahren nicht unterbrochen, wenn eine durch einen Verfahrenshilfeanwalt vertretene Partei prozessunfähig wird (EvBl 1962/274; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 158 Rz 5).

6 Die Aufnahme des unterbrochenen Verfahrens erfolgt auf Seiten der betroffenen Partei durch den nunmehr bestellten gesetzlichen Vertreter, der (mittels Schriftsatzes oder allenfalls zu Protokoll) seine Bestellung anzeigt und auch erklärt, das Verfahren aufzunehmen. Nimmt er das Verfahren nicht selbst auf, so kann der Gegner seine Ladung beantragen (sie ist unter sinngemäßer Anwendung des § 155 Abs 3 mittels RSaSendung zuzustellen). Die tatsächlich erfolgte Bestellung des gesetzlichen Vertreters hat der Gegner zu bescheinigen; sie ist vom Gericht (allerdings nicht im Rahmen einer Tagsatzung) zu prüfen (Fasching1 II 774; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 158 Rz 22, 23). Nimmt sie das Gericht als bescheinigt an, so hat es einen Aufnahmebeschluss nach § 164 zu fassen und das Verfahren fortzuführen, andernfalls den Aufnahmeantrag abzuweisen. Hatte ein Zustellmangel auf den Gang des Verfahrens keinen Einfluss, weil er erst nach Fällung der Entscheidung eingetreten ist, etwa weil die Partei erst nach diesem Zeitpunkt prozessunfähig wurde, kann Abhilfe jedenfalls nur in dem vom Mangel betroffenen Verfahren gesucht werden und ist dort ein Zustellantrag zu stellen (1 Ob 6/01s [verst Senat], 6 Ob 127/03z), es ist also nicht mit Nichtigkeitsklage vorzugehen. Konkurseröffnung § 159. Inwiefern bei Eröffnung des Konkurses über das Vermögen einer Partei eine Unterbrechung des Verfahrens eintritt, wird durch die Konkursordnung bestimmt. [Stammfassung] Inhaltsübersicht Verfahrensunterbrechende Wirkung – Inländ Verfahren – Ausländ Verfahren

1–5 2 3 890

Unterbrochene Verfahren 6–7 Unterbrechungsbeschluss 8–9 Fortsetzung des Verfahrens 10–11

§ 159

1.2 Verfahren

§ 159 spricht zwar ausdrücklich nur von der Eröffnung eines Konkur- 1 ses, doch handelt es sich auch beim Schuldenregulierungsverfahren nach §§ 181 ff KO um ein Konkursverfahren. Deshalb hat auch dessen Eröffnung verfahrensunterbrechende Wirkung (ZIK 1997, 96, 2 Ob 2021/96m, 1 Ob 205/97x, SZ 70/105 = JBl 1997, 742, 9 Ob 321/98s = EvBl 1999/130, ZIK 1999, 159). Dies hat jedenfalls dann zu gelten, wenn dem Schuldner nach § 186 KO die Eigenverwaltung nicht zusteht. Um dem Gericht die Möglichkeit zu geben, sondieren zu können, welche Prozesse die Masse zu führen hat und welche aus der Masse auszuscheiden sind, soll die verfahrensunterbrechende Wirkung auch dann eintreten, wenn dem Schuldner die Eigenverwaltung zusteht (Mohr in Konecny/Schubert § 187 KO Rz 3 mwN aus der Lit; ZIK 1997, 96), doch kann der Schuldner in diesem Fall sowohl Prüfungs- (Mohr in Konecny/ Schubert § 188 KO Rz 6 mwN) als auch Arbeitsgerichtsprozesse (SZ 70/ 105) führen. Dabei bedarf er allerdings der Zustimmung des Konkursgerichts und hat Zahlung an das Konkursgericht (richtig wohl: an die Masse) zu begehren (auf die entsprechende Richtigstellung des Klagebegehrens hat das Prozessgericht von Amts wegen zu achten). Vgl auch Fink in Fasching/Konecny II/2 § 159 Rz 61. Die in § 3 Abs 2 AO vorgesehene Beschränkung des Ausgleichsschuldners auf die einem Gemeinschuldner zustehende Verfügungsmacht wurde durch das IRÄG 1997 beseitigt, sodass die Eröffnung eines Ausgleichsverfahrens den Zivilprozess nicht berührt (Fink in Fasching/Konecny II/2 § 159 Rz 62). Maßgeblich ist zunächst einmal (nur) ein inländisches Insolvenzver- 2 fahren (SZ 7/112, SZ 14/110, 7 Ob 201/75, 8 Ob 566/83, ZIK 1997, 59, 221, JBl 1999, 397; Schubert in Konecny/Schubert § 7 KO Rz 2). Allerdings ist bei Vorliegen von Auslandsbeziehungen hinsichtlich des konkreten Verfahrens zu prüfen, ob nicht ein Anspruch geltend gemacht wird, der das zur Konkursmasse gehörende Vermögen nicht betrifft. Zu den „Gemeinschuldnerprozessen“ gehören ua Streitigkeiten vermögensrechtlicher Natur nur, wenn deren Streitgegenstand weder einen Aktiv- noch einen Passivbestandteil der (Soll-)Konkursmasse bildet (SZ 69/90 = EvBl 1997/7, 3 Ob 158/00g). Aufgrund des herrschenden Territorialitätsprinzips – jedenfalls dann, wenn es um Staaten geht, in denen der Inlandskonkurs nicht anerkannt wird – stellt aber im Ausland befindliches Vermögen, sofern nicht ein Staatsvertrag anderes bestimmt, konkursfreies Vermögen des Gemeinschuldners dar, sodass ein diesbezüglich geführtes Verfahren auch nicht unterbrochen wird (Buchegger in Bartsch/Pollak/Buchegger § 1 KO Rz 119; 2 Ob 316/99f mwN = JBl 2000, 394 [krit Burgstaller], 3 Ob 158/00g, 1 Ob 159/01s, 3 Ob 120/01w). Im Anwendungsbereich der seit 31.5.2002 geltenden 891

§ 159

Gitschthaler

EuInsVO (gesamte EU) gilt dies allerdings nicht mehr, weil die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens durch ein nach Art 3 EuInsVO zuständiges Gericht nach Art 16 Abs 1 EuInsVO in allen übrigen Mitgliedstaaten anerkannt wird, sobald die Entscheidung im Staat der Verfahrenseröffnung wirksam ist, womit im EU-Ausland befindliches Vermögen kein konkursfreies mehr ist (idS wohl auch Fink in Fasching/ Konecny II/2 § 159 Rz 14).

3 Umgekehrt kann auch ein ausländisches Insolvenzverfahren bedeutsam sein, wenn im Inland überhaupt kein Vermögen der Partei vorhanden ist (SZ 7/154), ausländische Behörden bereits die Ausfolgung des inländischen Vermögens begehrt haben (SZ 7/112, 7 Ob 201/75; vgl auch Habscheid, FS Matscher 163) oder Gegenseitigkeit durch Staatsverträge gegeben ist (Schubert in Konecny/Schubert § 7 KO Rz 2; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 159 Rz 63). Auch in diesem Zusammenhang ist nunmehr jedoch die EuInsVO zu beachten (vgl auch Rz 2). Ist die Entscheidung im Staat der Verfahrenseröffnung wirksam – dies wird vom HG Wien in die Insolvenzdatei aufgenommen – und handelt es sich dabei um einen Mitgliedstaat der EU, ist das eröffnete Verfahren in der gesamten EU – und damit auch in Österreich – wirksam (Mohr, Insolvenzrecht 123). Deshalb wird ein Verfahren im Inland bei Massezugehörigkeit des geltend gemachten Anspruchs gemäß § 7 KO unterbrochen (Art 15 EuInsVO; Duursma-Kepplinger in Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky Art 15 Rz 5, 10; Fink in Fasching/Konecny II/ 2 § 159 Rz 64, 65). Nach § 240 Abs 1 KO idF BGBl I 36/2003 werden die Wirkungen eines in einem anderen Staat eröffneten Insolvenzverfahrens und die in einem solchen Verfahren ergangenen Entscheidungen in Österreich grundsätzlich anerkannt, wenn der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners im anderen Staat liegt und das Insolvenzverfahren in den Grundzügen einem österreichischen vergleichbar ist, insb österreichische Gläubiger wie Gläubiger aus dem Staat der Verfahrenseröffnung behandelt werden. Das Recht des Mitgliedstaats, in dem das Verfahren anhängig ist, bestimmt ua die Frage der Aussetzung oder Fortführung des Rechtsstreits, dh selbst bei einer Unterbrechung im Konkurseröffnungsstaat hat eine solche im Prozessstaat nicht zu erfolgen, wenn dies die Rechtsordnung des Prozessstaats nicht vorsieht, oder umgekehrt (DuursmaKepplinger in Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky Art 15 Rz 20, 21; 9 Ob 135/04z [Sicherungsverfahren nach §§ 21 ff dInsO]).

4 § 159 ist nur auf Fälle anzuwenden, in denen die Eröffnung des Konkursverfahrens nach Gerichtsanhängigkeit (nicht erst Streitanhängigkeit [Fasching1 II 776; Schubert in Konecny/Schubert § 7 KO Rz 3; Fink in 892

§ 159

1.2 Verfahren

Fasching/Konecny II/2 § 159 Rz 58]) des Verfahrens stattfindet. Wird das Insolvenzverfahren zwischen Gerichtsanhängigkeit und Zustellung der Klage eröffnet, so darf die Klage nur mehr an den Masseverwalter zugestellt werden (Fasching1 II 777). Fand die Eröffnung jedoch bereits vor Klageeinbringung statt, so ist die Klage zurückzuweisen und das bisher durchgeführte Verfahren für nichtig zu erklären (Fink in Fasching/Konecny II/2 § 159 Rz 60; ZIK 1997, 59; zu diesbezüglichen Kostenfragen s § 51). Anhang: Konkursordnung (KO):

5

§6 (3) Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche, die das zur Konkursmasse gehörige Vermögen überhaupt nicht betreffen, insbesondere über Ansprüche auf persönliche Leistungen des Gemeinschuldners, können auch während des Konkurses gegen den Gemeinschuldner oder von ihm anhängig gemacht und fortgesetzt werden. §7 (1) Alle anhängigen Rechtsstreitigkeiten, in denen der Gemeinschuldner Kläger oder Beklagter ist, mit Ausnahme der in § 6 Absatz 3 bezeichneten Streitigkeiten, werden durch die Konkurseröffnung unterbrochen. Auf Streitgenossen des Gemeinschuldners wirkt die Unterbrechung nur dann, wenn sie mit dem Gemeinschuldner eine einheitliche Streitpartei bilden (§ 14 ZPO). (2) Das Verfahren kann vom Masseverwalter, von den Streitgenossen des Gemeinschuldners und vom Gegner aufgenommen werden. (3) Bei Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche, die der Anmeldung im Konkurse unterliegen, kann das Verfahren vor Abschluß der Prüfungstagsatzung nicht aufgenommen werden. Anstelle des Masseverwalters können auch Konkursgläubiger, die die Forderung bei der Prüfungstagsatzung bestritten haben, das Verfahren aufnehmen. Die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen einer Partei 6 unterbricht alle Zivilprozesse, in denen der Gemeinschuldner oder einer seiner Streitgenossen nach § 14 (SZ 51/10 = EvBl 1978/123, 8 Ob 103/98z, 2 Ob 249/00g = immolex 2001/21; Rechberger/Simotta Rz 212; Schubert in Konecny/Schubert § 7 KO Rz 6–8; Buchegger in Bartsch/ Pollak/Buchegger § 7 KO Rz 36–38; vgl ausführlich auch Fink in Fasching/Konecny II/2 § 159 Rz 55–57) Kläger oder Beklagter sind. Dabei ist es gleichgültig, ob sich das Verfahren erst in erster Instanz oder schon 893

§ 159

Gitschthaler

im Rechtsmittelstadium befindet (MietSlg 30.909, EvBl 1982/119, ecolex 1993, 557). Ebenso wenig kommt es darauf an, ob die Konkurseröffnung das Verfahren zur Gänze oder lediglich teilweise betrifft (JBl 1962, 334, 3 Ob 236/97w = ZIK 1998, 28, 9 ObA 118/04z [keine Teilunterbrechung]; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 159 Rz 5). Solange zweifelhaft ist, ob Ansprüche zur Konkursmasse gehören, sind sie als Massebestandteile zu behandeln (§ 97 KO; 1 Ob 159/01s = EvBl 2002/16; Buchegger in Bartsch/Pollak/Buchegger § 1 KO Rz 122; Fink in Fasching/ Konecny II/2 § 159 Rz 4). Dies gilt aber nur dann, wenn Tatfragen strittig sind, nicht jedoch auch bei strittigen Rechtsfragen; in diesem Fall hat das Gericht von Amts wegen die Frage der Massezugehörigkeit zu beurteilen (1 Ob 159/01s = EvBl 2002/16).

7 Unterbrochen werden etwa auch Verfahren über ein Begehren auf Auskunftserteilung, Beeidigung und Ausfolgung von Urkunden, das der Durchsetzung eines Zahlungsbegehrens dient (ZIK 1998, 28), oder ein Haftpflichtprozess, selbst wenn er die Befriedigung aus der Versicherungssumme zum Gegenstand hat (SZ 51/10, RZ 1982/47) – weitere Beispiele bei Fink in Fasching/Konecny II/2 § 159 Rz 21–30) –, nicht aber Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche, die das zur Konkursmasse gehörige Vermögen überhaupt nicht betreffen (SZ 35/43 = EvBl 1962/329) oder Rechte ohne Tausch- oder Ertragswert zum Gegenstand haben (ZIK 1998, 95). Jedenfalls nicht erfasst werden von der Konkurseröffnung Rechtsstreitigkeiten, die Ansprüche auf persönliche Leistungen des Gemeinschuldners oder nichtvermögensrechtliche Ansprüche zum Gegenstand haben (Fasching Rz 605; s die in MGA KO10 § 6/E 102 bis 124 angeführten Beispiele aus der Rsp; vgl auch Sprung/ Fink, FS Fasching 498; Schubert in Konecny/Schubert § 6 KO Rz 50; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 159 Rz 6–13). Verzichten die Konkursgläubiger auf eine Befriedigung ihres – den Streitgegenstand bildenden – Anspruchs aus der Konkursmasse, soll der Rechtsstreit nicht unterbrochen werden (RdW 1988, 388, ZIK 1999, 58, SZ 69/70 = EvBl 1997/7 ua; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 159 Rz 17). Dies ist allerdings dahingehend zu verstehen, dass es lediglich zu einer Fortsetzung des Verfahrens kommen kann, weil zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung dieser Verzicht ja noch nicht bekannt ist (idS auch Fink in Fasching/Konecny II/2 § 159 Rz 17 [es bedarf eines über entsprechenden Antrag ergehenden Aufnahmebeschlusses]).

8 Unterbrechungsbeschluss. Die Unterbrechung tritt in jeder Lage des Verfahrens ex lege (OLG Innsbruck EvBl 1985/144; LGZ Wien MietSlg 38.867; Ballon Rz 270; Schubert in Konecny/Schubert § 7 KO Rz 29, 30), uzw mit 0.00 Uhr des jenem Tag folgenden Tages ein, an welchem das 894

§ 159

1.2 Verfahren

Konkursedikt öffentlich bekannt gemacht wurde (früher Anschlag an der Amtstafel des Konkursgerichts, seit 1.1.2000 Eintragung in die Insolvenzdatei [vgl § 2 KO idFd IRÄG 1997, § 173a KO; Buchegger in Bartsch/Pollak/Buchegger § 7 KO Rz 18; Fink in Fasching/Konecny II/ 2 § 159 Rz 67; insoweit überholt LG Klagenfurt Arb 10.165]). Sie dauert bis zur Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses fort (ZIK 2000/68). Der Unterbrechungsbeschluss des Prozessgerichts hat grundsätzlich 9 nur deklarative Wirkung (SZ 44/63 = ÖBl 1971, 158, EvBl 1994/163, 1 Ob 200/98p; Ballon Rz 270; Schubert in Konecny/Schubert § 7 KO Rz 29; Buchegger in Bartsch/Pollak/Buchegger § 7 KO Rz 22), weshalb auch keine Antragslegitimation des Masseverwalters besteht (Buchegger in Bartsch/Pollak/Buchegger § 7 KO Rz 21). Er kann aber angefochten werden (Fink in Fasching/Konecny II/2 § 159 Rz 69), wenn das Verfahren nicht unterbrochen, sondern die Klage richtigerweise hätte zurückgewiesen werden müssen (JBl 1973, 93, EvBl 1994/163). Verneint das Gericht den Eintritt der Prozessunterbrechung, etwa weil es einen Ausnahmetatbestand des § 6 Abs 3 KO für gegeben erachtet, so ist auch dieser Beschluss anfechtbar (Rsp 1927/7), weil die Rechtsmittelbeschränkungen des § 192 Abs 2 nicht anwendbar sind (SZ 34/178 = JBl 1962, 445). Dies gilt aber dann nicht, wenn es sich um einen Beschluss des Rekursgerichts handeln würde, mit dem dem Erstgericht die Einleitung des Verfahrens über die a limine zurückgewiesene Klage aufgetragen wird (ZIK 2000/206). Desgl kann mit Rekurs geltend gemacht werden, dass das Gericht zu Unrecht die Fortsetzung des Verfahrens verweigert (MR 1991, 28, RZ 1995/22 [die Verweisung der Parteien auf die Möglichkeit, einen Aufnahmeantrag zu stellen und den allenfalls ablehnenden Beschluss anzufechten, ist weder notwendig noch zweckmäßig], 3 Ob 158/00g; Ballon Rz 270). Dies gilt auch dann, wenn den Unterbrechungsbeschluss das Berufungsgericht gefasst hat, weil es mit seiner Entscheidung die weitere Prozessführung abschneidet und daher ein Fall des § 519 Abs 1 Z 1 vorliegt (MR 1991, 28, 3 Ob 158/00g, 6 Ob 276/01h; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 159 Rz 72; Schubert in Konecny/Schubert § 7 KO Rz 49; idS wohl auch Buchegger in Bartsch/Pollak/Buchegger § 7 KO Rz 23). Unterbricht das Rekursgericht aus Anlass des Rekurses das Verfahren, ist dies ohne Rücksicht auf das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage iS des § 528 Abs 1 anfechtbar (1 Ob 182/01y). All diese Rechtsmittelverfahren sind einseitig (ZIK 1995, 88; Schubert in Konecny/Schubert § 7 KO Rz 49). Zur Fortsetzung des unterbrochenen Verfahrens vgl allgemein bei 10 §§ 164 bis 166. Von wem das durch Konkurseröffnung unterbrochene Verfahren konkret wieder aufgenommen werden kann und ab wann, 895

§ 160

Gitschthaler

hängt davon ab, welche Stellung der Gemeinschuldner im Prozess hatte und welche Art von Anspruch Gegenstand des Rechtsstreits war. Grundsätzlich kommen der Masseverwalter, die Streitgenossen des Gemeinschuldners und dessen Gegner in Frage (§ 7 Abs 2 KO). Die Beantwortung dieser Frage richtet sich nach insolvenzrechtlichen Bestimmungen (vgl dazu auch Rechberger/Simotta Rz 212; ausführlich Fink in Fasching/Konecny II/2 § 159 Rz 86–125). Grundsätzlich können der Masseverwalter (JBl 1978, 433, 5 Ob 311/ 84, 8 Ob 35/97y) und auch der Gegner des Gemeinschuldners (SZ 52/ 144, 4 Ob 64/85, MR 1991, 28, 7 Ob 402/97m, 5 Ob 224/98x, ZIK 2001/ 39, 2001/219) nach Abschluss des Prüfungsverfahrens einen Fortsetzungsantrag stellen, wenn der Bestand oder der Rang der Forderung bestritten wurde. Meldet der Gegner des Gemeinschuldners seine Forderung nicht an und vereitelt dadurch die Einleitung des außerstreitigen Prüfungsverfahrens, kann der Masseverwalter ohne weitere Voraussetzungen nach Abschluss der allgemeinen Prüfungstagsatzung das Verfahren aufnehmen (SZ 70/68). Im Fall einer gegen den Sachschuldner, der zugleich Personalschuldner ist, gerichteten Darlehensklage kann das unterbrochene Verfahren bei Einschränkung auf das betreffende Exekutionsobjekt (Absonderungsrecht) gegen den Masseverwalter fortgesetzt werden (6 Ob 1/03w). Der Gemeinschuldner selbst kann in den Prozess dann eintreten, wenn dies vom Masseverwalter abgelehnt wurde (SZ 44/ 63, AnwBl 1993, 700). Vgl dazu auch Schubert in Konecny/Schubert § 7 KO Rz 50 und Buchegger in Bartsch/Pollak/Buchegger § 7 Rz 40.

11 Wird der Konkurs wieder aufgehoben oder eingestellt, so ist ein mit dem Masseverwalter geführter Prozess mit dem Gemeinschuldner weiterzuführen (ZBl 1929/99, 8 ObA 146/01f = ZIK 2002/284). Dabei kommt es zwar zu einer Unterbrechung des Verfahrens nach § 160, wenn es sich um ein Verfahren mit Anwaltspflicht handelt und der Gemeinschuldner anwaltlich nicht vertreten ist (SZ 69/225 = ZIK 1997, 147; aA Fink in Fasching/Konecny II/2 § 159 Rz 83), nicht jedoch, wenn während des Konkurses die den Gegenstand des Rechtsstreits bildende Forderung dem Gemeinschuldner zur freien Verfügung überlassen wird (ZIK 1997, 29). Jedenfalls bedarf aber auch nach Aufhebung des Konkurses die Fortsetzung des Verfahrens eines Aufnahmeantrags und eines Aufnahmebeschlusses (vgl Schubert in Konecny/Schubert § 7 KO Rz 45). Wechsel in der Person des Rechtsanwalts § 160. (1) Wenn der Rechtsanwalt einer Partei stirbt oder unfähig wird, die Vertretung der Partei fortzuführen, tritt insoweit, als die Vertretung durch Rechtsanwälte gesetzlich geboten ist, eine Unter896

§ 160

1.2 Verfahren

brechung des Verfahrens ein, bis ein anderer Rechtsanwalt von der Partei bestellt und von diesem Rechtsanwalt seine Bestellung unter gleichzeitiger Aufnahme des Verfahrens dem Gegner angezeigt wird. (2) Um die Aufnahme des Verfahrens zu bewirken, kann auch der Partei, welche einen neuen Vertreter zu bestellen hat, auf Antrag ihres Gegners vom Gerichte aufgetragen werden, diese Bestellung binnen einer ihr gleichzeitig zu bestimmenden Frist vorzunehmen. Dieser Antrag ist bei dem Gerichte anzubringen, bei welchem die Rechtssache zur Zeit des Todes des Rechtsanwalts oder des Eintrittes seiner Unfähigkeit zur ferneren Vertretung anhängig war. Wird der neue Vertreter nicht innerhalb der festgesetzten Frist dem Gerichte bekanntgegeben, so ist mit Ablauf der Frist das Verfahren als aufgenommen anzusehen, und es treffen die mit der Anzeige säumige Partei von da an alle Rechtsnachteile, welche dieses Gesetz mit der Nichtbestellung eines Rechtsanwalts in den Fällen des Anwaltsprozesses verbindet. In Bezug auf die von der säumigen Partei nach Ablauf der Frist überreichten Schriftsätze hat die Vorschrift des § 37 Absatz 2 sinngemäß zur Anwendung zu kommen. (3) Im Verfahren vor Gerichtshöfen ist zur Erlassung des Auftrages zur Bestellung eines neuen Rechtsanwalts der Vorsitzende des Senates berufen, welchem die Rechtssache zugewiesen ist. [Fassung StGBl 1919/95; Abs 2 Satz 3 geändert durch ZVN 1983] § 160 ist nur auf jene Fälle anzuwenden, in welchen der einzige pro- 1 zessbevollmächtigte Rechtsanwalt gestorben ist oder unfähig wurde, die Vertretung weiterzuführen. Weitere Voraussetzung ist, dass es sich dabei um eine Rechtssache handelt, für die absolute Anwaltspflicht besteht (Fasching1 II 782; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 160 Rz 2). An sich ist zwar auf sonstige Prozessbevollmächtigte § 160 nicht anzuwenden, weil die Partei in diesen Fällen selbst tätig werden könnte, allerdings gebietet (bei absoluter Anwaltspflicht) der Schutz der nicht mehr vertretenen Partei, deren Sachwalterschaftsverfahren eingestellt wurde und deren Sachwalter, ein Rechtsanwalt, sie nicht mehr vertreten kann, die analoge Anwendung des § 160 (3 Ob 308/00s = ÖJZ-LSK 2003/106). Ebenso sachgerecht erscheint eine analoge Anwendung des § 160 auf jene Fälle, in denen eine Partei in einem Verfahren von Anfang an durch einen Verfahrenshilfeanwalt vertreten war und ihr nunmehr die Verfahrenshilfe durch Entziehung oder Erlöschen (vgl M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/2 § 68 Rz 27) wieder genommen wird oder der Verfahrenshilfeanwalt stirbt bzw auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft verzichtet (OLG Linz EFSlg 108.953). Bestand hingegen vor Bewilligung der Verfahrenshilfe ein Vertretungsverhältnis zu einem frei 897

§ 160

Gitschthaler

gewählten Anwalt, haben Zustellungen wieder an diesen zu erfolgen (JBl 1997, 465).

2 Es spielt grundsätzlich keine Rolle, ob der Rechtsanwalt bereits vorher etwa eine Rechtsmittelschrift eingebracht hat, sohin dzt ohnehin keine weiteren Vertretungshandlungen notwendig wären (MietSlg 42.498, SSV-NF 8/93; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 160 Rz 17; aA ZBl 1933/ 94 [abl Petschek]).

3 Unfähigkeit, die Vertretung der Partei fortzuführen, bedeutet weder körperliche noch fachliche, sondern ausschließlich „rechtliche“ Unfähigkeit (Fink in Fasching/Konecny II/2 § 160 Rz 4), also wenn er etwa (Fasching1 II 782) die Berechtigung zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft verliert (§ 34 RAO; SZ 44/43, AnwBl 1974, 113 [zust Stölzle], 5 Ob 545/76, 3 Ob 321/97w), weil er a) von disziplinarischen Maßnahmen betroffen ist (Streichung von der Liste, Untersagung der Ausübung), b) in ein Strafverfahren verwickelt wird, c) auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft verzichtet (1 Ob 211/ 03s = EFSlg 105.774), d) über sein Vermögen das Konkursverfahren eröffnet (3 Ob 308/ 97h = JBl 2000, 32) bzw ein Konkursantrag mangels kostendeckenden Vermögens abgewiesen wird (Fink in Fasching/Konecny II/2 § 160 Rz 4) oder e) er die österreichische Staatsangehörigkeit oder die Eigenberechtigung (Einleitung eines Sachwalterbestellungsverfahren) verliert (Fink in Fasching/Konecny II/2 § 160 Rz 4, 5).

4 Ein Rechtsanwalt, der seine Befugnis zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft erst während der Dauer eines Prozesses, den er in eigener Sache führt, einbüßt, verliert das Recht zur Selbstvertretung nur dann, wenn er aufgrund einer Disziplinarstrafe von der Rechtsanwaltsliste gestrichen wird. Daraus folgt umgekehrt, dass er in allen anderen Fällen des Verlusts der Befugnis zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft einen bereits von ihm in eigener Sache begonnenen Rechtsstreit selbst zu Ende führen darf (8 Ob 156/99w = RdW 2000/76, 2 Ob 305/99p). Wurde daher ein Prozess gegen einen Rechtsanwalt wegen Konkurseröffnung unterbrochen, dieser von der Rechtsanwaltsliste – nicht aufgrund einer Disziplinarstrafe – gestrichen und das Verfahren nach Aufhebung des Konkurses oder nach Ausscheiden gemäß § 119 Abs 5 KO gegen diesen wieder fortgesetzt, ist der ehemalige Rechtsanwalt im wiederaufgenommenen Verfahren gemäß § 28 Abs 1 selbstvertretungsberechtigt; eine Unterbrechung des Verfahrens tritt nicht ein (8 Ob 898

§ 160

1.2 Verfahren

156/99w = RdW 2000/76). Vgl auch Fink in Fasching/Konecny II/2 § 160 Rz 13. Eine Unterbrechung des Verfahrens kommt dann nicht in Betracht, wenn 5 a) für das Verfahren nur relative Anwaltspflicht besteht (Fasching Rz 606), b) der Anwalt seine Vollmacht kündigt, selbst wenn die Partei unbekannten Aufenthalts ist (AnwZ 1934, 212), c) der Rechtsanwalt erkrankt (SZ 44/43 = EvBl 1972/44; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 160 Rz 7; aA Stohanzl Anm 1 zu § 160), d) die Partei durch mehrere Rechtsanwälte vertreten ist (etwa bei Bevollmächtigung einer Rechtsanwaltssozietät [ecolex 1999, 165, JBl 2000, 32]); die Bestellung eines mittlerweiligen Stellvertreters durch die Rechtsanwaltskammer (5 Ob 545/76, 3 Ob 308/97h = JBl 2000, 32, 3 Ob 138/02v, 9 Ob 86/03t = RdW 2004/68, 1 Ob 211/03s; OLG Wien EvBl 1935/393, 1947/747; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 160 Rz 8) bzw eines Substituten (2 Ob 504/80; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 160 Rz 8) reicht nicht aus; e) es sich nur um den Rechtsanwalt eines Nebenintervenienten handelt (SpR 216 = GlUNF 6330; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 160 Rz 11), oder f) eine vom Masseverwalter eingeklagte Forderung dem Gemeinschuldner zur freien Verfügung überlassen wird (ZIK 1997, 29); zur Unterbrechung kommt es hingegen, wenn der Konkurs aufgehoben wird und der Masseverwalter dadurch seine Vertretungsbefugnis verliert (ZIK 1997, 147 = SZ 69/225), außer das Konkursgericht hätte ihn (in einem Anfechtungsprozess) mit der weiteren Verfolgung des Anspruchs betraut (SZ 60/3 = JBl 1987, 667). Die Unterbrechung wirkt nicht nur zu Gunsten der vom verstorbenen 6 Rechtsanwalt vertretenen Partei, sondern es tritt generell Unterbrechung ein (2 Ob 111/50, SZ 44/43 = EvBl 1972/73, 8 Ob 607/92), weshalb vor Aufnahme des Verfahrens etwa auch keine Rechtsmittel an den Gegner zugestellt werden dürfen (1 Ob 726/81). Eines Unterbrechungsbeschlusses bedarf es ebenso wenig (SZ 44/43, 8 Ob 10/72, 8 Ob 607/92) wie einer weiteren Anleitung oder Belehrung der Partei durch das Gericht über eine allfällige Aufnahme des Verfahrens (6 Ob 696/82). Von Seiten der von der Unterbrechung betroffenen Partei kann das 7 Verfahren wieder aufgenommen werden, wenn sie einen anderen Rechtsanwalt bevollmächtigt und dieser seine Bestellung unter gleichzeitiger Aufnahme des Verfahrens dem Gegner anzeigt, uzw mittels Schriftsatzes. Die Anzeige der Bestellung muss nach SZ 23/319 = 899

§ 161

Gitschthaler

EvBl 1950/559 im Text dieses Schriftsatzes erfolgen, ein bloßer Vermerk im Rubrum soll nicht genügen, was wohl trotz der Einführung des § 30 Abs 2 weiterhin zu gelten hat (krit dazu Fink in Fasching/Konecny II/2 § 160 Rz 19). Unterlässt die Partei diese Anzeige, so kann ihr auf Antrag des Gegners vom Prozessgericht (allenfalls auch vom Rechtsmittelgericht) die Bestellung eines Rechtsanwalts und dessen Bekanntgabe innerhalb einer festzusetzenden Frist aufgetragen werden, widrigenfalls das Verfahren mit Ablauf der Frist als aufgenommen anzusehen ist. Jedenfalls dann, wenn dieser Auftrag an eine verfahrensfremde Person erteilt wird, steht dieser ein Rechtsmittel dagegen zu (SZ 26/227, EvBl 1970/231, 3 Ob 14/85), nach Fink (in Fasching/Konecny II/2 § 160 Rz 21) in jedem Fall. Einstellung der Amtstätigkeit des Gerichtes § 161. (1) Hört infolge eines Krieges oder eines anderen Ereignisses die Tätigkeit eines Gerichtes auf, so wird das Verfahren in allen bei diesem Gerichte anhängigen Rechtssachen für die Dauer jenes Zustandes unterbrochen. (2) Nach Wegfall des Hindernisses kann jede der beiden Parteien die Aufnahme des Verfahrens erwirken. [Stammfassung]

1 Die Aufzählung jener Ereignisse, die zu einem Stillstand der Rechtspflege an einem bestimmten Gericht führen können, ist keine taxative. Denkbar wären neben Kriegsereignissen (vgl dazu Fink in Fasching/ Konecny II/2 § 161 Rz 2) insb Umweltkatastrophen (radioaktive Verseuchungen und Verstrahlungen, Abschneiden des Gerichts von der Außenwelt infolge Lawinenabgängen, Muren, Hochwasser uä), Krankheiten im Ausmaße von Epidemien, aber auch Arbeitsniederlegungen der Gerichtsbediensteten oder terroristische Aktionen, die das gesamte Gericht betreffen (Fink in Fasching/Konecny II/2 § 161 Rz 3), insgesamt also alle Umstände, die zu einer Verhinderung des zuständigen Gerichts an der Ausübung seiner Tätigkeit (8 Ob 13/76, 7 Ob 554/92, 6 Ob 1632/ 95) oder zur Unmöglichkeit des Verkehrs mit diesem Gericht (8 Ob 13/ 76) führen. In den meisten Fällen wird die Unterbrechung allerdings erst mit der Ergreifung von verwaltungsbehördlichen Maßnahmen (Ausgangssperren, Ausrufen von Notständen uä) eintreten. Wird hingegen lediglich die Tätigkeit des Gerichts in einem bestimmten Verfahren behindert, also etwa die Durchführung eines Ortsaugenscheines unmöglich, tritt keine Unterbrechung ein (aA 3 Ob 252/ 53), desgl wenn das Gericht einen Journaldienst eingerichtet hat (8 Ob 13/76). 900

§ 162

1.2 Verfahren Zufällige Verhinderung einer Partei

§ 162. (1) Wenn sich eine Partei zu Kriegszeiten im Militärdienste befindet, oder wenn sie sich an einem Orte aufhält, der durch obrigkeitliche Anordnung, durch Krieg oder durch andere Ereignisse von dem Verkehre mit dem Gerichte abgeschnitten ist, bei welchem die Rechtssache anhängig ist, und wenn zugleich die Besorgnis besteht, dass diese Umstände die Prozeßführung zu Ungunsten der abwesenden Partei beeinflussen könnten, so kann selbst in dem Falle, dass die abwesende Partei durch eine mit Prozeßvollmacht ausgestattete Person vertreten ist, auf Antrag oder von Amts wegen die Unterbrechung des Verfahrens bis zur Beseitigung des Hindernisses angeordnet werden. (2) Ein darauf gerichteter Antrag ist bei dem Gerichte anzubringen, bei welchem die Rechtssache anhängig ist; er kann auch zu Protokoll erklärt werden. Die Entscheidung erfolgt ohne vorhergehende mündliche Verhandlung; das Gericht kann jedoch vor der Entscheidung die zur Aufklärung notwendigen Erhebungen einleiten. (3) Die Aufnahme des unterbrochenen Verfahrens kann von jeder der Parteien erwirkt werden. [Stammfassung] § 162 ist auch auf exekutionsrechtliche Verfahren (Fink in Fasching/ 1 Konecny II/2 Vor § 155 Rz 4) und Verfahren nach dem ASGG anzuwenden (Fink in Fasching/Konecny II/2 § 162 Rz 17) und gilt sowohl für physische als auch für juristische Personen (GZ 1916, 203), uU auch für Personenhandelsgesellschaften, wenn solche Gesellschafter (also nicht etwa ein Kommanditist) verhindert sind, deren Abwesenheit objektiv die Besorgnis einer ungünstigen Beeinflussung der Prozessführung für die Gesellschaft rechtfertigen kann (GlUNF 7101, ZBl 1916/144). Für das Verfahren außer Streitsachen vgl § 25 Abs 2 Z 3 AußStrG 2003. Voraussetzung ist die Verhinderung einer Partei oder eines Streitgenos- 2 sen nach § 14 (OLG Wien EvBl 1946/324), nicht jedoch etwa eines Zeugen (OLG Wien EvBl 1946/465), in welchem Fall uU nach § 279 (Präklusion) vorzugehen wäre (Fink in Fasching/Konecny II/2 § 162 Rz 14). Eine Unterbrechung ist nicht nur möglich, wenn das hindernde Ereignis nach Einbringung der Klage – ihre Zustellung ist nicht notwendig (Fasching1 II 787; aA JBl 1915, 289) – eingetreten ist (Fink in Fasching/Konecny II/2 § 162 Rz 12), sondern auch dann, wenn gegen eine verhinderte Person eine Klage überreicht wird. Tritt das Ereignis allerdings erst nach rechtskräftiger Beendigung des Verfahrens ein, so ist eine Unterbrechung begrifflich nicht mehr möglich. 901

§ 162

Gitschthaler

3 Die Aufzählung jener Ereignisse, die eine Unterbrechung eines Verfahrens rechtfertigen können, ist nicht taxativ. Es muss sich aber um Ereignisse handeln, die einerseits den Verkehr der Partei mit dem Gericht verhindern, uzw auch den postalischen, sodass auch ein Poststreik als Unterbrechungsgrund angesehen wurde (SZ 6/52), und andererseits nicht ausschließlich in der Person der verhinderten Partei selbst liegen (also etwa eine Krankheit). Gründe für eine Unterbrechung sind somit der Militärdienst in Kriegszeiten (daher nicht der Präsenzdienst oder UNO-Auslandseinsätze [Fink in Fasching/Konecny II/2 § 162 Rz 4), sofern er den Verkehr mit dem Gericht hindert, Kriegsereignisse (weder der Begriff Kriegszeiten noch der Begriff Kriegsereignisse stellen auf einen völkerrechtlich erklärten Krieg ab, sondern kommt § 162 auch bei Bürgerkriegen oder nicht erklärten Kriegen zur Anwendung [Fink in Fasching/Konecny II/2 § 162 Rz 4]), Umweltkatastrophen und verwaltungsbehördliche Maßnahmen, wie etwa Ausgangssperren uä, aber auch Streikmaßnahmen (vgl SZ 6/52) oder die Verweigerung der Rechtshilfe durch die Gerichte jenes Staats, dem die Partei angehört und in welchem sie sich derzeit aufhält (2 Ob 650/52). Vgl dazu auch Fink in Fasching/ Konecny II/2 § 162 Rz 5–9. Zum Unterschied von § 161 kommt es hier nicht darauf an, ob aufgrund der eingetretenen Ereignisse – auch – die Tätigkeit des Gerichts zum Stillstand kommt, sondern nur darauf, ob die Partei vom Verkehr mit dem Gericht abgeschnitten ist. Tritt ein Ereignis ein, welches sowohl den Tatbestand des § 161 als auch jenen des § 162 erfüllt (etwa eine Naturkatastrophe), so geht § 161 vor (Fink in Fasching/ Konecny II/2 § 161 Rz 4). Ist die Ursache der Abwesenheit nicht bekannt, scheidet eine Unterbrechung aus, weil das Vorliegen der Voraussetzungen nicht geprüft werden kann (LGZ Wien EvBl 1946/210; OLG Wien JBl 1946, 186; Fasching II 789). Dass für die Partei ein Abwesenheitskurator bestellt wurde, hindert aber für sich eine Unterbrechung nicht (OLG Wien EvBl 1946/31; Fasching1 II 789), wenn besonders schwerwiegende Umstände (nicht bloße Schwierigkeiten des Abwesenheitskurators bei der Kontaktaufnahme) eine Benachteiligung der Partei als sicher erscheinen lassen (Fink in Fasching/Konecny II/2 § 162 Rz 9).

4 Die Unterbrechung tritt nicht ex lege, sondern nur aufgrund eines Beschlusses ein (Aussetzung; s dazu Vor § 155) und kann auch im nachhinein angeordnet werden (SZ 6/52). Das Gericht hat die Voraussetzungen zu prüfen und auch eine Interessensabwägung insofern vorzunehmen, als es die Rechtsnachteile des Gegners der verhinderten Partei aufgrund einer Nichtdurchführung des Verfahrens den Nachtei902

§ 163

1.2 Verfahren

len der verhinderten Partei bei Durchführung des Verfahrens gegenüberzustellen hat (OLG Wien EvBl 1946/240). Dabei reicht es nicht aus, dass die Abwesenheit der Partei den Prozess für sie bloß ungünstig beeinflussen könnte (GlUNF 7101 uva; aA OLG Wien JBl 1946, 186); es müssen hiefür konkrete Anhaltspunkte vorliegen (Fink in Fasching/ Konecny II/2 § 162 Rz 11). Die verhinderte Partei hat aber keinen Anspruch auf eine zeitlich unbegrenzte Unterbrechung des Verfahrens (3 Ob 494/52, 3 Ob 693/52, 2 Ob 232/54). Wirkung der Unterbrechung § 163. (1) Die Unterbrechung des Verfahrens hat die Wirkung, dass während der Dauer der Unterbrechung Ladungen zur Verhandlung der Streitsache nicht erfolgen können, die etwa schon früher für die Zeit nach Eintritt der Unterbrechung ergangenen Ladungen ihre Wirksamkeit verlieren und endlich der Lauf einer jeden Frist zur Vornahme einer Prozesshandlung aufhört. Mit Aufnahme des Verfahrens beginnt die volle Frist von neuem zu laufen. (2) Die während der Unterbrechung von einer Partei in Ansehung der anhängigen Streitsache vorgenommenen Prozeßhandlungen sind der anderen Partei gegenüber ohne rechtliche Wirkung. (3) Durch die nach dem Schlusse einer mündlichen Verhandlung eintretende Unterbrechung wird die Verkündung der auf Grund dieser Verhandlung zu erlassenden Entscheidung nicht gehindert. [Stammfassung] Inhaltsübersicht Unterbrechungswirkungen Parteihandlungen – Ausnahmen Gerichtshandlungen

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– Zulässige G. – Durchzuführende G. Unzulässige Entscheidungen

6 7–8 9

Ist ein ex lege wirkender Unterbrechungstatbestand gegeben, treten die 1 Unterbrechungswirkungen grundsätzlich mit 0.00 Uhr des dem Tag folgenden Tages ein, an welchem sich der auslösende Vorfall ereignet hat, bei einer Unterbrechung nach § 162 jedoch entweder mit dem Tag, den das Gericht festgesetzt hat, oder ab dem dem Eintritt der Rechtswirksamkeit des Unterbrechungsbeschlusses folgenden Tag. Die Unterbrechung ist von Amts wegen zu beachten. Befindet sich das Verfahren bereits im Rechtsmittelstadium, sind die Akten vorerst unerledigt dem Erstgericht zurück zu stellen (AnwBl 1932, 201, EvBl 1978/57, ZIK 1995, 151, ZIK 1997, 142, ZIK 1997, 96, ecolex 1997, 221). 903

§ 163

Gitschthaler

Unmittelbare Wirkung einer Unterbrechung ist, dass der Lauf aller Fristen – auch etwa jener einer nach § 38 erteilten Frist zur Vorlage einer Vollmacht (EvBl 1966/287) – aufhört (Ballon Rz 269; Rechberger/ Simotta Rz 349; 2 Ob 111/50, SZ 44/43 = EvBl 1972/73, 8 Ob 607/92; zu deren Neubeginn s bei §§ 164 bis 166), dass bereits ergangene Ladungen (auch für die Zeit nach der Unterbrechung [Rechberger/Simotta Rz 349]) unwirksam und dass sowohl Partei- als auch Gerichtshandlungen unzulässig werden. Weder eine Unterbrechung noch eine Aussetzung berühren jedoch die Gerichts- oder die Streitanhängigkeit (SZ 43/56, 4 Ob 527/78, 1 Ob 781/82, 6 Ob 618/81, Arb 11.002; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 163 Rz 1) und die Gültigkeit von vor Eintritt der Unterbrechungswirkungen (gültig) gesetzten Prozesshandlungen (Fasching Rz 597; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 163 Rz 1).

2 Parteihandlungen sind gegenüber der anderen Partei grundsätzlich rechtlich bedeutungslos (Holzhammer 231; Fasching Rz 598; Rechberger/Simotta Rz 349; MietSlg 30.909; LGZ Wien MietSlg 35.904) – dies gilt auch im Fall des § 159 (hA, zit bei: Sprung/Fink, FS Fasching 500 FN 42; aA Sprung/Fink ebendort) – und daher vom Gericht nach überwM von Amts wegen zurückzuweisen (Rechberger/Simotta Rz 49; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 163 Rz 29; SZ 44/63 = ÖBl 1971, 158, SZ 54/123 = EvBl 1981/86, JBl 1984, 209, SZ 63/56, 8 Ob 103/98z, 9 Ob 321/98s = EvBl 1999/130) bzw gegenüber der anderen Partei für unwirksam zu erklären (LGZ Wien MietSlg 35.904). Die wirkungslosen Parteihandlungen sind einer Genehmigung nicht zugänglich (4 Ob 76/72, 8 Ob 30/73, ZIK 1996, 25, 10 ObS 2047/96v; OLG Linz 2 R 244/98k), sie können auch nicht umgedeutet werden (etwa eine Berufung in einen Fortsetzungsantrag [vgl 5 Ob 303/78]). Nach einzelnen Auffassungen (vgl etwa Rsp 1931/370, RZ 1937, 242; LGZ Graz MietSlg 46.631; ebenso Neumann I 749; Wolff 248; Petschek/Stagel 20) soll eine trotz Unterbrechung vorgenommene Prozesshandlung nur dann unwirksam sein, wenn der Gegner die ihm auch möglich gewesene Rüge unterlassen hat. Dies ist aber abzulehnen, weil die Wirkungslosigkeit von Parteihandlungen als zwingendes Recht unverzichtbar erscheint (arg: … Prozesshandlungen sind ohne rechtliche Wirkung … [§ 163 Abs 2]; Kininger, BeitrZPR I 150, 168; vgl auch Fink in Fasching/Konecny II/2 § 163 Rz 33). Denkbar wäre lediglich, eine ausdrückliche Erklärung des Gegners, Prozesshandlungen gegen oder für sich gelten zu lassen, als rechtlich bedeutsam anzusehen. Allerdings gilt auch der Grundsatz, dass auf die Unterbrechung von den Parteien des Verfahrens – auch nicht einverständlich – nicht verzichtet werden kann, sofern das Gesetz nicht ausdrücklich eine solche Bindung vorsieht (vgl SZ 21/2; aA 5 Ob 250/73). 904

§ 163

1.2 Verfahren

Die Unwirksamkeit von Parteihandlungen erstreckt sich nicht nur auf 3 prozessuale Anträge und Handlungen ieS (also insb auf Rechtsmittel gegen vor Eintritt der Unterbrechung gefällte Entscheidungen [4 Ob 326/63, SZ 43/158 = EvBl 1971/59, SZ 44/63, SZ 51/150, JBl 1984, 209, 2 Ob 12/97x, ZIK 1998, 96]), sondern auch auf Sachdispositionserklärungen und -anträge (Klagsänderung, Anerkenntnis, Verzicht, Vergleich, Ruhensvereinbarung [Fasching Rz 599]) sowie auf Beitrittserklärungen eines Nebenintervenienten (EvBl 1946/359, 9 ObA 3/96; aA Deixler-Hübner 49), den Widerruf eines vor Eintritt der Unterbrechung aufschiebend bedingt abgeschlossenen gerichtlichen Vergleichs (SZ 55/109 = JBl 1983, 607) und die Eintrittserklärung des Rechtsnachfolgers sowie die erforderliche Zustimmung des Gegners nach § 234 (2 Ob 539/90). Vgl auch Fink in Fasching/Konecny II/2 § 163 Rz 31. Von der Unterbrechungswirkung ausgenommen sind neben Auf- 4 nahmehandlungen (vgl dazu bei §§ 164 bis 166; 4 Ob 76/72, 8 Ob 30/ 73, 10 ObS 2047/96v) einerseits Dispositionen, durch die der Prozess endgültig erledigt wird, wie insb die Klagsrücknahme (Rsp 1931/370, 4 Ob 118/98a = RdW 1998, 741; LGZ Graz MietSlg 46.631; Dolinar, Ruhen 216; Holzhammer 232; aA OLG Linz 3 R 18/01i, das eine Klagsrücknahme nur bei Unkenntnis des Gerichts vom eingetretenen Unterbrechungsgrund zulassen will; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 163 Rz 31) und Rechtsmittelrückziehungen (GlUNF 166, 3 Ob 146/60; aA Fink in Fasching/Konecny II/2 § 163 Rz 31). § 163 erfasst nämlich nur Parteihandlungen, die die Rechtsverfolgung oder -verteidigung bezwecken. Des Weiteren sind von der Unterbrechungswirkung ausgenommen Rechtsmittel, mit denen die Frage geklärt werden soll, ob eine Unterbrechung überhaupt vorliegt oder nicht (Fasching Rz 599), also mit denen ein Verstoß gegen die Unterbrechungstatbestände geltend gemacht wird (SZ 34/124 = EvBl 1962/73, SZ 43/158 = EvBl 1971/59, ecolex 1992, 557, ZIK 1998, 197, 9 Ob 321/98s = EvBl 1999/130, 1 Ob 219/00p, 9 Ob 40/03b). Die Rechtsmittelfristen beginnen in diesen Fällen bereits mit der Zustellung der Entscheidung während der Unterbrechung zu laufen (2 Ob 513/81, 1 Ob 219/00p; OLG Linz 2 R 244/98k). Das Rechtsmittelgericht hat allerdings nicht in der Sache selbst zu entscheiden, sondern sich nur mit der Frage des Verstoßes gegen die Unterbrechungswirkung zu befassen (SZ 43/158 = EvBl 1971/59, 1 Ob 2377/96g, 10 ObS 384/97m). Da eine darüber hinaus gehende Anfechtung nicht zulässig ist, kann ein neuerliches Rechtsmittel nach Wiederaufnahme des Verfahrens erhoben werden (SZ 45/19 = JBl 1973, 46, 2 Ob 504/80, 8 Ob 115/99s = ZIK 2000/158, 1 Ob 219/00p). 905

§ 163

Gitschthaler

5 Gerichtshandlungen. Nach Eintritt der Unterbrechungswirkung dürfen zunächst einmal Tagsatzungen weder anberaumt noch durchgeführt werden (Fasching Rz 598; SZ 9/315, SZ 49/135, 3 Ob 506/77). Es dürfen auch keine Zustellungen von gerichtlichen Schriftstücken vorgenommen werden (ausgenommen Entscheidungen, die noch vor Eintritt der Unterbrechungswirkung gefällt worden sind [SZ 9/315, SZ 49/ 135, 3 Ob 506/77]). Es sind aber auch grundsätzlich alle sonstigen vom Prozessgericht erst nach Eintritt der Unterbrechung vorgenommenen Gerichtshandlungen unzulässig (SZ 43/70, JBl 1978, 433, JBl 1984, 209 SSV-NF 3/12), also insb auch die Fällung von Entscheidungen, wenn die Bindungswirkung für das Gericht erst nach Eintritt der Unterbrechungswirkung entsteht (§ 416; vgl EvBl 1979/115, 9 Ob 376/ 97b). Die Zustellung von Entscheidungen, bei denen die Bindungswirkung schon früher eingetreten ist, ist somit zulässig.

6 Zulässig sind Gerichtshandlungen, die dem durch die Unterbrechung des Verfahrens geschaffenen Zustand Rechnung tragen (EvBl 1979/115, infas 1991/A 140, RZ 1992/21, ÖBl 1995, 280, 9 Ob 321/98s = EvBl 1999/130, 4 Ob 114/03y = ZIK 2004/113; Fink in Fasching/ Konecny II/2 § 163 Rz 8, 9). Daher dürfen etwa gegen § 163 verstoßende Anträge zurückgewiesen (7 Ob 91/57) und Rechtsmittel erledigt werden, wenn sie sich gegen unzulässigerweise vorgenommene Gerichtshandlungen richten (so auch Fink in Fasching/Konecny II/2 § 163 Rz 26). Zulässig sind auch Gerichtshandlungen, die sich auf „Nebenverfahren“ beziehen, also die Bestimmung von Sachverständigengebühren (OLG Wien WR 701) oder von Kuratorkosten (etwa nach § 10 [LGZ Wien EvBl 1946/322]) oder die Entscheidung über einen Verfahrenshilfeantrag (LGZ Wien EFSlg 88.082; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 163 Rz 10; aA OLG Linz 2 R 129/88). In diesen Fällen wären etwa der Masseverwalter oder ein nach § 8 ZPO zu bestellender Kurator für die betroffene Partei diesen „Nebenverfahren“ beizuziehen (OLG Wien WR 701). In all diesen Fällen beginnen die Rechtsmittelfristen bereits mit der Zustellung der Entscheidung zu laufen; sie sind vom Rechtsmittelgericht auch noch während der Unterbrechung zu behandeln (Fink in Fasching/Konecny II/2 § 163 Rz 10). Wurde vom Gericht eine Entscheidung noch vor Eintritt der Unterbrechungswirkung gefällt und zugestellt, das Rechtsmittel aber erst nach Verfahrensunterbrechung eingebracht und ist dieses daher zurückzuweisen (vgl Rz 2), dann hat dies ebenfalls noch während der Unterbrechung zu geschehen.

7 Aufgrund des Ausnahmetatbestands des Abs 3 dürfen nicht nur, sondern müssen sogar (OLG Innsbruck EvBl 1985/144; OLG Wien WR 966; vgl 906

§ 163

1.2 Verfahren

auch 2 Ob 249/00g [ein Urteil „ist“ bei erst nach Schluss der Verhandlung erfolgter Konkurseröffnung auch nach derselben auszufertigen und zuzustellen]) mündlich verkündete Urteile ausgefertigt und zugestellt sowie vorbehaltene Urteile gefällt und zugestellt werden (EvBl 1979/ 115, SSV-NF 3/12, AnwBl 1993, 700; Fasching1 II 794), wenn die Unterbrechungswirkung nach Schluss der Verhandlung eintritt und alle notwendigen Beweisaufnahmen (etwa im Falle des § 193 Abs 3) davor abgeschlossen worden sind (Fink in Fasching/Konecny II/2 § 163 Rz 12). Im Fall einer Konkurseröffnung ist das Urteil an den Masseverwalter zuzustellen (AnwBl 1993, 700). Abs 3 ist auch dann anzuwenden, wenn die Unterbrechung nach Schluss der Verhandlung und nach Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils durch das Berufungsgericht eintritt und das weitere Urteil ohne Verfahrensergänzung gefällt und zugestellt wird (OLG Linz 2 R 154/98f), sowie auf einen Beschluss über einen Wiedereinsetzungsantrag nach durchgeführter Verhandlung (LGZ Wien MietSlg 30.911). Eine nach Schluss der mündlichen (Berufungs-)Verhandlung und nach Fällung des Urteils eingetretene Unterbrechung des Verfahrens hindert gemäß Abs 3 die „Verkündung“ des Urteils, worunter auch die Zustellung zu verstehen ist, nicht (6 Ob 37/99f). Die Rechtsmittelfristen beginnen in diesen Fällen nicht bereits mit der Zustellung des Urteils während der Unterbrechung zu laufen, sondern erst mit der Zustellung des Wiederaufnahmebeschlusses (SZ 42/4 = EvBl 1969/262, RZ 1986/40, 8 Ob 115/99s = ZIK 2000/158; OLG Innsbruck EvBl 1985/144; Fasching1 II 794; ders Rz 598; Rechberger, FS Kralik 279; Ballon Rz 269; Rechberger/Simotta Rz 349; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 163 Rz 3). Eine neuerliche Zustellung ist nicht notwendig (Fink in Fasching/Konecny II/2 § 163 Rz 3; 8 Ob 115/ 99s = ZIK 2000/158; aA Buchegger in Bartsch/Pollak/Buchegger § 7 KO Rz 28). Wird bereits während der Unterbrechung ein Rechtsmittel gegen dieses Urteil eingebracht, so ist es nicht zurückzuweisen, sondern zu erledigen, wenn sich der Rechtsmittelwerber (ausschließlich) über einen allfälligen Verstoß gegen die Unterbrechungswirkung beschwert, ansonst ist der Rechtsmittelschriftsatz zum Akt zu nehmen und nach Wiederaufnahme als wirksam anzusehen (Kininger, BeitrZPR I 151; Rechberger, FS Kralik 279). Abs 3 ist nicht auf Entscheidungen über vor dem Eintritt der Unter- 8 brechungswirkung eingebrachte Rechtsmittel anwendbar, uzw selbst dann nicht, wenn über sie in nichtöffentlicher Sitzung zu entscheiden wäre. Diese sind zwar nicht zurückzuweisen, eine Entscheidung ist aber unzulässig, die Akten sind daher vorerst unerledigt dem Erstgericht zurückzustellen (ZBl 1937/329 [zust Petschek], SZ 59/45, 8 ObA 57/ 98k, ZIK 1998, 96, 196, 197, 6 Ob 184/00b = RdW 2000/406, 6 Ob 241/ 907

§ 163

Gitschthaler

01m = ZIK 2003/30, 2 Ob 146/02p = ZIK 2003/31; Fink in Fasching/ Konecny II/2 § 163 Rz 18; aA Fasching1 II 784; ders Rz 598; SZ 49/135, JBl 1968, 528 = EvBl 1968/244, EvBl 1982/119).

9 Trotz eingetretener Unterbrechungswirkung unzulässigerweise ergangene Entscheidungen sind nicht wirkungslos, sondern nach hA (Holzhammer 227, 231; Fasching II 755, 793; Rechberger, FS Kralik 274; Ballon Rz 269; Rechberger/Simotta Rz 349; Schubert in Konecny/Schubert § 7 KO Rz 33; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 163 Rz 23; SZ 42/4 = EvBl 1969/262, SZ 51/150, ZIK 1998, 197; aA Kininger, BeitrZPR I 147) bloß anfechtbar. Dies gilt allerdings nur bis zum Eintritt der Rechtskraft (ZIK 1998, 197), weshalb etwa eine vom OGH in Unkenntnis der Konkurseröffnung gefällte Sachentscheidung von diesem nicht mehr aufgehoben werden kann (RdW 2001/382). IdR wird Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 4 und 5 anzunehmen sein, dies insb in den Fällen des Todes einer Partei (vgl SZ 51/150, 7 Ob 690/89, SSV-NF 3/12), des Todes ihres gesetzlichen Vertreters oder ihres Rechtsanwalts sowie des generellen Verlusts ihrer Prozessfähigkeit oder des partiellen Verlusts der Prozessfähigkeit durch eine Konkurseröffnung (JBl 1984, 209, RZ 1992/21, ÖBl 1995, 280, 9 Ob 321/98s = EvBl 1999/130, 8 ObS 42/99y = ARD 5271/28/2001, 9 Ob 40/03b [für das Verfahren außer Streitsachen zur Rechtslage nach dem AußStrG 1854]; vgl auch Schubert in Konecny/Schubert § 7 KO Rz 32; aA Buchegger in Bartsch/Pollak/ Buchegger § 7 KO Rz 34, 35 [generelle Wirkungslosigkeit]). Eine Urteilsfällung im unterbrochenen Verfahren bedeutet hier nämlich regelmäßig einen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs, wenn das Verfahren nicht mit den Rechtsnachfolgern der Partei, dem neuen Rechtsanwalt oder dem Masseverwalter wieder aufgenommen wird (Rechberger, FS Kralik 274), oder einen Verstoß gegen eine ordnungsgemäße Vertretung, wenn dem Verfahren nicht der neue gesetzliche Vertreter beigezogen wird. Damit ist aber im Einzelfall zu prüfen, ob tatsächlich einer dieser Nichtigkeitsgründe verwirklicht wurde, andernfalls lediglich ein Verfahrensmangel vorliegen würde (idS nunmehr 6 Ob 318/01k, 9 Ob 40/03b). Liegt tatsächlich Nichtigkeit vor, kann das Gericht, das die Entscheidung gefällt hat, diese nicht selbst aufheben (vgl ZIK 1998, 197, RdW 2001/382; Schubert in Konecny/Schubert § 7 KO Rz 33; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 163 Rz 28). Denkbar wäre nach Eintritt der Rechtskraft allerdings eine Nichtigkeitsklage nach § 529 Abs 1 Z 2 (Fasching IV 490; Riel, Befugnisse 109 FN 111; ohne eigene Stellungnahme Schubert in Konecny/Schubert § 7 KO Rz 33). Nach § 26 AußStrG können während der Unterbrechung eines Verfahrens außer Streitsachen dringend gebotene Verfahrenshandlungen vorgenommen werden, woraus aber wohl zu schließen ist, dass unzuläs908

§§ 164–166

1.2 Verfahren

sigerweise ergangene Entscheidungen nicht nichtig, sondern lediglich mangelhaft sein können. Aufnahme des unterbrochenen Verfahrens § 164. Die Aufnahme eines unterbrochenen Verfahrens wird, soferne in den vorstehenden Bestimmungen nichts anderes angeordnet ist, durch den Antrag auf Anberaumung einer Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung oder zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung, wenn aber die Unterbrechung während des Laufes einer Frist zur Vornahme einer Prozeßhandlung eintrat, durch den Antrag auf neuerliche Bestimmung einer Frist für diese Prozeßhandlung eingeleitet. Das Erlöschen des Unterbrechungsgrundes ist glaubhaft zu machen. Diese Bestimmungen gelten insbesondere auch, wenn wegen des Todes einer Partei im Sinne des § 811 ABGB oder aus anderen Gründen für deren Verlassenschaft ein Kurator bestellt worden ist; die Aufnahme kann nicht bloß vom Kurator, sondern auch vom Gegner der verstorbenen Partei beantragt werden. [Stammfassung] § 165. (1) Der gemäß § 164 behufs Erwirkung der Aufnahme des Verfahrens erforderliche Antrag ist bei dem Gerichte zu stellen, bei welchem die Rechtssache zur Zeit des Eintrittes des Unterbrechungsgrundes anhängig war. (2) Die Entscheidung über die in § 164 bezeichneten Anträge erfolgt ohne vorhergehende mündliche Verhandlung; es kann jedoch das Gericht vor dieser Entscheidung den Gegner einvernehmen, wenn das Erlöschen des Unterbrechungsgrundes zweifelhaft erscheint. (3) Bei Anberaumung einer Tagsatzung zur Verhandlung über den Aufnahmeantrag (§ 155), sowie in den Beschlüssen, durch welche einem gemäß §§ 158, 159, 160, 161, 162 und 164 gestellten Aufnahmeantrage stattgegeben oder das Verfahren von Amts wegen aufgenommen wird, sind den Parteien die im Falle der Versäumung eintretenden Folgen anzukündigen. [Stammfassung] § 166. (1) In den Fällen der §§ 156, 157 und 158 Absatz 3 ist der Zeitpunkt, mit welchem das Verfahren als aufgenommen zu gelten hat, in der über die Verpflichtung zur Aufnahme des Verfahrens ergehenden Entscheidung anzugeben, wenn nicht das Verfahren in der Hauptsache gleich bei der zur Verhandlung über den Aufnahmeantrag anberaumten Tagsatzung aufgenommen wurde. 909

§§ 164–166

Gitschthaler

(2) In allen anderen Fällen ist dieser Zeitpunkt, sofern nicht die Vorschriften des § 160 zur Anwendung kommen, in der Entscheidung über den Aufnahmeantrag oder in dem Beschlusse, durch welchen das Verfahren von Amts wegen aufgenommen wird, vom Gerichte zu bestimmen. [Stammfassung] Inhaltsübersicht Fortsetzungsantrag 1–5 Wiederaufnahmebeschluss 6–8 Zeitpunkt der Wiederaufnahme 9

Beschlussfassendes Gericht 10 Unterlassung des Beschlusses 11 Wirkungen 12

1 Fallen die in den §§ 155 bis 162 angeordneten Unterbrechungsgründe weg (ansonst wäre ein Fortsetzungsantrag zurückzuweisen [OLG Wien SVSlg 41.588]), so kann das unterbrochene bzw ausgesetzte Verfahren (zur Begriffsbestimmung s Vor §§ 155 bis 170) weitergeführt, also wiederaufgenommen werden. Dies ist aber grundsätzlich nur über Parteiantrag (3 Ob 61/03x) und mittels Gerichtsbeschlusses möglich (Fasching Rz 613; Holzhammer 232; Ballon 160; JUS 1985/9, 13 = RZ 1986/ 40). Eine amtswegige Wiederaufnahme sehen hingegen die §§ 152, 190, 191 und 546 vor (s Fasching Rz 613; Ballon 160).

2 Der Fortsetzungsantrag muss nicht ausdrücklich als solcher bezeichnet sein (1 Ob 672/85; 9 Ob 40/03b; Schubert in Konecny/Schubert § 7 KO Rz 42, 44; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 164 Rz 3). Er ist aber nicht etwa in der Anbringung eines Rechtsmittels (SZ 41/93 = EvBl 1969/26, SZ 43/158 = EvBl 1971/59, ÖBl 1971, 158, ZIK 1996, 170, 8 Ob 103/98z, MietSlg 50.858) oder einer Rechtsmittelbeantwortung (LGZ Wien MietSlg 35.907; RZ 1977/16) zu sehen; derartige Schriftsätze wären zurückzuweisen (SZ 41/93). Nach JBl 1978, 433 soll ein Antrag auf Zustellung einer Entscheidung genügen, nach ZIK 1998, 96 die Erklärung des Masseverwalters, gemäß § 7 Abs 2 KO in den Prozess einzutreten. Fink (in Fasching/Konecny II/2 § 164 Rz 4) wendet sich „gegen übersteigerten Formalismus“ und will darauf abstellen, ob aus dem gesamten Inhalt der Eingabe klar ersichtlich ist, dass die Aufnahme des Verfahrens intendiert wird.

3 Der Fortsetzungsantrag wird schon durch die Einbringung des Schriftsatzes dem Gericht gegenüber wirksam (5 Ob 1527/85, RZ 1991/22, 8 Ob 607/92, 8 ObA 134/99k = ZIK 2001/39; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 164 Rz 2) und ist auch im Rechtsmittelstadium notwendig (Schubert in Konecny/Schubert § 7 KO Rz 44). Er hat je nach dem Stand des unterbrochenen Verfahrens zu lauten auf 910

§§ 164–166

1.2 Verfahren

a) Anberaumung einer Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung, b) neuerliche Erteilung der Frist, wenn die Unterbrechung während des Laufs einer richterlichen Frist eingetreten ist, c) Fortsetzung des unterbrochenen Verfahrens, wenn die Unterbrechung während des Laufs einer gesetzlichen (RZ 1977/16), insb einer Notfrist (Fasching Rz 613), eingetreten ist oder wenn die geladenen Rechtsnachfolger einer verstorbenen Partei nicht erscheinen (§ 156 Abs 1; Näheres dazu bei §§ 155–157), d) Ladung der Rechtsnachfolger bei Tod einer Partei (§ 155 Abs 3; Näheres dazu s bei §§ 155–157) oder des neuen gesetzlichen Vertreters (§ 158 Abs 3; Näheres s dort) oder e) Erteilung des Auftrags durch das Gericht, einen neuen Vertreter zu bestellen, wenn der bisherige Rechtsanwalt verstorben oder unfähig geworden ist (§ 160 Abs 2; Näheres s dort). Der Rechtsstreit wird auch durch die Anzeige der Wiederaufnahme des Verfahrens durch die Rechtsnachfolger der verstorbenen Partei (§ 155 Abs 2) oder des neuen gesetzlichen Vertreters (§ 158 Abs 2) fortgesetzt, welche Verfahrenshandlungen einem Antrag gleichzuhalten sind. Der Fortsetzungsantrag ist an jenes Gericht zu richten, bei dem die 4 Unterbrechung eingetreten ist (4 Ob 76/72, RZ 1991/22, 1 Ob 170/ 00g = ZIK 2001/311, 1 Ob 59/02m = ZIK 2002/230, 1 Ob 201/04x; vgl auch Fink in Fasching/Konecny II/2 § 165 Rz 1, 2). Ist die Unterbrechung im Rechtsmittelstadium eingetreten, dann ist der Fortsetzungsantrag, solange noch das Vorverfahren vor dem Erstgericht in Gang ist (Lauf der Rechtsmittelfristen, Zustellung an den Gegner, Lauf der Frist für die Gegenschrift, formelle Prüfung durch das Erstgericht), an das Erstgericht, nach der Aktenvorlage aber an das Rechtsmittelgericht zu richten (ÖBl 1995, 44, ZIK 2000/207, 1 Ob 170/00g = ZIK 2001/311, 1 Ob 59/02m = ZIK 2002/230; 7 Ob 115/04v). Ein beim unzuständigen Gericht gestellter Aufnahmeantrag ist zwar an das zur Entscheidung berufene Gericht zu überweisen (vgl ZIK 2001/311). Wird allerdings einem beim funktionell unzuständigen Gericht gestellten Antrag von diesem rechtskräftig stattgegeben, gilt das Verfahren ebenfalls als aufgenommen (1 Ob 59/02m = ZIK 2002/230). Im Hinblick auf § 164 ZPO ist das Erlöschen des Unterbrechungsgrunds glaubhaft zu machen (Fink in Fasching/Konecny II/2 § 165 Rz 3). Das Einlangen des Antrags löst die Prüfungs- und Entscheidungspflicht des Gerichts über das behauptete Erlöschen des Unterbrechungsgrunds aus (5 Ob 1527/85 = MietSlg 37.741, RZ 1991/22, 8 Ob 607/92, 8 ObA 134/99k = ZIK 2001/39). 911

§§ 164–166

Gitschthaler

5 Ab wann und von wem ein Fortsetzungsantrag gestellt werden kann, ergibt sich aus den einzelnen Vorschriften im Zusammenhang mit der Anordnung der Unterbrechungstatbestände: a) So können etwa beim Tod einer Partei die Rechtsnachfolger oder der Gegner (durch Antrag auf Bestellung eines Kurators) die Fortsetzung beantragen. Der Gegner der verstorbenen Partei kann aber auch gemäß § 155 Abs 3 ZPO die Ladung der Rechtsnachfolger beantragen, wobei im Anwaltsprozess diese Ladung die Aufforderung enthalten muss, rechtzeitig einen Rechtsanwalt zu bestellen. Desgl müssen die mit der Nichtbestellung eines Rechtsanwalts verbundenen Nachteile bekannt gegeben werden, wobei die Unterlassung dieser Aufforderung aber keine Nichtigkeit bildet (7 Ob 91/57). Handelt es sich um ein gerichtliches Sozialrechtsverfahren, dann richtet sich die Aufnahmeberechtigung nach § 76 ASGG (10 ObS 56/97a, 10 ObS 387/97b), während § 19 BPGG nur die Fortsetzung des Verfahrens vor dem verwaltungsbehördlichen Entscheidungsträger betrifft (10 ObS 29/97f). b) Im Falle der Konkurseröffnung wird der unterbrochene Prozess nicht schon durch die Konkursaufhebung wieder aufgenommen. Diesfalls müssten entweder der Gemeinschuldner oder der Gegner einen Fortsetzungsantrag stellen (2 Ob 191/76, 8 Ob 12/92, ZIK 1998, 96, 9 Ob 321/98s). Der Prozess wird aber auch nicht dadurch fortgesetzt, dass der Masseverwalter erklärt, er nehme den streitigen Gegenstand nicht für die Masse in Anspruch und gebe ihn an den Gemeinschuldner frei (ÖBl 1964, 9 [Wahle], 8 Ob 81/79, RZ 1986/40, RZ 1991/ 22). Vielmehr wird die Unterbrechung des Zivilprozesses durch Konkurseröffnung erst durch die Aufnahme des unterbrochenen Verfahrens nach §§ 164 ff ZPO beseitigt (8 Ob 81/79, RZ 1986/40, RZ 1991/22, ZIK 1998, 96, 9 Ob 321/98s = EvBl 1999/130). Bei Ansprüchen, die der Anmeldung im Konkurs unterliegen, kann der Gegner des Gemeinschuldners einen Fortsetzungsantrag erst nach Abschluss der Prüfungstagsatzung stellen, wenn der Bestand oder der Rang seiner im Rechtsstreit geltend gemachten Forderung bestritten wurde (SZ 52/144, 5 Ob 311/84, 8 Ob 35/97y). Den Fortsetzungsantrag kann allerdings auch der Masseverwalter stellen (5 Ob 311/84). Meldet der Gegner des Gemeinschuldners seine Forderung im Konkurs nicht an, so vereitelt er zwar die Einleitung des Prüfungsverfahrens im Konkurs, der Masseverwalter kann aber nach Abschluss der Prüfungstagsatzung das Verfahren ohne weitere Voraussetzungen aufnehmen (8 Ob 35/97y). c) Im Falle des Verlusts der Prozessfähigkeit kann die Fortsetzung beantragt werden, wenn der gesetzliche Vertreter oder der neue gesetzliche Vertreter von seiner Bestellung dem Gegner Anzeige macht. Allerdings kann auch der Gegner die Ladung des gesetzlichen Vertreters der prozessunfähig gewordenen Partei beantragen. 912

§§ 164–166

1.2 Verfahren

d) Im Falle des Todes des Rechtsanwalts oder seiner Unfähigkeit, die Vertretung der Partei fortzuführen, kann über Antrag des Gegners der betroffenen Partei eine Frist zur Bestellung eines anderes Rechtsanwalts gesetzt werden, widrigenfalls das Verfahren als aufgenommen anzusehen ist. Die Anzeige der Bestellung eines neuen Rechtsanwalts muss im Text des diesbezüglichen Schriftsatzes erfolgen, der bloße Vermerk im Rubrum soll nicht genügen (EvBl 1950/559 = SZ 23/ 319). Wurde allerdings das Verfahren unter Außerachtlassung der vorgeschriebenen Form fortgesetzt und keine Rüge erhoben, so wird dies durch die Fortsetzung des Verfahrens saniert (8 Ob 138/76). e) Im Falle der Einstellung der Amtstätigkeit des Gerichts kann jede Partei nach dem Wegfall des Hindernisses die Aufnahme des Verfahrens erwirken. Dies gilt auch im Falle der zufälligen Verhinderung einer Partei nach § 162 ZPO. Wiederaufnahme- (Fortsetzungs-) Beschluss. Das Gericht hat die 6 Voraussetzungen einer Wiederaufnahme aufgrund des schriftlichen Antrags streng zu prüfen und kann (5 Ob 1527/85, RZ 1991/22, 8 Ob 607/92) – muss im Falle des Todes einer Partei (§§ 155 bis 157) – dazu eine Tagsatzung anberaumen (Fasching Rz 613). Hält es die Voraussetzungen für gegeben, so muss es (SZ 45/19 = JBl 1973, 46, RZ 1986/40, ZIK 1998, 96, 9 Ob 321/98s = ZIK 2000/67, RdW 2000/406 = SSV-NF 13/82, 1 Ob 59/02m = ZIK 2002/230, 9 Ob 40/03b [ausdrücklich für das Verfahren außer Streitsachen zur Rechtslage des AußStrG 1854; vgl nunmehr § 26 Abs 3 AußStrG], 3 Ob 61/03x; aA 6 Ob 79/99g, 6 Ob 8/ 01x, 8 ObA 104/01d, 6 Ob 318/01k) einen ausdrücklichen Beschluss fassen. § 166 Abs 2 spricht nämlich einerseits von einer Entscheidung über den Wiederaufnahmsantrag und andererseits von einem Beschluss, durch welchen das Verfahren von Amts wegen aufgenommen wird. Außerdem sind stillschweigende Prozesshandlungen nicht vorgesehen (ebenso Schubert in Konecny/Schubert § 7 KO Rz 46). Eine Wiederaufnahme begründen daher weder die Zustellung der 7 Gleichschrift des Wiederaufnahmeantrags (SZ 45/19 = JBl 1973, 46, RZ 1986/40, SZ 49/135, EvBl 1978/57, MietSlg 37.851, ZIK 1997, 20; aA 8 ObA 104/01d = ZIK 2002/79) noch die Zustellung eines Urteils (aA JBl 1978, 433, EvBl 1982/119, SZ 66/178, 7 Ob 627/93) oder einer Berufung (9 Ob 321/98s = EvBl 1999/130) allein noch die Zustellung einer Ladung zu einer Tagsatzung (RZ 1986/40; aA EvBl 1982/119) oder deren Durchführung (ZIK 1998, 96; OLG Linz 2 R 244/98k; aA 6 Ob 79/99g), ebenso wenig die Verfassung eines Vorlageberichts (9 ObA 81/ 94) oder die Vornahme einer sonstigen Prozesshandlung über Antrag (Schubert in Konecny/Schubert § 7 KO Rz 46, 47; aA JBl 1978, 433, EvBl 913

§§ 164–166

Gitschthaler

1982/119) wie etwa die Abänderung eines Zulassungsausspruchs gemäß § 508 (aA 2 Ob 146/02p). Bei der Wertung eines nicht ausdrücklich die Aufnahme des unterbrochenen Verfahrens anordnenden Beschlusses als Aufnahmebeschluss ist nämlich – im Gegensatz zu Fortsetzungsbeschlüssen iSd §§ 187 ff, wo es lediglich auf den deutlich erkennbaren Entscheidungswillen des Gerichts ankommen soll (SZ 66/178, ZIK 1998, 96) – ein strenger Maßstab anzulegen (RZ 1986/40). Außerdem ist zu berücksichtigen, dass nach § 166 in den meisten Fällen jener Zeitpunkt anzugeben ist, mit welchem das Verfahren als aufgenommen zu gelten hat. Schließlich lässt sich nunmehr auch aus § 26 Abs 3 AußStrG eindeutig der Wille des Gesetzgebers entnehmen, dass unterbrochene Verfahren (nur) mittels eines ausdrücklichen Beschlusses fortzusetzen sind.

8 Zu 6 Ob 79/99g = JBl 1999, 818 wurde allerdings die Auffassung vertreten, wenn ein Masseverwalter in einen Aktivprozess des Gemeinschuldners gemäß § 8 KO eintrete und das Erstgericht darüber eine Tagsatzung ausschreibe, diese durchführe und in merito entscheide, habe es damit schlüssig dem Fortsetzungsantrag gemäß § 166 Abs 2 stattgegeben; damit sei die Unterbrechungswirkung des § 7 Abs 1 KO beseitigt worden, eines formellen Fortsetzungsbeschlusses bedürfe es nicht, weil die Praxis durchaus auch stillschweigende Prozesshandlungen kenne (ebenso 6 Ob 8/01x). In 8 ObA 104/01d = ZIK 2002/79 wurde darauf abgestellt, ob durch die nächste das Verfahren vorantreibende Verfügung der Entscheidungswille des Gerichts, das unterbrochene Verfahren aufzunehmen, deutlich erkennbar war; durch die Zustellung einer Gleichschrift des Fortsetzungsantrags werde das Verfahren mit dem Datum der Zustellverfügung aufgenommen. In 6 Ob 318/01k wurde die ursprüngliche Nichtigkeit (durch Verletzung des rechtlichen Gehörs des Masseverwalters) nachträglich dadurch für saniert erklärt, dass der Masseverwalter in das Verfahren eingetreten war und die bisherige Prozessführung genehmigt hatte. 2 Ob 146/02p erkannte lediglich in der Abänderung des Zulassungsausspruchs gemäß § 508 durch das Berufungsgericht dessen eindeutig erkennbaren Willen, das unterbrochene Verfahren aufzunehmen. Auch das OLG Wien (WR 953) führte aus, die Fassung eines ausdrücklichen Wiederaufnahmebeschlusses sei (nur?) dann erforderlich, wenn das Prozessgericht nicht nur zu erheben habe, ob die Klagsforderung im Konkurs angemeldet, sondern auch, von wem (neben dem Masseverwalter) sie bestellt worden sei; es wird also auch hier auf den Einzelfall abgestellt. Bei dieser Judikaturentwicklung wurde allerdings zu wenig berücksichtigt, dass es in 6 Ob 79/99g = JBl 1999, 818 um die Durchführung einer mündlichen Streitverhandlung nach Unterbrechung infolge Kon914

§§ 164–166

1.2 Verfahren

kurseröffnung gegangen ist, welcher Verhandlung bereits der Masseverwalter zugezogen worden war, sodass tatsächlich hier die Forderung nach einer beschlussmäßigen Fortsetzung des Verfahrens einen unnotwendigen Formalismus bedeutet hätte. Zur Verallgemeinerung war diese Entscheidung jedoch nicht geeignet (idS wohl auch Fink in Fasching/ Konecny II/2 § 165 Rz 10). Sie wird im Übrigen auch von Schubert (in Konecny/Schubert § 7 KO Rz 48) abgelehnt. Realistischer Weise wird man aber festhalten müssen, dass die bisherige strenge Rsp betreffend die Notwendigkeit der Fassung eines ausdrücklichen Aufnahme- bzw Fortsetzungsbeschlusses derzeit als weitgehend überholt angesehen werden muss. Als Zeitpunkt der Wiederaufnahme kommen in Betracht 9 a) im Anwendungsfall des § 160 (Tod oder Unfähigkeit des Rechtsanwalts einer Partei) der ungenützte Ablauf der Frist, welche der Partei zur Bestellung eines neuen Vertreters eingeräumt wurde, b) in den Anwendungsfällen der §§ 156, 157, 158 Abs 3 (Tod oder Prozessunfähigkeit der Partei) der Zeitpunkt der unverzüglichen Aufnahme des Verfahrens in der Hauptsache bei der zur Verhandlung über den Wiederaufnahmeantrag anberaumten Tagsatzung oder c) in den übrigen Anwendungsfällen der Zeitpunkt der Zustellung oder der Zeitpunkt des Eintritts der Rechtskraft des Fortsetzungsbeschlusses, wobei sich in den letztgenannten Fällen der Zeitpunkt nicht aus dem Gesetz ergibt, sondern vom Gericht zu bestimmen ist (vgl dazu ausführlich auch Fink in Fasching/Konecny II/2 § 166 Rz 1, 2). Den Beschluss hat grundsätzlich das Erstgericht zu fassen. Wurde 10 aber ein Rechtsmittel bereits vorgelegt, so ist das Rechtsmittelgericht zuständig (wobl 1997/115, 2 Ob 249/00g). Wurden die Akten dem OGH erst nach der eingetretenen Verfahrensunterbrechung vorgelegt, war aber das Berufungsverfahren zum Zeitpunkt der Unterbrechung bereits abgeschlossen, hat das Erstgericht über den Aufnahmeantrag abzusprechen und im Falle der Aufnahme die Akten dem OGH neuerlich vorzulegen (1 Ob 201/04x). Wurde der, wenn auch unrichtigerweise, beim Erstgericht gestellte Antrag auf Aufnahme des unterbrochenen Verfahrens rechtskräftig und positiv erledigt, dann sind die bereits vorher erstatteten Rechtsmittelschriften aus der Sicht des aufgenommenen Verfahrens nicht als unwirksam anzusehen und daher keinesfalls zurückzuweisen; sie sind lediglich verfrüht (SZ 49/135, 4 Ob 12/85). Die Aufnahme des unterbrochenen Verfahrens ist mit Rekurs anfechtbar (SZ 66/178; 9 Ob 321/98s = EvBl 1999/130; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 165 Rz 13); dies gilt wohl auch für die Ablehnung der Fortsetzung. Das Rechtsmittelverfahren ist einseitig (Schubert in 915

§§ 164–166

Gitschthaler

Konecny/Schubert § 7 KO Rz 49). Werden diese Beschlüsse allerdings von einem Berufungsgericht gefasst, sind sie unanfechtbar (8 Ob 6/03w = ZIK 2004/68). An den Aufnahmebeschluss sind die Parteien und das Prozessgericht, aber auch die Rechtsmittelinstanzen grundsätzlich gebunden (SZ 49/135, 4 Ob 12/85, 2 Ob 249/00g) Nach Teilen der Rsp (7 Ob 604/95 = ZIK 1996, 25, ZIK 1999, 58) soll der Aufnahmebeschluss lediglich die Wirkung einer prozessleitenden Verfügung haben und das Rechtsmittelgericht nicht hindern, die Prozessvoraussetzungen für die Verfahrensfortsetzung einer selbstständigen amtswegigen Prüfung zu unterziehen. Dies soll vor allem dann gelten, wenn ein Aufnahmebeschluss in Rechtsstreitigkeiten ergeht, welche die Geltendmachung oder Sicherstellung von Ansprüchen auf das zur Konkursmasse gehörige Vermögen bezwecken, wenn nicht geprüft wurde, ob tatsächlich sämtliche Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Rechtswegs gegeben sind, ob also die streitgegenständliche Prozessforderung vom Gläubiger im Konkurs angemeldet und in der nachträglichen Prüfungstagsatzung bestritten wurde. In einem laufenden Prüfungsprozess sind die Wirkungen der Konkursaufhebung von Amts wegen zu berücksichtigen (ZIK 1999, 166).

11 Unterlässt das Gericht die Fassung eines formellen Fortsetzungsbeschlusses, dann soll das trotzdem durchgeführte Verfahren grundsätzlich nichtig sein (1 Ob 583/90, 2 Ob 2021/96m; OLG Wien 15 R 174/ 02x), richtigerweise ist jedoch im Einzelfall zu prüfen, ob tatsächlich ein Nichtigkeitsgrund verwirklicht wurde (vgl dazu Näheres auch bei § 163). Dies ändert aber nichts daran, dass vor förmlicher Wiederaufnahme ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung zurückzuweisen wäre (vgl bei § 163; vgl insb auch ZIK 1998, 96, 9 Ob 40/03b = ZIK 2004/69 [für das Verfahren außer Streitsachen nach der Rechtslage des AußStrG 1854]; OLG Linz 1 R 259/95, 2 R 244/98k). Fasst das Gericht in weiterer Folge einen Aufnahmebeschluss, beginnen die Fristen zur Anfechtung der Entscheidung mit Zustellung dieses Beschlusses neu zu laufen, wobei das ursprüngliche Rechtsmittel infolge mangelnder Genehmigungsfähigkeit neu einzubringen ist (OLG Linz 2 R 244/ 98k). Im Anwendungsfall des § 160 wird die Unterlassung eines Fortsetzungsbeschlusses durch die rügelose Fortsetzung des Verfahrens nach Wegfall des Unterbrechungsgrunds durch sämtliche wieder ordnungsgemäß vertretenen Parteien saniert (8 Ob 138/76). Handelte es sich um eine Suspendierung des Rechtsanwalts, so muss nach deren Beendigung eine vorher erteilte Vollmacht nicht neuerlich erteilt werden (Bkd 72/ 85). 916

§ 167

1.2 Verfahren

Mit dem Zeitpunkt der Wiederaufnahme fallen die Unterbrechungswir- 12 kungen weg; sowohl Partei- als auch Gerichtshandlungen sind wieder zulässig. Ist ein Parteiwechsel eingetreten (etwa in den Fällen der §§ 155 und 159), so ist die Parteibezeichnung richtig zu stellen. Traten die Unterbrechungswirkungen während des Laufes einer Frist ein, so beginnt die Frist völlig neu zu laufen (SZ 9/78, SZ 52/144, EvBl 1982/119, 9 ObA 250/90). Handelte es sich um eine richterliche Frist, so ist sie neu zu bestimmen; eine gesetzliche Frist beginnt von allein zu laufen (Schubert in Konecny/Schubert § 7 KO Rz 46). Der Tag, an welchem die Unterbrechungswirkung endet, ist als fristenauslösend anzusehen (s dazu bei §§ 124–126). Wurde im Wiederaufnahmsbeschluss ausdrücklich ein Fristbeginn festgelegt, so gilt dieser. Wurde während der Unterbrechung zulässigerweise eine Entscheidung gefasst und zugestellt (s bei § 163), so ist diese nicht neuerlich zuzustellen (Fasching1 II 794; ders Rz 598; Rechberger/Simotta Rz 349; MietSlg 33.622, RZ 1986/40; aA MietSlg 37.851). Zur Anfechtung und zum Fristenlauf im Zusammenhang mit einer unzulässigerweise gefassten und zugestellten Entscheidung während der Unterbrechung s jedoch bei § 163. Ist im Anwendungsfall des § 160 die betroffene Partei säumig geblieben, dann ist ein gegen sie erhobenes Rechtsmittel nicht zuzustellen (1 Ob 726/81). Während der Unterbrechung von Rechtsmittelgerichten dem Erstgericht mit unerledigten Rechtsmitteln zurückgestellte Akten sind ersterem wieder vorzulegen. § 167. Die vorstehenden Bestimmungen haben sinngemäß zur Anwendung zu kommen, wenn nach dem gegenwärtigen Gesetze aus anderen als den in diesem Titel bezeichneten Gründen eine Unterbrechung des Verfahrens stattzufinden hat und hierüber nichts Abweichendes angeordnet ist. [Stammfassung] Zur Anwendbarkeit der Unterbrechungsbestimmungen s auch vor 1 § 155. § 167 bezieht sich insb auf § 61 Abs 1, §§ 152, 190, 191, 544 und 545 (Stohanzl Anm 1 zu § 167; vgl auch Fink in Fasching/Konecny II/2 § 167 Rz 1), ist aber etwa auch auf § 41 MRG (MietSlg 37.741) und auf § 90a GOG (vgl RdW 1998, 741) anzuwenden. Dies gilt aber nicht auch für § 6a (Näheres s dort), weil es sich dabei um einen Verfahrensstillstand eigener Art handelt. Infolge einer Verständigung oder beschlussmäßigen Aussetzung des Verfahrens nach § 6a werden daher etwa Rechtsmittelfristen nicht unterbrochen (LGZ Wien WR 484; vgl nunmehr allerdings § 5 Abs 4 AußStrG). 917

§§ 168–170

Gitschthaler

§ 90a Abs 1 GOG hat den Zweck, den Fortlauf des Verfahrens bis zur Entscheidung des EuGH anzuhalten, um so sicherzustellen, dass der Zweck der Vorabentscheidung nicht vereitelt wird. Die Bestimmung kann nur so verstanden werden, dass in diesem Sinne zulässige Handlungen, Entscheidungen und Verfügungen vom jeweils dafür zuständigen Gericht vorgenommen werden dürfen (4 Ob 118/98a = RdW 1998, 741). Ruhen des Verfahrens § 168. Die Parteien können vereinbaren, dass das Verfahren ruhen solle; eine solche Vereinbarung ist erst von dem Zeitpunkte an wirksam, in welchem sie dem Gerichte von beiden Parteien angezeigt wurde. Mit dem Ruhen des Verfahrens sind die Rechtswirkungen einer Unterbrechung des Verfahrens mit der Ausnahme verbunden, dass der Lauf von Notfristen nicht aufhört. Das Ruhen des Verfahrens hat außerdem zur Folge, dass das Verfahren vor Ablauf von drei Monaten seit der Anzeige der getroffenen Vereinbarung nicht aufgenommen werden kann. [Stammfassung] § 169. Das Ruhen des Verfahrens dauert so lange, bis von einer der Parteien die Anberaumung einer Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung oder, wenn das Verfahren während des Laufes einer Frist zur Vornahme einer Prozeßhandlung eingestellt wurde, die neuerliche Bestimmung einer Frist für diese Prozeßhandlung beantragt wird. Geschieht dies vor Ablauf der dreimonatlichen Frist (§ 168) oder der zwischen den Parteien für das Ruhen des Verfahrens vereinbarten Zeit, so hat das Gericht den bezüglichen Antrag von Amts wegen oder auf Begehren des Gegners ohne Verhandlung zurückzuweisen oder die Unwirksamkeit der etwa erfolgten Anberaumung einer Tagsatzung oder Fristbestimmung auszusprechen. [Stammfassung] § 170. (1) Wenn bei einer zur mündlichen Verhandlung anberaumten Tagsatzung keine der Parteien erscheint, hat dies, soweit nicht solches Ausbleiben nach den Bestimmungen dieses Gesetzes ohne Einfluß auf den Fortgang des Prozesses ist, das Ruhen des Verfahrens zur Folge. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht ausgeschlossen. (2) (aufgehoben) [Abs 1 Satz 2 angefügt, Abs 2 aufgehoben durch 1. GEN; sonst Stammfassung] 918

§§ 168–170

1.2 Verfahren Inhaltsübersicht Ruhen des Verfahrens – Infolge Versäumnis – Infolge Vereinbarung Dauer

1–3 2 3 4

Ewiges Ruhen Wirkungen Wiederaufnahme Verfahrensarten

5 6–7 8 9

Ruhen des Verfahrens, das die Streit- und Gerichtsanhängigkeit un- 1 berührt lässt (JBl 1959, 162, EvBl 1963/232, 4 Ob 46/76), auf Seiten des Klägers keinen schlüssigen Verzicht auf die Klagsforderung bedeutet (vgl 4 Ob 574/68) und dem Beklagten sein Bestreitungsrecht nicht nimmt (JBl 1960, 299, SZ 32/16, 1 Ob 2189/96k, 6 Ob 6/04g), ist entweder die Folge einer darauf gerichteten Parteienvereinbarung (§ 168) oder einer Versäumung (s bei §§ 144, 145) beider Parteien (§ 170; Fasching Rz 596, 609). Sie ist in amtswegigen Verfahren grundsätzlich ausgeschlossen (vgl auch Rz 9). Die Vorschriften über das Ruhen des Verfahrens sind zwingendes Recht und – abgesehen von der Vereinbarung einer über die Mindestdauer hinausreichenden Ruhensdauer – der Parteiendisposition entzogen (RZ 1985/38, 6 Ob 1540/95; Fink in Fasching/Konecny II/2 Vor §§ 168–170 Rz 6). Der Eintritt des Ruhens ist nur im Verfahren in der Hauptsache möglich, also nicht etwa im Wiedereinsetzungsverfahren (Holzhammer 233; Fasching Rz 584, 612; Rechberger/Simotta Rz 348; EvBl 1955/319; aA Fasching Rz 611; Fink, Wiedereinsetzung 163; ders in Fasching/ Konecny II/2 Vor §§ 168–170 Rz 18; s auch bei §§ 148, 149) oder im Provisorialverfahren. Er ist zulässig bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung I. Instanz (SZ 39/49 = JBl 1966, 569), dann – dazwischen liegt eine Sperrfrist (Fink in Fasching/Konecny II/2 Vor §§ 168–170 Rz 15) – wiederum im Berufungsverfahren bis zu dem nach § 416 Abs 2 maßgeblichen Zeitpunkt oder bis zum Schluss der mündlichen Berufungsverhandlung (§ 483 Abs 3; 4 Ob 232/04b; Holzhammer 233; Fasching Rz 611) und schließlich im Revisionsverfahren, solange noch keine bindende Entscheidung des OGH vorliegt (9 ObA 165/99a = ARD 5098/23/2000, 2 Ob 179/05w). Ruhen des Verfahrens infolge Versäumung. Zur Versäumung allge- 2 mein s bei § 133 und bei §§ 144, 145. Kein Ruhen des Verfahrens kann eintreten, wenn die Parteien eine Beweisaufnahmetagsatzung vor dem Rechtshilfegericht versäumen (§ 289). Bleibt eine Tagsatzung unbesucht, die erst infolge eines Widerspruchs gegen ein Versäumungsurteil (s dazu § 397a) notwendig geworden ist, so ist zunächst das Versäumungsurteil aufzuheben und dann erst der Eintritt des Ruhens des Verfahrens festzustellen (Fasching Rz 612). Versäumen die Parteien eine Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung, so kann jeder Nebenintervenient den 919

§§ 168–170

Gitschthaler

Eintritt des Ruhens abwenden (RZ 1933, 99, SZ 37/87, 1 Ob 727/85). Erscheint zwar eine Partei, stellt sie aber keinen Antrag auf Fällung eines Versäumungsurteils, obwohl sie vom Richter dazu aufgefordert wurde, so tritt ebenfalls Ruhen des Verfahrens ein (SZ 27/253, SZ 48/46 = EvBl 1976/26, SZ 56/174, SZ 65/12 = EvBl 1992/83, 1 Ob 334/98v; Holzhammer 234; Fasching Rz 612; Holzhammer, PraktZPR 261; aA Rechberger/Simotta Rz 348; dies wurde nunmehr durch die ZVN 2002 und 2004 in § 398 festgeschrieben (vgl Fink in Fasching/Konecny II/2 § 170 Rz 7; vgl 9 Ob 36/05t). Kein Ruhen des Verfahrens tritt aber ein, wenn die Partei es unterlässt, einen Antrag auf Fällung eines Anerkenntnis- (EvBl 1986/31; Rechberger, JBl 1974, 570; Rechberger/Simotta Rz 348; aA Holzhammer 234; Ballon Rz 272) oder eines Verzichtsurteils (Rechberger/Simotta Rz 348; aA Holzhammer 234; Ballon Rz 272) zu stellen, weil hier der Unterwerfungsakt einer Partei – im Gegensatz zur Vollversäumung – das kontradiktorische Verhandeln in der Streitsache nicht verhindert (EvBl 1986/31; vgl auch Fink in Fasching/Konecny II/2 § 170 Rz 9). Die Feststellung des Eintritts des Ruhens des Verfahrens bedarf keines Beschlusses, sondern nur eines Aktenvermerks (7 Ob 578/95 = RdW 1996, 117, 6 Ob 288/00x; Rechberger/Simotta Rz 347; Fink in Fasching/Konecny II/2 Vor §§ 168–170 Rz 20). Da diesem Aktenvermerk außer der Dokumentation des von Gesetzes wegen selbstständig eingetretenen Verfahrensstillstands kein Bedeutung zukommt (6 Ob 288/00x), ist auch eine Anfechtung eines „Feststellungsbeschlusses“ nicht zulässig (aA RZ 1937, 295). Die fortsetzungswillige Partei hat vielmehr einen Fortsetzungsantrag zu stellen; ein diesen Antrag aboder zurückweisender Beschluss kann angefochten werden (RdW 1996, 117; aA Fink in Fasching/Konecny II/2 Vor §§ 168–170 Rz 21).

3 Vereinbartes Ruhen des Verfahrens. Die Parteien können Ruhen des Verfahrens auch außergerichtlich vereinbaren, wirksam wird diese Vereinbarung jedoch nur dann, wenn sie einverständlich eine Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung nicht besuchen oder dem Gericht in einem gemeinsamen Schriftsatz die Vereinbarung anzeigen. Ruhen des Verfahrens tritt dann entweder bei Aufruf der unbesuchten Tagsatzung oder mit dem Einlangen der Anzeige bei Gericht (SZ 8/39, JBl 1959, 135, SZ 36/96, 6 Ob 1540/95, 6 Ob 2155/96x; Fink in Fasching/ Konecny II/2 § 168 Rz 3) ein. Ein vereinbartes und dem Gericht angezeigtes Ruhen kann ein einfacher Nebenintervenient nicht abwenden (SZ 37/87), wohl aber ein Streitgenosse nach § 14 (SZ 15/200, 1 Ob 727/85; unklar SZ 39/49 = JBl 1966, 569). Die Parteien können, müssen aber keine Ruhensdauer vereinbaren (Fink in Fasching/Konecny II/2 § 168 Rz 5). Die Ruhensvereinbarung muss sich aber auf den gesamten 920

§§ 168–170

1.2 Verfahren

Prozessgegenstand beziehen und nicht nur auf einen Teilanspruch (SZ 40/167; LGZ Wien EFSlg 98.202; Fink in Fasching/Konecny II/2 Vor §§ 168–170 Rz 5). Tritt Ruhen des Verfahrens infolge Versäumung oder infolge Vereinba- 4 rung ein, ohne dass die Parteien eine Frist vereinbart hätten, so beträgt die Mindestruhedauer drei Monate und endet mit einem Fortsetzungsantrag einer der Parteien. Diese können zwar von vorneherein eine längere Dauer des Ruhens des Verfahrens vereinbaren, die aber bestimmt sein muss (RZ 1985/38; Fasching Rz 610) und nie so lange sein darf, dass eine sinnvolle Fortführung des Verfahrens für Gericht und Parteien unmöglich wäre (W. Kralik, BeitrZPR IV 40). Widrigenfalls wäre nur von der gesetzlichen Mindestdauer auszugehen (Fasching Rz 610; W. Kralik, BeitrZPR IV 40; EvBl 1963/232, JBl 1973, 425 [abl Sprung], SZ 61/197 = JAP 1990/91, 106 [zust Klicka]). Die Vereinbarung, dass das Verfahren bis zur rechtskräftigen Beendigung eines anderen Verfahrens ruhen solle, ist eine eindeutige und bestimmte Zeitvereinbarung. Sie bedingt jedoch, dass das andere Verfahren auch betrieben wird, also zumindest eine Partei auch Einfluss auf dieses Verfahren nehmen kann (RZ 1985/38). Die Ruhensfrist wird durch die verhandlungsfreie Zeit nicht verlängert (Fink in Fasching/Konecny II/2 § 168 Rz 19 mwN). Rein prozessual ist die Vereinbarung „ewigen“ (oder „immerwähren- 5 den“ oder „dauernden“) Ruhens des Verfahrens ebenso unzulässig wie die Erklärung, auf eine Fortsetzung des Verfahrens zu verzichten (LGZ Wien EFSlg 66.991). Sie ist jedoch nicht bedeutungslos, wenn die Parteien damit zugleich auch das zwischen ihnen streitige Rechtsverhältnis bereinigen wollen, also wenn sie sich etwa außergerichtlich über den Anspruch verglichen haben, der Beklagte ihn anerkannt oder sogar erfüllt oder der Kläger auf ihn verzichtet hat (Fasching Rz 610 f; Rechberger/Simotta Rz 353; vgl auch Fink in Fasching/Konecny II/2 § 168 Rz 6– 16; EvBl 1963/232, JBl 1973, 425 [abl Sprung], SZ 61/197 = JAP 1990/91, 106 [zust Klicka und im Ergebnis auch W. Kralik, BeitrZPR IV 40, 48], JBl 1990, 333, 7 Ob 2191/96y, SZ 70/250; aA SZ 21/162, EvBl 1970/232, JBl 1976, 148 [krit König], 7 Ob 556/77, JBl 1988, 655; VfGH VfSlg 10.653; Dolinar, Ruhen 52, 57; Sprung, FS Grass I 708; Holzhammer 235; Schumacher, JBl 1988, 655; Ballon Rz 272 [die Fortsetzung ist unzulässig, weil in der Ruhensvereinbarung eine Klagsrücknahme unter Anspruchsverzicht und mit Ausschluss einer Kostenersatzpflicht oder ein beiderseitiger Verzicht auf Rechtsschutz zu sehen ist]). Das Verfahren kann nach Ablauf von drei Monaten über Antrag fortgesetzt werden, bei der Entscheidung ist jedoch die materiellrechtliche Seite der Ruhensvereinbarung zu berücksichtigen (SZ 61/197, JBl 1990, 333, 7 Ob 2191/96y). Auch 921

§§ 168–170

Gitschthaler

bei einem in einem außergerichtlichen Vergleich vereinbarten „Ewigen Ruhen“ kann ein Fortsetzungsantrag nach Ablauf von drei Monaten gestellt werden; einer Irrtumsanfechtung bedarf es nicht (SZ 70/250). Auch bei „Ewigem Ruhen“ bleibt die Streitanhängigkeit erhalten, die eine neuerliche Einklagung desselben Anspruchs hindert (Fasching Rz 611; Rechberger/Simotta Rz 353; SZ 61/197, JBl 1990, 333).

6 Die Wirkungen des Ruhens sind im Wesentlichen mit jenen einer Unterbrechung oder Aussetzung des Verfahrens ident (s dazu bei § 163). Allerdings laufen bei Eintritt des Ruhens des Verfahrens bereits begonnene Notfristen (SZ 48/46 = EvBl 1976/26, 8 Ob 625/91, 7 Ob 646/95; s dazu auch bei § 123) weiter (Fasching Rz 600; Fink in Fasching/ Konecny II/2 § 168 Rz 28). Dies gilt insb für Rechtsmittelfristen (SZ 39/ 49 = JBl 1966, 569, SZ 48/46 = EvBl 1976/26, 3 Ob 72/88, 8 Ob 625/91, 7 Ob 646/95), sodass auch Rechtsmittel während des Ruhens des Verfahrens erhoben werden können (KG St. Pölten Arb 7.111), wenn die angefochtene Entscheidung bereits vorher zugestellt worden war. Über diese Rechtsmittel ist auch zu entscheiden (SZ 39/49, SZ 48/46, 3 Ob 72/ 88, 8 Ob 625/91, 7 Ob 646/95; aA Fink in Fasching/Konecny II/2 § 168 Rz 30). Wurde hingegen das Rechtsmittel bereits vor Eintritt des Ruhens überreicht, ist darüber während des Ruhens nicht zu entscheiden (SZ 48/46, 8 Ob 625/91, 7 Ob 646/95; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 168 Rz 25; aA SZ 28/185 = EvBl 1955/416, SZ 39/49). Darüber hinaus erlaubt das Gesetz als Dispositionshandlungen der Parteien, die das Verfahren zur Gänze beenden (vgl Fink in Fasching/ Konecny II/2 § 168 Rz 35), die Klagsrücknahme unter Anspruchsverzicht, den Rechtsmittelverzicht und die Rechtsmittelrücknahme (Fasching Rz 600; GlUNF 166, SZ 16/199, SZ 58/44 = EvBl 1985/141; OLG Wien EFSlg 44.013; OLG Linz 2 R 233/98t; VfGH ÖJZ 1969, 165), ebenso wohl auch die Protokollierung eines Vergleichs (Falke von Lilienstein, GZ 1899, 396; Dolinar, Ruhen 226; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 168 Rz 37; aA Gabrielcic, GH 1900, 37). Dazu kommen Prozesshandlungen, die lediglich die Sicherung der Rechte der Parteien zum Gegenstand haben, jedoch das Verfahren als solches nicht betreffen (OLG Wien EvBl 1949/566, EFSlg 14.196; LGZ Wien EFSlg 10.524), also etwa Einstweilige Verfügungen (OLG Wien EFSlg 21.176; LGZ Wien 45 R 91/01t) oder eine Exekution zur Sicherstellung (GlUNF 4517, SZ 36/50), aber auch Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe (LGZ Wien MietSlg 52.721; LG Salzburg 21 R 310/95). Wird die Klage während des Ruhens des Verfahrens zurückgenommen, ist das Gericht berechtigt, über Kostenersatzansprüche nach § 237 Abs 3 zu entscheiden; eines vorhergehenden Fortsetzungsantrags bedarf es nicht (OLG Linz 2 R 233/98t; so nunmehr auch Fink in Fa922

§§ 168–170

1.2 Verfahren

sching/Konecny II/2 § 168 Rz 35). Auch über offene Sachverständigengebührenansprüche kann trotz Ruhens des Verfahrens entschieden werden (vgl bei § 163). Nicht zulässig sind Umgehungshandlungen, also etwa die Klagsrücknahme ohne Anspruchsverzicht, wenn die Klage innerhalb der gesetzlichen oder vereinbarten Ruhensdauer wieder eingebracht wird. Letztere Klage wäre daher zurückzuweisen (GlUNF 166, SZ 16/199, MietSlg 19.524; OLG Wien EFSlg 44.013). Ebenfalls unzulässig ist auch der Beitritt eines Nebenintervenienten während des Ruhens des Verfahrens (LGZ Wien EvBl 1946/359; 9 ObA 3/96). Ein dennoch eingebrachter Beitrittsschriftsatz ist zurückzuweisen (OLG Wien 3 R 62/05t). Die Missachtung des eingetretenen Ruhens des Verfahrens hat 7 grundsätzlich dieselben Folgen wie die Missachtung der Unterbrechungswirkung (s bei § 163; Fasching Rz 600; RdW 1996, 117), sodass ein ungeachtet des Ruhens des Verfahrens fortgesetztes Verfahren und die Fällung einer Entscheidung nicht zwingend eine Nichtigkeit des Verfahrens und der Entscheidung begründen müssen (LGZ Wien EFSlg 60.873; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 168 Rz 27; vgl dazu bei § 163; aA RdW 1996, 117; LGZ Wien MietSlg 47.588 [immer Nichtigkeit]). Die Wiederaufnahme des ruhenden Verfahrens kann nur über An- 8 trag einer Partei erfolgen, nie von Amts wegen. Der Fortsetzungsantrag wird mit Einlangen bei Gericht wirksam (5 Ob 252/58, 3 Ob 10/73), uzw selbst dann, wenn keine Gleichschrift für den Gegner angeschlossen wurde (3 Ob 10/73). Er kann auch mit einem anderen Antrag verbunden werden (3 Ob 10/73). Verfrühte Fortsetzungsanträge sind zurückzuweisen (§ 169; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 169 Rz 7). Durch die Rücknahme eines Fortsetzungsantrags tritt nicht wieder Ruhen des Verfahrens ein (5 Ob 252/58; Fink in Fasching/Konecny II/2 § 169 Rz 5). Eine Fortsetzung des Verfahrens ist auch möglich, wenn der materiellrechtliche Anspruch bereits verjährt ist, weil der Anspruch der Partei auf Prozessbeendigung selbst nicht verjähren kann (Holzhammer 235; Fasching Rz 614; Fink in Fasching/Konecny II/2 Vor §§ 168–170 Rz 24; vgl auch 2 Ob 81/97v). Beim Fortsetzungsbeschluss handelt es sich nicht bloß um eine prozessleitende Verfügung (SZ 21/162). Ruhen des Verfahrens ist an sich eine Spezialität des streitigen Verfah- 9 rens, weshalb es dem Exekutions-, aber auch den Insolvenzverfahren ebenso fremd ist wie dem Sozialrechts- und dem Provisorialverfahren (Fasching Rz 609; Holzhammer 232; Rechberger/Simotta Rz 348; Fink in Fasching/Konecny II/2 Vor §§ 168–170 Rz 7). Für Verfahren außer Streitsachen hat es der Gesetzgeber nunmehr jedoch ausdrücklich vorgesehen (§ 28 AußStrG). 923

Dritter Abschnitt Mündliche Verhandlung Vor § 171 Lit: Klein, Pro futuro (1891); Schragel, Verfahrenstechnik im Zivilprozess, RZ 1978, 21; Fasching, Prozessprinzipien und Reform des Zivilprozesses, in Haller ua, Verfahrensgrundsätze – Verfahrensreformen im österreichischen Recht (1980) = FG 126; Matscher, Die Verfahrensgarantien der EMRK in Zivilrechtssachen, ZÖR 1980, 1; Ballon, Der Einfluß der Verfassung auf das Zivilprozessrecht, ZZP 96 (1983), 409; P. Böhm, Bewegliches System und Prozesszwecke, in F. Bydlinski ua, Das bewegliche System im geltenden und künftigen Recht (1986) 211; W. Kralik, Die Verwirklichung der Ideen Franz Kleins in der Zivilprozessordnung von 1895, FB Franz Klein (1987) 89; Fasching, Die Weiterentwicklung des Zivilprozessrechts im Lichte der Ideen Franz Kleins, FB Franz Klein 97 = FG 91; Matscher, Zum Problem der überlangen Verfahrensdauer in Zivilrechtssachen; Art 6 Abs 1 EMRK und das österreichische zivilgerichtliche Verfahren, FS Fasching (1988) 351; Fasching, Zur Auslegung der Zivilverfahrensgesetze, JBl 1990, 749 = FG 25; ders, Die Bedachtnahme auf Treu und Glauben im österreichischen Zivilprozess, ÖJZ 1992, 366 = FG 45; Schoibl, Die überlange Dauer von Zivilverfahren im Lichte des Artikels 6 Abs 1 EMRK, RZ 1993, 58, 82; Fasching, Die Bedeutung des Gleichheitssatzes für das zivilgerichtliche Verfahren, FG Fasching (1993) 3; Oberhammer, Richtermacht, Wahrheitspflicht und Parteienvertretung, in W. Kralik/Rechberger, Konfliktvermeidung und Konfliktregelung (1993) 31; Fucik, Möglichkeiten und Grenzen der Verfahrensbeschleunigung in Zivilrechtssachen, RZ 1993, 218; Ballon, Die Beachtung des rechtlichen Gehörs iS des Art 6 MRK durch die Rechtsmittelgerichte, JBl 1995, 623; Fasching, Rechtsbehelfe zur Verfahrensbeschleunigung, FS Henckel (1995) 161; ders, Rechtliches Gehör und Rationalisierung des zivilgerichtlichen Verfahrens in Österreich, FS Nakamura (1996) 117; Hofer-Zeni, Der Grundsatz der Mündlichkeit im österreichischen Zivilprozess (1996); Fucik, Die Rolle des Richters in der ZPO, in: 100 Jahre ZPO. Ökonomische Analyse des Zivilprozesses (1998) 191; Parker/Lewisch, Materielle Wahrheitsfindung im Zivilprozess, ebd 203; Fasching, Der mühsame Weg zur Verfahrensbeschleunigung, FS Beys (2003) 305; Deixler-Hübner, Fortschritte und Rückschritte durch die Zivilverfahrensnovelle 2002, FS 924

Vor § 171

1.3 Mündliche Verhandlung

Beys 209 (212); Oberhammer, Prozessbeschleunigung als rechtspolitisches Gestaltungsanliegen, in BMJ, Franz Klein Symposion (2005) 55. Fasching in Fasching/Konecny II/1 Einl Rz 1–76; Fasching Rz 634 ff; Holzhammer 125 und PraktZPR 105; Bajons Rz 21 ff; Ballon Rz 13 ff; Burgstaller, PraktZPR 94; Rechberger/Simotta Rz 266 ff. Inhaltsübersicht Prozessgrundsätze im Allgemeinen Dispositionsmaxime Kooperationsmodell Reiner Untersuchungsgrundsatz Mündlichkeitsgrundsatz Unmittelbarkeitsgrundsatz

1 2 3 4 5 6

Freie Beweiswürdigung Öffentlichkeitsgrundsatz Beiderseitiges rechtliches Gehör Prozessökonomie Waffengleichheit Vorrang der Sacherledigung

7 8 9 10 11 12

I. Die Prozessgrundsätze im Allgemeinen Prozessgrundsätze sind die Leitideen, die vom Gesetzgeber der Ge- 1 staltung des Prozesses zugrunde gelegt werden und die ihre konkrete Ausformung in den einzelnen Verfahrensvorschriften erhalten (Fasching Rz 635 und ders in Fasching/Konecny Einl Rz 1). Da es aber nicht um die reine Verwirklichung eines Gedankenmodells, sondern um die sinnvolle Ausgestaltung eines Verfahrens geht, sind die von der Prozessdogmatik entwickelten Prozessgrundsätze selten streng durchgezogen, sondern meist kombinatorisch eingesetzt, zumal unter ihnen manchmal auch Zielkonflikte herrschen. Die Prozessgrundsätze sind nicht nur für die wissenschaftliche Durchdringung des Prozessrechts, sondern auch für eine nicht bloß kurzsichtige rechtspolitische Gestaltung (vgl Bajons Rz 6 ff; Fasching, FB Franz Klein 97) und schließlich für die Auslegung des Verfahrensrechts (Fasching, JBl 1990, 757 und ders in Fasching/Konecny Einl Rz 4) von großer Bedeutung. Die neuere Lehre (Rechberger/Simotta Rz 266) gliedert die Prozessgrundsätze in solche, die die Aufgabenverteilung zwischen Gericht und Parteien regeln (s Rz 2 bis 4), und in solche, die die Gestaltung des Verfahrens betreffen (s Rz 5 ff). Die Prozessgrundsätze können weder mit den Nichtigkeitsgründen (s bei § 477) noch mit den verfassungsrechtlichen Bestimmungen über die Gerichtsbarkeit (Art 82 bis 94 B-VG, Art 6 MRK) gleichgesetzt werden, vielmehr handelt es sich um drei verschiedene, einander freilich vielfach überschneidende Kategorien. 925

Vor § 171

Fucik

II. Die einzelnen Prozessgrundsätze 2 Die Dispositionsmaxime (Rechberger/Simotta Rz 267; Fasching in Fasching/Konecny II/1 Einl Rz 6–11) besagt, dass ein Verfahren nur auf Antrag (nicht von Amts wegen, wie dies der Offizialmaxime entspräche) durchgeführt werden kann. Die Parteien bestimmen daher den Beginn und den Gegenstand des Rechtsstreits und können auch seine Beendigung herbeiführen. Der Kläger leitet durch sein Klagebegehren den Prozess ein (§§ 226, 405) und bestimmt damit, so wie beide Parteien durch weitere Sachanträge (Zwischenfeststellungsantrag, § 136; Mutwillensentschädigung, § 408; Aufrechnungseinrede, vgl bei §§ 391–392 Rz 10 f), auch den Umfang der richterlichen Entscheidungsbefugnis (s bei § 405). Entsprechendes gilt für das Rechtsmittelverfahren (s bei § 461). Eine Verfahrensbeendigung ohne Urteil können die Parteien durch Sachdisposition (Anerkenntnis, Verzicht, Vergleich – Ausnahmen in Statussachen s bei § 460) oder Verfahrensdisposition (Zurücknahme der Klage oder des Rechtsmittels, Ruhensvereinbarung) herbeiführen. Verstöße gegen die Dispositionsmaxime bilden nach der Rsp keinen Nichtigkeitsgrund (s § 405 Rz 6). Vom Dispositionsrecht der Parteien unberührt bleibt die Prozessleitung, insb die Anordnung von Zustellungen, Ladungen, Tagsatzungen. Diese sind von Parteianträgen unabhängig (Amtsbetrieb; Rechberger/Simotta Rz 272).

3 Während der Verhandlungsgrundsatz den Parteien die primäre Last der Stoffsammlung zuweist, muss das Gericht nach dem Untersuchungsgrundsatz von Amts wegen die erheblichen Tatsachen ermitteln. Im österreichischen Zivilprozess fügen sich die einzelnen Vorschriften eher zu einem Kooperationsmodell („abgeschwächter Untersuchungsgrundsatz“ nach Rechberger/Simotta Rz 269, „Kooperations- und Sammelmaxime“ nach Holzhammer, PraktZPR 105; skeptisch zu all diesen Termini Fasching in Fasching/Konecny II/1 Einl Rz 16 und FS Beys 307), bei dem die Verantwortung zwischen Gericht und Parteien geteilt ist. Die ZPO nach der ZVN 2002 zeigt in vielen Facetten eine größere Anerkennung des Kooperationsmodells als davor. Im Einzelnen bedeutet dies, dass die Parteien bei den Tatsachenbehauptungen die Behauptungslast und eine Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht sowie eine Prozessförderungspflicht trifft, das Gericht hingegen eine korrespondierende richterliche Anleitungspflicht von verschiedener Intensität, je nachdem, ob es sich um eine anwaltlich vertretene Partei (§§ 182 u 182a), eine nicht anwaltlich vertretene Partei im Verfahren vor dem BG (§ 435 Abs 2) oder vor dem Arbeits- und Sozialgericht (§ 39 Abs 2 Z 1 ASGG) handelt. Weiters, dass die Parteien die Beweismittel 926

Vor § 171

1.3 Mündliche Verhandlung

anzugeben haben, die ihre Tatsachenbehauptungen stützen sollen (Beweisführungslast, näheres s Vor § 266 Rz 9), das Gericht hingegen kraft seiner diskretionären Gewalt von Amts wegen weitere Beweise aufnehmen kann (beim Urkunden- und Zeugenbeweis freilich wieder nicht gegen übereinstimmenden Widerspruch der Parteien, s § 183 Abs 2). Verstöße gegen die Stoffsammlungsgrundsätze bilden keinen Nichtigkeitsgrund. Der reine Untersuchungsgrundsatz, wonach also die rechtserheblichen 4 Tatsachen unabhängig vom Tatsachenvorbringen und den Beweisanboten der Parteien von Amts wegen zu ermitteln sind, gilt in den Verfahren zur Nichtigerklärung und zur Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer Ehe (§ 460 Z 4 – also nicht im Scheidungs- und Eheaufhebungsprozess) und idR in Sozialrechtssachen (§ 87 Abs 1 ASGG, wo freilich die Wirkungen des § 266 gelten, soweit das Geständnis von Versicherungsträgern oder qualifiziert vertretenen Personen stammt). In allen Zivilprozessen sind die Prozesstatsachen (Prozessvoraussetzungen, Zustellung, Rechtzeitigkeit, uU auch Wiedereinsetzungsgründe, Erstreckungs- und Fristverlängerungsgründe, Verfahrenshilfevoraussetzungen) von Amts wegen wahrzunehmen, also bei konkreten Anhaltspunkten (vgl Fasching Rz 663 und ders in Fasching/ Konecny II/1 Einl Rz 21; Holzhammer, FS Kralik 205) auch ohne Anträge oder Beweisanbote zu untersuchen. Der Mündlichkeitsgrundsatz (Rechberger/Simotta Rz 274; Fasching in 5 Fasching/Konecny II/1 Einl Rz 23–27) macht eine mündliche Verhandlung zur Voraussetzung jeder Sachentscheidung mit Urteil (§§ 176, 390; Ausnahme: VU nach Versäumung der direkt aufgetragenen Klagebeantwortung, § 398) und beschränkt den Urteilsgegenstand auf das in der mündlichen Verhandlung vorgekommene (§ 414 Abs 1). Allein in nicht vorgetragenen Schriftsätzen enthaltenes Vorbringen ist nicht Prozessgegenstand (3 Ob 272/02z = MietSlg 55.655; 9 Ob 96/03p = MietSlg 55.656). Selbstverständlich muss das Ergebnis trotz der Mündlichkeit durch schriftliche Fixierung überprüfbar gemacht werden, also durch Schriftsätze, Protokolle, Urteils- und Beschlussausfertigungen. Die Sache erledigende Prozessentscheidungen (Zurückweisungsbeschlüsse) bedürfen (von den wichtigen Ausnahmen des § 260, s dort, abgesehen) ebenso wenig einer mündlichen Verhandlung wie die Auftragsbeschlüsse in besonderen Verfahrensarten (Zahlungsbefehl, Zahlungsauftrag, Aufkündigung, Übernahms- und Übergabsauftrag). Auch im Rechtsmittelverfahren ist die Mündlichkeit sehr eingeschränkt. Verstöße gegen die Mündlichkeit können Nichtigkeit iSd § 477 Abs 1 Z 4 (Gehörverstoß) oder Z 8 bewirken. Im Übrigen kann ein erheblicher 927

Vor § 171

Fucik

Verfahrensmangel vorliegen (Rechberger/Simotta Rz 276; nach Fasching in Fasching/Konecny II/1 Einl Rz 27 geht die Nichtigkeit ausschließlich mit Gehörverletzung einher).

6 Der Unmittelbarkeitsgrundsatz (Rechberger/Simotta Rz 277; Fasching in Fasching/Konecny II/1 Einl Rz 39–49) zwingt zunächst zur Identität von ermittelndem und erkennendem Richter (persönliche Unmittelbarkeit), so dass das Urteil nur von dem Richter (dem Senat in gleicher Besetzung) gefällt werden darf, der auch an der Verhandlung teilgenommen hat. Nur dadurch erlangen die Grundsätze der Mündlichkeit und der freien Beweiswürdigung ihren Sinn. Es ist freilich in der Lehre wie in der rechtspolitischen Diskussion besonders umstritten, wie weit Ausnahmen vom Unmittelbarkeitsgrundsatz reichen sollen. Die wichtigsten derzeit vorgesehenen Ausnahmen bilden die Rechtshilfe (§§ 282 ff) und die Übernahme von Beweisergebnissen aus anderen Verfahren (§ 281a). Der Unmittelbarkeitsgrundsatz gilt auch im Rechtsmittelverfahren (vgl va § 488 Abs 4). Verstöße gegen § 412 Abs 1 bilden einen Nichtigkeitsgrund iSd § 477 Abs 1 Z 2 (ZAS 1974/2 [Rinner]; 1974/14; Rechberger/Simotta Rz 280; Fasching in Fasching/Konecny II/1 Einl Rz 49), sonstige Verstöße allenfalls jenen der Z 4 (vgl Vor § 266 Rz 30) oder einen Verfahrensmangel (Fasching Rz 676; Rechberger/Simotta Rz 280; Fasching in Fasching/Konecny II/1 Einl Rz 49). Neben der persönlichen Unmittelbarkeit findet sich (Holzhammer, PraktZPR 106) die sachliche (Beweisaufnahme durch das erkennende Gericht, Aufnahme des sachnächsten Beweismittels, Ablehnung „schriftlicher Aussagen“, SZ 59/93 = EvBl 1987/1 = JBl 1986, 583; Ortner, AnwBl 1986, 616) und die zeitliche Unmittelbarkeit (Wiederholung der bisherigen Verfahrensergebnisse gem § 138; Urteilsausfertigung binnen vier Wochen gem § 414 Abs 3).

7 Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung löst die richterliche Tatsachenermittlung von festen Beweisregeln, zwingt aber auch zu eingehender Begründung der Beweiswürdigung (s Vor § 266 Rz 1; § 272 Rz 1–3; vgl Fasching in Fasching/Konecny II/1 Einl Rz 66).

8 Der Öffentlichkeitsgrundsatz verschafft dem Volk die Möglichkeit, Zutritt zu und Kenntnis von der Zivilgerichtsbarkeit zu erlangen. Näheres s bei § 171. Seine Verletzung bildet den Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 7 (Rechberger/Simotta Rz 282; Fasching in Fasching/Konecny Einl Rz 28–38).

9 Der Grundsatz des beiderseitigen rechtlichen Gehörs (Fasching in Fasching/Konecny II/1 Einl Rz 50–63) gibt jedem durch eine gericht928

Vor § 171

1.3 Mündliche Verhandlung

liche Entscheidung in seinen Rechten Betroffenen das prozessuale Grundrecht, in dem zu dieser Entscheidung führenden Verfahren Gelegenheit zur Äußerung zu erhalten. Nur wer diese Äußerungsmöglichkeit nicht wahrnimmt (Säumnis), darf ohne seine Beteiligung verurteilt werden. Im österreichischen Recht ist dieser Grundsatz durch Art 6 Abs 1 MRK und die §§ 177, 230 f, 243, 416, 426 f, 468, 507, 521a, 451, 550, 552, 557, 562 uva verwirklicht. Er gibt den Betroffenen (Parteien, Nebenintervenienten, in Zwischenverfahren aber auch Dritten, die durch die Zwischenentscheidung betroffen werden) das Recht, Tatsachen und Beweise vorzubringen, zu Anträgen und Vorbringen des Gegners Stellung zu nehmen, zur Sache rechtlich auszuführen und die Beweisergebnisse zu erörtern (wobei jedoch weder ein Rechtsgespräch noch ein Schlussplädoyer vorgesehen ist). Das rechtliche Gehör ist idR vor der Entscheidung, sei es mündlich (Ladung), sei es schriftlich (Zustellung zur Äußerung), zu gewähren (Ausnahme: Mahnverfahren, Mandats- und bestandrechtliches Auftragsverfahren, wo derjenige, der sich äußern will, dies durch Einspruch bzw Einwendungen erreicht; Einstweilige Verfügung, die zwar ohne Anhörung des Gegners der gefährdeten Partei erlassen, diesfalls aber von diesem mit Widerspruch bekämpft werden kann). Verstöße gegen das rechtliche Gehör begründen Nichtigkeit iSd § 477 Abs 1 Z 4 oder 5. Echte Ausnahmen vom rechtlichen Gehör bestehen nicht, nur manche bedenklichen (Rechberger/Oberhammer, Das Recht auf Mitwirkung im österreichischen Zivilverfahren im Lichte von Art 6 EMRK, ZZP 106 (1993) 347; Rechberger, Gehördefizite im österreichischen Rechtsmittelverfahren, FS Matscher 373) oder auch unbedenklichen (zB Rechtsmittelbeschränkungen, s Matscher, ZÖR 1980, 21) Einschränkungen. Dass das gesamte Prozessrecht im Sinne verfassungskonformer Interpretation so auszulegen ist, dass Gehördefizite vermieden werden, setzt sich – auch in der Rsp – immer mehr durch (vgl Fasching, JBl 1990, 753 mwN). Der Grundsatz der Prozessökonomie besagt, dass jedes gerichtliche 10 Verfahren auf möglichst einfache, rasche und billige Weise zu seinem Ziel führen soll – ohne damit freilich Richtigkeit und Vollständigkeit der Entscheidungsgrundlagen in erheblichem Ausmaß zu beschneiden. Die ZPO gibt schon nach dem Prozesskonzept Franz Kleins der Verfahrensökonomie mehr Raum als viele andere Verfahrensordnungen, weil ihr die Vorstellung zugrunde liegt, der Prozess sei als soziales Übel im Interesse der Allgemeinheit möglichst rasch und einfach zu erledigen (Klein/Engel, Zivilprozess 186, 244; für die aktuelle Rechtslage vor allem Fasching in Fasching/Konecny II/1 Einl Rz 67–76 und in FS Beys 305 ff; Rechberger/Klicka in CLC, Beschleunigung des zivil929

§ 171

Fucik

gerichtlichen Verfahrens in Mittel- und Osteuropa, Schriftenreihe des CLC (2004) 17; Oberhammer, Franz Klein Symposium 55. Im Einzelnen sind folgende Konzentrationsmaßnahmen hervorzuheben: a) Die Stoffsammlung bleibt (durch das Neuerungsverbot) der ersten Instanz vorbehalten; b) prozessuale Vorfragen sind – bei Präklusionsfolgen – in Vorterminen (vorbereitende Tagsatzung, abgesonderte Verhandlung) zu erledigen; c) Zahlungsbefehle sorgen für die Abklärung, welche Sachen überhaupt einer streitigen Verhandlung bedürfen; d) Tagsatzungen und Fristen sind von Amts wegen anzuberaumen bzw festzusetzen, ihre Erstreckung nur aus bestimmten wichtigen Gründen zulässig (§§ 128, 134), e) Säumnis- und Präklusionsfolgen (zB § 279) sind vorgesehen; f) das Gericht kann Vorbringen (§ 179) oder Beweisanbote (§ 275) als verspätet, Klageänderungen als verzögernd (§ 235 Abs 3) zurückweisen und g) Kostenseparation vorsehen; h) schließlich dient auch die mündliche Verhandlung zur Prozesskonzentration, weil das gemeinsame Gespräch manches schneller klärt als Schriftsatzwechsel, der Richter für straffere Protokollierung des Vorbringens sorgen und durch seine Prozessleitung und diskretionäre Gewalt das Verfahren schnell in zweckmäßige Bahnen lenken kann (vgl va Schragel, RZ 1978, 21; Fucik, RZ 1993, 218).

11 Der Grundsatz der Waffengleichheit der Parteien ist ein (über das beiderseitige rechtliche Gehör hinaus) im Zivilverfahren, anders als im Strafprozess, nicht übermäßig bedeutsamer Teilaspekt des Gleichheitsgrundsatzes (vgl aber SZ 60/286 = JBl 1988, 527 = AnwBl 1988, 637 [zust Arnold] = RZ 1988/26; Fasching, FG Fasching 3 und in Fasching/ Konecny II/1 Einl Rz 64; Rechberger, FS Tomandl 649).

12 Mit Fasching (Rz 719 und in Fasching/Konecny II/1 Einl Rz 65) ist schließlich der Grundsatz anzuerkennen (OLG Wien WR 536; Rechberger/Simotta Rz 289), dass prozessuale Formvorschriften so zu gestalten, auszulegen und anzuwenden sind, dass sie die Sacherledigung fördern und nicht hindern (Vorrang der Sacherledigung, s va §§ 84 f, 235 Abs 3 und 5, 40a JN ua). Erster Titel Öffentlichkeit § 171. (1) Die Verhandlung vor dem erkennenden Gerichte, einschließlich der Verkündung der richterlichen Entscheidung, erfolgt öffentlich. (2) Als Zuhörer haben unbewaffnete Personen Zutritt. Der § 132 Abs 3 ist sinngemäß anzuwenden. 930

§ 171

1.3 Mündliche Verhandlung

(3) Unmündigen kann der Zutritt als Zuhörer verweigert werden, sofern durch ihre Anwesenheit eine Gefährdung ihrer persönlichen Entwicklung zu befürchten wäre. [Abs 1 Stammfassung, Abs 2 idF, Abs 3 eingefügt durch BG BGBl 1996/760] Lit: Buchegger, Das „fair hearing“ – der Anspruch auf gerichtsförmige Behandlung privater Rechtssachen im Völkerrecht und seine Auswirkungen auf das innerstaatliche Zivilprozessrecht, BeitrZPR I (1982) 1; Nowak/Schwaighofer, Das Recht auf öffentliche Urteilsverkündung in Österreich, EuGRZ 1985, 725; Lienbacher, Der Öffentlichkeitsgrundsatz des Zivil- und Strafverfahrens im österreichischen Verfassungsrecht, ÖJZ 1990, 425, 515; Simotta, Überlegungen zur Öffentlichkeit im Zivilprozess, FS Matscher (1993) 449; dies, Einige Probleme des Datenschutzes im Zivilverfahrensrecht, ÖJZ 1993, 793, 838; Adamovic, Ausschluss der Öffentlichkeit im zivilgerichtlichen Verfahren durch Parteienantrag, RZ 2004, 165. Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 171; Fasching Rz 682 ff; Holzhammer 132; Bajons Rz 27; Ballon Rz 18; Burgstaller, PraktZPR 100; Rechberger/Simotta Rz 281 ff. Wie Art 90 Abs 1 B-VG versteht auch § 171 unter „Öffentlichkeit“ die 1 „Volksöffentlichkeit“, die auch allen nicht durch das Verfahren in ihren Rechten betroffenen Personen freistellt, der Verhandlung und der Verkündung der Entscheidung – soweit diese erfolgt (vgl §§ 414, 426) – beizuwohnen (Näheres zu den historischen Zwecken und ihrer Problematik bei Simotta, FS Matscher 449; dies, ÖJZ 1993, 794). Sie findet ihre Grenzen in der räumlichen Kapazität (kein subjektives Recht einzelner auf Anwesenheit) und anderen tatsächlichen Hindernissen, die nicht geradezu auf den Ausschluss der Öffentlichkeit gerichtet sind (zB Ortsaugenschein; Nachtsperre des Gerichtsgebäudes, vgl JBl 1989, 662 = EvBl 1989/145; krit dazu Burgstaller, PraktZPR 101). Öffentlich sind alle Verhandlungen vor dem erkennenden Gericht, 2 auch die eingeschränkte vorbereitende Tagsatzung und abgesonderte Verhandlungen über Prozesseinreden, nicht also Rechtshilfevernehmungen (§ 175), sowie die Urteilsverkündung. Keine Volksöffentlichkeit besteht in Ehesachen und den in § 49 Abs 2 Z 2c JN genannten Streitigkeiten (§ 460 Z 3). Nur unbewaffnete Personen haben Zutritt, doch wird dies in der Ver- 3 handlung keine allgemeinen Kontrollen, sondern individuellen Ausschluss iSd Sitzungspolizei gebieten. 931

§ 172

Fucik

4 Zeugen sind in Abwesenheit später zu vernehmender Zeugen anzuhören (§ 339 Abs 2), weshalb sie vor ihrer Vernehmung der Verhandlung nicht beiwohnen dürfen. Auf Sachverständige ist diese Vorschrift trotz § 367 nicht anzuwenden (Fasching Rz 685), idR auch nicht auf informierte Personen iSd § 258.

5 § 22 MedienG verbietet Fernseh- und Hörfunkaufnahmen und -übertragungen sowie Filmaufnahmen nicht aber Tonaufnahmen) öffentlicher Verhandlungen.

6 Unmündige (die also das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben) sind zu entfernen, wenn sie die Verhandlung stören oder ihre Belassung im Saal ihre Entwicklung gefährden würde. Dies kann nach Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 171 Rz 12 der Fall sein, wenn über die zivilrechtlichen Folgen einer Gewalttat bis in Einzelheiten verhandelt werden muss.

7 Nicht gefolgt werden kann Schragels These zu Rz 12, Personen unter sieben Jahren könnten nicht unter „Unmündige“ subsumiert werden. Abgesehen davon, dass das von ihm verwendete Begriffsystem seit dem KindRÄG 2001 nicht mehr besteht, ist schon die Prämisse („Das Gesetz kann aber doch nicht dahin verstanden werden, es wolle Eltern die Mitnahme von Kleinkindern, für die sie keinen Pflegeplatz während ihres Zuhörens finden können, die Möglichkeit bieten, sie zu Gerichtsverhandlungen mitzunehmen“) völlig unbegründet. § 172. (1) Die Öffentlichkeit ist auszuschließen, wenn durch sie die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährdet erscheint, oder wenn die begründete Besorgnis besteht, daß die Öffentlichkeit der Verhandlung zum Zwecke der Störung der Verhandlung oder der Erschwerung der Sachverhaltsfeststellung mißbraucht werden würde. (2) Überdies kann das Gericht auf Antrag auch nur einer der Parteien die Öffentlichkeit ausschließen, wenn zum Zwecke der Entscheidung des Rechtsstreites Tatsachen des Familienlebens erörtert und bewiesen werden müssen. (3) Der Ausschluß der Öffentlichkeit kann für die ganze Verhandlung oder für einzelne Teile derselben stattfinden; auf die Verkündung des Urteiles darf er sich in keinem Falle erstrecken. Insoweit die Öffentlichkeit einer Verhandlung ausgeschlossen wird, ist die öffentliche Verlautbarung des Inhalts der Verhandlung untersagt. [Stammfassung] 932

§ 174

1.3 Mündliche Verhandlung

Von Amts wegen ist die Öffentlichkeit in den Fällen des Abs 1 aus- 1 zuschließen (Näheres zu den einzelnen Fällen bei Fasching Rz 686; Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 172). Ausschluss der Öffentlichkeit auf Antrag einer Partei kann auch dann 2 erfolgen, wenn die zu erörternden Tatsachen das Familienleben Dritter betreffen. Außerhalb der ZPO bestehen weitere Ausschlussgründe, die nur auf 3 Antrag wahrzunehmen sind, und zwar zur Wahrung a) des Amtsgeheimnisses im Amtshaftungs- und Organhaftpflichtprozess (§ 13 Abs 2 AHG, § 11 Abs 2 OrgHG); b) von Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen im Wettbewerbsprozess (§ 22 UWG) und bei Verbandsklagen (§ 30 Abs 1 KSchG); in anderen Verfahren besteht nur ein Zeugnisverweigerungsrecht (s § 321 f Rz 5 ff). Die Verletzung der Geheimhaltungspflicht des Abs 3 ist gem § 301 4 Abs 1 StGB strafbar. § 173. (1) Die Verhandlung über einen Antrag auf Ausschließung der Öffentlichkeit erfolgt in nichtöffentlicher Sitzung. (2) Der Beschluß über die Ausschließung der Öffentlichkeit muß öffentlich verkündet werden. Gegen denselben ist ein abgesondertes Rechtsmittel nicht zulässig. [Stammfassung] Gegen ungerechtfertigten Ausschluss der Öffentlichkeit kann sich der 1 ausgeschlossene Dritte gar nicht wehren; die Partei kann deshalb die ergangenen Entscheidungen als nichtig iSd § 477 Abs 1 Z 7 bekämpfen. § 174. (1) Wird die Öffentlichkeit ausgeschlossen, so kann jede Partei verlangen, daß außer ihrem Bevollmächtigten drei Personen ihres Vertrauens die Anwesenheit bei der Verhandlung gestattet werde. (2) Wirklich angestellten Richtern, dann Konzeptsbeamten der Staatsanwaltschaft und des Bundesministeriums für Justiz sowie Rechtsanwälten bleibt trotz Ausschlusses der Öffentlichkeit der Zutritt gestattet, sofern die Öffentlichkeit nicht aus dem im § 172 Abs 2 angeführten Grunde ausgeschlossen wurde. [Stammfassung] Da Ehesachen nichtöffentlich sind, dürfen weder Vertrauenspersonen 1 noch die in Abs 2 genannten Justizjuristen derartigen Verhandlungen 933

§ 175

Fucik

beiwohnen (LGZ Wien EFSlg 82.210; 108.954). Dies ist ein Umkehrschluss aus dem nur für nicht von vornherein nichtöffentliche Verhandlungen geltenden Text (vgl Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 174 Rz 5). Dass die Zuziehung von drei Vertrauenspersonen nicht zur Volks-, sondern zur Parteiöffentlichkeit zählt, vertritt im Ergebnis die hL (Rechberger/Simotta Rz 787; Holzhammer, PraktZPR 474). § 55 Abs 1 EO idF GeSchG und § 19 Abs 5 AußStrG scheinen aber nun die tauglichste Analogiegrundlage. Danach kann einer von vornherein nichtöffentlichen Verhandlung eine Vertrauensperson beigezogen werden. § 175. (1) Das Erfordernis der Öffentlichkeit der Verhandlung gilt nicht für die nach den Vorschriften dieses Gesetzes der Beschlußfassung über einen Antrag vorausgehende Einvernehmung oder Anhörung einer oder beider Parteien. (2) Die außerhalb einer Verhandlung vor dem erkennenden Gerichte stattfindende Einvernehmung von Parteien, Zeugen, Sachverständigen und anderen Personen erfolgt gleichfalls mit Ausschließung der Öffentlichkeit. [Stammfassung]

1 An Einvernehmungen kommen solche anlässlich einer Ablehnung (§ 24 Abs 1 JN), eines Kompetenzkonflikts (§ 47 Abs 2 JN), einer Streitwertüberprüfung (§ 60 Abs 1 JN), einer Kuratorenbestellung (§ 9 Abs 1), einer aktorischen Kaution (§ 60 Abs 3), einer Urkundenedition (§ 83 Abs 2, 303 Abs 3, 308 Abs 2), einer Fristverlängerung (§ 128 Abs 3), Erstreckung einer Tagsatzung (§ 136 Abs 3), eines Fortsetzungsantrags (§ 165 Abs 2) einer Aussageverweigerung (§ 324 Abs 1), eines Präklusionsantrags (§ 335 Abs 1), einer Sachverständigenbestellung (§ 351 Abs 1), eines Beweissicherungsantrags (§ 386 Abs 1), einer Strafanzeige (§ 539 Abs 1) in Betracht.

Zweiter Titel Vorträge der Parteien und Prozessleitung § 176. Vor dem erkennenden Gericht verhandeln die Parteien über den Rechtsstreit mündlich. In Rechtssachen, in welchen die Vertretung durch Rechtsanwälte geboten ist, wird die mündliche Verhandlung durch Schriftsätze vorbereitet. Außerdem ist die Überreichung vorbereitender Schriftsätze nur in den in diesem Gesetze besonders bezeichneten Fällen notwendig. [Stammfassung] 934

§ 177

1.3 Mündliche Verhandlung

Lit: Fasching, Schriftlichkeit und Mündlichkeit im österreichischen Zivilprozess, in: Österr Landesreferate zum VII. Internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung in Pescara (1970) 69. Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 176; Fasching Rz 666 ff; Burgstaller, PraktZPR 104; Rechberger/Simotta Rz 274 ff. ISd Mündlichkeitsgrundsatzes (s Vor § 171 Rz 5) werden schriftliche 1 Anträge idR erst durch ihren Vortrag in der Verhandlung wirksam (OLG Wien JBl 1947, 446; SZ 40/20; OLG Innsbruck 1 R 143/03v; vgl aber zur Klagsausdehnung § 235 Rz 9; zu Klagebeantwortung § 398). Die Gerichtssprache ist deutsch (§ 53 Abs 1 Geo; Art 8 B-VG), doch ist 2 vor den BG Bleiburg, Ferlach und Eisenkappel auch die slowenische Sprache (§ 3 V BGBl 1977/307), vor den BG Eisenstadt, Güssing, Mattersburg, Neusiedl/See, Oberpullendorf und Oberwart die kroatische Sprache (§ 3 V BGBl 1990/231) als Amtssprache zugelassen, ebenso in den Berufungsgerichten. Zur Zulässigkeit vorbereitender Schriftsätze s bei § 257, zu ihrer Hono- 3 rierung § 41 Rz 5. § 177. (1) Nach dem Aufrufe der Sache sind die Parteien mit ihren Anträgen, mit dem zur Begründung derselben oder zur Bekämpfung der gegnerischen Anträge bestimmten tatsächlichen Vorbringen sowie mit Beweisen und Beweisanbietungen und mit den das Streitverhältnis betreffenden rechtlichen Ausführungen zu hören (Vorträge der Parteien). Das Ablesen schriftlicher Aufsätze statt mündlichen Vorbringens ist unzulässig. (2) Schriftstücke, auf welche in den Vorträgen Bezug genommen wird, sind nur insoweit vorzulesen, als diese Schriftstücke dem Gerichte oder dem Gegner noch nicht bekannt sind oder als es auf den wörtlichen Inhalt ankommt. [Stammfassung] Lit: Dolinar, Die bedingte Parteihandlung, ÖJZ 1970, 85, 118; Fasching, Die Umdeutung von Parteiprozesshandlungen im österreichischen Zivilprozessrecht, FS Baumgärtel (1990) 65 = FG 54; Schneider, Die Auslegung von Parteiprozesshandlungen (2004). Fasching in Fasching/Konecny II/1 Einl Rz 77–114; Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 177; Fasching Rz 747; Holzhammer 137 und PraktZPR 226; Ballon Rz 142 ff; Rechberger/Simotta Rz 448 ff. 935

§ 177

Fucik Inhaltsübersicht

Inhalt des Vorbringens Informative Befragung und Parteienvernehmung Begriff der Prozesshandlung

1 2 3

Auslegung von Prozesshandlungen 4 Bedingte Prozesshandlungen 5 Doppelfunktionelle Prozesshandlungen 6

1 Das (mündliche, vgl 3 Ob 272/02z = MietSlg 55.655) Vorbringen der Parteien bzw ihrer Vertreter bezieht sich auf Anträge und Beweismittel, aber auch auf Rechtsausführungen und Beweisergebnisse (§§ 217 Abs 2, 259, 287 Abs 3). Allerdings muss ihnen das Gericht in der Verhandlung weder seine Rechtsansicht bekannt geben (nur die Rechtslage erörtern) noch seine Beweiswürdigung vorwegnehmen (Fasching Rz 647).

2 Vom Vorbringen und der informativen Befragung (§ 182; LGZ Wien EvBl 1953/119, Arb 871) ist die Parteivernehmung (§§ 371 ff) zu unterscheiden, deren Ergebnisse nicht als Parteivorbringen behandelt werden (SZ 39/8; JBl 1987, 659; EFSlg 55.018).

3 Als Prozesshandlungen der Parteien sind alle ihre Willensakte zur Prozessgestaltung anzusehen (Fasching Rz 747), nicht also faktische Handlungen oder Unterlassungen, aber Willensbetätigungen ebenso wie Willenserklärungen. Üblicherweise werden sie in Erwirkungshandlungen (Anträge, Behauptungen) und Bewirkungshandlungen (Erklärungen, Mitteilungen) eingeteilt. Sie setzen Partei-, Prozess- und Postulationsfähigkeit (sowie allenfalls wirksame Vertretung) voraus und sind meist form-, frist- oder termingebunden (Näheres Fasching Rz 754 ff; Rechberger/Simotta Rz 453 ff).

4 Zur Auslegung von Prozesshandlungen ist ausschließlich auf ihren objektiven Erklärungswert (aber nicht ausschließlich auf den Wortlaut, RZ 1997/79 = RdW 1997, 276) abzustellen, während es auf die Parteienabsicht nicht ankommt (SZ 69/57 = RZ 1997/15 = RdW 1997, 332; JBl 1993, 792; Fasching Rz 757; Fasching, FS Baumgärtel 72 f; ausführlich nun Schneider, Auslegung). Willensmängel lassen sich beheben durch Berichtigung bzw Widerruf der Parteihandlung, der zulässig ist (EvBl 1987/10), solange die Parteihandlung noch nicht Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung geworden ist oder der Gegner daraus unmittelbar Rechte erlangt hat (NRsp 1988/327; RZ 1990/14; immolex 1997/ 144). Darüber hinaus hat es viel für sich, einen Widerruf zuzulassen, wenn ein Wiederaufnahmegrund vorliegt (Fasching Rz 764).

5 Bedingte Prozesshandlungen werden idR als die Rechtssicherheit gefährdend abgelehnt (Fasching Rz 758 ff). Innerprozessual bedingte Pro936

§ 178

1.3 Mündliche Verhandlung

zesshandlungen kommen freilich häufig vor (EvBl 1995/176), insb Eventualanträge (samt dem gesetzlich normierten des § 82 Abs 5 ASGG), Überweisungsantrag nach § 261 Abs 6, einstweilige Zulassung gem § 38, Prozessaufrechnung (s §§ 391–392 Rz 10 f) und bedingte Vergleiche (s §§ 204 ff Rz 18). Doppelfunktionelle Prozesshandlungen vereinen prozessuale und 6 materiellrechtliche Wirkungen. Zur Frage, wie Fehler, die nur eines der beiden Rechtsgebiete betreffen, insgesamt wirken, wird die (herrschende) Lehre vom Doppeltatbestand (getrennte Betrachtung) einerseits, von der Doppelnatur (einheitliche Betrachtung) andrerseits, bemüht (Einzelfragen bei Fasching Rz 766 ff; Rechberger/Simotta, Rz 456 ff; s auch §§ 204–206 Rz 5 ff). § 178. (1) Jede Partei hat in ihren Vorträgen alle im einzelnen Falle zur Begründung ihrer Anträge erforderlichen tatsächlichen Umstände der Wahrheit gemäß vollständig und bestimmt anzugeben, sich über die von ihrem Gegner vorgebrachten tatsächlichen Angaben und angebotenen Beweise mit Bestimmtheit zu erklären, die Ergebnisse der geführten Beweise darzulegen und sich auch über die bezüglichen Ausführungen ihres Gegners mit Bestimmtheit auszusprechen. (2) Jede Partei hat ihre Vorträge so zeitgerecht und vollständig zu erstatten, dass das Verfahren möglichst rasch durchgeführt werden kann (Prozessförderungspflicht). [Abs 1 Stammfassung, Abs 2 eingefügt mit ZVN 2002] Lit: F. Bydlinski, Schadenersatz wegen materiell rechtswidriger Verfahrenshandlungen, JBl 1986, 626; Klicka, Aufklärungspflichten der Prozessparteien im österreichischen Zivilprozessrecht, JBl 1992, 231; Salficky, Die Prozessförderungspflicht und Präklusion, RdW 2002, 5278; Bienert-Niessl, Materielle Auskunftspflichten im Zivilprozess (2003); Annerl, Vorbereitende Tagsatzung und Präklusion von Parteivorbringen, ÖJZ 2006, 229. Fasching in Fasching/Konecny II/1 Einl Rz 71 ff; Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 178; M. Bydlinski 88; Fasching Rz 653 ff; Holzhammer, PraktZPR 106; Rechberger/Simotta, Rz 269 ff. Inhaltsübersicht Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht

1 937

Behauptungslast Prozessförderungspflicht

2 3

§ 178

Fucik

1 Ziel des Zivilprozesses ist die Entscheidung im Rahmen der Parteianträge auf möglichst vollständiger und richtiger Tatsachengrundlage (Fasching Rz 652). Die Parteien haben zur Erreichung dieses Zwecks die rechtserheblichen Umstände wahrheitsgemäß, vollständig und bestimmt anzugeben, also weder etwas „ins Blaue“ zu behaupten noch etwas zu verschweigen. Dass dies echte Rechtspflichten der Parteien und nicht bloße Obliegenheiten sind, zeigt sich daran, dass neben Präklusionsmöglichkeiten (§ 179) und freier Würdigung des gesamten Parteiverhaltens (§ 272) auch Kostenfolgen (§§ 44, 48) und Schadenersatzansprüche, einerseits nach § 408, andrerseits nach Schadenersatzrecht (F. Bydlinski, JBl 1986, 626; EvBl 1993/15) sowie Mutwillensstrafen (§ 313) als Sanktionen in Betracht kommen.

2 Die Bedeutung des Parteivorbringens für die Sachentscheidung (Behauptungslast): Nach den Regeln über die Behauptungslast führt ein unvollständiges Sachvorbringen zu einer dem Behauptungspflichtigen nachteiligen Sachentscheidung (Fasching Rz 654, 873 f). Die Behauptungslast ist zwar nicht uneingeschränkt, sondern wird insb durch die richterliche Prozessleitung (§ 182) und diskretionäre Gewalt (§ 183) ergänzt (s dort) und verbietet auch nicht den sog Ausforschungsbeweis (das Gericht kann nämlich über Anträge der Parteien hinaus Beweise aufnehmen; meist begründet die Rsp mit dem Verbot des Ausforschungsbeweises freilich etwas ganz anderes, nämlich die Abweisung nicht ausreichend bestimmter Beweisanträge; vgl Holzhammer, PraktZPR 89), dennoch führt ihre Verletzung in der Praxis immer wieder zu Prozessverlust: Das Gericht darf nach stRsp bei der Beweisaufnahme hervorgekommene Umstände nämlich nur dann berücksichtigen, wenn sie im Parteienvorbringen Deckung finden (JBl 1987, 659), muss also zumindest die Parteien zum Vorbringen derartiger Tatsachen anleiten (JBl 1981, 157 uva) und kann über das – dann nicht ergänzte – Parteienvorbringen überschießende Feststellungen nur treffen, wenn sie in den Rahmen des geltend gemachten Klagegrunds oder der erhobenen Einreden fallen (SZ 41/87; JBl 1972, 271 [zust König] uva, RZ 1992/59; 6 Ob 76/04a = MietSlg 56.661 krit Fasching Rz 661; anders auch SZ 21/123; vgl § 266 Rz 7). So muss im Schadenersatzprozess ein Sachverhalt (nicht nur ermittelt, sondern auch) vorgebracht werden, aus dem sich erkennen lässt, dass damit ein (Mit-)Verschulden des Gegners behauptet wird (ZVR 1978/167; 1982/319 uva).

3 Nach § 178 Abs 2 ZPO idFd ZVN 2002 hat jede Partei ihre Vorträge (also ihr Vorbringen und ihre Anträge, wozu auch die Beweisanbote gehören) so schnell wie möglich, also insb auch innerhalb der vom Gesetz oder Gericht dafür eingeräumten Fristen (etwa für die Klagebe938

§ 179

1.3 Mündliche Verhandlung

antwortung oder einen aufgetragenen Schriftsatz) zu erstatten. Diese Prozessförderungspflicht macht es den Parteien sohin ausdrücklich zur Pflicht, zur Beschleunigung der Entscheidungsfindung beizutragen, indem sie ihr Vorbringen (und wohl auch ihre Beweisanträge) so zeitgerecht erstatten, dass das Verfahren möglichst rasch beendet werden kann („Prozessförderungspflicht“). Nach § 257 Abs 3 ZPO idFd ZVN 2002 können die Parteien einander in der Klage oder Klagebeantwortung noch nicht enthaltene Beweise, welche sie geltend machen wollen, durch besonderen, spätestens eine Woche vor der vorbereitenden Tagsatzung bei Gericht und beim Gegner einlangenden, vorbereitenden Schriftsatz mitteilen; diese Regelung dient der optimalen Vorbereitung des Gerichtes und der Parteien auf die Verhandlung. Aus dem Zusammenspiel dieser beiden Bestimmungen sind die Parteien dazu verhalten, ua auch die ihnen zur Verfügung stehenden Beweismittel einerseits frühestmöglich und andererseits längstens mittels eines spätestens eine Woche vor der vorbereitenden Verhandlung bei Gericht einlangenden Schriftsatzes gelten bzw namhaft zu machen. Kommt nun eine Partei dieser Verpflichtung nicht nach, hat dieses Verhalten unter den gesetzlichen Voraussetzungen die Präklusion des Beweismittels zur Folge (OLG Linz 2 R 56/04z). § 179. Die Parteien können bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung neue auf den Gegenstand dieser Verhandlung bezügliche tatsächliche Behauptungen und Beweismittel vorbringen. Solches Vorbringen kann jedoch vom Gerichte auf Antrag oder von Amts wegen zurückgewiesen werden, wenn es, insbesondere im Hinblick auf die Erörterung des Sach- und Rechtsvorbringens (§ 182a), grob schuldhaft nicht früher vorgebracht wurde und seine Zulassung die Erledigung des Verfahrens erheblich verzögern würde. Gegen den Beschluss ist ein abgesondertes Rechtsmittel nicht zulässig. [Fassung ZVN 2002, anzuwenden, wenn die mündliche Streitverhandlung erster Instanz nach dem 31.12.2002 geschlossen wurde] Lit: Pimmer, Zur Befugnis des Richters zur Zurückweisung verspäteten Vorbringens und Beweisanbietens nach § 179 Abs 1 Satz 2 ZPO, JBl 1983, 129; P. Böhm (/G. Jelinek), Aktuelle Fragen des Beweisrechtes, WR 29 (1992) 14; Beran/Klaus/Liebhart/Nigl/Pühringer/Rassi/Roch/ Steinhauer, (Franz) Klein, aber fein, RZ 2002, 258; 2003, 2, 34; Salficky, Die Prozessförderungspflicht und Präklusion, RdW 2002, 578; Annerl, Die innerprozessuale Präklusion von Parteivorbringen im Zivilverfahren (2005); Annerl, Vorbereitende Tagsatzung und Präklusion von Parteivorbringen, ÖJZ 2006, 229. 939

§ 179

Fucik

Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 179; Fasching Rz 715; M. Bydlinski 90. Inhaltsübersicht Einheit der mündlichen Streitverhandlung Präklusion verspäteten Vorbringens Vorwerfbarkeit eines Verstoßes

1 2

Absolute und relative Verzögerung Beschlussfassung und Verfahren

5–6 7–10

3–4

1 Grundsätzlich folgt aus der Einheit der mündlichen Streitverhandlung (§ 193 Abs 2) die Möglichkeit, während der gesamten Verhandlung weiteres Vorbringen zu erstatten. Nur in den Fällen des Abs 1 Satz 2 kann es zur Zurückweisung von Vorbringen kommen (vgl weiters §§ 181 Abs 2, 275 Abs 2, 278 Abs 2). Die – späteres Vorbringen ausschließende – Eventualmaxime kennt das Gesetz nur bei Oppositionsund Impugnationsklage (§ 35 Abs 3, § 36 Abs 2 EO) und bei der gerichtlichen Kündigung von dem MRG unterliegenden Mietverträgen (§ 33 Abs 1 MRG).

2 Die Präklusionsmöglichkeit ist mit Vorsicht und Verantwortung anzuwenden (RZ 1976/27, 44). Sie setzt voraus: a) neues Vorbringen (neue Beweisanbote für altes Vorbringen unterliegen § 275 Abs 2), b) Verspätung des Vorbringens aus grobem Verschulden, wobei der objektive Maßstab anhand einer durchschnittlich sorgfältigen Partei anzulegen ist (OLG Linz 2 R 56/04z), wie er sich etwa aus Vorbringen ergibt, das dem bisherigen (oder der informativen Befragung der Partei) widerspricht (SZ 41/105; vgl EvBl 1964/165, Widerruf eines Geständnisses), das zu allgemein gehaltenes Vorbringen trotz Erfüllung der richterlichen Anleitungspflicht erst später konkretisiert (EvBl 1959/76 ua), uU auch aus der bisherigen Verfahrensdauer (SZ 41/105; 51/32), im Lichte des neuen § 245 aber wohl auch aus dem Verhalten der Partei in früheren Verfahren (bisher strittig: als Hilfstatsache berücksichtigt in SZ 41/105; abl Pimmer, JBl 1983, 131), c) Eignung, das Verfahren erheblich zu verzögern (die mangels Notwendigkeit einer Erstreckung jedenfalls ebenso wenig gegeben ist wie bei der Möglichkeit, ein Teilurteil iSd § 391 Abs 3 zu fällen; ZBl 1934/230; vgl OLG Wien EvBl 1937/126).

3 Der Grad der Vorwerfbarkeit eines Verstoßes gegen die Prozessförderungspflicht ist im Einzelfall und unter Berücksichtigung der Umstände zu prüfen. Je nahe liegender ein früheres Vorbringen gewesen wäre, umso schwerer der Verstoß. Je mehr der Komplex erörtert wurde, 940

§ 179

1.3 Mündliche Verhandlung

je intensiver die Anleitung durch das Gericht erfolgt ist, umso gravierender. Dennoch mag es gelingen, im Einzelfall den Vorwurf der prozessualen Sorglosigkeit zu entkräften oder als bloß leichtes Verschulden erscheinen zu lassen. Vor der WGN 1997 sprach das Gesetz von Verschleppungsabsicht. Danach versuchte der Gesetzgeber mit einer neuen Formel („keinen anderen Schluss zulässt, als das Verfahren verschleppt werden soll“) die Gerichte dazu zu veranlassen, die Präklusion weniger restriktiv anzuwenden und keinesfalls die Absicht (§ 5 Abs 2 StGB) der konkreten Partei zu erforschen. Eine Trendwende blieb aus, weshalb die ZVN 2002 wieder neue Anknüpfungselemente vorsah. Entscheidend ist wohl stets die Frage: „Warum erst jetzt?“, deren Beantwortung Rückschlüsse auf das Ausmaß prozessualer Sorglosigkeit zulässt, die einer Partei und/ oder ihrem Vertreter im konkreten Fall vorgeworfen werden kann. Die jüngste Rsp des OGH schließt aus dem Verweis auf § 182a und der 4 Funktion der vorbereitenden Tagsatzung als Platz für die Erörterung des Sach- und Rechtsvorbringens, dass in der vorbereitenden Tagsatzung, wenn auch erst später, Vorgebrachtes niemals der Präklusion des § 179 unterliegen könnte (7 Ob 253/04p = EvBl 2005/126). Das ist als Faustregel gewiss brauchbar (vgl 4 Ob 50/06s: Vorbringen nach erstmaliger Erörterung nicht präkludierbar). Es wird aber wohl auch Ausnahmekonstellationen geben, in denen bereits das Zurückhalten von Vorbringen bis zum Ende dieser Tagsatzung den Tatbestand (und Zweck) des § 179 erfüllen kann (Annerl, ÖJZ 2006, 232). In der dL unterscheidet man absolute und relative Verzögerung. In 5 der Sache geht es darum, mit welchem sonstigen Prozessverlauf der hypothetische Verlauf bei Zulassung des neuen Vorbringens zu vergleichen ist: Eine Verzögerung ist jedenfalls nur anzunehmen, wenn das Verfahren bei Zulassung insgesamt länger dauern wird; das allein reicht aber dann nicht aus, wenn die Gesamtdauer gar nicht durch die – wenn auch sorgfaltswidrige – Verspätung dieses Vorbringens beeinflusst wird (s M. Bydlinski 95; Annerl, Präklusion 142 je mwN). In der Sache unumstritten ist, dass die Verzögerung auch daraus resultieren kann, dass zwar die verspätet vorbringende Partei keine weiteren Beweise aufstellt, wohl aber ein Gegenvorbringen und Beweisanbote des Gegners provoziert (die ihrerseits nicht schuldhaft verspätet sind, sondern auch bei sorgfältiger Prozessführung erst als Antwort auf das vom Gegner sorglos verspätet Vorgebrachte erstattet werden mussten). Auf die völlig andersartige Präklusionsmöglichkeit des § 279 sei hinge- 6 wiesen. 941

§ 180

Fucik

7 Von einem Präklusionsbeschluss kann nach SZ 51/32 (zust Pfersmann, ÖJZ 1982, 96, zurecht abl Pimmer, JBl 1983, 132) auch bei Wegfall einer der zu Rz 2 genannten Voraussetzungen nicht mehr abgegangen werden.

8 Der Präklusionsbeschluss ist Senatssache. Er kann durch ein abgesondertes Rechtsmittel nicht angefochten werden (§ 186 Abs 2), wohl aber mit Berufung (als Verfahrensmangel). Das präkludierte Vorbringen ist im Urteil anzuführen (§ 417 Abs 3).

9 Abs 2 wurde durch die WGN 1997 neu gefasst und erst durch die ZVN 2002 aufgehoben. Damit ist ein anlässlich der ZVN 1983 unterlaufenes Redaktionsversehen (Stohanzl 525; Petrasch, ÖJZ 1985, 262) beseitigt.

10 Lehre (M. Bydlinski 170; Beran ua, RZ 2002, 271) und Rsp (OLG Linz 2 R 56/04z) sehen in der Nichtanpassung des § 275 an die neuen Präklusionsvoraussetzungen ein Redaktionsversehen der ZVN 2002 und wenden auch für § 275 die neuen Kriterien an. Prozessleitung 1. Durch den Vorsitzenden § 180. (1) Der Vorsitzende eröffnet, leitet und schließt die Verhandlung, er erteilt das Wort und kann es demjenigen entziehen, der seinen Anordnungen nicht Folge leistet, er vernimmt die Personen, die zum Zweck der Beweisführung auszusagen haben, und verkündet die Entscheidung des Senates. (2) Der Vorsitzende kann den Parteien auftragen, binnen einer ihnen gleichzeitig zu setzenden Frist Vorbringen zu erstatten, die als Beweismittel zu benützenden Urkunden und Augenscheinsgegenstände bei Gericht zu erlegen und den Vor- und Familiennamen sowie die Anschrift einzuvernehmender Zeugen bekannt zu geben. Kommt die Partei einem solchen Auftrag ohne genügende Entschuldigung nicht fristgerecht nach, so kann dieses Vorbringen auf Antrag oder von Amts wegen zurückgewiesen oder die Unterlassung im Sinne des § 381 gewürdigt werden. (3) Der Vorsitzende hat dafür Sorge zu tragen, daß die Sache erschöpfende Erörterung finde, die Verhandlung aber auch nicht durch Weitläufigkeit und unerhebliche Nebenverhandlungen ausgedehnt und, soweit tunlich, ohne Unterbrechung zu Ende geführt werde. [Abs 1 und 2 idF ZVN 2002, Abs 3 Stammfassung] 942

§ 180

1.3 Mündliche Verhandlung

Lit: Klein, Vorlesungen 54; Klein/Engel 306; Hagen, Die Vorbereitung der Streitverhandlung, JBl 1970, 120; Fasching, Aktive Verfahrensgestaltung durch den Richter im österreichischen Zivilprozess, in: Österr Landesreferate zum IX. Internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung in Teheran (1974) 75; Schragel, Verfahrenstechnik im Zivilprozess, RZ 1978, 21. Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 180; Fasching Rz 779 ff; Bajons Rz 8, 129; Buchegger, PraktZPR 18; Ballon Rz 140 f; M. Bydlinski 98; Holzhammer 216; Rechberger/Simotta Rz 440 ff. Inhaltsübersicht Wesen der Prozessleitung Leitung der Verhandlung Zielkonflikt

1 2 3

Aufträge zur Verfahrensbeschleunigung

4

Prozessleitung ist die Gerichtstätigkeit, mit der der Prozess in Gang 1 gehalten und beendet werden soll. Sie ist Amtspflicht des Gerichts (Rechtsprechung, nicht Justizverwaltung) und – auch durch Vereinbarung – nicht auf die Parteien übertragbar (Fasching Rz 779). Üblicherweise unterscheidet man formelle (Verhandlungsvorbereitung und -leitung) und materielle Prozessleitung (Stoffgliederung und Stoffsammlung). Die Prozessleitung wird im Einzelrichterverfahren (vor BG wie GH I) 2 vom Einzelrichter wahrgenommen (§ 195). Im Senatsprozess sind manche Prozessleitungsakte dem Senat (der hier meist nach Umfrage [§ 120 Abs 4 Geo] entscheidet), vorbehalten (§§ 187 bis 194), andere (§§ 180 bis 185) stehen dem Vorsitzenden zu, der Senat entscheidet über sie nur, wenn eine Partei den Anordnungen des Vorsitzenden widerspricht (§ 186 Abs 1). Dass der Vorsitzende einerseits für eine erschöpfende Erörterung, ande- 3 rerseits für eine konzentrierte Verhandlung ohne Weitläufigkeit zu sorgen hat, macht den großen Zielkonflikt zwischen raschem und gründlichem Verfahren deutlich. Bei guter Vorbereitung der Sache und Grundkenntnissen der Kommunikationspsychologie erweist sich diese Aufgabe als nicht so widersprüchlich; gelegentlich führt Ausredenlassen schneller zum Ende als der Ruf zur Sache, zumal hinter dem Prozessthema manchmal ganz andere Konflikte stehen (vgl Schragel, RZ 1978, 22 und Maurer, Ein Plädoyer für den Vergleich, RZ 1980, 260). Abs 2 legt es dem Vorsitzenden nahe, zur Verfahrensbeschleunigung 4 konkrete Aufträge zur vorbereitenden Tagsatzung zu erteilen, va Ur943

§ 181

Fucik

kundenvorlagen oder Zeugenbekanntgaben. Die Nichterfüllung solcher Aufträge kann Präklusionsfolgen haben. Der Maßstab weicht vom Wortlaut her deutlich von § 179 ab (hier: „nicht gehörige Entschuldigung“, dort: „grob schuldhaft“ Verspätetes; worin M. Bydlinski 99 einen Wertungswiderspruch sieht), doch wird sich daraus in der Praxis kaum ein Unterschied ergeben; wurde eine Partei durch klare Aufträge auf jene Aktionen hingewiesen, die sie in Erfüllung ihrer Prozessförderungspflicht zu setzen gehabt hätte, liegt die Annahme groben Verschuldens ohnehin nahe (Beran ua, RZ 2002, 271). Die E 7 Ob 257/04p = EvBl 2005/126 meint aber auch in dieser Konstellation eine Präklusion erst nach der vorbereitenden Tagsatzung erlauben zu sollen. § 181. Wenn die Fortsetzung einer bereits begonnenen Verhandlung auf eine spätere Tagsatzung verlegt werden muß, hat der Vorsitzende nicht nur, sofern dies möglich ist, die neue Tagsatzung sofort zu bestimmen, sondern zugleich von Amts wegen alle Verfügungen zu treffen, welche erforderlich sind, um die Streitsache bei der nächsten Tagsatzung erledigen zu können. Vor Erlassung solcher Verfügungen kann der Vorsitzende, wenn es ihm nötig scheint, eine Beschlußfassung des Senates einholen. [Stammfassung als Abs 1, Abs 2 aufgehoben mit ZVN 2002]

1 Die mündliche Verhandlung sollte – in der Praxis selten genug – in einer einzigen Tagsatzung abgeführt werden.

2 Zu einzelnen Konzentrationsmaßnahmen vgl § 183 Rz 3. 3 Bei guter Vorbereitung und ernster Prozessleitung erfüllt die vorbereitende Tagsatzung eine wichtige Funktion: Sie kann zur Erörterung des Streitstoffs mit den Parteien (nicht nur ihren Vertretern) samt informativer Befragung genützt werden und macht (wenn es nicht ohnehin gleich zu einer Bereinigung des Rechtsstreits kommt) das Prozessprogramm zu jenem rationellen „Fahrplan“, das es – wie vormals den Beweisbeschluss – als Visitenkarte des guten Verhandlungsrichters (Scheibenhof, Schriftführerfibel 25) ausweist (Schragel, RZ 1978, 22; Fucik, RZ 1993, 222). § 182. (1) Der Vorsitzende hat bei der mündlichen Verhandlung durch Fragestellung oder in anderer Weise darauf hinzuwirken, daß die für die Entscheidung erheblichen tatsächlichen Angaben gemacht oder ungenügende Angaben über die zur Begründung oder 944

§ 182

1.3 Mündliche Verhandlung

Bekämpfung des Anspruches geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweise ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur wahrheitsmäßigen Feststellung des Tatbestandes der von den Parteien behaupteten Rechte und Ansprüche notwendig erscheinen. (2) Wenn eine Partei in ihrem Vortrage von dem Inhalte eines von ihr überreichten Schriftsatzes abweicht oder wenn die Vorträge der Parteien mit sonstigen, von Amts wegen zu berücksichtigenden Prozessakten nicht im Einklange stehen, hat der Vorsitzende darauf aufmerksam zu machen. Ebenso hat er Bedenken hervorzuheben, welche in Ansehung der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte obwalten. Bei Bedenken gegen das Vorliegen der inländischen Gerichtsbarkeit oder der sachlichen oder örtlichen Zuständigkeit hat er den Parteien vor einer Entscheidung hierüber die Gelegenheit zu einer Heilung nach § 104 JN beziehungsweise zu einem Antrag auf Überweisung der Rechtssache an das zuständige Gericht (§ 261 Abs 6) zu geben. (3) Außer dem Vorsitzenden können auch die anderen Mitglieder des Senates an die Parteien die zur Ermittlung des Streitverhältnisses und zur Feststellung des Tatbestandes geeigneten Fragen stellen. [Abs 2 letzter S eingefügt mit ZVN 1983 idF WGN 1997, sonst Stammfassung] Lit: Sprung/König, „Jura novit curia“ und rechtliches Gehör, JBl 1976, 1; Fucik, Die Zuständigkeit nach der Zivilverfahrens-Novelle 1983, RZ 1985, 261; P. Böhm, Bewegliches System und Prozesszwecke, in F. Bydlinski ua, Das Bewegliche System im geltenden und künftigen Recht (1986) 211 (240); Schumacher, Richterliche Anleitungspflichten (2000); Deixler-Hübner, Prozessualer Streitgegenstand und Mitverschuldenseinwand. Zugleich ein Beitrag zur richterlichen Prozessleitungspflicht, FS Sprung (2001) 109; Klicka, Verbesserungsverfahren bei unschlüssiger Klage, JBl 2003, 885. Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 182; sonst wie § 180. Inhaltsübersicht Gegenstand und Inhalt der richterlichen Anleitungspflicht

1

Verletzung als Verfahrensmangel Folgen der Unzuständigkeit

2 3

Die richterliche Anleitungspflicht verhält den Richter dazu, darauf 1 hinzuwirken, dass alle entscheidungserheblichen Angaben gemacht 945

§ 182

Fucik

und alle nötigen Aufschlüsse gegeben werden (JBl 1962, 440 [krit Novak] = ZVR 1962/307). Das Gesetz macht diese Anleitungspflicht nicht von einer persönlichen Anleitungsbedürftigkeit abhängig, während es in § 432 und in § 39 Abs 2 Z 1 ASGG zwischen unvertretenen und anwaltlich bzw qualifiziert vertretenen Parteien differenziert. § 182 gilt daher auch im Anwaltsprozess (Rsp 1924, 137 = SZ 6/107; JBl 1962, 440 = ZVR 1962/307; JBl 1977, 319; JBl 1990, 802 [zust Buchegger]; AnwBl 1991, 192; wobl 1994/11 = MietSlg 45.650, 46.633), bedeutet trotz § 182a nicht schlechthin eine Verpflichtung des Gerichts, vertretene Parteien über die mit ihren Handlungen und Unterlassungen verbundenen Rechtsfolgen zu belehren oder zur Stellung bestimmter prozessualer Anträge anzuleiten (SZ 23/332; 29/76 = EvBl 1957/63; ZAS 1974/10 [zust Hoyer]. Zwar muss das Gericht, bevor es ein unbestimmtes, unschlüssiges oder widerspruchvolles Begehren abweist, eine Verbesserung anregen (EvBl 1976/30 = JBl 1975, 645; RZ 1978/120; JBl 1979, 153; RZ 1979/91 uva, zuletzt etwa ZVR 1995/76; NZ 1995, 34 = RZ 1995/50) – Gleiches gilt für nicht ausreichend konkretisierte Gegenforderungen (Arb 8915 = ZAS 1974/ 1 [zust P. Böhm]) –, es ist aber nicht allgemein verpflichtet, die rechtliche Unzulässigkeit eines Klagebegehrens mit den Parteien zu erörtern und eine Klageänderung (SZ 70/199 = JBl 1998, 308 = EvBl 1998/59; JBl 1978, 545 = RZ 1978/110; SZ 56/104 = HS 15.072; JBl 1988, 730; EFSlg 82.213) oder -erweiterung (Arb 10.061) zu entrieren oder seine Ansicht vom Wert bisheriger Beweismittel bekannt zu geben und weitere Beweisanbote einzumahnen (SV 1997/3, 43; 1996/4, 34; EvBl 1960/282 = JBl 1961, 92; RZ 1989/105; ÖBl 1990, 228). Allgemein wurde die Grenze vor der ZVN 2002 dort gesehen, wo der Rahmen des behaupteten Anspruchs („Rechtsgründe und Einwendungen“) überschritten wird (SZ 70/199; MietSlg 47.624) oder wo der zur Unparteilichkeit verpflichtete Richter Gefahr läuft, „zum Rechtsfreund einer Partei“ zu werden (vgl 4 Ob 253/04s = EFSlg 108.956; Fasching Rz 656). Seit der ZVN 2002 kann man uU auch zu einer Verpflichtung zur Anleitung zu einer Klageänderung gelangen. So propagiert 7 Ob 83/05i = JBl 2006, 184 eine Erweiterung der Anleitungspflicht insofern, als auf ein verfehltes Klagebegehren, das nicht dem offenkundig verfolgten Rechtsschutzziel der Partei entspricht, aufmerksam zu machen und dem Kläger Gelegenheit zu geben sei, sein Klagebegehren auch dann zu ändern, wenn darin eine Klageänderung liegt. Auf nicht einmal andeutungsweise aus dem Tatsachenvortrag erschließbare „Rechtsgründe“ muss freilich nicht hingewiesen werden. Darin liegt möglicherweise weniger eine Erweiterung als eine Präzisierung der Grenzen richterlicher Anleitungspflicht: Diese Grenze kann für die §§ 182 f eben doch etwas weiter gezogen werden als jene für die Klage946

§ 182

1.3 Mündliche Verhandlung

änderung iSd § 235: Weniger das formulierte Klagebegehren als das damit („wirklich“) Begehrte ist Maßstab der Prozessleitung; nichts anderes als das eigentlich gewollte muss im Prozess ausreichend ausgeführt werden. Wer sich trotz ausdrücklicher Rüge des Gegners einer Präzisierung widersetzt, ist nicht weiter anzuleiten (ecolex 1991, 109 = MR 1991, 154 [M. Walter]). P. Böhm (Bewegliches System 240) versucht, die Abgrenzung in komparativen Sätzen zu konkretisieren: Je mehr der Richter davon ausgehen kann, dass der Partei in der konkreten Situation das sachgemäße Verhalten zumutbar war, dh je nachlässiger prozessiert wird und je mehr sich die Partei den Anregungen des Richters verschließt, desto weniger aktualisiert sich seine Anleitungspflicht. Je mehr der Richter umgekehrt erkennt, dass die Partei sich im Rechtsirrtum auf dem Gebiet des Verfahrensrechts befindet, aus einer vertretbaren Rechtsansicht über die Beweislastverteilung erhebliches Vorbringen unterlässt oder nach dem Antritt von Beweisen meint, der Beweislast bereits genügt und das Gericht von der Wahrheit überzeugt zu haben, oder sich der rechtlichen Erwägungen des Richters nicht bewusst ist und daher Vorbringen in diese Richtung unterlässt, desto mehr erwächst dem Richter die Pflicht, entsprechende Hinweise zu geben. Je mehr sich objektive Anhaltspunkte für bestimmte Sachverhaltselemente oder -varianten ergeben, die von den Parteien nicht konkret ausgeführt werden, aber streiterheblich sind, desto mehr hat sich die richterliche Sachaufklärung auch auf sie zu erstrecken. Letztlich aber entscheiden immer die Umstände des Einzelfalls (Beispiele: EvBl 1961/95; ZVR 1974/16; 1985/128; SZ 60/47; RZ 1989/92, 105; NZ 1989, 101 = wbl 1989, 28; AnwBl 1990, 656; JBl 1990, 802; ÖBl 1991, 105 = wbl 265; ZVR 1995/50; LGZ Wien EFSlg 56.052 ff; 82.211 ff; MietSlg 41.555 f; 42.499/27; 45.652 f; 47.624 f; 48.603; SZ 74/198 = JBl 2002, 358; RdW 2002/214, 223; JBl 2003, 886 [Klicka]). Die Verletzung der richterlichen Anleitungspflicht begründet einen 2 Verfahrensmangel, der nur wahrgenommen werden kann, wenn ihn der Rechtsmittelwerber geltend macht (Ind 1979/4, 13; wobl 1994/33; 7 Ob 83/05i ua). Das Berufungsgericht darf ein Urteil nicht bloß deshalb aufheben, um einer Partei ein bisher nicht einmal angedeutetes Vorbringen zu ermöglichen (SZ 53/22; 146; ZVR 1989/108). Übertriebene Anleitung kann allenfalls eine Befangenheit, aber keinen Verfahrensmangel herstellen (vgl Fasching Rz 779). Wegen Unschlüssigkeit der Klage muss das Gericht zur Verbesserung anregen (1 Ob 73/03x = JBl 2003, 653 [Gitschthaler/Höllwerth] und dazu Klicka, JBl 2003, 886; LG Salzburg 21 R 261/03h = EFSlg 105.778); der Kläger muss darauf in der Tagsatzung reagieren (keine Erstreckung zur Schlüssigstellung [EvBl 2002/ 58]). 947

§ 182a

Fucik

3 Abs 2 erwähnt (seit der ZVN 1983) die Erörterung der und die Belehrung über die Folgen der Unzuständigkeit (s dazu § 104 JN Rz 18, § 261 Rz 8; Fucik, RZ 1985, 261; Fasching Rz 782; EvBl 1987/69 = JBl 1986, 529 = RZ 1986/61; EvBl 1993/100; JBl 1995, 183 = MietSlg 46.632; SZ 68/37). § 182a. Das Gericht hat das Sach- und Rechtsvorbringen der Parteien mit diesen zu erörtern. Außer in Nebenansprüchen darf das Gericht seine Entscheidung auf rechtliche Gesichtspunkte, die eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, nur stützen, wenn es diese mit den Parteien erörtert (§ 182) und ihnen Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat. [Eingefügt mit ZVN 2002] Lit: Rechberger/Klicka in CLC, Beschleunigung des zivilgerichtlichen Verfahrens in Mittel- und Osteuropa (2004) 17. Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 182a; Ballon Rz 141; M. Bydlinski 101; Rechberger/Simotta Rz 442/1. Inhaltsübersicht Verbot der Überraschungsentscheidung Inhalt der Erörterungspflicht Verletzung der Pflichten

1 2 3

1 Verbot der „Überraschungsentscheidung“: Das Gericht muss das Sach- und Rechtsvorbringen der Parteien mit diesen erörtern, aber nicht zwingend seine Rechtsansicht vor der Urteilsfällung kundtun. Führt die Rechtsansicht, der das Gericht folgt, allerdings dazu, dass rechtserhebliche Tatsachen nicht vorgebracht wurden, die die Parteien mangels Erörterung dieser rechtlichen Gesichtspunkte erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, so verstößt dies gegen § 182a (JBl 1978, 262 [insoweit zust König]; SZ 50/35; EvBl 1982/171 = MietSlg 34.719/13; ZVR 1997/147; SSVNF 8/50; ÖA 1996, 483; MietSlg 47.625; Sprung/König, JBl 1976, 1). Auch das Rechtsmittelgericht darf die Parteien nicht mit einer Rechtsansicht iSd § 182a überraschen (Schragel in Fasching/Konecny II/2 §§ 182, 182a Rz 20).

2 Die Rechtsmeinung, wonach nur eine Rechtsansicht, wenn sie bis zum Schluss der Verhandlung erster Instanz von keiner der Parteien ins Treffen geführt wurde und daher keine Gelegenheit zur Stellungnahme bestand, als überraschend angesehen werden kann, kann nach der ZVN 948

§ 183

1.3 Mündliche Verhandlung

2002 nicht aufrecht erhalten bleiben. § 182a erweitert nun die Pflichten der Gerichte, weil eine Partei auch erkennbar rechtliche Gesichtspunkte, die von der Gegenseite bereits ins Spiel gebracht worden waren, übersehen oder für unerheblich gehalten haben kann. Erkennt dies das Prozessgericht, hat es im Rahmen der Erörterung des Sach- und Rechtsvorbringens darauf hinzuweisen; erkannte das Prozessgericht den Irrtum der Parteien nicht, war er aber erkennbar, was nach der Aktenlage überprüfbar ist, liegt ein Verfahrensmangel vor (7 Ob 83/05i; 7 Ob 105/05z; 7 Ob 181/04z). Werden jedoch nur dieselben Tatsachen, die schon der bisher erörterten Rechtslage zugrunde lagen, rechtlich anders gewertet, liegt keine Verletzung des § 182a vor (1 Ob 215/05g). Entgegen mancher Erwartungen geht es freilich nicht primär darum, 3 dass das Erstgericht seine Rechtsansicht kundtun muss; entscheidend ist vielmehr, dass insgesamt alles einzuführende Tatsachenmaterial eingeführt wird und das Gericht den Parteien den Rechtsschutz nicht mit der Begründung verweigern darf, die jeweils entscheidenden Tatsachen seien nicht vorgebracht worden (wenn es selbst nicht dafür gesorgt hat, sondern die Partei geradezu „ins Messer laufen lässt“). In einer Verfahrensrüge wegen Verletzung der Pflichten des § 182a hat 4 der Rechtsmittelwerber darzulegen, welches zusätzliche oder andere Vorbringen er auf Grund der von ihm nicht beachteten neuen Rechtsansicht erstattet hätte. Solches Vorbringen verstößt nicht gegen das Neuerungsverbot, weil es noch nicht als Prozessvorbringen zu werten ist; der Rechtsmittelwerber muss aber dartun, dass der Verfahrensmangel erheblich ist, sich also auf das Ergebnis des Verfahrens auswirken kann; dies kann er nur durch Anführung jenes Vorbringens, das er, über die relevante Rechtsansicht informiert, erstattet hätte (7 Ob 278/05s). Erkennt das Gericht erst nach Schluss der Verhandlung die entschei- 5 dungserheblichen Rechtsfragen und hatten die Parteien keine Äußerungsmöglichkeit dazu, so ist das Verfahren wieder zu eröffnen (LG Salzburg 21 R 337/04m = EFSlg 108.961). § 183. (1) Behufs Erfüllung der dem Vorsitzenden nach § 182 obliegenden Verpflichtungen kann der Vorsitzende insbesondere: 1. die Parteien zum persönlichen Erscheinen bei der mündlichen Verhandlung auffordern; 2. verfügen, dass die Parteien in ihren Händen befindliche Urkunden, auf welche sich die eine oder die andere berufen hat, Akten, 949

§ 183

Fucik

Auskunftssachen oder Augenscheinsgegenstände, ferner Stammbäume, Pläne, Risse und sonstige Zeichnungen und Zusammenstellungen vorlegen und eine bestimmte Zeit bei Gericht belassen; 3. die Herbeischaffung der bei einer öffentlichen Behörde oder bei einem Notar verwahrten Urkunden, auf welche sich eine der Parteien bezogen hat, der Auskunftssachen und Augenscheinsgegenstände veranlassen; 4. die Vornahme eines Augenscheines unter Zuziehung der Parteien und die Begutachtung durch Sachverständige anordnen, sowie Personen, von denen nach der Klage oder dem Gange der Verhandlung Aufklärung über erhebliche Tatsachen zu erwarten ist, als Zeugen laden, oder, falls bereits eine Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung abgehalten wurde, durch den ersuchten Richter unter Zuziehung der Parteien vernehmen lassen. (2) Diese Verfügungen können jedoch vom Vorsitzenden in Ansehung von Urkunden und Zeugen nicht getroffen werden, wenn sich beide Parteien dagegen erklären. (3) Solche Erhebungen können selbst vor Beginn der mündlichen Verhandlung angeordnet werden. [Abs 1 Z 4 in der Fassung der 3. GEN, Abs 3 idF ZVN 2002, sonst Stammfassung] Lit: Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 183; Fasching Rz 659 f, 777, 784; Böhm, Zur ordnungsgemäßen Ladung zu mündlichen Streitverhandlung, JBl 1985, 503; sonst wie § 182. Inhaltsübersicht Maßnahmen zur amtswegigen Beweisaufnahme 1 Aufforderungen der Parteien zum persönlichen Erscheinen 2 Beischaffung von Urkunden und Akten 3 Begutachtung durch Sachverständige 4 Kosten- und Präklusionsfolgen 5–8

1 Die Maßnahmen nach § 183 dienen zur Vorbereitung der Verhandlung und vor allem zur Tatsachenaufklärung (diskretionäre Gewalt). Durch Abs 2 ist die Zweiteilung der Beweismittel in richterliche (die auch gegen den Widerspruch beider Parteien vorgenommen werden können, insb Sachverständigenbestellung und Augenschein) und parteiendisponible Beweismittel (Urkunden, Zeugen) vorgegeben, die jedoch von geringer praktischer Bedeutung und in Verfahren mit reinem Untersuchungsgrundsatz (Sozialrechtssachen: § 87 Abs 1 ASGG; Ehenichtigkeitsklagen, Klagen auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens 950

§ 183

1.3 Mündliche Verhandlung

einer Ehe: § 460 Z 4 sowie – vor der Außerstreitreform – Abstammungsverfahren: § 6 Abs 1 Z 1 FamRAnglV; Vaterschaftsstreitigkeiten: Art V Z 5 UeKG) gar nicht anzuwenden ist. Die Aufforderung der Parteien zum persönlichen Erscheinen (mit 2 GeoForm 9/Lad F oder auf der Ladung des Vertreters vermerkt) dient informativer Befragung und ist von der Ladung zur Parteienvernehmung (ZPForm 44/Lad C) zu unterscheiden. Durchsetzbar ist das persönliche Erscheinen allerdings nur, wo dies das Gesetz besonders vorsieht (Ehesachen, also auch Scheidungs- und Eheaufhebungsprozesse: § 460 Z 1 sowie – vor der Außerstreitreform – Abstammungsverfahren: § 6 Abs 1 Z 2 FamRAnglV; Vaterschaftsstreitigkeiten: Art V Z 6 UeKindG, jeweils mit Verweisung auf § 87 GOG). Oftmals ist es zweckmäßig, die in Z 2 und 3 genannten Verfügungen 3 schon vor der vorbereitenden Tagsatzung zu treffen. Aus Abs 3 wird kein Umkehrschluss gezogen (vgl die Empfehlungen von Schragel, RZ 1978, 23). Besonders wichtig ist die eheste Beischaffung von Grundbuch- bzw Firmenbuchauszügen, Vorakten, Gendarmerieanzeigen, Unfallberichten und Krankengeschichten (vgl dazu Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 180 Rz 20). Begutachtung durch Sachverständige vor der Verhandlung liegt va 4 (aber nicht nur) in Sozialrechtssachen besonders nahe (vgl § 88 ASGG). Gem § 351 Abs 1 sind die Parteien allerdings vor der Bestellung eines Sachverständigen zu seiner Person zu vernehmen (eine kurze Äußerungsfrist genügt diesem Gebot). Hält sich die Partei nicht an vorbereitende Aufträge, so kommen Kos- 5 ten- (§§ 44, 48), allenfalls Präklusionsfolgen (§ 275) in Betracht, weiters kann dies bei der Beweiswürdigung berücksichtigt werden, es befreit das Gericht aber nicht davon, die Verhandlung fortzusetzen (ZVR 1980/168; zum Nichterlag eines Kostenvorschusses: SZ 41/85 = EvBl 1969/39 = JBl 1968, 626). Verfügungen nach § 183 sind nicht selbständig anfechtbar (§ 186 6 Abs 2). Werden amtswegig angeordnete Maßnahmen in der Folge frustriert 7 (zB Sachverständigengebühren durch Ruhenseintritt: OLG Wien WR 281; Zeugengebühren durch Zeugnisverweigerung: Neuwirth in Fasching1 II 881), so treffen daraus entstandene Kosten dennoch die Parteien. 951

§ 184

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§ 184. (1) Jede Partei kann zur Aufklärung des Sachverhalts über alle den Gegenstand des Rechtsstreites oder der mündlichen Verhandlung betreffenden, für die Prozessführung erheblichen Umstände und insbesondere auch über das Vorhandensein und die Beschaffenheit der zur Prozessführung dienlichen Urkunden, Auskunftssachen und Augenscheinsgegenstände an die anwesende Gegenpartei oder deren Vertreter Fragen durch den Vorsitzenden stellen lassen oder mit dessen Zustimmung unmittelbar selbst stellen. (2) Wird eine Frage vom Vorsitzenden als unangemessen zurückgewiesen oder die Zulässigkeit einer Frage vom Gegner bestritten, so kann die Partei darüber die Entscheidung des Senates begehren. [Stammfassung]

1 Das Fragerecht des Gegners richtet sich an die erschienene Partei, verschafft aber kein Recht, die Ladung der Gegenpartei zu beantragen (Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 184 Rz 1; der freilich darauf hinweist, dass der Richter idR die Parteien zu laden hat). Zum Fragerecht bei Zeugen- und Parteienvernehmung s §§ 289 Abs 1, 342 Abs 1.

2 Bleibt die Gegenpartei eine Antwort schuldig, so kann auch dies bei der Beweiswürdigung verwertet werden (vgl 9 Ob 12/05p).

3 Die Zurückweisung einer Frage ist nicht abgesondert anfechtbar (§ 186 Abs 2).

§ 185. (1) Ist eine ohne Bevollmächtigten zur mündlichen Verhandlung erschienene Partei einer verständlichen Äußerung über den Gegenstand des Rechtsstreits oder der mündlichen Verhandlung nicht fähig, so ist die Tagsatzung vom Vorsitzenden auf tunlichst kurze Zeit zu erstrecken und die betreffende Partei anzuweisen, bei der neuerlichen Tagung unter Vertretung eines geeigneten Bevollmächtigten, erforderlichenfalls eines Rechtsanwalts zu erscheinen, widrigens sie als ausgeblieben angesehen werden würde. Eine wiederholte Erstreckung der Tagsatzung kann aus diesem Grunde nicht stattfinden. (1a) Ist aber eine gehörlose oder stumme Partei, die im übrigen zu einer verständlichen Äußerung über den Gegenstand des Rechtsstreites und der mündlichen Verhandlung fähig ist, zur mündlichen Verhandlung weder mit einem geeigneten Bevollmächtigten (Abs 1) 952

§ 185

1.3 Mündliche Verhandlung

noch mit einem Dolmetsch für die Gebärdensprache erschienen, so ist die Tagsatzung vom Vorsitzenden auf tunlichst kurze Zeit zu erstrecken und zur neuerlichen Tagsatzung ein solcher Dolmetsch beizuziehen. Die Kosten des Dolmetsch für die Gebärdensprache trägt der Bund. (2) Die vorstehenden Bestimmungen haben auch dann sinngemäße Anwendung zu finden, wenn der Bevollmächtigte einer Partei einer verständlichen Äußerung über den Gegenstand des Rechtsstreits oder der mündlichen Verhandlung nicht fähig ist und entweder die Partei selbst nicht anwesend ist oder die Verhandlung mit ihr mit Rücksicht auf die Bestimmungen des § 27 Abs 1 nicht durchgeführt werden kann. [Abs 1a eingefügt mit BGBl I 1999/21 [ab 1.1.1999], sonst Stammfassung] Lit: Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 185; Fasching Rz 360 ff; Bajons Rz 81; Ballon Rz 111; Holzhammer 77 und PraktZPR 117; Rechberger/ Simotta Rz 191 ff. Postulationsunfähig iSd § 185 ist, wer sich nicht verständlich äußern 1 kann, sei es mangels Deutschkenntnissen, sei es wegen dauernder (Gehörlosigkeit, Stummheit, grobes Stottern) oder vorübergehender (Heiserkeit, Trunkenheit, Übelkeit) Sprechbehinderung. Nur für diese faktische oder „natürliche“ (AnwBl 1993, 849) Postulationsunfähigkeit (nicht für die rechtliche iSd der Anwaltspflicht, s § 27 Rz 1) gelten die Sanierungsmaßnahmen des § 185. Postulationsfähigkeit ist keine Prozessvoraussetzung, ihr Fehlen 2 macht nicht die Verhandlung nichtig, sondern die Partei säumig („Prozesshandlungsvoraussetzung“; vgl § 133). Säumnisfolgen treten aber erst ein, wenn Sanierungsversuche iSd § 185 erfolglos bleiben, insb a) einmalige kurzfristige Erstreckung der Tagsatzung, verbunden mit dem Auftrag, einen geeigneten Bevollmächtigten beizuziehen (relativer Anwaltszwang zu beachten); b) Bestellung eines verhandlungsfähigen Kurators, c) uU amtswegige Beiziehung eines Dolmetschers (bei qualifizierten Verständigungsschwierigkeiten, EvBl 1987/34 = EFSlg 52.250; LGZ Wien EFSlg 85.274). Parteien, die einer verständlichen Äußerung fähig sind, mit der sie das 3 Gericht aber „querulatorisch behelligen“, können nicht zur Beiziehung eines Anwalts verpflichtet werden (EvBl 1961/229; OLG Linz 2 R 126/04v = EFSlg 108.963; anders sowohl § 5 des alten AußStrG als auch § 4 Abs 2 des neuen). 953

§ 186

Fucik

4 Durch Abs 1a sind Gehörlose und Stumme in zweierlei Hinsicht privilegiert: a) sie sind nicht zur Beiziehung eines Vertreters zu verpflichten (sondern ist jedenfalls ein Dolmetsch für die Gebärdensprache beizuziehen), b) die Kosten des Dolmetsch für die Gebärdensprache trägt der Bund. Dies gilt auch, wenn die Partei selbst den Dolmetsch stellig macht. Auf die Parteienvernehmung lässt sich dieses Privileg wohl nicht ausdehnen, weil dagegen die systematische Stellung und der Zweck der Vorschrift (Abnahme des durch die Hör- bzw Sprechbehinderung erhöhten Säumnisrisikos) sprechen. § 186. (1) Wird eine auf die Prozessleitung bezügliche Anordnung des Vorsitzenden oder eine vom Vorsitzenden oder einem Mitgliede des Senates gestellte Frage von einer der an der Verhandlung beteiligten Personen als unzulässig bestritten, so entscheidet über solchen Widerspruch der Senat. (2) Gegen die Entscheidung des Senates ist ein abgesondertes Rechtsmittel nicht zulässig. Gleiches gilt von den gemäß §§ 180 Abs 2 und 184 Abs 2 ergehenden Entscheidungen des Senates. [Stammfassung]

1 Der Widerspruch steht nicht nur den Parteien, sondern allen Beteiligten (Vertreter, Nebenintervenient, Zeuge, Sachverständiger) zu.

2 Die genannten prozessleitenden Verfügungen des Senats (auch in zweiter Instanz, NRsp 1989/126) sind nicht abgesondert anfechtbar (vgl § 515 Rz 1 ff), doch kann der Senat jederzeit von ihnen abgehen (§ 425 Abs 2) und dem letztlich gegen sie gerichteten Rekurs selbst stattgeben (§ 522 Abs 1). 2. Durch den Senat § 187. (1) Sind bei einem Gerichte mehrere Rechtsstreite anhängig, die zwischen den nämlichen Personen geführt werden oder in welchen die nämliche Person verschiedenen Klägern oder verschiedenen Beklagten als Prozeßgegner gegenübersteht, so können diese Prozesse, wenn dadurch voraussichtlich deren Erledigung vereinfacht oder beschleunigt oder der Aufwand für die Kosten der Prozessführung vermindert werden wird, durch Beschluß des Senates zur gemeinsamen Verhandlung verbunden werden. (2) Die Verbindung ist auch zulässig, wenn einzelne dieser Rechtsstreite vor den Einzelrichter gehören. Zur Verhandlung und Entscheidung über die verbundenen Rechtsstreite ist der Senat berufen. [Abs 2 angefügt durch Streitwertnov 1919, Abs 1 Stammfassung] 954

§ 187

1.3 Mündliche Verhandlung

Lit: Holzhammer, Parteienhäufung und einheitliche Streitpartei 18; Petrasch, Das neue Revisions- (Rekurs-) Recht, ÖJZ 1983, 173; Fucik, Die Rechtsmittelbeschränkungen der §§ 501, 517 ZPOnF, RZ 1984, 54; Burgstaller, Prozessverbindung, Querklage und Interventionsklage, JBl 1994, 69. Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 187; Fasching Rz 786; Holzhammer 218; Rechberger/Simotta Rz 443. Die Verbindung nach § 187 liegt im Ermessen des Gerichts (Fasching 1 Rz 786) und kann wieder aufgehoben werden (§ 192 Abs 1). Ihre Anordnung ist unanfechtbar (§ 192 Abs 2). Zur Geschäftsbehandlung s §§ 371 Abs 4 (Fortsetzung im „führenden Akt“), 382 Abs 2 Z 1, 386 Z 9 lit a, 469 Z 4 (Verbindungsvermerke) Geo. Ein Endurteil ist trotz der Verbindung über jeden einzelnen (spruch- 2 reifen) der verbundenen Prozesse zu fällen (§ 390 Abs 2), sonst aber ein einheitliches Urteil über alle verbundenen Rechtssachen (§ 404 Abs 2). Hat das Gericht in verbundenen Rechtssachen getrennte Entscheidun- 3 gen gefällt und zu verschiedenen Zeiten zugestellt, dann laufen die Rechtsmittelfristen jeweils ab den Zustellungsdaten gesondert, auch wenn die Trennung der Verfahren nicht ausdrücklich beschlossen wurde (2 Ob 69/03s). Die Verbindung bewirkt keine Streitgenossenschaft (EvBl 1961/305 = 4 Arb 7336; ZVR 1972/135; MietSlg 48.604 ua, anders Holzhammer 218), weshalb durch sie weder ein Verstoß gegen notwendige Streitgenossenschaft (SZ 51/4: Klage nach § 25 WEG; LGZ Wien MietSlg 31.648: Aufkündigung) heilt noch die Streitwerte zusammenzurechnen sind (SZ 26/97; 31/155; JBl 1978, 432; HS 15.102/17; Petrasch, ÖJZ 1983, 173; Fucik, RZ 1984, 56; das gilt auch für die Kostenbestimmung, LGZ Wien AnwBl 1970, 263). Zwingend ist die Verbindung in Sondervorschriften angeordnet: Art V 5 Z 1 UeKindG (Vaterschaftsklagen gegen mehrere Männer vor der Außerstreitreform), §§ 197 Abs 3, 201 Abs 2, 216 Abs 4 AktG (Klagen auf Anfechtung oder Feststellung der Nichtigkeit von Generalversammlungsbeschlüssen bzw der Nichtigkeit der AG), § 31a Abs 2 JN (Schadenersatzprozesse). Großzügige Anwendung der Verbindungsvorschriften ist eine der ein- 6 fachsten Maßnahmen zur Bewältigung von Massenklagen (vgl Kodek, Möglichkeiten zur gesetzlichen Regelung von Massenverfahren, in 955

§ 188

Fucik

Gabriel/Pirker-Hörmann, Massenverfahren – Reformbedarf für die ZPO? [2005] 365; dens, Zivilrechtliche Probleme bei Großverfahren, ecolex 2005, 751; dens, Möglichkeiten der Prozessleitung in Massenverfahren, RZ 2005, 34; dens, Massenverfahren – Reformbedarf für die ZPO, AnwBl 2006, 72; siehe auch Rechberger, Prozessrechtliche Aspekte von Kumul- und Großschäden, VR 2003, 15; Gitschthaler, Arbeitsgruppe „zivilgerichtliches Verfahren“ in BMJ, Global Business und Justiz [2000] 131; Schmidbauer, Das zivilrechtliche Großverfahren, AnwBl 2006, 77). § 188. Der Senat kann anordnen, dass über mehrere in derselben Klage erhobene Ansprüche getrennt verhandelt werde. Ebenso kann eine getrennte Verhandlung über die vom Beklagten geltend gemachten Gegenforderungen angeordnet werden. [Stammfassung] Lit: Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 188; Fasching Rz 787; Rechberger/Simotta Rz 444; sonst wie bei § 187.

1 Die Trennung liegt im Ermessen des Gerichts (wird aber seltener zweckmäßig sein als die Verbindung und die abgesonderte Verhandlung; vgl Fasching Rz 787) und kann wieder aufgehoben werden (§ 192 Abs 1). Ihre Anordnung ist unanfechtbar (§ 192 Abs 2; vgl zuletzt für die Zwangsversteigerung RZ 1997/39).

2 Die einzelnen Verfahren erlangen ab der Trennung rechtliche Selbständigkeit (Fasching Rz 787), wenngleich sie nicht als gänzlich verschiedene Prozesse zu sehen sind (LG Klagenfurt EvBl 1996/74); die Streitwerte sind gesondert zu berechnen, nach bisher hA auch für die Anfechtungsgrenzen (vgl Fasching1 II 894; Holzhammer 219; Fucik, RZ 1984, 56). Allerdings hat es doch einiges für sich, dass eine unanfechtbare Verfahrenstrennung nicht zu einer Anfechtungsbeschränkung führen sollte (Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 188 Rz 5).

3 Gegen eine Trennung von Klageforderung und Gegenforderung bei Konnexität spricht die Wertung des § 391 Abs 3 (vgl Fasching Rz 787; Rechberger/Simotta Rz 444). § 189. (1) Ergeben sich bei der Begründung oder bei der Bekämpfung eines und desselben Anspruches mehrere selbständige Streitpunkte, oder werden in Ansehung desselben Anspruches mehrere 956

§ 190

1.3 Mündliche Verhandlung

selbständige Angriffs- oder Verteidigungsmittel geltend gemacht, so kann der Senat anordnen, dass die Verhandlung zunächst auf einen oder einige dieser Streitpunkte beschränkt werde. (2) Insbesondere kann, wenn die Einrede der Unzuständigkeit des Gerichtes, der Streitanhängigkeit oder der rechtskräftig entschiedenen Streitsache erhoben wird, vom Senate verfügt werden, dass zunächst über diese Einrede abgesondert verhandelt werde. [Stammfassung] Lit: V. Steininger, § 393 Abs 1 ZPO und außerstreitige Mietrechtsverfahren, wobl 1994, 51. Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 189; Fasching Rz 788. Die Absonderung liegt im Ermessen des Gerichts und kann wieder 1 aufgehoben werden (§ 192 Abs 1). Ihre Anordnung ist unanfechtbar (§ 192 Abs 2). Ihre Anordnung empfiehlt sich etwa, um Prozesseinreden vorweg zu 2 klären, um den Grund des Anspruchs zu prüfen (und allenfalls mit stattgebendem Zwischenurteil eine vorläufige, mit abweisendem Endurteil eine endgültige Klärung ohne überflüssige Erhebungen zur Höhe herbeizuführen), um einzelne Ansprüche zu verhandeln (und allenfalls mit Teilurteil zu erledigen) oder um selbständige Angriffs- (zB einen von mehreren Kündigungs- oder Scheidungsgründen) oder Verteidigungsmittel (zB Verzicht, Verjährung vor Preisminderung) abzuhandeln. § 190. (1) Wenn die Entscheidung eines Rechtsstreites ganz oder zum Teile von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, welches Gegenstand eines anderen anhängigen gerichtlichen Verfahrens ist, oder welches in einem anhängigen Verwaltungsverfahren festzustellen ist, so kann der Senat anordnen, dass das Verfahren auf so lange Zeit unterbrochen werde, bis in Ansehung dieses Rechtsverhältnisses eine rechtskräftige Entscheidung vorliegt. (2) Eine solche Unterbrechung kann der Senat auf Antrag auch im Falle des Streites über die Zulässigkeit einer Nebenintervention, sowie dann anordnen, wenn beide Parteien wegen des von einem Dritten auf den Gegenstand des Rechtsstreites erhobenen Anspruches gemeinschaftlich beklagt werden (§ 16). (3) Nach rechtskräftiger Erledigung des bezüglichen gerichtlichen Verfahrens oder Verwaltungsverfahrens ist das Verfahren in der Hauptsache auf Antrag oder von Amts wegen aufzunehmen. [Abs 1 und Abs 3 idF AußStrBeglG; sonst Stammfassung] 957

§ 190

Fucik

Lit: W. Kralik, Die Vorfrage im Verfahrensrecht (1953); W. Kralik, Die Bindung der Gerichte an Entscheidungen der Verwaltungsbehörden, JBl 1975, 309; Fasching, Sind die Gerichte an präjudizielle Bescheide der Verwaltungsbehörden gebunden? JBl 1976, 557 = FG 76; E. Loebenstein, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Spannungsfeld zwischen Verwaltung und Gerichtsbarkeit, JBl 1978, 225, 290; H. Pichler, Der Bindungskonflikt – Stand und Weiterführung der Diskussion, ÖJZ 1978, 267; Ballon, Der Einfluß der Verfassung auf das Zivilprozessrecht, ZZP 96 (1983) 445; Morscher, Bindung und Bundesverfassung, JBl 1991, 86; Musger, Verfahrensrechtliche Bindungswirkung und Art 6 MRK, JBl 1991, 420, 499; Hasberger, Bindungswirkung von Bescheiden der UVS im Amtshaftungsverfahren? ÖJZ 1996, 564; Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht3 (1996) 82; Walter, Die Bindung der Zivilgerichte an rechtskräftige präjudizielle Bescheide nach AVG im Rahmen der Zivilprozessordnung im Vorfragenbereich, ÖJZ 1996, 601; Muzak, Zuständigkeit ordentlicher Gerichte bei Unterlassung der Vorschreibung nachträglicher Auflagen durch die Gewerbebehörden? AnwBl 1997, 19; Walter/Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts9 (2000) Rz 559, 1081; Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht2 (2003) Rz 199; Spitzer, Die Bindungswirkung von Verwaltungsakten im Zivilprozess, ÖJZ 2003, 48. Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 190; Kohlegger in Fasching/ Konecny II/2 § 190 Anh; Fasching 507 und Rz 91 ff, 596 ff; Bajons Rz 16; Ballon Rz 292 f; Holzhammer 219; Rechberger/Simotta Rz 705 ff. Inhaltsübersicht Unterbrechungsentscheidung Vorfrage Zwingende Unterbrechung

1 2 3

Anfechtbarkeit Bindungsproblem Vorabentscheidung

4 5 6

I. Vorfrage

1 Die Unterbrechung wegen eines anhängigen zivilgerichtlichen Verfahrens (seit dem AußStr-BegleitG kann dies nicht nur ein anderer Zivilprozess, sondern auch ein Verfahren außer Streitsachen sein) oder Verwaltungsverfahrens ist in § 190, die wegen eines Strafverfahrens in § 191 geregelt. Ob unterbrochen wird, ist – außer nach Sonderbestimmungen – fakultativ und eine Frage der Zweckmäßigkeit (LG Klagenfurt Arb 8.091). Der Unterbrechungsbeschluss muss in einer mündlichen Verhandlung gefasst werden (OLG Wien EvBl 1946/127); sonst nimmt die hA Nichtigkeit gem § 477 Abs 2 Z 4 an (LGZ Wien MietSlg 48.605; dagegen zB LG Wr.Neustadt 17 R 485/04a). 958

§ 190

1.3 Mündliche Verhandlung

Vorfrage ist das Vorliegen eines Rechtsverhältnisses, von dessen Beur- 2 teilung (in den Entscheidungsgründen) die Entscheidung in der Hauptfrage (der Spruch) ganz oder teilweise (OLG Wien EvBl 1948/138) abhängt (Präjudizialität; bei Gegenforderung ist sie erst zu berücksichtigen, wenn die Klageforderung zumindest teilweise zugesprochen (HG Wien WR 228) oder nicht bestritten (HG Wien WR 282) wurde. Bloße Beweisgründe stellen keine Vorfrage her (LGZ Wien EFSlg 76.054). Was als selbständiger Entscheidungsgegenstand in die Kompetenz der Verwaltungsbehörden fiele, ist verwaltungsrechtliche Vorfrage. Sowohl verwaltungs- wie auch zivilrechtliche Vorfragen kann das Gericht (von Sondervorschriften [s Rz 3] abgesehen) entweder selbständig beurteilen oder zum Anlass einer Unterbrechung machen (SZ 10/89; JBl 1962, 261 = ZVR 1962/27; EvBl 1964/10 ua). Provisorialverfahren sind nicht zu unterbrechen (SZ 70/1 = EvBl 1997/152 = RdW 1997, 537 = ÖBl 1997, 253). Sondervorschriften, nach denen das Verfahren zwingend zu unterbre- 3 chen ist, finden sich in folgenden Fällen: a) Wohnrecht: § 41 MRG, § 22 Abs 5 WGG; § 7 Abs 5, 12 Abs 6 KlGG: amtswegige Unterbrechung wegen des Außerstreitverfahrens vor Gericht bzw Schlichtungsstelle (§ 37 Abs 1 MRG, § 22 Abs 1 WGG, §§ 5 Abs 3, 11 KlGG); § 25 Abs 2 WEG 1975, § 21 Abs 3 WGG: amtswegige Unterbrechung des Verfahrens über die Eigentumseinverleibung wegen des Parifizierungsverfahrens; vgl § 13 LPG: ex-lege-Unterbrechung des Kündigungsstreits wegen Psch-Verfahrens b) Eherecht: Unterbrechung des Scheidungsprozesses bei Antrag nach § 55a EheG (§ 460 Z 10), ferner § 1 BG BGBl 1978/44; c) Abstammungsverfahren: Unterbrechung der übrigen, verbundenen Vaterschaftsklagen bei Urteil gegen einen Beklagten (Art V Z 1 UeKindG); d) Amts- und Organhaftung: Unterbrechung des Schadenersatzprozesses zur Bescheidprüfung durch den VwGH (§ 11 AHG, § 9 OrgHG); e) Wiederaufnahmeklage: Unterbrechung des Wiederaufnahmeverfahrens wegen Strafverfahrens (§ 539 Abs 1), des Rechtsmittelverfahrens wegen des Wiederaufnahmeverfahrens (§ 544 Abs 1); f) Sozialrecht: Unterbrechung des Leistungsstreitverfahrens wegen bestimmter Vorfragen (zB Versicherungspflicht, Beitragsgrundlage; § 74 Abs 1 ASGG); g) Gewerblicher Rechtsschutz: § 24 Abs 2 HlSchG, § 57 MSchG, § 156 Abs 3 PatG; h) Verkehrsrecht: Unterbrechung zur Klärung der Kraftfahrzeugseigenschaft iSd § 1 Abs 4 KFG ist durch das KompetenzänderungsG BGBl 1992/452 ab 1.8.1992 beseitigt; vgl § 11 EisbG; i) Gesetzes- und Verordnungsprüfung: nach Antragstellung iSd Art 89, 138 bis 140 B-VG darf das Gericht nur solche Akte setzen, die durch das Erk des VfGH nicht beeinflusst werden können oder die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten 959

§ 190

Fucik

(§ 62 Abs 3 VfGG; abschließend regelt auch die Einstweilige Verfügung das Provisorialverfahren; mag sie auch dringend sein, kann sie doch nicht vor dem Erk des VfGH erlassen werden).

4 Die Unterbrechung ist gem § 192 Abs 2 anfechtbar, die Ablehnung der Unterbrechung nur dann, wenn die Unterbrechung ausnahmsweise (s Rz 3) zwingend vorgeschrieben ist (s § 192 Rz 2). Der Rekurs gegen einen Unterbrechungsbeschluss ist nicht zweiseitig (4 Ob 133/02s; 1 Ob 263/05s). II. Bindungsproblematik

5 Welche Wirkung zivilrechtliche Urteile über Vorfragen haben, ist der Rechtskraftlehre (s bei § 411) zu entnehmen. Dagegen ist die Bindung der Gerichte an präjudizielle Bescheide (nicht: Vollstreckbarkeitsbestätigungen [SZ 66/61 = EvBl 1993/167 = JBl 1994, 49], Rückstandsausweise [ecolex 1993, 305] oder einstweilige Sicherungsmaßnahmen [SZ 70/127]) der Verwaltungsbehörden äußerst umstritten. Zum ersten ist die Tatbestandswirkung (Tatsache der Verwaltungsentscheidung als Tatbestandsmerkmal, dazu ua 10 ObS 25/01a = SZ 74/48) von der Bindungsproblematik zu unterscheiden. Zu dieser ist klar, dass „NichtAkte“ (zB Bescheid der Putzfrau) nicht binden (JBl 1957, 565), die Bindung sich nur auf den Spruch über den Bescheidgegenstand erstrecken kann (SSV-NF 5/49), nicht auf dessen Begründung (VR 1995/7–8, 41; MietSlg 47.626) und dass der Bescheid jedenfalls rechtskräftig (EvBl 1948/161, 309; JBl 1948, 214) und vollstreckbar (keine Bindung an Bescheide, wenn der VwGH der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt hat, RdW 1985, 310 = RZ 1986/1) sein muss. Im Übrigen hat die Rsp sich an Bescheide gebunden erachtet, auch wenn sie unvollständig, mangelhaft oder fehlerhaft sein mögen (SZ 23/176; SZ 51/64; JBl 1980, 320) und Ausnahmen nur gemacht, wenn der Bescheid „absolut nichtig“ ist, weil die Verwaltungsbehörde offensichtlich unzuständig war, ihren Wirkungskreis überschritten oder einen offenkundig und zweifellos unzulässigen Verwaltungsakt gesetzt hat (MietSlg 36.124/3 = SZ 57/ 23). Dies mag wegen der Verwendung des Begriffs „absolut nichtig“ problematisch sein (RZ 1986/33 mwN, vgl Vor § 390 Rz 39), setzt der Bindung aber immerhin wünschenswerte Grenzen. Die von der Lehre weiters, insb im Hinblick auf Art 6 MRK geforderte Einschränkung, dass nur derjenige gebunden sein könne, dem im Verwaltungsverfahren Partei- oder Beteiligtenstellung zukam, hat die Rsp bisher erstaunlicherweise nicht übernommen (SZ 40/101; JBl 1970, 325 [abl Walter] = EvBl 1970/193 = Arb 8.696; EvBl 1983/76 = MietSlg 34.242/31; SZ 64/98 = ecolex 1991, 799 = wbl 1991, 362), doch darf wohl auch von den Gerichten bald eine grundrechtskonformere Auslegung erwartet werden 960

§ 190

1.3 Mündliche Verhandlung

(vgl obiter ecolex 1993, 305); E wie JBl 1971, 249 ([abl F. Bydlinski] = ZVR 1971/9) wären heute auch im Hinblick auf die Aufhebung des § 268 durch den VfGH kaum noch denkbar. So hat auch die E eines verstS SZ 67/64 = MietSlg 46.137/19 = wobl 1994, 114 (Würth) der Bindungswirkung eines Abbruchsbescheids überzeugend Grenzen gesetzt. Zum Sonderproblem der Bindung im Verhältnis von UVS und Amtshaftungsgericht s SZ 67/55; RZ 1996/52; VwGH ÖJZ 1996, 75 (A 47); Hasberger, ÖJZ 1996, 564). Fasching (Rz 96; JBl 1976, 557) verneint jede Bindungswirkung (außer bei Rechtsgestaltungsbescheiden) und versucht, die Verwertung der Verfahrensergebnisse aus dem präjudiziellen Verfahren als Beweisaufnahme (vergleichbar mit § 281a) zu deuten. Der OGH erachtet die Annahme einer Bindung auch für gemein- 6 schaftsrechtskonform (10 ObS 172/04y). III. Vorabentscheidung Im Vorabentscheidungsverfahren nach Art 234 EG (davor: Art 177 7 EGV [Art K 3 Ans 2 lit c EUV, 41 EGKS, 150 EAGV]) entscheidet der EuGH auf Vorlage nationaler Gerichte über Fragen der Auslegung und Gültigkeit des Gemeinschaftsrechts (sowie gem dessen Auslegungsprot des EuGVÜ) und der Gültigkeit von Rechtsakten der Gemeinschaft. Die entsprechende innerstaatliche Vorgangsweise ist in § 90a GOG und § 190 geregelt. Gem § 90a Abs 1 GOG darf das vorlegende Gericht bis zum Einlangen der Vorabentscheidung nur solche Handlungen vornehmen oder E treffen, die durch die VorabE nicht beeinflusst werden können oder die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten. Abs 2 verpflichtet zur Zurückziehung des Vorabentscheidungsersuchens, sobald die gegenständliche Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist. Der Vorlagebschluss ist unanfechtbar (ÖBl 1997, 250 = wbl 1997, 108; SZ 69/274 = ecolex 1997, 172 [Frauenberger-Pfeiler] = ÖBl 1997, 250 = RdW 1997, 277), ein Antrag der Parteien auf Vorlage unzulässig (ÖBl 1996, 231 ua). Ausjudizierte (aber nicht: schon anhängige; ÖBl 1997, 253 = wbl 1997, 174 [Schuhmacher]; EvBl 1997/152) sowie eindeutige (gar nicht auslegungsbedürftige) Fragen sind nicht vorzulegen (SZ 68/89; dazu Schoibl, wbl 1996, 10; SZ 68/168; ÖBl 1996, 231; ÖBl 1997, 172). Für weitere Details s Erl JABl 1997/5; B. Schima, Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH (1997); Reichelt, Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH (1998); G. Kohlegger, Einwirkungen des „Vorabentscheidungsverfahrens“ auf das österreichische Zivilverfahren, ÖJZ 1995, 761, 811; Gamerith, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art 177 EGV in Wettbewerbssachen, ÖBl 1995, 51; Schoibl, Zum Umfang der Vorlagepflicht nationaler Gerichte an den Europäi961

§ 191

Fucik

schen Gerichtshof nach Art 177 EG-V, wbl 1996, 10; G. Kohlegger, Zu den Voraussetzungen für die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens, in: BMJ Vorarlberger Tage 1996 (1997) 95; ders, Aktuelle Entwicklungen im Vorabentscheidungsverfahren, ZfRV 1998, 89; Pollak, Bindungswirkung von Auslegungsurteilen des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) im Vorabentscheidungsverfahren nach Art 177 EGV, RZ 1998, 190 und in überwältigender Fülle Kohlegger in Fasching/Konecny, § 190 Rz 1–400 Anh. § 191. (1) Ergibt sich im Laufe eines Rechtsstreites der Verdacht einer strafbaren Handlung, deren Ermittlung und Aburteilung für die Entscheidung des Rechtsstreites voraussichtlich von maßgebendem Einfluß ist, so kann der Senat anordnen, dass der Rechtsstreit bis zur Erledigung des Strafverfahrens unterbrochen werde. (2) Eine solche Unterbrechung kann insbesondere stattfinden, wenn sich Verdachtsgründe dafür ergeben, daß eine für die Prozessentscheidung wichtige Urkunde fälschlich angefertigt oder verfälscht ist, oder dass sich eine über wesentliche Umstände einvernommene Partei oder ein Zeuge oder Sachverständiger, dessen Aussage der Senat sonst bei der Entscheidung voraussichtlich berücksichtigen würde, einer falschen Aussage schuldig gemacht hat. (3) Nach rechtskräftiger Erledigung des Strafverfahrens ist das unterbrochene Verfahren in der Hauptsache auf Antrag oder von Amts wegen aufzunehmen. [Stammfassung] Lit: Fink, Ist § 268 ZPO verfassungswidrig?, ZVR 1989, 326; Konecny, Versicherungen im Zivilprozess nicht mehr an verurteilende Straferkenntnisse gebunden! ecolex 1990, 737; Simotta, Die Bedeutung der strafgerichtlichen Verurteilung für den Zivilprozess nach Aufhebung des § 268 ZPO, NZ 1991, 75; Walter, Strafgerichtliche Verurteilung und Zivilprozess, ecolex 1991, 379; Simotta, Ein Nachfolger für § 268 ZPO?, ecolex 1991, 521; V. Steininger, Konsequenzen der Aufhebung des § 268 ZPO, FS Matscher (1993) 477; Graff, AnwBl 1993, 274; Oberhammer, in W. Kralik/Rechberger, Konfliktvermeidung und Konfliktregelung (1993) 54; P. Böhm (/G. Jelinek), Aktuelle Fragen des Beweisrechtes, WR 29 (1992) 14; Albrecht, § 268 ZPO und die Wiederaufnahmsklage, ÖJZ 1994, 41; ders, Probleme der Bindung an strafgerichtliche Verurteilungen im Zivilverfahren oder § 268 ZPO – der Versuch einer Reanimation, ÖJZ 1997, 201. Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 191; Fasching Rz 608; Rechberger/Simotta Rz 707, 714. 962

§ 191

1.3 Mündliche Verhandlung Inhaltsübersicht Unterbrechung wegen eines Strafverfahrens Präjudizialität Anfechtbarkeit und besondere Vorschriften Bindung an strafgerichtliche Verurteilungen?

1 2 3–5 6

Die Unterbrechung wegen eines (gerichtlichen, nicht verwaltungsbe- 1 hördlichen, OLG Wien AnwZ 1930, 157) Strafverfahrens setzt dessen Anhängigkeit nicht voraus. Sie soll allerdings die Ausnahme sein, insb dann nicht stattfinden, wenn die Rechtssache dringlich ist, wenn das Ende des Strafverfahrens zeitlich noch ungewiss ist und der Zivilrichter die Sachlage auch ohne das Strafverfahren durch selbständige Feststellung der Tatsachen beurteilen kann (GlUNF 5204; RZ 1934, 99; OLG Wien EvBl 1935/952). Das Zivilgericht kann schließlich widersprechende Zeugen- und Parteienaussagen selbst werten (JBl 1917, 382), so dass eine Unterbrechung im Grunde nur dann angezeigt ist, wenn die im Strafverfahren erzielbaren Beweise mit den Mitteln des Zivilverfahrens nicht erreichbar sind (zB kriminaltechnische Untersuchungen). Die Straftat muss präjudiziell sein, also muss von ihrer Bejahung oder 2 Verneinung (in den Entscheidungsgründen) die Entscheidung in der Hauptfrage (der Spruch) ganz oder teilweise abhängen (s dazu va Fasching, ZVR 1983, 321 mwN); unstreitige Straftaten geben keinen Unterbrechungsgrund (GlUNF 2389), Gegenforderungen betreffende nur dann, wenn feststeht, dass die Klageforderung zumindest teilweise zu Recht besteht (JBl 1985, 634). Die Unterbrechung ist gem § 192 Abs 2 anfechtbar (nicht aber deren 3 Ablehnung). Besondere Vorschriften über die Unterbrechung finden sich in § 9 4 WucherG und § 12 Abs 2 AHG. Durch die Aufhebung des § 268 (s Rz 6) ist dem § 191 nicht derogiert 5 worden, können doch die Ergebnisse des Strafverfahrens iSd § 281a in den Zivilprozess einfließen; vgl auch die Wiederaufnahmegründe des § 539 Abs 1 Z 1 bis 4. § 268 sah vor, dass der Zivilrichter hinsichtlich des Beweises und der 6 Zurechnung einer Tat an das verurteilende Erkenntnis eines Strafgerichtes gebunden war. Der VfGH (JBl 1991, 104) hob diese Bestimmung als verfassungswidrig auf, weil durch sie auch am Strafverfahren nicht beteiligte Dritte (insb der Haftpflichtversicherer des Beschuldigten) 963

§ 192

Fucik

gebunden waren (Verstoß gegen Art 6 MRK). Eine Nachfolgebestimmung wurde nicht erlassen. Dennoch ist eine strafgerichtliche Verurteilung nicht ohne Bedeutung. Zum einen führt sie nicht selten dazu, dass der Anspruch dem Grunde nach im Zivilverfahren gar nicht mehr bestritten wird. Die Verlesung der im Strafverfahren gewonnenen Beweise kann – mit Zustimmung der Parteien (§ 281a) – eine neuerliche Beweisaufnahme ersetzen, jedenfalls aber (durch Verweisungen und Vorhalte) unterstützen. Schließlich wird in Lehre (Walter, ecolex 1991, 379; Rechberger/Simotta Rz 714; aA V. Steininger, FS Matscher 479; ecolex 1993, 238 [zust Konecny] = AnwBl 1993, 273 [zust Graff]) und neuer Rsp (verstS SZ 68/195 = EvBl 1996/34 = JBl 1996, 117 = ZVR 1996/2) vertreten, dass der rechtskräftig Verurteilte selbst sich nicht auf die Unrichtigkeit der Verurteilung berufen kann (zur Problematik, insb den subjektiven Grenzen und zu der Folgejudikatur vgl § 281a Rz 8; § 411 Rz 12). § 192. (1) Der Senat kann die von ihm erlassenen, eine Trennung, Verbindung oder Unterbrechung der Verhandlung oder des Verfahrens betreffenden Anordnungen auf Antrag oder von Amts wegen wieder aufheben. Die Aufhebung kann nicht mehr verfügt werden, wenn der Senat durch ein von ihm gefälltes Urteil gebunden ist, oder wenn die Anordnung zum Gegenstande der Entscheidung einer höheren Instanz geworden ist. (2) Die nach §§ 187 bis 191 erlassenen Anordnungen können, soweit sie nicht eine Unterbrechung des Verfahrens verfügen, durch ein Rechtsmittel nicht angefochten werden. [Stammfassung]

1 Grundsätzlich ist der Senat an die prozessleitenden Beschlüsse der §§ 187 bis 191 nicht gebunden, weshalb er von ihnen wieder abgehen kann. Ausgenommen sind die Fälle, in denen ein Urteil des Erstgerichts oder eine Entscheidung der übergeordneten Instanz ergangen ist. Auch dies hindert allerdings das Erstgericht nicht, eine rekursgerichtlich bestätigte Unterbrechung von Amts wegen aufzuheben (vgl Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 192 Rz 1). Auch eine schlüssige Aufnahme des Verfahrens ist denkbar (SZ 66/178).

2 Der Rekurs steht gegen diese Beschlüsse nur zu, wenn eine Unterbrechung (vgl RZ 1988/39: Unterbrechung eines Verfahrens wegen der Prüfung nach § 6a) angeordnet (oder ein Fortsetzungsantrag abgewiesen, SZ 60/76 = ÖBl 1988, 5) wurde (dann allerdings auch im Anwendungsbereich des § 517), oder wenn die Unterbrechung verweigert 964

§ 193

1.3 Mündliche Verhandlung

wurde, obwohl sie (anders als nach §§ 190 f) zwingend vorgesehen ist (EvBl 1997/113 = EFSlg 85.282; 4 Ob 140/02w = SZ 2002/10; Fälle: § 41 MRG: MietSlg 47.628; 38.577/33 = RZ 1987/33; § 11 AHG: SZ 30/57 = EvBl 1958/57; aber auch Unterbrechungen zur Gesetzes- bzw Verordnungsprüfung: SZ 28/157 = JBl 1955, 479 = Arb 6.273; JBl 1978, 438 = DRdA 1979, 222 = RZ 1979/31). Den zulässigen Rekursen kann das Erstgericht nach § 522 Abs 1 selbst stattgeben (OLG Wien EvBl 1936/ 684). Die bloße Frage, in welchem Stadium das Verfahren unterbrochen wird, ist jedenfalls unanfechtbar (EvBl 1996/12). Schluß der Verhandlung § 193. (1) Der Vorsitzende hat die Verhandlung für geschlossen zu erklären, wenn der Senat die Streitsache oder den abgesondert zu erledigenden Antrag, über welchen die Verhandlung stattfindet, als vollständig erörtert und aufgrund der aufgenommenen Beweise zur Entscheidung reif erachtet. (2) Die Verhandlung ist bis zur Verkündung ihres Schlusses als ein Ganzes anzusehen. (3) Die Verhandlung kann auch vor Aufnahme aller zugelassenen Beweise für geschlossen erklärt werden, wenn nur mehr die außerhalb der Verhandlung zu bewirkende Aufnahme einzelner Beweise aussteht und entweder beide Parteien auf die Verhandlung über das Ergebnis dieser Beweisaufnahme verzichten, oder der Senat eine solche Verhandlung für entbehrlich hält. In diesem Falle ist nach Einlangen der Beweisergebnisse oder, wenn die Beweisaufnahme infolge Säumnis der Partei unterblieben ist, ohne neuerliche Anordnung einer mündlichen Verhandlung die Entscheidung vom Gerichte zu fällen. [Abs 3 idF ZVN 2002, sonst Stammfassung] Lit: Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 193; Fasching Rz 793 ff; M. Bydlinski 112; Rechberger/Simotta Rz 574 ff. Inhaltsübersicht Entscheidungsreife Grundsatz der Einheit der Verhandlung

1 2

Vorzeitiger Schluss der Verhandlung Fällung der Entscheidung

3 4

Sobald der Senat die Sache für spruchreif erachtet, ist die Verhandlung 1 zu schließen. Ein Urteil, das ohne Schluss der Verhandlung, nach Einlangen von Rechtshilfeprotokollen gefällt wird, ist nichtig (SZ 6/5) iSd 965

§ 193

Fucik

§ 477 Abs 2 Z 4. Sonst ist ein ohne ausdrücklichen Schluss der Verhandlung gefälltes Urteil allenfalls deshalb mangelhaft, weil Beweisanträge unerledigt geblieben sind (strenger Fasching Rz 793: nichtig, außer bei eindeutig aus einem Akt erkennbarem Willen des Gerichts, zu schließen [was zB das LGZ Wien 45 R 621/03m = EFSlg 108.966 schon in der Aufforderung zur Kostennote sieht]). Dass die Sache gar nicht spruchreif ist, begründet keine Mangelhaftigkeit, sondern Feststellungsmängel aufgrund unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Was es bedeuten soll, dass das Unterlassen des ausdrücklichen Schlusses der Verhandlung gerügt werden müsse (EvBl 1947/549), ist daher nicht einsichtig, weil der Verfahrensverstoß nur als (nach der Rsp gerade nicht rügepflichtiger, s § 196 Rz 2) Stoffsammlungsmangel oder als Feststellungsmangel wesentlich sein kann.

2 Abs 2 gibt den Grundsatz der Einheit der Verhandlung wieder, der späteres Vorbringen (in den Grenzen des § 179) zulässt und durch § 138 bzw § 412 näher ausgeformt wird.

3 Vorzeitiger Schluss der Verhandlung nach Abs 3 ermöglicht es dem Gericht (auch dem Berufungsgericht, EvBl 1963/171), von einer weiteren Tagsatzung abzusehen, wenn a) nur noch einzelne außerhalb der Verhandlung zu gewinnende Beweise (Zeugen- oder Parteienaussagen, Beischaffen eines Aktes [OLG Wien EvBl 1935/830], einer Behördenauskunft [LGZ Wien EvBl 1946/271], einer Urkunde [LGZ Wien EvBl 1936/1066] oder eines Sachverständigengutachtens [EvBl 1953/492]) ausstehen und b) die Parteien auf Erörterung verzichten oder sie der Senat für entbehrlich hält, was allerdings nicht zutrifft, wenn ein Großteil der Beweise noch aussteht (JBl 1951, 160; vgl ZBl 1912/359). Scheitern die ausständigen Beweismittel an der Säumnis einer Partei (zB Nichterlag eines Kostenvorschusses [SZ 17/74], Nichtzustimmung zur Einsicht in einen Akt oder eine Krankengeschichte [M Bydlinski 113]), so muss die Verhandlung seit der ZVN 2002 nicht mehr wiedereröffnet (und ein Präklusionsantrag ermöglicht) werden.

4 Der Schluss der Verhandlung fixiert den Urteilsgegenstand: Die Entscheidung ergeht (auch bei einem Schluss nach Abs 3 [LGZ Wien EFSlg 76.058]) nämlich aufgrund der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung (eM aus §§ 179 Abs 1, 530 Abs 2, 406; § 35 Abs 1 EO; Fasching Rz 794; Rechberger/ Simotta Rz 577). Was bis dahin nicht vorgekommen ist, kann (nur in Verfahren ohne Neuerungsverbot eingebracht werden, im ordentlichen Verfahren dagegen nur noch) als novum repertum die Wiederaufnahmeklage, als novum productum eine neue Klage (Leistungsklage 966

§ 194

1.3 Mündliche Verhandlung

des unterlegenen Klägers, Feststellungsklage bzw Oppositionsklage des unterlegenen Beklagten) rechtfertigen, aber im ordentlichen Verfahren nicht mehr berücksichtigt werden (vgl bei § 482). Auch für die Zulässigkeit von Klageänderung (§ 483 Abs 4), Zwischenfeststellungsantrag (§ 236 Abs 1) und Widerklage (§ 96 Abs 2 JN), die Wirkung von Unterbrechungsgründen (§ 163 Abs 2) und die Prüfung der Prozessvoraussetzungen ist der Schluss der Verhandlung maßgeblich (vgl aber § 29 JN). § 194. Der Senat kann die Wiedereröffnung einer bereits geschlossenen Verhandlung anordnen, wenn sich zum Zwecke der Entscheidung eine Aufklärung oder Ergänzung des Vorgebrachten oder die Erörterung über den Beweis einer Tatsache als notwendig zeigt, welche der Senat erst nach Schluß der Verhandlung als beweisbedürftig erkannt hat, ferner wenn der Senat im Falle des § 193 Abs 3 nach Einlangen der Beweisaufnahmeakten mit Rücksicht auf die Ergebnisse der Beweisaufnahme oder auf die von den Parteien bei der Beweisaufnahme abgegebenen Erklärungen eine weitere Verhandlung für notwendig hält. [Stammfassung] Nicht nur auf Antrag, sondern auch von Amts wegen ist die Verhand- 1 lung wiederzueröffnen, a) zur Aufklärung und Ergänzung des bereits Vorgebrachten, nicht aber neuen Tatsachenvorbringens (SZ 6/203 = Rsp 1924, 185 [zust Wahle]; EFSlg 49.324 ua), b) zur Erörterung und zum Beweis erst nach Schluss der Verhandlung (idR bei gründlicherem Studium der Rechtsfrage) als erheblich erkannter Tatsachen oder c) zur erforderlichen Erörterung der Beweisergebnisse nach vorzeitigem Schluss iSd § 193 Abs 3 (OLG Wien EvBl 1935/830). Die Parteien haben kein Recht auf Wiedereröffnung (JBl 1950, 556; 2 EFSlg 41.679; LGZ Wien EFSlg 79.194; 85.284), ihr Antrag ist nicht gesondert abzuweisen, sondern erst im Urteil zu erledigen (SZ 7/74; jedenfalls erst mit dem Urteil überprüfbar, selbst wenn die Wiedereröffnung mit gesondertem Beschluss abgewiesen wurde: Rsp 1934/363 [abl Wahle]). Der Wiedereröffnungsbeschluss ist (ebenso wie die an sich nicht vorge- 3 sehene Abweisung der Wiedereröffnung) nicht abgesondert anfechtbar (RZ 1973/35; EFSlg 41.679; OLG Innsbruck EvBl 1986/172). Dass nicht wiedereröffnet wurde, kann aber ein wesentlicher Verfahrensmangel sein (Fasching Rz 796). 967

§ 195

Fucik

§ 195. Die in den §§ 180 bis 194 dem Vorsitzenden des Senates und dem Senate beigelegten Befugnisse kommen im Verfahren vor dem Einzelrichter diesem zu. [Fassung ZVN 2002]

1 Die seit Einführung des § 7a JN angebrachte Erweiterung des § 195 auf den Einzelrichter vor dem GH I (NRsp 1992/220) erfolgte mit der ZVN 2002. Weitere Prozessleitungsbefugnisse im Verfahren vor dem BG s §§ 437 f.

2 Die Rekursbeschränkungen der §§ 186 Abs 2 und 192 Abs 2 gelten auch für die Verfahren vor dem Einzelrichter (Schragel in Fasching/ Konecny § 195). Rüge von Mängeln § 196. (1) Die Verletzung einer das Verfahren und insbesondere die Form einer Prozesshandlung regelnden Vorschrift kann von der deshalb zur Beschwerdeführung berechtigten Partei nicht mehr geltend gemacht werden, wenn sich letztere in die weitere Verhandlung der Sache eingelassen hat, ohne diese Verletzung zu rügen, obwohl dieselbe ihr bekannt war oder bekannt sein mußte. (2) Diese Bestimmung findet keine Anwendung, wenn eine Vorschrift verletzt wurde, auf deren Befolgung eine Partei nicht wirksam verzichten kann. (3) Erfolgt die Rüge während einer mündlichen Verhandlung und wird derselben nicht gleich bei der Verhandlung durch Behebung der behaupteten Verletzung entsprochen, so ist sie im Protokolle zu vermerken. [Stammfassung] Lit: Novak, Praktisches Zivilprozessrecht, JBl 1949, 114; Sprung, Anmerkungen zum neuen Zivilprozessrechtslehrbuch, JBl 1972, 344; Burgstaller, Zur Rügelast nach § 196 ZPO, BeitrZPR I 59; Wennig, Zur Rügepflicht, NV 2000, 63. Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 196; Fasching Rz 797; Holzhammer 211 und PraktZPR 113; Rechberger/Simotta Rz 573.

1 Verfahrensfehler können im Rechtsmittelverfahren wahrgenommen werden, wenn sie a) Nichtigkeitsgründe oder b) sonstige wesentliche Verfahrensmängel sind. Letztere sind nicht von Amts wegen, sondern nur dann wahrzunehmen (§ 496), wenn sie im Rechtsmittel geltend gemacht („gerügt“) werden. Die Rüge des § 196 aber muss schon in erster 968

§ 196

1.3 Mündliche Verhandlung

Instanz, uU sogar unmittelbar nach Wahrnehmung des Verfahrensmangels in der Verhandlung (nicht erst in einem nachfolgenden Schriftsatz, Rsp 1924, 230) erhoben werden. Da das Prozessrecht grundsätzlich nicht dispositiv ist, leugnet ein Teil 2 der Lehre jeden Anwendungsbereich für § 196 (Novak, Praktisches Zivilprozessrecht, JBl 1949, 114; ders, JBl 1960, 566; Sperl 686; Pollak 107 FN 77; Sprung, JBl 1972, 344; Rechberger/Simotta Rz 573; Ballon 129). Da die Parteien aber wohl nicht Anfechtungsgründe auf Lager legen und bei Nichtgefallen des Prozessergebnisses aktivieren sollten, hat § 196 durchaus Berechtigung (vgl Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 196 Rz 1, wo auch die gesteigerte Verantwortung der Parteien seit der ZVN 2002 betont wird; Fasching Rz 797; Holzhammer, PraktZPR 113), zumal a) manche Verfahrensschritte gestattet sind, sofern sich die Parteien nicht dagegen verwahren (Verwertung der bisherigen Verfahrensergebnisse bei Richterwechsel, bei §§ 281a, 488; Abhilfeanträge gegen den ersuchten Richter, § 286, oder die prozessleitenden Verfügungen des Vorsitzenden, § 186), b) manche Mängel durch rügelose Streiteinlassung heilen (§§ 21 Abs 2, 104 Abs 3 JN, 260 Abs 4) und c) manche Vorschrift eher Ordnungs- als Schutzzweck aufweist (zB Prozessprogramm, vormals Beweisbeschluss, Rsp 1933/340, 1936/254; LGZ Wien Arb 7.962; Schluss der Verhandlung, EvBl 1947/549, 1965/188). Die unbedingte Formulierung in § 496 Abs 1 Z 2 darf nicht als Antinomie zu § 196 (sondern dessen Rügelast als Voraussetzung des § 496) gedeutet werden, weil anscheinend widersprüchliche Vorschriften im Zweifel so auszulegen sind, dass beiden ein Anwendungsbereich verbleibt (F. Bydlinski in Rummel, § 6 Rz 27; vgl weiters die Erwähnung des § 196 in § 462 Abs 2). Neben der Beweisaufnahme ohne sie deckendes Prozessprogramm zählen etwa die Verhandlung unter Verletzung der Einlassungsfrist (§ 139) oder der Ruhetage (§ 221) und die meisten Formvorschriften über die Beweisaufnahme (insb die Rechtshilfe; LGZ Wien EFSlg 66.994) und das Mündlichkeitsprinzip (unterlassener Vortrag [MietSlg 48.623] oder unterlassene Verlesung [OLG Wien MietSlg 48.647]) zu den rügepflichtigen Verfahrensmängeln (Stohanzl 556; weitere Kasuistik bei Burgstaller, BeitrZPR I 62). Mängel, die die Sammlung des Prozessstoffes und damit die Spruchreife betreffen („materielle Mängel“, Stoffsammlungsmängel) können nach der Rsp trotz fehlender Rüge geltend gemacht werden (JBl 1995, 320 = NZ 1995, 273; JBl 1970, 266; LGZ Wien EFSlg 34.392). Daran ist gewiss zutreffend, dass es Stoffsammlungsmängel gibt, die a) der Rechtsrüge zuzurechnen sind oder b) ihrer Natur nach gar nicht gerügt werden können (Verstoß gegen richterliche Anleitungspflicht). Im Üb969

§ 197

Fucik

rigen bleibt der Begriff Stoffsammlungsmängel allerdings allzu diffus, als dass daraus taugliche Abgrenzungen zur Rügepflicht vorgenommen werden könnten.

Dritter Titel Sitzungspolizei § 197. Bei Verhandlungen vor Gerichtshöfen hat der Vorsitzende des Senates für die Aufrechterhaltung der Ordnung bei der mündlichen Verhandlung zu sorgen. Er ist berechtigt, Personen, welche durch unangemessenes Betragen die Verhandlung stören, zur Ordnung zu ermahnen und die zur Aufrechterhaltung der Ordnung nötigen Verfügungen zu treffen. [Stammfassung] Lit: Schragel, Verfahrenstechnik im Zivilprozess, RZ 1978, 25; Schally, Richter in eigener Sache – zu § 200 ZPO, AnwBl 1979, 521. Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 197; Fasching Rz 790 ff.

1 Der Sitzungspolizei unterliegen alle Beteiligten (Parteien, gesetzliche Vertreter, Bevollmächtigte, Nebenintervenienten, Zeugen, Sachverständige) und Zuhörer, nicht aber Beisitzer und Schriftführer. Sie obliegt teils dem Vorsitzenden, teils dem Senat. Die Sanktionen der §§ 197 ff sind nach Intensität der Ordnungswidrigkeit gestaffelt.

2 Gegen die erste Störung ist mit Ermahnung vorzugehen. Weitere Störungen unterliegen § 198, gröbere Ungebühr und Widersetzlichkeit § 199.

3 Unter unangemessenem Betragen ist jedes zweckwidrige Verhalten wie Zwischenrufe, Schreien, Beifall, Missbilligung, zu verstehen. Sachliche Kritik, selbst an der Prozessleitung, ist keine Ungebühr.

4 Beleidigungen während der mündlichen Verhandlung, die der Richter nicht wahrnimmt, führen zu keiner Ordnungsstrafe (OLG Wien 17 R 145/99i = WR 861). § 198. (1) Äußerungen des Beifalles und der Mißbilligung sind untersagt. (2) Wer sich trotz Ermahnung einer Störung der Verhandlung schuldig macht, kann von der Verhandlung entfernt werden. Die Entfernung einer an der Verhandlung beteiligten Person kann erst 970

§ 199

1.3 Mündliche Verhandlung

nach vorausgegangener Androhung und Erinnerung an die Rechtsfolgen einer solchen Maßregel angeordnet werden. (3) Die Partei muß insbesondere auf die Möglichkeit aufmerksam gemacht werden, dass infolge ihrer Entfernung gegen sie ein Versäumungsurteil erlassen werden kann. (4) Wenn eine an der Verhandlung beteiligte Person entfernt wurde, kann auf Antrag gegen sie in gleicher Weise verfahren werden, als wenn sie sich freiwillig entfernt hätte. [Abs 3 idF ZVN 2002, sonst Stammfassung] Wer die Verhandlung als Zuhörer stört, kann auf Beschluss des Vorsit- 1 zenden nach Ermahnung entfernt werden. Beteiligte, also Parteien und gesetzliche Vertreter – für Bevollmächtigte 2 gilt § 200 – aber auch Nebenintervenienten, Zeugen und Sachverständige, können nur auf Beschluss des Senats und nur nach Ermahnung und Rechtsfolgenbelehrung entfernt werden. Die Entfernung sollte als ultima ratio nicht ohne die Überlegung angeordnet werden, ob die drohenden Säumnisfolgen im Hinblick auf die Persönlichkeit des Störers, seine Bildung und seinen emotionalen Zustand angemessene Folge seines Verhaltens sein können. Die Partei (ihr gesetzlicher Vertreter) gelten nach Entfernung als säu- 3 mig, weshalb der Gegner die Erlassung eines Versäumungsurteils beantragen kann. Maßnahmen der Sitzungspolizei sind sofort vollstreckbar, aber an- 4 fechtbar (s bei § 203). Richtige Anwendung der Maßnahmen, die zur Beschränkung des Fragerechts führt, begründet keinen Verfahrensmangel (Rsp 1936/256). § 199. (1) Demjenigen, der sich bei der Verhandlung einer gröberen Ungebühr, insbesondere einer Beleidigung der Mitglieder des Gerichtes, einer Partei, eines Vertreters, Zeugen oder Sachverständigen schuldig macht, kann, vorbehaltlich der strafgerichtlichen oder disziplinaren Verfolgung, eine Ordnungsstrafe bis zu 1 450 Euro durch Beschluß des Senates auferlegt werden. (2) Gegen denjenigen, welcher sich den zur Erhaltung der Ordnung und Ruhe getroffenen Anordnungen des Vorsitzenden oder des Senates widersetzt, kann Haft bis zu drei Tagen verhängt werden. [Wertgrenze idF 2. Euro-JuBeG] 971

§ 200

Fucik

Lit: Oberhammer, Verfassungsrechtliche Schranken der Haft in zivilgerichtlichen Erkenntnis-, Exekutions- und Insolvenzverfahren, ÖJZ 1994, 265; Grabenwarter/Geppert, Die Bedeutung des Art 6 MRK für die Verhängung von Ordnungs- und Mutwillensstrafen, JBl 1996,159, 227.

1 Gröbere Ungebühr ist jede Verletzung der Anstandsregeln, die mit dem Verkehr gesitteter Menschen oder der Würde des Gerichts und der Beteiligten unvereinbar ist, zB Erscheinen im betrunkenen Zustand (LGZ Wien RZ 1958, 89) oder die nicht durch besondere Umstände veranlasste Äußerung, sich eine solche Behandlung nicht länger bieten zu lassen (OLG Wien EvBl 1937/890), nicht jedoch zB die Beurteilung eines gegnerischen Vorbringens als „Fehlleistung“ (OLG Wien EFSlg 64.062).

2 Die Sanktionen gröberer Ungebühr oder Widersetzlichkeit setzen keine vorherige Ermahnung voraus (LGZ Wien EFSlg 76.061) und können mit den Sanktionen des § 198, also insb mit der Entfernung des Störers, verbunden werden.

3 Die Ordnungsstrafen des § 199 sind vom Senat zu verhängen; zu ihrer Vollstreckung vgl bei § 220. § 200. (1) Macht sich ein Prozeßbevollmächtigter einer Störung der Verhandlung (§ 198) oder einer Ungebühr oder Beleidigung (§ 199) schuldig, so kann er vom Senate mit einem Verweise oder einer Geldstrafe bis zum Betrage von 1 450 Euro belegt werden. (2) Setzt der Bevollmächtigte sein ungehöriges Benehmen fort, oder widersetzt er sich den zur Erhaltung der Ordnung und Ruhe getroffenen Anordnungen des Vorsitzenden oder des Senates, so kann ihm durch Beschluß des Senates das Wort entzogen und, wenn nötig, die Partei aufgefordert werden, einen anderen Bevollmächtigten zu bestellen; kann dies nicht sogleich geschehen, so ist die Tagsatzung von Amts wegen zu erstrecken. Die Kosten der vereitelten Tagsatzung und der Erstreckung treffen den schuldtragenden Bevollmächtigten. (3) Über einen Rechtsanwalt oder einen Notar darf keine Geldstrafe (Abs 1) verhängt werden. Sein Verhalten ist der zuständigen Disziplinarbehörde bekanntzugeben. [Abs 3 eingefügt durch ZVN 1983; Wertgrenze idF 2. Euro-JuBeG]

1 Bevollmächtigte, die weder dem Anwalts- noch dem Notarenstand angehören, unterliegen den Sanktionen der Abs 1 und 2. 972

§ 203

1.3 Mündliche Verhandlung

Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsanwärter) und Notare (Notariatskandi- 2 daten) können – in ihrer Eigenschaft als Parteienvertreter – nicht mit einer Ordnungsstrafe belegt werden, sind aber keinesfalls von der Sitzungspolizei exemt; sowohl mit Verweis als auch mit Wortentzug und Auftrag an die Partei, einen anderen Bevollmächtigten zu bestellen, kann gegen sie vorgegangen werden. § 201. (1) Die nach den vorstehenden Bestimmungen gefaßten Beschlüsse sind sofort vollstreckbar. (2) Im Verfahren vor Gerichtshöfen kann die Entfernung einer an der Verhandlung beteiligten Person nur durch Beschluß des Senates verhängt werden. [Stammfassung] Der Rekurs gegen sitzungspolizeiliche Maßnahmen ist stets, auch im 1 Anwendungsbereich des § 517 (Fucik, Die Rechtsmittelbeschränkungen der §§ 501, 517 ZPOnF, RZ 1984, 61; vgl JBl 1997, 790; SZ 18/27 = JBl 1936, 258 = RZ 1936, 195; LGZ Wien EvBl 1934/228), zulässig, steht aber immer nur dem Bestraften (kein Ersatz der Rekurskosten), nicht dem Beleidigten (GlUNF 3947; JBl 1934, 240) zu. Dem Rekurs gegen die Strafverfügung kann das Erstgericht selbst 2 stattgeben (§ 522 Abs 1; auch durch den Rechtspfleger: § 11a RpflG). § 202. Aufgehoben mit 2. StPONov 1920 (betraf die Sitzungspolizei gegen Militärpersonen) § 203. Die in diesem Teile dem Vorsitzenden des Senates und dem Senate beigelegten Befugnisse stehen auch dem Einzelrichter, vor welchem die mündliche Verhandlung stattfindet, und dem ersuchten oder beauftragten Richter bei den vor ihnen stattfindenden Verhandlungen und Beweisaufnahmen, sowie bei der Vornahme von Amtshandlungen außerhalb einer mündlichen Verhandlung zu. [Stammfassung] Die sitzungspolizeilichen Befugnisse stehen jedem Verhandlungsleiter 1 zu, dem Rechtspfleger aber mit Einschränkungen (Ordnungsstrafen nur bis zu 200 €, keine Haftverhängung; § 16 Abs 1 Z 6, Abs 2 Z 5 RPflG).

973

§§ 204–206

Gitschthaler Vierter Titel Vergleich

§ 204. (1) Das Gericht kann bei der mündlichen Verhandlung in jeder Lage der Sache auf Antrag oder von Amts wegen eine gütliche Beilegung des Rechtsstreites oder die Herbeiführung eines Vergleiches über einzelne Streitpunkte versuchen. Hiebei ist, wenn dies zweckmäßig erscheint, auch auf Einrichtungen hinzuweisen, die zur einvernehmlichen Lösung von Konflikten geeignet sind. Kommt ein Vergleich zustande, so ist dessen Inhalt auf Antrag ins Verhandlungsprotokoll einzutragen. (2) Zum Zwecke des Vergleichsversuches oder der Aufnahme des Vergleiches können die Parteien, sofern sie zustimmen, vor einen beauftragten oder ersuchten Richter verwiesen werden. Inwiefern wegen Vergleichsvorschlägen oder anhängiger Vergleichsverhandlungen die Aufnahme oder Fortführung der Verhandlung aufgeschoben werden könne, ist nach den Bestimmungen der §§ 128 und 134 zu beurteilen. [Abs 1 Satz 2 eingefügt durch BGBl I 2003/29; sonst Stammfassung] § 205. Durch ZVN 2002 aufgehoben § 206. Den Parteien sind auf ihr Verlangen und auf ihre Kosten Ausfertigungen des Vergleichsprotokolls oder des den Vergleich enthaltenden Verhandlungsprotokolls zu erteilen. [Satz 2 aufgehoben durch ZVN 2002; sonst Stammfassung] Lit: Horten, Über den gerichtlichen Vergleich, ZBl 1908, 1006; Lehmann, Der Prozeßvergleich (1911); Raunig, Der gerichtliche Vergleich, GZ 1931, 53; Schiedermair, Vereinbarungen im Zivilprozeß (1935); Esser, Heinrich Lehmann und die Lehre vom Prozeßvergleich, FS Lehmann II (1956) 713; Bonin, Der Prozessvergleich unter besonderer Berücksichtigung seiner personellen Erstreckung (1957); Jauernig, Zum „Prozessvergleich zugunsten eines Dritten“, JZ 1960, 11; Stölzle, Der bedingte gerichtliche Vergleich, AnwBl 1960, 95; Marek, Die Wirksamkeit gerichtlicher Vergleiche im Ehescheidungsverfahren, ÖJZ 1964, 505; Novak, Einige Probleme des Zivilprozessrechts, JBl 1964, 15; G. Lüke, Die Beseitigung des Prozessvergleichs durch Vereinbarung, JuS 1965, 482; Gebauer, Richter und der gerichtliche Vergleich, AnwBl 1968, 42; Arens, Willensmängel bei Parteihandlungen im Zivilprozess (1968); Schlosser, Einverständliches Parteihandeln im Zivilprozess (1968); Lentner, Vergleichsförderung – Pflicht oder nur Befugnis des Richters? AnwBl 1969, 63; Holzhammer, Der Prozeßvergleich, FS 974

§§ 204–206

1.3 Mündliche Verhandlung

Schima (1969) 217; Dolinar, Die bedingte Parteihandlung, ÖJZ 1970, 85, 118; Reinicke, Die Rechtsfolgen des formwidrig abgeschlossenen Prozessvergleichs, NJW 1970, 306; Hagen, Hauptprobleme des Österreichischen Bestandverfahrens (1971) 13; König, Der gerichtliche Vergleich in der Österreichischen Lehre, JBl 1971, 467; Baur, Der schiedsrichterliche Vergleich (1971); Vogel, Die prozessualen Wirkungen des außergerichtlichen Vergleichs und seine Abgrenzung zum Prozessvergleich (1971); Baumgärtel, Wesen und Begriff der Prozesshandlung einer Partei im Zivilprozess2 (1972); Sprung, ZAS 1972, 96 (Entscheidungsbesprechung); Henckel, Fortsetzung des Zivilprozesses nach Rücktritt vom Prozessvergleich? FS Wahl (1973) 465; Dolinar, Ruhen des Verfahrens und Rechtsschutzbedürfnis (1974); Böhm, Die Lehre vom Rechtschutzbedürfnis, JBl 1974, 1; Bökelmann, Zum Prozessvergleich mit Widerrufsvorbehalt, FS Weber (1975) 101; Matscher, Probleme der Schiedsgerichtsbarkeit im österreichischen Recht, JBl 1975, 412, 452; Mende, Die in den Prozessvergleich aufgenommene Klagerücknahme (1976); M. Wolf, Normative Aspekte richterlicher Vergleichstätigkeit, ZZP 89 (1976) 260; Maurer, Ein Plädoyer für den Vergleich, RZ 1980, 260; Röhl, Der Vergleich im Zivilprozeßrecht, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie 1980, 227; Gottwald, Der Prozessvergleich (1983); Stürner, Die Rechtsschutzqualität des richterlichen Vergleichs, in Gottwald ua, Der Prozessvergleich (1983) 147; Röhl, Der Vergleich im Zivilprozess (1983); Konecny, Zur Erweiterung der Verbesserungsvorschriften durch die Zivilverfahrens-Novelle 1983, JBl 1984, 13, 61; Pecher, Zur Geltendmachung der Unwirksamkeit eines Prozessvergleichs, ZZP 97 (1984) 139; Konecny, Übergreifende Ansprüche in Wettbewerbsverfahren, RdW 1986, 36; Michel, Der Prozessvergleich in der Praxis, JuS 1986, 41; Hoyer, Strafgerichtliche Verurteilung als „Geschäftsgrundlage“ gerichtlichen Vergleiches? FS Fasching (1988) 237; Dolinar, Die freie gerichtliche Schadensschätzung nach § 273 ZPO, FS Fasching (1988) 139; Bork, Der Vergleich (1988); W. Kralik, Das ewige Ruhen des Verfahrens, BeitrZPR IV (1991) 31; F. Bydlinski, Unbedingte Pflichten aus behördlich genehmigungsbedürftigen Verträgen, FS Ostheim (1990) 43; Knoll, § 47 ZPO; Kostenentscheidung nach Vergleichsabschluß auf Grund einer Parteienvereinbarung, RZ 1991, 214; Stabentheiner, Scheidungsvergleich und pflegschaftsgerichtliche Genehmigung, RZ 1991, 251; Kralik, Das ewige Ruhen des Verfahrens, BeitrZPR IV (1991) 31; Gottwald, Vergleichspraxis (1991); Breycha, Sind nichtgenehmigte Vergleiche im Pflegschaftsverfahren wirklich schwebend unwirksam? RZ 1992, 86; Holzhammer, Der Tonbandvergleich, FS Matscher (1993) 197; Wilhelm, Bedingter Widerruf eines gerichtlichen Vergleiches, ecolex 1994, 801; Häsemeyer, Zur materiellrechtlich-prozessrechtlichen Doppelnatur des 975

§§ 204–206

Gitschthaler

außergerichtlichen Vergleichs und des deklaratorischen Schuldanerkenntnisses, ZZP 108 (1995) 289; Wehrmann, Die Person des Dritten im Prozessvergleich in materiellrechtlicher und prozessualer Hinsicht (1995); Schumacher, Der Rücktritt vom gerichtlichen Vergleich, JBl 1996, 627; Weber, Dringender Appell zur Novellierung des § 33 TP 20 GebG, AnwBl 1998, 226; Wagner, Prozeßverträge (1998); Mayr, Der Tonbandvergleich mit Dritten, RZ 2000, 210; Mayr, Der gerichtliche Vergleichsversuch (2002); Reischl, Die objektiven Grenzen der Rechtskraft im Zivilprozess (2002); Perner/Völkl, Aktueller Stand des Rechts internationaler Wirtschaftsschlichtung, ÖJZ 2003, 28; Ganner, Vertragsgerechtigkeit durch Mediation, ÖJZ 2003/43; M. Weber, § 50 Abs 2 ZPO – Kostenersatz im Rechtsmittelverfahren bei nachträglichem Wegfall des Rechtsschutzinteresses, RZ 2004, 76, 105; Haberl, Onlineund andere ADR-Verfahren bei grenzüberschreitenden Verbraucherverträgen, RdW 2004/351. Harrer/Heidinger in Schwimann2 (1997) § 1380 ABGB; Ertl in Rummel3 (2002) § 1380 ABGB; Neumayr in KBB (2005) § 1380 ABGB. Klicka in Fasching/Konecny II/2 § 204; Bajons Rz 123; Ballon Rz 275; Deixler-Hübner/Klicka Rz 205; Feil/Kroisenbrunner 479; Holzhammer 227; Fasching Rz 1324; Holzhammer, PraktZPR I 235; Rechberger/Simotta Rz 460. Inhaltsübersicht Definition und Rechtsnatur 1–7 Mängel – Anfechtung – Wirkung 8–12 Zustandekommen 13 Protokollierung des Vergleichs 14 Vergleichsgegenstand 15 Pflegschaftsbehördliche Genehmigung 16

Vergleichshindernisse 17 Bedingungen im Vergleich 18 Vergleichswiderruf 19–21 Rücktritt vom Vergleich 22 Exekutionstitel 23 Gerichtsgebühren 24 Prozessbeendigung 25 Neueinklagung 26

1 Nach § 1380 ABGB heißt ein Neuerungsvertrag, durch welchen streitige oder zweifelhafte Rechte dergestalt (auch formfrei [SZ 42/154; Ertl Rz 1; Neumayr Rz 5] oder schlüssig [3 Ob 583/86; Neumayr Rz 5]) bestimmt werden, dass jede Partei sich wechselseitig etwas zu geben, zu tun oder zu unterlassen verbindet, Vergleich. Dieser gehört zu den zweiseitig verbindlichen Verträgen und ist nach § 914 ABGB auszulegen (RZ 1977/14, SZ 64/160; Harrer/Heidinger Rz 28; Ertl Rz 1). Es kommt also auf den übereinstimmend erklärten Parteiwillen an, wobei aufgrund der Vertrauenstheorie der objektive Erklärungswert ent976

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scheidet (SZ 64/160; Harrer/Heidinger Rz 28; Neumayr Rz 5). Der Vergleich ist also so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht (Ertl Rz 1). Schließen die Parteien einen außergerichtlichen Vergleich, können sie auf gerichtliche Beurkundung desselben klagen (SZ 5/1). Obgleich § 204 – im Gegensatz zu § 30 AußStrG – vom Abschluss des 2 Vergleichs bei der mündlichen Verhandlung spricht (Prozessvergleich [nach Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens]), kann dieser als gerichtlicher Vergleich auch vor Einleitung eines Rechtsstreits abgeschlossen werden (prätorischer Vergleich; Näheres s bei § 433 ZPO; zur begrifflichen Unterscheidung zwischen Prozessvergleich vgl auch Fasching Rz 1341; ebenso Klicka in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 2, der als 3. Kategorie den Scheidungsfolgenvergleich nach § 55a EheG sieht), niemals aber nach dessen Beendigung (Fasching Rz 1343). Der Prozessvergleich ieS wird anlässlich einer anberaumten Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung entweder zwischen den Parteien (oder ihren Vertretern [3 Ob 124/73, 5 Ob 782/80 = HS 10.911]) des Rechtsstreits oder zwischen den Parteien und Dritten (SZ 56/98 = JBl 1984, 500) oder nur zwischen Dritten (etwa Nebenintervenienten) abgeschlossen. Mehrere einheitliche Streitgenossen müssen bei sonstiger Wirkungslosigkeit des Vergleichs gemeinsam abschließen (SZ 27/6, 3 Ob 35/54). Er kann spätestens im Berufungsverfahren geschlossen werden, weil im Revisionsverfahren eine mündliche Verhandlung, die zur Protokollierung des Vergleichs notwendig wäre, praktisch nie stattfindet (Fasching Rz 1947; aA 1 Ob 535/53 [Vergleich nach Zustellung des Berufungsurteils]). Ein gerichtlicher Vergleich einer OHG wirkt gegenüber einem Gesellschafter wie ein gegen die Gesellschaft ergangenes Urteil; der Gesellschafter kann sich nur mehr auf in seiner Person begründete Einwendungen berufen (8 Ob 139/99w = ecolex 2000/92). Gerichtliche Vergleiche können zwar vor dem Richter und dem Rechtspfleger, nicht aber vor dem Notar als Gerichtskommissär abgeschlossen werden (SZ 26/47 = NZ 1956, 44, 3 Ob 32/05k). Der Prozessvergleich ist ebenso auszulegen wie der Vergleich iS des 3 § 1380 ABGB (6 Ob 166/64, ZVR 1966/155, EFSlg 17.894, XV/1, 1 Ob 157/01x, 7 Ob 155/04a; VwGH AnwBl 1982, 317 [verst Senat], AnwBl 1982, 319). Er ist also auch so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht (1 Ob 435/57, SZ 41/55, RZ 1977, 36, 8 Ob 609/85 = EFSlg 48.579), wobei auch die Umstände zu berücksichtigen sind, die zu seinem Abschluss geführt haben (ZVR 1980/161, 5 Ob 768/82; zum Prämienvergleich vgl SZ 70/120 = JBl 1997, 717 [geringfügige Nichterfüllung]). Es ist auch bei völlig klarem und deutlichen 977

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Ausdruck auf die Absicht der Parteien abzustellen (7 Ob 125/56, 3 Ob 24/76 = HS 9191, 8 Ob 232/99x, 1 Ob 157/01x; zur Absicht, auch Gegenforderungen mitzuvergleichen, vgl 7 Ob 472/56; zum Abfindungsvergleich zwischen Arbeitgeber und -nehmer vgl RPflSlgE 1985/102 [im Zweifel Bruttovereinbarung]). Ein beiderseitiges Nachgeben ist nicht unbedingt erforderlich (hM, vgl etwa Rechberger/Simotta Rz 460; Klicka in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 9; SZ 45/20, 6 Ob 151/02b = RdW 2003/74). Es genügt jedenfalls, wenn eine Partei von ihrem – ursprünglichen – Prozessstandpunkt abrückt (Holzhammer 227; Ballon Rz 275; Rechberger/ Simotta Rz 460; aA Fasching Rz 1348; Harrer/Heidinger Rz 35), allerdings kann auch ein Anerkenntnis in Form eines Vergleichs abgegeben werden (6 Ob 151/02b = RdW 2003/74; zur Problematik der Protokollierung eines von den Parteien bereits vorbereiteten Vergleichs s Fasching1 III 843; SZ 45/74, SZ 56/98 = JBl 1984, 500). Ein gerichtlicher Vergleich muss also nicht unbedingt einen Vergleich iS des § 1380 ABGB enthalten (SZ 56/98).

4 Der gerichtliche Vergleich ist nicht einfach ein vor Gericht abgeschlossener und protokollierter Vergleich iS des §§ 1380 ff ABGB (aA die materiellrechtliche Theorie; dazu Näheres bei Fasching Rz 1328 und Klicka in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 6), weil er eine eigene Rechtsnatur aufweist. Die materiellrechtliche Theorie wird heute in Österreich genauso wie die prozessrechtliche (dazu Fasching Rz 1334 und Klicka in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 7) nicht mehr vertreten (Ballon Rz 280), vielmehr wird der Vergleich nunmehr einhellig als doppelfunktionelle Prozesshandlung gesehen (Fasching Rz 766 ff; Rechberger/Simotta Rz 456; Klicka in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 7, 8). Es werden dazu zwei Auffassungen vertreten, wobei diese allerdings vor allem die weiterführende Frage vor Augen haben, wie sich ein Mangel auf der einen (prozessualen oder materiellen) Seite des Vergleichs auf die andere Seite auswirkt (Klicka in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 8 aE):

5 a) Die Lehre von der Doppelnatur des Vergleichs (Fasching1 II 963; ders Rz 1337 [mit gewissen Modifikationen]; Ballon Rz 279; Rechberger/Simotta Rz 470; Häsemeyer ZZP 108, 289) sieht in diesem sowohl eine Prozesshandlung als auch einen materiellrechtlichen Vertrag, die auf Grund ihres einheitlichen Entstehungsvorgangs eine Einheit bilden. Der gerichtliche Vergleich bedarf zu seiner Gültigkeit damit sowohl der Erfordernisse des bürgerlichen als auch des Prozessrechts, das Fehlen auch nur einer Voraussetzung bewirkt die Unwirksamkeit des Vergleichs nach allen Richtungen hin. 978

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1.3 Mündliche Verhandlung

b) Nach der überzeugenderen Lehre vom Doppeltatbestand (Dolinar, 6 ÖJZ 1970, 119; ders, Ruhen 144; ders, FS Fasching 153; König, JBl 1971, 467; Sprung, ZAS 1972, 96; Hagen 13; Holzhammer 229; ders, FS Matscher 200; vgl dazu auch Rechberger/Simotta Rz 472; idS wohl auch Klicka in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 37, 43; Neumayr Rz 9) besteht der Prozessvergleich aus einem bürgerlichrechtlichen Vertrag und einer Prozesshandlung, die hinsichtlich der Voraussetzungen und der Wirkungen selbstständig zu behandeln sind. So belässt etwa die Unwirksamkeit des materiellen Vertrags den Vergleich als Prozesshandlung aufrecht und umgekehrt. Bildet also der abgeschlossene Vergleich aus formellen Gründen keinen Exekutionstitel, so ist doch auf die ihm zugrunde liegende Parteienvereinbarung Bedacht zu nehmen (1 Ob 435/57). Grundsätzlich können allerdings mangelhafte Prozesshandlungen, also auch der Vergleichsabschluss, auf die in den Verfahrensgesetzen vorgesehene Weise saniert werden (JBl 1976, 489). c) Die Rsp (SZ 54/14 = EvBl 1981/100 [unklar: Doppeltatbestand oder 7 Doppelnatur], JBl 1970, 319, JBl 1977, 428 [Sprung], SZ 55/109, EvBl 1992/196 [Doppelnatur], JBl 1979, 266, EvBl 1981/100, SZ 56/98 = JBl 1984, 500 [Doppeltatbestand]; HG Wien WR 702; LGZ Wien EFSlg 72.956 [Doppelnatur]) vertritt letztlich keine der beiden Theorien konsequent (Fasching Rz 1340 mwN; Klicka in Fasching II/2 §§ 204, 206 Rz 33 ff; Neumayr Rz 9). In jüngeren E (EvBl 1992/76, SZ 70/120 = JBl 1997, 717, 5 Ob 65/98i = EWr I/37/132, 6 Ob 49/00z, 1 Ob 157/01x) wurde aber ausgeführt, der Vergleich habe zugleich den Charakter eines zivilrechtlichen Rechtsgeschäfts und einer Prozesshandlung, der prozessual unwirksam, als materielles Rechtsgeschäft aber wirksam sein könne, weshalb zwischen den Fragen, ob ein gerichtlicher Vergleich den Prozess beende und welche materiellen Wirkungen er habe, streng zu unterscheiden sei. Gerade dies ist aber der Standpunkt der Lehre vom Doppeltatbestand (SZ 70/120, 5 Ob 65/98i = EWr I/37/132; vgl Klicka in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 43). Materiellrechtliche Mängel. Ein gerichtlicher Vergleich kann wegen 8 einer gegen die Vorschriften des materiellen Rechts unterlaufenen Nichtigkeit (SZ 22/52, 3 Ob 589/54, EvBl 1969/320; aA 1 Ob 508/95 = wobl 1996/48, SZ 70/143 [bei einem Verstoß gegen zwingende gesetzliche Bestimmungen ist der gerichtliche Vergleich unwirksam]) oder wegen des Vorliegens von Willensmängeln jederzeit mittels Feststellungsklage angefochten werden (1 Ob 159/01s = MietSlg LIII/27, 6 Ob 49/00z, 9 ObA 14/01a = MietSlg 53.690). Dies gilt etwa bei einem gemeinsamen Irrtum über die von beiden Parteien als feststehend angenommenen Umstände (Vergleichsgrundlage), die sie nicht der Streit979

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bereinigung unterwerfen wollten (SZ 43/116 [Stölzle, AnwBl 1973, 35], JBl 1976, 481, 9 ObA 1004/91, EvBl 1992/76 ua), oder bei listiger Irreführung (infas 1993/A 34, A 5; Klicka in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 41) durch den Gegner auch wegen eines Irrtums einer Partei über einen von der Bereinigungswirkung erfassten Streitpunkt (Vergleichspunkt; JBl 1990, 333; LG Salzburg Arb 10.661; Hoyer, FS Fasching 237; Ballon Rz 280); Letzteres gilt auch bei Ausübung von Zwang oder Drohung (Klicka in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 205 Rz 41). Die Anfechtungsklagen gehören jedenfalls vor die Prozessgerichte, auch wenn der Vergleich nicht im streitigen Verfahren abgeschlossen wurde (SZ 22/52, 4 Ob 543/70). Eine Wiederaufnahmsklage ist hingegen nicht möglich (SZ 22/52, JBl 1976, 489, 8 Ob 547/87), ebenso wenig ein bloßer Antrag auf Fortsetzung des verglichenen Verfahrens (EvBl 1992/196; Klicka in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 43).

9 Für den Fall der erfolgreichen Anfechtung des Vergleichs bleibt dieser zwar prozessual wirksam, seine Wirkungen reduzieren sich aber auf die Prozessbeendigung (EvBl 1992/76, 6 Ob 192/98y = EFSlg 87.469). Ob die Unwirksamkeit ex tunc oder ex nunc eintritt, hängt von den geltend gemachten Anfechtungsgründen ab (Fasching Rz 1360; Klicka in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 45). Wird aufgrund des gerichtlichen Vergleichs bereits Exekution geführt, kann der Verpflichtete Aufschiebung und sodann Einstellung der Exekution beantragen (3 Ob 50/92 = EFSlg XXIX/4) oder aber sofort, also anstelle der Feststellungsklage, eine Oppositions- (aA [Impugnations-] JBl 1979, 267, 3 Ob 53/92 = EFSlg 69.957, 3 Ob 50/92 = EFSlg XXIX/4) -klage einbringen (Holzhammer 229; ders, FS Schima 224; Ballon Rz 280; Rechberger/Simotta Rz 472; krit Fasching Rz 1361). Klicka (in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 46) befürwortet jedenfalls für den Fall einer ursprünglichen materiellen Unwirksamkeit des Vergleichs die Möglichkeit einer Klage auf Unwirksamerklärung des Prozessvergleichs.

10 Prozessrechtliche Mängel. Ist der gerichtliche Vergleich aus prozessualen Gründen und daher ex tunc (LGZ Wien MietSlg 40.771) unwirksam, so bleibt dennoch die materiellrechtliche Vereinbarung aufrecht (SZ 54/14 = EvBl 1981/100, SZ 56/98 = JBl 1984, 500, JBl 2000, 797; vgl auch Klicka in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 37). Prozessrechtlich unwirksam sein kann der gerichtliche Vergleich, wenn der Richter den Vergleich trotz der unter Rz 17 genannten Hindernisse protokolliert, die Protokollierung gänzlich unterlässt oder ihm ein Verstoß gegen die Protokollierungsvorschriften unterläuft (6 Ob 49/00z) bzw der Richter ausgeschlossen oder rechtskräftig abgelehnt ist (Nähe980

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1.3 Mündliche Verhandlung

res auch bei Fasching Rz 1360; Rechberger/Simotta Rz 470; ebenso infas 1992/S 14). Die prozessuale Unwirksamkeit des gerichtlichen Vergleichs wird 11 durch einen Fortsetzungsantrag geltend gemacht (SZ 59/170 = JBl 1987, 122, EFSlg 52.165/5, SSV-NF 5/59, 6 Ob 192/98y = EFSlg 87.469, 6 Ob 49/00z uva; Klicka in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 37), über welchen das Gericht in einem Zwischenverfahren zu entscheiden hat. In diesem ist die Frage zu klären, ob der Prozess als beendet anzusehen ist oder nicht (Holzhammer, FS Matscher 200; Rechberger/ Simotta Rz 472 mwN; SZ 58/151 = JBl 1986, 465; SZ 59/170, EFSlg 52.165/5; aA LGZ Wien MietSlg 40.771; Ballon Rz 279; Fasching Rz 1363 [auch Feststellungsklage möglich]). Eine allfällige materielle Unwirksamkeit des Vergleichs darf dabei aber nicht geprüft werden (infas 1992/S 14). Die Verweigerung der Fortsetzung ist in einem zweiseitigen Rechtsmittelverfahren (6 Ob 641/86, 7 Ob 94/04f) anfechtbar; bestätigt allerdings das Rekursgericht die erstinstanzliche Entscheidung, kann der OGH nicht angerufen werden (6 Ob 2022/96p, 6 Ob 112/99k). Wird aufgrund des gerichtlichen Vergleichs bereits Exekution geführt, so ist diese über Antrag des Verpflichteten aufzuschieben (§ 42 Abs 1 Z 1 und 2 EO). Nach Fortsetzung des Verfahrens durch das Prozessgericht ist die Vollstreckbarkeitsbestätigung des gerichtlichen Vergleichs aufzuheben (§ 7 Abs 3 EO) und das Exekutionsverfahren nach § 39 Abs 1 Z 9 EO einzustellen (Fasching Rz 1361; teilw aA Klicka in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 37 [Einstellung nach § 39 Abs 1 Z 10 EO]). Zulässig ist eine Klage auf Berichtigung des Vergleichstextes iS der 12 angeblich geschlossenen Vereinbarung (SZ 26/179 = JBl 1954, 307, 7 Ob 125/56; OLG Wien EFSlg 20.779), ebenso eine Klage auf Feststellung des wahren Inhalts des Vergleichs (4 Ob 314/59), nicht aber eine Nichtigkeits- oder Wiederaufnahmsklage (GlUNF 1035, SZ 22/52, EvBl 1962/86). Wenn ein offenkundiges Versehen vorliegt, kann das den Vergleichstext beinhaltende Protokoll aus dem Gedanken des § 419 berichtigt werden (vgl SZ 26/179; LGZ Graz MietSlg 46.635; LGZ Wien EFSlg 88.137; aA LGZ Wien EFSlg 60.857; LG Salzburg EFSlg 94.506 [setzt Berichtigungsantrag in der Verhandlung oder Widerspruch gegen den vom Richter protokollierten Inhalt des Vergleichs voraus]). Auch bei bloßen Übertragungsfehlern (Abweichungen der Ausfertigungen vom Original) ist eine Berichtigung iS des § 419 zulässig, weil es sich dabei um das ökonomischste und rascheste Korrekturmittel zur Bereinigung offenbarer Fehler handelt (9 ObA 14/01a = MietSlg 53.690; 981

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Fasching Rz 1567). Der fehlerhaft protokollierte Vergleich kann als materiell-rechtliches Rechtsgeschäft wirksam sein (6 Ob 49/00z = immolex 2000/183). Wurden aufgrund einer planwidrigen Unvollständigkeit – also nicht etwa bewusst – die Verfahrenskosten nicht in den Vergleich aufgenommen, ist eine Titelergänzungsklage zulässig (3 Ob 316/99p); ansonst würden die Verfahrenskosten als gegenseitig aufgehoben gelten. Zu einem Gerichtsvergleich in einem Akt, der verloren gegangen ist, vgl § 218 Rz 4 ff. Ein Willensmangel bei Abschluss des Vergleichs kann aber auch im Wege der Berichtigung nicht aufgegriffen werden (LGZ Wien EFSlg 88.137).

13 Der gerichtliche Vergleich kommt durch Willenseinigung beider Parteien (materiellrechtliche Wirkungen) und die Protokollierung durch den Richter, eventuell auch durch den ersuchten Richter bei Erledigung eines Rechtshilfeersuchens (Fasching1 II 973), oder den zuständigen Rechtspfleger zustande (Klicka in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 26). Das Protokoll ist vom Richter und vom Schriftführer, soweit nicht von der Zuziehung eines solchen abgesehen wurde, zu unterfertigen (Näheres bei §§ 207 ff). Die Rsp (SZ 42/61 = JBl 1970, 319, SZ 58/ 151 = JBl 1986, 465, 8 Ob 579/87, ÖBl 1992, 160, EFSlg 79.195; OLG Linz 2 R 246/99f) vertritt die Auffassung, ein prozessbeendigender gerichtlicher Vergleich komme überdies mangels gegenteiliger Vereinbarung erst mit der Unterfertigung des Protokolls durch die Parteien zustande (zust Holzhammer, FS Matscher 203; Rechberger/Simotta Rz 464), welche Auffassung jedoch von Fasching (Rz 1352 mwN) unter Hinweis auf § 213 Abs 2 und 3 ZPO zutr mit der Begründung kritisiert wird, die Beweiskraft des gerichtlichen Protokolls werde durch das Fehlen der Parteiunterschrift nicht beeinträchtigt (krit ebenso Klicka in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 27; diese Frage nunmehr ausdrücklich offen lassend 1 Ob 67/04s unter Hinweis auf Fasching, Klicka und die Vorauflage).

14 Bei Aufnahme des Verhandlungsprotokolls mittels Schallträgers verlangt die Rsp die Unterschrift der Parteien nur unter das auch bei Verwendung eines Schallträgers gemäß § 212a Abs 1 Satz 2 in Vollschrift aufzunehmende Protokoll, wenn die vom Richter unterschriebene Übertragung des auch den Vergleichstext enthaltenden und auf Schallträger aufgenommenen Protokollteils in Vollschrift dem Protokoll als Beilage angefügt und den Parteien über ihren Antrag in Abschrift zugestellt wird. Damit ist die Unterfertigung des Vergleichs selbst im Volltext durch die Parteien nicht mehr notwendig und der Vergleich in Vollschrift nur dann zu protokollieren, wenn keine Protokollsabschrif982

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1.3 Mündliche Verhandlung

ten begehrt werden (SZ 59/170 = JBl 1987, 122, EFSlg 52.165/5, 6 Ob 619/87, 3 Ob 64/90, SZ 67/183, 6 Ob 2285/96i, EFSlg 90.916; OLG Linz 2 R 246/99f, 3 R 145/00i; LG Innsbruck RPflSlgE 2004/33; Fasching Rz 1352; Ballon Rz 276; Klicka in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 27; aA SZ 58/151 = JBl 1986, 465, 8 Ob 579/87 [Unterschrift unter dem Vergleichstext]). Dabei ist es aber unerheblich, ob die Parteien tatsächlich eine Protokollsabschrift begehrt haben, wenn das Tagsatzungsprotokoll einschließlich des Vergleichstextes in Vollschrift übertragen und den Parteien auch tatsächlich zugestellt worden ist (OLG Linz 3 R 145/00i). Auch ein Scheidungsfolgenvergleich nach § 55a EheG kann mittels Schallträgers protokolliert werden (SZ 67/183), wobei hier selbst dann, wenn die Parteien keine Protokollsabschrift begehren, der Vergleich nicht in Vollschrift protokolliert werden, sondern lediglich ein Vollschrift(verhandlungs)protokoll durch Übertragung hergestellt und vom Richter unterfertigt werden muss (SZ 67/183). Holzhammer (FS Matscher 202, 204, 206) und Mayr (RZ 2000, 215) verlangen grundsätzlich die ausdrückliche und – auf dem in Vollschrift aufzunehmenden Protokollteil – schriftliche Zustimmung der Parteien zur Aufnahme des „Tonbandvergleichs“, welcher Auffassung aber entgegenzuhalten ist, dass die Parteien den Protokollierungsakt – ohne Widerrede – mitverfolgt und damit letztlich ihr Einverständnis erklärt haben (ähnlich wohl auch Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 212a Rz 11). Entschließt sich ein prozessfremder Dritter, sich an einem gerichtlichen Vergleich der Prozessparteien als Vertragspartei zu beteiligen, erklärt er sich mit der Aufnahme eines Tonbandprotokolls einverstanden und bekräftigt er dieses Einverständnis mit seiner Unterschrift unter dem ohne den Vergleichswortlaut in Vollschrift aufgenommenen Teil eines Tonbandprotokolls, so unterwirft er sich in der Frage der Bewirkung der Schriftform als konstitutive Grundlage einer gewillkürten Vergleichsbindung den im Verhältnis der Prozessparteien maßgeblichen Verfahrensvorschriften. Insofern ersetzt die gerichtliche Vergleichsbeurkundung nach den Regeln des im Verhältnis der Verfahrensparteien anwendbaren Prozessrechts zufolge § 886 Satz 2 ABGB gleichzeitig das gegenüber einem prozessfremden Dritten nach allgemeinen Privatrechtsregeln strengere Erfordernis der Schriftlichkeit durch eigenhändige Fertigung des bereits in Vollschrift beurkundeten Vertragswortlauts (1 Ob 227/99k = SZ 72/132 = EvBl 2000/22; vgl dazu auch Mayr, RZ 2000, 210). Als ausreichend angesehen wird auch die Bezugnahme auf ein außergerichtliches Übereinkommen und die Erhebung desselben zum Vergleichsinhalt, wobei aber eine Ausfertigung des Übereinkommens zum (Titel-)Akt genommen werden muss (1 Ob 2/55, RZ 1989/53, 8 Ob 983

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217/98i, 4 Ob 243/01s = ÖBl 2002/49; OLG Linz 2 R 50/04t; Klicka in Fasching II/2 §§ 204, 206 Rz 28; Jakusch in Angst § 1 EO Rz 40). Dies hat vor allem in Verfahren über die einvernehmliche Ehescheidung (§ 55a EheG) praktische Bedeutung.

15 Gegenstand eines gerichtlichen Vergleichs kann jede materiellrechtliche (W. Kralik, BeitrZPR IV 43 mwN) Regelung sein, die auch Gegenstand eines Urteils sein kann – so etwa auch die Frage, ob Miete oder Pacht vorliegt (SZ 36/114 = JBl 1964, 369; weiters s Vor § 226 sowie bei §§ 226, 227 und § 228). Dies gilt auch dann, wenn der Vergleichsgegenstand bisher noch nicht im laufenden Verfahren geltend gemacht worden war (Klicka in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 10; 6 Ob 778/ 80, EvBl 1992/76); es bietet sich dabei eine analoge Anwendung des § 433 ZPO an (SZ 56/98, 1 Ob 2066/96x). Von einem darüber hinausgehenden Parteiwillen abgesehen, sind allerdings Gegenstand des Vergleichs und Zweck des Vergleichsabschlusses in einem gerichtlichen Verfahren die Regelung nur der im Prozess erhobenen Ansprüche und Einwendungen (10 ObS 211/99y = SSV-NF 13/103). Neben den im Gesetz genannten Vergleichsgegenständen (Anerkennung von Rechtsverhältnissen, Übernahme der Verbindlichkeit zu einer Leistung, Duldung oder Unterlassung), die als Feststellungs- und Leistungsansprüche anzusehen wären, sind auch Rechtsgestaltungsansprüche vergleichbar, soweit die Rechtsgestaltung nicht dem Richter vorbehalten bleibt. Demgegenüber können Ansprüche und Rechte, denen das materielle Recht die Vergleichsfähigkeit abspricht, kein Gegenstand des gerichtlichen Vergleichs sein. Schließlich sind prozessuale Rechte selbst nicht vergleichbar (Fasching Rz 1346 f), möglich ist aber etwa die Vereinbarung der Zurücknahme einer Klage in einem anderen Verfahren (LGZ Wien EFSlg 35.783; Klicka in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 11 mit Ausführungen zur Umsetzung eines derartigen Vergleichs). In Vergleichen nach § 55a EheG kann auch vereinbart werden, dass keine gegenseitigen vermögensrechtlichen Ansprüche bestehen (EvBl 1985/22, NZ 1988, 101, 2 Ob 608/88), in welchem Fall eine Antragstellung nach §§ 81 ff EheG unzulässig wird (2 Ob 608/88).

16 Bedarf der gerichtliche Vergleich (als Prozesshandlung) der pflegschaftsbehördlichen Genehmigung (Fasching1 II 967 mwN; s idS SZ 23/103, SZ 27/182), was von Amts wegen zu berücksichtigen ist (§ 4 Abs 1, § 6 Abs 1), so berührt dies die Prozessfähigkeit der Partei (LGZ Wien EFSlg 39.131), deren Mangel zur Rechtsunwirksamkeit des Vergleichs führt (idS wohl auch Klicka in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 23; aA offensichtlich 5 Ob 557/80). Der Vergleich ist daher unter der Bedingung der pflegschaftsbehördlichen Genehmigung zu schließen 984

§§ 204–206

1.3 Mündliche Verhandlung

(vgl etwa SZ 54/14 = EvBl 1981/100), worauf auch der Richter Bedacht zu nehmen hat (Rechtsbedingung; s dazu allgemein F. Bydlinski, FS Ostheim 43), es sei denn die Partei ist durch einen Bevollmächtigten vertreten (5 Ob 557/80, EvBl 1992/76; vgl dazu auch bei § 158). Bis zum Vorliegen dieser Genehmigung stellt der gerichtliche Vergleich keinen Exekutionstitel dar (OLG Wien EFSlg 3394). Da aber ohne Genehmigung keine Prozessfähigkeit gegeben ist (Fasching Rz 2047), ist jeder genehmigungspflichtige Vergleich ex lege suspensiv bedingt, auch wenn die Bedingung der Genehmigung nicht beigesetzt wurde (Klicka in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 23). Das Verfahren kann daher fortgesetzt werden, wenn die Genehmigung versagt oder gar nicht eingeholt wird (s dazu auch OLG Linz EFSlg 23.106). Die Genehmigung kann allerdings bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Fortsetzungsantrag nachgebracht werden kann, in welchem Fall der Vergleich wirksam würde und der Fortsetzungsantrag abzuweisen wäre. Die Auffassung des LGZ Wien (ZVR 1962/216), der Vergleich wäre auch ohne Genehmigung wirksam, wenn er nicht bedingt abgeschlossen wurde, ist abzulehnen, weil sie nicht auf den Grundsatz Bedacht nimmt, dass nur eine prozessfähige Partei rechtsgültig einen Vergleich abschließen kann (so auch Klicka in Fasching/ Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 23). Die Protokollierung eines Scheidungsvergleichs gemäß § 55a EheG ersetzt eine allenfalls notwendige pflegschaftsbehördliche Genehmigung – selbst bei Identität des Scheidungs- und des Pflegschaftsrichters – nicht (2 Ob 568/92; Stabentheiner, RZ 1991, 251; Klicka in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 23; aA Breycha, RZ 1992, 86). Die pflegschaftsbehördliche Genehmigung eines außergerichtlichen Vergleichs macht diesen aber jedenfalls nicht zu einem gerichtlichen (EvBl 1977/21 = ÖA 1977, 156). Vergleichshindernisse. Der Richter (der Rechtspfleger) hat in jeder 17 Lage des Verfahrens die Herbeiführung eines Vergleichs zu versuchen. Tut er dies nicht, liegt aber dennoch kein Verfahrensmangel vor (LGZ Graz MietSlg 46.672), woran auch die Einfügung des Satzes 2 in § 204 Abs 1 durch das Zivilrechts-Mediations-G nichts geändert hat, handelt es sich dabei doch lediglich um eine Anregung. Er darf aber nicht jeden von den Parteien beabsichtigten Vergleich protokollieren, insb dann nicht, wenn etwa folgende Hindernisse entgegenstehen: a) Es liegt keine inländische Gerichtsbarkeit oder keine internationale Zuständigkeit vor (Rechberger/Simotta Rz 464; Klicka in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 23). b) Der Rechtsweg ist unzulässig; sachliche oder örtliche Unzuständigkeiten hindern jedoch nicht (Klicka in Fasching/Konecny II/2 985

§§ 204–206

Gitschthaler

§§ 204, 206 Rz 23; OLG Wien EFSlg 3.393; SZ 34/96 = JBl 1962, 90, SZ 56/98 = JBl 1984, 500); zu den vor den (ehemaligen) Schiedsgerichten der Sozialversicherung abgeschlossenen Vergleichen s SSV-NF 5/59. c) Die Parteien sind partei- und/oder prozessunfähig; wer des Gebrauchs der Vernunft beraubt ist, kann keinen gerichtlichen Vergleich abschließen (SZ 58/192 = JBl 1986, 778; Rechberger/Simotta Rz 464; Klicka in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 23). d) Die Parteien sind – sofern erforderlich – nicht durch ihren gesetzlichen Vertreter vertreten oder es liegt keine gültige Bevollmächtigung vor. Der noch mit wirksam erteilter Prozessvollmacht ausgestattete Rechtsanwalt bedarf allerdings auch im Fall der späteren Handlungsunfähigkeit der vertretenen Partei im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses keiner pflegschaftsbehördlichen Genehmigung (SZ 58/33 = JBl 1986, 51, JBl 1989, 117 [krit Gitschthaler, Die Verständigungspflicht des § 6a ZPO idF des SachwG, JBl 1991, 291, 295], EvBl 1992/76), wohl aber der gesetzliche Vertreter eines Minderjährigen oder der Sachwalter eines Betroffenen (vgl etwa JBl 1954, 258, SZ 29/81); zum Verfahrenshilfeanwalt vgl § 64 Abs 1 Z 3. e) Die Partei erscheint im Gerichtshofverfahren (trotz absoluter Anwaltspflicht) unvertreten zum Vergleichsabschluss (SZ 24/313, RZ 1957, 13, SZ 34/96 = JBl 1962, 90, SZ 56/98 = JBl 1984, 500, 5 Ob 513/ 87, 6 Ob 151/02b = RdW 2003/74 [Abgabe eines Anerkenntnisses in Vergleichsform] uva; Rechberger/Simotta Rz 464). Ein Dritter, der nicht Prozesspartei ist, kann jedoch unvertreten vor Gericht dem dort zwischen den Parteien abgeschlossenen Vergleich gültig beitreten (SZ 56/98, 1 Ob 227/99k = SZ 72/132 = EvBl 2000/22; Fasching Rz 1345; Klicka in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 24; aA Mayr, RZ 2000, 212). Gemäß § 27 Abs 3 kann darüber hinaus vor dem Bezirksgericht jeder Vergleich unvertreten abgeschlossen und auch widerrufen (EvBl 1992/83; vgl Mayr, RZ 2000, 210; missverständlich immolex 1997, 127 [Betonung der Eigenzuständigkeit]) werden. Ein Grundsatz, wonach ein Vergleichsabschluss nur zwischen allseits unvertretenen oder allseits anwaltlich vertretenen Parteien zulässig wäre, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen (SZ 56/98). f) Über den Gegenstand des Vergleichs liegt bereits eine rechtskräftige Entscheidung vor (vgl dazu auch Klicka in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 25) oder er ist vergleichsunfähig (es besteht also ein Vergleichsverbot) oder der Inhalt des Vergleichs verstößt gegen zwingendes materielles Recht oder gegen die guten Sitten (SZ 5/1, 5 Ob 57/ 04z; Rechberger/Simotta Rz 464). g) Der Vergleich entspricht den Erfordernissen der Bestimmtheit eines Exekutionstitels nicht (Fasching Rz 1354; Rechberger/Simotta Rz 464; ZfRV 1995, 207), wobei dies aber wohl idR nicht die Ungültig986

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1.3 Mündliche Verhandlung

keit des Vergleichs bewirkt, sondern nur die fehlende Exequierbarkeit (Klicka in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 22; s dazu auch Rechberger, Exekution 72; Fasching1 III 565). Bei Beurteilung der Exekutionsfähigkeit ist der Vergleich nach seinem Wortlaut objektiv auszulegen, die Absicht der Parteien ist nicht mehr zu erforschen (EvBl 1969/ 361, EFSlg 69.938 ua). Bedingungen können dem Vergleich beigesetzt werden, wenn es sich 18 nicht um Resolutiv-, sondern um Suspensivbedingungen handelt (Dolinar, ÖJZ 1970, 123; ders, FS Fasching 155; Fasching1 II 970 und III 12; ders Rz 1350; Ballon Rz 276; Rechberger/Simotta Rz 465; Klicka in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 29; SZ 40/115 = JBl 1969, 222, SZ 41/55, SZ 54/14 = EvBl 1981/100, SZ 70/120 = JBl 1997, 717, 5 Ob 65/ 98i = EWr I/37/132, 6 Ob 192/98y = EFSlg 87.469 ua). Der Eintritt der Suspensivbedingung lässt den Vergleich nicht wirksam werden; dies gilt auch, wenn die Suspensivbedingung nicht mehr eintreten kann (8 Ob 87/04h [der Schwebezustand endet]). Eine nur hinsichtlich des materiellen Rechtsgeschäfts beigefügte Resolutivbedingung beseitigt die prozessuale Wirkung des gerichtlichen Vergleichs nicht, wohl aber für den Fall ihres Eintritts die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts (SZ 54/14 = EvBl 1981/100, 3 Ob 184/82, SZ 56/98 = JBl 1984, 500, SZ 67/183, 6 Ob 2285/96i ua). Zulässig ist es schließlich auch, im Vergleich vereinbarte Leistungen (also nicht den Vergleich selbst) vom Eintritt einer Bedingung (Tatsache) abhängig zu machen (Fasching Rz 1350), es muss aber der Eintritt der Bedingung immer innerhalb einer bestimmten Frist erfolgen und dies vom Gericht ohne weiteres überprüft werden können (OLG Linz EFSlg 23.106). Hat sich eine Partei das Recht vorbehalten, den Vergleich „für nichtig erklären zu können“, kann sie den Vergleich anfechten, nicht aber das Verfahren fortsetzen (3 Ob 134/52). Eine Erklärung des Prozessbevollmächtigten, den Vergleichsabschluss von der Zustimmung der (anwesenden) Partei abhängig zu machen, hat gewöhnlich nicht die Wirkung einer einschränkenden (Suspensiv-) Bedingung (EvBl 1992/76). Vergleichswiderruf. Die Beisetzung einer Suspensivbedingung derart, 19 dass der Vergleich erst wirksam werden soll, wenn er nicht bis zu einem bestimmten Zeitpunkt widerrufen wird, ist grundsätzlich zulässig (Fasching Rz 1350; Ballon Rz 276; Rechberger/Simotta Rz 465; Klicka in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 29; JBl 1996, 395). In einem solchen Fall tritt die prozessbeendigende Wirkung des Prozessvergleichs dann nicht ein, wenn er aufgrund eines einer oder auch mehreren Parteien eingeräumten Widerrufsrechts mittels Schriftsatzes rechtzeitig widerrufen wird (SZ 40/115 = JBl 1969, 222, NRsp 1990/216, EvBl 987

§§ 204–206

Gitschthaler

1992/83 ua; OLG Linz EFSlg 101.963, 2 R 51/04i; Klicka in Fasching/ Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 31). Vereinbarungen der Parteien betreffend die Form des Widerrufs sind prozessrechtlicher Natur (JBl 1977, 428 [Sprung], 2 Ob 211/98p, 1 Ob 178/02m = RdW 2003/78). Widerruf mittels Telefax (Ballon Rz 276; Klicka in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 31; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 74 Rz 28; JBl 1996, 395, 1 Ob 178/02m = RdW 2003/78; OLG Linz 2 R 51/04i; aA HG Wien WR 732) und Telegramm (2 Ob 238/68, 6 Ob 1697/93, 9 ObA 23/96 = ecolex 1996, 699; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 126 Rz 26) soll selbst dann genügen, wenn dies nicht ausdrücklich vereinbart ist; ein Bestätigungsschrift ist aber notwendig, wobei dieser vom Widerrufenden unverzüglich nachgereicht werden muss (OLG Linz 2 R 23/01t, 2 R 51/04i). Wird der Prozessgegner im Widerrufsschriftsatz unrichtig benannt, soll dies nach OLG Wien (ecolex 1998, 677 [Wilhelm]) nicht dem Wirksamwerden des Vergleichs schaden, die unrichtige Angabe des Datums des Vergleichsschlusses schadet aber jedenfalls dann nicht, wenn der Parteiwille eindeutig erkennbar ist (1 Ob 263/00h = JBl 2001, 328); übertriebener Formalismus zu Lasten des Widerrufenden ist jedenfalls zu vermeiden. Im Gerichtshofverfahren (Anwaltsprozess; vgl aber § 27 Abs 3) muss der Widerrufsschriftsatz von vorneherein eine Anwaltsunterschrift, ansonst eine Parteienunterschrift tragen, weil ein diesbezügliches Verbesserungsverfahren nach Ablauf der Frist unzulässig wäre (AnwBl 1980, 122 [abl Fenzl], EvBl 1980/125, 4 Ob 108/80, 3 Ob 536/ 94, 9 Ob A 111/00i = ARD 5271/27/2001; s auch Konecny, JBl 1984, 71; Klicka in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 31; aA JBl 1979, 266). Ist lediglich eine Halbschrift unterfertigt, die den Titel „Vergleichswiderruf“ trägt, reicht dies im Zweifel aus (vgl HG Wien WR 702). Weist das Gericht den Vergleichswiderrufsschriftsatz etwa wegen fehlender Anwaltsunterschrift zurück, verstößt die Vorlage des Bestätigungsschriftsatzes mit dem Rekurs dagegen gegen das Neuerungsverbot des § 482 (OLG Linz 2 R 23/01t).

