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German Pages 248 Year 2014
Felix Axster Koloniales Spektakel in 9 x 14
Post_koloniale Medienwissenschaft | Ulrike Bergermann | Band 2
Felix Axster (Dr.) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin.
Felix Axster
Koloniales Spektakel in 9 x 14 Bildpostkarten im Deutschen Kaiserreich
Gedruckt mit Hilfe der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig
Die vorliegende Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 transcript Verlag, Bielefeld
Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Tanja van de Loo, Hamburg Umschlagabbildung: Detail aus »Friedliche Invasion«, Arthur Thiele © Universitäts- und Stadtbibliothek Köln Lektorat: Ulf Heidel Satz: Felix Axster Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-2209-6 PDF-ISBN 978-3-8394-2209-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Ask the colonial ghosts, if they live in your bones. (RAE SPOON: COME ON FOREST FIRE BURN THE DISCO DOWN)
Danksagung
Diese Studie ist im Rahmen des TeilprojektVÄ.RORQLDOH5HSUlVHQWDWLRQHQDXI%LOdpostkarten in Deutschland (1870- ³ HQWVWDQGHQ GDV DP Kulturwissenschaftlichen Forschungskolleg Medien und kulturelle Kommunikation der Universitäten Köln, Bonn und Aachen angesiedelt war und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wurde. Die Leiter_innen dieses Projekts, Prof. Dr. Margit Szöllösi-Janze und Prof. Dr. Norbert Finzsch, waren zugleich meine Betreuer_innen. Ihnen danke ich für Ermutigung und Unterstützung. Prof. Dr. Ulrike %HUJHUPDQQGDQNHLFKGDIUGDVVVLHGDV%XFKLQGLH5HLKHÄ3RVWNRORQLDOH0HGienwLVVHQVFKDIW³DXIJenommen hat. Außerdem hat sie das Manuskript während der Überarbeitung ausführlich kommentiert. Dafür sei ebenfalls gedankt. Der Hochschule für bildende Künste in Braunschweig danke ich für die Übernahme eines Teils der Druckkosten. Für Diskussionen, Lektüre, Anregungen und Kritik danke ich Ilka Becker, Michael Cuntz, Christraud Geary, Heike Hartmann, Jens Jäger, Maren JungDiestelmeier, Astrid Kusser, Fabian Langer, Susann Lewerenz, Barbara Manthe, Maren Möhring, Jeannie Moser, Massimo Perinelli, Nils Schuhmacher, Kai Marcel Sicks, Markus Stauff. Für das Lektorat danke ich Ulf Heidel. Seine Sorgfalt, Nachfragen und Änderungsvorschläge haben dem Manuskript in jeglicher Hinsicht gut getan. Für die Gestaltung des Covers sowie für vorhergehende intensive Diskussionen danke ich Tanja van de Loo. Ich danke den Sammlern Freddie Herzberg, Karl Markus Kreis und vor allem Peter Weiss, mit dem die ganze Geschichte anfing. Ich danke den Archivar_innen und Bibliothekar_innen verschiedener Institutionen für die Hilfe bei der Suche nach historischen Bildpostkarten, insbesondere den National Archives of Namibia und der Namibia Wissenschaftlichen Gesellschaft in Windhoek sowie der Sam Cohen-Library in Swakopmund, dem Deutschen Historischen Museum, dem Museum für Kommunikation Berlin, dem Altonaer Museum für Kunst und Kulturgeschichte in Hamburg, dem Übersee-Museum in Bremen. Last but not least danke ich Simon Moser, der nicht mehr warten konnte und so dafür gesorgt hat, dass die ganze Sache ein Ende gefunden hat.
Inhalt
E INLEITUNG | 11 Thema und Fragestellung | 11 Anmerkungen zur Bild- und Sprachpolitik | 20 Methodisch-theoretische Vorüberlegungen | 24
Massenkulturelles Spektakel | 25 Normalisierung | 27 Bildrahmen und -rahmungen | 29 Forschungsstand | 33
Zur Auswahl der Quellen | 40 Zum Aufbau des Buchs | 43
1. P OSTALISCHES REGIEREN UND MASSENKULTUR ± EINE KURZE G ESCHICHTE DER (B ILD -)P OSTKARTE | 47 1.1 Postvisionen als Regierungsträume | 47
Post und Polizei | 47 Post und Nation | 50 Post und Raum | 54 Imperiale Post | 56
1.2 Brief vs. Postkarte: Die Entstehung der Massenkultur | 60
Zeitdiagnosen: Das Ende der Brief-Freundschaft | 61 Kulturkampf: Von der Schriftseele zur Bildseele | 63 Ansichtskarten, Anschaulichkeit und Massenbildproduktion | 68 Ambivalenzen der Massenkultur | 71 Ambivalenzen der Aneignung | 75
2. S ERIELLE ORDNUNG ± P OSTKARTEN AUS DEM KOLONIALKRIEG IN NAMIBIA (1904-1908) | 81 ÃZHUGHYHUVXFKHQ(XFKYRQKLHUGLHVFK|QVWHQ$QVLFKWHQ]X VHQGHQµ ± Kriegsbilder als Reisebilder | 85
Stationen im Krieg: Bewegungs- und Tätigkeitsprofil | 85 Aneignung: Autorschaft und Serialität | 90 Bild und Bildunterschrift: mapping der Kolonie | 98 Kriegsbilder | 102 Zur Darstellung von Gewalt | 108 Reisen im Krieg | 109 2.2 Kolonialkrieg und Bildproduktion | 112
Postalisches Spektakel der Gewalt | 112 Facetten des Kriegs | 113 Kolonialkrieg als Bild-Ereignis | 116 2.3 Rahmungen/Rassismus | 118
3. S PIEL MIT DER UNORDNUNG ± S EXUALITÄT UND HUMOR AUF BILDPOSTKARTEN | 121 3.1 Friedensvisionen am Strand? | 124 3.2 Fotografische Evidenz: Inszenierung von Intimität als Selbstverständlichkeit | 128
Koloniale Geschlechterbeziehungen im Gruppenbild | 128 Bedingungen der Sichtbarkeit | 132 3.3 Humoristische Interventionen: Ridikülisierung von Intimität | 134
Groteske Kolonie: Verlockungen/Versagen | 134 Groteske Metropole: Skandalisierung | 137 Szenarien des Betrugs | 139 Humor, Unübersichtlichkeit und Handlungsspielräume | 144 3.4 Über Handlungsmacht | 145 Zwischenräume ± Postkoloniale Theorie | 146 Rasse machen ± Koloniale (De-)Formierung | 149 3.5 Kolonialer Karneval | 154
Rollentausch | 155
Ekstase homosozial | 158 Ekstase heterosexuell | 160 Welten des Humors | 162 Ambivalenzen des Humors | 163 Humor und (De-)Normalisierung | 167
4. O RDNENDE P RAXIS ± ÜBER DAS S AMMELN VON P OSTKARTEN | 169 4.1 Zwei Weltreisen | 169 4.2 Konturierung: Sammeln, Sport und Wissenschaft | 173
Strategisches Potenzial der Sportsemantik | 173 Sammelsport als Generierung von Wissen | 176
4.3 Wissensordnung und -popularisierung | 180
Exkurs: Wissenspopularisierung und Populärwissenschaft | 180 Organisationsform des Sammelsports | 183 Das Geschlecht des Sammelsports | 186 Wissensproduktion und Sammelberechtigung | 188 Utopien des Sammelsports | 191 4.4 Sammeln als Weltbezug | 193
Formatierungen von Welt | 193 Sammelsport als fetischistische Praxis | 195 4.5 Koloniale Implikationen des Sammelsports | 197
Die Kolonien kennen | 198 Sammelsport, Kosmopolitismus und Zivilisierungsmission | 201 Die Weltschau des Sammelsports | 203
S CHLUSS | 209 Rekapitulation | 209 Intervention | 211 Position | 215
BIBLIOGRAPHIE | 219
Einleitung Was ich vorziehe, an der Postkarte, ist, daß man nicht weiß, was vorn oder hinten ist, hier oder da, QDKRGHUIHUQ>«@1RFKZDVGDV:LFKWLJVWHLVWGDV Bild oder der Text, und im Text, die Botschaft oder die Legende, oder die Adresse. (JACQUES DERRIDA: DIE POSTKARTE) Doch die Kolonialpostkarte ist auch eine der illustrierten Formen des kolonialen Diskurses, sein geschwätziges, selbstzufriedenes Familienalbum. (MALEK ALLOULA: HAREMSPHANTASIEN)
T HEMA UND F RAGESTELLUNG Im Frühjahr 1900 erschien im Centralblatt für Ansichtkarten-Sammler, dem Sprachrohr des Centralverbands für Ansichtkarten-Sammler, ein über mehrere Ausgaben verteilter Artikel, in dem es an einer Stelle heißt: Wir schwimmen in Bildern! Auf Schritt und Tritt, täglich in neuer Fülle, auf Strassen und Plätzen, in Schauläden und Pferdebahnwagen, in Tagesblättern, Wochen- und Monatsschriften, in Hand- und anderen Büchern, in allem möglichen und unmöglichem ± ein illustriertes Zeitalter!1
Zwei Ausrufungszeichen unterstrichen das Gesagte und verstärkten das Pathos, mit dem hier, zur vorletzten Jahrhundertwende, der Anbruch eines neuen Zeitalters ver-
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Lutz (1900a), S. 78. Die Schreibweise in den Sammel-Zeitschriften variierte zwischen Ã$QVLFKWµ- XQGÃ$nVLFKWVNDUWHµ
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kündet wurde. Dass es sich tatsächlich um etwas Neues handelte und welche Bilder genau gemeint waren, wird einige Zeilen später deutlich: Heut leben wir in dem Zeitalter der Ansicht- und Bilder-Postkarte. Das Jahrhundert der AnVLFKWNDUWH>«@VFKHLQWDngebrochen zu sein. Überall herrscht und regiert sie, überall ist sie zu finden. Sie ist zu einer Macht geworden, mit der man zu rechnen hat.2
Der euphorische Gehalt und proklamatorische Duktus dieser Diagnose mögen dem fetischistisch aufgeladenen Verhältnis zwischen Sammler_innen und ihren Sammelobjekten zuzuschreiben sein.3 Die Beobachtung allerdings, dass auf dem Feld der visuellen Kultur etwas in Bewegung geraten war, erscheint angesichts der rasanten Karriere der Bildpostkarte durchaus plausibel: Am 1. Oktober 1869 wurde die Postkarte als Correspondenzkarte in der österreichisch-ungarischen Monarchie erstmals eingeführt.4 Es handelte sich zunächst um ein weißes Blatt steifes Papier, auf dem auf der einen Seite das Adressfeld und auf der anderen Seite Raum für Mitteilungen war. Die Bildpostkarte wiederum konnte sich erst nach und nach durchsetzen. Vor allem in den 1890er Jahren, nachdem (zumindest in Deutschland) die Privatindustrie die Erlaubnis zur Produktion von und zum Handel mit Postkarten erhalten hatte, kam sie zunehmend in Gebrauch.5 Und schon 1900 wurden allein im Deutschen Kaiserreich ca. 500 Millionen Stück verschickt. 6 Diese explosionsartige Verbreitung lässt erahnen, in welcher Rasanz die Bildpostkarte damals Eingang fand in die zeitgenössischen Kommunikationsstrukturen und Alltagsgewohnheiten. Sie war zu einem Massenmedium avanciert, das eine Zirkulation von Bildern in bis dahin nicht gekanntem Ausmaß in Gang setzte.
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Ebd. Ich verwende durchweg den gender gap als Form des Umgangs mit dem Problem der Vergeschlechtlichung und (Un-)Sichtbarmachung durch Sprache. Es handelt sich um eine im Kontext der Queer Theory etablierte Schreibweise. Der Zwischenraum deutet die Möglichkeit von Existenzweisen und Identitäten jenseits des hegemonialen Zweigeschlechtermodells an. In einigen deutschen Städten sowie im Gesamtgebiet des Norddeutschen Bundes konnte die Postkarte ab dem 1. Juli 1870 verschickt werden. Auch in zahlreichen anderen Ländern wurde die Postkarte in den 1870er Jahren eingeführt. Walter (2001), S. 48, geht davon aus, dass der eigentliche Aufstieg der Bildpostkarte auf den kurzen Zeitraum zwischen 1895 und 1899 zu datieren sei. Auch Leclerc (1986), S. 31, vermutet, dass sich die Bildpostkarte ab etwa 1895 auf dem Markt durchzusetzen begann. Leclerc (1986), S. 30-31, weist darauf hin, dass der Anteil der Bildpostkarten an der Gesamtsumme der verschickten Postkarten schwer zu ermitteln sei. Die Reichspost habe lediglich im August 1900 eine einwöchige Erhebung vorgenommen. Hier betrug der Anteil der Bildpostkarten fast 50 Prozent. Da laut Statistik der Reichspost im Jahr 1900 insgesamt beinahe eine Milliarde Postkarten verschickt wurden, ergibt sich die geschätzte Summe von 500 Millionen gelaufenen Bildpostkarten.
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Auch in den Kreisen der deutschen Kolonialbewegung machte sich die Popularität des neuartigen postalischen Nachrichtenträgers bemerkbar. Im August 1913 konstatierte die Deutsche Kolonialgesellschaft, die mitgliederstärkste und einflussUHLFKVWH 2UJDQLVDWLRQ GHU %HZHJXQJ Ä'LH HUGNXQGOichen Kenntnisse über unsere Schutzgebiete sind an manchen Stellen noch sehr gering. Deshalb ist jedes Mittel, GDV]XLKUHU9HUEUHLWHUXQJXQG9HUWLHIXQJEHLWUDJHQNDQQZLOONRPPHQ³9RUDOOem HLQ0LWWHOVWDQGRIIHQEDULP)RNXVGHU$XIPHUNVDPNHLWÄ+HXWHZLUGGLH$QVLFKWsNDUWH PLW /DQGNDUWHQ LQ GHQ 'LHQVW GHU 6DFKH JHVWHOOW³ 'LH Kolonialgesellschaft teilte mit, dass sie selbst mit der Herstellung von Ansichtskarten begonnen habe, DXI GHQHQ ÄGLH )OVVH >«@ GLH (LVHQEDKQHQ XQG (LVHQEDKQSOlQH XQG ]DKOUHLFKH 2UWVFKDIWHQ³GHUMHZHLOLJHQGHXWVFKHQ.RORQLHQDEJHELOGHWVHLHQ'HQSRWHQ]iellen Interessent_iQQHQZXUGHYHUVSURFKHQÄ'HU.lXIHUGHU.DUWHQHUZLUEWDOVRVR]XVagen für zwanzig Pfennige einen kleinen Kolonialatlas. Unsere Abteilungen und jeder Kolonialfreund erhalten hier ein außerordentlich brauchbares WerbemitWHO³7 Das massenmediale und -kulturelle Engagement der Kolonialorganisation verdeutlicht, dass die Karriere der Bildpostkarte an der Wende zum 20. Jahrhundert ± LQ GHU )RUVFKXQJ ZLUG KlXILJ YRP ÃJROGHQHQ =HLWDOWHUµ GHU %LOGSRVWNDUWH JHVSUochen ± mit der Hochphase der kolonialen Expansion Europas koinzidierte. 8 Darüber hinaus zeigt es an, dass sich der Prozess der kolonialen Weltaneignung im globalen Maßstab unauslöschlich in diese Karriere eingeschrieben hat. 9 Schließlich gibt es zu verstehen, dass Kolonialaktivist_innen der Bildpostkarte das Vermögen zumaßen, Wissen über die Kolonien zu generieren und eine Popularisierung des kolonialen Projekts zu bewirken. Doch welcher Art genau war dieses Wissen? Und wie vollzog sich der Vorgang der Popularisierung? Mit diesen Fragen befasst sich die vorliegende Studie. Sie geht von der Prämisse aus, dass Bildpostkarten wesentlich an der Entstehung und Verbreitung kolonialer Wissensordnungen und Vorstellungswelten im Deutschen Kaiserreich beteiligt waren.10 'LH VSH]LILVFKH Ã/HLVWXQJµ GLHVHV 0HGLXPV UHVXOWLHUWH ]XP HLQHQ GDraus,
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Koloniale Ansichtskarten (1913), S. 554. Ich danke Jens Jäger, der mich auf den in der Deutschen Kolonialzeitung, dem Verbandsorgan der Deutschen Kolonialgesellschaft, erschienenen Beitrag hinwies. Allgemein zur Kolonialgesellschaft siehe Wackerbeck (1977). 8 =XU 0HWDSKHU GHV ÃJRlGHQHQ =HLWDOWHUVµ LQ %H]XJ DXI GLH *HVFKLFKWH GHU %LOGSRVWNDUWH siehe Hax (1999); Klich (2001); Mathur (1999); Prochaska (2001); Woody (1998). 9 0DWKXU 6UHVPLHUWLQGLHVHP=XVDPPHQKDQJÄ7KHH[WUDRUGLQDU\SRSXODULW\ of the postcard from roughly 1890 to the First World War, a period in which postcards were produced, collected and circulated with an energy that remains historically unPDWFKHGPXVWEHXQGHUVWRRGZLWKLQWKLVFRQWH[WRIÃKLJKµHmSLUH³ 10 Zwar lässt sich die Menge an Karten mit kolonialen Motiven nicht ermitteln. Es ist aber davon auszugehen, dass ihr prozentualer Anteil im Verhältnis zur Gesamtmenge der produzierten Karten eher gering war. Zu einer solchen Einschätzung gelangt mit Blick auf antisemitische Bildpostkarten um 1900 auch Gold (1999), S. 18, der aber betont, dass
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dass es eine massenwirksame visuelle Aneignung der Kolonien und ihrer Bewohner_innen zu ermöglichen versprach. Zum anderen war es als ein alltäglicher Gebrauchsgegenstand in unterschiedliche Verwendungszusammenhänge involviert. Die kolonialen Bilder waren demnach nicht einfach nur Anschauungsmaterial, sondern private Andenken, Bestandteil persönlicher Kommunikationsbeziehungen oder begehrte Sammelobjekte und somit in besonderer Weise affektiv aufgeladen. Die Frage, inwiefern sich die jeweiligen Gebrauchsweisen mit der Produktion von kolonialem Wissen in Beziehung setzen lassen, wird in den folgenden Kapiteln diskutiert werden. Eine weitere Prämisse dieser Untersuchung jedenfalls lautet, dass der Prozess der Bedeutungsproduktion nicht auf die Dimension des Bilds (und der Bildüberschrift) reduziert werden kann und dass in jedem Akt des Gebrauchs je spezifische Bedeutung entsteht. Entsprechend wird es darum gehen, auch die Zirkulation der Karten zu thematisieren. Die Mitteilung der Deutschen Kolonialgesellschaft an den Anfang meiner Ausführungen zu stellen, mag insofern irreführend sein, als hier eine der wichtigsten Institutionen der organisierten Kolonialbewegung in Erscheinung trat, die das Versprechen einer massenwirksamen Vermittlung kolonialen Wissens mit der Vervielfältigung von Landkarten im Postkartenformat verband. Das Charakteristische des Mediums Postkarte bestand um 1900 allerdings gerade in der Heterogenität der Akteur_innen, die Bilder produzierten und konsumierten, in der Bandbreite der Visualisierungstechniken und Motive sowie in der Vielzahl an Anlässen, zu denen Karten hergestellt und verschickt wurden. Auch die Produktion und Distribution von kolonialen Bildpostkarten vollzog sich eher in der Zerstreuung, als dass sie von einem organisatorischen Zentrum ausging. Dieses Moment der Zerstreuung soll in den folgenden Kapiteln anschaulich werden. Eine Grundannahme lautet dabei, dass die Präsenz von kolonialen Bildpostkarten im flüchtigen Austausch von kurzen Grüßen und Mitteilungen nicht nur von der Beiläufigkeit kolonialrassistischer Bildproduktion und Sprechakte zeugt, sondern sich auch als Normalisierung des kolonialen Projekts verstehen lässt, und zwar auf der Ebene alltäglicher kommunikativer Praxis. Entsprechend wird die Frage nach Normalisierungsstrategien im Fokus der Aufmerksamkeit stehen. Beabsichtigt ist indes nicht, die Vielfalt der Postkarten hinsichtlich Motiv und Genre möglichst umfassend nachzuvollziehen.11 Vielmehr
VLFKGLHÄ(QWVWHKXQJ9HUEUHLWXQJXQG:LUNXQJDQWLVHPLWLVFKHU6WHUHRW\SH³DXFKXQGJeUDGH DQKDQG GHU 3RVWNDUWH DOV HLQHV ÄVHKU DOOWlJOLFKHQ 0HGLXPV³ XQWHUVXFKHQ OLHHQ (ebd., S. 13). 11 Z.B. werde ich auf Karten, die im Kontext der um 1900 äußerst populären Kolonial- und Weltausstellungen und der so genannten Völkerschauen massenhaft produziert wurden, nicht eingehen. Siehe hierzu Rydell (1998). Auch unzählige, von Missionen, Museen und Verlagen hergestellte Karten, auf denen Eingeborene aus den Kolonien abgebildet waren, sind nicht Gegenstand meiner Analyse. In beiden Fällen handelte es sich zumeist um Reproduktionen von Fotografien, die sich an ethnographischen Repräsentationsweisen ori-
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wird ein analytischer Zugang gewählt, der sich an unterschiedlichen Verfahren der Bildproduktion sowie an jeweiligen Nutzungsweisen orientiert. Im Wesentlichen stehen drei Normalisierungsstrategien bzw. -schauplätze zur Diskussion, die sich allesamt mit dem Versuch der Stiftung von Ordnung in Beziehung setzen lassen: Erstens werden Postkarten thematisiert, die deutsche Soldaten während des Kolonialkriegs in Namibia als Feldpost verschickten. Im Vordergrund stehen hier fotografische Bilder sowie die Aneignung und Nutzung dieser Bilder durch die Absender, das heißt die Praxis der Auswahl und Beschriftung. Vor allem geht es darum, das in den Blick zu nehmHQZDVVLFKDOV.RQVWLWXWLRQHLQHUÃVHULHlOHQ2UGQXQJµEH]HLFKQHQOlVVW'LHVHZDUQLFKWQXUHLQ(IIHNWGHU0DVVHQSURGXNWion von Bildpostkarten, sondern sie resultierte auch aus den jeweiligen Bezugnahmen zwischen Bild, Bildunterschrift und individueller Beschriftung. Aufgezeigt werden soll zum einen, wie durch die Bezugnahmen Bedeutung produziert und koloniales Wissen gleichermaßen authentifiziert wie legitimiert wurde. Zum anderen soll veranschaulicht werden, dass der Krieg als beiläufiger, quasi natürlicher Vorgang rationalisiert und banalisiert wurde. Zweitens werden Karikaturen Gegenstand der Analyse sein, in denen koloniales Wissen auf diametral entgegengesetzte Weise zirkulierte: nicht als Beglaubigung der Evidenz von fotografischen Bildern, sondern DOV Ã(UILQGXQJµ Hxzentrischgrotesker und gleichsam problematischer Figuren und Konstellationen, die lächerlich gemacht und verworfen wurden. Ich werde mich in diesem Zusammenhang auf solche Karikaturen beschränken, die romantische und sexuelle Beziehungen zwischen Weißen und Schwarzen bzw. die Möglichkeit solcher Beziehungen verhandelten. Dargelegt werden soll, auf welche Weise über das Sichtbar-Machen von Unordnung koloniale Ordnungsvorstellungen propagiert wurden. In diesem Sinne OlVVWVLFKYRQHLQHPÃ6SLHOPLWGHU8QRUGQXQJµVSUechen. Drittens schließlich wird es um das Sammeln gehen. Ausgehend von dem Diskurs der sich in Deutschland um 1900 institutionalisierenden Sammelszene werde ich der Frage nachgehen, inwiefern sich das Sammeln vor allem von Ansichtskarten als Modus der Weltaneignung mit kolonialen Formen der Weltaneignung in BezieKXQJ VHW]HQ OlVVW +LHU VWHKW ]XU 'LVNXVVLRQ ZDV HLQH ÃRUGQHQGH 3UD[LVµ Jenannt werden kann. Ã6HULHOOH2UGQXQJµÃ6SLHOPLWGHU8QRUGQXQJµÃRUGQHQGH3UD[LVµ± die skizzierte Auswahl erlaubt, die Vielschichtigkeit der Bildpostkarte annäherungsweise zu
entierten. Allgemein zur kolonialen sowie zur ethnographischen Fotografie bzw. zum Verhältnis zwischen Fotografie, Ethnologie und Kolonialismus siehe exemplarisch Edwards (1994 und 2003); Maxwell (1999); Theye (1989). Zur Entfaltung des Wahrheitsanspruchs der Fotografie, die in den folgenden Kapiteln noch ausführlicher thematisiert wird, siehe Geimer (2002a). Wie ich mit kolonialen Begrifflichkeiten und Kategorisierungen verfahre, wird im nächsten Abschnitt Thema sein.
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erfassen und gleichzeitig jeweilige mediale Bedingungen sowie variierende Weisen des Gebrauchs detailliert zu untersuchen. Darüber hinaus werden so Schwerpunkte gesetzt, die wesentliche Facetten und Problematiken des Kolonisierungsprozesses sowie ± bezogen auf das Medium Bildpostkarte ± zentrale Verfahren der Visualisierung und Nutzung beinhalten. Mit dem von 1904 bis 1908 andauernden Krieg zwischen der so genannten Kaiserlichen Schutztruppe und den Herero und Nama zum Beispiel rückt ein für die deutsche Kolonialgeschichte zentrales Ereignis in den Blick, das dem kolonialen Engagement des Kaiserreichs in besonderer Weise Aufmerksamkeit verschaffte.12 Angesichts zahlreicher literarischer Werke, die im Zuge der militärischen Auseinandersetzungen erschienen, resümiert der LiteraturwissenVFKDIWOHUXQG+LVWRULNHU0HGDUGXV%UHKOÄ'HUÃ+HUHUR-$XIVWDQGµLP-DKUZDU HLQ UHJHOUHFKWHV 'LVNXUVHUHLJQLV³13 Angesichts von Millionen Feldpostkarten, die direkt von der Front verschickt wurden, lässt sich ergänzen, dass er auch ein visuelles (Diskurs-)Ereignis war. Erstmals wurden massenhaft Bilder aus den Kolonien nach Deutschland gespült, und zwar direkt in die Briefkästen und Wohnstuben der Empfänger_innen. Es handelte sich zumeist um fotografische Ansichten von Orten, Gebäuden oder Landschaften, mitunter aber auch um Dokumentationen des Kriegsgeschehens. Zudem waren die visuellen Eindrücke mit Nachrichten der Söhne, Väter, Ehemänner, Brüder und Freunde versehen. Gerade durch die Verknüpfung von Bild und Nachricht haben die Karten die im Kaiserreich zirkulierenden Vorstellungen vom Krieg mit strukturiert. Darüber hinaus haben sie den Prozess der Land-
12 Seit einigen Jahren ist der Krieg in Namibia Gegenstand einer hitzigen Debatte, wobei die Frage im Raum steht, ob die militärische Strategie der Schutztruppe, die zur Vernichtung eines Großteils insbesondere der Herero führte, als Genozid bezeichnet werden kann. Zudem steht das Verhältnis zwischen deutschem Kolonialismus und Nationalsozialismus zur Diskussion. Eine Zusammenfassung der jeweiligen Positionen findet sich bei Gerwarth/Malinowski (2007). Auf die Debatte wird zurückzukommen sein, wenn auch nur in Fußnoten, da die Frage nach der historischen Einordnung des Kriegs hier nicht im Vordergrund steht (vgl. Kap. 2.1). Allgemein zum Krieg in Namibia siehe Kuss (2006); Zeller/Zimmerer (2003). Detailliert zur deutschen Kriegsführung siehe Hull (2005), v.a. S. 5-90. Zum Status des Kriegs in der Erinnerungskultur der Herero und Nama siehe Förster (2004 und 2010); Förster/Kavari/Henrichsen (2004); Hillebrecht (2003 und 2004); Krüger (1999). 13 Brehl (2003), S. 86. Siehe auch Böttger (2004). Auch die Kritik an der kolonialen Praxis nahm infolge des Kriegs zu. Davon zeugen die im Januar 1907 durchgeführten so genannten Hottentottenwahlen, denen die Auflösung des Reichstags vorausgegangen war ± eine Mehrheit der Abgeordneten von Sozialdemokraten und Zentrumspartei hatte die Freigabe finanzieller Mittel zur Fortführung des Kriegs verweigert (siehe Heyden [2003]; Sobich [2006], S. 273-296). Allgemein zur Kritik am Kolonialismus siehe Jansen (2007). Göttel (2004), S. 148, weist darauf hin, dass der pejorative Begriff Hottentotten bereits im 17. Jahrhundert eingeführt worden sei und unterschiedliche Gesellschaften des südlichen $IULND ÄLQ HLQHP KRPRJHQLVLHUHQGHQ 9HUIDKUHQ DOV HLQH YHUPHLQWOLFKH (LQKHLW NRnstruLHUW³KDEH
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nahme auf eine spezifische Weise sichtbar gemacht: als zwar umkämpften, aber letztlich doch geordnet und selbstverständlich erscheinenden Vorgang.14 Die Konzentration auf den Krieg resultiert aber auch aus der Quellenlage: Für die vorliegende Studie habe ich ca. 10.000 Karten gesichtet, die sich allesamt dem kolonialen Diskurs im Deutschen Kaiserreich und seinen Kolonien zuordnen lassen. Aus diesem Korpus habe ich 37 Karten ausgewählt, die ich in den nächsten Kapiteln analysieren werde.15 Darunter sind 21 Karten, die ein Angehöriger der Schutztruppe während des Kolonialkriegs in Namibia an seine Verwandten in Norddeutschland sendete. Diese Karten stellen im Hinblick auf den Gesamtkorpus insofern einen Spezialfall dar, als sonst zumeist Einzelexemplare in dem Sinne existieren, dass von dem betreffenden Absender bzw. der betreffenden Absenderin lediglich eine Karte erhalten ist. Anhand dieses Spezialfalls wird in besonderer Weise ersichtlich, wie im Zusammenspiel von Bild und Beschriftung als Nutzung serielle Effekte generiert wurden, die wiederum spezifische Bedeutung produziert haben. Insofern wird sich meine Analyse der Konstitution einer seriellen Ordnung wesentlich auf die in einem Zeitraum von zwei Jahren verschickten Karten des Kolonialsoldaten beziehen.
14 Auch zuvor wurden Bildpostkarten aus den Kolonien ins Kaiserreich geschickt. Allerdings stellte der Krieg im Hinblick auf Masse, Aufmerksamkeit und Vergemeinschaftung ein Moment der Verdichtung dar. Brehl (2003), S. 88 und 90, verweist in diesem Zusammenhang auf Gustav Frenssens Roman Peter Moors Fahrt nach Südwest. Ein Feldzugsbericht, der als ÄHUIROJUHLFKVWH]HLWJHQ|VVLVFKH3uEOLNDWLRQ]XPÃ+HUHUR-$XIVWDQGµ³ die Idee der Volksgemeinschaft konturiert haEHÄ'LH%HGURKXQJGXUFKGDVÃH[LVWHQ]LHOOµ Andere und die daraus resultierende Überwindung oder Ersetzung des Klassenkampfes durch Rassenkampf ermöglichen, dass aus den Männern unterschiedlichster regionaler oder sozialer Herkunft [d.i. den Angehörigen der Schutztruppe] eine homogene VolksJHPHLQVFKDIWKHUYRUJHKWVRGLH%RWVFKDIWGHV5RPDQV³ 15 Sie stammen überwiegend aus der umfangreichen Sammlung des Altonaer Museums für Kunst und Kulturgeschichte in Hamburg sowie aus der Sammlung des Hamburger Privatsammlers Peter Weiss. Die einige Tausend Exponate umfassende Sammlung von Peter Weiss wurde im Rahmen des am kulturwissenschaftlichen Forschungskolleg Medien und kulturelle Kommunikation angesiedelten Projekts Koloniale Repräsentationen auf Bildpostkarten in Deutschland (1870-1930) digitalisiert. Als digitale Sammlung ist sie nun an der Universität Köln verfügbar, und zwar unter dem Namen Kolonialismus und afrikanische Diaspora auf Bildpostkarten (URL: http://www.ub.uni-koeln.de/cdm/landingpage/ collection/kolonial [Stand: September 2013]). Eine Auswahl sowohl der Bestände des Altonaer Museums als auch der Sammlung von Peter Weiss bildete das Material der Ausstellung Bilder verkehren. Postkarten in der visuellen Kultur des deutschen Kolonialismus, die 2005 im Kunsthaus Hamburg und später in Nürnberg und Berlin gezeigt wurde. Die Ausstellung wurde von der Ausstellungsgruppe des in Hamburg ansässigen Instituts für Migrations- und Rassismusforschung kuratiert, der Heike Hartmann, Astrid Kusser, Susann Lewerenz und ich angehörten. Das vorliegende Buch hat entscheidend von der gemeinsamen Arbeit an der Ausstellung profitiert.
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Neben fotografischen Ansichtskarten war auch das Genre der so genannten Witzkarte um 1900 äußerst populär.16 Insbesondere gezeichnete Bilderwitze oder Karikaturen fanden schnell Verbreitung. Entsprechend wurden auch koloniale Sujets im Medium des Bilderwitzes verhandelt. Für die Entscheidung, sich in diesem Zusammenhang auf die Thematik der romantischen und sexuellen Beziehungen zwischen Weißen und Schwarzen zu konzentrieren, gibt es mehrere Gründe: In neueren Arbeiten zur Kolonialgeschichte wird verstärkt auf die fundamentale Bedeutung von Sexualität als Wissensgegenstand im Prozess der Kolonisierung hingewiesen.17 Dabei lässt sich eine grundlegende Ambivalenz beobachten: Einerseits war die sexualisierende Aufladung des kolonialen Raums und seiner Bewohner_innen ein wesentlicher Bestandteil kolonialer Formen der Stereotypisierung; andererseits galt sexueller Kontakt als zentrales Bedrohungsszenario für die Stabilität der kolonialen Ordnung.18 Gerade im Hinblick auf diesen letzten Aspekt lässt sich auch ein Bezug zum Kolonialkrieg in Namibia herstellen. Denn das Bemühen von Kreisen der organisierten Kolonialbewegung, sexuelle Beziehungen zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten zu regulieren, wurde nach Ausbruch des Kriegs verstärkt und gipfelte in dem Verbot so genannter Mischehen, das im September 1905 in Namibia auf dem Wege einer amtlichen Verfügung erlassen wurde.19 Der Krieg initiierte oder beschleunigte also einen Prozess, in dessen Folge die deutsche Kolonialpolitik sich zunehmend segregationistisch auszurichten begann, wobei der Bereich der Sexualität zu einem bevorzugten Interventionsfeld für unterschiedliche bevölkerungspolitische und eugenische Eingriffe avancierte.20 Die Konzentration auf Sexualität ergibt sich jedoch nicht nur aus ihrer allgemeinen Bedeutung oder aus der skizzierten Relation zum Kolonialkrieg in Namibia. Ergänzend ist auch hier ein quellenspezifisches Argument in Anschlag zu bringen: Ein Befund bei der Durchsicht der für diese Studie ausgewählten Sammlungen war, dass die Sichtbarkeit von sexuellen Beziehungen zwischen Weißen und Schwarzen
16 Vgl. Hax (1999); Jarkovsky (1960); Kaufmann (1985). 17 Vgl. McClintock (1995); Stoler (2000 und 2002); Young (1995); Zantop (1999). 18 =DQWRS 6PHUNWDQGDVVÄ6H[XDOLWlWHLQH]HQWUDOHZHQQQLFKWJDUdie zentrale 5ROOHLQ.RORQLDOSKDQWDVLHQJHVSLHOWKDW³Stoler (2000), S. 4, wiederum weist darauf hin, ÄWKDWWKHGLVFXUVLYH PDQDJHPHQWRIWKHVH[XDOSUDFWLFHVRIFRORQL]HUDQGFRORQL]HGZDV IXQGDPHQWDOWRWKHFRORQLDORUGHURIWKLQJV³ 19 Die Deutsche Kolonialzeitung publizierte einige Wochen nach Kriegsbeginn einen Artikel, LQGHPGLH.RORQLDOYHUZDOWXQJDXIJHIRUGHUWZXUGHÄLP:HJHGHU*HVHW]JHEXQJDXI GLH5HLQKDOWXQJXQVHUHU5DVVH%HGDFKW]XQHKPHQ³+HVVH>@6 =XU*HQHVH des Verbots siehe Hartmann (2004). Siehe auch Essner (1992 und 1997); Schulte-Althoff (1985). 1906 und 1912 wurden entsprechende Verbote auch für die deutschen Besitzungen in Ost-Afrika und auf Samoa erlassen. Ausführlich befasst sich mit den Entwicklungen in den jeweiligen Kolonien Wildenthal (2001), S. 79-130. 20 Allgemein zu den kolonialen Diskursen über Sexualität im Kaiserreich siehe Grosse (2000), S. 145-192; Kundrus (2003a), S. 219-279; Schwarz, T. (2001). Siehe auch Przyrembel (2003), v.a. S. 23-62.
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auf Bildpostkarten ± zumindest sofern es sich um kolonial codierte Beziehungen handelt ± fast ausschließlich entweder in der Form der romantisierenden Zeichnung oder der spöttischen Karikatur hergestellt wurde. Somit stellt sich die Frage nach den Bedingungen dieser Sichtbarkeit. Zwar existierten einige wenige Postkarten, auf denen weiße Männer und schwarze Frauen als Liebespaare fotografisch inszeniert wurden. Allerdings wurden diese Karten vor Ausbruch des Kriegs und also vor dem Heiratsverbot produziert. Danach war es offenbar nicht mehr möglich, derartige Bilder herzustellen und als Postkarten in Umlauf zu bringen, da sie aufgrund der fotografischen Evidenz, das heißt aufgrund des der Kamera zugeschriebenen Vermögens, die Wirklichkeit objektiv wiedergeben zu können, die kolonialrassistischen Sexualitätspolitiken unterminiert hätten. Damit soll nicht gesagt sein, dass die romantisierenden Zeichnungen sowie die Karikaturen im Hinblick auf den Imperativ der Reinheit und das Postulat der Segregation stets opportun waren. Im Unterschied zur fotografischen Evidenz allerdings kennzeichnete sie ein spielerischer und verfremdender Umgang mit ihrem Gegenstand. Sie entwarfen Szenarien des Möglichen, in denen die Begegnungen zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten auf unterschiedliche Weise durchgespielt werden konnten: als scheinbar harmlose Tändelei zwischen kindlich anmutenden Figuren; als Demonstration der unbegrenzten Verfügungsgewalt weißer soldatischer Männer über schwarze Frauen; als groteskmonströse und gleichsam lächerliche Anmaßung scheinbar gescheiterter oder zum Scheitern verurteilter Existenzen. Gerade die Karikaturen zeichneten eine koloniale Welt, die zumeist als im Wortsinne verrückt und gänzlich aus den Fugen geraten erscheint. Es handelte VLFK XP HLQ KXPRULVWLVFKHV 9HUIDKUHQ GHU ÄSurrealisierung GHU 5HDOLWlW³ ZREHL GHU VH[XHOOH .RQWDNW ]ZLVFKHQ DOV $QJHK|ULJH XQWHUVFKLHGOicher Rassen markierten Figuren mit der Möglichkeit des Verlusts jeglicher Ordnung assoziiert wurde.21 Die Ambivalenz wiederum, die den Witzkarten insofern eignete, als sie auch von der Lust an der Überschreitung zeugen, wird ausgehend von humortheoretischen Überlegungen zu diskutieren sein. Mit dem Sammeln schließlich rückt eine äußerst populäre Form der Aneignung und Nutzung von Bildpostkarten in den Blick, die sich zeitgleich mit der Karriere des neuen Mediums etablierte.22 Zeitgenössische Beobachter_innen sprachen von HLQHP Ä5DXVFK³RGHU HLQHUÄ(SLGHPLH³ GLH VLFK UDVFK EHUGHQ JHVDPWHQ (UGEDOO auszubreiten begonnen habe.23 Die Institutionalisierung einer organisierten Sammelszene wiederum, die sich in der Entstehung zahlreicher Vereine und Zeitschriften manifestierte, lässt sich als Versuch verstehen, verbindliche Sammlungskonven-
21 Critchley (2003), S. 148. 22 Auf die Bedeutung des Sammelns weisen hin DeRoo (2004); Hax (1999); Kaufmann (1985); Leclerc (1986); Mathur (1999); Prochaska (2001); Schor (1992); Walter (1995 und 2001). 23 V.A. (1898a), S. 135.
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tionen zu etablieren, um die Praxis des Sammelns gemäß einem Regelkatalog zu normalisieren und als (Populär-)Wissenschaft zu konturieren. Deutlich gemacht sei, dass es mir hier weder um Bilder noch um Beschriftung geht. Vielmehr soll anhand der Diskussionen über Sammelkriterien und -logiken, in denen eine Ethik des gelehrten Sammelns propagiert wurde, aufgezeigt werden, dass und wie durch das Sammeln gerade von Ansichtskarten Wissen erzeugt und akkumuliert und die Ä:HOW³DOVLntelligibler Gegenstand konstituiert wurde. Insbesondere wird es darum gehen, die Korrespondenzen zwischen den Parametern kolonialer Wissensordnungen und der Wissensproduktion des gelehrten Sammelns bzw. der aus dieser resultierenden Weltsicht herauszustellen. Die ausgewählten Normalisierungsschauplätze sollen anschaulich machen, worin der spezifische Einsatz von Bildpostkarten im Hinblick auf koloniale Formierungsprozesse bestand. Dabei gehe ich davon aus, dass die in den folgenden Kapiteln exemplarisch diskutierten Postkarten nicht einfach etwas abbildeten, sondern zuallererst etwas sichtbar machten. Sie erweisen sich somit nicht als Indiz für das So-gewesen-Sein einer kolonialen Ordnung. Vielmehr bildeten sie einen Baustein in dem Bemühen, eine solche Ordnung herzustellen. Das heißt aber auch, dass die Normalisierungsstrategien stets den Blick auf ein Jenseits der Ordnung eröffnen. Die Frage stellt sich, wie sich die durch Postkarten generierten Sichtbarkeiten zu den Bereichen des Unsichtbaren bzw. Unsichtbar-Gemachten verhielten und ob sich Praktiken des Gebrauchs abzeichnen, die das normalisierende Moment unterliefen. Kurz gesagt: Bildpostkarten haben eine koloniale Formierung des Alltags bewirkt, aber zugleich verweisen sie auf Ambivalenzen, Brüche und Fluchtlinien, die diesen Formierungsprozess immer wieder aufs Neue herausforderten.
ANMERKUNGEN
ZUR
B ILD - UND S PRACHPOLITIK
Am Ende ihrer Reflexionen über den Einsatz von Bildquellen resümiert die HistoriNHULQ &RUQHOLD %ULQN Ä0DQ EUDXFKW JXWH *UQGH XP PDQFKH )RWRV ]X ]HLJHQ³ 24 Brink geht es nicht um irgendwelche Quellen. Vielmehr entfaltet sie ihre Überlegungen zu den ethischen Implikationen von Forschungspraxis und -präsentation DXVJHKHQGYRQ%LOGHUQGLHVLHDOVÄFotografien-wider-Willen³EH]HLFKQHW25 Dabei handelt es sich um Bilder, denen eine Geschichte von Zwang und Gewalt eingeschrieben ist bzw. die im Rahmen einer solchen Geschichte entstanden sind und wirkmächtig wurden. Dass die kritische Auseinandersetzung mit entsprechendem Bildmaterial notwendiger Bestandteil der historischen Analyse von Zwang und
24 Brink (2007), S. 74. 25 Ebd., S. 61. Siehe auch Regener (1999).
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Gewalt ist, steht außer Zweifel. Die Frage allerdings, wie im Rahmen des Forschungsprozesses mit diesem Material zu verfahren sei, unter welchen Bedingungen es in den (akademischen) Bildermarkt einzuspeisen wäre oder ob es überhaupt irgendwo eingespeist werden sollte, lässt sich nicht leicht beantworten. Dies hat vor allem damit zu tun, dass Zwang und Gewalt stets Leiden verursachen und somit das Problem besteht, wie mit dem Leid der Fotografierten umzugehen sei.26 Um noch einmal Cornelia Brink zu zitieren: Das Leiden anderer betrachten, heißt, die Abgebildeten, die nicht gefragt werden können, ob sie so gesehen werden wollen, den Blicken Nachgeborener und Unbeteiligter auszusetzen, und es heißt außerdem, sich selbst und die Zuhörer und Betrachter dem Anblick auszusetzen.27
Zu ergänzen ist, dass Blickanordnungen mit Machtverhältnissen korrespondieren XQG GLH 3UlVHQWDWLRQ YRQ Ã%LOGHUQ-wider-:LOOHQµ VR NULWLVFK VLH DXFK JHPHLQW LVW stets Gefahr läuft, diese Machtverhältnisse zu reproduzieren und die ihnen inhärente Gewalt (erneut) zu exekutieren.28 Auch für die vorliegende Studie stellt sich die Frage nach dem Umgang mit ihren Quellen und deren Präsentation. Die Postkarten, um die es hier geht, verweisen auf die Geschichte des kolonialen Rassismus, wobei das Moment der Gewalt auf verschiedenen Ebenen thematisierbar wird: zunächst als epistemische oder repräsentationelle Gewalt, die die grundlegende Frage impliziert, wer Bilder von wem und unter welchen Bedingungen macht, und die sich nicht zuletzt in Formen der Stereotypisierung im Rahmen der karikaturesken Darstellung spezifischer kolonialer Figuren und Konstellationen ausdrückt. 29 Ein anderes Moment ist die Dokumentation von physischer Gewalt in den fotografischen Aufnahmen der Kampfhandlungen während des Kolonialkriegs in Namibia. Zudem begegnen Formen der ostentativen De-Thematisierung von Gewalt, zum Beispiel in der harmonisierenden Stilisierung der kolonialen Landnahme auf fotografischen Ansichten. Schließlich erweisen sich auch die zeitgenössischen Gebrauchsweisen der Karten mitunter als strukturell gewaltförmig, insofern sie zur Verbreitung und somit zur Stärkung der rassistischen Logik der Bilder beitrugen. Die jeweiligen Ebenen gerade in ihrem Zusammenwirken zu thematisieren, ist das Vorhaben dieses Buchs.
26 Hentschel (2008b), S. 13, spricht in diesem ZusammenhaQJYRQHLQHUÄYLVXHOOHQ9HUDQtZRUWXQJXQG+DQGOXQJVIlKLJNHLW³E]ZHLQHUÄ(WKLNXQGbsWKHWLNGHV9LVXHOOHQ³ 27 Brink (2007), S. 66. Siehe auch Sontag (2008b), deren 2003 erschienener Essay über Kriegsfotografie Das Leiden anderer betrachten betitelt ist. Brink (2007), S. 63, weist darauf hin, dass ihr eigener Text das Ende eines v.a. in Fußnoten geführten Dialogs mit der 2004 verstorbenen Sontag darstelle. 28 Siehe Bal (1996); Butler (2006). 29 Zum Begriff der epistemischen Gewalt siehe Spivak (2008).
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Sein Ausgangspunkt ist ein spezifisches Moment der Affizierung: Was mich an den in verschiedenen Sammlungen gesichteten Karten vor allem verstörte, war der eigentümliche Eindruck des Banalen, der sich dadurch einstellte, dass entweder rassistische Bilder den persönlichen Austausch von alltäglichen Mitteilungen illustrierten oder scheinbar harmlose Landschaftsaufnahmen einen Eindruck vom Krieg vermitteln sollten. Das Besondere an der Einschreibung von Gewalt bestand hier darin, dass sie sich auf eine nebensächlich anmutende Weise vollzog. Gerade weil der kommunikative Fluss von den Motiven offenbar keineswegs unterbrochen, sondern im Gegenteil erst angeleitet wurde, indizieren die Karten die Normalität kolonialer Artikulationsformen im Kaiserreich und seinen Kolonien. Dieser Normalität bzw. dem Prozess ihrer Herstellung wollte ich nachgehen. Dabei war auch die Beobachtung von Bedeutung, dass das historische Bildmaterial heute wieder (oder immer noch) zirkuliert.30 Ob innerhalb der Netzwerke von Sammler_innen, im Forschungskontext und in wissenschaftlichen Publikationen, in Ausstellungen oder in Zeitungsartikeln ± die Karten kommen in unterschiedlicher Weise zum Einsatz, um einen je spezifischen Bezug zur kolonialen Vergangenheit herzustellen. Insbesondere drei der gegenwärtig sich abzeichnenden Verwendungsstrategien dienten mir als Negativfolie, vor der ich meinen eigenen Umgang mit den Quellen zu konturieren versucht habe: eine nostalgisierend-verklärende und gleichsam affirmative Strategie, die das Material dazu nutzt, die untergegangene Welt des Kolonialismus melancholisch zu erinnern bzw. diese ± wenn auch nur für einen kurzen Moment und lediglich im Auge der Betrachter_innen ± noch einmal wiederauferstehen zu lassen; eine kritisch-moralische Strategie der Skandalisierung, in deren Rahmen die Bilder als Mittel der Beweisführung präsentiert werden; schließlich eine Strategie, die davon ausgeht, dass die Quellen für sich selbst sprechen könnten und die dabei signalisiert, dass sie sich über Quellenkritik sowie über die Auseinandersetzung mit den Entstehungsbedingungen und dem gegenwärtigen Status des historischen Bildmaterials erhaben dünkt. Ich werde am Ende dieses Buchs ausführlicher auf diese Strategien eingehen. Wichtig scheint mir an dieser Stelle allerdings der Hinweis zu sein, dass sie bisweilen auf der Annahme basieren, durch Masse Evidenz herstellen zu können. Dies gilt insbesondere für die Strategie der Skandalisierung, die ihre Wirkungen durch das (mehr oder weniger) bloße Abbilden der Massenhaftigkeit der rassistischen Exponate zu entfalten versucht. Das Problem dabei ist zum einen, dass die Bildpostkarte auf die Dimension des Bilds reduziert und somit das Zusammenspiel verschiedener Ebenen der Bedeutungsproduktion (Bild, Bildüberschrift, handschriftlicher Zusatz, Sammeln etc.) weitgehend ausgeblendet wird. Zum anderen besteht die Gefahr, das
30 Auf die Bedeutung der gegenwärtigen Zirkulation gerade auch für die Konzeption der eigenen Perspektive und Herangehensweise hat Astrid Kusser in zahlreichen Gesprächen hingewiesen.
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koloniale Spektakel im Postkartenformat erneut konsumierbar zu machen, und zwar weniger als Konfrontation mit Sehgewohnheiten, sondern als visuellen Genuss. In Abgrenzung gerade zu dem Versuch, durch Masse Evidenz zu erzeugen, habe ich einen Umgang mit den Quellen zu finden versucht, der den Prozess der Bedeutungsproduktion möglichst detailliert rekonstruiert, um so die spezifischen Machtwirkungen von Bildpostkarten beschreiben zu können, ohne diese einfach nur zu skandalisieren oder auszustellen. Als Orientierung diente mir der Hinweis des postkolonialen Theoretikers Homi BhabhaGDVVHVXPÄGLH3URGXNWLYLWlWGHUNROoQLDOHQ0DFKW]XYHUVWHKHQ³HUIRUGHUOLFKVHLÄLKU:DKUKHLWVV\Vtem zu (re)konstruieUHQ³31 8PGLH3URGXNWLRQNRORQLDOHUÃ:DKUKHLWµLP0HGLXP%LOGSRVWNDUWHQDFK]uvollziehen, habe ich mich auf insgesamt wenige Beispiele beschränkt, die eingehend diskutiert und kommentiert werden. Im Fokus stehen die mediale Eigenheiten der Bildpostkarte sowie ihr Charakter als alltäglicher Gebrauchsgegenstand. Dass GLH PDVVHQKDIWH 9HUEUHLWXQJ YRQ %LOGSRVWNDUWHQ HLQ %HVWDQGWHLO LKUHV Ã:DKUKHLWsV\VWHPVµZDUZLUGLQGHU$Qalyse stets mitbedacht. Ein Wort noch zur Sprache: Dem postkolonialen Theoretiker Stuart Hall zufolJHKDQGHOWHVVLFKEHLP.RORQLDOLVPXVDXFK XPGLHÄ)RUPLHUXQJGHVÃ'LVNXUVHVµ YRQÃGHU:HVWHQXQGGHU5HVWµ³32 Durch das binäre Schema kolonialer Ordnungsvorstellungen bzw. die Ideologie einer zweigeteilten Welt entstand ein Universum der Gegensätzlichkeiten, das sich nicht zuletzt in begrifflichen und kategorialen Markierungen niederschlug.33 Gleichwohl war der koloniale Alltag trotz (oder gerade wegen) der dichotomen Unterscheidungen von graduellen Abstufungen, Zwischenräumen, Prozessen der Nachahmung oder ± allgemein gesprochen ± von Hybridität gekennzeichnet.34 Wenn im Folgenden von Rassen, Weißen und Schwarzen oder Kolonisierenden und Kolonisierten die Rede ist, so sei zum einen deutlich gemacht, dass es sich um Klassifizierungen handelt, die im Zuge der Geschichte des kolonialen Rassismus etabliert wurden und denen oftmals eine problematische Aufteilung von Aktivität und Passivität eingeschrieben war. Zum anderen sei darauf hingewiesen, dass diese Klassifizierungen und die aus ihnen sich ergebenden sozialen Positionen immer wieder in Frage gestellt, durchbrochen und überschritten wurden. Als analytische Kategorien sind sie insofern unverzichtbar, als sie ein Machtverhältnis reflektieren und zum Ausdruck bringen, das zwar stets prekär und latent instabil, aber dennoch wirkmächtig und unhintergehbar war. Daher ± sowie aus Gründen der Lesbarkeit ± habe ich mich entschieden, eine distanzierende Mar31 32 33 34
Bhabha (2000), S. 98. Hall (1994), S. 137. =XP%HJULIIGHUÃ]ZHLJHWHLOWHQ:HOWµVLHKH)anon (1981), S. 31. Dieser Einsicht versucht die Forschung durch die Generierung verschiedener analytischer Modelle von Austausch und Kontakt unter den Bedingungen hochgradig asymmetrischer Machtverhältnisse seit einigen Jahren Rechnung zu tragen. Siehe in diesem Zusammenhang programmatisch Conrad/Randeria (2002b); Cooper/Stoler (2010).
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kierung durch Kursivsetzungen der entsprechenden Begriffe nur dann vorzunehmen, wenn die Konstruiertheit des Bezeichneten eigens betont werden soll.
M ETHODISCH - THEORETISCHE V ORÜBERLEGUNGEN Die Bildpostkarte ist Massenware und Kreuzungspunkt unterschiedlichster Themengebiete wie Nutzungsweisen. Zugleich ist sie ein hybrides Medium in dem Sinne, dass sie Bild- und Textelemente in sich vereint, und dass an der Herstellung dieser Elemente unterschiedliche Einzelmedien (Fotografie, Werbegraphik, Karikatur) bzw. Gattungen (aufgedruckte Paratexte, handschriftliche Texte der Nutzer_innen) beteiligt sind.35 So gesehen ist die Analyse von Bildpostkarten mit einer schier überbordenden Fülle konfrontiert, die zugleich durch Flüchtigkeit und Fragmentarität gekennzeichnet ist. Die einzelnen Kapitel dieses Buchs, die jeweils spezifische Konstellationen in den Blick nehmen, changieren ebenfalls zwischen Fülle und Fragmentarität: Die Entstehungsgeschichte der (Bild-)Postkarte wird ausgehend von sowohl der Institution der Post als auch der Herausbildung einer Massenkultur im Deutschen Kaiserreich dargestellt. Eine Serie von 21 Feldpostkarten aus dem Kolonialkrieg in Namibia wird in ihre medialen Bestandteile zerlegt und einer ausführlichen Interpretation unterzogen. Bei den Karikaturen zu sexuellen Beziehungen zwischen Weißen und Schwarzen treten die medialen Eigenheiten der Postkarte zugunsten der Medialität von Humor in den Hintergrund, um die Bedingungen zu untersuchen, unter denen mittels der Karikaturen koloniales Wissen produziert wurde. Der Diskurs über das Sammeln von Postkarten wird detailliert nachvollzogen, um abschließend die Frage nach dem Verhältnis zwischen den Weltentwürfen der organisierten Sammelszene und kolonialen Weltentwürfen diskutieren zu können. Die Vorgehensweise entspringt dem Versuch, den kolonialen Implikationen der Karriere der Bildpostkarte um 1900 nachzugehen und gleichzeitig Versatzstücke einer Kulturgeschichte dieser Karriere zu schreiben. Sie resultiert außerdem aus dem Bemühen, der Vielschichtigkeit der Bildpostkarte und ihrer Nutzungsweisen gerecht zu werden. Im Folgenden sollen einige methodische Überlegungen und theoretische Bezüge skizziert werden, die für die Perspektive von Koloniales Spektakel in 9 x 14 bzw. für die jeweilige Perspektivierung des Materials in den einzelnen Kapiteln von Bedeutung sind.
35 Zur Diskussion um hybride Medien siehe Liebrand/Schneider (2002); Schneider/Thomsen (1997).
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Massenkulturelles Spektakel Der Spektakel-Begriff dient zunächst dazu, ein spezifisches Setting kenntlich zu machen: Die Bildpostkarte war an der Wende zum 20. Jahrhundert ein neues Medium, das schnell Verbreitung fand, vielfältige Praxisformen anleitete und ± als visuelle und zumeist bunte Einschreibefläche für postalischen Verkehr sowie als Sammel- und Ausstellungsobjekt ± mit Formen der Unterhaltung, des Vergnügens und der Zerstreuung assoziiert wurde. Ihre Entstehungs- und Erfolgsgeschichte war Ausdruck und Bestandteil umfassender sozialer und kultureller Dynamisierungsprozesse, die durch Mobilität, Zirkulation und die Rekonfiguration von Weltbezügen und Wahrnehmungsmodi charakterisiert waren. Das heißt, die Karriere der Bildpostkarte vollzog sich im Rahmen sowohl der Entstehung der Massenkultur in Deutschland als auch einer Phase der Globalisierung, die wesentlich durch koloniale Parameter strukturiert war.36 Die Bildpostkarte war insofern Sinnbild dieser Transformationen, als sie selbst mobil war, die Adressat_innenkreise erweiterte, weit voneinander entfernte Weltgegenden miteinander in Verbindung zu bringen half und mittels des Einsatzes von Bildern diese Gegenden anschaulich und visuell konsumierbar zu machen versprach ± eben auch die Kolonien des Deutschen Kaiserreichs. In diesem Sinne haftete dem Aufstieg der Bildpostkarte zu einem Massenmedium etwas Spektakuläres an: Er war ± um eine Formulierung der Filmwissenschaftlerin Elizabeth Cowie zu entlehnen ± HLQ Ä)HVW IU GLH $XJHQ³ GHP DOV Indikator für den Wandel um 1900 in hohem Maße Aufmerksamkeit zuteil wurde.37 Mit der Aufmerksamkeit ist eine weitere Dimension des Spektakel-Begriffs angesprochen, die zumeist impliziert ist, wenn dieser in gegenwärtigen Analysen aus den Bereichen der Medientheorie sowie der Cultural und Postcolonial Studies begegnet, und die auch in dieser Arbeit einen zentralen Stellenwert einnimmt ± die von Massenkultur und -medien ausgehenden Machtwirkungen.38 In seinem 1999 erschienenen Buch Aufmerksamkeit. Wahrnehmung und moderne Kultur argumentiert der Kunsthistoriker Jonathan Crary, dass die Frage nach den Bedingungen und Modalitäten von Aufmerksamkeit in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts zu einem bedeutsamen Thema in verschiedenen Wissenschaften avanciert sei, und zwar als Folge HLQHU Ä.ULVH GHU :DKUQHKPXQJ³ GLH DXV GHU (UNHQQWQLV Uesultiert habe, dass der Prozess des Wahrnehmens gleichermaßen von äußeren Sinneseindrücken wie von physiologischen Vorgängen innerhalb der Sinnesorgane abhängig
36 Zur kolonial verfassten Globalisierung um 1900 siehe Conrad (2006). Zur Etablierung der Massenkultur in Deutschland siehe Maase (2001a). 37 Cowie (2001), S. 159. 38 Auf den Spektakel-Begriff als (mehr oder weniger konturierte) analytische Kategorie beziehen sich z.B. Bublitz (2005); Hall (1997b); Kellner (2011); Schwarz, W.M. (2001).
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sei.39 &UDU\VSULFKWYRQGHUÄ(LQVLFKW daß ein voller Zugriff auf eine mit sich selbst LGHQWLVFKH:LUNOLFKNHLWQLFKWP|JOLFK³VHL40 Das Problem der Aufmerksamkeit habe mit einem neuen Verständnis des Subjekts der Betrachtung korreliert. 41 Ausgehend von der Prämisse, dass Wahrnehmung ein zutiefst subjektiver Vorgang sei, sei die Möglichkeit der Konditionierung dieses Vorgangs und somit der Formung der :DKUQHKPHQGHQLQGHQ%OLFNJHUFNWGLHHVÄSURGXNWLYOHQNEDUNDONulierbar und GDUEHU KLQDXV VR]LDO LQWHJULHUW XQG DQSDVVXQJVIlKLJ³ ]X PDFKHQ JHgolten habe.42 (QWVSUHFKHQG VHL GLH $XIPHUNVDPNHLW ]X HLQHU Ä.RQWUROOVWUDWHJLH³ DYDQFLHUW GLH PLWHLQHUÄInteriorisierung disziplinärer ImperatiYH³HLQKHUJHKH43 Für die Frage, welche Wirkpotenziale die Zirkulation von Bildpostkarten im Hinblick auf die Konstituierung einer kolonialen Ordnung freizusetzen vermochte, ist entscheidend, dass Crary die gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstehende (visuelle) Massenkultur als einen wichtigen Schauplatz für das Problem der Aufmerksamkeit bestimmt. Neuartige Massenmedien (wie Fotografie oder Film) hätten eine ÄVSHNWDNXOlUH.XOWXU³GHU$WWUDNWLRQXQG6FKDXVWHOOXQJJHVFKDIIHQLQGHUÄ0HWKoGHQGHV$XIPHUNVDPNHLWVPDQDJHPHQWV³HLQJHEWZRUGHQVHLHQ 44 Bereits die Überlegungen zur Einführung der Postkarte als einer Erweiterung der postalischen Verkehrskanäle basierten auf Reflexionen zum Thema Aufmerksamkeit. Zeitersparnis und Handhabbarkeit waren hier die wesentlichen Argumente, die zu allgemeinen Entwicklungen wie Beschleunigung oder zunehmender Mobilität ins Verhältnis gesetzt wurden. Zudem war der Aufstieg der Postkarte (und insbesondere der Bildpostkarte) zu einem Massenmedium von mitunter heftig geführten Auseinandersetzungen gekennzeichnet, die um Fragen der Wahrnehmung und des Aufmerksamkeitsmanagements kreisten. So lässt sich zum Beispiel der Diskurs über das gelehrte Sammeln als Versuch verstehen, ein Subjekt der Betrachtung zu formen, das sich im Sinne eines bürgerlichen Bildungsideals selbst zu regulieren und seine Aufmerksamkeit zu fokussieren wusste. Gleichwohl nahm dieser Versuch der Formung bisweilen hilflos und verzweifelt anmutende Züge an, da sowohl die Produktion von Postkarten als auch das Sammeln als Massenphänomene Gestalt annahmen und
39 Crary (2002), S. 14. 40 Ebd., S. 16. 41 Bereits in dem 1990 erschienenen Buch Techniken des Betrachters. Sehen und Moderne im 19. Jahrhundert befasst sich Crary ausgehend von verschiedenen optischen Geräten wie der Camera Obscura und dem Stereoskop mit der Transformation des Verständnisses von Wahrnehmung und Betrachtung zu Beginn des 19. Jahrhunderts (vgl. Crary [1996]). Seine Auseinandersetzung mit dem Diskurs über Aufmerksamkeit am Ende des 19. Jahrhunderts schließt in vielerlei Hinsicht an Techniken des Betrachters an. 42 Crary (2002), S. 16. 43 (EG6&UDU\ZHLVW]XJOHLFKGDUDXIKLQGDVV$XIPHUNVDPNHLWDXFKDOVÄ2UWGHV:iGHUVWDQGV XQG 6LFKHQW]LHKHQV³ 3URGXNWLYLWlW HQWIDOWHQ N|QQH HEG ,QVEHVRQGHUH GHQ Wachtraum konzipiert er alVÄHLQH'RPlQHGHV:LGHUVWDQGV³HEG6 44 Ebd., S. 15 und 66.