20 Die Widerrufsfrist ist weder eine gesetzliche noch eine richterliche, wohl aber eine zwischen den Parteien vereinbarte Ausschlussfrist mit materiellrechtlicher Wirkung (JBl 1977, 428 [Sprung], 6 Ob 1697/93, ecolex 1996, 699, 2 Ob 391/97g, 2 Ob 211/98p, 9 Ob 229/99p = ecolex 1999, 89 [Wilhelm], 7 Ob 94/04f = EvBl 2004/205; OLG Linz 2 R 51/04i; idS auch Rechberger/Simotta Rz 334). Sie ist somit nicht erstreckbar (Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 126 Rz 19; RZ 1978/198; OLG Linz 2 R 51/04i) und auch nicht restituierbar (EvBl 1962/39, RZ 1965, 162, AnwBl 1980, 122 [abl Fenzl], EvBl 1980/125); eine dennoch bewilligte Wiedereinsetzung soll unbeachtlich sein (SZ 68/227; zutr krit Klicka in Fasching/ 988

§§ 204–206

1.3 Mündliche Verhandlung

Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 31). Auch die Bestimmungen über die verhandlungsfreie Zeit finden keine Anwendung (s dazu bei § 123). Rechtzeitigkeit des Widerrufsschriftsatzes bedeutet dessen Einlangen innerhalb der vereinbarten Frist bei Gericht, weil § 89 Abs 1 GOG keine Anwendung findet (SZ 29/31 = JBl 1956, 260, EvBl 1961/ 273, RZ 1965, 162, SZ 42/26 = JBl 1969, 667, JBl 1971, 479, 6 Ob 2285/ 96i, 7 Ob 94/04f = EvBl 2004/205; OLG Linz 2 R 51/04i; Ballon Rz 276; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 126 Rz 17), uzw mangels sonstiger Vereinbarung beim Erstgericht (EvBl 1970/134, EvBl 1961/273, Arb 8655, 2 Ob 391/97g, 9 Ob 229/99p = ecolex 1999, 89 [Wilhelm]; Klicka in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 31; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 126 Rz 18). Wird vor dem Berufungsgericht ein bedingter Vergleich geschlossen und vereinbart, dieser könne „bei diesem Gericht“ widerrufen werden, muss der Widerruf innerhalb der Frist beim Berufungsgericht einlangen (9 Ob 229/99p = ecolex 1999, 89 [Wilhelm]). Wurde als letzter Tag ein Sonntag (Samstag oder Feiertag) vereinbart, so gilt der letzte Werktag davor (SZ 42/26, 2 Ob 391/97g, 9 Ob 229/99p = ecolex 1999, 89 [Wilhelm]), uzw auch dann, wenn der gerichtliche Dienst am letzten Tag der vereinbarten Frist aus sonstigen Gründen ruht (vgl SZ 42/26). Wurde der Widerruf zwar rechtzeitig, jedoch gegenüber einem unzuständigen Gericht erklärt und dann von diesem an das zuständige Gericht weitergeleitet, wo es nach Ablauf der Widerrufsfrist einlangte, ist er verspätet, uzw selbst dann, wenn sich die beiden Gerichte an der gleichen Anschrift befinden (2 Ob 391/97g); dies gilt allerdings nicht im Fall einer gemeinsamen Einlaufstelle (9 Ob 229/99p = ecolex 1999, 89 [Wilhelm]; Klicka in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 31). Wird während des Laufs der Widerrufsfrist über das Vermögen einer der Parteien der Konkurs eröffnet, so kann die Widerrufsfrist nicht ablaufen und der Vergleich wird nicht rechtswirksam (SZ 55/109 = JBl 1983, 607; Klicka in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 31). Wird das Verfahren fortgesetzt, beginnt die Frist neu zu laufen, der Vergleich ist durch die Unterbrechung des Verfahrens nicht weggefallen. Mit ungenütztem Verstreichen der Widerrufsfrist wird der Prozessver- 21 gleich rechtswirksam und wirkt prozessbeendend, welche Wirkung im Prozess selbst nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Einer später abgegebenen Erklärung, den Widerruf zurückzuziehen, kommt nur rechtsgeschäftlicher Charakter zu, sie kann die durch den Widerruf beseitigte Wirksamkeit des Vergleichs in prozessrechtlicher Hinsicht jedoch nicht mehr wiederherstellen (NRsp 1990/216; Klicka in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 31). Dies gilt allerdings dann nicht, wenn der Widerruf noch innerhalb der Widerrufsfrist wieder zurück 989

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Gitschthaler

genommen wird (OLG Linz EFSlg 101.964: in einem solchen Fall wird der Vergleich rechtswirksam und wirkt prozessbeendigend). Ein „außergerichtlicher“ Widerruf kann lediglich materiellrechtliche Auswirkungen haben (SZ 23/340). Da die prozessbeendende Wirkung des gerichtlichen Vergleichs nach ungenütztem Ablauf der vereinbarten Widerrufsfrist bereits eingetreten ist, kann sie selbst dann nicht beseitigt werden, wenn beide Parteien nach Fristablauf einen Widerruf einbringen; materiellrechtlich zur Anfechtung berechtigende Gründe wären mit Klage auf Feststellung seiner Unwirksamkeit geltend zu machen; ein Antrag auf Verfahrensfortsetzung wäre in diesem Fall – selbst wenn beide Parteien die Beseitigung des Vergleiches anstreben wollten – unwirksam (7 Ob 35/99v).

22 Grundsätzlich ist auch ein Rücktritt vom gerichtlichen Vergleich möglich (EvBl 1966/131, 6 Ob 342/68, 4 Ob 522/76, SZ 70/120 = JBl 1997, 717, 5 Ob 65/98i = EWr I/37/132 ua; Ertl Rz 8; Schumacher, JBl 1996, 627; Harrer/Heidinger Rz 46). Dies gilt allerdings nur dann, wenn der Rücktritt von den Parteien im Vergleich ausdrücklich vorbehalten wurde (Schumacher, JBl 1996, 627; aA EvBl 1966/131, 6 Ob 342/68, 4 Ob 522/76 ua; Harrer/Heidinger Rz 46 [konkludenter Vorbehalt genügt]) oder wenn der Vergleich eine Verpflichtung zu einer Zug um Zug zu erbringenden Gegenleistung vorsieht (SZ 70/120 = JBl 1997, 717, 5 Ob 65/98i = EWr I/37/132 [es bedarf weder eines ausdrücklichen noch eines konkludenten Vorbehalts], 1 Ob 57/05x [wenn die verglichenen Leistungspflichten synallagmatisch verknüpft sind]). Wird der Rücktritt zulässigerweise erklärt, hat das Gericht das „alte“ Verfahren über Parteienantrag fortzusetzen, andernfalls müsste der (materiell) Rücktrittsberechtigte den Vergleich mit selbstständiger Klage anfechten (Schumacher, JBl 1996, 627). Nicht zulässig ist hingegen eine einverständliche Aufhebung des gerichtlichen Vergleichs und die Fortsetzung des „alten“ Verfahrens (1 Ob 59/75, 5 Ob 782/80, EvBl 1982/160, 9 ObA 1004/91; aA 3 Ob 456/22), weil der Prozessvergleich die Aufgabe des Rechtsschutzbegehrens einer Partei enthält (1 Ob 59/ 75, AnwBl 1980, 122 [abl Fenzl], EvBl 1982/160). Gerade dies zeigt aber neben dem Umstand, dass das Verfahrensrecht keine konkludenten Parteiprozesshandlungen kennt (vgl vor § 74), zwingend die Notwendigkeit des ausdrücklichen Vorbehalts eines Rücktrittsrechts. Zu den Wirkungen eines Rücktritts vgl ausführlich Klicka in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 50.

23 Nach § 1 Z 5 EO sind Vergleiche, welche über privatrechtliche Ansprüche vor Zivil- oder Strafgerichten abgeschlossen wurden, Exekutionstitel iS der EO, die selbst dann einen Notariatsakt ersetzen (SZ 990

§§ 204–206

1.3 Mündliche Verhandlung

45/74 = EvBl 1973/19, 4 Ob 522/76, SZ 67/83 = JBl 1995, 260), wenn der verglichene Anspruch vorher gar nicht Streitgegenstand gewesen ist (SZ 67/83). Daraus ergibt sich die – neben der Bereinigungs- und Prozessbeendigungswirkung – weitere Wirkung des gerichtlichen Vergleichs, nämlich die Vollstreckbarkeitswirkung (Rechberger/Simotta Rz 461; Ballon Rz 277). Diese tritt – ebenso wie die Beendigungswirkung – erst mit Wirksamkeit des Vergleichs (3 Ob 139/82, SZ 59/170 = JBl 1987, 122, JBl 1996, 395, 1 Ob 46/97i ua) und Ablauf der Leistungsfrist, mangels einer solchen sofort (SZ 23/241, 3 Ob 176/65, 3 Ob 13/78; OLG Linz 5 R 25/86) ein und kann durch einen verspäteten Widerruf nicht mehr beseitigt werden (vgl Rz 19), wohl aber durch eine erfolgreiche Oppositionsklage oder durch die erfolgreiche Geltendmachung prozessualer Mängel des gerichtlichen Vergleichs. Die Ausfertigungen des protokollierten Vergleichs sind gemäß § 56 Abs 4 GOG von der Geschäftsstelle herzustellen und gemäß § 79 GOG mit dem Vermerk „Für die Richtigkeit der Ausfertigung“ zu unterschreiben. Prozessvergleiche – anders hingegen außergerichtliche Vergleiche (§ 33 24 TP 20 GebG; Weber, AnwBl 1998, 226) – sind für sich gesehen gebührenfrei, wenn bereits Pauschalgebühren nach TP 1 oder 2 GGG entrichtet wurden (Anm 4 zu TP 1, Anm 2 zu TP 2; vgl auch Weber, AnwBl 1998, 226). Dies gilt aber nicht, wenn der Vergleich über das anfängliche Klagebegehren hinausgeht (§ 18 GGG; s dazu etwa VwGH AnwBl 1992, 830 = wobl 1992/157, immolex 1997/19, 2002/74; zust wohl Klicka in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 53), der Vergleich in Ansehung eines gar nicht (mehr) strittigen Anspruchs geschlossen oder im Vergleich eine vertraglich schon bestehende Verpflichtung neuerlich übernommen wird. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Inhalt der getroffenen Vereinbarung überhaupt strittig war bzw ob mit dem Vergleich ein exekutionsfähiger Titel geschaffen wird (VwGH ÖStZB 2002/241). In all diesen Fällen liegt nämlich kein Vergleich nach § 433 ZPO vor (VwGH AnwBl 1992, 832, AnwBl 1994/4913; aA SZ 56/98 = JBl 1984, 500, 1 Ob 2066/96x). Zur Anfechtung von Vergleichen wegen Irrtums, die aufgrund dieser Rsp zu teilweise enormen Nachzahlungen an Pauschalgebühr führen können, vgl immolex 1997/65. Begehrt eine Partei mehr als zwei Protokollsabschriften, so sind Gerichtsgebühren nach TP 15 GGG zu entrichten. Für sonstige gerichtliche Vergleiche (insb nach § 433) fallen die halben Pauschalgebühren nach TP 1 GGG an (Anm 2 zu TP 1). In Verfahren außer Streitsachen abgeschlossene gerichtliche Vergleiche unterliegen nur dann einer Gebührenpflicht, wenn es sich um eine Vereinbarung nach § 55a Abs 2 EheG handelt (Anm 3 zu TP 12 GGG). 991

§§ 204–206

Gitschthaler

25 Die wesentlichste und im Falle der Anfechtung des gerichtlichen Vergleichs aus materiellrechtlichen Gründen auch einzige (EvBl 1992/76) Wirkung des Prozessvergleichs (nicht jedoch des außerprozessualen Vergleichs [s dazu Fasching Rz 1357; W. Kralik, BeitrZPR IV 43 mwN; Klicka in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 17]) ist die Prozessbeendigungswirkung. Sie tritt aber nur ein, wenn die Parteien dem Gericht in der prozessrechtlich vorgeschriebenen Form erklären „verglichen zu sein“. Dem entspricht eine „Erstreckung der Tagsatzung wegen Vergleichsverhandlungen“ nicht (JBl 1961, 365, 4 Ob 556/82), in welchem Fall Ruhen des Verfahrens eintritt, wenn keine Anträge gestellt werden (4 Ob 556/82). Die Erstreckung der Tagsatzung zum Abschluss eines Vergleichs ist nämlich nur als Formvereinbarung mit deklaratorischer Wirkung nach einer bereits erfolgten sachlichen Einigung zu sehen (9 ObA 2241/96s). Ob ein Vergleich einen Prozess tatsächlich beendet, ist dabei ausschließlich nach verfahrensrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen (JBl 1977, 428 [Sprung], 2 Ob 69/82, EvBl 1992/76, 6 Ob 192/98y = EFSlg 87.469, 2 Ob 211/98p). Die Prozessbeendigungswirkung tritt nur hinsichtlich der Hauptsache ein, wenn die Frage des Kostenersatzes gemäß § 47 Abs 2 der Entscheidung des Gerichts vorbehalten wird. In diesem Fall ist vom Kläger auf Kosten einzuschränken und vom Gericht mittels Kostenurteils zu entscheiden (SZ 65/63 = JBl 1993, 55; Klicka in Fasching/ Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 54; s dazu auch M. Weber, RZ 2004, 109 und [aA] Knoll, RZ 1991, 214). Ein unter Missachtung der Prozessbeendigungswirkung fortgesetztes Verfahren wäre mit einem Mangel vom Gewicht einer Nichtigkeit behaftet (1 Ob 59/75, JBl 1980, 378, EvBl 1982/160, 6 Ob 641/86), was von Amts wegen zu berücksichtigen wäre (1 Ob 59/75). Wird demnach durch den Vergleich der gesamte Streitgegenstand erledigt (Holzhammer 227; Fasching Rz 1330, 1357; Ballon 163; SZ 22/52; SZ 40/115 = JBl 1969/ 222 ua), so wäre ein allfälliger Fortsetzungsantrag zurückzuweisen.

26 Neueinklagung. Da durch den Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs das ehemals strittige Verhältnis zwischen den Parteien bereinigt (Rechberger/Simotta Rz 473; Ind 1991/2046) und der Prozess beendet wird, ist die Möglichkeit einer neuerlichen gerichtlichen Geltendmachung desselben Anspruchs oder eines Teils hievon abzulehnen. Die Rsp (SZ 21/124, 3 Ob 46/51, EvBl 1952/377, EvBl 1954/232, SZ 40/115 = JBl 1969, 222, 7 Ob 2152/96p, 5 Ob 65/98i = EWr I/37/132, 1 Ob 25/ 04i; ebenso Fasching Rz 1359; Rechberger/Simotta Rz 473) geht davon aus, dass ein gerichtlicher Vergleich eine materiellrechtliche Einwendung gegen die neuerliche Geltendmachung des Anspruchs gibt, die die inhaltliche Abweisung des Klagebegehrens zur Folge hat, weil der 992

Vor § 207

1.3 Mündliche Verhandlung

ursprüngliche Anspruch aufgrund der durch den Abschluss des Vergleichs bewirkten Novation erloschen und an seine Stelle der Anspruch aus dem Vergleich getreten ist. Dieses Ergebnis würde (allerdings) der Lehre von der Doppelnatur entsprechen (Rechberger/ Simotta Rz 473; Ballon Rz 281). Die Vertreter der Lehre vom Doppeltatbestand hingegen berufen sich auf den Mangel des Rechtsschutzbedürfnisses, der zur Zurückweisung der weiteren Klage führen soll (idS daher SZ 21/124, ÖBl 1979, 81, JBl 1980, 488, 4 Ob 29/94, 3 Ob 9/96; Dolinar, Ruhen 148; Holzhammer 230; ders, FS Schima 226). Dieser Auffassung ist allerdings – unabhängig von Doppelnatur oder Doppeltatbestand – entgegenzuhalten, dass das Rechtsschutzbedürfnis nicht als allgemeine Prozessvoraussetzung gilt (idS auch Klicka in Fasching/ Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 18; Näheres dazu Vor § 226). Wird der verglichene Anspruch eingeklagt, so steht grundsätzlich auch dem der Vergleich entgegen (vgl MietSlg 45.693, 4 Ob 69/95 ua), weil sich aus der Neufassung des § 54 Abs 4 AO, § 60 Abs 2, § 156a Abs 3 KO durch das IRÄG 1982 die gesetzgeberische Wertung der Nichtbilligung von Doppeltiteln ergibt (vgl dazu allgemein auch Rechberger/ Simotta Rz 22). Die Klage ist abzuweisen (vgl Rechberger/Simotta Rz 22), es sei denn der Vergleich ist zwar prozessual (Streitbeendigung) und materiell (Bereinigungswirkung) wirksam, in seiner Funktion als Exekutionstitel jedoch unwirksam (SZ 56/98 = JBl 1984, 500; OLG Linz 2 R 50/04t). In diesem Fall käme es nämlich nicht zur Schaffung eines Doppeltitels. Eine andere Auffassung (etwa Fasching Rz 742; Rechberger/Simotta Rz 473; Klicka in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 19) hält hingegen die Klagsführung zwar grundsätzlich für zulässig, dem unterlegenen Beklagten seien aber die Prozesskosten zu ersetzen, weil er zur Klagsführung keine Veranlassung gegeben habe. Wird tatsächlich ein exequierbarer Doppeltitel geschaffen, steht dem daraus Verpflichteten, der bereits einmal erfüllt hat, die Impugnationsklage nach § 36 EO offen.

Fünfter Titel Protokolle Verhandlungsprotokolle Vor § 207 Lit: Novak, Einige Probleme des Zivilprozessrechts, JBl 1964, 1, 57; Hagen, Die Verwendung von Schallträgern im zivilgerichtlichen Verfahren, ÖJZ 1969, 289; Stoiber, Zu § 280 ZPO, AnwBl 1979, 399; Bertel, Die öffentliche Urkunde und die Falschbeurkundung im Amt, AnwBl 993

Vor § 207

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1980, 319; Fasching, Die Stellung des Notars im Zivilprozeß nach den letzten Änderungen des Zivilverfahrensrechtes, FS Wagner (1987) 113; Ballon, JBl 1988, 792 (Entscheidungsbesprechung); W. Kralik, Das ewige Ruhen des Verfahrens, BeitrZPR IV (1991) 31; Holzhammer, Der Tonbandvergleich, FS Matscher (1993) 197; Mayr, Der Tonbandvergleich mit Dritten, RZ 2000, 210. Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 207; Ballon Rz 167 ff; DeixlerHübner/Klicka Rz 128; Fasching Rz 622; Feil/Kroisenbrunner 486; Holzhammer 212; Holzhammer, PraktZPR 251; Rechberger/Simotta Rz 354.

1 Während man unter Protokollen im allgemeinen Beurkundungen des Gerichts über seine Amtshandlungen oder von dem Gericht gegenüber abgegebenen Erklärungen von Parteien und anderen Prozessbeteiligten versteht (Fasching Rz 622), stellt das Verhandlungsprotokoll die Beurkundung des Ganges und des Inhalts einer jeden mündlichen Verhandlung (Holzhammer 212; Ballon Rz 167; Rechberger/Simotta Rz 354) durch das Gericht dar. Diese Aufgabe darf nicht den Parteien überlassen werden (vgl bei § 210). Der Richter (Rechtspfleger) hat dabei nicht nur das in der Verhandlung Gehörte im Protokoll festzuhalten, sondern er muss dieses in sich aufnehmen und verarbeiten. Darüber hinaus hat er Erklärungen der Parteien nicht in ihren wörtlichen Formulierungen, sondern in ihrem wirklichen Gehalt zu protokollieren (3 Ob 579/81, 6 Ob 519/88). Da § 207 nur den Gang und den Inhalt der mündlichen Verhandlung betrifft, bedarf es für neue Sachanträge, die ein selbstständiges Verfahren bedingen, eines eigenen protokollarischen Anbringens (5 Ob 63/01b).

2 Grundsätzlich als Verhandlungsprotokoll vorgesehen ist das Resümeeprotokoll (§ 209 Abs 1, § 211 Abs 1), für die Protokollierung des Inhalts von tatsächlichem Vorbringen das Flickprotokoll (§ 210 Abs 1) und bei Erstreckung der mündlichen Verhandlung das Teilresümeeprotokoll (§ 209 Abs 4), in der Praxis gebräuchlich ist jedoch das Abschnittsprotokoll (§ 211 Abs 2) mit Verweisungen auf in Schriftsätzen enthaltenes Sach- und Beweisvorbringen (Fasching Rz 629; Rechberger/Simotta Rz 356 ff). Der durch die WGN 1989 eingeführte Protokollsvermerk (§ 417a Abs 2 aF) wurde durch die WGN 1997 wieder beseitigt. Technisch gesehen wird im Allgemeinen heute in der gerichtlichen Praxis ein Schallträger- (Tonband-)Protokoll (zunehmend in digitalisierter Form; vereinzelt laufen Versuche mit Spracherkennungsprogrammen), seltener ein Kurzschriftprotokoll, nach richterlichem Diktat aufgenommen. Beide sind in Vollschrift zu übertragen (Ballon Rz 167; Rechberger/Simotta Rz 358). 994

Vor § 207

1.3 Mündliche Verhandlung

Die Parteien haben wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Ver- 3 handlungsprotokolls für den Rechtsstreit ein Mitwirkungs- und Kontrollrecht, welches jedoch erst mit Beendigung des Protokollierungsvorgangs entsteht (Fasching Rz 628). Es bedeutet keinerlei Verpflichtung für die Parteien (vgl § 210 Abs 3, § 213 Abs 1 und 2). Verweigern sie demnach ihre Mitwirkung an der Protokollierung, hat dies auf die Gültigkeit des Protokolls keinen Einfluss (Klicka in Fasching/Konecny II/2 §§ 204, 206 Rz 27; Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 213 Rz 1). Ihre diesbezüglichen Rechte werden durch ein mehrstufiges Kontrollrecht geschützt: a) Während der Verhandlung. Sowohl den Parteien als auch den Zeu- 4 gen und Sachverständigen (etwa im Rahmen ihrer Einvernahme) steht es zu, den Richter bereits anlässlich der Protokollierung auf Unvollständigkeiten und Unrichtigkeiten der Protokollierung hinzuweisen, weil die tatsächlichen Geschehnisse zu diesem Zeitpunkt allen Beteiligten – und insb dem protokollierenden Richter – deutlicher in Erinnerung sind (begleitende Protokollberichtigung; Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 207 Rz 2, § 210 Rz 4, § 212 Rz 2). Möglich ist dies allerdings nur dort, wo der Protokollierungsakt in Form eines Diktats stattfindet (Vollschriftprotokoll des Schriftführers über Diktat des Richters; Kurzschriftprotokoll gemäß § 209 Abs 5 und Schallträgerprotokoll gemäß § 212a). b) Berichtigungsanträge. Nach der Beendigung des Protokollie- 5 rungsvorgangs – üblicherweise also am Ende der Verhandlung – ist das Protokoll den Parteien zur Durchsicht vorzulegen oder vorzulesen (Vollschrift- und Kurzschriftprotokoll; § 212 Abs 1 und 4) oder über ihr Verlangen vorzuspielen (Schallträgerprotokoll; § 212a Abs 2). Unvollständigkeiten und Abweichungen vom tatsächlichen Geschehen (Unrichtigkeiten) sind von den Parteien sofort zu rügen (vgl JBl 1956, 53; LG Linz 15 R 12/05y), woraufhin das Gericht notwendig erscheinende Richtigstellungen des Protokollsinhalts durch einen Anhang zum Protokoll zu verfügen hat. Neben Unvollständigkeiten und Unrichtigkeiten kann auch ein offen- 6 kundiges Sichversprechen einer Partei berichtigt werden, sofern das Gericht die Diskrepanz als eine offenbare Unrichtigkeit zu erkennen in der Lage ist (SZ 26/279 = JBl 1954, 307). Im Übrigen können Richtigstellungen von reinen Erklärungsirrtümern im Rahmen einer Protokollberichtigung nur unter der Voraussetzung hingenommen werden, dass sämtliche Beteiligten, deren Erklärung niederschriftlich im Protokoll festgehalten wurde, und auch der Richter über das Vorliegen des Irr995

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tums und den Inhalt der beabsichtigten Erklärung übereinstimmen. Dies gilt selbst dann, wenn auch nur die Verdeutlichung einer objektiv unklaren Formulierung angestrebt wird (EFSlg 57.740).

7 Wird eine eindeutige (bloße Zeichen wie etwa ein Nicken eines Taubstummen stellen keine eindeutigen Verfahrenshandlungen dar [AnwBl 1993, 849 = NZ 1994, 114]) Prozesshandlung (Willenserklärung) gesetzt (etwa ein Rechtsmittelverzicht oder ein Anerkenntnis), so kommt es nicht auf die Absichten und Beweggründe an, weil nur die Erklärung des Willens, nicht jedoch der Wille selbst rechtlich erheblich sind (EvBl 1963/386). Daher kann ein Willensmangel überhaupt nicht aufgegriffen werden (LGZ Wien EFSlg 66.995; JBl 1993, 792). Maßgeblich ist der objektive Erklärungswert (objektivierte Erklärungstheorie [Fasching Rz 757; Holzhammer, PraktZPR 174; W. Kralik, BeitrZPR IV 37]), weil die Auslegungsregeln für rechtsgeschäftliche Erklärungen des bürgerlichen Rechts auch auf Prozesserklärungen anzuwenden sind (JBl 1993, 792).

8 c) Widerspruch. Wird dem Berichtigungs- oder Ergänzungsantrag vom Gericht „nicht stattgegeben“, können die Parteien Widerspruch gegen die ihnen unrichtig erscheinenden Angaben im Protokoll erheben. Nach der überwL hat das Gericht dabei lediglich untätig zu bleiben (Ballon Rz 169; Holzhammer 214; Rechberger/Simotta Rz 360). Da allerdings Voraussetzung für die Erhebung des Widerspruchs die Kenntnis der Parteien vom diesbezüglichen Willensentschluss des Gerichts ist, ist der Auffassung Faschings (II1 998 und Rz 628), das Gericht müsste den Berichtigungs- bzw Ergänzungsantrag zurückweisen, und insb jener der Rsp (Arb 10.115; LGZ Wien EFSlg 101.965; unklar LG Linz 15 R 12/05y), der Antrag sei meritorisch zu erledigen, also abzuweisen, weil dem Begehren inhaltlich nicht entsprochen wird, zumindest als die praktischere Vorgangsweise der Vorzug zu geben. Derartige Beschlüsse sind unanfechtbar (vgl JBl 1955, 281; § 214). Über den Widerspruch hat das Gericht nicht zu entscheiden (2 Ob 25/04x; LGZ Wien EFSlg 108.967), sondern muss in einem Anhang zum Protokoll bemerken, dass und welche Einwendungen gegen die Protokollierung erhoben worden sind (Fasching1 II 999; ders Rz 628; Ballon, JBl 1988, 792; Ind 1982/1310). Insb darf das Gericht den Widerspruch nicht wegen Unbegründetheit abweisen (Ballon, JBl 1988, 792; LGZ Wien MietSlg 46.636). Nach § 212 Abs 3 kann das Gericht einer durch einen Rechtsanwalt oder auch durch einen Notar (Fasching, FS Wagner 116) vertretenen Partei den Auftrag erteilen, den Widerspruch durch Überreichen einer dem Protokoll anzufügenden Niederschrift zu erheben. Allerdings kann das Gericht – nunmehr aufgrund 996

Vor § 207

1.3 Mündliche Verhandlung

des Widerspruchs – das Protokoll auch entsprechend ändern (LGZ Wien EFSlg 108.967). Der Widerspruch berührt die Beweiskraft des Protokolls (s § 215). d) Übertragungsfehler. Wurde ein Kurzschrift- oder Schallträgerpro- 9 tokoll aufgenommen, so ist eine Übertragung in Vollschrift anzufertigen, in welche die Parteien Einsicht nehmen können. Innerhalb von drei Tagen nach Vorliegen der Vollschrift oder – sofern bei der Tagsatzung die Zustellung einer Abschrift beantragt wurde – nach der Zustellung derselben können die Parteien Widerspruch gegen Fehler der Übertragung des Protokolls erheben. Auch über diesen darf das Gericht zwar keine Entscheidung treffen, wohl kann es aber die Übertragung bei offenbaren Unrichtigkeiten oder Auslassungen von Amts wegen entsprechend ändern (JUS 1986/16, 14, 2 Ob 502/88, 8 Ob 1566/ 95; LGZ Wien EFSlg 101.967). Da nur mehr Übertragungsfehler, nicht jedoch Unvollständigkeiten und Abweichungen vom tatsächlichen Geschehen (Unrichtigkeiten) geltend gemacht werden können, ist ein zu diesem Zeitpunkt eingebrachter Berichtigungs- oder Ergänzungsantrag als Widerspruch anzusehen (3 Ob 39/57, JUS 1986/16, 14, 2 Ob 25/04x; LG Salzburg EFSlg 94.507; OLG Wien EFSlg 101.966). Dies gilt auch für anstelle von Verhandlungsprotokollen (§ 207 Abs 2) verwendete Urteilsvermerke nach § 418 Abs 1 (vgl RZ 1956, 140, 6 Ob 241/58). Dieser Widerspruch ist grundsätzlich bei jenem Gericht einzubringen, welches das Protokoll angefertigt hat; soll dem Protokoll einer Rechtshilfetagsatzung widersprochen werden, hat sich der Widerspruch demnach an das Rechtshilfegericht zu wenden (3 Ob 39/57). Dem Gericht, nicht aber dem übergeordneten Rechtsmittelgericht (3 Ob 10 39/57), steht darüber hinaus nach § 212 Abs 5 letzter Satz die Möglichkeit offen, offenbare Unrichtigkeiten oder Auslassungen der Protokollsaufnahme, aber auch offenbare Unrichtigkeiten der Übertragung (LGZ Graz MietSlg 46.635) jederzeit von Amts wegen zu einem späteren Zeitpunkt zu berichtigen. Eine derartige Berichtigung wirkt auf den Zeitpunkt der Protokollierung zurück (2 Ob 547/76, 5 Ob 685/ 77, Arb 10.115, 8 Ob 1566/95; OLG Linz 2 R 44/02g; Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 212 Rz 10) und kann entweder durch (händische) Ausbesserung des Protokolls unter Beisetzung von Datum der Berichtigung und Namensparafe des Richters (idR in einer nachfolgenden Tagsatzung) oder durch Fassung eines gesonderten Berichtigungsbeschlusses erfolgen. Auch hinsichtlich eines Berichts des Vollstreckungsorgans (§ 60 EO) besteht die Möglichkeit, diesen von Amts wegen im Nachhinein dem wahren Ablauf der Ereignisse entsprechend richtig zu stellen, 997

§§ 207–208

Gitschthaler

wenn er nicht den Tatsachen entspricht (3 Ob 120/55). Schließlich kann das Gericht, das seiner Urteilsfällung ein unrichtiges Protokoll zugrunde gelegt hat (etwa eine unrichtig protokollierte ausgedehnte Klagssumme), das Urteil nach § 419 Abs 1 berichtigen, wenn es sich um eine offenbare Unrichtigkeit gehandelt hat (3 Ob 579/81, 7 Ob 616/94). Grundsätzlich ist in all diesen Fällen einer amtwegigen Protokollsberichtigung darauf zu achten, dass sämtlichen Parteien die Gelegenheit gegeben wird, sich vor der Berichtigung dazu zu äußern, wird doch durch derartige Berichtigungen uU ganz massiv in ihre Rechtspositionen eingegriffen und bestehen gemäß § 214 nur äußerst beschränkte Anfechtungsmöglichkeiten (LGZ Wien EFSlg 101.968). Die „Ausbesserung“ des Protokolls durch den Richter nach dessen Rücklangen von der Schreibabteilung vor Zustellung der Abschriften an die Parteien entspricht zwar der gängigen Praxis, erscheint aber vor dem aufgezeigten Hintergrund des Parteiengehörs bedenklich. Jedenfalls wäre aber darauf zu achten, dass den Parteien Protokollabschriften zugestellt werden, aus denen sich diese „Ausbesserungen“ ersehen lassen. In der Praxis kommt es immer wieder vor, dass eine „Ausbesserung“ zwar in der Urschrift des Protokolls vorgenommen, den Parteien aber nicht ausgebesserte Abschriften zugestellt werden. Dies kann uU sogar zu einer Mangelhaftigkeit des Verfahrens führen.

11 Zur Anfechtbarkeit von Beschlüssen vgl § 214. 12 Im Hinblick auf § 78 EO gelten die Regelungen über die Verhandlungsprotokolle auch in Exekutionsverfahren, für welche die EO allerdings weitere Sonderregelungen enthält (etwa hinsichtlich des Schätzungsprotokolls udgl). Darüber hinaus sind die Grundsätze der §§ 207 ff auch in Verfahren außer Streitsachen anzuwenden (§ 22 AußStrG). Werden in Verfahren außer Streitsachen Vollzugsmaßnahmen (etwa eine Kindesabnahme) gesetzt und dabei Protokolle vom Vollstreckungsorgan aufgenommen, ist jedoch § 60 EO sinngemäß anzuwenden (EvBl 1972/305). Auch in Insolvenzverfahren gelten die §§ 207 ff sinngemäß, wobei Fehler bei Eintragungen im Anmeldungsverzeichnis bei der Prüfungstagsatzung dem Gericht und nicht dem Masseverwalter zuzurechnen sind; ihre Berichtigung ist jedoch möglich (8 Ob 199/02a = RdW 2003/328). § 207. (1) Über jede mündliche Verhandlung vor Gericht ist ein Protokoll (Verhandlungsprotokoll) aufzunehmen. Dasselbe hat außer den durch das Gesetz im einzelnen angeordneten Aufzeichnungen und Angaben zu enthalten: 998

§§ 207–208

1.3 Mündliche Verhandlung

1. die Benennung des Gerichtes, die Namen der Richter, des Schriftführers, und wenn ein Dolmetsch zugezogen wird, dessen Namen; die Angabe von Zeit und Ort der Verhandlung, und bei einer Verhandlung vor dem erkennenden Gerichte die Angabe, ob die Verhandlung öffentlich gepflogen wurde oder die Öffentlichkeit ausgeschlossen war; 2. die Namen der Parteien und ihrer Vertreter, sowie die kurze Bezeichnung des Streitgegenstandes; 3. die Benennung der Personen, welche als Parteien oder als deren Vertreter oder Bevollmächtigte zur Verhandlung erschienen sind. (2) Bei Streitverhandlungen, bei denen ein durch Urteilsvermerk (§ 418 Absatz 1) beurkundetes Versäumungsurteil gefällt wird, wird das Verhandlungsprotokoll durch den Urteilsvermerk ersetzt. Der Kläger kann gegen die Angaben des Urteilsvermerks Widerspruch im Sinne des § 212 einlegen. (3) Der Vorsitzende kann von der Beiziehung eines Schriftführers absehen und die diesem zugewiesenen Aufgaben einem Mitglied des Senats übertragen oder selbst besorgen. [Abs 2 angefügt durch 1. GEN und geändert durch ZVN 2002; Abs 3 angefügt durch 2. GEN und neu gefasst durch DRGBl 1942 I, 333, StGBl 1945/188; sonst Stammfassung] § 208. (1) Durch die Aufnahme in das Verhandlungsprotokoll sind festzustellen: 1. die Parteierklärungen, welche eine Einschränkung oder Abänderung des Klagebegehrens, eine ausdrückliche Anerkennung einer Schuld oder eines Teiles derselben oder Verzichtleistungen auf den geltend gemachten Anspruch oder einen Teil desselben oder auf Rechtsmittel enthalten, sowie Erklärungen über die beantragte eidliche Vernehmung einer Partei; 2. die während der Verhandlung von den Parteien gestellten Anträge, welchen vom Gerichte nicht stattgegeben wurde oder die bis zum Schlusse der Tagsatzung von den Parteien nicht zurückgezogen worden sind, insoweit dieselben die Hauptsache betreffen, oder für den Gang oder die Entscheidung des Prozesses von Erheblichkeit sind; 2a. der wesentliche Inhalt der Erörterung des Sach- und Rechtsvorbringens sowie der wesentliche Inhalt des Prozessprogramms; 3. die bei der Verhandlung gefällten und verkündeten gerichtlichen Entscheidungen, sowie jene Anordnungen und Verfügungen des Vorsitzenden, wider welche ein Rechtsmittel zulässig ist. (2) Die unter Z 1 und 2 erwähnten Erklärungen und Anträge können auch in besonderen Schriftstücken dem Protokolle als An999

§§ 207–208

Gitschthaler

lagen beigefügt werden. In diesem Falle hat deren Feststellung durch das Verhandlungsprotokoll zu unterbleiben. (3) Gleiches gilt hinsichtlich der verkündeten gerichtlichen Entscheidungen, wenn dieselben gleichzeitig mit der Verkündung in schriftlicher Fassung dem Protokolle beigelegt werden. [Abs 1 Z 2a eingefügt durch ZVN 2002; sonst Stammfassung]

1 Während § 207 regelt, welche Identifikationsangaben – analog zu den Schriftsätzen – Verhandlungsprotokolle haben müssen, ordnet § 208 Abs 1 an, dass Sachdispositionserklärungen, Rechtsmittelverzichte und bestimmte Anträge der Parteien sowie verkündete Entscheidungen (Urteile) und anfechtbare Anordnungen und Verfügungen (Beschlüsse) des Richters in das Verhandlungsprotokoll aufzunehmen sind. Ebenso aufzunehmen sind abgeschlossene Vergleiche gemäß § 204 Abs 1 (Fasching Rz 630), Erklärungen einer Partei über die erteilte Bevollmächtigung nach § 30 Abs 3, die Rüge von Verfahrensmängeln nach § 196 Abs 3, Eideserinnerungen nach den §§ 376, 377 Abs 3 (Stohanzl § 208 Anm 2 bis 5), die Ergebnisse der Beweisaufnahmen – insb auch das Ergebnis eines während der Verhandlung aufgenommenen Augenscheins (Fasching1 II 988) –, der Zeitpunkt des Eintritts einer Streitwertänderung, Dauer und Endzeitpunkt der Verhandlung (Rechberger/ Simotta Rz 355), die Wiedergabe des aufgenommenen Schallträgerprotokolls über Antrag einer Partei und der Auftrag zur Geheimhaltung gemäß § 13 Abs 3 AHG und § 11 Abs 3 OrgHG, desgl Belehrungen über die Möglichkeit einer Unzuständigkeitseinrede (§ 104 Abs 3 JN) und ihre Wirkungen sowie überhaupt die Einhaltung vorgeschriebener Förmlichkeiten (wie insb der in § 432 normierten Anleitungspflicht des Gerichts), widrigenfalls Belehrungen und Förmlichkeiten als nicht erteilt bzw nicht eingehalten zu gelten haben (LGZ Wien MietSlg 41.557). Seit der ZVN 2002 muss auch der wesentliche Inhalt des Rechtsgesprächs nach § 182a sowie das Prozessprogramm im Protokoll festgehalten werden, wobei dies von besonderer Bedeutung für die allfällige Wahrnahme von Präklusionsmöglichkeiten nach § 179 ist. Näheres s auch Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 208 Rz 4, (zum Rechtsgespräch und zum Prozessprogramm) Rz 7, 8.

2 Parteiprozesshandlungen müssen grundsätzlich schriftlich oder mündlich ausgedrückt werden, weil es an sich keine konkludenten Verfahrenserklärungen gibt (vgl Näheres dazu Vor § 74). Sie werden von der Rsp zT jedoch trotz unterbliebener Protokollierung für wirksam erkannt (GlUNF 4149, 6 Ob 261/59 [Rechtsmittelverzicht]). Nach der Rsp hat das Gericht grundsätzlich alle Vorgänge in der Verhandlung bei seiner Entscheidung auch dann zu berücksichtigen, wenn die Aufzeich1000

§ 209

1.3 Mündliche Verhandlung

nung im Protokoll nicht vollständig oder eine Protokollierung überhaupt unterblieben ist (5 Ob 260/62, RZ 1966, 185, 6 Ob 677/80); das Gericht habe in diesem Fall die Vorgänge in seine Entscheidungsbegründung aufzunehmen, ein bloßer Hinweis etwa im Vorlagebericht reiche nicht aus, weil eine derartige Vorgangsweise jede Stellungnahme der Parteien ausschließe (RZ 1966, 185). Dem ist beizupflichten (so auch Neuwirth in Fasching1 II 1007; abl jedoch Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 217 Rz 1), weil das Gericht ja auch die Möglichkeit hätte, das Verhandlungsprotokoll von Amts wegen zu berichtigen (vgl Vor § 207 Rz 10). Berücksichtigt das Gericht diese – tatsächlich geschehenen, jedoch nicht protokollierten – Vorgänge (etwa das Vorbringen einer Partei „wie in ihrem Schriftsatz“) nicht, macht das Protokoll zunächst einmal vollen Beweis dahingehend, dass der Vorgang nicht geschehen ist (§ 215 Abs 1). Hat die Partei die Erhebung eines Widerspruchs (§ 212 Abs 1 und 5) unterlassen, kann sie – wohl auch noch nach Schluss der Verhandlung – anregen, dass das die Verhandlung führende Gericht diese „offenbare“ Unrichtigkeit bzw Auslassung der Protokollsaufnahme von Amts wegen berichtigt (vgl Vor § 207 Rz 10). Kommt das Gericht der Anregung aber nicht nach, hilft der Partei weder ein Berichtigungsantrag – dieser wäre zurückzuweisen (vgl Vor § 207 Rz 5) – noch der Beweis des Gegenteils – dem stünde das Neuerungsverbot des § 482 entgegen (vgl EFSlg 38.763). Werden Gerichtsprozesshandlungen (etwa die Verkündung eines Be- 3 schlusses) nicht protokolliert, sind sie dennoch beachtlich und vom Gericht auszufertigen (JBl 1987, 327). § 209. (1) In jedes Protokoll über eine mündliche Verhandlung ist nebst den Angaben, welche den Gang der Verhandlung im allgemeinen erkennen lassen, der Inhalt des auf den Sachverhalt sich beziehenden beiderseitigen Vorbringens in gedrängt zusammenfassender Darstellung aufzunehmen. (2) Ferner sind in dem Protokolle die von den Parteien für streitig gebliebene Anführungen angebotenen Beweismittel zu bezeichnen. (3) Das Gericht kann auf Antrag oder von Amts wegen anordnen, dass einzelne Teile des tatsächlichen Vorbringens oder der Beweisanbietungen ausführlicher in das Protokoll aufgenommen werden. (4) Kann eine Verhandlung nicht an einem Tage zu Ende geführt werden, so ist bei jeder einzelnen Tagsatzung das während derselben Vorgebrachte besonders zu protokollieren. 1001

§ 210

Gitschthaler

(5) Das Gericht kann anordnen, daß das Protokoll oder Teile davon vom Schriftführer nach den Angaben des Vorsitzenden (Diktat) in Kurzschrift aufgenommen werden. [Abs 5 angefügt durch 2. GEN; sonst Stammfassung]

1 Während § 208 Abs 1 Z 1 und 2 Sachdispositionserklärungen und Anträge der Parteien meint, die in vollem Umfang zu protokollieren sind, bezieht sich § 209 Abs 1 und 2 auf Sachverhaltsvorbringen und Beweisanbote der Parteien. Nach § 210 Abs 1 kann dabei auf vorhandene vorbereitende Schriftsätze sowie die Sachverhaltsdarstellung in der Ausfertigung des Beweisbeschlusses verwiesen werden. Bei der Protokollierung hat der Richter zu weitwendiges Parteivorbringen zusammenzufassen.

2 Wird der mündlichen Verhandlung ein Schriftführer beigezogen, so kann das Verhandlungsprotokoll in Kurzschrift aufgenommen werden, dies allerdings nur als Diktatprotokoll, nicht jedoch, wenn der Richter nach § 207 Abs 3 das Verhandlungsprotokoll selbst führt (Stohanzl § 209 Anm 3). Zulässig ist aber – auch bei einem Kurzschriftprotokoll – die selbstständige Verfassung des Protokolls durch den Schriftführer, wenn der Richter dieses zwar nicht diktiert, der Schriftführer es aber verlesen hat (RZ 1934, 75). Das Kurzschriftprotokoll ist nach § 212 Abs 5 grundsätzlich – Ausnahmen nach § 212 Abs 6 – in Vollschrift zu übertragen. Nach § 212 Abs 4 gelten die Bestimmungen über die Richtigstellung des Protokollsinhalts und den Widerspruch gegen das Protokoll (vgl Vor § 207) auch für das Kurzschriftprotokoll. § 210. (1) Bei Angabe des Inhaltes des tatsächlichen Vorbringens und der Beweisanbote ist nach Tunlichkeit auf die vorbereitenden Schriftsätze Bezug zu nehmen; soweit vorbereitende Schriftsätze vorliegen, genügt es, wenn alle erheblichen Abweichungen des mündlichen Vorbringens protokolliert werden. (2) Eine Protokollierung der einzelnen Parteivorträge ist unstatthaft. Entwürfe zu Verhandlungsprotokollen dürfen nicht angenommen werden. (3) Die Weigerung der Parteien, am Protokollierungsakte teilzunehmen, hindert die Vornahme der Beurkundung nicht. [Abs 1 neu gefasst durch ZVN 1983 und ZVN 2002; sonst Stammfassung]

1 Da die Parteien die Protokolle nicht führen dürfen, führt die Annahme von (von Parteien oder Parteienvertretern) vorgefertigten Protokolls1002

§ 211

1.3 Mündliche Verhandlung

und/oder Entscheidungsentwürfen nach § 477 Abs 1 Z 8 zur Nichtigkeit der Entscheidung und des entsprechend protokollierten Verfahrensteils (Verbot von Antizipativprotokolle, die schon vor der Verhandlung in Erwartung des Verhandlungsausgangs hergestellt werden [LGZ Wien EFSlg 61.213]; vgl auch Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 210 Rz 3). Das Vorbringen wäre als unzulässig nicht zu berücksichtigen, außer die Nichtigkeit könnte nicht mehr wahrgenommen werden (5 Ob 677/77) oder es wären die Grundsätze der Unmittelbarkeit und der Mündlichkeit des Verfahrens gar nicht beeinträchtigt worden (SZ 41/142, SZ 66/97). Die Protokollierung ist Amtspflicht des Richters (des Vorsitzenden im Senatsprozess). Er hat das Protokoll zu diktieren oder gemäß § 207 Abs 3 selbst zu führen (Fasching Rz 627). Zulässig sind aber 2 a) die Entgegennahme einer schon vorher verfassten Niederschrift über weiteres Vorbringen und weitere Sachverhaltsbehauptungen der Parteien von nicht allzu großem Umfang durch das Gericht und deren Anschluss an das Verhandlungsprotokoll, weil dies dem § 265 entspricht (SZ 18/69, 5 Ob 677/77, SZ 66/97; Näheres dazu auch bei G. Kodek in Fasching/Konecny III § 265), b) die Protokollierung eines von den Parteien vorbereiteten Vergleichs (SZ 45/74, 56/98; Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 210 Rz 4) c) die Annahme einer Ausfertigung einer anderweitig getroffenen Vereinbarung durch das Gericht und die Erhebung derselben zum Inhalt eines gerichtlichen Vergleichs nach § 204 (RZ 1989/53) oder d) die Entgegennahme einer Aufstellung als integrierenden Bestandteil eines gerichtlichen Vergleichs (EFSlg 63.418). In all diesen Fällen wird angenommen, dass Niederschrift, Vereinbarung oder Aufstellung tatsächlich dem Verhandlungsprotokoll beigelegen sind. Wird dies später in Frage gestellt, so ist die Richtigkeit der Beurkundung des Verhandlungsgeschehens durch Einvernahme aller damals in der Verhandlung anwesenden Personen zu überprüfen (EFSlg 63.418). Als zulässig erachtet wird auch die Protokollierung eines von den Par- 3 teien vorbereiteten Vergleichs (Fasching1 III 843; SZ 45/74, SZ 56/98 = EvBl 1983/165 = JBl 1984, 500). § 211. (1) Die im § 209 vorgeschriebene Protokollierung kann auch in der Art geschehen, dass der Vorsitzende oder der die Verhandlung leitende Einzelrichter unverzüglich nach Beendigung der Parteiverhandlung in Gegenwart der Parteien (§ 210 Absatz 3) den aus ihrem 1003

§ 212

Gitschthaler

Vorbringen sich ergebenden Sachverhalt in übersichtlicher Zusammenfassung darlegt und diese Darstellung, soweit tunlich, unter Bezugnahme auf den Inhalt der Prozessakten zu Protokoll gebracht wird. (2) Wenn der Umfang des Verhandlungsstoffes oder andere Umstände eine frühere Beurkundung notwendig oder zweckmäßig erscheinen lassen, so kann eine derartige Protokollierung auch schon während der mündlichen Verhandlung in der Weise stattfinden, dass der Inhalt einzelner Abschnitte der Verhandlung (§§ 188, 189) zusammengefasst und zu Protokoll gebracht wird. [Stammfassung]

1 Die § 209 Abs 1, § 211 Abs 1 und 2 regeln iVm § 212a das heute am meisten gebräuchliche und mittels Schallträgers aufgenommene Resümeeprotokoll. In diesem werden nicht nur das Sachverhaltsvorbringen und die Beweisanbote der Parteien nach § 209 Abs 1 und 2, sondern insb auch die Ergebnisse der Beweisaufnahme (mündliche Sachverständigengutachten, Zeugenaussagen, Parteivernehmungen udgl) abschnittsweise (Abs 2) und in gedrängter Zusammenfassung (§ 209 Abs 1) festgehalten (LGZ Wien 43 R 686/03f).

2 Als Protokollierungserleichterung kann festgehalten werden, dass ein Zeuge oder eine Partei aussagen wie in einem anderen Protokoll (7 Ob 373/56, SZ 40/63 = EvBl 1968/61) oder dass ein Sachverständiger sein schriftlich erstattetes Gutachten aufrecht erhält und darauf verweist. § 212. (1) Das aufgenommene Protokoll ist den Parteien zur Durchsicht vorzulegen oder vorzulesen und von ihnen zu unterschreiben. Den Parteien ist gestattet, nach der Einsichtnahme oder Verlesung des Protokolles auf jene Punkte aufmerksam zu machen, in welchen die im Protokolle enthaltene Darlegung des Verhandlungsinhaltes dem tatsächlichen Verlaufe der Verhandlung nicht entspricht. Eine dem Gerichte notwendig scheinende Richtigstellung des Protokollsinhaltes hat durch einen Anhang zum Protokolle zu geschehen. Bleiben dagegen die Erklärungen der Parteien unberücksichtigt, so kann gegen die bezüglichen Angaben des Verhandlungsprotokolles Widerspruch eingelegt werden. (2) Wenn aus diesem oder aus einem anderen Grunde von einer Partei gegen einzelne Angaben des Protokolles Widerspruch erhoben wird, ist in einem Anhange zum Protokolle zu bemerken, dass und welche Einwendungen gegen die Protokollierung erhoben wurden. 1004

§ 212

1.3 Mündliche Verhandlung

(3) Bei Vertretung durch einen Rechtsanwalt kann vom Gerichte angeordnet werden, dass der Widerspruch durch das Überreichen einer kurzen, dem Protokolle als Anlage beizufügenden Niederschrift festgestellt werde. (4) Die vorstehenden Bestimmungen finden auch auf das in Kurzschrift aufgenommene Protokoll (§ 209 letzter Absatz) Anwendung. (5) Von dem in Kurzschrift aufgenommenen Teile des Protokolls ist eine Übertragung in Vollschrift anzufertigen, vom Richter und Schriftführer zu unterschreiben und binnen drei Tagen nach Schluss der Tagsatzung dem Protokoll als Beilage anzufügen. Die Partei kann binnen drei weiteren Tagen in die Übertragung Einsicht nehmen und gegen Fehler der Übertragung Widerspruch erheben. Der Partei ist, wenn sie dies bei der Tagsatzung beantragt hat, eine Abschrift der Übertragung binnen drei Tagen nach Schluss der Tagsatzung zuzustellen. In diesem Fall beginnt die Frist zur Erhebung des Widerspruches gegen Fehler der Übertragung mit dem Tage nach Zustellung. Der Widerspruch kann mündlich oder mit Schriftsatz erklärt werden. Infolge erhobenen Widerspruches kann die Übertragung vom Gerichte entsprechend geändert werden. Offenbare Unrichtigkeiten der Aufnahme oder der Übertragung können auch nachträglich jederzeit vom Gerichte berichtigt werden. (6) Die Übertragung in Vollschrift entfällt, wenn die Rechtssache durch Vergleich, Zurücknahme der Klage oder Anerkenntnisurteil bei dieser Tagsatzung erledigt und keine Protokollsabschrift begehrt wurde. Der Vergleich, die Erklärung der Zurücknahme der Klage und das Anerkenntnis sind in solchem Falle in Vollschrift zu protokollieren. [Abs 3 geändert durch StGBl 1919/95; Abs 4 bis 6 angefügt durch 2. GEN; sonst Stammfassung] Zu den Kontrollrechten der Parteien im Zusammenhang mit der Erstel- 1 lung von Verhandlungsprotokollen (Berichtigungsantrag, Widerspruch) s Vor § 207. Die Unterschrift der Parteien auf dem Verhandlungsprotokoll ist zwar 2 erwünscht, aber – anders als wenigstens die Unterschrift des Vorsitzenden oder des Einzelrichters (Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 213 Rz 2) – kein Gültigkeitserfordernis (SZ 59/170 = JBl 1987, 122, EFSlg XXIII/5; OLG Linz 2 R 246/99f; Holzhammer 214; Fasching1 II 1001; Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 213 Rz 1). Deshalb kann auch über eine Partei eine Mutwillensstrafe wegen Verweigerung der Unterfertigung des Verhandlungsprotokolls nicht verhängt werden (LG Linz RZ 1979/25). 1005

§ 212a

Gitschthaler

§ 212a. (1) Hat der Vorsitzende von der Beiziehung eines Schriftführers abgesehen (§ 207 Abs 3), so kann er sich für die Abfassung des Verhandlungsprotokolls eines Schallträgers bedienen. Die Angaben des § 207 Abs 1 und die Feststellung, dass für den übrigen Teil des Protokolls ein Schallträger verwendet wird, sind auf jeden Fall in Vollschrift in das Verhandlungsprotokoll aufzunehmen. (2) Der § 212 ist sinngemäß anzuwenden. An Stelle der im § 212 Abs 1 vorgesehenen Einsichtnahme oder Verlesung des Protokolls können die Parteien die Widergabe der Aufnahme verlangen; dies ist im Verhandlungsprotokoll zu beurkunden. (3) Die Aufnahme auf dem Schallträger darf erst gelöscht werden, wenn seit Ablauf der Frist zur Erhebung des Widerspruches (§ 212 Abs 5) ein Monat verstrichen ist. [Eingefügt durch BGBl 1973/121]

1 Voraussetzung für die Anfertigung eines Schallträgerprotokolls ist das Absehen von der Beiziehung eines Schriftführers nach § 207 Abs 3. Es handelt sich dabei um das in der Praxis heute am meisten verwendete Protokoll. Dieses Absehen von der Beiziehung eines Schriftführers muss auf dem in Vollschrift angefertigten und vom Richter unterfertigten Teil des Protokolls enthalten sein, widrigenfalls die Mindesterfordernisse für ein Schallträgerprotokoll nicht eingehalten wären (OLG Linz 2 R 246/99f; iglS 6 Ob 49/00z). War das Tonband defekt, ist das Parteienvorbringen – allenfalls nach neuer Erstattung, wozu das Gericht in der erstreckten Tagsatzung anzuleiten hat – protokollarisch festzuhalten (MietSlg 45.656). Dies gilt auch für den Fall, dass (insb bei digitalen Aufnahmegeräten) Protokolle ganz oder teilweise vor deren Übertragung gelöscht werden.

2 Die Vorschriften über die Protokollierung mittels Schallträgers sind auch auf ein nach § 569 ABGB von einem Minderjährigen oder von einem unter Sachwalterschaft für behinderte Personen stehenden Betroffenen mündlich erklärtes Testament anzuwenden (SZ 69/122 = EvBl 1997/18); zur Protokollierung eines Vergleichs mittels Schallträgers vgl §§ 204, 206 Rz 13 f. § 213. (1) Kann eine Partei gar nicht oder nur mittels eines Handzeichens unterfertigen, so ist deren Name dem Protokolle durch den Schriftführer beizusetzen. (2) Entfernt sich eine Partei vor Vornahme der Protokollierung oder wird die Unterfertigung des Protokolles von ihr abgelehnt, so sind diese Vorgänge sowie die von der Partei dafür geltend gemachten Gründe in einem Anhange zum Protokolle anzugeben. 1006

§ 214

1.3 Mündliche Verhandlung

(3) Dem Protokolle hat der Vorsitzende oder der die Verhandlung leitende Einzelrichter, der Schriftführer und ein der Verhandlung etwa beigezogener Dolmetsch seine Unterschrift beizusetzen. Bei Verhinderung des Vorsitzenden unterschreibt an dessen Statt das älteste Mitglied des Senates. [Stammfassung] Aus Abs 1 und 2 folgt, dass die Parteien keine Mitwirkungspflicht bei 1 Erstellung des Protokolls trifft (vgl Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 210 Rz 4; vgl auch Vor § 207 Rz 3 und zur Unterschriftsleistung bei § 212). Stellt sich im Rechtsmittelverfahren heraus, dass eine nach Abs 3 not- 2 wendige Unterschrift im Verhandlungsprotokoll fehlt, so haben die Rechtsmittelgerichte die Beseitigung dieses Mangels durch das Untergericht beheben zu lassen (Fasching1 II 1002). § 214. (1) Gegen die die Protokollierung betreffenden Beschlüsse und Verfügungen der die Verhandlung leitenden Einzelrichter ist ein abgesondertes Rechtsmittel nicht zulässig. (2) Wird im Verfahren vor Gerichtshöfen gegen die bezüglichen Beschlüsse und Verfügungen des Vorsitzenden Einsprache erhoben, so hat darüber der Senat zu entscheiden. Gegen dessen Entscheidung findet ein abgesondertes Rechtsmittel nicht statt. [Stammfassung] Grundsätzlich steht weder gegen die Berichtigung (SZ 27/57, 2 Ob 1 507/59, 8 Ob 1566/95 ua; aA Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 212 Rz 3) noch gegen die Ablehnung einer Berichtigung (6 Ob 11/75, 7 Ob 509/86) ein abgesondertes Rechtsmittel (§ 515) zu. Anfechtbarkeit ist hingegen gegeben, wenn eine weitere anfechtbare Entscheidung nach der Prozesslage nicht mehr erfließen kann, wenn also etwa das Rechtshilfegericht einen Berichtigungsbeschluss gefasst hat, das Rechtshilfeverfahren jedoch bereits abgeschlossen ist und das Rechtshilfegericht einem anderem Rechtsmittelgericht untersteht als das Prozessgericht (SZ 39/72 = EvBl 1966/358). Nach Urteilsfällung ist die Anordnung einer Protokollsberichtigung anfechtbar (JBl 1956, 53, 3 Ob 39/57, 2 Ob 502/88, 8 Ob 12/89, 8 Ob 1566/95), ihre Ablehnung hingegen nicht (vgl JBl 1955, 281). Wird nach Prozessbeendigung durch eine Berichtigung eine prozessfremde Person in das Verfahren hineingezogen wird, ist dies anfechtbar (14 Ob 77/86). 1007

§ 215

Gitschthaler

2 § 214 ist auch auf eine außerhalb der Verhandlung verfügte Protokollsberichtigung anzuwenden (AnwZ 1935, 367, SZ 27/57). Für das Verfahren außer Streitsachen wurde zur Rechtslage vor dem AußStrG BGBl I 2003/111 angenommen, dass § 214 das allgemeine Rechtsmittelsystem nach den §§ 9 ff AußStrG 1854, welches das Institut des aufgeschobenen Rekurses als solches nicht kannte, ergänzte. Die Zulässigkeit eines Revisionsrekurses sollte sich aber dennoch nach dem AußStrG 1854 richten (EFSlg 58.606) und nicht nach § 528 ZPO. Daran hat sich wohl auch durch das AußStrG nichts geändert (vgl zur Verweisungstechnik Fucik/Kloiber, AußStrG 13). § 215. (1) Soweit nicht ein ausdrücklicher Widerspruch einer Partei vorliegt, liefert das in Gemäßheit der vorstehenden Vorschriften errichtete Protokoll über den Verlauf und Inhalt der Verhandlung vollen Beweis. (2) Die Beobachtung der für die mündliche Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. (3) Die Beweiskraft der protokollarischen Beurkundung wird durch einen Wechsel in der Person der Richter nicht berührt. [Stammfassung]

1 Verhandlungsprotokolle stellen inländische öffentliche Urkunden (§ 292 Abs 1) dar und begründen damit vollen Beweis dessen, was darin amtlich verfügt, erklärt oder bezeugt wird (8 Ob 250/64, 3 Ob 49/95; LGZ Wien EFSlg 105.796). Nach § 292 Abs 2 ist jedoch der Beweis der Unrichtigkeit des bezeugten Vorgangs oder der bezeugten Tatsache oder der unrichtigen Beurkundung zulässig (Rechberger/Simotta Rz 361; ZBl 1930/331 [Michlmayr], 3 Ob 310/53, EvBl 1964/281, SZ 53/ 94, 5 Ob 514/92, RZ 1995/41).

2 Nach Abs 1 gilt die volle Beweiskraft nicht für ein Protokoll, gegen welches ausdrücklich Widerspruch erhoben wurde. In diesem Fall bedarf es der Führung des Gegenbeweises nach § 292 Abs 2 sohin nicht, uzw weder im Berufungsverfahren noch in anderen Verfahren. Nach § 498 Abs 2 hat das Berufungsgericht in einem solchen Fall nötigenfalls nach mündlicher Verhandlung über die vom Widerspruch betroffenen Feststellungen und Angaben unter sorgfältiger Würdigung der Ergebnisse des Berufungsverfahrens und aller sonstigen Umstände zu urteilen, welche Bedeutung einem gegen das Verhandlungsprotokoll erhobenen Widerspruch beizumessen ist (Rechberger/Simotta Rz 360). 1008

§ 215

1.3 Mündliche Verhandlung

§ 215 ist nicht zu entnehmen, ob der Beweis der Unrichtigkeit des Ver- 3 handlungsprotokolls nach § 292 Abs 2 im Berufungsverfahren (im Revisionsverfahren ist er ohnehin ausgeschlossen, weil diese Frage zum irrevisiblen Tatsachenbereich zählt [9 Ob 44/03s, 10 ObS 99/03m]) auch dann angetreten werden kann, wenn ein Widerspruch nicht oder nicht fristgerecht erhoben wurde. Sowohl Teile der Lehre (Fasching II 999, 1004; Rechberger/ Simotta Rz 361) als auch ältere Rsp des OGH (ZBl 1930/331 [abl Michlmayr], EvBl 1956/315, RZ 1956, 140, SZ 53/94, EFSlg 47.388, SZ 62/129 = JBl 1990, 335, 5 Ob 514/92, RZ 1995/41; ebenso VwGH ÖStZB 1998, 401) vertreten die Auffassung, auch ohne Erhebung eines fristgerechten Widerspruchs sei der Beweis des Gegenteils (Näheres s vor § 266 und bei § 292) sowohl hinsichtlich des Verlaufs und Inhalts der Verhandlung als auch hinsichtlich der Beobachtung der für die mündliche Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten (Abs 1 und 2) zulässig. Dabei soll allerdings der Nachweis der Unrichtigkeit der Protokollierung in der Berufung nur mit deren Denkgesetzwidrigkeit begründet werden können (EFSlg 38.763), weil eine andere Beweisführung unzulässige Neuerungen beinhalten würde (vgl dazu Fasching1 IV 163). Holzhammer (214) wendet sich gegen diese Auffassung und unterscheidet zwischen den Anwendungsfällen des Abs 1 und Abs 2; dabei will er eine Rügepflicht nach § 196 Abs 3 erkennen (krit dazu Fasching Rz 633). Schragel (in Fasching/Konecny II/2 § 212 Rz 5) tritt für die Zulassung der Wiedereinsetzung in die Widerspruchsfrist bei Erkennen einer zunächst noch nicht als relevant erkannten Falschprotokollierung ein, um unbillige Ergebnisse zu verhindern. Fraglich erscheint bei dieser Auffassung jedenfalls, nach welchen objektiven Kriterien die Wiedereinsetzungsfrist zu laufen beginnen soll. Will man dem Rechtsbehelf des Widerspruchs nicht jegliche Existenzberechtigung entziehen, muss man richtigerweise aber davon ausgehen, dass die fristgerechte Erhebung eines Widerspruchs Voraussetzung dafür ist, dass der Beweis des Gegenteils überhaupt angetreten werden kann (so auch Hagen, ÖJZ 1969, 291; Ballon, JBl 1988, 792; ders Rz 168; Rsp 1929/408, ZBl 1922/92, 2 Ob 472/50; OLG Linz JBl 1988, 790, 11 Ra 26/04d; LG Salzburg EFSlg 94.506). Nach neuester Rsp des OGH (1 Ob 276/03z, 1 Ob 181/03d = JBl 2004, 788, 10 Ob 17/ 04d; ebenso LG Linz 15 R 12/05y) soll an der Anwendbarkeit des § 292 Abs 2 auf Verhandlungsprotokolle infolge der abschließenden Regelung der Protokollberichtigung in §§ 212, 498 Abs 2 nicht weiter festgehalten werden, dh die fristgerechte Erhebung eines Widerspruchs ist Voraussetzung für die Geltendmachung der Unrichtigkeit des Protokolls. 1009

§ 216

Gitschthaler

Außerhalb einer Verhandlung aufgenommene Protokolle § 216. (1) Die Protokolle, welche außerhalb einer mündlichen Verhandlung aufgenommen werden, haben nebst den im § 207 erwähnten Angaben und den gemäß § 208 etwa vorzunehmenden Feststellungen eine kurze Darstellung der Amtshandlung und eine gedrängte Angabe des Inhaltes des tatsächlichen Vorbringens der streitenden Teile oder dritter zugezogener Personen zu enthalten. (2) Die Bestimmungen der §§ 209 bis 215 haben auch für diese Protokolle Geltung. [Stammfassung]

1 Die wichtigsten Anwendungsfälle des § 216 sind Protokolle über Beweisaufnahmen, insb über Vernehmungen der Parteien, Nebenintervenienten usw außerhalb einer mündlichen Verhandlung sowie Beratungsprotokolle und Abstimmungsvermerke (Fasching1 II 1005; ders Rz 625), desgl auch Protokolle über die Beweisaufnahme vor dem ersuchten Richter (SZ 39/72 = EvBl 1966/358), Protokolle über Exekutionshandlungen nach § 60 EO (Bericht des Vollstreckungsorgans; vgl dazu Näheres bei Jakusch in Angst § 60 EO Rz 1 ff) und Protokolle über Gläubigerausschusssitzungen (vgl § 89 KO); letztere sind immer vom Masseverwalter zu errichten, weil die Ausschusssitzung auch bei Teilnahme des Konkursrichters keine gerichtliche Verhandlung ist (OLG Wien 28 R 175/98f). Darüber hinaus ist § 216 auch auf Protokolle anzuwenden, mit denen (verfahrenseinleitende) Anträge gestellt oder Rechtsmittel erhoben werden. Derartige Protokolle sollen allerdings – entgegen § 212 – dem Unterschriftsgebot des § 75 Z 3 unterliegen, wobei bei Verweigerung der Unterschrift ein Verbesserungsverfahren nicht einzuleiten sein soll (LGZ Graz 2 R 157/02a). Diese Auffassung erscheint zwar pragmatisch, geht es doch um die Frage, ob überhaupt ein Verfahren eingeleitet wurde (Kostenfolgen!). Tatsächlich handelt es sich aber um ein Protokoll und nicht um einen Schriftsatz; nur für Letzteren gilt § 75.

2 Auch wenn § 216 nicht auf § 207 Abs 3 verweist, so kann doch auch der ersuchte Richter von der Beiziehung eines Schriftführers absehen und das Vollschriftprotokoll selbst führen. Die Vorschriften über die Aufnahme eines Schallträgerprotokolls sind ohnehin nach Abs 2 anzuwenden.

3 Anhang: Geschäftsordnung für die Gerichte I. und II. Instanz (Geo): § 120 (1) Über jede Beratung und Abstimmung, die im Zuge einer Verhandlung oder im Anschlusse an eine Verhandlung stattfin1010

§ 216

1.3 Mündliche Verhandlung

det oder bei der so bedeutende Meinungsverschiedenheiten zutage treten, dass eine ausführliche Beurkundung geboten erscheint, ist ein abgesondertes Beratungsprotokoll aufzunehmen. Im Beratungsprotokoll sind der Tag der Beratung sowie die Namen der Stimmführer anzuführen, auch ist das Senatsmitglied zu bezeichnen, dem die schriftliche Abfassung der Entscheidung obliegt (§ 118 Abs 2). Alle weiteren Abstimmungen in derselben Sache sind, wenn nicht ein Abstimmungsvermerk genügt, in einer Fortsetzung dieses Protokolls zu beurkunden, auch wenn die weiteren Beratungen an einem späteren Tage stattfinden. Wenn zufolge §§ 61 bis 63 JN ein Richter ausscheidet, ist sein Antrag dem Beratungsprotokoll beizulegen. (2) Das Beratungsprotokoll und jeder die Abstimmungen eines Tages umfassende Abschnitt dieses Protokolls sind vom Vorsitzenden und vom Schriftführer zu unterfertigen. (3) Im Beratungsprotokoll ist der Inhalt der beschlossenen Entscheidungen unzweideutig festzulegen. Dies kann, wenn die Entscheidung verkündet und im Verhandlungsprotokoll beurkundet wurde, durch Verweisung auf das Verhandlungsprotokoll (§ 208 Z 3 ZPO) geschehen. Im Verhandlungsprotokoll ist eine Verweisung auf den Inhalt des Beratungsprotokolls unzulässig. (4) Über Abstimmungen, die im Verhandlungssaale mit leiser Stimme stattfinden, ist kein Beratungsprotokoll aufzunehmen. Die Tatsache der Beratung (die Umfrage) ist im Verhandlungsprotokolle zu beurkunden. (5) In anderen als den im Abs 1 erwähnten Fällen kann die Beratung und Abstimmung in der Form eines Vermerkes auf der Urschrift der Entscheidung beurkundet werden. Der Abstimmungsvermerk muß den Tag der Beratung, die Abteilungsnummer des Senates und bei nicht ständigen Senaten oder bei Beteiligung von Ersatzmännern oder Ergänzungsrichtern (§ 15 Abs 5) die Namen der Richter enthalten. Er ist vom Schriftführer, allenfalls auch vom Vorsitzenden (§ 122 Abs 2) zu unterschreiben. § 121 (1) Wenn die Meinungen der Senatsmitglieder über den Inhalt oder die Begründung der zu fassenden Entscheidung geteilt sind, hat das Beratungsprotokoll oder der Abstimmungsvermerk die Meinung der einzelnen Stimmführer samt dem wesentlichen der von ihnen vorgebrachten Gründe und eine Feststellung des Stimmenverhältnisses zu enthalten; sonst genügt die Feststellung der Einhelligkeit. 1011

§ 216

Gitschthaler

(2) … (3) Eine Teilung der Fragen, wiederholte Umfrage, Auflösung von Fragen oder Einleitung besonderer Abstimmungen (§ 12 JN) sind nur insoweit zu erwähnen, als es für die Beurteilung der Gültigkeit des Beschlusses nötig ist. (4) Den Senatsmitgliedern steht frei, ihre Meinung samt Gründen in einer eigenen Niederschrift darzulegen, die dem Beratungsprotokoll (dem Abstimmungsvermerk) anzuschließen ist. Der Vorsitzende kann anordnen, dass ein Mitglied seine Meinung in einer solchen Niederschrift ausdrückt. (5) Steht kein Schriftführer zur Verfügung, so müssen die Senatsmitglieder ihre Meinung auf dem Entwurf eigenhändig mit Tagesangabe und Unterschrift ersichtlich machen. Gleiches hat zu geschehen, wenn vom Vorsitzenden eine schriftliche Abstimmung eingeleitet wird. Eine schriftliche Abstimmung ist nur zulässig, wenn keine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, die Abstimmung nicht ohne Nachteil oder Gefahr bis zur nächsten ordentlichen Sitzung aufgeschoben werden kann und der Vorsitzende eine Beratung wegen Einfachheit der Sache nicht für geboten gilt. Wenn sich nicht Einhelligkeit ergibt oder wenn ein Senatsmitglied es verlangt, hat mündliche Beratung und Abstimmung stattzufinden.

4 Ein Beratungsprotokoll ist aufzunehmen, wenn im Senatsprozess eine Beratung und Abstimmung während der oder im Anschluss an die Verhandlung stattfindet oder wenn bei der Beratung bedeutende Meinungsunterschiede auftreten (§ 120 Abs 1 Geo), im übrigen reicht jedoch die Aufnahme eines Abstimmungsvermerks auf der Urschrift aus (§ 120 Abs 5). Beide sind vom Vorsitzenden und vom Schriftführer zu unterfertigen, nicht jedoch von den übrigen Senatsmitgliedern (zu Verfahren vor den Arbeits- und Sozialgerichten vgl § 13 Abs 3 ASGG, wonach die fachkundigen Laienrichter jedenfalls jenen Teil des Protokolls über die Beratung und Abstimmung zu unterfertigen haben, der die Grundzüge der Entscheidung trägt [vgl auch Danzl § 120 Geo Anm 7a]). § 216 verweist zwar nicht auf § 207 Abs 3, dennoch geht die Praxis davon aus, dass auch Beratungsprotokolle und Abstimmungsvermerke ohne Beiziehung eines Schriftführers erstellt werden dürfen. Im Hinblick auf § 121 Abs 5 Geo ist dann aber wohl davon auszugehen, dass alle Senatsmitglieder in allen Fällen und nicht nur in jenen, in denen Meinungsunterschiede bestehen, sowohl das Beratungsprotokoll als auch den Abstimmungsvermerk zu unterfertigen haben (die Praxis ist hiezu divergent, beim OGH unterschreiben nur Vorsitzender und Berichterstatter). 1012

§ 218

1.3 Mündliche Verhandlung Protokollsinhalt

§ 217. (1) Der Inhalt des Verhandlungsprotokolles und seiner Beilagen, dann der im Laufe eines Rechtsstreites durch einen beauftragten oder ersuchten Richter aufgenommenen und dem erkennenden Gerichte vorliegenden Protokolle und ihrer Beilagen ist von Amts wegen zu beachten. (2) Wenn die Parteien bei der durch einen beauftragten oder ersuchten Richter vorgenommenen Amtshandlung nicht anwesend waren, ist ihnen, sofern nicht die Bestimmungen des § 193 Absatz 3 zur Anwendung kommen, vor der Entscheidung Gelegenheit zu geben, sich in mündlicher Verhandlung über die Ergebnisse der bezüglichen Amtshandlung und die Angaben der eingesendeten Akten zu äußern. [Stammfassung] Zur Verwertung persönlicher Erinnerungen des Richters s §§ 207, 208 1 Rz 2. Abs 2 ist Ausfluss des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs (Näheres 2 dazu bei Fasching Rz 692 ff) und soll den Parteien Gelegenheit geben, zu überraschenden Ergebnissen einer Beweisaufnahme Stellung nehmen zu können. Sechster Titel Akten § 218. Jede Partei kann zur Begründung ihrer Anträge auch auf die ihr auf Veranlassung des Gegners zugestellten Schriftstücke Bezug nehmen. Sie kann, wenn diese Schriftstücke in Verlust geraten sind, und sich auch kein Exemplar derselben bei Gericht befindet, verlangen, daß ihr der Gegner gestatte, auf ihre Kosten von den in seinen Händen befindlichen bezüglichen Schriftstücken Abschriften zu nehmen. [Stammfassung] Lit: Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 218. Die Akten iS von Gerichtsakten der Parteien eines konkreten Rechts- 1 streits bestehen im allgemeinen aus den Urschriften der Eingaben der Parteien und der anderen Prozessbeteiligten (Schriftsätze und Protokollaranbringen), den gerichtlichen Protokollen, den Aktenvermerken, den Beweisaufnahmeprotokollen etwa eines ersuchten Richters, den 1013

§ 218

Gitschthaler

Beilagen (Vollmachten, Urkunden, Beweisstücke, Beiakten), dem amtlichen Schriftwechsel des Gerichts mit anderen Behörden und den Urschriften der gerichtlichen Verfügungen und Entscheidungen (Fasching Rz 620), des weiteren aus Entwürfen zu Urteilen und Beschlüssen sowie aus den Protokollen über Beratungen und Abstimmungen des Gerichts.

2 § 218 ist auch in Verfahren außer Streitsachen (§ 22 AußStrG) anzuwenden, ebenso in exekutionsrechtlichen (vgl etwa SZ 44/78, 9 Ob 342/97b) und in Insolvenzverfahren.

3 Soweit von Abschriften die Rede ist, sind darunter auch Fotokopien zu verstehen (vgl § 89 Abs 2 GOG; Danzl § 170 Geo Anm 11), im Rahmen des elektronischen Rechtsverkehrs auch Ausdrucke (vgl bei § 74).

4 Keine einschlägigen Bestimmungen enthält die ZPO für den Fall der (teilweisen) Vernichtung bzw des (teilweisen) Verlusts eines Aktes und für dessen Wiederherstellung. Nach der Rsp (5 Os 964/55 = RZ 1956, 11, 10 ObS 2327/96w; OLG Wien NZ 1993, 40 [Firmenbuchakt]; LGZ Wien WR 21) sind die §§ 20 ff der VO BGBl 248/1927 (Anlass für deren Erlassung war an sich die Vernichtung von Akten durch den Brand im Wiener Justizpalast im Jahr 1927) bei der Rekonstruktion von Zivilprozessakten anzuwenden, wobei ein diesbezüglicher Auftrag an das Erstgericht – entgegen § 20 Abs 1 der VO auch von Amts wegen – sowohl vom übergeordneten Instanzgericht (10 ObS 2327/96w) als auch im Dienstaufsichtsweg (vgl 5 Os 537/53 = EvBl 1953/418) ergehen kann. Diese Bestimmungen gelten sinngemäß auch für Akten im Verfahren außer Streitsachen; für das Grundbuchsverfahren, das Exekutionsverfahren, das Konkurs- und Ausgleichsverfahren sowie das Strafverfahren enthält die VO eigene Bestimmungen. Mit 1.1.2000 wurde diese VO allerdings gemäß § 1 BRBG aufgehoben. Auch wenn im Hinblick auf die technische Entwicklung (insb EDV-Register, digitale Speicherung von Diktaten sowie elektronische Speicherung von Entscheidungsentwürfen und Protokollen udgl) heutzutage die Rekonstruktion von vernichteten oder verloren gegangenen Akten einfacher als noch vor wenigen Jahren fällt, dürfte es sich bei der Aufhebung der VO BGBl 248/1927 aber doch um ein Redaktionsversehen gehandelt haben, weil es nun im Zivilrechtsverfahren keine Rekonstruktionsvorschriften mehr gibt. Daher ist dennoch weiterhin – jedenfalls sinngemäß – iS der VO vorzugehen.

5 Anhang: Verordnung des Bundeskanzleramtes im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Finanzen BGBl 248/1927: 1014

§ 218

1.3 Mündliche Verhandlung

§ 20 (1) Auf Antrag einer Partei oder eines Nebenintervenienten findet das Verfahren zur Erneuerung der vernichteten Zivilprozeßakten (Erneuerungsverfahren) statt. (2) Der Antrag auf Aufnahme des nach § 161 ZPO unterbrochenen Verfahrens oder auf Exekutionsbewilligung gilt als Antrag auf Einleitung des Erneuerungsverfahrens. § 21 Das Erneuerungsverfahren ist vom Richter (Vorsitzenden, beauftragten Richter) in der ersten Instanz durchzuführen. Soweit Akten eines Rechtsmittelverfahrens zu erneuern sind, kann das Verfahren auch vom Rechtsmittelgerichte durchgeführt werden. § 22 (1) Das Gericht hat, wenn ein Antrag nach § 20 gestellt ist, von Amts wegen alle Maßnahmen zu treffen, die zur Wiederherstellung der vernichteten Akten in dem erforderlichen Umfange (§§ 23, 24) dienlich sind. Die Vertretung durch Rechtsanwälte ist nicht geboten. (2) Mittel der Aktenerneuerung sind: die von den Parteien beigebrachten oder von ihnen oder von anderen Behörden (zum Beispiel Gebührenbemessungsbehörden) abgeforderten Schriftsätze und Urkunden in Urschrift oder Abschrift, Aufzeichnungen über Beweisergebnisse, Ausschreibungen des Richters oder Schriftführers, Eintragungen in die Register sowie persönliche Erinnerung des Richters oder Schriftführers und die Einvernehmung der am Verfahren beteiligten Personen als Zeugen. § 23 Ist eine Endentscheidung in erster Instanz noch nicht gefällt (vorbehalten) worden, so ist die Beendigung des Erneuerungsverfahrens durch Beschluß auszusprechen. Gegen diesen Beschluss ist ein abgesondertes Rechtsmittel nicht zulässig. Nach Beendigung des Erneuerungsverfahrens ist das Verfahren in der Hauptsache ohne Verzug fortzusetzen. Die Verhandlung ist im Sinne des § 138 ZPO einzuleiten. Im Erneuerungsverfahren wiederhergestellte Beweise können auf Antrag oder von Amts wegen wiederholt werden. § 24 (1) Ist eine Endentscheidung erflossen und lassen sich Ausfertigungen oder Abschriften dieser Entscheidung nicht beschaffen, 1015

§ 218

Gitschthaler

so ist der Inhalt der Entscheidung der ersten Instanz, erforderlichenfalls auch der höheren Instanzen, durch Beschluß festzustellen. (2) Wird im Erneuerungsverfahren festgestellt, daß die Ententscheidung noch nicht zugestellt war, oder ist die vollzogene Zustellung nicht feststellbar, so ist die Zustellung, wenn sie nach der Entscheidung oder Rechtssache (§ 416 Absatz 3 ZPO) erforderlich ist, zu verfügen. (3) Wird im Erneuerungsverfahren festgestellt, daß gegen die Endentscheidung ein Rechtsmittel ergriffen wurde, worüber noch nicht entschieden ist, so sind außer der Entscheidung und den Rechtsmittelschriften auch die nach der Art und dem Grunde der Anfechtung wesentlichen Aktenstücke zu erneuern. (4) Ist die Rechtskraft der Endentscheidung unbestritten, oder wird sie im Erneuerungsverfahren festgestellt, so kann sich die Erneuerung auf den Urteilsspruch beschränken. (5) Läßt sich im Erneuerungsverfahren nicht einmal der Urteilsspruch feststellen, so ist durch Beschluß auszusprechen, daß die Entscheidung als nicht gefällt anzusehen ist. Auf weiteren Antrag der Partei ist sohin das Verfahren im Sinne des § 23 fortzusetzen. § 25 Mit dem Beschlusse, womit das Erneuerungsverfahren abgeschlossen wird, gilt das Verfahren in der Hauptsache als aufgenommen. § 26 Wird eine Nichtigkeits- oder eine Wiederaufnahmsklage eingebracht, so ist das Erneuerungsverfahren im Sinne des § 24 durchzuführen. § 27 (1) Die Beschlüsse im Erneuerungsverfahren unterliegen, soweit nicht im vorstehenden etwas anderes bestimmt ist, der Anfechtung durch Rekurs. Auf den Rekurs finden im übrigen die Bestimmungen der Zivilprozeßordnung Anwendung. Die Anfechtung kann mit dem Rechtsmittel gegen die Endentscheidung verbunden werden. (2) Kommt das Rechtsmittelgericht zur Überzeugung, daß die Grundlagen zur Entscheidung des Rechtsmittels im Erneuerungsverfahren nicht im ausreichenden Maße festgestellt wurden, so hat es durch Beschluß auszusprechen, daß die Endentscheidung als nicht gefällt anzusehen ist. Auf weiteren Antrag der Partei ist sohin das Verfahren im Sinne des § 23 fortzusetzen. 1016

§ 218

1.3 Mündliche Verhandlung

§ 28 (1) Eine Klage auf Feststellung des Urteilsinhaltes ist unzulässig. (2) Die später aufgefundene Entscheidung ist wirkungslos. § 29 Die Bestimmungen der §§ 24 und 27 sind sinngemäß auch auf die Erneuerung eines gerichtlich abgeschlossenen Vergleiches anzuwenden. § 30 Andere Akten sind nach Tunlichkeit auf Grund der vorhandenen oder von den Parteien beigebrachten Behelfe oder sonstigen Erhebungen (§ 22 Absatz 2), insbesondere auf Grund der Register, wenn und soweit ein Bedürfnis hierfür besteht, zu erneuern. § 31 (1) Die Parteien sind zur Vorlage von in ihren oder ihrer Vertreter Händen befindlichen Schriftstücken (Entwürfe, Ausfertigungen und sonstige Aufzeichnungen) in Ur- oder tauglicher Abschrift, soweit diese zur Aktenerneuerung erforderlich sind, und zur Gestattung der Abschriftnahme von diesem Schriftgut verpflichtet und können hiezu durch Ordnungsstrafen nach den Bestimmungen der Zivilprozeßordnung angehalten werden. (2) Wird der Besitz von solchem Schriftgut glaubhaft gemacht und das Schriftgut binnen einer vom Gericht bestimmten Frist nicht vorgelegt, so kann der Partei oder ihrem Vertreter auch die Leistung eines Eides über dessen Verbleib aufgetragen werden. Gegen diesen Beschluß ist der Rekurs nach den Bestimmungen Zivilprozeßordnung zulässig. § 32 Die Kosten des Erneuerungsverfahrens in Zivilprozeßsachen gelten als Teil der allgemeinen Prozeßkosten. Im übrigen hat jede Partei die Kosten der Erneuerung selbst zu tragen. § 44 Vernichtete Akten im Sinne dieser Verordnung sind auch einzelne Aktenstücke. § 45 Aktenstücke, die im Wege der Erneuerung beschafft oder verfaßt werden, sind als solche kenntlich zu machen. § 46 Wenn die Erneuerung von Akten zur Fortführung oder Durchführung einer anderen Sache oder für amtliche Zwecke erfor1017

§ 219

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derlich ist, sind die entsprechenden Bestimmungen sinngemäß anzuwenden.

6 Die Parteien haben nach Maßgabe dieser VO im Rekonstruktionsverfahren mitzuwirken, insb durch Vorlage von Gleichschriften, Aufzeichnungen im Handakt usw. Das Verfahren hat einzig allein das Ziel der Wiedergewinnung bzw Wiederherstellung des verlorengegangenen Akteninhaltes. Aufträge an die Parteien, Urkunden oder sonstiges Material vorzulegen, das nicht der Wiedergewinnung des abhanden gekommenen Akteninhalts dient, sind durch die VO – auch durch kein Gesetz – nicht gedeckt und von vornherein mit der Rekonstruktion nicht vereinbar. Ungeachtet, welche Konsequenzen sich aus einem ganz oder teilweise nicht mehr rekonstruierbaren Akt ergeben, kann das Verhalten eines Beteiligten im Rekonstruktionsverfahren nicht mit materiellen Anspruchssanktionen in Zusammenhang gebracht werden. Ein Ausspruch dahingehend, der betroffene Verfahrensbeteiligte gehe seines Rechts verlustig, weil er sich weigere, anstelle einer bereits gelegten, aber im Verantwortungsbereich des Gerichts verlustig gewordenen Vollmacht, eine neue Vollmachtsurkunde vorzulegen, widerspricht dem Gesetz in einem sehr gravierenden Ausmaß (LGZ Wien WR 21). Soweit im Hinblick auf § 31 der VO im Fall der Mithilfe bei der Rekonstruktion Zwangsmaßnahmen möglich waren, ist dies nunmehr infolge Aufhebung der VO BGBl 248/1927 allerdings nicht mehr möglich, weil (eben) eine gesetzliche Grundlage dafür fehlt. Erst nach Abschluss des Erneuerungsverfahrens kann in der Sache selbst, etwa über ein Rechtsmittel, entschieden werden (LGZ Wien EFSlg 73.752). § 219. (1) Die Parteien können in sämtliche ihre Rechtssache betreffenden, bei Gericht befindlichen Akten (Prozessakten), mit Ausnahme der Entwürfe zu Urteilen und Beschlüssen, der Protokolle über Beratungen und Abstimmungen des Gerichtes und solcher Schriftstücke, welche Disziplinarverfügungen enthalten, Einsicht nehmen und sich davon auf ihre Kosten Abschriften (Kopien) und Auszüge (Ausdrucke) erteilen lassen. (2) Mit Zustimmung beider Parteien können auch dritte Personen in gleicher Weise Einsicht nehmen und auf ihre Kosten Abschriften (Kopien) und Auszüge (Ausdrucke) erhalten, soweit dem nicht überwiegende Interessen eines anderen oder überwiegende öffentliche Interessen im Sinne des § 26 Abs 2 erster Satz DSG 2000 entgegenstehen. Fehlt eine solche Zustimmung, so steht einem Dritten Einsicht und Abschriftnahme überdies nur insoweit zu, als er ein rechtliches Interesse glaubhaft macht. 1018

§ 219

1.3 Mündliche Verhandlung

(3) Die von einer Partei dem Gerichte übergebenen Schriftstücke sind dieser Partei auf ihr Begehren wieder auszufolgen, wenn der Zweck der Aufbewahrung entfallen ist. (4) Zum Zweck der nicht personenbezogenen Auswertung für die Statistik, für wissenschaftliche Arbeiten oder für vergleichbare, im öffentlichen Interesse liegende Untersuchungen können das Bundesministerium für Justiz und die Vorsteher der Gerichte auf Ersuchen des Leiters einer anerkannten wissenschaftlichen Einrichtung die Einsicht in Akten, die Herstellung von Abschriften (Ablichtungen) und die Übermittlung von Daten aus solchen bewilligen. Die so erlangten Daten dürfen nicht für andere Zwecke verwendet werden. [Abs 1 und 2 neu gefasst und Abs 4 angefügt durch ZVN 2004; sonst Stammfassung] Lit: Novak, Rechtsfragen der Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren, ÖJZ 1973, 253; Harbich, Akteneinsicht, Amtshilfe und Auskunftspflicht, AnwBl 1988, 3; Schally, „Rechtspolitische“ und andere Gründe – bei uns und anderswo. Zum § 170 Abs 3 Geo der Gerichte, AnwBl 1990, 604; Wisleitner, Die Akteneinsicht des Verpflichteten bei der Fahrnisexekution vor Beginn des Vollzugs, RZ 1991, 273; Harbich, Auskunftspflicht in der Justizverwaltung, RZ 1992, 162; Simotta, Einige Probleme des Datenschutzes im Zivilverfahrensrecht, ÖJZ 1993, 793, 838; dies, Datenschutz und Zivilverfahrensrecht in Österreich, ZZP 106 (1993) 469; Venier, Zum Grundrecht auf ein gesetzmäßiges Verfahren in Haftsachen, ÖJZ 1994, 798; Stadler-Richter, Die „Sachverhaltsfalle“ – Kein Rechtsschutz gegen Akten mit falschen Daten, Stb 6.4.1996, 22; Thiele, Die Publikation von Gerichtsentscheidungen im Internet, RZ 1999, 215; Köhler, Datenschutz vor Kindeswohl? ÖA 2003, 251. Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 219; Ballon Rz 170; Fasching Rz 620 ff; Feil/Kroisenbrunner 503. Inhaltsübersicht Akteneinsicht, Reichweite 1 Parteien 2 Dritte Personen 3–4 Ausgenommene Aktenstücke 5

Höchstgerichtliche Entscheidungen 6 Bewilligung und Ablehnung 7–8 § 170 Geo 9–11 § 89i GOG 12 Andere Verfahren 14

Das Recht auf Einsicht in einen Prozessakt geht weiter als das im 1 AuskunftspflichtG garantierte Recht auf Auskunftserteilung durch die Behörde (vgl VwGH ÖStZB 1990, 95 = ecolex 1990, 325 [Perthold]; Danzl § 170 Geo Anm 2; vgl dazu nunmehr auch Schragel in Fasching/ 1019

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Konecny II/2 § 219 Rz 1). Es erfasst auch die Firmenbuchakten (RZ 1979, 42) und die Akten fremder Gerichte (zur Problematik bei Verwaltungsakten vgl Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 219 Rz 4), soweit diese Prozessstoff geworden sind (ZBl 1929/307), sowie allenfalls von einem Zeugen vorgelegte urheberrechtlich geschützte Werkstücke (OLG Wien EvBl 1988/60). Bei der Einsichtnahme handelt es sich um keine Prozesshandlung, für die Prozessfähigkeit notwendig wäre, sodass auch eine besachwaltete Person diese vornehmen kann (LG Salzburg 21 R 193/02g).

2 Akteneinsicht haben zunächst einmal die verfahrensbeteiligten (Harbich, AnwBl 1988, 8) Parteien, wobei sich die Berechtigten bei Ausübung ihrer Rechte durch Bevollmächtigte vertreten lassen können (EFSlg 21.380). Darüber hinaus können Gerichtspersonen und auch andere Behörden (Näheres bei Fasching1 II 1011; hins Staatsanwaltschaften s OLG Wien EFSlg 5535) Akteneinsicht nehmen.

3 Mit Zustimmung beider (richtig wohl: aller) Parteien (die Zustimmung des einfachen Nebenintervenienten ist jedoch nicht erforderlich [Harbich, AnwBl 1988, 8 mwN; Danzl § 170 Geo Anm 17]) steht das Recht auf Akteneinsicht auch dritten Personen zu; allerdings ist zu prüfen, ob dem nicht überwiegende berechtigte Interessen eines anderen oder überwiegende öffentliche Interessen iS des § 26 Abs 2 Satz 1 DSG entgegenstehen. Bei der Beurteilung, ob einem Dritten ein Akteneinsichtsrecht zusteht, ist immer auch das Recht auf Geheimhaltung derjenigen Personen zu beachten, deren personenbezogenen Daten im Akt enthalten sind. Es ist im Einzelfall zu prüfen, ob die Akteneinsicht des Dritten unbedingt nötig ist oder ob sie einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Privatsphäre darstellt. In Gerichtsakten befinden sich aber nicht nur personenbezogen Daten der Verfahrensparteien, sondern manchmal auch solche dritter Personen. Auch deren personenbezogenen Daten sind zu schützen. Bei der Entscheidung über die Akteneinsicht Dritter ist also auch deren Geheimhaltungsinteressen zu berücksichtigen (vgl Simotta, ÖJZ 1993, 793). Ohne Zustimmung der Parteien ist im Zusammenhang mit der Akteneinsicht eines Dritten weiters zu prüfen, ob er ein konkretes rechtliches Interesse glaubhaft machen kann (8 Ob 511/93, NZ 1996, 209, 4 Ob 125/97d; Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 219 Rz 3). Dieses rechtliche Interesse muss ein in der Rechtsordnung gegründetes und von ihr gebilligtes Interesse sein, das über das bloß wirtschaftliche Interesse oder über Interessen der Information, der Pietät, des Anstands oder der Ethik hinausreicht (Fasching Rz 398; NZ 1996, 209, 9 Ob 237/ 98p; OLG Innsbruck 3 R 1/99t). Daher ist etwa die Erteilung von gene1020

§ 219

1.3 Mündliche Verhandlung

rellen Auskünften über Klagen und Zwangsvollstreckungen an Auskunfteien von § 219 nicht gedeckt (SZ 62/107 = wbl 1989, 350; Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 219 Rz 3). Ein allgemeines öffentliches Interesse an Information (Fasching Rz 621; NZ 1996, 209) reicht ebenso wenig aus wie ein reines Informationsbedürfnis des Einsichtbegehrenden selbst (EvBl 1992/153, NZ 1996, 209), sonstige eigene Interessen (4 N 3/70, NZ 1996, 209) oder rein wirtschaftliche Interessen (NZ 1996, 209, 9 Ob 237/98p; LGZ Wien EFSlg 90.920; OLG Innsbruck 3 R 1/99t). Eher bejaht wird das Interesse hingegen, wenn die Akteneinsicht zur Durchsetzung oder Abwehr eines Rechtsanspruchs (auch gegenüber einer der Parteien [OLG Linz 2 R 109/99h; aA SZ 47/141 = EvBl 1975/177, 8 Ob 511/93]) erforderlich ist (Simotta, ÖJZ 1993, 800; Danzl § 170 Geo Anm 16), etwa wenn dadurch eine Verbesserung der Beweislage erreicht werden kann (LGZ Wien EFSlg 90.917). Entgegen der Rsp (1 Ob 109/02i = EvBl 2002/200; 8 Ob 4/03a = ZIK 2003/140, 6 Ob 67/04b; LGZ Wien EFSlg 90.917; ähnlich LGZ Wien EFSlg 94.508 [Schaffung von Klarheit, dass keine weiteren Beweismittel mehr vorliegen]; OLG Innsbruck 3 R 1/99t) kann es dabei aber nicht als ausreichend angesehen werden, dass sich die Akteneinsicht durch den Dritten lediglich auf dessen privat- oder öffentlich-rechtlichen Verhältnisse insofern günstig auswirken soll, als er instandgesetzt wird, die Beweislage für sich besser zu gestalten, weil er aus dem Akt etwas erfährt, was er bisher nicht wusste, zur Wahrung seiner Interessen aber wissen muss. Es ist nämlich darauf hinzuweisen, dass das Recht der Parteien auf Datenschutz jenem Dritter an Akteneinsicht im Zweifel vorgeht (idS wohl Simotta, ÖJZ 1993, 800; aA offensichtlich Danzl § 170 Geo Anm 16; LGZ Wien EFSlg 90.919). Akteneinsicht als „reiner Erkundungsbeweis“ ist daher abzulehnen. Sind die Interessen Pflegebefohlener (Minderjährige, Betroffene nach 4 §§ 273 ff ABGB, Patienten iS des UbG) zu wahren, haben Dritte (dies gilt auch für nahe Angehörige [4 Ob 208/02w, 8 Ob 71/03d, 7 Ob 69/ 04d, 6 Ob 67/04b], insb aber für einen künftigen Prozessgegner [8 Ob 71/03d]) generell kein Einsichtsrecht (LGZ Wien EFSlg 67.241; vgl auch SZ 47/141, 8 Ob 511/93; Simotta, ÖJZ 1993, 840), also etwa in einen Adoptionsakt betreffend eine Inkognitoadoption (EvBl 1992/129; vgl auch LG St. Pölten EFSlg 67.640), in einen Sachwalterbestellungs- oder -betreuungsakt (8 Ob 511/93; vgl auch 4 Ob 2316/96h, 4 Ob 125/97d, 4 Ob 208/02w = EvBl 2003/29, 7 Ob 48/03i, 7 Ob 69/04d) oder in einen Unterbringungsakt (Danzl § 170 Geo Anm 3). § 2 Abs 3 Z 10 AußStrG 1854 machte es nämlich dem Gericht nicht nur zur Pflicht, alle zur Wahrung der körperlichen Integrität der Verfahrensparteien erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, sondern auch den ihnen zukommenden 1021

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Grundrechtsschutz zu gewährleisten, wozu auch Daten des Privatlebens gehören (1 Ob 109/02i = EvBl 2002/200 [einschließlich Name und Adresse des Arbeitgebers], 4 Ob 208/02w = EvBl 2003/29, 7 Ob 48/03i, 8 Ob 71/03d). Daran hat sich durch das AußStrG BGBl I 2003/111 nichts geändert (vgl Rechberger in Rechberger, AußStrG § 22 Rz 3; Fucik/Kloiber, AußStrG § 22 Rz 4; LGZ Wien 45 R 85/05s). Ist die Partei allerdings bereits verstorben und geht es (nur) um die Wahrung von mit dem Nachlass verbundenen Rechten, kommt dem Schutz personenbezogener und im Akt enthaltener Daten keine (vorrangige) Bedeutung mehr zu (vgl 4 Ob 125/97d, 7 Ob 69/04d).

5 Bestimmte Aktenstücke nimmt § 219 Abs 1 von der Akteneinsicht immer aus, wobei sich diese Verbote auch gegen die Parteien des Verfahrens selbst richten. Dies sind insb Entscheidungsentwürfe (12 Os 94/ 89, 1 Nd 30/94, 7 Ob 235/01m) und Beratungsprotokolle. Dazu gehören auch alle mit ihnen im unmittelbaren Zusammenhang stehenden und die Willensbildung des Senats betreffenden Anträge, Stellungnahmen und Äußerungen von Senatsmitgliedern (1 Nd 30/94, 1 Ob 151/01i; vgl auch Danzl § 170 Geo Anm 7; Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 219 Rz 2), sodass grundsätzlich die R-Akten eines Rechtsmittelgerichts überhaupt nicht der Akteneinsicht unterliegen (7 Ob 235/01m). Zu den Beratungsprotokollen gehören nach bisheriger Rsp (OLG Linz ZIK 1995, 193; OLG Wien 28 R 175/98f) in insolvenzrechtlichen Verfahren auch die Protokolle des Gläubigerausschusses; dies scheint allerdings im Hinblick auf § 89 Abs 3 Satz 1 KO idFd InsNov 2002 zumindest hinsichtlich des Gemeinschuldners fraglich, hat dieser doch nunmehr sogar das Recht, in bestimmten Fällen an den Gläubigerausschusssitzungen teilzunehmen. Diese Aufzählung wird zwar im Hinblick auf Art 6 MRK als taxativ angesehen, jedoch um datenschutzrechtliche Bestimmungen erweitert (vgl RdW 1999, 79, 1 Ob 109/02i = EvBl 2002/200). Deshalb sind etwa auch Urkunden, die zwar im Akt erliegen, deren Annahme jedoch vom Gericht abgelehnt wurde (Krankengeschichte [AnwBl 1991, 740; Graff, AnwBl 1991, 741), von der Einsicht auszunehmen. Dies gilt in insolvenzrechtlichen Verfahren auch für Aktenteile, deren Kenntnis für den Einsichtbegehrenden zwar ohne Bedeutung, deren Geheimhaltung im Interesse der Unternehmensfortführung und/oder eines Unternehmenserwerbers aber erforderlich ist (OLG Linz ZIK 1995, 193).

6 Hinsichtlich der Entscheidungen, nicht jedoch der Akten (vgl 6 Ob 551/ 90) des OGH enthalten §§ 15, 15a OGHG idF BGBl 1991/20, die dem Art 6 MRK entsprechen (EKMR ÖJZ 1994, 528/38), grundsätzlich ein allgemeines Recht auf den Erhalt von Abdrucken, dies allerdings nur 1022

§ 219

1.3 Mündliche Verhandlung

hinsichtlich bestimmt bezeichneter Entscheidungen und in anonymisierter Form (krit dazu Thiele, RZ 1999, 218 [ihm folgende Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 219 Rz 5] unter Hinweis darauf, dass die Verhandlung ja öffentlich ist und auch international nicht selten die Namen der Parteien individualisiert werden). Der Glaubhaftmachung eines konkreten rechtlichen Interesses bedarf es dabei nicht (so schon vor BGBl 1991/20 JBl 1990, 661). Ein Recht auf den Erhalt von Entscheidungsabdrucken zu einem bestimmten Sachgebiet oder einer bestimmten Norm besteht daher nicht, in der Praxis stehen aber zwischenzeitig ohnehin das RIS-JUSTIZ und der Abonnementbezug aller Entscheidungen zu einem bestimmten Sachgebiet zur Verfügung (Näheres vgl dazu auch Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 219 Rz 5). Durch § 48a GOG werden diesen Regelungen nach Maßgabe der personellen und technischen Möglichkeiten für alle zweitinstanzlichen Gerichte für anwendbar erklärt (Danzl § 170 Geo Anm 16). Über die Berechtigung (auch eines Dritten) zur Einsichtnahme ent- 7 scheidet der Prozessrichter (9 Ob 237/98p, 7 Ob 235/01m) in einem Akt der Rechtsprechung (Fasching1 II 1011; VfGH VfSlg 13.077; VwGH ZfVB 2003/999; 1 Ob 623/83, 8 Ob 511/93, 9 Ob 237/98p; LGZ Wien EFSlg 67.242). Im Hinblick auf § 56 Abs 4 GOG erfolgt die Bewilligung der Akteneinsicht in der Praxis jedoch gewöhnlich formlos, idR durch die Gerichtskanzlei im selbstständigen Wirkungsbereich (LG Salzburg 21 R 193/02g). Die in § 170 Geo und § 219 Abs 2 ZPO vorgesehen gewesene Entscheidungskompetenz des Vorstehers des Gerichts (Vorsteher des Bezirksgerichts, Präsident des Gerichtshofs) und auch dessen Möglichkeit, diese Entscheidung an einen anderen Richter zu delegieren, wurden einerseits durch den VfGH (BGBl 1993/940; ÖJZ 1995, 276/2) und andererseits durch die VO des BMfJ (BGBl 1991/479) beseitigt (9 Ob 237/98p; Danzl § 170 Geo Anm 22). Im Senatsprozess entscheidet der Vorsitzende allein (OLG Wien WR 536; Danzl § 170 Geo Anm 19). Wird die Akteneinsicht bewilligt, dann ist dieses Recht mit der tatsächlichen Einsichtnahme konsumiert (OLG Linz 2 R 109/99h). Soll also in einem späteren Verfahrensstadium neuerlich Akteneinsicht genommen werden, bedarf dies einer neuerlichen Antragstellung und Entscheidung, weil sich zwischenzeitig der Akteninhalt verändert haben wird. Eine generelle Verweigerung des Einsichtsrechts einer bestimmten 8 Person ohne Bedachtnahme auf den Einzelfall ist im Gesetz nicht vorgesehen und daher auch nicht zulässig (JBl 1973, 581; vgl nunmehr auch RdW 1999, 79 unter Hinweis auf Art 6 MRK). Gegen die Ablehnung der Akteneinsicht steht dem Abgelehnten – bei einem Streitwert über EUR 2.000 (§ 517; Schragel in Fasching/ 1023

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Konecny II/2 § 219 Rz 3) – der Instanzenzug offen (6 Ob 250/98b, 7 Ob 235/01m; OLG Innsbruck 4 R 68/92; Harbich AnwBl, 1988, 8; Danzl § 170 Geo Anm 23). Dies gilt allerdings nicht, wenn es sich um einen Beschluss des Berufungsgerichts handelt (§ 519; RZ 1993/96; Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 219 Rz 3). Bei Gewährung der Akteneinsicht gegen den ausdrücklichen Willen einer Partei hat das Gericht einen Beschluss zu fassen, der von dieser Partei auch angefochten werden kann. Da durch die Gewährung der Akteneinsicht uU in deren berechtigte Interessen, uzw irreparabel, eingegriffen wird, muss das Gericht mit der tatsächlichen Gewährung der Akteneinsicht bis zur Entscheidung über dieses Rechtsmittel zuwarten, wenn beantragt worden ist, dem Rekurs aufschiebende Wirkung zuzuerkennen (§ 524; OLG Linz 109/99h).

9 Die nähere Vorgangsweise bei Einsichtnahme regelt § 170 Geo; ein Anspruch auf Übersendung des Aktes zur Einsichtnahme an ein anderes Gericht besteht nicht (VwGH AnwBl 1989, 155), die Mitgabe des Aktes ist untersagt (Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 219 Rz 2). Ist das Verfahren noch nicht beendet, gilt außerdem der Grundsatz der Vorrangigkeit der gerichtlichen Tätigkeit (Danzl § 170 Geo Anm 32).

10 Anhang: Geschäftsordnung für die Gerichte I. und II. Instanz (Geo): § 170 (1) In bürgerlichen Rechtsachen können die Parteien in alle Akten und Urkunden, die ihre eigene Rechtsache betreffen (mit Ausnahme der Beratungsprotokolle) bei Gericht persönlich oder durch ihre Machthaber Einsicht nehmen, sich auf ihre Kosten gerichtliche Abschriften und von den Verwahrungsabteilungen Auszüge aus dem Hinterlegungsmassebuch erteilen lassen. Dritte Personen können Einsichtnahme in die Akten und die Erteilung von Abschriften verlangen, wenn sie ein rechtliches Interesse glaubhaft machen oder wenn alle an der Sache beteiligten Parteien zustimmen. (2) Wer sich ausweist, daß die Sache, in deren Akt er Einsicht wünscht, seine eigene oder die seines Machtgebers ist, dem ist Akteneinsicht und Abschriftenerteilung von der Geschäftsstelle (vom Leiter der Geschäftsabteilung, vom Leiter des Aktenlagers) zu gewähren. (3) Die Akten müssen unter Aufsicht eines Gerichtsbediensteten eingesehen werden. Beratungsprotokolle und andere Schriftstücke, die zufolge besonderer Bestimmungen von der Einsicht ausgeschlossen sind (§ 219 Abs 1 ZPO), sind vorher dem Akt zu entnehmen. Es ist unzulässig, den Parteien oder ihren 1024

§ 219

1.3 Mündliche Verhandlung

Vertretern Akten mitzugeben. Doch kann Sachverständigen, die dem Gericht als verläßlich bekannt sind, ein Akt für bestimmte Zeit anvertraut werden. Akten, die in nächster Zeit voraussichtlich bei Gericht nicht benötigt werden, können auf Begehren einem anderen Gerichte übersendet werden, damit sie dort eingesehen werden können. Die Übersendung bewilligt den Personen, die Partei sind, der Richter, anderen Personen der Gerichtsvorsteher oder der von ihm bestimmte Richter. (4) Den Richtern und Bediensteten des Gerichtes, der Aufsichtsbehörde, den Gerichtsinspektoren und Revisoren steht zu amtlichen Zwecken die Einsicht in alle Akten des Gerichtes offen. Für andere Behörden und deren Beauftragte ergibt sich das Recht auf Akteneinsicht und Auskunftserteilung unter anderem aus Artikel 22 des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Fassung von 1929, § 34 Gebührengesetz (Gebührenbehörde), § 158 Bundesabgabenordnung (Finanzbehörden), §§ 3, 4 Rechnungshofgesetz 1948, BGBl Nr 144 (Rechnungshof), § 93 Geo (Statistisches Zentralamt). Wenn hier nicht genannte Behörden Akteneinsicht (Übermittlung von Akten) begehren, ist bei obwaltenden Bedenken die Entscheidung der höheren Justizverwaltungsbehörde einzuholen. Gegen die Differenzierung zwischen Sachverständigen und Rechts- 11 anwälten durch § 170 Abs 3 Geo (Mitgabe oder Übersendung von Akten) wendet sich unter Hinweis etwa auf § 147 Abs 4 dStPO Schally (AnwBl 1990, 604), übersieht aber den Unterschied in der verfahrensrechtlichen Stellung: der Rechtsanwalt ist Parteienvertreter, der Sachverständige gleichsam Gerichtsorgan. Anhang: Gerichtsorganisationsgesetz (GOG): § 89i (1) Soweit Parteien und Beteiligten ein Recht auf Akteneinsicht zusteht, haben sie nach Maßgabe der vorhandenen technischen Möglichkeiten Anspruch darauf, Ablichtungen der ihre Sache betreffenden Akten und Aktenteile zu erhalten. (2) Den Parteien kann auch elektronische Einsicht in sämtliche gemäß § 219 Abs 1 ZPO oder den §§ 45 Abs 2, 46 Abs 2 und 47 Abs 2 Z 1 StPO zugängliche, ihre Sache betreffende Daten, die in der Verfahrensautomation Justiz gespeichert sind, nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten sowie unter Bedachtnahme auf eine einfache und sparsame Verwaltung und eine ausreichende Sicherung vor Missbrauch durch dritte Personen ermöglicht werden. 1025

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13 Nach § 219 Abs 3 sind grundsätzlich von einer Partei vorgelegte Urkunden wieder an diese Partei auszufolgen (vgl dazu Näheres bei Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 219 Rz 6), was auch dann gilt, wenn sie direkt einem bestellten Sachverständigen ausgehändigt worden waren (SZ 44/ 78, 9 Ob 342/97b).

14 Die Bestimmungen über die Akteneinsicht sind in Verfahren außer Streitsachen anzuwenden (§ 22 AußStrG; vgl Rz 4), infolge der Sonderregelung des § 73 EO jedoch nicht in Exekutionsverfahren, auch wenn die Akteneinsicht hier im wesentlichen gleich geregelt, jedoch gegenüber dem Zivilverfahren etwas eingeschränkt ist. So ist es etwa verboten, dem Verpflichteten vor Beginn des Vollzugs der Fahrnisexekution Akteneinsicht zu gewähren (LGZ Wien RPflSlgE 1983/98; Simotta, ÖJZ 1993, 801; unzutr krit dazu Wisleitner, RZ 1991, 274). Sonderregelungen enthalten außerdem § 177 EO im Zusammenhang mit der Einsichtnahme in Urkunden und Schätzungsprotokolle im Zwangsversteigerungsverfahren sowie § 255 EO im Zusammenhang mit Auskünften aus dem Pfändungsregister. Zu den Geschäftsbehelfen vgl § 73a EO, wobei durch VO BGBl 498/1996 die elektronische Einsicht in diese Geschäftsbehelfe ermöglicht wurde. Auch im Konkursverfahren (zu den Protokollen der Gläubigerausschusssitzungen vgl Rz 5) können Dritte Akteneinsicht mit Zustimmung der Parteien oder bei Vorliegen eines rechtlichen Interesses nehmen, welches aber nur anerkannt werden kann, wenn der Dritte aus dem Akt etwas erfahren will, was er nicht weiß, aber zur Wahrung seiner Interessen wissen muss (zur Kritik an dieser zu weiten Sicht vgl Rz 3). Konkursgläubiger haben dabei ein rechtliches Interesse an der Kenntnis früherer Konkursanträge, etwa ob diese vom Geschäftsführer selbst gestellt wurden (8 Ob 4/03a = ZIK 2003/140).

Siebenter Titel Strafen § 220. (1) Eine Ordnungsstrafe darf den Betrag von 1450 Euro, eine Mutwillensstrafe den Betrag von 2 900 Euro nicht übersteigen. (2) Die nach den Bestimmungen dieses Gesetzes gegen eine Person verhängten Geldstrafen fließen dem Bund zu. (3) aufgehoben (4) Strafverfügungen sind von Amts wegen zu vollziehen. [Abs 1 neu gefasst durch ZVN 1983, WGN 1989 und 2. EuroJuBeG; Abs 2 neu gefasst durch ZVN 2002; Abs 3 aufgehoben durch 2. Euro-JuBeG; sonst Stammfassung] 1026

§ 220

1.3 Mündliche Verhandlung

Lit: Sturm, Voraussetzungen und Umfang des Gnadenrechts, EvBl 1953, 573; Oberhammer, „Verfassungsrechtliche Schranken der Haft in zivilgerichtlichen Erkenntnis-, Exekutions- und Insolvenzverfahren, ÖJZ 1994, 265; Ballon, Die Beachtung des rechtlichen Gehörs iSd Art 6 MRK durch die Rechtsmittelgerichte, JBl 1995, 623; Grabenwarter/ Geppert, Die Bedeutung des Art 6 MRK für die Verhängung von Ordnungs- und Mitwillensstrafen, JBl 1996, 159. Ballon Rz 442; Fasching Rz 792; Feil/Kroisenbrunner 506. Ordnungs- und Mutwillensstrafen sind keine Strafen iS eines Strafver- 1 fahrens; sie sollen nur dazu dienen, den mit der Androhung verbundenen Zweck zu erreichen (LGZ Wien EFSlg 108.968). Bereits vor Aufhebung des § 220 Abs 3 (vgl Rz 9) hatte der OGH sowohl auf der Grundlage des Gesetzes zum Schutze der persönlichen Freiheit aus dem Jahr 1862 iVm Art 8 StGG, Art 5 MRK (EuGRZ 1982/ 159) als auch auf der Grundlage des Art 2 Abs 1 Z 1 des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit (BGBl 1988/684) iVm Art 5 Abs 1 lit a MRK (ZfRV 1998/75) die Umwandlung einer Ordnungs- in eine Haftstrafe für verfassungs- und konventionsgemäß gehalten (vgl dazu auch EKMR ÖJZ 1994, 529/39; EGMR JBl 1996, 305 = ÖJZ 1996, 434/17; Grabenwarter/Geppert, JBl 1996, 159, 227). Die Regelungen der ZPO über die Möglichkeit der Verhängung von Ordnungs- und Mutwillensstrafen sind daher nach der neuen Rechtslage (Aufhebung des § 220 Abs 3) umso mehr als verfassungs- und konventionsgemäß anzusehen (Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 220 Rz 1). Außerdem fällt die Ordnungsstrafgewalt österreichischer Gerichte nicht unter Art 6 MRK und die dort genannten Verfahrensgarantien (ZfRV 1998/75; EGMR JBl 1996, 305; Oberhammer, ÖJZ 1994, 265; vgl auch Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 86 Rz 5) fällt. § 220 besagt nicht, in welchen Fällen Ordnungs- oder Mutwillensstrafen verhängt werden dürfen oder zu verhängen sind, sondern verweist diesbezüglich dynamisch (1 Ob 114/97i, 1 Ob 235/97h, 3 Ob 98/ 03p = EFSlg 105.797) auf andere Bestimmungen etwa der ZPO (s § 69 Abs 1, §§ 86, 199, 200 Abs 1, §§ 313, 326 Abs 3, § 333 Abs 1, § 354 Abs 1, §§ 448a, 460 Z 1, §§ 512, 528 Abs 4 ZPO), des GOG (§ 78 Abs 4, §§ 85, 87) und der EO (§ 115 Abs 3, § 118 Abs 1). § 220 gilt auch in Verfahren außer Streitsachen (§ 22 AußStrG), in Bescheinigungsverfahren jedoch insofern eingeschränkt, als es hier der Androhung und Verhängung von Ordnungsstrafen idR nicht bedarf, müssen doch Bescheinigungsmittel parat sein (also etwa Zeugen; 1 Ob 4/99s, 6 Ob 125/00a). Soll eine Strafe für ein Verhalten anlässlich einer Tagsatzung verhängt werden, ist Voraussetzung, dass das inkriminierte Verhalten (Äußerungen) im Protokoll festgehalten worden sind. Nur so kann nämlich der 1027

§ 220

Gitschthaler

Betroffene erkennen, welches Verhalten (Äußerungen) ihm vorgehalten wird, und (allenfalls) Widerspruch dagegen erheben (LG Linz 15 R 12/05y).

2 Als Ordnungs- oder Mutwillensstrafe hat das Gericht (im Senatsprozess handelt es sich dabei um einen Senatsbeschluss [vgl § 37 GOG], was allerdings seit der ZVN 2002 nicht mehr in Verfahren nach dem ASGG gilt [vgl § 11a Abs 1 Z 3 ASGG]) grundsätzlich, also auch bei Zahlungsunfähigkeit oder in Ansehung einer in Konkurs befindlichen Person (NRsp 1988/99, 8 Ob 51/89), eine Geldstrafe zu verhängen. § 220 sieht nämlich keine Freiheitsstrafe (mehr) vor (10 Os 46/62, SZ 44/117 = EvBl 1971/346, 9 ObA 150/88). Die Höhe der Ordnungsstrafe hat sich nicht allein an den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Betroffenen zu orientieren, sie muss vielmehr auch geeignet sein, seinen Widerstand durch die bloße Androhung einer höheren Strafe zu brechen (EFSlg 88.091). Das Strafmaß muss so hoch sein, dass es vom Betroffenen als empfindlich wahrgenommen wird (LGZ Wien EFSlg 108.968).

3 Die Verhängung einer Ordnungsstrafe kann auch neben einer strafgerichtlichen oder disziplinären Verurteilung wegen des gleichen Verhaltens erfolgen (OLG Wien EvBl 1936/381; NBlRA 1952, 83, AnwBl 1959, 79, AnwBl 1962, 49).

4 Die Verhängung von Geldstrafen, nicht aber deren Androhung (EvBl 1992/70, wbl 1993, 94 [zust Zib]) sind grundsätzlich (wenn auch immer ohne Kostenersatzanspruch [GlUNF 3947; OLG Wien WR 113]) anfechtbar. Dabei gelten zwar die Rechtsmittelbeschränkungen der §§ 518, 528 Abs 2 Z 6 („in Besitzstörungsverfahren“; vgl SZ 38/143; Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 220 Rz 3; unklar Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 86 Rz 23), § 528 Abs 2 Z 4 („in Verfahrenshilfeangelegenheiten“; 2 Ob 262/00v, 1 Ob 94/05p; aA 5 Ob 73/05d) und jene des § 528 Abs 2 Z 2 („bestätigende Entscheidungen“; EvBl 1965/28, 8 Ob 113/00a, 10 Ob 51/00y, 1 Ob 32/03t, 3 Ob 109/05h; Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 220 Rz 3; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 86 Rz 22), uzw selbst dann, wenn die Höhe oder die Art der Strafe divergieren. Nicht anzuwenden sind jedoch die Rechtsmittelbeschränkungen des § 517 („Verfahren mit einem Streitwert bis 2000 Euro“; SZ 18/27 = JBl 1936, 258, 1 Ob 114/97i = ZIK 1998, 72) und jene der § 519 Abs 1 („Beschluss eines Berufungsgerichts“; 3 Ob 520/91; Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 220 Rz 3; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 86 Rz 23), § 528 Abs 2 Z 1 („Verfahren mit einem Streitwert bis 4.000 Euro“; JBl 1959, 239, 5 Ob 252/98i, 1 Ob 291/98w ua). Entscheidungs1028

§ 220

1.3 Mündliche Verhandlung

gegenstand bei Verhängung einer Ordnungs- oder Mutwillensstrafe ist nämlich nie eine geldwerte Leistung, sondern die Tatsache der Bestrafung durch das Gericht, die einen Verweis beinhaltet und eine Missbilligung durch das Gericht darstellt (SZ 35/122, 6 Ob 564/84, 1 Ob 114/97i, 1 Ob 235/97h; Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 220 Rz 3; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 86 Rz 22). Dies gilt auch für Mutwillensstrafen nach § 245 (1 Ob 114/97i, 1 Ob 235/97h). Der Rekurs ist immer beim Prozessgericht I. Instanz zu überreichen 5 (EvBl 1963/112) und bedarf keiner Anwaltsfertigung, wenn die Ordnungsstrafe über einen Dritten, also etwa einen Zeugen, einen Sachverständigen oder auch einen Vertreter einer Partei, verhängt worden ist (EvBl 1999/15); ansonst gilt absolute Anwaltspflicht (Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 86 Rz 21; 5 Ob 73/05d). Rekurslegitimiert ist immer nur der Bestrafte (Konecny in Fasching/ Konecny II/2 § 86 Rz 21). Wird über den Vertreter einer Partei (seit der ZVN 1983 ist dies bei Rechtsanwälten und Notaren nicht mehr zulässig, ihr Verhalten ist der zuständigen Kammer zu melden [SZ 58/17 = JBl 1985, 684, EvBl 1999/15; Ballon Rz 442]) eine Ordnungsstrafe verhängt, kommt die Rechtsmittellegitimation daher auch ausschließlich dem Vertreter und nicht der Partei zu (RZ 1967, 203, 6 Ob 508/83, 6 Ob 639/ 83). Dem (beleidigten) Richter, der die Ordnungsstrafe (nach § 86) verhängt hat, steht gegen die Aufhebung oder Abänderung seines Beschlusses durch das Rekursgericht kein Revisionsrekursrecht zu (2 Ob 213/52). Einem Rekurs kommt gemäß § 524 Abs 1 letzter Satz aufschiebende 6 Wirkung zu (2 Ob 176/80), die Ordnungs- oder Mutwillensstrafe ist erst nach Rechtskraft einzuheben. Dennoch bedeutet deren Bezahlung nicht zwingend einen Rechtsmittelverzicht (2 Ob 176/80). Nach § 201 Abs 1 sind allerdings Beschlüsse nach § 199 Abs 1, § 200 Abs 2 von dieser Regelung ausgenommen. Das Gericht, das die Geldstrafe verhängt hat, kann einem Rekurs dagegen gemäß § 522 Abs 1 selbst stattgeben (Stohanzl § 333 Anm 4; Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 220 Rz 3). Für einen, wenngleich erfolgreichen Rekurs gegen die Verhängung der Ordnungs- oder Mutwillensstrafe stehen Kosten nicht zu (GlUNF 3947, 1 Ob 105/04d; OLG Wien WR 113; Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 86 Rz 21), denkbar wären aber wohl Amtshaftungsansprüche bei unvertretbarer Rechtsansicht bei Verhängung der Strafe. Die Geldstrafen sind von Amts wegen einzutreiben (Abs 4, § 1 Z 2 7 GEG), dies ist vom Richter anzuordnen (§ 6 Abs 1 GEG, § 234 Z 1 1029

§ 220

Gitschthaler

Geo). Sie fließen seit der ZVN 2002 nicht mehr der Gemeinde (so noch Fasching1 II 1015; § 38 VO vom 3.9.1938, DRGBl I, 1128), sondern dem Bund zu. Der Kostenbeamte hat einen Zahlungsauftrag zu erlassen, die Eintreibung erfolgt im Wege der gerichtlichen Zwangsvollstreckung durch die Einbringungsstelle beim OLG namens des Bundes (§ 11 GEG, § 234 Z 7 Geo). Gemäß § 12 Abs 1 GEG darf die Eintreibung nur insoweit erfolgen, als dadurch der notdürftige Unterhalt des Verpflichteten und der Personen, für die er nach dem Gesetz zu sorgen hat, nicht gefährdet wird (Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 220 Rz 5). Von einer (weiteren) Einbringung der Geldstrafe ist abzusehen, wenn mit Grund angenommen werden darf, dass sie mangels eines Vermögens erfolglos bleiben wird (§ 13 Abs 1 GEG; Schragel in Fasching/ Konecny II/2 § 220 Rz 5). Schuldet jemand neben einer Ordnungs- oder Mutwillensstrafe auch Gerichtsgebühren, so sind ungewidmete Zahlungen auf erstere anzurechnen (3 Ob 114/95). Nicht vorgesehen ist die Bewilligung der ratenweisen Begleichung der Geldstrafen (s § 9 Abs 5 GEG; RZ 1999/46; aA offensichtlich LGZ Wien EFSlg 76.063; 1 Nd 27/95; ohne eigene Stellungnahme Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 86 Rz 18).

8 Ist der Beschluss, mit dem eine Geldstrafe verhängt wurde, rechtskräftig geworden, so ist eine nachträgliche Aufhebung nur in den Fällen der § 333 Abs 1 (Zeugen) und § 354 Abs 1 (Sachverständige) möglich. Ob eine gnadenweise (teilweise) Nachsicht durch das Gericht zulässig ist (dafür AnwZ 1935, 17, SZ 26/84; dagegen JBl 1956, 450, JBl 1959, 39; OLG Wien EvBl 1937/886; Sturm, EvBl 1953, 573; Fasching1 II 1016; diese Frage offen lassend 1 Nd 27/95, 1 Ob 132/99i), ist strittig, wohl aber im Hinblick auf § 9 Abs 5 GEG zu verneinen (nunmehr ebenso Konecny in Fasching/Konecny II/2 § 86 Rz 18; 6 Ob 43/05z). Jedenfalls kann die Versagung eines Gnadenerweises im Instanzenzug nicht bekämpft werden (JBl 1959, 39; 1 Ob 132/99i). Während Neuwirth (in Fasching1 II 1016) ein Gnadengesuch an den Bundespräsidenten in analoger Anwendung des § 411 StPO für zulässig hält, lehnt dies der OGH in SZ 26/84 zutr ab (s im übrigen auch die weitgehende Aufhebung des § 411 StPO durch den VfGH [BGBl 1993/192]).

9 Seit der Aufhebung des Abs 3 (gilt für Handlungen, die nach dem 31.12.2001 gesetzt worden sind) kommt die Umwandlung einer rechtskräftig verhängten Geldstrafe in eine Haftstrafe nicht mehr in Betracht (Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 220 Rz 5).

1030

§ 221

1.3 Mündliche Verhandlung Achter Titel Sonntagsruhe und verhandlungsfreie Zeit

§ 221. (1) An Samstagen, Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen dürfen Tagsatzungen nicht abgehalten werden. (2) Welche Tage im Sinne dieses Gesetzes als Feiertage zu gelten haben, wird durch Verordnung bestimmt. [Überschrift neu gefasst durch ZVN 2002; Abs 1 neu gefasst durch BGBl 1967/193; sonst Stammfassung] Lit: Graschopf, Der Karfreitag als Feiertag, NZ 1956, 23; Schima, Die religionsrechtlichen Aspekte des Ersten Bundesrechtsbereinigungsgesetzes 1999 (Teil III), Österreichisches Archiv für Recht und Religion 2002, 449. Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 221; Feil/Kroisenbrunner 508; Rechberger/Simotta Rz 344. Gerichtshandlungen können einerseits in Tätigkeiten einer Gerichts- 1 person bestehen, die die Parteien nicht unmittelbar berühren, wie etwa das Verfassen der Urschrift einer Entscheidung durch den Richter oder die Übertragung von Kurzschrift- oder Schallträgerprotokollen in Vollschrift durch die Schreibabteilung udgl. Diese Tätigkeiten sind daher grundsätzlich jederzeit zulässig. Andererseits gibt es Tätigkeiten, die auch die Parteien unmittelbar miteinbeziehen: Von diesen sind nach Abs 1 Tagsatzungen an Samstagen, Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen generell unzulässig, während andere derartige Gerichtshandlungen nur mit gewissen Einschränkungen möglich sind, so etwa Zustellungen an Parteien nur unter Bedachtnahme auf § 100 oder die Durchführung von Exekutionshandlungen unter Bedachtnahme auf § 30 EO. Auf Fristenläufe (Näheres dazu bei §§ 124 bis 126) wirken sich Samstage, Sonntage und gesetzliche Feiertage nach § 126 und nach § 1 Abs 1 BGBl 1961/37 überhaupt nur sehr eingeschränkt aus. Da § 221 nichts mit dem Institut der verhandlungsfreien Zeit (§§ 222 bis 2 225) zu tun hat, ist er in allen gerichtlichen Verfahren anzuwenden, also etwa – unbeschadet des Art XXXVI EGZPO – auch in Verfahren außer Streitsachen, gemäß § 78 EO in exekutionsrechtlichen Verfahren (s allerdings § 30 EO; Heller/Berger/Stix 761; Jakusch in Angst § 30 EO Rz 1 ff) und in Verfahren nach dem ASGG. Abs 2 enthält eine dynamische Verweisung (vgl dazu 9 ObA 260/90), 3 wobei bislang im Hinblick auf § 25 Abs 3 Geo eine solche auf das FeiertagsruheG (BGBl 153/1957) angenommen wurde (vgl Vorauflage; 1031

§ 221

Gitschthaler

ebenso Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 221 Rz 1; Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 126 Rz 3). Da allerdings dieses Gesetz durch das BRBG mit Wirkung 1.1.2000 aufgehoben worden sein dürfte (vgl Schima, 2002, 449), bietet sich (als Ausweg) nunmehr eine solche auf das ArbeitsruheG (BGBl 144/1983) an, nach dessen § 7 Abs 2 der 1. Jänner (Neujahr), der 6. Jänner (Heilige Drei Könige), der Ostermontag, der 1. Mai (Staatsfeiertag), Christi Himmelfahrt, der Pfingstmontag, Fronleichnam, der 15. August (Maria Himmelfahrt), der 26. Oktober (Nationalfeiertag), der 1. November (Allerheiligen), der 8. Dezember (Maria Empfängnis), der 25. Dezember (Weihnachten) und der 26. Dezember (Stephanstag) gesetzliche Feiertage sind. Auf diese Tage findet demnach Abs 1 uneingeschränkt Anwendung (Schragel in Fasching/ Konecny II/2 § 221 Rz 1; Jakusch in Angst § 30 EO Rz 3). Nach § 7 Abs 3 ArbeitsruheG gilt darüber hinaus der Karfreitag für Angehörige der evangelischen Kirchen A.B. und H.B., der Altkatholischen Kirche und der Methodistenkirche als gesetzlicher Feiertag, in welchem Zusammenhang auf § 25 Abs 4 Geo Bedacht zu nehmen ist. Danach dürfen die davon Betroffenen durch die Anberaumung von Tagsatzungen oder durch die Verfügung sonstiger Ladungen an nach dem Glaubensbekenntnis der Beteiligten in Betracht kommenden Feiertagen nicht zum Erscheinen vor Gericht genötigt werden, sofern eine derartige Bedachtnahme möglich ist. Daneben ist auch auf die Feiertage der Israeliten Rücksicht zu nehmen (s dazu Fasching1 II 1018; Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 221 Rz 1; vgl auch Danzl § 25 Geo Anm 18). Dies gilt aber nur dann, wenn das Gericht auch über das Vorliegen eines mosaischen Feiertags von der betroffenen Partei informiert wird (Danzl § 25 Geo Anm 18). Bei der Erstellung des Prozessprogramms wird bei Vorliegen von entsprechenden Anhaltspunkten (es ergibt sich etwa aus dem Akt, dass eine Partei oder ein Zeuge israelischer Staatsangehöriger ist) auch die Feiertagsfrage zu erörtern sein (idS Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 221 Rz 1). Die Nichtbeachtung des § 25 Abs 4 Geo stellt zwar keinen Nichtigkeitsgrund dar, wohl aber einen nach § 196 rügepflichtigen Mangel des Verfahrens, handelt es sich dabei doch nicht nur um eine Kannbestimmung, sondern „hat“ das Gericht darauf Rücksicht zu nehmen, sofern dies möglich ist (gebundenes Ermessen). Verwirklicht wird der Mangel allerdings nur dann, wenn infolge Abwesenheit einer Partei oder eines Zeugen die gründliche Erörterung und erschöpfende Beurteilung der Sache gehindert wurde. Keine Feiertage iS des § 221 sind die Landesfeiertage (Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 126 Rz 6).

1032

Vor § 222

1.3 Mündliche Verhandlung Vor § 222

Lit: Coulon, Gerichtsferien und Ruhen des Verfahrens, NZ 1913, 127; Heinl, Die geltende Feiertagsordnung, JBl 1946, 410; Moser, Der Karfreitag und die Verfahrensgesetze, JBl 1956, 355; Gamerith, Gerichtsferien – Ausbau oder Abschaffung? RZ 1972, 173; Piegler, Abschaffung der Gerichtsferien? RZ 1972, 177; Sobalik, Wann liegt eine Ferialsache nach § 224 Abs 1 Z 6 ZPO vor? RZ 1976, 109. Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 222; Ballon Rz 150; Fasching Rz 615; Feil/Kroisenbrunner 509; Holzhammer 142; Rechberger/Simotta Rz 344. Die ZPO erweckt zwar in §§ 222, 223 Abs 1, § 225 Abs 1 auch noch nach 1 Änderung durch die ZVN 2002 den Anschein eines gänzlichen Stillstands sämtlicher Verfahren während der – nunmehr so benannten – verhandlungsfreien Zeit (anstelle der Gerichtsferien idFd §§ 222 ff vor der ZVN 2002), im Ergebnis wirkt sich allerdings die verhandlungsfreie Zeit in ihrer Bedeutung auf den (zivilrechtlichen) Gerichtsbetrieb in seiner Gesamtheit gesehen nur sehr eingeschränkt aus, a) weil sie für bestimmte Verfahren überhaupt nicht gilt. Dazu gehören gemäß § 39 Abs 4 ASGG die Verfahren in Arbeits- und Sozialrechtssachen einschließlich der Verfahren zur Wiederaufnahme eines arbeits- oder sozialgerichtlichen Hauptverfahrens (SZ 64/172 = EvBl 1992/95, 8 ObA 207/94, 10 ObS 224/99k = SSV-NF 13/105), gemäß § 23 AußStrG die Verfahren außer Streitsachen (vgl dazu ErlRV 224 BlgNR 22. GP 37; Fucik/Kloiber, AußStrG § 23 Rz 2; Mayr/Fucik Rz 144; zu Art XXXVI EGZPO s dort Rz 2), die Insolvenzverfahren (§ 173 KO, § 76 AO; SZ 61/249 = EvBl 1989/67; ausgenommen Prüfungsprozesse vor dem Konkursgericht [SZ 61/249, infas 1992/A 27]), Firmenbuch-, Grundbuchs- und wohnrechtliche Verfahren (§ 37 MRG [LGZ Wien MietSlg 36.512; MietSlg 47.632]; § 52 WEG 2002 [5 Ob 23/03y = MietSlg 55.663; LGZ Wien MietSlg 36.656]; § 22 WGG) sowie gemäß § 223 Abs 2 – mit gewissen Ausnahmen (s § 30 EO) – die Exekutionsverfahren (Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 223 Rz 1) einschließlich der Verfahren über die Vollstreckbarerklärung ausländischer Entscheidungen (3 Ob 31/02h = RdW 2003/77); b) weil gewisse Verfahren nach § 224 zur Gänze und immer Ferialsachen sind (vgl § 224), c) weil gewisse Verfahrensteile von an sich Nichtferialsachen nach § 223 Abs 2 nie verhandlungsfrei sind (Teilferialsachen; vgl § 224 Rz 7), d) weil gewisse Gerichtshandlungen nach § 223 Abs 1 auch in Nichtferialsachen während der Gerichtsferien zulässig sind (vgl bei § 223), sowie 1033

§ 222

Gitschthaler

e) weil nach § 225 Abs 2 bestimmte Fristen auch in Nichtferialsachen von den Gerichtsferien nicht berührt werden (vgl bei § 225).

2 Verstöße gegen die Vorschriften über die verhandlungsfreie Zeit sind nicht mit Nichtigkeit bedroht (vgl idS auch Schragel in Fasching/ Konecny II/2 § 224 Rz 3), sodass Parteien etwa Ladungen für eine in diese Zeit fallende Tagsatzung nicht unbeachtet lassen dürfen, weil sonst Säumnisfolgen eintreten (Fasching Rz 619). Die Parteien können aber auf Erstreckung der zu Unrecht während der verhandlungsfreien Zeit angesetzten Tagsatzung dringen (GlUNF 7648; SZ 23/376). Im Einzelfall kann ein – gemäß § 196 rügepflichtiger – Verfahrensmangel vorliegen, wenn durch eine Verhandlung in der verhandlungsfreien Zeit die gründliche Erörterung und erschöpfende Beurteilung der Sache etwa infolge urlaubsbedingter Abwesenheit von Zeugen oder Parteien verhindert werden (vgl Fasching Rz 619; SZ 23/376, JBl 1955, 412, 1 Ob 778/55; aA Holzhammer 143, der nur die Möglichkeit einer Aufsichtsbeschwerde sieht; ebenso aA Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 224 Rz 3, der die Ablehnung eines Erstreckungsantrags grundsätzlich als Verfahrensmangel sieht). Konsequenz etwa der Fällung und/oder Zustellung einer Entscheidung in der verhandlungsfreien Zeit ist, dass die Rechtsmittelfristen gegen derartige Entscheidungen nicht zu laufen beginnen (§ 225 Abs 1; Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 223 Rz 3). Dies würde nur dann nicht gelten, wenn ein Fall des § 225 vorliegt.

3 Durch die ZVN 2002 wurde lediglich der Begriff „Gerichtsferien“ durch den Begriff „verhandlungsfreie Zeit“ ersetzt (hinsichtlich des Begriffs „Ferialsache“ kam es allerdings zu keiner Änderung), inhaltlich bedeutet dies jedoch keine Änderungen. Es sollte durch die Umbenennung lediglich der Eindruck vermieden werden, dass in den „Gerichtsferien“ ähnlich den Schulferien der Gerichtsbetrieb tatsächlich still steht (Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 222 Rz 1). Zu beachten ist allerdings, dass nunmehr auch die Frist zur Klagebeantwortung durch die verhandlungsfreie Zeit nicht mehr verlängert wird (vgl bei § 225). § 222. Die Zeit vom 15. Juli bis 25. August und vom 24. Dezember bis 6. Jänner ist verhandlungsfrei. [Neu gefasst durch ZVN 2002]

1 § 222 ist dahingehend zu verstehen, dass sowohl der 15. Juli und der 25. August als auch der 24. Dezember und der 6. Jänner als verhandlungsfreie Tage anzusehen sind. 1034

§ 223

1.3 Mündliche Verhandlung

Der Ablauf der verhandlungsfreien Zeit wird im Hinblick auf § 1 Abs 1 BGBl 1961/37 weder dadurch gehemmt, dass der 25. August oder der 6. Jänner auf einen Samstag (EvBl 1962/236 = JBl 1962, 452), noch dadurch, dass sie auf einen Sonntag oder Feiertag (RZ 1989/108) fallen. § 223. (1) Während der verhandlungsfreien Zeit werden nur in Ferialsachen Tagsatzungen abgehalten. In anderen Sachen dürfen Tagsatzungen nur mit Zustimmung beider Parteien abgehalten werden. (2) Auf das Wiedereinsetzungsverfahren, das Verfahren zur Sicherung von Beweisen und das Exekutionsverfahren mit Einschluß der Verhandlung über die Meistbotverteilung hat die verhandlungsfreie Zeit keinen Einfluß. [Abs 1 neu gefasst und Abs 2 geändert durch ZVN 2002] Zulässige Prozesshandlungen. Finden die Bestimmungen über die 1 verhandlungsfreie Zeit auf ein bestimmtes Verfahren (s Vor § 222) Anwendung und liegt auch keine Ferialsache nach § 224 vor, so dürfen Tagsatzungen nur mit Zustimmung der Parteien abgehalten werden. In diesem Fall können in diesen Tagsatzungen dann aber auch darauf beruhende Entscheidungen gefällt und zugestellt werden (Fasching Rz 618), was jedoch – sofern die Sache nicht gemäß § 224 Abs 2 zur Ferialsache erklärt wurde – auf allfällige Rechtsmittelfristen keinen Einfluss hat. Die Zustimmung der Parteien kann auch formlos geschehen (Stohanzl § 223 Anm 1; Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 223 Rz 3 [auch telefonisch]). Durch diese Zustimmung – auch wenn sie ausdrücklich geschieht – wird eine Nichtferialsache aber nicht zur Ferialsache, weil dies eines ausdrücklichen Beschlusses nach § 224 Abs 2 bedürfte (vgl dazu § 224 Rz 1). Zulässig sind auch Gerichtsprozesshandlungen, die sich auf einen Zeitpunkt nach dem Ende der Gerichtsferien beziehen, wie etwa die Anordnung einer Tagsatzung für einen Zeitpunkt danach (Holzhammer 142; Fasching Rz 618), oder die Ausfertigung von Entscheidungen (Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 223 Rz 3; zum Beginn des Fristenlaufes s Vor § 222) sowie Prozesshandlungen, die nicht aufgrund von Streitverhandlungen ergehen, wie etwa Versäumungsurteile gemäß § 396 ZPO (nach Versäumung der Frist zur Klagebeantwortung), Beschlüsse auf Klagszurückweisung a limine oder auf Abweisung eines Antrags auf Bewilligung der Verfahrenshilfe udgl (Holzhammer 142; Fasching Rz 618). Auch wenn § 223 Abs 1 nunmehr keinen Verweis mehr auf § 239 Abs 2 und 3 idF vor der ZVN 2002 mehr enthält, wird man aber den1035

§ 224

Gitschthaler

noch davon ausgehen müssen, dass Beurkundungen von gerichtlichen Vergleichen, Anerkenntnis-, Verzichts- und Versäumnisurteilen (nach Versäumung der vorbereitenden Verhandlung) sowie Beschlüsse über Anträge auf Sicherheitsleistung für die Prozesskosten, über Anträge auf Gestattung einer Klageänderung und über Anträge auf Zurückweisung der Klage wegen Prozessunfähigkeit einer Partei oder wegen mangelnder Berechtigung der als Vertreter einschreitenden Person und über alle anderen Prozesseinreden weiterhin während der verhandlungsfreien Zeit zulässig sind.

2 Alle anderen gerichtlichen Prozesshandlungen sind hingegen zwar unzulässig, die Nichtbeachtung dieser Unzulässigkeit führt aber nicht zu Nichtigkeitsfolgen (vgl Vor § 222 Rz 2). § 224. (1) Ferialsachen sind: 1. Wechselstreitigkeiten; 2. Streitigkeiten über die Fortsetzung eines angefangenen Baues; 3. Streitigkeiten wegen Störung des Besitzstandes bei Sachen und bei Rechten, wenn das Klagebegehren nur auf den Schutz und die Wiederherstellung des letzten Besitzstandes gerichtet ist; 4. Streitigkeiten über die dem Vater eines unehelichen Kindes gegenüber der Mutter des Kindes gesetzlich obliegenden Pflichten und Streitigkeiten über den aus dem Gesetz gebührenden Unterhalt; 5. die in den §§ 35 bis 37 EO bezeichneten Streitigkeiten; 6. Anträge auf Bewilligung, Einschränkung oder Aufhebung von einstweiligen Verfügungen; 7. Verfahrenshilfesachen. (2) Der Vorsitzende des Senates oder der Einzelrichter, dem eine Rechtssache zugewiesen ist, kann andere als die im Abs 1 genannten Sachen auf Antrag einer Partei zur Ferialsache erklären, wenn es ihre Dringlichkeit erfordert. Der Ausspruch, durch den eine Sache zur Ferialsache erklärt wird, bezieht sich immer nur auf die schon laufende, wenn er jedoch außerhalb der verhandlungsfreien Zeit gefasst wird, auf die nächstfolgende verhandlungsfreie Zeit. Der Beschluß, mit dem eine Sache zur Ferialsache erklärt oder mit dem ein darauf hinzielender Antrag abgewiesen wird, kann durch ein Rechtsmittel nicht angefochten werden. [Neu gefasst durch ZVN 1983; Abs 2 neu gefasst durch ZVN 2002; Abs 1 Z 4 neu gefasst durch AußStr-BegleitG; Abs 1 Z 7 angefügt durch ZVN 2004]

1 Ferialbeschluss. Die in Abs 1 genannten Sachen sind immer Ferialsachen (vgl Rz 4, 5), andere nur dann, wenn das Gericht sie zur Ferial1036

§ 224

1.3 Mündliche Verhandlung

sache erklärt. Dies bedarf immer eines förmlichen und wohl auch kurz zu begründenden (ebenso nunmehr Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 224 Rz 3; aA SZ 36/7 = EvBl 1963/282) Beschlusses, der den Parteien stets zugestellt werden muss (JBl 1955, 412, SZ 39/221, 2 Ob 327/70, 4 Ob 502/96, 1 Ob 6/98h ua). Der bloßen Ladung auf einen Gerichtsferialtag muss daher noch nicht zwingend entnommen werden, dass der Beschluss, mit welchem die Rechtssache zur Ferialsache erklärt wurde, auch tatsächlich gefasst wurde (SZ 23/376, JBl 1955, 412, 1 Ob 233/71, 1 Ob 6/98h ua; Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 224 Rz 3). Zu begründen ist dies mit den mit einer solchen Erklärung verbundenen prozessualen Folgen (insb Wegfall der Hemmung des Fristenlaufs nach § 225 Abs 1 [Fasching1 II 1026]), weshalb der Beschluss den Parteien in einer allfällige Missverständnisse ausschließenden Weise (mündlich oder schriftlich) zur Kenntnis gebracht werden muss (SZ 23/376, JBl 1955, 412, 1 Ob 778/55, 3 Ob 624/79). Der Beisatz in der Ladung, die Sache werde zur Ferialsache erklärt, wird zwar von der Rsp (JBl 1956, 319, SZ 36/7, 10 Ob 13/97b ua; ebenso Fasching1 II 1024; Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 224 Rz 3) als ausreichend angesehen, § 224 Abs 2 spricht allerdings ausdrücklich von einem Beschluss. Im Hinblick auf § 426 Abs 1 und 2, § 224 Abs 2 Satz 2 muss es auch dann, wenn die Tagsatzung bereits in den Gerichtsferien stattfindet, genügen, wenn den Parteien der Beschluss auf Erklärung der Sache zur Ferialsache in dieser Tagsatzung in Anwesenheit aller Parteien verkündet wird (idS wohl auch Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 224 Rz 3). Der Beschluss wirkt seit der ZVN 1983 immer nur für die laufenden 2 oder nächstfolgenden Gerichtsferien (4 Ob 502/96, 10 Ob 2215/96z, 1 Ob 6/98h), was damit zu begründen ist, dass sonst die Erklärung zur Ferialsache leicht außer Evidenz geraten könnte (Fasching Rz 617). Dies wurde durch die ZVN 2002 nochmals ausdrücklich klargestellt. Während die Erklärung einer Sache zur Ferialsache durch den ersuchten Richter ohne Wirkung für das erkennende Gericht ist (SZ 39/ 221, 4 Ob 566/78), wirkt sie im Falle einer Überweisung (RZ 1983/74) oder Delegierung weiter (aA Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 224 Rz 3). Auch wenn Beschlüsse a) über die Erklärung zur Ferialsache (RdW 3 1999, 80 [auch wenn dies antragslos geschieht]), b) über die Abweisung des Antrags, eine Sache zur Ferialsache zu erklären, und c) über die Abweisung des Antrags auf Aufhebung der Erklärung zur Ferialsache (RZ 1984/21, 4 Ob 502/96) nicht anfechtbar sind, so sind doch unbegründete oder überraschende Erklärungen zur Ferialsache möglichst zu 1037

§ 224

Gitschthaler

vermeiden (Fasching Rz 617). Voraussetzung für eine derartige Erklärung ist jedenfalls, dass es die Dringlichkeit der Sache erfordert (kein freies Ermessen des Richters; zur Frage der Dringlichkeit und zum Verbot des Missbrauchs dieser Bestimmung vgl auch Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 224 Rz 3) oder alle Parteien würden es übereinstimmend beantragen (Rechberger/Simotta Rz 344). Einer gesetzwidrigen Erklärung der Sache zur Ferialsache können die Parteien durch einen Antrag auf Verlegung der in den Gerichtsferien anberaumten Tagsatzung und Anfechtung des diesen Antrag abweisenden Beschlusses (vgl Rz 3 zu §§ 140 bis 143) entgegentreten (Fasching Rz 617; 4 Ob 502/96).

4 Ex lege Ferialsachen, bei denen es nicht darauf ankommt, ob sie im konkreten Fall auch tatsächlich besonders dringend sind (EFSlg 49.326, 7 Ob 115/98g), sind die in Abs 1 aufgezählten Streitigkeiten. Die Frage, ob eine Ferialsache vorliegt oder nicht, ist dabei nach den Klagsbehauptungen und nicht nach den Einwendungen des Beklagten zu beurteilen (ZBl 1929/75, EvBl 1962/142, 3 Ob 173/82, 3 Ob 13/89, 10 Ob 85/04d). Es spielt keine Rolle, ob die geltendgemachte Forderung durch Zession erworben wurde (vgl EvBl 1975/254, 7 Ob 115/98g). Bei der Prüfung der Rechtszeitigkeit von Rechtsmitteln hat das übergeordnete Gericht von Amts wegen zu berücksichtigen, ob eine Ferialsache gegeben ist (Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 224 Rz 1).

5 Die Aufzählung des Abs 1 ist zwar grundsätzlich als taxativ (SZ 70/ 204; 3 Ob 6/01f; Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 224 Rz 1) anzusehen, jedoch nicht zu eng auszulegen (3 Ob 6/01f). Es fallen daher unter Ziffer 1: nicht nur sämtliche Klagen, womit wechselmäßige Ansprüche schlechthin (Wechselmandatsverfahren, Wechselklage, gewöhnliche Klage) geltend gemacht werden (1 Ob 752/79, 2 Ob 641/85, wbl 1997, 171 = ÖBA 1997/657 ua), sondern etwa auch Scheckrückgriffsstreitigkeiten nach Art 59a SchG (Stohanzl § 224 Anm 1); Ziffer 2: Bauverbotsklagen nach § 456 und petitorische Klagen auf Unterlassung einer begonnen Bauführung (6 Ob 774/82); Ziffer 3: die 30-Tagefrist des § 454 Abs 1 (LGZ Wien EFSlg 55.051); Ziffer 4: alle Streitigkeiten (Festsetzung, Erhöhung, Herabsetzung, Enthebung [also auch Verfahren, in denen eine Zahlungsverpflichtung bestritten wird; Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 224 Rz 2] einschließlich der Anfechtung eines Unterhaltsvergleichs [6 Ob 115/04m], Letzteres aber nur dann, wenn auch tatsächlich die unterhaltsrechtlichen Bestimmungen des Vergleichs angefochten werden [4 Ob 210/ 01p]) zwischen Ehegatten über den gesetzlichen Unterhalt, auch wenn 1038

§ 224

1.3 Mündliche Verhandlung

aus einem Unterhaltsvergleich (etwa nach § 55a EheG) oder auf Aufwertung eines bestehenden Titels (10 Ob 85/04d) geklagt wird; als Streitigkeit über den gesetzlichen Unterhalt ist auch ein Verfahren zwischen Ehegatten über ein Begehren auf Ersatz von Wohnungskosten anzusehen (LGZ Wien EFSlg 57.744), ebenso ein Streit über das Begehren des Ehemanns auf Feststellung, die Ehefrau sei nicht berechtigt, Ansprüche aus einem Unterhaltsvergleich zu stellen, weil diese wegen Bestehens einer Lebensgemeinschaft ruhten (EFSlg 57.741, 57.743; LGZ Wien EFSlg 94.513); ob im Einzelfall tatsächlich Dringlichkeit geboten ist, ist unmaßgeblich, weshalb eine Ferialsache auch dann vorliegt, wenn der begehrte Unterhalt an sich bereits durch Einstweilige Verfügung gedeckt ist (EFSlg 49.326) oder ein gesetzlicher Unterhaltsanspruch im Wege der Legalzession auf einen Sozialhilfeträger (EFSlg 88.093) oder Erben (10 Ob 85/04d) übergegangen ist; bei Rückforderungsansprüchen betreffend zu Unrecht geleisteten Unterhalt kommt es darauf an, ob die Verbindlichkeit familienrechtlichen Charakter hat, also etwa Ehegattenunterhalt deshalb rückgefordert werden soll, weil der Unterhaltsanspruch aufgrund einer Lebensgemeinschaft an sich geruht hätte (LGZ Wien EFSlg 94.513); seit 1.1.2005 ist zu berücksichtigen, dass Streitigkeiten über den Unterhalt zwischen Eltern/Großeltern und Kindern/Enkelkindern ins Verfahren außer Streitsachen verwiesen sind (§ 49 JN idF AußStr-BegleitG); Ziffer 5: Oppositions- (SZ 3/92, 3 Ob 108/92, 3 Ob 15/00b, 3 Ob 301/02i), Impugnations- und Exszindierungs- sowie Klagen, mit denen die Exekutionskraft eines Notariatsakts bestritten wird (RZ 1990/76; Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 224 Rz 2), Letzteres selbst dann, wenn der erhobene Anspruch über die Bestreitung der Exekutionskraft des Notariatsakts hinausgeht; auch Klagen nach § 14 AbgEO unterliegen der Z 5 (3 Ob 6/01f); Ziffer 6: sämtliche Beschlüsse im Zusammenhang mit Einstweiligen Verfügungen (MR 1996, 245, 10 Ob 302/97b) einschließlich Anträgen nach § 394 EO (SZ 7/57; aA Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 224 Rz 2 unter Hinweis darauf, dass nach dieser Bestimmung Schadenersatzansprüche geltend gemacht werden) und Klagen wegen Unzulässigkeit der Vornahme einer Einstweiligen Verfügung (RZ 1933, 263), wobei die Anführung der Z 6 durch den Gesetzgeber im Hinblick auf § 223 Abs 2 (Exekutionsverfahren) allerdings gar nicht notwendig gewesen wäre (EvBl 1990/124). Keine Ferialsache liegt jedoch dann vor, 6 a) wenn der Kläger nur behauptet, der betreibende Gläubiger (als Beklagter) habe versprochen, eine bestimmte Sache nicht in Exekution zu ziehen; dabei handelt es sich nämlich um eine sonstige Klage auf 1039

§ 224

Gitschthaler

Unzulässigkeit einer Exekution, die weder von Z 5 noch von § 223 Abs 2 erfasst wird (SZ 11/223); b) bei Widerspruchsklagen nach § 231 EO (EvBl 1995/15); c) bei Verfahren über die Vollstreckbarerklärung und die Anerkennung von ausländischen Exekutionstiteln nach §§ 79 ff EO (SZ 70/204 = ZfRV 1998/9, 3 Ob 31/02h = RdW 2003/77; durch EO-Novelle 1995 überholt SZ 17/22); d) bei einem Streit über die Rückersatzverpflichtung von Zahlungen zur (vermeintlichen) Erfüllung gesetzlicher Unterhaltspflichten, die in der irrigen Meinung geleistet wurden, es handle sich um das eigene Kind, weil es sich dabei um einen Bereicherungsanspruch handelt (LGZ Wien EFSlg 76.064; Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 224 Rz 2); dies gilt aber nur, wenn der Bereicherungsgläubiger den tatsächlichen Vater klagt; e) seit der ZVN 1983 bei Räumungsklagen und sonstigen Bestandstreitigkeiten, was nicht nachvollziehbar erscheint, sind doch gerade derartige Verfahren als dringlich anzusehen; sowie f) bei Wiederaufnahms- und Nichtigkeitsklagen (3 Ob 108/02g = EFSlg 101.972), wobei es keine Rolle spielt, ob der Vorprozess (also etwa das wieder aufzunehmende Verfahren) eine Ferialsache gewesen ist (SZ 11/258, 12/241, 21/6, MietSlg 3574, 6 Ob 274/68, 3 Ob 108/02g = EFSlg 101.973; krit dazu Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 224 Rz 1 mit dem Argument der Rechtssicherheit); nach Aufhebung der Vorentscheidung ist jedoch das Erneuerungsverfahren unter Anwendung der für die Hauptsache geltenden Bestimmungen durchzuführen; ist daher die Hauptsache Ferialsache, trifft das auch auf das Erneuerungsverfahren zu (EFSlg 101.972, 101.973).

7 Selbst in Nichtferialsachen hat im Hinblick auf § 223 Abs 2 die verhandlungsfreie Zeit keinen Einfluss auf bestimmte Teilverfahren (Teilferialverfahren), uzw auf Wiedereinsetzungs- und Beweissicherungsverfahren sowie Verfahren über Anträge auf Erlassung Einstweiliger Verfügungen (EvBl 1990/124), Gebührenbestimmungsverfahren nach dem GebAG (OLG Wien Sach 1988, 4, 24) und Mahnverfahren nach §§ 244 ff bis zu dem Zeitpunkt, zu dem das Verfahren aufgrund Erhebung eines Einspruchs gegen den Zahlungsbefehl ins „ordentliche“ Verfahren übergeht (LG Salzburg 22 R 527/88; vgl zum MahnG RZ 1979/9, 6 Ob 661/78).

8 Sowohl die Häufung mehrerer Ansprüche in einer Klage, von denen einer im Fall gesonderter Geltendmachung als Ferialsache zu erledigen wäre (3 Ob 118/03d = EFSlg 105.799, 1 Ob 210/03v), als auch die beschlussmäßige (§ 187; aA MietSlg 23.643) Verbindung einer Ferialsache 1040

§ 225

1.3 Mündliche Verhandlung

mit einer Nichtferialsache (SZ 8/345, EvBl 1975/222, EvBl 1990/124, 1 Ob 210/03v, 10 Ob 85/04d; LGZ Wien EFSlg 90.921) machen den Rechtsstreit zur Gänze zur Ferialsache. Selbst wenn hier ein Teilurteil nur über jenen Teil des Rechtsstreits getroffen wird, der eine Nichtferialsache gewesen wäre, so wirkt sich die verhandlungsfreie Zeit auf die Rechtsmittelfristen nicht aus (EFSlg 49.327, 55.027). Dies gilt allerdings dort nicht, wo im Zuge einer Nichtferialsache zur Sicherung des Anspruchs eine Einstweilige Verfügung beantragt wird, so etwa wenn in einem Ehescheidungsverfahren ein Antrag auf Bestimmung einstweiligen Unterhalts nach § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO oder in einem Rechtsstreit über die Leistung eines in Geld bestehenden Kaufpreises eine Einstweilige Verfügung zur Sicherung des klägerischen Anspruchs gestellt wird (EvBl 1990/124). Ferialsache gemäß § 223 Abs 2, § 224 Abs 1 Z 6 ist in derartigen Fällen dann zwar das Verfahren über die Einstweilige Verfügung, nicht aber der Rechtsstreit selbst (anders nur für die Rechtsmittelfrist, wenn das Urteil und der Beschluss über die Einstweilige Verfügung in einer einheitlichen Ausfertigung ergehen [s § 225 Rz 7]). § 225. (1) Fällt der Anfang der verhandlungsfreien Zeit in den Lauf einer Frist oder der Beginn der Frist in die verhandlungsfreie Zeit, so wird die Frist um die ganze Dauer oder um den bei ihrem Beginn noch übrigen Teil der verhandlungsfreien Zeit verlängert. (2) Auf den Anfang und den Ablauf von Fristen in Ferialsachen, der Notfristen im Rechtsmittelverfahren gegen Versäumungs- und Anerkenntnisurteile, der Frist zur Erhebung des Widerspruchs gegen ein Versäumungsurteil, der Frist zum Einspruch gegen einen bedingten Zahlungsbefehl, der Frist zur Klagebeantwortung sowie der Frist zur Erhebung von Einwendungen im Mandatsverfahren und im Bestandverfahren hat die verhandlungsfreie Zeit keinen Einfluss. [Neu gefasst durch 1. GEN; Abs 2 neu gefasst durch ZVN 2002] Zur Berechnung von Fristen unter Berücksichtigung des Einflusses 1 der Gerichtsferien s §§ 124 bis 126. Unrichtige Beurteilung. Durch die verhandlungsfreie Zeit werden die 2 davon betroffenen Fristen verlängert (gehemmt), nicht jedoch unterbrochen (Ballon Rz 150, 273; Rechberger/Simotta Rz 344 [die Fristen stehen still]; EvBl 1993/195, 1 Ob 504/94, 1 Ob 535/94). Wird der Einfluss der verhandlungsfreien Zeit durch das Gericht auf Fristen unrichtig beurteilt, so ist eine Sacherledigung als nichtig aufzuheben (SZ 41/ 1041

§ 225

Gitschthaler

113, JBl 1985, 630, 10 ObS 268/95, 10 Ob 2215/96z), wenn das Gericht meritorisch entschieden hat, obwohl durch die Gerichtsferien die Frist nicht verlängert und die Parteihandlung deshalb verspätet erbracht wurde (etwa Rechtsmittel). Wird hingegen unzutreffender Weise davon ausgegangen, dass die Gerichtsferien die Frist nicht verlängern, und daher die Parteihandlung als verspätet zurückgewiesen, so ist der Zurückweisungsbeschluss im Instanzenweg oder gemäß § 522 Abs 1 zu beseitigen, wobei etwa die Zurückweisung eines Rechtsmittels infolge unrichtiger Berechnung einer Rechtsmittelfrist durch das Gericht zweiter Instanz auch mit außerordentlichem Revisionsrekurs bekämpft werden können soll (vgl SZ 62/165).

3 Keinen Einfluss hat die verhandlungsfreie Zeit auf Fristen in Ferialsachen, gleichgültig ob es sich dabei um eine Ferialsache ex lege (§ 224 Abs 1) oder um eine aufgrund richterlichen Beschlusses zur Ferialsache erklärte (§ 224 Abs 2), wobei allerdings in letzterem Fall mit der Zustellung des Ferialbeschlusses gehemmte Fristen zu laufen beginnen oder weiterlaufen (5 Ob 220/71). Ebenfalls keinen Einfluss hat die verhandlungsfreie Zeit auf die in Abs 2 taxativ aufgezählten Fristen, auf die Frist zur Stellung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Fasching Rz 618; ebenso nach der ZVN 2002 Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 126 Rz 9), auf die Frist des § 168 (Ruhen des Verfahrens; OLG Wien EvBl 1950/32; OLG Innsbruck AnwBl 1995/4989 [zust Lechner]) sowie auf sämtliche Leistungsfristen (SZ 5/223) und grundsätzlich auf materiellrechtliche Fristen (einschließlich der Vergleichswiderrufsfrist; s § 123), desgl auf die Frist zur Anfechtung eines Schiedsspruchs nach § 611 Abs 4 (SZ 41/90 = JBl 1969, 153, SZ 69/224 [verst Senat]).

4 Der Ausnahmeregelung des Abs 2 ist etwa auch ein Rechtsmittel gegen ein „negatives Versäumungsurteil“ (infolge Versäumung der Tagsatzung durch den Kläger) zu unterstellen (SZ 46/23 = JBl 1974, 581 [krit Rechberger, JBl 1974, 562]), ebenso die Revisionsfrist gegen ein Berufungsurteil über ein Versäumungsurteil erster Instanz (SZ 2/113, JBl 1954, 287, 2 Ob 613/85). Nicht maßgeblich ist, ob ein Anerkenntnis(SZ 6/2) oder ein Versäumungsurteil (aA LGZ Wien MietSlg 45.697) auch als solche überschrieben waren, weil Bezeichnungsfehler auch des Gerichts nicht schaden. Wurde aufgrund dieses Umstands eine Rechtsmittelfrist versäumt, könnte uU jedoch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt werden. Unter Bestandverfahren sind nur jene nach §§ 560 ff zu verstehen (5 Ob 515/80, 5 Ob 720/82, EvBl 1986/121), darüber hinaus bezieht sich Abs 2 auch nur auf Einwendungen und die Frist des § 575 (LGZ 1042

§ 225

1.3 Mündliche Verhandlung

Graz MietSlg 47.707), nicht jedoch auch auf Rechtsmittelfristen (EvBl 1986/121). Seit der ZVN 2002 gilt die Ausnahmeregelung des Abs 2 auch für die Klagebeantwortungsfrist, was im Einzelfall (etwa bei umfangreichen oder komplizierten Klagen) zwar unbillig sein kann, weil der Beklagte genötigt ist, während der an sich verhandlungsfreien Zeit mittels Schriftsatzes den klägerischen Anspruch zu bestreiten. Daraus aber zu schließen, in diesen Fällen wäre eine leere Klagebeantwortung zulässig (gemeint wohl: ohne kostenrechtliche Sanktionen in Bezug auf den nach der verhandlungsfreien Zeit folgenden Schriftsatz des Beklagten) erscheint übertrieben und von der ZPO nicht gedeckt (vgl § 239 Abs 1; so aber Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 225 Rz 2). Alle anderen – prozessualen (Fasching Rz 618), wozu auch richterliche 5 (LG Salzburg 22 R 527/88) gehören – Fristen werden durch die verhandlungsfreie Zeit beeinflusst und damit gehemmt (Abs 1), so etwa auch a) Fristen in Gebührenbestimmungsverfahren nach dem GebAG (OLG Wien Sach 1988, 4, 24) oder nach § 2 GEG; b) im Bestandverfahren alle Fristen außer jener zur Erhebung von Einwendungen (EvBl 1986/121); so etwa auch die Frist des § 575 Abs 2 (LGZ Wien EFSlg 41.592); c) die Frist gemäß § 38 zur nachträglichen Vorlage einer Vollmacht (LG Wien EvBl 1935/953); oder d) die Notfrist des § 534 Abs 1 für die Einbringung von Rechtsmittelklagen (SZ 21/6; OLG Wien EFSlg 18.507); dies gilt allerdings nicht für Wiederaufnahmsklagen in Arbeits- und Sozialrechtssachen (SZ 64/ 172). Verbesserungsfristen behalten den Charakter der ursprünglichen Frist 6 (4 Ob 285/04x; OLG Linz EvBl 1985/51; Ballon Rz 150; Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 225 Rz 2; G. Kodek in Fasching/Konecny §§ 84, 85 Rz 263), sodass die Ausnahme des Abs 2 auch auf die Frist zur Verbesserung der Berufung gegen ein Versäumungsurteil (LGZ Wien MietSlg 39.748) und auf die Frist zur Verbesserung des Widerspruchs gegen ein Versäumungsurteil (OLG Linz EvBl 1985/51) Anwendung zu finden hat. Die verhandlungsfreie Zeit verlängert daher diese letzteren Fristen nicht (ebenso nunmehr G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 263). Zur Verbindung einer Ferialsache mit einer Nichtferialsache, zu deren 7 Auswirkung und zum Sonderfall der Verbindung einer Nichtferialsache mit einem Antrag auf Erlassung einer Einstweiligen Verfügung s § 224. 1043

§ 225

Gitschthaler

Ergehen jedoch im letztgenannten Fall die Entscheidung in der Hauptsache und der Beschluss über die Einstweilige Verfügung in einer einheitlichen Ausfertigung, dann gilt die längere Rechtsmittelfrist, gleichgültig, welcher Teil der Entscheidung angefochten wird; im konkreten Fall würde also die durch die verhandlungsfreie Zeit verlängerte Rechtsmittelfrist für die Bekämpfung der Hauptsache gelten (EvBl 1990/124).

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Zweiter Teil Verfahren vor den Gerichtshöfen erster Instanz Erster Abschnitt Verfahren bis zum Urteile Erster Titel Klage, Klagebeantwortung und Streitverhandlung Vor § 226 Lit: Schwab, Der Streitgegenstand im Zivilprozeß (1954); Habscheid, Der Streitgegenstand im Zivilprozeß und im Streitverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (1956); Henckel, Parteilehre und Streitgegenstand im Zivilprozeß (1961); Novak, Einige Probleme des Zivilprozeßrechts, JBl 1964, 1, 57; Dolinar, Die bedingte Parteihandlung, ÖJZ 1970, 85 und 118; Krehan, Schlüssigkeit der Klage, AnwBl 1970, 209; P. Böhm, Die Lehre vom Rechtsschutzbedürfnis, JBl 1974, 1; Dolinar, Ruhen des Verfahrens und Rechtsschutzbedürfnis (1974); Rechberger, Das Unschlüssigkeitsurteil im Versäumnisfall, JBl 1974, 562; Fasching, Rechtsschutzverzichtsverträge im österreichischen Prozeßrecht? ÖJZ 1975, 431; ders, Urteilsmäßige Rechtsgestaltung im Zivilprozeß. Über die Zulässigkeit und Abgrenzung von Rechtsgestaltungsklagen und über die Urteilswirkungen der Rechtsgestaltungsurteile, JBl 1975, 505; Ballon, Klagbarkeit von Ansprüchen, JBl 1978, 10; Dolinar, Wechselanspruch und Anspruch aus dem Kausalverhältnis, ÖJZ 1978, 449; Schumann in Stein/Jonas, ZPO I20 (1979) Einl V; Matscher, Die Verfahrensgarantien der EMRK in Zivilrechtssachen, ZÖR 1980, 1; Lenneis, Zur Schlüssigkeit der Widerspruchsklage gem § 37 EO bei behauptetem Eigentum, AnwBl 1981, 444; P. Böhm, Die Ausrichtung des Streitgegenstandes am Rechtsschutzziel, FS Kralik (1986) 83; Dolinar, Feststellung des Erbrechts und Erbschaftsklage in prozessualer Sicht, FS Kralik 125; Holzhammer, Zur Auflösungsklage nach § 133 HGB, GS Schönherr (1986) 295; Konecny, Zum Klagebegehren und zum Inhalt der Anfechtungsklage im Konkurs, ÖBA 1987, 311; P. Böhm, Die Rechtsschutzformen im Spannungsfeld von lex fori und lex causae, FS Fa1045

Vor § 226

Rechberger/Klicka

sching (1988) 107; König, Gestaltungsbegehren bei der Konkursanfechtung, FS Fasching (1988) 291; Schumann, „Kein Bedürfnis für das Rechtsschutzbedürfnis“ – Zur Fragwürdigkeit des Rechtsschutzbedürfnisses als allgemeiner Prozeßvoraussetzung, FS Fasching (1988) 439; Habscheid, Die neuere Entwicklung der Lehre vom Streitgegenstand im Zivilprozeß, FS Schwab (1990) 181; Lüke, Zur Streitgegenstandslehre Schwabs, FS Schwab (1990) 309; W. Kralik, Der Streitgegenstand im Rechtsmittelverfahren, FS Baumgärtel (1990) 261; Köhler, Der Streitgegenstand bei Gestaltungsklagen (1995); Rechberger, Parteilehre, Streitgegenstand und der österreichische Oberste Gerichtshof, FS Henckel (1995) 679; Barth, Der Streitgegenstand der wettbewerbsrechtlichen Unterlassungklage: Zur Problematik des Unterlassungsbegehrens und der Streitgegenstandsidentität bei wiederholten gleichartigen Wettbewerbsverstößen (1996); P. Böhm, Der Streitgegenstandsbegriff des EuGH und seine Auswirkungen auf das österreichische Recht, in Bajons/Mayr/Zeiler (Hrsg), Die Übereinkommen von Brüssel und Lugano (1997) 141; Holzhammer, Lückenschließung durch Typenvergleich am Beispiel des Rechtsschutzverzichts, FS Winkler (1997) 337; Jahr, Anspruchsgrundlagenkonkurrenz und Erfüllungskonnexität, FS Lüke (1997) 297; Prütting, Der Streitgegenstand im Arbeitsgerichtsprozeß, FS Lüke (1997) 617; Schwab, Noch einmal: Bemerkungen zum Streitgegenstand, FS Lüke (1997) 793; Rüßmann, Die Streitgegenstandslehre und die Rechtsprechung des EuGH – nationales Recht unter gesamteuropäischem Einfluß? ZZP 1998, 399; Walker, Die Streitgegenstandslehre und die Rechtsprechung des EuGH – nationales Recht unter gesamteuropäischem Einfluß? ZZP 1998, 429. Fasching in Fasching/Konecny I Einl; Fasching in Fasching/Konecny III Vor § 226; Holzhammer 161; Fasching Rz 720 ff, 1033 ff; Bajons Rz 85 ff, 106 ff; Ballon Rz 25 ff, 30 f, 171 ff; Rechberger/Simotta Rz 250 ff, 362 ff, 382 ff. Inhaltsübersicht Die Funktion der Klage 1 Die Klagearten 2–5 Die Prozessvoraussetzungen und ihre Behandlung 6 Allgemeine Prozessvoraussetzungen 7 Besondere Prozessvoraussetzungen 8 Rechtsschutzbedürfnis 9–11 Relative Prozessvoraussetzungen 12 1046

Sachlegitimation und Schlüssigkeit der Klage Die Bedeutung des Streitgegenstandes Zweigliedriger Streitgegenstand Dreigliedriger Streitgegenstand Wirkungsbezogener Streitgegenstand

13 14 15 16 17

Vor § 226

2.1 Verfahren bis zum Urteile Eingliedriger Streitgegenstand Die Klagenkonkurrenz

18 19–22

Das Gerichtshofverfahren als Modellverfahren

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Ein Zivilprozess wird – abgesehen von Vorbereitungsschritten wie etwa 1 einem Beweissicherungsverfahren (§§ 384 ff) oder einem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung (§§ 370 ff EO) – allein aufgrund der (idR privat-) autonomen Entscheidung des Klägers eingeleitet, Klage zu erheben; dies gilt auch in Fällen, in denen ein gewisses überindividuelles, bis hin zu einem öffentlichen Interesse reichendes Interesse maßgeblich für die Verfahrenseinleitung ist (bei Verbandsklagen oder bei Klagen staatlicher Organe, wie der Ehelichkeitsbestreitungsklage des Staatsanwalts). Der Antrag auf Gewährung von Rechtsschutz begründet das Prozessrechtsverhältnis (s Vor § 1 Rz 1) und bestimmt den Gegenstand des Rechtsstreites (Dispositionsgrundsatz). Über die notwendigen Form- und Inhaltserfordernisse eines (vorbereitenden) Schriftsatzes hinaus (vgl dazu §§ 75 und 78) muss die Klage daher als besondere Inhaltserfordernisse ein bestimmtes Begehren (den Urteilsantrag) und die zu seiner Begründung notwendigen Tatsachen enthalten, welche mithin den Streitgegenstand des Prozesses bilden (das Gesetz nennt in § 226 überdies die Beweismittel, deren sich der Kläger zu bedienen beabsichtigt als vorgesehenen Klagsinhalt, doch hat diese Anordnung keine echte Streitgegenstandsabgrenzungsfunktion, sondern dient vielmehr einer möglichst frühzeitigen und effektiven Prozessvorbereitung durch das Gericht und die Gegenpartei). An die durch das Klagebegehren und die zur Begründung der Klage vorgebrachten Tatsachen (den sog „Klagegrund“, vgl § 235 Abs 4) abgesteckten Grenzen des Rechtsstreits ist das Gericht gebunden (§ 405). In der Klage, vor allem durch das Klagebegehren, kommt das Rechts- 2 schutzziel, das ist die Art, wie die geltend gemachte Rechtsposition des Klägers prozessual realisiert werden soll, zum Ausdruck. Danach unterscheidet man drei Klagearten als Rechtsschutzformen: die Leistungs-, Feststellungs- und Rechtsgestaltungsklagen. a) Leistungsklagen sind auf ein bestimmtes menschliches Verhalten 3 des Beklagten gerichtet. Es handelt sich also um die angestrebte Verurteilung des Beklagten zu einem positiven Tun, wie die Zahlung einer Geldsumme, die Herausgabe oder Leistung von beweglichen Sachen, die Überlassung oder Räumung von unbeweglichen Sachen, die Vornahme vertretbarer oder unvertretbarer Handlungen sowie die Abgabe von Willenserklärungen (Leistungsklagen im engeren Sinn), ferner zur Duldung bestimmter Handlungen (zB bei den Haftungsklagen zur 1047

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Duldung der Exekution) und letztlich zur Unterlassung bestimmter Handlungen. Leistungsklagen sind idR ein Fall repressiven Rechtsschutzes, dh sie greifen erst ein, wenn die Rechtsposition des Klägers bereits verletzt ist und sie wollen durch die Verurteilung des Schuldners die Rechtsverletzung ausgleichen (Ausnahmen gelten für die sog „vorbeugende Unterlassungsklage“ bei der eine Verletzung der Rechtsposition des Klägers zumindest ernsthaft droht und mit Einschränkungen auch für die Verurteilung vor Fälligkeit nach § 406; zu den Klagen auf zukünftige Leistung sowie zu den Unterlassungsklagen s § 406 Rz 7 ff und 13 ff). Im Klagebegehren der Leistungsklage wird (so wie im Urteilsspruch des Leistungsurteils) nur der Leistungsbefehl („der Beklagte ist schuldig …“) formuliert. Implizit enthält die Leistungsklage aber auch das Begehren auf Feststellung des dem Kläger gegen den Beklagten zustehenden Anspruchs (daraus folgt die Feststellungswirkung des Leistungsurteils).

4 b) Feststellungsklagen (§ 228) dienen dem präventiven Rechtsschutz, weil sie zur (deklarativen) Feststellung führen, dass ein zwischen den Parteien strittiges Recht oder Rechtsverhältnis besteht oder nicht besteht; ausnahmsweise – und praktisch bedeutungslos – kann auch festgestellt werden, ob eine Urkunde echt oder unecht ist. Das Urteil erschöpft sich in dieser rechtskraftfähigen Feststellung.

5 c) Rechtsgestaltungsklagen führen ausnahmsweise zur Veränderung der (materiellen oder prozessualen) Rechtslage, nämlich zur Begründung, Änderung oder Aufhebung eines Rechtsverhältnisses durch Richterspruch; das Gestaltungsurteil wirkt konstitutiv. Die Gestaltungsklage ist manchmal die einzige Möglichkeit zur Veränderung der Rechtslage, wenn das Gesetz die privatautonome Rechtsgestaltung durch die Parteien im überindividuellen Interesse verbietet (wie stets bei Ehesachen, oft bei Auflösung von Gemeinschaftsverhältnissen und mitunter im Bestand-, Arbeits- und Sozialrecht) oder weil sich die Parteien auf keine einvernehmliche außergerichtliche Gestaltung einigen können. Neben dem eigentlichen Gestaltungsbegehren auf Änderung der Rechtslage (dem bei Stattgebung der Urteilsspruch des Gestaltungsurteils entspricht) enthält die Gestaltungsklage implizite das Begehren auf Feststellung des Gestaltungsgrundes, der sich je nach dem Anwendungsbereich der Gestaltungsklage aus dem Privatrecht oder dem Verfahrensrecht ergibt. Auf den Gestaltungsgrund bezieht sich die Feststellungswirkung des Gestaltungsurteils, welche jede Berufung darauf, die Gestaltung sei zu Unrecht erfolgt, ausschließt. 1048

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2.1 Verfahren bis zum Urteile

Die Prozessvoraussetzungen und ihre Behandlung. Für die Zulässig- 6 keit des mit der Klage begehrten Rechtsschutzes müssen bestimmte verfahrensrechtliche Bedingungen vorliegen, für die sich der Begriff „Prozessvoraussetzungen“ eingebürgert hat. Als Zulässigkeitsvoraussetzungen müssen sie feststehen, bevor darüber entschieden werden darf, ob die Klage begründet ist. Die öZPO hat die urteilsmäßige Entscheidung der letzteren Frage vorbehalten, während über Prozessvoraussetzungen mit Beschluss zu entscheiden ist. Grundsätzlich ist die Klage als unzulässig zurückzuweisen, wenn nicht sämtliche Prozessvoraussetzungen gegeben sind. Ihr Vorliegen ist grundsätzlich in jeder Lage des Verfahrens (also von der Klageprüfung in limine litis bis zur Entscheidung der letzten Instanz) von Amts wegen zu prüfen. Zu den sog „relativen“ Prozessvoraussetzungen unten Rz 12. Die amtswegige Ermittlung der Prozessvoraussetzungen und der für ihre Feststellung erforderlichen Tatsachen bedeutet die Anwendung des Untersuchungsgrundsatzes (Fasching Rz 728), was allerdings für den Fall der Unaufklärbarkeit nichts daran ändert, dass grundsätzlich jene Partei, die eine für sie günstige Sachentscheidung erreichen will, die objektive Beweislast für das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen trifft (Näheres bei Vor § 266 Rz 11). Der Entscheidung über die Frage des Vorliegens einer Prozessvoraussetzung muss nach Streitanhängigkeit stets eine mündliche Verhandlung vorausgehen, gleichgültig ob sie von Amts wegen aufgeworfen wird oder aufgrund einer Prozesseinrede des Beklagten (so ausdrücklich § 261 Abs 1 für die „qualifizierten“ Prozesseinreden des § 239 Abs 3). Ob diese Verhandlung in der vorbereitenden Tagsatzung, abgesondert vor der mündlichen Streitverhandlung (§ 260 Abs 1), abgesondert während der mündlichen Streitverhandlung (§ 189 Abs 2) oder aber gemeinsam mit der Hauptsache (§ 261 Abs 1) erfolgt, entscheidet das Gericht. Auch wenn eine Partei eine Prozesseinrede erhoben hat, darf sie die Einlassung in die Verhandlung über die Hauptsache nicht verweigern (§ 260 Abs 1 und 3); dies zeigt, dass es sich bei den „Prozessvoraussetzungen“ in Wahrheit um Sachentscheidungsvoraussetzungen handelt. Zur Heilungsmöglichkeit der persönlichen Prozessvoraussetzungen s §§ 6, 37, 477; zu den Sonderregeln über die Folgen der Unzuständigkeit s §§ 43, 44, 60, 104 JN und §§ 182, 230a, 240, 261, 441, 475; zu den Heilungsmöglichkeiten des Mangels der inländischen Gerichtsbarkeit (iS der internationalen Zuständigkeit) s §§ 42, 104 JN und im europäischen Zivilverfahrensrecht besonders Art 24 EuGVVO bzw Art 18 EuGVÜ/LGVÜ. Der Mangel einer Prozessvoraussetzung kann nicht mehr wahrgenommen werden, wenn darüber bereits eine rechtskräftige und damit 1049

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bindende Entscheidung ergangen ist (vgl § 42 Abs 3 JN und § 7 Abs 2 sowie Jud 63 neu = SZ 28/265). Noch nach Rechtskraft können der Mangel der Prozessfähigkeit mit Nichtigkeitsklage (§ 529 Abs 1 Z 2), das Auffinden einer bereits rechtskräftigen Entscheidung in derselben Sache mit Wiederaufnahmsklage (§ 530 Abs 1 Z 6) und der Mangel der inländischen Gerichtsbarkeit infolge des Vorliegens von Immunität sowie der Unzulässigkeit des Rechtsweges ieS mittels Aufhebungsantrages der obersten Verwaltungsbehörde an den OGH (§ 42 Abs 2 JN) wahrgenommen werden.

7 Die allgemeine Prozessvoraussetzungen müssen in jedem Zivilprozess vorliegen: a) Die ordnungsgemäße Klageerhebung: Da nur die ordnungsgemäße Klageerhebung überhaupt einen Zivilprozess einzuleiten vermag (Fasching Rz 737), muss eine Klage, die nicht den notwendigen Inhalt (s dazu § 226 Rz 2 ff) aufweist, als unzulässig zurückgewiesen werden. Zur Frage, ob bei Inhaltsmängeln der Klage ein Verbesserungsauftrag möglich ist, s §§ 84 f Rz 10 ff. b) Die parteibezogenen („persönlichen“) Prozessvoraussetzungen: Parteifähigkeit (s Vor § 1 Rz 5) Prozessfähigkeit (s § 1 Rz 1) Gesetzliche Vertretung (s § 4 Rz 1) Besondere Ermächtigung zur Prozessführung (s § 4 Rz 2) Vollmacht des gewillkürten Vertreters (s §§ 30 ff) c) Die gerichtsbezogenen Prozessvoraussetzungen: Inländische Gerichtsbarkeit (s § 42 JN Rz 2 ff) Zulässigkeit des Rechtsweges (s § 42 JN Rz 1 ff) Zuständigkeit des Gerichts (s §§ 43 f JN Rz 1 ff) d) Die streitgegenstandsbezogenen Prozessvoraussetzungen (Prozesshindernisse): Keine rechtskräftige Entscheidung in derselben Sache (s § 411 Rz 2) Keine Klagerücknahme unter Anspruchsverzicht (s §§ 237, 238 Rz 9) Keine Streitanhängigkeit (s §§ 232, 233 Rz 7 ff) Ob diese Gliederung auch mit einer Rangordnung der Prozessvoraussetzung gleichzusetzen ist, welche das Gericht verpflichtet, etwa die parteibezogenen Prozessvoraussetzungen vor den gerichtsbezogenen zu prüfen oder die Frage, ob schon eine rechtskräftige Entscheidung in derselben Sache vorliegt, vor jener der Streitanhängigkeit, ist umstritten 1050

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(für eine Rangordnung Fasching Rz 736 f; Mayr in Fasching/Konecny III § 230 Rz 38 f). In der Praxis regiert die Prozessökonomie, die es nahe legt, bei mehreren fraglichen Prozessvoraussetzungen jene zuerst zu prüfen, deren Mangel sich am leichtesten feststellen lässt. In der Tat lässt sich auch eine logische Rangfolge der Prozessvoraussetzungen wohl nicht begründen, weil die Sichtweise, dass etwa nur ein kompetentes Gericht (dh jenes, bei dem die gerichtsbezogenen Prozessvoraussetzungen vorliegen) über alle anderen Prozessvoraussetzungen absprechen darf (Vorrang der gerichtsbezogenen Prozessvoraussetzungen), keinesfalls zwingend ist: Man kann genauso gut argumentieren, dass nur mit eindeutig partei- und prozessfähigen Personen (dh bei Vorliegen der parteibezogenen Prozessvoraussetzungen) die anderen, zB gerichtsbezogenen Prozessvoraussetzungen rechtsstaatlich korrekt geprüft und entschieden werden dürfen (dies ergäbe einen Vorrang der parteibezogenen Prozessvoraussetzungen). Neben den Prozesshindernissen gibt es auch andere, die Sachentscheidung abschneidende Umstände, die aber nicht zur Zurückweisung der Klage, sondern zur (seltsamen) Fiktion der Klagerücknahme ohne Anspruchsverzicht (dazu s §§ 237, 238 Rz 4) führen: Dies kann sich als besondere Säumnisfolge darstellen, zB gem § 460 Z 5 ) oder der Vermeidung divergierender Statusentscheidungen dienen wie zB nach § 460 Z 10, wenn die Scheidungsklage durch eine einvernehmliche Scheidung überholt wird. Besondere Prozessvoraussetzungen (Fasching Rz 722) gelten nur für 8 bestimmte Rechtsschutzformen (wie zB das rechtliche Interesse für die Feststellungsklage), Verfahrensarten (wie zB das Erfordernis einer mandatsfähigen Urkunde für die Urkundenmandatsverfahren) oder Verfahrensabschnitte (wie zB die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen für das Rechtsmittelverfahren). Zu den besonderen „Verfahrensvoraussetzungen“ für die Klagen in Sozialrechtssachen vgl §§ 67 bis 70 ASGG. Das „Rechtsschutzbedürfnis“ (dazu eingehend Fasching in Fasching/ 9 Konecny I Einl Rz 175 ff), worunter meist „ein von der Rechtsordnung gebilligtes Interesse an der begehrten Rechtsschutztätigkeit“ verstanden wird, betrachtet ein Teil der Lehre (Sprung, Konkurrenz 46; Dolinar, Ruhen 134; Holzhammer 167; Ballon Rz 31) als allgemeine Prozessvoraussetzung, es wird aber allgemein von der Rsp zumeist nur in Form der Beschwer als besondere Prozessvoraussetzung für das Rechtsmittelverfahren anerkannt (vgl Vor § 461 Rz 9). Vereinzelt wird das Rechtsschutzbedürfnis freilich von der Judikatur auch in anderen Fällen releviert (SZ 68/98 = EvBl 1995/182 = wbl 1995, 432: Rechtsschutz1051

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interesse eines abberufenen Vorstandsmitglieds einer AG an der Beseitigung des rechtswidrigen Abberufungsbeschlusses nach Ablauf seiner normalen Funktionsperiode) und in Ausnahmefällen auch verneint (JBl 1996, 521 [abl Hoyer, JBl 1996, 539]: kein Rechtsschutzbedürfnis für Klage auf Einwilligung zu Löschung des Eigentumsrechts des Beklagten, wenn nach den Klagebehauptungen das weiterreichende Leistungsbegehren auf Einverleibung des Eigentumsrechts des Klägers möglich ist; ÖJZ-LSK 1997/10: Begehren auf Pflegefreistellung für einen bereits vergangenen Zeitraum). Die ZPO kennt es als besondere Prozessvoraussetzung bloß in Form des rechtlichen Interesses für die Rechtsschutzanträge der §§ 17, 228, 384 Abs 2 (von der Rsp wird es aber auch dort nicht als Zulässigkeitsvoraussetzung behandelt, vgl nur § 228 Rz 3) und erwähnt (seit der EO-Nov 1991) die Beschwer in § 50 Abs 2 als „Rechtsschutzinteresse“ beim Rechtsmittel; eine gesetzliche Grundlage für die Annahme einer allgemeinen Prozessvoraussetzung bietet sie aber nicht (Fasching in Fasching/Konecny I Einl Rz 176; Fasching Rz 740; Rechberger/Simotta Rz 21; P. Böhm, JBl 1974, 1; Bajons Rz 85 FN 1). Das Rechtsschutzbedürfnis hat seinen Ursprung in der von Wach (ZZP 32, 1) begründeten und heute zumindest von der hL in Österreich (vgl nur Fasching Rz 7; anders W. Kralik, ZZP 74, 18 ff) als überholt betrachteten Lehre vom Rechtsschutzanspruch, wonach jeder ein subjektives öffentliches Recht gegen den Staat auf ein günstiges Urteil hat. Dieser Anspruch hänge von sog Rechtsschutzvoraussetzungen ab, deren wesentlichste das Rechtsschutzbedürfnis sein soll (Näheres bei P. Böhm, JBl 1974, 11 ff).

10 Der Berufung auf den Mangel des Rechtsschutzbedürfnisses im Fall, dass bereits ein (anderer) Titel (gerichtlicher Vergleich, vollstreckbarer Notariatsakt, Eintragung in das Anmeldungsverzeichnis der Insolvenzverfahren) über den selben Anspruch vorliegt (Problem der Erlangung eines sog „Doppeltitels“), hat der Gesetzgeber des IRÄG 1982 (BGBl 370) durch die Bestimmungen der §§ 61, 156a Abs 1 KO und § 54 Abs 1 AO eine klare Absage erteilt (Fasching in Fasching/Konecny I Einl Rz 179; Fasching Rz 742; Rechberger/Simotta Rz 22; Konecny, RdW 1986, 37; SZ 66/173 = JBl 1994, 624; unentschieden SZ 63/109 = ÖBl 1991, 113; aA die überwiegende [wettbewerbsrechtliche] Rsp: SZ 66/ 145 = wbl 1994, 347: fehlendes Rechtsschutzbedürfnis wegen ausreichender Bestimmtheit eines bereits vorhandenen Exekutionstitels; MR 1996, 37 [abl Frauenberger/Korn]: passender Exekutionstitel der Muttergesellschaft wegen eines anderen Wettbewerbsverstoßes nimmt der Tochtergesellschaft das Rechtsschutzinteresse; ÖBl 1996, 194: besitzt der Kläger bereits einen Exekutionstitel zur Durchsetzung seiner Ansprüche, so steht einer Klage aufgrund eines anderen, gleichartigen 1052

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Wettbewerbsverstoßes das mangelnde Rechtsschutzinteresse entgegen; vgl auch EvBl 1995/174 = MR 1995, 147 = ÖBl 1995, 215: Nebenanspruch auf Urteilsveröffentlichung kann auf das sonst wegen des Vorliegens eines Notariatsaktes fehlende Rechtsschutzinteresse Einfluss haben). Auch die Annahme mangelnden Rechtsschutzbedürfnisses, weil ein Rechtsschutzverzichtsvertrag (Vereinbarung „ewigen Ruhens“ [s §§ 168 ff Rz 5 ff] oder pactum de non petendo) abgeschlossen wurde (Holzhammer 169, FS Winkler 337ff; Dolinar, Ruhen 52, 87, 170; Sprung, FS Grass I 708 und JBl 1973, 426) ist nicht vertretbar, zumal die ZPO allein der Klagerücknahme unter Anspruchsverzicht die Wirkung einer negativen Prozessvoraussetzung (s §§ 237, 238 Rz 9) zumisst und zumindest ein vorprozessualer Rechtsschutzverzicht auch verfassungsrechtlich bedenklich erscheint (Näheres bei Fasching in Fasching/ Konecny I Einl Rz 61, 180; Fasching Rz 5 und 742; Rechberger/Simotta Rz 23; vgl auch Matscher, ZÖR 1980, 21; EvBl 1989/60). Schon gar keine gesetzliche Rechtfertigung für diese Annahme gibt es im Fall konkurrierender Rechtsbehelfe (hier verneinen bei vom Gesetzgeber ungewollter Konkurrenz Sprung, Konkurrenz 53 und Holzhammer 169 das Rechtsschutzbedürfnis) sowie bei Missbrauch prozessualer Befugnisse. Die Beschränkung des Kostenersatzes auf die zur zweckmäßigen Rechtsverfolgung notwendigen Kosten (§ 41 Abs 1) schafft hier Abhilfe (Fasching Rz 742; Rechberger/Simotta Rz 25). Ebenso wenig wie die Vereinbarung der Unklagbarkeit kann eine ge- 11 setzliche Unklagbarkeit zum Mangel des Rechtsschutzbedürfnisses führen (so aber Dolinar, Ruhen 118). Ordnet das materielle Recht die Unklagbarkeit an (zB §§ 1174, 1271 f, 1432 ABGB) und macht damit eine Verpflichtung zur Naturalobligation, ist die Klage mit Urteil abzuweisen; wenn nur die Inanspruchnahme des gerichtlichen Rechtsschutzes ausgeschlossen wird (vgl etwa § 6 Abs 1 des 1. StDVG, BGBl 1956/ 165, hinsichtlich von Ansprüchen gegen das Deutsche Reich oder Art 62 des Vertrages zwischen Österreich und Deutschland zur Regelung vermögensrechtlicher Beziehungen BGBl 1958/119), führt dies zu einem der Unzulässigkeit des Rechtsweges gleichkommenden Prozesshindernis (Ballon, JBl 1978, 10 [17 f]). Zu allem Fasching Rz 726; Rechberger/ Simotta Rz 24. Insgesamt ist daher festzuhalten (vgl Fasching in Fasching/Konecny I Einl Rz 185), dass die Anerkennung des Rechtsschutzbedürfnisses als allgemeine Prozessvoraussetzung keine verfassungsrechtliche Deckung hat (Art 6 EMRK sieht diese Voraussetzung für gerichtlichen Rechtsschutz gerade nicht vor) und in Wahrheit nur wirtschaftlichen, politischen und ideologischen Wertvorstellungen unangemessenen Einfluss auf Zivilprozesse verschaffen könnte. Auch die verstärkte Heran1053

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ziehung des angeblich fehlenden Rechtsschutzbedürnisses durch die NS-Justiz sollte gegen eine derartig unscharfe und geradezu willkürlich benutzbare Einrichtung misstrauisch machen (vgl Schumann, FS Fasching 439). Eine allgemeine Prozessvoraussetzung „Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses des Klägers“ existiert im österreichischen Recht daher nach zutreffender Ansicht nicht.

12 Relative Prozessvoraussetzungen. Während es grundsätzlich zum Wesen der Prozessvoraussetzungen gehört, dass sie bis zur Rechtskraft der Entscheidung in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen sind (absolute Prozessvoraussetzungen), schneidet das Gesetz bei einigen wenigen Prozessvoraussetzungen die amtswegige Wahrnehmung und zT sogar jene über eine Prozesseinrede in einem früheren Stadium des Prozesses ab (relative Prozessvoraussetzungen). So kann die prorogable Unzuständigkeit von Amts wegen überhaupt nur bei der Prüfung der Klage in limine litis sowie auf Einrede bei Setzung der ersten Prozesshandlung durch den Beklagten wahrgenommen werden (§ 43 Abs 1 JN; §§ 240, 441); die unprorogable Unzuständigkeit und die inländische Gerichtsbarkeit iS der internationalen Zuständigkeit können von Amts wegen oder über Einrede nur bis zur Sacheinlassung des (vertretenen) Beklagten wahrgenommen werden (§ 104 JN); im Bereich des europäischen Zivilprozessrechts ist eine nicht ausschließliche internationale Unzuständigkeit nur über Einrede des Beklagten wahrnehmbar (Art 24 EuGVVO, Art 19 EuGVÜ/LGVÜ; Czernich/Tiefenthaler/Kodek, Art 24 Rz 4). Der Mangel des rechtlichen Interesses für die Nebenintervention von Amts wegen nur in beschränktem Rahmen bei Einlangen der Beitrittserklärung (s § 18 Rz 1). Der Mangel der gehörigen Gerichtsbesetzung und jener des Einhaltens der Geschäftsverteilung kann nach § 260 Abs 4 nicht mehr berücksichtigt werden, wenn sich die Parteien in die mündliche Streitverhandlung oder in die abgesonderte Verhandlung über eine Prozesseinrede eingelassen haben.

13 Sachlegitimation und Schlüssigkeit der Klage. Beide haben nichts mit der Zulässigkeit der Klage zu tun, sondern sind (materielle) Bedingungen ihrer Begründetheit. Ist der Kläger nicht aktiv oder der Beklagte nicht passiv legitimiert (s dazu Vor § 1 Rz 2), muss die Klage als unbegründet abgewiesen werden. Lässt sich der behauptete Sachverhalt unter den Tatbestand eines Rechtssatzes subsumieren und entspricht die Rechtsfolge dieses Rechtssatzes dem Klagebegehren, so ist die Klage schlüssig (vgl RdW 1986, 272). Lässt sich das Klagebegehren nicht auf diese Weise aus dem Klagegrund ableiten, weil es keine entsprechende Anspruchsgrundlage im Gesetz gibt, ist die Klage unschlüssig und muss 1054

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– sofern sich dies nicht durch Tatsachenergänzungen oder eine Klageänderung (§ 235) beheben lässt (dazu JBl 1978, 545; RdW 1997, 18; NZ 1998, 332) – gleichfalls mit Urteil abgewiesen werden (Unschlüssigkeitsurteil, s Rechberger, JBl 1974, 562; vgl auch MietSlg 33.628; LGZ Wien MietSlg 37.745, 38.767; JBl 1997, 450 = EvBl 1997/104). Vgl zur Schlüssigkeit der Exszindierungsklage Lenneis (AnwBl 1981, 444, sowie SZ 44/155; EvBl 1971/220; LGZ Wien RpflSlgE 1974/ 116, 1977/40, 1978/179, 1986/44; zur Schlüssigkeit der Konkursanfechtungsklagen Konecny (ÖBA 1987, 311) sowie JBl 1985, 494; ÖBA 1987, 186 = JBl 1987, 48; ÖBA 1987, 330; ÖBA 1987, 332 = wbl 1987, 74 (krit Wilhelm). Die Bedeutung des Streitgegenstandes. Der Inhalt der Klage ist nicht 14 nur für ihre Zulässigkeit (ordnungsmäßige Klageerhebung) und Begründetheit (Schlüssigkeit) von Bedeutung, sondern auch für die Bestimmung des Streitgegenstandes. Der Streitgegenstand ist nicht nur deshalb ein zentraler Begriff des Zivilprozesses, weil er den sachlichen Umfang des Rechtsstreites begrenzt, sondern weil er stets Kriterium für die sachliche, manchmal auch für die örtliche Zuständigkeit ist; die objektive Klagenhäufung (§ 227) nur bei einer Mehrheit von Streitgegenständen vorliegt; eine Klageänderung (§ 235) regelmäßig durch eine Änderung des Streitgegenstandes hervorgerufen wird; Identität des Streitgegenstandes die Prozesshindernisse der Streitanhängigkeit (§ 233 Abs 1), der Rechtskraft (§ 239 Abs 3 Z 1) und der Klagerücknahme unter Anspruchsverzicht (§ 237 Abs 4) auslöst. Zu dem nach der Rsp des EuGH für die Frage der internationalen Rechtshängigkeit nach EuGVVO, EuGVÜ und LGVÜ maßgeblichen (weiten) Streitgegenstandsbegriff („Kernpunktetheorie“, vgl Czernich/Tiefenthaler/Kodek, Art 27 Rz 10) vgl §§ 232, 233 Rz 16. Dieser weite Streitgegenstandsbegriff des EuGH wurde von diesem aus Gründen der Zuständigkeitskonzentration zusammenhängender internationaler Verfahren in einem Land entwickelt, also um die Frage, wo eng zusammenhängende Verfahren geführt werden sollen (Fasching in Fasching/Konecny III Vor § 226 Rz 39, 44). Er hat jedoch schon von seinem Ansatz her nichts mit der Problematik der Streitgegenstandsabgrenzung rein nationaler Fälle zu tun, wo es um die Frage geht, ob ein zweites Verfahren überhaupt zulässig ist oder nicht (zu Recht zweifelnd an einer mechanischen Übernahme der EuGH-Kriterien RZ 1999/529). Zweigliedriger Streitgegenstand. Beim Streitgegenstand handelt es 15 sich nach hM (Fasching in Fasching/Konecny III Vor § 226 ff Rz 14 ff; Fasching Rz 1154; Holzhammer 172; Rechberger/Simotta Rz 252) nicht 1055

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um den vom Kläger gegenüber dem Beklagten behaupteten materiellrechtlichen Anspruch, sondern um einen rein prozessualen Begriff (so auch Jud 57 neu = SZ 25/331 = EvBl 1953/32). Dieser weist (was die §§ 226 und 235 nahe legen) zwei Bestandteile auf: Klagebegehren und Klagegrund, also einerseits den Urteilsantrag und andererseits die Tatsachenbehauptungen, auf die sich dieser Antrag gründet (zweigliedriger Streitgegenstandsbegriff). Als Abgrenzungskriterium für den den Klagegrund konstituierenden Sachverhalt verwenden Fasching (Rz 1158 und Fasching in Fasching/Konecny III Vor § 226 ff Rz 29) und die überwiegende Rsp (ZfRV 1984, 145 [zust Konecny]; EFSlg 50.147/7; EvBl 1986/122; OLG Wien EFSlg 55.036) das Kriterium der „rechtserzeugenden Tatsachen“, das sind jene, die zur Erfüllung des in Anspruch genommenen materiell-rechtlichen Tatbestandes erforderlich sind. Erfordern neu vorgebrachte Tatsachen die Subsumtion unter einen anderen Tatbestand, ist der Streitgegenstand nicht mehr ident. Der Vorteil dieser Abgrenzungsmethode liegt in der Eindeutigkeit ihrer Ergebnisse, der Nachteil in der Enge des Streitgegenstandsbegriffes, die in manchen Fällen konkurrierender Ansprüche (vgl zur Idealkonkurrenz unten Rz 22) zu Parallel- oder Nachklagen führt, deren sachliche Rechtfertigung zweifelhaft ist. Diese Problematik vermeidet die Abgrenzung des Klagegrundes nach dem „einheitlichen Lebenssachverhalt“ (Holzhammer 175; Rechberger/Simotta Rz 254; JBl 1960, 102; JBl 1998, 782 [Deixler-Hübner]), die alle Tatsachen, die bei natürlicher Betrachtung eine Einheit bilden, zu einem Klagegrund zusammenfasst. Kritisiert wird dabei die notwendigerweise unschärfere Abgrenzung des Streitgegenstandes, weil der Begriff des Lebenssachverhaltes aus sich selbst heraus kaum exakt abgegrenzt werden kann (dazu näher Fasching/Klicka in Fasching/Konecny III § 411 Rz 42).

16 Dreigliedriger Streitgegenstand. Einen noch engeren Streitgegenstandsbegriff als jenen zweigliedrigen, bei dem der Klagegrund durch die rechtserzeugenden Tatsachen begrenzt wird, vertritt die Rsp insofern, als sie vom Kläger eine rechtliche Qualifikation des Klagegrundes zwar nicht verlangt, aber dann als bindend betrachtet, wenn er sie ausdrücklich vorgenommen hat (SZ 42/138, SZ 47/11; ZVR 1976/210; RZ 1977/105; JBl 1979, 257; MietSlg 33.627, 33.643; VersRdsch 1984, 178; DRdA 1986, 219 = JBl 1986, 537; RdW 1986, 271; MietSlg 38.775, 38.776; JUS 1996 Z 2007; wobl 1998/124 [krit Oberhammer]). Dieser dreigliedrige Streitgegenstandsbegriff entbehrt einer gesetzlichen Grundlage.

17 Wirkungsbezogener Streitgegenstand. Zu einem besonders weiten zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff führt die Theorie vom wir1056

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kungsbezogenen Streitgegenstand (P. Böhm, FS Kralik 83), die das meritorische Rechtsschutzziel mit einbezieht und bei der Identitätsprüfung darauf abstellt, ob die Rechtsfolge in beiden Prozessen dieselbe materielle Ordnungsfunktion erfüllt (dazu Fasching in Fasching/Konecny III Vor § 226 ff Rz 36). Eingliedriger Streitgegenstand. Wenig Resonanz hat in Österreich der 18 von Schwab (Der Streitgegenstand im Zivilprozess [1954]; Rosenberg/ Schwab10 [1969] 459 f; vgl aber jetzt Rosenberg/Schwab/Gottwald 532) begründete eingliedrige (und deshalb denkbar weiteste) Streitgegenstandsbegriff gefunden (vgl Dolinar, ÖJZ 1978, 449; W. Kralik, FS Baumgärtel 261; ders, nach Fasching Rz 1160), der dadurch, dass er allein auf das Klagebegehren abstellt, Änderungen des Tatsachenvorbringens während des Prozesses erleichtert und Folge- und Parallelprozesse allein wegen solcher Änderungen ausschließt. Auch nach dieser Theorie muss aber der Sachverhalt in vielen Fällen als Abgrenzungskriterium des Streitgegenstandes herangezogen werden, um gleich lautende Klagebegehren von einander abgrenzen zu können (Fasching in Fasching/Konecny III Vor § 226 ff Rz 22). Die Vereinbarkeit der eingliedrigen Theorie mit § 235 erscheint zudem fraglich. Die Klagenkonkurrenz. Die Streitgegenstandsproblematik entsteht 19 vor allem dann, wenn der Kläger mehrere Ansprüche geltend macht, die alle auf ein und dasselbe Ziel gerichtet sind. Hier werden die Vorund Nachteile der verschiedenen Theorien offenbar. Drei materielle Konkurrenzfälle (vgl Fasching in Fasching/Konecny III Vor § 226 ff Rz 48 ff) sind zu unterscheiden, wobei sich die materiellrechtlichen Konkurrenzlehren nicht zwingend mit der prozessualen Konkurrenzproblematik decken: a) Bei der Anspruchsgrundlagenkonkurrenz (Gesetzeskonkurrenz) 20 lässt sich aus einem Sachverhalt aufgrund mehrerer gesetzlicher Tatbestände ein und dieselbe Rechtsfolge ableiten (Beispiel: Ein Schadenersatzanspruch aufgrund eines Verkehrsunfalls kann auf positive Verletzung des Beförderungsvertrages, auf unerlaubte Handlung oder auf die Gefährdungshaftung nach dem EKHG gestützt werden). Es liegt nur ein Streitgegenstand vor, weil die verschiedenen Anspruchsgrundlagen nur verschiedene rechtliche Qualifikationen des einen Begehrens, das sich auf einen Lebenssachverhalt stützt, ermöglichen. b) Bei der Anspruchskonkurrenz (Realkonkurrenz) ergeben sich aus 21 verschiedenen Sachverhalten mehrere Ansprüche mit dem gleichen Ziel (Beispiel: Eine verliehene Sache wird dem Eigentümer vom Verleiher 1057

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vermacht. Dieser kann sich dem Erben gegenüber auf den Leihvertrag oder auf das Vermächtnis berufen). Nach der zweigliedrigen Streitgegenstandstheorie (jeder Spielart) liegen hier verschiedene Streitgegenstände vor, doch muss die Erfüllung des einen Anspruchs durch den Schuldner auch den anderen zum Erlöschen bringen und es kann auch nicht zu einer Klagenhäufung kommen. Darin liegt eine gewisse (dogmatische) Inkonsequenz, die sowohl die eingliedrige Streitgegenstandstheorie als auch der wirkungsbezogene Streitgegenstandsbegriff von P. Böhm (weil dasselbe materielle Ziel auch dasselbe Rechtsschutzziel mehrerer Klagen bedinge) vermeidet. Konsequent durchgehalten versagt die eingliedrige Streitgegenstandstheorie aber im Fall der Konkurrenz zwischen dem Wechselanspruch und dem Anspruch aus dem Kausalverhältnis (vgl aber den Rettungsversuch Dolinars, ÖJZ 1978, 449 [457 f]).

22 c) Bei der Idealkonkurrenz ergeben sich aus einem Sachverhalt mehrere auf ein und dasselbe Ziel gerichtete Ansprüche auf der Grundlage einander ausschließender Anspruchsnormen (Beispiel: Bei Geltendmachung einer Kaufpreisforderung stellt sich der Mangel eines Kaufvertrages heraus. Da die Sache aber aufgezehrt ist, möchte sich der Kläger jetzt auf Bereicherung stützen). Die zweigliedrige Streitgegenstandstheorie, die auf den rechtserzeugenden Sachverhalt abstellt, muss hier zu verschiedenen Streitgegenständen kommen. Die Heranziehung des Begriffs des Lebenssachverhaltes erlaubt ebenso wie die eingliedrige Streitgegenstandstheorie und die Lehre vom wirkungsbezogenen Streitgegenstandsbegriff (die Ansprüche haben danach immer dasselbe Rechtsschutzziel) die gebotene Beschränkung auf einen Streitgegenstand, was unnötige Mehrfachklagen ausschließt, freilich zu (uU überraschenden) Präklusionen führen kann.

23 Das Gerichtshofverfahren als Modellverfahren: Die Konzeption der ZPO regelt im zweiten Teil das „Verfahren vor den Gerichtshöfen erster Instanz“ (und zwar den Senatsprozess) als Grundtyp des Zivilprozesses, während für das (heute ungleich bedeutsamere, vgl dazu § 431 Rz 1 ff) bezirksgerichtliche Verfahren im Anschluss an das Grundmodell bloß ergänzende Regelungen (§§ 431 bis 460) vorgesehen sind. Dieses Grundkonzept ist anachronistisch geworden, weil die Einzelrichterbesetzung heute auch bei den Gerichtshöfen erster Instanz den Regelfall darstellt. Parallel dazu hat das Landesgericht auch alle (zahlenmäßig) bedeutsamen Eigenzuständigkeiten verloren (allerdings 1987 die Arbeits-und Sozialgerichtsbarkeit hinzubekommen). Die Konzeption eines erstinstanzlichen Verfahrens mit zwei verschiedenen Gerichtstypen als Eingangsgerichten ist damit überholt, allerdings hat sich der 1058

§ 226

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Gesetzgeber auch anlässlich der weitgehenden Zivilverfahrensreform durch die ZVN 2002 nicht zu einem (zugegebenermaßen fundamentalen) Systemwechsel entschlossen. Klage § 226. (1) Die mittels vorbereitenden Schriftsatzes anzubringende Klage hat ein bestimmtes Begehren zu enthalten, die Tatsachen, auf welche sich der Anspruch des Klägers in Haupt- und Nebensachen gründet, im einzelnen kurz und vollständig anzugeben, und ebenso die Beweismittel im einzelnen genau zu bezeichnen, deren sich der Kläger zum Nachweise seiner tatsächlichen Behauptung bei der Verhandlung zu bedienen beabsichtigt. (2) Wenn die Zuständigkeit oder die Besetzung (§ 7a JN) des angerufenen Gerichtes vom Werte des Streitgegenstandes abhängt und die Klage nicht auf eine Geldsumme gerichtet ist, sind in die Klage auch die erforderlichen Angaben über den Wert des Streitgegenstandes aufzunehmen. Wenn die Klage einen Gegenstand der Handelsgerichtsbarkeit betrifft, jedoch bei einem Gerichtshofe angebracht wird, welchem nicht nur diese besondere, sondern auch die allgemeine Gerichtsbarkeit zusteht, so ist bei der Bezeichnung des Gerichtes ersichtlich zu machen, daß die Behandlung der Rechtssache vor dem Handelssenate beantragt wird. (3) Im übrigen sind auf die Klageschrift die allgemeinen Vorschriften über vorbereitende Schriftsätze anzuwenden. [Abs 2 idF 2. GEN (idF 3. GEN) und ZVN 1983; sonst Stammfassung] Lit: Klicka, Bestimmtheit des Begehrens bei Leistungsklagen (1989); Hörmann, Brutto- oder Nettotitel? NZ 1991, 60; Hofmann, Mahnverfahren: „Überklagung“ – keine Handhabe vom Amts wegen? RZ 1995, 112. Fasching in Fasching/Konecny III § 226; Holzhammer 176; Fasching Rz 1036 ff; Bajons Rz 107 ff; Ballon Rz 171 ff; Rechberger/Simotta Rz 382 ff. Inhaltsübersicht Form der Klageerhebung Notwendiger Klageinhalt Bestimmtheit des Klagebegehrens Grundsatz der Bedingungsfeindlichkeit

1 2 3–5 6 1059

Mangelnde Bestimmtheit Klageerzählung Ratsamer Klageinhalt Möglicher Klageinhalt Bewertung des Streitgegenstandes

7 8 9 10 11

§ 226

Rechberger/Klicka

1 Form der Klageerhebung. Die Klage ist (im Gerichtshofverfahren stets, im bezirksgerichtlichen Verfahren bei anwaltlicher Vertretung) durch vorbereitenden Schriftsatz anzubringen (zur Protokollarklage im bezirksgerichtlichen Verfahren s § 434; zur Klageerhebung beim Gerichtstag s § 439; beide Bestimmungen sind gem § 39 ASGG in Arbeits- und Sozialrechtssachen anzuwenden). Als vorbereitender und bestimmender Schriftsatz (s Vor § 74 Rz 1) muss sie den Inhaltserfordernissen der §§ 75 und 78 (s dort) entsprechen. Zu den modernen technischen Formen der Überreichung der Klage s § 89 Abs 3 GOG, § 89 a GOG (elektronische Eingaben) und die Rsp zur Zulässigkeit von Klagen mittels Telefax (SZ 65/162 = EvBl 1993/105 = JBl 1993, 732; Fasching in Fasching/Konecny III § 226 Rz 110 f; Mayr in Fasching/ Konecny III Vor § 230 Rz 9).

2 Zum notwendigen Klageinhalt gehören neben der Bezeichnung des Gerichts, der Parteien und ihrer Vertreter (samt Unterschrift) sowie des Streitgegenstandes (§ 75 Z 1 und 3) und der Angabe des Zuständigkeitstatbestandes (§§ 41 Abs 2, 56 Abs 2 JN, § 226 Abs 2) das Klagebegehren (Klageantrag) und der Klagegrund (dh die Tatsachen, auf die sich der Anspruch des Klägers gründet).

3 Das Klagebegehren muss den Wortlaut des angestrebten Urteilsspruches wiedergeben. Um die Vollstreckbarkeit eines stattgebenden Leistungsbefehls und/oder die eindeutige Abgrenzung des Gegenstandes und Umfanges der Rechtskraft-, Feststellungs- und/oder Gestaltungswirkung sicherzustellen, muss das Klagebegehren bestimmt sein.

4 Dieses Erfordernis ist erfüllt, wenn aus dem Begehren unter Berücksichtigung des Sprach- und Ortsgebrauches und nach den Regeln des Verkehrs zu entnehmen ist, was begehrt ist (EvBl 1980/141; LGZ Wien MietSlg 32.666; MietSlg 35.761, 36.759, 37.742, 46.637, 47.634; ÖBl 1982, 106; NZ 1998, 332; Näheres bei Klicka, Bestimmtheit 77 ff; ausreichend ist nach der Rsp etwa das Begehren auf Errichtung einer „geeigneten Stützmauer“, s immolex 2002/126). Bei Zahlungsklagen bedeutet dies (auch bei Anwendung des § 273 Abs 1; dazu Fasching, JBl 1981, 232 f) nach hL (Fasching in Fasching/Konecny III § 226 Rz 52 ff; Fasching Rz 1044; Holzhammer 177; Buchegger, BeitrZPR I 27 [34]; Konecny, JBl 1984, 63 f; Ballon Rz 173; Klicka, Bestimmtheit 10 ff) und stRsp (EvBl 1961/149 = ZVR 1961/180; EvBl 1974/110 = ZVR 1974/ 171; JBl 1988, 192) die Notwendigkeit der ziffernmäßigen Angabe des geforderten Geldbetrages (Ausnahmen: Nicht ziffernmäßig bestimmt zu werden brauchen der Anspruch, der sich aufgrund einer Wertsicherungsklausel ergibt [vgl dazu § 8 Abs 2 und 3 EO], sowie der Zinsenan1060

§ 226

2.1 Verfahren bis zum Urteile

spruch; nach § 82 Abs 2 ASGG genügt ein Begehren auf Leistung bzw Feststellung von Versicherungszeiten „im gesetzlichen Ausmaß“). Ein Klagebegehren auf Fremdwährung, zahlbar in Euro, ist hinreichend bestimmt, wenn der Umrechnungstag und der Ort angegeben sind, dessen Kurswert für die Umrechnung maßgebend ist (Rsp 1936/248; SZ 39/47 = RZ 1966, 124 = HS 5253). Zulässig ist auch das Begehren auf Zahlung eines Bruttolohnes (JBl 1982, 439; DRdA 1985, 37 [zust Burgstaller]; DRdA 1986, 61 = RZ 1986/29 = ZASB 1986, 1 = INFAS 1986 H 1, 10 A 8; Arb 11.292; auch unter Abzug eines Nettobetrages: Arb 11.239; ARD 4977/12/98), weil die Abzugspflicht des Dienstgebers erst bei Zahlung der Schuld entstehe (zust Klicka, Bestimmtheit 83; ARD 4635/15/95). Den Interessen des Klägers ist beim Zwang zur Bezifferung über § 43 Abs 2 Rechnung zu tragen. Macht der Kläger bei objektiver Klagenhäufung für sämtliche geltend gemachten Ansprüche einen Pauschalbetrag geltend, muss dieser entsprechend aufgegliedert werden, um dem Bestimmtheitserfordernis des § 226 gerecht zu werden (ÖBl 1981, 122; AnwBl 1990, 656; immolex 1998/48). Ganz allgemein muss bei Leistungsklagen die Art, der Umfang und 5 allenfalls die Dauer der vom Beklagten geschuldeten Leistung oder der zu unterlassenden bzw zu duldenden (dazu MietSlg 28.583 und 34.722) Handlung eindeutig erkennbar sein (vgl § 7 Abs 1 EO); bei Feststellungsklagen muss das Rechtsverhältnis, das als (nicht) bestehend festzustellen ist, genau bezeichnet werden (MietSlg 46.642); bei Rechtsgestaltungsklagen, welches Rechtsverhältnis auf welche Weise und zu welchem Zeitpunkt begründet, geändert oder aufgehoben werden soll (vgl die Beispiele für die Formulierung von Klagebegehren bei Fasching in Fasching/Konecny III § 226 Rz 82 ff; Fasching Rz 1045 und Rechberger/Simotta Rz 389). Zur Ausnahme vom Bestimmtheitsgebot, wenn die Höhe des eingeklagten Zahlungsanspruches von einer Rechnungslegung oder eidlichen Vermögensangabe des Beklagten abhängt (sog Stufenklage), vgl bei Art XLII EGZPO. Aus dem Bestimmtheitserfordernis ergibt sich die grundsätzliche Be- 6 dingungsfeindlichkeit des Klagebegehrens (zur Unzulässigkeit außerprozessualer Bedingungen SZ 68/31 = EvBl 1995/176). Als zulässig wird jedoch erachtet a) ein Eventualbegehren, das nur dann Gegenstand der Verhandlung und Entscheidung werden soll, wenn das Hauptbegehren zurück- oder abgewiesen wird (vgl EvBl 1964/476; EvBl 1974/289 = RZ 1974/89; MietSlg 39.750; für die Streitwertberechnung ist § 56 Abs 1 JN analog anzuwenden: SZ 25/163); b) das (echte) Alternativbegehren, ein Klagebegehren auf Verurteilung des Schuld1061

§ 226

Rechberger/Klicka

ners zur Erbringung einer von mehreren Leistungen nach Wahl des Schuldners oder (selten) des Gläubigers (Bewertung des Streitgegenstandes nach § 56 Abs 1 JN); c) die Lösungsbefugnis oder Alternativermächtigung (§ 410; Näheres s dort), bei der sich der Beklagte durch Zahlung eines Geldbetrages, zu dessen Annahme sich der Kläger schon in der Klage bereit erklären kann, von der primär geschuldeten Leistung befreien kann (auch hier gilt § 56 Abs 1 JN); d) das Zug-um-Zug-Leistungsbegehren, wenn die Erbringung von Leistung und Gegenleistung die wechselseitige Fälligkeitsbedingung für die beiden Ansprüche darstellt (vgl zur Exekution eines Zug-um-Zug-Urteils §§ 8 und 42 Abs 1 Z 4 EO). Nicht dem Bestimmtheitserfordernis entsprechen die alternative Klagenhäufung, bei der es der Kläger dem Gericht überlässt, über welchen Anspruch entschieden werden soll (immolex 1998/48), sowie das unechte Alternativbegehren, bei dem es dem Richter überlassen bleibt, welche der mehreren vom Kläger zur Wahl gestellten Leistungen er zuspricht (8 Ob 135/03s; aA Fasching Rz 1128 und 1131; vgl nunmehr Fasching in Fasching/Konecny III § 226 Rz 120, der in diesem Fall vom Vorliegen eines Eventualbegehrens ausgeht, wonach der Kläger hier eine der Leistungen primär und die andere nur eventualiter beantragt und der Richter im Rahmen der materiellen Prozessleitung nach § 182 aufzuklären habe, welches die gewünschte Primärleistung ist und die nach Überzeugung des Gerichts zustehende Leistung dann zuspricht; in diese Richtung auch 9 ObA 7/04a).

7 Fehlt es an der Bestimmtheit des Klagebegehrens, ist die Klage gar nicht ordnungsgemäß erhoben (s dazu Vor § 226 Rz 7) und muss, sofern der Mangel nicht behoben wird (zur Frage, ob ein Verbesserungsauftrag möglich ist, s §§ 84 f Rz 10 ff und Fasching in Fasching/Konecny III § 226 Rz 42 ff; zur Verbesserung in der Verhandlung nach richterlicher Anleitung s § 182 Rz 1), mit Beschluss zurückgewiesen werden (Pollak 377; Fasching III 19; Wünsch, JBl 1964, 118 [123]; Würth, JBl 1964, 583 [589]; Klicka, Bestimmtheit 85 f). Die Rsp betrachtet die Bestimmtheit des Klagebegehrens zwar einheitlich als eine von Amts wegen zu beachtende prozessuale Klagevoraussetzung (SZ 36/86; RZ 1979/91; ÖBl 1981, 122; ZVR 1987/93; ÖBl 1989, 14; MR 1991, 154 [krit M. Walter]), weist ein unbestimmtes Klagebegehren aber trotzdem überwiegend ab (RZ 1979/91; LGZ Wien MietSlg 35.767 und 35.766; MR 1991, 154) und nur vereinzelt zurück (so bei „gänzlich unbestimmtem“ Klagebegehren LGZ Wien MietSlg 34.723). Der überwiegenden Rsp folgen Konecny (JBl 1984, 17 und FN 24) und Fasching (Rz 1049; ebenso Fasching in Fasching/Konecny III § 226 Rz 42), die die Bestimmtheit des Begehrens als Voraussetzung für die Schlüssigkeitsprüfung bezeichnen. Da sie 1062

§ 226

2.1 Verfahren bis zum Urteile

demnach aber vorliegen muss, damit die Begründetheit der Klage geprüft werden kann, ist kein Raum für eine Sachentscheidung. Wurde über das noch unbestimmte Leistungsbegehren einer Stufenklage durch Versäumungsurteil (positiv) entschieden, liegt ein Verfahrensmangel vor, der zur Aufhebung des Urteils führen muss (RdW 1992, 121). Mit der Anforderung, dass die Klageerzählung die Tatsachen, auf wel- 8 che sich der Anspruch des Klägers gründet, also den Klagegrund, im Einzelnen kurz und vollständig anzugeben habe, will das Gesetz die exakte Kennzeichnung (Individualisierung) des Streitgegenstandes erreichen. Die ZPO geht dabei von der Substantiierungstheorie aus, die diese Kennzeichnung ausschließlich durch die Angabe des Sachverhaltes, aus dem sich das Klagebegehren herleitet, vornehmen will (vgl Fasching Rz 1040). Um die Schlüssigkeit der Klage (s Vor § 226 Rz 13) sicherzustellen, wird die vollständige Sachverhaltsangabe verlangt (was freilich durch § 179 Abs 1 relativiert wird; zu den Ausnahmefällen, in denen Eventualmaxime gilt, s § 179 Rz 1). Eine weitere Kennzeichnung des Streitgegenstandes durch die Angabe des Rechtsgrundes des Klagebegehrens (was der Individualisierungstheorie entspräche) wird von der ZPO nicht verlangt; das ursprüngliche Verbot der Aufnahme von Rechtsausführungen in vorbereitende Schriftsätze ist freilich durch die ZVN 1983 aus § 78 gestrichen worden. Ratsamer Klageinhalt. Obwohl in einem Zuge mit Klagebegehren und 9 Klageerzählung genannt, gehört die Angabe der Beweismittel nicht zum notwendigen, sondern bloß zum ratsamen Klageinhalt (nicht immer bedarf es des Nachweises der Tatsachenbehauptungen, s §§ 266, 269, 270, 396). Führt der Mangel von Beweisanträgen letztlich zur Beweislosigkeit (s Vor § 266 Rz 8), wird es im Regelfall aufgrund der Beweislastverteilung zu einem klageabweisenden Urteil kommen. Möglicher Klageinhalt. Gemeinsam mit der Klage können ua auch 10 Anträge auf Bestellung eines Prozesskurators für den Beklagten (§ 8), auf Bewilligung der Verfahrenshilfe (§ 65), auf Bestellung eines Zustellkurators (§§ 116 ff), auf Beweissicherung (§§ 384 ff), auf Streitanmerkung im Grundbuch (§§ 61 ff GBG) und auf Erlassung einstweiliger Verfügungen gestellt werden. Zu (weiteren) Anträgen, die schon in der Klage gestellt werden können, s § 229. Bewertung des Streitgegenstandes. Aus § 226 Abs 2 iVm § 56 Abs 2 JN 11 ergibt sich, dass der Kläger in allen vermögensrechtlichen Streitigkeiten, in denen der Streitgegenstand nicht in Geld besteht, in der Klage eine 1063

§ 227

Rechberger/Klicka

Bewertung des Streitgegenstandes vorzunehmen hat. Näheres s bei §§ 54 ff JN. § 227. (1) Mehrere Ansprüche des Klägers gegen denselben Beklagten können, auch wenn sie nicht zusammenzurechnen sind (§ 55 JN), in derselben Klage geltend gemacht werden, wenn für sämtliche Ansprüche 1. das Prozessgericht zuständig und 2. dieselbe Art des Verfahrens zulässig ist. (2) Jedoch können Ansprüche, die den im § 49 Abs 1 Z 1 JN bezeichneten Betrag nicht übersteigen, mit solchen Ansprüchen verbunden werden, die ihn übersteigen, ferner Ansprüche, die vor den Einzelrichter gehören, mit solchen, die vor den Senat gehören. Im ersten Fall richtet sich die Zuständigkeit nach dem höheren Betrag; im zweiten Fall ist der Senat zur Entscheidung über sämtliche Ansprüche berufen. [Fassung ZVN 1983] Lit: Holzhammer, Parteienhäufung und einheitliche Streitpartei (1966) 62 ff; M. Roth, Neuerungen der Zivilverfahrensnovelle 1983 im Bereich der Klagenhäufung, BeitrZPR II (1985) 209; Klauser, „Sammelklage“ und Prozessfinanzierung gegen Erfolgsbeteiligung auf dem Prüfstand, ecolex 2002, 805; Klauser, Kreditzinsen – wie weiter? ecolex 2003, 656; Klauser/Maderbacher, Neues zur Sammelklage, ecolex 2004, 168; Kodek, Die „Sammelklage“ nach österreichischem Recht, ÖBA 2004, 615; Klauser, Von der „Sammelklage nach österreichischem Recht“ zur echten Gruppenklage, ecolex 2005, 744; Kodek, Möglichkeiten der Prozessleitung in Massenverfahren, RZ 2005, 34; ders, Weltrechtspfleger USA? Holocaust, Kaprun… JBl 2005, 168; ders, Möglichkeiten zur gesetzlichen Regelung von Massenverfahren im Zivilprozess, ecolex 2005, 751; Scheuba, „Sammelklage“ – Einklang mit der ZPO erbeten, ecolex 2005, 747; Klauser, Modernes Gruppenverfahren kann allen Seiten nützen, AnwBl 2006, 267; Kodek, Massenverfahren – Reformbedarf für die ZPO, AnwBl 2006, 72; Scheuba, „Sammelklage“ – Inhaltliche Anforderungen, AnwBl 2006, 64; Schrammel, Die Sammelklage in Ausgestaltung des OGH, JAP 2006/2007, 50. Fasching in Fasching/Konecny III § 227; Fasching Rz 1116 ff; Ballon Rz 192 f; Rechberger/Simotta Rz 428 ff. Inhaltsübersicht Begriff der objektive Klagenhäufung Zulässigkeit

1 2

Folgen eines Verstoßes gegen § 227 3 Abgrenzung zur echten Sammelklage 4 1064

§ 227

2.1 Verfahren bis zum Urteile

In Fortführung der Grundsätze des § 55 JN gestattet Abs 1 eine objek- 1 tive Klagenhäufung ohne jene Konnexität, die die Zusammenrechnung der Ansprüche erlaubt (woraus sich die Wertzuständigkeit ergibt), nur dann, wenn für sämtliche Ansprüche das gleiche Gericht zuständig und dieselbe Art des Verfahrens zulässig ist (jedoch ist die Verbindung normaler vermögensrechtlicher Ansprüche mit solchen, die für sich allein im Mahnverfahren erhoben werden müssten bzw im Mandatsverfahren erhoben werden könnten, möglich; es sind dann alle Ansprüche im Regelverfahren zu behandeln: Fasching Rz 1120; Fasching in Fasching/Konecny III § 227 Rz 15; gegenteilig die Rsp zum Wechselmandatsverfahren SZ 66/125 = EvBl 1994/58; RdW 1996, 168; AnwBl 1997/6283; gegen eine Verbindung anderer Ansprüche mit Wechselansprüchen in einer Wechselmandatsklage auch ÖBA 2004/1209, 558). Die Regelung korrespondiert mit jener des § 11 Z 2, die für die Zulässigkeit einer subjektiven Klagenhäufung ohne intensive Gemeinsamkeit der Ansprüche (formelle Streitgenossenschaft) die Zuständigkeit des Gerichtes hinsichtlich jedes einzelnen Beklagten verlangt. § 227 Abs 2 durchbricht jedoch aus prozessökonomischen Gründen die 2 Grundsätze der §§ 11 ZPO, 55 JN. Auch ohne Konnexität können nämlich Ansprüche, die kraft Wertzuständigkeit vor das BG gehören, gemeinsam mit solchen, die vor den GH gehören, in einer Klage vor dem GH geltend gemacht werden. Analoges gilt innerhalb des GH für die Verbindung von Einzelrichter- und Senatsansprüchen. Die örtliche Zuständigkeit muss aber auch in diesen Fällen für jeden einzelnen der Ansprüche gegeben sein (Petrasch, ÖJZ 1985, 262; JBl 1985, 685). Abs 2 gilt auch für in derselben Klage geltend gemachte Ansprüche formeller aktiver Streitgenossen iS des § 11 Z 2 (3 Ob 275/04v; Fasching in Fasching/Konecny III § 227 Rz 9; M. Roth, BeitrZPR II 236 f; OLG Wien WR 1992/521), nicht aber für die passive Form einer solchen Streitgenossenschaft (arg „gegen denselben Beklagten“; s M. Roth, BeitrZPR II 237 f), weil eine solche Klagenhäufung sonst dazu benützt werden könnte, dem Beklagten den kostspieligeren Gerichtshofprozess aufzuzwingen (Fasching in Fasching/Konecny III § 227 Rz 9). Folgen eines Verstoßes gegen § 227. Fehlen die Voraussetzungen des 3 § 227 Abs 1 Z 2 (dieselbe Art des Verfahrens) und liegt die Unzulässigkeit einer objektiven Klagenhäufung demnach nicht an der Unzulässigkeit der Zusammenrechnung von Ansprüchen, muss das Gericht nach einem Verbesserungsverfahren die Trennung der Verfahren verfügen und diese in verschiedenen Verfahrensarten fortsetzen, so als wären mehrere Klagen eingebracht worden (SZ 67/184 = JBl 1995, 183 = EFSlg 79.200). Bleibt also das Prozessgericht jedenfalls für alle Ansprüche 1065

§ 227

Rechberger/Klicka

zuständig, handelt es sich in diesem Fall bloß um einen verbesserungsfähigen Formmangel, der nach Beginn der gemeinsamen Verhandlung – und schon gar nach Fällung eines einheitlichen Urteils – nicht mehr wahrgenommen werden kann (SZ 2/134; MietSlg 18.665/22). Handelt es sich hingegen um die Unzulässigkeit einer Klagenhäufung wegen Unzuständigkeit (§ 227 Abs 1 Z 1), so ist zu unterscheiden: Fehlt es an einer Zusammenrechnung nach § 55 JN und übersteigt keiner der Ansprüche die bezirksgerichtliche Wertgrenze, so ist der Gerichtshof unprorogabel unzuständig und die Klage – sofern noch keine Heilung nach § 104 Abs 3 JN eingetreten ist – wegen Unzuständigkeit zurückzuweisen. Wurde umgekehrt infolge unterlassener Zusammenrechnung nach § 55 JN eine vor den GH gehörende Klage beim BG eingebracht, liegt nur prorogierbare Unzuständigkeit vor und die Klagszurückweisung ist von Amts wegen nur a limine, danach nur mehr auf Unzuständigkeitseinrede möglich (§ 43 Abs 1 JN). Wäre das angerufene Gericht mindestens für einen der in einer Klage verbundenen Ansprüche zuständig und für die anderen nicht, dann hat grundsätzlich eine Teilzurückweisung zu erfolgen, welche sich in ihrer Zulässigkeit wiederum danach richtet, ob es sich um eine prorogable oder unprorogable Unzuständigkeit handelt (vgl näher Fasching in Fasching/Konecny III § 227 Rz 19). Wenn die Unzulässigkeit der Klagenhäufung nicht mehr zur Zurückweisung der unzulässigerweise eingeklagten Ansprüche führen kann, besteht jedenfalls die Möglichkeit einer Trennung der Verfahren nach § 187. Bejaht das Gericht die Voraussetzungen des § 227 für eine Klagenhäufung, so greift bezüglich der Anfechtbarkeit dieser Entscheidung § 45 JN ein (3 Ob 133/03k = JBl 2004, 118).

4 Derzeit hat die Klagenhäufung, wie sie § 11 und § 227 vorsehen, wenig gemeinsam mit einer echten „Sammelklage“ (class action) anglo-amerikanischer Prägung. Die echte class action, insbesondere des USRechts dient der Bewältigung von Massenverfahren in einer besonderen Form, nämlich der Zusammenfassung einer Gruppe von Gläubigern, wobei der entscheidende Unterschied zum System der klassischen Klagenhäufung darin liegt, dass die Urteilswirkungen eines Urteil über eine class action grundsätzlich auch Gläubiger erfassen kann, die selbst nicht aktiv Klage erhoben haben, aber aufgrund ihrer materiellrechtlichen Position (etwa als Geschädigte aus einem Schadensereignis) zur class gehören; die den Prozess führenden Kläger (bzw deren Vertreter) repräsentieren auch die restlichen Mitglieder der class. Ob im österreichischen Recht wirklich ein Bedarf nach einem solchen Rechtsinstitut besteht und ob sich dieses systemkonform in das österreichische Prozessrecht einfügen lässt, erscheint zweifelhaft. 1066

§ 228

2.1 Verfahren bis zum Urteile

§ 228. Es kann auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder Rechtes, auf Anerkennung der Echtheit einer Urkunde oder Feststellung der Unechtheit derselben Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, daß jenes Rechtsverhältnis oder Recht oder die Urkundenechtheit durch eine gerichtliche Entscheidung alsbald festgestellt werde. [Stammfassung] Lit: Hiltscher, Rechtsfragen beim Schadenersatz nach Verkehrsunfällen, ZVR 1967, 169; Prähauser, Die Beweislast im Feststellungsverfahren, VersRdSch 1967, 280; Pramer, Zur Verjährung von Schadenersatzansprüchen, ZVR 1968, 92; Ballon, Das Vaterschaftsanerkenntnis aus verfahrensrechtlicher Sicht, JBl 1974, 246; P. Böhm, Die Lehre vom Rechtsschutzbedürfnis, JBl 1974, 1; Steiner, Grundverkehrsbehördliche Genehmigung und Bedingungslehre, JBl 1974, 506; Fasching, Rechtsschutzverzichtsverträge im österreichischen Prozeßrecht? ÖJZ 1975, 431; ders, Urteilsmäßige Rechtsgestaltung im Zivilprozeß, JBl 1975, 505; Schwimann, Probleme des fehlerhaften Vaterschaftsanerkenntnisses, JBl 1977, 225; Ballon, Klagbarkeit von Ansprüchen, JBl 1978, 10; Dolinar, Das Rechtsschutzziel der Oppositionsklage, JBl 1979, 528; Jabornegg, Eine umstrittene Arbeitsfreistellung, RdA 1979, 51; Sobalik, Das Klagebegehren im Prüfungsprozeß (§§ 110 f KO), RZ 1979, 189; Dolinar, Feststellung des Erbrechts und Erbschaftsklage in prozessualer Sicht, FS Kralik (1986) 125; Konecny, Zum Klagebegehren und zum Inhalt der Anfechtungsklagen im Konkurs, ÖBA 1987, 311; P. Böhm, Die Rechtsschutzformen im Spannungsfeld von lex fori und lex causae, FS Fasching (1988) 107; Gamerith, Die besonderen Feststellungsverfahren nach § 54 ASGG, DRdA 1988, 303; Wünsch, Gedanken zur Klage auf Entlastung der GmbH-Organe, FS Fasching (1988) 531; Mänhardt, Feststellungsgerichtsbarkeit bei inländischen Schiedsverfahren – Eine Regelungslücke? AnwBl 1989, 397; Riedler, Zur Zulässigkeit des Revisionsrekurses im Unterhaltsverfahren und der Konkurrenz von Oppositions- und Feststellungsklage, BeitrZPR IV (1991) 75; Hauser, Überlegungen zum fehlerhaften Aufsichtsratsbeschluß, RdW 1996, 570; Wilhelm, Zur Verjährung von Folgeschäden, ecolex 1996, 899; Grießer, Zur verfahrenstechnischen Umsetzung des § 3 AVRAG, RdW 1997, 669; H. Schumacher, Anerkenntnis des Versicherers: „Rechtliches Interesse“ an der Haftungsfesstellung? ecolex 1998, 117; Greiter, Sicherheit oder Risiko?, AnwBl 2002, 566; Hinteregger, Privatflugplätze und Hindernisfreiheit, ZVR 2002, 236; Thöni, Zur prozessualen Beseitigung unklarer Beschlussergebnisse im GmbH-Recht, ÖJZ 2002, 215; Aschauer, Keine Klage auf Feststellung der Unzuständigkeit des Schiedsgerichts bei anhängigem Schiedsverfahren, wbl 2003, 413; Brandl/Hohensinner, 1067

§ 228

Rechberger/Klicka

Feststellungsbegehren und Mitverschuldenseinwand in Gerichtsverfahren wegen Anlageberatungsfehlern, ÖBA 2004, 602; Greiter, Noch einmal: Sicherheit oder Risiko?, AnwBl 2004, 610; Wilhelm, Feststellung der Haftung für ganz und gar künftige Schäden, ecolex 2004, 757. Fasching in Fasching/Konecny III § 228; Holzhammer 183; Fasching Rz 1072 ff; Bajons Rz 113; Ballon Rz 189 ff; Rechberger/Simotta Rz 410 ff. Inhaltsübersicht Wesen des Feststellungsanspruches Zulässigkeit der Feststellungsklage

1 2–3

Rechtsverhältnis Rechtliches Interesse Verfahren Feststellungswirkung

4–6 7–12 13–14 15

1 Wesen des Feststellungsanspruches. Mit der Klage nach § 228 wird ein rein prozessualer Anspruch, mithin eine besondere Rechtsschutzform geltend gemacht; ein materieller Anspruch auf „Anerkennung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses“ besteht nicht (solche Klagebegehren sind als Feststellungsbegehren zu behandeln: JBl 1957, 595; EvBl 1966/298; SZ 42/126). Die Zulässigkeit der Feststellungsklage ist daher stets nach (österreichischem) Verfahrensrecht zu beurteilen, auch wenn sich das Rechtsverhältnis selbst nach (ausländischem) materiellem Recht richtet (SZ 20/128; EvBl 1987/32; ZfRV 1994/60; Fasching in Fasching/Konecny III § 228 Rz 5 ff). Das Feststellungsurteil ist nicht vollstreckungsfähig.

2 Neben den allgemeinen Prozessvoraussetzungen müssen nach § 228 für die Zulässigkeit der Feststellungsklage zwei besondere Prozessvoraussetzungen gegeben sein: a) die Feststellungsfähigkeit des Rechtsverhältnisses und b) das rechtliche Interesse des Klägers an der alsbaldigen Feststellung.

3 Fehlt eine dieser besonderen Prozessvoraussetzungen, müsste die Klage mit Beschluss zurückgewiesen werden (für den Mangel des rechtlichen Interesses hL: Fasching in Fasching/Konecny III § 228 Rz 122; Sperl 314; Novak, JBl 1964, 7; Sprung, JBl 1968, 206 [Entscheidungsanmerkung]; Holzhammer 169, 184; Fasching III 48 ff und Rz 1096; P. Böhm, JBl 1974, 1 ff [anders: Unterlassungsanspruch 64 ff]; Matscher, JBl 1978, 488 [Entscheidungsanmerkung]); vgl im Übrigen zur besonderen Prozessvoraussetzung des Rechtsschutzbedürfnisses Vor § 226 Rz 9). Die Rsp sieht im rechtlichen Interesse aber eine – in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmende (Fasching in Fasching/Konecny III § 228 Rz 125) – „Voraussetzung für die Begründetheit des Feststellungsan1068

§ 228

2.1 Verfahren bis zum Urteile

spruches“ und weist die Klage bei dessen Fehlen bei Schluss der Verhandlung erster Instanz mit Urteil ab (6 Ob 60/02w = MietSlg 54.629; EvBl 1963/253 [abl Novak, JBl 1964, 6]; JBl 1968, 206 [abl Sprung]; SZ 54/126 = JBl 1983, 435 = MietSlg 33.636/18 = EFSlg 39.170/5). Feststellungsfähig ist nur das Bestehen oder Nichtbestehen eines 4 Rechtsverhältnisses, das ist „das juristische Band, das Personen untereinander oder Personen und Objekte miteinander verbindet“ ( Fasching in Fasching/Konecny III § 228 Rz 38 ff; Koziol/Welser I 49; vgl auch JBl 1971, 201; ÖBl 1998, 363), worin das zusätzlich in § 228 erwähnte (subjektive) Recht gegen einen anderen oder an einer Sache enthalten ist. Es muss sich um ein Rechtsverhältnis des Privatrechts oder des Zivilverfahrensrechts (zB Bestehen eines Schiedsvertrages: SZ 18/151; eines Schiedsspruchs vgl § 612 ZPO; des Stimmrechts im Konkurs: ZBl 1936/ 387; Unwirksamkeit eines gerichtlichen Vergleiches: SZ 22/52; ZBl 1933/228 [abl Petschek]) handeln (Fasching Rz 1091); ferner um ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis (GlUNF 438), da es zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung bereits bestehen muss (ist zB ein Schaden bis zu diesem Zeitpunkt nicht nachweisbar, fehlt es am rechtlichen Interesse an der Feststellung der Schadenersatzpflicht: ÖBl 1967, 66; MietSlg 34.729/21; wbl 1998/30. Ggt: SZ 56/38; EFSlg 55.030: wenn sich der schadensträchtige Vorfall leicht wiederholen und in Zukunft ein Schaden ohne weiteres Zutun des Schädigers eintreten kann). Bedingte Rechtsverhältnisse sind dann feststellungsfähig, wenn bereits alle Voraussetzungen vorliegen und nur die genau bestimmte Bedingung noch nicht eingetreten ist (SZ 41/153). Auch bereits begründete Anwartschaften sind feststellungsfähig (ARD 4313/21/91). Tatsachen können – mögen sie auch noch so rechtserheblich sein – mit Ausnahme der Urkundenechtheit (dazu §§ 310 ff) nicht festgestellt werden. Keine Rechtsverhältnisse und daher nicht feststellungsfähig sind a) 5 abstrakte Rechtsfragen (exemplarisch infas 1998, A 101; SZ 68/162; auch die ohnehin geregelte objektive Rechtslage [Arbeitsentgelt im Fall des § 116 ArbVG] ist nicht feststellungsfähig: Arb 11.201); b) rein rechtliche Qualifikationen (JBl 1937, 170; EvBl 1956/58) eines Rechtsverhältnisses (Ausnahme: § 82 Abs 5 ASGG), wobei die Rsp (und Fasching in Fasching/Konecny III § 228 Rz 45 f unter Berufung auf die fehlende Unterscheidbarkeit der Feststellung eines bestimmten Rechtsverhältnisses und der rechtlichen Einordnung einer Rechtsbeziehung) hier großzügiger sind: zulässig ist nach der Rsp die Feststellung, dass ein Bestandverhältnis hinsichtlich einzelner Bestimmungen dem MRG unterliege: MietSlg 34.727, 36.034/48, 36.762/48 = SZ 57/194; MietSlg 38.770; dass einer Forderung die Eigenschaft als Masseforderung zu1069

§ 228

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komme oder nicht: SZ 18/20 = JBl 1936, 171; SZ 58/191 = JBl 1986, 666 = Anw 1986, 240; oder dass eine Forderung im Ausgleich bevorrechtet sei: Rsp 1927/156; unzulässig ist jedoch die Feststellung, dass eine Kündigung unwirksam oder eine Entlassung ungerechtfertigt war: RdW 1991, 55; ARD 4914/20/98; Wirksamkeit einer Rechtshandlung: DRdA 1996/13; zulässig soll hingegen das Begehren auf Feststellung der Unwirksamkeit eines Ausschlusses aus einem Verein sein: JBl 1997, 453); c) Einzelelemente von Rechtsverhältnissen (wie die Anwendung bestimmter Schadensberechnungsmethoden: EvBl 1985/36 = ZfVB 1985/ 838; Unwirksamkeit einer Dienstbeschreibung: ARD 4961/9/98); d) rechtliche Eigenschaften von Tatsachen (zB dass ein bestimmtes Verhalten schuldhaft sei: SZ 42/172; dass der Werklohn wegen vorliegender Mängel nicht fällig sei: RZ 1984/80). Obwohl durchaus in Frage gestellt werden kann, ob hier ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis zu sehen ist, anerkennt die Rsp – vor allem vor dem Hintergrund ihres eigenen Verjährungskonzepts (verst Senat SZ 68/238 = JBl 1996, 311 = EvBl 1996/11 = ZVR 1996/77 = ecolex 1996, 19; vgl Fasching in Fasching/Konecny III § 228 Rz 150 mwN) rechtsfortbildend ein rechtliches Interesse des Klägers an der Feststellung der Ersatzpflicht für alle künftigen Schäden aus einem Unfall (eingehend Fasching in Fasching/Konecny III § 228 Rz 55 ff, 150; ZVR 1963/102; ZVR 1966/249; SZ 40/158; ZVR 1969/156; JBl 1974, 47 [zust Schriefl]; JBl 1976, 315 = ZVR 1976/113; MietSlg 35.772; ZVR 1985/51; ZVR 1988/65; JBl 1990, 723; ZVR 1991/26; EFSlg 46.651, 46.650; ecolex 1992, 473; auch bei Haftung nach § 1310 ABGB: SZ 68/110 = JBl 1996, 388 [Harrer]; ggtlg RdW 1995, 17 = EFSlg 76.069; einschränkend OLG Innsbruck ZVR 1998/99, wonach das rechtliche Interesse fehlt, wenn die dieses indizierende Dauerfolge nur äußerst gering ist; krit gegen die Rsp Fremuth, JAP 1996/97, 38).

6 Das festzustellende Rechtsverhältnis muss nicht zwischen den Parteien, es kann auch zu oder zwischen Dritten bestehen, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse an der Feststellung gerade gegenüber dem Beklagten hat, weil sich das Rechtsverhältnis auf die rechtliche Position des Klägers auswirkt (JBl 1970, 34; MietSlg 31.687; JBl 1986, 55; MietSlg 46.643, 48.616), allerdings ist gerade bei der Feststellung von Drittrechtsverhältnissen das rechtliche Interesse genau zu prüfen, weil das Feststellungsurteil dem am Verfahren nicht beteiligten Dritten gegenüber keine Rechtskraftwirkung äußert (Fasching in Fasching/Konecny III § 228 Rz 61).

7 Das rechtliche Interesse an der alsbaldigen Feststellung ist dann gegeben, wenn ein aktueller Anlass zur präventiven Klärung des strittigen 1070

§ 228

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Rechtsverhältnisses besteht (Fasching in Fasching/Konecny III § 228 Rz 72 ff; Fasching Rz 1096). Dieser Anlass ist dann zu bejahen, wenn das Rechtsverhältnis durch eine ernsthafte Unsicherheit gefährdet erscheint; zB wenn der Beklagte ein Recht des Klägers hartnäckig bestreitet (bzgl des Eigentumsrechtes GlUNF 6510) oder sich das Recht ernstlich angemaßt hat (bzgl des Eigentumsrechts ZBl 1920/206). Nach der Rsp muss das Feststellungsurteil für den Kläger von „rechtlich-praktischer Bedeutung“ sein (MietSlg 8410, LGZ Wien Arb 7350); kein rechtliches Interesse ist daher ein bloß historisches, publizistisches, aus gesellschaftlicher Stellung, Takt, Höflichkeit, Moral, Weltanschauung, Sitte, Neugier abgeleitetes (LG Innsbruck Arb 10.625 = ZASB 1988, 2). Das Bedürfnis nach Klärung der Rechtslage muss in der Gegenwart oder, unter Bedacht auf die Prozessdauer, für die nahe Zukunft bestehen (arg „alsbaldig“; vgl Holzhammer 184). Auch wenn das Rechtsverhältnis schon beendet ist, kann das Feststellungsinteresse weiter bestehen, wenn das Urteil für die gegenwärtige Rechtslage noch von Bedeutung ist (EvBl 1968/128 betr Alleineigentum des Klägers oder Miteigentum der Parteien; MietSlg 27.660 betr Gesellschaft bürgerlichen Rechtes; EvBl 1972/9, SZ 44/62 für die Feststellung eines beendeten Dienstverhältnisses; JBl 1997, 256 = MietSlg 48.618 für die Feststellung der Unwirksamkeit eines beendeten Bestandverhältnisses). Ein konstitutives Anerkenntnis des Schädigers beseitigt das rechtliche Interesse, auch wenn es erst im Prozess abgegeben wird (ecolex 1998, 126, krit H. Schumacher, ecolex 1998, 117). Nach der Rsp besteht im Allgemeinen auch kein rechtliches Interesse eines Aufsichtsratsmitglieds an der Feststellung der Nichtigkeit eines Aufsichtsratsbeschlusses (wbl 1996, 37 = ecolex 1996, 25; abl Harrer, wbl 1996, 13). Die negative Feststellungsklage ist bei Berühmung eines Rechts zu- 8 lässig (SZ 58/12 = MietSlg 37.746 = JUS 5, 13), sofern Zweifel an seinem Bestehen überhaupt möglich sind (SZ 32/89); sie hat den Zweck, einen für beide Teile nachteiligen Schwebezustand zu beenden, die Anmaßung als Ursache der Rechtsunsicherheit abzuwehren und den Gegner zu zwingen, das angemaßte Recht zu beweisen oder aufzugeben (SZ 26/116; LGZ Wien MietSlg 31.692; MietSlg 33.638; ÖBA 1996/551). Die Gefährdung muss die Sache selbst betreffen, bloß prozessuale Vor- 9 teile wie die Vermeidung künftiger Beweisschwierigkeiten genügen nicht (SZ 24/273; Arb 6489; LGZ Wien EFSlg 32.025; ggt ZVR 1978/ 160 und 200; ZfRV 1981, 24 = ZVR 1980/80; RdW 1995, 137 = ecolex 1995, 336 zur Klärung des Verschuldens und zur Klarstellung der Haftungsfragen nach Grund und Umfang). 1071

§ 228

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10 Bejaht wurde von der Rsp zB ein Feststellungsinteresse des immer wieder auf Unterhalt in Anspruch Genommenen, dass er mit jener Person, die vor dem Jugendamt die Vaterschaft zu einem Kind anerkannt hatte, nicht identisch sei (EFSlg 55.031 = JUS 30, 11); des geschiedenen Ehegatten gegenüber dem anderen, dass eine bestimmte Wohnung nicht Ehewohnung sei (EvBl 1982/184 = JBl 1983, 435 = EFSlg 39.170/5 = MietSlg 33.636/18); des Vaters des unmittelbar geschädigten Kindes gegenüber dem Schädiger, dass dieser zum Ersatz der ihm aufgrund erhöhter Unterhaltsleistungen entstehenden Schadens verpflichtet ist (SZ 70/84 = JBl 1997, 655 = ecolex 1997, 842 = RZ 1998, 41); des Legatars an der Feststellung der Ungültigkeit von Bedingungen eines Vermächtnisses (SZ 47/63 = EvBl 1974/274 = JBl 1975, 94 = NZ 1975, 72); des Gläubigers am Bestehen einer vom Beklagten bestrittenen Darlehensschuld, auch wenn er sie nicht zur Zahlung fällig stellen will (SZ 58/175 = JBl 1986, 794); des Miteigentümers an der Feststellung des Aufteilungsschlüssels der Betriebskosten und Reparaturauslagen (MietSlg 27.658); des Mieters auf Unwirksamkeit des Räumungsvergleichs (korrekt wohl: auf aufrechten Bestand des Mietverhältnisses: MietSlg 47.638/9); als WE-Bewerber gerichtlich festgestellt zu werden (MietSlg 45.569/30); des verpachtenden Liegenschaftseigentümers, dass eine vom Pächter eingebaute Heizanlage in seinem Eigentum steht (MietSlg 46.644); eines Gesellschafters gegen Mitgesellschafter, dass die Gesellschaft (noch) besteht (wbl 1998, 59).

11 Das rechtliche Interesse fehlt bei Untauglichkeit der Feststellungsklage, dh wenn die Rechtskraftwirkung des Feststellungsurteils die Beseitigung der Unsicherheit für das Rechtsverhältnis nicht garantieren kann (vgl Fasching Rz 1100; wenn etwa an einem Feststellungsverfahren über die Unwirksamkeit einer GmbH-Anteilsabtretung [korrekt wohl: der Gesellschaftereigenschaft des Erwerbers] nicht alle Gesellschafter beteiligt sind: SZ 66/175 = ecolex 1994, 817). Es ist aber auch dann zu verneinen, wenn dem Kläger entweder ein einfacherer Weg zur Verfügung steht, um dasselbe Ziel zu erreichen, oder wenn er die Möglichkeit hat, weitergehenden Rechtsschutz zu erhalten (Subsidiarität der Feststellungsklage); das Interesse mangelt vor allem dann, wenn der Kläger bereits eine Leistungsklage erheben kann, deren Erfolg die Feststellung des Rechtsverhältnisses gänzlich erübrigt, wobei auf dieses Kriterium des gänzlichen Ausschöpfens des klägerischen Ziels durch die bereits mögliche Leistungsklage besonderes Augenmerk zu legen ist (Fasching in Fasching/Konecny III § 228 Rz 108 ff; Fasching Rz 1101; Rechberger/ Simotta Rz 413; Holzhammer 184; Ballon Rz 190; 6 Ob 188/02v; 9 Ob 107/02d; JBl 1975, 607; JBl 1980, 31 = MietSlg 31.684; MietSlg 38.768; JBl 1968, 206; JBl 1969, 399; ZVR 1985/51; JBl 1986, 794; RZ 1991/41; 1072

§ 228

2.1 Verfahren bis zum Urteile

wbl 1998/30; ÖBl 1998, 363; zur Feststellung von Gewährleistungsrechten RdW 1997, 725 = ecolex 1997, 921). Können jedoch bei einem Dauerrechtsverhältnis mit Leistungsklage nur einzelne Ansprüche geltend gemacht werden, so ist das Begehren auf Feststellung des gesamten zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses zulässig (JBl 1975, 161; MietSlg 28.586, 31.689, 48.617; LGZ Wien MietSlg 33.637); die Feststellung eines Bestandverhältnisses mit bestimmtem Inhalt wird durch den auch bei Doppelvermietung denkbaren Leistungsanspruch nicht zur Gänze ausgeschöpft (MietSlg 47.639/20). Sonst kann ein Feststellungsinteresse trotz möglicher Leistungsklage dann gegeben sein, wenn durch die Feststellungsklage eine Häufung von Streitigkeiten, insbesondere ein künftiger Leistungsprozess vermieden werden kann (EvBl 1959/7; EvBl 1966/419; JBl 1969, 399; EvBl 1971/334); dies gilt auch dann, wenn der Beklagte während des Prozesses über eine negative Feststellungsklage eine Leistungsklage erhebt (EvBl 1963/321). In Arbeitsrechtssachen nach § 50 Abs 1 ASGG lässt § 54 Abs 5 ASGG Klagen auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens von Rechten oder Rechtsverhältnissen, die mindestens drei Arbeiter des Betriebes oder Unternehmens betreffen, durch die Organe der Arbeitnehmerschaft oder den Arbeitgeber ausdrücklich auch dann zu, wenn ein betroffener Arbeitnehmer bereits selbst auf Leistung klagen oder geklagt werden könnte. Der Nachweis des rechtlichen Interesses kann entfallen, wenn es nach 12 der materiellrechtlichen Situation evident ist (vgl zu den sog „materiellrechtlichen Feststellungsklagen“ näher Fasching in Fasching/Konecny III § 228 Rz 33 ff), so zB bei actio confessoria und negatoria (§ 523 ABGB), bei den Forderungsfeststellungen im Exekutions- (zB §§ 234, 258, 351 EO) und Konkursverfahren (§ 110 KO; bei Klagen nach § 16 Abs 1 HGB/UGB: EvBl 2005/13). Die Rsp sieht hier zu Unrecht (so auch Fasching Rz 1104 und wohl auch Holzhammer 184) materiellrechtliche Feststellungsansprüche, deren Geltendmachung nicht den Voraussetzungen des § 228 unterliege (ZBl 1930/303 [abl Petschek]; ZBl 1933/18 [abl Petschek]; JBl 1955, 145 [abl Michlmayr]; JBl 1955, 276; KG Krems MietSlg 39.752; EvBl 1960/19; EvBl 2005/13). Verfahren. Das rechtliche Interesse ist nach eM von Amts wegen in 13 jeder Lage des Verfahrens (also auch noch im Rechtsmittelverfahren) zu prüfen und sein Mangel wahrzunehmen (MietSlg 17.767, 17.770; JBl 1975, 94 = NZ 1975, 72; VersRdsch 1979, 67; Arb 9927; MietSlg 47.639/20). Als Prozessvoraussetzung (s oben Rz 2 f) muss es schon bei Gerichtsanhängigkeit vorliegen, spätestens aber im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung. Bei der Prüfung gilt 1073

§ 229

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Untersuchungsgrundsatz (keine Parteiendisposition), was an der objektiven Beweislastverteilung nichts ändert (ebenso Fasching Rz 1102). Als Anspruchsvoraussetzung (s oben Rz 3) braucht es erst im Zeitpunkt des Verhandlungsschlusses gegeben zu sein (so folgerichtig die Rsp: MietSlg 32.674; JBl 1989, 779).

14 Da das rechtliche Interesse eine Prozessvoraussetzung ist, muss die Klage bei dessen Mangel mit Beschluss zurückgewiesen werden (s oben Rz 3). Dagegen ist Rekurs (§§ 514, 517 Z 1; 519 Abs 1 Z 1; 528 Abs 2 Z 2) zulässig, der gem § 521a Abs 1 Z 3 zweiseitig ist, wenn die Klage nach Streitanhängigkeit zurückgewiesen wurde. Die Rsp weist die Klage mit Urteil ab (s oben Rz 3), was Berufung und Revision eröffnet.

15 Feststellungswirkung. Der Erfolg der Klage führt zur rechtskräftigen und damit für Nachfolgeprozesse zwischen den Parteien bindenden Feststellung des Rechtsverhältnisses, welche aufgrund einer Leistungsklage, die nur einen aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis abgeleiteten Anspruch geltend macht, nicht erfolgt (dort wird das Rechtsverhältnis bloß in den Entscheidungsgründen beurteilt, s bei § 411). Das Rechtsverhältnis steht auch dann rechtskräftig fest, wenn eine negative Feststellungsklage mit der Begründung abgewiesen wird, dass es bestehe, oder weil der Kläger nicht beweisen kann, dass es nicht (mehr) besteht. Die Rechtskraft eines stattgebenden positiven Feststellungsurteils schließt auch eine negative Feststellungsklage über dasselbe Rechtsverhältnis zwischen denselben Parteien aus und umgekehrt, da es sich jeweils um das kontradiktorische Gegenteil handelt (vgl § 411 Rz 8). § 229. (1) Schon in der Klage kann der Antrag gestellt werden: 1. dass dem Beklagten mit dem Auftrag zur Beantwortung der Klage oder bei der Ladung zur vorbereitenden Tagsatzung aufgetragen werde, gewisse genau zu bezeichnende, dem Kläger zu einer Beweisführung nötig scheinende und im Besitze des Beklagten befindliche Urkunden, Auskunftssachen oder in Augenschein zu nehmende Gegenstände dem Gericht rechtzeitig vor der Verhandlung vorzulegen oder zur Verhandlung mitzubringen; 2. dass das Erforderliche verfügt werde, damit die für eine Beweisführung voraussichtlich nötigen, bei einer öffentlichen Behörde oder bei einem Notar verwahrten Urkunden, Auskunftssachen oder Augenscheinsgegenstände, die gleichfalls genau zu bezeichnen sind, zur mündlichen Streitverhandlung rechtzeitig herbeigeschafft werden; 1074

§ 230

2.1 Verfahren bis zum Urteile

3. dass die zur Bewahrheitung tatsächlicher Behauptungen in der Klage namhaft gemachten Zeugen zur mündlichen Streitverhandlung geladen werden. (2) Dem unter Z 2 erwähnten Antrage ist nur dann stattzugeben, wenn sich die Partei die betreffenden Urkunden, Auskunftssachen oder Augenscheinsgegenstände nach den bestehenden gesetzlichen Vorschriften ohne Mitwirkung des Gerichtes nicht zu verschaffen vermag, oder wenn ihr deren Ausfolgung von der Behörde oder dem Notar in ungerechtfertigter Weise verweigert wurde. (3) Aufgehoben [Abs 1 idF ZVN 2002; Abs 3 aufgehoben durch ZVN 2002] Lit: Hagen, Die Vorbereitung der Streitverhandlung, JBl 1970, 120. Zur frühzeitigen Vorbereitung des Beweisverfahrens erlaubt § 229 dem 1 Kläger, bereits in der Klage (vgl zum möglichen Klageinhalt schon § 226 Rz 10), die Vorlage von Urkunden, Auskunftssachen oder Augenscheinsgegenständen durch den Beklagten (Abs 1 Z 1) oder deren Herbeischaffung von einer öffentlichen Behörde oder einem Notar (Abs 1 Z 2) sowie die Ladung von Zeugen (Abs 1 Z 3) zu beantragen. Die analoge Bestimmung für solche Anträge des Beklagten in der Klagebeantwortung findet sich in § 239 Abs 2. In der Zeit zwischen der Anberaumung und dem Beginn der Streitverhandlung können beide Parteien gem § 257 Abs 3 Anträge iS des § 229 in einem (vorbereitenden) Schriftsatz oder zu gerichtlichem Protokoll stellen. Der Auftrag an den Beklagten erfolgt regelmäßig mit der Ladung zur 2 mündlichen Streitverhandlung, zu welchem Termin auch die Herbeischaffung der Beweismittel bzw die Ladung der Zeugen zu verfügen ist. Verfügungen des Gerichts über Anträge nach § 229 können nicht abgesondert angefochten werden, die Anträge können in der mündlichen Streitverhandlung als Beweisanträge wiederholt werden. Abs 2, der den Erfolg des Antrags auf Herbeischaffung der Beweismittel 3 von einem Schutzbedürfnis der Partei abhängig macht, wird durch § 183 Abs 1 Z 3 relativiert, der den Richter jedenfalls ermächtigt, bei einer öffentlichen Behörde oder bei einem Notar verwahrte Urkunden, Auskunftssachen und Augenscheinsgegenstände von Amts wegen herbeischaffen zu lassen. § 230. (1) Ist kein Zahlungsbefehl zu erlassen, so hat der Vorsitzende des Senates, welchem die Rechtssache zugewiesen ist, dem Beklagten die Beantwortung der Klage mit Beschluss aufzutragen. Die 1075

§ 230

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Frist für die Beantwortung der Klage beträgt vier Wochen. Dieser Beschluß kann nicht durch ein Rechtsmittel angefochten werden. (2) Wenn er jedoch der Ansicht ist, daß die Klage wegen Fehlens der inländischen Gerichtsbarkeit oder der sachlichen oder örtlichen Zuständigkeit oder wegen des Mangels der Prozeßfähigkeit oder der erforderlichen gesetzlichen Vertretung auf seiten des Klägers oder Beklagten unzulässig ist, so hat er die Entscheidung des Senates darüber einzuholen, ob die Beantwortung der Klage aufzutragen oder eine Verfügung im Sinne des § 6 zu erlassen oder die Klage zur Verbesserung zurückzustellen oder zurückzuweisen ist. (3) Das Fehlen der inländischen Gerichtsbarkeit, sofern es nicht geheilt ist (§ 104 JN), die Unzulässigkeit des Rechtswegs, die Streitanhängigkeit, die Rechtskraft eines die Streitsache betreffenden Urteils und die Klagerücknahme unter Anspruchsverzicht sind jederzeit von Amts wegen zu berücksichtigen. [Abs 3 angefügt durch ZVN 2002; Abs 2 idF WGN 1997; Abs 1 Stammfassung] Lit: Fucik, Die Zuständigkeit nach der Zivilverfahrens-Novelle 1983, RZ 1985, 206, 234, 258; Ballon, Die Rechtsprechung in Zuständigkeitsfragen, FS Fasching (1988) 55 (56 f). Mayr in Fasching/Konecny III § 230; Fasching Rz 1168 ff; Rechberger/Simotta Rz 519 ff.

1 Nach Einlangen der Klage bei Gericht hat der Richter (im Senatsprozess der Vorsitzende) die Klage einer Vorprüfung hinsichtlich der Prozessvoraussetzungen und der Formvorschriften zu unterziehen. Diese Vorprüfung erstreckt sich auf alle Prozessvoraussetzungen bzw Prozesshindernisse (Sperl 322; Fasching Rz 1168; Rechberger/Simotta Rz 519 ff) und nicht nur auf die in Abs 2 genannten. Zum Prüfungsmaßstab bei der Zuständigkeitsfrage s § 41 Abs 2 JN. Im Bereich des europäischen Zivilprozessrechts ist eine nicht ausschließliche internationale Unzuständigkeit allerdings nur über Einrede des Beklagten wahrnehmbar (Art 25 EuGVVO, Art 19 EuGVÜ/LGVÜ; Mayr in Fasching/Konecny III § 230 Rz 12; Czernich/Tiefenthaler/Kodek, Art 24 Rz 4). Diese Regel wird nach hM allerdings nicht analog auf die allgemeinen Fälle der prorogablen internationalen Unzuständigkeit außerhalb des europäischen Zivilprozessrechts erstreckt, die Klage ist daher a limine zurückzuweisen, wenn sich das Gericht für international unzuständig hält (Mayr in Fasching/Konecny III § 230 Rz 14; EvBl 2002/65). Wird der Mangel einer Prozessvoraussetzung festgestellt, ist ein Heilungsversuch nach § 6 Abs 2 vorzunehmen, wenn dieser Mangel eine persönliche Prozessvoraussetzung betrifft (allenfalls die Verständigung 1076

§ 230

2.1 Verfahren bis zum Urteile

des Pflegschaftsgerichtes nach § 6a); sonst kommt es zur Zurückweisung der Klage. Diese Beschlüsse sind im Senatsprozess durch den Senat zu fällen. Zum Verbesserungsverfahren wegen Formgebrechen der Klage vgl §§ 84, 85. Zur Frage, ob auch wegen Inhaltsmängeln der Klage (wozu auch mangelhafte Zuständigkeitsangaben gehören) eine Verbesserung nach § 84 Abs 3 möglich ist, vgl §§ 84 f Rz 10 ff, § 41 JN Rz 2. Der Beschluss, mit dem die Klage mangels einer Prozessvoraussetzung 2 a limine iudicii zurückgewiesen wird, kann nur vom Kläger, nicht aber vom Beklagten mit Rekurs bekämpft werden (für die Zuständigkeit: JBl 1986, 668; auch der Aufhebungsbeschluss des Rekursgerichts nicht: ARD 4716/27/96; Ballon, FS Fasching 56 f). Der Beklagte ist nicht beschwert, da er mangels Beteiligung am bisherigen Verfahren durch die Vorprüfung der Klage nicht gebunden sein kann (dies bestätigt § 521a Abs 1 Z 3). Bzgl der Zuständigkeit teilw aA Fasching (Rz 1169), Holzhammer (66); vgl Näheres bei § 41 JN. Liegt kein Grund zur Zurückweisung der Klage bzw zu ihrer Zurück- 3 stellung zur Verbesserung vor und ist kein Zahlungsbefehl zu erlassen (in diesem Fall Vorgehen nach §§ 244 ff), hat das Gericht (im Senatsprozess der Vorsitzende) die Zustellung der Klage an den Beklagten zu eigenen Handen zu veranlassen (§ 106, § 21 ZustellG) und dem Beklagten sogleich die Beantwortung der Klage aufzutragen. Dieser Beschluss (ZPForm 25 idF JABl 2003/10) ist beiden Parteien zuzustellen. Mit dem (unanfechtbaren, Abs 1 Satz 3) Auftrag zur Klagebeantwortung trifft das Gericht zwar keine echte Zuständigkeitsentscheidung, verliert aber die Möglichkeit seine (prorogable oder unprorogable) sachliche oder örtliche Unzuständigkeit sowie die prorogable internationale Unzuständigkeit von Amts wegen aufzugreifen; deren Wahrnehmung ist nur mehr auf Einrede des Beklagten möglich (dazu näher Mayr in Fasching/Konecny III § 230 Rz 44) Die Frist zur Erstattung der Klagebeantwortung beträgt ex lege (allerdings nach hL verlängerbar, Mayr in Fasching/Konecny III § 230 Rz 49, schwankend die Rsp) vier Wochen und beginnt mit Zustellung des betreffenden Beschlusses zu laufen. Die verhandlungsfreie Zeit (Gerichtsferien) verlängern die Klagebeantwortungsfrist seit der ZVN 2002 nicht mehr (§ 225 Abs 2). Eine vor Fristbeginn eingebrachte Klagebeantwortung ist nach der Rsp wirksam (OLG Wien EvBl 1949/359). Im bezirksgerichtlichen Verfahren kennt das Gesetz keine förmliche Klagebeantwortung (§ 440 Abs 2), weshalb das Gericht – sofern kein Mahnverfahren oder Mandatsverfahren durchzuführen ist – sofort eine vorbereitende Tagsatzung anzuberaumen hat (§ 440 Abs 1). 1077

§ 230a

Rechberger/Klicka

§ 230a. Wird die sachliche oder örtliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes ausgesprochen und die Klage zurückgewiesen, ohne daß der Kläger Gelegenheit hatte, einen Überweisungsantrag nach § 261 Abs 6 zu stellen, und beantragt der Kläger binnen der Notfrist von vierzehn Tagen nach der Zustellung dieses Beschlusses die Überweisung der Klage an ein anderes Gericht, so hat das ursprünglich angerufene Gericht die Zurückweisung aufzuheben und die Klage dem vom Kläger namhaft gemachten Gericht zu überweisen, wenn es das andere Gericht nicht für offenbar unzuständig erachtet. Die Gerichtsanhängigkeit wird durch diese Überweisung nicht aufgehoben. Das Gericht, an das die Klage überwiesen worden ist, kann einen Mangel seiner Zuständigkeit nur noch wahrnehmen, wenn der Beklagte rechtzeitig die Einrede der Unzuständigkeit erhebt. [Eingefügt durch ZVN 1983, Satz 1 idF WGN 1997] Lit: Fucik, Die Zuständigkeit nach der Zivilverfahrens-Novelle 1983, RZ 1985, 206, 234, 258; Ballon, Die Rechtsprechung in Zuständigkeitsfragen, FS Fasching (1988) 55 (59 ff); Simotta, Der Überweisungsantrag nach § 230a ZPO, JBl 1988, 359 und 423; Burgstaller/Neumayr, Die grenzüberschreitende Überweisung in der Europäischen Union, RZ 2003, 242; Czernich, Gerichtsstandvereinbarung und Auslandsbezug, wbl 2004, 458. Mayr in Fasching/Konecny III § 230a; Fasching Rz 218; Bajons Rz 88; Ballon Rz 74 ff. Inhaltsübersicht Nachträglicher Überweisungsantrag 1–2 Rechtsmittelauschluss 3 Wahrnehmung der Unzuständigkeit des Adressatgerichts 4 Kumulierung von Überweisungsantrag und Rekurs 5

1 Ist die Klage wegen sachlicher oder örtlicher Unzuständigkeit des Gerichtes (nicht wegen internationaler Unzuständigkeit, s bei § 261 Rz 7; Kodek in Fasching/Konecny III § 261 Rz 198, 202) a limine zurückgewiesen worden, kann der Kläger binnen 14 Tagen nach Zustellung (nicht Rechtskraft: EvBl 1987/17 = JUS 23,13) des Zurückweisungsbeschlusses deren Überweisung an ein anderes Gericht beantragen. Wird diesem Rechtsbehelf stattgegeben, ist der Zurückweisungsbeschluss aufzuheben, so dass die Gerichtsanhängigkeit erhalten bleibt und ein allfälliges Verjährungsrisiko abgewehrt ist. Nach dem Wortlaut (arg „Gelegenheit“) kann der Antrag auch in einem späteren Verfahrens1078

§ 230a

2.1 Verfahren bis zum Urteile

stadium gestellt werden, wenn der Richter entgegen § 182 Abs 2 dem Kläger nicht die Möglichkeit zu einem Überweisungsantrag gegeben hat und eine Heilung der Unzuständigkeit nach §§ 43 Abs 1 und 104 Abs 3 JN sowie §§ 240 und 441 noch nicht eingetreten ist (hL: Fasching Rz 218; Ballon Rz 75 und FS Fasching 59; Fucik, RZ 1985, 262; Simotta, JBl 1988, 361; so auch EvBl 1993/100; aA noch EvBl 1987/69 = JBl 1986, 529 = RZ 1986/61 und auch wiederum die jüngere Rsp bei anwaltlicher Vertretung des Klägers in der Verhandlung, deren erkennbarer Gegenstand die Zuständigkeitsfrage war: JBl 1995, 183; RdW 2001/506, 471; RdW 2002/214, 223; RdW 2001/745, 734). Die Überweisung darf nur an das vom Kläger namhaft gemachte andere 2 Gericht erfolgen, sofern dieses nicht offenbar unzuständig ist (summarische Prüfung); die Überweisung an ein drittes, nach den Klageangaben tatsächlich zuständiges Gericht ist unzulässig (OLG Wien WR 410). Hält das angerufene Gericht auch das andere Gericht für unzuständig, ist der Überweisungsantrag abzuweisen (nach OLG Wien WR 64 ebenso wie die Klage zurückzuweisen). Der Rechtsmittelausschluss gegen den Überweisungsbeschluss betrifft 3 ebenso wenig wie im Fall des § 261 Abs 6 den Fall, dass die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für diesen Beschluss tatsächlich nicht vorlagen (zB Fehlen eines Überweisungsantrags, Überweisung an ein vom Kläger nicht benanntes Gericht, Mayr in Fasching/Konecny III § 230a Rz 18; s §§ 260 f Rz 11; RZ 1985/72; zust Petrasch, ÖJZ 1985, 262). Dem entsprechend ist auch die Abweisung des Überweisungsantrages unanfechtbar, während die Zurückweisung wegen Unzulässigkeit mit Rekurs bekämpft werden kann (Fasching Rz 218; OLG Wien WR 115). Nach dem Wortlaut des letzten Satzes kann das Adressatgericht keine 4 Art seiner Unzuständigkeit von Amts wegen wahrnehmen (so Ballon Rz 80 und FS Fasching 61; Mayr in Fasching/Konecny III § 230a Rz 22; ebenso OLG Wien EvBl 1992/162); dies wird von der Gegenansicht aber wegen des Widerspruches zu § 43 Abs 1 JN und § 240 auf die prorogable Unzuständigkeit reduziert (Fucik, RZ 1985, 263 f; Simotta, JBl 1988, 367). Der Beklagte, der am Verfahren vor dem zuerst angerufenen Gericht noch nicht beteiligt war, kann jedwede Unzuständigkeit mit Einrede geltend machen; er kann sich auch darauf stützen, dass das zuerst angerufene Gericht zuständig sei (OLG Wien WR 177; EvBl 1988/145 = JUS 40, 21; LGZ Wien EFSlg 57.750). § 230a schließt (anders als § 261 Abs 6) den Rekurs gegen den die Klage 5 wegen Unzuständigkeit zurückweisenden Beschluss nicht aus. Dieser 1079

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Rekurs und der Überweisungsantrag können kumuliert werden und sind dann in der vom Kläger bestimmten Reihenfolge zu erledigen (JBl 1985, 371 = RZ 1985/39). Ist der Zurückweisungsbeschluss vom Rekursgericht bestätigt worden, kann der Kläger keinen Überweisungsantrag mehr stellen (EvBl 1987/17 = JUS 23, 13; aA Schalich, ÖJZ 1983, 253 [259]). § 231. Aufgehoben durch ZVN 2002 Streitanhängigkeit § 232. (1) Die Rechtshängigkeit der Streitsache (Streitanhängigkeit) wird durch die Zustellung der Klageschrift an den Beklagten begründet. Zur Wahrung einer Frist sowie zur Unterbrechung des Ablaufes einer Frist genügt, wenn nichts anderes vorgeschrieben ist, die Überreichung der Klage bei Gericht. (2) Wird von einer Partei erst im Laufe des Prozesses ein Anspruch erhoben, so tritt die Streitanhängigkeit in Ansehung dieses Anspruches mit dem Zeitpunkte ein, in welchem derselbe bei der mündlichen Verhandlung geltend gemacht wurde. [Stammfassung] § 233. (1) Die Streitanhängigkeit hat die Wirkung, daß während ihrer Dauer über den geltend gemachten Anspruch weder bei demselben noch bei einem anderen Gerichte ein Rechtsstreit durchgeführt werden darf. Eine während der Streitanhängigkeit wegen des nämlichen Anspruches angebrachte Klage ist auf Antrag oder von Amts wegen zurückzuweisen. (2) Nach dem Eintritte der Streitanhängigkeit kann der Beklagte, wenn die sonstigen gesetzlichen Bedingungen des Gerichtsstandes der Widerklage vorhanden sind, bei dem Gerichte der Klage insolange eine Widerklage anbringen, als nicht die mündliche Verhandlung in erster Instanz geschlossen ist. [Stammfassung] Lit: Steininger, Einige Überlegungen zur Streitanhängigkeit, FS Schima (1969) 407; P. Böhm, Einige Probleme der schriftlichen Klagserweiterung. Zur Teleologie des § 232 Abs 2 ZPO, RZ 1980, 45; P. Bydlinski, DRdA 1984, 242 (Entscheidungsanmerkung); König, JBl 1985, 49 (Entscheidungsanmerkung); Schumann, Internationale Rechtshängigkeit (Streitanhängigkeit), FS Kralik (1986) 301; Baur, Rechtshängig – Schiedshängig, FS Fasching (1988) 81; Kerzendorfer, Zum Unterschied 1080

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2.1 Verfahren bis zum Urteile

zwischen Verjährungsfristen und Präklusivfristen, BeitrZPR III (1989) 203; Klicka, Verjährungsunterbrechung bei schriftlicher Klagserweiterung, JAP 1990/91, 50. Mayr in Fasching/Konecny III § 232, 233; Bajons Rz 90; Ballon Rz 182, 199 f; Fasching Rz 1173 ff, 1181 ff; Holzhammer 188; Rechberger/Simotta Rz 265/1, 516 ff, 525 ff. Inhaltsübersicht Gerichtsanhängigkeit Streitanhängigkeit Streitanhängigkeit als Prozesshindernis

1–3 4–6

Anhang: Art 27 EuGVVO

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Gerichtsanhängigkeit. Mit der „Überreichung der Klage bei Gericht“, 1 genauer mit deren Einlangen in der Einlaufstelle (SZ 45/110, auch eines unzuständigen Gerichts: Mayr in Fasching/Konecny III Vor § 230 Rz 5) wird die Klage gerichtsanhängig. Dasselbe gilt, wenn im Laufe des Prozesses ein (weiterer) Anspruch erhoben wird (§§ 235, 236, 259 Abs 2), der mittels Schriftsatzes geltend gemacht wird (SZ 35/68; SZ 43/ 232; verstSen SZ 62/69 = JBl 1989, 516 = EvBl 1989/136 = JAP 1990/91, 50, zust Klicka; RdW 1994, 208; SZ 67/135); sonst kommt es auf die Geltendmachung in der mündlichen Verhandlung an (Fasching Rz 1173). Vgl auch unten Rz 3. Zu den modernen technischen Formen der Überreichung der Klage s § 89 Abs 3 GOG, § 89a GOG (elektronische Eingaben) und die Rsp zur Zulässigkeit von Klagen mittels Telefax (SZ 65/162 = EvBl 1993/105 = JBl 1993, 732; Mayr in Fasching/Konecny III Vor § 230 Rz 9). Protokollarklagen im bezirksgerichtlichen Verfahren richten sich nach § 434. Prozessuale Wirkungen der Gerichtsanhängigkeit: a) Begründung 2 des vorerst zweiseitigen Prozessrechtsverhältnisses (Gericht–Kläger); b) maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung der Zuständigkeit, die auch dann erhalten bleibt, wenn sich die Umstände später ändern (perpetuatio fori, § 29 JN, s dort Näheres); c) maßgeblicher Zeitpunkt für die Berechnung des Wertes des Streitgegenstandes (§ 54 Abs 1 JN); d) Wahrung von Präklusivfristen (zB §§ 534, 556, 611) und Unterbrechung ihres Ablaufes (§ 232 Abs 1 Satz 2; nach § 89 GOG sind prozessuale Fristen gewahrt, wenn die Klage am letzten Tag der Frist zur Post gegeben wird); Ausnahme: § 563 Abs 1. Materiellrechtliche Wirkungen: a) Verjährung und Ersitzung wer- 3 den durch die Gerichtsanhängigkeit unterbrochen, sofern „die Klage 1081

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gehörig fortgesetzt wird“ (§ 1497 ABGB). Dies wurde von der Rsp zB verneint, wenn der Kläger sich im Prozess beharrlich nicht betätigt (zB wenn der Fortsetzungsantrag erst mehr als zwei Monate [BeitrZPR III 205] oder erst viereinhalb Monate [JBl 1978, 210] nach Ablauf der Ruhensfrist gestellt wird; Ruhensvereinbarungen zwecks Vergleichsverhandlungen schaden an sich nicht, wenn diese aber vom Kläger nur zögerlich geführt werden und aus dem Verhalten des Beklagten geschlossen werden kann, dass weitere Vergleichsversuche aussichtslos sind, muss der Kläger ehestmöglich die Fortsetzung des Verfahrens begehren: ZVR 1978/185; Beweisschwierigkeiten sind kein Rechtfertigungsgrund: EvBl 1971/240); b) Wahrung materiellrechtlicher Präklusivfristen (zB § 454) und Unterbrechung ihres Ablaufs (§ 232 Abs 1 Satz 2); c) Ansprüche des Ehegatten auf Abgeltung der Mitwirkung am Erwerb des anderen werden mit gerichtlicher Geltendmachung vererblich (§ 99 ABGB); d) seit der EO-Novelle 1991 können die in § 291 aF EO genannten Ansprüche (insb Schmerzengeld) auch vor gerichtlicher Geltendmachung gepfändet werden; zumindest das Schmerzengeld ist daher auch ohne gerichtliche Geltendmachung vererblich (JBl 1997, 40 gegen die bisherige Judikatur; so schon zuvor die hL, vgl Welser in Rummel § 531 Rz 7). Zur Maßgeblichkeit der Gerichtsanhängigkeit für Übergangsvorschriften vgl RdW 1995, 468. Die in einem Schriftsatz enthaltene Klageänderung wird bereits mit dem Einlangen bei Gericht, nicht erst mit deren Vorbringen in der Verhandlung gerichtsanhängig und bewirkt dadurch die Unterbrechung der Verjährung (Fasching Rz 1173; Holzhammer 196; P. Böhm, RZ 1980, 49; Klicka, JAP 1990/91, 50; König, JBl 1985, 562 [Entscheidungsbesprechung]; SZ 67/135; SZ 62/69 = JBl 1989, 516 = EvBl 1989/ 136 = AnwBl 1990, 50 [verst Senat] gegen SZ 56/157; ÖJZ 1972/25 = RZ 1971, 141; RdW 1994, 208).

4 Streitanhängigkeit tritt ein a) mit Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftsatzes (Klage, Widerklage, Aufkündigung) an den Beklagten; b) wenn erst im Laufe des Prozesses ein Anspruch erhoben wird (§§ 235, 236, 259 Abs 2), grundsätzlich mit dem Zeitpunkt, in dem dieser in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht wird (§ 232 Abs 2); bei schriftlicher Klageerweiterung kommt es aber auf die (eigenhändig zu bewirkende) Zustellung des Schriftsatzes an den Gegner an, da § 232 Abs 2 die Geltendmachung bloß erleichtern will (P. Böhm, RZ 1980, 45; idS nunmehr auch MietSlg 48.623). Nach Fasching (Rz 1173 und 1181) soll es dagegen auch in diesem Fall bei der Regel des § 232 Abs 2 bleiben; so auch RdW 1998, 277 (gänzlich aA noch SZ 56/157 = EvBl 1984/96 = JBl 1985, 49 [abl König] = DRdA 1984, 242 [abl P. Bydlinski] = RdW 1984, 276, wonach die Streitanhängigkeit im Fall 1082

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einer Klageänderung nach § 235 Abs 2 gar erst mit Zustimmung des Beklagten bzw deren Ersetzung durch das Gericht eintreten soll; vgl aber zur Frage des Eintrittes der Gerichtsanhängigkeit oben bei Rz 1 und 3). Prozessuale Wirkungen: a) das Prozessrechtsverhältnis wird durch 5 Einbeziehung des Beklagten dreiseitig; b) Begründung des Gerichtsstandes der Widerklage und des Hauptprozesses (§ 94 JN, §§ 16 und 233 Abs 2); c) prozessuale Wahlrechte werden konsumiert (§§ 102 f JN); d) Möglichkeit der Nebenintervention (§ 17 Abs 1); e) das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit tritt ein (§ 233 Abs 1); f) bei Veräußerung des Streitgegenstandes gilt § 234; g) die Klageänderung wird erschwert (§ 235 Abs 2); h) ein Zwischenantrag auf Feststellung wird möglich (§§ 236 Abs 1, 259 Abs 2); i) der Beklagte ist verpflichtet, jede Adressenänderung bekannt zu geben (§ 8 ZustG). Materiellrechtliche Wirkungen: a) Haftungserhöhungen für den Be- 6 klagten (§§ 338, 824 ABGB); b) die gesetzlichen Verzugszinsen beginnen (unter den Voraussetzungen des § 1334 ABGB) zu laufen (weitere Zinsenfolgen: § 1335 ABGB); c) Verpflichtung des Schuldners zur Leistung an jenen Solidargläubiger, dessen Klage ihm als erste zugestellt wird (§ 892 ABGB; vgl SZ 32/73). Nach der ausdrücklichen Anordnung des § 233 Abs 1 bewirkt die 7 Streitanhängigkeit während ihrer Dauer ein Prozesshindernis für die neuerliche Geltendmachung desselben Anspruches. Dieses Hindernis muss in jeder Lage des Verfahrens auch von Amts wegen (mangels Kenntnis des Gerichtes in praxi aufgrund einer Einrede des Beklagten, s §§ 239 Abs 3, 261 Abs 1) wahrgenommen werden und führt zur Zurückweisung der zweiten Klage (SZ 19/74); die Nichtberücksichtigung der Streitanhängigkeit begründet Nichtigkeit (SZ 19/74; SZ 44/81; LGZ Wien MietSlg 21.810). Im (unwahrscheinlichen) Fall, dass zwei Prozesse gleichzeitig streitanhängig werden (und beide Gerichte tatsächlich zuständig sind), liegt ein Kompetenzkonflikt vor, der nach § 47 JN (s dort Näheres) zu lösen ist (Holzhammer 191; aA Fasching Rz 1185). Die Streitanhängigkeit ist der Vorläufer der Einmaligkeitswirkung (ne bis in idem) der materiellen Rechtskraft und deckt sich in ihren Auswirkungen mit dieser vollständig. So wie das Gesetz den Parteien ein Rechtsschutzbedürfnis für einen neuen Prozess über einen entschiedenen Anspruch versagt, billigt es ihnen auch kein Rechtsschutzbedürfnis an einem weiteren Prozess über einen Anspruch zu, der bereits Gegenstand eines Rechtsstreites ist. 1083

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8 Die Streitanhängigkeit dauert a) bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft der Entscheidung in der Sache (mit diesem Zeitpunkt wird sie von der Einmaligkeitswirkung der materiellen Rechtskraft abgelöst) oder b) bis zur Prozessbeendigung ohne Sachentscheidung durch rechtskräftige Zurückweisung der Klage oder des sonstigen Antrages, durch Klagerücknahme oder durch Prozessvergleich. Bei Unterbrechung oder Ruhen des Verfahrens bleibt die Streitanhängigkeit aufrecht. Zur Frage, ob das „ewige“ Ruhen die Streitanhängigkeit beendet, s §§ 168 ff Rz 5.

9 Streitanhängigkeit setzt Identität der Parteien und Identität des Streitgegenstandes voraus. a) Identität der Parteien liegt vor, wenn in beiden Prozessen – wenn auch in umgekehrten Parteirollen – dieselben Parteien auftreten (ZfRV 1984, 145 [zust Konecny]; MietSlg 46.645). Soweit sich die Rechtskraft des Urteils über die erste Klage auch auf Rechtsnachfolger der Parteien erstrecken würde, schließt die Streitanhängigkeit auch Prozesse von und gegen diese aus (MietSlg 17.772; EvBl 1968/77; OLG Innsbruck EvBl 1985/102; ZIK 1997, 21). Das versteht sich bei Gesamtrechtsnachfolge von selbst und ist bei gesetzlicher Rechtskrafterstreckung auf den Einzelrechtsnachfolger konsequent (für den Überweisungsgläubiger im Drittschuldnerprozess: OLG Innsbruck EvBl 1985/ 102). Eine „Streitanhängigkeitserstreckung“ auf einen größeren Personenkreis in Fällen, in denen das Gesetz eine Rechtskrafterstreckung vorsieht (zB § 232 Abs 2 EO, § 113 KO), ist abzulehnen (ebenso Fasching Rz 1186; unklar EvBl 1960/52 = JBl 1960, 125 = RZ 1960, 30).