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kaum zu kontrollieren waren. So beanstandeten bürgerliche Tugendwächter_innen unzählige Karten und behaupteten, dass zahlreiche Sammelgenres und -logiken dem von ihnen propagierten Bildungsideal diametral entgegenstehen würden. Schließlich lässt sich auch die Zirkulation von Postkarten mit kolonialen Motiven als eine Kontrollstrategie im Feld der Aufmerksamkeit verstehen. Davon zeugt schon das eingangs erwähnte Vorhaben der Deutschen Kolonialgesellschaft, die Popularität des neuen Mediums zu nutzen, um koloniales Wissen zu verbreiten. Davon zeugen aber auch die in den folgenden Kapiteln diskutierten fotografischen Ansichten und Karikaturen, die den Prozess der kolonialen Landnahme sowie eugenische Vorstellungen von rassischer Reinheit massenwirksam aufbereiteten. Kurz gesagt lässt sich die Zirkulation von kolonialen Bildpostkarten als ein Element im 5DKPHQGHU(QWVWHKXQJGHVÄcommodity racism³JHJHQ(QGHGHV-DKUKXQGHUWV verstehen, der den wissenschaftlichen Rassismus transIRUPLHUWXQGÄWKHQDUUDWLYHRI imperial progress into mass-produced consumer spectacles³YHrwandelt habe.45 Normalisierung Crary konzipiert das Spektakel als einen Machtapparat.46 Er bezieht sich dabei auf Michel Foucaults Auseinandersetzung mit der Genese und Spezifik moderner Machtformen.47 Dieser theoretische Rahmen soll hier kurz referiert werden. Im Vordergrund steht der Aspekt der Normalisierung ± nicht nur aufgrund seiner Ä]HQWUDOH>Q@ 6WHOOXQJ >«@ IU )RXFDXOWV $QDO\WLN GHU 0DFKW³ VRQGHUQ DXFK ZHLO ihm wie bereits dargelegt hinsichtlich des Aufbaus und der analytischen Herangehensweise dieser Untersuchung zentrale Bedeutung zukommt.48 Foucault zufolge ist Normalisierung Effekt und Verfahren der Bio-Macht als Gesamtheit moderner Machtformen, die seit dem 17. und 18. Jahrhundert die souveräne Macht des Ancien Régime zunehmend ablösten bzw. überformten und im Gegensatz zu der Dimension von Verbot und Strafe dahin tendierten, sowohl Individuen als auch Kollektive mit dem Ziel einer Optimierung zu formen und anzupas-
45 McClintock (1995), S. 33. 46 In der deutschen Übersetzung geht die zentrale analytische Bedeutung des SpektakelBegriffs verloren. Der Titel des englischen Originals von Aufmerksamkeit lautet: Suspensions of Perception. Attention, Spectacle and Modern Culture. 47 Eine weitere Referenz ist das 1967 erschienene Buch Die Gesellschaft des Spektakels des Situationisten Guy Debord, das eine an der Marx¶schen Theorie des Warenfetischismus ausgerichtete Kritik an spätkapitalistischen Formen der Vergesellschaftung formuliert. Crary (1996), S. 28-30, weist darauf hin, dass Foucaults Buch Überwachen und Strafen nicht zuletzt in Abgrenzung zur Gesellschaft des Spektakels geschrieben worden sei. Trotz der unterschiedlichen Herangehensweisen von Debord und Foucault ließen sich aber auch wichtige Übereinstimmungen ausmachen, v.a. im Hinblick auf die Effekte oder TechniNHQGHU0DFKWE]ZDXIÄGLH3URGXNWLRQIJVDPHU6XEMHNWH³&UDU\>@6 48 Krause (2007), S. 53.
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VHQGDVKHLWÄGDV/HEHQGHLQHLQHP%HUHLFKYRQ:HUWXQG1XW]HQ]XRUJDQLVLeUHQ³49 Statt Macht von einem Zentrum ausgehend zu denken, richtet Foucault sein Interesse auf Normalisierungstechniken, die sich im gesellschaftlichen Raum gewissermaßen verselbständigt hätten. Diese seien, um als Elemente der Steuerung wirksam werden zu können, auf das strukturierende Potenzial der Norm angewiesen, die gleichermaßen als Orientierungshilfe, als Generator wie als verbindendes Element lokaler und verstreuter Praktiken fungiere.50 Foucaults Auseinandersetzung mit Normalisierungstechniken hebt vor allem auf drei Aspekte ab: Erstens wird die Produktivität moderner Machtformen in dem Sinne betont, dass sie Wissen hervorbringen, um ihre Wirkungen zu erzielen. Demnach besteht zwischen Macht und Wissen insofern ein konstitutives Bedingungsverhältnis, als das, was zu einem gegebenen historischen Zeitpunkt sag- und sichtbar ± oder allgemein: wissbar ± ist, stets von Machtverhältnissen geregelt wird, diese zugleich aber auch modelliert. Zweitens geht es um vielfältige Formen des Regierens, GLHÄYRP6WDDWEHUGLH)DPLlien bis zum Subjekt reichen und ineinander verklamPHUWVLQG³51 'ULWWHQVVFKOLHOLFKWUlJW)RXFDXOWGD]XEHLÄGLH6HOEVWGLV]LSOinierungen und -stilisierungen der Subjekte in den Blick [zu rücken], die sich selbst erst zu dem formen, was sie im Machtgefüge MHZHLOV VLQG³52 Foucault spricht von einer Ä9HUELQGXQJ]ZLVFKHQGHQ7HFKQRORJLHQGHU%HKHUUVFKXQJDQGHUHUXQGGHQ7HFhnoloJLHQGHV6HOEVW³XQGEH]HLFKQHWGLHVHQ.RPSOH[YRQ5HJLHUXQJVSUDNWLNHQDOV Ã*RXYHUQHPHQWDOLWlWµ53 Aus dieser Perspektive bezeichnet Normalisierung den 9HUVXFKÄGDV)HOGeventuellen Handelns der anderen zu strukWXULHUHQ³54
49 Foucault (1995), S. 171, der die Bio-Macht als eine Reaktion auf allgemeine Transformationsprozesse infolge von Bevölkerungswachstum und der Entstehung des Kapitalismus konzipiert (vgl. ebd., S. 168). Als Einführung in das Modell der Bio-Macht bzw. in das mit diesem zusammenhängende Konzept der Bio-Politik siehe Lemke (2007). 50 Vgl. Foucault (2001), S. 298, der zwischen unterschiedlichen Normalisierungstechniken XQWHUVFKHLGHW(LQHUVHLWVZUGHQGLH6XEMHNWHHQWODQJHLQHUÄ6SDOWXQJGHV1RUPalen und $QRUPDOHQ³ DXVJHULFKWHW ZREHL YRQ HLQHU ÄXUVSUQJOLFKH>Q@ (LJHQVFKDIW GHU 1RUP LP 9HUKlOWQLV]XP1RUPDOHQ³DXV]XJHKHQVHL)RXFDXOW>D@6 $QGHUHUVHLWVOLHHQ VLFK VWDWLVWLVFKH 9HUIDKUHQ GHUÄ2UWXQJ GHV 1RUPDOHQ XQG GHV $QRUPDOHQ³ EHREDchten, GLHGD]XIKUWHQGDVVVLFKGLH1RUPÄDXVJHKHQGYRQGLHVHU8QWHUVXFKXQJGHU1RUPDOitäWHQ³IHVWVHW]HHEG6 /LQNXQG JUHLIWGLH8QWHUVFKHLGXQJ]ZLVFKHQXnterschiedlichen Normalisierungsstrategien auf, wenn er im Rahmen seiner Theorie des Normalismus zwischen einer protonormalistischen und einer flexibel-normalistischen Normalisierung differenziert. Hierauf wird zurückzukommen sein (vgl. Kap. 3.5). 51 Martschukat (2006), S. 278. 52 Große Kracht (2006), S. 275. 53 Foucault (1993a), S. 27. Ausführlich zur Gouvernementalität, auf die im nächsten Kapitel noch näher eingegangen wird, siehe Foucault (2004a und 2004b). Zur Situierung der Gouvernementalitätsthematik im Rahmen des Gesamtwerks von Foucault siehe Lemke (1997). Eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Gouvernementalitätskonzept findet sich bei Bröckling/Krasmann/Lemke (2000). 54 Foucault (1994b), S. 255.
E INLEITUNG | 29
Die Überlegungen zur Einführung eines neuen postalischen Verkehrsmediums ± dies wird im Kapitel über die Entstehungsgeschichte der (Bild-)Postkarte deutlich werden ± waren Bestandteil des Versuchs, die Einheit der (deutschen) Nation zu bewerkstelligen. Dabei ging es gerade nicht um Zwang. Im Gegenteil sollte ein neuartiger Kanal für Kontakt und Austausch bereitgestellt werden, der einfach zu nutzen, billig zu erwerben und vor allem hoch frequentierbar war. Indem dieser Kanal bestimmte Vorgaben machte und außerdem im Idealfall dazu dienen sollte, das Beziehungsnetz zwischen den nationalen Subjekten enger zu weben, lässt er sich mit der Bestimmung von Normalisierung als Strukturierung des Handlungsfelds der anderen in Verbindung bringen. Dies gilt auch für den Diskurs über das gelehrte Sammeln. Hier wurde euphorisch auf das der Bildpostkarte zugeschriebene Potenzial hingewiesen, Wissen massenwirksam vermitteln und entsprechend aufklärerisch wirken zu können. Zugleich wurde versucht, verbindliche Normen zu etablieren, um sich von als illegitim bewerteten Sammelformen abzugrenzen, die mit Exzess und Ziellosigkeit assoziiert wurden. Ob es sich also um Innovationen auf dem Gebiet des postalischen Verkehrswesens handelt oder um bestimmte Formen des Sammelns, um Feldpostkarten, die die Normalität des Kolonialkriegs herstellten, oder um Bilderwitze, die von der Angst vor dem Verlust von Normalität zeugen ± es zeichnen sich unterschiedliche Normalisierungsstrategien ab, die sich zum Teil wechselseitig überlagerten und gegenseitig verstärkten. Die Aneignungs- und Gebrauchsweisen wiederum lassen sich als Selbsttechniken verstehen, wobei nach dem jeweiligen Verhältnis zwischen Techniken des Selbst und Techniken der Beherrschung zu fragen ist bzw. danach, unter welchen Bedingungen und Voraussetzungen Selbstentwürfe den normalisierenden Zurichtungen entweder entgehen oder entsprechen. Bildrahmen und -rahmungen Wenn nach den Machtwirkungen der Zirkulation von Bildpostkarten gefragt wird, gilt es, auch die (Handlungs-)Mächtigkeit von Bildern zu thematisieren. Damit ist weniger eine besondere und diffuse Macht gemeint, die den Bildern an sich zu eigen wäre. Vielmehr geht es darum, Bilder als Bestandteile von Machtverhältnissen in den Blick zu nehmen und zu analysieren. 55 In diesem Zusammenhang stellt die seit einigen Jahren sich ausdifferenzierende Subdisziplin der Visual Culture eine zentrale Referenz dar, in der immer wieder auf Foucaults Machtanalysen rekurriert
55 Mit kritischem Blick auf gegenwärtig sich abzeichnende Bemühungen, eine Bildwissenschaft zu institutionalisieren und dabei so etwas wie das Wesen von Bildern zu bestimPHQ ZDUQHQ 6FKDGH:HQN 6 YRU HLQHU Ä5H-0\WKLVLHUXQJ GHU %LOGHUPDFKW³ GLHPLWGHUÄ9RUVWHOOXQJYRQJOHLFKVDPDXVVLFKVHOEVWKHUDXVDJLHUHQGHQ%LOGHUQ³NRUUeliere.
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wird.56 Tom Holert zum Beispiel geht im Anschluss an Foucault von der Prämisse DXVGDVV6LFKWEDUNHLWÄVWHWVÃSURGX]LHUWµQLHXPVWDQGVORVJHJHEHQ³VHL 57 Er adressiert Bilder als Steuerungsinstrumente, mit denen versucht würde, das Feld der Sichtbarkeit und die diesem korrespondierende Wahrheitsproduktion zu kontrollieUHQ (QWVSUHFKHQG LQWHUHVVLHUW LKQ GLH )UDJH QDFK GHU ÄInstrumentalität von BilGHUQ³ ZRPLW ZHQLJHU HLQ HLQGHXWLJ LGHQWifizierbarer Zweck gemeint ist oder ein Ä6XEMHNWGHU,QVWUXPHQWDOLVLHUXQJ³58 9LHOPHKUZLOO+ROHUW,QVWUXPHQWDOLWlWDOVÄZesentlich offene .DWHJRULH³YHUVWDQGHQZLVVHQ59 Das heißt, er geht einerseits davon aus, dass Bilder durch Zweckbindungen entstehen und Bedeutungen erhalten. Andererseits sei keineswegs ausgeschlossen, dass Bedeutungen und Zweckbindungen wechseln und dieselben Bilder in diametral entgegengesetzten Kontexten zum Einsatz kommen.60 Darüber hinaus verweist Holert auf die Bedeutung sowohl des Rahmens als auch von Prozessen der Rahmung. Eine visuelle Entität sei erst dann als Bild adresVLHUEDU ZHQQ VLH ÄGXUFK HLQH %HJUHQ]XQJ YRQ allem Außerbildlichen abgesetzt ZLUG³XQGDOVÄJHUDKPWH .RQVWHOODWLRQ>«@YRP.RQWLQXXPGHVXQJHUDKPWHQ9iVXHOOHQ³]XXQWHUVFKHLGHQVHL61 Zugleich sei mit dem Begriff der Rahmung die Vorstellung verbunden, dass Handlungsoptionen und Wahrnehmungsweisen durch Diskurse und Normen strukturiert würden. Zwischen dem Rahmen als definitorischer Grenze des Bilds und diskursiv-normativen Rahmensetzungen bestehe ein wechselseitiges Bedingungsverhältnis. Folglich stelle sich der Vorgang der Rahmung durch GDV%LOGQLFKWQXUDOV(UP|JOLFKXQJHLQHVÄUDKPHQGH>Q@:DKUQHKPHQ>V@³GDUVRnGHUQDXFKDOV3UR]HVVGHVÄ*HUDKPtZHUGHQ>V@³62
56 Maasen/Mayerhauser/Renggli (2006), S. 7, z.B. plädieren im Anschluss an Foucault für ÄGLVNXUVDQDO\WLVFKHE]ZGLVNXUVWKHRUHWLVFKH=XJlQJH]XP%LOG³XQGVSUHFKHQYRQGHP 9HUIDKUHQHLQHUÄ%LOG-Diskurs-$QDO\VH³=XGHQ$XVZLUNXQJHQGHUVisual Culture in der Geschichtswissenschaft, in der zunehmend von einer Visual History die Rede ist, siehe Burke (2010); Jäger (2000 und 2009); Jäger/Knauer (2009); Paul (2006b). 57 Holert (2000), S. 20. 58 Holert (2008), S. 27 und 28. 59 Ebd., S. 27. 60 +ROHUWJHVWHKW%LOGHUQ]ZDUHLQHÄHLJHQVLQQLJHÃ3HUIRUPDWLYLWlWµ³]XGDVLH]%H[SHUimentelle Forschungsverläufe auf unvorhergesehene Weise beeinflussen könnten, geht allerdings davon aus, dass dies niFKWVDQLKUHUÄLQVWUXPHQWHOOHQ *UXQGGLVSRVLWLRQ³lQGHUQ würde (ebd., S. 29.). Er bezieht sich hier u.a. auf Bruno Latour, dessen Akteur-NetzwerkTheorie besagt, dass menschliche und nichtmenschliche Aktanten gemeinsam in jeweils spezifischen Netzwerken von Handlungsmacht interagieren würden (vgl. Latour [2002 und 2008]). Zugleich grenzt sich Holert von William J.T. Mitchells bildtheoretischer 3UlPLVVH DE GDVV %LOGHU ÄQDFK HLQHU JHZLVVHQ 0DFKW EHU GHQ %HWUDFKWHU YHUODQJHQ³ würden (Mitchell [2008], S. 54). Holert (2008), S. 29, kritisiert derartige Anthropomorphisierungen, die letztlich von dem zweckgerichteten Einsatz von Bildern im Rahmen von Machtbeziehungen ablenken würden. 61 Ebd., S. 23. 62 Ebd., S. 24.
E INLEITUNG | 31
Mit der Rolle der Rahmung und der Instrumentalität von Bildern befasst sich auch Judith Butler. Im Zuge einer allgemeinen Reflexion, die durch die USamerikanische Kriegspolitik nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 ausgelöst wurde und um die Frage kreist, unter welchen Voraussetzungen Leben als ÃEHWUDXHUEDUHVµ/HEHQDQHUNDQQWRGHUQLFKWDQHUNDQQWZLUGVHW]WVLHVLFKPLW)RWografien auseinander, die an irakischen Gefängnisinsassen in Abu Ghraib vollzogene Folterpraktiken dokumentieren.63 Ebenso wie Holert geht es Butler darum, die Wechselwirkungen zwischen rahmenden Medien und diskursiv-normativen RahPHQVHW]XQJHQLQGHQ%OLFN]XQHKPHQ'DEHLDUJXPHQWLHUWVLHÄGDVVGHU5DKPHQ nicht nur als Begrenzung des Bildes fungiert, sondern auch das Bild als solches VWUXNWXULHUW³64 Demnach sei das, was innerhalb eines rahmenden Mediums anschaulich gemacht würde, wesentlich determiniert durch normative Rahmungen, die sich ZLHGHUXPDOVÄ(UJHEQLV]LHOJHULFKWHWHU9HrIDKUHQGHU0DFKW³YHUVWHKHQOLHHQXQG GDUDXI ]LHOWHQGLHÄ%HGLQJXQJHQ GHU :DKUQHKPEDUNHLW³ ]X GHILQLHUHn.65 In jedem Fall sei der Rahmen als aktiv vorzustellen ± ÄHUVFKOLHW]ugleich aus und ein, und er tut das stillschweigend und ohne sichtbare Spuren zu hinterlasVHQ³66 Zugleich rückt Butler den Aspekt der Zirkulation bzw. der Zirkulationsfähigkeit von Massenmedien unter den Bedingungen von technischer Reproduzierbarkeit ins Zentrum ihrer Argumentation.67 Ein normativ-politischer Rahmen müsse, um als determinierende Struktur funktionieren zu können bzw. hegemonial zu werden, notwendigerweise in die Zirkulation eintreten und sich vervielfältigen. Das heißt, er PXVVÄPLWGHP.RQWH[WVHLQHUXUVSUQJOLFKHQ6HW]XQJ³EUHFKHQXQGEHVWlQGLJQHXH Kontexte schaffen und in Beschlag nehmen. 68 Somit hängt seine Wirksamkeit mit der Zirkulationsfähigkeit jeweiliger medialer Artefakte zusammen. Zugleich hätte GLH =LUNXODWLRQ GHQ (IIHNW GDVV GHU 5DKPHQ DQIlOOLJ ZLUGÄIU 8PNHKUXQJHQ IU 6XEYHUVLRQHQXQGVRJDUIUNULWLVFKH,QVWUXPHQWDOLVLHUXQJHQ³'HQQGHU6FKDuplatz GHU 5HSURGXNWLRQ GHV5DKPHQV ÄLVW ]XJOHLFK GHU 6FKDXSODW] an dem ein politisch folgenreicher Bruch mögOLFKZLUG³69
63 64 65 66 67
Vgl. Butler (2010), v.a. S. 65-97. Ebd., S. 71. Ebd., S. 9. Ebd. Butler bezieht sich hier auf Walter Benjamins Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. 68 Butler (2010), S. 17. 69 Ebd., S. 18 und 30. Die Fotos aus Abu Ghraib z.B. wurden Butler zufolge aufgenommen, um als Souvenirs aufbewahrt und weitergereicht zu werden. Sie hielten ± wie jede Fotografie ± ÄHLQH$UW9HUVSUHFKHQ>EHUHLW@GDVVGDV(UHLJQLVIRUWGDXHUW³GDVVDOVRGLH)ROWHU und die ihr korrespondierenden Positionen von Macht und Ohnmacht auch zu einem späteren Zeitpunkt und für nicht unmittelbar Beteiligte nachvollziehbar werden (ebd., S. 83). Nachdem die Bilder allerdings zu zirkulieren begannen, waren sie zunehmend Anlass für Kritik und fungierten als Beweis für die Brutalität der US-amerikanischen Kriegspolitik.
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Die folgenden Kapitel rekonstruieren, dass und wie koloniale Rahmungen von Wahrnehmung und Wissen im Medium Bildpostkarte massenwirksam zirkulierten. Dabei wird auch den jeweiligen Gebrauchsweisen Rechnung getragen, die zur (Re-)Produktion dieser Rahmungen beitrugen. Insbesondere wird es darum gehen, den genuin seriellen Charakter der technisch-apparativen Rahmung der Bildpostkarte in den Blick zu nehmen, der auch und vor allem aus der ± wie ein zeitgenössischer Beobachter bemerkte ± ÄHLJHQWPOLFKH>Q@ .RQVWUXNWLRQ GHU .DUWH³ UHVXltiert.70 Da sämtliche Bilder auf einer (mehr oder weniger) identisch großen Fläche erscheinen, ist die Möglichkeit einer Anordnung als Reihe gewissermaßen vorgegeben. Die Implikationen eines solchen, dem medialen Format inhärenten Potenzials zur Serialisierung werden im weiteren Verlauf dieser Untersuchung erörtert. Dabei wird auch nach der Funktion der Bildunterschrift gefragt sowie danach, ob und inwiefern die Nutzungsweisen ihrerseits Formen von Serialität erkennen lassen. Ansichtskarten aus den Kolonien jedenfalls bewirkten, dass das koloniale Territorium in immer gleich große Bildausschnitte aufgelöst werden konnte, wodurch der Prozess der visuellen Aneignung dieses Territoriums standardisiert und somit auf besondere Weise systematisiert und handhabbar gemacht wurde.71 Auch subversiv-kritische Aneignungsweisen werden an einigen Stellen thematisiert. Dabei wird deutlich werden, dass sich bisweilen verschiedene Schichten des Gebrauchs auf einer Karte abgelagert haben, die sich wechselseitig verstärken, aber eben auch diametral entgegenstehen konnten. Bezüglich des Verhältnisses zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit veranschaulichen zum Beispiel die Karikaturen zu sexuellen Beziehungen zwischen Weißen und Schwarzen, dass die Rahmung durch das Medium des Bilderwitzes mit der Zurückdrängung fotografischer Darstellungsformen korrelierte, die die gezeigten Konstellationen keineswegs als Anormalität ridikülisierten, sondern als Alltäglichkeit inszenierten. Hinsichtlich der Frage nach Interessen schließlich ist anzumerken, dass sich im Einzelfall kaum etwas über die verlagstechnischen und künstlerischen Produktionsbedingungen der Karten sagen lässt. Entsprechend werden andere Formen der Zweckbindung oder Instrumentalisierung der Karten diskutiert, und zwar ausgehend vor allem von den jeweiligen Nutzungsweisen sowie von dem Diskurs der organisierten Sammelszene.
70 Bock (1901b), S. 11. 71 Dass serielle Anordnungen als stabilisierende Faktoren im Hinblick auf Subjektivierungsprozesse betrachtet werden können, darauf weisen hin Faulstich (1994); Winkler (1994). Siehe auch Giesenfeld (1994).
E INLEITUNG | 33
F ORSCHUNGSSTAND In der (historischen) Forschung fristete die Bildpostkarte lange Zeit ein Schattendasein. Als ephemeres Druckerzeugnis der Massenkultur haftete ihr der Charakter des Banalen an.72 Zudem erwies sie sich gegenüber einer auf Quellenkritik beruhenden Vorgehensweise insofern als sperrig, als sich oftmals keine Aussagen über Produktions- und Rezeptionsprozess machen lassen. Erst in den letzten 20 bis 30 Jahren, im Zuge des cultural und pictorial turn zum einen und der Etablierung der Medientheorie zum anderen, erfuhr das postalische Nachrichtenmedium mehr Aufmerksamkeit.73 In diesem Zusammenhang wurde auch dessen Bedeutung im Kontext des Kolonialismus thematisiert. Malek Alloula zum Beispiel befasst sich in seinem 1981 erschienenen Buch Haremsphantasien PLW IUDQ]|VLVFKHQ .RORQLDOSRVWNDUWHQ GLH HU DOV Ä'QJHU GHV koloniDOHQ:HOWELOGHV³EH]HLFKQHWGDVLHÄIUDOOHXQGMHGHQLQGHUNRORQLDOHQ:HOW ]XJlQJOLFK³VHLHQ74 Alloula, dem es vor allem um die strukturelle Gewalt des kolonialen Blicks geht, argumentiert, dass Banalität und vermeintliche Harmlosigkeit die spezifische ÄbVWKHWLNGHU3RVWNDUWH³ PLWSUlJWHQ75 Sein analytischer Fokus allerdings richtet sich, auch wenn er die Texte der Nutzer_innen nicht gänzlich ausblendet, auf das fotografische Bild, dessen ideologische Funktion sowie das Verhältnis zwischen Fotograf_in und Abgebildeten. Als besonders problematisch erweist sich die Präsentation der Karten, auf denen algerische Frauen nackt abgebildet sind: Durch ihre Anordnung wiederholt Alloula den Akt des Entkleidens der Frauen, den er als wesentlichen Bestandteil des Blickregimes des Kolonialismus ausweist, und macht ihn zur dramaturgischen Pointe seiner Narration, der somit eine voyeuristische Spannung eignet. Gerade dieser letzte Aspekt wurde in der Kritik an Alloula häufig thematisiert. 76 Aber auch die Konzentration auf den Nexus zwischen Bild und Blick wird angesichts ihres hermetischen Charakters zunehmend in Frage gestellt. 77 Dabei rückt zum einen die Aneignung des Mediums Bildpostkarte durch (ehedem) kolonisierte
72 0DWKXU 6 NRPPHQWLHUW GLHVEH]JOLFK GDVV ÄWKH SRVWFDUG LV D QRWRULRXVO\ low FXOWXUDOIRUP³Siehe auch Handy (2010); Mendelson/Prochaska (2010b). 73 Ausführlich mit dem Verhältnis zwischen wissenschaftlicher Forschung und Bildpostkarte befasst sich Ferguson (2005). Allgemein zur Forschung über Bildpostkarten siehe Evans/Richards (1980); Gold/Heuberger (1999); Hagenow (1994); Holzheid (2011); Klich (2001); Kürti (2004); May (1998); Mendelson/Prochaska (2010a); Schor (1992); Semmerling (2004); Siegert (1993), v.a. S. 158-179; Walter (1995); Weidmann (1996). 74 Alloula (1994), S. 7 und 25. 75 Ebd., S. 24. 76 Schmidt-LinVHQKRII 6]%NULWLVLHUWGDVV$OORXODV0DWHULDOQDFKGHPÄ0Xster einer Striptease-6KRZ³ DQJHRUGQHW VHL 6LHKH DXFK %DO )|UVFKOHU Mathur (1999). 77 Vgl. Sturani (2001).
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Gesellschaften in den Fokus der Aufmerksamkeit. 78 Zum anderen wird auf die Materialität des Gegenstands verwiesen und ein Analyserahmen vorgeschlagen, in dem Bild und Gebrauchsweisen bzw. Zirkulation gleichermaßen berücksichtigt werden.79 Saloni Mathur merkt in diesem Zusammenhang an: 7KH SRVWFDUG >«@ LV QRW Ueducible to the logic that determined nineteenth century photography. What distinguishes the postcard as a visual genre are its complex circuits of production, consumption, collection, and travel. Indeed, I suggest that the ephemerality, collectability, and availability of the postcard is itself an important element in the way it functions as a form.80
Das aktuelle Interesse am Zusammenhang zwischen Kolonialismus bzw. Rassismus und Bildpostkarten, das sich zunehmend auf die Charakteristik des Mediums und also auf das Zusammenspiel von Bild, Text und Gebrauch richtet, ist Bestandteil einer breiteren wissenschaftlichen Aufmerksamkeit für den Kolonialismus, ausgelöst nicht zuletzt durch die Auseinandersetzung mit Geschichte und Gegenwart der Globalisierung sowie die Institutionalisierung der Postcolonial Studies.81 Dies gilt auch für die Geschichte des deutschen Kolonialismus, der, nachdem er in der Historiographie Deutschlands lange Zeit als eine Fußnote behandelt wurde, seit einigen Jahren verstärkt Gegenstand von Forschung geworden ist, wobei auch die visuelle Dimension von kolonialer Herrschaft vermehrt thematisiert wird.82 In diesem Sinne 78 Vgl. Geary (1998, 2002 und 2004); Geary/Webb (1998b); Webb (1998). Siehe auch Kusser (2013). 79 *HDU\:HEEE 6VSUHFKHQGLHVEH]JOLFKYRQHLQHUÄOLIHKLVWRU\RISRVWFDUGV³ Siehe auch Edwards/Hart (2004); Holzer (2004); Kopytoff (1986). Ausgehend vom Aspekt des Gebrauchs formuliert DeRoo (2004), S. 15HLQH.ULWLNDQ$OORXODÄ%\UHDrranging the cards in his book, however, Alloula fails to consider what personal arrangePHQWVRIWKHLPDJHVPLJKWKDYHPHDQWIRUWKRVHZKRFROOHFWHGWKHP>«@5DWKHUWKDQUeduce the postcards to a monolithic masculine colonial imperative, as anti-Orientalist readings tend to do, we must investigate how the images functioned differently depending on the conWH[WRIWKHLUXVH³ 80 0DWKXU 6GLHPLW%OLFNDXINRORQLDOH3RVWNDUWHQDXV,QGLHQDXIGLHÄFRPSHlling transDFWLRQVEHWZHHQWKHSLFWXUHDQGWKHÃVFULEEOHµ³YHUZHLVWXQGUHVPLHUWGDVVGLH 3RVWNDUWHÄDVDIRUPGLVFORVHVDPRUHFRPSOH[GLVSOD\RIWKHWHQVLRQVDQGQHJRWLDWLRQVRI PRGHUQLW\¶VUDFHGDQGJHQGHUHGUHODWLRQV³HEG6 Baldwin (1988), S. 15, wiederum bezeichnet rassistische Postkarten, die Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA herJHVWHOOW ZXUGHQ DOV ÄWZR-VLGHG DUWLIDFWV³ GHUHQ ÄPRVW XQLTXH LQIRUPDWLRQ >«@ RQ WKH YHUVR³ DXI]XILQGHQ VHL GD KLHU ÄFKDUDFWHU RFFXSDWLRQV DQG LQWHUHVWV RI WKH SHRSOH who uVHGWKHFDUGV³RIIHQEDUWZUGHQ*HUDGHGXUFKGLH$UWXQG:HLVH GHV*HEUDXFKV ± so lautet ihr Resümee ± ZUGH DQVFKDXOLFK ÄKRZ HQWUHQFKHG UDFLVP ZDV LQ WKH SRSXODU PLQG³HEG6 81 Siehe z.B. Conrad/Randeria (2002a); Eckert (2006); Loombia (1998); Moore-Gilbert (1998); Osterhammel (2003). 82 Aus der inzwischen kaum noch zu überblickenden Vielzahl geschichts- und kulturwissenschaftlicher Arbeiten zur deutschen Kolonialgeschichte seien hier genannt Con-
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kann die vorliegende Studie nicht nur an die internationale Forschung anknüpfen, sondern auch an die Ergebnisse zahlreicher Untersuchungen, die sich speziell mit der deutschen Kolonialgeschichte auseinandersetzen und den spezifischen Beitrag verschiedener (visueller) Einzelmedien im Hinblick auf koloniale Formierungsprozesse analysieren. Wolfgang Fuhrmann zum Beispiel spricht YRQ HLQHU (UIDKUXQJ GHV ÄWUDYHOLQJ WKHZRUOG³GLHIUGHQ)LOPLP.DLVHUUHLFKFKDUDNWHULVWLVFKVHL 83 Entscheidend sei hierbei der Glaube an die Objektivität des von der Kamera angefertigten Bilds gewesen. Denn gerade das Objektivitätsparadigma habe bewirkt, dass sich der Film zu HLQHP ÄSHUIHFW WRRO IRU VWXG\LQJ DQG DUFKLYLQJ WKH SULPLWLYH FRORQLDO 2WKHU IRU SRVWHULW\³HQWZLFNHOWH84 Auch für die Karriere der Bildpostkarte ± dies wird in einigen der folgenden Kapitel zu zeigen sein ± war der Bezug zum Reisetopos von zentraler Bedeutung. Ob es sich um Überlegungen der Post zur Einführung des neuen Nachrichtenträgers handelte, um die von deutschen Soldaten während des Kriegs in Namibia verschickten visuellen Eindrücke oder um die Codierung des Sammelns als geographischer Erkenntnisgewinn ± immer war das Reisen bzw. die mit diesem assoziierte Erfahrungsdimension eine wesentliche Referenz.85 Gerade für die Soldaten an der Front sowie für die organisierte Sammelszene war dabei entscheidend, dass das fotografische Bild als objektiv galt, denn nur auf dieser Grundlage konnte die Postkarte dem Anspruch Genüge leisten, die Situation in Namibia bzw. die Welt vor Augen zu stellen und entsprechend Wissen zu vermitteln.
rad/Osterhammel (2004a); Dietrich (2007); Friedrichsmeyer/Lennox/Zantop (1998); Grosse (2000); Honold/Simons (2002); Kundrus (2003a und 2003b); Laak (2005); Pesek (2005); Schneider (2003); Schubert (2003); Walgenbach (2005a); Zantop (1999); Zimmerer (2002). Siehe auch Geulen (2007), der dezidiert nach den Verbindungslinien zwischen historisch-imperialen und gegenwärtig-globalen Regierungsformen fragt. Speziell zur Auseinandersetzung mit der visuellen Dimension des deutschen Kolonialismus siehe Langbehn (2010b), der das Verhältnis zwischen Kolonialgeschichtsschreibung und Bildquellen im Rahmen wissenschaftsgeschichtlicher und forschungspolitischer Überlegungen reflektiert. Siehe auch Hell/Steinmetz (2006), die sich mit dem visuellen Archiv des deutschen Kolonialismus befassen. 83 Fuhrmann (2010), S. 148. 84 Ebd., S. 149. Siehe auch Fuhrmann (2004); Nagl (2009); Wolter (2005), S. 158-189. 85 hEHUKDXSWNDQQGLH%LOGSRVWNDUWHLP$QVFKOXVVDQ+RO]HU 6DOVÄHLQEewegOLFKHV*XW³DXI5HLVHQEHWUDFKWHWZHUGHQ:HQQ(PSIlQJHU_innen in Deutschland eine Postkarte aus Namibia in ihrem Briefkasten vorfanden, so hatte diese bzw. das Bild wohlmöglich schon mehrmals den Ozean überquert. Die fotografische Aufnahme wurde von Namibia nach Deutschland verschifft, um dort als Postkarte reproduziert zu werden. Diese wurde dann wieder nach Namibia verschifft, um dort verkauft, beschrieben und verschickt zu werden ± in eine Stadt z.B. in Deutschland, die nur mit dem Schiff erreichbar war. Vor diesem Hintergrund bezeichnet Mathur (1999), S. 100, die Postkarte DOV ÄWKH TXLQWHVVHQWLDO WUDYHOOHU RI WKH PRGHUQ DJH³ 6WXUDQL 6 ZLHGHUXP NRQVWDWLHUWÄ3RVWNDUWHQVLQGEHNDQQWOLFKGD]XGDXP]XUHLVHQ³
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Weitere Themen der kolonialgeschichtlichen Visualitätsforschung sind die Werbung, Reklamesammelbilder sowie Karikaturen. Hinsichtlich des letztgenannten Mediums wird auf die kolonialismuskritische Haltung einiger satirischer Zeitschriften wie die des Simplicissimus YHUZLHVHQ GHUÄGDV EDUEDULVFKH 3RWHQWLDOGHU ZiYLOLVDWLRQ³ KHUYRUJHKREHQ KDEH86 Zugleich wird die enge Verbindung zwischen den Verfahren der Karikatur und der Physiognomie als rassifizierender Lehre einer Kongruenz zwischen äußerer Erscheinung und innerem Wesen betont.87 Karikaturen ± so argumentiert Volker Langbehn ± ÄFROODERUDWHGFRQVFLRXVO\RUQRWLQ the cateJRUL]DWLRQDQGUDFLDOL]DWLRQRIHWKQLFJURXSV³88 Zudem seien sie an einem ÄSURFHVVRIQDWXUDOL]LQJLPSHULDOLQWHUHVWVLQWKHFRQVFLRXVQHVVRIWKHPDVVHV³Eeteiligt gewesen.89 Anhand der ReklamHVDPPHOELOGHUZLHGHUXPGLH]XHLQHPÄ.oORQLDOLG\OOQHLJHQGH³JHIlOOLJH$UUDQJHPHQWV]ZLVFKHQ.RORQLVLHUHQGHQXQG.ROonisierten inszenierten und die strukturelle Gewalt des kolonialen HerrschaftsverKlOWQLVVHVHQWVSUHFKHQGYHUKDUPORVWHQOlVVWVLFKGLHÄZHLtreichende Durchdringung YRQ.RORQLDOLVPXVXQGSRSXOlUHU0DVVHQNXOWXU³QDFKYROO]LHKHQ90 Auch die postkartenspezifischen Sichtbarkeitspolitiken ± dies wird vor allem im Zusammenhang mit dem Kolonialkrieg sowie den Karikaturen zu sexuellen Beziehungen thematisiert ± zeichneten sich in hohem Maße durch die Verharmlosung von kolonialer Gewalt aus. Allerdings lassen sich die Motive auf Bildpostkarten nicht auf diesen Aspekt reduzieren. Gerade der Umstand, dass Postkarten ± anders als die Reklamesammelbilder ± weder an ein bestimmtes Milieu gerichtet waren noch den Anforderungen der Produktwerbung genüge leisten mussten, führte dazu, dass vielschichtige und durchaus widersprüchliche Bildwelten entstanden. Den vom Kolonialkrieg in Namibia verschickten Karten zum Beispiel eignete eine eigentümliche Spannung, die daraus resultierte, dass die Absender harmlos erscheinende Ansichtskarten und fotografische Dokumentationen des Kriegsgeschehens quasi gleichwertig behandelten. Und die Karikaturen zu kolonialen sexuellen Beziehun-
86 Joch (2004), S. 76. Siehe auch Beuke/Norris (1995). Allgemein zur Karikatur siehe Achterberg (1998); Banta (2003); Bausinger (1995b); Guratzsch/Langemeyer/Stölzl/ Unverfehrt (1984); Fulda (2006); Jones (2009); Lammel (1995); Naumann (2002); Oesterle (1998); Piltz (1980); Rebentisch (2000); Sellin (1997). 87 Gombricht (1984), S. 398, konstatiert in diesem ZusamPHQKDQJÄ'HU.DULNDWXULVWÃPyWKRORJLVLHUWµGLH3ROLWLNLQGHPHUVLHÃSK\VLRJQRPLsiHUWµ³$OOJHPHLQ]XU3K\VLRJQomik siehe Gray (2004); Schmölders (1996). 88 Langbehn (2010c), S. 110. 89 Ebd., S. 117. Gleichwohl wirft Langbehn ausgehend von den subversiven Qualitäten des :LW]HVGLH)UDJHDXIRE.DULNDWXUHQÄLQLWLDWHGDNLQGRIHQOLJKWHQPHQWRIWKHPDVVHVE\ ZD\ RI H[SRVLQJ WKH IDEULFDWHG FKDUDFWHU RI YLVXDO VFLHQWLILF UDFLDO W\SRORJ\³ HEG S. 118). 90 Zeller (2008a), S. 22 und 7. Siehe auch Ders. (2010a); Jäger (2010); Wolter (2005), S. 45-81. Allgemein zu den kolonialen Implikationen der Werbung siehe Ciarlo (2003 und 2010). Auf die so genannten Völkerschauen als einen weiteren Gegenstand der (visuellen) Kolonialismusforschung wird noch ausführlicher einzugehen sein (vgl. Kap. 3.3).
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gen inszenierten weniger ein Kolonialidyll denn eine groteske Welt der Vermischung, wobei die Akteur_innen der Vermischung zum Gegenstand von Spott und Häme gemacht wurden. In diesem Sinne lassen sich die in dieser Arbeit thematisierten Witzpostkarten ± anders als die Karikaturen zum Beispiel aus dem Simplicissimus ± kaum mit einem kritischen Impuls assoziieren. Eher handelte es sich um dezidiert rassistische Interventionen, die für eine segregationistische Ordnung der kolonialen Beziehungen plädierten. Das nicht nur in der internationalen, sondern auch in der deutschen Kolonialgeschichtsschreibung am intensivsten erforschte visuelle Medium ist die Fotografie. So wird zum Beispiel die Bedeutung der Fotografie im Rahmen ethnographischer Wissensproduktion verschiedentlich zum Thema gemacht.91 Und auch die fotografische Praxis der in den deutschen Kolonien tätigen Missionare ist Gegenstand der Forschung.92 Zudem existieren Arbeiten, die sich mit den fotografischen Archiven verschiedener Institutionen wie der Deutschen Kolonialgesellschaft oder Museen befassen.93 Schließlich gibt es Analysen der fotografischen Repräsentation spezifischer Ereignisse wie die des Kolonialkriegs in Namibia oder einzelner Regionen, wobei hier Namibia und Samoa dominieren.94 Die Fotografie ± so betonen die verschiedenen Arbeiten ± war ein zentraler Bestandteil kolonialer Formierungsprozesse. Ihre Bedeutung resultierte vor allem aus dem Wahrheitsanspruch des von der Kamera hergestellten Bilds. Brent Harris konstatiert in diesem Zusammenhang: During the last decades of the 19th century, the publication and consumption of colonial photographic images in both the home country and the colony afforded the metropolitan masses, as well as the settlers and expatriates, the opportunity to gaze upon the colonised ÃRWhHUµLQZKDWDSSHDUHGWREHÃQDWXUDOµVXUURXQGLQJV 95
Hinsichtlich sowohl des methodisch-theoretischen Gerüsts als auch des Umgangs mit den Quellen lassen sich allerdings auch Unterschiede zwischen den jeweiligen Untersuchungen zur kolonialen Fotografie ausmachen. So stehen analytischen Zugängen, die die Fotografien vor dem Hintergrund ihres Entstehungskontexts interpretieren und ihre Funktion im Rahmen von Wissensordnungen diskutieren, eher
91 Vgl. Lederbogen (1986); Mesenhöller (1995); Schindlbeck (1989); Theye (1989). 92 Vgl. Krüger (2004); Vilhunen (2004); Webb (1995). 93 Vgl. Mesenhöller (1995); Schindlbeck (1989); Schmidt/Wolcke-Renk (2001); Seybold (2004). Die fotografische Sammlung der Deutschen Kolonialgesellschaft ist inzwischen vollständig digitalisiert und im Internet einsehbar (URL: http://www.ub.bildarchiv-dkg. uni-frankfurt.de/ [Stand: September 2013]). 94 Vgl. Engelhard/Mesenhöller (1995); Hartmann (2004b); Hartmann/Hayes/Silvester (2001a); Hiery (2005); Timm (1986); Zeller (2001, 2002, 2003 und 2004). 95 Harris (2001), S. 21.
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deskriptiv-dokumentarisch verfahrende Ansätze gegenüber, die das historische Bildmaterial zugänglich machen bzw. für sich selbst sprechen lassen wollen. 96 Letzteres ist insbesondere dann problematisch, wenn vorausgesetzt wird, dass die FotoJUDILHQ ÄHLQHQ (LQGUXFN YRP /HEHQ LQ GHU GDPDOLJHQ .RORQLH 'eutsch-Südwest$IULNDJHEHQ³97 Nicht nur wird den von kolonialen Akteur_innen hergestellten Bildern so gewissermaßen das letzte Wort überlassen. Auch wird die Authentifizierungsgeste, auf der die Generierung kolonialen Wissens im Medium der Fotografie wesentlich beruhte, reproduziert. Entgegen einer solchen Re-Autorisierung kolonialen Archivmaterials ist an der Prämisse festzuhalten, dass Bilder Machtwirkungen entfalten. Entsprechend gilt es, nach den Verfahren zu fragen, durch die diese Wirkungen freigesetzt und erzielt werden. Für die koloniale Fotografie heißt das im Besonderen, jene diskursiven Formationen in Rechnung zu stellen, die den Bildern Objektivität, Authentizität und Wahrheit attestierten. Zugleich ist die Zirkulation der Bilder zu berücksichtigen, da mit den Gebrauchsweisen ein weiterer Aspekt im Hinblick auf die Frage nach Machtwirkungen thematisierbar wird, nämlich die alltäglichen Handlungen der historischen Akteur_innen.98 Die Bildpostkarte schließlich ist ± mit Ausnahme zweier 1988 bzw. 1995 erschienener kurzer Beiträge von Gerhard Kaufmann und Philippe David ± erst jüngst in den Fokus der deutschen Kolonialgeschichtsschreibung gerückt. 99 Vor allem der Aspekt der Popularisierung von kolonialrassistischem Wissen wird von den For-
96 Zur kritisch-analytischen Herangehensweise siehe z.B. Hartmann (2004b); Hartmann/ Hayes/Silvester (2001a). Zum deskriptiv-dokumentarischen Umgang siehe Schmidt/ Wolcke-Renk (2001); Timm (1986). 97 Wolcke-Renk (2001), S. 8. Zwar gibt die Autorin, die sich mit dem Archiv der Deutschen Kolonialgesellschaft befasst, quellenkritisch zu verstehen, dass das Fehlen von Aufnahmen von Zwang und Gewalt darauf zurückzuführen sei, dass die Gesellschaft ein möglichst positives Bild der Kolonien erzeugen und verbreiten wollte. Ihre Einschätzung des vorhandenen und gezeigten Bildmaterials allerdings lässt kritische Distanz weitgehend vermiVVHQÄ'DUJHVWHOOWZHUGHQGDKHUEHUZLHJHQGGLHZLUWVFKDIWOLFKHQ(UUXQJHnschaften der Kolonialzeit und die deutschen Leistungen zur Entwicklung der Infrastruktur des Landes, die teilweise bis heute nachZLUNHQ³HEG 98 Siehe Holzer (2004). Bate (2003), S. 116-NULWLVLHUWLQGLHVHP=XVDPPHQKDQJÄ$rchive sind Repräsentationen, aus denen man die Vergangenheit konstruiert, aber wenn die Fotografiegeschichte mit ihnen arbeitet, dann behandelt sie die Fotografien (gewöhnlich) eher als Objekte denn als Residuen diskursiver Praktiken. Daher sind Historiker allzu schnell der Vorstellung erlegen, sie blickten durch die Fotos in die Vergangenheit, um in einer nostalgischen Projektion die Bemühungen ± und damit die Größe ± ihrer Urheber nachzuvollziehen. Statt es zur Fetischisierung des Autors zu verwenden, muss das Archivmaterial aber auf das Feld jener gesellschaftlichen Verhältnisse bezogen werden, auf dem seine Bedeutungen erzeugt wurden und zirkuOLHUWHQ³ 99 Kaufmann (1988), S. 370, stellt die ideologisch-legitimatorische Funktion der Postkarten mit kolonialen Motiven in den Mittelpunkt seiner Analyse und spricht von der VermittOXQJHLQHUÄLPSHULDOH>Q@6LFKWYRQGHQXQWHUHQWZLFNHOWHQ*HELHWHQXQG0HQVFKHQ³'avid (1995) wiederum weist auf die Bedeutung der Missionsgesellschaften bei der Produktion von kolonialen Bildpostkarten hin.
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scher_innen hervorgehoben. Jens Jäger zum Beispiel deutet die massenhafte VerEUHLWXQJYRQ.DUWHQPLWNRORQLDOHQ0RWLYHQDOVHLQ,QGL]GDIUÄGDVVGLH.ROonien einen gesellschaftlich akzeptierten Status und Ort im kollektiven Imaginären besaHQ³100 Er spricht in diesem ZuVDPPHQKDQJYRQGHUÄ$OOWDJVGLPHQVLRQÃNROoniaOHQ:LVVHQVµ³101 =XJOHLFK]HLJWHUVSH]LILVFKHÄ/HNWUHUDVWHU³DXIGLHÄGD]XHLQOuden, die Kolonien als europäisierte (germanisierte) Räume zu vergegenwärtiJHQ³102 Die Bildkomposition auf kolonialen Postkarten habe sich an der zeitgenössischen +HLPDWNXQVW E]Z GHU ÄÃKHLPDWOLFKHQ ,NRQRJUDSKLHµ³ RULHQWLHUW XP GLH QDWionalstaatliche Integration der Kolonien zu gewährleisten. 103 In ähnlicher Weise resüPLHUW-RDFKLP=HOOHUGDVV%LOGSRVWNDUWHQÄHLQHQHUKHEOLFKHQ$QWHLOdaran [hatten], das koloniale Projekt in der breiten Öffentlichkeit Europas zu popularisieUHQ³104 Darüber hinaus betont er den Aspekt der visuellen Aneignung, wenn er BildpostkarWHQ DOV ÄHLQ DQGHUHV 0LWWHO³ EH]HLFKQHW ÄXP YRQ GHQ Ã(LQJHERUHQHQµ XQG LKUHP LDQG%HVLW]]XHUJUHLIHQ³105 Im Hinblick sowohl auf den Vorgang der Integration der Kolonien in einen nationalstaatlichen Deutungsrahmen als auch auf die Frage der visuellen Besitzergreifung wird die vorliegende Arbeit an die skizzierten Forschungsarbeiten anschließen. Dabei wird sie auch auf die Untersuchungen zur spezifischen Evidenz der Fotografie und ihrer Relevanz im Rahmen kolonialer Repräsentationsformen Bezug nehmen. Allerdings erschöpfen sich die folgenden Ausführungen nicht in fotografiegeschichtlichen Überlegungen. Vielmehr werden die Charakteristika der Bildpostkarte als hybrides Medium sowie als alltäglicher Gebrauchsgegenstand im Mittelpunkt stehen. Diese Charakteristika finden in der skizzierten Auseinandersetzung mit der Rolle der Bildpostkarte im deutschen Kolonialismus kaum Berücksichtigung. Zwar wird zuweilen auf sie hingewiesen, in der konkreten Analyse dann aber vor allem
100 101 102 103 104
Jäger (2010), S. 171. Ebd., S. 164. Ebd., S. 166. Jäger (2008), S. 3. Siehe auch Jäger (2006 und 2011). Zeller (2010b), S. 14. Auch Kusser/Lewerenz (2007), S. 216, konstatieren einen PopulaULVLHUXQJVHIIHNW 'XUFK GLH =LUNXODWLRQ YRQ 3RVWNDUWHQ VHLHQ ÄNRORQLDOH 5DVVLVPHQ ELV LQV KHLPLVFKH :RKQ]LPPHU³ JHWUDJHQ ZRUGHQ 'DUEHU KLQDXV ZHLVHQ GLH $XWRULQQHQ auf die Heterogenität der Sichtbarkeiten hin: Angesichts von durch schwarze MigUDQWBLQQHQ LQ 'HXWVFKODQG LQ 8PODXI JHEUDFKWH 3RVWNDUWHQ ODVVH VLFK HLQH ÄZDFKVHQGH Spannung zwischen Fremd- XQG6HOEVWUHSUlVHQWDWLRQHQ³YHU]HLFKQHQE]ZHLQHÄ*OHLFh]HLWLJNHLW YRQ NRORQLDOHQ XQG SRVWNRORQLDOHQ %LOGHQWZUIHQ >«@ GLH VLFK JHJHQseitig widerspraFKHQDXIHLQDQGHUDQWZRUWHWHQXQGVLFKEHNlPSIWHQ³HEG6 6LHKHDXFK Kusser (2008a und 2010). 105 Zeller (2010b), S. 10, der den Kolonisierten, indem sie sich für das Auge der Kamera in Szene setzten oder sich dessen Zugriff verweigHUWHQ ÄHLQH 0LWDXWRUHQVFKDIW DQ YLHOHQ )RWRJUDILHQ³ ]Xschreibt (ebd., S. 17). Mit Bildpostkarten aus und über Kiautschou, einem Pachtgebiet des Deutschen Kaiserreichs in China, befasst sich Jung-Diestelmeier (2009).
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die Dimension des fotografischen Bilds fokussiert.106 Im Gegensatz dazu werde ich in den folgenden Kapiteln unterschiedliche Formen der Visualisierung, das Verhältnis zwischen Bild und Bildkommentar und Verwendungszusammenhänge wie die individuelle Beschriftung oder das Sammeln thematisieren. Nur durch die Kombination von jeweiligen medialen Verfahren einerseits und Aneignungsweisen andererseits ± so die Annahme ± lassen sich die spezifischen Bedingungen, unter denen koloniales Wissen im Medium Bildpostkarte hervorgebracht wurde und zirkulierte, in den Blick nehmen und analysieren. Und nur wenn dieser Kombination bzw. den verschiedenen Ebenen der Bedeutungsproduktion Rechnung getragen wird, ist es möglich, den genuinen Beitrag von Bildpostkarten im Rahmen kolonialer Formierungsprozesse zu konturieren.107
Z UR AUSWAHL DER Q UELLEN In ihrer Auseinandersetzung mit der kolonialen Fotografie in Namibia unterscheiden Wolfram Hartmann, Patricia Hayes und Jeremy Silvester ± im kritischen Anschluss an Allan Sekulas Geschichte der polizeilichen Verbrecherfotografie ± zwischen metropolitan-imperialen und peripher-kolonialen Archiven.108 Die Unterscheidung dient dazu, auf die jeweilige Spezifik in der Organisation von Wissensproduktion und -speicherung aufmerksam zu machen. Im Gegensatz zum metropoliWDQHQ $UFKLY GHVVHQ $XIEDX XQG 6WUXNWXU DXI ÄORQJ-standing bureaucratic principOHV³ EHUXKH ]Hichne sich das Archiv in den Kolonien dadurch aus, dass seine %HVWlQGH ÄXQHYHQO\ KDSKD]DUGO\ DQRQ\PRXVO\³ ]XVDPPHQJHVWHOOW ZRUGHQ VHien.109 'LHVVHLDXFKGDUDXI]XUFN]XIKUHQÄWKDWSURFHVVHVRISURGXFLQJNQRZOHGJH here [d.i. im kolonialen Namibia] were very strained and ambivalent and did not
106 Zeller (2010b), S. 12, z.B. schreibtÄ'DEHLLVWGLH)UDJHQDFKGHQ5HSUlVHQWDWLRQHQGHV Fremden im Spiegel der Postkarte natürlich nicht allein die nach dem Bildhaften. Hinzu kommen die dort aufgedruckten Texte, die individuellen Beschriftungen und die GeEUDXFKVZHLVHQ³,P ZHLWHUHQ9HUODXI des Texts wird aber weder auf Bildüberschriften, handschriftliche Mitteilungen oder sonstige Gebrauchsweisen eingegangen. Siehe auch Spennemann (2006), dessen Auseinandersetzung mit der Postkartenproduktion in den deutschen Kolonialgebieten in Mikronesien ausschließlich auf der Ebene des (fotografischen) Bilds stattfindet. Krüger (2007) wiederum, der sich mit Karten befasst, die die Niederschlagung der Boxerbewegung in China durch u.a. deutsche Soldaten thematisierten, geht zwar von Zeichnungen aus, widmet den in den jeweiligen Bildern sichtbaren handschriftlichen Mitteilungen aber kaum Aufmerksamkeit. 107 Dass auch die Forschung mit Bildpostkarten ± ähnlich wie manche Arbeiten zur kolonialen Fotografie ± mitunter zu einer Re-Autorisierung des Archivmaterials beiträgt, soll im Schlusskapitel dieser Arbeit problematisiert werden. 108 Vgl. Hartmann/Hayes/Silvester (2001b), S. 6. Siehe auch Sekula (2003). 109 Hartmann/Hayes/Silvester (2001b), S. 6.
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QHFHVVDULO\IHHGLQWRWKHFRORQ\LWVHOI³110 Die Arbeit im und mit dem Archiv jedenfalls sei vor besondere Herausforderungen gestellt, da der periphere Stellenwert der Wissensproduktion und die ihm korrespondierenden archivalischen Praktiken zu einer ± dies gelte im Besonderen für Bildquellen ± ÄPDVVLYH GHKLVWRULFLVDWLRQ DQG deFRQWH[WXDOLVDWLRQ³JHIKUWKltten.111 :HQQ PDQ ÃSHULSKHUµ QLFKW DOV UHJLRQDO-räumliche Zuschreibung, sondern als Markierung eines Status im Rahmen von Wissensordnungen versteht, dann bilden auch historische Bildpostkarten ein peripheres Archiv. 112 Aufgrund ihres populärkulturellen Charakters sowie des Umstands, dass archivalische Klassifizierungslogiken wie Autorschaft, Entstehungszeitpunkt, die Frage nach dem Original etc. oftmals ins Leere greifen, waren Bildpostkarten für öffentliche Institutionen lange Zeit kaum von Interesse. Bei den existierenden Sammlungen in Museen und Archiven wiederum ist meist nicht nachvollziehbar, wie sie zustande gekommen sind. Informationen über die Zirkulations- und Verwendungsgeschichte der Karten sind somit unwiderruflich verloren gegangen. Zudem ist die Forschung ± gerade weil die Postkarte in öffentlichen Archiven nur marginal vertreten ist ± auf private Sammler_innen angewiesen. Dies ist insofern von Vorteil, als sich durch den Kontakt zu Sammler_innen ein Bereich der gegenwärtigen Zirkulation der historischen Quellen erschließt. Zudem können Forscher_innen von dem Wissen der Sammler_innen profitieren. Allerdings besteht der Nachteil, auf Privatbesitz zugreifen zu müssen und also auf die Generosität der Sammler_innen angewiesen zu sein. Dies kann sich gerade im Zusammenhang mit Kolonialpostkarten auch als ein politisch-ethisches Problem erweisen. Denn mitunter kommt man mit Sammler_innen in Kontakt, denen ihr Sammelgegenstand vor allem dazu dient, die vergangene Welt des Kolonialismus in einer nostalgisch-melancholischen Projektion wieder auferstehen zu lassen, und sei es nur durch das Eintauchen in die eigene Sammlung. Für die vorliegende Untersuchung wurden öffentlich zugängliche Sammlungen in folgenden Einrichtungen gesichtet: in Deutschland die Sammlungen des Altonaer Museums für Kunst und Kulturgeschichte, des Übersee-Museums Bremen und des Deutschen Historischen Museums in Berlin, in Namibia die Sammlungen der SamCohen-Library in Swakopmund sowie des National Archives und der Wissenschaftlichen Gesellschaft in Windhoek. Zudem wurden sowohl in Deutschland als auch in Namibia zahlreiche Privatsammlungen gesichtet. Hierbei handelte es sich um Sammlungen, die dezidiert zum Thema Kolonialismus/Rassismus angelegt wurden. Gerade die Privatsammlungen verweisen auf die gegenwärtige Zirkulation der
110 Ebd., S. 7. Die Autor_iQQHQ YHUZHLVHQ DQ GLHVHU 6WHOOH DXI GHQ Äwhite antiLQWHOOHFWXDOLVPLQVHWWOHUVRFLHWLHV³HEG 111 Ebd., S. 6. 112 0DWKXU 6PHUNWDQGDVVGLH3RVWNDUWHÄKDVDPDUJLQDOVWDQGLQJZLWKLQWKH arFKLYH³
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Postkarten aus der Kolonialzeit. Sie werden auf Flohmärkten und Auktionen sowie im Internet gehandelt, wobei die Sammler_innen untereinander zumeist gut vernetzt sind. Dies gilt auch für Namibia, wo ein reger Sammler_innenaustausch mit Deutschland, aber auch mit Südafrika besteht. Sowohl die Sammlungen der Institutionen als auch die Privatsammlungen haben mitunter internationalen Charakter. Ihr Schwerpunkt ist aber die deutsche Kolonialgeschichte. Ein Kriterium für die Auswahl war, dass sich die Motive dem kolonialen Projekt zuordnen lassen. Zudem musste sich die Entstehungszeit zumindest annähernd bestimmen lassen. Die in den folgenden Kapiteln gezeigten Karten wurden während der formalen Kolonialherrschaft des Deutschen Kaiserreichs zwischen 1884 und 1918 produziert, verschickt und gesammelt. Karten, die möglicherweise erst in den 1920er Jahren hergestellt wurden, habe ich nicht berücksichtigt. An dieser Stelle sei angemerkt, dass es sich bei gelaufenen Postkarten zwar um Selbstzeugnisse handelt, die Binnensicht der Schreibenden allerdings angesichts des zumeist kursorischen Charakters der Mitteilungen kaum rekonstruierbar ist. Dass aber gerade der flüchtige und fragmentarische Charakter der auf Postkarten basierenden Kommunikation spezifische Wirkungen entfaltete, soll in den folgenden Kapiteln dargelegt werden. Neben den Postkarten wurden insbesondere Zeitschriften als weitere Quellen herangezogen. Dabei handelt es sich zum einen um das Archiv für Post und Telegraphie, ein vom Reichs-Postamt herausgegebenes Periodikum, in dem nicht nur die Geschichte und Entwicklung der Postkarte reflektiert, sondern auch das Wirken der Post zum Beispiel während des Kolonialkriegs in Namibia dokumentiert wurde. Zum anderen wird auf Zeitschriften der Postkarten-Sammelszene rekurriert, die um 1900 entstanden und von Organisationen wie dem Centralverband für Ansichtkarten-Sammler herausgegeben wurden. Die mehr oder weniger regelmäßig erscheinenden Zeitschriften wie das Centralblatt für Ansichtkarten-Sammler, aus dem eingangs dieser Arbeit bereits zitiert wurde, Der Postkarten-Sammler, Gut Ferngruss! oder Das Blaue Blatt fungierten als Medien der Vernetzung und des Austauschs zwischen Sammler_innen. Hier wurden Neuerscheinungen besprochen, Tauschmöglichkeiten offeriert und Mitgliederlisten veröffentlicht. Vor allem aber erschienen zahlreiche meist kurze Artikel, in denen über Sammelgebiete und -konventionen diskutiert wurde. Entsprechend erweisen sich die Zeitschriften als ein Ort, an dem sich über Ziel und Ethos der eigenen Praxis verständigt und das gelehrte Sammeln konturiert wurde. Ähnlich wie der Sammelgegenstand selbst waren auch die Organisationen der Sammler_innen bisweilen flüchtig und schnelllebig. Immer wieder wurden neue Vereine gegründet, die meist nur kurz existierten. Zudem kam es zu Fusionen und Abspaltungen, wurden Zeitschriften gegründet und kurz darauf wieder eingestellt. Auch gab es bisweilen Konkurrenzen zwischen den jeweiligen Gruppierungen. Ungeachtet dessen waren die meisten Vereine verbunden in dem Bestreben, sich von der Masse der Sammler_innen abzugrenzen, eine nicht-kommerzielle, an wissen-
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schaftlichen Prinzipien sowie am Faktor Unterhaltung orientierte Sammelpraxis zu kultivieren und Betrug im Tauschakt vorzubeugen. Für die vorliegende Untersuchung wurden mehrere Jahrgänge vor allem der oben genannten Zeitschriften gesichtet. Außerdem wurden Beiträge aus dem Illustrierten Briefmarken-Journal und der Illustrierten Briefmarken-Zeitung hinzugezogen, da die organisierte PostkartenSammelszene ihr spezifisches Sammelethos gerade in kritischer Bezugnahme auf die Prinzipien der Sammler_innen von Briefmarken entwickelte. Eine dritte und letzte Quellengattung stellen zeitgenössische Monographien, Aufsätze und Vorträge dar, die die Geschichte der Postkarte bzw. die jeweiligen Motive kontextualisieren helfen sollen. Es handelt sich vor allem um Beiträge von Postreformern und Kolonialaktivist_innen, aber auch von Schriftstellern und Wissenschaftlern, die historische Entwicklungen, Geschehnisse oder Zusammenhänge veranschaulichen, die sich über die Postkarten nicht erschließen lassen.
Z UM AUFBAU
DES
B UCHS
Das erste Kapitel handelt von der Entstehungsgeschichte der (Bild-)Postkarte. Schlaglichtartig werden die historischen Konstellationen und Prozesse beleuchtet, LQQHUKDOEGHUHUGLHÃ(UILQGXQJµXQG.DUULHUHGHU%LOG-)Postkarte zu situieren ist.113 Zum einen kommt die Institution der Post zur Sprache, die ± im Anschluss an Foucault ± als ein gouvernementaler Regierungsapparat vorgestellt wird. Vor allem anhand der Aktivitäten zweier Postreformer sowie des Ausbaus der postalischen Infrastruktur in den deutschen Kolonien wird aufgezeigt, dass und wie die Post in nationale und koloniale Projekte der Konsolidierung involviert war. Zum anderen wird die Entstehung der Massenkultur in Deutschland am Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts erörtert. Im Mittelpunkt der Analyse stehen jene Konflikte und Auseinandersetzungen, die die zunehmende Verbreitung der Bildpostkarte seit den 1890er Jahren begleiteten und in vielerlei Hinsicht symptomatisch waren für massenkulturelle Dynamiken und Transformationen. Insbesondere geht es um zeitgenössische Reflexionen über das Verhältnis zwischen Brief und Postkarte bzw. zwischen Schrift und Bild, um Industrialisierung und Standardisierung und die damit verbundenen Ängste und Hoffnungen sowie letztlich um dystopische und utopische Modernitätsvorstellungen, in denen die (Bild-)Postkarte als Chiffre für das Neue fungierte. Kapitel 2 befasst sich mit Bildpostkarten, die während des Kolonialkriegs in Namibia von Soldaten der deutschen Kolonialarmee an ihre Angehörigen in
113 Dabei stehen weniger produktionstechnische Aspekte im Vordergrund. Siehe hierzu Woody (1998).
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Deutschland verschickt wurden. Im Zentrum der Betrachtung steht eine Reihe von Karten, die ein Soldat an seinen Bruder und seine Schwägerin in Norddeutschland schrieb. Drei mediale Verfahren werden Gegenstand der Analyse sein: die fotografische Ansicht und ihre Evidenzbehauptung, die Bildunterschrift und ihr Beglaubigungspotenzial sowie die handschriftlich hinzugefügten Mitteilungen, die als Authentifizierungsgeste fungierten. Im Mittelpunkt steht die Frage, welche Effekte das Zusammenspiel dieser Verfahren hatte und wie es die Wahrnehmung des Kolonialkriegs strukturierte. In Kapitel 3 verlagern sich sowohl der mediale als auch der thematische Fokus. Hier werden so genannte Witzpostkarten Gegenstand der Untersuchung sein, die sexuelle Beziehungen zwischen Weißen und Schwarzen verhandelten. Insbesondere stehen Karikaturen zur Diskussion, die humoristische Szenarien einer in Unordnung befindlichen kolonialen Welt entwarfen. Angesichts des stark sanktionierenden Charakters der Karikatur, der auf den Techniken der Übertreibung und Verzerrung beruht, gilt es, das den Darstellungen inhärente Potenzial zur Stigmatisierung und Verwerfung herauszuarbeiten. In diesem Zusammenhang werden nicht nur die konstitutiven Überlagerungen von Rasse, Geschlecht und Klasse in kolonialen Sexualitätsdiskursen thematisiert, sondern auch die Relationen zwischen kolonialen und antifeministischen Szenarien der Unordnung. Zudem wird ausgehend von humortheoretischen Überlegungen auf die Ambivalenz der Szenarien eingegangen, die auch von einer wie auch immer codierten Lust an der Unordnung zeugen. Schließlich wird anhand spezifischer Stereotype, die in den Bildern immer wieder auftauchten, die in postkolonialen Theorien aufgeworfene Frage nach den Bedingungen und Möglichkeiten des Handlungsspielraums subalterner Aktuer_innen diskutiert. In diesem Zusammenhang wird auf die vor allem von Homi Bhabha konturierten Konzepte der kolonialen Mimikry bzw. der Hybridität eingegangen und ein Text des Kolonialaktivisten und -theoretikers Paul Rohrbach analysiert, um Bhabhas Konzepte zu veranschaulichen. Dabei geht es darum, die Witzpostkarten zu anderen kolonialen Artikulationsformen in Beziehung zu setzen und darüber hinaus einen interpretatorischen Rahmen zu generieren, innerhalb dessen sich die Auseinandersetzung mit der Frage der Handlungsmacht im Medium des Bilderwitzes bewegt. Kapitel 4 beschäftigt sich mit dem Diskurs der organisierten Sammelbewegung. Bezug nehmend unter anderem auf Forschungen zur Popularisierung von Wissen bzw. zur Populärwissenschaft soll das gelehrte Sammeln als eine dezidiert bürgerliche Intervention vorgestellt werden, deren Ziel es war, auf das weit verzweigte Feld heterogener Sammelpraktiken normalisierend einzuwirken. Vor allem aber soll dargelegt werden, dass das gelehrte Sammeln einen spezifischen Blick auf die Welt voraussetzte und ermöglichte, der kolonialen Blickanordnungen und Weltsichten korrespondierte.
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Im Schlussteil werden zentrale Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst. Zudem wird die Frage nach dem Umgang mit dem historischen Bildmaterial des kolonialen Archivs wieder aufgegriffen.
1. Postalisches Regieren und Massenkultur ± eine kurze Geschichte der (Bild-)Postkarte Postverwaltung und Geopolitik fielen in eins. (OLIVER SIMONS: DICHTER AM KANAL) If long, leisurely letters belonged to the time of the stagecoach, then the postcard with its two- or threeline sentiments, was the perfect form for the modern world. (SALONI MATHUR: WANTED NATIVE VIEWS)
1.1 P OSTVISIONEN
ALS
R EGIERUNGSTRÄUME
Post und Polizei Der Zerfall des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation 1806 führte zu einem Anstieg der Postgebühren in den deutschen Kleinstaaten. 1 Dies nahm der Jurist und Staats- und Kabinettsrat Johann Ludwig Klüber einige Jahre später zum Anlass für eine YLVLRQlUH 6FKULIW LQGHU HU GLH 3RVW DOV HLQH ÄWeltanstalt³ YRUVWHOOWH2 Auffallend ist, dass postalischer Verkehr hier nicht einfach als ein logistisches Problem behandelt wurde, sondern dass die Frage im Mittelpunkt stand, wie aus Individuen Staatsbürger geformt werden könnten. Mehr noch: Die Post wurde als ein ± wie der Medienwissenschaftler Bernhard Siegert in seinem 1993 erschienenen Buch Relais.
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Bis 1867 war die Post in Deutschland überwiegend privat organisiert. V.a. dem Unternehmen der Familie von Thurn und Taxis oblag die postalische Beförderung. Die Fürsten der jeweiligen Kleinstaaten wiederum verlangten Gebühren sowohl für die postalische Zustellung als auch für den Transit. Allgemein zur Geschichte der Post siehe Glaser/Werner (1990); Lotz (1989). Zum Unternehmen der Familie von Thurn und Taxis siehe Probst (1989). Klüber (1811), S. 3.
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Geschicke der Literatur als Epoche der Post (1751-1913) schreibt ± Ä,QVWLWXW GHU 0HQVFKHQELOGXQJ³ NRQ]LSLert, das dazu beitragen sollte, eine produktive Bevölkerung und einen starken Staat hervorzubringen.3 In diesem Sinne wies Klüber der 3RVWHLQIXQGDPHQWDOHV=LYLOLVLHUXQJVSRWHQ]LDO]X(UEH]HLFKQHWHVLHDOVHLQÄPDJisches Band, welches alle cultivierte NaWLRQHQ DEHU DXFK QXU GLHVH XPVFKOLQJW³ 'LH Ä%DUEDUHL³ GLH HU VRZRKO PLW GHP 0LWWHODOWHU DOV DXFK PLW $IULND XQG $VLHQ DVVR]LLHUWH EHPD VLFK IROJOLFK DQ HLQHP =XVWDQG GHU 3RVWORVLJNHLW Ä>'@HQQ LQ chaotischer Nacht liegt die Cultur, wo keine Post ist.³4 Klüber argumentierte, dass der reibungslose Verkehr von Briefen, Menschen und Dingen zu den allgemeinen Staatsinteressen gehören müsse. Dabei gab er zu YHUVWHKHQGDVVGHUÄZDKUHZHVHQWOLFKH*HZLQQIUGHQ6WDDW>«@jenseits der Post ]XVXFKHQ³VHL5 MLWGLHVHP-HQVHLWVZDUGLHDOOJHPHLQHÄ/HEHQVNUDIWGHV6WDDWHV³ JHPHLQWE]ZÄGLH.XQVW1DWLRQDOZRKOVWDQG]XVFKDIIHQ³ 6 Entscheidend ist in dieVHP =XVDPPHQKDQJ GDVV .OEHU GDYRQ DXVJLQJ GDVV ÄGDV :RKO GHV 6WDDWHV LQ GHP:RKOVH\QVHLQHU%UJHU³JUQGHQ PVVHXQGÄQLFKWLQGHPDXJHQEOLFNOLFKHQ (UWUDJ GHU )LQDQ]HQ³ ,Q $EJUHQ]XQJ ]X NDPHUDOLVWLVFKHQ gNRQRPHQ IRUGHUWH HU GLH3RVWQLFKWDOVÄgeldbringendes 5HJDO³VRQGHUQDOVÄnützliches in dem Sinn der 6WDDWVZHLVKHLW³]XEHKDQGHOQ7 (UVSUDFKYRQHLQHUÄDUVGRPLQDQGL³GLHHLQHVSH]ifische Perspektive erfordere: Das ganze Verhältniß der Postgesetzgebung, der Postpolitik, Poststatistik, Postgeographie und Posttechnologie zu der Welt, zu den Staaten, zu den Einzelnen, muß man übersehen können, um den wahren Gesichtspunct des Postwesens zu fassen. 8
9RU DOOHP JHOWH HV GHQ ÄJHLVWLJHQ JHVHOOLJHQ XQG FRPPHU]LHOOHQ 9HUNHKU GHU Staats- XQG:HOWEUJHU³DQ]XOHLWHQXQGGLHÄ/HEHQVZlUPH HPVLJHU 7KlWLJNHLWGHU 6WDDWVJHQRVVHQ³ ]X HUKDOWHQ XQG DOOHUHUVW ]X HUZHFNHQ 9 Die hohen Postgebühren jedoch hätten zu einer Verringerung von Kommunikation, Zirkulation und Mobilität geführt. Der Staat laufe Gefahr, dass seine Bürger_innen, wenn sie nicht in VerbinGXQJ ]XHLQDQGHU VWQGHQ Ä:LOGH VH\HQ³ (QWVSUHFKHQG SOlGLHUWH .OEHU dafür, ÄJU|WP|JOLFKH/LEHUDOLWlW³ZDOWHQ]XODVVHQXQGGLH3RVWJHEKUHQKHUDE]XVHW]HQ10
3 4 5 6 7 8 9 10
Siegert (1993), S. 80. Klüber (1811), S. 5 und 129. Ebd., S. 131. Ebd., S. 149 und 150. Ebd., S. 150 und 147. Ebd., S. 196 und 149. Ebd., S. 131 und 2. Ebd., S. 159 und 196.
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.OEHUV hEHUOHJXQJHQ JHEHQ ]X HUNHQQHQ ZDV 0LFKHO )RXFDXOW DOV ÄPRGHUQH JRXYHUQHPHQWDOH9HUQXQIW³EH]HLFKQHW11 Damit ist eine Rationalität des Regierens gemeint, die sich in den Mitte des 18. Jahrhunderts entstandenen marktliberalen Theorien herauszubilden begonnen habe. Kennzeichnend sei zum einen der Versuch, den Staat zu stärken, und zwar ausgehend weniger vom Status der Souveränität als von der Verfasstheit der Bevölkerung, deren Produktivität es in Abhängigkeit zu den Bedingungen der Umwelt (zum Beispiel Naturkatastrophen, aber auch die allgemeine Versorgungslage oder Krankheit und Sterblichkeitsrate) zu steigern gelte. Daraus folgere zum anderen die Notwendigkeit, ein prinzipiell unabschließbares Wissensfeld zu konstituieren, das als Voraussetzung und Basis des RegierungshanGHOQV IXQJLHUH /HW]WOLFK NRPPH HV GHU ÃPRGHUQHQ JRXYHUQHPHQWDOHQ 9HUQXQIWµ GDUDXIDQÄ=LUNXODWLRQHQ]X]XODVVHQ]XJHZlKUOHLVWHQVLFKHU]XVWellen: Zirkulation YRQ/HXWHQ=LUNXODWLRQYRQ:DUHQ=LUNXODWLRQYRQ/XIWXVZ³'DEHLJHKHHVDXFK XPGLH.RQWUROOHYRQ=LUNXODWLRQE]ZGDUXPÄHLQH$XIWHLOXQJ]ZLVFKHQJXWHUXQG schlechter Zirkulation vorzunehmen und, indem man die schlechte Zirkulation verPLQGHUWHGLHJXWH]XPD[LPLHUHQ³12 Zirkulation, die Idee des liberalen Regierens, das Prinzip der Staatsweisheit im Sinne einer Organisation von Wissen, die Bevölkerung als Quelle staatlicher Stärke ± diese Elemente einer modernen Gouvernementalität dominierten auch Klübers Entwurf eines postalischen Regierungsapparats, der dafür sorgen sollte, bestmögliche Bedingungen für die Entfaltung der Kräfte der Bevölkerung herzustellen. Dabei JLQJHUYRQGHU1RWZHQGLJNHLWDXVÄGDV*DQ]H³EHUEOLFNHQXQGÄalle Kräfte des 6WDDWHV³EHUHFKQHQ]XPVVHQZDVLPSOL]LHUWHGDVVDXFKGLHÄ9HUZLFNHOXQJDOOHU JHVHOOVFKDIWOLFKHQ9HUKlOWQLVVHGLHVHUPLOOLRQHQIDFKHQ%H]LHKXQJHQ³LQGHQ%OLFN genommen werden müsste.13 An einer Stelle in seinem Text zitierte er eine längere Passage aus dem zwischen 1767 und 1773 erschienenen mehrteiligen Werk Policey- und Cameral-Magazin von Johann Heinrich Ludwig Bergius, der die Post als ÄPolizeianstalt zur Bequemlichkeit des gemeinen Wesens und Beförderung der &RPPHU]LHQXQG*HZHUEH³EH]HLFhnete.14 Von Bedeutung ist hier die Identität von Post und Polizei. Foucault weist darauf hin, dass, wenn im 17. und 18. Jahrhundert EHU 3ROL]HL JHVSURFKHQ ZXUGH VSH]LILVFKH 7HFKQLNHQ JHPHLQW ZDUHQ ÄGXUFK GLH eine Regierung im Rahmen des Staates in die Lage versetzt wurde, Menschen zu
11 Foucault (2004b), S. 25. 12 Foucault (2004a), S. 52 und 37. Foucault spricht in diesem Zusammenhang auch von eiQHUÄSROLWLVFKHQ7HFKQLN³GLHHUÄ6LFKHUKHLWVGLVSRVLWLY³QHQQWHEG6XQG $Olgemein zum Dispositivbegriff siehe Foucault (1978) sowie Agamben (2008); Deleuze (1991); Jäger (2001); Link (2007). Dezidiert aus medientheoretischer Perspektive befasst sich mit dem Dispositivkonzept Stauff (2005), v.a. S. 109-179. 13 Klüber (1811), S. 149 und 151. 14 Zitiert nach Klüber (1811), S. 145 (Hervorhebung F.A.).
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UHJLHUHQ³15 Die Polizei war weniger eine bestimmte Institution, sondern die Summe gouvernementaler Regierungsverfahren, die auf die Sicherheit der Bevölkerung als Grundlage eines starken Staats zielten. Folglich sei die FragHQDFKGHPÄULFKWLJH>Q@ *HEUDXFK GHU .UlIWH GHV 6WDDWHV >«@ *HJHQVWDQG XQG =LHO GHU 3ROL]HL³ 16 Wenn Klüber die Post als Element und Bestandteil einer polizeilichen Ordnung behandelt ZLVVHQ ZROOWH VR JLQJ HU GDYRQ DXV GDVV GLH .UDIW GHV 6WDDWV DXI GHU Ä9RllkomPHQKHLWGHV3RVWZHVHQV³EHUXKH17 Die Erhöhung der Postgebühren identifizierte er dementsprechend als existenzielle Gefahr für den Staat: Es stehe zu befürchten, GDVV GHU Ä1DWLRQ HLQHV GHU DOOHUZLFKWLJVWHQ 0LWWHO >«@ LKUHU LQWHOOHFWXHOOHQ VLWWOichen uQGSK\VLVFKHQ9HUHGOXQJ³YHUORUHQJHKHQN|QQH 18 Post und Nation Klüber entfaltete seine Überlegungen zur Post unter dem Eindruck der territorialen Zersplitterung Deutschlands. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Forderung nach einer Verringerung der Postgebühren als ein Einsatz in dem Bestreben, zur Vereinigung der Kleinstaaten beizutragen. In dem Wünsche! ± Hoffnung? überschriebenen Schlusskapitel seines Buchs heißt es diesbezüglich: In allen andern cultivirten Staaten von Europa, ausser Teutschland, ist die Postanstalt auf Einheit in einem möglichst grossen Flächenraum berechnet. Nirgend eine solche Zerstückelung und Verkleinerung der Postbezirke, wie in Teutschland. Aber gerade Teutschland sollte vor allen andern, wenigstens jetzt noch in dem Umfang des rheinischen Bundes, in Hinsicht auf die Post als ein Gesamtstaat behandelt werden; denn gebietet irgendwo das allgemeine Interesse, die Post nach weltbürgerlichen Grundsätzen zu behandeln, so ist es gewiß hier.19
Auch Heinrich Stephan, der spätere Generalpostdirektor des Deutschen Kaiserreichs, bemühte sich als Modernisierer der Post, die nationale Einheit Deutschlands herbeizuführen.20 Nicht zuletzt aus diesem Grunde legte er im November 1865 auf einer Konferenz des Deutschen Postvereins eine kurze Denkschrift vor, die als Ä*UQGXQJVXUNXQGHGHU3RVWNDUWH³JLOW 21 Stephan plädierte hier für die Einführung eines so genannten Postblatts aus steifem Papier, das die Größe eines herkömmli-
15 Foucault (1993b), S. 178. 16 Foucault (2004a), S. 452. 17 Klüber (1811), S. 217. Auf den Zusammenhang zwischen Post und Polizeiwesen weist auch hin Siegert (1993), S. 61ff. 18 Klüber (1811), S. 145. 19 Ebd., S. 220-221. 20 Allgemein zu Stephan siehe Beyrer (1997); Täubrich (1996b); Vogt (1989). Aus einer kolonialgeschichtlichen Perspektive befasst sich mit Stephan Simons (2002 und 2006). 21 Siegert (1993), S. 159.
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chen Briefumschlages haben und Raum für Mitteilungen jeglicher Art bieten sollte. Zur Begründung seines Vorschlags verwies er auf den Wandel der Briefform seit der Antike. Und er diagnostizierte einen Mangel im zeitgenössischen Postsystem: Ä'LHMHW]LJH%ULHIIRUPJHZlKUWIUHLQHHUKHEOLFKH$Q]DKOYRQ0LWWKHLOXQJHQQLFKW die geQJHQGH (LQIDFKKHLW XQG .U]H³22 Auswahl und Falten des Briefbogens, Verschließen des Kuverts, Aufkleben der Marke, Konventionen und Weitläufigkeiten der Briefsprache ± für Stephan waren dies Relikte aus einer anderen Zeit, die den veränderten Verkehrsbedürfnissen nicht mehr entsprachen. Das Postblatt hingegen sollte den Nachrichtenverkehr beschleunigen, vereinfachen und billiger gestalten. Der Kauf und das Anbringen der Briefmarken sollten entfallen, da die Portogebühr beim Kauf des Postblatts zu entrichten sei. Die Preisgestaltung sollte sich nicht mehr an der Entfernung zum Zielort orientieren, sondern vereinheitlicht werden.23 Schließlich ging es darum, der Nachricht selbst eine neue Form zu geben. Stephan rief in diesem Zusammenhang das Telegramm als einH Ä*DWWXQJ YRQ .XU]EULHIHQ³LQ(ULQQHUXQJ8QGHUNDPDXIGDV5HLVHQ]XVSUHFKHQXPGHQSUDktischen Nutzen des neuen Mediums zu veranschaulichen: Wie umständlich ist es z.B. oft auf Reisen, unterwegs eine kurze briefliche Nachricht von der glücklichen Ankunft, von der Nachsendung eines vergessenen Gegenstandes u.s.w. an die Angehörigen gelangen zu lassen; künftig wird ein Postblatt aus dem Portefeuille gezogen, mit Bleistift im Coupé, auf dem Perron x ausgefüllt und in den nächsten Briefkasten oder Eisenbahn-Postwagen gesteckt.24
22 Stephan (1976), S. 9. 23 Der Gedanke einer Entkoppelung von Portogebühr und Entfernung zwischen Absender_in und Adressat_in war zu Stephans Zeit noch recht neu. Erstmals hatte er sich mit der englischen Postreform von 1840 durchsetzen können. Vorher wurde jeder einzelne Brief taxiert, d.h., die Gebühr für die Verschickung wurde entsprechend der Entfernung berechnet. Im Zuge der Reform wurden ± zumindest in England ± die Gebühren innerhalb des Staatsgebiets vereinheitlicht und deutlich herabgesetzt. Siegert (1993), S. 113, weist in diesem Zusammenhang auf die Implikationen hinsichtlich von Raumvorstellungen und natLRQDOHQ +RPRJHQLVLHUXQJVEHVWUHEXQJHQ KLQ Ä9RU GHP +LQWHUJUXQG GLHVHU Geschichte war Hills [d.i. Initiator der Postreform] ebenso schlichter wie großer Gedanke mithin, ganz Großbritannien als eine einzige Stadt zu denken, das heißt einen Gedanken nicht mehr zu denken, der den abendländischen Diskursen über das Wesen des Briefes immer teuer gewesen war: den Gedanken der Entfernung. Eine Stadt [d.i. London] dehnt LKUH*UHQ]HQSRVWDOLVFKELVDQGLH*UHQ]HQGHV/DQGHVDXV³ 24 Stephan (1976), S. 9. Auch dem Nationalökonomen Emanuel Herrmann, der einige Jahre nach Stephans Denkschrift in einem Artikel in der österreichischen Zeitschrift Neue freie Presse die Einführung einer Correspondenzkarte YRUVFKOXJJLQJHVYDXPGLHÄ(UVSDrniß an Briefpapier, Couverts, Schreib- XQG /HVHDUEHLW³ ]LWLHUW QDFK 7lXEULFK >D@ S. 113).
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Dieses Beispiel war nicht zufällig gewählt. Es reflektierte die zunehmende Mobilität weiter Bevölkerungskreise sowie die wachsende Bedeutung des Tourismus. Zudem machte es auf die Erfordernisse von Zeitorganisation aufmerksam, die mit dem Faktor Mobilität zusammenhingen. In diesem Sinne war die Denkschrift ein Versuch, auf die Auswirkungen von Industrialisierung und Technisierung zu reagieren, die sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts auch in den deutschen Teilstaaten abzuzeichnen begannen.25 Die Postkarte sollte dazu beitragen, die postalischen Verkehrskanäle an die veränderten Bedingungen anzupassen. Sie war außerdem ein Bestandteil in dem Bemühen, die Verbindungsfrequenzen durch Standardisierung und den Abbau von (Schreib-)Hemmnissen zu erhöhen. Welchen Status Stephan der Post insgesamt zumaß, wird deutlich in einem 1873 vor dem Wissenschaftlichen Verein in Berlin gehaltenen Vortrag, in dem er Geschichte und Gegenwart der Verkehrsanstalt bilanzierte. Gleich zu Anfang machte er hLHU HLQH *OHLFKXQJ DXI GLH VWDUN DQ GHQ .OEHU¶VFKHQ *HGDQNHQ HLQHV SRVWaOLVFKEHGLQJWHQ.XOWXU]XVWDQGVHULQQHUWÄ9HUNHKUXQG&XOWXUYHUKDOWHQVLFKLQGHU :HOW ]XHLQDQGHU ZLH %OXWXPODXI XQG *HKLUQWKlWLJNHLW LP PHQVFKOLFKHQ .|USHU³ Und ähnlich wie Klüber die Gefahr eines Wild-Werdens bei Absenz postalischer (LQULFKWXQJHQ EHVFKZRU YHUZLHV 6WHSKDQ DXI GLH Ä+HEXQJ³ 3UHXHQV LQIROJH GHV Ausbaus der postalischen Infrastruktur. 26 Die Post selbst bezeichnete er als ein ÄKraftelement GHVVWDDWOLFKHQ2UJDQLVPXV³ da sie durch das Verschicken und Zustellen von privaten .RUUHVSRQGHQ]HQGLHÄWlJOLFKH> ] Geistes- und Herzens-Arbeit GHU1DWLRQ³RUJDQLVLHUHXQGYHUULFKWH27 Um zu veranschaulichen, worin genau diese Arbeit bestehe, unterschied Stephan zwischen verschiedenen Ebenen der Postwirkung. In schneller Abfolge kam er auf die Korrespondenz staatlicher Behörden, von Kunst und Wissenschaft sowie von Handel und Industrie zu sprechen, um dann YRU DOOHP ÄGDV *HELHW GHU )DPLOLHQ-Verbindungen und Privat-9HUKlOWQLVVH³ ]X thematisieren: In den 200 Millionen deutscher Familienbriefe, welche die Post jährlich befördert, spiegelt sich dagegen das Leben des ganzen Volkes ab: seine Freuden und Hoffnungen, seine Pläne und Erfolge, sein Kummer und seine Sorgen. In ihren verschwiegenen und doch so beredten Falten sind Freundestreue und Liebeslust, Vaterwort und Mutterthränen, Wiege und Grab geborgen. Durch sie wird der sittliche Werth des Seelenumganges zur Potenz erhoben, die pädagogische Wirkung, der ethische Gehalt des Familienlebens in Zeit- und Raumfernen
25 Allgemein zu den Auswirkungen der Industrialisierung in Deutschland siehe Conrad (2006), v.a. S. 32-73. Zur Entwicklung des Tourismus, der im 19. Jahrhundert noch ein bürgerliches Privileg war, siehe Bausinger (1995a); König (2008), S. 174-213; Prein (2005). 26 Stephan (1874), S. 1 und 3. 27 Ebd., S. 4 und 5.
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EHUWUDJHQ6LHEULQJHQGHQ)UKOLQJJOHLFKGHQ6FKDDUHQGHU=XJY|JHOXQGVLHVWUHXHQ>«@ den Blüthenstaub der Heimath auch auf den entlegensten Pfad des fernen Wanderers. 28
In schwülstigen Worten drückte Stephan hier aus, worin für ihn das besondere PoWHQ]LDOGHU3RVWEHVWDQG(UVSUDFKYRQHLQHUÄKHUYRUUDJHQGH>Q@(LJHQWKPOLFKNHLW GHU 9HUNHKUVDQVWDOW³ GLH HV HUP|JOLFKH ÄLQ GDV :RKO XQG :HKH GHV (LQ]HOQHQ³ HLQ]XJUHLIHQ XQG VLFK DXI GLH ÄZHLWHVWHQ .UHLVH XQG DXI GLH OHW]WHQ 6FKLFKWHQ³ ]X erstrecken.29 Die Art von Zugriff, die der Postreformer im Sinn hatte ± und dies veranschaulicht auch der Vorschlag, eine Postkarte einzuführen ±,war als Anreiz zu verstehen: Es ging ihm darum, die Bedingungen für Verkehr, Zirkulation und Kommunikation zu verbessern, um die Verbundenheit zwischen den Einzelnen zu intensivieren und letztlich die Nation zu stärken. ,Q6WHSKDQV(LQVFKlW]XQJGHUSRVWDOLVFKHQÃ+HU]HQV-$UEHLWGHU1DWLRQµNOLQJW± mehr noch als bei Klüber ± eine weitere Dimension der Foucault¶schen Machtanalyse an, die Frage nämlich nach dem Verhältnis zwischen Fremd- und Selbstführung bzw. zwischen den Technologien des Selbst und den Technologien der Beherrschung anderer. Stephan zufolge handelte es sich bei der Post um eine Einrichtung, die lediglich Möglichkeiten bereitstellen und Voraussetzungen schaffen sollte. Die schreibenden und lesenden Akteur_innen des Briefverkehrs wiederum würden über die Freiheit verfügen, miteinander in Kontakt zu treten und sich auszutauschen, ihre Freuden oder Leiden mitzuteilen, auch über räumliche Entfernungen hinweg die emotionale Bindung zur Familie oder allgemein zur Nation aufrechtzuerhalten. Stephan ging davon aus oder hoffte zumindest, dass diese Freiheit derart genutzt würde, dass die Nation im Medium Post gewissermaßen zu sich selbst käme. Schreiben und Lesen dachte er demnach als mit den postalischen Regierungslogiken korrespondierende Praktiken der Selbstnormalisierung, das heißt als Praktiken, die dazu beitragen sollten, dass die Nutzer_innen von Postkarten als Angehörige der Nation miteinander kommunizieren und sich so als nationalstaatliche Subjekte entwerfen könnten. In dieser Vorstellung waren Fremd- und Selbstführung harmonisch in Einklang gebracht.30
28 Ebd., S. 4-5. 29 Ebd., S. 4. 30 6LHJHUW 6EH]HLFKQHWHVDOVÄ=LHOGHU3RVW>«@/HXWHLQ'LVNXUVH]XYHUVWUiFNHQ³hEHUGLH Techniken der Verstrickung wiederum heißt es, dass sie darauf zielten, ÄGHQXQHUK|UWHQNOHLQHQ/lUPGHU/HXWHDXI]XIDQJHQXQG]XYHUDUEHLWHQ³HEG6 Die mit diesen Techniken korrespondierenden Machtwirkungen schließlich werden wie folgt skizziertÄ*HIlKUOLFKLVWMHQHVXQDXIK|UOLFKH0XUPHOQDOVGDV$QGHUHGHU2UGQXQJ (i.e. Polizey) nur, solange es das Rauschen unterhalb der Geschichte bleibt; daher muß es Epoche machen, einen Halt, ein Relais finden. Die von ihm ausgehende Gefahr ist gebannt, sobald es von einem Netz aufgefangen wird, das es kontrolliert weiterleitet, sortiert, berechnet und so dafür sorgt, daß seine Wellen sich nicht mit unvorhersehbaren GeVFKZLQGLJNHLWHQLQXQYRUKHUVHKEDUH5LFKWXQJHQDXVEUHLWHQ³HEG
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Post und Raum In Klübers und Stephans Ausführungen erscheint die Post als eine ± mit dem Literaturwissenschaftler Oliver Simons gesprochen ± Ä5DXPWHFKQLN³ GHUHQ 3RWHQ]LDO Verbindungen zwischen weit entfernten Orten herzustellen, sowohl in nationaler als auch in globaler Hinsicht hoch veranschlagt wurde.31 Einerseits verbanden beide Autoren den postalischen Verkehr mit dem Projekt der Nationenwerdung, wobei GLH3RVW]XHLQHPÄ0HGLXPGHUQDWLRQDOHQ,GHQWLWlWVILQGXQJ³DYDQFLHUWHGDV,QGividuen als nationalstaatliche Subjekte miteinander in Kontakt treten ließ und so die Konstitution dessen bewirkte (oder zumindest bewirken sollte), was Benedict AnGHUVRQDOVÄYRUJHVWHOOWHSROLWLVFKH*HPHLQVFKDIW³EH]HLFKQHW32 Andererseits machte die Vorstellung von der Post als Kollektivierungsmotor weder bei Klüber noch bei Stephan vor nationalen Grenzen halt. Ersterer wollte die Post als Weltanstalt verstanden wissen, und Letzterer trieb den Aufbau transnationaler Poststrukturen in Gestalt des Weltpostvereins voran.33 Somit war beiden Postentwürfen eine über die Nation hinausweisende Perspektive der Globalität eingeschrieben. Klübers globale Ambitionen hatten vor allem visionären Charakter, da er seine Postvorstellungen Anfang des 19. Jahrhunderts unter dem Eindruck von Partikularität und Zersplitterung formulierte. Gleichwohl verwies er darauf, dass sich in Ä7HXWVFKODQG >«@ PHKU ZLH LUJHQGZR GDV PostTransito aus allen europäischen 6WDDWHQ³NUHX]HXQGGLHÄWHXWVFKH3RVW>«@GLH3RVWPHLVWHULQ³IUJDQ](XURSDVHL Zudem hoffte er, dass die deutsche Post in den Status HLQHVÄweltbürgerlichen Ganzen³ HUKREHQ XQG YRQ HLQHP ÄFRVPRSROLWLVFKHQ 6LQQ³ UHJLHUW ZHUGHQ ZUGH 34 Demnach klingt schon bei Klüber an, was der Historiker Sebastian Conrad mit %OLFN DXI GLH =HLW XP DOV ÄJOREDOH>V@ %HZXVVWVHLQ³ EH]HLFKQHW ZRPLW HLQH Denk- und Reflexionsweise gemeint ist, die sich innerhalb eines globalen Bezugsrahmens situiert.35 Heinrich Stephan wiederum konnte angesichts der Entwicklungen unter anderem auf dem Gebiet der Telegraphie und der Dampfschifffahrt kurz nach der Reichsgründung konstatieren: So bewegt sich der Verkehr, einem Sturmwinde gleich, um die ganze Erde. Auch Nachts QLFKWUXKHQG>«@LVWHUGHUIDVWEHUDOOIUHXGLJEHJUWH9|ONHUERWHHLQ7UlJHUGHUPDJQHWischen Kraft in den Beziehungen der Culturgruppen auf unserem Planeten.36
31 32 33 34 35
Simons (2006), S. 2. Simons (2002), S. 251 und Anderson (1998), S. 14. Zur Geschichte des Weltpostvereins siehe Siegert (1993), S. 147-158; Simons (2002). Klüber (1811), S. 222. Conrad (2006), S. 8, der seine Überlegungen zu einer neuen Form der Wahrnehmung und des Weltbezugs um 1900 im Rahmen einer transnationalen Geschichte bzw. der Global History entfaltet. Siehe in diesem Zusammenhang auch Conrad (2002). 36 Stephan (1874), S. 17.
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Visionär war hier das Bild von der Post als Medium der Völkerverständigung. Stephans Beschreibung des Ausmaßes an globaler Vernetzung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hingegen hatte eher deskriptiven Charakter. 37 Doch wenngleich Klüber und Stephan ihre Postideen unter gänzlich verschiedenen Bedingungen formulierten, war ihr globaler Bezugsrahmen auf spezifische Weise codiert. Dies wird deutlich anhand der Unterscheidung zwischen kultiviert und unkultiviert bzw. zivilisiert und unzivilisiert. Klüber ging hier insofern expliziter vor, als er Afrika und Asien (sowie das Mittelalter) als Zonen der Kulturlosigkeit identifizierte. Bei Stephan hingegen war diffuser von so genannten zivilisierten Staaten die Rede oder von Ländern, in denen vermeintlich kultivierte Menschen lebten.38 Zwar sprachen beide Autoren der Post das Potenzial zu, Menschen heben (das heißt zivilisieren) bzw. vor einem Wild-Werden schützen zu können, was die Annahme implizierte, dass gerade postalischer Verkehr Veränderung und Fortschritt bewirken könne. Allerdings wurde diese Vorstellung von Dynamik lediglich mit Europa oder dem Westen assoziiert, wohingegen der Rest (Afrika, Asien etc.) in einem Zustand der Starre fixiert wurde. In diesem Sinne zeichnen sich die Konturen eines eurozentrischen Geschichtsmodells ab, in dem unschwer die Spuren einer ± um erneut einen Begriff von Sebastian Conrad zu verwenden ± ÄÃNRORQLDOH>Q@*OoEDOLWlWµ³ ]X HUNHQQHQ VLQG39 Klüber und Stephan gingen davon aus, dass die Post zunächst einen Prozess der inneren Landnahme bewirke und in die Entstehung moderner Staaten münde. In einem zweiten Schritt sollten sich diese Staaten ± es handelte sich überwiegend um europäische bzw. westliche Nationen ± zusammenschließen (zum Beispiel im Weltpostverein), um das (postalische) Projekt der Zivilisierung der Welt anzugehen und zu vollenden. Der Gleichsetzung von postalischem Verkehr und Kultur oder zivilisatorischem Status lag in jedem Fall eine Wer-
37 Die (Selbst-)Verortung innerhalb eines globalen Settings um 1900 schlug sich nicht zuOHW]W LQ GHU DXIIDOOHQGHQ .RQMXQNWXU GHV 3UlIL[ Ã:HOWµ QLHGHU .UDMHZVNL 6 VSULFKW YRQ HLQHU ÄUHJHOUHFKWHQ 6HULH YRQ Weltprojekten³ 8QG Conrad/Osterhammel (2004b), S. 10, konstatieren angesichts der Häufung von Begriffen wie Weltpolitik, :HOWPlFKWHXQG:HOWZLUWVFKDIWÄ1LUJHQGZRVRQVWZDUGLHVHÃ:HOWµ-Rhetorik so hyperWURSKHQWZLFNHOWZLHLQ'HXWVFKODQG³9RUGLHVHP+LQWHUJUXQGZLUGGHUYLsionäre Gehalt YRQ.OEHUVEHUHLWVXPHQWZRUIHQHUÃ:HOWDQVWDOWµLQEHVRQGHUHU:HLVHDQVFKDXOLFK Zur Globalisierung der Kommunikationswege und -netzwerke in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts siehe Mattelart (1999). Eine globalisierungstheoretische Perspektivierung des Kaiserreichs schlägt Blackbourn (2004) vor. Speziell mit der wirtschaftlichen Dimension der Globalisierung im Kaiserreich befasst sich Petersson (2004). 38 Vgl. Stephan (1874), S. 13 und 17. 39 Conrad (2006), S. 44, der argumentiert, GDVVÄGLH*OREDOLVLHUXQJGHVVSlWHQ-DKUKXnGHUWV RKQH GLH NRORQLDOH 'LPHQVLRQ GLH VLH VWUXNWXULHUWH QLFKW JHGDFKW ZHUGHQ NDQQ³ (ebd., S. 43). Auch die von Klüber bereits um 1800 artikulierte Vision einer weltweiten Vernetzung lässt sich mit dem Register einer kolonialen Globalität in Beziehung setzen, zumal es sich um ein Zivilisierungsmodell handelte, in dem Europa als Zentrum gedacht wurde, das Kultur in Gestalt der Post in andere Teile der Welt exportieren sollte.
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tigkeit zugrunde. Die Post galt sowohl Klüber als auch Stephan als ein Indikator, von dem sich Fortschritt und Regression ableiten ließen bzw. an dem sie sich überhaupt erst zu erkennen gaben ± die Regression entsprach dem Zustand, in dem keine Post existierte; der Fortschritt wiederum war die Vitalität der Post selbst, der Anstieg von Verkehr und Austausch, die Vereinigung von Menschen zu (nationalen) Kollektivsubjekten, der Ausbau der Infrastruktur, die Verringerung der Postgebühren, die Einführung der Postkarte. Imperiale Post Die Verknüpfung von Post, Nation und kolonialer Globalität, die sowohl Klübers als auch Stephans Denken kennzeichnete, wurde Ende des 19. Jahrhunderts, nachdem sich das Deutsche Kaiserreich als Kolonialmacht etabliert hatte, unter neuen Bedingungen aktualisiert. Dies veranschaulicht ein von Adolf Sachse, dem Direktor des Reichs-Postamts, am 30. Juni 1890 während der Hauptversammlung der Deutschen Kolonialgesellschaft in Köln gehaltener Vortrag. An einer Stelle heißt es dort: Der erfreuliche Aufschwung, welchen die Colonialbewegung in Deutschland während des letzten Jahrzehnts genommen, und die dadurch hervorgerufene Vermehrung der deutschen Handelsniederlassungen in überseeischen Gebieten, hat der Reichs-Post- und Telegraphenverwaltung naturgemäß die Aufgabe zugewiesen, den neu hervortretenden Verkehrsbedürfnissen gerecht zu werden und das Band zwischen Colonie und Mutterland fester zu knüpfen. 40
In knappen Worten wurde hier ausgeführt, wie die Post ihre Rolle und Funktion innerhalb des Kolonisierungsprozesses definierte. Vor allem sah sie es als ihre Aufgabe an, die postalische Infrastruktur in den deutschen Kolonien auf- und auszubauen. Im Archiv für Post und Telegraphie, einer vom Reichs-Postamt herausgegebenen Zeitschrift, wurden die entsprechenden Initiativen und Projekte in regelmäßigen Abständen dokumentiert. Im Januar und Februar 1903 zum Beispiel erschien ein über zwei Ausgaben verteilter Beitrag, in dem unter anderem auf den sprunghaften Anstieg der Postfilialen im Ausland verwiesen wurde: Anfang der 1870er Jahre, kurz nach der Verstaatlichung der Post, gab es ± abgesehen von einigen Bahnhofspostämtern in grenznahen Städten wie Basel ± lediglich eine deutsche Filiale im Ausland, und zwar in Konstantinopel. 1886 wurden in China und auf Samoa zwei weitere Filialen errichtet. In den Jahren zwischen 1893 und 1902 schließlich wuchs die Anzahl von 21 (davon 17 in den Kolonien) auf 108 (davon 78 in den
40 Sachse (1890), S. 482.
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Kolonien).41 Bemerkenswert sind auch die Landkarten, die den Artikel illustrieren, und auf denen die postalische Infrastruktur jeder deutschen Kolonie (zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Beitrags) durch Linien, Punkte und Kreise visualisiert ist.42 Anhand dieser Karten lässt sich der fortschreitende Prozess der kolonialen Landnahme nachvollziehen. Die Grenzen des postalischen Verbindungsnetzes markierten gewissermaßen auch die geographischen Grenzen der kolonialen Einflussnahme.43 In Namibia gestaltete sich der Ausbau der postalischen Infrastruktur anscheinend von Anfang an schwierig. 44 Gleichwohl (oder gerade deswegen) wird die Verzahnung von (militärischer) Eroberung und postalischer Infrastruktur hier in besonderer Weise anschaulich. In dem Beitrag aus dem Archiv war die Rede von einer Ä8QVLFKHUKHLWGHU9HUKlOWQLVVH³XQGYRQÄNULHJHULVFKHQ9HUZLFNHOXQJHQLQGHQHQ :LWERL >VLF@ HLQH 5ROOH VSLHOWH³45 Infolge von Kampfhandlungen zwischen der deutschen Kolonialarmee und den Nama musste nicht nur der Sitz der Kolonialverwaltung, sondern auch die 1888 errichtete erste Poststation von Otjimbingue nach Windhoek verlegt werden. Ein mehr oder weniger flächendeckendes Netz aus Poststationen und Telegraphenleitungen konnte erst 1894, nachdem Hendrik Witbooi und die Nama zu einem Friedensabkommen gezwungen worden waren, aufgebaut werden ± einige Jahre später gab es bereits ca. 30 Postagenturen und privat organisierte so genannte Posthilfsstellen.46 Allerdings war die Aufbau- und Konsoli-
41 Vgl. Herzog (1903a), S. 33. In ähnlicher Weise gestaltete sich der Ausbau des von der Post errichteten Telegraphienetzes (vgl. ebd). Immer wieder wurde auch auf den zunehmenden Verkehr hingewiesen, den die Post in Kooperation mit privaten Reedereien auf den Schifffahrtsrouten zwischen Deutschland und den Kolonien organisierte (vgl. ebd.; Sachse [1890]). 42 Vgl. Herzog (1903a und 1903b). 43 Neutsch (2001), S. 143, verweist auf die grundlegende Bedeutung der postalischen InfraVWUXNWXU IU GHQ .RORQLVLHUXQJVSUR]HVV ÄSowohl für die von den europäischen Staaten gewünschte wirtschaftliche Ausbeutung dieser Gebiete [d.i. der Kolonien] als auch für den Aufbau effizienter Kolonialverwaltungen war die Einrichtung moderner NachrichWHQV\VWHPHHLQHQRWZHQGLJH9RUDXVVHW]XQJ³ 44 Allgemein zum Ausbau der postalischen Infrastruktur im kolonialen Namibia siehe Mantei (2007), v.a. S. 23-104. 45 Herzog (1903a), S. 42. Hendrik Witbooi war seit 1888 Kaptein der Nama, die in dem Gebiet um Gibeon siedelten. Einige Jahre lang führte er bewaffnete Auseinandersetzungen mit den Herero, wobei Konflikte um Land und Siedlungsgebiete im Vordergrund standen. Gleichwohl war Witbooi darum bemüht, Bündnisse mit den Herero zu schließen, um sich gemeinsam gegen die Kolonialmacht zur Wehr zu setzen. In den Jahren bis 1894 und ab 1904 verwickelte Witbooi die deutsche Kolonialarmee mit einer Art Guerillataktik in zahlreiche Gefechte. Ausführlich befasst sich mit dem Leben von Witbooi Reeh (2000). Siehe auch Hillebrecht (2003 und 2004); Reinhard (1982). 46 Vgl. Herzog (1903a und 1903b). Auch in den anderen deutschen Kolonien war der Widerstand der Kolonisierten ein wesentlicher Grund für den nur schleppend voranschreitenden Ausbau der postalischen Infrastruktur. In einem Bericht vor dem Reichstag merkte HeinricK 6WHSKDQ GLHVEH]JOLFK DQ Ä:LU KDEHQ LQ 2VWDIULND LQ :HVWDIULND LQ 1HX-
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dierungsphase nur von kurzer Dauer. Denn der Ausbruch des Kriegs gegen die Herero (und später auch die Nama) 1904 verlangte nach einer Reorganisation der Poststrukturen. Die enorme zahlenmäßige Verstärkung des militärischen Personals korrespondierte mit der Aufstockung der Postbeamten.47 Deren Aufgabe bestand nicht zuletzt darin, fünf mobile Feldpoststationen einzurichten und zu betreiben, die vor allem die private Kommunikation zwischen Front und Heimat ermöglichen sollten.48 Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, welcher Status der Feldpost zugeschrieben wurde. Im Hinblick auf den deutsch-französischen Krieg von 1870/71 zum Beispiel heißt es im ArchivÄ'LH3RVWNDUWHQWUXJHQZHVHQWOLch dazu bei, zwiVFKHQ9RONXQG+HHUGHQJHLVWLJHQ=XVDPPHQKDQJ]XYHUPLWWHOQ³ 49 Und Heinrich Stephan wies, ebenfalls mit Blick auf die Feldpost im deutsch-französischen Krieg, GDUDXIKLQGDVVÄGXUFKGLHVHQWlJOLFKHQ9HUNHKUYRQ6HHOH]X6HHOHGDV%DQG]Zischen der Armee und dem Vaterlande während jener blutigen Tage noch inniger JHNQSIW³ZRUGHQVHL50 Die Feldpost hat also ± so das Resümee von Bernhard Siegert ± Ä+HLPDWDOOJHJHQZlUWLJZHUGHQ³ODVVHQXQGÄEHLGHQ6ROGDWHQGHVGHXWVFKHQ Heeres eine Seele sicKHU>JHVWHOOW@ GHUHQ PLOLWlULVFKHU 1XW]HQ >«@ DXHU =ZHLIHO
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Guinea, in Apia ein sehr großes und namentlich ein sehr unruhiges Gebiet, wo sich fortZlKUHQG=ZLVFKHQIlOOHHUHLJQHQ³]LWLHUWQDFK1HXWVFK>@6 Zu Beginn des Kriegs kämpften auf deutscher Seite ca. 2.000 Soldaten und Reservisten. Am Ende betrug die Gesamtzahl der eingesetzten deutschen Soldaten etwa 14.000. Allein zwischen dem 20. Mai und dem 17. Juni 1904 wurden ca. 2.200 Soldaten in die Kolonie verschifft (vgl. Krüger [1999], S. 47, 50 und 63). Zudem wurden allein im ersten Jahr des Kriegs ca. 50 Angestellte der Post nach Namibia geschickt (vgl. Feldpost- und Telegraphendienst für die mobilen Truppen in Deutsch-Südwestafrika [1905], S. 249). Zur Feldpost im Kolonialkrieg in Namibia siehe Feldpost- und Telegraphendienst für die mobilen Truppen in Deutsch-Südwestafrika (1905), S. 249-253; Glasewald (1913), S. 213-220; Mantei (2007), S. 69-72. Unger (1881), S. 357. Holzheid (2011), S. 152, zufolge wirkte sich der deutschfranzösische Krieg, der nur wenige Tage nach Einführung der Postkarte im NorddeutVFKHQ%XQGDXVEUDFKDOVHLQHÄ3XVK-6LWXDWLRQ³DXVGDÄDXIJUXQGGHU1XW]XQJYRQ)HOdSRVWNDUWHQ >«@ GLH $N]HSWDQ] IU GDV QHXH 0HGLXP LQ DOOHQ GHXWVFKHQ %HY|ONHUXQJsschicKWHQHUZLUNW³ZXUGH$OOHLQLPHUVWHQ-DKUGHV.ULHJVZXUGHQVFKlW]XQJVZHLVH]HKQ Millionen Feldpostkarten verschickt (vgl. Leclerc [1986], S. 18). Angesichts des Umstands, dass die Karten unentgeltlich an die Soldaten ausgegeben wurden, spricht Siegert (1 6 YRQ HLQHP GXUFK GHQ .ULHJ DXVJHO|VWHQ Ä0RGHUQLVLHUXQJVVFKXE LQ GHQ GLVNXUVLYHQ 3UDNWLNHQ GHU 0DVVHQ³ $OOJHPHLQ ]XU )HOGSRVW YD DXV GHQ EHLGHQ :HOtkriegen) siehe Didczuneit/Ebert/Jander (2011); Echternkamp (2006); Lamprecht (2001); Latzel (1997 und 1999); Lehner (2009). Zur Feldpost aus dem Kolonialkrieg in China siehe Wünsche (2008). Speziell zur Feldpostkarte siehe Brocks (1998 und 2008); Flemming (2004 und 2007); Grotenburg/Nelißen (1998); Linhart (2005). Stephan (1874), S. 5, der zwar zunächst die Anzahl der während des Kriegs von der Post beförderten Briefe erwähnte, danach allerdings allgemein von der Feldpost sprach, wobei davon auszugehen ist, dass seine Einschätzung eines militärischen und nationalen Werts des Nachrichtenverkehrs zwischen Front und Heimat auch auf die Postkarte bezogen war (vgl. ebd.).
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VWDQG³51 Für den Kolonialkrieg in Namibia mag dies umso mehr von Bedeutung gewesen sein, als der kolonialen Praxis vor Ort stets die Angst vor einem going native der Kolonisierenden eingeschrieben war.52 Der Austausch zwischen den Soldaten an der Front bzw. frontier und ihren Angehörigen und Freund_innen in Deutschland war somit nicht nur in kriegsstrategischer Hinsicht von Bedeutung, sondern auch im Rahmen dessen, was von Kolonialaktivist_innen als Ä+RIIQXQJIU HLQ JHLVWLJHV 'HXWVFKZHUGHQ XQG GDXHUQGHV %OHLEHQ³ GHU .RORQLHQ EHVFKZRUHQ wurde.53 Der Ausbau der postalischen Infrastruktur in den Kolonien sowie die Einrichtung der Feldpostdienste während des Kolonialkriegs in Namibia zu Beginn des 20. Jahrhunderts verdeutlichen, dass und wie die Post in den Prozess der kolonialen Landnahme involviert war. Koloniale und postalische Raumordnung waren weitgehend deckungsgleich. Und die Anfang des 19. Jahrhunderts bzw. kurz nach der Reichsgründung von Johann Ludwig Klüber und Heinrich Stephan artikulierte Vorstellung, dass eine nationalstaatliche Postorganisation globale Streuungswirkungen entfalten könne, hatte sich auf spezifische Weise realisiert. Den Streuungswirkungen wiederum korrespondierten Rückkopplungseffekte, da durch die globalkoloniale Ausrichtung der Post die internationalen Poststrukturen nationalisiert wurden. In einem Beitrag aus dem Archiv vom Oktober 1887 wurde diesbezüglich DXI GLH ÄHQJHQ %H]LHKXQJHQ ]ZLVFKHQ GHQ +DQGHOV- und postalischen IQWHUHVVHQ³ hingewiesen. Da es sich in erster Linie um deutsche Interessen handele, bestehe das Ä(QG]LHO GHU 5HLFKV-3RVWYHUZDOWXQJ³ GDULQ ÄGXUFK +HUVWHOOXQJ HLQHV HLJHQHQ Postwesens in den unter den Schutz des Reiches gestellten überseeischen Gebieten die Angehörigen Deutschlands hüben wie drüben von fremden Posteinrichtungen WKXQOLFKVWXQDEKlQJLJ]XPDFKHQ³54 Die koloniale Reichspost agierte demnach als ein global player, dem vor allem an der Konsolidierung des Nationalen gelegen war.55
51 Siegert (1993), S. 165. 52 Im deutschen kolonialen Diskurs wurde das Motiv des going native, also die Vorstellung, dass sich Kolonisierende im Rahmen eines Akkulturationsprozesses an die Gegebenheiten und Umstände in den Kolonien anpassen könnten, meist unter dem Begriff der Verkafferung verhandelt. Dabei handelte es sich um eine hochgradig phantasmatisch aufgeladene und angstbesetzte Zuschreibung, die oftmals Prozeduren des Ausschlusses anleitete. Ich werde im Kapitel über die Bilderwitze ausführlich darauf zu sprechen kommen. Zur Etymologie des Wortes Kaffer siehe Machnik (2004). Mit Akkulturationsvorstellungen in der Kolonialliteratur befasst sich Frank (2006). 53 Niessen-Deiters (1912), S. 1. 54 Die Einrichtung und Wirksamkeit der deutschen Post in überseeischen Gebieten (1887), S. 609 (Hervorhebung F.A.). 55 Conrad (2006), S. 8, weist darauf hin, dass die konfliktgeladene Spannung zwischen Globalisierung und Nationalisierung kennzeichnend war für die koloniale Globalität und ÄGDGLH'\QDPLN YRQ1DWLRQDOLVLHUXQJ XQG1DWLRQDOLVPXVLPPHUDXFKDOVHLQ3URGXNW
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1.2 B RIEF VS . P OSTKARTE : D IE E NTSTEHUNG DER M ASSENKULTUR Bis hierhin wurde die Geschichte der Postkarte ausgehend von der Institution der Post betrachtet. Es ging sowohl um das Selbstverständnis dieser Institution als auch um ihre Funktion im Rahmen der kolonialen Herrschaft des Deutschen Kaiserreichs. Insbesondere sollte deutlich gemacht werden, dass die Post als ein gouvernementaler Regierungsapparat entworfen und eingerichtet wurde, der gleichermaßen nationale wie koloniale Projekte der Vergemeinschaftung beförderte. Allerdings kann die Geschichte der Postkarte nicht auf die postalischen Regierungsvisionen von Postreformern und -modernisierern reduziert werden. Denn sie war auch ein alltäglicher Gebrauchs- und Konsumgegenstand, der heterogene Praxisformen anleitete. Entsprechend sollen im Folgenden die massenkulturellen Implikationen der Geschichte der (Bild-)Postkarte im Vordergrund stehen. Ausgangspunkt sind die zeitgenössischen Auseinandersetzungen über das Für und Wider des neuen Mediums, die um dessen Charakteristika und Innovationen kreisten. Vor allem die Frage nach Kommunikationsstilen bzw. nach dem Verhältnis zwischen Schrift und Bild, die zumeist in Kombination mit zeitdiagnostischen Erörterungen aufgeworfen wurde, stand hier im Fokus der Aufmerksamkeit. Zum BeispiHO ULFKWHWHQ VLFK PRUDOLVFKH %HGHQNHQ JHJHQ GHQ Ä([KLELWLRQLVPXV GHQ GLH 3RVWNDUWH SUDNWL]LHUHQ VROOWH³56 Die Provokation bestand darin, dass die Postkarte das Reden öffentlich machte und somit das Moment der Intimität, das dem brieflichen Kommunikationsakt inhärent war, verwarf. Zudem drohte die schriftliche Mitteilung als klassische Form des postalischen Austauschs angesichts der Funktion GHV %LOGV JlQ]OLFK REVROHW ]X ZHUGHQ 6FKOLHOLFK ZDU GLH 3RVWNDUWH ÄGHU HUVWH Nachrichtenträger der Post, der von Anfang an unter Zugrundelegung von einheitliFKHQ6WDQGDUGVNRQ]LSLHUWZXUGH³57 Gerade die industrielle Massenproduktion löste Unbehagen aus. Befürchtet wurde, dass die standardisierte Massenware zu einer Auflösung von Echtheit und Authentizität, wie sie dem Brief zugeschrieben wurde,
der Globalisierung der Zeit um 1900 verstanden werden muß ± und nicht nur als ihre VoUDXVVHW]XQJ³ 56 Siegert (1993), S. 160, der angibt, dass kurz nach der Einführung der Postkarte Vorschläge unterbreitet wurden, das Mitteilungsfeld durch Gummiklappen zu verdecken (vgl. ebd., S. 161). 57 Ebd., S. 167. Siegert verweist an dieser Stelle auf das einheitliche Format, die vorab gestempelte Briefmarke, die Aufteilung in Adressfeld und Schriftfeld etc. (vgl. ebd.). 'LHNPDQQVKHQNH 6 VSULFKW YRQ HLQHU ÄVWULNWHQ )HVWOHJXQJ GHV )RUPDWV GHU 3RVWNDUWH³GLHHUDXIÄGDVIUGLH*UQGHU]HLWW\SLVFKH6WUHEHQQDFK1RUP(QWLQGLYLGXalisieUXQJXQG5DWLRQDOLVLHUXQJDOV%HGLQJXQJHQGHV,QGXVWULH]HLWDOWHUV³]XUFNIKUW6Lehe auch Hartwig (1976), S. 122, der davon ausgeht, dass mit der Verbreitung der BildSRVWNDUWHGLHÄ.RPPXQLNDWLRQLQGXVWULDOLVLHUW³ZXUGH.HVWLQJ 6ZLHGHUXP meUNWDQGDVVGLH3RVWNDUWHGHUÄHUVWH> ] drucktechnische[ @0DVVHQDUWLNHO³ZDU
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führen könne. Aus dieser Perspektive wurde die (Bild-)Postkarte mit einem allgemeinen Verlust von Sozialität und mit Seelenlosigkeit assoziiert. Um die jeweiligen Positionen in der Debatte über das Für und Wider der Postkarte zu veranschaulichen, werde ich mich auf den Diskurs der organisierten Sammelszene sowie auf verstreute kritische Stimmen beziehen. 58 Waren Letztere von einer generellen und bisweilen melancholischen Skepsis getragen, so kennzeichnete Erstere die euphorische Affirmation des Neuen. Gleichwohl war diese Affirmation nicht voraussetzungslos, sondern an spezifische Bedingungen geknüpft, die im Folgenden skizziert werden. Insgesamt manifestierten sich in den Auseinandersetzungen zwischen Befürworter_innen und Gegner_innen der (Bild-)Postkarte Konfliktdynamiken, die charakteristisch waren für die Entstehung der Massenkultur um 1900. In diesem Sinne soll die Postkarte hier als ein Symptom verstanden werden: Der Streit, den ihre Einführung und Verbreitung entfachte, lässt sich als eine Art Kulturkampf verstehen, in dem Fragen nach gesellschaftlicher Organisation und Teilhabe verhandelt wurden. Zeitdiagnosen: Das Ende der Brief-Freundschaft Ende des 19. Jahrhunderts verfasste der Historiker Georg Steinhausen eine zweibändige Geschichte des deutschen Briefes, die er als eine Kulturgeschichte des deutschen Volkes präsentierte. Gerade zum Ende hin wird deutlich, dass es sich um eine melancholische Form der Abschiednahme handelte. Denn Steinhausen ging von der Prämisse aus, GDVVGLH*HVFKLFKWHGHV%ULHIVÄVHLQHHLJHQWOLFKH*HVFKLFKWH >«@KLQWHUXQV³OLHJH59 Insofern liest sich das Buch wie ein Versuch, die vergangene Welt des Briefs noch einmal aufleben zu lassen und ihrer ein letztes Mal zu gedenken. Auf über 600 Seiten zeichnete Steinhausen die Entwicklung der Briefform seit dem 14./15. Jahrhundert nach. Dabei konzentrierte er sich vor allem auf das 18. -DKUKXQGHUWGDVGXUFKHLQHÄ%ULHIOHLGHQVFKDIW³FKDUDNWHULVLHUWJHZHVHQVHL 60 Nicht nur der enorme quantitative Anstieg des Briefverkehrs, sondern auch die qualitativen Veränderungen in Form und Briefsprache wurden hier argumentativ ins Feld JHIKUW 'HU %ULHI VHL ]XQHKPHQG ]X HLQHP Ä6HHOHQYHUPLWWOHU³ DYDQFLHUW LQ GHP ÄYLHOYRQ(PSILQGXQJHQXQG=XVWlQGHQDXFKGHVHLJHQHQ,QQHUQ³GLH5HGHJHZesen sei.61 0DQ KDEH ÄHLQDQGHU )UHXQG VHLQ³ ZROOHQ GLH Ä+HU]HQ GHU 0HQVFKHQ³ hätWHQVLFKZHLWJH|IIQHW6WHLQKDXVHQELODQ]LHUWHÄ'DVDFKW]HKQWH-DKUKXQGHUWZDU
58 +RO]KHLG 6ZHLVWGDUDXIKLQÄGDVVGLH3KDODQ[GHU.ULWLNHUZHLWDXVVFKZäFKHUDOVGLHGHU%HIUZRUWHU³ZDU 59 Steinhausen (1891), S. 410. 60 Ebd., S. 302. 61 Ebd., S. 364 und 341.