10 b) Identität der Ansprüche ist gegeben, wenn der Streitgegenstand der neuen Klage derselbe ist wie jener der ersten. Diese Frage kann daher je nach zugrunde gelegter Streitgegenstandstheorie verschieden beantwortet werden (dazu Vor § 226 Rz 14 ff). Nach der Rechtsprechung liegt Identität der Ansprüche dann vor, wenn sich aus den rechtserzeugenden Tatsachen und den daraus abgeleiteten Begehren ergibt, dass beide Sachanträge dasselbe Rechtsschutzziel anstreben (EFSlg 25.326, 36.716; LG Graz MietSlg 33.640; LGZ Wien MietSlg 34.732, 34.733; LGZ Wien EFSlg 44.023; zwischen Scheidungsbegehren gemäß § 55 Abs 1 und Abs 3 EheG besteht daher Identität: JBl 1998, 651 = EvBl 1998/134). Das liegt auch vor, wenn ein Begehren das begriffliche Gegenteil des anderen ist (JUS 1995 Z 1739). Identität besteht zwischen positiver und negativer Feststellungsklage (s § 228 Rz 8) sowie zwischen einem positiven und einem negativen Zwischenantrag auf Feststellung bzgl desselben Rechtsverhältnisses (MietSlg 18.672, 46.645; SZ 46/97 = EvBl 1974/7 = EFSlg 20.736 = ZfRV 1084

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1974, 138 [abl P. Böhm]); Identität kann bestehen zwischen einer Leistungsklage und einer nachfolgenden negativen Feststellungsklage des Beklagten, wenn letztere bloß den Leistungsanspruch bestreitet (ähnlich Fasching III 93 f und Rz 1187; GlUNF 4723; LGZ Wien EFSlg 39.179, 76.075; aA Holzhammer 191, wo generell Identität angenommen wird). Keine Identität besteht zwischen einer Feststellungsklage und einer nachfolgenden Leistungsklage mangels Identität der Begehren; zwischen zwei positiven Feststellungsklagen mangels kontradiktorischen Gegenteils der Begehren. Streitanhängigkeit begründet auch ein Eventualbegehren gegenüber der selbständigen unbedingten Einklagung des Anspruches (HG Wien EvBl 1937/445; zur Problematik Fasching Rz 1188); nicht aber die aufrechnungsweise Geltendmachung einer Gegenforderung (Aufrechnungseinwendung) gegenüber der nachfolgenden selbständigen Einklagung des Anspruches und umgekehrt (Mayr in Fasching/Konecny III § 233 Rz 16; Fasching Rz 1189; Rechberger/Simotta Rz 532; SpR 40 neu = SZ 28/25 = EvBl 1955/122 = JBl 1955, 201 = RZ 1955, 93; ZfRV 1997/45). Dies ergibt sich aus der Verschiedenheit der Begehren (Feststellungs- und Rechtsgestaltungsbegehren einerseits und Leistungsbegehren andererseits, Näheres s § 411 Rz 14). Die Begründung der auf Klein (Vorlesungen 217 f) zurückgehenden Gegenmeinung (Novak, JBl 1951, 508 ff; Holzhammer 222), die aus der Rechtskraftfähigkeit der Entscheidung über die Aufrechnungseinwendung auf die Streitanhängigkeit schließen zu müssen glaubt, kann deshalb nicht durchschlagen, weil die Aufrechnungsbefugnis des Schuldners als Mittel der sog „Selbstexekution“ und zur Beseitigung des Insolvenzrisikos dient, die selbständige Verfolgung der Gegenforderung jedoch nicht behindern und die selbständige Einklagung der Gegenforderung die Aufrechnungsbefugnis nicht einschränken soll. Streitanhängigkeit verhindert nur die doppelte Geltendmachung innerhalb des streitigen Zivilverfahrens. Sie besteht daher nicht, wenn über ein identisches Begehren ein Verfahren vor einem Gerichtshof öffentlichen Rechts oder einer Verwaltungsbehörde (EvBl 1987/91 = JUS 26, 13), ein außerstreitiges Verfahren (SZ 38/6 = EvBl 1965/267; EFSlg 8906; LGZ Wien EFSlg 25.312; kritisch zu dieser Konstellation Mayr in Fasching/Konecny III § 233 Rz 24), ein Exekutionsverfahren (OLG Wien EFSlg 5539) oder ein Provisorialverfahren (OLG Wien EFSlg 44.315; LGZ Wien EFSlg 7225, 41.690, 49.332) anhängig ist, wohl aber, wenn es vor einem Schiedsgericht geltend gemacht wird (§ 584 Rz 4). Weitere Beispiele. Keine Streitanhängigkeit besteht nach der Rsp zwi- 11 schen Hypothekarklage, Wechselklage und Klage aus dem Grundgeschäft (wbl 1987, 157; Mayr in Fasching/Konecny III § 233 Rz 18); zwischen der Klage auf Zahlung des Kaufpreises und der Feststellung 1085

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des Nichtbestehens des Kaufvertrages (GlUNF 4723); bei Teileinklagung einer Forderung für den Restanspruch (JBl 1956, 236; LGZ Wien Arb 8315; EFSlg 64.690 = RZ 1992/13; 3 Ob 315/05b); der Teilungsklage eines Miteigentümers und jener eines anderen Miteigentümers (SZ 43/31 = JBl 1971, 40 = NZ 1971, 91; OLG Wien MietSlg 34.731); der Confessoria und der Negatoria (SZ 23/225; ZfRV 1998, 169); zwischen zwei Unterlassungsbegehren, die aus verschiedenen Wettbewerbsverstößen abgeleitet werden (ÖBl 1980, 24; JBl 1981, 41 [abl P. Böhm] = ÖBl 1981, 25; RdW 1986, 44 [krit Konecny,RdW 1986, 36]; vgl auch ÖBl 1982, 104 [abl P. Böhm]; ÖBl 1998, 130); zwischen Bildnisschutzklagen gemäß § 78 UrhG und Klagen nach § 1330 ABGB (MR 1997, 148); zwischen Scheidungsklagen, die sich wenigstens teilweise auf einen anderen Sachverhalt stützen (EFSlg 12.274, 49.331/7; OLG Wien EFSlg 29.981, 44.021, 55.036; LGZ Wien EFSlg 32.026, 55.033; vgl aber nunmehr JBl 1998, 651 = EvBl 1998/134: Identität zwischen § 55 Abs 1 und Abs 3 EheG); zwischen Aufkündigungen für verschiedene Kündigungstermine (MietSlg 21.809, 35.773; LG Linz MietSlg 34.735); zwischen Kündigungen für den gleichen Kündigungstermin, die sich auf verschiedene Kündigungstatbestände stützen (SZ 24/60; MietSlg 4731, 5269; LG Graz MietSlg 6833; LGZ Wien MietSlg 9252 = ImmZ 1961, 254); zwischen der Räumungsklage und einer Aufkündigung (LGZ Wien MietSlg 9908; LG Klagenfurt MietSlg 23.649; LGZ Wien Arb 10.035 = MietSlg 33.639 = ZAS 1982, 81); zwischen einer negativen Feststellungsklage und der Oppositionsklage (LGZ Wien EFSlg 52.170; SZ 60/88 [teilw zust Riedler, BeitrZPR IV 77]); zwischen zwei Klagen, die verschiedene Bescheide des Sozialversicherungsträgers über denselben Anspruch bekämpfen (SSV-NF 4/116; SSV-NF 9/62).

12 Anhang (vgl dazu Mayr in Fasching/Konecny III § 233 Rz 40 ff): Art 27 der Verordnung (EG) 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO), gleich lautend Art 21 des Brüsseler Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ, BGBl III 1998/167), und Art 21 des Lugano-Abkommens [LGVÜ], BGBl 1996/446). Vgl auch Art 19 EuGVVO II und Art 11 EuEheVO. Art 27. (1) Werden bei Gerichten verschiedener Vertragsstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht, so setzt das später angerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen aus, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht. 1086

§§ 232–233

2.1 Verfahren bis zum Urteile

(2) Sobald die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht, erklärt sich das später angerufene Gericht zugunsten dieses Gerichts für unzuständig. Lit: Schack, Widersprechende Urteile: Vorbeugen ist besser als Heilen, IPrax 1989, 139; Isenburg-Epple, Die Berücksichtigung ausländischer Rechtsanhängigkeit nach dem Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen vom 27.9.1968 (1992); Leipold, Internationale Rechtshängigkeit, Streitgegenstand und Rechtsschutzinteresse – Europäisches und Deutsches Zivilprozeßrecht im Vergleich, GS Arens (1993) 227; Rauscher/Gutknecht, Teleologische Grenzen des Art 21 EuGVÜ, IPrax 1993, 21; Rüßmann, Negative Feststellungsklage und Leistungsklage sowie der Zeitpunkt der endgültigen Rechtshängigkeit im Rahmen des EuGVÜ, IPrax 1995, 76; Pfeiler, Die Gerichtszuständigkeit nach dem Abkommen von Lugano, ecolex 1996, 659; Schlosser, EuGVÜ (1996); Zeiler, Forum Shopping in Europa, ecolex 1996, 725; P. Böhm, Der Streitgegenstandsbegriff des EuGH und seine Auswirkungen auf das österreichische Recht, in Bajons/Mayr/Zeiler (Hrsg), Die Übereinkommen von Brüssel und Lugano (1997) 141; Gaedke, Konkurrenz inländischer und ausländischer Verfahren – Tatbestand und Rechtsfolgen der internationalen Streitanhängigkeit nach dem LGVÜ, ÖJZ 1997, 286; Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht (1997); Tiefenthaler, Die Streitanhängigkeit nach Art 21 Lugano-Übereinkommen, ZfRV 1997, 67; Zeuner, Zum Verhältnis zwischen internationaler Rechtshängigkeit nach Art 21 EuGVÜ und Rechtshängigkeit nach den Regeln der ZPO, FS Lüke (1997) 1003; Rüßmann, Die Streitgegenstandslehre und die Rechtsprechung des EuGH – nationales Recht unter gesamteuropäischem Einfluß? ZZP 1998, 399; Walker, Die Streitgegenstandslehre und die Rechtsprechung des EuGH – nationales Recht unter gesamteuropäischem Einfluß? ZZP 1998, 429; Czernich/Tiefenthaler/Kodek, Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht (2003); Mayr/ Czernich Rz 255; Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht8 (2006). Im Anwendungsbereich der EuGVVO ersetzt Art 27 die Bestimmun- 13 gen der §§ 232 f ZPO. Im Verhältnis zu Drittstaaten bleibt es bei der Maßgeblichkeit des autonomen österreichischen Rechts bzw jener der entsprechenden Bestimmung eines Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrages (Kropholler Vor Art 27 ff Rz 1). Außerhalb des europäischen Zivilprozessrechts und in Ermangelung besonderer staatsvertraglicher Regelungen äußert eine Klage in einem anderen Staat Streitanhängigkeitswirkung für ein österreichisches Verfahren nur bei positiver Anerkennungsprognose (SZ 49/87; SZ 32/59). Mangels Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung des anderen Staates 1087

§§ 232–233

Rechberger/Klicka

äußert eine Klage in diesem Staat daher keine Streitanhängigkeitswirkungen für ein österreichisches Verfahren (Mayr in Fasching/Konecny III § 233 Rz 32).

14 Zur Frage, wann ein Gericht iS des Art 27 Abs 1 EuGVVO als angerufen gilt, greift nunmehr die autonome Regelung des Art 30 EuGVVO ein, der den verschiedenen Zustellsystemen im Anwendungsbereich der EuGVVO Rechnung trägt und für Österreich im Ergebnis ein Abstellen auf die Gerichtsanhängigkeit bedeutet (Czernich/Tiefenthaler/Kodek, Art 27 Rz 5); insofern bringt Art 30 EuGVVO ein Abgehen von der zu Art 21 EuGVÜ hM wonach diese Frage nach der ersten eingetretenen endgültigen Rechtshängigkeit und diese beurteilt nach der lex fori zu beantworten sei (Rauscher, IPRax 1985, 317 zu EuGH IPRax 1985, 336; Rauscher, IPRax 1986, 274 zu BGH IPRax 1986, 293).

15 Identität der Parteien. Die Klagen müssen zwischen denselben Parteien anhängig sein, dieser Begriff ist vertragsautonom zu interpretieren. Ob die Parteirollen vertauscht sind, ist auch hier unerheblich (Kropholler Art 27 Rz 3 ff; vgl zu diesen Grundsätzen oben Rz 9).

16 Identität des Streitgegenstandes. Nach der Rsp des EuGH (die der OGH für die internationale Streitanhängigkeitsproblematik im Bereich des europäischen Systems zu übernehmen hatte: JBl 2001, 796 = IPRax 2002, 408; RZ 1999/27 = ecolex 1999, 826/342) ist die Frage der Identität des Anspruches autonom zu interpretieren (Schack, IPRax 1989, 139 zu EuGH IPRax 1989, 157). Der EuGH geht dabei von einem weiten Streitgegenstandsbegriff aus, nach dem es darauf ankommt, ob der „Kernpunkt“ zweier Rechtsstreitigkeiten übereinstimmt, sog Kernpunkttheorie (Rechberger/Simotta Rz 265/1; vgl ausführlich zu den objektiven Grenzen der Rechtshängigkeit P. Böhm in Bajons/Mayr/ Zeiler 148 ff; siehe auch Rüßmann, ZZP 1998, 399). Dies soll dann, wenn zuerst auf Zahlung des Kaufpreises und danach auf Feststellung der Unwirksamkeit des zugrunde liegenden Vertrages geklagt wurde, der Fall sein (EuGH 8.12.1987, Rs C 144/84 Gubisch/Palumbo). Der „Gegenstand“ des Verfahrens ist durch den Zweck der Klagen zu ermitteln (EuGH 6.12.1994, Rs C 406/92 Tatry/Macicj Rataj, Rn 41). Krit zu diesem weiten Streitgegenstandsbegriff und den dadurch eröffneten „Gestaltungsmöglichkeiten“ Tiefenthaler, ZfRV 1997, 67; Gaedke, ÖJZ 1997, 289 f; Zeiler, ecolex 1996, 225. Zust im Hinblick auf die Waffengleichheit der Parteien P. Böhm in Bajons/Mayr/Zeiler 152 f. Für Fälle von Ansprüchen, die „im Zusammenhang“ miteinander stehen bringen Art 28 EuGVVO bzw Art 22 EuGVÜ/LGVÜ eine Aussetzungsmöglichkeit des später angerufenen Gerichts. 1088

§ 234

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Da die Anerkennung einer Entscheidung eines anderen Vertragsstaates 17 nach Art 33 EuGVVO ipso iure eintritt, bedarf die Vorgangsweise nach Art 27 EuGVVO/EuGVÜ keiner vorhergehenden Anerkennungsprognose durch das Gericht (Czernich/Tiefenthaler/Kodek, Art 33 Rz 1 ff). Anders als nach § 233 ZPO bildet die anderweitige Rechtshängigkeit 18 kein eigenes Prozesshindernis, sondern macht das später angerufene Gericht unzuständig. Zur Klärung der Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichtes hat das später angerufene Gericht zunächst sein Verfahren von Amts wegen auszusetzen; dies hat nach innerstaatlichem Prozessrecht, daher gem § 190 zu geschehen. Wenn die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichtes feststeht, hat sich das später angerufene Gericht zugunsten dieses Gerichtes für unzuständig zu erklären. Das österreichische Gericht hat daher nach innerstaatlichem Recht die Klage wegen Unzuständigkeit zurückzuweisen. § 234. Die Veräußerung einer in Streit verfangenen Sache oder Forderung hat auf den Prozeß keinen Einfluß. Der Erwerber ist nicht berechtigt, ohne Zustimmung des Gegners als Hauptpartei in den Prozeß einzutreten. [Stammfassung] Lit: Sperl, Zession und Sachveräußerung während des Rechtsstreites, FS zur Jahrhundertfeier für das ABGB II (1911) 453; Feil, Verbesserung der unrichtigen Parteibezeichnung, Parteiwechsel, mangelnde Parteifähigkeit, GesRZ 1985, 12; Klicka, Zivilprozessuale Fragen bei der Unternehmensveräußerung, ecolex 1990, 205; Ballon, Probleme bei der Veräußerung der streitverfangenen Sache durch den Beklagten, BeitrZPR IV (1991) 1; Rechberger/Oberhammer, Gesamtrechtsnachfolge während des Zivilprozesses, ecolex 1993, 513; Rechberger/Oberhammer, § 234 ZPO – einfach kompliziert? ecolex 1994, 456; Rechberger, Parteilehre, Streitgegenstand und der österreichische Oberste Gerichtshof, FS Henckel (1995) 679; Rechberger/Frauenberger, Zur Kopfmehrheit des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds, ZIK 1995, 11; Grießer, Zur verfahrenstechnischen Umsetzung des § 3 AVRAG, RdW 1997, 669; Fink, Vollbeendigung von Kapitalgesellschaften im Zivilprozess, FS Sprung 2001, 143; Klicka, Die Veräußerung der streitverfangenen Sache – ein Plädoyer für die Irrelevanztheorie, FS Welser 2004, 509. Klicka in Fasching/Konecny III § 234; Petschek/Stagel 270; Holzhammer 191; Fasching Rz 1193 ff; Bajons Rz 65; Ballon Rz 267; Rechberger/Simotta Rz 229 ff. 1089

§ 234

Rechberger/Klicka Inhaltsübersicht

Normzweck Rechtsnachfolge

1 2

Parteiwechsel 3 Relevanz- und Irrelevanztheorie 4

1 Zweck. § 234 verhindert, dass durch eine Rechtsnachfolge nach Streitanhängigkeit der Verlust der Sachlegitimation einer Partei zur Abweisung einer sonst begründeten Klage führt und ein zweiter Prozess mit dem Rechtsnachfolger geführt werden muss, wobei sich diese Kette theoretisch ad infinitum fortsetzten könnte (Klicka in Fasching/ Konecny III § 234 Rz 1 ff). Der Begriff der „Veräußerung einer in Streit verfangenen Sache“ wird so verstanden, dass der Gegenstand des Prozesses in dem Sinn auf einen Rechtsnachfolger übergegangen ist, dass ihn nach materiellem Recht infolge des Übertragungsvorgangs eine identische Verpflichtung wie den Veräußerer trifft oder ihm ein identischer Anspruch zusteht (ausführlich Rechberger/Oberhammer, ecolex 1994, 456 gegen JBl 1994, 691 = NZ 1994, 87 [abl auch Welser, NZ 1994, 73; Hoyer, JBl 1994, 645; Wilhelm, ecolex 1994, 305; Rechberger, FS Henckel 686]; abschwächend wobl 1996/59 [Kletecka] = RdW 1996, 57; unklar ecolex 1997, 250 [krit Oberhammer]). § 234 findet im gesamten streitigen Verfahren, nicht hingegen im Exekutions- oder Außerstreitverfahren Anwendung (Klicka in Fasching/Konecny III § 234 Rz 7). Auch streitige Verfahren anlässlich eines Exekutionsverfahrens, insbesondere eine Oppositionsklage werden von § 234 erfasst (Klicka in Fasching/Konecny III § 234 Rz 8; 3 Ob 324/02x; strittig ist die Anwendung des § 234 auf den Fall der Pfändung und Überweisung einer bereits streitanhängigen Forderung, vgl Oberhammer in Angst, EO § 308 Rz 11).

2 Rechtsnachfolge. § 234 gilt für jede Art der Einzelrechtsnachfolge kraft Vertrages oder Gesetzes (MietSlg 35.775; KG Krems MietSlg 37.748; LGZ Wien MietSlg 39.755). Bei Liegenschaften ist der Buchstand bei Klageeinbringung maßgeblich, selbst wenn der Rechtsnachfolger schon vorgemerkt ist (SZ 67/163 = JBl 1995, 467; wobl 1998/156). Zum Parteiwechsel bei Gesamtrechtsnachfolge vgl §§ 155 ff. Mangels Rechtsnachfolge unanwendbar ist § 234 im Falle des originären Rechtserwerbes nach §§ 367, 371, 456, 824 ABGB, § 366 HGB (ab 1.1.2007 s § 367 f ABGB), § 170 Z 5 EO (hL: Klicka in Fasching/ Konecny III § 234 Rz 19 f); Petschek/Stagel 271; Rechberger/Simotta Rz 230; Bajons Rz 65; Gschnitzer, Sachenrecht 136). Dasselbe muss auch im Fall des Liegenschaftserwerbes im Vertrauen auf den Grundbuchstand gelten (Klicka in Fasching/Konecny III § 234 Rz 20; Fasching Rz 1526; Holzhammer 193; Bajons Rz 65 FN 3; SZ 40/36 = JBl 1968, 157; EvBl 1969/125; NZ 1995, 32). 1090

§ 234

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Parteiwechsel. § 234 Satz 2 sieht als einfachste Lösung den Eintritt des 3 Erwerbers in den Prozess (§ 19 Abs 2) vor; ein derartiger Parteiwechsel ist jedoch nur mit Zustimmung des Gegners möglich (dies muss ausdrücklich und in der für Prozesserklärungen vorgesehenen Form geschehen [LGZ Wien MietSlg 27.665, 30.730; ggt JUS 26, 13]). Eine Zustimmung des Rechtsvorgängers ist nach neuerer L nicht erforderlich (Oberhammer, OHG 201 ff; Rechberger/Simotta Rz 234; aA Fasching Rz 1206. Zur Möglichkeit eines Parteibeitritts unter gleichzeitiger Einschränkung auf Kosten gegenüber dem Veräußerer siehe Oberhammer, OHG 198 ff). Kommt es zu keinem Parteiwechsel, so liegt ein Fall der Prozessstandschaft (vgl Vor § 1 Rz 4) vor, da die Sachlegitimation dem Rechtsnachfolger zusteht, die Prozessführungsbefugnis aber beim Rechtsvorgänger verbleibt (Klicka in Fasching/Konecny III § 234 Rz 4; Holzhammer 192; Rechberger/Simotta Rz 234; Ballon Rz 267; differenzierend Fasching Rz 1205). Aus der Existenz des § 234 und insbesondere auch aus der Möglichkeit des Eintrittes des Erwerbers in den Prozess schließt die hM, dass er das Ergebnis des Prozesses zwischen den ursprünglichen Prozessparteien gegen sich gelten lassen muss und sich auch die Rechtskraft der Entscheidung auf ihn erstreckt (Petschek/Stagel 270 f; Jud 63 neu = SZ 28/265 = EvBl 1956/88 = JBl 1956, 126; EvBl 1968/77; abw SZ 16/199; KG St. Pölten ZBl 1935/209 [krit Petschek, ZBl 1935, 469]; SZ 57/204 = JBl 1985, 752, wonach die Klagerücknahme unter Anspruchsverzicht durch den Zedenten nach erfolgter Zession im Prozess nicht gegen den Zessionar wirken soll [dazu krit Karollus, ÖJZ 1989, 203 FN 5a und Klicka, ecolex 1990, 206]). Die Erstreckung gilt nach der Rsp aber nicht für den Kostenersatzanspruch, der iS der Irrelevanztheorie nur gegen den Prozessgegner zusteht (EvBl 1997/114). Diese Grundsätze werden auch in Kündigungs- und Räumungsprozessen sowie bei Feststellungsklagen angewendet (MietSlg 27.664, 34.736; EvBl 1992/49). Prozessuale Konsequenzen, wenn es zu keinem Parteiwechsel kommt: 4 a) Die ältere Lehre (Sperl 200 und Zession 453; Pollak 188; Wolff 122), Petschek/Stagel (270 f) und Holzhammer (192 f; ebenso allerdings jüngst Klicka in Fasching/Konecny III § 234 Rz 28 ff) sowie die hRsp (EvBl 1966/37; SZ 46/27; SZ 57/204 = JBl 1985, 752; JBl 1988, 787 = MietSlg 40.776) sehen in § 234 die Irrelevanztheorie verwirklicht. Der entscheidungsmaßgebliche Zeitpunkt (s bei § 406) wird demnach für die Sachlegitimation des Veräußerers mit dem Zeitpunkt der Streitanhängigkeit fixiert (GlUNF 6673; ZBl 1922/185). Alles Vorbringen, das sich aus der Veräußerung und der Person des Erwerbers ergibt, bleibt daher ausgeschlossen; die Disposition über den Streitgegenstand steht weiter1091

§ 234

Rechberger/Klicka

hin allein dem Veräußerer zu. Eine Umstellung des Begehrens auf Leistung an den Rechtsnachfolger (also bei Rechtsnachfolge auf Klägerseite) ist zwar möglich, aber nicht notwendig (Holzhammer 193; EvBl 1966/ 37; HS 25.784). Die Exekutionsbewilligung für oder gegen den Rechtsnachfolger kann nur nach einfacher Titelergänzung (§ 9 EO) oder aufgrund einer Titelergänzungsklage (§ 10 EO) erreicht werden. Einwendungen für oder gegen den Rechtsnachfolger können erst im Exekutionsverfahren mit Oppositionsklage nach § 35 geltend gemacht werden (Heller/Berger/Stix I 398), wobei für jene unselbständigen Einwendungen, die vor dem Rechtsübergang eingetreten sind aus Gründen des rechtlichen Gehörs (Art 6 MRK) ein Geltendmachung möglich sein muss, welche über eine erweiterte Wiederaufnahmsmöglichkeit nach § 530 Abs 1 Z 7 einzuräumen ist (Klicka in Fasching/Konecny III § 234 Rz 32). b) In der neueren Lehre überwiegt dagegen die Relevanztheorie, wobei nach W. Kralik (nach Fasching Rz 1204), Rechberger/Simotta (Rz 233 f) und Ballon (Rz 267) der Kläger sein Begehren auf jeden Fall, also entweder auf Leistung an oder durch den Rechtsnachfolger umzustellen hat („strenge“ Relevanztheorie). Einwendungen aus der Veräußerung oder der Person des Erwerbers sind dann zulässig; das Urteil, das auf Leistung an oder durch den Rechtsnachfolger lautet, ist ohne jede Titelergänzung vollstreckbar. Diese prozessökonomischen Auswirkungen sprechen ebenso für die strenge Relevanztheorie wie die die Rechtskrafterstreckung auf den Erwerber erträglich machende Möglichkeit, Einwendungen aus der Veräußerung und aus der Person des Erwerbers im Prozess vorzubringen. Voll gewahrt ist das rechtliche Gehör des Rechtsnachfolgers dadurch, dass er als streitgenössischer Nebenintervenient dem Verfahren beitreten kann (Rechberger/Simotta Rz 233; Ballon, BeitrZPR IV 6). § 234 will den Gegner des Veräußerers vor prozessualem Nachteil schützen, nicht aber zu einem sachlich unrichtigen Urteil führen. c) Fasching (Rz 1202 ff) folgt dagegen (so wie die stRsp in Deutschland: vgl BGH ZZP 88, 328) der Relevanztheorie nur bei Veräußerung auf Klägerseite; veräußert der Beklagte, kann er dem Kläger zwar alle Einwendungen des Rechtsnachfolgers entgegenhalten, es hat aber beim ursprünglichen Klagebegehren zu bleiben. Begründet wird dies mit dem Schutz des Klägers vor schikanöser Rechtsvereitelung sowie damit, dass die Verurteilung einer Person, die nicht Prozesspartei ist, einen schwerstwiegenden Verstoß gegen das rechtliche Gehör darstelle. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Rechtsverfolgung für den Kläger ohne Umstellung des Klagebegehrens in Wahrheit erschwert wird, weil es zur Exekutionsbewilligung der Prozedur der Titelergänzung bedarf. Da dem Erwerber als streitgenössischem Nebenintervenienten alle Parteirechte (ebenso Ballon, BeitrZPR IV 6) offenstehen (vgl § 20 Rz 3; anders 1092

§ 235

2.1 Verfahren bis zum Urteile

freilich Fasching Rz 410), ist ihm das rechtliche Gehör voll gewahrt. Behandelt man den Erwerber bloß als einfachen Nebenintervenienten (Petschek/Stagel 271 und Holzhammer 193; § 265 Abs 2 dZPO), ist die Rechtskrafterstreckung auf ihn unannehmbar; § 234 wäre in dieser Auslegung wegen Verletzung des Art 6 EMRK verfassungswidrig. Klagsänderung § 235. (1) Zu einer Änderung der bei Gericht überreichten Klage und namentlich zu einer Erweiterung des Klagebegehrens, durch welche die Zuständigkeit des Prozeßgerichtes nicht ausgeschlossen wird, ist der Kläger vor Eintritt der Streitanhängigkeit stets berechtigt. (2) Nach Eintritt der Streitanhängigkeit bedarf es hiezu der Einwilligung des Gegners; mit dieser Einwilligung ist eine Änderung der Klage auch dann zulässig, wenn das Prozeßgericht für die geänderte Klage nicht zuständig wäre, sofern es durch Parteienvereinbarung zuständig gemacht werden könnte oder die Unzuständigkeit nach § 104 Abs 3 JN geheilt wird. Die Einwilligung des Gegners ist als vorhanden anzunehmen, wenn er, ohne gegen die Änderung eine Einwendung zu erheben, über die geänderte Klage verhandelt. (3) Das Gericht kann eine Änderung selbst nach Eintritt der Streitanhängigkeit und ungeachtet der Einwendungen des Gegners zulassen, wenn durch die Änderung die Zuständigkeit des Prozeßgerichtes nicht überschritten wird und aus ihr eine erhebliche Erschwerung oder Verzögerung der Verhandlung nicht zu besorgen ist. (4) Als eine Änderung der Klage ist es nicht anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes die tatsächlichen Angaben der Klage und die in derselben angebotenen Beweise geändert, ergänzt, erläutert oder berichtigt werden, oder wenn, gleichfalls ohne Änderung des Klagegrundes, das Klagebegehren in der Hauptsache oder in Beziehung auf Nebenforderungen beschränkt oder statt des ursprünglich geforderten Gegenstandes ein anderer Gegenstand oder das Interesse gefordert wird. (5) Es ist weder eine Änderung der Klage noch eine Änderung der Partei, wenn die Parteibezeichnung auf diejenige Person richtiggestellt wird, von der oder gegen die nach dem Inhalt der Klage in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise, etwa durch die Anführung der Bezeichnung ihres Unternehmens, das Klagebegehren erhoben worden ist. Eine solche Berichtigung ist in jeder Lage des Verfahrens auf Antrag oder von Amts wegen vorzunehmen, gegebenenfalls durch die Anwendung der §§ 84 und 85. [Abs 2 und 3 idF ZVN 1983 und Abs 5 angefügt durch ZVN 1983; sonst Stammfassung] 1093

§ 235

Rechberger/Klicka

Lit: Hule, Das Zwischenurteil nach § 393 Abs 1 ZPO bei Klagenhäufung, ÖJZ 1971, 253, 286; Lorber, Die „Einschränkung des Klagebegehrens auf Kostenersatz“, JBl 1971, 612; Rechberger, Das Unschlüssigkeitsurteil im Versäumnisfall, JBl 1974, 562; Hule, Die Kostenentscheidung bei Einschränkung der Klage auf Kosten, ÖJZ 1976, 373; Dolinar, Wechselanspruch und Anspruch aus dem Kausalverhältnis, ÖJZ 1978, 449; Sobalik, Das Klagebegehren im Prüfungsprozeß (§§ 110 f KO), RZ 1979, 189; P. Böhm, Einige Probleme der schriftlichen Klagserweiterung, RZ 1980, 45; Konecny, Zur Erweiterung der Verbesserungsvorschriften durch die Zivilverfahrens-Novelle 1983, JBl 1984, 13, 61; Feil, Verbesserung der unrichtigen Parteibezeichnung, Parteiwechsel, mangelnde Parteifähigkeit, GesRZ 1985, 12; P. Böhm, Die Ausrichtung des Streitgegenstandes am Rechtsschutzziel, FS Kralik (1986) 83; Rechberger, Mangel der Parteiexistenz, Mangel der Parteifähigkeit und mangelhafte Parteibezeichnung, FS Fasching (1988) 385; Zib, Zum Vertrauensschutz nach § 15 HGB im Zivilprozeß, GesRZ 1988, 96, 160; Zeder, Die Klagseinschränkung auf Kosten, RZ 1989, 55; M. Bydlinski, Klagseinschränkung auf Kosten oder auf Feststellung? RZ 1989, 131, 157; Klicka, Verjährungsunterbrechung bei schriftlicher Klagserweiterung, JAP 1990/91, 50; Dellinger, Personenhandelsgesellschaften, Gläubigerschutz und Vollbeendigung während eines Passivprozesses, JBl 1991, 629; Frauenberger, Gewillkürter Parteiwechsel – Änderung der Judikatur! JAP 1992/93, 120; Rechberger/Oberhammer, Gesamtrechtsnachfolge während des Zivilprozesses, ecolex 1993, 513; Deixler-Hübner, Die Eventualmaxime im Oppositionsverfahren, ÖJZ 1995, 170; Mahr, Die Vollbeendigung einer Personenhandelsgesellschaft während eines gegen sie anhängigen Rechtsstreits (Passivprozeß), GesRZ 1995, 170; Rechberger, Parteilehre, Streitgegenstand und der österreichische Oberste Gerichtshof, FS Henckel (1995) 679; Ziehensack, Die Berichtigung der Parteienbezeichnung, ÖJZ 1996, 721; Oberhammer, Die offene Handelsgesellschaft im Zivilprozeß (1998); ders, Amtslöschung einer GmbH im anhängigen Passivprozeß – Anmerkungen zur E eines verstärkten Senats vom 22.10.1998, 8 ObA 2344/96, JBl 1999, 268; Schneider, Die Berichtigung der Parteienbezeichnung und der formelle Parteibegriff, JBl 2006, 555. Klicka in Fasching/Konecny III § 235; Holzhammer 193; Fasching Rz 324, 328, 1222 ff; Bajons Rz 56 ff, 121; Ballon Rz 102, 261 ff; Rechberger/Simotta Rz 164, 527, 533 ff. Inhaltsübersicht Begriff Zulässigkeitsvoraussetzungen

1–4 5–7 1094

Verfahren Richtigstellung der Parteibezeichnung

8–9 10–15

§ 235

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Begriff. Klageänderung (nach der ZPO: „Klagsänderung“) bedeutet 1 Änderung des Streitgegenstandes durch den Kläger nach Gerichtsanhängigkeit der Klage (Klicka in Fasching/Konecny III § 235 Rz 1 ff). Soweit eine solche Änderung nach Streitanhängigkeit nicht erschwert werden soll, ist sie nach Abs 4 auch nicht als Änderung der Klage anzusehen. Im Übrigen hängt es von der angewandten Streitgegenstandstheorie (dazu Vor § 226 Rz 14 ff) ab, wann eine Klageänderung anzunehmen ist; § 235 Abs 4 ist jedoch am besten mit der zweigliedrigen Streitgegenstandstheorie in Einklang zu bringen. Eine Klageänderung liegt vor: 2 a) Wenn das Klagebegehren geändert wird (Ausnahmen gem Abs 4 s Rz 4), das ist immer dann, wenn das Klagebegehren quantitativ erweitert, also ein plus begehrt wird (auch wenn dadurch bloß eine nachträgliche objektive Klagenhäufung entsteht ist § 227 nicht anwendbar [aA Holzhammer 194]; ebenso – soweit nicht wieder von Abs 4 erlaubt – die Änderung eines normalen Begehrens in ein Alternativbegehren; ebenso ein nachträgliches Eventualbegehren, das sich nicht aus dem Klagegrund des Hauptbegehrens ableiten lässt [RZ 1961, 143; LGZ Wien Arb 7761; Arb 8736; MietSlg 33.642]; die Anträge bzw Erklärungen nach §§ 236, 407, 408 und 410 stellen hingegen keine Klageänderung dar) oder wenn das Klagebegehren (anders als nach § 235 Abs 4) qualitativ geändert, also ein aliud begehrt wird (daher sind alle Änderungen des Rechtsschutzzieles der Klage Klageänderungen; Ausnahme: Umwandlung eines Leistungs- oder Rechtsgestaltungsbegehrens in ein Feststellungsbegehren, wenn dieses zeitlich und umfangmäßig nicht über den Feststellungsanspruch der Leistungsklage hinausgeht: SZ 46/ 81 = EvBl 1974/99 = RZ 1974/56; RZ 1987/18 = ZVR 1987/83). Vgl zur Veränderung des Begehrens einer Anfechtungsklage EvBl 1986, 77; EvBl 1986, 165 = JBl 1986, 665; AnwBl 1984, 223. Keine Klageänderung liegt ferner vor, wenn der Kläger im Rahmen einer Stufenklage auf das Rechnungslegungsbegehren verzichtet und das bis dahin unbestimmte Leistungsbegehren beziffert (NRsp 1990/109). b) Bei Änderung des Klagegrundes, worunter iS der zweigliedrigen 3 Streitgegenstandstheorie die Tatsachen zu verstehen sind, auf welche sich der Anspruch des Klägers gründet (vgl § 226 Abs 1); nach der Rsp (Jud 57 neu = SZ 25/331 = EvBl 1953/32 = JABl 1953, 3; AnwBl 1984, 223) und Fasching (Rz 1226) liegt die Klageänderung dann vor, wenn das geänderte Tatsachenvorbringen die Heranziehung eines anderen gesetzlichen Tatbestandes hervorruft; stellt man auf den Lebenssachverhalt ab (s Vor § 226 Rz 15), hat der Kläger mehr Spielraum, weil eine Klageänderung erst dann vorliegt, wenn die neuen Tatsachen nicht 1095

§ 235

Rechberger/Klicka

mehr zum ursprünglich vorgetragenen Lebenssachverhalt gehören (zu einem ähnlichen Ergebnis führt die Auffassung des Klagegrundes als Element des Rechtsschutzzieles bei P. Böhm [s Vor § 226 Rz 17]). Keine Änderung des Klagegrundes liegt (auch nach der Rsp: JBl 1960, 102; JBl 1973, 87) dann vor, wenn aus den gleichen Tatsachen bloß andere rechtliche Gesichtspunkte abgeleitet werden.

4 Nicht als Klageänderung zu werten sind nach Abs 4 neben den „uneigentlichen“ Klageänderungen a) Klageeinschränkung (s dazu bei § 237 Rz 13), b) Austausch des ursprünglich geforderten Gegenstandes gegen einen gleichwertigen und c) Umstellen auf das Interesse, noch die Änderung, Ergänzung, Erläuterung oder Berichtigung der tatsächlichen Angaben der Klage oder der in derselben angebotenen Beweise, soferne es dadurch nicht zu einer Änderung des Klagegrundes kommt (zB wenn in einem Räumungsstreit im Rahmen des behaupteten erheblich nachteiligen Gebrauches weitere Beschädigungen des Bestandgegenstandes vorgebracht werden: LG Linz MietSlg 25.536). Die Abgrenzung zwischen bloßen Tatsachenergänzungen und Änderungen des Klagegrundes ist (wie schon der Gesetzestext zeigt) schwierig, Bedeutung kommt ihr vor allem bei der Sanierung der Unschlüssigkeit der Klage zu (s dazu Näheres bei Rechberger, JBl 1974, 562); so kann etwa eine mangelhafte Bezeichnung des Bestandsobjektes in der Aufkündigung auch nach Erhebung von Einwendungen durch die kündigende Partei berichtigt und präzisiert werden, sofern die gekündigte Partei von Anfang an keine Zweifel über die Identität des Bestandobjekts haben konnte (wobl 2000/44; wobl 2001/98).

5 Zulässigkeitsvoraussetzungen. Alle Prozessvoraussetzungen müssen auch für den neuen Anspruch gegeben sein (Abs 1 ausdrücklich für die Zuständigkeit des Prozessgerichtes; vgl zur Beachtlichkeit der Wertgrenze RdW 1997, 724; es darf aber zB auch weder Rechtskraft noch Streitanhängigkeit entgegen stehen: SZ 43/56 = Arb 8737; MietSlg 30.727/23). Mit der Einwilligung des Beklagten (also nach Streitanhängigkeit) heilt aber sowohl die prorogable als auch (wenn die Voraussetzungen des § 104 Abs 3 JN gegeben sind) die unprorogable Unzuständigkeit (Abs 2).

6 Die Klageänderung ist ab der Klageeinbringung bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz zulässig (§§ 483 Abs 4, 504 Abs 2 e contrario). Ausnahmen: Im Verfahren über die Nichtigerklärung oder auf Feststellung des (Nicht)Bestehens einer Ehe (§ 483a Abs 2) und in Arbeitsrechtssachen, soweit nach § 63 ASGG Neuerungs1096

§ 235

2.1 Verfahren bis zum Urteile

erlaubnis besteht, ist eine Klageänderung auch noch im Berufungsverfahren zulässig. Bis zur Streitanhängigkeit ist die Klageänderung ohne weiteres 7 (Abs 1: „stets“) zulässig; danach bedarf es nach Abs 2 der Einwilligung des Beklagten (der sich auf die Bekämpfung des in der Klage geltend gemachten Anspruches eingestellt hat). Ausnahme: In bestimmten Sozialrechtssachen ist gem § 86 ASGG die Klageänderung auch dann noch ohne Zustimmung des Beklagten zulässig. Diese Prozesshandlung kann nicht nur ausdrücklich erfolgen (im Wege der Auslegung der Prozessäußerung des Beklagten aus dieser abgeleitet werden: RdW 1997, 276 = RZ 1997/79), sondern auch schlüssig: Nach Abs 2 ist die Einwilligung als vorhanden anzunehmen (unwiderlegbare Vermutung), wenn der Beklagte über die geänderte Klage verhandelt, ohne gegen die Änderung Einwendungen zu erheben. In diesem Fall wird die Klageänderung mit der widerspruchslosen Einlassung wirksam; ein Beschluss des Gerichtes ist nicht vorgesehen. Erhebt der Beklagte Einwendungen, muss das Gericht über die Zulassung der Klageänderung entscheiden (s dazu § 545 Abs 4 Geo): Es kann sie zulassen, wenn dadurch die Zuständigkeit des Prozessgerichtes nicht überschritten wird und keine erhebliche Erschwerung oder Verzögerung der Verhandlung zu besorgen ist (Abs 3; vgl dazu LGZ Wien EFSlg 76.076). Nach stRsp sind Klageänderungen tunlichst zuzulassen, insb dann, wenn durch sie ein neuer Prozess vermieden wird und das Ziel der endgültigen und erschöpfenden Bereinigung des Streites erreicht werden kann (JBl 1975, 549; ZAS 1978/17; MietSlg 30.729, 32.680; LGZ Wien MietSlg 32.682; OLG Wien MietSlg 33.644; LGZ Wien MietSlg 37.749; JBl 1989, 516 = EvBl 1989/136 = RdW 1989, 224; OLG Wien EFSlg 79.202). Auch die Aussichtslosigkeit des ersten Begehrens oder der Umstand, dass dieses ohne Beweisaufnahme abgewiesen werden könnte, ist kein Grund, die Klageänderung nicht zuzulassen (Klicka in Fasching/Konecny III § 235 Rz 38; SZ 43/35 = EvBl 1970/282 = MietSlg 22.613; EFSlg 36.717; LGZ Wien MietSlg 34.739, 36.765; Arb 10.192 = ZAS 1986/1 [zust Irresberger]; VersRdsch 1989, 253; OLG Wien EFSlg 79.203). Verfahren. Die Entscheidung über die Zulassung erfolgt durch Be- 8 schluss (wobei keine Zurückweisung in Betracht kommt, sondern nur ein Ausspruch, dass die Klageänderung unzulässig ist: JUS 1997 Z 2371), der auch in das Urteil aufgenommen werden kann. Dieser kann stets mit Rekurs angefochten werden, dem keine aufschiebende Wirkung zukommt; unter den Voraussetzungen der §§ 527, 528 ist ein Revisionsrekurs zulässig (Fasching Rz 1241). Ist kein Beschluss gefasst worden, 1097

§ 235

Rechberger/Klicka

kann dies mit dem Rechtsmittel gegen die Sachentscheidung (sogar mit ao Revision: JUS 1986/22, 13) wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens bekämpft werden.

9 Bei Klageänderung vor Streitanhängigkeit der ursprünglichen Klage tritt die Streitanhängigkeit der geänderten Klage mit ihrer Zustellung an den Beklagten ein. Nach § 232 Abs 2 kommt es bei einer späteren Klageänderung mit deren Vortrag in der mündlichen Verhandlung zur neuen Streitanhängigkeit, was aber auf den Fall einzuschränken ist, dass die Klageänderung nicht schon vorher schriftlich erfolgte (vgl §§ 232 f Rz 4). Verhandelt werden kann über die geänderte Klage erst dann, wenn die Zustimmung des Beklagten oder deren Ersetzung durch das Gericht vorliegt.

10 Richtigstellung der Parteibezeichnung. Systematisch unrichtig (es geht um die Parteien iS der §§ 1 bis 73, vgl Klicka in Fasching/Konecny III § 235 Rz 46) hat die ZVN 1983 im angefügten Abs 5 die Grundsätze der Judikatur für die Richtigstellung der Parteibezeichnung festgeschrieben: Diese Richtigstellung bedeutet keine Klageänderung iS des § 235 (SZ 23/27; RZ 1969, 51; SZ 42/146 = RZ 1970, 42; Pollak 184, 401; Fasching Rz 383; Rechberger/Simotta Rz 207).

11 Die Änderung der Parteienbezeichnung darf aber nicht dazu führen, dass der Mangel der Sachlegitimation des als Kläger oder Beklagten bezeichneten Rechtssubjektes saniert wird (Schubert in Fasching/Konecny II/1 Vor § 1 Rz 80; SZ 49/17). Als Faustregel gilt, dass das Rechtssubjekt vor und nach der Richtigstellung das gleiche sein muss (Fasching Rz 323; RdW 1985, 213; LG Klagenfurt Arb 10.365; MietSlg LIII/38; eine Ausnahme ist zulässig, wenn sich die klagende Partei selbst unrichtig bezeichnet, zB OLG Wien MietSlg 35.778: Richtigstellung der Bezeichnung der Klägerin von „Mietervereinigung Österreichs“ auf deren Wiener Zweigverein). Das gilt zumindest dann, wenn tatsächlich zwei Rechtssubjekte existieren und nicht eines davon mit der von Abs 5 geforderten Sicherheit als Partei auszuschließen ist (vgl etwa RdW 1997, 367; EvBl 1996/129; 9 ObA 97/03k = Arb 12.351). Wenn eine falsch klagende Eigentümergemeinschaft nach Erörterung auf ihrer Aktivlegitimation beharrt, ist keine Richtigstellung vorzunehmen (immolex 2004/77, 116). Die Rsp (vgl 9 ObA 97/03k = Arb 12.351) formuliert häufig, dass die bloße Richtigstellung der nur falsch bezeichneten, aber eindeutig klar erkennbaren Partei selbst dann zulässig ist, wenn es durch die Richtigstellung zu einem Personenwechsel kommt (RIS-Justiz RS0039337). Eine unzulässige Parteiänderung liegt nach dieser Rechtsprechung selbst dann nicht vor, wenn ein anderes Rechtssubjekt einbe1098

§ 235

2.1 Verfahren bis zum Urteile

zogen wurde, sich aber aus der Klageerzählung, etwa durch Bezugnahme auf ein bestimmtes Rechtsverhältnis, eindeutig ergibt, wer der Beklagte sein sollte, sodass der in Anspruch genommene Beklagte wissen musste, wen die Klage betraf (8 ObA 164/01b mwN). Die Frage, ob sich aus dem Inhalt der Klage in einer auch für die Parteien klaren und eindeutigen Weise ergibt, welches Rechtssubjekt vom Kläger belangt werden sollte, richtet sich nach den Umständen des jeweils zu beurteilenden Einzelfalls und bildet grundsätzlich keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung (RIS-Justiz RS0114709). Daher ist die Berichtigung in folgenden Fällen der Gesamtrechtsnach- 12 folge möglich: Bei Verschmelzung einer GmbH mit einer AG, auch wenn diese bereits vor Klageeinbringung eingetreten ist (GesRZ 1988, 49 = RdW 1988, 11 = wbl 1987, 344); von dem für die Vorgesellschaft Handelnden auf die GmbH, wenn letztere fristgerecht die Schuldübernahme gem § 2 Abs 2 GmbHG erklärt (ecolex 1991, 622); vom Erblasser auf die Verlassenschaft, auch wenn der Erblasser vor Einbringung der Klage verstarb (SZ 25/35; JBl 1961, 561; LGZ Wien WR 95); von der Verlassenschaft auf die Erben (SZ 38/175; NZ 1970, 175; EFSlg 23.088; MietSlg 28.593; LGZ Wien MietSlg 29.622; EvBl 1981/199 = MietSlg 33.641; nach LGZ Graz MietSlg 46.375 auch von der irrtümlich als solche bezeichneten Alleinerbin auf die Verlassenschaft, vgl dazu auch LGZ Wien MietSlg 48.621); vgl zur Vermögensübertragung durch Gesamtrechtsnachfolge iS des § 17 BundesbahnG 1992: ecolex 1998, 398. Wird eine Personenhandelsgesellschaft während eines Passivprozesses vollbeendet, so ist das Prozessrechtsverhältnis nach einem Teil der Rsp damit beendet und das Verfahren einzustellen (SZ 62/127 = wbl 1990, 85 [zust Aicher] = GesRZ 1990, 156 = RdW 1990, 11 = ecolex 1990, 89 ausdrücklich gegen wbl 1990, 83 = GesRZ 1990, 153 = RdW 1990, 11 = ecolex 1990, 89, die den Prozess gegen die vollbeendete Ges als „Fiktivprozess“ zu Ende führt; im ersteren Sinn auch RdW 1995, 139 = GesRZ 1995, 53). Der OGH hat jedoch zwischenzeitig klargestellt, dass eine „Einstellung“ des Verfahrens der ZPO fremd ist und somit nicht in Frage kommt (JBl 1999, 126 [verst Senat]). Richtigerweise ist der Prozess gegen die Gesellschaft nach einem Parteiwechsel, dem sich weder der Kläger noch die eintretenden Gesellschafter wirksam widersetzen können, gegen die Gesellschafter fortzusetzen und vorerst (als minus) nur auf die einheitliche Feststellung des (früheren) Bestehens der Gesellschaftsschuld gerichtet; soweit dies nach § 235 noch zulässig ist (vgl oben Rz 6), kann der Kläger die Klage auf Leistung durch die Gesellschafter ändern, denen dann auch ihre persönlichen Einwendungen offen stehen (vgl im Einzelnen Oberhammer, OHG 209 ff. Siehe auch die Lösungsvorschläge bei Dellinger, JBl 1991, 639; Zib, GesRZ 1988, 96, 1099

§ 235

Rechberger/Klicka

160; Mahr, GesRZ 1995, 170; offen lassend, da in Bezug auf eine amtswegig gelöschte GmbH ergangen JBl 1999, 126 [verst Senat], dazu krit Oberhammer, JBl 1999, 268).

13 Die Richtigstellung von einer (parteiunfähigen) GesBR auf die dahinterstehenden Gesellschafter ist zuzulassen, wenn die einzelnen Gesellschafter in der Klage oder deren Beilagen deutlich angeführt sind (SZ 23/27; JBl 1956, 320; EvBl 1973/30; SZ 51/3; EvBl 1986/163); der Teleologie des Abs 5 entspricht auch die Zulassung der Richtigstellung unter gleichzeitiger und erstmaliger Nennung der Mitglieder der GesBR (SZ 23/27; ggt EvBl 1959/58; s Näheres bei Rechberger, FS Fasching 399 f); von schlichter Miteigentümerschaft auf die einzelnen Miteigentümer (LGZ Graz MietSlg 46.649); von einer nicht existenten Wohnungseigentümergemeinschaft auf die Miteigentümer einer Liegenschaft (WR 935). Die Richtigstellung von der Komplementär-GmbH auf die KG ist nicht zulässig (wbl 1993, 92), außer wenn aus der Klage selbst hervorgeht, dass die Vertragsbeziehung mit der KG besteht (ecolex 1992, 243); ebenso zulässig vom Ausgleichsschuldner auf den Sachwalter (DRdA 1991/28); vom Masseverwalter auf den (ehemaligen) Gemeinschuldner bei (teilweiser) Konkursaufhebung (SZ 69/255 = RdW 1997, 726 = ZIK 1997, 147) und umgekehrt bei Ansprüchen gemäß § 6 Abs 2 KO (RdW 1996, 314), nicht jedoch bei gemäß § 6 Abs 1 KO unzulässigen Klagen (SZ 68/210). Fasching (Rz 323 und 388) tritt in „analog erweiternder“ Anwendung des Abs 5 sogar für die Zulässigkeit eines Parteiwechsels mit Zustimmung des ursprünglichen und des neu eintretenden Beklagten ein, wenn aus der Klage in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise hervorgeht, dass das andere Rechtssubjekt geklagt werden sollte. In wbl 1992, 262 (Dellinger) = JAP 1992/93, 120 (krit Frauenberger) hatte der OGH über den Fall zu befinden, dass drei Mitglieder einer Tanzkapelle geklagt werden sollten; als Drittbeklagter wurde „Josef T, Musiker, wohnhaft in X“ bezeichnet; der in X wohnhafte Josef T war indes Arbeiter, der (tatsächlich gemeinte) Musiker Josef T war in Y wohnhaft. Das Höchstgericht ließ hier unter Berufung auf Fasching (Rz 388) erstmals einen gewillkürten Parteiwechsel zu; bei richtiger Beurteilung hätte es sich in casu freilich ohnedies bloß um einen Richtigstellungsfall gehandelt (vgl dazu Rechberger, FS Henckel 679 ff). § 235 Abs 5 soll aber nicht den Austausch eines nach dem Klageinhalt eindeutig bezeichneten Rechtssubjekts gegen ein anderes ermöglichen, sondern nur die Richtigstellung der Parteibezeichnung auf jene Person, die bei richtiger Betrachtung immer schon Partei war (vgl LGZ Graz MietSlg 46.648) und deren rechtliches Gehör durch die Richtigstellung nicht beeinträchtigt werden darf. In ARD 5122/20/2000 wurde in diesem Sinn § 235 Abs 4 restriktiv gehandhabt, indem die Richtigstellung 1100

§ 236

2.1 Verfahren bis zum Urteile

nicht zugelassen wurde, wenn der Hausbesorger den Hauseigentümer und Arbeitgeber klagt, obwohl die Liegenschaft inzwischen verkauft wurde, weil die Bestimmung kein Instrument sei, die strittige Passivlegitimation zu klären (freilich lässt sich diese E nicht nahtlos in die teilweise großzügigere Linie der Rsp einfügen). Richtiggestellt werden kann die Parteibezeichnung von einer Schein- 14 gesellschaft auf die für sie Handelnden (SZ 53/64 = GesRZ 1981, 104); von einer als KG nicht existent gewordenen „Vorgesellschaft“ auf die für sie Handelnden (wbl 1987, 41; DRdA 1987, 226 = INFAS 1987 A 67; wbl 1995, 207 = ecolex 1995, 813); umgekehrt von der handelnden natürlichen Person als Geschäftsführer der Vorgesellschaft auf die GmbH (ARD 5302/37/2002); von einer amtswegig gelöschten Personenhandelsgesellschaft auf die Gesellschafter der an ihre Stelle tretenden GesBR (wbl 1987, 192); von einer nicht mehr existierenden GmbH & CoKG auf deren ehemalige Komplementärin (GesRZ 1985, 196; EvBl 1996/101 = wbl 1996, 328); von einer Einzelfirma auf die gleich lautende KG (RdW 1997, 456); unzulässig aber vom früheren Unternehmensinhaber auf den neuen Inhaber (GesRZ 1994, 142 = HS 24.768 = ecolex 1995, 31); vom Gemeinschuldner auf den Masseverwalter bei einem nicht der Anmeldung unterliegenden Recht (1 Ob 106/02y = SZ 2002/82). Die Richtigstellung kann in jeder Lage des Verfahrens (also auch noch 15 im Rechtsmittelverfahren) beantragt werden oder auch von Amts wegen erfolgen (es sei denn, der Kläger beharrt trotz Erörterung einer an sich zulässigen Berichtigung von den einzelnen Wohnungseigentümern auf die Wohnungseigentümergemeinschaft auf seiner Bezeichnung [wobl 1998/200; wobl 1997/96 zust Dirnbacher]). Die Rsp lässt sie darüber hinaus auch noch im Verfahren zur Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung (GesRZ 1985, 194; RdW 1990, 344) und im Mahnverfahren noch nach Erlassung (LGZ Wien WR 210) und auch noch nach Rechtskraft (ARD 4700/10/95) des Zahlungsbefehls zu, wie von der Rsp allgemein auch noch nach Rechtskraft die Richtigstellung grundsätzlich zugelassen wird, doch tendiert die Rsp dabei mit Recht zu einer besonders genauen Prüfung der Voraussetzungen des § 235 Abs 4 (3 Ob 79/00i = RdW 2001/379, 344 = ZfRV 2001, 155). Auf den Exekutionsantrag wird § 235 Abs 4 sinngemäß angewendet (JBl 2000, 462 = EvBl 2000/97). Zwischenantrag auf Feststellung § 236. (1) Der Kläger kann ohne Zustimmung des Beklagten bis zum Schlusse der mündlichen Verhandlung, über welche das Urteil ergeht, den Antrag stellen, daß ein im Laufe des Prozesses streitig 1101

§ 236

Rechberger/Klicka

gewordenes Rechtsverhältnis oder Recht, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung über das Klagebegehren ganz oder zum Teile abhängt, in dem über die Klage ergehenden oder in einem demselben vorausgehenden Urteile festgestellt werde. (2) Diese Bestimmung kommt nicht zur Anwendung, wenn über den Gegenstand des neuen Antrages nur in einem besonderen, für Angelegenheiten dieser Art ausschließlich vorgeschriebenen Verfahren verhandelt werden kann oder wenn die Vorschriften über die sachliche Zuständigkeit der Gerichte der beantragten Entscheidung entgegenstehen. (3) Ein neuer Antrag kann auch eine Anerkennung von Akten oder Urkunden, die im Ausland errichtet wurden (§§ 79–86a EO) zum Gegenstand haben; in diesem Fall ist Abs 2 nicht anzuwenden. [Abs 3 angefügt durch EO-Novelle 1995, sonst Stammfassung] Lit: Novak, Zur Tragweite des § 519 ZPO, JBl 1953, 57, 84; P. Böhm, Die Lehre vom Rechtsschutzbedürfnis, JBl 1974, 1; ders, ZfRV 1974, 138 (Entscheidungsanmerkung); Deixler-Hübner, Die Eventualmaxime im Oppositionsverfahren, ÖJZ 1995, 170; Klicka/Albrecht, Die EONovelle 1995 – Änderungen im allgemeinen Teil, ecolex 1995, 707; Pfeiler, Die Anerkennung ausländischer Titel in Österreich, JAP 1995/ 96, 275; Frauenberger-Pfeiler, Lugano-Abkommen: Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen, ecolex 1996, 735. Deixler-Hübner in Fasching/Konecny III § 235; Holzhammer 184; Fasching Rz 1076 ff; Bajons Rz 109, 156; Ballon Rz 283 ff; Rechberger/ Simotta Rz 419 ff. Inhaltsübersicht Zweck Zulässigkeit Entscheidung

1 2–6 7

Rechtmittel 8–9 Inzidente Anerkennung ausländischer Entscheidungen 10

1 Zweck. Der Antrag auf Feststellung eines streitigen Rechtsverhältnisses oder Rechtes, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung über das Klagebegehren ganz oder zum Teil abhängt, führt zur Heraushebung der Vorfrage, so dass sie nicht bloß wie im Regelfall in den Gründen des Urteils beurteilt, sondern spruchmäßig und daher mit Rechtskraftwirkung entschieden wird (vgl § 411 Abs 1 S 1).

2 Zulässigkeit a) Der Antrag kann ab Streitanhängigkeit des Hauptbegehrens (vorher handelte es sich um eine Klageerweiterung iS des § 235 Abs 1 und 1102

§ 236

2.1 Verfahren bis zum Urteile

damit um ein Feststellungsbegehren nach § 228; vgl JBl 1967, 483) bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz gestellt werden. Ausnahmen: In Verfahren mit Neuerungserlaubnis (§ 483a Abs 2, § 50 Abs 1 ASGG) ist der Antrag auch noch im Berufungsverfahren zulässig. b) Für die Feststellungsfähigkeit des Rechtsverhältnisses gilt das Glei- 3 che wie bei der Feststellungsklage nach § 228 (s dort Rz 4 ff; DeixlerHübner in Fasching/Konecny III § 236 Rz 4; es kann allerdings im Rahmen des § 236 nicht die Echtheit einer Urkunde festgestellt werden). Es ist nach der Rsp ein Zwischenantrag, der lediglich auf die Heraushebung der Rechtsfrage abzielt, ebenso unzulässig (JBl 1961, 327; LGZ Wien Arb 8521; SZ 51/96 = JBl 1980, 323 [abl Ballon]; ZfRV 1996, 123; JBl 2001, 471: Unzulässigkeit der Feststellung, dass ein Bestandverhältnis nicht dem MRG unterliegt) wie jeder Antrag auf Tatsachenfeststellung. Problematisch an der Rsp ist freilich, dass die Rsp hier bezüglich der rechtlichen Qualifikationen anders vorgeht als bei der selbständigen Feststellungsklage nach § 228 (vgl § 228 Rz 5), wo sie die rechtliche Einordnung eines Rechtsverhältnisses als feststellungsfähig ansieht, obwohl es keinen sachlichen Unterschied macht, ob die rechtliche Qualifizierung eines Rechtsverhältnisses mit selbständiger Klage nach § 228 oder im Wege des Zwischenfeststellungsantrags geklärt werden soll. c) Das (Nicht-)Bestehen des Rechtsverhältnisses muss zum Zeitpunkt 4 der Entscheidung über den Zwischenfeststellungsantrag noch streitig sein (und kann auch schon vor dem Prozess strittig gewesen sein; „im Laufe des Prozesses streitig geworden“ ist missverständlich, vgl JBl 1953, 76). d) Das festzustellende Rechtsverhältnis muss für die Entscheidung in 5 der Hauptsache präjudiziell sein (SZ 23/294; EvBl 1998/126) und e) die Bedeutung der Feststellung muss über den konkreten Rechtsstreit hinausreichen (EvBl 1972/10; MietSlg 23.652, 30.733, 39.756; DRdA 1988, 466; LGZ Wien EFSlg 57.754; ARD 4790/14/96). Präjudizialität und das Erfordernis der weiterreichenden Bedeutung treten beim Zwischenfeststellungsantrag an die Stelle des rechtlichen Interesses iS des § 228; beide Voraussetzungen sind in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (für die Präjudizialität: MietSlg 30.733; LGZ Wien EFSlg 57.754; RZ 1989, 140; EvBl 1998/126; MietSlg 46.651); ihr Mangel führt zur Zurückweisung des Antrages mit Beschluss (bei mangelnder Präjudizialität: SZ 40/28 = EvBl 1967/407 = Arb 8379; Arb 8806 = ZAS 1971/20; LGZ Wien Arb 8962; LGZ Wien MietSlg 31.695, 1103

§ 236

Rechberger/Klicka

34.740; EFSlg 34.408; ÖBl 1992, 160 = wbl 1992, 170; mangels weiterreichender Bedeutung: EvBl 1957/238 = JBl 1957, 424).

6 f) Für das präjudizielle Rechtsverhältnis muss der Rechtsweg zulässig, die inländische Gerichtsbarkeit und die sachliche Zuständigkeit gegeben sein. g) Für den Gegenstand des Antrages darf ferner keine besondere Verfahrensart (wie das Eheverfahren, das arbeits- und sozialgerichtliche Verfahren oder das Amtshaftungsverfahren) vorgesehen sein.

7 Entscheidung. Wird der Zwischenfeststellungsantrag nicht mit Beschluss als unzulässig zurückgewiesen, wird über ihn urteilsmäßig entschieden: Ist nur die Vorfrage spruchreif, kann gem § 393 Abs 2 ein Zwischenurteil gefällt werden (Näheres s § 393 Rz 1 ff); sonst wird über den Zwischenfeststellungsantrag (vor allem, wenn jener des Klägers abgewiesen oder einem negativen Feststellungsantrag des Beklagten stattgegeben wird) gemeinsam mit dem Hauptanspruch im Spruch des Endurteils entschieden.

8 Rechtsmittel gegen die Entscheidung. a) Gegen den Zurückweisungsbeschluss ist stets Rekurs zulässig (§ 517 Z 1); der Rekurs gegen Beschlüsse des Rekursgerichts richtet sich nach §§ 527, 528; da es sich der Sache nach um eine (Wider-) Klage handelt (EvBl 1997/30), sind auch bestätigende Beschlüsse des Rekursgerichts anfechtbar (aA MietSlg 46.650). Ein Zurückweisungsbeschluss des Berufungsgerichtes ist nach § 519 Abs 1 Z 1 unbeschränkt anfechtbar (ZfRV 1996, 123; Fasching Rz 1085; schon für die alte Rechtslage: SZ 29/2 und Novak, JBl 1953, 57, 84); § 521a ist sinngemäß anzuwenden (EvBl 1997/30); dasselbe gilt, wenn in einem Verfahren mit Neuerungserlaubnis (s dazu oben Rz 2) ein Zwischenfeststellungsantrag erst in der Berufungsinstanz gestellt und von dieser zurückgewiesen wird (anders Fasching Rz 1085, der hier § 528 anwenden will). b) Die urteilsmäßige Entscheidung ist mit Berufung und Revision anfechtbar.

9 Soweit die Zulässigkeit des Rechtsmittels vom Streitwert oder vom Wert des Berufungsgegenstandes abhängig ist, sind die Streitwerte der Klage und des vom Kläger oder vom Beklagten (Jud 65 neu = JABl 1957, 40 = SZ 29/77 = EvBl 1957/206 = JBl 1957, 295 = MietSlg 24.565) gestellten Zwischenfeststellungsantrages gem § 55 Abs 4 JN zusammenzurechnen.

10 Der durch die EO-Novelle 1995 angefügte (und als Umsetzung des Art 26 Abs 3 LGVÜ, nunmehr Art 33 Abs 3 EuGVVO gedachte) Abs 3 ermöglicht die inzidente Anerkennung ausländischer Entscheidungen 1104

§§ 237–238

2.1 Verfahren bis zum Urteile

(Akte und Urkunden iS der §§ 79 ff EO) mit Rechtskraftwirkung über den einzelnen Prozess hinaus. Ein solcher Zwischenantrag kann vom Kläger und vom Beklagten (§ 259 Abs 2) gestellt werden. Abs 2 ist nicht anzuwenden, weshalb die §§ 79 ff EO einem Antrag nicht entgegenstehen. Die übrigen Voraussetzungen (siehe oben Rz 2 ff), insbesondere Präjudizialität und weiterreichende Bedeutung müssen jedoch vorliegen (aA Klicka/Albrecht, ecolex 1995, 709), sonst ist der Antragsteller auf die §§ 79 ff EO verwiesen. Durch Abs 3 wurde Art 26 Abs 3 EuGVÜ/LGVÜ (nunmehr Art 33 Abs 3 EuGVVO) überschießend umgesetzt, da diese Bestimmungen (und diesen folgend § 85 EO) nur die positive Feststellung der Anerkennung kennen (vgl dazu Pfeiler, JAP 1995/96, 279; Frauenberger-Pfeiler, ecolex 1996, 736; Czernich/Tiefenthaler/Kodek, Art 33 Rz 11). Zurücknahme der Klage § 237. (1) Die Klage kann ohne Zustimmung des Beklagten nur bis zum Einlangen der Klagebeantwortung oder des Einspruchs gegen den Zahlungsbefehl zurückgenommen werden. Wenn gleichzeitig auf den Anspruch verzichtet wird, kann die Klage ohne Zustimmung des Beklagten bis zum Schlusse der mündlichen Streitverhandlung zurückgenommen werden. (2) Die Zurücknahme der Klage geschieht durch einen dem Beklagten zuzustellenden Schriftsatz oder durch eine bei der mündlichen Verhandlung abgegebene Erklärung. Die Zustellung des Schriftsatzes erfolgt auf Grund einer Verfügung des Vorsitzenden ohne vorgängige Beschlussfassung des Senates. (3) Die Zurücknahme der Klage hat zur Folge, daß die Klage als nicht angebracht anzusehen ist und, wenn die Parteien nichts anderes vereinbaren, der Kläger dem Beklagten alle diesem nicht bereits rechtskräftig auferlegten Prozeßkosten zu ersetzen hat. Der Antrag auf Kostenersatz ist bei sonstigem Ausschluß, wenn die Klage bei der mündlichen Verhandlung zurückgenommen wird und der Beklagte anwesend ist, in dieser, sonst binnen einer Notfrist von vier Wochen nach der Verständigung des Beklagten von der Zurücknahme der Klage durch das Gericht zu stellen. Über den Antrag auf Zuerkennung des Kostenersatzes entscheidet der Vorsitzende durch Beschluß. (4) Die zurückgenommene Klage kann neuerlich angebracht werden, wenn nicht bei deren Zurücknahme auf den geltend gemachten Anspruch verzichtet wurde. [Abs 1 Satz 1 idF ZVN 2002; Abs 1 Satz 2 angefügt durch (1.) GEN; Abs 3 idF ZVN 1983; sonst Stammfassung] 1105

§§ 237–238

Rechberger/Klicka

§ 238. Die im § 237 bezeichneten Rechtsfolgen treten auch dann ein, wenn eine Klage in Gemäßheit der Bestimmungen dieses Gesetzes als zurückgenommen zu gelten hat. [Stammfassung] Lit: Lambauer, Die Klagseinschränkung auf Kostenersatz, ÖJZ 1969, 169; Lorber, Die „Einschränkung des Klagebegehrens auf Kostenersatz“, JBl 1971, 612; Hule, Die Kostenentscheidung nach Einschränkung der Klage auf Kosten, ÖJZ 1976, 373; Simotta, Die einvernehmliche Scheidung während eines anhängigen Eheprozesses (§ 460 Z 10 ZPO), ÖJZ 1987, 129 und 167; Zeder, Die „Klagseinschränkung auf Kosten“, RZ 1989, 55; M. Bydlinski, Klagseinschränkung auf Kosten oder auf Feststellung? RZ 1989, 131, 157; ders, Der Kostenersatz im Zivilprozeß (1992) 190 ff. Lovrek in Fasching/Konecny III § 237; Holzhammer 197; Fasching Rz 1244 ff; Bajons Rz 119 f; Ballon Rz 264; Rechberger/Simotta Rz 539 ff. Inhaltsübersicht Begriff und Arten der Klagerücknahme Zulässigkeit

1–3 4–11

Klageeinschränkung auf Kosten Klageeinschränkung

12 13

1 Klagerücknahme ist der Widerruf des Rechtsschutzantrages des Klägers. Dabei ist zu unterscheiden:

2 a) Klagerücknahme ohne Anspruchsverzicht, bei der sich die Wirkung des Widerrufs nur auf den konkreten anhängigen Rechtsstreit bezieht, so dass die zurückgenommene Klage neuerlich angebracht werden kann.

3 b) Klagerücknahme unter Anspruchsverzicht, mit der auf den Rechtsschutz endgültig verzichtet wird, so dass die Klage nicht neuerlich angebracht werden kann. Diese ist idR eine Prozesshandlung (die die materielle Rechtslage vor allem dann unberührt lässt, wenn gar kein materieller Anspruch besteht), hat aber die Eignung zur Doppelfunktionalität iS des Doppeltatbestandes (s dazu Näheres §§ 204 ff Rz 4 ff), die ausnahmsweise zum Tragen kommen kann, wenn die Klagerücknahme prozessual wirkungslos ist, weil dann im fortgesetzten Prozess zu prüfen ist, ob ein materiell-rechtlicher Verzicht vorliegt (Fasching Rz 1253; aA die ältere Lehre [zB Pollak 396; Sperl 292], die in der Klagerücknahme mit Anspruchsverzicht stets einen Verzicht auf das 1106

§§ 237–238

2.1 Verfahren bis zum Urteile

zugrunde liegende materielle Recht erblickt; auch nach der Rsp ist mit der Klagerücknahme grundsätzlich kein Verzicht auf den materiellen Anspruch verbunden: SZ 28/91; für die Zurücknahme einer Prüfungsklage nach § 110 KO: EvBl 1980/146). Die hM (vgl Lovrek in Fasching/ Konecny III § 237 Rz 3) blickt bei der Klagerücknahme unter Anspruchsverzicht vor allem auf ihre prozessuale Funktion und gelangt zu einer prozessualen Einordnung dieses Institutes, was freilich nicht bedeuten kann, fundamentale materielle Mängel (zB Zwang, Drohung, Kollusion) völlig auszublenden und für gänzlich unbeachtlich zu erklären. Für Fälle elementarster Mängel ist auch hier eine Wahrnehmung möglich (was für die hM insofern ebenfalls konsequent wäre, da sie – vgl Lovrek in Fasching/Konecny III § 237 Rz 2 – die Klagerücknahme unter Anspruchsverzicht ohnedies als doppelfunktionelle Handlung deutet und damit die Berücksichtigung materieller Mängel keinesfalls ausgeschlossen ist). Zulässigkeit. Ohne Anspruchsverzicht kann die Klage ohne weiteres 4 bis zum Einlangen der Klagebeantwortung (im Mahnverfahren bis zur Erhebung des Einspruches, in den Mandatsverfahren bis zur Erhebung von Einwendungen und im Bestandverfahren bis zur Zustellung der Kündigung [vgl § 571 Rz 3]) zurückgenommen werden. Danach ist eine Klagerücknahme ohne Anspruchsverzicht nur mehr mit Zustimmung des Beklagten möglich; wenn sich dieser schon in den Streit eingelassen hat, soll er davor geschützt werden, dass ihm der Kläger die Möglichkeit entzieht, eine klageabweisende Entscheidung zu erreichen. Geht es nicht um die Sachentscheidung, kann die Klage aber nach der Rsp auch danach noch ohne weiteres zurückgenommen werden (zB vor der Entscheidung über die Unzuständigkeitseinrede: SZ 58/44 = EvBl 1985/141 = RZ 1985, 162; JBl 1991, 260). Unter Anspruchsverzicht (und daher ohne Einwilligung des Beklag- 5 ten) kann die Klage bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zweiter Instanz bzw bis zur Entscheidung des Berufungsgerichtes (im Berufungsverfahren aber nur, soweit sie noch Gegenstand des Berufungsverfahrens ist) zurückgezogen werden (§ 483 Abs 3). Nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz ist die Zurücknahme (analog § 483 Abs 3) bis zur Verkündung des Urteils und, falls eine solche nicht erfolgt ist, bis zur Abgabe der schriftlichen Urteilsausfertigung (§ 416 Abs 2), danach erst wieder, wenn eine Berufung erhoben worden ist, zulässig (Fasching Rz 1249). Zur Klagerücknahme im Eheverfahren vgl bei § 483a Abs 1; zur Klagerücknahme des Versicherten in Sozialrechtssachen vgl § 72 ASGG. 1107

§§ 237–238

Rechberger/Klicka

6 Form. Die Klagerücknahme ist eine formgebundene Prozesshandlung, die entweder durch Schriftsatz oder durch eine bei der mündlichen Verhandlung abgegebene Erklärung erfolgt (Vorlage einer außergerichtlichen Erklärung des Klägers durch den Beklagten reicht nicht: SZ 67/33); der Schriftsatz ist dem Beklagten zuzustellen (Abs 2). Die Zustimmung des Beklagten kann auch konkludent erfolgen (etwa durch Unterlassen der Anfechtung des die Klagerücknahme zur Kenntnis nehmenden Beschlusses: EvBl 1962/476; bloßes Stillschweigen der unvertretenen Partei auf die Zustellung des die Klagerücknahme enthaltenden Schriftsatzes genügt aber nicht: JBl 1997, 789 = EvBl 1997/189; Holzhammer 198; aA Fasching Rz 1251).

7 Die Wirksamkeit der Klagerücknahme tritt nach Abs 3 ipso iure mit der Erklärung des Klägers und – falls erforderlich – der Zustimmung des Beklagten ein. Richtigerweise wird jedoch nach der Gerichtsübung aus Gründen der Rechtssicherheit ein deklarativer Beschluss gefasst, mit dem die Zurücknahme zur Kenntnis genommen bzw die Beendigung des Rechtsstreites festgestellt wird (wie ihn § 483 Abs 3 für die Zurücknahme im Berufungsverfahren ausdrücklich verlangt); dieser Beschluss ist anfechtbar und der Rechtskraft fähig (EvBl 1967/160 = JBl 1967, 269 = EFSlg 7227; LGZ Wien EFSlg 8910; OLG Wien EFSlg 10.534, 14.207; LGZ Wien EFSlg 23.180; EFSlg 30.073, 32.096; EvBl 1978/103; MietSlg 32.684).

8 Wirkungen a) Prozessbeendigung. Gem Abs 3 gilt die Klage als „nicht eingebracht“, dh Gerichtsanhängigkeit und Streitanhängigkeit samt ihren Wirkungen erlöschen rückwirkend (zB gelten die Verjährungs- und andere Präklusivfristen als nicht unterbrochen, die Prozesszinsenpflicht als nie entstanden).

9 b) Prozesshindernis. Wenn der Kläger auf den Anspruch verzichtet hat, kann die Klage nicht neuerlich angebracht werden (Abs 4), einer neuen Klage fehlt ebenso wie bei Streitanhängigkeit oder Rechtskraft kraft gesetzlicher Anordnung das Rechtsschutzbedürfnis. Liegt Identität der Parteien und des Streitgegenstandes vor (s § 411 Rz 2), ist die neue Klage daher mit Beschluss zurückzuweisen (JBl 1959, 375; MietSlg 32.685; DRdA 1981, 67; LGZ Wien EFSlg 44.025, 52.171). Wird trotz Klagerücknahme ein Urteil gefällt, liegt so wie beim Verstoß gegen § 405 (s dort) ein Nichtigkeitsgrund vor (Rechberger, Exekution 44 ff, 95 f; SZ 44/79 [mit unzutreffender Begründung]; aA Fasching Rz 1256, der hier ein Nichturteil annimmt). 1108

§§ 237–238

2.1 Verfahren bis zum Urteile

c) Kostenersatzpflicht. Sofern die Parteien nichts anderes vereinbaren, 10 hat der Kläger in jedem Fall der Klagerücknahme – wann immer diese erfolgt ist – dem Gegner alle verursachten Kosten zu ersetzen (LGZ Wien EvBl 1949/432); das Gericht darf keineswegs prüfen, ob der Kläger mit seiner Klage Erfolg gehabt hätte (LGZ Wien MietSlg 34.741). In Abs 3 wird genau geregelt, wann der Beklagte – bei sonstigem Ausschluss – den Kostenersatzanspruch geltend machen muss. Die Regelung des § 237 Abs 3 wird auf die Zurücknahme eines Antrages vor der Schlichtungsstelle analog angewendet (RZ 2000/25, 151). Gesetzlich fingierte Klagerücknahmen. § 238 erstreckt die Rechts- 11 folgen des § 237 auf vom Gesetz fingierte Klagerücknahmen a) als Säumnisfolge auf Antrag des Beklagten (§ 60 Abs 3; § 460 Z 5) sowie b) als (auch von Amts wegen zu verfügende) Sacherledigungen zur Vermeidung divergierender Entscheidungen im Ehescheidungsverfahren (§ 460 Z 7). Mit Ausnahme des letzten Falles (dazu Simotta, ÖJZ 1987, 167 ff) handelt es sich jeweils um eine Klagerücknahme ohne Anspruchsverzicht. Klageeinschränkung auf Kosten. Diese von der Rsp entwickelte Mög- 12 lichkeit schließt eine Rechtsschutzlücke. Nach der Grundregel des § 41 wäre der Kläger kostenersatzpflichtig, wenn er einen berechtigten Anspruch einklagt und der Beklagte während des laufenden Verfahrens diesen erfüllt; in diesem Fall ist die Klage – da entscheidungsmaßgeblicher Zeitpunkt der Schluss der Verhandlung erster Instanz ist – abzuweisen und die Kostenersatzpflicht des unterliegenden Klägers würde eingreifen. Dieses Ergebnis ist evident unbillig, da der Kläger völlig berechtigt zur Anspruchsverfolgung geschritten ist. Eine den Kläger von den Prozesskosten entlastende Regel ist daher dann sinnvoll und notwendig, wenn der Beklagte zwar den Klageanspruch erfüllt, aber die Berechtigung der Prozesskostenforderung des Klägers bestritten hat. Verfahrenstechnisch hat die Praxis zur Erzielung dieses Ergebnisses das Rechtsinstitut der „Klagseinschränkung auf Kosten“ entwickelt. Es handelt sich dabei hinsichtlich des Hauptanspruches um eine Klagerücknahme, welche den Regeln des § 237 unterliegt (Fasching Rz 470; Rechberger/Simotta Rz 545; M. Bydlinski, RZ 1989, 161; ders, Kostenersatz 191; EvBl 1950/96; OLG Wien EvBl 1952/69; ggt OLG Wien ZBl 1936/397 [abl Petschek]; JBl 1984, 686, wonach diese Klageeinschränkung jederzeit und ohne Zustimmung des Beklagten zulässig sein soll). Der Prozess wird allerdings über das Kostenersatzbegehren fortgesetzt, wobei das Bestehen des ursprünglichen Hauptanspruchs (dh die Frage, ob die Klage berechtigt erhoben wurde) als Vorfrage zu lösen ist (aA Zeder, RZ 1989, 55). Über die Berechtigung des Kostenersatzbegehrens 1109

§ 239

Rechberger/Klicka

ist mit Beschluss zu entscheiden (Fasching Rz 470; M. Bydlinski, RZ 1989, 159; LGZ Wien EFSlg 64.006; anders die überwiegende Rsp, nach der auch nach Klageeinschränkung auf Kosten mit Urteil zu entscheiden ist [obwohl dieses gem § 55 nur mit Rekurs angefochten werden kann!]: EvBl 1952/69; EvBl 1955/123; Arb 9026; ebenso Lorber, JBl 1971, 612; Lambauer, ÖJZ 1969, 169).

13 Klageeinschränkung. Da das Gesetz bestimmt, dass die Klageeinschränkung keine Klageänderung bedeutet (§ 235 Abs 4), schließt die Rsp daraus, dass das Gesetz die Klageeinschränkung überhaupt nicht beschränken wolle, was bedeute, dass sie deshalb auch keine Klagerücknahme, mithin in jeder Lage des Verfahrens ohne Zustimmung des Beklagten unbeschränkt zulässig und der fallen gelassene Anspruchsteil daher ohne prozessuale Beschränkungen neu einklagbar sei (ZBl 1936/396 [abl Petschek]; OLG Wien EvBl 1948/522; EvBl 1970/298; JBl 1984, 686; JBl 1992, 724; RZ 1996/23; OLG Wien 45 R 185/02t = EFSlg 101.998; ebenso Fasching Rz 1228); nur aus besonderen Gründen könne in der Klagseinschränkung ein Verzicht gesehen werden (7 Ob 536/95; wbl 1992, 195; SZ 55/187) Da die Schutzwürdigkeit des Beklagten aber nicht anders beurteilt werden sollte als bei der Klagerücknahme, unterwirft die hL die Klageeinschränkung als partielle Klagerücknahme deren Regeln; auch hier gelte § 237 (Petschek, ZBl 1936, 755; Holzhammer 195; Rechberger/Simotta Rz 544; W. Kralik [nach Fasching Rz 1228]; Ballon Rz 265). Beantwortung der Klage § 239. (1) Die nach § 230 Abs 1 aufgetragene Beantwortung der Klage hat mittels vorbereitenden Schriftsatzes zu geschehen. Sie hat ein bestimmtes Begehren zu enthalten und, soweit der Klagsanspruch bestritten wird, Anträge gestellt und Einreden erhoben werden, die Tatsachen und Umstände, auf welche sich die Einwendungen, Anträge und Einreden der beklagten Partei gründen, im Einzelnen kurz und vollständig anzugeben sowie die Beweismittel, deren sich der Beklagte zum Nachweis seiner tatsächlichen Behauptungen bei der Verhandlung zu bedienen beabsichtigt, im Einzelnen genau zu bezeichnen. (2) In dem Schriftsatz kann der Beklagte auch einen oder mehrere der im § 229 angeführten Anträge stellen. (3) Die Klagebeantwortung dient weiters 1. zur Anmeldung der Einreden des Fehlens der inländischen Gerichtsbarkeit, der Unzulässigkeit des Rechtsweges, des Fehlens der sachlichen oder örtlichen Zuständigkeit, der Streitanhängigkeit, der 1110

§ 239

2.1 Verfahren bis zum Urteile

rechtskräftig entschiedenen Streitsache und des Fehlens sonstiger Prozessvoraussetzungen, 2. zur Benennung des Auktors, 3. zur Stellung des Antrages auf Sicherheitsleistung für Prozesskosten und 4. zur Abgabe eines Anerkenntnisses. [idF ZVN 2002] Lit: R. Kralik, Verspätete Klagebeantwortungen, ÖJZ 1950, 129; Rechberger, Das Unschlüssigkeitsurteil im Versäumnisfall, JBl 1974, 562; Sprung/König, „Einlassung zur Hauptsache im österreichischen zivilgerichtlichen Verfahren“, ZfRV 1975, 36; Petrasch, Die ZivilverfahrensNovelle 1983 in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, ÖJZ 1985, 257, 291; Beran/Klaus/Liebhart/Nigl/Pühringer/Rassi/Roch/ Steinhauer, (Franz) Klein, aber fein, RZ 2002, 258, RZ 2003, 2; Frauenberger, Die ZVN 2002 – Neuerungen im Zivilprozessrecht, ÖJZ 2002, 873; Salficky, Die Prozessförderungspflicht und Präklusion, RdW 2002, 578; König, Abgesang auf die erste Tagsatzung, IPRax 2004, 236; Mahrer, Zulässigkeit von „leeren“ Klagebeantwortungen?, AnwBl 2004, 336; Mayr, Die Wahrnehmung der Unzuständigkeit nach der ZVN 2002, ÖJZ 2004, 361. Mayr in Fasching/Konecny III § 239; Fasching Rz 1262 ff; Ballon Rz 205 ff; Rechberger/Simotta Rz 559 ff. Inhaltsübersicht Streiteinlassung durch Urteilsgegenantrag 1 Wirkungen der Klagebeantwortung 2 Frist 3 Form und Inhalt 4–6 Urteilsgegenantrag. Mit dem Antrag, den Rechtsschutzantrag des Klä- 1 gers (ganz oder teilweise) abzuweisen, lässt sich der Beklagte in den Streit ein und das Verfahren wird kontradiktorisch. Die Streiteinlassung erfolgt im Gerichtshofverfahren (Ausnahme: Arbeitsrechtssachen gem § 59 Abs 1 Z 2 ASGG) durch die Klagebeantwortung. Im Urkundenund Bestandprozess haben die Einwendungen des Beklagten die Funktion der Klagebeantwortung; im bezirksgerichtlichen Verfahren erfolgt die Streiteinlassung in der vorbereitenden Tagsatzung (§ 440 Abs 1). Wirkungen. Die prorogable und (weil der Beklagte bei der Klagebeant- 2 wortung nach § 27 Abs 1 durch einen Rechtsanwalt vertreten sein muss, s § 104 Abs 3 JN) auch die unprorogable Unzuständigkeit, das Begehren auf aktorische Kaution (§ 59 Abs 1) und die Ablehnung eines Richters 1111

§ 239

Rechberger/Klicka

wegen Befangenheit (§ 21 Abs 2 JN) können nicht mehr geltend gemacht werden.

3 Klagebeantwortungsfrist. Sie beträgt ex lege vier Wochen, s dazu bei § 230; zum Problem der verspäteten Klagebeantwortung (dh Nachholen vor dem Antrag auf Fällung eines VU) s bei § 396 Abs 4. Die Klagebeantwortung kann so lange zurückgenommen werden, als das Gericht darüber keine Verfügung getroffen hat. Nach JBl 1987, 731 (abl Rechberger) soll dies aber keine Säumnisfolgen auslösen. Zum Einfluss des Antrages auf Bewilligung der Verfahrenshilfe einschließlich der Beigebung eines Rechtsanwaltes auf den Beginn der Klagebeantwortungsfrist s § 73 Abs 2.

4 Form und Inhalt. S auch bei § 230. a) Wie die Klage hat auch die Klagebeantwortung einen notwendigen Inhalt: Sie hat gem Abs 1 ein bestimmtes Begehren zu enthalten, nämlich den Urteilsgegenantrag, die Klage ganz oder teilweise abzuweisen. Fehlt dieses Begehren, ist die Klagebeantwortung zur Verbesserung gem § 84 Abs 3 zurückzustellen; wird der Mangel nicht saniert, ist sie (analog zur Klage, vgl § 226 Rz 7) mit Beschluss als unzulässig zurückzuweisen (Holzhammer 204 f; Rechberger/Simotta Rz 563; Ballon Rz 207). Nach der Rsp genügt es jedoch, wenn der Beklagte ankündigt, er werde in der Streitverhandlung Klageabweisung begehren (OLG Wien EvBl 1950/178); eine Zurückstellung zur Verbesserung und etwaige Kostenfolgen sind zwar möglich (OLG Wien EvBl 1935/467), eine Zurückweisung mit der Konsequenz der Fällung eines Versäumungsurteiles kommt aber nicht in Frage (EvBl 1963/190; vgl auch Petrasch, ÖJZ 1985, 261; ebenso Fasching Rz 1267 und 1269, wo bedauert wird, dass die Kostenfolgen der §§ 44 Abs 2 und 48 Abs 1 als Sanktion gegen „leere“ Klagebeantwortungen in der Praxis kaum gehandhabt werden; allerdings kommen gänzlich „leere“ Klagebeantwortungen ohne jeden Hinweis auf einen Abweisungsantrag in der Praxis ohnedies kaum vor; zur Problematik der „leeren Klagebeantwortung“ vgl näher Mayr in Fasching/Konecny III § 239 Rz 19 ff; Mahrer, AnwBl 2004, 336).

5 b) Die kurze und vollständige Angabe der Tatsachen, auf die sich die Einwendungen des Beklagten gründen, zählen – anders als die entsprechenden Tatsachen der Klageerzählung – ebenso wie die Beweismittel nur zum ratsamen Inhalt der Klagebeantwortung (vgl Holzhammer 205), zumal den Beklagten idR gar keine Behauptungs- und Beweislast trifft und Tatsachenvorbringen auch sonst für die Streiteinlassung nicht erforderlich ist (aA offenbar Ballon Rz 207). 1112

§ 240

2.1 Verfahren bis zum Urteile

c) Prozesseinreden. Das Gesetz nimmt in Abs 3 auf die „qualifizierten“ 6 Prozesseinreden Bezug, indem es die Einrede fehlender inländischer Gerichtsbarkeit, der Unzulässigkeit des Rechtswegs, der Unzuständigkeit, der Streitanhängigkeit, der Rechtskraft sowie überhaupt alle Prozessvoraussetzungen nennt. Überdies ist auch die Auktorsbenennung, der Antrag auf aktorische Kaution und die Abgabe eines Anerkenntnisses als mögliche Prozesshandlung mit der Klagebeantwortung vorgesehen. Im Anwendungsbereich des europäischen Zivilprozessrechts sind Art 24 EuGVVO (Art 18 EuGVÜ/LGVÜ), Art 17 EuGVVO II und Art 9 EuEheVO zu beachten. Eine Reihenfolge der Inhaltsbestandteile der Klagebeantwortung stellt das Gesetz keinesfalls auf, daher kann eine Prozesseinrede durchaus am Ende des Schriftsatzes nach dem Sachvorbringen erhoben werden (Mayr in Fasching/Konecny III § 239 Rz 30). § 240. Wird die Einrede der sachlichen oder örtlichen Unzuständigkeit des Gerichtes nicht in der Klagebeantwortung geltend gemacht, so kann deren Fehlen nur noch berücksichtigt werden, wenn das Gericht auch durch ausdrückliche Vereinbarung der Parteien nicht zuständig gemacht werden könnte und die Unzuständigkeit noch nicht geheilt ist (§ 104 JN). [idF ZVN 2002] Lit: Beran/Klaus/Liebhart/Nigl/Pühringer/Rassi/Roch/Steinhauer, (Franz) Klein, aber fein, RZ 2002, 258, RZ 2003, 2; Frauenberger, Die ZVN 2002 – Neuerungen im Zivilprozessrecht, ÖJZ 2002, 873; Mayr, Die Wahrnehmung der Unzuständigkeit nach der ZVN 2002, ÖJZ 2004, 361. Mayr in Fasching/Konecny III § 240. § 240 stellt eine Folge des Entfalls der ersten Tagsatzung durch die ZVN 1 2002 dar. Der Einredeausschluss hinsichtlich der sachlichen oder örtlichen Unzuständigkeit wird an den Zeitpunkt der Erstattung der Klagebeantwortung (dh an die Streiteinlassung) geknüpft (Gleiches gilt kraft Verweisung, §§ 246 Z 4, 248 Abs 1 für die Einbringung des Einspruchs im Mahnverfahren). Die in § 240 getroffene Anordnung bezüglich der Wahrnehmbarkeit der unprorogablen Unzuständigkeit hat freilich keinen echten Anwendungsbereich mehr, weil der Beklagte als ersten Verfahrensschritt eine anwaltlich gefertigte Klagebeantwortung einzubringen hat und damit jedenfalls eine Heilung nach § 104 Abs 3 JN eintritt (vgl näher Mayr in Fasching/Konecny III § 240 Rz 2); Gleiches gilt von der prorogablen internationalen Unzuständigkeit (vgl auch Art 24 EuGVVO bzw Art 18 EuGVÜ/LGVÜ). 1113

§ 244

Fucik

§§ 241 bis 243. Aufgehoben durch ZVN 2002. Mahnverfahren § 244. (1) In Rechtsstreitigkeiten über Klagen, mit denen ausschließlich die Zahlung eines 30 000 Euro nicht übersteigenden Geldbetrags begehrt wird, hat das Gericht ohne vorhergehende mündliche Verhandlung und ohne Vernehmung des Beklagten einen durch die Unterlassung des Einspruchs bedingten Zahlungsbefehl zu erlassen, sofern nicht ein Zahlungsauftrag zu erlassen ist (§§ 548 bis 559). (2) Ein Zahlungsbefehl darf nicht erlassen werden, wenn 1. die Klage zurückzuweisen ist; 2. die Forderung nach den Angaben in der Klage oder offenkundig (§ 269) nicht klagbar, noch nicht fällig, von einer Gegenleistung abhängig oder der Beklagte unbekannten Aufenthalts ist; 3. der Beklagte seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz im Ausland hat; 4. die Klage unschlüssig ist. [Fassung ZVN 2002, anzuwenden, wenn die Klage nach dem 31.12. 2003 bei Gericht eingelangt ist] Lit: BMJ, Neuerungen im zivilgerichtlichen Verfahrensrecht (Richterwoche 1983); BMJ, Automationsunterstützte Datenverarbeitung (ADV) in der Justiz (Richterwoche 1985); BMJ, Klagsfibel für das Mahnverfahren (oJ); BMJ, ADV-Handbuch Justiz, C-Verfahren (Loseblatt); Benn-Ibler, Zum automationsunterstützten Mahnverfahren, AnwBl 1985, 223; Kalmus, Das Mahnverfahren ab 1.1.1986, ÖJZ 1985, 705 = Kalmus, Das obligatorische Mahnverfahren ab 1. Jänner 1986 (1986); Klötzl, Gesetz- und Verfassungswidrigkeiten im automationsunterstützten Mahnverfahren, ÖJZ 1986, 433; Schneider, Neun Monate ADV-Mahnverfahren, AnwBl 1986, 561; Kalmus, Vom ADV-M zum ADV-C Verfahren, RZ 1987, 262; Bosina/Schneider, Das neue Mahnverfahren und die ADV-Drittschuldneranfrage (1987); Benn-Ibler, Die Einführung des automationsunterstützten Datenaustausches mit den Gerichten – eine Chance für die Anwaltschaft, AnwBl 1989, 59; Bosina/ Schneider, Verbesserung der Klage im ADV-Mahnverfahren, WR 22 (1989) 8; Schneider, Elektronischer Rechtsverkehr aufgrund der Erweiterten Wertgrenzen-Novelle 1989, AnwBl 1989, 451; Bosina/Schneider, Die elektronische Klage. Elektronischer Rechtsverkehr (ERV) und Gebühreneinzugsverfahren (1990); Schneider, Elektronischer Rechtsverkehr – Mißverständnisse in der Anwaltschaft?, AnwBl 1990, 539; Hofmann, Mahnverfahren: „Überklagung“ – keine Handhabe von Amts 1114

§ 244

2.1 Verfahren bis zum Urteile

wegen? RZ 1995, 112; Fasching, Rechtliches Gehör und Rationalisierung des zivilgerichtlichen Verfahrens in Österreich, FS Nakamura (1996) 117; Czernich, Mahnverfahren und Lugano-Übereinkommen, RZ 1997, 189; Metzler, Nochmals: Mahnverfahren und Lugano-Übereinkommen, RZ 1997, 264; G. Kodek, Aufhebung des Zahlungsbefehls wegen Unzuständigkeit?, RZ 1998, 154; ders, Zum Prüfungsumfang im Mahnverfahren, RZ 1998, 238; Schneider/Frank/Kirschbichler/Moravec/Roth, Der elektronische Rechtsverkehr mit den Gerichten (ERV) (1999) + ErgH 1999; Rechberger, Ein Plädoyer für ein europäisches Mahnverfahren, FS Oberhammer (1999) 51; G. Kodek, Österreichisches Mahnverfahren, ausländische Beklagte und das EuGVÜ, ZZPInt 1999, 125; Hagen, Modernisierung und Standardisierung von Gerichtsverfahren, FS Sprung (2001) 155; P. Oberhammer, Zu den Ursprüngen des Mahnverfahrens im österreichischen Recht, FS Sprung 283; Rechberger/Kodek, Orders for Payment in the European Union – Mahnverfahren in der Europäischen Union (2001); Beran/Klaus/Liebhart/Nigl/ Pühringer/Rassi/Roch/Steinhauer, (Franz) Klein, aber fein, RZ 2002, 258; 2003, 2; Starl, Der elektronische Rechtsverkehr (2003). Fasching Rz 508/1; G. Kodek in Fasching/Konecny III Vor § 244; Bajons Rz 98; Deixler-Hübner, PraktZPR 356; Ballon Rz 421 ff; Deixler-Hübner/Klicka Rz 45a ff. Inhaltsübersicht Zweck des Mahnverfahrens 1 Anwendbarkeit 2–3 Voraussetzungen 4

Rechtspflegerzuständigkeit Nichtvorliegen der Vorausetzungen

5 6

Zweck des Mahnverfahrens ist es, bei einem Geldleistungsanspruch 1 auf rasche und einfache Weise festzustellen, ob er bestritten wird, andernfalls, einen Exekutionstitel herbeizuführen. Mit Hilfe des Mahnverfahrens können daher Ansprüche, die nicht bestritten werden, ohne Führung eines längeren, aufwendigen Verfahrens durchgesetzt werden. Vor allem der Umstand, dass die Parteien in diesem Verfahren nicht vor Gericht erscheinen müssen, bewirkt eine erhebliche Beschleunigung der Rechtsdurchsetzung und eine beträchtliche Verminderung des Aufwands. Es ermöglicht somit zum Vorteil des Rechtssuchenden, aber auch im Interesse der Gerichtsentlastung, über letztlich nicht bestrittene Ansprüche rasch zu entscheiden (ADV-Handbuch Justiz, C-Verfahren 2.1.1). Das Mahnverfahren ist im Kern älter als die ZPO; die §§ 448 ff ent- 2 sprechen weitestgehend dem Mahngesetz, RGBl 1873/67, das mit 1115

§ 244

Fucik

Art XXVIII EGZPO rezipiert worden war. Mit der ZVN 1983 wurde es allerdings vom fakultativen zum obligatorischen Verfahren (in Kraft seit 1.1.1986), wobei es nun von allen BG (nach einer bis 1989 dauernden Umstellungsphase) automationsunterstützt (ADV) durchgeführt wird. Nach geringfügigen Änderungen durch das RpflG und die ZVN 1986 kam es im Zuge der WGN 1989 zu einer großen Erweiterung des Anwendungsbereichs und zur Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs. Mit der ZVN 2002 wurde das Mahnverfahren auf das Verfahren vor dem GH I ausgedehnt. Eine EuMahnVO (Klauser/Kodek 2093) soll 2008 in Kraft treten.

3 Jedes Mahnverfahren besteht in der (nicht antragsabhängigen) Erlassung eines bedingten Zahlungsbefehls durch das Gericht aufgrund der einseitigen, nicht belegten Klagebehauptungen ohne vorherige Anhörung des Gegners, der sein Gehör durch Einspruch wahren kann. Technisch sind zwei Arten der Durchführung zu unterscheiden, a) das händische Mahnverfahren („H-Fall“), bei dem der Zahlungsbefehl durch das Gericht ausgefertigt wird, und b) das automationsunterstützte Mahnverfahren („A-Fall“), bei dem aufgrund der Eingaben in die Datenspeicher der Zahlungsbefehl im Bundesrechenzentrum zentral hergestellt und zugestellt wird (Näheres bei § 251).

4 Die Durchführung des Mahnverfahrens erfordert neben den allgemeinen Prozessvoraussetzungen (s Vor § 226 Rz 7) weiters folgende besonderen Prozessvoraussetzungen: a) Das Klagebegehren muss ausschließlich auf Geldzahlung (in Euro oder ausländischer Währung) gerichtet sein (eine Klage auf Duldung der Exekution in bestimmte Pfandgegenstände [Hypothekarklage] ist nach 2 Ob 276/03g = SZ 2003/ 159 [ebenso LG St.Pölten 36 R 282/02t] keine Geldleistungsklage. Ablehnend G. Kodek in Fasching/Konecny III § 244 Rz 43, vorsichtig 10 Ob 26/03a); b) der Geldbetrag darf € 30.000 nicht übersteigen, wobei alle geltend gemachten Beträge zusammenzurechnen sind, auch wenn dies nach § 55 JN nicht zu geschehen hätte (Fasching Rz 1634; Kalmus, Mahnverfahren 9; Bosina/Schneider, Mahnverfahren Rz 73, 101; Stohanzl 966; aA Deixler-Hübner, PraktZPR 365, die Gedanken der Prozessökonomie und des Schuldnerschutzes betont), sodass nie mehr als € 30.000 in einem einzelnen Zahlungsbefehl aufgetragen werden können; c) die Forderung darf weder nach den Klageangaben noch offenkundig unklagbar sein (gilt nicht für verjährte Schulden); d) die Forderung darf weder nach den Klageangaben noch offenkundig noch nicht fällig sein (weshalb Ansprüche auf den laufenden Unterhalt nicht mit Mahnklage erledigt werden können); e) die Forderung darf weder nach den Klageangaben noch offenkundig von einer Ge1116

§ 244

2.1 Verfahren bis zum Urteile

genleistung (zB Rückforderung bei Irrtumsanfechtung oder Wandlung) abhängig sein; f) der Beklagte darf nicht unbekannten Aufenthalts sein (diesfalls hat das Gericht auf Antrag einen Kurator zu bestellen und eine Tagsatzung auszuschreiben). Kommt allerdings erst nach der Erlassung des Zahlungsbefehls hervor, dass der Beklagte unbekannten Aufenthalts ist, so schadet dies nicht mehr; der Zahlungsbefehl ist – auf Antrag des Klägers nach dessen Benachrichtigung vom Zustellanstand – einem zu bestellenden Kurator zuzustellen (Fasching Rz 1635; LGZ Wien WR 345); g) dass der Beklagte im Ausland wohnt, hindert seit der WGN 1997 – in Angleichung an das LGVÜ (Czernich, RZ 1997, 189; Metzler, RZ 1997, 264; Deixler-Hübner, PraktZPR 357) – das Mahnverfahren, was aber zu keiner amtswegigen Aufhebung des Zahlungsbefehls führt, wenn sich der Auslandswohnsitz erst nach dessen Erlassung herausstellt (differenzierend G. Kodek in Fasching/Konecny, III § 244 Rz 70 ff); h) die Klage muss schlüssig sein. Bei Unschlüssigkeit darf gleichwohl (s aber bei § 245) nicht die Klage zurückgewiesen oder „a limine abgewiesen“ werden, weil es dann nicht an allgemeinen Prozessvoraussetzungen fehlt (sondern eben nur kein Zahlungsbefehl erlassen werden darf). Nicht einmal der (ohnehin unnötige) Antrag auf Erlassung eines Zahlungsbefehls müsste abgewiesen (LG Eisenstadt 13 R 230/05d), sondern eine Tagsatzung anberaumt werden. i) Beantragt der Kläger die Erlassung eines (Wechsel-)Zahlungsauftrags, so ist ebenfalls kein Zahlungsbefehl zu erlassen. Die Erlassung des Zahlungsbefehls erfolgt von Amts wegen, ein Antrag ist nicht erforderlich. In den Wirkungskreis jedes nach dem RpflG 1986 ausgebildeten 5 Rechtspflegers fällt auch die Durchführung des Mahnverfahrens, einschließlich der Zurückweisung der Klage, bis die Anordnung einer Tagsatzung erforderlich wird (§ 16 Abs 1 Z 1 RpflG). Ob die Durchführung des Mahnverfahrens vor dem Gerichtshof einem Rpfl übertragen wird, ist Sache der Geschäftsverteilung. Zweckmäßig scheint die Betrauung des Firmenbuchrechtspflegers mit dem Mahnverfahren freilich nicht. Fehlen allgemeine Prozessvoraussetzungen, so ist entsprechend vor- 6 zugehen, also die Klage, allenfalls nach Sanierungsversuch, zurückzuweisen. Fehlen Voraussetzungen für die Anwendung des Mahnverfahrens, so ist nicht die Klage zurückzuweisen, sondern (statt Erlassung eines Zahlungsbefehls, vom Richter) eine Tagsatzung auszuschreiben (HG Wien WR 435). In der Praxis kommt es oft zu Verbesserungsaufträgen, um das Fehlen besonderer Voraussetzungen zu sanieren (s nur OLG Innsbruck 4 R 159/03v), doch darf das Gericht 1117

§ 245

Fucik

die Klage auch dann nicht zurückweisen, wenn einem solchen Verbesserungsauftrag nicht entsprochen wurde (Fasching Rz 1643/3; aA Bosina/Schneider, WR 22, 8).

§ 245. (1) Hat eine Partei durch unrichtige oder unvollständige Angaben in der Klage die Erlassung eines bedingten Zahlungsbefehls über eine oder mehrere Forderungen samt Zinsen oder bestimmter Kosten erschlichen oder zu erschleichen versucht, insbesondere durch die Geltendmachung einer Nebenforderung im Sinn des § 54 Abs 2 JN als Teil der Hauptforderung, ohne dies gesondert anzuführen, so hat das Gericht über sie eine Mutwillensstrafe von mindestens 70 Euro zu verhängen. (2) Vermutet das Gericht insbesondere schon auf Grund der Klagsangaben, dass ein solcher bedingter Zahlungsbefehl erschlichen werden soll, so kann die Klage mit der Anweisung zurückgestellt werden, die gleichzeitig zu bezeichnenden, für die Entkräftung der Vermutung erheblichen tatsächlichen Angaben zu machen. (3) Wird der Anweisung trotz vorheriger Bekanntgabe des drohenden Nachteils nicht oder nicht ausreichend entsprochen, so ist die anhängige beziehungsweise wieder eingebrachte Klage zurückzuweisen. (4) Gegen die nach Abs 2 ergangenen Beschlüsse ist ein abgesondertes Rechtsmittel nicht statthaft. [Fassung ZVN 2002] Lit: Hofmann, Mahnverfahren: „Überklagung“ – keine Handhabe von Amts wegen? RZ 1995, 112; Fucik, Neues im Mahnverfahren: Handhabe gegen Überklagung, RZ 1995, 191; Hofmann, Vorprozessuale Kosten aus dem Titel „Vereinbarung“ oder „Schadenersatz“ – Rechtsweg nicht zulässig, RZ 1997, 52; Breycha, Mahn- und Inkassospesen in der Praxis des Mahnverfahrens, RZ 1998, 50; M. Bydlinski, Der Anspruch auf Ersatz „vorprozessualer Kosten“, JBl 1998, 69; G. Kodek, Zum Prüfungsumfang im Mahnverfahren, RZ 1998, 238. G. Kodek in Fasching/Konecny III § 245; Deixler-Hübner, PraktZPR 358; Ballon Rz 422. Inhaltsübersicht Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht Mutwillensstraftatbestand

1 2 1118

Ergänzungsauftrag Verfahren nach Ergänzungsauftrag

3 4–6

§ 245

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Das Mahnverfahren hat sich in der Praxis bewährt; allerdings werden in 1 Einzelfällen insb durch unaufgeschlüsseltes Zuschlagen von vorprozessualen Kosten und kapitalisierten Zinsen die Vorschriften über die Zulässigkeit des Rechtswegs und die Überprüfung des Notwendigkeitskriteriums (§ 41) ebenso umgangen wie die Streitwertbemessungsregel des § 54 Abs 2 JN. Dem soll § 245 entgegenwirken, der mit G. Kodek, RZ 1998, 241, als spezifische Ausprägung der Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht zu verstehen ist. Allerdings dürfte seine präventive Wirkung größer sein als seine praktische Anwendbarkeit. Abs 1 enthält einen neuen Mutwillensstraftatbestand. Das Tatbe- 2 standsmerkmal des Erschleichens wird durch den (Anlass- und) wohl häufigsten Anwendungsfall eines „kapitalüberschießenden Punktums“ bloß illustriert, sind doch auch andere Fälle des Erschleichens denkbar. Auf die materiell-rechtliche Berechtigung kommt es nicht an, sondern nur darauf, ob über den behaupteten Anspruch ein Zahlungsbefehl zu erlassen ist. Auch der Versuch ist strafbar. Subjektiv ist zumindest Eventualvorsatz erforderlich (Fucik, RZ 1995, 192; G. Kodek, RZ 1998, 241; LGZ Wien EFSlg 105.831). Die Strafhöhe beträgt mindestens € 70 und höchstens (arg §§ 199 f) € 2.000. Die Mutwillensstrafe trifft den Kläger, nicht den Klagevertreter (LGZ Wien EFSlg 85.309; G. Kodek, RZ 1998, 241). Rekurs ist – trotz § 517 – immer zulässig (JBl 1997, 790). Das Berufungsgericht hat keine Zuständigkeit zur Verhängung einer solchen Mutwillensstrafe (ecolex 2003/78, 174 = RZ 2003, 157). Was ohnehin nicht ersatzfähig ist, soll nach OLG Wien 7 Ra 142/05m keine Mutwillensstrafe rechtfertigen. Als inhaltliche Prüfung kein Verbesserungsfall im technischen Sinn 3 (G. Kodek, RZ 1998, 241, gegen die allzu saloppe Gleichsetzung bei Fucik, RZ 1995, 192) ist der Auftrag nach Abs 2. Dieser Ergänzungsauftrag setzt voraus: a) die Vermutung (mehr als der bloß abstrakte, weniger als der dringende Verdacht) des Erschleichens, wobei b) Vermutungsgrundlage jedes dienstliche Wissen des Richters (etwa auch aus Vorprozessen) sein kann (Fucik, RZ 1995, 191; G. Kodek, RZ 1998, 242) und c) die Erschleichung nicht schon durch Erlassung des Zahlungsbefehls vollendet sein darf (G. Kodek, RZ 1998, 243). Verfahren beim Ergänzungsauftrag: Im Verfahren vor dem Gerichts- 4 hof ist dem (notwendig anwaltlich vertretenen) Kläger ein schriftlicher Auftrag zu erteilen. Nur beim BG ist es Ermessenssache, ob a) ein schriftlicher Auftrag erteilt oder b) der Kläger zur protokollarischen Ergänzung geladen wird (was trotz § 16 Abs 1 Z 1 RpflG nicht zur Richterzuständigkeit führt). Nicht nur schriftliche Aufträge, son1119

§ 246

Fucik

dern (arg § 56 Abs 2 Geo) auch Ladungen (G. Kodek, RZ 1998, 243) haben a) die für die Entkräftung der Vermutung erforderlichen Angaben, b) einen Hinweis auf die Rechtsfolgen des Abs 3 sowie c) eine Frist/einen Termin für die Äußerung zu enthalten; d) auch Bescheinigungsmittel können verlangt werden (G. Kodek, RZ 1998, 243 gegen LGZ Wien 37 R 666/97h). Der Auftrag ist nicht abgesondert anfechtbar.

5 Wird dem Auftrag nicht (oder nicht ausreichend) entsprochen, so ist die Klage – zur Gänze [LG Krems 1 R 94/05m] – zurückzuweisen (s G. Kodek, RZ 1998, 245). Dagegen ist – auch im Anwendungsbereich des § 517 – Rekurs zulässig (Näheres zu den Gründen s Fucik, RZ 1995, 191).

6 Zum Vorgehen im Fall des § 41b VersVG s LG Steyr RpflSlgE 1998/105.

§ 246. Der Zahlungsbefehl hat neben den für Beschlüsse geforderten Angaben zu enthalten: 1. die Aufschrift „Bedingter Zahlungsbefehl“; 2. den Auftrag an den Beklagten, binnen vierzehn Tagen nach Zustellung des Zahlungsbefehls bei sonstiger Exekution die Forderung samt Zinsen und die vom Gericht bestimmten Kosten zu zahlen oder, wenn er die geltend gemachten Ansprüche bestreitet, gegen den Zahlungsbefehl binnen vier Wochen Einspruch zu erheben; werden mehrere Forderungen eingeklagt, so sind diese gesondert anzuführen; 3. den Beisatz, dass der Zahlungsbefehl nur durch Erhebung des Einspruchs außer Kraft gesetzt werden kann; 4. die Belehrung, dass der Einspruch den Inhalt der Klagebeantwortung haben muss und die Vertretung durch einen Rechtsanwalt geboten ist; 5. den Hinweis, dass im Fall der Erhebung des Einspruchs das ordentliche Verfahren über die Klage stattfinden wird. [Fassung ZVN 2002] Lit: G. Kodek in Fasching/Konecny III § 246.

1 Trotz besonderer Bezeichnung hat auch der bedingte Zahlungsbefehl Beschlusscharakter, so dass etwa die Vorschriften über die Bindung an Beschlüsse (Bosina/Schneider, Mahnverfahren Rz 111; G. Kodek, RZ 1998, 154: keine Aufhebung durch das Erstgericht wegen Unzuständig1120

§ 247

2.1 Verfahren bis zum Urteile

keit) und Beschlussberichtigung (LGZ Wien WR 210: Berichtigung der Parteienbezeichnung nach Erlassung des Zahlungsbefehls) anzuwenden sind. Auch gegen einen Zahlungsbefehl als die Sache erledigender Entschei- 2 dung kann Nichtigkeits- bzw Wiederaufnahmeklage erhoben und nach § 42 Abs 2 JN vorgegangen werden (Fasching Rz 1639). Eine Vorstellung (§ 12 RpflG) gegen den vom Rechtspfleger erlassenen Zahlungsbefehl ist unzulässig (§ 12 spricht von „wegen des Streitwerts“ unanfechtbaren Rechtspflegerentscheidungen, § 246 Abs 3 schließt aber jedes Rechtsmittel aus). § 247. (1) Zahlungsbefehle können in gekürzter Form und mit Benützung einer Ausfertigung der Klage oder einer Rubrik ausgefertigt werden. Für diejenigen Fälle, für die keine Verordnung nach § 250 gilt, ist das Nähere durch Verordnung so zu regeln, dass die leichte und sichere Erfassbarkeit des Inhalts des Zahlungsbefehls für die Parteien gewährleistet ist und überflüssiger Arbeitsaufwand bei der Herstellung der Ausfertigungen vermieden wird. (2) Der Zahlungsbefehl ist dem Beklagten mit der Klage zuzustellen. (3) Gegen die Erlassung des Zahlungsbefehls ist ein Rechtsmittel nicht zulässig, doch kann die im Zahlungsbefehl enthaltene Kostenentscheidung mit Rekurs angefochten werden. [Fassung ZVN 2002] Lit: G. Kodek in Fasching/Konecny III § 247. Zur Ausfertigung vgl die AFV BGBl II 2002/510 idF BGBl II 2005/481 1 (gekürzte Ausfertigung mit Stampiglie oder Formblatt ZPForm 96; vgl Bosina/Schneider, Mahnverfahren Rz 249 ff; Schneider ua, Rechtsverkehr 145). Seit der WGN 1989 können de facto auch in H-Fällen die Klagen ein- 2 fach eingebracht werden, weil gem § 89 Abs 2 GOG die unterschriebenen Gleichschriften durch Ablichtungen ersetzt werden können, die im Gericht zu kopieren gewiss leichter fällt, als mit Verbesserungsbeschluss dem Kläger deren Anfertigung aufzutragen (vgl Bosina/ Schneider, Mahnverfahren Rz 111; Fasching Rz 512). Der Zahlungsbefehl kann – in der Hauptsache – nicht mit Rekurs, 3 sondern nur mit Einspruch bekämpft werden. Die Kostenentscheidung 1121

§ 248

Fucik

dagegen kann vom Kläger wie vom Beklagten mit (Kosten-)Rekurs angefochten werden (s LGZ Wien MietSlg 47.652). Um durch Einspruchserhebung frustrierte Kostenrekurse des Klägers zu verhindern, ist im ADV-System nunmehr vorgesehen, dem Kläger den Zahlungsbefehl auch dann nicht vor Ablauf der Einspruchsfrist zuzustellen, wenn seine Kosten nicht (voll) zugesprochen wurden. § 248. (1) Gegen den Zahlungsbefehl steht dem Beklagten der Einspruch zu. Dieser hat den Inhalt einer Klagebeantwortung zu haben. (2) Die Einspruchsfrist beträgt vier Wochen; sie kann nicht verlängert werden. Sie beginnt mit der Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Zahlungsbefehls an den Beklagten. [Fassung ZVN 2002] Lit: G. Kodek in Fasching/Konecny III § 248.

1 Der Einspruch ist der einzige Rechtsbehelf gegen den Zahlungsbefehl. Er muss vor dem BG nicht begründet werden und kann a) schriftlich (einfache Ausfertigung genügt), selbst in Verfahren mit Anwaltspflicht ohne anwaltliche Fertigung, oder b) von Unvertretenen auch zu Protokoll (vgl § 434 Rz 2) eingebracht werden. Im ADV-Mahnverfahren wird dem Beklagten mit dem Zahlungsbefehl auch ein Einspruchsformular übermittelt.

2 Die Inhaltserfordernisse des Einspruchs sind im Verfahren vor dem Gerichtshof denen der Klagebeantwortung gleich gestellt; nur vor dem BG genügt es, dass die Absicht, Einspruch zu erheben, deutlich hervorgeht. Ein „leerer“ Einspruch (eines Unvertretenen) wäre zur Verbesserung zurückzustellen.

3 Die Einspruchsfrist beträgt vier Wochen ab dem der Übernahme oder dem Beginn der Abholfrist folgenden Tag (LGZ Wien WR 98; uU auch später: Rückkehr an die Abgabestelle [vgl § 17 ZustG; s § 87 Rz 5], Zustellung einer berichtigten Ausfertigung, wenn die ursprüngliche so fehlerhaft war, dass ihr wirklicher Inhalt nicht erkennbar war, HG Wien WR 284). Die verhandlungsfreie Zeit hat auf die Einspruchsfrist keinen Einfluss (§ 225 Abs 2).

4 Verspätete Einsprüche sind (allenfalls auch vom Rechtspfleger [§ 16 Abs 1 Z 1 RpflG]) ohne Verhandlung mit Beschluss zurückzuweisen (§ 249 Abs 1). Der Rechtspfleger kann auch Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist 1122

§ 249

2.1 Verfahren bis zum Urteile

erledigen, wenn er nicht im Einzelfall eine mündliche Verhandlung für erforderlich hält (JBl 1985, 300 = RZ 1985/42). Gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag muss im Gerichtshofverfahren auch der Einspruch nachgeholt werden (anders vor dem BG: Da aus dem Wiedereinsetzungsantrag selbst schon deutlich der gem § 448 Z 1 allein erforderliche Streiteinlassungswille hervorgeht, muss er keinen ausdrücklichen Einspruch enthalten). Auch ein Nebenintervenient kann Einspruch erheben (3 Ob 51/05d).

5

§ 249. (1) Mit der rechtzeitigen Erhebung des Einspruchs tritt der Zahlungsbefehl außer Kraft, soweit sich der Einspruch nicht ausdrücklich nur gegen einen Teil des Klagebegehrens richtet. Verspätet erhobene Einsprüche sind ohne Verhandlung mit Beschluss zurückzuweisen. (2) Ist ordnungsgemäß Einspruch erhoben worden, so hat der Vorsitzende nach den §§ 257 ff vorzugehen. (3) Auf die Zurücknahme des Einspruchs finden die Vorschriften über die Zurücknahme der Berufung (§ 484) entsprechende Anwendung. [Fassung ZVN 2002] Lit: Mayr, Praxisprobleme der Zuständigkeit und der inländischen Gerichtsbarkeit, ÖJZ 1995, 329. G. Kodek in Fasching/Konecny III § 249. Ist rechtzeitig und ordnungsgemäß Einspruch erhoben worden, so ist – 1 ohne dass der Zahlungsbefehl aufgehoben werden müsste – vom Richter eine Tagsatzung anzuberaumen; mit der Ladung wird dem Kläger eine Abschrift des Einspruchs übermittelt (vor dem BG nur, wenn dieser begründet ist). Anders als vor der ZVN 1983 wirkt der Einspruch nur noch für den 2 Beklagten, der ihn erhoben hat. Für alle wirkte nur der Einspruch eines der Beklagten bei einer einheitlichen Streitpartei iSd § 14 (doch sind einheitliche Streitparteien kaum je auf Geldleistungsansprüche bezogen). Richtet sich der Einspruch (eindeutig; im Zweifel Totaleinspruch; Fa- 3 sching Rz 1640) nur gegen einen Teil des Zahlungsbefehls (eine von mehreren eingeklagten Forderungen oder den nach Ansicht des Beklagten überhöhten Teil einer Forderung), so tritt der Zahlungsbefehl nur in 1123

§ 250

Fucik

diesem Umfang außer Kraft (LGZ Wien WR 118). Andrerseits fällt auch der Kostenzuspruch für einen Antrag auf neuerliche Zustellung mit Erhebung des (sich dem Wortlaut nach nur gegen den Zahlungsbefehl richtenden) Einspruchs weg (HG Wien WR 377).

4 Die Klage kann a) mit Zustimmung des Beklagten jederzeit, b) ohne seine Zustimmung jedoch ohne Anspruchsverzicht nur bis zur Erhebung des Einspruchs, mit Anspruchsverzicht auch noch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zurückgenommen werden (dazu bestehen seit der ZVN 2002 keine Sondervorschriften; vgl G. Kodek in Fasching/Konecny III § 244 Rz 83).

5 Der Einspruch kann – vor dem Gerichtshof mit, vor dem BG ohne Anwaltspflicht – bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung (mündlich oder schriftlich, woraufhin die Verhandlung abberaumt werden kann) zurückgenommen werden. Der Zahlungsbefehl wird dadurch rückwirkend rechtskräftig (zu den damit verbundenen systematischen Problemen s G. Kodek in Fasching/Konecny III § 249 Rz 17). Die Zurücknahme des Einspruchs verpflichtet den Beklagten zum Kostenersatz, der in der Verhandlung, bei Abberaumung hingegen binnen vier Wochen nach Zustellung der Verständigung des Klägers von der Zurücknahme – bei sonstigem Ausschluss – geltend zu machen ist (§ 249 Abs 3 iVm § 484 Abs 2).

§ 250. (1) Das Mahnverfahren kann mit Hilfe automationsunterstützter Datenverarbeitung durchgeführt werden. (2) Der Bundesminister für Justiz wird ermächtigt, zur Ermöglichung einer zweckmäßigeren Behandlung der Eingaben (§ 74) im Mahnverfahren mit Verordnung Formblätter einzuführen, deren sich der Kläger bei solchen Eingaben zu bedienen hat. Diese Formblätter sind so auszugestalten, dass sie der Kläger auch leicht und sicher verwenden kann. [Fassung ZVN 2002] Lit: Breycha, Die Verzeichnung von Normalkosten im ADV-Mahnverfahren, AnwBl 1994, 495. G. Kodek in Fasching/Konecny III § 250.

1 Die Einführung der für das ADV-M erforderlichen Formulare erfolgte durch die MahnformV, BGBl 1985/467 (Bosina/Schneider, Mahnverfahren Rz 249 ff), an deren Stelle nun die ADV-FormV (AFV), BGBl II 1124

§ 251

2.1 Verfahren bis zum Urteile

2002/510 idF BGBl II 2005/481, getreten ist (Klauser/Kodek 558). Sie sieht zwei Arten der Klage im ADV-M vor, a) die (schriftlich oder zu Protokoll eingebrachte) Formblattklage unter Verwendung des ZPForm 15 bzw der Anl A und B der AFV; b) die formatierte Klage, die ohne Verwendung des Formblatts denselben feststehenden Text sowie dieselben Überschriften zu den Schreibfeldern und Feldgruppen mit demselben Aufbau, derselben Nummerierung und in derselben Abfolge enthält (§ 2 1. Satz AFV); sie kann schriftlich („Papierklage“) oder uU auch im elektronischen Rechtsverkehr (Näheres s §§ 89a ff GOG; ERV 2006, BGBl II 2005/481; Schneider ua, Rechtsverkehr 145) eingebracht werden. Bei den umgestellten Gerichten ist grundsätzlich mit ADV-M vorzuge- 2 hen, doch ist die ADV-Software nur auf die Fälle ausgerichtet, die so oft vorkommen, dass sie ökonomisch in das Programm aufgenommen werden konnten; ein Zahlungsbefehl muss deshalb in folgenden Fällen trotz ADV händisch erlassen werden („H-Fall“): a) bei mehreren Klägern ohne gemeinsamen Vertreter, b) bei mehr als drei Klägern, c) bei mehr als fünf Beklagten, d) in Fällen, in denen gegen verschiedene Beklagte verschiedene Entscheidungen ergehen sollen (zB Zurückweisung hinsichtlich eines Streitgenossen), e) bei zu umfangreichem Datenmaterial (Sachverhaltsdarstellung mit mehr als 35 Eingabezeilen, weiteres Vorbringen mit mehr als 21 Eingabezeilen, mehr als 15 Zinsenstaffeln), f) schließlich dann, wenn aus technischen Gründen für längere Zeit die ADV-Abfertigung unmöglich ist. Die übrigen in der Literatur noch genannten „H-Fälle“ (Zustelladresse im Ausland, anzuschließende Beilagen, Verbindung der Klage mit weiteren Anträgen; Streitwert in ausländischer Währung) sind überholt, weil es mittlerweile möglich ist, die Ausdrucke zwar im Bundesrechenzentrum herzustellen, aber deren Sammelzustellung an das Gericht, das das weitere verfügt, (durch Setzen der „Postleitzahl 9999“) zu ordern. Mit dem 1. EuroJuBeG wurden Klagebegehren in Euro ermöglicht; seit AFV idF 1999 kann auch eine Forderung in ausländischer Währung im ADV-M erledigt werden.

§ 251. Für das Mahnverfahren, das mit Hilfe automationsunterstützter Datenverarbeitung durchgeführt wird, gelten folgende Besonderheiten: 1. Klagen und andere Schriftsätze im Mahnverfahren können in einfacher Ausfertigung und ohne Beibringung von Rubriken überreicht werden; § 81 Abs 1 bleibt unberührt; 1125

§ 251

Fucik

2. An die Stelle der Zustellung der Klage tritt die Zustellung des Zahlungsbefehls, wenn dieser den Klagsinhalt vollständig wiedergibt oder ihm eine Abschrift der Klage sowie die vom Kläger vorzulegenden (§ 81 Abs 1) Abschriften ihrer Beilagen angeschlossen sind; das gilt sinngemäß für andere Anträge im Mahnverfahren und die hierüber ergehenden Beschlüsse; 3. Ergeht ein Auftrag zur Verbesserung einer Eingabe (§ 84), weil sich der Kläger nicht des hiefür eingeführten Formblatts bedient hat, so ist diesem Auftrag das entsprechende Formblatt anzuschließen. [Fassung ZVN 2004] Lit: Hagen, Modernisierung und Standardisierung von Zivilprozessen, FS Sprung (2001) 155; Starl, Der elektronische Rechtsverkehr (2003); G. Kodek in Fasching/Konecny III § 251.

1 Kurzüberblick über den Ablauf eines ADV-Mahnverfahrens: a) Jede bei Gericht einlangende Klage wird zur Registerführung erfasst, HFälle und Klagen, über die kein Zahlungsbefehl zu erlassen ist, nur mit den Registerdaten, A-Fälle im Volltext (soweit sie nicht elektronisch eingebracht, also direkt – über die Datakom AG – in die Datenbank aufgenommen wurden). Fehlerhafte Datenerfassung ist als offenbare Unrichtigkeit jederzeit zu berichtigen (§ 419). b) Die Eingabe setzt eine Reihe von Verarbeitungen und logischen Prüfungen in Gang (Überprüfung des Register, der Übereinstimmung gewisser Verfahrensdaten und der Gerichtsgebühren), an deren Ende eine – missverständlich – „Entscheidungsvorschlag“ genannte Checklist steht (zB KEINE MELDUNGEN, Fehlermeldungen, die auf fehlerhafte Datenerfassung hinweisen und daher von der Erfassungskraft sogleich korrigiert werden können, Meldungen rechtlicher Mängel, zB ZUSTÄNDIGKEIT PRÜFEN, UNTERSCHRIFT FEHLT, Hinweise auf Punkte, die besondere Veranlassungen erfordern, zB ZU WENIG ENTRICHTETE GERICHTSGEBÜHREN). c) Das Entscheidungsorgan (Richter, Rechtspfleger) prüft, auch aufgrund des Entscheidungsvorschlags, über den er sich aber auch hinwegsetzen kann, ob der Zahlungsbefehl (oder etwa ein Verbesserungsauftrag, ein Zurückweisungsbeschluss) erlassen wird. Eine vom berechtigten Organ gefertigte Urschrift der Entscheidung muss jedenfalls erstellt werden (Grundsatz des Systems: es besteht keine Möglichkeit, ohne Entscheidung eines Menschen vorzugehen). d) Durch einen Code-Befehl (des Entscheidungsorgans oder einer Kanzleikraft) wird die Entscheidung durchgeführt, also der Zahlungsbefehl (Verbesserungsauftrag, Zurückweisungsbeschluss) im Bundesrechenzentrum zentral ausgefertigt. Der Zahlungsbefehl enthält alle Klageangaben und zusätzliche Hinweise (insb über die bisher aufgelaufenen und die täglich dazukom1126

§ 251

2.1 Verfahren bis zum Urteile

menden Zinsen) und wird zusammen mit einem Einspruchsformular und (bei Angabe einer Kontonummer in der Klage) einem PSK-Erlagschein über die Poststraße des Bundesrechenzentrums abgefertigt. e) Eingelangte Rückscheine werden dem Entscheidungsorgan vorgelegt, das die (aktenmäßig) ordnungsgemäße Zustellung auf dem Rückschein bekundet. Das Zustelldatum wird am Bildschirm erfasst (Liste der offenen Rückscheine). f) Nach Ablauf der Einspruchsfrist wird (mindestens alle 14 Tage) eine Liste der vollstreckbaren Zahlungsbefehle ausgedruckt; das Entscheidungsorgan überprüft diese und setzt die Unterschrift unter die „bewilligten“, womit deren Vollstreckbarkeit bestätigt ist. Mit Code-Befehl wird die zentrale Zustellung einer mit der Vollstreckbarkeitsbestätigung versehenen Ausfertigung an den Kläger veranlasst. g) Einsprüche sind unverzüglich am Bildschirm zu erfassen und dem Entscheidungsorgan mit Akt und Rückschein vorzulegen. Ein Rechtspfleger kann verspätete Einsprüche selbst zurückweisen, rechtzeitige legt er dem Richter vor. h) Abweichende Verfahrensabläufe, wie Zurückweisungen, Zustellanstände und Verbesserungsverfahren können ebenfalls ADV-mäßig durchgeführt werden. Nach Einspruchserhebung lässt das System noch die Abfertigung von Ladungen zu; an eine Ausweitung, insb durch ADV-mäßige Abfertigung von Versäumungsurteilen, ist gedacht. Schon wegen der zentralen Abfertigung ist es nicht mehr vorgesehen, 2 Gleich- und Halbschriften von Klagen und anderen Schriftsätzen im ADV-M anzuschließen (zu diesem Zweck wurden sogar – mit der WGN 1989 bzw der ZVN 1983 – § 104 Abs 1 JN bzw § 30 Abs 2 novelliert). Verbesserungsfälle sind zB das Fehlen von Angaben zum Klagevertre- 3 ter über den sog Anwaltscode hinaus (LGZ Wien WR 324) oder unvollständiges Ausfüllen der Zuständigkeitsangaben (LGZ Wien WR 347; strenger HG Wien WR 361: Unzuständigkeitsfolgen). Zur Unschlüssigkeit als Verbesserungsfall s § 244 Rz 4. Die Sonderbestimmungen der Z 4 und 5 wurden durch die ZVN 2004 4 beseitigt. Z 4 betraf Verarbeitungsermächtigungen, die schon aus dem DSG folgen, Z 5 die Gefährdungshaftung für fehlerhafte ADV, die sich seither in § 89e GOG findet. §§ 252 bis 256. Entfallen.

1127

§ 257

Rechberger/Klicka Einleitung der Streitverhandlung

§ 257. (1) Nach rechtzeitiger Überreichung der Klagebeantwortung oder Erhebung des Einspruchs hat der Vorsitzende des Senates, dem die Rechtssache zugewiesen ist, die vorbereitende Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen. Die vorbereitende Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung ist so anzuberaumen, dass den Parteien von der Zustellung der Ladung an mindestens eine Frist von drei Wochen zur Vorbereitung für die Streitverhandlung offen bleibt. (2) Zur Vorbereitung dieser Verhandlung notwendige Anordnungen sind so früh wie möglich zu treffen. Insbesondere ist – soweit erforderlich – der Wechsel vorbereitender Schriftsätze aufzutragen und mit Anordnungen nach § 180 Abs 2 vorzugehen. (3) Die Parteien können einander in der Klage oder Klagebeantwortung noch nicht enthaltene Anträge, Angriffs- und Verteidigungsmittel, Behauptungen und Beweise, welche sie geltend machen wollen, durch besonderen, spätestens eine Woche vor der vorbereitenden Tagsatzung bei Gericht und beim Gegner einlangenden, vorbereitenden Schriftsatz mitteilen. Bis zu diesem Zeitpunkt können die Parteien auch Anträge im Sinn des § 229 mittels Schriftsatzes stellen. Der Vorsitzende hat hierüber die ihm nötig scheinenden Anordnungen ohne Aufschub zu erlassen. (4) Gegen die in dieser Bestimmung vorgesehenen Anordnungen ist ein Rechtsmittel nicht zulässig. [ZVN 2002] Lit: Klein, Pro futuro (1891); Schragel, Verfahrenstechnik im Zivilprozeß, RZ 1978,19; Laumen, Das Rechtsgespräch im Zivilprozeß (1983); Hensen, Das Rechtsgespräch im Zivilprozeß, Reimers-FG (1995) 167; Mayr, Rechtsschutzalternativen in der österreichischen Rechtsentwicklung (1995); Roth, Wege zur Prozeßökonomie: Die Reduktion von Verfahrensdauer und Verfahrenskosten im Zivilprozeß, in Gilles, Prozeßrecht an der Jahrtausendwende (1999) 248; Roth, Reduction of Duration and Costs of German Civil Litigation, Civil Justice Quarterly 2001, 148; Beran/Klaus/Liebhart/Nigl/Pühringer/Rassi/Roch/Steinhauer, (Franz) Klein, aber fein, RZ 2002, 258, RZ 2003, 2; Frauenberger, Die ZVN 2002 – Neuerungen im Zivilprozessrecht, ÖJZ 2002, 873; Mayr, Der gerichtliche Vergleichsversuch (2002); Roth, Die Verfahrensgarantien der Europäischen Menschenrechtskonvention im Zivilprozeß, BeitrZPR VI (2002) 263; Kodek, Zur Zweiseitigkeit des Rekursverfahrens, ÖJZ 2004, 534, 589. Kodek in Fasching/Konecny III § 257. 1128

§ 257

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Die mündliche Streitverhandlung (Tagsatzung zur mündlichen Ver- 1 handlung) beginnt nach dem Konzept der ZVN 2002 mit der vorbereitenden Tagsatzung. Deren Anordnung hat von Amts wegen und zwar unverzüglich zu erfolgen (Kodek in Fasching/Konecny III § 257 Rz 4). Bei allfälliger Säumnis des Gerichts steht der Fristsetzungsantrag nach § 91 GOG zur Abhilfe offen. Den Parteien ist eine Mindestfrist von drei Wochen zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung einzuräumen, was insofern idR keine unzumutbaren Nachteile bringt, als sie ohnehin schon in Klage und Klagebeantwortung ihr Sachvorbringen erstattet haben. Eine Verletzung dieser Frist kann allenfalls einen einfachen Verfahrensmangel bilden (Kodek in Fasching/Konecny III § 257 Rz 7, 9). Vorbereitende Maßnahmen des Gerichts, insbesondere das Auftragen 2 eines Wechsels vorbereitender Schriftsätze sind nach Abs 2 zulässig, allerdings sind diese so rechtzeitig einzubringen, dass sie spätestens eine Woche vor der vorbereitenden Tagsatzung bei Gericht und Gegner einlangen (verspätete Schriftsätze sind zurückzuweisen, s Kodek in Fasching/Konecny III § 257 Rz 26 ff). Nach Beginn der mündlichen Streitverhandlung betrachtet die hL (Kodek in Fasching/Konecny III § 257 Rz 18) vorbereitende Schriftsätze als unzulässig, gleichwohl werden solche von der Praxis regelmäßig gebilligt. Anträge und Einwendungen zurückgewiesener Schriftsätze können in der mündlichen Verhandlung wiederholt werden, was früher in § 257 Abs 2 aF ausdrücklich angeordnet war und wovon die ZVN 2002 trotz Aufhebung dieser Bestimmung nicht abgehen wollte (ErlRV ZVN 2002 962 BlgNR 21. GP 33). Verfügungen des Gerichts nach § 257 (zB also sowohl Zurückweisun- 3 gen vorbereitender Schriftsätze wie deren Annahme und Zugrundelegung für das weitere Verfahren) von sind nach Abs 4 nicht mit Rekurs anfechtbar, im Senatsprozess allerdings vom Vorsitzenden zu treffen, wogegen Abhilfe beim Senat gesucht werden kann (§ 186). Nach zutreffender Ansicht findet die Regel des § 257 auch auf Inzidenz- 4 verfahren sinngemäß Anwendung (vgl Kodek in Fasching/Konecny III § 257 Rz 43 ff).

1129

§ 258

Rechberger/Klicka Vorbereitende Tagsatzung

§ 258. (1) Die vorbereitende Tagsatzung als Teil der mündlichen Streitverhandlung dient 1. der Entscheidung über die Prozesseinreden, soweit darüber nicht schon nach § 189 Abs 2 abgesondert verhandelt und entschieden wurde, 2. dem Vortrag der Parteien (§§ 177 bis 179), 3. der Erörterung des Sach- und Rechtsvorbringens auch in rechtlicher Hinsicht, 4. der Vornahme eines Vergleichsversuchs sowie bei dessen Scheitern der Erörterung des weiteren Fortgangs des Prozesses und der Bekanntgabe des Prozessprogramms und 5. – soweit zweckmäßig – auch der Einvernahme der Parteien und Durchführung des weiteren Beweisverfahrens. (2) Die Parteien und ihre Vertreter haben dafür zu sorgen, dass in der vorbereitenden Tagsatzung der Sachverhalt und allfällige Vergleichsmöglichkeiten umfassend erörtert werden können. Zu diesem Zweck ist die Partei oder, soweit diese zur Aufklärung des Sachverhalts nicht beitragen kann, eine informierte Person zur Unterstützung des Vertreters stellig zu machen. [ZVN 2002] Lit: Klein, Pro futuro (1891); Schragel, Verfahrenstechnik im Zivilprozeß, RZ 1978,19; Laumen, Das Rechtsgespräch im Zivilprozeß (1983); Hensen, Das Rechtsgespräch im Zivilprozeß, Reimers-FG (1995) 167; Mayr, Rechtsschutzalternativen in der österreichischen Rechtsentwicklung (1995); Roth, Wege zur Prozeßökonomie: Die Reduktion von Verfahrensdauer und Verfahrenskosten im Zivilprozeß, in Gilles, Prozeßrecht an der Jahrtausendwende (1999) 248; dies, Reduction of Duration and Costs of German Civil Litigation, Civil Justice Quarterly 2001, 148; Beran/Klaus/Liebhart/Nigl/Pühringer/Rassi/Roch/Steinhauer, (Franz) Klein, aber fein, RZ 2002, 258, RZ 2003, 2; Frauenberger, Die ZVN 2002 – Neuerungen im Zivilprozessrecht, ÖJZ 2002, 873; Mayr, Der gerichtliche Vergleichsversuch (2002); Roth, Die Verfahrensgarantien der Europäischen Menschenrechtskonvention im Zivilprozeß, BeitrZPR VI (2002) 263; Kodek, Zur Zweiseitigkeit des Rekursverfahrens, ÖJZ 2004, 534, 589; Kodek in Fasching/Konecny III § 258;

1 Die vorbereitende Tagsatzung nach § 258 sollte das Kernstück der ZVN 2002 darstellen (vgl Kodek in Fasching/Konecny III § 258 Rz 1) und vereint die frühere erste Tagsatzung und die früher verbreitete 1130

§ 259

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Beweisbeschlusstagsatzung. Ob das Verfahren überhaupt streitig wird, klärt sich nunmehr durch die einlangende oder nicht erstattete Klagebeantwortung und die erste mündliche Verhandlung kann daher schon eine Sachverhandlung sein. Dies soll zu einer Verfahrensbeschleunigung führen (vgl Abs 1 Z 5, wonach die vorbereitende Tagsatzung – entgegen ihrer Bezeichnung – auch bereits der Durchführung des „weiteren Beweisverfahrens“, besonders der Parteienvernehmung dient). Vor allem soll in der vorbereitenden Tagsatzung über Prozesseinreden entschieden (Abs 1 Z 1), der Parteivortrag erstattet (Abs 1 Z 2), das Sachund Rechtsvorbringen auch in rechtlicher Hinsicht erörtert (Abs 1 Z 3, vgl § 182a), ein Vergleich versucht (Abs 1 Z 4) und der weitere Prozessablauf, insbesondere das Prozessprogramm den Parteien bekannt gegeben werden (Abs 1 Z 4). Wohl wichtigster Akt der vorbereitenden Tagsatzung ist idR das sog 2 „Prozessprogramm“. Es ersetzt den Beweisbeschluss des § 277 aF, wobei strittig ist, ob sich das Prozessprogramm auf eine grobe Skizzierung des Prozessablaufs beschränken kann oder – wie der frühere Beweisbeschluss – die einzelnen Tatsachen und die zu deren Nachweis dienenden Beweismittel im Einzelnen und genau anführen muss (vgl Kodek in Fasching/Konecny III § 258 Rz 22). Jedenfalls kommt dem Prozessprogramm keinerlei Entscheidungsqualität mehr zu, es ist daher – wie der frühere Beweisbeschluss – jederzeit abänderbar, dies nunmehr auch formlos. Nach Abs 2 haben die Parteien dafür zu sorgen, dass die vorbereitende 3 Tagsatzung mit Inhalt ausgefüllt ist und nicht zu einem Formalakt wird. Dazu ist die Partei oder ein informierter Vertreter stellig zu machen. Sanktionen bei Verstößen. Diese finden sich in § 179, dh bei Vorliegen 4 dessen Voraussetzungen kann Vorbringen oder ein Beweisanbot der Partei zurückgewiesen und präkludiert werden. Eine Anwendung der §§ 380, 381 findet hingegen erst statt, wenn die Partei vom Gericht zur Parteienvernehmung geladen wurde (Kodek in Fasching/Konecny III § 258 Rz 37). Fortsetzung der Streitverhandlung § 259. (1) Die Streitverhandlung erfolgt nach den allgemeinen Vorschriften über die mündliche Verhandlung; sie umfaßt auch die Erörterung des Sach- und Rechtsvorbringens, die Beweisaufnahme und die Erörterung ihrer Ergebnisse. 1131

§§ 260–261

Rechberger/Klicka

(2) Während der mündlichen Streitverhandlung kann der Beklagte, ohne der Zustimmung des Klägers zu bedürfen, einen Antrag auf Feststellung im Sinne des § 236 stellen. (3) In der Verhandlung vor dem Einzelrichter eines Landesgerichtes kann der Antrag gestellt werden, in das Urteil einen Beisatz aufzunehmen, daß es in Ausübung der besonderen Gerichtsbarkeit in Handelsrechtssachen, in der Verhandlung vor dem Einzelrichter eines selbständigen Handelsgerichtes, daß es in Ausübung der allgemeinen Gerichtsbarkeit gefällt wird. Der beantragte Beisatz ist in das Urteil aufzunehmen, wenn ihn der Richter für zutreffend erachtet. [Abs 1 idF ZVN 2002; Abs 3 angefügt durch BGBl 1933/554 idF ZVN 1983] Lit: Kodek in Fasching/Konecny III § 259.

1 Abs 1 hat keinen eigenständigen normativen Gehalt. 2 Nach Abs 2 kann auch der Beklagte unter denselben Voraussetzungen wie der Kläger einen Zwischenantrag auf Feststellung nach § 236 stellen (Näheres s § 236 Rz 2 ff).

3 Maßgebend für die Zusammensetzung des Berufungssenates beim OLG (Kausalsenat oder Zivilsenat) ist der auf Antrag vom Einzelrichter eines Gerichtshofes in das Urteil aufzunehmende Beisatz, dass es in Ausübung der Gerichtsbarkeit in Handelsrechtsachen oder der allgemeinen Gerichtsbarkeit gefällt werde (vgl für das bezirksgerichtliche Verfahren § 446). Die Entscheidung über den Antrag ist unanfechtbar, die Zusammensetzung des Berufungssenates aber bleibt für die Parteien noch im Wege eines Antrages nach § 479a (Näheres s § 479a Rz 1) beeinflussbar. § 260. (1) Die Partei, welche eine der im § 239 Abs 3 bezeichneten Einreden erhebt, ist nicht berechtigt, deshalb die Einlassung in die Verhandlung zur Hauptsache zu verweigern. Der Senat kann schon vor Beginn der mündlichen Streitverhandlung die abgesonderte Verhandlung über solche Einreden anordnen; in diesem Falle ist zugleich die Tagsatzung zur Verhandlung über die Einrede von Amts wegen anzuberaumen. (2) In Bezug auf diese Anordnungen gelten die Vorschriften des § 192. (3) Die vorstehenden Bestimmungen haben auch Anwendung zu finden, wenn eine Partei erst während der mündlichen Streitverhandlung das Fehlen der inländischen Gerichtsbarkeit oder der sachlichen oder örtlichen Zuständigkeit, die Unzulässigkeit des Rechts1132

§§ 260–261

2.1 Verfahren bis zum Urteile

weges, die Streitanhängigkeit oder das Vorhandensein einer rechtskräftigen Entscheidung über den Klagsanspruch geltend macht (§ 240). Die Partei kann deshalb nicht die weitere Teilnahme an der Verhandlung zur Hauptsache verweigern. (4) Daß das Gericht nicht den §§ 7 bis 8 JN entsprechend besetzt oder ein nach der Geschäftsverteilung nicht dazu berufener Richter am Verfahren beteiligt ist, kann nicht mehr berücksichtigt werden, wenn sich beide Parteien in die mündliche Streitverhandlung oder die im Abs 1 vorgesehene Verhandlung eingelassen haben, ohne diesen Umstand geltend zu machen. [Abs 1 idF ZVN 2002; Abs 2 Stammfassung; Abs 3 idF WGN 1997; Abs 4 angefügt durch ZVN 1983] § 261. (1) Über die wegen des Fehlens der inländischen Gerichtsbarkeit, wegen der Unzulässigkeit des Rechtsweges, wegen des Fehlens der sachlichen oder örtlichen Zuständigkeit, wegen Streitanhängigkeit oder Rechtskraft vorgebrachten Einreden und Anträge ist nach vorgängiger mündlicher Verhandlung zu entscheiden. Die Entscheidung hat mittels Beschlusses zu erfolgen; wurde jedoch über diese Einreden und Anträge in Verbindung mit der Hauptsache verhandelt, so ist die Entscheidung, womit dieselben abgewiesen werden, nicht besonders auszufertigen, sondern in die über die Hauptsache ergehende Entscheidung aufzunehmen. (2) Wenn die Einrede oder der Antrag zwar bei der mündlichen Streitverhandlung, jedoch auf Grund abgesonderter Verhandlung verworfen wird, so kann der Senat nach Verkündung des Beschlusses auf Antrag oder von Amts wegen anordnen, daß die Verhandlung zur Hauptsache sogleich aufgenommen werde. In diesem Falle ist die verkündete Entscheidung über die inländische Gerichtsbarkeit, die Zulässigkeit des Rechtsweges, die sachliche oder örtliche Zuständigkeit, die Streitanhängigkeit oder die Rechtskraft nicht besonders auszufertigen, sondern gleichfalls in die Entscheidung aufzunehmen, welche in der Hauptsache gefällt wird. Gegen die wegen Aufnahme der Verhandlung zur Hauptsache ergehende Anordnung ist ein Rechtsmittel nicht zulässig. (3) Sofern der Ausspruch über die inländische Gerichtsbarkeit, die Zulässigkeit des Rechtsweges, die sachliche oder örtliche Zuständigkeit, die Streitanhängigkeit oder die Rechtskraft in die über die Hauptsache ergehende Entscheidung aufgenommen wird, kann derselbe nur mittels des gegen die Entscheidung in der Hauptsache offen stehenden Rechtsmittels angefochten werden. (4) Wenn eine der obgedachten Einreden oder Anträge durch eine abgesonderte Entscheidung abgewiesen wird, ohne daß sogleich 1133

§§ 260–261

Rechberger/Klicka

zur Verhandlung der Hauptsache übergegangen würde, kann jede Partei nach Rechtskraft des Beschlusses die Anberaumung einer Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung in der Hauptsache beantragen. (5) Die vorstehenden Bestimmungen haben auch Anwendung zu finden, wenn der Senat die Frage der inländischen Gerichtsbarkeit, der Zulässigkeit des Rechtsweges, der Streitanhängigkeit oder der Rechtskraft einer über den Klagsanspruch ergangenen Entscheidung von Amts wegen aufwirft und zum Gegenstande der mündlichen Verhandlung macht. (6) Wenn der Beklagte das Fehlen der sachlichen oder örtlichen Zuständigkeit einwendet oder das Gericht seine Zuständigkeit von Amts wegen prüft, kann der Kläger den Antrag stellen, daß das Gericht für den Fall, daß es seine Unzuständigkeit ausspricht, die Klage an das vom Kläger namhaft gemachte Gericht überweise. Diesem Antrage hat das Gericht stattzugeben, wenn es das andere Gericht nicht für offenbar unzuständig erachtet. Die Überweisung ist mit dem Beschlusse über die Unzuständigkeit zu verbinden. Über den Antrag kann auch bei der ersten Tagsatzung entschieden werden. Gegen diesen Beschluß ist mit Ausnahme der Entscheidung über die Kosten des Zuständigkeitsstreites ein Rechtsmittel nicht zulässig. Die Streitanhängigkeit wird durch diese Überweisung nicht aufgehoben. Die neue Verhandlung ist mit Benützung des über die erste Verhandlung aufgenommenen Verhandlungsprotokolles und aller sonstiger Prozeßakten durchzuführen und im Sinne des § 138 einzuleiten. Die Einrede des Fehlens der inländischen Gerichtsbarkeit oder der sachlichen oder örtlichen Zuständigkeit kann der Beklagte bei dieser Verhandlung nur erheben, bevor er sich in die Verhandlung über die Hauptsache einläßt, und nicht auf Gründe stützen, die mit seinen früheren Behauptungen in Widerspruch stehen. [Abs 1 bis Abs 3 und Abs 5 idF WGN 1997; Abs 4 Stammfassung; Abs 6 angefügt durch (1.) GEN idF ZVN 2002] Lit: J. Pichler, Ein Problem des § 261 ZPO, ÖJZ 1967, 37; Ballon, Die Rechtsprechung in Zuständigkeitsfragen, FS Fasching (1988) 55; Burgstaller/Neumayr, Die grenzüberschreitende Überweisung in der Europäischen Union, RZ 2003, 242; Schimanko, Die Geltendmachung von Verstößen gegen die Geschäftsverteilung und ihrer Mängel nach Streiteinlassung, ÖJZ 2003, 361). Kodek in Fasching/Konecny III § 260, § 261; Holzhammer 207; Fasching Rz 225 f, 732, 1365 f; Bajons Rz 87 f; Ballon Rz 74 ff; Rechberger/ Simotta Rz 375 ff. 1134

§§ 260–261

2.1 Verfahren bis zum Urteile Inhaltsübersicht

Erledigung der „qualifizierten“ Prozesseinreden (§ 260 Abs 1 bis 3 und § 261) 1–6 Überweisung an das nicht offenbar unzuständige Gericht (§ 261 Abs 6) 7–14 Heilung von Besetzungsmängeln (§ 260 Abs 4) 15–18 § 260 Abs 1 bis 3 und § 261 behandeln die Erledigung der „qualifizier- 1 ten“ Prozesseinreden des § 239 Abs 3, zu deren Anmeldung nach dieser Bestimmung die Klagebeantwortung bestimmt ist (vgl zu diesen Prozesseinreden weiters § 240). Die Vorgangsweise, die das Gesetz bei diesen Prozesseinreden vorsieht, gilt bei Geltendmachung eines jeden Prozessvoraussetzungsmangels; sie ist auch dann einzuhalten, wenn der Prozessvoraussetzungsmangel von Amts wegen aufgeworfen wird (§ 261 Abs 5). Das Gesetz stellt folgende Grundsätze auf: 2 a) Die Erhebung einer Prozesseinrede berechtigt die Partei nicht, deshalb die Einlassung in die Verhandlung zur Hauptsache, bzw bei späterer Erhebung die weitere Teilnahme an der Verhandlung zur Hauptsache zu verweigern (§ 260 Abs 1 und 3). b) Über die Prozesseinrede muss mündlich verhandelt werden (§ 261 3 Abs 1); dies kann abgesondert (und schon vor Beginn der mündlichen Streitverhandlung) erfolgen (§ 260 Abs 1) oder in Verbindung mit der Hauptsache (§ 261 Abs 1 [s Vor § 226 Rz 6]). Nach gängiger Praxis (vgl Kodek in Fasching/Konecny III § 261 Rz 125) soll eine mündliche Verhandlung entbehrlich sein, wenn sich der Kläger der Unzuständigkeitseinrede unterwirft. Die Anordnung einer abgesonderten Verhandlung ist unanfechtbar (§ 192 Abs 2; für die Unzuständigkeitseinrede: RZ 1976/43). c) Wird der Prozesseinrede nicht stattgegeben (in der Praxis „ver- 4 worfen“), so darf darüber nur dann ein selbständig anfechtbarer Beschluss ergehen, wenn abgesondert verhandelt und die Verhandlung zur Hauptsache nicht sogleich aufgenommen wurde (§ 261 Abs 2; JBl 1999, 256 [Fischer]), andernfalls ist die Entscheidung in die Entscheidung über die Hauptsache aufzunehmen (Kodek in Fasching/Konecny III § 261 Rz 57). Wurde der Beschluss in die Entscheidung über die Hauptsache aufgenommen, kann er nach hM entweder in der Berufung gegen die Entscheidung in der Hauptsache (§ 261 Abs 3) oder (bei Nichtanfechtung der Hauptsache) für sich allein mit Rekurs angefochten werden 1135

§§ 260–261

Rechberger/Klicka

(SpR 192 = AmtlSlgNF 910 = GlUNF 3448; Holzhammer 208; aA Fasching Rz 1366, nach dem immer nur Berufung möglich sein soll; gegen die hM und für die Berufung nunmehr auch überzeugend Kodek in Fasching/Konecny III § 261 Rz 80). Ein abgesondert von der Berufung eingebrachter Rekurs soll in diesem Fall nach SZ 39/26 unzulässig sein – eine unangemessen strenge Auffassung (im Gegensatz dazu bleibt zB nach RZ 1988, 13 ein binnen 14 Tagen eingebrachter Kostenrekurs auch dann zulässig, wenn danach – rechtzeitig – Berufung erhoben wird); bei gleichzeitiger Erhebung von Berufung und Rekurs behandelt die Rsp (EvBl 1965/205 = JBl 1965, 521; MietSlg 28.597; JBl 1979, 373) den Rekurs als falsch bezeichneten Teil der Berufung. Dasselbe gilt, wenn der Beschluss zwar mündlich verkündet, aber dann sofort in die Verhandlung in der Hauptsache eingegangen wird. Wird der Beschluss entgegen § 261 Abs 1 oder 2 unzulässigerweise ausgefertigt und zugestellt, ist er trotzdem nicht abgesondert anfechtbar (EvBl 1956/219 = JBl 1956, 530 = RZ 1956, 125; EvBl 1967/408 = Arb 8401; EvBl 1986/20 = RZ 1986/22).

5 d) Wird der Prozesseinrede stattgegeben und die Klage zurückgewiesen, bestehen keinerlei Beschränkungen für den Rekurs.

6 e) Für alle Rekurse gelten die §§ 521 Abs 1 und 521a Abs 1 Z 3. 7 Mit der Einfügung der Bestimmung des § 261 Abs 6 hat die (1.) GEN erstmals den strengen Grundsatz des § 43 Abs 1 JN (Zurückweisung der Klage wegen Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes) aufgelockert, um dem Kläger allfällige missliche Konsequenzen der Zurückweisung zu ersparen (die Streitanhängigkeit bleibt erhalten und insbesondere hat die Einklagung bei einem unzuständigen Gericht keine Auswirkungen auf die Unterbrechung der Verjährung durch Klageerhebung nach § 1497 ABGB). Der Antrag setzt voraus, dass die Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes entweder durch Einrede des Beklagten oder von Amts wegen in Frage gestellt worden ist.

8 In der mündlichen Streitverhandlung hat der Richter Bedenken gegen seine Zuständigkeit immer zu erörtern und auch rechtskundig vertretene Parteien auf die Möglichkeit des Überweisungsantrages hinzuweisen (EvBl 1987/69 = JBl 1986, 529 = RZ 1986/61 [zust Ballon, FS Fasching 59]; SZ 68/38; aA die hM für auf die Zuständigkeitsfrage beschränkte Verhandlung: RdW 2002/214; JBl 1995, 183; Kodek in Fasching/Konecny III § 261 Rz 131).

9 Der Kläger kann nach Abs 6 beantragen, die Klage für den Fall (Eventualantrag), dass sich das Gericht für sachlich oder örtlich unzuständig 1136

§§ 260–261

2.1 Verfahren bis zum Urteile

erklärt (nicht jedoch für den Fall internationaler Unzuständigkeit, Kodek in Fasching/Konecny III § 261 Rz 198), an das von ihm namhaft gemachte, nicht offenbar unzuständige Gericht zu überweisen; der Antrag muss bestimmt (Nennung des zuständigen Gerichtes), deutlich und vorbehaltlos (ohne Vorbehalt der Rechtskraft der Zuständigkeitsentscheidung) sein (SZ 31/62; EvBl 1958/278; JBl 1997, 326 = EvBl 1997/73). Der Kläger kann aber für den Fall der Unzuständigkeit des erstgenannten Gerichtes (eventualiter) auch noch ein zweites Gericht anführen (EvBl 1974/289 = RZ 1974/89; Kodek in Fasching/Konecny III § 261 Rz 112). Der Antrag kann bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung über die Unzuständigkeitsrede gestellt werden (JBl 1958, 20; RZ 1996/44); im Rekurs gegen einen Zurückweisungsbeschluss kann er nicht mehr nachgetragen werden (LGZ Wien Arb 8235 und WR 94); nach Rechtskraft des die Klage zurückweisenden Beschlusses ist der Überweisungsantrag jedenfalls unzulässig (SZ 33/138). Eine Überweisung nach Abs 6 kommt nur für das Inland in Betracht, für eine Überweisung (dt. Terminologie „Verweisung“) besteht derzeit keine Rechtsgrundlage, da Abs 6 nur sachliche und örtliche – nicht aber internationale – Unzuständigkeiten erfasst. Gleiches gilt für Überweisungen aus dem Ausland, sollten solche von einem ausländischen Gericht an ein österreichisches Gericht ausgesprochen werden (Kodek in Fasching/ Konecny III § 261 Rz 198, 202). Das Gericht hat sich ausdrücklich für unzuständig zu erklären (nach 10 RZ 1970, 18 genügt es jedoch, wenn aus der Begründung des Überweisungsbeschlusses die Annahme der Unzuständigkeit und die Absicht eines solchen Ausspruches zu schließen ist) und im selben Beschluss die Klage an das vom Kläger namhaft gemachte nicht offenbar unzuständige (summarische Prüfung) Gericht zu überweisen. Erscheint ihm das namhaft gemachte Gericht gleichfalls (offenbar) unzuständig, ist der Überweisungsantrag abzuweisen (nach OLG Wien WR 64 ebenso wie die Klage zurückzuweisen). Der (dem Überweisungsantrag stattgebende, nicht der eine Überwei- 11 sung ablehnende) Überweisungsbeschluss ist außer im Kostenpunkt unanfechtbar (auch wenn er vom Rekursgericht gefasst wurde: Arb 6543; Arb 7141; EvBl 1963/55). Dieser Rechtsmittelausschluss gilt auch dann, wenn der Beschluss ohne mündliche Verhandlung gefasst wurde (SZ 43/18; RZ 1971, 159; EvBl 1968/307; SZ 44/36; JBl 1979, 547; MietSlg 31.696 = RZ 1981/2; RZ 1996/44; SZ 68/38). – Wird der Überweisungsantrag hingegen ohne mündliche Verhandlung ab- und die Klage wegen Unzuständigkeit zurückgewiesen, bewirkt dies Nichtigkeit (OLG Wien WR 65). – Der Rechtsmittelausschluss gilt nach hM 1137

§§ 260–261

Rechberger/Klicka

nur dann nicht, wenn eine ausdrücklich gegen § 261 Abs 6 verstoßende Überweisung ausgesprochen wurde (Kodek in Fasching/Konecny III § 261 Rz 173), etwa die Überweisung ohne gesetzliche Grundlage erfolgt ist (weil der Kläger gar keinen [wirksamen] Überweisungsantrag gestellt hat: LGZ Wien MietSlg 29.627; EvBl 1981/220 = Arb 9964; 1 Ob 2054/96g; JBl 1997, 326 = EvBl 1997/73; weil der Beklagte keine wirksame Unzuständigkeitseinrede erhoben hat: JBl 1999, 255; weil an ein Gericht überwiesen wurde, das der Kläger gar nicht bezeichnet hatte: RZ 1969, 190; EvBl 1974/289 = RZ 1974/89; wenn die Überweisung gegen die Bindungswirkung einer Zuständigkeitsentscheidung verstößt: EvBl 1966/199 = Arb 8188; wenn das Gericht eine bereits geheilte Unzuständigkeit aufgegriffen hat: SZ 43/212; Kodek in Fasching/Konecny III § 261 Rz 173). In diesen Fällen ist das Rekursverfahren analog zu § 521a Abs 1 Z 3 zweiseitig (JBl 1997, 326 = EvBl 1997/73). Vgl auch § 230a Rz 3.

12 Beim Adressatgericht wird das Verfahren dort fortgesetzt, wo es beim Überweisungsgericht aufgehört hat. Die Überweisung bezweckt die Kontinuität des einmal eingeleiteten Rechtsstreites (RZ 1967, 15), das Verfahren bildet eine Einheit: Gerichts- und Streitanhängigkeit bleiben aufrecht, die bisherigen Verfahrensergebnisse und Prozessakten sind zu verwerten; § 138 ist anzuwenden. Befristete, aber beim zunächst angerufenen Gericht versäumte Einreden können nicht nachgeholt werden (SZ 38/94). Die vom unzuständigen Gericht angeordneten und vollzogenen Sicherungshandlungen bleiben aufrecht (SZ 25/309 = JBl 1953, 133 = Arb 5567; über einen Widerspruch gegen eine von ihm erlassene einstweilige Verfügung hat aber auch nach Überweisung das überweisende Gericht zu entscheiden: EvBl 1980/32 = ÖBl 1980, 20; auch die Sanierung der mangelhaften Zustellung der Klage ist noch nach Überweisung durch das überweisende Gericht zu bewirken: LGZ Wien Arb 8237).

13 Das Adressatgericht ist an die Überweisung und den Unzuständigkeitsausspruch des Überweisungsgerichtes insoweit gebunden, als es sich nicht mit der Begründung für unzuständig erklären kann, dass doch das Überweisungsgericht zuständig sei (ausdrücklich § 38 Abs 4 zweiter Hs ASGG für die örtliche Unzuständigkeit). Da der in § 43 Abs 1 JN genannte Zeitpunkt vorüber ist, kann es von Amts wegen überhaupt nur mehr seine unprorogable Unzuständigkeit aufgreifen (Kodek in Fasching/Konecny III § 261 Rz 178; LGZ Wien MietSlg 29.628; OLG Wien MietSlg 34.743; JBl 1988, 386 [zust P. Böhm]; SZ 47/101 = JBl 1975, 385). Der Beklagte kann vor dem Adressatgericht, bevor er sich in die Verhandlung über die Hauptsache einlässt, zwar eine (neuerliche) Un1138

§§ 260–261

2.1 Verfahren bis zum Urteile

zuständigkeitseinrede erheben (diese kann sich sowohl auf unprorogable als auch prorogable Unzuständigkeit des Adressatgerichts stützten, weil anlässlich der Überweisung nur eine summmarische Grobprüfung der Zuständigkeit des Adressatgerichts stattfand), darf sie aber nicht auf Gründe stützen, die mit seinen früheren Behauptungen in Widerspruch stehen (§ 261 Abs 6 letzter Satz). Überdies ist die perpetuatio fori nach § 29 JN in dem Sinn anzuwenden, dass es auf die Anhängigkeit der Klage beim überweisenden Gericht ankommt, weil die Anhängigkeit der Sache durch die Überweisung nicht aufgehoben wird. Wenn es um die sachliche Zuständigkeit geht, ist zu beachten, dass nach § 46 Abs 1 JN der rechtskräftige Beschluss über die sachliche Unzuständigkeit eines Gerichtes jedes andere Gericht bindet (s § 46 JN Rz 1), während das Adressatgericht nach § 38 Abs 4 ASGG an den rechtskräftigen Ausspruch über die sachliche Zuständigkeit gebunden ist. Kosten des Unzuständigkeitsstreites können nur insoweit zugespro- 14 chen werden, als sie durch die Geltendmachung und Erörterung der Unzuständigkeit veranlasst wurden (OLG Wien EvBl 1951/472, EvBl 1953/145; LGZ Wien NBlRA 1954, 95, NBlRA 1958, 42, MietSlg 31.697, EFSlg 52.172). Wurde die Unzuständigkeitseinrede jedoch gemeinsam mit der Hauptsache erörtert, ist der sofortige Kostenzuspruch im Überweisungsbeschluss gesetzwidrig (LGZ Wien MietSlg 32.688). Der Beklagte hat auch dann Anspruch auf Kostenersatz, wenn die Zuständigkeitsfrage von Amts wegen aufgerollt wurde (OLG Wien MietSlg 32.687). Die Heilung von Besetzungsmängeln. Nach § 260 Abs 4 kann der 15 Nichtigkeitsgrund der falschen Gerichtsbesetzung (§ 477 Abs 1 Z 2) und ein Verstoß gegen die feste Geschäftsverteilung nicht mehr geltend gemacht oder von Amts wegen aufgegriffen werden, wenn sich beide Parteien in der Hauptsache oder in die abgesonderte Verhandlung über eine Einrede gem § 260 Abs 1 eingelassen haben, ohne den Mangel zu rügen (beide Mängel werden daher als relative Nichtigkeitsgründe bezeichnet: Fasching Rz 143; Ballon Rz 86). Damit sollen Wertungswidersprüche zur Heilung der Unzuständigkeit vermieden werden. Durch die Gleichbehandlung mit dem eigentlichen Besetzungsmangel 16 ist der in der ZPO sonst nirgends erwähnte Verstoß gegen die feste Geschäftsverteilung vom Gesetz gleichfalls als Nichtigkeitsgrund iS des § 477 Abs 1 Z 2 qualifiziert worden (so auch Fasching Rz 143); daraus ergibt sich auch die Einordnung des Einhaltens der Geschäftsverteilung 1139

§§ 260–261

Rechberger/Klicka

als relative Prozessvoraussetzung (vgl Vor § 226 Rz 12; Fasching Rz 727). Zum Verfassungsprinzip der festen Geschäftsverteilung (Art 87 Abs 3 B-VG) vgl Näheres bei Fasching (Rz 142).

17 § 260 Abs 4 ist auch im Berufungsverfahren anzuwenden. Die unrichtige Besetzung des Berufungssenates begründet daher immer dann die Nichtigkeit der Berufungsentscheidung, wenn keine mündliche Berufungsverhandlung stattgefunden hat, weil die Parteien diesfalls keine Gelegenheit hatten, den Besetzungsmangel zu rügen (SSV-NF 1/31). Diese Nichtigkeit bleibt aber eine relative, die ohne Geltendmachung in der Revision nicht wahrgenommen werden kann (RdW 1999, 660). Ergeht im Berufungsverfahren ein Beschluss über die Gerichtsbesetzung oder Geschäftsverteilungsfrage, so greift der Rechtsmittelausschluss des § 519 ein.

18 § 260 Abs 4 ist über § 37 Abs 1 ASGG bei Verstößen gegen die §§ 11 und 12 ASGG mit folgenden Modifikationen auch im arbeits- und sozialgerichtlichen Verfahren sinngemäß anzuwenden: Die Parteien müssen zur Zeit des Verstoßes qualifiziert (§ 40 Abs 1 ASGG) vertreten gewesen sein. Verstöße gegen § 12 Abs 2, 3 erster Halbsatz oder 4 bis 6 ASGG (Auswahl der Laienrichter) können nicht geltend gemacht werden (bloße Ordnungswidrigkeit). Wird die Richtigkeit der Gerichtsbesetzung bezweifelt, so ist ein Beschluss darüber zu fassen, in welcher Besetzung das Verfahren fortzusetzen ist (§ 37 Abs 3 ASGG). Nach der Jud und einem Teil der Lehre heilen auch solche Besetzungsmängel, bei denen der erkennende Senat zahlenmäßig falsch besetzt ist (Kodek in Fasching/Konecny III § 260 Rz 22; Kuderna, ASGG 171; zB in erster Instanz nur ein Berufs- und ein Laienrichter: DRdA 1989/22 [zust Fink] = ARD 4093/19/89; im Berufungsverfahren nur drei Berufs- und ein Laienrichter: SSV-NF 4/35). Mag dies auch mit dem Gesetzeswortlaut in Einklang stehen, so ist doch fraglich, ob nach der ratio der Heilungsbestimmung auch eine solche „unrichtige“ Besetzung toleriert werden soll, die es von Gesetzes wegen gar nicht gibt. Nach Fasching kann die unrichtige Gerichtsbesetzung immer nur dann heilen, wenn die Mitgliederzahl des entscheidenden Spruchkörpers überhaupt im Gesetz vorgesehen ist; andernfalls nimmt Fasching sogar eine Nichtentscheidung an (Fasching Rz 1577, 1758; aA Rechberger, Exekution 34; vgl dazu § 477 Rz 5). Da auch das Verhältnis zwischen den Arbeits- und Sozialsenaten eines Gerichtshofes zu den anderen Senaten desselben Gerichtshofs gem § 37 Abs 1 ASGG als Frage der unrichtigen Gerichtsbesetzung gilt, bildet ein diesbezüglicher Fehler ebenfalls nur bei rechtzeitiger Rüge einen Nichtigkeitsgrund (wbl 1992, 195). 1140

§ 265

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Nach hM (vgl Kodek in Fasching/Konecny III § 260 Rz 41, 66 ff) ist die Rechtsmittelbeschränkung des § 45 JN auf Verstöße gegen die Besetzung oder Geschäftsverteilung analog anzuwenden). §§ 262 bis 264. Aufgehoben durch ZVN 1983 (hier war die Verwertung der Ergebnisse des vorbereitenden Verfahrens in der mündlichen Streitverhandlung geregelt) Feststellungen zu Protokoll § 265. (1) Der Vorsitzende kann anordnen, daß Anträge und Erklärungen, die zufolge §§ 208 und 209 in das Verhandlungsprotokoll aufzunehmen sind, von der Partei, welche den Antrag gestellt oder die Erklärung abgegeben hat, niedergeschrieben und dem Vorsitzenden übergeben werden. Den Parteien kann auch dann, wenn die Vorlage einer Niederschrift vom Vorsitzenden nicht angeordnet wurde, auf Antrag gestattet werden, die obenbezeichneten Anträge und Erklärungen durch die Überreichung kurzer Niederschriften festzustellen. (2) Die Niederschrift hat sogleich bei der mündlichen Verhandlung zu geschehen. Die dem Vorsitzenden überreichten Schriftstücke sind dem Verhandlungsprotokolle als Anlagen beizufügen. (3) Die angeordneten oder zugelassenen schriftlichen Feststellungen sind vorzulesen; über deren Richtigkeit entscheidet der Senat. (4) Der Beschluß, durch welchen solche schriftliche Feststellung angeordnet oder zugelassen wird, sowie die über die Richtigkeit einer schriftlichen Feststellung ergehende Entscheidung kann durch ein Rechtsmittel nicht angefochten werden. [Stammfassung] Lit: Schneider, Das Bagatellverfahren im österreichischen Recht (2001); Kodek in Fasching/Konecny III § 265. Die hier ermöglichten Protokollierungserleichterungen bedeuten eine 1 Ausnahme von der Protokollierungsverpflichtung des § 210 Abs 2. Ähnliche Bestimmungen finden sich in den §§ 196 Abs 3, 208 Z 2, 212 Abs 3. Zu den Anträgen und Erklärungen nach §§ 208 und 209 vgl dort Näheres. Im bezirksgerichtlichen Verfahren kann der Auftrag nur einer Partei erteilt werden, die durch einen Rechtsanwalt vertreten ist (§ 440 Abs 5). Praktisch hat § 265 heute infolge der üblichen Tonbandprotokollierung so gut wie keine Bedeutung mehr. 1141

Vor § 266

Rechberger

2 Die Niederschrift der Anträge und Erklärungen kann vom Richter (Vorsitzenden) von Amts wegen angeordnet oder den Parteien auf Antrag gestattet werden; sie muss in der Verhandlung selbst erfolgen.

3 Die Abgrenzung zwischen der zulässigen Niederschrift iS des § 265 und der Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 8 begründenden Beibringung von Entwürfen zu den Verhandlungsprotokollen ist schwierig; das Problem spielt in der jüngeren Praxis aber kaum eine Rolle. Nach JBl 1965, 213 begründet es jedenfalls keine Nichtigkeit, wenn eine Sachverhaltsdarstellung mit Schriftsatz zum Akt gebracht wurde und der Kläger erklärt, sie zum Inhalt seiner Parteiaussage machen zu wollen. Nach SZ 41/142 steht nicht jeder Verstoß gegen die Protokollierungsvorschriften unter Nichtigkeitssanktion, sondern es kommt darauf an, ob Mündlichkeit und Unmittelbarkeit beeinträchtigt wurden.

Zweiter Titel Allgemeine Bestimmungen über den Beweis und die Beweisaufnahme Vor § 266 Lit: R. Kralik, Zur Beweiswürdigung im zivilgerichtlichen Verfahren, ÖJZ 1954, 157; Rosenberg, Die Beweislast5 (1965); Leipold, Beweislastregeln und gesetzliche Vermutungen (1966); Dolinar, Bemerkungen zum Prima-Facie-Beweis, ÖJZ 1968, 431; Gerhardt, Beweisvereitelung im Zivilprozeß, AcP 169 (1969) 289; E. Schneider, Die Beweisvereitelung, MDR 1969, 4; Peters, Beweisvereitelung und Mitwirkungspflicht des Beweisgegners, ZZP 82 (1969) 200; Rechberger, Der Anscheinsbeweis in der österreichischen Judikatur, ÖJZ 1972, 425, 457; ders, Die Überprüfung von Erfahrungssätzen in der Revisionsinstanz, ÖJZ 1974, 113; Seiler, Die Beweisverbote im Strafprozeß, JBl 1974, 57, 123; Heil, Die Beweislast des Wechselinhabers, RZ 1976, 213; Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses (1976); Musielak, Das Överviktsprincip. Zum Verhältnis von richterlicher Überzeugung und Wahrscheinlichkeit, FS Kegel (1977) 451; Gottwald, Schadenszurechnung und Schadensschätzung (1979) 214; G. Walter, Freie Beweiswürdigung (1979); M. Huber, Das Beweismaß im Zivilprozeß (1983); Motsch, Vom rechtsgenügenden Beweis (1983); Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast (1983); Musielak/Stadler, Grundfragen des Beweisrechts (1984); Holzhammer, Der Beweisgegenstand im Zivilprozeß, FS Wohlgenannt (1985) 383; Leipold, Beweismaß und Beweislast im Zivilprozeß (1985); Baumgärtel, Die Beweisvereitelung im Zivilprozeß, FS Kralik (1986) 63; G. Kodek, 1142

Vor § 266

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Rechtswidrig erlangte Beweismittel im Zivilprozeß (1987); Bajons, Beweiswiederholung und Verfahrensergänzung in der Berufungsinstanz, FS Fasching (1988) 19; Baumgärtel, Die Auswirkungen von Parteivereinbarungen auf die Beweislast, FS Fasching 67; P. Böhm, Die Rechtsschutzformen im Spannungsfeld von lex fori und lex causae, FS Fasching 107; Fucik, Das Beweismaß im Zivilprozeß, RZ 1988, 122; Holzhammer, Das zivilrichterliche Ermessen, FS Fasching (1988) 227; W. Kralik, Die Verwirklichung der Ideen Franz Kleins in der Zivilprozeßordnung von 1895, in Hofmeister (Hrsg), Forschungsband Franz Klein (1988) 89; Schwab, Das Beweismaß im Zivilprozeß, FS Fasching (1988) 451; Binder, Zur Beweislast bei Vertragsverletzung, JBl 1990, 814; Fucik, Die objektive Beweislast – Besonders im Haftpflichtprozeß, RZ 1990, 54; Rechberger, Maß für Maß im Zivilprozeß? Ein Beitrag zur Beweismaßdiskussion, FS Baumgärtel (1990) 471; Baumgärtel und Kargados (zum Beweismaß) in Habscheid/Beys (Hrsg), Grundfragen des Zivilprozeßrechts – die internationale Dimension (1991) 541; Klicka, Grundfragen der Beweislastverteilung im Zivilprozeß, JAP 1991/92, 83; Delle-Karth, Die Mangelhaftigkeit des Verfahrens im Berufungssystem des österreichischen Zivilprozeßrechts, ÖJZ 1993,10; Hoyer, Exzindierungsklage, Beweislast und Kostenersatzpflicht, FS Matscher (1993) 207; Simotta, Einige Probleme des Datenschutzes im Zivilverfahrensrecht, ÖJZ 1993, 793, 838; dies, Datenschutz und Zivilverfahrensrecht in Österreich, ZZP 106 (1993) 469; Müller, Der Plausibilitätsgedanke in der Rechtsprechung, FS Schambeck (1994) 61; E. Schneider, Beweis und Beweiswürdigung5 (1994); Klicka, Die Beweislastverteilung bei der Exszindierungsklage, JBl 1995, 573; ders, Die Beweislastverteilung im Zivilverfahrensrecht (1995); Baumgärtel, Das Verhältnis von Beweislastumkehr und Umkehr der konkreten Beweisführungslast im deutschen Zivilprozeß, FS Nakamura (1996) 41; Feitzinger, Der Beweis im Zivilprozeß Österreichs (ein Abriß), in Frank (Hrsg), Der Beweis im Zivil- und Strafprozeß der Bundesrepublik Deutschland, Österreichs und der Schweiz (1996) 35; Leipold, Wahrheit und Beweis im Zivilprozeß, FS Nakamura (1996) 301; Motsch, Einige Bemerkungen zum Beweisrecht unter der Ägide von Egon Schneider, FS Schneider (1997) 129; Paulus, Die Beweisvereitelung in der Struktur des deutschen Zivilprozesses, AcP 197 (1997) 136; Rechberger, Zur prozessualen Waffengleichheit im Arzthaftungsprozeß, FS Tomandl (1998) 649; Aistleitner, Gesucht: Die Wahrheit – Glanz und Elend richterlicher Beweiswürdigung, ZUV 1999, 8; Albert, Der Anscheinsbeweis im Sozialgerichtsverfahren, DRdA 2000, 488; Gottwald, Das flexible Beweismaß im englischen und deutschen Zivilprozeß, FS Henrich (2000) 165; Oberhammer, Parteiaussage, Parteienvernehmung und freie Beweiswürdigung am Ende des 20. Jahrhunderts, ZZP 113 (2000) 295; Schumacher, Richterliche Anleitungspflichten (2000); G. Kodek, Die Verwertung rechtswidrig erlang1143

Vor § 266

Rechberger

ter Tonbandaufnahmen und Abhörergebnisse im Zivilverfahren. Zugleich ein Beitrag zur Verwertung rechtswidrig erlangter Beweismittel, ÖJZ 2001, 281, 334; Bienert-Nießl, Materiellrechtliche Auskunftspflichten im Zivilprozess (2003); Graf/Schöberl, Beweisverwertungsverbote im Arbeitsrecht? ZAS 2004, 172; Heinrich, Zur Funktion der Beweislastnormen, FS Musielak (2004) 231; Kucsko, Die Beweis-/Bescheinigungslast bei Verfahrenspatenten, ÖBl 2004/2; G. Kodek, Zur Verwertbarkeit heimlicher Vaterschaftstests, ecolex 2005, 108; A. Lehner, Die Beweislastverteilung bei der GmbH-Geschäftsführerhaftung, GesRZ 2005, 128; Schöberl, Beweis des Gegenteils und Schutz der Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse dargestellt am Beispiel des § 155 PatG, ÖJZ 2005/17; Brinkmann, Die Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweismittel im Zivilprozess aus der Perspektive des Schadensrechts, AcP 206 (2006) 746; Rechberger/McGuire, Die Umsetzung der EuBewVO im österreichischen Zivilprozessrecht, ZZPInt 10 (2005) 81. Rechberger in Fasching/Konecny III Vor § 266; Bajons Rz 136 ff; Ballon Rz 215 ff; Deixler-Hübner/Klicka Rz 13, 160 ff; Fasching Rz 799 ff; Holzhammer 237 ff; Holzhammer, PraktZPR 268 ff; Rechberger/Simotta Rz 578 ff. Inhaltsübersicht Beweiswürdigung und Ermessen Beweismaß Behauptungslast Beweislast Beweisgegenstand Beweisrichtung Mittelbare Beweise Indizienbeweis

1–3 4–6 7 8–13 14–16 17–19 20 21

Anscheinsbeweis Beweisverbot Beweisbedürftigkeit Beweisaufnahme Grundsätze der Beweisaufnahme Gang des Beweisverfahrens

22 23–24 25–26 27–28 29–32 33

1 Der zentrale Grundsatz innerhalb der „Allgemeinen Bestimmungen über den Beweis und die Beweisaufnahme“ ist jener der freien Beweiswürdigung: Der Richter soll nach freier Überzeugung beurteilen, „ob eine tatsächliche Angabe für wahr zu halten sei oder nicht“ (§ 272 Abs 1). Damit erteilt das Gesetz der gebundenen Beweiswürdigung durch gesetzliche Beweisregeln eine Absage. Solche Beweisregeln finden sich in der ZPO nur mehr ausnahmsweise: Vgl § 215 über die Beweiskraft des Protokolls und §§ 292 bis 296 über die Beweiskraft der Urkunden. Näheres bei § 272.

2 Eine noch größere Freiheit räumt das Gesetz dem Richter in den Fällen des § 273 ein, in denen es grundsätzlich in das (gebundene) Ermessen 1144

Vor § 266

2.1 Verfahren bis zum Urteile

des Richters gelegt ist, auf eine Beweisaufnahme wegen des zu hohen Aufwandes zu verzichten und nach freier Überzeugung zu entscheiden. Näheres bei § 273. Das (nur selten freie) Ermessen unterscheidet sich von der freien Be- 3 weiswürdigung dadurch, dass das Gesetz dem Richter dabei einen Entschließungsspielraum einräumt, einen Rechtsakt vorzunehmen oder zu unterlassen oder zwischen mehreren Rechtsakten zu wählen. Je nachdem, ob der Spielraum die materielle oder die prozessuale Rechtslage betrifft, unterscheidet man zwischen a) Entscheidungsermessen und b) Verfahrensermessen. Während dem Richter (materielles) Entscheidungsermessen fast ausschließlich in Außerstreitsachen eingeräumt ist (vgl zB § 83 Abs 1 EheG), kommt Verfahrensermessen in jeder Verfahrensart und viel öfter vor (vgl in der ZPO §§ 48 Abs 1, 273, 408 Abs 3). Bei ersterem wird die Entscheidung nach Billigkeitserwägungen, beim Verfahrensermessen nach Zweckmäßigkeitserwägungen getroffen. Vgl dazu ausführlich Holzhammer, FS Fasching 227 ff. Der Ermessensspielraum des Richters ist stets beschränkt: Regelmäßig liegt a) gebundenes Ermessen vor, bei dem gesetzliche Ermessensrichtlinien (sowie allgemeine Rechtsgrundsätze) den Spielraum einengen; selten räumt das Gesetz dem Richter b) freies Ermessen ein, bei dessen Anwendung die allgemeinen Wertungen des Gesetzes zu beachten sind. Bei jeder Ermessensausübung können dem Richter Ermessensfehler unterlaufen: Die Ermessensüberschreitung bedeutet die Verletzung des gesetzlichen Ermessensrahmens oder überhaupt eine Ermessensanmaßung; beim Ermessensmissbrauch werden die gesetzlichen Wertmaßstäbe außer Acht gelassen. Diese Ermessensfehler sind beim Entscheidungsermessen grundsätzlich als unrichtige rechtliche Beurteilung zu rügen, beim Verfahrensermessen als Verfahrensmangel. Das Beweismaß ist der vom Richter bei der Beweiswürdigung gefor- 4 derte Überzeugungsgrad (vgl § 272 Abs 1: „freie Überzeugung“). Die Überzeugungsbildung des Richters ist der eigentliche Zweck des Beweisverfahrens. Regelbeweismaß. Nach einer auf Rosenberg (Beweislast 181) zurückge- 5 henden Formulierung ist der Beweis dann erbracht, wenn ein so hoher, der Gewissheit gleichkommender Grad von Wahrscheinlichkeit vorliegt, dass kein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch noch zweifelt (Fasching Rz 802; ders, JBl 1981, 229 f; Holzhammer 237; Fucik, RZ 1988, 123; EvBl 1957/24; vgl dazu näher Rechberger in Fasching/Konecny III Vor § 266 Rz 8). Ausgangspunkt 1145

Vor § 266

Rechberger

dieser Formel ist eine subjektive Beweismaßtheorie, die vom Richter die „volle Überzeugung“ von der Wahrheit der tatbestandsrelevanten Tatsachen verlangt („Wahrheitsüberzeugungstheorie“), wenngleich auch objektive Elemente der richterlichen Beweiswürdigung (nach Fasching Rz 814 und ders, JBl 1981, 230: persönliche Lebenserfahrung sowie Spezialwissen des Richters und durchschnittlicher Erfahrungsund Wissensschatz verständiger Menschen unseres Lebenskreises) anerkannt werden. Demgegenüber ist einer Auffassung der Vorzug zu geben, die von einer objektiven Beweismaßtheorie ausgeht und die Aufgabe der richterlichen Beweiswürdigung von vornherein (nur) in der Feststellung von Wahrscheinlichkeiten sieht („Wahrscheinlichkeitsüberzeugungstheorie“), ohne aber die subjektiven Komponenten dieser Überzeugung zu leugnen, denn Beweiswürdigung ist stets von der persönlichen Erfahrungskonstitution des Richters abhängig. Diese vermittelnde Position lehnt zwar die Prämisse der subjektiven Beweismaßtheorie („Wahrheitsüberzeugung“) ab (vgl die grundlegende Auseinandersetzung mit der Frage der Wahrheit im Zivilprozess bei Leipold, FS Nakamura 301), verkennt aber nicht, dass eine rein objektive Beweismaßtheorie den Anforderungen der Praxis nicht zu genügen vermag (Näheres bei Musielak, FS Kegel 451; Leipold, Beweismaß 9 ff; Rechberger, FS Baumgärtel 478 f; Klicka, Beweislastverteilung 24 ff; Rechberger in Fasching/Konecny III Vor § 266 Rz 10). Aus § 272 ist jedenfalls abzuleiten, dass im Regelfall an die zum Beweis erforderliche Wahrscheinlichkeit hohe Anforderungen zu stellen sind; als Regelbeweismaß der ZPO muss hohe Wahrscheinlichkeit angenommen werden (Näheres bei Rechberger, FS Baumgärtel 471 und Klicka, Beweislastverteilung 30 ff; Rechberger in Fasching/Konecny III Vor § 266 Rz 11; vgl auch Motsch, FS Schneider 137; aus der neueren Rsp RS0110701; 1 Ob 185/98i; 2 Ob 17/00i = ÖBA 2000/914; nach 7 Ob 260/04t = EvBl 2005/77 liegt „sehr hohe Wahrscheinlichkeit“ innerhalb der Bandbreite des Regelbeweismaßes).

6 Beweismaßabstufungen sind teils gesetzlich ausdrücklich vorgesehen, teils richterrechtlich anerkannt. Ein Schulbeispiel für die (seltene) Beweismaßerhöhung findet sich im Abstammungsverfahren (das jetzt ein Außerstreitverfahren ist: vgl §§ 81 ff AußStrG) beim Entkräftungsbeweis gegen die Ehelichkeit des Kindes nach § 138c Abs 1 ABGB: Die Feststellung, dass das Kind nicht vom Ehemann der Mutter abstammt (§ 156 Abs 1 ABGB), setzt nach hRsp (SZ 23/36; EFSlg 22.132, 26.697, 33.568; KG Krems EFSlg 45.804) den Beweis der Unmöglichkeit oder der an Gewissheit grenzenden Unwahrscheinlichkeit, dass das Kind vom Ehemann der Mutter gezeugt 1146

Vor § 266

2.1 Verfahren bis zum Urteile

wurde, voraus (ErlRV 471 BlgNR 22. GP 19). § 163 Abs 2 ABGB aF (idF vor dem FamErbRÄG 2005) sah vor, dass die Vaterschaftsvermutung nicht nur durch den Beweis „einer solchen Unwahrscheinlichkeit der Vaterschaft“ entkräftet werden konnte, „die unter Würdigung aller Umstände gegen die Annahme sprach, dass der Mann das Kind gezeugt hatte“, sondern auch durch den Beweis, „dass seine Vaterschaft unwahrscheinlicher als die eines anderen Mannes war, für den die Vermutung gleichfalls galt“. Demnach war bei zwei (oder mehreren) als Vater eines unehelichen Kindes in Frage kommenden Männern schon die überwiegende (Un-)Wahrscheinlichkeit der Vaterschaft ausschlaggebend (Beweismaßreduzierung); bei nur einem Mann, auf den die Vermutung der außerehelichen Vaterschaft zutraf, dagegen eine solche Unwahrscheinlichkeit, die unter Würdigung aller Umstände gegen die Annahme sprach, dass er das Kind gezeugt hatte (Regelbeweismaß). § 163 Abs 2 ABGB nF hält im Fall eines Antrags des Kindes am System der widerlegbaren Vermutungswirkung der Beiwohnung fest (dies soll aber nur hilfsweise gelten, wenn sich der mutmaßliche Vater der Feststellung der Vaterschaft zu entziehen sucht; primär soll nach § 163 Abs 1 als Vater der Mann festgestellt werden, von dem das Kind abstammt): der vermutete Vater hat nunmehr zur Widerlegung der Vaterschaftsvermutung zu beweisen, dass das Kind nicht von ihm abstammt, also den Ausschlussbeweis zu erbringen (ErlRV 471 BlgNR 22. GP 8 und 22). Im Verfahren nach § 163 Abs 1 ABGB ist dem Mann ebenso wie dem Kind die Möglichkeit gegeben, auf Antrag in einem gerichtlichen Verfahren den positiven Abstammungsbeweis herbeizuführen. Den Mat zufolge ist der Beweis zu erbringen, dass das Kind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von dem Mann gezeugt wurde, gegen den sich der Antrag richtet (ErlRV 471 BlgNR 22. GP 21). Auch hier liegt ein Fall von Beweismaßerhöhung vor. Eine Beweismaßreduzierung findet sich zB in § 7 Abs 2 PHG: Danach hat jener Beklagte, der behauptet, das Produkt habe den den Schaden verursachenden Fehler noch nicht gehabt, als er es in den Verkehr gebracht hat, dies „als unter Berücksichtigung der Umstände wahrscheinlich darzutun“; es genügt also die überwiegende Wahrscheinlichkeit (vgl Welser/Rabl, Produkthaftungsgesetz2 [2004] § 7 Rz 10 f). Das gleiche gilt bei der Glaubhaftmachung (Näheres bei § 274) und beim Anscheinsbeweis (Näheres unten Rz 22). Behauptungslast. Die für die Anwendung einer bestimmten Rechts- 7 norm erforderlichen Tatsachen müssen durch Parteienbehauptung oder von Amts wegen in den Prozess eingeführt werden (objektive Behauptungslast). In Verfahren, in denen kein reiner Untersuchungsgrundsatz gilt, trifft – wie sich aus §§ 226 und 239 ergibt (s dort Näheres) – die 1147

Vor § 266

Rechberger

Verpflichtung zur Behauptung der anspruchsbegründenden Tatsachen den Kläger, jene zur Behauptung der Einwendungstatsachen den Beklagten (subjektive Behauptungslast). Fehlt es an den für die Anwendung einer Rechtsnorm notwendigen Tatsachenbehauptungen, liegt also eine Behauptungslücke (Holzhammer, PraktZPR 281) vor, geht dies letztlich zu Lasten jener Partei, die die Rechtsfolge dieser Rechtsnorm für sich in Anspruch nimmt. Die Klage ist in einem solchen Fall unschlüssig und muss als unbegründet abgewiesen werden. Näheres s Fasching Rz 873 ff.

8 Beweislosigkeit. Führt das Beweisverfahren zu keiner Überzeugung des Richters, bleibt der Sachverhalt also unklar (non liquet; zum Zusammenhang zwischen Beweismaß und Häufigkeit der non liquet-Fälle vgl Rechberger, FS Baumgärtel 486 ff), muss trotzdem eine Entscheidung gefällt werden; Beweislosigkeit darf nicht zur Entscheidungslosigkeit führen. Hier greifen die Beweislastregeln ein; sie kommen zur Anwendung, wenn die freie Beweiswürdigung zu keinem Ergebnis führt (DRdA 1979, 48; EFSlg 34.497, 46.659, 55.039; LGZ Wien EFSlg 52.174; vgl grundlegend zur Beweislast Klicka, Beweislastverteilung 1 ff).

9 Theoretisch muss der Richter schon vor der Beweisaufnahme prüfen, welche Partei für einen Prozesssieg welche Tatsachenfeststellungen braucht, damit er sie zur Bezeichnung und Ergänzung der erforderlichen Beweismittel anleiten kann (vgl § 182 und zur Verpflichtung der Parteien, die für ihre Behauptungen erforderlichen Beweismittel anzugeben, § 226 Abs 1 und § 239 Abs 1). Diese Beweisführungslast oder subjektive Beweislast spielt aber in der Praxis aufgrund der Arbeitsgemeinschaft zwischen Gericht und Parteien und der starken Stellung des Richters (vgl zu dessen materiellen Prozessleitungsbefugnissen Näheres bei § 183 Rz 1 ff) keine besondere Rolle; in Verfahren, in denen reiner Untersuchungsgrundsatz herrscht, gibt es gar keine subjektive Beweislast.

10 Unabhängig von den anzuwendenden Grundsätzen für die Stoffsammlung hat das Gericht aber in jedem Prozess zu prüfen, welche Tatsachen zur Erfüllung der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale der anzuwendenden Rechtsnorm festgestellt werden müssen, und ferner, für welche Partei es zum Nachteil gereicht, wenn solche Tatsachen nicht festgestellt werden können, also ein non liquet vorliegt. Weil diese Partei das Risiko der Nichtfeststellbarkeit der wesentlichen Tatsachen trifft, ist die Feststellungslast oder objektive Beweislast von größter praktischer Bedeutung. 1148

Vor § 266

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Die Beweislastgrundregel lautet: Wenn eine tatbestandsrelevante Tat- 11 sache unklar bleibt, ist so zu entscheiden, als wäre festgestellt worden, dass diese Tatsache nicht eingetreten ist (vgl nur Klicka, Beweislastverteilung 57 f). Das aber wirkt sich regelmäßig zu Lasten der einen oder der anderen Partei aus. Das Ergebnis der Anwendung dieses Grundsatzes im non liquet-Fall ist dann die sog „allgemeine Beweislastregel“, nach der jede Partei die Beweislast für das Vorliegen aller tatsächlichen Voraussetzungen der ihr günstigen Rechtsnorm trägt (Bajons Rz 143; Fucik, RZ 1990, 57; Holzhammer 249 und PraktZPR 283; Ballon Rz 233; Rechberger/Simotta Rz 585; Rechberger in Fasching/ Konecny III Vor § 266 Rz 32; ähnlich Fasching Rz 882; EvBl 1959/38 = JBl 1959, 135; SZ 48/92 = JBl 1976, 261; EvBl 1978/145; ZVR 1989/114; NZ 1996, 201; EvBl 1997/104 = JBl 1997, 450; 2 Ob 86/98f = JBl 1998, 724; 4 Ob 112/01a = ÖBl 2003/4 = MietSlg 53.716). Diese Formel geht auf Rosenberg (Beweislast 98 f) zurück, dessen Begründung, nämlich die Herleitung der Regel im Wege eines formallogischen Schlusses aus der jeweiligen Normformulierung (Normentheorie) freilich nicht mehr überzeugt. Dass im Regelfall der ein Recht Behauptende die rechtsbegründenden und der ein Recht Leugnende die rechtshindernden, rechtsvernichtenden oder rechtshemmenden Tatsachen zu beweisen hat (2 Ob 206/97a = ZVR 1999/86; 4 Ob 29/00v = EvBl 2000/123; OLG Innsbruck Arb 10.630 = ZASB 1988, 2), ergibt sich vielmehr im Wege einer Gesamtanalogie aus den wenigen ausdrücklichen Beweislastvorschriften sowie jenen Formulierungen des materiellen Rechts, die durch bestimmte Wendungen die Beweislast gleichsam mitregeln; dh dass sich die Beweislastregeln auf sachliche Prinzipien, also Gerechtigkeitskriterien, zurückführen lassen (dazu Näheres bei Leipold, Beweislastregeln 45 ff; ders, Beweismaß 19 f; Rechberger in Fasching/ Konecny III Vor § 266 Rz 32; vgl auch Klicka, Beweislastverteilung 47 ff). Vgl etwa die Beweislastregeln der §§ 368 bis 371 ABGB sowie die Beweislastumkehrregeln in §§ 328, 367, 970, 1298, 1319, 1320 ABGB und in § 6 Abs 2 EKHG; §§ 6, 12 KSchG, § 2 Abs 4 MRG, § 7 Abs 1 PHG. Von „Negativen“ spricht man, wenn bewiesen werden soll, dass bestimmte Tatsachen nicht eingetreten sind. Wegen der (angeblichen – vgl dazu Klicka, Beweislastverteilung 55 f) Schwierigkeit dieses Beweises vermeidet es das Gesetz oft, ihn den Parteien aufzulasten. Der sog Rechtsgrundsatz „negativa non sunt probanda“ ist für den Fall, dass es doch auf ein negatives Tatbestandsmerkmal ankommt, aber keinesfalls dahin zu verstehen, dass solche Tatbestandsmerkmale gleichsam aus der Rechtsnorm zu eliminieren wären; vielmehr kann sich der Kläger idR auf die bloße Behauptung des Nichtgeschehens beschränken und der Beklagte müsste demgegenüber nun ein kontradiktorisches Geschehen 1149

Vor § 266

Rechberger

substantiieren (Holzhammer, PraktZPR 285). Enthält also die für den Kläger günstige Rechtsnorm ein negatives Tatbestandsmerkmal, ist dem Kläger der Beweis gelungen, wenn er den Richter von der Unwahrscheinlichkeit der Beklagtenbehauptung überzeugt; „für den Beweis einer Negative genügt die Widerlegung der Umstände, die für die Positive sprechen“ (Rosenberg, Beweislast 331; idS auch 4 Ob 29/00v = SZ 73/26 = EvBl 2000/123). Der allgemeine Grundgedanke, dass eine Rechtsfolge nicht anzunehmen ist, wenn die rechtsfolgebegründenden Tatsachen unklar bleiben, gilt auch für verfahrensrechtliche Tatbestände (also insbes auch für die Prozessvoraussetzungen), sodass grundsätzlich auch hier den Antragsteller die Beweislast trifft. Besonders schwierig ist bei prozessualen Tatbeständen freilich die nach sachlich-teleologischen Gesichtspunkten zu treffende Unterscheidung zwischen rechtsfolgebegründenden und rechtsfolgehindernden Normen (vgl dazu ausführlich – samt Beispielen – Klicka, Beweislastverteilung 36 ff und 89 ff).

12 Rechtsnatur der Beweislastregeln. Gleichfalls auf Rosenberg (Beweislast 77 ff) geht die Auffassung zurück, die Beweislastnormen gehörten demselben Rechtsgebiet an wie die Normen, auf denen der zu beurteilende Anspruch beruht (Fasching Rz 887; Holzhammer 250 und PraktZPR 283; EvBl 1959/38 = JBl 1959, 135; JBl 1972, 426; MietSlg 9761, 20.204; JBl 1977, 95). Soweit sie demnach dem materiellen Recht angehören, bedeutet ihre Verletzung stets eine (revisible) unrichtige rechtliche Beurteilung und sie unterliegen in Rechtssachen mit Auslandsbeziehung der lex causae und nicht der lex fori (JBl 1962, 93). Da es sich bei den Beweislastregeln aber um reine Entscheidungsnormen handelt, die niemals Einfluss auf die außerprozessuale Lage nehmen können, gehören sie in Wahrheit dem Prozessrecht an (Petschek/Stagel 232; W. Kralik [nach Fasching Rz 887]; Rechberger/Simotta Rz 587; Rechberger, FS Baumgärtel 489). Trotzdem müssen sie, da sie auf Gerechtigkeitserwägungen des Sachrechts beruhen (vgl oben Rz 11), wegen des engen Sachzusammenhangs einer einheitlichen Behandlung mit diesem unterzogen werden (vgl dazu P. Böhm, FS Fasching 111 ff mwN). Vor allem in Rechtssachen mit Auslandsbeziehung könnte ihre Zuordnung zur lex fori problematisch werden, wenn deren Prinzipien nicht mit jenen der lex causae zu harmonisieren sind (Rechberger in Fasching/Konecny III Vor § 266 Rz 29).

13 Beweislastverträge. Da § 6 Abs 1 Z 11 KSchG bestimmte Beweislastverträge für unwirksam erklärt, sind Vereinbarungen darüber, wer von den Parteien bestimmte Tatsachen zu beweisen hat und wem die Beweislosigkeit zum Nachteil gereicht, soweit es dabei um Tatbestände 1150

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des materiellen Rechts geht, nicht grundsätzlich unwirksam; wohl aber, wenn sie gegen zwingendes materielles Recht oder gegen die guten Sitten (§ 879 ABGB) verstoßen oder zur Beweisvereitelung führen (Näheres bei Fasching Rz 890 und Baumgärtel, FS Fasching 67). Beweislastverträge über prozessuale Tatbestände sind dagegen jedenfalls wirkungslos (Fasching Rz 891). Beweisgegenstand sind in erster Linie Tatsachen, ds „konkrete, nach 14 Raum und Zeit bestimmte Ereignisse und Zustände der Außenwelt oder des menschlichen Seelenlebens“ (Rosenberg, Beweislast 50). Es gibt demnach äußere Tatsachen, wie Bestand und Beschaffenheit von Sachen oder Existenz und Merkmale von Menschen (zB die „biologische Tatsache“ des Geburtsdatums: SZ 67/46) und innere Tatsachen, wie Gemütsbewegungen, Kenntnisse und Absichten. Erfahrungssätze sind einerseits die Regeln der allgemeinen Lebenser- 15 fahrung und andererseits jene der besonderen Fachkunde auf den Gebieten der Wissenschaft und Kunst, des Handels und Gewerbes und anderen Bereichen. Letztlich müssen bei jeder Tatsachenfeststellung Erfahrungssätze herangezogen werden; auch beim Urkunden- und beim Augenscheinsbeweis kommt der Richter nicht ohne seine Lebenserfahrung aus. So lange die Heranziehung von Erfahrungssätzen lediglich die Grundlage für die Feststellung von Tatsachen bildet, gehört sie selbst zur Tatsachenfeststellung; nur dann, wenn Erfahrungssätze zur Auslegung und Konkretisierung von Rechtssätzen herangezogen werden, sind sie dem Bereich der rechtlichen Beurteilung (s § 503 Rz 22) zuzuordnen (diese auf Stein, Das private Wissen des Richters [1893] 107 ff, zurückgehende Unterscheidung ist in Österreich hM: Sperl 668; Schima, FS zur Hundertjahrfeier des österreichischen OGH [1950] 252 [264]; ders, Prozeßgesetz und Prozeßpraxis, JBl 1967, 545 [549]; R. Kralik, ÖJZ 1954, 166; W. Kralik, Die Vorfrage im Verfahrensrecht [1953] 82 ff; Petschek/Stagel 390 f; Fasching1 IV 329 f; ders Rz 1921; Dolinar, ÖJZ 1968, 433; Rechberger, ÖJZ 1974, 113; Ballon Rz 231, 363; Rechberger/Simotta Rz 588; Rechberger in Fasching/Konecny III Vor § 266 Rz 51; ausführlich auch RdW 1985, 108 = ÖBl 1985, 105; aA nur Holzhammer 241, der die Anwendung falscher Erfahrungssätze generell zur „Rechtsfrage“ erklärt). Verfügt der Richter nicht selbst über die notwendige Fachkunde (oder genügend Lebenserfahrung), um bestimmte Tatsachenfeststellungen treffen zu können (vgl zum Fachwissen des Richters Näheres bei § 364), muss er sich eines Sachverständigen bedienen, der ihm jene Erfahrungssätze vermittelt, die er selbst nicht kennt (Näheres bei §§ 351 ff). 1151

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16 Rechtssätze sind grundsätzlich nicht Beweisgegenstand; das anzuwendende Recht muss das Gericht kennen bzw von Amts wegen erforschen („iura novit curia“). Nach § 43 Abs 3 ASGG ist sogar der Inhalt kollektivvertraglicher Normen von Amts wegen zu ermitteln, wenn sich eine Partei auf sie beruft. Eine Ausnahme macht das Gesetz nur bei ausländischem Recht und inländischem Sonderrecht (Näheres bei § 271).

17 Die Beweisrichtung. Der Hauptbeweis (Erstbeweis) wird von der beweisbelasteten Partei zum Nachweis tatbestandsrelevanter Tatsachen geführt; er ist erbracht, wenn das Gericht davon überzeugt ist, dass die behaupteten Tatsachen für wahr zu halten seien (§ 272 Abs 1).

18 Der Gegenbeweis wird vom Gegner der beweisbelasteten Partei zur Widerlegung von deren Tatsachenbehauptungen geführt. Er muss nicht deren Nichtbestehen erweisen, sondern kann auch die Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft der Beweismittel der beweisbelasteten Partei bekämpfen. Er ist dann gelungen, wenn der Richter nicht (mehr) überzeugt ist, dass die Tatsachenbehauptungen der beweisbelasteten Partei für wahr zu halten seien.

19 Der Beweis des Gegenteils ist ein Hauptbeweis, der vom Gegner einer Partei geführt werden muss, die eine gesetzliche Vermutung für sich hat (Näheres bei § 270).

20 Mittelbare Beweise. Jede Beweisführung einer beweisbelasteten Partei muss letztlich auf tatbestandsrelevante Tatsachen zielen. Häufig können solche Tatsachen aber nicht unmittelbar (direkt) bewiesen werden, sondern es muss von erweislichen Tatsachen, die nicht unmittelbar den gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen entsprechen, mit Hilfe von Erfahrungssätzen auf sie geschlossen werden (mittelbarer oder indirekter Beweis). Vor allem innere Tatsachen (vgl oben Rz 14) lassen sich kaum anders als mittelbar beweisen. Die Zulässigkeit des mittelbaren Beweises ergibt sich aus § 272: „Kraft seiner freien Beweiswürdigung nimmt der Richter das als bewiesen an, was erfahrungsgemäß die Regel des Lebens ist“ (Rosenberg, Beweislast 180 f).

21 Indizienbeweis. Regelmäßig ist der mittelbare Beweis ein Indizienbeweis, bei dem von einer bewiesenen, tatbestandsfremden Tatsache auf eine andere, direkt nicht beweisbare, tatbestandsrelevante Tatsache geschlossen wird (SZ 57/20 = EvBl 1984/129 = JBl 1985, 36). Mit dem Indizienbeweis ist grundsätzlich keine Beweismaßreduzierung verbunden. 1152

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Anscheinsbeweis. In noch größerem Maße als beim Indizienbeweis 22 werden beim Anscheins- oder Prima-Facie-Beweis Erfahrungssätze herangezogen, um auf wesentliche tatbestandsrelevante Tatsachen, die direkt nicht erwiesen werden können, zu schließen. Steht ein typischer Geschehensablauf fest, der nach der Lebenserfahrung auf einen bestimmten Kausalzusammenhang oder ein Verschulden hinweist, gelten diese Tatbestandsvoraussetzungen auch im Einzelfall aufgrund ersten Anscheins als erwiesen. Der Anscheinsbeweis entspringt richterlicher Rechtsfortbildung zur Bewältigung von Beweisnotständen in Schadenersatzprozessen (dazu Fasching Rz 893). Der wesentliche Unterschied zum Indizienbeweis liegt weniger in der unterschiedlichen Art der Erfahrungssätze, die jeweils angewendet werden (beim Indizienbeweis verwendet der Richter seine persönliche Lebenserfahrung, beim Anscheinsbeweis darüber hinaus Erfahrungsgrundsätze der Rechtsgemeinschaft; vgl dazu Holzhammer, PraktZPR 279; Fasching Rz 896), sondern darin, dass das erklärte Ziel des Anscheinsbeweises eine Beweiserleichterung für den Beweisbelasteten ist und seine Anwendung deshalb zur Beweismaßreduzierung (s oben Rz 6) führt. Die Rsp begnügt sich daher auch mit „überwiegenden Gründen“ für die Verursachung des Schadens bzw überwiegender Wahrscheinlichkeit für das Verschulden des Beklagten (JBl 1953, 18 [zust Gschnitzer]; ZAS 1971/21 [zust Rechberger]; RZ 1983/14; JBl 1972, 426; RZ 1983/14; JBl 1997, 392). Diese Beweismaßreduzierung wird durch die besondere Eigenart der materiell-rechtlichen Tatbestandsmerkmale des Schadenersatzrechts gerechtfertigt (s dazu Leipold, Beweismaß 16 f; Rechberger, FS Baumgärtel 485 f; ders in Fasching/Konecny III Vor § 266 Rz 59; vgl zB zum Anscheinsbeweis hinsichtl der Schadenskausalität bei mangelhafter Werklieferung JBl 1992, 188 = RdW 1992, 108). Ob ein materiell-rechtlicher Tatbestand vorliegt, der eine solche Beweismaßreduzierung rechtfertigt, ist rechtliche Beurteilung (insofern ist der stRsp zuzustimmen, wenn sie die Frage der „Zulässigkeit des Anscheinsbeweises“ der rechtlichen Beurteilung zuordnet: RZ 1983/14; SZ 56/145; EvBl 1983/120; SZ 57/20 = EvBl 1984/129 = JBl 1985, 36; JBl 1988, 244; JBl 1988, 727; SSV-NF 2/65; 7 Ob 291/04a; ähnlich Fasching Rz 897; Ballon Rz 241 [mit der unzutr Begründung, der Anscheinsbeweis sei eine „besondere Beweislastregel“]). Ob der Anscheinsbeweis im konkreten Einzelfall erbracht werden konnte oder nicht, ist eine reine Frage der Beweiswürdigung (Fasching Rz 897; Ballon Rz 241; SZ 57/20; JBl 1988, 243; RZ 1990/57; JUS 1993/1277; MR 1994, 66 = ÖBl 1994, 185 = ZfRV 1994/31; ARD 4697/11/95 = SSV-NF 9/15). Nach Holzhammer, FS Kralik 212 ff; ders, PraktZPR 279 und Dolinar, ÖJZ 1968, 433 f liegt dagegen schon in der Anwendung des Erfahrungsgrundsatzes rechtliche Beurteilung, weil der Anscheinsbeweis eine 1153

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„einfache Tatsachenvermutung“ enthalte, deren Anwendung stets Rechtsanwendung sei. Da der Anscheinsbeweis an der Beweislastverteilung nichts ändert, braucht der Gegner zu seiner Widerlegung nicht den Beweis des Gegenteils zu führen, sondern bloß den Gegenbeweis. Dieser ist erbracht, wenn der typische Geschehensablauf im konkreten Fall nicht zwingend ist und die ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs besteht (Fasching Rz 895; Holzhammer, PraktZPR 279; Ballon Rz 241; Rechberger/Simotta Rz 596; Rechberger in Fasching/ Konecny III Vor § 266 Rz 64; RdW 1987, 96; JBl 1988, 244; RZ 1990/57; ZVR 1997/142). In Sozialrechtssachen, in denen der Anscheinsbeweis wegen des häufig auftretenden Beweisnotstands des Versicherten bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten eine besonders große Rolle spielt (vgl SSV-NF 2/65, 4/85, 4/150), will der OGH iS einer „sozialen Rechtsanwendung“ den Anscheinsbeweis nur dann entkräftet sehen, wenn dem atypischen Geschehensablauf zumindest die gleiche Wahrscheinlichkeit zukommt (DRdA 1992/48 [im Ergebnis zust Rechberger/Gruber]; SSV-NF 8/26; ARD 4867/7/97 = RdA 1998/15; 10 Ob S 128/99t = ARD 5119/22/2000 = SSV-NF 13/95).

23 Die Beweisverbote lassen sich nach ihrem Inhalt in a) Beweisthemenverbote, b) Beweismittelverbote und c) Beweismethodenverbote einteilen. Beweisthemenverbote verbieten dem Gericht, über bestimmte Tatsachen überhaupt Beweise aufzunehmen. Grundlage dieses Verbots kann nur eine Bindungsvorschrift sein, die den Richter auf Tatsachenfeststellungen aus einem anderen Verfahren oder auf bloß vorgebrachte Tatsachen verweist. Nach der Aufhebung des § 268, der die Bindung des Richters an Tatsachenfeststellungen eines verurteilenden strafgerichtlichen Erkenntnisses anordnete, gibt es in der ZPO kein ausdrückliches Beweisthemenverbot mehr (vgl aber zur Rsp, die aus der Rechtskraftwirkung des Strafurteils eine Bindung des Zivilrichters an Tatsachenfeststellungen in diesem Urteil ableitet, § 281a Rz 8). Zur (Streit-)Frage, ob das Geständnis bindende Wirkung entfaltet, vgl bei § 266. Beweismittelverbote ieS verbieten dem Gericht entweder generell die Benützung bestimmter Beweismittel (vgl § 320 Z 1) oder nur hinsichtlich bestimmter Tatsachen (vgl zB §§ 320 Z 2 bis 4, 321). IwS gehört zur Frage der Beweismittelverbote auch, ob die Beweismittel in der ZPO taxativ aufgezählt sind (s dazu Vor § 292 Rz 2), und die Problematik der von den Parteien rechtswidrig erlangten Beweismittel. 1154

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Beweismethodenverbote verbieten ein bestimmtes Vorgehen bei der Aufnahme eines an sich zulässigen Beweismittels, also die rechtswidrige Beweiserlangung durch das Gericht. Sofern keine prozessgesetzlichen Verbote bestehen (zB das Verbot der Erzwingung der Parteienvernehmung; s § 380 Rz 2), ist die Verletzung solcher Beweismethodenverbote dann zu sanktionieren, wenn die angewendete Methode gegen verfassungsrechtliche Grundrechte eines Prozessbeteiligten verstößt (zB Drohung und Misshandlung bei der Vernehmung). Folgen der Verletzung eines Beweisverbots. Dabei ist zwischen a) Be- 24 weisverwertungsverboten, die verhindern sollen, dass der dem Beweisverbot zuwider aufgenommene Beweis dem Urteil zugrunde gelegt wird, und b) Beweisaufnahmeverboten zu unterscheiden. Beweisverwertungsverbote als Konsequenz eines Beweismittelverbotes sind grundsätzlich abzulehnen, weil es unserem Rechtsempfinden (anders als dem anglo-amerikanischen) fremd ist, vom Richter zu verlangen, wesentliche Beweisergebnisse zu negieren. Da die Problematik nur dann entsteht, wenn es sich um entscheidungserhebliche Beweismittel handelt, läge der Effekt des Verbots im wesentlichen darin, um der Sanktion für die Rechtsverletzung bei der Beweisaufnahme willen sehenden Auges ein falsches Urteil in Kauf zu nehmen (s dazu Näheres bei G. Kodek, Beweismittel 136 ff; Graf/Schöberl, ZAS 2004, 172 ff; vgl auch SZ 69/14 = EvBl 1996/109; EvBl 1998/69). Aus diesem Grund sind auch rechtswidrig erlangte Tonbandaufnahmen im Zivilprozess uneingeschränkt verwertbar, da der Schutzzweck einer bei der Beweiserlangung allenfalls übertretenen Norm nicht in den Prozess reicht (so zutr G. Kodek, ÖJZ 2001, 345; ähnlich 4 Ob 247/99y = EvBl 2000/78 = JBl 2000, 458, wo ausdrücklich offen gelassen wird, ob es dabei auch auf eine Interessenabwägung ankommt; klarer 3 Ob 131/00m, wonach die Verwertung [schon nach 4 Ob 247/99y = EvBl 2000/78 = JBl 2000, 458] nach einer Interessensabwägung nur in besonderen Ausnahmefällen zulässig sein soll [krit dazu G. Kodek, ÖJZ 2001, 285; Graf/Schöberl, ZAS 2004, 174 f]). Als Sanktion für den Verstoß gegen ein Beweismethodenverbot ist ein Beweisverwertungsverbot aber ausnahmsweise sinnvoll, weil es hier vor allem darum geht, die Prozessbeteiligten davor zu schützen, dass das Gericht durch die Beweisaufnahme selbst in ihre verfassungsrechtlich geschützten Rechte eingreift. In diesem Fall erscheint die Nichtigkeit als adäquate Konsequenz. Problematisiert wird im österreichischen Zivilprozess nur die zwangsweise Vorführung zur Blutgruppenuntersuchung und zu anderen erbkundlichen Untersuchungen im Abstammungsverfahren (vgl dazu Deixler-Hübner in Rechberger, AußStrG § 85 Rz 1 ff, zur – im Wesentlichen identen – alten Rechtslage 1155

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Fasching, ÖJZ 1981, 169; Simotta, ÖJZ 1993, 841 f; dies, ZZP 106, 508 ff). Die – praktisch bedeutsamen – Beweismittelverbote sind grundsätzlich bloß als Beweisaufnahmeverbote zu qualifizieren, deren Übertretung sanktionslos bleibt, weil die Beweisaufnahme nicht den Tatbestand des wesentlichen Verfahrensmangels iSd § 496 Abs 1 Z 2 erfüllt (G. Kodek, Beweismittel 180; ders, ÖJZ 2001, 344; Rechberger/Simotta Rz 598; Frauenberger in Fasching/Konecny III § 320 Rz 2; EvBl 1998/69; aA Fasching Rz 936 und 1765; diesem folgend Ballon, FS Matscher 18). Da es sich zweifellos nicht um einen Stoffsammlungsmangel handelt, ist die Geltendmachung vor dem OGH ausgeschlossen (G. Kodek, ÖJZ 2001, 345; Ballon, FS Matscher 18; EvBl 1998/69; zumindest im Falle strafgesetzwidriger Erlangung eines Beweismittels jedoch offenbar aA Fasching Rz 936). Eine Ausnahme iSd Ausschlusses des Beweisergebnisses von den Entscheidungsgrundlagen wird man freilich dann machen müssen, wenn diese Beweisergebnisse auf aus rechtsstaatlicher Sicht unerträgliche Weise zustande gekommen sind. Nach Fasching (Rz 936) soll jeder Verstoß gegen eine strafgesetzliche Vorschrift, die den „Kernbereich der verfassungsmäßig geschützten Grund- oder Freiheitsrechte“ der betroffenen Person schützt (als Beispiele werden körperliche Verletzung, Entführung, „Privathaft“ oder Nötigung eines Zeugen, einer Partei oder eines Sachverständigen zur Erzwingung einer Aussage genannt), ein Beweisaufnahmeverbot bewirken, dessen Übertretung jedenfalls eine Verfahrensverletzung nach sich ziehe (die Verletzung anderer strafgesetzlicher Vorschriften löse gar kein Beweisverbot aus). Problematisch ist dabei naturgemäß die Abgrenzung des „Kernbereichs“ der genannten Grund- und Freiheitsrechte. Ein iS Faschings zu sanktionierendes Beweisaufnahmeverbot wird aber jedenfalls bei einem Verstoß gegen die Folterkonvention (Übereinkommen gegen Folter und anderer grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10.12.1984, BGBl 1987/492) anzunehmen sein (so auch Bajons, Beweis 450 FN 52). Fraglich ist, ob die Möglichkeit besteht, das Abspielen eines rechtswidrig erlangten Tonbandes oder die Vorlage einer durch eine strafbare Handlung (wie Entwendung oder Diebstahl) erlangten Urkunde durch Erwirkung einer einstweiligen Verfügung zu verhindern. Soweit durch eine derartige Verfügung dem Gericht verboten werden soll, solche Beweismittel zu verwerten, wird man dies nach österr Recht wegen des damit intendierten Eingriffs in die hoheitliche Tätigkeit des Gerichts als unzulässig betrachten müssen (vgl dazu Konecny, Anwendungsbereich 340). Aber auch soweit es bloß darum geht, das Beweisanbot einer Partei zu verhindern, stellt sich immerhin die Frage nach dem zu sichernden Anspruch. 1156

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Eine Schadenersatzpflicht der Partei, die ihren Prozesssieg einem rechtswidrig erlangten Beweismittel verdankt, besteht nicht, weil der Schutzzweck der bei der Erlangung übertretenen Norm nicht die Verhinderung der Entscheidung im Zivilprozess umfasst (s Näheres bei G. Kodek, Beweismittel 187 ff; teilw aA Fasching Rz 935). Beweisbedürftig sind die für die Entscheidung erheblichen strittigen 25 Tatsachen, sofern sie nicht beweisbefreit sind. Ausdrücklich zugestandene Tatsachen sind (nur) dann beweisbedürftig, wenn der Richter trotz des Geständnisses gegründete Zweifel an ihrer Richtigkeit hat (vgl näher §§ 266, 267 Rz 2). Nach der Rsp (vgl SZ 56/92; SZ 66/59) kommt es für die Beweisbedürftigkeit auf den Mangel eines Zugeständnisses und nicht auf die ausdrückliche Bestreitung an. Für die Entscheidung des Gerichts erheblich sind Tatsachen, die den Tatbestandselementen der für den geltend gemachten Anspruch oder für rechtsvernichtende oder rechtshemmende Einwendungen maßgeblichen Rechtssätze entsprechen (Haupttatsachen), sowie alle Tatsachen, die die Feststellung der Haupttatsachen unterstützen (Hilfstatsachen). Vgl Näheres bei Fasching Rz 837. Keines Beweises bedürfen nach der ZPO: a) zugestandene Tatsachen 26 (§§ 266–267), b) offenkundige Tatsachen (§ 269) und c) gesetzlich vermutete Tatsachen (§ 270). Die Gemeinsamkeiten dieser drei Fälle, die das Gesetz einer gemeinsamen Formulierung unterworfen hat, sind freilich gering: Bei der gesetzlichen Vermutung geht es um die Grundsatzregel der Beweislastumkehr (Näheres bei § 270); bei der Offenkundigkeit um eine Eigenschaft einer Tatsache, die jede Beweisführung überflüssig macht (Näheres bei § 269) und „zugestanden“ ist ein Tatbestand, der zu der vom Gegner behaupteten Tatsache hinzutritt (Näheres bei § 266). Vgl dazu Rechberger, NZ 1991, 72. Beweisaufnahme. Von Amts wegen werden die Beweise aufgenom- 27 men a) in Verfahren mit reinem Untersuchungsgrundsatz, sonst b) wenn Tatsachen im Wege von Erhebungen von Amts wegen zu ermitteln sind (zB für die Prozessvoraussetzungen; vgl auch § 271 Abs 2) und c) zur Feststellung aller aufgrund des Parteivorbringens vom Richter als entscheidungserheblich erachteten Tatsachen aufgrund seiner materiellen Prozessleitungspflicht (Erhebungen nach § 183; vgl die Einschränkung nach § 183 Abs 2). Innerhalb der durch den Streitgegenstand gesetzten Grenzen (vgl dazu Vor § 226 Rz 14 ff) hat das Gericht aufgrund seiner materiellen Prozessleitungspflicht (s dazu § 182 Rz 1 und § 183 Rz 1 ff) im Zusam1157

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menwirken mit den Parteien (die nach § 178 die Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht trifft; s Näheres dort) den Sachverhalt umfassend zu ermitteln; dazu kommt das Gebot des § 272, die Ergebnisse der gesamten Verhandlung zu würdigen („Verhandlungswürdigung“). Deshalb kann es weder ein Verbot der Verwertung „überschießender“ (dh über die Parteibehauptungen hinausreichender) Beweisergebnisse geben (Fasching Rz 899; W. Kralik, FB Franz Klein 93; Holzhammer, FS Wohlgenannt 390; ders, PraktZPR 111; Bajons Rz 139 und FN 1; Rechberger/ Simotta Rz 271; Rechberger in Fasching/Konecny III Vor § 266 Rz 78; die Rsp differenziert jedoch meist dahingehend, ob diese Beweisergebnisse in den „Rahmen des geltend gemachten Rechtsgrunds oder der Einwendungen“ fallen: ZVR 1964/162; RZ 1967, 105; JBl 1975, 369; JBl 1986, 121; MR 1994, 66 = ÖBl 1994, 185; ZVR 1999/118; gänzlich abl JBl 1961, 123; JBl 1972, 271 [zust König]), noch ist der Ausforschungs- oder Erkundungsbeweis, dem von vornherein keine Tatsachenbehauptungen zugrunde liegen (für den es aber auch nur selten einen Anlass – wie zB den Fall der Kollusion – gibt), unzulässig, weil auch dieser zur vollständigen und wahrheitsgemäßen Aufklärung des dem Streitgegenstand zugrunde liegenden Lebenssachverhalts (s dazu Vor § 226 Rz 15) dient (idS Fasching Rz 898; W. Kralik, FB Franz Klein 93; Holzhammer, PraktZPR 111; anders die Rsp: RZ 1972, 16; JBl 1972, 478; EFSlg 20.757; ZAS 1980, 139 [abl W. Kralik]; ZVR 1995/95; ZVR 1996/33).

28 In allen anderen Fällen erfolgt die Beweisaufnahme aufgrund des Beweisantritts einer Partei. Das Beweisanbot soll gleichzeitig mit den Tatsachenbehauptungen der Parteien in ihren (vorbereitenden) Schriftsätzen gestellt werden (Grundsatz der Beweisverbindung; vgl §§ 76, 78 Abs 1 Z 2, 226 Abs 1, 239 Abs 1, 257 Abs 3). Aufgrund dieser Beweisanbote wird in der vorbereitenden Verhandlung gemeinsam mit den Parteien das Prozessprogramm erarbeitet (§ 258 Abs 1 Z 4), welchem allerdings keinerlei Entscheidungsqualität zukommt (vgl ErlRV 962 BlgNR 21. GP 34, 36). Eine ausdrückliche Zulassung des Beweises erfolgt also nicht (mehr). Nichtsdestotrotz bleibt es aber beim Grundsatz, dass Beweise, die das Gericht nicht aufnehmen will, beschlussmäßig zurückgewiesen werden müssen (vgl Rechberger in Fasching/Konecny III § 275 Rz 1). Auch noch in der mündlichen Streitverhandlung ist den Parteien Gelegenheit zum Beweisantritt zu geben (§ 177 Abs 1), und zwar grundsätzlich – soweit dem nicht die Prozessförderungspflicht der Parteien (§ 178 Abs 2) entgegensteht – bis zu deren Ende (§ 179 erster Satz). Wer den Beweis antritt, ist der „Beweisführer“ (vgl §§ 283 Abs 1 und 2, 291 Abs 2, 307 ff, 332 Abs 1, 365, 368 Abs 3). Ein Beweisanbot ist zurückzuweisen, wenn der angebotene Beweis a) dem Gericht unerheblich erscheint (§ 275 Abs 1); b) nur angeboten 1158

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wurde, um den Prozess zu verschleppen (§ 275 Abs 2), bzw grob schuldhaft nicht früher vorgebracht wurde und die Zulassung die Erledigung des Prozesses erheblich verzögern würde (§ 179 zweiter Satz); c) befristet wurde, diese Frist abgelaufen ist und die Beweisaufnahme jetzt eine Verfahrensverzögerung mit sich bringen würde (§ 279 Abs 2); d) nicht notwendig ist, weil das Gericht bereits überzeugt oder die Tatsache nicht beweisbedürftig ist (s oben Rz 26 ff); e) ausnahmsweise ein Beweisaufnahmeverbot besteht (s oben Rz 24). Grundsätze der Beweisaufnahme. Die Beweisaufnahme stellt die 29 Hauptaufgabe der mündlichen Streitverhandlung dar und ist in diese integriert (vgl §§ 258 Abs 1 Z 5, 259 Abs 1). Die besonderen Grundsätze für die Beweisaufnahme enthalten die §§ 275 bis 281a („Beweisaufnahme“), §§ 282 bis 287 („Beweisaufnahme durch einen ersuchten oder beauftragten Richter“), §§ 288 bis 291 („Verfahren bei der Beweisaufnahme“) und §§ 291a bis 291c („Beweisaufnahme im Ausland“). Unmittelbarkeitsgrundsatz. Bei der Beweisaufnahme „entfaltet der 30 Unmittelbarkeitsgrundsatz seine Hauptbedeutung“ (Fasching Rz 912), weil der persönliche Eindruck des Richters am ehesten eine umfassende Aufklärung des Sachverhalts ermöglicht. Der zentrale Wert dieses Prozessgrundsatzes ergibt sich nicht nur im Zusammenspiel mit den Grundsätzen der Öffentlichkeit und Mündlichkeit (vgl dazu Vor § 171 Rz 5, 8), sondern auch aus seiner Komplementärfunktion zum Prinzip der freien Beweiswürdigung (Sperl 352; Pollak 467; Bajons, FS Fasching 27 f; dies Rz 9; Rechberger in Fasching/Konecny III Vor § 266 Rz 88). Diese (sachliche) Unmittelbarkeit steht freilich stets im Spannungsverhältnis mit der Konzentrationsmaxime und Prozessökonomie, weshalb die ZPO schon in der Stammfassung in erstaunlich großem Umfang die Beweisaufnahme durch einen ersuchten (oder beauftragten) Richter ermöglicht (§§ 282 bis 287; s Näheres dort) und die ZVN 1983 mit der Zulassung der Verwertung von Beweisaufnahmen aus einem anderen gerichtlichen Verfahren (§ 281a – noch erweitert durch die WGN 1997) eine schwerwiegende, freilich teleologisch einzuschränkende (vgl näher Rechberger in Fasching/Konecny III Vor § 266 Rz 89, § 276 Rz 3 und § 281a Rz 1 ff) Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes eingeführt hat. Die Verletzung der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme bedeutet grundsätzlich (außer es ist die Vorschrift des § 412 verletzt; s dort) einen wesentlichen Verfahrensmangel iS des § 496 Abs 1 Z 2, der keinesfalls einer Rüge nach § 196 bedarf, weil die Parteien über die Art der Beweisaufnahme grundsätzlich nicht disponieren können; vielmehr ist die Vorschrift des § 276 Abs 1 (mit Ausnahme der Fälle des § 281a; 1159

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s dort) unverzichtbar (§ 196 Abs 2; Sperl 660, 664; Pollak 468; W. Kralik [nach Fasching Rz 676]; Bajons, FS Fasching 32; Rechberger/Simotta Rz 280). Der Mangel liegt vor allem dann vor, wenn das erkennende Gericht Beweise im Rechtshilfeweg aufnehmen lässt, ohne dass dafür die gesetzlichen Voraussetzungen gegeben sind (JBl 1960, 564 [krit Nowak]; ggt [rügepflichtiger Verfahrensmangel] EvBl 1965/188). Daran vermag auch die den Unmittelbarkeitsgrundsatz einschränkende Vorschrift des § 281a nichts zu ändern, weil die Unterlassung des dort vorgesehenen Parteienantrags auf unmittelbare Beweisaufnahme dem Gericht keineswegs einen Freibrief für ein mittelbares Verfahren ausstellt (vgl zu den immanenten Schranken der Anwendung des § 281a dort Rz 5). Der Verstoß gegen die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme kann das rechtliche Gehör der Parteien verkürzen und ist dann als Nichtigkeitsgrund nach § 477 Abs 1 Z 4 einzustufen (Bajons, FS Fasching 31 f; Rechberger in Fasching/Konecny III Vor § 266 Rz 91); ein solcher Fall liegt zB dann vor, wenn der Richter die Verhandlung gem § 193 Abs 3 vor Erstellung des schriftlichen Sachverständigengutachtens schließt und dadurch den Parteien die Beweiserörterung gem § 357 abschneidet (RZ 1937, 296). Nach hRsp und einem Teil der Lehre bedeutet die Verletzung der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme dagegen grundsätzlich bloß einen rügepflichtigen Verfahrensmangel (EvBl 1965/ 188; ZAS 1974, 14 [zust Rinner]; nach JBl 1971, 96 muss der Verzicht auf die Unmittelbarkeit allerdings ausdrücklich erklärt und protokolliert werden; Fasching Rz 676; Holzhammer 131; ders, PraktZPR 107 f). Die Beweisaufnahme soll nicht nur formell unmittelbar erfolgen, sondern auch materiell: Das bedeutet, dass der Richter nicht nur die größtmögliche Eigenwahrnehmung anzustreben, sondern auch – unter mehreren möglichen Beweismitteln – das beweiskräftigste auszuwählen hat (Fasching Rz 912 spricht von „tatsachennahen“ Beweismitteln). Deshalb liegt auch dann ein Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz vor, wenn statt der (möglichen) Vernehmung eines unmittelbaren Zeugen ein „Beweis vom Hörensagen“ oder statt der Vernehmung eine „schriftliche Aussage“ (zu Recht dagegen, weil es auch dem Grundsatz der Mündlichkeit widerspricht: SZ 59/93 = EvBl 1987/1 = JBl 1986, 583; Ortner, AnwBl 1986, 616; Mohr, ÖJZ 1985, 524, der aber die Mündlichkeit nicht verletzt sieht) zugelassen wird, oder wenn sich der Richter – wie es vor allem in der städtischen Gerichtspraxis häufig vorkommt – mit den Ausführungen eines Sachverständigen über bestimmte Örtlichkeiten begnügt, anstatt einen Augenschein vorzunehmen (ähnlich Holzhammer 254; s. auch Rechberger/Simotta Rz 612; Rechberger in Fasching/Konecny III Vor § 266 Rz 92 und § 281a Rz 2 sowie ausführ1160

§§ 266–267

2.1 Verfahren bis zum Urteile

lich Bajons, FS Fasching 28 f). Auch die Verletzung der materiellen Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme begründet zumindest einen wesentlichen Verfahrensmangel. Konzentrationsgrundsatz. Mehrfach schlägt in den Regeln über die 31 Beweisaufnahme der Gedanke der Verfahrenskonzentration durch: Die Aufnahme von Beweisen kann verweigert werden, wenn sie in Verschleppungsabsicht angeboten wurden und ihre Aufnahme die Erledigung des Verfahrens erheblich verzögern würde (§ 275 Abs 2); Beweisaufnahmen, die das Verfahren voraussichtlich verzögern würden, können befristet werden (§ 279). Der Konzentration des Verfahrens dienen auch die Rechtsmittelbeschränkungen im Beweisaufnahmeverfahren: § 291 zählt in Abs 1 jene Fälle taxativ auf, in denen gegen Beschlüsse im Beweisaufnahmeverfahren kein abgesondertes Rechtsmittel, Abs 2 jene, in denen gar kein Rechtsmittel zulässig ist. Grundsatz der Amtswegigkeit. Das Gericht hat die Beweisaufnahme 32 von Amts wegen und grundsätzlich auch dann durchzuführen, wenn die Parteien nicht anwesend sind (s Näheres bei §§ 288, 289). Die Parteien sind aber stets zu laden und haben verschiedene Mitwirkungsrechte (s §§ 281a, 288 Abs 2, 289). Gang des Beweisverfahrens. Anhand des Beweisantritts der Partei (s 33 oben Rz 28) und/oder auf Grund der dem Gericht von Amts wegen notwendig erscheinenden Beweise erstellt das Gericht gemeinsam mit den Parteien das Prozessprogramm (§ 258 Abs 1 Z 4), auf dessen Basis die Beweisaufnahme erfolgt. Bei Bedarf kann jederzeit eine weitere Erörterung über den geplanten Verfahrensfortgang und in dessen Folge die Bekanntgabe bis dahin nicht geplanter Beweisaufnahmen erfolgen. Nach der Durchführung der Beweisaufnahme (das Gesetz spricht mehrfach von „Ausführung“) kommt es zur Beweiserörterung (vgl § 278 Abs 2: „Erörterung der Ergebnisse solcher Beweisaufnahmen“); vgl dazu Näheres bei § 289. Beweis § 266. (1) Die von einer Partei behaupteten Tatsachen bedürfen insoweit keines Beweises, als sie vom Gegner in einem vorbereitenden Schriftsatze, im Laufe des Rechtsstreites bei einer mündlichen Verhandlung oder im Protokolle eines beauftragten oder ersuchten Richters ausdrücklich zugestanden werden. Zur Wirksamkeit eines gerichtlichen Tatsachengeständnisses ist dessen Annahme seitens des Gegners nicht erforderlich. 1161

§§ 266–267

Rechberger

(2) Inwiefern ein solches Geständnis durch demselben von der Partei beigefügte Zusätze und Einschränkungen aufgehoben oder in seiner Wirksamkeit beeinträchtigt wird, und welchen Einfluß ein Widerruf auf die Wirksamkeit des Geständnisses hat, ist vom Gerichte nach seinem durch sorgfältige Erwägung aller Umstände geleiteten Ermessen zu beurteilen. (3) In gleicher Weise hat das Gericht zu beurteilen, inwiefern zufolge eines außergerichtlichen Geständnisses die Notwendigkeit des Beweises entfalle. [Stammfassung] § 267. (1) Ob tatsächliche Behauptungen einer Partei mangels eines ausdrücklichen Geständnisses des Gegners als zugestanden anzusehen seien, hat das Gericht unter sorgfältiger Berücksichtigung des gesamten Inhaltes des gegnerischen Vorbringens zu beurteilen. (2) In gleicher Weise hat das Gericht insbesondere auch zu beurteilen, ob die Erklärung mit Nichtwissen oder Nichterinnern als eine die Annahme eines Zugeständnisses ausschließende oder aber ein Zugeständnis in sich schließende Erklärung anzusehen sei. [Stammfassung] Lit: Simotta, Das „Zerrüttungsgeständnis“ im Verfahren über die einvernehmliche Scheidung, FS Kralik (1986) 329; Rechberger, Das Dogma von der Bindungswirkung des Geständnisses, NZ 1991, 69; Oberhammer, Richtermacht, Wahrheitspflicht und Parteienvertretung, in Kralik/ Rechberger (Hrsg), Konfliktvermeidung und Konfliktregelung, LBI XIII (1993) 31; Annerl, Die innerprozessuale Präklusion von Parteivorbringen im Zivilverfahren (2005). Rechberger in Fasching/Konecny III §§ 266, 267; Ballon Rz 229; Fasching Rz 839 ff; Holzhammer 243; Holzhammer, PraktZPR 271 und 274; Rechberger/Simotta Rz 600.

1 Begriff des Geständnisses. Das Geständnis ist die Wissenserklärung einer Partei, dass eine tatsächliche, für den Zugestehenden ungünstige Behauptung des Gegners richtig sei. Das Gesetz unterscheidet zwischen dem ausdrücklichen Geständnis, das in einem vorbereitenden Schriftsatz, bei einer mündlichen Verhandlung oder vor einem ersuchten (oder beauftragten) Richter abgegeben wird (§ 266 Abs 1), und Behauptungen und Erklärungen, die das Gericht aufgrund freier Beweiswürdigung als Geständnis wertet (§ 267; vgl dazu NRsp 1991/38; SZ 66/59); dasselbe gilt von einem außergerichtlichen Geständnis (§ 266 Abs 3). Die in der Praxis häufige (und für die Gliederung des Prozessstoffs wichtige) „Außerstreitstellung“ ist gleichfalls als Ge1162

§§ 266–267

2.1 Verfahren bis zum Urteile

ständnis zu werten, wenn damit eine Prozessbehauptung des Gegners als zutreffend bezeichnet wird (EvBl 1977/209; vgl auch Fasching Rz 844). Als Wissenserklärung über Tatsachen unterscheidet sich das Geständnis grundsätzlich vom Anerkenntnis: Dieses ist eine Willenserklärung des Beklagten, mit der er sich dem Rechtsschutzantrag des Klägers ganz oder teilweise unterwirft; es enthält somit eine Disposition über den geltend gemachten Anspruch. Wird ein Geständnis hinsichtlich des Bestehens eines Rechtsverhältnisse abgegeben, werden die zugrunde liegenden Tatsachen zugestanden (EvBl 1964/165; SZ 50/ 69; 9 Ob A 248/98f = DRdA 1999/58 = ARD 5018/5/99; nach EvBl 1973/113 und EvBl 1974/29 aber nur dann, wenn der Gestehende versteht, auf welchen Tatsachen das betreffende Rechtsverhältnis basiert). Rechtliche Qualifikationen (soweit nicht in Wahrheit wiederum deren Tatsachengrundlage gemeint ist, wie etwa bei Kaufmannseigenschaft oder Vertragsabschluss uä) können ebenso wenig Gegenstand eines Geständnisses sein (MietSlg 32.689/36; LGZ Wien MietSlg 39.759) wie die Anwendbarkeit eines Gesetzes (MietSlg 20.250/6; vgl auch Rummel, ZAS 1986, 168 [Entscheidungsbespr]). Unwirksam ist ein Geständnis, das von Amts wegen zu prüfende Tatsachen betrifft (zB wenn es um Prozessvoraussetzungen geht), sowie generell in Verfahren, in denen reiner Untersuchungsgrundsatz gilt (Fasching Rz 838, 851). Im erstinstanzlichen Verfahren ist ein Geständnis bis zum Schluss der mündlichen Streitverhandlung möglich, dann wieder im Berufungsverfahren (EvBl 1959/78) bis zum Schluss der mündlichen Berufungsverhandlung, eine Präklusion (§ 179 zweiter Satz, § 275 Abs 2) kommt nicht in Betracht, weil ein Geständnis höchstens beschleunigen, nicht aber verzögern oder gar verschleppen kann (Annerl, Präklusion 135). Wirkungslos ist ein Geständnis in der Revision oder in der Revisionsbeantwortung, weil diese keine vorbereitenden Schriftsätze sind (EvBl 1966/382); außerdem sind im Revisionsverfahren keine Tatsachenfeststellungen möglich. Ein Geständnis gilt nur in jenem Prozess, in dem es abgegeben wurde (ÖBl 1965, 18); es kann daher auch nicht als Wiederaufnahmegrund in einem anderen Rechtsstreit verwendet werden (EvBl 1960/143). Wirkung. Nach stRsp sind ausdrücklich zugestandene Tatsachen 2 grundsätzlich als wahr anzunehmen und der Entscheidung ungeprüft zugrunde zu legen (EvBl 1957/90; EvBl 1974/29; JBl 1990, 590; RdW 1998, 20; 7 Ob 135/99z = EFSlg 90.956). Das gerichtliche Geständnis bindet danach das Gericht grundsätzlich an die zugestandenen Tatsachen und schafft bezüglich dieser Tatsachen ein Beweisthemenverbot (JBl 1990, 590; 10 Ob S 319/01m = SSV-NF 15/129; vgl zu 1163

§§ 266–267

Rechberger

diesem Vor § 266 Rz 23 f). Keine Bindung an das Geständnis besteht nach der Rsp nur dann, wenn a) das Gegenteil der zugestandenen Tatsache allgemein bekannt ist, b) das Geständnis allgemein anerkannten Erfahrungssätzen widerspricht (9 Ob 174/97x = RdW 1998, 20), c) das Gegenteil dem Gericht im Zuge seiner amtlichen Tätigkeit bekannt geworden ist (EvBl 1957/90; ZfRV 1969, 140; VR 1968, 1052; JBl 1990, 590) oder d) wenn dem Gericht die Prüfung der maßgeblichen Tatsachen von Amts wegen vorgeschrieben ist (Untersuchungsgrundsatz). Die Rsp steht damit im auffallenden Gegensatz zur Lehre, die eine Bindungswirkung des Geständnisses nahezu einhellig ablehnt: Aus § 266 ergibt sich keine Einschränkung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung; ob zugestandene Tatsachen keines (anderen) Beweises bedürfen, ist nach den Ergebnissen der gesamten Verhandlung (§ 272) zu beurteilen (W. Kralik [nach Fasching Rz 849]; Holzhammer 244; Oberhammer, LBI XIII 52 ff; Holzhammer, PraktZPR 271; Ballon Rz 229; Rechberger/Simotta Rz 600; Rechberger in Fasching/Konecny III §§ 266, 267 Rz 8; vgl auch ausführlich dens, NZ 1991, 70). Eine Bindung des Gerichts an ein Geständnis läuft letztlich auf eine Parteiendisposition über Tatsachen hinaus, die den Grundsätzen der ZPO über die vollständige und wahrheitsgemäße Feststellung des Sachverhalts (s dazu § 178 Rz 1) zuwiderläuft. Die Auffassung Faschings (Rz 851), die Sperl (299) und Pollak (485) folgt, unterscheidet sich davon nur geringfügig: Danach darf der Richter trotz eines Geständnisses – abgesehen von den auch von der Rsp anerkannten Fällen – auch dann weitere Beweise aufnehmen, wenn ihm die Unrichtigkeit der zugestandenen Tatsache(n) aufgrund der bisherigen Beweisergebnisse eindeutig erwiesen erscheint.

3 Zusätze und Einschränkungen sind nach § 266 Abs 2 grundsätzlich zulässig. In Frage kommt die Hinzufügung von Behauptungen, die ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel enthalten (vgl § 289 Abs 1 dZPO; zB der Abschluss des Kaufvertrags wird zugestanden, aber eingewendet, der Kaufpreis sei bereits bezahlt worden); das qualifizierte Geständnis, bei dem mit einem Teilgeständnis die Behauptung von Einwendungstatsachen verbunden wird (zB einer Darlehensforderung gegenüber wird zwar die Zahlung zugestanden, diese aber als Kaufpreiszahlung qualifiziert) oder das motivierte Leugnen, bei dem einem Teilgeständnis durch Einschränkungen die Wirkung genommen wird (zB gegenüber einer Kaufpreisforderung wird vorgebracht, der Kaufvertrag sei unter einer – nicht eingetretenen – aufschiebenden Bedingung abgeschlossen worden). Mit dem (unpassenden) Ausdruck „Ermessen“ ist der Grundsatz der „Verhandlungswürdigung“ des § 272 gemeint (vgl Rechberger, NZ 1991, 72). 1164

§§ 266–267

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Widerruf. Auch sein Einfluss auf die Wirksamkeit des Geständnisses ist 4 gem § 266 Abs 2 nach freier Beweiswürdigung zu beurteilen (weshalb für das Geständnis selbst nichts anderes gelten kann). Im Vorbringen von Tatsachen, die mit dem Geständnis in unlösbarem Widerspruch stehen, liegt ein Widerruf (EvBl 1977/209). Das Geständnis kann bis zum Schluss der mündlichen Streitverhandlung jederzeit widerrufen werden (EvBl 1961/123 = JBl 1961, 429), bei Verletzung der Prozessförderungspflicht kommt allerdings eine Präklusion in Betracht (§ 179 zweiter Satz, § 275 Abs 2); im Berufungsverfahren steht das Neuerungsverbot einem Widerruf entgegen (RZ 1956, 46); das gilt nicht, soweit im Verfahren in Arbeitsrechtssachen gem § 63 ASGG Neuerungserlaubnis besteht. Schlüssige Geständnisse (§ 267). In gleicher Weise wie Zusätze, Ein- 5 schränkungen und Widerruf (§ 266 Abs 2) sowie ein außergerichtliches Geständnis (§ 266 Abs 3) unterstellt § 267 Tatsachenbehauptungen ohne ausdrückliches Geständnis und Erklärungen mit Nichtwissen und Nichterinnern der Verhandlungswürdigung des § 272. Die Rsp (vgl die Übersicht in SZ 66/59) wertet die unterbliebene Bestreitung nur dann als schlüssiges Geständnis, wenn im Einzelfall gewichtige Indizien für ein Geständnis sprechen: Das ist zB der Fall, wenn der Beklagte seinem Vorbringen die Behauptungen des Gegners zugrunde legt (3 Ob 507/85); wenn er „mehrfaches und heftiges“ Vorbringen des Klägers niemals konkret bestreitet, obwohl dieses von ihm leicht zu widerlegen wäre (SZ 55/116 [zust Pfersmann, ÖJZ 1986, 37]; 5 Ob 295/00v = wobl 2001/190 = immolex 2001/75 = MietSlg 52.460; vgl zur Wertung des unsubstantiierten Bestreitens des ausreichenden gegnerischen Vorbringens als schlüssiges Geständnis auch SZ 47/3; NRsp 1991/38; 1 Ob 183/98p = EFSlg 88.111; 3 Ob 311/98a = EFSlg 88.112; 9 Ob A 55/02g = infas 2002, A 93; 6 Ob 242/04p = wobl 2005/73; LG Korneuburg, 21 R 339/99x = AnwBl 2000/7659); wenn er die rechnerische Richtigkeit der Klagsforderung „unter neuerlichem Hinweis auf das sonstige Vorbringen“ zugesteht, ohne dass ein derartiges Vorbringen zur Hauptsache vorläge (SZ 63/201); wenn er zwar das Klagebegehren der Höhe nach außer Streit stellt, sich jedoch zum Zinsenbegehren nicht äußert (9 Ob A 292/90). Die Würdigung, ob ein Geständnis vorliegt oder nicht, ob Beifügungen 6 oder Einschränkungen es seiner Wirksamkeit berauben udgl, ist nach SZ 66/59 der Überprüfung (auf Grund einer Mängelrüge) zugänglich, weil es sich dabei nur um die Prüfung handelt, „ob die ,unvollkommen‘ zugestandenen Tatsachen überhaupt bewiesen werden müssen“ (ebenso 10 Ob S 314/02b = SSV-NF 16/121). 1165

§ 269

Rechberger

§ 268. Diese Bestimmung über die Bindung des Richters an verurteilende strafgerichtliche Erkenntnisse wurde vom VfGH als verfassungswidrig aufgehoben (BGBl 1990/706). Vgl zur Frage der Bedeutung der Ergebnisse eines Strafverfahrens für den Zivilprozess § 191 Rz 6, § 281a Rz 8 und § 411 Rz 12. § 269. Tatsachen, welche bei dem Gerichte offenkundig sind, bedürfen keines Beweises. [Stammfassung] Lit: Rechberger in Fasching/Konecny III § 269; Ballon Rz 230; Fasching Rz 852 ff; Holzhammer 241; Rechberger/Simotta Rz 601.

1 Offenkundig (notorisch) ist eine Tatsache, wenn sie a) allgemeinkundig oder b) gerichtskundig ist (JBl 1963, 617; ZfRV 1969, 143).

2 Allgemeinkundige Tatsachen sind einer beliebig großen Anzahl von Menschen bekannt oder doch ohne Schwierigkeiten jederzeit zuverlässig wahrnehmbar (RZ 1938, 23: „Tatsachen, die allen intelligenten und auf die Verhältnisse ihrer Umgebung aufmerksamen Personen bekannt sein können“). Gemeint sind zB Erfahrungssätze der allgemeinen Lebenserfahrung (vgl GlUNF 4050), geographische Tatsachen oder Ereignisse des Zeitgeschehens. Beispiele aus der Rsp: dass unselbständig Erwerbstätige idR nach Vollendung des 65. Lebensjahres einer Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen (JBl 1972, 540 = RZ 1972, 52); die Kurswerte von zumindest an österreichischen Geldinstituten gehandelten Währungen aufgrund ihrer unbedenklichen Verlautbarungen in der Presse (EvBl 1983/164 = RZ 1984/41; vgl aber zur Problematik der Offenkundigkeit der in den Medien verbreiteten Tatsachen Fasching Rz 853); nicht die Orts- und Verkehrsverhältnisse an einer bestimmten Straßenkreuzung (ZVR 1959/182).

3 Gerichtskundige Tatsachen sind dem erkennenden Gericht aus eigener amtlicher Wahrnehmung bekannt (zB aus einem Vorprozess: so ist etwa bei Fällung eines Versäumungsurteils über eine Räumungsklage nach § 1118 ABGB die Tatsache zu berücksichtigen, dass zuvor die Mietzinsklage infolge Zahlung des Mietzinsrückstands auf Kosten eingeschränkt wurde [EvBl 1968/121]), ohne dass erst in bestimmte Unterlagen Einsicht genommen werden muss (3 Ob 2122/96x = HS 27.005; 3 Ob 224/97f = JBl 1999, 333; 9 Ob A 326/98a = ARD 5042/14/ 99; 4 Ob 129/99w = ÖBl 2000, 64; 4 Ob 173/04a = immolex 2005/44; OLG Linz 2 R 25/03i = EFSlg 105.839). Dass die Tatsachen ohne weiteres aus den Akten desselben Gerichts oder aus öffentlichen Registern 1166

§ 270

2.1 Verfahren bis zum Urteile

bzw sonstigen qualifizierten Veröffentlichungen (zB aus dem Amtsblatt zur Wiener Zeitung) zu ersehen wären, reicht demnach nicht aus (Rechberger in Fasching/Konecny III § 269 Rz 7 f; 4 Ob 173/04a = immolex 2005/44; LG Salzburg 21 R 181/99k = EFSlg 102.004; anders noch 10 Ob S 239/98i = SSV-NF 12/123; 7 Ob 825/82 = SZ 56/120). Die in solchen Fällen zweifellos gegebene leichte Beweisbarkeit der in Frage stehenden Tatsachen darf nicht mit Notorietät verwechselt werden. Von der Beweisbefreiung weiters zu unterscheiden ist Privatwissen des Richters, das ihn funktionell zum Zeugen oder zum Sachverständigen (s § 364) macht. Wirkung. Bei offenkundigen Tatsachen erübrigt sich der Beweis; sie 4 dürfen vom Richter auch ohne Parteienbehauptung verwertet werden (Fasching Rz 852). Ob eine Tatsache offenkundig ist, entscheidet der Richter (im Senatsprozess die Mehrheit). Die Bestreitung, ein widerstreitendes Geständnis und auch Säumnis (vgl § 396) kann die Feststellung offenkundiger Tatsachen nicht hindern. Da die Allgemeinkundigkeit einer Tatsache bezweifelt werden kann und gerichtskundige Tatsachen den Parteien oft gar nicht bekannt sind, muss das Gericht zur Wahrung des rechtlichen Gehörs auch offenkundige Tatsachen mit den Parteien erörtern (6 Ob 647/95 = MietSlg 48.629; 10 Ob S 259/02i = SSV-NF 16/101; LGZ Wien 34 165/99p = EFSlg 90.958; LG Salzburg 21 R 181/99k = EFSlg 102.005). Der Beweis der Unrichtigkeit offenkundiger Tatsachen ist stets zulässig (Fasching Rz 852; Rechberger/Simotta Rz 601). § 270. Tatsachen, für deren Vorhandensein das Gesetz eine Vermutung aufstellt, bedürfen keines Beweises. Der Beweis des Gegenteiles ist zulässig, sofern das Gesetz denselben nicht ausschließt. Dieser Gegenbeweis kann auch durch Vernehmung der Parteien gemäß §§ 371 ff geführt werden. [Stammfassung] Lit: Holzhammer, Die einfache Vermutung im Zivilprozeß, FS Kralik (1986) 205; Schöberl, Beweis des Gegenteils und Schutz der Geschäftsund Betriebsgeheimnisse dargestellt am Beispiel des § 155 PatG, ÖJZ 2005/17. Rechberger in Fasching/Konecny III § 270; Ballon Rz 230; Fasching Rz 865 ff; Holzhammer 242; Rechberger/Simotta Rz 602 f. Die gesetzliche Vermutung besteht aus zwei Gliedern: Aus der tatbe- 1 standsfremden Vermutungsbasis einerseits und aus der vermuteten rechtserheblichen Tatsache (Tatsachenvermutung, praesumptio facti) 1167

§ 270

Rechberger

oder dem vermuteten Rechtszustand (Rechtsvermutung, praesumptio iuris) andererseits. Von der Vermutungsbasis zur tatbestandsrelevanten Tatsache bzw zum Rechtszustand führt ein gesetzlicher Erfahrungsschluss, so dass die begünstigte Partei bloß die Vermutungsbasis zu beweisen braucht. Für die vermutete Tatsache trifft sie zwar die Behauptungslast, aber keine Beweislast (vgl dazu Holzhammer, FS Kralik 206).

2 Wirkung. Sofern das Gesetz nicht ausnahmsweise die Widerlegung einer (Rechts-)Vermutung verbietet (praesumptio iuris et de iure, § 270 Satz 2), besteht die Wirkung der gesetzlichen Vermutung in einer Beweislastumkehr (der Einleitungssatz des § 270 hat daher keine eigenständige Bedeutung). Der Gegner des Begünstigten muss nun den Beweis des Gegenteils (vgl dazu Vor § 266 Rz 19) erbringen, dass trotz Vorliegens der Vermutungsbasis die vermutete Tatsache bzw der vermutete Rechtszustand nicht eingetreten ist. Er kann aber auch versuchen, mit einem normalen Gegenbeweis (vgl dazu Vor § 266 Rz 18) die Vermutungsbasis zu erschüttern. Im Schulbeispiel der Vaterschaftsvermutung des § 163 ABGB idF BGBl 135/2000 kann der beklagte Mann daher die Vaterschaftsvermutung durch den Beweis des Gegenteils iS des § 163 Abs 2 ABGB entkräften (nämlich durch den Beweis, dass das Kind nicht von ihm abstammt) oder der Vermutung durch einen Gegenbeweis die Basis entziehen, wenn schon die Beiwohnung nicht wahrscheinlich genug ist (vgl zu der nur theoretisch interessanten Frage, ob es sich bei der Vaterschaftsvermutung um eine Tatsachenoder Rechtsvermutung handelt, Fasching Rz 866, der zu Recht von einer Rechtsvermutung ausgeht).

3 Beispiele. Tatsachenvermutungen enthalten die §§ 518, 1110, 1232, 1297, 1427, 1429 ABGB und die §§ 10, 11 TEG; Rechtsvermutungen die §§ 323, 328, 724, 926, 1029 f, 1224, 1428, 1430 ABGB.

4 Fiktion. Während bei der Vermutung von einer Tatsache zur anderen (bzw zu einem Rechtszustand) ein gesetzlicher Erfahrungsschluss führt, knüpft das Gesetz bei der Fiktion aus Gerechtigkeitsüberlegungen die Entstehung oder den Bestand von Rechten unwiderlegbar an den Eintritt von Tatsachen, ohne dass dies einem natürlichen Ablauf entspräche (wirklichkeitsfremde Folge). Schulbeispiel: § 22 ABGB („nasciturus pro iam nato habetur quotiens de commodis eius agitur“).

5 Nicht zur Beweislastumkehr führt dagegen die „einfache“ Vermutung, bei der der Beweisführer zwar zunächst wegen des in der Vermutung steckenden Erfahrungssatzes gleichfalls begünstigt wird, bei der 1168

§ 271

2.1 Verfahren bis zum Urteile

dieser Erfahrungssatz aber nicht so stark ist, dass er ihm bei Zweifeln an der vermuteten Tatsache die Beweislast erspart. Schulbeispiel: die Echtheitsvermutung der öffentlichen Urkunden in § 310 (s Näheres dort). Vgl zum ganzen Holzhammer, FS Kralik 208 ff. § 271. (1) Das in einem anderen Staatsgebiete geltende Recht, Gewohnheitsrechte, Privilegien und Statuten bedürfen des Beweises nur insofern, als sie dem Gerichte unbekannt sind. (2) Bei Ermittlung dieser Rechtsnormen ist das Gericht auf die von den Parteien angebotenen Beweise nicht beschränkt; es kann alle zu diesem Zwecke ihm nötig scheinenden Erhebungen von Amts wegen einleiten und insbesondere, soweit erforderlich, das Einschreiten des Bundesministeriums für Justiz in Anspruch nehmen. [Stammfassung] Gem § 51 Abs 1 Z 4 IPRG ist Abs 2, soweit er die Ermittlung fremden Rechtes betrifft, außer Kraft getreten. An seiner Stelle sind die §§ 3 und 4 IPRG anzuwenden. Diese lauten: Anwendung fremden Rechtes § 3. Ist fremdes Recht maßgebend, so ist es von Amts wegen und wie in seinem ursprünglichen Geltungsbereich anzuwenden. Ermittlung fremden Rechtes § 4. (1) Das fremde Recht ist von Amts wegen zu ermitteln. Zulässige Hilfsmittel hiefür sind auch die Mitwirkung der Beteiligten, Auskünfte des Bundesministeriums für Justiz und Sachverständigengutachten. (2) Kann das fremde Recht trotz eingehendem Bemühen innerhalb angemessener Frist nicht ermittelt werden, so ist das österreichische Recht anzuwenden. Lit: W. Kralik, Jura novit curia und das ausländische Recht, ZfRV 1962, 75; Wolf, Das Europäische Übereinkommen vom 7. Juni 1968 betreffend Auskünfte über ausländisches Recht, NJW 1975, 1583; W. Kralik, Das fremde Recht vor dem Obersten Gerichtshof, FS Fasching (1988) 297; Konecny, Zur Anwendung fremden Rechts bei der Anspruchsprüfung im Provisorialverfahren, ÖBA 1988, 1184; Kropholler, Internationales Privatrecht5 (2004). Verschraegen in Rummel 3 § 3, 4 IPRG; Rechberger in Fasching/ Konecny III § 270; Bajons Rz 34; Fasching Rz 835 f; Rechberger/Simotta Rz 589. 1169

§ 271

Rechberger

1 Für fremdes Recht gilt zwar die Fiktion „iura novit curia“ nicht, doch hat es das Gericht gem § 4 Abs 1 IPRG von Amts wegen zu ermitteln. Dafür werden dem Richter verfahrensrechtliche Mittel zur Hand gegeben, die seine Tätigkeit der Erforschung der Tatfrage annähern (W. Kralik, FS Fasching 307); trotzdem (und entgegen der Diktion des § 271 Abs 1) handelt es sich nicht um eine Beweisaufnahme im technischen Sinn, sondern um ein Erhebungsverfahren eigener Art (W. Kralik aaO 307; Fasching Rz 807), das nur dann zur Anwendung kommt, wenn das fremde Recht nicht doch genauso wie inländisches Recht außerhalb des Verfahrens ermittelt werden kann. Da das ausländische Recht nicht als Tatsache gewertet wird, steht das Neuerungsverbot der Vorlage von Erkenntnisquellen in Rechtsmittelschriften nicht entgegen (ZfRV 1987, 53 [zust Hoyer]; ÖBA 1994/457 = ZfRV 1994, 33; EvBl 1997/107).

2 Als Hilfsmittel, die „auch“ zulässig sind, nennt das Gesetz zunächst die Mitwirkung der Parteien – das Gericht kann die Parteien auffordern, bei der Ermittlung Hilfe zu leisten, die Verpflichtung zur Ermittlung des ausländischen Rechts aber nicht auf sie abwälzen; Untätigkeit der Parteien enthebt das Gericht nicht seiner amtswegigen Ermittlungspflicht (OLG Innsbruck ÖStA 1982, 13 [zust Deschka] = ZfRV 1981, 51 [zust Schwind]). Dazu kommen Auskünfte des Justizministeriums und Gutachten von Sachverständigen; es können auch ausländische Sachverständige bestellt werden (ZfRV 1973, 296 [zust Böhm]), ohne dass dabei die Förmlichkeiten der §§ 351 ff für den Sachverständigenbeweis eingehalten werden müssten (W.Kralik aaO 307). Darüber hinaus kann sich der Richter auch des Europäischen Übereinkommens betreffend Auskünfte über ausländisches Recht (BGBl 1971/417; Zusatzprotokoll BGBl 1980/179; vgl beide bei Duchek/Schütz/Tarko, Zwischenstaatlicher Rechtsverkehr in Zivilsachen2 [1998] 271 ff) bedienen, das ihm aber nur generelles Material ohne Bezugnahme auf den Einzelfall liefert (vgl die Länderübersicht zu § 42 RHE Ziv 2004, JABl 13).

3 Nach § 3 IPRG ist das ausländische Recht genauso wie in seinem ursprünglichen Geltungsbereich anzuwenden. Der österreichische Richter hat daher auch die herrschende ausländische Rechtspraxis zu berücksichtigen (RZ 1966, 203 = ZfRV 1969, 212 [insofern zust W. Kralik]; ZVR 1973/179; SZ 45/91 = EvBl 1973/63; SZ 46/83; ZVR 1975/217; ÖBl 1981, 71; ZfRV 1987, 53 [zust Hoyer]). Dabei kommt es in erster Linie auf die Anwendungspraxis des ausländischen Rechts durch die herrschende (höchstgerichtliche) Rechtsprechung an. Nur wenn dieser Lösungsansatz keine eindeutige Antwort ergeben sollte, ist der herrschenden fremden Lehre zu folgen (1 Ob 284/04b = ZfRV-LS 2005/15). 1170

§ 271

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Die Möglichkeit, gem § 4 Abs 2 IPRG österreichisches Recht anzu- 4 wenden, besteht erst dann, wenn die maßgeblichen Normen des fremden Rechts auch durch Heranziehung der einschlägigen, zur Schließung von Gesetzeslücken dienenden Bestimmungen der fremden Rechtsordnung nicht ermittelt werden können (ÖBl 1981, 71). Der Zeitraum der „angemessenen Frist“ ist unter Bedachtnahme auf die Dringlichkeit des Einzelfalls und die übliche und zumutbare Dauer der eingeleiteten Ermittlung zu beurteilen (Fasching Rz 836). Als Rechtsfrage ist die Anwendung ausländischen Rechtes stets revisi- 5 bel; doch setzt die Überprüfungsmöglichkeit durch den OGH voraus, dass der Rechtsmittelwerber unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht hat. In diesem Fall hat der OGH das ausländische Recht iS des § 3 IPRG zu ermitteln und anzuwenden (ÖBl 1981, 8; Arb 10.402; ZfRV 1988, 215; EFSlg 52.252; Näheres bei W.Kralik, FS Fasching 305 f). Vgl auch § 502 Rz 3. Wird das ausländische Recht nicht ermittelt, obwohl es ermittelt werden könnte, begründet dies eine unrichtige rechtliche Beurteilung vor (5 Ob 111/04s = ZfRV-LS 2004/42; 7 Ob 2/05b = ZfRV-LS 2005/13; W.Kralik, FS Fasching 308; Rechberger in Fasching/Konecny III § 271 Rz 9; in der älteren Rsp [vgl SZ 46/83; ZfRV 1977, 292] war noch von einem revisiblen Verfahrensmangel besonderer Art die Rede). Eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO liegt nach der Rsp aber nur dann vor, wenn die Anrufung des OGH zur Wahrung der Rechtssicherheit erforderlich erscheint (1 Ob 18/98y = ZfRV 1999, 35 = EFSlg 88.162; 8 Ob 64/99s = EFSlg 91.024; 7 Ob 121/00w = ZfRV 2001, 30; 7 Ob 98/04v = ZfRV-LS 2004/44; 10 Ob 52/03z = ZfRV-LS 2004/47; 1 Ob 284/04b = ZfRV-LS 2005/15); es genügt nicht, wenn Rsp zum anzuwendenden ausländischen Sachrecht fehlt (1 Ob 215/98v = ZfRV 1999, 64 = EFSlg 88.165; 2 Ob 297/98k = ÖBA 1999, 655; 2 Ob 18/99g = ZfRV 1999, 110 = EFSlg 91.028; 7 Ob 183/00p = ZfRV 2001, 71; 10 Ob 147/00s = ZfRV 2001, 110; 10 Ob 52/03z = ZfRV-LS 2004/47; aA Fasching Rz 1890). Die Festschreibung oder gar Fortentwicklung fremden Rechts bezeichnet der OGH zu Recht nicht als seine Aufgabe (6 Ob 1694/93 = ZfRV 1994, 157; 2 Ob 22/94 = ZfRV 1994, 247; 4 Ob 136/99z = ZfRV 2000, 114; 7 Ob 98/04v = ZfRV-LS 2004/44; 10 Ob 52/03z = ZfRV-LS 2004/47). Mit ausländischem Recht gleichbehandelt wird inländisches Sonder- 6 recht, nämlich Gewohnheitsrechte, Privilegien und Statuten, weil diese meistens nicht allgemein zugänglich und nicht in amtlichen Publikationsorganen veröffentlicht sind (Fasching Rz 836). § 271 Abs 2 ist allgemeiner gefasst als § 4 Abs 1 IPRG, so dass bei der Ermittlung des 1171

§ 272

Rechberger

inländischen Sonderrechts alle zweckdienlich scheinenden Erhebungsmöglichkeiten in Frage kommen; doch kommt hier der Mitwirkung der Parteien besondere Bedeutung zu (Näheres bei Rechberger in Fasching/ Konecny III § 271 Rz 13).

7 Kann das Gericht inländisches Sonderrecht nicht ermitteln, muss es nach den allgemeinen (kodifizierten) Rechtsnormen entscheiden (Fasching Rz 836). Zur amtswegigen Ermittlungspflicht über den Inhalt kollektivvertraglicher Normen nach § 43 Abs 3 ASGG vgl Vor § 266 Rz 16. § 272. (1) Das Gericht hat, sofern in diesem Gesetze nicht etwas anderes bestimmt ist, unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse der gesamten Verhandlung und Beweisführung nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine tatsächliche Angabe für wahr zu halten sei oder nicht. (2) Es hat insbesondere in gleicher Weise zu entscheiden, welchen Einfluss es auf die Beurteilung des Falles hat, wenn eine Partei die Beantwortung von Fragen verweigert, welche durch den Vorsitzenden oder mit dessen oder des Senates Zustimmung an sie gestellt werden. (3) Die Umstände und Erwägungen, welche für die Überzeugung des Gerichtes maßgebend waren, sind in der Begründung der Entscheidung anzugeben. [Stammfassung] Lit: R. Kralik, Zur Beweiswürdigung im zivilgerichtlichen Verfahren, ÖJZ 1954, 157; Pichler, Umwürdigung der Beweise im Rekursverfahren? JBl 1975, 356; Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses (1976) §§ 8, 15; Gottwald, Schadenszurechnung und Schadensschätzung (1979); G. Walter, Freie Beweiswürdigung (1979); Böhm-Hiller, Gedanken zur freien richterlichen Beweiswürdigung und den Aufgaben des Sachverständigen, RZ 1983, 87; Musielak/Stadler, Grundfragen des Beweisrechts (1984) §§ 6 ff; Rechberger, Maß für Maß im Zivilprozeß? Ein Beitrag zur Beweismaßdiskussion, FS Baumgärtel (1990) 471; Delle-Karth, Die Mangelhaftigkeit des Verfahrens im Berufungssystem des österreichischen Zivilprozeßrechts, ÖJZ 1993,10; E. Schneider, Beweis und Beweiswürdigung5 (1994); Rechberger, Das Zivilprozessrecht in Österreich zur Zeit Karls V., FS Sprung (2001) 311. Rechberger in Fasching/Konecny III § 272; Bajons Rz 142; Ballon Rz 20, 222; Deixler-Hübner/Klicka Rz 161; Fasching Rz 812 ff; Holzhammer 245; ders, PraktZPR 274; Rechberger/Simotta Rz 578. 1172

§ 272

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Bei der Bildung der Überzeugung, ob die für die Feststellung einer Tat- 1 sache notwendige (hohe) Wahrscheinlichkeit vorliegt (s dazu Vor § 266 Rz 5), ist der Richter frei, dh an keine gesetzlichen Beweisregeln gebunden. Er hat nach bestem Wissen und Gewissen, aufgrund seiner Lebenserfahrung und Menschenkenntnis zu prüfen, ob jener Wahrscheinlichkeitsgrad erreicht ist, der es rechtfertigt, dass er als Richter die fragliche Tatsache für wahr hält. Obwohl stets nur von freier Beweiswürdigung die Rede ist, geht § 272 Abs 1 darüber hinaus: Diese Überzeugungsbildung hat die Ergebnisse der gesamten Verhandlung mit einzubeziehen („Verhandlungswürdigung“), dh dass alles Vorbringen der Prozessbeteiligten, ihr Verhalten während der Verhandlung (Abs 2 erwähnt eigens die Verweigerung der Beantwortung von Fragen) und der persönliche Eindruck von den Prozessbeteiligten in die Würdigung einfließen sollen. Die freie Beweis- und Verhandlungswürdigung ist – zum Teil termino- 2 logisch irreführend – auch in den §§ 266 Abs 2 und 3, 267, 296, 307, 311, 318, 327, 374, 383, 489 Abs 3 und 491 angesprochen. Die Begründungspflicht (Abs 3) bezieht sich auf die objektiven Ele- 3 mente der richterlichen Beweiswürdigung; der Richter muss offen legen, aufgrund welcher Erfahrungssätze er zur Auffassung gelangt ist, die festgestellten Tatsachen seien für wahr zu halten (Näheres bei Rechberger, FS Baumgärtel 475 ff). Da freie Beweiswürdigung nicht Willkür bedeutet, muss sie begründet werden: Das Urteil muss klar und zweifelsfrei die erforderlichen Tatsachenfeststellungen und die Begründung dafür enthalten, warum es die festgestellten Tatsachen als erwiesen und andere behauptete Tatsachen als nicht erwiesen angenommen hat (RZ 1971, 15). Der Mangel einer Begründung (mit dem die in der Praxis häufigen Leerformeln gleichzusetzen sind [vgl dazu Delle-Karth, ÖJZ 1993, 19]) stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel dar (Fasching Rz 817). Obwohl wegen der Schwere des Mangels die Nichtigkeitssanktion des § 477 Abs 1 Z 9 angebracht erscheint, kommt sie nach der Rsp kaum in Frage, weil nach ihr dieser Nichtigkeitsgrund nur dann vorliegt, wenn eine Entscheidung gar nicht begründet wird (vgl LGZ Wien EFSlg 52.212, 55.071; s auch § 477 Rz 12). Nach Fasching (Rz 817) kommt sie dann in Frage, wenn die Entscheidung nicht einmal die für die rechtliche Beurteilung erforderlichen Tatsachenfeststellungen und die dazu gehörenden Beweismittel erwähnt (ähnlich RZ 1971, 15). Die Begründung macht die Beweiswürdigung überprüfbar; das Berufungsgericht kann daher (grundsätzlich nur aufgrund einer Beweiswiederholung, s § 488 Abs 4 und dort Rz 2 ff) die Beweiswürdigung ändern und zu anderen Tatsachenfeststellungen gelangen. Die Freiheit der Beweiswürdigung steht aber einer Aufhebung des Ersturteils und 1173

§ 273

Rechberger

der Bindung an die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts entgegen (Fasching Rz 814; EvBl 1960/119); im Falle der Aufhebung ist nur eine Bindung an die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts vorgesehen (s § 499 Abs 2).

4 Ausnahmen vom Grundsatz der freien Beweiswürdigung gelten hinsichtlich des Inhalts des Verhandlungsprotokolls (§ 215; s dort Näheres) und hinsichtlich der Beweiskraft der Urkunden (§§ 292 bis 296; s dort Näheres). Eingeschränkt ist die freie Beweiswürdigung auch bezüglich jener Tatsachen, die Versäumungsurteilen nach §§ 396 und 442 Abs 1 zugrunde gelegt werden, weil das Gericht hier das tatsächliche Vorbringen der erschienenen Partei, soweit es nicht durch vorliegende Beweise widerlegt wird, für wahr zu halten hat (vgl § 396).

5 Durch Vereinbarung zwischen den Prozessparteien kann der Grundsatz der freien Beweiswürdigung nicht eingeschränkt werden. Vereinbarungen, nach denen eine Partei nur bestimmte Tatsachen vorbringen bzw bestimmte Beweismittel beantragen dürfte oder nach denen das Gericht eine bestimmte Beweiswürdigung vorzunehmen habe (sog „Beweisverträge“, vgl dazu Fasching Rz 823), sind daher – im Gegensatz zu Beweislastverträgen (vgl dazu Vor § 266 Rz 13) – unwirksam (5 Ob 360/ 61 = SZ 34/183; 4 Ob 188/03f = EvBl 2004/40). § 273. (1) Wenn feststeht, dass einer Partei der Ersatz eines Schadens oder des Interesses gebührt oder dass sie sonst eine Forderung zu stellen hat, der Beweis über den streitigen Betrag des zu ersetzenden Schadens oder Interesses oder der Forderung aber gar nicht oder nur mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten zu erbringen ist, so kann das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen selbst mit Übergehung eines von der Partei angebotenen Beweises diesen Betrag nach freier Überzeugung festsetzen. Der Festsetzung des Betrages kann auch die eidliche Vernehmung einer der Parteien über die für die Bestimmung des Betrages maßgebenden Umstände vorausgehen. (2) Sind von mehreren in derselben Klage geltend gemachten Ansprüchen einzelne, im Verhältnis zum Gesamtbetrag unbedeutende, streitig und ist die vollständige Aufklärung aller für sie maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden, die zur Bedeutung der streitigen Ansprüche in keinem Verhältnis stehen, so kann das Gericht darüber in der gleichen Weise (Abs 1) nach freier Überzeugung entscheiden. Gleiches gilt auch für einzelne Ansprüche, wenn der begehrte Betrag jeweils 1 000 Euro nicht übersteigt. [Abs 1 Stammfassung; Abs 2 angefügt durch 5. GEN, Abs 2 letzter Satz angefügt durch ZVN 2002] 1174

§ 273

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Lit: Jelinek, Die Persönlichkeit des Verletzten und das Entstehen des Schmerzengeldanspruchs, JBl 1977, 1; Gottwald, Schadenszurechnung und Schadensschätzung (1979) 214 ff; Fasching, Die richterliche Betragsfestsetzung gemäß § 273 ZPO, JBl 1981, 225; Dolinar, Die freie richterliche Schadensschätzung nach § 273 ZPO als Instrument prozeßökonomischer Streiterledigung, FS Fasching (1988) 139; M. Roth, Unbestimmter Rechtsbegriff und Ermessen am Beispiel der richterlichen Betragsfestsetzung nach § 273/1 ZPO, BeitrZPR IV (1991) 103; dies, Individualleistung und Geldersatz im Rahmen der Interessenklage (1993) 74 ff; Mahr, Zur Anwendbarkeit des § 273 ZPO auf den richterlichen Ermessensspielraum in § 16 Abs 2 UWG, wbl 1994, 249; K. Hofmann, Zur Auslegung des § 273 ZPO, RZ 1996, 9; Klicka, Die österreichische Zivilverfahrens-Novelle 2002, ZZPInt 2002, 179. Rechberger in Fasching/Konecny III § 273; Bajons Rz 134; Ballon Rz 224; Deixler-Hübner/Klicka Rz 162; Fasching Rz 818, 869 ff; Holzhammer 246; ders, PraktZPR 275; Rechberger/Simotta Rz 604 f. Die freie richterliche Schadensschätzung nach § 273 Abs 1 ist ein Aus- 1 fluss des der ZPO innewohnenden Gedankens der Prozessökonomie (vgl zum historischen Werdegang dieser Bestimmung Mahr, wbl 1994, 252 f): Eine Kosten-Nutzen-Analyse lässt es in den hier genannten Fällen sinnvoller erscheinen, statt eines aufwendigen Beweisverfahrens zur Feststellung der Höhe eines Schadens dessen Schätzung nach freier richterlicher Überzeugung zu erlauben. Der Kläger trägt in diesem Fall nur die Behauptungslast, nicht aber die Beweislast für die Höhe des Schadens (auf die Beweislastregeln ist überhaupt kein Bedacht zu nehmen: 3 Ob 654/81 = MietSlg 34.744; 9 Ob A 101/99i = JBl 2000, 324). Das bedeutet, dass er diese Schadenshöhe (sofern es sich nicht um eine Stufenklage handelt – s dazu Art XLII EGZPO Rz 4) ziffernmäßig bestimmt anzugeben hat (SZ 23/67). Der Grund des Anspruchs, also dass dem Kläger überhaupt eine Forderung zusteht, muss jedenfalls feststehen [vgl unten Rz 6]; dafür bleibt es – grundsätzlich – bei der Beweislast des Klägers). Lässt sich die Anspruchshöhe nur unter unverhältnismäßigen Schwie- 2 rigkeiten beweisen, kann der Richter dennoch ein Beweisverfahren durchführen (Verfahrensermessen, s Vor § 266 Rz 3); lässt sie sich gar nicht feststellen, muss der Richter gem § 273 Abs 1 schätzen (eine klageabweisende Beweislastentscheidung kommt bei dem Grunde nach berechtigten Ansprüchen nicht in Betracht: Dolinar, FS Fasching 143 f; nach M. Roth, BeitrZPR IV 109, soll der Richter auch bei unverhältnismäßigen Schwierigkeiten für die Feststellungen kein Beweisverfahren abführen dürfen). 1175

§ 273

Rechberger

Bei der Beurteilung, ob „unverhältnismäßige Schwierigkeiten“ vorliegen, ist der mit einer Beweisaufnahme verbundene Aufwand an Kosten, Zeit und Arbeit zu berücksichtigen; vor allem sind dabei die voraussichtlichen Kosten mit dem Streitwert zu vergleichen. Da die Höhe des Streitwerts zumindest ein Indiz für die Bedeutung der Streitsache für die Parteien darstellt, muss der Richter umso größere Schwierigkeiten bei der Beweisaufnahme in Kauf nehmen, je höher der Streitwert ist (vgl dazu auch Fasching, JBl 1981, 231; Hofmann, RZ 1996, 11). Nach ZVR 1988/138 ist selbst dann eine Schadensschätzung vorzunehmen, wenn der Beweis für die Anspruchshöhe deshalb „gar nicht“ erbracht werden kann, weil die dafür notwendigen Beweismittel durch ein Verschulden des Klägers verloren gegangen sind. Jedenfalls unanwendbar ist § 273 aber dann, wenn der Beweispflichtige beweisunwillig ist (7 Ob 546/92 = RZ 1993/91).

3 Die Ermessensentscheidung ist nach der richterlichen Erfahrung, der allgemeinen Lebenserfahrung oder auch den Zwischenergebnissen eines teilweise durchgeführten Beweisverfahrens zu fällen (JBl 1958, 625; MietSlg 34.744). Es ist dem Richter nicht verwehrt, Beweise über jene Umstände aufzunehmen, die die Grundlage für seine Ermessensentscheidung sein können (MietSlg 32.690). Abs 1 kann auch noch angewendet werden, wenn ein Sachverständigengutachten vorliegt (MietSlg 32.690, 34.744; SZ 55/115). Da es sich beim Ermessen des § 273 um gebundenes Ermessen (s Vor § 266 Rz 3) handelt, stellt es einen Verfahrensmangel dar, wenn die Voraussetzungen des § 273 zu Unrecht angenommen werden (Fasching Rz 871; ders, JBl 1981, 234; M. Roth, BeitrZPR IV 115; Hofmann, RZ 1996, 12; Holzhammer, PraktZPR 276; Ballon Rz 224; Rechberger/Simotta Rz 604; Rechberger in Fasching/ Konecny III § 273 Rz 12; ZVR 1984/322; RZ 1990, 154; SZ 60/157; AnwBl 1992/4255; 1 Ob 79/98v = EFSlg 88.184; 9 Ob A 101/99i = JBl 2000, 324; 2 Ob 322/99p = MietSlg 53.718). Dasselbe gilt, wenn das Gericht eine Beweislastentscheidung fällt, obwohl die Schadensschätzung angebracht wäre (M. Roth, BeitrZPR IV 115).

4 Nach der Judikatur ist § 273 Abs 1 zB anwendbar bei Ermittlung eines Anspruchs auf Preisminderung (JBl 1958, 625; JBl 1983, 39; nicht aber, wenn sich der Wert der Sache durch einen Sachverständigen auf Grund der relativen Wertberechnungsmethode berechnen lässt [6 Ob 221/98p = JBl 1999, 115]); bei der Festsetzung der Zahl geleisteter Überstunden (Arb 8157, 8666; LGZ Wien Arb 9183) oder überhaupt Arbeitsstunden (RZ 1933, 122); bei Ermittlung der Höhe des angemessenen Lohnes oder Pauschalentgeltes (Arb 7914), bei Bestimmung der Höhe des durch Unterbleiben der Dienstleistung Ersparten (JBl 1976, 49 = Arb 9350 = 1176

§ 273

2.1 Verfahren bis zum Urteile

ZAS 1977/6); bei der Bewertung des erlangten Nutzens durch Einschaltung eines Inserats bei Rückabwicklung des Vertrags (1 Ob 307/01f = ecolex 2002/252 = MietSlg 54.093 = RdW 2003/13); bei Festsetzung des merkantilen Minderwertes einer Sache (ZVR 1966/337); bei Ermittlung des Schadens durch reparaturbedingte Stehzeiten eines Autobusses (ZVR 1988/138) oder der Kosten für ein Reservefahrzeug (OLG Innsbruck ZVR 1986/156); bei Festsetzung der Höhe einer „Hausfrauenrente“ (ZVR 1985/46); bei Ausmittlung einer „abstrakten Rente“ (EvBl 1966/355 = JBl 1966, 567; ZVR 1976/48; RZ 1982/9); bei Bemessung von Rentenansprüchen nach § 1327 ABGB (EFSlg 14.210/1, 34.413; OLG Wien EFSlg 18.518; ZVR 1981/121); bei der Schätzung des Kapitalwertes einer wertgesicherten Leibrentenforderung (SZ 48/92 = JBl 1976, 261 = NZ 1977, 88); für die Vergütung für eine Diensterfindung (JBl 1980, 107 = Arb 9744 = DRdA 1979, 225 = ÖBl 1979, 59); bei einem Wettbewerbsverstoß (JBl 1960, 193 = ÖBl 1960, 4; ÖBl 1962, 69); für das Benützungsentgelt wegen unbefugter Verwertung eines Lichtbilds einer Person zu Werbezwecken (ÖBl 1984, 141). Das Schmerzengeld ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles insb der körperlichen und seelischen Schmerzen des Verletzten sowie der Art und der Schwere der Verletzungsfolgen nach freier Überzeugung gem § 273 festzusetzen (ZVR 1980/335; ZVR 1985/ 107; ZVR 1987/23). Der Ersatz immateriellen Schadens kann nur nach § 273 bestimmt werden (MR 1986 H 4, 17). Ein Entscheidungsermessen (s Vor § 266 Rz 3) wird dem Richter durch 5 § 273 nicht eingeräumt (Holzhammer, PraktZPR 276; ausführlich M. Roth, BeitrZPR IV 116 ff). Die „freie Überzeugung“ des § 273 ist zwar nicht das Ergebnis einer Beweiswürdigung (was Fasching Rz 871; ders, JBl 1981, 227 f zu Recht betont, daraus aber den zu weit gehenden Schluss zieht, dem Richter sei ein Ermessensbereich „bei der Entscheidung“ eingeräumt [so Fasching1 III 284]), der Richter hat aber auch hier (ähnlich wie bei § 272) nach bestem Wissen und Gewissen, aufgrund seiner Lebenserfahrung und Menschenkenntnis und der Ergebnisse der gesamten Verhandlung (vgl § 272 Rz 1) den Betrag zu schätzen. Abs 1 letzter Satz weist ausdrücklich auf die eidliche Vernehmung (einer) der Parteien (seit der Änderung des § 377 durch die ZVN 1983 auch beider) über die für die Bestimmung des Betrags maßgebenden Umstände hin. Da es sich aber inhaltlich um eine Entscheidungstätigkeit handelt, wird die Betragsfestsetzung selbst nach heute eM als (revisible) rechtliche Beurteilung qualifiziert (Schima, Prozeßgesetz und Prozeßpraxis, JBl 1967, 549 f; Fasching1 III 284 f; ders, JBl 1981, 234; ders Rz 871; Holzhammer 247; M. Roth, BeitrZPR IV 116 f; Hofmann, RZ 1996, 12; Holzhammer, PraktZPR 276; Ballon Rz 224; Rechberger/Simotta 1177

§ 273

Rechberger

Rz 604; Rechberger in Fasching/Konecny III § 273 Rz 13; SZ 54/173; ZVR 1984/322; VR 1987, 248; AnwBl 1992/4255; 9 Ob A 101/99i = JBl 2000, 324; 2 Ob 322/99p = MietSlg 53.718; OLG Innsbruck 5 R 28/86 = ZVR 1986/156).

6 Während § 273 Abs 1 nur die Festsetzung der Schadenshöhe betrifft und nicht angewendet werden kann, solange der Grund der Forderung strittig ist (SZ 23/224; JBl 1956, 180; vgl zur Problematik der Abgrenzung zwischen Grund und Höhe der Forderung Hofmann, RZ 1996, 9 f), weisen verschiedene Sondernormen den Richter an, auch über den Grund des Anspruchs nach freier Überzeugung zu entscheiden: vgl zB § 1162c ABGB, § 32 AngG, § 24 Abs 2 HVG, § 37 LAG, § 43 SchSpG.

7 Im Falle der Schadensschätzung nach § 273 kann einer Partei auch bei teilweisem Obsiegen der volle Kostenersatz auferlegt werden (§ 43 Abs 2; s Näheres dort).

8 Noch einen Schritt weiter geht Abs 2: Wenn von mehreren in derselben Klage geltend gemachten Ansprüchen einzelne im Verhältnis zum Gesamtbetrag unbedeutend sind oder wenn einzelne Ansprüche jeweils 1000 Euro nicht übersteigen, sich aber nur mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten feststellen lassen, kann der Richter über Bestand und Höhe „in der gleichen Weise“ nach freier Überzeugung entscheiden. Für den ersten Anwendungsfall bei der objektiven Klagenhäufung ist einerseits Voraussetzung, dass die Ansprüche im Verhältnis zum Gesamtbetrag unbedeutend sind, und andererseits, dass die Schwierigkeiten der vollständigen Aufklärung aller maßgeblichen Umstände unverhältnismäßig zur Bedeutung der streitigen Ansprüche sind. Im Übrigen gilt das zu Abs 1 Ausgeführte sinngemäß. Der durch die ZVN 2002 neu eingeführte zweite Anwendungsfall dehnt die Möglichkeit der Entscheidung nach freier Überzeugung über Bestand und Höhe einer Forderung auf allein oder nebeneinander geltend gemachte Ansprüche bis zu einer Höhe von jeweils 1.000 Euro aus. Diese Neuregelung steht durchaus im Verdacht, nicht den Anforderungen an ein faires Verfahren iSd Art 6 Abs 1 EMRK zu entsprechen, zumal sie als „fair trial“ iS dieser Bestimmung gestaltet sein müsste. Ob dies bei einem (kontradiktorischen) Zivilprozess ohne jedes Beweisverfahren der Fall ist, erscheint aber fraglich (vgl Klicka, ZZPInt 2002, 189 und Rechberger in Fasching/Konecny III § 273 Rz 17). Auch eine Lösung iSd § 281a unter der Voraussetzung der Nichtbeantragung eines Beweisverfahrens durch eine der Parteien (vgl Klicka, ZZPInt 2002, 189) kann letztlich nicht überzeugen, weil dies einen unzulässigen Vorausverzicht auf ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht bedeuten würde (Fasching, 1178

§ 274

2.1 Verfahren bis zum Urteile

ÖJZ 1975, 432; ders Rz 5 und 742; Matscher, ZÖR 1980, 21 f; ders, Zuständigkeitsvereinbarungen 81 f; Rechberger in Fasching/Konecny § 273 Rz 17; aM Dolinar 60 ff; Holzhammer 3; EvBl 1989/60). Die Bestimmung ist sinngemäß anzuwenden bei der Entscheidung über 9 Grund und Höhe der Kosten, die einer Partei gem § 48 unabhängig vom Ausgang des Rechtsstreits wegen schuldhaft verspäteten Vorbringens oder wegen Verschuldens oder wegen eines ihr widerfahrenen Zufalls auferlegt werden (Kostenseparation; § 48 Abs 1 letzter Satz; s Näheres dort). Vgl dazu die Sondervorschrift des § 77 Abs 3 ASGG für Kosten, die der Versicherte dem Versicherungsträger durch Mutwillen, Verschleppung oder Irreführung verursacht hat; sie sind nach Billigkeit zu ersetzen. Weitere Anwendungsfälle ergeben sich zB nach § 54f Abs 2 EO bei der Schätzung der Höhe des Schadenersatzes für den Fall einer auf Grund des fehlenden Exekutionstitels samt Bestätigung der Vollstreckbarkeit mangelhaften Exekutionsbewilligung; nach § 292k Abs 1 EO bei der Entscheidung über die Berücksichtigung von Unterhaltspflichten beim Existenzminimum und über die Unpfändbarkeit von einem Bezug(-steil). Vgl weitere Bsp Rechberger in Fasching/Konecny § 273 Rz 18. Glaubhaftmachung (Bescheinigung) § 274. (1) Wer eine tatsächliche Behauptung glaubhaft zu machen hat (Bescheinigung), kann sich hiezu aller Beweismittel mit Ausnahme der eidlichen Vernehmung der Parteien bedienen. Eine Beweisaufnahme, die sich nicht sofort ausführen lässt, eignet sich nicht zum Zwecke der Glaubhaftmachung. (2) Eine behufs Glaubhaftmachung eines Umstandes erfolgende Beweisaufnahme ist an die besonderen, für das Beweisverfahren bestehenden Vorschriften nicht gebunden. [Stammfassung] Lit: Pichler, Umwürdigung der Beweise im Rekursverfahren? JBl 1975, 356; W. Kralik, Die paraten Beweismittel, GesRZ 1987, 178; Jahn, Parate Beweismittel im Provisorialverfahren, ÖBl 1988, 33; Klicka, Die Beweislastverteilung im Zivilverfahrensrecht (1995) 31. Rechberger in Fasching/Konecny III § 274; Ballon Rz 215; Fasching Rz 809; Holzhammer 237; Rechberger/Simotta Rz 582. Wer eine tatsächliche Behauptung glaubhaft zu machen hat, muss den 1 Richter von ihrer überwiegenden Wahrscheinlichkeit überzeugen; gegenüber dem Beweis iS der §§ 266 ff ist das Beweismaß demnach herab1179

§ 274

Rechberger

gesetzt (hM: Fasching Rz 809; Holzhammer 237; Klicka, Beweislastverteilung 31; Ballon Rz 215; Rechberger/Simotta Rz 582; Rechberger in Fasching/Konecny III § 274 Rz 1; s Vor § 266 Rz 6).

2 Die Glaubhaftmachung ist nur dort zulässig, wo sie das Gesetz ausdrücklich anordnet (Fasching Rz 809). Es geht dabei um Tatsachenfeststellungen für prozessuale Vorfragen, prozessuale Zwischenverfahren und Provisorialentscheidungen (vgl § 22 Abs 3 JN, §§ 54, 115, 128 Abs 4, 129, 135 Abs 1, 149 Abs 1, 156, 164, 219 Abs 2, 289 Abs 2, 308 Abs 2, 323 Abs 1, 355 Abs 2, 356 Abs 2, 386 Abs 1, 538 Abs 2; §§ 44 Abs 2, 49 Abs 1, 73, 91, 255, 258 Abs 2, 370, 389 EO; §§ 68, 74 Abs 2 ASGG; § 14a Abs 2 AVRAG).

3 Das Verfahren zur Glaubhaftmachung ist summarisch; die „Beweisaufnahme“ ist nicht an die Förmlichkeiten des Beweisverfahrens gebunden. Als Bescheinigungsmittel kommt jedes taugliche Mittel mit Ausnahme der eidlichen Parteienvernehmung (die unbeeidete Parteienvernehmung ist zulässig [LGZ Wien EFSlg 49.334]) in Frage; daher auch urkundliche (allenfalls „eidesstättige“) Angaben von Zeugen und Sachverständigen (SZ 41/111; 4 Ob 40/04t = EvBl 2004/168; problematisch dabei ist freilich die Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes, der – soweit möglich und tunlich – auch im Bescheinigungsverfahren zu beachten ist – vgl auch Fasching Rz 809), unbeglaubigte Fotokopien (NRsp 1988/175), beim Rechtsmittelgericht anhängige Akten (OLG Wien AnwBl 1975, 95 = ÖBl 1975, 69) oder die Ladung von Auskunftspersonen und Zeugen (EvBl 1971/111; JBl 1979, 550).