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das goldene Zeitalter der Freundschaft und darum war es das goldene Zeitalter des %ULHIHV³62 Das ausgehende 19. Jahrhundert hingegen stand Steinhausen zufolge im ZeiFKHQ HLQHV DQGHUHQ SRVWDOLVFKHQ 1DFKULFKWHQWUlJHUV Ä8QVHUH =HLW FKDUDNWHULVLHUW YLHO HKHU GLH 3RVWNDUWH PLW LKUHU .U]H XQG %HTXHPOLFKNHLW³63 Verstand er den Brief als HLQ0HGLXPGDVYRQGHUÄ)UHXGHDQUHGVHOLJHQ+HU]HQVHUJLHXQJHQXQG LQQLJHPSHUV|QOLFKHP9HUNHKU³JHNHQQ]HLFKQHWZDUVRDVVR]LLHUWHHUGLH3RVWNDUWH PLW 1FKWHUQKHLW XQG 0HFKDQLN (QWVSUHFKHQG KHLW HV GDVV ÄGLH ,GHDOH >«@ YRU dem realen, dem materiellHQ=HLWJHLVWVFKHX³]XUFNZHLFKHQZUGHQ64 Steinhausen kam in diesem Zusammenhang auch auf Eisenbahnlinien, Dampfschifffahrtsrouten, Telegraphieverbindungen und das Pressewesen zu sprechen. Und er diagnostizierte HLQH DOOJHPHLQH =HLWYHUNQDSSXQJ EHL GHQ ÄUDVFKOHEHQGHQ PRGHUQHQ 0HQVFKHQ³65 Doch den Übergang von einer ± wenn man so will ± aufklärerischen Seele der Empfindsamkeit zu einer genormten und automatisierten Seele des Industriezeitalters, die gemäß den Anforderungen der neuen Technologien modelliert sei, markierte für Steinhausen vor allem die Einführung der Postkarte (und des Telegramms). 66
62 Ebd., S. 303 und 307. Siegert (1993), S. 161, resümiert mit Blick auf das 18. Jahrhundert, GDVV GHU %ULHI HLQHQ Ä,QWLPPRGXV YRQ 5HGHQ³ DQOHLWHWH ÄGHU GLH ZDKUHQ *HVWlQGQLVVH GHU6HHOHKHUYRU]XORFNHQLPVWDQGHZDU³'DV.XYHUWXQGGDs Briefgeheimnis als Garanten dieser Intimität hätten eine Literarisierung des Briefes bewirkt bzw. begünstigt, in deren Folge die Genres des Privatbriefs und des Briefromans entstanden seien. Diese wiedeUXPKlWWHQDOVÄ3URGXNWLRQVVWlWWHHLQHUQHXHQ)RUPYRQ:DKUKHLW³IXQJLHUWXQGGLH6Helenzustände, Leidenschaften und Begierden der Subjekte in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt (ebd., S. 59). Fontius (1995), S. 270ff., zufolge erfuhr das Medium des Briefs bereits um 1600 ± infolge des Ausbaus der postalischen Infrastruktur ± einen ersten Aufschwung. Zudem weist er darauf hin, dass die Entstehung des Zeitungswesens aus der Zunahme des kommerziellen, politischen und wissenschaftlichen Briefverkehrs seit 1600 resultierte. Allgemein zum Brief als Kommunikationsmedium siehe Beyrer/ Täubrich (1996); Uka (1994). 63 Steinhausen (1891), S. 409. Dass Steinhausen mit keinem Wort auf die Bilddimension der Postkarte einging, lässt sich dadurch erklären, dass der Aufschwung der Bildpostkarte zu einem Massenmedium erst kurze Zeit später einsetzte. 64 Ebd., S. 406 und 408. 65 Ebd., S. 409. 66 Steinhausen ging ± ähnlich wie Heinrich Stephan ± GDYRQDXVGDVVGHUÄ8PVFKZXQJGHU 9HUNHKUVPLWWHO >«@ ]XJOHLFK HLQHQ :DQGHO LP JDQ]HQ /HEHQ³ EHZLUNHQ ZUGH $OOHrdings zog er aus dieser 'LDJQRVHHLQHQGHU6WHSKDQ¶VFKHQ$IILUPDWLRQYRQ7HFKQLVLHUXQJ XQG9HUNHKUV]XQDKPH GLDPHWUDOHQWJHJHQJHVHW]WHQ 6FKOXVVÄ(LQHUDVWORVH8QUXKHFKaUDNWHULVLHUW XQVHU /HEHQ³ HEG 6 XQG hEHUKDXSW N|QQHQ 6WHLQKDXVHQV XQG Stephans Positionen als paradigmatische Reaktionen auf die Transformationen auch der Raum- und Zeitvorstellungen um 1900 verstanden werden: einerseits ungebremster Fortschrittsglaube, der ein Schrumpfen des Raums euphorisch begrüßte oder verhieß; andererseits Verunsicherung und ein melancholischer Rekurs auf das Vergangene, wobei eine Beschleunigung der Zeit skeptisch registriert wurde. Mit der veränderten Wahrnehmung von Raum und Zeit im 19. Jahrhundert befasst sich ausgehend von der Entwicklung der
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Kulturkampf: Von der Schriftseele zur Bildseele Zwar haben Steinhausens Ausführungen über Die neue Zeit ± so die Überschrift seines Schlusskapitels über die Postkarte ± eher kursorischen Charakter. Dennoch lässt sich deutlich der kulturpessimistische Ton vernehmen, mit dem hier Gegenwartsdiagnostik betrieben wurde.67 Die Postkarte war für ihn Symptom und Chiffre eines gesellschaftlichen Wandels, in dessen Folge tradierte Vorstellungen und Konzepte von Sozialität zu erodieren schienen. Schon Heinrich Stephan ahnte, dass die Postkarte womöglich Unbehagen auslösen könnte. In seiner Denkschrift von 1865 ging er vRQHLQHUÄDQIlQJOLFKH>Q@6FKHX YRURIIHQHQ0LWWKHLOXQJHQ³DXV68 Und tatsächlich verweigerte Stephans Vorgesetzter, Generalpostdirektor Richard Philipsborn, zunächst die Einführung der PostkarWH XQG ]ZDU DXIJUXQGGHU ÄXQDQVWlQGLJHQ )RUP GHU 0LWWHLOXQJ DXI offenem PostEODWW³69 Gerade der öffentliche Charakter des Nachrichtenverkehrs, der dem Prinzip des Briefgeheimnisses diametral entgegenstand, war immer wieder Anlass und Ausgangspunkt von Kritik. In einem 1874 in den Bautzener Nachrichten erschienenen Artikel zum Beispiel wurde zu bedenken gegeben: 0DQFKHPPDJHVZRKO>«@HLQHNOHLQH6HOEVWEHIULHGLJXQJJHZHVHQVHLQVHLQHVFK|QH+DQdschrift, seinen für klassisch erachteten Stil, vielleicht gar sein mehr oder minder ciceroianisches Latein, sein elegantes Französisch, seine stenographische Geschicklichkeit nicht nur dem Auge des Adressaten, sondern auch den Augen zahlreicher Postbeamten darzubieten. 70
In so genannten Benimmbüchern wurden Regeln aufgestellt, um einen adäquaten Gebrauch des neuen Mediums sicherzustellen. In einem der Werke dieser RatgeberOLWHUDWXU ZXUGH ZDUQHQG LQ (ULQQHUXQJ JHUXIHQ ÄGD GLH 0LWWHLOXQJ LQ YLHOHUOHL
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Eisenbahn Schivelbusch (2000). Die Auswirkungen dieser Veränderungen beschreibt in der Art einer Empfindungsgeschichte Radkau (1998). Diekmannshenke (2002), S. 93, weist darauf hin, dass auch in Wilhelm Raabes 1891 erschienener Erzählung Stopfkuchen, in der die Postkarte vermutlich erstmals literarisch (UZlKQXQJIDQGGHUEHIUFKWHWH1LHGHUJDQJGHV%ULHIVPLWHLQHPÄOHLFKWUHVLJQDWLYH>Q@³ Unterton konstatiert wurde. 6WHSKDQ 6GHUDOOHUGLQJVGDYRQEHU]HXJWZDUGDVVGLHVH6FKHXÄEHLQlKHUHU (LQVLFKWYRQGHU6DFKH³DOVEDOGüberwunden werden würde (ebd.). =LWLHUWQDFK6LHJHUW 6GHULQGLHVHP=XVDPPHQKDQJYRQGHUÄ1DFNWKHLWGHU 0LWWHLOXQJ³VSULFKWHEG 6LHKHDXFK.DXIPDQQ 6GHUGDUDXIKLQZHLVWGDVV HVÄQLFKWDQVFKZHUZLHJHQGHQMXULVWLVFKHQ%HGenken gegen die Einführung der Postkarte JHIHKOW³ KDEH ZREHL YD %HOHLGLJXQJHQ XQG (KUYHUOHW]XQJHQ EHIUFKWHW ZRUGHQ VHLHQ 0DWKXU 6UHVPLHUWGLHVEH]JOLFKÄ7KLVLGHDWKDWSRVWFDUGVFRXOGLPSURSHrly exhibit their private messages to the general public led some members of the bourgeois FODVVHVWRH[SUHVVWKHLURSSRVLWLRQWRWKHQHZHSLVWRODU\IRUP³ Zitiert nach Veredarius (1894), S. 282.
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+lQGHNRPPWEHYRUVLHGHQ$GUHVVDWHQHUUHLFKW³)ROJOLFKJHOWHHVGDIU6RUJH]X tragen, dass [k]ränkende Worte, beleidigende Anreden oder Mitteilungen, Verdächtigungen, Vorwürfe, 0DKQXQJHQ XVZ >«@ QLHPDOV 5DXP DXI RIIHQHU .DUWH ILQGHQ HV ZlUH GLHV QLFKW QXU HLQH unverzeihliche Taktlosigkeit gegen den Empfänger, sondern auch eine Bloßstellung des Absenders selbst.71
Neben Eitelkeitsbefürchtungen und Sittlichkeitsbedenken basierte die Kritik an dem neuen postalischen Nachrichtenträger auf dem schon von Steinhausen formulierten kulturpessimistischen Argument, die Postkarte würde das Ende der Briefkultur herbeiführen und somit auch die mit ihr verwobene Freundschaftskultur beschädigen. Die so genannte Hausfrauenzeitschrift Fürs Haus publizierte im September 1899 einen Beitrag, der die wesentlichen Komponenten dieser Kritik in kondensierter Form zusammenfasste. Anlass des Artikels war GLH ÄJHJHQZlUWLJH> ] Mode der 8HEHUIOXWKXQJYRQ.RUUHVSRQGHQ]NDUWHQ³'LH$XWRULQGLHVLFK6WLHIPWWHUFKHQ]X 3UDJ QDQQWH YHUZLHV DXI GLH Ä2HIIHQWOLFKNHLW GHU *UXVVNDUWHQ³ XQG HUNOlUWH GDVV VLH VHOEVW DQJHVLFKWV GLHVHU gIIHQWOLFKNHLW ÄVWXPP GLH /LSSHQ³ schließen würde. Insbesondere gegen das Sammeln von Bildpostkarten wurde der Einwand erhoben, GDVVGLHVHVÄGRFKQLHPDOVGHU,QQHUOLFKNHLWGHV0HQVFKHQ]XJXWH³NlPH=ZDUKaEH PDQ DOVEDOG ÄHLQH 5HLKH %LOGHU DEHU GDV LQWLPHUH /HEHQ GHU $EVHQGHU NHQQW man nLFKWPHKU³%ULHIHKLQJHJHQÄRIIHQEDUWHQVWHWV*HLVWXQG*HPWKGHQ&KaUDNWHURGHUGLH(UIDKUXQJHQXQG$QVFKDXXQJHQGHV6FKUHLEHQGHQ³,QGLHVHP6LQQH SURSDJLHUWH GLH $XWRULQ GLH Ä8HEXQJ GHV %ULHIVWLOV³ DOV Ä7KHLO GHU &KDUDFWHUELlGXQJ³72 Darüber hinaus wurde ein weiterer Aspekt hervorgehoben, der mit den Faktoren Öffentlichkeit und Stil korrespondierte: die Präsenz von Bildern im Austausch von Mitteilungen. Die Kritik an der vermeintlichen Oberflächlichkeit und Seelenlosigkeit der Postkarte lässt sich folglich nicht auf die veränderten Bedingungen schriftlicher Kommunikation reduzieren. Vielmehr war sie bisweilen auch von einem grundlegenden Misstrauen gegenüber Bildern getragen, die das Soziale mehr und mehr zu bestimmen schienen und verdächtigt wurden, jegliche Erfahrung von Eigentlichkeit zu unterminieren.
71 Zitiert nach Diers (1987), S. 25-26. Holzheid (2011), S. 241-242, zitiert eine Passage aus dem 1901 erschienenen Ratgeber Spemanns goldenes Buch der Sitte. Eine Hauskunde für JedermannLQGHUGLH(LQKDOWXQJYRQVR]LDOHQ*UHQ]HQDQJHPDKQWZXUGHÄ1LHVFKUHLEH man eine Karte, sobald man sich an eine höherstehende Persönlichkeit wendet, es giebt NHLQHQHLQ]LJHQ)DOOLQGHPGLHJXWH6LWWHGLHVELOOLJHQN|QQWH³ 72 Stiefmütterchen zu Prag (1900), S. 36. Der Artikel sowie die zahlreich eingegangenen Erwiderungen wurden einige Zeit später im Centralblatt für Ansichtkarten-Sammler erneut abgedruckt.
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Dieses Misstrauen explizierte ein Ende des 19. Jahrhunderts in der Oberhessischen Zeitung erschienener Artikel. Im Hinblick auf den unterstellten Zusammenhang zwischen der Popularität der Bildpostkarte und dem vermeintlichen Niedergang der Briefkultur wurde hier zunächst ausgeführt: ,Q:DKUKHLWDEHULVWGLH$QVLFKWNDUWH>«@QLFKWVDQGHUHVDOVHLQJHVFKLFNWPDVNLUWHUÄ)DXOHn]HU³,KUVFKPDOHUYRQ%LOGHUQJDUQLUWHU5DXPJHQJWJUDGHIU GLH:RUWHÄ0LUJHKWHVJXW ]ZHL.LOR*HZLFKWYHUORUHQ'XKRIIHQWOLFKDXFK1lKHUHVEULHIOLFK³'LHVHVÄ1lKHUH³EOHLEW eben gewöhnlich aus, und es folgen nun wieder Ansichtkarten mit neuen Gewichtsabnahmen und neuen Zusagen, die nicht gehalten werden.
Zudem wurde eine allgemein verbreitete Obsession mit Bildpostkarten kritisiert, wobei das Problem der Eigentlichkeit schon mitschwang: Der Zug ist auf der Höhe angelangt, die Waggons entleeren sich, aber fast Keiner denkt an das herrliche Panorama oder an¶V (VVHQ $OOHV VWU]W ]XHUVW LQ GDV +RWHOEXUHDX NDXIW $nsichtkarten und schreibt krampfhaft, dass man nächstens wieder schreibe.
Schließlich wurden grundlegende Bedenken gegenüber Bildern bzw. Prozessen der Verbildlichung formuliert: Da es ja so schwer ist, die Majestät eines Gebirgspanoramas oder den Ausblick auf eine vielthürmige Stadt in den Raum weniger Centimeter einzufangen, so begegnen uns auf den Ansichtkarten Bilder, die an die Phantasie des Empfängers große Anforderungen stellen. Mächtige BergHVHKHQZLHYHUXQJOFNWHÄ*XJOKXSIH³JUQHQGH7KlOHUZLHHLQHNOHLQH6WUDfportion Spinat aus, während welthistorische Schlossruinen sich wie ausser Aktivität gesetzte Kachelofen ausnehmen.73
Die Bildpostkarte war demnach doppelt verdächtig: Indem sie Zeitersparnis versprach, war sie ein Einfallstor für Bequemlichkeit und bewirkte letztlich den Niedergang der schriftlichen postalischen Kommunikation. Ihre Abbildungen wiederum gaben lediglich vor, die Wirklichkeit vor Augen zu stellen. Das Problem bestand vor allem darin, dass die Bildpostkarte trotz dieser Unzulänglichkeit die Aufmerksamkeit der Menschen absorbierte und vom physischen Originalschauplatz ablenkte. Entsprechend wurde sie als ein Gradmesser für Entfremdung angesehen, da die Erfahrung von Unmittelbarkeit zunehmend überformt würde von einer durch Bilder vermittelten (Natur-)Wahrnehmung.
73 Zitiert nach Ohne Titel (1897), S. 53.
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Auch die Apologie der Postkarte rekurrierte auf die Faktoren Zeit und Wahrnehmung. Zudem bemühte sie die gleichen Argumentationsfiguren, allerdings unter umgekehrten Vorzeichen, so dass die kulturpessimistische Kritik in eine affirmativeuphorische Haltung gewendet wurde. Bezüglich des Verhältnisses zwischen Brief und Postkarte wurde zum Beispiel in der Sammelzeitschrift Das Blaue Blatt konstaWLHUWÄ=XQlFKVWKDEHQZLUXQVZRKOEHUKDXSWQLFKWPHKUVRYLHO]XVFKUHLEHQ³'LH *UQGH KLHUIU OlJHQ ]XP HLQHQ LP $XIVFKZXQJ GHU 3UHVVH ÄGLH DOOHV DOOJHPHLQ Bemerkenswerte, was uns und zugleich unsere entfernten Freunde interessieren könnte, schon überall hin berichtet hat, HKH ZLU ]XP %ULHIHVFKUHLEHQ NRPPHQ³ Zum anderen wurde auf einen Prozess der Zeitverknappung verwiesen: Es bleiben demnach, abgesehen von den rein persönlichen Nachrichten, nur noch die Gefühle, die wir uns gegenseitig mitzuteilen hätten. Wir haben deren zwar noch, oh gewiss, aber sie uns so klar zu machen, um sie zu Papier bringen zu können, dazu haben wir heute nicht mehr die Zeit, wie unsere Grosseltern sie hatten.74
In einer anderen Ausgabe der Zeitschrift wurde das Zeitargument noch anschaulicher EHJUQGHWÄ'HUPRGHUQH0HQVFKKDWLQIROJHGHVVLFKLPPHUVWHLJHUQGHQ9Hrkehrs einen viel größeren Bekanntenkreis, als das zu Grossvaters Zeiten der Fall war, andererseits aber fehlt dem heutigen Geschlecht die Musse zur Abfassung von %ULHIHQ³75 Und in der Zeitschrift Der Postkarten-Sammler hieß es diesbezüglich: Ä'LH=HLWGHVODQJHQVHQWLPHQWDOHQ%ULHIHVLVWQXQHLQPDOYRUEHU³'LH3RVWNDUWH KLQJHJHQ ZUGH DXIJUXQG LKUHU Ä]X NQDSSHU )DVVXQJ ]ZLQJHQGH>Q@ )RUP³ GHP ÄJHZDOWLJHQJHVFKlIWLJHQ'UDQJHGHU*HJHQZDUW³YLHOHKHUHQWVSUHFKHQ76 Auch im Hinblick auf die Funktion des Bilds wurde auf den Vorteil der ZeiterVSDUQLV YHUZLHVHQ 'LH 3RVWNDUWH ZUGH ÄPHKU XQG PHKU YHUGUlQJW GXUFK GLH $nsichtskarte, die zwar nur für ein paar flüchtige Zeilen Raum bietet, aber gerade daUXP VR UHFKW IU XQVHUH KDVWLJ OHEHQGH =HLW JHPDFKW LVW³ 77 Vor allem aber wurde ein über die Zeitdimension hinausweisender spezifischer Mehrwert von Bildern positiv veranschlagt, der gerade auch im Verhältnis zu schriftlicher Kommunikation
74 75 76 77
Ansichten über Ansichtspostkarten (1907), S. 209. Ansichtskarten (1901), S. 55. Kruschwitz (1899), S. 13. Ansichtskarten (1901), S. 55. Da der Artikel aus dem Blauen Blatt von 1901 datiert, sei an dieser Stelle angemerkt, dass die heute geläufige Aufteilung der Postkarte in eine Bildund eine Textseite erst im Zuge einer Postreform von 1905 durchgesetzt wurde. Vorher ZDUGLHÃ5FNVHLWHµNRPSOHWWIUGLH$GUHVVHYRUJesehen, so dass die Nachricht bei einer Bildpostkarte entweder in einem auf der Bildseite befindlichen Textfeld platziert oder aber direkt ins Bild hineingeschrieben werden musste. Für die Datierung der Karten ist dies ein zentraler Anhaltspunkt, da man davon ausgehen kann, dass von deutschen Hersteller_innen produzierte Karten mit getrennten Bild- und Textseiten frühestens 1905 entstanden.
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signifikant sei. So wurde in einem während der Eröffnung einer PostkartenausstelOXQJ LQ 1UQEHUJ JHKDOWHQHQ )HVWYRUWUDJ DUJXPHQWLHUW GDVV GDV %LOG ÄYLHO mehr Anschauung bietet und viel anschaulicher wirkt als es meist noch so viele beschreibende Worte vermöFKWHQ³78 Und in einem zwei Jahre später erschienenen Artikel aus dem Blauen Blatt ZXUGHNDWHJRULVFKUHVPLHUWÄ$QGLH6WHOOHGHU:Rrte, mit denen man früher an Freunde und Bekannte einen Gruss entsandte, ist dafür das Bild getreten, das dem Empfänger oft mehr sagt und einen freundlicheren EinGUXFNJHZlKUWDOVHLQSDDUNRQYHQWLRQHOOH3KUDVHQ³79 Bilder, die mit der Bildpostkarte ins Zentrum des postalischen Nachrichtenverkehrs rückten (oder zumindest zu rücken schienen), wurden hier nicht mit Oberflächlichkeit oder einem Verlust an Intimität assoziiert. Im Gegenteil wurde ihnen der Status sowohl eines Informationsträgers und -vermittlers als auch eines durchaus mit Privatheit aufgeladenen Zeichens zuerkannt. Dabei wurde auch von einer spezifischen affektiven Besetzung von Bildern ausgegangen, die einerseits auf den Aspekt der Anschaulichkeit, andererseits auf das postalische Prinzip der Verschickung bzw. auf die Kombination von beidem zurückgeführt wurde. Bilder ± so heißt es in dem erwähnten Festvortrag ± wäUHQRIWHLQ$QODVVÄHLQHQNOHLQHQ%OLFN>]X@WKXQLQLQWHUQH6SKlUHQGHV)KOHQV XQG(PSILQGHQV³'LH)UDJHVWHOOHVLFKQlPOLFKZLHRIWZRKO schon durch die Ansichtskarte eine Verbindung der Liebe und Freundschaft geknüpft worden sein [mag], wie oft fast erloschene Verbindungen neu angefacht! Und wie oft erst mag der Anblick der Heimat als Objekt einer illustrierten Postkarte tiefes Sehnen gestillt und ein wehmütiges Herz zufriedener gestimmt haben.80
An anderer Stelle wurde noch pointierter formuliert, dass die Empfänger_innen von 3RVWNDUWHQÄLQOHEHQGLJHQXQGXQPLWWHOEDUHQ.RQWDNWPLWGHP2UWHGHU$EVHQGXQJ JHVHW]W³ ZUGHQ81 Ein weiterer Protagonist der Sammelszene schließlich sprach YRQHLQHPÄDQJHQHKPH>Q@*HIKO*UVVH]XHUKDOWHQYRQOLHEHQ)UHXQGHQ und Bekannten, die sich gerade vielleicht in gehobener Stimmung unserer erinnern und uns VRDQLKUHPHLJHQHQ:RKOEHILQGHQWHLOQHKPHQODVVHQ³9RUDOOHPVHLHVLQWHUHVVDQW ÄGHQ2UWLP%LOGHYRUJHIKUW]XHUKDOWHQDQGHPGHUJUVVHQGH)UHXQGXQVHUHUOLebeQGJHGDFKWH³82 Die Befürworter_innen der Postkarte teilten die Auffassung der (kulturpessimistischen) Skeptiker_innen, wonach die Jahrhundertwende durch neuartige Erfordernisse der Zeitorganisation charakterisiert sei. Und sie bestritten keineswegs, dass
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Festrede (1899), S. 22. Ansichtskarten (1901), S. 55. Festrede (1899), S. 22. Der Schritt zum Lächerlichen (1899), S. 198. Rommel (1905), S. 2.
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die über Jahrhunderte tradierte Kultur des Briefs von einem postkartenspezifischen Kommunikationsstil zunehmend überformt oder sogar abgelöst werden würde. Allerdings assoziierten sie den Medienumbruch weder mit Seelenlosigkeit noch mit Oberflächlichkeit.83 Vielmehr wurde im affirmativen Reden über Funktion und Gebrauch des neuen Bildmediums versichert, dass auch dieses der Innerlichkeit im postalischen Verkehr Ausdruck verleihen könnte. Das Potenzial, Freundschaften entstehen lassen zu können ± so lässt sich diese Argumentation zu Ende denken ±, ist kein Alleinstellungsmerkmal der Briefform. Und auch die Vorstellung, dass durch postalischen Verkehr Seelenzustände vermittelt werden könnten, schreibt sich in der Semantik der Postkarte in gewisser Weise fort. Zwar sollte die Verständigung über diese Zustände nicht mehr von Sprache bzw. Schrift organisiert werden, zumal man davon ausging, dass nicht genügend Zeit zur Verfügung stand, um sich die eigene Befindlichkeit wahrhaft bewusst machen zu können. Doch dafür wurde das Bild, das durch Gebrauch angeeignet und in ein Erinnerungsbild transformiert werden könne, zu einem Medium der Verständigung über Seelenzustände erklärt. Das Bild begegnet folglich als Spiegel der Seele sowie als Quelle von Glück. Im Gegensatz zur 6FKULIWVHHOH PLW LKUHQ ÃNRQYHQWLRQHOOHQ 3KUDVHQµ VFKLHQ die Bildseele, als Resultat von Anschaulichkeit, postalischer Verschickung und visueller Affizierung, in besonderer Weise geeignet, kommunikative Wirkungen zu entfalten und Freundschaft zu bekunden. Ansichtskarten, Anschaulichkeit und Massenbildproduktion Das zentrale Argument der Apologie der (Bild-)Postkarte, wonach Bildern im Verhältnis zur Schrift ein postalischer Mehrwert zukäme, wurde im Wesentlichen ausgehend von der fotografischen Ansichtskarte entfaltet. Es basierte auf der Prämisse, dass das Vermögen von (fotografischen) Bildern darin bestehe, Affekte erzeugen und Anschaulichkeit gewährleisten zu können. Dabei wurden die beiden Komponenten dieses Vermögens auf spezifische Weise aneinandergekoppelt, denn erst die Abbildung des Ortes der Absendung sollte die Adressat_innen empfänglich machen für Empfindsamkeit und Gefühl. Das heißt, Anschaulichkeit galt als Möglichkeitsbedingung von Affektivität. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, auf welche Weise Anschaulichkeit mit Vorstellungen von Echtheit und Originalität korrelierte. Ein Protagonist der 6DPPHOV]HQH]XP%HLVSLHOSRVWXOLHUWHÄ'LH$QVLFKWVNDUWHKLQJHJHQJHIlOOWZHQQ VLHQDWXUJHWUHXXQGZDKULVW³ 84 'HU,PSHUDWLYGHUÃ1DWXUZDKUKHLWµVtrukturierte die Sammelpraxis der Sammler_innen von Ansichtskarten. Zugleich durchzieht er ±
83 Allgemein zum Konzept des Medienumbruchs siehe Garncarz (2006). 84 Bock (1901b), S. 12.
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wie die Wissenschaftshistoriker_innen Lorraine Daston und Peter Galison argumentieren ± die neuzeitliche Genese wissenschaftlicher Verfahren der Bildgebung. Während der Anspruch auf Naturwahrheit im 18. Jahrhundert implizierte, die Spezifika einzelner Naturerscheinungen zugunsten von charakteristischen Musterbeispielen zu nivellieren, habe im 19. Jahrhundert zunehmend die Hoffnung bestanden, ein Bild herstellen zu k|QQHQ ÄGDV QLFKW YRQ 6XEMHNWLYLWlW ÃYHUVFKPXW]Wµ ZDU³85 Daston und Galison zufolge handelt es sich um die Entstehung eines neuartigen ObMHNWLYLWlWVW\SVGHQVLHDOVÄÃQLFKWLQWHUYHQLHUHQGHµRGHUÃPHFKDQLVFKHµ2EMHNWLYLWlW³ bezeichnen.86 Denn das Versprechen, potenzielle Fehlerquellen bei der BeobachWXQJ XQG 'DUVWHOOXQJ GHU :HOWPLQLPLHUHQ XQG VRPLW GDVÄ,GHDO K|FKVWHU 6RUJIDOW XQG ([DNWKHLW³ YHUZLUNOLFKHQ ]X N|QQHQ VHL YRU DOOHP DXI GLH LP /DXIH GHV Jahrhunderts entwickelten Techniken der mechanischen Bildproduktion zurückzuführen.87 Daston und Galison betonen, dass zwischen der Entstehung der mechanischen Objektivität und der Erfindung der Fotografie kein kausaler Zusammenhang bestehe.88 'HU8PVWDQGDOOHUGLQJVGDVVÄGLH.DPHUDGHP$QVFKHLQQDFKRKQHPHQVchOLFKH0LWZLUNXQJDUEHLWHWH³KDEHGD]XJHIKUWGDVVGDVIRWRJUDILVFKH$XIQDKPeverfahren zu einem Emblem des neuen Objektivitätstyps geworden sei, der sich EnGH GHV -DKUKXQGHUWV LQ YLHOHQ ZLVVHQVFKDIWOLFKHQ 'LV]LSOLQHQ DOV ÄHLQ ZHQQ nicht das LeitidHDOZLVVHQVFKDIWOLFKHU'DUVWHOOXQJ³KDEHHWDEOLHUHQN|QQHQ 89 Dass dieses Ideal keineswegs nur auf die Wissenschaft beschränkt war, sondern auch im Rahmen der massenkulturellen Bildproduktion wirksam wurde, ist nicht zuletzt auf
85 Daston/Galison (2007), S. 46. 86 Daston/Galison (2002), S. 31. 87 Ebd., S. 32. Die Beschäftigung mit historisch variierenden Objektivitätstypen wirft die übergeordnete Frage auf, inwiefern die jeweiligen Objektivierungsstrategien mit je spezifische Subjektvorstellungen korrespondieren. In diesem Zusammenhang erweist sich wisVHQVFKDIWOLFKH 2EMHNWLYLWlW DOV HLQH ÄHSLVWHPLVFKH> @ 7XJHQG³ GHUHQ *HVFKLFKWH Ä]X HiQHP7HLOGHU*HVFKLFKWHGHV6HOEVW³ZLUG'DVWRQ*DOLVRQ>@6XQG Auf die Korrelationen zwischen Sammelpraxis, (wissenschaftlicher) Wissensproduktion und Tugendhaftigkeit wird zurückzukommen sein (vgl. Kap. 4). 88 Eher KDQGHOHHVVLFKEHLGHU)RWRJUDILHXPHLQHÄ)HUQZLUNXQJ³ZDVLPSOL]LHUWGDVVHUVW die Transformation des Objektivitätstyps die Voraussetzungen geschaffen habe für die (wissenschaftliche) Karriere des neuen Aufnahmemediums (Daston/Galison [2007], S. 37). Zudem sei der Nexus zwischen Fotografie und Objektivität keineswegs logisch oder zwangsläufig und immer auch umstritten gewesen (vgl. ebd., S. 133ff.). Siehe in diesem Zusammenhang auch Löffler (2004). 89 Daston/Galison (2007), S. 197 und 132. Die Vorstellung, dass sich die Natur in der Kamera quasi wie von selbst repräsentieren könne, prägte den Diskurs über Fotografie von Anfang an. Siehe Geimer (2002); Jäger (2000), v.a. S. 41-63; Kemp (2006); Sontag (2008a).
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die Karriere der Bild- bzw. vor allem der Ansichtspostkarte zurückzuführen. 90 Zwar zeichneten sich die Anfänge des Aufstiegs der Fotografie zu einem Massenmedium schon seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ab, als die Stereophotographie und das Visitenkartenformat eine Ä,QGXVWULDOLVLHUXQJ GHU 3KRWRJUDSKLH³ EHZLUNWHQ 91 Doch erst mit der Verbreitung der Bildpostkarte, die zunächst DOV HLQ ÄELOOLJHV 6XUURJDW IU )RWRJUDILHQ³ IXQJLHUWH DYDQFLHUWH GDV YRn der Kamera hergestellte Bild zu einem ÄIUDOOHYHUIJEDUHQ0DVVHQSURGXNW³92 Bereits 1839, während der Entstehungszeit des ersten fotografischen Aufnahmeverfahrens, prognostizierte der Kunstkritiker Jules Janin, dass die Fotografie ÄGDV WUHXH *HGlFKWQLV DOOHU 'HQNPlOHU DOOHU /DQGVWULFKH GHV 8QLYHUVXPV³ VHLQ werde.93 Ein halbes Jahrhundert später wurde von der Postkarten-Sammelszene als (WKRVXQG=LHOGHU6DPPHOSUD[LVSRVWXOLHUWGDVVHVGDUDXIDQNRPPHÄHLQHP|glichst vollständige und vielseitige Darstellung der Welt in unseren Tagen bieten zu N|QQHQ³94 Im Fokus der Aufmerksamkeit standen hier fotografische Ansichtspostkarten, die um 1900 einen Großteil der Bildpostkartenproduktion ausmachten. 95 Zudem wurde dem Ansichtskarten-Genre eine spezifische Wertigkeit zugeschrieben: Unter der Voraussetzung, dass im Herstellungsprozess die Kriterien der mechanischen Objektivität erfüllt wurden, galt die Ansichtskarte als ein Lehrmittel, GHP ÄUHLFKHV :LVVHQ³ ]X YHUGDQNHQ VHL GD HV ÄXQV PLW 6WlGWHQ '|UIHUQ LQWHUHsVDQWHQ>«@%DXZHUNHQ%HUJHQ9|ONHUQXQGGHUJOHLFKHQEHNDQQW³PDFKH 96 Kon-
90 Nach Walter (2001), S. 61, waren $QVLFKWVNDUWHQÄ0HGLHQGHV8PEUXFKV³XQGHLQHUGHU ÄHQWVFKHLGHQGHQ 9HUPLWWOHU³DXIGHP:HJÄKLQ]XU YHUPHLQWOLFKDXWKHQWLVFKHQ:LHGHrJDEHGHU:LUNOLFKNHLW³ 91 Jäger (2000), S. 53. 92 Walter (2001), S. 53, die darauf hinweist, dass die Bild- oder Ansichtspostkarte auch die Adelung der Fotografie zur Kunst befördert habe (vgl. Walter [1995], S. 52ff.). Die massenhafte Verwendung von Fotografien in Illustrierten (und etwas später auch in der Tagespresse) setzte ungefähr zeitgleich mit dem Boom der Bildpostkarten um die Jahrhundertwende ein (vgl. Jäger [2000], S. 56). 93 Janin (1980), S. 49. Angesichts der Vorstellung oder des Traums, die Welt im Modus der mechanischen Objektivität visuell verzeichnen und speichern zu können, bezeichnet Solomon-Godeau (1991), S. 1 GLH)RWRJUDILH DOVÄDJHQW SDU H[FHOOHQFH IRU OLVWLQJ NQoZLQJDQGSRVHVVLQJDVLWZHUHWKHWKLQJVRIWKHZRUOG³ Ryan/Schwartz (2003b), S. 6, DUJXPHQWLHUHQHUJlQ]HQGGDVV)RWRJUDILHQÄKDYHSDUWLFLSDWHGDFWLYHO\LQWKHPDNLQJDQG dissemination of geRJUDSKLFDONQRZOHGJH³ 94 Weise (1895), S. 5. 95 Jakovsky (1960) verweist auf eine unter Postkartenproduzent_innen durchgeführte Umfrage, wonach 90 Prozent der Bildpostkarten Ansichtskarten waren. Es wird allerdings nicht klar, wo diese Umfrage durchgeführt wurde. Auch gibt es keinen Beleg für diese =DKO:DOWHU 6ZLHGHUXPVFKUHLEWGDVVVLFKDEÄSUR]HQWXDODPKlXILJsten Ansichten einer Stadt, eines Straßenzuges, eines Gebäudes, einer Landschaft etc. auf 3RVWNDUWHQ³ILQGHQZUGHQ+lWWHQ2 lediglich 18 Firmen Ansichtskarten in Deutschland hergestellt, so seien es 1904 bereits 280 gewesen (vgl. ebd.). 96 Lauckner (1907), S. 254.
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sequenterweise wurGHSRVWXOLHUWGDVVGLH$QVLFKWVNDUWHDXFK]XUÄ)|UGHUXQJNRnNUHWHUJHRJUDSKLVFKHUXQGHWKQRJUDSKLVFKHU:LVVHQVFKDIW³EHLWUDJHQN|QQH 97 Demnach zeugt die Karriere der Bildpostkarte nicht nur von der Massenwirksamkeit der Idee der mechanischen Objektivität, sondern auch von Wechselwirkungen zwischen Wissenschaft und Populärkultur, in deren Folge wissenschaftliches Wissen gleichermaßen popularisiert und transformiert wurde. 98 Anders gesagt: Zwischen Fotografie, Ansichtskarte, mechanischer Objektivität und Wissenschaftspopularisierung bestand insofern ein gegenseitiges Bedingungsverhältnis, als das fotografische Aufnahmeverfahren und der neuartige Objektivitätstyp Voraussetzungen dafür waren, dass das Ansichtskarten-Genre entstehen konnte, dieses aber gleichzeitig der Fotografie sowie dem mechanischen Objektivitätstyp und entsprechend auch dem wissenschaftlichen Ethos von Exaktheit zur Massentauglichkeit YHUKDOI'LH9HUKHLXQJMHGHQIDOOVGDVVVLFKGLH )RWRJUDILHDOVÃWUHXHV*HGlFKWQLV aller Landstriche des 8QLYHUVXPVµHUZHLVHQZUGHZXUGH]XPLQGHVWZDVGHQ)Dktor Masse betrifft, vor allem von der Ansichtspostkarte eingelöst. Ambivalenzen der Massenkultur Die Karriere der (Bild-)Postkarte war in vielerlei Hinsicht symptomatisch für die Entstehung und Durchsetzung der Massen- oder Populärkultur in Deutschland ± ebenso wie die Auseinandersetzungen über medienspezifische Kommunikationsstile symptomatisch waren für Konfliktkonstellationen, die die massenkulturelle Transformation der Gesellschaft begleiteten. Der Volkskundler Kaspar Maase datiert den Aufstieg der Massenkultur auf die Jahre zwischen 1869 und 1914. 99 In genau diesem Zeitraum avancierte die (Bild-)Postkarte zu einem Massenmedium. Und auch wenn dies für Maase keine Rolle gespielt haben mag, lassen sich die von ihm herausgearbeiteten Charakteristika der Massenkultur auf die Postkarte übertragen.
97 Zur Psychologie der Ansichtkarte (1898), S. 37. 98 Auf die Profilierung des Sammelns von Ansichtspostkarten als Populärwissenschaft wird im Kapitel über den Diskurs der Sammelszene zurückzukommen sein. 99 Vgl. Maase (2001a), S. 11, der sich neben den Faktoren ökonomisches Wachstum, Industrialisierung und Urbanisierung auf die ab den 1860er Jahren in mehreren deutschen .OHLQVWDDWHQYROO]RJHQH5HIRUPGHU*HZHUEHRUGQXQJEH]LHKWGLHHLQHDOOJHPHLQHÄ'yQDPLVLHUXQJ GHU .XOWXUZDUHQSURGXNWLRQ³ EHZLUNW KDEH HEG 5RVV 6 OlVVW den Aufstieg der Massenkultur in Deutschland ± ähnlich wie Maase ± mit dem ökonomischen Boom der Gründerzeit ab den 1870er Jahren beginnen. Er verweist ebenfalls auf Industrialisierung und Urbanisierung, betont aber v.a. die Bedeutung der Massenmedien ZLH3UHVVH)LOPXQG*UDPPRSKRQDOV%HVWDQGWHLOHYRQÄQHZFRPPXQLFDWLRQWHFKQROogies and cRPPHUFLDO HQWHUWDLQPHQWV³ $OOJHPHLQ ]XU (QWVWHKXQJ GHU 0DVVHQNXOWXU LQ Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg siehe Bausinger (2001); Hobsbawm (1997). Zur Bedeutung der Massenmedien in diesem Zusammenhang siehe Kohlrausch (2010); Schildt (2001). Eher theoretische Annäherungen an das Phänomen der Massenkultur finden sich u.a. bei Bublitz (2005); Eco (1984); Makropoulos (2008).
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0DDVH VSULFKW YRQ HLQHU Ä$UW NXOWXUHOOH>U@ (QW]DXEHUXQJ³ YRUPDOLJHU (OLWHQ XQG )KUXQJVVFKLFKWHQVRZLHYRQGHPÄ*OHLFKVWHOOXQJVDQVSUXFKGHUÃ0DVVHQµ³ 100 Und er betont die der Massenkultur inhärenten Potenziale zur Überschreitung der Grenzen zwischen high und low culture, zwischen sozialen Klassen und zwischen nationalstaatlichen Territorien.101 Gleichwohl erschöpft sich Maases Blick auf die Massenkultur nicht in der emphatischen Affirmation von Demokratisierung und Überschreitung. Vielmehr beobachtet er eine Dialektik von Entgrenzung und Abgren]XQJGLHDOVHLQÄ6SLHORKQH*UHQ]HQ³LPPHUZLHGHUQHXH :LUNXQJHQHQWIDOWH 102 Demnach führte der von massenkulturellen Artefakten ausgehende Impuls zur Grenzüberschreitung zwar dazu, das Verhältnis zwischen (bildungs-)bürgerlichen und proletarischen Milieus zu dynamisieren. Allerdings riefen derartige Dynamisierungsprozesse stets neue Formen der Abgrenzung hervor, wobei es gerade Angehörigen des Bürgertums vor allem um Distinktionsgewinn ging bzw. darum, sich die Masse gewissermaßen vom Leib zu halten. Im Anschluss hieran lassen sich die Kritik an der Postkarte, die Angst vor dem Ende des Briefs sowie der Versuch, postkartenspezifische Kommunikationsformen zu reglementieren, als Reaktionen auf den (drohenden) Verlust von bürgerlicher Deutungshoheit und dHQÃ*OHLFKVWHOOXQJVDQVSUXFKGHU0DVVHQµYHUVWHKHQ3URWDJonist_innen der Sammelszene wiesen darauf hin, dass Offenheit und Skepsis gegenüber dem visuellen Massenmedium anfänglich mit der Zugehörigkeit zu einer sozialen Klasse korreliert hätten: Tatsächlich ist denn auch die Vorliebe für illustrierte Karten so recht eigentlich aus dem Volke hervorgegangen, das zuerst danach griff, und das auch schon längst und unverdrossen sei-
100 Maase (1997), S. 25 und 18. Siehe auch Maase (2006). Bollenbeck (1999), S. 159, betont, dass die so genannten Massenkünste, zu denen auch die Bildpostkarte gerechnet ZHUGHQ NDQQ ÄDOV $QJULII DXI GDV ELOGXQJVEUJHUOLFKH 6HOEVWYHUVWlQGQLV HPSIXQGHQ³ ZXUGHQ (U VSULFKW DXHUGHP YRQ HLQHP ÄQHXDUWLJH>Q@ 3XEOLNXP GDV EHU HLQ ZHQLJ Geld und bescheidende Freizeit verfügt, das sich nicht bilden, sondern entspannen und DPVLHUHQZLOO³5RVV 6PHUNWDQGDVVÄWKHFRPPHUFLDOHQWHUWDLQPHQWVRI the late nineteenth century reached an incomparably wider audience of workers, women, DQG\RXQJSHRSOH³=XGHPVHLÄDQHZPDUNHWIRUFXOWXUDO consumption among the poorer wage-HDUQLQJFODVVHV³HQWVWDQGHQQLFKW]XOHW]WGXUFKGHQÄULVHLQUHDOZDJHVDQGIUHH WLPH³HEG6XQG Allgemein zur Geschichte der Freizeit siehe Huck (1982). 101 9JO 0DDVH 6 GHU NRQVWDWLHUWÄ0RGHUQ war die neue Massenkultur gerade GDULQGDVLHNHLQH.ODVVHQNXOWXUGDUVWHOOWH³'DV3RSXOlUHKDEHÄEUHLWH%HOLHEWKHLWTXHU GXUFKGLH.ODVVHQ³HUIDKUHQHEG6 $XHUGHPVHLHQÄGLHSRSXOlUHQ.QVWH³YoUDQJHJDQJHQ EHL GHU ÄZHOWXPVSDQQHQGHQ 'XUFKGULQJXQJ GHU .XOWXUHQ³ HEG 6 Auf den inter- oder transnationalen Charakter der Massenkultur verweist auch BollenEHFN 6Ä'LH3RSXODUNXOWXULVWHLQLQWHUQDWLRQDOHV3KlQRPHQ³ 102 Maase (2000), S. 77.
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ne bunten Neujahrskarten versandte, als dies in den sogenannten besseren Kreisen noch für durchaus unfein galt.103
Zugleich argumentierten sie, dass die Postkarte gerade auch im Verhältnis zu anderen Sammelobjekten grundsätzlich für eine Öffnung stehe, da sie die Adressat_innenkreise zu erweitern vermöge: :lKUHQG >«@ GLH DUFKlRORJLVFKHQ Ausgrabungen und Funde nur gelehrte Kreise nachhaltig zu interessiren vermögen, während das Sammeln von Münzen einiges Kapital erfordert, während der am meisten verbreitete Sammelgegenstand, das Postwerthzeichen, im Ganzen den Charakter des Unpersönlichen trägt, vereinigt die illustrirte, und im engeren Sinne, die Ansichtpostkarte, alle Vorzüge in sich, um Jung und Alt, Arm und Reich, Männlein und Fräulein zu fesseln.104
In Abgrenzung zum Brief, der als ein bürgerliches Ausdrucksmittel codiert war, wurde der Postkarte das Potenzial zugeschrieben, Klassengrenzen überschreiten zu können. Überhaupt wurde das Potenzial zur Überschreitung als wesentliche Eigenheit der Postkartenkultur propagiert. Die organisierte Sammelszene betonte, dass VRZRKOGLHÄIURKH> ] JugHQG³DOVDXFKGLHÄPLWWOHUH> ] und ältere[ @*HQHUDWLRQ³YRQ GHU%HJHLVWHUXQJIUGDVQHXH0HGLXPZLHYRQHLQHU$UWÃ6DPPHOILHEHUµEHIDOOHQ VHLHQXQGGDVVGLHÄJDQ]H:HOW³VLFKDQVFKLFNHÄGLHVHPVFK|QHQQXW]EULQJHQGHQ Sporte [d.i. dem Sammeln von Postkarten], der heute Millionen Anhänger gefunden KDW LKUHQ %HLIDOO LKUH %HJHLVWHUXQJ HQWJHJHQ]XEULQJHQ³ 105 Und an anderer Stelle ZXUGHPLW%OLFNDXIGDV6DPPHOQYRQ3RVWNDUWHQNRQVWDWLHUWÄ.HLQ$OWHUXQGNHLQ 6WDQGLVWGDYRQDXVJHQRPPHQ³106 Diese Feststellung ist nicht nur ein Indiz für die Popularität der Postkarte oder die Legitimierungsnöte der Sammler_innen, sondern sie zeugt auch von der utopischen Vorstellung, dass neuartige Praxisformen, die aus den Transformationen der medialen Bezugssysteme resultierten, neue Modelle der Gemeinschaftsbildung anzuleiten im Stande wären, wobei man historisch gewachsene gesellschaftliche Segmentierungen überwinden zu können glaubte. 107 Gleichzeitig waren auch im Kreise derer, die die medialen Innovationen der Postkarte befürworteten, Absetzbewegungen, Distinktionsbemühungen und inter-
103 104 105 106 107
Ansichten über Ansichtspostkarten (1907), S. 210. V.A. (1897a), S. 1. Linke (1901), S. 119. V.A. (1898a), S. 137. Kümmel/Scholz/Schumacher (2004b), S. 8, weisen darauf hin, dass die Hoffnung auf eine Ausweitung der Menge an Nutzer_innen und also auf einen Demokratisierungseffekt in den Diskursen über neue Medien stets ein dominantes Motiv darstelle, wobei dieser utopischen Vorstellung meist die Furcht vor zunehmender Kontrolle durch das Medium gegenüberstehe.
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venierende Regulierungsversuche an der Tagesordnung. Zum Beispiel wurde beanVWDQGHW Ä1LFKW DOOH $QVLFKWVNDUWHQ GLH MHW]W GHQ 0DUNW EHUVFKZHPPHQ N|QQHQ künstlerische Ansprüche erheben. Es fehlt nicht an geschmacklosen und steifen Ansichtskarten-%LOGHUQGLH*HIKOXQG$XJHEHOHLGLJHQ³'DKHUJHOWHHVGLHÄJHULngere Ware aus dem Feld zu schlagen und dadurch auf den Geschmack veredelnd HLQ]XZLUNHQ³108 'LH.ULWLNDQÄ6FKXQGZDUH³ZDUHLQLPPHUZLHGHrkehrender Topos in den Diskussionen der Sammelszene. 109 Insofern können zumindest Teile der organisierten Sammler_innenschaft der ± in Maases Worten ± ÄVR]LDOH>Q@ %HZeJXQJGHVÃ6FKXQGNDPSIHVµ³]XJHUHFKQHWZHUGHQGLHGHQ$XIVWLHJGHU0DVVHQNXltur begleitete und ein Korrektiv zum drohenden (bildungs-)bürgerlichen Hegemonieverlust bildete.110 Dem entspricht der häufig vorgebrachte Verweis auf einen besonderen pädagogischen Wert von angeblich künstlerisch oder technisch anspruchsvoll gestalteten Karten.111 Die nachdrückliche Betonung des Neuen korrespondierte folglich mit der Definition von Selektionskriterien mit dem Ziel, sich von der Masse (wieder) abzusetzen. In diesem Sinne war nicht nur die melancholisch-skeptische Rede vom Ende des Briefs von einem Ressentiment gegenüber der Masse gekennzeichnet, sondern auch die Apologie der Postkarte. Deren Ambivalenz bestand darin, dass einerseits Öffnung und Erweiterung der Adressat_innenkreise affirmiert wurden, andererseits davon ausgegangen wurde, dass den Potenzialen zur Überschreitung auch die Möglichkeit von Verrohung inhärent sei, weshalb sowohl auf die Produktion als auch auf das Sammeln von Postkarten regulierend einzuwirken versucht wurde.112
108 Ansichtskarten (1901), S. 55. 109 Ohne Titel (1897), S. 53. 110 Maase (2001), S. 17. Georg Bollenbeck (1999), S. 159, merkt mit Blick auf diese BeweJXQJ XQG LKUH 5KHWRULN DQ Ä,KUH ZHLWH 9HUEUHLWXQJ >GL GLH 9HUEUHLWXQJ GHU %HJULIIH Ã6FKPXW]µXQGÃ6FKXQGµ@DOVULJLGH$EZHUWXQJV- und Ausgrenzungsbegriffe mit Zensurappell an die Obrigkeit indiziert das Aufkommen eines neuartigen Phänomens, nämlich GHU WHFKQLVFK UHSURGX]LHUEDUHQ 0DVVHQNQVWH XQG LKUHV 3XEOLNXPV³ 6LHKH DXFK 5RVV (2008), S. 63-74. 111 6RZXUGH]%NROSRUWLHUWÄ'LH$QVLFKWVSRVWNDUWHZLUGEHUXIHQVHLQGLHZLFKWLJe Frage GHU(U]LHKXQJGHV9RONHV]XU.XQVWEHDQWZRUWHQ]XKHOIHQ³'HU6LHJHV]XJGHU3RVWNDrte [1907], S. 266). 112 0DDVH 6 ]XIROJH VSUDFK GHU Ä9RUZXUI GHU 9HUURKXQJ >«@ GLH GLIIXVHQ bQJVWH GHU (WDEOLHUWHQ YRU GHP Ã3|EHOµ DQ GHU YRQ /HLGHQVFKDften und Trieben beKHUUVFKWZHUGH³$OOJHPHLQ]XGHQ'LVNXUVHQEHU0DVVHVHLWGHPVSlWHQ-DKUKXndert siehe Gamper (2007). Auf den Diskurs der Sammelszene, das ambivalente Verhältnis zur Masse sowie die Normalisierung von Sammelpraktiken werde ich im Rahmen des Kapitels über das Sammeln von Postkarten noch ausführlicher eingehen.
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Ambivalenzen der Aneignung .DVSDU0DDVHZHLVWDXIGLHÄHLJHQVLQQLJH$QHLJQXQJNRPPHU]LHOOHU3URGXNWH³DOV eine weitere Dimension der Massenkultur hin.113 Damit ist eine Perspektive angesprochen, aus der danach gefragt werden kann, auf welche Weise massenkulturelle Erzeugnisse in die jeweiligen Lebenswelten der Konsument_innen integriert werden.114 Der Akt des alltäglichen Konsums wird so als Moment und Ort von Bedeutungsproduktion verstanden. Insbesondere richtet sich das Interesse auf Aneignungsformen, die im Hinblick auf jeweils hegemoniale Macht- und Wissensordnungen Subversionspotenzial entfalten.115 Auch das Sammeln von Postkarten um 1900 lässt sich als eine eigensinnige Form der Aneignung beschreiben, da ein zunächst für postalischen Nachrichtenverkehr bestimmtes Medium zweckentfremdet und mit neuen Bedeutungen versehen wurde. Zudem eignete der Postkarte insofern ein subversives Moment, als sie die bürgerliche Briefkultur sowie die dieser inhärenten Wertvorstellungen herausforderte. Entsprechend war auch das Sammeln von Postkarten als eine Facette ihrer Nutzung in die Auseinandersetzungen über (bürgerliche) Hegemonie involviert. Gleichwohl verdeutlicht der Diskurs der organisierten Sammelszene, auf welche Weise das Sammeln mit Funktionsbestimmungen aufgeladen wurde, die das Möglichkeitsfeld der Aneignung normalisieren sollten. Der Anspruch, dass sich das 6DPPHOQ ÃYHUHGHOQGµ DXV]XZLUNHQ KDEH XQGGLH %HIUFKWXQJ GDVV Ã6FKXQGZDUHµ diesen Anspruch untergraben könnte, zeigen an, dass und wie bürgerliche Wertmaßstäbe recodiert wurden und in der Sphäre der Massenkultur Wirkungen entfalteten. Subversion und Normalisierung lagen hier dicht beieinander, SelbstüberschreiWXQJ XQG 6HOEVWQRUPDOLVLHUXQJ JDEHQ VLFK DOV ÄHLQH .LSSILJXU GLH ]ZHL *HVLFKWHU HLQHV-DQXVNRSIHV³]XHUNHQQHQ116 Dass sich Aneignungsweisen nicht immer eindeutig entweder einem Register von Subversion oder einem Register von Konformität zuordnen lassen, soll hier abschließend beispielhaft an drei Postkarten aus Namibia verdeutlicht werden, die be-
113 Maase (2000), S. 92. 114 Diese Perspektive zeigt ± gerade im Verhältnis z.B. zur Kritischen Theorie bzw. zur Kulturindustriethese von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer ± einen forschungspolitischen Paradigmenwechsel an, der insbesondere auf die Etablierung der Cultural Studies zurückgeht. Siehe Engelmann (1999); Göttlich/Winter (2000); Lindner (2000); Winter (1999). 115 Den Aspekt der Subversion im Rahmen der Aneignung massenkultureller Erzeugnisse betont v.a. Fiske (1999 und 2000), der sich nicht zuletzt auf Michail Bachtins Charakterisierung der mittelalterlichen Volkskultur als karnevaleske Gegenkultur bezieht (vgl. Bachtin [1995]). Auf Bachtin wird zurückzukommen sein (vgl. Kap. 3.5). 116 Menke (2003), S. 285.
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gehrte Sammelobjekte waren.117 Sie zeugen von verschiedenen, sich wechselseitig überlagernden Schichten der Aneignung, die sich gegenseitig verstärkten und gleichzeitig widersprachen. Die erste Karte [Abb. 1] ist nicht adressiert. Sie zeigt eine Fotografie, auf der ein See zu sehen ist. In der Bildunterschrift heißt es: Ä'DPPDXI)DUP 9RLJWODQG³3URGX]LHUWZXUGHGLH.DUWHYRQGHU)LUPD Wecke & Voigts, einem 1894 in Windhoek gegründeten Kaufhaus, das heute zu den größten Ladenketten Namibias gehört. Im oberen linken Bildrand wurde per Handschrift YHUPHUNWij8QGXQWHUKDOEYRQ%LOd und Bildunterschrift findet sich auf weißem Grund noch ein weiterer handschriftlicher Eintrag: die Unterschrift von Hendrik Witbooi, dem Kaptein der Nama. Abbildung ÄDamm auf Farm Voigtland³
Quelle: National Archives of Namibia
Eine zweite, ebenfalls nicht adressierte Karte [Abb. 2] gibt die Fotografie einer Herde Ziegen zu erkennen. Und wie bei der ersten Karte tritt auch hier die Firma Wecke & Voigts DOV3URGX]HQWLQLQ(UVFKHLQXQJ'LH%LOGXQWHUVFKULIWEHVDJWÄ=Legenlämmer und $QJRUDNUHX]XQJDXIGHU)DUP9RLJWODQG³(UQHXWVWHKWLPREHUHQ OLQNHQ%LOGUDQGHLQHKDQGVFKULIWOLFKH'DWLHUXQJÄ-XOL³8QGDXIGHPXQWHUHQ Rand der Karte befindet sich, abermals auf weißem Grund, die Unterschrift von Witbooi. Zudem läuft ein weiterer handschriftlich verfertigter Text vom oberen UHFKWHQ%LOGUDQGLQGDV%LOGKLQHLQ'RUWKHLWHVÄ8QWHQVWHKHQGLVW+HQGULN:Lt-
117 Ich danke Werner Hillebrecht von den National Archives of Namibia in Windhoek, der mich auf diese Karten aufmerksam machte.
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boois eigenhändige Unterschrift, in meiner Gegenwart gezeichnet. Den Federhalter hielt er zwischen Zeige- und Mittelfinger, da der Daumen ihm von den Herero abJHVFKRVVHQZDU³8QWHUVFKULHEHQLVWGLHVH0LWWHLOXQJPLWÄ*XVW9RLJWV³ 118 Abbildung 2: ÄZiegenlämmer und Angorakreuzung, Farm Voigtland³
Quelle: National Archives of Namibia
Eine dritte in Windhoek produzierte Karte schließlich [Abb. 3] zeigt eine Fotografie von Witbooi, der in einer steppenartigen Landschaft steht und mit der rechten Hand den Lauf eines mit dem Kolben auf dem Boden aufruhenden Gewehrs hält. Die %LOGXQWHUVFKULIW HUNOlUW Ä.DSLWlQ +HQGULN :LWERRL³119 Und am rechten oberen 5DQGGHU.DUWHVWHKWQHEHQGHP%LOGÄ*UXVVDXV'HXWVFK-Südwest-$IULND³:Leder ist eine Unterschrift von Witbooi zu sehen. Und unter seiner Unterschrift befinden sich drei weitere Zeilen, die von einer anderen Handschrift stammen. Dort heißt HVÄ&DSLWHLQ*LEHRQ³Ä6DPXHO,]DDN³XQGÄ2QGHU&DSLWHLQ³120 Anders als bei den zwei vorherigen Beispielen wurde die Karte mit dem Foto von Witbooi verschickt,
118 Gustav Voigts kam Ende des 19. Jahrhunderts nach Namibia. Er erwarb Land von den Herero, baute Farmen auf und gründete das Kaufhaus. Der Kolonialschriftsteller Hans Grimm widmete ihm ein Buch (vgl. Grimm [1942]). 119 $XIGHU.DUWHVHOEVWLVWYHUPHUNWGDVVGDV)RWRYRQGHQÄ*HEU/DQJH:LQGKRHN³DXfgenommen wurde. Es findet sich auch in dem 1907 beim Verlag Franz Rohloff in Windhoek erschienenen Foto-Bildband Deutsch-Südwest-Afrika. Kriegs- und Friedensbilder, in dem der Fotograf Friedrich Lange 100 Aufnahmen publizierte. In dem Buch lautet die %LOGXQWHUVFKULIWÄ+RWWHQWRWWHQKlXSWOLQJ+HQGULN:LWERRL³ 120 Ã&DSLWHLQ*LEHRQµEH]HLFKQHWHGHQ5DQJYRQ+HQGULN:LWERRL6DPXHO,]DDNZLHGHUXP ZDUÃ2QGHU&DSLWHLQµGKHUZDU:LWERRLXQWHUJHRUGQHW
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XQG]ZDUYRQ:LQGKRHNQDFK%UHPHQDQHLQÄ)UlXOHLQ0:XOII³'HUKDQGschriftliche Mitteilungstext auf der Karte ist auf den 10. August 1900 datiert. Laut Poststempel hat sie Bremen am 24. September desselben Jahres erreicht. 121 Der Text ODXWHWÄ/ [= Liebe] M. Obiger Namenszug von Hendrik ist thatsächlich echt, das was darunter steht hat Samuel Isaack der Unter Captain geschrieben. freundl. Gruss $XJXVW³122 AbbildXQJÄ.DSLWlQ+HQGULN:LWERRL³
Quelle: National Archives of Namibia
Witbooi war ein beliebtes Motiv auf Postkarten.123 Und auch seine Unterschrift war begehrt. Einige Missionsgesellschaften betrieben einen regelrechten Handel mit den unterschriebenen Postkarten, auf Missionsfesten wurden sie häufig nachgefragt. 124
121 Die postalische Beförderungsdauer zwischen Deutschland und Namibia betrug in der Regel fünf bis sechs Wochen (vgl. Augustin [2009], S. 11). Kurz vor dem Ersten Weltkrieg, nachdem sowohl der Ausbau des Schienennetzes in Namibia vorangeschritten war als auch die Postdampferlinien häufiger frequentiert wurden, dauerte die Beförderung nur noch 25 oder 26 Tage (vgl. Neutsch [2001], S. 154). 122 Es existieren noch weitere von Hendrik Witbooi und Samuel Izaak unterschriebene Karten: Eine befindet sich im Archiv des Deutschen Historischen Museums in Berlin, eine ist abgedruckt in Hillebrecht (2004), S. 152. 123 Sowohl in privaten als auch in öffentlich zugänglichen Sammlungen befinden sich zahlreiche Karten, auf denen Witbooi zu sehen ist. Es handelt sich zumeist um fotografische Aufnahmen, aber auch um Zeichnungen, die sich an den fotografischen Motiven orientierten. 124 Erneut sei hier Werner Hillebrecht gedankt, von dem die Information über den Handel mit von Witbooi unterzeichneten Postkarten stammt.
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Entsprechend lässt sich festhalten, dass Witbooi sich das Medium Postkarte auf zwei miteinander korrespondierende Weisen aneignete: Er war als Bild in diesem Medium präsent. Und er verschaffte sich durch seine Signatur Präsenz. Es ist nicht bekannt, ob Witbooi einige der von ihm angefertigten Fotos selbst in Auftrag gab. Auch ist schwer einzuschätzen, ob und inwiefern er den Produktionsprozess der Postkarten ± die Auswahl der fotografischen Vorlagen, den Text der jeweiligen Bilderklärungen ± kontrollieren konnte. Dennoch scheinen Postkarten für Witbooi eine Möglichkeit gewesen zu sein, sichtbar zu werden, und zwar nicht nur in der Kolonie, sondern auch im Kaiserreich selbst. Was für eine Strategie genau er damit verfolgt haben könnte, darüber lässt sich nur spekulieren. Fest steht jedenfalls, dass Witbooi als kaptein der Nama nicht zuletzt durch Postkarten internationale Popularität erlangte. Ausgehend von der Niederlage gegen die Deutschen 1894 wiederum erweist sich die Aneignung der von Witbooi unterschriebenen Karten durch koloniale Akteur_innen in Namibia sowie durch ein deutsches Publikum als ambivalent. Zwar zeugt das Interesse an diesen Karten von Witboois Popularität eben auch in den Kreisen der Kolonisierenden. Die Tatsache allerdings, dass die Karten stolz präsentiert und gehandelt wurden, zumal zu einer Zeit, als die Nama nach Jahren des Kampfs schließlich unterworfen waren, lässt die Unterschrift von Witbooi in einem anderen Licht erscheinen. Der Leiter des National Archives of Namibia, Werner Hillebrecht, PHUNWLQGLHVHP=XVDPPHQKDQJDQÄ(UZXUGHDOVÃJH]lKPWHV5DXbWLHUµYRUJHIKUW³125 Fast ist es, als ob die Unterschrift auf der Karte die Unterschrift unter den so genannten Schutz- und Freundschaftsvertrag, der den Nama aufgezwungenen wurde, verdoppelt hätte. So gesehen waren die Karten auch ein Symbol der Niederlage und Bestandteil einer Befriedungsstrategie, die sich nicht nur auf der militärischen Ebene vollzog, sondern auch auf der Ebene der Repräsentation, und sei es nur in Form einer Unterschrift auf einer Postkarte.
125 Hillebrecht (2004), S. 148.
2. Serielle Ordnung ± Postkarten aus dem Kolonialkrieg in Namibia (1904-1908) Wo es um das Betrachten des Leidens anderer geht, VROOWHPDQNHLQÄ:LU³DOVVHOEVWYHUVWlQGOLFKYRUDXssetzen. (SUSAN SONTAG: DAS LEIDEN ANDERER BETRACHTEN)
Die Postkarte hat auch den Krieg befördert. (MICHAEL DIERS: RAUM FÜR MITTEILUNGEN)
Am 20. November 1905 wurde in Windhoek eine vom Verlag der Swakopmunder Buchhandlung herausgegebene Bildpostkarte aufgegeben [Abb. 4]. Sie erreichte am 18. Dezember Leipzig. Zu sehen ist eine Gruppe von Männern und Jungen, die vor einem weißen Zelt stehen bzw. sitzen. Die Männer ± es handelt sich um weiße Männer ± tragen Uniformen, zwei haben einen so genannten Schutztruppen- oder Südwesterhut auf dem Kopf. Die eher jungenhaft anmutenden Personen hingegen sind schwarz und zum Teil lediglich mit einem Lendentuch bekleidet. In der aus zwei Text-(OHPHQWHQEHVWHKHQGHQ%LOGXQWHUVFKULIWKHLWHVHUOlXWHUQGÄ6WDWLRQHiner Feldtelegraphen-$EWHLOXQJ³ VRZLH Ä'-S.-W.-$IULND³ $XI GHU 5FNVHLWH GHU .DUWH EHILQGHWVLFK HLQÄ6ROGDWHQEULHIVWHPSHO³ GHUÄ.DLVHUOLFKHQ 6FKXW]WUXSSHIU 6GZHVWDIULND³=XGHPZXUGHYRUGHPDXIJHGUXFNWHQ:RUWÄ3RVWNDUWH³GHUKDQdVFKULIWOLFKH =XVDW] Ä)HOG-³ DQJHEUDFKW 'LH 0LWWHLOXQJ EHVDJW Ä*HHKUWHU +HUU Wachtmeister, sende Ihnen die herzlichsten Glückwünsche zum Jahreswechsel, der alte Hendrik Witbois [sic] ist [unleserlich] gefallen. Gott sei Dank, ergebens [sic] [unleserlich@³
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$EELOGXQJÄStation einer Feldtelegraphen-Abteilung³
Quelle: Deutsches Historisches Museum
Der Neuigkeitswert der feldpostalischen Nachricht von Witboois Ermordung am 29. Oktober 1905 mag durchaus vernachlässigenswert gewesen sein ± immerhin lag der Todeszeitpunkt bei der Ankunft der Karte in Leipzig schon beinahe zwei Monate zurück. Bezeichnend ist allerdings die Art und Weise der Rahmung dieser Nachricht: Zwar wurde der Tod des feindlichen Anführers offenbar als Erlösung empfunden. Und die Vermutung liegt nahe, dass sich diese Erlösung mit der Hoffnung auf ein nahendes Ende des Kriegs sowie der von diesem ausgehenden Gefahr für die eigene Unversehrtheit verband. Doch scheinen Neujahrglückwünsche der eigentliche Anlass der Karte gewesen zu sein. Dadurch wirkt es nicht nur so, als ob Witboois Sterben nachgeordnet sei. Vielmehr verleiht die ritualisierte und standardisierte Grußformel der Nachricht von Witboois Tod etwas Beiläufiges, so dass dieser im Modus des Fragmentarischen verbleibt. Um dieses Moment des Beiläufigen bzw. Fragmentarischen soll es im Folgenden gehen. Dabei ist die Prämisse leitend, dass den von Angehörigen der Kaiserlichen Schutztruppe verschickten Feldpostkarten hinsichtlich der Rahmung des Kolonialkriegs eine besondere Rolle zukam. Dies lag zum einen an dem Versprechen, einen authentischen visuellen Eindruck vom Kriegsgeschehen bzw. allgemein vom kolonialen Setting vermitteln zu können, wobei auch die Bildunterschriften und individuell hinzugefügte Texte sowie der Umstand, dass die Karten direkt vor Ort verschickt wurden, in Rechnung zu stellen sind. Zum anderen war es die schiere Masse der zirkulierenden Feldpostkarten, die eine besondere und nachhaltige Be-
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deutung nahelegt.1 Immerhin beförderte die Deutsche Reichspost allein in den ersten beiden Jahren des Kriegs ca. 4,5 Millionen Feldpostsendungen. 2 Etwa ein Drittel wurde in Deutschland aufgegeben, zwei Drittel wurden von der Front ins Reich geschickt.3 Dabei haben ± wie in einem 1913 erschienenen Buch über die Geschichte der Feldpost vermerkt ist ± Ä)HOGSRVWNDUWHQQDWUOLFKGLH+DXSWUROOH³JHVSLHOW4 Feldpostkarten waren also ein wesentlicher Kanal, über den der Nachrichtenfluss aus dem kolonialen Kriegsgebiet in die Heimat organisiert wurde. Doch wie genau war dieser Kanal beschaffen? Welche Charakteristika kennzeichneten den feldpostalischen Nachrichtenfluss? Um diese Fragen kreisen die folgenden Überlegungen. Im Mittelpunkt steht eine Reihe von Karten, die Hermann Ohrt, der einer der zahlreichen Signalabteilungen der Schutztruppe zugeordnet war, an seinen Bruder und seine Schwägerin in Büdelsdorf bei Rendsburg (Schleswig-Holstein) schickte.5 Anhand dieser Karten soll veranschaulicht werden, auf welche Weise der Krieg im Medium Feldpostkarte gerahmt wurde. Vor allem steht das Zusammenspiel der am Prozess der Rahmung beteiligten Verfahren zur Diskussion: Welche Bilder zirkulierten? Wie lässt sich das Verhältnis zwischen Motiv, Bildüberschrift und handschriftlich hinzugefügtem Text bestimmen? Wie verhält sich das SichtbarGemachte zum Bereich des Unsichtbaren? Wie lassen sich die Wechselwirkungen
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Über die Wirkungsgeschichte der Karten während des Kriegs ist nichts bekannt. Entsprechende Aussagen haben notwendigerweise hypothetischen Charakter. Gleichwohl soll die Annahme eines spezifischen Wirkpotenzials im Folgenden plausibilisiert werden. Vgl. Glasewald (1913), S. 217. Zahlen über die Feldpostsendungen aus den Jahren 1906 und 1907 liegen nicht vor. Vgl. Glasewald (1913), S. 217. Das Archiv für Post und Telegraphie nennt für das erste Kriegsjahr ca. 1,5 Millionen Feldpostbriefe und -karten (vgl. Feldpost- und Telegraphendienst für die mobilen Truppen in Deutsch-Südwestafrika [1905], S. 251). Demnach hätte sich die Anzahl der Feldpostsendungen im zweiten Kriegsjahr verdoppelt. In den Feldpost-Statistiken, die das Archiv publizierte, wurde nicht eigens zwischen Brief und Postkarte unterschieden. Dass der Postverkehr während des Kriegs tatsächlich explosionsartig anstieg, verdeutlicht ein Beitrag vom August 1896, in dem die Zahlen für ein Berichtsjahr (vermutlich das Jahr zuvor) angegeben wurden. Demnach waren in der zentralen Postagentur in Windhoek 9.753 Briefe und Postkarten angekommen und 8.139 abgegangen (vgl. Aus den deutschen Schutzgebieten [1896], S. 491). Ob es sich hierbei um Sendungen handelte, die überwiegend innerhalb von Namibia zirkulierten oder zwischen Namibia und z.B. Deutschland, ist nicht ersichtlich. Glasewald (1913), S. 217. Die Signalabteilung war zuständig für die Kommunikation zwischen den verschiedenen Einheiten der Schutztruppe. Sie bestand aus neun Offizieren und über 200 Feldsignalisten, die in sowohl fest stationierten als auch mobilen Einheiten von jeweils zwei bis drei Personen eingeteilt waren. Die Übertragung der Nachrichten erfolgte mittels der Reflektion entweder des Sonnenlichts (am Tag) oder einer Gasflamme (in der Nacht). Während am Tag die Übertragungsentfernung lediglich maximal 50 Kilometer betrug, konnten in der Nacht bis zu 100 km überbrückt werden (vgl. Mantei (2007), S. 133ff.). Mit der strategischen Bedeutung der Telegraphie für den Verlauf des Kriegs in Namibia befasst sich Klein-Arendt (1995).
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zwischen der Rahmung durch Feldpostkarten und der die Feldpostkarten determinierenden Rahmen beschreiben? Und schließlich ± um noch einmal auf Witbooi zurückzukommen: Auf welche Weise wurde die von der Kolonialmacht ausgeübte Gewalt codiert? Wie lässt es sich erklären, dass Karten mit Witboois Unterschrift einige Jahre zuvor als Attraktion galten, woraus zu schließen ist, dass seinem Leben eine gewisse Wertigkeit attestiert wurde, und dass sein Tod nun keineswegs betrauert wurde, sein Leben also nicht (mehr länger) als betrauerbar galt? Wie lässt sich ein Zusammenhang herstellen zwischen der Unbetrauerbarkeit der Leben der Kolonisierten, der Dynamik des Kriegs sowie der normativen Struktur des kolonialen Rassismus? Hermann Ohrt versandte ± dies sei vorausgeschickt ± keineswegs nur Motive, die das Kriegsgeschehen dokumentierten. Im Gegenteil handelte es sich überwiegend um fotografische Ansichten von Ortschaften, einzelnen Gebäuden oder Landschaften. Auch waren seine Mitteilungen meist kurz und fragmentarisch. Entsprechend gaben sie kaum Aufschluss über aktuelle Ereignisse oder Befindlichkeiten. 6 Doch gerade die Kombination von Ansichts- und Kriegskarten sowie der fragmentarisch-redundante Modus der Mitteilungen entfalteten ± so die These dieses Kapitels ± spezifische Wirkungen, die in besonderer Weise zur Normalisierung des Kolonialkriegs beitrugen: Ohrt nämlich konzipierte seine Karten als Serie in der Art eines visuellen Reiseberichts, und gerade diese serielle Form ging mit einer Banalisierung der Gewalt einher. Ohrt schickte (mindestens) 21 Karten an seinen Bruder und seine Schwägerin. 7 Sie stellen lediglich einen Bruchteil der Millionen Karten dar, die während des Kriegs zwischen Namibia und Deutschland zirkulierten. Ob und inwiefern die in Büdelsdorf gelandeten Karten repräsentativ waren, wird anhand eines Vergleichs mit von anderen Soldaten verschickten Karten abschließend zu diskutieren sein.
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Der ab und an geäußerte Hinweis auf erhaltene oder geschriebene Briefe deutet an, dass noch eine weitere Ebene des postalischen Verkehrs existierte, die vermutlich durch andere Modalitäten der Äußerung charakterisiert war. Jegliche Bemühungen, mehr über Hermann Ohrt in Erfahrung zu bringen und gegebenenfalls sogar die Briefe einsehen zu können, sind leider im Sande verlaufen. Ich danke an dieser Stelle den Mitarbeiter_innen des Rendsburger Stadtarchivs sowie den Angehörigen der Familien Ohrt und Orth, mit denen ich gesprochen habe. Ich werde nicht jede einzelne Karte detailliert besprechen.
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2.1 Ã: ERDE VERSUCHEN , E UCH VON HIER DIE SCHÖNSTEN ANSICHTEN ZU SENDEN µ ± K RIEGSBILDER ALS R EISEBILDER Stationen im Krieg: Bewegungs- und Tätigkeitsprofil Trotz der knapp gehaltenen Mitteilungen lässt sich anhand der Karten bruchstückhaft nachvollziehen, an welchen Orten Ohrt während seines Aufenthalts in Namibia war und was er dort machte. Die erste Karte [Abb. 5] datiert vom 28. August 1904. $EELOGXQJÄ*U:LQGKRHN6WRUH6WUHHW³
Quelle: Altonaer Museum für Kunst und Kulturgeschichte
Auf ihr sind eine Sand- oder Schotterstraße, einige Häuser, Fußgänger_innen und ± im Hintergrund ± %HUJH]XVHKHQ'LH%LOGXQWHUVFKULIWODXWHWÄ'6:$IULND*U :LQGKRHN6WRUH6WUHHW³8 In der handschriftlichen Nachricht, die in die weißen Flächen am oberen und unteren Bildrand hineingeschrieben wurde, heißt es: Dir zur Nachricht, dass ich gesund und munter hier angekommen bin. Werde noch einige Tage hier in Swakopmund bleiben, um mit zu laden. Weitere Befehle für uns sind noch unbe-
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Windhoek, die Hauptstadt von Namibia, diente der deutschen Kolonialarmee in den ersten Jahren der Kolonisierung als Hauptstützpunkt. Später befand sich hier der Hauptsitz der Kolonialverwaltung.
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kannt. Brief folgt, sobald wenn möglich. Grüße an Eltern, Geschwister und Schw. Grete, sowie alle Bekannten. [unleserlich] Bruder Hermann.9
Zum Zeitpunkt der Ankunft von Ohrt in Namibia lagen die den Krieg auslösenden Überfälle der Herero auf einige Farmen und Siedlungen der Deutschen im Distrikt Okahandja schon mehrere Monate zurück.10 Und auch die Schlacht am Waterberg am 11. August, in deren Folge die überlebenden Herero in der angrenzenden wasserlosen Omaheke-Halbwüste vermutlich zu Tausenden verdursteten, hatte sich bereits ereignet.11 Allerdings dauerten die Kämpfe in den folgenden Monaten noch an. Davon zeugt nicht zuletzt der am 2. Oktober erlassene so genannte Schießbefehl, in dem der Kommandeur der deutschen Kolonialarmee, Lothar von Trotha, ankündigWH GDVV ÄMHGHU +HUHUR PLW RGHU RKQH *HZHKU PLW RGHU RKQH 9LHK HUVFKRVVHQ³ werden würde.12 Am 8. Dezember wurde der Befehl auf Anweisung aus Berlin aufgehoben. Die überlebenden oder aus dem Exil zurückkehrenden Herero wurden in Konzentrationslagern interniert und mussten Zwangsarbeit leisten.13 Der Historiker
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Der Hafen in Swakopmund war während der deutschen Kolonialherrschaft der zentrale Bestimmungsort für Waren- und Truppentransporte aus dem Kaiserreich. Die Kampfhandlungen begannen am 12. Januar 1904. Bereits nach einigen Tagen hatten die Herero ganz Zentralnamibia besetzt. Dabei waren über 100 deutsche Siedler_innen, Händler_innen und Soldaten ums Leben gekommen (vgl. Krüger [1999], S. 46; Zimmerer [2003], S. 47). Zu Ursachen und Verlauf des Kriegs siehe auch Drechsler (1966), S. 150259; Gewald (2004); Hull (2004), S. 5-90; Kuß (2004, 2006); Zimmerer (2002), S. 31-55. U.a. aufgrund der Vorgänge in der Omaheke wird die deutsche Kriegsstrategie in der Forschung als Völkermord bezeichnet. Allerdings ist diese Schlussfolgerung umstritten. Aus der Fülle der erschienenen Beiträge seien hier lediglich erwähnt Eicker (2009); Grosse (2005); Kößler/Melber (2004); Kundrus (2003c, 2005, 2006); Olusoga/Erichsen (2010); Sarkin (2011); Zimmerer (2002, 2003, 2004b). Allgemein zur gegenwärtigen Diskussion über den Genozid-Begriff siehe Barth (2006); Meinl/Wojak (2004). Speziell zum genozidalen Potenzial des Kolonialismus siehe Dabag/Gründer/Ketelsen (2004); Moses (2008). Mit unterschiedlichen Kolonialkriegen als je spezifischen Ausprägungen von kolonialer Gewalt befassen sich Klein/Schumacher (2006). Zur Frage nach den Relationen zwischen Kolonialismus und Nationalsozialismus siehe Baranowski (2010); Erichsen/Olusoga (2010); Kundrus (2010); Zimmerer (2011). Zitiert nach Zimmerer (2004a), S. 108, wo der Befehl in vollem Wortlaut abgedruckt ist. Auf Nachfrage präzisierte von Trotha seine Proklamation dahingehend, dass der Befehl, auch auf Frauen und KindHU ]X VFKLHHQ VR ]X YHUVWHKHQ VHL ÄGD EHU VLH KLQZHJJeVFKRVVHQZLUGXPVLH]XP/DXIHQ]X]ZLQJHQ³(UJLQJGDYRQDXVGDVVLQIROJHGHV(rODVVHV ÄNHLQH PlQQOLFKHQ *HIDQJHQHQ PHKU³ JHPDFKW ZUGHQ GLHVHU DEHU ÄQLFKW ]X Grausamkeit gegen Frauen und KindHU³YHUOHLWHQZUGH]LWLHUWQDFK=LPPHUHU>@6 51). Auch der Schießbefehl ist Gegenstand der Völkermord-Debatte. Krüger (1999), S. 53, weist darauf hin, dass der Begriff Konzentrationslager im Krieg gegen die Herero erstmals in einem Schreiben von Reichskanzler von Bülow an Lothar von Trotha vom 11. Dezember 1904 verwendet wurde. Zudem geht sie davon aus, dass mehr als ein Drittel der Herero während und infolge des Kriegs umkamen (vgl. ebd., S. 64). Zur Geschichte der Konzentrationslager auf der Haifischinsel in der Lüderitzbucht und in Swakopmund siehe Erichsen (2003); Zeller (2001, 2003). Zimmerer (2003), S. 58,
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Jan-%DUW*HZDOGUHVPLHUWLQGLHVHP=XVDPPHQKDQJÄ'LH+HUHUR-Gesellschaft, so ZLHVLHYRUH[LVWLHUWKDWWHZDUYHUQLFKWHW³14 Ob Ohrt an den Auseinandersetzungen in der Endphase des Kriegs gegen die Herero beteiligt war, ist seiner Korrespondenz nicht zu entnehmen. Die zweite Karte [Abb. 6] datiert nämlich vom 19. Mai 1905. Es klafft also eine Lücke von ca. acht Monaten zwischen der Nachricht von seiner Ankunft und der folgenden Karte.15 Auf ihr ist ein Garten zu sehen, in dem mehrere Personen stehen bzw. sitzen. 'LH %LOGXQWHUVFKULIW HUOlXWHUW Ä'HXWVFK-Südwestafrika. Eine Park-Partie in WindhuN³ 'LH KDQGVFKULIWOLFKH 1DFKULFKW EHVDJW Ä/LHEHU %U XQG 6FKZ 'LH EHVWHQ *UHYRQKLHUVHQGHW(XHU%UXQG6FKZDJHU+HUPDQQ³2KUWVFKrieb die Karte in Rietmont, einem Ort in der Nähe von Mariental und Kalkfontein im südlichen Namibia. Hier war das Zentrum der Kämpfe zwischen der Schutztruppe und den Nama, die der deutschen Kolonialmacht im September 1904 den Krieg erklärt hatten. 16 AbbilGXQJÄEine Park-3DUWLHLQ:LQGKXN³
Quelle: Altonaer Museum für Kunst und Kulturgeschichte
zufolge sind zwischen Oktober 1906 und März 1907 im Konzentrationslager auf der Haifischinsel weit über 50 Prozent der ca. 1.800 einsitzenden Gefangenen gestorben. 14 Gewald (2003), S. 116. 15 Es ist davon auszugehen, dass nicht alle Karten von Hermann Ohrt erhalten sind. Auf welche Weise sie in das Altonaer Museum gelangten, ist nicht bekannt. 16 Im Gegensatz zu den Herero vermieden die Nama Kämpfe auf offenem Feld. Sie operierten mit einer Guerillataktik und verwickelten die deutschen Soldaten in zahlreiche Einzelgefechte. Zum Krieg zwischen deutscher Kolonialarmee und den Nama siehe Hillebrecht (2003, 2004); Kuß (2004, 2006). Siehe auch Kößler (2003).
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,QHLQHUDXIGHQ$XJXVWGDWLHUWHQ.DUWH>$EE@WHLOWH2KUWPLWÄ/%UX Schw.! Brief vom 2. Juli am 18. August erhalten: Sage besten Dank. Gruß an Eltern XQG*HVFKZLVWHU%HVWH*UHVHQGHW+HUPDQQ³,QGHU%LOGXQWHUVFKULIWLVW]XOeVHQÄ'HXWVFK-Südwestafrika. Partie im Casino-Garten in Windhuk (Blühende AgaYH ³2KUWZDULPPHUQRFKLQ5LHWPRQWVWDWLRQLHUW$XIGHU$GUHVVIHOGVHLWHILQGHW sich ein weiterer handschriftlicher Zusatz, aus dem erstmals die Zugehörigkeit zu HLQHU6LJQDODEWHLOXQJKHUYRUJHKWÄ$EV6JW2KUW6LJ$EWOJ6:$IULND³ 17 AbbilGXQJÄPartie im Casino-Garten in Windhuk %OKHQGH$JDYH ³
Quelle: Altonaer Museum für Kunst und Kulturgeschichte
17 Die Frage, ob Ohrt tatsächlich erst im zweiten Jahr seines Aufenthalts zum Signalisten wurde oder ob die Angabe auf der Karte auf eine Neuregelung der postalischen Beförderungsbedingungen zurückzuführen ist, muss offenbleiben.
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Am 27. November 1905 schickte Ohrt eine Karte [Abb. 8] aus Brukkaros südlich von Gibeon. Gibeon war das traditionelle Zentrum der Witbooi, einer Gruppe der Nama. Nach dem Tod von Hendrik Witbooi wurden hier zahlreiche Nama gefangen genommen, deportiert oder exekutiert. Genau in dieser Phase des Kriegs hielt sich Ohrt in der Nähe von Gibeon auf. In der handschriftlichen Mitteilung heißt es: Ä/LHEHU %UXGHU XQG 6FKZlJHULQ KDEH KHXWH KLHVLJH 6LJQDOVWDWLRQ EHUQRPmen. $GUHVVH EOHLEW 6LJ $EWOJ *UH +HUPDQQ³ 'LH %LOGXQWHUVFKULIW ODXWHW Ä(LVHnbahn Swakopmund-Windhuk durch das Khangebirge. Deutsch-Südwest-$IULND³ $EELOGXQJÄ(LVHQEDKQ6ZDNRSPXQd-Windhuk durch das Khangebirge³
Quelle: Altonaer Museum für Kunst und Kulturgeschichte
Ohrt blieb mindestens bis April 1906 in Brukkaros. Am 24. August schrieb er in :LQGKRHNVHLQHYHUPXWOLFKOHW]WH.DUWH>$EE@(UNQGLJWHDQÄ'LHOHW]WHQ*Uüße aus dem fernen Afrika sendet Euch Bruder u. Schwager: Hermann. Gedenke 0LWWH2NWREHUEHL(XFK]XVHLQ>XQOHVHUOLFK@³=XVHKHQVLQGHLQJURHU3ODW]HLQ weißes Haus und einige Personen, die zumeist in Gruppen beieinander stehen. 'LH %LOGXQWHUVFKULIW ODXWHW Ä'HXWVFK-Südwestafrika. Wohnhaus des HereroOberhäuptlings SamXHO0DKDUHURLQ2NDKDQGMD³18
18 Samuel Maharero war von 1890 bis 1915 Chief der Herero. In einem Brief vom 6. März 1904 an Theodor Leutwein, den Vorgänger von Lothar von Trotha, stellte er seine Sicht EHU$XVEUXFKXQG8UVDFKHQGHV.ULHJVGDUÄ7KHRXWEUHDNRIWKLVZDUZDVQRWLQLWLDWHG by me in this year, rather it was begun by the whites. How many Hereros have the whites, SDUWLFXODUO\ WKH WUDGHUV NLOOHG" %RWK E\ JXQV DQG E\ ORFNLQJ WKHP XS LQ WKH SULVRQV³ (zitiert nach Gewald [2004], S. 89). Allgemein zu Maharero siehe Pool (1991).
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AbbilGXQJÄWohnhaus des Herero-OberhäuptliQJV6DPXHO0DKDUHUR«³
Quelle: Altonaer Museum für Kunst und Kulturgeschichte
Aneignung: Autorschaft und Serialität Die Informationen auf den Karten sind bruchstückhaft. Auch geht aus den Mitteilungen nicht hervor, inwieweit Ohrt in direkte militärische Konfrontationen verwickelt bzw. ob er an den Exekutionen und Deportationen zum Beispiel der Nama beteiligt war. Deutlich wird aber, dass er in dem, was er schrieb, keinerlei Bezug nahm auf die jeweiligen Motive. Dies gilt für alle von Ohrt verschickten Karten. 19 Auf einer allerdings ± es handelt sich um das dritte erhaltene Exemplar ± findet sich ein allgemeiner Kommentar zur Motivebene, der auch als eine editorische Notiz verstanden werden kann. Die Karte [Abb. 10], auf der ein festungsartiger Bau zu sehen ist, datiert vom 19. Mai 1905. Sie wurde also am selben Tag verschickt wie
19 Dass im Falle der Bildpostkarte nur selten ein expliziter Bezug zwischen Bild und handschriftlicher Mitteilung besteht, wird in der Forschungsliteratur immer wieder hervorgehoben. Siehe z.B. Augustin (2009), S. 11, der von einer Sammlung von 300 Kolonialpostkarten mit Motiven aus Namibia ausgeht. Siehe auch Hax (1999), S. 113, die sich mit der Zirkulation von antisemitischen Bildpostkarten um 1900 befasst. Baldwin (1988), S. VSULFKWPLW%OLFNDXIUDVVLVWLVFKH3RVWNDUWHQDXVGHQ86$YRQÄPHVVDJHVXQUHODWHG to thH LPDJHV³ Mathur (1999), S. 111, wiederum resümiert bzgl. kolonialer Postkarten DXV ,QGLHQ Ä6XFK PHVVDJHV DUH RFFDVLRQDOO\ SHUVRQDO EXW PRUHRIWHQ JHQHULF DQG IUeTXHQWO\ DW RGGV ZLWK WKH YLVXDO LPDJH LQ D SUHGLFWDEOH NLQG RI LOORJLF³ DeRoo (2004), S. VFKOLHOLFKNRQVWDWLHUWDQJHVLFKWVYRQNRORQLDOHQ3RVWNDUWHQDXV$OJHULHQGDVVÄD ODFNRIFRPPHQWDU\PD\EHPRVWUHYHDOLQJ³
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GLHEHUHLWVHUZlKQWH.DUWHÃ3DUN-3DUWLHLQ:LQGKRHNµ'LH%LOGXQWHUVFKULIWEHVDJW Ä'HXWVFK-SüdwestafULND0LOLWlUVWDWLRQ*URRWIRQWHLQ³20 In der Mitteilung heißt es: Ä:HUGHYHUVXFKHQ(XFKYRQKLHUGLHVFK|QVWHQ$QVLFKWHQ]XVHQGHQ*UH+HrPDQQ³ $EELOGXQJÄ0LOLWlUVWDWLRQ*URRWIRQWHLQ³
Quelle: Altonaer Museum für Kunst und Kulturgeschichte
Mit dieser Ankündigung kreierte Ohrt ein übergeordnetes Motto, das die einzelnen Karten miteinander in Verbindung brachte. Vor allem aber gab er zu verstehen, dass er eine Auswahl nach ästhetischen Kriterien treffen werde, die eine Affizierung der Adressat_innen garantieren sollten.21 Entsprechend wurde der Status von Autorschaft in zweifacher Hinsicht geltend gemacht: Indem Ohrt die jeweiligen Karten
20 Die im Nordosten Namibias gelegene Station wurde Ende der 1890er Jahre von Soldaten der Schutztruppe errichtet. 21 Es ist davon auszugehen, dass Ohrt tatsächlich eine Auswahl treffen konnte, da um 1900 bereits zahlreiche Hersteller in Namibia Karten mit lokalen Motiven produzierten. Ohrt selbst verwendete solche Karten, z.B. vom Verlag der Swakopmunder Buchhandlung oder vom Verlag A. Schmerenbeck in Windhoek. Darüber hinaus benutzte er einige Karten des Hamburger Verlags Franz Spenker, der sich auf Motive aus den deutschen Kolonien und v.a. aus Namibia spezialisiert hatte. Der Umstand, dass diese Karten in Namibia erhältlich waren, verweist auf die transnationalen Verflechtungen in der Postkartenindustrie. Auch in der Postkartensammlung der National Archives of Namibia in Windhoek befinden sich zahlreiche Karten des Verlags Franz Spenker, die z.T. auch innerhalb von Namibia verschickt wurden. Der Verleger Spenker publizierte 1904 den ersten in Deutschland erschienenen Kolonialbildband mit dem Titel: Kreuz und quer durch Deutsch-Südwest-Afrika.
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mit seinen handschriftlichen Mitteilungen versah und signierte, gab er sich als Autor des geschriebenen Worts zu erkennen. Indem er aber gleichzeitig den Vorgang der Auswahl ausstellte und dadurch seine Rolle im Prozess der Bildrahmung hervorhob, reklamierte er Autorschaft auch im Hinblick auf die Motivebene. Die einzelnen Karten sollten Bestandteile einer Art Fortsetzungs-Bilderbrief sein, für dessen Gesamtkomposition der Absender verantwortlich zeichnete. In diesem Sinne fungierte die Ankündigung, die schönsten Ansichten senden zu wollen, als Generator eines seriellen Prinzips, das über das Format der Postkarte und ihre Produktion als Massenware hinauswies. Das heißt, Ohrts Karten bildeten nicht nur deshalb eine Serie, weil die Karten seriell produziert wurden oder weil ein Postkartenhersteller sie als Serie konzipiert hatte, sondern weil sie im Prozess der Aneignung und des Gebrauchs zu einem Bilderbrief als Serie arrangiert und verdichtet wurden. Wie genau sich die Komposition des Bilderbriefs gestaltete, veranschaulicht eine Zusammenstellung einiger Karten, die Ohrt zwischen Juni 1905 und Juli 1906 verschickte. Auf einer [Abb. 11] ist laut Bildunterschrift ein Typhus-Lazarett in :LQGKRHN ]X VHKHQ 2KUWV 1DFKULFKW ODXWHWH Ä'LH EHVWHQ *UH VHQGHW %UXGHU X 6FKZDJHU+HUPDQQ³Auf einer weiteren Karte [Abb. 12] ist erneut die Militärstation in Grootfontein abgebildet, diesmal allerdings aus einer anderen Perspektive: Ä'LHEHVWHQ*UHVHQGHW%UXGHUX6FKZDJHU+HUPDQQ%ULHIIROJW³$XFK/DQdschaftsaufnahmen waren Bestandteil der Serie. Auf einem Motiv [Abb. 13] ist gePlGHU%LOGXQWHUVFKULIWGHUÄ.DZDJHEL /|ZHQIOXVV³]XVHKHQÄ7DXVHQG*UH und Küsse sendet Bruder u. Schwager: Hermann. Gruß an Eltern und Dora. (Anbei HLQ %ULHI ³22 Eine kurz vor Weihnachten geschriebene Karte [Abb. 14] zeigt das %DKQKRIVJHElXGHLQ$EEDELVÄ/LHEHU%UX6FKZ'LHEHVWHQ*UHVHndet Br. u. 6FKZ+HUPDQQ³%HLHLQHU$QIDQJ-DQXDUDXIJHJHEHQHQ.DUWH>$EE@KDQGHOW HVVLFKJHPlGHU%LOGXQWHUVFKULIWXPHLQH$XIQDKPHGHUÄ.DLVHU:LOKHOPVWUDVVH³ LQ:LQGKRHN$XIGHQ+lXVHUQZHKWGLH1DWLRQDOIODJJHGHV .DLVHUUHLFKVÄ/LHEHU Bruder u. Schwägerin, die besten Grüße aus dem fernen Afrika wünscht Euch meiQH/LHEHQ(XHU%UXGHU+HUPDQQ)UHXHPLFKHLQHUJXWHQ*HVXQGKHLW³(LQLJH:ochen später schrieb Ohrt eine Karte [Abb. 16] mit dem Leuchtturm in Swakopmund DOV0RWLYÄLieber Br. u. Schw.! Freue mich einer guten Gesundheit. Hoffe das SelEHYRQ(XFK'LHEHVWHQ*UHVHQGHW%UX6FKZ+HUPDQQ³,P%LOGVHOEVWILnGHWVLFKQRFKGLH1DFKULFKWÄ6HLW$XJXVWRKQH1DFKULFKWYRQ(XFK%LWWHEDOGLJH $QWZRUW +³ Um Ostern 1906 herum schickte Ohrt eine Karte [Abb. 17], auf der GLH.LUFKHGHUVFKZDU]HQ%HY|ONHUXQJLQ:LQGKRHN]XVHKHQLVWÄ'LHEHVWHQ*UüHDXVGHPIHUQHQ$IULNDVHQGHW(XFK(XHU%UXGHUX6FKZDJHU+HUPDQQ³=ZHL Wochen später folgte eine Karte [Abb. 18] mit dem Motiv einer militärischen An-
22 Der Löwenfluss befindet sich im südlichen Teil Namibias. Auf der Karte ist lediglich das ausgetrocknete Flussbett zu sehen.
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ODJHLQ2PDUXUXÄ'LHVFK|QVWHQ*UHVHQGHW(XFK(XHU%UX6FKZ+HUPDQQ³ 6FKOLHOLFK HLQH .DUWH >$EE @ YRQ $QIDQJ -XOL GLH %HUJH ]HLJW Ä/LHEHU Bruder u. Schwägerin, die schönsten Grüße aus dem fernsten Afrika sendet Euch Euer BrudeUXQG6FKZDJHU+HUPDQQ³ $EELOGXQJÄ7\SKXV-/D]DUHWWLQ:LQGKXN³
Quelle: Altonaer Museum für Kunst und Kulturgeschichte
$EELOGXQJÄ)HVWHLQ*URRWIRQWHLQ³
Quelle: Altonaer Museum für Kunst und Kulturgeschichte
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Abbildung 13: Ä.DZDJHEL/|ZHQIOXVV³
Quelle: Altonaer Museum für Kunst und Kulturgeschichte
$EELOGXQJÄ$EEDELV³
Quelle: Altonaer Museum für Kunst und Kulturgeschichte
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$EELOGXQJÄ:HVWOLFKH.DLVHU:LOKHOPVWUDVVH³
Quelle: Altonaer Museum für Kunst und Kulturgeschichte
$EELOGXQJÄ/HXFKWWXUP6ZDNRSPXQG³
Quelle: Altonaer Museum für Kunst und Kulturgeschichte
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$EELOGXQJÄ.LUFKHGHU(LQJHERUHQHQLQ:LQGKXN³
Quelle: Altonaer Museum für Kunst und Kulturgeschichte
$EELOGXQJÄ:HVWOLFKH6WDtion in Omaruru³
Quelle: Altonaer Museum für Kunst und Kulturgeschichte
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$EELOGXQJÄPartie a.d. Anas-*HELUJH³
Quelle: Altonaer Museum für Kunst und Kulturgeschichte
Abgesehen von den Nachrichten, die die Ankunft in Swakopmund, die Übernahme der Signalstation und die Ankündigung der Rückreise betrafen, und abgesehen von den ab und an geäußerten persönlichen Worten (Gesundheit, Bitte um Antwort) erweisen sich die kurzen Mitteilungen von Ohrt als stereotyp-floskelhafte und redundante Botschaften, die ebenfalls das Prinzip der Serie erkennen lassen. Charakteristisch waren vor allem die standardisierten Grußformeln, die sich als mitunter identische Textbausteine wiederholten. Dies mag angesichts der Verweise auf geschriebene Briefe nicht weiter verwundern. In Relation zu den Bildern allerdings entfalteten die Mitteilungen auf den Postkarten spezifische Wirkungen: Angesichts des Umstands, dass das geschriebene Wort nicht als Bildkommentar fungierte, erscheint das Verhältnis zwischen Bild und Text im Einzelfall als beliebig und kontingent. In der Gesamtschau hingegen wird ersichtlich, dass und wie die jeweiligen KommuniNDWLRQVHEHQHQHLQDQGHUNRUUHVSRQGLHUWHQ6FKRQPLWGHP0RWWRÃVFK|QVWH$QVLFhWHQµ GHXWHWH 2KUW DQGDVV GLHYRQ LKP DXVJHZlKOWHQ 0RWLYH LQ besonderer Weise geeignet seien, einen Eindruck von der Kolonie vermitteln zu können. Diese Eignung führte er zum einen auf ästhetische Qualitäten zurück. Zum anderen gaben seine reduzierten und standardisierten Mitteilungen zu verstehen, dass die Bilder für sich selbst sprechen könnten und also selbsterklärend seien. Das Bild an sich sollte beweiskräftig sein und Beglaubigungspotenzial entfalten. Die Mitteilungen wiederum sollten die Beweiskräftigkeit des Bilds lediglich rahmen und verstärken. In diesem Sinne lässt sich nicht nur die Auswahl der Motive, sondern auch die Beschrif-
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tung als eine ästhetische Praxis verstehen, deren serieller Charakter zur Autorisierung des Bilds beitrug. Bild und Bildunterschrift: mapping der Kolonie Hermann Ohrts Postkartenkorrespondenz basierte wesentlich auf der Vorstellung, dass fotografischen Ansichten ein besonderes Potenzial zur Objektivierung inhärent VHL'DV0RWWRÃVFK|QVWH$QVLFKWHQµVRZLHGLHVHULHOOH%HVFKULIWXQJVSUD[LVVWHOOWHQ Gesten der Authentifizierung dar, die dieses Potenzial zur Entfaltung gelangen lassen sollten. Allerdings ist nicht bekannt, was genau mit den Karten in Büdelsdorf geschah. Sicher ist nur, dass sie (oder zumindest einige von ihnen) gesammelt und verwahrt wurden, ob in einem Album, in der Schreibtischschublade oder an der Wohnzimmerwand. Im Rahmen der zeitgenössischen Diskussionen über (das Sammeln von) AnVLFKWVNDUWHQZXUGHLPPHUZLHGHUGLH0|JOLFKNHLWEHVFKZRUHQÄGLHJDQ]H:HOWLQ %LOGHUQ³]HLJHQXQGVRPLWGLH:HOWLQNOHLQVWH(LQKHLWHQ]HUlegen zu können, und zwar im Format 9 x 14.23 Demnach resultierte der serielle Charakter der Bildpostkartenproduktion nicht nur aus der massenhaften Reproduktion einzelner Exemplare, sondern er gründete auch in der sukzessiven Ausweitung und Vermehrung der Motive auf Ansichtskarten, wodurch die Hoffnung genährt oder erst geweckt wurde, bestimmte Orte oder Regionen möglichst umfassend als Bilder vor Augen stellen zu können. Die Praxis des Sammelns wiederum erwies sich als konsequente Fortführung oder Anwendung des seriellen Prinzips. Mit dem Sammeln verband VLFKGHU$QVSUXFKÄHLQELOOLJHVXQGHLQKHLWOLFKHV$QVLFKWHQEXFKGHU:HOW]XVDmPHQ]XVWHOOHQ³24 8QGGLH%HREDFKWXQJGDVVGDVÄNOHLQVWH'RUIXQGGDVHLQVDPVWH )|UVWHUKDXV>«@VHLQH.DUWHQKDEHQ³ZROOWHQIKrte zu der Prognose, dass es alsEDOGP|JOLFKVHLQZHUGHÄGHQJDQ]HQ(UGEDOOPLWGHQ$QVLFKWNDUWHQWDSH]LHUHQ³]X können.25 2KUWV .DUWHQ KlWWHQ HV HUODXEW HLQ Ã$QVLFKWHQEXFKµ GHU .RORQLH LP VGOLFKHQ Afrika zusammenzustellen oder eben diese Kolonie zu tapezieren. Die meisten KarWHQ GHU 6HULH ÃVFK|QVWH $QVLFKWHQµ >$EE @ ]HLJHQ %LOGHU YRQ 2UWVFKDIWHQ ZLH Windhoek oder Swakopmund, von Gebäuden (vor allem militärische Festungen, aber auch Bahnhofs- und Krankenstationen), Hafenanlagen, Eisenbahnlinien, Gärten und Landschaften. Sie veranschaulichen den Ausbau der Infrastruktur und zeugen somit von der Kolonisierungstätigkeit der Deutschen. In serieller Anordnung
23 Lauckner (1907), S. 254. 24 Adrian (1907), S. 187. 25 Zur Psychologie der Ansichtkarte (1898), S. 36.
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erscheinen sie zugleich als eine Art Technik des mapping, durch die ein Territorium erfasst, geordnet und markiert wird.26 Abbildung 20: Serie Ohrt unvollständig
26 Allgemein zur geographischen Technik des mapping bzw. zum Projekt einer kritischen Kartographie siehe Glasze (2009). Mit den kolonialen Implikationen des mapping befasst VLFK +DUOH\ GHU .DUWHQ DOVÄZHDSRQV RI LPSHULDOLVP³EH]HLFKQHW HEG 6 Siehe auch Butlin (2009); Driver (2001).
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Zwar handelt es sich nicht um eine Kartierung im eigentlichen Sinne.27 Und doch boten die Bilder geographische Orientierungspunkte und erlaubten es, die Beschaffenheit der Oberflächenstruktur der Kolonie in den Blick zu nehmen. In der Logik der Serie war dieser Blick potenziell totalisierend, da durch die serielle Anordnung die Möglichkeit suggeriert wurde, die Kolonie als Ganzes überblicken zu können.28 Dabei war auch die Bildunterschrift ein entscheidender Faktor. Alle von Ohrt verschickten Karten hatten eine Bildunterschrift, die stets in zwei Teile gegliedert war. Bei einem zumeist in deutlich kleinerer Schrift gedruckten Teil handelte es sich um Ortsnamen, die das Abgebildete spezifizieren sollten: Windhoek, Swakopmund, Omaruru, Abbabis, Grootfontein, Kawageb, das Anas- und das KhanGebirge. Zudem wurden Gebäude und Straßen benannt sowie Freizeitaktivitäten PDUNLHUWÃ3DUWLHµLP*DUWHQ 'HUDQGHUH7HLOKLQJHJHQZDUREOLJDtorisch. Er variierte lediglich hinsichtlich der Schreibweise, war inhaltlich aber deckungsgleich: Ã'HXWVFK-Südwest-$IULNDµ*HUDGHLQGLHVHP]ZHLWHQ7HLONDPDEHUPDOVHLQVHULHlles Prinzip zur Geltung. Mehr noch: Es war vor allem der textliche Zusatz Ã'HXtsch-Südwest-$IULNDµGXUFKGHQGLHVHULHOOH$QRUGQXQJHUVWVLJQLILNDQWZXUGH Wie genau das Zusammenspiel von Bild und Text hier vorzustellen ist, lässt sich im Anschluss an die Überlegungen des Philosophen Roland Barthes zur Pressefotografie nachvollziehen.29 %DUWKHVEH]HLFKQHWGLH%LOGXQWHUVFKULIWDOVÄHLQHSarasitäre Botschaft, die das Bild konnotieren, das heißt ihm ein oder mehrere zusätzOLFKH 6LJQLILNDWH ÃHLQKDXFKHQµ VROO³ ,P *HJHQVDW] ]X HLQHP LOOXVWUDWLYHQ (LQVDW] von Bildern, bei dem das Bild zur Ä(UKHOOXQJRGHUÃ5HDOLVLHUXQJµ³GHV7H[WVEHLWUaJHQ VROOH JHKH HV EHL GHU %LOGXQWHUVFKULIW GDUXP HLQH Ä6XEOLPLHUXQJ 3DWKHWLVLeUXQJRGHU5DWLRQDOLVLHUXQJGHV%LOGHV³]XHUUHLFKHQ%DUWKHVEHWRQWGDVVGLH5DWLo-
27 Dass und auf welche Weise Bildpostkarten in den Prozess der Kartierung des kolonialen Raums eingebunden waren, verdeutlicht die einleitend erwähnte Praxis der Deutschen Kolonialgesellschaft, Landkarten der kolonialen Besitzungen des Kaiserreichs im Postkartenformat herauszubringen. Die kartographische Ordnung, durch die sowohl das koloniale Territorium als auch der Prozess der Landnahme ± in den Worten von Gugerli/Speich (2002), S. 9 ± ÄDXI HUJUHLIHQG NRQNUHWH :HLVH HYLGHQW³ ZXUGH ZXUGH durch entsprechende Bildpostkarten massenwirksam popularisiert. Schneider (2006), S. 141, weist allgemein auf die fundamentale historische Bedeutung von Postkarten hinsichtlich der Popularisierung von kartographischem und geographischem Wissen hin: Sie IXQJLHUWHQDOVHLQ0HGLXPÄPLWWHOVGHVVHQ:HOW- und Landkarten in ganz unterschiedlicheQ5DKPXQJHQYHUEUHLWHWZHUGHQ³ 28 *XJHUOL6SHLFK 6YHUZHLVHQDXIGLHYLHOVFKLFKWLJHQÄ%H]LHKXQJHQ]ZLVFKHQ 9HUPHVVXQJVNXQVW XQG 5HJLHUXQJVNXQVW³ XQG DUJXPHQWLHUHQ GDVV HLQ ZHVHQWOLFKHU (ffekt kartographischer Verfahren um 1900 darin bestand, ÄGLHSROLWLVFKH(LQKHLWGHVKHWeURJHQHQ6WDDWVJHELOGHV³]XYHUDQVFKDXOLFKHQXQGJOHLFKVDPKHU]XVWHOOHQYHUVWUHXWH7HrULWRULHQÄDXISODVWLVFKH:HLVHDOVJHHLQWH1DWLRQ³]XSUlVHQWLHUHQ:LHLP)ROJHQGHQ]X zeigen sein wird, lässt sich dieser Befund auch für die Analyse von Ohrts Feldpostkarten produktiv machen. 29 Allgemein zum Verhältnis zwischen Bild und Text siehe Weingart/Voßkamp (2005).
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nalisierung des Bilds durch das geschriebene Wort beiläufig geschehe, da die Bildunterschrift lediglich den vermeintlich neutralen bzw. objektiven Charakter des (foWRJUDILVFKHQ %LOGV ]XP $XVGUXFN ]X EULQJHQ YRUJHEH XQG GHVKDOE ZLH ÄHLQH $UW ]XVlW]OLFKH EHLQDKH IROJHQORVH 9LEUDWLRQ³ HUVFKHLQH 'LHVes Moment der Beiläufigkeit aber sei insofern von zentraler Bedeutung, als es den grundlegend konnotieUHQGHQ6WDWXVYRQ:|UWHUQRGHU6FKULIWUHODWLYLHUHXQGVRPLWHLQHÄ1DWXUDOLVLHUXQJ GHV.XOWXUHOOHQ³EHZLUNH30 Um auf die von Ohrt verschickten Postkarten zurückzukommen: Zwar gab das Wissen um die Kolonisierungspraxis des Deutschen Kaiserreichs einen Rezeptionsrahmen vor, wodurch die Ansichten als Dokumentationen dieser Praxis gedeutet werden konnten; allerdings wäre eine solche Deutung ohne die Bildunterschriften erheblich erschwert worden oder sogar unmöglich gewesen, da die jeweiligen Bildelemente ± zumindest für Rezipient_innen in Deutschland ± nicht ohne Weiteres lokalisierbar waren. Und auch die meisten Ortsnamen im spezifizierenden Teil der Bildunterschrift waren vermutlich weithin unbekannt und demnach nur mit geringer Konnotierungsleistung ausgestattet. Vor diesem Hintergrund erschließt sich die Bedeutung des zweiten Teils der Bildunterschrift. Zwar handelte es sich um einen scheinbar neutralen oder objektiven Text, der dokumentarischen Status beanspruchte ± LQGHQ:RUWHQYRQ%DUWKHVHLQHÃ]XVlW]OLFKHEHLQDKHIROJHQORVH9LEUDWiRQµ8QGGRFKZDUHVYRUDOOHPGHU6LJQLILNDQWÃ'HXWVFK-Südwest-$IULNDµGHUGDV Bild im Hinblick auf kolonialen Besitz und nationalstaatlicher Zugehörigkeit lesbar machte.31 Folglich war auch die Bildunterschrift zentraler Bestandteil des mapping, das sich nicht darin erschöpfte, das, was erfasst werden sollte, ins Bild zu setzen, sondern das auch in der textlichen Zuweisung und Markierung des Erfassten be-
30 %DUWKHV D 6 GHVVHQ hEHUOHJXQJHQ DXI GHU 3UlPLVVH EHUXKHQ ÄGD QlPOLFK jedes Photo in gewisser Hinsicht GLH]ZHLWH1DWXUVHLQHV5HIHUHQWHQLVW³%DUWKHV>@ S. 86). Struktur und Ethos der mechanischen Objektivität hallen hier in unverkennbarer Weise wider. Entsprechend weist Geimer (2002), S. 186, darauf hin, dass Barthes eine 7KHRULHWUDGLWLRQÄQRFKHLQPDOLQ$QVSUXFKQDKP³GLHELVLQGLH(QWVWHKXQJV]HLWGHUHUsten fotografischen Aufnahmeverfahren zurückreiche. Dabei sei zu berücksichtigen, dass Barthes seine Einschätzung der indexikalischen Qualität der Fotografie in bewusstem Dissens zu zunehmend sich etablierenden sozialkonstruktivistischen Ansätzen formuliert habe (vgl. ebd.). Um der Dichotomie von Realismus und Konstruktivismus zu entgehen, versucht Geimer, Bruno Latours Begriff des factishes als eines die Grenzen zwischen facts und fetishes überschreitenden Hybrids produktiv zu machen (vgl. ebd.). Siehe auch /DWRXU :LHHUVLFKWOLFKJHKWHVPLUDQGLHVHU6WHOOHZHQLJHUXP%DUWKHV¶IRWRJUafietheoretische Überlegungen als um die von ihm skizzierte Naturalisierungsfunktion der Bildunterschrift. 31 Jäger (2003), S. 117, verweist auf die Bedeutung gerade von Fotografien hinsichtlich des Nationalismus im 19. -DKUKXQGHUWE]ZGHUÄQDWLRQDOLVWLFUH LQWHUSUHWDWLRQRIODQGVFDSHV DQG DUFKLWHFWXUDO DQG KRQRULILF PRQXPHQWV³ Die Karten von Ohrt wiederum verdeutlichen, dass auch der Bildunterschrift im Zuge dieser Re-Interpretation zentrale Bedeutung zukam.
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stand. Dies war umso mehr von Bedeutung, als die visuelle Aneignung des kolonialen Territoriums gewissermaßen noch bevorstand.32 Die Bildunterschrift jedenfalls hatte wesentlichen Anteil daran, dass der Prozess der kolonialen Landnahme mittels der Ansichtskarte auf einer symbolisch-visuellen Ebene nachvollzogen und wiederholt werden konnte. Eine ihrer wesentlichen Funktionen bestand darin, die im Bild vor Augen gestellten Settings als koloniale Settings auszuweisen und die Inbesitznahme von Land und Leuten kenntlich zu machen. Kriegsbilder Bis hierhin habe ich lediglich die von Ohrt verschickten Ansichtskarten diskutiert, die den Hauptteil seiner Postkartenkorrespondenz ausmachten. Allerdings verschickte er auch vier Karten, deren Motive das Kriegsgeschehen zeigen. Im FolJHQGHQ VROO XQWHUVXFKW ZHUGHQ ZLH 2KUW DXFK GLHVH .DUWHQ LQ GLH 6HULH ÃVFK|QVWH $QVLFKWHQµHLQSDVVWH=XGHPOlVVWVLFKDQKDQGYRQGUHLGHUYLHU.DUWHQQRFKHLQPDO in besonderer Weise veranschaulichen, dass und auf welche Weise die Bildunterschrift die Lesbarkeit des Bilds strukturierte und organisierte. Eine Karte [Abb. 21] datiert vom 6. Juli 1905. Auf ihr ist eine Kirche zu sehen, vor der eine Gruppe von Menschen steht (einige Soldaten in Schutztruppenuniform, Frauen und Kinder). Am linken Bildrand stehen zwei weitere Männer in ZivilkleiGXQJ ,Q GHU ]ZHLJHWHLOWHQ %LOGXQWHUVFKULIWKHLW HVÄ2NDKDQGMD '-S.-W.-$IULND³ XQG Ä%HVFKRVVHQH 0LVVLRQVNLUFKH³ 'LH 1DFKULFKW YRQ 2KUW ODXWHW Ä'LH EHsten *UH VHQGHW %UXGHU X 6FKZDJHU +HUPDQQ³ 'LH .DUWH ZXUGH YRP Verlag der Swakopmunder Buchhandlung herausgegeben. Der Verlag Franz Spenker in Hamburg wiederum produzierte eine Karte mit identischem Motiv. Dort besagt die BildXQWHUVFKULIW Ä9RQ +HUHURs besetzt gewesene Kirche in Okahandja nach der BeVFKLHVVXQJ GXUFK GLH GHXWVFKHQ 7UXSSHQ³33 Aus einem Brief, den der Missionar Philipp Diehl an Verwandte schickte, geht hervor, dass deutsche Soldaten auf die Kirche feuerten, trotzdem die Herero diese offenbar keineswegs besetzt hielten und sie außerhalb der Schusslinie lag. Von den Herero hingegen sei, so beteuerte Diehl, keinerlei Gefahr für die Missionsstation ausgegangen. 34 Jan-Bart Gewald merkt in diesem Zusammenhang an:
32 Auch an dieser Stelle lässt sich ein Befund der kritischen Kartographie übertragen, nämOLFKGDVVÄPDSVDQWLFLSDWHGHPSLUH³+DUOH\>@6 33 Die Karte befindet sich im Archiv der Wissenschaftlichen Gesellschaft in Windhoek. An dieser Stelle sei Gunther von Schumann gedankt, der eine ausführliche Sichtung der Archivbestände ermöglichte. 34 Ein Auszug aus dem Brief ist abgedruckt in Gewald (2004), S. 85-86.
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Seit den ersten Tagen des Krieges glaubten deutsche Siedler und auch ein Teil der Beamten, dass die Missionare die Herero direkt beim Aufstand unterstützt oder doch zumindest ihr Wissen über den drohenden Aufstand nicht an die verantwortlichen Stellen weitergegeben hätten. Beim Ausbruch des Krieges wurde nicht zuletzt deshalb die Mission in Okahandja eines der Ziele für die Deutschen im Fort.35
Auf der in Namibia hergestellten Karte wurde zwar nicht expliziert, wer die Kirche beschossen hatte. Der Umstand aber, dass eine Missionskirche Ziel der Angriffe gewesen war, konnte, sofern die genauen Umstände der Kämpfe in Okahandja nicht bekannt waren, den Schluss nahelegen, dass die Herero geschossen hätten. Auf der Hamburger Karte hingegen wurde zwar deutlich gemacht, dass die Schüsse von deutschen Soldaten abgegeben wurden, allerdings wurde der Beschuss als eine Reaktion auf die angebliche Besetzung der Mission durch die Herero dargestellt. 36 So oder so wird ersichtlich, dass die Bildunterschrift als ein Rahmungsverfahren fungierte, das den Prozess der Rezeption bzw. Wahrnehmung strukturieren sollte. $EELOGXQJÄ%HVFKRVVHQH0LVVLRQVNLUFKH³
Quelle: Altonaer Museum für Kunst und Kulturgeschichte
35 Ebd., S. 85. 36 Auch in dem bereits erwähnten Bildband Kreuz und quer durch Deutsch-Südwest-Afrika ist das Foto mit der Missionskirche abgedruckt. Hier lautet die Bildunterschrift lediglich: Ä'LH]HUVFKRVVHQH.LUFKHLQ2NDKDQGMD³85/http://www.schoefert.de/rka/inhalt/dswa/ spenker.htm [Stand: September 2013]).
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Abbildung 22: Ä6DPXHO0DKDUHUR³
Quelle: Altonaer Museum für Kunst und Kulturgeschichte
Eine weitere Karte [Abb. 22] datiert vom 3. Januar 1906. Sie zeigt Samuel Maharero, den Chief der Herero, in frontaler Ganzkörperansicht mit Schutztruppenhut auf dem Kopf sowie einen hinter ihm stehenden Mann. Das Foto wurde vor Ausbruch des Kriegs aufgenommen, als Maharero noch Verbündeter der deutschen Kolonialmacht war. Ein Abzug hängt im National Museum of Namibia in Windhoek im Ausstellungsteil National Liberation Struggle (1904-1908). Hier trägt Maharero eine gestreifte Binde am linken Arm, vermutlich in den Reichsfarben Schwarz-
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Weiß-Rot, die seinen Verbündetenstatus anzeigen sollte.37 Die Postkarte hingegen wurde nach der Reform des Postgesetzes von 1905 und also nach der Aufteilung in eine Bild- und eine Textfeldseite produziert, als der Krieg bereits ausgebrochen war. Die Armbinde wurde wegretuschiert. Und in der Bildunterschrift heißt es: Ä6DPXHO 0DKDUHUR GHU IHLJH 2EHUKlXSWOLQJ GHU +HUHURV 'HXWVFK-Süd-West$IULND³=ZLVFKHQ%LOGXQG%LOGXQWHUVFKULIW]ZLVFKHQGHUUXKLJXQGEHVRnnen wirNHQGHQ3RVHYRQ0DKDUHURXQGVHLQHU&KDUDNWHULVLHUXQJDOVÃIHLJHU2EHUKlXSWOLQJµ besteht eine Diskrepanz. Offenkundig sollte die Bildunterschrift der visuellen Inszenierung Mahareros als respektablem Gegenüber entgegensteuern und somit potenzielle Wirkungen des Bilds kontrollieren und begrenzen. Die Nachricht von Ohrt lautete: Lieber Br. u. Schw.! Feiertage und Neujahr bei bester Gesundheit verlebt. Hoffe ein gleiches von Euch. Hoffe dass dieses Jahr unsere Heimreise bringt. Freue mich schon auf ein Wiedersehen. Die besten Grüße an alle sendet Bruder u. Schwager: Hermann.
Eine dritte Karte [Abb. 23] datiert vom 10. Juni 1905. Auf ihr sind zahlreiche, dicht beieinanderstehende Menschen zu sehen, die in der Art eines Gruppenfotos arrangiert sind. Die %LOGXQWHUVFKULIWHUNOlUWÄ'6:$IULND*HIDQJHQH+RWWHQWRWWHQ³38 2KUWVFKULHEÄ'LHEHVWHQ*UHVHQGHW%UX6FKZ+HUPDQQ³ Die vierte Kriegskarte [Abb. 24] schließlich wurde am 24. November 1905 gestempelt. Das Bild zeigt eine Exekution von zwei Personen durch Erhängung. Vermutlich handelte es sich bei den Hingerichteten um Nama. Vor den zwei Galgen stehen mehrere Soldaten in kleineren Gruppen beisammen, die Uniformen der Schutztruppe und teilweise Gewehre tragen. Am rechten Bildrand stehen einige Kinder (Jungen und Mädchen) sowie einige Männer in Zivilkleidung. Fast alle Personen haben der Kamera den Rücken zugewandt und sehen zum Schauspiel der Er-
37 Auch Hendrik Witbooi trägt auf mehreren Fotos und Postkarten eine solche Armbinde. 38 Möglicherweise wurde das Foto auf dieser Karte schon einige Jahre vor Ausbruch des Kriegs 1904 aufgenommen. Zumindest existiert eine weitere Karte, die im November 1899 verschickt wurde und deren Motiv zwar nicht identisch, aber sehr ähnlich ist. Im Gegensatz zur Karte von Ohrt sind hier weniger Menschen zu sehen. Zudem steht ein Schutztruppensoldat am rechten Rand des Bilds. Auffallend ist aber, dass beide Fotos von derselben Stelle gemacht wurden, was an den Bäumen im Hintergrund zu erkennen ist. Auch scheint es so, als ob einige der Personen auf beiden Karten abgebildet sind, worauf einige Indizien (Hüte, Kleidung) hindeuten. Die 1899 gelaufene Karte wurde vom Verlag Glückstadt und Münden LQ +DPEXUJ KHUJHVWHOOW +LHU ODXWHWH GLH %LOGXQWHUVFKULIW Ä$XV XQVHUHQ&RORQLHQ'6:$IULND.ULHJVJHIDQJHQH+RWWHQWRWWHQ³'LH.DUWHLVWLP%HVLW] der Sammlung Historische Bildpostkarten der Universität Osnabrück. Die Bildseiten sind digitalisiert und im Internet einsehbar (URL: http://www.bildpostkarten.uni-osnabrueck. de/displayimage.php?album=131&pos=3 [Stand: September 2013]). Ein weiteres Exemplar dieser Karte, allerdings in nachkolorierter Version, ist abgedruckt in Augustin 6+LHUODXWHWHGLH%LOGXQWHUVFKULIWÄ*UXSSHNULHJVJHIDQJHQHU+RWWHQWRWWHQ³
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KlQJXQJLQGHU0LWWHGHV%LOGVKLQ,QGHU%LOGXQWHUVFKULIWVWHKWÄ+LQULFKWXQJDXfrührerischer Mörder in Gibeon Deutsch-Süd-West-$IULND³ (UQHXW JLEW GLH 7H[Winformation, indem sie die Erhängung als eine Strafaktion codiert und gleichsam legitimiert, eine spezifische Lektürerichtung vor. In der Nachricht von Ohrt heißt HVÄLieber Br. u. Schw.! Die besten Grüße auf der Reise nach dem Süden sendet YRQ*LEHRQ(XHU%UX6FKZ+HUPDQQ9HUJQJWH)HLHUWDJH³8QGLP%LOGILQGHW VLFKQRFKGHU=XVDW]Ä*UHDQ(OWHUQX*HVFKZLVWHU+³39 $EELOGXQJÄ*HIDQJHQH+RWWHQWRWWHQ³
Quelle: Altoaner Museum für Kunst und Kulturgeschichte
39 Auch dieses Foto wurde in dem Kolonialbildband Kreuz und quer durch Deutsch-Südwest-Afrika abgedruckt. Die Bildunterschrift ist identisch mit der auf der Karte (URL: http://www.schoefert.de/rka/inhalt/dswa/spenker.htm [Stand: September 2013]). In einer Neuauflage des Buchs von 1920 ist das Foto nicht mehr enthalten. An dieser Stelle sei Arne Schoefert gedankt, der die Webseite reichskolonialamt.de betreibt, auf der einige Seiten aus Spenkers Buch einzusehen sind, und von dem auch die Information mit den identischen Untertiteln stammt. Überhaupt bietet die Webseite reichlich koloniales Bildmaterial wie Reklamesammelbilder, Fotografien, Buchillustrationen etc., wenngleich die Präsentation und inhaltliche Perspektivierung des Materials sehr problematisch ist, da keine kritische Distanzierung zu erkennen ist, im Gegenteil die Quellen in kolonialrevisionistischer oder zumindest den Kolonialismus nostalgisierender Manier fetischisiert werden.