4 Da prozessuale Fragen rasch geklärt werden sollen, muss sich die Beweisaufnahme „sofort ausführen“ lassen (Abs 1 letzter Satz), woraus die Rsp den Grundsatz folgert, dass grundsätzlich nur parate Bescheinigungsmittel zulässig seien (daher nicht die Anfrage an eine Behörde, auf deren Erledigung erfahrungsgemäß längere Zeit gewartet werden muss: EvBl 1946/272; ein erst einzuholendes Sachverständigengutachten: ÖBl 1960, 90; OLG Wien ÖBl 1962, 3; ÖBl 1963, 34; ÖBl 1973, 34; die Ladung von Auskunftspersonen dann, wenn dadurch eine dem Sinn und Zweck des Provisorialverfahrens widersprechende Verzögerung einträte: EvBl 1971/111; die neuerliche Ladung einer ausgebliebenen Auskunftsperson: LGZ Wien Arb 8437; OLG Wien ZASB 1997, 2; die unbeeidete Vernehmung der zweiten Partei, wenn sie nicht sofort durchführbar ist, obwohl grundsätzlich auch im Bescheinigungsverfahren beide Parteien zu vernehmen sind: RZ 1979/77). Der Grundsatz sollte freilich nicht überspannt und zu Lasten schutzwürdiger Interessen des Antragstellers durchgesetzt werden, was vor allem für das 1180

§ 275

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Provisorialverfahren Bedeutung hat (isS Kralik, GesRZ 1987, 184 und Jahn, ÖBl 1988, 33; aber auch RZ 1989/68, wo eine in kürzester Zeit mögliche Beischaffung von Urkunden, bes von Akten einer Behörde, als zur Glaubhaftmachung geeignet qualifiziert wird, „wenn nicht im einzelnen Fall berechtigte Interessen dritter Personen entgegenstehen“). Auch für das Bescheinigungsverfahren gelten die allgemeinen Beweis- 5 lastregeln (s Vor § 266 Rz 11). Bescheinigungsmittel können daher auch durch geeignete Gegenbescheinigungsmittel entkräftet werden (SZ 51/ 39 = ÖBl 1978, 92; ÖBl 1980, 121; ÖBl 1981, 17). Nach nunmehr hRsp ist die Überprüfung der Beweiswürdigung des 6 erkennenden Richters durch das Rekursgericht insoweit ausgeschlossen, als dieser den Sachverhalt auf Grund vor ihm abgelegter Zeugenoder Parteiaussagen als bescheinigt angenommen hat (6 Ob 650/93 = SZ 66/164 = EvBl 1994/53 = JBl 1994, 549 [zust und einen Vergleich zum Verwaltungsverfahren ziehend Pichler] = JAP 1994/95, 47 [Klicka zur Bedeutung dieser E im Außerstreitverfahren]; 8 Ob 282/01f = JBl 2002, 737; LGZ Wien 44 R 249/99i = EFSlg 90.900; LGZ Wien 42 R 256/00h = EFSlg 94.748; aA die ältere Rsp: vgl etwa ÖBl 1976, 164; ÖBl 1977, 11; ÖBl 1978, 134; ÖBl 1980, 138; MietSlg 31.826). Damit wird zu Recht anerkannt, dass unmittelbare Tatsachenfeststellungen nicht in einem mittelbaren Verfahren – das Rekursgericht kann gem § 526 Abs 1 ZPO selbst nicht mündlich verhandeln – abgeändert werden dürfen. Eine Abänderung der Tatsachenfeststellungen durch das Rekursgericht ist nur dann möglich, wenn das Erstgericht seine Feststellungen nur auf Grund ihm unmittelbar vorliegender Urkunden oder Augenscheinsgegenstände bzw nur auf Grund von (zulässiger Weise) mittelbar aufgenommenen Beweisen getroffen hat. Die Zurückverweisung an das Erstgericht zwecks Aufforderung zur Beibringung weiterer Bescheinigungsmittel wird wegen der Schleunigkeit des Bescheinigungsverfahrens für unzulässig erachtet (JBl 1979, 550). Der OGH ist zwar auch nach der Rsp an den vom Rekursgericht im Bescheinigungsverfahren angenommenen Sachverhalt gebunden (ÖBl 1971, 156; ÖBl 1981, 157; ÖBl 1984, 43; ÖBl 1987, 21), doch soll dies seltsamerweise nicht gelten, wenn es sich um die Würdigung des Inhalts von Urkunden handelt (ÖBl 1965, 93; ÖBl 1973, 33; 10 Ob S 145/91 = SSV-NF 5/60). Beweisaufnahme § 275. (1) Von den Parteien angebotene, jedoch dem Gerichte unerheblich scheinende Beweise sind ausdrücklich zurückzuweisen. 1181

§ 275

Rechberger

(2) Die Aufnahme angebotener Beweise kann vom Gericht auf Antrag oder von Amts wegen verweigert werden, wenn bei sorgfältiger Berücksichtigung aller Umstände kein vernünftiger Zweifel darüber besteht, daß durch das Beweisanbot der Prozeß verschleppt werden soll, und die Aufnahme der Beweise die Erledigung des Prozesses erheblich verzögern würde. [Abs 1 Stammfassung; Abs 2 idF WGN 1997] Lit: Annerl, Die innerprozessuale Präklusion von Parteivorbringen im Zivilverfahren (2005). Rechberger in Fasching/Konecny III § 275; Fasching Rz 908.

1 Die Beurteilung der Erheblichkeit eines angebotenen Beweises ist an seiner Bedeutung für die rechtliche Beurteilung des Gerichts zu messen (s Vor § 266 Rz 25), sie erlaubt aber keine vorgreifende Beweiswürdigung in dem Sinn, dass eine Beweisaufnahme abgelehnt wird, weil der Beweis voraussichtlich unergiebig oder zB ein Zeuge nicht glaubwürdig sein werde (vgl Fasching Rz 908).

2 Die Zurückweisung eines unerheblichen Beweisanbotes hat durch Beschluss zu erfolgen (vgl Vor § 266 Rz 28); dieser Beschluss ist gem § 208 zu protokollieren; er ist nicht abgesondert anfechtbar (§ 291 Abs 1). Ein solcher erfolglos angebotener Beweis kann vom Berufungsgericht aber im Rahmen seiner Beweiswiederholung nachträglich aufgenommen werden (§ 488 Abs 1 aE).

3 Von Amts wegen oder auf Antrag kann das Gericht ein Beweisanbot zurückweisen, wenn dieses nach seiner Überzeugung lediglich in Verschleppungsabsicht erfolgt ist, solche Beweise sind im Urteil anzuführen (§ 417 Abs 3). Die Bestimmung orientiert sich an der ursprünglichen Fassung des § 179 ZPO, welche durch die ZVN 2002 insofern erweitert wurde, als es für deren Anwendbarkeit nur mehr darauf ankommt, dass die Tatsachen und Beweismittel grob schuldhaft nicht früher vorgebracht wurden. Da Abs 2 (weiterhin) auf das Vorliegen von Verschleppungsabsicht abstellt, verbleibt der Bestimmung ein geringerer Anwendungsbereich als § 179 (vgl dazu Rechberger in Fasching/ Konecny III § 275 Rz 7; der Annahme von M. Bydlinski, ZPO 170 [ihm folgend OLG Linz 2 R 56/04z], dass es sich bei der Nichtanpassung von § 275 Abs 2 an § 179 durch die ZVN 2002 um einen Redaktionsversehen handle, steht die Tatsache entgegen, dass eben die ZVN 2002 der Z 4 des § 460 einen zweiten Satz hinzugefügt hat, der [auch dem Wortlaut nach] eine Parallelbestimmung zu § 275 Abs 2 darstellt; eben diese Formulierung wurde dann auch von § 33 Abs 2 AußStrG übernommen [vgl dazu Rechberger in Rechberger, AußStrG § 33 Rz 4]). 1182

§ 276

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Da § 179 von Tatsachenvorbringen und Beweisanboten spricht, § 275 hingegen bloß von Beweisanboten, wurde erstere Bestimmung nach der Rechtslage vor der ZVN 2002 nur auf solche Beweisanbote bezogen, die gleichzeitig mit einem Tatsachenvorbringen erstattet wurden, während § 275 lediglich auf nachträgliche Beweismittelanträge zu bereits erstattetem tatsächlichen Vorbringen angewandt wurde (vgl Pimmer, JBl 1983, 129; Fucik in Rechberger2 § 179 Rz 2). Dies ist nach der ZNV 2002 aber nicht mehr aufrecht zu erhalten, da es einen Wertungswiderspruch bedeuten würde, wenn eine Partei Beweismittel, die sie entgegen der sie treffenden Prozessförderungspflicht nicht sogleich mit dem Tatsachenvorbringen erstattet, später – unter weniger strengen Voraussetzungen – doch wieder anbieten dürfte. § 179 zweiter Satz ZPO gilt daher auch für Anträge von Parteien auf Aufnahme zusätzlicher Beweise, ohne dass neues tatsächliches Vorbringen erstattet wird (Schragel in Fasching/Konecny II/2 § 179 Rz 5; zum selben Ergebnis gelangen LG Graz 7 R 46/04t [§ 275 Abs 2 ist „im Sinne des strengeren § 179 ZPO auszulegen“] und OLG Linz 2 R 56/04z [wo zwar die alte Abgrenzung aufrecht erhalten, aber der Inhalt des § 179 zweiter Satz zur „korrigierenden Gesetzesauslegung“ herangezogen wird). Um eine vollständige materielle Derogation von Abs 2 zu vermeiden, könnte die Abgrenzung der Anwendungsbereiche von § 179 und § 275 danach vorgenommen werden, ob das Beweisanbot an sich oder nur wegen seiner Verspätung verzögernd wirkt (vgl dazu näher Annerl, Präklusion 153 f). Ein solches „an sich verzögerndes“ (und daher nur nach § 275 Abs 2 zu präkludierendes) Beweisanbot wäre etwa die Urkundenvorlage, wenn in der Urkunde die maßgeblichen Stellen entgegen § 297 nicht bestimmt bezeichnet oder hervorgehoben wurden. Beweismittel, die nach § 275 abgelehnt wurden, können nicht zur Be- 4 gründung einer Wiederaufnahmeklage nach § 530 Abs 1 Z 7 oder § 531 dienen. § 276. (1) Die Beweise, die das Gericht für erheblich hält, sind im Laufe der Verhandlung vor dem erkennenden Gericht aufzunehmen, sofern nicht das Gericht gemäß den Bestimmungen dieses Gesetzes eine Beweisaufnahme außerhalb der Verhandlungstagsatzung anordnet. (2) Wird die Aufnahme eines Beweises außerhalb der Verhandlungstagsatzung durch einen beauftragten oder ersuchten Richter notwendig, so ist vom Prozessgericht das Erforderliche zu verfügen. [Abs 1 idF ZVN 1983; sonst Stammfassung] 1183

§ 278

Rechberger

Lit: Bajons, Beweiswiederholung und Verfahrensergänzung in der Berufungsinstanz, FS Fasching (1988) 19 (23 ff). Rechberger in Fasching/Konecny III § 276; Bajons Rz 9 ff; Ballon Rz 19, 225; Fasching Rz 675 f; Holzhammer 131; ders, PraktZPR 106, 293; Rechberger/Simotta Rz 278.

1 Abs 1 ordnet im Rahmen der formellen Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme deren sachliche Unmittelbarkeit an (vgl Näheres zur formellen und materiellen Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme bei Vor § 266 Rz 30). Zur Sicherung dieser Unmittelbarkeit darf das Gericht sogar die Grenzen seines Sprengels zur Vornahme von Amtshandlungen überschreiten (§ 33 JN; s Näheres dort) und ein Landes- oder Handelsgericht darf ein Bezirksgericht seines Sprengels nur dann um eine Beweisaufnahme ersuchen, wenn dieser vor dem erkennenden Gericht unübersteigliche Hindernisse entgegenstehen oder sie unverhältnismäßige Kosten verursachen würde (§ 36 Abs 3 JN; s Näheres dort).

2 Eine Beweisaufnahme außerhalb der Verhandlungstagsatzung ist ausnahmsweise im Wege der Rechtshilfe durch einen (ersuchten) Richter eines anderen Gerichts möglich (vgl Näheres bei §§ 36, 37 JN). Bei Senatsgerichtsbarkeit (und daher höchst selten) kommt auch die Beauftragung eines Senatsmitglieds mit Beweisaufnahmen außerhalb der Verhandlungstagsatzung am Ort des Prozessgerichts oder in dessen Nähe in Frage (§ 282); vgl im übrigen (und auch zur Möglichkeit, Amtshandlungen einem anderen Mitglied eines Gerichtshofs zu übertragen) §§ 34, 35 JN.

3 Vgl zur Aufnahme der einzelnen Beweismittel im Rechtshilfeweg §§ 282 ff, 300, 328, 352, 368 Abs 2, 375 Abs 2.

4 Vgl zur (Streit-)Frage der Sanktion für die Verletzung der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme Vor § 266 Rz 30. § 277. Diese Bestimmung über den Beweisbeschluss wurde durch die ZVN 2002 aufgehoben. § 278. (1) Alle nicht sogleich bei der Verhandlung selbst ausführbaren und insbesondere die außerhalb der Verhandlungstagsatzung durch einen beauftragten oder ersuchten Richter vorzunehmenden Beweisaufnahmen sind, sofern nicht die Umstände einen anderen Vorgang notwendig machen oder dem Gerichte zweckmäßig erscheinen lassen, erst nach vollständiger Erörterung des Sachverhaltes anzuordnen. 1184

§ 279

2.1 Verfahren bis zum Urteile

(2) Behufs Erörterung der Ergebnisse solcher Beweisaufnahmen ist nach deren Vollendung, wenn nicht die Voraussetzungen des § 193 Abs 3 vorliegen, die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht von Amts wegen wieder aufzunehmen. [Abs 1 Stammfassung; Abs 2 idF ZVN 2002] Lit: Rechberger in Fasching/Konecny III § 278. § 278 betont die Konzentrationsmaxime, aber auch den Unmittel- 1 barkeitsgrundsatz. In erster Linie sollen Beweisaufnahmen, die nicht unbedingt notwendig sind, genauso hintan gehalten werden wie verspätete Tatsachenausführungen und Beweisanbote. Beweisaufnahmen außerhalb der Verhandlung, insbes solche im 2 Rechtshilfeweg, sollen erst nach vollständiger Erörterung des Sachverhalts (was ihre Durchführung entbehrlich erscheinen lassen kann) angeordnet werden. Damit gibt das Gesetz aber auch der unmittelbaren Beweisaufnahme in der Verhandlung vor dem erkennenden Gericht den Vorzug vor solchen vor dem (beauftragten oder) ersuchten Richter. Abs 2 unterstreicht die Wichtigkeit der Beweiserörterung bei einer 3 Beweisaufnahme im Rechtshilfeweg, weil dadurch doch ein gewisses Element der Unmittelbarkeit gewahrt wird; grundsätzlich ist zu ihrer Durchführung die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht von Amts wegen wieder aufzunehmen (es sei denn, es lägen die Voraussetzungen des § 193 Abs 3 vor; s dazu dort). Geschieht dies jedoch nicht, so ist das Urteil gem § 477 Abs 1 Z 4 nichtig (Fasching1 III 303; Rechberger in Fasching/Konecny III § 278 Rz 2). Obwohl bei der zur Erörterung der außerhalb der mündlichen Ver- 4 handlung aufgenommenen Beweise anberaumten mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht gem § 179 Satz 1 grundsätzlich ein weiteres Sachvorbringen genauso zulässig ist wie ein weiteres Beweisanbot, wird dem idR die Prozessförderungspflicht nach § 178 Abs 2 entgegenstehen, was eine Zurückweisung gem § 179 zweiter Satz nahe legt. § 279. (1) Steht der Aufnahme des Beweises ein Hindernis von ungewisser Dauer entgegen, ist die Ausführbarkeit einer Beweisaufnahme zweifelhaft, oder soll die Beweisaufnahme außerhalb des Geltungsgebietes dieses Gesetzes erfolgen, so hat das Gericht auf Antrag eine Frist zu bestimmen, nach deren fruchtlosem Ablauf die 1185

§ 279

Rechberger

Verhandlung auf Begehren einer der Parteien ohne Rücksicht auf die ausstehende Beweisaufnahme fortgesetzt wird. (2) Bei der fortgesetzten mündlichen Verhandlung kann dann dieser Beweis nur benützt werden, wenn dadurch das Verfahren nicht verzögert wird. [Abs 1 idF ZVN 2002; sonst Stammfassung] Lit: König, § 279 ZPO und die „gehörige Fortsetzung“ des Verfahrens, JBl 1976, 303; Annerl, Die innerprozessuale Präklusion von Parteivorbringen im Zivilverfahren (2005). Rechberger in Fasching/Konecny III § 279; Ballon Rz 226; Fasching Rz 909 ff; Holzhammer 239; ders, PraktZPR 270; Rechberger/Simotta Rz 608.

1 Beweisbefristung liegt dann vor, wenn das Gericht auf Antrag des Gegners (in den [praktisch unbedeutenden] Fällen des § 283 ausnahmsweise auch von Amts wegen; s dort Rz 5) für die Beweisaufnahme eine Frist setzt, nach deren erfolglosem Ablauf das Verfahren auf neuerlichen Antrag welcher Partei auch immer ohne diese Beweisaufnahme fortgesetzt wird. Sie dient der Prozesskonzentration und soll Verfahrensverzögerungen hintanhalten (diese müssten allerdings „ins Gewicht fallen“: JBl 1973, 45 = EFSlg 18.519; nach EvBl 1998/76 ist zB eine wiederholte [in casu dreimalige] Entschuldigung der zwecks Parteienvernehmung geladenen Partei mit Krankheit geeignet, eine die Beweisbefristung rechtfertigende Prozessverzögerung bzw Beweisvereitelung zu bewirken). Die Antragsabhängigkeit zeigt allerdings, dass dieser Konzentration nicht ohne Rücksicht auf den Parteiwillen der Vorrang vor der Vollständigkeit der Stoffsammlung eingeräumt wird.

2 Die Präklusion des Beweises muss nicht endgültig sein (ZVR 1990/ 34): Die Beweisaufnahme kommt zunächst noch in der fortgesetzten mündlichen Verhandlung in Frage, wenn dadurch das Verfahren nicht verzögert wird (Abs 2; EvBl 1936/588), und es stellt einen besonderen Wiederaufnahmegrund nach § 531 (s dort) dar, wenn die Beweise innerhalb von vier Wochen nach Zustellung der Entscheidung der ersten Instanz (allenfalls auch des Berufungsurteils) doch noch eingelangt sind (§ 534 Abs 2 Z 5; s § 534 Rz 6; vgl aber Annerl, Präklusion 195 ff, nach dessen Auslegung die Beweise bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz eingelangt sein müssen; danach soll nur mehr der Wiederaufnahmegrund des § 530 Abs 1 Z 7 greifen), sofern sie zu einer dem Beweisführer günstigeren Entscheidung hätten führen können und diesen kein Verschulden an der Verzögerung der Beweisaufnahme trifft. 1186

§ 279

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Voraussetzung für den Antrag des Gegners des Beweisführers auf Be- 3 weisbefristung ist, dass a) der Beweisaufnahme ein Hindernis von ungewisser Dauer entgegensteht, oder b) die Ausführbarkeit der Beweisaufnahme zweifelhaft ist, oder c) die Beweisaufnahme im Ausland erfolgen soll. Dazu kommen die Fälle, dass eine Zeugenvernehmung vergeblich versucht wurde und weitere Versuche zur Prozessverzögerung führen würden (§ 335 Abs 1; s dort Näheres) sowie jene der mittelbaren Beweisbefristung durch die Fristsetzung für Kostenvorschüsse nach §§ 332 Abs 2, 365, 368 Abs 3 (s dort Näheres); auf § 279 verweist schließlich auch § 309 Abs 1 (s dort Näheres). Nach HG Wien WR 703 soll freilich nicht jede, sondern nur eine „ungebührliche“ Ausdehnung des Verfahrens hintan gehalten werden, weshalb die Verwendung bereits vorhandener und parater Erkenntnisquellen (in casu von der Partei selbst beschaffte, wenngleich noch nicht übersetzte Vernehmungsprotokolle aus einem ausländischen Rechthilfeverfahren) nicht vernachlässigt werden dürfe. Die Fristsetzung nach § 279 setzt einen Antrag des Gegners voraus 4 (2 Ob 158/72 = SZ 46/5; EvBl 1973/157) – was diese Möglichkeit der Verfahrenskonzentration zu einem eher zahnlosen Instrument macht. Bei der zu setzenden Frist handelt es sich um eine richterliche Frist, die verlängert werden kann (EvBl 1949/17). Der Beschluss über die Beweisbefristung muss in der mündlichen Verhandlung erfolgen (Fasching Rz 911; eine Verletzung dieses Grundsatzes begründet aber keine Nichtigkeit, sondern bloß einen sonstigen Verfahrensmangel: SZ 23/3 = JBl 1950, 243). Wird kein Antrag auf Fristsetzung gestellt, muss das Gericht das Ergebnis der Beweisaufnahme abwarten, wie lange diese auch dauern mag. Nur wenn sich herausstellt, dass die Beweisaufnahme endgültig nicht möglich ist, kann sie wegen Unmöglichkeit unterbleiben (Annerl, Präklusion 190) In Verfahren mit reinem Untersuchungsgrundsatz widerspräche die 5 Beweisbefristung grundsätzlich der amtswegigen Ermittlungspflicht des Gerichts (so für den früheren Vaterschaftsprozess EvBl 1968/264; einschränkend für Beweisaufnahmen, die unangemessene, mit den Verfahrenszielen nicht in Einklang stehende Verzögerungen mit sich bringen würden oder einer nicht vorgesehenen Unterbrechung des Verfahrens gleichkämen, RZ 1966, 203; EFSlg 41.692). Stellt der Kläger trotz Ablaufs der Frist längere Zeit keinen Fortset- 6 zungsantrag, gilt die Klage als nicht gehörig fortgesetzt (§ 1497 ABGB) und die Unterbrechung der Verjährung wird beseitigt (König, JBl 1976, 303; Ballon Rz 226; EvBl 1972/201; OLG Graz JBl 1976, 322). 1187

§ 280

Rechberger

Den Fortsetzungsantrag kann auch die säumige Partei stellen (EvBl 1963/6 = JBl 1964, 41). Wurde ein Beweis jedoch unzulässigerweise von Amts wegen befristet oder einer Partei für einen von Amts wegen bestellten Sachverständigen unter Androhung von Säumnisfolgen ein Kostenvorschuss auferlegt, gilt die Klage weiter als gehörig fortgesetzt, da es keine Verpflichtung für die Parteien gibt, den Prozess zu betreiben, wenn das Gericht säumig ist (SZ 41/85 = EvBl 1969/39 = JBl 1968, 626; EvBl 1973/157).

7 Die Beweisbefristung ist auch im Berufungsverfahren anwendbar (EvBl 1957/114); nicht aber im Verfahren zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung (RZ 1965, 128), weil hier ohnehin nur „parate“ Beweismittel (s § 274 Rz 4) zugelassen werden.

8 Gegen die Befristung eines Beweises (§ 291 Abs 1) bzw deren Ablehnung (LGZ Wien 43 R 415/47 = EvBl 1947/283) oder gegen die Verlängerung der Frist (OLG Wien 3 R 576/36 = EvBl 1936/963; LGZ Wien 43 R 2616/48 = EvBl 1949/17) bzw deren Ablehnung (OLG Wien 3 R 576/36 = EvBl 1936/963) ist kein Rechtsmittel, gegen die Fortsetzung des Verfahrens ohne Rücksicht auf die ausstehende Beweisaufnahme (2 Ob 102/89 = RZ 1990/31 = NRsp 1989/257) sowie gegen die Zulassung oder Ausschließung eines präkludierten Beweises in der fortgesetzten mündlichen Verhandlung (§ 291 Abs 2) kein abgesondertes Rechtsmittel zulässig. Die zurückgewiesenen Beweise sind im Urteil anzuführen (§ 417 Abs 3). § 280. (1) Das Prozessgericht kann auf Antrag gestatten, dass die Beweisaufnahme von einem oder mehreren beeideten Stenographen aufgezeichnet werde. Ein Stenograph, welcher nicht im allgemeinen für diese Aufgabe beeidet ist, hat einen Eid dahin zu leisten, dass er das mündlich Vorgebrachte treu aufzeichnen und das Aufgezeichnete richtig übertragen werde. Die Beeidigung entfällt, wenn ein gerichtlicher Beamter als Stenograph bestellt wird. (2) Die Bestellung der Stenographen erfolgt auf Vorschlag des Antragstellers durch den Vorsitzenden. (3) Die Übertragung der stenographischen Aufzeichnungen in gewöhnliche Schrift ist binnen achtundvierzig Stunden nach der Aufzeichnung dem Vorsitzenden oder dem mit der Beweisaufnahme betrauten Richter zu übergeben und den Akten beizulegen. (4) Sofern die stenographische Aufzeichnung nicht von beiden Parteien übereinstimmend beantragt wird, hat die antragstellende Partei sämtliche dadurch verursachten Kosten zu bestreiten, ohne 1188

§ 281

2.1 Verfahren bis zum Urteile

selbst für den Fall ihres Sieges Anspruch auf Erstattung dieser Kosten erheben zu können. [Stammfassung] Lit: Stoiber, Zu § 280 ZPO, AnwBl 1979, 399. Rechberger in Fasching/Konecny III § 280. Die Bestimmung ermöglicht es den Parteien, die Aufzeichnung der Be- 1 weisaufnahme in Kurzschrift gesondert vom gerichtlichen Verhandlungsprotokoll zu erreichen. Dies ist seit der 2. GEN, die die Möglichkeit der stenographischen Protokollierung auf das ganze Verhandlungsprotokoll ausgedehnt hat (§ 209 Abs 5), bedeutungslos. Die stenographische Aufzeichnung der Beweisaufnahme nach § 280 er- 2 setzt das Verhandlungsprotokoll nicht und genießt nicht dessen Beweiskraft (Rechberger in Fasching/Konecny III § 280 Rz 1; Fasching Rz 631). Dasselbe gilt auch für Tonaufzeichnungen, die gem § 22 MedienG nicht verboten sind (vgl § 171 Rz 5). § 281. (1) Wenn zum Zwecke einer vor dem erkennenden Gerichte erfolgenden Beweisaufnahme eine Tagsatzung erstreckt werden muß, ist die Tagsatzung, in welcher die Beweisaufnahme stattfinden soll, zugleich zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung zu bestimmen. (2) Muss jedoch die Beweisaufnahme durch einen beauftragten oder ersuchten Richter geschehen und lässt sich der Zeitpunkt der Beendigung derselben nicht mit Sicherheit bestimmen, so ist die Tagsatzung zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gerichte nach dem Einlangen der BeweisaufnahmeAkten und Protokolle durch den Vorsitzenden von Amts wegen anzuberaumen und den Parteien bekannt zu geben. [Stammfassung] Lit: Rechberger in Fasching/Konecny III § 281. § 281 Abs 1 bekräftigt den Grundsatz des § 259 Abs 1, nach dem die Be- 1 weisaufnahme in die mündliche Streitverhandlung integriert ist: es gibt – auch im Fall der Erstreckung der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung nach § 134 Z 3 – keine eigene „Beweisaufnahmetagsatzung“. Die Bestimmung des Abs 2 über die Fortsetzung der mündlichen Ver- 2 handlung nach einer (vor allem) im Rechtshilfeweg durchgeführten Beweisaufnahme korrespondiert mit jener des § 278 Abs 2 (s dort). 1189

§ 281a

Rechberger

§ 281a. Ist über die streitigen Tatsachen bereits in einem gerichtlichen Verfahren ein Beweis aufgenommen worden, so kann das Protokoll hierüber oder ein schriftliches Sachverständigengutachten als Beweismittel verwendet und von einer neuerlichen Beweisaufnahme Abstand genommen werden, wenn 1. die Parteien an diesem gerichtlichen Verfahren beteiligt waren und a) nicht eine der Parteien ausdrücklich das Gegenteil beantragt oder b) das Beweismittel nicht mehr zur Verfügung steht; 2. die an diesem gerichtlichen Verfahren nicht beteiligt gewesenen Parteien dem ausdrücklich zustimmen. [Eingefügt durch ZVN 1983, idF WGN 1997] Lit: Fasching, Die Zivilverfahrens-Novelle 1981, JBl 1982, 68, 120; Bajons, Beweiswiederholung und Verfahrensergänzung in der Berufungsinstanz, FS Fasching (1988) 19. Rechberger in Fasching/Konecny III § 281a; Bajons Rz 11, 135; Ballon Rz 19, 225; Deixler-Hübner/Klicka Rz 133; Fasching Rz 673, 675 ff, 1805 ff; Holzhammer, PraktZPR 107; Rechberger/Simotta Rz 278, 611.

1 Die ZVN 1983 hat mit der Einführung des § 281a das ursprünglich zentrale Prinzip der Unmittelbarkeit (s dazu Vor § 266 Rz 30) abgeschwächt; die Prozessökonomie, genauer die Arbeits- und Kostenersparnis, hat Vorrang (vgl zu dieser Entwicklung Bajons Rz 11). Wenn es das voraussichtliche Ergebnis, die Prozessdauer und die Prozessökonomie nur einigermaßen rechtfertigen, wird der Richter freilich trotzdem die unmittelbare Beweisaufnahme „vorzuziehen haben“ (Fasching Rz 677). Seit der Neufassung durch die WGN 1997 ist auch die Verlesung der genannten Beweismittel nicht mehr (in § 281a) vorgeschrieben, kann aber gem § 287 Abs 2 (vgl dort Näheres) beantragt werden.

2 Die Beteiligung an einem gerichtlichem Verfahren (Z 1 lit a) setzt voraus, dass die Parteien in einem früheren Zivilprozess gleichfalls Parteien oder Nebenintervenienten (vgl zur Frage, ob ein Gesellschafter einer OHG (ab 1.1.2007 OG) am Gesellschaftsprozess iS dieser Bestimmung als „beteiligt“ gelten kann, Oberhammer, Die Offene Handelsgesellschaft im Zivilprozeß [1998] 153 ff); in einem früheren Außerstreit-, Exekutions- oder Insolvenzverfahren Parteien (im materiellen Sinn; vgl dazu Vor § 1 Rz 2); in einem Strafverfahren Angeklagte bzw Beschuldigte, Privatankläger oder Privatbeteiligte bzw als Staat durch den Staatsanwalt vertreten waren (Fasching Rz 677). 1190

§ 281a

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Wenn das Beweismittel nicht mehr zur Verfügung steht, ist die mit- 3 telbare Beweisaufnahme die einzig (noch) denkbare und daher im Interesse der Wahrheitsfindung unproblematisch (Z 1 lit b bestätigt daher nur eine Selbstverständlichkeit). Vgl dazu auch §§ 384 ff über die Beweissicherung. Seit der WGN 1997 findet die Bestimmung auch auf Parteien Anwen- 4 dung, die an dem gerichtlichen Verfahren nicht beteiligt waren, in dem der Beweis aufgenommen worden ist (Z 2). Zur Sicherstellung ihres rechtlichen Gehörs (so die ErlRV 898 BlgNR 20. GP 41) ist in diesem Fall die ausdrückliche Zustimmung der betroffenen Parteien zur Verwendung der Beweismittel erforderlich. Freilich wird damit das (sonst der amtswegigen Wahrung anvertraute) rechtliche Gehör völlig der Disposition der Parteien überlassen, was verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet (vgl Rechberger in Fasching/Konecny III § 281a Rz 11). § 281a setzt das Prinzip der materiellen Unmittelbarkeit der Beweis- 5 aufnahme (s Vor § 266 Rz 30) nicht außer Kraft: Die Verwendung des Verhandlungsprotokolls oder eines schriftlichen Sachverständigengutachtens bleibt daher jedenfalls unzulässig, wenn die unmittelbare Beweisaufnahme wegen der größeren Sachnähe einen höheren Beweiswert verspricht (Bajons, FS Fasching 52). Das wird freilich vor allem bei Zeugenaussagen kaum der Fall sein, weil das Erinnerungsvermögen abzunehmen pflegt. Darüber hinaus liegt es in der Natur der Sache, dass eine unmittelbare Beweisaufnahme – sofern sie (noch) möglich ist – versucht werden muss, wenn das Gericht bei Würdigung der mittelbar aufgenommenen Beweise zu einem anderen Ergebnis käme als der frühere Richter. Nach § 488 Abs 4 ist allerdings im Berufungsverfahren eine Umwürdigung der Beweise auch aufgrund mittelbarer Beweisaufnahme möglich. Auch wenn dies mit der Einheit von erstinstanzlichem und Berufungsverfahren erklärt werden kann, so werden damit doch wesentliche Grundsätze des Beweisrechts in Frage gestellt, was gleichermaßen einem Tabubruch nahe kommt. Jedenfalls steht es der mittelbaren Beweisaufnahme entgegen, wenn es auf den persönlichen, unmittelbaren Eindruck des Berufungssenats ankommt (Rechberger in Fasching/Konecny § 281a Rz 14). Gem § 463 Abs 1 gilt § 281a auch im Berufungsverfahren für den Fall 6 der Beweisergänzung (Bajons, FS Fasching 50; JBl 1965, 173; SZ 58/8 = AnwBl 1988, 531 [abl Graff] = MietSlg 37.762/7). Eine allfällige Zustimmung der Parteien zur mittelbaren Beweisaufnahme im erstinstanzlichen Verfahren gilt nach der Rsp aber auch für das Berufungsverfah1191

§ 281a

Rechberger

ren, sodass das Berufungsgericht die Ergänzung von in erster Instanz mittelbar aufgenommenen Beweisen vornehmen kann, ohne das Einverständnis der Parteien einholen bzw ihnen Gelegenheit geben zu müssen, gem § 488 Abs 4 eine unmittelbare Beweisaufnahme zu beantragen (1 Ob 189/03f = EvBl 2004/110). Unzulässig ist die Anwendung aber dann, wenn Beweise über Umstände aufzunehmen sind, die nur durch den persönlichen unmittelbaren Eindruck des Berufungssenats ermittelt werden können (Fasching Rz 1807; Ballon Rz 375; Rechberger/Simotta Rz 611; RZ 1989/52 = JUS 1989 Z/201). Vgl im Übrigen zur Parallelbestimmung des § 488 Abs 4 für den Fall der Beweiswiederholung § 488 Rz 2.

7 Nach der Rsp bildet die Verletzung des § 281a (wenn einer Partei also keine Gelegenheit gegeben wird, die unmittelbare Beweisaufnahme zu beantragen, oder fälschlich angenommen wird, das Beweismittel stehe nicht mehr zur Verfügung) einen rügepflichtigen Verfahrensmangel (SSV-NF 3/57); gegen die Annahme einer Rügepflicht sprechen aber dieselben Argumente wie bei der Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes schlechthin (vgl dazu Vor § 266 Rz 30).

8 Besondere Bedeutung könnte § 281a für die Verwendung von im Strafverfahren aufgenommenen Beweisen in einem Zivilprozess zukommen, in dem es um zivilrechtliche Ansprüche geht, die aus der strafbaren Handlung entstanden sind. Da § 268, der eine Bindung des Zivilrichters an strafgerichtliche Erkenntnisse ohne Rücksicht auf das rechtliche Gehör im Strafprozess nicht beteiligter Dritter vorsah, keine Einschränkung durch die Rsp erfuhr und deshalb vom VfGH aufgehoben wurde (s auch § 411 Rz 12), bietet es sich geradezu an, dass das Gericht Verhandlungsprotokoll und Sachverständigengutachten aus dem Strafprozess iS des § 281a verwendet. Einem Antrag des im Strafprozess rechtskräftig Verurteilten und nunmehr Beklagten des Zivilprozesses auf neuerliche Beweisaufnahme nach Z 1 lit a wäre nur dann stattzugeben, wenn er (neue) Tatsachen behauptet, die Zweifel an den Beweisen des Strafverfahrens rechtfertigen; eine unsubstantiierte Berufung des Verurteilten darauf, die Tat in Wahrheit nicht begangen zu haben, sollte dafür nicht genügen. Ein verst Senat des OGH (SZ 68/195 = EvBl 1996/34 = JBl 1996, 117 = AnwBl 1995, 900 [Strigl] = ARD 4721/ 39/96 = ecolex 1995, 790 [Oberhammer] = JAP 1995/96, 124 [Oberhammer] = RdW 1996, 15 [K. Berger] = wobl 1995/114 [Hanel] = ZVR 1996/2) hat freilich dieser „Beweislösung“ eine Absage erteilt und ist insofern zur „Bindungslösung“ des § 268 zurückgekehrt, als er aus der Rechtskraftwirkung des Strafurteils ableitet, dass sich der Verurteilte im nachfolgenden Zivilprozess niemandem gegenüber darauf berufen kön1192

Vor § 282

2.1 Verfahren bis zum Urteile

ne, die Tat nicht begangen zu haben. Vgl dazu die ausführliche Kritik bei Rechberger, Der Wiedergänger. Zur Rückkehr der Bindung an strafgerichtliche Entscheidungen im österreichischen Zivilprozeßrecht, FS Gaul (1997) 539; Näheres zur Bindungswirkung strafgerichtlicher Erkenntnisse bei § 411 Rz 12. Beweisaufnahme durch einen ersuchten oder beauftragten Richter Vor § 282 Lit: Rechberger in Fasching/Konecny III §§ 282 ff; Bajons Rz 136; Ballon Rz 219; Fasching Rz 916; Holzhammer 254; ders, PraktZPR 270; Rechberger/Simotta Rz 54, 278, 610. Die Beweisaufnahme vor dem beauftragten (s dazu § 282) oder er- 1 suchten (also im Rechtshilfeweg; vgl dazu § 283 Rz 1 ff) Richter, wofür die §§ 282 bis 287 Allgemeines regeln, bedeutet stets eine Einschränkung der Unmittelbarkeit (die aber nicht nur der Verfahrenskonzentration wegen in Kauf genommen wird, sondern manchmal auch im Interesse der Stoffsammlung: vgl § 328 Abs 1 Z 1) und ist daher eine Ausnahmeregelung. Sie darf nur in den (taxativ aufgezählten) Fällen der §§ 300, 328, 352, 368 Abs 2, 375 Abs 2 [nur für den ersuchten Richter] erfolgen, wobei in den meisten dieser Fälle der Beweisaufnahme vor dem erkennenden Gericht erhebliche Schwierigkeiten entgegenstehen oder sie gar nicht möglich wäre; so vor allem dann, wenn a) die Urkunde, der vom Sachverständigen zu besichtigende Gegenstand oder der Augenscheinsgegenstand nicht oder nur mit Substanzverlusten vor Gericht gebracht werden könnten; b) der Zeuge oder die Partei am persönlichen Erscheinen vor dem Gericht gehindert sind, oder c) die Kosten der unmittelbaren Beweisaufnahme unverhältnismäßig hoch wären. § 91a GOG idF ZVN 2004 ermöglicht die unmittelbare Beweisaufnahme unter Verwendung technischer Einrichtungen zur Wort- und Bildübertragung („Videokonferenztechnologie“) anstelle der Einvernahme durch einen ersuchten Richter nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten und unter Berücksichtigung der Verfahrensökonomie. Vgl zu den Befugnissen des ersuchten (oder des beauftragten) Richters 2 § 284. Auch zur Beweisaufnahme vor dem ersuchten (oder beauftragten) 3 Richter sind die Parteien zu laden; sie haben dieselben Mitwirkungsrechte wie bei der Beweisaufnahme vor dem erkennenden Gericht (vgl 1193

§ 282

Rechberger

dazu Näheres bei §§ 288, 289). Zur Entscheidung eines Zwischenstreits bei der Beweisaufnahme vor einem ersuchten (oder einem beauftragten) Richter vgl § 285 Abs 1.

4 Nach Durchführung der Beweisaufnahme hat der ersuchte (beauftragte) Richter den Akt mit den Beweisaufnahmeprotokollen samt Beilagen dem Prozessgericht vorzulegen. Zu allfällig notwendigen Verbesserungen oder Vervollständigungen vgl § 286. Zur Erörterung der Ergebnisse solcher Beweisaufnahmen ist die mündliche Verhandlung vor dem erkennenden Gericht von Amts wegen wieder aufzunehmen (§ 278 Abs 2); dabei hat der erkennende Richter zunächst diese Ergebnisse darzulegen (§ 287 Abs 1). § 282. Mit Beweisaufnahmen, welche außerhalb der Verhandlungstagsatzung am Orte des Prozessgerichtes oder in dessen Nähe stattzufinden haben, ist ein Mitglied des Prozessgerichtes, und zwar in der Regel ein Mitglied des zur Entscheidung der Rechtssache berufenen Senates zu beauftragen. [Stammfassung] Lit: Rechberger in Fasching/Konecny III § 282.

1 Als beauftragter Richter fungiert in der Regel ein Senatsmitglied, ausnahmsweise ein anderer Richter des Prozessgerichts. Seine Bestimmung erfolgt gem § 34 Abs 2 JN durch den Senat. Eine solche Beauftragung kommt sehr selten vor.

2 Der beauftragte Richter darf den Urkundenbeweis (§ 300), den Zeugenbeweis (§ 328), den Sachverständigenbeweis (§ 352) und den Beweis durch Augenschein (§ 368 Abs 2) durchführen, nicht aber den Beweis durch Vernehmung der Parteien (§ 375 Abs 2).

3 Der Beschluss, mit dem eine Beweisaufnahme einem beauftragten Richter übertragen wird, ist nicht abgesondert anfechtbar (§ 291 Abs 1). § 283. (1) Ersuchschreiben, welche wegen einer Beweisaufnahme erlassen werden, die außerhalb des Geltungsgebietes dieses Gesetzes stattfinden soll, können dem Beweisführer auf seinen Antrag behufs Übermittlung an die ersuchte Behörde übergeben werden. (2) Auf Antrag des Beweisführers kann ferner das Gericht gestatten, dass von der Erlassung eines Ersuchschreibens abgesehen und der Beweisführer ermächtigt werde, eine den Gesetzen des 1194

§ 283

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Staatsgebietes, in welchem die Beweisaufnahme erfolgen soll, entsprechende öffentliche Urkunde über die Beweisaufnahme beizubringen. Der Beweisführer hat den Gegner, wenn möglich, von Ort und Zeit der Beweisaufnahme so zeitig zu benachrichtigen, dass letzterer seine Rechte bei der Beweisaufnahme in geeigneter Art wahrzunehmen vermag. Ist die Benachrichtigung unterblieben, so hat das erkennende Gericht nach sorgfältiger Erwägung aller Umstände zu entscheiden, ob und inwieweit der Beweisführer zur Benützung der aufgenommenen Beweise in der mündlichen Verhandlung berechtigt sei. (3) Für die Vorlegung der Akten über die Beweisaufnahme ist in beiden Fällen eine Frist zu bestimmen, deren fruchtloser Ablauf die im § 279 bezeichneten Rechtsfolgen nach sich zieht. [Abs 3 idF ZVN 2002; sonst Stammfassung] Lit: Bajons, Zwischenstaatliches Justizrecht I (Stand 1989); Duchek/ Schütz/Tarko, Zwischenstaatlicher Rechtsverkehr in Zivilrechtssachen2 (1998); Annerl, Die innerprozessuale Präklusion von Parteivorbringen im Zivilverfahren (2005); Boric´, Internationales Privatrecht und Zivilverfahrensrecht4 (2005). Rechberger in Fasching/Konecny III § 283; Fasching Rz 917. Beweisaufnahmen im Ausland können aufgrund des damit verbunde- 1 nen Eingriffs in die staatliche Souveränität von den österreichischen Gerichten grundsätzlich nicht selbst durchgeführt werden, es bedarf dazu vielmehr regelmäßig der Rechtshilfe des betroffenen Staates (vgl näher Vor § 291a, § 291a Rz 1 ff). Eine Ausnahme stellt die innerhalb der Europäischen Union (mit Ausnahme Dänemarks) mögliche unmittelbare Beweisaufnahme durch die Gerichte der Mitgliedstaaten auf Grund der EuBewVO dar (vgl dazu Vor § 291a Rz 2). Die EuBewVO regelt aber auch die Rechtshilfe zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, sodass die im Folgenden genannten (internationalen und nationalen) Regelungen nur außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Verordnung zum Tragen kommen können. Österreich ist Mitglied des Haager Prozeßübereinkommens (HPÜ) 2 vom 1.3.1954, BGBl 1957/91 (abgedruckt bei Bajons, Justizrecht I Rechtshilfeverkehr 2, und Duchek/Schütz/Tarko, Rechtsverkehr 146), nicht aber des Haager Zustellungsübereinkommens von 1965 und des Haager Beweisübereinkommens von 1970. Das HPÜ 1954 sieht für ein Rechtshilfeersuchen grundsätzlich den konsularischen Weg vor, doch haben sich einzelne Staaten den umständlicheren diplomatischen Weg 1195

§ 284

Rechberger

vorbehalten (vgl für Zustellungen § 11 ZustG Rz 1 im Anhang zu § 121). Darüber hinaus gibt es eine Reihe von bilateralen Rechtshilfeabkommen, die den direkten Verkehr zwischen den Gerichten vorsehen (vgl dazu Näheres im RHE Ziv 2004, JABl 13, sowie die bei Duchek/Schütz/ Tarko, Rechtsverkehr 571 ff, abgedruckten Abkommen). In diesen Abkommen wird Form und Inhalt der Rechtshilfeersuchen, der Weg, den sie zu nehmen haben, sowie die Art ihrer Erledigung genau geregelt.

3 Daneben sieht § 283 Abs 1 eine weitere (praktisch wenig bedeutungsvolle) Möglichkeit vor, wie das Rechtshilfeersuchen des österreichischen Gerichts an die „ersuchte Behörde“ im Ausland herangetragen werden kann: Auf seinen Antrag kann das Ersuchschreiben dem Beweisführer selbst ausgehändigt werden. Dem Gegner steht dagegen kein Rechtsmittel zu (§ 291 Abs 2).

4 Ganz ungebräuchlich ist die Vorgangsweise nach § 283 Abs 2: Danach kann das österreichische Gericht auf Antrag des Beweisführers von einem Rechtshilfeersuchen überhaupt absehen und diesen ermächtigen, die Beweisaufnahme im Ausland selbständig zu erwirken und sie dem österreichischen Gericht durch eine (nach der ausländischen Rechtsordnung) öffentliche Urkunde nachzuweisen. Gegen einen derartigen Beschluss ist ein abgesonderter Rekurs zulässig (SZ 36/12 = EvBl 1963/ 212).

5 In beiden Fällen des § 283 ist die Beweisaufnahme von Amts wegen zu befristen. Läuft diese Frist ergebnislos ab, so treten die Rechtsfolgen des § 279 ein (s Näheres dort). Die weitere Präklusionsbestimmung des Abs 2 hat nicht – wie § 279 iVm Abs 3 – die Verhinderung von Prozessverzögerungen im Auge, sondern will das rechtliche Gehör des Gegners des Beweisführers sichern (vgl dazu näher Annerl, Präklusion 189).

6 Ein Kostenvorschuss für den anfallenden Aufwand der Rechtshilfe kann den Parteien nicht auferlegt werden (OLG Wien 11 R 88/86 = ZVR 1988/17). § 284. (1) Dem Richter, welcher eine Beweisaufnahme infolge eines Auftrages oder Ersuchens vollzieht, kommen die Befugnisse zu, welche von dem Vorsitzenden bei einer Beweisaufnahme ausgeübt werden, die vor dem erkennenden Gerichte vor sich geht. (2) Andere auf die Beweisaufnahme sich beziehende richterliche Verfügungen kann ein solcher Richter insoweit treffen, als sie nicht ausdrücklich dem Prozessgerichte zugewiesen sind. [Stammfassung] 1196

§ 285

2.1 Verfahren bis zum Urteile Lit: Rechberger in Fasching/Konecny III § 284.

Der ersuchte (und der beauftragte) Richter hat bei der Beweisaufnahme 1 dieselben Befugnisse, die dabei dem erkennenden Richter (Senatsvorsitzenden) zukommen (§§ 180 bis 186, 280 Abs 2 und 3, 288 Abs 1, 289 Abs 1). Darüber hinaus darf er anlässlich der Beweisaufnahme alle Verfügungen 2 treffen, die nicht ausdrücklich dem Prozessgericht zugewiesen sind: Er darf daher a) keine Beweisbefristung nach §§ 279 Abs 1, 283 Abs 3, 335 Abs 1 vornehmen (wohl aber eine Befristung gem § 180 Abs 2); b) die stenographische Aufzeichnung einer Beweisaufnahme nicht selbst bewilligen (§ 280 Abs 1); c) nach Beendigung der Beweisaufnahme keine Ergänzung derselben verfügen (§ 289 Abs 2); d) nicht über Anträge, die sich auf die Vorlegung der Urkunde durch einen Dritten beziehen (§§ 308 f), entscheiden und e) auch nicht über den Einfluss der Weigerung des Zeugen auf den Fortgang des Verfahrens (§ 326 Abs 1); sowie f) über die Verpflichtung des erschienenen, aber die Aussage verweigernden Zeugen zum Kostenersatz (§ 326 Abs 3). Soweit gegen Verfügungen des Gerichts im Rahmen des Beweisverfah- 3 rens überhaupt ein (abgesondertes) Rechtsmittel in Frage kommt, sind Beschlüsse des ersuchten Richters durch Rekurs an den dem Rechtshilfegericht übergeordneten Gerichtshof zu bekämpfen. Dem erkennenden Gericht steht kein Aufsichtsrecht gegenüber dem ersuchten Richter zu, das es den Parteien ermöglichen würde, irgendeine Art von Beschwerde gegen dessen Verfügungen an das Prozessgericht zu richten. § 285. (1) Ergibt sich bei der Beweisaufnahme vor einem beauftragten oder ersuchten Richter ein Streit, von dessen Erledigung die Fortsetzung der Beweisaufnahme abhängig, zu dessen Entscheidung der mit der Beweisaufnahme betraute Richter jedoch nicht berechtigt ist, so hat über seinen Bericht die Erledigung des Streites durch das Prozessgericht zu erfolgen. Die Tagsatzung zur Verhandlung über diesen Zwischenstreit ist vom Prozessgericht von Amts wegen anzuberaumen. (2) Wenn im Verlaufe der durch einen beauftragten oder ersuchten Richter stattfindenden Beweisaufnahme behufs Durchführung oder Vollendung der Beweisaufnahme an ein anderes Gericht ein Ersuchen gestellt werden muss, so ist dasselbe unmittelbar von dem mit der Beweisaufnahme betrauten Richter zu stellen. Derselbe ist 1197

§ 286

Rechberger

auch befugt, ein anderes Gericht um die Aufnahme des Beweises zu ersuchen, falls sich Gründe ergeben, welche die Beweisaufnahme vor diesem Gerichte als sachgemäß erscheinen lassen. [Stammfassung] Lit: Rechberger in Fasching/Konecny III § 285.

1 Entsteht bei der Beweisaufnahme vor dem ersuchten (oder dem beauftragten) Richter ein für die Erledigung oder Fortsetzung der Beweisaufnahme entscheidender Streit (zB über die Verpflichtung zur Vorlage einer Urkunde; s §§ 303 ff, 308 f), zu dessen Beilegung es der Entscheidung des Prozessgerichts bedarf (vgl § 284 Abs 2), hat der ersuchte (beauftragte) Richter dem Prozessgericht darüber zu berichten, welches von Amts wegen eine Tagsatzung anzuberaumen hat.

2 Aus Zweckmäßigkeitsgründen, insbes zur Prozessbeschleunigung und Kostenersparnis lässt Abs 2 die Weitergabe eines Rechtshilfeersuchens zu (Rechberger in Fasching/Konecny III § 285 Rz 2). § 286. (1) Der Vorsitzende hat die von dem beauftragten oder ersuchten Richter vorgelegten Protokolle und sonstigen Akten über die Beweisaufnahme zu prüfen und, falls er Mängel wahrnimmt, die erforderlichen Verbesserungen oder Vervollständigungen zu veranlassen. Die Beweisaufnahme-Akten sind sodann unter gleichzeitiger Verständigung der Parteien bis zur nächsten, zur mündlichen Verhandlung bestimmten Tagsatzung der Einsichtnahme der Parteien offen zu halten. (2) Über den in der Zwischenzeit von einer Partei gestellten Antrag, einzelne Mängel der Beweisaufnahme zu beheben oder diese Beweisaufnahme zu ergänzen, hat der Vorsitzende zu entscheiden. Die hiedurch etwa notwendig werdenden Verfügungen sind gleichfalls vom Vorsitzenden ohne Aufschub zu erlassen. Der Antrag kann auch mündlich angebracht werden. (3) Ergibt sich erst bei der mündlichen Verhandlung die Notwendigkeit einer Ergänzung oder Wiederholung der Beweisaufnahme, so hat das Gericht die der Sachlage entsprechenden Anordnungen zu treffen. Dasselbe kann auch anordnen, dass die Ergänzung oder Wiederholung der Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung selbst stattfinde. [Stammfassung] Lit: Rechberger in Fasching/Konecny III § 286. 1198

§ 287

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Der erkennende Richter hat die vom ersuchten (beauftragten) Richter 1 über dessen Beweisaufnahme vorgelegten Protokolle und sonstigen Akten (etwa ein schriftliches Sachverständigengutachten) zu prüfen und von Amts wegen die Behebung allfälliger Mängel zu veranlassen. Den Parteien ist die Einsichtnahme in die Beweisaufnahme-Akten zu 2 ermöglichen; sie können ihrerseits Anträge zur Behebung von Mängeln stellen oder die Ergänzung der Beweisaufnahme beantragen. Gegen die Bewilligung eines solchen Antrags gibt es kein Rechtsmittel (§ 291 Abs 2), gegen die Verweigerung der Ergänzung kein abgesondertes (§ 291 Abs 1). Auch noch aufgrund der Beweiserörterung in der mündlichen Verhand- 3 lung (vgl § 278 Abs 2) kann eine Ergänzung oder Wiederholung der Beweisaufnahme beschlossen werden, die wiederum vor dem ersuchten (beauftragten) Richter oder aber in der mündlichen Verhandlung selbst (vgl etwa den Fall des § 344 Abs 1) stattfinden kann. § 287. (1) Das Ergebnis einer nicht vor dem erkennenden Gerichte erfolgten Beweisaufnahme hat der Vorsitzende auf Grund der diese Beweisaufnahme betreffenden Protokolle und sonstigen Akten bei der mündlichen Verhandlung zu geeigneter Zeit darzulegen. (2) Wenn diese Darlegung nach Ansicht einer der Parteien in erheblichen Punkten vom Inhalte der Akten abweicht, sind auf ihren Antrag die Beweisaufnahmeprotokolle und die sonstigen, die Beweisaufnahme betreffenden Akten dem vollen Inhalte nach vorzulesen. (3) Den Parteien bleibt es unbenommen, schon vor dieser Darlegung des Vorsitzenden in ihren Vorträgen auf den Inhalt der Beweisaufnahme-Akten Bezug zu nehmen. [Stammfassung] Lit: Rechberger in Fasching/Konecny III § 287. Als Vorbereitung der Beweiserörterung (§§ 259 Abs 1, 278 Abs 2) hat 1 der erkennende Richter die Ergebnisse der Beweisaufnahme vor dem ersuchten (beauftragten) Richter anhand der Protokolle und sonstigen Akten darzulegen (auch dann, wenn eine Partei nicht anwesend ist: § 401 Abs 2). Unter den Voraussetzungen des Abs 2 kann jede der Parteien die vollständige Verlesung der Beweisaufnahme-Akten beantragen. Da die Parteien gem § 286 Abs 1 vor der mündlichen Verhandlung in die fremden Beweisaufnahme-Akten Einsicht nehmen können, bleibt 1199

§ 288

Rechberger

es ihnen nach Abs 3 auch unbenommen, sich in ihren Vorträgen schon vor der Darlegung nach Abs 1 auf deren Inhalt zu berufen. Nach ihrer ratio gilt diese Bestimmung für alle mittelbar aufgenommenen Beweise (Fasching1 III 352; Rechberger in Fasching/Konecny III § 287 Rz 2), also auch für die gem § 281a verwendeten „Fremdbeweise“ und für die aus einem Beweissicherungsverfahren stammenden Beweise. Verfahren bei der Beweisaufnahme § 288. (1) Für die zum Zwecke einer Beweisaufnahme erforderlichen Ladungen und für alle anderen zur Beweisaufnahme erforderlichen Vorkehrungen hat, falls die Beweisaufnahme vor dem erkennenden Gerichte stattfindet, der Vorsitzende des Senates, außerdem aber der Richter, welchem die Beweisaufnahme obliegt, von Amts wegen Sorge zu tragen. Letzterer hat auch die Tagsatzung für die Beweisaufnahme von Amts wegen anzuberaumen. (2) Die Parteien können die von ihnen benannten Zeugen oder die Personen, welche sie dem Gerichte bei der Verhandlung als Zeugen namhaft machen oder als Sachverständige in Vorschlag bringen wollen, auch ohne vorherige gerichtliche Vorladung zur Verhandlung vor dem erkennenden Gerichte mitbringen. [Stammfassung] Lit: Rechberger in Fasching/Konecny III § 288.

1 Es entspricht der (formellen) Prozessleitungspflicht des Richters (Senatsvorsitzenden) nach §§ 180 ff, dass er die Beweisaufnahme von Amts wegen anzuberaumen und für alle dafür erforderlichen Vorkehrungen einschließlich der Ladungen zu sorgen hat (Amtsbetrieb). Diese Verpflichtung trifft im Falle einer Beweisaufnahme vor einem ersuchten (beauftragten) Richter diesen.

2 Zur Beschleunigung des Verfahrens können die Parteien aber als Zeugen (oder als Sachverständige) in Betracht kommende Personen gleich zur Verhandlung mitbringen. § 289. (1) Die Parteien können bei der Beweisaufnahme zugegen sein; sie können an die Zeugen und Sachverständigen diejenigen Fragen durch den Vorsitzenden oder den die Beweisaufnahme leitenden Richter stellen lassen oder mit deren Zustimmung selbst stellen, wel1200

§ 289

2.1 Verfahren bis zum Urteile

che sie zur Aufklärung oder Vervollständigung der Aussage, sowie zur Aufklärung des Streitverhältnisses oder der für die Beweiskraft der Aussagen wesentlichen Verhältnisse für dienlich erachten. Fragen, welche dem Richter unangemessen erscheinen, hat er zurückzuweisen. (2) Mit der Beweisaufnahme ist, soweit dies nach Lage der Sache geschehen kann, vorzugehen, wenn auch keine der verständigten Parteien erschienen ist. Es kann jedoch vom erkennenden Gerichte, oder, solange die Beweisaufnahme noch nicht beendet ist, auch von dem beauftragten oder ersuchten Richter eine Ergänzung der Beweisaufnahme zugelassen werden, wenn die Partei glaubhaft macht, dass ihr durch ein unvorhergesehenes Ereignis verursachtes Nichterscheinen eine wesentliche Unvollständigkeit der Beweisaufnahme zur Folge hatte und wenn zugleich die Ergänzung der Beweisaufnahme ohne erhebliche Verzögerung des Rechtsstreites stattfinden kann. [Stammfassung] Lit: Rechberger in Fasching/Konecny III § 289; Fasching Rz 914 f; Holzhammer 255; ders, PraktZPR 269; Rechberger/Simotta Rz 614. § 289 regelt die Mitwirkungsrechte der Parteien bei der Beweisauf- 1 nahme: Es besteht stets Parteiöffentlichkeit, die Beweisaufnahme kann aber grundsätzlich auch in Abwesenheit der Parteien vorgenommen werden (§ 289 Abs 2 Satz 1). So wie gegenüber dem Gegner (vgl § 184) haben die Parteien auch ein Fragerecht gegenüber Zeugen und Sachverständigen; sie können diese Fragen selbst stellen oder durch den Richter stellen lassen (im Falle des § 341 Abs 2 schriftlich). Korrespondierend zu § 184 Abs 2 kann der Richter ihm unangemessen erscheinende Fragen auch in diesen Fällen zurückweisen. Im Senatsprozess entscheidet über den Widerspruch gegen die Zulassung oder Zurückweisung einer Frage durch den Vorsitzenden oder über den Widerspruch gegen eine Frage des Vorsitzenden oder eines anderen Senatsmitglieds der Senat: §§ 186 Abs 1, 342 Abs 1. Gegen die Bewilligung von Fragen gibt es kein Rechtsmittel (§ 291 2 Abs 2), gegen die Verweigerung gibt es kein abgesondertes Rechtsmittel (§ 291 Abs 1). Weitere Mitwirkungsrechte der Parteien bei der Beweisaufnahme beste- 3 hen im Fall des § 281a, wenn von einer unmittelbaren Beweisaufnahme Abstand genommen werden soll (vgl dort Näheres) und bei der Feststellung der Echtheit einer Privaturkunde (§ 312). 1201

§ 290

Rechberger

4 Wenn eine zur Beweisaufnahme geladene, aber nicht erschienene Partei später glaubhaft macht (§ 274), dass ihr Nichterscheinen durch ein unvorhergesehenes Ereignis (vgl dazu § 146 Rz 2) verursacht worden war und eine wesentliche Unvollständigkeit der Beweisaufnahme zur Folge hatte, kann vom Prozessgericht (vom ersuchten oder beauftragten Richter nur dann, wenn die Beweisaufnahme noch nicht beendet ist) eine Ergänzung der Beweisaufnahme zugelassen werden, sofern dies nicht den Prozess erheblich verzögert (ob damit jedoch – was offenbar Absicht des Gesetzgebers ist – die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausgeschlossen werden kann, bei der eine Verfahrensverzögerung keinesfalls eine Rolle spielt, erscheint fraglich). Eine Beweisaufnahme in Abwesenheit einer nicht verständigten Partei macht das Verfahren gleichfalls nur dann mangelhaft (§ 496 Abs 1 Z 2), wenn dies eine wesentliche Unvollständigkeit der Beweisaufnahme zur Folge hatte (Holzhammer 255; ähnlich die Rsp: wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Beweisaufnahme sonst anders ausgefallen wäre [Ind 1967 H 4/5, 8]).

5 Aus dem Anwesenheits- und Fragerecht der Parteien bei der Beweisaufnahme ergibt sich die Verpflichtung des Gerichts, die Parteien zu laden; diese können auf die Ladung aber ausdrücklich verzichten (Rechberger in Fasching/Konecny III § 289 Rz 3; Fasching1 III 354). Gem § 25 Abs 4 RHE Ziv 2004 ist im Rechtshilfeersuchen an ausländische Behörden anzuführen, ob die Parteien von der anberaumten Beweisaufnahme verständigt werden sollen oder darauf verzichtet haben. § 290. Aus dem Umstande, daß die von einer ausländischen Behörde vorgenommene Beweisaufnahme nach den ausländischen Gesetzen mangelhaft ist, kann gegen dieselbe dann kein Einwand erhoben werden, wenn die Beweisaufnahme den für das Prozeßgericht geltenden Gesetzen entspricht. [Stammfassung] Lit: Rechberger in Fasching/Konecny III § 290; Bajons Rz 32.

1 Auch bei der Beweisaufnahme im Ausland gilt der Grundsatz der internationalen Rechtshilfe, dass diese vom ersuchten Gericht nach seinem eigenen Prozessrecht vorzunehmen ist (lex fori). Nach § 290 schadet eine danach unterlaufene Mangelhaftigkeit aber dann nicht, wenn die Beweisaufnahme den Anforderungen des österreichischen Rechts entspricht.

2 Zu Möglichkeit und Grenzen der Einhaltung ausländischer Vorschriften bei der Gewährung von Rechtshilfe vgl § 39 Abs 2 JN. 1202

§ 291

2.1 Verfahren bis zum Urteile

§ 291. (1) Gegen Beschlüsse, durch welche angebotene Beweise zurückgewiesen, Beweisaufnahmen angeordnet oder einem beauftragten Richter übertragen oder zum Zwecke der Beweisaufnahme Ersuchschreiben erlassen werden, ferner gegen Beschlüsse, durch welche Fragen der Parteien bei der Beweisaufnahme zurückgewiesen werden, endlich gegen Beschlüsse, durch welche die Benützung eines Beweises nach § 279 Abs 2 bewilligt oder ausgeschlossen oder eine nach § 286 Abs 2 in Antrag gebrachte Ergänzung der Beweisaufnahme verweigert wird, ist ein abgesondertes Rechtsmittel nicht zulässig. (2) Beschlüsse, durch welche die stenographische Aufzeichnung einer Beweisaufnahme gestattet, dem Beweisführer die Bestellung eines Ersuchschreibens gemäß § 283 Abs 1 übertragen, oder für die Beweisaufnahme oder für die Vorlage der Akten über eine außerhalb des Geltungsgebietes dieses Gesetzes stattfindende Beweisaufnahme eine Frist bestimmt wird, ferner Beschlüsse, durch welche die Ergänzung oder Wiederholung einer Beweisaufnahme angeordnet wird, können durch ein Rechtsmittel überhaupt nicht angefochten werden. [Abs 1 idF ZVN 2002; sonst Stammfassung] Lit: Rechberger in Fasching/Konecny III § 291; Fasching Rz 921. Die Anfechtung von Entscheidungen im Zuge des Beweisverfahrens 1 wird vom Gesetz aus prozessökonomischen Gründen zum Teil rigoros beschränkt. Abs 1 zählt jene Beschlüsse auf, gegen die kein abgesondertes Rechts- 2 mittel zulässig ist: Es sind dies die Beschlüsse nach §§ 36 JN, 275, 279 Abs 2, 282, 283 Abs 1, 285, 286 Abs 2, 289 Abs 1 ZPO. Nach der Rsp gehört dazu auch der Beschluss auf Fortsetzung des Verfahrens iS des § 279 Abs 1 letzter HS (NRsp 1989/257). AnwBl 1991/3926 = RZ 1993/6 wendet die Bestimmung analog auf den Beschluss an, mit dem ein Urkundenbeweis nicht zugelassen wird, weil andernfalls ein Beweismittelverbot verletzt würde. Abs 2 zählt jene Beschlüsse auf, die überhaupt nicht anfechtbar sind: 3 Es sind dies die Beschlüsse in den Fällen der §§ 279 Abs 1, 280, 283 Abs 1 und 3, 286 Abs 3, 289 Abs 2. Nach der Rsp gehören dazu auch Beschlüsse, die eine beantragte Befristung ablehnen (EvBl 1947/283), die Frist verlängern (Rsp 1937/15; OLG Wien 3 R 576/36 = EvBl 1936/963; LGZ Wien EvBl 1949/17) oder eine beantragte Verlängerung ablehnen (ZBl 1917/213; OLG Wien EvBl 1936/963). 1203

Vor § 291a

Rechberger

4 Weitere Beschränkungen der Anfechtbarkeit von Beschlüssen bei der Beweisaufnahme finden sich in den §§ 291b, 319, 332 Abs 2, 349, 366, 370 Abs 1. Beweisaufnahme im Ausland Vor § 291a Lit: Geimer, Internationale Beweisaufnahme (1999); Ahrens, Grenzüberschreitende selbständige Beweisverfahren – eine Skizze, FS Schütze (1999) 1; Daoudi, Extraterritoriale Beweisbeschaffung im deutschen Zivilprozess – Möglichkeiten und Grenzen der Beweisbeschaffung außerhalb des internationalen Rechtshilfeweges (2000); Stadler, Die Europäisierung des Zivilprozeßrechts, in: 50 Jahre Bundesgerichtshof – Festgabe aus der Wissenschaft III (2000); Berger, Die EG-Verordnung über die Zusammenarbeit der Gerichte auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil – und Handelssachen (EuBVO), IPRax 2001, 522; Schulze, Dialogische Beweisaufnahmen im internationalen Rechtshilfeverkehr, IPRax 2001, 527; Heß/Müller, Die Verordnung 1206/01/EG zur Beweisaufnahme im Ausland, ZZPInt 6 (2001) 149; Jayme, Extraterritoriale Beweisverschaffung für inländische Verfahren und Vollstreckungshilfe durch ausländische Gerichte, FS Geimer (2002) 375; Musielak, Beweiserhebung bei auslandsbelegenen Beweismitteln, FS Geimer (2002) 761; Stadler, Grenzüberschreitende Beweisaufnahme in der Europäischen Union – die Zukunft der Rechtshilfe in Beweissachen, FS Geimer (2002) 1281; Huber, Die Europäische Beweisaufnahmeverordnung (EuBVO): Überwindung der traditionellen Souveränitätsvorbehalte? GPR 2003/04, 115 f; Nagel/Bajons, Beweis – Preuve – Evidence. Grundzüge des zivilprozessualen Beweisrechts in Europa (2003); Leipold, Neue Wege im Recht der internationalen Beweiserhebung – einige Bemerkungen zur Europäischen Beweisaufnahmeverordnung, FS Schlechtriem (2003) 91; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht2 (2003) 595; Alio, Änderungen im deutschen Rechtshilferecht – Beweisaufnahme nach der Europäischen Beweisaufnahmeverordnung, NJW 2004, 2706; von Hein, Verordnung (EG) Nr 1206/2001 des Rates vom 28.5.2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- und Handelssachen, in Rauscher (Hrsg), Europäisches Zivilprozeßrecht (2004) 859; Heß, Neue Formen der Rechtshilfe in Zivilsachen im Europäischen Justizraum, GedS Blomeyer (2004) 617; Huber, Die Europäische Beweisaufnahmeverordnung (EuBVO): Überwindung der traditionellen Souveränitätsvorbehalte? GPR 2004, 115; ders, in Gebauer/Wiedmann (Hrsg), Zivilrecht unter Europäischem Einfluss (2004) Art 1 ff EuBewVO; Müller, 1204

Vor § 291a

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Grenzüberschreitende Beweisaufnahme im Europäischen Justizraum (2004); Neumayr/G. Kodek, EuBewVO – Verordnung über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- und Handelssachen, in Burgstaller/Neumayr, Internationales Zivilverfahrensrecht (2004); Berger, Grenzüberschreitende Beweisaufnahme zwischen Österreich und Deutschland, FS Rechberger (2005) 39; Brenn, Europäischer Zivilprozess (2005) 157 ff; Schoibl, Europäische Rechtshilfe bei der Beweisaufnahme in Zivil- und Handelssachen durch ordentliche Gerichte für Schiedsgerichte, FS Rechberger (2005) 513; Rechberger/McGuire, Die Europäische Beweisaufnahmeverordnung und Österreich, ÖJZ 2006, 829; Rechberger/ McGuire, Die Umsetzung der EuBewVO im österreichischen Zivilprozessrecht, ZZPInt 10 (2005) 81. Grundlagen. Durch die Verordnung (EG) Nr 1206/2001 des Rates 1 vom 28. Mai 2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Ziviloder Handelssachen (EuBewVO) wurde im Bereich der Europäischen Union nicht nur die Grundlage für eine – gegenüber den bisherigen Möglichkeiten – effizientere und unmittelbarer gestaltete Beweisaufnahme im Rechtshilfeweg (vgl dazu auch § 283) geschaffen, sondern weltweit erstmals auch die Möglichkeit der grenzüberschreitenden unmittelbaren Beweisaufnahme. Die §§ 291a bis c regeln auf der Basis dieser europäischen Bestimmungen die Beweisaufnahme durch ein österreichisches Gericht im Ausland (zur Beweisaufnahme eines ausländischen Gerichts in Österreich vgl § 39a JN). Europäische Beweisaufnahmeverordnung. Der Anwendungsbe- 2 reich der seit dem 1.1.2004 geltenden EuBewVO umfasst einerseits die klassische „aktive“ Rechtshilfe, die durch Beweisaufnahme durch das ersuchte Gericht erfolgt, und andererseits die unmittelbare Beweisaufnahme des Prozessgerichts im Ausland. Nicht geregelt wird die bloße Herbeischaffung von Beweismitteln aus dem Ausland wie zB die Vorlage von Urkunden oder die Ladung von Zeugen (vgl Rechberger/ McGuire, ÖJZ 2006, 829; dies, ZZPInt 10 [2005] 114). Nach Art 1 Abs 2 EuBewVO müssen die aufzunehmenden Beweise zur Verwendung in einem bereits eingeleiteten oder zu eröffnenden gerichtlichem Verfahren bestimmt sein. Davon ist auch der Bereich der Beweissicherung erfasst (Neumayr/G. Kodek, EuBewVO Art 1 Rz 21; Heß/Müller, ZZPInt 6 [2001] 152). Im Gegensatz zum Haager Beweisübereinkommen aus 1970 (HBÜ) 3 sieht die EuBewVO den unmittelbaren Geschäftsverkehr zwischen 1205

Vor § 291a

Rechberger

den Gerichten vor, dh das Ersuchen kann direkt an das ersuchte Gericht gerichtet werden. Rechtshilfeersuchen sind in Österreich weiterhin von den Bezirksgerichten zu erledigen. Die nötigen Informationen über andere Mitgliedstaaten sind in Form eines Handbuchs auch im Internet zugänglich gemacht. Zentralstellen, in Österreich das Bundesministerium für Justiz, sind zur Auskunfterteilung, Problemlösung und in Ausnahmefällen zur Weiterleitung von Ersuchen eingerichtet. Das Ersuchen hat unter Verwendung der im Anhang zur EuBewVO enthaltenen Formblätter zu erfolgen. Das Ersuchen muss in der Amtssprache des ersuchten Staats oder in einer anderen vom ersuchten Staat zugelassenen Sprache verfasst sein (in Österreich ist Englisch zugelassen). Die Art 7, 8 und 9 EuBewVO enthalten Vorschriften über die Entgegennahme des Ersuchens (Empfangsbestätigung innerhalb von sieben Tagen) und über die Vorgangsweise bei unvollständigen Ersuchen. Die Art 10 ff EuBewVO enthalten Vorschriften über die Beweisaufnahme durch das ersuchte Gericht. Es hat das Ersuchen unverzüglich, spätestens innerhalb von 90 Tagen nach Eingang des Ersuchens zu erledigen. Nach Art 15 EuBewVO sind dem ersuchenden Gericht eine Verzögerung der Erledigung wie auch die Gründe dafür mitzuteilen. Bei der Beweisaufnahme ist das Recht des ersuchten Gerichts (lex fori) anzuwenden. Das ersuchende Gericht kann aber die Erledigung des Ersuchens in einer bestimmten Form beantragen, dem das ersuchte Gericht unter der Voraussetzung der Vereinbarkeit nach dem Recht dieses Staates und der vorhandenen Möglichkeiten zu entsprechen hat. Auf diese Weise kann auch das Recht des ersuchenden Staates maßgeblich sein. Der Einführungserlass vom 17.12.2003 nennt aus österreichischer Sicht die Belehrung über die Wahrheitspflicht und mögliche Aussageverweigerungsgründe. Art 10 Abs 4 EuBewVO sieht die Beweisaufnahme unter Verwendung von Video- und Telekonferenzen vor. Die Parteien und ihre Vertreter haben das Recht bei der Beweisaufnahme durch das ersuchte Gericht anwesend zu sein, sofern dies das Recht des ersuchenden Mitgliedstaats vorsieht (Grundsatz der Parteiöffentlichkeit). Neben der bloßen Anwesenheit der Parteien und ihrer Vertreter kann das ersuchende Gericht deren Beteiligung (bspw Fragerecht, vgl Neumayr/G. Kodek, EuBewVO Art 11 Rz 1 ff) beantragen, wobei das ersuchte Gericht die Bedingungen für die Beteiligung festlegt. Art 12 EuBewVO sieht die Anwesenheit von Beauftragten des ersuchenden Gerichts vor, soweit dies mit dem Recht des ersuchenden Gerichts vereinbar ist. Davon sind bspw Gerichtsangehörige oder auch Sachverständige erfasst. Damit soll auch bei der aktiven Rechtshilfe der Gedanke der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme berücksichtigt werden 1206

Vor § 291a

2.1 Verfahren bis zum Urteile

(zur dialogischen Beweisaufnahme vgl Rechberger/McGuire, ÖJZ 2006, 829; dies, ZZPInt 10 [2005] 96). (Nur) das ersuchte Gericht kann, soweit erforderlich und nach seinem eigenen Recht vorgesehen, Zwangsmaßnahmen anwenden. Zu vernehmende Personen können sich auf Aussageverweigerungsrechte oder Aussageverbote sowohl nach dem Recht des ersuchten als auch des ersuchenden Gerichts berufen. Darüber hinaus ist eine Ablehnung der Erledigung nur möglich, wenn die Erledigung des Ersuchens nicht in den Anwendungsbereich der EuBewVO, nach dem Recht des ersuchten Gerichts nicht in die Gerichtsgewalt fällt, das unvollständige Ersuchen nicht entsprechend ergänzt, oder der Kostenvorschuss nach Art 18 Abs 3 EuBewVO nicht rechtzeitig einbezahlt wurde. Art 14 Abs 3 EuBewVO bestimmt ausdrücklich, dass das ersuchte Gericht die Erledigung nicht allein wegen einer ausschließlichen Zuständigkeit nach dem Recht des ersuchten Gerichts oder einer nach diesem Recht unbekannten Verfahrensart ablehnen darf. Die Erledigung hat unter Übermittlung der zur Erledigung nötigen Schriftstücke (zB Protokoll) zu erfolgen. Die unmittelbare Beweisaufnahme durch das ersuchende Gericht, 4 die wesentliche Neuerung im Vergleich zum HBÜ, ist in Art 17 ff EuBewVO geregelt. Sie erfolgt nach dem Recht des ersuchenden Staats. Die unmittelbare Beweisaufnahme ist nur dann zulässig, wenn sie auf freiwilliger Grundlage und ohne Zwangsmaßnahmen erfolgen kann, was freilich einen entscheidenden Nachteil darstellt (vgl Rechberger/McGuire, ÖJZ 2006, 829; dies, ZZPInt 10 [2005] 95). Bei der Vernehmung einer Person ist diese über die Freiwilligkeit der Vernehmung zu informieren. Auch in diesem Fall ist ein entsprechendes Ersuchen an die Zentralstelle des ersuchten Staats zu richten. Innerhalb von 30 Tagen ist dem ersuchenden Mitgliedstaat mitzuteilen, ob und unter welchen Bedingungen die unmittelbare Beweisaufnahme vorgenommen werden kann. Die unmittelbare Beweisaufnahme hängt demnach von der ausdrücklichen Bewilligung (Neumayr/G. Kodek, EuBewVO Art 17 Rz 9) durch den ersuchten Mitgliedstaat ab. Eine Ablehnung ist nur möglich, wenn das Ersuchen nicht in den Anwendungsbereich der EuBewVO fällt, nicht die vorgeschriebenen Angaben enthält oder die beantragte Beweisaufnahme wesentlichen Rechtsgrundsätzen des ersuchten Staats zuwiderläuft. Die unmittelbare Beweisaufnahme kann von einem Gerichtsangehörigen oder einem Sachverständigen durchgeführt werden. Dadurch wird die Verwertung von im Ausland belegenen Beweismitteln ohne Beeinträchtigung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes ermöglicht (vgl Rechberger/McGuire, ÖJZ 2006, 829; dies, ZZPInt 10 [2005] 94). 1207

§ 291a

Rechberger

5 Hinsichtlich der Kosten regelt Art 18 EuBewVO grundsätzlich die Unentgeltlichkeit der Rechtshilfe. Im Falle von Aufwendungen für Sachverständige und Dolmetscher und von Auslagen, die durch die Anwendung von besonderen Formvorschriften oder modernen Kommunikationstechnologien entstanden sind, ist eine Kostenerstattung der Parteien nach dem Recht des ersuchenden Gerichts vorgesehen. Abgesehen von einem Vorschuss für Sachverständigenkosten darf die Erledigung des Ersuchens nicht von der Bezahlung abhängig gemacht werden. § 291a. (1) Liegen die Voraussetzungen für die Beweisaufnahme durch ein ersuchtes ausländisches Gericht vor, so kann das Prozessgericht auf Antrag einer Partei im Ausland an der Beweisaufnahme des ersuchten Gerichtes teilnehmen oder an dessen Stelle selbst Beweis aufnehmen, wenn 1. dies völker- oder gemeinschaftsrechtlich zulässig und unter Bedachtnahme auf den Reiseaufwand und die tatsächlichen Verhältnisse im betreffenden Staat zumutbar ist, 2. auf Grund außergewöhnlicher Umstände, etwa wegen der besonderen Schwierigkeit des Beweisthemas oder der über das gewöhnliche Maß hinausgehenden Bedeutung eines persönlichen Eindrucks, eine Beweisaufnahme nur durch das ersuchte Gericht nicht ausreicht und 3. die voraussichtlichen Kosten der auswärtigen Amtshandlung und damit allfällig verbundener Dolmetscherkosten als Vorschuss bei Gericht erliegen; das ist nicht erforderlich, wenn allen Parteien, die nach § 3 GEG einen Kostenvorschuss zu erlegen hätten, Verfahrenshilfe gemäß § 64 Abs 1 Z 1 lit b und c gewährt wurde. (2) Zur Frage, ob eine Amtshandlung außerhalb des Geltungsbereichs der Verordnung (EG) Nr 1206/2001, ABl Nr 2001, L 174, S 1, zulässig ist, ist vorweg eine Erklärung des Bundesministers für Justiz einzuholen. Dieser hat zuvor das Einvernehmen mit dem Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten herzustellen. Ansuchen um Beweisaufnahme sind in diesem Fall im Wege des Bundesministeriums für Justiz zu stellen. [Eingefügt durch BGBl I 2003/114] Lit: P. Mayr, Zwischenstaatliche Beweisaufnahme in Zivil- und Handelssachen, in Burgstaller/Neumayr, Internationales Zivilverfahrensrecht (2004) § 291a; Neumayr/G. Kodek, EuBewVO – Verordnung über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- und Handelssachen, in Burgstaller/Neumayr, Internationales Zivilverfahrensrecht (2004) Überblick 1208

§ 291a

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Vor Art 1 Rz 23 ff; Brenn, Europäischer Zivilprozess (2005) 161 f; Rechberger/McGuire, Die Umsetzung der EuBewVO im österreichischen Zivilprozessrecht, ZZPInt 10 (2005) 81. Inhaltsübersicht Möglichkeiten des Gerichts Voraussetzungen Zwischenstaatliche Zulässigkeit Zumutbarkeit

1 2 3 4

Notwendigkeit Kostenvorschuss Genehmigung des ausländischen Staates

5 6 7

Möglichkeiten des Gerichts. Die ZPO favorisiert zwar die unmittelba- 1 re Beweisaufnahme, was sich daran zeigt, dass eine Beweisaufnahme im Inland nur ausnahmsweise durch einen ersuchten Richter zugelassen wird (vgl Vor § 282 Rz 1). § 291a kehrt diesen Grundsatz für Beweisaufnahmen im Ausland aber insofern um, als – von der Grundregel des § 283 ausgehend, die dafür die mittelbare Beweisaufnahme qua Rechtshilfe vorsieht (vgl § 283 Rz 1) – unmittelbare Beweisaufnahmen im Ausland nur unter bestimmten Voraussetzungen durchgeführt werden dürfen (krit zur überschießenden Umsetzung Rechberger/McGuire, ZZPInt 10 [2005] 108). Dem Gericht stehen dafür zwei Möglichkeiten zur Verfügung: a) Einerseits kann es die traditionelle Beweisaufnahme im Rechtshilfeweg erwirken und daran selbst teilnehmen. Dies ist keine unmittelbare Beweisaufnahme im herkömmlichen Sinne, da das Gericht den Beweis nicht selbst aufnimmt, sondern nur an dessen Aufnahme teilnimmt. Die Aufnahme geschieht – wie es dem Wesen der Rechtshilfe entspricht – durch ein Gericht des Staates, in dem dieser Beweis erhoben wird. Sie ist aber insofern unmittelbar, als sich der Richter einen persönlichen Eindruck verschaffen kann, der ihm die Beweiswürdigung erleichtert. Man wird sie deshalb durchaus als „unmittelbare“ Beweisaufnahme iSd ZPO verstehen können (§ 488 Abs 4). b) Andererseits kann das Gericht den Beweis auch anstatt eines ersuchten Gerichts selbst aufnehmen. Dies stellt eine Beweisaufnahme dar, auf deren Durchführung der Ort der Beweisaufnahme keinen Einfluss hat. Sie findet also „wie im Inland“ statt. Voraussetzungen. Zunächst müssen die generellen Voraussetzungen 2 für eine Beweisaufnahme im Ausland erfüllt sein. Dies richtet sich nach den §§ 300, 328, 352, 368 Abs 2, 375 Abs 2. Außerdem bedarf es stets eines darauf gerichteten Antrags einer Partei (es kann sich also sowohl um den Beweisführer als auch dessen Gegner handeln). Dem 1209

§ 291a

Rechberger

Antrag ist bei Vorliegen der Voraussetzungen stattzugeben; dem Gericht steht dabei keinerlei Ermessen zu. Dazu kommen die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des Abs 1:

3 a) Zwischenstaatliche Zulässigkeit (Abs 1 Z 1). Da die unmittelbare Beweisaufnahme im Ausland Souveränitätsproblemen begegnet (s § 283 Rz 1), muss sie völker- oder gemeinschaftsrechtlich zulässig sein. Im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (mit Ausnahme Dänemarks) richtet sich dies nach der EuBewVO, sonst nach allgemeinem Völkerrecht, wofür insbes bi- und multilaterale Übereinkommen in Betracht kommen, aber auch faktische Gegenseitigkeit oder die Erklärung eines anderen Staats im Einzelfall (ErlRV 250 BlgNR 22.GP 5). Da Amtshandlungen eines inländischen Richters im Ausland dem Völkerrecht aber – sieht man von der durch die EuBewVO in der Europäischen Union geschaffenen Rechtslage ab – derzeit unbekannt sind, wird es im Regelfall auf die Zustimmung im Einzelfall ankommen (Mayr in Burgstaller/Neumayr § 291a Rz 5).

4 b) Zumutbarkeit. Die Auslandstätigkeit muss für das Gericht (ErlRV 250 BlgNR 22. GP 5) unter Bedachtnahme auf den Reiseaufwand und die tatsächlichen Verhältnisse im betreffenden Staat zumutbar sein. Unter Reiseaufwand sind die durch die Reise selbst bedingten Strapazen für das Gericht, nicht aber die Reisekosten zu verstehen, da diese von den Parteien (vgl die Kostenvorschussregelung des Abs 1 Z 3) zu tragen sind. Unzumutbar kann der Reiseaufwand etwa für eine Beweisaufnahme an einem entlegenen Ort sein, zu dem eine mehrtägige Anreise notwendig wäre (vgl ErlRV 250 BlgNR 22. GP 5). Unter tatsächlichen Verhältnissen am Ort der Beweisaufnahme, die eine Abweisung des Antrags rechtfertigen können, sind von der Reise selbst unabhängige Umstände wie Kriege oder Naturkatastrophen, aber auch eine hohe Kriminalitätsrate zu verstehen.

5 c) Notwendigkeit. Die unmittelbare Beweisaufnahme muss aufgrund außergewöhnlicher Umstände notwendig sein (Abs 1 Z 2), was deren Ausnahmecharakter (noch weiter) unterstreicht. Das Gesetz selbst nennt als Beispiele für solche Umstände die Schwierigkeit des Beweisthemas oder die über das gewöhnliche Maß hinausgehende Bedeutung eines persönlichen Eindrucks. Dabei erhebt sich allerdings die Frage, wann der persönliche Eindruck des Richters bei der Beweisaufnahme keine besondere Bedeutung haben sollte.

6 d) Kostenvorschuss. Die voraussichtlichen Kosten der auswärtigen Amtshandlung (inkl Reisekosten des Richters, aber auch Dolmetscher1210

§ 291b

2.1 Verfahren bis zum Urteile

kosten) müssen als Vorschuss bei Gericht erliegen (Abs 1 Z 3). Damit soll sichergestellt werden, dass es zu keinen Problemen bei der Hereinbringung der (wohl höheren) Kosten kommen kann. Von diesem Erfordernis kann nur abgesehen werden, wenn alle erlagspflichtigen Parteien Verfahrenshilfe genießen. Diese muss sowohl die Kosten von Amtshandlungen außerhalb des Gerichts (§ 64 Abs 1 Z 1 lit b) als auch die Gebühren der Zeugen, Sachverständigen, Dolmetscher, Übersetzer und Beisitzer (§ 64 Abs 1 Z 1 lit c) umfassen. Wurde Verfahrenshilfe nicht in diesem Umfang gewährt, so ist ein Kostenvorschuss für die zu tragenden (restlichen) Kosten erforderlich. Genehmigung des ausländischen Staats. Die Frage, ob die unmittel- 7 bare Beweisaufnahme nach internationalem Recht zulässig ist, hat das Prozessgericht gesondert zu prüfen. Im Anwendungsbereich der EuBewVO hat es die Genehmigung des Staates, in dem die Beweisaufnahme stattfinden soll, selbst einzuholen (Art 17 EuBewVO). Diese Genehmigung ist Zulässigkeitsvoraussetzung. Soll die Beweisaufnahme nicht in einem dem Anwendungsbereich der EuBewVO unterliegenden Staat stattfinden, ist eine Erklärung des Justizministers einzuholen, der in dieser Frage das Einvernehmen mit dem Außenminister herzustellen hat (Abs 2). Diese Erklärung bindet das Gericht nicht (ErlRV 250 BlgNR 22. GP 5); die nach Übermittlung des Ersuchens durch das Justizministerium erteilte Genehmigung durch den betroffenen Staat entscheidet aber wiederum über die Zulässigkeit der Amtshandlung im Ausland.

§ 291b. (1) Eine Amtshandlung nach § 291a ist durch abgesondert anfechtbaren Beschluss anzuordnen. Ein dagegen erhobener Rekurs hat aufschiebende Wirkung. (2) Gegen die Abweisung eines Antrags nach § 291a Abs 1 ist kein abgesondertes Rechtsmittel zulässig. [Eingefügt durch BGBl I 2003/114] Lit: P. Mayr, Zwischenstaatliche Beweisaufnahme in Zivil- und Handelssachen, in Burgstaller/Neumayr, Internationales Zivilverfahrensrecht (2004) § 291b; Neumayr/G. Kodek, EuBewVO – Verordnung über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- und Handelssachen, in Burgstaller/Neumayr, Internationales Zivilverfahrensrecht (2004) Überblick Vor Art 1 Rz 26; Brenn, Europäischer Zivilprozess (2005) 162. 1211

§ 291c

Rechberger

1 Trotz Abschaffung des Beweisbeschlusses durch die ZVN 2002 ist über diese Beweisaufnahme ein eigener Beschluss zu fassen, für den Sonderregeln gelten: Er ist im Fall der Stattgebung (nicht im Fall der Abweisung) abgesondert anfechtbar und hat abweichend von § 524 aufschiebende Wirkung (wodurch nach ErlRV 250 BlgNR 22. GP 5 gleichfalls der Ausnahmecharakter dieser Bestimmungen betont werden soll)). § 291c. Die Bestimmungen des § 291a Abs 1 Z 2 und 3 sowie des § 291b sind auf eine im Ausland stattfindende Befundaufnahme durch einen Sachverständigen nicht anzuwenden. [Eingefügt durch BGBl I 2003/114] Lit: P. Mayr, Zwischenstaatliche Beweisaufnahme in Zivil- und Handelssachen, in Burgstaller/Neumayr, Internationales Zivilverfahrensrecht (2004) § 291c; Neumayr/G. Kodek, EuBewVO – Verordnung über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- und Handelssachen, in Burgstaller/Neumayr, Internationales Zivilverfahrensrecht (2004) Überblick Vor Art 1 Rz 27; Brenn, Europäischer Zivilprozess (2005) 162.

1 Die Beweisaufnahme durch einen Sachverständigen kann unter weniger strengen Voraussetzungen angeordnet werden. Dabei stellt sich einerseits die Frage, ob die Gründe für diese Privilegierung nicht für jede unmittelbare Beweisaufnahme zu gelten hätten, während es andererseits verwundert, dass für die Reisekosten des Sachverständigen, also eines Mitarbeiters des Gerichts (vgl Vor § 351 Rz 2), kein Kostenvorschuss erliegen muss. Für den Sachverständigenbeweis bedarf es daher neben dem Antrag einer Partei (nur) der internationalen Zulässigkeit und der Zumutbarkeit. Außerdem muss die Aufnahme des Befundes unmittelbar vor dem erkennenden Gericht erheblichen Schwierigkeiten unterliegen (§ 291a Abs 1 iVm § 352 Abs 1). Der Beschluss, der dem Antrag auf eine Befundaufnahme durch einen Sachverständigen im Ausland stattgibt oder ihn abweist, ist nicht abgesondert anfechtbar (§ 291 Abs 1).

1212

Vor § 292

2.1 Verfahren bis zum Urteile Dritter Titel Beweis durch Urkunden Vor § 292

Lit: Wahle, Die „Anfrage“ als Beweismittel, ÖJZ 1946, 381; Fasching, Die Beweisführung zum Nachweis der Verkehrsgeltung, ÖBl 1959, 41; ders, Moderne Probleme des Beweisrechts (Vortragsbericht), JBl 1966, 414 = ÖJZ 1966, 432; Gebauer, Die Tonbandaufnahme als prozessuales Beweismittel, AnwBl 1967, 114; Wegan, Demoskopische Meinungsumfrage als Beweismittel im Zivilprozeß, RZ 1969, 157; Matscher, Der Beweis durch Demoskopie im österreichischen Zivilprozeß, ÖBl 1970, 90; Feil, Handelsbücher als Beweismittel, GesRZ 1977, 7; Hellbling, Gültigkeitsdauer einer Urkunde, Stb 1978, H 8, 2; Gitschthaler, Eigentums- und andere Rechte an einer Urkunde. Eine Darstellung aus prozeß- und zivilrechtlicher Sicht, RZ 1984, 4; Mohr, Urkundliche Angaben eines Zeugen – Gedanken zur Zulässigkeit einer Urkunde als derivatives Beweismittel, ÖJZ 1985, 524; G. Kodek, Rechtswidrig erlangte Beweismittel im Zivilprozeß (1987); A. Walther, Zur Abgrenzung von Urkundenbeweis, Beweis durch Auskunftssachen und Augenschein im österreichischen Zivilprozeßrecht, RZ 1993, 47; Brunner, Das elektronisch gespeicherte Dokument und dessen Beweischarakter, NZ 1996, 161; Brunner, Das Urkundenarchiv des österreichischen Notariats als Beitrag zur Rechtssicherheit, in Jochum (Hrsg), Elektronik und Urkunde. Elektronisches Dokument und Rechtssicherheit, Schriftenreihe des Österreichischen Notariats Band 14 (2000) 57; Jochum (Hrsg), Elektronik und Urkunde. Elektronisches Dokument und Rechtssicherheit, Schriftenreihe des Österreichischen Notariats Band 14 (2000); Schumacher, Sichere Signaturen im Beweisrecht, ecolex 2000, 860; F. Bydlinski/ P. Bydlinski, Gesetzliche Formgebote auf dem Prüfstand (2001); Enzinger, Von überschießenden Formpflichten, AnwBl 2001, 501; Bittner, Elektronisch unterfertigte Urkunden als Grundbuchsurkunden, NZ 2002, 112; M. Gruber, Studien zur Teleologie der notariellen Form, in Rechberger (Hrsg), Formpflicht und Gestaltungsfreiheit, Schriftenreihe des Österreichischen Notariats Band 20 (2002) 55; Stadler, Der Zivilprozeß und neue Formen der Informationstechnik, ZZP 115 (2002) 413; Ahrens, Elektronische Dokumente und technische Aufzeichnungen als Beweismittel. Zum Urkunden- und Augenscheinsbeweis der ZPO, FS Geimer (2003) 1; Brunner, Die „elektronische“ Urkunde im Beweisrecht, FS Weißmann (2003) 135; Prütting, Informationsbeschaffung durch neue Urkundenvorlagepflichten, FS Nemeth (2003) 701; Grötschl, Verwendung und Verwertung elektronischer Dokumente im Zivilprozess (2004); Rechberger/McGuire, Die elektronische Urkunde 1213

Vor § 292

Rechberger

und das Beweismittelsystem der ZPO, in Rechberger (Hrsg), Die elektronische Revolution im Rechtsverkehr – Möglichkeiten und Grenzen, Schriftenreihe des Österreichischen Notariats Band 34 (2006) 1. Rechberger in Fasching/Konecny III Vor § 266 Rz 101 ff; Bittner in Fasching/Konecny III § 292; G. Kodek in Fasching/Konecny III § 318; Bajons Rz 144; Ballon Rz 216; Deixler-Hübner/Klicka Rz 137 ff; Fasching Rz 924 ff; Holzhammer 252; ders, PraktZPR 269, 288; Rechberger/Simotta Rz 619 ff. Inhaltsübersicht Die Beweismittel der ZPO „Neue“ Beweismittel Gemeinschaftlichkeit der Beweismittel

1–2 3–9 10

Urkundenbegriff 11–12 Arten der Urkunden 13 Echtheit und Richtigkeit der Urkunden 14–15

1 Begriff des Beweismittels. Beweismittel sind die Personen und Gegenstände, mit deren Hilfe der Beweis erbracht werden soll. Dem Gericht sollen sie aufgrund sinnlicher Wahrnehmung die Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen ermöglichen.

2 Die ZPO regelt nach den allgemeinen Bestimmungen über den Beweis und die Beweisaufnahme die fünf klassischen Beweismittel, nämlich den Beweis durch a) b) c) d) e)

Urkunden (§§ 292 bis 319), Zeugen (§§ 320 bis 350), Sachverständige (§§ 351 bis 367), Augenschein (§§ 368 bis 370) und Vernehmung der Parteien (§§ 371 bis 383).

Das Gesetz hat damit alle am Ende des 19. Jahrhunderts praktisch geläufigen und bedeutungsvollen Beweismittel erfasst; dies bedeutet aber keineswegs eine taxative Aufzählung (Rechberger in Fasching/ Konecny III Vor § 266 Rz 100; Fasching Rz 925; Matscher, ÖBl 1970, 90; Bajons Rz 144; Ballon Rz 216; Rechberger/Simotta Rz 616; aA SZ 23/1; ÖBl 1952, 36; Holzhammer 238, 252; ders, PraktZPR 269; vgl auch Leipold in Stein/Jonas20 § 284 Rz 23, 27). Soweit ihre Verwertung nach den (zwingenden) „allgemeinen Bestimmungen über den Beweis und die Beweisaufnahme“ (§§ 266 bis 291) möglich ist, können daher alle Erkenntnisquellen als Beweismittel zugelassen werden. Immer wieder werden auch „neue“ Beweismittel genannt (Rz 3 bis 7).

3 Anfrage an Behörden. Dieses in der Praxis häufige Ersuchen um amtliche Mitteilungen einer Behörde über prozesserhebliche Tatsachen 1214

Vor § 292

2.1 Verfahren bis zum Urteile

kann in verschiedener Form erledigt werden (vgl Fasching Rz 927), nämlich durch: a) Übersendung eines Aktes an das Gericht; dieser ist eine öffentliche Urkunde (vgl § 292); b) Vernehmung eines informierten Sachbearbeiters als Zeuge oder Sachverständiger; c) schriftliche Beantwortung der Anfrage durch die Behörde (Urkunden- oder Sachverständigenbeweis). Bild- und Tonträger (bzw die darauf gespeicherten Daten) sind idR 4 Augenscheinsgegenstände (sofern sie einen Gedankeninhalt vermitteln, können sie auch als Auskunftssachen iS des § 318 qualifiziert werden [s Holzhammer, PraktZPR 291, 301]; jedenfalls sind auf sie wie bei den Auskunftssachen – s unten Rz 12 und § 318 Rz 1, 3 – die Regeln über die Urkundenherausgabe anzuwenden [vgl dazu A. Walther, RZ 1993, 47; Jus Extra 1998/2581]) und nur dann Urkunden, wenn sie schriftliche Aufzeichnungen festhalten (zB Mikrofilmaufnahmen von Archiven). Wegen des Grundsatzes der materiellen Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (s Vor § 266 Rz 30) sind solche Beweismittel nur zulässig, wenn das unmittelbare Beweismittel (zB der vor Gericht erscheinende Zeuge) nicht zur Verfügung steht. Elektronische Dokumente. Die überw Lehre und Rsp zählt auf EDV- 5 Trägern gespeicherte (und allenfalls codierte) Daten zu den Augenscheinsgegenständen (Fasching Rz 945; Brenn, SignaturG 69; Brunner, FS Weißmann 147; Rechberger/Simotta Rz 617; Rechberger in Fasching/Konecny III Vor § 266 Rz 104; Kodek in Fasching/Konecny III § 318 Rz 4; Rechberger/McGuire, Urkunde 12; OLG Wien 4 R 6/99b MR 1999, 167; zum elektronischen Dokument vgl ausführlich Brunner, NZ 1996, 161). Zur elektronischen Urkunde s Rz 6. Probleme bereitet bei der Qualifikation der elektronischen Dokumente als Augenscheinsgegenstände allerdings der Umstand, dass Echtheitsvermutung oder Vorlagepflicht bei Augenscheinsgegenständen nur unzureichend geregelt sind, was in Anbetracht der praktischen Bedeutung und zunehmenden Verbreitung dieser Dokumente unbefriedigend ist (Rechberger/ McGuire, Urkunde 13). G. Kodek (in Fasching/Konecny III § 318 Rz 5) spricht sich für eine analoge Anwendung der Bestimmungen über die Vorlagepflicht Dritter auch auf derartige Augenscheinsgegenstände aus. Eine gänzliche Gleichstellung von elektronisch gespeicherten Datensätzen mit Urkunden auf Grund ihrer gesetzlichen Anerkennung (so der Vorschlag Bittners in Fasching/Konecny III § 292 Rz 2 und 9 f) geht aber zu weit. Jedenfallls lässt sich auch die Qualifikation elektronischer Dokumente als Auskunftssachen (s dazu näher bei § 318) vertreten 1215

Vor § 292

Rechberger

(aA G. Kodek in Fasching/Konecny § 418 Rz 4), wobei die Vorlage von Auskunftssachen nach den Regeln der Beweisaufnahme durch Urkunden erfolgt, die Frage der Echtheitsvermutung aber ungeregelt bleibt (Rechberger/McGuire, Urkunde 14 f).

6 Die praktische Bedeutung von „elektronischen Urkunden“ ist enorm gestiegen. Die Streitfrage der Einordnung von elektronischen Urkunden in das Beweismittelsystem der ZPO hat das BRÄG 2006 (BGBl 2005/164) (allzu) einfach entschieden: In den §§ 292 und 294 ist nunmehr durch die Formulierung „auf Papier oder elektronisch errichtet“ eine Gleichstellung der elektronischen Urkunde mit der Papierurkunde vorgesehen (vgl dazu näher § 292 Rz 2 und § 294 Rz 1). Eine Definition der elektronischen Urkunde bietet das Gesetz freilich nach wie vor nicht. Hier kann aber letztlich nichts anderes gelten, wie für den herkömmlichen Urkundenbegriff der ZPO: Urkunden sind eine schriftliche Verkörperung von Gedanken, die Tatsachen überliefern (vgl Vor § 292 Rz 12). Auch bei der elektronischen Urkunde kommt es daher im Unterschied zu einem sonstigen elektronischen Dokument (man denke dabei an Video- oder Fotodateien) auf die Schriftlichkeit im herkömmlichen Sinn an. Für die Sicherstellung der dauerhaften Verfügund Lesbarkeit von elektronisch errichteten Urkunden, im Speziellen für den elektronischen Urkundenverkehr mit dem Gericht, ist die Möglichkeit der Einführung elektronischer Urkundenarchive vorgesehen (Beglaubigungsarchiv der Justiz und Urkundenarchiv von Körperschaften des öffentlichen Rechts – §§ 91b ff GOG nF). Die NO (idF BGBl I 2005/164) regelt allerdings schon länger eine Ermächtigung der Notare zur Einrichtung, Führung und Überwachung eines automationsunterstützt geführten „Urkundenarchivs des österreichischen Notariats“, das der elektronischen Speicherung von Notariatsurkunden dient (§§ 140b, 140e, 140h NO). Dieses Urkundenarchiv soll langfristig die herkömmliche Speicherung von Notariatsurkunden bei den Notaren und bei den Notariatsarchiven, die bei den Gerichtshöfen erster Instanz eingerichtet sind, ersetzen (vgl ErlRV 1633 Blg NR 20. GP 10, 15 ff). Die Eintragung und Ablegung aller seit dem 1.1.2000 errichteten notariellen Urkunden ist gesetzlich verpflichtend (§ 110 Abs 3 NO).

7 Mit der Signaturrichtlinie der Europäischen Kommission RL 1999/ 93/EG, ABl 2000 L 013 v 19.1.2000, wurde auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene eine wesentliche Initiative für die Anerkennung elektronisch gespeicherter Datensätze als Dokument gesetzt; die Umsetzung erfolgte in Österreich im Signaturgesetz (BGBl I 1999/190), ferner durch die Signaturverordnung (BGBl II 2000/30) und das E-Government-Gesetz (BGBl I 2004/10). Nach § 4 Abs 3 SigG ist die Echtheitsvermutung des 1216

Vor § 292

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Inhalts einer Privaturkunde gem § 294 auch auf elektronische Dokumente anzuwenden, die mit einer sicheren elektronischen Signatur versehen sind (vgl dazu Brenn, Signaturgesetz 69). Das bedeutet aber keine generelle Gleichstellung des elektronischen Dokuments mit der Privaturkunde, sondern stellt die Zulassung von elektronischen Dokumenten im Gerichtsverfahren als Beweismittel sicher; die Einordnung in das Beweismittelsystem der ZPO wurde offen gelassen (Rechberger/ McGuire, Urkunde 6 f). Ein derartiges elektronisches Dokument bleibt zwar ein Augenscheinsgegenstand, besitzt jedoch die Echtheitsvermutung des § 294 (Brunner, FS Weißmann 147; vgl dazu Näheres bei § 294 Rz 1). Einfache Signaturen unterliegen, da für sie weder § 292 noch § 294 für anwendbar erklärt wurde, der freien Beweiswürdigung (Rechberger/McGuire, Urkunde 7). Ob sich die elektronische Signatur in der Praxis durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. Die Verwertung von Vorakten ist ein Urkundenbeweis oder bei ge- 8 richtlichen Vorakten unter den Voraussetzungen des § 281a (s Näheres dort) ein mittelbarer Beweis durch Zeugen, Sachverständige, Augenschein oder Vernehmung der Parteien. Ergebnisse der Umfragen von Meinungsforschungsinstituten (de- 9 moskopische Umfragen). Dabei handelte es sich (zumindest in Österreich) lange Zeit um ein höchst umstrittenes „neues“ Beweismittel. Vor allem der Wertung als Sachverständigenbeweis begegneten Bedenken, weil die Sachkunde der Personen, die die Grundlagen für solche Umfragen liefern, bisweilen durchaus bezweifelt werden kann (vgl dazu Fasching ÖBl 1959, 41; ders1 III 473; ders Rz 928; ferner Wegan, RZ 1969, 157). Sind aber auch „neue“ Beweismittel zulässig, kann es gar nicht darauf ankommen, ob die demoskopische Umfrage unter den Sachverständigenbeweis zu subsumieren ist; die Beweiskraft der Ergebnisse einer solchen Umfrage hat der Richter ohnedies nach freier Beweiswürdigung zu beurteilen (für die Zulässigkeit auch Matscher, ÖBl 1970, 90; Rinner, Gewerblicher Rechtsschutz2 [1982] 18). Die zweifellos vorhandene Nähe zum Sachverständigenbeweis spricht aber etwa für die Anwendung der Regeln über die Erläuterung des schriftlichen Sachverständigengutachtens (Rechberger in Fasching/Konecny Vor § 266 Rz 107; für die Anerkennung als Sachverständigenbeweises vgl die Rechtslage in Deutschland: Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO63 Übers § 402 Rz 7; Huber in Musielak, ZPO4 § 402 Rz 3; Leipold in Stein/Jonas, ZPO21 Vor § 402 Rz 1, 23). IdR sind die „neuen“ Beweismittel demnach ohnedies einem der fünf 10 klassischen Beweismittel der ZPO zu subsumieren. Soweit dies nicht 1217

Vor § 292

Rechberger

der Fall ist, sind auf solche Beweismittel die Vorschriften über das nächstverwandte Beweismittel sinngemäß anzuwenden (also zB die Regeln über die Urkundenvorlage auf mit Hilfe eines Computers gespeicherte Texte oder die Regeln über die Erläuterung des schriftlichen Sachverständigengutachtens auf die Ergebnisse einer demoskopischen Umfrage; vgl Bajons Rz 144; Rechberger/Simotta Rz 617).

11 Der Grundsatz der Gemeinschaftlichkeit der Beweismittel, nach dem beide Parteien die Beweismittel unabhängig davon, wer sie beantragt hat, zur Unterstützung ihrer Behauptungen benützen können, ist in der ZPO nur in beschränktem Umfang verwirklicht (vgl Fasching Rz 905): a) Ist eine Urkunde bereits vorgelegt, kann der Beweisführer auf sie nur mehr mit Zustimmung des Gegners verzichten (§ 302). b) Der Gegner jenes Beweisführers, der einen Zeugen vorgeschlagen und dann auf ihn verzichtet hat, kann auf dessen Vernehmung bestehen, wenn der Zeuge bereits zur Vernehmung erschienen ist bzw wenn seine Vernehmung bereits begonnen hat (§ 345). c) Analoges gilt für den Sachverständigen, wenn die Beweisaufnahme entweder schon begonnen hat oder der Sachverständige bereits bei Gericht erschienen ist (§ 363 Abs 1).

12 Urkunden iS der ZPO sind schriftliche Verkörperungen von Gedanken, die Tatsachen überliefern (vgl Bittner in Fasching/Konecny III § 292 Rz 1; Fasching Rz 944). Augenscheinsgegenstände sind mangels Verkörperung von Gedanken keine Urkunden (s dazu §§ 368 ff). Eine Mittelstellung nehmen die sog Auskunftssachen ein, die eine Verkörperung von Gedanken ohne Verwendung von Schriftzeichen darstellen (zB Denkmäler und Grenzzeichen); sie sind in ihrem Wesen ebenfalls Augenscheinsgegenstände, auf die aber die Regeln für die Urkundenherausgabe anzuwenden sind (vgl Näheres bei § 318).

13 Ob die Urkunde zu Beweiszwecken errichtet wurde wie eine Vertragsurkunde (Absichtsurkunde, vgl § 74 Z 7 StGB) oder ob sie nur zufällig zum Beweismittel geworden ist wie ein Liebesbrief (Zufallsurkunde), ist für den Urkundenbeweis der ZPO gleichgültig.

14 Die ZPO unterscheidet nach dem Urkundenverfasser zwischen öffentlichen Urkunden (§§ 292, 293) und Privaturkunden. Öffentliche Urkunden sind: a) die von einer österreichischen öffentlichen Behörde (dazu gehören auch die österreichischen Vertretungs- und Konsularbehörden im Ausland, s § 292 Abs 1 Satz 2) innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbe1218

§ 292

2.1 Verfahren bis zum Urteile

fugnisse in der vorgeschriebenen Form errichteten Urkunden (auch der Ausdruck eines mit einer Amtssignatur versehenen elektronischen Dokuments gilt nach § 20 E-GovG als öffentliche Urkunde – s § 292 Rz 2); b) die von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Urkundsperson (Notare, Architekten, Ingenieurkonsulenten, Zivilingenieure) innerhalb ihres Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form errichteten Urkunden; c) andere durch besondere gesetzliche Vorschriften als öffentliche erklärte Urkunden (§ 293 Abs 1; zB bestimmte Prüfungs-, Untersuchungs- und Materialprüfungszeugnisse; Näheres bei Bittner in Fasching/Konecny III § 293 Rz 1; ferner ein Zeugnis nach § 3 Abs 3 MuttSchG [JBl 1962, 458; EvBl 1963/134 = Arb 7661]; nicht eine Krankengeschichte einer öffentlichen Krankenanstalt [Arb 7610]). d) ausländische öffentliche Urkunden (s § 293 Abs 2). Alle anderen Urkunden sind Privaturkunden (§ 294). Urkundenechtheit. Eine Urkunde ist echt, wenn sie von dem in ihr 15 angegebenen Aussteller stammt. Sie ist gefälscht, wenn sie nicht vom angeblichen Aussteller herrührt. Ist eine Urkunde echt, muss sie deshalb noch nicht inhaltlich richtig sein, doch ist die Echtheit Voraussetzung für die Richtigkeit („Beweiskraft“ iS der §§ 292 ff). Deshalb kann nach § 228 eine Feststellungklage auf „Anerkennung“ der Echtheit einer Urkunde (oder Feststellung der Unechtheit) erhoben und damit ausnahmsweise eine rechtkräftige Tatsachenfeststellung erwirkt werden (s § 228 Rz 4); von praktischer Bedeutung ist dies aber kaum. Urkundenrichtigkeit („Beweiskraft“ iSd §§ 292 ff). Eine Urkunde ist 16 inhaltlich richtig, wenn das in ihr Beurkundete (Verfügte, Erklärte, Bezeugte) den Tatsachen entspricht. Sie ist verfälscht, wenn ihr Inhalt nachträglich gegen den Willen des Ausstellers geändert wurde. Für die inhaltliche Richtigkeit (= formelle oder äußere Beweiskraft zum Unterschied von der materiellen Beweiskraft, die den Wert für das Beweisthema bedeutet) stellt das Gesetz bindende Beweisregeln auf, die die freie Beweiswürdigung ausschalten (s § 292). Beweiskraft der Urkunden § 292. (1) Urkunden, welche im Geltungsgebiete dieses Gesetzes von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form auf Papier oder elektronisch errichtet sind (öffent1219

§ 292

Rechberger

liche Urkunden), begründen vollen Beweis dessen, was darin von der Behörde amtlich verfügt oder erklärt, oder von der Behörde oder der Urkundsperson bezeugt wird. Das gleiche gilt von den Urkunden, welche zwar außerhalb des Geltungsgebietes dieses Gesetzes, jedoch innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse von solchen öffentlichen Organen errichtet wurden, die einer Behörde unterstehen, welche im Geltungsgebiete dieses Gesetzes ihren Sitz hat. (2) Der Beweis der Unrichtigkeit des bezeugten Vorganges oder der bezeugten Tatsache oder der unrichtigen Beurkundung ist zulässig. [Abs 1 idF BRÄG 2006, sonst Stammfassung] Lit: Bertel, Die öffentliche Urkunde und die Falschbeurkundung im Amt, AnwBl 1980, 319; Kienapfel, Der Begriff der öffentlichen Urkunde im Strafrecht, JBl 1982, 505; Rechberger/McGuire, Die elektronische Urkunde und das Beweismittelsystem der ZPO, in Rechberger (Hrsg), Die elektronische Revolution im Rechtsverkehr – Möglichkeiten und Grenzen, Schriftenreihe des Österreichischen Notariats Band 34 (2006). Bittner in Fasching/Konecny III § 292; Bajons Rz 147 f; Ballon Rz 247; Fasching Rz 944 ff; Holzhammer 257; ders, PraktZPR 289; Rechberger/Simotta Rz 623. Inhaltsübersicht Formelle Beweiskraft Materielle Beweiskraft Beispiele für den Beweis des Gegenteils

1 3

Keine Relevanz für die Bindung der Zivilgerichte an Bescheide

5

4

1 Formelle Beweiskraft. Öffentliche Urkunden begründen „vollen Beweis“ dessen, was darin von der Behörde amtlich verfügt oder erklärt oder von der Behörde oder der Urkundsperson bezeugt wird (§ 292 Abs 1 Satz 1). Diese formelle Beweiskraft bezeugt, dass der Aussteller der Urkunde tatsächlich die beurkundete Erklärung abgegeben hat (Bittner in Fasching/Konecny III § 292 Rz 42). Aus Abs 2 ergibt sich, dass der Beweis der Unrichtigkeit der Verfügung oder Erklärung ausgeschlossen ist (Holzhammer, PraktZPR 289 spricht von einer unwiderlegbaren Vermutung).

2 Im Zuge des BRÄG 2006 (BGBl I 2005/164) kam es zu einer völligen Gleichstellung der in der vorgeschriebenen Form elektronisch errichteten öffentlichen Urkunde mit der Papierurkunde, was bedeutet, dass auch die elektronische Urkunde mit der selben Beweiskraft ausgestattet 1220

§ 292

2.1 Verfahren bis zum Urteile

ist wie ein Papierurkunde, wenn die zu ihrer Errichtung nötigen Vorschriften eingehalten wurden. Die Mat (ErlRV 1169 Blg NR 22. GP 34 f) sehen dabei die sichere elektronische Signatur nach § 4 Abs 1 SignG als Regelfall vor, schließen aber andere geeignete Formen nicht aus. Im Verwaltungsverfahren ist die Einführung des elektronischen Akts bereits verwirklicht. Nach § 18 Abs 4 AVG entfaltet die Verwendung einer Amtssignatur nach § 19 E-GovG bei der Ausfertigung einer externen Erledigung die Wirkung der Beglaubigung durch die Kanzlei. In diesem Zusammenhang ist auf § 20 E-GovG zu verweisen, der für auf Papier ausgedruckte elektronische Dokumente von Behörden eine Echtheitsvermutung vorsieht, wenn das Dokument mit einer Amtssignatur signiert ist und die Überprüfbarkeit der Signatur auch in der ausgedruckten Form durch Rückführbarkeit in das elektronische Dokument gegeben ist. Diese Echtheitsvermutung weicht vom bisherigen System insofern ab, als Echtheit die Abstammung einer Unterschrift, einer Urkunde oder einer grafischen Darstellung vom Aussteller bedeutet. Die Echtheit von § 20 E-GovG bezieht sich aber auf den elektronischen Datensatz und nicht auf den Ausdruck selbst (Rechberger/McGuire, Urkunde 4 f). Materielle Beweiskraft. Hinsichtlich der Bedeutung für das Beweisthe- 3 ma (materielle Beweiskraft; vgl Bittner in Fasching/Konecny III § 292 Rz 43) führt die Beweisregel zur Beweislastumkehr (Holzhammer, PraktZPR 289 spricht von einer „qualifizierten gesetzlichen Vermutung“): Der Gegner des Beweisführers kann den Beweis der Unrichtigkeit des bezeugten Vorgangs oder der bezeugten Tatsache führen (Beweis des Gegenteils, s Vor § 266 Rz 19) oder beweisen, dass die Beurkundung unrichtig ist (dafür muss bewiesen werden, dass die Erklärung nicht oder nach Zeit, Ort oder Inhalt anders abgegeben wurde). Fälschlich ist hier manchmal von einem „Gegenbeweis“ die Rede; es kommt aber aufgrund der Beweisregel nicht auf die Überzeugung des Gerichts an (zum gleichen Ergebnis führt die Annahme einer unwiderlegbaren Vermutung). Die inhaltliche Richtigkeit von Privaturkunden unterliegt stets der freien Beweiswürdigung. Vgl zur besonderen (Echtheits-)Beweisregel § 294. Beispiele für den Beweis des Gegenteils. Die Rsp hat einen „Gegenbe- 4 weis“ iSd Abs 2 für zulässig erkannt: gegen die Beurkundung einer Zustellung (der Rückschein liefert den Beweis, dass die Zustellung vorschriftsmäßig erfolgt ist [EvBl 1956/71; RZ 1977/26; 3 Ob 60/04a = RdW 2004/617], nicht aber, welchen Inhalt sie aufwies [LGZ Wien EFSlg 49.335]) oder einer Postaufgabe (RZ 1970, 221); gegen eine Eintragung im Beurkundungsregister eines Notars und die Beglaubigung der Echt1221

§ 293

Rechberger

heit einer Unterschrift auf einer Privaturkunde (SZ 47/127); gegen ein notarielles Testament (JBl 1961, 322). Vgl zum Beweis darüber, dass das Verhandlungsprotokoll entgegen § 215 unrichtig ist, dort Rz 1 ff.

5 Keine Relevanz hat die Beweiskraft öffentlicher Urkunden für die Bindung der Zivilgerichte an Bescheide von Verwaltungsbehörden (oder an Urteile anderer Gerichte). Zwar ist auch ein Gericht an das von einer (anderen) Behörde Verfügte oder Erklärte insofern „gebunden“, als der Gegenbeweis, dass die Behörde diese Verfügung getroffen bzw diese Erklärung abgegeben hat, ausgeschlossen ist (formelle Beweiskraft). Dieser Vorgang wird freilich idR ohnedies unstrittig sein. Die Tatsachenfeststellungen der Behörde sind aber jederzeit dem Beweis des Gegenteils zugänglich (es geht dabei „bloß“ um die materielle Beweiskraft), während es für die Bindung an die Feststellung von Rechtsverhältnissen auf das Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen (vgl dazu bei § 190 Rz xx und Vor § 411 Rz 5) ankommt (aA H. Mayer, Einkaufszentrum zwischen Wettbewerbsrecht und Flächenwidmung – Oder: Der Bescheid als öffentliche Urkunde im Exekutionsrecht, ecolex 2005, 481 [484], wo zwar eine Bindungswirkung des in casu zu beurteilenden Bescheids wegen Verstoßes gegen Art 6 EMRK verneint, seine Tatsachenfeststellungen aber mithilfe des § 292 ZPO trotzdem als „bindend“ qualifiziert werden). § 293. (1) Gleiche Beweiskraft haben auch andere Urkunden, welche durch besondere gesetzliche Vorschriften als öffentliche Urkunden erklärt sind. (2) Die außerhalb des Geltungsgebietes dieses Gesetzes errichteten Urkunden, welche am Orte ihrer Errichtung als öffentliche Urkunden gelten, genießen unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit auch im Geltungsgebiet dieses Gesetzes die Beweiskraft öffentlicher Urkunden, wenn sie mit den vorgeschriebenen Beglaubigungen versehen sind. [Stammfassung] Lit: Ferid, Die 9. Haager Konferenz, RabelsZ 1962, 411; W. Kralik, Locus regit actum und die ausländische Beurkundung, FS Schima (1969) 229; Köhler, Geltung ausländischer Vollmachten und öffentlicher Urkunden (1972); ders, Die Haager Übereinkommen (1978); ders, Beglaubigungsverträge2 (1980); Bajons, Zwischenstaatliches Justizrecht (Stand 1989); Duchek/Schütz/Tarko; Zwischenstaatlicher Rechtsverkehr in Zivilrechtssachen2 (1998). Bittner in Fasching/Konecny III § 293; sonst wie bei § 292. 1222

§ 294

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Zu den als öffentliche erklärten Urkunden (Abs 1) vgl Vor § 292 Rz 14. 1 Ausländische öffentliche Urkunden gelten auch in Österreich als öf- 2 fentliche Urkunden, wenn a) zwischen Österreich und dem Errichtungsstaat Gegenseitigkeit besteht und b) die Urkunden die vorgeschriebenen Beglaubigungen aufweisen. Staatsverträge sehen wesentliche Vereinfachungen des Beglaubigungserfordernisses vor: So haben fast alle europäischen und die wichtigsten überseeischen Staaten das Haager Beglaubigungsübereinkommen (BGBl 1968/27) ratifiziert, das für öffentliche Urkunden als einzige Förmlichkeit für die Bestätigung der Echtheit (vgl § 311) die Apostille erlaubt, die von der der beglaubigenden Stelle übergeordneten Behörde im betreffenden Staat ausgestellt wird (vgl dazu auch BGBl 1968/28 sowie SZ 67/46). Darüber hinaus bedürfen bestimmte öffentliche Urkunden auf Grund von zwischenstaatlichen Vereinbarungen überhaupt keiner Beglaubigung; es handelt sich dabei zB um Urkunden, die sich auf den Personenstand, die Geschäftsfähigkeit, familienrechtliche Verhältnisse, die Staatsangehörigkeit, den Wohnsitz oder Aufenthalt beziehen (s das Übereinkommen über die kostenlose Erteilung von Personenstandsurkunden und den Verzicht auf ihre Beglaubigung, BGBl 1965/276; das Europäische Beglaubigungsübereinkommen, BGBl 1973/274; das Übereinkommen über die Befreiung bestimmter Urkunden von der Beglaubigung, BGBl 1982/239). Auch bilaterale Beglaubigungsverträge bzw entsprechende Bestimmungen in (bilateralen) Rechtshilfeverträgen mit einer Reihe europäischer Staaten enthalten Bestimmungen über die Beglaubigungsbefreiung (vgl dazu die Länderübersicht zu § 43 RHE Ziv 2004, JABl 13). § 294. Auf Papier oder elektronisch errichtete Privaturkunden begründen, sofern sie von den Ausstellern unterschrieben oder mit ihrem gerichtlich oder notariell beglaubigten Handzeichen versehen sind, vollen Beweis dafür, daß die in denselben enthaltenen Erklärungen von den Ausstellern herrühren. [idF BRÄG 2006] Lit: Rechberger/McGuire, Die elektronische Urkunde und das Beweismittelsystem der ZPO, in Rechberger (Hrsg), Die elektronische Revolution im Rechtsverkehr – Möglichkeiten und Grenzen, Schriftenreihe des Österreichischen Notariats Band 34 (2006). Bittner in Fasching/Konecny III § 294; sonst wie bei § 292. § 294 bringt die einzige Beweisregel, die Privaturkunden betrifft; da- 1 bei geht es aber nicht (wie es die gesetzliche Systematik vermuten ließe) 1223

§ 294

Rechberger

um deren inhaltliche Richtigkeit („Beweiskraft“), denn diese unterliegt ja stets der freien Beweiswürdigung; vielmehr wird eine qualifizierte Echtheitsvermutung aufgestellt: Soweit sie unterschrieben sind, begründen Privaturkunden „vollen Beweis“ dafür, dass die darin enthaltenen Erklärungen vom Namensträger der Unterschrift herrühren. Ist die Unterschrift echt (s dazu § 312), gilt auch der unterschriebene Text als echt. Dies gilt nunmehr gleichermaßen für auf Papier und elektronisch errichtete Privaturkunden (BRÄG 2006).

2 Hinsichtlich der sicheren elektronischen Signatur gehen die Materialien vom Erfordernis des „Nachsignierens“ aus, wodurch erst das Sicherheitsniveau einer solchen sicheren elektronischen Signatur durchgehend aufrechterhalten werden kann. Dies bedeutet eine neuerliche elektronische Signatur, wodurch klargestellt wird, dass das Dokument zu jedem Zeitpunkt mit einer sicheren elektronischen Signatur versehen war. Auch ohne das „Nachsignieren“ soll die elektronische Signatur die Rechtswirkungen von § 4 SignG entfalten. Letztendlich unterliegt freilich auch die elektronische Urkunde – und deren Qualität –der freien Beweiswürdigung der Gerichte (ErlRV 1169 BlgNR 22. GP 34 f). Ob damit jedoch der erhöhten Manipulationsgefahr (vgl Rechberger/McGuire, Urkunde 25) Rechnung getragen wird, bleibt fraglich. Auch wenn die Neuregelung hinsichtlich der elektronischen Urkunde manche Klarstellung enthält, so bleibt doch Vieles hinsichtlich der Einordnung des elektronischen Dokuments in das Beweismittelsystem der ZPO offen.

3 Die Beweisregel führt auch hier zu einer Beweislastumkehr (Holzhammer, PraktZPR 289 sieht in ihr daher eine „qualifizierte gesetzliche Vermutung“): Der Gegner des Beweisführers kann den Beweis der Unechtheit des unterschriebenen Textes führen (Beweis des Gegenteils, s Vor § 266 Rz 19). Im Fall der Behauptung, dass der Inhalt einer Urkunde über eine Zuständigkeitsvereinbarung nicht der tatsächlichen Vereinbarung entspreche, trifft die Beweislast daher jenen, der die Unrichtigkeit der Vertragsurkunde behauptet (OLG Wien EvBl 1937/ 1060).

4 Vgl auch Art VII Z 2 EGZPO. § 295. Durch EVHGB aufgehoben (die Bestimmung betraf die Beweiskraft der Handelsbücher)

1224

§ 297

2.1 Verfahren bis zum Urteile

§ 296. Ob und in welchem Maße Durchstreichungen, Radierungen und andere Auslöschungen, Einschaltungen oder sonstige äußere Mängel einer Urkunde deren Beweiskraft mindern oder dieselbe ganz aufheben, hat das Gericht nach § 272 zu beurteilen. [Stammfassung] Lit: Bittner in Fasching/Konecny III § 296; sonst wie bei § 292. Weist eine (öffentliche oder private) Urkunde äußere Mängel auf, gel- 1 ten für die innere Richtigkeit („Beweiskraft“) keine Beweisregeln (für die Privaturkunde ist das selbstverständlich), sondern der Richter hat die Urkunde nach freier Beweiswürdigung zu beurteilen. Ein Hinterlegungsnachweis ist keine unbedenkliche öffentliche Urkun- 2 de, wenn Name und Anschrift des Empfängers ebenso durchkreuzt sind wie ein sich auf der Rückseite befindlicher Vermerk über eine Adressenänderung (VwGH ÖJZ 1985, 509/A 269 = VwSlgNF 11.503A). Beweisantretung § 297. Beruft sich eine Partei zum Beweis ihrer Angaben auf Urkunden, so hat sie die maßgeblichen Stellen bestimmt anzugeben oder hervorzuheben. Diese Urkunden sind dem Gericht von der Partei in geordneter und übersichtlicher Form vorzulegen, falls nicht das Gericht selbst die Herbeischaffung und Vorlegung der Urkunden zu veranlassen hat. [IdF ZVN 2002] Lit: G. Kodek in Fasching/Konecny III § 297; sonst wie bei § 292. Eine Urkunde, auf die sich eine Partei beruft, ist idR sofort nach dem 1 Beweisanbot unaufgefordert dem Gericht vorzulegen (6 Ob 122/73), wobei die Vorlage in einfacher Ausfertigung genügt, wenn sie nicht mittels Schriftsatzes erfolgt (§ 81 Abs 1). Die Vorlage allein ersetzt nicht die entsprechenden Behauptungen einer Partei (3 Ob 113/01s = EvBl 2002/36; 4 Ob 249/01y = MR 2002, 101; 8 Ob A 90/02x ua). Eine verspätete Vorlage bleibt allerdings weitgehend sanktionslos, da und solange sie den Prozess nicht erheblich verzögert (G. Kodek in Fasching/ Konecny III § 297 Rz4). Zur Erleichterung der Beurteilung der Relevanz von Urkunden für das 2 Beweisthema sind diese in geordneter und übersichtlicher Form vorzulegen und die maßgeblichen Stellen sind darin bestimmt anzugeben 1225

§ 298

Rechberger

oder hervorzuheben (ErRV 962 BlgNR 21.GP 36). Dies betrifft aber nicht den Umfang der Einbeziehung der Urkunde in das Verfahren, denn das Gericht hat seiner Entscheidung grundsätzlich dennoch die ganze Urkunde zugrunde zu legen (G. Kodek in Fasching/Konecny III § 297 Rz 11; 4 Ob 213/03g). Lediglich dann, wenn in Verschleppungsabsicht gegen § 297 verstoßen wird, kann § 275 Abs 2 anwendbar sein (vgl dort Rz 3).

3 Zur Veranlassung der Herbeischaffung und Vorlegung von Urkunden durch das Gericht selbst vgl § 301; zu Möglichkeit und Grenzen der amtswegigen Herbeischaffung von Urkunden vgl § 183 Abs 1 Z 2; zur Frage der materiellen Berechtigung zur Urkundenvorlage, insb im Falle rechtswidriger Erlangung derselben, vgl G. Kodek, Beweismittel 112 ff, 164 ff; ders, ÖJZ 2001, 281 (291 ff).

4 Die Urkundenvorlage zu Beweiszwecken ist von der (seltenen) Urkundenvorlage nach § 82 zu unterscheiden, die dazu dient, dem Gegner Einsicht in die Originalurkunde zu verschaffen (s Näheres dort). Vorlegung der Urkunden durch den Beweisführer § 298. (1) Urkunden sind in der Weise vorzulegen, dass das Gericht und die Gegenpartei von dem ganzen Inhalte der Urkunden Einsicht nehmen können. (2) Kommen nur einzelne Teile einer sich auf verschiedene Rechtsverhältnisse beziehenden Urkunde in Betracht, so kann das Gericht, nachdem es vom ganzen Inhalte der Urkunde Einsicht genommen hat, auf Antrag anordnen, dass dem Gegner, außer dem Eingange, dem Schlusse, dem Datum und der Unterschrift nur diejenigen Stellen vorgewiesen werden, welche für das, den Gegenstand des Streites bildende Rechtsverhältnis von Belang sind. (3) Der Gegner des Beweisführers ist zur Erklärung über die vorgelegte Urkunde aufzufordern. [Stammfassung] Lit: G. Kodek in Fasching/Konecny III § 298; sonst wie bei § 292.

1 Legt der Beweisführer eine Urkunde selbst vor, ist dem Gericht und dem Gegner grundsätzlich Einsicht in die ganze Urkunde zu gewähren; eine Ausnahme besteht nur dann, wenn sich die Urkunde nur teilweise auf das streitgegenständliche Rechtsverhältnis bezieht (Abs 2). Sinngemäß anwendbar ist Abs 2 bei einer Urkunde, die sich zur Gänze auf das streitgegenständliche Rechtsverhältnis bezieht, wenn bezüglich 1226

§ 299

2.1 Verfahren bis zum Urteile

nicht entscheidungserheblicher Teile die Weigerungsgründe des § 305 vorliegen (G. Kodek in Fasching/Konecny III § 298 Rz 6). Gegen Anordnungen nach Abs 2 gibt es kein Rechtsmittel (§ 319 Abs 1). Es ist nicht vorgesehen, dass zwar das Gericht in eine Urkunde Ein- 2 sicht nimmt, dem Gegner aber wegen Vorliegens eines Grundes nach § 305 die Einsichtnahme verweigert. Diese Vorgangsweise könnte eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens bewirken (G. Kodek in Fasching/ Konecny III § 298 Rz 4; sogar für einen Nichtigkeitsgrund 9 ObA 237/ 02x = ARD 5447/5/2003; aA [keine Mangelhaftigkeit] JBl 1970, 266 = ÖBl 1970, 77). Der Gegner ist stets zur Erklärung über die Echtheit und Richtigkeit 3 der Urkunde aufzufordern. Die Unterlassung stellt einen rügepflichtigen Verfahrensmangel dar (Kodek in Fasching/Konecny III § 298 Rz 10; 6 Ob 67/61). Erklärt sich der Gegner über die Echtheit der Urkunde nicht, hat dies die Folgen des § 312 (s Näheres dort). § 299. Hat die Partei nur eine Abschrift der Urkunde vorgelegt, so kann ihr auf Antrag der Gegenpartei oder von Amts wegen die Vorlage der Urschrift aufgetragen werden. Ob und inwieweit ungeachtet der Nichtbefolgung dieses Auftrages der vorgelegten Abschrift infolge ihrer Beglaubigung, ihres Alters, ihres Ursprunges oder aus anderen Gründen Glauben beizumessen ist, hat das Gericht nach seinem Ermessen zu entscheiden. Hiebei sind die für die Unterlassung der Vorlage der Urschrift geltend gemachten Gründe und die sonstigen Umstände des einzelnen Falles sorgfältig zu würdigen. [Stammfassung] Lit: G. Kodek in Fasching/Konecny III § 299; sonst wie bei § 292. Vor allem zur Prüfung der Echtheit einer Urkunde kann dem Beweis- 1 führer auf Antrag des Gegners oder von Amts wegen (vgl dazu auch § 183 Abs 1 Z 2) die vom Gesetz grundsätzlich nicht geforderte (vgl zu den Ausnahmen in den Mandatsverfahren §§ 548, 557, 558) Vorlage des Originals aufgetragen werden. Gegen diesen Auftrag gibt es kein Rechtsmittel (§ 319 Abs 1). Wird die Urkunde trotzdem nicht im Original vorgelegt, kann auch 2 keine Beweisregel angewendet werden. Dann ist (auch) die Echtheit der Privaturkunde nach freier Beweiswürdigung zu beurteilen (das Gesetz verwendet den unpassenden Ausdruck „Ermessen“). 1227

§ 300

Rechberger

§ 300. (1) Wenn die Vorlegung der Urschrift einer Urkunde in der mündlichen Verhandlung wegen erheblicher Hindernisse nicht erfolgen kann, oder wegen der Wichtigkeit der Urkunde und der Besorgnis ihres Verlustes oder ihrer Beschädigung bedenklich erscheint, so kann das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen anordnen, dass die Urkunde einem beauftragten oder ersuchten Richter vorgelegt werde. (2) Das Gericht hat in diesem Falle zu bestimmen, welche Umstände durch das über die Amtshandlung des beauftragten oder ersuchten Richters aufzunehmende Protokoll zu bestätigen sind; es kann auch anordnen, dass mit dem Protokolle eine Abschrift oder ein Auszug der Urkunden vorgelegt werde. (3) Von der seitens des beauftragten oder ersuchten Richters zur Vorlage der Urkunde anberaumten Tagsatzung ist der Gegner des Beweisführers rechtzeitig zu verständigen. Wird die Urkunde bei dieser Tagsatzung nicht vorgelegt, so kann der Fortgang des Prozesses durch die Rücksicht auf dieses Beweismittel nicht weiter aufgehalten werden. [Stammfassung] Lit: G. Kodek in Fasching/Konecny III § 300; sonst wie bei § 292.

1 Da die unmittelbare Beweisaufnahme (s dazu Vor § 266 Rz 30) durch das erkennende Gericht beim Urkundenbeweis naturgemäß besonders wichtig ist, erlaubt das Gesetz die Beweisaufnahme im Rechtshilfeweg oder durch einen beauftragten Richter (s §§ 282 bis 287) nur in sehr eingeschränktem Umfang: Sie darf nur stattfinden, wenn die Vorlage des Originals einer Urkunde in der mündlichen Verhandlung a) wegen erheblicher Hindernisse nicht erfolgen kann, oder b) wegen der Wichtigkeit der Urkunde und der Besorgnis ihres Verlustes oder ihrer Beschädigung bedenklich erscheint. Um die Unmittelbarkeit doch halbwegs zu wahren, kann angeordnet werden, dass mit dem Protokoll des Rechtshilferichters eine Abschrift oder ein Auszug der Urkunde vorgelegt wird (Abs 2).

2 Die Bestimmung ist nicht nur bei Urkundenvorlage durch den Beweisführer anzuwenden, sondern auch bei Vorlage durch den Gegner oder durch einen Dritten (G. Kodek in Fasching/Konecny III § 300 Rz 1).

3 Der Gegner des Beweisführers ist von der Tagsatzung vor dem ersuchten (beauftragten) Richter zu verständigen, um in die Urkunde Einsicht nehmen zu können (vgl § 298 Abs 1). 1228

§ 301

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Wird die Urkunde in der Tagsatzung vor dem ersuchten (beauftragten) 4 Richter nicht vorgelegt, treten die Präklusionswirkungen des § 279 Abs 2 ein (vgl Näheres dort).

§ 301. (1) Der Antrag, die Vorlage einer als Beweismittel zu benützenden Urkunde zu veranlassen, welche sich bei einer öffentlichen Behörde oder in Verwahrung eines Notars befindet und deren Ausfolgung oder Vorlage die Partei im Wege unmittelbaren Einschreitens nicht zu erlangen vermag, kann auch während der mündlichen Verhandlung gestellt werden. (2) Wird diesem Antrag stattgegeben, so hat der Vorsitzende die zur Herbeischaffung der Urkunde oder Einsichtnahme in die Urkunde geeigneten Verfügungen zu treffen. [Abs 2 idF BRÄG 2006, sonst Stammfassung] Lit: G. Kodek in Fasching/Konecny III § 301; Fasching Rz 964; sonst wie bei § 292. Urkunden, die sich bei einer öffentlichen Behörde oder in Verwah- 1 rung eines Notars befinden, und die der Beweisführer selbst nicht vorzulegen vermag, können vom Gericht auf Antrag (dieser kann in der Klage, der Klagebeantwortung oder in einem vorbereitenden Schriftsatz [§§ 229 Abs 1 Z 2, 239 Abs 2, 257 Abs 3 zweiter Satz] oder in der mündlichen Verhandlung [Abs 1] gestellt werden) oder von Amts wegen (§ 183 Abs 1 Z 3, in den Grenzen von § 183 Abs 2) beigeschafft werden. Zu diesem Zweck können aber keine vollstreckbaren Verfügungen getroffen werden (RZ 1965, 11). Das BRÄG 2006 sieht als Alternative auch die Einsichtnahme in die 2 Urkunde vor, wenn die automationsunterstützte Einsichtnahme in eine Urkunde im Datenfernverkehr möglich ist (ErlRV 1169 BlgNR 22. GP 35). Das nach § 91b GOG idF BRÄG 2006 einzurichtende Beglaubigungsarchiv der Justiz dient der Speicherung von Urkunden, die Gegenstand einer (Über-)Beglaubigung nach den §§ 187 bis 189 AußStrG waren, ferner sind nach § 91c GOG idF BRÄG 2006 die Körperschaften öffentlichen Rechts zur Führung eines Urkundenarchivs ermächtigt. Von der Herbeischaffung einer Urkunde soll nach den Mat dann abgesehen werden können, wenn das Archiv eine entsprechende Sicherheitsgewähr bietet (ErlRV 1169 BlgNR 22. GP 35; vgl § 91b Z 7 GOG, wonach der gespeicherte Dateninhalt bis zum Nachweis des Gegenteils als ein Original der gespeicherten Urkunde gilt). 1229

§ 302

Rechberger

3 In seinem Antrag muss der Beweisführer bescheinigen, dass die Behörde oder der Notar die Ausfolgung der Urkunde verweigern (G. Kodek in Fasching/Konecny III § 301 Rz 2).

4 Vgl die Sonderfälle der amtswegigen Urkundenherbeischaffung: § 213 HGB (ab 1.1.2007 § 213 UGB) betrifft die Vorlage der Bücher des Unternehmers und § 12 BörsesensaleG die Tagebücher eines Börsesensals.

5 Jeder Beschluss des Gerichts über einen Antrag nach § 301 ist gem § 319 Abs 1 unanfechtbar.

6 Vgl zur Verpflichtung öffentlicher Behörden zur Urkundenübersendung im Rahmen der Amtshilfe Art 22 B-VG; zur Urkundenausfolgepflicht der Notare § 50 Abs 1 NO. § 302. Nach erfolgter Vorlegung einer Urkunde kann der Beweisführer auf dieses Beweismittel nur mit Zustimmung des Gegners verzichten. [Stammfassung] Lit: G. Kodek in Fasching/Konecny III § 302; sonst wie bei § 292.

1 In dieser Bestimmung kommt der Grundsatz der Gemeinschaftlichkeit der Beweismittel zum Ausdruck (vgl dazu Vor § 292 Rz 11 sowie §§ 345 und 363).

2 „Vorgelegt“ ist die Urkunde dann, wenn sie dem Gericht zu Beweiszwecken (und nicht bloß nach § 82) übergeben oder vom Beweisführer in der mündlichen Verhandlung vorgelesen wurde (G. Kodek in Fasching/Konecny III § 302 Rz 2). Vorlegung der Urkunde durch den Gegner § 303. (1) Wenn eine Partei behauptet, dass sich eine für ihre Beweisführung erhebliche Urkunde in den Händen des Gegners befindet, so kann auf ihren Antrag das Gericht dem Gegner die Vorlage der Urkunde durch Beschluss auftragen. (2) Die antragstellende Partei hat eine Abschrift der vom Gegner vorzulegenden Urkunde beizubringen oder, wenn sie dies nicht vermag, den Inhalt der Urkunde möglichst genau und vollständig anzugeben, sowie die Tatsachen anzuführen, welche durch die vorzulegende Urkunde bewiesen werden sollen. Desgleichen sind die 1230

§ 303

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Umstände darzulegen, welche den Besitz der Urkunde seitens des Gegners wahrscheinlich machen. (3) Der Entscheidung über den Antrag hat, wenn derselbe außerhalb der mündlichen Verhandlung gestellt wird, eine mündliche oder schriftliche Einvernehmung des Gegners vorauszugehen. [Stammfassung] Lit: Gitschthaler, Eigentums- und andere Rechte an einer Urkunde. Eine Darstellung aus prozeß- und zivilrechtlicher Sicht, RZ 1984, 4; Bajons, Die Beweisführung durch Handelsbücher. Zugleich ein Beitrag zu den Grenzen prozessualer Vorlagepflichten, NZ 1991, 51; McGuire, Beweismittelvorlage und Auskunftsanspruch nach der Richtlinie 2004/ 48/EG zur Durchsetzung der Rechte des Geistigen Eigentums – Über den Umsetzungsbedarf im deutschen und österreichischen Recht, GRURInt 2005, 15. G. Kodek in Fasching/Konecny III § 303; Bajons Rz 148; Ballon Rz 248; Deixler-Hübner/Klicka Rz 141; Fasching Rz 956 ff; Holzhammer 261; ders, PraktZPR 290; Rechberger/Simotta Rz 625 ff. Die §§ 303 bis 309 regeln die Vorlegung von Urkunden, die sich in der 1 Hand des Gegners des Beweisführers oder in der eines Dritten befinden. Unter den in den §§ 304 und 308 geregelten Voraussetzungen besteht eine unbedingte Urkundenvorlagepflicht des Gegners oder des Dritten. Wenn nicht die Weigerungsgründe des § 305 vorliegen, ist der Gegner auch sonst verpflichtet, eine Urkunde vorzulegen. Der gerichtliche Auftrag an den Gegner des Beweisführers zur Vorla- 2 ge einer Urkunde ergeht grundsätzlich auf Antrag des Beweisführers; die bei § 301 (Rz 3) genannten Bestimmungen ermöglichen aber auch einen amtswegigen Vorlageauftrag an den Gegner (vgl etwa zur Vorlage der Handelsbücher gem §§ 213 ff HGB [ab 1.1.2007 §§ 213 ff UGB]: RdW 1987, 292). Zur Antragstellung berechtigt ist die Hauptpartei und jeder Neben- 3 intervenient (G. Kodek in Fasching/Konecny III § 303 Rz 18). Der Antrag kann bei denselben Gelegenheiten wie nach § 301 gestellt werden (vgl dort Rz 1). Die Entscheidung darüber setzt jedenfalls die Anhörung des Gegners voraus (Abs 3); es gibt dagegen kein abgesondertes Rechtsmittel (§ 319 Abs 2). „Gegner“ iS der §§ 303 ff ist nicht nur die Hauptpartei, sondern auch 4 der streitgenössische Nebenintervenient (aA G. Kodek in Fasching/ Konecny III § 303 Rz 19; SZ 27/184 = EvBl 1954/343 – was aber nach der 1231

§ 304

Rechberger

neueren Rsp zur prozessualen Stellung des streitgenössischen Nebenintervenienten [vgl bei § 20 Rz 3] nicht aufrecht zu erhalten ist).

5 Im Hinblick auf § 307 Abs 2 (s dort) muss der antragstellende Beweisführer entweder eine Abschrift der Urkunde vorlegen oder deren Inhalt möglichst genau angeben (OLG Wien EvBl 1937/1061). Ein Antrag auf Vorlage „der gesamten Korrespondenz“ ist daher ebenso wenig genügend spezifiziert (Rsp 1934/266) wie jener zur Vorlage „geeigneter Urkunden“ (LGZ Wien EFSlg 55.041). Darüber hinaus muss der Beweisführer wie bei jedem Beweisantrag das Beweisthema anführen.

6 Letztlich muss im Antrag (mit Hilfe parater Bescheinigungsmittel: OLG Wien EvBl 1937/1061) glaubhaft gemacht werden (s dazu § 274), dass der Gegner die Urkunde besitzt. § 304. (1) Die Vorlage der Urkunde kann nicht verweigert werden: 1. wenn der Gegner selbst auf die Urkunde zum Zwecke der Beweisführung im Prozesse Bezug genommen hat; 2. wenn der Gegner nach bürgerlichem Rechte zur Ausfolgung oder Vorlage der Urkunde verpflichtet ist; 3. wenn die Urkunde ihrem Inhalte nach eine beiden Parteien gemeinschaftliche ist. (2) Als gemeinschaftlich gilt eine Urkunde insbesondere für die Personen, in deren Interesse sie errichtet ist oder deren gegenseitige Rechtsverhältnisse darin bekundet sind. Als gemeinschaftlich gelten auch die über ein Rechtsgeschäft zwischen den Beteiligten oder zwischen einem derselben und dem gemeinsamen Vermittler des Geschäftes gepflogenen schriftlichen Verhandlungen. [Stammfassung] Lit: G. Kodek, Rechtswidrig erlangte Beweismittel im Zivilprozeß (1987); ders, Die Verwertung rechtswidriger Tonbandaufnahmen und Abhörergebnisse im Zivilverfahren, ÖJZ 2001, 281, 334; Bienert-Nießl, Materiellrechtliche Auskunftspflichten im Zivilprozess (2003); sonst wie bei § 303. G. Kodek in Fasching/Konecny III § 304..

1 Die Bestimmung regelt die unbedingte Urkundenvorlagepflicht des Gegners des Beweisführers; in den hier genannten Fällen gibt es kein Recht, die Vorlage der Urkunde zu verweigern. Bei amtswegigem Vorlageauftrag ist die Bestimmung auf beide Parteien anzuwenden (Fasching Rz 957). 1232

§§ 305–306

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Die unbedingte Vorlagepflicht besteht, wenn a) sich der Gegner selbst 2 zu Beweiszwecken auf die Urkunde bezogen hat (vgl die Vollständigkeitspflicht des § 178); b) er nach bürgerlichem Recht zur Herausgabe verpflichtet ist (zB zur Herausgabe des Schuldscheines nach § 1428 ABGB); c) die Urkunde eine beiden Parteien gemeinschaftliche ist (was in Abs 2 näher erläutert wird). Gemeinschaftlich ist eine Urkunde dann, wenn sie errichtet wurde, 3 um beiden Parteien als Beweismittel zu dienen oder um auf ihre rechtlichen Beziehungen einzuwirken oder solche zu sichern (SZ 56/ 117 = RZ 1984/70; Jus Extra 1998/2581). Nur dann, wenn die Parteien nicht durch ein gemeinsames Rechtsverhältnis verbunden sind, kommt es bei der Beurteilung der Gemeinschaftlichkeit auf den Inhalt der Urkunde an (SZ 61/208 = JUS 1989 5/11; NZ 1995, 103). Es macht keinen Unterschied, ob die Urkunde von den Parteien selbst, einem Dritten oder einer Behörde errichtet worden ist (2 Ob 267/04k = JBl 2005, 392 = NZ 2006/39; LGZ Wien EvBl 1949/321). Beispiele für gemeinschaftliche Urkunden: die Urschriften von Gesellschafts- und Dienstverträgen, ferner von Schiedsverträgen und Schiedssprüchen (Fasching Rz 958); eine vom Arbeitnehmer unterfertigte Niederschrift des Arbeitgebers über die Verantwortung des Dienstnehmers zu Vorwürfen wegen Verletzung der Dienstpflichten (SZ 61/208 = JUS 1989 5/11); ein im Auftrag der Beklagten erstelltes Gutachten über Investitionen der Klägerin, das als Grundlage für die interne Willensbildung der Klägerin bei Ablöseverhandlungen mit der Beklagten diente (NZ 1995, 103); eine Unternehmenskaufvertragsurkunde, wenn mit diesem Vertrag auch ein Übergang von Mietrechten verbunden ist, weil dann auch die gegenseitigen Rechtsverhältnisse zwischen Vermieter und Mieter betroffen sind (JBl 1996, 733). Vgl zur Klage auf Vorlage einer gemeinschaftlichen Urkunde ohne an- 4 hängigen Rechtsstreit Art XLIII EGZPO. § 305. Die Vorlage anderer Urkunden kann verweigert werden: 1. wenn der Inhalt Angelegenheiten des Familienlebens betrifft; 2. wenn der Gegner durch die Vorlage der Urkunde eine Ehrenpflicht verletzen würde; 3. wenn das Bekanntwerden der Urkunde der Partei oder dritten Personen zur Schande gereichen oder die Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung zuziehen würde; 4. wenn die Partei durch die Vorlage der Urkunde eine staatlich anerkannte Pflicht zur Verschwiegenheit, von der sie nicht gültig 1233

§§ 305–306

Rechberger

entbunden wurde, oder ein Kunst- oder Geschäftsgeheimnis verletzen würde; 5. wenn andere gleich wichtige Gründe vorhanden sind, welche die Verweigerung der Vorlage rechtfertigen. [Stammfassung] § 306. Wenn einer der im § 305 angeführten Gründe nur einzelne Teile des Inhaltes einer Urkunde betrifft, so ist ein beglaubigter Auszug der Urkunde vorzulegen. [Stammfassung] Lit: G. Kodek in Fasching/Konecny III §§ 305, 306; sonst wie bei § 303.

1 Bei anderen Urkunden als jenen des § 304 besteht nur eine bedingte Vorlagepflicht des Gegners; er kann die Vorlage aus den in § 305 genannten Gründen verweigern. Der abgeschwächte Untersuchungsgrundsatz der ZPO, der in der Urkundenvorlagepflicht zum Ausdruck kommt, findet hier eine seiner Grenzen.

2 Vgl zu Z 1 § 172 Abs 2 und dort Rz 2; zu Z 3 § 321 Abs 1 Z 1 und dort Rz 3, 4 (im Unterschied zum dort geregelten Aussageverweigerungsgrund für den Zeugen, der nur zugunsten von Verwandten des Zeugen besteht, wird durch das Urkundenvorlage-Verweigerungsrecht jeder Dritte geschützt); zu Z 4 § 321 Abs 1 Z 3 und 5 und dort Rz 5, 7, 9. Wie die Generalklausel der Z 5 zeigt, bedeutet die Aufzählung des § 305 keine erschöpfende Regelung der Weigerungsgründe für die Urkundenvorlage (die Aufzählung der Aussageverweigerungsgründe des § 321 ist dagegen taxativ; dasselbe gilt für die Gründe der §§ 380 und 353 Abs 2).

3 Der Gegner hat die Gründe für die Verweigerung der Urkundenvorlage zunächst zu behaupten und bei Zweifeln des Gerichts zu bescheinigen. Der gesetzliche Wegfall eines Beweisumstandes darf aber nicht selbst zum Beweisumstand erhoben werden (1 Ob 254/99f = JBl 2000, 657 = ÖJZ 2000/79, allerdings für den Fall der Nichtentbindung eines Zeugen von der Verschwiegenheitspflicht durch eine Partei). Aus diesem Grund darf die berechtigte Vorlageverweigerung auch nicht zum Nachteil der verweigernden Partei gewürdigt werden (G. Kodek in Fasching/ Konecny § 305 Rz 15 stellt allerdings auf die Umstände des Einzelfalls ab, um der Gefahr eines Beweisnotstands begegnen zu können).

4 Wenn der Weigerungsgrund nur einen Teil des Urkundeninhalts betrifft, der andere Teil aber eine Beweisaufnahme rechtfertigt, hat der 1234

§ 307

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Gegner einen gerichtlich oder notariell beglaubigten Auszug der Urkunde (vgl § 300 Abs 2; zur Beglaubigung s § 121 JN Rz 1) vorzulegen. § 307. (1) Leugnet der Gegner den Besitz der Urkunde und erachtet das Gericht die durch die Urkunde zu beweisenden Tatsachen erheblich und zugleich die Verpflichtung zur Vorlage der Urkunde als bestehend, so kann die Vernehmung und eidliche Abhörung des Gegners durch gerichtlichen Beschluss zu dem Zwecke angeordnet werden, um zu ermitteln, ob der Gegner die Urkunde besitze oder doch wisse, wo dieselbe zu finden sei, oder ob die Urkunde nicht etwa von ihm oder auf seine Veranlassung, um sie dem Beweisführer zu entziehen, beseitigt oder zur Benützung untauglich gemacht worden sei. (2) Welchen Einfluss es auf die Beurteilung des Falles hat, wenn der Gegner dem Auftrage zur Vorlage der Urkunde, deren Besitz er zugegeben hat, nicht nachkommt oder wenn er bezüglich einer Urkunde, deren Besitz er leugnet, die Vernehmung oder die eidliche Aussage ablehnt oder wenn aus seiner Aussage hervorgeht, dass die Urkunde absichtlich beseitigt oder untauglich gemacht worden sei, ob insbesondere in diesen Fällen die Angaben des Beweisführers über den Inhalt der Urkunde als erwiesen anzusehen seien, bleibt dem durch sorgfältige Würdigung aller Umstände geleiteten richterlichen Ermessen überlassen. [Stammfassung] Lit: G. Kodek in Fasching/Konecny III § 307; sonst wie bei § 303.

1

Leugnet der Gegner den Besitz der Urkunde, kann das Gericht seine (auch eidliche) Vernehmung (s § 371 ff) anordnen, um etwas über die Urkunde zu erfahren oder eine Beweisvereitelung aufzudecken. Voraussetzung ist, dass das Gericht eine Verpflichtung des Gegners zur Urkundenvorlage festgestellt hat, und dass die mittels der Urkunde zu beweisenden Tatsachen erheblich und beweisbedürftig sind (Abs 1). Gegen einen solchen Beschluss gibt es kein abgesondertes Rechtsmittel (§ 319 Abs 2). Gibt der Gegner im Zuge seiner Vernehmung den Besitz der Urkunde 2 zu (oder hält es das Gericht sonst für wahrscheinlich, dass er die Urkunde besitze), erlässt das Gericht unter den Voraussetzungen des Abs 1 einen Auftrag zur Vorlage der Urkunde (vgl § 303 Abs 1). Dieser Beschluss ist aber nicht vollstreckbar (vgl Fasching Rz 959); kommt der Gegner dem Auftrag nicht nach, unterliegt es vielmehr der freien Beweiswürdigung des Gerichts, ob die Angaben des Beweisführers über den Urkundeninhalt als erwiesen anzusehen sind (Abs 2 spricht inkor1235

§ 308

Rechberger

rekt vom „richterlichen Ermessen“). In gleicher Weise ist es zu beurteilen, wenn der Gegner die (eidliche) Vernehmung ablehnt oder seine Aussage eine Beweisvereitelung zutage fördert.

3 Die freie Beweiswürdigung, die den Richter im Regelfall zu einem für den Beweisführer positiven Ergebnis führen wird, vermag dann nicht zu helfen, wenn entscheidungserhebliche Tatsachen keinesfalls ohne die Vorlage der Urkunde festgestellt werden können (weil die Partei ohne Einsicht in die Urkunde gar nicht alle wesentlichen Tatsachen behaupten kann oder weil es erst der Bewertung des Urkundeninhalts durch einen Sachverständigen bedürfte). In solchen Fällen kann nur eine analoge Anwendung des § 308 Abhilfe verschaffen, der gegenüber einem Dritten die Erlassung eines vollstreckbaren Vorlageauftrags vorsieht (vgl Näheres bei Bajons, NZ 1991, 58; aA G. Kodek in Fasching/ Konecny III § 307 Rz 23). Besteht eine materielle Vorlagepflicht des Dritten, kann der Beweisführer (auch) einen eigenen Prozess zur Erlangung der Urkunde führen (Bienert-Nießl, Auskunftspflichten 249 ff). Vorlegung der Urkunde durch einen Dritten § 308. (1) Wenn sich eine zur Beweisführung benötigte Urkunde in der Hand eines Dritten befindet, welcher nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes oder deshalb zur Herausgabe und Vorlage der Urkunde verpflichtet ist, weil dieselbe ihrem Inhalte nach eine für den Beweisführer und den Dritten gemeinschaftliche ist (§ 304), so kann letzterem auf Antrag des Beweisführers vom Prozessgerichte durch Beschluss aufgetragen werden, die Urkunde innerhalb einer ihm zugleich zu bestimmenden Frist auf Kosten des Beweisführers bei dem Prozessgerichte behufs Benützung bei der mündlichen Verhandlung zu hinterlegen. (2) Über einen solchen Antrag hat das Prozessgericht nach Anhörung des Gegners und des angeblichen dritten Besitzers der Urkunde zu entscheiden; falls letzterer den Besitz der Urkunde leugnet, kann dem Antrage nur dann stattgegeben werden, wenn die antragstellende Partei glaubhaft macht, dass sich die Urkunde in der Hand des Dritten befindet. Zum Zwecke der Einvernahme der Beteiligten kann vom Prozessgerichte eine besondere Tagsatzung angeordnet werden. Der Beschluss ist nach Eintritt der Rechtskraft und nach Ablauf der angeordneten Vorlagefrist vollstreckbar. (3) Bei Zurückweisung des Antrages sind dem angeblichen Besitzer der Urkunde auf sein Verlangen die ihm durch das Verfahren verursachten notwendigen Kosten zu ersetzen. [Stammfassung] 1236

§ 309

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Lit: G. Kodek in Fasching/Konecny III § 308; Rechberger/Simotta Rz 626; sonst wie bei § 303. „Dritter“ ist jede von einer Hauptpartei verschiedene Person (nicht 1 aber der streitgenössische Nebenintervenient, da er zur Hauptpartei gehört: Schubert in Fasching/Konecny II/1 § 20 Rz 15; Fasching Rz 960; aA Kodek in Fasching/Konecny III § 308 Rz 5; SZ 27/184).; Eine Vorlagepflicht des Dritten besteht (übereinstimmend mit der 2 Vorlagepflicht des Gegners nach § 304 Z 2 und 3; der Fall der Z 1 passt hier nicht) nur dann, wenn a) der Dritte nach bürgerlichem Recht zur Ausfolgung oder Vorlage der Urkunde verpflichtet ist, oder b) die Urkunde ihrem Inhalt nach eine für den Beweisführer und den Dritten gemeinschaftliche (vgl dazu § 304 Rz 3) ist (daher kann der Kläger nicht die Einsichtnahme in Geschäftsbücher und Belege eines Unternehmens verlangen, an dem der Beklagte beteiligt ist [SZ 26/42]; nach SZ 18/189 ist eine Krankengeschichte keine für den Kranken und den behandelnden Arzt gemeinschaftliche Urkunde [vgl dazu die Kritik bei Art XLIII EGZPO Rz 2]). In allen anderen Fällen besteht keine Vorlagepflicht; Weigerungsgründe sieht das Gesetz für den Dritten nicht vor. Auf Antrag des Beweisführers kann das Gericht dem Dritten durch 3 Beschluss auftragen, die Urkunde vorzulegen. Vorher ist sowohl der Gegner als auch der Dritte anzuhören. Leugnet der Dritte den Besitz der Urkunde, muss der Beweisführer glaubhaft machen, dass der Dritte die Urkunde besitzt. Der Vorlagebeschluss ist unbeschränkt anfechtbar (e contrario § 319). Der Vorlagebeschluss ist vollstreckbar: Wenn möglich, wird die Ur- 4 kunde dem Dritten abgenommen (§ 346 EO), allenfalls wird die Herausgabe durch Geld- und Haftstrafen erzwungen (§ 354 EO). Bleibt der Antrag des Beweisführers, dem Dritten die Vorlage einer 5 Urkunde aufzutragen, erfolglos, muss er diesem die Verfahrenskosten ersetzen. Die Kosten dieses (selbständigen) Zwischenstreits können auch nicht auf den in der Folge unterliegenden Prozessgegner überwälzt werden (G. Kodek in Fasching/Konecny III § 308 Rz 17). § 309. (1) Muss der angebliche Besitzer der Urkunde im Wege der Klage zur Herausgabe und Vorlage der Urkunde verhalten werden, weil nicht glaubhaft gemacht werden kann, dass sich die Urkunde in seiner Hand befindet oder weil die Entscheidung über das Vorhandensein der Pflicht zur Herausgabe und Vorlage der Urkunde die 1237

§ 310

Rechberger

vorgängige Ermittlung und Feststellung streitiger Tatumstände verlangt, so kann das Prozessgericht, wenn es die durch die Urkunde zu beweisenden Tatsachen für erheblich hält, auf Antrag anordnen, dass mit der Fortsetzung der mündlichen Verhandlung bis nach Ablauf der gleichzeitig dem Beweisführer zur Vorlegung der Urkunde zu bestimmenden Frist gewartet werde (§ 279). (2) Der Gegner des Beweisführers kann jedoch noch vor Ablauf dieser Frist die Fortsetzung der Verhandlung beantragen, wenn die Klage des Beweisführers gegen den Dritten früher erledigt ist, oder der Beweisführer die Erhebung der Klage oder die Betreibung des Prozesses oder der Exekution verzögert. (3) Die Vorlegung der Urkunde geschieht auf Kosten des Beweisführers. [Stammfassung] Lit: G. Kodek in Fasching/Konecny III § 309; sonst wie bei § 303.

1 Die Klage zur Herausgabe einer Urkunde (Editionsklage) ist notwendig, a) wenn der Beweisführer nicht glaubhaft machen kann, dass der Dritte die Urkunde besitzt, oder b) weil die Beurteilung seiner Vorlagepflicht von streitigen Tatsachen abhängt.

2 Hält das Gericht die durch die Urkunde zu beweisenden Tatsachen für erheblich und beweisbedürftig, kann das Gericht dem Beweisführer auf Antrag eine Frist zur Vorlage setzen, um mit der Fortsetzung der mündlichen Verhandlung bis nach Fristablauf zu warten (Beweisbefristung iS des § 279). Unter den Voraussetzungen des Abs 2 kann der Gegner des Beweisführers schon vor Ablauf der Frist die Fortsetzung des Verfahrens beantragen.

3 Wie im Fall des § 308 hat auch hier die Kosten der Urkundenvorlage zunächst der Beweisführer zu bestreiten (§ 40).

4 Vgl zur Klage auf Vorlage einer gemeinschaftlichen Urkunde ohne anhängigen Rechtsstreit Art XLIII EGZPO. Echtheitsbeweis § 310. (1) Urkunden, welche sich nach Form und Inhalt als öffentliche Urkunden darstellen, haben die Vermutung der Echtheit für sich. (2) Hält das Gericht die Echtheit für zweifelhaft, so kann es auf Antrag oder von Amts wegen die Behörde oder die Person, von 1238

§ 311

2.1 Verfahren bis zum Urteile

welcher die Urkunde errichtet sein soll, zu einer Erklärung über die Echtheit veranlassen. Lässt sich der Zweifel an der Echtheit der Urkunde nicht auf diese Art beseitigen, so obliegt der Beweis ihrer Echtheit demjenigen, der diese Urkunde als Beweismittel gebrauchen will. [Stammfassung] Lit: Holzhammer, Die einfache Vermutung im Zivilprozeß, FS Kralik (1986) 205. G. Kodek in Fasching/Konecny III § 310; Bajons Rz 147; Ballon Rz 246; Deixler-Hübner/Klicka Rz 139 f; Fasching Rz 951; Holzhammer 259, ders, PraktZPR 289; Rechberger/Simotta Rz 621 f. Allgemeines zur Urkundenechtheit vgl Vor § 292 Rz 15.

1

Die Echtheitsvermutung für (inländische) öffentliche Urkunden ist 2 bloß eine „einfache“ Vermutung (Holzhammer, FS Kralik 209; s dazu § 270 Rz 5), also eine Art gesetzlicher Anscheinsbeweis (s Vor § 266 Rz 22). Es kommt daher keinesfalls zu einer Umkehr der Beweislast, die dem Gegner des Beweisführers den Beweis der Unechtheit der Urkunde aufbürdete. Zweifel an der Echtheit muss das Gericht zunächst durch eine amtli- 3 che Anfrage bei der Behörde oder der Urkundsperson auszuräumen suchen. Gelingt dies nicht, muss der Beweisführer den Echtheitsbeweis der Urkunde erbringen, wobei das Regelbeweismaß zur Anwendung kommt (s dazu Vor § 266 Rz 5). Ein Beschluss nach Abs 2 Satz 1 ist unanfechtbar (§ 319 Abs 1).

4

Die Anordnung gilt auch für Ausdrucke, die mit der Amtssignatur 5 signiert und durch Rückführbarkeit auf die elektronische Urkunde überprüfbar sind (§ 20 E-GovG idF BGBl 2004/10). § 311. (1) Ob eine Urkunde, welche sich als von einer ausländischen Behörde oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person des Auslandes errichtet darstellt, ohne näheren Nachweis als echt anzusehen ist, hat das Gericht nach den Umständen des Falles zu ermessen. (2) Zum Beweise der Echtheit einer solchen Urkunde genügt, sofern nicht durch besondere Bestimmungen etwas anderes festgestellt ist, die Beglaubigung durch das Bundesministerium für Aus1239

§ 312

Rechberger

wärtige Angelegenheiten oder durch einen österreichischen Gesandten oder Konsul. [Stammfassung] Lit: G. Kodek in Fasching/Konecny III § 311; sonst wie bei § 310.

1 Ob eine ausländische öffentliche Urkunde als echt anzusehen ist, unterliegt grundsätzlich der freien richterlichen Beweiswürdigung (Abs 1).

2 Ist eine solche Urkunde aber durch das Außenministerium oder einen österreichischen Gesandten oder Konsul beglaubigt, gilt sie als echt (Abs 2). Dasselbe gilt, soweit ausländische öffentliche Urkunden auf Grund von zwischenstaatlichen Vereinbarungen keiner Beglaubigung bedürfen (vgl die in § 293 Rz 2 genannten Verträge). § 312. (1) Die Echtheit einer Privaturkunde gilt als unbestritten, wenn der Gegner des Beweisführers es unterlassen hat, sich über die Echtheit der Urkunde zu erklären, sofern nicht die Absicht, die Echtheit zu bestreiten, aus den übrigen Erklärungen des Gegners hervorgeht. Befindet sich auf der Urkunde eine Namensunterschrift, so hat sich der Gegner des Beweisführers unter der gleichen Rechtsfolge auch über die Echtheit der Unterschrift zu erklären. (2) Die bestrittene Echtheit einer Privaturkunde oder einer auf derselben befindlichen Namensunterschrift ist von demjenigen zu beweisen, der die Urkunde als Beweismittel gebrauchen will. [Stammfassung] Lit: G. Kodek in Fasching/Konecny III § 312; sonst wie bei § 310.

1 Für Privaturkunden gibt es keine Echtheitsvermutung; die Beweiswürdigung des Gerichts wird aber insofern erleichtert, als das Gesetz die Unterlassung der Bestreitung der Echtheit durch den Gegner des Beweisführers (nach § 298 Abs 3 ist er zur Erklärung über die vorgelegte Urkunde aufzufordern) mit Nichtbestreitung gleichsetzt. Das Gericht wird dann in aller Regel keinen Anlass mehr haben, an der Echtheit zu zweifeln (zu weit gehend LGZ Wien 48 R 806/93 = MietSlg 45.680, wo bei Nichtbestreiten die amtswegige Echtheitsprüfung gänzlich abgelehnt wird). Das gleiche gilt auch für eine auf der Privaturkunde befindliche Unterschrift. Für die Richtigkeit der Privaturkunde gibt es naturgemäß keinerlei Sonderregel (vgl 7 Ob 41/97y = MietSlg 49.645), sodass diese der freien Beweiswürdigung des Gerichts unterliegt (9 Ob A 205/ 98g). 1240

§§ 314–315

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Hat der Gegner die Echtheit der Privaturkunde oder die darauf befind- 2 liche Unterschrift bestritten (oder hält das Gericht trotz Unterlassung der Bestreitung die Echtheit für zweifelhaft), muss der Beweisführer diese Echtheit beweisen. Die Feststellung der Echtheit (der Unterschrift) der Privaturkunde ist 3 die Voraussetzung für die „qualifizierte Echtheitsvermutung“ des § 294 bezüglich ihres Inhalts. § 313. Eine Partei, welche die Echtheit einer Urkunde in mutwilliger Weise bestritten hat, ist in eine Mutwillensstrafe zu verfällen. [Stammfassung] Lit: G. Kodek in Fasching/Konecny III § 313; sonst wie bei § 310. Diese Strafbestimmung soll Echtheitsbestreitungen, die bloß in Ver- 1 schleppungsabsicht erfolgen, hintanhalten. Was für die Partei gilt, gilt auch für ihren gesetzlichen Vertreter (§ 5) 2 und für ihren Bevollmächtigten (§ 39). Vgl zur Mutwillensstrafe im übrigen § 220. Schriftvergleichung § 314. (1) Der Beweis der Echtheit oder Unechtheit einer Urkunde kann auch durch Schriftvergleichung geführt werden. (2) Als Vergleichungsschriften können nur solche Schriftstücke benützt werden, deren Echtheit unbestritten ist oder doch ohne erhebliche Verzögerung dargetan werden kann. (3) Die Bestimmungen dieses Gesetzes über die Vorlegung von Beweisurkunden sind auch in Ansehung der Vorlegung von Vergleichungsschriften anzuwenden. (4) Mangelt es an zureichenden Vergleichungsschriften, so kann derjenigen Partei, über deren Handschrift der Beweis der Echtheit hergestellt werden soll, aufgetragen werden, vor Gericht oder vor einem beauftragten oder ersuchten Richter eine Anzahl von ihr zu bezeichnenden Worten niederzuschreiben. (5) Das Niedergeschriebene ist dem Verhandlungsprotokoll beizulegen. Welchen Einfluss es auf die Herstellung des Beweises hat, wenn die Partei einem solchen richterlichen Auftrage keine Folge leistet oder mit offenbar entstellter Schrift schreibt, bleibt der richterlichen Beurteilung überlassen. [Stammfassung] 1241

3

§§ 314–315

Rechberger

§ 315. (1) Die Vergleichung der Handschriften kann das Gericht selbst vornehmen oder, wenn sich ihm Zweifel ergeben, das Gutachten von Sachverständigen einholen. (2) Über das Ergebnis der Schriftvergleichung ist vom Gerichte nach freier Überzeugung zu entscheiden. [Stammfassung] Lit: G. Kodek in Fasching/Konecny III § 315; sonst wie bei § 310.

1 Als eigenes Beweismittel für den Beweis der Echtheit oder Unechtheit einer Urkunde wird die Schriftvergleichung geregelt. Dafür muss entweder schon eine unbedenkliche Urkunde als „Vergleichungsschrift“ vorliegen (Abs 2) oder der Partei, um deren Handschrift es geht, aufgetragen werden, vor dem Prozessgericht (oder einem ersuchten oder beauftragten Richter) einige Worte niederzuschreiben.

2 Die Bestimmungen über die Urkundenvorlage (§§ 298 bis 309) sind auch auf die Vergleichungsschriften anzuwenden (Abs 3). Leistet die Partei dem Auftrag zu einer Niederschrift keine Folge oder schreibt sie mit entstellter Schrift, unterliegt dies wieder der freien richterlichen Beweiswürdigung (Abs 5).

3 Die Schriftvergleichung kann das Gericht entweder selbst vornehmen oder sich dazu eines Sachverständigen bedienen. Ob die Urkunde danach als echt oder unecht anzusehen ist, hat das Gericht nach freier Beweiswürdigung zu entscheiden (§ 315).

4 Gegen die im Zuge des Schriftvergleichungsverfahrens ergehenden Beschlüsse gibt es kein Rechtsmittel (§ 319 Abs 1; teilw aA G. Kodek in Fasching/Konecny III §§ 314, 315 Rz 10 und § 319 Rz 2, nach dem die Ablehnung der Beiziehung eines Sachverständigen bloß nicht abgesondert anfechtbar sein soll). Gerichtliche Aufbewahrung von Urkunden § 316. Urkunden, deren Echtheit bestritten ist oder deren Inhalt verändert sein soll, können bis zur rechtskräftigen Erledigung des Prozesses bei Gericht zurückbehalten werden, sofern nicht ihre Ausfolgung an eine andere Behörde im Interesse der öffentlichen Ordnung erforderlich ist. [Stammfassung] Lit: G. Kodek in Fasching/Konecny III § 316. 1242

§ 318

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Grundsätzlich sind Urkunden nach Beendigung der Beweisaufnahme 1 den Parteien auf ihren Antrag wieder auszufolgen (vgl § 219 Abs 3). § 316 ermöglicht es dem Gericht jedoch, Urkunden, bei denen der Verdacht der Fälschung oder Verfälschung besteht, als Sicherungsmaßnahme bis zur rechtskräftigen Beendigung des Prozesses zurückzubehalten. Ein solcher Beschluss kann nicht abgesondert angefochten werden (§ 319 Abs 2). Erneuerung von Urkunden § 317. (1) Wird eine auf Papier errichtete Privaturkunde unleserlich oder schadhaft, so kann deren Inhaber oder jeder andere Beteiligte vom Aussteller der Urkunde begehren, daß dieselbe auf Kosten des Antragstellers gerichtlich erneuert werde. Hiezu sind alle Personen zu laden, wider welche die Urkunde nach Lage der Sache zum Beweise dienen soll. (2) Im Falle der Weigerung kann der Aussteller zu solcher Erneuerung nur im Wege der Klage verhalten werden. [Abs 1 idF BRÄG 2006; sonst Stammfassung] Lit: Bittner in Fasching/Konecny III § 317. Das Verfahren zur Erneuerung einer Privaturkunde ist ein außerstrei- 1 tiges Inzidenzverfahren, bei dem die Beteiligten gemeinsam mit dem Gericht den Text der Privaturkunde zu ermitteln suchen. Gelingt dies, dann wird dieser Text gerichtlich beglaubigt (Bittner in Fasching/ Konecny III § 317 Rz 1). Die Bestimmung ist allerdings weitgehend totes Recht. Verweigert der Aussteller der Urkunde seine Beteiligung an diesem 2 Verfahren, muss ihn, wer einen (materiell-rechtlichen) Anspruch auf Urkundenerneuerung behauptet, darauf klagen (Abs 2). Vgl zur Erneuerung der davon betroffenen öffentlichen Urkunden die 3 VO über die Ersetzung zerstörter oder abhanden gekommener gerichtlicher oder notarischer Urkunden, DRGBl 1942 I 395. Auskunftssachen § 318. (1) Inwieweit durch Denkmäler, Grenzzeichen, Marksteine, Eich- und Heimpfähle und ähnliche Zeichen oder durch Kerb- und Spannhölzer, welche die Parteien für ihren Verkehr erwiesenerma1243

§ 319

Rechberger

ßen gebraucht haben, ein Beweis geliefert werde, hat das Gericht nach sorgfältiger Würdigung aller Umstände zu beurteilen. (2) Die Bestimmungen der §§ 303 bis 309 sind auch auf die Vorlegung von Auskunftssachen sinngemäß anzuwenden. [Stammfassung] Lit: Walther, Zur Abgrenzung von Urkundenbeweis, Beweis durch Auskunftssachen und Augenschein im österreichischen Zivilprozessrecht, RZ 1993, 47; Grötschl, Verwendung und Verwertung elektronischer Dokumente im Zivilprozess (2004); Rechberger/McGuire, Die elektronische Urkunde und das Beweismittelsystem der ZPO, in Rechberger (Hrsg), Die elektronische Revolution im Rechtsverkehr – Möglichkeiten und Grenzen, Schriftenreihe des Österreichischen Notariats Band 34 (2006). G. Kodek in Fasching/Konecny III § 318; Bajons Rz 148; Ballon Rz 249; Fasching Rz 945, 966; Holzhammer 262; ders, PraktZPR 288, 291, 300 f; Rechberger/Simotta Rz 619.

1 Als Auskunftssachen, die eine Mittelstellung zwischen Urkunden und Augenscheinsgegenständen haben (vgl dazu Vor § 292 Rz 12), bezeichnet das Gesetz vor allem Denkmäler, Grenzzeichen, Marksteine, Eich- und Heimpfähle. Wegen der Vorlagepflicht (Rz 3) ist auch die Einordnung von Bild- und Tonträgern – zumindest wenn sie einen Gedankeninhalt vermitteln – als Auskunftssachen sinnvoll (s dazu A. Walther, RZ 1993, 47 und Vor § 292 Rz 4). Auch ein sonstiges elektronisches Dokument kann als Auskunftssache qualifiziert werden (elektronisch errichtete Urkunden sind seit dem BRÄG 2006 der Papierurkunde gleichgestellt), soweit die Voraussetzungen für die Qualität als Auskunftssache – Verkörperung von Gedanken mit anderen Mitteln als der menschlichen Schrift (vgl dazu Fasching Rz 945; A. Walter, RZ 1993, 48) – erfüllt sind.

2 Auskunftssachen stehen insofern nicht den Urkunden gleich, als es für sie keine Beweisregeln gibt; ihre Echtheit und Richtigkeit ist daher stets nach freier Beweiswürdigung zu beurteilen (Abs 1).

3 Hinsichtlich der Vorlagepflicht von Gegner oder Drittem und hinsichtlich des Verfahrens sind jedoch die Vorschriften über den Urkundenbeweis (§§ 303 bis 309) sinngemäß anzuwenden. § 319. (1) Gegen die zufolge §§ 298, 299, 300, 301, 309 Abs 1 und 2, 310, 314 und 315 ergehenden gerichtlichen Beschlüsse, Anordnungen und Aufträge ist ein Rechtsmittel nicht zulässig. 1244

Vor § 320

2.1 Verfahren bis zum Urteile

(2) Die gemäß §§ 303, 307 und 316 gefassten Beschlüsse können durch ein abgesondertes Rechtsmittel nicht angefochten werden. [Stammfassung] Lit: G. Kodek in Fasching/Konecny III § 319. In Fortsetzung der Grundtendenz des § 291, die Anfechtung von Ent- 1 scheidungen im Zuge des Beweisverfahrens aus prozessökonomischen Gründen zu beschränken, ordnet § 319 auch einschneidende Rechtsmittelbeschränkungen bei den Beschlüssen im Zusammenhang mit der Aufnahme des Urkundenbeweises an. Daraus ergibt sich zB, dass Aufträge an den Beweisführer selbst (§§ 298, 2 299) gar nicht; Aufträge an den Gegner (§§ 303, 307) nicht durch ein abgesondertes Rechtsmittel, und Aufträge an einen Dritten (§ 308) unbeschränkt anfechtbar sind. Der Rechtsmittelausschluss des Abs 1 betrifft auch Beschlüsse, die einen 3 Antrag abweisen (EvBl 1980/16); Analoges muss für die Anordnung des Abs 2 hinsichtlich der nicht abgesondert anfechtbaren Beschlüsse gelten. Vierter Titel Beweis durch Zeugen Vor § 320 Lit: Mohr, Urkundliche Angaben eines Zeugen – Gedanken zur Zulässigkeit einer Urkunde als derivatives Beweismittel, ÖJZ 1985, 524; Delle-Karth, Die Mangelhaftigkeit des Verfahrens im Berufungssystem des österreichischen Zivilprozeßrechts, ÖJZ 1993, 10; Schlosser, Spontan präsentierte Zeugen und (Privat-)gutachten nach deutschem und österreichischem Recht, FS Rechberger (2005) 497. Frauenberger in Fasching/Konecny III Vor §§ 320 ff; Bajons Rz 145; Ballon Rz 250 ff; Deixler-Hübner/Klicka Rz 142 ff; Fasching Rz 967 ff; Holzhammer 262; ders, PraktZPR 292 ff; Rechberger/Simotta Rz 627 ff. Begriff des Zeugen. Zeugen sind Personen, die über ihre Wahrneh- 1 mungen von „vergangenen Tatsachen oder Zuständen“ (vgl § 350) aussagen. Nur ausnahmsweise soll ein Zeuge über gegenwärtige Zustände berichten (zB über andauernde Schmerzen). Zwar spielt bei jeder Wahrnehmung die Erfahrung eine wichtige Rolle, doch hat der Zeuge im Unterschied zum Sachverständigen (s Vor 1245

Vor § 320

Rechberger

§ 351 Rz 1) keine Erfahrungssätze zu liefern und auch keine Tatsachen zu beurteilen (das gilt auch für den sachverständigen Zeugen; s Näheres bei § 350); Werturteile und Schlussfolgerungen sind nicht seine Aufgabe. Im Gegensatz zum Sachverständigen ist der Zeuge unersetzbar, weil er über in der Vergangenheit subjektiv Wahrgenommenes berichtet.

2 Als Zeuge darf nur vernommen werden, wer nicht Partei ist oder als Partei vernommen werden muss (§ 373). Ein Verstoß dagegen bleibt sanktionslos. Selbst wenn die Aussage erzwungen worden ist (obwohl dies gegenüber der Partei nicht zulässig ist), vermag dieser Verstoß gegen ein Beweismethodenverbot die Verwertung der Aussage nicht zu verhindern (vgl dazu Vor § 266 Rz 24; ebenso Frauenberger in Fasching/ Konecny III Vor §§ 320 ff Rz 4; teilw aA Fasching Rz 969, nach dem zwar die Vernehmung gleichfalls sanktionslos bleibt, die Erzwingung der Aussage aber deren Verwertung verhindern soll).

3 Die Zeugenaussage darf (außer der Zeuge genießt Immunität; vgl unten Rz 5) nur mündlich abgelegt werden. Schriftliche Zeugenaussagen (zB eidesstättige Erklärungen, schriftliche Aufzeichnungen des Zeugen, Briefe an das Gericht) sind in der ZPO nicht vorgesehen und widersprechen den Grundsätzen der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit. Sie dürfen als Beweismittel nicht zugelassen werden (so auch Delle-Karth, ÖJZ 1993, 10; 9 Ob 106/03h = EFSlg 105.855; nach SZ 59/93 = EvBl 1987/1 = JBl 1986, 583 = AnwBl 1986, 616 [zust Ortner] kann dies sogar Amtshaftung begründen. AA Ballon Rz 253 und Mohr, ÖJZ 1985, 524 ff, die für die [nach Mohr eingeschränkte] Zulässigkeit als urkundliche Angaben eintreten), andernfalls liegt ein wesentlicher (nach Fasching Rz 676 und der Rsp [EvBl 1965/188; Arb 8994] aber rügepflichtiger) Verfahrensmangel vor.

4 Wer zeugnisfähig (s dazu Näheres bei § 320) und der inländischen Gerichtsbarkeit unterworfen ist, den trifft die öffentlich-rechtliche Zeugnispflicht: Sie umfasst a) die Pflicht zum Erscheinen vor Gericht (§§ 333 ff), b) die Aussagepflicht (vgl § 321) und c) die Eidespflicht (§ 337).

5 Personen, denen kraft Völkerrecht Immunität zukommt (vgl dazu Art IX EGJN Rz 15 ff), sind von der Zeugnispflicht befreit. Diese Personen können sich aber freiwillig zur Zeugenaussage bereit erklären (Näheres in § 37 RHE Ziv 2004, JABl 13); auf Wunsch ist hier eine schriftliche Aussage zulässig (s auch § 328 Rz 4). Die Immunität der Mitglieder öffentlicher Vertretungskörper (vgl dazu Art 57 Abs 1, 58, 96 B-VG) enthebt mangels Sonderbestimmungen hingegen nicht der 1246

§ 320

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Zeugnispflicht und des Zeugniszwangs (EvBl 1985/31 = JBl 1984, 679 = RZ 1985/9; Kopetzki, Grenzen der außerberuflichen Immunität der Abgeordneten, ZÖR 1986, 101; Fasching Rz 976). Unzulässigkeit und Verweigerung des Zeugnisses § 320. Als Zeugen dürfen nicht vernommen werden: 1. Personen, welche zur Mitteilung ihrer Wahrnehmung unfähig sind, oder welche zur Zeit, auf welche sich ihre Aussage beziehen soll, zur Wahrnehmung der zu beweisenden Tatsache unfähig waren; 2. Geistliche in Ansehung dessen, was ihnen in der Beichte oder sonst unter dem Siegel geistlicher Amtsverschwiegenheit anvertraut wurde; 3. Staatsbeamte, wenn sie durch ihre Aussage das ihnen obliegende Amtsgeheimnis verletzen würden, insofern sie der Pflicht zur Geheimhaltung nicht durch ihre Vorgesetzten entbunden sind; 4. eingetragene Mediatoren nach dem Zivilrechts-Mediations-Gesetz, BGBl. I Nr. 29/2003, in Ansehung dessen, was ihnen im Rahmen der Mediation anvertraut oder sonst bekannt wurde. [Z 4 angefügt durch EheRÄG 1999 idF BGBl I 2003/29; sonst Stammfassung] Lit: Heil, Die Amtsverschwiegenheit in ihren Grundzügen, ÖVA 1965, 133; Gallent, Beamte als Zeugen (oder Sachverständige) vor Gericht. Bemerkungen zur „Amtsverschwiegenheit“, ÖGZ 1984/1–2, 17; Souhrada, Datenschutzpraxis in der Sozialversicherung, SozSi 1985, 365; Hopf, Auf dem Weg zu einer gesetzlichen Regelung der Mediation in Österreich, FS Jelinek (2002) 69; Ganner, Vertragsgerechtigkeit durch Mediation, ÖJZ 2003, 710; Kollros, Die Rechtsstellung des Mediators nach dem Zivilrechts-Mediations-Gesetz, ecolex 2003, 745; Oberhammer/Domej, Ein rechtlicher Rahmen für die Mediation in Österreich, ZKM 2003, 144; Hopf, Das Zivilrechts-Mediations-Gesetz, ÖJZ 2004, 41; Roth/Markowetz, Bundesgesetz über Mediation in Zivilrechtssachen – Ein Überblick über die neuen Bestimmungen, JBl 2004, 296; Petsche/Schmutzer, Der Entwurf der Mediations-RL, ecolex 2005, 493; Zenz, „Staatlich anerkannte Pflicht zur Verschwiegenheit“ bestimmter Berufsgruppen im Verhältnis zur Zeugnisablegung im Verwaltungs-, Zivil- und Strafverfahren, JRP 2005, 230. Frauenberger in Fasching/Konecny III § 320; sonst wie Vor § 320. Im Interesse der Wahrheitsfindung beschränkt die ZPO die Zeugnis- 1 fähigkeit nur in geringem Umfang; Alter, Geisteszustand oder ein Interesse am Rechtsstreit beeinflussen sie grundsätzlich nicht. 1247

§ 320

Rechberger

2 Zeugnisunfähig sind a) naturgemäß Personen, die entweder zur Wahrnehmung der zu beweisenden Tatsachen (Wahrnehmungsunfähige) oder zur Mitteilung ihrer Wahrnehmungen (Wiedergabeunfähige) nicht in der Lage waren bzw sind (Z 1; absolute physische Zeugnisunfähigkeit); es ist daher von Fall zu Fall zu entscheiden, ob Geisteskrankheit, Geistesschwäche, psychische Behinderung oder Unmündigkeit zur Zeugnisunfähigkeit führt (dies ist eine Frage der Beweiswürdigung: EvBl 1962/294; EFSlg 41.799); b) Geistliche in Ansehung dessen, was ihnen in der Beichte oder sonst unter dem Siegel geistlicher Amtsverschwiegenheit anvertraut wurde (Z 2); c) Staatsbeamte, wenn sie durch ihre Aussage ein Amtsgeheimnis verletzen würden, sofern sie von der Geheimhaltungspflicht nicht entbunden worden sind (Z 3; das Amtsgeheimnis ist aufgehoben nach § 13 Abs 1 AHG, § 11 Abs 1 OrgHG) und d) eingetragene Mediatoren nach dem ZivMediatG in Ansehung dessen, was ihnen im Rahmen einer Mediation anvertraut wurde. In den Fällen b bis d handelt es sich um eine relative Zeugnisunfähigkeit.

3 Die Beweismittelverbote des § 320 wirken als von Amts wegen zu beachtende Beweisaufnahmeverbote, deren Übertretung aber sanktionslos bleibt (teilw aA Fasching Rz 936, 975; vgl dazu Vor § 266 Rz 24), soweit eine Vernehmung ein Ergebnis bringen kann (dies wird im Fall der Z 1 kaum möglich sein). Nach Holzhammer (PraktZPR 292) bewirkt die Verletzung des Verbots einen schweren Verfahrensmangel iS des § 496 Abs 1 Z 2; nach JBl 1963, 102 jedenfalls keine Nichtigkeit, sondern die Verwertung der Aussage ist zulässig.

4 Das Vorliegen von Wahrnehmungs- oder Wiedergabeunfähigkeit ist vom Gericht im konkreten Einzelfall im Rahmen seiner richterlichen Beweiswürdigung zu prüfen (5 Ob 36/62 = EvBl 1962/294) und zwar unabhängig von einer allfälligen Entmündigung bzw Bestellung eines Sachwalters (4 Ob 593/80).

5 Geistlicher ist, wer auf Grund des innerorganisatorischen und kultischen Aufbaus einer Religionsgemeinschaft mit priesterlichen Aufgaben eines Seelsorgers betraut ist (Frauenberger in Fasching/Konecny III § 320 Rz 5). Diese Religionsgemeinschaft muss allerdings nicht staatlich als solche anerkannt sein (vgl näher Frauenberger aaO).

6 Die Amtsverschwiegenheit bezieht sich auf alle einem Beamten (im funktionellen Sinn) aus seiner amtlichen Tätigkeit bekannt gewordenen Tatsachen, deren Geheimhaltung im Interesse einer Gebietskörperschaft oder der Parteien geboten ist (§ 46 Abs 1 BDG; vgl auch § 58 RDG, § 5 VBG; weitere Beispiele bei Frauenberger in Fasching/ Konecny III § 320 Rz 7). 1248

§§ 321–322

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Die Entbindung vom Amtsgeheimnis erfolgt durch den Vorgesetzten des Organs, an den das Gericht ein Ersuchen um Entbindung richten kann. Da in diesem Verfahren nur dem Beamten Parteistellung zuerkannt wird (vgl dazu VwGHSlgNF 7389 A = ZAS 1969/11 [Ringhofer]), wird weder dem Gericht noch den Parteien des Prozesses die Rechtsmittellegitimation zur Anfechtung eines negativen Bescheids eingeräumt. Das Gericht darf die Frage der Entbindung von der Amtsverschwiegenheit nicht als Vorfrage selbst entscheiden (SZ 45/56 = EvBl 1972/336). Im Amtshaftungsprozess besteht von vornherein keine Pflicht zur Wahrung des Amtsgeheimnisses (§ 13 Abs 1 AHG), was aber nicht für das Beratungsgeheimnis (§ 413) gilt (1 Ob 151/01i = EvBl 2002/42). Eine Entbindung durch einen Vorgesetzten ist in diesem Fall wegen der richterlichen Unabhängigkeit nicht denkbar und daher auch nicht vorgesehen (1 Ob 151/01i = EvBl 2002/42; Frauenberger in Fasching/ Konecny III § 320 Rz 7). Bei der Verschwiegenheitspflicht des Mediators handelt es sich um 7 eine (allenfalls, zB für einen Rechtsanwalt oder einen Psychotherapeuten, zusätzliche) Verpflichtung zur uneingeschränkten Verschwiegenheit über diejenigen Tatsachen, die dem Mediator bei den Mediationsverhandlungen bekannt wurden. Zeugnisunfähig sind allerdings nur eingetragene Mediatoren; deren Hilfspersonal ist gerade nicht erfasst (unrichtig daher ErlRV 24 BlgNR 22.GP 37; für eine analoge Anwendung allerdings Oberhammer/Domej, ZKM 2003, 147), zumal ihm ohnehin ein Entschlagungsrecht nach § 321 Abs 1 Z 3 ZPO iVm § 18 ZivMediatG zukommt (Frauenberger in Fasching/Konecny III § 320 Rz 9). Eine Entbindung des Mediators von seiner Verschwiegenheitspflicht ist nicht vorgesehen (Oberhammer/Domej, ZKM 2003, 147; Frauenberger in Fasching/Konecny III § 320 Rz 9). § 321. (1) Die Aussage darf von einem Zeugen verweigert werden: 1. über Fragen, deren Beantwortung dem Zeugen, seinem Ehegatten oder einer Person, mit welcher der Zeuge in gerade Linie oder in der Seitenlinie bis zum zweiten Grade verwandt oder verschwägert, oder mit welcher er durch Adoption verbunden ist, ferner seinen Pflegeeltern und Pflegekindern, sowie der mit der Obsorge für ihn betrauten Person, seinem Sachwalter oder seinem Pflegebefohlenen zur Schande gereichen oder die Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung zuziehen würde; 2. über Fragen, deren Beantwortung dem Zeugen oder einer der in Z 1 bezeichneten Personen einen unmittelbaren vermögensrechtlichen Nachteil zuziehen würde; 1249

§§ 321–322

Rechberger

3. in Bezug auf Tatsachen, über welche der Zeuge nicht würde aussagen können, ohne eine ihm obliegende staatlich anerkannte Pflicht zur Verschwiegenheit zu verletzen, insofern er hievon nicht gültig entbunden wurde; 4. in Ansehung desjenigen, was dem Zeugen in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt von seiner Partei anvertraut wurde; 4a. in Ansehung dessen, was dem Zeugen in seiner Eigenschaft als Funktionär oder Arbeitnehmer einer gesetzlichen Interessenvertretung oder freiwilligen kollektivvertragsfähigen Berufsvereinigung von seiner Partei in einer Arbeits- oder Sozialrechtssache anvertraut wurde; 5. über Fragen, welche der Zeuge nicht würde beantworten können, ohne ein Kunst- oder Geschäftsgeheimnis zu offenbaren; 6. über die Frage, wie der Zeuge sein Wahlrecht oder Stimmrecht ausgeübt hat, wenn dessen Ausübung gesetzlich für geheim erklärt ist. (2) Die Aussage kann in den unter Z 1 und 2 angegebenen Fällen mit Rücksicht auf die daselbst bezeichneten Angehörigen auch dann verweigert werden, wenn das eheliche Verhältnis, welches die Angehörigkeit begründet, nicht mehr besteht. [Abs 1 Z 1 idF KindRÄG 2001; Abs 1 Z 4 idF StGBl 1919/95; Abs 1 Z 4a eingefügt durch ASGG-Nov 1994; Abs 1 Z 6 angefügt durch ZVN 1983; sonst Stammfassung] § 322. Über Errichtung und Inhalt von Rechtsgeschäften, bei welchen der Zeuge als Urkundsperson beigezogen worden ist, über Tatsachen, welche die durch das Ehe- und Familienverhältnis bedingten Vermögensangelegenheiten betreffen, über Geburten, Verheiratungen oder Sterbefälle der im § 321 Abs 1 Z 1 bezeichneten Angehörigen, endlich über Handlungen, welche der Zeuge in Betreff des streitigen Rechtsverhältnisses als Rechtsvorgänger oder Vertreter einer der Parteien vorgenommen hat, darf das Zeugnis wegen eines zu besorgenden vermögensrechtlichen Nachteiles nicht verweigert werden. [Stammfassung] Lit: Hellbling, Die Verschwiegenheitspflicht, JBl 1958, 254; Herz, Über die Grenzen der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht, AnwBl 1967, 29; Jahoda, Zur Frage der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht, AnwBl 1967, 43; Herz, Zur Aussageverweigerung der Zeugen im Zivilprozeß, ÖJZ 1969, 384; ders, Zur Zeugenpflicht des Rechtsanwaltes, ÖJZ 1970, 91; Jahoda Zur Frage der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht, AnwBl 1973, 122; Arnold, Einschränkungen des Berufsgeheimnisses – 1250

§§ 321–322

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Ausnahmen vom Geheimnisschutz, ÖJZ 1982, 1; Harbich, Einige Fragen der anwaltlichen Verschwiegenheit, AnwBl 1983, 671; Klecatsky/ Morscher, Zur Verschwiegenheitspflicht der Wirtschaftstreuhänder, ÖStZ 1983, 126; Hartmann/Rieder, Kommentar zum Mediengesetz (1985); Jabornegg/Strasser/Floretta, Das Bankgeheimnis (1985); Laurer, Das Bankgeheimnis in der Entwicklung von Lehre und Rechtsprechung, ÖJZ 1986, 385; Moritz, Darf die Nichtentbindung von einer gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht der Beweiswürdigung unterzogen werden? ÖGZ 1986/11, 14; Rechberger, Geheimnis und Schweigepflicht aus zivilrechtlicher Sicht, WR 1986 SN 1, 3; Avancini/Iro/Koziol, Österreichisches Bankvertragsrecht I (1987); Foregger, Zur Verschwiegenheitspflicht des Notars, FS Wagner (1987) 113; Schumacher, Zeugnisverweigerung wegen eines Geschäftsgeheimnisses (§ 321 Abs 1 Z 5 ZPO), ÖJZ 1987, 673; ders, Unternehmensgeheimnisse im Zivilprozeß, ÖBl 1988, 89; Barfuß, Verkauf unter dem Einstandspreis – Darf der Lieferant die Zeugenaussage unter Berufung auf das Geschäftsgeheimnis verweigern? WBl 1989, 139; Fitz/Roth, Verkauf unter dem Einstandspreis, RdW 1989, 241; Prunbauer, Verkauf unter dem Einstandspreis – Prozessuale Probleme, MR 1989, 82; Fichtenbauer, Die Verschwiegenheitspflicht des Rechtsanwaltes als Vertragsverfasser, AnwBl 1993, 69; Simotta, Einige Probleme des Datenschutzes im Zivilverfahrensrecht, ÖJZ 1993, 793, 838; dies, Datenschutz und Zivilverfahrensrecht in Österreich, ZZP 106 (1993) 469; Schmoller, Zur Reichweite der Verschwiegenheitspflicht von Ärzten, Psychologen und Psychotherapeuten, RdM 1996, 131; Swoboda, Redaktionsgeheimnis und Beweislast, ÖJZ 1996, 172; Simotta, Die familienrechtlichen Entschlagungsgründe der ZPO, ÖJZ 1997, 486; Prohaska-Marchried, Geheimnisschutz berufsmäßiger Parteienvertreter (1998); Stärker, Ärztliche Schweigepflicht versus Beweislast über die erfolgte Aufklärung – Zum Inhalt und Umfang der ärztlichen Schweigepflicht, ASoK 2000, 154; Berka/Höhne/Noll/Polley, Mediengesetz (2002); Potyka, Das Spannungsverhältnis zwischen Geheimhaltungs- und Aufklärungspflichten am Beispiel des Bankgeheimnisses (2002); Manhart, Verschwiegenheitspflicht – ein Rechtsvergleich, AnwBl 2002, 616; Hammerer/Plaz, Keine „absolute“ Verschwiegenheitspflicht der Psychotherapeutinnen, FS Funk (2003) 235; Schöberl, Beweis des Gegenteils und Schutz des Geschäfts- und Betriebsgeheimnisses dargestellt am Beispiel des § 155 PatG, ÖJZ 2005/17; Zenz, „Staatlich anerkannte Pflicht zur Verschwiegenheit“ bestimmter Berufsgruppen im Verhältnis zur Zeugnisablegung im Verwaltungs-, Zivil- und Strafverfahren, JRP 2005, 230. Frauenberger in Fasching/Konecny III §§ 321, 322; Bajons Rz 145; Ballon Rz 252; Fasching Rz 983 ff; Holzhammer 264; ders, PraktZPR 292; Rechberger/Simotta Rz 630. 1251

§§ 321–322

Rechberger

1 Bei Vorliegen eines Tatbestandes des § 321 hat der Zeuge das Recht, die Beantwortung einer Frage zu verweigern; es gibt nach hM kein vollständiges Aussageverweigerungsrecht (Pollak 664; Frauenberger in Fasching/Konecny III § 321 Rz 1; Fasching Rz 983; Simotta, ÖJZ 1997, 499; Rechberger/Simotta Rz 630; 1 Ob 254/99f = SZ 72/183; 1 Ob 341/99z = SZ 73/87; OLG Wien JBl 1947, 84; LGZ Wien 42 R 175/00x = EFSlg 94.537; aA Holzhammer 264; ders, PraktZPR 292 und Bajons Rz 145, nach denen der Zeuge die Aussage auch zur Gänze verweigern kann. Dies widerspricht aber sowohl der Formulierung des § 321 [vgl auch § 339 Abs 1; anders freilich § 323 Abs 1] als auch den Grundintentionen der ZPO hinsichtlich der Sachaufklärung).

2 Zum Unterschied von der Zeugnisunfähigkeit iS des § 320 sind die Aussageverweigerungsgründe nicht von Amts wegen wahrzunehmen; das Gericht muss den Zeugen bloß vor der Vernehmung über diese Gründe belehren (§ 339 Abs 1). Es bleibt dann dem Zeugen überlassen, sein Aussageverweigerungsrecht geltend zu machen; allenfalls muss er die Gründe dafür bescheinigen. § 321 statuiert relative Beweismittelverbote, deren Übertretung aber selbst dann sanktionslos bleibt, wenn die Aussage des Zeugen gesetzwidrigerweise erzwungen wurde (s Vor § 266 Rz 24 und § 320 Rz 3; aA Holzhammer, PraktZPR 292, der hier einen schweren Verfahrensmangel iSd § 496 Abs 1 Z 2 annimmt). Das Redaktionsgeheimnis des § 31 MedG, das den Medienmitarbeiter schützt, aber nicht verpflichtet, und iW gleichfalls ein Aussageverweigerungsrecht begründet, soll dagegen nach manchen gar ein Beweisthemenverbot (s dazu Vor § 266 Rz 23) bewirken (vgl dazu nur Swoboda, ÖJZ 1996, 172).

3 Die (in § 321 taxativ aufgezählten: Frauenberger in Fasching/Konecny III § 321 Rz 2; Fasching Rz 985;) Aussageverweigerungsgründe sollen dem Zeugen neben persönlichen Nachteilen Gewissenskonflikte ersparen, in die ihn die Aussage vor allem wegen familiärer Beziehungen oder beruflicher Verpflichtungen bringen könnte. Der Personenkreis der Z 1 (dessen Stammfassung nur geringfügig angepasst wurde) umfasst den Ehegatten (gleichgültig, ob die Ehe noch besteht [ausdrücklich Abs 2], die Ehe muss aber nach österreichischem Recht gültig zustande gekommen sein [vgl 15 Os 121/02 = EvBl 2003/113]; nicht den Lebensgefährten des Zeugen), die in gerader Linie oder bis zum zweiten Grad der Seitenlinie Verwandten (ob die Verwandtschaft auf ehelicher oder unehelicher Geburt – sofern die Vaterschaft festgestellt oder anerkannt ist – beruht, ist gleichgültig) und Verschwägerten des Zeugen, die mit ihm durch eine Adoption Verbundenen, ferner seine Pflegeeltern und Pflegekinder, sowie mit der Obsorge für ihn betraute Personen, seinen 1252

§§ 321–322

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Sachwalter oder seine Pflegebefohlenen (vgl Näheres bei Simotta, ÖJZ 1997, 486). Die Beantwortung einer Frage muss dem Zeugen oder einem Mitglied 4 dieses Personenkreises a) zur Schande gereichen oder b) sie der Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung aussetzen (es muss der begründete Verdacht einer gerichtlich strafbaren Handlung bestehen [Frauenberger in Fasching/Konecny III § 321 Rz 11] oder c) sie mit einem unmittelbaren vermögensrechtlichen Nachteil bedrohen. Der Aussageverweigerungsgrund des vermögensrechtlichen Nachteils (Z 2) wird durch § 322 weitgehend eingeschränkt (vgl Näheres bei Frauenberger in Fasching/ Konecny III § 322 Rz 1 ff). Rechtsvorgänger und (jede Art von) Vertreter(n) werden hier der Partei gleichgestellt (vgl § 380 Abs 1). Staatlich anerkannte Verschwiegenheitspflichten sind solche, die ge- 5 setzlich geregelt sind; sie betreffen andere Personen als Geistliche und Staatsbeamte (zu diesen s § 320 Z 2 und 3). Von besonderer praktischer Bedeutung sind das „Ärztegeheimnis“ nach § 54 ÄrzteG idF BGBl 2001/ 110 (ähnlich § 9 KAG idF BGBl 2000/80; die danach angeordnete Verschwiegenheitspflicht besteht nicht in Prozessen mit reinem Untersuchungsgrundsatz [vgl Fasching Rz 984]; anders RZ 1955, 166 für das Eheaufhebungsverfahren; AnwBl 1991/3926; offen lassend 1 Ob 310/ 97p = SZ 70/223); das Bankgeheimnis nach § 38 BWG idF BGBl 1999/63 (vgl EvBl 1987/151), und der Datenschutz nach § 1 DSG bzw das Datengeheimnis nach § 15 DSG. Das Redaktionsgeheimnis nach § 31 MedG idF BGBl 2005/49 (vgl schon oben Rz 2) stellt zwar ein besonderes Aussageverweigerungsrecht dar, das nicht unter § 321 Abs 1 Z 3 fällt, aber im Ergebnis ein gleichartiges Beweismittelverbot schafft (Frauenberger in Fasching/Konecny III § 322 Rz 17; Polley in Berka/Noll/Höhne/Polley, Mediengesetz § 31 Rz 9; aA Swoboda, ÖJZ 1996, 172). Sonderfälle. Als wichtigster Sonderfall der Z 3 wird zunächst in der Z 4 6 die Verschwiegenheitspflicht des Rechtsanwalts nach § 9 RAO besonders geregelt. Die Einvernahme des Rechtsanwalts über den Geisteszustand seines Klienten im Zeitpunkt bestimmter Vertragsverhandlungen widerspricht aber nicht § 9 RAO (OLG Wien EvBl 1935/183); es besteht auch keine Verschwiegenheitspflicht über Vorgänge bei einer Vertragserrichtung im Auftrag beider Prozessparteien (RZ 1960, 181). Eine analoge Regelung findet sich für die „qualifizierten Vertreter“ iSd § 40 Abs 1 Z 2 ASGG, die in Arbeits- und Sozialrechtssachen zur Vertretung vor den Gerichten erster und zweiter Instanz befugt sind (Z 4a). Zur Verschwiegenheitspflicht der Notare vgl § 37 NO (zu deren Umfang vgl LGZ Graz NZ 1993, 269); der Patentanwälte § 17 Abs 2 1253

§ 323

Rechberger

PatAnwG, BGBl 1967/214; der Wirtschaftstreuhandberufe § 91 WirtschaftstreuhandberufsG, BGBl 1999/58; der Ziviltechniker § 15 ZiviltechnikerG, BGBl 1994/156; der Psychologen, Psychotherapeuten und deren Hilfspersonen § 14 PsychologenG, BGBl 1990/360; der Angehörigen der Gesundheits- und Krankenpflegeberufe § 6 Gesundheits- und KrankenpflegeG, BGBl 1997/108; der Betreiber bzw Mitwirkenden von Telekommunikationsanlagen § 93 TKG, BGBl 2003/70.

7 Ein Kunstgeheimnis bezieht sich auf bestimmte geistige oder körperliche Fähigkeiten, auf die Anwendung bestimmter technischer oder wissenschaftlicher Methoden oder eine besondere Handfertigkeit. Ein Geschäftsgeheimnis ist eine Tatsache, deren Geheimhaltung die Verschlechterung der geschäftlichen Position im wirtschaftlichen Wettbewerb vermeiden soll (s dazu Frauenberger in Fasching/Konecny III § 321 Rz 50 ff).

8 Die Ausübung des Wahlrechtes bei nicht vom Gesetz (sondern zB nur durch Vereinsstatuten) für geheim erklärten Wahlen rechtfertigt keine Aussageverweigerung nach Z 6 (Fasching Rz 984).

9 Wer durch die Verschwiegenheitspflicht, das Kunst- oder Geschäftsgeheimnis (nicht das Wahlgeheimnis) geschützt wird, kann den Zeugen davon entbinden (dies muss gesetzlich nicht gesondert angeordnet werden: OLG Wien 15 R 135/01k = AnwBl 2002/7822 [krit Lachmann] = RdM 2002, 57 [zust Kletecˇka-Pulker] für die Entbindung des Psychotherapeuten). Zur Abgabe einer Entbindungserklärung kann eine Verpflichtung nach bürgerlichem Recht bestehen, diesfalls muss gesondert auf Abgabe der Willenserklärung geklagt werden (4 Ob 228/04i = EvBl 2005/110, das Urteil ersetzt die Entbindungserklärung gem § 367 EO). Diese Entbindung muss vom Zeugen weder behauptet noch glaubhaft gemacht werden (Fasching Rz 984/1). Die Entbindung des (ehemaligen) Rechtsanwalts eines Vereins kann auch vom Masseverwalter oder Liquidator vorgenommen werden (OLG Wien NBlRA 1964, 87). Haben mehrere Miteigentümer einer Liegenschaft einen Anwalt bevollmächtigt, so genügt die Entbindung durch die Mehrheit von ihnen nicht (OLG Wien NBlRA 1969, 91). Die Entbindung des Arztes durch den Patienten kann vom Gericht nicht nach § 367 EO substituiert werden (SZ 33/116; 1 Ob 254/99f = SZ 72/183). § 323. (1) Ein Zeuge, welcher die Aussage ganz oder über einzelne Fragen verweigern will, hat die Gründe der Weigerung mündlich oder schriftlich vor der zu seiner Vernehmung bestimmten Tagsat1254

§ 324

2.1 Verfahren bis zum Urteile

zung oder bei dieser Tagsatzung selbst anzugeben, und wenn ein Widerspruch erfolgt, glaubhaft zu machen. (2) Im ersteren Fall ist ein solches Vorbringen des Zeugen den Parteien, soweit tunlich, noch vor der zur Vernehmung bestimmten Tagsatzung bekannt zu geben. [Stammfassung] Lit: Frauenberger in Fasching/Konecny III § 323; sonst wie bei §§ 321– 322. Es ist allein Sache des Zeugen, Aussageverweigerungsgründe nach 1 § 321 mündlich (in der Verhandlung oder zu gerichtlichem Protokoll) oder schriftlich vorzubringen. Glaubhaft zu machen (vgl § 274) hat er die Gründe nur dann, wenn ihnen eine Partei widerspricht. Wenig praktisch ist der Fall, dass der Zeuge seine Weigerungsgründe 2 bereits vor der Vernehmungstagsatzung angibt und dies auch noch den Parteien vorher mitgeteilt wird, da der Zeuge die Fragen, deren Beantwortung er verweigern will, ja vorher nicht kennt (dass § 323 Abs 1 den Fall der gänzlichen Aussageverweigerungen nennt, erklärt sich daher wohl aus dem Bemühen, diese Anordnung sinnvoll zu machen; vgl im übrigen §§ 321–322 Rz 1). § 324. (1) Über die Rechtmäßigkeit der Weigerung hat, wenn die Weigerung vor dem erkennenden Gerichte vorgebracht wurde, dieses selbst, sonst aber der beauftragte oder ersuchte Richter, vor welchem die Weigerung erfolgte, mittels Beschluss zu entscheiden. Vor der Entscheidung kann das Gericht die Parteien hören. (2) Bei etwaigen Verhandlungen über die Rechtmäßigkeit der Weigerung braucht sich der Zeuge nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten zu lassen. Hat er seine Weigerung schriftlich oder zu gerichtlichem Protokoll erklärt, so ist sein Vorbringen bei der Entscheidung auch dann zu berücksichtigen, wenn er bei der zu seiner Einvernehmung anberaumten Tagsatzung nicht erscheint. [Abs 2 Satz 1 geändert durch StGBl 1919/95; sonst Stammfassung] Lit: Frauenberger in Fasching/Konecny III § 324; sonst wie bei §§ 321– 322. Das Vorliegen von Aussageverweigerungsgründen enthebt den Zeugen 1 nicht der Verpflichtung, vor Gericht zu erscheinen. Über die Rechtmäßigkeit der Weigerung entscheidet stets das vernehmende Gericht; sein Beschluss ist nicht abgesondert anfechtbar (§ 349 Abs 1). 1255

§ 325

Rechberger

2 Im Zwischenstreit über die Rechtmäßigkeit der Aussageverweigerung besteht für den Zeugen keinerlei Anwaltspflicht. In dem (unpraktischen) Fall, dass er seine Weigerung bereits vor der Vernehmungstagsatzung erklärt hat, treffen ihn auch keine Säumnisfolgen, wenn er dann zu dieser Tagsatzung nicht erscheint (Abs 2). § 325. (1) Wird das Zeugnis ohne Angabe von Gründen verweigert oder beharrt der Zeuge auf seiner Weigerung auch, nachdem dieselbe als nicht gerechtfertigt erkannt worden ist, oder wird die Ableistung des geforderten Zeugeneides verweigert, so kann der Zeuge auf dem Wege der zur Erzwingung einer Handlung zulässigen Exekution von Amts wegen durch Geldstrafen oder durch Haft zur Aussage verhalten werden. Die Haft darf nicht über den Zeitpunkt der Beendigung des Prozesses in der Instanz verlängert werden und in keinem Falle die Dauer von sechs Wochen überschreiten. (2) Die Entscheidung, dass gegen den Zeugen mit der Exekution vorzugehen sei, sowie die Anordnung der einzelnen Zwangsmittel steht dem erkennenden Gerichte, wenn aber die Vernehmung durch einen ersuchten Richter geschehen soll, diesem zu. Vor der Beschlussfassung ist der Zeuge zu hören. [Stammfassung] Lit: Frauenberger in Fasching/Konecny III § 325; sonst wie bei §§ 321– 322.

1 Verweigert der (erschienene) Zeuge die Aussage ohne Angabe von Gründen oder auch noch, nachdem seine Weigerung für nicht gerechtfertigt erkannt worden ist, oder verweigert er die Ableistung des Zeugeneides (s dazu §§ 336, 337), kann die Zeugenaussage nach § 354 EO erzwungen werden: Als Zwangsmittel kommen Geldstrafen (wobei die einzelne Geldstrafe gem § 359 Abs 1 EO 100.000 € nicht übersteigen darf) und Haftstrafen (die aber nach Abs 1 nicht über den Prozess in der Instanz hinaus und keinesfalls länger als sechs Wochen dauern dürfen) in Frage. Welche Mittel das Gericht zur Durchsetzung der Aussagepflicht anwendet, können die Prozessparteien nicht beeinflussen (EvBl 1986/ 49). Die Zwangsmaßnahmen sind von Amts wegen zu ergreifen (LGZ Wien 41 R 120/92 = MietSlg 44.781).

2 Die Exekutionsbeschlüsse fasst das Prozessgericht oder der ersuchte Richter, von dem der Zeuge im Rechtshilfeweg vernommen wird (nicht ein beauftragter Richter). Der Zeuge ist vorher zu hören (was 1256

§ 326

2.1 Verfahren bis zum Urteile

nach § 358 EO nicht zwingend ist); die Missachtung dieser Vorschrift bedeutet einen wesentlichen Verfahrensmangel (aA Frauenberger in Fasching/Konecny III § 325 Rz 4, der für die Nichtigkeit einer unter Verletzung des rechtlichen Gehörs gefällten Entscheidung eintritt, weil der Zeuge im Verfahren über gegen ihn anzuwendende Zwangsmittel gleich dem Verpflichteten im Exekutionsverfahren Partei ist). Der Zeuge kann diesen Beschluss auf zwangsweise Durchsetzung der Zeugnispflicht unbeschränkt mit Rekurs anfechten (SZ 40/147 = JBl 1968, 576). § 326. (1) Die Beschlussfassung darüber, ob und in welcher Weise der Fortgang des Verfahrens in der Hauptsache durch die ungerechtfertigte Weigerung der Aussage, der Ableistung des Zeugeneides oder durch die deshalb wider den Zeugen eingeleiteten Zwangsmaßregeln beeinflusst werde, steht dem erkennenden Gerichte zu. Der beauftragte oder ersuchte Richter hat deshalb das Prozessgericht von diesen Vorfällen jederzeit ohne Aufschub in Kenntnis zu setzen. Die Entscheidung des erkennenden Gerichtes kann ohne vorgängige mündliche Verhandlung erfolgen. (2) In allen Fällen ungerechtfertigter Weigerung haftet der Zeuge beiden Parteien für den ihnen durch die Vereitlung oder Verzögerung der Beweisführung verursachten Schaden; er ist insbesondere auch zum Ersatze aller durch seine Weigerung verursachten Kosten verpflichtet. (3) Wenn die Weigerung des Zeugen eine mutwillige war, ist gegen den Zeugen überdies eine Mutwillensstrafe zu verhängen. Die Beschlussfassung über die Pflicht zum Kostenersatz steht dem erkennenden Gerichte zu; zur Verhängung von Mutwillensstrafen ist auch der beauftragte oder ersuchte Richter berechtigt. [Stammfassung] Lit: Frauenberger in Fasching/Konecny III § 326; sonst wie bei §§ 321– 322. In welcher Weise sich eine Aussage- (oder Eides-) Verweigerung durch 1 einen Zeugen auf den Ablauf des Prozesses auswirken kann, hat nur das Prozessgericht zu beurteilen. Der ersuchte (beauftragte) Richter muss deshalb über solche Vorfälle sofort das Prozessgericht informieren. Die Weigerung des Zeugen kann insbes dazu führen, dass der Gegner des Beweisführers einen Antrag auf Beweisbefristung nach § 279 stellt. Die daraufhin ergehenden Beschlüsse des Prozessgerichtes sind nicht anfechtbar (§ 349 Abs 2). 1257

§ 327

Rechberger

2 Der Zeuge haftet beiden Parteien für allen durch die ungerechtfertigte Weigerung verursachten Schaden. Zu diesem Schadenersatz gehört auch der Ersatz aller durch die Weigerung verursachten Kosten, über die das Prozessgericht (nicht das Rechtshilfegericht) im laufenden Prozess mit Beschluss entscheiden kann (Abs 3); dieser ist selbständig mit Rekurs anfechtbar (Fasching Rz 982). Für die Geltendmachung anderer Ersatzansprüche bedarf es einer gesonderten Klagsführung.

3 Erfolgt die ungerechtfertigte Weigerung des Zeugen auch noch mutwillig (vgl zum Begriff der „Mutwilligkeit“ § 63 Rz 5; vgl ferner §§ 313 und 354 Abs 1), ist über ihn (vom Amts wegen) als letzte Konsequenz überdies eine Mutwillensstrafe (vgl dazu § 220) zu verhängen. Diesen Beschluss kann der Zeuge mit Rekurs anfechten, dem das Erstgericht gem § 522 Abs 1 selbst Folge geben kann. Solche Strafen kann auch der ersuchte (beauftragte) Richter verhängen.

4 Weigert sich der Zeuge auch noch nach Bezahlung der höchstmöglichen Geldstrafe oder nach Ablauf der längstmöglichen Haft (s dazu § 325 Rz 1), besteht keine weitere Möglichkeit mehr, seine Aussage zu erzwingen. Schon vorher besteht die Möglichkeit der Beweisbefristung (s Näheres bei § 335). Würdigung der Zeugenaussage § 327. Alle Umstände, welche auf die Unbefangenheit des Zeugen und die Glaubwürdigkeit seiner Aussage von Einfluss sind, hat das Gericht nach freier Überzeugung sorgfältig zu würdigen. [Stammfassung]

1 § 327 bekräftigt für den Zeugenbeweis die uneingeschränkte Geltung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung (§ 272); Beweisregeln gibt es hier nicht. Beweisaufnahme durch den beauftragten oder ersuchten Richter § 328. (1) Die Aufnahme des Zeugenbeweises kann durch einen beauftragten oder ersuchten Richter erfolgen: 1. wenn die Vernehmung des Zeugen an Ort und Stelle der Ermittlung der Wahrheit förderlich erscheint; 2. wenn die Beweisaufnahme vor dem erkennenden Gerichte erheblichen Schwierigkeiten unterliegen würde; 3. wenn die Vernehmung des Zeugen vor dem erkennenden Gerichte mit Rücksicht auf die dem Zeugen zu gewährende Entschädigung 1258

§ 328

2.1 Verfahren bis zum Urteile

für Zeitversäumnis und die ihm zu erstattenden Kosten der Reise und des Aufenthaltes am Orte der Vernehmung einen unverhältnismäßig großen Aufwand verursachen würde; 4. wenn der Zeuge an dem Erscheinen vor dem erkennenden Gerichte gehindert ist. (2) Ein Zeuge, welcher infolge Krankheit, Gebrechlichkeit oder aus anderen Gründen außerstande ist, seine Wohnung zum Zwecke der Vernehmung zu verlassen, oder welcher infolge bestehender Anordnungen nicht verpflichtet ist, zur Abgabe einer Zeugenaussage in bürgerlichen Rechtsangelegenheiten im Gerichtshause zu erscheinen, wird in seiner Wohnung vernommen. (3) gegenstandslos (4) Ungeachtet der im Abs 1 Z 3 bezeichneten Umstände sind Zeugen auf Antrag zur Vernehmung vor das erkennende Gericht zu laden, wenn sich eine Partei bereit erklärt, den damit verbundenen Aufwand, soweit derselbe die Kosten der Beweisaufnahme durch den ersuchten Richter übersteigt, ohne Anspruch auf Ersatz zu bestreiten. Der Vorsitzende kann anordnen, dass die antragstellende Partei innerhalb einer bestimmten Frist einen von ihm zu bestimmenden Betrag zur Deckung dieses Aufwandes vorschussweise erlege (§ 332 Abs 2). [Stammfassung; Abs 3 wurde durch StGBl 1919/209 derogiert] Lit: Frauenberger in Fasching/Konecny III § 328; Ballon Rz 253; Deixler-Hübner/Klicka Rz 146; Fasching Rz 916, 980, 991; Holzhammer 266; ders, PraktZPR 293; Rechberger/Simotta Rz 610, 632. Vgl Allgemeines zur Beweisaufnahme durch einen ersuchten oder be- 1 auftragten Richter bei §§ 282 bis 287. Für den Verstoß gegen § 328 Abs 1 gilt dasselbe wie für jeden Verstoß gegen die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (vgl dazu Vor § 266 Rz 30). Die Aufnahme des Zeugenbeweises durch einen ersuchten Richter be- 2 einträchtigt zwar – sofern nicht nach § 291a ff vorgegangen wird – die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (s dazu Vor § 266 Rz 30), doch bekräftigt § 328 andererseits den Unmittelbarkeitsgrundsatz, weil der mittelbare Beweis auf die hier genannten Fälle eingeschränkt wird und diese (sieht man von der Z 4 ab) relativ genau bestimmt sind. Dazu kommt, dass die mittelbare Beweisaufnahme – wie Z 1 beweist – auch durchaus iS der Wahrheitsforschung sein kann – wie zB bei einem Ortsaugenschein am Unfallort (vgl dazu Fasching1 III 436). Dass die Ausnahmen in der Praxis teilweise ziemlich großzügig gehandhabt werden, widerspricht freilich der Teleologie des Gesetzes (vgl auch Holzhammer, PraktZPR 293). 1259

§ 328

Rechberger

3 Z 1 soll vor allem die Auswertung einer besonderen Ortskenntnis des Zeugen ermöglichen oder ihn durch den Eindruck des „Tatortes“ (vor allem bei Schadenersatzprozessen) zur wahrheitsgemäßen Aussage veranlassen (Fasching1 III 438). Die „erheblichen“ Schwierigkeiten der Z 2 liegen nicht schon dann vor, wenn die Beweisaufnahme größeren Zeitaufwand benötigt (Fasching1 III 438). Bei der Beurteilung des „unverhältnismäßig großen Aufwandes“ der Z 3 ist auch der mögliche Mehraufwand der Parteien für ihre Beteiligung an der auswärtigen Beweisaufnahme in Betracht zu ziehen (Fasching1 III 438). Die Hinderung iS der Z 4 kann zB in beruflicher oder dienstlicher Verhinderung bestehen oder durch unabkömmliche Pflegeaufgaben bedingt sein (Fasching Rz 980). Sie muss länger dauern als voraussichtlich der Prozess erster Instanz, zB wegen Krankheit oder hohen Alters (Holzhammer 266).

4 Abs 2 regelt Ausnahmen von der Erscheinenspflicht im Gerichtshaus (gleichgültig, ob es sich dabei um das Prozessgericht oder das Rechtshilfegericht handelt). „Andere“ Gründe, die Wohnung nicht verlassen zu können, liegen zB bei Haft, Sicherheitsverwahrung oder Quarantäne vor (Fasching Rz 980). Nicht verpflichtet, zur Zeugenaussage im Gerichtshaus zu erscheinen, sind Personen, denen kraft Völkerrecht Immunität zukommt (s Art IX EGJN Rz 15 ff, Vor § 320 Rz 5). Erklären sich solche Personen freiwillig zur Zeugenaussage bereit, sind sie auf Wunsch in ihrer Wohnung zu vernehmen (vgl Näheres zur Vernehmung Immunität genießender Personen in § 37 RHE Ziv 2004, JABl 13; zur Vernehmung von konsularischen Vertretern in § 38 RHE Ziv 2004 und in Art 44 Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen, BGBl 1969/318). Auch die anderen Personen sind in ihrer Wohnung bzw an ihrem tatsächlichem Aufenthaltsort (Frauenberger in Fasching/Konecny III § 328 Rz 10) zu vernehmen. Der nicht Immunität genießende Zeuge, der in seiner Wohnung vernommen wird, muss auch den Parteien Zutritt gewähren, da § 289 Abs 1 diesen das Recht gibt, bei der Zeugeneinvernahme anwesend zu sein (Holzhammer 266).

5 Nur bei Vorliegen der Voraussetzungen der Z 3 für die Beweisaufnahme vor einem Rechtshilfegericht (EvBl 1964/410) kann eine Partei doch die Vernehmung des Zeugen vor dem Prozessgericht erreichen, wenn sie sich verpflichtet, den Mehraufwand gegenüber der Vernehmung im Rechtshilfeweg unter Verzicht auf einen Ersatzanspruch zu bestreiten. In diesem Fall kann das Gericht dieser Partei unter Fristsetzung einen angemessenen Kostenvorschuss auferlegen und bei dessen Nichterlag auf Antrag das Beweismittel präkludieren und das Verfahren fortsetzen (Abs 4 verweist auf § 332 Abs 2). Zu den Modalitäten beim Erlag des Kostenvorschusses vgl §§ 233, 287 lit b Geo. 1260

§§ 330–331

2.1 Verfahren bis zum Urteile Ladung

§ 329. (1) Die Ladung eines Zeugen ist vom Gerichte auszufertigen. Die erstmalige Ladung hat ohne Zustellnachweis zu erfolgen. (2) Die Ladung hat nebst der Benennung der Parteien und einer kurzen Bezeichnung des Gegenstandes der Vernehmung die Aufforderung zu enthalten, zur Ablegung eines Zeugnisses bei der gleichzeitig nach Ort und Zeit bestimmten Tagsatzung zu erscheinen. In der Ladungsurkunde sind die gesetzlichen Bestimmungen über die Zeugengebühren sowie die gesetzlichen Folgen des Ausbleibens bekannt zu geben. [Abs 1 Satz 2 angefügt durch Budget-BegleitG 2000; sonst Stammfassung] Lit: Frauenberger in Fasching/Konecny III § 329; Fasching Rz 978. Die Zeugenpflichten entstehen nur dann, wenn der Zeuge ordnungsge- 1 mäß geladen worden ist; dabei sind die Vorschriften der §§ 329 bis 331 einzuhalten. Die ZPO sieht ausschließlich die Ladung durch das Gericht vor; dem 2 steht nicht entgegen, dass die Parteien Zeugen auch ohne vorherige Ladung zur Verhandlung „mitbringen“ (s § 288 Abs 2). Zur Ladung exterritorialer Personen als Zeugen vgl § 37 RHE Ziv 2004, JABl 13; zu jener konsularischer Vertreter § 38 RHE Ziv 2004 und Art 44 Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen, BGBl 1969/318. Gegen die Ladung gibt es kein Rechtsmittel (§ 349 Abs 2). Eine kurze Angabe (ausführlich ist sie naturgemäß nicht möglich) über 3 den Gegenstand der Vernehmung ist zur Vorbereitung der Zeugen notwendig. Die Ladung muss eine Belehrung über die Folgen ungerechtfertigten 4 Ausbleibens (§ 333) und über die Zeugengebühren (§§ 2 ff GebAG) enthalten, erfolgt beim ersten Mal aber ohne Zustellnachweis. Dies ist einerseits kostensparender, andererseits soll dadurch auch einem Zeugen, der während der Arbeitszeit nicht zu Hause ist, der Weg auf das Postamt zur Abholung der Ladung erspart werden (ErlRV 61 BlgNR 21. GP 27). § 330. (1) Die Ladung einer in aktiver Dienstleistung stehenden Person der bewaffneten Macht erfolgt mittels eines an das vorgesetzte Kommando des Zeugen oder an das nächste Militärstationskommando gerichteten Ersuchens. 1261

§§ 330–331

Rechberger

(2) Ladungen an selbständige Kommandanten der Militärpolizeiwache und der Bundespolizei sind den Kommandanten unmittelbar zuzustellen. Wegen der Zustellung der Ladung an andere Mitglieder dieser Körper ist sich an deren Vorgesetzte zu wenden. [Abs 2 idF SPG-Nov 2005; sonst Stammfassung] § 331. Steht die als Zeuge zu ladende Person in einem öffentlichen Amte oder Dienste und muss voraussichtlich zur Wahrung der Sicherheit oder anderer öffentlicher Interessen eine Stellvertretung während der Verhinderung dieser Person eintreten, so ist gleichzeitig deren unmittelbarer Vorgesetzter von der ergangenen Ladung zu benachrichtigen. [Früherer Abs 1 aufgehoben durch WGN 1997, sonst Stammfassung] Lit: Frauenberger in Fasching/Konecny III §§ 330, 331.

1 Hier finden sich Sondervorschriften über die Zeugenladung von Angehörigen des Bundesheers (§ 330 Abs 1), der Militärpolizeiwache und der Bundespolizei (§ 330 Abs 2) und von öffentlich Bediensteten (§ 331). Grundsätzlich ist in diesen Fällen die Ladung an die vorgesetzte Stelle zuzustellen oder es ist der unmittelbar Vorgesetzte zu benachrichtigen, um eine Stellvertretung zu gewährleisten.

2 Vgl zur Zustellung an Präsenzdiener und in Kasernen im allgemeinen § 15 ZustG; zur Zeugenladung von Wachebeamten oder anderen öffentlich Bediensteten §§ 125 Abs 6, 164, 165 Geo. § 332. (1) Ist einem Zeugen voraussichtlich eine Vergütung zu leisten und ist dem Beweisführer nicht die Verfahrenshilfe bewilligt, so hat der Vorsitzende oder der beauftragte oder ersuchte Richter anzuordnen, dass ein von ihm zu bestimmender Betrag zur Deckung des durch die Vernehmung des Zeugen entstehenden Aufwandes vom Beweisführer innerhalb einer bestimmten Frist vorschussweise zu erlegen ist. Hievon ist abzusehen, wenn die vom Staatsschatze in dem Verfahren vorläufig zu leistenden Zeugengebühren insgesamt den Betrag von 100 Euro voraussichtlich nicht übersteigen und mit ihrer Einbringung bestimmt zu rechnen ist. (2) Bei nicht rechtzeitigem Erlag dieses Vorschusses hat die Ausfertigung der Ladung zu unterbleiben und ist die Verhandlung auf Antrag des Gegners ohne Rücksicht auf die ausständige Beweisaufnahme fortzusetzen (§ 279). Der Beschluss, mit dem der Erlag eines 1262

§ 332

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Kostenvorschusses aufgetragen wird, ist nur hinsichtlich seiner Höhe und nur dann anfechtbar, wenn der Gesamtbetrag der einer Partei aufgetragenen Vorschüsse 2 500 Euro übersteigt. [Fassung BGBl 1948/1; Abs 1 Satz 1 geändert durch BGBl 1973/ 569; Abs 2 Satz 2 angefügt durch ZVN 1983; Beträge gem 2. EuroJuBeG] Lit: Komers, Der Kostenvorschuß im Zivilprozeß, RZ 1958, 95; Hule, Kostenvorschuß für amtswegig angeordnete Beweise, ÖJZ 1961, 341; Nowotny, Wer ist „Beweisführer“ in § 365 ZPO? RZ 2000, 26; Annerl, Die innerprozessuale Präklusion von Parteivorbringen im Zivilverfahren (2005). Frauenberger in Fasching/Konecny III § 332; Ballon Rz 254; Deixler-Hübner/Klicka Rz 148; Fasching Rz 977; Holzhammer, PraktZPR 294; Rechberger/Simotta Rz 633. Der Anspruch auf Zeugengebühren umfasst den Ersatz der notwendi- 1 gen Reise- und Aufenthaltskosten und für den Fall des Verdienstentgangs auch die Entschädigung für Zeitversäumnis. Der Zeuge muss diesen Anspruch beim Beweisaufnahmegericht geltend machen und die Grundlagen bescheinigen. Die Bestimmung der Gebühren erfolgt im Justizverwaltungsweg (Näheres s §§ 2 ff GebAG 1975). Übersteigen diese Zeugengebühren insgesamt den Betrag von 100 € – 2 was selten der Fall ist – (und ist mit ihrer Einbringung nicht bestimmt zu rechnen), so hat das Gericht dem Beweisführer (das ist jeder, der die Vernehmung beantragt hat [Frauenberger in Fasching/Konecny III § 332 Rz 7; LGZ Wien 38 R 79/03b = MietSlg 55.683; im Berufungsverfahren der Berufungswerber, dessen Beweisrüge zu einer Beweiswiederholung führt [JBl 1981, 491]) – sofern ihm nicht die Verfahrenshilfe bewilligt wurde – einen angemessenen Kostenvorschuss aufzuerlegen. Wurde allerdings die Vernehmung im Rechtshilfeweg gem § 328 beantragt und hält das Gericht trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 328 die unmittelbare Einvernahme zur Wahrheitsfindung für erforderlich, so handelt es sich insofern um eine amtswegige Beweisaufnahme, sodass ein Kostenvorschuss nur nach § 3 GEG aufgetragen werden kann (LG St. Pölten 36 R 385/03s = AnwBl 2004/7928). Der Kostenvorschuss kann auch außerhalb der mündlichen Verhandlung aufgetragen werden (EvBl 1973/17). Keine Kostenvorschusspflicht besteht vor dem Arbeits- und Sozialgericht (§ 39 Abs 5 ASGG). Der Erlag des Kostenvorschusses ist von Amts wegen (anders § 279 3 Abs 1) zu befristen (richterliche Frist, die gem § 128 verlängert werden 1263

§ 333

Rechberger

kann, und gegen deren Versäumung eine Wiedereinsetzung gem § 146 möglich ist). Wird der Vorschuss nicht rechtzeitig erlegt, ist der Zeugenbeweis präkludiert: Die Ausfertigung der Ladung unterbleibt und auf Antrag des Gegners ist die Verhandlung ohne Rücksicht auf die ausstehende Beweisaufnahme fortzusetzen (§ 332 Abs 2 verweist auf § 279). Wird die Einvernahme des Zeugen im späteren Prozessverlauf noch einmal angeboten, so darf dadurch die Erledigung des Verfahrens nicht erheblich verzögert werden. Auch dann muss aber der Kostenvorschuss erlegt werden, da die Präklusionsvorschrift die Ansprüche der Staatskasse sichern soll (näher Annerl, Präklusion 205 f). Der Auftrag zum Erlag des Kostenvorschusses ist nur hinsichtlich der Höhe und nur dann anfechtbar, wenn der Gesamtbetrag der einer Partei auferlegten Vorschüsse 2.500 € (im bezirksgerichtlichen Verfahren gem § 440 Abs 6 1.250 €) übersteigt (OLG Wien WR 576); dies gilt nach OLG Wien WR 147, 577 auch bei amtswegig beschlossener Zeugenvernehmung. Gegen den Beschluss auf Fortsetzung der Verhandlung gibt es kein Rechtsmittel (§ 349 Abs 2).

4 § 332 ist auch auf die Kosten der Vorführung eines ungehorsamen Zeugen anwendbar (SZ 15/96). Folgen des Ausbleibens § 333. (1) Gegen einen ordnungsmäßig geladenen Zeugen, welcher bei der zur Vernehmung bestimmten Tagsatzung ohne genügende Entschuldigung nicht erscheint, ist durch das erkennende Gericht oder durch den beauftragten oder ersuchten Richter die Verpflichtung zum Ersatze aller durch sein Ausbleiben verursachten Kosten durch Beschluss auszusprechen; außerdem ist der Zeuge unter gleichzeitiger Verhängung einer Ordnungsstrafe neuerlich zu laden. Im Falle wiederholten Ausbleibens ist die Ordnungsstrafe innerhalb des gesetzlichen Ausmaßes zu verdoppeln und die zwangsweise Vorführung des Zeugen anzuordnen. (2) Erfolgt nachträglich eine genügende Entschuldigung des Nichterscheinens, so sind die wider den Zeugen verhängten Ordnungsstrafen wieder aufzuheben; außerdem können dem Zeugen die zum Ersatze auferlegten Kosten ganz oder teilweise erlassen werden. (3) Der ungehorsame Zeuge haftet überdies für allen den Parteien durch die ihm zur Last fallende Vereitlung oder Verzögerung der Beweisführung verursachten Schaden. [Früherer Abs 3 aufgehoben durch StGBl 1920/321; sonst Stammfassung] 1264

§ 333

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Lit: Frauenberger in Fasching/Konecny III § 333; Bajons Rz 145; Ballon Rz 252; Deixler-Hübner/Klicka Rz 144; Fasching Rz 979; Holzhammer 264; ders, PraktZPR 293; Rechberger/Simotta Rz 629. Personen, die die öffentlichrechtliche Zeugnispflicht trifft (s Vor § 320 1 Rz 4), müssen grundsätzlich (zu den Ausnahmen vgl bei § 328 Abs 2) vor Gericht erscheinen. Diese Erscheinenspflicht ist erzwingbar. Bleibt der ordnungsgemäß geladene (s §§ 329 bis 331) Zeuge ohne genü- 2 gende Entschuldigung aus, hat ihn das (Prozess- oder Rechtshilfe-) Gericht a) zum Ersatz aller durch sein Ausbleiben verursachten Kosten zu verhalten (das sind die Kosten der späteren Tagsatzung [EvBl 1936/ 79], die ihm aber nur aufzuerlegen sind, wenn die ursprüngliche Tagsatzung durch sein Nichterscheinen zur Gänze frustriert wurde oder die spätere Tagsatzung nur seiner Vernehmung diente [OLG Wien WR 116]; § 273 ist wie im Falle des § 48 anwendbar [Fasching Rz 979]) und b) gleichzeitig (dies ist zwingend: EvBl 1959/60) über ihn eine Ordnungsstrafe (s § 220) zu verhängen und c) ihn neuerlich zu laden. Diese Vorgangsweise ist auch bei als Zeugen geladenen Rechtsanwälten oder Notaren einzuhalten; § 200 Abs 3 gilt nur für ungehöriges Benehmen in der Verhandlung (Fasching Rz 979). Bleibt der Zeuge neuerlich unentschuldigt aus, ist die Ordnungsstrafe 3 innerhalb der gesetzlichen Grenzen (derzeit 1.450 €) zu verdoppeln und die zwangsweise Vorführung des Zeugen anzuordnen (Ersuchen an die Sicherheitsorgane; s § 39 Geo und P 15 DBV). Gegen die Beschlüsse nach Abs 1 steht dem Zeugen das Rekursrecht 4 zu; einem Rekurs gegen die Verhängung einer Ordnungsstrafe kann das Erstgericht selbst stattgeben (§ 522 Abs 1). Eine genügende Entschuldigung liegt jedenfalls dann vor, wenn die 5 Voraussetzungen des § 146 über die Wiedereinsetzung gegeben sind, aber auch, wenn dem Zeugen das Erscheinen vor Gericht einen erheblichen Nachteil gebracht hätte, den er nicht abwehren konnte und der durch die Zeugengebühr auch nicht ausgeglichen werden könnte, wie zB bei Antritt einer wichtigen Geschäftsreise (Fasching Rz 979). Ein Aussageverweigerungsgrund ist kein genügender Entschuldigungsgrund. Eine nachträgliche Entschuldigung ist nur ausnahmsweise zu berück- 6 sichtigen, wenn der Zeuge hiezu vorher keine Gelegenheit hatte (LGZ Wien Arb 8.291). Wird eine solche Entschuldigung (in der also auch Neuerungen enthalten sein können) als genügend erachtet, sind ver1265

§ 334

Rechberger

hängte Ordnungsstrafen wieder aufzuheben; auferlegter Kostenersatz kann ganz oder teilweise erlassen werden. Eine Straffolge für die unrichtige Behauptung von Entschuldigungsgründen ist nicht vorgesehen (LGZ Wien EvBl 1937/619).

7 Der ungehorsame Zeuge haftet überdies den Parteien für allen Schaden, der durch sein Nichterscheinen entstanden ist; dieser ist mit selbständiger Klage geltend zu machen (vgl §§ 326 Abs 2, 354 Abs 3). Mehrere ausgebliebene Zeugen haften nicht solidarisch, sondern anteilsmäßig (LGZ Wien EvBl 1954/50).

8 § 333 ist auch auf das unentschuldigte Fernbleiben eines Zeugen von der Berufungsverhandlung anzuwenden (Arb 7.958). § 334. Die Feststellung der vom Zeugen in den Fällen der §§ 326 und 333 zu ersetzenden Kosten muss unter Vorlage des Kostenverzeichnisses bei sonstigem Ausschlusse binnen vierzehn Tagen nach Rechtskraft des Beschlusses angesucht werden, durch welchen der Zeuge zum Kostenersatze verpflichtet wurde. Dem beauftragten oder ersuchten Richter obliegt die Feststellung des Kostenbetrages nur dann, wenn er nach den Bestimmungen dieses Gesetzes die Verpflichtung zum Kostenersatze auszusprechen berufen war. [Stammfassung; Frist gem ZVN 1983] Lit: Frauenberger in Fasching/Konecny III § 334.

1 Die Feststellung der Kosten, zu deren Ersatz der Zeuge wegen ungerechtfertigter Aussageverweigerung (§ 326 Abs 2) oder wegen unentschuldigten Nichterscheinens (§ 333 Abs 1) verpflichtet wurde, muss unter Vorlage des Kostenverzeichnisses binnen vierzehn Tagen nach Rechtskraft dieses Beschlusses beantragt werden.

2 Im Falle unentschuldigten Ausbleibens kann den Kostenbestimmungsbeschluss auch der ersuchte (beauftragte) Richter fassen.

3 Gegen den Kostenbestimmungsbeschluss steht dem Zeugen der Rekurs zu. § 335. (1) Wenn die Vernehmung eines Zeugen vergeblich versucht wurde, und zu besorgen ist, dass Wiederholungen des Versuches zu neuer Verzögerung des Prozesses führen würden, so hat das erkennende Gericht auf Antrag für diese Beweisaufnahme eine Frist 1266

§ 336

2.1 Verfahren bis zum Urteile

zu bestimmen, nach deren fruchtlosem Ablaufe die Verhandlung auf Antrag einer der Parteien ohne Rücksicht auf den mittels dieses Zeugen angebotenen Beweis fortzusetzen ist. Die Bestimmung der Frist steht auch dann dem erkennenden Gerichte zu, wenn die Vernehmung des Zeugen durch einen beauftragten oder ersuchten Richter stattfinden soll. Vor der Entscheidung über den Antrag ist der Gegner des Antragstellers zu hören. (2) In Betreff der nachträglichen Vernehmung des Zeugen hat die Vorschrift des § 279 Abs 2 zu gelten. [Stammfassung] Lit: Frauenberger in Fasching/Konecny III § 335; Fasching Rz 910, 980. Wegen der Besorgnis der Prozessverzögerung billigt § 335 den Parteien 1 den Antrag auf Beweisbefristung zu, wenn die Vernehmung eines Zeugen vergeblich versucht wurde (vgl § 326 Abs 1, der die Konsequenzen der ungerechtfertigten Aussageverweigerung allein der Beurteilung des Gerichts unterstellt). Dass die in § 333 festgelegten Zwangsmittel angewendet wurden ist zwar Voraussetzung für den Eintritt der Präklusionsfolgen (LGZ Wien MietSlg 38 R 201/00s = 52.741; 44 R 655/03d = EFSlg 105.854), nicht aber für einen Antrag, mit dem die Fristsetzung begehrt wird (Frauenberger in Fasching/Konecny III § 335 Rz 5; vgl auch LGZ Wien 41 R 927/83 = MietSlg 36.771). Es gelten dann alle Regeln des § 279 sowie die sonstigen in den Fällen 2 des § 279 Abs 1 anzuwendenden Bestimmungen (vgl Näheres dort). Vernehmung § 336. (1) Zeugen, welche wegen einer falschen Beweisaussage verurteilt worden sind, oder welche zur Zeit ihrer Abhörung das vierzehnte Lebensjahr noch nicht zurückgelegt haben, endlich Personen, welche wegen mangelnder Verstandesreife oder wegen Verstandesschwäche von dem Wesen und der Bedeutung des Eides keine genügende Vorstellung haben, dürfen nicht beeidet werden. (2) Das Gericht kann die Beeidigung eines Zeugen unterlassen, wenn keine der Parteien vor der Beendigung der Vernehmung des Zeugen die Beeidigung beantragt. (3) Die unrechtmäßige Verweigerung des Eides zieht dieselben Folgen wie die ungerechtfertigte Verweigerung der Aussage nach sich. [Abs 1 idF BGBl 1974/499, Abs 2 idF ZVN 1983, Abs 3 Stammfassung] 1267

§ 337

Rechberger

Lit: Hartl, Der Eid im Gerichtsverfahren der Neuzeit in Österreich, ÖJZ 1972, 141; Sinzinger, Der religiöse Eid im gerichtlichen Verfahren, ÖJZ 1973, 121. Frauenberger in Fasching/Konecny III § 336; Ballon Rz 252; Fasching Rz 988; Holzhammer 264; ders PraktZPR 293; Rechberger/Simotta Rz 631.

1 Zu den Zeugenpflichten gehört auch die Eidespflicht, die freilich in den letzten Jahrzehnten ihre Bedeutung weitgehend verloren hat. Da die meisten Menschen heutzutage unabhängig vom Zustand ihres Verstandes keine genügende Vorstellung vom Wesen und der Bedeutung des Eides haben, verzichtet die Praxis zu Recht fast vollständig auf die Anwendung des Eides, der nach den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers der Wahrheitsförderung dienen soll. Da nach dem heute überholten Konzept der ZPO der Zeuge grundsätzlich vor seiner Vernehmung beeidet werden sollte (§ 337 Abs 1 Satz 1), beginnt der Abschnitt über die Zeugenvernehmung mit den Eideshindernissen.

2 Nicht beeidet werden darf, a) wer wegen einer falschen Beweisaussage (§§ 288, 289 StGB) verurteilt worden ist, b) wer noch nicht 14 Jahre alt und daher eidesunmündig ist, c) wer wegen mangelnder Verstandesreife oder wegen Verstandesschwäche vom Wesen und der Bedeutung des Eides keine genügende Vorstellung hat. Dazu kommen Personen, deren Religionsgemeinschaft den Eid verbietet, aber die feierliche Versicherung für so heilig hält, wie andere Religionsgemeinschaften den Eid (vgl Art XL EGZPO, RGBl 1868/33 und HfD JGS 1816/1201). Im Regelfall kann die Beeidigung schon deshalb unterlassen werden, da sie üblicherweise keine der Parteien vor Beendigung der Vernehmung beantragt.

3 Vgl Näheres zu den Eidesvorschriften und den wichtigsten Eidesformeln bei Art XL EGZPO.

4 Die unrechtmäßige Eidesverweigerung hat dieselben Folgen wie die ungerechtfertigte Aussageverweigerung (vgl bei §§ 325, 326). § 337. (1) Der Zeuge ist vor seiner Abhörung zu beeiden. Zur Aufklärung über die persönlichen Verhältnisse des Zeugen, über die Zulässigkeit seiner Abhörung oder Beeidigung und über den Umstand, ob er eine für die Ermittlung des Sachverhaltes dienliche Aussage abzulegen vermöge, kann jedoch vor der Beeidigung des Zeugen eine Befragung desselben vorgenommen werden. 1268

§ 338

2.1 Verfahren bis zum Urteile

(2) Auf Grund dieser Befragung kann das Gericht nach Anhörung der Parteien beschließen, dass die Abhörung des Zeugen zu unterbleiben habe, oder es kann sich vorbehalten, über die Beeidigung des Zeugen erst nach erfolgter Abhörung desselben Beschluss zu fassen. Der beauftragte oder ersuchte Richter muß in jedem Falle die Abhörung des Zeugen vornehmen; es kann jedoch die Entscheidung über die Beeidigung des Zeugen bis nach erfolgter Abhörung aufschieben oder dieselbe dem erkennenden Gerichte vorbehalten. (3) Wenn sich ein Zeuge der Beantwortung von Fragen nicht entschlägt, hinsichtlich deren er die Aussage gemäß § 321 Abs 1 Z 1 und 2 zu verweigern berechtigt wäre, kann sich das erkennende Gericht oder der die Vernehmung leitende beauftragte oder ersuchte Richter gleichfalls vorbehalten, über die Ablegung des Eides erst nach erfolgter Abhörung des Zeugen zu entscheiden. [Stammfassung] Lit: Frauenberger in Fasching/Konecny III § 337; Fasching Rz 987. Sofern die Beeidigung nicht unterbleibt, ist der Eid nach Abs 1 grund- 1 sätzlich ein Voreid (promissorischer Eid). Nach einer vorläufigen Befragung zur Aufklärung über die „Generalien“ des Zeugen und über die Zulässigkeit seiner Abhörung oder Beeidigung (was für die Beurteilung der Zeugnisfähigkeit, etwaiger Entschlagungsrechte und der Eidesfähigkeit wichtig ist) sowie darüber, ob er zum Beweisthema überhaupt etwas beitragen kann, kann das Gericht entweder auf die Vernehmung des Zeugen verzichten oder sich vorbehalten, über seine Beeidigung erst nach der Vernehmung zu befinden. In diesem Fall kann es ausnahmsweise zum Nacheid (assertorischer Eid) kommen (vgl dazu § 338). Abs 3 ermöglicht dem Gericht dieselbe Vorgangsweise, wenn sich ein Zeuge trotz Vorliegens eines Weigerungsgrundes nach § 321 Abs 1 Z 1 und 2 der Aussage nicht entschlägt. Die Beschlüsse über die Beeidigung können nicht angefochten werden 2 (§ 349 Abs 2); der Verzicht auf den Zeugen nach der informativen Befragung ist nicht abgesondert anfechtbar (§ 349 Abs 1). § 338. (1) In allen Fällen, in welchen erst nach Abhörung der Zeugen über die Beeidigung entschieden werden soll, ist der Zeuge vor der Abhörung an die Pflicht zur Angabe der Wahrheit, an die Heiligkeit und Bedeutung des vorbehaltenen Eides, sowie an die strafrechtlichen Folgen einer falschen Beweisaussage zu erinnern. 1269

§ 339

Rechberger

(2) Nach Ablegung der Aussage kann mit Rücksicht auf die Unerheblichkeit derselben oder auf das ihr zukommende geringe Maß von Glaubwürdigkeit vom erkennenden Gerichte oder von dem die Vernehmung leitenden beauftragten oder ersuchten Richter ausgesprochen werden, dass die Beeidigung unterbleibe. (3) Wenn die Vernehmung durch einen beauftragten oder ersuchten Richter geschah, kann das erkennende Gericht nach Einlangen einer unbeeideten Zeugenaussage die nachträgliche Beeidigung derselben verfügen. [Abs 1 idF BGBl 1974/499; sonst Stammfassung] Lit: Strigl, Falsche Zeugenaussage und Zeugenbeeinflussung (insbesondere im anwaltlichen Standesrecht), AnwBl 1997, 303. Frauenberger in Fasching/Konecny III § 338; sonst wie bei § 336.

1 Kommt es nicht zum Voreid (also im Regelfall), ist das Gericht zur Wahrheits- und Eideserinnerung (s Art XL EGZPO) gegenüber dem Zeugen verpflichtet: Die (auch unbeeidete) falsche Zeugenaussage erfüllt den Straftatbestand des § 288 StGB. Ein wesentlicher Verfahrensmangel liegt in der Unterlassung dieser Erinnerung aber nicht.

2 Ein ausdrücklicher Verzicht des Gerichts auf die Beeidigung nach Ablegung der Aussage ist wegen deren Unerheblichkeit oder mangelnder Glaubwürdigkeit vorgesehen (Abs 2).

§ 339. (1) Den Zeugen ist vor ihrer Vernehmung bekannt zu geben, über welche Fragen die Aussage von einem Zeugen verweigert werden darf (§ 321). (2) Die Zeugen sind einzeln in Abwesenheit der später abzuhörenden Zeugen zu vernehmen. Die Reihenfolge, in welcher die Abhörung stattzufinden hat, bestimmt bei Vernehmungen vor dem erkennenden Gerichte der Vorsitzende, sonst der beauftragte oder ersuchte Richter. (3) Vor Beendigung der Vernehmung aller vorgeladenen Zeugen darf sich keiner derselben ohne richterliche Erlaubnis entfernen. (4) Zeugen, deren Aussagen voneinander abweichen, können einander gegenübergestellt werden. [Stammfassung] Lit: Frauenberger in Fasching/Konecny III § 339; sonst wie bei § 336.

1 Der Zeuge ist vor seiner Vernehmung über die Aussageverweigerungsgründe (§ 321) zu belehren. Auch die Unterlassung dieser Belehrung 1270

§ 340

2.1 Verfahren bis zum Urteile

kann keinen wesentlichen Verfahrensmangel darstellen (Frauenberger in Fasching/Konecny III § 339 Rz 1; 4 Ob 46/84 = DRdA 1986/22;). Zur Förderung der Wahrheitsforschung sind die Zeugen einzeln in 2 Abwesenheit anderer Zeugen zu vernehmen; sie können bei divergierenden Aussagen auch einander gegenübergestellt werden (deshalb darf sich keiner vor Beendigung der Vernehmung aller ohne Erlaubnis entfernen). Ob eine solche Gegenüberstellung für notwendig erachtet wird, fällt grundsätzlich in den Bereich der Beweiswürdigung (Frauenberger in Fasching/Konecny III § 339 Rz 3; 1 Ob 572/80; ZBl 1929/176); dass durch ihre Unterlassung ein (revisibler) wesentlicher Verfahrensmangel bewirkt wird (so ZBl 1927/187), ist nur im Extremfall denkbar. § 340. (1) Die Vernehmung des Zeugen beginnt damit, dass der Zeuge über Namen, Tag der Geburt, Beschäftigung und Wohnort befragt wird. Erforderlichenfalls sind ihm auch Fragen über solche Umstände, welche seine Glaubwürdigkeit in der vorliegenden Sache betreffen, insbesondere über seine Beziehungen zu den Parteien, vorzulegen. Vor seiner Beeidigung ist der Zeuge auch nach seiner Religion zu befragen. (2) Bei der Abhörung hat der Vorsitzende oder der die Vernehmung leitende beauftragte oder ersuchte Richter an den Zeugen über diejenigen Tatsachen, deren Beweis durch seine Aussage hergestellt werden soll, sowie zur Erforschung des Grundes, auf welchem das Wissen des Zeugen beruht, die geeigneten Fragen zu stellen. Außer dem Vorsitzenden können, wenn die Vernehmung vor dem erkennenden Gerichte stattfindet, auch die übrigen Mitglieder des Senates an den Zeugen Fragen richten. [Abs 1 idF ZVN 1983; Abs 2 Stammfassung] Lit: Frauenberger in Fasching/Konecny III § 340; sonst wie bei § 336. § 340 regelt den Ablauf der Vernehmung des Zeugen (zum Unter- 1 schied von der vorläufigen Befragung nach § 337). Nach den Belehrungen gem §§ 338, 339 beginnt die eigentliche Vernehmung mit der Abfragung der „Generalien“ (Namen, Tag der Geburt, Beschäftigung und Wohnort); dazu gehören auch die Umstände, die die Glaubwürdigkeit des Zeugen in der vorliegenden Sache betreffen, insbesondere seine Beziehungen zu den Parteien, also zB über den Verwandtschaftsgrad oder sonstige Nahebeziehungen. Soll der Zeuge beeidet werden, ist er auch (im Hinblick auf Art XL EGZPO) nach seiner Religion zu befragen. Danach folgt die Befragung über die Tatsachen, die das Beweis1271

§ 341

Rechberger

thema bilden, sowie über die Umstände, die das Wissen des Zeugen begründen.

2 Weitere Regeln stellt das Gesetz für die Befragung nicht auf. Vor allem ist keinerlei Beschlussfassung über Fragenkataloge oder vorformulierte Fragen vorgesehen; es sind vielmehr „die geeigneten Fragen zu stellen“. Im Regelfall empfiehlt es sich, den Zeugen zunächst eine Gesamtdarstellung des fraglichen Geschehensablaufs aus eigener Sicht geben zu lassen, um dann durch ergänzende Fragestellungen weitere Aufklärungen zu erwirken (vgl auch Bajons Rz 145). Entsteht über die Zulässigkeit einer Frage ein Streit, entscheidet darüber der Richter (Senat), vorläufig auch der ersuchte (beauftragte) Richter (§§ 186 Abs 1, 342).

3 Im Senatsprozess obliegt die Befragung in erster Linie dem Vorsitzenden, doch können auch die anderen Senatsmitglieder an den Zeugen Fragen stellen. § 341. (1) Über die Beteiligung der Parteien an der Zeugenvernehmung gelten die Bestimmungen des § 289. (2) In Ansehung derjenigen Personen, welche infolge bestehender Anordnungen nicht verpflichtet sind, zur Abgabe einer Zeugenaussage in bürgerlichen Rechtsangelegenheiten im Gerichtshause zu erscheinen, ist das Fragerecht der Parteien durch rechtzeitige Mitteilung schriftlicher Fragen an den mit der Vernehmung beauftragten Richter auszuüben. [Stammfassung] Lit: Frauenberger in Fasching/Konecny III § 341.

1 Für die Mitwirkungsrechte der Parteien bei der Zeugeneinvernahme gilt § 289 (s dort).

2 Werden Zeugen, die Immunität genießen, in ihrer Wohnung vernommen (vgl § 328 Abs 2), können die Parteien ihr Fragerecht schriftlich ausüben. § 342. (1) Wird die Zulässigkeit einer Frage bestritten oder erachtet der Vorsitzende eine Frage als unangemessen zurückzuweisen, so entscheidet hierüber auf Antrag der Senat. Diese Entscheidung steht auch einem beauftragten oder ersuchten Richter zu; sie gilt jedoch in diesem Falle als eine bloß vorläufige und kann durch das erkennende Gericht abgeändert werden. 1272

§ 343

2.1 Verfahren bis zum Urteile

(2) Findet das erkennende Gericht, dass eine bei der Vernehmung vor einem beauftragten oder ersuchten Richter gestellte Frage unzulässig war, so kann dasselbe aussprechen, dass die auf diese Frage erteilte Antwort im weiteren Laufe des Verfahrens unberücksichtigt bleibe. [Stammfassung] Lit: Frauenberger in Fasching/Konecny III § 342. Zur Zulässigkeit und Angemessenheit von Fragen wiederholt § 342 1 die Grundsätze der §§ 184 Abs 2, 186 Abs 1 und 289 Abs 1 (vgl Näheres dort). Dem Rechtshilferichter (oder dem beauftragten Richter) steht nur eine 2 vorläufige Entscheidung zu, die vom erkennenden Gericht mit dem Ausspruch, dass die Antwort unberücksichtigt bleibt, abgeändert werden kann. Dies bedeutet ein teilweises Beweisverwertungsverbot – das einzige in der ZPO ausdrücklich angeordnete (vgl zu dessen Problematik Vor § 266 Rz 24 und krit dazu R. Kralik, Die Alkoholblutprobe im Zivilverfahren, ZVR 1959, 141 FN 5; G. Kodek, ÖJZ 2001, 285 f; Frauenberger in Fasching/Konecny III § 343 Rz 2). Gegen die Beschlüsse über die Zulassung und Angemessenheit von Fra- 3 gen der Parteien gibt es kein abgesondertes Rechtsmittel (§ 349 Abs 1). § 343. (1) Die Aussage des Zeugen ist nach ihrem wesentlichen Inhalte, soferne es aber notwendig erscheint, ihrem Wortlaut nach in dem über die Tagsatzung geführten Protokolle aufzuzeichnen. Wurde der Zeuge in einer Verhandlungstagsatzung abgehört, so hat diese Aufzeichnung im Verhandlungsprotokoll zu geschehen. (2) Das Aufgezeichnete ist dem Zeugen und den bei der Vernehmung anwesenden Parteien zur Einsicht vorzulegen oder auf Verlangen vorzulesen. (3) In dem Protokolle ist zu bemerken, ob der Zeuge vor oder nach seiner Abhörung beeidet wurde, ob dessen Beeidigung unterblieben ist oder der Entscheidung des erkennenden Gerichtes vorbehalten wurde, ob die Parteien und welche derselben bei der Abhörung zugegen waren, endlich ob und welche Einwendungen von den Parteien oder vom Zeugen gegen das Protokoll erhoben wurden. [Stammfassung] Lit: Frauenberger in Fasching/Konecny III § 343; Fasching Rz 992. 1273

§ 344

Rechberger

1 Die Zeugenaussage ist (im Regelfall im Verhandlungsprotokoll) nach ihrem wesentlichen Inhalt zu protokollieren; falls es notwendig erscheint, auch ihrem Wortlaut nach (vgl § 209 Abs 3).

2 Die Einsicht in das Protokoll ist kaum praktisch, da sie nur bei Aufnahme in Langschrift oder Maschinschrift sinnvoll ist. Doch kommt auf Verlangen die Verlesung (beim Kurzschriftprotokoll) oder die Wiedergabe der Aufnahme (beim Schallträgerprotokoll; vgl dazu § 212a Abs 2) in Frage.

3 Im Protokoll ist auch alles über die (Unterlassung der) Beeidigung zu vermerken; ferner, ob die (bzw welche der) Parteien bei der Zeugeneinvernahme zugegen war(en); sowie allfällige Einwendungen der Beteiligten gegen das Protokoll. § 344. (1) Das erkennende Gericht kann auf Antrag oder von Amts wegen die wiederholte Vernehmung von Zeugen insbesondere anordnen, wenn es die vom beauftragten oder ersuchten Richter für gerechtfertigt erkannte Weigerung der Aussage oder der Beantwortung einzelner Fragen für unzulässig erachtet, wenn Zeugen nicht ordnungsgemäß oder nicht vollständig vernommen wurden, wenn die Aussage in Bezug auf wesentliche Punkte an Unklarheit, Unbestimmtheit oder Zweideutigkeit leidet, oder wenn die Zeugen selbst eine Ergänzung oder Berichtigung ihrer Aussagen für notwendig erachten. (2) Bei wiederholter oder nachträglicher Vernehmung kann angeordnet werden, dass statt der nochmaligen Beeidigung der Zeuge die Richtigkeit seiner Aussage unter Berufung auf den früher abgelegten Eid zu versichern habe. [Stammfassung] Lit: Frauenberger in Fasching/Konecny III § 344; Fasching Rz 992.

1 Eine Wiederholung der Vernehmung eines Zeugen (über dasselbe Beweisthema) kann (gebundenes Ermessen; s Vor § 266 Rz 3) das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen anordnen, wenn a) ein Zeuge nicht ordnungsgemäß (zB es wurden Belehrungen nach §§ 338, 339 unterlassen) oder nicht vollständig vernommen wurde; b) die Aussage in wesentlichen Punkten unklar, unbestimmt oder zweideutig ist; c) der Zeuge selbst die Ergänzung oder Berichtigung seiner Aussage für notwendig erachtet.

2 Die nachträgliche Vernehmung eines Zeugen kann dann angeordnet werden, wenn das Rechtshilfegericht (oder der beauftragte Richter) des1274

§ 348

2.1 Verfahren bis zum Urteile

sen Aussageverweigerung nach Auffassung des Prozessgerichts zu Unrecht für gerechtfertigt erkannt hat. Von einer nochmaligen Beeidigung kann in diesen Fällen Abstand ge- 3 nommen werden, wobei die Erinnerung an den abgelegten Eid dieselbe Wirkung wie die neuerliche Ablegung des Eides hat (5 Os 264/54 = EvBl 1955/344). § 345. Die Partei kann auf einen Zeugen, welchen sie vorgeschlagen hat, verzichten. Der Gegner kann jedoch verlangen, dass der Zeuge, falls er bereits zur Vernehmung erschienen ist, ungeachtet dieses Verzichtes vernommen oder dessen Vernehmung, wenn sie bereits begonnen hat, fortgesetzt werde. [Stammfassung] Lit: Frauenberger in Fasching/Konecny III § 345. Die Gemeinschaftlichkeit (vgl Vor § 292 Rz 11) des Zeugenbeweises 1 kommt erst dann zum Tragen, wenn der Zeuge bereits zur Vernehmung erschienen ist (1Ob 594/56; 6 Ob 182/75; 1 Ob 632/80; LGZ Wien 42 R 54/01d = EFSlg 98.277). Bis dahin kann der Beweisführer (trotz des Beweisanbots und der Zeugenladung) auf die Einvernahme des Zeugen verzichten. Unterlässt das Gericht die Vernehmung, weil es unrichtig einen wirksamen Verzicht annimmt, kann dies der Gegner als Mangelhaftigkeit rügen. Der Verzicht auf einen Zeugen ist für das Gericht insofern nicht bin- 2 dend, als es gem § 183 Abs 1 Z 4 den Zeugen auch von Amts wegen vernehmen kann. Dies wird aber endgültig durch den Widerspruch beider Parteien verhindert (§ 183 Abs 2). Andererseits kann der Gegner die Rolle des Beweisführers übernehmen und seinerseits die Vernehmung des Zeugen beantragen. §§ 346, 347. Aufgehoben durch GebAG BGBl 1958/2 (vgl zu den Zeugengebühren §§ 1 bis 23 GebAG 1975, BGBl 1975/136, und § 329 Rz 4) Form des Anbringens § 348. Anzeigen, Gesuche und Rekurse eines Zeugen können außerhalb der Tagsatzung mittels Schriftsatzes angebracht oder mündlich zu gerichtlichem Protokoll erklärt werden. [Stammfassung] 1275

§ 349

Rechberger

Lit: Frauenberger in Fasching/Konecny III § 348.

1 Der Zeuge soll seine Rechte auf möglichst einfache Weise wahren können: Auch im Gerichtshofverfahren kann er einen Rekurs (entgegen § 520 Abs 1) mündlich zu gerichtlichem Protokoll erklären, woraus sich ergibt, dass auch schriftliche Rekurse nicht der Anwaltsunterfertigung bedürfen (Frauenberger in Fasching/Konecny III § 348 Rz 1; 3 Ob 184/ 98z = EvBl 1999/15 = JBl 1999, 397 = MietSlg 50.711).

2 Zur Beschwerde des Zeugen gegen die Entscheidung über die Gebühren vgl § 22 GebAG. Rechtsmittel § 349. (1) Gegen die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Weigerung einer Aussage, der Ableistung des Eides oder der Beantwortung einzelner Fragen, gegen den Beschluss, dass die Abhörung eines Zeugen zufolge § 337 zu unterbleiben hat, sowie gegen die im Sinne der §§ 339 bis 342 bei der Vernehmung gefassten Beschlüsse und getroffenen Verfügungen findet ein abgesondertes Rechtsmittel nicht statt. (2) Die Entscheidung des erkennenden Gerichtes über den Fortgang des Verfahrens bei Weigerung der Aussage oder der Eidesleistung durch einen Zeugen und über die Fortsetzung der Verhandlung in den Fällen der §§ 332 und 335, die Beschlüsse, durch welche die Ladung eines Zeugen oder dessen Vorführung angeordnet wird, sowie die über die Beeidigung eines Zeugen gefassten Beschlüsse können durch ein Rechtsmittel nicht angefochten werden. [Abs 1 Stammfassung; Abs 2 idF GebAG BGBl 1958/2 und ZVN 1983] Lit: Frauenberger in Fasching/Konecny III § 349.

1 Abs 1 zählt die Beschlüsse im Laufe der Aufnahme des Zeugenbeweises taxativ auf, die nicht abgesondert angefochten werden können, Abs 2 (ebenfalls taxativ) jene, die gar nicht angefochten werden können.

2 Uneingeschränkt anfechtbar sind demnach zB Entscheidungen nach § 320 (SZ 45/56) oder der Beschluss auf zwangsweise Durchsetzung der Aussagepflicht eines Zeugen (SZ 40/147 = JBl 1968, 576). Das gleiche gilt für die Entscheidung des von einem ausländischen Gericht ersuchten Richters über die Rechtmäßigkeit der Zeugnisverweigerung (SZ 2/ 49; Rsp 1934/232). 1276

§ 350

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Unanfechtbar ist der Beschluss, mit dem nach Nichterlag eines Kosten- 3 vorschusses die Fortsetzung des Verfahrens angeordnet wird (RZ 1982/ 69); anfechtbar dagegen ein Beschluss, mit dem ein Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens ohne Rücksicht auf die beantragte Beweisaufnahme abgewiesen wurde (SZ 37/160 = EvBl 1965/73 = Arb 7.994; EvBl 1972/205). Mit dem Rekurs gegen eine dem Zeugen auferlegte Ordnungsstrafe 4 kann auch die Entscheidung über die (Nicht-)Berechtigung der Zeugnisverweigerung angefochten werden (JBl 1967, 90); für einen erfolgreichen Rekurs gegen die Verhängung einer Ordnungsstrafe sind dem Zeugen keine Kosten zuzusprechen (OLG Wien WR 113). Der Ausschluss eines abgesonderten Rechtsmittels gilt auch für einen in zweiter Instanz gefassten Beschluss (JBl 1980, 379 = RZ 1981/57). Sachverständige Zeugen § 350. Die Vorschriften über den Zeugenbeweis finden auch Anwendung, insoweit zum Beweise vergangener Tatsachen oder Zustände, zu deren Wahrnehmung eine besondere Sachkunde erforderlich war, solche sachkundige Personen zu vernehmen sind. [Stammfassung] Lit: Frauenberger in Fasching/Konecny III § 350; Ballon Rz 250; Fasching Rz 969; Holzhammer 267; ders, PraktZPR 296; Rechberger/Simotta Rz 627. Die Bestimmung bekräftigt, dass jede Wahrnehmung „vergangener Tat- 1 sachen oder Zustände“ (vgl dazu schon Vor § 320 Rz 1) Zeugenschaft ist, sodass der sachkundige Zeuge als Zeuge zu vernehmen ist. Er darf daher seine Sachkunde nur als Erkenntnisquelle für Tatsachen benützen, aber keine Bewertungen vornehmen (EvBl 1976/143; 10 Ob S 157/00m = SSV-NF 14/79; 8 Ob 110/02p; LGZ Wien 40 R 103/01w = MietSlg 53.743). Schulbeispiel ist der am Unfallsort zufällig anwesende Arzt. Aus der Behandlung als Zeuge ergibt sich, dass der Sachkundige von den 2 Parteien nicht abgelehnt werden darf und nur die Zeugengebühr nach §§ 2 ff GebAG beanspruchen kann (sowie als Zeuge beeidet werden muss). Erscheint es sinnvoll, den sachkundigen Zeugen die wahrgenommenen 3 Tatsachen begutachten zu lassen, kann er aber auch zum Sachverständigen bestellt werden (2 Ob 941/53; Fasching Rz 969). 1277

Vor § 351

Rechberger Fünfter Titel Beweis durch Sachverständige

Vor § 351 Lit: Dellisch, Der Sachverständige im Schiunfallprozeß nach österreichischem Recht, AnwBl 1970, 275; Matscher, Der Beweis durch Demoskopie im österreichischen Zivilprozeß, ÖBl 1970, 90; Sorgo, Über Probleme der serologischen Gutachten im Vaterschaftsprozeß, RZ 1970, 90; Fasching, Sachverständiger und Richter, SV 1977/1, 16; Edlbacher, Die Haftung des gerichtlichen Sachverständigen; SV 1978/4, 9; Hübel, Materielle und prozessuale Stellung des Gutachters, Stb 1978/11, 1; Schima, Schriftgutachten kein allein ausreichendes Beweismittel? SV 1979/4, 4; Rabofsky, Zur Aufgabe des Sachverständigen und der Rechtsprechung bei Lawinenunfällen, ZVR 1981, 193; Steininger, Der Sachverständige in der Gerichtsbarkeit, SV 1981/3, 9; Böhm-Hiller, Gedanken zur freien richterlichen Beweiswürdigung und den Aufgaben eines Sachverständigen, RZ 1983, 87; Lackner, Die prozessuale Relevanz außerprozessualer Sachverständigengutachten, ÖJZ 1983, 518; Welser, Die Haftung für Rat, Auskunft und Gutachten (1983); Dienst, Was erwarten sich Richter und Justizverwaltung vom Sachverständigen? SV 1984/1, 2; Reiterer, in Nicklisch (Hrsg), Der technische Sachverständige im Prozeß. Landesberichte und Generalbericht, VII. Internationaler Kongreß für Prozeßrecht in Würzburg 1983 (1984) 127; Markel, Die Stellung des Sachverständigen im gerichtlichen Verfahren, SV 1985/1, 8; B. Davy, Sachverständigenbeweis und Fairness des Verfahrens, ZfV 1986, 310; Zechner, Der gerichtliche Sachverständige – Privater oder Beweisorgan iS des § 1 Abs 2 AHG? JBl 1986, 415; Barfuss, Verfahrensund Kostenersatzfragen vorprozessualer Gutachten, in Aicher/Funk (Hrsg), Der Sachverständige im Wirtschaftsleben (1990) 81; Funk, Die Aufgaben des Sachverständigen im Rahmen rechtlicher Entscheidungen – Verfassungsfragen der Sachverständigentätigkeit, in Aicher/Funk (Hrsg), Der Sachverständige 1; Harrer, Die zivilrechtliche Haftung des Sachverständigen, in Aicher/Funk (Hrsg), Der Sachverständige 177 (189); Jelinek, Der Sachverständige im Zivilprozeß, in Aicher/Funk (Hrsg), Der Sachverständige 45; Krammer, Die „Allmacht“ des Sachverständigen Überlegungen zur Unabhängigkeit und Kontrolle der Sachverständigentätigkeit, in Schriftenreihe Niederösterreichische Juristische Gesellschaft, Heft 54 (1990); Deixler-Hübner, Fortschreitender Einsatz von Sachverständigen. Notwendigkeit oder Gefahr? RZ 1992, 251, 276; Jessnitzer/Frieling, Der gerichtliche Sachverständige10 (1992); Fasching, Die Ermittlung von Tatsachen durch den Sachverständigen im Zivilprozeß, FS Matscher (1993) 97; Rüffler, Der Sachverständige im 1278

Vor § 351

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Zivilprozeß (1995); Haslinger, Fachüberschreitung durch Gerichtssachverständige? AnwBl 1997, 242; Schumacher, Das Fachwissen des Richters, ÖJZ 1999, 132; Nowotny, Wer ist „Beweisführer“ in § 365 ZPO? RZ 2000, 26; Sladecek, Was erwartet sich der Sozialrichter vom medizinischen Sachverständigen? ASoK 2000, 164; Stürner, Der Sachverständigenbeweis in der Europäischen Union, FS Sandrock (2000) 959; Dolinar, Der Sachverständigenbeweis – eine rechtsvergleichende Analyse, FS Sprung (2001) 117; Schilcher, Dogmatische und pragmatische Überlegungen zur Haftung der Gerichtssachverständigen, FS Jelinek (2002) 241; Deixler-Hübner, Fortschritte und Rückschritte durch die Zivilverfahrensnovelle 2002, FS Beys I (2003); Höllwerth, Beschleunigung der Sachverständigenbegutachtung durch die ZVN 2002? ÖJZ 2004, 251; Gassauer-Fleissner, Aufgaben und Grenzen des Sachverständigengutachtens bei Fragen der Patentverletzung. Unterscheidung von Tat- und Rechtsfrage im Patentverletzungsverfahren, ÖBl 2005/56; Schlosser, Spontan präsentierte Zeugen und (Privat-)Gutachten nach deutschem und österreichischem Recht, FS Rechberger (2005) 497. Rechberger in Fasching/Konecny III Vor §§ 351 ff; Bajons Rz 149 f; Ballon Rz 255 ff; Deixler-Hübner/Klicka Rz 149 ff; Fasching Rz 996 ff; Holzhammer 266; ders, PraktZPR 295; Rechberger/Simotta Rz 634 ff. Inhaltsübersicht Begriff des Sachverständigen 1 Aufgabe 2 Person 3–5

Pflichten Haftung Privatgutachten

6 7 8

Begriff des Sachverständigen. Sachverständige sind Personen, die dem 1 Richter aufgrund ihrer besonderen Fachkunde Erfahrungssätze vermitteln, aus solchen Erfahrungssätzen Schlussfolgerungen ziehen oder überhaupt mit Hilfe ihrer Sachkunde für den Richter Tatsachen feststellen. Nur ausnahmsweise vermitteln Sachverständige dem Richter auch Rechtsnormen, nämlich ausländisches Recht (§ 4 IPRG) oder Gewohnheitsrechte, Privilegien und Statuten (§ 271; s dort Rz 2). Aufgabe. Der Sachverständige ist in erster Linie Mitarbeiter des Ge- 2 richts, dem er Fachwissen verschafft, das es selbst nicht besitzt (vgl § 364 und dort Rz 1); erst in zweiter Linie ist er (persönliches) Beweismittel. Aufgrund der Funktion als Mitarbeiter des Gerichts wird der Sachverständige teilweise auch wie ein Richter behandelt (vgl §§ 355, 359, 362). Andererseits sieht ihn das Gesetz aber insofern ganz eindeutig als Beweismittel, als sein Gutachten so wie die Aussage des Zeugen stets der freien Beweiswürdigung des Richters unterliegen soll (s §§ 367, 1279

Vor § 351

Rechberger

327). Trotzdem entspricht seine Stellung in der Praxis oft jener des Richters: In vielen typischen Sachverständigenprozessen (zB wenn es um schwierige technische oder medizinische Fragen geht) bleibt für die richterliche Beweiswürdigung kaum ein Spielraum (s dazu Jelinek, Der Sachverständige 71; Krammer, Allmacht 25; Fasching, FS Matscher 97).

3 Personen. Als Sachverständige werden grundsätzlich physische Personen herangezogen, doch verbietet das Gesetz keineswegs die Bestellung juristischer Personen (Sperl 449; Fasching1 III 468; ders Rz 998; Rechberger/Simotta Rz 634; Rechberger in Fasching/Konecny III Vor §§ 351 ff Rz 7; aA Neumann II 1075 FN 3; Pollak 670; GZ 1921, 128). Kraft Gesetzes sind zB gem § 66 Abs 2 Z 7 ÄrzteG 1998 die Ärztekammern als Sachverständige zu bestellen, wenn es um die Angemessenheit eines Arzthonorares geht; gem § 28 Abs 1 lit f RAO die Rechtsanwaltskammern, wenn es um die Angemessenheit von Honorar und Vergütung für Dienstleistung eines Rechtsanwaltes geht. Auch Gutachten einer Wirtschaftskammer bilden eine Entscheidungsgrundlage für das Gericht (vgl JBl 1934, 15). Fakultätsgutachten sind der ZPO zwar offenbar fremd, woraus aber nicht auf ihre Unzulässigkeit geschlossen werden sollte (so aber EvBl 1959/186 = JBl 1959, 184; wohl auch Fasching Rz 998); wenn die gutachtenden Professoren übereinstimmen (was freilich selten der Fall sein wird), ist ein Fakultätsgutachten nicht anders zu behandeln als das in § 361 ausdrücklich erwähnte Gutachten mehrerer Sachverständiger (so auch Holzhammer 269).

4 Aus der Funktion des Sachverständigen als Mitarbeiter des Gerichts ergibt sich, dass die Aufnahme des Beweises ohne Einschränkung von Amts wegen möglich ist (s §§ 183 Abs 1 Z 4 und 363 Abs 2). Die Bestellung des Sachverständigen erfolgt daher stets von Amts wegen (s §§ 351, 352).

5 Der Sachverständige kann sich bei der Erstellung des Gutachtens der Beiziehung von Hilfskräften bedienen, deren Entlohnung im GebAG ausdrücklich vorgesehen ist (LGZ Wien EFSlg 34.415).

6 Pflichten. Wer zum Sachverständigen bestellt wurde (zur Verpflichtung, der Bestellung Folge zu leisten, s § 353 Rz 1), den trifft die öffentlich-rechtliche Sachverständigenpflicht: Sie umfasst a) die Pflicht zum Erscheinen vor Gericht (Näheres bei § 354), b) die Pflicht zur Leistung des Sachverständigeneides (§ 358) und c) die Pflicht zur rechtzeitigen Abgabe von Befund und Gutachten (s §§ 354, 357 ff).

7 Haftung. Obwohl der Sachverständige regelmäßig als Mitarbeiter des Gerichts fungiert, ist er doch kein Organ und keine Amtsperson iS des 1280

§ 351

2.1 Verfahren bis zum Urteile

AHG (Rechberger in Fasching/Konecny III Vor §§ 351 ff Rz 5; Fasching Rz 997; RZ 1965, 83; RZ 1978/130; EvBl 1987/117; 1 Ob 79/00z = EvBl 2000/206; aA Zechner, JBl 1986, 417, 424; Schilcher, FS Jelinek 241). Er haftet den Parteien gegenüber daher für einen allfälligen, durch ein unrichtiges Gutachten entstandenen, Schaden – wie der Gesetzgeber in § 141 Abs 5 EO (idF BGBl I 2000/68) bestätigt hat – nach den Regeln des Schadenersatzrechts, und zwar nach § 1299 ABGB (Welser, Haftung 79; Fasching Rz 997; SZ 50/98 = EvBl 1978/189; SZ 58/42 = EvBl 1985/ 125 = JBl 1985, 628). Privatgutachten, also Gutachten, die nicht von einem gerichtlich be- 8 stellten Sachverständigen stammen, gelten auch nicht als Sachverständigengutachten iS der ZPO (hM: Fasching Rz 1008; Lackner, ÖJZ 1983, 518; Holzhammer, PraktZPR 296; Rechberger/Simotta Rz 636; OLG Wien EvBl 1987/83; OLG Wien EvBl 1989/173). Sie haben nur den Rang einer Privaturkunde und beweisen bloß, welche Ansicht der Verfasser vertritt (JBl 1971, 144; LGZ Wien EFSlg 15.193; OLG Wien EFSlg 32.030; LGZ Wien EFSlg 57.759; nach Rüffler, Sachverständige 206, soll der Privatsachverständige aber als sachverständiger Zeuge vernommen werden können – was wohl an der mangelnden Zeugeneigenschaft scheitern muss). Widersprüche zwischen einem Privatgutachten und dem Gutachten eines gerichtlich bestellten Sachverständigen sollten aber iS einer erschöpfenden Erörterung aufgeklärt werden (Rechberger in Fasching/Konecny III Vor §§ 351 ff Rz 13; Krammer, Allmacht 29; Dolinar, FS Sprung 123 ff; idS auch JUS 27, 12; aA aber die neuere Rsp: INFAS 1988 H 2, 26 S 21; 1 Ob 140/99s = EFSlg 91.047; 7 Ob 316/ 01y = JBl 2002, 585; 7 Ob 53/02y = MietSlg 54.644). Bestellung der Sachverständigen § 351. (1) Wird die Aufnahme eines Beweises durch Sachverständige notwendig, so hat das erkennende Gericht einen oder mehrere Sachverständige, sofort nach Einvernehmung der Parteien über deren Person, zu bestellen. Hiebei ist, sofern nicht besondere Umstände etwas anderes notwendig machen, vor allem auf die für Gutachten der erforderten Art öffentlich bestellten Sachverständigen Bedacht zu nehmen. (2) Das Gericht kann an Stelle des oder der zuerst bestellten Sachverständigen andere ernennen. [Stammfassung] Lit: Rechberger in Fasching/Konecny III § 351; sonst wie Vor § 351. 1281

§ 351

Rechberger

1 Notwendig wird die Bestellung eines Sachverständigen dann, wenn der Richter die zur Beurteilung eines Gegenstandes erforderlichen fachmännischen Kenntnisse (vgl § 364) nicht selbst besitzt. Deshalb kann der Sachverständigenbeweis uneingeschränkt von Amts wegen aufgenommen werden (§§ 183 Abs 1 Z 4, 363 Abs 2; vgl auch §§ 315 Abs 1 und 368 Abs 1; § 60 Abs 1 JN).

2 Die Bestellung des Sachverständigen erfolgt stets, also auch dann, wenn ein Beweisanbot einer Partei vorliegt, von Amts wegen. Das Gericht soll nach Abs 1 die Parteien über die Person des Sachverständigen einvernehmen, die Unterlassung dieser Anhörung ist aber kein erheblicher Verfahrensmangel (Rechberger in Fasching/Konecny III § 351 Rz 2). Bei der Auswahl des Sachverständigen ist das Gericht an keinen Vorschlag der Parteien gebunden (EFSlg 44.027).

3 Bei der Bestimmung der Zahl der Sachverständigen ist das Gericht ebenfalls frei; doch wird im Regelfall (anderes gilt im Fall des § 362 Abs 2) mit einem Sachverständigen das Auslangen zu finden sein; zu bedenken ist dabei auch die Kostenfrage. Die Entscheidung über die Anzahl der zu bestellenden Sachverständigen ist jedenfalls unanfechtbar (§ 366 Abs 2).

4 Zum Sachverständigen kann jede Person bestellt werden, die eine besondere Fachkunde in Wissenschaft oder Kunst, in Handel oder Gewerbe, in Verkehr oder Technik besitzt, wie immer sie diese Kenntnisse erworben haben mag (Fasching Rz 999). Abs 1 verweist das Gericht aber in erster Linie auf die öffentlich bestellten Sachverständigen (s § 353 Rz 1).

5 Nach der stRsp vor der ZVN 2002 bildete die Auswahl eines Sachverständigen einen integrierenden Teil des Beweisbeschlusses und war deshalb gem §§ 277 Abs 4, 291 Abs 1 nicht abgesondert anfechtbar (EvBl 1971/298; EvBl 1971/286 = JBl 1971, 629; LGZ Wien MietSlg 26.510; RZ 1982/5). Daran hat sich durch die ZVN 2002 nichts geändert, zumal der Beweisbeschluss durch das Prozessprogramm ersetzt wurde, das mangels Entscheidungscharakter überhaupt nicht anfechtbar ist (vgl schon Vor § 266 Rz 28). § 366 bestätigt diese Auffassung zwar nicht, doch würde es einen Wertungswiderspruch darstellen, wenn die Ablehnung eines Sachverständigen nur abgesondert angefochten werden könnte (§ 366 Abs 1), die Bestellung hingegen sogar selbständig (Rechberger in Fasching/Konecny III § 351 Rz 4; Rüffler, Sachverständige 99 ff). 1282

§ 353

2.1 Verfahren bis zum Urteile

§ 352. (1) Wenn ein durch Sachverständige zu besichtigender Gegenstand nicht vor das erkennende Gericht gebracht werden kann, oder die Aufnahme des Sachverständigenbeweises vor demselben aus anderen Gründen erheblichen Schwierigkeiten unterliegen würde, so kann dieselbe durch einen beauftragten oder ersuchten Richter erfolgen. (2) Die Bestimmung der Anzahl der Sachverständigen sowie die Auswahl der Sachverständigen kann in diesem Falle dem mit der Beweisaufnahme betrauten Richter überlassen werden; ferner kann die Auswahl, wenn dies zur Vermeidung von Verzögerungen oder eines unverhältnismäßigen Aufwandes dienlich erscheint, ohne vorgängige Vernehmung der Parteien geschehen. Die Namen der bestellten Sachverständigen sind den Parteien vom beauftragten oder ersuchten Richter gleichzeitig mit der Verständigung vor der zur Beweisaufnahme bestimmten Tagsatzung bekannt zu geben. [Stammfassung] Lit: Rechberger in Fasching/Konecny III § 352; sonst wie Vor § 351. Es versteht sich von selbst, dass der Sachverständigenbeweis grundsätz- 1 lich unmittelbar vor dem erkennenden Gericht aufzunehmen ist. Abs 1 beschreibt (taxativ) Situationen, in denen es doch Sinn macht, diesen Beweis vor einem Rechtshilferichter durchzuführen. Die Auswahl des (der) Sachverständigen kann in diesem Fall dem ersuchten (beauftragen) Richter überlassen werden, für welchen Fall Abs 2 Näheres bestimmt. § 353. (1) Der Bestellung zum Sachverständigen hat derjenige Folge zu leisten, welcher zur Erstattung von Gutachten der erforderten Art öffentlich bestellt ist oder welcher die Wissenschaft, die Kunst oder das Gewerbe, deren Kenntnis Voraussetzung der geforderten Begutachtung ist, öffentlich als Erwerb ausübt oder zu deren Ausübung öffentlich angestellt oder ermächtigt ist. (2) Aus denselben Gründen, welche einen Zeugen zur Verweigerung der Aussage berechtigen, kann die Enthebung von der Bestellung als Sachverständiger begehrt werden. (3) Öffentliche Beamte sind überdies auch dann zu entheben, wenn ihnen die Verwendung als Sachverständige von ihren Vorgesetzten aus dienstlichen Rücksichten untersagt wird oder wenn sie durch besondere Anordnungen der Pflicht, sich als Sachverständige verwenden zu lassen, enthoben sind. [Stammfassung] 1283

§ 354

Rechberger

Lit: Rechberger in Fasching/Konecny III § 353; sonst wie Vor § 351.

1 Die Verpflichtung der Bestellung zum Sachverständigen Folge zu leisten, trifft nur folgende Personenkreise: a) öffentlich bestellte Sachverständige, ds die in die nach dem SDG, BGBl 1975/137 idF BGBl I 2003/ 115, von den Präsidenten der Landesgerichte (§ 3 SDG) geführten Sachverständigenlisten aufgenommenen Personen (in Kartellangelegenheiten besteht eine besondere Sachverständigenliste, vgl § 103 Abs 1 KartG 1988, BGBl 1988/600 idF BGBl I 2005/61), und b) Personen, die die Wissenschaft, die Kunst oder das Gewerbe, deren Kenntnis Voraussetzung der geforderten Begutachtung ist, öffentlich als Erwerb ausüben oder zu deren Ausübung öffentlich angestellt oder ermächtigt sind (fallweise bestellte Sachverständige). Wer nicht verpflichtet ist, als Zeuge vor Gericht zu erscheinen, muss auch der Bestellung zum Sachverständigen nicht Folge leisten (Fasching Rz 999); praktisch könnte der Fall der völkerrechtlichen Immunität werden (s Vor § 320 Rz 5 und § 328 Rz 4).

2 Aus denselben Gründen, aus denen der Zeuge seine Aussage verweigern darf (§§ 321, 322), kann der Sachverständige die Enthebung von der Bestellung begehren; praktisch ist dies vor allem, wenn es um Berufsoder Geschäftsgeheimnisse geht. Umso mehr hat eine Enthebung zu erfolgen, wenn der Sachverständige als Zeuge gar nicht vernommen werden dürfte (§ 320), auch wenn diese Fälle praktisch nicht relevant sind.

3 Die Verwendung öffentlicher Beamter als Sachverständige kann überdies aus dienstlichen Rücksichten durch Weisungen des Vorgesetzten oder durch besondere Anordnungen (zB Erlässe der Dienstbehörde) untersagt sein. Folgen von Weigerung und Säumnis § 354. (1) Wenn ein zur Erstattung des Gutachtens bestellter Sachverständiger die Abgabe des Gutachtens ohne genügenden Grund verweigert, ohne genügende Entschuldigung das Gutachten nicht in der festgesetzten Frist erstattet oder trotz ordnungsgemäßer Ladung bei der zur Beweisaufnahme bestimmten Tagsatzung nicht erscheint, ist ihm der Ersatz der durch seine Weigerung oder seine Säumnis verursachten Kosten durch Beschluss aufzuerlegen; außerdem ist der Sachverständige in eine Ordnungsstrafe oder bei mutwilliger Verweigerung der Abgabe des Gutachtens in eine Mutwillensstrafe zu verfällen. In Bezug auf diese Beschlussfassungen sind die §§ 326, 333 und 334 sinngemäß anzuwenden. 1284

§§ 355–356

2.1 Verfahren bis zum Urteile

(2) Anstatt des ungehorsamen Sachverständigen kann ein anderer Sachverständiger bestellt werden. (3) Der ungehorsame Sachverständige haftet nebst dem Kostenersatz für allen weiteren den Parteien durch die ihm zur Last fallende Vereitlung oder Verzögerung der Beweisführung verursachten Schaden. [Abs 1 und Überschrift idF ZVN 1983; sonst Stammfassung] Lit: Rechberger in Fasching/Konecny III § 354; sonst wie Vor § 351. Die Pflicht des Sachverständigen zum Erscheinen ist ebensowenig er- 1 zwingbar wie die Pflicht zur rechtzeitigen Abgabe von Befund und Gutachten; zum Unterschied vom Zeugen ist der Sachverständige ja ersetzbar. Verletzt er diese Pflichten aber ohne genügende Entschuldigung, so hat dies zunächst zur Folge, dass ihm die durch seine Weigerung oder Säumnis verursachten Kosten auferlegt werden; dazu kommt eine Ordnungsstrafe oder allenfalls sogar eine Mutwillensstrafe (§ 220). Zu den sinngemäß anzuwendenden Bestimmungen der §§ 326, 333 und 334 sdort. Da der Sachverständige ersetzbar ist, kann statt des „ungehorsamen“ ein 2 anderer bestellt werden; dies führt freilich zu einer weiteren Prozessverzögerung. Darüber hinaus haftet der Sachverständige den Parteien auch für weitere 3 Schäden, die durch die Vereitelung oder Verzögerung der Beweisführung entstehen; solche Ansprüche sind mit Klage geltend zu machen. Ablehnung § 355. (1) Sachverständige können aus denselben Gründen abgelehnt werden, welche zur Ablehnung eines Richters berechtigen; jedoch kann die Ablehnung nicht darauf gegründet werden, dass der Sachverständige früher in derselben Rechtssache als Zeuge vernommen wurde. (2) Die Ablehnungserklärung ist bei dem Prozessgerichte, wenn aber die Auswahl der Sachverständigen dem beauftragten oder ersuchten Richter überlassen wurde, bei diesem vor dem Beginne der Beweisaufnahme, und bei schriftlicher Begutachtung vor erfolgter Einreichung des Gutachtens mittels Schriftsatz oder mündlich anzubringen. Später kann eine Ablehnung nur dann erfolgen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie den Ablehnungsgrund vorher nicht erfahren oder wegen eines für sie unübersteiglichen Hindernisses nicht rechtzeitig geltend machen konnte. 1285

§§ 355–356

Rechberger

(3) Ist im Falle einer solchen nachträglichen Ablehnung die durch einen beauftragten oder ersuchten Richter vorzunehmende Beweisaufnahme schon beendet, so kann die Ablehnung nur bei dem Prozessgerichte vorgebracht werden. [Stammfassung] § 356. (1) Gleichzeitig mit der Ablehnung sind die Gründe der Ablehnung anzugeben. Die Entscheidung über die Ablehnung steht dem erkennenden Gerichte oder dem beauftragten oder ersuchten Richter zu, je nachdem die Ablehnung zufolge § 355 bei ersterem oder letzterem angebracht wurde. (2) Die Entscheidung erfolgt, wenn die Ablehnung nicht bei einer Tagsatzung vorgebracht wird, ohne vorhergehende mündliche Verhandlung. Die ablehnende Partei hat die von ihr angegebenen Gründe der Ablehnung auf Verlangen des Gerichtes vor der Entscheidung glaubhaft zu machen. Wird der Ablehnung stattgegeben, so ist ohne Aufschub die Bestellung eines anderen Sachverständigen zu veranlassen. [Stammfassung] Lit: Rechberger in Fasching/Konecny III §§ 355, 356; sonst wie Vor § 351.

1 Aus der teilweise richterähnlichen Stellung des Sachverständigen (s Vor § 351 Rz 2) ergibt sich notwendigerweise die Möglichkeit der Befangenheit des Sachverständigen. Er kann daher aus denselben Gründen wie ein Richter abgelehnt werden, also sowohl aus den Ausschließungsgründen des § 20 JN (mit Ausnahme der Z 5, weil ein Sachverständiger sowohl in erster als auch in zweiter Instanz bestellt werden kann: Rechberger in Fasching/Konecny III §§ 355, 356 Rz 1), als auch aus den sonstigen Befangenheitsgründen iS des § 19 Z 2 JN (vgl Näheres zu den Ablehnungsgründen bei §§ 19 und 20 JN; ferner Rüffler, Sachverständige 108).