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$EELOGXQJÄ+LQULFKWXQJDXIUKUHULVFKHU0|UGHU³
Quelle: Altonaer Museum für Kunst und Kulturgeschichte
Die Karten zeugen von militärischen Auseinandersetzungen, diffamieren den Chief der Herero, zeigen die Szenerie eines Schusswechsels und dokumentieren die Gefangennahme und Exekution des Feinds. Damit gaben sie zu verstehen, dass der Vorgang der Landnahme umkämpft war. Zugleich verdeutlichten sie, dass auch die visuelle Aneignung des kolonialen Territoriums im Medium Bildpostkarte nicht bruchlos vonstattenging. Anders als auf den zuvor diskutierten Ansichtskarten, die den Krieg ostentativ ausblendeten, wurde er hier als gleichermaßen bedrohliches wie gewalttätiges Szenario sichtbar. Zwar war dieses Sichtbar-Werden an spezifische Bedingungen geknüpft. So waren zum Beispiel keine deutschen Kriegsopfer zu sehen. Und auch die Gewalt der Kolonialmacht wurde durch die Codierungsleistung der Bildunterschrift eingehegt. Und doch war zu erkennen, dass ein Kriegszustand existierte und ein hoher, auch militärischer Aufwand notwendig war, um die Landnahme durchführen zu können. Motivisch und genremäßig unterschieden sich die Kriegs- von den Ansichtskarten. Auffallend ist allerdings, dass im Hinblick auf die Aneignung und Nutzung durch Hermann Ohrt keinerlei Bruch auszumachen ist. So bereitete es ihm auch keinerlei erkennbaren Probleme, die Kriegskarten in seine Serie zu integrieren. Dies verdeutlicht zum einen der Umstand, dass er die Karte mit den Gefangenen drei Wochen nach GHU$QNQGLJXQJGLHÃVFK|QVWHQ$QVLFKWHQµVHQGHQ]XZROOHQYHrschickte. Zum anderen blieb der Modus der schriftlichen Mitteilung unverändert. Diesbezüglich ist vor allem die Karte mit den Erhängten signifikant, die als Weih-
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nachtsgruß fungierte und auf der ± wie bei einigen anderen Karten auch ± ein kurzer Zusatz in das Bild hineingeschrieben wurde. Das serielle Prinzip, das Ohrt durch GDV 0RWWR ÃVFK|QVWH $QVLFKWHQµ VRZLH GXUFK VHLQH %HVFKULIWXQJVSUD[LV UHDOLVLHUWH kam demnach auch bei den Kriegskarten zur Geltung. Und als Bestandteile der Serie bewirkten sie, dass Krieg und Gewalt wie beiläufig thematisiert wurden. Zur Darstellung von Gewalt Ohrts Umgang mit den Kriegskarten wirft die grundlegende Frage nach Funktion und Effekten von Gewaltdarstellungen und ihren Gebrauchsweisen auf. Der Fotohistoriker Anton Holzer weist in diesem Zusammenhang auf den rituellen Charakter gerade von öffentlichen Hinrichtungen hin. Dieser manifestiere sich nicht nur in der Vollstreckung einer Strafe und also in dem Verhältnis zwischen der strafenden Macht und dem Opfer der Exekution, sondern auch in dem Zusammentreffen der Angehörigen der strafenden Macht als Überlebenden (Soldaten, zuschauende Zivilist_innen etc.). Folglich eigne der kollektiv ausgeübten und weithin sichtbaren *HZDOWHLQHÄZLFKWLJHJHPHLQVFKDIWVELOGHQGH)XQNWLRQ³40 Dies gelte vor allem unter den Bedingungen des Kriegs, wo Identitäten und Ordnungen in besonderer Weise herausgefordert und bedroht sind. Holzer geht es allerdings nicht um das Ritual der Hinrichtung an sich. Vielmehr beschäftigt ihn die Frage, warum zum Beispiel im Ersten Weltkrieg an Orten der Hinrichtung exzessiv fotografiert wurde. Die Fotografie ± so Holzers These ± erweitere die Sichtbarkeit der Strafe. Entsprechend hätten auch HinrichtungsIRWRV ]X HLQHU Ä,QWHJUDWLRQ GHU *HPHLQVFKDIW GHU 7|WHnGHQ³EHLJHWUDJHQXQG]ZDUEHUGHQ.UHLVGHUEHLHLQHU+LQULFKWXQJ$QZHVHQGHQ hinaus.41 Zudem verweist Holzer auf die fetischistische Komponente derartiger BilGHU $OV Ä%HXWHVWFNH³ XQG Ä7URSKlHQ³ KlWWHn sie den Triumph des Henkers verdoppelt.42 Und sie hätten als eine Art Schutzschild fungiert, durch das die Bedrohung durch den Gegner habe gebannt und die Zugehörigkeit zum Kollektiv der strafenden Macht immer wieder aufs Neue habe bestätigt werden können.43 Auch die von Ohrt verschickten Kriegskarten hatten trophäenartigen Charakter. 'XUFK GHQ 8PVWDQGGDVV HUGLH .DUWH PLW GHQ (UKlQJWHQ GD]X QXW]WH ÃYHUJQJWH )HLHUWDJHµ]XZQVFKHQXQGGDVVHULQGDV%LOGÃ*UHDQ(OWHUQX*HVFKZLVWHU +µ KLQHLQVFKULeb, hat es den Anschein, als ob die Toten der Familie zum Weihnachtsfest dargeboten und überbracht würden. Zumindest wurde der Triumph der
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Holzer (2008), S. 100. Ebd., S. 101. Ebd., S. 10. Ebd., S. 166-179. Siehe in diesem Zusammenhang auch Hoffmann-Curtius (2002), die sich mit Fotografien befasst, die von Wehrmacht, SS und Polizeibataillonen während des Zweiten Weltkriegs begangene Verbrechen dokumentieren.
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strafenden Macht auch in Büdelsdorf sichtbar, der zugleich von der Überlegenheit und Unversehrtheit des Soldaten kündHWHVRDOVVHLÄGDV%LOGGLHVHVDQGHUHQ7RGHV eine Trophäe des eigenen hEHUOHEHQV³44 Allerdings lassen sich auch die anderen Karten der Serie als Trophäen verstehen. Denn ob es sich um Gefangene, Erhängte, Gebäude oder Natur handelte ± immer ging es darum, den Erfolg der KolonisieUXQJVWlWLJNHLW GHU 'HXWVFKHQ RGHU GLH Ã6FK|QKHLWµ GHV DQJHHLJQHWHQ NRORQLDOHQ Raums vorzuführen und zu verbürgen. Demnach lagen die Kriegs- und Ansichtskarten auch in dieser Hinsicht auf einer Ebene. Der Dokumentarfilmer Dieter Reifarth und die Kunsthistorikerin Viktoria Schmidt-Linsenhoff machen auf eine weitere Dimension der Darstellung von Gewalt aufmerksam. Sie beschäftigen sich mit Fotografien, die deutsche Wehrmachtssoldaten während des Russlandfeldzugs im Zweiten Weltkrieg aufnahmen. Zahlreiche dieser Fotografien würden darauf hindeuten, dass öffentliche Hinrichtungen mitunter auch beiläufig und offenbar in wenig spektakulärer Weise vollstreckt worden seien. Die Anordnungen von Fotografien in privaten Fotoalben wiederum, wo Bilder von Erhängungen direkt neben Gruppenfotos einer Freizeitgesellschaft platziert waren, korrespondierten mit diesem Eindruck. Vor diesem Hintergrund diagnostizieren Reifarth und Schmidt-/LQVHQKRIIHLQHÄIUDSSLHUHQGH%DQDOLVLHUXQJ³YRQ Gewalt.45 Auch für die Karten von Ohrt lässt sich eine solche Banalisierung konstatieren. So wird zum Beispiel durch die der Erhängung beiwohnenden Kinder eine Beiläufigkeit des Tötungsvorgangs suggeriert. Vor allem aber war die Banalisierung ein Resultat der Anordnung der Kriegskarten innerhalb der Serie. Gerade diese Anordnung hatte den Effekt, dass der Krieg bzw. die Gefangennahme und die Erhängung, ebenso wie die anderen visuellen Eindrücke und die kurzen Nachrichten, im Status des Fragmentarischen verblieben. Und als Fragmente der Erfahrungswelt eines am Kolonialkrieg in Namibia teilnehmenden deutschen Soldaten evozierten die Karten Alltäglichkeit, business as usual oder einfach Schweigen. Reisen im Krieg Letztlich ist die Banalisierung von Gewalt darauf zurückzuführen, dass Ohrt seinen Kriegsaufenthalt in Namibia als touristische Reiseerfahrung codierte. 46 Der Historiker Klaus Latzel merkt in seiner Beschäftigung mit von deutschen Wehrmachtssol-
44 Hentschel (2008c), S. 196, die mit Blick auf Bildpolitiken infolge der Terroranschläge YRP 6HSWHPEHU YRQ HLQHU Ä2UGQXQJ GHV 9LVXHOOHQ³ VSULFKW ÄGLH GHQ HLJHQHQ 7RGXQVLFKWEDUPDFKWRGHUVDNUDOLVLHUHQGHQWUFNW³XQGJOHLFK]HLWLJGHQÄ7RGGHUDQGeren bisweileQREVHVVLY³DXVVWHOOWHEG $XIGLH)UDJHQDFKGHU8QVLFKWEDUNHLWGHV eigenen Sterbens wird zurückzukommen sein. 45 Reifarth/Schmidt-Linsenhoff (1997), S. 481. 46 Zur Diskussion über den Zusammenhang zwischen Krieg und Reisen siehe Eichberg (1992); Köstlin (1984 und 1989); Lauterbach (2001).
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daten während des Zweiten Weltkriegs verschickten Feldpostbriefen an, dass die :DKUQHKPXQJ GHV *HJQHUV XQG VHLQHU 8PJHEXQJ YRQ HLQHP ÄWRXULVWLVFKH>Q@ %OLFN³JHNHQQ]HLFKQHWJHZHVHQVHL47 Auch die Karten von Ohrt [Abb. 25] zeugen von einem solchen Blick. Abbildung 25: Serie Ohrt ganz
Indem er sie als ÃVFK|QVWH $QVLFKWHQµ DQSULHV XQG EHUZLHJHQG $QVLFKWVNDUWHQ auswählte, auf denen der Krieg unsichtbar war, nahm er eine Rahmung vor, durch die sein Bilderbrief als visueller Reisebericht Gestalt annahm. Zwar thematisierte er Gewalt und Vernichtung als Bestandteile dieser Reise. Allerdings räumte er ihnen keinen exzeptionellen Status ein, behandelte sie also nicht als besondere Vor-
47 Latzel (1997), S. 456. In ähnlicher Weise konstatiert Diekmannshenke (2011), S. 54, dass )HOGSRVWEULHIHDXVGHQEHLGHQ:HOWNULHJHQ ÄHKHUZLH8UODXEV- oder ReisebeschreibunJHQ GHQQ %HULFKWH DXV HLQHP .ULHJ³DQPXWHQ Zürden. Holzheid (2011), S. 155, wiederum merkt mit Blick auf Feldpostkarten aus dem deutsch-französischen Krieg von DQ GDVV GHU ÄEULHIOLFKH 7H[WUDKPHQ >«@ GHP HLQHU 5HLVHNDUWH ]X )ULHGHQV]HiWHQ³JOHLFKH.UJHU 6VFKOLHOLFKDUJXPHQWLert ausgehend von während der .lPSIHLQ1DPLELDDQJHIHUWLJWHQ7DJHEXFKDXI]HLFKQXQJHQGHXWVFKHU6ROGDWHQGDVVÄGHU .ULHJDXFKDOV)RUVFKXQJVUHLVHYHUVWDQGHQZHUGHQ³NRQQWH
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kommnisse. Im Gegenteil platziert er auch die Bilder von den Erhängten und von den Gefangenen in der Redundanz der Serie. Betrachtet man die verschickten Karten als Reiseeindrücke, so handelte es sich bei ihnen entsprechend nicht nur um Trophäen, sondern gleichermaßen um Souvenirs. Der Anthropologin Christraud Geary und der Kunsthistorikerin Virginia LeeWebb zufolge besteht ein wesentliches Charakteristikum von Ansichtskarten darin, dass sie im Gebrauch einen Souvenirstatus erlangen, zumal wenn sie aus der Ferne nach Hause geschickt werden. 'LH $XWRULQQHQ VSUHFKHQ YRQ HLQHU ÄQDWXUH RI WKH VRXYHQLU³GLHGDULQEHVWHKHÄWRSUHVHUYHDn exhilarating moment in time through a reduction of the physical dimensions of the seen and experienced into a portable KHUHPDLODEOH IRUPDW³48 Gerade durch die Verbindung zwischen dem Beglaubigungspotenzial des Bilds und dem postalischen Vorgang der Verschickung wachse GHU $QVLFKWVNDUWH LQ HLQHU EHVRQGHUHQ )RUP ÄDXWKHQWLFLW\ DQG PQHPRQLF SRZHU³ zu. Zudem würde sie durch die Aneignung, das heißt durch den Kaufakt bzw. die %HVFKULIWXQJXQG9HUVHQGXQJYRQHLQHPÄPDVV-produced item into a private, meaningIXOSRVVHVVLRQ³WUDQVIRUPLHUW49 In diesem Sinne lässt sich Ohrts Serie als ein Versuch verstehen, die Eindrücke seines Aufenthalts in Namibia zu bewahren und gleichzeitig zu übermitteln. Der Krieg hatte in dieser Übermittlung seinen Platz, war aber Bestandteil eines übergeordneten Narrativs der Reise. Indem Reiseansichten und Kriegsbilder in eins fielen, wurden Reisen und Krieg ununterscheidbar, erschien das Spektakel der Reise auch als ein Spektakel der Gewalt. Als solches drang der Krieg in die häusliche Sphäre in Deutschland ein. Er wurde dort nicht nur durch fotografische Bilder veranschaulicht, sondern durch Postkarten als Souvenirs, die gleichsam als Andenken fungierten. Ihr Affizierungspotenzial basierte darauf, dass sie von einem Familienangehörigen verschickt und autorisiert wurden und dass sie von dessen Unversehrtheit kündeten.50 Dadurch konnten die Bilder vom Kriegsgeschehen, die auch Bilder einer Reise waren, nicht nur als besonders authentisch gelten, sondern sie erhielten auch den Anstrich des Privaten.51
48 Geary/Webb (1998b), S. 3-4. 49 Ebd., S. 4. Auch Warnke (1994), S. 8, hebt den AspHNWGHU3ULYDWKHLWKHUYRUÄ'LH3RVtNDUWHOHLVWHW>«@HLQH3ULYDWLVLHUXQJ|IIHQWOLFKHU%LOGDQJHERWHXQGVLHEHI|UGHUWHLQ9HrVLFNHUQSROLWLVFKHU%RWVFKDIWHQLQGHUSHUV|QOLFKHQ6SKlUH³ 50 Holzheid (2011), S. 159, zufolge besteht eine wesentliche Funktion von Feldpostkarten GDULQÄGLHHUO|VHQGH*HZLVVKHLWYRQGHUJHJHQVHLWLJHQ8QYHUVHKUWKHLW]XHUKDOWHQ³*eUDGHDQJHVLFKWVGHUÄSRWHQWLHOOODQJIULVWLJH>Q@7UHQQXQJYRQGHQ$QJHK|ULJHQ³VRZLHGHU ÄH[LVWHQ]LHOOH>Q@ 8QJHZLVVKHLW PLW SK\VLVFK-emotionaler IsolatiRQ XQG =ZDQJVODJH³ ZUGHGHUÄ.RQWDNW]XGHQ9HUWUDXWHQXPVRZLFKWLJHU³HEG6 51 +RO]KHLG 6IKUWGLHÄDIIHNWLYH$XIZHUWXQJ³YRQ)HOGSRVWNDUWHQGDUDXI]uUFNGDVVGLHVHÄLQGLUHNWHU9HUELQGXQJPLWGHP6HQGHUDOV9HUELQGXQJVREMHNWJHVHKHQ³ ZHUGHQÄRGHULQ6XEVWLWXWVIXQNWLRQIUGLH3HUVRQGHV6HQGHUV³VWHKHQNRQQWHQ
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2.2 K OLONIALKRIEG
UND
B ILDPRODUKTION
Postalisches Spektakel der Gewalt Die von Hermann Ohrt verschickten Postkarten mögen im Hinblick vor allem auf die Codierung als visuelle Reiseeindrücke eine spezifische Form der Aneignung und Nutzung darstellen. Was allerdings die Auswahl der Motive und das Verhältnis zwischen Bild und Text betrifft, lassen sich vergleichbare Beispiele finden. Die Karte mit den Erhängten, die vom Verlag Franz Spenker herausgegeben wurde, zirkulierte in (mindestens) zwei Varianten: nachkoloriert (wie bei Ohrt) und in Schwarz-Weiß. Im Januar 1906 wurde ein schwarz-weißes Exemplar ebenfalls als )HOGSRVWYRQ*LEHRQQDFK0QFKHQJHVFKLFNW'HU0LWWHLOXQJVWH[WODXWHWHÄ+DEH das Paket nebst Brief erhalten. Besten Dank dafür. Ich werde dir das für deine LieEHQ EHVRUJHQ +HU]O *UX VHQGHW GLU +HLQULFK³52 Auch gab es unterschiedliche Karten mit Gefangenenbildern. Auf einem Exemplar zum Beispiel ist eine Gruppe von Kindern zu sehen, die in der Mitte des Bilds zusammenstehen und -hocken. /DXW%LOGXQWHUVFKULIWKDQGHOWHVVLFKXPÄ*HIDQJHQH+HUHURLP/DJHU³'LH.DUWH wurde im März 1906 von Swakopmund nach Blankenese geschickt. In der Mitteilung heißt es: Heute glücklich und wohlbehalten in Swakopmund angekommen. Wir haben schon einen Teil der Ladung gelöscht. Pferde und Soldaten auch schon an Land. Wie geht es euch denn zu Hause, hoffentlich alles gesund und munter. Dasselbe kann ich euch von mir sagen. Anfang April sind wir wieder zu Hause. Mit herzlich [sic] Gruß Hugo.53
Auf einer weiteren, vom Verlag der Swakopmunder Buchhandlung herausgegebenen Karte, die im September 1904 als Feldpost von Swakopmund nach BraunVFKZHLJ JHVFKLFNW ZXUGH VLQG ODXW %LOGXQWHUVFKULIWÄ*HIDQJHQH (LQJHERUHQH³ Dbgebildet. Den neun zumeist jungen Männern sind Eisenketten um die Hälse gelegt. Am rechten Bildrand, etwas nach hinten versetzt, steht ein Angehöriger der Schutztruppe, der sich wie ein seine Beute präsentierender Jäger inszeniert. Der Absender WHLOWH PLW Ä/LHEH 0XWWHU 9LHOH *UH VHQGHW DXV GHU )HUne dein lieber Sohn +HLQULFK%ULHIIROJW³54
52 Die Karte ist Bestandteil der Sammlung von Freddie Herzberg. Sie war an einen Herrn Graf adressiert. 53 Die Karte ist Bestandteil der Sammlung im Altonaer Museum für Kunst und Kulturgeschichte. Sie war an eine Frau Wohlien adressiert und wurde nicht als Feldpost geschickt. 54 Die Karte ist Bestandteil der Sammlung von Freddie Herzberg.
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Es ließen sich noch weitere derartige Karten finden.55 Und es wäre interessant, GHP QDFK]XJHKHQ ZDV $QWRQ +RO]HU DOV ÄXQNRQWUROOLHUWHV (LJHQOHEHQ³ YRQ *ewaltabbildungen bezeichnet.56 Damit ist auf die Möglichkeit angespielt, dass ein einstmals als Trophäe aufgenommenes Foto in anderen (und möglicherweise späteren) Verwendungszusammenhängen zu einem Dokument der Kritik und der Anklage von Krieg und Gewalt werden kann.57 Doch soll an dieser Stelle der Hinweis genügen, dass die von Hermann Ohrt verschickten Kriegskarten keine Ausnahme darVWHOOWHQ9LHOPHKUKDQGHOWHHVVLFKXPÄÃJDQ]QRUPDOHµ%LOGHU³GLHQLFKWQXUYHrbreitet waren, sondern die darüber hinaus das, was sie zeigten, als Selbstverständlichkeit zeigten.58 Diese Selbstverständlichkeit resultierte aus der Art und Weise der Visualisierung sowie aus dem Verhältnis zwischen Bild und Bildunterschrift. Vor allem aber war sie ein Effekt der Zirkulation der Bilder, das heißt des Gebrauchs und der Praxis der Beschriftung. Facetten des Kriegs Dass Motive von getöteten oder gefangen genommenen Herero und Nama nicht den Hauptteil der vom Krieg verschickten Feldpost ausmachten, deuteten Ohrts Ansichtskarten bereits an. Auch ist eine weitere Karte von ihm erhalten, auf der zahlreiche Herero (Männer, Frauen und Kinder) in traditioneller Kleidung abgebildet sind, die fast alle in Richtung Kamera blicken. Die Karte datiert vom 28. August 1904. Sie wurde folglich in den ersten Tagen nach Ohrts Ankunft in Swakopmund geschrieben. Allerdings war sie nicht an seinen Bruder und seine Schwägerin adressiert, sondern an eine Grete Schnack in Rendsburg. Die Bildunterschrift erklärt: 55 Weitere Karten mit Aufnahmen von gefangenen Herero und Nama sowie von den Gefangenenlagern sind abgedruckt in Augustin (2009), S. 96 und 106; Hillebrecht (2003), S. 128; Zimmerer (2003a), S. 53 und 57. 56 Holzer (2008), S. 29. 57 Das britische Blaubuch z.B., das 1918 von den britischen kolonialen Verwaltungsbehörden in Windhoek verfasst wurde, um die deutsche Kolonialpolitik zu bilanzieren und zu kritisieren, kam weitestgehend ohne Bilder aus. Umso bemerkenswerter ist, dass dem Text ein Erhängungsfoto vorangestellt wurde, das die Verbrechen der Deutschen in besonderer Weise anschaulich machen sollte. Ungefähr in der Mitte des Buchs taucht ein weiteres Erhängungsfoto auf. Und am Ende des Berichts, nach einer kurzen Fotostrecke mit ca. zehn Bildern, auf denen die Eisenketten, die die Gefangenen tragen mussten, zu sehen sind, ist abermals ein Erhängungsfoto abgebildet. Der Report on the Natives of South-West Africa and their Treatment by the Germans wird also von Erhängungsbildern gerahmt ± als Ikonen einer brutalen Unterdrückungs- und Vernichtungspraxis, die von den Alliierten als spezifisch deutsche Form der Kolonisierung thematisiert wurde (vgl. Silvester/Gewald [2003], S. 5, 118 und 334). Wer die Aufnahmen gemacht hat und wo sie entstanden sind, lässt sich dem Text nicht entnehmen. In den jeweiligen Bildunterschriften heißt es u.a Ä([HFXWLRQ RI QDWLYHV E\ KDQJLQJ IURP D WUHH³ E]Z Ä1DWLYHV KDQJHGE\*HUPDQV³HEG6XQG 58 Gugerli/Orland (2002b), S. 9.
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Ä'HXWVFK-Süd-West-Afrika. Herero-1HJHU³ ,Q GHU 0LWWHLOXQJ EHULFKWHWH 2KUW YRQ seiner Ankunft und ließ Grüße unter anderem an seinen Bruder ausrichten. Am unteren Bildrand findet sich noch der Zusat]Ä(LQHVFK|QH0HQVFKHQUDVVH>XQOHVHrlich@ 'LH VLQG KHU]OLFK DQ]XVHKHQ³ ,P *HJHQVDW] ]X GHQ DQGHUHQ .DUWHQ VWHOOWH Ohrt hier einen direkten Bezug zwischen Bild und Mitteilung her, wobei sich der touristische auch als ein ethnographischer Blick zu erkennen gab, sich Reisen, Krieg und (ethnographische) Wissensproduktion wechselseitig überlagerten. 59 Aufnahmen von Herero oder Nama in Tracht oder vor ihren Pontoks, den traditionellen Wohnstätten, tauchten auf den Feldpostkarten immer wieder auf. Mitunter ZDUHQVLHHLQ$QODVVXP:LW]H]XPDFKHQÄ'DVVLQG:RKQXQJHQ³KHLWHV]XP Beispiel auf einer im Dezember 1906 von Swakopmund nach Tübingen verschickten Karte, auf dHU ODXW %LOGXQWHUVFKULIW Ä+RWWHQWRWWHQ 3RQWRNV³ ]X VHKHQ VLQG'HU Absender leitete eine Abteilung des Roten Kreuzes. Die Karte war an einen Adolf Schmidt adressiert. In der Mitteilung auf der Rückseite wurde auch auf den Krieg %H]XJ JHQRPPHQ Ä/>LHEHU@$ Ich erlaube mir dir auch einmal eine Postkarte zu senden ich weiß ja nicht ob es dir angenehm ist ich denke daß am 4.2.07 fahre ich wieder nach Deutschland und der Aufstand ist bald wohl klar Mit freundlichem Gruß [unleserlich@³60 Auch auf einer anderen Karte wurde der Krieg thematisiert. 6LH]HLJWHLQH$XIQDKPHYRQ0DKDUHURGHULQGHU%LOGXQWHUVFKULIWDOVÄ+HUHURNDSiWlQ³YRUJHVWHOOWZLUG9HUPXWOLFKZXUGHGLH.DUWHYRU$XVEUXFKGHV.ULHJVKHUJestellt. Sie wurde Ende Februar 1904, also einige Wochen nach den Angriffen der Herero auf deutsche Farmen, in Windhoek gestempelt und war an eine Elisabeth Hundt in Berlin adressiert. In der Mitteilung heißt es: Liebes Frl. Elisabeth! Ihre freundl. Sylvesterkarte erhielt ich vor einigen Tagen, habe mich sehr gefreut, daß Sie mich im Kreise Ihrer Lieben nicht vergaßen. Während die Unruhen mit den Hereros ausbrachen habe ich Militärdienste geleistet und bin seit 8 Tagen wieder frei. Es war eine recht wilde Zeit mit Patrouillenritten Postenstehen und Drill. [unleserlich] Jetzt ist nichts mehr zu befürchten, da von Deutschland genug Verstärkung gekommen ist. Mit vielen herzlichen Grüßen auch an Ihre Lieben, bin ich Ihr stark ergebenster Karl [unleserlich]. Im Juli oder August komme ich zurück, vielleicht für dauernd, vielleicht auch nicht. K.
Auffallend ist hier vor allem die Sorge, die der Beginn des Kriegs auslöste. Auffallend ist aber auch eine Diskrepanz zwischen Bild- und Textebene: Denn während die Herero in der Mitteilung als militärische Opponenten markiert werden, zeugt das Ganzkörperporträt von Maharero, der einen Anzug und einen Hut trägt, die Hände vor seinem Bauch übereinander gelegt hat und links an der Kamera vorbei in
59 Die Karte ist Bestandteil der Sammlung des Altoner Museums. 60 Diese Karte wie auch die folgenden zwei Beispiele sind Bestandteile der Sammlung von Freddie Herzberg.
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die Ferne schaut, von Entspanntheit und kann als eine Form der Respektbezeugung gedeutet werden. Eine weitere Karte mit Bezug zum Krieg gibt ein sehr verbreitetes Motiv zu erkennen. Zu sehen sind vier junge schwarze Frauen, deren Oberkörper entblößt sind und deren Lippen nachträglich rot eingefärbt wurden. Die Bildunterschrift besagt: Ä'HXWVFK-Süd-West-$IULND³ XQG Ä1HJHU-%DFNILVFKH³ %HPHUNHQVZHUW LVW GHU Jelangweilte Ausdruck in den Gesichtern der Frauen. Die Karte stammt von einem Gefreiten Kruse. Sie wurde am 3. September 1905 in Windhoek gestempelt und war an P. Vielebock in Köln adressiert. In der Mitteilung VWHKWÄ%HVWHQ'DQNIU,KUH [unleserlich] Karte vom 31.7.05 Leider kann ich Ihnen noch keinen Brief [unleserlich] schicken da ich mich noch im Felde befinde. Aber so bald wie möglich werde ich [unleserlich]. Mit [unleserlich] Gruße [unleserlich@.UXVH³$PREHUHQ%LOGUDQG EHILQGHWVLFKQRFKGHU=XVDW]Ä%HVWHQ*UXDQPHLQH(OWHUQELWWH³ 61 Immer wieder finden sich auch Karten, auf denen die Spuren des Kriegs vor Augen gestellt wurden: Bilder der Überreste der von den Herero zerstörten Farmund Geschäftsgebäude; Landschaftsaufnahmen, wo die Bildunterschrift erklärt, dass es sich um Orte handelt, an denen Kämpfe stattgefunden hatten; Fotos von SoldaWHQJUlEHUQ GLH JHPl GHU %LOGXQWHUVFKULIW DQ GLH ÄJHIDOOHQHQ +HOGHQ³ HULQQHUQ sollten. Darüber hinaus zirkulierten Karten mit nachgestellten Fotos oder Zeichnungen, die die Soldaten der Schutztruppe im Einsatz zeigen. So existierte eine von dem Verlag Franz Spenker KHUDXVJHJHEHQHIRWRJUDILVFKH6HULHÄ.ULHJVELOGHU³DXI denen verschiedene Szenen aus dem Soldatenalltag dargestellt wurden. Die jeweiliJHQ0RWLYHGLHXQWHUDQGHUHPÄ,P .DPSIH³Ä7UHXH /LHEHELV]XP 7RG³Ä.ULeJHUV 7UDXP³ Ä5R XQG 5HLWHU³ RGHU Ä/DJHUOLHG³ EHWLWHOW ZDUHQ ZXUGHQ YRQ *edichten komplementiert, in denen die Kämpfenden zu Helden stilisiert wurden. Der Historiker -RDFKLP =HOOHU VSULFKW LQ GLHVHP =XVDPPHQKDQJ YRQ HLQHU ÄLGHDOLVLerend-KHURLVLHUHQGH>Q@ .ULHJVGDUVWHOOXQJ >«@ ZLH VLH DXFK LQ GHU WUDGLWLRQHOOHQ 6FKODFKWHQPDOHUHLEOLFKZDU³ 62 Bemerkenswert ist hier vor allem, dass auch sterbende deutsche Soldaten Bestandteil der Inszenierungen waren. Im Modus einer theatralen Inszenierung konnte also auch der Tod von Angehörigen der eigenen Gemeinschaft sichtbar gemacht werden. Die Karten jedenfalls gaben zu verstehen, dass der Kult um soldatische Ehre und Männlichkeit auch die Bereitschaft zu sterben implizierte.63
61 Ein weiteres Exemplar dieser vom Verlag Franz Spenker herausgegebenen Karte, allerdings in Schwarz-Weiß, ist abgedruckt in Augustin (2009), S. 19. 62 Zeller (2002), S. 34. 63 Die Serie war offenbar weit verbreitet. Zumindest tauchen die jeweiligen Karten in den gesichteten Sammlungen immer wieder auf. Hinsichtlich des Motivs des Heldentods auf Postkarten aus dem Ersten Weltkrieg konstatiert Brocks (2008), S. 247-248, dass es sich XPÄ%LOGHUYRPVFK|QHQ6WHUEHQ³KDQGHOH'HU6ROGDWVWHUEHQLHDOOHLQHUOHLGH QLHDQ HQWVWHOOHQGHQ9HUOHW]XQJHQXQGHUZHUGHDOV7HLOHLQHUÄVROGDWLVFKHQ*HPHLQVFKDIW³Ln-
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Die Aufzählung jeweiliger Motive und Nutzungsweisen ließe sich fortsetzen, existierte doch eine Vielzahl an Bildern und Beschriftungspraktiken, die den Krieg keineswegs aussparten, zumal die Bildproduktion nicht zensiert wurde. 64 Im Gegenteil vermittelten sie unterschiedliche Eindrücke vom Krieg, der als Reiseerlebnis, als heroischer und aufopferungsvoller Kampf, als in die Landschaft und Architektur eingeschriebene Spur, als ethnographische Erkundung sowie als erotisches Abenteuer sichtbar wurde. In jedem Fall sickerte der Kolonialkrieg in Namibia mit den Postkarten in die heimischen Wohnzimmer ein, wobei nicht zuletzt die Art und Weise der Beschriftung dazu beitrug, seine Normalität herzustellen. Kolonialkrieg als Bild-Ereignis Wenn der Kolonialkrieg in Namibia wie dargelegt über Postkarten auch im deutschen Alltag Präsenz erlangte, erscheint allerdings fragwürdig, was Gerhard Paul in seiner Auseinandersetzung mit der Geschichte der Kriegsfotografie bzw. der Visualisierung des Kriegs durch technische Bildmedien im Hinblick auf die Kolonialkriege konstatiert: Kein Krieg entzog sich seit der Entdeckung der Fotografie den Blicken der Öffentlichkeit, wenngleich etliche Kriege wie die an der Peripherie des westlichen Interesses gelegenen Konflikte zeitgenössisch gewiss unterbelichtet oder gänzlich im Dunkeln blieben. Nachträglich aber tauchten auch von ihnen immer wieder Bilder auf und machten den zunächst verborgenen Schrecken sichtbar. Das war bei den Kolonialkriegen des beginnenden 20. Jahrhunderts nicht anders als bei den ethnischen Vernichtungsfeldzügen im Osten zur Zeit des Ersten, vor allem aber des Zweiten Weltkrieges.65
Zwar gerieten die Kriege, die das Deutsche Kaiserreich Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts in seinen kolonialen Besitzungen in China, Ostafrika und Südwestafrika führte, aufgrund der marginalen Stellung der Kolonialgeschichte innerhalb der deutschen Erinnerungslandschaft weitgehend in Vergessenheit.66 V]HQLHUWÄGLH DXFKEHU GHQ 7RG KLQDXVUHLFKW XQG LQ GHU PDQ VLFK DXFK LP 6WHUEHQ ]uKDXVH IKOW³ 'LHVHU %HIund lässt sich durchaus auf die koloniale Serie Kriegsbilder übertragen. Siehe auch May (1998), S. 386-395, der sich ebenfalls mit dem Motiv des Heldentods auf Bildpostkarten im Ersten Weltkrieg befasst. 64 Jäger (2000), S. 115f., weist darauf hin, dass die Bildproduktion an der Front erst im Ersten Weltkrieg von staatlichen Stellen reguliert wurde. 65 Paul (2004), S. 470. Allgemein zur fotografischen Praxis in der Geschichte des Kriegs seit der Mitte des 19. Jahrhunderts siehe Holzer (2003); Knoch (2002). Mit der Rolle der Fotografie im Ersten Weltkrieg befasst sich Holzer (2007). Zur Visualisierung der Shoah im Medium der Fotografie siehe Brink (1998); Didi-Huberman (2007); Knoch (2001 und 2004). 66 Im Zuge der neuerlichen Aufmerksamkeit für die deutsche Kolonialvergangenheit rücken diese Kriege zunehmend in das Blickfeld der Forschung. Auf die Literatur zum Krieg in
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Gleichwohl wurden diese Kriege ± dies gilt vor allem für Namibia ± von den Zeitgenoss_innen in Deutschland breit rezipiert. Und es ist davon auszugehen, dass sie die Nachfrage nach Bildern aus den Kolonien erheblich verstärkten. Zumindest spricht einiges für die Annahme, dass infolge des Ausbruchs des Kriegs in Namibia auch die koloniale Bildproduktion erheblich anstieg.67 Zahlreiche während des Kriegs erschienene Romane, Tagebücher und populärgeschichtliche Darstellungen, in denen die Auseinandersetzungen zwischen der Schutztruppe und den Herero und Nama thematisiert wurden, waren mit Zeichnungen oder Fotografien versehen, die die Texte illustrierten.68 Firmen der Konsumgüterindustrie wie zum Beispiel Liebig (Hersteller von Fleischextrakt) oder Stollwerck (Produzent von Schokolade) gaben meist kleinformatige Serien von Sammelbildern heraus, in denen ebenfalls Kriegsszenen zeichnerisch dargestellt wurden.69 Die weithin bekannte Satire- und Karikaturzeitschrift Simplicissimus veröffentlichte im Mai 1904 eine Spezialnummer, die gänzlich dem Thema Kolonialismus gewidmet war. 70 1904 und 1907 erschienen die ersten Kolonialfotobildbände, in denen jeweils auch Bilder vom Kriegsgeschehen abgebildet waren.71 Schließlich zirkulierten Millionen von der Front verschickte Feldpostkarten, auf denen ebenfalls fotografische Eindrücke des Kriegs vermittelt wurden. Der Kolonialkrieg in Namibia war folglich auch ein Bild-Ereignis. Und gerade die Feldpostkarten erlaubten es den Angehörigen in Deutschland, an diesem Krieg teilzuhaben. Indem Paul diese zeitgenössische Bildzirkulation übergeht, trägt auch seine Analyse zur Marginalisierung des Kolonialismus bei, zumal er die Unsichtbarkeit der Kolonialkriege insofern perpetuiert, als er diese in seiner Geschichte des modernen (Bild-)Medienkriegs seit dem 19. Jahrhundert gänzlich ausspart. Das vermeintlich historische Faktum jedenfalls ± die zeitgenössische Unsichtbarkeit der Kolonialkriege ± erweist sich eher als eine Leerstelle im kulturellen Bildgedächtnis.
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Namibia habe ich bereits mehrfach hingewiesen. Zum Krieg in Ostafrika, dem heutigen Tansania, Burundi und Ruanda, siehe Becker/Beez (2004); Kuß (2006); Morlang (2006). Zum Krieg in China siehe Klein (2006); Kuß/Martin (2006); Leutner/Mühlhahn (2007). Allgemein zu den deutschen Kolonialkriegen siehe Kuß (2010). Allgemein zur Sichtbarkeit von Namibia im Medium der Fotografie während der deutschen Kolonialherrschaft siehe Short (2004). Vgl. z.B. Liliencron (1906); Schwabe (1904 und 1907). Allgemein zur zeitgenössischen Literatur über den Kolonialkrieg siehe Brehl (2007); Wassink (2004). Vgl. Zeller (2008), S. 122-151. Der Simplicissimus ist iQ]ZLVFKHQ YROOVWlQGLJ GLJLWDOLVLHUW $XFK GLH Ã6SH]LDO-Nummer .RORQLHQµVWHKWDOV'RZQORDGEHUHLW85/KWWSZZZVLPSOLFLVVLPXVLQIR>6WDQG6Hptember 2013]). Gemeint sind der bereits mehrfach erwähnte Band Kreuz und quer durch DeutschSüdwest-Afrika sowie das 1907 in Windhoek erschienene Buch Deutsch-Südwest-Afrika. Kriegs- und Friedensbilder von Friedrich Lange.
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2.3 R AHMUNGEN /R ASSISMUS +HUPDQQ 2KUWV 6HULH ÃVFK|QVWH $QVLFKWHQµ VWHOOW HLQHQ 6SH]LDOIDOO LQQHUKDOE GHU Masse an Feldpostkarten aus dem Kolonialkrieg in Namibia dar. Dies hat vor allem mit dem Umstand zu tun, dass hier mehrere Karten von einem Absender vorhanden sind, die zudem stets dieselben Adressat_innen hatten. Erst dadurch wird es möglich, detailliert nachzuverfolgen, dass und wie das Prinzip der Serie, das der Bildpostkarte durch ihr Format inhärent ist und auch durch die Bildunterschrift generiert wurde, im Prozess der Aneignung bzw. im alltäglichen Gebrauch aufgegriffen und konsequent weitergeführt wurde, und zwar durch die Kreation eines Mottos und die damit zusammenhängende serielle Anordnung der einzelnen Exemplare sowie durch die serielle Praxis der Beschriftung. In diesem Sinne lässt sich Ohrts Serie als Versuch verstehen, das serielle Potenzial der Bildpostkarte gewissermaßen voll auszuschöpfen. Und wenn Beiläufigkeit und Fragmentarität als Charakteristika eines postkartenspezifischen Kommunikationsstils auch die Rahmung des Kolonialkriegs durch Feldpostkarten bestimmten und zu einer Banalisierung kolonialer Gewalt beitrugen, so wird dies mit Blick auf diese Serie in besonderem Maße anschaulich.72 Allerdings lassen auch die von anderen Soldaten verschickten Karten serielle Muster erkennen. Dies liegt zum einen daran, dass Postkarten zumeist als Massenware produziert wurden und unterschiedliche Nutzer_innen oftmals die gleichen Karten verwendeten. Zum anderen tauchen immer wieder bestimmte Motivtypen in scheinbar unzähligen Variationen auf. Schließlich begegnen die typischen Textbausteine, die das Bild zwar nicht direkt kommentierten, es aber rahmten, und zwar indem sie ± und dies gilt im Besonderen für die Kriegsdarstellungen ± die Alltäglichkeit und Normalität des Abgebildeten suggerierten. Insofern hatte auch die Banalisierung kolonialer Gewalt im Medium der Feldpostkarte seriellen Charakter. Die Frage stellt sich, ob und inwiefern der koloniale Rassismus als rahmender Faktor die Wahrnehmung des Kolonialkriegs strukturierte und somit die Banalisierung von Gewalt begünstigte oder erst ermöglichte. Zwar lassen die handschriftlichen Mitteilungen kaum Rückschlüsse zu auf das Weltbild oder die Selbstpositionierung der Soldaten Allerdings ist die ungebrochene Nutzung von Bildpostkarten,
72 Allgemein zum Kommunikationsstil auf Bildpostkarten siehe Diekmannshenke (2002). Siehe auch Kaufmann (1986), der sich mit um 1900 verschickten Urlaubskarten befasst. Holzheid (2011), S. 161, merkt an, dass Feldpostkarten aus dem deutsch-französischen .ULHJYRQGXUFKÄHLQHEULHIDUWLJH'HWDLOOLHUWKHLWVXEMHNWLYHU.ULHJVEHULFKWHUVWDtWXQJ³DXIIDOOHQZUGHQ'LHVOlVVWVLFKQLFKW]XOHW]W darauf zurückführen, dass Bilder auf Postkarten zu dieser Zeit noch kaum verbreitet waren und somit mehr Platz für Mitteilungen war. Zudem liegt die Vermutung nahe, dass sich ein charakteristischer, vom Brief unterschiedener Stil gerade in den Anfangsjahren des neuen Mediums erst etablieren musste.
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die den Prozess der (auch militärischen) Landnahme vor Augen stellten, ein Indiz dafür, dass eben diese Landnahme und die gewaltvollen Handlungen, die sie ermöglichten, als legitim angesehen wurden. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass der Krieg in Namibia ± wie der Literaturwissenschaftler und Historiker Medardus Brehl mit Blick auf eine Vielzahl von zeitgenössischen Veröffentlichungen resümiert ± ÄJHPHLQKLQ DOV XQYHUPHLGOLFKHU Ã5DVVHQNDPSIµ JHVFKLOGHUW³ wurde. Die bekannten kolonialen Dichotomien (Zivilisation vs. Barbarei, Kultur vs. Natur, Geschichte vs. Geschichtslosigkeit etc.) hätten mit dazu beigetragen, dass ÄNRORQLDOH*HZDOWLQHLQHDOVDOOJHPHLQJOWLJJHVHW]WH(QWZLFNOXQJHLQHVXQLYHUsalen, auf den kulturellen Fortschritt der Menschheit angelegten Geschichtsprozesses HLQJHRUGQHW³ZRUGHQVHL*OHLFK]HLWLJVHLJHIROJHUWZRUGHQGDVVGHU7RGGHU.ROoQLVLHUWHQ ÄDOV HLQ P|JOLFKHV XQG JHUHFKWIHUWLJWHV (OHPHQW LP 9ROO]XJ MHQHV *eschichtsprozeVVHV³VRZLHÄDOV%HVFKOHXQLJXQJHLQHVRKQHKLQXQDEZHQGEDUHQ6WHrEHQVGHU9|ONHUDP5DQGHGHU*HVFKLFKWH³]XYHUVWHKHQVHL 73 Von Bedeutung ist außerdem, dass derartige kolonialrassistische Denkmuster ± hierauf macht die Historikerin Gesine Krüger in ihrer Analyse einiger Tagebücher aufmerksam ± auch unter den am Krieg in Namibia beteiligten deutschen Soldaten verbreitet waren. 'LHVHQlPOLFKKlWWHQVLFKELVZHLOHQÄDOV9ROOVWUHFNHUHLQHUK|KHUHQ2UGQXQJHLQHV YRUJH]HLFKQHWHQ =LYLOLVDWLRQVSUR]HVVHV³ YHUVWDQGHQ und ihre Aufgabe darin geseKHQÄ*HVFKLFKWH>]X@PDFKHQXQGGDVJHVFKLFKWVORVH$IULNDYHUPLWWHOVGHV.ULHJHV JHUDGH]XLQGDVÃ*HVFKLFKWOLFKHµKLQHLQ>]X@NDWDSXOWLHUHQ³74 Es ist demnach durchaus vorstellbar, dass die alltäglich, beiläufig und selbstverständlich anmutende Nutzung gerade von Postkarten, auf denen Erhängungsszenen und Gefangene abgebildet waren, auch auf die Prägung durch kolonialrassistisches Wissen zurückzuführen ist, demzufolge das Leben der Kolonisierten ± insbesondere unter den Bedingungen des Kriegs ± weniger wert war und entsprechend kaum als betrauerbar galt. 75 Dabei LVW HV DXFK NHLQ :LGHUVSUXFK ZHQQ 2KUW GLH +HUHUR DXI HLQHU .DUWH DOV ÃVFK|QH 0HQVFKHQUDVVHµEH]HLFKQHWHGLHÃKHU]OLFKDQ]XVHKHQµVHL'HQQEHL%HGDUINRQQWH der ethnographisch-empathische Blick den vermeintlichen Ä1RWZHQGLJNHLWHQ GHV *HVFKLFKWVSUR]HVVHV³XQWHUJHRUGQHWZHUGHQ76
73 Brehl (2004b), S. 202 und 195. In ähnlicher Weise argumentiert Traverso (2003), S. 70, GHU GDUDXI YHUZHLVW ÄGDVV %HJULIIH ZLH Ã5DVVHQNULHJµ Ã$XVURWWXQJµ XQG Ã8QWHUPHnVFKHQµ LP 'HXWVFKODQG GHV ZLOKHOPLQLVFKHn Reiches als Folge seiner Kolonialpolitik JDQJXQGJlEHZDUHQ³ 74 Krüger (1999), S. 23 und 100. 75 Verschiedene Autor_innen weisen darauf hin, dass Kolonialkriege v.a. aufgrund ihres Vernichtungspotenzials einen Spezialfall in der Geschichte des Kriegs darstellen und z.B. von den auf den Haager Friedenskonferenzen 1899 und 1907 vereinbarten völkerrechtlichen Bestimmungen ausgeschlossen waren (vgl. Brehl [2004b], S. 208-213; Traverso [2003], v.a. S. 67-72; Walter [2006]). 76 Brehl (2004b), S. 196.
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Entscheidender allerdings als die Frage nach den jeweiligen Haltungen der Soldaten ist der Umstand, dass die von der Front verschickten Feldpostkarten den kolonialen Rassismus konstituierten, aktualisierten und perpetuierten. Indem diese Karten auf spezifische Weise angeeignet und gerahmt wurden, indem sie Alltäglichkeit und Beiläufigkeit suggerierten, trugen sie dazu bei, dass bestimmte Wertigkeitsvorstellungen und korrespondierende Parameter der Betrauerbarkeit manifest wurden. Koloniale Gewalt, die durch ein latentes Vernichtungspotenzial gekennzeichnet war und mit der Vorstellung korrelierte, dass die Kolonisierten im Rahmen eines quasi naturwüchsigen Vorgangs gewissermaßen zum Aussterben verdammt seien, war nicht per se selbstverständlich. Vielmehr musste sie als Selbstverständlichkeit hergestellt werden. Die von am Krieg beteiligten deutschen Soldaten verschickten Feldpostkarten waren ein wichtiger Baustein in dem Prozess dieser Herstellung. Die Art und Weise, wie sie koloniale Gewalt sichtbar machten und rahmten, ließ diese Gewalt als Normalität erscheinen.
3. Spiel mit der Unordnung ± Sexualität und Humor auf Bildpostkarten Nineteenth-century theories of race did not just consist of essentializing differentiations between self and other: they were also about a fascination with people having sex ± interminable, adulterating, aleatory, illicit, inter-racial sex. (ROBERT YOUNG: COLONIAL DESIRE) Und was den Humor so faszinierend macht und warum es so schwierig ist, über ihn zu schreiben, hat mit der Art und Weise zu tun, in der die Beispiele ständig über die theoretische Analyse hinausschießen, die man über sie anstellen kann ± sie sagen mehr, indem sie weniger sagen. (SIMON CRITCHLEY: ÜBER HUMOR)
Die Nachricht vom Ausbruch des Kriegs im fernen südlichen Afrika machte im Kaiserreich schnell die Runde ± und zwar auch im Postkartenformat. Auf einer am 24. Februar 1904, also ca. fünf Wochen nach Beginn der Kampfhandlungen gestempelten und innerhalb Leipzigs kommentarlos verschickten Karte [Abb. 26], die vom Verlag Bruno Bürger & Otillie herausgegeben wurde, sind sechs weiße Soldaten (drei in Schutztruppen- und drei in Marine-Uniform) zu sehen, die sieben schwarze Männer (zumeist barfuss, bisweilen mit einem Hut auf dem Kopf, Einige tragen lange Unterhosen und eine weiße Jacke, Andere haben lediglich ein weißes Tuch um die Hüfte gebunden) gefangen genommen haben und abführen. Die Hände der Gefangenen sind gefesselt. Zwei Männern sind Schlingen um den Hals gelegt, ein Mann wird mit einem an seinem Nasenring befestigten Seil gezogen. Im BildKLQWHUJUXQGEUHQQWHLQ)DUPKDXV,QGHU%LOGEHUVFKULIWKHLWHVÄ'HU$XIVWDQGLQ
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'HXWVFK6GZHVWDIULND³'LH%LOGXQWHUVFKULIWZLHGHUXPEHVDJWÄ'DVLVWMDZLHGHU einmal HLQHIHLQH6RUWH³ $EELOGXQJÄ'HU$XIVWDQGLQ'HXWVFK6GZHVWDIULND!³
Quelle: Deutsches Historisches Museum
Das Bild ist eine Zeichnung. Und dass es sich um eine humoristische Zeichnung handelt, wird nicht nur durch die Bildunterschrift unterstrichen. Auffallend ist zum Beispiel, dass einige der weißen Soldaten lachen. Auffallend ist außerdem, dass ein Soldat einem Gefangenen ins Ohr kneift und ein anderer Soldat einem anderen Gefangenen den schwarzen Hut auf dem Kopf platt haut. Der Krieg wird hier in der Art eines kindlich anmutenden Räuber-und-Gendarm-Spiels vor Augen gestellt. Es geht offenbar vor allem darum, einen witzigen Effekt zu erzielen. Zwar tauchen Bildelemente wieder auf, die bereits auf den Feldpostkarten begegneten (das brennende Haus als Spur der Verwüstung, die gefesselten Gefangenen als Beute, die triumphierenden Soldaten). Allerdings wird der Krieg auf gänzlich andere Weise gerahmt: eben nicht als fotografische Dokumentation, die ein besonderes Authentizitätsversprechen bereithält, sondern als ein humoreskes Spiel, das den Faktor Gewalt nivelliert und somit einhegt. Dieses Spiel soll im Folgenden im Mittelpunkt stehen. Dabei kommt es bei der Analyse in mehrerlei Hinsicht zu einer Akzentverlagerung: Gegenstand sind nicht mehr fotografische Bilder, sondern gezeichnete Bilderwitze oder Karikaturen. Zwar nehmen diese Bilderwitze bisweilen auf den Krieg in Namibia Bezug, ihr eigentliches Thema sind aber romantische und sexuelle Beziehungen zwischen Weißen und Schwarzen. Das heißt, dass die im vorigen Kapitel diskutierte Frage, auf welche Weise fotografische (Ansichts-)Karten den Kolonialkrieg in Namibia gerahmt ha-
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ben, abgelöst wird von einer neuen Frage, der Frage nämlich nach dem Einsatz und Wirkpotenzial von Witzpostkarten im Hinblick auf die Rahmung der (sexuellen) Verhältnisse zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten. Zudem sind die meisten der in diesem Kapitel diskutierten Karten nicht gelaufen. Entsprechend werden sich meine Ausführungen vor allem auf die Bildseite der jeweiligen Karten beziehen. An dieser Stelle sei auf die bildtheoretische Prämisse hingewiesen, dass die Ä8QWHUVWHOOXQJ XQLYHUVDOHU /HVEDUNHLW HLQH ,OOXVLRQ³ LVW 1 Während der Arbeit an diesem Buch konnte ich beobachten, dass gerade die hier behandelten Witzpostkarten unterschiedlichste Assoziationen hervorrufen und zu vielfältigen Interpretationen einladen. Und es ist davon auszugehen, dass auch die zeitgenössischen Lesarten in hohem Maße divergierten. Insofern lässt sich das, was der Philosoph Simon Critchley über Humor sagt, nämlich dass dieser sich den Versuchen einer Vereindeutigung beständig entzieht, auf die hier untersuchten Postkarten übertragen. 2 Insbesondere die Ambivalenz der Bilderwitze ist in diesem Zusammenhang in Rechnung zu stellen: Das Charakteristische an ihnen besteht darin, dass sie, trotzdem oder gerade weil sie koloniale Ordnungsvorstellungen zum Ausdruck brachten, Unordnung aufführten. Das heißt, sie ließen die Möglichkeit von Unordnung, wenn auch als Karikatur, sichtbar werden. Ihre Ambivalenz resultiert also aus dem Umstand, dass sie einerseits von der Angst vor dem Verlust von Ordnung zeugen und offenkundig von einem biopolitischen Bemühen um Kontrolle und Regulierung motiviert waren, andererseits aber, indem sie das Szenario der Unordnung immer wieder aufs Neue durchspielten, eine Lust an der Überschreitung zu erkennen gaben. Dieser Ambivalenz werde ich im Folgenden nachgehen. Dabei werde ich auch auf humortheoretische Überlegungen Bezug zu nehmen. Aufgezeigt werden soll, dass und auf welche Weise die Witzpostkarten die kolonialen Diskurse über Rasse und Sexualität massenwirksam aufbereitet und somit popularisiert haben. Zudem wird es im Anschluss an postkoloniale Positionen zur Frage der Handlungsmacht darum gehen, die Bilderwitze als gleichermaßen aggressiv wie verzweifelt anmutende Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten subalternen Handlungsspielraums und entsprechend als Ausdruck einer Denormalisierungsangst zu interpretieren. 3 In einem Vergleich mit einigen wenigen fotografischen Postkarten, auf denen PaarBeziehungen zwischen weißen Männern und schwarzen Frauen mehr oder weniger explizit dargestellt sind, wird deutlich, dass die fotografischen Aufnahmen Selbstverständlichkeit und Alltäglichkeit suggerierten, die spöttisch überzeichneten Witzkarten hingegen wie Reaktionen auf diese Form der Evidenzstiftung wirkten. Wo es für ein Verständnis der Anspielungen auf den Karten bzw. ihrer Einordnung erfor-
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Schade/Wenk (2011), S. 76. Siehe auch Panofsky (1975). Vgl. Critchley (2004), S. 80. Zum Begriff der Subalternität siehe Steyerl (2008).
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derlich ist, wird auf die während der deutschen Kolonialherrschaft unternommenen Versuche einer sexualpolitischen Regulierung der Verhältnisse zwischen Weißen und Schwarzen eingegangen.
3.1 F RIEDENSVISIONEN
AM
S TRAND ?
$EELOGXQJÄ'XNHQQVWPHLQ+HU]QRFKODQJHQLFKW³
Quelle: Universitäts- und Stadtbibliothek Köln
Ein weißer Matrose mit kindlichen Gesichtszügen liegt bäuchlings an einem Strand, den Kopf in die Hände gestützt, eine qualmende Pfeife im Mund [Abb. 27]. Verträumt blickt er zu einer vor ihm sitzenden Frau auf, die sich leicht zu ihm hinüberbeugt. Die Frau trägt einen grünen Rock sowie einen darüber gebundenen Ring aus Bastfasern. Außerdem hat sie eine Muschelkette um den Hals gelegt und hält sich mit der rechten Hand einen roten Schirm über den Kopf. Links neben und hinter dem Matrosen ist eine üppige Vegetation in Form von Gras, Pflanzen und Bäumen zu sehen. Auf dem Wasser im Bildhintergrund liegt ein großes Schiff. Vermutlich handelt es sich um ein Kriegsschiff der Kaiserlichen Marine. Dafür spricht zum einen der Umstand, dass sich über dem Bildrand in der linken Kartenhälfte die Kriegsflagge der Kaiserlichen Marine befindet, unter der steht: Ä8QVHUH 0DULQH³ =XP DQGHUHQ ZLUG GLH )UDX JHUDGH GXUFK GHQ %DVWURFN XQG GLH Muschelkette zu einer Eingeborenen der Südsee stilisiert. Offenbar ist hier Samoa
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der Schauplatz der kolonialen Begegnung. Die Kaiserliche Marine war im Rahmen der Eroberung und Pazifizierung Samoas durch das Deutsche Reich stets präsent.4 Über dem rechten Bildrand schließlich, der sich kreisförmig nach oben hin ausdehnt, ist abermals etZDV]XOHVHQ'RUWVWHKWGHU6DW]Ä'XNHQQVWPHLQ+HU]QRFK ODQJHQLFKW³:HUGLHVHQ6DW]DXVVSULFKWEOHLEWOHW]WOLFKXQNODU$OOHUGLQJVVSULFKW einiges dafür, dass er der Frau zugeordnet werden kann, da er ihren Status als unbekannte, geheimnisvolle und rätselhafte Fremde, die das Begehren des Matrosen entfacht, unterstreichen würde.5 Die Zeichnung stellt eine Variante einer gewissermaßen klassischen Szene dar, QlPOLFK GHU YRQ 6XVDQQH =DQWRS DOV ÄNRORQLDOH> ] Ur-)LNWLRQ³ EH]HLFKQHWHQ 9Rrstellung einer ÄHURWLVFKHQ %HJHJQXQJ ]ZLVFKHQ HLQHP (XURSlHU XQG HLQHU Ã(LQJeERUHQHQµ³6 Die Figur des Matrosen eignete sich in besonderer Weise, um eine solche Konstellation durchzuspielen. Das Motiv des Seemanns, der in der Fremde mit einheimischen Frauen als seinen Gespielinnen anbändelt, tauchte auf Postkarten um 1900 immer wieder auf. Was den Matrosen auszeichnet, ist nicht nur, dass er die Welt bereist und ihm der Ruch des Abenteurers anhaftet, sondern auch, dass sein Verweilen und die Bekanntschaften, die er macht, nur von kurzer Dauer sind. Vermutlich war es dieser, zumeist von einem Schiff im Hintergrund symbolisierte transitorische Charakter, der die Figur des Matrosen zum Spiel mit Grenzüberschreitungen an den Rändern des Bekannten disponierte. Zugleich war der Matrose als Angehöriger der Seestreitkräfte Repräsentant der kolonisierenden Macht. Die Erkundung der Fremde, die sich zumeist als eine Erkundung der Fremden darstellte, war demnach gleichbedeutend mit der Eroberung des Landes, die sich in der Eroberung der einheimischen Frau manifestierte.7 Dass dabei oftmals (militärische) Ge4
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9JO+LHU\ 6GHUDXFKGDUDXIKLQZHLVWGDVVGLH0DULQHÄLP*HJHQVDW]]X .LDXWVFKRXNHLQH0|JOLFKNHLW³EHVHVVHQKlWWHÄXQPLWWHOEDUDXIGLH(QWZLFNOXQJYRU2UW Einfluß ]XQHKPHQ³HEG Die Karte wurde im Februar 1911 innerhalb von Kiel verschickt. In der Mitteilung heißt HVÄ'LHEHVWHQ*UHVHQGHWGLUGHLQ)UHXQG.DUO/DQJH.DQQVWGXQLFKW0LWWZRFKQRFK mal von 5-6 zu mir schauen? Ich möchte dir gerne mal etwas sagen. Also Grüße von zu +DXVH³3RVWNDUWHQGLHQWHQDXFKGD]X9HUDEUHGXQJHQ]XWUHIIHQ]XPDOGLH.RPPXQLNation via Telefon zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland noch kaum verbreitet war. In Städten wie München oder Berlin wurde die Post bis zu elf Mal am Tag zugestellt (vgl. Kaufmann [1985], S. 409). Zantop (1999), S. 10-11. Auf einer im Januar 1900 in Kiel aufgegebenen Karte wurde die Analogisierung des subalternen weiblichen Körpers mit der Kolonie besonders eindrücklich inszeniert: Ein weißer Matrose hisst die Kriegsflagge der Kaiserlichen Marine. Vor ihm steht eine schwarze )UDX %HLGH KDOWHQ VLFK DQ GHQ +lQGHQ ,Q GHU %LOGEHUVFKULIW KHLWHVÄ'LH (LQYHUOHiEXQJ 6DPRD¶V³ 'HP .RORQLVLHUXQJVDNW HLJQHW KLHU HLQH EHU GDV0RWLY GHU (UREHUXQJ (des Körpers schwarzer Frauen durch weiße Männer) hinausgehende kannibalistische Komponente. 0F&OLQWRFN 6]XIROJHKDQGHOWHVVLFKEHLGHPÄIHPLQL]LQJRI WKHODQG³XPHLQÄV\PSWRP RIPDOHPHJDORPDQLD³VRZLHXPHLQ,QGL]IUÄDFXWHSDUanoia and a SURIRXQGLIQRWSDWKRORJLFDOVHQVHRIPDOHDQ[LHW\DQGERXQGDU\ORVV³ Be-
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walt im Spiel war, ist angesichts des romantisch anmutenden Flirts zwischen den beiden Protagonist_innen zunächst nicht ersichtlich. Allerdings lässt sich das Kriegsschiff der Kaiserlichen Marine, das den Matrosen ausgesetzt hat und vermutlich wieder aufnehmen wird, als Spur dieser Gewalt deuten. Auch die im Folgenden zu besprechende Karte [Abb. 28] entwarf das Setting GHU NRORQLDOHQ Ã8U-)LNWLRQµ (UQHXW EHJHJQHQ GLH )LJXUHQ GHV 0DWURVen und der eingeborenen Frau im Bastrock, diesmal in stürmischer Umarmung und sich küssend. Im Bildhintergrund sind drei Palmen sowie ein Schiff zu erkennen, aus dessen Schornstein Rauch aufsteigt. Ob das Schiff gerade abgelegt hat oder noch einmal anlegen ZLUG EOHLEW XQNODU 'XUFK GLH %LOGEHUVFKULIW ÄÃ)ULHGHQVXQWHUKDQGOXQJHQ in Südwest-$IULNDµ³ ZLUG GLUHNW HLQ %H]XJ ]XP .RORQLDONULHJ LQ 1DPLELD KHUJestellt. Mit dieser Bezugnahme eröffnet sich eine weitere Bedeutungsebene, die die NRORQLDOH Ã8U-)LNWLRQµ Ln einem neuen Licht erscheinen lässt. Auffallend ist, dass die Bildüberschrift in Anführungszeichen gesetzt ist. Es handelt sich folglich um ein Zitat oder um eine Art Programm, auf das hier verwiesen wird. Möglicherweise ist auf die Politik von Gouverneur Leutwein angespielt, dem von den Siedler_innen in der Kolonie, aber auch von Kolonialaktivist_innen in Deutschland vorgeworfen wurde, nicht entschlossen genug gegen die Aufständischen vorzugehen. 8 Gut möglich, dass die Anführungszeichen als eine Form der Distanzierung gemeint waren, die andeuten sollte, dass der Matrose und die Frau keineswegs als Friedensbot_innen anzusehen sind, sondern dass ihr Kuss jegliche Vorstellung von Frieden als Wiederherstellung oder Etablierung einer kolonialen Ordnung konterkariert. Anders formuliert: Wenn der Kuss tatsächlich Frieden symbolisieren soll, dann handelt es sich um eine Art von Frieden, von dem der/die Zeichner_in der Karte nicht viel gehalten zu haben scheint. Das wird durch die überzogene Stilisierung der Figuren unterstrichen: Vor allem dem Matrosen haftet etwas Tumbes an, was durch seine ungelenke und gebeugte Haltung zum Ausdruck gebracht wird. Auch die wie aneinandergeklebt wirkenden spitzen Münder der beiden Protagonist_innen zeugen von naiv-kindlichem Ungestüm, das lachhaft wirkt und einen Teil des Witzes ausmacht. Aus dieser Perspektive erweist sich die Karte als eine ätzende Form der Kritik, die sich gegen den Kuss bzw. gegen eine als weichlich angesehene Kolonialpo-
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]JOLFKGHUNDQQLEDOLVWLVFKHQ3KDQWDVLHZLHGHUXP KHLWHVGDVVGLHÄHURWLFVRILPSHULDO FRQTXHVW ZHUH DOVR DQ HURWLFV RI HQJXOIPHQW³ HEG $XI GLHVH $QJVW XQG $PELYDOHQ] wird im Laufe des Kapitels zurückzukommen sein. Die Zeichnung auf der Karte stammt von dem Künstler Arthur Thiele, von dem ebenfalls noch die Rede sein wird. Die handVFKULIWOLFKH 0LWWHLOXQJ EHVDJW Ä/LHEH >XQOHVHUOLFK@ GLH KHU]OLFKVWHQ *OFNZQVFKH ]X Deinem Geburtstag senden Deine Geschwister Paul u. Elise. Viele Grüße an Eugen, Emil XQG(UQD³'LH.DUWHLVW%HVWDQGWHLOGHU6DPPOXQJYRQ3HWHU:HLVV Vgl. Zimmerer (2003), der darauf hinweist, dass Leutweins Kriegsstrategie zum Ziel hatte, die Herero zur bedingungslosen Kapitulation zu zwingen, um sie als billiges Arbeitskräftereservoir verfügbar zu halten (vgl. ebd., S. 48). Bereits wenige Wochen nach Ausbruch des Kriegs wurde Leutwein durch von Trotha abgelöst.
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litik richtet. Das Bild der Eroberung, das durch den sexuellen Kontakt zwischen weißem Mann und schwarzer Frau symbolisiert wurde, verkehrt sich in sein Gegenteil: Die beteiligten Protagonist_innen mutieren zu lächerlichen Witzfiguren, ihr Liebesabenteuer wird zum Gegenstand beißenden Spotts.9 $EELOGXQJÄ)ULHGHQVXQWHUKDQGOXQJHQLQ6GZHVW-$IULND³
Quelle: Altonaer Museum für Kunst und Kulturgeschichte
Anders als auf der Karte mit dem verträumten Matrosen und der geheimnisvollrätselhaften Frau fungierte Sexualität hier nicht als Assoziationsraum für heroischen Eroberungsdrang oder für ein vermeintlich naiv-unschuldiges und kindlichjugendhaftes erotisiertes Erkunden der Fremde(n). Vielmehr wurde Sexualität zum
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Die Karte wurde am 1. April 1906 in Baden-Baden aufgegeben und war an einen MitarEHLWHUGHU'UHVGHQHU%DQNLQ%HUOLQDGUHVVLHUW,QGHU0LWWHLOXQJKHLWHVÄ/LHEHU%XOOH GDV8PVWHKHQGHZlUHDXFKIUGLFKJXW³(VLVWGDQQQRFKYRQÄ1LHUHQ³GLH5HGH*enaueres lässt sich aufgrund des Poststempels nicht entziffern. Unterzeichnet hat ein Dr. +DDVH$XIGHP+RVHQEHLQGHV0DWURVHQILQGHWVLFKQRFKGHU9HUPHUNÄ%XOOHQDFKGHU .XU³ 2IIHQEDU GLHQWH GLH .DUWH GD]X GHP $GUHVVDWHQ DXJHQ]ZLQNHUQG HLQHQ *HQesungsprozess in Aussicht zu stellen oder zu wünschen. D.h., dass der Bilderwitz in der Anrede aufgegriffen wurde bzw. die persönliche Nachricht als ein dem Bild korrespondierender Witz konzipiert war. Mit Bezug auf den US-amerikanischen Kontext argumentiert Baldwin (1988), dass rassistische Bilderwitze auf Postkarten häufig durch rassistisch-witzige Mitteilungen ergänzt wurden.
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Gegenstand von Witzen, die mit dem Motiv einer verkehrten, im Wortsinne verrückten Welt spielten. Korrespondierend lässt sich ein Umschlag von der Romantisierung, die bisweilen auch männliche Stärke und Souveränität implizierte, in eine das Groteske der Figuren ausstellende Ridikülisierung verzeichnen.10 Das heißt, dass die Ã)ULHGHQVXQWHUKDQGOXQJHQµYRQHLQHPGHUNRORQLDOHQÃ8U-)LNWLRQµGLDPHtral entgegenstehenden Motiv handeln: der Vorstellung, dass sexuelle Beziehungen zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten (bzw. allgemein zwischen Weißen und Schwarzen) eine Gefahr für die koloniale Ordnung darstellen könnten. In diesem Zusammenhang sei angemerkt, dass sich die zeitgenössischen Debatten über die Rassenmischung in den deutschen Kolonien auch und vor allem als 'HEDWWHQ EHU ÄGDV 3UREOHP GHU *HZDOW GHXWVFKHU 0lQQHU JHJHQ HLnheimische )UDXHQ³GDUVWHOOWHQ11 Die Karten, die in diesem Kapitel diskutiert werden, zeugen von der obsessiven Beschäftigung mit Sexualität und ihrer Regulierung. Die Gewalt hingegen wurde zumeist unsichtbar gemacht oder verharmlost. Darin erweist sich auch der zynische Charakter der Karte mit dem vermeintlichen Friedenskuss: Die Ridikülisierung der ungelenk und ungeschickt wirkenden Figuren sowie der ironiVFKH 7LWHO Ã)ULHGHQVXQWHUKDQGOXQJHQµ JLQJHQ HLQKHU PLW HLQHU RVWHQWDWLYHQ 'HThematisierung der von deutschen Soldaten und Siedlern gerade während des Kolonialkriegs ausgeübten sexuellen Gewalt gegenüber kolonisierten Frauen. 12
3.2 F OTOGRAFISCHE E VIDENZ : I NSZENIERUNG VON I NTIMITÄT ALS S ELBSTVERSTÄNDLICHKEIT Koloniale Geschlechterbeziehungen im Gruppenbild In den von mir gesichteten Sammlungen haben sich nur wenige Karten abgelagert, auf denen Intimität zwischen Weißen und Schwarzen fotografisch inszeniert wurde. Auf einer dieser Karten [Abb. 29] ist eine Gruppe von Menschen zu sehen, die für
10 An dieser Stelle sei deutlich gemacht, dass der Topos der Romantisierung zumeist ± wie bei Abb. 27 ± im Rahmen eines Südsee-Settings durchgespielt wurde. Der Umschlag ließe sich also auch auf die jeweiligen Ausprägungen der kolonialen Stereotype über Afrika einerseits und z.B. Samoa andererseits zurückführen. Allerdings soll im Folgenden das Verfahren der Ridikülisierung im Vordergrund stehen und nicht die Frage nach regionalspezifischen Differenzierungen von rassistischen Zuschreibungen. 11 Mamozai (1982), S. 128. 12 Krüger (1999), S. 121, argumentiert, dass sexuelle Gewalt eine Strategie der deutschen .ULHJVIKUXQJ LQ 1DPLELD ZDUÄ1LFKW QXU 6ROGDWHQ VDKHQ 9HUJHZDOWLJXQJHQ DOV 5HFKW des Siegers an. Auch die weiße männliche Zivilbevölkerung betrachtete afrikanische )UDXHQ DOV VHOEVWYHUVWlQGOLFKH %HXWH³ $OOJHPHLQ ]XU 6LWXDWLRQ YRQ VFKZDU]HQ )UDXHQ während des Kriegs siehe Krüger (2003). Zur Konstruktion einer spezifisch kolonialen Männlichkeit siehe Haschemi-Yekani (2011); Maß (2006).
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eiQ*UXSSHQIRWRSRVLHUHQ'LH%LOGXQWHUVFKULIWEHVDJWÄ'6:$IULND(LQJHERUeQH³ 'LH .DUWH ZXUGH YRP Verlag Albert Aust in Hamburg produziert. Auffallend ist, dass neben den schwarzen Männern und Frauen drei weiße Männer zu sehen sind. Die Bildunterschrift entfaltet durch diesen Umstand eine ± vermutlich unbeabsichtigte ± komische Wirkung. Zwei der weißen und die schwarzen Männer ± mit Ausnahme des schwarzen Mannes im schwarzen Anzug, der womöglich eine höhere Stellung innehatte als die anderen schwarzen Männer ± sind links und rechts der Bildmitte gruppiert. Die schwarzen Frauen wiederum befinden sich in der Mitte des Bilds. Mit Blick auf die vertikale Achse wiederum ist ersichtlich, dass fast alle schwarzen Männer tendenziell in den Bildhintergrund gerückt sind, während die weißen Männer und die schwarzen Frauen weiter im Bildvordergrund platziert sind, so dass auch ihre Gesichter einigermaßen gut zu erkennen sind. Angesichts dieser Positionierungen entlang der Ordnungskriterien Geschlecht und Rasse fällt umso mehr auf, dass der weiße Mann mit angewinkeltem und aufgestütztem Arm und die schwarze Frau mit Schürze dicht beieinanderstehen und das Zentrum des Bilds ausmachen. Die Frau hält etwas auf dem Arm, das mit einem weißen Band an ihrem Hals befestigt ist. Möglicherweise handelt es sich um ein neugeborenes Kind. Eine der vor ihr auf dem Boden sitzenden Frauen hält ebenfalls ein Kind im Arm, und zwar ein weißes Kind. Am linken Bildrand wiederum steht, dicht neben einem der schwarzen Männer, ein kleines schwarzes Kind, vermutlich ein Mädchen. $EELOGXQJÄ(LQJHERUHQH³
Quelle: National Archives of Namibia
Über den Anlass der Aufnahme lässt sich nur spekulieren. Ebenso ist die Frage lediglich spekulativ zu erörtern, wie genau sich das Beziehungsgeflecht zwischen den
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abgebildeten Personen gestaltete, ob es sich um Arbeitsbeziehungen handelte, um Prostitutionsbeziehungen, um Ehen oder Konkubinatsverhältnisse, und unter welchen konkreten Bedingungen sich diese Beziehungen realisierten. In jedem Fall fällt es schwer, bei dem Versuch einer Einordnung der Karte von der strukturellen Gewaltförmigkeit der kolonialen Verhältnisse und insbesondere von der sexuellen Gewalt als determinierenden Faktoren der Beziehungen zwischen Weißen und Schwarzen abzusehen. AllerdLQJVVROOWHDXFKQLFKWYHUJHVVHQZHUGHQGDVVÄDUDWKHU unknown and deep history of consensual romantic, erotic and conjugal relationships DOVRH[LVWHGEHWZHHQLPPLJUDQW(XURSHDQPHQDQGORFDOZRPHQVLQFHWKHV³ 13 In der Art und Weise, wie die vor 1905 hergestellte Karte Nähe zwischen weißen Männern und schwarzen Frauen vor Augen stellte, spiegelt sich die Verfasstheit der kolonialen Geschlechterbeziehungen in den ersten Jahren der Kolonisierung. Bis zur Jahrhundertwende waren sexuelle Beziehungen zwischen Kolonisierenden XQG .RORQLVLHUWHQ ÄDQ GHU 7DJHVRUGQXQJ³ 14 Zumeist handelte es sich um Beziehungen zwischen weißen Männern und schwarzen Frauen, da die Anzahl von weißen Frauen in der Kolonie zunächst sehr gering war. Zudem war gerade für die frühe PhasH GHU .RORQLVLHUXQJ HLQH VSH]LILVFKH )RUP GHU Ä+\SHUPDVNXOLQLVLHUXQJ³ männlicher Identitätskonzeptionen charakteristisch: Die Kolonien wurden als RäuPH LPDJLQLHUW ÄLQ GHQHQ HXURSlLVFKH 0lQQHU LKUH JDQ]H KHURLVFKH .UDIW XQG 3otenz unter Beweis stellen konnWHQ³15 Schwarzen Frauen hingegen kam durch ihre Beziehungen zu weißen Männern oftmals die Rolle und Funktion von Vermittlerinnen zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten zu.16 Gerade diese zugewiesene Funktion der Vermittlung war ein wesentlicher Grund, warum zum Beispiel Missionare Eheschließungen zwischen weißen Männern und schwarzen Frauen zu Beginn der Kolonisierung aus kolonialstrategischen Erwägungen durchaus befürworteten.17 8QGDXFKGLH3RVLWLRQLHUXQJGHUVFKZDU]HQ)UDXHQEHLP*UXSSHQIRWRÃ(LngeboreQHµ± in der Bildmitte zwischen den schwarzen und weißen Männern ± lässt sich als Inszenierung einer Vermittler-Rolle verstehen. Eine weitere Karte [Abb. 30], die ebenfalls vor 1905 produziert wurde, stammte vom Verlag Wilhelm Köhler in Minden. Wieder posieren schwarze Männer und Frauen und weiße Männer für ein Gruppenfoto. Zwar unterscheidet sich die Anord-
13 Hartmann (2004c), S. 76. Ausführlich befassen sich mit Einzelbeispielen von Ehepaaren bzw. von afro-deutschen Familien Henrichsen (2003); Roller (2004). 14 Grosse (2000), S. 149. 15 Kundrus (1997), S. 42, die die Hypermaskulinisierung auf die Transformation der metroSROLWDQHQ *HVFKOHFKWHUEH]LHKXQJHQ XP ]XUFNIKUW XQG PLW GHU Ä6HKQVXFKW QDFK QLFKWNRPSOH[HQXQGXQNRPSOL]LHUWHQ/HEHQVYHUKlOWQLVVHQ³HEG LQ9HUELQGXQJEULQJW 16 Allgemein zu diesem Zusammenhang siehe Theweleit (1999), der sich mit dem Pocahontas-Mythos befasst. 17 Vgl. Wildenthal (2001), S. 86ff.
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nung der Personen von der der vorherigen Karte. Doch lassen sich hinsichtlich des Strukturierungspotenzials von Rasse und Geschlecht Gemeinsamkeiten ausmachen. Abbildung 30: ÄEin Sonntag-Nachmittag im Herero-Dorf³
Quelle: Sammlung Freddie Herzberg (Namibia)
Im Bildvordergrund sitzen drei schwarze Männer auf dem Boden. Rechts und links von ihnen sitzt, mit einigem Abstand, jeweils eine schwarze Frau. Dahinter stehen in einer Reihe zehn schwarze Frauen sowie vier weiße Männer in Militäruniformen. Jeder der Soldaten ist einer Frau zugeordnet. Dies fällt vor allem bei dem ein wenig abseits stehenden Paar am rechten Bildrand auf: Der Soldat hat seinen rechten Arm um die Schulter der Frau gelegt. Seine Pose ± rechtes Bein als Spielbein leicht angewinkelt vor das Standbein gesetzt, linker Arm in die Hüfte gestemmt ± drückt Gelassenheit und Selbstbewusstsein aus, wodurch der Eindruck verstärkt wird, dass die Geste des Arm-Umlegens Besitz bzw. den Anspruch darauf markiert. Am linken Bildrand wiederum fällt auf, dass der Soldat die Hand eines Kinds hält. Möglicherweise handelt es sich bei der hinter dem Kind und neben dem Soldaten stehenden Frau um die Mutter des Kinds. Ein weiteres Kind wird von einer Frau in der Bildmitte auf dem Arm getragen, die dem neben ihr stehenden Soldaten zugeordnet ist. Abermals lässt sich nur spekulieren, wie genau sich die Beziehungen zwischen den abgebildeten Personen gestalteten. Vielleicht war hier eine Besuchssituation Anlass der Aufnahme. Dies deutet zumindest die Bildunterschrift an, in der es KHLW Ä%LOGHU DXV 'HXWVFK-Südwest-$IULND Ã(LQ 6RQQWDJ-Nachmittag im Herero-
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'RUIµ³18 In jedem Fall fällt auf, dass Nähe und Intimität zwischen weißen Männern und schwarzen Frauen hier wie selbstverständlich in Szene gesetzt wurde und der Ort, an dem diese Nähe sichtbar wurde, im Rücken der schwarzen Männer und also außerhalb ihres Blickfelds lag. Ähnlich wie auf der vorherigen Karte lässt sich folglich auch hier eine Distanzierung zwischen schwarzen und weißen Männern beobachten. Angesichts der Relation zwischen Bildvorder- und -hintergrund und der entsprechenden Blickachsen ließe sich eine besondere Perfidie dieser Distanzierung unterstellen: Indem nämlich die schwarzen Männer das, was sich hinter ihnen abspielte, nicht im Blick hatten, wirken sie hintergangen, wobei schwarze Frauen und weiße Männer wie Kompliz_innen erscheinen. So oder so erweist sich die Aufnahme als ein komplexes Arrangement, das in unterschiedliche Richtungen hin ausdeutbar ist: als seltene fotografische Dokumentation der Alltäglichkeit intimer Verhältnisse zwischen weißen Männern und schwarzen Frauen ebenso wie als symbolisch hochgradig verdichteter Ausdruck kolonialen und patriarchalischen Besitzanspruchs. Bedingungen der Sichtbarkeit Die Gruppenbild-Karten stellen Ausnahmen dar. Denn anders als bei den Zeichnungen und Karikaturen wurde sexuell konnotierte Intimität zwischen kolonisierenden Männern und kolonisierten Frauen hier als Alltäglichkeit vor Augen gestellt, zumal im Medium Fotografie mit seiner spezifischen Evidenzbehauptung. Demnach war das, was die Karten zeigten, nicht als Spiel mit Realitätsbezügen zu verstehen, sondern als Abbild der Wirklichkeit. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass die Karten vor 1905, also vor dem Verbot der s o genannten Mischehen in Namibia produziert wurden. Denn das Verbot stellte hinsichtlich der kolonialen Geschlechterbeziehungen eine Zäsur da. Zwar gab es auch vorher schon Stimmen gerade aus Kreisen der organisierten Kolonialbewegung, die Ehen zwischen Weißen und Schwarzen problematisierten.19 Doch erst mit dem Verbot wurden die Ehen und Konkubinatsbeziehungen auch von staatlichen Behörden sanktio-
18 (EHQVRZLHEHLGHU.DUWHÃ)ULHGHQVXQWHUKDQGOXQJHQLQ6GZHVW-$IULNDµLVWDXFKKLHUGHU zweite Teil der Bildunterschrift in Anführungszeichen gesetzt. Vermutlich war die Karte %HVWDQGWHLOHLQHU6HULH'DUDXIGHXWHWGHU3OXUDOLPHUVWHQ7HLOGHU8QWHUVFKULIWÃ%LOGHU aus Deutsch-Südwest-$IULNDµ KLQ(QWVSUHFKHQGLVWGDYRQDXV]XJHKHQGDVVGLH$QIhrungszeichen nicht als Distanzierung fungieren sollten, sondern beim spezifizierenden Textteil obligatorisch waren, um den Eigencharakter der jeweiligen Motive als Bestandteile der Serie zu betonen. 19 Auf der Hauptversammlung der Deutschen Kolonialgesellschaft im Mai 1896 z.B. wurde ]XEHGHQNHQJHJHEHQÄGD in der Kolonie eine minderwertige Mischlingsrasse entstehen N|QQWH³'LHNRORQLDOH)UDXHQIUDJH>@6 (LQ-DKUGDUDXIZDUQWHGLH.RORQLDlVFKULIWVWHOOHULQ )ULHGD YRQ %ORZ HEHQIDOOV YRU HLQHU Ä0LVFKXQJ GHU 5DVVHQ³ %ORZ [1897], S. 1).
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niert. Eine wesentliche Funktion des Verbots ergab sich aus dem deutschen Staatsangehörigkeitsgesetz, gemäß dem bei einer Eheschließung die Staatsangehörigkeit des Mannes im Falle unterschiedlicher Staatsangehörigkeiten der Eheleute automatisch und unabhängig von der Kategorie Rasse auf die Frau sowie auf die gemeinsamen Kinder übertragen wurde. Das Verbot sollte mithin die Möglichkeit einer Annahme der deutschen Staatsangehörigkeit sowie die Inanspruchnahme von staatsbürgerlichen Rechten für schwarze Frauen und afro-deutsche Kinder ausschließen. Zugleich war es Bestandteil eines sexualpolitischen Maßnahmenkatalogs, der auch die Organisation der Auswanderung von weißen deutschen Frauen in die Kolonien sowie die Pathologisierung und Kriminalisierung vor allem der afrodeutschen Kinder, aber auch der schwarzen Frauen und der mit diesen zusammenlebenden weißen Männer beinhaltete.20 Letztlich ging es um den Versuch, die kolonialen Geschlechterbeziehungen dem eugenischen Diktat der Rassenreinheit zu unterwerfen.21 Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die besprochenen Gruppenfoto-Karten nach 1905 in dieser Form nicht (mehr) hätten entstehen können. Denn ÄWRSKRWRJUDSKVXch aspects [d.i. Intimität] would have breached all notions of respectabilit\³22 In den von mir gesichteten Sammlungen begegneten keine derartigen Karten, deren Herstellungszeitpunkt auf die Jahre nach 1905 zu datieren wäre.
20 Allgemein zur Stellung von weißen deutschen Frauen im Kolonialismus siehe BechhausGerst/Leutner (2009); Dietrich (2007); Kundrus (1997); Schneider (2003); Walgenbach (2005a); Wildenthal (2001 und 2003). Zur Pathologisierung und Kriminalisierung von Afro-Deutschen siehe El-Tayeb (2001), v.a. S. 76-131. Zur Pathologisierung von weißen Männern, die mit schwarzen Frauen zusammenlebten, siehe Axster (2002, 2005 und 2008). Auf letzteren Aspekt wird zurückzukommen sein. 21 Grosse (2000), S. 10, zufolge schuf der deutsche .RORQLDOLVPXVÄHUVWPDOVGLH9RUDXVVHt]XQJHQIUGLH.RQVWLWXLHUXQJHLQHUÃUDVVLVFKHQ2UGQXQJµLQGHUQHXHUHQGHXWVFKHQ*eVFKLFKWH³'LH9HUERWHGHU0LVFKHKHQVWHOOHQHLQHPDUNDQWH(WDSSHLQGLHVHP.RQVWLWXWionsprozess dar. Zudem verweist Grosse darauf, dass die Verbote mit der Vorstellung eiQHUVH[XHOOHQ$XWRQRPLHEUJHUOLFKHU0lQQHUNROOLGLHUWHQÄ'LH6WHXHUXQJGHVJHQHUDWiven Verhaltens in der kolonialen Gesellschaft nach rassischen Kriterien war der Versuch, männliche Sexualität durch einen übergeordneten rassenpolitischen Imperativ einzugren]HQ)HUQHUVWHOOWHGDVHXJHQLVFKH3RVWXODWGHUÃ5DVVHQUHLQKHLWµ3ULRULWlWYRUGHU(LQKHLW der Familie einzuräumen, wenn sich diese aus ethnisch verschiedenen Partnern zusammensetzte, die reproduktive Grundlage des bürgerlichen Nationalstaats teilweise zur DisSRVLWLRQ³HEG6 +LHU]HLJWVLFKHLQ.RQIOLNWSRWHQ]LDOGDVGLH'LVNXVVLRQEHUGLH umstrittenen Verbote wesentlich bestimmte. 22 Hartmann (2004c), S. 76.
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3.3 H UMORISTISCHE I NTERVENTIONEN : R IDIKÜLISIERUNG VON I NTIMITÄT Wenn das Verbot der Mischehen dazu führte, dass Postkarten, die Intimität zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten fotografisch inszenierten, vom Markt verschwanden, so liegt die Vermutung nahe, dass gleichzeitig vermehrt Witzpostkarten zum Thema erschienen wären. Allerdings lässt sich ausgehend von den von mir gesichteten Sammlungen kein Anstieg der Produktion ausmachen. Und zahlreiche der Karikaturen wurden bereits vor 1905 hergestellt. Bilderwitze über romantische und sexuelle Beziehungen zwischen Weißen und Schwarzen hatten also schon vor der biopolitischen Intervention seitens der Kolonialverwaltung Konjunktur. Dabei ist zum einen zu berücksichtigen, dass die Witzkarten allesamt in Deutschland hergestellt wurden und auch überwiegend dort zirkulierten. Zum anderen stellten die Motive keineswegs nur auf das koloniale Territorium beschränkte Arrangements dar, sondern umfassten auch metropolitane Konstellationen. In diesem Zusammenhang fällt eine entlang von Rasse und Geschlecht geordnete Aufteilung auf: Beziehungen zwischen weißen Männern und schwarzen Frauen wurden stets in der Kolonie situiert oder zumindest mit dieser assoziiert, wohingegen Verhältnisse zwischen weißen Frauen und schwarzen Männern ausschließlich als metropolitanes Vorkommnis thematisiert wurden. Zugleich wird ersichtlich, dass die humoristischen Erörterungen über rassische Grenzen und ihre Überschreitung stets mit Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit korrelierten. Dies ist gerade im Hinblick auf die metropolitanen Settings signifikant, da hier zusätzlich zu den kolonialen Sexualitätsbeziehungen die Emanzipation von Frauen im Kaiserreich verhandelt wurde. Doch lässt sich nicht nur eine Verzahnung von Sexualität, Rasse und Geschlecht konstatieren. Vielmehr wurden bisweilen unterschiedlichste Stereotype aufgerufen und übereinandergeblendet, so dass die Karten die wechselseitigen Überlagerungen von kolonialem Rassismus, Sexismus, Antisemitismus, Nationalismus, klassenbezogenen Ressentiments usw. veranschaulichen. Darüber hinaus verdeutlichen sie, dass der Versuch einer biopolitischen Regulierung der Sexualität auch im Rahmen der massenkulturellen Bildproduktion Wirksamkeit entfaltete. Groteske Kolonie: Verlockungen/Versagen Die im Folgenden zu besprechende Karte [Abb. 31] zeigt eine schwarze Frau, die vor einem weißen Mann kniet und ihre Hände vor der Brust verschränkt hat. Ihrer Haltung haftet etwas Werbendes an. Sie trägt goldene Ohr- und Nasenringe, Hals-, Arm-, Handgelenk- und Fußschmuck sowie ein Kleid mit einem auffälligen Flicken. Er wiederum trägt eine grüne Hose, einen gelb karierten Mantel, schnabelartig zulaufende gelbe Schuhe und eine tropenhelmartige gelbe Kopfbedeckung, um
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die ein Tuch gebunden ist. In der linken Hand hält er einen Regenschirm. Mit der rechten Hand kratzt er sich am Kinn, so als ob es ein Angebot zu überprüfen gelte. Die Gesichtszüge der beiden sind extrem verzerrt: Sie blickt mit weit aufgerissenen Augen zu ihm hinauf, ihr breiter Mund ist zu einem irrsinnig anmutenden Lächeln geöffnet. Auch in seinem Lächeln liegt etwas Irres. Außerdem hat er die Augen geschlossen, wodurch der Eindruck von Kauzigkeit verstärkt wird. $EELOGXQJÄ-DPPHUODSSHQ³
Quelle: Universitäts- und Stadtbibliothek Köln
In seiner Aufmachung erinnert der Mann an einen Dandy, der als spezifische, gewissermaßen subkulturelle Existenzweise erstmals in England am Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert in Erscheinung trat. Der Dandy zeichnete sich durch IndiYLGXDOLVPXV +HGRQLVPXV XQG ([]HQWUL]LWlW DXV XQG OlVVW VLFK LQVJHVDPW DOV Ä*e-
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genentwXUI ]XU HQWVWHKHQGHQ EUJHUOLFKHQ *HVHOOVFKDIW³ YHUVWHKHQ23 Ende des 19. Jahrhunderts, im Zuge der Ausbreitung des Degenerationsparadigmas, wurde das Dandytum zunehmend als Zerfallserscheinung interpretiert. In Max Nordaus Anfang der 1890er Jahre erschienenem Buch Entartung zum Beispiel wurde das Bild einer krankhaften, durch Selbstverliebtheit, Genusssucht, Geltungsdrang und Dekadenz geprägten Gesellschaft gezeichnet, deren Charakteristika in vielerlei Hinsicht denen des Dandys entsprachen. Nordau selbst stellte diesen Bezug her. So heißt es DP(QGHGHVÃ9|ONHUGlPPHUXQJµEHUVFKULHEHQHQHUVWHQ.DSLWHOVGDVVXQWHUDQGeUHPÄ*HFNHQ³DOVHLQIOXVVUHLFKHE]ZZLUNPlFKWLJH$NWHXUHIUGHQYHUPHLQWOLFKHQ Prozess der Entartung verantwortlich seien.24 Durch die dem Dandy nachempfundene Figur des Mannes auf der Karte wird der Bilderwitz insofern gerahmt, als im Hinblick auf das Verhältnis der Protagonist_innen Dekadenz und Entartung assoziierbar werden. Das am unteren Bildrand befindliche Gedicht nimmt eine weitere, koUUHVSRQGLHUHQGH5DKPXQJYRUÄ,FKUDWH Dir, Du Jammerlappen/Zieh nach dem fernen Afrika/Hier bekommst Du doch kein 0lGFKHQ9LHOOHLFKWLVWGRUWZDVIU'LFKGD³'HU%HJULIIGHV-DPPHUODSSHQVXnterstreicht, was bereits durch die Stilisierung als Dandy angedeutet ist: Es handelt sich bei dem Mann um einen Versager, wobei das Versagen aus einem Mangel an Männlichkeit resultiert. Mit dieser Diagnose ist ein eklatanter Statusverlust verbunden. Zugleich wird zwischen dem Status von weißen und schwarzen Frauen unterschieden. Denn nicht nur sind weiße Frauen offenbar wählerischer als schwarze, auch realisiert sich Männlichkeit einzig im Verhältnis zur weißen Frau, wohingegen ein Verhältnis zur schwarzen Frau stets auf einen Mangel verweist ± das Unvermögen, eine weiße Frau haben zu können. In diesem Sinne wird Afrika zu einer Chiffre für das Unzulängliche, mit Makeln Behaftete, Deformierte und Monströse. Und die Karte erweist sich als ein komplexes humoristisches Arrangement, in dem sich Modernekritik, Geschlechterordnung und Kolonialphantasien wechselseitig überlagern.25
23 Grundmann (2007), S. 5. 24 Nordau (1893), S. 14. An anderer Stelle, an der Nordau eine Beschreibung der entarteten Gesellschaft unter Zuhilfenahme klinischer Diagnosen wie Hysterie und Neurasthenie YRUQLPPWLVWYRQHLQHPÄ0RGHJHFN³GLH5HGHGHUGHPÄ+\VWHULNHU>«@EHUGLH6FKXlWHU JXFNW³ HEG 6 'LH KHXWH NDXP QRFK JHEUlXFKOLFKH %H]HLFKQXQJ Ã*HFNµ OlVVW sich als deutsche Entsprechung von Dandy verstehen und wurde durch das englische Wort ersetzt (vgl. Erbe [2002], S. 7). Allgemein zum Entartungs- oder Degenerationsparadigma siehe Bayertz/Kroll/Weingart (1996); Pick (1996). 25 Zum Begriff der Kolonialphantasien siehe Zantop (1999).
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Groteske Metropole: Skandalisierung Die nun zu diskutierende, nach 1905 produzierte Karte [Abb. 32] entwirft ein metropolitanes Setting. Der Sandplatz und das im Bildhintergrund befindliche weiße Zelt mit den vier Flaggen deuten eine Jahrmarkts- oder Schützenfestszenerie an.26 Durch die Begegnung zwischen der weißen Frau und dem schwarzen Mann im Bildvordergrund wiederum wird ersichtlich, dass auf dem Jahrmarkt oder Schützenfest eine Völkerschau gastiert. Völkerschauen wurden als kommerzielle Unterhaltungsspektakel in zoologischen Gärten, auf Jahrmärkten oder auf Volksfesten konzipiert, bei denen eine koloniale Ordnung reproduziert und die Kolonisierungspraxis der europäischen Nationen beworben werden sollte.27 Allerdings waren diese Spektakel und ihre Effekte oftmals weit weniger kontrollierbar, als sich zum Beispiel Kolonialaktivist_innen erhofften. Beständig drohte die Inszenierung eines Gegensatzes zwischen Natur und Kultur bzw. Ursprünglichkeit und Zivilisation gestört zu werden, da sowohl Ausgestellte als auch Zuschauer_innen aus den ihnen zugedachten Rollen herausfielen. Entsprechend wurde zunehmend Kritik an den Schauen formuliert, die auf der Sorge um die Stabilität der kolonialen Herrschaftsverhältnisse und die Reinheit der weißen Rasse gründete.28 Ein Kritikpunkt war, dass einige der männlichen Völkerschauteilnehmer in Deutschland verblieben, wenn eine Schau bzw. ihr Anstellungsverhältnis endete, und mitunter auch weiße deutsche Frauen heirateten.29 Außerdem wurde das Verhalten weiblicher SchauBesucherinnen skandalisiert, denen eine allzu leichtfertige und überschwängliche Begeisterung gerade für männliche Ausstellungsteilnehmer vorgeworfen wurde. 30 Aufgrund der zunehmenden Skepsis erließ die Kolonialverwaltung schließlich einen auf die deutschen Kolonien bezogenen Einfuhrstopp, wonach Völkerschaugruppen nur noch aus anderen Teilen der Welt angeworben werden konnten. 31 Die Karte fügt sich in das Register der Skandalisierung: Stürmisch umarmt und küsst eine weiße Frau einen schwarzen Mann, dessen Körperhaltung, Gestik und Mimik Abscheu verraten. Die Kostümierung des Manns weist klassische Insignien
26 Bei der rechten Flagge handelt es sich um die Nationalflagge des Deutschen Kaiserreichs. Allerdings ist die Reihenfolge der Farben vertauscht. Ob damit angedeutet werden sollte, dass das auf dem Bild ersichtliche Verhältnis zwischen weißer Frau und schwarzem Mann in Unordnung geraten war bzw. auf dem Kopf zu stehen schien, sei dahingestellt. 27 Allgemein zu Völkerschauen in Deutschland siehe Arnold (1995); Dreesbach (2005); Lewerenz (2006). Einen eher regionalen Schwerpunkt setzen Ames (1999 und 2008); Eißenberger (1996); Schwarz (2001); Thode-Arora (1989). 28 Vgl. Grosse (2003), S. 95-99; Wolter (2005), S. 117-147. 29 Vgl. Sippel (1995), S. 54-55. 30 Vgl. Grosse (2003), 6 :ROWHU 6 PHUNW DQÄGDVV XPJHNHKUW .RQWDNWH zwischen europäischen Männern und ausgestellten Frauen weitgehend als Privatsache DXIJHIDVVWXQGQLFKWJHVRQGHUWHUZlKQWZXUGHQ³ 31 Vgl. Sippel (1995).
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des Stereotyps der Wildheit auf (der Speer, der bastrockartige Lendenschutz, der Schild, der Ohr-, Hals- und Nasenschmuck etc.). Es handelt sich offenbar um einen Völkerschauteilnehmer. Die Frau trägt einen Hut auf dem Kopf, den ein Gebinde aus Rosen und eine schwarze Feder zieren. Sie trägt außerdem ein langes Kleid und Schuhe mit Schleifen. Auffallend sind ihre roten Haare, der rote Besatz an ihrem Kleid sowie die roten Socken. Insgesamt wirkt ihre Erscheinung in Kombination mit ihrer Körperhaltung ordinär. Die Physiognomien der beiden Protagonist_innen sind ins Groteske überzeichnet und wirken monströs. Am unteren Bildrand erläutert HLQ *HGLFKW Ä(XODOLD ZDV PDFKVW GX GD 'X OLHEVW HLQHQ 6FKZDU]HQ" HU SDW ]X 'HLQHQ :DU]HQ³ 'DUXQWHU VWHKW LQ .ODPPHUQ Ä(V VROOHQ EULJHQV YLHOH XQVHUHU ZHLHQ0lGFKHQGHUOHL%UDWHQOLHEHQ³ $EELOGXQJÄ(XODOLD³
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Im Gegensatz zur vorherigen Karte nimmt die schwarze Figur hier weder eine werbende noch bittende Haltung ein. Vielmehr weicht sie vor dem Ansturm der Frau zurück, was nicht nur durch das Fallen-Lassen von Schild und Speer, sondern auch durch den angeekelten Gesichtsausdruck unterstrichen wird. Es ist vor allem das Verhalten der Frau, dessen Anstößigkeit den Skandal ausmacht. Der Historiker Pascal Grosse weist mit Blick auf die von kolonialaktivistischen Kreisen sowie von Teilen der Tagespresse formulierte Kritik an dem Verhalten weiblicher Besucherinnen von Völkerschauen darauf hin, dass insbesondere bürgerliche Frauen im Fokus der Aufmerksamkeit standen.32 Die Karte ist in dieser Hinsicht ambivalenter: Die roten Haare als ikonographisches Merkmal von Hexen sowie der ordinäre Habitus legen nahe, dass die Frau aus dem Prostituiertenmilieu stammt. Auch der Umstand, dass in der Bildunterschrift von Mädchen die Rede ist, obwohl es sich offenkundig um eine ältere Frau handelt, lässt sich derart verstehen. Doch weist der Name (XODOLDGHUJULHFKLVFKHQ8UVSUXQJVLVWXQGÃGLH%HUHGWHµRGHUÃGLH5HGHJHZDQGWHµ bedeutet, in eine andere Richtung.33 Zudem stellt sich die Frage, ob der Skandal nicht gerade darin liegt, dass hier eine Frau entgegen den gesellschaftlichen Konventionen aktiv und initiativ wird. Die Karte veranschaulicht, dass die durch Farbgebung, Ausstattung, Körperhaltung etc. attributierten Figuren keineswegs immer klar zuzuordnen und zu identifizieren waren und oftmals Versatzstücke unterschiedlicher Stereotype übereinandergeblendet wurden, wodurch Anschlussfähigkeit erzielt und gleichzeitig Uneindeutigkeit produziert wurde. Sie verdeutlicht außerdem, dass das Terrain, auf dem rassenpolitische Ordnungsvorstellungen in der Metropole diskutiert wurden, mitunter auch von antifeministischen Tendenzen durchzogen war.34 Szenarien des Betrugs Die im Folgenden zu diskutierende, vor 1905 produzierte Karte [Abb. 33] lässt sich als eine Fortschreibung der vorherigen interpretieren. Zu sehen sind ein weißer Mann, eine weiße Frau und ein kleines schwarzes Kind in einer Babywiege. Die Frau, im Nachthemd und mit Schlafhaube auf dem Kopf, vollführt, in dem sie die
32 Vgl. Grosse (2003), S. 98. 33 Eine in diesem Zusammenhang interessante Detailinformation findet sich auf Wikipedia: Möglicherweise spielte die Karte auf die 1864 geborene María Eulalia von Spanien an, die Mitglied der königlichen Familie Spaniens und darüber hinaus Schriftstellerin war. In ihren Büchern behandelte María Eulalia von Spanien immer wieder Themen wie die Gleichberechtigung und Emanzipation von Frauen. Außerdem unterhielt sie außereheliche Beziehungen zu verheirateten Männern, was Anfang des 20. Jahrhunderts Anlass eines international rezipierten Skandals war (URL: http://de.wikipedia.org/wiki/María_ Eulalia_von_Spanien [Stand November 2012]). 34 Allgemein zum Antifeminismus im Kaiserreich siehe Planert (1998).
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Hände vor ihr Gesicht hält, eine Geste der Scham. Die Körperform und die Gesichtszüge des Mannes sind ins Fratzenhafte verzerrt. Zudem geben seine Mimik und die linke Hand auf dem Kopf zu erkennen, dass er gleichermaßen zornig wie erschrocken und überrascht ist. Auch das Kind sieht mit seinen riesigen, weit aufgerissenen Augen und seinem überproportionierten Mund missförmig aus. Es blickt frontal aus dem Bild heraus ± als würde es die Betrachter_innen der Karte fixieren. Sein Gesichtsausdruck und die Hände, die wie zu einem Winken arrangiert sind, deuten Freude und Aufgeregtheit an. Der Text neben dem Bild ist dem Mann zuzuRUGQHQ(VKHLWGRUWÄ:DLJHVFKULHQIDXOH6DFKHQ:DVLVGDVIRUl0Dnier? Wie NRPPWGLHV$VFKDQWLMQJHO,QGLH:LHJHQXU]X'LU"³ $EELOGXQJÄ$VFKDQWLMQJHO³
Quelle: Universitäts- und Stadtbibliothek Köln Vermutlich bezieht sich die Karte auf eine Völkerschau, die im Sommer und Herbst 1896 in Wien stattfand. Bekannt wurde diese durch den ein Jahr später publizierten Roman Ashantee von dem Schriftsteller Peter Altenberg. 35 Doch auch in der Wiener Tagespresse ZXUGHLKUYLHO$XIPHUNVDPNHLW]XWHLO'RUWZXUGHYRQHLQHPÃ$VFKDnti-)LHEHUµJHVSURFKHQZREHLXQWHUDQGHUHP%H]LHKXQJHQ]ZLVFKHQZHLHQ)UDXHQ und ausgestellten schwarzen Männern der Ashanti aus dem heutigen Ghana sowie aus diesen Beziehungen hervorgegangene Kinder Gegenstand der Diskussion waren.36 ,QVRIHUQLP 7H[W YRP Ã$VFKDQWLMQJHOµGLH5HGHLVWKDQGHOWHVVLFKDXIGHU Karte wohl um ein solches Kind. Die Pointe der Zeichnung besteht darin, dass der
35 Vgl. Altenberg (1897). 36 Vgl. Schwarz, W.M. (2001), S. 125-203. Siehe auch Besser (2004).
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Ehebruch der Frau erst durch die schwarze Hautfarbe des Kinds offenbar wird. Folglich geht es nicht nur um das Verhältnis zwischen weißen Frauen und schwar]HQ0lQQHUQVRQGHUQDXFKXPHLQH*HVFKLFKWHYRQ%HWUXJXQG9HUUDWGHUHQÃ2pIHUµGHUZHLH0DQQDOV)DPLOLHQREHUKDXSWLVW Der Skandal findet aber eine Brechung bzw. wird gesteigert: Indem die Karte auch das Register des Antisemitismus zum Einsatz bringt, wird das Moment des 6NDQGDO|VHQJOHLFKHUPDHQJHGRSSHOWZLHDXIJHKREHQÃ:DLJHVFKULHQµLVWHLQMLddischer Hilferuf. Und auch in der Physiognomie des Mannes lassen sich unschwer Elemente des antisemitischen Bildrepertoires erkennen. 37 Der Ehebruch wird damit als ein dezidiert jüdisches Vergehen codiert, jüdischen Frauen eine Affinität zu sexuellen Beziehungen mit schwarzen Männern und jüdischen Männern ein Mangel an patriarchalischer Macht und Kontrolle unterstellt. Der Skandal resultiert folglich aus den vermeintlichen Eigenheiten eines jüdischen Haushalts, in dem die familiäre Ordnung außer Kraft gesetzt ist. In diesem Sinne sind Ehebruch und sexueller Kontakt zu schwarzen Männern zwar nicht weniger skandalös, werden aber als gewissermaßen in der Natur des Jüdischen liegend thematisiert. Auch die nun interessierende Karte [Abb. 34] handelt von Betrug und Ehebruch. Allerdings hat sich das Geschehen in den Raum der Kolonie verlagert. Zu sehen sind eine schwarze Frau, ein schwarzer Mann und ein weißes Kind. Im Bildhintergrund befinden sich pontokartige Wohnstätten sowie Bäume und Kakteen. Die Frau trägt einen Bastrock. Sie hält das Kind im Arm. Ihre Körperhaltung wirkt nicht nur tumb und ungelenk, in Kombination mit ihrer Mimik drückt sie ± analog zur geschlechtsspezifischen Rollenaufteilung bei der vorherigen Karte ± auch Scham und schlechtes Gewissen aus. Der Mann ist entsetzt und schockiert. Der Hut fliegt ihm vom Kopf, die Tasche hat er fallen gelassen. Und er sagt oder scheint HKHU DXV]XUXIHQ Ä0LFK WULIIW GHU 6FKODJ³ 'LH 7LWHO]HLOH GHU .DUWH ODXWHW Ä(KHLrUXQJLQ6GZHVW³ Abermals richtet sich der Spott vor allem auf den Mann. Auf seiner Tasche befindet sLFKHLQ*HSlFNVFKLOGDXIGHPÄ%HUOLQ³VWHKW'LH%H]LHKXQJ]ZLVFKHQGHU schwarzen Frau und einem weißen Mann ereignete sich offenbar während der Abwesenheit des schwarzen Mannes. Das Entsetzen des Mannes spiegelt entsprechend ein Gewahr-Werden des Verlusts der patriarchalischen Verfügungsgewalt über die Frau. Die Frage nach Gewalt hingegen wird gänzlich ausgeklammert. Mehr noch: Indem der Topos der sexuellen Beziehungen zwischen kolonisierenden Männern und kolonisierten Frauen im Rahmen eines Ehebruch-Witzes verhandelt wird, der zudem auf Kosten des schwarzen Mannes geht, wird der strukturell gewaltförmige
37 Zur antisemitischen Semantisierung des jüdischen Körpers siehe Gilman (1992, S. 181204 sowie 1995 und 2005). Mit der antisemitischen Bildproduktion auf Postkarten bzw. in Karikaturen sowie in populären Zeitschriften im Kaiserreich befassen sich Gold/Heuberger (1999); Schäfer (2005); Schleicher (2009).
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Charakter der Bedingungen, unter denen diese Beziehungen meist realisiert wurden, verharmlost. $EELOGXQJÄ(KHLUUXQJLQ6GZHVW³
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Auffallend an der Karte ist vor allem die Stilisierung des Mannes. Und zwar im Hinblick nicht nur auf das Missverhältnis seiner Körperproportionen und seine bizarre Körperhaltung, sondern auch auf seine Kleidung. Er trägt einen sichtlich zerbeulten Zylinder, ein rotes Frack-Oberteil, eine Krawatte, ein offenbar viel zu kurzes weißes Hemd, Hosenträger sowie eine geflickte und ebenfalls zu kurze Hose, die allerdings nicht zu der roten Jacke passt. Zudem fehlen Socken und Schuhe. In dieser Überzeichnung entspricht der Mann dem Stereotyp des Hosennegers, das im
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deutschen Kolonialismus weit verbreitet war und auch auf Postkarten oftmals eingesetzt wurde.38 Das Stereotyp beinhaltete, dass der Versuch der Aneignung und Adaption westlich codierter Kleidung und Lebensstile durch Schwarze stets unzulänglich sei und notwendigerweise scheitern müsse.39 In besonderer Weise verdichteten sich im Motiv des Hosennegers die ambivalenten Verortungs- und Entortungsdynamiken des Kolonialismus: Einerseits kündete es von der Möglichkeit der Wandelbarkeit der Kolonisierten, die im Sinne der civilizing mission durchaus beabsichtigt und gewollt war. Andererseits drückte es eine Abwehrhaltung gegen einen solchen Wandel aus und gab zu verstehen, dass Identität und Zugehörigkeit entlang von Rasse und Hautfarbe klar festgelegt sein sollten und die unterstellte Rückständigkeit von Schwarzen unveränderlich sei. Zudem überlagerten sich hier rassenund klassenspezifische Zuschreibungen. Denn die Kleiderordnung, denen der Hosenneger zu entsprechen versuchte, konnotierte zumeist einen bürgerlichen Lebenswandel und Habitus. Entsprechend orientierte sich die (zeichnerische) Stilisierung an Insignien der Proletarisierung. Das Lächerliche des schwarzen Mannes auf der Karte jedenfalls resultiert daraus, dass das Scheitern bei dem Versuch, sich den Kleidungsnormen in Berlin anzupassen und in der sozialen Hierarchie aufzusteigen, durch den Betrug während seiner Abwesenheit potenziert wird. 40
38 6FKXEHUW 6PHUNWDQÄ'LH9RUVWHOOXQJGHUÃ+RVHQQHJHUµGXUFK]LHKWGLHJesamte publizistische DiskussiRQ LPPHU ZLHGHU³ .XVVHU/HZHUHQ] 6 -229, weisen auf die transatlantische Zirkulation dieses Stereotyps hin: Der Hosenneger sei als ÄVR JHQDQQWHU Ã8UEDQ &RRQµ LP =XVDPPHQKDQJ PLW GHU $EVFKDIIXQJ GHU 6NODYHUHL LQ den USA erfunden worden: Um ihre neu erkämpften Rechte in Anspruch zu nehmen, verließen viele AfroamerikanerInnen die Plantagen und wanderten in die Städte. Die Figur GHVÃ8UEDQ&RRQµ>«@EHDQWZRUWHWHGLH(QWVWHKXQJHLQHUVFKZDU]HQ0LWWHONODVVHPLWHinem rassistischen Witz über ihr angebOLFKHV6FKHLWHUQ³ 39 Der Arzt und Ethnograph Max Buchner z.B. bemerkte in seinem 1914 erschienenen Buch Aurora Colonialis Ä'HU 1HJHU GHU GXQNOH 0HQVFK EHUKDXSW LQ VHLQHU RULJLQHOOHQ Wildheit oft so schön und achtungsgebietend, sobald er ein Hosenneger ist, wird er leicht ]XP $IIHQ³ ]LWLHUW QDFK 0DU[ >@ 6 =ZHL -DKUH ]XYRU SXEOL]LHUWH GLH YRP Frauenbund der Deutschen Kolonialgesellschaft herausgegebene Zeitschrift Kolonie und Heimat einen Der Hosennigger betitelten Artikel, in dem es an einer 6WHOOH KHLWÄ'HU ÃJHELOGHWH 1HJHUµ P|FKWH IUHLOLFK QXQ DXFK lXVVHUOLFK GHQ .XOWXUPHQVFKHQ PDUNLHUHQ >«@ +RVH %UDWHQURFN =\OLQGHU KDW HU VLFK DQJHVFKDIIW DEHU HU YHUVWHKW QLFKW VLFK LQ LKQHQ]XEHZHJHQXQGVLHKWLPÃWRWVFKLFNµJHDUEHLWHWHQ*HKURFNJenauso komisch oder GXPPGUHLVW DXV ZLH LQ DEJHOHJWHQ 8QLIRUPHQ RGHU VRQVWLJHP 7U|GHO³ ]LWLHUW QDFK Waßmuth [2009], S. 336). 40 Das Betrugs- oder Verratsmotiv, in dem stets die Hautfarbe des Kinds den Ehebruch offenbarte, war auch international weit verbreitet. In den gesichteten Sammlungen finden sich entsprechende Karten aus England, den USA, Frankreich, Ungarn, Schweden und Estland. Das Stereotyp des Hosennegers wiederum wurde oftmals auch als polemisches Mittel der Adressierung von weißen deutschen Frauen eingesetzt. So heißt es z.B. auf einer Karte, auf der ein als Hosenneger stilisierter schwarzer Mann gespreizt und affektiert ZLUNHQGH *HVWHQ GHV :HUEHQV DXIIKUW Ä:DU KLHU YHUJHEOLFK GHLQ %HPKHQ8P HLQHQ
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Humor, Unübersichtlichkeit und Handlungsspielräume Der Soziologe Jan Nederveen Pieterse spricht im Zusammenhang mit dem Stereotyp des Hosennegers YRQ ÄZHVWHUQL]DWLRQ KXPRXU³41 Um dessen EntstehungsbeGLQJXQJHQ ]X HUNOlUHQ YHUZHLVW HU DXI ÄLUUHFRQFLODEOH DQWLQRPLHV³, die sich aus dem Missverhältnis zwischen der Ideologie der civilizing mission einerseits und dem Streben nach Profit bzw. der Praxis der Ausbeutung andererseits ergeben hätWHQ1HGHUYHHQ3LHWHUVH]XIROJHKDQGHOWHVVLFKKLHUEHLXPHLQÄVHOI-made European GLOHPPD³XQGGLH6SDQQXQJHQGLHDXVGLHVHP'LOHPPDUHVXOWLHUWHQÄDUHUHVROYHG in westernization humour, which articulates the Manichaean image of irrevocably VHSDUDWH ZRUOGV ZLWK OLEHUDWLQJ ODXJKWHU DW WKH H[SHQVH RI WKH QDWLYHV³ Entsprechend kommt eU]XGHP6FKOXVVÄ7KLVNLQGRIKXPRXUVHUYHVDVSDUWRIWKH culture of domination. Laughter stigmatizes and thus demarcates the frontier beWZHHQFXOWXUDOZRUOGV³42 Mit der Instituierung von Dominanzverhältnissen durch humoristische Praktiken und dem sozialen Demarkationspotenzial von stigmatisierendem Lachen bringt Nederveen Pieterse Punkte zur Sprache, die sich auch im Hinblick auf die Witzpostkarten konstatieren lassen. Allerdings ist seine Erklärung der EntstehungsbeGLQJXQJHQ XQG GHU )XQNWLRQ YRQ ÃZHVWHUQL]DWLRQ KXPRXUµ DOV )ROJH HLQHV ÃVHOIPDGH(XURSHDQGLOHPPDµE]ZDOV9HUVXFKGLHVHV'LOHPPDDXI]XO|VHQSUREOHPatisch. Denn zum einen setzt sie voraus, dass das Motiv des Scheiterns ausschließlich auf schwarze Protagonist_innen beschränkt war. Zum anderen übergeht sie die Ambivalenz von Witzfiguren wie dem Hosenneger, der zwar die manichäische Einrichtung der Welt symbolisierte, aber gleichzeitig ein Indiz dafür war, dass das Prinzip der Zweiteilung von Übergängen, Schnittmengen und Zwischenräumen unterminiert zu werden drohte. In diesem Sinne lässt sich westernization humour weniger als Resultat einer Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit der kolonialen Praxis verstehen denn als Reaktion auf die Unübersichtlichkeiten und Komplexitäten des kolonialen Alltags. Auch die bisher besprochenen Witzpostkarten zeugen von Unübersichtlichkeit. Zumindest entwarfen sie eine Welt, in der sich weder Schwarze noch Weiße auf den ihnen zugedachten Plätzen befanden. Die Vorstellung von rassischer Differenz, die eindeutige Unterscheidungen und Positionierungen ermöglichen sollte, war nicht aufgehoben, wurde aber durch die fließenden Übergänge, die sich in den gro-
Mann, verzage nicht,/Wir haben ja jetzt KolonLHQ:DV VLFKUH $XVVLFKW GLU YHUVSULFKW³ Die Karte ist abgedruckt in Zeller (2010b), S. 103. 41 1HGHUYHHQ 3LHWHUVH 6 GHU GDV 6WHUHRW\S ZLH IROJW EHVFKUHLEWÄ7KH SRLQW LV usually that the western look is only superficial, underneath Africans remain what we RULJLQDOO\GHILQHGWKHPDVVDYDJHV³HEG6 42 Ebd.
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tesken und monströsen Körperformen der meisten Protagonist_innen manifestierten, konterkariert. Die Figur des Hosennegers wiederum bringt eine über den Aspekt der Unübersichtlichkeit hinausgehende Komponente ins Spiel. Der Historiker &KULVWRSK0DU[ZHLVWGDUDXIKLQGDVVKLQVLFKWOLFKGHUÄVRJHQDQQWHQ0LVFKOLQJH> ] XQGGHUYHUZHVWOLFKWHQ%LOGXQJVHOLWH³EHVRQGHrs ambivalente Zuschreibungen exisWLHUWHQ 'LHVH ÄRIW NOHLQHQ *UXSSHQ >ZXUGHQ@ PLW HLQHU 0LVFKXQJ DXV 6\PSDWKLH Angst und Hass betrachtet, was von phantasierten Degenerationssymptomen bis hin ]XYHUEDOHQ$XVIlOOHQJHJHQÃ+RVHQQHJHUµUHLFKWH³ 43 Das Motiv des Hosennegers ± so lässt sich schlussfolgern ± entsprang dem Versuch, eine Antwort zu finden auf Entgrenzungsdynamiken, die ein Effekt der kolonialen Begegnung waren und latent deutlich machten, dass Handlungsräume und -optionen nie letztgültig zu kontrollieren waren, dass also Handlungsmacht ± auch unter den asymmetrischen Bedingungen des Kolonialismus ± stets verteilt war.44
3.4 Ü BER H ANDLUNGSMACHT Um dies zu veranschaulichen, soll hier zunächst auf Überlegungen des postkolonialen Theoretikers Homi Bhabha Bezug genommen werden, für den die Frage der Handlungsmacht zentral ist. In einem zweiten Schritt wird dann ein Text des Kolonialaktivisten und -theoretikers Paul Rohrbach im Mittelpunkt stehen, wobei sich die Analyse an Bhabhas Begriffen und Konzepten orientieren wird. In dieser kritischen Lektüre soll eine Perspektive konturiert werden, von der ausgehend weitere Witzpostkarten diskutiert werden.
43 0DU[ 6:DVJHQDXGHU%HJULIIÃYHUZHVWOLFKWH%LOGXQJVHOLWHµPHLQWZLUGLP nächsten Abschnitt deutlicher werden, wenn von den so genannten mimic men die Rede ist. Joch ( 6EH]HLFKQHWGDV6WHUHRW\SGHV+RVHQQHJHUVDOVHLQHÄZLW]LJH0iPLNU\³GLHIUGDVÄYHUTXHUH9HUKlOWQLVYRQHLJHQHUXQGIUHPGHU.XOWXU³VWDQG(VGUüFNHÄ6SXUHQGHU$PELYDOHQ]ZHQQQLFKWVRJDUGHU$QJVWXQG9HUVW|UXQJJHJHQEHUGHQ Schwarzen [aus], deren Kolonisierung nicht gelingen will: Sie sind wie wir und doch JDQ]DQGHUV³ 44 Ein eindrückliches Beispiel ist in diesem Zusammenhang die Erste Deutsche Kolonialausstellung, die 1896 in Berlin stattfand. Über 100 Menschen aus den Kolonien sollten in so genannten Eingeborenendörfern Vorführungen darbieten. Einige ± u.a. der Sohn von Samuel Maharero, Frederik Mahahero ± weigerten sich allerdings, den Erwartungen sowohl der Organisator_innen als auch der BesucherInnen der Ausstellung zu entsprechen. Sie lehnten es nämlich ab, vermeintlich traditionelle Kleidung zu tragen und traten in Anzügen vor das Publikum (vgl. Zeller 2008b). Der Ethnologe Felix von Luschan wiederum, der anthropometrische Untersuchungen an den Ausstellungsteilnehmer_innen vornehmeQ ZROOWH EHULFKWHWH YRQ HLQHU ÄJURHQ 8QOXVW GHU PHLVWHQ /HXWH VLFK PHVVHQ ]X ODVVHQ³XQGVDKLQGLHVHQÄHLQHXQYHUJOHLFKOLFKH0LVFKXQJYRQ,GLRWXQGÃ+RVHQQLJJHUµ³ (zitiert nach Richter [1995], S. 36). Allgemein zur Theorie über verteilte Handlungsmacht siehe Becker/Cuntz/Kusser (2008b).
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Zwischenräume ± Postkoloniale Theorie Bhabha beschreibt die Stoßrichtung seiner Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus wie folgt: Wenn wir die Wirkung kolonialer Macht in der Produktion von Hybridisierung sehen statt in der lautstarken Ausübung der kolonialistischen Autorität oder der stillschweigenden Unterdrückung einheimischer Traditionen, so hat das eine wichtige Veränderung der Perspektive zur Folge. Die Ambivalenz am Ursprung der traditionellen Diskurse über Autorität ermöglicht eine Form der Subversion, die auf der Unentscheidbarkeit beruht, die die diskursiven Bedingungen der Beherrschung in die Ausgangsbasis der Intervention verwandelt.
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In seiner von Psychoanalyse und Dekonstruktion angeleiteten Auseinandersetzung PLW GHP 3UR]HVV GHU 6WHUHRW\SLVLHUXQJ DOV HLQHU Ä+DXSWVWUDWHJLH³ GHV NRORQLDOHQ Diskurses untersucht Bhabha, wie sich der angedeutete Perspektivwechsel gestaltet.46 Entgegen der Vorstellung eines allzu reibungslosen Prozesses kolonialer Subjektivierung gelte es, gerade die ambivalenten, scheinbar paradoxalen und konfliktgeladenen Bedingungen der Konstitution von Subjekten als Kolonisierten und Kolonisierenden herauszustellen. Dabei lasse sich ein Oszillieren als seltsame Eigenheit des Stereotyps beobachten: Einerseits werde Wissen als ahistorisches, immer schon bekanntes Wissen hervorgebracht; andererseits müsse dieses Wissen bestänGLJZLHGHUKROWXQGQHXDXIJHOHJWZHUGHQÄDOVREGLHZHVHQVPlLJH'RSSHO]QJLgkeit des Asiaten oder die tierische sexuelle Freizügigkeit des Afrikaners, die an sich keines Beweises bedürfen, innerhalb des Diskurses doch nie wirklich bewiesen werden köQQWHQ³47 Zudem seien die im Prozess der Stereotypisierung konstituierten Figuren des Anderen insofern ambivalent, als sie gleichermaßen Objekte der Verachtung wie des Begehrens darstellten ± ÄHLQH$UWLNXODWLRQYRQ'LIIHUHQ]GLHLQ der Phantasie von UrspruQJ XQG ,GHQWLWlW VHOEVW HQWKDOWHQ LVW³48 Die Ambivalenz des kolonialen Stereotyps resultiere folglich aus der Gleichzeitigkeit von Fixierung (das Aussprechen einer unumstößlichen, letztgültigen Wahrheit) und Wiederholung (die Notwendigkeit, diese Wahrheit, die in sich selbst wieder gespalten ist, permanent neu auszusprechen). Immer jedenfalls seien Kolonisierte und Kolonisierende
45 Bhabha (2000), S. 166. Als Einführung in Bhabhas Texte und die nachfolgenden Diskussionen siehe Castro Varela/Dhawan (2005), v.a. S. 83-109. Zur theoriegeschichtlichen Einordnung sowie zu den politischen Implikationen von Bhabhas Denken siehe Bonz/Struve (2006); Wolter (2001); Young (1990). 46 Bhabha (2000), S. 97. Mit dem Prozess der Stereotypisierung befasst sich auch Gilman (1992), der darauf hinweist, dass die Stereotypie um 1800 ein technisch-maschinelles Kopierverfahren bezeichnete (vgl. ebd., S. 7). 47 Bhabha (2000), S. 97-98. 48 Ebd., S. 99.
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als phantasmatische Identitäten oder Essenzen im Stereotyp aufeinander bezogen, da sie ein und demselben Modus der Differenzierung entsprängen. Identifiziert Bhabha Ambivalenz als ein grundlegendes Charakteristikum des kolonialen Diskurses, das auf die komplexen psychischen Dimensionen des kolonialen Machtapparats verweist, bildet sie auch den Ausgangspunkt für seine Modelle von Subversion. In diesem Zusammenhang ist der Begriff der kolonialen Mimikry YRQ%HGHXWXQJ)U%KDEKDEH]HLFKQHWGLHNRORQLDOH0LPLNU\ÄGDV%HJHKUHQQDFK einem reformierten, erkennbaren Anderen als dem Subjekt einer Differenz, das fast, aber doch nicht ganz dasselbe ist³49 Angespielt ist hier auf das dem Kolonialismus inhärente Projekt der civilizing mission, das von einer spezifischen Spannung gekennzeichnet war: Ging es einerseits darum, europäische Normen und Werte zu verbreiten und somit die Kolonisierten ± gemäß der zeitgenössischen Vorstellung ± aus dem Status der Wildheit hinaus- und in den geschichtlichen Prozess hineinzuführen, so galt es andererseits, der Gefahr eines allzu umfassenden DenKolonisierenden-ähnlich-Werdens der Kolonisierten vorzubeugen. Bhabha zitiert entsprechende Texte englischer Kolonialpolitiker, die eine lediglich partielle Unterweisung in christlicher Religion und eine Erziehung in Maßen propagierten, um ein System flexibler Grenzen bzw. ein Modell der Abstufungen in Gang halten zu können. Wesentlicher Bestandteil dieses Modells war der Versuch, eine Funktionselite von Kolonisierten zu erschaffen, die als Übersetzer_innen, Missionar_innen oder Angehörige der Exekutive für die koloniale Verwaltung tätig sein und als Puffer zwischen der meist recht überschaubaren Gruppe der Kolonisierenden und der weitaus größeren Gruppe der Kolonisierten dienen sollte. Bhabha spricht diesbezüglich von mimic menGLHHLQHDPELYDOHQWH:HOWGHVÄÃQRWTXLWHQRWZKLWHµ³Eehaust hätten.50 Mit dieser Logik des ÃQRW TXLWHQRW ZKLWHµ GUFNW %KDEKD 3URJUDPP XQG 'ilemma der civilizing mission aus, die in zeitgenössischen Texten zu einem Auftrag von welthistorischem Rang verklärt wurde. Darüber hinaus zeigt diese Logik eine Verdichtung der konflikthaften Dynamiken der kolonialen Stereotypisierung an: Denn mit der civilizing mission zeichneten sich die Konturen einer Differenzvorstellung ab, die implizierte, dass Abstände variierten, Annäherungen möglich waren, Ähnlichkeiten entstanden. Bhabha zufolge erweist sich die Differenzlogik der kolonialen Mimikry gerade in ihrer Flexibilität als besonders effektive Strategie des kolonialen Machtapparats, da sie eine umfassende Aneignung und eine fein abgestimmte Integration des Anderen zu organisieren vermochte. Gleichzeitig jedoch stelle die Mimikry als Prozess des Ähnlich-Werdens eine latente Gefahr für die ko-
49 Ebd., S. 126. 50 Da das Wortspiel im Deutschen verloren gehen würde, wird an dieser Stelle das englische Original zitiert. Der Text ist im Internet nachzulesen (URL: http://prelectur.stanford. edu/lecturers/bhabha/mimicry.html [Stand: September 2013]).