2 Kein Ablehnungsgrund sind nach Abs 1 die frühere Zeugenschaft in derselben Sache; nach der Rsp ebenso wenig: Bedenken gegen die persönliche Eignung des Sachverständigen und gegen die Qualität des Gutachtens (OLG Wien SV 1984/2, 24) oder die Behauptung mangelnder Sachkenntnis (OLG Wien SV 1983/2, 21) oder überhaupt eine unrichtige Begutachtung (OLG Wien SV 1987/2, 20); auch nicht, dass der Sachverständige seine für die ablehnende Partei ungünstigen Ansichten bereits in einer Fachzeitschrift veröffentlicht hat (KG St. Pölten SV 1984/3, 25).

3 Ein klassischer Grund für die Ablehnung des Sachverständigen ist die Erstattung eines (entgeltlichen) Privatgutachtens für eine Partei vor dem 1286

§ 357

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Prozess (Rechberger in Fasching/Konecny III §§ 355, 356 Rz 4; Ballon Rz 255; JBl 1989, 452 = AnwBl 1989, 439 [zust Graff] = RZ 1989/93 = SV 1989/4, 17). Aus Abs 2 ergibt sich, dass die Partei die Befangenheit bei der ersten 4 Gelegenheit geltend machen muss. Erfolgt die Ablehnung erst nach Beginn der Beweisaufnahme bzw beim schriftlichen Gutachten nach dessen Einreichung, muss die Partei glaubhaft machen, dass sie dazu früher nicht in der Lage war; auch dann, wenn sich der behauptete Ablehnungsgrund erst aus dem erstatteten Gutachten ergibt, muss die Ablehnungserklärung bei der ersten möglichen Gelegenheit erfolgen (JUS 1989 Z/36 = SSVNF 2/103). Sie ist aber dann auch noch in zweiter Instanz möglich, wenn der Ablehnungsgrund erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz hervorkommt oder die Partei erst dann davon Kenntnis erhält (Rechberger in Fasching/Konecny III §§ 355, 356 Rz 7; SZ 46/94 = EvBl 1974/66). Nach Rechtskraft kann die Befangenheit eines Sachverständigen keinesfalls mehr geltend gemacht werden (nach SZ 49/67 = JBl 1976, 599 liegt kein Wiederaufnahmegrund vor). Ähnlich wie bei der Ablehnung eines Richters (vgl § 22 JN) hat die 5 Partei gem § 356 mit der Ablehnung die Gründe dafür anzugeben und diese auf Verlangen des Gerichtes glaubhaft zu machen (§ 274). Die Entscheidung über die Ablehnung steht grundsätzlich (Ausnahme: § 355 Abs 3) jenem Richter zu, der den Sachverständigen bestellt hat. Wird dem Ablehnungsantrag stattgegeben, hat das Gericht einen ande- 6 ren Sachverständigen zu bestellen; ein schon erstattetes Gutachten darf nicht berücksichtigt werden. Geschieht dies doch, bewirkt dies mangels derartiger Anordnung jedenfalls keine Nichtigkeit (Fasching1 III 486), wohl aber einen sonstigen Verfahrensmangel iS des § 496 Abs 1 Z 2 (Rechberger in Fasching/Konecny III §§ 355, 356 Rz 1; Rüffler, Sachverständige 111 f; 7 Ob 148/73 = SZ 46/94; 10 Ob S 286/88 = SSV-NF 2/118; 10 Ob S 316/02x). Wird der Ablehnung stattgegeben, gibt es dagegen kein Rechtsmittel 7 (§ 366 Abs 2); wird die Ablehnung verworfen, kein abgesondertes Rechtsmittel (§ 366 Abs 1). Beweisaufnahme § 357. (1) Das erkennende Gericht oder der mit der Leitung der Beweisaufnahme betraute Richter kann auch die schriftliche Begutachtung anordnen. Dabei hat das Gericht dem Sachverständigen 1287

§ 357

Rechberger

eine angemessene Frist zu setzen, binnen der er das schriftliche Gutachten zu erstatten hat. Ist die Einhaltung der dem Sachverständigen vom Gericht gesetzten Frist für diesen nicht möglich, so hat er dies dem Gericht binnen 14 Tagen ab Zustellung des Auftrags mitzuteilen und anzugeben, ob überhaupt und innerhalb welcher Frist ihm die Erstattung des Gutachtens möglich ist. Das Gericht kann dem Sachverständigen die Frist verlängern. (2) Wird das Gutachten schriftlich erstattet, so sind die Sachverständigen verpflichtet, auf Verlangen über das schriftliche Gutachten mündliche Aufklärungen zu geben oder dieses bei der mündlichen Verhandlung zu erläutern. [idF ZVN 2002] Lit: Höllwerth, Beschleunigung der Sachverständigenbegutachtung durch die ZVN 2002? ÖJZ 2004, 251. Rechberger in Fasching/Konecny III § 357; sonst wie Vor § 351.

1 IS des Unmittelbarkeitsgrundsatzes ist Befund und Gutachten des Sachverständigen grundsätzlich mündlich zu erstatten, doch erlaubt die ZPO (anders als beim Zeugenbeweis, s Vor § 320 Rz 3) aus Praktikabilitätsgründen auch die schriftliche Begutachtung, die zB bei umfangreichen Sachverhaltsfeststellungen oder wissenschaftlichen Untersuchungen unumgänglich ist (Rechberger in Fasching/Konecny III § 357 Rz 1).

2 Unmittelbarkeit und Mündlichkeit werden aber insoweit gewahrt, als der Sachverständige dieses Gutachten auf Verlangen in der mündlichen Verhandlung zu erläutern oder darüber mündliche Aufklärungen zu geben hat (Abs 2). In Sozialrechtssachen wird er zur Erörterung des schriftlichen Gutachtens von Amts wegen zur mündlichen Streitverhandlung geladen, es sei denn, dass es einer solchen Erörterung offenkundig nicht bedarf (§ 75 Abs 2 ASGG).

3 Zulässigerweise mittelbar wird der Sachverständigenbeweis auch dann aufgenommen, wenn gem § 281a (s Näheres dort) ein in einem anderen Verfahren erstattetes Sachverständigengutachten verwendet wird.

4 Um dem Gericht und allen Verfahrensbeteiligten den Zeithorizont der Gutachtenserstellung von vornherein ersichtlich zu machen (ErlRV 962 BlgNR 21. GP 36), ist dem Sachverständigen bei Erstattung eines schriftlichen Gutachtens eine angemessene Frist zu setzen. Sollte sich herausstellen, dass diese Frist für den Sachverständigen zu kurz ist, hat dieser das Gericht binnen 14 Tagen zu benachrichtigen. Dabei hat er 1288

§ 358

2.1 Verfahren bis zum Urteile

auch anzugeben, ob er das Gutachten überhaupt erstellen kann oder wie lange er dafür brauchen wird. So kann der weitere Ablauf möglichst frühzeitig geklärt werden; das Gericht kann den Sachverständigen allenfalls ersetzen (Höllwerth, ÖJZ 2004, 252) oder die Frist verlängern. Verletzt der Sachverständige die Benachrichtigungspflicht, so kann dies Ersatzansprüche oder Ordnungsstrafen bedingen (vgl § 354) bzw sich auf seinen Gebührenanspruch auswirken (vgl § 25 Abs 3 GebAG). Zutreffend betont die Rsp, dass die Parteien das Recht haben, vom 5 Sachverständigen Aufklärung über sein schriftliches Gutachten zu verlangen, weshalb die Vorgangsweise nach Abs 2 nicht im unüberprüfbaren Ermessen des Gerichtes liege (SZ 51/134 = ÖBl 1978, 161). Es liegt daher eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens vor, wenn die Erörterung des Sachverständigengutachtens abgelehnt (EFSlg 25.367) oder der Sachverständige trotz gegenteiligen Parteienantrags nicht zur mündlichen Streitverhandlung geladen wird (LGZ Wien EFSlg 32.031; LGZ Wien Ind 1977 H2, 8; nach EFSlg 23.154, 29.989, 39.267, 55.110 muss der Rechtsmittelwerber aber dartun, welches andere Verfahrensergebnis durch eine mündliche Erörterung des Sachverständigengutachtens hätte herbeigeführt werden können). Vgl im übrigen zur Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes bei der Beweisaufnahme Vor § 266 Rz 30. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Parteien und damit der 6 Nichtigkeitsgrund nach § 477 Abs 1 Z 4 liegt aber dann vor, wenn der Richter die Verhandlung gem § 193 Abs 3 vor Erstellung des schriftlichen Sachverständigengutachtens schließt, sodass die Parteien von vornherein keine Gelegenheit haben, noch bei der Verhandlung weitere Aufklärungen zu verlangen (Rechberger in Fasching/Konecny III § 357 Rz 6; RZ 1937, 296; RdW 2002/288). Dasselbe gilt dann, wenn es der Rechtshilferichter bei einer schriftlichen Begutachtung bewenden lässt, ohne den Sachverständigen mündlich zu vernehmen (RZ 1938, 23). § 358. (1) Jeder Sachverständige hat vor dem Beginne der Beweisaufnahme den Sachverständigeneid zu leisten. Von der Beeidigung des Sachverständigen kann abgesehen werden, wenn beide Parteien auf die Beeidigung verzichten. (2) Ist der Sachverständige für die Erstattung von Gutachten der erforderten Art im allgemeinen beeidet, so genügt die Erinnerung und Berufung auf den geleisteten Eid. [Stammfassung] Lit: Rechberger in Fasching/Konecny III § 358; sonst wie Vor § 351. 1289

§ 359

Rechberger

1 Jeden Sachverständigen trifft die Pflicht zur Leistung des Sachverständigeneides. Öffentlich bestellte Sachverständige (s § 353 Rz 1) werden bereits bei ihrer Aufnahme in die Sachverständigenliste beeidet („ständig beeidete gerichtliche Sachverständige“). Sie sind vom Richter bloß an diesen Eid zu erinnern bzw können sich auf diesen Eid berufen. Deshalb sind eidesunfähige Personen (s § 336) nicht als Sachverständige geeignet.

2 Andere Sachverständige (s § 353 Rz 1) haben den Sachverständigeneid vor Beginn der Beweisaufnahme zu leisten, worauf die Parteien aber (übereinstimmend) verzichten können (was in der Praxis den Regelfall darstellt).

3 Die Eidesformel für Sachverständige findet sich in § 1 EidesG, RGBl 1868/33, und in § 5 SDG. § 359. (1) Den Sachverständigen sind diejenigen bei Gericht befindlichen Gegenstände, Aktenstücke und Hilfsmittel mitzuteilen, welche für die Beantwortung der denselben vorgelegten Fragen erforderlich sind. (2) Benötigt der Sachverständige die Mitwirkung der Parteien oder dritter Personen und wird ihm diese auf seine Aufforderung nicht unverzüglich geleistet, so hat der Sachverständige dies dem Gericht unter genauer Auflistung der erforderlichen Mitwirkungshandlungen und der entgegenstehenden Hindernisse mitzuteilen. Das Gericht hat sodann mit abgesondert nicht anfechtbarem Beschluss den Parteien das Erforderliche aufzutragen und ihnen hiefür eine angemessene Frist zu setzen. Dieser Zeitraum ist in die dem Sachverständigen für die Begutachtung gesetzte Frist nicht einzurechnen. Kommen die Parteien der Aufforderung des Gerichts nicht fristgerecht nach, so hat der Sachverständige sein Gutachten ohne Berücksichtigung des Fehlenden zu erstatten. Werden die fehlenden Informationen noch vor Ausarbeitung des Gutachtens nachgebracht, so hat sie der Sachverständige sogleich zu berücksichtigen, ansonsten hat er ein Ergänzungsgutachen zu erstatten. Die Kosten dieses Gutachtens tragen unabhängig vom Verfahrensausgang die säumigen Parteien zur ungeteilten Hand. [Abs 2 angefügt durch ZVN 2002; sonst Stammfassung] Lit: Fasching, Die Ermittlung von Tatsachen durch den Sachverständigen im Zivilprozeß, FS Matscher (1993) 97; Rüffler, Der Sachverständige im Zivilprozeß (1995); Klicka, Die österreichische Zivilverfahrens1290

§ 359

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Novelle 2002 als Versuch einer Verfahrensbeschleunigung – ein Vergleich zur deutschen ZPO-Reform 2002, ZZPInt 7 (2002) 179; Beran/ Klaus/Liebhart/Nigl/Pühringer/ Rassi/Roch/Steinhauer, (Franz) Klein, aber fein, RZ 2003, 2; Höllwerth, Beschleunigung der Sachverständigenbegutachtung durch die ZVN 2002? ÖJZ 2004, 251; Annerl, Die innerprozessuale Präklusion von Parteivorbringen im Zivilverfahren (2005). Rechberger in Fasching/Konecny III § 359; sonst wie Vor § 351. Inhaltsübersicht Befund und Gutachten Ermittlungstätigkeit des Sachverständigen

1 2

Mitwirkungspflicht der Parteien Folgen der Säumnis der Partei Mitwirkung Dritter

3 4 5

Befund und Gutachten. Im Regelfall hat der Sachverständige ein Gut- 1 achten zu erstellen, dem ein Befund vorausgeht. Der Befund bildet die Grundlage für die Schlussfolgerungen des Gutachtens (vgl § 362 Abs 1). Die Tätigkeit des Sachverständigen kann sich aber auch in der Erstattung eines Befundes erschöpfen, wenn schon zur reinen Tatsachenfeststellung besondere Fachkenntnisse notwendig sind (zB bei der Feststellung der Höhe der Schulden eines Unternehmens). Dabei sind grundsätzlich die Regeln über die Beweisaufnahme anzuwenden, dh es muss vor allem die Unmittelbarkeit und das Parteiengehör gewährleistet sein (vgl Fasching, FS Matscher 103). Ermittlungstätigkeit des Sachverständigen. Zur Erstellung des Be- 2 fundes sind dem Sachverständigen alle notwendigen Unterlagen zu übermitteln (§ 359). Gem § 170 Abs 3 Geo kann ihm auch (sofern er dem Gericht als verlässlich bekannt ist) für bestimmte Zeit der Gerichtsakt anvertraut werden. Der Befund hat nicht nur eine Beschreibung der besichtigten Personen, Sachen und Örtlichkeiten (§ 362 Abs 1) zu enthalten, sondern auch die Feststellung aller Tatsachen, die der Sachverständige ermittelt hat (Fasching Rz 1003). Den für den Befund notwendigen Sachverhalt muss der Sachverständige (wenn ihn der gerichtliche Auftrag nicht auf die aktenkundigen Tatsachen beschränkt) selbst ermitteln (Fasching, FS Matscher 101); er kann zu diesem Zweck unmittelbar an die Parteien und auch an Dritte herantreten und Sachen und Örtlichkeiten in Augenschein nehmen. Nach SSV-NF 2/53 soll diese Befragung aber keine gerichtliche Parteien- oder Zeugenvernehmung darstellen, weil nur bei dieser die Grundsätze der Öffentlichkeit, Mündlichkeit, Unmittelbarkeit und freien Beweiswürdigung ein richtiges Beweisergebnis gewährleisten könnten. Auch diese Ermittlungstätigkeit 1291

§ 359

Rechberger

des Sachverständigen ist aber materiell als Beweisaufnahme zu qualifizieren, die nur dann zulässig ist, wenn die genannten Verfahrensgrundsätze gewahrt werden (Fasching, FS Matscher 106; Rechberger in Fasching/Konecny III § 359 Rz 2). Aus der Stellung des Sachverständigen als Mitarbeiter des Gerichts ist abzuleiten, dass die Parteien von den Maßnahmen des Sachverständigen zur Ermittlung des Sachverhaltes zu verständigen sind und dabei anwesend sein dürfen (Fasching Rz 1005). Der Auftrag an die Parteien, dem Sachverständigen die notwendigen Unterlagen zur Verfügung zu stellen, ist unanfechtbar (EvBl 1968/359).

3 Mitwirkungspflicht der Parteien. Tritt der Sachverständige unmittelbar an die Parteien oder an Dritte heran, hat er sie zunächst nur zur Mitwirkung aufzufordern, er kann diese nicht direkt durchsetzen. Verweigern sie die verlangten Mitwirkungshandlungen, so kann er nur das Gericht anrufen, welches sodann den Parteien das Erforderliche unter Fristsetzung aufzutragen hat. Die Versäumung der Frist hat zur Folge, dass der Sachverständige das Gutachten ohne die fehlenden Informationen zu erstatten hat – wenn dies möglich ist. Andernfalls sollte das Gericht den Gutachtensauftrag aus Gründen der Prozessökonomie überhaupt widerrufen (Beran ua, RZ 2003, 7 f). Die Mitwirkungspflicht der Parteien besteht allerdings nur in dem Ausmaß, wie es in der ZPO auch sonst vorgegeben ist. Die Partei kann sich also auf die Bestimmungen der §§ 304, 305 (allenfalls iVm § 318 Abs 2 bzw § 369) oder des § 321 berufen und so die Mitwirkung gerechtfertigt verweigern (Rechberger in Fasching/Konecny III § 359 Rz 4; Höllwerth, ÖJZ 2004, 256).

4 Folgen der Säumnis der Partei. Wenn die Partei die erforderliche Mitwirkung trotz des Gerichtsauftrags (zunächst) verweigert, so kann sie die fehlenden Informationen bis zur Erstattung des Gutachtens durch den Sachverständigen sanktionslos nachbringen; der Sachverständige hat diese dann im Gutachten zu berücksichtigen. Erst später nachgebrachte Informationen führen dazu, dass der Sachverständige ein Ergänzungsgutachten zu erstatten hat, dessen Kosten iS der Kostenseparation jedenfalls die säumigen Parteien zu tragen haben (eine Präklusion der Mitwirkungshandlungen bedeutet dies aber nicht, da die Parteien von diesen ja nicht ausgeschlossen werden [Annerl, Präklusion 32 f; aA ErlRV 962 BlgNR 21. GP 37 und Deixler-Hübner, FS Beys 226]). Bleibt die Partei säumig, so kann sich das Fehlen der Informationen uU ungünstig auf ihren Prozesserfolg auswirken. Außerdem kann die Versäumung – so wie dies nach § 381 ausdrücklich vorgesehen ist – auch im Rahmen der freien Beweiswürdigung des Gerichts berücksichtigt werden (ErlRV 962 BlgNR 21. GP 37; Höllwerth, ÖJZ 2004, 259). Sonst 1292

§§ 360–362

2.1 Verfahren bis zum Urteile

gibt es für die gänzliche Untätigkeit der Partei aber keine Sanktion (vgl zu der insgesamt wenig geglückten Regelung der Säumnisfolgen näher Klicka, ZZPInt 7, 189 ff und Rechberger in Fasching/Konecny III § 359 Rz 5). Mitwirkung Dritter. Benötigt der Sachverständige die Mitwirkung 5 Dritter, kann das Gericht dennoch nur den Parteien das Erforderliche auftragen. Dritte trifft also keine Mitwirkungspflicht. Doch kann eine Partei die Herausgabe einer Urkunde oder Auskunftssache (§ 308 iVm § 318 Abs 2) beantragen und diese Gegenstände können sodann bei Erstellung des Gutachtens verwendet werden (Beran ua, RZ 2003, 7; aA offenbar Höllwerth, ÖJZ 2004, 260). § 360. (1) Kann eine gründliche und erschöpfende Begutachtung nicht sogleich erfolgen, so hat der die Beweisaufnahme leitende Richter für die Abgabe des Gutachtens eine Frist oder eine besondere Tagsatzung zu bestimmen. (2) Von dem Einlangen des schriftlichen Gutachtens sind die Parteien in Kenntnis zu setzen (§ 286). [Stammfassung] § 361. Sind zur Abgabe eines Gutachtens mehrere Sachverständige bestellt, so können sie dasselbe gemeinsam erstatten, wenn ihre Ansichten übereinstimmen. Sind sie verschiedener Ansicht, so hat jeder Sachverständige seine Ansicht und die für dieselbe sprechenden Gründe besonders darzulegen. [Stammfassung] § 362. (1) Das Gutachten ist stets zu begründen. Vor Darlegung seiner Ansicht hat der Sachverständige in denjenigen Fällen, in welchen der Abgabe seines Gutachtens die Besichtigung von Personen, Sachen, Örtlichkeiten u dgl vorausging und die Kenntnis ihrer Beschaffenheit für das Verständnis und die Würdigung des Gutachtens von Belang ist, eine Beschreibung der besichtigten Gegenstände zu geben (Befund). (2) Erscheint das abgegebene Gutachten ungenügend oder wurden von den Sachverständigen verschiedene Ansichten ausgesprochen, so kann das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen anordnen, dass eine neuerliche Begutachtung durch dieselben oder durch andere Sachverständige oder doch mit Zuziehung anderer Sachverständiger stattfinde. Eine solche Anordnung ist insbesondere auch dann zulässig, wenn ein Sachverständiger nach Abgabe des Gutach1293

§§ 360–362

Rechberger

tens mit Erfolg abgelehnt wurde. Zu diesen Anordnungen ist auch der beauftragte oder ersuchte Richter berechtigt. [Stammfassung] Lit: Rechberger in Fasching/Konecny III §§ 360, 361, 362; sonst wie Vor § 351.

1 Das Gutachten erläutert Erfahrungssätze, zieht aus Erfahrungssätzen Schlussfolgerungen und/oder stellt aufgrund von Erfahrungssätzen Tatsachen fest. Rechtliche Beurteilungen sind dem Sachverständigen verwehrt; finden sie sich in einem Gutachten, sind sie unbeachtlich (Fasching Rz 1004; Jessnitzer/Frieling 6). Das Gutachten ist stets zu begründen (§ 362 Abs 1); dasselbe gilt vom Befund.

2 Kann die Begutachtung nicht „sogleich“, nämlich in der Tagsatzung, zu der der Sachverständige erstmals geladen wurde, erfolgen, so hat das Gericht dem Sachverständigen entweder eine (richterliche) Frist für die Erstattung eines schriftlichen Gutachtens zu erteilen oder eine besondere Tagsatzung zur mündlichen Gutachtenserstattung anzuordnen (§ 360 Abs 1). Gegen diese Anordnungen gibt es kein Rechtsmittel (§ 366 Abs 2).

3 Die Parteien sind vom Einlangen eines schriftlichen Gutachtens in Kenntnis zu setzen (§ 360 Abs 2), um ihnen die Gelegenheit zu geben, allfällige Verbesserungen und Vervollständigungen des Gutachtens iS des § 286 zu beantragen. Zur Wahrung des rechtlichen Gehörs der Parteien hat dies auch dann zu geschehen, wenn die Verhandlung bereits gem § 193 Abs 3 geschlossen worden ist; zur Beschlussfassung iSd § 362 Abs 2 (s unten Rz 6) ist die Verhandlung dann allenfalls gem § 194 wiederzueröffnen (Rechberger in Fasching/Konecny III § 360 Rz 2). In Arbeits- und Sozialrechtssachen ist den Parteien von einem schriftlichen Befund oder Gutachten jedenfalls eine Ausfertigung zuzustellen (§ 39 Abs 6 ASGG).

4 Erweist sich das Gutachten als ungenügend oder unvollständig (oder wurden von mehreren Sachverständigen widersprüchliche Ansichten geäußert), kann auf Antrag der Parteien oder von Amts wegen eine neuerliche Begutachtung durch dieselben oder durch andere Sachverständige (oder mit Zuziehung anderer Sachverständiger) stattfinden. Dasselbe gilt, wenn ein Sachverständiger erst aufgrund seines Gutachtens mit Erfolg abgelehnt wurde (§ 362 Abs 2). Das Gericht hat von Amts wegen dafür zu sorgen, dass das Gutachten vollständig abgegeben wird (JBl 1976, 144 = EFSlg 25.318 = RZ 1975/70). Schon aus Kosten1294

§§ 360–362

2.1 Verfahren bis zum Urteile

gründen ist von der Möglichkeit neuerlicher Begutachtung sparsam Gebrauch zu machen (nach KG Wels EFSlg 32.033 kommt sie nur dann in Betracht, wenn dies zur Behebung von Mängeln, bei Unklarheit oder Unschlüssigkeit des Gutachtens oder wegen besonderer Schwierigkeiten des Falles notwendig ist). Nach OLG Wien EvBl 1995/68 = AnwBl 1995/6038 lagen die Voraussetzungen für die Bestellung eines weiteren Sachverständigen iSd § 362 Abs 2 auch in dem Fall vor, in dem ein gerichtlich bestellter Sachverständiger und ein Privatgutachter (bei dem es sich gleichfalls um einen gerichtlich beeideten Sachverständigen handelte) zu elementaren ziffernmäßigen Abweichungen in ihren Befunden kamen (vgl dazu auch Vor § 351 Rz 8). Mehrere Sachverständige können bei übereinstimmenden Ansichten 5 ein gemeinsames Gutachten erstatten. Sind sie nicht einig, hat jeder Sachverständige seine Ansicht und dessen Begründung besonders darzulegen (§ 361). Auch in diesem Fall kann gem § 362 Abs 2 eine neuerliche Begutachtung angeordnet werden. Das Gericht ist aber nicht dazu verpflichtet, einen dritten Sachverständigen zu bestellen, sondern kann sich auch einem der beiden Gutachten anschließen. IdR hat es allerdings einen oder beide Sachverständigen zur Aufklärung und Ergänzung des Gutachtens aufzufordern (EFSlg 41.693). Ist das Sachverständigengutachten unschlüssig, widersprüchlich oder 6 unvollständig, wirkt sich dies idR in der Beweiswürdigung des Richters aus und ist mit dieser anzufechten (vgl EFSlg 27.849, 27.860, 39.258). Die Unvollständigkeit kann auch auf Verfahrensfehlern beruhen, was als Mangelhaftigkeit zu rügen wäre (Rechberger in Fasching/Konecny III § 362 Rz 5). Betrifft die Fehlerhaftigkeit einen Erfahrungssatz, der für die rechtliche Beurteilung des Gerichts erforderlich ist, ist diese anfechtbar (Rechberger in Fasching/Konecny III § 362 Rz 5). Nur in diesem Fall sowie bei Verfahrensfehlern kommt die Geltendmachung der Mangelhaftigkeit noch in der Revision in Frage (vgl EvBl 1956/258). Befund und Gutachten des Sachverständigen unterliegen – in faktischen 7 Grenzen (s Vor § 351 Rz 2) – der freien Beweiswürdigung des Richters. Es ist daher keine Aktenwidrigkeit, wenn der Richter den Schlussfolgerungen des Sachverständigen nicht folgt (ZBl 1917/264). Aus der verschiedenen Funktion von Sachverständigem und Zeugen ergibt sich auch, dass ein Sachverständigengutachten nicht durch Zeugenaussagen entkräftet werden kann (EFSlg 39.184). Nach stRsp (4 Ob 19/99v = EFSlg 91.048; OLG Wien EFSlg 32.032; LGZ Wien EFSlg 41.694; LGZ Wien 43 R 2078/83 = EFSlg 44.024; EFSlg 44.028) gilt dies auch dann, wenn es sich um sachverständige Zeugen handelt. Widersprüche zwi1295

§ 363

Rechberger

schen einem Sachverständigengutachten und den Aussagen sachverständiger Zeugen sind freilich iS einer erschöpfenden Erörterung genauso aufklärungsbedürftig wie Diskrepanzen zwischen einem solchen und einem Privatgutachten (vgl dazu Vor § 351 Rz 8). § 363. (1) Die Partei, welche den Beweis durch Sachverständige angeboten hat, kann auf denselben verzichten. Der Gegner kann jedoch verlangen, dass die angeordnete Beweisaufnahme demungeachtet vorgenommen werde, wenn entweder die Beweisaufnahme bereits begonnen hat oder wenigstens die Sachverständigen zum Zwecke der Beweisaufnahme schon bei Gericht erschienen sind. (2) Die dem Vorsitzenden nach § 183 zustehende Befugnis, von Amts wegen eine Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen, wird durch einen Verzicht der Parteien nicht berührt. [Stammfassung] Lit: Rechberger in Fasching/Konecny III § 363; sonst wie Vor § 351.

1 Die Bestimmung statuiert so wie die §§ 302 und 345 den Grundsatz der „Gemeinschaftlichkeit der Beweismittel“ (s Vor § 292 Rz 11).

2 Aus der Stellung des Sachverständigen als Mitarbeiter des Gerichts, der als solcher unverzichtbar ist, ergibt sich aber, dass der Verzicht der Parteien die Möglichkeit der amtswegigen Bestellung eines Sachverständigen nicht berührt (Abs 2).

3 Der Verzicht auf den Sachverständigenbeweis setzt eine ausdrückliche Prozesserklärung nach klarer und eindeutiger Belehrung einer anwaltlich nicht vertretenen Partei voraus (RZ 1967, 130). § 364. Das Gericht kann in Fällen, in welchen der Gegenstand zu seiner Beurteilung fachmännische Kenntnisse erfordert oder in welchen das Bestehen von geschäftlichen Gebräuchen in Frage kommt, ohne Zuziehung von Sachverständigen entscheiden, wenn die eigene Fachkunde oder das eigene Wissen der Richter diese Zuziehung überflüssig macht und die Parteien zustimmen. [Fassung ZVN 1983] Lit: Jelinek Der Sachverständige im Zivilprozeß, in Aicher/Funk (Hrsg), Der Sachverständige im Wirtschaftsleben (1990) 45 (48); Deixler-Hübner, Fortschreitender Einsatz von Sachverständigen. Notwen1296

§ 364

2.1 Verfahren bis zum Urteile

digkeit oder Gefahr? RZ 1992, 251, 276 (277); Rüffler, Der Sachverständige im Zivilprozeß (1995) 23 ff; Deixler-Hübner, JBl 1997, 197 (Buchbesprechung); Schumacher, Das Fachwissen des Richters, ÖJZ 1999, 132. Rechberger in Fasching/Konecny III § 364; Fasching Rz 856; sonst wie Vor § 351. Die Bestimmung will zunächst bloß eine Selbstverständlichkeit normie- 1 ren, nämlich die, dass ein Sachverständiger dann überflüssig ist, wenn der Richter selbst die notwendigen fachmännischen Kenntnisse oder das Wissen um geschäftliche Gebräuche besitzt. Bei Senatsbesetzung genügt nach hM (Jelinek, Der Sachverständige 49; Deixler-Hübner, RZ 1992, 278; Rüffler, Sachverständige 63; Schumacher, ÖJZ 1999, 133; Rechberger in Fasching/Konecny III § 364 Rz 1) das Fachwissen auch nur eines Mitglieds. Die ZVN 1983 (die durch die Neufassung des § 364 überflüssige Sach- 2 verständigenbeweise grundsätzlich hintanhalten wollte!) hat dies insofern eingeschränkt, als das Gericht seither nach dem Wortlaut der Bestimmung nur dann auf einen Sachverständigen verzichten darf, wenn dem die Parteien auch zustimmen. In den Mat (ErlRV 1337 BlgNR 15. GP 14 f) wird diese Einschränkung mit der notwendigen Rücksichtnahme auf das rechtliche Gehör der Parteien begründet, welche es gebiete, die Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit der fachlichen Beurteilung des Richters für die Parteien sicherzustellen. Diese Begründung vermag deshalb nicht voll zu überzeugen, weil der Richter auch ohne das Zustimmungserfordernis sein Fachwissen bzw die mit dessen Hilfe getroffenen Feststellungen zwecks Wahrung des rechtlichen Gehörs mit den Parteien zu erörtern hat. Mit Fasching (Rz 856) sollte die Einschränkung daher teleologisch dahingehend reduziert werden, dass der Richter vor Anwendung der eigenen Fachkunde oder des eigenen Wissens mit den Parteien erörtern muss, warum er glaubt, auf einen Sachverständigen verzichten zu können (vgl idS 4 Ob 2341/96k = HS 28.670). Rüffler (Sachverständige 23 ff) und Schumacher (ÖJZ 1999, 132) sind allerdings für die strikte Befolgung des Gesetzeswortlauts eingetreten, weil die hier vorgesehene Vorgangsweise für einen fairen Prozess unabdingbar sei (ähnlich Krammer, Sach 1983/3, 2f; ders, Allmacht 13; vgl dazu auch Rechberger in Fasching/Konecny III § 364 Rz 3). Bemerkenswert ist allerdings, dass der Gesetzgeber des neuen AußStrG (BGBl I 2003/111), das nunmehr in seinem Allgemeinen Teil das modernste österr Verfahrensgesetz darstellt, in der Parallelbestimmung des § 31 Abs 3 Satz 2 (vgl dazu Rechberger in Rechberger, AußStrG § 31 Rz 5) auf das Zustimmungserfordernis verzichtet hat. 1297

§ 365

Rechberger Kostenvorschuss

§ 365. Wenn dem Beweisführer nicht die Verfahrenshilfe bewilligt ist, hat der Vorsitzende oder der beauftragte oder ersuchte Richter anzuordnen, dass ein von ihm zu bestimmender Betrag zur Deckung des mit der Aufnahme des Beweises durch Sachverständige verbundenen Aufwandes vom Beweisführer innerhalb einer bestimmten Frist vorschussweise zu erlegen ist. § 332 Abs 2 ist sinngemäß anzuwenden. [Fassung GebAG BGBl 1958/2; Satz 1 idF BGBl 1973/569] Lit: Nowotny, Wer ist „Beweisführer“ in § 365 ZPO? RZ 2000, 26; Annerl, Die innerprozessuale Präklusion von Parteivorbringen im Zivilverfahren (2005). Krammer in Fasching/Konecny III § 365; sonst wie Vor § 351. Inhaltsübersicht Beweisführer Amtswegige Aufnahme Folgen des nicht rechtzeitigen Erlags Keine Anwendung des § 332 Abs 2

1 2 3

Anfechtbarkeit des Beschlusses Kostentragung Gebührenanspruch

5 6 7

4

1 Beweisführer. Ausgenommen im Verfahren vor dem Arbeits- und Sozialgericht (vgl § 39 Abs 5 ASGG) hat das Gericht dem „Beweisführer“, der nicht die Verfahrenshilfe genießt, den Erlag eines bestimmten Betrags als Kostenvorschuss innerhalb einer bestimmten Frist aufzutragen. Unter „Beweisführer“ versteht das Gesetz jene Partei, die den Beweisantrag stellt (EvBl 1973/17; OLG Wien EFSlg 23.112; EFSlg 25.319; LGZ Wien ZVR 1982/38; LGZ Wien 38 R 79/03b = MietSlg 55.683; s Vor § 266 Rz 28; aA Nowotny, RZ 2000, 29 ff, für den unter Berufung ua auf § 40 Abs 1 auch derjenige, in dessen Interesse die Beweisaufnahme stattfindet, Beweisführer ist).

2 Bei amtswegiger Aufnahme des Sachverständigenbeweises ist die Auferlegung eines Kostenvorschusses von § 365 nicht gedeckt, weil es dann keinen „Beweisführer“ gibt (Fasching Rz 1009; Rechberger/Simotta Rz 638; OLG Wien JBl 1961, 127); sie erscheint in diesem Fall aber auch deshalb nicht sachgerecht, weil der Richter den Sachverständigen dann ja offenbar braucht. Die Rsp orientiert sich allerdings an der reinen Fiskalinteressen verpflichteten Vorschrift des § 3 GEG, nach dem das Gericht – soweit nicht besondere Vorschriften bestehen – die Vornahme 1298

§ 365

2.1 Verfahren bis zum Urteile

jeder mit Kosten verbundenen Amtshandlung vom Erlag eines Kostenvorschusses abhängig machen soll, wenn die Partei, die die Amtshandlung beantragt oder in deren Interesse sie vorzunehmen ist, nicht Verfahrenshilfe genießt. Deshalb wird auch bei amtswegiger Beweisaufnahme die Anordnung eines Kostenvorschusses für zulässig erachtet, und zwar entweder an die Partei, die die Beweislast trifft oder „in deren Interesse“ der Beweis durchgeführt werden soll (LGZ Wien WR 218; OLG Wien EFSlg 5.546 „Beweispflicht“; LGZ Wien EFSlg 7.229), oder aber an beide Parteien, wenn der Beweis den Interessen beider Parteien dient (OLG Wien EFSlg 20.771). Nach Nowotny (RZ 2000, 29 ff) ist auch bei einem von Amts wegen beschlossenen Sachverständigenbeweis demjenigen, der ein Interesse an der Beweisaufnahme hat, der Kostenvorschuss aufzutragen. Folgen des nicht rechtzeitigen Erlags. Hiefür verweist das Gesetz auf 3 § 332 Abs 2 (s dort Rz 3): Danach ist das Verfahren auf Antrag des Gegners ohne Rücksicht auf die ausstehende Beweisaufnahme fortzusetzen (Beweispräklusion). Was für den Zeugenbeweis angehen mag (dort aber selten vorkommt), ist freilich für den Sachverständigenbeweis wenig sachgerecht (s auch Fasching Rz 1009). Wenn der Richter den Sachverständigen braucht, ist dessen „Einsparung“ nicht zu rechtfertigen. Wird der Kostenvorschuss nicht erlegt, hat das Gericht daher zu prüfen, ob der beantragte Sachverständigenbeweis nicht von Amts wegen aufgenommen werden soll. Nur wenn das Gericht (auch jetzt noch) keine Notwendigkeit für die Bestellung eines Sachverständigen sieht, tritt „ein dem Ruhen ähnlicher faktischer Stillstand des Verfahrens“ ein, wie ihn die Rsp schon bei nicht rechtzeitigem Erlag des Kostenvorschusses annimmt (JBl 1965, 92 [Anderluh] = RZ 1964, 187; RZ 1967, 152). Die Fortsetzung des Verfahrens kann ja nach § 332 Abs 2 nur der Gegner der säumigen Partei beantragen; diese kann aber das Verfahren dadurch wieder in Gang bringen, dass sie den Kostenvorschuss doch noch erlegt oder auf den Sachverständigenbeweis ausdrücklich verzichtet. Der Nichterlag des Kostenvorschusses durch den Beweisführer (s oben Rz 1) bedeutet eine nichtgehörige Fortsetzung des Verfahrens iSd § 1497 ABGB (JBl 1980, 98 = MietSlg 31.273). Keine Anwendung des § 332 Abs 2. Ist der Sachverständigenbeweis 4 von vornherein von Amts wegen aufgenommen worden, kommt die Anwendung des § 332 Abs 2 aber nach hM keinesfalls in Frage (Fasching1 III 497; ders Rz 942 und 1009; Rechberger/Simotta Rz 638; Krammer in Fasching/Konecny III § 365 Rz 21; Annerl, Präklusion 202; 3 Ob 220/60 = JBl 1961, 158; 1 Ob 163, 164/68 = SZ 41/85 = JBl 1968, 626 = EvBl 1969/39; OLG Wien 16 R 139/86; OLG Wien 17 R 292/86 1299

§ 365

Rechberger

ua; aA Nowotny, RZ 2000, 26; OLG Wien 14 R 201/96y). Schon gar nicht kann § 332 Abs 2 Satz 1 in einem Verfahren mit reinem Untersuchungsgrundsatz angewendet werden, soweit dort der Sachverständigenbeweis jedenfalls von Amts wegen angeordnet werden müsste (Krammer in Fasching/Konecny III § 365 Rz 9; LGZ Wien 38 R 79/03b = MietSlg 55.683). Die (sinngemäße) Anwendung des § 332 Abs 2 Satz 1 ZPO kommt ferner naturgemäß auch dann nicht in Betracht, wenn der Kostenvorschuss beiden Parteien aufgetragen wurde (Krammer in Fasching/ Konecny III § 365 Rz 9; LGZ Wien 38 R 79/03b = MietSlg 55.683). Hat der Kläger seinen Teil erlegt, liegt keine nichtgehörige Fortsetzung des Verfahrens iSd § 1497 ABGB vor, solange ihm nicht das Gericht die Ergänzung des Vorschusses aufträgt (EFSlg 8.917 = RZ 1968, 74).

5 Anfechtbarkeit des Beschlusses. Die Verweisung des § 365 auf § 332 Abs 2 schafft ein weiteres Problem, das beim Zeugenbeweis gerade nicht besteht: Der Beschluss über den Kostenvorschuss ist nach dieser Bestimmung nur hinsichtlich seiner Höhe und da nur eingeschränkt (vgl §§ 332 Abs 2 und 440 Abs 6) anfechtbar; die eben wegen der Kosten so bedeutsame Vorfrage, ob überhaupt ein Sachverständiger zu bestellen und daher überhaupt ein Vorschuss zu leisten ist, wäre nach dem Wortlaut des Gesetzes unanfechtbar. Eine teleologische Auslegung muss aber zur Zulässigkeit der Anfechtung mit der Begründung, es sei gar kein Sachverständiger zu bestellen, führen, weil in diesem Fall der Vorschuss mit Null zu bemessen wäre (Fasching Rz 1009; Rechberger/ Simotta Rz 638; im Ergebnis auch Deixler-Hübner, RZ 1992, 278 ff und OLG Wien 16 R 203/02v = bbl 2003/50; aA Rüffler, Sachverständige 50 ff; Krammer in Fasching/Konecny III § 365 Rz 30; 6Ob 283/03s; OLG Wien 3 R 131/03m; LGZ Wien 38 R 172/03f = MietSlg 55.684).

6 Kostentragung. Von der Frage, wann und von welcher Partei ein Kostenvorschuss zu erlegen ist, ist jene zu unterscheiden, wer die Kosten des Sachverständigenbeweises letztlich zu tragen hat. Diente der Sachverständigenbeweis daher zur Klärung des von beiden Teilen verschieden beurteilten Sachverhalts, so sind die Kosten auch von beiden Teilen gemeinschaftlich zu tragen, wenn auch der Beweis nur von einer Partei beantragt wurde (LGZ Wien EvBl 1935/240; LGZ Wien EvBl 1937/708; KG Leoben Arb 7756 = ZVR 1964/83). Ist ein Sachverständigenbeweis von Amts wegen aufgenommen worden, durch das Nichterscheinen beider Parteien bei der mündlichen Streitverhandlung aber Verfahrensstillstand eingetreten, so hat der Beklagte die Kosten dieses Beweises zu tragen, wenn er sich in der Klagebeantwortung auf diesen Beweis berufen hat (OLG Wien WR 281). 1300

§ 366

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Gebührenanspruch. Gem §§ 24 ff GebAG 1975 hat der Sachverständi- 7 ge Anspruch auf Sachverständigengebühren, die den Ersatz der notwendigen Kosten der Zureise an den Ort der Befund- und Beweisaufnahme, des Aufenthalts an diesem Ort und der Rückreise, den Ersatz der Kosten für die Beiziehung von Hilfskräften und der sonstigen durch seine Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren verursachten Kosten sowie die Entschädigung für Zeitversäumnis und letztlich eine Gebühr für die Mühewaltung (einschließlich der Teilnahme an den Verhandlungen und für das Aktenstudium) umfassen. Die Reisekosten entsprechen jenen hoher Staatsbeamter, die Gebühren für die Mühewaltung den Honoraren der freien Erwerbstätigkeit von Sachverständigen. Auf Antrag ist dem Sachverständigen ein angemessener Vorschuss zu gewähren. In Arbeits- und Sozialrechtssachen steht dem Sachverständigen unter den Voraussetzungen des § 42 ASGG eine höhere als die im GebAG 1975 bestimmte Gebühr zu. Die Sachverständigengebühr wird mit Gerichtsbeschluss festgesetzt, welcher dem Sachverständigen, den Parteien und dem Rechnungsführer des Gerichtes zuzustellen ist (ausgenommen in den Fällen des § 42 Abs 2 ASGG). Alle diese Personen können gem § 41 Abs 1 GebAG 1975 idF BGBl 1994/623 gegen jeden derartigen Beschluss (also – anders als nach § 528 Abs 2 Z 5, welche Bestimmung die Rsp früher auch in diesem Fall zu Unrecht anzuwenden pflegte [vgl zur Problematik im übrigen Rechberger/Simotta Rz 872; ferner § 528 Rz 36 f] – auch gegen einen [erstmaligen] Beschluss der zweiten Instanz, mit dem solche Gebühren bestimmt werden) binnen 14 Tagen Rekurs erheben. Vgl zum Gebührenanspruch und zu seiner Geltendmachung ausführlich Krammer in Fasching/Konecny III Anh § 365 Rz 1 ff. Die Gebühren des Sachverständigen sind Prozesskosten (§§ 40, 41, 43 Abs 1, 64 Abs 1 Z 1 lit c), die den Parteien nach den Grundsätzen über die Kostenersatzpflicht (§§ 41 ff) aufzuerlegen sind; sie werden amtswegig eingebracht (§ 1 Z 5 lit c GEG). § 366. (1) Gegen den Beschluss, durch welchen die Ablehnung eines Sachverständigen verworfen oder eine schriftliche Begutachtung angeordnet wird, findet ein abgesondertes Rechtsmittel nicht statt. (2) Die Entscheidung über die Anzahl der zu bestellenden Sachverständigen, der Beschluss, durch welchen die Bestellung der Sachverständigen dem beauftragten Richter überlassen (§ 352) oder ein Sachverständiger wegen Ablehnung enthoben wird, die über die Beeidigung eines Sachverständigen gefassten Beschlüsse, endlich die Beschlüsse, durch welche für die Abgabe des Gutachtens gemäß § 360 1301

§ 367

Rechberger

eine Tagsatzung anberaumt oder eine Frist bestimmt wird, können durch ein Rechtsmittel nicht angefochten werden. [Stammfassung] Lit: Rechberger in Fasching/Konecny III § 366; sonst wie Vor § 351.

1 Abs 1 nennt jene Fälle, in denen Beschlüsse im Zusammenhang mit dem Sachverständigenbeweis nicht abgesondert angefochten werden können (vgl zur Verwerfung der Ablehnung eines Sachverständigen LG Salzburg 21 R 235/00f = EFSlg 98.284; OLG Wien 10 Rs 14/01 = SVSlg 50.242). Dazu kommt noch der in § 359 Abs 2 ausdrücklich geregelte Fall des Beschlusses, mit dem den Parteien die Mitwirkung zur Erstattung des Sachverständigengutachtens aufgetragen wird. Ferner trifft dies auch auf den Beschluss zu, mit dem ein Sachverständiger bestellt wird (vgl § 351 Rz 5), worunter die Rsp zu Recht auch die Bestellung eines nicht in einer Sachverständigenliste aufscheinenden Sachverständigen (EvBl 1970/283) und die Ersetzung des bestellten Sachverständigen durch einen anderen (EvBl 1966/448) subsumiert. Die gleiche Wertung findet sich bei Ablehnung der Bestellung eines anderen Sachverständigen (LGZ Wien MietSlg 25.540) oder bei der Enthebung eines Sachverständigen (SZ 35/96 = EvBl 1963/56) gelten. Dass vor diesem Hintergrund die konkreten Aufträge an den Sachverständigen über den Umfang der Begutachtung umso weniger einem abgesonderten Rekurs zu unterwerfen sind (2 Ob 539/81 = RZ 1982/5; LGZ Wien MietSlg 26.510; LGZ Wien 47 R 2059/92 = EFSlg 69.911; LGZ Wien 43 R 531/03m = EFSlg 105.862), liegt auf der Hand.

2 Die in Abs 2 genannten Beschlüsse nach §§ 351, 356 und 358 ZPO können gar nicht angefochten werden. § 367. Soweit im Vorstehenden nichts anderes bestimmt ist, finden auf den Beweis durch Sachverständige und insbesondere auch auf deren Vernehmung und die Protokollierung des bei einer Tagsatzung abgegebenen Befundes und Gutachtens die Vorschriften über den Beweis durch Zeugen entsprechend Anwendung. [Stammfassung] Lit: Rechberger in Fasching/Konecny III § 367; sonst wie Vor § 351.

1 Ein wenig oberflächlich verweist diese Bestimmung auf die Vorschriften des Zeugenbeweises, obwohl aufgrund der wesentlichen Funktionsunterschiede (s Vor § 351 Rz 2) der Anwendung der Regeln des Zeugen1302

§ 368

2.1 Verfahren bis zum Urteile

beweises auf den Sachverständigenbeweis von vornherein Grenzen gesetzt sind. Vgl zu einzelnen Problemen § 365 Rz 3 ff sowie ausführlich Rechberger in Fasching/Konecny III § 367 Rz 1.

Sechster Titel Beweis durch Augenschein § 368. (1) Zur Aufklärung der Sache kann das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Vornahme eines Augenscheines, nötigenfalls mit Zuziehung eines oder mehrerer Sachverständigen, anordnen. (2) Wenn der zu besichtigende Gegenstand nicht vor das erkennende Gericht gebracht werden kann, oder die Vornahme des Augenscheines vor demselben aus anderen Gründen erheblichen Schwierigkeiten unterliegen würde, so kann dieselbe durch einen beauftragten oder durch einen ersuchten Richter erfolgen. In diesem Falle kann dem mit der Vornahme des Augenscheines betrauten Richter die Entscheidung über die Zuziehung der Sachverständigen und die Ernennung derselben überlassen werden. Gegen diese Beschlüsse ist ein Rechtsmittel nicht zulässig. (3) Wenn die Vornahme des Augenscheines voraussichtlich einen Kostenaufwand verursachen wird, kann der Vorsitzende oder der beauftragte oder ersuchte Richter anordnen, dass der Beweisführer einen entsprechenden Betrag zur Deckung dieses Aufwandes vorschussweise erlege (§ 332 Abs 2). [Stammfassung] Lit: Gebauer, Die Tonbandaufnahme als prozessuales Beweismittel, AnwBl 1967, 114; Simotta, Einige Probleme des Datenschutzes im Zivilverfahrensrecht, ÖJZ 1993, 793, 838; dies, Datenschutz und Zivilverfahrensrecht in Österreich, ZZP 106 (1993) 469; Brunner, Das elektronisch gespeicherte Dokument und dessen Beweischarakter, NZ 1996, 161; Stadler, Der Zivilprozeß und neue Formen der Informationstechnik, ZZP 115 (2002) 413; Ahrens, Elektronische Dokumente und technische Aufzeichnungen als Beweismittel. Zum Urkunden- und Augenscheinsbeweis der ZPO, FS Geimer (2003) 1; Brunner, Die „elektronische“ Urkunde im Beweisrecht, FS Weißmann (2003) 135; Grötschl, Verwendung und Verwertung elektronischer Dokumente im Zivilprozess (2004); Rechberger/McGuire, Die elektronische Urkunde und das Beweismittelsystem der ZPO, in Rechberger (Hrsg), Die elektronische Revolution im Rechtsverkehr – Möglichkeiten und Grenzen, Schriftenreihe des Österreichischen Notariats Band 34 (2005). 1303

§ 368

Rechberger

Gitschthaler in Fasching/Konecny III § 368; Bajons Rz 151; Ballon Rz 259; Deixler-Hübner/Klicka Rz 153 ff; Fasching Rz 1013 ff; Holzhammer 270; ders, PraktZPR 298; Rechberger/Simotta Rz 639 ff.

1 Begriff. Gerichtlicher Augenschein ist jede unmittelbare Sinneswahrnehmung des Richters über körperliche Eigenschaften oder Zustände von Personen und Sachen. Er kann durch alle menschlichen Sinne erfolgen, vor allem durch Betrachtung (zB der besonders häufige Ortsaugenschein), Gehör (vor allem bei Lärm), Geschmack (zB bei Beschaffenheit von Speisen), Geruch (zB bei Abgasen) oder Gefühl (zB durch eine Sitzprobe in einem Fahrzeug). Im Falle eines Ortsaugenscheins kann die mündliche Verhandlung an Ort und Stelle durchgeführt werden (§§ 132 Abs 2, 281 Abs 1). Der Augenscheinsbeweis ist der einzige tatsächlich (nahezu) unmittelbare Beweis und kann schon deshalb – ebenso wie der Sachverständigenbeweis – unbeschränkt von Amts wegen angeordnet werden (§§ 183 Abs 1 Z 4, 368 Abs 1). Seine Funktion geht über die eines Beweismittels hinaus, weil das Gericht oft erst mit Hilfe des Augenscheins die nötige Information und Orientierung über den Streitfall erhält (Fasching Rz 1014). Häufig ist die Verwertung der Wahrnehmungen, die der Augenschein vermittelt, nur mit Hilfe eines besonderen Fachwissens möglich. Erfolgt der Augenschein daher allein durch einen Sachverständigen, geht das Beweismittel im Sachverständigenbeweis auf (s § 359 Rz 2). § 368 Abs 1 erwähnt aber auch den Fall des Augenscheinsbeweises unter Zuziehung von Sachverständigen (gemischter Augenschein).

2 „Neue“ Informationsträger. Der klassische Augenschein vermittelt dem Gericht keinen Gedankeninhalt. Ist dies doch der Fall wie bei Filmen, Videoaufzeichnungen, Licht- oder Tonbändern oder elektronischen Datenspeicherungen, handelt es sich dann jedenfalls nicht um einen Urkundenbeweis, wenn es an der Schriftlichkeit fehlt (vgl 1 Ob 2031/96z [Tonbandaufnahmen]). Informationsträger, die Texte enthalten (wie etwa Mikrofilmaufnahmen in Archiven [Rechberger/Simotta Rz 617] oder Lichtbilder, die schriftliche Aufzeichnungen festhalten [2 Ob 2382/96z]), können dagegen als Urkunden gewertet werden. Allerdings mangelt es in diesen Fällen an der Unmittelbarkeit, so dass diese Beweismittel nur dann herangezogen werden dürfen, wenn kein unmittelbareres zur Verfügung steht (s Vor § 266 Rz 30). Die überwiegende hL zählt das elektronische Dokument zu den Augenscheinsgegenständen (vgl dazu Vor § 292 Rz 5).

3 Rechtshilfeverfahren. Obwohl die Unmittelbarkeit an sich in der Natur des Augenscheinsbeweises liegt und dieser Beweis daher sinnvoller 1304

§ 369

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Weise regelmäßig vor dem erkennenden Gericht selbst aufgenommen werden sollte, bietet § 368 Abs 2 die Möglichkeit zu seiner Durchführung im Rechtshilfeverfahren (oder vor einem beauftragten Richter): Dies liegt in der Natur der Sache, wenn der zu besichtigende Gegenstand nicht vor das erkennende Gericht gebracht werden kann; die Generalklausel, die diese Möglichkeit schlicht dann eröffnet, wenn die Vornahme des Augenscheins vor diesem Gericht „aus anderen Gründen erheblichen Schwierigkeiten unterliegen würde“ (die Formulierung folgt dem § 352 Abs 1), erscheint jedoch bedenklich. Von der mittelbaren Aufnahme des Augenscheins sollte daher in einschränkender Auslegung des § 368 Abs 2 nur ganz ausnahmsweise Gebrauch gemacht werden (Fasching Rz 1018). Insbes hat daher bei Vorliegen der Voraussetzungen auch eine Beweisaufnahme im Ausland unmittelbar zu erfolgen (vgl bei § 291a ff). Kostenvorschuss. Genauso wie beim Sachverständigenbeweis kann das 4 Gericht (nicht im Verfahren in Arbeits- und Sozialrechtssachen: § 39 Abs 5 ASGG) einem Beweisführer, der nicht die Verfahrenshilfe genießt, gleichzeitig unter Fristsetzung einen ziffernmäßig bestimmten Kostenvorschuss auferlegen, wenn die Vornahme des Augenscheins voraussichtlich einen Kostenaufwand verursachen wird (Abs 3). Auch hier tritt die Beweispräklusion des § 332 Abs 2 ein, der dieselben Bedenken entgegenstehen wie beim Sachverständigenbeweis (s § 365 Rz 3; Fasching Rz 1017). Ein Kostenvorschuss darf aber jedenfalls auch hier nur nach § 3 GEG auferlegt werden, wenn der Ortsaugenschein von Amts wegen angeordnet wird (vgl Gitschthaler in Fasching/Konecny III § 368 Rz13). Augenscheinsgehilfen sind vom Gesetz zwar nicht vorgesehen, kön- 5 nen aber ausnahmsweise dann notwendig sein, wenn die Vornahme des Augenscheins für den Richter selbst besondere Gefahren mit sich brächte (zB bei einem Ortsaugenschein in der Brandruine eines Hochhauses). Problematisch ist die Heranziehung von Augenscheinsgehilfen jedoch deshalb, weil mit ihrer Zuziehung die Unmittelbarkeit zwangsläufig verloren geht. Meist wird in solchen Fällen ein Sachverständiger zugezogen werden müssen (für den freilich dieselbe Problematik gilt). Vgl dazu auch Fasching Rz 1020 und Gitschthaler in Fasching/Konecny III § 368 Rz 12. § 369. Ist eine Sache zu besichtigen, welche sich nach den Angaben des Beweisführers in dem Besitze der Gegenpartei oder in der Verwahrung einer öffentlichen Behörde oder eines Notars befindet, so 1305

§ 369

Rechberger

sind die Bestimmungen der §§ 301 und 303 bis 307 mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Beurteilung, welchen Einfluss die Verweigerung der Vorzeigung und Herausgabe der Sache seitens des Gegners, die absichtliche oder doch durch den Gegner veranlasste Beseitigung oder Beschädigung der Sache oder die Verweigerung einer Aussage darüber habe, dem durch sorgfältige Würdigung aller Umstände geleiteten richterlichen Ermessen überlassen bleibt. [Stammfassung] Lit: Simotta, Einige Probleme des Datenschutzes im Zivilverfahrensrecht, ÖJZ 1993, 793, 838 = ZZP 106 (1993) 469; Buchegger, Zum Hausrecht und zur persönlichen Freiheit in der Zwangsvollstreckung, in: Grundrechtsverletzungen bei der Zwangsvollstreckung, DIKE International 3 [1996] 271. Gitschthaler in Fasching/Konecny III § 369; sonst wie bei § 368.

1 Duldung des Augenscheins. Befindet sich der Augenscheinsgegenstand im Besitz der Gegenpartei, so sind die Bestimmungen über die Urkundenedition nach den §§ 303 bis 307 sinngemäß anzuwenden. Wird der Augenschein auf Antrag einer Partei durchgeführt, ist demnach der Gegner bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 304 verpflichtet, den Gegenstand herauszugeben bzw den Augenschein zu dulden; er kann sich aber auf die Weigerungsgründe des § 305 (s dort Rz 2) berufen. Die Vorlage- und Duldungspflicht des Gegners kann aber beim Augenscheinsbeweis nicht erzwungen werden; verweigert der Gegner die Vorzeigung und Herausgabe des Gegenstands oder beseitigt und beschädigt er die Sache bzw verweigert er die Aussage darüber, so unterliegt dies (so wie nach § 307 Abs 2 hinsichtlich der Urkunde) der freien richterlichen Beweiswürdigung. Ist diese Anordnung bisweilen schon bei der Urkunde problematisch (s § 307 Rz 3), so hilft sie beim Augenschein in vielen Fällen naturgemäß überhaupt nichts – ohne den Augenscheinsgegenstand tatsächlich gesehen zu haben, lassen sich oft keinerlei Schlüsse ziehen. Im Falle amtswegiger Aufnahme des Augenscheinsbeweises erstreckt sich die (nicht erzwingbare) Vorlage- und Duldungspflicht auf beide Parteien.

2 Aus der Anwendung des § 301 ergibt sich, dass das Gericht Augenscheinsgegenstände, die sich bei einer öffentlichen Behörde oder einem Notar befinden, selbst beizuschaffen hat; ihre Herausgabe kann (nur) mit den Möglichkeiten der Amtshilfe erzwungen werden.

3 Da keine Verweisung auf § 308 erfolgt, gibt es keinen an einen Dritten gerichteten Auftrag zur Vorlage eines Augenscheinsgegenstands. Eine 1306

§ 370

2.1 Verfahren bis zum Urteile

jedermann treffende Verpflichtung, die Vornahme eines Augenscheins (zB das Betreten einer Wohnung, die Untersuchung des Körpers) zu dulden, ist im Gesetz nirgendwo vorgesehen; sie widerspräche dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Schutz der Privatsphäre (vgl zB zum „Hausrecht“ Buchegger, DIKE Int 3, 271). Dies kann freilich im Einzelfall der Wahrheitsforschung sehr hinderlich sein. § 370. (1) Gegen Beschlüsse und Verfügungen bei der Vornahme des Augenscheines findet ein abgesondertes Rechtsmittel nicht statt. Dies gilt auch von dem Beschlusse, durch welchen ein Antrag auf Zuziehung von Sachverständigen verworfen wurde. (2) Das Ergebnis des Augenscheines ist in dem Verhandlungsprotokolle, wenn aber der Augenschein außerhalb der Verhandlungstagsatzung vorgenommen wird, in einem besonderen Protokolle, und zwar in der Regel unmittelbar nach der Vornahme des Augenscheines, aufzuzeichnen. (3) In dem Protokolle ist zu bemerken, ob die Parteien und welche derselben bei Vornahme des Augenscheines anwesend waren, sowie ob und welche Einwendungen von ihnen bei der Vornahme des Augenscheines oder gegen das Protokoll erhoben wurden. [Stammfassung] Lit: Gitschthaler in Fasching/Konecny III § 370; sonst wie bei § 368. Ähnlich wie die Bestimmungen der §§ 319, 349, 366, 375 beschränkt 1 auch § 370 die abgesonderte Anfechtbarkeit von Beschlüssen und Verfügungen bei der Vornahme des Augenscheins. Wird der Augenschein außerhalb der mündlichen Streitverhandlung 2 durchgeführt, sind die Parteien dazu zu laden; sie können den Richter oder Sachverständigen bei der Durchführung unterstützen (Fasching Rz 1019); ihr Nichterscheinen hindert die Beweisaufnahme aber nicht. Das Protokoll (Verhandlungsprotokoll oder besonderes Protokoll über 3 den Augenschein) hat das Ergebnis des Augenscheins festzuhalten und zu beurkunden, ob die Parteien anwesend waren und ob und welche Einwände sie gegen den Augenschein oder die Protokollierung erhoben haben.

1307

§ 371

Rechberger Siebenter Titel Beweis durch Vernehmung der Parteien

§ 371. (1) Der Beweis über streitige, für die Entscheidung erhebliche Tatsachen kann auch durch die Vernehmung der Parteien geführt werden; die Anordnung dieser Beweisführung kann auf Antrag oder von Amts wegen erfolgen. (2) Kann einer Partei, die durch einen Rechtsanwalt vertreten ist, eine Ladung zu ihrer Einvernahme an der angegebenen Adresse nicht zugestellt werden, so können alle weiteren Ladungen zu Handen des Vertreters erfolgen. [Fassung ZVN 1983; Abs 2 angefügt durch ZVN 2002] Lit: Sprung, Zielsetzungen einer Zivilprozeßreform, JBl 1981, 337; König, Bemerkungen zur Regierungsvorlage einer Zivilverfahrens-Novelle, JBl 1982, 406; Schumacher, Unternehmensgeheimnisse im Zivilprozeß, ÖBl 1988, 89; Simotta, Die familienrechtlichen Entschlagungsgründe der ZPO, ÖJZ 1997, 486; Stürner, Die Partei als Beweismittel im europäischen Zivilprozeß, FS Ishikawa (2001) 529; Kollhosser, Parteianhörung und Parteivernehmung im deutschen Zivilprozeß, FS Beys (2003) 755. Spenling in Fasching/Konecny III § 371; Bajons Rz 146; Ballon Rz 260; Deixler-Hübner/Klicka Rz 156 f; Fasching Rz 1021 ff; Holzhammer 271; ders, PraktZPR 301; Rechberger/Simotta Rz 644 ff.

1 IdR wissen die Parteien am besten – und bisweilen nur sie – über die entscheidungserheblichen Tatsachen Bescheid (vgl dazu Fasching Rz 1021). Die Entwicklung der Parteienvernehmung im österr Zivilprozess ist bemerkenswert: Von der ZPO 1895 erstmals in Kontinentaleuropa aus dem angelsächsischen Prozessrecht übernommen, war sie zunächst bloß ein subsidiäres Beweismittel, um (erst) von der ZVN 1983 den vier anderen „klassischen“ Beweismitteln gleichgestellt zu werden. Zuletzt hat die ZVN 2002 aus der Parteienvernehmung insofern geradezu ein „primäres“ Beweismittel gemacht, als diese nun – soweit dies zweckmäßig ist – schon in der vorbereitenden Tagsatzung durchgeführt werden soll (vgl § 258 Rz 1). Naturgemäß kann die Parteienvernehmung (auch) unbeschränkt von Amts wegen erfolgen. Seit der ZVN 1983 gibt es kein Verfahren mehr, in dem die Parteienvernehmung gänzlich unzulässig wäre; im Bescheinigungsverfahren ist bloß die eidliche Parteienvernehmung verboten (s § 274 Abs 1; Ausnahme: § 307 Abs 1).

2 Die (verbliebenen) Unterschiede zwischen der gesetzlichen Ausgestaltung des Zeugenbeweises und jener der Parteienvernehmung bestehen 1308

§ 372

2.1 Verfahren bis zum Urteile

zum einen darin, dass die falsche Beweisaussage einer Partei (sofern sie nicht beeidet wurde) im Gegensatz zur Falschaussage des Zeugen nicht strafbar ist (§ 288 StGB), und zum anderen darin, dass die Partei anders als der Zeuge zwar weder zum Erscheinen vor Gericht noch zur Aussage selbst gezwungen werden kann, aber kein Aussageverweigerungsrecht wegen vermögensrechtlicher Nachteile besitzt (§ 380). Dazu kommt noch, dass die Möglichkeit der Parteienvernehmung im Rechtshilfeweg gegenüber dieser Vorgangsweise beim Zeugenbeweis wesentlich eingeschränkt ist (§ 375 Abs 2). Das Beweismittel der Parteienvernehmung ist von der „informativen“ 3 Befragung der Parteien im Rahmen der materiellen Prozessleitung nach § 182 und der Anhörung der Parteien zu unterscheiden (s auch § 177 Rz 2). Diese Formen des Parteivorbringens dienen der Ausführung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch den „Sachvortrag“ (der im Anwaltsprozess – außer bei der informativen Befragung – durch den Anwalt erfolgen muss). Dieses Parteivorbringen kann durch die Parteienvernehmung nicht ersetzt werden (JBl 1965, 93; SZ 39/8; EFSlg 32.037; JBl 1987, 659; EFSlg 55.018; 8 Ob 224/02b; 9 Ob 106/03h = EFSlg 105.863). Die Aussage der Partei richtet sich als Prozesshandlung an das Gericht 4 und nicht an den Prozessgegner. Sie beinhaltet als solche keine rechtsgeschäftliche Willenserklärung (SZ 41/149 = NZ 1970, 31). Anders als Zeugen und Sachverständige haben die Parteien keinen Ge- 5 bührenanspruch gegen den Staat für die durch ihre Vernehmung entstandenen Kosten, Zeitversäumnisse und Verdienstausfälle. Sie können gem § 42 Abs 1 nur ihre Barauslagen und die Kosten einer Zeitversäumnis im Rahmen eines ihnen gegen den Gegner zustehenden Kostenersatzanspruches geltend machen. Ist die Ladung der Partei an der angegebenen Adresse nicht zustellbar 6 (es muss also einen erfolglosen Zustellversuch an die Partei gegeben haben [Spenling in Fasching/Konecny III § 371 Rz 21; vgl auch ErlRV 962 BlgNR 21. GP 37]), kann stattdessen dem Parteienvertreter zugestellt werden. Dieser hat dann für die Weiterleitung der Ladung an die Partei zu sorgen. § 372. Parteien, in Ansehung deren Vernehmung oder Beeidigung einer der Ausschließungsgründe des § 320 vorliegt, dürfen nicht zum Zwecke der Beweisführung abgehört werden. [Fassung ZVN 1983] 1309

§ 373

Rechberger

Lit: Spenling in Fasching/Konecny III § 372; sonst wie bei § 371.

1 Die Parteivernehmungsfähigkeit geht mit der Zeugnisfähigkeit konform: Parteien, für die die Ausschließungsgründe des § 320 (Zeugnisunfähigkeit) vorliegen (s dort), dürfen nicht vernommen werden. Die Prozessunfähigkeit führt daher nicht zwingend zur Parteivernehmungsunfähigkeit.

2 Geistige Mängel verhindern daher nur dann die Vernehmung einer Partei, wenn die Voraussetzungen des § 320 Z 1 vorliegen (OLG Linz EFSlg 29.992). Ob Geisteskrankheit die Parteienvernehmung tatsächlich ausschließt, ist eine Frage der Beweiswürdigung (EvBl 1962/294). Vgl zur Anwendung bzw Unanwendbarkeit von Vorschriften über den Zeugenbeweis im Übrigen § 380. § 373. (1) Wird der Rechtsstreit von dem gesetzlichen Vertreter eines Pflegebefohlenen geführt, so bleibt es dem Ermessen des Gerichtes überlassen, die Vernehmung des gesetzlichen Vertreters oder, sofern dies nach § 372 statthaft erscheint, des Pflegebefohlenen oder beider zu verfügen. (2) Ist eine Konkursmasse Prozesspartei, so kann das Gericht die Vernehmung des Verwalters der Konkursmasse oder des Gemeinschuldners oder beider anordnen. (3) In Rechtsstreitigkeiten einer offenen Gesellschaft sind alle Gesellschafter, in Rechtsstreitigkeiten einer Kommanditgesellschaft alle persönlich haftenden Gesellschafter und, wenn der Rechtsstreit von einer anderen Gesellschaft, einer Genossenschaft, einer Gemeinde, einem Vereine oder sonst von einem nicht zu den physischen Personen gehörigen Rechtssubjekte geführt wird, dessen gesetzliche Vertreter in Bezug auf die Vernehmung als Partei zu behandeln. (4) Können hienach oder, weil auf Seiten einer Partei Streitgenossen auftreten, mehrere Personen vernommen werden, so hat das Gericht zu bestimmen, ob alle oder welche unter diesen Personen abzuhören sind. [Abs 3 geändert durch HaRÄG; sonst Stammfassung] Lit: Oberhammer, Die Offene Handelsgesellschaft im Zivilprozeß (1998) 144 ff. Spenling in Fasching/Konecny III § 373; sonst wie bei § 371.

1 Soweit es sich um physische Personen handelt, werden als Parteien Kläger, Beklagte, streitgenössische Nebenintervenienten und allenfalls Prozessstandschafter (Fasching Rz 1025; GH 1920, 140) vernom1310

§ 373

2.1 Verfahren bis zum Urteile

men. Dem Parteibegriff zu unterstellen sind naturgemäß sämtliche Teilgenossen einer einheitlichen Streitpartei (s § 14). Was die Vernehmung der (sonstigen) materiellen Streitgenossen angeht, so ist die Parteienvernehmung nur hinsichtlich des gemeinsamen Sachverhalts sachgerecht; soweit es um Tatsachen geht, die nur jeweils den/die anderen Streitgenossen betreffen, ist (auch) der materielle Streitgenosse – so wie bei getrennter Verhandlung der einzelnen Ansprüche – als Zeuge zu vernehmen (vgl dazu Oberhammer, OHG 151 f). Formelle Streitgenossen nach § 11 Z 2 sind hinsichtlich der Tatsachen, die den Anspruch des anderen betreffen, jedenfalls als Zeugen zu vernehmen. Als Partei (und nicht etwa als Zeuge) ist auch der gesetzliche Vertreter 2 eines Prozessunfähigen zu vernehmen (LGZ Wien 44 R 94/02b = EFSlg 102.031). Das Gericht kann (Ermessen) aber auch den Prozessunfähigen selbst (sofern er nicht zeugnisunfähig ist; s §§ 372, 320 Z 1) vernehmen oder aber sowohl den gesetzlichen Vertreter als auch den Prozessunfähigen (vgl dazu auch Art XLI EGZPO). Eine analoge Regelung gilt im Konkurs: hier kann der Masseverwalter oder der Gemeinschuldner oder beide vernommen werden. Zur Frage, wer in einem solchen Prozess Partei ist, vgl Vor § 1 Rz 4 und Rechberger/Simotta Rz 170. Bei Personengesellschaften sind nach dem Wortlaut des Abs 3 die per- 3 sönlich haftenden Gesellschafter (bei der KG also die Komplementäre) als Partei zu vernehmen; auf die Geschäftsführungsbefugnis käme es demnach nicht an. Demgegenüber hat Oberhammer, OHG 144 ff, überzeugend nachgewiesen, dass die Anwendung der Bestimmungen über die Parteienvernehmung auf Gesellschafter, die nicht vertretungsbefugt sind, damit auch nicht wirksam für die Gesellschaft prozessual handeln können, und deren Wissen der Gesellschaft auch nicht zuzurechnen ist, dem Zweck der Differenzierung zwischen Partei- und Zeugeneinvernahme widerspricht. Der Wortlaut des § 373 Abs 3 ist deshalb dahingehend teleologisch zu reduzieren, dass nur vertretungsbefugte Gesellschafter einer Personalgesellschaft als Parteien zu vernehmen sind. Bei juristischen Personen (Kapitalgesellschaften, Genossenschaften, 4 Gemeinden, Vereinen, Anstalten, Stiftungen etc) ist der kraft Gesetzes oder Satzung befugte gesetzliche Vertreter (das satzungsgemäße Organ) als Partei zu vernehmen. Dasselbe gilt auch für den Zwangsverwalter sowie den Überweisungs- 5 gläubiger im Drittschuldnerprozess. Im Falle der Zwangsverwaltung 1311

§ 374

Rechberger

kann der Verpflichtete jedenfalls anstelle oder neben dem Zwangsverwalter als Partei vernommen werden (Spenling in Fasching/Konecny III § 373 Rz 5). Warum dasselbe im Drittschuldnerprozess nur möglich sein soll, wenn der Verpflichtete dem betreibenden Gläubiger als Nebenintervenient beigetreten ist (so AmtlSlgNF 1743) ist nicht selbsterklärend (vgl dazu die berechtigte Kritik von Spenling in Fasching/Konecny III § 73 Rz 5).

6 In allen Fällen, in denen mehrere Personen als oder für eine Partei auftreten (mehrere Gesellschafter, mehrere gesetzliche Vertreter, mehrere Streitgenossen), kann das Gericht nach seinem Ermessen bestimmen, ob es alle oder welche von ihnen es als Parteien vernehmen will (Abs 4).

7 Wird eine Person, die demnach als Partei vernommen werden sollte, bloß als Zeuge vernommen, bildet dies nach der Rsp keinen wesentlichen Verfahrensmangel (Rsp 1933/340; JBl 1962, 614; LGZ Wien EFSlg 57.761). Dasselbe gilt im umgekehrten Fall, dass ein eigentlich als Zeuge zu vernehmender als Partei vernommen worden ist (Spenling in Fasching/Konecny III § 373 Rz 14; Fasching Rz 1022). § 374. Das Gericht hat unter sorgfältiger Würdigung aller Umstände zu beurteilen, ob die Beweisführung durch Vernehmung der Parteien ganz zu entfallen habe, wenn es die Überzeugung gewonnen hat, dass die Partei, welcher der Beweis der streitigen Tatsache obliegt, von derselben keine Kenntnis hat, oder wenn die Anhörung dieser Partei nach den Bestimmungen des § 372 unstatthaft ist. [Stammfassung] Lit: Spenling in Fasching/Konecny III § 374.

1 Diese seltsame Bestimmung will bloß klarstellen, dass der Grundsatz der Vernehmung beider Parteien (s § 376 Abs 2) dann eine Ausnahme erfahren kann, wenn die beweispflichtige Partei nichts weiß oder zeugnisunfähig ist. § 375. (1) Die Beweisführung durch Vernehmung der Partei wird durch Beschluss angeordnet. Gegen diesen Beschluss ist ein abgesondertes Rechtsmittel nicht zulässig. Die Beweisführung geschieht dadurch, dass das Gericht an die zu vernehmende Partei über die Tatsachen, deren Beweis durch die Vernehmung hergestellt werden soll, 1312

§ 375

2.1 Verfahren bis zum Urteile

die geeigneten Fragen stellt. Für diese Befragung der Partei haben die Vorschriften der §§ 340 bis 343 sinngemäß zu gelten. (2) Diese Befragung hat vor dem erkennenden Gerichte zu geschehen. Die Beweisaufnahme durch einen ersuchten Richter ist nur zulässig, wenn dem persönlichen Erscheinen der Partei unübersteigliche Hindernisse entgegenstehen, oder dasselbe unverhältnismäßige Kosten verursachen würde. [Stammfassung; Abs 2 Satz 2 aufgehoben durch ZVN 1983] Lit: Spenling in Fasching/Konecny III § 375; sonst wie bei § 371. Die Einleitung von Abs 1 wurde nicht an die Abschaffung des (abgeson- 1 dert nicht anfechtbaren) Beweisbeschlusses durch die ZVN 2002 angepasst. Dieser wurde durch das Prozessprogramm ersetzt, welches ohnedies jederzeit abänderbar und nicht anfechtbar ist (Spenling in Fasching/ Konecny III § 375 Rz 1; vgl schon oben Vor § 266 Rz 28 und bei § 351 Rz 5). Da die Parteienvernehmung nach § 258 Abs 1 Z 5 möglichst schon in der vorbereitenden Tagsatzung stattfinden soll, müssen die Parteien überdies geladen werden, bevor überhaupt ein Beschluss ergehen könnte. Für die Befragung der Parteien gelten die Vorschriften der §§ 340 bis 343 2 über die Zeugenvernehmung (s dort) sinngemäß. Da es bei der Parteienvernehmung naturgemäß ganz besonders auf den 3 persönlichen Eindruck des Richters ankommt, hat sie in aller Regel vor dem erkennenden Gerichte zu geschehen. Die Möglichkeit der Beweisaufnahme im Rechtshilfeweg ist gegenüber jener der Zeugeneinvernahme des § 328 (s dort) wesentlich eingeschränkt: Sie ist nur zulässig, wenn dem persönlichen Erscheinen der Partei unübersteigliche Hindernisse entgegenstehen (vgl § 134 Z 1) oder dieses Erscheinen unverhältnismäßig hohe Kosten verursachen würde, wobei letzterer Grund sehr einschränkend ausgelegt werden soll (Fasching Rz 1029). Bei Vorliegen der Voraussetzungen hat aber selbst in diesen Fällen vorzugsweise eine unmittelbare Einvernahme der Parteien gem § 291a ff zu erfolgen. Die Beweisaufnahme durch einen beauftragten Richter kommt überhaupt nur bei der Vernehmung von Personen in Frage, die völkerrechtliche Immunität genießen und auf ihren Wunsch hin in ihrer Wohnung vernommen werden (Fasching Rz 1029; s auch § 328 Rz 4). Liegen die Voraussetzungen des Abs 2 nicht vor, verstößt eine Parteienvernehmung im Rechtshilfeweg gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz (vgl auch JBl 1960, 564 [zust Novak]), was einen wesentlichen Verfahrensmangel darstellt (s Vor § 266 Rz 30 und § 328 Rz 1). Nach EvBl 1965/188 soll aber sogar dieser Mangel gem § 196 rügepflichtig sein. 1313

§ 376

Rechberger

§ 376. (1) Die Parteien sind zuerst ohne Beeidigung zu befragen; der unbeeideten Vernehmung kann die Abhörung unter Eid folgen. (2) Bei der unbeeideten Vernehmung sind, wenn beide Parteien erschienen sind, in der Regel beide über die zu beweisenden Tatsachen zu befragen. Vor der unbeeideten Vernehmung hat das Gericht die Parteien aufmerksam zu machen, daß sie unter Umständen verhalten werden können, über ihre Aussagen einen Eid abzulegen. [Stammfassung] Lit: Spenling in Fasching/Konecny III § 376; sonst wie bei § 371.

1 Die Partei trifft so wie den Zeugen die Erscheinenspflicht, die Aussagepflicht und die Eidespflicht (Näheres bei § 380).

2 Wie die Zeugenaussage kann auch die Parteienvernehmung nur mündlich erfolgen; schriftliche „Aussagen“ oder „eidesstattliche Erklärungen“ können nicht als Parteienvernehmung iSd §§ 371 ff gewertet werden (Fasching Rz 1029).

3 Vor der Vernehmung sind die Parteien über die Wahrheitspflicht und die ihnen zustehenden Aussageverweigerungsrechte (so wie die Zeugen) sowie darüber zu belehren, dass sie ihre Aussage unter Umständen beeiden müssen (Abs 2; s auch § 377 Abs 3).

4 Wie beim Zeugen beginnt die Vernehmung mit der unbeeideten Befragung über die „Generalien“ (s § 340 Rz 1), dann erfolgt die zuerst gleichfalls unbeeidete Befragung zum Beweisthema.

5 Wenn nicht eine Partei zeugnisunfähig ist (s § 374), sind (unbeeidet) stets beide Parteien über das Beweisthema zu befragen (OLG Wien EFSlg 20.774; EvBl 1975/223). Auch ein Verzicht einer Partei auf ihre Vernehmung ist für das Gericht schon deshalb nicht bindend (und wirkt auch nicht für den Fall einer Beweiswiederholung durch das Berufungsgericht: SZ 28/5), weil die Parteienvernehmung unbeschränkt von Amts wegen angeordnet werden kann (nach LGZ Wien EFSlg 39.186 bewirkt der Verzicht nur, dass die Partei aus dem Unterbleiben ihrer Vernehmung keinen Verfahrensmangel ableiten kann). Welche Partei zuerst befragt wird, entscheidet das Gericht nach seinem Ermessen. § 377. (1) Wenn das Ergebnis der unbeeideten Befragung nicht ausreicht, um das Gericht von der Wahrheit oder Unwahrheit der zu beweisenden Tatsachen zu überzeugen, so kann das Gericht die 1314

§§ 377–379

2.1 Verfahren bis zum Urteile

eidliche Vernehmung anordnen. Parteien, bei denen die Ausschließungsgründe des § 336 Abs 1 zutreffen, dürfen nicht beeidet werden. (2) Hiebei kann das Gericht aus der unbeeideten Aussage einzelne Behauptungen hervorheben, welche die Partei nunmehr unter Eid zu wiederholen hat; desgleichen kann das Gericht bei Anordnung der eidlichen Vernehmung die Fassung bestimmen, in welche die eidliche Aussage über einzelne Umstände zu erfolgen habe. Gegen diese Beschlüsse ist ein abgesondertes Rechtsmittel nicht zulässig. (3) Die Partei ist vor ihrer eidlichen Abhörung an die Pflicht zur Angabe der Wahrheit, an die Heiligkeit und Bedeutung des Eides, sowie an die strafrechtlichen Folgen eines falschen Eides zu erinnern. Die erfolgte Eideserinnerung ist im Protokolle festzustellen. [Abs 1 letzter Satz angefügt durch ZVN 1983; Abs 2 idF ZVN 1983; Abs 3 Satz 1 aufgehoben durch BGBl 1974/499; sonst Stammfassung] § 378. Aufgehoben durch ZVN 1983 (danach durfte nur eine Partei unter Eid vernommen werden) § 379. Das Gericht kann die Verhandlung zum Zwecke der eidlichen Befragung einer Partei vertagen, wenn es angemessen erscheint, der zu vernehmenden Partei eine Überlegungsfrist zu gewähren. [Stammfassung] Lit: Spenling in Fasching/Konecny2 III §§ 377, 378, 379, 950; sonst wie bei § 371. Das Konzept der ZPO sieht vor, dass nach der unbeeideten Befragung 1 der Parteien dann eine neue eidliche Vernehmung (s § 376 Abs 1) zu erfolgen hat, wenn das Gericht durch die unbeeideten Aussagen der Parteien nicht überzeugt worden ist. § 377 Abs 2 regelt ausführlich, welche Möglichkeiten das Gericht bei dieser neuerlichen Vernehmung hat. Ähnlich wie die Beeidigung des Zeugen (wenn auch nicht im selben Ausmaß) ist auch die Beeidigung der Parteien heute unüblich geworden, ohne dass dies die Wahrheitsforschung des Gerichts ernsthaft behindern würde (s § 336 Rz 1). Eidlich kann auch nur eine Partei vernommen werden. Zum Personenkreis, der nicht beeidet werden darf, vgl § 336 Rz 2. 1315

2

§ 380

Rechberger

3 Der Parteieneid ist ein Voreid. Vor der eidlichen Abhörung ist das Gericht zur Wahrheits- und Eideserinnerung (s Art XL EGZPO) gegenüber der Partei sowie dazu verpflichtet, sie auf die strafrechtlichen Folgen eines falschen Eides (vgl § 288 Abs 2 StGB) aufmerksam zu machen. Die falsche Beweisaussage der Partei ist, wenn sie unter Eid erfolgt, ebenso strafbar wie die falsche Beweisaussage des Zeugen oder Sachverständigen. Die Eideserinnerung ist im Protokoll festzuhalten (vgl auch § 489 Abs 1); eine allfällige Strafbarkeit ist davon aber nicht betroffen, sodass sich eine Partei, die unter Eid, wenn auch ohne Eideserinnerung, falsch aussagt, dennoch nach § 288 StGB strafbar macht (9 Os 62/77 = EvBl 1978/47). In dem Fall, dass sie nicht über ihr Aussageverweigerungsrecht belehrt wurde und deshalb nicht wusste, dass ihr ein solches zustünde, ist die Partei aber nicht strafbar (§ 290 StGB). Die Partei ist zur Beeidigung ihrer Aussage zwar verpflichtet, kann dazu aber nicht gezwungen werden. Die Weigerung ist lediglich gem § 381 zu würdigen. Ob eine Partei vereidigt wird, fällt in den Bereich der Beweiswürdigung des Gerichts. Die Unterlassung stellt daher keinen Mangel des Verfahrens dar (6 Ob 101/75; 6 Ob 783/80; 10 Ob 72/00m = MietSlg 52.778; LGZ Wien 43 R 2012, 2013/91 = EFSlg 67.017).

4 Zur (praktisch bedeutungslosen) Vertagung der Verhandlung zum Zwecke der eidlichen Befragung einer Partei nach § 379 vgl die Rechtsmittelbeschränkung des § 141. § 380. (1) Die Bestimmungen über den Beweis durch Zeugen finden auch auf die Vernehmung der Parteien zum Zwecke der Beweisführung Anwendung, soweit in diesem Abschnitte nicht abweichende Anordnungen enthalten sind. Durch den im § 321 Abs 1 Z 2 bezeichneten Grund wird jedoch die Verweigerung der Aussage von Seiten einer abzuhörenden Partei nicht gerechtfertigt. (2) Durch das Nichterscheinen einer der Parteien bei der zur Vernehmung nach § 375 angeordneten Tagsatzung oder durch die Verweigerung der Aussage seitens einer der erschienenen Parteien wird die Vernehmung des anwesenden Gegners nicht gehindert. (3) Die Anwendung von Zwangsmaßregeln, um eine Partei, die zum Zwecke der Beweisführung ohne Beeidigung oder beeidet befragt werden soll, zum Erscheinen vor Gericht oder zur Aussage zu verhalten, ist unstatthaft. [Stammfassung] Lit: Spenling in Fasching/Konecny III § 380; sonst wie bei § 371. 1316

§ 381

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Als weiteren Unterschied zur Zeugenvernehmung (vgl § 371 Rz 2) wird 1 hier bestimmt, dass die Partei kein Aussageverweigerungsrecht wegen vermögensrechtlicher Nachteile (§ 321 Abs 1 Z 2) besitzt; alle anderen Aussageverweigerungsgründe können in Frage kommen. Weder diese Beschränkung noch die sonstige Anwendbarkeit des § 321 2 spielt aber insofern eine Rolle, als die Partei (zum Unterschied vom Zeugen) weder zum Erscheinen vor Gericht noch zur Aussage (ob beeidet oder unbeeidet) gezwungen werden kann. Dass die dem Zivilrichter aufgetragene Wahrheitsforschung hier eine ihrer Grenzen findet, hängt wohl mit einem gewissen Misstrauen gegenüber der Parteiaussage zusammen (wie es besonders stark in der – abgeschafften – Subsidiarität der Parteienvernehmung zum Ausdruck kam; vgl § 371 Rz 1). Nur in Ehesachen und in Verfahren über andere nicht rein vermögensrechtliche, aus dem gegenseitigen Verhältnis zwischen Ehegatten entspringende, Streitigkeiten ist zumindest die Anwendung von Zwangsmaßnahmen möglich, um die Parteien zum persönlichen Erscheinen zu veranlassen (§ 460 Z 1); darüber hinaus hat das Nichterscheinen des klagenden Ehegatten zur mündlichen Verhandlung zur Folge, dass die Klage auf Antrag des beklagten Ehegatten als ohne Verzicht auf den Anspruch für zurückgenommen zu erklären ist (§ 460 Z 5). Obwohl (unbeeidet) stets beide Parteien vernommen werden sollen, 3 kann das Nichterscheinen einer der Parteien oder ihre Aussageverweigerung die Vernehmung des (anwesenden) Gegners nicht verhindern (EvBl 1975/223 spricht von der Zulässigkeit der Vernehmung nur einer Partei als „Säumnisfolge“). Gegen die Versäumung der Parteienvernehmung gibt es grundsätzlich 4 keine Wiedereinsetzung, da die Säumnis keinen Ausschluss dieser Prozesshandlung bewirkt (im Ergebnis richtig LGZ Wien WR 145); zur Nachholung eines Erstreckungsantrags (wenn die Partei kein grobes Verschulden an dessen Versäumung trifft) ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zulässig (HG Wien WR 227; vgl Frauenberger, Wiedereinsetzung nach der ZPO bei verschuldeter Säumnis, ÖJZ 1992, 114). § 381. Welchen Einfluss es auf die Herstellung des Beweises habe, wenn die Partei ohne genügende Gründe die Aussage oder die Beantwortung einzelner Fragen ablehnt, wenn die zum Zwecke der unbeeideten oder beeideten Vernehmung geladene Partei nicht erscheint, oder wenn die eidliche Aussage einer Partei von den bei ihrer vorausgegangenen unbeeidigten Vernehmung abgegebenen Erklärungen 1317

§ 381

Rechberger

in erheblichen Punkten abweicht, hat das Gericht unter sorgfältiger Würdigung aller Umstände zu beurteilen. [Stammfassung] Lit: Schumacher, Unternehmensgeheimnisse im Zivilprozeß, ÖBl 1988, 89. Spenling in Fasching/Konecny III § 381; sonst wie bei § 371.

1 Da die Verpflichtung der Parteien zum Erscheinen vor Gericht und zur Aussage im Regelverfahren nicht erzwungen werden kann, ist es nur konsequent, dass es der freien Beweiswürdigung (§ 272) des Gerichts überlassen bleibt, welche Schlüsse daraus zu ziehen sind, dass die Partei die Aussage bzw die Beantwortung einzelner Fragen ohne genügende Gründe verweigert oder gar nicht erscheint (JBl 1976, 376).

2 Diese freie Würdigung ist nur zulässig, wenn die Partei trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erscheint (LGZ Wien EFSlg 39.188), also zur Verhandlung nicht erscheinen wollte (OLG Wien EFSlg 32.038). Die Ladung kann durch die Erklärung des Parteienvertreters, er werde das Kommen der Partei veranlassen, nicht ersetzt werden (EFSlg 36.723). Nach HG Wien (JBl 1985, 503 [abl P. Böhm]) genügt nicht allein die Ladung zur Parteienvernehmung, es ist vielmehr zusätzlich eine Ladung zur Tagsatzung erforderlich; was aber einen kurzschlüssigen Formalismus (P. Böhm aaO) darstellt (daher zu Recht dagegen Spenling in Fasching/Konecny III § 381 Rz 3, welcher die Zustellung zweier Ladungen für überflüssig hält, weil die Ladung zur Parteienvernehmung die Ladung zur Tagsatzung inkludiert). Überholt ist auch die ältere, auf den durch die ZVN 1983 geänderten § 375 Abs 2 gestützte Rsp, wonach zur ordnungsgemäßen Ladung der Partei auch die Bekanntgabe der Tatsachen gehört, über welche die Partei einvernommen werden soll (Spenling in Fasching/Konecny III § 381 Rz 4). Ein Hinweis über die Folgen der Säumnis ist aber notwendig (LGZ Wien 43 R 78/97g = EFSlg 85.301). Eine ordnungsgemäße Ladung stellt es auch dar, wenn die Zustellung der Ladung an die Partei selbst gescheitert ist und diese in der Folge zu Handen des Rechtsanwalts der Partei erfolgt (§ 371 Abs 2). In diesem Fall muss aber auch der Ladungsverzicht des Parteienvertreters wirksam sein, damit das Nichterscheinen der Partei iSd § 381 gewürdigt werden kann (Spenling in Fasching/Konecny III § 381 Rz 7).

3 Will eine Partei aussagen, kann sie aber vor Gericht nicht erscheinen, muss sich das Gericht uU zur Partei begeben (EvBl 1961/437 = RZ 1961, 183; OLG Wien EFSlg 36.724). Die Voraussetzungen dafür sind dieselben wie beim Zeugenbeweis (§§ 328 Abs 2, 380 Abs 1; vgl § 328 Rz 4). 1318

§ 383

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Um die Vernehmungsfähigkeit einer Partei festzustellen, ist auch die 4 Anordnung einer amtsärztlichen Untersuchung zulässig. Dadurch soll dem Richter die Möglichkeit gegeben werden, die Weigerung der Partei nach § 380 zu würdigen (OLG Wien EvBl 1937/716). In die freie Würdigung ist das Verhalten der Partei im gesamten Ver- 5 fahren mit einzubeziehen (OLG Wien 14 R 181/02v = WR 952). Das Nichterscheinen oder die Aussageverweigerung kann, muss aber nicht dazu führen, die Behauptungen der Gegenseite für wahr zu halten (Spenling in Fasching/Konecny III § 381 Rz 14; 9 Ob 12/05p = JBl 2005, 738 = EvBl 2005/175; LGZ Wien 43 R 688/89 = EFSlg 61.199). Ob das Gericht das Verhalten der Partei gem § 381 würdigen darf, ist eine Verfahrensfrage, deren falsche Beantwortung einen Verfahrensmangel begründet (10 Ob 305/02d; MietSlg 55.745 = 10 Ob 12/03t; 6 Ob 101/05d). Wie das Gericht das Verhalten in der Folge würdigt, ist hingegen eine Frage der (irrevisiblen) Beweiswürdigung (9 Ob 302/00b; MietSlg 55.745 = 10 Ob 12/03t). In gleicher Weise der freien Beweiswürdigung des Gerichts überlassen 6 bleibt die Beurteilung einer Abweichung der eidlichen Aussage von der vorangegangenen unbeeideten Vernehmung. § 382. Die Vorschriften der §§ 372 bis 381 gelten sinngemäß auch für die wegen Vorlage einer Beweisurkunde, einer Auskunftssache oder eines Augenscheinsgegenstandes angeordnete Vernehmung und eidliche Abhörung einer Partei. [Stammfassung; früherer Abs 1 aufgehoben durch GebAG BGBl 1958/2] Lit: Spenling in Fasching/Konecny2 III § 382. Außer zum Beweis über streitige, für die Entscheidung im Zivilprozess 1 erhebliche Tatsachen (§ 371) kann die Parteienvernehmung auch zum Zwecke der Ermittlungen bei der Vorlage einer Beweisurkunde (§ 307), einer Auskunftssache (§ 318 Abs 2) oder eines Augenscheinsgegenstands (§ 369) angeordnet werden. Näheres s dort. § 383. Wenn eine Partei eine Erklärung abgegeben hat, in welcher sie sich erbietet, die zu beweisenden Umstände im Prozesse eidlich zu bestätigen, die eidliche Abhörung dieser Partei jedoch wegen ihres früheren Todes nicht stattfinden kann, so hat das Gericht die Erklärung nach § 272 zu würdigen. [Stammfassung] 1319

§ 384

Rechberger

Lit: Spenling in Fasching/Konecny III § 383.

1 Die Bestimmung über den Stellenwert einer „Eidesinformation“ im Falle des Todes einer Partei ist totes Recht.

Achter Titel Sicherung von Beweisen § 384. (1) Die Vornahme eines Augenscheines oder die Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen kann zur Sicherung einer Beweisführung in jeder Lage des Rechtsstreites und selbst noch vor Beginn desselben beantragt werden, wenn zu besorgen ist, dass das Beweismittel sonst verloren oder die Benützung desselben erschwert werde. (2) Diese Beweisaufnahmen können auch, ohne dass die Voraussetzungen des Abs 1 vorliegen, angeordnet werden, wenn der gegenwärtige Zustand einer Sache festgestellt werden soll und der Antragsteller ein rechtliches Interesse an dieser Feststellung hat. (3) Der Antrag ist bei dem Prozessgerichte, in dringenden Fällen aber, sowie wenn ein Rechtsstreit noch nicht anhängig ist, bei dem Bezirksgerichte anzubringen, in dessen Sprengel die Sachen, welche in Augenschein zu nehmen sind oder die Grundlage des Sachverständigenbeweises zu bilden haben, oder die zu vernehmenden Personen sich befinden. Der Antrag kann zu gerichtlichem Protokoll angebracht werden. [Abs 2 idF EVHGB; sonst Stammfassung] Lit: Zacherl, Zulässigkeit der Sicherung eines Beweises in Österreich für einen Amtshaftungsanspruch gegen einen fremden Staat, ZfRV 1967, 28; Schilken, Grundlagen des Beweissicherungsverfahrens, ZZP 92 (1979) 238; Konecny, Der Anwendungsbereich der einstweiligen Verfügung (1992) 239. Rassi in Fasching/Konecny III § 384; Ballon Rz 260/1; Deixler-Hübner/Klicka Rz 170; Fasching Rz 922 ff; Holzhammer 256; ders, PraktZPR 303; Rechberger/Simotta Rz 648.

1 Die Beweissicherung dient der vorsorglichen Beweisaufnahme vor einem Rechtsstreit oder vor der Beweisaufnahme in einem Rechtsstreit. Als Sicherungsverfahren weist sie Ähnlichkeiten mit dem Provisorialverfahren zur Erlassung von Einstweiligen Verfügungen auf (zu den Gemeinsamkeiten der Sicherungsverfahren vgl Fasching Rz 922). Nach dem EGMR haben diese Verfahren keine zivilrechtliche Ansprüche iSd Art 6 EMRK zum Gegenstand (EGMR ÖJZ 2004/23). 1320

§ 384

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Die internationale Zuständigkeit der österreichischen Gerichte zur 2 Durchführung eines Beweissicherungsverfahrens besteht auch dann, wenn für den (künftigen) Rechtsstreit ein ausländisches Gericht international zuständig ist, sofern nur die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit nach Abs 3 vorliegen (§ 27a JN). Zudem ist Österreich auf Grund diverser Staatsverträge völkerrechtlich zur Beweissicherung im Wege der Rechthilfe verpflichtet (vgl zu den in Frage kommenden Verträgen § 283 Rz 2). Ein völkerrechtlicher Vertrag ist auch die Voraussetzung dafür, dass ein österreichisches Gericht eine Beweissicherung anordnen darf, die im Ausland vollzogen werden müsste (Fasching Rz 922; vgl dazu bei §§ 291a ff). Als vorbeugende Rechtsschutzhandlung erfordert die Vornahme der 3 Beweissicherung die Behauptung und allenfalls Glaubhaftmachung (s § 386 Rz 2) eines besonderen Rechtsschutzinteresses (s dazu Vor § 226 Rz 9). Es kann darin liegen, dass a) eine Beweisvereitelung oder Beweiserschwerung droht (Abs 1), die künftige Beweisaufnahme also objektiv gefährdet erscheint (Veränderungen, durch die das Beweismittel verloren gehen könnte, müssen daher außerhalb der Einflusssphäre des Antragstellers liegen: LG Graz MietSlg 39.760; Beispiele: lebensgefährliche Erkrankung eines Zeugen, Verderblichkeit einer als Beweismittel benötigten Sache); oder b) im rechtlichen Interesse an der Feststellung des gegenwärtigen Zustands einer Sache (Abs 2; eine Gefährdung der Benützung der Beweismittel ist hier nicht zu bescheinigen: LGZ Wien EvBl 1947/466; Beispiele: Notwendigkeit der Beseitigung einer zerstörten oder der Instandsetzung einer beschädigten Sache). Ein solches Interesse wird jedenfalls zu bejahen sein, wenn sich aus dem Zustand der Sache ein materiell-rechtlicher Anspruch für oder gegen den Antragsteller ableiten lässt. Nach Abs 2 kann nur die Feststellung des gegenwärtigen Zustandes einer Sache erfolgen, nicht aber die Feststellung einer sonstigen, wenn auch rechtserheblichen Tatsache (zB ob in Geschäftsräumen eine regelmäßige geschäftliche Tätigkeit ausgeübt wird: LGZ Wien ImmZ 1969, 319 = MietSlg 21.812; wie eine aufgekündigte Wohnung benützt wird: LGZ Wien MietSlg 38.774). Vor einem Prozess kann die Beweissicherung nur auf Antrag erfolgen, 4 während eines Rechtsstreites sowohl auf Antrag als auch von Amts wegen im Rahmen der materiellen Prozessleitung des Richters (§ 183 Abs 3). Der Antrag ist grundsätzlich beim Prozessgericht zu stellen (unter den Voraussetzungen des Abs 3 bei dem Bezirksgericht, in dessen Sprengel sich das Beweisobjekt befindet) und kann stets zu gerichtlichem Protokoll gegeben werden. 1321

§ 385

Rechberger

5 Abs 1 beschränkt die Beweismittel des Beweissicherungsverfahrens auf den Zeugen-, Sachverständigen- und Augenscheinsbeweis (dass beim Sachverständigenbeweis, bei dem es freilich regelmäßig um die vorsorgliche Befundaufnahme gehen wird, überdies die Erstattung eines Gutachtens gänzlich ausgeschlossen sein soll – so die Rsp [7 Ob 120/03b = SZ 2003/64 ; LGZ Wien 45 R 665/65 = MietSlg 17.777; LGZ Wien 45 R 90, 101/88 = WR 319; LGZ Wien 41 R 588/91 = MietSlg 43.485; LGZ Wien 41 R 180, 182/91 = MietSlg 43.487; LGZ Wien 41 R 716/92 = MietSlg 44.784; LGZ Wien 41 R 1041/94 = MietSlg 46.659] und ihr folgend Rassi in Fasching/Konecny III § 384 Rz 20 – vermag nicht einzuleuchten). Da die Parteienvernehmung wohl nur deshalb ausgeschlossen blieb, weil sie ursprünglich ein subsidiäres Beweismittel war (s zu § 371 Rz 1), ist ihre analoge Anwendung auch bei der Beweissicherung zu befürworten (Konecny, Anwendungsbereich 240). Da die Annahme des Gesetzgebers, eine Beweissicherung sei hinsichtlich Urkunden nicht notwendig (vgl dazu Sperl 472 und Petschek/Stagel 321) irrig ist, besteht auch kein Hindernis für eine analoge Anwendung des Urkundenbeweises (aA Konecny, Anwendungsbereich 240 f; Rassi in Fasching/Konecny2 III § 384 Rz 19). Zur Frage, inwieweit Einstweilige Verfügungen erlassen werden können, um Beweisurkunden sicherzustellen, vgl Konecny, Anwendungsbereich 241 f.

6 Im Rechtsstreit kann der Beweis – wenn dies noch möglich ist – nicht nur wiederholt werden (so JBl 1931, 330), sondern dies sollte wegen des Unmittelbarkeitsgrundsatzes stets geschehen, wenn das Beweismittel immer noch in derselben Qualität zur Verfügung steht (vgl aber § 389 Rz 3). § 385. (1) Die antragstellende Partei hat die Tatsachen, über welche die Beweisaufnahme erfolgen soll, sowie die Beweismittel unter Benennung der zu vernehmenden Zeugen und der allenfalls vorgeschlagenen Sachverständigen anzugeben. Die Gründe, die den Antrag nach § 384 Abs 1 oder 2 rechtfertigen, sind von der antragstellenden Partei darzulegen. (2) Die antragstellende Partei hat ferner den Gegner zu benennen. Hievon kann nur dann abgesehen werden, wenn sich aus den von der Partei dargelegten Umständen ergibt, dass sie nach Lage der Sache außerstande ist, den Gegner zu bezeichnen. [Abs 1 Satz 2 Fassung EVHGB; sonst Stammfassung] Lit: Rassi in Fasching/Konecny III § 385; sonst wie bei § 384. 1322

§ 386

2.1 Verfahren bis zum Urteile

Inhalt des Beweissicherungsantrags. Der Antragsteller hat das Be- 1 weisthema und die Beweismittel anzugeben (er kann auch einen Sachverständigen vorschlagen, zu seiner Auswahl s § 351 Abs 1) und muss den Sicherungsgrund (objektive Gefährdung im Fall des § 384 Abs 1 oder rechtliches Interesse im Fall des Abs 2) darlegen. Dazu gehört ein Vorbringen zur Dringlichkeit der Beweisaufnahme und der Gefährdung oder Unmöglichkeit ihrer späteren Durchführung (LG Klagenfurt AnwBl 1984, 222). Sofern dies möglich ist, muss auch der Gegner benannt werden. Die Rsp hält einen Beweissicherungsantrag, der mangels Anführung 2 genau bezeichneter Tatsachen auf die Herbeiführung eines Erkundungsbeweises hinausläuft, für unzulässig (LGZ Wien EFSlg 8924). § 386. (1) Über den Antrag ist ohne vorhergehende mündliche Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden. Vor der Entscheidung ist jedoch, sofern nicht Gefahr am Verzuge ist, der Gegner zu vernehmen, falls derselbe bekannt und seine Zustimmung nicht bereits nachgewiesen ist. Der antragstellenden Partei kann vor der Entscheidung aufgetragen werden, die Umstände glaubhaft zu machen, welche die Sicherung des Beweises notwendig machen. (2) Zur Entscheidung ist bei Gerichtshöfen [der Vorsteher des Gerichtshofes oder] der Vorsitzende des Senates berufen, welchem die Rechtssache zugewiesen ist. Er fällt die Entscheidung als Einzelrichter. (3) In dem dem Antrage stattgebenden Beschlusse hat das Gericht die Tatsachen, über welche die Beweisaufnahme erfolgen soll, sowie die Beweismittel unter Benennung der zu vernehmenden Zeugen und unter Bestellung der Sachverständigen zu bezeichnen. Zugleich sind die zum Vollzuge der Beweisaufnahme nötigen Anordnungen zu treffen. Für den unbekannten Gegner kann das Gericht zur Wahrnehmung seiner Rechte bei der Beweisaufnahme einen Kurator bestellen. (4) Der Beschluss, welcher dem Antrage stattgibt, kann durch ein Rechtsmittel nicht angefochten werden. [Abs 2 Fassung 1. GEN; sonst Stammfassung] Lit: Rassi in Fasching/Konecny III § 386; sonst wie bei § 384. Grundsätzlich (wenn nicht Gefahr im Verzug ist) ist der bekannte Geg- 1 ner des Antragstellers – dessen Zustimmung nicht bereits etwa dadurch nachgewiesen ist, dass er den Antrag mitunterfertigt hat – vor der Be1323

§ 386

Rechberger

schlussfassung über den Beweissicherungsantrag zu vernehmen. Eine mündliche Verhandlung findet aber nicht statt und das Unterbleiben der Vernehmung des Gegners bleibt wegen des Rechtsmittelausschlusses in Abs 4 sanktionslos, was auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, da Art 6 EMRK auf das Beweissicherungsverfahren nicht anwendbar ist (vgl § 384 Rz 1).

2 Wenn es dem Gericht notwendig erscheint, kann der Antragsteller vor der Beschlussfassung zur Glaubhaftmachung (§ 274) der Sicherungsgründe aufgefordert werden. Der (stets vom Einzelrichter zu fällende) Beschluss, mit dem dem Antrag stattgegeben wird, hat das Beweisthema und die zugelassenen Beweismittel genau zu bezeichnen und zugleich die Beweisaufnahme anzuordnen. Ferner ist darin für einen unbekannten Gegner zur Wahrnehmung seiner Rechte bei der Beweisaufnahme ein Kurator iSd §§ 8, 9 Abs 3 zu bestellen.

3 Da es sich um eine positive Entscheidung über das auf Beweissicherung gerichtete Rechtsschutzbegehren des Antragstellers handelt (Pollak 44; Schilken ZZP 92, 238; Rechberger/Simotta Rz 648), bleibt das Gericht für die Dauer des Verfahrens – soweit sich die Verhältnisse nicht ändern – an diesen Beschluss gebunden (JUS 32, 13). Hat das Erstgericht seinen dem Beweissicherungsantrag stattgebenden Beschluss als prozessleitende Verfügung behandelt und selbst aufgehoben, und wird dieser Beschluss seinerseits vom Rekursgericht ersatzlos aufgehoben, ist der Rekurs an den OGH möglich (JUS 32, 13; Rassi in Fasching/Konecny III § 386 Rz 8).

4 Der dem Beweissicherungsantrag stattgebende Beschluss ist allerdings nicht anfechtbar (Abs 4). Das gilt auch für den Beschluss des Rekursgerichts, das in Abänderung des erstinstanzlichen Beschlusses die Beweissicherung durch einen Sachverständigen bewilligt und diesen zugleich bestellt (EvBl 1966/59). Zwar hat sich die Beweisssicherung durch einen Sachverständigen nach der Rsp auf die Befundaufnahme zu beschränken (vgl § 384 Rz 5), beauftragt das Gericht den Sachverständigen allerdings auch mit der Gutachtenserstellung, ist selbst dieser Beschluss unanfechtbar; das auftragsgemäß erstattete Gutachten soll dann aber im nachfolgenden Prozess unbeachtlich sein (7 Ob 120/03b = SZ 2003/64).

5 Die Zuständigkeit zur Entscheidung über einen Beweissicherungsantrag beim Gerichtshof richtet sich heute nach der Geschäftsverteilung (vgl BGBl 1921/422). 1324

§§ 387–388

2.1 Verfahren bis zum Urteile

§ 387. (1) Der Gegner ist unter Zustellung des Beschlusses und, falls er über den Antrag nicht früher gehört wurde, auch eines Exemplares des von der antragstellenden Partei überreichten Schriftsatzes oder einer Abschrift des über ihren Antrag aufgenommenen Protokolles zu der für die Beweisaufnahme bestimmten Tagsatzung zu laden. (2) In dringenden Fällen kann jedoch noch vor Zustellung des Beschlusses an den bekannten Gegner mit der Beweisaufnahme begonnen werden. Die Bewilligung hiezu kann auf Antrag gleichzeitig mit der Entscheidung über den Antrag auf Zulassung der Beweisaufnahme erteilt werden. Gegen die Gewährung oder Verweigerung dieser Bewilligung ist ein Rechtsmittel unzulässig. [Stammfassung] § 388. (1) Die Beweisaufnahme erfolgt nach den Vorschriften des zweiten, vierten, fünften und sechsten Titels dieses Abschnittes. (2) Das die Beweisaufnahme betreffende Protokoll wird bei dem Gerichte verwahrt, welches die Beweisaufnahme angeordnet hat. Wenn der Rechtsstreit bei einem anderen Gerichte anhängig ist oder anhängig wird, ist das Protokoll dem Prozessgerichte auf dessen Ersuchen oder auf Antrag einer der Parteien zu übersenden. (3) Die Kosten der Beweisaufnahme werden von der antragstellenden Partei bestritten, unbeschadet eines ihr zustehenden Ersatzanspruches. Dem Gegner sind die notwendigen Kosten für seine Beteiligung bei der Beweisaufnahme unbeschadet der Entscheidung in der Hauptsache zu ersetzen. [Stammfassung] Lit: Rassi in Fasching/Konecny2 III §§ 387, 388; sonst wie bei § 384. Zur Beweisaufnahmetagsatzung ist der bekannte Gegner (oder ein 1 allenfalls bestellter Kurator – s § 386 Rz 2) zu laden. Sofern er wegen Gefahr im Verzug (s. § 386 Rz 1) nicht früher gehört wurde, ist er gleichzeitig über den Beweissicherungsantrag zu informieren. Der Antragsteller kann aber auch beantragen, dass in dringenden Fällen 2 mit der Beweisaufnahme ohne den Gegner begonnen wird. Der Beschluss hierüber ist unanfechtbar. Die Beweisaufnahme erfolgt nach den allgemeinen Bestimmungen der 3 ZPO über den Beweis und die Beweisaufnahme sowie nach den Vorschriften über die einzelnen Beweismittel (§ 388 Abs 1). Es gelten daher auch die Rechtsmittelbeschränkungen des Beweisverfahrens (zB ist ein 1325

§§ 387–388

Rechberger

Beschluss, mit dem die Ergänzung oder Wiederholung einer Beweisaufnahme angeordnet wird, unanfechtbar: SZ 2/79).

4 Das Protokoll über die Ergebnisse der sicherungsweisen Beweisaufnahme bleibt so lange beim Beweissicherungsgericht, bis es ein (anderes) Prozessgericht benötigt.

5 Die Kosten des Beweissicherungsverfahrens samt den notwendigen Kosten des Gegners für seine Beteiligung bei der Beweisaufnahme trägt zunächst der Antragsteller, und zwar selbst dann, wenn die Beweissicherung im Zuge des Hauptverfahrens erfolgt (OLG Wien 14 R 235/98a = WR 863; aA Rassi in Fasching/Konecny III § 388 Rz 7; Pollak 61; Sperl 474). Das gleiche gilt für die Kosten der Beteiligung eines Nebenintervenienten (GlUNF 1067, 2779, 5343; ggt GlUNF 3319), nicht aber für die Kosten der Beteiligung anderer Personen, die weder durch Streitverkündung noch durch Intervention an der Sache beteiligt wurden (GlUNF 4427). Die Bestimmungen über die Kostenverzeichnung (§ 54) gelten auch hier (LGZ Wien AnwMitt 1933, 7; LG Graz ZBl 1934/57; LGZ Wien EvBl 1934/223), die Kosten eines Sachverständigengutachtens können dabei noch nach dessen Zustellung verzeichnet werden (LGZ Wien MietSlg 18.675). Auch die auf Antrag des Gegners auf Ergänzung des Befundes des Sachverständigen entstandenen Kosten hat der Antragsteller zu tragen (LGZ Wien WR 4). Das gilt auch für die Kosten eines vom Antragsteller im Kostenpunkt mit Erfolg ergriffenen Rekurses (LGZ Wien EvBl 1955/90; LGZ Wien MietSlg 27.669, 35.785). Nicht zu ersetzen sind dem Antragsgegner die Kosten seiner Äußerung bzw Vernehmung zum Beweissicherungsantrag iSd § 386 Abs 1 (LGZ Wien EvBl 1953/121; LGZ Wien EvBl 1955/90; LGZ Wien MietSlg 27.669, 28.601, 35.784, 36.772, 39.761; LGZ Wien 45 R 465/99m = EFSlg 90.972).

6 Kommt es zum Prozess, können die Kosten der Beweissicherung vom Beweisführer (nur) bei dieser Gelegenheit geltend gemacht werden (GlUNF 5388; ZBl 1916/384), und zwar nur in dem Ausmaß, indem sie sich für den Hauptprozess als notwendig erwiesen haben (GlUNF 2168; ZBl 1913/74; LGZ Graz 3 R 207/94 = MietSlg 46.660; LGZ Wien 41 R 301/00v = MietSlg 52.745). Nur wenn feststeht, dass es zu keinem Hauptprozess kommen wird (etwa wegen Verjährung oder Abtretung des Hauptanspruchs), kann der Antragsteller die Kosten des Beweissicherungsverfahrens mit selbständiger Klage geltend machen (7 Ob 573/91 = RZ 1992/26; 6 Ob 98/00f = JBl 2001, 459; LGZ Wien MietSlg 35.784, 39.761). Eine abgesonderte Einklagung unter Vorbehalt der Kla1326

§ 389

2.1 Verfahren bis zum Urteile

geerhebung in der Hauptsache ist unzulässig (GlUNF 3699; LG Graz ZBl 1934/57 [abl Petschek]). § 389. (1) Jede Partei kann im Verlaufe des Rechtsstreites die zur Sicherung eines Beweises erfolgte Beweisaufnahme benützen. (2) Welcher Einfluss der Einwendung einzuräumen sei, dass die Beweisaufnahme nicht nach den Bestimmungen stattgefunden hat, welche für eine im Laufe des Prozesses erfolgende Beweisaufnahme gelten, oder dass der Gegner von der Beweisaufnahme nicht oder nicht rechtzeitig verständigt wurde, hat das erkennende Gericht nach § 272 zu würdigen. (3) Im Verlaufe des Rechtsstreites kann eine Ergänzung oder Wiederholung der Beweisaufnahme angeordnet werden. [Stammfassung] Lit: Rassi in Fasching/Konecny III § 389; sonst wie bei § 384. Im Hauptprozess kann jede Partei die Herbeischaffung des Beweisauf- 1 nahmeprotokolls aus dem Beweissicherungsverfahren (s §§ 387, 388 Rz 4) beantragen und dieses Protokoll benützen. Ist die Beweissicherung von Amts wegen vorgenommen worden (s § 384 Rz 4), kann die Verwertung des Protokolls auch von Amts wegen erfolgen. Welchen Einfluss Bemängelungen der sicherungsweisen Beweisaufnah- 2 me oder die Nichtverständigung bzw nicht rechtzeitige Verständigung des Gegners hievon haben, ist vom Gericht nach freier Beweiswürdigung (§ 272) zu beurteilen. Obwohl Abs 3 die Ergänzung oder Wiederholung der Beweisaufnahme 3 im Hauptprozess – bedenklicher Weise – stets in das Ermessen des Gerichts („kann“) stellt, müssen für die Verwendung der Beweisaufnahme durch ein anderes Gericht zumindest die Voraussetzungen des § 281a (s dort) vorliegen. Aber auch dann sollte sich das Gericht nicht mit der mittelbaren Beweisaufnahme durch Verwendung des Beweisaufnahmeprotokolls aus dem Beweissicherungsverfahren begnügen, wenn das Beweismittel immer noch in derselben Qualität zur Verfügung steht (vgl § 281a Rz 5). Ist das nicht der Fall, stellt seine Verwertung einen (unproblematischen) Anwendungsfall des § 281a Z 1 lit b dar.

1327

Zweiter Abschnitt Urteile und Beschlüsse Vor § 390 Lit: Stein, Über die bindende Kraft der richterlichen Entscheidungen (1897); Petschek, Der Nicht-Richter, ZBl 1933, 17; W. Kralik, Die Vorfrage im Verfahrensrecht (1953); ders, Zur Hundertjahrfeier des Außerstreitpatentes, JBl 1954, 501; Matscher, Über die Nebenwirkungen der Urteile mit besonderer Berücksichtigung der ausländischen Urteile, JBl 1954, 54; Jauernig, Das fehlerhafte Zivilurteil (1958); Schlosser, Gestaltungsklagen und Gestaltungsurteile (1966); W Kralik, Die Verteidigung Dritter gegen rechtskräftige Urteile, Rapports et procès verbaux du IV Congrès International d’Athènes pour la Procédure civile 1967 (1972) 19; Fasching, Die Entscheidungsbegründung im österreichischen streitigen zivilgerichtlichen Erkenntnis-, Exekutionsund Insolvenzverfahren, in: Sprung/König (Hrsg), Die Entscheidungsbegründung in europäischen Verfahrensrechten und im Verfahren vor internationalen Gerichten (1974) 135; ders, Urteilsmäßige Rechtsgestaltung im Zivilprozess, JBl 1975, 505; Matscher, Die Neuregelung der Rechtsbeziehungen zwischen Österreich und Italien auf dem Gebiet des Privat- und Prozessrechts, JBl 1977, 180; Kaniak, Über die Beratung und Abstimmung in behördlichen Kollegien, JBl 1978, 470; Rechberger, Die fehlerhafte Exekution (1978); Kaniak, Die Struktur des juridischen Metaurteils, JBl 1980, 24; P. Bydlinski, Die Anfechtungs- und Auflösungsrechte des Zessionsschuldners, ÖJZ 1981, 421, 453; Schlosser, Die Sachurteilsvoraussetzungen, JURA 1981, 648; Wit, Probleme der Teileinklagung und Rechtskraft, unter besonderer Berücksichtigung der Unterhaltsansprüche, JBl 1981, 406; Buchegger, Zur Aufrechnung als Oppositionsklagegrund, BeitrZPR I (1982) 39; Kininger, Urteilsfällung in dem durch Konkurseröffnung unterbrochenen Zivilprozess (§ 159 ZPO und § 7/1 KO), BeitrZPR I (1982) 147; Petrasch, Das neue Revisions- (Rekurs-) Recht, ÖJZ 1983, 169, 200; Gottwald, Richterliche Entscheidung und rationale Argumentation, ZZP 98 (1985) 113; P. Böhm, Die Ausrichtung des Streitgegenstandes am Rechtsschutzziel, FS Kralik (1986) 83; Fink, Neue Streitfragen um § 54 AO, JBl 1986, 80; Rechberger, Das Urteil im unterbrochenen Zivilprozess – Exekutionsakte im aufgeschobenen Exekutionsverfahren, FS Kralik (1986) 273; Kaniak, Das vollkommene Urteil (1987); Ballon, 1328

Vor § 390

2.2 Urteile und Beschlüsse

Drittinteressen im Zivilprozess nach österreichischem Recht, ZZP 101 (1988) 413; Jelinek, Bemerkungen zur Streitverkündung und zur einfachen Nebenintervention in der privaten Schiedsgerichtsbarkeit, FS Schwarz (1991) 511; Musger, Verfahrensrechtliche Bindungswirkung und Art 6 MRK, JBl 1991, 420, 499; P. Böhm, ecolex 1992, 20 (Entscheidungsanm); Rechberger/Oberhammer, Das Recht auf Mitwirkung im österreichischen Zivilverfahren im Lichte von Art 6 EMRK, ZZP 106 (1993) 347; Burgstaller, Prozessverbindung, Querklage und Interventionsklage, JBl 1994, 69; Oberhammer, Richterliche Rechtsgestaltung und rechtliches Gehör (1994); Fasching, Zur Formulierung und zur Bestimmtheit von Unterlassungsbegehren im österreichischen Wettbewerbsrecht, FS Walder (1994) 3; Burgstaller, ÖZW 1995, 87 (Entscheidungsanm); Klicka, Wirkungen der Streitverkündung und Nebenintervention, ecolex 1995, 397; Netzer, Bindung durch Streitverkündung? JAP 1995/96, 52; Deixler-Hübner, JBl 1996, 466 (Entscheidungsanm); Rechberger, Rechtssicherheit, Entscheidungsharmonie und Bindung an Vorfrageentscheidungen, FS Nakamura (1996), 477; Klicka, Die Bindungswirkung bei Nebenintervention und Streitverkündung – Zur Einführung der §§ 68 und 74 dZPO in Österreich durch den OGH mittels des LGVÜ, JBl 1997, 611; Oberhammer, ecolex 1997, 422 (Entscheidungsanm); ders, JAP 1996/97, 27; ChiwittOberhammer, Die Bindungswirkung bei einfacher Nebenintervention, JAP 1997/98, 41; Deixler-Hübner, JBl 1998, 786 (Entscheidungsanm); Oberhammer, Die OHG im Zivilprozess (1998) 54; Burgstaller, Zur Bindungswirkung von Säumnisentscheidungen, JBl 1999, 563; Rechberger, Der österreichische Oberste Gerichtshof als (Ersatz-)Gesetzgeber, FS Schütze (1999) 711; Oberhammer, Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter und Rechtskrafterstreckung, JBl 2000, 58; ders, Objektive Grenzen der materiellen Rechtskraft: Bindung und Präklusion, JBl 2000, 205; Reischauer, Unterhalt für die Vergangenheit und materielle Rechtskraft, JBl 2000, 421; Strohmayer, Urteilswirkungen (2001); Beys, Prozessuale und privatrechtliche Bestimmung des Rechtskraftgegenstandes bei privatrechtlichen Streitigkeiten, FS Jelinek (2002) 1; Oberhammer, Internationale Rechtshängigkeit, Aufrechnung und objektive Rechtskraftgrenzen in Europa, IPRax 2002, 424; Gaul, Die Rechtskraft im Lichte des Dialogs der österreichischen und deutschen Prozessrechtslehre, ÖJZ 2003, 861; Gottwald, Präjudizialwirkung der Rechtskraft zugunsten Dritter? FS Musielak (2004) 183. Deixler-Hübner in Fasching/Konecny III Vor §§ 390 ff; Fasching/ Klicka in Fasching/Konecny III § 411; Bajons Rz 152 ff; Ballon Rz 306 ff; Deixler-Hübner, PraktZPR 306; Deixler-Hübner/Klicka Rz 234 ff; Fasching Rz 1373 ff; Holzhammer 275; Rechberger/Simotta Rz 649 ff. 1329

Vor § 390

Rechberger Inhaltsübersicht

Entscheidungsarten Urteilsarten Urteilsfällung und Urteilserlassung

1–4 5–8 9–12

Form und Inhalt des Urteils Urteilsrelevanz und Urteilswirkungen Urteilsmängel

13–19 20–36 37–39

1 Entscheidungsarten. Das aufgrund eines Zivilprozesses nach der öZPO gefällte Zivilurteil ist die in feierlicher Form „im Namen der Republik“ gefällte Sachentscheidung (meritorische Entscheidung) über das Klagebegehren (sowie über den Zwischenantrag auf Feststellung gem §§ 236, 259 Abs 2, die Aufrechnungseinwendung gem § 411 Abs 1, den Antrag auf Zuerkennung einer Sicherheitsleistung nach § 407, den Antrag auf Leistung eines Entschädigungsbetrags wegen mutwilliger Prozessführung gem § 408 und über den Antrag auf einen Verschuldensausspruch im Eheverfahren gem § 60 Abs 3 EheG; ferner über die Rechtsmittelanträge). Während Urteile iS der ZPO immer nur über die Hauptsache entscheiden (es gibt keine Prozessurteile wie nach der dZPO), sieht das Gesetz andererseits vor, dass Sachentscheidungen in der Hauptsache auch in anderer Form (dem Wesen nach aber immer als Beschluss) gefällt werden: So ergeht die Sachentscheidung in Besitzstörungsverfahren aus historischen Gründen in Form des Endbeschlusses (§ 459; s Näheres dort) und in allen Vorverfahren werden (besonders bezeichnete) Beschlüsse gefällt: Im Mahnverfahren der bedingte Zahlungsbefehl (§§ 244 ff, § 448; Näheres s dort), in den Mandatsverfahren der Zahlungs- bzw Wechselzahlungsauftrag (§§ 548, 557; Näheres s dort); dazu kommen im Bestandverfahren die gerichtliche Kündigung bzw der gerichtliche Übergabe- (oder allenfalls Übernahme-) Auftrag (§ 562; Näheres s dort). Auch die meritorischen Entscheidungen in den anderen zivilgerichtlichen Verfahren (Außerstreitverfahren, Exekutions- und Insolvenzverfahren) ergehen mit Beschluss. Sachentscheidungen sind aber auch die Beschlüsse, mit denen über Zwischenstreitigkeiten innerhalb eines Prozesses (sonstigen Verfahrens) entschieden wird (Näheres bei § 425). Die ZPO zählt die einzelnen Urteilsarten in den §§ 390 bis 396 und 423 auf; gem § 425 Abs 1 ist in allen Fällen, in denen kein Urteil zu fällen ist, mit Beschluss zu entscheiden.

2 Die Sachentscheidung mit Urteil kann nach dem ursprünglichen Konzept der ZPO nur nach einer mündlichen Verhandlung erfolgen (die freilich schon nach der Stammfassung im Fall des Versäumungsurteils 1330

Vor § 390

2.2 Urteile und Beschlüsse

nach § 396 nur aus der Ersten Tagsatzung bestand). Erst seit der ZVN 1983 gibt es ein Versäumungsurteil, auch ohne dass eine mündliche Verhandlung vorangegangen wäre (s § 396 Rz 1 ff). Unrichtig entscheidet die Praxis im Fall der Klageeinschränkung auf 3 Kosten mit Urteil; da es sich in diesem Fall um eine verselbständigte Nebenentscheidung handelt, wäre hier richtig durch Beschluss zu entscheiden (s § 237 f Rz 12). Das gleiche gilt im Falle der Urteilsergänzung mangels (vollständiger) Kostenentscheidung (s §§ 423, 424 Rz 2). Sofern Beschlüsse nicht ausnahmsweise Sachentscheidungen enthalten 4 (s oben Rz 1), haben sie vor allem dann besonderen Einfluss auf das Verfahren, wenn sie es (zB als negative Entscheidung über eine Prozessvoraussetzung) beenden (s unten Rz 32). Dazu kommen andere verfahrensgestaltende Beschlüsse (wie zB die Zulassung einer Klageänderung) und rein prozessleitende Verfügungen. Nach der Art der Erledigung ist zwischen stattgebenden Urteilen, die 5 dem Klageantrag (oder sonstigem zur Entscheidung mit Urteil führenden Antrag) zur Gänze Folge geben, und abweisenden Urteilen zu unterscheiden, die die Berechtigung dieses Antrags zur Gänze verneinen. Gemischte Urteile geben dem Antrag teilweise statt und weisen ihn teilweise ab. Ob das Urteil (teilweise) stattgebend oder (teilweise) abweisend ist, ergibt sich aus dem Vergleich von Urteilsantrag und Urteilsspruch; bedeutsam ist dies für die Beschwer des Rechtsmittelwerbers (s Vor § 461 Rz 9 f). Die von Holzhammer (275) genannte Kategorie des „einschränkenden Urteils“ (zB bei Verurteilung „Zug um Zug“ nach § 1052 ABGB oder „bis zum Wert des übernommenen Vermögens“ nach § 1409 ABGB) ist dem gemischten Urteil zu subsumieren (es erfolgt nur keine ausdrückliche Teilabweisung). Nach der Art des Klagebegehrens, über das im Urteil entschieden 6 wird, wird zwischen a) Leistungsurteilen, b) Feststellungsurteilen und c) Rechtsgestaltungsurteilen unterschieden. Leistungsurteile stellen den Grundtypus und praktischen Regelfall des Urteils dar, indem sie (implizite) den Klageanspruch feststellen (vgl JBl 1974, 525) und gegenüber dem unterlegenen Beklagten einen Leistungsbefehl erlassen. Sie entfalten deshalb die Urteilswirkungen der materiellen Rechtskraft und der Vollstreckbarkeit (Näheres unten Rz 24 ff, 35). Rechtsgestaltungsurteile weisen aufgrund ihrer zweifachen Wirkung, nämlich der (implizite ausgesprochenen) Feststellung des Gestaltungsgrunds und der (mit Eintritt ihrer formellen Rechtskraft) wirksam 1331

Vor § 390

Rechberger

werdenden konstitutiven Gestaltungskraft gewisse Parallelen zum Leistungsurteil auf (Näheres unten Rz 36). Sie sind aber zum Unterschied von diesen die Ausnahme, weil die Gestaltung (vor allem der materiellen Rechtslage) idR privatautonom durch die Parteien herbeigeführt werden kann. Feststellungsurteile stellen insofern eine subsidiäre Rechtsschutzform dar, als die vorsorgliche Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses nur ausnahmsweise erfolgen kann, wenn ein besonderes Rechtsschutzinteresse vorliegt (s Vor § 226 Rz 9, § 228 Rz 7 ff). Feststellungsurteile sind freilich auch alle Urteile, die eine Klage (welcher Art auch immer) abweisen; hier wird festgestellt, dass das Klagebegehren nicht berechtigt ist. Vgl zu den den Urteilstypen entsprechenden Klagetypen Vor § 226 Rz 2 ff; zu den Wirkungen der einzelnen Urteilstypen Näheres unten bei Rz 24 ff.

7 Nach dem Umfang der Erledigung können a) Endurteile (§ 390), die den Rechtsstreit grundsätzlich in vollem Umfang erledigen, b) Teilurteile (§§ 391, 392, 394 Abs 2), die dem Endurteil vorausgehend über selbständige Teilansprüche oder Anspruchsteile endgültig entscheiden, c) Zwischenurteile (§ 393), die, gleichfalls einem Endurteil vorangehend, über Präjudizialfragen entscheiden, und d) das Ergänzungsurteil (§§ 423, 424), das über einen Sachantrag entscheidet, der im Endurteil nicht erledigt wurde, unterschieden werden.

8 Nach den Grundlagen, auf die sich das Urteil stützt, ist zwischen a) kontradiktorischen (zweiseitigen) Urteilen, bei denen Urteilsgrundlage das Vorbringen beider Parteien ist, und b) einseitigen Urteilen zu unterscheiden, die sich allein auf das Vorbringen einer Prozesspartei stützen. Zu letzteren zählen die Versäumungsurteile (Näheres s § 396 Rz 1 ff), aber auch das Anerkenntnis- und das Verzichtsurteil, weil hier aufgrund der Unterwerfung des Gegners gleichfalls nur das Sachvorbringen einer Partei zur Urteilsgrundlage wird (im Gegensatz zu dieser inhaltlichen Betrachtungsweise stellt Fasching Rz 1382 rein formal darauf ab, dass nicht nur der Anerkennende bzw Verzichtende eine Prozesshandlung setzt, weshalb es sich bei den entsprechenden Urteilen um zweiseitige – wenn auch nicht kontradiktorische – handle; vgl auch Deixler-Hübner in Fasching/Konecny III Vor § 390 Rz 7 [aA noch dies in PraktZPR I 311]). Vgl Näheres zum Anerkenntnisurteil bei § 395, zum Verzichtsurteil bei § 394.

9 Die Urteilsfällung (in den §§ 406 und 412 Abs 2 ist von „Urteilsschöpfung“ die Rede) ist der nach außen nicht in Erscheinung tretende Wil1332

Vor § 390

2.2 Urteile und Beschlüsse

lensakt, mit dem der erkennende Richter (Senat) seine Entscheidung beschließt. Beim Einzelrichter ist dieser Zeitpunkt nicht einmal feststellbar, beim Senat erfolgt er durch die Abstimmung (s §§ 9 bis 14 JN); als interner Akt der Willensbildung äußert die Urteilsfällung jedoch keine Rechtswirkung. Bis zum Zeitpunkt der Urteilserlassung ist eine Änderung des „geschöpften“ Urteils jederzeit möglich (im Senat durch Aufhebung des Senatsbeschlusses und neuerliche Beratung und Abstimmung). S Näheres bei Fasching Rz 1467. Die Urteilserlassung (der Begriff kommt in der ZPO nicht vor) bedeu- 10 tet, dass das gefällte Urteil in die Außenwelt tritt und ein erstes Stadium seiner Relevanz erlangt. Nach der Idealvorstellung des Gesetzes sollten Urteilsfällung und Urteilserlassung insofern zusammen fallen, als das Urteil möglichst sogleich nach Schluss der mündlichen Verhandlung zu fällen und zu verkünden ist (§ 414 Abs 1). Die (durch die WGN 1989 eingeführte) gekürzte Urteilsausfertigung nach § 417a (Näheres s dort) sollte ebenso wie die Berufungsanmeldung (§ 461 Abs 2; s dort) zu einer Neubelebung der selten gewordenen mündlichen Urteilsverkündung im Zivilprozess führen; diesem Vorhaben ist (trotz Verbesserungen durch die WGN 1997) kein großer Erfolg beschieden gewesen. Regelfall ist nach wie vor, dass das Urteil schriftlich erlassen wird, was 11 nach § 415 binnen vier Wochen nach Schluss der Verhandlung geschehen soll. In diesem Fall wird die mündliche Streitverhandlung geschlossen und das Urteil der schriftlichen Ausfertigung vorbehalten. Eine Verkündung des Urteils erfolgt hier nicht; seine Erlassung geschieht mit der Übergabe der schriftlichen Abfassung zur Ausfertigung an die Geschäftsstelle. Sowohl die mündliche Verkündung als auch die schriftliche Ausferti- 12 gung von Urteilen erfolgen nach §§ 5, 6 BGBl 1959/102 stets in deutscher Sprache, und zwar auch vor jenen Bezirksgerichten, bei denen gem § 3 leg cit und § 3 Abs 1 Z 1 V BGBl 1977/307 auch in slowenischer Sprache verhandelt werden kann. Dasselbe muss (wenngleich sich §§ 5, 6 BGBl 1959/102 nur auf die slowenische Sprache beziehen) wohl auch dann gelten, wenn gemäß § 3 Z 1 V BGBl 1990/231 in kroatischer Sprache verhandelt werden kann (s § 176 Rz 2). Form und Inhalt des Urteils werden von der ZPO genau geregelt (vgl 13 §§ 417, 417a, 418): Grundbestandteile jedes Urteils sind der Urteilskopf (s § 417 Abs 1 Z 1 und 2), der Urteilsspruch (§ 417 Abs 1 Z 3) und die Entscheidungsgründe (§ 417 Abs 1 Z 4). Dazu kommt auf der Urschrift des Urteils die Unterschrift des Richters (Vorsitzenden des Se1333

Vor § 390

Rechberger

nats) und des Schriftführers (§ 418 Abs 1). (Nur) bezirksgerichtliche Urteile müssen ferner insofern eine Rechtsmittelbelehrung enthalten, als sie auf die Anwaltspflicht im Rechtsmittelverfahren hinweisen müssen (§ 447; zum Verfahren in Arbeitsrechtssachen vgl § 59 Abs 1 Z 5 ASGG).

14 Sofern zur Beseitigung von Mängeln des Urteilsinhalts (nämlich Schreib- und Rechenfehlern sowie anderen offenbaren Unrichtigkeiten) nicht eine Berichtigung des Urteils (§ 419, Näheres s dort) in Frage kommt, kann die mangelhafte Fassung des Urteils eine Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 9 hervorrufen (s § 477 Rz 12).

15 Das mündlich verkündete Urteil (§ 414) hat neben der feierlichen Verkündungsformel „Im Namen der Republik“ (welche Art 82 Abs 2 B-VG für jedes Urteil fordert) den Urteilsspruch in seinem vollen Wortlaut und die wesentlichsten Entscheidungsgründe zu enthalten. Die schriftliche Abfassung des verkündeten Urteils ist gleichfalls binnen vier Wochen zur Ausfertigung abzugeben (§ 414 Abs 3).

16 Gekürzte Urteilsausfertigungen sind vorgesehen: a) für Anerkenntnis- und Verzichtsurteile, die in Anwesenheit beider Parteien verkündet werden, sowie für das dem Klagebegehren stattgebende Versäumungsurteil, das (gegenüber dem Kläger) verkündet wird (§ 417 Abs 4; s dort Näheres), sowie b) für jedes andere in Gegenwart beider Parteien mündlich verkündete Urteil, wenn keine der Parteien sofort nach Verkündung des Urteils mündlich oder binnen 14 Tagen ab der Zustellung der Protokollsabschrift über jene Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung, in der das Urteil verkündet worden ist, in einem bei dem Prozessgericht erster Instanz überreichten Schriftsatz oder durch Erklärung zu gerichtlichem Protokoll eine Berufung gegen das Urteil angemeldet hat (§ 417a Abs 1, s dort Näheres).

17 Inhaltlich hat das Urteil nur über die Berechtigung des Klagebegehrens (bzw der sonstigen oben in Rz 1 genannten Anträge) zu entscheiden. § 405 statuiert unmissverständlich das Antragsprinzip (s dort Näheres). Grundlage für die Entscheidung ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz. Zu erst künftig fällig werdenden Leistungen darf gem § 406 nur ausnahmsweise bei Alimentations- und diesen gleichgestellten Leistungen verurteilt werden (s dort zur Erweiterung dieser Ausnahmen durch die Rsp).

18 Wie das Gericht zu den entscheidungserheblichen Tatsachenfeststellungen gelangt, ergibt sich aus den Grundsätzen über die Stoffsammlung: Nach der öZPO herrscht abgeschwächter Untersuchungsgrund1334

Vor § 390

2.2 Urteile und Beschlüsse

satz (Näheres s Vor § 171 Rz 3). Die Sachverhaltsfeststellung, mit der der Richter den „Untersatz“ für die rechtliche Beurteilung gewinnt, erfolgt bereits im Hinblick auf diese rechtliche Beurteilung. Es ist nicht Aufgabe des Richters, in unbeschränktem Maße – und damit vielfach unnötig – Tatsachen festzustellen, sondern diese Feststellungen – ohne Verengung – auf die möglichen rechtlichen Beurteilungen der Parteienbehauptungen auszurichten. Beim Aufsuchen der relevanten Tatsachen gibt stets die rechtliche Schablone das Ziel vor, während sich umgekehrt aus dem Tatsächlichen ergibt, an welchen Rechtssatz zu denken ist (vgl Bierling, Juristische Prinzipienlehre IV [1911] 46); Engisch (Logische Studien zur Gesetzesanwendung3 [1963] 15) hat diesen Vorgang plastisch als ein „Hin- und Herwandern des Blickes zwischen Obersatz und Lebenssachverhalt“ beschrieben. Urteilen bedeutet stets werten: Der Richter hat die aufgrund seiner freien richterlichen Beweiswürdigung (s Vor § 266, § 272 Rz 1) festgestellten Tatsachen anhand des (wertend ausgelegten) Gesetzes zu beurteilen. Im Urteil fließen die beiden richterlichen Tätigkeiten der Tatsachenfeststellung und der rechtlichen Beurteilung zusammen. Bei der rechtlichen Beurteilung muss der Richter zunächst die auf den 19 ermittelten Sachverhalt anzuwendende Rechtsnorm finden, um sodann festzustellen, ob der konkrete Sachverhalt den in der Rechtsnorm abstrakt formulierten rechtserzeugenden Tatbestand verwirklicht. Diese Subsumtion besteht in einer Schlussfolgerung vom Allgemeinen (dem gesetzlichen Tatbestand) auf das Besondere (den festgestellten konkreten Sachverhalt). In diesem Syllogismus ist die Rechtsnorm mit ihren Tatbestandsmerkmalen der Obersatz, der Sachverhalt der Untersatz. Zumeist ist diese Subsumtion ein komplexer Vorgang mit einer Reihe von Hilfssyllogismen, also Schlussfolgerungen, mit deren Hilfe einzelne Voraussetzungen für die Beurteilung der Berechtigung der Parteienanträge gewonnen werden können. Der sog Hauptsyllogismus ist dann die zusammenfassende Subsumtion der gesamten Sachverhaltsteile unter den gesetzlichen Tatbestand (vgl Näheres bei Fasching Rz 1462). Sowohl bei der Auslegung des gesetzlichen Tatbestands, also des Obersatzes, als auch bei der Feststellung des Sachverhalts, und erst recht bei der Subsumtion, spielen subjektive Wertvorstellungen des Richters eine bedeutsame Rolle. Dies muss aber nicht etwa bloß wegen der menschlichen Unzulänglichkeit in Kauf genommen werden, sondern ist im Interesse einer menschlichen und erst damit gerechten Rechtspflege durchaus sachgerecht. Solange die Wertungen des Richters einem demokratisch-humanistischen Weltbild entspringen und den Gleichheitsgrundsatz nicht verletzen, sind sie einer Rechtsanwendung vorzuziehen, die bloß bis in die letzte Einzelheit gehende Regelungen „vollzieht“. 1335

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20 Das Urteil durchläuft bis zu seiner vollen Wirksamkeit mehrere Stadien, in denen seine Relevanz schrittweise anwächst. Zu unterscheiden sind zunächst drei Stadien der Urteilsrelevanz:

21 a) Die Bindung des Gerichtes an sein Urteil, so dass es dieses selbst nicht mehr abändern kann (Instanzschluss), tritt gem § 416 Abs 2 mit der Urteilserlassung ein, also entweder mit der Verkündung des Urteils (§ 414) oder mit der Abgabe der schriftlichen Abfassung zur Ausfertigung (§ 415).

22 b) Die erste „Wirksamkeit“ der Entscheidung gegenüber den Parteien, welche die Rechtsmittelfrist und die Leistungsfrist in Gang setzt, tritt grundsätzlich mit der Zustellung des Urteils an die Parteien (§ 416 Abs 1), ausnahmsweise mit der Verkündung der Entscheidung (§ 416 Abs 3) ein.

23 c) Ist das Urteil unanfechtbar (geworden) und deshalb unabänderlich, kommt ihm die sog formelle oder äußere Rechtskraft zu. Sie tritt ein, wenn es gegen eine Entscheidung kein Rechtsmittel mehr gibt, die Rechtsmittelfrist ungenützt abgelaufen ist, ein Rechtsmittelverzicht abgegeben oder ein eingelegtes Rechtsmittel zurückgenommen wurde. Aufgrund dieser verschiedenen Möglichkeiten (und den verschiedenen Zustellungszeitpunkten) gibt es keine Einheitlichkeit der formellen Rechtskraft; sie tritt für die Parteien zu verschiedenen Zeitpunkten ein. Wird eine Entscheidung nur teilweise angefochten, tritt die formelle Rechtskraft nur bzgl des nicht angefochtenen Teils ein (Teilrechtskraft; s auch § 462 Rz 3; vgl aber § 84 Abs 3).

24 Urteilswirkungen sind die Feststellungswirkung (materielle Rechtskraft), die Gestaltungswirkung und die Vollstreckungswirkung; inwieweit sie einem Urteil zukommen, hängt von dem dem Klagebegehren entsprechenden Urteilstyp ab (s oben Rz 6). Dazu kann (bei jedem Urteil) eine Tatbestandswirkung kommen; damit sind Auswirkungen des Urteils auf die materielle Rechtslage gemeint, die nicht ausdrücklich verfügt werden (privatrechtliche Nebenwirkungen). Damit ein (jedes) Urteil die Feststellungswirkung entfalten kann und das Rechtsgestaltungsurteil die Gestaltungskraft (wobei selbstverständlich nur einem der Gestaltungsklage stattgebenden Urteil Gestaltungswirkung zukommt, vgl RZ 1996/9 = Arb 11.279; vgl auch Rz 36), muss es das Stadium der formellen Rechtskraft erreicht haben. Diese ist aber nicht notwendig Voraussetzung für die Vollstreckungswirkung: Schon vor Rechtskraft des Berufungsurteils kann Exekution zur Befriedigung geführt werden, wenn dieses mit außerordentlicher Revision 1336

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2.2 Urteile und Beschlüsse

angefochten wird (§ 505 Abs 3; s dort Rz 4); ganz allgemein kann vor Eintritt der formellen Rechtskraft eines Urteils Exekution zur Sicherstellung gem §§ 370 ff EO geführt werden (zur Situation bei den Beschlüssen vgl § 524). Die Feststellungswirkung. Das Wesen der sog materiellen oder inne- 25 ren Rechtskraft liegt in ihrer Feststellungswirkung: Jede rechtskräftige Entscheidung stellt autoritativ und endgültig fest, was rechtens ist. Diese Maßgeblichkeit der Entscheidung verhindert eine neuerliche Feststellung der Rechtslage in derselben Sache bzw ihre abweichende Beurteilung in einem Folgeprozess (Einmaligkeitswirkung und Bindungswirkung, Näheres bei § 411). Der Zweck der Feststellungswirkung liegt in der Herstellung des Rechtsfriedens zwischen den Parteien und in der Bewahrung der Rechtssicherheit durch endgültige Klärung der Rechtslage. Die materielle Rechtskrafttheorie sah die Funktion der Feststellungs- 26 wirkung in einer konstitutiven Wirkung des Urteils, das eine neue materiell-rechtliche Grundlage für die Beziehungen zwischen den Prozessparteien schaffe (vgl Näheres bei Fasching Rz 1502 f). Gegen sie wird ua zu Recht eingewendet, dass sie das unrichtige Urteil mit schwerer wiegenden Folgen ausstatte als das richtige und dem Richter einen im Gesetz nicht vorgesehenen Einfluss auf die Gestaltung des materiellen Rechts einräume; dazu kämen Probleme bei der unrichtigen Feststellung absoluter Privatrechte (dazu Holzhammer 295). Die herrschende (Fasching/Klicka in Fasching/Konecny III § 411 Rz 17 ff; Fasching Rz 1504 f; Holzhammer 294; Rechberger/Simotta Rz 695; vgl für Deutschland nur Rosenberg/Schwab/Gottwald § 150 Rz 3 ff und Gaul, ÖJZ 2003, 861 ff) prozessuale Rechtskrafttheorie erklärt die Feststellungswirkung ausschließlich aus dem Prozessrecht. Das Urteil greift danach in keiner Weise in die materielle Rechtslage ein, sondern stellt nur deklarativ fest, was rechtens ist. Aufgrund dieser autoritativen Feststellung ist jede neuerliche Entscheidung über den bereits rechtskräftig entschiedenen Anspruch ausgeschlossen (ne bis in idem). Die Feststellungswirkung hat objektive, subjektive und (sog) zeitliche 27 Grenzen. Während die ZPO in § 411 versucht hat zu regeln, worauf sich die materielle Rechtskraft bezieht, was also der der Rechtskraft fähige Urteilsgegenstand (das Objekt der Rechtskraft) ist (dazu Näheres bei § 411), fehlen gesetzliche Regelungen darüber, auf wen sich die Rechtskraftwirkungen erstrecken, wer also Subjekt der Rechtskraft ist. Für die eM (Fasching Rz 1524), dass die materielle Rechtskraft grund1337

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sätzlich nur inter partes, also zwischen den Parteien des Rechtsstreits wirkt, spricht (neben Anhaltspunkten in § 12 ABGB und § 530 Abs 1 Z 6) vor allem der innere Zusammenhang zwischen dem (Verfassungs-) Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art 6 EMRK) und dem persönlichen Umfang der Rechtskraft: Die Wirkung einer Entscheidung darf grundsätzlich nicht eine Person treffen, die in dem der Entscheidung zugrundeliegenden Verfahren keine ausreichende Gehörmöglichkeit hatte. Umgekehrt liegt gerade in der erfolgten Gehörgewährung der tiefere Geltungsgrund der materiellen Rechtskraft: (Nur) wer zu seiner Sache gehört worden ist, braucht dazu in Hinkunft nicht mehr gehört zu werden (Rechberger/Oberhammer, ZZP 106, 347). Mit der E eines verst Senats sprach sich der OGH 1997 für eine der Interventionswirkung des § 68 dZPO vergleichbare Bindungswirkung bei einfacher Nebenintervention und Streitverkündung aus, die dem einfachen Nebenintervenienten und demjenigen, der sich trotz Streitverkündung am Verfahren nicht beteiligte, in einem als Regressprozess geführten Folgeprozess rechtsvernichtende oder rechtshemmende Einwendungen verwehren soll, „die mit den notwendigen Elementen der Feststellungen des Vorprozesses in Widerspruch stehen“. Dazu gehören lt OGH auch die, die Rechtsposition dieser Person belastenden, Tatsachenfeststellungen, soweit ihr diesbezüglich im Vorprozess unbeschränktes rechtliches Gehör zustand (SZ 70/60 = JBl 1997, 368 [vgl dazu die krit Besprechung von Klicka, JBl 1997, 611] = ecolex 1997, 422 [Oberhammer] = JAP 1997/98, 41 [Chiwitt-Oberhammer]; so schon SZ 67/145 = EvBl 1995/52 = JBl 1995, 113 = ecolex 1995, 400 = JUS 1994 Z 1678 = ÖZW 1995, 85 [vgl zu dieser E krit Klicka, ecolex 1995, 397; Netzer, JAP 1995/96, 52; Oberhammer, JBl 1995, 459; Deixler-Hübner, JBl 1996, 466; Oberhammer, JAP 1996/97, 27; Rechberger, FS Nakamura 486 ff; weniger abl nur Burgstaller, ÖZW 1995, 87]; aA noch JBl 1993, 119; EvBl 1993/187). Die (nunmehr) tragende Begründung für diese Bindungswirkung sieht der OGH in der Geltung des LGVÜ. In Art 6 Nr 2 EuGVÜ/LGVÜ (gleichlautend Art 6 Nr 2 EuGVVO) findet sich – einem Prinzip des romanischen Rechtskreises folgend – der Gerichtsstand der Gewährleistungs- und Interventionsklage am Ort des Hauptprozesses; Urteile, die an einem solchen Gerichtsstand ergangen sind, müssen auch von jenen Staaten anerkannt werden, die ihn – wie Österreich – nicht kennen. Allerdings hat Österreich (wie Deutschland) einen Vorbehalt erklärt (Art V Abs 1 des Protokolls zum EuGVÜ, Art V Abs 1 des 1. Protokolls zum LGVÜ), sodass eine derartige Zuständigkeit in Österreich nicht geltend gemacht werden kann. Die Mat (ErlRV 34 BlgNR 20.GP 32) weisen aber darauf hin, dass dafür in Österreich die Regeln über die Streitverkündung zur Anwendung kämen. Deswegen meint der OGH, dass der Vorbehalt genauso wie jener Deutschlands 1338

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2.2 Urteile und Beschlüsse

(und jener der Schweiz) verstanden werden und einem Urteil im Fall der Streitverkündung daher die (der ZPO absolute unbekannte) Interventionswirkung zukommen müsse! Neben dieser methodischen Kapriole (vgl dazu ausführlich Rechberger, FS Schütze 727) ist der E inhaltlich entgegenzuhalten, dass die Bindung des einfachen Nebenintervenienten letztlich eine Bindung an Vorfragebeurteilungen bedeutet (vgl dazu § 411 Rz 10), da dieser definitionsgemäß von der Entscheidung in der Hauptsache nicht erfasst wird (s § 20), dass die weiters angenommene Bindung an Tatsachenfeststellungen dem klaren Prinzip des § 228 widerspricht, dass die Gehörsproblematik trotz der ausdrücklichen Einschränkung des OGH-Grundsatzes letztlich nicht gelöst ist, weil gleitende subjektive Rechtskraftgrenzen schon im Interesse von Rechtssicherheit und Praktibilität unakzeptabel sind, und dass es darüber hinaus schlicht als verfassungswidrig bezeichnet werden muss, wenn den einfachen Nebenintervenienten, der gegenüber der Hauptpartei in seinem Prozesshandlungsspielraum eingeschränkt ist (oder gar den nicht auftretenden „Streitverkündeten“!) sogar weitergehende Urteilswirkungen treffen als jene (zur Fortsetzung dieser Judikatur vgl 1 Ob 242/97p = SZ 70/200 = ÖJZ-LSK 1998/59; 6 Ob 324/97h = SZ 70/241; 4 Ob 83/99f = ÖBl 2000, 118; 4 Ob 313/00h = SZ 74/6 = EvBl 2001/111; 2 Ob 188/03s = MietSlg 55.692; 4 Ob 252/03t = RZ 2004/30 [Bindung an eine rk Entscheidung eines deutschen Gerichts]; 1 Ob 298/03k = JBl 2005, 460). Mit einer anderen E eines verst Senats hat der OGH die Rechtsposition des einfachen Nebenintervenienten zumindest insofern gestärkt, als diesem – entgegen früherer Rsp – nunmehr eine Entscheidungsausfertigung des Verfahrens, dem er beigetreten ist, wie der Hauptpartei zuzustellen ist und die Rechtsmittelfrist für ihn erst mit dem Zeitpunkt dieser Zustellung zu laufen beginnt (1 Ob 145/02h = JBl 2003, 315 = ecolex 2003/140 [Schmidl]). Kommt es zu keiner Streitverkündung, kann es keinesfalls zu einer Interventions- und Streitverkündungswirkung kommen (Arb 11.287 = ARD 4784/23/96; 4 Ob 47/99m = SZ 72/52). Darüber hinaus gibt es eine Reihe weiterer (gesetzlicher oder von der 28 Rsp angenommener) Ausnahmen von den Grundsätzen der subjektiven Grenzen der materiellen Rechtskraft (vgl auch Fasching/Klicka in Fasching/Konecny III § 411 Rz 106 ff), nämlich die Rechtskrafterstreckung bei Gesamt- und Einzelrechtsnachfolge (§ 34 EO; stRsp zu § 234 ZPO [s dort Näheres]; vgl auch §§ 60 Abs 3, 61 Abs 2 GBG); bei bestimmten Urteilen über gesellschaftsrechtliche Klagen (§ 42 GmbHG, § 198 AktG); bei Urteilen über Verbindlichkeiten der OHG (ab 1.1.2007 OG), für die der Gesellschafter haftet (§ 129 Abs 1 HGB, ab 1.1.2007 1339

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§ 129 Abs 1 UGB); bei verschiedenen im Exekutionsverfahren ergehenden Urteilen (§§ 128 Abs 4, 232 Abs 2, 310 Abs 2 EO); bei Entscheidungen über die Richtigkeit und Rangordnung angemeldeter und bestrittener Forderungen im Konkurs (§ 112 KO), bei dem eine Schadenersatzklage eines durch einen Kraftfahrzeugunfall Geschädigten gegen die Versicherung/den Versicherten abweisenden Urteil (§ 28 KHVG) sowie nach hM (vgl nur Fasching Rz 1528) auch bei den Entscheidungen in Personenstandssachen (für die nunmehr im außerstreitigen Verfahren und daher in Beschlussform ergehenden Entscheidungen über die Feststellung der Abstammung, die Änderung der Abstammung und die Feststellung der Nichtabstammung ordnet § 138a Abs 1 ABGB die Wirkung gegenüber jedermann ausdrücklich an). Die Rechtskrafterstreckung zu Lasten Dritter, die nicht als Partei am Verfahren beteiligt waren, ist in Hinblick auf Art 6 EMRK problematisch (vgl Ballon, ZZP 101, 413; Musger, JBl 1991, 420, 499; Rechberger/Oberhammer, ZZP 106, 347; Oberhammer, Rechtsgestaltung 84; ders, JBl 2000, 60 f). Im Rahmen der Untersuchung der Anordnung des § 129 Abs 1 HGB (ab 1.1.2007 § 129 Abs 1 UGB) fordert Oberhammer (OHG 56 ff [80]) daher zu Recht, dem Dritten, der vom Verfahren oftmals keine Kenntnis haben wird, durch Beiladung die Möglichkeit zu gewähren, sich am Verfahren als einfacher Nebenintervenient zu beteiligen. Andernfalls könne die Rechtskrafterstreckung nicht wirken, es sei denn, der Gläubiger könnte dartun, dass der Gesellschafter anderweitig rechtzeitig Kenntnis vom anhängigen Verfahren erlangt hat oder erlangen hätte müssen.

29 Der missverständliche Begriff der „zeitlichen Grenzen“ der materiellen Rechtskraft stellt auf den Zeitpunkt ab, für den die Urteilsfeststellungen gelten. Da der entscheidungserhebliche Zeitpunkt jener des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz ist (s § 193 Rz 4, zu den Ausnahmen s § 482 Rz 2), kann das rechtskräftige Urteil auch nur die zu diesem Zeitpunkt bestehenden Entscheidungsgrundlagen fixieren. Nach diesem Zeitpunkt eingetretene Änderungen (nova producta) können mit einer neuen Klage (nicht mit einer Wiederaufnahmeklage: ZBl 1931/297) geltend gemacht werden (s auch § 406 Rz 5). Daher rechtfertigen zB: neue Schmerzen, die nach dem Prozess aufgetreten und nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge nicht zu erwarten waren, die Einklagung zusätzlichen Schmerzengeldes (SZ 15/175; OLG Wien DREvBl 1942/46; EvBl 1946/515); geänderte Umstände die Wiederholung der Scheidungsklage nach § 55 EheG (EFSlg 13.928, 22.829, 44.037); Änderungen hinsichtl Art und Umfang der Servitutsausübung die neuerliche Klage auf Feststellung des Umfanges eines Geh- und Fahrrechts (SZ 41/179 = EvBl 1969/280); der Eintritt von Tatsachen, deren Fehlen zum Scheitern einer Feststellungsklage wegen des Mangels 1340

Vor § 390

2.2 Urteile und Beschlüsse

des rechtlichen Interesses geführt haben, die neuerliche Einbringung der Klage (ZBl 1935/67). Aufgrund dieser zeitlichen Grenzen sieht die hM in Österreich auch kein Problem bei der Abänderung eines Urteils, das zu einer künftigen Leistung verpflichtet (s § 406). Die neue Klage und das neue Urteil, das zB eine Unterhaltsleistung erhöht oder herabsetzt, stütze sich ja auf einen neuen Sachverhalt, sei also ein „anderer Anspruch“ (Fasching Rz 1532; Reischauer, JBl 2000, 424; EvBl 1958/323; ZVR 1971/230; EFSlg 46.668; EvBl 1986/5; 4 Ob 7/02m = ZfRV 2003/22). Die dogmatisch ansprechendere Lösung stellt freilich die (der öZPO unbekannte) Abänderungsklage des § 323 dZPO dar, die als prozessuale Gestaltungsklage der Beseitigung der (in die Zukunft wirkenden) Rechtskraft von Urteilen dient, die zu künftig fällig werdenden wiederkehrenden Leistungen wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse dient (vgl nur Rosenberg/Schwab/Gottwald § 157 Rz 1 ff). Welches Vorbringen aufgrund der materiellen Rechtskraft dann von 30 einer neuerlichen Geltendmachung in einem neuen Prozess ausgeschlossen ist (sog Präklusionswirkung), hängt vom zugrundegelegten Streitgegenstandsbegriff ab (dazu Vor § 226 Rz 14 ff): Für den mit Hilfe des „rechtserzeugenden“ Sachverhalts abgegrenzten zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff ist das Vorbringen aller Tatsachen ausgeschlossen, die zur Vervollständigung oder Entkräftung des rechtserzeugenden Sachverhalts dienen, aus dem das Urteilsbegehren abgeleitet wird (Fasching Rz 1535; MietSlg 32.697). Erweitert man die Tatsachengrundlage des Klagebegehrens auf den „Lebenssachverhalt“, kommt man hingegen zu einer weiteren Präklusionswirkung, weil dann alle Tatsachen ausgeschlossen werden, die zu diesem weiteren Tatsachensubstrat gehören (zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch die Lehre von P. Böhm, FS Kralik, bes FN 112). Noch weiter geht die eingliedrige Streitgegenstandstheorie, weil danach jedes Tatsachenvorbringen ausgeschlossen sein muss, das zur Begründung oder Widerlegung des Urteilsbegehrens dient. Gegenüber dem Beklagten wirkt sich die Präklusionswirkung der materiellen Rechtskraft nach der Rsp (LGZ Wien WR 117; SZ 68/12 = JBl 1996, 525 = JAP 1996/97, 105 = RdW 1995, 468 [krit Oberhammer]; ebenso Fasching Rz 1536 und Fasching/Klicka in Fasching/Konecny III § 411 Rz 91) dahingehend aus, dass er von allen Einwendungen gegen den Klageanspruch ausgeschlossen wird, die er schon vor Verhandlungsschluss erster Instanz hätte geltend machen können: Der zur Kaufpreiszahlung verurteilte Käufer soll daher später nicht mehr mit einer selbständigen Klage die Rückzahlung des Kaufpreises mit der Begründung verlangen können, den Kaufvertrag wegen List oder Irrtums anzufech1341

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ten, wenn der Anfechtungstatbestand bereits zum Schluss der Verhandlung des ersten Prozesses vorlag und vorgebracht hätte werden können (andernfalls ist eine Wiederaufnahmeklage denkbar). Gerade hinsichtlich der Einwendung von Gestaltungsrechten wie List oder Irrtum ist jedoch zu bedenken, dass die Ausübung solcher Rechte ein novum productum darstellt, das von der Präklusion gar nicht erfasst sein kann. Es ist auch fraglich, ob dem Beklagten über den Umweg der Präklusionswirkung der Rechtskraft eine (nur materiell deutbare) Obliegenheit zur Ausübung des Gestaltungsrechts auferlegt werden kann (dies bedeutete zB die Verkürzung der Frist zur Geltendmachung von List von 30 Jahren auf die Zeitspanne bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz!); durch das Prozessrecht soll ja keineswegs eine neue zivilrechtliche Obliegenheit geschaffen werden (vgl Oberhammer, JAP 1996/97, 105 [Entscheidungsanm]; aA allerdings Fasching/Klicka in Fasching/ Konecny III § 411 Rz 92 ff, die für eine Präklusion der Gestaltungsrechte des Schuldners trotz Verkürzung der Ausübungsfrist eintreten). Zu Unrecht wird der Grundsatz der Präklusionswirkung von einem Teil der Rsp und Lehre (Arb 6.191 = JBl 1955, 251 [zust Novak]; SZ 26/ 245; 3 Ob 15/96 = SZ 70/132 = JUS 1998 Z 2419; Fasching Rz 1536; Heller/Berger/Stix I 384 ff) auch auf den Fall der im ersten Prozess unterbliebenen Kompensationseinwendung ausgedehnt. Hier kommt noch dazu, dass die Geltendmachung der Gegenforderung in einem selbständigen Prozess keinesfalls präkludiert sein kann und die Verweigerung ihrer Geltendmachung im Wege einer Oppositionsklage gegen die Exekution aufgrund des Urteils im ersten Prozess nur zu einem noch prozessunökonomischeren Vorgehen führt (idS SZ 26/54; ÖBA 1998, 57; zust für die eigenständige Geltendmachung von Gegenforderungen, auch wenn eine Aufrechnung schon im Titelprozess möglich gewesen wäre, auch Fasching/Klicka in Fasching/Konecny III § 411 Rz 94; vgl zur Gegenmeinung Buchegger/Holzhammer in Holzhammer, Zwangsvollstreckungsrecht 148 f; Rechberger/Simotta, Exekutionsverfahren Rz 347; Buchegger, BeitrZPR I 39 mN zur gleichlautenden dhM; Rechberger/Oberhammer, Exekutionsrecht Rz 201; Jakusch in Angst § 35 EO Rz 56). Auch den Kläger trifft die Präklusionswirkung hinsichtlich der Tatsachen, auf die sich sein Begehren gründet (Fasching/Klicka in Fasching/Konecny III § 411 Rz 87 ff).

31 Funktion und Wesen der Feststellungswirkung (s oben Rz 25, 26) schließen die Beseitigung eines rechtskräftigen Urteils grundsätzlich aus. Nur ganz ausnahmsweise kann wegen besonders schwerwiegender prozessualer und (nur in äußerst eingeschränktem Rahmen) materieller Mängel der Entscheidungsgrundlage ein Rechtsbehelf auch noch zur 1342

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2.2 Urteile und Beschlüsse

Aufhebung einer rechtskräftigen Entscheidung führen: a) der Antrag der zuständigen obersten Verwaltungsbehörde beim OGH auf Nichtigerklärung einer Entscheidung gem § 42 Abs 2 JN; b) der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 146 bei Versäumung der Rechtsmittelfrist; c) die Nichtigkeitsklage nach § 529 und die Wiederaufnahmeklage nach § 530 sowie d) der Antrag auf Entscheidung eines negativen Kompetenzkonfliktes zwischen Gericht und Verwaltungsbehörde gem Art 138 Abs 1 B-VG, § 46 VfGG (wenn der rechtskräftige Beschluss auf Zurückweisung der Klage aufgehoben wird). Zu Recht verneint daher die Rsp auch jede Möglichkeit eines Antrags auf Aufhebung eines rechtskräftigen Urteils oder einer Klage auf Unwirksamkeit einer solchen Entscheidung wegen Sittenwidrigkeit oder sonstigen gravierenden Verletzungen des materiellen Rechts, oder eines Schadenersatzanspruchs wegen der Geltendmachung der Wirkungen eines derartigen Urteils (SZ 11/37; SZ 14/31; JBl 1957, 271; EvBl 1961/459; ebenso Sperl 830; Petschek/Stagel 286; Fasching Rz 1546; Holzhammer 298; Fasching/Klicka in Fasching/Konecny III § 411 Rz 146 ff; vgl aber zur Diskussion in Deutschland Prütting/Weth, Rechtskraftdurchbrechung bei unrichtigen Titeln [1988]). An der Rechtskraft eines Urteils kann auch dann nicht gerüttelt werden, wenn es in einem Scheinprozess ergangen ist (Fasching Rz 1547), von den Parteien also unter bewusster Verschleierung der wahren Sachlage oder zur Umgehung der Rechtslage erwirkt wurde (bei strafbaren Manipulationen kommt aber die Wiederaufnahme nach § 530 Abs 1 Z 1 bis 4 in Frage); hier sucht die Rsp aber vereinzelt abweichende Lösungen (vgl SZ 8/162 = ZBl 1926/249 [abl Petschek]; EvBl 1968/360 = JBl 1970, 430 [abl Matscher]). Wurde ein Zivilurteil betrügerisch erlangt, kann nach der Rsp der dadurch erlittene Schaden im Adhäsionsverfahren zugesprochen werden: JBl 1995, 467 (Bertel). Neben den (und zwar allen) Urteilen sind auch jene Beschlüsse im 32 Zivilprozess der materiellen Rechtskraft fähig, die Sachentscheidungen in der Hauptsache und zT auch in Zwischenstreitigkeiten enthalten (s § 425 Rz 1), aber zT auch Prozessentscheidungen, insbes prozessbeendende Beschlüsse und Beschlüsse über Prozessvoraussetzungen (vgl Näheres zur Einteilung der Beschlüsse bei § 425). Nach denselben Kriterien ist die Rechtskraftfähigkeit der Beschlüsse in den anderen zivilgerichtlichen Verfahren zu beurteilen: Um Sachentscheidungen geht es vor allem bei den Beschlüssen des Außerstreitverfahrens (vgl zu den Beschlusswirkungen § 43 Abs 1 AußStrG und dazu Rechberger in Rechberger, AußStrG § 43 Rz 1 f; zur Einschränkung des § 46 Abs 3 AußStrG s Klicka in Rechberger, AußStrG § 46 Rz 4; manchmal räumt das Gesetz ein besonderes Klagerecht gegen eine rechtskräftige Ent1343

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scheidung ein [zB im Fall der Erbschaftsklage des § 823 ABGB oder der Löschungsklage des § 61 GBG 1955]) und bei den einstweiligen Verfügungen. Aber auch bestimmte Beschlüsse im Exekutionsverfahren (vgl zur Problematik Rechberger, Exekution 195 ff) sowie in den Insolvenzverfahren entfalten materielle Rechtskraft.

33 Die Feststellungswirkung kommt ferner Entscheidungen des Strafgerichtes über privatrechtliche Ansprüche im Adhäsionsverfahren zu (SZ 24/281) sowie den Schiedssprüchen der privaten Schiedsgerichte gem § 607 (ausländische Schiedssprüche werden insbes aufgrund des New Yorker (UN-)Übereink über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche, BGBl 1961/200, weitgehend inländischen Schiedssprüchen gleichgestellt). Keine materielle Rechtskraft vermögen dagegen gerichtliche Vergleiche (SZ 40/115 = EvBl 1968/161 = JBl 1969, 222; JBl 1978, 40; LGZ Wien EFSlg 29.999, 36.708, 49.325, 55.038; LGZ Wien MietSlg 34.750; Näheres bei § 204 Rz 8 f) und vollstreckbare Notariatsakte (SZ 17/153 = EvBl 1936/284) zu entfalten. Für die Exekutionstitel der Insolvenzverfahren (§§ 61, 156a KO; § 54 AO) hat der Gesetzgeber des IRÄG 1982 einen Mittelweg gewählt: Die Forderung gilt zwar als den Gerichten und (grundsätzlich) auch den Verwaltungsbehörden gegenüber als bindend festgestellt (§§ 60 Abs 2, 156a Abs 3 KO; § 54 Abs 4 AO), da Leistungsklagen des Gläubigers aber – wenngleich allenfalls unter der Kostenfolge des § 45 – zulässig bleiben (vgl SZ 57/138 = EvBl 1985/61; JBl 1986, 126 [krit Fink, JBl 1986, 80]; 8 Ob A 285/01x = ZIK 2002/289), fehlt dieser Feststellung jedoch die Einmaligkeitswirkung (auch diese ist ihr aber gegenüber einer Feststellungsklage zuzuerkennen: Fasching Rz 1508, ebenso SZ 67/153 = EvBl 1995/80 = JBl 1995, 599 = RdW 1995, 222 = ZIK 1995, 54).

34 Entscheidungen ausländischer Gerichte entfalten im Inland dann Feststellungswirkung, wenn sie aufgrund einer gemeinschaftsrechtlichen oder völkerrechtlichen Regelung anerkannt und/oder vollstreckt werden können (vgl auch RdW 1995, 467 = RZ 1996, 41 = ZfRV 1996, 24/5; ob sie überhaupt Rechtskraft zu entfalten vermögen, richtet sich nach dem Verfahrensrecht des Entscheidungsstaates). Im Verhältnis zu den EU-Mitgliedstaaten kommt der EuGVVO (im Verhältnis zu Dänemark ist die EuGVVO auf Grund des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen [ABl Nr L 299 vom 16.11.2005, 62] anzuwenden), im Verhältnis zu den EFTA-Staaten Schweiz, Norwegen und Island dem LGVÜ besondere Bedeutung zu 1344

Vor § 390

2.2 Urteile und Beschlüsse

(s Nach § 27a JN); die hL geht in diesem Zusammenhang von einer Wirkungserstreckung der ausländischen Entscheidung aus, d.h., dass der ausländischen Entscheidung durch die Anerkennung jene Wirkungen beigelegt werden, die ihr in dem Staat zukommen, in dessen Hoheitsgebiet sie ergangen ist (Jenard, Bericht zu dem Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen [Abl EG 1979 Nr C 59] zu Art 26). Während demnach dem ausländischen Urteil im Zweitstaat nie mehr Wirkungen zukommen können als in seinem Ursprungsstaat (vgl § 84b EO), werden grundsätzlich auch dem Zweitstaat unbekannte Urteilswirkungen anerkannt (vgl dazu Czernich/Tiefenthaler/Kodek, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht2 [2003] Art 33 Rz 5; Kropholler, EuZPR Vor Art 33 Rz 9 ff; Frauenberger-Pfeiler, Die Anerkennung ausländischer Titel in Österreich, JAP 1995/96, 275). Die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidung in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung ist im Bereich der EU-Mitgliedstaaten (mit Ausnahme von Dänemark) in der EuEheVO geregelt. Für bestimmte Teilbereiche bestehen schon seit längerer Zeit multilaterale Übereinkommen (zB das Haager Unterhaltsvollstreckungsübereink, BGBl 1961/294, oder die Übereink auf den Gebieten des internat Straßengüter- [CMR, BGBl 1961/138 und BGBl 1981/192], Luft- [BGBl 1961/286] und Eisenbahnverkehrs [COTIF, BGBl 1985/ 225]); dazu kommen die von Österreich abgeschlossenen bilateralen Anerkennungs- und Vollstreckungsabk, soweit sie nicht durch EuGVVO, EuGVÜ, LGVÜ bzw EuEheVO obsolet geworden sind. Zu ausländischen Entscheidungen in Strafsachen vgl § 411 Rz 12. Vorabentscheidungen des EuGH binden nach hL das vorlegende Gericht und jedes, das in demselben Rechtsstreit zu entscheiden hat (vgl Nw bei § 190 Rz 6). Vollstreckbarkeit kommt nur den Leistungsurteilen zu; sie können mit 35 staatlichen Zwangsmitteln durchgesetzt werden (§ 1 Z 1 EO). Die Vollstreckungswirkung tritt grundsätzlich mit Ablauf der Leistungsfrist ein (s § 409); sie ist weder eine Folge der Feststellungswirkung, noch fällt sie notwendig mit dieser zusammen (s schon oben Rz 25). Zu den Problemen, die sich aus dem Auseinanderfallen von Leistungsfrist und Rechtsmittelfrist ergeben, vgl § 409 Rz 7. Rechtsgestaltungsurteile verfügen in ihrem Spruch eine Änderung der 36 materiellen Rechtslage, die mit dem Zeitpunkt der formellen Rechtskraft eintritt (Fasching Rz 1112 spricht deshalb von „vollkommenen“ Rechtsgestaltungsurteilen; bei „unvollkommenen“ Gestaltungsurteilen, wie zB bei der Entscheidung über eine Teilungsklage, bedürfe es dage1345

Vor § 390

Rechberger

gen zur Änderung der Rechtslage noch weiterer Maßnahmen [weshalb es aber fraglich erscheint, ob hier tatsächlich Gestaltungsurteile vorliegen]). Diese Gestaltungskraft soll nach hM (Holzhammer 304; Deixler-Hübner, PraktZPR 331; Ballon Rz 327; Rosenberg/Schwab/ Gottwald § 91 Rz 13) gegen jedermann wirken. Nach Fasching (JBl 1975, 519; Rz 1560) soll dies dort nicht gelten, wo die Gestaltung auch durch Parteienvereinbarung herbeigeführt werden könnte; hier wirke die Gestaltung nur „als Tatsache im Rechtssinn“ gegen jedermann. Worin ein echter Unterschied zur hM liegen soll, bleibt aber unklar. Die bisher nicht ausdiskutierte Problematik jeder Art einer Ausdehnung der Gestaltungswirkung über den Kreis der Prozessparteien hinaus liegt in ihrem Spannungsverhältnis zum Grundsatz des rechtlichen Gehörs. Eine verfassungskonforme Auslegung muss dazu führen, dass ein im Prozess nicht beteiligter Dritter Auswirkungen der Rechtsgestaltung auf seine Rechtsverhältnisse dann grundsätzlich nicht hinzunehmen braucht, wenn er die Unrichtigkeit der Feststellungen des Gestaltungsurteils (an die er zweifellos nicht gebunden ist) hinsichtlich des Gestaltungsgrundes darzutun vermag (Rechberger/Simotta Rz 721; ausführlich Oberhammer, Rechtsgestaltung 102). Neben der Gestaltungswirkung kommt dem Gestaltungsurteil auch Feststellungswirkung zu. Sie verleiht der verfügten Rechtsänderung Maßgeblichkeit (Fasching Rz 1556; Holzhammer 304; Rechberger/Simotta Rz 722; aA noch Pollak 23, 540; Sperl 833; Petschek/Stagel 288), indem sie feststellt, dass der geltend gemachte Gestaltungsgrund zu Recht besteht. Die materielle Rechtskraft des Gestaltungsurteils wirkt stets nur inter partes (Holzhammer 305; teilw abw Fasching, JBl 1975, 519).

37 Die Tatbestandswirkung als „privatrechtliche Nebenwirkung“ eines Urteils kann sich entweder daraus ergeben, dass das Gesetz eine bestimmte Rechtslage ausdrücklich an das Vorliegen eines Urteils bestimmten Inhalts anknüpft, oder dadurch, dass die von einem Urteil bewirkte Änderung der Rechtslage den Tatbestand einer anderen Norm des Privatrechts erfüllt (W. Kralik, JBl 1976, 92). So ist zB eine erfolgreiche Leistungsklage gegen den Hauptschuldner Voraussetzung für eine Haftung des Ausfallsbürgen gem § 1355 ABGB (weitere Beispiele bei Fasching/Klicka in Fasching/Konecny III § 411 Rz 171). Da die von einer Tatbestandswirkung Betroffenen regelmäßig nicht am Verfahren beteiligt sind, wird hier die Problematik des rechtlichen Gehörs besonders deutlich (vgl Musger, JBl 1991, 420, 499 und aus der Rsp JBl 1990, 662). So vertrat die ältere Rsp, dass die rechtskräftig festgestellte Forderung des Anfechtungsklägers im Anfechtungsprozess durch den Anfechtungsgegner nicht bestritten werden konnte (JBl 1956, 647). Von dieser Rechtsansicht ging der OGH unter Hinweis auf das zu wahrende recht1346

Vor § 390

2.2 Urteile und Beschlüsse

liche Gehör des am rechtskräftig beendeten Verfahren nicht beteiligten Anfechtungsbeklagten zu Recht ab (SZ 63/4); im Anfechtungsprozess kann daher der Bestand der Forderung des Anfechtungsklägers auch dann überprüft werden, wenn dieser dafür ein bereits rechtskräftiges Urteil besitzt (ZIK 1996, 67; 1 Ob 162/03k = EvBl 2004/31 mwN). Das Nichturteil ist das Gegenteil eines gültigen Urteils: Es liegt nicht 38 einmal der äußere Tatbestand einer gerichtlichen Entscheidung vor. Das ist dann der Fall, wenn a) das „Urteil“ von einem „Nichtgericht“, nämlich einer Person, Behörde oder Institution stammt, der die Gerichtsgewalt iS der Art 82 bis 94 B-VG mangelt (Beispiele: in der Pflichtübung, von einer Verwaltungsbehörde oder vom Salzamt gefällte „Urteile“); b) nicht von einer mit richterlichen Rechtspflegefunktionen betrauten Person gefällt wurde (Beispiele: „Urteile“ von Rechtspraktikanten und Richteramtsanwärtern) oder c) zwar von einem Richter stammt, aber unter Anwendung von „vis absoluta“ zustande gekommen ist (wenn der Richter zB mit vorgehaltener Pistole gezwungen wird, ein bestimmtes Urteil zu fällen). In der Praxis ist die Frage, ob ein Nichturteil vorliegt, in jüngerer Zeit nur in dem Fall aufgetaucht, dass in einem Senat nicht alle Mitglieder Richter iSd B-VG waren (s dazu § 477 Rz 5). Zur Gesamtproblematik vgl Fasching Rz 1575 ff und Rechberger, Exekution 17 ff. Wie ein Nichturteil muss auch ein wohl mündlich verkündetes oder doch zur Ausfertigung abgegebenes Urteil behandelt werden, dessen Inhalt sich aber (etwa aufgrund von Kriegsereignissen) nicht beweisen lässt. Gibt es überhaupt einen Zivilprozess, in dem ein Nichturteil zustande kam, können die Parteien jederzeit den Antrag stellen, das Verfahren fortzusetzen. Rechtsmittel gegen Nichturteile werden in der Praxis an sich konsequenterweise zurückgewiesen, weil ja in Wahrheit eine anfechtbare Entscheidung fehlt (vgl SZ 44/79; RZ 1975/42; JBl 1975, 325). Aus Gründen der Rechtssicherheit kann das Gericht aber auf Antrag der Parteien mit deklarativem Beschluss feststellen, dass ein „Scheinurteil“ nicht als Urteil anzusehen sei (analog § 1 Abs 2 KaisV RGBl 1915/372). Auch ein Rechtsmittel gegen ein Nichturteil sollte nicht schlicht zurückgewiesen, sondern zum Anlass für einen derartigen deklarativen Ausspruch genommen werden (vgl dazu Petschek, ZBl 1933, 30; W. Kralik, JBl 1975, 328; Rechberger, Exekution 52). Wirkungslose Urteile iS absoluter Nichtigkeit wegen schwerwiegender 39 prozessualer Verstöße oder wegen grundlegender Verstöße gegen das materielle Recht sind dem österreichischen Zivilprozessrecht fremd (Fasching Rz 1572; Rechberger, Exekution 53 ff; s auch oben Rz 31). Infolge tatsächlicher Umstände völlig wirkungslos („Schlag-ins-Wasser-Urteile“) sind aber a) das Urteil für oder gegen eine nichtexistente Partei 1347

§ 390

Rechberger

(aA Fasching Rz 329, der hier ein Nichturteil annimmt; idS auch 10 Ob S 233/98g) und b) das perplexe Urteil, das einen völlig unbestimmten Urteilsspruch aufweist. Wirkungsgemindert sind a) das Gestaltungsurteil, das ein nicht oder nicht zwischen den Prozessparteien bestehendes Rechtsverhältnis gestalten will (ihm kommt immerhin die Feststellungswirkung zu), b) das Urteil, das auf eine tatsächlich unmögliche Leistung gerichtet ist (es kann nicht vollstreckt werden, wird aber materiell rechtskräftig), und c) das Urteil, dem grundlegende Bestimmtheitserfordernisse fehlen, so dass sich die objektiven Grenzen der Feststellungswirkung nicht eruieren lassen. Wirkungslose oder wirkungsgeminderte Urteile können mit Rechtsmitteln angefochten werden und sind daher durch die Oberinstanz kassierbar. Einzelheiten vgl bei Fasching Rz 1584, Rechberger, Exekution 68 ff, Oberhammer, Rechtsgestaltung 91.

40 Anfechtbare Urteile. Regelmäßig werden im Zivilprozess sowohl gültige als auch wirksame Entscheidungen gefällt; die in der Praxis vorkommenden Mängel machen ein Urteil daher meistens nur anfechtbar. Wird der Mangel nicht in einem Rechtsmittel geltend gemacht, kann ihn die Oberinstanz grundsätzlich auch nicht wahrnehmen, und die Rechtskraft der Entscheidung heilt durch die Unabänderlichkeit den Mangel. Eine gewisse Ausnahme stellen nur die (absoluten) Nichtigkeitsgründe dar, weil sie in jeder Lage des Verfahrens auch von Amts wegen wahrgenommen werden können; sie sind daher auch die gravierendsten Anfechtungsgründe. Innerhalb der Nichtigkeitsgründe ergibt sich eine Hierarchie daraus, dass jene Verfahrensmängel, die noch nach Rechtskraft der Entscheidung geltend gemacht werden können, vom Gesetzgeber offenbar als schwerer wiegend als die anderen angesehen werden. Erster Titel Urteile § 390. (1) Wenn der Rechtsstreit nach den Ergebnissen der durchgeführten Verhandlung und der stattgefundenen Beweisaufnahmen zur Endentscheidung reif ist, hat das Gericht diese Entscheidung durch Urteil zu fällen (Endurteil). (2) Dasselbe gilt, wenn von mehreren zum Zwecke gleichzeitiger Verhandlung verbundenen Prozessen nur einer zur Entscheidung reif ist. [Stammfassung] Lit: Deixler-Hübner in Fasching/Konecny III § 390; Ballon Rz 306; Deixler-Hübner, PraktZPR 306; Fasching Rz 1414; Holzhammer 275; Rechberger/Simotta Rz 649 ff. 1348

§§ 391–392

2.2 Urteile und Beschlüsse

Ausgangspunkt der Bestimmungen der ZPO über die Urteile ist das 1 Endurteil (oft auch „Vollurteil“ genannt), das bei Entscheidungsreife des gesamten Rechtsstreits oder eines von mehreren (gem §§ 187, 404 Abs 2) verbundenen Prozessen gefällt wird. Entscheidungsreife ist für den Fall der Klagestattgebung dann einge- 2 treten, wenn sich der geltend gemachte Anspruch auch nur mit einer rechtlichen Qualifikation begründen lässt; im Falle der Klageabweisung dann, wenn sich keine der möglichen Anspruchsbegründungen als richtig erweist oder schon eine begründete Einwendung des Beklagten (zur Ausnahme bei der Kompensationseinwendung s § 391 Rz 10) dem Klageanspruch die Grundlage entzieht. Vgl zur Problematik der Hilfsbegründungen Deixler-Hübner in Fasching/Konecny III § 390 Rz 1. Tritt die Entscheidungsreife bzgl eines gem § 187 zur gemeinsamen Ver- 3 handlung verbundenen Prozesses vor jener der anderen Prozesse ein, muss das Gericht diese Verbindung gem § 192 Abs 1 aufheben, bevor es mit Endurteil (zur Ausnahme im Fall von Klage und Widerklage s §§391, 392 Rz 2c, 17) über den Anspruch entscheidet (Deixler-Hübner in Fasching/Konecny III § 390 Rz 4). In den Fällen der Klagenhäufung kommt es – anders als bei gem § 187 verbundenen Prozessen – bei früherer Entscheidungsreife eines Anspruches zu einem Teilurteil nach § 391. Zur (Streit-)Frage, ob bei der Klageeinschränkung auf Kosten durch 4 Urteil oder durch Beschluss zu entscheiden ist, s § 237 Rz 12. Teilurteil § 391. (1) Sind einzelne von mehreren in derselben Klage geltend gemachten Ansprüchen oder ist ein Teil eines Anspruches durch ausdrückliche Anerkennung von Seiten des Beklagten außer Streit gestellt oder zur Endentscheidung reif, so kann das Gericht in Ansehung dieses Anspruches oder des Teiles sofort zum Schluß der Verhandlung und zur Urteilsfällung schreiten (Teilurteil). (2) Ein Teilurteil kann auch erlassen werden, wenn bei erhobener Widerklage nur die Klage oder Widerklage zur Endentscheidung reif ist. (3) Hat der Beklagte mittels Einrede eine Gegenforderung geltend gemacht, welche mit der in der Klage geltend gemachten Forderung nicht im rechtlichen Zusammenhange steht, so kann, wenn nur die Verhandlung über den Klagsanspruch zur Entscheidung reif ist, über denselben durch Teilurteil erkannt werden. Die Verhandlung über die Gegenforderung ist ohne Unterbrechung fortzusetzen. [Abs 1 idF (1.) GEN; sonst Stammfassung] 1349

§§ 391–392

Rechberger

§ 392. (1) Jedes Teilurteil ist in Betreff der Rechtsmittel und der Exekution als ein selbständiges Urteil zu betrachten. (2) Die Bestimmungen des § 52 Abs 2 gelten auch in Ansehung der Nebengebühren des Anspruches oder Teilanspruches, über welche mittels Teilurteil erkannt wurde. [Stammfassung] Lit: Petschek, Zivilprozessrechtliche Streitfragen (1933) 41; Melichar, Die Geltendmachung von Gegenforderungen im österreichischen Zivilprozess- und Exekutionsrecht, JBl 1946, 49; Novak, Zur prozessualen Aufrechnungseinrede des österreichischen Rechts, JBl 1951, 504; Kropiunig, Zum Abgrenzungsproblem Aufrechnungseinrede – vorprozessuale Aufrechnung, ÖJZ 1959, 590; ders, Die Aufrechnung im Exekutionsverfahren, ÖJZ 1967, 541; Faistenberger, Selbständige Aufrechnung oder Erfordernis der Aufrechnungserklärung? GS Gschnitzer (1969) 129; Gamerith, Die Gegenforderung im Haftpflichtprozess, ZVR 1972, 226; Kossak, Die Gegenforderung im Haftpflichtprozess, ZVR 1972, 5, 232; Wolf, Wie wirkt sich die gegenseitige Aufrechnung der Versicherungsnehmer auf die Haftung ihrer Versicherer aus? ZVR 1972, 225; Musil/Ubl, Das Teilanerkenntnis im Prozess, ZVR 1975, 258; Reiterer, Die Aufrechnung (1976); Buchegger, Die Aufrechnung als Oppositionsklagegrund, BeitrZPR I (1982) 39; Petrasch, Das neue Revisions- (Rekurs-) Recht, ÖJZ 1983, 169, 200; ders, Die Zivilverfahrens-Novelle 1983 in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, ÖJZ 1985, 257, 291; Huber, Verjährungsunterbrechung durch Anerkenntis bei Einwendung einer Gegenforderung? JBl 1987, 25; Holzhammer, Das zivilrichterliche Ermessen, FS Fasching (1988) 227; Oberhammer, Aufrechnung mit Forderungen auf Rückzahlung von verbotenen Leistungen und Entgelten in streitigen Verfahren, wobl 1994, 203; Dullinger, Handbuch der Aufrechnung (1995); CoesterWaltjen, Die Aufrechung im internationalen Zivilprozessrecht, FS Lüke (1997) 35; Gebauer, Internationale Zuständigkeit und Prozessaufrechnung, IPRax 1998, 79; Wagner, Die Aufrechnung im Europäischen Zivilprozess, IPRax 1999, 65; Rinner, Zum Teilurteil nach § 391/ 3 ZPO (Vorbehaltsurteil), BeitrZPR VI (2002) 247; Bork, Die Aufrechnung des Beklagten im internationalen Zivilverfahren, FS Beys I (2003) 119; Deixler-Hübner, Ausgewählte Rechtsfragen zur Aufrechnungseinrede, FS Rechberger (2005) 91; Dullinger in Rummel ABGB3 II/3 § 1438 Rz 20 ff. Deixler-Hübner in Fasching/Konecny III §§ 391, 392; Ballon Rz 309, 288; Deixler-Hübner, PraktZPR 307; Deixler-Hübner/Klicka Rz 237; Fasching Rz 1414 ff, 1283 ff; Holzhammer 283; Rechberger/Simotta Rz 668 ff. 1350

§§ 391–392

2.2 Urteile und Beschlüsse Inhaltsübersicht Zweck und Anwendungsbereich des Teilurteils 1–2 Ermessensentscheidung des Gerichts 3–5 (Un-)Zulässigkeit der Fällung eines Teilurteils 6–7 Anfechtbarkeit 8

Wirkungen 9 Aufrechnungseinwendung 10–17 – Begriff 10 – Rechtsnatur 11 – Prozessvoraussetzungen 12 – Urteil 13–16 – Widerklage 17

Ein Teilurteil ergeht bei Entscheidungsreife einzelner in derselben Kla- 1 ge geltend gemachter Ansprüche oder eines Teils eines Anspruchs; es dient damit der quantitativen Gliederung des Prozessstoffes. Soweit es einen Teil desselben erledigt, erfüllt es die Funktion eines Endurteils und dient dadurch vor allem der Beschleunigung des Prozesses und der Prozessökonomie (vgl AmtlSlgNF 1802; ZBl 1934/58; LGZ Wien Arb 8956). Das Teilurteil ist ausdrücklich als solches zu bezeichnen (§ 114 Abs 1 Geo); es liegt nur dann vor, wenn das Gericht klar zum Ausdruck gebracht hat, ein solches fällen zu wollen (SZ 52/73). Die Fälle des Teilurteils. Es kann ergehen, wenn a) bei objektiver 2 Klagenhäufung (s § 227 Rz 1) einer der mehreren Ansprüche durch Anerkennung des Beklagten oder Verzicht des Klägers (s § 394 Abs 2) oder sonst (EvBl 1977/152 = JBl 1978, 318; MietSlg 35.786) zur Entscheidung reif ist (das gilt auch bei Haupt- und Eventualbegehren; ein Teilurteil kann daher auch über das zuerst spruchreife Hauptbegehren gefällt werden: MietSlg 35.786; 5 Ob 112/02k = MietSlg 54.648); b) bei subjektiver Klagenhäufung (s § 11 Rz 1) einer der von mehreren oder gegen mehrere Parteien geltend gemachten Ansprüche zur Entscheidung reif ist (das gilt nicht bei einer einheitlichen Streitpartei nach § 14 [s dort Rz 6], weil in diesem Fall ein einheitliches Urteil ergehen muss [Fasching Rz 1417; SZ 42/96, JBl 1983, 438 = GesRZ 1982, 164], sowie bei einfacher materieller Streitgenossenschaft bzgl eines Teilanspruchs für oder gegen einzelne Kläger, für den ein anderer, noch nicht entschiedener Teilanspruch für oder gegen andere Kläger präjudiziell ist [Fasching Rz 1417]); c) im Fall zur gemeinsamen Verhandlung verbundener Klage und Widerklage (dabei ist darauf Bedacht zu nehmen, dass nicht die Entscheidung des einen Prozesses der des anderen vorgreift: ZBl 1936/153) eine von beiden früher entscheidungsreif ist (§ 391 Abs 2); d) bei der Kompensationseinwendung die Klageforderung vor der Gegenforderung entscheidungsreif ist und diese nicht in rechtlichem Zusammenhang stehen, über die Klageforderung (§ 391 Abs 3; Näheres unten Rz 10). Ein Teilurteil kann ferner über das Manifestationsbe1351

§§ 391–392

Rechberger

gehren (und allenfalls über die Ablegung des Eides) bei der Stufenklage nach Art XLII EGZPO (s dort Rz 4) gefällt werden.

3 Aus dem Wort „kann“ in § 391 Abs 1 schließt die Rsp (EvBl 1956/191; SZ 47/5; 3 Ob 315/00w = MietSlg 53.721), dass es sich um ein dem Richter eingeräumtes Verfahrensermessen (s Vor § 266 Rz 3) handle (auch Fasching Rz 1421 spricht von „pflichtgebundenem Ermessen“). Mit Holzhammer (FS Fasching 227 [233 f]) ist aber festzustellen, dass es bei Spruchreife (der einzigen „Ermessensrichtlinie“ des § 391 Abs 1) nur eine Handlungspflicht des Richters zur unverzüglichen Entscheidung geben kann (ebenso Deixler-Hübner, PraktZPR 307; dies in Fasching/ Konecny III § 391 Rz 11; schon früher Pollak 519). Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass die Parteien auch ein Recht auf die Fällung eines Teilurteils haben und dieses daher auch beantragen können (Holzhammer, FS Fasching 234; Rinner, BeitrZPR VI 252; aA Fasching Rz 1421 und die stRsp [OLG Wien WR 96; DRdA 1985, 318 = INFAS 1985 H 5, 10 A 97; 3 Ob 315/00w = MietSlg 53.721]. In Rechtsstreitigkeiten über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses dürfen Teilurteile nur auf Antrag gefällt werden (§ 60 ASGG).

4 Unter irriger Berufung auf die §§ 188, 192 Abs 2 wertet die Rsp sowohl die „Ermessensentscheidung über die Zweckmäßigkeit eines Teilurteils“ (RZ 1960, 83; EFSlg 20.789; EvBl 1977/152 = JBl 1978, 318; OLG Wien EFSlg 36.725; OLG Wien WR 96; OLG Wien EFSlg 46.664; ZfRV 1988, 223) als auch die Verweigerung der Erlassung eines Teilurteils (OLG Wien EFSlg 34.387; RZ 1981/54; DRdA 1979, 301 [abl Dolinar]; SZ 56/150 = JBl 1984, 157 = RdW 1984, 22 = ZAS 1984/26; MietSlg 49.647) als unanfechtbare prozessleitende Verfügungen. Besteht eine Handlungspflicht des Richters, kann von solchen aber keine Rede sein (Holzhammer, FS Fasching 234); vielmehr stellt die missbräuchliche Verweigerung eines Teilurteils sogar einen Amtshaftungsfall dar (Fasching Rz 1421; vgl auch Rinner, BeitrZPR VI 261; gegen den Rechtsmittelausschluss auch Pollak 519). Umgekehrt kann dann konsequenterweise die Erlassung eines Teilurteils nicht deshalb bekämpft werden, weil es unzweckmäßig gewesen sei (Fasching Rz 1421; Holzhammer, FS Fasching 234; aA EFSlg 36.725).

5 Wegen eines Verfahrensmangels (nach § 496 Abs 1 Z 2) kann das Teilurteil dann bekämpft werden, wenn entweder gar nicht mehrere bzw teilbare Ansprüche iS des § 391 Abs 1 vorliegen (zB wenn die Art der Streitgenossenschaft strittig ist: JBl 1983, 438 = GesRZ 1982, 164) oder wenn es in Wahrheit an der Entscheidungsreife fehlt (Holzhammer, FS Fasching 234). Nach der Rsp ist die Fällung eines Teilurteils auch dann zulässig, wenn nur ein Teil des Klageanspruchs zur Endentscheidung 1352

§§ 391–392

2.2 Urteile und Beschlüsse

reif ist (vgl SZ 42/162; RZ 1960, 83; EvBl 1977/152 = JBl 1978, 318; DRdA 1979, 301 [Dolinar]). Zu Unrecht will SZ 59/64 = EvBl 1986/179 = EFSlg 52.253/1 im Fall einer Scheidung nach § 55 Abs 3 EheG, wobei der beklagte Ehegatte den Antrag gem § 61 Abs 3 EheG stellte, im Urteil das Zerrüttungsverschulden des Klägers auszusprechen, die gesetzliche Zulässigkeit der Erlassung eines Teilurteils unter dem Gesichtspunkt der rechtlichen Beurteilung überprüft sehen (vgl auch 1 Ob 17/01h). Keinen Anhaltspunkt bietet § 391 für die in der Rsp verbreitete Metho- 6 de, in Ehesachen ein Teilurteil über die Ehescheidung zu fällen und die diversen Verschuldensaussprüche dem Endurteil vorzubehalten (so für den Fall, dass das Verschulden des beklagten Ehegatten feststeht und nur noch das Mitverschulden des anderen zu klären ist: OLG Wien EFSlg 18.524; EvBl 1973/199 = EFSlg 20.775; EFSlg 27.789 = RZ 1977/ 41; EFSlg 29.994, 31.674; 52.179; bei einer Ehescheidung nach § 55 Abs 1 EheG, wenn nur noch das Verschulden des klagenden Ehegatten an der Zerrüttung der Ehe iSd § 61 Abs 3 EheG zu klären ist: EFSlg 52.182). In solchen Fällen ist die Erlassung eines Teilurteils – wie andere E zu Recht betonen – unzulässig (vgl auch Deixler-Hübner in Fasching/Konecny III § 391 Rz 8; wenn der bekl Ehegatte bei einem Scheidungsbegehren nach § 55 Abs 3 EheG einen Verschuldensantrag nach § 61 Abs 3 EheG gestellt hat: SZ 59/64 = EvBl 1986/179 = EFSlg 52.183/1; EFSlg 57.762; ggtlg OLG Wien EFSlg 46.665; bei einer Klage nach § 49 EheG darf ein Teilurteil nicht allein über die Ehescheidung absprechen, weil der Schuldausspruch einen notwendigen Teil eines solchen Urteils darstellt: EFSlg 52.180; ebenso ist ein Teilurteil unzulässig, wenn nicht feststeht, ob der Ehescheidungsgrund des § 49 oder des § 50 EheG verwirklicht ist: EFSlg 52.181). Wenn dagegen eine Ehescheidung sowohl nach § 49 als auch nach § 55 EheG begehrt wird und feststeht, dass Eheverfehlungen des beklagten Ehegatten nicht vorliegen, soll das Scheidungsbegehren nach § 49 EheG mit Teilurteil abgewiesen werden können (EFSlg 18.523). In einem wegen Räumung und Zahlung des Mietzinsrückstands geführten Rechtsstreit ist über den behaupteteten Zahlungsrückstand zwingend mit Teilurteil zu entscheiden. Ein Wahlrecht des Richters, statt dessen einen Beschluss nach § 33 Abs 2 MRG zu fassen, besteht nicht (1 Ob 253/98g = EvBl 1999/176 = ÖJZ-LSK 1999/203; 8 Ob 120/ 99a = MietSlg 51.420 = wobl 2000/64; 7 Ob 46/01t = immolex 2001/117). Ein Teilurteil kann einen Wechselzahlungsauftrag mit Einschränkun- 7 gen und Abänderungen in Ansehung einzelner von mehreren Wechselschuldnern aufrechterhalten (SZ 40/105 = EvBl 1968/146 = RZ 1968, 74; RZ 1970, 43; ÖBA 1971, 224). 1353

§§ 391–392

Rechberger

8 Ein Teilurteil ist wie ein Endurteil (selbständig) anfechtbar (§ 392 Abs 1). Ergeht es über einen Teil eines einheitlichen Anspruchs oder über den Teilanspruch, der mit dem noch nicht erledigten Ansprüchen in einem rechtlichen oder tatsächlichen Zusammenhang steht, richtet sich die Anfechtbarkeit aber nach dem Gesamtstreitwert der ursprünglichen Klage (Fasching Rz 1424; aA Petrasch, ÖJZ 1985, 295).

9 Das Teilurteil entfaltet (ohne Rücksicht auf das spätere Endurteil) dieselben Wirkungen wie ein Endurteil (OLG Wien, WR 762), also – je nach dem Urteilstyp – Feststellungswirkung sowie Vollstreckungswirkung oder Gestaltungswirkung. Das rechtskräftige Teilurteil wird durch das nachfolgende Endurteil nicht mehr tangiert (vgl jedoch zum Endurteil im Fall der Kompensationseinwendung unten Rz 16), sofern sich nicht ein Mangel herausstellt, der eine Rechtskraftdurchbrechung ermöglicht (§§ 529, 530; § 42 Abs 2 JN). Wenn nicht Präjudizialität der Entscheidung über den Teilanspruch gegeben ist, hindert die Rechtskraft des Teilurteils nicht eine „abweichende“ Entscheidung über die anderen Ansprüche im Endurteil (JUS 20, 13). Aufgrund eines Teilurteils kann auch Exekution zur Sicherstellung geführt werden (SZ 56/ 100; Rechberger/Simotta, Exekutionsverfahren Rz 851).

10 Die Aufrechnungseinwendung (von § 391 Abs 3 unpräzise „Einrede“ genannt) ist der Antrag des Beklagten auf Aufrechnung der Klageforderung mit einer ihm gegen den Kläger zustehenden Gegenforderung im Urteil, sodass die Klageforderung ganz oder teilweise abgewiesen werden muss (vgl EvBl 1960/73). Sie unterscheidet sich von der außergerichtlichen Kompensation (zur Aufrechnung durch einseitige Aufrechnungserklärung gem §§ 1438 ff ABGB vgl Koziol/Welser II 100 ff) durch ihren Eventualcharakter, weil sie nur für den Fall erklärt wird, dass das Gericht das Bestehen der Klageforderung bejaht (Melichar, JBl 1946, 49; Novak, JBl 1951,504; Fasching Rz 1287; Holzhammer 221; Rechberger/Simotta Rz 484; Deixler-Hübner in Fasching/ Konecny III § 391 Rz 22; SZ 50/35 = EvBl 1978/66 = JBl 1978, 262 = MietSlg 29.630/15; EvBl 1979/171; ÖBA 1996, 485; 2 Ob 244/97i = RdW 2000/114; 4 Ob 242/01v = MietSlg 53.722). Deshalb muss immer zuerst über den Bestand der Klageforderung verhandelt und entschieden werden (Beweiserhebungstheorie), und zwar auch dann, wenn die Gegenforderung schneller festgestellt werden kann, sodass die Abweisung der Klage schon deshalb feststünde. Die sofortige Abweisung der Klage (wie sie im Hinblick auf die Prozessökonomie die Klageabweisungstheorie vorsieht) wäre nur scheinbar ein Vorteil, weil sich in diesem Fall der Rechtskraftumfang der Entscheidung nicht feststellen ließe (vgl dazu auch Fasching Rz 1294). Die außergerichtliche Kompen1354

§§ 391–392

2.2 Urteile und Beschlüsse

sation wird dagegen unbedingt und ohne Rücksicht auf das Bestehen der Hauptforderung erklärt, setzt also die Anerkennung der Hauptforderung voraus; im Prozess begründet sie einen Schuldtilgungseinwand, der im Falle des Erfolges zur (teilweisen) Abweisung der Klage führen muss, ohne dass erst im Urteil aufgerechnet werden müsste (Sperl 342, Kropiunig, ÖJZ 1959, 590 und Dullinger in Rummel II/3 § 1438 Rz 20 mwN, leugnen allerdings so wie die ältere Rsp [zB SZ 28/181 = EvBl 1956/171 = RZ 1955/185] einen prozessual bedeutsamen Unterschied zwischen der Kompensationseinwendung und der außergerichtlichen Aufrechnung). Im Zweifel ist die Geltendmachung einer Gegenforderung im Prozess, mit der sich der Beklagte nicht auf eine schon vorher außergerichtlich vollzogene Aufrechnung stützt, als bloße Prozessaufrechnung anzusehen (vgl 2 Ob 244/97i = RdW 2000/114). Bei Geldforderungen kann nur auf ziffernmäßig bestimmte Gegenforderungen Bedacht genommen werden (JBl 1980, 548; MietSlg 38.765; LGZ Graz 6 R 178/93 = AnwBl 1994/4702; LGZ Wien 39 R 210/01y = MietSlg 53.694), doch ist die Aufrechnung einer Netto-Gegenforderung gegen eine Brutto-Klageforderung zulässig (SZ 54/169 = EvBl 1982/75 = JBl 1982, 439; Arb 10.091 = DRdA 1982, 323 = DRdA 1985, 37 [abl Burgstaller]; zur Fassung des Urteils, wenn in diesem Fall die Gegenforderung niedriger als die Klageforderung ist, vgl EvBl 1982/75 = JBl 1982, 439). Im Falle einer Räumungsklage gem § 1118 ABGB können Geldforderungen nicht aufrechnungsweise eingewendet werden, sondern es kann nur eine außergerichtliche unbedingte Aufrechnung gegen den behaupteten Zinsrückstand geltend gemacht werden (LGZ Graz MietSlg 47.136). Die Voraussetzungen für die materiellrechtliche Kompensation, nämlich Gegenseitigkeit, Fälligkeit, Gültigkeit und Gleichartigkeit müssen auch im Falle der Kompensationseinwendung gegeben sein (s auch Deixler-Hübner in Fasching/Konecny III § 391 Rz 41 ff). Die Liquidität ist wie im materiellen Recht (vgl Koziol/Welser II 102 f und Dullinger in Rummel II/3 § 1439 Rz 6) nicht Voraussetzung (SZ 26/200; SZ 50/35 = EvBl 1978/66 = JBl 1978, 262 = MietSlg 29.630/15; SZ 63/ 201). Rechtsnatur. Die Kompensationseinwendung ist eine doppelfunktio- 11 nelle Prozesshandlung (s dazu § 177 Rz 6), die neben dem prozessualen Sachantrag auch die materiellrechtliche Schuldtilgungserklärung enthält. Obwohl der prozessuale Erfolg der Kompensationseinwendung davon abhängt, ob die Voraussetzungen des materiellen Rechts für die Aufrechnung gegeben sind, kommt der Prozesshandlung keine Doppelnatur zu (so aber Holzhammer 221 und Deixler-Hübner, PraktZPR 308; dies in Fasching/Konecny III § 391 Rz 24 f; danach kann die Ein1355

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Rechberger

wendung nur dann Wirkungen entfalten, wenn sie sowohl die materiellrechtlichen als auch die prozessualen Voraussetzungen erfüllt), weil nicht einzusehen ist, warum eine prozessual unwirksame (weil zB nicht vom Rechtsanwalt erklärte) Kompensationseinwendung keine materiellrechtlichen Wirkungen haben sollte; es liegt deshalb (bloß) ein Doppeltatbestand vor (Fasching Rz 1292; Reiterer, Aufrechnung 75; Dullinger in Rummel II/3 § 1438 Rz 20; Rechberger/Simotta Rz 482).

12 Prozessvoraussetzungen. Grundsätzlich müssen auch für die Kompensationseinwendung die Prozessvoraussetzungen vorliegen bzw die Prozesshindernisse fehlen (Fasching Rz 1290). Das Gericht braucht aber für die Gegenforderung nicht zuständig zu sein (Fasching Rz 1290; Dullinger in Rummel II/3 § 1438 Rz 25; Rechberger/Simotta Rz 483; Ballon Rz 287; SZ 31/119; SZ 37/1; das gilt auch dann, wenn für die Gegenforderung eine Schiedsvereinbarung besteht: EvBl 1991/44. AA Holzhammer 222; Reiterer, Aufrechnung 83 und die ältere Rsp [zB EvBl 1964/132]). Nach SZ 22/50 ist ferner die Aufrechnung mit einer Gegenforderung, die nicht auf den Rechtsweg gehört, dann zulässig, wenn die Gegenforderung bereits von der zuständigen Behörde rechtskräftig festgestellt wurde. Auch die Streitanhängigkeit einer Leistungsklage über die Gegenforderung hindert nicht deren aufrechnungsweise Geltendmachung, weil wegen der Unterschiedlichkeit der Begehren verschiedene Streitgegenstände vorliegen: Mit der Kompensationseinwendung wird die Feststellung der Gegenforderung (s Näheres bei § 411 Rz 14) und die rechtsgestaltende richterliche Aufrechnung begehrt. Deshalb kann auch umgekehrt die Kompensationseinwendung keine Streitanhängigkeit für eine nachfolgende selbständige Leistungsklage bewirken (Rechberger/ Simotta Rz 484; vgl ferner Fasching Rz 1290; SpR neu 40 = SZ 28/25 = EvBl 1955/122 = JBl 1955, 201 = RZ 1955, 93; ZVR 1987/96; auch Deixler-Hübner in Fasching/Konecny III § 391 Rz 38 hat sich dieser Meinung mit der Begründung angeschlossen, dass weder Identität der Ansprüche noch der Rechtsschutzziele gegeben sei). So wird auch nicht die Aufrechnung mit verjährten Forderungen ausgeschlossen, wenn die Klage auf ihre Zahlung rechtskräftig wegen Verjährung abgewiesen wurde (RdW 1995, 467 = RZ 1996/41 = ZfRV 1996, 24). Die gegenteilige Meinung, die aus der Rechtskraftfähigkeit der Entscheidung über die Kompensationseinwendung (s § 411 Rz 14) ohne weiteres auf die Streitanhängigkeit schließt (Holzhammer 222; Deixler-Hübner, PraktZPR 308; Ballon Rz 288), übersieht offenbar die Verschiedenartigkeit der Streitgegenstände. Für die Gegenforderung muss auch nicht dieselbe Verfahrensart wie für die Klageforderung vorgesehen sein (Fasching Rz 1293; Rech1356

§§ 391–392

2.2 Urteile und Beschlüsse

berger/Simotta Rz 483; Ballon Rz 287; SZ 55/18 = EvBl 1982/103 = RZ 1983, 48). Im Anwendungsbereich von EuGVÜ/LGVÜ/EuGVVO stellt sich die Frage, ob zur Entscheidung über die Aufrechnungseinrede die internationale Zuständigkeit für die eingewendete Gegenforderung gegeben sein muss. Nach dem EuGH (Rs C-341/93, Slg 1995 S I-2053, Danvaern/Schuhfabriken Otterbeck) gilt Art 6 Nr 3 EuGVÜ (gleichlautend Art 6 Nr 3 EuGVVO) nur für eine Klage des Beklagten auf gesonderte Verurteilung, nicht aber für den Fall, dass ein Beklagter eine Forderung als bloßes Verteidigungsmittel geltend macht. Was als Verteidigungsmittel gilt, richtet sich sowie dessen Voraussetzungen nach nationalem Recht). Weitgehend unproblematisch ist daher der Fall der konnexen Gegenforderung. Könnte die Gegenforderung auch mittels Widerklage geltend gemacht werden, kann das für die Hauptsache zuständige Gericht auch über die Aufrechnungseinrede entscheiden (Simotta in Fasching I § 96 JN Rz 27; Rechberger/Simotta Rz 483/1). Ist die Gegenforderung allerdings inkonnex, stellt sich die Frage, wie die Aussage des EuGH zu verstehen ist, wonach sich die Voraussetzungen nach nationalem Recht richten. Nach Simotta (in Fasching I zu § 96 JN Rz 27, unter Berufung auf Fasching Rz 1290) bildet die internationale Zuständigkeit eine Zulässigkeitsvoraussetzung für die Aufrechnungseinrede (so auch die [bisherige] Rsp des BGH NJW 1993, 2753; vgl aber BGH NJW 2002, 2181, wo diese Rsp als überholt bezeichnet wird, ohne allerdings die Streitfrage zu klären). Demnach hängt die Zulässigkeit der Prozessaufrechnung davon ab, dass das Gericht der Hauptforderung auch für die inkonnexe Gegenforderung international zuständig ist, außer die (prorogable) internationale Unzuständigkeit ist durch Einlassung des Klägers geheilt (vgl aber zu den Bedenken gegen diese Rsp in Anbetracht der Rs Danvaern/Schuhfabriken Otterbeck bei Bork, FS Beys 129 ff; Gebauer, IPRax 1998, 84 ff; Mankowski, Entscheidungsanm, ZZP 109 [1996] 376 [384]; vgl auch Coester-Waltjen, FS Lüke 35 ff; differenzierend Wagner, IPRax 1999, 65 ff). Das Urteil. Aus dem Charakter der Kompensationseinwendung als 13 Sachentscheidungsantrag ergibt sich die Entscheidung über die Gegenforderung im Urteilsspruch (hL und stRsp: Fasching Rz 1293; Rechberger/Simotta Rz 651; Ballon Rz 288; SZ 7/124; ZBl 1928/104 [abl Petschek]; Rsp 1931/364; OLG Wien EvBl 1937/265; LGZ Graz Arb 8210; aA Petschek, Streitfragen 46 und ZBl 1930/161). In Übereinstimmung damit und entsprechend § 411 (s dort Rz 14) sieht § 545 Abs 3 Geo für den Fall der Stattgebung der Aufrechnungseinwendung die Fällung eines dreigliedrigen Urteils vor (vgl auch EvBl 1969/396): „1. Die Klageforderung besteht mit … zu Recht. 2. Die Gegenforderung besteht 1357

§§ 391–392

Rechberger

mit … zu Recht. 3. Der Beklagte ist daher schuldig …“ oder „Das Klagebegehren wird daher abgewiesen“. Während in den beiden ersten Gliedern des Spruches die Feststellung der Klageforderung und der Gegenforderung (zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz) erfolgt, kommt darin nicht deutlich zum Ausdruck, dass das Urteil danach rechtsgestaltend die Aufrechnung vornimmt. Der Leistungsbefehl oder die negative Feststellung im dritten Teil ist nur als Konsequenz aus dieser Rechtsgestaltung erklärbar. Besteht die Klageforderung zu Recht, die Gegenforderung aber nicht, so wird der Klage in der Praxis schlicht stattgegeben; richtigerweise muss aber auch die Aufrechnungseinwendung abgewiesen werden, da über den sich aus ihr ergebenden Sachantrag zu entscheiden ist. Jedenfalls abzuweisen ist die Aufrechnungseinwendung dann, wenn die Gegenforderung nicht aufrechenbar ist. Besteht die Klageforderung zu Recht, ist die Aufrechnungseinwendung aber prozessual (zB wegen des Mangels der Zulässigkeit des Rechtsweges) unzulässig, ist in den Spruch neben der Stattgebung der Klage die Zurückweisung der Einwendung aufzunehmen (teilw abw Fasching Rz 1293). Besteht schon die Klageforderung nicht, ist die Klage ohne jede Erwähnung der Gegenforderung oder ihrer Aufrechenbarkeit abzuweisen. Gibt in diesem Fall das Berufungsgericht der Klage statt, so hat nun dieses (in einem dreigliedrigen Urteil) über die in der ersten Instanz nicht behandelte Gegenforderung zu entscheiden (ZBl 1933/96 [krit Petschek]; SZ 40/145 = EvBl 1968/279; RZ 1970, 168). Ist die Aufrechnung vertraglich ausgeschlossen worden bzw liegt ein Verzicht auf Aufrechnung vor, ist die Kompensationseinwendung mit Urteil abzuweisen: ZAS 1974/1 (zust P. Böhm); JBl 1978, 266; MietSlg 34.746; LGZ Wien MietSlg 36.773 (ggt: SZ 27/197; RZ 1974/23; SZ 41/68 = EvBl 1969/17 = JBl 1970, 251). Es widerspricht in diesem Fall auch nicht prozessökonomischen Grundsätzen, dass die Gegenforderung zwar mit Widerklage, nicht aber compensando geltend gemacht werden kann (JBl 1993, 319 = RdW 1993, 74).

14 Über die Gegenforderung des Beklagten kann auch dann, wenn sie den Betrag der Klageforderung übersteigt, nur bis zu deren Höhe entschieden werden. Das ergibt sich aus der Bestimmung des § 411 über die Rechtskraftfähigkeit der Feststellung der Gegenforderung (s dort Rz 14).

15 Das Teilurteil nach § 391 Abs 3, das nur über die Klageforderung gefällt werden kann, will vor allem der Prozessverschleppung durch die Kompensationseinwendung des Beklagten begegnen (Fasching Rz 1296). Es darf aber nur dann gefällt werden, wenn die Klageforderung und die 1358

§§ 391–392

2.2 Urteile und Beschlüsse

Gegenforderung nicht in rechtlichem Zusammenhang stehen; bei Konnexität der beiden Forderungen stellt das Gesetz auf den prozessökonomischen Effekt der gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung ab. Ein rechtlicher Zusammenhang liegt nach der Rsp dann vor, wenn die Forderungen aus einem einheitlichen Vertrag, aus einer einzigen gesetzlichen Vorschrift, einem einheitlichen, unter einem gleichen rechtlichen Gesichtspunkt zu beurteilenden Lebenssachverhalt abgeleitet werden (RZ 1977/14; JBl 1980, 33; JBl 1980, 548 = MietSlg 31.699; LGZ Wien MietSlg 32.692, 35.787), ferner dann, wenn zwischen den beiden Ansprüchen ein inniger wirtschaftlicher Zusammenhang besteht, der die Durchsetzung des Klageanspruchs ohne Rücksicht auf den Gegenanspruch als Treu und Glauben widersprechend erscheinen ließe (SZ 35/11 = EvBl 1962/213 = JBl 1962, 639 = ZVR 1962/175; JBl 1980, 33; JBl 1980, 548 = MietSlg 31.699; LGZ Wien MietSlg 32.692; JBl 1983, 438 = GesRZ 1982, 164 [zust Ostheim]; LGZ Wien MietSlg 35.787; LGZ Wien 36 R 162/02v = EFSlg 102.033). Ein rechtlicher Zusammenhang besteht zB bei gegenseitigen Schadenersatzforderungen aus einem Unfall (SZ 35/11), zwischen der Rückforderung einer Pachtzinsvorauszahlung und Schadenersatzansprüchen wegen entgangener Pachtzinseinnahmen durch unbegründete Vertragsauflösung (MietSlg 16.657), zwischen der Forderung des Pächters auf Ersatz von Aufwendungen für das Pachtobjekt und der Gegenforderung des Verpächters auf Ersatz von Schäden durch die vertragswidrige Nichterfüllung der Instandhaltungspflicht durch den Pächter (LGZ Wien MietSlg 32.692), zwischen einer Provisionsforderung und einer Schadenersatzforderung wegen unbegründeten Austritts (LG Linz Arb 7447), zwischen dem Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises gelieferter Waren und einem aus der vorzeitigen Auflösung eines Generalvertretungsvertrags abgeleiteten Schadenersatzsanspruch (EvBl 1967/308). Einen rechtlichen Zusammenhang verneint hat die Rsp zB zwischen einem Provisionsanspruch auf einen nach Beendigung des Dienstverhältnisses akquirierten Auftrag und einer vom Arbeitgeber eingewendeten Gegenforderung, die Provisionen während des aufrechten Dienstverhältnisses zum Gegenstand hat (OLG Wien 9 Ra 261/99i = ARD 5227/52/2001); zwischen der Verpflichtung des Wohnungseigentumsorganisators zur Übertragung einer bestimmten Eigentumswohnung und seinem Anspruch auf Einräumung der Hausverwaltung durch den Wohnungseigentumsbewerber (JBl 1980, 548 = MietSlg 31.699); zwischen einer Klageforderung aus einem abgewickelten Kreditvertrag und einer Gegenforderung aus einem anderen, nicht zustande gekommenen Kreditvertrag (JBl 1980, 33); zwischen einem Entgeltanspruch aus einem Dienstverhältnis und einem Schadenersatzanspruch des Ar1359

§§ 391–392

Rechberger

beitgebers aus dem Verhalten des Arbeitnehmers bei Erbringung der Arbeitsleistungen (LGZ Wien Arb 10.153 = ZAS 1983, 121; SZ 56/150 = EvBl 1984/103 = JBl 1984, 157 = infas 1984 H 4, 9 A 81 = RdW 1984, 22 = ZAS 1984/26 [krit Mazal]; DRdA 1985, 415 = infas 1985 H 5, 10 A 97; ARD 4924/26/98; ARD 4977/26/98; ARD 4703/10/95 = infas 1995 H 6, 19 A 135; OLG Wien 7 Ra 60/00w = ARD 5227/51/2001); zwischen einer Klageforderung aus Arbeitsleistungen zu Lebzeiten des Arbeitgebers und einer Gegenforderung, weil der Kläger nach dessen Tod den Betrieb eigenmächtig weitergeführt habe (Ind 1977 H 5, 6); zwischen der Forderung eines Handelsvertreters auf Rückzahlung eines dem Geschäftsherrn zum Einkauf von Waren gewährten Darlehens und der Schadenersatzforderung des Geschäftsherrn wegen mangelhafter Tätigkeit des Handelsvertreters (SZ 27/4).

16 Die Selbständigkeit des Teilurteils hinsichtlich seiner Rechtskraft und Vollstreckbarkeit (s oben Rz 15) schafft bei der Kompensationseinwendung theoretische und praktische Schwierigkeiten. Auch das Endurteil muss auf den Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung über die Klageforderung abstellen (Fasching Rz 1297; SZ 59/ 133 = JUS 21, 13; LGZ Wien 44 R 135/02g = EFSlg 102.035) und deshalb die allenfalls bereits rechtskräftige Klageforderung zu diesem Zeitpunkt aufgrund der Kompensation für erloschen erklären (vgl dazu Fasching Rz 1297 und Holzhammer 284), was besonders unerfreulich erscheint, wenn das Teilurteil allenfalls bereits vollstreckt ist. Allerdings ermöglicht die Rsp (JBl 1952, 347; SZ 59/103) dem Beklagten die Aufschiebung der vom Kläger eingeleiteten Exekution des Teilurteils gem § 42 Abs 1 Z 1 EO; aufgrund eines (für den Beklagten positiven) Endurteils muss eine solche Exekution gem § 39 Abs 1 Z 1 EO eingestellt werden. Besteht die Gegenforderung nicht zu Recht, beschränkt sich das Endurteil auf diese Feststellung; ist sie nicht aufrechenbar oder die Kompensationseinwendung prozessual unzulässig, hat das Endurteil die Kompensationseinwendung ab- bzw zurückzuweisen.

17 Eine Gegenforderung kann der Beklagte außer durch Kompensationseinwendung auch durch Widerklage geltend machen (s auch DeixlerHübner in Fasching/Konecny III § 391 Rz 27; vgl zum Gerichtsstand § 96 JN). In diesem Fall wird über die Gegenforderung unabhängig vom Bestand der Klageforderung entschieden und zwar auch dann in voller Höhe, wenn die Gegenforderung höher als die Klageforderung ist. Die Fällung eines Teilurteils ist hier auch über die Gegenforderung zulässig (SZ 34/153). 1360

§ 393

2.2 Urteile und Beschlüsse Zwischenurteil

§ 393. (1) Wenn in einem Rechtsstreite ein Anspruch nach Grund und Betrag streitig und die Verhandlung zunächst bloß in Ansehung des Grundes zur Entscheidung reif ist, kann das Gericht vorab über den Grund des Anspruches durch Urteil entscheiden (Zwischenurteil), auch wenn noch strittig ist, ob der Anspruch überhaupt mit irgendeinem Betrag zu Recht besteht. (2) Ferner kann durch ein der Entscheidung der Hauptsache vorausgehendes Zwischenurteil im Falle der §§ 236 und 259 über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses oder Rechtes entschieden werden, sobald die Verhandlung über den Feststellungsantrag zur Entscheidung reif ist. (3) Die im Sinne der beiden ersten Absätze erlassenen Urteile sind in Betreff der Rechtsmittel als Endurteile anzusehen. Durch die Erhebung der Berufung oder Revision gegen ein gemäß Abs 1 erlassenes Zwischenurteil wird die weitere Verhandlung über die Klage bis zum Eintritte der Rechtskraft des erlassenen Zwischenurteiles gehemmt. In allen anderen Fällen nimmt ungeachtet der Berufung oder Revision gegen das Zwischenurteil die Verhandlung der Hauptsache ihren Fortgang. Das Gericht kann jedoch, wenn ein für die Entscheidung der Hauptsache wesentliches Rechtsverhältnis oder Recht für nicht begründet erkannt wurde, anordnen, daß die weitere Verhandlung über die Klage bis zum Eintritte der Rechtskraft des erlassenen Zwischenurteiles auszusetzen sei. Diese Anordnung kann durch ein Rechtsmittel nicht angefochten werden. (4) In Ansehung der Kosten hat die Vorschrift des § 52 Abs 2 sinngemäße Anwendung zu finden. [Abs 1 letzter Halbsatz angefügt durch WGN 1989; sonst Stammfassung] Lit: Fasching, Das Zwischenurteil über den Grund des Anspruches (§ 393 Abs 1 ZPO), ÖJZ 1958, 264; Schobel, Zur bindenden Wirkung eines Zwischenurteiles über den Grund des Anspruches, ÖJZ 1962, 384; Holzhammer, Zur Lehre vom Zwischenurteil, JBl 1962, 592; Hule, Das Zwischenurteil nach § 393 Abs 1 ZPO bei Klagenhäufung, ÖJZ 1971, 253, 286; Fasching, Die richterliche Betragsfestsetzung gem § 273 ZPO, JBl 1981, 225 (234); Dolinar, Die richterliche Schadensschätzung nach § 273 ZPO als Instrument prozessökonomischer Streiterledigung, FS Fasching (1988) 139 (145); Prütting, Die Bindung an das Grundurteil im Betragsverfahren, FS Rechberger (2005) 427. Deixler-Hübner in Fasching/Konecny III § 393; Bajons Rz 156; Ballon Rz 310; Deixler-Hübner, PraktZPR 309; Deixler-Hübner/Klicka 1361

§ 393

Rechberger

Rz 238; Fasching Rz 1426 ff; Holzhammer 275; Rechberger/Simotta Rz 669 f. Inhaltsübersicht Allgemeines zum Zwischenurteil Grundurteil (§ 393 Abs 1)

1–5 6–13

Grundlagenurteil (§ 393 Abs 2) Sonderfälle

14–16 17–18

1 Ein Zwischenurteil dient der Feststellung von Anspruchselementen (nämlich dem Anspruchsgrund oder einer Anspruchsgrundlage), die vor der Entscheidung über das Klagebegehren selbst geklärt werden sollen; es führt damit zu einer qualitativen Gliederung des Prozessstoffes. Es kann deshalb in keiner Weise die Funktion eines Endurteils erfüllen, dient aber so wie das Teilurteil der Beschleunigung des Prozesses und der Prozessökonomie, weil der Prozess durch die in ihm getroffenen Feststellungen idR entschieden ist. Das Zwischenurteil ist ausdrücklich als solches zu bezeichnen (§ 114 Abs 1 Geo).

2 Das Zwischenurteil ist ein Feststellungsurteil, das selbständig angefochten werden kann (nur insofern ist es nach Abs 3 „als Endurteil anzusehen“). Das Grundurteil nach § 393 Abs 1 ZPO kann im Gegensatz zum Grundlagenurteil nach § 393 Abs 2 ZPO auch ohne Urteilsantrag ergehen (1 Ob 155/97v = SZ 71/5 = JBl 1998, 454). Zum (verschiedenen) Einfluss der Erhebung eines Rechtsmittels gegen ein Grundurteil und gegen ein Grundlagenurteil auf den weiteren Fortgang des Verfahrens s Rz 12 und Rz 16.

3 Die Fällung des Zwischenurteils steht im (gebundenen) Ermessen (s Vor § 266 Rz 3) des Richters. Die gesetzlichen Ermessensrichtlinien sind die Entscheidungsreife und der (im Gesetz nicht ausdrücklich genannte) prozessökonomische Vorteil des Zwischenurteils (was beim Grundurteil oft nur schwer auszumachen ist; s Deixler-Hübner in Fasching/ Konecny III § 393 Rz 16). Holzhammer (FS Fasching 227 [233 f]) sieht hier keinen Unterschied zum Teilurteil (s §§ 391, 392 Rz 3) und damit auch beim Zwischenurteil keinen Ermessensspielraum für den Richter.

4 Verstößt das Gericht gegen die gesetzlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen, so kann die Entscheidung wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens nach § 496 Abs 1 Z 2 ZPO angefochten werden (RZ 1973/165; MietSlg 31.700; ZfRV 1989, 294). Auch wenn der Richter die Ermessensrichtlinien nicht beachtet, stellt dies einen Verfahrensmangel iSd § 496 dar (so auch Deixler-Hübner in Fasching/Konecny III § 393 Rz 17); aA allerdings die Rsp, die die Ermessensentscheidung für unan1362

§ 393

2.2 Urteile und Beschlüsse

fechtbar hält (6 Ob 247/97f; 2 Ob 327/99y; 6 Ob 122/01m; RIS Justiz RS0040047). Nach RZ 1982/4 = RZ 1982/26; SZ 56/157; 5 Ob 261/02x = MietSlg 54.649 kann ein Beschluss des Berufungsgerichts, mit dem ein Zwischenurteil wegen Fehlens der Voraussetzungen für seine Erlassung aufgehoben wurde, auch dann nicht wegen dieser Beurteilung angefochten werden, wenn der Rekurs an den OGH zugelassen wurde (ebenso Fasching Rz 1433). Dahinter steht wohl die schon beim Teilurteil abgelehnte Auffassung (s §§ 391, 392 Rz 4), die Ermessensentscheidung sei eine prozessleitende Verfügung. Da es kaum jemals möglich ist, in einem Zwischenurteil endgültig über 5 die Kosten abzusprechen, kann das Gericht diese Entscheidung – wie gem § 52 Abs 2 beim Teilurteil – dem Endurteil vorbehalten (Abs 4). Grundurteil. Ein Zwischenurteil über den Grund des Anspruchs kann 6 nur dann gefällt werden, wenn ein Anspruch dem Grund und der Höhe (es muss sich also um Ansprüche auf Geld oder vertretbare Sachen handeln) nach strittig und bzgl des Grundes Entscheidungsreife eingetreten ist. Es kommt dabei nicht darauf an, ob es sich um eine Leistungsklage, Feststellungsklage oder Rechtsgestaltungsklage handelt (JUS 1997 Z 2227 = ÖA 1998, 162; 3 Ob 81/01k = ÖBA 2002, 840 [hier wurde ein Zwischenurteil bei einem Feststellungsbegehren auf Berechtigung des Abrufs einer Bankgarantie für zulässig erachtet]; nach überw Rsp schließt ein Feststellungsbegehren aber ein Grundurteil aus, weil diesbezüglich kein Betrag strittig sei [SZ 57/207 = JBl 1985, 548 = EvBl 1985/85; ZfRV 1989, 294; ZVR 1990/51; 3 Ob 161/97s = MietSlg 51.680; 6 Ob 187/05a; RIS-Justiz RS0039037; grundsätzlich für ein Zwischenurteil nur bei Leistungsklagen auch Deixler-Hübner in Fasching/ Konecny III § 393 Rz 3]). Aus dem Zweck des Instituts ergibt sich, dass ein Grundurteil nur bei Bejahung des Anspruchsgrundes gefällt werden kann; wird festgestellt, dass der Anspruch dem Grunde nach nicht zu Recht besteht, ist das Klagebegehren mit Endurteil abzuweisen (SZ 52/73; LGZ Wien ZAS 1983, 161). Das neue AußStrG (BGBl I 2003/111) eröffnet auch die Möglichkeit eines Zwischenbeschlusses (über den Grund des Anspruchs) im Außerstreitverfahren (vgl § 36 Abs 2 AußStrG und Rechberger in Rechberger, AußStrG § 36 Rz 2). Das Grundurteil kann (seit der WGN 1989) auch dann erlassen werden, 7 wenn noch strittig ist, ob der Anspruch überhaupt mit irgendeinem Betrag zu Recht besteht (Abs 1 aE). Ein Zwischenurteil ist daher auch dann zulässig, wenn die Art der Ermittlung des Auseinandersetzungs1363

§ 393

Rechberger

guthabens und die anzuwendende Berechnungsmethode strittig sind (HS 26.050/9; HS 26.890/9). Weiters ist vor Entscheidung über das Rechnungslegungsbegehren des Masseverwalters durch Zwischenurteil zu klären, ob der geltend gemachte Anfechtungsanspruch dem Grunde nach zu Recht besteht (RdW 1997, 726). Wird ein Globalbetrag verlangt, kann ein Zwischenurteil erlassen werden, ohne dass das Zurechtbestehen jedes einzelnen Anspruchsteils geprüft wurde (HS 26.890; JUS 1991 Z 758; 8 Ob 196/00g = MietSlg 52.746). Es kann auch in jenen Fällen ein Grundurteil ergehen, in denen strittig ist, ob der Schaden, der unbestrittenerweise entstanden ist, durch eine Teilzahlung oder durch eine Aufrechnung mit einer Gegenforderung getilgt worden ist (vgl 888 BlgNR 17. GP, 20; SZ 69/78; 6 Ob 54/04s; RIS-Justiz RS0102003). Ein Zwischenurteil über den Grund des Anspruchs ist daher auch bei Konnexität einer aufrechnungsweise eingewendeten Gegenforderung zulässig (JUS 1995 Z 1880); wohl nicht aber im Fall einer außergerichtlichen Aufrechnung. Dieses Urteil wird daher vorbehaltlich der Entscheidungen über Sacheinreden (im anschließenden Verfahren über die Höhe des Anspruches) gefällt (Deixler-Hübner, PraktZPR 310).

8 Da das Grundurteil nicht über eine Vorfrage entscheidet und zweifellos in erster Linie die prozessökonomische Gestaltung jenes Verfahrens zum Ziel hat, in dem es ergeht, spricht die stRsp (SZ 34/51 = EvBl 1961/ 307 = JBl 1961, 428 = ZVR 1961/345; Arb 8786, 9001; LGZ Wien EFSlg 46.666; SZ 71/5 = JBl 1998, 454; 2 Ob 38/02f = ZVR 2002/103) dem Grundurteil die Feststellungswirkung ab. Das bedeutet, dass ihm keine bindende Wirkung für mit einer neuen Klage erhobene Ansprüche aus dem gleichen Rechtsgrund zuerkannt wird. Es soll nur „materielle Rechtskraft innerhalb des Rechtsstreits“ entfalten, was im Verfahren über die Anspruchshöhe Einwendungen gegen den Grund des Anspruchs verhindere (JBl 1955, 412; MietSlg 31.700; LGZ Wien EFSlg 46.666) und sich auf Klageerweiterungen aus dem gleichen Rechtsgrund erstrecke (JBl 1960, 21 = ZVR 1960/238; JBl 1960, 78; ZVR 1960/175; SZ 34/51; Arb 9001; JBl 1996, 666 = AnwBl 1996, 221 = RdW 1996, 113: danach soll allerdings der Einwand der Verjährung hinsichtlich von Anspruchsteilen, die erst nach Fällung des Zwischenurteils geltend gemacht wurden, zulässig bleiben, da Verjährung hinsichtlich dieser Anspruchsteile vorher noch gar nicht geltend gemacht werden konnte; ggt: EvBl 1959/157; die Zulässigkeit aller anderen Klageänderungen richtet sich aber allein nach § 235 [s dort], weil sich die Feststellungswirkung des Grundurteils keinesfalls auf einen anderen Anspruch erstrecken kann). Das den Grund des Anspruchs bejahende Zwischenurteil steht dem Erheben eines auf denselben Rechtsgrund gestützten, zusätzlichen Begehrens auf Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden nicht 1364

§ 393

2.2 Urteile und Beschlüsse

entgegen (JBl 1961, 419 [abl Novak] = ZVR 1961/315). Fasching (ÖJZ 1958, 265; ders Rz 1436) folgt der These, dass das Grundurteil keine Feststellungswirkung entfalte, bis in die letzte Konsequenz: das Gericht sei bei Beurteilung der erst im Verfahren über die Höhe des Anspruchs durch eine Klageerweiterung geltend gemachten Ansprüche nicht an die Feststellungen des Grundurteils gebunden, sondern müsse deren Bestand unabhängig davon prüfen. Das Grundurteil hindere auch den Beklagten nicht daran, Einwendungen (wie zB jene der Verjährung) gegen die neuen Anspruchsteile zu erheben. Dies ist aber ein zumindest höchst prozessunökonomisches Ergebnis. Vor allem aber gibt es gar keinen gesetzlichen Anhaltspunkt dafür, dass das Zwischenurteil nach § 393 Abs 1 das einzige Urteil der ZPO sein sollte, dem es an der Feststellungswirkung mangelt, und es ist auch nicht einzusehen, warum die (urteilsmäßige!) Feststellung des Anspruchsgrundes nicht auch für einen neuen Prozess wirken sollte. Daher billigt die neuere Lehre dem Grundurteil überwiegend auch (echte) materielle Rechtskraft zu (W. Kralik [nach Fasching Rz 1432]; Holzhammer, JBl 1962, 594; ders 276; Deixler-Hübner, PraktZPR 310; Rechberger/Simotta Rz 669/1; Ballon Rz 310; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny III § 393 Rz 18 ff). Das Grundurteil darf erst dann gefällt werden, wenn alle Anspruchsvor- 9 aussetzungen geklärt und alle Einwendungen erledigt sind (JBl 1964, 262; JBl 1967, 376; SZ 41/148; SZ 69/78; 2 Ob 285/99x = ÖBA 2001/978). Einwendungen gegen den Grund des Anspruchs können im Verfahren über die Höhe nur dann geltend gemacht werden, wenn sie erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung über das Zwischenurteil entstanden sind (EvBl 1972/201) oder wenn sie eine Wiederaufnahmeklage gem § 530 Abs 1 Z 7 rechtfertigen würden (die Zulassung der Einwendung stellt hier den prozessökonomischeren Weg dar: Fasching Rz 1431). Daher müssen im Grundurteil erledigt werden: die Frage des Kausalzusammenhangs zwischen dem schädigenden Ereignis und dem Schaden (ZVR 1959/154; 3 Ob 131/03s = RdM 2004/37); der Einwand des Mitverschuldens des Klägers (SZ 43/218; 2 Ob 332/00p = ZVR 2002/23), des Vorteilsausgleichs (SZ 34/93; aA 6 Ob 54/04s in Abkehr zur früheren Rsp: Der Einwand des Vorteilsausgleichs gehört in das Verfahren über die Höhe des Anspruchs, da § 393 Abs 1 die Fällung eines Zwischenurteils erlaubt, auch wenn noch strittig ist, ob der Anspruch überhaupt mit irgendeinem Betrag zu Recht besteht; differenzierend Deixler-Hübner in Fasching/Konecny III § 393 Rz 9); die Frage, ob Zug um Zug zu leisten ist (NZ 1980, 37), ob Haftungsausschlüsse oder Haftungsbeschränkungen bestehen (JBl 1954, 97; EvBl 1957/192), die Frage der Verjährung (ZVR 1959/49); die Frage der Aktivlegitimation (2 Ob 285/99x = ÖBA 2001/978 = JUS 2000 Z 2872). Aufgrund der Ergänzung des Abs 1 durch 1365

§ 393

Rechberger

die WGN 1989 muss aber über die Berechtigung einer Kompensationseinwendung nicht schon im Grundurteil entschieden werden (Fasching Rz 1430; JUS 1995 Z 1880; anders die frühere Rsp).

10 Über einzelne Einwendungen darf kein Zwischenurteil ergehen: zB über die aktive Klagelegitimation (JBl 1954, 73), allein über das Verschulden oder allein über die Kausalität (Fasching Rz 1429). Desgleichen ist kein Grundurteil über das Bestehen rechtserheblicher Tatsachen möglich (JBl 1952, 89).

11 Das Gericht kann – muss aber nicht (JBl 1959, 238) – die Verhandlung gem § 189 auf den Grund des Anspruchs einschränken; ein derartiger Beschluss ist unanfechtbar (§ 192 Abs 2).

12 Konsequenterweise wird durch die Erhebung einer Berufung oder einer Revision gegen das Grundurteil die weitere Verhandlung über die Klage bis zum Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils ex lege gehemmt (Abs 3 Satz 2); eine Verhandlung über die Höhe der Klageforderung vor (formeller) Rechtskraft des Grundurteils würde dessen prozessökonomischen Effekt ja zunichte machen. Diese Verfahrenshemmung bedeutet keine Unterbrechung iS der §§ 155 ff; der Fristenlauf und die Gültigkeit von Prozesshandlungen bleiben unberührt (Fasching Rz 1434). Wird ein Ersturteil durch das Berufungsgericht in ein Zwischenurteil über den Anspruchsgrund abgeändert, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens an das Erstgericht zurückgewiesen, so gilt der mit dem Zwischenurteil verknüpfte Aufhebungsbeschluss als nicht beigesetzt; infolgedessen kommt auch ein Rekurs gegen einen solchen Aufhebungsbeschluss nicht in Betracht (1 Ob 9/05p = ÖJZ-LSK 2005/149).

13 Zum Zwischenurteil aufgrund eines Anerkenntnisses dem Grunde nach s § 395 Rz 7.

14 Das Grundlagenurteil (§ 393 Abs 2). Das Zwischenurteil über einen Zwischenfeststellungsantrag nach § 236 oder § 259 ist unstrittig ein echtes Feststellungsurteil, das materielle Rechtskraft zu entfalten vermag (Fasching Rz 1437; wobl 1989/88 [zust Call]; MietSlg 41.575 = wobl 1990/32). Es beinhaltet regelmäßig die selbständige Entscheidung über eine Vorfrage (s § 236 Rz 1, 5).

15 Ob die Entscheidung über den Zwischenfeststellungsantrag in einem Zwischenurteil oder gleich im Endurteil erfolgt, hängt davon ab, ob mit der Entscheidungsreife der Vorfrage auch jene der Hauptfrage gegeben ist. 1366

§ 394

2.2 Urteile und Beschlüsse

Für den Fall der Erhebung eines Rechtsmittels gegen das Grundlagen- 16 urteil ist unzweckmäßigerweise (dazu Sperl 503 und Deixler-Hübner in Fasching/Konecny III § 394 Rz 35) keine Hemmung der Verhandlung der Hauptsache ex lege vorgesehen. Es wird daher von der in Abs 3 Satz 4 vorgesehenen Möglichkeit der „Aussetzung“ der Verhandlung der Hauptsache „großzügig Gebrauch gemacht werden müssen“ (Deixler-Hübner in Fasching/Konecny III § 394 Rz 35). Diese Anordnung ist zumindest unanfechtbar (das gilt nach SZ 13/272 auch für den Beschluss des Berufungsgerichts, der die Fortsetzung des Verfahrens verfügt, weil das präjudizielle Rechtsverhältnis für bestehend erklärt wurde). Sonderfälle. Ein in Form eines Endurteils ergehendes Grundurteil stellt 17 die Entscheidung nach § 89 Abs 2 ASGG dar: In den Sozialrechtssachen nach § 65 Abs 1 Z 1 (Versicherungsleistungen), 6 (Sonderunterstützung) und 8 (Sonderruhegeld) kann das Gericht, wenn das auf eine Geldleistung gerichtete Begehren dem Grunde und der Höhe nach bestritten ist, das Klagebegehren als dem Grunde nach zu Recht bestehend erkennen, wenn es „in einer zahlenmäßig noch nicht bestimmten Höhe gerechtfertigt ist“. Die Höhe der Leistung hat dann der Versicherungsträger mit Bescheid festzusetzen. Gem § 32 Abs 1 MRG hat das Gericht bei einer Kündigung mit gleich- 18 zeitiger Ersatzbeschaffung aufgrund der Einwendungen des Beklagten zuerst mit Zwischenurteil über den Bestand des Kündigungsgrunds zu entscheiden. Vgl Näheres Vor § 560 Rz 5. Urteil auf Grund von Verzicht § 394. (1) Verzichtet der Kläger bei der mündlichen Streitverhandlung auf den geltend gemachten Anspruch, so ist die Klage auf Antrag des Beklagten auf Grund des Verzichtes durch Urteil abzuweisen. (2) Bezieht sich der Verzicht nur auf einen von mehreren in der Klage geltend gemachten Ansprüchen oder auf einen Teil eines Anspruches, so kann auf Grund des Verzichtes auf Antrag ein Teilurteil erlassen werden. [Abs 1 idF ZVN 2002; sonst Stammfassung] Lit: Hegler, Beiträge zur Lehre von prozessualem Anerkenntnis und Verzicht (1903); Lent, Der Klageverzicht, DRZ 1948, 9. Deixler-Hübner in Fasching/Konecny III § 394; Ballon Rz 274, 313; Deixler-Hübner, PraktZPR 311; Deixler-Hübner/Klicka Rz 215 ff; Fasching Rz 1321 ff, 1391; Holzhammer 225, 277; ders, PraktZPR 232; Rechberger/Simotta Rz 474 ff. 1367

§ 394

Rechberger

1 Der Verzicht im Prozess ist die (vor Gericht abgegebene – wozu gem § 31 Abs 1 Z 2 auch die Prozessvollmacht ermächtigt) Willenserklärung des Klägers, auf sein Klagebegehren ganz oder teilweise zu verzichten. Nach Holzhammer (225 f) ist der Verzicht im Prozess eine reine Prozesshandlung, die nicht mit einem materiellrechtlichen Verzichtsvertrag gem § 1444 ABGB einhergehe (dieser setzt eine Verbindlichkeit des Schuldners voraus, die durch den Verzichtsvertrag aufgehoben wird); eine Anfechtung nach den Bestimmungen des ABGB komme deshalb nicht in Frage. Sollte ausnahmsweise doch zugleich mit dem Verzicht im Prozess auch ein materiellrechtlicher Verzichtsvertrag abgeschlossen worden sein, wird eine doppelfunktionelle Parteihandlung mit Doppeltatbestand angenommen, deren prozessuale wie materiellrechtliche Wirksamkeit selbständig zu beurteilen seien (ausführlich Holzhammer 225 f; Fasching Rz 1321). So wie beim Vergleich (s §§ 204–206 Rz 1), in dessen Gewand ja auch ein Verzicht gekleidet werden kann, erscheint aber auch die Annahme einer doppelfunktionellen Prozesshandlung (vgl dazu ausführlich Oberhammer, OHG 390 ff) sachgerecht, deren materielle Mängel auf die prozessuale Wirksamkeit durchschlagen; die prozessuale Unwirksamkeit kann jedoch das materiell wirksame Zustandekommen des Verzichts nicht hindern.

2 Unzulässig ist ein prozessualer Verzicht und damit ein Verzichtsurteil in Ehesachen (§ 460 Z 9). Darüber hinaus ist wohl die Fällung eines Verzichtsurteils dann als unzulässig zu erachten, wenn dadurch eine Rechtslage geschaffen würde, die gegen die guten Sitten oder ein gesetzliches Verbot verstößt (Fasching Rz 1322). Nach Holzhammer 277 hat das Gericht aber nur die Prozessvoraussetzungen zu prüfen, nicht aber, ob der Verzicht der wahren Rechtslage entspricht (weshalb es sich beim Verzichtsurteil um ein „Formalurteil“ handle).

3 Nach dem Wortlaut von Abs 1 muss die Verzichtserklärung während einer mündlichen Verhandlung abgegeben werden, was ihre Möglichkeit im Rechtsmittelverfahren einschränkt; nach Deixler-Hübner (in Fasching/Konecny III § 394 Rz 4) kann der Verzicht dort aber wegen der gesetzlichen Beschränkung des Mündlichkeitsgrundsatzes auch in einer Rechtsmittelschrift oder Rechtsmittelgegenschrift erklärt werden. Da eine Verzichtserklärung im Rechtsmittelverfahren einen Widerspruch zum Neuerungsverbot darstellt, ist es aber überhaupt zweifelhaft, ob der Gesetzgeber in § 394 an eine Verhandlung in höherer Instanz gedacht hat.

4 Die Verzichtserklärung des Klägers führt nicht unmittelbar zur Fällung des Verzichtsurteils, dazu bedarf es erst des Antrags des Beklagten. Solange die Zustimmung des Beklagten (vgl Koziol/Welser II 106), die regelmäßig mit diesem Antrag erfolgen wird, nicht gegeben ist, kann der 1368

§ 395

2.2 Urteile und Beschlüsse

Kläger seinen Verzicht ohne weiteres widerrufen; danach nur mehr wegen eines Willensmangels (folgt man der Ansicht, dass der Verzicht eine reine Prozesshandlung darstellt, ist die Anfechtung des Verzichts wegen eines Willensmangels mit selbständiger Klage nicht möglich) oder wegen eines Wiederaufnahmegrunds und wohl auch dann, wenn der Gegner zustimmt (Fasching Rz 1311, 1321; ähnlich Holzhammer 226; aA ders, PraktZPR 233, wonach der Verzicht unwiderrufbar sein soll, weil er dem Gegner ein besonderes Urteilsantragsrecht verschaffe). Stellt der Beklagte trotz der Verzichtserklärung des Klägers keinen 5 Antrag auf Fällung eines Verzichtsurteils, soll nach überwiegender Meinung (Dolinar, Ruhen 47; Fasching Rz 612; Holzhammer 234; ders, PraktZPR 233; Ballon Rz 274; EvBl 1976/26) Ruhen des Verfahrens analog § 133 Abs 2 eintreten (vgl aber § 395 Rz 6). Ist auch ein materiellrechtlicher Verzicht anzunehmen, liegt freilich ohnedies Spruchreife vor. Deixler-Hübner (in Fasching/Konecny III § 394 Rz 6) tritt deshalb zu Recht für den Verfahrensfortgang ein: das Gericht hat das Verfahren fortzusetzen und unter Zugrundelegung des materiell gültigen Verzichts ein kontradiktorisches Urteil zu fällen. Der Spruch des Verzichtsurteils muss – allenfalls durch Bezugnahme 6 auf die Klage oder das Verhandlungsprotokoll – deutlich wiedergegeben werden; die Ausfertigung (die nicht durch Stampiglienaufdruck hergestellt werden darf) hat die Überschrift „Verzichtsurteil“ zu tragen (§ 114 Abs 1, § 540 Abs 3 Geo). Zur Wirksamkeit des Verzichtsurteils iSd § 416 s dort Rz 5; zur gekürzten Ausfertigung s § 417 Rz 7; zum Urteilsvermerk s § 418 Rz 1. Zum Teilurteil, das gem Abs 2 dann zu ergehen hat, wenn sich der 7 Verzicht nur auf einen von mehreren Klageansprüchen oder auf einen Teil eines Anspruches bezieht, vgl bei §§ 391, 392. Die praktische Bedeutung des prozessualen Verzichts und damit jene 8 des Verzichtsurteils ist sehr gering. Unter Vermeidung eines klageabweisenden Urteils führt nämlich die Klagerücknahme unter Anspruchsverzicht gem § 237 (Näheres s dort) auf einfacherem und billigerem Wege zum selben Ergebnis. Urteil auf Grund von Anerkenntnis § 395. Wenn der Beklagte den gegen ihn erhobenen Anspruch bei der mündlichen Streitverhandlung ganz oder zum Teile anerkennt, so ist auf Antrag des Klägers dem Anerkenntnis gemäß durch Urteil zu entscheiden. [Fassung ZVN 2002] 1369

§ 395

Rechberger

Lit: Hegler, Beiträge zur Lehre von prozessualem Anerkenntnis und Verzicht (1903); Lent, Die rein prozessuale Bedeutung des Anerkenntnisses, FG Rosenberg (1949) 123; Thöni, Anerkenntnisurteil gegen die GmbH im Beschlußanfechtungsprozess? ecolex 1995, 259; Schumacher, Anerkenntnis des Versicherers: „Rechtliches Interesse“ an der Haftungsfeststellung, ecolex 1998, 117. Deixler-Hübner in Fasching/Konecny III § 395; Ballon Rz 274, 313; Deixler-Hübner, PraktZPR 311; Deixler-Hübner/Klicka Rz 215 ff; Fasching Rz 1308 ff, 1390; Holzhammer 225, 278; ders, PraktZPR 232; Rechberger/Simotta Rz 477 ff. Inhaltsübersicht Allgemeines zum Anerkenntnisurteil Unzulässigkeit von Anerkenntnisurteilen Voraussetzungen eines Anerkenntnisurteils

1 2 3–6

– Form und Zeitpunkt des Anerkenntnisses – Antrag des Klägers Form und Wirksamkeit Anerkenntniszwischenurteil Rechtsmittelgründe

3–4 5–6 7–8 9 10

1 Das (praktisch durchaus bedeutsame) Anerkenntnis im Prozess ist die (vor Gericht abgegebene – wozu gem § 31 Abs 1 Z 2 auch die Prozessvollmacht ermächtigt) Willenserklärung des Beklagten, die vom Kläger aufgestellte Rechtsfolgebehauptung sei (ganz oder teilweise) berechtigt. Deshalb liegt kein Anerkenntnis vor, wenn der Beklagte gleichzeitig das Klagevorbringen bestreitet und dessen mangelnde Schlüssigkeit einwendet (SZ 47/85 = EvBl 1975/33 = JBl 1975, 267; 7 Ob 269/00k = MietSlg 53.723) oder gleichzeitig mit der „Anerkennung“ der Klage Gegenforderungen bis zur Höhe derselben einwendet (ZAS 1974/1 [zust P. Böhm]; SZ 47/85). Gegenstand des Anerkenntnisses ist „der Streitgegenstand, der Klageanspruch, also die Behauptung der rechtserzeugenden Tatsachen, das daraus abgeleitete Begehren und die Ableitung des Begehrens“ (9 Ob A 205/98g = JBl 1999, 675). Dadurch unterscheidet sich das Anerkenntnis ganz wesentlich vom Geständnis, bei dem es nur um Tatsachen(behauptungen) geht (vgl dazu §§ 266, 267 Rz 1). Nach der Rsp ist auch das prozessuale Anerkenntnis eine reine Prozesshandlung (SZ 25/130; SZ 25/234; EvBl 1957/192; LGZ Wien Arb 8665), die nur selten mit einem Anerkenntnisvertrag nach § 1375 ABGB einhergeht. Dieser schafft konstitutiv einen neuen Rechtsgrund und kann nur obligatorische Rechte zum Gegenstand haben. Liegt eine Kombination zwischen prozessualem Anerkenntnis und Anerkenntnisvertrag vor, handelt es sich nach überwiegender Lehre (Fasching Rz 1310; Holzhammer, PraktZPR 233) um einen Doppeltatbestand; 1370

§ 395

2.2 Urteile und Beschlüsse

die prozessuale wie die materiellrechtliche Wirksamkeit des Anerkenntnisses sollen danach völlig selbständig beurteilt werden. Auch für das Anerkenntnis gilt freilich das zum Verzicht (§ 394 Rz 1) Ausgeführte; auch hier erscheint die Annahme einer doppelfunktionellen Prozesshandlung sachgerecht, wobei materielle Mängel auf die prozessuale Wirksamkeit durchschlagen; die prozessuale Unwirksamkeit kann jedoch das materiell gültige Anerkenntnis nicht beseitigen. Zu prüfen bleibt freilich, ob aus materiellrechtlicher Sicht ein deklaratorisches (unechtes) Anerkenntnis vorliegt, das bloß eine Wissenserklärung darstellt (s Koziol/Welser II 113). Anerkannt werden kann die Rechtsfolgebehauptung der Klage und anderer Sachentscheidungsanträge (wie der Kompensationseinwendung) oder Teile davon. Nicht anerkennungsfähig sind die (stets von Amts wegen zu prüfenden) Prozessvoraussetzungen, Vorfragen (soweit sie nicht zum Gegenstand eines Zwischenantrags gemacht werden) und Tatsachen (mit Ausnahme der Urkundenechtheit). Bezüglich letzterer ist nur die Wissenserklärung des Geständnisses möglich; s dazu § 266. Unzulässig ist ein prozessuales Anerkenntnis und daher auch ein Aner- 2 kenntnisurteil in Ehesachen (§ 460 Z 9). Darüber hinaus ist dem Gericht ein gegenüber der Situation beim prozessualen Verzicht insofern erweitertes Prüfungsrecht (Petschek/ Stagel 257; Pollak 522; Holzhammer 278; ders, PraktZPR 234; Rechberger/Simotta Rz 479; einschränkend Deixler-Hübner in Fasching/ Konecny III § 395 Rz 9; SZ 47/85 = EvBl 1975/33 = JBl 1975, 267; abw RZ 1979/85) einzuräumen, als die Anerkennung der Verpflichtung zu einer gesetzwidrigen, sittenwidrigen oder unklagbaren Leistung nicht zur Klagestattgebung führen kann. Dies ist nicht nur damit zu begründen, dass ein solches Anerkenntnis dem materiellen Recht widerspräche (was bei Annahme einer reinen Prozesshandlung nicht helfen würde), sondern ergibt sich auch daraus, dass das Prozessrecht (vgl § 81 Z 2 und 3 EO) seinerseits Entscheidungen (bzw deren Wirksamkeit) verhindern will, die unerlaubte Leistungen zusprechen oder doch Rechtsverhältnisse anerkennen bzw Ansprüche verwirklichen, die mit den tragenden Grundsätzen der inländischen Rechtsordnung unvereinbar sind (im Hinblick auf den Tatbestand des § 81 Z 3 EO erscheint die Einschränkung von Fasching Rz 1320, nach der das Anerkenntnis nur dann unwirksam sein soll, wenn die begehrte Rechtsfolge selbst unzulässig, verboten oder sittenwidrig ist, nicht begründbar). Im Übrigen hat das Gericht auch beim Anerkenntnis die Schlüssigkeit des Klagebegehrens nicht zu prüfen. Es gilt sonst das gleiche wie beim prozessualen Verzicht (s § 394 Rz 2). Prozessuale Ansprüche, die der Parteiendisposition entzogen sind, können jedenfalls nicht anerkannt werden, weshalb die Rechtsfol1371

§ 395

Rechberger

gebehauptungen der Nichtigkeits- und Wiederaufnahmeklagen nicht Gegenstand von Anerkenntnisurteilen sein können (Fasching Rz 1316, 2037; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny III § 395 Rz 7; für die Wiederaufnahme: SZ 19/28; EvBl 1963/32; SZ 35/105 = EvBl 1963/32 = RZ 1963, 53; EvBl 1964/51; LGZ Wien MietSlg 33.650).

3 Ein Anerkenntnis kann von der Partei, ihrem gesetzlichen oder gewillkürten Vertreter sowie im Falle einer einheitlichen Streitpartei nur von allen Streitgenossen gemeinsam (SZ 30/29; EvBl 1957/325; JBl 1958, 627) erklärt werden (daher nicht vom einfachen Nebenintervenienten und auch nicht vom streitgenössischen Nebenintervenienten allein). Zum Anerkenntnis eines von mehreren allein vertretungsbefugten Gesellschaftern vgl SZ 40/20 = JBl 1967, 576; Arb 8482.

4 Nach dem Gesetzeswortlaut kommt auch ein Anerkenntnis nur in der mündlichen Verhandlung in Frage (weshalb das in einem Schriftsatz erklärte Anerkenntnis erst durch den Vortrag in der mündlichen Verhandlung wirksam wird: SZ 40/20 = EvBl 1967/353 = JBl 1967, 576; OLG Wien 9 Ra 253/99p = ARD 5227/53/2001; das Anerkenntnisurteil kann dann aber auch außerhalb der Verhandlung gefällt werden: SZ 47/ 85 = EvBl 1975/33 = JBl 1975, 267). Nach Fasching (Rz 1312) kann das Anerkenntnis so wie der Verzicht auch in Berufung und Revision oder in den entsprechenden Gegenschriften erklärt werden (für die Zulässigkeit des Anerkenntnisses auch in dritter Instanz 3 Ob 255/04b = JBl 2005, 589) – dem stehen dieselben Bedenken entgegen wie beim Verzicht (s § 394 Rz 3).

5 Damit ein Anerkenntnisurteil gefällt werden kann, bedarf es so wie beim prozessualen Verzicht eines Antrags des Gegners. Solange der Kläger das Anerkenntnis nicht angenommen hat, was regelmäßig mit der Stellung dieses Antrags erfolgen wird, kann der Beklagte das Anerkenntnis ohne weiteres widerrufen, danach (bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung) nur wegen eines Willensmangels (Fasching Rz 1311; nach der Rsp wird die Wirkung des Anerkenntnisses von Willensmängeln nicht berührt: SZ 23/237; JBl 1953, 572; SZ 32/69; LGZ Wien EFSlg 12.285) oder eines Wiederaufnahmegrunds. Folgt man der Auffassung von der Doppelfunktionalität, ist die Anfechtung des Anerkenntnisses wegen eines Willensmangels mit selbständiger Klage möglich. Die Rsp ist widersprüchlich: Obwohl sie grundsätzlich von der rein prozessualen Natur des Anerkenntnisses ausgeht, verweigert sie zum Teil den Widerruf überhaupt (SZ 25/130 und 234; EvBl 1957/192) oder lässt ihn nur dann zu, wenn das Anerkenntnis dem materiellen Recht widerspricht (SZ 47/85). Nach SZ 59/30 = EvBl 1372

§ 395

2.2 Urteile und Beschlüsse

1987/10 ist aber der Widerruf eines Anerkenntnisses künftiger Unterhaltsleistungen wegen Änderung der Verhältnisse vor Fällung des Anerkenntnisurteils zulässig; nach EvBl 1992/179 = NRsp 1992/221 ist der Widerruf jedenfalls nach Fällung des Anerkenntnisurteils unzulässig. Nach hL ist der Gegner, der den Antrag auf ein Anerkenntnisurteil 6 unterlässt (so wie in der analogen Situation beim Verzicht; s § 394 Rz 5), analog § 133 Abs 2 säumig und es tritt Ruhen des Verfahrens ein (Dolinar, Ruhen 47; Fasching Rz 1319; Holzhammer 227; Ballon Rz 274). Das ist aber jedenfalls dann nicht sachgerecht, wenn der Kläger statt des Antrags auf Fällung eines Anerkenntnisurteils andere Sachanträge wie zB jenen auf Zulassung einer Klageänderung zur Sanierung einer unschlüssigen Klage stellt (vgl auch Fasching Rz 612; EvBl 1986/31 = JUS 12, 15 = JUS 13, 14). Ist (auch) ein materiellrechtliches Anerkenntnis anzunehmen, wäre freilich ohnedies regelmäßig Spruchreife gegeben. Der Spruch des Anerkenntnisurteils muss – allenfalls durch Bezugnah- 7 me auf die Klage oder das Verhandlungsprotokoll – deutlich wiedergegeben werden, die Ausfertigung (die nicht durch Stampiglienaufdruck erfolgen darf) hat die Überschrift „Anerkenntnisurteil“ zu tragen (§ 114 Abs 1, § 540 Abs 3 Geo). Zur Wirksamkeit des Anerkenntnisurteils iSd § 416 s dort Rz 5; zur gekürzten Ausfertigung s § 417 Rz 7; zum Urteilsvermerk s § 418 Rz 1. Gem § 225 Abs 2 hat die verhandlungsfreie Zeit keinen Einfluss auf die 8 Rechtsmittelfristen gegen Anerkenntnisurteile. Gem § 371 Z 1 EO kann aufgrund eines noch nicht rechtskräftigen Anerkenntnisurteils Exekution zur Sicherstellung ohne Gefahrenbescheinigung und Sicherheitsleistung geführt werden. Unter den Voraussetzungen des § 393 ist auch ein Anerkenntniszwi- 9 schenurteil zulässig; also sowohl dann, wenn der Grund des Anspruchs einer hinsichtlich Grund und Höhe strittigen Forderung anerkannt wird (SZ 3/99; SZ 25/234; nach SZ 28/150, JBl 1962, 565 = ZVR 1962/ 224 erstreckt sich ein solches Anerkenntnis „regelmäßig“ auf alle Prämissen des erhobenen Anspruchs wie das Schadensereignis, die Kausalität, das Fehlen eines Mitverschuldens und die grundsätzliche Anerkennung des Forderungsübergangs; nach EvBl 1961/342 desgleichen auf die Fälligkeit sowie auf den Ausschluss des Einwands der Vorteilsausgleichung) als auch dann, wenn ein Zwischenfeststellungsbegehren nach §§ 236, 259 Abs 2 anerkannt wird. 1373

Vor § 396

Rechberger

10 Wird ein prozessuales Anerkenntnis vom Gericht nicht berücksichtigt, so begründet dies nach der Rsp eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens (JBl 1956, 314); wird ein materiellrechtliches Anerkenntnis nicht berücksichtigt, liegt der Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung vor. Wird der Klage trotzdem stattgegeben, kann der Kläger aber nicht beschwert sein; anders ist dies wegen des möglicherweise unterschiedlichen Rechtskraftumfangs aufgrund der relativen Feststellungswirkung der Entscheidungsgründe (s § 411 Rz 10 ff) beim Beklagten (vgl auch Fasching Rz 1320). Versäumungsurteil Vor § 396 Lit: Sperl, Die Urteile in Versäumungsfällen nach österreichischem Zivilprozessrechte (1898); Schima, Die Versäumnis im Zivilprozess (1928); R. Kralik, Verspätete Klagebeantwortung, ÖJZ 1950, 129; Rechberger, Das Unschlüssigkeitsurteil im Versäumnisfall, JBl 1974, 562; Feil, Urteil in Versäumnisfällen (1980); Fasching, Die Rechtsbehelfe gegen Versäumungsurteile im deutschen und im österreichischen Zivilprozess, FS Baur (1981) 387; Rechberger, Probleme bei der Bekämpfung des Versäumungsurteils nach § 396 ZPO, JBl 1981, 179; Wienerroither, Die Bekämpfung von Säumnisfolgen der Parteien im zivilgerichtlichen Verfahren unter Berücksichtigung des innerstaatlichen Rechtsvergleichs (1988); Klicka, Wann ist ein „echtes“ und wann ist ein „unechtes“ Versäumnisurteil zu fällen? JBl 1990, 434; Steininger, Klagebeantwortungs-Analogie im Verfahren vor Bezirksgerichten bei absoluter Anwaltspflicht, RZ 1993, 106; Hofmann, Mahnverfahren: „Überklagung“ – keine Handhabe von Amts wegen? RZ 1995, 112; Burgstaller, Zur Bindungswirkung von Säumnisentscheidungen, JBl 1999, 563; Frauenberger, Die ZVN 2002 – Neuerungen im Zivilprozessrecht, ÖJZ 2002, 873; Klicka, Die österreichische Zivilverfahrens-Novelle 2002 als Versuch einer Verfahrensbeschleunigung – ein Vergleich zur deutschen ZPO-Reform 2002, ZZPInt 7 (2002) 179; G. Kodek, Die Besitzstörung. Materielle Grundlagen und prozessuale Ausgestaltung des Besitzschutzes (2002); Beran/Klaus/Liebhart/Nigl/Pühringer/Rassi/Roch/Steinhauer, (Franz) Klein, aber fein (Teil II), Die Zivilverfahrensnovelle 2002 aus Sicht des „Arbeitskreises Verfahrensvereinfachung“, RZ 2003, 2; Deixler-Hübner, Fortschritte und Rückschritte durch die ZVN 2002, FS Beys I (2003) 209. Deixler-Hübner in Fasching/Konecny III § 396; Bajons Rz 125 ff; Ballon Rz 314 ff; Deixler-Hübner, PraktZPR 312; Deixler-Hübner/ Klicka Rz 243 ff; Fasching Rz 1392 ff; Holzhammer 278; Rechberger/ Simotta Rz 676 ff. 1374

Vor § 396

2.2 Urteile und Beschlüsse

Als besondere und schwerstwiegende Säumnisfolge (vgl Allgemeines zu 1 den Säumnisfolgen bei § 396) sieht die ZPO in bestimmten Verfahrensstadien das auf Antrag der Gegenpartei zu fällende „Versäumungsurteil“ vor. Diese (in der Stammfassung der ZPO – der Widerspruch gegen das Versäumungsurteil wurde erst durch das KSchG 1979 eingeführt und die Wiedereinsetzung erst durch die ZVN 1983 erleichtert – besonders strenge) Säumnisfolge steht in auffallendem Widerspruch zu dem sonst die Stoffsammlung beherrschenden abgeschwächten Untersuchungsgrundsatz. Versäumungsurteile sind eine Konsequenz des Verhandlungsgrundsatzes (Fasching Rz 1393). Konsequenterweise ist die Fällung eines Versäumungsurteils bzw -beschlusses in allen Verfahren mit echtem Untersuchungsgrundsatz ausgeschlossen, nämlich im Eheverfahren (§ 460 Z 9) und in Sozialrechtssachen (§ 75 Abs 1 ASGG, ausgenommen die Fälle des § 65 Abs 1 Z 3 und 7 ASGG). Dies gilt zum Teil auch im (jetzt außerstreitigen) Abstammungsverfahren (gem § 83 Abs 3 AußStrG sind Säumnisentscheidungen unzulässig, soweit es um die Bestreitung einer Abstammung, nicht jedoch um die Festellung einer Abstammung geht; vgl näher Deixler-Hübner in Rechberger, AußStrG § 83 Rz 5) Ferner ist ein stattgebendes Versäumungsurteil (ebenso wie ein Anerkenntnisurteil, s § 395 Rz 2) über die Nichtigkeits- und Wiederaufnahmeklage ausgeschlossen, weil den Parteien kein Einfluss auf die Rechtskraft zukommt (SZ 35/105 = EvBl 1963/32 = RZ 1963, 53). Dasselbe gilt für die Klage auf Aufhebung eines Schiedsspruchs (vgl § 616 Rz 1). Durch die ZVN 2002 wurde das Versäumungsurteil weitgehend neu 2 geregelt. Ziel der Reform war sowohl eine Ausweitung der Fälle des Versäumungsurteils als auch eine Straffung der Systematik; die Anwendbarkeit des (früher so genannten) „echten Versäumungsurteils“ wurde deshalb ausgeweitet und das (früher so genannte) „unechte Versäumungsurteil“ abgeschafft. Der neu gefasste § 396 sieht nunmehr zwei Arten von Versäumungsurteilen vor: a) das Versäumungsurteil wegen nicht rechtzeitiger Erstattung der Klagebeantwortung (§ 396 Abs 1 ZPO) und b) das Versäumungsurteil (nach rechtzeitiger schriftlicher Streiteinlassung) infolge Versäumung einer Tagsatzung vor (endgültiger) Streiteinlassung durch mündliches Vorbringen zur Hauptsache (§ 396 Abs 2; zum bezirksgerichtlichen Verfahren s § 442 Abs 1). Zur sofortigen Wirksamkeit des mündlich verkündeten Versäumungs- 3 urteils gegenüber dem erschienenen Kläger gem § 416 Abs 3 s dort; zur Ausfertigung in gekürzter Form s § 417 Rz 7; zur Sonderregelung des § 225 Abs 2, wonach der Lauf der Rechtsmittelfrist gegen ein solches Urteil durch die verhandlungsfreie Zeit nicht gehemmt wird s dort. 1375

§§ 396–397

Rechberger

4 Gegen alle Versäumungsurteile kann einerseits Berufung insb mit der Begründung erhoben werden, dass eine Versäumung nicht vorliege (§ 471 Z 5; s dort Näheres) und andererseits Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung begehrt werden, diese Säumnis sei auf ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis zurückzuführen (§§ 146 ff; s dort Näheres). Nur gegen die Versäumungsurteile wegen nicht rechtzeitig erstatteter Klagebeantwortung nach § 396 Abs 1 (für das bezirksgerichtliche Verfahren s § 442a Abs 1) steht dem Beklagten der Widerspruch nach § 397a zur Verfügung, der keiner Begründung bedarf. Alle diese Rechtsbehelfe stehen der Partei wahlweise zur Verfügung (Fasching Rz 576; Holzhammer 159; Wienerroither, Bekämpfung 150; aM Sprung, Konkurrenz 53, 80) und können auch kumuliert werden (Fasching Rz 586, 1688; Holzhammer 159; Rechberger/ Simotta Rz 511; Wienerroither, Bekämpfung 154; LGZ Wien Arb 9102; Näheres bei § 397a Rz 10, 11). Die Partei kann auch eine Reihenfolge der Erledigung durch die Bezeichnung als Haupt- und Eventualanträge bestimmen (Fasching Rz 1689; Rechberger/Simotta Rz 512 f; SZ 38/93); andernfalls ist zuerst über jenen Rechtsbehelf (jenes Rechtsmittel) zu entscheiden, der (das) den weitergehenden Rechtsschutz gewährt (Rechberger, JBl 1981, 184 f; Fasching Rz 1698; Holzhammer, PraktZPR 185; JBl 1980, 161; ÖBl 1985, 53; nach Ballon Rz 305, Wienerroither, Bekämpfung 159 und Deixler-Hübner in Fasching/Konecny III § 397a Rz 16 soll dagegen stets zuerst über den „einfacheren“ Rechtsbehelf entschieden werden; nach Fasching Rz 1689 dann, wenn nicht eindeutig festgestellt werden kann, welcher Rechtsbehelf den weitergehenden Rechtsschutz verschafft). Die Berufung gegen ein Versäumungsurteil kann zB dann gegenüber dem Widerspruch eine weitergehende Rechtsschutzmöglichkeit eröffnen, wenn sie zu einer Zurückweisung der Klage führen könnte (vgl JBl 1980, 161). Vgl Näheres zum Verhältnis des Widerspruchs gegen das Versäumungsurteil zur Berufung und zum Wiedereinsetzungsantrag bei § 397a Rz 10, 11. § 396. (1) Erstattet der Beklagte die Klagebeantwortung nicht rechtzeitig, so ist auf Antrag des Klägers ein Versäumungsurteil zu fällen. Sein auf den Gegenstand des Rechtsstreites bezügliches tatsächliches Vorbringen ist für wahr zu halten, soweit es nicht durch die vorliegenden Beweise widerlegt wird, und auf dieser Grundlage über das Klagebegehren zu erkennen. (2) Bleibt eine der Parteien nach rechtzeitig erstatteter Klagebeantwortung oder nach rechtzeitigem Einspruch von einer Tagsatzung aus, bevor sie sich durch mündliches Vorbringen zur 1376

§§ 396–397

2.2 Urteile und Beschlüsse

Hauptsache in den Streit eingelassen hat, so ist auf Antrag der erschienenen Partei ein Versäumungsurteil nach Abs 1 zu fällen. (3) Hat aber der Beklagte eine noch wahrzunehmende Prozesseinrede erhoben, so kann ein Versäumungsurteil nicht vor ihrer Verwerfung gefällt werden. (4) Die Folgen der Versäumung (§ 144) treten von selbst ein. § 145 ist nicht anzuwenden. [Fassung ZVN 2002] § 397. Über einen Antrag auf Erlassung eines Versäumungs-, Verzichts- oder Anerkenntnisurteils entscheidet der Vorsitzende des Senats. Im Fall des § 396 Abs 1 ist über den Antrag auf Erlassung eines Versäumungsurteils durch den Vorsitzenden als Einzelrichter binnen acht Tagen ohne Anberaumung einer Verhandlung zu erkennen. [Fassung ZVN 2002] Lit: wie Vor § 396. Die Fälle des Versäumungsurteils. Ein Versäumungsurteil kann er- 1 gehen: a) wegen nicht rechtzeitiger Erstattung der Klagebeantwortung (§ 396 Abs 1). Wenn der Beklagte im Gerichtshofverfahren die Klagebeantwortung nicht rechtzeitig erstattet, kann der Kläger sogleich mittels Schriftsatzes die Erlassung eines Versäumungsurteils beantragen. Dies gilt auch dann, wenn der Beklagte die eingebrachte Klagebeantwortung vor der Ausschreibung der mündlichen Streitverhandlung zurückzieht (Fasching Rz 1403; anders JBl 1987, 731, wonach das Zurückziehen einer rechtzeitig erstatteten Klagebeantwortung keine Säumnisfolgen auslösen soll [abl Rechberger]). § 396 Abs 1 erlaubt (ebenso wie schon § 398 aF) – als Ausnahme, die die Regel bestätigt – eine Urteilsfällung ohne vorangegangene Verhandlung. Seit der ZVN 2002 stellt Abs 4 überdies klar, dass die Säumnisfolgen ex lege eintreten und § 145 nicht anzuwenden ist. Eine Klagebeantwortung, die nach Ablauf der Klagebeantwortungsfrist, aber noch vor Stellung des Antrags auf Fällung des Versäumungsurteils durch den Kläger eingebracht wird, darf daher nicht berücksichtigt werden, sondern ist als verspätet zurückzuweisen. Diese Bestimmung widerspricht allerdings unbestreitbar völlig dem Grundsatz der Verfahrensökonomie (s dazu DeixlerHübner/Klicka Rz 245; Klicka, ZZPInt 7, 187; Rechberger/Simotta Rz 678; Deixler-Hübner, FS Beys I 219 f; dies in Fasching/Konecny III § 396 Rz 11); bis zur ZVN 2002 hat die Lehre (R. Kralik, ÖJZ 1950, 129; Rechberger, JBl 1974, 567; Holzhammer 280; Fasching Rz 1403; Klicka, 1377

§§ 396–397

Rechberger

JBl 1990, 437; Deixler-Hübner, PraktZPR I 312; Ballon9 Rz 314; Rechberger/Simotta5 Rz 683) daher auch einhellig die Auffassung vertreten, dass die versäumte Prozesshandlung (Klagebeantwortung) bis zum Zeitpunkt der Antragstellung nachgeholt werden könne. b) infolge Versäumung einer Tagsatzung vor endgültiger Streiteinlassung durch mündliches Vorbringen zur Hauptsache im Gerichtshofverfahren (§ 396 Abs 2; für das bezirksgerichtliche Verfahren s § 442 Abs 1). Wenn eine der Parteien im Gerichtshofverfahren nach Klage oder rechtzeitig erstatteter Klagebeantwortung bzw nach rechtzeitigem Einspruch gegen einen Zahlungsbefehl (oder nach rechzeitig erhobenen Einwendungen gegen einen [Wechsel-]Zahlungsauftrag; s § 552 Abs 6 und § 559) von einer Tagsatzung ausbleibt, bevor sie sich durch mündliches Vorbringen zur Hauptsache in den Streit eingelassen hat, so ist auf Antrag der erschienenen Partei ein Versäumungsurteil zu fällen. Ein Versäumungsurteil nach § 396 Abs 2 kann somit ergehen: bei Versäumung der vorbereitenden Tagsatzung nach rechtzeitig erstatteter Klagebeantwortung (durch eine der Parteien); bei Versäumung der vorbereitenden Tagsatzung nach rechtzeitiger Einspruchserhebung gegen einen Zahlungsbefehl (durch eine der Parteien); bei Versäumung der vorbereitenden Tagsatzung nach rechtzeitigen Einwendungen gegen einen (Wechsel-) Zahlungsauftrag (durch eine der Parteien); bei Versäumung einer abgesonderten Verhandlung über Prozesseinreden; bei Versäumung der nach einem rechtzeitigen Widerspruch gegen ein Versäumungsurteil nach § 396 Abs 1 anberaumten vorbereitenden Tagsatzung; bei Versäumung der nach einem erfolgreichen Wiedereinsetzungsantrag gegen ein Versäumungsurteil anberaumten vorbereitenden Tagsatzung.

2 Das Fernbleiben hat zur Folge, dass das streiterhebliche Tatsachenvorbringen der erschienenen Partei für wahr zu halten ist. Dies bedeutet mehr als eine Geständnisfunktion (so aber Holzhammer 279; Deixler-Hübner, PraktZPR 312 und dies in Fasching/Konecny III § 396 Rz 14), weil nicht nur kein Beweis mehr aufgenommen werden muss (s dazu §§ 266, 267), sondern jede Beweisaufnahme ausgeschlossen wird. Dies ist die rigorose Konsequenz der Präklusionswirkung der Versäumung (Petschek/Stagel 343; Fasching III1 613; Rechberger/Simotta Rz 495).

3 Eine Bindung des Gerichts an das Tatsachenvorbringen der erschienenen Partei besteht nicht, soweit dieses durch vorliegende Beweise widerlegt wird: Damit sind nicht nur schon mit der Klage vorgelegte Urkunden gemeint (die aber das Vorbringen des Erschienenen wider1378

§§ 396–397

2.2 Urteile und Beschlüsse

legen müssen – es genügt nicht, wenn sie dessen Einwendungen bloß möglich erscheinen lassen: ZBl 1912/361), sondern auch offenkundige Tatsachen iSd § 269 (GlUNF 4639; es genügt aber nicht, wenn sich aus Akten, deren Beischaffung in der Klage beantragt wurde, die mangelnde Berechtigung des Klageanspruchs ergeben könnte: GlUNF 2585 und 2619; auch die wenn auch gängige Praxis von Versandhäusern, in einem Pauschalbetrag Nebenforderungen geltend zu machen [„Überklagungen“], kann nicht als gerichtsbekannte Tatsache iSd § 269 die Erlassung eines Versäumungsurteiles hindern [so aber Hofmann, RZ 1995, 112]; denn ist die Unschlüssigkeit einer Klage nicht sanierbar, so ist sie mit Unschlüssigkeitsurteil abzuweisen – s unten Rz 8). „Vorliegende Beweise“ sind auch die Ergebnisse eines Beweissicherungsverfahrens (Fasching Rz 1397); ob auch Beweisaufnahmen aus einem Provisorialverfahren heranzuziehen sind, erscheint fraglich, weil diese nur so weit zu gehen brauchen, als es für die Bescheinigung des Anspruchs notwendig ist (für die Heranziehung aber Fasching Rz 1397 und JBl 1934, 151). Auf schriftliche Eingaben der nicht erschienenen Partei ist kein Bedacht zu nehmen. Obwohl die diesbezügliche Anordnung des § 397 Abs 1 aF) durch die ZVN 2002 nicht übernommen wurde, ergibt sich dies eindeutig daraus, dass das Versäumungsurteil auf Grundlage des für wahr zu haltenden Vorbringens der nicht säumigen Partei zu erlassen ist (§ 396 Abs 1 ZPO; Rechberger/Simotta Rz 681; vgl dazu auch ErlRV 962 BlgNR 21. GP 40). Das gilt aber nur für Schriftsätze, die den Inhalt des Rechtsstreits selbst betreffen, nicht aber zB Vertagungsanträge (ZBl 1929/114; LGZ Wien EvBl 1935/55; wird vor Erledigung eines solchen Antrags doch ein Versäumungsurteil erlassen, ist dieses aber nicht nichtig: SZ 54/105 = Ind 1983 H 4, 5). Da ein Versäumungsurteil nunmehr solange gefällt werden kann, als 4 noch kein mündliches Vorbringen zur Hauptsache erstattet wurde, ist die frühere Rsp, nach der die Fällung eines Versäumungsurteils nach einer Überweisung gem § 261 Abs 6 nicht mehr zulässig war (JBl 1953, 658), in dieser Allgemeinheit nicht mehr aufrecht zu erhalten (Beran ua, RZ 2003, 9; G. Kodek in Fasching/Konecny III § 261 Rz 189). Wurde bspw über Prozesseinreden abgesondert verhandelt, kam es lediglich zu Vergleichsgesprächen oder wurde Ruhen des Verfahrens vereinbart, so kann ein Versäumungsurteil durchaus noch in Betracht kommen. „Ausgeblieben“ ist eine Partei, auf die einer der Säumnisfälle des § 133 Abs 2 zutrifft, also auch jene, die zwar erschienen ist, aber ungeachtet richterlicher Aufforderung nicht verhandelt oder sich nach dem Aufruf wieder entfernt (LGZ Wien MietSlg 33.655; RZ 1981/65; LGZ Wien MietSlg 37.751) 1379

§§ 396–397

Rechberger

5 Keine Säumnis liegt vor, wenn von einer einheitlichen Streitpartei auch nur ein Streitgenosse erscheint (§ 14 Satz 2); nicht verhindern kann das Versäumungsurteil gegen den anderen aber der einfache Streitgenosse (zB der mitbeklagte Bürge und Zahler das Versäumungsurteil gegen den Hauptschuldner: EvBl 1946/70). Dagegen kann nicht nur der streitgenössische Nebenintervenient die Fällung eines Versäumungsurteils gegen die Hauptpartei verhindern, sondern auch der einfache, weil der Streithelfer gerade keinen eigenen Anspruch verfolgt (LGZ Wien Ind 1983 H 6, 14). Braucht die Partei einen gesetzlichen oder (bei absoluter Anwaltspflicht) gewillkürten Vertreter, kann sie allein durch ihr Erscheinen die Fällung eines Versäumungsurteils nicht verhindern. Im Falle einer Kollektivvertretung müssen alle vertretungsbefugten Vertreter erscheinen, um das Versäumungsurteil abzuwehren (DeixlerHübner in Fasching/Konecny III § 396 Rz 17; aA für den Fall mehrerer die Verlassenschaft vertretende Erben LGZ Wien EvBl 1938/43; SZ 39/ 188).

6 Trotz der Säumnis des Beklagten kann der erschienene Kläger seine Klageerzählung ohne weiteres iSd § 235 Abs 4 (s dort Rz 4) ergänzen oder richtigstellen (EvBl 1967/96; SZ 44/155 = EvBl 1972/27) oder die Klage einschränken, also Vorbringen erstatten, das keine Klageänderung bewirkt. Die Fällung eines Versäumnungsurteils hindert das – wenn der Kläger einen entsprechenden Antrag stellt – nicht. Nur bei darüber hinausgehendem, also eine Klageänderung hervorrufenden, Vorbringen des Klägers ist dieses nach § 398 Abs 1 idF der ZVN 2004 dem säumigen Beklagten zur Kenntnis zu bringen. Ein Versäumungsurteil kann auf der Grundlage des neuen Vorbringens keinesfalls gefällt werden, weil dies das rechtliche Gehör des Beklagten verletzen würde. Dieser ist vielmehr unter Zustellung der Protokollsabschrift neuerlich zu laden (s dazu näher bei § 398).

7 Aufgrund des Antrags der erschienenen Partei auf Fällung eines Versäumungsurteils hat das Gericht zu prüfen: a) das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen (Näheres s bei §§ 401, 402), b) ob tatsächlich Säumnis des Nichterschienenen iS des § 133 vorliegt (s § 402 Rz 2), c) ob andere von Amts wegen zu berücksichtigende Umstände die Fällung des Versäumungsurteils ausschließen (s §§ 401, 402) und d) ob die Klage (bzw das Vorbringen des allein erschienenen Beklagten, s dazu unten Rz 8) schlüssig ist (zur Schlüssigkeit der Klage s Vor § 226 Rz 13). Hat der Beklagte (in seiner schriftlichen Äußerung) eine Prozesseinrede erhoben, kann ein Versäumungsurteil nicht vor ihrer Verwerfung gefällt werden (§ 396 Abs 3). Über eine Prozesseinrede kann nur nach vorangegangener mündlicher Streitverhandlung – entweder in 1380

§§ 396–397

2.2 Urteile und Beschlüsse

einer abgesonderten Verhandlung vor Beginn der mündlichen Streitverhandlung (§ 260 Abs 1 ZPO), abgesondert in der mündlichen Streitverhandlung (§ 189 Abs 2 ZPO) oder gemeinsam mit der Hauptsache (§ 261 Abs 1 ZPO) – abgesprochen werden (s auch Deixler-Hübner in Fasching/Konecny III § 396 Rz 6; Beran ua, RZ 2003, 10). Die Wirkung einer einmal eingetretenen Säumnis kann durch das Erscheinen des Säumigen zur (abgesonderten) Verhandlung über die Prozesseinreden nicht rückgängig gemacht werden (vgl ErlRV 962 BlgNR 21. GP 39). Da das Gericht nur an das Tatsachenvorbringen der Klage gebunden, in 8 seiner rechtlichen Beurteilung aber frei ist (GlUNF 1006 und 1790; EvBl 1952/326; SZ 57/69 = AnwBl 1984, 566; JBl 1996, 251; es ist auch nicht an die rechtlichen Schlussfolgerungen der allein erschienenen Partei gebunden: SZ 7/331; SZ 12/3; ZBl 1930/363; EFSlg 25.322), darf bei Unschlüssigkeit der Klage oder Unbestimmtheit des Klagebegehrens – es sei denn diese Mängel wären ausnahmsweise ohne Klageänderung sanierbar (vgl oben Rz 6) – kein Versäumungsurteil gefällt, sondern die Klage muss mit Unschlüssigkeitsurteil abgewiesen werden (ausführlich Rechberger, JBl 1974, 562; ebenso Holzhammer 280; ders, PraktZPR 196 f; Deixler-Hübner, PraktZPR 312; dies in Fasching/ Konecny III § 396 Rz 7; in der Praxis ist in diesem Fall bisweilen unscharf von einem „negativen Versäumungsurteil“ die Rede). Dieses Unschlüssigkeitsurteil im Versäumungsfall ist ebensowenig wie das die Klage auf Grund der vorliegenden Beweise, die das Tatsachenvorbringen des Erschienenen widerlegen, abweisende Urteil ein Versäumungsurteil: Da es einer Begründung bedarf, kommt insb keine gekürzte Urteilsausfertigung gem § 417 Abs 4 in Frage (Näheres bei Rechberger, JBl 1974, 562). Zur Möglichkeit der Sanierung der Unschlüssigkeit durch neues Vorbringen des Klägers, das über Ergänzungen iSd § 235 Abs 4 hinausgeht, vgl oben Rz 6 und näher bei § 398. Beispiele für Unschlüssigkeitsurteile: Keine Behauptung der Voraussetzung eines Terminsverlustes nach § 13 KSchG: OLG Wien WR 283; keine Behauptung des Fehlens einer Erwerbsmöglichkeit des Unterhaltspflichtigen in der Oppositionsklage: SZ 23/117; keine Erklärung der Bereitschaft zur Gegenleistung in der Klage bei einem zweiseitigen Vertrag: ZBl 1926/32 oder Ablehnung dieser Gegenleistung in der Klage: HS 6321/18; Fehlen der Behauptung der Gültigkeit des der Klage zugrundeliegenden Darlehensvertrags, wenn sich die Minderjährigkeit des Beklagten bei Darlehensgewährung bereits aus den Angaben in der Klage ergibt: JBl 1997, 450. Das Fehlen einer ausdrücklichen Behauptung schadet aber nicht, wenn sich die betreffende Tatsache schlüssig aus dem übrigen Tatsachenvorbringen der Klage ergibt: SZ 57/69; Arb 11.210. 1381

§ 397a

Rechberger

9 Ein negatives Versäumungsurteil kann auf Antrag des allein erschienenen Beklagten ergehen. Dafür genügt neben diesem Antrag ein unsubstantiiertes Bestreiten des Klagevorbringens, weil der Kläger seine bestrittenen Tatsachenbehauptungen ja nicht beweisen kann (Fasching Rz 1400; Deixler-Hübner, PraktZPR 312; dies in Fasching/Konecny III § 396 Rz 15; SZ 40/89 = EvBl 1968/46 = ASG Wien Arb 10.681; LGZ Wien Arb 8.600 = DRdA 1970, 41 [abl Dirschmied]; JBl 1972, 326).

10 Ein Versäumungsurteil nach § 396 gibt es seit der ZVN 2002 auch im Mandats- und Wechselmandatsverfahren sowie im Bestandverfahren (gerichtliche Aufkündigung bzw Übergabe- und Übernahmeauftrag), wenn eine der Parteien nach rechzeitig erhobenen Einwendungen von einer Tagsatzung ausbleibt, bevor sie sich durch mündliches Vorbringen in der Hauptsache in den Streit eingelassen hat (§§ 552 Abs 6, 559, § 571 Abs 4). Im Besitzstörungsverfahren kann ein Versäumungsendbeschluss gefällt werden (Deixler-Hübner, PraktZPR I 376; Fasching Rz 1656; G. Kodek, Besitzstörung 868 ff; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny III § 396 Rz 1; LGZ Wien ZBl 1934/24; LGZ Wien EvBl 1937/898; s auch § 459 Rz 2).

11 Über den Antrag auf Fällung eines Versäumungsurteils wegen Versäumung der Klagebeantwortungsfrist hat das Gericht ohne Anberaumung einer Tagsatzung binnen acht Tagen nach dessen Einlangen (instruktionelle, sanktionslose Frist) zu entscheiden (§ 397 letzter Satz ZPO); in allen anderen Fällen ist über den Antrag idR gleich in der von einer Partei versäumten Tagsatzung zu entscheiden (Rechberger/Simotta Rz 681; zum vorbehaltenen Versäumungsurteil s § 402 Rz 2). § 397a. (1) Gegen ein Versäumungsurteil wegen nicht rechtzeitig erstatteter Klagebeantwortung steht dem Säumigen der mit vorbereitendem Schriftsatz zu erhebende Widerspruch zu; das Recht auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 146 ff) bleibt unberührt. Der vom Beklagten erhobene Widerspruch hat zu enthalten, was als Inhalt der Klagebeantwortung vorgeschrieben ist; er kann auch weiteres Anbringen enthalten. (2) Die Widerspruchsfrist beträgt vierzehn Tage; sie kann nicht verlängert werden; sie beginnt mit dem Tag nach der Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Versäumungsurteils an den Säumigen. (3) Ist der Widerspruch verspätet eingebracht, so ist er vom Prozessgericht mit Beschluss zurückzuweisen. Sonst hat das Prozessgericht eine vorbereitende Tagsatzung anzuberaumen; der Widerspruch des Beklagten ist hierbei als rechtzeitig überreichte Klagebe1382

§ 397a

2.2 Urteile und Beschlüsse

antwortung zu behandeln. Zu Beginn der Streitverhandlung ist das Versäumungsurteil mit Beschluss aufzuheben, auch wenn die dafür anberaumte Tagsatzung nach § 170 nicht durchgeführt wird; der Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung dieses Beschlusses bedarf es nicht, ein Rechtsmittel ist gegen ihn nicht zulässig. (4) Derjenigen Partei, die den Widerspruch erhoben hat, ist der Ersatz aller Kosten aufzuerlegen, die durch ihre Versäumung und die Verhandlung über den Widerspruch verursacht worden sind. (5) Der Widerspruch kann längstens bis zum Ergehen eines der im Abs 3 genannten Beschlüsse zurückgenommen werden; auf seine Zurücknahme sind die Vorschriften über die Zurücknahme der Klage sinngemäß anzuwenden. [Eingefügt durch KSchG; Abs 3 letzter Satz geändert durch ZVN 1983; Abs 1, 2 und 3 idF ZVN 2002] Lit: Derbolav, Eine heimliche ZPO-Reform? Überraschungen im Entwurf eines Konsumentenschutzgesetzes, RZ 1977, 151; Ballon, Der österreichischen Rechtstradition fremd, Stb 1977/18; König, O tempora – o reformatores! Bemerkungen zum „Einspruchssystem“ der Regierungsvorlage eines Konsumentenschutzgesetzes, ÖJZ 1978, 281; Steininger, Zu den verfahrensrechtlichen Bestimmungen des KSchG, in: Krejci/ Schilcher/Steininger, Konsumentenschutzgesetz. ABGB und Verfahrensrecht (1978) 77; Berger, Die verfahrensrechtlichen Bestimmungen des Konsumentenschutzgesetzes, RZ 1980, 1; Feil, Urteil in Versäumnisfällen (1980); König, Programmierte Prozessverzögerung durch Widerspruch gegen das Versäumungsurteil, AnwBl 1980, 419; Fasching, Die Rechtsbehelfe gegen Versäumungsurteile im deutschen und im österreichischen Zivilprozess, FS Baur (1981) 387; Rechberger, Probleme bei der Bekämpfung des Versäumungsurteils nach § 396 ZPO, JBl 1981, 179; Meier, Widerspruch gegen Versäumungsurteile, ÖJZ 1981, 57, 91; Mayr, Entscheidungsanmerkung, JBl 1984, 561; Petrasch, Die ZivilverfahrensNovelle 1983 in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, ÖJZ 1985, 257, 291; Pimmer, Die neuen Bestimmungen beim Widerspruch gegen das Versäumungsurteil, ÖJZ 1984, 141; Rechberger, Zum Widerspruch gegen das Versäumungsurteil nach § 398 ZPO, RdW 1985, 5; Reindl, Zum Widerspruch gegen ein Versäumungsurteil nach § 398 ZPO, JBl 1985, 764; Wienerroither, Die Bekämpfung von Säumnisfolgen der Partei im zivilgerichtlichen Verfahren unter Berücksichtigung des innerstaatlichen Rechtsvergleichs (1988); Beran/Klaus/Nigl/Pühringer/Rassi/ Schramm/Steinhauer, Die ZPO im 21. Jahrhundert, RZ 2002, 8; Klicka, Die österreichische Zivilverfahrens-Novelle 2002 als Versuch einer Verfahrensbeschleunigung – ein Vergleich zur deutschen ZPO-Reform 2002, ZZPInt 7 (2002) 179; M. Bydlinski, Zivilprozessordnung und Juris1383

§ 397a

Rechberger

diktionsnorm samt Einführungsgesetzen (2002); Beran/Klaus/Liebhart/ Nigl/Pühringer/Rassi/Roch/Steinhauer, (Franz) Klein, aber fein (Teil II), Die Zivilverfahrensnovelle 2002 aus Sicht des „Arbeitskreises Verfahrensvereinfachung“, RZ 2003, 2; Deixler-Hübner, Fortschritte und Rückschritte durch die ZVN 2002, FS Beys I (2003) 209; Mayr, Die Wahrnehmung der Unzuständigkeit nach der ZVN 2002, ÖJZ 2004, 361. Deixler-Hübner in Fasching/Konecny III § 397a; Bajons 214; Ballon Rz 303; Deixler-Hübner/Klicka Rz 123, 246 ff; Fasching Rz 589 ff; Holzhammer, PraktZPR 240; Rechberger/Simotta Rz 504. Inhaltsübersicht Widerspruch gegen Versäumungsurteile 1–2 Formvorschriften 3 Inhalt 4 Weitere Säumnisfolgen 5 Frist 6 Zurücknahme und Verzicht 7

Verfahren Kostenersatz Verhältnis zu anderen Rechtsmitteln – Berufung – Wiedereinsetzung

8 9 10–11 10 11

1 Der durch das KSchG 1979 unter starker Kritik der Lehre eingeführte Widerspruch hat das ursprünglich für die Bekämpfung von Versäumungsurteilen maßgebliche Restitutionsprinzip ganz wesentlich zu Gunsten des Oppositionsprinzips (vgl zu diesen Prinzipien Schima, Die Versäumung im Zivilprozess, 209 ff) eingeschränkt und bietet seither die einfachste Abhilfemaßnahme gegen (bestimmte) Versäumungsurteile. Der rechtzeitig erhobene Rechtsbehelf, für den die Praxis so gut wie keinen Inhalt fordert (s unten Rz 4), führt zur Aufhebung des Versäumungsurteils und zur Fortsetzung des Verfahrens, als ob dieses Urteil gar nicht gefällt worden wäre. Durch die ZVN 2002, die sich in ganz besonderem Maße der Verfahrensbeschleunigung verschrieben hatte, sollte der Widerspruch gegen Versäumungsurteile – nicht zuletzt unter Hinweis auf die mit der ZVN 1983 erfolgte Erleichterung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand – ursprünglich zur Gänze wieder abgeschafft werden (vgl ErlRV 962 BlgNR 21. GP 40). Dieses ambitionierte Reformvorhaben wurde jedoch vom Justizausschuss als zu weitgehend erachtet und zugunsten einer bloßen Einschränkung der Zulässigkeit des Widerspruchs abgeändert (s JAB 1049 BlgNR 21. GP 2). Um dem Missbrauch des Widerspruchs vorzubeugen, wurde bereits mit der ZVN 1983 die Möglichkeit geschaffen, aufgrund eines mit diesem Rechtsbehelf bekämpften (und daher aufgehobenen!) Versäumungsurteils (das auf eine Geldleistung lautet) bis zur rechtskräftigen Aberkennung des Anspruchs Exekution zur Sicherstellung ohne Ge1384

§ 397a

2.2 Urteile und Beschlüsse

fahrenbescheinigung und ohne Sicherheitsleistung zu führen (§§ 371 Z 1 und 373 EO; dies selbst dann, wenn der Widerspruch mit einer Berufung [mit oder ohne Reihung; vgl dazu Vor § 396 Rz 4, unten Rz 10] kumuliert wurde, s 3 Ob 112/03x = EvBl 2003/178 = RdW 2004/ 21 = RZ 2004/13). Zudem wurde die Haftung des die Exekution zur Sicherstellung betreibenden Gläubigers auf grobes Verschulden an der Einleitung und Fortführung dieser Exekution eingeschränkt (§ 376 Abs 2 EO letzter Satz). Mit Widerspruch bekämpfbare Versäumungsurteile. Seit der Neu- 2 regelung des § 397a durch die ZVN 2002 soll der Widerspruch nur mehr dann zulässig sein, wenn die erste zu setzende Verfahrenshandlung versäumt wird und dies zu einem Versäumungsurteil führt, nicht aber, wenn eine weitere Verfahrenshandlung versäumt wird (s JAB 1049 BlgNR 21. GP 2). Im Gerichtshofverfahren ist daher der Widerspruch ausschließlich gegen Versäumungsurteile wegen nicht rechtzeitiger Erstattung der Klagebeantwortung zulässig (§ 397a Abs 1). Alle anderen Versäumungsurteile, insbesondere solche wegen Versäumung der vorbereitenden Tagsatzung, können nicht mit Widerspruch bekämpft werden. Im bezirksgerichtlichen Verfahren (siehe dazu Näheres bei § 442a) kann Widerspruch gegen ein Versäumungsurteil immer dann erhoben werden, wenn eine der Parteien eine Tagsatzung vor Streiteinlassung durch mündliches Vorbringen zur Hauptsache versäumt, es sei denn, die Partei hat schon einmal Widerspruch gegen ein Versäumungsurteil erhoben oder es wurde im Mahnverfahren bereits Einspruch gegen einen Zahlungsbefehl oder es wurden im (Wechsel-)Mandatsverfahren bzw Bestandverfahren Einwendungen erhoben (§ 442a Abs 1; § 442a ist auch im Fall eines Versäumungsendbeschlusses im Besitzstörungsverfahren und gem § 59 Abs 1 Z 4 ASGG in Arbeitsrechtssachen anwendbar). Somit steht dem Kläger zwar im bezirksgerichtlichen Verfahren, nicht aber im Gerichtshofverfahren der Widerspruch zu, wenn er sich nicht in der vorbereitenden Tagsatzung mündlich in den Streit eingelassen hat (kritisch dazu Klicka, ZZPInt 7, 187 f; Deixler-Hübner/ Klicka Rz 123, 246; für eine teleologische Reduktion und die Einschränkung der Zulässigkeit des Widerspruchs auf die Säumnis des Beklagten auch im bezirksgerichtlichen Verfahren zu Recht Beran ua, RZ 2003, 11; M. Bydlinski, ZPO 255; Deixler-Hübner, FS Beys I 218; dies in Fasching/ Konecny III § 397a Rz 4; G. Kodek in Fasching/Konecny III § 442a Rz 4). Formvorschriften. Der Widerspruch ist in Form eines vorbereitenden 3 Schriftsatzes zu erheben, für den – soweit sie passen – die Vorschriften der §§ 75 ff anzuwenden sind; insb bedarf er im Anwaltsprozess der 1385

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Unterschrift eines Rechtsanwalts (vgl § 75 Z 3). Zur Form des Widerspruchs im bezirksgerichtlichen Verfahren vgl § 434 Abs 2.

4 Inhalt. Da das Gesetz diesbezüglich nichts vorschreibt, genügt es, wenn der Schriftsatz erkennen lässt, dass die Partei mit dem gefällten Versäumungsurteil nicht einverstanden ist; er braucht nicht einmal ausdrücklich als Widerspruch bezeichnet zu werden (LGZ Wien MietSlg 32.699; nach JBl 1981, 549 = RZ 1981/8 = RZ 1981/49 ist sogar ein als Berufung bezeichneter Schriftsatz, der sich gegen ein Versäumungsurteil richtet, aber keinen Berufungsantrag, wohl aber einen Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung enthält, als Widerspruch anzusehen.). Zur Verfahrenskonzentration schreibt das Gesetz vor, dass der vom Beklagten erhobene Widerspruch das zu enthalten hat, was für die Klagebeantwortung vorgeschrieben ist (das gilt auch für das bezirksgerichtliche Verfahren!). Da in der Praxis aber auch „leere“ Klagebeantwortungen zugelassen werden (s § 239 Rz 4), wird auch ein „leerer“ Widerspruch für wirksam erachtet (JBl 1981, 549; OLG Graz JBl 1981, 383 [abl Rechberger]; LGZ Wien MietSlg 32.699, 37.752; HG Wien WR 285; Fasching Rz 591 billigt auch hier die Rsp). Darüber hinaus kann der Widerspruch alles enthalten, was sonst der Inhalt eines vorbereitenden Schriftsatzes (§ 78) sein kann. Eine Begründung dafür, warum die Klagebeantwortung nicht rechtzeitig erstattet bzw die Tagsatzung versäumt worden ist, ist nicht erforderlich.

5 Andere Säumnisfolgen. Unklar ist seit der ZVN 2002, ob durch den Widerspruch neben dem Versäumungsurteil auch noch die anderen durch die Versäumung der Klagebeantwortungsfrist eingetretenen Säumnisfolgen (zB die Einrede der prorogablen Unzuständigkeit [daher kann das Fehlen der Voraussetzungen des Fakturengerichtsstands nicht mehr eingewendet werden: EvBl 1983/35; vgl auch 1 Ob 136/98a = JBl 1999, 255]), beseitigt werden können (vgl dazu für das bezirksgerichtliche Verfahren § 442a Rz 1 ff). Anders als in § 397a Abs 1 und § 398 aF, wo das ausschließlich der Ersten Tagsatzung bzw der Klagebeantwortung vorbehaltene Anbringen als Inhalt des Widerspruchs ausdrücklich ausgeschlossen wurde, findet sich in § 397a idF ZVN 2002 keine entsprechende Regelung mehr. Dennoch muss dieser Ausschluss auch nach der neuen Rechtslage gelten (idS auch Deixler-Hübner/Klicka Rz 248; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny III § 397a Rz 7; Mayr, ÖJZ 2004, 367). Der Widerspruch wurde ausschließlich zu dem Zweck eingeführt, dem materiellen Recht zuwiderlaufende Versäumungsentscheidungen hintanzuhalten und nicht, um versäumtes prozessuales Vorbringen nachholen zu können (ErlRV zum KSchG, 744 BlgNR 14. GP 53). Da sich die ZVN 2002 überdies die Verfahrensbeschleunigung zum Ziel gesetzt hat, 1386

§ 397a

2.2 Urteile und Beschlüsse

kann die Streichung der Bestimmungen, die vor der ZVN 2002 das genannte Vorbringen im Widerspruch ausgeschlossen haben, nur als Redaktionsversehen betrachtet werden (Rechberger/Simotta Rz 504). Frist. Der Widerspruch ist binnen der Notfrist von vierzehn Tagen zu 6 erheben, die mit der Zustellung des Versäumungsurteils an die säumige Partei zu laufen beginnt. Durch einen innerhalb dieser Frist gestellten Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird sie unterbrochen, wenn gleichzeitig auch die Beigabe eines Rechtsanwalts begehrt wird (§73 Abs 2 ZPO); das bedeutet, dass sie mit der (rechtskräftigen) Entscheidung über diesen Antrag neu zu laufen beginnt. Gegen die Versäumung der Widerspruchsfrist ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zulässig. Zurücknahme und Verzicht. Der Widerspruch kann, solange er nicht 7 als verspätet zurückgewiesen oder das Versäumungsurteil beschlussmäßig aufgehoben worden ist, zurückgenommen werden; dabei sind die Vorschriften über die Klagerücknahme (§ 237) sinngemäß anzuwenden (Abs 5). Ferner kann auf den Widerspruch unter denselben Voraussetzungen verzichtet werden wie auf ein Rechtsmittel (Fasching Rz 592). Verfahren. Das Prozessgericht prüft die Einhaltung der Form- und 8 Inhaltserfordernisse sowie die Rechtzeitigkeit und die Zulässigkeit des Widerspruchs, die Widerspruchslegitimation und ob nicht auf den Widerspruch verzichtet worden ist. Ist er unzulässig, wird der Widerspruch mit Beschluss zurückgewiesen (dagegen einseitiger Rekurs binnen vierzehn Tagen auch bei einem 2.000 € nicht übersteigenden Streitwert: § 517 Abs 1 Z 1). Andernfalls hat das Erstgericht die vorbereitende Tagsatzung anzuberaumen; im Gerichtshofverfahren ist der Widerspruch des Beklagten als rechtzeitig überreichte Klagebeantwortung zu behandeln (Abs 3). Zu Beginn der Streitverhandlung ist das Versäumungsurteil mit Beschluss aufzuheben; dieser Beschluss ist nicht schriftlich auszufertigen und nicht anfechtbar (Abs 3 aE; vgl aber Rz 11; nach HG Wien WR 36 ist auch ein [im Gesetz gar nicht vorgesehener] Beschluss, dass das Gericht eine Eingabe als Widerspruch zu behandeln gedenke, nicht anfechtbar). Der Rechtsmittelausschluss des § 397a Abs 3 letzter Satz gilt jedoch nur für zulässige Widersprüche; gegen den Beschluss auf Aufhebung eines Versäumungsurteils auf Grund eines unzulässigen Widerspruchs ist ein Rechtsmittel zulässig (1 Ob 576/91; 7 Ob 291/00w = ÖJZ 2001/131; RIS-Justiz RS0040885). Im Falle eines Teilwiderspruchs ist allerdings trotzdem eine schriftliche Ausfertigung notwendig (Fasching Rz 594). Ist keine der Parteien erschienen oder ruht das Verfahren aufgrund einer Parteienvereinbarung, macht es freilich wenig Sinn, eine „Verhandlung“ nur zur Verkündung des Beschlusses auf Aufhebung des Versäumungsurteils abzuhalten. In diesem Fall 1387

§ 397a

Rechberger

wird der Beschluss daher wohl außerhalb der Verhandlung zu fassen und gem § 427 Abs 1 schriftlich auszufertigen sein (Fasching Rz 594; Näheres bei Pimmer, ÖJZ 1984, 146). Unterlässt das Erstgericht versehentlich die Aufhebung des Versäumungsurteils, fällt aber trotzdem ein neues Urteil, so ist das Verfahren nicht nichtig (so usprünglich JBl 1983, 266 = RZ 1983, 276), sondern das Rechtsmittelgericht hat die Aufhebung des Versäumungsurteils von Amts wegen nachzuholen (SZ 59/16 = EvBl 1986/137 = RZ 1987/8; Petrasch, ÖJZ 1985, 263). Nach der Verkündung des das Versäumungsurteil aufhebenden Beschlusses ist die mündliche Streitverhandlung sofort fortzusetzen.

9 Kostenersatz. Dem Widerspruchswerber ist der Ersatz aller Kosten aufzuerlegen, die durch seine Versäumung und die Verhandlung über den Widerspruch verursacht worden sind (Abs 4). Das betrifft die Kosten für den schriftlichen Antrag auf Fällung eines Versäumungsurteils; im bezirksgerichtlichen Verfahren sind dem Beklagten die Kosten eines Widerspruchs daher nur dann zuzusprechen, wenn ihm das Gericht nach §440 Abs 3 aufgetragen hatte, das im Widerspruch Enthaltene in einem Schriftsatz vorzubringen (§ 442a Abs 2). Im Gerichtshofverfahren wird der Beklagte wegen der Klagebeantwortungsfunktion des Widerspruchs dessen Kosten dann ersetzt erhalten, wenn er obsiegt. Die Kosten der Widerspruchstagsatzung verursachen idR keine Mehrkosten, weil gleich weiter verhandelt wird (Fasching Rz 595; OLG Wien AnwBl 1981, 80). Der Kläger muss die durch den Widerspruch verursachten Kosten sofort verzeichnen (LGZ Wien WR 320; OLG Innsbruck 1 R 81/02z).

10 Widerspruch und Berufung. Der Widerspruch kann mit der Berufung gegen das Versäumungsurteil kumuliert werden (s Vor § 396 Rz 4), wobei die unterschiedliche Länge von Berufungsfrist und Widerspruchsfrist zu beachten ist. Dazu kommen unterschiedliche Regeln über den Kostenersatz und über die aufschiebende Wirkung. Da die Berufung im Gegensatz zum Widerspruch zu einer Sachentscheidung oder zu einer prozessbeendenden Entscheidung führen kann, ist ihr der Vorzug zu geben, wenn ein Nichtigkeitsgrund oder eine Unschlüssigkeit der Klage vorliegt. Im letzteren Fall würde der Beklagte durch seinen Widerspruch dem Kläger die Sanierung der Klage auf seine Kosten ermöglichen. Vgl Näheres bei Rechberger, JBl 1981, 182 f. Hat die Partei bei Kumulierung von Widerspruch und Berufung keine Rangordnung der Entscheidung bestimmt, hat nach der Rsp stets die Berufung den Vorrang (EvBl 1985/59 = ÖBl 1985, 53). Zu Recht wird ein Rechtsschutzinteresse an der Erledigung einer Nichtigkeitsberufung auch dann bejaht, wenn das Versäumungsurteil bereits aufgrund eines Widerspruchs aufgehoben wurde (EvBl 1984/84 = ÖA 1985, 150 1388

§ 398

2.2 Urteile und Beschlüsse

= RZ 1985/22). Wird ein (unzulässiger) Widerspruch erhoben, so kommt eine Umdeutung in eine Berufung dann nicht in Frage, wenn eine Partei mit dem Widerspruch eindeutig nur die Säumnisfolgen beseitigen wollte, ohne das Vorliegen der dem Urteil zugrunde gelegten Säumnis zu bestreiten oder sich sonst gegen die materielle oder formelle Berechtigung des Versäumungsurteils zu wehren (EvBl 2001/101 = ÖJZ-LSK 2001/153). Widerspruch und Wiedereinsetzung. Abs 1 bestimmt ausdrücklich, 11 dass das Recht auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand durch die Erhebung des Widerspruchs unberührt bleibt; auch Widerspruch und Wiedereinsetzungsantrag können kumuliert werden (s Vor § 396 Rz 4). Der Widerspruch hat gegenüber dem Wiedereinsetzungsantrag vor allem den Vorteil, dass er keiner Begründung bedarf (er wurde gerade deshalb eingeführt, weil die Wiedereinsetzung vor der ZVN 1983 nur dann bewilligt werden konnte, wenn den Säumigen keinerlei Verschulden traf). Auch wenn ein Wiedereinsetzungsgrund vorliegt, ist dem Wiedereinsetzungsantrag daher nur dann der Vorzug zu geben, wenn der säumigen Partei an einem jener Anträge besonders liegt, die der Klagebeantwortung vorbehalten sind (s oben Rz 5). Zu bedenken ist auch, dass die Kosten des Wiedereinsetzungsverfahrens stets vom Antragsteller getragen werden (§ 154). Vgl Näheres bei Rechberger (JBl 1981, 183). Hat die Partei keine Reihenfolge angegeben, so ist zuerst über den Wiedereinsetzungsantrag zu entscheiden, weil er den weiterreichenden Rechtsschutz bietet. Wird aufgrund des Widerspruchs sogleich das Versäumungsurteil aufgehoben, ohne dass der Wiedereinsetzungsantrag behandelt wurde, muss der Aufhebungsbeschluss, da er in diesem Falle gesetzwidrig erfolgte, anfechtbar sein (Rechberger, JBl 1981, 179). § 398. (1) Stellt der Gegner des Säumigen keinen Antrag auf Erlassung eines Versäumungsurteils, weil trotz Säumnis einer Partei auf neues tatsächliches Vorbringen Bedacht genommen werden soll, so ist dieses der säumigen Partei zur Kenntnis zu bringen. Durch die Übermittlung tritt der Rechtsstreit in die Lage zurück, in welcher er sich vor dem Eintritt der Säumnis befunden hat. Eine weitere Säumnis des Gegners steht sodann der Berücksichtigung des neuen Vorbringens bei der Fällung des Versäumungsurteils nicht mehr entgegen. (2) Stellt der Gegner des Säumigen keinen Antrag auf Erlassung eines Versäumungsurteils, erstattet er aber auch kein neues tatsächliches Vorbringen, so sind die Bestimmungen über das Ruhen des Verfahrens (§§ 168 bis 170) sinngemäß anzuwenden [Fassung ZVN 2004] 1389

§ 398

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Lit: Rechberger, Das Unschlüssigkeitsurteil im Versäumnisfall, JBl 1974, 562; ders, Probleme bei der Bekämpfung des Versäumungsurteils nach § 396 ZPO, JBl 1981, 179; Frauenberger, Die ZVN 2002 – Neuerungen im Zivilprozessrecht, ÖJZ 2002, 873; Klicka, Die österreichische Zivilverfahrens-Novelle 2002 als Versuch einer Verfahrensbeschleunigung – ein Vergleich zur deutschen ZPO-Reform 2002, ZZPInt 7 (2002) 179; Beran/Klaus/Liebhart/Nigl/Pühringer/Rassi/Roch/Steinhauer, (Franz) Klein, aber fein (Teil II), Die Zivilverfahrensnovelle 2002 aus Sicht des „Arbeitskreises Verfahrensvereinfachung“, RZ 2003, 2; Deixler-Hübner, Fortschritte und Rückschritte durch die ZVN 2002, FS Beys I (2003) 209. Deixler-Hübner in Fasching/Konecny III § 398; Deixler-Hübner/ Klicka Rz 177; Rechberger/Simotta Rz 682 f.

1 § 398 regelt die Folgen, wenn im Fall der Säumnis der Antrag auf Fällung eines Versäumungsurteils ausbleibt. Die ZVN 2002 sah zunächst – der früheren Rsp folgend – vor, dass die Nicht-Beantragung eines Versäumungsurteils zu einem dem Ruhen des Verfahrens ähnlichen Zustand führen sollte; zwar konnte auch nach Eintritt der Säumnis jederzeit die Fällung eines Versäumungsurteils beantragt werden, doch waren andere Verfahrenshandlungen erst nach Ablauf von drei Monaten zulässig (vgl § 398 idF ZVN 2002 und ErlRV 962 BlgNR 21. GP 41). Diese zu Recht einhellig kritisierte Bestimmung (vgl Frauenberger, ÖJZ 2002, 874; Klicka, ZZPInt 7, 186; Beran ua, RZ 2003, 10; Deixler-Hübner, FS Beys I 220 f; Deixler-Hübner/Klicka Rz 177; Rechberger/Simotta Rz 683; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny III § 398 Rz 2; 2 Ob 117/04a = AnwBl 2004/7962 [zust Mayr]) erwies sich vor allem in jenen Fällen als kontraproduktiv, in denen die nicht säumige Partei mit gutem Grund keinen Antrag auf Fällung eines Versäumungsurteils stellte: Wenn zB der Kläger eine unschlüssige Klage durch eine Klageänderung sanieren wollte (vgl dazu §§ 396, 397 Rz 6 und 8) führte die zwingende Ruhensbestimmung zu unnötigen Verfahrensverzögerungen.

2 Der Gesetzgeber hat dieser Problematik nun Rechnung getragen und im Rahmen der ZVN 2004 § 398 dahingehend neuerlich novelliert, dass nunmehr die Regelung des § 442 Abs 2 für das bezirksgerichtliche Verfahren im Wesentlichen auch für das Gerichtshofverfahren gilt (womit die erstmals bei Rechberger, JBl 1974, FN 31 und 568 f vertretene Auffassung [vgl auch Rechberger in Rechberger2 § 399 Rz 2; Rechberger/ Simotta Rz 682 ff] auch ausdrücklich im Gesetz ihren Niederschlag gefunden hat). § 398 Abs 1 idF ZVN 2004 stellt somit klar, dass dann, wenn der Gegner der säumigen Partei keinen Antrag auf Erlassung eines Versäumungsurteils stellt, weil er trotz deren Säumnis auf neues tat1390

§ 399

2.2 Urteile und Beschlüsse

sächliches Vorbringen Bedacht genommen haben will, sein Vorbringen der säumigen Partei zur Kenntnis zu bringen ist. Durch die Übermittlung (des Protokolls oder Schriftsatzes) tritt der Rechtsstreit in die Lage zurück, in welcher er sich vor dem Eintritt der Säumnis befunden hat. Eine weitere Säumnis des Gegners steht sodann der Berücksichtigung des neuen Vorbringens bei der Fällung des Versäumungsurteils nicht mehr entgegen. Aufgrund der Novellierung des § 398, der mangels abweichender Bestimmungen auch für das bezirksgerichtliche Verfahren gilt (vgl § 431), konnte die Sonderregelung des § 442 Abs 2 (s dazu noch G. Kodek in Fasching/Konecny III § 442 Rz 13 ff) gestrichen werden. Stellt der Gegner des Säumigen allerdings weder einen Antrag auf Erlas- 3 sung eines Versäumungsurteils, noch erstattet er neues tatsächliches Vorbringen, so sind die Bestimmungen über das Ruhen des Verfahrens (wie schon bisher) sinngemäß anzuwenden (§ 398 Abs 2 idF ZVN 2004). Einer Belehrung des Erschienenen über die Rechtsfolgen der Unterlassung der Antragstellung auf Fällung eines Versäumungsurteils bedarf es im Gerichtshofverfahren nicht (ErlRV 962 BlgNR 21. GP 41; für das bezirksgerichtliche Verfahren s allerdings § 432 Abs 1). Überschießend war die im Zuge der ZVN 2004 erfolgte Streichung der Anordnung, dass schon vor Ablauf der dreimonatigen Frist ein Antrag auf Fällung eines Versäumungsurteils gestellt werden kann. Da das Versäumungsurteil aber gerade die vom Gesetz präferierte Konsequenz aus der durch die Säumnis entstandenen Situation darstellt, muss diese sinnvolle Möglichkeit auch weiterhin bestehen. Wird ein Versäumungsurteil gefällt, obwohl kein entsprechender Antrag gestellt wurde, liegt zwar ein Verstoß gegen das Antragsprinzip vor, der aber nicht so schwer bewertet werden kann wie jener gegen § 405, wenn also überhaupt kein Urteilsantrag vorliegt. Der Verstoß bildet daher hier keinen Nichtigkeitsgrund (so aber LGZ Wien Ind 1977 H 4, 12), sondern bloß einen sonstigen Verfahrensmangel, der ausdrücklich geltend gemacht werden müsste (SZ 48/46 = EvBl 1976/26 = MietSlg 27.646). § 399. Das Fernbleiben einer Partei, welche sich bereits durch mündliches Vorbringen zur Hauptsache in den Streit eingelassen hat, von einer Tagsatzung hindert weder den Fortgang des Verfahrens noch berechtigt es die andere Partei dazu, die Fällung eines Versäumungsurteils zu beantragen. [Fassung ZVN 2002] Lit: Deixler-Hübner in Fasching/Konecny III § 399. 1391

§ 400

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1 Mit der früheren Regelung des § 399 ist das „unechte“ Versäumungsurteil aus der ZPO verschwunden – was keinen Nachteil darstellt. Versäumungsurteile können seit der ZVN 2002 nur mehr solange ergehen, als sich die Parteien noch nicht mündlich in den Streit eingelassen haben. Nach mündlicher Steiteinlassung ist das Beweisverfahren selbst bei Abwesenheit einer Partei fortzuführen und es treten lediglich die Folgen der §§ 144, 145 ein. Die ausgebliebene Partei ist daher von den von ihr in der versäumten Verhandlung vorzunehmenden Prozesshandlungen (zB dem Fragerecht an den Zeugen oder dem Aussagerecht im Rahmen der Parteienvernehmung) ausgeschlossen (s dazu ErlRV 962 BlgNR 21. GP 41 f). Neues Vorbringen oder neue Beweisanträge sind hingegen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung weiterhin grundsätzlich möglich, sofern sie nicht – was häufig der Fall sein wird – gem § 179 als (grob schuldhaft) verspätet und verfahrensverzögernd zurückzuweisen sind (s Näheres bei § 179). Wird nach Streiteinlassung der beklagten Partei infolge von deren Fernbleiben in einer späteren Tagsatzung ein Versäumungsurteil erlassen, so ist dieses gem § 477 Abs 1 Z 4 nichtig (OLG Wien 16 R 77/05v). § 400. Die Bestimmungen der §§ 396 bis 399 sind auch dann anzuwenden, wenn eine der Parteien wegen unangemessenen Betragens aus dem Gerichtssaale entfernt wird. [Stammfassung] Lit: Deixler-Hübner in Fasching/Konecny III § 400.

1 Entsprechend dem Grundsatz des § 198 Abs 4 kann es auch dann zu einem Versäumungsurteil kommen, wenn erschienene Parteien wegen „unangemessenen Betragens“ aus dem Gerichtssaal entfernt werden. Zu den Folgen des „ungehörigen Benehmens“ von Bevollmächtigten vgl § 200 Abs 2. § 401. (1) Der Umstand, daß die Tagsatzung von einer Partei versäumt wird, ändert nichts an der Anwendung der Bestimmungen, welche festsetzen, was das Gericht von Amts wegen zu berücksichtigen hat, und enthebt auch den Gegner nicht der Verpflichtung, diejenigen Nachweisungen zu liefern, welche in Betreff der von Amts wegen zu berücksichtigenden Umstände erforderlich sind. (2) Desgleichen steht die Säumnis einer Partei der Aufnahme von Beweisen vor dem erkennenden Gerichte, sowie dem Vortrage der Ergebnisse einer nicht vor dem erkennenden Gerichte erfolgten Beweisaufnahme nicht entgegen. [Stammfassung] 1392

§ 402

2.2 Urteile und Beschlüsse Lit: Deixler-Hübner in Fasching/Konecny III § 401.

Trotz der Säumnis einer Partei von Amts wegen zu berücksichtigende 1 „Umstände“ sind die Prozessvoraussetzungen (s Vor § 226 Rz 7), alle sonstigen Vorschriften, deren Verletzung mit Nichtigkeit bedroht ist (s § 477 Rz 1 ff; bzgl der Vorschriften über die Anwaltspflicht: AmtlSlgNF 1379) sowie alle Anordnungen, aus denen sich die Unzulässigkeit der Fällung eines Versäumungsurteils ergibt (s §§ 396, 397 Rz 7). Unter den „Umständen“ iSd § 401 sind auch zwingende Vorschriften 2 des materiellen Rechts zu verstehen (Deixler-Hübner in Fasching/ Konecny III § 401 Rz 3); zu nennen sind hier zB die Bestimmungen des § 879 ABGB, zwingende Formvorschriften (zB § 1 NotAktsG; § 13 KSchG) oder in Streitigkeiten nach § 50 Abs 2 ASGG jene materiellen Rechtsnormen, die die betriebsverfassungsrechtlichen Rechte und Rechtsverhältnisse regeln (Arb 11.210). Das ergibt sich aber schon daraus, dass das Gericht auch beim Versäumungsurteil in der rechtlichen Beurteilung frei ist und die Klage jedenfalls hinsichtlich ihrer Schlüssigkeit zu prüfen hat (s §§ 396, 397 Rz 8). Eine Beweisaufnahme trotz Säumnis einer Partei ist beim Versäumungs- 3 urteil nur hinsichtlich der Prozesseinreden nach § 396 Abs 3 denkbar. § 402. (1) Der Antrag, wegen Säumnis einer Partei das Urteil zu fällen (§ 396), ist zurückzuweisen: 1. wenn der Nachweis fehlt, daß die nicht erschienene Partei zur Tagsatzung ordnungsgemäß geladen wurde. Der Richter kann sich jedoch auf Antrag der erschienenen Partei die Urteilsfällung bis zu einem von ihm zu bestimmenden Tage vorbehalten und die Verhandlung schließen. Ergibt sich aus dem innerhalb der bestimmten Frist einlangenden Zustellungsscheine oder aus den Erhebungen über die Zustellung, daß die Ladung der säumigen Partei so rechtzeitig zugestellt wurde, daß sie zur Verhandlung erscheinen konnte, so ist binnen acht Tagen nach Einlangen des Zustellungsscheines oder nach Abschluß der Erhebungen über die Zustellung das Versäumungsurteil zu fällen; 2. wenn es bei Gericht offenkundig ist, daß die nicht erschienene Partei durch Naturereignisse oder andere unabwendbare Zufälle am Erscheinen gehindert ist; 3. wenn die erschienene Partei die wegen eines von Amts wegen zu berücksichtigenden Umstandes vom Gerichte geforderte Nachweisung bei der Tagsatzung nicht zu beschaffen vermag. 1393

§ 402

Rechberger

(2) Der Antrag, gegen Streitgenossen wegen Säumnis das Urteil zu fällen, ist bei dem Vorhandensein einer nach § 14 zu beurteilenden Streitgenossenschaft zurückzuweisen, wenn auch nur betreffs eines der Streitgenossen der Nachweis der Ladung fehlt oder eines der in Z 2 angeführten Hindernisse obwaltet. (3) Wenn dem Antrage, wegen Säumnis einer Partei das Urteil zu fällen, nicht stattgegeben wird, ist die Tagsatzung von Amts wegen auf angemessene Zeit zu erstrecken und auch die säumige Partei zur neuen Tagsatzung wieder zu laden. [Abs 1 Satz 1 idF ZVN 2002; Abs 1 Z 1 idF (1.) GEN; sonst Stammfassung] Lit: Deixler-Hübner in Fasching/Konecny III § 402; Ballon Rz 316; Fasching Rz 1402; Holzhammer 282; Rechberger/Simotta Rz 686.

1 Der Antrag auf Fällung eines Versäumungsurteils ist nach dieser Bestimmung in drei Fällen „zurückzuweisen“ (richtig abzuweisen, weil in diesen Fällen kein Grund für die Fällung eines Versäumungsurteils vorliegt; Fasching Rz 1402; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny III § 402 Rz 1). Die von der Rsp bisweilen (JBl 1947, 159) als taxativ betrachtete Aufzählung ist dies insofern nicht, als § 402 schon voraussetzt, dass ein Anspruch vorliegt, über den überhaupt mit Versäumungsurteil entschieden werden kann (s Vor § 396 Rz 1). Außerdem wird der Antrag auf Fällung eines Versäumungsurteils auch dann abgewiesen, wenn das Gericht einem rechtzeitig eingelangten Vertagungsantrag des (dann nur scheinbar) Säumigen stattgibt (Rsp 1937/119).

2 Da die erste Voraussetzung für die Fällung eines Versäumungsurteils die Säumnis des Nichterschienenen iS des Gesetzes ist, darf kein Urteil gem § 396 gefällt werden, wenn der Nachweis der ordnungsgemäßen (was auch die Rechtzeitigkeit inkludiert; vgl zur Vorbereitungsfrist § 257 Rz 2) Ladung (Z 1) bzw Mitteilung des Klagebeantwortungsauftrags (was im Gesetz nicht erwähnt wird) fehlt. Aus der Formulierung des Gesetzes schließt die Rsp zu Recht, dass der Antrag schon dann abzuweisen ist, wenn Bedenken gegen die Richtigkeit der Zustellung bestehen, die nicht einwandfrei zu beheben sind (SZ 18/174; 9 Ob A 203/ 01w). In diesem Fall kann sich das Gericht auf Antrag der erschienenen Partei die Urteilsfällung bis zu einem (kalendermäßig) bestimmten Tag vorbehalten (missverständlich wird hier vom „vorbehaltenen“ Versäumungsurteil gesprochen). Ergibt sich aus dem innerhalb dieser Frist einlangenden Zustellschein oder aufgrund gerichtlicher Erhebungen über die Zustellung, dass die Ladung der säumigen Partei doch ordnungsgemäß erfolgte, so ist binnen acht Tagen das Versäumungsurteil zu fällen. Ergibt sich, dass dem nicht so war, ist nach Abs 3 vorzugehen. 1394

§ 403

2.2 Urteile und Beschlüsse

Auch beim Tatbestand der Z 2, der offenkundig (§ 269) durch Natur- 3 ereignisse oder andere unabwendbare Zufälle verursachten Säumnis, geht es um den Schutz des rechtlichen Gehörs, daneben aber auch um die Prozessökonomie: Sichere Wiedereinsetzungsverfahren sollen vermieden werden (Holzhammer 282). Nach Deixler-Hübner in Fasching/ Konecny III § 402 Rz 4 und OLG Wien EvBl 1947/70 = JBl 1947, 159 können aber nur die Allgemeinheit betreffende unabwendbare Zufälle die Fällung des Versäumungsurteils verhindern, während es bei subjektiven Hinderungsgründen bei der Wiedereinsetzung bleiben soll. Dem Gesetz ist diese Unterscheidung nicht zu entnehmen (so auch LGZ Wien EvBl 1936/849). Entsprechend dem Grundsatz des § 14 ist der Antrag auf Fällung eines 4 Versäumungsurteils gegen eine einheitliche Streitpartei schon dann abzuweisen, wenn ein Hindernis iS der Z 1 oder 2 auch nur einen Streitgenossen betrifft (Abs 2). Als dritten Hinderungsgrund (Z 3) nennt das Gesetz den mangelnden 5 Nachweis eines von Amts wegen zu berücksichtigenden Umstands (s § 401 Abs 1). Der Vorbehalt der Fällung eines Versäumungsurteils unter Setzung einer Frist, innerhalb derer die erschienene Partei die erforderlichen Nachweise beschaffen könnte, ist hier nicht vorgesehen und daher unzulässig. Wird der Antrag auf Fällung eines Versäumungsurteils abgewiesen, ist – 6 sofern nicht die Klage wegen eines Prozessvoraussetzungsmangels zurückgewiesen werden muss – die Tagsatzung von Amts wegen zu erstrecken und auch der Säumige zur neuen Tagsatzung wieder zu laden (Abs 3). Wird ein Antrag nach § 396 Abs 1 abgewiesen, muss dem Beklagten unter neuerlicher Fristsetzung ein neuer Auftrag zur Klagebeantwortung erteilt werden. § 403. Wird der Antrag, wegen Säumnis einer Partei das Urteil zu fällen, durch Beschluß zurückgewiesen, dieser Beschluß aber infolge Rekurses aufgehoben, so kann das Urteil ohne Anberaumung einer neuen Tagsatzung gefällt werden. [Stammfassung] Lit: Deixler-Hübner in Fasching/Konecny III § 403. Gegen den Beschluss auf Abweisung des Antrags nach § 396 ist der 1 Rekurs zulässig. Hebt das Rekursgericht den Beschluss des Erstgerichtes auf und trägt diesem die Fällung eines Versäumungsurteils auf, liegt 1395

§ 404

Rechberger

in der Sache ein abändernder Beschluss vor, dessen weitere Anfechtbarkeit sich nach § 528 richtet.

2 Da nach der ZPO eine Urteilsfällung grundsätzlich nur nach mündlicher Verhandlung vorgesehen ist, wird für den Fall des vom Erstgericht aufgrund der Rekursentscheidung zu fällenden Versäumungsurteils ausdrücklich angeordnet, dass dies ohne Anberaumung einer neuen Tagsatzung geschehen könne. Urteilsinhalt § 404. (1) Das in der Hauptsache gefällte Urteil hat alle die Hauptsache betreffenden Anträge zu erledigen, sofern nicht über einzelne dieser Anträge bereits früher entschieden wurde oder dieselben einer abgesonderten Erledigung vorbehalten werden. (2) Mehrere Rechtsstreitigkeiten, die nach § 187 zu gemeinsamer Verhandlung verbunden wurden, können durch ein gemeinschaftliches Urteil entschieden werden, wenn die Verbindung der Verhandlung nicht schon vor Fällung des Urteiles aufgehoben oder nicht über einen der verbundenen Prozesse gemäß § 390 durch besonderes Urteil entschieden wurde. [Abs 1 Stammfassung; Abs 2 idF 3. GEN] Lit: Fucik in Fasching/Konecny III § 404.

1 Die erste Bestimmung über den Urteilsinhalt verpflichtet das Gericht, über alle im Entscheidungszeitpunkt noch offenen Sachanträge (soweit sie nicht einer gesonderten Entscheidung vorbehalten bleiben; s dazu §§ 392 Abs 2, 393 Abs 4) zu entscheiden („Urteil in der Hauptsache“). Vgl zu den möglichen Sachanträgen Fasching Rz 752.

2 Vereinzelte E haben darüber hinaus die Aufnahme eines Ausspruchs über die mit der in der Klage begehrten Leistung zwangsläufig verbundene Gegenleistung als Zug-um-Zug-Verpflichtung des Klägers (SZ 7/ 135) sowie die Erklärung des Beklagten, gem § 934 ABGB das zum gemeinen Wert Fehlende nachtragen zu wollen (SZ 6/341), in den Urteilsspruch für notwendig erachtet (auch Fucik in Fasching/Konecny III § 405 Rz 7 hält dies für zweckmäßig). Eine gesetzliche Deckung gibt es dafür aber nicht (ebenso Fasching1 III 642).

3 Erledigt das Urteil entgegen der Vorschrift des § 404 Abs 1 nicht alle offenen Sachanträge, kann dies entweder mit Berufung als Verfahrensmangel gem § 496 Abs 1 Z 1 geltend gemacht oder vom Erstgericht die Ergänzung seiner Entscheidung gem § 423 beantragt werden. Zur Frage der Konkurrenz dieser Möglichkeiten s § 423 Rz 3 und § 496 Rz 2. 1396

§ 405

2.2 Urteile und Beschlüsse

Ein Urteil in der Hauptsache darf nur gefällt werden, wenn die Pro- 4 zessvoraussetzungen vorliegen. Ist dies nicht der Fall, darf keine Sachentscheidung gefällt werden, sondern die Klage ist (allenfalls nach einem Verbesserungsversuch; s Vor § 226 Rz 7) mit Beschluss zurückzuweisen; über die Berechtigung der gestellten Sachanträge wird damit nichts ausgesagt. Abs 2 ermöglicht dem Gericht die gemeinsame Entscheidung mehrerer 5 miteinander gem § 187 zur gemeinsamen Verhandlung verbundener Rechtsstreitigkeiten, sofern nicht diese Verbindung bereits aufgehoben oder über einen oder mehrere dieser Ansprüche bereits durch selbständiges Urteil entschieden worden ist. § 405. Das Gericht ist nicht befugt, einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht beantragt ist. Dies gilt insbesondere von Früchten, Zinsen und anderen Nebenforderungen. [Stammfassung] Lit: Glaser, Zur Tragweite eines Verstoßes gegen die Bestimmung des § 405 ZPO, ÖJZ 1960, 429; König, Konformität, Aktenwidrigkeit und offenbare Gesetzwidrigkeit im zivilgerichtlichen Verfahren (1975) 87; Rechberger, Die fehlerhafte Exekution (1978) 88; Wit, Probleme der Teileinklagung und Rechtskraft, unter besonderer Berücksichtigung der Unterhaltsansprüche, JBl 1981, 406; P. Böhm, Die Ausrichtung des Streitgegenstandes am Rechtsschutzziel, FS Kralik (1986) 83; Klicka, Keine Teilklage bei Schmerzengeld?, ÖJZ 1991, 435; Hausmann, Zur Bezeichnung des Bestandgegenstandes im Kündigungsverfahren, wobl 1996, 129; Oberhammer, wobl 1998, 185 (Entscheidungsanm). Fucik in Fasching/Konecny III § 404; Ballon Rz 318, 361; Buchegger, PraktZPR 393; Deixler-Hübner/Klicka Rz 250; Fasching Rz 643, 1447 ff; Holzhammer 324; Rechberger/Simotta Rz 652. Inhaltsübersicht Bindung an den Urteilsantrag 1 Antrag 2 Minus-Zuspruch 3–5

Verstoß gegen § 405 Anwendbarkeit außerhalb der ZPO

6 7

In Ausführung der „negativen Seite“ des Dispositionsgrundsatzes (s 1 Vor § 171 Rz 2) verbietet § 405 dem Gericht, dem Kläger etwas zuzusprechen, wofür es bei Schluss der mündlichen Streitverhandlung keinen Urteilsantrag gibt; also kein plus und kein aliud. Die völlige oder 1397

§ 405

Rechberger

teilweise Abweisung der Klage (also ein minus) entspricht dagegen dem Urteilsgegenantrag des Beklagten. Der Ausspruch eines Minus stellt daher keinen Verstoß gegen § 405 dar. Hat der Kläger allerdings ausdrücklich erklärt, nur an einer Gesamtstattgebung Interesse zu haben und eine Teilstattgebung abzulehnen, so ist das Gericht an dieses Sachbegehren gem § 405 gebunden, sodass der sonst mögliche Zuspruch eines Minus nicht in Frage kommt (9 Ob 13/02f = MietSlg 54.652 = immolex 2003/25).

2 „Antrag“ iS des § 405 meint nicht nur das Klagebegehren allein; es ist auch der Inhalt der Klage zu beachten (Fasching Rz 1448; SZ 27/12; EvBl 1957/258; EvBl 1958/257; 6 Ob 291/99h = MietSlg 52.750). Der Umfang der Bindung des Gerichts hängt daher von der angewendeten Streitgegenstandstheorie ab (s Vor § 226 Rz 14; vgl dort zur Frage der Bindung an die rechtliche Qualifikation der Klage Rz 16). Zur Frage der Berücksichtigung überschießender Feststellungen s Vor § 266 Rz 30. Das Gericht darf dem Urteilsspruch eine klare und deutlichere, vom Begehren abweichende Fassung geben, wenn sich das Wesen des Begehrens aus dem übrigen Klagevorbringen ergibt (ÖBl 1981, 159; ÖBl 1982, 66; MietSlg 36.759; MR 1982, 102; GesRZ 1988, 229; SZ 69/18; EvBl 1997/190; MR 1997, 208; Arb 11.190; MietSlg 46.661, 9 Ob 277/98w = MietSlg 50.749, 6 Ob 291/99h = MietSlg 52.750, 1 Ob 152/02p = MietSlg 55.688; 4 Ob 32/03i = MR 2003, 166; diese Vorgangsweise ist auch bei einem Feststellungsverfahren [Arb 9927; Arb 11.272; 8 Ob A 11/01b = ARD 5338/28/2002; 10 Ob 209/02m = ZVR 2002/94; 9 Ob A 205/02s = RdA 2003/33] und auch in einem Besitzstörungsverfahren [LGZ Wien EFSlg 76.085; LG Wels 21 R 96/03x = EFSlg 105.891] zulässig).

3 Ein Minus-Zuspruch ist auch bei einer Rechtsgestaltungsklage (MietSlg 32.696) und bei einer Feststellungsklage (MietSlg 21.804, 32.026; Arb 10.026; NZ 1996, 233 = MietSlg 46.662; 6 Ob 226/00d = NZ 2001, 470) möglich. Ein Feststellungsbegehren ist gegenüber einem Leistungsbegehren ein Minus, wenn es von diesem zeitlich und umfänglich mitumfasst ist (EvBl 1977/209; MietSlg 32.669), zB wenn die Leistung noch nicht fällig ist, aber ein Feststellungsinteresse vorliegt (JBl 1989, 452 = VersRdSch 1989, 186). Von dem Rechtsgestaltungsbegehren, der Widerruf der Bestellung zum Vorstand durch den Aufsichtsrat werde für rechtsunwirksam erklärt, ist als Minus das Feststellungsbegehren umfasst, dieser Widerruf sei bis zum Ablauf der Funktionsperiode des abberufenen Vorstands oder bis zu dessen neuerlicher Abberufung nicht rechtswirksam gewesen (1 Ob 11/99w = SZ 72/90 = ARD 5097/ 26/2000 = RdW 1999, 595 = ÖJZ-LSK 1999/241 = wbl 2000/26). Die Feststellung der Teilunwirksamkeit eines Untermietvertrags ist ein Mi1398

§ 405

2.2 Urteile und Beschlüsse

nus gegenüber der begehrten Feststellung der Nichtigkeit des gesamten Vertrags (MietSlg 32.696). Das gleiche gilt für den Ausspruch einer Haftungsbeschränkung für eine uneingeschränkt begehrte Leistung (ZVR 1984/238). Die Verurteilung des Beklagten mit der Anordnung einer Zug-um- 4 Zug-Leistung durch den Kläger bedeutet auch dann ein Minus gegenüber der uneingeschränkt begehrten Leistung, wenn der Kläger die Zug-um-Zug-Leistung nicht angeboten hat (Fasching Rz 1451; SZ 24/ 54; JBl 1953, 47; nach HS 5445 genügt es, wenn die Bereitschaft des Klägers zur Gegenleistung aus den Prozessergebnissen hervorgeht). Wurde eine Gegenleistung angeboten, so kann das Gericht auch eine höhere auferlegen: EvBl 1956/345 = RZ 1956, 159; ggt: SZ 35/126 = JBl 1963, 532 = RZ 1963, 51 [abl Wahle, JBl 1965, 284]; JBl 1965, 420 = HS 5443; JBl 1971, 569 = RZ 1971, 124). Ein Verstoß gegen § 405 liegt nur dann vor, wenn der Kläger bei erhobener Einrede die Gegenleistung verweigert und sie das Urteil trotzdem ausspricht: Fasching Rz 1451; SZ 38/17 = JBl 1965, 366 = HS 5444; HS 7286, 7287; vgl auch Aicher in Rummel I § 1052 Rz 17 und Fucik in Fasching/Konecny III § 405 Rz 57). Von Amts wegen ist auf eine Verpflichtung zur Zug-um-Zug-Leistung aber nicht Bedacht zu nehmen (SZ 43/63 = HS 7288 = NZ 1971, 92; JBl 1973, 616 = HS 8304; JBl 1975, 262). Ein zulässiges Minus ist: bei Verurteilung zu einer Geldleistung die 5 Einschränkung auf ein bestimmtes Exekutionsobjekt anstatt des gesamten Vermögens (SZ 27/12); die Verurteilung zur Ratenzahlung anstatt zur sofortigen Zahlung (JBl 1959, 632); ebenso die Verurteilung zur Einwilligung in die Eintragung einer zeitlich befristeten Dienstbarkeit statt einer unbefristeten Servitut (SZ 43/117); die Urlaubsabfindung gegenüber der Urlaubsentschädigung (ARD 4275/17/91); die urteilsmäßige Feststellung der Haftung für künftige Schäden „im Rahmen des betreffenden Versicherungsvertrags“ statt der Feststellung der Haftung bis zum Haftungshöchstbetrag gem ABGB und EKHG (ZVR 1991/96); bei Erfüllungsübernahme die Verurteilung zur Zahlung an den Gläubiger, wenn Zahlung an den Schuldner (Kläger) begehrt wird, aber feststeht, dass dieser noch nicht bezahlt hat (SZ 69/18 = EvBl 1996/78 = ecolex 1996, 360 = ÖBA 1996, 815); die Feststellung des Eigentumsrechts an Heizungsrohren gegenüber der Feststellung des Eigentums an der gesamten vom Bestandnehmer eingebauten Heizungsanlage (MietSlg 46.662 = NZ 1996, 233); die Verurteilung des Verkäufers einer Liegenschaft zur Zahlung der entgegen seiner Depurierungspflicht nicht getilgten Verbindlichkeit an den Gläubiger, wenn Zahlung an den Erwerber der Liegenschaft (Kläger) begehrt wird (4 Ob 118/01h = JBl 1399

§ 405

Rechberger

2002, 112 = MietSlg 53.726); die urteilsmäßige Zuerkennung einer befristeten Invaliditätspension gegenüber dem Begehren auf Zuerkennung einer unbefristeten Invaliditätspension (10 Ob S 344/02i = EvBl 2003/ 65); bei Feststellungsklagen, wenn ein quantitativ geringerer Umfang des Rechts, dessen Feststellung begehrt wird, festgestellt wird (AnwBl 2005/7977 [zust Schimanko]). Ein unzulässiges Aliud ist hingegen: bei einer Gesamthandforderung die Hinterlegung zugunsten aller Gläubiger anstatt der Leistung an Einzelne (JBl 1980, 318); die Verurteilung zur Vornahme von Schutzhandlungen statt eines Unterlassungsgebots (JBl 1989, 239); ebenso das Begehren auf Preisminderung gegenüber jenem auf Wandlung (HS 6383); das Verbot der Vervielfältigung, Verbreitung und Veröffentlichung ohne Quellenangabe, wenn das Sicherungsbegehren nicht auf die Quellenangabe abstellt (MR 1991, 240); die Löschung des Eigentums des Zweitkäufers gegenüber der Naturalrestitution durch Einverleibung des Eigentums des Erstkäufers (JBl 1996, 521); die Feststellung einer als Masseforderung geltend gemachten Forderung als Konkursforderung (ecolex 1996, 98 = ZIK 1996, 97); das Begehren auf Unterlassung von Immissionen anstelle des Begehrens, das Ablagern von Abfällen zu unterlassen (JBl 1998, 308 = ecolex 1998, 318); die Räumung eines Gebäudes von Fahrnissen und die Übergabe des geräumten Gebäudes anstelle der Entfernung eines Gebäudes von einer Liegenschaft (7 Ob 231/98s = MietSlg 51.661 = NZ 2001, 169); das Festlegen des Grenzverlaufes in anderen Punkten, wenn die Feststellung eines nach Vermessungspunkten konkret bezeichneten Grenzverlaufes und in untrennbarem Zusammenhang damit die Feststellung des Eigentums am entsprechenden Grundstücksteil begehrt wird (6 Ob 226/00d = NZ 2001, 470); im Sicherungsverfahren die Bewilligung der vorläufigen Verwahrung der Eingriffsgegenständen anstelle der begehrten Vernichtung dieser Gegenstände (4 Ob 273/01b = RdW 2002/457). Ein unzulässiges Plus stellt die Verurteilung zur Unterlassung kreditschädigender Äußerungen gegenüber einem Unterlassungsgebot hinsichtlich „Handlungen zu Zwecken des Wettbewerbs“ dar (MR 1993, 119); ebenso die im Spruch erfolgende Erweiterung des Unterlassungsgebotes auf das Verbot sinngleicher (bedeutungsgleicher) Äußerungen, wenn das Unterlassungsbegehren auf einen konkret bezeichneten Verstoß abstellt (1 Ob 38/04a = MR 2004, 188). Die Rsp qualifiziert zu Unrecht auch die Heranziehung eines von den Parteien nicht geltend gemachten Rechtsgrunds als einen, einem Verstoß gegen § 405 ZPO vergleichbaren, Verfahrensmangel (Arb 11.182); dies ist nur vor dem Hintergrund der von der Rsp angewendeten „dreigliedrigen Streitgegenstandstheorie“ verständlich, wonach die ausdrückliche Berufung auf einen Rechtsgrund den Streitgegenstand 1400

§ 406

2.2 Urteile und Beschlüsse

determiniert, weshalb eine Klagestattgebung aus einem anderen Rechtsgrund – obwohl alle rechtserzeugenden Tatsachen festgestellt sind – nicht möglich sein soll (vgl dazu Vor § 266 Rz 16 sowie krit Oberhammer, wobl 1998, 185). Der Verstoß gegen die Bestimmung des § 405 bildet nach einhelliger 6 Lehre (Sperl 603; Fasching Rz 1453; Holzhammer 324; König, Aktenwidrigkeit 87 f; Rechberger, Exekution 93 f; Buchegger, PraktZPR 393; Deixler-Hübner/Klicka Rz 250; Rechberger/Simotta Rz 835; Ballon Rz 318, 361; Fucik in Fasching/Konecny III § 405 Rz 60) einen in § 477 nicht genannten Nichtigkeitsgrund; was vor allem wegen der engen Verwandtschaft zwischen dem Gebot der Wahrung des Antragsprinzips und jenem der Wahrung der Rechtskraftgrenzen geboten erscheint (Rechberger, Exekution 94). Dem ist auch die ältere Rsp (zuletzt JBl 1953, 98) überwiegend gefolgt, während seit EvBl 1958/258 = JBl 1958, 365 in stRsp die Auffassung vertreten wird, dieser Verstoß bilde lediglich einen wesentlichen Verfahrensmangel (JBl 1969, 399 [abl Sprung]; SZ 42/138; ÖBl 1982, 132; ZVR 1983/30; EFSlg 57.763; MR 1989, 104; MR 1989, 143 = ÖBl 1989, 149; EFSlg 79.215; SVSlg 41.699; OLG Wien EFSlg 79.217; 9 Ob 277/98w = MietSlg 50.749; 4 Ob 6/02i = MietSlg 54.654); diese Qualifikation krankt an dem inneren Widerspruch, dass das Gericht hier gerade nicht (iSd § 496 Abs 1 Z 2) weniger getan hat, als es sollte (vgl Näheres zur Diskussion bei Fasching Rz 1452 f; Rechberger, Exekution 88 ff und Fucik in Fasching/Konecny III § 405 Rz 59 ff). § 405 ist auch im Provisorialverfahren (EvBl 1971/184 = JBl 1971, 371; 7 ÖBl 1978, 146; OLG Wien ÖBl 1981, 149; 4 Ob 136/02g = MR 2002, 405; 1 Ob 38/04a = MR 2004, 188; 4 Ob 258/04a = MR 2005, 392 [krit zur Kostenentscheidung Korn]) sinngemäß anzuwenden. Für außerstreitige Verfahren, die nur auf Antrag eingeleitet werden können, trifft nunmehr § 36 AußStrG eine entsprechende Regelung (s dazu ausführlich Fucik/Kloiber, AußStrG § 36 Rz 5 ff; Rechberger in Rechberger, AußStrG § 36 Rz 3). § 406. Die Verurteilung zu einer Leistung ist nur zulässig, wenn die Fälligkeit zur Zeit der Urteilsschöpfung bereits eingetreten ist. Bei Ansprüchen auf Alimente kann auch zu Leistungen verurteilt werden, welche erst nach Erlassung des Urteiles fällig werden. [Stammfassung] Lit: Michlmayr, Verurteilung vor Fälligkeit, ZBl 1930, 481; F. Bydlinski, Fälligkeit und Grundlagen des Entgeltsanspruches bei Störungen in der 1401

§ 406

Rechberger

Erfüllung des Kaufes und des Werkvertrages, JBl 1973, 281; Jelinek, Das „Klagerecht“ auf Unterlassung, ÖBl 1974, 125; Schuster-Bonnott, Die Gefahr des Zuwiderhandelns gegen Unterlassungsverpflichtungen (Wiederholungsgefahr), JBl 1974, 169; Fasching, Urteilsmäßige Rechtsgestaltung im Zivilprozess, JBl 1975, 505; Schuster-Bonnott, Der privatrechtliche Anspruch auf Unterlassung, JBl 1976, 281; Kunst, Der Kapital- und Rentenschaden in der Haftpflicht und Haftpflichtversicherung, ZVR 1978, 65; P. Böhm, Unterlassungsanspruch und Unterlassungsklage. Zur konkreten Einheit von materiellem Anspruch und prozessualer Rechtsschutzform (1979); Deimbacher, Wie weit darf ein Unterlassungsbegehren gefaßt sein? ÖBl 1980, 36; Schuster-Bonnott, Wesen und Grenzen der privatrechtlichen Befugnis zur Urteilsveröffentlichung im Wettbewerbsrecht mit Bemerkungen zur Wiederholungsgefahr, ÖBl 1980, 57; P. Böhm, Der Anspruch und die Klage auf Unterlassung als funktionale Einheit, ÖBl 1981, 36; Schuster-Bonnott, Unterlassungsanspruch – Vorbeugende Unterlassungsklage – Wiederholungsgefahr, ÖBl 1981, 33; Wit, Probleme der Teileinklagung und Rechtskraft, unter besonderer Berücksichtigung der Unterhaltsansprüche, JBl 1981, 406; Schuster-Bonnott, Die Wiederholungsgefahr bei Unterlassungsverpflichtungen und der seinerzeitige Motivenbericht zum Entwurf des BGB, JBl 1986, 487; Burgstaller, Die Klage auf künftige Leistung, JBl 1989, 545; Prunbauer, Wegfall der Wiederholungsgefahr wegen langer Prozessdauer? Bemerkungen zur E des OGH vom 2. 12. 1986, 4 Ob 383/86, ÖBl 1988, 63; Schuster-Bonnott, Einstweilige Verfügung und vorbeugende Unterlassungsklage zur Sicherung von Unterlassungsansprüchen, GesRZ 1989, 11; Fasching, Zur Formulierung und zur Bestimmtheit von Unterlassungsbegehren im österreichischen Wettbewerbsrecht, FS Walder (1994) 3; Reischauer, Unterhalt für die Vergangenheit und materielle Rechtskraft, JBl 2000, 421; F. Bydlinski, Gegen die „Zeitzündertheorien“ bei der Rechtsprechungsänderung nach staatlichem und europäischem Recht, JBl 2001, 2. Fucik in Fasching/Konecny III § 406; Bajons Rz 111 f; Ballon Rz 186; Burgstaller, PraktZPR 176; Deixler-Hübner/Klicka Rz 252, 85a; Fasching Rz 1062 ff, 1455 ff; Holzhammer 169, 180; Rechberger/Simotta Rz 401. Inhaltsübersicht Maßgeblicher Entscheidungszeitpunkt 1–7 Verurteilung zu erst künftig fällig werdenden Leistungen 8–13 Verurteilung zur Unterlassung 14–17

1 Maßgeblicher Entscheidungszeitpunkt. Aus § 406 Satz 1 ist (im Zu-

sammenhalt mit §§ 179 und 530 Abs 2 sowie § 35 Abs 1 EO) abzuleiten, 1402

§ 406

2.2 Urteile und Beschlüsse

dass die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung für die Entscheidung maßgeblich ist (SZ 26/298 = EvBl 1954/31; JUS 4, 14; SZ 68/6 = EvBl 1995/94 = ÖBl 1995, 163 = wbl 1995, 191 = RdW 1995, 263; 4 Ob 89/01v = ÖBl 2002/6 = ZfRV 2002, 78; 2 Ob 71/02h = ZIK 2002/205); auf den Zeitpunkt der „Urteilsschöpfung“ kann es schon deshalb nicht ankommen, weil dieser beim Einzelrichter gar nicht feststellbar ist; vor allem aber ist das Gericht an die Ergebnisse der mündlichen Verhandlung gebunden (s Fasching Rz 1456). Daher müssen bei Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz alle anspruchsbegründenden Tatsachen (zur Fälligkeit s unten Rz 7) und auch alle Prozessvoraussetzungen gegeben sein (zu den Ausnahmen des § 29 JN s dort). Das gilt auch für Feststellungsklagen (ZAS 1971/22 [abl Berger]; DRdA 1982, 129; MietSlg 36.775; DRdA 1986, 335; 8 Ob A 23/04x = ARD 5515/6/2004 = RdW 2004/510) und für Klagen auf Zustimmung zu einer Kündigung (infas 1998 A 90). Daher ist für den Anspruch auf Verunstaltungsentschädigung die Ent- 2 wicklung bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz zu berücksichtigen (ZVR 1997, 302/115); ist für die Frage, ob der Abgebildete allgemein bekannt ist, der Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz maßgeblich (MR 1996, 34); ist eine Sachverhaltsänderung im Prüfungsprozess gem § 110 KO beachtlich, wenn sie durch Anrechnung von Erlösen aus Absonderungsrechten zu einem Minus gegenüber der Forderungsanmeldung führt (ecolex 1996, 852 = ÖBA 1997, 67 = ZIK 1997, 65); erfordert die Eigentumsklage Gewahrsame oder wenigstens mittelbaren Besitz des Beklagten spätestens zum Schluss der Verhandlung (EvBl 1978/173 = JBl 1979, 376); genügt für die Berechtigung der Klage auf Eigentumseinverleibung die Säumnis des Wohnungseigentumsorganisators im Zeitpunkt des Verhandlungsschlusses (SZ 50/15 = JBl 1978, 41 = ImmZ 1978, 72 = MietSlg 29.521/12); müssen die Voraussetzungen des § 55 EheG erst bei Urteilsfällung vorliegen (JBl 1953, 570; ZfRV 1962, 246); ist für Ersatzforderungen nach Maßgabe des gemeinen Wertes dieser Wert zur Zeit der Urteilsfällung maßgebend (SZ 6/226 = JB 15; JBl 1953, 210) und für die Bemessung eines Schadens der Wert zur Zeit der Urteilsfällung (ZBl 1924/62). Wird die begehrte Leistung im Laufe des Prozesses tatsächlich oder 3 aufgrund gesetzlicher Vorschrift rechtlich unmöglich, ist die Klage abzuweisen (ZBl 1918/24; JBl 1967, 618); das gleiche gilt, wenn das Recht des Klägers während des Prozesses erloschen (GlUNF 2897) oder umgekehrt der angestrebte Erfolg bereits eingetreten ist (MietSlg 35.789; vgl aber zur Klageeinschränkung auf Kosten §§ 237–238 Rz 12). 1403

§ 406

Rechberger

4 Auch im Mandatsverfahren (SZ 19/274) und im Wechselmandatsverfahren (JBl 1962, 96; SZ 44/33 = RZ 1971, 176) ist für die Beurteilung des Anspruches die Sachlage im Zeitpunkt der Urteilsfällung maßgebend.

5 Der Schluss der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz ist daher auch die Zäsur für sämtliche Neuerungen: Tatsachen, die schon vor diesem Zeitpunkt vorhanden waren, aber nicht geltend gemacht wurden (nova reperta), können – wenn sie von den Parteien schuldlos nicht vorgebracht werden konnten – mit Wiederaufnahmsklage geltend gemacht werden (§ 530 Abs 1 Z 7, Abs 2). Tatsachen, die erst nach Verhandlungsschluss erster Instanz eingetreten sind (nova producta), werden von der Präklusionswirkung der materiellen Rechtskraft (s Vor § 390 Rz 30) nicht erfasst und können daher in einer neuen Klage oder vom Verpflichteten während des Exekutionsverfahrens mit Oppositionsklage (§ 35 EO) geltend gemacht werden. In Verfahren, in denen kein Neuerungsverbot besteht (Verfahren über die Nichtigerklärung oder Feststellung des [Nicht-]Bestehens einer Ehe und in Arbeitsrechtssachen, wenn die Voraussetzungen des § 63 ASGG gegeben sind), ist der Schluss (der mündlichen Verhandlung) der zweiten Instanz maßgeblich.

6 Zu dem für die gerichtliche Aufkündigung und das Urteil über die Einwendungen im Bestandverfahren maßgeblichen Zeitpunkt s § 561 Rz 3.

7 Die Verurteilung zu erst künftig fällig werdenden Leistungen. Der in der Klage geltend gemachte Anspruch muss spätestens zum Schluss der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz fällig sein, sonst ist die Klage abzuweisen (vgl zur inneren Rechtfertigung dieser Regelung Fasching Rz 1062); der Beisatz, „derzeit“ sei die Klage abzuweisen, ist nicht vorgesehen und auch wegen der zeitlichen Grenzen der Rechtskraft (s Vor § 390 Rz 29) überflüssig (RZ 1937, 297; OLG Wien EvBl 1953/320; RZ 1960, 182). Auf die Unzulässigkeit der Verurteilung zu künftigen Leistungen ist von Amts wegen Bedacht zu nehmen (JBl 1960, 156; RZ 1965, 11).

8 Um dem Kläger sinnvollen Rechtsschutz gewähren zu können, gestattet § 406 Satz 2 aber bei „Ansprüchen auf Alimente“ die Verurteilung zu Leistungen, die erst in Zukunft, also nach Schluss der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz, fällig werden. „Alimente“ sind periodisch zu erbringende Geld- oder Sachleistungen, die rechtlich und wirtschaftlich der gänzlichen oder teilweisen Befriedigung des laufenden unmittel1404

§ 406

2.2 Urteile und Beschlüsse

baren Lebensbedarfs des Klägers dienen (Fasching Rz 1064). Neben den gesetzlichen und vertraglichen Unterhaltsansprüchen werden dazu auch Rentenansprüche nach §§ 1325 und 1327 ABGB (EFSlg 23.116 = ZVR 1975/168; ZVR 1975/198; 1 Ob 155/97v = EFSlg 88.122 = ecolex 1998, 551 = JBl 1998, 454 = ZVR 1998/94; 3 Ob 193/00d = EFSlg 97.030 = ZVR 2001/108), Rentenansprüche nach § 1326 ABGB, eine Schmerzengeldrente (SZ 41/159) und überhaupt Forderungen gezählt, die nach ihrem Wesen und ihrem Zweck einer Unterhaltsforderung ähnlich sind (EFSlg 12.286), also wohl auch Ansprüche aus Leibrentenverträgen mit Unterhaltscharakter (Fasching Rz 1064; ggt SZ 29/8 = JBl 1956, 622) und Ausgedingsleistungen (Fasching Rz 1064); ferner Ruhegenüsse, da § 89 Abs 1 ASGG Leistungen aus Sozialrechtsansprüchen nach § 65 Abs 1 Z 1 und 6 bis 8 ASGG ausdrücklich wie Alimente behandelt (aA Fasching Rz 1064). Dienstbezüge haben aber keinen Unterhaltscharakter (JBl 1960, 156; vgl auch unten Rz 10). Damit der Zuspruch für die Zukunft erfolgen kann, genügt es bei diesen Ansprüchen, dass der Schuldner seine Verpflichtungen (einmal) verletzt hat oder eine solche Verletzung droht (EvBl 1965/306 = EFSlg 5550; EFSlg 25.323, 29.995, 39.193, 41.698; LGZ Wien EFSlg 34.424, 52.185, 55.043, 57.766, 43 R 362/98y = EFSlg 88.121; Dolinar, Ruhen 132; Holzhammer 181; Bajons Rz 111; aA Fasching Rz 1064, nach dem ein derartiges Verhalten des Beklagten nicht Voraussetzung für die Verurteilung ist). Zur Exekution wegen Forderungen auf wiederkehrende Leistungen, die künftig fällig werden, welche (nur) zugleich mit der Exekution für bereits fällig werdende Ansprüche bewilligt werden kann, vgl § 291c EO; zur Sicherstellungsexekution für noch nicht fällige Unterhaltsansprüche und Schadensrenten mit Unterhaltscharakter für ein Jahr vgl § 372 EO. Unter Anerkennung besonderer Interessenlagen hat die Rsp den 9 Grundgedanken der Ausnahmeregelung des § 406 Satz 2 über die Ansprüche mit Alimentationscharakter hinaus immer mehr erweitert: Zugelassen werden Klagen auf noch nicht fällige Leistungen aus Dauerschuldverhältnissen oder aus Verträgen, die zu Sukzessivlieferungen verpflichten (SZ 24/168 = EvBl 1951/404; SZ 35/93; zB bei der Verpflichtung zur Gestattung der Bucheinsicht im Gesellschaftsvertrag: EvBl 1965/455 = RZ 1965, 147; oder aus einem urheberrechtlichen Werknutzungsvertrag: OLG Wien ÖBl 1969, 144; Fasching Rz 1065), wenn der Beginn der Verpflichtung vor Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz eingetreten und die Leistungspflicht verletzt worden ist. Da die Interessenlage bei (nicht von einer Gegenleistung abhängigen) wiederkehrenden Leistungen idR nicht anders ist, sollte auch hier – unter denselben Bedingungen – die Verurteilung zu künfti1405

§ 406

Rechberger

gen Leistungen möglich sein (F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 209; ders, JBl 1973, 281; Holzhammer 181; P. Böhm, Unterlassungsanspruch 57 ff; Burgstaller PraktZPR 177; aA die Rsp: keine Verurteilung des Mieters zur Zahlung künftiger Mietzinse: MietSlg 20.696; des Ausgleichsschuldners zur Zahlung der noch nicht fälligen Ausgleichsraten: EvBl 1964/50 = JBl 1964, 268; SZ 37/168; des Dienstgebers zur Zahlung von Dienstbezügen JBl 1960, 156; keine Verurteilung zu künftig fällig werdenden Kostenbeiträgen nach dem JWG 1989: ÖA 1996, 135; ebenso Fasching Rz 1066 und Fucik in Fasching/Konecny III § 406 Rz 32). Zu bedenken ist bei allen Erweiterungen auf Geldleistungen ohne Alimentationscharakter freilich, dass § 291c EO eine Exekution wegen Forderungen auf wiederkehrende Leistungen, die künftig fällig werden, nur für Unterhaltsansprüche iSd § 291b Abs 1 oder Rentenansprüche gem § 291c Abs 1 Z 2 ermöglicht.

10 Ob im Wege noch weitergehender Rechtsfortbildung auch die Zulassung einer vorbeugenden (positiven) Leistungsklage (wie sie in § 259 dZPO vorgesehen ist) vertretbar ist, ist umstritten: Dafür haben sich bisher nur P. Böhm (Unterlassungsanspruch 57 f FN 71) und Burgstaller (JBl 1989, 548; ders, PraktZPR 177 f) ausgesprochen. Während P. Böhm die vorbeugende Verurteilungsklage unter den Voraussetzungen der Wiederholungsgefahr (der Besorgnis, dass der Verpflichtete in Zukunft – erstmals oder weiterhin – geschuldete Teilleistungen nicht oder nicht zeitgerecht erbringt) und der fehlenden Nachholbarkeit der Leistung (weil sie nachträglich überhaupt nicht mehr möglich oder die verspätete Erfüllung dem Berechtigten nichts mehr bringt) fordert, will Burgstaller diesen Klagetyp unter den gleichen Voraussetzungen wie eine Feststellungsklage zulassen: Das besondere rechtliche Interesse liege dann vor, wenn die Besorgnis gerechtfertigt sei, dass sich der Schuldner der rechtzeitigen Leistung entziehen werde. In JBl 1990, 520, wo es um die Ausfolgung von Ausschreibungsunterlagen für künftige Ausschreibungsverfahren ging, also um eine Klage auf künftige Leistung, hat sich der OGH (unter Berufung auf Burgstaller) ausdrücklich zu dieser Rechtsfortbildung („zu dem § 259 dZPO vergleichbaren Ergebnis“) bekannt. Als Voraussetzungen für die Zulässigkeit dieser Klage werden dabei die Unmöglichkeit für den Kläger, seinen Anspruch auf Beteiligung an künftigen öffentlichen Ausschreibungen des Beklagten anders durchzusetzen, sowie die Wiederholungsgefahr, dass der Kläger auch bei weiteren Ausschreibungen von der Beteiligung ausgeschlossen werde, genannt (vgl auch jüngst 9 Ob 36/03i = MietSlg 55.689).

11 Im Bestandverfahren ist gem §§ 562, 567 die Verurteilung zur Übergabe (oder Übernahme) einer Bestandsache auch für einen gesetzlichen oder 1406

§ 406

2.2 Urteile und Beschlüsse

vertraglichen Räumungstermin möglich, der beim Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz noch nicht abgelaufen ist. Vgl Näheres bei § 562 Rz 2 und § 567 Rz 1. Zur Verurteilung des Beklagten zu einer Sicherheitsleistung für künftig 12 fällig werdende Beträge einer Schadensrente vgl § 407. Verurteilung zur Unterlassung. Obwohl die ZPO die Unterlassungs- 13 klage nicht erwähnt (wohl aber regeln die §§ 355 ff EO die Exekution zur „Erwirkung von Duldungen und Unterlassungen“), besteht an ihrer Zulässigkeit zur Geltendmachung von Ansprüchen auf Unterlassung bestimmter Handlungen aufgrund rechtsgeschäftlicher Unterlassungspflichten oder wegen rechtswidriger Eingriffe in geschützte Rechtsgüter kein Zweifel (vgl EvBl 1963/45; SZ 36/146 = EvBl 1964/204; EvBl 1964/ 300 = RZ 1964, 139; JBl 1968, 150 = ZVR 1967/162; EvBl 1971/317); diese Zulässigkeit ist nach den Vorschriften des materiellen Rechtes zu beurteilen (SZ 56/63 = EvBl 1983/91 = RZ 1984/25). Auch das Unterlassungsurteil wirkt in die Zukunft, weil es gerade sein Zweck ist, (weitere) Eingriffe in die Rechte des Klägers zu verhindern (auch die schon verletzte Unterlassungspflicht ist idR nicht nachholbar). Da es um die Verhütung künftigen Zuwiderhandelns geht, kommt der 14 Unterlassungsklage Präventivfunktion zu (Jelinek, ÖBl 1974, 125; P. Böhm, Unterlassunganspruch 55). Die Rechtfertigung der Gewährung präventiven Rechtsschutzes liegt aber allein in der Gefährdung der Rechtsposition des Klägers durch künftig zu erwartende Eingriffe in seine Rechte, also in einer Wiederholungsgefahr. Die stRsp fordert daher zu Recht für einen Erfolg der (echten) Unterlassungsklage, dass ein Zustand fortdauert, der dem Kläger keine Sicherung gegen weitere Rechtsverletzungen bietet (EvBl 1965/252; JBl 1968, 477; JBl 1970, 95; ecolex 1995, 174). Bei der Prüfung, ob Wiederholungsgefahr vorliegt, sollen aber keine engherzigen Maßstäbe angewendet werden; es genügt die ernste Besorgnis weiterer Eingriffe (vgl dazu MietSlg 27.650, 31.681, 32.668, 33.633, 36.760; 4 Ob 248/98v = MR 1999, 27; LG Salzburg 54 R 139/00f = JBl 2000, 801 [zust Klicka]). – Liegt bereits ein rechtswidriger Eingriff vor, so ist es Sache des Täters, den Wegfall der Wiederholungsgefahr zu behaupten und zu beweisen (EvBl 1975/245; SZ 56/124; LG Salzburg 54 R 139/00f = JBl 2000, 801 [zust Klicka]; 6 Ob 62/02i = MietSlg 54.624 uvm; s auch Rechberger/Simotta Rz 404; vgl aber Frauenberger, Einstweiliger Rechtsschutz bei Besitzstörung 43 f, nach dem eine Beweislastumkehr, die dem Beklagten den Beweis des Nichtvorliegens der Wiederholungsgefahr auferlegt, nicht gerechtfertigt ist). Auch die hL fordert eine Wiederholungsgefahr (Petschek/Stagel 245; 1407

§ 406

Rechberger

Fasching Rz 1069; Holzhammer 169; Jelinek, ÖBl 1974, 125; P. Böhm, Unterlassungsanspruch 55; Fasching in Fasching/Konecny III § 226 Rz 17; aA nur Schuster-Bonnott, JBl 1974, 179; ders, JBl 1976, 281; ders, ÖBl 1980, 57; ders, ÖBl 1981, 33 [dagegen P. Böhm, ÖBl 1981, 36]; ders, JBl 1986, 487; ders, GesRZ 1989, 11).

15 Darüber hinaus gewährt die Rsp dann auch eine vorbeugende Unterlassungsklage, wenn der Schutz des Klägers vor einem unmittelbar drohenden Eingriff des Beklagten notwendig ist (SZ 34/146, SZ 42/184; OLG Wien MietSlg 35.771; MR 1988, 205 = ÖBl 1989, 52; MR 1988, 207; LGZ Wien 39 R 340/02t = MietSlg 54.148; so auch im Falle einer installierten, aber noch nicht betriebsbereiten Überwachungskamera, die auch Grundstücksteile des Nachbarn erfasst: JBl 1997, 641 = immolex 1997, 308). Die hier an die Stelle der Wiederholungsgefahr tretende Verletzungsgefahr (Erstbegehungsgefahr) muss also, soll wiederum präventiver Rechtsschutz gewährt werden, in einer konkreten Gefährdung bestehen (P. Böhm, Unterlassungsanspruch 54); eine bloße theoretische Möglichkeit der Begehung genügt nicht (4 Ob 6/00m = ÖBl-LS 2000/39 = RdW 2000, 350; 4 Ob 251/00s = MR 2001, 42 = ÖBl 2001, 107; 7 Ob 199/01t = RdM 2002/21). Hauptanwendungsgebiete der vorbeugenden Unterlassungsklage sind der Schutz vor Eingriffen in dingliche Rechte, vor der Verletzung von Urheberrechten und der Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes (Vgl SZ 36/146 = EvBl 1964/204; EvBl 1964/300 = RZ 1964, 139; JBl 1968, 150 = ZVR 1967/162; EvBl 1971/ 317; OLG Wien MietSlg 28.582; ÖBl 1983, 9).

16 Da Wiederholungs- und Verletzungsgefahr den Unterlassungsanspruch erst auslösen, gehören diese Voraussetzungen der Sphäre des materiellen Rechtes an (P. Böhm, Unterlassungsanspruch 61). Da sie das Gesetz nicht in die prozessuale Erscheinungsform einer besonderen Prozessvoraussetzung (wie sie das rechtliche Interesse bei der Feststellungsklage darstellt; s Vor § 226 Rz 8, § 228 Rz 7) transformiert hat, muss die Unterlassungsklage mangels derartiger Voraussetzung mit Urteil abgewiesen werden, weil in diesem Fall der Unterlassungsanspruch zu verneinen ist (Jelinek, ÖBl 1974, 125; Holzhammer 169; P. Böhm, Unterlassungsanspruch 61; Fasching Rz 1070; JBl 1975, 484; MietSlg 34.726; aA Ballon Rz 188, der sie als Erscheinungsform des Rechtsschutzinteresses und damit als Prozessvoraussetzungen qualifiziert).

17 Vgl zur Fassung des Klagebegehrens der Unterlassungsklage: Fasching, FS Walder 3; ders in Fasching/Konecny III § 226 Rz 76 ff; JBl 1988, 594; EvBl 1989/6; EvBl 1989/89 = JBl 1989, 239; ausführlich ÖBl 1991, 105 und 108. 1408

§ 407

2.2 Urteile und Beschlüsse

§ 407. (1) Bei Verurteilung zur Entrichtung einer Geldrente wegen Tötung, Körperverletzung oder Freiheitsentziehung kann das Gericht, wenn eine Sicherstellung der künftigen Zahlungen offenbar notwendig erscheint, auf Antrag im Urteile auch auf Sicherheitsleistung erkennen. Wenngleich im Prozesse ein solcher Antrag nicht gestellt wurde, kann der Berechtigte nachträglich im Wege der Klage Sicherheitsleistung verlangen, falls die Vermögensverhältnisse des Verpflichteten sich inzwischen erheblich verschlechtert haben. (2) Unter derselben Voraussetzung kann der Berechtigte eine Erhöhung der im Urteile bestimmten Sicherheit mittels Klage begehren. [Stammfassung] Lit: Fucik in Fasching/Konecny III § 407; Fasching Rz 1481; Holzhammer 181. Bei Rentenansprüchen aus unerlaubter Handlung (§§ 1325, 1327, 1 1329 ABGB) kann der Kläger (in der Klage oder während der mündlichen Verhandlung) beantragen, den Beklagten auf Sicherheitsleistung (§ 56) zu verurteilen, wenn die Sicherstellung der künftigen Zahlungen offenbar notwendig (und nur dann: ZBl 1917/47) erscheint (Abs 1 Satz 1). Dieser Sicherheitsleistungsantrag ist ein Sachentscheidungsantrag, über den im Urteil zu entscheiden ist. Unabhängig von einem Sicherheitsleistungsantrag kann der Kläger 2 nachträglich eine eigene Sicherheitsleistungsklage erheben, wenn sich die Vermögensverhältnisse des Verpflichteten nach Schluss der mündlichen Verhandlung („inzwischen“: dazu DREvBl 1941/18) erheblich verschlechtert haben (Abs 1 Satz 2), also die „offenbare Notwendigkeit“ erst später eintritt. Mit selbständiger Klage kann der Berechtigte unter diesen Voraussetzungen auch die Erhöhung einer im Urteil bestimmten Sicherheit begehren (Abs 2). Die „offenbare Notwendigkeit“ besteht in der Gefahr, dass der Schuld- 3 ner seiner Leistungspflicht nicht nachkommen werde, oder in der Gefährdung der künftigen Exekution des Urteils über den Rentenanspruch; sie ist der konkreten objektiven Gefährdung des § 381 Z 1 EO (s Rechberger/Oberhammer Rz 485) gleichzuhalten (Fucik in Fasching/ Konecny III § 407 Rz 3). Da der prozessuale Sicherstellungsanspruch des § 407 erst bei dieser „offenbaren Notwendigkeit“ entsteht, ist diese Gefährdung Sachentscheidungsvoraussetzung; mangels Nachweises für die Gefährdung muss der Antrag (urteilsmäßig) abgewiesen werden (aA Holzhammer 181, für den die Gefährdung als Erscheinungsform des rechtlichen Interesses eine Zulässigkeitsvoraussetzung darstellt). 1409

§ 408

Rechberger

Mangels Notwendigkeit besteht kein Sicherstellungsanspruch, wenn eine Rentenforderung durch die Haftpflichtversicherungssumme gedeckt ist (SZ 36/77 = EvBl 1963/385).

4 Ein erst im Laufe der mündlichen Verhandlung gestellter Sicherstellungsantrag bedeutet wegen der Notwendigkeit zusätzlichen Tatsachenvorbringens eine Klageerweiterung im Sinne des § 235, die nach Fucik (in Fasching/Konecny III § 407 Rz 1) allerdings wegen der geringen Verfahrenserschwerung oder -verzögerung stets zuzulassen sein wird (aA Holzhammer 194, nach dem keine Klageerweiterung vorliegt).

5 Da die Rsp zumindest dann, wenn eine Schadensrente Unterhaltscharakter hat, schon nach § 406 (s dort Rz 9) auch die Verurteilung zu noch nicht fälligen Leistungen erlaubt, haben die Möglichkeiten des § 407 wenig praktische Bedeutung. § 408. (1) Findet das Gericht, daß die unterliegende Partei offenbar mutwillig Prozeß geführt hat, so kann es dieselbe auf Antrag der siegenden Partei zur Leistung eines entsprechenden Entschädigungsbetrages verurteilen. (2) Durch die Verhandlung über diesen Antrag darf die Entscheidung in der Hauptsache nicht aufgehalten werden. (3) Dieser Entschädigungsbetrag ist vom Gericht nach freier Überzeugung zu bestimmen. [Abs 3 idF ZVN 1983; sonst Stammfassung] Lit: P. Böhm, Die Lehre vom Rechtsschutzbedürfnis, JBl 1974, 1; Andexlinger, Schadenersatz wegen Prozessführung, RdW 1986, 248; F. Bydlinski, Schadenersatz wegen materiell rechtswidriger Verfahrenshandlungen, JBl 1986, 626; Oberhammer, wobl 1996, 116 (Entscheidungsanm); Lovrek, Schadenersatz für Prozesshandlungen im Wohnrecht, wobl 2000, 281; Lindinger, Mutwillige Prozessführung im Schlichtungsstellenverfahren – Prozesskostenersatz im Außerstreitverfahren, immolex 2003, 105. Fucik in Fasching/Konecny III § 408; Fasching Rz 1481; Holzhammer 154; Rechberger/Simotta Rz 435/5.

1 Die (voraussichtlich) siegende Prozesspartei kann bis zum Schluss der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz (JBl 1957, 566; JBl 1968, 208) den sachlich zu begründenden Antrag stellen, dass ihr ein Entschädigungsbetrag wegen offenbar mutwilliger Prozessführung durch die unterliegende Partei zugesprochen werde. Eine Geltendmachung im 1410

§ 408

2.2 Urteile und Beschlüsse

Berufungsverfahren kommt nicht in Betracht, weil es für die Annahme einer Lücke keinen Anhaltspunkt gibt (3 Ob 330/98w = MietSlg 51.682; vgl auch Fucik in Fasching/Konecny III § 408 Rz 6). Auch dabei handelt es sich um einen Sachentscheidungsantrag, über den mit Urteil zu entscheiden ist. Lange Zeit vertrat die Rsp, dass dieser Schadenersatzanspruch nur nach § 408, nicht aber mit selbständiger Klage geltend gemacht werden könne (EvBl 1971/138 = JBl 1972, 144 = MietSlg 22.617). Nach eingehender Auseinandersetzung mit den hiezu vertretenen Lehrmeinungen ging der OGH (JBl 1996, 48 = wobl 1996/27 [zust Oberhammer] = MietSlg 47.646) jedoch zu Recht von dieser Rsp ab und erklärte, dass es nicht der Zweck des § 408 sei, durch derartige Präklusionsfolgen eine Rechtsschutzverkürzung des Geschädigten herbeizuführen; vielmehr sollte dem mutwillig Geschädigten die Rechtsverfolgung erleichtert werden. Der Schadenersatzanspruch infolge mutwilliger Prozessführung kann demnach mit Antrag gem § 408 im Verfahren bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz oder mit selbständiger Klage geltend gemacht werden. § 408 begründet keinen Schadenersatzanspruch sui generis, sondern re- 2 gelt nur die Geltendmachung eines Schadenersatzanspruchs, der nach den allgemeinen materiell-rechtlichen Vorschriften zu beurteilen ist (Fucik in Fasching/Konecny III § 408 Rz 1; SZ 6/17); die Entschädigungspflicht umfasst demnach auch entgangenen Gewinn (SZ 5/157; SZ 5/181; SZ 6/17). Mutwillig kann schon das Sich-Einlassen in den Prozess sein (SZ 6/29); 3 vor allem aber handelt jener Beklagte mutwillig, der den Prozess fortführt, obwohl ihm ernstzunehmende Einwendungen nicht zu Gebote stehen (SZ 5/157; außer der Beklagte ist gutgläubig: SZ 7/396). Ein unverschuldeter Rechtsirrtum des Schuldners ist dann anzunehmen, wenn er mit einer von seiner Rechtsauffassung abweichenden Beurteilung ohne Fahrlässigkeit nicht rechnen musste (JBl 1955, 498). Vgl zur mutwilligen Prozessführung auch § 63 Rz 5. Der Entschädigungsbetrag ist zwar ein selbständiger Anspruch mit 4 selbständigem Rechtsgrund (fällt also nicht unter die im § 54 JN aufgezählten Nebenforderungen: SZ 2/120), sein Verlangen bedeutet aber keine Erweiterung des Klagebegehrens (VwGH AnwBl 1988, 578 = ÖStZB 1988, 457 = RdW 1988, 467). Im Antrag muss ein ziffernmäßig bestimmter Betrag gefordert wer- 5 den und es sind die tatsächlichen Umstände anzuführen, auf die sich der Anspruch stützt, sowie die nötigen Beweise anzubieten (SZ 5/157, 181, 182). 1411

§ 409

Rechberger

6 Bei der Beurteilung, ob die Bestreitung durch den Beklagten schuldhaft erfolgte, ist ein strenger Maßstab anzulegen. Dieser Grundsatz ergibt sich aus der Erwägung, dass die Verantwortlichkeit für die Rechtsverteidigung „nicht abschreckend schwer drücken soll“ (JBl 1956, 526). Um einer Partei die Prozessführung anrechnen zu können, muss eine missbräuchliche Inanspruchnahme des Gerichts einwandfrei erwiesen sein. Gutgläubige Prozessführung trägt nur die Gefahr der Kostenersatzpflicht mit sich (SZ 51/172). Wer das Zustandekommen eines Vertrags bestreitet, obwohl er weiß, dass eine Bindung bereits eingetreten ist oder dies zumindest vom Vertragsverfasser – einem Notar – erfahren kann, wird dem Vertragspartner schadenersatzpflichtig (SZ 57/128 = EvBl 1985/56). Wer Verfahrenshandlungen setzt, obwohl er weiß, dass dadurch ein Vertragspartner vermögensmäßige Nachteile erleiden kann, haftet schadenersatzrechtlich, wenn er bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte erkennen müssen, dass sein im Verfahren vertretener Standpunkt aussichtslos ist (infas 1986 H 6,12 A 128; SZ 59/159 = EvBl 1987/50 = JBl 1987/2 = JUS 27, 10; 3 Ob 161/97s = immolex 2000/72 [Kovanyi] = wobl 2000/154 [Mohr]). Es haftet jedenfalls, wer Verfahrenshandlungen nur setzt oder Rechtsmittel aufrechterhält, um die Gegenseite unter Druck zu setzen (SZ 59/159).

7 Durch die Bestimmung des Abs 2 soll verhindert werden, dass das Verfahren nach § 408 geradezu zum Hauptgegenstand des Prozesses wird.

8 Der Entschädigungsbetrag soll nach freier Überzeugung des Gerichtes festgesetzt werden können, vor allem unter Einbeziehung der Lebenserfahrung des Richters; von einer exakten beweismäßigen Untermauerung soll auch bezüglich des Anspruchsgrunds, und sogar dann, wenn die Beweisaufnahme nicht schwierig wäre, abgesehen werden. § 409. (1) Wenn in einem Urteile die Verbindlichkeit zu einer Leistung auferlegt wird, ist zugleich auch die Frist für diese Leistung zu bestimmen. Diese Frist beträgt, sofern in diesem Gesetz nicht etwas anderes bestimmt ist, vierzehn Tage. (2) Wird jedoch die Pflicht zur Verrichtung einer Arbeit oder eines Geschäftes auferlegt, so hat das Gericht zur Erfüllung der Verbindlichkeit mit Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des Verpflichteten eine angemessene Frist zu bestimmen. Hiebei ist insbesondere auch darauf zu achten, daß der Verpflichtete durch die zu verrichtende Handlung nicht an der rechtzeitigen Vornahme der Saat-, Schnitt- oder Weinlesearbeiten gehindert wird. (3) Die Fristen sind, wenn gegen das Urteil innerhalb der Rechtsmittelfrist kein Rechtsmittel eingelegt oder wenn das einge1412

§ 409

2.2 Urteile und Beschlüsse

legte Rechtsmittel vor der Entscheidung der höheren Instanz zurückgenommen (§ 484) wurde, von dem Tage an zu berechnen, mit dem das Urteil gegenüber der zur Leistung verpflichteten Person wirksam geworden ist (§ 416), sonst von dem Tage nach Eintritt der Rechtskraft. [Abs 3 idF 6. GEN; sonst Stammfassung] Lit: Fucik in Fasching/Konecny III § 409; Ballon Rz 326; Fasching Rz 1496; Holzhammer 303; Rechberger/Simotta Rz 653. In das Leistungsurteil ist stets eine Leistungsfrist aufzunehmen, die 1 mangels anderer gesetzlicher Bestimmung 14 Tage beträgt. Ausnahmen: a) Im Besitzstörungsverfahren hat der Richter die Leistungsfrist nach den Umständen des einzelnen Falles zu bestimmen (§ 459). b) Wenn nach § 409 Abs 2 eine Pflicht zur Verrichtung einer Arbeit oder eines Geschäftes auferlegt wird, hat der Richter mit Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des Verpflichteten eine angemessene Leistungsfrist festzulegen (NZ 1998, 332). Die Anwendbarkeit dieser Bestimmung setzt grundsätzlich eine Pflicht des Beklagten zu einem aktiven Tun voraus; sie kommt aber auch bei Duldungen und Unterlassungen in Betracht, wenn damit die Pflicht zur Änderung eines Zustands verbunden ist (wbl 1989, 217; anders noch ÖBl 1976, 79 [krit Schönherr]; aA auch Fucik in Fasching/Konecny III § 409 Rz 9). § 409 Abs 2 kann daher in folgenden Fällen angewendet werden: bei einer Verpflichtung zur Freimachung einer Liegenschaft von fremden Personen (EvBl 1958/221); zur Räumung einer Wohnung, bis eine andere Wohnung zur Verfügung steht (MietSlg 8.519); zur Löschung einer Dienstbarkeit (GlUNF 64); zur Änderung einer Firma (ÖBl 1962, 35); für eine Rechnungslegung nach § 151 PatG (ÖBl 1983,8); für die Anpassung der Geschäftsbedingungen auf Grund von nach dem KSchG unzulässigen Klauseln (4 Ob 130/03a = JBl 2004, 443); bei der Verpflichtung zur Durchführung von Sanierungsmaßnahmen an der Fassade (3 Ob 157/01m = MietSlg 53.742); bei der Ermächtigung zur Urteilsveröffentlichung (§ 409 Abs 2 analog bei der Befristung einer Handlungsermächtigung, 4 Ob 216/04z = MR 2005, 132). c) Im Bestandverfahren kann die Räumungsfrist auf Antrag verlängert werden (Näheres bei § 573). Im Übrigen können die Parteien stets eine längere Leistungsfrist vereinbaren, was das Gericht im Urteil zu berücksichtigen hat (EvBl 1954/194). d) Wird der Versicherungsträger zu einer Leistung aus der Krankenversicherung verurteilt, hat das Gericht gem § 89 Abs 3 ASGG eine kürzere Leistungsfrist nach Billigkeit zu bestimmen. 1413

§ 409

Rechberger

e) Die Leistungsfrist im Wechselverfahren und im Scheckregressverfahren nach § 59a ScheckG beträgt drei Tage.

2 Da die Exekutionsstundung des § 409 Abs 1 nicht ex lege wirkt, sind Urteile, die keine Leistungsfrist enthalten, sofort vollstreckbar (RZ 1937, 412; LGZ Wien WR 148; 3 Ob 289/04b); dasselbe gilt für den Endbeschluss (SZ 8/314; NZ 1935, 79; JBl 1960, 502), einen gerichtlichen Vergleich (SZ 23/241) und einen Schiedsspruch (EvBl 1982/77). Ist im Klagebegehren keine Leistungsfrist angegeben, hat das Gericht aber von Amts wegen die 14-tägige Leistungsfrist einzusetzen (OLG Linz SV-Slg 41.665), was insb für das Eventualbegehren gilt, wenn das Hauptbegehren die Leistungsfrist enthält (SZ 19/203; LGZ Wien EvBl 1953/299).

3 Auch der Masseverwalter ist zur Erfüllung von Masseforderungen, insb auch zum Kostenersatz an den siegreichen Prozessgegner, binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu verurteilen (SZ 43/34 = EvBl 1970/ 154 = RZ 1970, 101 [verst Senat]; EvBl 1973/81; EvBl 1984/44; ggt noch EvBl 1973/238).

4 Hat der Schuldner Erfüllung nach Möglichkeit oder Tunlichkeit oder unter ähnlichen Beschränkungen zugesichert, hat der Richter die Leistungsfrist, nach der sich aus der Rechtslage ergebenden Wahrscheinlichkeit unter Berücksichtigung der Interessen beider Parteien festzusetzen und kann auch auf Zahlung in Raten erkennen (EvBl 1981/122 = Arb 9937 = DRdA 1981, 320 = DRdA 1982, 298 [krit Apathy] = NZ 1983, 138; JUS 10, 13; die Verurteilung zur Ratenzahlung kann über Einwendung, dass Erfüllung nach Tunlichkeit und Möglichkeit vereinbart worden sei, auch ohne ausdrücklichen Antrag erfolgen: JBl 1959, 632).

5 Beginn der Leistungsfrist. a) Ist das Urteil unanfechtbar, wurde gegen das Urteil innerhalb der Rechtsmittelfrist kein Rechtsmittel eingelegt oder das eingelegte Rechtsmittel vor der Entscheidung der Rechtsmittelinstanz zurückgenommen, beginnt der Lauf der Leistungsfrist mit dem Tag, an dem das Urteil dem Leistungspflichtigen gegenüber iSd § 416 wirksam wurde (s dort). Das gilt auch bei einem Urteil, gegen das nur ein Kostenrekurs ergriffen wurde (JB 207 = GlUNF 6813; KG Korneuburg ZBl 1937/131). b) Wird ein zulässiges und insb rechtzeitiges Rechtsmittel erhoben (vgl EvBl 1951/91; SZ 25/298 = JBl 1953, 325), beginnt die Leistungsfrist mit dem Tag nach Eintritt der formellen Rechtskraft zu 1414

§ 409

2.2 Urteile und Beschlüsse

laufen – ob über das Rechtsmittel sachlich entschieden oder ob es zurückgewiesen wurde, macht keinen Unterschied (OLG Wien DREvBl 1943/201; SZ 22/45). Das bedeutet, dass (grundsätzlich) bei einer (zumindest teilweisen) Bestätigung des Leistungsurteils durch das Berufungsgericht die Leistungsfrist erst mit dem Tag nach Eintritt der Rechtskraft des Berufungsurteils und nicht schon mit dem der Zustellung der Berufungsentscheidung folgenden Tag zu laufen beginnt. Dieser Tag ist aber dann maßgeblich, wenn eine eingelegte Revision zurückgenommen wurde. Das gleiche gilt aber auf Grund der Sonderregel des § 505 Abs 3 (s § 505 Rz 4), wenn gegen das verurteilende Berufungsurteil die ordentliche Revision nicht zugelassen wird – die außerordentliche Revision bewirkt keine Hemmung der Vollstreckbarkeit (2 Ob 43/ 02s = RdW 2002/550 = ZIK 2002/199). Wurde ein Antrag, gem § 508 die ordentliche Revision zuzulassen, zurückgewiesen, beginnt die Leistungsfrist erst mit dem der Zustellung des Beschlusses gem § 508 folgenden Tag. Wird ordentliche Revision erhoben, beginnt die Leistungsfrist an dem der Zustellung der Revisionsentscheidung folgenden Tag zu laufen. Ist das Urteil in der Hauptsache angefochten, beginnt die Leistungsfrist auch für die nicht angefochtene Kostenentscheidung erst mit der Leistungsfrist in der Hauptsache (JBl 1934, 127). Da die Leistungsfrist nicht zur Vornahme einer Prozesshandlung dient, 6 wird sie durch den Eintritt und Ablauf der verhandlungsfreien Zeit nicht berührt (LGZ Wien EvBl 1934/221 und EvBl 1935/845). Da die Berufungs- und Revisionsfrist (seit der ZVN 1983) mit vier 7 Wochen doppelt so lang ist wie die Leistungsfrist, ist es theoretisch möglich, dass Vollstreckbarkeitsbestätigung und/oder Exekutionsbewilligung beantragt werden, bevor feststeht, dass kein Rechtsmittel eingelegt wird. Geschieht dies dann doch, müsste eine bereits erteilte Vollstreckbarkeitsbestätigung gemäß § 7 Abs 3 EO aufgehoben und eine bereits eingeleitete Exekution gem § 39 Abs 1 Z 9 EO eingestellt werden. Um diesen unnötigen Prozessaufwand zu vermeiden, muss daher aus verfahrensökonomischen Gründen der Antrag auf Erteilung der Vollstreckbarkeitsbestätigung und/oder auf Exekutionsbewilligung vor Ablauf der Rechtsmittelfrist trotz Ablaufs der Leistungsfrist abgewiesen werden (Fasching Rz 1552; Petrasch, ÖJZ 1983, 173; Schalich, ÖJZ 1983, 292). Keine gesetzliche Grundlage gibt es für eine Aufschiebung der Entscheidung über die Erteilung der Vollstreckbarkeitsbestätigung bzw über den Exekutionsantrag bis zur Klärung der Frage, ob die Rechtsmittelfrist genützt wurde oder nicht. Damit hat die Verlängerung der Berufungs- und Revisionsfrist auf vier Wochen faktisch auch zu einer Verlängerung der Leistungsfrist geführt. 1415

§ 410

Rechberger

8 Auf Beschlüsse ist Abs 3 nicht anwendbar, da dem Rekurs nicht ex lege grundsätzlich aufschiebende Wirkung zukommt (s § 524 Abs 1); die in einen Leistungsbeschluss aufgenommene Leistungsfrist läuft daher in allen Fällen schon vom Tag der Zustellung an (GlUNF 2301; ZBl 1913/ 319). Wurde dem Rekurs jedoch gem § 524 Abs 2 aufschiebende Wirkung zuerkannt, dann dauert diese Hemmung bis zum Tag der Zustellung der Rekursentscheidung; da die Leistungsfrist dann idR längst abgelaufen ist, ist der Beschluss mit der Zustellung dieser Entscheidung sofort vollstreckbar (OLG Wien EvBl 1936/693). § 410. Wird in einem Urteile ein Gegenstand zuerkannt, der nicht in einem Geldbetrage besteht, so ist zugleich auszusprechen, daß sich der Beklagte durch Zahlung des Geldbetrages, welchen der Kläger in der Klage oder während der Verhandlung anstatt dieses Gegenstandes anzunehmen sich bereit erklärt hat, von der Leistung dieses Gegenstandes befreien könne. [Stammfassung] Lit: Fucik in Fasching/Konecny III § 410; Ballon Rz 185; Fasching Rz 1132, 1386; Holzhammer 180; Rechberger/Simotta Rz 433/1.

1 Erklärt sich der Kläger schon in der Klage oder während der mündlichen Verhandlung (was aber mangels Streitgegenstandsfunktion der Erklärung – s unten Rz 2 – keine Klageänderung bedeutet) bereit, vom Beklagten anstelle der eingeklagten, nicht in einem Geldbetrag bestehenden Leistung die Zahlung eines Geldbetrags anzunehmen (Lösungsbefugnis oder Alternativermächtigung), so ist diese Alternative in den Urteilsspruch aufzunehmen (sinnvollerweise lässt die Rsp [SZ 27/265; RdW 1996, 163; RZ 1995/50; 6 Ob 71/99f = JBl 2000, 122 = RZ 1999/81] den Grundsatz auch für den umgekehrten Fall gelten; ggt aber JBl 1959, 105 = RZ 1959, 90). Begehrt der Kläger die Aufhebung eines Vertrags aus mehreren Rechtsgründen, kann er die Lösungsbefugnis auf einen Rechtsgrund beschränken (SZ 68/161). Die Angemessenheit der Geldsumme kann das Gericht nicht überprüfen und sie daher auch nicht mäßigen (Fasching Rz 1386; ZBl 1915/502; LGZ Wien 44 R 764/99z = EFSlg 90.978).

2 Da es sich bei der Erklärung des Klägers weder um ein Eventual- noch um ein Alternativbegehren (zu diesen s § 226 Rz 6) handelt (vgl ZBl 1930/5), bedeutet die Aufnahme der Lösungsbefugnis in das Urteil keine Verurteilung des Beklagten zu dieser Alternativleistung und ist daher von diesem auch nicht anfechtbar (Rsp 1930/240). Nach LGZ 1416

§ 411

2.2 Urteile und Beschlüsse

Wien EFSlg 49.336 und 44 R 764/99z = EFSlg 90.978 handelt es sich bloß um eine „Beurkundung einer privatrechtlich erheblichen Erklärung des Klägers“; Fucik (in Fasching/Konecny III § 410 Rz 6) bezeichnet das Anerbieten als Beurkundungsanspruch eigener Art. Diese Erklärung ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, die wegen Irrtums anfechtbar ist (JBl 1995, 175). Der Schuldner wird erst durch die vollständige Erbringung der Ersatzleistung von seiner Schuld befreit, es sei denn, der Gläubiger befindet sich hinsichtlich der noch zu erbringenden Leistungen in Annahmeverzug (RdW 1996, 163). Zur Einbringung der Alternativleistung kann nicht Exekution geführt werden (Fasching Rz 1386; GlUNF 3801; SZ 65/165; EvBl 1993/118). Wurde eine Lösungsbefugnis zu Unrecht ins Urteil aufgenommen, kann dies der Kläger mit Berufung oder Revision bekämpfen (SZ 68/161 = JUS 1996 Z 1967). Gegen die Verweigerung der Aufnahme der Lösungsbefugnis in den Urteilsspruch, die in Beschlussform zu ergehen hätte, lässt der OGH den Rekurs zu (6 Ob 71/99f = JBl 2000, 122 = RZ 1999/81). Prozessual bedeutsam ist die Einräumung der Lösungsbefugnis inso- 3 fern, als die vom Kläger angegebene Geldsumme für die sachliche Zuständigkeit und für die Besetzung des Gerichts maßgebend ist (§ 56 Abs 1 JN; nicht in Arbeitsrechtssachen: § 57 ASGG). Keine Bedeutung kommt ihr für die Rechtsmittelzulässigkeit zu (ausdrücklich § 500 Abs 3, was analog auch in den Fällen der §§ 501, 502, 517 und 528 gelten muss [Fasching Rz 1386]). Rechtskraft des Urteils § 411. (1) Durch ein Rechtsmittel nicht mehr anfechtbare Urteile sind der Rechtskraft insoweit teilhaft, als in dem Urteile über einen durch Klage oder Widerklage geltend gemachten Anspruch oder über ein im Laufe des Prozesses streitig gewordenes Rechtsverhältnis oder Recht entschieden ist, hinsichtlich dessen gemäß §§ 236 oder 259 die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens begehrt wurde. Die Entscheidung über den Bestand oder Nichtbestand einer vom Beklagten zur Kompensation geltend gemachten Gegenforderung ist der Rechtskraft nur bis zur Höhe des Betrages teilhaft, mit welchem aufgerechnet werden soll. (2) Die Rechtskraft des Urteiles ist von Amts wegen zu berücksichtigen. [Stammfassung] Lit: W. Kralik, Die Vorfrage im Verfahrensrecht (1953) 111; Zeuner, Die objektiven Grenzen der Rechtskraft im Rahmen rechtlicher Sinnzusam1417

§ 411

Rechberger

menhänge (1959); Herz, Rechtliches Novenverbot und materielle Rechtskraft, ÖJZ 1967, 253; Henkel, Prozessrecht und materielles Recht (1970); P. Böhm, Die Lehre vom Rechtsschutzbedürfnis, JBl 1974, 1; ders, ZVR 1974, 71 (Entscheidungsanmerkung); ders, ZVR 1974, 153 (Entscheidungsanmerkung); Dolinar, Wechselanspruch und Anspruch aus dem Kausalverhältnis, ÖJZ 1978,449; Fasching, Die richterliche Betragsfestsetzung gemäß § 273 ZPO, JBl 1981, 225; P. Bydlinski, Die Anfechtungs- und Auflösungsrechte des Zessionsschuldners, ÖJZ 1981, 421 und 453; Wit, Probleme der Teileinklagung und Rechtskraft, unter besonderer Berücksichtigung der Unterhaltsansprüche, JBl 1981, 406; P. Böhm, Die Ausrichtung des Streitgegenstandes am Rechtsschutzziel, FS Kralik (1988) 83; Schima, Streitigkeiten aus der Betriebsverfassung und ASGG. Eine kritische Stellungnahme zur Neuregelung des Verfahrens in betriebsverfassungsrechtlichen Steitigkeiten, JBl 1989, 341, 419 (424); Klicka, Bindungswirkung bei einfacher Nebenintervention und Streitverkündung? RZ 1990, 2; ders, Keine Teilklage bei Schmerzengeld? ÖJZ 1991, 435; Frauenberger, JBl 1994, 482 (Entscheidungsanmerkung); Hanel, WoBl 1995, 240 (Entscheidungsanm); Oberhammer, JBl 1995, 459 (Entscheidungsanm); ders, Verstärkter Senat – Bindung ans Strafurteil, ecolex 1995, 790; ders, JAP 1995/96, 124 (Entscheidungsanm); Strigl, AnwBl 1995, 909 (Entscheidungsanm); Berger, RdW 1996, 15 (Entscheidungsanm); P. Böhm, Die Bindung des Zivilgerichts an (verurteilende) Erkenntnisse des Strafgerichts: Nochmals zu einer mißverstandenen Grundsatzentscheidung des OGH, AnwBl 1996, 734; Deixler-Hübner, JBl 1996, 466 (Entscheidungsanm); Graff, AnwBl 1996, 77 (Entscheidungsanm); Oberhammer, Objektive Grenzen der Bindungswirkung, JAP 1996/97, 26; Rechberger, Rechtssicherheit, Entscheidungsharmonie und Bindung an Vorfrageentscheidungen: Überlegungen zu den objektiven Grenzen der Rechtskraft im österreichischen Zivilprozessrecht, FS Nakamura (1996) 477; Albrecht, Probleme der Bindung an strafgerichtliche Verurteilungen im Zivilverfahren oder § 268 ZPO – Der Versuch der Reanimation, ÖJZ 1997, 201; P. Böhm, Der Streitgegenstandsbegriff des EuGH und seine Auswirkungen auf das österreichische Recht, in: Bajons/Mayr/Zeiler (Hrsg), Die Übereinkommen von Brüssel und Lugano. Der Einfluß der Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen auf den österreichischen Zivilprozess (1997) 141 ff; Oberhammer, ecolex 1997, 160 (Entscheidungsanm); ders, ecolex 1997, 578 (Entscheidungsanm); Rechberger, Der Wiedergänger – Zur Rückkehr der Bindung an strafgerichtliche Entscheidungen im österreichischen Zivilprozessrecht, FS Gaul (1997) 539; Schauer, Bemerkungen zur Bindung des Haftpflichtversicherers an Strafurteile, RdW 1997, 5; Deixler-Hübner, JBl 1998, 786 (Entscheidungsanm); Klicka, JBl 1998, 586 (Entscheidungsanm); Oberhammer, ecolex 1998, 395 (Entschei1418

§ 411

2.2 Urteile und Beschlüsse

dungsanm); ders, ecolex 1998, 759 (Entscheidungsanm); ders, ecolex 1998, 909 (Entscheidungsanm); Burgstaller, Zur Bindungswirkung von Säumnisentscheidungen, JBl 1999, Rechberger/Bittner, Grundbuchsrecht (1999) Rz 244 ff; Oberhammer, Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter und Rechtskrafterstreckung, JBl 2000, 58; ders, Objektive Grenzen der materiellen Rechtskraft: Bindung und Präklusion, JBl 2000, 205; ders, wobl 2000/26 (Entscheidungsanm); Reischauer, Unterhalt für die Vergangenheit und materielle Rechtskraft, JBl 2000, 421; Bienert-Nießl, ZAS 2001/1 (Entscheidungsanm); Fasching, Strafurteil und Zivilprozess, FS Schumann (2001) 83; Fuchs, Zur Bindungswirkung des verurteilenden Straferkenntnisses im Bereich der Kfz-Haftpflichtversicherung (Teil I und II), ÖJZ 2001, 821 und 880; Strohmayer, Urteilswirkungen (2001); Beys, Prozessuale und privatrechtliche Bestimmung des Rechtskraftgegenstandes bei privatrechtlichen Streitigkeiten, FS Jelinek (2002) 1; Oberhammer, Internationale Rechtshängigkeit, Aufrechnung und objektive Rechtskraftgrenzen in Europa, IPRax 2002, 424; Gaul, Die Rechtskraft im Lichte des Dialogs der österreichischen und deutschen Prozessrechtslehre, ÖJZ 2003, 861; Oberhammer, Feststellungsklagen über die Existenz von Mietrechten – Einige Überlegungen aus Anlass von 6 Ob 299/01s, wobl 2003, 129; Kindel, Die strafrechtliche Verurteilung und zivilrechtliche Haftung des Geschäftsführers aufgrund eines – eventuell auch sachlich und fachlich unrichtigen – Sachverständigengutachtens eines Buchsachverständigen bzw der „immunisierte“ Sachverständige im Strafverfahren, GesRZ 2004, 13; Oberhammer, Wieder einmal: Rechtskraft bei Teilklagen, FS Kollhosser (2004) II 501; Forgo-Feldner, Die Bindung des Zivilrichters an strafgerichtliche Verurteilungen – Rückblick und Ausblick, ÖJZ 2005/51; Mahrer, Überlegungen zur Bindungswirkung ausländischer Strafurteile in österreichischen Zivilverfahren, AnwBl 2005, 545. Fasching/Klicka in Fasching/Konecny III § 411; Bajons Rz 158 ff; Ballon Rz 324 f; Deixler-Hübner, PraktZPR I 329 f; Deixler-Hübner/ Klicka Rz 253 ff; Fasching Rz 1497 ff; Holzhammer 293; Rechberger/ Simotta Rz 694 ff. Inhaltsübersicht Allgemeines Rechtskraft als Prozesshindernis

1 2–5

Objektive Grenzen der Rechtskraft Entscheidung über die Gegenforderung

6–12 13–14

§ 411 enthält zwei wesentliche Anordnungen über die materielle 1 Rechtskraft: Abs 1 versucht zu regeln, worauf sich die Feststellungswirkung des Urteils bezieht, also die objektiven Grenzen der materiellen 1419

§ 411

Rechberger

Rechtskraft (zu den subjektiven und zeitlichen Grenzen der Feststellungswirkung s Vor § 390 Rz 27 f). In Abs 2 wird die Anordnung des § 240 Abs 3 wiederholt, nach der die materielle Rechtskraft des Urteils (in jeder Lage des Verfahrens) von Amts wegen zu berücksichtigen ist, womit die Einmaligkeitswirkung der materiellen Rechtskraft (s Vor § 390 Rz 26) statuiert wird.

2 Die Rechtskraft als Prozesshindernis. § 411 Abs 2 enthält die Hauptaussage der ZPO bezüglich der materiellen Rechtskraft, nämlich ihre Konstruktion als Prozesshindernis (s Vor § 226 Rz 7), und verwirklicht damit in perfekter Weise den Grundsatz des „ne bis in idem“, weil diese – wie die Streitanhängigkeit – schon die Einleitung eines Prozesses über dieselbe Sache zwischen denselben Parteien verhindert. Aufgrund dieser Einmaligkeitswirkung der materiellen Rechtskraft ist eine zweite Klage über denselben Streitgegenstand mit Beschluss zurückzuweisen; ist das Prozesshindernis übersehen worden, liegt ein Nichtigkeitsgrund vor, der in jeder Lage des Verfahrens bis zur Rechtskraft der Entscheidung im zweiten Prozess zur amtswegigen Aufhebung des durchgeführten Verfahrens und der neuerlichen Entscheidung sowie zur Zurückweisung der Klage führen muss. Dieser Nichtigkeitsgrund ist zwar in § 477 nicht erwähnt, doch ist die sich aus den §§ 240 Abs 3, 411 Abs 2 und 471 Z 6 ergebende Rechtsfolge eben die Nichtigkeitssanktion. Ist auch die zweite Entscheidung in derselben Sache formell rechtskräftig geworden, genießt sie allerdings den „Vorrang“ und ist nun die maßgebliche (Fasching Rz 1500, 1540; so auch JBl 1998, 787 [Deixler-Hübner]; Fasching/Klicka in Fasching/Konecny III § 411 Rz 134), was sich daran zeigt, dass diese zweite Entscheidung nur im Wege der Wiederaufnahmeklage nach § 530 Abs 1 Z 6 (vgl zu dieser Systemwidrigkeit, die auf die am Ende des 19. Jhd noch stark vertretene materielle Rechtskrafttheorie – s dazu Vor § 390 Rz 26 – zurückzuführen ist, § 530 Rz 4) beseitigt werden kann. Die Partei, welche ohne Verschulden (§ 530 Abs 2) die rechtskräftige Vorentscheidung erst nach dem Zeitpunkt, bis zu dem sie im zweiten Prozess hätte vorgebracht werden können, also bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist, aufgefunden hat oder erst dann benutzen konnte, kann die Wiederaufnahmeklage binnen vier Wochen ab Kenntnis bzw Auffindung erheben. Indem die ZPO der Feststellungswirkung ausschließlich die rein prozessuale Auswirkung des Wiederholungsverbotes zuschreibt, gibt sie letztlich eindeutig der (heute) herrschenden prozessualen Rechtskrafttheorie (s Vor § 390 Rz 26) den Vorzug. Vgl im Übrigen zum Wesen der Feststellungswirkung Vor § 390 Rz 25.

3 Während die sich aus § 411 ergebende Einmaligkeitswirkung der materiellen Rechtskraft eine neuerliche Verhandlung und Entscheidung über 1420

§ 411

2.2 Urteile und Beschlüsse

die bereits entschiedene Hauptfrage verhindert, verbietet die Bindungswirkung dem Richter des Folgeprozesses, die im Vorprozess – als Hauptfrage – rechtskräftig entschiedene Vorfrage selbständig zu beurteilen. Aufgrund der Bindungswirkung hat der Richter des zweiten Prozesses zwischen denselben Parteien die präjudizielle Entscheidung seiner eigenen Entscheidung zugrunde zu legen, ohne die Vorfrage zu prüfen. Diese Bindungswirkung ist keine zweite Wirkung der materiellen Rechtskraft, sondern bloß ihre Erscheinungsform bei Vorliegen einer schon rechtskräftig entschiedenen Vorfrage; sie kann daher auch aus § 411 abgeleitet werden. Da die Gesetzesredaktoren des Jahres 1895 noch stark von der materiellrechtlichen Rechtskrafttheorie beeinflusst waren, glaubte man ohne Bestimmung darüber auskommen zu können, wie ein Verstoß gegen die Bindungswirkung zu sanktionieren sei. Da es sich bei Einmaligkeits- und Bindungswirkung aber um zwei Wirkungsweisen ein und derselben Urteilswirkung handelt, muss auch hier die Nichtigkeitssanktion eintreten (Fasching Rz 1539; Deixler-Hübner, PraktZPR 331; Rechberger/Simotta Rz 698; wurde die Frage der Bindungswirkung vom Berufungsgericht nur im Rahmen des Berufungsgrundes der unrichtigen rechtlichen Beurteilung behandelt, ist die Nichtigkeit wegen Verletzung der Bindungswirkung vom OGH wahrzunehmen [JBl 1997, 368 = ÖJZ-LSK 1997/203]). Daher muss auch jene Entscheidung, die eine präjudizielle Vorfrageentscheidung nicht beachtet hat, aufgehoben werden, damit eine neue Entscheidung unter Bindung an die rechtskräftig entschiedene Vorfrage gefällt werden kann. Ist die die präjudizielle Entscheidung nicht beachtende Entscheidung in Rechtskraft erwachsen, ist – unter den Voraussetzungen des § 530 Abs 2 – auch der Wiederaufnahmetatbestand des § 530 Abs 1 Z 6 analog anzuwenden: Im wiederaufgenommenen Verfahren ist dann das Urteil in der Hauptsache unter Zugrundelegung der rechtskräftigen Vorentscheidung abzuändern (Fasching Rz 1540, 2059; Fasching/Klicka in Fasching/ Konecny III § 411 Rz 137). Die Anordnung, dass die Rechtskraft von Amts wegen zu berücksichti- 4 gen sei, verpflichtet das Gericht zur Anwendung des Untersuchungsgrundsatzes (s Vor § 226 Rz 6); die erforderlichen Tatsachen sind von Amts wegen zu erheben (so weit es überhaupt Anhaltspunkte dafür gibt, dass eine rechtskräftig entschiedene Sache vorliegen könnte: Fasching Rz 1539). Hat der Beklagte die Rechtskraft einer Entscheidung einredeweise geltend gemacht, kann darüber erst nach mündlicher Verhandlung entschieden werden (s § 261 Abs 1 und dort Näheres). Aus dem Zweck der Rechtskraft und dem bei den Erhebungen zur Feststellung des Prozesshindernisses geltenden Untersuchungsgrundsatz ergibt sich die Unwirksamkeit von Dispositionserklärungen und Tatsachen1421

§ 411

Rechberger

geständnissen hinsichtlich der Rechtskraft; wenn es um die Beseitigung der Rechtskraft geht (wie bei den Nichtigkeits- und Wiederaufnahmeklagen), dürfen deshalb keine Anerkenntnisurteile und der Klage stattgebende Versäumungsurteile gefällt werden (Fasching Rz 1541).

5 Das Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Streitsache wird auch durch alle jene Entscheidungen begründet, denen im selben Umfang wie dem (inländischen) Zivilurteil Feststellungswirkung, insb in der Form der Einmaligkeitswirkung, zukommt (s zu diesen Vor § 390 Rz 31 ff). Daher kommt die Zurückweisung einer Klage nicht in Frage, wenn für den eingeklagten Anspruch bereits ein gerichtlicher Vergleich, ein vollstreckbarer Notariatsakt oder ein Exekutionstitel aus einem Insolvenzverfahren vorliegt. Für letzteren Fall enthalten die Insolvenzgesetze (seit dem IRÄG 1982) eine ausführliche Regelung (s Vor § 390 Rz 33); liegt ein Vergleich vor, wird die Klage nach gefestigter Rsp wegen res transacta abgewiesen (s §§ 204, 206 Rz 12). In dem (kaum praktischen) Fall der Klage trotz vollstreckbaren Notariatsakts wird in SZ 17/153 (= EvBl 1936/284) die Einrede des mangelnden Rechtsschutzinteresses als Lösung gesehen (s dazu Vor § 226 Rz 10), was die Rsp vor dem IRÄG 1982 auch hinsichtlich der Exekutionstitel aus den Insolvenzverfahren billigte. Gerade die gesetzliche Regelung für diese Fälle kann aber hinsichtlich der Leistungsklage des Gläubigers zwanglos auch für den vollstreckbaren Notariatsakt übernommen werden. Eine bindende Feststellung der Forderung kann dem Notariatsakt freilich nicht zugeschrieben werden, doch gilt hinsichtlich der darin beurkundeten Tatsachen immerhin die Beweisregel des § 292 Abs 1 (s dort Näheres).

6 Die objektiven Grenzen der materiellen Rechtskraft. Nach § 411 Abs 1 bezieht sich die Rechtskraft des Urteils auf den in der Klage oder Widerklage geltend gemachten Anspruch. Dieser Anspruch kann genausowenig wie der in der Klage geltend gemachte (s Vor § 226 Rz 14) der materiellrechtliche Anspruch sein, sondern vielmehr der (rein prozessuale) Urteilsgegenstand, also der durch die Tatsachenfeststellungen des Urteils konkretisierte und durch seine rechtliche Qualifikation individualisierte Streitgegenstand (vgl nur Fasching Rz 1514). Gegenstand der materiellen Rechtskraft ist demnach (nur) die anhand des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts und seiner rechtlichen Qualifikation festgestellte Rechtsfolge.

7 Die Identität des Anspruchs, bei der eine neue Klage ausgeschlossen ist (Einmaligkeitswirkung), liegt daher dann vor, wenn der Streitgegenstand der neuen Klage und der Urteilsgegenstand des schon vorliegen1422

§ 411

2.2 Urteile und Beschlüsse

den Urteils gleich sind, also sowohl das Begehren inhaltlich dasselbe (oder bloß ein quantitatives Minus) fordert, was bereits rechtskräftig zuerkannt oder aberkannt wurde, als auch – unter Zugrundelegung der zweigliedrigen Streitgegenstandstheorie (s Vor § 226 Rz 15) – die zur Begründung vorgebrachten Tatsachen den im Prozess festgestellten entsprechen. Aus der Formulierung des § 411 Abs 1 Satz 1 wird wohl zu Recht abgeleitet, dass eine Teileinklagung auch tatsächlich nur den geltend gemachten Anspruchsteil erfasst und die sich idR auf den Gesamtanspruch beziehende Bejahung oder Feststellung seines Bestehens in den Entscheidungsgründen einer dieser Beurteilung widersprechenden neuen Klage, mit der der Restbetrag eingeklagt wird, nicht entgegensteht (JBl 1956, 236; EFSlg 25.326; SZ 41/103, SZ 49/114 = EvBl 1977/73; ZVR 1985/42; OLG Graz EvBl 1988/83; so auch Fasching/ Klicka in Fasching/Konecny III § 411 Rz 46; für einen Unterhaltsanspruch: SZ 22/190 [dazu Wit, JBl 1981, 407]; vgl zum Verschulden bei Schadenshaftung: ZVR 1998, 124; vgl auch Klicka, ÖJZ 1991, 435). Oberhammer (FS Kollhosser 507 ff) nimmt (allerdings zur deutschen Rechtslage) eine Differenzierung hinsichtlich (teil-)abweisender und voll stattgebender Entscheidung vor und kommt bei einem die Teilklage abweisenden Urteil zu dem Ergebnis, dass der nachfolgenden Klage auf Leistung eines den ersten Teilbetrag übersteigenden Restbetrags auf Grund der Präjudizialitätswirkung nicht aus Gründen stattgegeben werden darf, die im Widerspruch zum relevanten Abweisungsgrund des Erstprozesses stehen. Dasselbe gilt, wenn das begriffliche Gegenteil (nach Fasching Rz 1517 8 aber nur die reine Negation, während sonst ein Sonderfall der Präjudizialität vorliege; vgl die Rsp zu den Fällen der „Beseitigung der Wirkungen der Vorentscheidung“: RdW 1995, 386; ÖBA 1998, 643) des rechtskräftig entschiedenen Anspruchs begehrt wird: jeder bejahende Urteilsspruch verneint sein kontradiktorisches Gegenteil (EvBl 1969/6 = MietSlg. 20.697); dagegen bejaht ein verneinender Urteilsspruch grundsätzlich nicht sein kontradiktorisches Gegenteil (wird das Klagebegehren auf Feststellung, dass dem Kläger das Eigentum an einer bestimmten Sache zustehe, rechtskräftig abgewiesen, steht damit nicht fest, dass der Beklagte Eigentümer sei, es sei denn, es handelt sich um ein negatives Feststellungsbegehren – wird dieses rechtskräftig abgewiesen, ist das zugrunde liegende Rechtsverhältnis positiv festgestellt [SZ 24/ 263; vgl auch 1 Ob 281/01g = MietSlg 53.730; ungenau 7 Ob 44/02z = MietSlg 54.657]). Bedeutet der rechtskräftig entschiedene Anspruch eine Vorfrage für 9 den mit der neuen Klage geltend gemachten Anspruch (ist die rechts1423

§ 411

Rechberger

kräftige Entscheidung also präjudiziell), verhindert der Sachzusammenhang zwischen dem neuen Begehren und dem vorliegenden Urteilsspruch eine selbständige Beurteilung der Vorfrage im zweiten Prozess: die Bindungswirkung der materiellen Rechtskraft bewirkt eine inhaltliche Bindung an die Entscheidung des Vorurteils (zB bindet eine rechtskräftige Verurteilung des Mieters zur Zinszahlung im Kündigungsverfahren wegen Nichtzahlung [ebendieses] Mietzinses: ImmZ 1968, 73 = MietSlg 19.390; aus dem Scheidungsurteil ergibt sich eine Bindung bezüglich der Entscheidung über den Unterhaltsanspruch: WR 344; LGZ Wien 44 R 464/02i = EFSlg 102.044; wird der aufrechte Bestand eines Arbeitsverhältnisses rechtskräftig festgestellt, ist dies für einen späteren Prozess, in dem Lohnzahlung begehrt wird, bindend: DRdA 1986/335; SZ 48/142); der rk Ausspruch, dass der GroßkundenRabatt der Bekl gegen § 2 Abs 1 NVG verstößt, weshalb dem Kl ein Unterlassungsanspruch zusteht, setzt die Feststellung einer Wettbewerbswidrigkeit gem § 1 UWG voraus; es besteht daher Bindungswirkung hinsichtlich der Verschuldensfrage bei der Prüfung der Schadenersatzpflicht nach dem UWG (4 Ob 110/04m = ÖBl 2005/4 [Barbist]); vgl auch 4 Ob 163/05g = ÖJZ 2006/14 = MR 2005, 469 (abl Korn, Zur Bindungswirkung eines rechtskräftigen Teilanerkenntnisurteils über ein Unterlassungsbegehren in Bezug auf das Verschulden für den Schadenersatzanspruch).

10 Da sich die materielle Rechtskraft nur auf die im Urteil festgestellte Rechtsfolge bezieht, werden die Urteilselemente, ds die logischen Voraussetzungen und Folgen des Urteils, – isoliert betrachtet – nicht von der Rechtskraft erfasst. Zu diesen Urteilselementen gehören die der Entscheidung zugrunde gelegten Tatsachenfeststellungen (nach § 228 kann aber die Echtheit oder Unechtheit einer Urkunde Gegenstand eines Feststellungsurteils sein; eine weitere Ausnahme stellt § 65 Abs 2 ASGG dar) und die rechtliche Beurteilung (RZ 1936, 225; SZ 25/121; JBl 1984, 489). Zur Letzteren gehört: a) die Beurteilung von Vorfragen, soweit sie nicht aufgrund eines Zwischenfeststellungsantrags gemäß § 236 zur Hauptfrage eines Feststellungsurteils gemacht werden (§ 411 Abs 1 aE; ImmZ 1980, 24 = MietSlg 31.701); b) die Entscheidung über Einwendungen und Einreden des Beklagten – mit Ausnahme der Entscheidung über eine Aufrechnungseinwendung (§ 411 Abs 1 Satz 2) und über prozesshindernde Einreden, über die mit selbständigem oder in das Urteil aufgenommenen Beschluss entschieden wird (§ 42 Abs 3 JN, § 6a, 7) und 1424

§ 411

2.2 Urteile und Beschlüsse

c) die sonstige rechtliche Qualifikation des festgestellten Sachverhalts samt der Annahme abstrakter Rechtssätze und den zu ihrer Auslegung herangezogenen Regeln (vgl Fasching Rz 1520 f). Daraus wurde die Faustregel abgeleitet, dass nur der Spruch der Entscheidung, nicht aber die Entscheidungsgründe in Rechtskraft erwüchsen. Der Spruch allein reicht aber nur ganz selten zur Bestimmung des Rechtskraftumfangs einer Entscheidung aus; deshalb werden die Entscheidungsgründe insoweit der Rechtskraft teilhaftig, als sie zur Individualisierung des Spruches notwendig sind (relative Rechtskraftwirkung der Entscheidungsgründe; dazu ausführlich W. Kralik, Vorfrage 114 ff; s auch den Hinweis in § 417a). Besondere Bedeutung kommt dem bei der Klageabweisung zu: die rechtskräftige Verneinung des Anspruchs ist auf den vom Gericht zur Abweisung herangezogenen Sachverhalt (den „maßgeblichen Sachverhalt“) beschränkt (vgl EvBl 1959/1; SZ 39/94 = EvBl 1966/383 = ZVR 1967/72; SZ 52/151 = JBl 1980, 541; RZ 1980, 138; 4 Ob 71/01x = MietSlg 53.728 = wobl 2002/32), sodass die Geltendmachung eines quantitativ gleichen Anspruchs aus einem anderen Lebenssachverhalt möglich bleibt (sofern man den Streitgegenstand der neuen Klage nach der zweigliedrigen Streitgegenstandstheorie bestimmt; s Vor § 226 Rz 15). Aber auch die für die Abweisung maßgebliche Verneinung einer Vorfrage wird relativ (also nur für den Fall der Relevanz der negativen Entscheidung über die Hauptfrage für einen anderen Prozess) rechtskräftig (vgl W. Kralik, Vorfrage 117 ff; ferner Oberhammer, wobl 1994, 209; ecolex 1998, 912): So erachtete sich der OGH an den Grund der rechtskräftigen Abweisung eines Räumungsbegehrens gegen die Verlassenschaft, nämlich die Bejahung der Eintrittsberechtigung der Enkelin in die Mietrechte der verstorbenen Großmutter, im Hinblick auf die weiteren gegen die Verlassenschaft eingebrachten Räumungsklagen (wobei die Enkelin im letzten Verfahren in die Verlassenschaft eingeantwortet wurde) gebunden (JBl 1998, 786 [zust Deixler-Hübner]); ferner hinsichtlich einer actio negatoria der vormals beklagten Partei an die rechtskräftige Abweisung einer actio confessoria, mit der das Bestehen der Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens an der dienenden Liegenschaft verneint wurde (NZ 1997, 153). Weiter ging der OGH in ZfRV 1998, 169: Hier wurde im Verhältnis zwischen actio negatoria, mit der die Feststellung begehrt wurde, dass keine Dienstbarkeit zu Lasten der Liegenschaft des Eigentümers bestehe, und actio confessoria, in der es um die Einverleibung einer Wegeservitut zu Lasten der genannten Liegenschaft ging, Streitanhängigkeit und die daraus folgende Einmaligkeitswirkung angenommen, da es sich nach Ansicht des OGH um das begriffliche Gegenteil handelte (außerdem berief sich der OGH auf Art 21 EuGVÜ/LGVÜ). 1425

§ 411

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11 Die Rsp geht zum Teil noch weit darüber hinaus, indem sie eine Bindungswirkung auch dann annimmt, wenn die zwei Prozesse in so engem inhaltlichen Zusammenhang stehen, „dass Rechtssicherheit und Entscheidungsharmonie keine einander widersprechenden Entscheidungen gestatten“: So soll etwa die Abweisung eines Begehrens auf Einverleibung des Eigentumsrechts wegen angeblicher Schlechtgläubigkeit des jetzigen Eigentümers beim Erwerb im nachfolgenden Räumungsprozess gegen den vorherigen Kläger bindende Wirkung äußern: MietSlg 22.618; ähnlich RZ 1977/49 = MietSlg 28.603; ein erfolgreiches Räumungsbegehren unter Verneinung des Vorliegens einer Schenkung bzw Heiratsgutbestellung soll Bindungswirkung im Folgeverfahren auf Anerkennung des bücherlichen Eigentums infolge Schenkung oder erfolgter Heiratsgutbestellung entfalten: MietSlg 47.650; die Bejahung der Unternehmensveräußerung in einem Verfahren gem § 37 Abs 1 Z 8 MRG soll in einem so engen Individualisierungskonnex mit der Festsetzung des angemessenen Mietzinses stehen, dass hinsichtlich der Bejahung der Unternehmensveräußerung in einem weiteren Verfahren, in dem die Differenz zwischen früherem und neu festgesetzten Mietzins aus dem Titel des Schadenersatzes wegen der unterlassenen Anzeige der Unternehmensveräußerung sowie die Räumung des Bestandobjekts wegen Zinsrückstandes gem § 1118 ABGB begehrt wird, Bindung besteht: RdW 1996, 265 = MietSlg 47.649; vgl auch weitere Beispiele in SZ 55/74; RZ 1980/31; JBl 1980, 541; RZ 1995/58; RS0041157; zur Judikatur s weiters Oberhammer, JBl 2000, 206 ff. In JBl 1994, 482 (abl Frauenberger; differenzierend Oberhammer, JBl 1995, 459 [Entscheidungsanm]) wird folgende Bindungswirkung angenommen: Wird rechtskräftig über einen Betrag abgesprochen, der zusätzlich zu einem bereits anerkannten Sockelbetrag gefordert wird, so hindert diese Entscheidung auch die spätere Anfechtung des Anerkenntnisses (der Entscheidung ist im Ergebnis nur insofern zuzustimmen, als die Einklagung eines überschießenden Betrags logisch auch das Begehren auf Feststellung des Gesamtbetrags in sich schließen muss: Oberhammer, JBl 1995, 460; Rechberger, FS Nakamura 485; Oberhammer, JBl 2000, 220; ggt noch JBl 1990, 52 = RZ 1989/96). Darüber hinaus wurde sogar eine Bindung des einfachen Nebenintervenienten, der ja vom Spruch gar nicht erfasst sein darf, an im Vorprozess, mit dem eine Werklohnklage der Hauptpartei abgewiesen wurde, festgestellte Tatsachen, nämlich dass das Werk mangelhaft ausgeführt worden sei, angenommen (abl Oberhammer, JBl 1995, 460; Klicka, ecolex 1995, 397; vgl die Bestätigung dieser Linie durch SZ 70/60 [oben Vor § 390 Rz 27]). Diese Rsp ist abzulehnen, soweit „Rechtssicherheit und Entscheidungsharmonie“ eine über den aus dem Gesetz ableitbaren Umfang 1426

§ 411

2.2 Urteile und Beschlüsse

hinausgehende Rechtskraftwirkung begründen sollen (vgl isS Fasching Rz 1519; Frauenberger, JBl 1994, 482; Oberhammer, JBl 2000, 205 ff; Fasching/Klicka in Fasching/Konecny III § 411 Rz 56). Aufgrund der Dipositionsmaxime hat das Gericht nur über den vom Kläger behaupteten Anspruch zu entscheiden (§ 405; s dazu Frauenberger, JBl 1994, 483; Oberhammer, JBl 1995, 461; Rechberger, FS Nakamura 485). Eine Erstreckung der Bindungswirkung auf Vorfragenbeurteilungen, hinsichtlich derer eine urteilmäßige Feststellung nicht beantragt war, nötigt den Parteien eine Entscheidung auf, die sie nicht angestrebt und bedacht haben. Sofern der OGH sogar eine Bindung an Tatsachen annimmt, steht dies im offenen Widerspruch zu § 228, wonach grundsätzlich nur Rechte und Rechtsverhältnisse der rechtskräftigen Feststellung fähig sind (Rechberger, FS Nakamura 487; Oberhammer, JBl 2000, 213). Die jüngere Rsp hat die ausufernden Judikaturthesen über den Rechtskraftumfang allerdings zum Teil wieder zurückgenommen; vor allem wird jetzt anerkennt, dass das Bedürfnis nach „Entscheidungsharmonie“ allein nicht ausreicht, um die Grenzen der materiellen Rechtskraft auszuweiten (RS0102102; 7 Ob 106/98h = JBl 1999, 813; 7 Ob 184/ 99f = ZfRV 2000, 194; 5 Ob 12/99x = immolex 1999/96 [Pfiel] = wobl 2000/26 [zust Oberhammer]; 2 Ob 47/01b = JBl 2002, 250; 6 Ob 248/ 03v = SZ 2003/160). Keine Bindung wurde angenommen: im Folgeverfahren, in dem die Bezahlung des Kaufpreises für eine Siebanlage begehrt wurde, an die Entscheidung des Vorverfahrens, in dem die Beseitigung der Störung des Eigentums durch Abbau und Entfernung der Siebanlage begehrt und das Vorliegen eines Kaufvertrags als Vorfrage bejaht wurde (JBl 1995, 458 [zust Oberhammer]); im Folgeverfahren, in dem der Kläger weiteren Ersatz von Verdienstentgang begehrte, da er wegen eines unfallkausalen Bandscheibenvorfalles weniger verdienen konnte, an die Entscheidung des Vorverfahrens, mit der festgestellt wurde, dass der Schädiger dem Kläger für alle Schadenersatzansprüche, die ursächlich aus dem Verkehrsunfall resultieren, hafte; der Bandscheibenvorfall wurde im Vorverfahren als Unfallsfolge angesehen (ecolex 1996, 600 = RdW 1996, 475 = JAP 1996/97, 26 [zust Oberhammer]); vgl auch JBl 1996, 536. Eine weitere Ausformung der von der Rsp in immer weiterem Umfang 12 angenommenen Bindung auch an Tatsachenfeststellungen ist die These von der Bindung des Zivilrichters an das verurteilende Strafurteil. Auch nach der Aufhebung des § 268 (BGBl 1990/706), wo das Gesetz tatsächlich eine Bindungswirkung des verurteilenden Erkenntnisses des Strafgerichts statuiert hatte (wobei die Rsp auf das rechtliche Gehör im 1427

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Strafverfahren nicht beteiligter Dritter keine Rücksicht nahm), hielt ein verst Senat des OGH an der Bindung an verurteilende strafgerichtliche Erkenntnisse fest (SZ 68/195 = EvBl 1996/34 = JBl 1996, 117 = AnwBl 1995, 900 [Strigl] = ecolex 1995, 790 [Oberhammer] = JAP 1995/96, 124 [Oberhammer ] = RdW 1996, 15 [Berger] = wobl 1995/114 [Hanel] = ZVR 1996/2; vgl weiters ZVR 1996/80; RdW 1997, 332; OLG Graz, Arb 11.459 = ARD 4889/6/97; AnwBl 1996, 77 [Graff]; vgl dazu zust P. Böhm, AnwBl 1996, 734 und krit Rechberger, FS Gaul 539; aA noch ecolex 1993, 238 = AnwBl 1993, 273). Hinsichtlich der sachlichen Grenzen der materiellen Rechtskraft des Strafurteils führt der OGH aus, dass Gegenstand der Verurteilung nicht nur der Ausspruch über die Strafe sei, sondern auch die Feststellung im Schuldspruch, dass der Angeklagte/Beschuldigte die darin angeführte Tat und damit die dort bezeichnete strafbare Handlung begangen habe. Dies umfasse auch die Feststellung der konkreten notwendigen Tatsachen und die rechtliche Subsumtion unter einen bestimmten Tatbestand (9 Ob A 416/97k = ecolex 1998, 772), nicht aber festgestellte Tatsachen, die über den Straftatbestand hinausreichen (5 Ob 105/97w = EvBl 1997/202; 9 Ob A 254/98p = RdW 1999, 801; 9 Ob A 147/99d = Arb 11.957 = DRdA 2000/53 [Burgstaller]; 10 Ob S 240/00t = SSV-NF 14/111). Im Hinblick auf Art 6 EMRK sei die Feststellungswirkung aber auf den „Rechtskreis des Verurteilten“ zu beschränken; nur er könne sich nicht darauf berufen, die Tat nicht begangen zu haben. Allerdings soll nach einer E des OGH der strafgerichtliche Schuldspruch des (alleinigen) Komplementärs wegen eines gesellschaftsspezifischen, unternehmensbezogenen Verhaltens auch die repräsentierte KG binden (7 Ob 253/00g = JBl 2001, 467). Der verst Senat des OGH hat damit der „Beweislösung“ (vgl dazu § 281a Rz 8) eine Absage erteilt; seiner „Bindungslösung“ ist freilich entgegenzuhalten, dass sie an den subjektiven Grenzen der Rechtskraft scheitert, weil eine rechtskräftige Feststellung nur zwischen verschiedenen Personen wirken kann, dass rechtskräftige Tatsachenfeststellungen schlicht ein Unding darstellen, und dass sich wegen der unterschiedlichen Zwecke der beiden Verfahrensarten eine Bindung des Zivilrichters an Feststellungen des Strafurteils grundsätzlich verbietet (vgl dazu Näheres bei Rechberger, FS Gaul 546 f; zust Fasching/Klicka in Fasching/Konecny III § 411 Rz 29). Mittlerweile wurde klargestellt, dass sich die Bindungswirkung nicht auf den im Strafprozess nicht beteiligten Haftpflichtversicherer (ZVR 1996/80; ecolex 1997, 251; SZ 69/131 = RdW 1997, 18 [Schauer, RdW 1997, 5]; 2 Ob 2178/96z = ZVR 1999/54) und auch nicht auf den im Strafverfahren nicht beteiligten Halter (JBl 1997, 598 = ecolex 1997, 577 = ZVR 1997/84) erstreckt; im Anwendungsbereich des KHVG ist auch eine Bindung des Lenkers aufgrund von § 28 KHVG, der der aus 1428

§ 411

2.2 Urteile und Beschlüsse

der Rechtskraft des Strafurteils erschlossenen Bindung vorgeht, nur gegeben, wenn eine Klageabweisung im Verhältnis zum Versicherer nicht mehr möglich ist, dh, wenn der Klage gegen den Versicherer stattgegeben wurde und der Geschädigte nachher den Lenker klagt (unter der Prämisse des verst Senats zust Oberhammer, ecolex 1998, 759 und Klicka, JBl 1998, 586; vgl auch Burgstaller, DRdA 2000/53 [Entscheidungsanm]). Gerade in jenen Fällen, in denen die vom OGH angenommene Bindungswirkung potentiell besonders bedeutsam sein könnte, kommt sie daher letztlich gar nicht zum Tragen. Nach der Rsp binden den Zivilrichter auch verurteilende Straferkenntnisse aufgrund einer Privatanklage (ÖBl 1998, 363); das gleiche gilt für ausländische Strafurteile, sofern sie in Österreich anerkannt werden (JBl 1998, 665 = EvBl 1998/188 = ecolex 1998, 909 [krit Oberhammer]) und Verurteilungen wegen Medieninhaltsdelikten (ecolex 1998, 395 [krit Oberhammer]; 6 Ob 265/00i = RdW 2001/378). Keine Bindungswirkung entfalten Strafverfügungen, soweit noch relevant (JBl 1997, 598 = ecolex 1997, 578 [zust Oberhammer] = ZVR 1997, 197; Burgstaller, JBl 1999, 563 ff), da es an ausreichenden gerichtlichen Wahrheitsgarantien fehle, sowie freisprechende strafgerichtliche Entscheidungen (SZ 69/259 = JBl 1997, 257 = ecolex 1997, 159 [Oberhammer]; so schon P. Böhm, AnwBl 1996, 735; Albrecht, ÖJZ 1997, 209 f; Rechberger, FS Gaul 549 f), da eine Bindung des Geschädigten an den Freispruch auf Grund der Stellung des Privatbeteiligten im Strafprozess abzulehnen sei. Auch diversionelle Entscheidungen entfalten keine Bindungswirkung, da es zu keiner strafgerichtlichen Verurteilung kommt (2 Ob 186/04y = JBl 2005, 393). Entscheidung über die Gegenforderung. Die im Falle des Bestehens 13 der Hauptforderung notwendige Entscheidung über eine mit Kompensationseinwendung geltend gemachte Gegenforderung des Beklagten (s §§ 391, 392 Rz 10) ist aufgrund des Verteidigungscharakters dieser Einwendung nur bis zur Höhe des Betrags der Klageforderung rechtskraftfähig (§ 411 Abs 1 Satz 2; SZ 38/13; EvBl 1969/309; RZ 1970, 168; Fasching/Klicka in Fasching/Konecny III § 411 Rz 58). Trotzdem ist eine (zweifellos unzulässige) Entscheidung darüber hinaus (oder gar eine Entscheidung über die Gegenforderung trotz Abweisung der Klageforderung) nicht wirkungslos (wie dies Pollak 536, Holzhammer 302, Fasching Rz 1295, 1522; SZ 36/52; EvBl 1971/195 annehmen; vgl zur Gegenposition Petschek, Streitfragen 51; ders, ZBl 1926, 463; Rechberger, Exekution 45 ff und FN 22). Die Rsp hält aber von dem dreigliedrigen Urteilsspruch weder die Entscheidung über die Klageforderung noch jene über die Gegenforderung für sich allein der Rechtskraft fähig (RZ 1982/42; 7 Ob 69/98t = ecolex 1998, 624 = NZ 1429

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1999, 250), sondern nur die sich daraus ergebende Entscheidung über das Klagebegehren (SZ 42/168; ÖBA 1995, 636), was aber nicht nur den Sinn dieser Dreigliedrigkeit in Frage stellt, sondern auch Wortlaut und Ratio des § 411 Abs 1 Satz 2 widerspricht, der aus Gründen der Rechtssicherheit eine urteilsmäßige und damit eindeutig rechtskraftfähige Entscheidung über die Gegenforderung vorsieht (nach RZ 1970, 168 hat daher das Berufungsgericht, das an die Stelle des eingliedrigen, die Klage abweisenden Ersturteils ein dreigliedriges Urteil setzt, indem es über den Bestand einer Gegenforderung entscheidet, über diese Gegenforderung mit Rechtskraftwirkung entschieden; so auch JBl 1996, 254 [abl Dullinger]).

14 Da aufgrund der Bestimmung des § 411 Abs 1 Satz 2 normalerweise auch über eine die Höhe der Klageforderung überschreitende Gegenforderung nur bis zu deren Höhe entschieden wird, hindert diese Entscheidung im dreigliedrigen Urteil nicht die selbständige Einklagung des Restes der Gegenforderung (nach Fasching Rz 1295 besteht diese Möglichkeit auch dann, wenn die Gegenforderung unzulässigerweise in einem die Höhe der Klageforderung übersteigenden Maße festgestellt worden ist; nach Fasching/Klicka in Fasching/Konecny III § 411 Rz 58 und 73, erwächst eine über die Höhe der Klagsforderung hinausreichende Entscheidung über die Gegenforderung in dem die Klageforderung übersteigenden Ausmaß nicht in Rechtskraft). Urteilsfällung, Urteilsverkündung und Zustellung des Urteiles § 412. (1) Das Urteil kann nur von denjenigen Richtern gefällt werden, welche an der dem Urteile zugrunde liegenden mündlichen Verhandlung teilgenommen haben. (2) Muß vor der Urteilsschöpfung eine Änderung in der Person des Vorsitzenden oder eines der übrigen Senatsmitglieder eintreten, so ist die mündliche Verhandlung vor dem geänderten Senate mit Benützung der Klage, der zu den Akten gebrachten Beweise und des Verhandlungsprotokolles von neuem durchzuführen. [Stammfassung] Lit: Bajons, Beweiswiederholung und Verfahrensergänzung in der Berufungsinstanz, FS Fasching (1988) 19 (32 ff); Schimanko, Die Geltendmachung von Verstößen gegen die Geschäftsverteilung und ihrer Mängel nach Streiteinlassung, ÖJZ 2003/19. M. Bydlinski in Fasching/Konecny III § 412; Fasching in Fasching/ Konecny II/1 Einleitung Rz 39 ff; Ballon Rz 19, 321 ff; Holzhammer, 1430

§ 412

2.2 Urteile und Beschlüsse

PraktZPR I 106; Fasching Rz 673 f; Holzhammer 130; Rechberger/Simotta Rz 279 f und 658. In § 412 ist der Grundsatz der persönlichen Unmittelbarkeit (s Vor 1 § 171 Rz 6) verankert: die Durchführung der gesamten mündlichen Verhandlung (mit allen Tagsatzungen) und die Urteilsfällung müssen in der Hand ein und desselben Richters (Senats) liegen. Kommt es zum Richterwechsel (oder einem Wechsel eines oder mehrerer Senatsmitglieder zwischen den Tagsatzungen oder vor Urteilsfällung), muss die gesamte Verhandlung neu durchgeführt werden. Während der Zeitpunkt der „Urteilsschöpfung“ in § 406 wegen dessen 2 Ratio mit dem Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung zu übersetzen ist (s § 406 Rz 1), gebietet es die Ratio des § 412, hier auf den Zeitpunkt der Urteilserlassung abzustellen, also auf die mündliche Verkündung (§ 414 Abs 1) oder die Abgabe des Urteils zur schriftlichen Ausfertigung (§ 415). Die Ausfertigung eines schon verkündeten Urteils kann auch der neue Richter vornehmen (für den Fall des Richterwechsels nach Verkündung, aber vor Ausfertigung des Urteils, mit dem die Wiederaufnahme bewilligt wird: ZBl 1912/390), wenn der Urteilsinhalt zweifelsfrei festzustellen ist. Die KaisV RGBl 1915/372 sieht dies ausdrücklich für den Fall vor, dass der Richter an der Abgabe zur schriftlichen Ausfertigung dauernd verhindert ist. Ein anderer Richter kann danach aufgrund der vorhandenen Unterlagen und der Auskünfte von Personen, die bei der Urteilsverkündung anwesend waren, die schriftliche Fassung herstellen. Lässt sich nicht einmal mehr der Urteilsspruch feststellen, so ist durch Beschluss auszusprechen, dass das verkündete Urteil als nicht gefällt anzusehen ist. Die Anordnung von Abs 2, dass die Neudurchführung der Verhand- 3 lung „mit Benützung der Klage, der zu den Akten gebrachten Beweise und des Verhandlungsprotokolles“ zu erfolgen habe, wird bisweilen als Durchbrechung oder Abschwächung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes gesehen (RZ 1981/56; ebenso Fasching Rz 673), bedeutet aber in Wahrheit eine konkrete Anweisung für die Handhabung dieses Prinzips im Spezialfall des Richterwechsels (Bajons, FS Fasching 34). Einerseits soll der neue Richter natürlich aufgrund eigener Wahrnehmungen beurteilen, andererseits sollen die bisher erzielten Verfahrensergebnisse auch nicht völlig obsolet werden. Die Parteien müssen daher ihre Beweisanträge nicht erneuern, können aber neue stellen; eingetretene Präklusionen bleiben aufrecht (SZ 35/89 = EvBl 1963/10, bzgl der Fristsetzung zum Erlag eines Kostenvorschusses für den Sachverständigenbeweis) und versäumte Prozesseinreden können nicht nachgeholt werden (ZBl 1431

§ 412

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1936/306 für die Unzuständigkeitseinrede; EvBl 1958/103 = RZ 1958, 89 für die Einrede des Schiedsvertrages); bereits ergangene bindende Prozessentscheidungen bleiben aufrecht (RZ 1978/17 bzgl der Abweisung einer Unzuständigkeitseinrede). Auch Außerstreitstellungen bleiben aufrecht und nach der Aktenlage unergiebige Beweise brauchen nicht neu durchgeführt zu werden; das gilt grundsätzlich auch von mittelbar aufgenommenen Beweisen. Die Grenze der Möglichkeit zur Beweisübernahme ist jedoch dort erreicht, wo es um unmittelbare Beweise zu aufrechten Beweisthemen geht; sie sind (unter Verwendung des Verhandlungsprotokolls) – wenn dies noch möglich ist – neu aufzunehmen (Bajons, FS Fasching 36; aA Fasching Rz 673, der hier generell § 281a anwenden will; auch M. Bydlinski [in Fasching/Konecny III § 412 Rz 8] hält in Anlehnung an § 281a einen Verzicht auf die Wiederholung der unmittelbar aufgenommenen Beweise für möglich; sie seien dann aber nur als mittelbar aufgenommene Beweise zu werten, sodass sie das Berufungsgericht auch ohne Beweiswiederholung umwürdigen könne – eine besonders bedenkliche Konsequenz). Für die Rsp stellt es bloß einen rügepflichtigen Verfahrensmangel dar, wenn der neue Richter die Beweise nicht wiederholt, sondern nur die Ergebnisse verliest, ohne dass die Parteien auf die Neudurchführung der unmittelbar aufgenommenen Beweise ausdrücklich oder schlüssig verzichtet haben (zB LGZ Wien 39 R 312/99t = MietSlg 51.692; zur Verlesung s auch LGZ Wien 44 R 468/01a = EFSlg 98.294). Vgl zur Frage der Sanktion für die Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes im Übrigen Vor § 266 Rz 30.

4 Wenn es erst nach Schluss der mündlichen Streitverhandlung zum Richterwechsel kommt und das Urteil ohne deren Neudurchführung gefällt wird, liegt nach eM (Sperl 353 und 661; Holzhammer 130; Fasching Rz 674; Holzhammer, PraktZPR 106; Rechberger/Simotta Rz 280; Ballon Rz 19, 361; Pimmer in Fasching/Konecny IV § 477 Rz 35; ZAS 1974, 17; LGZ Wien EvBl 1935/158; RZ 1990/51; vgl dazu auch Vor § 171 Rz 6) der Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 2 vor. Muss es in diesem Stadium zum Richterwechsel kommen, hat der neue Richter daher das Verfahren analog § 194 wiederzueröffnen. In gleicher Weise als vorschriftswidrige Besetzung ist es zu werten, wenn sich die „Neudurchführung“ der Verhandlung in einem reinen Formalakt erschöpft (was vor allem beim Richterwechsel vor Schluss der mündlichen Streitverhandlung vorkommt) und für das Urteil des neuen Richters gar keine eigenen Entscheidungsgrundlagen verwendet werden (womit zugleich das rechtliche Gehör im materiellen Sinn verletzt wird und der Nichtigkeitsgrund nach § 477 Abs 1 Z 4 vorliegt; vgl EvBl 1959/301 und Bajons, FS Fasching 33 FN 62). Ist es zu einer echten 1432

§ 414

2.2 Urteile und Beschlüsse

Neudurchführung der Verhandlung gekommen, wobei aber die Regeln über deren notwendigen Umfang verletzt wurden, liegt bloß ein sonstiger wesentlicher Verfahrensmangel iSd § 496 Abs 1 Z 2 vor (Fasching Rz 674; Bajons aaO; Pimmer in Fasching/Konecny IV § 477 Rz 35; OLG Wien EvBl 1935/161). § 413. Die Beratung und Abstimmung der Richter ist nicht öffentlich. In schwierigeren Fällen kann der Vorsitzende für diese Beratung einen Berichterstatter bestellen. [Stammfassung] Lit: M. Bydlinski in Fasching/Konecny III § 413. Zu den Grundsätzen der Beratung und Abstimmung s §§ 9 bis 14 JN; zu 1 den technischen Vorschriften vgl die §§ 116 bis 122 Geo; zum Berichterstatter vgl auch § 486 Abs 1. Da Beratung und Abstimmung geheim sind, können die Parteien auch 2 in die betreffenden Protokolle nicht Einsicht nehmen (§ 219 Abs 1). Ein Verstoß gegen die Geheimhaltungspflicht bedeutet aber bloß eine sanktionslose Ordnungswidrigkeit (vgl dazu auch M. Bydlinski in Fasching/ Konecny III § 413 Rz 2). § 414. (1) Das Urteil ist auf Grund der mündlichen Verhandlung, und zwar wenn möglich, sogleich nach Schluß derselben zu fällen und zu verkünden. Mit dem Urteile sind die Entscheidungsgründe zu verkünden. Die Verkündung des Urteiles ist von der Anwesenheit beider Parteien unabhängig. Bei Versäumungsurteilen kann die Verkündung durch die Bekanntgabe, daß das Urteil nach dem Antrage gefällt wird, ersetzt werden. (2) Der Senat kann sich bei der Verkündung, selbst wenn das Urteil schon in vollständiger schriftlicher Fassung vorliegt, auf die Bekanntgabe des Wortlautes des Urteilsspruches und auf die Mitteilung der wesentlichsten Entscheidungsgründe beschränken. Die Festsetzung des Kostenbetrages kann bei der Verkündung des Urteiles der Ausfertigung desselben vorbehalten bleiben und einem Senatsmitgliede übertragen werden. Noch in der Tagsatzung, in der das Urteil verkündet worden ist, ist den Parteien, welche nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten sind, ein Schriftstück auszuhändigen, das den verkündeten Urteilsspruch und eine Belehrung über das Erfordernis der Anmeldung einer beabsichtigten Berufung (§ 461 Abs 2) enthält. 1433

§ 414

Rechberger

(3) Der Vorsitzende hat das Urteil in schriftlicher Abfassung binnen 4 Wochen nach Verkündung zur Ausfertigung abzugeben (§ 416 Abs 2). [Abs 1 idF ZVN 2002; Abs 2 idF (1.) GEN und WGN 1989; Abs 3 idF WGN 1989] Lit: Fasching, Die Entscheidungsbegründung im österreichischen streitigen zivilgerichtlichen Erkenntnis-, Exekutions- und Insolvenzverfahren, in: Sprung/König (Hrsg) Die Entscheidungsbegründung (1974) 135; F. Bydlinski, Schadenersatz wegen materiell rechtswidriger Verfahrenshandlungen, JBl 1986, 626; Barazon, Gedanken zum Entwurf einer erweiterten Wertgrenzennovelle, AnwBl 1989, 171; P. Böhm/Fuchs, Zum Eintritt der Rechtskraft und der zivilrechtlichen Wirkungen des Ehescheidungsbeschlusses, ÖJZ 2002, 628; Spitzer, Verlust des Ehegattenerbrechts durch Eröffnung des Scheidungsverfahrens? JBl 2003, 837. M. Bydlinski in Fasching/Konecny III § 414; Bajons Rz 95; Ballon Rz 321; Deixler-Hübner, PraktZPR I 318 f; Fasching Rz 1476 ff; Holzhammer 288; Rechberger/Simotta Rz 659 ff.

1 § 414 Abs 1 statuiert zwei wesentliche Grundsätze: Aus der ersten Anordnung, dass das Urteil „aufgrund der mündlichen Verhandlung“ zu fällen ist, ergibt sich die Beschränkung der Entscheidungsgrundlage auf das, was in der mündlichen Verhandlung vorgekommen ist (s Vor § 171 Rz 5 und §§ 176 bis 179). Zum zweiten statuiert die ZPO hier den (idealen) Grundsatz, dass das Urteil samt den Entscheidungsgründen sogleich nach Schluss der mündlichen Streitverhandlung zu fällen und zu verkünden ist.

2 Zu verkünden sind bloß die Essentiale des Urteils: a) die feierliche Verkündungsformel gem Art 82 Abs 2 B-VG: „Im Namen der Republik!“; b) der Urteilsspruch im vollen Wortlaut und c) die wesentlichsten Entscheidungsgründe (Näheres bei Fasching Rz 1478). Die Festsetzung des Kostenbetrags gem § 53 Abs 2 (nicht aber die Entscheidung im Kostenpunkt selbst) kann der schriftlichen Ausfertigung vorbehalten werden. Vgl Näheres zum Urteilsspruch und zu den Entscheidungsgründen bei § 417. Bei Versäumungsurteilen genügt die Bekanntgabe, dass das Urteil nach dem Antrag gefällt wird (Abs 1 aE).

3 Obwohl die sofortige Verkündung des Urteils vor allem bei persönlicher Anwesenheit der Parteien sinnvoll erscheint, kommt es auf diese 1434

§ 415

2.2 Urteile und Beschlüsse

Anwesenheit nicht an. Da aber bei Verkündung des Urteils in Anwesenheit beider Parteien die (zulässige) Erhebung der Berufung von deren Anmeldung abhängig ist (vgl § 461 Abs 2), muss das Gericht in diesem Fall den Parteien, die nicht durch einen Rechtsanwalt (bzw im arbeits- und sozialgerichtlichen Verfahren nicht qualifiziert iSd § 40 ASGG) vertreten (oder nicht subjektiv von der Anwaltspflicht befreit) sind, noch bei der mündlichen Verhandlung ein Schriftstück aushändigen, das den verkündeten Urteilsspruch und eine Rechtsbelehrung über das Erfordernis der Berufungsanmeldung nach § 461 Abs 2 enthält. Lässt sich dem Protokoll nicht entnehmen, dass die erforderliche Aushändigung dieses Schriftstücks erfolgt ist, hat dies zur Folge, dass eine erst gegen die schriftliche Urteilsausfertigung ohne vorherige Anmeldung eingebrachte rechtzeitige Berufung nicht wegen Fehlens der rechtzeitigen Anmeldung zurückgewiesen werden darf (Fasching Rz 1477; LGZ Wien MietSlg 46.665). Die schriftliche Abfassung des mündlich verkündeten Urteils ist bin- 4 nen vier Wochen (instruktionelle Frist; s § 123 Rz 5) der Geschäftsstelle (§ 16 JN) zur Ausfertigung (dazu Näheres bei § 417) abzugeben. Bei Überschreitung dieser Frist kann ein Fristsetzungsantrag gem § 91 GOG (vgl dazu Rechberger/Simotta Rz 288) gestellt werden. (Nur) im bezirksgerichtlichen Verfahren muss der Partei, die nicht 5 durch einen Rechtsanwalt vertreten ist, außerdem eine (mündliche) Rechtsmittelbelehrung erteilt werden (§ 432). § 415. Wenn das Urteil nicht sofort nach Schluß der mündlichen Verhandlung gefällt werden kann, ist es binnen vier Wochen nach Schluß der Verhandlung, wenn ein abgelehnter Richter die Verhandlung gemäß § 25 JN bis zur Endentscheidung fortgeführt hat, binnen vier Wochen nach rechtskräftiger Zurückweisung der Ablehnung und im Falle des § 193 Abs 3 binnen vier Wochen nach dem Einlangen der Akten über die ausständige Beweisaufnahme zu fällen und vom Vorsitzenden in schriftlicher Abfassung samt den vollständigen Entscheidungsgründen zur Ausfertigung abzugeben (§ 416 Abs 2). Verkündet wird das Urteil in diesen Fällen nicht. [Fassung WGN 1989] Lit: M. Bydlinski in Fasching/Konecny III § 415; Bajons Rz 95; Ballon Rz 321; Deixler-Hübner, PraktZPR I 318 f; Deixler-Hübner/Klicka Rz 242; Fasching Rz 1469; Holzhammer 288; Rechberger/Simotta Rz 659. 1435

§ 415

Rechberger

1 Kann das Urteil nicht sofort nach Schluss der mündlichen Verhandlung gefällt werden, so wird es (so die Gerichtssprache) „der schriftlichen Ausfertigung vorbehalten“. Es muss dann binnen vier Wochen (instruktionelle Frist; s § 123 Rz 5) nach Schluss der Verhandlung gefällt und samt den vollständigen Entscheidungsgründen in schriftlicher Abfassung der Geschäftsstelle zur Ausfertigung abgegeben werden. Die schriftliche Abfassung liegt dann vor, wenn die Urschrift (der Urteilsentwurf) mit der Unterschrift des Richters (Senatsvorsitzenden) versehen ist. Die Übergabe zur schriftlichen Ausfertigung ist (erst) dann gegeben, wenn der Akt mit dem ausdrücklichen oder zweifelsfrei erschließbaren Auftrag, die Ausfertigung herzustellen, der Geschäftsstelle übergeben wird (Fasching Rz 1470; vgl auch LGZ Wien MietSlg 26.516). Eine Verkündung des Urteils (für die § 310 dZPO einen eigenen Verkündigungstermin vorsieht) erfolgt in diesem Fall nicht. Auch bei Überschreitung der Frist des § 415 kann ein Fristsetzungsantrag nach § 91 GOG (vgl dazu Rechberger/Simotta Rz 288) gestellt werden.

2 Die schriftliche Urteilserlassung ist heute entgegen dem Grundkonzept der ZPO der Regelfall, weil die sofortige Verkündung des Urteils (samt den wesentlichsten Entscheidungsgründen!) den Zivilrichter aufgrund der Komplexität der zivilrechtlichen Streitfälle oft überfordern würde (insofern ist der Zivilprozess mit dem Strafprozess, für den § 268 StPO stets die mündliche Verkündung des Urteils vorschreibt, nicht vergleichbar). Andererseits darf aber nicht übersehen werden, dass die schriftliche Urteilserlassung und vor allem die in der Praxis übliche nicht unerhebliche Überschreitung der Ausfertigungsfrist die Früchte der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit des Verfahrens wieder zu einem Großteil zunichte machen (vgl auch Fasching Rz 1469, 1477). Der Grundsatz des § 57 Abs 5 Geo, wonach der Vorbehalt der Urteilsfällung nur dann gerechtfertigt ist, wenn die sofortige Urteilsfällung aus sachlichen Gründen nicht möglich ist oder wenn es die Rücksicht auf kranke oder aufgeregte Parteien erfordert, während mangelnde Aktenkenntnis oder Kenntnis der Rechtsfrage einen solchen Vorbehalt nicht rechtfertigen, wird viel zu wenig beachtet.

3 Die Vier-Wochen-Frist beginnt dann, wenn ein abgelehnter Richter die Verhandlung gem § 25 JN bis zur Endentscheidung fortgeführt hat, mit der rechtskräftigen Zurückweisung der Ablehnung, wenn die Verhandlung gem § 193 Abs 3 vor Abschluss einer Beweisaufnahme im Rechtshilfeweg geschlossen wurde, mit dem Einlangen der Akten über die ausständige Beweisaufnahme oder dem Ablauf einer für die Beweisaufnahme bestimmten Frist (M. Bydlinski in Fasching/Konecny III § 415 Rz 4 und 7). 1436

§ 416

2.2 Urteile und Beschlüsse

Kraft Gesetzes ausgeschlossen ist die sofortige Urteilsfällung nach 4 Schluss der mündlichen Verhandlung in folgenden Fällen: a) bei Fortführung der Verhandlung durch einen abgelehnten Richter gem § 25 JN; b) bei Schluss der mündlichen Streitverhandlung nach § 193 Abs 3, wenn nur mehr die außerhalb der Verhandlung zu bewirkende Aufnahme einzelner Beweise aussteht; c) wenn in einer Verhandlung der Antrag auf Fällung eines Versäumungsurteils gestellt wird (§ 396 Abs 2), aber der Nachweis über die Ladung der säumigen Partei (noch) nicht vorliegt (in diesem Fall kann gem § 402 Abs 1 Z 1 auf Antrag die Verhandlung geschlossen und die Urteilsfällung vorbehalten werden). Auch in Falle eines Versäumungsurteils nach § 396 Abs 1 wegen nicht 5 (rechtzeitiger) Erstattung der Klagebeantwortung kommt mangels Verhandlung nur eine schriftliche Urteilsfällung in Frage. Das gleiche gilt, wenn nach Aufhebung des Beschlusses, mit dem der Antrag auf Fällung eines Versäumungsurteils zurückgewiesen wurde, durch die Oberinstanz ein solches Urteil ohne Anberaumung einer neuen Tagsatzung gefällt wird (§ 403). Zur schriftlichen Ausfertigung des Urteils vgl §§ 417, 417a, 418. § 416. (1) Das Urteil wird den Parteien gegenüber erst mit der Zustellung der schriftlichen Urteilsausfertigung wirksam. (2) Das Gericht ist jedoch an seine Entscheidung gebunden, sobald dieselbe verkündet oder im Falle des § 415 in schriftlicher Abfassung zur Ausfertigung abgegeben ist. (3) Ein in Anwesenheit beider Parteien verkündetes Urteil auf Grund von Verzicht oder Anerkenntnis wird mit der Verkündung den Parteien gegenüber wirksam und ist in schriftlicher Ausfertigung nur auf Verlangen der Parteien zuzustellen. Das dem Klagebegehren stattgebende Versäumungsurteil wird dem Kläger gegenüber mit der Verkündung (§ 414 Abs 1) wirksam, eine Ausfertigung dieses Urteiles wird dem Kläger nur auf sein Verlangen behändigt. [Abs 3 angefügt durch (1.) GEN; sonst Stammfassung] Lit: Rechberger, Exekution 39; Pichler, Wann wird der Scheidungsbeschluss wirksam? RZ 1994, 32; P. Böhm/Fuchs, Zum Eintritt der Rechtskraft und der zivilrechtlichen Wirkungen des Ehescheidungsbeschlusses, ÖJZ 2002, 628; Spitzer, Verlust des Ehegattenerbrechts durch Eröffnung des Scheidungsverfahrens? JBl 2003, 837. 1437

6

§ 416

Rechberger

M. Bydlinski in Fasching/Konecny III § 416; Bajons Rz 95; Ballon Rz 322; Deixler-Hübner, PraktZPR I 327; Deixler-Hübner/Klicka Rz 242; Fasching Rz 1471 ff; Holzhammer 288; Rechberger/Simotta Rz 662 f.

1 § 416 regelt die beiden ersten Stadien der Urteilsrelevanz (s Vor § 390 Rz 20 ff), nämlich die Bindung des Gerichts an sein Urteil und die erste „Wirksamkeit“ der Entscheidung gegenüber den Parteien.

2 Die Bindung des Gerichts an seine Entscheidung (Urteil oder Beschluss, soweit dieser nicht bloß prozessleitender Natur ist: SZ 8/352; ZBl 1929/117; OLG Wien ZBl 1930/279) tritt mit der Urteilserlassung ein, also entweder mit der Verkündung des Urteils gem § 414 oder mit der Abgabe der schriftlichen Abfassung zur Ausfertigung an die Geschäftsstelle nach § 415. Mit diesen Zeitpunkten liegt Instanzschluss vor: Das Gericht kann seine Entscheidung jetzt nicht mehr aufheben oder abändern (auch nicht der Senat durch Reassumierung seines Beschlusses gem § 119 Abs 3 Geo). Daher kann das Gericht ein verkündetes Urteil auch dann nicht selbst aufheben, wenn sich seine Nichtigkeit herausstellt (LGZ Wien MietSlg 30.746; LG Salzburg 21 R 44/01v = EFSlg 98.295; 6 Ob 127/03z = immolex 2004/58). Keine echte Ausnahme von diesem Grundsatz bedeutet die Möglichkeit der Urteilsberichtigung nach § 419 wegen offenbarer Unrichtigkeiten (s Näheres dort), weil in diesem Fall die Erklärung des Gerichts nicht seinem Willen entspricht.

3 Die erste „Wirksamkeit“ der Entscheidung gegenüber den Parteien liegt darin, dass die Rechtsmittelfrist (§§ 464 Abs 2, 521 Abs 2) und die Leistungsfrist (§ 409 Abs 3) zu laufen beginnen. Diese „Wirksamkeit“ tritt grundsätzlich erst mit der Zustellung der schriftlichen Urteilsausfertigung an die Parteien ein (§ 416 Abs 1); auch ein beiderseitiger Rechtsmittelverzicht bewirkt keinen vorzeitigen Eintritt der Wirksamkeit (M. Bydlinski in Fasching/Konecny III § 416 Rz 2). Zur Wirksamkeit eines Ehescheidungsbeschlusses nach § 55a EheG vgl 6 Ob 259/02k = JBl 2003, 530 = NZ 2003/95; P. Böhm/Fuchs, ÖJZ 2002, 628; Spitzer, JBl 2003, 837).

4 Vgl zu den Grundregeln der Zustellung § 87 Rz 1 ff. Damit eine schriftliche Ausfertigung vorliegt, müssen die Inhaltsvoraussetzungen des § 417 Abs 1 (s dort) und die Formerfordernisse einer öffentlichen Urkunde (Gerichtsstampiglie und Unterschrift des Leiters der Geschäftsstelle nach §§ 144 ff Geo) gegeben sein. Fehlen diese Inhaltserfordernisse, wird die Rechtsmittelfrist nicht ausgelöst, weil es sich dann um keine autorisierte Entscheidung handelt (7 Ob 65/99f = JBl 2001, 62); die versehentliche Zustellung eines Urteilsentwurfs ist daher bedeutungslos (RZ 1937, 411; Fasching Rz 1473). Zur Zustellung bloß einer einfachen Kopie der Urteilsausfertigung vgl 3 Ob 147/01s = AnwBl 2002/7844 1438

§ 417

2.2 Urteile und Beschlüsse

(Hoffmann): Danach wirkt deren Zustellung fristauslösend, da durch Herstellung einer weiteren Ausfertigung für die Partei kein Zweifel an der Übereinstimmung mit der Originalausfertigung besteht. In 9 Ob A 321/00x = DRdA 2001, 272 sprach der OGH dem Zugang einer nichtamtlichen Kopie einer Ausfertigung des Versäumungsurteils den Charakter einer fristauslösenden Zustellung ab. Zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Zulässigkeit von Rechtsmitteln s Vor § 461 Rz 7; zum Zeitpunkt, ab dem ein wirksamer Rechtsmittelverzicht möglich ist. Der Zeitpunkt gem § 416 Abs 2 gilt auch für Entscheidungen über ein Rechtsmittel; die Zurücknahme des Rechtsmittels ist dann nicht mehr zulässig (LGZ Wien MietSlg 46.666; vgl dazu auch Vor § 461 Rz 11; § 484 Rz 1 und § 513 Rz 1). Bestimmte Urteile erlangen bereits mit der Verkündung die „Wirk- 5 samkeit“ gegenüber den Parteien, nämlich das Verzichtsurteil und das Anerkenntnisurteil (unterbleibt die Kostenentscheidung, wird das Anerkenntnisurteil aber erst mit dessen Zustellung wirksam: RdW 1996, 476; 4 Ob 4/99p = RdW 1999, 476; vgl auch § 414 Rz 3), das in Anwesenheit beider Parteien verkündet wird, sowie das dem Klagebegehren stattgebende Versäumungsurteil gegenüber dem Kläger. Mit dieser Verkündung werden sofort die Rechtsmittel- und Leistungsfristen in Lauf gesetzt; die Zustellung dieser Urteile (die nur auf Verlangen der Parteien erfolgt) hat darauf keinen Einfluss mehr. Vgl zur Möglichkeit der verkürzten Ausfertigung und des Urteilsvermerkes in diesen Fällen §§ 417 Abs 4 und 418 Abs 1. In allen anderen Fällen erlangt das in Anwesenheit beider Parteien 6 mündlich verkündete Urteil nur insofern schon mit seiner Verkündung eine Teilwirksamkeit, als jetzt die Berufung angemeldet werden kann (s § 417a Rz 1 und § 461 Rz 2). § 417. (1) Das Urteil hat in schriftlicher Ausfertigung zu enthalten: 1. die Bezeichnung des Gerichtes und die Namen der Richter, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben; wenn ein Landesgericht ein Urteil der besonderen Gerichtsbarkeit in Handelssachen oder ein selbständiges Handelsgericht ein Urteil der allgemeinen Gerichtsbarkeit fällt, ist auch dies anzuführen; 2. die Bezeichnung der Parteien nach Namen (Vor- und Zunamen), Beschäftigung, Wohnort und Parteistellung sowie die Bezeichnung ihrer Vertreter; in Personenstandssachen überdies auch den Tag und den Ort der Geburt der Parteien; 3. den Urteilsspruch; 4. die Entscheidungsgründe. 1439

§ 417

Rechberger

(2) Der Urteilsspruch und die Entscheidungsgründe sind äußerlich zu sondern. Die Entscheidungsgründe haben in gedrängter Darstellung zu enthalten: das wesentliche Vorbringen und die Anträge der Parteien, die Außerstreitstellungen, die Tatsachenfeststellungen, die Beweiswürdigung und die rechtliche Beurteilung. (3) Das auf Grund der §§ 179, 180 Abs 2, 275 Abs 2 und 278 Abs 2 vom Gerichte für unstatthaft erklärte Vorbringen, sowie jene Beweise, deren Benutzung wegen des fruchtlosen Verstreichens einer für die Beweisaufnahme bestimmten Frist nicht gestattet wurde, sind im Urteil anzuführen. (4) Versäumungs-, Verzicht- und Anerkenntnisurteile können in gekürzter Form und mit Benutzung einer Ausfertigung der Klage oder einer Rubrik ausgefertigt werden. Die näheren Vorschriften werden durch Verordnung erlassen. [Abs 1 Z 1 und 2 idF ZVN 1983; Abs 2 idF ZVN 1983 und WGN 1989; Abs 3 idF ZVN 2002; Abs 4 idF 4. GEN] Lit: M. Bydlinski in Fasching/Konecny III § 417; Bajons Rz 153; Ballon Rz 318 f; Deixler-Hübner, PraktZPR I 317 f; Deixler-Hübner/Klicka Rz 266 f; Fasching Rz 1479 ff; Holzhammer 290; Rechberger/Simotta Rz 650 f. Inhaltsübersicht Inhalt Urteilskopf Urteilsspruch Entscheidungsgründe

1 2 3 4

Unterschrift des Richters Rechtsmittelbelehrung Gekürzte Ausfertigung Zustellung

5 6 7 8

1 Da die schriftliche Ausfertigung des Urteils eine (öffentliche) Urkunde darstellt, kommen zu dem bei der Urteilsverkündung vorgeschriebenen Inhalt, nämlich dem Urteilsspruch und den (wesentlichsten) Entscheidungsgründen (s § 414 Abs 2) noch zwei weitere Bestandteile hinzu: der Urteilskopf und die Unterschrift des Richters oder Senatsvorsitzenden (Fasching Rz 1479).

2 Der Urteilskopf besteht außer der (weder in § 414 Abs 2 noch in § 417 Abs 1 genannten, aber von Art 82 Abs 2 B-VG geforderten) Solemnitätsformel „Im Namen der Republik!“ aus folgenden Bestandteilen: a) gem Abs 1 Z 1 der Bezeichnung des Gerichts, dem(n) Namen des/der entscheidenden Richter(s) und allenfalls einem Beisatz über die Kausal- oder allgemeine Gerichtsbarkeit (vgl §§ 259 Abs 3, 446) und b) gem Abs 1 Z 2 der Bezeichnung der Parteien und ihrer Vertreter (analog zur Bezeichnung in einem Schriftsatz gem § 75 Z 1), wozu 1440

§ 417

2.2 Urteile und Beschlüsse

in Personenstandssachen noch der Tag und der Ort der Geburt der Parteien kommt. Damit aufgrund eines Urteils eine grundbücherliche Eintragung erfolgen kann, muss wegen der Vorschriften der §§ 27 Abs 2, 31 Abs 1 und 98 GBG dort auch das Geburtsdatum jener Parteien angegeben sein, für oder gegen die eine solche Eintragung erfolgen soll (Fasching Rz 1480). Für Anmeldungen zum Firmenbuch besteht jedoch Formfreiheit, weshalb auch dann, wenn gem §§ 3 bis 5 FBG Geburtsdaten einzutragen sind, diese nicht im Urteil enthalten sein müssen, sondern auch auf andere Art nachgewiesen werden können. In der Praxis wird im Urteilskopf – sinnvoller Weise – auch (wiederum analog zu § 75 Z 1) der Streitgegenstand bezeichnet, wozu noch die Angabe, ob eine (öffentliche) mündliche Verhandlung stattgefunden hat, und (aus Gründen der sprachlich sinnvollen Formulierung) die Rechtssprechungsformel („… hat zu Recht erkannt“) kommen muss. Die über dem Urteilskopf befindliche Geschäftszahl (vgl dazu §§ 371 ff Geo) erlaubt überdies eine genaue Zuordnung der Entscheidung zu einer bestimmten Abteilung eines Gerichts und zu einem bestimmten Akt. Der Urteilsspruch (Urteilstenor, Abs 1 Z 3) ist das Kernstück des Ur- 3 teils und enthält die Entscheidung über das Klagebegehren und über alle anderen in Urteilsform zu erledigenden Sachanträge (s Vor § 390 Rz 1). Im Berufungsurteil kommen dazu die in § 500 Abs 2 (s dort) vorgesehenen, für die Zulässigkeit der Revision maßgeblichen Nebenentscheidungen. In den Urteilsspruch sind auch die Beschlüsse aufzunehmen, die der Endentscheidung vorbehalten oder gemeinsam mit ihr gefällt werden (wie Entscheidungen über Prozesseinreden oder über die Zulassung einer Klageänderung), sowie die Entscheidung über die Prozesskosten. Zu weiteren Aussprüchen, die nach Sondergesetzen in den Urteilsspruch aufzunehmen sind, vgl zB §§ 31, 34 MRG, § 25 UWG, § 85 UrhG (Anordnung der Urteilsveröffentlichung). Rechtfertigungsgründe und Ausnahmen von einem gerichtlichen Verbot, die schon auf Grund des Gesetzes gelten, müssen nicht in den Spruch aufgenommen werden (RS0114017; 6 Ob 114/00h = MR 2000, 307 = RdW 2000/646). Das zur Gänze stattgebende Urteil entspricht inhaltlich voll dem Klagebegehren (s § 226 Rz 3). Beim abweisenden Urteil muss der Wortlaut des abgewiesenen Begehrens deutlich wiedergegeben werden, damit der Rechtskraftumfang der Abweisung exakt festgestellt werden kann. Die in der Praxis regelmäßig in den Spruch des Leistungsurteils aufgenommenen Worte „bei sonstiger Exekution“ haben zwar einen gewissen Informationswert für den Beklagten, sind aber wegen der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung des § 1 EO überflüssig. 1441

§ 417

Rechberger

4 Die Entscheidungsgründe (Abs 1 Z 4), die äußerlich vom Urteilsspruch zu sondern sind (Abs 2), bilden den dritten wesentlichen – und umfangreichsten – Teil der Urteilsausfertigung. Nach der (seit der WGN 1989) sehr präzisen Gliederung des Abs 2 sind die Entscheidungsgründe folgendermaßen aufzubauen: An den Anfang ist das wesentliche Parteivorbringen samt den Parteianträgen zu stellen, also vor allem das Klagebegehren samt seiner Begründung und der Urteilsgegenantrag des Beklagten samt dessen Einwendungen. Danach sind sogleich alle aus diesem Vorbringen außer Streit gestellten Tatsachen anzuführen; desgleichen das nach den §§ 179, 180 Abs 2, 275 Abs 2 und 278 Abs 2 für unstatthaft erklärte Vorbringen (Abs 3). Im Gesetz nicht eigens genannt, aber allenfalls notwendig, sind sodann Feststellungen über das Vorliegen von Prozessvoraussetzungen bzw über die Widerlegung von Prozesseinreden, deren Entscheidung dem Urteil vorbehalten blieb. Dann folgen die Erläuterungen zum ersten Schwerpunkt der richterlichen Entscheidungstätigkeit, der Tatsachenfeststellung: Dabei sind alle Beweise, die das Gericht aufgenommen hat, anzugeben (sowie nach Abs 3 auch die wegen Ablauf einer Fristsetzung gem §§ 279, 283 Abs 3, 309, 332 Abs 2, 335, 365, 368 Abs 3 zurückgewiesenen Beweisanträge); sodann die eigentliche Tatsachenfeststellung, also die Angabe jener Tatsachen, die das Gericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, und letztlich die Begründung seiner Beweiswürdigung. Die Tatsachenfeststellungen dürfen dabei nicht mit der Beweiswürdigung vermengt werden (RZ 1974/90); in der bloßen Wiederholung von Zeugenaussagen liegen keine gesetzmäßigen Tatsachenfeststellungen (JBl 1976, 212); auch die bloße Wiedergabe von Beweisaufnahmen genügt nicht (RZ 1976/42). Als zweiter Hauptteil der Entscheidungsgründe folgt dann die rechtliche Beurteilung unter Angabe der angewendeten Rechtsnormen, der Subsumtion (s Vor § 390 Rz 19) und deren Ergebnis. Zuletzt ist die Kostenentscheidung zu begründen. Zu den Begründungserleichterungen für die Rechtsmittelgerichte vgl §§ 500a, 510 Abs 3 und 528a.

5 Während die Urschrift des Urteils vom Richter zu unterschreiben ist (s § 418), werden die Ausfertigungen nur mit der Unterschriftsstampiglie des Richters versehen; für die Richtigkeit unterschreibt der Leiter der Geschäftsabteilung (§ 149 Abs 1 Geo). Fehlen die Unterschriftsstampiglie des Richters, die Unterschrift des Leiters der Geschäftsabteilung und die Stampiglie des Gerichts, liegt keine gerichtliche Entscheidungsausfertigung vor (LGZ Wien WR 763).

6 Eine schriftliche Rechtsmittelbelehrung sieht die ZPO nur im bezirksgerichtlichen Verfahren und nur in Form einer Belehrung über die 1442

§ 417a

2.2 Urteile und Beschlüsse

Anwaltspflicht für die Ergreifung des Rechtsmittels sowie für das Rechtsmittelverfahren überhaupt vor (s § 447). § 152 Abs 1 Geo verlangt allerdings für alle Rechtssachen, für die keine Anwaltspflicht besteht, dass nicht durch einen Rechtsanwalt vertretenen Parteien mit der schriftlichen Ausfertigung einer Entscheidung stets auch eine Rechtsmittelbelehrung zuzustellen ist. Im arbeits- und sozialgerichtlichen Verfahren ist in jede Ausfertigung einer erst- oder zweitinstanzlichen Entscheidung eine allgemeine Rechtsmittelbelehrung aufzunehmen (§ 39 Abs 7 ASGG); für das Urteil der ersten Instanz in Arbeitsrechtssachen gilt gem § 59 Abs 1 Z 5 ASGG außerdem § 447. Versäumungsurteile (§§ 396, 442 Abs 1), Verzichtsurteile (§ 394) und 7 Anerkenntnisurteile (§ 395) können in gekürzter Form ausgefertigt werden (wobei auch dies bei in Anwesenheit beider Parteien verkündeten Verzichts- oder Anerkenntnisurteilen gem § 416 Abs 3 nur auf Verlangen der Partei geschieht; das gleiche gilt für das dem Klagebegehren stattgebende Versäumungsurteil gegenüber dem Kläger). Als die in Abs 4 genannte Verordnung ist die Geo anzusehen: vgl für die Ausfertigung von Verzichts- und Anerkenntnisurteil §§ 114 Abs 1, 540 Abs 1 und 3 Geo; s § 394 Rz 6 und § 395 Rz 7. Zur Ausfertigung des Versäumungsurteils vgl §§ 114 Abs 1, 542 Abs 3 und 4 Geo. Die gekürzte Ausfertigung des Verzichts- und Anerkenntnisurteils enthält nur Kopf und Spruch, nicht aber die Entscheidungsgründe (§ 540 Abs 3 Geo); hat der Kläger beim Versäumungsurteil die erforderlichen Halbschriften, die das Klagebegehren enthalten, beigebracht, und erkennt das Urteil nur auf Leistungen, so erfolgt die schriftliche Ausfertigung durch Stempelaufdruck (§ 542 Abs 3 Geo). Die schriftliche Ausfertigung des Urteils ist grundsätzlich nur für die 8 Parteien und Prozessbeteiligten mit parteigleicher Stellung, also Nebenintervenienten, bestimmt (s dazu nunmehr 1 Ob 145/02h = JBl 2003, 315 = ecolex 2003/140 [Schmidl]); doch sehen eine Reihe von Sonderbestimmungen die Zustellung weiterer Ausfertigungen bestimmter Urteile an verschiedene Behörden und Institutionen vor (zB § 81 ASGG, § 49 Abs 6 ASVG, § 33a MRG, § 156 Abs 1 PatG, § 38 Abs 2 PstG, § 20 PstV, § 53 StbG). § 417a. (1) Ist ein Urteil in Anwesenheit beider Parteien mündlich verkündet worden (§ 414) und hat keine der Parteien rechtzeitig eine Berufung gegen das Urteil angemeldet (§ 461 Abs 2), so können in der schriftlichen Ausfertigung des Urteils die Entscheidungsgründe auf das wesentliche Vorbringen der Parteien und das, was das Gericht 1443

§ 417a

Rechberger

davon der Entscheidung zugrunde gelegt hat, beschränkt werden, soweit diese Angaben zur Beurteilung der Rechtskraftwirkung des Urteils notwendig sind (gekürzte Urteilsausfertigung). (2) Der Abs 1 darf nur angewendet werden, wenn der Vorsitzende die gekürzte schriftliche Abfassung des Urteils binnen 14 Tagen ab jenem Zeitpunkt zur Ausfertigung abgibt, ab dem für jede Partei die Berufungsanmeldungsfrist (§ 461 Abs 2) abgelaufen ist. [Eingefügt durch WGN 1989; Abs 2 idF WGN 1997] Lit: M. Bydlinski in Fasching/Konecny III § 417a; Ballon Rz 320; Deixler-Hübner, PraktZPR I 328; Deixler-Hübner/Klicka Rz 241; Fasching Rz 1488/1; Rechberger/Simotta Rz 657.

1 Die gekürzte Urteilsausfertigung nach § 417a ist für alle in Gegenwart beider Parteien mündlich verkündeten Urteile vorgesehen, die nicht in § 417 Abs 4 genannt sind; Voraussetzung ist, dass keine der Parteien entweder sofort nach Verkündung des Urteils mündlich oder binnen 14 Tagen der Zustellung der Protokollsabschrift über jene Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung, in der das Urteil verkündet worden ist, Berufung angemeldet hat (§ 461 Abs 2). Die WGN 1989 wollte durch diese Erleichterung für den Richter einen Anreiz für die häufigere mündliche Verkündung des Urteils schaffen und dadurch einen Beschleunigungseffekt erzielen (s ErlRV 888 BlgNR 17. GP, 20), was aber nur begrenzt gelungen ist. Während die gek Ausfertigung für Anerkenntnis-, Verzichts- und Versäumungsurteil gar keine Entscheidungsgründe enthält, wäre dies bei einem kontradiktorischen Urteil unsinnig, weshalb Abs 1 umständlich und unpräzise eine verkürzte Wiedergabe der Entscheidungsgründe verlangt. Da die genannten Angaben ohne die (nur andeutungsweise erwähnten) Tatsachenfeststellungen und die rechtliche Beurteilung wertlos sind, müssen auch diese in die gek Urteilsausfertigung aufgenommen werden (4 Ob 137/01b); anderenfalls könnte der Rechtskraftumfang der Entscheidung in manchen Fällen gar nicht festgestellt werden (vgl Fasching Rz 1488/1). Für die Kostenentscheidung ist dagegen keinerlei Verkürzung der Begründung zulässig (M. Bydlinski in Fasching/Konecny III § 417a Rz 5).

2 Die gekürzte Urteilsausfertigung ist aber nur dann zulässig, wenn der Richter (Senatsvorsitzende) die (gekürzte) Urfassung des Urteils (die schriftliche Abfassung iSd § 418 Abs 1) binnen 14 Tagen ab jenem Zeitpunkt zur Ausertigung an die Geschäftsstelle abgibt, ab dem für jede Partei die Berufungsanmeldungsfrist abgelaufen ist (§ 461 Abs 2). Werden jedoch, nachdem bei der mündlichen Verkündung schon die Entscheidungsgründe angeführt wurden, die Protokollsabschrift und die 1444

§ 419

2.2 Urteile und Beschlüsse

mit dem Protokollinhalt übereinstimmende Urteilsausfertigung gleichzeitig zugestellt, so ist keine Berufungsanmeldung nötig, sondern es kann ab Urteilszustellung Berufung erhoben werden (4 Ob 135/03m = EvBl 2003/171). § 418. (1) Die für die Gerichtsakten bestimmte schriftliche Abfassung des Urteiles ist vom Vorsitzenden des Senates und vom Schriftführer zu unterschreiben. Wird durch Versäumungsurteil nach dem Begehren des Klägers oder durch Verzicht- oder Anerkenntnisurteil erkannt, so kann die für die Gerichtsakten bestimmte Abfassung des Urteils durch den vom Richter zu unterschreibenden Urteilsvermerk ersetzt werden. Die näheren Vorschriften über den Urteilsvermerk werden durch Verordnung erlassen. (2) Der Auszug eines Urteils muß nebst dem Urteilsspruche auch die in § 417 Z 1 und 2 bezeichneten Angaben enthalten. (3) Vor Zustellung der schriftlichen Urteilsausfertigungen an die Parteien können Auszüge und Abschriften des Urteils nicht erteilt werden. [Abs 1 und 3 angefügt durch (1.) GEN; sonst Stammfassung] Lit: M. Bydlinski in Fasching/Konecny III § 418; Fasching Rz 1488. § 418 Abs 1 enthält Vorschriften über die bei den Gerichtsakten verblei- 1 bende Urschrift des Urteils (vgl § 62 Abs 1 Geo): diese ist vom Richter (Senatsvorsitzenden) und vom Schriftführer zu unterschreiben. Bei Versäumungsurteilen zugunsten des Klägers und Verzichts- und Anerkenntnisurteilen (für die § 417 Abs 4 auch eine gekürzte Urteilsausfertigung vorsieht) kann diese Urschrift durch den vom Richter zu unterschreibenden Urteilsvermerk ersetzt werden. Zum Inhalt dieses Urteilsvermerks vgl §§ 540 f Geo. Bei Versäumungsurteilen ersetzt der Urteilsvermerk gem § 207 Abs 2 auch das Verhandlungsprotokoll. Von geringer praktischer Bedeutung sind die in Abs 2 genannten „Ur- 2 teilsauszüge“, womit vom Gericht selbst hergestellte Teilausfertigungen (idR wohl Ausfertigungen ohne Entscheidungsgründe) zur amtlichen Verwendung gemeint sind. Berichtigung des Urteiles § 419. (1) Das Gericht, das das Urteil gefällt hat, kann jederzeit Schreib- und Rechnungsfehler oder andere offenbare Unrichtigkeiten in dem Urteil oder in dessen Ausfertigungen oder Abweichungen der Ausfertigung von der gefällten Entscheidung berichtigen und 1445

§ 419

Rechberger

die Angaben, die entgegen der Vorschrift des § 417 Abs 3 übergangen wurden, einfügen. (2) Das Gericht kann über die Berichtigung ohne vorhergehende mündliche Verhandlung entscheiden. Gegen den Beschluß, womit der Antrag auf Berichtigung zurückgewiesen wird, findet ein abgesondertes Rechtsmittel nicht statt. Eine Berichtigung ist der Urschrift des Urteiles beizusetzen und nach Tunlichkeit in den dazu abgeforderten Ausfertigungen ersichtlich zu machen. (3) Die Vornahme einer Berichtigung kann auch in höherer Instanz angeordnet werden. [Fassung 6. GEN] Lit: Sprung, Konkurrenz von Rechtsbehelfen im zivilgerichtlichem Verfahren (1966) 67; Schmidt, Kosten der Berichtigung, AnwBl 1992, 361; Konecny, Neue Technik und alte Verfahrensprobleme – Zum Verhältnis von Original und Ausfertigung am Beispiel elektronischer Entscheidungebekanntmachungen, FS Beys (2003) I 773. M. Bydlinski in Fasching/Konecny III § 419; Ballon Rz 323; DeixlerHübner, PraktZPR I 314; Deixler-Hübner/Klicka Rz 240; Fasching Rz 1440; Holzhammer 290; Rechberger/Simotta Rz 664 f.

1 Offenbare Unrichtigkeiten im verkündeten Urteil oder in der Urteilsausfertigung, die aus dem Zusammenhang des Urteils für jedermann erkennbar sind (vgl Kohlegger zu JBl 1969, 41), wie Schreib- und Rechnungsfehler, sind vom erkennenden Gericht (ZBl 1928/17; ZBl 1930/ 307) jederzeit – also auch noch nach Eintritt der formellen Rechtskraft – von Amts wegen oder auf Antrag zu berichtigen. Das gleiche gilt für Abweichungen der Ausfertigung von der verkündeten Entscheidung oder der Urschrift (EFSlg 27.793; 9 Ob A 14/01a = ARD 5302/38/2002 = MietSlg 53.690; zu Unrecht für die Berichtigung einer nicht offenbaren Unrichtigkeit: LGZ Wien AnwBl 1997, 837 [abl Horak]; aA Konecny, FS Beys I 781 f, der für sämtliche Divergenzen zwischen Urschrift und Ausfertigung einen Berichtigungsfall annimmt, unabhängig vom Vorliegen offenbarer Abweichungen) und von unterbliebenen Angaben gem § 417 Abs 3. Die Rsp lässt nicht nur eine Berichtigung des Spruchs, sondern auch von offenbaren Unrichtigkeiten der Entscheidungsbegründung zu (LGZ Wien 38 R 100/00p = MietSlg 52.759; vgl auch M. Bydlinski in Fasching/Konecny III § 419 Rz 3).

2 Die Bestimmungen der ZPO für die Berichtung von offenbaren Unrichtigkeiten nach den §§ 419, 423 iVm § 430 gelten auch im Konkursverfahren (OLG Wien 28 R 54/04y = ZIK 2004/178; vgl dazu ausführlich Konecny, FS Beys I 773 ff). Das neue AußStrG ordnet nunmehr in § 41 ausdrücklich die sinngemäße Geltung der Bestimmungen der ZPO über 1446

§ 419

2.2 Urteile und Beschlüsse

die Berichtigung von Entscheidungen an (vgl dazu Rechberger in Rechberger, AußStrG, § 41 Rz 1). Eine Berichtigung ist nur zulässig, wenn ein mangelhafter Willensaus- 3 druck des Gerichtes vorliegt, die vorliegende Willenserklärung also offensichtlich nicht dem wahren Willen des Gerichts entspricht (vgl OLG Innsbruck JBl 1967, 579; JBl 1969, 41 [zust Kohlegger]; LGZ Wien EFSlg 30.000; JUS 8, 13; JBl 1989, 312 [zust P. Böhm]; 4 Ob 291/01z = ÖJZ 2002/112). Decken sich hingegen Wille und Erklärung des Gerichts, liegt also (allenfalls) ein Gerichtsfehler vor, kommt eine Urteilsberichtigung ebensowenig in Frage wie bei einem Irrtum der Partei (JBl 1961, 633; LGZ Wien Arb 7987; LGZ Wien MietSlg 15.631, 26.517, 31.705; LG Feldkirch MietSlg 17.779; LGZ Wien EFSlg 49.338). Die Berichtigung ist eben nicht vorgesehen, wenn es sich zwar um eine rechtlich unrichtige, aber so gewollte Entscheidung handelt (9 Ob 67/01w = EFSlg 98.298; RS0041362). Auch sinnstörende Auslassungen, die am wahren Willen des Gerichts 4 keinen Zweifel lassen, können berichtigt werden (Fasching Rz 1567; GH 1931, 34). Bei Auslassungen, die zur (teilweisen) Nichterledigung von Sachanträgen geführt haben, kommt dagegen eine Urteilsberichtigung nur dann in Frage, wenn anhand der Entscheidungsgründe eindeutig feststeht, dass und wie das Gericht entscheiden wollte (zB wenn bei teilweiser Klagestattgebung die Abweisung des Mehrbegehrens im Spruch fehlt); sonst ist ein Urteilsergänzungsantrag nach § 423 oder eine Berufung nach § 496 Abs 1 Z 2 (Näheres s dort) einzubringen (Fasching Rz 1567; LGZ Wien 45 R 76/02p = EFSlg 102.048; diff OLG Wien 14 R 206/02w = WR 955). Beispiele aus der Rsp: Berichtigt werden kann ein Versäumungsurteil 5 über eine Hypothekarklage, bei der der Pfandgegenstand zwar im Vorbringen, nicht aber im Urteilsantrag genannt war (SZ 60/47); der im Urteil nicht aufscheinende Ausspruch über den Abfindungsbetrag nach § 410 (ZBl 1917/306; JBl 1917, 550); die im Spruch des Berufungsurteils fehlenden Aussprüche des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 (Zulassung der ordentlichen Revision nach § 500 Abs 2 Z 3: EFSlg 49.358; EFSlg 52.189 = MietSlg 38.783; MietSlg 35.798, 38.784; 9 Ob A 268/00b = ARD 5230/35/2001; für den Fall des § 500 Abs 2 Z 1: JBl 1997, 467; ÖJZ-LSK 1997/102); die unrichtige Feststellung des Betrags des Hauptmietzinses, wenn die Feststellungen die Grundlagen und Berechnungsmethode zur Ermittlung des Hauptmietzinses richtig wiedergeben (EvBl 1997/96 = immolex 1997, 203); der Beschluss mit dem die ao Revision mangels Beschwer zurückgewiesen wurde, da der Kläger es unterlassen habe, den Beschluss über die Überweisung der Klage zu 1447

§ 419

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bekämpfen, wenn dem OGH der Rekurs nicht vorgelegt wurde (MR 1998, 15); die Änderung der Überschrift der Entscheidung von „Beschluss“ in „Im Namen der Republik!“ (LGZ Wien 43 R 370/00f = EFSlg 94.541); die Verwendung einer unrichtigen Namensstampiglie (OLG Wien 7 Ra 146/00t = ARD 5219/37/2001); das Übersehen des Zinsenbegehrens im Urteilsspruch (OLG Wien 14 R 206/02w = WR 955); die Kostenentscheidung (zB 7 Ob 165/00s = EvBl 2001/140: Der OGH bejahte die Berichtigung der wegen des erfolgten Zuspruchs von USt gegebenen offenbaren Unrichtigkeit seiner eigenen Kostenentscheidung, weil in der kommentarlosen Verzeichnung von 20% USt im Zweifel nur die österreichische Umsatzsteuer angesprochen werde, die Leistungen eines Vertreters für ein polnisches Unternehmen aber nicht der österreichischen USt unterliegen; 6 Ob 275/01m = AnwBl 2002/ 7830 [Sutter]: hier verneinte der OGH in einem ganz ähnlichen Fall die Berichtigung der Kostenentscheidung, weil eine Berichtigung nur dann zulässig sei, wenn der Entscheidungswille des Gerichts [hier Rekursgericht] feststeht). Analog ist § 419 anzuwenden, wenn ein Rechtsmittel wegen einer unrichtigen Datumsangabe im Vorlagebericht des Erstgerichts als verspätet zurückgewiesen wurde (SZ 60/192 = JBl 1989, 402; EvBl 1996/35; vgl auch 7 Ob 207/02w = EFSlg 102.051). Keine Berichtigung ist möglich, wenn abweichend vom Klagebegehren der Wohnsitz des Beklagten als Erfüllungsort bezeichnet wurde, insb wenn über die Frage des Erfüllungsortes gar nicht verhandelt wurde (ZBl 1926/307); nicht berichtigt werden kann der Name der beklagten Partei nach rechtskräftiger Entscheidung (OLG Wien EvBl 1935/ 755); ferner eine unrichtige Kostenbestimmung, die auf der Zugrundelegung eines nach dem RATG unrichtigen Streitwerts beruht (LGZ Wien EvBl 1951/267). Zurückgewiesen wird der Berichtigungsantrag von der Rsp, wenn ein schutzwürdiges Interesse an der Berichtigung fehlt (EvBl 1967/137 = JBl 1967, 437 [zust Sprung]; OLG Wien WR 411; OLG Linz 3R 87/ 02p = EFSlg 102.045; 9 Ob 353/98x = EFSlg 90.988). Dies wurde auch bei bloßer Unrichtigkeit der Ausfertigung, aber Richtigkeit der Urschrift der Entscheidung angenommen (LGZ Wien 46 R 489/02f = EFSlg 102.047). Nach LGZ Wien WR 148 soll das auch bei einem Urteil der Fall sein, das keine Leistungsfrist enthält (vgl dazu aber § 409 Rz 2).

6 Da die Berichtigung nur offenbare Fehler des Urteils beseitigt, berührt sie den eigentlichen Urteilsinhalt nicht und vermag auch den Umfang der Rechtskraftwirkung des Urteils nicht zu ändern. Trotzdem ging die Rsp lange davon aus, dass mit der Zustellung der berichtigten Entscheidung eine neue Rechtsmittelfrist gegen das ganze berichtigte Urteil zu laufen beginne (SpR 8 = SZ 2/145; SZ 23/16; EvBl 1953/122; JBl 1953, 1448

§ 419

2.2 Urteile und Beschlüsse

423; EvBl 1962/325 = JBl 1963, 270; JBl 1997, 467), was zuletzt aber in – mittlerweile stRsp – nicht mehr angenommen wurde, wenn der Rechtsmittelwerber auch ohne Berichtigungsbeschluss „keinen Zweifel über den wirklichen Inhalt des richterlichen Ausspruchs“ habe konnte (EvBl 1975/224; EFSlg 27.794; LGZ Wien EFSlg 36.731; MietSlg 33.652; RZ 1983/5; Ind 1983 H 2, 15; LGZ Wien EFSlg 41.704, 52.188; EFSlg 79.220; 9 Ob A 291/98d = Arb 11.827 = ARD 5196/42/2001; 6 Ob 264/ 99p = JBl 2000/530; 9 Ob A 11/00h = Arb 11.997 = infas 2000, A 75; 8 Ob 138/00b = MietSlg 52.758; 9 Ob 58/01x = MietSlg 53.731; 5 Ob 275/01d = EWr II/19/99; LGZ Wien 46 R 74/02a = EFSlg 102.052; 7 Ob 24/02h = ZVR 2003/76 mwN; RS0041797). Das soll aber nicht gelten, wenn bspw „ein wesentlicher Teil des Spruchs“ berichtigt wird (8 Ob 28/03f = immolex 2004/30; vgl auch LGZ Wien 41 R 212/03k, 41 R 213/ 03g = MietSlg 55.697; 6 Ob 95/02t = MietSlg 54.659). Diese der Rechtssicherheit abträglichen Differenzierungen (vgl dazu auch Fasching Rz 1567) sind schon deshalb nicht zielführend, weil immer dann, wenn über den Inhalt einer Entscheidung Zweifel bestehen können, wohl ein Mangel dieser Entscheidung vorliegt. Dem tritt M. Bydlinski (in Fasching/Konecny III § 419 Rz 13) entgegen, für den einerseits nur die „offenbare Unrichtigkeit“ (im Gegensatz zur offenkundig richtigen Fassung) entscheidend ist und der andererseits die Differenzierung der Jud durchaus für einen objektiven Maßstab hält; weiters befürchtet er durch eine restriktive Anwendung von § 419 eine verstärkte Kostenbelastung der Parteien und unbefriedigende Ergebnisse. Berichtigungsverfahren. Über die Berichtigung wird ohne mündliche 7 Verhandlung entschieden; der die Berichtigung verfügende Beschluss ist mit abgesondertem Rekurs anfechtbar. Der den Antrag zurückweisende Beschluss ist nicht selbständig anfechtbar, es sei denn, dass wegen Abschluss der Hauptsache eine weitere anfechtbare Entscheidung nicht mehr ergehen kann (ZBl 1926/307; für den Fall des Revisionsrekurses, wenn das Rekursgericht die vom Erstgericht bewilligte Berichtigung versagt hat: SZ 27/180 = JBl 1954, 594; SZ 51/73). Nach der Rechtskraft des Beschlusses wird die Urfassung des Urteils berichtigt, was in den von den Parteien eingeforderten Urteilsausfertigungen ersichtlich gemacht wird. Nach der Rsp erwächst auch ein unbekämpft gebliebener Berichtigungs- (oder Ergänzungs-)beschluss, der entgegen den gesetzlichen Voraussetzungen gefasst wurde, in Rechtskraft und setzt eine neue Rechtsmittelfrist in Gang (4 Ob 195/00f = EvBl 2001/32). Die Kosten des Berichtigungsantrags sind bei Vorliegen der Vorausset- 8 zung des § 41 zuzusprechen (OLG Wien EvBl 1935/260); aber nur der in der Hauptsache obsiegenden Partei (OLG Wien AnwBl 1981, 330 1449

§§ 423–424

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[abl Schmidt]; Arnold, AnwBl 1981, 427; ÖJZ-LSK 1996/174; EujurZ 1996 H 3, 8 [Grill]; EujurZ 1997 H 1, 16 [Grill]; OLG Linz 3 R 87/02p = EFSlg 102.049). Für die Urteilsvorlage nach Aufforderung durch das Gericht zwecks Berichtigung gebührt nur Barauslagenersatz: EujurZ 1996 H 2, 4 [Grill].

9 Aus der unterschiedlichen Funktion ergibt sich, dass zwischen Urteilsberichtigungsantrag einerseits und Urteilsergänzungsantrag nach §423 sowie Nichtigkeitsberufung nach § 477 Abs 1 Z 9 andererseits keine Konkurrenz besteht. Wird fälschlich anstatt eines Berichtigungsantrags ein Urteilsergänzungsantrag oder eine Nichtigkeitsberufung eingebracht, hat das Erstgericht sein Urteil von Amts wegen zu berichtigen (ausführlich Sprung, Konkurrenz 71 ff). Im Gegensatz dazu gesteht M. Bydlinski (in Fasching/Konecny III § 419 Rz 4) der Partei die freie Wahl zwischen der Urteilsberichtigung und der Urteilskorrektur im Wege eines Rechtsmittels zu, wenn diese durch den Urteilsspruch beschwert ist. §§ 420 bis 422. Samt Überschrift („Berichtigung des Thatbestandes“) aufgehoben durch 4. GEN Ergänzung des Urteiles § 423. (1) Wenn in dem Urteile ein Anspruch, über welchen zu entscheiden war, übergangen, oder wenn in einem Urteile über die von einer Partei begehrte Erstattung der Prozeßkosten nicht oder nur unvollständig erkannt wurde, ist das Urteil durch eine nachträgliche Entscheidung zu ergänzen (Ergänzungsurteil). (2) Der Antrag auf Ergänzung ist bei dem Prozeßgericht binnen vierzehn Tagen nach Zustellung des Urteils anzubringen. (3) Das Gericht entscheidet nach vorhergehender mündlicher Verhandlung, wenn es eine solche für notwendig hält. Diese Verhandlung ist auf den nicht erledigten Teil des Rechtsstreites zu beschränken. Die Abweisung des Antrages auf Ergänzung erfolgt mittels Beschluß. [Abs 1 idF 4. GEN; Abs 2 und Abs 3 Satz 1 idF ZVN 1983; sonst Stammfassung] § 424. Die Verhandlung über die Ergänzung des Urteiles hat auf den Lauf der Rechtsmittelfristen keinen Einfluß. [Fassung 4. GEN] Lit: Petschek, Streitfragen 109; R. Kralik, Die Beweiswürdigung im zivilgerichtlichen Verfahren, ÖJZ 1954, 157; Sprung, Konkurrenz von 1450

§§ 423–424

2.2 Urteile und Beschlüsse

Rechtsbehelfen im zivilgerichtlichen Verfahren (1966) 59; Hule, Zur Konkurrenz von Rechtsbehelfen im zivilgerichtlichen Verfahren, ÖJZ 1968, 590; Hagen, Allgemeine Verfahrenslehre und verfassungsgerichtliches Verfahren (1971) 145; M. Bydlinski, Kostenersatz 452. M. Bydlinski in Fasching/Konecny III §§ 423, 424; Ballon Rz 311; Deixler-Hübner, PraktZPR I 309; Deixler-Hübner/Klicka Rz 239; Fasching Rz 1438 ff; Holzhammer 285; Rechberger/Simotta Rz 671 ff. Inhaltsübersicht Antrag auf Ergänzungsurteil Wahlrecht der Partei Verfahren

1–2 3 4

Entscheidung – Während des Rechtsmittelverfahrens Kosten

5–7 7 8

Wurde über Teile des Klagebegehrens oder über andere Sachbegehren, 1 über die mit Urteil zu entscheiden ist (s Vor § 390 Rz 1) nicht oder nur unvollständig entschieden, kann die betroffene Partei binnen 14 Tagen nach Zustellung des Urteils beim Prozessgericht (also dem Gericht jener Instanz, von der das unvollständige Urteil stammt: EvBl 1962/399; SZ 42/27; 7 Ob 248/02z) einen Antrag auf Fällung eines Ergänzungsurteils stellen. Nach dem Wortlaut von Abs 1 ist auch dann mit Ergänzungsurteil zu 2 entscheiden, wenn über den begehrten Prozesskostenersatz nicht oder nicht vollständig entschieden wurde (so auch die Rsp: RZ 1974/41; OLG Wien EFSlg 27.795; LGZ Wien EFSlg 41.705; 4 Ob 59/02h = MietSlg 54.660). Da es sich bei dieser Entscheidung aber im Wesen um einen Beschluss handelt, sollte – genauso wie im Fall der Klageeinschränkung auf Kosten – darüber auch in Form eines Ergänzungsbeschlusses entschieden werden (so auch Fasching Rz 470; M. Bydlinski, Kostenersatz 452; ders in Fasching/Konecny III § 423 Rz 7). Die unvollständige Erledigung der Sachanträge kann, gleichgültig ob 3 dies versehentlich oder mit Absicht erfolgt ist, entweder mit Urteilsergänzungsantrag oder mit Berufung gem § 496 Abs 1 Z 1 geltend gemacht werden; die Partei hat hier nach hM ein Wahlrecht (Holzhammer 286; Fasching Rz 1451; Buchegger, PraktZPR 392; Rechberger/ Simotta Rz 673; Ballon Rz 311; M. Bydlinski in Fasching/Konecny III § 423 Rz 2; SZ 13/65 = ZBl 1931/158 [abl Petschek]; SZ 28/4; OLG Wien EFSlg 5558; ÖJZ-LSK 1998/264; 9 Ob A 354/98v = Arb 11.815). Nach aA (Petschek, Streitfragen 109; Petschek/Stagel 369; R. Kralik, ÖJZ 1954, 162; Sprung, Konkurrenz 59; Hagen, Verfahrenslehre 145; vgl auch EvBl 1962/399; MietSlg 47.651 = wobl 1996/42) soll dagegen der Urteilsergän1451

§§ 423–424

Rechberger

zungsantrag nur wegen versehentlicher und die Berufung nach § 496 nur wegen absichtlicher Nichterledigung eines Sachantrags aufgrund unrichtiger rechtlicher Beurteilung – zB einer Kompensationseinwendung bei Abweisung der Klage – erfolgen. Diese diffizile Unterscheidung würde aber die nach dem Wortlaut des Gesetzes zur Verfügung stehenden Rechtsschutzmöglichkeiten ohne Not zu Lasten der Parteien beschränken. Werden beide Rechtsbehelfe gemeinsam eingebracht, ist der Ergänzungsantrag vorweg zu erledigen (§ 485; ZBl 1935/198); im Falle seines Erfolges ist die Berufung als unbegründet abzuweisen (Fasching Rz 1441; aA Holzhammer 286, nach dem sie wegen mangelnden Rechtsschutzinteresses zurückzuweisen ist; auch M. Bydlinski in Fasching/ Konecny III § 423 Rz 2 tritt für eine Zurückweisung wegen nachträglichen Wegfalls der Beschwer ein). Eine unvollständige Erledigung von Sachanträgen liegt nach Meinung des OGH (in einem Verfahren nach dem AußStrG 1854) auch dann vor, wenn das Rekursgericht nur einen Teil des Beschlusses des Erstgerichts aufhebt und die Rechtssache nur insofern an das Erstgericht zurückverweist; dies kann mit Revisionsrekurs geltend gemacht werden (6 Ob 191/98a = EvBl 1999/26). Bei Nichterledigung eines Kostenbegehrens besteht die Wahlmöglichkeit zwischen dem Ergänzungsantrag und dem Rekurs (LGZ Wien NZ 1969, 61; EFSlg 27.795, 41.705; M. Bydlinski in Fasching/ Konecny III § 423 Rz 10; aA die ältere Rsp [zB EvBl 1937/899] und Sprung, Konkurrenz 64, die hier nur den Ergänzungsantrag zulassen wollen). Werden beide Rechtsbehelfe gleichzeitig eingebracht, ist auch hier zuerst der Ergänzungsantrag zu erledigen und bei seinem Erfolg der Rekurs als unbegründet abzuweisen (nach Deixler-Hübner, PraktZPR 314, als umständlicherer Rechtsbehelf von vornherein mangels Rechtsschutzinteresses zurückzuweisen).

4 Verfahren. Die Entscheidung über den Urteilsergänzungsantrag soll nach dem Wortlaut des Abs 3 nur dann nach mündlicher Verhandlung erfolgen, wenn das Gericht eine solche für notwendig hält. Zur Wahrung des rechtlichen Gehörs wird aber immer dann mündlich verhandelt werden müssen, wenn der Gegner bisher zum nichterledigten Anspruch nicht gehört wurde (Fasching Rz 1443), und jedenfalls auch dann, wenn ein neues Beweisverfahren notwendig wird. Wird nur die Ergänzung des Urteils durch Prozesskostenentscheidung begehrt, ist jedenfalls ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.

5 Entscheidung. Ist der Urteilsergänzungsantrag zulässig und berechtigt, ist mit Ergänzungsurteil zu erkennen, für das die Form- und Inhaltsvorschriften der §§ 417, 417a, 418 gelten. Das Ergänzungsurteil ist wie ein Endurteil selbständig anfechtbar (EvBl 1975/296; zur Anfechtung 1452

§ 425

2.2 Urteile und Beschlüsse

eines Ergänzungsbeschlusses im Exekutionsverfahren vgl 3 Ob 317/ 97g), woraus sich ergibt, dass auch nur sein Streitwert für die Rechtsmittelzulässigkeit maßgeblich ist (dadurch kann es aber zu einer „Zerstückelung“ des Streitwerts kommen; Rechtsmittel, die beim Gesamtstreitwert zulässig gewesen wären, wären nunmehr unzulässig). Kommt das Gericht zur Auffassung, dass keine Unvollständigkeit der ursprünglichen Entscheidung vorliegt, ist der Ergänzungsantrag mit Beschluss abzuweisen (Abs 3); dieser Beschluss ist mit Rekurs anfechtbar (EvBl 1962/399; MietSlg 47.651). Weder die Versäumung des Urteilsergänzungsantrags noch jene der 6 Berufung nach § 496 Abs 1 Z 1 präkludiert – mangels (rechtskräftiger) Entscheidung über den nichterledigten Anspruch – dessen Geltendmachung mit selbständiger Klage (Fasching Rz 1444; 1 Ob 1/99z = JBl 2000, 41). Das setzt allerdings die Annahme voraus, dass mit Rechtskraft der unvollständigen Entscheidung auch die Streitanhängigkeit bezüglich des nichterledigten Teils erlischt. Da das Ergänzungsverfahren einen selbständigen Streitgegenstand 7 betrifft, beeinflusst es das Rechtsmittelverfahren hinsichtlich des ursprünglichen Urteils grundsätzlich nicht (§ 424). Aus prozessökonomischen Gründen kann aber die Verhandlung über die Berufung gem § 485 ausgesetzt werden (s dort Näheres). Vgl zur gleichzeitigen Stellung eines Ergänzungsantrags und Erhebung der Berufung nach § 496 Abs 1 Z 1 oben Rz 3. Die Kosten des Urteilsergänzungsantrags sind nur der in der Haupt- 8 sache obsiegenden Partei zuzusprechen (ÖJZ-LSK 1996/174). Zweiter Titel Beschlüsse § 425. (1) Sofern nach den Bestimmungen dieses Gesetzes nicht ein Urteil zu fällen ist, erfolgen die Entscheidungen, Anordnungen und Verfügungen durch Beschluß. (2) An seine Beschlüsse ist das Gericht insoweit gebunden, als dieselben nicht bloß prozeßleitender Natur sind. (3) Die Vorschriften des § 412 sind auf Beschlüsse des Gerichtes sinngemäß anzuwenden. [Stammfassung] Lit: Sprung, Begründung des über einen Konkurseröffnungsantrag entscheidenden Beschlusses? FS Schima (1969) 397; ders, JBl 1972, 271 (Entscheidungsanm); Fasching, Die Entscheidungsbegründung im 1453

§ 425

Rechberger

österreichischen streitigen zivilgerichtlichen Erkenntnis-, Exekutionsund Insolvenzverfahren, in: Sprung/König (Hrsg), Die Entscheidungsbegründung (1974) 135; Jahoda, Zur Formulierung der Beschlusses über die Einrede der Unzuständigkeit, ÖJZ 1972, 204; Rechberger/ Bittner, Grundbuchsrecht Rz 263 ff; Burgstaller, Zur Bindungswirkung von Säumnisentscheidungen, JBl 1999, 563. M. Bydlinski in Fasching/Konecny III § 425; Bajons Rz 152, 167; Ballon Rz 329 ff; Deixler-Hübner, PraktZPR I 339 ff; Deixler-Hübner/ Klicka Rz 234; Fasching Rz 1586 ff; Holzhammer 305; Rechberger/Simotta Rz 731 ff.

1 Die Aufzählung des § 425 Abs 1 („Entscheidungen, Anordnungen und Verfügungen“) ist ohne besonderen Erklärungswert. Die Funktion der verschiedenen Beschlüsse legt vielmehr zunächst die Einteilung in Sachentscheidungen und in Prozessentscheidungen nahe. Bei den Sachentscheidungen ist zwischen solchen in der Hauptsache und solchen in Zwischenstreitigkeiten zu unterscheiden.

2 Während Sachentscheidungen in der Hauptsache, die in Beschlussform ergehen (der Endbeschluss im Besitzstörungsverfahren, der bedingte Zahlungsbefehl im Mahnverfahren, die Zahlungsaufträge im Mandats- und Wechselmandatsverfahren und die Übergabe- [und Übernahme-] Aufträge im Bestandverfahren), urteilsgleiche Wirkungen entfalten (JBl 1935, 256; MietSlg 15.629/14, 24.568; SZ 52/125; krit Burgstaller, JBl 1999, 568 ff), kann dies von den Sachentscheidungen in Zwischenstreitigkeiten nicht generell gesagt werden: Während auch ihnen die Bindungswirkung des § 416 Abs 2 und formelle Rechtskraft zukommt, kommt es ganz auf den Einzelfall an, ob ein solcher Beschluss über den Prozess, in dem er ergangen ist, hinaus wirken kann, ob ihm also auch materielle Rechtskraftwirkung zukommt (dies wird zB bei einem Beschluss, mit dem die Gebühren eines Zeugen bestimmt werden, anzunehmen sein, während der Beschluss, mit dem die Verfahrenshilfe bewilligt wird, höchstens insofern über den Prozess hinaus wirkt, als sie nach § 64 Abs 2 auch für ein nach dem Prozess eingeleitetes Exekutionsverfahren wirken kann [RdW 1996, 15; für materielle Rechtskraft aber OLG Wien 14 R 20/99k = WR 864]; der Beschluss über die Zulassung eines Nebenintervenienten wirkt gar nicht über den Prozess hinaus).

3 Bei den Prozessentscheidungen ist der Variantenreichtum noch größer: Beschlüssen, die eine Klage zurückweisen und damit den Prozess beenden, kommt nicht nur die Bindungswirkung des § 416 Abs 2 und formelle Rechtskraft zu, sondern sie werden (im Umfang des Zurückweisungsgrunds) auch materiell rechtskräftig (Fasching Rz 1588; 1 Ob 618/92 = RZ 1994/20). Dasselbe gilt grundsätzlich von Beschlüssen, mit 1454

§ 425

2.2 Urteile und Beschlüsse

denen über eine Prozessvoraussetzung abgesprochen wird (ausdrücklich für die inländische Gerichtsbarkeit § 42 Abs 3 JN und für die Prozessfähigkeit § 7 Abs 2; Sonderregelungen bestehen für Zuständigkeitsentscheidungen: § 46 Abs 1 JN; §§ 230a, 261 Abs 6; § 38 Abs 4 ASGG); zu Ablehnungsbeschlüssen vgl 6 Ob 113/01p und Ballon in Fasching I § 24 JN Rz 2. Nicht prozessbeendend ist ein Beschluss, mit dem der Antrag auf Aufhebung der Rechtskraft- und Vollstreckbarkeitsbestätigung gem § 7 Abs 3 EO abgewiesen wurde; dieser wird daher nur formell rechtskräftig (OLG Wien 7 Ra 161/03b). Aufhebungs- und Zurückverweisungsbeschlüsse der Rechtsmittelgerichte, die diese gem § 416 Abs 2 binden und formell rechtskräftig werden, binden zwar (gem §§ 496 Abs 2, 499 Abs 2, 511 Abs 1, 527 Abs 1) auch die Untergerichte, entfalten darüber hinaus aber – schon mangels eines Anlasses – keine Feststellungswirkung (so auch Fasching Rz 1589; GH 1934, 95). Die Beschlüsse „bloß prozessleitender Natur“ schließlich ordnen den Ablauf des Verfahrens und haben kein von diesem „losgelöstes Eigenleben“ (Fasching Rz 1590); nach § 425 Abs 2 ist daher nicht einmal das Gericht selbst an sie (iSd § 416 Abs 2) gebunden (solche Beschlüsse sind zB der Beschluss auf Verbindung mehrerer Prozesse, Ladungen oder der Unterbrechungsbeschluss [9 Ob 140/00d]; auch an die Festlegung des Termins der Rechnungslegung als prozessleitende Verfügung iSd § 78 EO iVm § 425 Abs 2 ist das Gericht nicht gebunden [3 Ob 12/02i, 13/02m = JBl 2002, 659]). Die Terminologie der Rsp ist eher unpräzise; materielle Rechtskraft 4 misst sie nur jenen Beschlüssen zu, „die das zwischen den Parteien bestehende Rechtsverhältnis ergreifen“ (SZ 3/9 [abl Petschek, JBl 1923, 69]; ZBl 1933/23; ZBl 1933/197; GH 1934, 95; OLG Wien EvBl 1935/ 368. Einem Beschluss auf Einstellung des Verfahrens kommt demnach keine Rechtskraft zu: ZBl 1932/14). Betont wird ferner, dass die Bindung an nicht bloß prozessleitende Beschlüsse auch im Fall eines Richterwechsels besteht (bei Zulassung der Nebenintervention: OLG Wien ZBl 1930/279; bei Zulassung einer Klageänderung: LGZ Wien EvBl 1948/669; bei Präklusion eines Sachverständigenbeweises: SZ 35/89 = EvBl 1963/10; bei Zurückweisung der Unzuständigkeitseinrede: SZ 50/ 126 = RZ 1978/17). Aus der „sinngemäßen“ Anwendung der Vorschriften des § 412 auf Be- 5 schlüsse ergibt sich, dass dann, wenn ein Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung gefällt wird (zB der Endbeschluss oder die Entscheidung über eine Prozesseinrede), nur jener Richter, der die mündliche Verhandlung durchgeführt hat, auch den Beschluss fassen darf. 1455

§ 426

Rechberger

§ 426. (1) Alle während der Verhandlung oder Beweisaufnahme vom Senate, von dem Vorsitzenden oder von einem beauftragten oder ersuchten Richter gefaßten Beschlüsse sind zu verkünden. Diese Beschlüsse sind den bei der Verkündung anwesenden Parteien in schriftlicher Ausfertigung zuzustellen, wenn der Partei ein Rechtsmittel gegen den Beschluß oder das Recht zur sofortigen Exekutionsführung auf Grund des Beschlusses zusteht. (2) An Parteien, welche bei der Verkündung nicht anwesend waren, ist in diesen Fällen und nebstdem in allen Fällen, in welchen die Leitung des Verfahrens es erfordert, die Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung zu bewirken. (3) Wenn die Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung nicht zu erfolgen hat, so begründet die mündliche Verkündung die Wirkung der Zustellung. [Stammfassung] Lit: M. Bydlinski in Fasching/Konecny III § 426; Bajons Rz 152; Ballon Rz 331; Deixler-Hübner, PraktZPR I 340; Fasching Rz 1593 f; Holzhammer 306; Rechberger/Simotta Rz 736.

1 Nach Abs 1 sind alle während einer mündlichen Verhandlung oder bei einer Beweisaufnahme-Tagsatzung gefassten Beschlüsse mündlich zu verkünden; Kostenentscheidungen können jedoch gem §§ 53 Abs 2, 414 Abs 2 der schriftlichen Ausfertigung des Urteils oder Kostenbeschlusses vorbehalten werden. Gem § 208 Abs 1 Z 3 sind die bei der mündlichen Verhandlung gefällten und verkündeten Beschlüsse in das Verhandlungsprotokoll aufzunehmen.

2 Verkündete Beschlüsse sind den bei der Verkündung anwesenden Parteien nur dann in schriftlicher Ausfertigung zuzustellen, wenn ihnen ein Rechtsmittel gegen den Beschluss zusteht (vgl EvBl 1995/61 = Arb 11.225 = ARD 4730/16/96; ARD 4730/96/96) oder sie aufgrund des Beschlusses Exekution führen können (anderenfalls sind ihnen nach § 79 Abs 4 GOG nur auf ihr Verlangen schriftliche Ausfertigungen zuzustellen). Die Zustellung bloß der Protokollsabschrift kann jener der Beschlussausfertigung aber nicht gleichgehalten werden und setzt den Lauf der Rechtsmittelfrist daher nicht in Gang (7 Ob 291/00w = EvBl 2001/131; LGZ Wien 45 R 636/01i = EFSlg 98.303). Verzichten die Parteien auf die Zustellung einer Beschlussausfertigung, beginnt die Rechtsmittelfrist schon mit der mündlichen Verkündung zu laufen (Fasching Rz 1594; SZ 52/68 = RZ 1980/56; abw LGZ Wien Arb 7905, wonach die Zustellung nur dann unterbleiben kann, wenn auch auf ein Rechtsmittel verzichtet wurde). Es kann aber auch nachträglich eine 1456

§ 427

2.2 Urteile und Beschlüsse

Ausfertigung des Beschlusses begehrt werden (LGZ Wien Arb 7.648), was aber auf den Lauf der Rechtsmittelfristen keinen Einfluss mehr hat (SZ 52/68). Liegen die Voraussetzungen des Abs 1 Satz 2 vor, müssen verkündete 3 Beschlüsse auch an die Parteien zugestellt werden, die bei der Verkündung nicht anwesend waren. Das gleiche gilt, wenn es die Leitung des Verfahrens erfordert, dass die abwesende Partei von dem Beschluss in Kenntnis gesetzt wird (wie zB bei dem Beschluss auf Erstreckung einer Tagsatzung). Braucht der Beschluss nicht schriftlich ausgefertigt zu werden, wird er 4 mit der mündlichen Verkündung wirksam. Diese Wirksamkeit erschöpft sich (mit Ausnahme der rein prozessleitenden Verfügungen) in jener des § 416 Abs 2. Mit der Verkündung oder Zustellung ist der Beschluss erlassen und 5 damit wirksam iSd § 416. Die Stadien der Relevanz von Beschlüssen sind die gleichen wie bei den Urteilen (s Vor § 390 Rz 20 ff). Jeder Leistungsbeschluss entfaltet so wie ein Leistungsurteil Vollstre- 6 ckungswirkung; diese tritt vor einer allfälligen Feststellungswirkung ein, weil die Leistungsfrist bereits mit dem Zeitpunkt der Wirksamkeit zu laufen beginnt (s § 409 Rz 8, § 524 Rz 1 f und dort die Ausnahme des Abs 2). Bei rechtsgestaltenden Beschlüssen (zB Bestellung und Enthebung eines Kurators, Bewilligung und Entziehung der Verfahrenshilfe) tritt die Gestaltungswirkung grundsätzlich mit der Wirksamkeit gegenüber den Parteien ein (vgl zB für den Entzug der Verfahrenshilfe § 68 Abs 4; vgl auch SZ 69/244 = RdW 1997, 276). § 427. (1) Außerhalb der Tagsatzungen gefaßte Beschlüsse sind den Parteien durch Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung (Bescheid) bekanntzugeben. (2) Ein Bescheid, durch welchen ein Antrag einer Partei ohne vorhergehende Vernehmung des Gegners abgewiesen wird, ist dem Gegner nur auf Ansuchen des Antragstellers zuzustellen. [Stammfassung] Lit: M. Bydlinski in Fasching/Konecny III § 427; Rechberger/Simotta Rz 736.; sonst wie bei § 425. Beschlüsse, die außerhalb einer mündlichen Verhandlung gefasst wer- 1 den (zB Zurückweisung der Klage a limine, Zurückweisung von Rechts1457

§ 428

Rechberger

mitteln, Kostenersatzbeschlüsse) müssen den Parteien in schriftlicher Ausfertigung zugestellt werden. Wird ein Beschluss, der nur nach mündlicher Verhandlung gefällt werden darf (zB über eine Prozesseinrede), außerhalb einer Tagsatzung gefasst, kann dies wegen eines Verstoßes gegen das rechtliche Gehör Nichtigkeit bewirken; ist dies nicht der Fall, liegt immerhin ein wesentlicher Verfahrensmangel vor (vgl M. Bydlinski in Fasching/Konecny III § 427 Rz 2).

2 Die Anordnung des Abs 2 kann grundsätzlich nur einen außerhalb der Tagsatzung gefassten Beschluss betreffen, weil in der mündlichen Verhandlung beide Parteien zu hören sind (M. Bydlinski in Fasching/ Konecny III § 427 Rz 4); sie ist aber wohl auch auf einen in der Verhandlung gefällten Beschluss anzuwenden, wenn der Antragsgegner (bei Antragstellung und Verkündung des Beschlusses) nicht anwesend war. § 428. (1) Beschlüsse über widerstreitende Anträge und Beschlüsse, durch welche ein Antrag abgewiesen wird, müssen begründet werden. (2) Hiebei sind die Anträge, über welche im Beschlusse entschieden wird, und der Sachverhalt, falls nicht beides aus dem gleichzeitig mitgeteilten Schriftsatze oder aus der Protokollabschrift zu entnehmen ist, in die Begründung insoweit aufzunehmen, als es zum Verständnis des Ausspruches oder der Verfügung erforderlich ist. [Stammfassung] Lit: M. Bydlinski in Fasching/Konecny III § 428; sonst wie bei § 425.

1 Die Begründungspflicht ist bei Beschlüssen gegenüber jener bei Urteilen eingeschränkt: Begründet werden müssen nur Beschlüsse über widerstreitende Anträge (MR 1998, 34; vgl auch OLG Wien AnwBl 1997, 209 = AnwBl 1997, 213 für den Beschluss über einen Verfahrenshilfeantrag, hinsichtlich dessen kein widerstreitender Antrag gestellt wurde; vgl aber unten Rz 2 und EFSlg 79.221) und Beschlüsse, die einen Antrag abweisen (zur Problematik dieser Regelung vgl Fasching in Sprung/König, Entscheidungsbegründung 142, 151). Eine Begründung sollte auch dann erfolgen, wenn der Beschluss über Rechtsschutzanträge erkennt (M. Bydlinski in Fasching/Konecny III § 428 Rz 1; OLG Innsbruck 1 R 180/99a = ZIK 2000/119). Fehlt diese Begründung im Beschluss, bewirkt dies Nichtigkeit gem § 477 Abs 1 Z 9 (LGZ Wien Arb 7.905). 1458

§ 429

2.2 Urteile und Beschlüsse

Aus Abs 2 ergibt sich, dass auch der Umfang der Begründung reduziert 2 werden kann, weil auf den Inhalt beigelegter Schriftsätze oder von Protokollabschriften verwiesen werden kann und die dem Beschluss zugrundeliegenden Anträge nur so weit aufzunehmen sind, als dies zum Verständnis des Beschlusses erforderlich ist (LG Salzburg 21 R 209/00g = EFSlg 98.355). Die strenge Gliederung des Urteils, wie sie § 417 Abs 1 Z 3 und 4, § 417 Abs 2 verlangt, ist demnach nicht erforderlich (JBl 1959, 37 betont gar, dass eine Trennung von Spruch und Gründen nicht vorgeschrieben sei; erstaunlicher Weise zust M. Bydlinski in Fasching/Konecny III § 428 Rz 2). Um eine sinnvolle Überprüfung im Rechtsmittelverfahren zu gewährleisten, wird das Gericht freilich bei den anfechtbaren Beschlüssen (ds grundsätzlich alle außer den prozessleitenden) trotzdem auch die Regeln des § 417 weitgehend beachten müssen (ähnlich Fasching Rz 1595). Liegt in diesem Sinn eine mangelhafte Begründung vor, bedeutet dies einen erheblichen Verfahrensmangel (LGZ Wien EFSlg 79.221). Beschlüsse über die Bestimmung von Sachverständigengebühren sind 3 wegen § 39 Abs 3 GebAG stets zu begründen (OLG Innsbruck RZ 1974/2 [zust König], LG Linz SV 1979 H 1, 27; SV 1980 H 1, 24; SV 1982 H 4, 14; OLG Wien SV 1994 H 4, 43; SV 1995 H 4, 28 uva). § 429. (1) Die Urschrift des Beschlusses ist, wenn der Beschluß von einem Senat gefaßt wurde, von dem Vorsitzenden, außerdem aber von dem Richter zu unterschreiben, welcher den Beschluß gefaßt hat. (2) Die schriftliche Ausfertigung eines Beschlusses hat auch die in § 417 Abs 1 Z 1 und 2 bezeichneten Angaben zu enthalten. [Stammfassung] Lit: M. Bydlinski in Fasching/Konecny III § 429; sonst wie bei § 425. Die Urschrift des Beschlusses ist (teilweise abweichend von der Vor- 1 schrift des § 418 Abs 1 für Urteile) nur von dem Richter zu unterschreiben, der den Beschluss gefasst hat (im Senatsprozess aber jedenfalls [auch] vom Vorsitzenden); nicht aber vom Schriftführer. Für die schriftliche Ausfertigung des Beschlusses schreibt das Gesetz 2 nur die Aufnahme der Angaben des § 417 Abs 1 Z 1 (hinsichtlich des Gerichts) und Z 2 (hinsichtlich der Parteien) vor. Vgl weitere Vorschriften über die Ausfertigung von Beschlüssen in den § 79 GOG, §§ 67, 114, 144, 149 Geo. 1459

§ 430

Rechberger

§ 430. In Ansehung der Erteilung von Ausfertigungen und Auszügen, dann der Berichtigung von Beschlüssen und der Ergänzung derselben, wenn über einen Antrag der Partei teilweise nicht erkannt wurde oder wenn der beantragte Ausspruch über die Erstattung der Prozeßkosten fehlt oder unvollständig ist, gelten die Vorschriften der §§ 418, 419, 423 und 424. [Stammfassung] Lit: M. Bydlinski in Fasching/Konecny III § 430; sonst wie bei § 425.

1 § 430 übernimmt von den Vorschriften für die Urteile vor allem jene über die Berichtigung (§ 419) und über die Ergänzung (§§ 423, 424) auch für die Beschlüsse.

2 Bei Unvollständigkeit eines Beschlusses ist wahlweise Ergänzungsantrag oder Rekurs zulässig (SZ 16/174, s auch §§ 423, 424 Rz 3). Der Ergänzungsbeschluss ist selbständig anfechtbar (EvBl 1975/296).

3 Über den Ersatz von Kosten, die infolge eines Vorabentscheidungsverfahrens vor dem EuGH im Rahmen eines einseitigen Revisionsrekursverfahrens aufgelaufen sind, ist ebenfalls mit Ergänzungsbeschluss zu entscheiden: RdW 1998, 616 = ZfRV 1998, 162.

1460

Dritter Teil Verfahren vor den Bezirksgerichten § 431. (1) Auf das Verfahren vor den Bezirksgerichten finden, sofern nichts anderes bestimmt ist, die Vorschriften über das Verfahren vor den Gerichtshöfen erster Instanz Anwendung. (2) Die durch die Vorschriften des zweiten Teiles für den Senat oder dessen Vorsitzenden begründeten Befugnisse und Obliegenheiten sind im Verfahren vor Bezirksgerichten durch den Einzelrichter auszuüben. [Stammfassung] Lit: Bukovics, Bezirksgerichtliches Verfahren (Zivilprozeß), Rechtslexikon 1956; Kalmus, Die Bedeutung der Zivilverfahrens-Novelle 1983 für das bezirksgerichtliche Verfahren, in: BMJ, Neuerungen im zivilgerichtlichen Verfahren (Richterwoche 1983) 63; Fink, Das Verfahren in Arbeitsrechtssachen vor dem Konkurs- und Ausgleichsgericht, DRdA 1988, 205; P. Böhm, Zu den rechtstheoretischen Grundlagen der Rechtspolitik Franz Kleins, in Hofmeister, Forschungsband Franz Klein (1988) 191; Fasching, Rechtliches Gehör und Rationalisierung des zivilgerichtlichen Verfahrens in Österreich, FS Nakamura (1996) 117; G. Kodek in Fasching/Konecny III § 431; Deixler-Hübner/Klicka Rz 221 ff. „Rechtsfälle des täglichen Lebens“ weist § 49 JN den BG zu. Um den 1 Großteil der zivilgerichtlichen Streitsachen rasch, einfach und billig erledigen zu können, finden sich in den §§ 431 bis 447 Abweichungen vom Gerichtshofverfahren, das dennoch als das „typische“ geregelt ist und dessen Normen mangels besonderer Bestimmungen auch vor den BG anzuwenden sind (vgl zuletzt SZ 70/119). In allgemeinen Streitsachen, für die der Gerichtshof als Konkurs- oder 2 Ausgleichsgericht zuständig ist (§§ 111, 178 KO, §§ 72, 77 AO), sind die Bestimmungen über das Verfahren vor den BG anzuwenden, es sei denn, die Klage fiele auch ansonst in die Zuständigkeit des GH (§ 179 Z 2 KO, § 77 AO). Auf Klagen, die gem § 79 JN (Klagen von und gegen Richter) oder § 94 Abs 2 JN (Gerichtsstand des Hauptprozesses) vor den GH I gebracht werden, finden dagegen nur die Vorschriften des bezirksgerichtlichen Mahn- und des Besitzstörungsverfahrens und die 1461

§ 432

Fucik

Anwaltspflicht, nicht aber die übrigen Abweichungen der §§ 431 ff Anwendung (Art XIV EGJN).

3 In Arbeits- und Sozialrechtssachen verweisen die §§ 39, 56 und 59 ASGG auf die meisten BG-Verfahrensbesonderheiten; darauf wird bei den einzelnen Bestimmungen hingewiesen. § 432. (1) Der Richter hat Parteien, welche rechtsunkundig und nicht durch Rechtsanwälte vertreten sind, erforderlichenfalls die zur Vornahme ihrer Prozeßhandlungen nötige Anleitung zu geben und dieselben über die mit ihren Handlungen oder Unterlassungen verbundenen Rechtsfolgen zu belehren. (2) Insbesondere hat der Richter solche Parteien bei der Verkündung seiner Entscheidungen auf die Frist, binnen welcher eine Entscheidung durch ein Rechtsmittel angefochten werden kann, und auf die gesetzlichen Bestimmungen, welche die Bestellung eines Rechtsanwaltes als Prozeßbevollmächtigten für die Ergreifung des Rechtsmittels vorschreiben, aufmerksam zu machen. (3) Einer Partei, die sich in einem Schriftsatz nicht verständlich auszudrücken vermag, ist unter Setzung einer angemessenen Frist der Auftrag zu erteilen, den Schriftsatz nach Bestellung eines geeigneten Bevollmächtigten, erforderlichenfalls eines Rechtsanwalts, neuerlich einzubringen, andernfalls der Schriftsatz als nicht eingebracht anzusehen ist. § 84 Abs 3 gilt sinngemäß. [Abs 3 eingefügt mit ZVN 2002; sonst Stammfassung] Lit: s auch bei § 182. Inhaltsübersicht Erweiterte Anleitungs- und Belehrungspflicht Gegenstand der Anleitung Verletzung der Manuduktionspflicht

1 2 3

Rechtsmittelbelehrung 4 Arbeits- und Sozialgerichtliches Verfahren 5 Besondere Verbesserungspflicht 6–7

1 Über die Grenzen des § 182 hinausgehende Anleitungs- und Belehrungspflichten (Manuduktion) setzt § 432 (iVm §§ 435, 447), der als Akt des „kompensatorischen Rechtsschutzes“ die fehlende Rechtskenntnis und Routine nicht durch einen Rechtsanwalt (Notar, qualifizierte Person iSd § 40 Abs 1 ASGG in Arbeits- und Sozialrechtssachen) vertretener Parteien ersetzen soll. Neben anwaltlicher (GlUNF 4903) und notarieller (ZBl 1922/213) Vertretung schließt auch die durch einen 1462

2.3 Verfahren vor den Bezirksgerichten

§ 432

Beamten des Jugendwohlfahrtsträgers (zuletzt LGZ Wien EFSlg 55.094) oder durch Vertreter anderer Beratungsinstitutionen wie Mietervereinigung, Konsumenteninformation, Gläubigerschutzverbände (Fasching Rz 1611) die Manuduktionspflicht aus. Der Richter hat die Partei mit ihren Rechten und Pflichten im Prozess 2 vertraut zu machen und sie über die Rechtsfolgen ihrer Handlungen und Unterlassungen zu belehren, nicht aber dahin, ob und welche Maßnahmen im Einzelfall am zweckmäßigsten zu ergreifen sind (für alle LGZ Wien EFSlg 109.034; G. Kodek in Fasching/Konecny III § 432 Rz 13). Es ist nicht Aufgabe des Richters, konkrete Beweisanträge oder ein bestimmtes Tatsachenvorbringen zu empfehlen (LGZ Wien EFSlg 67.028 f; LGZ Graz MietSlg 42.515 uva) oder gar für die Partei zu formulieren (LGZ Wien EFSlg 67.029 uva). Der Richter hat also fehlende Gesetzeskenntnis zu ersetzen, nicht aber für deren Umsetzung in die konkret zu treffende Maßnahme zu sorgen (Arb 5.000; LGZ Wien EFSlg 109.035 ua). Die Grenzen der richterlichen Anleitungspflicht liegen dort, wo eine Klageänderung angeregt werden müsste (SZ 70/199 = JBl 1998, 308 = EvBl 1998/59) und wo die Belehrung den Anschein und die Besorgnis einseitiger Unterstützung einer Partei und der Parteinahme für diese hervorrufen könnte (LGZ Wien EFSlg 67.030 uva), wo sich der Richter also zum Ratgeber und Rechtsfreund einer Partei machte (JBl 1950, 318; 1957, 595; LGZ Wien EFSlg 67.030 f; LGZ Wien EFSlg 109.032; LG Salzburg EFSlg 106.033). Der Richter hat zB über den notwendigen Inhalt einer Klage, über Behauptungs- und Beweislast (JBl 1985, 437), über Präklusionsfolgen, Heilung von Unzuständigkeiten (vgl Fasching Rz 1611) zu belehren, über die Beweispflicht – ohne zu konkreten Beweisen anzuleiten (LG Linz EFSlg 105.883). Die Belehrung ist zu protokollieren (vgl nun § 208 und G. Kodek in Fasching/Konecny III § 432 Rz 35). Eine nicht protokollierte Anleitung gilt als nicht erfolgt (LGZ Wien MietSlg 41.557). Die Verletzung der Manuduktionspflicht begründet zwar keine Nich- 3 tigkeit (MietSlg 34.764), aber einen Verfahrensmangel (JBl 1973, 45). Zur besonderen Belehrung bei Verkündung des Urteils s § 414 Abs 2 4 letzter Satz (§ 414 Rz 5). Eine noch über § 432 hinausgehende Anleitungs- und Belehrungs- 5 pflicht findet sich in § 39 Abs 2 Z 1 ASGG, wonach der Vorsitzende (nicht qualifiziert vertretene) Parteien über die bei derartigen Arbeitsund Sozialrechtssachen in Betracht kommenden besonderen Tatsachen1463

§ 433

Fucik

vorbringen und Beweisanbote zu belehren und zur Vornahme der sich anbietenden derartigen Prozesshandlungen anzuleiten hat. Fasching (Rz 2275 und FG 19) hält hier eine einschränkende Auslegung für geboten, wonach nur die allgemeine Problematik solcher Streitfälle aufgezeigt werden könne (vgl Kuderna 228, 230). Auch § 14 AußStrG kennt diese weiterreichende Manuduktionspflicht.

6 Abs 3 statuiert eine besondere Verbesserungspflicht für Postulationsunfähige: Wer sich in einem Schriftsatz nicht verständlich ausdrücken kann, dem ist der Auftrag zu erteilen, den Schriftsatz nach Bestellung eines geeigneten Bevollmächtigten, erforderlichenfalls eines Rechtsanwalts, neuerlich (selbstverständlich: so verbessert, dass er verständlich ist) einzubringen. Der Auftrag kann bei relativer Anwaltspflicht nur darauf gerichtet sein, einen Anwalt zu bevollmächtigen, sonst kann eine andere geeignete Person nicht ausgeschlossen werden. Kein solcher Auftrag kann ergehen, wenn die Partei fremdsprachig ist (dann: Dolmetsch, allenfalls in Verfahrenshilfe; ausnahmsweise im Rahmen der Volksgruppenrechte Verfahrensführung in Slowenisch bzw Kroatisch), oder sich zwar verständlich, aber „querulatorisch“ ausdrückt. Auch ein zu Recht indiziertes Verfahren nach § 6a wäre selbstverständlich vorrangig.

7 Aus der Verweisung auf § 84 Abs 3 ergibt sich die Fristwahrung bei fristgerechter Neueinbringung. Dass der Auftrag nicht abgesondert anfechtbar ist, normiert das Gesetz zwar nicht, doch schiene eine Analogie angebracht. § 433. (1) Wer eine Klage zu erheben beabsichtigt, ist berechtigt, vor deren Einbringung bei dem Bezirksgerichte des Wohnsitzes des Gegners dessen Ladung zum Zwecke des Vergleichsversuches zu beantragen. An Orten, an welchen mehrere Bezirksgerichte bestehen, kann eine solche Ladung außerdem an alle Personen ergehen, die an diesem Orte, wenngleich außerhalb des Sprengels des zuständigen Bezirksgerichtes, ihren Wohnsitz haben. (2) Gegen die Entscheidung über einen solchen Antrag ist ein Rechtsmittel nicht zulässig. [Abs 1 idF 1. GEN, sonst Stammfassung]

1 Alles, was Gegenstand eines gerichtlichen Vergleichs sein kann, also auch in die Wert- oder Eigenzuständigkeit des GH I (SZ 34/96 = EvBl 1961/436 = JBl 1962, 90) oder ins Verfahren außer Streitsachen fallende Gegenstände, können vor dem BG des Wohnsitzes (oder gewöhnlichen 1464

2.3 Verfahren vor den Bezirksgerichten

§ 434

Aufenthalts, Fasching Rz 1609) des Gegners (und wirksam auch vor jedem anderen Gericht) vor Klageerhebung ohne Anwaltspflicht (§ 27 Abs 3) mit einem „prätorischen Vergleich“ bereinigt werden. In Arbeitsrechtssachen können prätorische Vergleiche vor dem Vorsit- 2 zenden stattfinden (§ 59 Abs 1 Z 1 ASGG), allenfalls aber auch vor dem (örtlich zuständigen) BG. Die BG am Sitze des GH I als Arbeits- und Sozialgericht und jene an den Gerichtstagsorten haben Vergleichsversuche allerdings nur nach Belehrung der Partei über diesen Umstand und aufgrund eines dennoch gestellten Antrags vorzunehmen (§ 59 Abs 2 ASGG). Aktenmäßig scheinen nur schriftliche Anträge (N-Register) und ge- 3 schlossene Vergleiche (C-Register) auf; mündliche Anträge werden durch Überreichung einer Ladung zur (privaten) Zustellung an den Gegner erledigt (vgl § 547 Geo und ADV-Handbuch). Zur Gebührenpflicht s § 2 Z 1 lit a GGG. Erscheint der geladene Gegner nicht, endet die Gerichtstätigkeit. 4 Kommt eine Einigung zustande, so ist sie zu protokollieren, kommt keine zustande, könnte iSd § 439 (s dort) sogleich verhandelt werden. Im Rahmen des ZivRÄG 2004 („Recht auf Licht“) ist einer Klage eine Bestätigung über das Scheitern eines prätorischen Vergleichsversuchs, der Befassung einer Schlichtungsstelle oder eines Mediators der Klage beizulegen (Art III Z 4 ZivRÄG 2004). Seit der ZVN 2004 macht § 64 Abs 1 Z 3 deutlich, dass auch für einen 5 Vergleichsversuch Verfahrenshilfe (einschließlich Anwaltsbeigabe) bewilligt werden kann. Wer keine Klage zu erheben beabsichtigt, weil er sich mit dem Gegner 6 schon außergerichtlich geeinigt hat, muss den Weg des vollstreckbaren Notariatsakts wählen; die Gerichte haben bereits erfolgte Einigungen nicht zu protokollieren (§ 547 Abs 3 Geo). Dennoch protokollierte Vergleiche sind aber selbstverständlich nicht unwirksam (s ausführlich bei G. Kodek in Fasching/Konecny III § 433 Rz 3, 9).

§ 434. (1) Die Klage, sowie alle außerhalb der mündlichen Verhandlung vorzubringenden Gesuche, Anträge und Mitteilungen können die Parteien, wenn sie nicht durch Rechtsanwälte vertreten sind, zu Protokoll anbringen. 1465

§ 434

Fucik

(2) Klagen und Widersprüche gegen ein Versäumungsurteil können von einer Partei auch beim Bezirksgericht ihres Aufenthalts mündlich zu Protokoll erklärt werden; dieses Bezirksgericht hat das Protokoll dem Prozeßgericht unverzüglich zu übersenden. [Abs 2 angefügt durch KSchG, Fassung ZVN 2002; Abs 1 Stammfassung]

1 Protokollarisches Vorbringen kann – dringende Fälle ausgenommen – auf die Amtstage (s § 439) beschränkt werden (§ 54 Geo).

2 Nur anwaltlich (notariell) nicht vertretene Parteien können zwischen schriftlicher und protokollarischer Form wählen. Bei welchem Gericht sie ihre protokollarischen Eingaben anbringen können, ist unterschiedlich geregelt; a) praktisch jedes Gericht (die Formel „Bezirksgericht ihres Aufenthalts“ ist inhaltsleer [zust G. Kodek in Fasching/Konecny III § 434 Rz 3]; wo sonst als am jeweiligen Aufenthalt könnte sich die Partei denn befinden?) hat aufzunehmen: 1) Klagen (§ 434 Abs 2) und Aufkündigungen (Fasching Rz 1614), 2) Widersprüche gegen ein Versäumungsurteil (§ 434 Abs 2), 3) Einsprüche gegen den Zahlungsbefehl und Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Mahnverfahren (§ 451 Abs 1), jeweils allenfalls verbunden mit Verfahrenshilfeantrag (§ 65 Abs 1), sowie 4) alle übrigen Verfahrenshilfeanträge (§ 65 Abs 1). b) Nur das Prozessgericht hat die übrigen, außerhalb der mündlichen Verhandlung anzubringenden Anträge aufzunehmen, insb sonstige Wiedereinsetzungsanträge (§ 149 Abs 1), Einwendungen im (Wechsel-)Mandats- und Bestandverfahren, Berufungsanmeldungen (§ 461 Abs 1), -ausführungen (§ 465 Abs 2), -beantwortungen (§ 468 Abs 2 iVm § 465 Abs 2), Rekurse (§ 520 Abs 1 letzter Satz [aA SZ 57/164 und zuletzt LG Eisenstadt 13 R 17/05f, die Rekurserhebung auch beim Wohnsitzgericht zulassen; dagegen auch G. Kodek in Fasching/Konecny III § 434 Rz 9]) und Rekursbeantwortungen (§ 521a Abs 1 letzter Satz iVm § 520 Abs 1 letzter Satz).

3 In Arbeits- und Sozialrechtssachen sind die Bestimmungen über protokollarisches Anbringen (§§ 434, 520) anzuwenden (§ 39 Abs 2 Z 2 ASGG). Parteien, deren Wohnsitz, Aufenthalt (hier ist nach systematischer Auslegung gegen Kuderna 231 wohl der gewöhnliche Aufenthalt iSd § 66 Abs 2 JN gemeint, nicht der jeweilige) oder Beschäftigungsort außerhalb des Bezirksgerichtssprengels (Ortes) liegt, in dem der zuständige GH I seinen Sitz hat, können ihr Anbringen auch beim BG ihres Wohnsitzes, Aufenthalts oder Beschäftigungsorts zu Protokoll geben (dieses hat das Protokoll unverzüglich dem zuständigen GH I als Arbeits- und Sozialgericht zu übermitteln). 1466

2.3 Verfahren vor den Bezirksgerichten

§ 436

§ 435. (1) Wenn die schriftlich überreichte Klage nach Ansicht des Richters in irgend einem Punkte einer Ergänzung oder Aufklärung bedarf, oder wenn sich gegen die Einleitung des Verfahrens Bedenken ergeben, hat der Richter dem Kläger, wenn derselbe nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten ist, vor Erledigung der Klage, zu den entsprechenden Vervollständigungen oder Richtigstellungen die nötige Anleitung zu geben. (2) Erscheint die mündlich zu Protokoll gegebene Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges, Unzuständigkeit des Gerichtes, wegen Mangels der persönlichen Befugnis zur Klage oder wegen mangelnder Prozeßfähigkeit des Beklagten unzulässig, so ist hierüber dem Kläger mündlich oder auf Verlangen schriftlich Belehrung zu erteilen. Ebenso ist, wenn die Klage offenbar unbegründet erscheint, dem Kläger mündlich eine angemessene Belehrung zu erteilen. Die Aufnahme der Klage darf jedoch nicht verweigert werden, wenn der Kläger trotz der Belehrung auf der Protokollierung besteht. [Stammfassung] Diese Bestimmung ist der allgemeinen Manuduktionspflicht des § 432 1 als „spezifische Ausprägung“ der Anleitung bei Bearbeitung der Klage zur Seite gestellt. Sie ist (für nicht qualifiziert vertretene Parteien) auch in Arbeits- und Sozialrechtssachen anzuwenden (§ 39 Abs 2 Z 1 ASGG). Der Umfang der Anleitung ist weit, aber nicht endlos. Freilich kann 2 selbst eine Anleitung zur Klageänderung einmal geboten sein, wenn sie sich eindeutig im Rahmen des klar angestrebten Rechtsschutzziels bewegt (§ 182 Rz 1), aber nie eine Anleitung zur Verfolgung weiterer oder anderer Ansprüche (s auch G. Kodek in Fasching/Konecny III § 435 Rz 7). Verbesserungsaufträge an unvertretene Parteien können nicht nur 3 durch Schriftsatz, sondern auch durch protokollarische Ergänzung erfüllt werden. Die Aufnahme aussichtsloser Klagen ohne (protokollierte) Belehrung 4 kann Amtshaftungsansprüche begründen. § 436. Die Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung über die Klage kann in dringenden Fällen und insbesondere bei Klagen wegen Besitzstörung auf den nämlichen Tag anberaumt werden, an welchem die Klage bei Gericht angebracht wurde. [Stammfassung] 1467

§ 437

Fucik

1 In nicht dringenden Fällen bleibt es bei der Einlassungsfrist von etwa 3 Wochen (§ 257 Abs 1 iVm § 431 Abs 1).

2 Einen Antrag auf Verkürzung der Frist setzt das Gesetz nicht voraus (G. Kodek in Fasching/Konecny III § 436 Rz 2). § 437. Der Kläger ist durch Zustellung einer Ausfertigung des über die Klage ergehenden Beschlusses mit der Aufforderung zur mündlichen Verhandlung zu laden, die während der Verhandlung in Augenschein zu nehmenden Gegenstände und die sich auf den Rechtsstreit beziehenden, dem Gerichte noch nicht in Urschrift vorliegenden Urkunden zur Tagsatzung mitzubringen. In der Ladung ist dem Kläger bekannt zu geben, welche Nachteile das Gesetz mit dem Versäumen der Tagsatzung verbindet. [Stammfassung]

1 Auch bei den Ladungen erwähnt das Gesetz die Belehrungspflicht (hier: Säumnisfolgen). Dem wird durch die ZPForm 34, 35/Lad A1–A9 Rechnung getragen.

2 Die Ladungsbestimmungen sind auch in Arbeits- und Sozialrechtssachen anzuwenden (§ 39 Abs 1 Z 3 ASGG). § 438. Die Ladung des Beklagten geschieht durch Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung des über die Klage ergehenden Beschlusses unter gleichzeitiger Mitteilung eines Exemplares der schriftlichen Klage oder einer Abschrift des über die Klage aufgenommenen Protokolles. Bei protokollarischer Ergänzung oder Richtigstellung der schriftlichen Klage ist dem Beklagten auch eine Abschrift dieses Protokolles zuzustellen. Der Beklagte ist zugleich aufzufordern, die sich auf den Rechtsstreit beziehenden Augenscheinsgegenstände und Urkunden zur Tagsatzung mitzubringen und wegen der Vorlage der im Besitze des Gegners oder in Verwahrung einer öffentlichen Behörde oder eines Notars befindlichen Beweisurkunden und Augenscheinsgegenstände, sowie wegen etwaiger gerichtlicher Vorladung von Zeugen noch vor der für die mündliche Verhandlung anberaumten Tagsatzung seine Anträge zu stellen. In der Ladung ist dem Beklagten bekannt zu geben, welche Nachteile das Gesetz mit dem Versäumen der Tagsatzung verbindet. [Stammfassung] 1468

2.3 Verfahren vor den Bezirksgerichten

§ 439 1

Siehe § 437 Rz 1 und 2.

Beim Beklagten wird der Belehrungspflicht durch die ZPForm 34, 35/ 2 Lad B1–B9 Rechnung getragen. § 439. (1) An bestimmten Gerichtstagen, welche im voraus festzusetzen und durch Anschlag am Gerichtshause bekannt zu machen sind, kann der Kläger mit der Gegenpartei auch ohne Vorladung vor Gericht erscheinen, um einen Rechtsstreit anhängig zu machen und darüber zu verhandeln. (2) In diesem Falle ist das Klagebegehren in dem Verhandlungsprotokolle aufzuzeichnen. [Stammfassung] Lit: Gitschthaler, Der Amtstag – Gesetz und Praxis (Eine Darstellung auch aus haftungsrechtlicher Sicht), RZ 1984, 168; Iro, Richterliche Auskunft und Amtshaftung, RdW 1984, 271; Schragel, Amtshaftungsgesetz2 (1985); Reckenzaun, Gerichtsjahr: Erster Einsatz – Amtstag, JAP 1990/91, 130; Ciresa/Wiederin/L. Hofmeister, „Amtstag real“, AnwBl 1994, 415; Schunak/Sprinzel, Gerichtsjahr II, JAP 1998/99, 73, 75; Schneider, Das Bagatellverfahren im österreichischen Recht (2001). G. Kodek in Fasching/Konecny III § 439 1385; Fasching Rz 1608; Danzl, Geo 133; Deixler-Hübner, PraktZPR 349. Gegen die verba legalia hat sich für die Tage des erweiterten Parteien- 1 verkehrs die Bezeichnung „Amtstag“ eingebürgert. Als „Gerichtstage“ werden die Tage bezeichnet, an denen ein anderes Gerichtsgebäude als Amtssitz dient (vgl § 29 GOG, § 35 ASGG; Fasching Rz 2256). Gegenstand des Amtstags ist nach dem Gesetz die Einbringung proto- 2 kollarischer Anträge und Mitteilungen, die Durchführung von Vergleichsversuchen und die Verhandlung ohne Ladung (§§ 433, 434 und 439). Bei solchen Gelegenheiten lassen sich durch Belehrung auch nicht protokollierte Einigungen erzielen oder Parteien von aussichtslosen Klagen abhalten, was wichtige „rechtshygienische“ Funktion hat. Ein darüber hinausgehender Anspruch auf allgemeine kostenfreie Auskunftserteilung und Rechtsberatung ist den Gesetzen, Verordnungen und Erlässen freilich nicht zu entnehmen (wenngleich die vom BMJ herausgegebenen Informationsbroschüren einen anderen Eindruck erwecken mögen; vgl Danzl 134, 136; Gitschthaler, RZ 1984, 170). Auskunftsbegehren ohne Bezug auf einen zumindest beabsichtigten Rechtsstreit können daher nicht im Rahmen des Amtstags erfüllt werden. 1469

§ 440

Fucik

3 Außer bei weniger als „einspännigen“ Gerichten ist der Dienstagvormittag einheitlich zum Amtstag erklärt (Details bei Danzl 134 mwN).

4 In Arbeits- und Sozialrechtssachen findet der Amtstag beim GH I als Arbeits- und Sozialgericht statt (§ 39 Abs 1 zweiter Satz ASGG).

5 Die Amtshaftung des Bundes als Träger der Gerichtsbarkeit erstreckt sich auch auf alle Falschauskünfte anlässlich des Amtstags (Iro, RdW 1984, 271; Schragel Rz 160; Schunak/Sprinzel, JAP 1998/99, 75).

6 Die Auskunftserteilung beim Amtstag begründet noch keine Befangenheit (vgl § 19 JN Rz 5 f). § 440. (1) Im bezirksgerichtlichen Verfahren soll tunlichst schon in der vorbereitenden Tagsatzung das Beweisverfahren durchgeführt werden. Ist aber insbesondere nach dem Inhalt der Klage anzunehmen, dass sich der Beklagte nicht in den Streit einlassen werde, so kann die vorbereitende Tagsatzung auf die in § 258 Abs 1 Z 1 und 2 genannten Punkte beschränkt werden. § 258 Abs 2 ist in diesem Fall nicht anzuwenden. (2) Die im zweiten Teil enthaltenen Vorschriften über die Verpflichtung des Beklagten zur Beantwortung der Klage mittels vorbereitenden Schriftsatzes sind im Verfahren vor den Bezirksgerichten nicht anzuwenden. (3) Sind die Parteien durch Rechtsanwälte vertreten, so kann ihnen der Wechsel vorbereitender Schriftsätze aufgetragen werden. (4) aufgehoben (5) Der Auftrag zur schriftlichen Feststellung von Anträgen und Erklärungen (§ 265) kann vom Richter nur denjenigen Parteien erteilt werden, welche bei der mündlichen Verhandlung durch Rechtsanwälte vertreten sind. (6) Die Höhe eines aufgetragenen Kostenvorschusses kann schon dann angefochten werden (§ 332 Abs 2), wenn der Gesamtbetrag der einer Partei aufgetragenen Vorschüsse 1 250 Euro übersteigt. [Abs 1 und 3 idF ZVN 2002; Abs 2 idF ZVN 1983, Abs 4 aufgehoben mit ZVN 2002; Abs 6 angefügt durch ZVN 1983 idF 2. EuroJuBeG, sonst Stammfassung] Lit: Schragel, Verfahrenstechnik im Zivilprozeß, RZ 1978, 21; V. Steininger, Klagebeantwortungs-Analogie im Verfahren vor Bezirksgerichten bei absoluter Anwaltspflicht, RZ 1993, 106; Fucik, Möglichkei1470

2.3 Verfahren vor den Bezirksgerichten

§ 440

ten und Grenzen der Verfahrensbeschleunigung in Zivilrechtssachen, RZ 1993, 218; M. Graff, Klagebeantwortungs-Analogie beim Bezirksgericht? RZ 1993, 234; Beran/Klaus/Liebhart/Nigl/Pühringer/Rassi/ Roch/Steinhauer, (Franz) Klein, aber fein, RZ 2002, 258, RZ 2003, 2. G. Kodek in Fasching/Konecny III § 420 1395; Fasching Rz 1620 ff; Ballon Rz 420; Deixler-Hübner, PraktZPR 349. Das Einlassungsverfahren ist vor den BG anders geregelt als vor den 1 GH I. Klagebeantwortungen sind im Verfahren vor den BG nicht vorgesehen. Den Standpunkt des Beklagten erfährt der Richter (vom begründeten Einspruch oder vorbereitenden Schriftsätzen abgesehen) erst durch Vortrag in der Tagsatzung. Steininger, RZ 1993, 107, schlägt eine teleologische Reduktion des Abs 2 auf jene Fälle vor, in denen keine absolute Anwaltspflicht besteht (zu Recht abl M. Graff, RZ 1993, 234 f; Rechberger/Simotta Rz 747). Die vorbereitende Tagsatzung soll möglichst bereits der Beweisaufnahme dienen. Mehr noch als im Verfahren vor dem GH I sollte vor dem BG aus Gründen der Prozessökonomie versucht werden, die Verhandlung tatsächlich in einer einzigen Tagsatzung zu Ende zu bringen. Problematisch ist dies va dort, wo dem Richter der Standpunkt des Beklagten erst in der Verhandlung erkennbar wird; dennoch ließen sich manchmal schon allein durch die Parteienvernehmung in der ersten Tagsatzung die wesentlichen Streitpunkte bannen und bei ernst genommener Verhandlungsvorbereitung (insb durch entsprechende Aufträge zu Vorbringen, Urkundenvorlagen und uU Gutachtenserstellung vor der Verhandlung) sogar schon alle Beweisanbote des Beklagten realisieren (vgl eingehender Fasching Rz 1620; Schragel, RZ 1978, 21; Fucik, RZ 1993, 218; G.Kodek in Fasching/ Konecny III § 440 Rz 4 f). Allerdings gibt es Fälle, die ein Versäumungsurteil als Regelfall erwar- 2 ten lassen (insb Räumungsklagen im städtischen Bereich). Der Gesetzgeber der ZVN 2002 wollte aber keine „letzte Bastion der Ersten Tagsatzung“ stehen lassen und hat stattdessen die „eingeschränkte vorbereitende Tagsatzung“ vorgesehen: Sie dient nur der Entscheidung über Prozesseinreden, dem Vortrag der Parteien (und der Fällung des Versäumungsurteils, der Protokollierung eines Vergleichs uä). Auf das beschränkte Programm dieser Tagsatzung sollte in der Ladung eigens hingewiesen werden. In Arbeitsrechtssachen sind die Bestimmungen der Abs 1 und 2 anzu- 3 wenden. Ist nach der Klage, besonders nach den ihr beigelegten Urkunden, anzunehmen, dass sich der Beklagte in den Rechtsstreit einlassen werde, so soll keine eingeschränkte vorbereitende Tagsatzung stattfin1471

§ 441

Fucik

den (§ 59 Abs 1 Z 2 ASGG, gewiss auch bei der Ermessensentscheidung nach Abs 1 zu berücksichtigen).

4 Im Verfahren vor dem BG ist kein Schriftsatzwechsel vorgesehen (wenn auch nach hA nicht unzulässig; vgl Deixler-Hübner, PraktZPR 350). Ein aufgetragener Schriftsatzwechsel ist bei anwaltlich vertretenen Parteien iSd Abs 3 zulässig.

5 Zur Anfechtbarkeit der Höhe eines Kostenvorschusses s § 332 Rz 3. Entscheidend ist nicht der mit dem Beschluss aufgetragene Betrag, sondern dass mit dem angefochtenen Beschluss die Wertgrenze erstmals oder neuerlich überschritten wurde (LGZ Wien EFSlg 67.032). § 441. Die Einrede der Unzuständigkeit des Gerichtes hat der Beklagte vorzubringen, bevor er sich in die Verhandlung über die Hauptsache einlässt. Nach Einlassung des Beklagten zur Hauptsache kann die Unzuständigkeit des Gerichtes nur unter den Voraussetzungen des § 240 berücksichtigt werden. [Fassung ZVN 2002] Lit: Sprung/König, „Einlassung zur Hauptsache“ im österreichischen zivilgerichtlichen Verfahren, ZfRV 1975, 36; Mayr, Die Wahrnehmung der Unzuständigkeit nach der ZVN 2002, ÖJZ 2004, 361.

1 In Ergänzung zu § 240 bestimmt § 441, dass die Einrede der prorogablen Unzuständigkeit (ebenso ist der Antrag auf Erlag einer aktorischen Kaution zu behandeln, Fasching Rz 1620) vor Einlassung in die Verhandlung über die Hauptsache, also vor der Antwort des Beklagten auf Sachgrundlage und Sachvorbringen des Klägers (LGZ Wien EFSlg 44.039) erfolgen muss. Die nach Bestreitung des Klageanspruchs und Erhebung von Sacheinwendungen vorgebrachte Unzuständigkeitseinrede ist daher verspätet (RZ 1970, 100 = NZ 1971, 174; zum Einspruch vgl § 251 Rz 1). Bei anwaltlich vertretenen Beklagten liegt im Sachvorbringen auch schon der Heilungstatbestand des § 104 Abs 3 JN (vgl § 104 JN Rz 18 f).

2 § 441 ist in Arbeitsrechtssachen anzuwenden (§ 59 Abs 1 Z 3 ASGG). § 442. Bleibt eine der Parteien von einer Tagsatzung aus, bevor sie sich durch mündliches Vorbringen zur Hauptsache in den Streit eingelassen hat, so ist auf Antrag der erschienenen Partei ein Versäumungsurteil nach § 396 zu fällen. [Fassung ZVN 2004] 1472

2.3 Verfahren vor den Bezirksgerichten

§ 442a

Lit: Klicka, Wann ist ein „echtes“ und wann ein „unechtes“ Versäumungsurteil zu fällen?, JBl 1990, 434; Mayr, Praxisprobleme der Zuständigkeit und der inländischen Gerichtsbarkeit, ÖJZ 1995, 330; Mayr, Die Wahrnehmung der Unzuständigkeit nach der ZVN 2002, ÖJZ 2004, 361. G. Kodek in Fasching/Konecny III § 442; Fasching Rz 1624; Ballon Rz 420; Deixler-Hübner, PraktZPR 353. Das abweichende Einlassungsverfahren vor dem BG führt auch zu ab- 1 weichenden Säumnisfolgen. Versäumungsurteile sind (auf Antrag) zu fällen: gegen den Kläger wie gegen den Beklagten, der die vorbereitende Tagsatzung versäumt. Ein Versäumungsurteil darf seit der ZVN 2002 auch erlassen werden, wenn der Beklagte nach Säumnis bei der vorbereitenden Tagsatzung Widerspruch erhoben hat und bei der daraufhin anberaumten Tagsatzung neuerlich säumig wird. Diente die vorbereitende Tagsatzung nur der Verhandlung zur Zuständigkeit oder bloß Vergleichsgesprächen und versäumt eine Partei eine spätere Tagsatzung, ohne vorher zur Sache vorgebracht zu haben, so ist gleichfalls noch ein Versäumungsurteil möglich. Die bisher in Abs 2 vorgesehene Möglichkeit, zur Mitteilung des abwei- 2 chenden (Schlüssigkeit herstellenden) Neuvorbringens an den säumigen Gegner die Tagsatzung zu erstrecken, wurde mit der ZVN 2004 auf das Gerichtshofverfahren ausgedehnt, ist seither also in jedem Zivilprozess möglich. In Arbeitsrechtssachen ist § 442 anzuwenden (§ 59 Abs 1 Z 4 ASGG). 3 § 442a. (1) Gegen ein Versäumungsurteil kann Widerspruch nach § 397a erhoben werden, es sei denn, die Partei hat in diesem Verfahren schon einmal Widerspruch gegen ein Versäumungsurteil erhoben. Der Widerspruch ist ausgeschlossen, wenn in dem Verfahren bereits Einspruch gegen einen Zahlungsbefehl oder Einwendungen im Mandatsverfahren oder im Bestandverfahren erhoben wurden. (2) Der Beklagte hat Anspruch auf Ersatz der Kosten eines von ihm erhobenen Widerspruchs (§ 397a Abs 4) nur, wenn ihm das Gericht nach § 440 Abs 3 aufgetragen hatte, das darin Enthaltene in einem Schriftsatz vorzubringen. [Eingefügt durch KSchG, Abs 1 idF ZVN 2002] Zum Widerspruch siehe ausführlich § 397a Rz 1 ff. Obwohl der Wort- 1 laut dies auch zuließe, steht dem Kläger kein Widerspruch gegen ein 1473

§ 443

Fucik

(abweisendes) Versäumungsurteil zu (2 Ob 134/05b = Zak 2005/96, 7 Ob 208/05x; LGZ Wien 40 R 177/05h; zum Streitstand in der Literatur s G. Kodek in Fasching/Konecny III § 442a Rz 4).

2 Die Bestimmungen über den Widerspruch gegen ein Versäumungsurteil sind auch in Arbeitsrechtssachen anzuwenden (§ 59 Abs 1 Z 4 ASGG).

3 Der Widerspruch ist nicht mehr zulässig, wenn schon gegen den zunächst erlassenen Zahlungsbefehl Einspruch erhoben und der Beklagte neuerlich säumig wurde (anders vor der ZVN 2002; dazu etwa EvBl 1981/164 = JBl 1982, 43). § 443. Die Protokollierung des tatsächlichen und Beweisvorbringens der Parteien hat, falls nicht vorbereitende Schriftsätze vorliegen (§ 210 Abs 1), in der Regel auf die in § 211 bezeichnete Art zu geschehen. [Stammfassung]

1 Im Verfahren vor den BG ist iaR ein Resümeeprotokoll zu fassen (vgl § 544 Abs 1 Geo und ZPForm 67 sowie JME 6.4.1904, Z 7833 [bei G. Kodek in Fasching/Konecny III § 443 Anh). In Arbeitsrechtssachen gelten die allgemeinen, in Ehesachen weitere Bestimmungen. § 444. Aufgehoben durch ZVN 2002 § 445. Aufgehoben durch ZVN 1983 § 446. Wenn ein nicht ausschließlich zur Ausübung der Gerichtsbarkeit in Handelssachen berufenes Bezirksgericht ein Urteil der Gerichtsbarkeit in Handelssachen oder ein besonderes Bezirksgericht für Handelssachen ein Urteil der allgemeinen Gerichtsbarkeit fällt, hat es dies auf Antrag (§ 259 Abs 3) im Urteil anzuführen. [Fassung 8. GEN und ZVN 1983]

1 Zur Regelung der Gerichtsbesetzung im Berufungsverfahren (bzw Zuständigkeitsklärung zwischen LGZ Wien und HG Wien als Berufungsgericht gegen ein Urteil des BG) dient dieser Zusatz. Siehe § 417 und § 479a Rz 1. § 447. In den Ausfertigungen der Urteile ist insbesondere hervorzuheben, dass für die Ergreifung eines Rechtsmittels gegen das Ur1474

§ 448

2.3 Verfahren vor den Bezirksgerichten

teil, sowie für das Rechtsmittelverfahren überhaupt die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich ist. [Stammfassung, Abs 2 aufgehoben mit 4. GEN] § 447 ergänzt die Manuduktionspflicht des § 432 und gilt wie dieser 1 nur für nicht anwaltlich (Arbeitsrechtssachen: qualifiziert; vgl weiters § 59 Abs 1 Z 5 ASGG) vertretene Parteien (§ 152 Abs 1 Geo). Zur Rechtsmittelbelehrung dienen die ZPForm 85 und 94. Unrichtige Rechtsmittelbelehrung kann einen Wiedereinsetzungs- 2 grund herstellen (Fasching Rz 1612; G. Kodek in Fasching/Konecny III § 447 Rz 4). § 448. Für das bezirksgerichtliche Mahnverfahren gelten folgende Besonderheiten: 1. Für die Erhebung des Einspruchs bedarf es nicht der Vertretung durch einen Rechtsanwalt; Gleiches gilt für die Zurücknahme des Einspruchs. Schriftliche Einsprüche können auch in einfacher Ausfertigung und ohne Beibringung von Rubriken überreicht werden; es genügt, dass aus dem Schriftstück die Absicht, Einspruch zu erheben, deutlich hervorgeht. 2. Der Beklagte, der nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten ist, kann Einsprüche und Anträge auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch beim Bezirksgericht seines Aufenthalts mündlich zu Protokoll geben; dieses hat das Protokoll dem Prozessgericht unverzüglich zu übersenden. 3. Ist der Einspruch begründet, so ist dem Kläger eine Ausfertigung oder eine Abschrift des Schriftsatzes oder des ihn ersetzenden Protokolls zuzustellen. 4. Ist ordnungsgemäß Einspruch erhoben worden, so hat das Gericht nach den §§ 440 ff vorzugehen. [Fassung ZVN 2002; anzuwenden, wenn die Klage nach dem 31.12. 2002 bei Gericht eingelangt ist] Lit: wie zu § 244. Inhaltsübersicht Erlassung eines bedingten Zahlungsbefehls Mahnverfahren vor dem Bezirksgericht Inhaltserfordernisses des Einspruchs Protokollarischer Einspruch Vorgangsweise nach Einspruchserhebung 1475

1 2–4 5–6 7 8–9

§ 448

Fucik

1 Jedes Mahnverfahren besteht in der (nicht antragsabhängigen) Erlassung eines bedingten Zahlungsbefehls durch das Gericht aufgrund der einseitigen, nicht belegten Klagebehauptungen ohne vorherige Anhörung des Gegners, der sein Gehör durch Einspruch wahren kann. Die Erlassung des Zahlungsbefehls erfolgt von Amts wegen, ein Antrag ist nicht erforderlich.

2 Mahnverfahren vor dem Bezirksgericht: Seit der ZVN 2002 ist das Mahnverfahren Regeleinlassungsverfahren für Zahlungsbegehren bis 30.000 €, also auch vor dem Gerichtshof. Seither hat die Regelung des Mahnverfahrens ihren Platz nicht mehr im Bereich des bezirksgerichtlichen Verfahrens. Nur noch die ausschließlich für das Verfahren vor den BG geltenden (Sonder-)Regeln sind im neuen § 448 enthalten.

3 Auch vor dem BG sind nun Zahlungsbefehle über mehr als 10.000 € möglich, sei es, weil das BG kraft Eigenzuständigkeit entscheidet, sei es, weil die Wertzuständigkeit mangels Zusammenrechnung (§ 55 Abs 1 JN) nicht überschritten ist. Allerdings darf das Zahlungsbegehren insgesamt nicht 30.000 € überschreiten.

4 In den Wirkungskreis des Rechtspflegers fällt auch die Durchführung des Mahnverfahrens, einschließlich der Zurückweisung der Klage, bis die Anordnung einer Tagsatzung erforderlich wird (§ 16 Abs 1 Z 1 RpflG).

5 Für die Erhebung und Zurückziehung eines Einspruchs gilt (auch über

4.000 €) keine Anwaltspflicht (Z 1). Bei Streitwerten über 4.000 € gilt für den Kläger also im gesamten Verfahren, für den Beklagten erst nach dem Stadium der Einspruchserhebung Anwaltspflicht. Die Inhaltserfordernisse eines Einspruchs sind minimal: Nur die Bestreitungsabsicht („Absicht, Einspruch zu erheben“) muss deutlich aus dem Schriftstück hervorgehen. Dazu genügt oft schon der (an sich gar nicht erforderliche) Verfahrenshilfeantrag oder ein Wiedereinsetzungsantrag. Die deutliche Einspruchsabsicht kann ohne Verwendung des Wortes „Einspruch“ (zB: „Ich lasse mir diese Anordnung nicht gefallen“) gegeben sein oder trotz dessen Verwendung fehlen (zB: „Ich erhebe Einspruch gegen die Zahlungsfrist und ersuche um folgende Raten …“). Lässt sich aus einem Schreiben die Streiteinlassungsabsicht weder deutlich erkennen noch deutlich verneinen (zB: „Ich erhebe Einspruch, weil ich meine Schuld nicht auf einmal zahlen kann“ oder [wie in LGZ Wien MietSlg 56.710:] Verwendung des Einspruchsformulars mit handschriftlichen Zusätzen: „zur Zeit im Notstand“ und „bereit zur Ratenvereinbarung“ [was freilich schon deutlich für ein bloßes Ratenvergleichsanbot spricht], so hat ein Verbesserungsauftrag zu ergehen. 1476

2.3 Verfahren vor den Bezirksgerichten

§ 454

Auch eine Begründung muss der Einspruch im bezirksgerichtlichen 6 Verfahren nahe liegender Weise nicht umfassen. Es spricht daher viel dafür, ihn nie als Streiteinlassung zu behandeln (G. Kodek in Fasching/ Konecny III § 448 Rz 8; Mayr, ÖJZ 1995, 331 und 2002, 371), auch nicht iSd § 104 JN als „Vorbringen zur Sache“, wenn er bereits Sachvorbringen enthält. Nur ein begründeter Einspruch ist gem Z 3 dem Kläger zuzustellen. Ein unbegründeter Einspruch ist nach TP 1 RAT zu honorieren, ein als vorbereitender Schriftsatz zu wertender nach TP 3A. Z 2 erlaubt (nur) anwaltlich nicht vertretenen Beklagten die Ein- 7 spruchserhebung zu Protokoll beim BG des Aufenthalts. Die ebenfalls genannte Wiedereinsetzung bezieht sich trotz undifferenzierten Wortlauts wohl nur auf die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung des Einspruchs, nicht auf spätere Wiedereinsetzungsanträge. Nach rechtzeitigem Einspruch ist gem Z 4 nach den §§ 440 ff vorzu- 8 gehen, also eine vorbereitende Tagsatzung anzuberaumen. Bleibt der Beklagte dieser Tagsatzung fern, so ist ein Versäumungsurteil zu fällen (§ 442 Abs 1). Aus dem Sondercharakter des bezirksgerichtlichen Verfahren folgen 9 schließlich noch andere Abweichungen: So können etwa Verbesserungsaufträge und Aufklärungsaufträge iSd § 245 zu Protokoll erfüllt werden. § 448a. bis § 453a. Aufgehoben durch ZVN 2002 Besondere Bestimmungen für das Verfahren über Besitzstörungsklagen § 454. (1) Im Verfahren über Klagen wegen Störung des Besitzstandes bei Sachen und bei Rechten, in welchen das Klagebegehren nur auf den Schutz und die Wiederherstellung des letzten Besitzstandes gerichtet ist und welche innerhalb dreißig Tagen anhängig zu machen sind, nachdem der Kläger von der Störung Kenntnis erlangte, haben die nachfolgenden besonderen Bestimmungen (§§ 455 bis 459) zu gelten. (2) Schriftlich überreichte Klagen sind von außen als Besitzstörungsklagen zu bezeichnen. [Stammfassung] Lit: Bukovics, Besitzstörungsverfahren, Rechtslexikon (1956); J. Pichler, Das Klagebegehren im Besitzstörungsverfahren, RZ 1962, 62; 1477

§ 454

Fucik

W. Kralik, Besitz und Besitzschutz heute, 2. ÖJT 1964 I/1; Medwed, Das Wiederherstellungsbegehren im Besitzstörungsverfahren, ÖJZ 1971, 8; Gitschthaler, Die „nicht gehörig“ fortgesetze Besitzstörungsklage, RZ 1989, 76; Frauenberger, Einstweiliger Rechtsschutz bei Besitzstörung (1993); Breycha, Besitzstörung auf öffentlicher Straße? RZ 1995, 136; G. Kodek, Die Besitzstörung (2002) 691; G. Kodek, Besitzstörung durch Kraftfahrzeuge, ZVR 2003, 4. G. Kodek in Fasching/Konecny III § 454; Fasching Rz 1644 ff; Bajons Rz 101; Ballon Rz 493 ff; Deixler-Hübner, PraktZPR 368; Holzhammer 311; Kletecˇka in Koziol/Welser I 274; Spielbüchler in Rummel §§ 339 ff; Klicka in Schwimann §§ 339 ff. Inhaltsübersicht Zweck und Bedeutung 1 Dreistufiges Klagebegehren 2–3 Passivlegitimation 4

Klagefrist Bezeichnung als Besitzstörungsklage

5–7 8

1 Zur Verwirklichung des Eigenmachtverbots und schnellstmöglicher Wiederherstellung des letzten ruhigen Besitzstands ohne Eingehen in die Rechtmäßigkeit und Redlichkeit des Besitzes dient das Besitzstörungsverfahren (Possessorium, im Gegensatz zum die Rechtslage umfassend klärenden Petitorium), das einerseits durch Beschränkungen des Streitstoffs (§§ 454, 457), andererseits durch beschleunigende Sonderregeln (§§ 455, 458) und die besondere Entscheidungsform (Endbeschluss, § 459) gekennzeichnet ist. Die §§ 454 ff sind auch in Arbeitsrechtssachen anzuwenden (§ 59 Abs 1 Z 6 ASGG).

2 Das Klagebegehren ist idR dreistufig (hRsp, s nur RZ 1962, 228; LGZ Wien EvBl 1948/249; WR 334; EFSlg 82.266; LG Wels EFSlg 105.887; Frauenberger 33) gefasst: a) Feststellung der konkreten Störung des letzten ruhigen Besitzstands (nicht unbedingt notwendig, LGZ Wien MietSlg 29.017, und allein nicht ausreichend, LG Linz MietSlg 34.756), b) Wiederherstellung des letzten ruhigen Besitzstands (darf nur fehlen, wenn die Wiederherstellung dem Wesen der Störung nach nicht möglich oder schon vor Schluss der mündlichen Streitverhandlung erfolgt ist, LGZ Wien MietSlg 36.780; WR 333, 334; EFSlg 82.267 uva) und c) Unterlassung künftiger Störungen (darf fehlen, außer das Wiederherstellungsbegehren ist nicht möglich, LGZ Wien MietSlg 29.018); das Unterlassungsbegehren setzt Wiederholungsgefahr voraus (LGZ Wien MietSlg 38.781), die aber prima facie anzunehmen ist (Frauenberger 43; LGZ Wien EFSlg 49.343 uva). Das Anbot einer außergerichtlichen Unterlassungserklärung kann die Wiederholungsgefahr beseiti1478

2.3 Verfahren vor den Bezirksgerichten

§ 454

gen (AnwBl 2003, 497). Für eine Stufenklage ist kein Raum (LGZ Wien EFSlg 76.088). Eine Verbindung possessorischer und petitorischer Ansprüche in einer 3 Klage ist infolge der verschiedenen Verfahrensarten unzulässig (ZBl 1924/116; differenzierter G. Kodek in Fasching/Konecny III § 454 Rz 284 ff). Passiv legitimiert ist nicht nur der unmittelbare Störer, sondern auch 4 der, von dem Abhilfe erwartet werden kann, dessen Hilfsperson gestört hat oder in dessen Interesse gestört wurde (Näheres bei Klicka in Schwimann § 339 Rz 29 ff; Spielbüchler in Rummel § 339 Rz 7; Mohr, Der Begriff des Störers im Besitzstörungsverfahren, ZVR 1985, 225; Gladt, Zur Haftung Dritter für Besitzstörung, ÖJZ 1988, 513, 533; Frauenberger 49). Die Klagefrist ist nach hM (aA G. Kodek in Fasching/Konecny III § 454 5 Rz 240 ff und in Besitzstörung 610, 624) eine von Amts wegen wahrzunehmende, materiell-rechtliche Ausschlussfrist, so dass sie nicht mit Postaufgabe gewahrt wird (LGZ Wien MietSlg 35.790; 48.650 f; EFSlg 109.038 ua), keine Wiedereinsetzung gegen ihre Versäumung möglich ist und die Verspätung zur Abweisung (nach Fristablauf wird der Besitz des Beklagten zum „letzten ruhigen“), nicht zur Zurückweisung der Klage führt (LGZ Wien MietSlg 35.790; EFSlg 55.035; WR 436). Die Anwendung des § 84 wird (soweit dadurch keine Erweiterung der Entscheidungsanträge nach Ablauf der Klagefrist bewirkt würde) überwiegend bejaht (Klicka in Schwimann § 339 Rz 51; Fasching Rz 513; Konecny, JBl 1984, 62; KG Krems MietSlg 36.777; LGZ Wien EFSlg 52.196; MietSlg 48.651; aA Rechberger/Simotta Rz 523). Änderungen des Begehrens nach Ablauf der Frist dürfen sich nur auf Modalitäten, Details usw beziehen (ausführlich G. Kodek in Fasching/Konecny III § 454 Rz 225 und Besitzstörung 796; aus der Rsp zuletzt LG Wels EFSlg 105.886), maW über eine Klageveränderung iSd § 235 Abs 4 nicht hinausgehen. Die Frist beginnt mit dem Tag, der demjenigen folgt, an dem der Kläger 6 Kenntnis von der Störung und vom Störer erlangt hat (Spr 224 = GlUNF 6521; LGZ Wien EFSlg 41.709). Wer die Störung kennt, muss sich mit zumutbaren Mitteln in angemessener Frist Kenntnis von der Person des Störers verschaffen (G. Kodek in Fasching/Konecny III § 454 Rz 253; LGZ Wien MietSlg 35.791, 37.755; WR 229, 705 ua). Bloße Ankündigungen („Drohen mit rechtswidrigem Störungshandeln“) lösen die Frist noch nicht aus (1 Ob 181/03d = EvBl 2005/5 = JBl 2004, 788 1479

§ 455

Fucik

= MietSlg 56.711). Bei Mitbesitzern kommt es auf die Kenntnis des einzelnen an (LGZ Wien MietSlg 29.632), bei mehrfachen Störungshandlungen auf die Kenntnis der ersten Störung (LGZ Wien MietSlg 35.790; 55.700; 56.712; EFSlg 109.039 ua; außer sie wären auch rückschauend nicht als von einheitlichem Störungswillen getragene Einheit zu betrachten; zu den Umständen der Einzelfälle vgl LGZ Wien MietSlg 26.519; 28.606; 33.660; 37.754; 47.653 uva). Die Beweislast für rechtzeitige Klage trifft den Kläger (LG Eisenstadt MietSlg 55.699 mwN).

7 Die Besitzstörungsklage muss auch „gehörig fortgesetzt“, das Verfahren also insb nach Unterbrechung oder Ruhen schleunigst wieder betrieben werden (Gitschthaler, RZ 1989, 76; ihm folgend LGZ Wien WR 437).

8 Das Fehlen der äußeren Bezeichnung als Besitzstörungsklage ist kein Verbesserungsfall; das Gericht kann die Bezeichnung selbst anbringen (Fasching Rz 1651). § 455. Bei der Anberaumung der Tagsatzungen und Fristen ist stets auf die Dringlichkeit der Erledigung besonders Bedacht zu nehmen. [Stammfassung]

1 Die Anberaumung einer Tagsatzung auf den nämlichen Tag ist zulässig (§ 436). Auch andere Fragen als die Anberaumung der Tagsatzung sind von der (innerhalb der Besitzstörungsfälle noch abstufbaren [G. Kodek in Fasching/Konecny III § 455 Rz 2]) Dringlichkeit des Verfahrens beherrscht (idR: Keine Unterbrechung, prompte Ausfertigung, keine eingeschränkte vorbereitende Tagsatzung).

2 Besitzstörungssachen sind Ferialsachen (§ 224 Abs 1 Z 3). § 456. Auf Grund des in der Klage gestellten Begehrens, im Sinne der §§ 340 bis 342 ABGB ein Verbot zu erlassen, hat der Richter sogleich bei Erledigung der Klage ohne Einvernehmung des Gegners das Erforderliche zu verfügen. [Stammfassung]

1 Die Bauverbotsklage nach §§ 340 ff ABGB (Näheres bei Klicka in Schwimann § 340; G. Kodek in Fasching/Konecny § 456 Rz 3 ff) und die Besitzstörungsklage konkurrieren (LGZ Wien MietSlg 27.044). 1480

2.3 Verfahren vor den Bezirksgerichten

§ 458

Wurde das Verbot aufgehoben, so kann ein Ersatzanspruch nach § 394 2 EO geltend gemacht werden (GlUNF 4398). § 457. Die Verhandlung ist auf die Erörterung und den Beweis der Tatsache des letzten Besitzstandes und der erfolgten Störung zu beschränken, und es sind alle Erörterungen über das Recht zum Besitze, über Titel, Redlichkeit und Unredlichkeit des Besitzes oder über etwaige Entschädigungsansprüche auszuschließen. [Abs 2 aufgehoben durch ZVN 1983] Im Besitzstörungsverfahren sind Erörterungen des dem Besitzverhält- 1 nis zugrunde liegenden dinglichen oder obligatorischen Rechtsverhältnisses ausgeschlossen (GlUNF 1; 1242; LGZ Wien MietSlg 49.344; EFSlg 85.311; 109.041; G. Kodek in Fasching/Konecny III § 457 Rz 7 und Besitzstörung 842). Dass allerdings der Schikaneeinwand ausgeschlossen wäre (LGZ Graz MietSlg 18.038; LGZ Wien MietSlg 19.016), trifft sachlich nicht zu (LGZ Graz MietSlg 38.015; LGZ Wien EFSlg 63.014; MietSlg 56.713: meist unter der Frage des „fehlenden Nachteils des Gestörten“ geprüft; vgl G. Kodek in Fasching/Konecny III § 454 Rz 155 f). Schadenersatzbegehren können nicht aus § 339 ABGB, sondern nur 2 aus den §§ 1293 ff ABGB erfließen (JBl 1963, 320 = RZ 1962, 228). „Ersatz“ iSd § 339 ist der Beseitigungsanspruch (vgl Kletecˇka in Koziol/Welser I 276). So sind etwa Kosten des Wiedereinschaltens des Stroms als Schadenersatzanspruch nicht im Possessorium geltend zu machen (LGZ Wien EFSlg 64.112; G. Kodek in Fasching/Konecny III § 457 Rz 8) § 458. Der Richter kann während der Verhandlung die Anwendung einer oder mehrerer der im Gesetz über das Exekutions- und Sicherungsverfahren zugelassenen einstweiligen Vorkehrungen anordnen, sofern dies zur Abwendung der dringenden Gefahr widerrechtlicher Beschädigung, zur Verhütung von Gewalttätigkeiten oder zur Hintanhaltung eines unwiederbringlichen Schadens nötig erscheint. Die Erlassung einer derartigen Verfügung kann von der Leistung einer angemessenen Sicherstellung abhängig gemacht werden. [Stammfassung] Lit: Frauenberger, Einstweiliger Rechtsschutz bei Besitzstörung (1993); G. Kodek, Besitzstörung 938 ff. 1481

§ 458

Fucik

Rechberger/Simotta Rz 771 und Exekutionsverfahren Rz 929; Rechberger/Oberhammer, Exekutionsrecht Rz 512.

1 Ohne besondere Anspruchs- und Gefährdungsbescheinigung (SZ 13/217; LGZ Wien EvBl 1935/369; 1937/535; aA Frauenberger 96) können während des Verfahrens (nicht bloß der „Verhandlung“), also vom Einlangen der Klage bis zur Rechtskraft des Endbeschlusses (G. Kodek in Fasching/Konecny III § 458 Rz 7; SZ 25/225; LGZ EFSlg 49.346 uva), auf Antrag wie von Amts wegen (SZ 21/30; LGZ Wien MietSlg 21.020 ua; aA Frauenberger 86: nur auf Antrag) Einstweilige Vorkehrungen getroffen werden.

2 Funktionell ist die Einstweilige Vorkehrung ein Sonderfall der Einstweiligen Verfügung nach § 381 Z 2 EO; Lücken der Regelung in § 458 sind durch die EO zu füllen (Frauenberger 25). Während des Verfahrens auf § 381 EO gestützte Anträge auf Erlassung Einstweiliger Verfügungen deutet die Rsp (SZ 9/148; 6 Ob 175/03h = MietSlg 55.701; LGZ Wien EvBl 1937/535; 1947/591; zust Fasching Rz 1653; für Konkurrenz Frauenberger 22) in solche nach § 458 um (s auch G. Kodek in Fasching/ Konecny III § 458 Rz 5). Dem Gegner muss vor der Erlassung jedenfalls keine Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden (LGZ Wien MietSlg 47.655; G. Kodek in Fasching/Konecny III § 458 Rz 33).

3 Als Sicherungsmittel kommen in Frage: a) gerichtliche Hinterlegung bzw Verwahrung (Frauenberger 69), b) Verwaltung der streitigen Sache (Frauenberger 73), c) Herausgabe an den Kläger (Frauenberger 74), d) Verbote und Gebote an den Beklagten (Frauenberger 76), nicht aber an den Kläger (Frauenberger 79), e) allenfalls Haft (Frauenberger 81), wobei der Richter zwar an den Umfang des Besitzstörungsanspruchs und an den Sicherungszweck, nicht aber an das konkret beantragte Sicherungsmittel gebunden ist (Frauenberger 101).

4 Die Einstweilige Vorkehrung kann von einer Sicherheitsleistung des Klägers (LGZ Graz MietSlg 36.803; Fasching Rz 1653; Rechberger/Simotta, ExV Rz 929; Frauenberger 102; G. Kodek in Fasching/Konecny III § 458 Rz 30) abhängig gemacht, dem Beklagten ein Befreiungsbetrag (Frauenberger 104) eingeräumt werden. Der Vollzug läuft ab wie bei Einstweiligen Verfügungen (Rechberger/Simotta, ExV Rz 929; Frauenberger 119; vgl SZ 7/401). Auch die Eingriffshaftung nach § 394 EO kann geltend gemacht werden (Fasching Rz 1653; Frauenberger 124; G. Kodek in Fasching/Konecny III § 458 Rz 53; EvBl 1951/42).

5 Zum Ausschluss des abgesonderten Rekurses s § 518. 1482

2.3 Verfahren vor den Bezirksgerichten

§ 460

§ 459. Die Entscheidung hat sogleich nach geschlossener Verhandlung mittels Beschlusses (Endbeschluss) zu erfolgen und sich darauf zu beschränken, eine einstweilige Norm für den tatsächlichen Besitzstand aufzustellen oder provisorisch nach dem Gesetze (§§ 340 bis 343 ABGB) eine Untersagung oder Sicherstellung auszusprechen. Die spätere gerichtliche Geltendmachung des Rechtes zum Besitze und der davon abhängigen Ansprüche wird dadurch nicht gehindert. In der Begründung des Beschlusses ist auch eine gedrängte Darstellung des Sachverhaltes zu geben. Die Frist zur Erfüllung der dem Verurteilten auferlegten Verbindlichkeit hat der Richter nach den Umständen des einzelnen Falles zu bestimmen. Der § 417a gilt sinngemäß. [Letzter Satz eingefügt durch WGN 1989, sonst Stammfassung] Über die Besitzstörungsklage (und die Bauverbotsklage, EvBl 1976/ 1 270) ist nicht mit Urteil, sondern mit Endbeschluss zu entscheiden, dessen Ergebnis durch das Petitorium ohne Rechtskraftverstoß (s näher bei G. Kodek in Fasching/Konecny III § 459 Rz 1, 87 ff) abgeändert werden kann (SZ 66/173 = JBl 1994, 624; vgl SZ 67/220). Der provisorische Besitzschutz endet erst mit Rechtskraft der petitorischen Entscheidung (RdW 2000/729 = MietSlg 52.763/11) Versäumungsendbeschlüsse sind zulässig (LGZ Wien ZBl 1934/24; 2 EvBl 1937/898), dürfen aber nach hA nicht wie Versäumungsurteile gekürzt ausgefertigt werden (LGZ Wien ZBl 1934/24; MietSlg 22.624; aA nun überzeugend G. Kodek in Fasching/Konecny III § 459 Rz 37 f). Die Begründungserleichterungen des § 417a sind allerdings anwendbar. Dass der Endbeschluss gegen § 459 nicht verkündet wird, begründet 3 eine bloße Ordnungswidrigkeit, aber weder Nichtigkeit (LGZ Wien EFSlg 57.775; 67.038; 47.656; LG Krems MietSlg 45.698) noch Mangelhaftigkeit (G. Kodek in Fasching/Konecny III § 459 Rz 39).

4

Zum Rekurs siehe bei § 518. Besondere Bestimmungen für das Verfahren in Ehesachen § 460. In Ehesachen (§ 49 Abs 2 Z 2a JN) und Verfahren in anderen nicht rein vermögensrechtlichen aus dem gegenseitigen Verhältnis zwischen Ehegatten entspringenden Streitigkeiten (§ 49 Abs 2 Z 2b JN) gelten folgende besondere Bestimmungen: 1. Das Gericht soll die Parteien zum persönlichen Erscheinen auffordern, wenn nicht wichtige Gründe dagegen sprechen. Das Er1483

§ 460

Fucik

scheinen der Parteien ist erforderlichenfalls nach § 87 GOG durchzusetzen. 2. Zur vorbereitenden Tagsatzung ist die Partei, nicht aber eine informierte Person nach § 258 Abs 2 stellig zu machen. 3. Die Verhandlung ist nicht öffentlich. 4. Im Verfahren über die Nichtigerklärung oder die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer Ehe hat das Gericht von Amts wegen dafür zu sorgen, daß alle für die Entscheidung maßgeblichen tatsächlichen Umstände aufgeklärt werden; der § 183 Abs 2 gilt nicht. Das Gericht kann nicht erwiesene Tatsachenvorbringen unberücksichtigt lassen und von der Aufnahme von Beweisen Abstand nehmen, wenn solche Tatsachen oder Beweise von einer Partei verspätet vorgebracht beziehungsweise angeboten werden und bei sorgfältiger Berücksichtigung aller Umstände kein vernünftiger Zweifel besteht, dass damit das Verfahren verschleppt werden soll und die Zulassung des Vorbringens oder der Beweise die Erledigung des Verfahrens erheblich verzögern würde. § 179 gilt nicht. 5. Erscheint der Kläger zur mündlichen Verhandlung nicht, so ist die Klage auf Antrag des Beklagten vom Gericht als ohne Verzicht auf den Anspruch zurückgenommen zu erklären. 6. Im Protokoll sind auch die Geburtsdaten und die Religion der Parteien, Anzahl und Alter ihrer Kinder und der Zeitpunkt des Abschlusses ihrer Ehe festzuhalten, sowie, ob Ehepakte errichtet worden sind. 6a. Ist eine Partei nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten, so hat sich das Gericht durch Befragung der Partei ein Bild von ihren Kenntnissen der gesamten Scheidungsfolgen einschließlich der sozialversicherungsrechtlichen Folgen zu machen und auf entsprechende Beratungsangebote hinzuweisen. Mangeln der Partei offenbar diese Kenntnisse, so ist auf ihren Antrag die Tagsatzung zu erstrecken, um der Partei Gelegenheit zur Einholung einer Beratung zu geben, es sei denn, daß bei sorgfältiger Berücksichtigung aller Umstände kein vernünftiger Zweifel darüber besteht, daß durch den Antrag auf Erstreckung der Tagsatzung der Prozeß verschleppt werden soll. 7. Im Verfahren wegen Scheidung der Ehe hat das Gericht am Beginn der mündlichen Streitverhandlung zunächst eine Versöhnung der Ehegatten anzustreben (Versöhnungsversuch) und überdies in jeder Lage des Verfahrens, soweit tunlich, auf eine Versöhnung hinzuwirken. [Z 7a ist mit 1.5.2004 aufgehoben, Art V § 2 BGBl I 2003/ 29] 8. Stirbt einer der Ehegatten vor der Rechtskraft des Urteils (§ 416 Abs 1), so ist der Rechtsstreit in Ansehung der Hauptsache als er1484

2.3 Verfahren vor den Bezirksgerichten

§ 460

ledigt anzusehen. Er kann nur mehr wegen der Verfahrenskosten fortgesetzt werden. Ein bereits ergangenes Urteil ist wirkungslos. 8a. Auf ihr Verlangen ist den Ehegatten jederzeit auch eine Ausfertigung der Entscheidung über die Auflösung der Ehe auszustellen, die keine Entscheidungsgründe enthält. 9. Urteile auf Grund eines Verzichtes oder eines Anerkenntnisses sowie Vergleiche sind unzulässig; der § 442 ist nicht anzuwenden. 10. Wird ein Antrag auf Scheidung nach § 55a EheG gestellt, so ist ein wegen Ehescheidung anhängiger Rechtsstreit zu unterbrechen. Wird dem Scheidungsantrag stattgegeben, so gilt die Scheidungsklage mit Eintritt der Rechtskraft des Scheidungsbeschlusses als zurückgenommen; die Prozeßkosten sind gegeneinander aufzuheben. Wird der Scheidungsantrag zurückgezogen oder rechtskräftig abgewiesen, so ist das unterbrochene Scheidungsverfahren auf Antrag wiederaufzunehmen. 11. Verliert ein Ehegatte durch eine Entscheidung über die Auflösung der Ehe offenbar den Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung, so hat das Gericht mit Zustimmung dieses Ehegatten den zuständigen Sozialversicherungsträger im Weg des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger zu verständigen. Die Verständigung hat den Familien- und Vornamen, das Geburtsdatum, die Anschrift sowie die Sozialversicherungsnummer des Ehegatten zu enthalten. Der Versicherungsträger hat dem Ehegatten Informationen über die sozialversicherungsrechtlichen Folgen der Eheauflösung und die Möglichkeit der Fortsetzung des Versicherungsschutzes zu übermitteln. [Nach Aufhebung der Stammfassung durch ZVN 1983 – eingefügt durch PersEheKindRÄG; JN-Verweise in der Fassung FamGG; Abs 6a, 7a, 8a, 11 mit EheRÄG 1999 eingefügt, Abs 6 idF EheRÄG 1999, Abs 2 und 4 idF ZVN 2002] Lit: Schoibl, Neues Verfahrensrecht in Ehesachen, ÖJZ 1984, 450; Schalich, Das neue streitige Eheverfahren, RZ 1985, 13, 26, 50; Simotta, Die einvernehmliche Scheidung während eines anhängigen Eheprozesses (§ 460 Z 10 ZPO), ÖJZ 1987, 129, 167; Deixler-Hübner, Scheidung, Ehe und Lebensgemeinschaft8 (2005) Rz 116 ff; Hopf/Kathrein, Eherecht2 (2005) 514; Deixler-Hübner, Das neue Eherecht (1999); Hopf/ Stabentheiner, Das Eherechts-Änderungsgesetz 1999, ÖJZ 1999, 861; Grünberger, Die Regelung der Mediation im EheRÄG 1999, ÖJZ 2000, 50; Simotta, Der Tod eines Ehegatten während eines Eheprozesses, FS Welser (2004) 1014. Fasching Rz 2325 ff; Bajons Rz 105; Ballon Rz 452; Holzhammer, PraktZPR 466; Deixler-Hübner/Klicka Rz 340 ff. 1485

§ 460

Fucik Inhaltsübersicht

Charakter und Anwendungsbereich 1–2 Parteien und Dispositionsgrundsatz 3–4 Reiner Untersuchungsgrundsatz 5 Persönliches Erscheinen 6–7 Nichterscheinen des Klägers 8 Versöhnungsversuch 8 Nichtöffentlichkeit 9

Tod eines Ehegatten während des Verfahrens Antrag auf einvernehmliche Scheidung Ergänzungsklage Wiederaufnahmeklage Urteilsausfertigung ohne Entscheidungsgründe Anleitung zur Selbstversicherung

10 11 12 13 14 15

1 Hatte Novak (Die Amtswegigkeit im österreichischen Eheverfahren und ihre Grenzen [1949] 28) dem rechtsquellenzersplitterten Eheverfahren den Charakter eines „Trümmerhaufens“ zugebilligt, so ist mit dem PersEheKindRÄG der Großteil des Eheverfahrensrechts in den (nach der ZVN 1983 frei gewordenen) § 460 aufgenommen worden. Daneben gelten noch die §§ 17 (Schuldausspruch im Aufhebungsurteil), 18 (Zusammentreffen von Aufhebungs- und Scheidungsbegehren), 82 bis 86 (Ehenichtigkeitsklage des Staatsanwalts) 1. DVEheG.

2 Anzuwenden ist § 460 auf Ehesachen (§ 49 Abs 2 Z 2a JN: Scheidungs-, Aufhebungs- und Nichtigkeitsklagen und Klagen über das Bestehen und Nichtbestehen einer Ehe) und anderen nicht rein vermögensrechtlichen aus dem gegenseitigen Verhältnis zwischen Ehegatten entspringenden Streitigkeiten (§ 49 Abs 2 Z 2b JN); nicht etwa auf Unterhalts- und andere rein vermögensrechtliche Sachen (für sie gelten die Regeln des § 460 nicht einmal, wenn sie mit einer Ehesache verbunden sind). Innerhalb des Anwendungsbereichs sind Scheidungs- und Aufhebungsklagen mit weniger (Amtswegigkeit betonenden) Sonderregelungen versehen als die Ehenichtigkeitsklage und die Feststellungsklagen.

3 Partei des Verfahrens sind jedenfalls die Ehegatten (bei Nichtigerklärung kommen auch StA und ein „dritter Ehegatte“ – Doppelehe! – in Frage). Die Aufhebungsklage kann auch der gesetzliche Vertreter eines Ehegatten erheben (§ 35 Abs 1 EheG).

4 In allen Ehesachen bleibt der Dispositionsgrundsatz erhalten, einschließlich der Möglichkeit der Zurücknahme der Klage oder des Ruhens. Anerkenntnis-, Verzichts- und Versäumungsurteile (Z 9) sind freilich ebenso ausgeschlossen wie Vergleiche. 1486

2.3 Verfahren vor den Bezirksgerichten

§ 460

Der reine Untersuchungsgrundsatz gilt gem Z 4 nur noch in Ehenich- 5 tigkeits- und Feststellungsprozessen, nicht mehr bei Scheidungs- und Aufhebungsverfahren (EFSlg 57.776; selbst bei Untersuchungsgrundsatz gilt freilich mit LGZ Wien EFSlg 109.048 die Behauptungs- und Beweislast der Parteien. Die von LGZ Wien EFSlg 109.051 postulierte Anwendbarkeit des § 179 ist durch die Neufassung der Z 4 überholt, die eine eigene – freilich dem alten § 179 nachgebildete – Präklusionsvorschrift eingeführt hat). Die Parteien treffen daher im Scheidungsverfahren die gleichen Behauptungslasten wie im regulären Zivilprozess (EFSlg 57.777). Zum Neuerungsverbot s § 483a Abs 2 und LGZ Wien EFSlg 105.899. Ein Geständnis befreit in Scheidungs- und Aufhebungssachen vom Beweis, nicht aber wohl in Nichtigkeits- und Feststellungssachen (s auch Simotta in Fasching/Konecny III § 460 Rz 60), wo man allenfalls § 33 Abs 1 AußStrG (das Geständnis befreit nicht vom Beweis, stellt ihn aber uU her) analog anwenden könnte. Grundsätzlich wünscht das Gesetz in Z 1, dass die Parteien persönlich 6 gehört werden und ermöglicht es, sie gegen ihren Willen zum Erscheinen zu zwingen. Zwangsmittel zur Durchsetzung des persönlichen Erscheinens iSd § 87 GOG sind die Androhung und Verhängung einer Ordnungsstrafe, deren Verdopplung und in dringenden Fällen die zwangsweise Vorführung. Der Gesetzgeber will dadurch ein einseitig durchgeführtes Eheverfahren tunlichst vermeiden (OLG Wien EFSlg 52.202), ohne damit aussageunwilligen Parteien zur Geltendmachung eines Verfahrensmangels zu verhelfen (OLG Wien EFSlg 49.350; 52.201; LGZ Wien EFSlg 82.274; 105.896). Es bleibt daher – soweit das Gericht nicht bloß die Klagebehauptungen in Umgehung des Verbots von Versäumungsurteilen (Z 9) zugrunde legt (OLG Wien EFSlg 55.059; LGZ Wien EFSlg 82.272; 85.313; LG Salzburg EFSlg 109.045) – der Beurteilung durch das Gericht überlassen, ob es die Zwangsmaßnahmen anwendet oder das Fernbleiben einer Partei iSd § 381 dahin würdigt, dass sie den gegnerischen Behauptungen nichts entgegensetzen kann (LGZ Wien EFSlg 64.113; 85,312; 105.893; 109.043; JBl 1994, 624 = EvBl 1994/46). Ein Verfahrensmangel liegt darin allerdings, wenn die Vernehmung beider Streitteile zur Klarstellung aller erheblichen Umstände notwendig ist (LGZ Wien EFSlg 60.864; 85.316; 105.897 f; 109.049). Als Faustregel mag gelten, dass eine einmalige Ladung nicht ausreicht (LGZ Wien EFSlg 105.894). Zur vorbereitenden Tagsatzung ist gem Z 2 nur die Partei und kein 7 (über die Scheidungsgründe?) informierter Dritter stellig zu machen. Nichterscheinen des Klägers zur ersten Verhandlung (nicht die Säum- 8 nis bei späteren; EFSlg 67.042; LGZ Wien EFSlg 82.271; Fasching 1487

§ 460

Fucik

Rz 2338; Schalich, RZ 1985, 26; Schoibl, ÖJZ 1984, 543) führt zur Zurücknahmefiktion der Z 5. Unerledigte Vertagungsanträge hindern den Eintritt der Zurücknahmefiktion (OLG Wien EFSlg 52.206). An die Stelle des alten Sühnetermins sind in Z 7 flexiblere Versöhnungsversuche getreten, die auch das Berufungsgericht durchzuführen hat. Das Unterbleiben eines Versöhnungsversuchs ist ein rügepflichtiger (§ 196) Verfahrensmangel (OLG Wien EFSlg 49.351). Ergänzend treten zum Versöhnungsversuch (bei unvertretenen Parteien) außergerichtliche Scheidungsrechtsberatung iSd Z 6a. Auch bei vertretenen Parteien dienen außergerichtliche Konfliktlösungsmaßnahmen, insb die Mediation (Versuch, mit insb psychologischer und sozialer Hilfe den Konflikt außergerichtlich zu lösen) einer einvernehmlichen Lösung (zur Mediation s vor allem Breidenbach, Mediation [1994]; Draxler/ Wiedermann, Mediation in Österreich konkret. Fragen und – einige – Antworten. Wünsche an den Gesetzgeber, RZ 1998, 122; RoschgerStadlmayr/Steinacher, Praktische Erfahrungen in Scheidungs-/Besuchsrechtsmediationen, RZ 1998, 274; Kleindienst-Passweg/Wiedermann, Handbuch Mediation).

9 Zur Nichtöffentlichkeit (Z 3) s bei § 171. Trotz Nichtöffentlichkeit wird (wie nach § 55 Abs 1 EO und § 19 Abs 5 AußStrG) eine Vertrauensperson für jede Partei der Verhandlung beiwohnen dürfen (aA Simotta in Fasching/Konecny III Rz 51: je drei Personen).

10 Der Klammerausdruck in Z 8 stellt klar, dass verkündete Scheidungsurteile auch bei Rechtsmittelverzicht die Wirksamkeit erst mit Zustellung erlangen. Die Fortsetzung des Verfahrens nach Tod eines Ehegatten wegen der Verfahrenskosten (vgl § 45a) setzt einen Antrag voraus (EFSlg 52.207; 109.052). Auf Ehenichtigkeitsklagen des Staatsanwalts ist Z 8 nicht anwendbar (§ 84 1. DVEheG), wohl aber auf das über das Vorprüfungsstadium gem §§ 533 ff hinausgehende Wiederaufnahmeverfahren (EFSlg 57.779). Bei Todesfall nach Rechtsmittelerhebung hat das Rechtsmittelgericht den deklarativen Beendigungsbeschluss zu fassen (LGZ EFSlg 64.115).

11 Ein offener Antrag auf einvernehmliche Scheidung (§ 55a EheG, §§ 93 ff AußStrG) hindert die Fortsetzung des Scheidungsprozesses. Dieser ist zu unterbrechen (Z 10). Nach Rechtskraft des Scheidungsbeschlusses ist ein deklarativer Beschluss zu fassen, dass die Scheidungsklage iSd Z 10 als zurückgenommen gilt (EFSlg 57.778; Simotta, ÖJZ 1987, 167).

12 Zur Problematik des Teilurteils über Scheidung vor Verschuldensausspruch s Fasching Rz 2365; Schalich, RZ 1985, 30; Hopf/Kathrein, 1488

2.3 Verfahren vor den Bezirksgerichten

§ 460

Eherecht 520; SZ 25/331 uva. Selbst bei Geltung des (umstrittenen; Stabentheiner in Rummel § 60 EheG Rz 6; Rechberger/Simotta Rz 799/1) Grundsatzes der Einheitlichkeit des Eheverfahrens kann durch Teilrechtskraft (Nichtanfechtung des Scheidungsausspruchs bei Bekämpfung der Verschuldensteilung) oder im Rahmen des IZPR (anzuerkennendes ausländisches Scheidungsurteil ohne Verschuldensausspruch) die Notwendigkeit eines nur zum Verschulden geführten Verfahrens („Ergänzungsklage“; Fasching Rz 2365; EFSlg 46.193/7; JBl 1991, 50) auftreten. Zur Wiederaufnahmeklage vgl Schalich, RZ 1985, 52; Jelinek, Die Wie- 13 deraufnahmsklage wegen neuer Tatsachen und Beweismittel im Eheprozeß, JBl 1968, 512; Simotta in Fasching/Konecny III § 460 Rz 124 ff und Fasching Rz 2079. Ausfertigungen ohne Entscheidungsgründe („Scheidungsdekrete“) 14 gem Z 8a können auch in Altverfahren (vor 2000 beendet) ausgestellt werden. Sie sind gebührenpflichtig (§ 15 lit a GGG). Zur Wahrung kontinuierlichen Sozialversicherungsschutzes dient Z 11: 15 Das Gericht belehrt den betreffenden Ehegatten, holt (wegen des Datenschutzes) dessen Zustimmung ein und verständigt dann (möglichst online) den SV Träger. Der Krankenversicherungsträger gibt daraufhin Anleitung zur Selbstversicherung.

1489

Vierter Teil Rechtsmittel Vor § 461 Lit: Sprung, Konkurrenz von Rechtsbehelfen im zivilrechtlichen Verfahren (1966); P. Böhm, Die Lehre vom Rechtsschutzbedürfnis, JBl 1974, 1; Dolinar, Ruhen des Verfahrens und Rechtsschutzbedürfnis (1974); Bajons, Von der formellen zur wirkungsbezogenen Beschwer, JBl 1978, 113; Rechberger, Probleme bei der Bekämpfung des Versäumungsurteils nach § 396 ZPO, JBl 1981, 179; Mayr, Der Grundsatz der „Einmaligkeit des Rechtsmittels“ im zivilgerichtlichen Verfahren, JBl 1981, 458, 520; Pichler, Gedanken zur angeblichen Einmaligkeit des Rechtsmittels, JBl 1983, 82; Fucik, Die einheitliche Rechtsmittelfrist, ÖJZ 1984, 432; Konecny, Zur Erweiterung der Verbesserungsvorschriften nach der ZVN 1983, JBl 1984, 13, 61; Bajons, Landesbericht Österreich, in: Gilles ua, Rechtsmittel im Zivilprozess (1985) 215; Ballon, Die Novellierung des Zivilprozessrechts – Verbesserter Zugang zum Recht? FS W. Kralik (1986) 37; Fasching, Rechtsmittelklarheit im österreichischen zivilgerichtlichen Verfahren, FS Kralik 145 = FG Fasching 301; Mayr, Die Einmaligkeit des Rechtsmittels nach der ZVN 1983, RZ 1987, 265; Fucik, Das Neuerungsverbot im Zivilgerichtsverfahrensrecht, ÖJZ 1992, 425; Konecny, Die Berufung im österreichischen Recht und ihre Bewährung, ZZP 1994, 481; Ballon, Die Beachtung des rechtlichen Gehörs iSd Art 6 MRK durch die Rechtsmittelgerichte, JBl 1995, 623; P. Böhm, Was will das Neuerungsverbot? Hintergrund, Funktion und Einfluss auf das Prozessverhalten in erster Instanz, FS 100 Jahre ZPO (1998) 239; Klauser/Maderbacher, Durchbruch der wirkungsbezogenen Beschwer?, ecolex 2002, 342. Fasching in Fasching/Konecny IV/1 Einl Rz 1 ff; Bajons Rz 173 ff; Ballon Rz 337 ff; Buchegger, PraktZPR 379; Deixler-Hübner/Klicka Rz 268 ff; Fasching Rz 1659 ff; Holzhammer 314; Rechberger/Simotta Rz 800 ff. Inhaltsübersicht Begriff und Zweck des Rechtsmittels Wesensmerkmale der Rechtsmittel

1–3 4 1490

Besondere Prozessvoraussetzungen für das Rechtsmittel; Allgemeines Statthaftigkeit

5 6

Vor § 461

4 Rechtsmittel Rechtzeitigkeit Rechtsmittellegitimation Beschwer Rechtsmittelverzicht und Rechtsmittelrücknahme

7 8 9–10

Form- und Inhaltserfordernisse Rechtsmittelgründe Bedingte Rechtsmittel

12–13 14 15

11

Rechtsmittel im weiteren Sinn sind Anträge einer Partei auf Überprü- 1 fung von Entscheidungen, die ihrem Rechtsschutzbegehren nicht (vollständig) stattgegeben haben. Rechtsmittel im (engeren) Sinn der ZPO sind nur die Berufung, der Rekurs und die Revision. Zu den Rechtsmitteln im weiteren Sinne zählen auch die so genannten „Rechtsbehelfe“. Dieser Begriff wird in der Lehre unterschiedlich definiert. Nach überwiegender Auffassung zählen dazu alle im Zivilprozess gestellten Anträge, die eine Abänderung oder Aufhebung gerichtlicher Entscheidungen oder einer im Prozess eingetretenen Rechtsfolge durch eine weitere gerichtliche Entscheidung anstreben (Fasching Rz 1669; ders in Fasching/Konecny IV/1 Einl Rz 2). Darunter fallen demnach ua der Widerspruch gegen ein Versäumungsurteil, der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, der Einspruch gegen einen bedingten Zahlungsbefehl im Mahnverfahren, die Einwendungen gegen einen Zahlungsauftrag und einen Auftrag im Bestandverfahren, die Rechtsmittelklagen (§§ 529 ff) uam (Fasching Rz 1669; Rechberger/Simotta Rz 802; aM Ballon Rz 337). Rechtsmittel, die nur innerhalb der Rechtsmittelfrist – also bis zum 2 Eintritt der formellen Rechtskraft der Entscheidung – zulässig sind, nennt man ordentliche Rechtsmittel. Außerordentliche Rechtsmittel – also solche, die noch nach Eintritt der Rechtskraft innerhalb längerer Fristen eingebracht werden dürfen – sind der ZPO fremd. (Wohl aber gibt es Rechtsbehelfe zur Bekämpfung formell rechtskräftiger Entscheidungen.) Davon zu unterscheiden ist die „außerordentliche“ Revision (s bei §§ 506, 508a) und der „außerordentliche“ Revisionsrekurs (s bei § 528). Dabei handelt es sich – weil sie nur innerhalb der Rechtsmittelfrist erhoben werden können – um ordentliche Rechtsmittel. Der Zweck des Rechtsmittels liegt darin, im Interesse der Parteien, aber 3 auch im öffentlichen Interesse an einem wirksamen Rechtsschutz, die Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen auf ihre Richtigkeit zu erreichen (Fasching in Fasching/Konecny IV/1 Einl Rz 22). Wesentliche Merkmale der Rechtsmittel im engeren Sinn sind: 4 a) die aufschiebende Wirkung, dh dass durch die (rechtzeitige) Erhebung des Rechtsmittels der Eintritt der formellen Rechtskraft der 1491

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angefochtenen Entscheidung gehindert wird. Berufung und ordentliche Revision sowie der mit einer ordentlichen Revision verbundene Antrag nach § 508 Abs 1 hemmen auch den Eintritt der materiellen Rechtskraft und der Vollstreckbarkeit. Die außerordentliche Revision hemmt gem § 505 Abs 3 (s dort) ebenso wie die Berufung in den in § 61 Abs 1 ASGG aufgezählten Arbeitsrechtssachen sowie die Revision des Versicherungsträgers in den in § 90 Z 2 ASGG genannten Sozialrechtssachen nur den Eintritt der Rechtskraft, nicht jedoch den Eintritt der Vollstreckbarkeit. Rekurse hindern grundsätzlich nicht den Vollzug des angefochtenen Beschlusses; davon gibt es aber Ausnahmen (s bei § 524). b) Die Rechtsmittel haben aufsteigende Wirkung (Devolutiveffekt); über sie wird also von der übergeordneten Instanz entschieden. Den Gegensatz dazu bilden die in der Instanz bleibenden (remonstrativen) Rechtsmittel, wie es in § 12 RpflG vorgesehen ist. Die ZPO kennt nur die Möglichkeit, dass das Erstgericht in gewissen Fällen dem Rekurs selbst stattgibt (s bei § 522). Die Rechtsmittel sind aber, wenn auch aufsteigend, so doch in allen Fällen beim Gericht erster Instanz einzubringen. c) Wird auch dem Gegner des Rechtsmittelwerbers rechtliches Gehör eingeräumt, dann spricht man vom zweiseitigen Rechtsmittel; andernfalls vom einseitigen Rechtsmittel. Berufung und Revision sind immer zweiseitig, der Rekurs ist nach § 521 grundsätzlich einseitig, davon gibt es aber Ausnahmen (§ 72 Abs 2a, § 521a, aber auch § 84 Abs 1 und § 402 Abs 1 EO; § 41 Abs 1 GebAG; § 48 Abs 1 AußStrG 2003). S § 521a Rz 1. d) Die Anfechtungs- und Überprüfungsbefugnis ist beschränkt. Im Rechtsmittel können nur Gerichtsfehler (nicht auch Parteifehler) gerügt werden; die Rechtsmittelgründe sind – wenn auch nur für die Revision ausdrücklich – beschränkt. Außerdem gilt das Neuerungsverbot, wonach im Rechtsmittelverfahren weder neue Ansprüche oder Einwendungen noch Tatumstände und Beweise, die in erster Instanz nicht vorgekommen sind, berücksichtigt werden dürfen. Das gilt ausdrücklich im Berufungs- (s bei §§ 482, 483) und im Revisionsverfahren (§ 504 Abs 2), nach ganz herrschender Auffassung aber auch im Rekursverfahren (s Vor § 514). Ausnahmen vom Neuerungsverbot gibt es – abgesehen von § 49 AußStrG 2003 und § 176 Abs 2 KO – gem § 63 ASGG in Rechtsstreitigkeiten nach § 50 Abs 1 ASGG und über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zugunsten solcher Parteien, die bisher in keiner Lage des Verfahrens durch eine qualifizierte Person vertreten waren (das gilt allerdings nicht für Versäumungsurteile nach § 396: § 63 Abs 3 ASGG); in Streitigkeiten über die Nichtigerklärung einer Ehe und über die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer Ehe (§ 483a Abs 2) sowie – freilich nur noch für vor dem 31.12. 1492

Vor § 461

4 Rechtsmittel

2004 eingeleitete – Verfahren über die Feststellung der unehelichen Vaterschaft (Art V Z 5 UeKG) und im Abstammungsverfahren (§ 6 Abs 1 Z 1 FamRAnglV). Seit In-Kraft-Treten des AußStrG 2003 mit 1.1.2005 (§ 199 dieses Gesetzes) sind diese Ansprüche im Außerstreitverfahren geltend zu machen (§ 202 dieses Gesetzes). Jedes Rechtsmittel muss neben den allgemeinen noch besondere Pro- 5 zessvoraussetzungen erfüllen, widrigenfalls es ohne sachliche Prüfung zurückzuweisen ist. Das sind: a) Statthaftigkeit b) Rechtzeitigkeit c) Rechtsmittellegitimation d) Beschwer des Rechtsmittelwerbers e) Fehlen eines Rechtsmittelverzichtes oder einer Rücknahme des Rechtsmittels f) Fehlen einer außerprozessualen Bedingung Statthaftigkeit des Rechtsmittels bedeutet, dass die Entscheidung er- 6 stens überhaupt und zweitens durch das gewählte Rechtsmittel anfechtbar ist (Fasching in Fasching/Konecny IV/1 Einl Rz 31). Urteile der ersten Instanz sind immer – mit Berufung – anfechtbar; Urteile der zweiten Instanz sind unter gewissen Voraussetzungen jedenfalls unanfechtbar, sonst nur dann anfechtbar, wenn die Entscheidung von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage abhängt (s bei § 502); Beschlüsse der ersten Instanz sind grundsätzlich anfechtbar, soweit nicht das Gesetz im Einzelfall den Beschluss für unanfechtbar oder nicht abgesondert anfechtbar erklärt (s Vor § 514 und bei § 515); Beschlüsse der zweiten Instanz sind nur dann anfechtbar, wenn sie nicht für absolut unanfechtbar erklärt sind und wenn die Entscheidung von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage abhängt (s bei § 528). Ob eine Entscheidung anfechtbar ist und mit welchem Rechtsmittel das zu geschehen hat, hängt nicht davon ab, welche Entscheidungsform das Gericht tatsächlich gewählt hat, sondern nur davon, welche Entscheidungsform die richtige ist; ein Vergreifen in der Entscheidungsform ändert nichts an der Zulässigkeit eines Rechtsmittels oder dessen Behandlung (JBl 1965, 374 [zust Novak]; SZ 46/103; EvBl 1976/273 = JBl 1976, 541; JBl 1990, 253 = EFSlg 60.806; MietSlg 42.496 uva). Sieht das Gesetz im einzelnen Fall sowohl ein Rechtsmittel als auch einen oder mehrere Rechtsbehelfe zur Bekämpfung derselben Entscheidung vor („Konkurrenz“), dann hat die Partei das Recht, zwischen ihnen zu wählen oder sie auch gehäuft zu ergreifen (Fasching in Fasching/Konecny IV/1 Einl Rz 37; EvBl 1996/135 = ÖJZ-LSK 1996/308). So kann gegen ein Versäumungsurteil Berufung und Widerspruch erho1493

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ben sowie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt werden. Keiner dieser Anträge ist als unstatthaft zurückzuweisen; der Partei kann aber allenfalls bloß der Ersatz der Kosten zuerkannt werden, die der einfachste oder billigste Rechtsbehelf verursacht hätte (Fasching Rz 1688; aM Sprung, Konkurrenz 53, wonach dort, wo der Gesetzgeber den Parteien nicht ausdrücklich oder schlüssig eine Wahlbefugnis einräumt, nur der ökonomischere Rechtsbehelf, und Holzhammer 315, wonach nur der einfachere Rechtsbehelf statthaft sei). Was die Reihenfolge der Behandlung mehrerer Rechtsbehelfe anlangt, hat die Partei grundsätzlich ein Wahlrecht. Macht sie davon keinen Gebrauch, dann ist der für den Antragsteller günstigste Rechtsbehelf zu wählen (Rechberger, JBl 1981, 185 f); bei gleichen Voraussetzungen der rascheste, einfachste und billigste (Fasching Rz 1689; ders in Fasching/Konecny IV/1 Einl Rz 38).

7 Sämtliche Rechtsmittel sind innerhalb einer Frist zu erheben (s bei §§ 464, 505 und 521); zur Fristberechnung s bei § 125. Die Berufung ist unter den Voraussetzungen des § 461 Abs 2 zunächst innerhalb einer Frist anzumelden; s dort. Sind in eine Entscheidungsausfertigung mehrere Entscheidungen mit verschieden langen Rechtsmittelfristen aufgenommen, dann gilt nach stRsp für deren Anfechtung einheitlich die längste in Frage kommende Rechtsmittelfrist (JBl 1962, 452; RZ 1982/40; MietSlg 36.781; Fasching Rz 1692; Pichler, JBl 1983, 82; Fucik, ÖJZ 1984, 432). Nach § 89 GOG ist die Frist gewahrt, wenn das Schriftstück am letzten Tag der Frist derart zur Post gegeben wird, dass es nach den Einrichtungen des entsprechenden Postamts noch mit dem Postaufgabevermerk dieses Tages versehen werden kann (SZ 46/32 = JBl 1973, 426 = Ind 1975 H 1, 13 = RZ 1973/163). Die Tage des Postenlaufs eines befristeten Schriftsatzes werden freilich nur dann für die Einhaltung der Frist außer Betracht gelassen, wenn die Postsendung an das zuständige Gericht adressiert war (ZBl 1931/20; SZ 24/10; RZ 1962, 42; SZ 60/192; EvBl 1995/90 = RdW 1995, 17 ua). Bei unrichtiger Adressierung – die auch dann vorliegt, wenn das zuständige Gericht zutreffend bezeichnet, dessen Anschrift aber falsch angegeben wurde (EvBl 1995/90 = RdW 1995, 17) – kommt es darauf an, wann der Schriftsatz bei dem zuständigen Gericht eingelangt ist (EFSlg 49.410; RZ 1990/109 uva). Langt aber das fälschlich an das Rechtsmittelgericht adressierte Rechtsmittel fristgerecht bei der vereinigten Einlaufstelle des Rechtsmittel- und des Erstgerichts ein, dann ist es nicht verspätet (SZ 23/394; RZ 1991/31 uva). S auch § 465 Rz 1. Bei Einbringung des Rechtsmittels unter Verwendung des Telefax wird die Frist auch dann gewahrt, wenn es nach Dienstschluss, aber vor 24 Uhr des letzten Tages bei Gericht einlangt; den Einschreiter trifft in 1494

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4 Rechtsmittel

einem solchen Fall freilich das Risiko, dass das Rechtsmittel nicht bei Gericht einlangt (7 Ob 94/04f = EvBl 2004/205 = JBl 2005, 45 = RdW 2004, 619). Wurde allerdings nur die erste Seite des Rechtsmittels ohne inhaltliche Ausführungen per Telefax übermittelt, besteht für das Gericht kein Anlass, einen Verbesserungsauftrag zu erteilen. Der erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist übermittelte, eigenhändig unterfertigte Schriftsatz ist verspätet (10 Ob 34/04d = RdW 2005, 30). Anderes gilt dann, wenn ein großer Teil der Rechtsmittelschrift übermittelt wurde und nur die restlichen Seiten fehlen, liegt doch dann kein „leeres“ Rechtsmittel vor (9 Ob 116/03d). Zur Frage der Nachfristsetzung im Verbesserungsverfahren s bei §§ 84, 85. Versäumt der Rechtsmittelwerber die Frist, dann ist das Rechtsmittel schon vom Erstgericht zurückzuweisen, unterlässt es dies, hat das Rechtsmittelgericht das zu tun (oder bei Rechtsmitteln an den OGH das Gericht zweiter Instanz als Durchlaufgericht). Unter den Voraussetzungen des § 146 kann dem Säumigen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt werden (s bei § 146). Die Legitimation des Rechtsmittelwerbers ist – anders als die Aktiv- 8 und Passivlegitimation im Verfahren erster Instanz – eine Zulässigkeitsvoraussetzung; fehlt die Rechtsmittellegitimation, ist das Rechtsmittel zurückzuweisen. Zum Rechtsmittel gegen die Entscheidungen in der Hauptsache sind nur die Parteien und die Nebenintervenienten – denen, auch wenn sie nicht streitgenössische Nebenintervenienten sind, in den Verfahren, denen sie beigetreten sind, Ausfertigungen der ergangenen Entscheidungen wie der Hauptpartei zuzustellen sind, womit die ihnen offenstehende Rechtsmittelfrist beginnt (verstSen 1 Ob 145/02h = JBl 2003, 315 = ecolex 2003, 337 = RdW 2003, 381) -, im Ehenichtigkeitsverfahren auch der Staatsanwalt (§ 83 1. DVEheG) legitimiert. Bei anderen (in Beschlussform ergehenden) Entscheidungen über Zwischenstreitigkeiten, Kosten und Gebühren kommt die Rechtsmittellegitimation auch den Personen zu, die parteigleiche Stellung haben (EvBl 1963/429; SZ 49/17 uva). Wird die Bezeichnung der beklagten Partei zulässiger Weise auf ein anderes Rechtssubjekt umgestellt, besteht mit dem bisher als Beklagter aufgetretenen Rechtssubjekt kein Prozessrechtsverhältnis mehr. Ein von dieser „Quasi-Partei“ erhobenes Rechtsmittel ist nach 7 Ob 56/03s = RdW 2003, 576, mangels Legitimation (und auch mangels Beschwer) zurückzuweisen. Nach stRsp und überwiegender Lehre setzt jedes Rechtsmittel eine 9 Beschwer, also ein Anfechtungsinteresse, voraus, ist es doch nicht Sache 1495

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der Rechtsmittelinstanzen, rein theoretische Fragen zu entscheiden (SZ 49/22; SZ 53/86; SZ 61/6 = EvBl 1988/100; MietSlg 45.699 uva; Holzhammer 320 f; Matscher in Anm zu JBl 1968, 574; Rechberger/Simotta Rz 818; Ballon Rz 353; zu welcher Ansicht P. Böhm, Unterlassungsanspruch 62 FN 73 später auch gelangte; aM ua Fasching in Fasching/ Konecny IV/1 Einl Rz 90; ders Rz 1712 und früher P. Böhm, JBl 1974, 7 f, welche die Beschwer als Erfolgsvoraussetzung ansehen, deren Fehlen zur Abweisung des Rechtsmittels führen muss). Nach Rsp und herrschender Auffassung muss die Beschwer sowohl bei Einlangen des Rechtsmittels als auch im Zeitpunkt der Rechtsmittelentscheidung vorliegen; fällt sie nach dem Einlangen des Rechtsmittels weg, dann ist das ursprünglich zulässige Rechtsmittel zurückzuweisen (EvBl 1963/346 = JBl 1963, 432 = MietSlg 15.743 = RZ 1963, 113; SZ 61/6 = EvBl 1988/ 100; ÖBl 1991, 38 = RdW 1991, 11 uva). Nach § 50 Abs 2 idF EO-Nov 1991 ist bei einem nachträglichen Wegfall des Rechtsschutzinteresses am Rechtsmittel dies bei der Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens nicht zu berücksichtigen (s bei § 50). Damit hat aber der Gesetzgeber klargestellt, dass entgegen der etwa von Pfersmann vertretenen Auffassung (Bemerkenswertes aus der SZ 39, ÖJZ 1970, 628, wo er die Rückkehr zur älteren Spruchpraxis [zB etwa JBl 1962, 511] verlangt hat, nach der bei der Beurteilung der Beschwer nur auf den Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels abzustellen sei) der erst nach Erhebung des Rechtsmittels eingetretene Wegfall der Beschwer bei der Erledigung in der Hauptsache sehr wohl zu berücksichtigen ist. Im Hinblick auf die Unanfechtbarkeit der Kostenentscheidungen der Gerichte zweiter Instanz (s § 519 Rz 2 und § 528 Rz 5) kann das Interesse an der Beseitigung eines Kostenausspruches nicht die für ein Rechtsmittel an den OGH erforderliche Beschwer begründen (SZ 61/6 = EvBl 1988/100; MietSlg 41.601; EvBl 1993/60; ÖBA 1994, 404; MR 1994, 213 [abl Korn] uva); das Interesse an der Beseitigung des Kostenausspruches erster Instanz begründet hingegen die Beschwer für Rechtsmittel gegen die erstgerichtliche Entscheidung in der Hauptsache (EvBl 1971/218 = MietSlg 22.625; JBl 1977, 650 = MietSlg 29.633/16; 4 Ob 17/93 uva; aM OLG Wien EFSlg 27.871; LG Wien MietSlg 26.650; LG Graz MietSlg 31.717). Nach stRsp ist ein Rechtsmittel mangels Beschwer als unzulässig zurückzuweisen; liegt kein zulässiges Rechtsmittel vor, dann können auch etwa vorhandene Nichtigkeitsgründe nicht wahrgenommen werden. Demgegenüber vertreten Bajons (JBl 1978, 183 ff, 191 ff und Rz 195) und – ihr folgend – P. Böhm (Unterlassungsanspruch 62 FN 73) die Auffassung, die Beschwer sei nur Voraussetzung einer meritorischen Rechtsmittelerledigung, lasse aber der amtswegigen Wahrneh1496

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4 Rechtsmittel

mung einer schon in erster Instanz unterlaufenen Nichtigkeit noch Raum. Rechberger/Simotta (Rz 818) erblicken in der Beschwer eine Zulässigkeitsvoraussetzung höherer Kategorie; die Wahrnehmung von Nichtigkeitsgründen müsse jener der fehlenden Beschwer vorgehen. Man unterscheidet im Allgemeinen: a) die formelle Beschwer: sie liegt dann vor, wenn die Entscheidung von dem ihr zugrundeliegenden Sachantrag des Rechtsmittelwerbers zu dessen Nachteil abweicht, b) materielle Beschwer: sie liegt vor, wenn die (materielle oder prozessuale) Rechtsstellung des Rechtsmittelwerbers durch die Entscheidung beeinträchtigt wird, diese also für ihn ungünstig ausfällt. In der Lehre finden sich auch der Begriff der „wirkungsbezogenen Beschwer“ (Bajons, JBl 1978, 113) und jener der „abgeleiteten“ oder „sekundären“ Beschwer (durch die Entscheidungsgründe: Rechberger/ Simotta Rz 815). Der Rechtsmittelwerber muss nach ganz herrschender Auffassung grundsätzlich formell beschwert sein; die formelle Beschwer reicht aber nicht immer aus. Widerspricht zwar die angefochtene Entscheidung seinem in der Vorinstanz gestellten Antrag, wird damit aber seine Rechtsstellung nicht beeinträchtigt, dann ist sein Rechtsmittel dennoch mangels Beschwer zurückzuweisen. So kann sich die Partei, deren Klage auf Unterlassung einer durch die Gewerbeordnung verbotenen Werbung abgewiesen wurde, dann dagegen nicht mit einem Rechtsmittel zur Wehr setzen, wenn mittlerweile das gesetzliche Verbot aufgehoben wurde und daher in Zukunft eine Exekution nicht mehr in Frage käme (SZ 61/6 = EvBl 1988/100; 4 Ob 576/94 = SZ 67/230 ua). Zur Frage, wieweit sich ein Beklagter gegen ein Verbot wehren kann, das auf Grund einer mittlerweile aufgehobenen Verbotsnorm erlassen wurde, s Zechner in Fasching/Konecny IV/1 Vor §§ 514 ff Rz 66. Hat der Beklagte nachträglich gezahlt, so dass nach dem Vorbringen des Klägers im Revisionsverfahren weniger aushaftet als die Vorinstanz zugesprochen hat, dann fehlt dem Kläger die Beschwer für sein Rechtsmittel gegen den abweisenden Teil des Urteils (ÖBA 1994, 404). Die Beschwer kann auch in einem prozessualen Nachteil liegen, so wenn die Klage aus formellen Gründen zurück-, statt als unbegründet abgewiesen wird (SZ 8/97; 3 Ob 183/02m = RZ 2003/22 [richtig: Nr 21]). Das kann freilich dann nicht gelten, wenn die Klage aus einem Grund zurückgewiesen wurde, der der neuerlichen Einbringung einer gleichlautenden Klage entgegensteht (Zechner in Fasching/Konecny IV/1 Vor §§ 514 ff Rz 79). 1497

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Eine Beschwer durch die Begründung (und nicht den Spruch) wird von der Rechtsprechung nur bei Rekursen gegen Aufhebungsbeschlüsse (SZ 18/48; EFSlg 23.187 uva) und ebenso bei Zwischenurteilen anerkannt (EvBl 1964/229), sonst aber grundsätzlich abgelehnt (SZ 7/ 353; JBl 1953, 98 ua). Anderer Meinung ist ein Teil der Lehre (zB Rechberger/Simotta Rz 815, Bajons Rz 195, dies, JBl 1978, 115; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 Vor §§ 514 ff Rz 63 ff). Nach 8 ObA 87/99y = EvBl 2000/5 = JBl 2000, 124 = ZAS 2001, 10 (Bienert-Nießl) ist trotz Abweisung der gegen die Kündigung gerichteten Anfechtungsklage nach § 105 ArbVG die Beschwer des Beklagten, der dem Begehren nicht mit dem Einwand entgegengetreten ist, eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses sei nicht erfolgt, durch die das Vorliegen einer Kündigung verneinende Begründung wegen der Bindungswirkung für allfällige Folgeprozesse zu bejahen. Dem kann freilich nicht zugestimmt werden; vielmehr wäre – umgekehrt – gerade deshalb, weil der vom Gericht herangezogene Abweisungsgrund nicht der tragende Grund war (die Abweisung hätte auch mit einer anderen Begründung erfolgen können), die Bindungswirkung zu verneinen.

11 Unzulässig ist ein Rechtsmittel auch dann, wenn der Rechtsmittelwerber schon vorher auf das Rechtsmittel wirksam verzichtet hat. Was ausdrücklich für die Berufung geregelt ist, gilt gem § 513 für das Revisionsverfahren und analog für das Rekursverfahren. Nach der Rsp setzt die Wirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts die Kenntnis der Entscheidung voraus (SZ 38/74 = RZ 1965, 147), weshalb ein schon vor der Urteilsfällung (oder Beschlussfassung) erklärter Rechtsmittelverzicht nicht verbindlich ist (SZ 7/354; SZ 24/319). In der Lehre ist die Möglichkeit des Vorausverzichts umstritten (dafür Holzhammer 317; Dolinar, Ruhen 66; dagegen Fasching Rz 1702; ders in Fasching/Konecny IV/1 Einl Rz 53; Ballon Rz 342). Ein erhobenes Rechtsmittel kann, wenn darüber zu verhandeln ist, bis zum Schluss der Verhandlung, sonst bis zu dem Zeitpunkt zurückgenommen werden, da das Gericht an seine Entscheidung gebunden ist (§ 416 Abs 2). Mit der Erklärung der Rücknahme des Rechtsmittels wird die angefochtene Entscheidung sofort rechtskräftig und – nach Ablauf der Leistungsfrist – vollstreckbar. Näheres s § 472 Rz 2–4.

12 Die Rechtsmittel sind mittels Schriftsatzes zu erheben. In gewissen Fällen (s § 465 Abs 2, § 520 Abs 1) können sie auch mündlich zu Protokoll gegeben werden. Gem § 89 Abs 3 GOG kann die Erhebung eines Rechtsmittels auch telegraphisch geschehen. Nach der Rsp kann das Rechtsmittel auch im Wege der Telekopie (Telefax) erhoben werden (1 Ob 41/99g = SZ 72/75 = JBl 1999, 661); dabei genügt es, wenn die 1498

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Telekopie am letzten Tag der Rechtsmittelfrist – wenn auch erst nach dem Ende der Amtsstunden – beim Erstgericht empfangen und mit einem Eingangsvermerk gem § 102 Geo versehen wurde (EvBl 1993/105 = JBl 1993, 732 [zust Gitschthaler] = JUS Z 1259 = NRsp 1993/96 = RdW 1993, 183). Dann bedarf es aber einer Verbesserung durch Beibringung der eigenhändigen Unterschrift der Partei oder ihres Vertreters (Gitschthaler zu JBl 1993, 732). Nach stRsp und einem Teil der Lehre steht jeder Partei grundsätzlich nur ein Schriftsatz zu („Einmaligkeit des Rechtsmittels“); die Rsp hält an diesem Grundsatz auch nach der Einführung des § 84 Abs 3 durch die ZVN 1983 (s bei §§ 84, 85) fest (RdW 1987, 54; EvBl 1989/93 = NRsp 1989/64; JBl 1995, 590; MR 1996, 32 ua; bejahend Mayr, RZ 1987, 265; G. Kodek in Fasching/Konecny II/1 §§ 84, 85 Rz 142; aA Ballon FS Kralik 53; Konecny, JBl 1984, 70; Rechberger/Simotta Rz 810; Fasching Rz 1693; vermittelnd Pichler, JBl 1983, 82; ausführlich Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 505 Rz 4 ff). Eine Ausnahme davon macht die Rsp in dem Fall, dass mehrere am gleichen Tag zur Post gegebene und am gleichen Tag beim Erstgericht eingelangte Schriftsätze vorliegen; diese sind als wirksam anzusehen (JBl 1981, 387 = Ind 1981 H 5, 14). Das Gleiche gilt, wenn eine fehlerhafte Berufung und die Ergänzung des Berufungsantrags gleichzeitig beim Prozessgericht einlangen (EvBl 1973/41 = JBl 1973, 92). Der Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels gilt auch dann nicht, wenn zwei verschiedene, in einer Ausfertigung zusammengefasste Entscheidungen – wie etwa die Verwerfung einer Unzuständigkeitseinrede sowie das in der Sache ergangene Urteil oder die Kostenentscheidung und die Entscheidung in der Hauptsache – angefochten werden (EvBl 1994/59 = RZ 1994/78 unter ausdrücklicher Abl von RZ 1982/40). Neben den allgemeinen Erfordernissen jedes Schriftsatzes müssen die 13 Rechtsmittel noch besonderen Inhaltserfordernissen entsprechen. Sie müssen – ausdrücklich oder doch erkennbar – zum Ausdruck bringen, in welchem Umfang die Entscheidung bekämpft wird (Rechtsmittelerklärung); sie müssen deutlich machen, welche Entscheidung des Rechtsmittelgerichts begehrt wird (Rechtsmittelantrag) und sie müssen die Gründe anführen, die gegen die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung ins Treffen geführt werden (Rechtsmittelgründe). Soweit Form- oder Inhaltserfordernissen nicht entsprochen wurde, ist ein Verbesserungsauftrag nach § 84 Abs 3 zu erteilen; erst bei dessen Ergebnislosigkeit ist das Rechtsmittel wegen Unzulässigkeit zurückzuweisen (§ 474 Abs 2, § 495; Fasching in Fasching/Konecny IV/1 Einl Rz 71). 1499

Vor § 461

Kodek

Die falsche Bezeichnung des Rechtsmittels und die unrichtige Benennung der Gründe sind indes unerheblich, sofern nur das Begehren deutlich erkennbar ist (§ 84 Abs 1). Bringt ein Rechtsanwalt einen „leeren“ Rechtsmittelschriftsatz ein, dann ist nach der Rsp, weil offenbar ein Rechtsmissbrauch vorliegt, kein Verbesserungsauftrag zu erteilen, sondern das Rechtsmittel sogleich zurückzuweisen (SZ 58/17 = JBl 1985, 684 [zust Pfersmann] = AnwBl 1985, 547; EvBl 1985/29 = RZ 1985/25 = EFSlg 46.641/8; RZ 1995/80; Konecny, JBl 1984, 20; Mayr, ÖJZ 1981, 651; Fasching Rz 1691; Ballon Rz 340).

14 Die Anfechtungs- (Rechtsmittel-) Gründe sind im Gesetz nur für die Revision zusammenfassend aufgezählt (§ 503), für Berufungen und Rekurse hingegen nicht; nur einzelne dieser Gründe werden ausdrücklich erwähnt (s § 467 Rz 5 und § 526 Rz 4). Grundsätzlich lassen sich zwei Gruppen von Anfechtungsgründen unterscheiden: a) Verfahrensfehler, also Verletzungen von Verfahrensvorschriften. Man unterscheidet Nichtigkeitsgründe und sonstige (einfache) Verfahrensmängel. b) Entscheidungsfehler, ds Fehler in den Schlussfolgerungen des Richters sowohl bei der Gewinnung der Tatsachengrundlage (Aktenwidrigkeit und unrichtige Beweiswürdigung) als auch bei der rechtlichen Wertung des Sachverhaltes (unrichtige rechtliche Beurteilung). Näheres s § 471 Rz 5.

15 Ein Rechtsmittel bedingt zu erheben ist nur dann zulässig, wenn die Bedingung innerprozessual ist (Fasching Rz 758; EvBl 1974/289 = RZ 1974/89; RZ 1994/47). Die Beisetzung außerprozessualer Bedingungen für die Behandlung des Rechtsmittels führt hingegen zu dessen Unzulässigkeit (EvBl 1994/180 = NRsp 1994/270). Ein bedingt erhobenes Rechtsmittel ist nicht schon deshalb unzulässig, weil sich der vorher zu erledigende Antrag an eine andere Instanz richtet; die Erhebung des Rekurses darf aber nicht von der Erledigung eines Antrags abhängig gemacht werden, mit dem ein neues Verfahren mit einem anderen Rechtsschutzziel eröffnet wird (EvBl 1994/180 = NRsp 1994/270).

1500

Erster Abschnitt Berufung Zulässigkeit § 461. (1) Gegen die in erster Instanz gefällten Urteile findet die Berufung statt. (2) Gegen ein in Anwesenheit beider Parteien mündlich verkündetes Urteil (§ 414) kann Berufung nur von einer Partei erhoben werden, die diese sofort nach der Verkündung des Urteils mündlich oder binnen vierzehn Tagen ab der Zustellung der Protokollsabschrift über jene Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung, in der das Urteil verkündet worden ist, in einem bei dem Prozessgericht erster Instanz überreichten Schriftsatz oder unter der Voraussetzung des § 434 Abs 1 durch Erklärung zu gerichtlichem Protokoll angemeldet hat. Wird in dieser Frist ein Antrag im Sinn des § 464 Abs 3 gestellt, so gilt er als Anmeldung der Berufung. [Abs 2 angefügt durch WGN 1989 idF WGN 1997; früherer Text wurde Abs 1] Lit: Pochmarski/Lichtenberg, Die Berufung in der Zivilprozessordnung (2003). Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 461; Bajons Rz 180; Ballon Rz 358 ff; Buchegger, PraktZPR 379; Deixler-Hübner/Klicka Rz 277 ff; Fasching Rz 1750 ff; Holzhammer 323; Rechberger/Simotta Rz 830 ff. Die Berufung ist das ordentliche, zweiseitige, aufsteigende und auf- 1 schiebende Rechtsmittel gegen Urteile erster Instanz. Sie ist gegen alle Arten von Urteilen erster Instanz statthaft. Soweit freilich nur der Kostenausspruch angefochten wird (oder ein „Urteil“ bekämpft wird, das – nach Einschränkung des Klagebegehrens auf Kostenersatz – nur über Kosten abspricht), ist dagegen nicht Berufung, sondern Rekurs zu erheben (§ 55). Die in das Urteil aufgenommenen Entscheidungen über Prozesseinreden sind gem § 261 Abs 3 mit Berufung anzufechten. Das gilt unstreitig, wenn gleichzeitig das Urteil in der Hauptsache ganz oder teilweise bekämpft wird; richtet sich das Rechtsmittel allein gegen die Entscheidung über die Prozesseinrede, ist nach der Rsp (SpR 193 = AmtlSlgNF 910 = GlUNF 3448) nur der Rekurs zulässig. Zum Vergreifen in der Entscheidungsform s Vor § 461 Rz 6. 1501

§ 461

Kodek

Zur Frage der Unzulässigkeit der Berufung im Einzelfall s Vor § 461 Rz 6 und § 472.

2 Wurde ein Urteil in Anwesenheit beider Parteien mündlich verkündet, muss die Partei – im Gegensatz zum sonstigen Rechtsmittelsystem der ZPO – die Berufung zunächst innerhalb der Frist des Abs 2 Satz 1 anmelden. Unterlässt sie dies, dann ist das dennoch erhobene Rechtsmittel schon vom Erstgericht als unzulässig zurückzuweisen (§ 468 Abs 1 letzter Satz). Für die Berufung läuft die Frist erst ab der Zustellung des Urteils. Der von den Parteien unmittelbar nach der mündlichen Urteilsverkündung gestellte Antrag auf Zustellung einer schriftlichen Urteilsausfertigung ist keine Anmeldung einer Berufung iS des Abs 2 (EvBl 1993/44 = NRsp 1993/35 = RZ 1994/30). Daraus, dass die fristgerechte Anmeldung der Berufung gegen ein verkündetes Urteil zwar Voraussetzung dafür ist, dass die Berufung erhoben werden kann, diese Anmeldung aber keinerlei Einfluss auf die vierwöchige Berufungsfrist hat, die mit der Zustellung der schriftlichen Urteilsausfertigung beginnt, schließt die Entscheidung EFSlg 76.092 = JUS Z 1435 = RdW 1994, 15 = RZ 1995/30, dass die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Anmeldung der Berufung nur zur Folge habe, dass die Berufungsanmeldung als rechtzeitig anzusehen ist, dies aber keinen Einfluss auf die Berufungsfrist habe, weil für einen solchen Fall eine den Beginn der Berufungsfrist ändernde gesetzliche Bestimmung nicht existiere. Dem ist nicht zu folgen. Vor der (fristgerechten) Anmeldung der Berufung ist nach dem oben Gesagten die Berufung unzulässig. Nach Versäumung der Anmeldungsfrist hätte es daher für den Berufungswerber – solange ihm nicht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt worden ist – keinen Sinn, die (unzulässige) Berufungsschrift einzubringen. Die Berufung muss daher als rechtzeitig angesehen werden, wenn sie – eine frühere Zustellung des Urteils vorausgesetzt – binnen vier Wochen ab der Bewilligung der Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Anmeldungsfrist eingebracht wird (so auch Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 461 Rz 10). Wurde – entgegen dem Zweck des § 417a, die Richter zu entlasten und damit die Verfahren zu beschleunigen (ErlRV 888 BlgNR 17. GP 20 f) – der (unterlegenen) Partei nach einer Urteilsverkündigung iSd Abs 2 gleichzeitig mit dem Protokoll über die Verhandlungstagsatzung schon das Urteil zugestellt, dann ist eine Anmeldung nicht erforderlich; vielmehr läuft ab der Urteilszustellung die Berufungsfrist (4 Ob 135/ 03m = EvBl 2003/171 = RdW 2004, 27; ähnlich schon 8 Ob 591/93).

3 § 461 Abs 2 gilt – mit Ausnahme des Besitzstörungsverfahrens – im Rekursverfahren nicht (EvBl 1995/61). Er gilt seit der ZVN 2002 auch 1502

§ 462

4.1 Berufung

im sozialgerichtlichen Verfahren, weil damit keine Beeinträchtigung des Rechtsschutzes verbunden ist (ErlRV 962 BlgNR 21. GP 48). Auf eine Berufung gegen ein in Anwesenheit beider Parteien verkünde- 4 tes Anerkenntnisurteil ist Abs 2 nicht anzuwenden (7 Ob 1573/90 = EvBl 1991/19 = RZ 1991/17; Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 461 Rz 15). § 462. (1) Das Berufungsgericht überprüft die Entscheidung des Gerichtes erster Instanz innerhalb der Grenzen der Berufungsanträge. (2) Der Beurteilung des Berufungsgerichtes unterliegen jedoch gleichzeitig auch diejenigen Beschlüsse, welche in dem dem Urteile vorausgegangenen Verfahren erlassen wurden, sofern nicht deren Anfechtung nach dem Gesetze ausgeschlossen ist oder dieselben infolge Unterlassung der rechtzeitigen Rüge (§ 196), des Rekurses oder durch die über den eingebrachten Rekurs ergangene Entscheidung unabänderlich geworden sind. [Stammfassung] Lit: Delle-Karth, Die Abänderung der erstinstanzlichen Kostenentscheidung durch das Berufungsgericht gem § 50 Abs 1 ZPO und das Verbot der reformatio in peius, RZ 1997, 185. Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 462; Ballon Rz 348; Buchegger, PraktZPR 381; Fasching Rz 1750; Rechberger/Simotta Rz 830. Das Berufungsgericht darf den Rechtsmittelantrag nicht überschrei- 1 ten; andernfalls verstößt seine Entscheidung nicht nur gegen § 405, sondern auch gegen die eingetretene (Teil-) Rechtskraft (§ 466), womit Nichtigkeit begründet wird (SZ 22/98 [zust Novak, JBl 1950, 471]; 1 Ob 507/82; 7 Ob 686/88 uva). In Ansehung des unangefochtenen Teiles können selbst Nichtigkeitsgründe nicht von Amts wegen wahrgenommen werden (3 Ob 673/80). Aus § 462 Abs 1 ergibt sich das Verbot der reformatio in peius (JBl 1959, 106). Das Berufungsgericht ist auch an die geltend gemachten Berufungs- 2 gründe gebunden (SZ 22/114; RZ 1967, 37; 2 Ob 517/87 ua). Nur Nichtigkeitsgründe sind von Amts wegen wahrzunehmen (§ 471 Z 7); außerdem sind zwingende gesetzliche Vorschriften – wie etwa die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäftes nach dem DevG (FN 1980, 11 = ÖZW 1980/1, 26) – zu beachten (ZBl 1923/97); in den Verfahren mit Untersuchungsmaxime sind auch Verfahrensfehler von Amts wegen zu berück1503

§ 462

Kodek

sichtigen (OLG Wien EFSlg 10.546). Zur Rechtsrüge s bei § 467 Z 3, § 503 Z 4 und § 506 Abs 2).

3 Der Grundsatz der Wahrung der Teilrechtskraft kommt dann nicht zur Geltung, wenn der unangefochten gebliebene Teil höchstens scheinbar formell, inhaltlich aber gar nicht selbständig in Rechtskraft erwachsen konnte, sondern in untrennbarem Sachzusammenhang mit der noch überprüfbaren Entscheidung steht (NZ 1970, 41; ZVR 1978/ 245; SZ 53/66; 2 Ob 223/82 ua). Hat etwa das Erstgericht nur dem Eventualbegehren stattgegeben, so muss das Berufungsgericht, wenn es die Abweisung des Hauptbegehrens aufhebt, auch die unbekämpft gebliebene Entscheidung über das Eventualbegehren aufheben (JBl 1960, 389). Wird nur der Schuldspruch eines Scheidungs- oder Aufhebungsurteils bekämpft, hat das Berufungsgericht die Klage abzuweisen, wenn bei Verneinung des Verschuldens der Scheidungs- oder Aufhebungstatbestand wegfällt (JB 57 = SZ 25/331 = EvBl 1953/32 = EFSlg 2603; EFSlg 30.049). Zu beachten ist auch, dass in einem dreigliedrigen Urteil, das auf Grund der Einwendung einer Gegenforderung ergeht, weder die Entscheidung über die Klageforderung noch jene über die Gegenforderung für sich allein, sondern nur die sich daraus ergebende Entscheidung über das Klagebegehren der Rechtskraft fähig ist (RZ 1982/42; EvBl 1992/193 = NRsp 1992/257; SZ 68/44; SZ 70/97; 4 Ob 242/99p; aM – ohne Begr – JBl 1996, 254 [abl Dullinger]). Dennoch wird ein Rechtsschutzinteresse des Beklagten an der Anfechtung des Ausspruchs, dass die Klageforderung zu Recht bestehe, bejaht (JBl 1959, 157; EvBl 1969/ 396; MietSlg 33.649; 8 Ob 31/86 ua).

4 Das Berufungsgericht hat im Fall ihrer Bekämpfung (s Rz 5) auch die im Verfahren gefassten Beschlüsse zu überprüfen, ausgenommen: a) unanfechtbare Beschlüsse, wie zB auf Fristsetzung für eine bestimmte Beweisaufnahme gem § 279 Abs 1 (§ 291 Abs 2); b) Beschlüsse, die nach § 196 zu rügen gewesen wären, aber ungerügt geblieben sind, wie zB der nach Richterwechsel gefasste Beschluss, trotz gegenteiligen Parteienantrags die vor dem früheren Richter aufgenommenen Beweisaussagen nur zu verlesen; c) trotz Anfechtbarkeit unangefochten gebliebene Beschlüsse, zB auf Zulassung einer Klageänderung (§ 235 Abs 3); d) vom Rekursgericht bereits früher – infolge schon vor Erlassung des Urteils eingebrachter, mit Rechtsmitteln gegen selbständig anfechtbare Entscheidungen verbundener Rekurse im Sinne des § 515 – bestätigte Beschlüsse, zB auf Zulassung oder Ausschließung eines Beweismittels wegen Fristablaufes gem § 279 Abs 2 (§ 291 Abs 1), verbunden mit Rekurs gegen Sachverständigengebührenbestimmungsbeschluss udgl. 1504

§ 463

4.1 Berufung

Da verbundene Rekurse (s bei § 515) zwar mit der nächstanfechtbaren 5 Entscheidung gleichzeitig angefochten werden können, aber nicht angefochten werden müssen, können nicht abgesondert anfechtbare Beschlüsse immer mit dem Rechtsmittel gegen die Endentscheidung – also auch mit der Berufung – bekämpft werden. Sie müssen dann aber – im Rahmen der Mängelrüge – angefochten werden, können doch Verfahrensmängel immer nur auf Rüge und nicht auch von Amts wegen wahrgenommen werden. Die von Fasching1 (IV 46 Anm 4) vertretene Auffassung, dass das Berufungsgericht alle noch überprüfbaren Beschlüsse von Amts wegen zu überprüfen hätte, widerspricht dem Grundsatz der beschränkten Überprüfungsbefugnis im Rechtsmittelverfahren und wird auch von der Rsp als systemwidrig abgelehnt (EvBl 1991/191 = JBl 1992, 120; iS Faschings jedoch 10 ObS 286/88 = SSV-NF 2/118). Die Meinung Faschings findet keine Stütze im Wortlaut des § 462 Abs 2; mit der Wendung: „Der Beurteilung des Berufungsgerichtes unterliegen jedoch gleichzeitig auch diejenigen Beschlüsse …“ soll nur zum Ausdruck gebracht werden, dass die Kognition des Berufungsgerichtes nicht auf das Urteil allein beschränkt ist, nicht aber, dass hier Amtsbetrieb herrschen solle. Lassen die Parteien etwa den – im Zeitpunkt der Berufungserhebung noch nicht rechtskräftigen – Beschluss über die Klageänderung ungerügt, dann darf das Berufungsgericht diesen Beschluss entgegen Fasching keineswegs von Amts wegen überprüfen (so auch Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 462 Rz 4). Das Berufungsgericht ist nicht zuständig, über die klagende Partei eine 6 Mutwillensstrafe wegen (versuchter) Erschleichung eines Zahlungsbefehls (§ 448a Abs 1) zu verhängen (6 Ob 263/02y). § 463. (1) Auf das Berufungsverfahren sind die Vorschriften über das Verfahren vor Gerichtshöfen erster Instanz insoweit anzuwenden, als sich nicht aus den nachfolgenden Bestimmungen Abweichungen ergeben. (2) Im Berufungsverfahren müssen die Parteien durch Rechtsanwälte vertreten sein. [Stammfassung] Lit: Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 463; Fasching Rz 1778. Soweit das Berufungsverfahren nicht besonders geregelt ist, gelten die 1 Vorschriften für das erstinstanzliche Verfahren, so etwa auch die Bestimmungen über die Beweisaufnahme wie § 281a (SZ 58/8 = JBl 1985, 173 = AnwBl 1988, 531 [abl Graff] = MietSlg 37.762/7), soweit dieser 1505

§ 464

Kodek

Bestimmung im Hinblick auf § 488 Abs 4 noch ein Anwendungsbereich verbleibt (s § 488 Rz 2, 4 und 7).

2 Da das Berufungsverfahren immer vor Gerichtshöfen stattfindet, ergibt sich die Anwaltspflicht schon aus § 27 Abs 1. § 28 Abs 1 ordnet an, dass bestimmte Personen – wie insb Richter und Notare – in eigener Sache auch im Rechtsmittelverfahren keines Rechtsanwaltes bedürfen (arg „… noch in einer höheren Instanz“). In Arbeits- und Sozialrechtssachen müssen die Parteien durch qualifizierte Personen (§ 40 Abs 1 ASGG) vertreten sein. § 464. (1) Die Berufungsfrist beträgt vier Wochen, sie kann nicht verlängert werden. (2) Sie beginnt für jede Partei mit der an sie erfolgten Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Urteils; § 416 Abs 3 bleibt jedoch unberührt. (3) Hat eine die Verfahrenshilfe genießende oder beantragende Partei innerhalb dieser Frist die Beigebung eines Rechtsanwalts beantragt, so beginnt für sie die Berufungsfrist mit der Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Rechtsanwalts und einer schriftlichen Urteilsausfertigung an ihn; der Bescheid ist durch das Gericht zuzustellen. Wird der rechtzeitig gestellte Antrag auf Beigebung eines Rechtsanwalts abgewiesen, so beginnt die Berufungsfrist mit dem Eintritt der Rechtskraft des abweisenden Beschlusses. Der § 73 Abs 3 gilt sinngemäß. [Abs 1 und 2 idF ZVN 1983; Abs 3 – angefügt durch BGBl 1955/282 – idF VerfHG BGBl 1973/569; letzter Satz angefügt durch WGN 1997] Lit: Stölzle, Unterbricht der Antrag eines zur Verfahrenshilfe bestellten Rechtsanwalts, die Verfahrenshilfe für erloschen zu erklären, die Rechtsmittelfrist?, AnwBl 1981, 391. Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 464; Ballon Rz 368; Buchegger, PraktZPR 380; Fasching Rz 500, 1777 und 1779; Rechberger/Simotta Rz 306 und 844.

1 Die Berufungsfrist beträgt (seit der ZVN 1983) vier Wochen; für ihre Berechnung gilt § 125 Abs 2. Sie endet also mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten (vierten) Woche, der durch seine Benennung dem Tag entspricht, an dem die Frist begonnen hat. Wurde das Urteil zB an einem Montag zugestellt (Fristbeginn: § 464 Abs 2), dann endet die Frist am vierten darauffolgenden Montag. Bei Zustellung während der Ge1506

§ 464

4.1 Berufung

richtsferien beginnt die Rechtsmittelfrist mit 0 Uhr des ersten Tages nach den Gerichtsferien zu laufen (SZ 57/65 = AnwBl 1984, 351 = RZ 1985/4; RZ 1985/5 ua). Die Berufungsfrist ist eine Notfrist (§ 128 Abs 1); ihre Verkürzung ist 2 durch Parteienvereinbarung (§ 129 Abs 1) oder durch Gerichtsbeschluss auf Antrag unter den Voraussetzungen des § 129 Abs 2 möglich; das kommt aber in der Praxis kaum vor. Abs 2 setzt den Beginn der Rechtsmittelfrist mit dem Wirksamwerden 3 der angefochtenen Entscheidung, in der Regel also mit der Zustellung der schriftlichen Urteilsausfertigung (§ 416 Abs 1), in den Fällen des § 416 Abs 3 jedoch mit der Verkündung des Urteils gleich. Wird bei einer solchen Verkündung freilich die Kostenentscheidung der schriftlichen Ausfertigung vorbehalten, beginnt die Frist erst mit deren Zustellung zu laufen (3 Ob 23/76; 2 Ob 507/96; 4 Ob 4/99p = RdW 1999, 476). Die Zustellung an den gesetzlichen Vertreter, den Prozessbevollmächtigten oder Verfahrenshilfeanwalt bedeutet die Zustellung an die Partei; hat die Partei mehrere Vertreter, dann gilt die früheste Zustellung als maßgebend (EvBl 1969/65 = RZ 1969, 33 ua). Allerdings löst die Zustellung einer Urteilsausfertigung, die nicht den Erfordernissen der §§ 144 ff Geo entspricht, also keine handschriftliche Unterfertigung durch den Leiter der Geschäftsstelle unter dem Abdruck der Unterschriftsstampiglie des Richters oder Senatsvorsitzenden und auch nicht das allgemeine Gerichtssiegel aufweist, keine Rechtsmittelfrist aus, weil es sich dabei um keine autorisierte Entscheidung handelt (7 Ob 65/99f = JBl 2001, 62; 3 Ob 147/01s = AnwBl 2002, 655 = RdW 2002, 467); bei Zustellung einer einfachen Kopie der Urteilsausfertigung kann jedoch für die Partei überhaupt kein Zweifel bestehen, dass eine autorisierte Urteilsausfertigung zugestellt wird (3 Ob 147/01s = AnwBl 2002, 655 = RdW 2002, 467). Die Berufungsfrist beginnt auch dann mit der Zustellung der schriftlichen Urteilsausfertigung zu laufen, wenn die Berufung gegen ein mündlich verkündetes Urteil angemeldet wurde (§ 461 Abs 2). Das soll nach RdW 1994, 15 auch dann gelten, wenn Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Anmeldungsfrist bewilligt wurde. S aber § 461 Rz 2. Schon vor der Zustellung kann nach stRsp wirksam Berufung erhoben werden, sofern nur das Gericht selbst schon an seine Entscheidung infolge Verkündung oder Abgabe der schriftlichen Abfassung an die Geschäftsstelle gem § 416 Abs 2 gebunden ist (Pimmer in Fasching/ Konecny IV/1 § 464 Rz 3; SZ 21/2; JBl 1961, 326; LGZ Wien MietSlg 36.734 ua). Im Hinblick auf den Grundsatz der Einmaligkeit des 1507

§ 464

Kodek

Rechtsmittels ist es dem Rechtsmittelwerber dann allerdings verwehrt, seine Ausführungen zur Widerlegung erst in der schriftlichen Ausfertigung enthaltener Argumente zu ergänzen (Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 505 Rz 6 mwN). Dieser Auffassung widersprach das OLG Wien in 4 R 180/00w; nach dessen Rechtsmeinung müsse die durch die Entscheidung beschwerte Partei jedenfalls innerhalb der Frist ab Zustellung der Entscheidungsausfertigung ein Rechtsmittel erheben können, um auf die allenfalls erst in der schriftlichen Ausfertigung enthaltenen (zusätzlichen) Erwägungen des Gerichts zu erwidern. Müsse aber dieses Recht im Lichte des Art 6 EMRK bejaht werden, bestehe kein Grund, schon vorher ein Rechtsmittelrecht, das dann bei Zustellung der Ausfertigung bereits verbraucht wäre, einzuräumen. Eine vor Urteilsfällung eingebrachte Berufung ist aber jedenfalls zu verwerfen (SZ 38/124 = EvBl 1966/62).

4 Die Rechtsmittelfrist wird nur durch den erstmaligen Antrag auf Beigebung eines Verfahrenshilfeanwalts verlängert; war der Partei schon im Rahmen der Verfahrenshilfe ein Rechtsanwalt beigestellt worden, dann wird durch einen neuerlichen Antrag auf Beigebung eines Rechtsanwalts die Rechtsmittelfrist nicht unterbrochen (Pimmer in Fasching/ Konecny IV/1 § 464 Rz 15; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 505 Rz 34; Fasching Rz 500; EvBl 1990/161 ua). Die ggt Rsp, wonach dann wenn einer Partei im Rahmen der Verfahrenshilfe neuerlich ein Rechtsanwalt beigegeben wird, obwohl der früher beigegebene noch zu ihrer Vertretung befugt war, die Rechtsmittelfrist dennoch erst mit der Zustellung der Entscheidung an den neuen Verfahrenshelfer beginnt (SSV-NF 5/32; SSV-NF 7/50; ARD 4685/8 = SSV-NF 9/43; DRdA 1998/60 = DRdA 1998, 193 [Eypeltauer]) ist abzulehnen. Ein innerhalb der Berufungsfrist gestellter Antrag auf Beigebung eines Rechtsanwalts unterbricht den Lauf dieser Frist aber dann, wenn der bisherige frei gewählte Rechtsanwalt die ihm erteilte Vollmacht während des Laufes der Rechtsmittelfrist aufgekündigt hat (JBl 1991, 195 = RZ 1992/72). Nach dem Schutzzweck des Abs 3 muss der Partei die Unterbrechung der Berufungsfrist auch dann zustatten kommen, wenn sie bei Stellung des Verfahrenshilfeantrags noch durch einen frei gewählten Rechtsanwalt vertreten ist; maßgebend kann nur sein, ob die Partei im Hinblick auf ihre Vermögenslage außerstande ist, die mit einer weiteren rechtsfreundlichen Vertretung verbundenen finanziellen Lasten zu tragen. Hat sich ein Rechtsanwalt bereit gefunden, noch die Verfahrenshilfe zu beantragen, folgt daraus nicht, die Partei wäre imstande, ohne Verfahrenshilfe eine Berufung einzubringen, also Pauschalgebühr und Anwaltskosten zu tragen (immolex 1997/163 = MietSlg 49.661). Wird dem Antrag stattgegeben, so läuft die Berufungsfrist neu ab der Zustellung 1508

§ 464

4.1 Berufung

des Bescheids über die Bestellung des Rechtsanwalts; bei Abweisung des Antrags beginnt die Frist mit der Rechtskraft des abweisenden Beschlusses – endgültig – neu zu laufen; ein neuer Antrag verlängert die Frist nicht (RZ 1987/9). Ein Antrag auf Verfahrenshilfe ist aber auch dann rechtzeitig iSd Abs 3, wenn er innerhalb einer gem § 85 Abs 3 vom Richter gesetzten Frist zur Verbesserung des rechtzeitig eingebrachten Berufungsschriftsatzes gestellt wird (3 Ob 187/01y = EvBl 2002/224 = JBl 2003, 252); die gegenteilige Auffassung (EvBl 1970/316; JBl 1976, 214 = EFSlg 25.328; SSV-NF 3/6 = RZ 1989/51) ist überholt. Unterlässt es die Verfahrenshilfe beantragende Partei trotz gerichtlicher Aufforderung, ein Vermögensbekenntnis vorzulegen, dann führt das nach der jüngsten Rsp zur Abweisung des Antrags und nicht zu einer Zurückweisung aus formellen Gründen, sodass der Antrag die Berufungsfrist bis zur Rechtskraft des abweisenden Beschlusses unterbricht (3 Ob 130/ 05x = EvBl 2005/194 = JBl 2006, 50; aM RZ 1988/62). Ein nach Ablauf der Rechtsmittelfrist gestellter Verfahrenshilfeantrag unterbricht diese Frist auch dann nicht, wenn das Erstgericht die Verfahrenshilfe bewilligt und einen Rechtsanwalt beigegeben hat (SSV-NF 5/57). Ein schon vor Beginn des Laufs der Berufungsfrist gestellter Antrag auf Beigebung eines Rechtsanwalts im Rahmen der Verfahrenshilfe unterbricht hingegen die Frist (1 Ob 2394/96g = JBl 1997, 465; 3 Ob 130/05x = EvBl 2005/ 194 = JBl 2006, 50; M. Bydlinski in Fasching/Konecny II/1 § 73 Rz 3 mwN; Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 464 Rz 14). Wird ein Antrag auf Verfahrenshilfe zur Verbesserung zurückgestellt, in der Folge aber nicht wieder vorgelegt, gilt der Antrag als nicht gestellt; es kommt zu keiner Verlängerung der Rechtsmittelfrist (RZ 1995/85). Die Verfahrenshilfe beantragende Partei ist nicht gehindert, nach Beigebung eines Rechtsanwalts und Zustellung des Urteils an diesen die Berufung innerhalb der nun neu laufenden Rechtsmittelfrist durch ihren frei gewählten Vertreter einzubringen (RZ 1996/13 unter Abl der ggt E RZ 1958, 14). Dem Verfahrenshelfer ist außer dem Bestellungsbescheid eine Urteilsausfertigung zuzustellen; damit beginnt die Berufungsfrist neu zu laufen. Beantragt der Verfahrenshelfer, die Verfahrenshilfe für erloschen zu erklären, so wird die Berufungsfrist nach der jüngeren Rsp (2 Ob 529/ 92; 6 Ob 230/02w ua) entgegen der früheren Rsp (SZ 51/59 = RZ 1978/ 128 ua) nicht unterbrochen, bleibt doch der bestellte Rechtsanwalt gem § 68 Abs 4 verpflichtet, bis zur Rechtskraft eines nach § 68 ergehenden Beschlusses für die Partei zu handeln (Fasching Rz 504; Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 464 Rz 22). Bei Umbestellung des Verfahrenshelfers beginnt die Rechtsmittelfrist mit der Zustellung des Bestellungs1509

§ 465

Kodek

beschlusses und des Urteils an den neuen Verfahrenshelfer neu zu laufen (SZ 44/133 = EvBl 1972/64; AnwBl 1984, 448; JUS 4, 14 ua; EvBl 1995/138 = ÖJZ-LSK 1995/111; 6 Ob 230/02w = EFSlg 101.899 ua). § 85 Abs 2 Satz 3 gilt nicht für den Beginn der Berufungsfrist (RZ 1989/51).

5 Erledigt das Berufungsgericht eine verspätet erhobene Berufung sachlich, ist seine Entscheidung infolge Verstoßes gegen die Rechtskraft nichtig (s § 503 Rz 2). § 465. (1) Die Berufung wird durch Überreichung eines vorbereitenden Schriftsatzes (Berufungsschrift) bei dem Prozessgericht erster Instanz erhoben. (2) An Orten, in welchen nicht wenigstens zwei Rechtsanwälte ihren Sitz haben, können die Berufungsschriften durch entsprechende Erklärungen zu gerichtlichem Protokolle ersetzt werden, die der Mitwirkung eines Rechtsanwaltes nicht bedürfen, wenn nicht schon im erstinstanzlichen Verfahren die Vertretung durch Rechtsanwälte geboten war (§ 27 Abs 1). (3) Der Richter, welcher das Protokoll aufnimmt, hat die Partei zur genauen Angabe der Berufungsgründe, zur Stellung eines bestimmten Berufungsantrages, sowie zur Angabe der für die Berufungsgründe neu vorzubringenden Umstände und Beweise besonders aufzufordern und über die Rechtsfolgen der Unterlassung dieser Angaben zu belehren. (4) Die Bestimmungen des Gesetzes über die Berufungsschrift sind auch auf die Protokollarerklärungen zu beziehen, welche die Berufungsschrift ersetzen. [Abs 2 idF StGBl 1919/95, letzter Halbsatz angefügt durch WGN 1989; sonst Stammfassung] Lit: Konecny, Zur Erweiterung der Verbesserungsvorschriften durch die ZVN 1983, JBl 1984, 13 und 61; Mayr, Der Grundsatz der „Einmaligkeit des Rechtsmittels“ im zivilgerichtlichen Verfahren, JBl 1981, 458 und 520; Mayr, Die Einmaligkeit des Rechtsmittels nach der ZVN 1983, RZ 1987, 265; Pichler, Gedanken zur angeblichen Einmaligkeit des Rechtsmittels, JBl 1983, 82. Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 465; Fasching Rz 1777 und 1785; Rechberger/Simotta Rz 844.

1 Die Berufung ist beim Erstgericht zu überreichen; ist sie richtig an dieses adressiert, dann werden die Tage des Postlaufes nicht mitgezählt (§ 89 GOG). Die Post ist sohin „verlängerte Einlaufstelle“. Wird aber 1510

§ 466

4.1 Berufung

die Berufung an ein unzuständiges Gericht – etwa an das Berufungsgericht – adressiert, dann entscheidet der Tag des Einlangens beim Erstgericht (s Vor § 461 Rz 7). Nach der Rsp ist ein Rechtsmittel auch dann richtig adressiert, wenn es an das im Zeitpunkt der Urteilsfällung zuständige Gericht gesandt wird, welches während der Rechtsmittelfrist infolge Änderung der Gerichtsverfassung aufgelöst wurde oder dessen Zuständigkeit auf ein anderes Gericht übergegangen ist (10 ObS 15/87; SZ 60/192 = JBl 1989, 402; 6 Ob 298/02w; 3 Ob 13/03p). Diese Auffassung wurde in 3 Ob 13/ 03p auch für den Fall vertreten, dass das Rechtsmittel an das seinerzeitige Erstgericht adressiert war, dessen Zuständigkeit schon vor Monaten auf ein anderes Gericht (im Zuge der Zusammenlegung von Bezirksgerichten) übergegangen war. Zum Grundsatz der „Einmaligkeit des Rechtsmittels“ s Vor 461 Rz 12. 2 Die Berufung ist grundsätzlich in der Form eines anwaltlich gefertigten 3 Schriftsatzes zu erheben; zu den Form- und Inhaltserfordernissen s Vor § 461 Rz 13 und bei § 467. Zu gerichtlichem Protokoll kann die Berufung nur dort erklärt werden, wo nicht wenigstens zwei Rechtsanwälte ihren Sitz haben. Voraussetzung ist weiters, dass nicht schon im erstinstanzlichen Verfahren Anwaltspflicht bestanden hat. § 465 Abs 2 ist daher nur anwendbar, wenn das angefochtene Urteil von einem Bezirksgericht gefällt wurde (§ 27); „Ort“ iSd § 465 Abs 2 ist der Ort des Prozessgerichtes (Fasching1 IV 55). Hätte die Berufung mangels der Voraussetzungen des Abs 2 nicht zu Protokoll genommen werden dürfen, so ist das Rechtsmittel nicht deshalb als unzulässig zurückzuweisen (JBl 1953, 187 ua); zu Protokoll geben kann die Berufung auch ein Machthaber der Partei (RZ 1985/59 = EFSlg 49.319/5). Das Protokoll muss der – nach der Geschäftsverteilung zuständige – Richter aufnehmen. Er muss dabei auf die Einhaltung der förmlichen und inhaltlichen Erfordernisse achten. Soweit dabei verbesserbare Fehler unterlaufen, ist – wie bei anwaltlichen Berufungsschriftsätzen – ein Verbesserungsverfahren einzuleiten (§ 84 Abs 3, § 474 Abs 2). § 466. Durch die rechtzeitige Erhebung der Berufung wird der Eintritt der Rechtskraft und Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteiles im Umfange der Berufungsanträge bis zur Erledigung des Rechtsmittels gehemmt. [Stammfassung] Lit: Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 466; Fasching Rz 1748. 1511

§ 467

Kodek

1 Diese Bestimmung bringt die aufschiebende Wirkung der Berufung zum Ausdruck. Eine unzulässige Berufung vermag die Rechtskraft aber nicht hinauszuschieben (EvBl 1951/91; SZ 25/298 = JBl 1953, 325; 1 Ob 362/97k = SZ 70/246 = EvBl 1998/85; aA ZBl 1935/17). Rechtskraft und Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils werden nur im Umfang der Rechtsmittelanträge gehemmt (Grundsatz der Teilrechtskraft; § 462 Rz 3). Ist der Rechtsmittelantrag unklar, gilt die Entscheidung als zur Gänze angefochten (§ 84 Abs 3 letzter Halbsatz). Eine Ausnahme von der Hemmung der Vollstreckbarkeit durch die Erhebung der Berufung gilt nach § 61 ASGG (s Vor § 461 Rz 4a; vgl auch zur Revision: § 505 Abs 3 letzter Satz).

§ 467. Die Berufungsschrift muss nebst den allgemeinen Erfordernissen eines vorbereitenden Schriftsatzes enthalten: 1. die Bezeichnung des Berufungsgerichtes; 2. die Bezeichnung des Urteiles, gegen welches Berufung erhoben wird; 3. die bestimmte Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird, die ebenso bestimmte kurze Bezeichnung der Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe), und die Erklärung, ob die Aufhebung oder eine Abänderung des Urteiles, und welche beantragt werde (Berufungsantrag); 4. das tatsächliche Vorbringen und die Beweismittel, durch welche die Wahrheit der Berufungsgründe erwiesen werden kann; 5. sofern der Berufungsantrag nicht zu Protokoll gegeben ist (§ 465 Abs 2), die Unterschrift eines Rechtsanwaltes. [Stammfassung] Lit: Buchegger, Der Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung, ÖJZ 1983, 645; Kindel, Die „zivilprozessrechtliche“ Qualität von Rechtsmittelschriften (Berufungen/Berufungsbeantwortungen) in Österreich, AnwBl 2003, 246 und 361. Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 466; Ballon Rz 368; Buchegger, PraktZPR 381; Fasching Rz 1780; Rechberger/Simotta Rz 819 ff.

1 Hier werden die formellen und inhaltlichen Erfordernisse der Beru-

fung behandelt. Soweit nichts Besonderes angeordnet ist, gelten außerdem die allgemeinen Erfordernisse eines vorbereitenden Schriftsatzes; von Bedeutung sind § 75 Z 1 (Bezeichnung des Erstgerichtes und der Rechtssache) und § 75 Z 2 (Bezeichnung der Beilagen [welche im Hinblick auf das Neuerungsverbot selten vorkommen]). 1512

§ 467

4.1 Berufung

Die Bezeichnung des Berufungsgerichts ist ein formales Erfordernis, 2 dessen Fehlen nicht einmal die geschäftsordnungsgemäße Behandlung der Berufungsschrift hindert, so dass eine Zurückweisung der Berufung wegen dieses Mangels nicht in Frage kommt, ist doch jedenfalls das Erstgericht in der Lage, die Berufung gem § 469 Abs 1 dem zuständigen Berufungsgericht vorzulegen (SZ 5/274; JBl 1958, 238; Arb 8737; RZ 1978/108 ua). Sollte sich das Erstgericht – was in der Praxis wohl nur im Sprengel der Wiener Gerichtshöfe vorkommen kann, wenn ein Beisatz, der die Zuständigkeit des HG Wien oder des LGZ Wien begründet (§ 259 Abs 3, § 446), übersehen wird – irren, dann hat das Berufungsgericht die Berufung an das zuständige Gericht zu „verweisen“, dh zu überweisen (§ 471 Z 1, § 474 Abs 1). Auch an die Bezeichnung des angefochtenen Urteils sind nur geringe 3 Anforderungen zu stellen, reicht doch in aller Regel die Bezeichnung der Rechtssache (§ 75 Z 1) zur Klarstellung aus, welches Urteil bekämpft wird; andernfalls wäre nach § 471 Z 3, § 474 Abs 2, §§ 84, 85 vorzugehen (GlUNF 5560; JBl 1950, 483). Fehlen die Inhaltserfordernisse nach Z 3 (Berufungserklärung, Beru- 4 fungsgründe und Berufungsantrag), ist zunächst ein Verbesserungsverfahren einzuleiten (§§ 84, 85, 474 Abs 2). Der Berufungserklärung kommt freilich wenig Bedeutung zu, weil nur der Berufungsantrag entscheidend ist; geht die Rechtsmittelerklärung über den Rechtsmittelantrag hinaus, ist sie unbeachtlich (JBl 1957, 534; JUS 5, 13). Aus dem Berufungsantrag kann die fehlende Berufungserklärung erkennbar sein (EvBl 1955/188). Näheres s bei § 471. Die Berufungsgründe sind im Gesetz – anders als die Revisionsgründe 5 – nirgends zusammenfassend aufgezählt, lassen sich aber aus dem Gesetz erschließen. Demnach kann die Berufung gestützt werden auf Nichtigkeitsgründe (s § 477), auf Mangelhaftigkeit des Verfahrens (s § 496 Abs 1 Z 2), auf Unrichtigkeit der Tatsachenfeststellungen, also auf Aktenwidrigkeit und unrichtige Beweiswürdigung (s §§ 488 und 498) und (wie sich aus § 506 Abs 2 und § 520 Abs 2 ergibt) auf unrichtige rechtliche Beurteilung. Näheres s § 471 Rz 5–9. Zu den Anforderungen an die Rechtsmittelausführungen s bei § 471. Das Fehlen der Unterschrift eines Rechtsanwalts muss zur Einleitung 6 eines Verbesserungsverfahrens nach §§ 84 ff führen. Verletzt aber der Rechtsmittelwerber trotz wiederholt erteilter Rechtsbelehrung diese Formvorschrift absichtlich, dann liegt ein Missbrauch der Verbesse1513

§ 468

Kodek

rungsvorschriften vor; in einem solchen Fall ist das fehlerhafte Rechtsmittel ohne Gewährung einer Frist gem § 85 Abs 2 zurückzuweisen (JBl 1965, 475; EvBl 1971/139; 7 Ob 503/92 uva). Nach der Rsp genügt es, wenn unter Anschluss der ursprünglichen Berufung ein neuer, den Formerfordernissen einer Berufung entsprechender – inhaltlich nicht in unzulässiger Weise von der ursprünglichen Berufung abweichender – Schriftsatz vorgelegt wird (EvBl 1969/379 = Ind 1970, H 7/8, 764; 3 Ob 41/82 ua). Im Gegensatz zu SZ 17/44 kann nach der jüngeren Rsp (EvBl 1963/ 33; NZ 1982, 78; RZ 1989/29 ua) der Mangel der Unterschrift eines Rechtsanwalts auf einem Rechtsmittel auch dadurch behoben werden, dass die Partei nach Ablauf der Rechtsmittelfrist, aber noch innerhalb der ihr gesetzten Frist zur Wiedervorlage, das Rechtsmittel – soweit an sich zulässig – zu Protokoll gibt. Solange eine Partei nicht auf das Rechtsmittel verzichtet hat, kann sie jedenfalls ein ihr zur Verbesserung zurückgestelltes Rechtsmittel zurückbehalten und durch ein innerhalb der ursprünglichen Frist zu Protokoll gegebenes Rechtsmittel ersetzen (RZ 1984/2). Das kommt im Hinblick auf § 465 Abs 2 bei Berufungen nur selten, wohl aber im Rekursverfahren in Frage. Bei Nichtbefolgung des vom Erstgericht erteilten Verbesserungsauftrags hat dieses nach manchen Lehrmeinungen (Fasching1 IV 66; Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 467 Rz 27) die Berufung selbst zurückzuweisen (aM Fasching Rz 1783). § 468. (1) Im Falle rechtzeitiger Erhebung der Berufung wird die Berufungsschrift oder eine Abschrift des sie ersetzenden Protokolles dem Gegner des Berufungswerbers unter Bekanntgabe des Berufungsgerichtes zugestellt. Verspätet erhobene Berufungen oder mangels rechtzeitiger Anmeldung der Berufung (§ 461 Abs 2) unzulässige Berufungen sind vom Prozessgericht erster Instanz zurückzuweisen. (2) Der Berufungsgegner kann binnen der Notfrist von vier Wochen nach der Zustellung der Berufungsschrift oder der Abschrift des sie ersetzenden Protokolls bei dem Prozessgericht erster Instanz eine Berufungsbeantwortung mittels Schriftsatzes oder, unter der Voraussetzung des § 465 Abs 2, durch Erklärung zu gerichtlichem Protokoll einbringen. Soweit sich der Berufungswerber nicht ausdrücklich auf Feststellungen des Erstgerichts bezieht, ist der Berufungsgegner – vorbehaltlich des § 473a – nicht gehalten, für ihn nachteilige Feststellungen oder zu seinen Lasten vorgefallene Verfahrensfehler mit der Berufungsbeantwortung zu rügen. Will 1514

§ 468

4.1 Berufung

der Berufungsgegner zur Widerlegung der in der Berufungsschrift angegebenen Anfechtungsgründe neue, im bisherigen Verfahren noch nicht vorgebrachte Umstände und Beweise benützen, so hat er das bezügliche tatsächliche und Beweisvorbringen bei sonstigem Ausschluss in dieser Berufungsbeantwortung bekanntzugeben. (3) Auf die Berufungsbeantwortung sind der § 464 Abs 3 sowie der § 467 Abs 1 Z 4 und 5 sinngemäß anzuwenden. (4) Von der Einbringung der Berufungsbeantwortung ist der Berufungswerber durch Übersendung einer Ausfertigung derselben zu verständigen. [Abs 1 Satz 1 Stammfassung, Satz 2 Fassung WGN 1989; Abs 2 erster und letzter Satz und Abs 3 – welcher durch BGBl 1955/282 eingefügt wurde – idF ZVN 1983; Abs 2 Satz 2 eingefügt durch WGN 1997; Abs 4 angefügt durch ZVN 1983] Lit: Kuras, Die Zivilprozessordnung aus der Sicht der Richterschaft, RZ 1998, 146; Puschner, Die Geltendmachung von Verfahrensmängeln im Licht der Erweiterten Wertgrenzen-Novelle 1997, ÖJZ 1998, 411; Lenneis, Die Berufungsbeantwortung als Eventualberufung?, AnwBl 1999, 142. Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 468; Ballon Rz 370; Fasching Rz 1782; Rechberger/Simotta Rz 845. Das Erstgericht hat nach dem Einlangen der Berufung deren Rechtzei- 1 tigkeit zu prüfen. Ist die Verspätung durch die Aktenlage – eindeutig (SZ 46/86 = EvBl 1974/30) – ausgewiesen, hat es die Berufung selbst zurückzuweisen; unterlässt es dies, dann hat das Berufungsgericht das Rechtsmittel im Vorprüfungsverfahren (§ 471 Z 2, § 474 Abs 2) oder, wenn es dabei die Verspätung noch übersehen hat, in der mündlichen Verhandlung mit Beschluss zurückzuweisen. Unterblieb die nach § 461 Abs 2 gebotene Anmeldung der Berufung 2 gegen ein in Anwesenheit beider Parteien verkündetes Urteil (§ 414) innerhalb der dafür vorgesehenen Frist (s § 461 Rz 2), dann hat das Erstgericht die dennoch erhobene Berufung als unzulässig zurückzuweisen. Ist das Rechtsmittel hingegen aus einem anderen Grunde unzulässig, dann darf sie das Erstgericht – anders als unzulässige Rekurse (§ 523) oder jedenfalls unzulässige Revisionen (§ 507 Abs 1) – nicht zurückweisen, sondern hat sie dem Berufungsgericht vorzulegen. Erkennt das Erstgericht, das zur Zulässigkeitsprüfung nicht berufen ist, die Unzulässigkeit des Rechtsmittels, dann wird es zweckmäßigerweise den Akt mit der Berufung sogleich, ohne sie vorher dem Gegner zuzustellen, vorlegen. 1515

§ 468

Kodek

3 Die rechtzeitig erhobene (und nicht vom Erstgericht als unzulässig erkannte) Berufung ist dem Gegner zuzustellen. Dieser kann binnen vier Wochen ab Zustellung der Berufung (Gleichschrift) eine Berufungsbeantwortung beim Erstgericht einbringen oder unter den Voraussetzungen des § 465 Abs 2 zu Protokoll geben. Auch die schriftliche Berufungsbeantwortung bedarf der Unterfertigung durch einen Rechtsanwalt. Der Gegner kann im Rahmen der Verfahrenshilfe die Beigebung eines Rechtsanwaltes zur Erstattung der Berufungsbeantwortung beantragen (§ 464 Abs 3).

4 Soweit Neuerungen zulässig sind (s bei § 482), um die geltend gemachten Berufungsgründe zu widerlegen, muss der Gegner das Tatsachenvorbringen und die Beweismittel in der Berufungsbeantwortung bekanntgeben; erst in der (allfälligen) Berufungsverhandlung vorgebrachte Umstände und Beweisanbote sind verspätet. Dieser Bestimmung kommt im Hinblick auf den engen Anwendungsbereich zulässiger Neuerungen wenig praktische Bedeutung zu. Der Hauptzweck der Berufungsbeantwortung – dessentwegen sie in aller Regel erstattet wird – liegt darin, auf die Berufungsausführungen im einzelnen zu erwidern und damit Argumente für eine Bestätigung der angefochtenen Entscheidung zu liefern (3 Ob 194/04g). Eine eigenständige Bekämpfung von Rechtsausführungen des Ersturteils in der Berufungsbeantwortung ist hingegen nicht möglich, stünde das doch in Widerspruch zu § 462 Abs 1 (3 Ob 194/04g).

5 Durch die WGN 1997 wurde erstmals eine ausdrückliche Regelung der Frage eingeführt, wie weit die in erster Instanz siegreich gebliebene Partei gehalten ist, in der Berufungsbeantwortung für sie nachteilige Feststellungen – sei es wegen unrichtiger Beweiswürdigung oder wegen Aktenwidrigkeit – zu bekämpfen oder zu ihren Lasten vorgefallene Verfahrensfehler zu rügen. Nach der älteren Rsp (SZ 26/262 = JBl 1954, 307 [abl Schima]; SZ 48/9; SZ 51/137; MietSlg 35.801; 36.794, 42.523/13 uva) bestand keine solche Verpflichtung. Das führte zu dem – systemwidrigen (Schima, JBl 1954, 307) – Ergebnis, dass das Berufungsurteil auf Grund erst in der Revision vom Berufungsgegner erhobener Beweis- und/oder Mängelrüge vom OGH wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (§ 503 Z 2) aufzuheben war, obwohl das Berufungsgericht mangels Beweis- und Mängelrüge die in der Revision geltend gemachten Fehler erster Instanz gar nicht wahrnehmen durfte. Zur Vermeidung solcher Aufhebungen überprüften deshalb Berufungsgerichte bisweilen von Amts wegen die für den Berufungsgegner nachteiligen, nach der vom Erstgericht abweichenden Rechtsansicht des Berufungsgerichtes erheblichen Feststellungen auf ihre Richtigkeit; erklär1516

§ 468

4.1 Berufung

te das Berufungsgericht die Beweiswürdigung dann für unbedenklich, hielt sich der OGH für daran gebunden (SZ 54/160 = JBl 1984, 88; JBl 1986, 121 ua). Die erstmalige Bekämpfung erstgerichtlicher Feststellungen in einer außerordentlichen Revision bildete nach der Rsp keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 (JBl 1986, 121 uva); sie war demnach nur dann möglich, wenn in der Revision eine andere Rechtsfrage mit Erfolg als erheblich im Sinne dieser Bestimmung aufgezeigt wurde. Diese Rsp hat der OGH zunächst – in einem Amtshaftungsverfahren – in Frage gestellt und gemeint, sie sollte nicht fortgeschrieben werden (EvBl 1997/80), und dann ausdrücklich aufgegeben (JBl 1998, 385; RdW 1999, 80). Die vom Gesetzgeber nun gefundene Lösung ist rechtspolitisch fragwürdig; sie beruht auf der Ansicht, die neue Rsp überfordere „den Berufungsgegner, dessen Bestreben verständlicherweise vorweg ausschließlich dahin geht, die Richtigkeit des erstgerichtlichen Urteils zu bekräftigen, auf Grund dessen er obsiegt hat“ (ErlRV 898 BlgNR 20. GP 43). Um das – schwerfällige – Verfahren nach § 473a (s dort) soweit als möglich zu vermeiden, erscheint es geboten, den in Abs 2 Satz 2 gebrauchten Begriff „ausdrücklich“ weit auszulegen, das heißt immer dann die Rüge des Berufungsgegners schon in der Berufungsbeantwortung zu verlangen, wenn der Berufungswerber seine Rechtsrüge auf die betreffende Feststellung des Ersturteils gründet. Ein Vorgehen nach § 473a wird nur dann erforderlich sein, wenn erst auf Grund der Rechtsansicht des Berufungsgerichts Feststellungen des Erstgerichts Bedeutung erlangen, die weder für das Ersturteil noch für die Berufungsausführungen maßgeblich waren. In solchen Fällen wird durch die neue Regelung eine mögliche Überraschung des Berufungsgegners verhindert (aM 1 Ob 41/99g = SZ 72/75 = EvBl 1999/180 = JBl 1999, 661 = RZ 1999/ 41; 10 ObS 54/00i ua, wonach mit der Rechtsrüge auf alle als Feststellungen bezeichneten Tatsachenannahmen Bezug genommen wird und sich der Berufungswerber, um die Rügepflicht des Berufungsgegners auszulösen, nur auf solche Feststellungen des Ersturteils ausdrücklich beziehen muss, die allenfalls in anderen Urteilsabschnitten „verborgen“ sind; idS auch Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 468 Rz 20). Die Rügepflicht des Abs 2 bezieht sich nur auf primäre Verfahrensmängel und unrichtige Tatsachenfeststellungen, nicht jedoch auf Feststellungsmängel, die ja im Rahmen der Rechtsrüge geltend zu machen sind. Die in erster Instanz obsiegende Partei ist somit nicht verpflichtet, Feststellungsmängel oder sonstige rechtliche Darlegungen des Erstgerichts in der Berufungsbeantwortung zu rügen (3 Ob 367/97k = EvBl 1998/166 = MietSlg 50.764/16; 4 Ob 544/94; 1 Ob 124/01v). Bezieht sich die Rechtsrüge ausdrücklich auf bestimmte Feststellungen, löst das jedenfalls die Rügepflicht für die Berufungsbeantwor1517

§ 469

Kodek

tung aus (4 Ob 279/01k = MR 2002, 156). Die Bekämpfung einer Tatsachenfeststellung durch eine Partei löst hingegen selbstverständlich nicht die Pflicht des Gegners aus, seinerseits diese Feststellung (mit entgegengesetzter Zielrichtung) zu rügen (so aber 7 Ob 74/00h im Fall der Rüge einer Negativfeststellung). Die Partei, die gegen das Ersturteil Berufung mit Beweis- und Rechtsrüge erhoben hat, ist dann, wenn das Berufungsgericht ihrem Rechtsmittel schon aus rechtlichen Gründen Folge gibt und deshalb die Beweisrüge unerledigt lässt – entgegen der in 1 Ob 259/03z ohne nähere Begründung vertretenen Auffassung – nicht gehalten, in der Revisionsbeantwortung die Nichterledigung der Beweisrüge zu beanstanden; vielmehr hat der OGH in diesem Fall das Berufungsurteil aufzuheben und dem Gericht zweiter Instanz die auf Grund dessen vom OGH nicht gebilligter Rechtsansicht unterbliebene Erledigung der Beweisrüge aufzutragen. Die Partei ist nicht verpflichtet, in der Revisionsbeantwortung auf von ihr in den Vorinstanzen erstattetes Vorbringen noch einmal ausdrücklich hinzuweisen (aM Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 503 Rz 40)

6 Die in der älteren Rsp (GlUNF 4277) und von Fasching (IV1 70 Anm 5 und Rz 1785) vertretene Auffassung, dass verspätete Berufungsbeantwortungen nicht zurückzuweisen, sondern mit einem Aktenvermerk über die Verspätung versehen samt Akt dem Berufungsgericht vorzulegen seien, erscheint systemwidrig. Analog zur Zurückweisung der verspäteten Berufung muss das Erstgericht auch verspätete Berufungsbeantwortungen zurückweisen (so auch Pimmer in Fasching/Konecny IV/ 1 § 468 Rz 18). Damit wird dem Berufungsgegner die Gelegenheit gegeben, sich schon vor einem allfälligen Revisionsverfahren zur Wehr zu setzen und den Nachweis zu erbringen, dass er ohnehin rechtzeitig gehandelt habe; auch ein Wiedereinsetzungsantrag wird ihm ermöglicht. Das beim Rechtsmittelgericht überreichte Duplikat einer beim Erstgericht eingebrachten Rechtsmittelbeantwortung braucht freilich nicht zurückgewiesen zu werden (JBl 1996, 795 [insoweit zust Matscher]). § 469. (1) Nach rechtzeitigem Einlangen der Berufungsbeantwortung oder nach fruchtlosem Ablauf der hiefür offenstehenden Frist hat das Prozessgericht erster Instanz dem Berufungsgericht die Berufungsschrift und die etwa eingelangte Berufungsbeantwortung oder die diesbezüglichen Protokolle mit allen den Rechtsstreit betreffenden Prozessakten und besonders mit den Ausweisen über die Zustellung des Urteiles und der Berufungsschrift vorzulegen. Gibt der Inhalt der Berufungsschrift oder der Berufungsbeantwortung zu einer Erledigung des Prozessgerichtes erster Instanz Anlass, so ist 1518

§ 469

4.1 Berufung

diese vorher zu treffen; werden Zustellmängel behauptet, so sind vorher die notwendigen Erhebungen durchzuführen. (2) Wurde der Rechtsstreit durch das angefochtene Urteil nicht vollständig erledigt und soll die Verhandlung über die noch unerledigten Punkte während des Berufungsverfahrens fortgesetzt werden, so sind dem Berufungsgerichte amtliche Abschriften der auf den Gegenstand des Berufungsverfahrens bezüglichen Teile derjenigen Prozessakten vorzulegen, welche zugleich für das Verfahren in erster Instanz benötigt werden. [Abs 1 idF ZVN 1983; sonst Stammfassung] Lit: Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 469; Fasching Rz 1782; Rechberger/Simotta Rz 845. Weist das Erstgericht die Berufung nicht zurück, dann hat es sie nach 1 dem Einlangen der Berufungsbeantwortung oder dem fruchtlosen Ablauf der dafür gesetzten Frist dem – zuständigen, unabhängig von der Bezeichnung in der Berufung (s § 467 Rz 2) – Berufungsgericht samt den Akten vorzulegen. Im Senatsprozess ergeht dazu kein Senatsbeschluss; vielmehr ist der Vorsitzende oder ein beauftragtes Senatsmitglied dazu berufen (§ 37 Abs 1 Z 7 und Abs 2 GOG). Vor der Vorlage hat das Erstgericht zu prüfen, ob alle seinerzeit vorgelegten und für die Behandlung der Berufung erheblichen Urkunden oder beigeschafften Akten noch beim Akt sind; gegebenenfalls hat es sie wieder beizuschaffen. Zustellmängel hat das Erstgericht selbst, ohne Auftrag der Rechtsmittelinstanz, zu untersuchen. Hat das Erstgericht – etwa durch Teilurteil – den Rechtsstreit nur teil- 2 weise erledigt, dann kann es – wovon in der Praxis zu wenig Gebrauch gemacht wird – die Verhandlung auch während des Berufungsverfahrens fortsetzen. Zu diesem Zwecke hat es die Akten bei sich zu behalten und dem Berufungsgericht nur Abschriften oder Ablichtungen (vgl § 89 Abs 2 GOG idF WGN 1989) der maßgeblichen Aktenteile vorzulegen. Bei Zwischenurteilen wird eine solche Vorgangsweise wohl kaum in Betracht kommen, weil die Frage, ob der geltend gemachte Anspruch dem Grunde nach zu Recht besteht, erst mit Rechtskraft des Zwischenurteils für das Verfahren bindend beantwortet ist. Wohl aber käme sie in Frage, wenn das Gericht versehentlich über einen Anspruch nicht entschieden hat und nun – auf Ergänzungsantrag (§ 423) – ein Ergänzungsurteil zu fällen beabsichtigt. Ein Anlass zu einer Erledigung durch das Erstgericht besteht insb auch 3 dann, wenn die Berufung mit Formmängeln behaftet ist; dazu zählt auch das Fehlen eines Berufungsantrags (§ 84 Abs 3, § 474 Abs 2). Bleibt 1519

§ 470

Kodek

ein Verbesserungsauftrag erfolglos, dann hat das Erstgericht nach Fasching Rz 1783 die Berufung dennoch vorzulegen (aM Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 468 Rz 2; G. Kodek in Fasching/Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 231). Verfahren vor dem Berufungsgerichte Vorverfahren § 470. Nach dem Einlangen der Berufungsakte beim Berufungsgerichte hat der Vorsteher dieses Gerichtes oder ein vom Vorsteher mit den Verrichtungen eines Vorsitzenden des Berufungssenates betrauter Richter die Berufungsakten einer Prüfung zu unterziehen. [Stammfassung] Lit: Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 470; Fasching Rz 1787.

1 Die Zuständigkeit des „Vorstehers“ des Berufungsgerichtes wurde durch § 4 Abs 2 BGBl 1921/422 gegenstandslos.

2 Beim Berufungsgericht ist der Akt zunächst dem – nach der Geschäftsverteilung zuständigen – Vorsitzenden des Berufungssenats zuzumitteln, der ihn einer Prüfung unterzieht. Er hat, wenn dies – ausgenommen in den Fällen des § 501 – beantragt ist, die mündliche Berufungsverhandlung auszuschreiben oder dies – trotz Antrags – dann zu unterlassen, wenn er eine Behandlung in nichtöffentlicher Sitzung für geboten hält (§ 471). Ein Senatsmitglied hat er – wenn er diese Funktion nicht selbst übernimmt (s § 486 Rz 1) – zum Berichterstatter zu bestellen (§ 35 GOG). Die Entscheidungen werden im Senat getroffen. Ob trotz fehlenden Antrags eine Berufungsverhandlung auszuschreiben ist (§ 492 Abs 2), hat der Senat zu beschließen; bei entsprechendem Beschluss hat dann der Vorsitzende auszuschreiben (Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 470 Rz 4). § 471. Auf Grund dieser Prüfung ist die Berufung, ohne dass zunächst eine Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung anberaumt würde, vor den Berufungssenat zu bringen: 1. wenn das Berufungsgericht zur Entscheidung über die erhobene Berufung nicht zuständig erscheint; 2. wenn die Berufung als gesetzlich unzulässig oder nicht in der gesetzlichen Frist erhoben erscheint; 3. wenn in der Berufungsschrift das Urteil nicht angegeben ist, wider welches Berufung erhoben wird, wenn die Berufungsschrift 1520

§ 471

4.1 Berufung

keinen oder keinen bestimmten Berufungsantrag enthält, oder wenn die Berufungsgründe weder ausdrücklich noch durch deutliche Hinweisung einzeln angeführt sind; 4. wenn sich die Berufung gegen ein wegen Säumnis einer Partei gefälltes Urteil darauf gründet, dass eine Versäumung nicht vorliege; 5. wenn das Urteil oder das der Urteilsfällung vorangegangene Verfahren als nichtig angefochten wird; 6. wenn der in das Urteil aufgenommene Ausspruch über die Einrede des Fehlens der inländischen Gerichtsbarkeit oder der sachlichen oder örtlichen Zuständigkeit, über die Unzulässigkeit des Rechtswegs, die Streitanhängigkeit oder die Rechtskraft angefochten wird; 7. wenn der mit der Prüfung der Berufungsakten betraute Richter der Ansicht ist, dass das Urteil oder das demselben vorangegangene Verfahren an einer vom Berufungswerber nicht geltend gemachten Nichtigkeit leide. [Z 6 idF WGN 1997, sonst Stammfassung] Lit: Bajons, Prozessentscheidung als Verfahrensverstoß? JBl 1981, 628; Burgstaller, Zur Rügelast nach § 196 ZPO, BeitrZPR I 59; Buchegger, Der Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung, ÖJZ 1983, 645; Konecny, Zur Erweiterung der Verbesserungsvorschriften durch die ZVN 1983, JBl 1984, 13 und 61; Ballon, Zu den Verfahrensmängeln im Zivilprozessrecht, FS Matscher 15; Delle-Karth, Die Mangelhaftigkeit des Verfahrens im Berufungssystem des österreichischen Zivilprozessrechtes, ÖJZ 1993, 10 und 50; Kindel, Die „zivilprozessrechtliche“ Qualität von Rechtsmittelschriften (Berufungen/Berufungsbeantwortungen) in Österreich, AnwBl 2003, 246 und 361. Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 471; Ballon Rz 360 ff und 372; Buchegger, PraktZPR 382 f; Fasching Rz 1787 ff; Holzhammer 323; Rechberger/Simotta Rz 830 ff und 846 ff. Inhaltsübersicht Allgemeines Unzuständigkeit des Berufungsgerichtes Verspätung und Unzulässigkeit Formelle Erfordernisse der Berufung Rechtsmittelgründe – Nichtigkeit – Mangelhaftigkeit

1 2 3 4 5–9 5 6

– Aktenwidrigkeit – Unrichtige Beweiswürdigung – Unrichtige rechtliche – Beurteilung Darstellung der Rechtsmittelgründe Säumnisurteile Wahrnehmung der Nichtigkeitsgründe Prozesseinreden 1521

7 8 9 10 11 12 13

§ 471

Kodek

1 Werden die in § 471 aufgezählten formellen Mängel im Vorprüfungsverfahren behandelt und zum Gegenstand einer Entscheidung gemacht, dann bleibt das Berufungsgericht daran weiterhin gebunden. Sofern es einen Mangel bejaht und daher die Berufung zurückgewiesen (oder an ein anderes Berufungsgericht überwiesen) hat, liegt dies auf der Hand. Bei Verneinung des Mangels in Beschlussform kann dieser – auch bei geänderter Rechtsauffassung – in der Folge nicht mehr aufgegriffen werden (§ 494: „… an einer bisher unbeachtet gebliebenen Nichtigkeit …“). Hat das Berufungsgericht den Mangel aber nur stillschweigend verneint oder übersehen und deshalb die mündliche Berufungsverhandlung ausgeschrieben, dann kann und muss es ihn bei Gewahrwerden des Fehlers aufgreifen (s bei §§ 494, 495).

2 Erscheint das angerufene Berufungsgericht nicht zuständig, dann hat es seine Unzuständigkeit auszusprechen und die Berufung an das zuständige Gericht zu „verweisen“ (§ 474 Abs 1). Dagegen ist nur dann Rekurs gem § 519 Abs 1 Z 2 und Abs 2 möglich, wenn ihn das Berufungsgericht für zulässig erklärt hat (und die Voraussetzungen des § 502 Abs 1, § 519 Abs 2 tatsächlich vorliegen).

3 Zur Verspätung s bei § 464 und § 465 Rz 1; zur Unzulässigkeit s bei § 472. Bei Bejahung dieser Mängel ist die Berufung nach § 472 Abs 2 zu „verwerfen“ (= zurückzuweisen).

4 Der Fall, dass die Berufung das „Urteil nicht angegeben hat“, dh also, dass die im Rechtsmittelschriftsatz enthaltenen Angaben nicht erkennen lassen, welches Urteil angefochten werden soll, ist kaum denkbar (s § 467 Rz 3). Hat die Berufung keinen oder keinen bestimmten Berufungsantrag (zB: Antrag auf „angemessene“ Erhöhung oder Herabsetzung eines Betrages), ist ein Verbesserungsverfahren einzuleiten (§§ 84, 85, 474 Abs 2); bei dessen Erfolglosigkeit ist die Berufung zu „verwerfen“ (§ 474 Abs 2; aM Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 506 Rz 16 unter Hinweis auf § 84 Abs 3 letzter Halbsatz). Nach SZ 59/134 (= EvBl 1987/19 = JBl 1987, 189 = JUS 22, 13) wäre auch dann grundsätzlich ein Verbesserungsverfahren einzuleiten, wenn ein Berufungsantrag zwar nicht fehlt, aber verfehlt ist (nur Aufhebungsantrag statt des gebotenen und allein in Frage kommenden Abänderungsantrags; so auch Fasching in Fasching/Konecny IV/1 Einl Rz 83). Diese Auffassung ist aber problematisch, weil in diesem Fall nicht gesagt werden kann, dass eine vorgeschriebene Erklärung fehle (§ 84 Abs 3); vielmehr liegt ein inhaltlicher Fehler vor. In bewusster Abweichung von SZ 59/134 vertritt OLG Wien EvBl 1993/146 die Auffas1522

§ 471

4.1 Berufung

sung, dass das Berufungsgericht – ohne Durchführung eines Verbesserungsverfahrens – auch dann in der Sache selbst entscheiden kann, wenn in der Berufung nur ein – nicht unschlüssiger – Aufhebungsantrag enthalten war, sich aber das Begehren nach Abänderung zwanglos aus den Berufungsgründen ableiten lässt und die Voraussetzungen für eine meritorische Entscheidung zugunsten des Berufungswerbers vorliegen. Das entspricht zwar der Prozessökonomie, steht aber im Gegensatz zur Lehre und Rsp, dass zwar ein Abänderungsantrag einen Aufhebungsantrag enthält (EvBl 1955/188, SZ 48/1; SSV-NF 5/87 uva; Fasching1 IV 64), umgekehrt aber der Aufhebungsantrag nicht notwendig das Begehren auf Abänderung in sich schließt, weil ein Abänderungsantrag die begehrte Sachentscheidung eindeutig bestimmt zu bezeichnen hat (JBl 1959, 457; ZfRV 1974, 155 [Willvonseder]; EvBl 1974/238 uva; aM Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 506 Rz 16 unter Hinweis auf § 84 Abs 3 letzter Halbsatz). Beruht der in der Berufung enthaltene Rechtsmittelantrag auf einem offenbaren Fehler und erhellt der richtige Antrag ohnehin aus den geltend gemachten Berufungsgründen, dann darf die Berufung nicht zurückgewiesen werden. Dies gilt zB, wenn die „Aufhebung im Sinne der Klagestattgebung“ (GlUNF 7009) oder die „Klageabweisung nach Aufhebung des Urteils“ (SZ 10/192; ähnlich JBl 1978, 490 uva) begehrt wird. Es reicht aus, wenn der Antrag zuverlässig deutbar ist (GlUNF 3186; SZ 20/209; JBl 1981, 655 ua), wobei es aber nicht Sache des Berufungsgerichtes ist, dem Rechtsmittel erst im Auslegungsweg einen bestimmten Sinn zu verleihen und einen Antrag zu „supplieren“ (JBl 1955, 203 [insoweit zust Schriefl]; RZ 1978/129). Was die unrichtige oder unvollständige Bezeichnung der Rechtsmittelgründe angeht, war die Rsp dazu immer großzügig; maßgebend ist nur, ob die Rechtsmittelausführungen die Rechtsmittelgründe deutlich erkennen lassen (JBl 1957, 566; SZ 48/142 = NZ 1980, 188; 7 Ob 628/89 ua). Rechtsmittelgründe Nichtigkeit: s zu § 477, welcher die Nichtigkeitsgründe allerdings nicht 5 vollständig aufzählt. Der diesem Rechtsmittelgrund entsprechende Berufungsantrag ist auf Aufhebung gerichtet. Mangelhaftigkeit des Verfahrens: Unter diesen Rechtsmittelgrund fal- 6 len alle Verfahrensverstöße, die keine Nichtigkeit begründen, wohl aber abstrakt geeignet sind, eine unrichtige Entscheidung herbeizuführen (§ 496 Abs 1 Z 2 spricht von „wesentlichen Mängeln, welche eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache verhinderten“; ähnlich § 503 Z 2). Solche Mängel können nicht von Amts 1523

§ 471

Kodek

wegen, sondern nur bei ausdrücklicher Geltendmachung im Rechtsmittel wahrgenommen werden. Die in der Lehre vertretenen Definitionen und Unterscheidungen mehrerer Arten von Mängeln – Fasching (Rz 1762 ff) etwa unterscheidet zwischen Form-, Voraussetzungs- und Stoffsammlungsmängeln – sind für die Praxis wenig hilfreich (Delle-Karth, ÖJZ 1993, 12). Der von Ballon (FS Matscher 17) aufgezeigte Gegensatz zwischen der hA, wonach nur Stoffsammlungsmängel unter den Begriff des Verfahrensmangels fielen, und Fasching, der eine weitere Begriffsbestimmung vornehme, ist ohne praktische Auswirkung. Die dabei im Hintergrund stehende Streitfrage, wie weit der Bestimmung des § 196 Abs 1 ein Anwendungsbereich zukomme (s dort), hat für die Unterscheidung von „Form-“ und „Stoffsammlungsmängeln“ kein Gewicht. Die Frage, ob eine in erster Instanz vorgefallene Verletzung von Verfahrensvorschriften bei sonstigem Ausschluss von der Geltendmachung in der Berufung (§ 462 Abs 2) gegenüber dem Erstgericht zu rügen gewesen wäre, ist von der Frage zu trennen, ob der Verfahrensverstoß relevant, also geeignet war, sich auf die Entscheidung auszuwirken. Zutreffend verweist Burgstaller (BeitrZPR I 68) darauf, dass die Auffassung, unter § 496 Abs 1 Z 2 fielen nur „materielle Mängel“, solche unterlägen aber nicht der Rügepflicht (besser: Rügelast), zur Folge hätte, dass es überhaupt keine Mängel gäbe, die der Rüge bedürften, um die Geltendmachung im Berufungsverfahren offenzuhalten. Bei der Beurteilung der im Rechtsmittel gerügten Mängel ist somit zu prüfen, ob der Mangel allenfalls in erster Instanz mangels Rüge verschwiegen wurde (§ 462 Abs 2), und verneinendenfalls, ob dem Mangel die nach § 496 Abs 1 Z 2 und § 503 Z 2 erforderliche Erheblichkeit zukommt. Auch „Stoffsammlungsmängel“, die ihre Ursache in der Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften haben, dürfen vom Berufungsgericht nur aufgegriffen werden, wenn sie nach § 196 gerügt (und in der Berufung geltend gemacht) worden sind (ZfRV 1988, 223). Andererseits können „Formmängel“, die nach der Rsp schon in erster Instanz zu rügen sind – wie etwa das Unterlassen der Ladung der Parteien zu einer Beweisaufnahmetagsatzung oder die unterbliebene Anhörung der Parteien vor der Auswahl des Sachverständigen (§ 351 Abs 1) sowie die Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes – auch nur dann mit Erfolg ins Treffen geführt werden, wenn sie für den Verfahrensausgang relevant sein konnten (Ind H 4/5, 8 ua; aM Delle-Karth, ÖJZ 1993, 12); das ist freilich bei manchen Verstößen – wie etwa der bloßen Verlesung der vom früheren Richter persönlich aufgenommenen Beweise oder bei der Unterlassung der im Gesetz vorgesehenen Beiziehung der Parteien zu gewissen Verfahrenshandlungen – in aller Regel zu bejahen, bei bloßen Förmlichkeiten hingegen kaum jemals (Fasching Rz 1762). 1524

§ 471

4.1 Berufung

Auch Formfehler des Urteils – die naturgemäß nicht schon in erster Instanz gerügt werden konnten – wie etwa eine mangelhafte Begründung udgl – können Gegenstand der Mängelrüge sein (Delle-Karth, ÖJZ 1993, 15 ff). Im Rechtsmittel ist die Erheblichkeit des Mangels im Sinn des § 496 Abs 1 Z 2 – wenn sie nicht offenkundig ist – darzulegen. Wenigstens in einem solchen Fall, wo nach der Aktenlage kein Zweifel daran bestehen konnte, welche streitentscheidenden Feststellungen der ersten Instanz der Berufungswerber durch den geführten Zeugen zu widerlegen können glaubt, kann die Rechtsansicht, dass die namentliche Anführung der Zeugen für die gesetzmäßige Ausführung der Mängelrüge nicht genügt (EvBl 1948/623), nach der neueren Rsp nicht gebilligt werden; in diesem Fall muss das Beweisthema nicht wiederholt werden (RZ 1979/8). Einen Verfahrensmangel besonderer Art bildet die Unterlassung der Prüfung des anzuwendenden ausländischen Rechts (SZ 46/83; ZfRV 1977, 292), weil es sich dabei in Wahrheit um – der Rechtsrüge zugehörende – rechtliche Feststellungsmängel handelt, weshalb bei gesetzmäßig ausgeführter Rechtsrüge das Rechtsmittelgericht von Amts wegen die kollisionsrechtliche Beurteilung des Falles vorzunehmen hat (ZfVR 1988, 215; EFSlg 52.252 uva; vgl dazu W. Kralik, Iura novit curia und das ausländische Recht, ZfRV 1962, 75). Dass rechtlich erhebliche Feststellungen fehlen, also Feststellungsmängel vorliegen, ist, weil Ausfluss einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung, nach stRsp mit der Rechtsrüge geltend zu machen (SZ 23/175; JBl 1982, 311 mwN; Fasching IV 326). Die Unvollständigkeit des Ersturteils (§ 496 Abs 1 Z 1) ist gleichfalls idR auf unrichtige rechtliche Beurteilung zurückzuführen, muss jedoch auf entsprechende Rüge hin, selbst wenn die rechtliche Beurteilung nicht ausdrücklich bekämpft wird, wahrgenommen werden (Fasching Rz 1767; Holzhammer 286; EFSlg 69.904). Aktenwidrigkeit: Dieser Rechtsmittelgrund liegt nur vor, wenn die 7 Feststellungen auf aktenwidriger Grundlage getroffen wurden, also auf einem bei der Darstellung der Beweisergebnisse unterlaufenen Irrtum beruhen, der aus den Prozessakten selbst erkennbar und behebbar ist (EFSlg 39.271; MietSlg 34.775 uva). Die unrichtige Wiedergabe des Parteivorbringens ist hingegen keine Aktenwidrigkeit in diesem Sinn (kann aber unter Umständen zu einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung durch das Gericht führen). Als Berufungsgrund kann die Aktenwidrigkeit nur dann mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn sie für das Urteil von wesentlicher Bedeutung ist (EFSlg 44.101 uva). 1525

§ 471

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Die Aktenwidrigkeit besteht in einem Widerspruch zwischen einer Tatsachenfeststellung und dem zu ihrer Begründung angeführten Beweismittel, nicht aber in einem Widerspruch zwischen einer Feststellung und irgendeinem vorhandenen Beweismittel (EFSlg 57.825); sie kann auch dann vorliegen, wenn im Urteil Tatsachenfeststellungen getroffen werden, die in den Akten überhaupt keine Grundlage haben (ZfRV 1980, 149). Keine Aktenwidrigkeit liegt indes in der Gewinnung tatsächlicher Feststellungen durch Schlussfolgerungen, mögen diese auch unrichtig sein (MietSlg 32.727; EFSlg 44.113; 64.141 uva).

8 Unrichtige Beweiswürdigung und unrichtige Tatsachenfeststellungen: Mit diesem Rechtsmittelgrund werden die Tatsachenfeststellungen des Ersturteiles bekämpft; im Gegensatz zur Aktenwidrigkeitsrüge jedoch mit der Darlegung, dass die angegriffenen Feststellungen das Ergebnis einer unrichtigen Würdigung der aufgenommenen Beweise oder einer unrichtigen Anwendung von Erfahrungssätzen oder der Heranziehung unzutreffender Erfahrungssätze seien. Um die Beweisrüge im Sinne der stRsp „gesetzmäßig“ auszuführen, muss der Rechtsmittelwerber angeben (zumindest deutlich zum Ausdruck bringen), a) b) c) d)

welche konkrete Feststellung bekämpft wird, infolge welcher unrichtigen Beweiswürdigung sie getroffen wurde, welche Feststellung begehrt wird, auf Grund welcher Beweisergebnisse und Erwägungen diese begehrte Feststellung zu treffen gewesen wäre (7 Ob 752/79; 1 Ob 659/85 uva).

Zur Umwürdigung s bei § 488.

9 Unrichtige rechtliche Beurteilung: Die gesetzmäßige Ausführung dieses Rechtsmittelgrundes fordert – wie für das Revisions- (§ 506 Abs 2) und das Rekursverfahren (§ 520 Abs 2) ausdrücklich angeordnet – die Darlegung, aus welchen Gründen die rechtliche Beurteilung der Sache unrichtig erscheint. Die bloße, in verschiedenen Formulierungen ausgedrückte, aber begründungslos bleibende Behauptung, es sei eine unrichtige rechtliche Beurteilung vorgelegen, genügt nicht (RZ 1977/50; EFSlg 57.834 uva; Fasching1 IV 41 und 350 sowie Rz 1775). Wird die Rechtsrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt, was insb auch dann zutrifft, wenn der Rechtsmittelwerber nicht von den getroffenen Feststellungen ausgeht (JBl 1957, 566; EFSlg 64.142 uva), dann liegt in Wahrheit keine Rechtsrüge vor, so dass die rechtliche Beurteilung des Ersturteiles nicht überprüft werden darf (stRsp; JBl 1957, 566; RZ 1977/50; 7 Ob 510/87 uva). 1526

§ 471

4.1 Berufung

Infolge (gesetzmäßiger) Rechtsrüge ist die rechtliche Beurteilung allseitig zu überprüfen (SZ 52/192; 53/75; 54/133 uva; krit Buchegger, ÖJZ 1983, 645). Es kommt daher nicht darauf an, ob alle in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkte im Rechtsmittel ausgeführt werden. Bezieht sich allerdings die Rechtsrüge nur noch auf eine von mehreren selbständigen Forderungen oder Gegenforderungen oder wird ein Anspruch aus mehreren selbständigen rechtserzeugenden Tatsachen abgeleitet, dann sind, wenn sich die Rechtsrüge nur noch auf eine dieser Tatsachen bezieht, die anderen Ansprüche außer Betracht zu lassen (4 Ob 520/76; 6 Ob 781/81; 6 Ob 752/82; 7 Ob 501/86 uva). Das Berufungsgericht ist nämlich an eine Beschränkung der Klagegründe durch den Berufungswerber gebunden (EvBl 1985/154; MR 1987, 221; ÖBl 1991, 108; ÖBl 1992, 21, RZ 1995/93, 1 Ob 14/01t uva). Die Rechtsmittelgründe sollen getrennt dargestellt werden; andernfalls 10 besteht die Gefahr, dass Ausführungen, weil sie nicht hinreichend deutlich einem Rechtsmittelgrund zugeordnet werden können, unbeachtet bleiben (EvBl 1961/274; 3 Ob 553/79; 6 Ob 696/83 uva). Die Fehlbezeichnung des Rechtsmittelgrundes schadet freilich nicht (§ 84 Abs 2 letzter Satz). Die mangelhafte, nicht „gesetzmäßige“ Ausführung von Rechtsmittelgründen nehmen die Rechtsmittelgerichte, insb auch der OGH, in stRsp nicht zum Anlass, ein Verbesserungsverfahren nach §§ 84 ff einzuleiten (EvBl 1985/153; aM Konecny, JBl 1984, 66), rechtfertigt es doch die mangelnde Schlüssigkeit – im Gegensatz zu einem Formgebrechen oder dem völligen Fehlen eines erforderlichen Vorbringens (§ 84 Abs 3) – nicht, dem zwingend durch einen Rechtsanwalt vertretenen Rechtsmittelwerber eine Nachfrist zu setzen; die fehlende gesetzmäßige Ausführung der Rechtsmittelgründe ist ja – da dem Rechtsmittelverfasser, einem Rechtsanwalt, nicht das Fehlen der Kenntnis von den Erfordernissen einer Rechtsmittelschrift unterstellt werden kann – Ausdruck des Fehlens von Argumenten gegen die angegriffenen Urteilsausführungen. Die weite Fassung der Z 4 umfasst nicht nur den Fall, dass ein Versäu- 11 mungsurteil wegen Nichtigkeit (§ 477 Abs 1 Z 4 oder 5) angefochten wird, sondern auch jenen, wo ein Verfahrensmangel oder unrichtige rechtliche Beurteilung als Ursache der Annahme einer Säumnis behauptet wird (Fasching Rz 1795; aM Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 471 Rz 21). Nach der Rsp ist hingegen dann, wenn zu prüfen ist, ob eine unrichtige Rechtsbelehrung des Richters oder eine Verletzung der Anleitungspflicht die Säumnis verursacht hat, eine Berufungsverhandlung abzuhalten und der Berufung gegebenenfalls mit Urteil nicht Folge zu geben (EvBl 1967/456 = RZ 1967, 128). Mit Urteil soll auch zu 1527

§ 472

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entscheiden sein, wenn ein Versäumungsurteil von dem unbestrittenermaßen säumigen Beklagten unter Hinweis auf die Tätigkeit eines Mitbeklagten nach § 14 angefochten wird (SZ 6/58; RZ 1959, 194 ua); diese Ansicht begegnet freilich Bedenken, weil die Frage, ob eine einheitliche Streitpartei vorliegt, ohne weiteres Gegenstand der Vorprüfung in nichtöffentlicher Sitzung sein kann (Fasching1 IV 82). Wird ein Versäumungsurteil allerdings wegen mangelnder Schlüssigkeit der Klagebehauptungen angefochten, dann ist über diese Berufung nicht im Vorprüfungsverfahren zu entscheiden. Wird die Berufung nach Z 4 als berechtigt erkannt, ist nach § 474 Abs 3 (mit Aufhebung und Rückverweisung) vorzugehen. § 496 Abs 3 ist hier nicht anzuwenden. Wird die Berufung für nicht berechtigt erkannt, wird sie nach der Gerichtsübung „verworfen“. (Dogmatisch richtiger wäre es, ihr nicht Folge zu geben.)

12 Nichtigkeitsgründe sind infolge Geltendmachung (Z 5), aber auch – sofern das Rechtsmittel zulässig ist (s § 477 Rz 2) – von Amts wegen (Z 7) wahrzunehmen. Zu den Nichtigkeitsgründen s § 477. Wird die Nichtigkeit verneint, so wird in der Praxis die Berufung „verworfen“ (besser wäre es, ihr nicht Folge zu geben). Zur Erledigung bei Bejahung der Nichtigkeit s §§ 477 und 478.

13 Z 6 kommt – da andernfalls in aller Regel kein Urteil gefällt wird – in erster Linie in Frage, wenn das Erstgericht die Einrede verworfen hat, ist aber auch dann möglich, wenn das Erstgericht der Einrede nur in Ansehung eines Teilbegehrens stattgegeben, im übrigen aber ein Urteil gefällt hat (s bei § 475); die Bestätigung der Verwerfung einer Einrede durch das Berufungsgericht ist unanfechtbar (s bei § 519). § 472. (1) Unzulässig ist die Berufung insbesondere auch dann, wenn sie von einer Person eingebracht wurde, welcher das Rechtsmittel der Berufung nicht zusteht oder welche auf die Berufung gültig Verzicht geleistet hat. (2) Die Wirksamkeit eines nach Verkündung oder Zustellung des erstrichterlichen Urteils erklärten Verzichtes auf das Recht der Berufung ist nicht davon abhängig, dass der Gegner die Verzichtsleistung angenommen hat. [Stammfassung] Lit: Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 472; Bajons Rz 179 ff; Ballon Rz 342 und 355; Buchegger, PraktZPR 381; Fasching Rz 1701 ff; Holzhammer 317; Rechberger/Simotta Rz 811. 1528

§ 472

4.1 Berufung

Hier wird die Unzulässigkeit des Rechtsmittels nicht umfassend ge- 1 regelt; vielmehr wird der Begriff der Unzulässigkeit schon vorausgesetzt. Gesetzlich unzulässig ist die Berufung: a) wenn kein Urteil vorhanden ist, sei es, dass eine Nichtentscheidung, sei es, dass ein Beschluss vorliegt (dann ist aber das Rechtsmittel als Rekurs zu behandeln), sei es, dass noch kein Urteil geschöpft – also weder verkündet noch an die Geschäftsstelle abgegeben – wurde (SZ 38/ 124 = EvBl 1966/62); b) weil der Rechtsmittelwerber weder Partei noch Nebenintervenient ist; c) weil die Berufung nach dem in Gegenwart beider Parteien verkündeten Urteil nicht fristgerecht angemeldet wurde (§ 468 Abs 1); d) weil Formmängel trotz Verbesserungsauftrags nicht behoben wurden; e) mangels Beschwer (s Vor § 461 Rz 9 und 10) und f) weil Verzicht vorliegt. Der Rechtsmittelverzicht kann – wie das idR geschieht – dem Gericht 2 gegenüber zu Protokoll (§ 208 Abs 1 Z 1) oder durch Schriftsatz erklärt werden. Auch durch die Rücknahme der Berufung (§ 484 Abs 1) geht das Rechtsmittelrecht verloren (§ 484 Abs 2). Der Verzicht kann auch außergerichtlich – freilich nur in Schriftform (SZ 24/319; 1 Ob 2079/96h = EFSlg 82.276 = JusZ/2183) – gegenüber dem Gegner erklärt werden (Fasching in Fasching/Konecny IV/1 Einl Rz 55); er muss aber dem Berufungsgericht – etwa in der Berufungsbeantwortung – bekanntgegeben werden (EvBl 1975/50; EvBl 1980/179 ua). Das Neuerungsverbot steht dieser Bekanntgabe naturgemäß nicht im Wege (SZ 20/112; Fasching1 IV 87). Bei der Auslegung der Erklärung – die nicht das Wort „Verzicht“ enthalten muss (EvBl 1975/ 50) – entscheidet der objektive Erklärungswert; auf den Willen des Erklärenden kommt es nicht an, weil es sich um eine Prozesserklärung handelt (RZ 1992/8). Aus diesem Grund kann der Rechtsmittelverzicht auch nicht widerrufen werden (EvBl 1963/386 ua). Nach Rechberger/ Simotta Rz 811 und Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 472 Rz 8 ist – entgegen der Rsp – ein außergerichtlicher Rechtsmittelverzicht unwirksam. Die Wirksamkeit des Verzichts setzt die Kenntnis der Entscheidung voraus (SZ 38/74 = RZ 1965, 147); ein Rechtsmittelverzicht nach Urteilsverkündung ist daher – auch vor Urteilszustellung – wirksam (RZ 1955, 187; EFSlg 36.737 ua). Ein im vorhinein erklärter Verzicht auf Zustellung und Rechtsmittel gegen die dem Antrag stattgebende Entscheidung ist kein Rechtsmittelverzicht im Sinne des § 472 Abs 2. 1529

§ 473

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Auch der außergerichtliche Verzicht ist keine Parteienvereinbarung; er muss dem Gegner nur bekanntgegeben werden (EvBl 1980/179). Bloß schlüssige Verzichtshandlungen – etwa durch die Zahlung der Kosten – sind unwirksam (SZ 24/29; JBl 1959, 322; ÖBl 1990, 217 mwN; Fasching Rz 1703). S auch Vor § 461 Rz 11.

3 Wurde der Rechtsmittelverzicht nach der Verkündung des Urteils erklärt, weicht dann aber die Urteilsausfertigung vom verkündeten Urteil ab, dann ist zu unterscheiden: Liegt die Abweichung nur in den Gründen, dann bleibt es beim Rechtsmittelverzicht, sind doch die Gründe nicht anfechtbar (RZ 1955, 187; Fasching1 IV 88; Pimmer in Fasching/ Konecny IV/1 § 472 Rz 11); liegt hingegen die Abweichung im Spruch, dann bezieht sich der Rechtsmittelverzicht nur auf die mit der Verkündung übereinstimmenden Teile.

4 Trotz Rechtsmittelverzichts ist eine Wiederaufnahmeklage zulässig (RZ 1956, 31). § 473. (1) Der Berufungssenat entscheidet in den Fällen des § 471 über die Berufung in nicht öffentlicher Sitzung und ohne vorhergehende mündliche Verhandlung durch Beschluss. (2) Hält der Berufungssenat zur Feststellung der Berufungsgründe oder der Nichtigkeit tatsächliche Aufklärungen seitens der Parteien oder des Gerichtes erster Instanz oder andere vorgängige Erhebungen erforderlich, so sind dieselben anzuordnen und mit Benützung der einschlägigen, in den Berufungsschriften enthaltenen Parteiangaben entweder vom Berufungssenate selbst durchzuführen, oder durch einen beauftragten Richter oder das Prozessgericht erster Instanz durchführen zu lassen. [Stammfassung] Lit: Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 473; Fasching Rz 1787.

1 Der hier vorgesehene Berufungssenat besteht immer nur aus Berufsrichtern; ein Laienrichter aus dem Handelsstand ist nicht beizuziehen (§§ 7 Abs 2, 8 Abs 2 JN). Im Verfahren nach dem ASGG bestehen die Senate der Oberlandesgerichte hingegen aus drei Richtern und zwei fachkundigen Laienrichtern (§ 11 Abs 1 ASGG). Die vom Berufungssenat gefassten Beschlüsse sind nur unter den Voraussetzungen des § 519 anfechtbar.

2 Soweit Tatsachen erforscht werden müssen – etwa zur Prüfung angeblicher Zustellmängel oder der Prozessfähigkeit – hat der Berufungs1530

§ 473a

4.1 Berufung

senat Erhebungen durch das Erstgericht oder ein Mitglied des Senats anzuordnen. Solche Erhebungen sind keine formellen Beweisaufnahmen; es genügt unter Umständen die schriftliche Erklärung einer Auskunftsperson (AmtlSlgNF 1887); auch Parteien können vernommen werden (GlUNF 287). Wenngleich die Erhebungen nicht unter Zuziehung der Parteien stattzufinden haben (RZ 1964, 139; 1968, 108), so ist doch – wie sich aus § 509 Abs 3 letzter Satz schließen lässt – den Parteien Gelegenheit zu geben, zu den Ergebnissen der Erhebungen des Berufungsgerichts über behauptete Mängel des Verfahrens erster Instanz Stellung zu nehmen (10 ObS 47/89 = SZ 62/129 = SSV-NF 3/77 = JBl 1990, 335; RZ 1994/5; 1 Ob 190/99v = EFSlg 91.002 = RdW 2000, 158). Zur Prüfung der Nichtigkeit darf das Berufungsgericht keinesfalls das Ersturteil aufheben; es hat vielmehr selbst die erforderlichen Erhebungen durchzuführen oder zu veranlassen (SZ 46/25 = EvBl 1973/181; RZ 1987/74). Unter der Wortfolge in Abs 2 „Feststellung der Berufungsgründe oder der Nichtigkeit“ sind die in § 471 genannten Gründe, also auch die Verspätung des Rechtsmittels, zu verstehen (RdW 2000, 158). Da das Berufungsgericht an die vom Erstgericht auf Grund unmittelbarer Beweisaufnahmen getroffenen Feststellungen gebunden ist, können Erhebungen des Berufungsgerichts bei einer Entscheidung über eine Prozesseinrede nicht zu vom Erstgericht abweichenden Feststellungen führen (RZ 1987/74). § 473a. (1) Erwägt das Berufungsgericht, das erstrichterliche Urteil abzuändern oder die Klage ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen zurückzuweisen, so darf es nur dann eine solche Entscheidung auf Feststellungen des Erstgerichts gründen, wenn das Berufungsgericht dem Berufungsgegner zuvor mitgeteilt hat, dass es ihm freistehe, Mängel von Tatsachenfeststellungen oder der Beweiswürdigung des Erstgerichts oder des Verfahrens erster Instanz durch Überreichung eines beim Berufungsgericht einzubringenden vorbereitenden Schriftsatzes zu rügen. Dies gilt nicht, wenn der Berufungsgegner die in Betracht kommenden, festgestellten Tatsachen nach § 266 zugestanden oder im Berufungsverfahren die genannten Mängel bereits gerügt hat oder nach § 468 Abs 2 zweiter Satz zu rügen gehalten war. (2) Der Schriftsatz ist innerhalb der vom Berufungsgericht gleichzeitig mit der Mitteilung nach Abs 1 zu bestimmenden, den Umständen des einzelnen Falles angemessenen, vier Wochen nicht überschreitenden Frist einzubringen. 1531

§ 473a

Kodek

(3) Der Schriftsatz nach Abs 1 kann nicht durch ein gerichtliches Protokoll ersetzt werden. Für die Behandlung dieses Schriftsatzes tritt das Berufungsgericht an die Stelle des Prozessgerichts erster Instanz; im übrigen sind die Bestimmungen über die Berufungsbeantwortung anzuwenden. (4) Hat der Berufungsgegner zuvor schon eine Berufungsbeantwortung überreicht oder zu gerichtlichem Protokoll erklärt, so ist sein Schriftsatz nach Abs 1 als ein Bestandteil seiner Berufungsbeantwortung, sonst als seine nunmehrige Berufungsbeantwortung anzusehen. (5) Das Berufungsgericht kann auch in nicht öffentlicher Sitzung und ohne vorhergehende mündliche Verhandlung eine Mitteilung an den Berufungsgegner nach Abs 1 beschließen und die erforderlichen Anordnungen treffen. [Eingefügt durch WGN 1997] Lit: Kuras, Die Zivilprozessordnung aus der Sicht der Richterschaft, RZ 1998, 146; Puschner, Die Geltendmachung von Verfahrensmängeln im Licht der Erweiterten Wertgrenzen-Novelle 1997, ÖJZ 1998, 411; Lenneis, Die Berufungsbeantwortung als Eventualberufung?, AnwBl 1999, 142. Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 473a; Buchegger, PraktZPR 385 f; Rechberger/Simotta Rz 846/1.

1 Zur rechtspolitischen Problematik s § 468 Rz 5. 2 Die in Abs 1 vorgesehene Mitteilung an den Berufungsgegner ist – ungeachtet des Abstellens des Gesetzeswortlauts auf das „Erwägen“ – bei sonstiger Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens erforderlich, wenn das Berufungsgericht tatsächlich das erstrichterliche Urteil abändert (oder die Klage aus formellen Gründen zurückweist). Das Gleiche hat auch für Aufhebungsbeschlüsse zu gelten, wenn der Rekurs zugelassen wird oder wenn einzelne Streitpunkte endgültig erledigt werden sollen (1 Ob 41/99g = SZ 72/75 = EvBl 1999/180 = JBl 1999, 661 = RZ 1999/ 42). Die Mitteilung an den Berufungsgegner, es stehe ihm frei, Mängel von Tatsachenfeststellungen oder der Beweiswürdigung des Erstgerichts oder des Verfahrens erster Instanz in einem Schriftsatz zu rügen, setzt voraus, dass die für die Entscheidung des Berufungsgerichtes maßgeblichen Feststellungen nicht a) Grundlage der Berufungsausführungen waren (zur Auslegung des in § 468 Abs 2 Satz 2 gebrauchten Begriffs „ausdrücklich“ s § 468 Rz 5); 1532

§ 473a

4.1 Berufung

b) nach § 266 zugestanden wurden; c) schon in der Berufungsbeantwortung gerügt wurden. Unter „Mängel von Tatsachenfeststellungen“ fallen auch Aktenwidrigkeiten. Kommt der OGH zum Ergebnis, dass das Berufungsgericht das Ersturteil infolge einer nicht zu billigenden rechtlichen Beurteilung bestätigt hat, hat er zu prüfen, ob das Gericht zweiter Instanz bei richtiger Rechtsansicht nach § 473a hätte vorgehen müssen; bejahendenfalls hat er das Berufungsurteil wegen eines Feststellungsmangels infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung aufzuheben und die Sache an die zweite Instanz zurückzuverweisen (6 Ob 1/00s = ecolex 2000, 795; 1 Ob 62/00z = SZ 73/151). Da der Obsiegende nicht gehalten ist, eine ihm nachteilige Rechtsansicht des Erstgerichts, insb auch Feststellungsmängel, zu rügen, kommt insoweit § 473a nicht zur Anwendung (3 Ob 367/97k = EvBl 1998/166 = MietSlg 50.764/16 = ÖJZ-LSK 1998/187; 1 Ob 124/01v = MietSlg 53.739). Die gegenteilige in 1 Ob 67/99f = MietSlg 51.697 = NZ 2001, 172 vertretene Auffassung ist abzulehnen (Pimmer in Fasching/ Konecny IV/1 § 473a Rz 5). Um das Berufungsverfahren nicht weiter zu verzögern, ist der dem 3 Berufungsgegner freigestellte Schriftsatz beim Berufungsgericht (und nicht – wie die Berufungsbeantwortung – beim Erstgericht) einzubringen. Dafür ist eine richterliche Frist von höchstens vier Wochen zu setzen; dieser Beschluss ist gem § 519 nicht anfechtbar. Im Gegensatz zu Berufung und Berufungsbeantwortung kann der dem Berufungsgegner freigestellte Schriftsatz nach Abs 1 nie durch ein gerichtliches Protokoll ersetzt werden. Damit wollte der Gesetzgeber die Notwendigkeit vermeiden, die Akten an das Prozessgericht erster Instanz zurückzuleiten; die Aufnahme eines solchen Protokolls ohne Vorhandensein der Akten erschien ihm unzweckmäßig (ErlRV 898 BlgNR 20. GP 43). Hat das Berufungsgericht die Setzung einer Frist für die Einbringung des Schriftsatzes des Berufungsgegners nach Abs 1 unterlassen, ist der innerhalb der gesetzlichen Höchstfrist von vier Wochen beim Berufungsgericht eingelangte Schriftsatz jedenfalls als rechtzeitig anzusehen (3 Ob 331/98t = ÖJZ-LSK 2000/44). Aus dem zweiten Halbsatz des zweiten Satzes des Abs 3 folgt, dass auch die Bestimmungen über die Verfahrenshilfe und die damit im Zusammenhang stehenden Regelungen über den Fristenlauf auf diesen Schriftsatz anzuwenden sind (ErlRV aaO). Der Schriftsatz nach Abs 1 ist als Bestandteil der allenfalls schon vorher 4 überreichten Berufungsbeantwortung anzusehen. Daraus folgt, dass der 1533

§ 474

Kodek

Berufungsgegner auch in diesem Schriftsatz erstmals die Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung begehren kann (s zu § 492).

5 Der Schriftsatz nach Abs 1 ist mit der Hälfte der für die Berufung und Berufungsbeantwortung festgesetzten Entlohnung zu honorieren (TP 3 B Z Ia RATG). § 474. (1) Beim Vorhandensein des in § 471 Z 1 bezeichneten Mangels hat das Gericht seine Unzuständigkeit auszusprechen und die Berufung an das für dieselbe zuständige Gericht zu verweisen. (2) In den Fällen des § 471 Z 2 und 3 ist die Berufung zu verwerfen. In den Fällen des § 471 Z 3 gilt dies jedoch nur, wenn ein Auftrag zur Verbesserung (§§ 84, 85) fruchtlos geblieben ist. (3) Wenn die Berufung im Falle des § 471 Z 4 als begründet befunden wird, ist das Urteil aufzuheben und die Rechtssache je nach Vollendung der erstrichterlichen Verhandlung bloß zur neuerlichen Urteilsfällung oder zur Fortsetzung der Verhandlung und Urteilsfällung an das Prozessgericht erster Instanz zurückzuverweisen. [Abs 2 Satz 2 angefügt durch ZVN 1983; sonst Stammfassung] Lit: Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 474; Fasching Rz 1787 ff; Rechberger/Simotta Rz 846.

1 Hier wird geregelt, wie das Berufungsgericht bei Vorliegen der Tatbestände des § 471 Z 1 bis 4 vorzugehen hat.

2 Im (seltenen) Fall der Unzuständigkeit des Berufungsgerichts (s § 467 Z 1, § 471 Z 1) hat dieses nicht nur seine Unzuständigkeit auszusprechen, sondern zugleich die Berufung an das zuständige Berufungsgericht zu „verweisen“ (besser: „überweisen“: s § 230a, § 261 Abs 6). Diese Entscheidung ist nur dann, wenn das Berufungsgericht den Rekurs dagegen für zulässig erklärt, anfechtbar (§ 519 Abs 1 Z 2 und Abs 2). Das Gericht, an welches die Berufung überwiesen wurde, ist an die Rechtsansicht des überweisenden Gerichts gebunden (Fasching1 IV 93).

3 Unzulässige und verspätete Berufungen, die dem Berufungsgericht vorgelegt werden, hat dieses zu „verwerfen“ (besser: zurückzuweisen). Das gilt insbesondere auch beim Vorliegen eines Rechtsmittelverzichtes, der erst im Berufungsverfahren nachgewiesen wird. Bisweilen sind Erhebungen – so etwa über die Rechtzeitigkeit – nötig. 1534

§ 475

4.1 Berufung

Liegen Mängel der Berufung im Sinn des § 471 Z 3 vor, hat das Beru- 4 fungsgericht – wenn nicht schon vom Erstgericht gemacht – ein Verbesserungsverfahren einzuleiten. Wird dabei der Partei die von ihr persönlich verfasste Berufungsschrift zurückgestellt, so ist es (seit der ZVN 1983) zulässig, auch einen völlig neuen Schriftsatz durch einen dazu befugten Vertreter einzubringen (SSV-NF 2/19); Ergänzungen oder der Austausch von Rechtsmittelschriften sind aber sonst nach der Rsp weiterhin auch innerhalb der Rechtsmittelfrist nicht zulässig (RdW 1987, 54; SSV-NF 2/5). Inhaltliche Mängel iS sachlich unrichtiger oder unschlüssiger Ausführungen sind nach der Rsp keinem Verbesserungsverfahren zu unterziehen (EvBl 1985/153). Allenfalls kann ein Verbesserungsverfahren zur Nachholung des bisher fehlenden Abänderungsantrags eingeleitet werden (SZ 59/134; s § 471 Rz 4). Bei Unschlüssigkeit ist der Berufung – mit Urteil – nicht Folge zu geben (s § 471 Rz 6). Bleibt das Verbesserungsverfahren erfolglos, dann ist die Berufung zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist nach § 519 Abs 1 Z 1 unbeschränkt anfechtbar. Eine von einer Partei selbst eingebrachte Berufung ohne Begründung oder auch ohne Anfechtungserklärung ist verbesserungsfähig, es sei denn, das Rechtsmittel ist unter absichtlicher und missbräuchlicher Verletzung der Formvorschriften eingebracht worden (RZ 1995/80; vgl auch Vor §§ 461 ff Rz 13). Liegt die Säumnis entgegen den Rechtsmittelausführungen vor (§ 471 5 Z 4), dann ist der Berufung nicht Folge zu geben; nach überwiegender Gerichtsübung wird auch eine solche Berufung „verworfen“. Andernfalls ist das Urteil aufzuheben und die Sache an das Erstgericht zurückzuverweisen. Ein solcher Beschluss ist nur unter den Voraussetzungen des § 519 Abs 1 Z 2 und Abs 2 anfechtbar. § 475. (1) Hat im Falle des § 471 Z 6 das Gericht erster Instanz mit Unrecht das Fehlen der inländischen Gerichtsbarkeit oder der sachlichen oder örtlichen Zuständigkeit ausgesprochen, die Streitanhängigkeit ohne Grund angenommen, eine Entscheidung über den Klagsanspruch mit Unrecht deshalb abgelehnt, weil über denselben bereits rechtskräftig entschieden sei oder die Unzulässigkeit des Rechtsweges vorliege, so wird dem Gericht erster Instanz vom Berufungsgericht aufgetragen, sich der Urteilsfällung in der Hauptsache oder der Verhandlung und Urteilsfällung zu unterziehen, je nachdem die erstrichterliche Entscheidung nach durchgeführter Verhandlung zur Hauptsache, oder auf Grund abgesonderter Verhandlung über das Fehlen der inländischen Gerichtsbarkeit oder der 1535

§ 475

Kodek

sachlichen oder örtlichen Zuständigkeit, über die Streitanhängigkeit, die Rechtskraft oder die Unzulässigkeit des Rechtsweges und vor Abschluss der Verhandlung zur Hauptsache erging. (2) Wurde jedoch in erster Instanz mit Unrecht die sachliche oder örtliche Zuständigkeit des Prozessgerichts angenommen (§ 471 Z 5, 6 oder 7), so sind unter Aufhebung des erstrichterlichen Urteils auf Antrag oder von Amts wegen die zur Einleitung des Verfahrens vor dem zuständigen Gericht erforderlichen Anordnungen zu treffen. (3) Wurde vom Gerichte erster Instanz auf die Streitanhängigkeit mit Unrecht keine Rücksicht genommen oder der Antrag, die Klage ohne Verhandlung zur Hauptsache zurückzuweisen, weil über den Klagsanspruch schon rechtskräftig entschieden sei, unrichtigerweise verworfen, so ist die Klage unter Aufhebung des ergangenen erstrichterlichen Urteiles vom Berufungsgerichte zurückzuweisen. [Abs 1 und 2 idF WGN 1997; sonst Stammfassung] Lit: Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 475; Fasching Rz 1794; Rechberger/Simotta Rz 846.

1 Gibt das Prozessgericht einer prozesshindernden Einrede statt, dann weist es die Klage mit Beschluss zurück. Dagegen gibt es nur das Rechtsmittel des Rekurses; ein Berufungsgericht hat daher nicht einzuschreiten. Der in Abs 1 geregelte Fall kann demnach nur dann vorkommen, wenn das Erstgericht bloß einen Teil des Klagebegehrens aus formellen Gründen mit Beschluss zurückweist, sonst aber mit Urteil in der Sache selbst entscheidet. Auch in diesem Fall ist der Ausspruch über die Prozesseinrede in die über die Hauptsache ergehende Entscheidung – unter den Voraussetzungen des § 261 Abs 1 und 2 – aufzunehmen (§ 261 Abs 3). Diese unterschiedliche Behandlung kann sowohl in Ansehung eines Anspruchsteiles oder einer (mehrerer) von mehreren Parteien in Frage kommen (Fasching1 IV 95 Anm 2). Wird der Berufung gegen einen solchen die Einrede bejahenden Ausspruch stattgegeben, dann hat das Berufungsgericht dem Erstgericht dieselben Aufträge zu erteilen, die im Regelfall das Rekursgericht erteilt, dass nämlich unter Abstandnahme von dem formalen Zurückweisungsgrund in der Sache selbst – soweit noch erforderlich – verhandelt und (jedenfalls) entschieden werde.

2 Hat das Erstgericht die Einrede der (sachlichen oder örtlichen) Unzuständigkeit zu Unrecht verworfen, dann ist sein Urteil aufzuheben, die Klage aber nicht zurückzuweisen, sondern die Sache vor das zuständige 1536

§ 476

4.1 Berufung

Gericht zu bringen; diese Überweisung hat ohne Rücksicht darauf zu erfolgen, ob in erster Instanz darüber verhandelt und ob in erster oder zweiter Instanz ein Überweisungsantrag gestellt wurde (arg „von Amts wegen“). Durch die Zitierung der Z 5, 6 und 7 (seit der ZVN 1983) ist klargestellt, dass jegliche Art der Unzuständigkeit in gleicher Weise zu behandeln ist. In keinem Fall soll das Verfahren für nichtig erklärt werden; vielmehr ist – um die Vernichtung eines bereits gemachten Prozessaufwands zu verhindern – in jedem Fall die Rechtssache dem zuständigen Erstgericht zuzuweisen (ErlRV 669 BlgNR 15. GP, 56). Ein Beschluss des Berufungsgerichts, mit dem ein Ersturteil aufgehoben und die Sache wegen Unzuständigkeit an ein anderes Erstgericht überwiesen wird, ist gem § 519 Abs 1 unanfechtbar (JUS Z 1156; 6 Ob 12/01k ua). Bejaht das Berufungsgericht im Gegensatz zum Erstgericht das Pro- 3 zesshindernis der Streitanhängigkeit oder Rechtskraft, dann muss es das erstinstanzliche Urteil (als nichtig) aufheben, das Verfahren erster Instanz für nichtig erklären und die Klage zurückweisen. Das Gleiche muss aber auch bei Vorliegen der Unzulässigkeit des Rechtswegs, des Mangels der inländischen Gerichtsbarkeit sowie bei Unzuständigkeit dann gelten, wenn das zuständige Gericht nicht ermittelt werden kann oder im Ausland liegt (EvBl 1965/205 = JBl 1965, 521 [abl Novak]). § 476. (1) Wenn das angefochtene Urteil wegen Unzuständigkeit des Gerichtes erster Instanz aufgehoben und die Rechtssache zu neuerlicher Verhandlung an das zuständige Gericht verwiesen wird, ist diese neuerliche Verhandlung auf Grund des über die erste Verhandlung aufgenommenen Verhandlungsprotokolles und aller sonstigen an das Berufungsgericht gelangten Prozessakten durchzuführen. Die neuerliche Verhandlung ist im Sinne des § 138 einzuleiten. (2) Alle von den Parteien bei der ersten Verhandlung abgelegten Geständnisse und alle sonstigen Erklärungen der Parteien behalten ihre Wirksamkeit auch für die neuerliche Verhandlung. Die Parteien können jedoch bei derselben auch solche tatsächliche Behauptungen und Beweise, Angriffs- und Verteidigungsmittel vorbringen, welche von ihnen bei der ersten Verhandlung nicht geltend gemacht wurden; desgleichen können die Parteien die bei der früheren Verhandlung versäumten oder verweigerten Erklärungen über tatsächliche Behauptungen und Beweisanbietungen bei der späteren Verhandlung nachholen. [Stammfassung] 1537

§ 477

Kodek

Lit: Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 476; Fasching Rz 1791.

1 Hier wird geregelt, wie das Verfahren nach der Überweisung der Rechtssache an das zuständige Gericht fortzusetzen ist (vgl § 261 Abs 6). S auch zu § 475. § 477. (1) Als nichtig (§ 471 Z 5 und 7) ist das angefochtene Urteil und, soweit der Grund der Nichtigkeit das vorangegangene Verfahren ergreift, auch dieses aufzuheben: 1. wenn an der Entscheidung ein Richter teilnahm, welcher kraft des Gesetzes von der Ausübung des Richteramtes in dieser Rechtssache ausgeschlossen war, oder dessen Ablehnung vom Gerichte als berechtigt erkannt worden ist; 2. wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; 3. wenn das Urteil von einem Gericht gefällt wurde, obwohl der Umstand nicht geheilt ist, dass die inländische Gerichtsbarkeit fehlt oder das Gericht auch nicht durch ausdrückliche Vereinbarung der Parteien für die betreffende Rechtssache sachlich oder örtlich zuständig gemacht werden konnte (§ 104 Abs 3 bis 5 JN); 4. wenn einer Partei die Möglichkeit, vor Gericht zu verhandeln, durch ungesetzlichen Vorgang, insbesondere durch Unterlassung der Zustellung entzogen wurde; 5. wenn eine Partei in dem Verfahren gar nicht oder, falls sie eines gesetzlichen Vertreters bedarf, nicht durch einen solchen vertreten war, sofern die Prozessführung nicht nachträglich ordnungsmäßig genehmigt wurde; 6. wenn über eine nicht auf den Rechtsweg gehörige Sache erkannt wurde; 7. wenn die Öffentlichkeit in ungerechtfertigter Weise ausgeschlossen wurde; 8. wenn der Vorschrift des § 210 Abs 2 zuwider die Parteien oder deren Bevollmächtigte von ihnen abgefasste Entwürfe zu Verhandlungsprotokollen zu den Akten gebracht haben; 9. wenn die Fassung des Urteiles so mangelhaft ist, dass dessen Überprüfung nicht mit Sicherheit vorgenommen werden kann, wenn das Urteil mit sich selbst in Widerspruch ist oder für die Entscheidung keine Gründe angegeben sind und diesen Mängeln durch eine vom Berufungsgerichte angeordnete Berichtigung des Urteiles (§ 419) nicht abgeholfen werden kann. (2) Eine nachträgliche Genehmigung der Prozessführung (Z 5) liegt insbesondere dann vor, wenn der gesetzliche Vertreter, ohne 1538

§ 477

4.1 Berufung

den Mangel der Vertretung geltend zu machen, durch Erstattung der Berufungsschrift oder der Berufungsbeantwortung in das Berufungsverfahren eingetreten ist. (3) Die Nichtigkeit nach Abs 1 Z 2 liegt nicht vor, wenn anstelle des Einzelrichters ein Senat entschieden hat. [Abs 1 Z 3 idF WGN 1997; Abs 2 idF ZVN 1983; Abs 3 angefügt durch ZVN 1983; sonst Stammfassung] Lit: Rechberger, Die fehlerhafte Exekution (1978) 81; Bajons, Prozessentscheidung als Verfahrensverstoß, JBl 1981, 628; Buchegger, Zur „Einstellung des Verfahrens“ (§ 239/3 ZPO), Beitr ZPR II 19; Pichler, Bleibt ein Verstoß gegen die Geschäftsverteilung nunmehr ohne Sanktion? RZ 1988, 181; Graff, Verstoß gegen die Geschäftsverteilung bleibt nicht ohne Sanktion, RZ 1988, 240; Bröll, Das Prinzip der festen Geschäftsverteilung nach Art 87 Abs 3 B-VG, RZ 1988, 230; Ballon, Die Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit nach Zustellung der Entscheidung, RZ 1991, 106; Simotta, Überlegungen zur Öffentlichkeit im Zivilprozess, FS Matscher (1993) 449; Ballon, Die Beachtung des rechtlichen Gehörs iSd Art 6 MRK durch die Rechtsmittelgerichte, JBl 1995, 623; Piska, Das Prinzip der festen Geschäftsverteilung in der ordentlichen Gerichtsbarkeit (1995); ders, Bleibt ein Verstoß gegen die Geschäftsverteilung auch weiterhin ohne Sanktion? AnwBl 1996, 826; Schimanko, Die Geltendmachung von Verstößen gegen die Geschäftsverteilung und ihrer Mängel nach Streiteinlassung, ÖJZ 2003, 361. Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 477; Ballon Rz 361; Buchegger, PraktZPR 382; Fasching Rz 1753 ff; Holzhammer 323; Rechberger/ Simotta Rz 831 ff. Inhaltsübersicht Nichtigkeitsgründe außerhalb des § 477 Wesen der Nichtigkeitsgründe Prozessuale Wirkung Nichtigkeitsgrund nach Abs 1 Z 1 Nichtigkeitsgrund nach Abs 1 Z 2 Nichtigkeitsgrund nach Abs 1 Z 3

1 2 3 4 5 6 1539

Nichtigkeitsgrund nach Abs 1 Z 4 Nichtigkeitsgrund nach Abs 1 Z 5 Nichtigkeitsgrund nach Abs 1 Z 6 Nichtigkeitsgrund nach Abs 1 Z 7 Nichtigkeitsgrund nach Abs 1 Z 8 Nichtigkeitsgrund nach Abs 1 Z 9

7 8 9 10 11 12

§ 477

Kodek

1 Der Gesetzgeber wollte zwar (ursprünglich) in § 477 die Nichtigkeitsgründe vollständig aufzählen; tatsächlich gibt es aber nach heute ganz hA (Fasching Rz 1757; Rechberger/Simotta Rz 831; Ballon Rz 361; Holzhammer 324; aM Petschek, Streitfragen 50 f; ders in Petschek/Stagel 170) und nunmehr einhelliger Rsp (SZ 20/266; 21/37; JBl 1983, 266 = RZ 1983/64; SZ 59/133 uva; aM SZ 6/95; 17/153; EvBl 1947/549) daneben noch weitere Nichtigkeitsgründe, und zwar solche, die in der ZPO an anderer Stelle geregelt und mit der gleichen Sanktion wie die Gründe des § 477 versehen sind, nämlich die Streitanhängigkeit und Rechtskraft (§ 240 Abs 3, § 411 Abs 2), den – allerdings auch durch § 477 Abs 1 Z 5 erfassten – Vollmachtsmangel (§ 37 Abs 1) und die Klagerücknahme unter Anspruchsverzicht (§ 237 Abs 4; SZ 44/79), sowie solche Nichtigkeitsgründe, die sich aus dem Gesetz kraft Auslegung ergeben, wie etwa den Mangel der Parteifähigkeit (JBl 1960, 641) und die Verletzung des Zweiparteiensystems durch Parteiidentität von Kläger und Beklagtem (EvBl 1985/81; Fasching Rz 330 und 1759; vgl dazu Holzhammer 70 und 299; Rechberger, Exekution 84; Buchegger, Beitr ZPR II 25). Zur Streitfrage, ob ein Verstoß gegen § 405 eine Nichtigkeit begründet, s bei dieser Gesetzesstelle. Nichtigkeitsgründe besonderer Art liegen vor, wenn die – mit Entscheidung eines verst Senats (SZ 68/195 = EvBl 1996/34 = JBl 1996, 117 = AnwBl 1995, 900 [Strigl] = ecolex 1995, 790 [Oberhammer] = JAP 1995/96, 124 [Oberhammer] = RdW 1996, 15 [K. Berger] = wobl 1995, 240 [Hanel] = ZVR 1996/2) bejahte – Bindung an die materielle Rechtskraft der strafgerichtlichen Verurteilung einer Prozesspartei missachtet wurde oder wenn die – gleichfalls von einem verst Senat erkannte – Erstreckung der Bindungswirkung eines materiell rechtskräftigen zivilgerichtlichen Urteils auf den einfachen Nebenintervenienten und denjenigen, der sich am Verfahren trotz Streitverkündung nicht beteiligt hatte, auf den Folgeprozess nicht beachtet wurde (SZ 70/ 60 = JBl 1997, 368 = ecolex 1997, 422 [Oberhammer]). Keine Nichtigkeit bewirkt hingegen die Verletzung eines Beweisverbots (2 Ob 272/97g = SZ 70/239 = EvBl 1998/69 = RdW 1998, 339 = RZ 1998/56).

2 Nichtigkeitsgründe sind schwere Verletzungen grundsätzlicher Verfahrensvorschriften, die ohne Rücksicht auf ihre Auswirkung im Einzelfall auch – von den Rechtsmittelinstanzen aber nur aus Anlass eines zulässigen Rechtsmittels (SZ 38/27; EFSlg 52.211 uva) – von Amts wegen aufgegriffen werden müssen. Für die unrichtige Besetzung des Gerichtes (§ 477 Abs 1 Z 2) und die unprorogable Unzuständigkeit (§ 477 Abs 1 Z 3) gilt insofern eine Besonderheit, als diese Nichtigkeitsgründe mangels rechtzeitiger Rüge (§ 260 Abs 4 und § 104 Abs 3 JN) 1540

§ 477

4.1 Berufung

heilen, so dass ihre Wahrnehmung im Rechtsmittelverfahren von einer vorherigen Rüge abhängt. Fasching spricht daher in diesen Fällen von einer „relativen“ Nichtigkeit (Rz 1755). Liegt eine Nichtigkeit vor, sind das Urteil und das vorangegangene 3 Verfahren, soweit davon betroffen, aufzuheben. Demgemäß ist der einer Nichtigkeitsberufung entsprechende Rechtsmittelantrag auf Aufhebung zu richten. Das Gericht zweiter Instanz darf nämlich nicht in Wahrnehmung einer Nichtigkeit des Verfahrens die Entscheidung in der Sache selbst an sich ziehen (5 Ob 149/98t = EvBl 1998/195 = ÖJZLSK 1998/237). Der Nichtigkeitsgrund nach Z 1 setzt voraus, dass der ausgeschlossene 4 oder erfolgreich abgelehnte Richter das Urteil gefällt oder doch – als Senatsmitglied – an der Urteilsfällung mitgewirkt hat (1 Ob 41/97d = SZ 70/260), die bloße Mitwirkung an einer vorangegangenen Verhandlung bewirkt hingegen keine Nichtigkeit (JBl 1981, 387 = Ind 1981 H 5, 14). Zu den Ausschließungsgründen s bei § 20 JN. Nichtigkeit liegt nur vor, wenn die Ablehnung des Richters für berechtigt erkannt wurde (dagegen kein Rechtsmittel: § 24 Abs 2 JN). Solange aber eine Beschlussfassung über den Ablehnungsantrag nicht vorliegt, kann die Entscheidung durch den abgelehnten Richter keine Nichtigkeit bewirken (SZ 41/164; MietSlg 35.796; 1 Ob 41/97d = SZ 70/ 260 uva; Fasching1 IV 114). Dass die Ablehnung des Erstrichters nach Meinung des Rechtsmittelwerbers zu Unrecht als nicht berechtigt erkannt wurde, begründet gleichfalls keine Nichtigkeit (EFSlg 55.066). Grundsätzlich ist die Ablehnung auch nach Schluss der Verhandlung und nach Urteilsfällung (SZ 43/104 = JBl 1971, 480; KOG ÖBl 1977, 76 ua), aber nicht mehr nach rechtskräftiger Beendigung des Hauptverfahrens zulässig. Wurde ein Ablehnungsgrund erst in einem Verfahrensstadium bekannt, in dem keine Verhandlung mehr stattfindet, dann geht das Ablehnungsrecht jedenfalls verloren, wenn die Partei einen schriftlichen Antrag stellt, ohne den Ablehnungsgrund geltend zu machen. Ist der Ablehnungsgrund für den Rechtsmittelgrund kausal, dann ist die Ablehnung verspätet, wenn die Partei nur den Rechtsmittelgrund geltend macht (JBl 1989, 664). Das gilt auch dann, wenn der ablehnenden Partei der Ablehnungsgrund erst nach Fällung des Urteils (erster oder zweiter Instanz) bekannt geworden ist. Werden erst im Rechtsmittelverfahren Gründe bekannt, die die Ablehnung eines Richters der unteren Instanz rechtfertigen würden, dann müssen sie mittels Ablehnungsantrags, der auch in den Rechtsmittelschriftsatz aufgenommen werden kann (JBl 1989, 664; KOG ÖBl 1977, 76; aM Fasching1 I 206 und Rz 161, der einen gesonderten Schriftsatz an die Unterinstanz verlangt), geltend 1541

§ 477

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gemacht werden. Das Rechtsmittelverfahren ist sodann bis zur Entscheidung über den Ablehnungsantrag durch die dafür zuständige Unterinstanz zu unterbrechen (JBl 1989, 664; Fasching Rz 161), welchem die Entscheidung über den Ablehnungsantrag aufzutragen ist (JBl 1989, 664; KOG ÖBl 1977, 76). Erst nach rechtskräftiger Erledigung des Ablehnungsantrages darf über das Rechtsmittel in der Hauptsache entschieden werden. Wird die Ablehnung im Rechtsmittel vorgebracht, dann ist darüber also nicht im Rechtsmittel-, sondern im Ablehnungsverfahren zu entscheiden (Holzhammer 39; 5 Ob 366/87; 5 Ob 517/90; 1 Ob 623/92). Eine solche Entscheidung hat der Rechtsmittelsenat aber nicht einzuholen, wenn im Rechtsmittel keine konkreten Befangenheitsgründe ins Treffen geführt werden (1 Ob 623/92; 1 Ob 41/97d = SZ 70/260). Der Meinung, dass die Befangenheit des Richters der Vorinstanz nur im Rechtsmittel geltend zu machen ist und darüber das Rechtsmittelgericht zu entscheiden hat (OLG Linz RZ 1991/33; Ballon, RZ 1991, 106), ist nicht zu folgen. Die Befangenheit des an der Fällung der angefochtenen Entscheidung beteiligten Richters könnte keinesfalls mit der Beweis-, Aktenwidrigkeits- oder Rechtsrüge geltend gemacht werden. Ihre Behandlung als Verfahrensfehler käme nur dann in Frage, wenn der Richter zur Befangenheitsanzeige verpflichtet gewesen wäre; überdies müsste auch die Eignung des Mangels bejaht werden, die erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Sache (§ 496 Abs 2 Z 2) zu hindern. Das stünde aber in einem Wertungswiderspruch zu Z 1, wonach dann, wenn die Befangenheit schon rechtskräftig bejaht wurde, die Entscheidung des abgelehnten Richters nichtig ist, so dass es auf die Relevanz dieses Verfahrensverstoßes nicht ankommt (so auch Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 477 Rz 17). Entscheiden Gerichte entgegen § 9 Abs 4 AHG über eine Amtshaftungsklage, so ist deren Entscheidung und das vorangegangene Verfahren in sinngemäßer Anwendung der Z 1 nichtig; die Klage ist an das gem § 9 Abs 4 AHG zu bestimmende Gericht zu überweisen (EvBl 1998/77 = ÖJZ-LSK 1998/86). Der Nichtigkeitsgrund liegt auch vor, wenn ein Laienrichter ausgeschlossen war oder erfolgreich abgelehnt wurde (EvBl 1992/127 = NRsp 1992/149).

5 Der Nichtigkeitsgrund nach Abs 1 Z 2 ist seit der ZVN 1983 wesentlich entschärft worden. So liegt er nach Abs 3 dann nicht vor, wenn anstelle des Einzelrichters der Senat entschieden hat. Hat umgekehrt statt des Senates ein Einzelrichter entschieden, dann kann diese fehlerhafte Besetzung nicht mehr berücksichtigt werden, wenn sich beide Parteien in die Verhandlung eingelassen haben, ohne diesen Umstand geltend zu machen (§ 260 Abs 4); das Gleiche gilt für einen Verstoß 1542

§ 477

4.1 Berufung

gegen die Vorschriften der §§ 7 und 8 JN über die Besetzung von Kausal- und allgemeinen Senaten sowie für Verstöße gegen die Geschäftsverteilung (s bei § 260). Fand keine Verhandlung statt, kann die unrichtige Besetzung nur bei Rüge im Rechtsmittel, nicht aber von Amts wegen wahrgenommen werde (s §§ 260, 261 Rz 17; Pimmer in Fasching/ Konecny IV/1 § 477 Rz 26). Keine Heilung der durch unrichtige Senatsbesetzung bewirkten Nichtigkeit tritt ein, wenn in einem Verfahren nach dem ASGG zur Zeit des Verstoßes kein qualifizierter Vertreter anwesend war (RZ 1988/ 25; RZ 1988/32). Da eine Beschlussfassung im Sinne des § 37 Abs 3 ASGG in erster Instanz unter Beiziehung von zwei fachkundigen Laienrichtern zu erfolgen hat, hat auch das Rekursgericht bei sonstiger Nichtigkeit durch einen Senat bestehend aus drei Berufsrichtern und zwei fachkundigen Laienrichtern zu entscheiden (RZ 1996/204). Nichtigkeit liegt auch dann vor, wenn im Verfahren nach dem ASGG der Vorsitzende ohne Beiziehung der fachkundigen Laienrichter allein eine Parteibezeichnung berichtigt (ÖJZ-LSK 1997/101 und 102). Hat in einer Sozialrechtssache das Erstgericht durch einen Senat entschieden, der aus einem Berufsrichter als Vorsitzendem und je einem fachkundigen Laienrichter aus dem Kreis der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer zusammengesetzt war, dann hat das Rekursgericht durch einen gem § 11 Abs 1 ASGG zusammengesetzten Senat zu erkennen. Fällt es seine Entscheidung durch einen nur aus drei Richtern zusammengesetzten Senat (§ 11a Abs 2 ASGG), ist diese mit Nichtigkeit behaftet (10 ObS 136/95 = SZ 68/139 = SSV-NF 9/68 = ARD 4731/10). Entscheidet über eine in die Zuständigkeit des Konkurs- (Ausgleichs-) gerichts fallende Angelegenheit nicht der in der Geschäftsverteilung dafür vorgesehene Senat, dann ist diese Entscheidung gem § 260 Abs 4 relativ nichtig; hat keine mündliche Berufungsverhandlung stattgefunden, dann ist keine Heilung eingetreten; die Parteien können den Nichtigkeitsgrund im Rechtsmittel geltend machen (EvBl 1993/131). Dieser Nichtigkeitsgrund liegt auch dann vor, wenn die generelle Norm der Geschäftsverteilung selbst gegen eine Verfassungsnorm verstoßen hat. Der Grundsatz der festen Geschäftsverteilung wird nur dann eingehalten, wenn sich schon prinzipiell allein auf Grund der generellen Bestimmungen der Geschäftsverteilung ergibt, in welcher Zusammensetzung der Senat im konkreten Fall zu entscheiden hat. In sog „überbesetzten“ Senaten hat der Personalsenat im Vorhinein festzulegen, nach welchen allgemeinen Grundsätzen der jeweils im Einzelfall zuständige Senat zu bilden ist. Keine Partei hat aber ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht darauf, dass ein bestimmter Richter die Sache vorträgt und den Entscheidungsentwurf verfasst (SZ 63/24 = JusZ/410 = NRsp 1990/120 und 121). 1543

§ 477

Kodek

Die Frage, ob ein bestimmter Gerichtshof als Arbeits- und Sozialgericht oder in anderer Funktion zu entscheiden hat, ist – ausgenommen im Bereich von Wien (ASG Wien, LGZ Wien, HG Wien) – eine Frage der unrichtigen Gerichtsbesetzung (wbl 1992, 195); das ASGG qualifiziert die Anrufung eines unrichtigen Spruchkörpers desselben Gerichtshofes nur als unrichtige Besetzung dieses Gerichtes (EvBl 1990/90). Der Nichtigkeitsgrund liegt auch dann vor, wenn das Urteil von einem Richter gefällt wurde, der keine neue Verhandlung durchgeführt und sogleich das Urteil gefällt hat (§ 412 Abs 1; s § 412 Rz 4; Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 477 Rz 35). Hat an der Entscheidung eines Senats ein Nichtrichter – zB eine nicht zum fachmännischen Laienrichter ernannte Person – mitgewirkt, soll nach manchen Entscheidungen ein Nichturteil vorliegen (RZ 1975/19; JBl 1975, 325 [abl Kralik] = AnwBl 1975, 95); nach SZ 46/67 = RZ 1973/206 ist hingegen ein unter Mitwirkung eines für ein anderes Gericht ernannten fachmännischen Laienrichters gefälltes Urteil nichtig, aber kein Nichturteil. Ein unter Mitwirkung eines fachmännischen Laienrichters, der vom Ende der dreijährigen Amtsdauer nicht verständigt wurde und für den noch kein Nachfolger ernannt wurde, gefälltes Urteil soll nach JBl 1975, 602 weder ein Nichturteil noch nichtig sein. Nach Rechberger (Exekution 30 ff) ist der Meinung, dass die Beteiligung eines Nichtrichters im Senat lediglich die vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts beeinträchtige, aus dem Gedanken des Vertrauensschutzes – dass nämlich die Partei darauf vertrauen dürfe, eine Person, die der Staat (etwa durch den Senatsvorsitzenden) als Richter bei Gericht tätig werden lässt, könne dem Gericht und somit dem Staat zurechenbare Akte setzen – der Vorzug zu geben. Überträgt ein Senat sämtliche Beweisaufnahmen global einem Senatsmitglied als beauftragtem Richter, so bedeutet dies eine Umgehung der Vorschriften über die Senatsbesetzung und führt zu einer Nichtigkeit nach Z 2 (RZ 1984/60). Hat statt des Richters ein Rechtspfleger das Verfahren durchgeführt, ist dieses nichtig (EvBl 1965/241; SZ 42/83). Wenn an einer Senatsentscheidung zwei Richter mitwirken, die miteinander verheiratet sind, verstößt das gegen § 34 Abs 2 RDG idF BGBl 1994/507 und begründet daher Nichtigkeit; die ggt E EvBl 1992/ 141 = JBl 1993, 195 [krit Mayr] – deretwegen § 34 RDG novelliert wurde (ErlRV 1597 BlgNR 18. GP) – ist überholt (Pimmer in Fasching/ Konecny IV/1 § 477 Rz 36). Da die Verteilung der richterlichen Geschäfte der jeweilige Personalsenat in richterlicher Funktion besorgt, steht den Parteien das prozessuale Recht zum Antrag, dass ein anderer als der nach der festen Geschäftsverteilung eines Gerichtshofs berufene Senat über die Rechts1544

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mittel entscheide, nicht zu, sollen sie doch den ihnen genehmen Senat nicht wählen können (1 Ob 326/99v = ÖJZ-LSK 2000/128). Seit der WGN 1997 ist der – früher allein in § 42 Abs 1 JN vorgesehene 6 – Nichtigkeitstatbestand der mangelnden inländischen Gerichtsbarkeit in § 477 eingebaut. Dieser Nichtigkeitsgrund hat allerdings durch § 104 Abs 3 JN idF WGN 1997 seine Bedeutung weitgehend verloren (s bei § 104 JN). Das Gleiche gilt seit der ZVN 1983 für die Unterscheidung zwischen heilbarer und unheilbarer Unzuständigkeit. Nur dort, wo der Erstrichter es unterlassen hat, die nicht (qualifiziert) vertretene Partei entsprechend zu belehren, vor allem aber bei Versäumungsurteilen, kommt dem Nichtigkeitsgrund nach § 477 Abs 2 Z 3 noch praktische Bedeutung zu. Das Erstgericht darf freilich ein von ihm erlassenes Versäumungsurteil nicht selbst als nichtig aufheben (JBl 1956, 265). Auch bei Überschreitung der funktionellen Zuständigkeit – die der Parteienvereinbarung entzogen ist – liegt Nichtigkeit nach Z 3 vor (SZ 60/238; 4 Ob 274/01z). Entscheidet ein Oberlandesgericht über die Ablehnung sämtlicher Richter der in seinem Sprengel gelegenen Bezirksgerichte, ist diese Entscheidung nichtig nach Z 3 (EvBl 1997/191). Bei Bejahung des Nichtigkeitsgrundes ist nach § 475 Abs 2 vorzugehen (s dort). Der – in der Praxis am weitaus häufigsten geltend gemachte – Nichtig- 7 keitsgrund nach Abs 1 Z 4 betrifft den Ausschluss einer Partei vom rechtlichen Gehör. Erfasst wird aber nur die gesetzwidrige Verhinderung der Möglichkeit, vor Gericht zu verhandeln, wogegen die Verletzung des rechtlichen Gehörs im weiteren Sinn – durch Weigerung des Gerichtes, das Verfahren durchzuführen, weil es die Gerichtsbarkeit, die Zulässigkeit des Rechtsweges oder seiner Zuständigkeit verneint – nicht darunter fällt (Fasching1 IV 124; Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 477 Rz 43). Soweit das Gericht im Einklang mit dem Gesetz ohne Zuziehung einer Partei tätig wird, liegt mangels ungesetzlichen Vorganges der Tatbestand nach Abs 1 Z 4 nicht vor; das trifft insbesondere dort zu, wo eine Partei (tatsächlich) säumig ist. Soweit ihre Säumigkeit aber Folge einer nicht gehörigen Ladung ist – wozu auch der Fall einer zu knapp vor der anberaumten Tagsatzung zugestellten Ladung zählt (RZ 1976/ 58; 10 ObS 435/89 = SSV-NF 4/13) –, ist der Nichtigkeitsgrund verwirklicht. Durch den gesetzwidrigen Vorgang muss der Partei die Möglichkeit genommen werden, vor Gericht zu verhandeln. Die bloße Erschwerung der Teilnahme an der Verhandlung genügt nicht. Es bildet daher keinen Nichtigkeitsgrund (wohl aber den Aufhebungsgrund nach §471 Z 4), 1545

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wenn dem nicht erschienenen Beklagten die Ladung zur Tagsatzung, nicht aber auch die Klage zugestellt wurde (LG Graz in ZBl 1937/392) oder wenn die Partei trotz eines gesetzwidrigen Zustellvorgangs von der Tagsatzung zeitgerecht Kenntnis erhalten hat (Fasching1 IV 127 Anm 22). Wird nicht der Partei, sondern bloß einem einfachen Nebenintervenienten die Möglichkeit zu verhandeln entzogen, bewirkt das keine Nichtigkeit (Fasching1 IV 127 Anm 21). Von dem Nichtigkeitsgrund betroffen ist der Ausschluss der Partei von der Verhandlung. Überall dort, wo das Gesetz eine mündliche Verhandlung zwingend vorschreibt, bedeutet die gesetzwidrige Hinderung einer Partei, daran teilzunehmen, den Nichtigkeitsgrund. Allerdings wird dieser Tatbestand nur durch den völligen Ausschluss der Partei von der Verhandlung verwirklicht, nicht aber schon dadurch, dass der Richter einer Partei das Wort entzieht oder nach durchgeführter Verhandlung vor deren Schluss Erörterungen und Beweisanträge zurückgewiesen hat (GlUNF 4899); in diesem Fall kann aber ein einfacher Verfahrensmangel vorliegen. In 3 Ob 311/01x = RdW 2002, 285 vertrat der OGH freilich die Auffassung, das rechtliche Gehör einer Partei werde nicht nur dann verletzt, wenn ihr die Möglichkeit, sich im Verfahren zu äußern, überhaupt genommen wird, sondern auch dann, wenn einer gerichtlichen Entscheidung Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde gelegt werden, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten (hier: Berücksichtigung eines erst nach Schluss der Verhandlung gem § 193 Abs 3 eingeholten Gutachtens); dieser Verstoß gegen Art 6 MRK bewirke Nichtigkeit nach Z 4; die frühere gegenteilige Rsp sei überholt (ähnlich auch 9 ObA 237/02x). Dem ist jedoch nicht zu folgen. Ein Verstoß gegen Art 6 MRK bedeutet noch nicht unbedingt die Nichtigkeit nach Z 4. Es wäre auch rechtspolitisch verfehlt, solche Verfahrensverstöße, die die betroffene Partei gar nicht rügt, von Amts wegen aufzugreifen (vgl § 569a dZPO, welcher die meisten in § 477 enthaltenen Nichtigkeitsgründe als „absolute Revisionsgründe“ anführt, den Tatbestand des § 477 Abs 1 Z 4 aber nicht enthält). Wurden mehrere Verhandlungstermine abgehalten, dann liegt der Nichtigkeitsgrund schon vor, wenn einer Partei die Möglichkeit, vor Gericht zu verhandeln, nur bei einem der mehreren Termine entzogen wurde (JBl 1948, 479), sofern der Stoff dieses Termines nicht bei einer folgenden Tagsatzung neuerlich erörtert und verhandelt wurde (Fasching1 IV 128 Anm 23; LGZ Wien in MietSlg 35.797). Entscheidet das Prozessgericht über eine Prozesseinrede ohne mündliche Verhandlung, liegt Nichtigkeit nach Z 4 vor (4 Ob 193/01p = ÖJZ-LSK 2002/54). Da Ruhen des Verfahrens die gleiche Wirkung wie eine Unterbrechung hat, sind ein trotz Ruhens durchgeführtes Verfahren und eine 1546

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während des Ruhens ergangene Entscheidung als nichtig aufzuheben (7 Ob 578/95 = RdW 1996, 117). Kommt es infolge abändernder Entscheidung des Gerichts zweiter Instanz über die Berichtigung einer Parteibezeichnung (§ 235 Abs 5) zu einem Parteiwechsel, sind die Prozesshandlungen, die gegenüber der in den Prozess einbezogenen, aber vom Kläger nach seinem Vorbringen tatsächlich nicht in Anspruch genommenen Partei vorgenommen wurden, nichtig, weil sie, bezogen auf die wirkliche Partei, gegen Z 4 verstoßen (4 Ob 267/00v = RdW 2001, 286). Der erste Fall nach Z 5 – einer besonderen Form der Verletzung des 8 rechtlichen Gehörs – liegt insb vor, wenn der für die Partei tätig gewordene Vertreter in Wahrheit keine Vollmacht hat (vgl § 37 Abs 1). Er liegt auch vor, wenn statt der Partei jemand anderer auftritt (Fasching1 IV 131; 6 Ob 643/84) oder wenn ein Gericht ohne Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen für die Partei einen Kurator bestellt hat (GlUNF 3707; SZ 27/102; JBl 1980, 267 uva). Von größerer Bedeutung ist der Fall, dass eine prozessunfähige Partei ohne gesetzlichen Vertreter den Prozess führt (SZ 51/93 ua). In einem solchen Fall kann freilich die Prozessführung nachträglich genehmigt werden. Das kann durch den gesetzlichen Vertreter im Prozess – insb auch in der im Abs 2 genannten Form –, aber auch nachträglich außergerichtlich und durch konkludente Handlungen (EvBl 1951/316) geschehen; jedenfalls aber muss die Erklärung unbedingt abgegeben werden (SZ 56/65). Stellt sich im Rechtsmittelverfahren der Mangel der Prozessfähigkeit einer Partei heraus, so ist grundsätzlich nicht sogleich die Nichtigkeit auszusprechen, sondern zunächst nach § 6 (ZBl 1912/219) oder § 6a (2 Ob 14/88, SSV-NF 6/57) vorzugehen. Soweit aber die Durchführung eines solchen Verfahrens aussichtslos ist oder schon das Erstgericht erfolglos einen Sanierungsversuch unternommen hat, hat das Berufungsgericht sofort die Nichtigkeit auszusprechen (Fasching1 IV 133 Anm 30). Zu beachten ist freilich, dass die Zuweisung von Angelegenheiten an den Sachwalter gem § 123 Abs 1 Z 2 AußStrG und damit die entsprechende Einschränkung der Geschäftsfähigkeit des Behinderten gem § 273a Abs 1 Satz 1 ABGB nur rechtsgestaltend für die Zukunft wirkt. Die Beurteilung der Prozessfähigkeit des Behinderten für die Vergangenheit durch das Pflegschaftsgericht verstieße daher gegen das Gesetz, darüber hinaus aber auch gegen Art 6 MRK, weil durch eine allfällige Nichtigerklärung des Verfahrens in die Rechte des Prozessgegners eingegriffen würde und diesem im Verfahren nach den §§ 117 ff AußStrG keine Parteistellung zukommt (ecolex 1993, 13; 4 Ob 329/98f; aM Gitschthaler in JBl 1997, 184 ff). Soweit also eine Genehmigung der 1547

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bisherigen Prozessführung durch den später bestellten Sachwalter ausbleibt, hat das Prozessgericht selbst die mangelnde Prozessfähigkeit in der Zeit vor der Sachwalterbestellung zu prüfen. Auch der Mangel der Verfügungsfähigkeit des Gemeinschuldners bewirkt nach stRsp Nichtigkeit iSd Z 5 (EvBl 1955/296 = JBl 1955, 479; SZ 34/124 = EvBl 1962/73; RZ 1979/90; ecolex 1997, 249 = ÖBA 1997, 562 uva; aM SZ 51/150, die in diesem Fall Nichtigkeit nach Z 4 annimmt). Die nachträgliche Aufhebung der Konkurseröffnung wirkt nicht zurück (8 Ob 37/95 = ecolex 1996, 362 = RdW 1996, 363). Umgekehrt bewirkt im Gemeinschuldnerprozess (§ 6 Abs 3 KO) die mangelnde Prozessführungsbefugnis des zu Unrecht eingeschrittenen Masseverwalters die Nichtigkeit des davon betroffenen Verfahrens iSd Z 5 (1 Ob 159/01s = EvBl 2002/16 = ÖJZ-LSK 2002/13). Durch die Konkurseröffnung werden alle anhängigen Rechtsstreitigkeiten, in denen der Gemeinschuldner Kläger oder Beklagter ist, unterbrochen (§ 7 KO), und zwar auch im Stadium des Rechtsmittelverfahrens; die Ausnahmebestimmung des § 163 Abs 3 gilt nicht für Entscheidungen über vor der Konkurseröffnung eingebrachte Rechtsmittel, die in nichtöffentlicher Sitzung zu erledigen sind; ein nach Eintritt der Unterbrechung gefälltes Urteil ist daher nichtig (2 Ob 146/02p = ZIK 2003/31). Die Verletzung der Anwaltspflicht begründet hingegen – als bloße Postulationsunfähigkeit – keine Nichtigkeit (JBl 1959, 421; EFSlg 49.352, 57.784; 4 Ob 157/98m = EvBl 1999/32; Fasching Rz 438; Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 477 Rz 60). Wurde schon von den Vorinstanzen die Frage der ordnungsgemäßen Vertretung (rechtskräftig) entschieden, bleibt das für das weitere Verfahren in allen Instanzen bindend (JUS 21, 13). Nach EvBl 1972/104 soll der Nichtigkeitsgrund der Z 5 nur von der Partei geltend gemacht werden können, deren gesetzlicher Schutz beeinträchtigt wurde, nicht aber von ihrem Prozessgegner (so auch Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 477 Rz 62; aM KG Wels ZfRV 1971, 47 [zust P. Böhm mit ausführlicher Begründung], s Vor § 529 Rz 4).

9 Z 6 regelt die Unzulässigkeit des Rechtswegs in allen drei Erscheinungsformen, also die Unzulässigkeit des Gerichtswegs, weil der Anspruch vor eine Verwaltungsbehörde gehört, die Unzulässigkeit des ordentlichen Rechtswegs, weil ein Sondergericht zu entscheiden gehabt hätte, aber auch die Unzulässigkeit des Prozesswegs, weil das außerstreitige Verfahren anzuwenden gewesen wäre (SZ 33/21; EvBl 1970/ 113 = NZ 1971, 141; EvBl 1988/101 = NRsp 1988/147 ua). Bei der Wahrnehmung dieses letzten Falles ist auf § 40a JN Bedacht zu nehmen (s dort). Eine Heilung der durch die Unzulässigkeit des Rechtswegs 1548

§ 477

4.1 Berufung

bewirkten Nichtigkeit infolge Einlassung der Beklagten iS des § 104 Abs 3 JN, § 38 Abs 1 ASGG tritt nicht ein, da diese Bestimmungen auf die Wahrung des streitigen Rechtswegs nicht anzuwenden sind (EvBl 1993/42 = NRsp 1993/12). Wurde nur ein angeblich unrichtiges Verfahren – zB das Bestandverfahren – eingeleitet, kann der Nichtigkeitsgrund der Z 6 nicht vorliegen (SZ 6/281). Nach der Rsp bedeutet der Zuspruch vorprozessualer Kosten in Urteilsform – obwohl das im besonderen Kostenverfahren nach den §§ 40 ff zu geschehen hätte – Nichtigkeit (OLG Graz in EvBl 1988/99 uva; aM Fasching Rz 461 unter Hinweis auf § 40a JN; vgl bei § 40). In Ansehung der Betreibungs- und Einbringungskosten ist nunmehr § 1333 Abs 3 ABGB zu beachten. Ein ungerechtfertigter Ausschluss der Öffentlichkeit (Z 7) liegt dann 10 nicht vor, wenn der Verhandlungssaal wegen übergroßen Andranges zur Verhandlung nicht ausreicht und daher nicht alle Personen Zutritt finden können (LG Wien in NZ 1936, 187) oder wenn das erkennende Gericht über den Zeitpunkt der üblichen, aus Sicherheitsgründen verfügten Nachtsperre des Haustors des Gerichtsgebäudes hinaus mit den Parteien und den schon anwesenden Zuhörern weiterverhandelt und dadurch die Teilnahme weiterer Zuhörer an der Verhandlung nicht mehr möglich ist (EvBl 1989/145 = JBl 1989, 662). Zur rechtspolitischen Problematik der öffentlichen Verhandlungen s Simotta (FS Matscher 449). Zur Z 8 s bei §§ 210 und 265. 11 Nicht jeder Verstoß gegen Protokollierungsvorschriften ist mit Nichtigkeit bedroht; es kommt nicht auf die formale Verletzung dieser Vorschriften, sondern darauf an, ob die Mündlichkeit und Unmittelbarkeit des Verfahrens, deren Verwirklichung und Schutz diese Vorschriften dienen, durch den Verstoß beeinträchtigt werden (SZ 41/142 mwN; 1 Ob 10/93 = SZ 66/97 = JBl 1994, 185). Hat etwa die Partei das im beigebrachten Entwurf enthaltene Vorbringen tatsächlich so erstattet wie es zu Papier gebracht wurde, dann kann von einer Nichtigkeit keine Rede sein (1 Ob 10/93 = SZ 66/97 = JBl 1994, 185). Wenn Zeugen dem ersuchten Richter eine Aufzeichnung über ihr Wissen zum Beweisthema vorlegen und diese als ihre Aufzeichnungen bestätigen, liegt darin gleichfalls nicht der Tatbestand nach Z 8 (ZBl 1929/222 [abl Petschek]); das gilt auch, wenn schriftliche Aufzeichnungen der vernommenen Partei mitbenützt wurden (ZBl 1918/199). Der Tatbestand der Z 9 betrifft nur das Urteil selbst, nicht aber das 12 vorangegangene Verfahren. Er umfasst drei Fälle: 1549

§ 478

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a) die Fassung des Urteils ist so mangelhaft, dass dessen Überprüfung nicht mit Sicherheit vorgenommen werden kann; b) das Urteil steht mit sich selbst in Widerspruch; c) für die Entscheidung sind keine Gründe angegeben. Unter Berufung auf Z 9 werden in der Praxis häufig vermeintliche Begründungsmängel geltend gemacht. Dabei werden auch von der Rsp die Tatbestände der Z 9 nicht immer genügend deutlich unterschieden. Die Rsp hebt hervor, dass nur der völlige Mangel der Gründe (Fall c), nicht jedoch eine mangelhafte Begründung den Nichtigkeitsgrund bildet (GlUNF 7085; SZ 39/222; EFSlg 39.246 ua). Von mangelnder Begründung sei nur dort zu sprechen, wo die Entscheidung gar nicht (Fall c) oder so unzureichend begründet ist, dass sie sich nicht überprüfen lässt (Fall a; RZ 1936, 16; 8 Ob 508/93 uva; LGZ Wien EFSlg 55.071 uva). Darin, dass ein Berufungsgericht die gesamten erstrichterlichen Feststellungen übernimmt und hinsichtlich der Einzelheiten auf die Ausführungen des Ersturteils verweist, liegt keine Nichtigkeit (SZ 52/196); ebensowenig, wenn in einem abändernden Berufungsurteil zu den Gründen des abgeänderten Urteils nicht im einzelnen Stellung genommen wird (ZBl 1925/80). Der Fall b betrifft nur den Spruch; ein Widerspruch in den Gründen reicht nicht aus (EvBl 1958/11; EFSlg 44.100; OLG Wien SSV 1/206 uva). Zum Urteil mit völlig unbestimmtem Tenor („perplexes Urteil“) s Rechberger (Exekution 70). Der Fall c ist auch dann gegeben, wenn konkrete Gründe für die Entscheidung fehlen und nur allgemeine Wendungen gebraucht werden, also eine Scheinbegründung vorliegt (vgl LG Wien in MietSlg 30.754 ua). Bei Vorliegen dieses Nichtigkeitsgrundes ist das Urteil – wenn nicht eine Berichtigung erfolgt – aufzuheben und die Sache zur neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen. Zur Kostenentscheidung s bei § 51. Nach der Aufhebung einer Entscheidung nach Z 9 hat das Gericht nicht bloß die fehlende Begründung nachzutragen, sondern die als nichtig aufgehobene Entscheidung neu zu fällen (4 Ob 240/98t = ÖJZ-LSK 1999/186). Kann das Berufungsgericht dem Mangel – bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 419 (s dort) – abhelfen, dann ist der Tatbestand der Z 9 nicht verwirklicht (Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 477 Rz 77). § 478. (1) Erfolgt die Aufhebung des erstrichterlichen Urteils wegen Nichtigkeit, ohne dass hiedurch zur Erledigung der Sache eine weitere Verhandlung notwendig wird (§ 477 Abs 1 Z 5 und 6), so ist, soweit die Nichtigkeit reicht, die Zurückweisung der Klage auszusprechen. 1550

§ 479

4.1 Berufung

(2) Wird durch die gänzliche oder teilweise Aufhebung des erstrichterlichen Urteiles wegen Nichtigkeit eine weitere Verhandlung notwendig, so ist die Sache an das Gericht erster Instanz zurückzuverweisen. (3) Wenn das erstrichterliche Urteil wegen eines der in § 477 Abs 1 Z 1 und 2 angeführten Nichtigkeitsgründe aufgehoben wird, so kann die Sache zur neuerlichen Verhandlung statt an das Prozessgericht erster Instanz an ein anderes im Sprengel des Berufungsgerichtes gelegenes Gericht der gleichen Art verwiesen werden. [Abs 4 aufgehoben durch ZVN 1983; im übrigen Stammfassung] Lit: Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 478; Fasching Rz 1793. Besteht der Nichtigkeitsgrund im Fehlen einer Prozessvoraussetzung, 1 dann hat das Berufungsgericht nicht nur das angefochtene Urteil als nichtig aufzuheben, sondern auch die Klage zurückzuweisen. Abs 1 erwähnt nur die Fälle des § 477 Z 5 und 6; dazu gehören aber auch die anderen, in § 477 nicht aufgezählten Fälle fehlender Prozessvoraussetzungen, wie die mangelnde Parteifähigkeit und der Verstoß gegen das Zweiparteiensystem sowie der Mangel inländischer Gerichtsbarkeit (§ 477 Abs 1 Z 3). Rechtskraft und Streitanhängigkeit sind gem § 475 Abs 3 so zu behandeln, wie es § 478 Abs 1 vorsieht. Zum Versuch der Behebung des Mangels der Prozessfähigkeit s § 6 Rz 3 und § 477 Rz 8. Ist eine neuerliche Entscheidung durch das Erstgericht erforderlich, dann ist das Urteil (ganz oder teilweise) aufzuheben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung oder aber nur zur neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen. Das gilt für die Nichtigkeitsgründe des § 477 Abs 1 Z 1, 2, 4, 7, 8 und 9. In den Fällen des § 477 Abs 1 Z 1 und 2 kann es vorkommen, dass eine 2 Zurückverweisung der Sache an das Erstgericht deshalb nicht in Frage kommt, weil der einzige dort wirkende Richter oder alle dort tätigen Richter von dem Nichtigkeitsgrund betroffen sind oder im Hinblick auf das Ausgeschlossensein eines oder mehrerer Richter zu wenige Richter für eine vorschriftsmäßige Besetzung vorhanden sind; in diesem Fall kann (und muss) die Sache an ein anderes Gericht im Sprengel des Berufungsgerichts überwiesen werden. § 479. (1) Wenn die Rechtssache gemäß § 478 an ein Gericht erster Instanz verwiesen wird, so hat dieses die Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung von Amts wegen anzuberaumen. Mit der Anbe1551

§ 479a

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raumung der Tagsatzung ist jedoch bis nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung des Berufungsgerichtes zu warten, wenn letzteres ausgesprochen hat, dass das Verfahren in erster Instanz erst nach eingetretener Rechtskraft der Berufungsentscheidung aufzunehmen oder fortzusetzen sei. Ein solcher Ausspruch kann von Amts wegen oder auf Antrag erfolgen; gegen denselben ist ein abgesondertes Rechtsmittel nicht zulässig. (2) Desgleichen ist im Falle des § 474 Abs. 1 nach eingetretener Rechtskraft der Entscheidung des Berufungsgerichtes wegen Fortsetzung des Verfahrens vor dem zuständigen Berufungsgerichte von diesem das Erforderliche von Amts wegen anzuordnen. [Stammfassung] Lit: Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 479; Fasching Rz 1822.

1 Hier wird – trotz mittlerweiliger Änderung des § 519 durch die WGN 1989 – noch der Begriff des Rechtskraftvorbehalts gebraucht; trotzdem wird in Anpassung an die neue Diktion gegebenenfalls auszusprechen sein, dass der Rekurs an den OGH zulässig sei. In diesem Fall hat das Erstgericht mit der Anberaumung der Tagsatzung zuzuwarten (vgl Fasching Rz 1822). Dass der diesbezügliche Ausspruch des Berufungsgerichts nicht mit „abgesondertem Rechtsmittel“ angefochten werden könne, ist offenbar ein Redaktionsfehler; in Wahrheit kann der Ausspruch nur in der Rekursbeantwortung (§ 521a Abs 1 Z 2) gerügt werden. Der Oberste Gerichtshof ist an den Ausspruch nicht gebunden (§ 526 Abs 2). Gegen die Verweigerung der Rekurszulassung ist – sowohl im Hinblick auf den Grundsatz der Waffengleichheit als auch gem § 519 – kein Rechtsmittel zulässig (1 Ob 103/03h = EvBl 2003/161). Ein nachträglicher Antrag auf Zulassung des Rekurses an den OGH – analog § 508 Abs 1 – kommt nicht in Betracht (Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 479 Rz 4).

2 Aus § 479 ergibt sich unzweifelhaft, dass auch bei Nichtigerklärung des Verfahrens ohne Klagezurückweisung eine Zulässigerklärung des Rekurses möglich ist (SZ 19/305; RZ 1965, 161 uva; Fasching1 IV 144). § 479a. (1) Außer in den Fällen des § 471 ist die Berufung vor Anordnung einer Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung vor den Berufungssenat zu bringen, wenn in einer vor dem Einzelrichter eines Gerichtshofes oder vor einem Bezirksgericht verhandelten Rechtssache die Berufungsschrift, die Berufungsbeantwortung oder ein innerhalb der für diese offen stehenden Frist eingebrachter be1552

§ 479a

4.1 Berufung

sonderer Schriftsatz des Berufungsgegners einen Antrag enthält, wodurch das Einschreiten eines Berufungsgerichtes in der für die Ausübung der Gerichtsbarkeit in Handelsrechtssachen vorgeschriebenen Zusammensetzung erwirkt oder abgelehnt werden soll. Wurde ein Beisatz über die Art der ausgeübten Gerichtsbarkeit nicht von Amts wegen in das angefochtene Urteil aufgenommen, so kann das erste Begehren nur von dem gestellt werden, der ohne Erfolg einen die Ausübung der besonderen Gerichtsbarkeit bezeichnenden Beisatz beantragt oder sich ohne Erfolg gegen einen die Ausübung der allgemeinen Gerichtsbarkeit bezeichnenden Beisatz ausgesprochen hat. Das zweite Begehren kann dagegen nur von dem gestellt werden, der ohne Erfolg einen die Ausübung der allgemeinen Gerichtsbarkeit bezeichnenden Beisatz beantragt oder sich ohne Erfolg gegen einen die Ausübung der besonderen Gerichtsbarkeit bezeichnenden Beisatz ausgesprochen hat. In anderer Weise kann die Aufnahme oder Nichtaufnahme eines die Art der ausgeübten Gerichtsbarkeit bezeichnenden Beisatzes in das Urteil erster Instanz nicht angefochten werden. (2) Der Berufungssenat entscheidet, wie das Berufungsgericht im weiteren Verfahren zusammenzusetzen ist. Die Entscheidung ist nicht besonders auszufertigen, sondern in die Berufungsentscheidung aufzunehmen. Sie unterliegt keiner Anfechtung. [Eingefügt durch BGBl 1933/554; Abs 1 Satz 1 idF ZVN 1983] Lit: Petschek, Laienrichter im Berufungsverfahren nach neuestem Recht, AnwZ 1934, 13; Stagel, Die Ergänzung der achten Gerichtsentlastungsnovelle, JBl 1934, 4. Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 479a; Fasching Rz 1607 und 1797. Die Aufnahme oder Nichtaufnahme eines die Art der Gerichtsbarkeit 1 bezeichnenden Beisatzes in das Ersturteil (§ 259 Abs 3, § 446) kann nicht durch Rechtsmittel angefochten werden. Den Parteien steht nur die Möglichkeit zu, im Rechtsmittelverfahren – in der Berufung, der Berufungsbeantwortung oder einem eigenen Schriftsatz innerhalb derselben Frist – einen Antrag auf Beiziehung oder Nichtbeiziehung eines Laienrichters in Handelssachen zu begehren. Voraussetzung ist aber, dass ein entsprechender Beisatz in erster Instanz vom Antragsteller schon erfolglos begehrt oder bekämpft worden war. § 479a sieht auch die Möglichkeit der amtswegigen Aufnahme eines solchen Beisatzes vor. In einem solchen Fall kann jede Partei einen gegenteiligen Antrag an das Berufungsgericht stellen. Die Entscheidung des Berufungssenats – in nichtöffentlicher Sitzung – ist unanfechtbar. Unterlässt das Berufungsgericht die Entschei1553

§ 480

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dung, liegt ein Verfahrensmangel vor (Fasching1 IV 147). Von der Bestimmung wird in der Praxis nur selten Gebrauch gemacht. Wenn die Parteien in der ersten Instanz nicht beantragt haben, in das Urteil den Beisatz aufzunehmen, dass es in Ausübung der Gerichtsbarkeit in Handelssachen gefällt werde, oder wenn sie sich nicht gegen die Unterlassung der Aufnahme eines solchen Beisatzes zur Wehr gesetzt haben, dann entscheidet das Berufungsgericht ohne Beiziehung eines fachmännischen Laienrichters (SZ 48/106 = JBl 1976, 208= RZ 1976/56; ÖBl 1981, 159). Anberaumung der Berufungsverhandlung § 480. (1) Fehlt es an den Voraussetzungen für die Einholung einer Entscheidung des Berufungssenates oder wurde vom Berufungssenate die Berufungsschrift als zur Bestimmung einer Tagsatzung zur mündlichen Berufungsverhandlung geeignet befunden, so ist letztere vom Vorsitzenden des Berufungssenates so anzuberaumen, dass zwischen der Zustellung der Ladung an die Parteien und der Tagsatzung ungefähr der Zeitraum von vierzehn Tagen liegt. In dringenden Fällen kann diese Frist auch abgekürzt werden. (2) Die Anordnung einer Tagsatzung zur mündlichen Berufungsverhandlung hat auch dann zu erfolgen, wenn die wegen irriger Annahme einer Versäumung, wegen Unzuständigkeit des Gerichts, wegen der Entscheidung über die Streitanhängigkeit oder Rechtskraft oder wegen Nichtigkeit erhobene Berufung in nicht öffentlicher Sitzung vom Berufungsgerichte verworfen wurde, in der Berufungsschrift aber auch noch andere, der mündlichen Verhandlung vorbehaltene Anfechtungsgründe geltend gemacht sind. (3) Haben die Parteien bereits die im Berufungsverfahren sie vertretenden Rechtsanwälte namhaft gemacht, so ist die Ladung zur mündlichen Verhandlung an letztere zu richten. [Abs 3 idF StGBl 1919/95; sonst Stammfassung] Lit: Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 480

1 Führt das Vorprüfungsverfahren nicht zur Erledigung, dann hat der Vorsitzende, sofern es eine der Parteien beantragt hat oder der Senat es für erforderlich hält, die Tagsatzung zur mündlichen Berufungsverhandlung auszuschreiben. Die Nichteinhaltung der Einlassungsfrist von vierzehn Tagen ist sanktionslos. Entdeckt der Senat nach der Ausschreibung das Vorliegen eines Zurückweisungsgrundes, dann kann er die Tagsatzung abberaumen und die Berufung zurückweisen (SZ 2/71; unrichtig – ohne nähere Begründung – GlUNF 1385). 1554

§ 482

4.1 Berufung

Hat das Berufungsgericht einen Teil der Berufung mit Beschluss verworfen, muss es aber über den Rest der Berufung verhandeln, dann ist der Beschluss auf Verwerfung der Nichtigkeitsberufung nicht gesondert auszufertigen, sondern in die Entscheidung der Hauptsache aufzunehmen; vor Eingehen in die Verhandlung ist aber dieser Beschluss gem § 545 Abs 2 Geo bekanntzugeben. Abs 3 ist nur ein besonderer Anwendungsfall des § 93 Abs 1. § 481. Zeigt sich schon bei Anberaumung der Tagsatzung die Notwendigkeit, in der Berufungsverhandlung die Wahrheit einzelner in der Berufungsschrift oder in einem vorbereitenden Schriftsatze angeführter Tatsachen, auf welche die Berufung gegründet wird, festzustellen, schon in erster Instanz vorgebrachte Beweise zu wiederholen, zu ergänzen oder bisher bloß angebotene Beweise aufzunehmen, so hat der Vorsitzende des Berufungssenates die namhaft gemachten Zeugen oder die in erster Instanz einvernommenen Sachverständigen zur Berufungsverhandlung vorzuladen, die Parteien behufs ihrer eidlichen Vernehmung zum Erscheinen aufzufordern und die Herbeischaffung aller sonstigen Beweismittel zu veranlassen. [Stammfassung] Lit: Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 481. Hier wird geregelt, welche Ladungen der Vorsitzende zu verfügen hat. 1 Vorbereitungen zu einer Beweisaufnahme in der Berufungsverhandlung wird der Vorsitzende in aller Regel nur im Einvernehmen mit dem Senat, zumindest mit dem Berichterstatter, treffen. Zu den Fragen der Beweiswiederholung s bei § 488, zur Beweisergän- 2 zung bei § 496. Mündliche Berufungsverhandlung § 482. (1) In der Verhandlung vor dem Berufungsgerichte darf mit Ausnahme des Anspruches auf Erstattung der Kosten des Berufungsverfahrens weder ein neuer Anspruch, noch eine neue Einrede erhoben werden. (2) Tatumstände und Beweise, die nach Inhalt des Urteils und der sonstigen Prozessakten in erster Instanz nicht vorgekommen sind, dürfen von den Parteien im Berufungsverfahren nur zur Dartuung oder Widerlegung der geltend gemachten Berufungsgründe 1555

§ 482

Kodek

vorgebracht werden; auf solches neues Vorbringen darf überdies nur dann Rücksicht genommen werden, wenn es vorher im Wege der Berufungsschrift oder der Berufungsbeantwortung (§ 468) dem Gegner mitgeteilt wurde. [Abs 2 erster Halbsatz idF 4. GEN; letzter Halbsatz idF ZVN 1983; sonst Stammfassung] Lit: Fucik, Das Neuerungsverbot im Zivilgerichtsverfahrensrecht, ÖJZ 1992, 425; Fasching, Die Erstellung von Sachverständigengutachten und ihre Bekämpfung im Rechtsmittelverfahren des Zivilprozesses, Sach 1992/1, 11; ders, Die Entwicklung des Neuerungsverbots im zivilgerichtlichen Rechtsmittelverfahren im letzten Jahrzehnt in Österreich, FG Fasching 314; P. Böhm, Was will das Neuerungsverbot? Hintergrund, Funktion und Einfluss auf das Prozessverhalten in erster Instanz, FS 100 Jahre ZPO (1998) 239. Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 482; Bajons Rz 173 f und 201; Ballon Rz 366 und 372 ff; Buchegger, PraktZPR 379 und 384 f; Fasching Rz 1721 ff; Rechberger/Simotta Rz 825 ff und 847.

1 Das Neuerungsverbot – eine Besonderheit des österreichischen Rechtsmittelverfahrens – umfasst sowohl das Verbot, neue Ansprüche und neue Einreden zu erheben, als auch das Verbot, neue Tatsachen und Beweismittel geltend zu machen. Vom gesamten Verbot gibt es nur in bestimmten besonderen Verfahrensarten, vom zweiten Verbot gibt es ganz allgemein „zur Dartuung oder Widerlegung der geltend gemachten Berufungsgründe“ Ausnahmen.

2 Zu den vom Neuerungsverbot ausgenommenen Verfahren s Vor § 461 Rz 4.

3 Nach stRsp können Neuerungen im Sinne des Abs 2 nur zur Dartuung oder Widerlegung der Berufungsgründe der Nichtigkeit oder der Mangelhaftigkeit des Verfahrens vorgebracht werden (JBl 1957, 20; EvBl 1968/95 = JBl 1968, 89; EFSlg 52.214; ecolex 1992, 19 [abl P. Böhm]. Tatsachen und Beweismittel, die jederzeit von Amts wegen wahrzunehmende Umstände – wie die Prozessvoraussetzungen udgl – betreffen, können naturgemäß keinesfalls dem Neuerungsverbot unterliegen (Fasching Rz 1731, P. Böhm zu JBl 1988, 386 [389]; ders zu ecolex 1992, 19 [20]). Zur Rechts- oder Aktenwidrigkeitsrüge kommen Neuerungen schon begrifflich nicht in Frage; Gegenstand der rechtlichen Überprüfung kann immer nur der festgestellte oder trotz entsprechender Behauptung ungeprüft gebliebene Sachverhalt sein; mit neuen Tatsachen oder Beweisen kann die Unrichtigkeit der rechtlichen Beurtei1556

§ 482

4.1 Berufung

lung durch das Erstgericht nicht dargetan werden. Ob eine Aktenwidrigkeit vorliegt, kann nur auf Grund der Aktenlage beurteilt werden (unklar Fasching1 IV 166 f zur unvollständigen Aktenwiedergabe). Strittig kann nur sein, wieweit zur Dartuung oder Widerlegung der Beweisrüge neue Tatumstände und Beweismittel zulässig sind, ob also etwa das Vorbringen zulässig ist, ein als glaubwürdig beurteilter Zeuge sei wegen falscher Beweisaussage verurteilt worden (bejahend P. Böhm, ecolex 1992, 20). Nach P. Böhm (ecolex 1992, 20) kann auch die Vorlage eines Privatgutachtens mit der Berufung zur Untermauerung des Berufungsgrundes der unrichtigen Tatsachenfeststellung und unrichtigen Beweiswürdigung zulässig sein, soweit es darum geht, die zur Klärung der strittigen Tatfrage maßgeblichen Erfahrungssätze in den Prozess einzubringen; das Neuerungsverbot stünde dem nur dann entgegen, wenn nicht bloß das Privatgutachten selbst der neue Umstand ist, sondern die darin enthaltenen fachlichen Ausführungen und Schlussfolgerungen auf solche Tatsachen gegründet oder bezogen wären, die in erster Instanz nicht vorgekommen sind. Sollen neue Beweise zur Widerlegung der getroffenen Feststellungen angeboten werden, steht dem aber jedenfalls das Neuerungsverbot entgegen. Gegen die stRsp spricht der Unterschied zwischen dem Wortlaut des § 482 Abs 2 und jenem des § 504 Abs 2, dafür aber die Erwägung, dass auch im Zuge der Beweisrüge nur zu überprüfen ist, ob das Erstgericht die ihm vorgelegenen Beweisergebnisse nach der Aktenlage schlüssig gewürdigt hat (vgl Petschek/Stagel 367), nicht aber, ob seine Feststellungen mit der objektiven Wirklichkeit übereinstimmen. Folgerichtig räumt die (überwiegende) Rsp der Partei daher die Wiederaufnahmsklage nach § 530 Abs 1 Z 7 für den Fall ein, dass neue Tatsachen und Umstände bekannt werden, die die Glaubwürdigkeit eines Zeugen berühren (ZBl 1927/188) oder sonst geeignet sind, eine wesentliche Änderung der Beweiswürdigung herbeizuführen (SZ 54/191; EvBl 1989/68 = JBl 1988, 793 = EFSlg 57.857 ua), wobei auch Hilfstatsachen in Betracht kommen, aus denen Schlüsse auf eine Haupttatsache gezogen werden können (EFSlg 57.856). S § 530 Rz 15. Voraussetzung für die Berücksichtigung der (zulässigen) Neuerung ist 4 die Geltendmachung in Berufung oder Berufungsbeantwortung. Erstmals in der Berufungsverhandlung vorgetragene Umstände oder Beweismittel sind jedenfalls unbeachtlich (EvBl 1973/2). Auch im Fall der Beweiswiederholung gilt das Neuerungsverbot (SZ 5 22/105; JBl 1960, 433; RdW 1998, 20 ua); anderes gilt für die Beweisergänzung, weil hier das Berufungsgericht funktionell erste Instanz ist (SZ 59/134; RZ 1989/106; EvBl 1991/95 = RZ 1991/79; RdW 1998, 20). 1557

§ 482

Kodek

6 Der Rechtssatz, dass die Verletzung des Neuerungsverbots nicht mittels Revision geltend gemacht werden kann, weil sie keinen Revisionsgrund, insbesondere auch nicht jenen des § 503 Z 2 bildet (JBl 1960, 443 mwN; NZ 1970, 31; 8 Ob 555/85; 9 ObA 40–45/93 uva; Fasching Rz 1733), gilt nur für die Verstöße gegen Abs 2; bejaht hingegen das Berufungsgericht – etwa auf Grund überschießender Feststellungen – einen erstmals im Berufungsverfahren geltend gemachten Anspruch oder eine dort neu erhobene Einrede, so wird dadurch – anders als im Fall der Ergänzung des Verfahrens durch Aufnahme neuer Beweismittel oder durch Feststellung neu behaupteter Tatsachen im Zuge einer Beweisergänzung gem § 496 Abs 3 – die gründliche, dh die richtige Beurteilung der „Streitsache“ iSd § 503 Z 3 gehindert. Ein Verstoß gegen das Neuerungsverbot gem Abs 1 durch das Berufungsgericht kann daher sehr wohl mit Revision geltend gemacht werden (4 Ob 79/99t = SZ 72/ 78 = EvBl 1999/189; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 503 Rz 8 ff). Jedenfalls kann die Verletzung des Neuerungsverbots als einer der – nicht taxativ aufgezählten – Rekursgründe im Rechtsmittel gegen einen Aufhebungsbeschluss geltend gemacht werden (SZ 27/65; JBl 1976, 591; ZVR 1979/169; ÖBl 1985, 24 uva).

7 Das Neuerungsverbot hindert nicht Verfügungen der Parteien über ihre Ansprüche durch Vergleich, Anerkenntnis (3 Ob 255/04b = RdW 2005, 430) oder Verzicht (Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 482 Rz 13); auch ein Geständnis ist zulässig (Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 482 Rz 14 mwN), nicht aber der Widerruf eines Geständnisses (Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 482 Rz 15). Der Rechtsmittelverzicht kann naturgemäß ohne Rücksicht auf das Neuerungsverbot behauptet werden (s bei § 472).

8 Da das Neuerungsverbot von Amts wegen zu beachten ist, kommt es auf eine Rüge des Rechtsmittelgegners nicht an (ZBl 1918/255).

9 Neue rechtliche Gesichtspunkte verstoßen nicht gegen das Neuerungsverbot (JBl 1952, 16 ua); dabei muss aber das bisherige tatsächliche Vorbringen zugrunde gelegt werden (SZ 30/34; MietSlg 38.776; 3 Ob 168/02f = NZ 2003, 281 ua; Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 482 Rz 18 ff).

10 Nach der Rsp liegt eine unzulässige Neuerung ua vor, wenn die Nichtaufnahme von Beweisen gerügt wird, die nur der Gegner beantragt hat (Rsp 1923, 153 [abl Wahle]); wenn erstmals in der Berufung geltend gemacht wird, dass das Begehren mangelhaft gefasst und nicht schlüssig begründet sei (ZBl 1923/185 [zweifelhaft, weil die mangelnde Be1558

§ 482

4.1 Berufung

stimmtheit des Begehrens nach stRsp (s § 226 Rz 7) von Amts wegen zu beachten ist und rechtliche Ausführungen auf der erstinstanzlichen Tatsachengrundlage nicht dem Neuerungsverbot unterliegen (s Fasching Rz 1731)]); ein Handelsbrauch (RZ 1954, 15), ein Formmangel einer letztwilligen Verfügung (JBl 1987, 111) oder Verletzung über die Hälfte (SZ 19/278) vorliege oder dass eine Partei bei Vertragsschluss minderjährig gewesen sei (GlUNF 6292) udgl. Bestreitet die beklP erst im Rechtsmittelverfahren das vom Kläger behauptete Zustandekommen einer Gerichtsstandsvereinbarung, verstößt es nicht gegen das Neuerungsverbot, wenn der Kläger auch erst daraufhin die entsprechende Urkunde vorlegt (JBl 1996, 795 [insoweit zust Matscher]; Fucik, ÖJZ 1992, 427). Auch die Einrede der Verjährung wegen nicht gehöriger Fortsetzung 11 des Berufungsverfahrens unterliegt dem Neuerungsverbot (2 Ob 574/ 95 = EvBl 1996/60). Die ggt Meinung Pimmers (in Fasching/Konecny IV/1 § 482 Rz 23) erscheint systemwidrig, hat doch das Berufungsgericht die Richtigkeit des Ersturteils zu überprüfen. Ob die nicht gehörige Fortsetzung des Berufungsverfahrens überhaupt zur Verjährung führt – und demnach mit Oppositionsklage nach § 35 EO geltend gemacht werden kann (2 Ob 574/95 = EvBl 1996/60) –, ist überdies zu bezweifeln: Ein noch so langes Ruhen des Berufungsverfahrens hat für die Entscheidung dann, wenn mangels Verfahrensfehlers auf der Grundlage der erstrichterlichen Verfahrensergebnisse und Feststellungen entschieden wird, keine Bedeutung. Der Zweck der Verjährungsvorschriften liegt aber vor allem darin, Beweisschwierigkeiten wegen Zeitablaufs hintanzuhalten. Wird hingegen die Entscheidung erster Instanz aufgehoben, dann kann im fortgesetzten Verfahren ohnehin die Verjährungseinrede erhoben werden (M. Bydlinski in Rummel, ABGB3 § 1501 Rz 1). Würde der Verjährungseinwand im Berufungsverfahren zugelassen, dann hätte das Berufungsgericht nicht bloß nach der Aktenlage das prozessuale Verhalten des Klägers zu beurteilen (so offenbar Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 482 Rz 23), sondern müsste in aller Regel auf Grund entsprechenden Vorbringens des Klägers Beweise über die einer Verjährung entgegenstehenden Umstände (wie etwa Vergleichsgespräche udgl) aufnehmen. Auf eine Änderung der Rechtslage hat das Rechtsmittelgericht Bedacht 12 zu nehmen, sofern die neuen Bestimmungen nach ihrem Inhalt auf das umstrittene Rechtsverhältnis anzuwenden sind (EvBl 1977/219 = EFSlg 30.072/2; SZ 68/6 = EvBl 1995/94 = ecolex 1995, 350 = ÖBl 1995, 163 = RdW 1995, 263; 4 Ob 180/99w, 202/99t = ÖBl 2002, 72 uva), insb sind zwingende rechtliche Vorschriften zu beachten (JBl 1947, 243; s Fa1559

§ 483

Kodek

sching Rz 1533 und 1731). Das gilt auch dann, wenn der zu beurteilende Sachverhalt bereits vor In-Kraft-Treten des neuen Rechts verwirklicht wurde. Auf neue Rechtsausführungen ist auch dann Bedacht zu nehmen, wenn das erforderliche Sachsubstrat in erster Instanz nicht vorgebracht wurde, aber mit Rücksicht auf die bei Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz maßgebliche Rechtslage auch noch nicht vorgebracht werden musste (SZ 69/238 = EvBl 1997/71 = ÖBl 1997, 180 = wbl 1997, 34). Zum ausländischen Recht s bei § 271. § 483. (1) In der mündlichen Verhandlung dürfen die Berufungsanträge ohne Einwilligung des Gegners weder erweitert, noch durch andere ersetzt werden. Das Gleiche gilt von den in der Berufungsschrift angegebenen Berufungsgründen. (2) Diese Einwilligung ist als vorhanden anzusehen, wenn der anwesende Gegner, ohne gegen die Änderung Einsprache zu erheben, über die abgeänderten Anträge oder über die neu geltend gemachten Berufungsgründe verhandelt. (3) Bis zum Schluss der mündlichen Berufungsverhandlung oder, in den Fällen des § 492, bis zur Entscheidung des Berufungsgerichtes (§ 416 Abs 2) können die Parteien vereinbaren, dass das Verfahren ruhen solle (§§ 168 bis 170). Bis zum gleichen Zeitpunkt kann auch die Klage, soweit sie Gegenstand des Berufungsverfahrens ist, zurückgenommen werden, wenn der Beklagte zustimmt oder wenn gleichzeitig auf den Anspruch verzichtet wird; im Umfang der Zurücknahme der Klage wird das angefochtene Urteil wirkungslos; dies hat das Berufungsgericht mit Beschluss festzustellen. (4) Eine Änderung der dem angefochtenen Urteile zu Grunde liegenden Klage ist selbst mit Einwilligung des Gegners nicht zulässig. [Abs 3 eingefügt durch ZVN 1983, bisheriger Abs 3 wurde zum Abs 4] Lit: Knoll, Aus dem Rechtsalltag des Außerstreit- und Familienrichters, RZ 1992, 271. Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 483; Buchegger, PraktZPR 384; Fasching Rz 1250; Rechberger/Simotta Rz 847.

1 Sofern der Berufungsgegner zustimmt, können die Berufungsanträge und die Berufungsgründe in der mündlichen Berufungsverhandlung erweitert und ersetzt werden. Das gilt aber dann nicht, wenn dadurch die Grenzen der – von Amts wegen zu beachtenden – (Teil-) Rechts1560

§ 483

4.1 Berufung

kraft (§§ 462, 466) durchbrochen würden (JBl 1957, 322; EvBl 1959/186 = JBl 1959, 184). Stimmt der Gegner zu, dann kann in der Verhandlung auch die in der Berufungsschrift fehlende Rechtsrüge nachgeholt werden; widerspricht der Gegner, ist dies unmöglich (GlUNF 6410). War aber in der Berufungsschrift eine Rechtsrüge enthalten, dann kann der Berufungswerber ohne jede Beschränkung neue rechtliche Gesichtspunkte vortragen (GlUNF 3744; GlUNF 4197). Zu beachten ist freilich die mögliche Beschränkung der Rechtsrüge auf bestimmte Ansprüche oder Anspruchsteile (s § 471 Rz 9). Eine Einschränkung der Berufungsanträge und -gründe ist jederzeit möglich. Die Einwilligung kann – wie jene zur Klageänderung (§ 235 Abs 2 letz- 2 ter Satz) – auch stillschweigend, durch Verhandeln über das geänderte Rechtsmittel, geschehen. Ist der Gegner abwesend, kommt eine solche Einwilligung begrifflich nicht in Frage (Fasching1 IV 171). Seit der ZVN 1983 können die Parteien auch im Berufungsverfahren 3 Ruhen vereinbaren. Gem § 513 ist dies auch im Revisionsverfahren (bis zur Entscheidung in der nichtöffentlichen Sitzung) möglich. Die Hauptpartei kann wirksam Ruhen vereinbaren, ohne auf den Kostenersatzanspruch des ihr beigetretenen Nebenintervenienten Rücksicht zu nehmen (NRsp 1989/158 = RZ 1989/94). Die Klage kann seit der ZVN 1983 im Berufungsverfahren zurückge- 4 nommen werden, aber – wie in erster Instanz nach Eintritt der Streitanhängigkeit (§ 237 Abs 1) – nur mit Zustimmung des Beklagten oder bei Verzicht auf den Anspruch (das ist gem § 513 auch im Revisionsverfahren möglich). Ob der Kläger oder der Beklagte die Berufung erhoben hat, ist gleichgültig. Voraussetzung ist, dass über die zurückgenommene Klage (den zurückgenommenen Teilanspruch) mit Urteil des Erstgerichts bereits abgesprochen, dieser Ausspruch aber angefochten wurde; nach der rechtskräftigen Erledigung eines Ausspruchs gibt es keine Rücknahme (Fasching Rz 1250). Nach EvBl 1992/149 (= JBl 1992, 724 = NRsp 1992/148) kann der Kläger, solange er im Berufungsverfahren die Klage zurücknehmen könnte, auch die Klage einschränken, ohne dabei an die Voraussetzungen der Klagerücknahme (Zustimmung des Gegners oder Verzicht) gebunden zu sein. Diese auch später wiederholte Auffassung (1 Ob 38/02y = EvBl 2002/193) begegnet freilich Bedenken. Der Beklagte ist dann nämlich der Gefahr ausgesetzt, dass der Kläger, der einen Teil seines Begehrens im Berufungsverfahren wegen Aussichtslosigkeit zunächst fallen lässt, diesen Anspruch dann doch wieder gegen ihn neuerlich mit Klage geltend macht (so auch Zechner in Fa1561

§ 483a

Kodek

sching/Konecny IV/1 § 504 Rz 32; aM Pimmer in Fasching/Konecny IV/ 1 § 483 Rz 21, der die Meinung vertritt, einer neuen Klage stünde das abweisende erste Urteil auch dann entgegen, wenn es für unwirksam erklärt wurde). Auch der Auffassung, im Berufungsverfahren sei eine Einschränkung auf Kosten zulässig (OLG Linz RZ 1994/17), ist nicht zu folgen. Das zur Begründung angeführte Bedürfnis des Klägers, einer (durch nachträgliche Zahlung odgl) weggefallenen Beschwer Rechnung zu tragen, ist im Hinblick auf § 50 Abs 2 nicht mehr vorhanden; die Verhinderung einer „vom Prozesszweck her gegenstandslos gewordenen Entscheidung“ bringt keine Entlastung des Berufungsgerichts, hat es doch zwecks Entscheidung über das Kostenbegehren zu prüfen, wie das Verfahren ohne den zur Einschränkung führenden Umstand ausgegangen wäre (so nun 7 Ob 200/99h, dem zust Zechner in Fasching/ Konecny IV/1 § 504 Rz 30). § 483 Abs 3 idF ZVN 1983 gilt auch im Abstammungs- und Vaterschaftsfeststellungsverfahren (Knoll, RZ 1992, 272 f), soweit die Klage schon vor dem 31.12.2004 erhoben wurde (s Vor § 461 Rz 4d). Diese Bestimmung ist – zufolge § 513 – auch im Revisionsverfahren anzuwenden (ÖJZ-LSK 1996/178).

5 Das Berufungsgericht hat mit Beschluss festzustellen, dass das angefochtene Urteil im Umfang der Klagerücknahme wirkungslos geworden ist. Dieser Beschluss ist analog § 519 Abs 1 Z 1 anfechtbar (Fasching Rz 1250). § 483 Abs 3 ist nach OLG Wien EvBl 1991/183 insoweit teleologisch zu reduzieren, als das erstinstanzliche klageabweisende Urteil nur in der Hauptsache wirkungslos wird, während der Kostenausspruch – aus dem Grunde des § 237 Abs 3 – wirksam bleibt (aM Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 483 Rz 17; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 513 Rz 2; 3 Ob 2149/96t). § 483 Abs 3 gilt analog auch für die Rücknahme von Sicherungsanträgen – ohne Zustimmung und ohne Verzicht – im Rekursverfahren (EvBl 1988/41 = ÖBl 1989, 61).

6 Nach stRsp sind Klageveränderungen im Berufungsverfahren unzulässig (SZ 49/2 = JBl 1976, 545 = RZ 1976/70 uva). Auch ein Zwischenantrag auf Feststellung kann nicht mehr gestellt werden (EvBl 1962/ 169). Eine Einschränkung auf Kostenersatz ist selbst mit Zustimmung des Gegners nicht mehr möglich (JBl 1956, 182 = MietSlg 4845; MietSlg 33.647 ua). S aber Rz 4. § 483a. (1) In Ehesachen (§ 49 Abs 2 Z 2a JN) gilt § 483 Abs 3 letzter Satz mit der Maßgabe sinngemäß, dass der Kläger die Klage auch nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung bis zur 1562

§ 483a

4.1 Berufung

Rechtskraft des Urteils mit Zustimmung des Beklagten zurücknehmen kann. (2) Im Verfahren über die Nichtigerklärung oder die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer Ehe sind die §§ 482 sowie 483 Abs 1, 2 und 4 nicht anzuwenden. [Eingefügt durch Art VI Z 3 BGBl 1983/566, Abs 1 idF Art II BGBl 1985/70; Klammerzitat in Abs 1 idF ZVN 2004] Lit: Knoll, Aus dem Rechtsalltag des Außerstreit- und Familienrichters, RZ 1992, 271. Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 483a; Fasching Rz 2336 f. Im Unterschied zu § 483 Abs 3 kann die Scheidungsklage auch nach 1 dem Schluss der mündlichen Verhandlung bis zur Rechtskraft des Urteils zurückgenommen werden, aber nur, wenn der Beklagte zustimmt. Eine Rücknahme ohne solche Zustimmung, nur mit Verzicht auf den Anspruch, ist hingegen nicht möglich (SZ 59/12 = EFSlg 52.218, welche die frühere gegenteilige, auf Novak, Amtswegigkeit 45 f, gestützte Rsp [s Fasching Rz 1255; SpR 44 neu = SZ 29/17 = EvBl 1956/ 111 = JBl 1956, 236 = RZ 1956, 78 ua] ausdrücklich ablehnt). Im Hinblick auf diese Rechtslage kann im Ehescheidungs- und Eheaufhebungsverfahren auch die voll obsiegende Partei gegen die Entscheidung Rechtsmittel ergreifen, weil sie ja bis zur Rechtskraft des Urteils die Klage zurücknehmen und so die Ehe aufrecht erhalten kann (Fasching Rz 2366; AnwBl 1992, 318 = EFSlg 66.559 = JUS 1991, 877 = NRsp 1991, 182; 6 Ob 216/00h = JBl 2001, 324). Aus diesem Grund ist die Ankündigung oder Erklärung der Klagerücknahme in der Berufung keine Voraussetzung für die Bejahung der Beschwer des Klägers für seine Berufung (6 Ob 16/00b). Ist der Ausspruch über die Scheidung und ein – zumindest teilweises – Verschulden rechtskräftig geworden, dann kann die Klage nicht mehr zurückgenommen werden; in diesem Fall sind auch beiderseitige Klagerücknahmeerklärungen wirkungslos (EvBl 1987/111 = JBl 1987, 519 = EFSlg 52.220/7). Im Hinblick auf die Amtswegigkeit des Verfahrens über die Nichtigkeit 2 und die Feststellung des (Nicht-)Bestehens der Ehe kommen hiefür die Vorschriften über das Neuerungsverbot, die nur beschränkt zulässige Erweiterung von Berufungsanträgen und -gründen (§ 483 Abs 1 und 2) und die Unzulässigkeit von Klageänderungen (§ 483 Abs 4) nicht zur Anwendung. Zur Frage, ob § 460 Z 10 im Berufungsverfahren anzuwenden ist, s Knoll (RZ 1992, 271). 1563

§ 484

Kodek

§ 484. (1) Die Zurücknahme der Berufung ist bis zum Schlusse der mündlichen Berufungsverhandlung zulässig. Sie kann bei der mündlichen Verhandlung erklärt werden oder mittels Überreichung eines Schriftsatzes beim Berufungsgericht erfolgen. Wird der Schriftsatz noch vor Beginn der mündlichen Berufungsverhandlung überreicht, so kann der Vorsitzende des Senates als Einzelrichter anordnen, dass es von der anberaumten Tagsatzung abzukommen habe. (2) Die Zurücknahme hat nebst dem Verluste des Rechtsmittels auch die Verpflichtung zur Folge, die durch das Rechtsmittel entstandenen und insbesondere auch alle hiedurch dem Gegner verursachten Kosten zu tragen. (3) Über die Verpflichtung zum Kostenersatze ist vom Berufungsgerichte, wenn aber der Vorsitzende des Senates angeordnet hat, dass es von der anberaumten Tagsatzung abzukommen habe (Abs 1), vom Vorsitzenden als Einzelrichter durch Beschluss zu entscheiden. Im ersten Falle kann die Festsetzung des Kostenbetrages einem Senatsmitglied übertragen werden. Der Antrag ist bei sonstigem Ausschluss bei der mündlichen Berufungsverhandlung, wenn aber eine solche nicht abgehalten worden ist, binnen einer Notfrist von vier Wochen nach Verständigung des Berufungsgegners von der Zurücknahme der Berufung durch das Gericht zu stellen. [Abs 1 Satz 3 und Abs 3 Sätze 1 und 2 idF Art VI 1. GEN; letzter Satz idF ZVN 1983] Lit: Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 484.

1 Die Berufung kann ab ihrer Erhebung bis zum Schluss der Berufungsverhandlung, mangels einer solchen bis zur Entscheidung des Berufungsgerichtes (§ 416 Abs 2) zurückgenommen werden. Die nachher erfolgende Rücknahme ist unwirksam (EvBl 1991/112 = RZ 1991/78). Die Rücknahme muss gegenüber dem Gericht, in der Verhandlung zu Protokoll, sonst mittels Schriftsatzes, erklärt werden. Solange sich der Akt noch beim Erstgericht befindet, ist ihm gegenüber die Rücknahme zu erklären, nach der Vorlage des Rechtsmittelaktes ist die Rücknahme an das Berufungsgericht zu richten (RZ 1991/78).

2 Die Berufung des (einfachen) Nebenintervenienten kann auch von der Hauptpartei, der er beigetreten ist, zurückgenommen werden (§ 19 Abs 1; Fasching1 IV 174).

3 Der einverständliche Verzicht auf Fällung einer Entscheidung über die Berufung steht der Berufungsrücknahme gleich (SZ 21/8). Eine Berufungsrücknahme wird im Fall des § 60 Abs 3 (Nichterlag der aktori1564

§ 485

4.1 Berufung

schen Kaution) fingiert. Die unaufgefordert abgegebene Erklärung des Masseverwalters, in einen Passivprozess nicht einzutreten, ist als Zurücknahme der vom Gemeinschuldner vor Konkurseröffnung erhobenen Berufung anzusehen (GlUNF 7634). Nach der Rsp bedarf die Rechtsmittelrücknahme nicht der – be- 4 schlussmäßigen – Kenntnisnahme durch das Gericht; ein dennoch gefasster Beschluss soll nicht anfechtbar sein (EvBl 1967/387 = JBl 1968, 94 = Arb 8337; krit Fasching1 IV 24 Anm 21, offenbar bejahend aber Fasching1 IV 175 Anm 2). Mit der Rücknahme der Berufung wird das Urteil rechtskräftig und – 5 soweit die Leistungsfrist abgelaufen ist – vollstreckbar (GlUNF 3032). Ein späteres, noch in der Rechtsmittelfrist eingebrachtes Rechtsmittel ist unzulässig, da die Rücknahme den Verlust des Rechtsmittels (§ 484 Abs 2) zur Folge hat; es liegt damit Unzulässigkeit wegen Verzichtes (§ 471 Z 2, § 472) vor. Der Berufungswerber muss nach der Rücknahme dem Gegner die Kos- 6 ten des Berufungsverfahrens ersetzen; darüber entscheidet das Gericht, an das die Rücknahme zu richten war, also das Erst- oder das Berufungsgericht (s Rz 1). Letzteres entscheidet außerhalb der Berufungsverhandlung durch den Vorsitzenden allein, bei Rücknahme in der Berufungsverhandlung durch den Senat, wobei freilich die Kostenbestimmung einem einzelnen Mitglied übertragen werden kann. Die Kosten müssen – mittels Vorlage eines Verzeichnisses (§ 54 Abs 1) – ausdrücklich und fristgerecht verlangt werden, und zwar in der Berufungsverhandlung, mangels einer solchen innerhalb von vier Wochen nach Verständigung von der Rücknahme. Die für die Zurücknahme der Berufung geltenden Grundsätze sind auch 7 auf die Zurücknahme von Rekursen (jedenfalls) gegen Entscheidungen über Rechtsschutzbegehren anzuwenden. Eine Rücknahme unter Vorbehalt des Widerrufs, umsomehr auch der Widerruf selbst, sind unwirksam (6 Ob 182/98b = RdW 1999, 146). § 485. Die Verhandlung über die Berufung gegen ein Urteil, dessen Ergänzung gemäß § 423 beantragt wurde, kann auf Antrag ausgesetzt werden, bis entweder das Ergänzungsurteil ohne Berufung in Rechtskraft erwachsen oder auch die Berufung gegen das Ergänzungsurteil an das Berufungsgericht gelangt ist. Im letzteren Fall ist die Verhandlung über beide Berufungen zu verbinden. [Abs 2 aufgehoben durch Art IV 4. GEN] 1565

§ 486

Kodek

Lit: Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 485; Fasching Rz 1441.

1 Hat eine Partei einen Ergänzungsantrag (§ 423) gestellt, dann hemmt dieser nicht den Lauf der Berufungsfrist (§ 424). Wohl aber kann jede Partei den Antrag an das Berufungsgericht stellen, die Verhandlung über die Berufung „auszusetzen“, also das Verfahren zu unterbrechen. Ein solcher Beschluss des Berufungsgerichtes ist unanfechtbar (§ 519). Zweckmäßigerweise wird das Berufungsgericht einem solchen Antrag dann stattgeben, wenn die Unvollständigkeit des Urteils auch in der Berufung geltend gemacht wurde (§ 496 Abs 1 Z 1) oder wenn sonst ein innerer Sachzusammenhang zwischen dem angefochtenen und dem vom Ergänzungsantrag betroffenen Teil des Klageanspruches besteht. § 486. (1) Die mündliche Berufungsverhandlung beginnt nach dem Aufrufe der Sache mit dem Vortrage eines Mitgliedes des Berufungssenates als Berichterstatter. (2) Derselbe hat mit Hilfe der Prozessakten den Sachverhalt und den bisherigen Gang des Rechtsstreites, soweit dies zum Verständnisse der Berufungsanträge und zur Prüfung der Nichtigkeit des angefochtenen Urteiles und der Berufungsgründe erforderlich ist, dann das Wesentliche der von den Parteien im Berufungsverfahren erstatteten Schriften darzulegen und die sich daraus ergebenden Streitpunkte zu bezeichnen. Der Vortragende darf seine Ansicht über die zu fällende Entscheidung nicht äußern. (3) Sodann sind die Anträge der Parteien und der durch die Berufung getroffene Teil des erstrichterlichen Urteiles samt den Entscheidungsgründen, und wenn es der Vorsitzende oder der Berufungssenat für zweckdienlich erachten, auch die bezüglichen Teile des Verhandlungsprotokolles erster Instanz durch den Schriftführer vorzulesen. (4) Hierauf werden die Parteien mit ihren Vorträgen gehört. Stimmt der Vortrag einer Partei mit dem Inhalte der Prozessakten nicht überein, so hat der Vorsitzende darauf aufmerksam zu machen. [Stammfassung] Lit: Kossak, Vorsitzender und Berichterstatter im Berufungs- und Rekursverfahren, RZ 1994, 102. Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 486; Fasching Rz 1805; Rechberger/Simotta Rz 847.

1 Hier wird der Ablauf der mündlichen Berufungsverhandlung geregelt; ein Verstoß dagegen kann – aber nur dann, wenn er erfolglos gerügt 1566

§ 488

4.1 Berufung

wurde (§ 196) und durch ihn die erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung behindert wurde – den Revisionsgrund des § 503 Z 2 bilden. Der Berichterstatter hat alles vorzutragen, was für die Berufungsentscheidung (und das Verständnis der Berufungsanträge) erforderlich ist. Auf die im Abs 2 vorgesehene Verlesung von Aktenteilen wird in der Regel verzichtet werden, weil diese den Parteienvertretern bekannt sind. Eine ausdrückliche Vorschrift, dass der Vorsitzende nicht gleichzeitig Berichterstatter sein darf, besteht nicht; dies ließe sich nur allenfalls aus den Regeln über die Reihenfolge der Abstimmung (§ 10 Abs 2 JN) ableiten (vgl SSt 34/50; EvBl 1975/232 ua zur inhaltsgleichen Bestimmung des § 19 Abs 2 StPO). Da aber § 486 (ebenso wie die entsprechenden Bestimmungen über den Senatsprozess erster Instanz oder das Revisionsverfahren) keine Besetzungsvorschrift ist, bildet die Ausübung der Berichterstatterfunktion durch den Vorsitzenden nicht den Nichtigkeitsgrund nach § 477 Abs 1 Z 2 (Fasching1 IV 179 f; 1 Ob 518/51; 1 Ob 10/93 = SZ 66/97 = JBl 1994, 185). Die Parteienvertreter haben ihre Rechtsmittelschriften vorzutragen; sie dürfen sie nicht ablesen (§ 177); selbstverständlich können sie auch auf ihre schriftlichen Ausführungen verweisen. Im Verfahren nach dem ASGG darf kein Laienrichter zum Berichterstatter bestellt werden; dasselbe gilt in Handelssachen. § 487. Aufgehoben durch Art II Z 6 BGBl 1933/554 § 488. (1) Der Berufungssenat kann nicht bloß die zur Unterstützung oder Bekämpfung der Berufungsgründe dienenden Beweise aufnehmen, sondern, wenn dies behufs Entscheidung über die Berufungsanträge notwendig erscheint, auch eine bereits in erster Instanz erfolgte Beweisaufnahme wiederholen oder ergänzen, und im erstrichterlichen Verfahren von den Parteien erfolglos angebotene Beweise nachträglich aufnehmen. (2) Der Berufungssenat kann im letzteren Falle, sowie wenn ein Augenschein ergänzt werden soll, das Beweisverfahren nach den für dasselbe in erster Instanz geltenden Vorschriften selbst durchführen oder die Beweisaufnahme durch einen beauftragten oder ersuchten Richter vornehmen lassen. (3) Wurde in erster Instanz ein Sachverständigenbeweis geführt, so kann der Berufungssenat denselben unter Bestellung anderer Sachverständiger neuerlich vornehmen lassen. (4) Erwägt das Berufungsgericht von den Feststellungen des Erstgerichts abzuweichen, so darf es nur dann von der neuerlichen 1567

§ 488

Kodek

Aufnahme eines in erster Instanz unmittelbar aufgenommenen Beweises Abstand nehmen und sich mit der Verlesung des Protokolls hierüber begnügen, wenn es vorher den Parteien bekanntgegeben hat, dass es gegen die Würdigung dieses Beweises durch das Erstgericht Bedenken habe, und ihnen Gelegenheit gegeben hat, eine neuerliche Aufnahme dieses Beweises durch das Berufungsgericht zu beantragen. [Abs 4 angefügt durch WGN 1989, sonst Stammfassung] Lit: Bajons, Beweiswiederholung und Verfahrensergänzung in der Berufungsinstanz, FS Fasching 19; Fasching, Die Erstellung von Sachverständigengutachten und ihre Bekämpfung im Rechtsmittelverfahren des Zivilprozesses, Sach 1992/1, 11. Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 488; Bajons Rz 202; Ballon Rz 375; Buchegger, PraktZPR 385; Fasching Rz 1807 ff; Rechberger/ Simotta Rz 838 und 847.

1 Beweisaufnahmen des Berufungssenates kommen in Frage: a) zur Prüfung der geltend gemachten Berufungsgründe, also etwa einer geltend gemachten Mangelhaftigkeit; b) bei Bedenken gegen die Beweiswürdigung der ersten Instanz; c) bei Ergänzung des mangelhaft gebliebenen Verfahrens, sei es, dass prozessordnungswidrigerweise Beweise nicht aufgenommen wurden (primäre Mängel), sei es, dass rechtlich erhebliche Feststellungen unterblieben sind (sekundäre Mängel).

2 Hat das Berufungsgericht auf Grund des Akteninhalts Bedenken gegen die – angefochtene – Beweiswürdigung, dann muss es die Beweise in der Weise aufnehmen, wie es das Erstgericht getan hat. Hat dieses die Beweise unmittelbar aufgenommen, dann muss das Berufungsgericht grundsätzlich dasselbe tun; andernfalls kann es sich – gleich dem Erstgericht – mit der Verlesung begnügen (6 Ob 2100/96h = SZ 70/179; 1 Ob 189/03f = EvBl 2004/110). Die Beweiswiederholung durch Verlesung des Protokolls über die unmittelbaren Beweisaufnahmen in erster Instanz – die nach § 281a Z 1 schon immer dann zulässig ist, wenn keine der Parteien die unmittelbare Beweisaufnahme verlangt – setzt (seit der WGN 1989) die Bekanntgabe an die Parteien voraus, dass ein Abweichen von den Feststellungen der ersten Instanz erwogen wird. Auch wenn in einem solchen Fall sich keine Partei gegen die bloße Verlesung ausspricht, ist sie doch dort, wo Beweise über Umstände aufzunehmen sind, die nur durch den persönlichen unmittelbaren Eindruck des Berufungssenats ermittelt werden können, unzulässig (JUS Z 201; Bajons, FS Fasching 49 f). Ob im Wege einer Beweisaufnahme durch bloße Ver1568

§ 488

4.1 Berufung

lesung eine verlässliche Überprüfung der Beweiswürdigung möglich ist, ist freilich nach mehreren Entscheidungen selbst eine Frage der Beweiswürdigung (EvBl 1985/70; EFSlg 49.405, 55.107 ua; aM Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 488 Rz 17; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 503 Rz 154). Auch bei einander widersprechenden Feststellungen des Erstgerichts ist eine Beweiswiederholung erforderlich (SZ 46/7 = RZ 1973/64). Abs 4 soll eine Überrumpelung der Parteien hintanhalten. Die Mittei- 3 lung nach Abs 4 muss so gestaltet sein, dass den Parteien klar wird, welche Feststellung für bedenklich gehalten wird (1 Ob 17/99d = SZ 72/ 129; Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 488 Rz 13). Gegen diese Bestimmung verstößt das Berufungsgericht auch dann, wenn es zwar die für einen Prozessstandpunkt sprechenden Beweise unmittelbar aufnimmt, sich jedoch mit der Verlesung der für den anderen Standpunkt sprechenden Aussagen begnügt (RZ 1991/20). Auch vom Erstgericht unterlassene Feststellungen können nur nach 4 einer Beweiswiederholung (oder -ergänzung) getroffen werden (GlUNF 3165; EvBl 1958/219; SZ 25/46; JBl 1968, 368 ua). Bei Beweisergänzungen kommt § 281a (ohne die Beschränkung nach § 488 Abs 4) zur Anwendung (Bajons, FS Fasching 50 mwN; unzutr daher 7 Ob 546/92 = RZ 1993/91). Die in Abs 4 vorgesehene Bekanntgabe kommt nach dem klaren Gesetzeswortlaut nur im Fall einer Beweiswiederholung, nicht aber bei einer Beweisergänzung in Betracht (3 Ob 235/01g; 3 Ob 158/ 03m; 3 Ob 68/04b; Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 488 Rz 10). Die Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung nur zu dem Zweck, mittelbar aufgenommene Beweise (neuerlich) zu verlesen, um ergänzende Feststellungen zu treffen, ist entbehrlich, erstreckt sich doch das in erster Instanz von den Parteien mit dieser Art der Beweisaufnahme erklärte Einverständnis auch auf das Berufungsverfahren (1 Ob 189/03f = EvBl 2004/110 unter Ablehnung der vor Einführung des Abs 4 ergangenen Entscheidung SZ 59/6). Nur für die Beweiswiederholung gilt das Neuerungsverbot, nicht aber 5 für die Beweisergänzung (s § 482 Rz 5). Für den Sachverständigenbeweis wird der Unmittelbarkeitsgrundsatz 6 dahin gelockert, dass das Berufungsgericht auch einen anderen Sachverständigen als das Erstgericht bestellen kann. Ein Sachverständigenbeweis kann auch von Amts wegen – etwa zur Klärung einer gerügten Feststellung – beschlossen werden (Fasching1 IV 189; Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 488 Rz 24). 1569

§ 489

Kodek

7 Der Streitfrage, ob die Parteien auf die unmittelbare Beweisaufnahme durch das Berufungsgericht verzichten können (bejahend Fasching1 IV 189 Anm 7; verneinend: ZBl 1930/237; JBl 1953, 659; SZ 38/74 = RZ 1965, 147) kommt seit der ZVN 1983 im Hinblick auf § 281a und – seit der WGN 1989 – auf § 488 Abs 4 keine Bedeutung mehr zu, weil mangels Widerspruchs der Parteien – allerdings nach entsprechender Belehrung durch das Berufungsgericht (Abs 4) – das Gericht zweiter Instanz die erstinstanzlichen Protokolle verlesen kann (1 Ob 17/99b = EvBl 2000/26; aM Bajons, FS Fasching 50). § 489. (1) Aufgehoben (2) Wird vom Berufungssenate die neuerliche eidliche Einvernehmung einer bereits in erster Instanz eidlich abgehörten Partei angeordnet, so ist dieselbe unter Erinnerung an den in erster Instanz abgelegten Eid zu vernehmen. (3) Das Berufungsgericht kann die eidliche Vernehmung einer Partei, welche in erster Instanz die Vernehmung oder die eidliche Aussage verweigert hat, nur dann anordnen, wenn es die Überzeugung gewonnen hat, dass die Partei genügende Gründe hatte, die Vernehmung zu verweigern, und dass diese Gründe seither weggefallen sind. [Abs 1 aufgehoben durch ZVN 1983; sonst Stammfassung] Lit: Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 489; Fasching Rz 1809.

1 Seit der ZVN 1983 kann auch die in erster Instanz nicht beeidete Partei im Berufungsverfahren unter Eid vernommen werden. Auch beide Parteien können – seit der Änderung des § 377 Abs 2 durch die ZVN 1983 – beeidet werden (669 BglNR 15. GP zu § 377 idF ZVN 1983; Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 489 Rz 3; gegenteilig ohne Begründung Fasching Rz 1809). Im Übrigen gelten die Vorschriften für die Parteienvernehmung in erster Instanz (§§ 371 bis 381). Der beeideten Parteienvernehmung kommt in der Praxis kaum Bedeutung zu; andererseits hat die Parteienvernehmung – was nun auch der Gesetzgeber anerkennt – große Bedeutung für die Wahrheitsfindung. § 490. Das Berufungsgericht hat auf Antrag noch vor Entscheidung über die Berufung durch Beschluss auszusprechen, inwieweit das Urteil der unteren Instanz als nicht angefochten zur Exekution 1570

§ 491

4.1 Berufung

geeignet ist. Gegen diesen Beschluss ist ein abgesondertes Rechtsmittel nicht zulässig. [Stammfassung] Lit: Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 490. Diese – nur auf Leistungsurteile anwendbare (8 Ob 342/97w = EFSlg 1 85.330; 1 Ob 107/98m = MietSlg 50.791) – Bestimmung ergänzt die §§ 462, 466 über die Teilrechtskraft. Solange der Akt nach Einlangen der Berufung beim Erstgericht liegt, wird dieses in der Regel den Umfang der eingetretenen Rechtskraft beurteilen können. In manchen Fällen kann das aber zweifelhaft sein (vgl § 84 Abs 3). Auf Antrag einer Partei – und zwar jener, die zur Exekutionsführung berechtigt ist (GlUNF 2912; MietSlg 50.791) – hat das Berufungsgericht mit Beschluss über den Umfang der Rechtskraft abzusprechen. Ist das Revisionsverfahren noch anhängig, hat – zufolge § 513 – der OGH diesen Ausspruch zu machen (1 Ob 107/98m). Der letzte Satz bildet insofern eine Ausnahme von der Grundregel des § 519, als hier der Beschluss des Berufungsgerichtes – verbunden (§ 515) – anfechtbar ist. § 491. Im Fall des Ausbleibens einer Partei ist über die Berufung dennoch zu verhandeln und mit Berücksichtigung des in der Berufungsschrift und einer etwa erstatteten Berufungsbeantwortung Vorgebrachten zu entscheiden. Ob ein neues Vorbringen (§ 482 Abs 2) als zugestanden oder als bestritten anzusehen sei, hat das Berufungsgericht unter Berücksichtigung des angefochtenen Urteiles und aller sonstigen Prozessakten erster und zweiter Instanz zu entscheiden. [Satz 1 idF ZVN 1983; Satz 2 idF Art IV 4. GEN] Lit: Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 491. Seit der ZVN 1983 kann auch Ruhen des Berufungsverfahrens eintreten 1 (§ 483 Abs 3). Bleibt nur eine Partei von der Verhandlung aus (und entfernt sich die andere nicht sogleich ohne Antragstellung), dann ist dennoch zu verhandeln und der vom Ausgebliebenen erstattete Schriftsatz zu berücksichtigen. Der zweite Satz entspricht § 267 Abs 1. Selbstverständlich kommt es nur auf das Erscheinen des für die Partei tätigen Rechtsanwaltes an; erscheint nur die Partei selbst, ist sie als säumig zu behandeln. 1571

§ 492

Kodek

§ 492. (1) Die Parteien können auf die Anordnung einer Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung über die Berufung verzichten. Hat weder der Berufungswerber in der Berufungsschrift noch der Berufungsgegner in der gemäß § 468 Abs 2 zur Erstattung der Berufungsbeantwortung oder in der gemäß § 473a Abs 2 zur Erstattung eines Schriftsatzes offenstehenden Frist die Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung ausdrücklich beantragt, so wird angenommen, dass die Parteien auf die Anordnung einer Tagsatzung zur mündlichen Berufungsverhandlung verzichtet haben. (2) Die Entscheidung über die Berufung erfolgt dann in nicht öffentlicher Sitzung ohne vorhergehende mündliche Verhandlung. Das Gericht kann jedoch, wenn dies im einzelnen Falle erforderlich erscheint, eine mündliche Verhandlung anordnen. [Abs 1 Satz 2 idF WGN 1997, sonst Stammfassung] Lit: Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 492; Ballon Rz 373; Buchegger, PraktZPR 384; Fasching Rz 1799 ff; Rechberger/Simotta Rz 847.

1 Auf die Anordnung einer mündlichen Berufungsverhandlung können die Parteien ausdrücklich, aber auch dadurch schlüssig verzichten, dass sie den Antrag unterlassen. Zweifelsfälle können auftreten: Der Antrag, das Berufungsgericht möge in der mündlichen Verhandlung das angefochtene Urteil abändern, wurde als Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung aufgefasst (EvBl 1967/118); die Erklärung hingegen, der Berufungsgegner werde in der mündlichen Verhandlung bestimmte Anträge stellen (SZ 13/63; RZ 1932, 58 ua), und die Anführung in der Berufung, der Berufungswerber werde in der mündlichen Verhandlung seine Anträge wiederholen (ZBl 1931/284 [abl Petschek]), wurden als nicht ausreichend angesehen. Der bloße Antrag auf Beweiswiederholung oder -ergänzung ersetzt nicht den Antrag nach § 492 Abs 1 (ZBl 1927/269 ua); auch der Antrag, das Urteil des Erstgerichts aufzuheben und dem Klagebegehren nach Verfahrensergänzung stattzugeben, reicht nicht aus (10 ObS 149/99f = SSV-NF 13/75). Dasselbe soll für den Antrag auf Vernehmung von Zeugen gelten (RZ 1990/ 121). Stellt der Berufungswerber zwar keinen ausdrücklichen Antrag auf Anberaumung, wohl aber einen solchen auf Ladung der Zeugen zur Beweiswiederholung, so hat aber das Berufungsgericht bei sonstiger Mangelhaftigkeit ein Verfahren zur Klarstellung durchzuführen (RZ 1991/76; aM Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 503 Rz 106). Da der Verzicht auf eine Berufungsverhandlung den tragenden Verfahrensgrundsatz des Parteiengehörs berührt, sind zweifelhafte Parteierklärungen zugunsten der Wahrung dieses Grundsatzes auszulegen (6 Ob 257/00p = RdW 2001, 286; 10 ObS 177/03g = RdW 2004, 162). 1572

§ 494

4.1 Berufung

Wurde in keinem der in Abs 1 aufgezählten Schriftsätze ein entsprechender Antrag gestellt, kann dieser – selbst wenn die Frist noch offen wäre – nicht nachgetragen werden (ZBl 1937/86). Da es dem Berufungsgegner seit der WGN 1997 freisteht, auch erst nach Erstattung der Berufungsbeantwortung eine Beweis- und Mängelrüge zu erheben, ist es eine logische Konsequenz, dass auch im Rahmen eines Schriftsatzes nach § 473a die Möglichkeit gegeben sein muss, die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung zu beantragen (ErlRV 898 BlgNR 20. GP 44). Fehlt es an einem Antrag, kann das Berufungsgericht doch aus Gründen 2 der Zweckmäßigkeit eine Verhandlung anberaumen. Bei einer beabsichtigten Beweiswiederholung oder -ergänzung ist das notwendig. Fehlen diese Voraussetzungen, ist über die Berufung in nichtöffentli- 3 cher Sitzung zu entscheiden. Auch in diesem Fall handelt es sich um ein Berufungsverfahren im Sinn der §§ 480 ff ZPO, so dass in Handelssachen ein fachmännischer Laienrichter teilzunehmen hat (§§ 7 und 8 JN; ZBl 1937/31 [abl Petschek]). Hat eine Partei zunächst die Verhandlung beantragt, kann sie dies nach 4 einem Teil der Rsp nicht mehr einseitig widerrufen (EvBl 1959/301; 6 Ob 257/00p = RdW 2001, 286; aM Fasching Rz 1799; Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 492 Rz 17; ZBl 1930/236). § 493. (1) In das Protokoll über die mündliche Berufungsverhandlung ist der Inhalt des tatsächlichen Vorbringens und der Beweisanbietungen der Parteien nur insoweit aufzunehmen, als derselbe von den Angaben der erstrichterlichen Prozessakten über den Verhandlungsinhalt abweicht. (2) Aufgehoben [Abs 2 aufgehoben durch Art IV 3. GEN; Abs 1 Stammfassung] Lit: Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 493. Grundsätzlich gelten für das Protokoll der mündlichen Berufungs- 1 verhandlung die §§ 207 bis 215; die vorliegende Bestimmung enthält demgegenüber eine Vereinfachung (vgl § 210 Abs 1). § 494. Überzeugt sich das Gericht aus Anlass einer Berufungsverhandlung, dass das angefochtene Urteil oder das Verfahren in erster Instanz an einer bisher unbeachtet gebliebenen Nichtigkeit leide, 1573

§ 495

Kodek

so ist, sofern nicht ein durch ausdrückliche oder stillschweigende Genehmigung beseitigter Mangel der Vertretung (§ 477 Abs 1 Z 5) vorliegt, im Sinne der §§ 477 und 478 vorzugehen, wenn auch die Nichtigkeit von keiner der Parteien geltend gemacht wurde. [Stammfassung] Lit: Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 494; Buchegger, PraktZPR 382; Rechberger/Simotta Rz 831.

1 Das Berufungsgericht hat Nichtigkeitsgründe auch noch in der Berufungsverhandlung wahrzunehmen; entdeckt es erst dann einen solchen, dann hat es so vorzugehen, wie es im Vorprüfungsverfahren vorzugehen gehabt hätte. Betrifft die Nichtigkeit nur einen Teil seines Entscheidungsgegenstandes, dann hat es eine einheitliche Entscheidung zu treffen, in der die beschluss- und urteilsmäßigen Aussprüche zusammenzufassen sind, wobei der urteilsmäßige Inhalt die Form des Gesamterkenntnisses bestimmt, was aber an der Anfechtbarkeit des eingegliederten Beschlusses nichts ändert (JBl 1959, 322). Zu beachten ist, dass nach stRsp Nichtigkeitsgründe nur auf Grund zulässiger Rechtsmittel wahrgenommen werden können, nicht aber dann, wenn ein Rechtsmittel zurückzuweisen ist; s dazu § 477 Rz 2. Zur Prüfung der Nichtigkeit durch das Berufungsgericht selbst s § 473 Rz 2. Hatte das Berufungsgericht die Nichtigkeit im Vorprüfungsverfahren verneint, so kommt dem nur dann bindende Wirkung zu, wenn es hierüber einen Beschluss gefasst und ihn schon der Kanzlei zur Ausfertigung übergeben oder den Beschluss vorher in der Verhandlung verkündet hat (Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 494 Rz 3; s auch § 471 Rz 1). § 495. Werden die im § 471 Z 2 und 3 bezeichneten Mängel erst bei der mündlichen Verhandlung wahrgenommen, so ist die Berufung durch Beschluss zurückzuweisen; im Fall des § 471 Z 3 jedoch nur, wenn der anwesende Berufungswerber die Berufungsschrift trotz Aufforderung nicht verbessert. [Fassung ZVN 1983] Lit: Konecny, Zur Erweiterung der Verbesserungsvorschriften durch die Zivilverfahrens-Novelle 1983, JBl 1984, 13 und 61. Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 495; Fasching Rz 1781.

1 Entdeckt das Berufungsgericht Mängel der Berufungsschrift – also etwa die Verspätung oder Unzulässigkeit des Rechtsmittels oder sonstige 1574

§ 496

4.1 Berufung

Formmängel –, dann hat es auch noch in der (oder nach der) mündlichen Berufungsverhandlung die Berufung mit Beschluss zurückzuweisen. Mängel im Sinn des § 471 Z 3 müssen aber grundsätzlich Anlass zu einer Verbesserungsaufforderung sein, der der Berufungswerber noch in der Verhandlung nachzukommen hat. Bei Abwesenheit des Berufungswerbers in der Berufungsverhandlung ist nach G. Kodek in Fasching/ Konecny II/2 §§ 84, 85 Rz 252 und Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 495 Rz 3 kein Verbesserungsauftrag zu erteilen (aM Konecny JBl 1984, 69). § 496. (1) Die Sache ist vom Berufungsgerichte an das Prozessgericht erster Instanz zur Verhandlung und Urteilsfällung zurückzuweisen, wenn, ohne dass dadurch eine Nichtigkeit begründet wäre: 1. die Sachanträge durch das angefochtene Endurteil nicht vollständig erledigt wurden: 2. das Verfahren erster Instanz an wesentlichen Mängel leidet, welche eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache verhinderten; 3. nach Inhalt der Prozessakten dem Berufungsgerichte erheblich scheinende Tatsachen in erster Instanz gar nicht erörtert wurden. (2) Das Verfahren vor dem Prozessgerichte hat sich im Falle der Z 1 auf die unerledigt gebliebenen Ansprüche und Anträge, im Falle der Z 2 auf die durch den Mangel betroffenen Teile des erstrichterlichen Verfahrens und Urteiles zu beschränken. (3) Statt der Zurückweisung hat das Berufungsgericht die in erster Instanz gepflogene Verhandlung, soweit erforderlich, zu ergänzen und durch Urteil in der Sache selbst zu erkennen, wenn nicht anzunehmen ist, dass dadurch im Vergleich zur Zurückweisung die Erledigung verzögert oder ein erheblicher Mehraufwand an Kosten verursacht würde. [Abs 3 idF ZVN 1983; sonst Stammfassung] Lit: Ballon, Zu den Verfahrensmängeln im Zivilprozessrecht, FS Matscher 15; Delle-Karth, Mangelhaftigkeit des Verfahrens im Berufungssystem des österreichischen Zivilprozessrechtes, ÖJZ 1993, 10 und 50; Ballon, Die Beachtung des rechtlichen Gehörs iSd Art 6 MRK durch die Rechtsmittelgerichte, JBl 1995, 623; Deixler-Hübner, Die Eventualmaxime im Oppositionsverfahren, ÖJZ 1995, 170. Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 496; Ballon Rz 378; Buchegger, PraktZPR 383; Fasching Rz 1441, 1764 ff und 1817 ff; Rechberger/ Simotta Rz 836 f und 848. 1575

§ 496

Kodek

1 § 496 regelt die Fälle, in denen eine Ergänzung des Verfahrens erforderlich ist. Dabei werden drei unterschiedliche Fallgruppen behandelt: a) die nicht vollständige Erledigung der Sachanträge b) die „einfache“ Mangelhaftigkeit („primäre“ Mängel) und c) der rechtliche Feststellungsmangel = Feststellungsmangel auf Grund unrichtiger rechtlicher Beurteilung („sekundärer“ Mangel).

2 Hat das Erstgericht die Sachanträge nicht vollständig erledigt, dann kann die dadurch beschwerte Partei – jedenfalls dann, wenn ihr Anspruch versehentlich übergangen wurde (EvBl 1962/399) – einen Antrag nach § 423 stellen; in jedem Fall kann sie auch Berufung nach § 496 Abs 1 Z 1 erheben. Nach hA (Näheres bei Fasching Rz 1441) kann die Partei auch beide Behelfe gleichzeitig erheben (aM Holzhammer 325) und die Reihenfolge der Erledigung bestimmen, widrigenfalls – wie sich aus § 485 ergibt – zunächst über den Ergänzungsantrag zu entscheiden ist. Hat dieser Erfolg, dann ist die Beschwer für die Berufung weggefallen. Nach Petschek (Zivilprozessrechtliche Streitfragen 109 ff) kann die Partei, wenn der Richter einen Anspruch irrtümlich übergangen hat, nur den Ergänzungsantrag stellen (aM Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 496 Rz 24); der Berufungsgrund nach Abs 1 Z 1 liege hingegen dann vor, wenn der Erstrichter einen Antrag nach seiner Rechtsauffassung unerledigt lassen musste, wogegen dieser Anspruch nach der Ansicht der Berufungsinstanz sehr wohl zu behandeln ist: zB ein Zwischenfeststellungsantrag, der erst nach der Auffassung des Gerichtes zweiter Instanz präjudiziell erscheint oder eine Gegenforderung, die erst nach Bejahung der vom Erstrichter verneinten Klageforderung Bedeutung erhält udgl. Die Unvollständigkeit ist in vielen Fällen eine Folge unrichtiger rechtlicher Beurteilung (Fasching Rz 1767; Holzhammer 286; EFSlg 69.904, in welchem Fall das Erstgericht nur über das Scheidungsbegehren, nicht aber auch über das Unterhaltsbegehren abgesprochen hatte, weil es das letztere – rechtsirrig – für verglichen hielt) und kann daher – gleich den Feststellungsmängeln nach § 496 Abs 1 Z 3 – mit der Rechtsrüge geltend gemacht werden. Wird einer nur auf Z 1 gestützten Berufung stattgegeben, führt das – sofern kein untrennbarer Zusammenhang mit der gefällten Entscheidung besteht – nicht zur Aufhebung des Ersturteils; vielmehr ist dieses als Teilurteil aufrechtzuerhalten, während die Rechtssache zur Verhandlung und Entscheidung über den noch nicht erledigten Sachantrag zurückverwiesen wird (Fasching1 IV 211 ff; EFSlg 69.904). Freilich kann das Berufungsgericht im Fall der Spruchreife selbst die unterbliebene Sachentscheidung nachholen. Wurde gegen die Nichterledigung eines Sachantrags weder durch Ergänzungsantrag noch durch Berufung nach Z 1 Abhilfe gesucht, 1576

§ 496

4.1 Berufung

scheidet dieser Anspruch aus dem Verfahren aus (SZ 28/4; 10 ObS 80/ 92 = SSV-NF 6/76; Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 496 Rz 22). Ein (primärer) Verfahrensmangel – also ein Verstoß gegen die Pro- 3 zessgesetze – kann nur dann mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn der Mangel abstrakt geeignet war, eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache zu verhindern (s § 471 Rz 6). Der Nachweis, dass der Mangel auch im konkreten Einzelfall eine unrichtige Entscheidung herbeigeführt hat, muss nicht erbracht werden. Die Mangelhaftigkeit des Verfahrens muss auf einem Fehler des Gerichts beruhen (Fasching1 IV 206; OLG Wien EFSlg 18.536). Manche Verfahrensverletzungen können in der Berufung deshalb nicht mehr wahrgenommen werden, weil sie die Parteien in erster Instanz nicht gerügt haben (s bei § 196). Beispiele primärer Verfahrensmängel: die Ablehnung des berechtigten Antrags auf Beiziehung eines Dolmetsches (EvBl 1987/34 = JUS 16, 14); die Ablehnung eines Beweisantrags unter vorgreifender Beweiswürdigung (LG Wien EFSlg 49.356 ua); die Verletzung der Begründungspflicht (LG Wien EFSlg 25.332 ua); unberechtigte Annahme, eine Tatsache sei iSd § 267 zugestanden (SZ 66/59). Kein Verfahrensmangel liegt in der Ablehnung eines nicht hinreichend bestimmten Beweisantrags (zB Berufung auf einen „gesamten Akt“: ÖBl 1981, 122) oder – nach mehreren Entscheidungen – wenn zuviel Beweise aufgenommen wurden (GH 1933, 10; JBl 1964, 208). Das ändert freilich nichts daran, dass unter Umständen die Ergebnisse zu Unrecht aufgenommener Beweise – zB Beweisaufnahme trotz einer Außerstreitstellung oder Vernehmung von Personen, für die ein gesetzliches Vernehmungsverbot bestand – nicht berücksichtigt werden dürfen (Fasching1 IV 209). Z 3 regelt nicht die Verfahrensmängel im engeren Sinn, sondern die 4 „rechtlichen Feststellungsmängel“, also die Fälle, in denen das Erstgericht infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung erforderliche Feststellungen (zB über die Schadenshöhe; Parteiabsicht bei Vertragsschluss udgl) nicht getroffen und notwendige Beweise nicht aufgenommen hat. Diese Mängel sind deshalb mit der Rechtsrüge geltend zu machen (Fasching1 IV 326; Rz 1773 ff und 1820; Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 496 Rz 51; SZ 23/175; RZ 1966, 165; JBl 1982, 311; SSV-NF 3/29 uva). Sie müssen daher bei Vorliegen einer (gesetzmäßig ausgeführten) Rechtsrüge auch von Amts wegen aufgegriffen werden. Wurde hingegen ein bestimmter Sachverhalt nicht behauptet, dann bedeutet die Unterlassung entsprechender – wenn auch auf Grund von Beweisergebnissen allenfalls möglicher – Feststellungen keinen Verfah1577

§ 496

Kodek

rensmangel iSd Z 3 (RZ 1967, 105 uva). In einem solchen Fall darf das Berufungsgericht nicht das Urteil aufheben, um den Parteien die Nachholung versäumten Vorbringens oder das Angebot neuer Beweise zu ermöglichen (JBl 1976, 591; RZ 1979/10; SZ 53/22; 57/162; ZVR 1989/108 uva). Die – allenfalls auf unrichtige rechtliche Beurteilung zurückgehende – Verletzung der materiellen Prozessleitungspflicht gem § 182 begründet nur einen primären Mangel iSd Z 2 (Pimmer in Fasching/ IV/1 § 96 Rz 57; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 503 Rz 137 mwN). Wird die Sache an das Erstgericht zurückverwiesen, dann ist eine neuerliche Verhandlung nur dann aufzutragen, wenn sie noch erforderlich ist; andernfalls kann zur bloßen Urteilsfällung zurückverwiesen werden (EvBl 1960/282 = JBl 1961, 92; 7 Ob 217/02s).

5 Im Falle einer Aufhebung nach Z 1 sind zwar nur noch die unerledigt gebliebenen Ansprüche Gegenstand der Verhandlung; hiezu können die Parteien aber neue Behauptungen und Beweise vorbringen, ist doch das Verfahren in den Stand vor Schluss der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz zurückgetreten (SZ 7/216). Dass nach einer Aufhebung gem Z 2 das Verfahren erster Instanz auf die durch den Mangel betroffenen Teile des erstrichterlichen Verfahrens zu beschränken ist, bedeutet nicht, dass nur der mit Erfolg geltend gemachte Mangel zu beheben ist. Kommt erst im fortgesetzten Verfahren hervor, was alles vom Mangel berührt wird, dann bestimmt sich der Umfang der neuen Verhandlung danach, wie weit der Mangel reicht; in diesem Rahmen ist das fortgesetzte Verfahren ein neues Verfahren (SZ 8/126); neues Vorbringen ist zulässig (EvBl 1955/136; SZ 28/96; ÖBA 1996, 483 uva), ja sogar eine Klageänderung (RZ 1978/ 28). Bezüglich der schon erledigten und entscheidungsreifen Sachanträge kommt aber ein neues Vorbringen nicht mehr in Frage (Fasching1 IV 213 und Rz 1819; SZ 28/96; EvBl 1962/254). Für die Aufhebung nach Z 3 enthält Abs 2 zwar keine Beschränkung; auch in diesem Falle können aber nach der Rsp abschließend erledigte Streitpunkte nicht wieder aufgerollt werden (SZ 28/96; 46/16; 55/164 = JBl 1983, 441 = RZ 1984/1; RZ 1986/45; MietSlg 38.782; 39.774; wbl 1990, 55; ecolex 1996, 852; MR 1996, 247 = RZ 1997/19; JBl 1998, 643 ua). Eine Ausnahme gilt aber für solche Tatsachen, die erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtsgang neu entstanden sind (Arb 11.122; MR 1996, 247 = RZ 1997/19). Sonst ist neues Vorbringen unbeschränkt zulässig (SZ 28/96; 46/16), insb kann eine inzwischen eingetretene Änderung der Sachlage geltend gemacht werden (SZ 43/151; 43/194; JUS 1989 Z/202). 1578

§ 496

4.1 Berufung

Seit der ZVN 1983 hat das Berufungsgericht die Pflicht, grundsätzlich 6 selbst das Verfahren zu ergänzen und durch Urteil in der Sache zu erkennen, im allgemeinen ist also nun die Verfahrensergänzung durch das Berufungsgericht zwingend (EvBl 1985/129 = JUS 5, 13 = RZ 1985/ 60; SZ 58/59; 4 Ob 11/91 = AnwBl 1991, 498 [zust Graff]). Verweist das Berufungsgericht die Sache ohne Vorliegen der dafür erforderlichen Voraussetzungen dennoch an das Erstgericht zurück, liegt darin die unrichtige Lösung einer Frage des Verfahrensrechts, die für die Rechtssicherheit von erheblicher Bedeutung ist (1 Ob 167/97b = ÖJZ-LSK 1997/267). Eine Ausnahme besteht dann, wenn mit einer Verhandlung vor dem Berufungsgericht voraussichtlich eine Verzögerung gegenüber der Verhandlung vor dem Erstgericht verbunden ist. (Dieser Fall ist unwahrscheinlich, zumal eine neuerliche Entscheidung durch das Erstgericht auch ein weiteres Rechtsmittel an das Berufungsgericht zur Folge haben kann.) Der weitere im Gesetz genannte Ausnahmefall – ein erheblicher Mehraufwand an Kosten – liegt nicht schon in der höheren Honorierung der Berufungsverhandlung, käme doch sonst die Beweisergänzung durch das Berufungsgericht grundsätzlich nie in Frage (EvBl 1985/129; SZ 58/59). War aber das erstinstanzliche Verfahren im Sinn der Z 3 derart mangelhaft, dass eine ergänzende Erörterung des Sachverhaltes notwendig ist, dann muss das Berufungsgericht diese nicht selbst vornehmen, sondern kann einen Aufhebungs- und Zurückverweisungsbeschluss fassen (SZ 59/134 = EvBl 1987/19 = JBl 1987, 189 = JUS 22, 13; s dazu ausführlich Delle-Karth, ÖJZ 1993, 50). Auch wenn der Umfang des Prozessstoffs und die Weiterungen des Verfahrens noch nicht abzusehen sind, ist das Berufungsgericht nicht zur Ergänzung verpflichtet (RZ 1992/40). Sofern die Vernehmung eines in erster Instanz übergangenen Zeugen durch das Berufungsgericht dieses zur Wiederholung aller zu demselben Thema vom Erstgericht aufgenommenen Beweise zwingen würde, könnte das höhere Kosten als eine Zurückverweisung der Sache an das Erstgericht zur Folge haben. In einem solchen Fall ist daher die Aufhebung zur Verfahrensergänzung durch das Erstgericht gerechtfertigt (Delle-Karth, ÖJZ 1993, 50). Nach Fasching (IV1 215; Rz 1820) hat das Berufungsgericht, wenn es selbst die Neuverhandlung durchführen will, zunächst einen Aufhebungsbeschluss zu fassen (in diesem Sinne auch SZ 59/134 = EvBl 1987/ 19 = JBl 1987, 189 = JUS 22, 13; anders aber die ständige Gerichtsübung der zweiten Instanzen). Ergänzt das Berufungsgericht die in erster Instanz gepflogene Verhandlung, dann tritt das Verfahren – selbst wenn ein ausdrücklicher Aufhebungsbeschluss unterblieb – in den prozessualen Stand vor Schluss der Verhandlung. Für diesen Teil des Verfahrens gilt daher kein Neuerungsverbot (ÖBA 1996, 483); der maßgebliche Zeit1579

§ 497

Kodek

punkt für die Beurteilung ist dann jener des Schlusses der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht (SZ 59/134 = EvBl 1987/19 = JBl 1987, 189 = JUS 22, 13; EFSlg 57.788; RZ 1989/106; EvBl 1993/101). In der Berufungsverhandlung kann auch das nach Meinung des Berufungsgerichts unbestimmte Klagebegehren verbessert werden (RZ 1993/8 mwN). Hält das Berufungsgericht – anders als das Erstgericht – ein Klagevorbringen für zu wenig bestimmt oder unschlüssig, hat es selbst in der Berufungsverhandlung einen Verbesserungsauftrag zu erteilen oder – unter den Voraussetzungen des Abs 3 – das Ersturteil aufzuheben und dem Erstgericht das Verbesserungsverfahren aufzutragen (RZ 2000/26). § 497. (1) Sofern nicht die Bestimmungen der §§ 494, 495 und 496 zur Anwendung kommen, erkennt das Berufungsgericht durch Urteil in der Sache selbst. (2) Seine Entscheidung hat alle einen zuerkannten oder aberkannten Anspruch betreffenden Streitpunkte zu umfassen, welche in Gemäßheit der Berufungsanträge eine Erörterung und Beurteilung in zweiter Instanz erfordern. (3) Das erstrichterliche Urteil darf nur soweit abgeändert werden, als eine Abänderung beantragt ist. [Stammfassung] Lit: Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 497; Fasching Rz 1825 ff.

1 Nach Beendigung des Vorprüfungsverfahrens entscheidet das Berufungsgericht nur dann mit Beschluss, wenn es nachträglich doch noch die Berufung zurückweist (§ 495) oder das angefochtene Urteil wegen Nichtigkeit (§ 495) oder wegen Verfahrensmängeln (im weitesten Sinn: § 496) aufhebt; sonst hat es durch Urteil in der Sache selbst zu erkennen. Das gilt auch dann, wenn es in seiner Entscheidung nur die allein geltend gemachte primäre Mangelhaftigkeit verneint (Ballon, FS Matscher 19).

2 Aus den Absätzen 2 und 3 ergibt sich – wie schon aus § 462 – die Beschränkung der berufungsgerichtlichen Entscheidung durch die geltend gemachten Berufungsgründe und -anträge (s bei §§ 462 und 467). § 498. (1) Das Berufungsgericht hat seiner Entscheidung die in den erstrichterlichen Prozessakten und im Urteile der ersten Instanz festgestellten, durch die geltend gemachten Berufungsgründe nicht berührten Ergebnisse der Verhandlung und Beweisführung zu1580

§ 498

4.1 Berufung

grunde zu legen, soweit dieselben nicht durch die Berufungsverhandlung selbst eine Berichtigung erfahren haben. (2) Welche Bedeutung dem Widerspruch beizumessen ist, der gegen einzelne Feststellungen eines Protokolles erster Instanz rechtzeitig erhoben wurde, hat das Berufungsgericht, nötigenfalls nach mündlicher Verhandlung über die vom Widerspruche betroffenen Feststellungen und Angaben (§ 488), unter sorgfältiger Würdigung der Ergebnisse des Berufungsverfahrens und aller sonstigen Umstände zu beurteilen. [Abs 2 idF ZVN 2002 (Entfall des Hinweises auf Angaben gem §§ 444, 445 in der Ausfertigung des Beweisbeschlusses oder im Urteilstatbestand); sonst Stammfassung] Lit: Bajons, Beweiswiederholung und Verfahrensergänzung in der Berufungsinstanz, FS Fasching 19; Fink, Verkehrsauffassung – Rechtsoder Tatfrage? RdW 1986, 230; R. Kralik, Die Beweiswürdigung im zivilgerichtlichen Verfahren, ÖJZ 1954, 157. Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 498; Fasching Rz 1832; Rechberger/Simotta Rz 859. Die Tatsachenfeststellungen des Ersturteils, die durch die Berufungs- 1 gründe nicht berührt werden (also weder unmittelbar noch mittelbar – etwa durch eine Mängelrüge – betroffen sind), hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Soweit die Feststellungen (unmittelbar oder mittelbar) bekämpft werden, muss es sie, sofern ihnen rechtliche Bedeutung zukommt, überprüfen; sonst kann es die Feststellungen wegen Unerheblichkeit unberücksichtigt lassen, also nicht übernehmen. Bei Verneinung der Berufungsgründe sind die Feststellungen des Ersturteils zu übernehmen. Vom Urteil des Erstgerichts abweichende Feststellungen darf das Berufungsgericht nur nach einer Beweiswiederholung oder -ergänzung treffen (s bei § 488). Das Berufungsgericht kann allerdings aus den erstinstanzlichen Feststellungen andere tatsächliche Schlussfolgerungen ziehen und damit zu einer anderen rechtlichen Beurteilung kommen (AnwBl 1989, 229 [abl Strigl]; 1 Ob 2290/96p = MietSlg 49.671). Ob ein Vorbringen außer Streit steht, ist nach der Aktenlage zu beurteilen; das gilt auch für die Frage, ob tatsächliche Behauptungen im Sinne des § 267 als zugestanden anzusehen sind. (In GlUNF 3165 wird hingegen verlangt, dass diese Frage in der Berufungsverhandlung erörtert wird.) Zu unterscheiden ist zwischen tatsächlichen Feststellungen und 2 rechtlicher Beurteilung. Die – insb im Revisionsverfahren bedeutende – Unterscheidung zwischen Rechtsfragen und Tatfragen ist mitunter 1581

§ 498

Kodek

schwierig. Zur Tatfrage gehört die Feststellung der den Sachverhalt bildenden Tatsachen einschließlich aller Schlussfolgerungen (SZ 48/120; SZ 57/121; EFSlg 64.152; 4 Ob 15/02p); zur Rechtsfrage gehört die Anwendung jeder Rechtsnorm samt der für ihre Anwendung notwendigerweise vorausgesetzten Erfahrungssätze (einschließlich der Denkgesetze) und allgemeinen Rechtsbegriffe sowie sämtliche rechtlichen Schlussfolgerungen aus dem festgestellten Sachverhalt, wie die Werturteile, dass ein Verschulden, ein Irrtum, ein erheblicher Mangel, ein wichtiger Grund udgl vorliegt (Rechberger/Simotta Rz 859). Verstößt das Gericht bei seinen Schlussfolgerungen gegen die Gesetze der Logik und Erfahrung, liegt unrichtige rechtliche Beurteilung vor (SZ 64/147 mwN; SZ 71/4; 4 Ob 15/02p). Hat der Gesetzgeber das konkrete tatsächliche Element so weit in die Rechtsnorm eingebaut, dass die Tatfrage nicht nur das Beurteilungsobjekt der Rechtsnorm ist, sondern in diese selbst eingeht und ihr erst Anwendbarkeit verleiht, dann liegt eine gemischte Frage (quaestio mixta) vor (Fasching Rz 1923; 7 Ob 123/99k = EFSlg 91.051). Die Frage der Beweislast ist immer eine rechtliche Frage und daher revisibel (SZ 60/119; ÖBA 1990, 460 uva). Die Feststellung, dass etwas nicht festgestellt werden kann oder dass eine Partei eine Tatsache nicht bewiesen hat, ist eine Tatsachenfeststellung (RZ 1967, 105; JBl 1981, 206; ZVR 1982/16).

3 Beispiele aus der Rsp für tatsächliche Feststellungen: Die Feststellung eines inneren Seelenzustandes, der einem unmittelbaren Beweis nicht zugänglich ist und nur durch logische Schlussfolgerungen aus äußeren Umständen feststellbar ist (EFSlg 25.381 ua); der Schluss von bestimmten Tatsachen auf die Parteienabsicht (GlUNF 3466; EFSlg 27.866/7; 39.279 uva); die Feststellung der Ernstlichkeit einer Willenserklärung (RZ 1961, 13 ua), des Vertragswillens (ZVR 1968/103); die Feststellung, dass jemand Kenntnis von einem Sachverhalt gehabt habe (EFSlg 18.554 ua); das Vorhandensein eines Forderungswillens bei Erbringung von Leistungen (EVBl 1960/74; EFSlg 34.497 uva), die Annahme, dass eine Eheverfehlung vom anderen Ehegatten als ehezerstörend empfunden wurde (EFSlg 23.171; 25.383 uva), über das Vorhandensein der ehelichen Gesinnung (EFSlg 32.089), der Ernstlichkeit des Ehewillens (EFSlg 30.059; 30.060 uva), darüber, dass ein Eheteil seine Ehe subjektiv als zerrüttet ansieht (EFSlg 57.133; RZ 1990/78 uva), die Frage, ob ein Handelsbrauch oder eine Usance besteht (EvBl 1970/96; HS 8221; RdW 1985, 370; JBl 1991, 116; SZ 68/105 uva) oder ob jemand in Wettbewerbsabsicht gehandelt hat (SZ 47/23 = ÖBl 1974, 111; ÖBl 1983, 13; MR 1988, 158; SZ 61/193 = MR 1988, 194; 4 Ob 2205/96 = MR 1997, 47 = ÖBl 1997, 69 uva). 1582

§ 498

4.1 Berufung

Rechtliche Beurteilung und nicht Tatsachenfeststellung liegt nach der 4 Rsp vor: Bei der Beurteilung schlüssiger Handlungen (SZ 38/201; MietSlg 20.100 uva); bei Prüfung der Frage, was redlicherweise als gemeinsame Parteiabsicht aufzufassen ist (Rsp 1933/339); ob eine Vermutung durch die festgestellten Tatsachen widerlegt ist (ZBl 1931/322); ob und wann ein Vertrag perfekt geworden ist (GlUNF 6697); beim Schluss auf die Gutgläubigkeit oder Bösgläubigkeit eines Verhaltens (JBl 1955, 278; Arb 8804); bei der Frage, ob dringender Eigenbedarf vorliegt (MietSlg 8152); ob nach den festgestellten tatsächlichen Verhältnissen dem Wohnungsbedürfnis einer Partei entsprochen wird (ZBl 1919/175); ob ein Tier gefährlich war und ordnungsgemäß verwahrt wurde (SZ 7/209); ob eine Verunstaltung im Sinn des § 1326 ABGB vorliegt (EFSlg 34.502); ebenso bei Bestimmung der Schadenshöhe unter Anwendung des § 273 (ZBl 1920/148; ZVR 1984/322; SSV-NF 5/44 uva); bei Beurteilung, ob Zahlungsunfähigkeit eines Schuldners vorliegt (RZ 1965/30; RdW 1984, 141 ua); ob ein bestimmtes Verhalten eine schwere Eheverfehlung bildet (EFSlg 23.158, 30.056); ob eine Ehe unheilbar zerrüttet ist (EvBl 1975/91 = EFSlg 23.159; EFSlg 25.387, 57.132; RZ 1990/78 ua); ob eine Lebensgemeinschaft vorliegt (EFSlg 18.565 ua); ob eine Handlung als Wettbewerbshandlung zu beurteilen ist (ÖBl 1979, 70); wie eine Werbebehauptung wirkt, sofern zu ihrer Beurteilung die allgemeine Lebenserfahrung ausreicht (SZ 47/31 = ÖBl 1974, 117; ÖBl 1986, 68; 1989, 50; 1989, 142; 4 Ob 178/97y = MR 1997, 226 uva); ob Verwechslungsgefahr vorliegt (ÖBl 1978, 97; 1983, 85 ua). Auch die Urkundenauslegung ist grundsätzlich rechtliche Beurteilung (SZ 58/199 = DRdA 1986, 333; EFSlg 57.838), es sei denn, dass zur Auslegung des Urkundeninhaltes auch die über die Absicht der Parteien durchgeführten Beweise herangezogen werden (JBl 1979, 267; MietSlg 32.779; EFSlg 41.795; JBl 1989, 61; 1 Ob 69/01t = ÖBA 2003, 307). Beispiele aus der Rsp für „gemischte Fragen“: Die Feststellung der 5 natürlichen Kausalität gehört in das Gebiet der Beweiswürdigung, jene der juristischen Ursächlichkeit (Zurechnung) ist eine Frage der rechtlichen Beurteilung (MietSlg 24.194; JBl 1979, 148 uva); Täuschungsabsicht ist ebenso ein rechtlicher wie ein tatsächlicher Begriff (JBl 1934, 15); ob ein innerer Zwang vorlag, ist eine Tatsachenfeststellung, ob die Furcht ungerecht und begründet war, hingegen rechtliche Beurteilung (EvBl 1965/254); ob der Beklagte etwas wußte, ist eine Tatfrage, ob er etwas hätte wissen müssen, eine Rechtsfrage (ÖBl 1978, 151). Eine gemischte Frage ist auch jene, ob ein einheitlicher Mietvertrag über eine Wohnung und ein Geschäftslokal vorliegt (MietSlg 5310); ob ein Gebäude abbruchreif ist (MietSlg 4612); ob eine gemeinsame Haushaltsführung vorlag (MietSlg 4666; JBl 1961, 638 uva). 1583

§ 499

Kodek

6 Wurde in erster Instanz gegen eine Protokollierung Widerspruch erhoben (§ 212 Abs 2, § 343 Abs 3), dann hat das Berufungsgericht – sofern dieser Frage Bedeutung zukommt – über die Berechtigung dieses Widerspruches in freier Beweiswürdigung (§ 272) zu erkennen; allenfalls kann es darüber mündlich verhandeln. Hat eine Partei den rechtzeitigen Widerspruch versäumt, stand ihr nach früherer Rsp – von der nunmehr 1 Ob 181/03d = EvBl 2004/5 = JBl 2004, 788 ausdrücklich abgegangen ist (dem folgend 10 Ob 17/04d) – trotzdem der Gegenbeweis gegen die Richtigkeit des Verhandlungsprotokolles zu (s bei § 215); der Beweis der Unrichtigkeit kann aber keinesfalls über eine unzulässige Neuerung in der Berufung geführt werden; eine Partei kann sich daher in der Berufung zum Nachweis der Unrichtigkeit der Protokollierung nur auf deren Denkgesetzwidrigkeit berufen (MietSlg 38.763). § 499. (1) Die Zurückverweisung der Rechtssache an das Prozessgericht erster Instanz geschieht in den Fällen der §§ 494 und 496 mittels Beschlusses. (2) Das Gericht, an welches eine Rechtssache infolge Beschlusses des Berufungsgerichtes zu gänzlicher oder teilweiser neuer Verhandlung oder Entscheidung gelangt, ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Berufungsgericht bei seinem Beschlusse ausgegangen ist. (3) In Bezug auf die Einleitung der neuen Verhandlung hat die Vorschrift des § 479 zur Anwendung zu kommen. (4) Das Gleiche gilt, wenn das Berufungsgericht das Urteil, durch welches eine Wiederaufnahmsklage als unzulässig erkannt wurde, abändert und die Verhandlung in erster Instanz auf die Frage der Zulässigkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens beschränkt war. [Stammfassung] Lit: Hoyer, Die Selbstbindung des österreichischen Obersten Gerichtshofs, ÖJZ 1974, 141; Feldner, Die Bindung des Zivilgerichts an seine im Aufhebungs- und Zurückverweisungsbeschluss geäußerte Rechtsansicht, ÖJZ 2002, 221. Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 499; Buchegger, PraktZPR 386; Fasching Rz 1821 ff.

1 Zur Form der Entscheidungen des Berufungsgerichts s bei § 497. 2 Soweit das Berufungsgericht die Rechtssache an ein anderes Berufungsgericht verweist (§ 471 Z 1, § 474 Abs 1), ist dieses andere Gericht nur an den Ausspruch über die Unzuständigkeit gebunden. 1584

§ 500

4.1 Berufung

Das Erstgericht, an das die Sache nach Aufhebung zurückverwiesen wird, ist nur an die rechtliche Beurteilung des Aufhebungsbeschlusses gebunden, nicht aber an dort etwa geäußerte Ansichten zur Beweiswürdigung (EvBl 1960/119; ÖBl 1990, 228). Kommt das Erstgericht im Rahmen eines Ergänzungsauftrags des Berufungsgerichts (§ 496 Abs 1 Z 3) ohne weitere Beweisaufnahmen zum Ergebnis, dass die vorangegangene Beweiswürdigung und die darauf beruhenden Feststellungen zu ergänzen bzw zu ändern sind, kann das nicht als gesetzwidrig angesehen werden; die nachvollziehbar vorgenommene Änderung der Beweiswürdigung ist – ohne Verstoß gegen die Bindungswirkung des Abs 2 – durchaus zulässig (7 Ob 217/02s). Hält das Berufungsgericht die Tatsachenfeststellungen der ersten Instanz für unzutreffend, dann hat es – nach Beweiswiederholung (s § 488 Rz 2) – selbst entsprechende Feststellungen zu treffen (EvBl 1970/65; EFSlg 41.820; SZ 53/134 uva). Soweit Ausführungen für die Aufhebung nicht maßgebend waren, besteht keine Bindung (1 Ob 179/99a = SZ 73/101). Dasselbe gilt, wenn sich im fortgesetzten Verfahren eine Änderung des Sachverhaltes ergibt (SZ 8/43; RZ 1990/19 ua). Das Erstgericht ist an die Rechtsansicht des Berufungsgerichts in einem Teilaufhebungsbeschluss, gegen den ein Rekurs nicht für zulässig erklärt wurde, dann nicht gebunden, wenn der OGH diese Rechtsansicht der zweiten Instanz anlässlich der Behandlung der zulässigen Revision gegen den abändernden Teil der Berufungsentscheidung überprüft und nicht gebilligt hat (2 Ob 30/95 = EvBl 1995/170 = ÖJZ-LSK 1995/229 = ZVR 1996/37; 1 Ob 204/03m). Auch das Berufungsgericht ist an seine im Aufhebungsbeschluss geäußerte Ansicht – selbst nach Änderung der Zusammensetzung des Berufungssenates – gebunden (JBl 1962, 325; SZ 55/95 = EvBl 1983/13 = JBl 1983, 541 = ZfRV 1983, 147 ua); ein Verstoß des Berufungsgerichts dagegen kann aber, wenn das neue Urteil richtig ist, keinen Revisionsgrund bilden (ZBl 1919/131; MietSlg 34.776; SZ 42/177 = JBl 1970, 627). Das Erstgericht hat nach der Aufhebung von Amts wegen eine neue 3 Tagsatzung auszuschreiben (§ 479 Abs 1), sofern ihm nicht bloß die neuerliche Urteilsfällung aufgetragen wurde (s § 496 Rz 4). § 500. (1) Das Urteil oder der Beschluss des Berufungsgerichts, wodurch die Berufung erledigt wird, ist den Parteien stets in schriftlicher Ausfertigung zuzustellen. (2) Das Berufungsgericht hat in seinem Urteil auszusprechen, 1. wenn der Entscheidungsgegenstand nicht ausschließlich in einem Geldbetrag besteht, ob der Wert des Entscheidungsgegenstandes insgesamt 1585

§ 500

Kodek

a) 4 000 Euro übersteigt oder nicht; b) bei Übersteigen von 4 000 Euro auch 20 000 Euro übersteigt oder nicht; 2. dass die Revision nach § 502 Abs 2 jedenfalls unzulässig ist, falls dies – auch unter Bedachtnahme auf § 502 Abs 4 und 5 – zutrifft; 3. falls Z 2 nicht zutrifft, ob die ordentliche Revision nach § 502 Abs 1 zulässig ist oder nicht. (3) Bei den Aussprüchen nach Abs 2 Z 1 sind die §§ 54 Abs 2, 55 Abs 1 bis 3, 56 Abs 3, 57, 58 und 60 Abs 2 JN sinngemäß anzuwenden. Der Ausspruch nach Abs 2 Z 2 bindet weder die Parteien noch die Gerichte. Der Ausspruch nach Abs 2 Z 3 ist kurz zu begründen. (4) Gegen die Aussprüche nach Abs 2 Z 1 und 2 findet kein Rechtsmittel statt. Die Unrichtigkeit eines Ausspruchs nach Abs 2 Z 3 kann – außer in einem Antrag nach § 508 – nur in einer außerordentlichen Revision (§ 505 Abs 4) beziehungsweise in der Beantwortung einer ordentlichen Revision (§§ 507, 507a) geltend gemacht werden. [Fassung WGN 1997; Geldbeträge idF 2. Euro-JuBeG] Lit: Petrasch, Der Weg zum Obersten Gerichtshof nach der Erweiterten Wertgrenzennovelle 1989, ÖJZ 1989, 743; V. Steininger, Die Problematik der neuen „nichtbindenden Unzulässigkeit“ der Anrufung des Höchstgerichtes, RZ 1989, 236 und 258, Burgstaller, Streitwertangabe und Entscheidungskontrolle, FS Matscher (1993) 65; Danzl, Der Weg zum OGH nach der WGN 1997, ÖJZ 1998/5A 1. Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 500; Ballon Rz 377; Buchegger, PraktZPR 404; Fasching Rz 1827 ff; Rechberger/Simotta Rz 849.

1 In Abweichung von der ZPO sieht § 39 Abs 7 ASGG vor, dass jeder Entscheidung eines Gerichtes (erster oder) zweiter Instanz, die einer Partei zugestellt wird, eine Rechtsmittelbelehrung anzuschließen ist.

2 Die Aussprüche des Berufungsgerichts nach Abs 2 dienen der Vorbereitung des Revisionsverfahrens und haben unterschiedliche Bedeutung; teils haben sie nur belehrenden Charakter, teils sind sie bindend, teils bestimmen sie die Art der Anfechtbarkeit.

3 Bei seinem Ausspruch über den Wert des nicht ausschließlich in Geld bestehenden Entscheidungsgegenstands ist das Berufungsgericht an die Bewertung des Klägers nach § 56 Abs 2, § 59 JN nicht gebunden; dieser Ausspruch ist grundsätzlich unanfechtbar und bindend (EvBl 1990/ 146; RZ 1992/16; 4 Ob 214/98v = NZ 2000, 207; 4 Ob 107/00i = MR 2000, 317). Wenn das Berufungsgericht die im Gesetz angeführten 1586

§ 500

4.1 Berufung

zwingenden Bewertungsvorschriften (Abs 3) verletzt hat (SZ 59/198; EvBl 1986/128 = MietSlg 37.764; EvBl 1987/110; ÖBl 1987, 63; 1 Ob 138/99x = MietSlg 51.712 uva) oder überhaupt keine Bewertung vorzunehmen gehabt hätte (EvBl 1972/260 uva), besteht keine Bindung des Obersten Gerichtshofs (EvBl 1990/146; MietSlg 43.496/7 = wobl 1991, 208; RZ 1992/16; RZ 1995/56 ua). Das Berufungsgericht kann freilich den Wert des Entscheidungsgegenstands nicht willkürlich festsetzen, sondern hat, sofern nicht ohnehin zwingende Bewertungsvorschriften bestehen, sich innerhalb eines Ermessensspielraums zu bewegen. Dieses gebundene Ermessen hat sich am objektiven Wert des Streitgegenstands zu orientieren (§ 60 JN; ÖBl 1985, 166); das Berufungsgericht hat daher den Wert des Entscheidungsgegenstands – bezogen auf den objektiven Wert der Streitsache – weder übermäßig hoch noch übermäßig niedrig anzusetzen; ist eine Fehlbewertung offenkundig, dann ist der Oberste Gerichtshof daran nicht gebunden (4 Ob 61/04f, 62/04b = EvBl 2004/ 180 mwN; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 502 Rz 162). Der Oberste Gerichtshof hat daher gegen die grundsätzliche Bindung an die Bewertung des Berufungsgerichts und deren Unanfechtbarkeit keine verfassungsrechtlichen Bedenken (JBl 1982, 157 [abl Mayr]; ÖBl 1985, 166). Der Ausspruch, dass die Entscheidung über einen Anspruch vorbehalten bleibt, hat bei der Bewertung des Entscheidungsgegenstandes unberücksichtigt zu bleiben. Er ist bei der Beurteilung der Rechtsmittelzulässigkeit nicht als Teil des Streitgegenstandes anzusehen (1 Ob 2401/96m = EvBl 1997/140 = ÖJZ-LSK 1997/182). Mangels Erwähnung in Abs 3 ist die Bewertungsvorschrift des § 9 Abs 3 RATG bei einem Bewertungsausspruch nicht anzuwenden (EvBl 1994/28 = JBl 1994/481 = NRsp 1993/275 = RZ 1994/70). Für die Bewertung ist der Tag der Fällung des Berufungsurteils maßgebend (EvBl 1974/125; EFSlg 25.355 ua). Sind mehrere Rechtssachen bloß zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden, müssen gesonderte Aussprüche erfolgen (MietSlg 32.719, 36.785 ua). Dasselbe gilt beim Vorliegen selbständiger – miteinander nicht in rechtlichem oder tatsächlichem Zusammenhang stehender (§ 55 Abs 1 JN) – Begehren (MietSlg 24.575, 25.550 ua). Wenngleich das Berufungsgericht grundsätzlich nicht an die Bewertung 4 des Klägers gebunden ist, so kann es doch dann, wenn das Erstgericht über einen (nunmehr:) 2.000 Euro nicht übersteigenden Streitgegenstand entschieden hat und keine offensichtliche Unterbewertung vorliegt, nicht eine höhere Bewertung vornehmen (RZ 1984/69; SZ 59/198; EvBl 1987/110 = EFSlg 52.222; 1 Ob 292/02a = EvBl 2003/91). An eine offenbare Unterbewertung sind freilich weder das Berufungsgericht 1587

§ 500

Kodek

noch der Oberste Gerichtshof gebunden (AnwBl 1992, 674 = RZ 1993, 80; 5 Ob 197/98a = MietSlg 50.776; 1 Ob 292/02a = EvBl 2003/91). Das Gleiche muss auch für eine offenbare Überbewertung gelten (s auch Rz 3 und Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 502 Rz 162).

5 Übersteigt bei einem gemischten Begehren schon der in einem Geldbetrag bestehende Teil des Entscheidungsgegenstandes 4.000 Euro, hat kein Bewertungsausspruch zu erfolgen (SZ 51/2; RZ 1978/95).

6 Keine Bewertung ist vorzunehmen bei Geltendmachung geldgleicher Ansprüche, entspricht doch deren Streitwert dem ihnen jeweils zugrunde liegenden Geldbetrag (1 Ob 214/00b = EvBl 2001/42), somit bei einem Klagebegehren auf Feststellung des Nichtbestehens einer Geldforderung (EFSlg 57.790), auf Feststellung einer im Konkurs bestrittenen Forderung gem § 110 KO (SZ 31/159; SZ 40/101; SZ 64/178; 8 Ob 310/98t = RdW 2000, 738; 9 Ob 17/03w = ZIK 2004/221 uva), auf Zahlung eines Betrages in fremder Währung (SZ 58/8 = EvBl 1986/73 uva) oder auf Ausfolgung des Sparbuches eines zahlungsfähigen inländischen Kreditinstituts (MietSlg 39.776/47; ÖBA 1989, 194; SZ 61/146 = NZ 1990, 67), auf Widerruf des Abrufs einer Bankgarantie (1 Ob 214/00b = EvBl 2001/42 = ÖBA 2001, 556), bei einer Oppositionsklage (EFSlg 52.223; EFSlg 55.079 uva) und bei einer Impugnationsklage, wenn sie sich gegen einen Titel auf Zahlung richtet (SZ 19/322 = RZ 1938, 63 = ZBl 1938/142; JBl 1979, 436; 3 Ob 301/04t. Bei Klagen nach § 37 EO ist hingegen ein Bewertungsanspruch erforderlich (SZ 15/55 ua), es sei denn, sie bezieht sich auf einen bei der Pfändung vorgefundenen Geldbetrag oder auf eine gepfändete Forderung (AnwBl 1988, 476 [zust Strigl]); wird mit Impugnationsklage die Unzulässigerklärung einer Räumungsexekution begehrt, ist zu bewerten (3 Ob 269/00f = EvBl 2001/196); anderes gilt bei einer Oppositionsklage gegen Räumung (3 Ob 265/98m = JBl 1999, 602 = MietSlg 50.785); weiters ist nach der Rsp nicht zu bewerten in einem Rechtsstreit über eine Nichtigkeitsoder eine Wiederaufnahmsklage (SZ 10/9; JBl 1954, 542 [abl Neuwirth]; RZ 1974/54 = EFSlg 20.786; RZ 1975/93; 9 ObA 235/91 = SZ 64/ 172 = EvBl 1992/95; RZ 1995/84 ua; abl Jelinek in Fasching/Konecny IV/1 § 533 Rz 34), es sei denn, dass im Vorprozess noch keine Bewertung erfolgt ist (JBl 1970, 153 = RZ 1969, 208); keine Bewertung hat auch dann zu erfolgen, wenn der Streitgegenstand – wie etwa in Familienrechtssachen – keinen Geldwert hat (SZ 55/186 uva); so auch, wenn Gegenstand des Verfahrens das Grundrecht des Menschen auf persönliche Freiheit ist (RZ 1994/51). Das Begehren auf Unterlassung des Wasserbezuges aus einer Quelle ist kein Streit im Sinn des § 58 JN, der Wert des Streitgegenstandes ist 1588

§ 500

4.1 Berufung

vielmehr vom Kläger nach § 59 JN anzugeben; das Berufungsgericht hat demnach den Entscheidungsgegenstand frei zu bewerten (RZ 1992/16). Ist Streitgegenstand eine grundsteuerpflichtige Liegenschaft, dann kommt es bei der Bewertung auf den Einheitswert (§ 60 Abs 2 JN) an; das Gericht zweiter Instanz hat zu dessen Feststellung erforderlichenfalls den letzten Einheitswertbescheid beizuschaffen. Verletzt das Rechtsmittelgericht diese Bewertungsvorschrift, dann ist der Oberste Gerichtshof an dessen Bewertung nicht gebunden (NZ 1992, 81/82). Ist für ein Grundstück als Entscheidungsgegenstand kein eigener Einheitswert festgesetzt, so ist nach 1 Ob 11/98v = ÖJZ-LSK 1998/139 für die Bewertung dessen gemeiner Wert maßgeblich (das kann aber wohl nur solange gelten, als sich dieser gemeine Wert im Rahmen des Einheitswertes der gesamten Liegenschaft hält). Der Ausspruch nach Abs 2 Z 2 hat nur belehrenden Charakter; er soll 7 ein „Service des Gerichtes“ (JAB zu WGN 1989) sein. Hält ihn die im Berufungsverfahren unterlegene Partei für verfehlt, steht es ihr frei, dennoch eine Revision zu erheben (RdW 1994, 208) und darin darzulegen, weshalb ihres Erachtens der Ausspruch unrichtig ist und – zweckmäßigerweise, um Verzögerungen durch sonst allenfalls notwendig werdende Ergänzungsaufträge des OGH zu vermeiden – weshalb auch die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 vorliegen (vgl V. Steininger, RZ 1989, 240). Mit dem Ausspruch, dass die ordentliche Revision zulässig ist oder nicht, 8 stellt das Berufungsgericht die Weichen für das Revisionsverfahren. Spricht es – bei einem Streitwert, der 4.000 Euro übersteigt, und in den Fällen des § 502 Abs 4 und 5 – aus, dass die ordentliche Revision zulässig ist, kann die Partei dieses Rechtmittel ergreifen. In einem solchen Fall ist es auch bei einem nicht ausschließlich in einem Geldbetrag bestehenden Entscheidungsgegenstand nicht erforderlich auszusprechen, ob der Wert des Entscheidungsgegenstandes nicht nur 4.000 Euro, sondern auch 20.000 Euro übersteigt oder nicht. Ist hingegen nach dem Ausspruch des Berufungsgerichts die ordentliche Revision nicht zulässig, kommt es darauf an, ob der Wert des Entscheidungsgegenstandes 20.000 Euro übersteigt oder nicht. Verneinendenfalls kann die Partei gem § 508 Abs 1 einen Antrag an das Berufungsgericht auf Abänderung seines Ausspruches stellen (s bei § 508). Übersteigt jedoch der Wert des Streitgegenstands 20.000 Euro, dann steht der Partei die außerordentliche Revision (§ 505 Abs 4) zu. Dazu s § 505 Rz 4; § 506 Rz 3; § 508a Rz 1–5. Ein gesondertes Rechtsmittel gegen diesen Ausspruch gibt es nicht (Abs 4). Unterlässt das Berufungsgericht einen der erforderlichen Aussprüche nach Abs 2 Z 1 und 3, dann hat es seine Entscheidung – allenfalls auf 1589

§ 500a

Kodek

Aufforderung durch den OGH – entsprechend zu ergänzen (EFSlg 52.189 = MietSlg 38.783 ua). Der Ausspruch, dass die ordentliche Revision (der ordentliche Revisionsrekurs) zulässig sei, ersetzt nicht den Bewertungsausspruch (NZ 1994, 234 zur inhaltsgleichen Bestimmung des § 13 Abs 1 Z 1 AußStrG aF). In den Fällen des § 49 Abs 2 Z 1a und 2 JN (Unterhaltsstreitigkeiten) kommt es im Hinblick auf § 502 Abs 4 nicht auf die Grenze von 4.000 Euro, sondern nur darauf an, ob der Entscheidungsgegenstand insgesamt 20.000 Euro übersteigt. In den Fällen des § 502 Abs 5 erübrigt sich eine Bewertung, weil ihr keine Bedeutung zukäme. In diesen Fällen ist nur der Ausspruch nach Abs 2 Z 3 notwendig. § 500a. In der Ausfertigung seiner Entscheidung kann das Berufungsgericht die Wiedergabe des Parteivorbringens und der tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen auf das beschränken, was zum Verständnis seiner Rechtsausführungen erforderlich ist. Soweit das Berufungsgericht die Rechtsmittelausführungen für nicht stichhältig, hingegen die damit bekämpften Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils für zutreffend erachtet, kann es sich unter Hinweis auf deren Richtigkeit mit einer kurzen Begründung seiner Beurteilung begnügen. Der § 417a ist nicht anzuwenden. [Eingefügt durch WGN 1989] Lit: Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 500a; Fasching Rz 1488/2; Rechberger/Simotta Rz 849.

1 Hiemit werden Begründungserleichterungen für das Berufungsgericht geschaffen (vgl § 510 Abs 3, § 528a betreffend den OGH). Eine gekürzte Urteilsausfertigung im Sinne des § 417a kommt für das Gericht zweiter Instanz nicht in Frage.

2 Das Berufungsgericht hat zwar nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut das Parteivorbringen und die für seine Entscheidung erheblichen Feststellungen wiederzugeben; eine Verletzung dieser Vorschrift muss aber sanktionslos bleiben, weil dieser Verfahrensverstoß nicht geeignet ist, die erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache zu hindern (§ 503 Z 2). § 501. (1) Hat das Erstgericht über einen Streitgegenstand entschieden, der an Geld oder Geldeswert 2 000 Euro nicht übersteigt, so kann das Urteil nur wegen Nichtigkeit und wegen einer ihm zugrunde liegenden unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache 1590

§ 501

4.1 Berufung

angefochten werden; der § 473a ist nicht anzuwenden. Eine mündliche Verhandlung über die Berufung ist nur anzuberaumen, wenn das Gericht dies im einzelnen Fall für erforderlich hält. (2) Der Abs 1 gilt nicht für die im § 502 Abs 4 und 5 bezeichneten Streitigkeiten. [Fassung WGN 1997 und – in Ansehung des Euro-Betrags – 2. Euro-JuBeG] Lit: Fucik, Die Rechtsmittelbeschränkungen der §§ 501, 517 ZPO nF, RZ 1984, 54; Ballon, Die Beachtung des rechtlichen Gehörs iSd Art 6 MRK durch die Rechtsmittelgerichte, JBl 1995, 623; Burgstaller, Streitwertangabe und Entscheidungskontrolle, FS Matscher 65. Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 501; Ballon Rz 380; Buchegger, PraktZPR 380 f und 386; Fasching Rz 1835 ff; Rechberger/Simotta Rz 841 und 847. Die Bestimmungen über die „Bagatellberufung“ gelten für solche Fäl- 1 le, in denen das Erstgericht über einen 2.000 Euro nicht übersteigenden Streitwert entschieden hat; der Entscheidungsgegenstand des Berufungsgerichts ist nicht maßgeblich (LG Wien EFSlg 52.224). An die vom Kläger vorgenommene Bewertung ist das Berufungsgericht, sofern keine offensichtliche Fehlbewertung vorliegt, gebunden (s § 500 Rz 4 und § 502 Rz 3; Burgstaller, FS Matscher 78; Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 501 Rz 5; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 502 Rz 162). Bei der Beurteilung der Frage, ob bei Anwendung des § 501 iVm § 55 Abs 5 JN ein tatsächlicher oder rechtlicher Zusammenhang zwischen mehreren Forderungen des Klägers besteht, ist ausschließlich vom Vorbringen des Klägers auszugehen; ob die entsprechenden Klagebehauptungen zu einem solchen Zusammenhang durch Feststellungen des Erstgerichts gedeckt sind, ist für diese Frage unerheblich (EvBl 1997/111 = ÖJZLSK 1997/153). Die in § 502 Abs 4 und 5 bezeichneten familien- und bestandrechtlichen Streitigkeiten fallen niemals unter die Ausnahme des § 501 (Abs 2). Im Verfahren nach dem ASGG ist § 501 nicht anzuwenden (§ 44 ASGG). Dem Wortlaut des Abs 1 ist nicht eindeutig zu entnehmen, ob diese Bestimmung auch dann anzuwenden ist, wenn das Erstgericht ein Teilurteil über höchstens 2.000 Euro gefällt hat. Fasching (Rz 1836) meint, dass es auch hier auf das Gesamtklagebegehren ankäme; Petrasch ist gegenteiliger Meinung (ÖJZ 1985, 295). Nach der Rsp ist nach Rechtskraft eines Teilurteils nur der noch offene Streitwert maßgeblich (1 Ob 640/92 = SZ 65/157; Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 501 Rz 6). Näheres s § 502 Rz 1. 1591

§ 501

Kodek

2 Die Tatsachenfeststellungen des Ersturteils können in den Fällen des Abs 1 überhaupt nicht, weder wegen unrichtiger Beweiswürdigung noch wegen Aktenwidrigkeit oder Mangelhaftigkeit des Verfahrens, bekämpft werden. Hat hingegen das Erstgericht aus rechtlichen Erwägungen Beweisanbote abgelehnt und Feststellungen unterlassen, dann kann dies auch in einer Bagatellberufung geltend gemacht werden, weil solche vermeintliche Verfahrensfehler mit der Rechtsrüge geltend zu machen sind (s § 496 Rz 4).

3 Die Parteien haben kein Recht auf Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung; das Berufungsgericht kann aber von Amts wegen eine Verhandlung anordnen. Das wird sich dann als notwendig erweisen, wenn es rechtliche Feststellungsmängel zu beheben hat (§ 496 Abs 3).

4 Wird bei einem Streitwert bis 2.000 Euro in der Berufung nur die Beweiswürdigung bekämpft, ist die Berufung nach der Rechtsprechung unzulässig (1 Ob 640/92 = SZ 65/157; MietSlg 46.674; RZ 1997/56; 4 Ob 60/02f; Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 § 501 Rz 12; aM Fasching RZ 1837; Fucik [RZ 1984, 54 ff] [60]]).

5 Hat das Berufungsgericht fälschlich die Voraussetzungen des § 501 bejaht und daher zu Unrecht die Beweis- und Mängelrüge nicht behandelt, kann dies bei absoluter Unzulässigkeit der Revision gem § 502 Abs 2 an den Obersten Gerichtshof nicht – auch nicht über den Umweg des § 519 Abs 1 Z 1 – herangetragen werden, weil die Nichtbehandlung von Berufungsgründen einer Zurückweisung des Rechtsmittels nicht gleichzuhalten ist (7 Ob 20/03x = ÖJZ-LSK 2003/140).

1592

Zweiter Abschnitt Revision Vor § 502 Lit: Petrasch, Das neue Revisions- (Rekurs-)Recht, ÖJZ 1983, 169; ders, Die Zivilverfahrens-Novelle 1983 in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, ÖZJ 1985, 257 und 291; ders, Der Weg zum Obersten Gerichtshof nach der Erweiterten Wertgrenzen-Novelle 1989, ÖJZ 1989, 743; Bajons, Der Wandel im ordentlichen Rechtsmittelsystem – oder: Von der ZVN 1983 zur WGN 1989, ÖJZ 1993, 145; Danzl, Der Weg zum OGH nach der WGN 1997, ÖJZ 1998/5A1; ders, Die Anrufbarkeit des OGH in streitigen Zivilrechtssachen – von Franz Klein bis zur Gegenwart: Analyse – Rückblick – Ausblick, FS Sprung 39. Zechner in Fasching/Konecny IV/1 §§ 502 ff; Bajons Rz 181 ff und 205 f; Ballon Rz 381 ff; Buchegger, PraktZPR 403 ff; Deixler-Hübner/ Klicka Rz 293 ff; Fasching LB2 Rz 1842 ff; Holzhammer 332 ff; Rechberger/Simotta Rz 851 ff;. Die Revision ist das ordentliche Rechtsmittel gegen Urteile des Beru- 1 fungsgerichts; sie ist – von der mit einem Abänderungsantrag gem § 508 Abs 1 verbundenen oRev abgesehen – aufsteigend, grundsätzlich zweiseitig (soweit nicht eine Zurückweisung erfolgt) und – mit Ausnahmen (§ 505 Abs 4; ebenso § 90 Z 2 ASGG) – aufschiebend (zu diesen Begriffen s Vor § 461). Für sie gelten die allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen für Rechts- 2 mittel (s Vor § 461). Daneben gibt es noch besondere Zulässigkeitsbeschränkungen (§ 502), um den OGH vor der sonst unvermeidlichen Überlastung (dazu ausführlich Zechner in Fasching/Konecny IV/1 Vor §§ 502 ff Rz 1 bis 4) zu bewahren, die letztlich – infolge einer entsprechenden Vermehrung der Anzahl von Senaten – die Einheitlichkeit der Rsp gefährden könnte. Um die Leitfunktion des OGH zu erhalten und seine Anrufbarkeit möglichst gerecht und umfassend zu sichern, ist der OGH seit der ZVN 2002 nur noch dann anrufbar, wenn Rechtsfragen einer bestimmten Qualität (s dazu bei § 502) zu lösen sind („Grundsatzrevision“). Daneben gibt es weiterhin Fälle der absoluten Unzulässigkeit eines Rechtsmittels an den OGH. Nur im Bereich des Rekurs1593

Vor § 502

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verfahrens gibt es unbedingt zulässige Rechtsmittel an den OGH („Vollrekurse“; s Vor § 514 Rz 2). Gegen die Beschränkungen des Rechtszugs an den OGH bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken; aus Art 92 Abs 1 B-VG kann nicht geschlossen werden, dass jede in einem gerichtlichen Verfahren erfließende Entscheidung einem Rechtszug an den OGH unterworfen sein müsste (EvBl 1972/344; 1983/114; ÖBl 1985, 166 ua); auch Art 6 MRK rechtfertigt keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Rechtsmittelbeschränkungen (EvBl 1970/211; SZ 64/1 [insoweit zust Pfersmann, ÖJZ 1994, 84] = JBl 1991, 597; Arb 11.415).

3 Seit der WGN 1989 galt nach der ZPO in allen Fällen das – von der ZVN 1983 zunächst nur für einen Teilbereich eingeführte – „Zulassungssystem“. Seit der ZVN 2002 gilt es auch in allen Verfahren nach dem ASGG. Es ist dadurch gekennzeichnet, dass das Gericht zweiter Instanz bei Entscheidungen, die nicht jedenfalls unanfechtbar sind, auszusprechen hat, ob die ordentliche Revision zulässig ist oder nicht (§ 500 Abs 2 Z 3). An diesen Ausspruch ist der OGH nicht gebunden (§ 508a Abs 1). Die WGN 1997 hat dieses System für den Streitwertbereich zwischen der absoluten Unanfechtbarkeit (in der Regel 4.000 Euro) und 20.000 Euro um ein weiteres Modell ergänzt. Danach sind folgende Fälle zu unterscheiden: a) Hat das Berufungsgericht die ordentliche Revision als zulässig bezeichnet, dann steht der Partei die ordentliche Revision zu, deren Gleichschrift vom Erstgericht dem Revisionsgegner zuzustellen ist, der hierauf binnen vier Wochen beim Erstgericht eine Revisionsbeantwortung einbringen kann. Der OGH kann die Revision dennoch, wenn er die Voraussetzung des § 502 Abs 1 verneint – mit kurzer Begründung (§ 510 Abs 3 letzter Satz) – zurückweisen. Das kommt insb auch dann in Frage, wenn das Berufungsgericht mit Recht ausgesprochen hat, dass die ordentliche Revision zulässig sei, die Revision dann aber nur solche Gründe geltend macht, deren Erledigung nicht von der Lösung erheblicher Rechtsfragen abhängt (wenn zB trotz Vorliegens einer erheblichen Frage des materiellen Rechts nur ein Verfahrensmangel gerügt wird, bei dessen Behandlung keine erheblichen Rechtsfragen zu entscheiden sind [6 Ob 41/98t = RdW 1998, 454 mwN; 6 Ob 251/98z = EvBl 1999/131]). Es kann daher die von der einen Partei erhobene Revision zulässig, die von der anderen Partei gegen dasselbe Urteil erhobene Revision hingegen unzulässig sein (vgl 5 Ob 16/92 = SZ 65/36 = JBl 1992, 794). Andererseits kann der Revisionswerber nicht bloß die vom Berufungsgericht als erheblich angesehene Rechtsfrage, sondern unabhängig davon auch alle anderen Revisionsgründe geltend machen, die nach 1594

Vor § 502

4.2 Revision

seiner Ansicht gegen die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung sprechen (1 Ob 570/95 = SZ 68/157 = JBl 1996, 442). b) Hat das Berufungsgericht im Streitwertbereich über 20.000 Euro und in den Fällen des § 502 Abs 5 hingegen ausgesprochen, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, dann kann die unterlegene Partei nur eine außerordentliche Revision erheben, in der sie dartun muss, dass die Entscheidung sehr wohl von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage abhängt (§ 506 Abs 1 Z 5). Diese Revision ist vom Erstgericht unmittelbar dem OGH vorzulegen. Dieser kann, wenn die Voraussetzung des § 502 Abs 1 tatsächlich fehlt, das Rechtsmittel ohne Begründung zurückweisen (§ 510 Abs 3 Satz 3); andernfalls hat er dem Gegner die Revisionsbeantwortung – sofern sie dieser nicht schon von sich aus eingebracht hat – freizustellen. c) Hat das Berufungsgericht aber im Streitwertbereich zwischen dem völligen Ausschluss der Anrufbarkeit des OGH (also – von den Fällen des § 502 Abs 4 und 5 abgesehen – 4.000 Euro) und 20.000 Euro ausgesprochen, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, dann kann die unterlegene Partei sich nur an das Berufungsgericht mit dem – begründeten – Antrag wenden, seinen Ausspruch dahin abzuändern, dass die ordentliche Revision doch für zulässig erklärt werde; damit ist die ordentliche Revision zu verbinden. Gibt das Berufungsgericht diesem Antrag nicht statt, hat es diesen samt der ordentlichen Revision – unanfechtbar – zurückzuweisen (§ 508 Abs 4). Ändert es jedoch seinen Ausspruch ab, so hat es diesen Beschluss den Parteien zuzustellen und dem Revisionsgegner mitzuteilen, dass ihm die Beantwortung der Revision freistehe (§ 508 Abs 5). Die Revisionsbeantwortung ist dann beim Berufungsgericht einzubringen (§ 507a Abs 3 Z 1). Der OGH ist bei Erledigung der ordentlichen Revision an den Ausspruch des Berufungsgerichtes nicht gebunden (§ 508a Abs 1). Die Aufgabe der Revision liegt nicht nur darin, wie jedes andere Rechts- 4 mittel dem Interesse der Partei an der Fallgerechtigkeit zu dienen; vielmehr dient sie auch dem Allgemeininteresse an der Einheitlichkeit der Rsp. Das kommt nicht nur bei der Zulässigkeitsbeschränkung, sondern auch bei den Revisionsgründen zum Ausdruck. Der Überprüfungsbereich ist im Revisionsverfahren eingeschränkt; insbesondere ist dem OGH die Überprüfung der Tatfrage verwehrt. Auch im Revisionsverfahren gilt der Grundsatz, dass es für die Zulässig- 5 keit eines Rechtsmittels nicht darauf ankommt, in welcher Form die angefochtene Entscheidung ergangen ist, sondern nur darauf, welche Form die prozessual richtige ist (s Vor §§ 461 Rz 6). Fasst also das Gericht zweiter Instanz zu Unrecht einen Beschluss, statt ein Urteil zu 1595

§ 502

Kodek

fällen, dann ist das gegen diese Entscheidung erhobene Rechtsmittel – ungeachtet seiner Bezeichnung (§ 85 Abs 2 letzter Satz) – als Revision zu behandeln (ZBl 1934/323; SZ 49/40 = EvBl 1976/273 = JBl 1976, 541; 1 Ob 41/87 uva). Zulässigkeit § 502. (1) Gegen das Urteil des Berufungsgerichts ist die Revision nur zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist. (2) Die Revision ist jedoch jedenfalls unzulässig, wenn der Streitgegenstand, über den das Berufungsgericht entschieden hat, (Entscheidungsgegenstand) an Geld oder Geldeswert 4.000 Euro nicht übersteigt. (3) Weiters ist die Revision – außer im Fall des § 508 Abs 3 – jedenfalls unzulässig, wenn der Entscheidungsgegenstand an Geld oder Geldeswert zwar 4.000 Euro, nicht aber insgesamt 20.000 Euro übersteigt und das Berufungsgericht die ordentliche Revision nach § 500 Abs 2 Z 3 für nicht zulässig erklärt hat. (4) In den im § 49 Abs 2 Z 1 und 2 JN bezeichneten familienrechtlichen Streitigkeiten ist die Revision – außer im Fall des § 508 Abs 3 – jedenfalls unzulässig, wenn der Entscheidungsgegenstand insgesamt 20.000 Euro nicht übersteigt und das Berufungsgericht die ordentliche Revision nach § 500 Abs 2 Z 3 für nicht zulässig erklärt hat; die Abs 2 und 3 sind nicht anzuwenden. (5) Die Abs 2 und 3 gelten nicht 1. für die im § 49 Abs 2 Z 2a und 2b JN bezeichneten familienrechtlichen Streitigkeiten; 2. für die unter § 49 Abs 2 Z 5 JN fallenden Streitigkeiten, wenn dabei über eine Kündigung, über eine Räumung oder über das Bestehen oder Nichtbestehen des Vertrags entschieden wird; 3. für Rechtsstreitigkeiten, in denen ein im § 29 KSchG genannter Verband einen ihm zur Geltendmachung abgetretenen Anspruch gegen eine Partei klageweise geltend macht; 4. für Streitigkeiten in Arbeits- und Sozialrechtssachen. [Fassung WGN 1997; Geldbeträge idF Euro-JuBeG; Abs 4 und 5 Z 1 idF AußStr-BegleitgG; Abs 5 Z 3 idF ZVN 2004; Abs 5 Z 4 angefügt durch ZVN 2002] 1596

§ 502

4.2 Revision

Lit: Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 502; Bajons Rz 181; Ballon Rz 381 ff; Buchegger, PraktZPR 403 ff; Deixler-Hübner/Klicka Rz 392 ff; Fasching Rz 1857 ff; Holzhammer 332 ff; Rechberger/Simotta Rz 852 ff. Inhaltsübersicht Absolute Unzulässigkeit der Revision Ausnahmen von der wertmäßigen Zulässigkeitsschranke Begriff der „erheblichen Rechtsfrage“ Beispiele aus der Rsp für Bejahung der Zulässigkeit Beispiele aus der Rsp für Verneinung der Zulässigkeit

1–8 9 10–24 25 26

In jedem Fall unzulässig ist die Revision dann, wenn der Entschei- 1 dungsgegenstand in zweiter Instanz 4.000 Euro nicht übersteigt (und kein Ausnahmefall nach § 502 Abs 4 und 5 vorliegt). Das Gleiche gilt seit der WGN 1997 für Revisionen dann, wenn – ausgenommen die Fälle des § 502 Abs 5 – der Entscheidungsgegenstand an Geld oder Geldeswert zwar 4.000 Euro, nicht aber insgesamt 20.000 Euro übersteigt und das Berufungsgericht die ordentliche Revision – auch nach einem Antrag gem § 508 Abs 1 – für nicht zulässig erklärt hat (Abs 3). Für Unterhaltsstreitigkeiten gilt die Untergrenze von 4.000 Euro nicht (Abs 4). Maßgebend ist in beiden Fällen nicht der Streitwert in erster Instanz und nicht der Revisionsgegenstand. Hatte das Berufungsgericht über verbundene Rechtssachen gemein- 2 sam entschieden, ist das für die Rechtsmittelzulässigkeit ohne Bedeutung (SZ 37/22; JBl 1980, 430; AnwBl 1991, 109; 2 Ob 347/99i = MietSlg 51.733 uva), auch wenn Klage und Widerklage verbunden wurden (SZ 31/155 = EvBl 1959/81; JBl 1984, 554; MietSlg 37.763; 3 Ob 285/98b = MietSlg 50.784 = wobl 2000/29 ua); maßgebend ist die Höhe des jeden einzelnen Rechtsstreit betreffenden Entscheidungsgegenstands. Wurden in einer Klage mehrere Forderungen geltend gemacht, dann bilden sie nur dann einen einheitlichen Streitgegenstand – und damit einen einheitlichen Entscheidungsgegenstand des Berufungsgerichtes –, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 JN vorliegen; andernfalls sind sie getrennt zu behandeln (Petrasch, ÖJZ 1983, 201; RZ 1995/31; RZ 1999/3). Zinsen und Kosten, die als Nebenforderungen neben einer Hauptfor- 3 derung geltend gemacht werden, bleiben bei der Frage der Zulässigkeit der Revision unberücksichtigt. Auch als Konkursforderung begehrte Prozesskosten aus der Zeit vor der Konkurseröffnung sind akzessorische Kostenforderungen und damit Nebenforderungen iSd § 54 Abs 2 1597

§ 502

Kodek

JN (8 Ob 2295/96z = SZ 70/166). Auch nach Einschränkung des Begehrens auf Zinsen und Kosten sind diese Nebengebühren ungeachtet ihrer Höhe bei der Ermittlung des Streitwerts nicht zu berücksichtigen (1 Ob 342/98w = RZ 1999/62).

4 Aufrechnungsweise geltend gemachte Gegenforderungen sind – unabhängig von ihrer Höhe – im Hinblick auf § 411 Abs 1 Satz 2 für die Frage der (wertmäßigen) Zulässigkeit unerheblich (JBl 1993, 794; RdW 1995, 17; 2 Ob 347/99i = Mietslg 51.733 uva). Wird die Gegenforderung im Wege einer Widerklage geltend gemacht, so ist deren Streitwert für die Beurteilung der Revisionszulässigkeit maßgebend. Da die Widerklage eine selbständige Klage ist, sind die Streitgegenstände von Klage und Widerklage voneinander unabhängig; auch die Frage, ob die Revision zulässig ist, muss daher für jedes der beiden Verfahren gesondert geprüft werden. Soweit in JBl 1993, 794 und RdW 1995, 17 zum Ausdruck gebracht wurde, Gegenforderungen seien für die Frage der Zulässigkeit dann von Bedeutung, wenn sie mittels Widerklage (oder Zwischenantrags auf Feststellung) geltend gemacht werden, kann das nur dahin verstanden werden, dass im Verfahren über die Widerklage die Zulässigkeit der Revision (ua) davon abhängt, ob die Gegenforderung (= Widerklageforderung) 4.000 Euro übersteigt (4 Ob 2336/96z = SZ 69/ 266 = JBl 1997, 532). Übersteigt also die mit Klage geltend gemachte Forderung nicht 4.000 Euro (bzw 20.000 Euro), dann ist – von den Ausnahmen nach Abs 5 abgesehen – die Revision auch dann jedenfalls unzulässig, wenn eine Gegenforderung von mehr als 4.000 Euro (bzw 20.000 Euro) erhoben wird (RZ 1995/31). Dass der Rechtsbestand oder die Aufrechenbarkeit der Gegenforderung einziger oder doch hauptsächlicher Inhalt der Verhandlung war, macht die Gegenforderung ebensowenig zum Streitgegenstand wie ein auf die außergerichtliche Aufrechnung der Klageforderung mit ihr gestützter reiner Schuldtilgungseinwand (EvBl 1997/151 = ÖJZ-LSK 1997/204).

5 Der Wortlaut des § 502 Abs 2 legt die Auslegung nahe, dass für die Revisionszulässigkeit immer nur der Wert des Entscheidungsgegenstandes maßgebend ist, über den das Berufungsgericht im Einzelfall tatsächlich entschieden hat, im Falle einer Teileinklagung oder eines Teilurteils also nur der Teilbetrag (vgl RZ 1989/17 mwN). Diese Auffassung steht allerdings in einem Spannungsverhältnis zu § 55 Abs 4 JN. Demgegenüber ist darauf zu verweisen, dass der Gesetzgeber mit Einführung des § 55 Abs 4 idF ZVN 1983 (= Abs 4 geltender Fassung) die bis dahin geltende Rechtslage – wonach es nur auf den Teilbetrag ankam, der Gegenstand des Berufungsverfahrens war – nicht ändern wollte (3 Ob 1506/84) und dies – trotz der Erwähnung des freilich auf 1598

§ 502

4.2 Revision

nicht in Geld bestehende Entscheidungsgegenstände wohl unanwendbaren § 55 Abs 3 JN im § 500 Abs 3 – auch auf die WGN 1989 zutrifft. In SZ 64/150 = AnwBl 1992, 675 = JUS Z/ 1052 hat demnach der OGH – mit ausführlicher Begründung – ausgesprochen, dass § 55 Abs 3 JN auf einen nicht eingeklagten Teil einer Forderung zur Bestimmung der Revisionszulässigkeit nicht anzuwenden, die Revision daher dann, wenn bloß eine Teilforderung von weniger als 4.000 Euro (20.000 Euro) eingeklagt wurde, die offene Restforderung diesen Betrag aber übersteigt, unzulässig sei (so auch 4 Ob 107/00i = MR 2000, 317). In Streitigkeiten nach § 49 Abs 2 Z 1 und 2 JN ist im Gegensatz zur 6 Rechtslage vor der WGN 1997 die Revision dann jedenfalls unzulässig, wenn der Entscheidungsgegenstand an Geld oder Geldeswert insgesamt 20.000 Euro nicht übersteigt und das Berufungsgericht – auch nach einem Antrag gem § 508 Abs 1 – die ordentliche Revision nicht für zulässig erklärt hat. (Gesetzliche Unterhaltsansprüche zwischen in gerader Linie verwandten Personen sind seit 1.1.2005 im Außerstreitverfahren geltend zu machen [§ 101 Abs 1 AußStrG 2003 iVm § 114 Abs 1 und 2 JN idF AußStr-BegleitG].). War Entscheidungsgegenstand zweiter Instanz ein Geldbetrag in frem- 7 der Währung, dann ist der maßgebliche Wert des Fremdwährungsmittels nach dem Devisenmittelkurs des Tages zu ermitteln, an dem die Berufungsentscheidung ergangen ist (EvBl 1974/125; EFSlg 55.093 ua). Bestand der Entscheidungsgegenstand nicht ausschließlich in einem 8 Geldbetrag, dann kommt es auf die Bewertung des Berufungsgerichts (§ 500 Abs 3) an, sofern diese nicht von den Bewertungsvorschriften abweicht und daher den OGH nicht bindet (ÖBl 1985, 166; RZ 1992/ 16; s § 500 Rz 3 und 4). Hat das Erstgericht über einen Streitgegenstand entschieden, der den Wert von 2.000 Euro nicht übersteigt, ist die Revision gegen das Berufungsurteil auch dann unzulässig, wenn das Berufungsgericht den Streitwert mit mehr als 4.000 Euro bewertet; in einem solchen Fall steht es dem Berufungsgericht – vom Fall einer offensichtlichen Fehlbewertung abgesehen – nicht frei, abweichend von der Bewertung des Klägers auszusprechen, dass die in § 500 Abs 2 Z 1 lit a genannte Wertgrenze überschritten wurde (SZ 59/198; EvBl 1987/110 = EFSlg 52.222; 1 Ob 292/02a; Fasching1 III 868 und LB2 Rz 1830; Gitschthaler in Fasching2 I § 60 JN Rz 9; aM Burgstaller in FS Matscher [ausdrücklich abgelehnt in 1 Ob 292/02a = EvBl 2003/91]). S § 500 Rz 4. Auch wenn der Entscheidungsgegenstand unter 4.000 Euro liegt, ist die 9 Revision dennoch nicht jedenfalls unzulässig: 1599

§ 502

Kodek

a) in den in § 49 Z 2a und 2b JN bezeichneten familienrechtlichen Streitigkeiten (Abs 5 Z 1). Streitigkeiten aus der Benützung eines im Miteigentum von Ehegatten stehenden Hauses sind allerdings keine Streitigkeiten aus dem gegenseitigen Verhältnis der Ehegatten iSd § 49 Abs 2 Z 2b JN. In solchen Streitigkeiten ist daher Abs 5 Z 1 nicht anzuwenden; vielmehr ist die Zulässigkeit der Revision vom Streitwert abhängig (5 Ob 527/93 = EvBl 1994/36). b) wenn es um Kündigung, Räumung, Bestehen oder Nichtbestehen eines Bestandvertrags iSd des § 49 Abs 2 Z 5 JN geht. Ist eine Räumungsklage gegen einen – von Anfang an – titellosen Benützer gerichtet, liegt dieser Fall nicht vor (MietSlg 38.788; 42.520; 47.667 uva). Der Zweck dieser Ausnahmebestimmung liegt darin, Entscheidungen über das Dauerschuldverhältnis selbst revisibel zu machen; ist nur strittig, ob einer Räumungsverpflichtung zur Gänze entsprochen wurde, ist die Revision hingegen dann, wenn der Entscheidungsgegenstand 4.000 Euro (20.000 Euro) nicht übersteigt, jedenfalls unzulässig (RZ 1991/21). Durch die Formulierung „wenn dabei“ in Abs 3 sollte ausgedrückt werden, dass unter die Ausnahme von der wertmäßigen Revisionsbeschränkung nicht nur der Ausspruch über die Kündigung, Räumung oder das Bestehen oder Nichtbestehen des Vertrages fällt, sondern auch die gleichzeitige Entscheidung über andere Ansprüche, wie etwa jenen auf Zahlung rückständigen Mietzinses (RdW 1993, 109); dazu krit Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 502 Rz 195. Ist freilich die Frage des Bestehens oder Nichtbestehens eines Bestandvertrags zwischen den Streitteilen nur als Vorfrage eines Zahlungsbegehrens, das die erwähnte Streitwertgrenze nicht übersteigt, zu beurteilen, so ist die Revision jedenfalls unzulässig; Abs 3 Z 2 ist nicht anzuwenden (EvBl 1994/169; 1 Ob 2289/96s; 3 Ob 5/97z, Fasching Rz 1887/1). c) in Rechtsstreitigkeiten, in denen ein in § 29 KSchG genannter Verband einen ihm zur Geltendmachung abgetretenen Anspruch gegen eine Partei klageweise geltend macht (Abs 5 Z 3); darunter fallen – seit der ZVN 2004 – auch nicht in Geld bestehende Ansprüche. S bei § 55 JN. d) in Arbeits- und Sozialrechtsstreitigkeiten (Abs 5 Z 4).

10 Ist die Revision nicht jedenfalls unzulässig, dann muss eine weitere Zulässigkeitsvoraussetzung verwirklicht sein; die Entscheidung muss nämlich von der Lösung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung abhängen. Sofern erhebliche Rechtsfragen nur Anspruchsteile unter der Grenze von (nunmehr) 4.000 Euro betreffen, soll nach einigen Entscheidungen die Revision ungeachtet eines höheren Gesamtentscheidungsgegenstands nicht zulässig sein (EvBl 1987/194; 6 Ob 1523/89 ua). 1600

§ 502

4.2 Revision

§ 502 Abs 1 setzt nicht voraus, dass die Entscheidung von der Lösung 11 einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd des § 8 Abs 1 Z 1 und 2 OGHG, BGBl 1968/328, abhängt. Darunter können nur Rechtsfragen verstanden werden, deren Lösung von großer Bedeutung für die Rechtsordnung (vgl Fasching Rz 1951) – so etwa für weite Teile der Bevölkerung von unmittelbarer rechtlicher oder wirtschaftlicher Bedeutung (EvBl 1993/12 = JBl 1993, 238 = RdW 1992, 368) – ist. Was „erheblich“ im Sinne des § 502 Abs 1 ist, ergibt sich aus den dort beispielsweise aufgezählten Fällen. Demnach reicht das Abweichen des Gerichts zweiter Instanz von der Rsp des OGH oder das Fehlen einer einheitlichen Rsp des OGH aus, ohne dass eine Rechtsfrage besonderer Wichtigkeit vorliegen müsste. Bei uneinheitlicher Rsp des OGH zu einer entscheidungswesentlichen Frage ist die Zulässigkeit der Revision daher auch dort zu bejahen, wo nicht der verstärkte Senat nach § 8 Abs 1 Z 2 OGHG einzuschreiten hat. Die Rechtsfrage muss freilich über die besonderen Verhältnisse des Ein- 12 zelfalls hinaus Bedeutung haben (JBl 1986, 192 ua); das ist bei bloßen Ermessensentscheidungen – wie über die Teilung oder Schwere des Verschuldens, die Höhe des Schmerzengelds und die Vertragsauslegung – im allgemeinen nicht der Fall (JAB zu ZVN 1983; Petrasch, ÖJZ 1983, 176 ff und 1989, 744, Fasching Rz 1890). Da aber die Rechtssicherheit und Rechtseinheit geschützt werden sollen, kann auch einem Fehler des Berufungsgerichts, der nicht zu grundlegenden Ausführungen des OGH Anlass bietet – wie etwa einer Aktenwidrigkeit oder Mangelhaftigkeit, einem einfachen Rechen- oder sonstigen Denkfehler –, erhebliche Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 zukommen, liegt es doch nicht nur im Interesse der betroffenen Partei, sondern auch im allgemeinen Interesse, dass Fehlentscheidungen verhindert werden. Folgerichtig hat der OGH daher ausgesprochen, dass ein Amtshaftungsanspruch dann nicht mit der Behauptung geltend gemacht werden kann, eine Entscheidung beruhe auf einer unvertretbaren Rechtsansicht, wenn der OGH die gegen diese Entscheidung erhobene (ordentliche oder außerordentliche) Revision mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 zurückwies (1 Ob 2147/96h = SZ 70/32 = EvBl 1997/141 = ecolex 1997, 573 [abl Rabl] = ÖJZ-LSK 1997/192). Eine unvertretbare Rechtsauffassung des Gerichts der zweiten Instanz im Anlassverfahren müsste nämlich auch bei der bloß eingeschränkten Sachbeurteilung nach § 502 Abs 1 schon begrifflich immer eine erhebliche Rechtsfrage bilden (1 Ob 41/97d unter ausdrücklicher Ablehnung der Kritik Rabls in ecolex 1997, 573). Soweit sich aber das Berufungsgericht im Rahmen der Grundsätze einer 13 stRsp des OGH bewegt, die Rechtslage nicht verkennt und nur auf 1601

§ 502

Kodek

Grund der besonderen Umstände des Einzelfalles seine (Ermessens)Entscheidung trifft, ohne von einer in stRsp anerkannten Ermessensübung extrem abzuweichen, liegt eine erhebliche Rechtsfrage nicht vor (RZ 1992/50; EvBl 1993/59 uva).

14 Auch einem Verfahrensfehler kann erhebliche Bedeutung zukommen, liegt es doch nicht nur im Interesse der betroffenen Partei, sondern auch im allgemeinen Interesse, dass Fehlentscheidungen verhindert werden (6 Ob 195/99s = EvBl 2000/91 = ÖJZ-LSK 2000/83).

15 Weicht die Entscheidung der zweiten Instanz von einer einheitlichen stRsp des OGH ab, dann ist die Revision im Sinne des § 502 Abs 1 zulässig, und zwar auch dann, wenn sie der OGH – auf Grund einer Änderung seiner Rechtsansicht – für nicht berechtigt hält. Aber auch wenn das Urteil des Berufungsgerichts mit einer ständigen und gesicherten Rsp des OGH im Einklang steht, kann die Revision im Einzelfall dann zulässig sein, wenn gewichtige Gegenstimmen in der Lehre erhoben wurden oder die Revision mit neuen bedeutsamen Argumenten begründet wird (Petrasch, ÖJZ 1983, 177). Von solchen Sonderfällen abgesehen ist, solange das Berufungsgericht von einer in reichlichem Ausmaß vorhandenen Rsp nicht abweicht, eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung nicht zu klären (wobl 1988/60; ecolex 1993, 18 uva). Dabei kommt es selbstverständlich nicht nur darauf an, ob die vom Gericht zweiter Instanz angeführten Entscheidungen richtig zitiert wurden, sondern darauf, ob sie auf den vorliegenden Fall passen, bedeutet doch eine unrichtige Subsumtion des festgestellten Sachverhalts unter bestimmte Leitsätze des OGH in gleicher Weise ein Abweichen von der Rsp des OGH, wie wenn davon ausdrücklich und bewusst abgegangen worden wäre (MietSlg 37.770; 43.500 = wobl 1992/60).

16 Auch die Uneinheitlichkeit der Rsp von Rekursgerichten oder verschiedener Spruchkörper eines Rekursgerichts über eine bestimmte Frage kann im Interesse der Wahrung der Rechtseinheit und -sicherheit eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung aufwerfen (3 Ob 297/01z = ecolex 2002, 366; dazu Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 502 Rz 37).

17 Dass Rsp des OGH fehlt, bedeutet dann nicht das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage, wenn eine Rechtsfrage im Gesetz so eindeutig gelöst ist, dass nur eine Möglichkeit der Auslegung ernstlich in Betracht zu ziehen ist und Zweifel bei der Auslegung nicht entstehen können (RZ 1994/45), insbesondere auch, wenn diese Lösung in der Lehre unstrittig ist (wobl 1993/54; 5 Ob 310/99w = MietSlg 51.487 = wobl 2000/ 125 uva; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 502 Rz 47). 1602

§ 502

4.2 Revision

Nach mehreren Entscheidungen des OGH ist die Zulässigkeit wegen 18 Fehlens einer Rsp danach zu beurteilen, ob eine solche Rsp zur Zeit der Erhebung der Revision schon vorhanden war und dem Rechtsmittelwerber bekannt sein konnte, in der Regel also, ob sie schon veröffentlicht war (RZ 1990/55; JBl 1990, 254 ua). Nach 3 Ob 322/99w = ÖJZLSK 2000/118 und 3 Ob 12/00m = ÖA 2001, 210 ist hingegen für die Beurteilung der Zulässigkeit des außerordentlichen Rechtsmittels der Zeitpunkt der Entscheidung des OGH maßgebend; liegt zu diesem Zeitpunkt bereits Rsp zur wesentlichen Frage vor, ist das Rechtsmittel an den OGH unzulässig. Dieser Auffassung ist zu folgen, weil es zweifellos auch nicht im Interesse des Revisionswerbers liegt, dass seinem Gegner die Beantwortung seiner – im Hinblick auf die neue Rsp aussichtslosen – Revision freigestellt wird und ihn daher insoweit eine Kostenersatzpflicht trifft. Im Übrigen ist diese Fragestellung weitgehend überholt, weil eine Veröffentlichung schon zu bejahen ist, sobald die Entscheidung in das – gebührenfrei zugängliche – RIS-Justiz aufgenommen ist (Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 502 Rz 30). Von einer gesicherten Rsp des OGH kann noch nicht gesprochen wer- 19 den, wenn nur eine Entscheidung ohne eingehende Auseinandersetzung mit der Rechtsfrage vorliegt (VersRdSch 1987, 447 meint sogar, bei Vorliegen nur einer Entscheidung könne keinesfalls von gesicherter Rsp des OGH gesprochen werden; dies geht wohl zu weit, weil eine ausführlich begründete, grundlegende [und veröffentlichte] Entscheidung, der keine gegenteiligen entgegenstehen, insbesondere dann, wenn sie auch im Schrifttum nicht auf beachtliche Kritik gestoßen ist, ausreichen muss [RdW 1998, 406; 4 Ob 188/99v = MietSlg 51.725; 4 Ob 222/04g; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 502 Rz 29]). Grund für die Zulässigkeit einer Revision ist auch die mangelnde Ein- 20 heitlichkeit der Rsp. Eine uneinheitliche Rsp liegt aber dann nicht vor, wenn sich seit etlichen Jahren eine von der früheren Rsp abweichende neue Rsp gefestigt hat (EvBl 1986/41 = JUS 9, 13 = MietSlg 37.769; 4 Ob 2060/96m = ÖBl 1996, 284; 4 Ob 1007/96 = MR 1996, 247 = RZ 1997/19). Bei der Beurteilung, ob eine (einheitliche) Rsp des OGH fehlt, kommt 21 es darauf an, ob der zu beurteilende Sachverhalt von den schon judizierten Fällen in einem rechtlich wesentlichen oder nur in einem weniger bedeutenden Element abweicht, dem höchstens im Einzelfall im Rahmen einer Ermessensentscheidung ein gewisses Gewicht beigemessen wurde. Geht es lediglich darum, ob bereits vorhandene Rechtsprechungsgrundsätze auf einen konkreten Sachverhalt anwendbar sind, 1603

§ 502

Kodek

können nur grobe Subsumtionsfehler eine Anrufung des OGH rechtfertigen. Dass noch keine Rechtsprechung zu einem vergleichbaren Sachverhalt vorliegt, reicht für die Zulässigkeit einer Revision nicht aus (JBl 1997, 594 [krit Pfersmann]). Bei unbestimmten Gesetzesbegriffen, vor allem dort, wo der richterlichen Rechtsfortbildung große Bedeutung zukommt – wie etwa im Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht (ÖBl 1984, 48; 1985, 51 uva) –, ist hingegen häufig auch dann eine erhebliche Rechtsfrage zu lösen, wenn zwar bereits allgemeine, durch die Rsp des OGH entwickelte Leitsätze bestehen, die konkrete Lösung des Einzelfalls sich daraus aber noch nicht ohne weiteres ergibt, sondern mangels Vorentscheidungen mit weitgehend gleichartigen Sachverhalten ein sorgfältiger Vergleich mit den bisher entschiedenen, nur ähnlichen Fällen vorzunehmen ist (4 Ob 50/88 = ÖBl 1989, 153; SZ 58/83 = EFSlg 49.386/8 uva).

22 Bei Anwendung ausländischen Rechts (s dazu ausführlich Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 502 Rz 48 bis 53) kommt es darauf an, ob die Entscheidung einer im fremden Staat in Rsp und Lehre gefestigten Ansicht entspricht (RZ 1984/88; EvBl 1985/172; EFSlg 57.839; NRsp 1994/ 103 = ÖBA 1994, 814; 7 Ob 121/00w = ZfRV 2001, 30 uva). Nach Fasching (Rz 1890) soll die Revision bei Auslegung ausländischer Rechtsnormen jedenfalls immer dann zulässig sein, wenn diese Rechtsfrage zum ersten Mal an den OGH herangetragen wird und damit Beispielswirkung hat. Dem steht aber die Erwägung entgegen, dass es nicht Aufgabe des OGH ist, einen Beitrag zur Auslegung ausländischen Rechts zu liefern (4 Ob 136/99z = ZfRV 2000, 114; 4 Ob 255/04k = ÖBl 2005, 233 uva); steht die Entscheidung des Berufungsgerichts im Einklang mit einer gefestigten ständigen Rsp des fremden Höchstgerichts, ist eine Wiederholung dieser Leitsätze durch den OGH entbehrlich (RdW 1997, 594 = ZfRV 1997, 202; ZfRV 1997, 244; 2 Ob 297/98k = ÖBA 1999, 655; 10 Ob 147/00s = ZfRV 2001, 110; 6 Ob 15/01a = ÖBA 2002, 582 ua). Die Revision ist aus Gründen der Rechtssicherheit nur zulässig, wenn ausländisches Recht unzutreffend ermittelt oder eine im ursprünglichen Geltungsbereich des maßgeblichen fremden Rechts in Rsp und Lehre gefestigte Ansicht hintangesetzt wurde oder hiebei grobe Subsumtionsfehler unterlaufen sind (7 Ob 124/01p = AnwBl 2001, 683; 7 Ob 121/00w = ZfRV 2001, 30; 6 Ob 15/01a = ÖBA 2002, 582; 4 Ob 199/03y).

23 Bei Auslegung von nicht in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte fallenden Rechtsmaterien kommt dem OGH keine Leitfunktion zu (5 Ob 372/97k = immolex 1998/119 = MietSlg 49.695 = wobl 1998/126; 1 Ob 62/02b); es liegt daher keine erhebliche Rechtsfrage vor, 1604

§ 502

4.2 Revision

wenn eine Verwaltungsbehörde im Einklang mit der Rsp des VwGH entschieden hat (1 Ob 62/02b; s Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 502 Rz 34 ff). Hängt die Entscheidung von der Lösung einer Frage des Gemein- 24 schaftsrechts ab, so ist die Anrufung des OGH nur zulässig, wenn der zweiten Instanz bei Lösung dieser Frage auf der Grundlage der Rsp des EuGH eine schwerwiegende Fehlbeurteilung unterlief (1 Ob 216/02z =SZ 2002/157 = EvBl 2003/66; ausführlich Zechner in Fasching/ Konecny IV/1 § 502 Rz 40 f). Beispiele aus der Rsp für erhebliche Rechtsfragen: Das Vorliegen ei- 25 ner erheblichen Rechtsfrage wurde bejaht, wenn es galt, eine Nichtigkeit wahrzunehmen (EFSlg 57.813 ua; RZ 1991/75; EvBl 1992/54 = EFSlg 67.432 = NZ 1992, 58 = ÖA 1992, 58; ÖBl 1998, 254; 3 Ob 132/ 97a = EFSlg 85.359; s § 506 Rz 4); ein Rechtsmittel an den OGH kann auch dann zulässig sein, wenn schon die Tatsache seiner Erhebung die Prüfung einer durch die angefochtene Entscheidung aufgeworfenen Nichtigkeitsfrage erfordert (1 Ob 159/02t = EvBl 2002/225 = RdW 2003, 24); bei Verletzung des § 405 ZPO durch Ablehnung eines Zuspruchs mit der unrichtigen Begründung, er sei durch das Urteilsbegehren nicht gedeckt (MR 1986 H 5, 26 = ÖBl 1987, 102), sowie bei Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes durch das Berufungsgericht, das ohne Beweiswiederholung von den Feststellungen der ersten Instanz abgegangen ist (SZ 57/142; EFSlg 49.384 ua); ebenso bei Verwendung einer falschen Eidesformel (6 Ob 195/99s = EvBl 2000/91 = ÖJZ-LSK 2000/83); unterläuft dem Berufungsgericht eine Aktenwidrigkeit, die zugleich einen Verstoß gegen § 498 Abs 1 begründet, liegt gleichfalls eine erhebliche Rechtsfrage vor (SZ 59/87; SZ 59/92 = JUS 20, 13 = MR 1986 H 4, 29; SZ 59/101 = ÖBl 1987, 78 = RdW 1986, 272; EvBl 1992/ 54; 7 Ob 33/99z = MietSlg 51.734 ua). Das Gleiche gilt, wenn die Rechtssicherheit durch einen logischen Widerspruch in der rechtlichen Beurteilung gefährdet wird, so bei Verneinung der Fälligkeit eines Schadenersatzanspruches, obwohl der Schädiger den Eintritt der Bedingung vereitelt hat (6 Ob 597/84); immer – auch in einem singulären, in seiner Tragweite über die Regelung der Rechtsverhältnisse der Streitteile nicht hinausgehenden Fall –, wenn die Entscheidung des Berufungsgerichts auf einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage beruht, so etwa bei einer verfehlten Auslegung eines gerichtlichen Vergleiches (1 Ob 795/ 83; ÖA 1986, 50) oder dann, wenn das Berufungsgericht die durch die Rsp gezogenen Grenzen für die Beurteilung der groben Fahrlässigkeit überschritten hat (SZ 61/280); weiters – aus Gründen der Rechtssicherheit –, wenn ein Bedürfnis zur Klarstellung des Umfanges eines Unter1605

§ 502

Kodek

lassungstitels besteht (EvBl 1985/59 = ÖBl 1985, 53). Hat sich das Berufungsgericht nicht – auch nicht schlüssig – mit der in der Berufungsbeantwortung erhobenen Beweisrüge auseinandergesetzt, hat die betroffene Partei das Recht, diesen Mangel des Berufungsverfahrens auch noch mit außerordentlicher Revision zu rügen (EvBl 1985/113).

26 Fälle, in denen die Erheblichkeit der Rechtsfrage verneint wurde: Wenn erstmalig in einer außerordentlichen Revision die Feststellungen des Ersturteils bekämpft werden (JBl 1986,121; 1 Ob 1528/88; 8 Ob 643/ 91 uva; s dazu nun § 468 Rz 5 und bei § 473a); wenn es nur darum geht, ob ein bestimmtes Vorbringen zur Glaubhaftmachung ausreicht (JBl 1985, 303); ob eine bestimmte Tatsache als vorgebracht anzusehen ist (4 Ob 67/98h; MR 2000, 382), ob eine Klage als schlüssig zu beurteilen ist (4 Ob 1009/88; 4 Ob 302/98k; MR 2000, 382); ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde (MR 1989, 210; 2 Ob 342/99d = MietSlg 51.116 uva), es sei denn, es läge infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis vor (ÖA 1986, 50 ua); ob und in welchem Umfang eine Veröffentlichung des Urteils nach den Umständen des Falls zur Aufklärung des Publikums geboten ist (SZ 56/156 = EvBl 1984/14; MR 1987, 144 = ÖBl 1988, 19; ÖBl 1989, 86; ÖBl 1996, 284; MR 1997, 221); ob die Umstände des Einzelfalls die Wiederholungsgefahr als ausgeschlossen oder doch äußerst unwahrscheinlich erscheinen lassen (ÖBl 1985, 129; SZ 60/187; MR 1988, 18 ua); ob eine bestimmte Bekanntmachung oder Mitteilung den Eindruck einer vorweggenommenen Verkaufsveranstaltung im Sinn des (ehemaligen) § 5 Abs 1 AusverkaufsG vermittelt (ÖBl 1984, 79; 1985, 163) oder ob eine Ankündigung im geschäftlichen Verkehr zur Irreführung nach § 2 UWG geeignet ist (JBl 1986, 192; MR 1995, 233; ecolex 1996, 29); ob die Gefahr von Verwechslungen zwischen zwei Produkten besteht (4 Ob 386/87; 4 Ob 1054/91; ÖBl 1996, 279); wie eine Ankündigung vom Publikum aufgefasst wird (ÖBl 1995, 205); ob nach den im Einzelfall festgestellten Umständen ein dringendes Wohnbedürfnis des Eintrittsberechtigten im Sinn des § 14 Abs 3 MRG zu bejahen ist oder nicht (EvBl 1987/133 = MietSlg 38.790/19) oder ob es sich bei einem konkreten Verhalten um ein unleidliches Verhalten im Sinn des § 30 Abs 2 Z 3 MRG handelt (MietSlg 38.791); ob ein wichtiger Grund für die Auflösung einer OHG vorliegt (GesRZ 1992, 202 = ecolex 1991, 854); ob ein konkludenter Verzicht auf die Geltendmachung eines Kündigungsgrundes anzunehmen ist (MietSlg 38.791); ob der Kläger ein verkehrswidriges Verhalten des Beklagten erkennen und noch unfallsverhindernd hätte reagieren können und ob im Unterlassen einer derartigen Reaktion ein Mitverschulden liegt (RZ 1985/3); ob im Einzelfall eine Klage schlüssig war (JUS 46, 20), ob ein Unterlassungs1606

§ 503

4.2 Revision

gebot im Einzelfall zu weit oder zu eng war (MR 1995, 228; MR 1995, 229); ob etwa ein Kerzenständer die nach den Grundsätzen der Rsp zum Werkcharakter und zu Werken des Kunstgewerbes erforderliche individuelle Eigenart aufweist oder nicht (MR 1996, 244), ob die einstweilige Verfügung von einer Sicherheit abhängig zu machen gewesen wäre (MR 1994, 244), ob das – nicht vereinbarte – Entgelt für die Überlassung von Notenmaterial im Rahmen des Ermessens richtig bestimmt wurde (MR 1996, 248); ob eine prozessuale Untätigkeit des Klägers in der Dauer von vier Monaten ab Verständigung vom ersten, die Klage und den Auftrag zur Klagebeantwortung betreffenden Zustellanstand eine nicht gehörige Fortsetzung der nur wenige Tage vor Ablauf der Verjährungsfrist eingebrachten Klage bedeutet (1 Ob 14/01t); ob den Bieter, der eine in Zwangsversteigerung gezogene Liegenschaft in Bestand genommen hat, wegen Erkennbarkeit einer dadurch bewirkten Pfandrechtswertminderung ein Verschulden trifft (6 Ob 261/01b = EvBl 2002/94). § 503. Die Revision kann nur aus einem der folgenden Gründe begehrt werden: 1. weil das Urteil des Berufungsgerichtes wegen eines der im § 477 bezeichneten Mängel nichtig ist; 2. weil das Berufungsverfahren an einem Mangel leidet, welcher, ohne die Nichtigkeit zu bewirken, eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache zu hindern geeignet war; 3. weil dem Urteile des Berufungsgerichtes in einem wesentlichen Punkte eine tatsächliche Voraussetzung zugrunde gelegt erscheint, welche mit den Prozessakten erster oder zweiter Instanz im Widerspruche steht; 4. weil das Urteil des Berufungsgerichtes auf einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache beruht. [Einleitungssatz idF WGN 1989, womit die Stammfassung wiederhergestellt wurde] Lit: Schima, Vom System der Revisionsgründe der Zivilprozessordnung, FS 100 Jahre OGH 252; ders, Gedanken zu einer Überholung der ZPO, JBl 1960, 321; Rechberger, Die Überprüfung von Erfahrungssätzen in der Revisionsinstanz, ÖJZ 1974, 113; Bajons, Prozessentscheidung als Verfahrensverstoß? JBl 1981, 628; Buchegger, Der Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung, ÖJZ 1983, 645; Kuderna, Der Untersuchungsgrundsatz im Verfahren in Sozialrechtssachen, FS 100 Jahre Sozialversicherung 341; Klicka, Entscheidungsbesprechung, JAP 1990/91, 162; Ballon, Zu den Verfahrensmängeln im 1607

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Kodek

Zivilprozessrecht, FS Matscher (1993) 15; Rechberger/Puschner, Prozessuale Probleme des Verhältnisses der Ansprüche nach §§ 6 ff MietG und § 87 Abs 2 UrhG, RZ 1998, 219. Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 503; Ballon Rz 384; Buchegger, PraktZPR 408 f; Fasching Rz 1905 ff; Holzhammer 336; Rechberger/ Simotta Rz 857 f. Inhaltsübersicht Allgemeines Nichtigkeit Verfahrensmängel

1 2–7 8–16

Aktenwidrigkeit Rechtsrüge

17–21 22

1 Die Aufzählung der Revisionsgründe ist erschöpfend und kann auch nicht durch Analogie erweitert werden. Fehler, die unter keinen der Revisionsgründe fallen, können demnach nicht geltend gemacht werden. So ist dem OGH die Überprüfung der Beweiswürdigung entzogen; auch einen Verstoß gegen das Neuerungsverbot nach § 482 Abs 2 kann er im Revisionsverfahren (anders bei Rekursen nach § 519 Abs 1 Z 2) nicht wahrnehmen (JBl 1960, 443; NZ 1970, 31 uva; s § 482 Rz 6).

2 Nichtigkeitsgründe sind vom OGH nicht nur dann zu beachten, wenn sie in der Revision geltend gemacht werden, sondern auch von Amts wegen (§ 510 Abs 2). Der stRsp, dass Nichtigkeiten des Verfahrens erster Instanz in der Revision nicht geltend gemacht werden können (GlUNF 2160; RZ 1968, 108; EFSlg 39.245; JBl 1985, 38; SZ 59/104 = NZ 1987, 158; EFSlg 55.098; 1 Ob 140/91s; 2 Ob 7/99i; 2 Ob 157/99y = EFSlg 91.042 uva), ist nur für den Fall zuzustimmen, dass der Nichtigkeitsgrund schon vom Berufungsgericht – nach Geltendmachung in der Berufung oder von Amts wegen – verneint wurde, liegt doch insoweit ein Beschluss des Berufungsgerichts vor, der gem § 519 ZPO unanfechtbar ist (EFSlg 57.844, 57.815; SZ 59/104 = NZ 1987, 158; EvBl 1996/135 = ÖJZ-LSK 1996/322; JBl 1997, 588 [krit Binder] uva). Auch bei Vorliegen einer (anderen) bindenden, die Nichtigkeit verneinenden Entscheidung der Vorinstanzen kann die Nichtigkeit nicht mehr geltend gemacht werden; § 42 Abs 3 JN wird erweiternd ausgelegt (JB 63 neu = SZ 28/265 = EvBl 1956/88 = JBl 1956, 126 = JABl 1956, 11 ua). Trifft das nicht zu und schlägt daher die Nichtigkeit erster Instanz – wie etwa der Mangel der inländischen Gerichtsbarkeit, die Unzulässigkeit des Rechtswegs, die mangelnde Prozessfähigkeit einer Partei udgl – auf das Verfahren zweiter Instanz durch, dann kann diese Nichtigkeit – wie sich aus § 510 Abs 2 ergibt – sehr wohl in der Revision geltend gemacht werden (und müsste auch von Amts wegen berücksichtigt werden [10 ObS 251/99f = SSV-NF 13/120]). 1608

§ 503

4.2 Revision

Eine bindende, die Nichtigkeit verneinende Entscheidung der Vor- 3 instanzen liegt nicht vor, wenn die Verletzung der Bindungswirkung (gegenüber dem Nebenintervenienten oder demjenigen, dem der Streit verkündet worden ist) im Berufungsverfahren nur unter dem Gesichtspunkt der unrichtigen rechtlichen Beurteilung behandelt worden war und daher gar kein Entscheidungswille, eine Nichtigkeit zu verneinen, vorhanden war (SZ 70/60 = JBl 1997, 368 = ÖJZ-LSK 1997/203 = ecolex 1997, 422 [Oberhammer]). Unter Z 1 fällt entgegen dem zu engen Wortlaut auch jede Nichtigkeit 4 des Verfahrens (und nicht nur eine solche des Urteils selbst), wie etwa der Entzug der Möglichkeit, an der Berufungsverhandlung teilzunehmen (EvBl 1958/232; EFSlg 57.785 = RZ 1990/18 mwN); insb also wenn die Entscheidung trotz eines Antrags auf Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung in nichtöffentlicher Sitzung gefällt wurde, ohne dass die Voraussetzungen des § 501 vorliegen (RZ 1993/80; 10 ObS 85/93 = SSV-NF 7/53; 6 Ob 257/00p = RdW 2001, 286; 3 Ob 1/03h uva; aM Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 503 Rz 9), oder bei Entscheidung über eine Berufung ohne Kenntnis der Berufungsbeantwortung der Gegenpartei (INFAS 1988 H 6, 23 S 73 ua). Nichtigkeit liegt auch vor, wenn das Berufungsgericht eine Sachentscheidung über eine nach Verzicht erhobene oder verspätete Berufung (SZ 22/173; JBl 1985, 630; 1 Ob 6/98h = JBl 1999, 392 [insoweit zust Pfersmann]) – also trotz eingetretener Rechtskraft – fällt oder wenn es durch Überschreitung der Berufungsanträge die Teilrechtskraft missachtet (SZ 22/98; EvBl 1969/ 65 = RZ 1969, 33 uva). Auch die unrichtige Besetzung des Berufungssenats begründet Nichtig- 5 keit, wenn keine mündliche Berufungsverhandlung stattgefunden hat und die Parteien keine Gelegenheit hatten, den Besetzungsmangel zu rügen. Diese Nichtigkeit kann aber vom OGH nur dann wahrgenommen werden, wenn sie in der Revision gerügt wird. Verstöße gegen die §§ 7, 8 JN im Rekursverfahren oder einem nicht öffentlichen Berufungsverfahren sind nämlich dann als geheilt anzusehen, wenn die Parteien in ihren Rechtsmitteln an den OGH den Fehler in der Gerichtsbesetzung des Gerichts zweiter Instanz nicht als Nichtigkeit rügen (3 Ob 246/98t = SZ 72/81 = ecolex 1999, 689 = RdW 1999, 660 [Pfersmann in ÖJZ 2002, 673 f]). Übt der Vorsitzende im Berufungsverfahren gleichzeitig die Funktion 6 des Berichterstatters aus, bewirkt dies keine Nichtigkeit, weil es sich bei § 486 Abs 1 nicht um eine Besetzungsvorschrift handelt (1 Ob 10/93 = SZ 66/97 = JBl 1994, 185; s § 486 Rz 1). 1609

§ 503

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7 Verneint die zweite Instanz infolge unrichtiger (materiell-)rechtlicher Beurteilung das Vorliegen einer Nichtigkeit und ergeben sich daraus Feststellungsmängel, dann kann der OGH die Nichtigkeit wahrnehmen (EvBl 1997/31 = RZ 1997/46).

8 Z 2 spricht nur von Mängeln des Berufungsverfahrens. Wurde ein Verfahrensmangel erster Instanz in der Berufung nicht geltend gemacht, dann durfte das Berufungsgericht diesen Mangel nicht wahrnehmen. Da sohin ein Verfahrensmangel zweiter Instanz nicht vorliegt, kann in diesem Fall der Mangel erster Instanz nicht mehr als Revisionsgrund geltend gemacht werden (ZBl 1920/158; EFSlg 55.100, 57.817; 9 ObA 200/ 93 = SZ 66/95 uva; Schima, FS 100 Jahre OGH 252; aM Fasching Rz 1909; Rechberger/Simotta Rz 858). Das gilt freilich nicht in den Verfahren, die dem Grundsatz der amtswegigen Wahrheitsforschung unterliegen (§ 460 Z 4), weil in diesen Fällen das Berufungsgericht auch von Amts wegen Stoffsammlungsmängel der ersten Instanz zu beheben gehabt hätte (EvBl 1957/191; EFSlg 49.391 = ÖA 1987, 113; EFSlg 57.820, 57.821 uva).

9 Wurde ein Mangel erster Instanz in der Berufung zwar geltend gemacht, vom Berufungsgericht aber verneint, dann kann der Mangel nach stRsp – auch im Verfahren nach dem ASGG (RZ 1992/15; SZ 67/ 203 = Arb 11.309; Arb 11.928 uva) – nicht mehr in der Revision gerügt werden (SZ 22/106; JBl 1972, 569; SZ 62/157 = SSV-NF 3/115 = JBl 1990, 535; EFSlg 64.136; JBl 1998, 643; MietSlg 50.749; EFSlg 91.044 uva); auch hier wird für die Fälle einer amtswegigen Wahrheitsforschung eine Ausnahme gemacht (EFSlg 57.821, 64.138 uva). Diese Rsp, die ursprünglich nur mit dem Grundsatz gerechtfertigt wurde, dass ein Fehler immer nur in der nächsthöheren Instanz geltend gemacht werden könne (SZ 22/106), stieß im Schrifttum allgemein auf Ablehnung (Schima, JBl 1960, 324; Novak, JBl 1960, 565; Fasching1 IV 306 ff). Seit JBl 1972, 569 wird sie mit einem Größenschluss begründet: Kann ein schwerwiegender Verfahrensverstoß vom Gewicht einer Nichtigkeit dann nicht mehr mit Erfolg in der Revision geltend gemacht (oder von Amts wegen wahrgenommen) werden, wenn ihn das Berufungsgericht verneint hat, dann kann umso weniger ein vom Gericht zweiter Instanz verneinter einfacher Mangel, der keine Nichtigkeit begründet, in dritter Instanz geltend gemacht werden (zust Klicka, JAP 1990/91, 162 und – mit teilweise anderer Begründung – Ballon, FS Matscher 22 ff; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 503 Rz 35; abl Fasching Rz 1909 u. Rechberger/Simotta Rz 858; Kuderna, FS 100 Jahre Sozialversicherung 341 ff [356, FN 42], dem der OGH in SZ 62/157 = SSV-NF 3/115 = JBl 1990, 535 entgegengetreten ist; Hoyer, JBl 1991, 448, dessen Ausführungen 1610

§ 503

4.2 Revision

der OGH in SSV-NF 5/116 = ARD 4352/36/92 = RZ 1992/57 abgelehnt hat). Dieser Grundsatz ist jedoch unanwendbar, wenn das Berufungsgericht infolge unrichtiger Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften eine Erledigung der Mängelrüge unterlassen (SZ 53/12 = JBl 1981, 268 mwN) oder sie mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung verworfen hat (SZ 38/120; SZ 53/12 = JBl 1981, 268 mwN; 4 Ob 163/04f ua). Er gilt auch dann nicht, wenn das Berufungsgericht einen Verfahrens- 10 mangel erster Instanz infolge einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung nicht wahrgenommen hat; in diesem Fall liegt ja ein Feststellungsmangel vor, der mit der Rechtsrüge geltend zu machen ist (SZ 39/139 = EvBl 1967/63 uva). Zu den Folgen der Verletzung des Neuerungsverbots s § 482 Rz 6. Ein Mangel des Berufungsverfahrens ist ua dann gegeben, wenn sich das 11 Berufungsgericht mit der Beweiswürdigungsrüge nicht oder nur so mangelhaft befasst hat, dass keine nachvollziehbaren Überlegungen über die Beweiswürdigung angestellt und im Urteil festgehalten sind (EFSlg 34.489, 52.234; RZ 1990/121; RZ 1991/5 ua; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 503 Rz 145); wenn eine Partei nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten war (SZ 24/155), wenn der Unmittelbarkeitsgrundsatz verletzt wurde (SZ 38/74 = RZ 1965, 147; JBl 1987, 316 ua) oder wenn das Berufungsgericht § 488 Abs 4 zuwidergehandelt hat (RZ 1991/20). Steht der Aufnahme eines beantragten Beweises ein Beweisaufnahme- 12 verbot entgegen, begründet das Unterbleiben der Beweisaufnahme keinen Verfahrensmangel (1 Ob 151/01i = SZ 74/159 = EvBl 2002/42; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 503 Rz 103). Die Verletzung eines Beweisverbots soll hingegen nach 2 Ob 272/97g = SZ 70/239 = EvBl 1998/69 = RdW 1998, 339 = RZ 1998/56 keine Mangelhaftigkeit begründen (abl Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 503 Rz 104). Ob eine Beweiswiederholung notwendig war, ist ein – unüberprüfbarer 13 – Akt der Beweiswürdigung (EFSlg 57.832 uva; Zechner in Fasching/ Konecny IV/1 § 503 Rz 149); das Gleiche gilt für die Entscheidung darüber, ob Kontrollbeweise durchgeführt werden sollen (EvBl 1962/133; EFSlg 49.403; 3 Ob 534/90 = SZ 63/133 uva) oder ob Zeugen gegenüberzustellen sind (EvBl 1953/355; EFSlg 34.495 uva). Auch die Frage, ob der Anscheinsbeweis erbracht wurde, ist eine Frage 14 der Beweiswürdigung und daher im Revisionsverfahren nicht überprüfbar (1 Ob 17/99b = SZ 72/129 = EvBl 2000/26). 1611

§ 503

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15 Der OGH hat also nicht zu überprüfen, ob die vom Berufungsgericht gezogene Schlussfolgerung aus den einzelnen Verfahrensergebnissen – also die Beweiswürdigung – richtig oder fehlerhaft ist; er hat nur auf entsprechende Rüge zu untersuchen, ob bei der Stoffsammlung oder Erörterung eine Verfahrensvorschrift verletzt wurde (Fasching Rz 1910).

16 Ein Verfahrensmangel kann nur dann zu einer Aufhebung führen, wenn er für die Entscheidung wesentlich war und sich auf diese hätte auswirken können (EFSlg 88.180 = ZfRV 1999, 79; 10 ObS 110/02b).

17 Der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit liegt nur vor, wenn die Feststellungen auf aktenwidriger Grundlage getroffen wurden, also auf einem bei der Darstellung der Beweisergebnisse unterlaufenen Irrtum, auf einem Formverstoß beruhen, der aus den Prozessakten selbst erkennbar und behebbar ist (ZBl 1916/79; MietSlg 33.673; EFSlg 39.271; MietSlg 34.775 uva); die Aktenwidrigkeit muss für das Urteil von wesentlicher Bedeutung sein (GlUNF 1827; EFSlg 44.101 uva). Sie liegt auch dann vor, wenn für eine Tatsachenfeststellung überhaupt keine beweismäßige Grundlage besteht (ZfRV 1980, 149), nicht aber dann, wenn eine allenfalls mögliche Feststellung nicht getroffen oder eine Feststellung durch Schlussfolgerung gewonnen wurde (EFSlg 64.141 ua).

18 Die unrichtige Wiedergabe der Parteienbehauptungen bedeutet hingegen keine Aktenwidrigkeit (JBl 1968, 624; EFSlg 41.804); sie kann allerdings – soweit das Berufungsgericht das Vorbringen zum Teil tatsächlich übersehen oder missverstanden hat – zu einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung geführt haben.

19 In der Übernahme der Feststellungen des Erstgerichts durch das Berufungsgericht kann schon begrifflich keine Aktenwidrigkeit liegen (EFSlg 34.999; 41.805 ua; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 503 Rz 167); die unrichtige Wiedergabe der Feststellungen kann hingegen – wenn der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichtes die in Wahrheit vom Ersturteil abweichenden Feststellungen zugrunde gelegt wurden – eine Aktenwidrigkeit des Berufungsurteils begründen (1 Ob 530/ 88; 4 Ob 47/99m = SZ 72/52; 7 Ob 2387/96x = SZ 70/99 ua; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 503 Rz 159 und 167).

20 Das Revisionsgericht hat an die Stelle der aktenwidrigen Feststellung die durch den Akteninhalt gedeckte Feststellung zu setzen und kann demnach – sofern die Entscheidungsgrundlage vollständig bleibt – sogleich in der Sache selbst entscheiden (Fasching Rz 1915; s auch Zechner 1612

§ 503

4.2 Revision

in Fasching/Konecny IV/1 § 503 Rz 179) und die tatsächliche Feststellung der rechtlichen Beurteilung unterziehen (3 Ob 154/01w). Eine Aktenwidrigkeit des Ersturteils, welche in der Berufung nicht gel- 21 tend gemacht worden war, bildet nicht den Revisionsgrund nach Z 3; die Aktenwidrigkeitsrüge kann nach stRsp im Revisionsverfahren nicht nachgetragen werden (JBl 1959, 458; EFSlg 23.153, 39.269, 55.112; uva). Dieser Rechtssatz wurde – soweit überblickbar – nur in solchen Fällen vertreten, in denen der Revisionswerber schon Berufung erhoben hatte. Soweit Fasching (IV1 320 und RZ 1913) meint, eine Partei, die schon in erster Instanz verloren hat, könne erstmals in der Revision solche Feststellungen als aktenkundig rügen, die erst für die Entscheidung zweiter Instanz kausal waren, kann dem nicht zugestimmt werden, muss doch von jeder Partei verlangt werden, dass sie in der Berufung schon alle ihr uU nachteiligen Feststellungen – sei es mit Beweisrüge, sei es als aktenwidrig – bekämpft (so auch Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 503 Rz 176). Hatte der Revisionswerber hingegen in erster Instanz obsiegt, finden nun die Regeln des § 468 idF WGN 1997 und des § 473a Anwendung (s § 468 Rz 5 und § 473a Rz 2). Der Revisionsgrund der Z 4 liegt – ebenso wie der Berufungsgrund der 22 unrichtigen rechtlichen Beurteilung – nur vor, wenn aufgezeigt wird, dass der festgestellte Sachverhalt rechtlich unrichtig beurteilt wurde (EFSlg 57.833, 64.142; 10 ObS 14/95 = SSV-NF 7/15 uva; s § 506 Rz 2). Eine im Berufungsverfahren unterbliebene (oder nicht gehörig ausge- 23 führte) Rechtsrüge kann nach stRsp im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden (Rsp 1924, 220; RZ 1977/65; MietSlg 40.805; EFSlg 57.836; ÖBl 1991, 108; 1 Ob 117/00p; 1 Ob 14/01t uva). Fasching (IV1 322 f und Rz 1930) lehnt diese Rsp ab. Sie sei durch das Gesetz nicht gedeckt; die rechtliche Beurteilung könne für sich allein nicht Gegenstand der Rechtskraft sein; Fehler eines Urteils könnten nicht nur in der nächsthöheren Instanz berücksichtigt werden; das Berufungsgericht habe selbst eine rechtlich unrichtige Entscheidung gefällt, wenn es ihr eine unrichtige Rechtsauffassung zugrunde lege oder zugrunde legen müsse. Dem steht freilich die Fassung des § 503 Z 4 gegenüber, wonach der Revisionsgrund darin besteht, dass das Urteil des Berufungsgerichts auf einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache beruht. Hatte das Berufungsgericht nur eine Verfahrens- oder Beweisrüge zu behandeln, diese als unbegründet erkannt und das angefochtene Urteil daher bestätigt, dann lässt sich nur schwer die Ansicht vertreten, das Berufungsurteil beruhe auf einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Wollte man der Auffassung Faschings folgen, hätte dies die – jeder Prozess1613

§ 503

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ökonomie zuwiderlaufende – Konsequenz, dass das Berufungsgericht bei Verneinung der allein geltend gemachten, den Tatsachenbereich betreffenden Berufungsgründe das Urteil gegebenenfalls im vollen Bewusstsein des Umstandes zu bestätigen hätte, dass es im Hinblick auf die unrichtige rechtliche Beurteilung durch das Erstgericht einer Anfechtung vor dem OGH nicht standhalten kann. Dennoch könnte das Berufungsgericht aber mangels Rechtsrüge diesen Fehler des Ersturteils nicht aufgreifen (s § 462 Rz 2). Rechberger/Simotta (Rz 858) folgen der Meinung Faschings; die dagegen ins Treffen geführten „prozessunökonomischen Konsequenzen“ fielen nach ihrer Ansicht nicht ins Gewicht.

24 Nach einer großen Zahl von Entscheidungen ist der Revisionsgrund nach Z 4 nur bei unrichtiger rechtlicher Beurteilung in materiellrechtlicher Beziehung gegeben, wogegen zur Bekämpfung einer unrichtigen Anwendung der Prozessgesetze die Revisionsgründe der Nichtigkeit oder der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens dienen (GlUNF 7337; EvBl 1960/282; EFSlg 8964 uva). Wesentlich ist aber, dass die unrichtige rechtliche Beurteilung die „Sache“, also das meritum, betrifft; fußt im Einzelfall die Entscheidung auf Normen des Prozessrechtes – wie etwa bei der Entscheidung über eine Wiederaufnahme- oder Nichtigkeitsklage –, dann liegt die unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache in der unrichtigen Anwendung verfahrensrechtlicher Normen (Bajons, JBl 1981, 628; Fasching Rz 1916; SZ 7/75; JBl 1950, 385; EvBl 1951/438).

25 Mit der Rechtsrüge sind auch Feststellungsmängel infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung geltend zu machen (SZ 50/97; JBl 1982, 311; SSV-NF 3/29 uva).

26 Zur unrichtigen rechtlichen Beurteilung gehören auch Verstöße gegen die Gesetze der Logik und Erfahrung (RZ 1967, 105; EFSlg 44.122, 44.113 uva; aM Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 503 Rz 186), aber auch Rechenfehler (EFSlg 20.810); nur wegen Verstößen gegen die Gesetze der Logik und Erfahrung können demnach Feststellungen mit der Rechtsrüge bekämpft werden. Ein zur Anfechtung in der Revision geeigneter Verstoß gegen Denkgesetze liegt nur dann vor, wenn der Schluss des Richters logisch unmöglich ist (4 Ob 25/04m = ÖBl 2004, 277; 4 Ob 197/04f ua). S auch § 498 Rz 2.

27 Wurde der Revisionsgrund der Z 4 geltend gemacht (und gehörig ausgeführt), so hat der OGH die rechtliche Beurteilung ohne Beschränkung auf die vom Rechtsmittelwerber geltend gemachten Gründe zu prüfen 1614

§ 504

4.2 Revision

(Rsp 1936/303; SZ 44/177; 49/118; EFSlg 52.251; ÖJZ-LSK 1996/140), es sei denn, der Rechtsmittelwerber hat in erster Instanz geltend gemachte rechtserzeugende oder rechtsvernichtende Tatsachen (Rechtsgründe) in der Rechtsrüge nicht mehr aufrecht erhalten (EvBl 1985/154 uva). Wurde das Ersturteil nur in einem bestimmten Punkt (s § 471 Rz 9) wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung angefochten, dann können andere Punkte in der Rechtsrüge der Revision nicht mehr geltend gemacht werden (EvBl 1985/154; MR 1987, 221; MR 1989, 52; ÖBl 1991, 108; 1 Ob 103/02g = ÖBA 2003, 302 mwN). Zur Abgrenzung von Tat- und Rechtsfragen s § 498 Rz 2 ff und Fasching 28 (Rz 1922 bis 1926). Ändert sich die Rechtslage nach dem Urteil der ersten oder zweiten 29 Instanz, dann ist im Einzelfall zu prüfen, ob Übergangsvorschriften regeln, welche Norm nun anzuwenden ist; andernfalls sind Rechtsänderungen in aller Regel zu beachten (4 Ob 89/01v = ÖBl 2002, 72), sofern das – bei Dispositivnormen – nicht dem eindeutigen Parteiwillen widerspräche (Fasching Rz 1927; Näheres s § 482 Rz 12). Die Änderung der Rechtslage kann auch unter Umständen zu einem Wegfall der Beschwer führen, so etwa, wenn auf Grund des angefochtenen Urteiles ohnehin nicht mehr Exekution geführt werden könnte (ÖBl 1991, 38 = RdW 1991, 11). Zur Beschwer s Vor § 461 Rz 9 und 10 und bei § 50 Abs 2 ZPO. Zum Verstoß gegen § 473a s dort Rz 2. § 504. (1) Das Revisionsgericht überprüft das Urteil des Berufungsgerichtes innerhalb der Grenzen der im Revisionsverfahren gestellten Anträge. (2) Neue tatsächliche Behauptungen oder Beweise können in der Revisionsinstanz nur zur Unterstützung oder Bekämpfung der Behauptung vorgebracht werden, dass das Urteil des Berufungsgerichtes wegen eines der im § 477 bezeichneten Mängel nichtig sei, oder dass das Berufungsverfahren an einem Mangel leide, welcher die erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache zu hindern vermochte. [Stammfassung] Lit: Fucik, Das Neuerungsverbot im Zivilgerichtsverfahrensrecht, ÖJZ 1992, 425. Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 504; Bajons Rz 173 ff; Ballon Rz 385; Fasching Rz 1903; Rechberger/Simotta Rz 825 ff. 1615

§ 504

Kodek

1 Abs 1 entspricht – ebenso wie § 462 Abs 1 – dem Grundsatz des beschränkten Rechtsmittels sowie der Teilrechtskraft (s § 462 Rz 1 und 3). Der OGH ist nicht nur an die Revisionsanträge gebunden, sondern hat auch – von den Fällen der Nichtigkeit abgesehen – nur über die geltend gemachten Revisionsgründe zu entscheiden (JB 230 = GlUNF 7470).

2 Fehlt ein (bestimmter) Revisionsantrag, dann ist ein Verbesserungsverfahren (§§ 84, 85, 474 Abs 2, § 513) einzuleiten. Bleibt dieses Verfahren erfolglos oder ist der Revisionsantrag verfehlt – wenn etwa statt des der Sache nach gebotenen Abänderungsantrages nur ein Aufhebungsantrag gestellt wird (SZ 22/188; SZ 23/175; EFSlg 23.179 uva) –, dann ist der Revision der Erfolg zu versagen (zur Frage der Verbesserung unrichtiger Anträge s § 471 Rz 4; aM Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 506 Rz 11 unter Hinweis auf § 84 Abs 3 letzter Halbsatz, wonach im Zweifel die gesamte Entscheidung als angefochten gilt).

3 Zum Neuerungsverbot s § 482; Abs 2 stellt – im Gegensatz zu § 482 Abs 2 – eindeutig klar, dass das Neuerungsverbot nur bei der Geltendmachung von Nichtigkeit und Mangelhaftigkeit durchbrochen wird.

4 Auch im Verfahren über die Nichtigerklärung oder die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer Ehe (§ 460 Z 4) besteht für das Revisionsverfahren – anders als für das Berufungsverfahren (§ 483a Abs 2) – keine Ausnahme vom Neuerungsverbot. Soweit Verfahren über die Anerkennung oder Bestreitung der ehelichen Abstammung noch vor dem In-Kraft-Treten des AußStrG 2003 mit 1.1.2005 eingeleitet wurden, gilt für diese kein Neuerungsverbot (§ 6 Z 1 FamRAnglV). Für Streitigkeiten über die uneheliche Vaterschaft gilt das Neuerungsverbot im Berufungsverfahren (Art 5 Z 5 UeKG). Seit 1.1.2005 sind diese Ansprüche im Außerstreitverfahren geltend zu machen (§ 82 AußStrG 2003).

5 Infolge des Neuerungsverbots sind auch Änderungen des Klagebegehrens im Revisionsverfahren unzulässig (GlUNF 2580). Das Gleiche gilt für Klageveränderungen iSd § 235 Abs 4 (Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 504 Rz 26).

6 Zugestandene und offenkundige Tatsachen können verwertet werden (3 Ob 285/97a = EvBl 1998/50; 1 Ob 134/02s = SZ 2002/156; 3 Ob 30/ 02m = JBl 2002, 518). Auch einem Anerkenntnis steht das Neuerungsverbot nicht im Weg; der OGH kann daher bei Anerkenntnis im Revisionsverfahren – ohne mündliche Verhandlung – ein Anerkenntnisurteil fällen (3 Ob 255/04b = JBl 2005, 589 = RdW 2005, 430). 1616

§ 505

4.2 Revision

§ 505. (1) Die Revision wird durch Überreichung eines Schriftsatzes (Revisionsschrift) bei dem Prozessgerichte erster Instanz erhoben. Einer Anmeldung der Revision bedarf es nicht. (2) Die Revisionsfrist beträgt vier Wochen von der Zustellung des Berufungserkenntnisses an; sie kann nicht verlängert werden. § 464 Abs 3 ist sinngemäß anzuwenden. (3) Durch die rechtzeitige Erhebung einer ordentlichen Revision oder eines Antrags nach § 508 Abs 1 verbunden mit einer ordentlichen Revision wird der Eintritt der Rechtskraft und Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils im Umfang der Revisionsanträge bis zur Erledigung des Rechtsmittels gehemmt. (4) Hat das Berufungsgericht im Berufungsurteil nach § 500 Abs 2 Z 3 ausgesprochen, dass die ordentliche Revision nicht nach § 502 Abs 1 zulässig ist, so kann nur in Streitigkeiten nach § 502 Abs 5 und in solchen, in denen der Entscheidungsgegenstand insgesamt 20 000 Euro übersteigt, dennoch eine Revision erhoben werden (außerordentliche Revision). Die Erhebung einer außerordentlichen Revision hemmt nicht den Eintritt der Vollstreckbarkeit, sondern nur den der Rechtskraft. [Abs 1 Satz 1 Stammfassung, Satz 2 angefügt durch WGN 1989; Abs 2 Satz 1 idF ZVN 1983, Satz 2 angefügt durch Art III Z 21 BGBl 1955/282; Abs 3 idF WGN 1997; Abs 4 angefügt durch WGN 1997; Geldbetrag idF 2. Euro-JuBeG] Lit: Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 505; Ballon Rz 386 ff; Buchegger, PraktZPR 409 ff; Fasching Rz 1938 ff; Rechberger/Simotta Rz 861 ff. Zur Einmaligkeit des Rechtsmittels s Vor § 461 Rz 12.

1

Das mit der WGN 1989 eingeführte Erfordernis der Anmeldung von 2 Berufungen (§ 461 Abs 1) gilt für Revisionen nicht. Zur Rechtsmittelfrist und zur Beigabe eines Verfahrenshelfers s bei 3 § 464. § 464 Abs 3 zweiter Satz ist iVm § 505 Abs 2 dahin auszulegen, dass die vierwöchige Revisionsfrist am Tag nach Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses, mit dem der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe und Beigebung eines Rechtsanwalts abgewiesen wurde, neuerlich zu laufen beginnt; sie endet mit dem Tag, der seiner Bezeichnung nach dem Tag des fristauslösenden Ereignisses entspricht (1 Ob 141/03x = EvBl 2003/188). Die wegen der bereits erfolgten Zustellung des Berufungsurteils an den letzten Prozessbevollmächtigten ausgelöste Revisionsfrist wird also mit Eintritt der Rechtskraft des Abweisungsbe1617

§ 506

Kodek

schlusses neuerlich in Gang gesetzt (1 Ob 141/03x = EvBl 2003/188). Zur – objektiv – unberechtigten Zurückweisung einer Revision als verspätet durch den OGH s § 530 Rz 5.

4 Während die ordentliche Revision (§ 507a Abs 2 Z 1) sowie ein mit einer ordentlichen Revision verbundener Antrag nach § 508 Abs 1 nicht nur die Rechtskraft, sondern auch die Vollstreckbarkeit hemmen (Abs 3), hindert die Erhebung einer außerordentlichen Revision (§ 505 Abs 4) nur den Eintritt der Rechtskraft, nicht aber jenen der Vollstreckbarkeit. Hat also das Berufungsgericht in einer Rechtssache mit einem 20 000 Euro übersteigenden Wert des Entscheidungsgegenstands oder nach § 502 Abs 5 ausgesprochen, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, dann kann auf Grund des Berufungsurteils Exekution geführt werden, die allerdings gem § 42 Abs 1 Z 2a EO (ohne Prüfung der Erfolgschancen) auf Antrag aufgeschoben werden kann. Auf Grund eines in zweiter Instanz bestätigten Urteils kann dann, wenn dagegen Revision erhoben oder ein mit einer ordentlichen Revision verbundener Antrag nach § 508 Abs 1 gestellt wurde, Exekution zur Sicherstellung bewilligt werden (§ 371 Z 1 EO). Hat ein Beklagter auf Grund eines Urteils, das noch mit außerordentlicher Revision bekämpft werden konnte, geleistet, und wurde dann das Berufungsurteil aufgehoben, so ist ein eingeleitetes Exekutionsverfahren gem § 39 Abs 1 Z 1 EO einzustellen; der Beklagte kann das Geleistete gem § 1435 ABGB zurückfordern (SZ 58/204 = EvBl 1986/78). § 506. (1) Die Revisionsschrift muss nebst den allgemeinen Erfordernissen eines Schriftsatzes enthalten: 1. die Bezeichnung des Urteiles, gegen welches die Revision gerichtet ist; 2. die bestimmte Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird, die ebenso bestimmte kurze Bezeichnung der Gründe der Anfechtung (Revisionsgründe) und die Erklärung, ob die Aufhebung oder eine Abänderung des Urteils und welche beantragt werde (Revisionsantrag); 3. das tatsächliche Vorbringen und die Beweismittel, durch welche die Wahrheit der im § 503 Z 1 und 2 angegebenen Revisionsgründe erwiesen werden soll; 4. die Unterschrift eines Rechtsanwaltes; 5. bei einer außerordentlichen Revision (§ 505 Abs 4) gesondert die Gründe, warum entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts, nach § 502 Abs 1 die Revision für zulässig erachtet wird. 1618

§ 506

4.2 Revision

(2) Insoweit die Revision auf den im § 503 Z 4 angegebenen Revisionsgrund gestützt wird, ist in der Revisionsschrift ohne Weitläufigkeiten darzulegen, aus welchen Gründen die rechtliche Beurteilung der Sache unrichtig erscheint. (3) Aufgehoben [Abs 1 Z 4 idF StGBl 1919/95, Abs 1 Z 5 – idF WGN 1997 – angefügt durch ZVN 1983; sonst Stammfassung, zu welcher Abs 1 Z 2 und 3 sowie Abs 2 mit der WGN 1989 zurückgekehrt sind; Abs 3 aufgehoben durch WGN 1989] Lit: Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 506; Ballon Rz 387; Fasching Rz 1938 f. S die Ausführungen zu § 467. 1 Auch hier gilt, dass nicht die Revisionserklärung, sondern der Revisionsantrag maßgebend ist; selbst wenn erklärt wird, das Urteil werde „seinem ganzen Umfang nach“ angefochten, so gilt doch jener Teil als unangefochten, der weder vom Revisionsantrag noch von den Revisionsgründen betroffen wird (SZ 6/407; EFSlg 18.569; 1 Ob 2134/96p = MietSlg 48.664 ua). Die bloße Anführung der Revisionsgründe genügt nicht; vielmehr müssen diese entsprechend ausgeführt werden. Die bloße Verweisung auf Inhalt und Anträge einer früheren Rechtsmittelschrift wird nach stRsp als unzulässig angesehen (ZBl 1923/157; SZ 12/214; SZ 35/66 = Arb 7577; ÖBl 1982, 24; EFSlg 46.706; ZVR 1993/137; 10 ObS 2303/96s = SZ 69/209; 6 Ob 60/99p = EFSlg 91.058 uva). Nach überwiegender Auffassung ist ein solcher Mangel nicht verbesserungsfähig (so SZ 69/ 209; 1 Ob 170/00g; 1 Ob 103/02y = ÖBA 2003, 302; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 503 Rz 25 und 29, wonach insoweit ein inhaltlicher Mangel vorliege). Dem steht jedoch die Erwägung entgegen, dass der Grundsatz, wonach eine Verweisung auf andere Schriftsätze unzulässig ist, als Formvorschrift anzusehen ist und ein Verstoß dagegen daher einen formellen und keinen inhaltlichen Fehler bildet. Abs 2 umreißt, wie eine Rechtsrüge auszuführen ist. Die unrichtige 2 rechtliche Beurteilung „der Sache“ wird nur dann dargelegt, wenn der Rechtsmittelwerber vom festgestellten Sachverhalt ausgeht (s § 471 Rz 9 und § 503 Rz 22 ff); andernfalls ist der Revisionsgrund nach § 503 Z 4 nicht gesetzmäßig ausgeführt (ZfRV 1988, 302). Der Revisionswerber muss konkret ausführen, aus welchen Gründen das Berufungsgericht die Sache rechtlich unrichtig beurteilt habe; die bloße Behauptung, ein Anspruch sei nicht gerechtfertigt, genügt ebensowenig wie das bloße Aufstellen einer unrichtigen Rechtsbehauptung (EFSlg 41.811, 55.113, 57.834 ua). 1619

§ 506

Kodek

3 Hat das Berufungsgericht in Streitigkeiten nach § 502 Abs 5 und in solchen, in denen der Entscheidungsgegenstand insgesamt 20.000 Euro übersteigt, ausgesprochen, dass die ordentliche Revision nicht zulässig ist, dann muss die (außerordentliche) Revision eine Zulassungsbeschwerde (Z 5) enthalten; diese ist dann nicht gesetzmäßig ausgeführt, wenn der Revisionswerber nicht einmal die seiner Ansicht nach erhebliche Rechtsfrage bestimmt bezeichnet hat (DRdA 1988, 466) oder nur behauptet, das Berufungsgericht habe die Rechtsfrage unrichtig gelöst (JusZ/37). Da die unrichtige Benennung von Rechtsmittelausführungen dann, wenn das Begehren deutlich erkennbar ist, unerheblich ist (§ 84 Abs 2 letzter Satz), nimmt der OGH freilich bei der Erstprüfung der Frage, ob eine außerordentliche Revision einer weiteren Behandlung unterzogen oder verworfen werden soll, auch solche erheblichen Rechtsfragen wahr, die zwar in der Zulassungsbeschwerde nicht angesprochen, wohl aber in den Revisionsausführungen behandelt werden (3 Ob 1622/92 = RZ 1994/45; 10 ObS 1003/96 = SSV-NF 10/22 ua; in diesem Sinne auch Fasching Rz 1946; aM Petrasch, ÖJZ 1983, 178). Das Unterlassen der gesonderten Anführung der sich aus dem übrigen Rechtsmittelvorbringen ergebenden Gründe, warum der Rechtsmittelwerber die Revision für zulässig erachtet, löst kein Verbesserungsverfahren aus (Petrasch, ÖJZ 1985, 300; RZ 1994/45). Ein solches erübrigt sich auch, wenn sich aus den übrigen Rechtsmittelausführungen ergibt, dass der Revisionswerber in Wahrheit gar nicht beabsichtigt, einen bestimmten Ausspruch des angefochtenen Urteils mit Sachausführungen zu bekämpfen, kann doch einem rechtskundigen Prozessbevollmächtigten nicht unterstellt werden, nicht zu wissen, dass eine Rechtsrüge irgendeiner Begründung bedarf. In einem solchen Fall ist daher die außerordentliche Revision zurückzuweisen (1 Ob 121/97v).

4 Erkennt der OGH bei dieser Prüfung, dass eine Nichtigkeit vorliegt, dann hat er diese, auch wenn sie weder in der Zulassungsbeschwerde noch in den weiteren Revisionsausführungen geltend gemacht wird, wahrzunehmen, also die Revisionsbeantwortung freizustellen. Die gegenteilige Auffassung, wonach nur dann, wenn eine (andere) erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt wurde, ein zulässiges Rechtsmittel vorliege, welches die amtswegige Wahrnehmung von Nichtigkeitsgründen gestattet, übersieht den Unterschied zwischen jedenfalls unzulässigen Rechtsmitteln und außerordentlichen Revisionen (und außerordentlichen Revisionsrekursen). Ein jedenfalls unzulässiges Rechtsmittel ist nicht imstande, die Rechtskraft hintanzuhalten; jede Nichtigkeit ist durch die Rechtskraft geheilt. Eine außerordentliche Revision hemmt hingegen den Eintritt der Rechtskraft (§ 505 Abs 4). Im Zeitpunkt der Prüfung durch den OGH steht daher die Rechtskraft nicht der Wahrnehmung 1620

§ 507

4.2 Revision

der Nichtigkeit entgegen. S auch 1 Ob 159/02t = EvBl 2002/225 (§ 502 Rz 4). Wird die Entscheidung der zweiten Instanz auch auf eine selbstständig 5 tragfähige Hilfsbegründung gestützt, muss auch diese im ao Rechtsmittel bekämpft werden (8 Ob 28/04g = ÖJZ-LSK 2004/183). Die mangelnde Schlüssigkeit der Revision – die etwa dann vorliegt, 6 wenn der Zuspruch eines Betrags auf Grund zweier Einzelansprüche begehrt wird, die unter diesem Betrag liegen, in Summe aber den Betrag übersteigen (5 Ob 526, 1571/93 = JusZ/1452) – ist nicht verbesserungsfähig (1 Ob 284/01y). § 507. (1) Das Prozessgericht erster Instanz hat Revisionen zurückzuweisen, die verspätet oder aus einem anderen Grund als dem nach § 502 Abs 1 unzulässig sind; dies gilt auch für Anträge nach § 508 Abs 1, die mit einer ordentlichen Revision verbunden sind. (2) Findet das Prozessgericht erster Instanz keinen Anlass zur Zurückweisung einer Revision oder eines Antrags nach § 508 Abs 1, der mit einer ordentlichen Revision verbunden ist, so hat es die Zustellung einer Ausfertigung der Revisionsschrift beziehungsweise des Antrags nach § 508 Abs 1 verbunden mit der Revisionsschrift an den Gegner des Revisionswerbers (Revisionsgegner) zu verfügen. (3) Einwendungen gegen die Rechtzeitigkeit oder Zulässigkeit einer Revision oder eines Antrags nach § 508 Abs 1, der mit einer ordentlichen Revision verbunden ist, kann der Revisionsgegner nicht durch Rekurs, sondern nur in der Revisionsbeantwortung geltend machen. (4) Auf die Revisionsbeantwortung finden die Bestimmungen des § 506 mit Ausnahme der unter Abs 1 Z 1 und 2 angegebenen Erfordernisse sinngemäße Anwendung. Neue Tatsachen und Beweise, welche der Revisionsgegner zur Widerlegung der in der Revisionsschrift angegebenen Revisionsgründe benützen will, werden im Revisionsverfahren nur soweit berücksichtigt, als sie bereits in der Revisionsbeantwortung angeführt sind. (5) Von der Einbringung der Revisionsbeantwortung ist der Revisionswerber durch Mitteilung eines Exemplares der Revisionsbeantwortung zu verständigen. (6) Die Überreichung der Revisionsschrift und Revisionsbeantwortung kann nicht durch Erklärungen zu gerichtlichem Protokoll ersetzt werden. [Abs 1 bis 3 idF WGN 1997; Abs 4 bis 6 wie Abs 3 bis 5 der Stammfassung] 1621

§ 507

Kodek

Lit: Klinger, Eine Ergänzung zur Abhandlung über den „Revisionsrekurs“ in den Verfahren nach § 37 MRG, § 22 WGG und § 26 WEG seit dem Revisionsrekursanpassungsgesetz in wobl 1991, 205, wobl 1991, 245. Zechner in Fasching/Konecny IV/1, § 507; Buchegger, PraktZPR 411; Ballon Rz 387; Fasching Rz 1941; Rechberger/Simotta Rz 861.

1 Das Erstgericht hat nicht nur verspätete, sondern auch „jedenfalls unzulässige“ (§ 502 Abs 2) Revisionen sowie mit einer ordentlichen Revision verbundene Anträge nach § 508 Abs 1 zurückzuweisen; bestätigt das Gericht zweiter Instanz einen solchen Zurückweisungsbeschluss, dann ist der Weg zum OGH versperrt (§ 528 Abs 2 Z 2). Legt das Erstgericht eine verspätete oder (jedenfalls) unzulässige Revision vor, dann hat sie das Berufungsgericht zurückzuweisen (§ 507b Abs 4). Da die Prüfung, ob die – nach dem Ausspruch des Berufungsgerichts unzulässige – außerordentliche Revision doch zulässig im Sinne des § 502 Abs 1 ist, dem OGH vorbehalten ist, dürfen die Vorinstanzen außerordentliche Rechtsmittel nicht mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 zurückweisen. Aus demselben Grund darf das Erstgericht nicht selbst einen (nicht jedenfalls unzulässigen) mit einer ordentlichen Revision verbundenen Antrag nach § 508 Abs 1 zurückweisen. Auch verspätete Revisionsbeantwortungen hat das Erstgericht zurückzuweisen (ZBl 1930/63), sonst weist sie der OGH zurück (4 Ob 158/77; 4 Ob 336/86 uva; aM 2 Ob 192/75, 8 Ob 231/79, wonach eine verspätete Revisionsbeantwortung nicht zurückzuweisen, sondern bloß nicht zu beachten sei). Vgl § 468 Rz 6.

2 Da der Revisionsgegner eine allfällige Verspätung oder Unzulässigkeit der Revision nur in der Revisionsbeantwortung geltend machen kann, ist ein Rechtsmittel gegen den Beschluss eines Rekursgerichts, mit welchem dem Erstgericht in Abänderung seines Beschlusses die Annahme (und Vorlage) einer Revision aufgetragen wird, unzulässig (SZ 25/323; SZ 26/240; EvBl 1972/126; 1 Ob 695, 696/84 uva).

3 Der Erstrichter hat – mangels Unterscheidung in Abs 2 – sowohl ordentliche, als auch außerordentliche Revisionen sowie den mit einer ordentlichen Revision verbundenen Antrag nach § 508 Abs 1 dem Revisionsgegner zuzustellen; die häufig von Erstrichtern geübte Praxis, die außerordentlichen Revisionen samt Gleichschriften dem OGH vorzulegen, verstößt gegen das Gesetz (Klinger, wobl 1991, 245).

4 Zu Fristenlauf und Einbringung s bei § 507a. 5 Weist die Revisionsbeantwortung zutreffend auf einen Zurückweisungsgrund hin, dann sind ihre Kosten dem Revisionsgegner zu erstat1622

§ 507a

4.2 Revision

ten; andernfalls dienen sie nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung (RZ 1977/134; EvBl 1986/128; 4 Ob 161/98z = MietSlg 50.708 uva); ein Kostenersatzanspruch wurde auch in dem Fall bejaht, dass die Verspätung der Revision – infolge unrichtiger Angabe des Zustelldatums in dem Rechtsmittel – nicht zu erkennen war (AnwZ 1928, 140; Arb 7414). Wird unter Missachtung der Bestimmung des Abs 6 eine Revision oder 6 Revisionsbeantwortung zu gerichtlichem Protokoll genommen, bleiben diese – anders als eine zu Unrecht zu Protokoll genommene Berufung (s § 465 Rz 3) – unwirksam (Fasching1 IV 355 f; Zechner in Fasching/ Konecny IV/1 § 507 Rz 21). Legt ein Erstgericht ein als „außerordentliche Revision“ bezeichnetes 7 Rechtsmittel samt Akten unmittelbar dem OGH vor, obwohl es sich um eine Streitigkeit iSd § 508 Abs 1 handelt, dann widerspricht diese Vorgangsweise dem Gesetz. Der OGH stellt in solchen Fällen die Akten dem Erstgericht zur gesetzmäßigen Behandlung zurück. Das Erstgericht hat sodann – allenfalls nach Erteilung eines Verbesserungsauftrags – die Akten gem § 507b Abs 2 dem Berufungsgericht vorzulegen (RdW 1999, 80; EvBl 1998/139 = ÖJZ-LSK 1998/163 zur inhaltsgleichen Regelung im Außerstreitverfahren). § 507a. (1) Dem Revisionsgegner steht es frei, binnen der Notfrist von vier Wochen ab der Zustellung der Revisionsschrift eine Revisionsbeantwortung mittels Schriftsatzes zu überreichen. (2) Die Frist nach Abs 1 beginnt 1. bei einer Revision, deren Zulässigkeit das Berufungsgericht nach § 500 Abs 2 Z 3 ausgesprochen hat, (ordentliche Revision) mit der Zustellung der Revisionsschrift durch das Prozessgericht; 2. im Falle eines Antrags nach § 508 Abs 1 verbunden mit einer ordentlichen Revision mit der Zustellung der Mitteilung des Berufungsgerichts, dass dem Revisionsgegner die Beantwortung der Revision freigestellt werden § 508 Abs 5); 3. bei einer außerordentlichen Revision (§ 505 Abs 4) mit der Zustellung der Mitteilung des Obersten Gerichtshofs, dass dem Revisionsgegner die Beantwortung der Revision freigestellt werde (§ 508a Abs 2). (3) Die Revisionsbeantwortung ist einzubringen: 1. beim Berufungsgericht, wenn dieses dem Revisionsgegner nach § 508 Abs 5 freigestellt hat, eine Revisionsbeantwortung einzubringen; 1623

§ 507b

Kodek

2. beim Revisionsgericht, wenn dieses dem Revisionsgegner nach § 508a Abs 2 freigestellt hat, eine Revisionsbeantwortung einzubringen; 3. sonst beim Prozessgericht erster Instanz. (4) Für die Behandlung der Revisionsbeantwortung tritt im Fall des Abs 3 Z 1 das Berufungsgericht, im Fall des Abs 3 Z 2 das Revisionsgericht an die Stelle des Prozessgerichts erster Instanz. (5) Der § 464 Abs 3 ist sinngemäß anzuwenden. [Fassung WGN 1997] Lit: Danzl, Der Weg zum OGH nach der WGN 1997, ÖJZ 1998/5A1. Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 507a; Ballon Rz 387; Buchegger, PraktZPR 411; Rechberger/Simotta Rz 861 f.

1 Der Lauf der vierwöchigen Frist für die Erstattung der Revisionsbeantwortung beginnt je nach der Art der Revision zu verschiedenen Zeitpunkten. Für eine ordentliche Revision – das ist eine Revision, deren Zulässigkeit das Berufungsgericht nach § 500 Abs 2 Z 3 ausgesprochen hat – beginnt die Frist mit der Zustellung der Revisionsschrift durch das Erstgericht (Abs 2 Z 1). Für außerordentliche Revisionen iSd § 505 Abs 4 (s dort) beginnt die Frist mit der Zustellung der Mitteilung des OGH, dass dem Revisionsgegner die Beantwortung der Revision freigestellt werde (Abs 1 Z 3). Liegt ein – mit einer ordentlichen Revision verbundener – Antrag nach § 508 Abs 1 vor, dann beginnt die Frist mit der entsprechenden Mitteilung des Berufungsgerichts (Abs 2 Z 2). Je nach Art der Revision ist die Revisionsbeantwortung auch bei unterschiedlichen Gerichten einzubringen: die Beantwortung der ordentlichen Revision beim Erstgericht (Abs 3 Z 3), die (freigestellte) Beantwortung der außerordentlichen Revision beim Revisionsgericht und die (freigestellte) Beantwortung der mit einem Antrag nach § 508 Abs 1 verbundenen ordentlichen Revision beim Berufungsgericht. Bei Freistellung der Revisionsbeantwortung ist der Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Revisionsbeantwortungsfrist unmittelbar bei dem Gericht einzubringen, bei dem die Beantwortung einzubringen war, im Fall der außerordentlichen Revision also beim OGH (1 Ob 373/98d = ÖJZ-LSK 1999/172). § 507b. (1) Nach der Erstattung der Beantwortung einer ordentlichen Revision (§ 507a Abs 2 Z 1) oder nach dem fruchtlosen Ablauf der hiefür offenstehenden Frist hat das Prozessgericht erster Instanz diese Schriften samt allen sich auf den Rechtsstreit beziehenden Prozessakten dem Berufungsgericht vorzulegen, welches diese sodann 1624

§ 508

4.2 Revision

nach Anschluss der diesen Rechtsstreit betreffenden berufungsgerichtlichen Akten an das Revisionsgericht weiterzubefördern hat. (2) Ein Antrag nach § 508 Abs 1 verbunden mit einer ordentlichen Revision ist dem Berufungsgericht samt allen sich auf den Rechtsstreit beziehenden Prozessakten sofort vorzulegen. (3) Eine außerordentliche Revision (§ 505 Abs 4) ist dem Revisionsgericht samt allen sich auf den Rechtsstreit beziehenden Prozessakten sofort und unmittelbar vorzulegen. (4) Ordentliche Revisionen, die verspätet oder aus einem anderen Grund als dem nach § 502 Abs 1 unzulässig sind, hat das Berufungsgericht zurückzuweisen, wenn das Prozessgericht erster Instanz dies noch nicht getan hat; dies vorbehaltlich des § 508. [Fassung WGN 1997] Lit: Danzl, Der Weg zum OGH nach der WGN 1997, ÖJZ 1998/5A1. Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 507b; Ballon Rz 387; Buchegger, PraktZPR 411; Rechberger/Simotta Rz 861. Ordentliche Revisionen sind vom Erstgericht wie Berufungen zu be- 1 handeln; der Ablauf der Frist zur Revisionsbeantwortung ist daher abzuwarten. Zur Vorlage s § 469. Soweit das Erstgericht das Rechtsmittel „sofort“ vorzulegen hat (Abs 2 2 und 3), hat es dennoch vorher noch die Zustellung der Gleichschrift der Revision sowie des Antrags nach § 508 Abs 1 zu veranlassen (§ 507 Abs 2). § 508. (1) Wird in Streitigkeiten, in denen der Entscheidungsgegenstand zwar 4 000 Euro, nicht aber insgesamt 20 000 Euro übersteigt (§ 502 Abs 3), oder in familienrechtlichen Streitigkeiten nach § 49 Abs 2 Z 1 und 2 JN, in denen der Entscheidungsgegenstand insgesamt 20 000 Euro nicht übersteigt (§ 502 Abs 4), im Berufungsurteil nach § 500 Abs 2 Z 3 ausgesprochen, dass die ordentliche Revision nach § 502 Abs 1 nicht zulässig ist, so kann eine Partei einen Antrag an das Berufungsgericht stellen, seinen Ausspruch dahingehend abzuändern, dass die ordentliche Revision doch für zulässig erklärt werde; in diesem Antrag sind die Gründe dafür anzuführen, warum – entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts – nach § 502 Abs 1 die ordentliche Revision für zulässig erachtet wird. Mit demselben Schriftsatz ist die ordentliche Revision auszuführen. (2) Der Antrag nach Abs 1 verbunden mit der ordentlichen Revision ist beim Prozessgericht erster Instanz binnen vier Wochen 1625

§ 508

Kodek

einzubringen; die Frist beginnt mit der Zustellung des Berufungserkenntnisses zu laufen; sie kann nicht verlängert werden. Die §§ 464 Abs 3 und 507 Abs 6 sind sinngemäß anzuwenden. (3) Erachtet das Berufungsgericht den Antrag nach Abs 1 für stichhältig, so hat es seinen Ausspruch mit Beschluss abzuändern und auszusprechen, dass die ordentliche Revision doch nach § 502 Abs 1 zulässig ist; dieser Beschluss ist kurz zu begründen (§ 500 Abs 3 letzter Satz). (4) Erachtet das Berufungsgericht den Antrag nach Abs 1 für nicht stichhältig, so hat es diesen samt der ordentlichen Revision mit Beschluss zurückzuweisen; hiebei kann sich das Berufungsgericht mit einem Hinweis auf die Begründung seines aufrechterhaltenen Ausspruchs begnügen, wonach die ordentliche Revision nicht zulässig ist. Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht zulässig. (5) Erklärt das Berufungsgericht die ordentliche Revision doch für zulässig (Abs 3), so hat es diesen Beschluss den Parteien zuzustellen und dem Revisionsgegner außerdem mitzuteilen, dass ihm die Beantwortung der Revision freistehe. Eine vor Zustellung dieser Mitteilung erstattete Revisionsbeantwortung gilt im Fall der Zurückweisung des Antrags samt der ordentlichen Revision (Abs 4) nicht als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig. (6) Von einer Mitteilung nach Abs 5 ist auch das Prozessgericht erster Instanz zu verständigen. [Fassung WGN 1997; Abs 1 idF ZVN 2004] Lit: Danzl, Der Weg zum OGH nach der WGN 1997, ÖJZ 1998/5A1. Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 508; Ballon Rz 383; Buchegger, PraktZPR 411; Rechberger/Simotta Rz 849/1.

1 Diese Bestimmung bildet das Herzstück der Zivilprozessreform durch die WGN 1997. Damit wurde für die in Abs 1 genannten Streitigkeiten – also für die Prozesse im Streitwertbereich von 4.000 Euro bis 20.000 Euro und für alle Unterhaltsstreitigkeiten nach § 49 Abs 2 Z 1 und 2 JN bis zum Wert des Entscheidungsgegenstands von 20.000 Euro – ein neues System eingeführt. Soweit in einem solchen Verfahren das Berufungsgericht im Berufungsurteil ausgesprochen hat, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, steht der unterlegenen Partei nicht mehr die außerordentliche Revision zu. Sie kann nun vielmehr einen Antrag an das Berufungsgericht auf Abänderung des Zulässigkeitsausspruches stellen. Darin sind – wie nach § 506 Abs 1 Z 5 – die Gründe für die Zulässigkeit einer ordentlichen Revision darzulegen. Gleichzeitig hat die Partei eine ordentliche Revision auszuführen. 1626

§ 508

4.2 Revision

Bei Erhebung eines Eventualbegehrens genügt es, dass dessen Streitwert 20.000 Euro übersteigt; dann liegt kein Fall des § 508 vor, vielmehr ist nur eine außerordentliche Revision nach § 505 Abs 4 zulässig (7 Ob 27/00x = RdW 2001, 286). Das Berufungsgericht selbst hat also in diesem Fall seinen Ausspruch im 2 Licht der Argumente des Rechtsmittelwerbers zu überprüfen. Es hat den Antrag auf seine Stichhaltigkeit so zu prüfen, wie der OGH die Zulassungsbeschwerde in einer außerordentlichen Revision prüft. Eröffnet eine bereits vorhandene grundsätzliche Rsp des OGH einen Wertungsspielraum, so darf es seinen Ausspruch nur dann nachträglich abändern, wenn es zur Überzeugung gelangt, dass ihm bei der Würdigung des Anlassfalls eine erhebliche Fehlbeurteilung unterlief (1 Ob 102/00g = EvBl 2001/52 = ÖJZ-LSK 2001/48). Es genügt für die Stattgebung des Antrags nicht, wenn das Berufungsgericht die vom Abänderungswerber geltend gemachten Gründe nur nicht als „von vornherein aussichtslos“ ansieht (1 Ob 63/99t). Findet das Berufungsgericht die Gründe des Rechtsmittelwerbers nicht 3 überzeugend, hat es den Antrag samt der ordentlichen Revision zurückzuweisen. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (Abs 4). Hat jedoch das Berufungsgericht nur den Antrag nach Abs 1, nicht aber die damit verbundene Revision deshalb zurückgewiesen, weil es der Meinung war, die außerordentliche Revision sei auch ohne einen Beschluss gem Abs 1 und 3 nicht ausgeschlossen, gilt nicht der Rechtsmittelausschluss des Abs 4 Satz 2. Ein solcher Beschluss des Berufungsgerichts steht, wenn er in Rechtskraft erwachsen ist, einem neuerlichen Abänderungsantrag entgegen (3 Ob 337/99a = EvBl 2000/128 = ÖJZ-LSK 2000/130). Die Anfechtungsbeschränkung des Abs 4 kann nicht dadurch umgangen werden, dass der Rechtsmittelwerber erklärt, die mit seinem Antrag nach dieser Gesetzesstelle gem Abs 2 verbundene ordentliche Revision für den Fall, dass das Berufungsgericht seinen Zulassungsausspruch nicht ändern sollte, unter der Bezeichnung „außerordentliche Revision“ zu erheben (8 Ob 251/00w = EvBl 2001/96 = ÖJZ-LSK 2001/103). Der in Abs 4 festgelegte Rechtsmittelausschluss betrifft nur Entscheidungen des Berufungsgerichts, mit denen dieses den Abänderungsantrag nach Abs 1 und die Revision zurückweist. Gegen den Abänderungsausspruch des Berufungsgerichts nach Abs 3 ist ein Rekurs des Revisionsgegners gem § 500 Abs 4 unzulässig (7 Ob 140/01s = EvBl 2001/210 = ÖJZ-LSK 2001/260). Kommt aber das Berufungsgericht zur Überzeugung, dass die Entschei- 4 dung in Wahrheit doch von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage 1627

§ 508a

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iSd § 502 Abs 1 abhängt, insbesondere dass ihm ein Fehler unterlaufen ist, so wird es – auch um allfällige Amtshaftungsansprüche zu vermeiden – in Abänderung seines Ausspruchs auszusprechen haben, dass die ordentliche Revision doch zulässig ist. In diesem Fall ist nun die ordentliche Revision zu behandeln. Im Gegensatz zur ordentlichen Revision nach § 507a Abs 2 Z 1 gelten hier aber die Besonderheiten nach § 507a Abs 1 Z 2 und Abs 3 Z 1.

5 Über einen Antrag nach Abs 1 kann nur das Berufungsgericht, nicht jedoch der OGH entscheiden; das gilt auch dann, wenn etwa eine Partei nach einem erfolgreichen, mit ordentlicher Revision verbundenen Abänderungsantrag nach Zustellung des Beschlusses gem Abs 3 einen weiteren Antrag nach Abs 1 im Verein mit einer zweiten ordentlichen Revision einbringt. Auch in diesem Fall hat das Berufungsgericht – richtigerweise durch Zurückweisung wegen Einmaligkeit des Rechtsmittels (s Vor § 461 Rz 12) – zu entscheiden; ein dennoch dem OGH vorgelegter Akt ist zurückzustellen, vermag doch der OGH die Verbindung zwischen einem zweiten Antrag gem Abs 1 und einer zweiten ordentlichen Revision – in Ermangelung einer derartigen Kognitionsbefugnis – nicht zu lösen (1 Ob 145/01g).

6 Hat der Revisionsgegner – dem ja der Antrag samt ordentlicher Revision zuzustellen war (§ 507 Abs 2) – schon vor der Mitteilung, dass ihm die Beantwortung freigestellt sei, eine solche erstattet, hat er im Fall der Zurückweisung nach Abs 4 keinen Anspruch auf Kostenersatz (Abs 5 letzter Satz). Verfahren vor dem Revisionsgericht § 508a. (1) Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision ist das Revisionsgericht an einen Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 nicht gebunden. (2) Findet das Revisionsgericht nicht schon bei der ersten Prüfung, dass eine außerordentliche Revision (§ 505 Abs 4) mangels der Voraussetzungen nach § 502 Abs 1 zurückzuweisen ist, so hat es dem Revisionsgegner mitzuteilen, dass ihm die Beantwortung der Revision (§§ 507, 507a) freistehe. Eine vor der Zustellung dieser Mitteilung erstattete Revisionsbeantwortung gilt im Fall der Verwerfung der Revision nicht als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig. (3) Von einer Mitteilung nach Abs 2 sind auch das Prozessgericht erster Instanz, das Berufungsgericht und der Revisionswerber zu verständigen. Das Berufungsgericht hat nach dem Einlangen die1628

§ 508a

4.2 Revision

ser Verständigung dem Revisionsgericht die diesen Rechtsstreit betreffenden berufungsgerichtlichen Akten vorzulegen. [Eingefügt durch ZVN 1983; Abs 1 idF WGN 1989; Abs 2 idF WGN 1997] Lit: Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 508a; Ballon Rz 388; Buchegger, PraktZPR 411 f; Fasching Rz 1946; Rechberger/Simotta Rz 862. Besonderes Merkmal des mit der ZVN 1983 erstmals (damals teilweise) 1 eingeführten Zulassungssystems ist es, dass der OGH an den Ausspruch des Berufungsgerichtes über die Zulässigkeit der Revision nicht gebunden ist (s Vor § 502 Rz 3). Bei der Prüfung der Zulässigkeit ist er nicht auf jene Rechtsfragen beschränkt, die das Berufungsgericht zur Begründung seines Ausspruchs angeführt hat (JUS 9, 13). Dass die in der Revision (§ 506 Abs 1 Z 5) angeführte Frage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 wäre, reicht nicht aus; die Entscheidung muss vielmehr von der Lösung dieser Rechtsfrage abhängen; die angeschnittene Rechtsfrage muss also präjudiziell sein (RdW 1986, 145 uva). Findet der OGH bei der Erstprüfung, dass die Voraussetzungen des 2 § 502 Abs 1 fehlen, dann hat er die außerordentliche Revision zurückzuweisen; dieser Ausspruch bedarf keiner Begründung (§ 510 Abs 3 Satz 3). Obgleich das Gesetz auch eine solche Entscheidung „Zurückweisung“ nennt und von „unzulässigen“ Rechtsmitteln spricht, besteht ein wesentlicher Unterschied zur Zurückweisung jedenfalls unzulässiger Rechtsmittel, geht doch der Zurückweisung mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO eine inhaltliche Prüfung des Rechtsmittels voran; insofern steht diese Art der Zurückweisung der sachlichen Bestätigung des angefochtenen Urteils näher als der Zurückweisung aus formellen Gründen. Stellt der OGH dem Revisionsgegner die Beantwortung der Revision frei, dann läuft mit der Zustellung dieser Mitteilung die Frist von vier Wochen (§ 507 Abs 2); sie wird nur dann eingehalten, wenn die Revisionsbeantwortung innerhalb dieser Frist beim OGH einlangt oder vom Revisionsgegner an den OGH adressiert zur Post gegeben wird (§ 89 GOG); war sie hingegen an das Erstgericht gerichtet und ist sie erst nach Ablauf der Frist beim OGH eingelangt, dann ist sie verspätet (RdW 1988, 424; MietSlg 46.680). Erstattet der Revisionsgegner schon vorher die Revisionsbeantwortung, 3 dann erhält er nach Abs 2 letzter Satz bei Zurückweisung der außerordentlichen Revision auch dann keine Kosten, wenn er darin zu Recht auf das Fehlen einer erheblichen Rechtsfrage hingewiesen haben sollte. 1629

§ 509

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4 Hat der Revisionsgegner von sich aus die Revisionsbeantwortung eingebracht, dann hat der OGH, wenn er die außerordentliche Revision für zulässig hält, die Freistellung der Revisionsbeantwortung nicht mehr zu beschließen; vielmehr kann er schon in der Sache selbst erkennen. In diesem Fall kann die Mitteilung nach Abs 3 unterbleiben; der OGH kann sich damit begnügen, die berufungsgerichtlichen Akten abzuverlangen.

5 Die Zulässigkeit eines Rechtsmittels nach § 502 Abs 1 ist vor der Frage der Rechtzeitigkeit zu prüfen (GesRZ 1996, 41), weil die Folgen der Verspätung durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beseitigt werden könnten (aM Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 502 Rz 22 unter Hinweis darauf, dass verspätete Rechtsmittel im Hinblick auf die Rechtskraft der Entscheidung jeder Prüfung durch den OGH entzogen sind). § 509. (1) Das Revisionsgericht entscheidet über die Revision in nicht öffentlicher Sitzung ohne vorhergehende mündliche Verhandlung. (2) Es kann jedoch, wenn dies im einzelnen Falle dem Revisionsgerichte behufs Entscheidung über die eingelegte Revision erforderlich erscheint, auch eine mündliche Verhandlung vor dem Revisionsgerichte auf Antrag oder von Amts wegen angeordnet werden. In Bezug auf diese Verhandlung haben die für die mündliche Verhandlung vor dem Berufungsgerichte erlassenen Vorschriften zu gelten. (3) Erhebungen oder Beweisaufnahmen, welche zur Feststellung der im § 503 Z 1 und 2 angeführten Revisionsgründe notwendig sind, haben durch einen ersuchten Richter zu erfolgen, welcher die Akten über die stattgefundenen Erhebungen oder Beweisaufnahmen unmittelbar dem Revisionsgerichte vorzulegen hat. Diesen Erhebungen und Beweisaufnahmen sind stets die Parteien zuzuziehen. [Stammfassung] Lit: Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 509; Fasching Rz 1947 f.

1 Von der Möglichkeit, über die Revision nach mündlicher Verhandlung zu entscheiden, hat der OGH nur in wenigen Fällen Gebrauch gemacht; die Anordnung einer mündlichen Verhandlung steht in seinem Ermessen (RZ 1977/15; 10 ObS 138/94 = SSV-NF 8/60; 3 Ob 115/95 = ZfRV 1998, 159). Das steht nicht in Widerspruch zu Art 6 Abs 1 MRK (1 Ob 10/93 = SZ 66/97 = JBl 1994, 185; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 509 Rz 3).

2 Die zur Prüfung der geltend gemachten Revisionsgründe der Nichtigkeit oder Mangelhaftigkeit des Verfahrens erforderlichen Beweise kann 1630

§ 510

4.2 Revision

der OGH niemals selbst aufnehmen; vielmehr ist darum ein Richter eines anderen Gerichts – in aller Regel der Erstrichter – zu ersuchen. Im Gegensatz zu § 473 ist hier ausdrücklich die Beiziehung der Parteien zu den Erhebungen und Beweisaufnahmen vorgesehen. § 510. (1) Das Revisionsgericht hat in der Regel in der Sache selbst zu entscheiden. Wenn es jedoch das Urteil des Berufungsgerichtes nach § 477 Abs 1 Z 4 und 5 als nichtig zu erklären oder aus dem im § 503 Z 2 bezeichneten Grunde aufzuheben findet und infolgedessen eine neue Verhandlung zur Erledigung der Sache notwendig erachtet, hat es die Streitsache zu diesem Zwecke an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Wenn das Urteil des Berufungsgerichtes aus dem im § 503 Z 2 bezeichneten Grunde aufzuheben ist und es offenbar einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, um die Sache spruchreif zu machen, ist auch das Urteil der ersten Instanz innerhalb der Grenzen der Revisionsanträge aufzuheben und die Streitsache an die erste Instanz zurückzuverweisen. Das Revisionsgericht kann das Urteil des Berufungsgerichts überdies dann aufheben und die Sache zur neuerlichen Entscheidung an dieses zurückverweisen, wenn sich bei einer Revision aus der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1) zur abschließenden Entscheidung über den strittigen Anspruch die Notwendigkeit einer näheren Prüfung einzelner Anspruchsgrundlagen oder eingehender Berechnungen ergibt. (2) Findet das Revisionsgericht das Urteil oder Verfahren wegen einer schon in erster Instanz unterlaufenen, von Amts wegen wahrzunehmenden Nichtigkeit aufzuheben, so hat die Zurückweisung der Sache an die erste Instanz zu erfolgen (§ 478 Abs 2 und 3). (3) In der Ausfertigung seiner Entscheidung kann das Revisionsgericht die Wiedergabe des Parteivorbringens und der tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen auf das beschränken, was zum Verständnis seiner Rechtsausführungen erforderlich ist. Bestätigt der Oberste Gerichtshof das Urteil des Berufungsgerichts und erachtet er dessen Begründung für zutreffend, so reicht es aus, wenn er auf deren Richtigkeit hinweist. Die Beurteilung, dass eine geltend gemachte Mangelhaftigkeit oder Aktenwidrigkeit (§ 503 Z 2 und 3) nicht vorliegt, sowie die Zurückweisung einer außerordentlichen Revision (§ 505 Abs 4) bedürfen keiner Begründung. Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1) kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken. [Abs 1 Satz 3 angefügt durch 1. GEN, letzter Satz angefügt durch WGN 1989, Sätze 2 und 3 seit WGN 1989 wieder in Stammfassung; 1631

§ 510

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Abs 2 Stammfassung; Abs 3 angefügt durch ZVN 1983, nach dem ersten Satz geändert durch WGN 1989; Sätze 2 und 3 idF WGN 1997] Lit: Wilhelm, Vom Schicksal außerordentlicher Revisionen, ecolex 1994, 737. Zechner in Fasching/Konecny IV/1, § 510; Fasching Rz 1956; Ballon Rz 389 ff; Buchegger, PraktZPR 412 f; Fasching Rz 1956; Rechberger/ Simotta Rz 863 f.

1 Diese Bestimmung ist durch die Vorschriften über die Berufung zu ergänzen (§ 513). Der OGH hat demnach unzulässige und verspätete Revisionen mit Beschluss zurückzuweisen (§§ 471, 473 Abs 1, 513); er hat auch dann mit Beschluss zu entscheiden, wenn er eine auf Nichtigkeitsgründe gestützte Revision für nicht berechtigt erkennt (§§ 471 Z 5, 473 Abs 1, 513). Auch Aufhebungen wegen Nichtigkeit oder Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens geschehen in Beschlussform (§§ 473 ff, 496, 513). Die Anführung nur der Nichtigkeitsgründe nach § 477 Abs 1 Z 4 und 5 ist zu eng. Liegt ein Nichtigkeitsgrund vor, der schon die Einleitung des Verfahrens unzulässig macht (zB Mangel der inländischen Gerichtsbarkeit, Unzulässigkeit des Rechtswegs, Streitanhängigkeit, Rechtskraft udgl), dann sind die Urteile beider Vorinstanzen als nichtig aufzuheben und die Klage zurückzuweisen; zu beachten ist jedoch, dass der OGH an eine – auch nur in den Gründen enthaltene – noch bindende Vorentscheidung auf Verneinung des Nichtigkeitsgrundes gebunden ist (§ 42 Abs 3 JN; JB 63 = SZ 28/265 = EvBl 1956/88 = JBl 1956, 126 = JABl 1956, 11; SZ 54/190 = RZ 1982/55; RZ 1988/61 ua).

2 Ist infolge eines Verfahrensmangels – oder infolge eines Feststellungsmangels (s zu § 496 Abs 1 Z 3 und zu § 503 Z 4) – eine Ergänzung des Verfahrens notwendig, dann ist nur das Urteil des Berufungsgerichtes aufzuheben und an dieses Gericht zurückzuverweisen, wenn allein das Berufungsverfahren von dem Mangel betroffen ist oder die erforderliche Ergänzung gem § 496 Abs 3 vom Berufungsgericht vorzunehmen ist; andernfalls – also insbesondere, wenn ein größerer Verfahrensaufwand zu erwarten ist – sind die Urteile beider Vorinstanzen aufzuheben und die Sache an das Erstgericht zurückzuverweisen.

3 Der durch die WGN 1989 eingeführte letzte Satz des Abs 1 hat kaum praktische Bedeutung erlangt, zumal er nur ausspricht, was sich ohnehin schon aus Abs 1 in der früheren Fassung ergeben hat. Umfangreichere Berechnungen – wie sie bei Unterhaltsbemessungen erforderlich 1632

§ 510

4.2 Revision

sein können – sollen allerdings dem OGH, wenngleich er sie selbst auf Grund der Aktenlage vornehmen könnte, erspart bleiben (8 ObA 10/ 02g). Weitere Beispiele s bei Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 509 Rz 12. Die Aufhebung des Berufungsurteils aus dem Revisionsgrund des § 503 4 Z 2 macht nicht in allen Fällen eine neuerliche Berufungsverhandlung notwendig; es kann auch nur das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache an dieses zur neuerlichen Urteilsfällung zurückverwiesen werden (EvBl 1960/282 ua); eine neuerliche Berufungsverhandlung ist jedoch immer dann erforderlich, wenn die neue Entscheidung von einem geänderten Senat zu fällen ist (ZBl 1922/90; Arb 7674 ua; aM Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 503 Rz 109 ff, insb 111). Liegt kein Aufhebungsgrund vor, dann hat der OGH mit Urteil in der 5 Sache selbst zu entscheiden; ist die Sache nur zum Teil spruchreif, dann kann er auch erstmalig im Revisionsverfahren ein Teilurteil fällen (SZ 7/ 124 uva). Dabei ist er an die Feststellungen der Vorinstanzen gebunden; die tatsächlichen Grundlagen des Berufungsurteils unterliegen einer Berichtigung durch den OGH nur, soweit mit Recht Aktenwidrigkeit geltend gemacht wurde und die Ersetzung der aktenwidrigen Feststellung durch die richtige, in den Prozessakten vorgenommene Tatsachenangabe möglich ist und der Sachverhalt damit vollständig vorliegt (s § 503 Rz 17 ff). Ändert der OGH die Entscheidungen der Vorinstanzen ganz oder teilweise ab, hat er über die Kosten des gesamten Verfahrens abzusprechen (EvBl 1969/143; SZ 59/10; 1 Ob 2402/96h; Zechner in Fasching/ Konecny IV/1 § 510 Rz 2; s § 528 Rz 5). Abs 3 sieht verschiedene Begründungserleichterungen vor. Seit der 6 WGN 1997 reicht es aus, wenn der OGH im Fall einer Bestätigung des Berufungsurteils auf dessen Richtigkeit hinweist. Diese – dem früheren § 48 ASGG entsprechende – Bestimmung wird wohl nur selten angewendet werden können, weil sie nicht dem Zulassungssystem des Revisionsverfahrens nach der ZPO entspricht. Steht das Berufungsurteil in allen Punkten im Einklang mit der Rsp des OGH, wird die Revision zurückzuweisen sein. Hält der OGH jedoch das Berufungsurteil für richtig, obwohl es der bisherigen Rsp des Höchstgerichtes widerspricht, wird es der OGH kaum bei einem bloßen Hinweis auf die Richtigkeit der Ablehnung seiner bisherigen Rsp bewenden lassen. Bei Erledigung der Revisionsgründe der Mangelhaftigkeit und Aktenwidrigkeit – mit denen allzu oft nur versucht wird, in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung der Vorinstanzen anzugreifen –, darf sich 1633

§ 511

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der OGH mit dem Hinweis darauf begnügen, dass diese Revisionsgründe nicht vorliegen; soweit die Revisionsausführungen allerdings einer eingehenden Auseinandersetzung bedürfen, ist es in der Regel angezeigt, die Verneinung auch dieser Revisionsgründe näher zu begründen. Da schon die Gerichte zweiter Instanz zu begründen haben, weshalb die ordentliche Revision nach § 502 Abs 1 zulässig ist oder nicht (§ 500 Abs 3 letzter Satz), bedarf die Zurückweisung einer dennoch erhobenen außerordentlichen Revision keiner Begründung; auch hier wird, vor allem wenn die Begründung durch das Berufungsgericht dürftig ist oder der Revisionswerber ganz neue Gesichtspunkte aufzeigt, auch die Zurückweisung in der Regel begründet. Hält der OGH die Revision entgegen dem Ausspruch der zweiten Instanz für nicht zulässig, dann braucht er das Parteivorbringen und die Feststellungen nicht wiederzugeben, vielmehr kann er sich mit dem Hinweis auf das Fehlen einer erheblichen Rechtsfrage – insbesondere auf den Einklang der angefochtenen Entscheidung mit der ständigen Rsp – begnügen. § 511. (1) Das Gericht, an welches die Sache zurückverwiesen wurde, ist bei der weiteren Behandlung und Entscheidung an die rechtliche Beurteilung gebunden, welche das Revisionsgericht seinem aufhebenden Beschluss zu Grunde gelegt hat. (2) Zum Zwecke der Aufnahme des Verfahrens beim Berufungsgerichte oder beim Gerichte erster Instanz haben diese die Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung von Amts wegen anzuberaumen. [Abs 1 idF 6. GEN; sonst Stammfassung] Lit: Hoyer, Die Selbstbindung des österreichischen Obersten Gerichtshofs, ÖJZ 1974, 141; Feldner, Die Bindung des Zivilgerichts an seine im Aufhebungs- und Zurückverweisungsbeschluss geäußerte Rechtsansicht, ÖJZ 2002, 221. Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 511; Fasching Rz 1957.

1 S zu § 499 Abs 2. Auch der OGH ist – von Änderungen des Sachverhalts oder der Rechtslage abgesehen – an seine im Aufhebungsbeschluss ausgedrückte Rechtsansicht gebunden (SZ 24/139; RZ 1977/15; 4 Ob 2060/96m = ÖBl 1996, 284; 1 Ob 218/97h = JBl 1998, 782 [zust Deixler-Hübner]; 3 Ob 308/97h = JBl 2000, 32 uva; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 511 Rz 9); das gilt allerdings dann nicht, wenn in der Zwischenzeit eine abweichende Entscheidung eines verstärkten Senates ergangen ist (JBl 1634

§ 513

4.2 Revision

1972, 327; 5 Ob 105/97w = EvBl 1997/202; ausführlich Zechner in Fasching/Konecny2 IV/1 § 511 Rz 12, 13). An seine im Provisorialverfahren geäußerte Rechtsansicht ist der OGH – auch ohne Änderung der Sachlage – im Hauptverfahren mangels entsprechender gesetzlicher Bestimmung nicht gebunden (6 Ob 99/03g = MR 2003, 223 ua; Fasching1 IV 368; Zechner in Fasching/ Konecny2 IV/1 § 511 Rz 14). Aus Abs 2 ist nicht zu schließen, dass nach einer Aufhebung durch den 2 OGH immer eine Tagsatzung anzuberaumen ist; bezieht sich der Aufhebungsgrund nur auf das Urteil selbst, dann kann auch ohne neuerliche Tagsatzung entschieden werden (s § 510 Rz 4). § 512. Findet das Revisionsgericht, dass die Revision mutwillig oder nur zur Verzögerung der Sache angebracht wurde, so ist gegen den Revisionswerber auf eine Mutwillensstrafe zu erkennen. [Fassung ZVN 1983] Lit: Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 512; Fasching Rz 1960. Zum Mutwillen s bei § 63; zur Verzögerung der Sache s zu § 179. 1 Die Verhängung einer Mutwillensstrafe ist zwingend vorgesehen; ein Anspruch der Gegenpartei darauf besteht nicht (RZ 1990/46 ua). Die Mutwillensstrafe darf nur gegen die Partei (und nicht gegen den Rechtsanwalt) verhängt werden (3 Ob 596/84 = SZ 58/17 = JBl 1985, 684 [zust Pfersmann]; 3 Ob 68/00h = EvBl 2001/83). Der OGH hat nur sehr selten Mutwillensstrafen verhängt. Dies geschah bei einer Revision gegen ein Anerkenntnisurteil (RZ 1979/85) und bei einem beharrlichen Außerachtlassen der Bindungswirkung eines in einem Vorprozess ergangenen Feststellungsurteils, auf welche die Unterinstanzen hingewiesen haben (RZ 1979/2); ebenso in einem Fall, wo in eine Rechtsmittelschrift erkennbar absichtlich Formfehler eingebaut wurden, um eine Verzögerung der Rechtskraft und Vollstreckbarkeit herbeizuführen (3 Ob 596/84 = SZ 58/17 = JBl 1985, 684 [zust Pfersmann] = AnwBl 1985, 547 = JUS 4, 14). § 513. Soweit sich nicht aus den Bestimmungen dieses Abschnittes Abweichungen ergeben, sind die Vorschriften über die Berufung auch auf die Revision anzuwenden. [Stammfassung] Lit: Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 513. 1635

§ 513

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1 Damit wird auch auf § 463 verwiesen, wonach subsidiär die Vorschriften über das Verfahren vor den Gerichtshöfen erster Instanz anzuwenden sind. Kraft der Verweisung gelten im Revisionsverfahren ua die Vorschriften des § 472 über Rechtsmittellegitimation und Rechtsmittelverzicht, des § 483 Abs 3 über das Ruhen des Verfahrens (3 Ob 252/99a = JBl 2000, 458 ua) und die Rücknahme der Klage (3 Ob 550/86; 8 ObA 176/95 = ecolex 1996, 293), des § 484 über die Rücknahme des Rechtsmittels und die damit verbundene Kostenersatzpflicht – wobei für die Entscheidungsbefugnis und -pflicht des OGH hierüber maßgebend ist, ob der Akt schon vor der Rücknahme der Revisionsinstanz zugekommen war (SZ 36/71 = EvBl 1963/363 = RZ 1963, 176) –, des § 490 über die Bestätigung der Teilvollstreckbarkeit (1 Ob 35/64; 2 Ob 49/79; 1 Ob 107/98m = MietSlg 50.791 ua), aber auch die Vorschriften des § 419 über die Urteilsberichtigung und des § 423 über die Ergänzung.

2 Die Anwendung des § 473a iVm § 468 Abs 2 kommt für den OGH nur ausnahmsweise in Frage. Erwägt der OGH die – übereinstimmenden – Urteile der Vorinstanzen abzuändern, hat er bei Ablehnung der zur Bestätigung führenden Rechtsansicht des Berufungsgerichts dessen Urteil aufzuheben, hat doch dieses auf Grund seiner vom OGH nicht gebilligten Rechtsmeinung zu Unrecht die für den in erster Instanz Obsiegenden nachteiligen Feststellungen nicht überprüft und ein Vorgehen nach § 473a unterlassen. Das bedeutet einen „sekundären“ (rechtlichen) Mangel iSd § 496 Abs 1 Z 3 (s § 473a Rz 2). Hat aber das Berufungsgericht selbst – auf Grund Beweiswiederholung oder -ergänzung – Feststellungen getroffen, so ist die Beweiswürdigung jedenfalls unanfechtbar. Nur allenfalls zu Lasten des Rechtsmittelgegners vorgefallene Verfahrensfehler oder Aktenwidrigkeiten könnten diesen belasten. In diesem Fall hat der OGH – soweit sich nicht der Revisionswerber ausdrücklich auf diese Feststellungen des Berufungsgerichts bezieht – dem Revisionsgegner freizustellen, Mängel des berufungsgerichtlichen Verfahrens oder der Feststellungen zu rügen (teilweise aM Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 513 Rz 7).

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Dritter Abschnitt Rekurs Vor § 514 Lit: Sprung, Der Rekursantrag, JBl 1959, 268; Pichler, Umwürdigung der Beweise im Rekursverfahren, JBl 1975, 356; Petrasch, Das neue Revisions- (Rekurs-) Recht, ÖJZ 1983, 169; ders, Die Zivilverfahrensnovelle 1983 in der Rechtsprechung des OGH, ÖJZ 1985, 257 und 291; ders, Der Weg zum OGH nach der Erweiterten Wertgrenzennovelle 1989, ÖJZ 1989, 743; Danzl, Der Weg zum OGH nach der WGN 1997, ÖJZ 1998, H 5a; Pochmarski/Lichtenberg, Beschluss und Rekurs in der Zivilprozessordnung (2006). Zechner in Fasching/Konecny IV/1 Vor §§ 514 ff; Bajons Rz 207; Ballon Rz 398 ff; Buchegger, PraktZPR 422 ff; Deixler-Hübner/Klicka Rz 306 ff; Fasching Rz 1961 bis 2029; Holzhammer 339; Rechberger/ Simotta Rz 866 bis 879. Der Rekurs ist das ordentliche, (mit Ausnahmen) aufsteigende, grund- 1 sätzlich aber nicht aufschiebende Rechtsmittel (zu diesen Begriffen s Vor § 461 Rz 4) gegen Beschlüsse des Gerichts erster oder zweiter Instanz. Seit der WGN 1989 gebraucht das Gesetz für Rekurse gegen Beschlüsse der zweiten Instanz, mit denen der Beschluss des Erstgerichts bestätigt oder abgeändert wird, den Begriff des Revisionsrekurses (Näheres s zu § 528). Voraussetzung der Anfechtbarkeit ist das Vorliegen eines Beschlusses. Gerichtliche Erklärungen ohne Entscheidungswillen sind, auch wenn sie als Beschluss bezeichnet werden, unanfechtbar (2 Ob 273/02i = SZ 2002/155; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 Vor §§ 514 ff Rz 26). Die Verfügung eines Gerichts zweiter Instanz, die Akten dem Erstgericht zurückzustellen, weil es eine Entscheidung über einen rechtsmissbräuchlich gestellten Ablehnungsantrag einer Partei ablehnt, ist weder eine verfahrensrechtliche Entscheidung noch eine Entscheidung über ein Rechtsschutzbegehren und kann daher auch dann nicht mit Rekurs angefochten werden, wenn sie in Beschlussform ergeht (4 Ob 306/00d = EvBl 2001/95). Weitere Beispiele s Zechner in Fasching/Konecny IV/1 Vor §§ 514 ff Rz 28. Im Gegensatz zu Berufung und Revision sind die Vorschriften über den 2 Rekurs reich an Ausnahmeregeln. So ist der Rekurs zwar grundsätzlich 1637

Vor § 514

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aufsteigend; es gibt aber Fälle, in denen das Erstgericht über Rekurse entscheiden kann (s § 522). Im allgemeinen hindert der Rekurs nur die Rechtskraft des angefochtenen Beschlusses, nicht aber seine Vollstreckbarkeit (§ 524 Abs 1). Auch dieser Grundsatz wird durchbrochen (s bei § 524). Nach der Grundregel der ZPO ist der Rekurs ein einseitiges Rechtsmittel, das binnen 14 Tagen zu erheben ist; in manchen Fällen ist er aber zweiseitig; mittlerweile wird – unter dem Eindruck der Entscheidung des EGMR Beer gegen Österreich – die Zweiseitigkeit für einen großen Teil der Rekurse bejaht (Näheres bei § 521a; ausführlich Zechner in Fasching/Konecny IV/1 Vor §§ 514 ff Rz 124 ff).

3 Während gegen jedes Urteil grundsätzlich die Berufung statthaft ist, kennt das Gesetz viele Fälle absolut unanfechtbarer Beschlüsse; daneben gibt es die Einrichtung des „aufgeschobenen“ Rekurses (s zu § 515). Was den Zugang zum OGH anlangt, gibt es eine größere Gruppe absolut unanfechtbarer Entscheidungen der Gerichte zweiter Instanz als im Revisionsverfahren (s § 528 Abs 2); neben den – durch das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage (§ 528 Abs 1) – bedingt zulässigen Revisionsrekursen gibt es auch in jedem Fall – unabhängig von Streitwert und erheblicher Rechtsfrage – zulässige Rekurse („Vollrekurse“, wie sie vor der WGN 1989 den Regelfall bildeten). Zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Rechtsmittelbeschränkungen s Vor § 502 Rz 2.

4 Während nur Parteien und Nebenintervenienten Berufung (und Revision) ergreifen können (s Vor § 461 Rz 8 und § 472 Rz 1), kommen als Rekursberechtigte auch „Beteiligte“ in Frage, was vor allem im Exekutionsverfahren von größerer Bedeutung ist. Rekursberechtigt sind zB der Zeuge (§ 348), dessen Zeugnisverweigerungsgründe nicht anerkannt, über den Zwangsmittel verhängt oder der zum Kostenersatz verpflichtet wurde; Gleiches gilt für den Sachverständigen (§§ 348, 367); auch der Richter, dessen Befangenheitsanzeige verworfen wurde (RZ 1981/23); ein in den Prozess einbezogenes Gebilde, dessen Parteifähigkeit verneint wurde, ist – wie die Partei, deren Prozessfähigkeit verneint wurde – zum Rekurs gegen diesen Beschluss berechtigt, denn bis zur rechtskräftigen Klärung der Frage der Parteifähigkeit muss dem Betroffenen das Recht zur Antragstellung und Rechtsmittelerhebung zuerkannt werden (SZ 23/7; EvBl 1973/271; SZ 48/76 = EvBl 1976/81; SZ 49/17; SZ 60/154; SZ 62/1 = JBl 1990, 33 [hiezu Ballon, Zur Parteifähigkeit von politischen Vereinigungen, JBl 1990, 2]). Wird eine prozessfremde Person in ein Verfahren verwickelt, steht ihr gleichfalls ein Rekursrecht zu (3 Ob 14/85). 1638

§ 514

4.3 Rekurs

Das Rekursverfahren ist nicht so eingehend geregelt wie jenes über 5 Berufung und Revision; insb fehlt – anders als bei der Revision (§ 513) – eine allgemeine Verweisung auf die Bestimmungen des Berufungsverfahrens. Dessen Bestimmungen werden aber zum Teil analog angewendet, wie beim Neuerungsverbot (ausführlich Zechner in Fasching/ Konecny IV/1 Vor §§ 514 ff Rz 90 ff), beim Rekursantrag, bei der Rücknahme des Rechtsmittels (s bei § 484) und teilweise bei den Rechtsmittelgründen (s zu § 526; eingehend Zechner in Fasching/Konecny IV/1 Vor §§ 514 ff Rz 7 ff). Auch hier gilt nach stRsp, dass die Beschwer Voraussetzung der Rechts- 6 mittelzulässigkeit ist (s Vor § 461 Rz 9 und 10). Zulässigkeit § 514. (1) Gegen Beschlüsse (Bescheide) ist, sofern das gegenwärtige Gesetz die Anfechtung derselben nicht ausschließt, der Rekurs zulässig. (2) Mittels Rekurses können Beschlüsse insbesondere auch aus den im § 477 angegebenen Gründen angefochten werden. (3) aufgehoben [Stammfassung; der frühere Abs 3 aufgehoben durch ZVN 1983] Lit: Fasching, Rechtsmittelklarheit im österreichischen zivilgerichtlichen Verfahren, FS Kralik 145 = FG Fasching 301. Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 514; Ballon Rz 398 ff; Buchegger, PraktZPR 422; Deixler-Hübner/Klicka Rz 306 ff; Fasching Rz 1971 ff; Holzhammer 340; Rechberger/Simotta Rz 866 ff. Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Rekurses ist zunächst, dass die 1 angefochtene Entscheidung tatsächlich den Charakter eines Beschlusses hat (s Vor § 514 Rz 1); eine allfällige Fehlbezeichnung ist nicht maßgebend (s Vor § 461 Rz 6). Der Rekurs ist nur dann nicht statthaft, wenn ihn das Gesetz für unzu- 2 lässig erklärt; im Zweifel ist daher jeder Beschluss mit Rekurs anfechtbar, auch wenn es sich dabei um eine „prozessleitende Verfügung“ handelt, für die das Gesetz keine Unanfechtbarkeit vorsieht (EvBl 1963/31 = JBl 1963, 270; EvBl 1992/84 = NRsp 1992/84 = RZ 1993/68 ua). Abs 2 erwähnt die Nichtigkeitsgründe des § 477 als Rekursgründe; das 3 bedeutet weder, dass ein nicht in § 477 aufgezählter Nichtigkeitsgrund – 1639

§ 515

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wie etwa die Rechtskraft oder Streitanhängigkeit – nicht geltend gemacht werden könnte, noch dass es keine anderen Rekursgründe gäbe (arg „insbesondere“). Eine Nichtigkeit kann allerdings nur wahrgenommen werden, soweit sie den Gegenstand des Rekurses betrifft; eine angebliche Nichtigkeit des Hauptverfahrens kann daher anlässlich eines Rekurses gegen die Verweigerung der Verfahrenshilfe nicht aufgegriffen werden (EvBl 1975/297; s § 527 Rz 1; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 514 Rz 5). § 515. In den Fällen, in welchen nach den Bestimmungen dieses Gesetzes gegen einen Beschluss ein abgesondertes Rechtsmittel versagt ist, können die Parteien ihre Beschwerden gegen diesen Beschluss mit dem gegen die nächstfolgende anfechtbare Entscheidung eingebrachten Rechtsmittel zur Geltung bringen. [Stammfassung] Lit: Pollak 570, 616; Wolff 366; Petschek/Stagel 398. Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 515; Ballon Rz 401; Buchegger, PraktZPR 422; Fasching Rz 1973; Holzhammer 340; Rechberger/Simotta Rz 867.

1 Dass es gegen einen Beschluss nur einen „vorbehaltenen“ (= „verbundenen“ oder „aufgeschobenen“) Rekurs gibt, ordnet das Gesetz in jedem einzelnen Fall – entweder an der die Beschlussfassung betreffenden Gesetzesstelle (zB § 18 Abs 4, § 490) oder im Zuge einer gruppenweisen Regelung (zB § 291 Abs 1, § 319 Abs 2, § 349 Abs 2, § 518 Abs 2) – an. Diese Regelung soll der Prozessbeschleunigung und der Prozessökonomie dienen (Fasching1 IV 392); die betroffene Partei kann ja im Hinblick auf den Prozessausgang das ursprünglich vorhandene Interesse an der Bekämpfung verlieren (SZ 64/122 = EvBl 1991/191 = JBl 1992, 120). Da die Partei ihre Beschwerde nicht in dem gegen die nächste abgesonderte Entscheidung erhobenen, sondern mit diesem Rechtsmittel geltend zu machen hat, bleibt sie ein Rekurs (EvBl 1998/49 = RdW 1998, 277 = RZ 1998/67 zu § 18 Abs 4 JN).

2 Unzweifelhaft kann die Partei den aufgeschobenen Rekurs mit einem Rechtsmittel gegen die nächste selbständig anfechtbare Entscheidung verbinden; wird eine Entscheidung, gegen die ein abgesonderter Rekurs nicht zulässig ist, mit einer anderen Entscheidung in einem Beschluss vereinigt, so kann mit dem gegen diese zulässigerweise eingebrachten Rekurs ein Rekurs gegen jene verbunden werden (ZBl 1928/105; RZ 1967, 92; SZ 46/94 ua). 1640

§ 517

4.3 Rekurs

Die Partei ist aber nicht gehalten, den aufgeschobenen Rekurs schon 3 mit dem Rekurs gegen die nächste selbständig anfechtbare Entscheidung zu verbinden; vielmehr ist sie dazu nur berechtigt. Sie kann damit auch bis zur Endentscheidung zuwarten, und zwar auch dann, wenn sie mittlerweile gegen eine selbständig anfechtbare Entscheidung Rekurs erhoben hat (OGH in Fragebeantwortung, JMVBl 1897/44; Fasching1 IV 392 f und Rz 1973; SZ 64/122 = EvBl 1991/191 = JBl 1992, 120; aM Pollak2 570; Wolff2 366; Petschek/Stagel 398). Die erst mit dem Rechtsmittel gegen die Endentscheidung – also mit der Berufung – bekämpften Beschlüsse unterliegen der Beurteilung durch das Berufungsgericht (s § 462 Abs 2). Ein nicht abgesondert anfechtbarer Beschluss der zweiten Instanz kann erst zugleich mit dem gegen die nächstfolgende selbständig anfechtbare Entscheidung der zweiten Instanz gerichteten Rechtsmittel bekämpft werden (JBl 1980, 379 = RZ 1981/57). Wird aber ein Beschluss vom Gesetz für unanfechtbar erklärt, kann er auch nicht mit dem Rechtsmittel gegen die Entscheidung in der Hauptsache bekämpft werden (s bei § 462 Abs 2); der von Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 515 Rz 4 vertretenen Meinung kann daher nicht gefolgt werden. Ein aufgeschobener Rekurs kann jedoch dann selbständig überreicht 4 werden, wenn infolge Abschlusses der Hauptsache eine weitere anfechtbare Entscheidung nicht erfließen kann (SpR 215 = GlUNF 6309; SZ 40/147 = JBl 1968, 576; SZ 59/138; SZ 64/122 = EvBl 1991/191 = JBl 1992, 120 ua). Fasst das Gericht zweiter Instanz – in dieser Eigenschaft und nicht 5 funktionell als Erstgericht (Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 515 Rz 22) – einen nicht abgesondert anfechtbaren Beschluss, dann hat es gleichwohl gegebenenfalls – vorbehaltlich der mangelnden selbständigen Anfechtbarkeit – einen Bewertungsausspruch (§§ 500 Abs 2 Z 2, 526 Abs 3) und einen Ausspruch über die Zulässigkeit des Rechtsmittels (§§ 500 Abs 2 Z 3, 526 Abs 3) zu machen. § 516. Aufgehoben durch ZVN 1983 § 517. (1) Übersteigt der Streitgegenstand an Geld oder Geldeswert nicht den Betrag von 2.000 Euro, so kann nur gegen die folgenden Beschlüsse erster Instanz Rekurs ergriffen werden: 1. wenn die Einleitung oder Fortsetzung des gesetzmäßigen Verfahrens über die Klage verweigert wurde; 1641

§ 517

Kodek

2. wenn über den Antrag auf Bestellung einer Sicherheit für die Prozesskosten oder auf Ergänzung dieser Sicherheit entschieden wurde; 3. wenn dem Begehren um Erstreckung einer Tagsatzung unter Verletzung der Bestimmungen des § 134 stattgegeben wurde und der Beschluss zugleich gemäß § 141 anfechtbar ist; 4. wenn ein Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung einer Tagsatzung oder wegen Verstreichens der Frist zur Erhebung eines Rechtsmittels abgewiesen wurde; 5. wenn über Prozesskosten entschieden worden ist; 6. wenn über die Aufhebung der Bestätigung der Vollstreckbarkeit entschieden worden ist (§ 7 Abs 3 EO). (2) Abs 1 gilt nicht für die im § 502 Abs 5 Z 3 bezeichneten Streitigkeiten. [Einleitungsworte in Abs 1 idF ZVN 1983 und – in Ansehung des Streitwerts – WGN 1997; Geldbetrag idF 2. Euro-JuBeG; Z 5 und 6 angefügt durch ZVN 1986, Z 1–4 Stammfassung; Abs 2 aufgehoben durch ZVN 1983; neuer Abs 2 angefügt durch ZVN 2004] Lit: Fucik, Die Rechtsmittelbeschränkungen der §§ 501, 517 ZPO nF, RZ 1984, 54; M. Bydlinski, Klagseinschränkung auf Kosten oder auf Feststellung, RZ 1989, 159; Ballon, Die Beachtung des rechtlichen Gehörs iSd Art 6 MRK durch die Rechtsmittelgerichte, JBl 1995, 623. Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 517; Ballon Rz 401; Buchegger, PraktZPR 425; Fasching Rz 1975 f; Rechberger/Simotta Rz 867.

1 Auch hier gilt wie nach § 501, dass das Gericht zweiter Instanz an den vom Kläger angegebenen Streitwert – sofern keine offensichtliche Fehlbewertung vorliegt – gebunden ist (RZ 1984/69; SZ 59/198; EvBl 1987/ 110; s auch § 500 Rz 3 und 4). Bei Zurücknahme der Klage bleibt der Streitgegenstand in der im Zeitpunkt der Rücknahme geltend gemachten Höhe bestehen (OLG Innsbruck EvBl 1985/39). Übersteigt der Streitwert nicht den Betrag von 2.000 Euro, dann sind die Beschlüsse des Erstgerichts – ausgenommen in den in Abs 2 genannten Verfahren – nur dann anfechtbar, wenn sie unter einen der in den Z 1 bis 6 aufgezählten Tatbestände fallen. Diese Rekursbeschränkungen finden im arbeits- und sozialgerichtlichen Verfahren keine Anwendung (§ 44 ASGG). Für die Zusammenrechnung mehrerer Ansprüche gelten die Grundsätze des § 55 JN (Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 517 Rz 2).

2 Unter Z 1 fallen Beschlüsse auf Zurückweisung der Klage, aber auch der Berufung sowie Beschlüsse auf Bewilligung der Unterbrechung sowie 1642

§ 517

4.3 Rekurs

auf Abweisung von Fortsetzungsanträgen nach Ruhen oder Unterbrechung (Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 517 Rz 20). Ob auch die Verweigerung der Bestellung eines Zustellkurators anfechtbar ist, ist strittig (bejahend LGZ Wien MietSlg 38.796; aM HG Wien EvBl 1936/ 1073). Auch die Zurückweisung eines Überweisungsantrags ist nach Z 1 anfechtbar (OLG Wien WR 1984, 64). Nach 3 Ob 557/92 = MietSlg 44.824 (und vorher schon LGZ Wien EvBl 1935/651 und MietSlg 38.795 sowie HG Wien WR 1984, 99) fällt die Verweigerung oder Entziehung der Verfahrenshilfe nicht unter Z 1, weil darin keine Kostenentscheidung liegt (aM Fasching Rz 498) und auch nicht die Einleitung oder Fortsetzung des Verfahrens verweigert wird (so auch Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 517 Rz 25; aM Fucik, RZ 1984, 60). Anfechtbar ist auch die Zurückweisung eines Einspruchs gegen den bedingten Zahlungsbefehl gem § 249 Abs 1 Satz 2 (s bei § 249; Zechner in Fasching/ Konecny IV/1 § 517 Rz 19). Zu Z 2 s bei §§ 60 bis 62. Zu Z 3 s bei §§ 134 und 141.

3

Zu Z 4 s bei §§ 146 und 153. 4 Ein Rechtsmittel ist auch dann zulässig, wenn der Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung aus formellen Gründen zurückgewiesen wurde (Fasching1 IV 401; LGZ Wien ZBl 1934/375). Z 4 gilt auch für die Versäumung von Rechtsbehelfen wie Einwendungen (Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 517 Rz 29). Seit der ZVN 1986 sind Kostenentscheidungen wieder – wie vor der 7. 5 GEN – anfechtbar. Das hat insb dort Bedeutung, wo das Verfahren in erster Instanz auf Kostenersatz eingeschränkt wurde, der Streitwert gem § 54 Abs 2 JN demnach auf null gesunken ist. Ob über das Kostenbegehren in Form eines Urteils oder eines Beschlusses (s zu § 55) abgesprochen wurde, ist ohne Bedeutung, steht doch der unterlegenen Partei in jedem Fall gem § 55 nur das Rechtsmittel des Rekurses zu (OLG Wien WR 1986, 231; LGZ Wien MietSlg 39.786 und 39.787). Sowohl die Aufhebung der Bestätigung der Vollstreckbarkeit als auch 6 der Beschluss auf Abweisung eines darauf abzielenden Antrags sind anfechtbar; das Gleiche muss für die Verweigerung der Erteilung der Vollstreckbarkeitsbestätigung gelten (LGZ Wien EvBl 1935/262; WR 1984, 98). Gegen die Bestätigung der Vollstreckbarkeit ist hingegen nur der in § 7 Abs 3 EO vorgesehene Rechtsbehelf zulässig; ein Rekurs ist ausgeschlossen. Das gilt auch für eine (durch abändernde Rechtsmittelentscheidung) vom Rekursgericht erteilte Vollstreckbarkeitsbestätigung (SZ 57/82 = EvBl 1984/134). 1643

§ 518

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7 Ordnungsstrafen, die der Richter in Ausübung der Sitzungspolizei nach § 200 verhängt, sind auch dann anfechtbar, wenn der Streitgegenstand des Rechtsstreits 2.000 Euro nicht übersteigt (SZ 18/27 = JBl 1936, 258 = RZ 1936, 195; 1 Ob 105/04d = EvBl 2004/203). Das gilt auch für Mutwillensstrafen gem § 245 Abs 1 (JBl 1997, 790 = ZIK 1998, 72; aM 7 Ob 217/97f = ZIK 1998, 72). S zu § 86 und zu § 528 Abs 2 Z 1.

8 Abs 2 bedeutet nur eine Klarstellung; schon vor der ZVN 2004 galt Abs 1 nicht für Verbandsklagen (Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 517 Rz 9). Abs 1 gilt auch nicht für Streitsachen, die nicht in Geld zu bewerten sind (Zechner aaO). § 518. (1) Im Verfahren über Klagen wegen Störung des Besitzstandes (§ 454) kann nur gegen Beschlüsse, durch welche die Einleitung oder Fortsetzung des Verfahrens über die Klage verweigert wird, und gegen den Endbeschluss Rekurs ergriffen werden. Der § 461 Abs 2 gilt sinngemäß. (2) Beschwerden gegen alle anderen im Laufe des Verfahrens gefassten Beschlüsse, und insbesondere gegen die während des Verfahrens erlassenen einstweiligen Verfügungen sind mit dem gegen den Endbeschluss gerichteten Rekurs zu verbinden. (3) Übersteigt der Wert des Streitgegenstandes nicht den Betrag von 2.000 Euro, so kann der Endbeschluss nur aus den im § 501 angeführten Gründen angefochten werden. [Abs 1 letzter Satz angefügt durch WGN 1989; Abs 3 angefügt durch ZVN 1986 idF WGN 1997; Geldbetrag idF 2. Euro-JuBeG; sonst Stammfassung] Lit: Frauenberger, Einstweiliger Rechtsschutz bei Besitzstörung (1993); G. Kodek, Besitzstörung (2002). Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 518; Buchegger, PraktZPR 425; Fasching Rz 1978; Rechberger/Simotta Rz 770.

1 S zu § 454. Die nicht im Abs 1 aufgezählten Beschlüsse sind nicht unanfechtbar, sondern mit dem Rechtsmittel gegen die Entscheidung in der Hauptsache (Endbeschluss) zu bekämpfen. Das gilt auch für die Verwerfung prozesshindernder Einreden (GlUNF 2662). Aus der Erwägung, dass die Auferlegung einer Prozesskostensicherheit geeignet sei, den Fortgang des Verfahrens zu hindern, hat das LGZ Wien EvBl 1953/494 den Rekurs gegen die Auferlegung einer Prozesskostensicherheit für zulässig erachtet. Zutreffend halten G. Kodek (Besitzstörung 88 f) und Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 518 1644

§ 519

4.3 Rekurs

Rz 3 dem entgegen, dass die Auferlegung der Prozesskostensicherheit noch nicht die Fortsetzung hindert, sondern erst der Beschluss, mit dem die Klage für zurückgenommen erklärt wird (§ 60 Abs 3). Auch einstweilige Vorkehrungen und sonstige einstweilige Verfügungen (Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 518 Rz 11) – sofern sie vor dem Endbeschluss erlassen werden – sind nur mit dem gegen den Endbeschluss gerichteten Rekurs anzufechten (LGZ Wien MietSlg 38.797). Wurde der Endbeschluss in Anwesenheit beider Parteien verkündet, so 2 ist der Rekurs dagegen anzumelden; s zu § 461 Abs 2. Abs 3 soll für Besitzstörungsverfahren mit einem Streitwert von höch- 3 stens 2.000 Euro die Anfechtbarkeit übereinstimmend mit § 501 regeln; das bedeutet allerdings nicht, dass damit die – sonst im Rekursverfahren grundsätzlich unzulässige – Bekämpfung der erstrichterlichen Beweiswürdigung (s zu § 526) in Besitzstörungsverfahren mit höheren Streitwerten ermöglicht werden sollte (LGZ Wien MietSlg 38.798). Der Rekurs gegen einen Endbeschluss ist zweiseitig (§ 521a Abs 1 Z 1); 4 der Revisionsrekurs ist ausgeschlossen (§ 528 Abs 2 Z 6). § 519. (1) Gegen einen im Berufungsverfahren ergehenden Beschluss des Berufungsgerichtes ist der Rekurs nur zulässig, 1. soweit das Berufungsgericht die Klage oder die Berufung ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen zurückgewiesen hat; 2. soweit das Berufungsgericht das erstgerichtliche Urteil aufgehoben und dem Gericht erster Instanz eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung aufgetragen oder die Sache an ein anderes Berufungsgericht verwiesen und wenn es dabei ausgesprochen hat, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig ist. (2) Das Berufungsgericht darf die Zulässigkeit des Rekurses nach Abs 1 Z 2 nur aussprechen, wenn es die Voraussetzungen für gegeben erachtet, unter denen nach § 502 die Revision zulässig ist; dieser Ausspruch ist kurz zu begründen. Im Fall eines solchen Ausspruchs ist das Verfahren in erster Instanz erst nach Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses fortzusetzen. Über einen solchen Rekurs kann der Oberste Gerichtshof durch Urteil in der Sache selbst erkennen, wenn die Streitsache zur Entscheidung reif ist. [Fassung gem WGN 1989] Lit: Pollak 572; Wolff 367; Sperl 682; Novak, Zur Tragweite des § 519 ZPO, JBl 1953, 57 und 84; Petrasch, Der Weg zum Obersten Gerichtshof nach der Erweiterten Wertgrenzennovelle 1989, ÖJZ 1989, 743; 1645

§ 519

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P. Böhm, Vollrekurs zur Abwehr drohender Rechtschutzverweigerung, ecolex 1992, 689; Bajons, Der Wandel im ordentlichen Rechtsmittelsystem – Von der ZVN 1983 zur WGN 1989, ÖJZ 1993, 145; Rechberger/ Puschner, Prozessuale Probleme des Verhältnisses der Ansprüche nach §§ 6 ff MedG und § 87 Abs 2 UrhG, RZ 1998, 219; Danzl, Der Weg zum OGH nach der WGN 1997, ÖJZ 1998, H 5a. Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 519; Ballon Rz 402; Buchegger, PraktZPR 426; Fasching Rz 1979 f; Rechberger/Simotta Rz 876 ff. Inhaltsübersicht Allgemeines 1 Jedenfalls unanfechtbare Beschlüsse 2–5 Unbeschränkt anfechtbare Beschlüsse 6–17 Bedingt anfechtbare Beschlüsse 18–22 Besonderheiten des Rekurses nach Abs 1 Z 2 23–27

1 Im Unterschied zu den Rechtsmittelbeschränkungen gem §§ 517 und 518 wird hier nicht der Rechtszug an das Gericht zweiter Instanz, sondern – wie in § 528 – der Rechtszug an den OGH beschränkt. Nach § 519 gibt es, was die Anfechtbarkeit angeht, drei Gruppen von Beschlüssen des Berufungsgerichts: a) jedenfalls unanfechtbare Beschlüsse, b) Beschlüsse, die unabhängig vom Wert des Entscheidungsgegenstands und dem Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage immer (mit „Vollrekurs“), und c) Beschlüsse, die nur unter den Voraussetzungen des § 502 anfechtbar sind.

2 Zu Rz 1. a) Vom Berufungsgericht im Berufungsverfahren gefasste Beschlüsse, die in § 519 nicht aufgezählt sind, können überhaupt nicht angefochten werden. Dazu gehören alle im eigentlichen Berufungsverfahren ergangenen Beschlüsse und nicht bloß die berufungsgerichtlichen Beendigungsbeschlüsse (SZ 51/52 unter ausdrücklicher Ablehnung von SZ 40/111). Unanfechtbar sind demnach Unterbrechungsbeschlüsse des Berufungsgerichts (SpR 39 = SZ 27/319 = EvBl 1955/69 = JBl 1955, 71 = RZ 1955, 45; SZ 51/52; 5 Ob 11/95 = MietSlg 47.680 = wobl 1995/ 49 ua), insb auch im Zusammenhang mit der Verständigung des Pflegschaftsgerichts nach § 6a (EvBl 1992/127 = NRsp 1992/86 = RZ 1993/ 71); Beschlüsse auf Zurückweisung eines Fortsetzungsantrags, weil der Gläubiger seine Konkursforderung ohne anspruchsbegründende Tatsachen, also mangelhaft, angemeldet hat (8 Ob 6/03w = ZIK 2004/68); s aber unter Rz 9 die Entscheidung MR 1991, 28 zum Beschluss des Beru1646

§ 519

4.3 Rekurs

fungsgerichts gem § 7 KO; Beschlüsse auf Urteilsberichtigung (SZ 17/ 94; EvBl 1961/507, 2 Ob 46/91 ua), sowie auf Zurückweisung eines auf Berichtigung des Berufungsurteils gerichteten Antrags (ÖJZ-LSK 2000/ 117); auf Zurückweisung eines im Berufungsverfahren eingebrachten Schriftsatzes (EvBl 1961/410; EFSlg 55.118); auf Verwerfung einer Nichtigkeitsberufung (ZBl 1921/176; MietSlg 38.799; EFSlg 57.844, 64.159; SSV-NF 1/36; EvBl 1996/135 = ÖJZ-LSK 1996/322; 4 Ob 132/ 97h = RZ 1998/60 uva), aber auch bei Verneinung der von Amts wegen geprüften Nichtigkeit, selbst wenn dies nur in den Gründen geschieht (SZ 54/190 = RZ 1982/55 mwN); sowie auf Zurückweisung der Aufrechnungseinrede des Beklagten ohne Sachentscheidung (EvBl 1992/59 = AnwBl 1992, 677 = NRsp 1992/87 = RZ 1993/78; 4 Ob 510/96 = SZ 69/ 21; aM Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 519 Rz 98). Aus § 519 Abs 1 ergibt sich auch die Unanfechtbarkeit der Kostenentscheidung des Berufungsgerichts (§ 528 Abs 2 Z 3 bezieht sich – anders als § 528 Abs 1 Z 2 idF vor der WGN 1989 – nur auf Kostenentscheidungen des Rekursgerichts). Auch die Abweisung des Antrags auf Ergänzung des Berufungsurteils ist – entgegen überwiegender Rsp (EvBl 1962/399; MietSlg 47.651 ua) – außer bei endgültiger Verweigerung des Rechtsschutzes unanfechtbar (2 Ob 952/53; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 519 Rz 93; M. Bydlinski in Fasching/Konecny III § 423 Rz 18). Unanfechtbar ist auch der Beschluss des Berufungsgerichts, mit dem 3 ein Ersturteil aufgehoben und die Sache wegen Unzuständigkeit gem § 475 Abs 2 an ein anderes Erstgericht überwiesen wurde, uzw selbst dann, wenn das Gericht zweiter Instanz den Revisionsrekurs für zulässig erklärt hat, liegt doch in Wahrheit kein aufhebender, sondern ein abändernder Beschluss vor (s § 527 Rz 3), der in § 519 Abs 1 nicht genannt ist, da die Klage ja nicht zurück- (Z 1), sondern an ein anderes Gericht überwiesen wurde (JUS Z 1156). Dem Rechtsmittelausschluss des Abs 1 sollen hingegen nach JBl 1989, 4 452 = Anw 1989, 439 [zust Graff] nicht solche Beschlüsse des Berufungsgerichts im Berufungsverfahren unterliegen, die gem §§ 513, 462 Abs 2 der Beurteilung des Revisionsgerichtes unterliegen und die vollständige Erörterung und gründliche Beurteilung zu hindern geeignet waren, wie etwa die unberechtigte Verwerfung der Ablehnung eines im Berufungsverfahren beigezogenen Sachverständigen (abl Zechner in Fasching/ Konecny IV/1 § 504 Rz 21, der jedoch in § 519 Rz 11 aus „Gründen der Verfahrenshygiene“ Verständnis für diese Entscheidung äußert). Mit § 41 Abs 1 GebAG idF BGBl 1994/623 sollte klargestellt werden, 5 dass auch gegen den Beschluss eines Berufungsgerichts, mit dem Sach1647

§ 519

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verständigengebühren bestimmt werden, Rekurs erhoben werden kann (ErlRV 1154 BlgNR 18. GP 14; RZ 1999/24 mwN).

6 Zu Rz 1. b) Jedenfalls anfechtbar sind: a) Beschlüsse des Berufungsgerichts außerhalb des Berufungsverfahrens (Fasching1 IV 406 ff und Rz 1979; EvBl 1960/292 uva; aM Pollak 572, Wolff 367; Sperl 682 ua; differenzierend Novak, JBl 1953, 62 ff, 84 ff; nach Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 519 Rz 91 sollte besser von Beschlüssen, die nicht unmittelbar das Verfahren zur Sacherledigung des Rechtsschutzantrags betreffen, gesprochen werden). Dazu zählen nach der Rsp der Beschluss auf Zurückweisung der Revision durch das Berufungsgericht (DREvBl 1941/46; EFSlg 44.125), auf Abweisung eines Wiedereinsetzungsantrags wegen Versäumung der Berufungsverhandlung (SZ 16/87; SZ 24/299; EFSlg 55.119), über die Zulassung eines Nebenintervenienten (SZ 33/58) sowie eine vom Berufungsgericht verhängte Ordnungsstrafe (EvBl 1959/60 = JBl 1959, 239; SZ 45/ 56 = EvBl 1972/336; 3 Ob 520/91; 7 Ob 513/93 uva); b) jeder im Berufungsverfahren ergangene Beschluss, mit dem die Klage oder die Berufung aus formellen Gründen zurückgewiesen wurde (Abs 1 Z 1).

7 Das Gericht zweiter Instanz hat die Berufung nur dann „aus formellen Gründen“ zurückgewiesen, wenn es seine Entscheidung auf § 471 Z 2 oder 3 gestützt hat (§ 519 Abs 1 Z 1 idF vor der WGN 1989 hat diese Bestimmungen – zusammen mit § 474 Abs 2 und § 495 – ausdrücklich zitiert; die Neufassung sollte keine inhaltliche Änderung bewirken). Wurde also eine Berufung „verworfen“ oder „zurückgewiesen“, weil etwa ein Nichtigkeitsgrund verneint wurde, dann ist diese Entscheidung unanfechtbar. Wird hingegen die Berufung etwa deshalb als unzulässig zurückgewiesen, weil sie von einer Person eingebracht wurde, der eine Berufung nicht zusteht (§ 471 Z 2, § 472 Abs 1), dann ist der Rekurs zulässig (EFSlg 57.843). Einer teilweisen Zurückweisung der Berufung kommt es gleich, wenn das Berufungsgericht infolge eines Irrtums über den Umfang der Anfechtung ausspricht, dass ein Teil des erstgerichtlichen Urteils als unangefochten unberührt bleibt (RZ 1982/42). Der Rekurs gegen die Zurückweisung der Berufung ist einseitig und innerhalb von 14 Tagen zu erheben (§ 521 Abs 1; Fasching Rz 1980; 3 Ob 130/05x = EvBl 2005/194 = JBl 2006, 50; aM Zechner in Fasching/ Konecny IV/1 § 519 Rz 31, 75 f, der die Analogie zu § 521a Z 3 bejaht).

8 Wird – unter Nichtigerklärung des erstinstanzlichen Verfahrens und Urteils – vom Berufungsgericht die Zurückweisung der Klage ausgesprochen, dann ist dieser Beschluss stets anfechtbar. In diesem Fall ist 1648

§ 519

4.3 Rekurs

der Rekurs zweiseitig (§ 521a Abs 1 Z 3) und daher innerhalb von vier Wochen einzubringen (Fasching Rz 1981). Lehre und Rsp haben die analoge Anwendung der Z 1 auf berufungsge- 9 richtliche Aufhebungsbeschlüsse anerkannt, mit denen – ohne Zurückweisung der Klage aus formellen Gründen – dem Verfahren ein Ende gesetzt wird, so dass sie ihrem Wesen nach einer Klagezurückweisung gleichkommen (Fasching1 IV 410 ff; ders Rz 1981; SZ 49/25 mwN). Das wurde in dem Fall bejaht, dass das Ersturteil wegen Überschreitung des Klagebegehrens (§ 405) aufgehoben wurde (JBl 1958, 313), aber auch dann, wenn das Berufungsgericht in Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung eine Klageänderung nicht zulässt und deshalb das Ersturteil aufhebt (JBl 1960/21; Fasching Rz 1981; aM 4 Ob 510/96 = SZ 69/21 = JBl 1997, 186, in welchem Fall die „Aufhebung“ durch das Gericht zweiter Instanz in der Beseitigung eines infolge Klageausdehnung ergangenen zusätzlichen Urteilsausspruchs bestanden hat und der außerordentliche Revisionsrekurs gegen den abändernden Beschluss über die Klageänderung zurückgewiesen wurde; 8 Ob 263/00k = SZ 74/ 118; s dazu Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 519 Rz 41 ff) oder abweichend vom Erstgericht zulässt und infolgedessen das Ersturteil aufhebt (SZ 27/167; 49/25 unter ausdrücklicher Ablehnung der gegenteiligen Entscheidungen SZ 47/49 und JBl 1976, 320; Fasching aaO). Das Gleiche gilt auch, wenn es infolge abändernder Entscheidung zweiter Instanz über die Berichtigung einer Parteibezeichnung zu einem Parteiwechsel kommt (4 Ob 267/00v = RdW 2001, 286 = ZIK 2001, 131; 5 Ob 242/99w = MietSlg 51.743 = wobl 2000/20). Z 1 ist auch anzuwenden, wenn das Berufungsgericht ein über einen Zwischenantrag auf Feststellung ergangenes Urteil aufgehoben und den Antrag mangels der Voraussetzungen des § 236 zurückgewiesen hat (SZ 29/2; EvBl 1969/ 144; MietSlg 26.505 ua); wenn das Berufungsgericht in Abänderung der erstgerichtlichen Sachentscheidung aussprach, dass die Entscheidung über ein Eventualbegehren zu entfallen habe (Rsp 1930, 151), oder wenn das Berufungsgericht wegen Eröffnung des Konkurses über das Vermögen einer Partei während des Verfahrens zweiter Instanz mit Beschluss die Unterbrechung des Berufungsverfahrens ausspricht und damit die Fortsetzung des Verfahrens ablehnt (MR 1991, 28) oder einen Fortsetzungsantrag wegen „ewigen Ruhens“ zurückweist (9 ObA 181/88 = SZ 61/197 = EvBl 1989/60). Z 1 wird analog auch angewendet auf die Aufhebung des in einem Wechselprozess ergangenen Urteils wegen Nichtigkeit, verbunden mit der Zurückweisung der Einwendungen als verspätet (SZ 34/77 = JBl 1962, 95); ebenso kommt es einer Zurückweisung der Klage gleich, wenn in einer Bestandsache das Urteil und das Verfahren mit Ausnahme der Zustellung der Auf1649

§ 519

Kodek

kündigung als nichtig aufgehoben und das Verfahren damit in den Stand vor der wirksamen Erhebung von Einwendungen versetzt wird (SZ 52/125 = MietSlg 31.741/32). Anfechtbar ist auch ein Beschluss, mit dem das Ersturteil und das ihm vorangegangene Verfahren ab einem Fortsetzungsantrag des Klägers als nichtig aufgehoben und dieser als unzulässig zurückgewiesen wurde (SZ 61/197 = EvBl 1989/60 = NRsp 1988/329). Z 1 ist auch dann analog anzuwenden, wenn das Berufungsgericht das Urteil und das ihm vorangegangene Verfahren aufgehoben und den Einspruch gegen den Zahlungsbefehl zurückgewiesen hat; das Rechtsmittelverfahren ist daher auch in diesem Fall zweiseitig (EvBl 1997/142); ebenso anfechtbar ist ein Beschluss, mit dem im Berufungsverfahren die Unwirksamkeit der Klagerücknahme in Ehesachen ausgesprochen wurde (6 Ob 673, 674/86 = JBl 1987, 519; zust Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 519 Rz 8).

10 Z 1 wird weiters analog angewendet, wenn unter Nichtigerklärung des Ersturteils eine Überweisung in das außerstreitige Verfahren – (zur Überweisung an ein anderes Erstgericht gem § 475 Abs 2 s Rz 2) – ausgesprochen wird (SZ 53/153 = EvBl 1981/75; EvBl 1986/6 = MietSlg 37.716/14; EvBl 1990/173 = ÖA 1991, 21; EvBl 1991/62; RZ 1997/11 ua). S § 528 Rz 21 und Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 519 Rz 82. Auch ein Beschluss des Berufungsgerichts, mit dem wegen einer nach Schluss der Verhandlung erster Instanz eingetretenen (Teil-)Gesamtrechtsnachfolge ausgesprochen wurde, dass anstelle der bisher beklagten Partei deren (Teil-)Gesamtrechtsnachfolger zu haften habe, kann von der ursprünglich beklagten Partei unabhängig von Streitwerthöhe und erheblicher Rechtsfrage bekämpft werden; auch dieser Rekurs ist zweiseitig (RZ 1996/71; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 519 Rz 103).

11 Keine analoge Anwendung der Z 1 soll stattfinden, wenn das Berufungsgericht eine Aufrechnungseinrede zurückweist, werde doch damit der Rechtsschutz nicht abschließend verweigert (EvBl 1992/59 = AnwBl 1992, 677 = NRsp 1992/87 = RZ 1993/78; 4 Ob 510/96 = SZ 69/ 21; aM 1 Ob 580/86 = SZ 59/133; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 519 Rz 98).

12 Nach ÖJZ-LSK 1997/290 = RZ 1998/39 ist auch die Zurückweisung einer Berufungsbeantwortung – jedenfalls nach rechtskräftiger Zurückweisung der Berufung – kein Beschluss gem Z 1. Dem ist zu entgegnen, dass die Zurückweisung der Berufungsbeantwortung an sich analog Z 1 anfechtbar ist, könnte doch bei anderer Auffassung die Nichtigkeit des Berufungsverfahrens infolge Einseitigkeit nicht wahrgenommen wer1650

§ 519

4.3 Rekurs

den; die Anfechtbarkeit ist aus Gründen der Waffengleichheit zu bejahen (2 Ob 259/02f). Wurde aber die Berufung bereits rechtskräftig zurückgewiesen, dann fehlt dem Berufungsgegner die Beschwer (so auch Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 519 Rz 78). In all diesen Fällen ist der Vollrekurs an den OGH ohne Rücksicht auf 13 das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage, aber auch ohne Rücksicht auf die Höhe des Streitwertes zulässig (RZ 1992/1; 1992/26; ecolex 1992, 695; MietSlg 46.674; EvBl 1997/111 = ÖJZ-LSK 1997/153; RZ 1997/56; Petrasch, ÖJZ 1989, 750; Rechberger/Simotta Rz 745; Ballon 235; P. Böhm, ecolex 1992, 689; aM Fasching Rz 1980 f). Der Gesetzgeber hat mit der WGN 1989 § 528 insoweit bewusst neu gefasst, als nun dort nur das Rechtsmittel gegen Beschlüsse des Rekursgerichts (und nicht des „Gerichtes zweiter Instanz“) geregelt wird, und diese Abweichung damit gerechtfertigt, dass in den Fällen der Z 1 erstmals das Berufungsgericht die Unzulässigkeit der Klage bzw der Berufung aufgreife und daher funktionell gleichsam als erste Instanz abschließend entscheide (JAB). § 528 Abs 2 Z 1 gilt hier somit nicht. Hat das Berufungsgericht in Abänderung des in die Entscheidung über 14 die Hauptsache aufgenommenen, eine Prozesseinrede verwerfenden Ausspruches (§ 261 Abs 3) der Einrede stattgegeben und infolgedessen das Urteil aufgehoben und die Klage zurückgewiesen, dann war nach der früheren Rsp des OGH dagegen gleichfalls der Rekurs ohne jede Beschränkung zulässig (EvBl 1992/8 = JBl 1992, 331 ua). Damit entstand freilich ein Wertungswiderspruch: Hätte das Erstgericht seinen Beschluss abgesondert gefasst (§ 261 Abs 4), dann wäre dagegen Rekurs zu erheben; eine abändernde Entscheidung des Rekursgerichts ist aber nur unter den Beschränkungen des § 528 anfechtbar. Dieser Wertungswiderspruch ist nur dann zu vermeiden, wenn man – insb im Hinblick auf die erklärte Absicht des Gesetzgebers, den Vollrekurs in den Fällen zu belassen, in denen ein Berufungsgericht erstmals die Unzulässigkeit der Klage aufgegriffen hat – nur dort den Vollrekurs bejaht, wo das Berufungsgericht erstmals – auf Nichtigkeitsrüge oder von Amts wegen – den Zurückweisungsgrund wahrnimmt; dort aber, wo es über einen schon vom Erstgericht behandelten Zurückweisungsgrund abspricht, wäre ein Rekurs nur unter den Voraussetzungen des § 528 als zulässig anzusehen (Petrasch, ÖJZ 1989, 750; Bajons, ÖJZ 1993, 156; diese Frage behandelnd, aber nicht abschließend beantwortend JBl 1996, 58; in diesem Sinne nun 1 Ob 63/02z = EvBl 2002/161). Die Nichtbehandlung von Berufungsgründen – etwa der Beweis- und 15 Mängelrüge wegen irrtümlicher Bejahung der Voraussetzungen des 1651

§ 519

Kodek

§ 501 – ist der Zurückweisung der Berufung nicht gleichzuhalten (7 Ob 20/03x = ÖJZ-LSK 2003/140; s § 501 Rz 5).

16 Greift erstmals das Rekursgericht einen Nichtigkeitsgrund auf und weist es eine Klage unter Nichtigerklärung des Verfahrens zurück, dann ist dieser Beschluss wie ein gleichartiger berufungsgerichtlicher Beschluss anfechtbar, ohne dass die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 528 vorliegen müssten (SZ 59/28 = EvBl 1987/58; 5 Ob 653/89; 9 ObA 98/91; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 519 Rz 22 mwN).

17 Zur analogen Anwendung des § 519 auf Beschlüsse von Rekursgerichten s auch § 528 Rz 9.

18 Eingepasst in das Zulassungssystem (s Vor § 502 Rz 3) ist lediglich Z 2: Nur unter den Voraussetzungen des § 502 (s dort) anfechtbar sind a) Aufhebungsbeschlüsse und b) Überweisungen der Sache an ein anderes Berufungsgericht (§ 471 Z 1, § 474 Abs 1), sofern das Gericht zweiter Instanz ausgesprochen hat, dass der Rekurs an den OGH zulässig ist. Fehlt ein solcher Ausspruch, dann ist ein Rechtsmittel dagegen – auch ein außerordentlicher Rekurs – jedenfalls unzulässig (JAB; RZ 1992/18; 7 Ob 290/00y = JBl 2001, 511; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 519 Rz 55).

19 Für den Zulässigkeitsausspruch gilt das in § 502 Rz 10 ff Gesagte. Hat das Berufungsgericht das Ersturteil in einzelnen Aussprüchen als Teilurteil bestätigt und mangels erheblicher Rechtsfrage die ordentliche Revision nicht zugelassen, so darf es den Rekurs an den OGH gegen den aufhebenden Teil bei Fehlen einer erheblichen Rechtsfrage nicht bloß deshalb zulassen, weil es einen Gleichklang der Entscheidungen über eine allfällige außerordentliche Revision gegen das Teilurteil und die dem Aufhebungsbeschluss zugrunde liegende Rechtsansicht anstrebt, besteht doch diese Gefahr nach der Rsp zu § 499 (s § 499 Rz 2) ohnehin nicht (1 Ob 6/03v = EvBl 2003/120).

20 Trotz eines Zulässigkeitsausspruchs bleibt ein Rekurs dort unzulässig, wo ein weitergehender Rechtsmittelausschluss besteht, so etwa dann, wenn – abgesehen von den Fällen des § 502 Abs 4 u 5 – der Entscheidungsgegenstand unter 4.000 Euro liegt oder – im Hinblick auf die gem § 192 Abs 2 unanfechtbare Befugnis des Gerichts, den Prozessstoff qualitativ oder quantitativ zu teilen – bei Aufhebung eines Teil- oder Zwischenurteils (RZ 1982/4 = RZ 1982/26; SZ 56/157; SZ 57/17 = JBl 1985, 111; ausführlich Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 519 Rz 64 f). 1652

§ 519

4.3 Rekurs

Das Berufungsgericht hat entgegen dem zu engen Wortlaut des § 500 21 Abs 2 („… in seinem Urteil“) auch hier, wenn der Entscheidungsgegenstand nicht ausschließlich in einem Geldbetrag besteht, einen Bewertungsausspruch zu machen (RZ 1984/87; ÖBl 1986, 108; Petrasch, ÖJZ 1983, 201). Hier gilt das zu § 500 Gesagte; auch im Fall der Aufhebung ist es dem Berufungsgericht grundsätzlich verwehrt, von der Bagatellbewertung des Klägers abzuweichen (1 Ob 292/02a = EvBl 2003/91; s § 500 Rz 4 und § 502 Rz 8). Der Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss ist zweiseitig und binnen 22 vier Wochen einzubringen (§ 521a Abs 1 Z 2, § 521 Abs 1); der Rekurs gegen einen Überweisungsbeschluss ist in § 521a nicht aufgezählt und wurde daher früher als einseitig behandelt (aM Fasching Rz 1982, der allerdings auch in diesem Zusammenhang von einer Aufhebung des Ersturteiles spricht); im Hinblick auf die Rsp des EGMR (s Vor § 514 Rz 2 und § 521a Rz 2; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 519 Rz 54) wird auch dieser Rekurs nunmehr als zweiseitig, wenngleich mit 14tägiger Frist, zu behandeln sein. Mit dem Rekurs gegen einen Aufhebungsbeschluss kann auch allein 23 dessen Begründung angefochten werden, ohne dass der Auftrag an das Erstgericht, das Verfahren zu ergänzen, bekämpft wird (SZ 55/133 mwN); das Rechtsmittel kann auch von der Partei erhoben werden, auf deren Berufung hin die Aufhebung erfolgt ist (SZ 15/138; 47/89 = VersR 1975, 721; SZ 48/79 uva). Im Rekursverfahren gegen solche Aufhebungsbeschlüsse gilt nicht das 24 Verbot der reformatio in peius (ZVR 1973/14; SZ 48/136 = ÖBl 1976, 63; ÖBl 1985, 14; EvBl 1988/46 = JBl 1988, 248 = MietSlg 39.792/52 = wobl 1988, 34 uva); an die Stelle des Aufhebungsbeschlusses kann – und muss bei Vorliegen der Voraussetzungen (Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 519 Rz 109) – daher der OGH auch auf Rekurs des Klägers ein Urteil auf Klageabweisung und auf Rekurs des Beklagten ein Urteil auf Klagestattgebung fällen (wbl 1992, 166). Dass der Rechtsmittelwerber sich nur gegen die überbundene Rechtsansicht, nicht aber gegen die Aufhebung wendet, hindert den OGH nicht, bei Spruchreife in der Sache selbst zu erkennen, weil mit Erhebung des Rekurses die Entscheidungskompetenz auf ihn übergegangen ist (NRsp 1992/222). Die Spruchreife hat der OGH von Amts wegen wahrzunehmen; ein entsprechender Rekursantrag ist nicht erforderlich (Zechner in Fasching/ Konecny IV/1 § 519 Rz 110). Auch die Verletzung des Neuerungsverbots kann – als Verfahrens- 25 mangel (Zechner in Fasching/Konecny IV/1, § 519 Rz 113) – im Rekurs 1653

§ 520

Kodek

gegen den Aufhebungsbeschluss geltend gemacht werden (SZ 27/65; JBl 1976, 591 uva).

26 Zweck des Rekurses ist nur die Überprüfung der Rechtsansicht der zweiten Instanz – in jeder Richtung (SZ 54/124; 58/210 uva) – durch den OGH; ist die dem Aufhebungsbeschluss zugrunde liegende Rechtsansicht richtig, kann der OGH aber nicht überprüfen, ob die Verfahrensergänzung tatsächlich notwendig ist (SZ 38/29 = ÖBl 1965, 60; SZ 43/167; JBl 1991, 580; 2 Ob 190/99a = EFSlg 91.060 uva).

27 Eine Partei, die den für zulässig erklärten Rekurs nicht erhoben hat, kann nach stRsp dennoch im zweiten Rechtsgang die dem Aufhebungsbeschluss zugrunde gelegte Rechtsansicht bekämpfen (SpR 37 = SZ 26/ 312 = EvBl 1954/138; MietSlg 39.785; 9 Ob 512/95 = SZ 68/123 = EvBl 1996/15; 5 Ob 2339/96y = SZ 69/251; 3 Ob 193/04k = JBl 2005, 787). Erhebung des Rekurses § 520. (1) Der Rekurs wird durch Überreichung eines Schriftsatzes (Rekursschrift) bei dem Gerichte erhoben, dessen Beschluss angefochten wird, dessen Vorsteher den angefochtenen Beschluss erlassen hat oder dem der Vorsitzende des Senates, der beauftragte oder ersuchte Richter angehört hat, gegen dessen Beschluss Rekurs ergriffen wird; doch sind Rekurse gegen Entscheidungen der zweiten Instanz beim Gerichte erster Instanz zu überreichen. Bei Bezirksgerichten können Rekurse von Parteien, welche nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten sind, auch mündlich zu Protokoll angebracht werden, wenn nicht schon im erstinstanzlichen Verfahren die Vertretung durch Rechtsanwälte geboten war (§ 27 Abs 1); schriftliche Rekurse müssen mit der Unterschrift eines Rechtsanwaltes versehen sein. (2) Wenn ein Beschluss wegen der ihm zugrunde liegenden unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit Rekurs angefochten wird, ist der § 506 Abs 2 entsprechend anzuwenden. [Abs 1 Satz 1 letzter Halbsatz angefügt durch 6. GEN, Satz 2 idF WGN 1989; Abs 2 idF ZVN 1983] Lit: Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 520; Fasching Rz 1992 f; Rechberger/Simotta Rz 869.

1 Sowohl Rekurse gegen Beschlüsse des Erstgerichts als auch Revisionsrekurse und sonstige Rekurse an den OGH sind – wie Berufung und Revision – beim Erstgericht einzubringen, uzw auch dann, wenn die 1654

§ 520

4.3 Rekurs

Rechtssache vor dieser Einbringung an ein anderes Gericht überwiesen wurde (2 Ob 128/97f = RdW 1997, 724). Werden sie beim Rechtsmittelgericht überreicht (oder dorthin adressiert zur Post gegeben), dann ist das Rechtsmittel ehestens dem Erstgericht zu übermitteln; die Rechtzeitigkeit des Rekurses ist nach dem Zeitpunkt seines Einlangens beim Gericht erster Instanz zu beurteilen (s Vor §§ 461 ff Rz 7). Der Begriff des Gerichts erster Instanz ist im funktionellen Sinn zu verstehen (Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 520 Rz 1), kann also auf ein OLG zutreffen, wenn dieses etwa in einer Ablehnungssache entschieden hat (Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 520 Rz 3). Zu Protokoll gegeben werden können nicht nur Rekurse gegen erstgerichtliche Beschlüsse, sondern auch Rechtsmittel an den OGH (SZ 39/148 = EvBl 1966/522; JUS 1989 Z/96 = RZ 1989/29 ua). Das gilt grundsätzlich nur in bezirksgerichtlichen Verfahren. Protokollarrekurse gegen Beschlüsse von Gerichtshöfen gibt es nur in Ausnahmefällen: gegen Beschlüsse über die Verfahrenshilfe (§ 72 Abs 3); Rekurse von Zeugen und Sachverständigen (§§ 348, 367) und Rekurse gegen die Bestimmung von Sachverständigengebühren (§ 41 Abs 3 GebAG). § 520 Abs 1 gilt – mit einigen Besonderheiten – auch im Arbeits- und Sozialrechtsverfahren (§ 39 Abs 2 Z 2 ASGG). Da das Gesetz keine Bestimmung darüber enthält, bei welchem Gericht der Rekurs mündlich zu Protokoll anzubringen ist, kann der Rekurs auch beim Wohnsitzgericht wirksam zu Protokoll erklärt werden, gleichgültig, ob die rekurswerbende Partei Verfahrenshilfe genießt oder nicht; in diesem Fall hängt die Rechtzeitigkeit des Rekurses nur vom Zeitpunkt der Protokollaufnahme und nicht vom Zeitpunkt des Einlangens des Protokolls beim erkennenden Gericht erster Instanz ab (SZ 21/48; EvBl 1971/139; SZ 57/164 = EvBl 1985/82 [zust Ballon, FS Fasching 64]). Nach § 39 Abs 2 Z 2 ASGG kann das Anbringen auch beim Bezirksgericht des Aufenthalts- oder des Beschäftigungsorts der Partei zu Protokoll gegeben werden. Hat ein Bezirksgericht ohne die Voraussetzungen des § 520 Abs 1 einen Rekurs zu Protokoll genommen, dann ist dieses Rechtsmittel weder unzulässig noch unwirksam. Ein solcher Gerichtsfehler kann dann umso weniger zu Lasten des Rechtsmittelwerbers gehen, wenn dieser durch Unterlassung einer richtigen Rechtsbelehrung um die Möglichkeit der rechtzeitigen Erhebung eines gesetzmäßig überreichten Rechtsmittels gebracht wird (EvBl 1991/140 = NRsp 1991/183 unter ausdrücklicher Ablehnung der gegenteiligen Entscheidung EvBl 1981/ 221). Ein solcher Protokollrekurs ist also meritorisch zu behandeln. Schriftliche Rekurse sind vom Rechtsanwalt nicht nur zu unterschrei- 2 ben, sondern von ihm auch zu verantworten; er muss bevollmächtigt 1655

§ 521

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sein (§ 30). Schriftliche, ohne Unterschrift eines Rechtsanwaltes beim Bezirksgericht eingebrachte Rekurse gegen Beschlüsse der zweiten Instanz im bezirksgerichtlichen Verfahren sind nicht sogleich als unzulässig zurückzuweisen; vielmehr ist eine Frist zur Mängelbehebung zu erteilen. Innerhalb dieser Frist kann der Rekurs auch zu gerichtlichem Protokoll gegeben werden (NZ 1982, 78; RZ 1989/29). Wird ein Rekurs mittels Telefax oder im telegraphischen Weg eingebracht, ist ein Verbesserungsverfahren zur Nachholung der Unterschrift des Rechtsmittelwerbers bzw seines Rechtsanwalts einzuleiten (1 Ob 41/99g = SZ 72/75 = JBl 1999, 661) . Kann das Erstgericht im streitigen Verfahren über einen Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe deshalb nicht entscheiden, weil gleichzeitig alle Richter des Gerichts wegen Befangenheit abgelehnt wurden, dann bedarf der Rekurs des Ablehnungswerbers gegen den Beschluss des zuständigen OLG, mit dem der Ablehnungsantrag als unberechtigt zurückgewiesen wurde, infolge analoger Anwendung des § 72 Abs 3 nicht der Unterschrift eines Rechtsanwalts (RZ 1995/81).

3 Die Vorschriften über die Anmeldung der Berufung gelten in Rekursverfahren – mit Ausnahme des Besitzstörungsverfahrens (§§ 417a, 459) – nicht (EvBl 1995/61). § 521. (1) Die Rekursfrist beträgt vierzehn Tage, in den Fällen des § 521a Abs 1 Z 1 bis 3 jedoch vier Wochen; sie kann nicht verlängert werden. (2) Die Frist beginnt mit der Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des anzufechtenden Beschlusses oder der Rekursentscheidung. (3) Der § 464 Abs 3 ist sinngemäß anzuwenden. [Abs 1 idF 2. Euro-JuBeG; Abs 2 idF ZVN 1986; Abs 3 – angefügt durch BGBl 1955/282 – idF ZVN 1983] Lit: Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 521; Ballon Rz 407 f; Buchegger, PraktZPR 422 f; Fasching Rz 1991; Rechberger/Simotta Rz 867.

1 Die Rekursfrist ist eine Notfrist; sie kann nicht verlängert, sondern nur unter den Voraussetzungen des § 129 verkürzt werden. Auch hier gilt – wie bei allen Rechtsmitteln – der Grundsatz, dass dann, wenn eine Ausfertigung Entscheidungen enthält, für die verschieden lange Rechtsmittelfristen gelten, immer – gleichgültig, welcher ihrer Teile angefochten wird – die längere Rechtsmittelfrist zum Tragen kommt (ZBl 1932/282; RZ 1982/40; MietSlg 36.781; EvBl 1990/124 = Rz 1990/124 uva). 1656

§ 521a

4.3 Rekurs

Für einen Kostenrekurs gegen ein in der Hauptsache nicht bekämpftes Urteil gilt aber die Rechtsmittelfrist von vierzehn Tagen (OLG Linz EvBl 1987/169; gegenteilig LGZ Wien MietSlg 35.812). Die vierzehntägige Frist gilt für den Kostenrekurs – wie sich aus Abs 1 ergibt – auch nach seiner Ausgestaltung als zweiseitiges Rechtsmittel (§ 521a Abs 1 Z 4). Das gilt auch für den Rekurs gegen einen Beschluss, mit dem der Erlag einer aktorischen Kaution aufgetragen wird (1 Ob 189/02d = EvBl 2003/103). Wird im Hinblick auf die Rsp des EGMR der Rekurs in anderen Fällen als denen des § 521a Abs 1 Z 1 bis 4 zweiseitig gestaltet (s § 521a Rz 2), so beträgt die Rekurs- und Rekursbeantwortungsfrist grundsätzlich 14 Tage, sofern nicht Analogie zu den in § 521a Abs 1 Z 1 bis 3 geregelten Fällen anzunehmen ist (Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 521 Rz 10). Mit der Neufassung des Abs 2 durch die ZVN 1986 wurde klargestellt, 2 dass sowohl die vierzehntägige (nach § 125 Abs 1 zu berechnende) als auch die vierwöchige (nach § 125 Abs 2 zu berechnende) Frist zum gleichen Zeitpunkt zu laufen beginnt (ErlRV 798 BlgNR 16. GP 2). Der Rekurs ist – gleich Berufung und Revision – (schon) von dem 3 Zeitpunkt an zulässig, in dem das Gericht an den bekämpften Beschluss iS des § 416 Abs 2 gebunden ist (GlUNF 425; EvBl 1948/175; 6 Ob 293/ 01h ua; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 521 Rz 13). S § 464 Rz 3. Bei Verzicht auf die Zustellung einer Beschlussausfertigung hat die mündliche Verkündung die Wirkung der Zustellung (SZ 52/68 = RZ 1980/56). Hat nämlich die Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung zu unterbleiben, dann begründet die mündliche Verkündung die Wirkungen der Zustellung (§ 426 Abs 3). Wird in den Fällen des § 416 Abs 3 gleichzeitig mit dem Anerkenntnis-, Verzichts- oder Versäumungsurteil die Kostenentscheidung verkündet, dann läuft die Frist für den Kostenrekurs ab der Verkündung. Der Kläger kann also den Kostenausspruch eines ihm gegenüber verkündeten Versäumungsurteiles nur innerhalb von 14 Tagen ab der Verkündung mit Rekurs anfechten; für den Beklagten läuft die Rechtsmittelfrist erst ab der Urteilszustellung.

4

S zu § 464 Abs 3. § 521a. (1) Richtet sich ein rechtzeitig erhobener Rekurs gegen 1. einen Endbeschluss, 2. einen Aufhebungsbeschluss nach § 519 Abs 1 Z 2 oder 3. einen Beschluss, mit dem eine Klage nach Eintritt der Streitanhängigkeit zurückgewiesen oder ein Antrag auf Zurückweisung der Klage verworfen worden ist, oder 1657

§ 521a

Kodek

4. eine Entscheidung über die Prozesskosten, so ist die Rekursschrift oder eine Abschrift des sie ersetzenden Protokolls dem Gegner des Rekurswerbers durch das Prozessgericht erster Instanz zuzustellen. Der Rekursgegner kann in den Fällen der Z 1 bis 3 binnen der Notfrist von vier Wochen, im Fall der Z 4 binnen der Notfrist von 14 Tagen ab der Zustellung des Rekurses bei dem Prozessgericht erster Instanz eine Rekursbeantwortung anbringen. Der § 520 Abs 1 letzter Satz und der § 464 Abs 3 gelten sinngemäß. (2) Der Abs 1 gilt im Fall des Abs 1 Z 3 auch für Rekurse gegen Entscheidungen des Rekursgerichts, für außerordentliche Revisionsrekurse jedoch mit den Maßgaben, die sich aus der sinngemäßen Anwendung der §§ 507, 507a, 507b und 508a ergeben. [Eingefügt durch ZVN 1983; in Abs 1 Z 2 und Abs 2 Zitate geändert durch WGN 1989; Abs 2 idF WGN 1997; Abs 1 Z 4 angefügt durch 2. Euro-JuBeG; Abs 1 vorletzter Satz idF 2. Euro-JuBeG]. Lit: G. Kodek, Die Überwindung von Gehördefiziten im Rechtsmittelverfahren, FS Nemeth (2003) 537; Rechberger, Rechtsschutz und Verfahrensgarantien im Zivilverfahren, in Schoibl, Rechtsschutz und Verfahrensgarantien (2003) 13; G. Kodek, Zur Zweiseitigkeit des Rekursverfahrens, ÖJZ 2004, 534 und 589. Fasching in Fasching/Konecny I Einl Rz 109; Zechner in Fasching/ Konecny IV/1 § 521a; Ballon Rz 408; Buchegger, PraktZPR 423; Fasching Rz 1966 und 2000;.

1 Das Rekursverfahren war ursprünglich grundsätzlich einseitig gestaltet; nur in den im Gesetz besonders aufgezählten Ausnahmefällen war eine Rekursbeantwortung zulässig. Grund für die Einführung des zweiseitigen Rekursverfahrens mit der ZVN 1983 war das Bedürfnis, nach einem in erster Instanz kontradiktorischen Verfahren (Besitzstörungsverfahren und Verfahren über eine Prozesseinrede) dem Gegner des Rekurswerbers auch in zweiter Instanz Gehör zu verschaffen. Auch dort, wo infolge des Rekurses eine für den Rechtsstreit richtungweisende, die Untergerichte bindende Entscheidung des OGH zu ergehen hat, sollte der Gegner gehört werden (ErlRV 669 BlgNR 15. GP 59).

2 Nachdem der EGMR mit Urteil vom 6.2.2001 Beer gegen Österreich (ÖJZ 2001, 516) aussprach, dass der aus Art 6 MRK herleitbare Grundsatz der Waffengleichheit in einem Verfahren über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen eine angemessene Gelegenheit für jede Partei erfordere, ihren Fall unter Bedingungen darzulegen, die keinen wesentlichen Nachteil gegenüber dem Verfahrensgegner bewirkten, 1658

§ 521a

4.3 Rekurs

jede Partei daher die gegnerischen Stellungnahmen zur Kenntnis nehmen und kommentieren können müsse, was auch für untergeordnete Angelegenheiten wie die Bestimmung von Verfahrenskosten gelte, führte der Gesetzgeber mit der am 8.8.2001 in Kraft getretenen Novellierung durch den 3. Abschnitt des Euro-Umstellungsgesetzes-Bund BGBl I 2001/98 (= 2. Euro-JuBeG) die Zweiseitigkeit des Kostenrekursverfahrens – mit 14-tägiger Frist – ein. Mit der ZVN 2004 wurde auch der Rekurs gegen Verfahrenshilfeentscheidungen für zweiseitig erklärt. S bei § 72. Der Rsp bleibt somit die Prüfung überlassen, wie weit § 521a analog auf im Gesetz nicht ausdrücklich aufgezählte Fälle anzuwenden ist oder sonst iSd Art 6 MRK die Anhörung des Rechtsmittelgegners geboten ist (ausführlich Zechner in Fasching/Konecny IV/1 Vor §§ 514 ff Rz 124 ff). Neben den schon vor der Entscheidung des EGMR bejahten Analogien (s Rz 3) bejahte die Oberste Rückstellungskommission mit Beschluss vom 28.11.2001, Rkv 1/01, die Zweiseitigkeit des Rekurses für die Entscheidung der Rückstellungskommission über einen materiellen oder prozessualen Rechtsschutzanspruch (hier: Begehren der Antragsgegnerin, den Antragstellern als Ausländern eine aktorische Kaution aufzuerlegen), was jedoch für prozessleitende Verfügungen nicht zu gelten habe. Aus den gleichen Erwägungen kam der OGH zum Ergebnis, dass auch der Rekurs gegen den Beschluss über die Konkurseröffnung zweiseitig ist (8 Ob 282/01f = SZ 2002/3 = JBl 2002, 737 = RZ 2002/15 = ZIK 2002/191; 8 Ob 232/01b = RdW 2002/551, 600 = ZIK 2002/291). Auch das Rechtsmittelverfahren über einen Beschluss gem § 33 Abs 2 MRG als einer Entscheidung über einen Rechtsschutzanspruch ist zweiseitig; die Analogie erfasst entgegen der früheren Rsp auch „echte“ Aufhebungsbeschlüsse (9 Ob 34/04x = EvBl 2005/97 = ecolex 2005, 287). Der Rekurs gegen einen amtswegig gefassten Unterbrechungsbeschluss soll hingegen weiterhin einseitig sein (4 Ob 133/02s = EvBl 2002/199). S § 527 Rz 6. Der Rekurs im Exekutionsverfahren ist, sofern dass Gesetz nichts anderes vorsieht – insb auch bei Exekutionen nach § 355 EO – weiterhin einseitig; ist im Einzelfall aus besonderen Gründen die Herstellung der Waffengleichheit im Rekursverfahren geboten, so ist – vom Rechtsmittelgericht – dem Rekursgegner die Rechtsmittelbeantwortung freizustellen (3 Ob 162/03z, 163/03x = EvBl 2004/159 = JBl 2004, 529 = MR 2004, 130 [zust Korn]). In Analogie zu Z 3 ist auch das Rekursverfahren nach Zurückweisung 3 eines Zwischenantrags auf Feststellung (EvBl 1997/30 = ARD 4790/ 17 = DRdA 1996, 427) sowie nach Überweisung in das außerstreitige Verfahren zweiseitig (EvBl 1986/105 = EFSlg 49.415 = JUS 9, 13; EFSlg 1659

§ 521a

Kodek

82.313 ua); das Gleiche gilt bei Verneinung des Fortbestehens eines ehemals unzweifelhaft rechtmäßig begründeten Prozessverhältnisses infolge Klagerücknahme (JUS 24, 13) oder bei Ablehnung der Fortsetzung des ruhenden Verfahrens (EFSlg 82.304); Z 3 ist auch analog auf einen Beschluss anzuwenden, mit dem das Ersturteil und das ihm vorangegangene Verfahren ab einem Fortsetzungsantrag des Klägers als nichtig aufgehoben und dieser als unzulässig zurückgewiesen wurde (SZ 61/197 = EvBl 1989/60 = NRsp 1988/329), und auf andere Beschlüsse, die über die Zulässigkeit des Verfahrens absprechen; auch im Falle der Entscheidung über einen Antrag nach § 460 Z 5 ist daher das Rekursverfahren zweiseitig (EvBl 1991/159 = EFSlg 67.063 = NRsp 1991/ 218 = ÖA 1991, 148), ebenso wenn der Beklagte auf Grund des Eintritts des benannten Auktors von der Klage gem § 23 Abs 2 entbunden wird (2 Ob 293/00b = ÖJZ-LSK 2001/87) oder der Beitritt eines Dritten als weiterer Kläger nicht zugelassen wird (3 Ob 129/05z = EvBl 2006/6). Spricht das Erstgericht – etwa infolge Einrede des Beklagten – seine örtliche Unzuständigkeit aus und überweist es die Rechtssache an das seiner Meinung nach nicht offenbar unzuständige Gericht, obwohl der vom Kläger gestellte Überweisungsantrag bedingt und deshalb unwirksam war, ist das darüber geführte Rekursverfahren zweiseitig (1 Ob 2115/96h = EvBl 1997/73 = JBl 1997, 326).

4 Die Analogie wurde verneint bei der Verwerfung eines Antrags des Klägers auf Zurückweisung einer Aufrechnungseinrede (MietSlg 36.809 = RZ 1985/36), bei der Aufhebung eines a limine gefassten Zurückweisungsbeschlusses in Mietsachen mit dem Auftrag zur Einleitung des gesetzlichen Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund (MietSlg 36.517/19) und bei Rekursen gegen eine abweisende Entscheidung über eine Nichtigkeitsbeschwerde gegen ein Erkenntnis eines Börsenschiedsgerichts nach Art XXIII Abs 2 EGZPO (EvBl 1987/3), sowie bei Rekursen gegen Entscheidungen über die Zulassung einer Klageänderung (4 Ob 1510/84, 1 Ob 535/93; 6 Ob 67/98s = MietSlg 50.796 uva) und bei Beschlüssen nach § 37 Abs 3 ASGG (RZ 1997/61); ebenso für den Rekurs gegen die Entscheidung über die Zulassung der Richtigstellung einer Parteibezeichnung (9 Ob 143/03z = ÖJZ-LSK 2004/103) und das Verfahren zur Beurteilung der Berechtigung der Zurückweisung eines Rekurses (8 Ob 132/03z = ÖJZLSK 2004/172; aM Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 521a Rz 11).

5 Im Hinblick auf die Rsp des EGMR (neben der in Rz 2 erwähnten Entscheidung Beer gegen Österreich noch Buchegger gegen Österreich [ÖJZ 2001, 395]) tendiert die Rsp des OGH in steigendem Maß zur Zweiseitigkeit (ausführlich Zechner in Fasching/Konecny IV/1 Vor 1660

§ 522

4.3 Rekurs

§§ 514 ff Rz 124 ff, § 521a Rz 4 ff). Nach Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 521a Rz 14 soll die Zweiseitigkeit immer dann gegeben sein, wenn ein Beschluss materielle oder prozessuale Rechtsschutzansprüche zum Gegenstand hat, also auch bei Entscheidungen über die Zulässigkeit von Klageänderungen sowie bei der Zurückweisung von Rechtsmitteln. § 522. (1) Richtet sich das Rechtsmittel gegen eine Strafverfügung, gegen einen Beschluss prozessleitender Natur, gegen die Zurückweisung eines Rechtsmittels, eines Einspruchs gegen einen Zahlungsbefehl oder eines Widerspruchs gegen ein Versäumungsurteil als verspätet oder unzulässig oder gegen einen Beschluss, mit dem ein Antrag ohne Anhörung der Gegenpartei abgewiesen worden ist, so kann das Gericht oder der Richter, dessen Entscheidung oder Verfügung angefochten wird, dem Rekursbegehren selbst stattgeben. (2) Finden sie sich hiezu nicht bestimmt oder werden andere als die im Abs 1 bezeichneten Beschlüsse durch Rekurs angefochten, so ist der Rekurs dem Rekursgericht ohne Aufschub, im Fall des § 521a nach rechtzeitigem Einlangen der Rekursbeantwortung oder nach fruchtlosem Ablauf der hiefür offenstehenden Frist, mit allen für die Beurteilung des Rekurses erforderlichen Akten, gegebenenfalls mit einem aufklärenden Bericht, vorzulegen. [Fassung ZVN 1983 und ZVN 2002 (Entfall von Klammerzitaten)] Lit: Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 522; Fasching Rz 1963. Hier werden Ausnahmen vom aufsteigenden (devolutiven) Charak- 1 ter des Rekurses insofern gemacht, als es in den aufgezählten Fällen dem Untergericht – dies kann auch das Gericht zweiter Instanz sein (Fasching1 IV 426 und Rz 2027; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 522 Rz 1; EvBl 1985/90) – gestattet ist, selbst dem Rekursbegehren Folge zu geben. Einen Anspruch auf die Entscheidung durch den Richter erster Instanz hat aber der Rechtsmittelwerber nicht. Von dieser Bestimmung wird in der Praxis allzu selten Gebrauch gemacht. Die Selbstabhilfe durch den Erstrichter ist allerdings nur dort zweckmäßig, wo die abändernde Entscheidung unanfechtbar ist (Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 522 Rz 2). In einem solchen Fall hat der dem Rekurs gegen die eigene Entscheidung stattgebende Richter (oder Senat) auch über die Kosten des Rechtsmittels abzusprechen; dabei ist er nicht gehindert, die Kosten – wie etwa bei der Aufhebung einer Klagezurückweisung – der Endentscheidung vorzubehalten oder geringere als die verzeichneten Kosten zuzusprechen. 1661

§ 523

Kodek

Ob der Richter dem Rekursbegehren auch nur teilweise stattgeben kann, ist – anders als nach § 11 Abs 4 RPflG – nicht ausdrücklich geregelt. Auch wenn man ein teilweises Stattgeben – etwa wenn der Erstrichter erkennt, dass die Klagezurückweisung in Ansehung eines von zwei oder mehreren in einer Klage erhobenen Ansprüchen unhaltbar ist – für zulässig hält, wird eine solche Vorgangsweise doch in aller Regel unzweckmäßig sein; die bloße Herabsetzung einer zur Gänze bekämpften Strafe wäre aber, weil sie dem Zweck der Bestimmung, das Verfahren zu beschleunigen, zuwiderliefe – damit würde ja ein weiterer Rechtszug eröffnet – jedenfalls verfehlt.

2 Da das Gericht an seine Beschlüsse prozessleitender Natur ohnehin nicht gebunden ist (§ 425 Abs 2), ist es nur sachgerecht, dass es selbst einem dagegen erhobenen Rekurs stattgeben kann. Zu diesen Beschlüssen gehören jedenfalls die auf Grund der mit „Prozessleitung“ überschriebenen §§ 180 bis 192 gefassten Beschlüsse, wie zB der Rekurs gegen einen Unterbrechungsbeschluss (OLG Wien in EvBl 1936/684). Diese Bestimmung findet auch auf Beschlüsse Anwendung, mit denen ein Antrag ohne Anhörung der Gegenpartei zurückgewiesen wurde (Fasching1 IV 426; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 522 Rz 12), also zB ein Beschluss auf Zurückweisung einer Klage.

3 Zur Vorlage s bei § 469; auch der Rekurs ist erst dann vorzulegen, wenn die Rechtsmittelfrist für alle zum Rechtsmittel Legitimierten abgelaufen ist (§ 179 Geo). § 523. Rekurse gegen Beschlüsse, wider welche nach den Vorschriften dieses Gesetzes ein Rekurs überhaupt nicht stattfindet oder doch ein abgesondertes Rechtsmittel versagt ist, sowie Rekurse, die nach Ablauf der Rekursfrist erhoben werden, sind von dem Gerichte, bei welchem sie überreicht werden, von Amts wegen zurückzuweisen. Dies gilt nicht für Rekurse gegen Entscheidungen eines Gerichtes zweiter Instanz, die nur wegen des Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage unzulässig sind (§ 519 Abs 2, § 527 Abs 2 letzter Satz, § 528 Abs 1). [Letzter Satz – angefügt durch ZVN 1983 – nunmehr idF WGN 1989; sonst Stammfassung] Lit: Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 523; Ballon Rz 407; Buchegger, PraktZPR 428 f; Fasching Rz 2027; Rechberger/Simotta Rz 870.

1 Verspätete Rekurse – ob nun an die zweite oder dritte Instanz – hat schon das Erstgericht von Amts wegen zurückzuweisen; das Gleiche 1662

§ 524

4.3 Rekurs

gilt für Rekurse gegen unanfechtbare oder doch nicht abgesondert anfechtbare (§ 515) Beschlüsse der ersten Instanz sowie für jedenfalls unzulässige Revisionsrekurse (RZ 1992/17). Ist aber nach dem Ausspruch des Rekursgerichts (§ 500 Abs 2 Z 3, § 526 Abs 3) der ordentliche Revisionsrekurs (wegen des Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage) nicht zulässig, dann kann ein dennoch erhobener außerordentlicher Revisionsrekurs nur vom OGH zurückgewiesen werden. Auch mangels Beschwer unzulässige Rekurse hat schon das Erstgericht zurückzuweisen (3 Ob 5/04p; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 523 Rz 8; aM 5 Ob 122/67 = NZ 1968, 91; Fasching in Fasching/Konecny IV/1 Einl Rz 95 und 152). Unterlässt das Erstgericht die Zurückweisung des Revisionsrekurses, dann kann – und muss – sie das Rekursgericht nachholen (ZBl 1917/ 135; RZ 1963, 111; RZ 1990/64 ua). Wird ein Rechtsmittel trotz Unzulässigkeit oder Verspätung vorgelegt, hat es das Rechtsmittelgericht zurückzuweisen (§ 526 Abs 2). § 524. (1) Der Rekurs hat in Bezug auf die Ausführung des angefochtenen Beschlusses und den Eintritt der Vollstreckbarkeit desselben keine aufschiebende Wirkung. Eine Ausnahme tritt, sofern nicht das Gesetz etwas anderes bestimmt, bei Strafverfügungen ein, welche im Instanzenzuge anfechtbar sind. (2) Wenn jedoch aus der Hemmung des Verfahrens, der Ausführung des angefochtenen Beschlusses oder der auf Grund desselben einzuleitenden Exekution der Gegenpartei kein unverhältnismäßiger Nachteil erwächst, und ohne solche Hemmung der Zweck des Rekurses vereitelt würde, so hat das Gericht erster Instanz auf Antrag die einstweilige Hemmung unter gleichzeitiger Anordnung der etwa notwendigen Sicherungsmaßregeln zu verfügen. Gegen diesen Beschluss findet ein abgesondertes Rechtsmittel nicht statt. (3) Gleiche Befugnis steht dem Vorsteher des Gerichtes, dem Vorsitzenden des Senates oder dem beauftragten oder ersuchten Richter zu, wenn der Rekurs gegen deren Beschlüsse ergriffen wird. [Abs 2 Satz 1 idF 6. GEN, sonst Stammfassung] Lit: Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 524; Ballon Rz 398; Buchegger, PraktZPR 424; Fasching Rz 1964 f; Rechberger/Simotta Rz 866. Der Rekurs schiebt in jedem Falle die Rechtskraft der angefochtenen 1 Entscheidung hinaus, in der Regel aber nicht die Vollstreckbarkeit. Eine Ausnahme von dieser Regel macht das Gesetz für Strafverfügungen, die nicht im Zuge der Sitzungspolizei (§ 201) verhängt werden. Daneben 1663

§ 524

Kodek

gibt es auch noch Rekurse, die kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung den Eintritt der im angefochtenen Beschluss verfügten Maßnahme bis zum Eintritt der Rechtskraft, also der Bestätigung des angefochtenen Beschlusses, hinausschieben (zB § 18 Abs 3, § 62 Abs 2).

2 Auf Antrag des Rechtsmittelwerbers kann das Erstgericht dem Rekurs aufschiebende Wirkung zuerkennen. Dabei hat es eine Interessenabwägung vorzunehmen, also die Zumutbarkeit der Hemmung und die mit ihr verbundenen Nachteile für den Gegner den Erfolgsaussichten des Rekurswerbers und den für ihn durch die Ausführung des Beschlusses eintretenden objektiven Nachteilen gegenüberzustellen (Fasching Rz 1965; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 524 Rz 9; LGZ Wien EFSlg 57.849; OLG Wien MR 1997, 265 ua). Der Hemmungsbeschluss hat konstitutive Wirkung (3 Ob 2359/96z = SZ 69/244; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 524 Rz 12); Beschlüsse sind daher trotz des erhobenen Rekurses vollstreckbar, solange dem Antrag auf aufschiebende Wirkung nicht stattgegeben wurde (AnwZ 1932, 297; SZ 45/9 = EvBl 1972/230 = ÖBl 1973, 45; 3 Ob 2359/96z = SZ 69/244). Die vom Erstgericht verfügte einstweilige Hemmung der Vollstreckung dauert bis zum Ablauf des Tages, an dem die Entscheidung des Rekursgerichts zugestellt wird (ZBl 1913/319; LG Graz MietSlg 50.760; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 524 Rz 12).

3 § 524 Abs 2 ist gem § 78 EO – trotz der Norm des § 42 Abs 1 Z 7 EO – auch im Exekutionsverfahren anwendbar (Fasching1 IV 431; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 524 Rz 14; Heller/Berger/Stix 654 f; aM Rechberger/Simotta, Exekutionsverfahren2, Rz 309). Größere Bedeutung hat § 524 Abs 2 in Verfahren über einstweilige Verfügungen. Ob er im Fall der Erhebung eines außerordentlichen Revisionsrekurses – im Hinblick auf die Sonderregelung des § 505 Abs 3 iVm § 528 Abs 3 – nicht anwendbar ist (so Fasching Rz 2028; 4 Ob 140/98m, 178/98z; OLG Wien MR 1997, 265) oder doch anzuwenden ist (so Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 524 Rz 15), ist umstritten; der Meinung Zechners ist der Vorzug zu geben.

4 Gegen die Bewilligung der einstweiligen Hemmung der Vollstreckbarkeit gibt es kein abgesondertes Rechtsmittel; die Verweigerung ist hingegen selbständig anfechtbar. Über solche Rechtsmittel ist aber nur in dem äußerst seltenen Fall sachlich zu entscheiden, dass der erste Rekurs – etwa deshalb, weil er zwecks Zustellung einer Gleichschrift an den Rechtsmittelgegner dem Erstgericht zurückgemittelt wird – noch nicht behandelt werden kann; andernfalls fällt durch die Erledigung des ersten Rekurses das Interesse des Rechtsmittelwerbers an der Bewilligung 1664

§ 526

4.3 Rekurs

der einstweiligen Hemmung – also die Beschwer (s Vor § 461 Rz 9 und 10) – weg. § 525. Insofern im Verfahren über eine Klage wegen Störung des Besitzstandes die während der Verhandlung getroffenen einstweiligen Vorkehrungen durch die Vollstreckung des Endbeschlusses nicht berührt werden, hat der Richter erster Instanz nach seinem Ermessen zu bestimmen, ob dieselben während der Anhängigkeit des Rekurses fortdauern sollen oder schon vor Erledigung des Rekurses aufzuheben seien. [Stammfassung] Lit: Frauenberger, Einstweiliger Rechtsschutz bei Besitzstörung (1993); G. Kodek, Besitzstörung (2002). Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 525. Diese Bestimmung hat nur Bedeutung für den Rekurs gegen den End- 1 beschluss, sofern eine einstweilige Vorkehrung nach § 458 verhängt worden ist; s zu §§ 454 und 518. Verfahren bei dem Rekursgerichte § 526. (1) Über den Rekurs ist ohne vorhergehende mündliche Verhandlung in nicht öffentlicher Sitzung durch Beschluss zu entscheiden. Vor der Entscheidung kann das Rekursgericht die ihm notwendig scheinenden Erhebungen veranlassen. (2) Ein unzulässiger oder verspäteter Rekurs ist sofort zu verwerfen. Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit des Rekurses an die Beurteilung des Gerichtes zweiter Instanz über das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage nicht gebunden (§ 519 Abs 2, § 527 Abs 2, § 528 Abs 1). (3) Auf Rekursentscheidungen sind die §§ 500 und 500a sinngemäß anzuwenden. [Abs 2 letzter Satz angefügt durch ZVN 1983, nun idF WGN 1989; Abs 3 idF WGN 1989; sonst Stammfassung] Lit: Novak, Rekursgrund – Bindung an den Berufungsantrag, JBl 1950, 469; Sprung, Der Rekursantrag, JBl 1959, 268; Pichler, Umwürdigung der Beweise im Rekursverfahren, JBl 1975, 356; P. Böhm, Vollrekurs zur Abwehr drohender Rechtschutzverweigerung, ecolex 1992, 689; Bajons, Der Wandel im Rechtsmittelsystem – oder: Von der ZVN 1983 zur WGN 1989, ÖJZ 1993, 145. 1665

§ 526

Kodek

Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 526; Ballon Rz 406; Buchegger, PraktZPR 428; Fasching Rz 2002 f; Holzhammer 341; Rechberger/ Simotta Rz 868 und 870. Inhaltsübersicht Form der Entscheidung Rekursantrag Neuerungsverbot Rekursgründe

1 2 3 4–7

Aussprüche des Rekursgerichtes Begründungserleichterungen

8 9

1 Eine mündliche Verhandlung über den Rekurs ist der ZPO fremd (anders § 52 Abs 1 AußStrG nF, § 37 Abs 3 Z 17 lit g MRG). Allenfalls – im Hinblick auf geltend gemachte Verfahrensmängel oder Nichtigkeitsgründe – notwendige Erhebungen sind vor der Sitzung (durch das Erstgericht oder ein Mitglied des Rekurssenats) vorzunehmen. Die Entscheidung ergeht – abgesehen vom Fall des § 519 Abs 2 letzter Satz, wonach der OGH über den Rekurs gegen einen Aufhebungsbeschluss auch durch Urteil in der Sache erkennen kann – in Form eines Beschlusses. Dieser kann lauten auf a) Zurückweisung (aus formellen Gründen), b) Stattgebung, verbunden mit Abänderung des angefochtenen Beschlusses, c) Stattgebung, verbunden mit Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, d) Bestätigung. Hat das Gericht zweiter Instanz einen Rekurs aus formellen Gründen zurückgewiesen, dann kann der OGH infolge dagegen erhobenen Rekurses im Hinblick auf § 3 JN nicht in der Sache selbst entscheiden (EvBl 1965/112; SZ 43/212 = EvBl 1971/140; 5 Ob 149/98t = immolex 1998/195 = MietSlg 50.767 = wobl 1999/55), es sei denn, dass die formelle Zurückweisung und die sachliche Abweisung inhaltlich übereinstimmen (SZ 23/87; 23/390; EvBl 1993/80 ua), oder wenn das Rekursgericht trotz formeller Ablehnung einer Entscheidung in den Gründen die Sache meritorisch behandelt hat (JBl 1975, 549 mwN). Anderes soll im Provisorialverfahren gelten (1 Ob 159/02t = EvBl 2002/225; ; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 526 Rz 21). Die Frage, ob der Rekurs zulässig ist, wird nach stRsp vor der Frage der Rechtzeitigkeit geprüft (EFSlg 47.081, 61.356 uva), könnte doch dem verspäteten Rechtsmittelwerber die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt werden (abl Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 502 Rz 22). 1666

§ 526

4.3 Rekurs

Trotz fehlender Regelung im Gesetz ist nach hA auch im Rekursverfah- 2 ren das Rekursgericht an den Umfang der Anfechtung gebunden (SZ 26/34; JBl 1959, 134; EvBl 1969/266; SZ 57/13) und darf nicht gegen die Teilrechtskraft verstoßen (EvBl 1954/421; JBl 1956, 262; JBl 1985, 418 = NZ 1985, 30 = RdW 1985,11). Rekurse gegen Beschlüsse, mit denen über einen Sachantrag oder ein Rechtsschutzbegehren einer Partei entschieden wurde, müssen – ebenso wie Berufungen und Revisionen – einen Rechtsmittelantrag enthalten, der auf Aufhebung oder Abänderung des angefochtenen Beschlusses zu lauten hat (Sprung, JBl 1959, 268; Fasching1 IV 381 und Rz 1995). Bei den anderen Beschlüssen schadet das Fehlen eines ausdrücklichen Rekursantrags dann nicht, wenn aus der Art der bekämpften Entscheidung und aus dem Gesamtzusammenhang erkennbar ist, warum sich der Rechtsmittelwerber beschwert und was er anstrebt (Fasching Rz 1996; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 Vor §§ 514 ff Rz 12). Nach der Rsp schadet allerdings ganz allgemein ein fehlender oder verfehlter Rechtsmittelantrag dann nicht, wenn das Rechtsmittel durch Anfechtungserklärung und Ausführung deutlich bestimmt ist (SZ 47/64 ua). Seit der ZVN 1983 müsste andernfalls ein Verbesserungsauftrag erteilt werden (JBl 1993, 459). Trotz Fehlens einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung gilt nach ein- 3 helliger Auffassung und stRsp auch im Rekursverfahren das Neuerungsverbot, insb auch dann, wenn der Rekurswerber in erster Instanz nicht gehört wurde (Fasching1 IV 385 und Rz 1989; Ballon Rz 405; Rechberger/Simotta Rz 825; Heller/Berger/Stix 649 f; EvBl 1983/144 = GesRZ 1983, 214; MR 1989, 145 = ÖBl 1990, 32 = RdW 1989, 336 = RZ 1990/26; RZ 1996/25 uva). S bei § 482 und Zechner in Fasching/Konecny IV/1 Vor §§ 514 ff Rz 90 ff. Eine Durchbrechung des Neuerungsverbots nimmt die E 3 Ob 185/ 94 = SZ 68/151 = ecolex 1995, 907 für das Exekutionsverfahren nach § 355 EO an (Zechner in Fasching/Konecny IV/1 Vor §§ 514 ff Rz 97); danach soll der Verpflichtete die Möglichkeit haben, ein Vorbringen zur Richtigkeit der sich aus den Akten ergebenden Umstände, die für die Strafhöhe von Bedeutung sind, erstmals im Rekurs zu erstatten. Ausdrücklich als Rekursgründe erwähnt das Gesetz nur Nichtigkeit 4 (§ 514 Abs 2) und unrichtige rechtliche Beurteilung (§ 520 Abs 2); aus § 527 Abs 2 lässt sich schließen, dass auch erhebliche Verfahrensmängel geltend gemacht werden können. Dasselbe muss für die Aktenwidrigkeit gelten. Ob auch die Beweiswürdigung gerügt werden kann, sagt das Gesetz 5 nicht ausdrücklich. Nach einem Teil von Rsp und Lehre kann, da im 1667

§ 526

Kodek

Hinblick auf den Unmittelbarkeitsgrundsatz Beweise nur dann umgewürdigt werden können, wenn sie von der Rechtsmittelinstanz in gleicher Weise aufgenommen wurden wie vom Erstgericht (s § 488 Rz 2), eine Rekursverhandlung aber nicht vorgesehen ist, die Beweiswürdigung im Rekursverfahren überhaupt nicht angefochten werden (SZ 23/ 306; JBl 1955, 478; 1958, 403; 1959, 134 uva; Novak, JBl 1950, 469; Fasching1 III 896 u IV 383; Holzhammer 313); das trifft freilich nach heute hA nur dann unstreitig zu, wenn das Erstgericht die Beweise selbst unmittelbar aufgenommen hat. Soweit dieses ohne mündliche Verhandlung entschieden und seine tatsächlichen Feststellungen bloß auf Grund von Urkunden oder nur (zulässigerweise) mittelbar aufgenommenen Beweisen getroffen hat, darf demnach das Rekursgericht von den Feststellungen des Erstgerichts abgehen (ZBl 1928/106; SZ 22/ 40; 53/4 = RZ 1981/26; Fasching Rz 1657 u 1988).

6 Fasching (Rz 1988) und Zechner in Fasching/Konecny IV/1 Vor § 514 ff Rz 111 halten eine Überprüfung der Beweiswürdigung nach einer Beweiswiederholung durch bloße Verlesung vom Erstgericht aufgenommener Beweise nach § 281a dann für zulässig, wenn der Rekurswerber dies im Rekurs beantragt und sein Gegner in der Rekursbeantwortung nicht widerspricht; in diesem Fall komme es nicht auf die Ankündigung des Rechtsmittelgerichts an, dass es von den Feststellungen der angefochtenen Entscheidung abzugehen erwäge (§ 488 Abs 4; § 52 Abs 2 AußStrG). Dem kommt kaum praktische Bedeutung zu. Den Antrag, die Beweiswürdigung durch bloße Verwendung der Beweisaufnahmeprotokolle des Erstgerichts zu überprüfen, wird ein Rekurswerber in aller Regel nicht stellen, weil er damit rechnen muss, dass der – rechtskundig vertretene – Rechtsmittelgegner diesem Antrag widersprechen wird, um so – anders als im Berufungsverfahren sowie im Rekursverfahren nach dem AußStrG – die Überprüfung der Beweiswürdigung unmöglich zu machen. Es ist auch fraglich, ob die Anwendung des § 281a in einem Rechtsmittelverfahren zulässig ist, in dem eine unmittelbare Beweisaufnahme prinzipiell ausgeschlossen ist (G. Kodek, Besitzstörung 885).

7 Wie der OGH durch einen verstärkten Senat ausgesprochen hat (SZ 66/ 164 = EvBl 1994/53 = JBl 1994, 549 (zust Pichler) = ecolex 1994, 159 (zust Graff, „Wenn der Erstrichter der Frau glaubt …“, ecolex 1994, 237) = NRsp 1994/72 = ÖBl 1993, 259), ist auch im Sicherungsverfahren die Überprüfung der Beweiswürdigung des erkennenden Richters insoweit ausgeschlossen, als dieser den Sachverhalt auf Grund vor ihm abgelegter Zeugen- oder Parteienaussagen als bescheinigt angenommen hat. Damit ist der OGH von seiner jahrzehntelangen gegenteiligen Rsp, 1668

§ 526

4.3 Rekurs

wonach überall dort, wo der Unmittelbarkeitsgrundsatz nicht gilt, insb auch im Bescheinigungsverfahren, das Rekursgericht alle vom Erstgericht aufgenommenen Beweise umwürdigen darf (EvBl 1956/90; 1964/ 392; ÖBl 1980, 138; JBl 1987, 728; ÖBl 1990, 82; RZ 1993/24 uva), abgegangen und zu der schon in EvBl 1963/153 vertretenen Auffassung zurückgekehrt (in diesem Sinne auch Pichler, JBl 1975, 356). Aus welchen Gründen der Rekurssenat gehindert ist, die vom Erstgericht – allenfalls durch einen Senat (§ 388 EO) – ohne Beiziehung der Parteien aufgenommenen Beweise in nicht öffentlicher Sitzung zu wiederholen, wird in der Entscheidung des verstärkten Senats nicht erörtert. Wohl aber kann das Rekursgericht in sinngemäßer Anwendung der Vorschriften für das Vorverfahren vor dem Berufungsgericht ohne Verstoß gegen die vom verstärkten Senat ausgesprochenen Grundsätze vom Erstgericht unterlassene, aber erforderliche Beweisaufnahmen durch einen beauftragten Richter nachholen (EvBl 1998/87 = ecolex 1998, 397); das Ergebnis des ergänzenden Beweisverfahrens des Rekursgerichts darf freilich nicht in Widerspruch zur erstgerichtlichen Würdigung der Aussage von Personen stehen, die das Erstgericht selbst gehört hat (§ 473 Rz 2; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 Vor §§ 514 ff Rz 109). Nach Abs 3 sind die Bestimmungen über die dem Berufungsgericht 8 obliegenden Aussprüche (§ 500) auf Rekursentscheidungen sinngemäß anzuwenden. Das Rekursgericht wird also nicht nur dann auszusprechen haben, dass der Revisionsrekurs (oder ein sonstiger Rekurs an den OGH) jedenfalls unzulässig ist, wenn der – dem § 500 Abs 2 Z 2 entsprechende – Fall des § 528 Abs 2 Z 1 vorliegt, sondern in allen Fällen der absoluten Unzulässigkeit eines Rechtsmittels an den OGH. Zum Bewertungsausspruch s § 500 Rz 3 und § 528 Rz 11. Ein Ausspruch nach Abs 3 über Wert des Entscheidungsgegenstandes und Zulässigkeit eines ordentlichen (Revisions-) Rekurses ist nach der Rsp auch dann in den Spruch aufzunehmen, wenn der Rekurs aus formellen Gründen zurückgewiesen wurde (ÖBl 1984, 50; SZ 57/5; 57/ 42 = JBl 1985, 133 = MietSlg 36.813/7). Dagegen wird von einem Teil der Lehre eingewendet, dass bei Verweigerung des Rechtsschutzes durch das Rekursgericht auch hier – wie im Berufungsverfahren gem § 519 Abs 1 Z 1 – im Hinblick auf Art 6 Abs 1 MRK ein Vollrekurs zulässig sein müsste (P. Böhm, ecolex 1992, 689); das Rechtsmittel gegen einen Zurückweisungsbeschluss sei auch kein „Revisionsrekurs“, so dass die Beschränkungen des § 528 ZPO nicht anzuwenden seien (Bajons, ÖJZ 1993, 153). Diese Auffassung hat der OGH ausdrücklich abgelehnt (JBl 1994, 264; RZ 1994/66; RZ 1995/82). Ein unterlassener Ausspruch nach Abs 3 ist auf Verlangen des OGH nachzutragen (EvBl 1984/15; MietSlg 35.814; MR 1995, 178 [zust 1669

§ 527

Kodek

Walter] uva). An den Zulässigkeitsausspruch des Rekursgerichts ist der OGH ebensowenig gebunden wie an jenen des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1).

9 Die Begründungserleichterungen des § 500a gelten auch für die Entscheidungen des Gerichts zweiter Instanz. Zu den Begründungserleichterungen für den OGH s bei §§ 510 und 528a. § 527. (1) Wird dem Rekurs stattgegeben, so kann das Rekursgericht die infolge seines Ausspruches etwa erforderlichen weiteren Anordnungen demjenigen Gericht oder Richter übertragen, von welchem der angefochtene Beschluss erlassen war. (2) Wird der angefochtene Beschluss in zweiter Instanz aufgehoben und dem Gericht erster Instanz eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung aufgetragen, so ist ein Rekurs dagegen nur zulässig, wenn das Rekursgericht dies ausgesprochen hat. Das Rekursgericht darf dies nur aussprechen, wenn es die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Revisionsrekurses nach § 528 für gegeben erachtet; § 528 Abs 2 Z 1a, Abs 2a und 3 gilt nicht. [Abs 1 zweiter Satz aufgehoben durch WGN 1989; sonst Stammfassung; Abs 2 idF der WGN 1989; letzter Satz idF WGN 1997] Lit: Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 527; Ballon Rz 409; Buchegger, PraktZPR 429; Fasching Rz 2009 f; Rechberger/Simotta Rz 879.

1 Das Rekursgericht kann nach Abs 1 in größerem Maße als das Berufungsgericht dem Erstgericht die Vornahme der auf Grund der Abänderung des erstinstanzlichen Beschlusses erforderlich gewordenen Anordnungen auftragen und überlassen. So wird es etwa dem Erstgericht nach Änderung eines Gebührenbestimmungsbeschlusses die Auszahlungsanordnung überlassen oder sonstige Vollzugsmaßnahmen anordnen (Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 527 Rz 6). Das Rekursgericht darf seine funktionelle Zuständigkeit nicht überschreiten ( Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 526 Rz 19 ff); es darf daher zB nicht die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges zurückweisen, wenn das Erstgericht über sie noch nicht verhandelt und entschieden hat (GlUNF 5420); ebensowenig darf es zB aus Anlass eines bloß gegen die einstweilige Verfügung erhobenen Rekurses oder eines Kostenrekurses über eine allfällige Nichtigkeit des Hauptverfahrens absprechen (SZ 38/27; SZ 54/30 ua) oder infolge Rekurses gegen den Beschluss über einen Wiedereinsetzungsantrag die Nichtigkeit des Hauptverfahrens aussprechen und die Klage zurückweisen (4 Ob 228/ 02m = EvBl 2003/11). 1670

§ 527

4.3 Rekurs

Abs 2 entspricht inhaltlich dem § 519 Abs 1 Z 2 und Abs 3. Auch im 2 Rekursverfahren ist ein Aufhebungsbeschluss nur dann anfechtbar, wenn das Rekursgericht den Rekurs für zulässig erklärt hat; dieser Ausspruch ist an die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 528 gebunden. Fehlt ein solcher Ausspruch, ist auch kein außerordentlicher Rekurs möglich (RdW 1996, 530; ÖJZ-LSK 1996/335; 5 Ob 2704/96g = ÖJZLSK 1997/168). Wie Abs 2 letzter Satz klarstellt, ist in einem solchen Fall auch ein Antrag nach § 528 Abs 2a unzulässig. Erklärt das Rekursgericht den Rekurs an den OGH für zulässig, obwohl ein Fall der absoluten Unzulässigkeit (§ 528 Abs 2) vorliegt, dann ist der dennoch erhobene Rekurs jedenfalls unzulässig (EvBl 1969/184; 1970/98 zur – insoweit unveränderten – Rechtslage vor ZVN 1983 und WGN 1989). Zur mangelnden Bindung des OGH an die Beurteilung des Rekursgerichts, dass die Entscheidung von einer erheblichen Rechtsfrage abhänge, s bei § 526. Der OGH kann auf Grund Rekurses gegen den Aufhebungsbeschluss im Fall der Spruchreife in der Sache selbst erkennen (7 Ob 730/80 = SZ 54/36; 1 Ob 5/94 ua; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 526 Rz 15). Zur erheblichen Rechtsfrage s bei § 502. Abs 2 gilt nur für „echte“ Aufhebungsbeschlüsse, ist aber nicht anzu- 3 wenden, wenn der nur scheinbar aufhebende Beschluss tatsächlich eine Abänderung des erstinstanzlichen Beschlusses bedeutet; das ist dann der Fall, wenn in der Aufhebung des erstgerichtlichen Beschlusses zugleich auch die abschließende Entscheidung über die Unzulässigkeit oder Unbegründetheit des angefochtenen Beschlusses oder über eine in dieser Entscheidung aufgeworfene und für die Entscheidung ausschlaggebende Frage liegt (JBl 1916, 94; SZ 51/73; MietSlg 33.675; JBl 1989, 172 = EFSlg 57.852; EvBl 1996/48; RZ 1996/53; 8 Ob 48/02w uva): Das trifft zB auf Beschlüsse zu, mit denen eine Klage oder ein Rechtsmittel aus formellen Gründen zurückgewiesen wurde. In diesem Falle lautet die Entscheidung nach der Gerichtsübung auf Aufhebung des Zurückweisungsbeschlusses; diese Aufhebung führt aber nicht zu einer Ergänzung des Verfahrens über dieselbe Frage; diese ist vielmehr abschließend entschieden worden. Die Anfechtbarkeit solcher Beschlüsse richtet sich nicht nach Abs 2; in diesen Fällen hat das Rekursgericht Aussprüche nach § 500 Abs 2, § 526 Abs 3 zu machen (und dabei auch zu beachten, dass ein solcher unechter Aufhebungsbeschluss uU auch aus einem nicht in § 528 Abs 2 aufgezählten Grund jedenfalls unanfechtbar sein kann, wie etwa der Beschluss, mit dem die Entscheidung des Erstgerichts auf a limine-Zurückweisung der Klage aufgehoben wurde: s zu § 41 JN). Im Verfahren über Rekurse gegen Aufhebungsbeschlüsse gilt – wie bei 4 Aufhebungsbeschlüssen nach § 519 Abs 1 Z 2 und Abs 2 – nicht das 1671

§ 528

Kodek

Verbot der reformatio in peius (SZ 22/186; SZ 45/44 = ÖBl 1972, 65; SZ 52/141; 1 Ob 23/01s = SZ 74/54 uva; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 527 Rz 19).

5 Auch im Rekursverfahren besteht eine Bindung der Rechtsmittelinstanzen – auch des OGH – an die im Aufhebungsbeschluss ausgesprochene Rechtsauffassung; die durch Beschlussfassung eines verstärkten Senates geänderte Rsp steht allerdings der Bindung des OGH an die in seinem Aufhebungsbeschluss geäußerte Rechtsansicht entgegen (Arb 8949).

6 Das Rekursverfahren gegen einen Aufhebungsbeschluss des Rekursgerichtes war nach früherer Rsp mangels gegenteiliger Anordnung im § 521 nicht zweiseitig (8 Ob 104/97w, 175/98b [insoweit nicht veröffentlicht in EvBl 1998/9]). Das gilt aber jedenfalls für einen Beschluss, mit dem der Beschluss des Erstgerichts, der den Erlag einer aktorischen Kaution aufgetragen hat, vom Rekursgericht zur Verfahrensergänzung aufgehoben wird, im Hinblick auf § 521a Abs 1 Z 4 nicht (1 Ob 189/02d = EvBl 2003/103). Die frühere Rsp ist auch seit der Entscheidung des EGMR Beer gegen Österreich (s § 521a Rz 2) überhaupt in dieser Allgemeinheit fraglich geworden (3 Ob 96/03v = EvBl 2003/154). Nunmehr wird sie ausdrücklich abgelehnt (9 Ob 34/04x = EvBl 2005/97 = ecolex 2005, 287; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 527 Rz 18).

7 Die Frist für die Rekursbeantwortung beträgt jedenfalls im Exekutionsverfahren – von Sonderregelungen abgesehen – nur 14 Tage (3 Ob 96/ 03v = EvBl 2003/154). Das Gleiche gilt auch im Fall der analogen Anwendung des § 521a Abs 1 Z 4 (1 Ob 189/02d = EvBl 2003/103). § 528. (1) Gegen den Beschluss des Rekursgerichtes ist der Revisionsrekurs nur zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Rekursgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist. (2) Der Revisionsrekurs ist jedoch jedenfalls unzulässig, 1. wenn der Entscheidungsgegenstand an Geld oder Geldeswert 4 000 Euro nicht übersteigt, es sei denn, es handelt sich um Streitigkeiten nach § 502 Abs 4 oder 5, 1a. – vorbehaltlich des Abs 2a – in Streitigkeiten, in denen der Entscheidungsgegenstand zwar 4 000 Euro, nicht aber insgesamt 20 000 Euro übersteigt (§ 502 Abs 3), und in familienrechtlichen Streitigkei1672

§ 528

4.3 Rekurs

ten nach § 49 Abs 2 Z 1 und 2 JN, in denen der Entscheidungsgegenstand insgesamt 20 000 Euro nicht übersteigt (§ 502 Abs 4), wenn das Gericht zweiter Instanz ausgesprochen hat, dass der Revisionsrekurs nicht zulässig ist, 2. wenn der angefochtene erstrichterliche Beschluss zur Gänze bestätigt worden ist, es sei denn, dass die Klage ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen zurückgewiesen worden ist, 3. über den Kostenpunkt, 4. über die Verfahrenshilfe, 5. über die Gebühren der Sachverständigen sowie 6. in Streitigkeiten wegen Besitzstörung (§ 49 Abs 2 Z 4 JN). (2a) Die Bestimmungen über einen Antrag auf Abänderung des Ausspruchs nach § 500 Abs 2 Z 3 verbunden mit einer ordentlichen Revision (§ 508) sind sinngemäß anzuwenden. (3) Hat das Rekursgericht ausgesprochen, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht nach Abs 1 zulässig ist (§ 526 Abs 3 in Verbindung mit § 500 Abs 2 Z 3), so kann nur in den Fällen des § 505 Abs 4 ein außerordentlicher Revisionsrekurs erhoben werden. Für diesen gelten die Bestimmungen über die außerordentliche Revision sinngemäß. (4) Findet das Rekursgericht, dass ein gegen den Beschluss eines Gerichts zweiter Instanz erhobener Rekurs mutwillig oder nur zur Verzögerung der Sache angebracht wurde, so ist gegen den Beschwerdeführer auf eine Mutwillensstrafe zu erkennen. [Fassung WGN 1997; Geldbeträge idF 2. Euro-JuBeG; Abs 2 Z 1a idF AußStr-BegleitG] Lit: Petrasch, Der Weg zum Obersten Gerichtshof nach der Erweiterten Wertgrenzennovelle 1989, ÖJZ 1989, 743; W. Kralik, Der Zugang zum OGH im Außerstreitverfahren, JBl 1991, 283 ; Bajons, Der Wandel im Rechtsmittelsystem – oder: Von der ZVN 1983 zur WGN 1989, ÖJZ 1993, 145; Rechberger, Gehördefizite in österreichischen Rechtsmittelverfahren, FS Matscher 373; Ballon, Die Beachtung des rechtlichen Gehörs iSd Art 6 MRK durch die Rechtsmittelgerichte, JBl 1995, 623; Danzl, Der Weg zum OGH nach der WGN 1997, ÖJZ 1998/5A1; M. Bydlinski, Zur Reichweite der Rechtsmittelschranke im „Kostenpunkt“ (§ 528 Abs 2 Z 3 ZPO, § 14 Abs 2 Z 1 AußStrG), FS Sprung 25; Danzl, Die Anrufbarkeit des OGH in streitigen Zivilrechtssachen – Von Franz Klein bis zur Gegenwart: Analyse – Rückblick – Ausblick, FS Sprung 39; Fink, Auswirkungen der ZVN 2002 auf das Verfahren in Arbeits- und Sozialrechtssachen – Ein Überblick, DRdA 2003, 221. Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 528; Ballon Rz 403; Buchegger, PraktZPR 427; Fasching Rz 2014 ff; Rechberger/Simotta Rz 871 ff. 1673

§ 528

Kodek Inhaltsübersicht

Allgemeines Revisionsrekursgründe Entscheidungsgegenstand Klagezurückweisung Bestätigende Beschlüsse Kostenentscheidung

1–4 5–10 11–18 19–27 28–35 36–39

Verfahrenshilfebeschlüsse 40 Sachverständigengebührenbeschlüsse 41 Beschlüsse im Besitzstörungsverfahren 42–45 Mutwillensstrafen 46

1 Mit der WGN 1989 wurde der Begriff „Revisionsrekurs“ erstmals in das Gesetz aufgenommen. Laut JAB 991 BlgNR 17. GP zu § 528 sind darunter Rekurse gegen abändernde oder bestätigende Entscheidungen der zweiten Instanz über einen Rekurs zu verstehen; davon unterscheidet der Gesetzgeber Rekurse gegen Beschlüsse des Berufungsgerichts (§ 519) und Rekurse gegen Aufhebungsbeschlüsse des Rekursgerichts (§ 527 Abs 2). Eine ausdrückliche Regelung für Rechtsmittel gegen Beschlüsse des Rekursgerichts, mit denen Rekurse aus formellen Gründen zurückgewiesen wurden, und solche Beschlüsse, die das Gericht zweiter Instanz aus Anlass eines Rekursverfahrens oder im Zusammenhang damit fasst – wie etwa auf Unterbrechung, Berichtigung einer Parteibezeichnung, Verhängung einer Ordnungsstrafe, Entscheidung über die Rechtsmittelkosten udgl, aber auch über die Zurückweisung eines Revisionsrekurses –, fehlt. In der Rsp werden auch Rechtsmittel gegen Formalbeschlüsse, mit denen der Rekurs gegen eine Entscheidung des Gerichts erster Instanz zurückgewiesen wurde, als Revisionsrekurs bezeichnet (SZ 20/95; JBl 1994, 264; RZ 1995/82; 8 Ob 198/99x = immolex 2000/50 = MietSlg 51.747 uva).

2 Soweit das Rekursgericht – wie bei der Zurückweisung eines an den OGH gerichteten Rechtsmittels – als Durchlaufgericht gehandelt hat, gilt die Rechtsmittelbeschränkung des § 528 nicht (SZ 58/186 = EvBl 1986/139; wobl 1988/72; RZ 1995/84; EvBl 1997/113 = ÖJZ-LSK 1997/ 155; 4 Ob 180/99w = ÖBl 2000, 72). Beschlüsse hingegen, mit denen das Rekursgericht einen Rekurs gegen eine erstinstanzliche Entscheidung zurückgewiesen hat, sind nach der Rsp nur unter den Voraussetzungen des § 528 anfechtbar (zur Problematik s § 526 Rz 8). Das Gleiche wird für die anderen vom Rekursgericht im Rekursverfahren gefassten Beschlüsse, die nicht unmittelbar der Erledigung des Rekurses dienen, zu gelten haben. Eine dem § 519 entsprechende Bestimmung gilt für das Rekursverfahren nicht. Dass solche Beschlüsse – wie zB über die Kosten des Rekursverfahrens – uneingeschränkt anfechtbar sein sollten (vgl W. Kralik, JBl 1991, 283 zu § 14 AußStrG aF, und Bajons ÖJZ 1993, 156 ff), würde zu einem Wertungswiderspruch führen und wäre sach1674

§ 528

4.3 Rekurs

lich nicht zu rechtfertigen. Eine solche Auslegung entspräche auch nicht der Absicht des Gesetzgebers (JBl 1994, 264). Fasst das Rekursgericht aus Anlass des Rekursverfahrens einen Beschluss auf Unterbrechung nach § 7 KO, ist dieser Beschluss, den das Rekursgericht als Erstgericht traf, ohne Rücksicht auf das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage iSd Abs 1 anfechtbar (1 Ob 182/01y). Auch Entscheidungen eines Oberlandesgerichts in Delegierungsfragen, die in Wahrnehmung einer erstgerichtlichen Funktion ergingen, sind ungeachtet des Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd Abs 1 bekämpfbar, soweit nicht der Anfechtungsausschluss des § 517 vorliegt (1 Ob 80/02z = EvBl 2002/160). Ist ein Rekurs gegen den erstinstanzlichen Beschluss unzulässig, kann 3 gegen eine dennoch ergangene meritorische Erledigung des Rekursgerichts grundsätzlich – soweit die Voraussetzungen des § 528 vorliegen – Revisionsrekurs erhoben werden (Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 528 Rz 23 f). Soweit der Beschluss des Rekursgerichts nicht jedenfalls unanfechtbar 4 ist (Abs 2 Z 1–6), kann er nur unter denselben Voraussetzungen wie ein Urteil des Berufungsgerichts, nämlich bei Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage angefochten werden. Der Revisionsrekurs der einen Partei kann mangels erheblicher Rechtsfrage unzulässig, jener der anderen Partei gegen denselben Beschluss hingegen zulässig sein (5 Ob 16/92 = SZ 65/36 = JBl 1992, 794). Zur erheblichen Rechtsfrage s bei § 502. Für die Anfechtbarkeit eines Beschlusses, gegen den nach dem Ausspruch des Rekursgerichts (§§ 500 Abs 2 Z 3, 526 Abs 3) der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig ist, gilt das zur außerordentlichen Revision Gesagte (s § 506 Rz 3). Auch hier gilt seit der WGN 1997 für Rechtssachen – sofern sie nicht unter § 502 Abs 4 fallen – mit einem 20.000 Euro nicht übersteigenden Streitwert nach Abs 2a die Regelung des § 508 (s dort). Nur in Streitsachen nach § 502 Abs 5 und solche mit einem Streitwert über 20.000 Euro kann gem Abs 3 ein außerordentlicher Revisionsrekurs erhoben werden. Hiefür gelten – sinngemäß – die Bestimmungen über die außerordentliche Revision (s zu § 508a). Für die Frage der Vollstreckbarkeit gilt demnach § 505 Abs 3; zur Frage, ob einem außerordentlichen Revisionsrekurs aufschiebende Wirkung zuerkannt werden kann, s § 524 Rz 3. Das Gesetz nennt nicht die Revisionsrekursgründe. Seit der WGN 5 1989 waren die Gründe, aus denen im Außerstreitverfahren der Revisionsrekurs erhoben werden kann, ausdrücklich und vollständig in § 15 AußStrG aufgezählt; sie entsprachen völlig den Revisionsgründen des § 503 (nun ähnlich § 66 Abs 1 AußStrG nF). Umso mehr muss ange1675

§ 528

Kodek

nommen werden, dass auch im Revisionsrekursverfahren nach der ZPO nur diese Rechtsmittelgründe geltend gemacht werden können (so auch Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 528 Rz 40).

6 Schon bisher war es stRsp, dass der OGH auch im Rekursverfahren (JBl 1980, 430), insb im Provisorialverfahren, nur Rechts- und nicht Tatsacheninstanz ist und daher bei der rechtlichen Beurteilung von den Feststellungen der Vorinstanzen auszugehen hat (ÖBl 1964, 7; ÖBl 1992, 60; ÖBA 1992, 167 mwN). Die Anfechtung der Beweiswürdigung ist also hier unzulässig (SZ 23/306; JBl 1959, 134 uva). Auch im Revisionsrekursverfahren gilt wie im Revisionsverfahren der Grundsatz, dass eine vom Rekursgericht verneinte Nichtigkeit nicht mehr an den OGH herangetragen werden kann (JBl 1989, 389 = RZ 1989/50; JBl 1992, 780 = NRsp 1992/258; wobl 1993/31; ecolex 1994, 159 = NRsp 1994/72; MietSlg 46.685; ÖBl 1996, 130; MR 1996, 111 = ÖBl 1996, 251; 3 Ob 144/00y; 4 Ob 25/00f = EvBl 2000/129 ua).

7 In der neueren Rsp des OGH wird oftmals die Meinung vertreten, dass nach diesem Grundsatz auch Beschlüsse des Rekursgerichts unanfechtbar seien, mit denen in Abänderung eines erstgerichtlichen Beschlusses über eine Prozesseinrede diese verworfen wird (9 ObA 36/95 = EvBl 1996/20 = RZ 1996/33; 7 Ob 2242/96y; 9 ObA 22/98w; 9 ObA 224/99b; 6 Ob 24/05f; 6 Ob 67/05d ua; zust Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 519 Rz 50). Dem ist nicht zu folgen: Aus Abs 2 Z 2 ergibt sich die Anfechtbarkeit abändernder Beschlüsse, sofern der Wert des Entscheidungsgegenstands über der Grenze der Z 1 oder 1a liegt und die Voraussetzungen des Abs 1 gegeben sind. Dass vom Berufungsgericht verneinte Nichtigkeiten vom OGH nicht mehr aufgegriffen werden können, ist keine „Wertung des Gesetzgebers“, sondern von der Rsp – zutreffend – aus § 519 abgeleitet, weil ein solcher Beschluss dort nicht erwähnt wird. Die Verneinung der Nichtigkeit wurde nicht in § 519 aufgenommen, weil der historische Gesetzgeber der Auffassung war, dass bestätigende Entscheidungen die Vermutung der Richtigkeit für sich hätten; deshalb erklärte er sie vielfach für unanfechtbar (§ 528 aF; vgl § 16 AußStrG aF). Die Verneinung einer Nichtigkeit bedeutet aber – insoweit – eine Bestätigung der erstgerichtlichen Entscheidung. Gerade das trifft aber auf abändernde Entscheidungen des Rekursgerichts nicht zu. Die Übertragung der Rsp zur Verneinung von Nichtigkeiten durch das Berufungsgericht auf solche Entscheidungen ist somit nicht zu rechtfertigen (vgl 4 Ob 12/06b = EvBl 2006/127). Aus diesem Grund ist der früheren Rsp beizupflichten (vgl SZ 49/128; 1 Ob 504/90; 10 ObS 259/97d). In 8 Ob 48/02w wurde die neuere Rsp aus den dargestellten Erwägungen abgelehnt; § 519 könne nicht angewandt werden, weil das Erstgericht eine 1676

§ 528

4.3 Rekurs

Prozessvoraussetzung nie in Urteilsform verneinen, die zweite Instanz daher nie als Berufungsgericht entscheiden könne. Ein angeblicher Mangel des Verfahrens erster Instanz, der vom Re- 8 kursgericht nicht als solcher erkannt wurde, kann im Revisionsrekurs nicht mehr geltend gemacht werden (ÖBl 1978, 146; MietSlg 35.438; 3 Ob 144/00y; 4 Ob 25/00f = EvBl 2000/129 ua); ebensowenig ein im Rekurs gegen den erstinstanzlichen Beschluss nicht geltend gemachter Mangel (4 Ob 31/91 = ÖBl 1991, 235 ua). Wenn das Rekursgericht das Verfahren erster Instanz auf Grund eines 9 erst von ihm aufgegriffenen Nichtigkeitsgrundes für nichtig erklärt und die Klage zurückweist, ist dieser Beschluss ohne die Schranken des § 528 wie ein berufungsgerichtlicher Beschluss nach § 519 Abs 1 Z 1 voll anfechtbar (SZ 59/28 = EvBl 1987/58). Die analoge Anwendung des § 519 kommt dann nicht in Frage, wenn 10 der Rekurs in seiner Funktion kein Rechtsmittel in der Hauptsache, sondern eine reine Verfahrensbeschwerde ist; in diesem Fall ist der Rekurs nach § 528 zu beurteilen (8 ObA 345/99i = EvBl 2000/214 = ÖJZ-LSK 2000/243). Der in Abs 2 Z 1 verwendete Begriff des Entscheidungsgegenstands 11 deckt sich mit dem Begriff des § 502 Abs 2 (JAB zu § 528; 1 Ob 2401/ 96m = EvBl 1997/140 ua; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 528 Rz 57). Das Rekursgericht hat, wenn der Streitgegenstand nicht nur in Geld besteht, gleich dem Berufungsgericht den Entscheidungsgegenstand zu bewerten (§ 526 Abs 3, § 500 Abs 2 Z 1). Entzieht sich der Entscheidungsgegenstand der Bewertung – wie etwa dann, wenn Gegenstand des Verfahrens das Grundrecht des Menschen auf persönliche Freiheit ist (RZ 1994/51) oder in Datenschutzangelegenheiten (6 Ob 148/00h = SZ 73/105) sowie bei der Bekämpfung von Strafen – kommt es nur auf das Vorliegen einer erheblichen Rechtfrage an (Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 528 Rz 36). Hat das Berufungsgericht – ohne Verletzung der Bewertungsgrundsät- 12 ze – ausgesprochen, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 4.000 Euro nicht übersteigt, ist dieser Beschluss jedenfalls unanfechtbar (3 Ob 157/83 = SZ 57/42; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 502 Rz 164). Bei einer Teileinklagung ist für die Beurteilung der Zulässigkeit des 13 Rechtsmittels nicht der volle Forderungsbetrag, sondern der Streitwert maßgebend, über den das Rekursgericht entschieden hat (RZ 1989/17 1677

§ 528

Kodek

[vor WGN 1989 ergangen]; SZ 64/150 = AnwBl 1992, 675 = JUS Z 1052; zur Problematik s § 502 Rz 5).

14 Seit der WGN 1997 gilt für Streitigkeiten nach § 502 Abs 4 und 5 die Streitwertgrenze von 4.000 Euro nicht. Für Streitigkeiten nach § 502 Abs 4, also solchen nach § 49 Abs 2 Z 1 und 2 JN, gilt allerdings – wie für alle übrigen Streitigkeiten mit einem Streitwert von mehr als 4.000 Euro – die Grenze von 20.000 Euro, bis zu welcher der Ausspruch des Rekursgerichts, dass der ordentliche Revisionsrekurs unzulässig sei (§ 526 Abs 3 iVm § 500 Abs 2 Z 3), nicht mit außerordentlichem Revisionsrekurs, sondern mit einem an das Rekursgericht gerichteten Antrag auf Abänderung dieses Ausspruchs (verbunden mit einem ordentlichen Revisionsrekurs) bekämpft werden kann. Für Arbeits- und Sozialrechtssachen gilt weder die Wertgrenze von 4.000 Euro (Abs 2 Z 1; Fink, DRdA 2003, 230) noch – wie sich aus Abs 5 iVm § 502 Abs 5, § 505 Abs 4 ergibt – jene von 20.000 Euro (Fink, aaO; Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 528 Rz 34).

15 Liegt der Wert des Entscheidungsgegenstands – von den Fällen des § 502 Abs 4 und 5 abgesehen – unter 4.000 Euro, dann kann auch die vom Rekursgericht bestätigte Zurückweisung einer Klage – trotz Z 2 – nicht angefochten werden (RZ 1991/12); übersteigt der Wert des Entscheidungsgegenstandes nicht 20.000 Euro, dann gilt auch für die Zurückweisung der Klage Z 1a (so auch Zechner in Fasching/Konecny IV/1 § 528 Rz 84 f und 89).

16 Z 1 ist auf Beschlüsse nach § 33 MRG anzuwenden (RZ 1991/13; aM Petrasch, ÖJZ 1989, 751), gilt aber für Ordnungsstrafen nicht (SZ 35/ 122 = EvBl 1963/92 = RZ 1963, 94; 1 Ob 105/04d = EvBl 2004/203), ebensowenig für Mutwillensstrafen gem § 245 Abs 1 (1 Ob 114/97i = JBl 1997, 790 = ZIK 1998, 72; aM 7 Ob 217/97f = ZIK 1998, 72; 1 Ob 105/ 04d = EvBl 2004/203).

17 Abgesehen vom Meistbotsverteilungsverfahren (verst Sen 3 Ob 1013/95 = SZ 68/93 = JBl 1995, 662 [Pfersmann] = ecolex 1995, 633 = RdW 1996, 117 = ZIK 1995, 198) sind auch im Exekutionsverfahren Zinsen und Kosten als Nebengebühren bei der Berechnung des Wertes des Entscheidungsgegenstandes nicht zu berücksichtigen (NZ 1998, 269).

18 Bei Bewilligung der Exekution auf Grund mehrerer Exekutionstitel zur Hereinbringung verschiedener Forderungen sind die betriebenen Einzelansprüche für die Frage der Zulässigkeit des Revisionsrekurses im Exekutionsbewilligungsverfahren nicht zusammenzurechnen, sondern 1678

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4.3 Rekurs

gesondert zu beurteilen (3 Ob 232/03v; 3 Ob 168/04h); ist ein Verpflichteter oder eine Mehrzahl von Verpflichteten auf Grund eines Exekutionstitels über verschiedene Forderungen Schuldner mehrerer Gläubiger, so führt die formelle Vollstreckungsgenossenschaft auf Gläubigerseite – die durch den gemeinsamen Antrag der Gläubiger auf Exekutionsbewilligung entstand – bei der Prüfung der Zulässigkeit des Revisionsrekurses nicht zur Zusammenrechnung der betriebenen Einzel(Teil-)Forderungen; auch hier ist die Zulässigkeit des Rechtsmittels für jede der betriebenen Forderungen gesondert zu beurteilen (3 Ob 168/04h). Wurde eine Klage ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen 19 zurückgewiesen, dann ist der bestätigende Beschluss des Rekursgerichts nicht jedenfalls unzulässig, sondern unter den Voraussetzungen des Abs 1 anfechtbar. Dies gilt aber nach der Rsp nicht, wenn das Rekursgericht die Zurückweisung einer Wiederaufnahmsklage gegen einen Beschluss bestätigt hat, mit dem etwa ein Wiedereinsetzungsantrag abgewiesen wurde (RZ 1993/64), weil sonst ein Wertungswiderspruch vorläge, ist doch die Bestätigung einer Ab- oder Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags unanfechtbar (L. Fuchs, JBl 2000, 197); das Gleiche gilt auch dann, wenn das Rekursgericht die Zurückweisung einer Wiederaufnahmsklage gegen eine solche Sachentscheidung bestätigt hat, die gem Abs 2 Z 2 jedenfalls unanfechtbar ist (RdW 2003, 145), oder die Verfahrenshilfe für erloschen erklärt wurde (RZ 1993/66), weil Fragen der Verfahrenshilfe nicht an den OGH herangetragen werden dürfen (Z 4). Soweit in RZ 1993/64 und (dort freilich in irriger Umkehrung des Grundsatzes) in 7 Ob 268/98g = JBl 2000, 193 (dort hieß es, die Ausnahme von der Unanfechtbarkeit bestätigender Beschlüsse gelte nur bei der konformen Zurückweisung solcher Klagen, mit denen keine Sachentscheidung angestrebt, sondern eine bloße Formalentscheidung bekämpft wird) ausgesprochen wurde, der Ausnahmefall beziehe sich nur auf Klagen, mit denen eine Sachentscheidung angestrebt wird, nicht aber auf solche, mit denen eine bloße Formalentscheidung bekämpft wird, kann dem in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden. Maßgebend ist vielmehr, dass der Rechtszug bei Wiederaufnahmsklagen nicht anders gestaltet sein kann als bei der Entscheidung, gegen die sich die Wiederaufnahmsklage richtet. Die Bestätigung der Zurückweisung der Wiederaufnahmsklage gegen die Zurückweisung einer K