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loniale Ordnung und ihre multiplen Grenzregime dar. Die scheinbare Verdoppelung des Kolonisierenden-Subjekts in der Figur des mimic man konterkariere die Vorstellung letztlich unüberbrückbarer Differenzen, die für das Funktionieren der Stereotypisierung unabdingbar sei. Zudem stelle die notwendigerweise unvollständig bleibende Verdoppelung die Idee der Vollständigkeit als Essenz oder Identität an sich in Frage. So gesehen trete mit dem mimic man HLQHÄÃSDUWLHOOHµ3UlVHQ]³LQ(rscheinung, die die Praxis der kolonialen Signifizierung über ihre Grenzen hinaustreibe.51 Da ± wie bereits angedeutet ± Kolonisierende und Kolonisierte im Stereotyp aufeinander verwiesen sind, übertrage sich der dezentrierende Effekt der Mimikry auf die Gesamtheit des Identifizierungsapparates. In der Partialität des reformierten Kolonisierten spiegle sich somit auch die Partialität des Kolonisierenden, der das Reformprojekt anleitete. Trotz aller Versuche der Grenzziehung, die eine andauernde hierarchische Ordnung garantieren sollten, vollziehe sich ein subtiles Spiel der Erkennung und Verkennung, das den vermeintlichen Gewissheiten der kolonialen Platzanweisungen entgegenstehe. In diesem Sinne bilanziert Bhabha, GDVV GLH ÄUHIRUPLHUHQGH ]LYLOLVLHUHQGH 0LVVLRQ GXUFK GHQ GH-plazierenden Blick LKUHVGLV]LSOLQlUHQ'RSSHOVEHGURKWZLUG³52 %KDEKD]XIROJHVWHOOWGHUÃGH-SOD]LHUHQGH%OLFNµHLQHQSRWHQ]LHOOZLGHUVWlQGLJHQ Akt dar. Entsprechend ist seinem Begriff von Hybridität, der als übergeordnete Kategorie fungiert und die ambivalente Dynamik des kolonialen Diskurses zusammenfasst, die Fokussierung von Widerstand eingeschrieben.53 Anders gesagt geht es daUXP HLQ 6FKHLWHUQ EHL GHU Ä$XWRULVLHUXQJ GHU Ã,GHHµ GHU .RORQLVDWLRQ³ QDFK]uzeichnen.54 Hybridität nämlich sei immanenter Bestandteil kolonialer Machtregime und ihrer Strategien der Differenzierung und Verdoppelung und verweise somit auf die Unmöglichkeit von Fixierung sowie auf das Unvollständige und Temporäre im Prozess der (kolonialen) Identifizierung. Die wiederholende Verdoppelung bzw. die Aneignung der Zeichen der kolonialen Macht seien demnach nicht als eindeutige Indikatoren erfolgreicher Unterwerfung zu verstehen, sondern ebenso als Modi der Dezentrierung, da die fetischisierten Konzepte des kolonialen Diskurses ± Ur-
51 Bhabha (2000), S. 127. 52 Ebd. 53 Zur gegenwärtigen Konjunktur des Hybriditätsbegriffs in unterschiedlichen (wissenschaftlichen) Disziplinen siehe Ha (2005a); Modood/Werbner (1997); Pritsch (2001); Schneider (1997). Zur historischen Dimension der Hybridität, die im 19. Jahrhundert zu einem zentralen Wissensgegenstand des kolonialen Rassismus avancierte, siehe Young (1995). Gerade mit Blick auf diese historische Dimension lässt sich Bhabhas Einsatz des Hybriditätsbegriffs selbst als eine hybridisierende Strategie der Aneignung und Umcodierung verstehen. In der Auswahl und verfremdenden Konfiguration eines derart historisch vorbelasteten Begriffs zeigt sich zudem ein wesentlicher Zug postkolonialer Theorie, die gleichermaßen versucht, den Kolonialismus als konstitutive Erfahrung der Moderne wie ein Darüber-Hinaus zu denken (vgl. Hall [1997a]). 54 Bhabha (2000), S. 262.
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sprung, Reinheit, Schwarz- und Weiß-Sein ± partialisiert und letztlich ausgehöhlt würden. Bhabhas Perspektive der Hybridität ± so lässt sich mit Blick auf den Kolonialismus zusammenfassen ± dynamisiert die vermeintlich binäre Ordnung der kolonialen Welt. Dadurch kommen Zonen und Räume der Unbestimmtheit bzw. des Dazwischen zum Vorschein, die von Austausch- und Aneignungsprozessen sowie von performativen Dynamiken des Kopierens und Zitierens gekennzeichnet waren. Bhabha zufolge handelte es sich nicht um einen Defekt im System, das nach entsprechender Korrektur wieder reibungslos funktioniert hätte, sondern um Zonen und Dynamiken, die für das System und seine ambivalenten Differenzierungs- und IdHQWLIL]LHUXQJVPRGLNRQVWLWXWLYZDUHQ'DV%HJHKUHQQDFKHLQHPÃIDVWDEHUGRFK QLFKWJDQ]VHOEHQµ$QGHUHQLVWHLQ%HLVSLHOIUHLQHQVROFKHQ0RGXV'DEHLVWHOOWH es nicht zwangsläufig einen Widerspruch zum Begehren nach Reinheit und Erkennbarkeit dar. Die von Bhabha angeführten Überlegungen englischer KolonialpolitiNHUYHUDQVFKDXOLFKHQJHUDGHDXIZHOFKH:HLVHLQGHU/RJLNGHVÃQRWTXLWHQRWZKiWHµGDV3URMHNWGHU5HIRUPE]Z=LYLOLVLHUXQJDXIGDV%HJHKUHQQDFK5HLQKHLWXQG Erkennbarkeit abgestimmt war. Und doch zeugen diese Überlegungen mit von einer Angst, die den Einsatz entsprechender Sicherungsvorkehrungen erst erforderlich machte. Die Mischwesen, die nicht mehr ganz wild waren, aber auch nur fast zivilisiert, blickten zurück, und unter diesem unheimlichen Blick wurden der Status von Wild-Sein und Zivilisiert-Sein an sich problematisch, die Modalitäten der Zuordnung und die mit ihnen verbundenen Gewissheiten in hohem Maße prekär. Rasse machen ± Koloniale (De-)Formierung Auch in Paul Rohrbachs 1907 erschienenem Buch Die Kolonie, das sich als eine populärwissenschaftliche Darstellung der Grundzüge kolonialen Denkens an ein breiteres Publikum richtete, war die Thematik der Hybridität bzw. Mimikry virulent.55 Dabei wurde sie auf zwei sich gegenseitig bedingende Weisen thematisiert: einerseits als Prozess der Hebung bzw. Zivilisierung, die ein Den-Kolonisierendenähnlich-Werden der Kolonisierten implizierte; andererseits als Prozess des Sinkens, wobei die Frage des Ähnlich-Werdens unter umgekehrten Vorzeichen verhandelt wurde. In dieser Doppelbewegung lässt der koloniale Diskurs über Mimikry die latente Durchlässigkeit kolonialer Kategorien und Grenzen erkennen. Darüber hinaus
55 Anker (2005) zufolge hatte Rohrbach als Kommentator der Kolonialpolitik nach der Jahrhundertwende nahezu eine Monopolstellung im Kaiserreich inne. In zahlreichen Artikeln, Aufsätzen und Büchern vertrat er kolonialreformerische Positionen, die auf die Durchsetzung einer an eugenischen Prämissen orientierten Politik der Segregation zielten. Zum Diskurs der Kolonialreformer siehe Grosse (2000), S. 113-124. Allgemein zu Rohrbach siehe Bieber (1972); Mogk (1972).
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zeichnet sich ein beständiges Oszillieren des Signifikanten Rasse ab, wobei sich biologistische und kulturalistische Argumentationsmuster überschnitten. Rasse wurde folglich gleichzeitig als natürlich-biologische Substanz wie als Effekt einer kulturellen Praxis des Rasse-Machens konturiert.56 Im Wesentlichen ± so heißt es am Ende des Buchs ± ÄHUVFKHLQHQ>«@GLHNROonialen Probleme, wirtschaftliche wie soziale, als Ausstrahlungen einer der großen Grundfragen der Menschheit: des Rassenproblems³57 Diese Grundfrage strukturierte Rohrbachs Erörterungen über verschiedene Typen von Kolonien, die Formen wirtschaftlicher Ausbeutung und die Ausgestaltung der sozialen Verhältnisse. Die Art der Stereotypisierung war dabei durchaus klassisch: Immer wieder finden sich über den gesamten Text verteilt Hinweise auf die Rohheit und das Barbarische der Kolonisierten. Zudem wurde konstatiert, dass diese unproduktiv seien. Schließlich wurde Differenz folgendermaßen postuliert: Ä(V IHKOW LKQHQ VDPW XQG VRQGHUV GLH Grundvoraussetzung unseres sittlichen Empfindens und Handelns: der Imperativ der Pflicht und der persönlichen Überzeugung und die Bändigung der Instinkte GXUFKGLH.UDIWGHVPRUDOLVFKHQ,QWHOOHNWV³58 Gleichwohl verstand auch Rohrbach den Kolonialismus als ZivilisierungsaufWUDJ ,QHUVWHU /LQLHZDUHVGDV3URMHNWGHUÃ(U]LHKXQJ]XU$UEHLWµGXUFKGDVHLQH entsprechende Hebung in Gang gesetzt werden sollte.59 Ausgehend von einem natürlichen Bedingungsverhältnis zwischen Arbeit und kulturell-zivilisatorischem Status erwies sich die koloniale Expansion bei Rohrbach als eine Art humanistische Intervention, die das bis dahin scheinbar ungenutzte Arbeitskraftpotenzial der Kolonisierten erst zur Entfaltung bringen sollte. Konsequenterweise heißt es, dass nur GXUFK $UEHLWV]ZDQJ HLQH Ä(U]LHKXQJ GHU DIULNDQLVFKHQ 5DVVH ]X HLQHP K|KHUHQ 6WDQGHGHU(QWZLFNOXQJ³HUIROJHQNönne. In diesem Zusammenhang wies Rohrbach GDUDXIKLQGDVVDXFKIUGLHZHLH5DVVHÄGHU:HJ]XU+|KH³EHUGLH$UEHLWYHrlaufen sei. Um die Reichweite dieser Gleichung, in der Differenz potenziell auflösbar ist, zu begrenzen, brachte er die vermeintlich unterschiedlichen Anlagen der jeweiligen Rassen als einen weiteren zentralen Faktor ins Spiel. Demnach sei eine (U]LHKXQJGHU.RORQLVLHUWHQDXFKQXULQÄJHZLVVHQ*UHQ]HQ³YRUVWHOOEDU 60 SchließOLFKVSUDFKHUYRQHLQHUÄJHIKOVPlLJHQhEHU]HXJXQJGDVVGHUVchwarze und der ZHLH0DQQQLFKWLPJOHLFKHQ6LQQHGHV:RUWV0HQVFKHQVLQG³ 61
56 Mit Blick auf den Nationalsozialismus diskutieren eine solche Praxis LacoueLabarthe/Nancy (1997). 57 Rohrbach (1907), S. 102. 58 Ebd., S. 68. 59 &RQUDG 6ZHLVWGDUDXIKLQGDVVGLHÄÃ(U]LHKXQJGHV1HJHUV]XU$UEHLWµ>«@ zu den zentralen Projekten staatlicher und insbesondere kirchlicher Politik seit InbesitzQDKPHGHUHUVWHQ.RORQLHQ³JHK|UWH 60 Rohrbach (1907), S. 70. 61 Ebd., S. 30.
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Ein derart formulierter Zusammenhang von Gefühl und rassischer Differenzierung findet sich auch an anderer Stelle im Text. Hier befasste sich Rohrbach mit der Frage der Mischehen$XVJHKHQGYRQHLQHUÄLPPHUZLHGHUKROWHQ(UIDKUXQJ³NRnVWDWLHUWH HU ÄGDVV QLFKW GHU K|KHUVWHKHQGH 7HLO GHQ QLHGHUHQ ]X VLFK KHUDXI]LHKW VRQGHUQ XPJHNHKUW³ 62 Es setze ein degenerativer Prozess ein, den Rohrbach mit dem Hinweis auf die Umgangssprache der Kolonisierenden in den afrikanischen .RORQLHQ DOV Ã9HUNDIIHUXQJµ E]Z DOV Ã9HUQLJJHUXQJµ EH]HLFKQHWH63 Rohrbach komplettierte das Szenario, indem er die individualisierte Degenerationsvariante PLWHLQHUNROOHNWLYHQYHUEDQG(UVWHOOWHGLHÄ%OXWPLVFKXQJ³DOs wesentliche Gefahr für die kolonisierende Macht dar, da VLHGHQÄDOOPlKOLFKHQ9HUOXVW> ] der rassenhafWHQhEHUOHJHQKHLW³QDFKVLFK]LHKH$OV6FKXW]- bzw. Sicherungsmechanismus verZLHVHUDXIGLH1RWZHQGLJNHLWGHQÄ5DVVHQJHGDQNH>Q@EHLGHQ:HLHQ³VRZLH ÄGDV *HIKOGHV*HJHQVDW]HVJHJHQEHUGHQ)DUELJHQ³GXUFK]XVHW]HQ64 Ging es bei der Erziehung zur Arbeit um die Hebung der Kolonisierten, die GXUFK ELRORJLVFKH $QODJHQ XQG HLQH ÃJHIKOVPlLJH hEHU]HXJXQJµ DOV 'LIIHUHQzkriterien notwendigerweise beschränkt sein sollte, so begegnet nun das durch die Mischehe ausgelöste Sinken der Kolonisierenden, das sich auf zwei miteinander zusammenhängenden Ebenen verteilte: zum einen als Verkafferung Einzelner, zum anderen als Degeneration der weißen Rasse. Auffallend ist, wie Rohrbach die DiagQRVH GHU 9HUNDIIHUXQJ XPVFKULHE (U VSUDFK YRQ HLQHU ÄLQQHUHQ 9HUURKXQJ LQ GHU ([LVWHQ]GHV:HLHQ³XQGPHUNWHDQGDVVÄGDV)DPLOLHQOHEHQ>«@JDQ]RGHUKDOE DXI HLQJHERUHQH >«@ $UW JHIKUW ZLUG³65 Zudem wies er auf die sanktionierende Praxis in der Kolonie selbst hin, die darin bestand, die betreffenden Individuen aus dem sozialen Leben vor Ort auszuschließen und ihnen die bürgerlichen Ehrenrechte abzusprechen.66 Rohrbach kommentierte: Zweifellos bringt ein solcher Säuberungs- und Scheidungsprozeß im einzelnen Härten mit sich, aber es ist grundsätzlich richtig, daß einmal eine bestimmte Scheidungslinie gezogen wird, und daß es dann heißt: bis hierher weiß, jenseits farbig. 67
62 63 64 65 66
Ebd., S. 38. Vgl. ebd., S. 98. Ebd., S. 41. Ebd., S. 98 und 39. Nach Ende des Kolonialkriegs z.B. tauchten Überlegungen auf, weiße Männer, die mit schwarzen Frauen verheiratet waren oder zusammenlebten, entsprechend einer für die Kolonisierten geltenden Verordnung zum Tragen einer jederzeit sichtbaren Passmarke zu verpflichten (vgl. Hasenkamp [1909], S. 1). Zudem wurde diesen Männern gemäß einer 1909 erlassenen Verordnung das Gemeindewahlrecht entzogen (vgl. Schulte-Althoff [1985], S. 61). 67 Rohrbach (1907), S. 40.
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Die Grenze, die Rohrbach einforderte und guthieß, wurde zwar durch die Hautfarbe als körperliches Zeichen vermittelt. Allerdings war die Form der Grenzziehung nicht ausschließlich auf den Referenten Natur oder Biologie bezogen. Mit dem Verweis auf die Verrohung als Folge des Zusammenlebens mit und der sexuellen Beziehung zu den Kolonisierten wurde nämlich auch Lebenswandel und Habitus der Kolonisierenden Bedeutung zugewiesen. Die von Rohrbach proklamierte Notwendigkeit der Durchsetzung des Rassengedankens und -gefühls bei den Kolonisierenden war demnach zwar als Appell zum Schutz vor rassischer Degeneration zu verstehen. Ersichtlich ist aber auch, dass hier Kriterien der Zugehörigkeit formuliert wurden, die eine rassische Differenzierung jenseits von Körper und Hautfarbe ermöglichten. In diesem Sinne zeigte die Diagnose der Verkafferung, die einen Verlust des rassischen Status beinhaltete, einen Mangel an eben jenem Rassengedanken und -gefühl an. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang Rohrbachs Interpretation des Kolonialkriegs in Namibia. Er rekapitulierte die Anfangsjahre der deutschen Kolonialherrschaft und kritisierte Versäumnisse und Fehler, wobei er Handelsbeziehungen zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten sowie die Mischehen im Blick hatte. *HUDGH/HW]WHUHKlWWHQ]XHLQHPÄ+HUEHUXQG+LQEHU³JHIKUWHLQH rassisch definierte Grenze sei nicht vorhanden gewesen.68 Der Krieg erschien vor diesem Hintergrund als Erweckungsmoment eines in den Deutschen bis dahin lediglich schlummernden rassischen Potenzials: Erst mit und nach dem Krieg seien sich die Deutschen als kolonisierende Macht ihrer rassischen Überlegenheit bewusst geworGHQXQGKlWWHQGLHHQWVFKHLGHQGH)UDJHÄREGLH5HLQKHLWGHU5DVVHDXIUHFKWHUKDOWHQ ZHUGHQVROORGHUQLFKW³]XQHKPHQGEHIULHGLJHQGHQ/|VXQJVYHUVXFKHQ]XJHIKUW 69 In diesem Sinne markierte der Krieg für Rohrbach eine Zäsur, in deren Folge die Durchsetzung des Rassengedankens und -gefühls beschleunigt oder erst ermöglicht wurde. Gerade in dieser Verknüpfung von Krieg und rassischer Formierung wird die kulturelle Praxis des Rasse-Machens anschaulich. Denn zugespitzt formuliert schuf erst der Krieg die notwendigen Voraussetzungen, um den Prozess in Gang zu bringen, in dem sich die Kolonisierenden als Rasse in Form setzen sollten. Entsprechend resümierte Rohrbach an andHUHU6WHOOHÄ(LQHdurchgreifende Wachrüttelung des nationalen und kulturellen Rassebewußtseins ist eigentlich erst durch den groHQ(LQJHERUHQHQDXIVWDQGYRQHUIROJW³ 70 Rasse wurde demnach als natürliche 68 Ebd. 69 Ebd., S. 39. Rohrbach bezog sich hier auf das Verbot der Mischehen sowie auf die bereits erwähnten Maßnahmen zum Ausschluss derjenigen Kolonisierenden, die als verkaffert klassifiziert wurden. 70 Rohrbach (1909), S. 23. Eine solche Interpretation des Kriegs war weit verbreitet. Schon wenige Wochen nach Ausbruch der Kampfhandlungen publizierte die Deutsche Kolonialzeitung HLQHQ $UWLNHO LQ GHP YRQ HLQHP ÄPDQJHOQGH>Q@ 5DVVHQEHZXWVHLQ GHU 'HXt-
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Anlage verstanden, deren Potenzial sich aber nur unter bestimmten Voraussetzungen entfalten könne, wobei es vor allem darauf ankam, das Rassebewusstsein zu erwecken und zur Entfaltung kommen zu lassen. Eine solche Überblendung von biologistischen und kulturalistischen Differenzierungskriterien zeugt von der Produktivität und Flexibilität des kolonialen Rassismus.71 Zugleich erscheint Rohrbachs Argumentation wie ein beinahe verzweifelter Versuch, das auszutreiben, was sich der kolonialen Ordnung und ihrer rassischen Grundierung beständig zu entziehen drohte: Hybridität bzw. Mimikry. Hier vor allem zeigt sich das Problem der Teilung von Handlungsmacht. Ausgangspunkt der Bedingungen, die das Heben und das Sinken als komplementäre Bewegungen möglich und gleichsam problematisch machten, war ± so formulierte es Rohrbach an einer Stelle ± GLHÄ:HFKVHOZLUNXQJGLHGXUFKGLHV=uVDPPHQWUHIIHQ GHU 5DVVHQ DXI DIULNDQLVFKHP %RGHQ HQWVWHKW³ 72 Insofern diese Wechselwirkung unmittelbare Folge der kolonialen Begegnung war, stellte sie auch hinsichtlich der Ausgestaltung der Verhältnisse zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten einen stets zu beachtenden Faktor dar. Ob es sich um Sprache handelte oder Kleidung, Haushaltsführung und Religion, Arbeitsorganisation etc.: Potenziell konnte es auf sämtlichen Feldern des alltäglichen Lebens zu Wechselwirkungen kommen, wobei kulturelle Codes zu zirkulieren begannen und Räume der Hybridität entstanden. Rohrbach warnte beständig vor den negativen Folgen dieser Wechselwirkungen und formulierte Vorschläge, wie die Dynamiken des AufeinanderEinwirkens zu regulieren und zu kontrollieren wären. Der Begriff der Verkafferung bildete hier einen Kulminationspunkt. Mit ihm wurde eine Entgrenzung diagnostiziert, die Sanktionierungs- und Ausschlussmechanismen anleitete. Zugleich zeigte er an, dass nur die performative Einübung von Rassebewusstsein und -gefühl Existenz und Identität der Weißen als Rasse garantieren könnte. In diesem Sinne war der Diagnose der Verkafferung das unhintergehbare Problem von der Wechselwirkung als Teilung von Handlungsmacht eingeschrieben. Die Forderung nach Durch-
VFKHQ³ GLH 5HGH ZDU GDV ÄVFKRQ YRQ YLHOHQ 6HLWHQ PLW 5HFKW EHNODJW³ ZRUGHQ VHL $Q deQ.ULHJZXUGHGLH+RIIQXQJJHNQSIWGDVVGLHVHUGD]XEHLWUDJHQZHUGHÄGHQ5DVVHngegensatz [zu] verschärfen und das Herrenbewußtsein der überlegenen kriegerischen 5DVVH >]X@ VWlUNHQ³ +HVVH >@ 6 'HU 6FKULIWVWHOOHU +DQV *ULPP JDE dieser Einschätzung in seiner 1913 veröffentlichten Novelle Wie Grete aufhörte, ein Kind zu sein eine literarische Gestalt. 71 Die Gleichzeitigkeit biologistischer und kulturalistischer Differenzierungsmodi im kolonialen Rassismus lässt die innerhalb der Rassismustheorie häufig vorgenommene Unterscheidung, wonach der biologische Rassismus der Kolonialzeit von einem kulturellen Rassismus nach 1945 abgelöst worden sei, fragwürdig erscheinen. Siehe zu einer solchen chronologischen Differenzierung Magiros (2001 und 2004). Als Gegenthese wendet StoOHU 6 HLQÄÃ&XOWXUDO 5DFLVPµ ZDV QRW DUHFHQW SRVWPRGHUQ YDULDWLRQ RQ DQ ROGWKHPHEXWLWVHOIDFRORQLDOSKHQRPHQRQ³ 72 Rohrbach (1907), S. 98.
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setzung von Rassebewusstsein und -gefühl stellte gerade den Versuch einer (Wieder-)Aneignung von Handlungsmacht dar, mit dem Ziel, die Wechselwirkungen, GLH GHQ NRORQLDOHQ 5DXP DOV ÄFRQWDFW ]RQH³ NHQQ]HLFKQHWHQ und hybridisierende Prozesse der Verdoppelung generierten, nachträglich regulieren und beschränken zu können.73 Somit wird in besonderer Weise deutlich, dass die Apologet_innen der kolonialen Ordnung von einem doppelten Zivilisierungsauftrag beseelt waren: dem Auftrag der Produktivmachung der Kolonisierten zu global verfügbaren Arbeitskräften wie dem der Disziplinierung der Kolonisierenden als weiße Rasse.74
3.5 KOLONIALER KARNEVAL Rohrbachs Ausführungen zu den Wechselwirkungen lassen sich auch zu den Bilderwitzen auf Postkarten in Beziehung setzen. Denn ob es sich um die Figur des Hosennegers handelte, um das Motiv des durch die Hautfarbe der Kinder offenbarten Ehebruchs oder um die Konstellationen zwischen weißen Männern und schwarzen Frauen bzw. zwischen weißen Frauen und schwarzen Männern ± immer wurde die koloniale Welt als eine Welt der Überschreitung vorgeführt, in der die Wechselwirkungen groteske Effekte zeitigten. Den Protagonist_nnen, die die Zone der Überschreitung bevölkerten, wurde durchaus Handlungsmächtigkeit zuerkannt. Allerdings war diese Handlungsmächtigkeit Gegenstand des Witzes. Dessen Pointe bestand gerade darin, das jeweilige Handeln als lachhaft-irres Handeln auszustellen, was vor allem durch die überzeichneten Körper angezeigt wurde. Das Verfahren der Ridikülisierung gestaltete sich folglich als ein Regulativ, das ± analog zu Rohrbachs Appell an Rassebewusstsein und -gefühl ± darauf zielte, Weiße und Schwarze auf ihren Platz zu verweisen und eine koloniale Ordnung zu installieren.
73 Pratt (1994), S. 6, die das Konzept der ÃFRQWDFWzoneµ wie folgt eLQIKUWÄ%\ XVLQJ WKH term contact, I am to foreground the interactive, improvisational dimensions of colonial encounters so easily ignored or suppressed by diffusionist accounts of conquest and domination$ÃFRQWDFWµSHUVSHFWLYH emphasizes how subjects are constituted in and by their UHODWLRQVWRHDFKRWKHU,WWUHDWVWKHUHODWLRQVDPRQJFRORQL]HUVDQGFRORQL]HG>«@QRWLQ terms of separateness or apartheid, but in terms of co-presence, interaction, interlocking understandings anG SUDFWLFHV RIWHQ ZLWKLQ UDGLFDOO\ DV\PPHWULFDO UHODWLRQV RI SRZHU³ (ebd., S. 7). Gerade durch die Betonung der Reziprozität ergibt sich eine Nähe zu Bhabhas Hybriditätsbegriff. Siehe auch Clifford (1992), der ausgehend von dem Konzept der contact zone eine Theorie über Kultur als Reise entfaltet. Im Kontext der deutschen Kolonialgeschichtsschreibung diskutiert das Konzept Pesek (2005). 74 Die Frage nach den historischen und gegenwärtigen Formationsbedingungen von WeißSein wird seit einigen Jahren im Rahmen der interdisziplinären Critical Whiteness Studies aufgeworfen. Siehe gerade für den deutschen Zusammenhang Arndt/Eggers/Kilomba/ Piesche (2005); Dietrich (2007); Walgenbach (2005a und b); Warth (1997); Wollrad (2003 und 2005).
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Die Frage stellt sich allerdings, ob und inwiefern der humoristische Versuch der Platzanweisung nicht auch von der Lust an Überschreitung und Entgrenzung zeugt und wie eine solche Lust mit dem Moment der Regulierung korreliert. Anders gesagt: Indem die Bilderwitze das Motiv der verkehrten Welt aufführten, spielten sie im Register des Karnevals. Und gerade dieses Register mit seinen Konnotationen von Exzess, Unordnung und Lustgewinn lässt anschaulich werden, dass das Spektakel der Entgrenzung auch ein Faszinosum war, da es die Möglichkeit von Gemeinschaft jenseits der geltenden Regeln und Ordnungsparameter aufscheinen ließ. Das Verfahren der Ridikülisierung rahmte diese Faszination und rationalisierte sie. Und doch ist dieses Moment der Faszination in Rechnung zu stellen, da sich hierüber eine weitere Dimension der Ambivalenz der Karten erschließt. In diesem Sinne soll im Folgenden anhand von drei weiteren Postkarten und unter Bezugnahme auf humortheoretische Erörterungen das Verhältnis zwischen Lust an und Angst vor Entgrenzung diskutiert werden. Rollentausch $EELOGXQJÄ=XNXQIW¶V-%LOGHUXQVHUHU6FKXW]WUXSSH³
Quelle: Universitäts- und Stadtbibliothek Köln
Die hier zu besprechende, von einem Berliner Verlag herausgegebene Karte [Abb. 35] entfaltete ihre Narration in einer Bildergeschichte. Mit Krieg und Eheschließungen tauchen Themen wieder auf, die bereits auf einigen der schon besprochenen .DUWHQYHUKDQGHOWZXUGHQhEHUVFKULHEHQLVWGLH.DUWHPLWÄ=XNXQIW¶V-Bilder unseUHU6FKXW]WUXSSH³,PPLWWOHUHQ%LOGKlQJWHLQ6FKLOGDQGHU:DQGDXIGHPÄ+Hi-
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UDWK¶V-3UIXQJVFRPPLVVLRQ³ VWHKW $P XQWHUHQ %LOGUDQG LVW ]X OHVHQ Ä7DXJOLFK ]XP+HLUDWKHQ³=ZHLVFKZDU]H)UDXHQZHUGHQJHZRJHQXQGYHUPHVVHQ$QHLQHP Tisch sitzen zwei weiße Männer und halten die Untersuchungsergebnisse fest. Ein weißer Matrose begutachtet eine der Frauen und kitzelt sie unter dem Kinn. Im linken unteren Bild sind weiße Matrosen zu sehen, die schwarze Frauen im Bastrock im Arm halten und küssen. Dahinter ± im Gebüsch ± stehen zwei erbost aussehende schwarze Männer, die Keulen schwingen und die Fäuste recken. Untertitelt ist diese 6HTXHQ] PLW Ä)ULHGHQ¶V-Unterhandlungen in Südwest-$IULND³ ,P UHFKWHQ REHUHQ Bild werden ein weißer Matrose und eine schwarze Frau von einem Schutztruppenoffizier, der einen Südwesterhut trägt, getraut. Außerdem sind ein weiterer weißer Matrose und eine weitere schwarze Frau zu sehen, die vermutlich auf ihre Trauung warten. Die Frauen tragen keinen Bastrock (mehr), sondern haben lange Tücher um ihre Körper gebunden. Unter GHP%LOGKHLWHVÄ)UWUHXJHGLHQWHMlKULJH'LHQVt]HLW³'DV%LOGOLQNVREHQ]HLJW]ZHLZHLH0lQQHUHLQHQLP$Q]XJHLQHQLQ0Dtrosenuniform, die schwarze Kinder auf dem Rücken tragen und sich daher beim Gehen nach vorne beugen. Ihnen folgen zwei schwarze Frauen, abermals in TüFKHUQGLH]XIULHGHQGUHLQVFKDXHQ'LH%LOGXQWHUVFKULIWYHUUlWÄ(LQVWIODWWHUWHQZLU GXUFK¶V/HEHQKLQMHW]WVWHFNHQLP(KHMRFKZLUGULQQ³6FKOLHOLFKGDVOHW]WH%LOG auf der rechten unteren Seite: Drei schwarze Frauen in Schutztruppenuniform mit Südwesterhut braten ein Stück Fleisch am Spieß. Weiße Männer sind nicht mehr zu VHKHQ'HU7H[WEHVDJWÄ,P%LZDN³ Die Karte verlegt eine Geschichte von Adoleszenz und Erwachsen-Werden in den Raum der Kolonie. Der Übergang von einem mehr oder weniger ungeordneten Leben (der Krieg) in die Ordnung der Ehe wird zwischen weißen Männern und schwarzen Frauen ausagiert und als ein Prozess der Domestizierung ausgestellt ± immerhin sind die Männer keine Soldaten mehr, sondern sorgende Väter, die Frauen wiederum tragen keine Baströcke mehr, sondern lange Tücher. Zugleich münden Übergang und Domestizierung in eine Ordnung, die auf dem Kopf steht. Dies zeigt sich insbesondere anhand des linken oberen sowie des rechten unteren Bilds, wo Geschlechterrollen und rassische Positionen vertauscht sind. Die Karte war Bestandteil einer Serie von Karten, die allesamt Variationen des Motivs der verkehrten Welt darstellten. Stets ging es bei diesen Karten um die Inversion der bürgerlich-heteronormativen Geschlechterordnung. Wie auf einigen dieser Karten [Abb. 36 und 37@GLHXQWHUDQGHUHPÄ=XNXQIWV-Bilder aus dem FrauHQVWDDW³XQGÄ=XU)UDXHQEHZHJXQJ³EHUVFKULHEHQVLQG]XVHKHQLVWWUHWHQ0lnner in Frauenkleidern auf und übernehmen weiblich definierte Aufgaben (Erziehung der Kinder, Hausarbeit etc.), wohingegen Frauen Männerkleidung tragen, zum Militär und auf Jagd gehen, Jockeys beim Pferderennen sind, boxen, rauchen, Alkohol trinken, sich duellieren, studieren sowie Billard und Fußball spielen.
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Abbildung Ä=XNXQIW¶V-Bilder DXVGHP)UDXHQVWDDW³
Quelle: Sammlung Peter Weiss
$EELOGXQJÄ=XU)UDXHQEHZHJXQJ³
Quelle: Sammlung Peter Weiss
Grotesk sind hier weniger die einzelnen Protagonist_innen bzw. deren Physiognomien. Grotesk ist vielmehr die Vorstellung eines zukünftigen Gemeinwesens, in dem Männer für die häusliche Reproduktion zuständig sein sollen und Frauen männlich codierte Rollen und Aufgaben übernehmen. In diesem Sinne stellt das koloniale Setting der vorigen Karte eine Erweiterung des Terrains dar, auf dem met-
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ropolitane Geschlechterkonflikte ausagiert und die Emanzipationsbestrebungen von Frauen im Kaiserreich denunziert wurden. Gleichwohl war die Kolonie diesbezüglich ein besonders brisantes Terrain: Denn indem hier die Umkehrung der Geschlechterordnung zusätzlich rassisch codiert war, erschien die karnevaleske Welt der Zukunft in doppelter Hinsicht als Groteske. Ekstase homosozial $EELOGXQJÄ3DWULRWLVFKHV)HVWLQXQVHUHQ.RORQLHQ³
Quelle: Universitäts- und Stadtbibliothek Köln
In der Überschrift der im Folgenden zu besprechenden Karte [Abb. 38] heißt es: Ä3DWULRWLVFKHV )HVW LQ XQVHUHQ .RORQLHQ³ 'LH .DUWH ZXUGH YRQ GHP Verlag Adolf Klauß und Co. in Leipzig herausgegeben. Gemalt wurde sie von Arthur Thiele, einem bekannten Zeichner und Illustrator, der vor allem im Postkartengewerbe tätig war, aber unter anderem auch die Bilder zum 1915 erschienenen KriegspropagandaBuch Europas Struwwelpeter beisteuerte.75 Im Bildvordergrund sind zwei weiße Matrosen, fünf schwarze Männer, zwei schwarze Kinder und vier Affen zu sehen. Im Bildhintergrund sind Palmen zu erkennen sowie eine Moschee und weitere Personen. Die weißen und einige der schwarzen Männer haben sich gegenseitig untergehakt und tanzen sichtlich ausgelassen und fröhlich. Einige halten Bierkrüge in der Hand. Die Münder der Tanzenden sind geöffnet, sie scheinen zu singen oder etwas auszurufen. Die Kinder halten Fahnen in ihren Händen, die ihnen von zwei Affen streitig gemacht werden. Die anderen beiden Affen sitzen jeweils auf der Schulter 75 Allgemein zu Thiele siehe Kugler (1998).
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eines weißen Matrosen und eines schwarzen Mannes. Der schwarze Mann am rechten Bildrand nimmt nicht an den Feierlichkeiten teil. Er steht neben einem Wachhaus, hält ein Gewehr und beobachtet die Szenerie. Vier der schwarzen Männer ± unter anderem der Wachsoldat ± tragen kurze gestreifte Hosen und eine grüne Kopfbedeckung, die an einen Fes erinnert, wobei durch den senkrecht nach oben herausstehenden Dorn auch die Pickelhaube als Insigne des Militärs im Kaiserreich assoziierbar ist. Außerdem haben sie einen Säbel um die Hüfte geschnallt. Offenbar handelt es sich um Soldaten in Uniform, wenn auch die Uniform rudimentär anmutet. Zumindest deutet die Kleidung in Kombination mit der Bewaffnung auf militärische Zugehörigkeit hin. Der fünfte schwarze Mann, der die linke vordere Bildhälfte dominiert, hat ebenfalls einen Säbel umgeschnallt. Er trägt eine blaue kurze Hose mit Scherpe, einen langen rot-gemusterten Mantel, braune Lederstiefel, weiße Handschuhe und einen Helm mit Federschweif. Durch seine Aufmachung ist dieser Mann, bei dem es sich vielleicht um einen lokalen Chief handelt, eindeutig einem höheren militärischen Rang zuzuordnen. Zugleich erinnert er ± wie auch die anderen schwarzen Männer ± an die Figur des Hosennegers, da sein Oberkörper und seine Beine zu Teilen nackt sind, sein Lachen sowie seine Mimik und Körperhaltung affektiert wirken. Überhaupt hat es den Anschein, als ob die schwarzen Protagonisten kostümiert wären. Dadurch wird das Karnevaleske der Szenerie unterstrichen. Der koloniale Raum wird hier als ein gänzlich von Frauen bereinigter Raum vorgeführt. Mehr noch: Durch die Art und Weise, wie weiße und schwarze Männer in Ekstase miteinander vereint wirken, durch die Kombination von Alkohol, Tanz, Ausschweifung und Berührung sowie durch die Sexualität und Lüsternheit symbolisierenden Affen wird der koloniale Raum als erotisierter bzw. sexuell aufgeladener homosozialer Raum des Rauschs und der Entgrenzung inszeniert. 76 Sind die Protagonisten auch rassisch markiert, und stellt die Art und Weise der Markierung ± die Physiognomie und die lächerliche Erscheinung vor allem der schwarzen Männer ± den Versuch dar, Vorstellungen von rassischer Differenz und Minderwertigkeit zu perpetuieren, so spielen rassische Formierung und Zurichtung im Moment der Ekstase für die Männer im Bild kaum noch eine Rolle. Im Gegenteil scheint eine andere Welt auf, die nicht entlang von Rasse organisiert ist. Sie scheint sogar im buchstäblichen Sinne auf: Vermutlich liegt die Szenerie in den frühen Morgenstunden und wird von den Lichtstrahlen der aufgehenden Sonne beleuchtet. Im Moment des Karnevals jedenfalls wird ein Jenseits der kolonialen Signifizierung sichtbar, das ein Jenseits der heteronormativen Matrix impliziert. 77 Aus dieser Perspektive ist das
76 Mit der Rolle von Drogen, Rausch und v.a. Ekstase in den Berichten von europäischen Afrika-Reisenden im 19. Jahrhundert befasst sich Fabian (2001). Zur symbolischen Bedeutung von Affen in der Kunst siehe Janson (1952), v.a. S. 261-286; Werness (2004), S. 278-283. 77 Zum Begriff der heteronormativen Matrix vgl. Butler (1991), v.a. S. 68-122.
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ÃSDWULRWLVFKH)HVWLQXQVHUHQ.RORQLHQµDOVHLQH)HLHUGHV$XJHQEOLFNVLQWHUSUHWLHrbar, in dem Begehrensströme vor oder außerhalb jeder formgebenden Ordnung zirkulieren. Gleichwohl besteht angesichts der Diskrepanz zwischen Überschrift und Figurenstilisierung kein Zweifel, dass die Inszenierung augenzwinkernd gemeint war. Gerade die schwarzen Männer wirken durch ihr Outfit und ihre riesigen Münder, die zum Teil beinahe das gesamte Gesicht ausmachen, skurril und lachhaft. Und auch die Kinder sehen durch ihre schreckhaft entstellten Gesichtszüge komisch grotesk aus. Überhaupt handelt es sich bei den Kindern um affenähnliche Gestalten. Zwar haben sie kein Fell, aber ihre Füße und Hände sind kaum von denen der Affen zu unterscheiden. Insgesamt stellt die Szenerie die Karikatur eines patriotischen Fests dar. Demnach erweist sich die Karte als Versuch, die Notwendigkeit von rassischer Disziplin vor Augen zu stellen.78 Ekstase heterosexuell Auch die nun thematisierte Zeichnung [Abb. 39] stammt von Arthur Thiele. Der 7LWHO GHU .DUWH ODXWHW Ä)ULHGOLFKH ,QYDVLRQ³ =X VHKHQ VLQG HLQ ZHLHU 0DQQ LQ Matrosenuniform, der eine schwarze Frau im Arm hält und mit der rechten Hand ihr Kinn umfasst, ein schwarzer Mann in einem offenen Gewand, der eine weiße Frau im Arm hält, ein schwarzes Kind auf dem Schoß der weißen Frau, ein weißes Kind im Kinderwagen neben der schwarzen Frau, vier Affen, eine weiße Soldatenpuppe mit Militäruniform und Pickelhaube sowie ein weiterer schwarzer Mann in kurzer Hose und mit einer Art Pickelhaube auf dem Kopf. Die beiden Paare sitzen gemeinsam auf einer Bank, in der Mitte die Männer, außen die Frauen. Sie haben jeweils die Köpfe einander zugewandt und blicken sich mit mehr oder weniger weit aufgerissenen Augen hingebungs- und lustvoll an. Einer der Affen klaut die Milchflasche aus dem Kinderwagen, ein anderer versucht, dem schwarzen Kind etwas zu entreißen. Die völlig auf sich fixierten Paare scheinen davon aber nichts mitzubekommen. Ein dritter Affe umarmt inniglich die Soldatenpuppe. Im Bildhintergrund ist schemenhaft üppige Vegetation angedeutet. Abermals erscheint der Raum der Kolonie als hochgradig sexuell aufgeladen. 8QGPHKUQRFKDOVDXIGHU.DUWHÃ3DWULRWLVFKHV)HVWµZLUGGLHVH[XHOOH'LPHQVLRQ in den Verhältnissen zwischen den Protagonist_innen, in ihren Gesten, Blicken und Haltungen, explizit gemacht. Dass hier Begehren, Lust und Begierde im Spiel sind, ist offensichtlich. Das sprießende Grün im Hintergrund, die außer Kontrolle gerate-
78 Die Karte wurde am 31. Dezember 1911 von Düsseldorf nach Solingen geschickt, an eiQHQ&DUO+DOEDFKÄQHEVW)DPLOLH³,QGHU0LWWHLOXQJKHLWHVÄ+Hrzliche Glückwünsche ]XP -DKUHVZHFKVHO >XQOHVHUOLFK@ YLHOH *UH VHQGHW >XQOHVHUOLFK@³ $XI GHU %LOGVHLWHZXUGHKDQGVFKULIWOLFKKLQ]XJHIJWÄ6\OYHVWHU³
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nen Affen, der lüsterne Blick des Matrosen, die weit geöffneten riesigen Münder der schwarzen Liebenden, die glänzende Haut von Matrose, schwarzem Mann und schwarzer Frau ± auch die heterosexuelle Konstellation von Weißen und Schwarzen ist ekstatisch. Lediglich zwei Aspekte deuten einen Rest von Kontrolle und Distanz an: zum einen die schwarze Figur am linken Bildrand, die als ein Hosenneger attributiert ist und das Geschehen kritisch beäugt; zum anderen der Umstand, dass der Matrose auf dem Gewand des schwarzen Mannes sitzt, wodurch der Eindruck entsteht, dass er die Annäherung zwischen schwarzem Mann und weißer Frau aufhalten oder zumindest bremsen könnte. Doch fallen diese Aspekte kaum ins Gewicht. Eher gehen sie unter angesichts des innigen Liebesspiels der schwarz-weißen Paare. $EELOGXQJÄ)ULHGOLFKH,QYDVLRQ³
Quelle: Universitäts- und Stadtbibliothek Köln
Gleichwohl hat dieses Spiel bizarre Züge. Davon zeugt der Affe, der die Puppe eng umschlungen in den Armen hält. Davon zeugt aber auch und insbesondere die Stilisierung der Liebespaare: Der Gesichtsausdruck des Matrosen ist verzerrt. Seine Augen sind weiße Flächen, in denen keine Pupillen zu erkennen sind, wodurch sein Grinsen etwas Irres bekommt. Auch das Grinsen der schwarzen Frau wirkt, da die Augen und der weit geöffnete Mund vollkommen weiß sind, grotesk. Sie befinden sich in einer Art Trance oder Wahnsinn. Der schwarze Mann und die weiße Frau hingegen sind weniger überzeichnet. Bei ihm fallen der riesige rote Mund auf sowie die riesigen weißen Zähne und Augen. Sein Blick ist aber kaum ver- bzw. entstellt. Bei ihr lassen sich im Hinblick auf körperliche Merkmale und Proportionen keine Auffälligkeiten entdecken.
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Die Kolonie erscheint hier wie ein Tollhaus, in dem zwar die heteronormative Matrix intakt ist, rassische Grenzen in den Beziehungen zwischen den GeschlechWHUQMHGRFKNDXP6WUXNWXUELOGHQGXQGRUJDQLVLHUHQGVLQG$XFKGLHÃIULHGOLFKH,nYDVLRQµHUZHLVWVLFKVRPLWDOVHLQ.DUQHYDOLQGHPGLH0RGLGHUNRORQLDOHQ3ODWzanweisung aufgehoben sind. Die Affen und die groteske Mimik zumindest von drei der vier Protagonist_innen wiederum deuten an, dass alles aus dem Ruder zu laufen GURKWGLHÃIULHGOLFKH,QYDVLRQµLQV&KDRVIKUW,QGLHVHP6LQQHIXQJLHUWHDXFKGLese Karte als eine polemische Kritik, die die Vorstellung, dass Vergemeinschaftung auch jenseits von Rasse möglich sei, denunzierte. Welten des Humors Dass und auf welche Weise die Karten an den Topos des Karnevals anschlossen, lässt sich in Bezug auf die volkstümliche Karnevalskultur des Mittelalters und der Renaissance veranschaulichen, die sich ± wie der russische Literaturwissenschaftler und Kunsttheoretiker Michael Bachtin in seinem 1965 veröffentlichten Buch Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur darlegt ± dadurch auszeichnete, GDVV KLHUÄeine zweite Welt und ein zweites Leben³ HUULFKWHW ZXUGHQ LQ GHQHQGLH 0HQVFKHQ ÄIU HLQH EHVWLPPWH )ULVW lebten³79 &KDUDNWHULVWLVFK IU GLHVH Ã]ZHLWH :HOWµZLHGHUXPVHLGDVVVLHVLFKDOV3DURGLHDXIGDVJHZ|KQOLFKH/HEHQE]ZDOV ÄÃYHUNHKUWH:HOWµ³IRUPLHUWKlWWH80 Das heißt, dass die bestehenden Herrschaftsverhältnisse und Normen zumindest zeitweise aufgehoben waren. Der Karneval habe EHZLUNW GDVV GLH :HOW ÄIU HLQLJH =HLW LQV XWRSLVFKH 5HLFK GHU 8QLYHUVDOLWlW GHU )UHLKHLWGHU*OHLFKKHLWXQGGHVhEHUIOXVVHV³KDEHHLQWUHWHQN|QQHQ81 Entsprechend KDEH GLH .DUQHYDOVUHGH IU GLH HLQH Ä/RJLN GHU Ã8PNHKUXQJµ >«@ GHV Ã*HJHnWHLOVµGHVÃ$XI-den-Kopf-6WHOOHQVµ³EHVWLPPHQGVHLHLQÄ%HZXWVHLQGHUKHLWHUHQ 5HODWLYLWlWGHUKHUUVFKHQGHQ:DKUKHLWHQXQG0lFKWH³HU]HXJW 82 Bachtin weist außerdem darauf hin, dass die groteske Körperkonzeption ein wesentlicher Bestandteil des volkstümlichen Karnevals gewesen sei. 83 Kennzeichen des grotesken Körpers sei, dass er weder von anderen Körpern noch von der Welt an sich abgegrenzt sei. Es handle sich um einen unfertigen und unabgeschlossenen .|USHU GHU Äimmer im Entstehen begriffen³ E]Z HLQ Äwerdender³ .|USHU VHL84
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Bachtin (1995), S. 53. Ebd., S. 60. Ebd., S. 57. Ebd., S. 59. Vgl. ebd., S. 345-412. Auch im Rahmen der Entstehung und Ausdifferenzierung der Karikatur als eigenständiger Kunstform spielte das Register des Grotesken eine wesentliche 5ROOH+RIPDQ 6]%EH]HLFKQHWGLH.DULNDWXUÄDOV$XVOlXIHU>«@GHU:HOW des GrotesNHQ³ 84 Bachtin (1995), S. 358.
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Das herausragende Merkmal dieses Körpers sei der weit aufgerissene Mund, auf den sich das groteske Gesicht letztlich reduziere.85 Gerade dieser Mund drücke körperliche Unabgegrenztheit und Formlosigkeit aus, da er den Austausch und fließenden Übergang zwischen Körper und Welt versinnbildliche.86 $XFKGLH:LW]SRVWNDUWHQHQWZDUIHQHLQHÃ]ZHLWH:HOWµLQGHUGLHKLHUDUFKLVFKH Struktur der kolonialen Machtverhältnisse zeitweise aufgehoben war. Gleichwohl bedeutete diese Aufhebung nicht den Eintritt in das utopische Reich der Freiheit; HKHUGLHQWHQGLHÃIULHGOLFKH,QYDVLRQµGDVÃSDWULRWLVFKH)HVWµXQGGLHÃ=XNXQIWVELlGHUGHU6FKXW]WUXSSHµGD]XMHJOLFKH9RUVWellung von Gleichheit und Zusammengehörigkeit zu denunzieren. Das Eintauchen in die karnevaleske Welt der grenzenlosen Ekstase bzw. der vertauschten Rollen war folglich nicht dazu gedacht, ein Bewusstsein von der Relativität von Wahrheiten und Ordnungen zu erzeugen. Vielmehr wurde diese Welt als eine Zone des Unlebbaren ausgestellt, die eine groteske Negativfolie bildete, vor der sich die Konturen eines geordneten Gemeinwesens abzeichnen sollten. Entsprechend waren auch die grotesken Körper und die weit geöffneten Münder zwar als Anzeichen von Formlosigkeit und Unabgegrenztheit zu verstehen, doch sollten diese Anzeichen gerade den Abgrund eines Zustands versinnbildlichen, in dem klare Formen und eindeutig festgelegte Grenzen als strukturbildende Merkmale kaum von Bedeutung waren. In diesem Sinne lässt sich festhalten, dass die Bilderwitze die verkehrte Welt des volkstümlichen Karnevals gewissermaßen auf den Kopf stellten: Nicht die Erkundung des Utopischen war ihr Gegenstand, sondern die Affirmation bzw. Implementierung kolonialrassistischer und heteronormativer Ordnungsvorstellungen. Ambivalenzen des Humors Das, was Bachtin der volkstümlichen Karnevalskultur zuerkennt ± das Moment des Reflexiven und Utopischen ±, wird auch innerhalb der Humortheorie diskutiert. SiPRQ &ULWFKOH\ ]XP %HLVSLHO JHKW GDYRQ DXV GDVV :LW]H ÄHLQ 6SLHO PLW )RUPHQ [sind], wobei das, womit gespielt wird, die akzeptierten Praktiken einer bestimmten *HVHOOVFKDIWVLQG³87 Um zwischen jeweiligen Ausgestaltungen dieses Spiels diffe-
85 %DFKWLQ VSULFKW YRQ HLQHP ÄSchlüsselmotiv[ ] des volkstümlich-festlichen Motivsystems³ (ebd., S. 366). 86 Zugleich verweise der Mund auf das Motiv des Verschlingens und Verschlungen:HUGHQVXQGDOVRDXIÄGDVXUDOWHDPELYDOHnte Motiv von Tod und Vernichtung³GDVNRnstitutiv sei für den Versuch, eine zweite, verkehrte Welt des Karnevals zu erschaffen (ebd.). 87 Critchley (2003), S. 148-149, der den Witz als humoristische Praxis einem eher allgemeinen Humorbegriff subsumiert. Siehe in diesem Zusammenhang auch Bremmer/Roodenburg (1999), S. 9, GHQHQ]XIROJHHVVLFKEHL+XPRUXPÄMHGHGXUFKHLQH+DQGOXQJGXUFK Sprechen, durch Schreiben, durch Bilder oder durch Musik übertragene Botschaft [han-
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renzieren zu können, nimmt Critchley eine grundlegende normative Unterscheidung YRU (U VSULFKW YRQ ÃZDKUHP +XPRUµ GHU GDV 3RWHQ]LDO KDEH HLQ Ä.RQWLQJHQ]EeZXVVWVHLQ³]XHU]HXJHQXQGÄHLQHkritische )XQNWLRQKLQVLFKWOLFKGHU*HVHOOVFKDIW³ zu erfüllen.88 Dieses Poten]LDOZHUGHDNWXDOLVLHUWZHQQGHU:LW]ÄGDV5HDOHVXUUeDO³PDFKHXQGÄXQVSO|W]OLFKXQGDXIH[SORVLYH:HLVHGDV9HUWUDXWHDOVXQYHUWUDXW HUNHQQHQ³ODVVH89 ,QVRIHUQN|QQHZDKUHU+XPRUÄXQV]XPcommon sense³]XUFkIKUHQÄLQGHPHUXQVHUP|JOLFKWXQVGDYRQ]XGLVWDQ]LHUHQ³90 Allerdings hält Critchley auch fest, dass der überwiegende Teil von humoristiVFKHQ 3UDNWLNHQ NHLQHVZHJV GDUDXI ]LHOH ÄGLH EHVWHKHQGH 2UGQXQJ ]X NULWLVLHUHQ RGHUGLH6LWXDWLRQ]XYHUlQGHUQLQGHUZLUXQVEHILQGHQ³ 91 Er spricht in diesem ZuVDPPHQKDQJ YRQGHUÄUHDNWLRQlUH>Q@4XDOLWlWGHV+XPRUV³E]ZHLQIDFKYRQÄUeakWLRQlUH>P@ +XPRU³92 Dessen paradigmatische Form sei der so genannte ethnische Humor.93 Das, was Critchley zuvor über die humoristische Rückkehr zum common sense gesagt hat, gilt auch im Falle des reaktionär-ethnischen Humors, alOHUGLQJVXQWHUXPJHNHKUWHQ9RU]HLFKHQ'LH5FNNHKUÄ]XHLQHP2UW>«@GHUXnVHUH 1DFKEDUVFKDIW XQVHUH 5HJLRQ RGHU 1DWLRQ LVW³ YROO]LHKH VLFK QLFKW DXI NUitisch-UHIOH[LYH VRQGHUQ DXI ÄWULXPSKLHUHQGH :HLVH³ 'LHVHV 0RPHQW GHV 7ULXmphalen, das auf eine Substanzialisierung und Superiorisierung des Selbst hinauslauIHVHLÄGDV*UXQGNHQQ]HLFKHQGHVHWKQLVFKHQ+XPRUV³94 Folglich erweise sich das
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delt], die darauf abzielt, ein Lächeln oder HLQ /DFKHQ KHUYRU]XUXIHQ³ Diese dezidiert weite Definition markiert eine Abgrenzung zu Versuchen, eine ± wie die Autoren mit Blick auf Sigmund Freud, Henri Bergson und Mary Douglas formulieren ± ÄDOOXPIDVVHnde Theorie des Humors und des Lachens zu fLQGHQ³GLHLQVRIHUQSUREOHPDWLVFKVHLDOV ]XPHLVW GDYRQ DXVJHJDQJHQ ZUGH GDVVÄ+XPRU XQG /DFKHQ WUDQVNXOWXUHOO XQG DKLVWoULVFKVLQG³HEG6 bKQOLFKDUJXPHQWLHUW.HVVHO 6Ä+XPRU>«@LVWNHine anthropologische Konstante und somit auch kein ahistorisches Phänomen. Vielmehr sollten Gelächter, Spott und Ironie als zeit- und gesellschaftsabhängige, kulturspezifische .RPPXQLNDWLRQVIRUPHQLQWHUSUHWLHUWZHUGHQ>«@GHUHQ7UlJHUXQG,QKDOWH*UHQ]HQXQG Implikationen historisch veränderbar siQG³ $OV hEHUEOLFN EHU GLH +XPRUWKHRULH VLHKH Bachmaier (2005); Berger (1998), v.a. S. 3-112; Geier (2006). Siehe auch Zijderveld (1976). Critchley (2003), S. 149. Critchley (2004), S. 19. Critchley (2003), S. 152. Siehe auch Douglas (1999), S. 156, die Witze als Form eines Gegen- oder Anti-5LWXDOVNRQ]LSLHUWÄ7KHPHVVDJHRIDVWDQGDUGULWHLVWKDWWKHRUGDLQHG patterns of social life are inescapable. The message of a joke is that they are escapable. A joke is by nature an anti-ULWH³ Critchley (2003), S. 149. Ebd., S. 150. Ethnischer Humor ist eine gängige Klassifikationskategorie innerhalb der Humortheorie. Siehe z.B. Davies (1990), deren Ansatz allerdings insofern problematisch ist, als ethnischer Humor hier wie eine anthropologische Konstante erscheint und von je spezifischen Machtverhältnissen als Entstehungsbedingungen humoristischer Praktiken weithin abgesehen wird. Critchley (2004), S. 89.
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/DFKHQ EHLP UHDNWLRQlUHQ +XPRU QLFKW DOV HLQÄ/DFKHQ EHU GLH 0DFKW³ VRQGHUQ DOVHLQÄ/DFKHQGHV0DFKWYROOHQEHUGHQ0DFKWORVHQ³95 Critchley schätzt den Erkenntnisgewinn der Analyse von reaktionärem Humor KRFKHLQ=XPHLQHQPDFKHHUVLFKWEDUÄZDVRGHUZHQHLQHEHVWLPPWH*HVHOOVFKDIW unterwirft, heraEVHW]WRGHU]XP6QGHQERFNPDFKW³ 96 Das heißt, dass sich reaktionärer Humor in besonderer Weise dazu eigne, die Ausschlussprozeduren von KolOHNWLYHQ]XHQW]LIIHUQ=XPDQGHUHQVSULFKW&ULWFKOH\GDYRQÄGDVVHLQVROFKHU+umor uns eine Reflexion über die angstvolle Natur unserer Geworfenheit in die Welt HUODXEW³ ,Q PRGLIL]LHUHQGHP $QVFKOXVV DQ 6LJPXQG )UHXG VFKOLHOLFK UHVPLHUW &ULWFKOH\ GDVV UHDNWLRQlUH :LW]H ÄDOV 6\PSWRPH JHVHOOVFKDIWOLFKHU 9HUGUlQJXQJ gelesen werden [können], und ihr Studium läuft vielleicht auf eine Wiederkehr des 9HUGUlQJWHQ KLQDXV³97 Abermals wird ein Zusammenhang zwischen Humor und Kontingenz unterstellt. Im Gegensatz zu wahrem Humor allerdings, bei dem die performative Vorführung von Kontingenz zu einem kritisch-reflexiven Umgang mit Normen und Werten von Gemeinschaften führen soll, zeichne sich reaktionärer Humor durch die Verdrängung der Kontingenzerfahrung aus. Das Triumphale der Rückkehr, das Critchley zufolge reaktionären Humor wesentlich charakterisiert, markiere als Form der Selbstvergewisserung einen Gegenpol zu jeglicher Kontingenzvorstellung. Der Nexus zwischen reaktionärem Humor und verdrängter Kontingenzerfahrung lässt sich ± gerade im Hinblick auf die Witzpostkarten ± mit Homi Bhabhas Analyse des kolonialen Stereotyps in Verbindung bringen. Bhabha geht davon aus, GDVV GHU NRORQLDOH 'LVNXUV ÄGDV GULQJHQGH %HGUIQLV >UHSUlVHQWLHUW@ VLFK DXV GHU Differenz resultierenden Singularitäten entgegenzustellen und unterschiedliche Ã6XEMHNWHµGHU 'LIIHUHQ]LHUXQJ]XDUWLNXOLHUHQ³'LHNRORQLDOH%HJHJQXQJPLWGHP Anderen versteht er demnach als eine Konfrontation mit Differenz, in der auch die Kontingenz der eigenen Existenz vorgeführt worden sei. Die Stereotypisierung wiederum stelle den Versuch dar, diese Konfrontation zu rahmen und zu rationalisieren:
95 Critchley (2003), S. 150. Mit der Ambivalenz des Lachens befassen sich auch Heinrich (1980); Weber (1994). 96 Critchley (2004), S. 91. 97 Ebd., S. 22. Freud (2004) konzipierte den Witz in seinem 1905 erschienenen Buch Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten als eine Art Schlüssel, der ± ähnlich wie der Traum ± Zugang zu noch unerschlossenen Regionen des Psychischen ermögliche: Durch die Verdrängungsarbeit der Kultur sei die Befriedigung von Trieben als primäre Genussmöglichkeit verloren gegangen. Der Witz hingegen bewirke eine partielle Aufhebung des Verdrängungsmechanismus. Entsprechend könne die psychische Energie, die normalerweise für die Verdrängungsarbeit aufgewandt würde, eingespart werden. Aus GLHVHU ÄÃ7HQGHQ] ]XU (UVSDUQLVµ³ GLH ÄGHQ DOOJHPHLQVWHQ &KDUDNWHU GHU :LW]WHFKQLN³ ausmache, resultiere der Lustgewinn (ebd., S. 59). Ausführlich befasst sich mit Freuds Witztheorie Kofman (1990).
166 | KOLONIALES SPEKTAKEL IN 9 X 14 Der Mythos des historischen Ursprungs ± ethnische Reinheit, kultureller Erstanspruch ±, der LQ 9HUELQGXQJ PLW GHP NRORQLDOHQ 6WHUHRW\S SURGX]LHUW ZLUG UHVXOWLHUW LQ GHU Ä1RUPDOLVLeUXQJ³ GHU PXOWLSOHn Überzeugungen und gespaltenen Subjekte, die als Folge des Verleugnungsprozesses den kolonialen Diskurs konstituieren.
9RUGLHVHP+LQWHUJUXQGSOlGLHUW%KDEKDÄIUHLQH,QWHUSUHWDWLRQGHV6WHUHRW\SVDOV HLQH)RUPGHV)HWLVFKLVPXV³98 Das Stereotyp als Fetisch ermögliche und organisiere sowohl die Verleugnung von Differenz als auch den Prozess der Differenzierung als Ordnung stiftende Operation, durch die konstitutiv aufeinander bezogene und gleichermaßen dichotome Identitäten hergestellt würden, die die Differenz substituierten. Während Bhabha Differenz als eine Grunderfahrung ansieht, versteht er stereotypisierende Differenzierung als ein Verfahren, diese Erfahrung aufzuheben bzw. zu ersetzen.99 Im Anschluss hieran werden die zuvor analysierten Szenarien der Entgrenzung, die grotesken Körper und die offenen Münder als Spuren von verdrängten Kontingenzerfahrungen verstehbar. Anders gesagt: Die Feier des Augenblicks und das anarchische Treiben der Protagonist_innen geben eine Lust an der Überschreitung zu erkennen, wobei das verdrängte Wissen von der eigenen Formlosigkeit kurzzeitig wiederzukehren scheint. Der Witz war die Bedingung der Möglichkeit, dass diese Lust thematisierbar war und verhandelt werden konnte. Er fungierte zugleich als Verfahren, sie zu rationalisieren und zu normalisieren. Gerade weil die Arrangements und Konstellationen zwischen weißen und schwarzen Körpern die Erfahrung von Kontingenz virulent werden ließen, musste die Sichtbarkeit dieser Arrangements gerahmt werden. Entsprechend wurden die Körper als deviant-groteske Formationen ausgestellt und ridikülisiert. Und die Rückkehr aus der Welt des kolonialen Karnevals erfolgte nicht auf kritisch-reflexive, sondern auf triumphale Weise.
98 Bhabha (2000), S. 109. 99 Bhabha bezieht sich hier auf Sigmund Freuds Theorie über den Fetisch sowie auf Jacques Lacans Überlegungen zum Spiegelstadium, das die imaginäre Grundstruktur von Prozessen der Identifikation exemplifiziert. Freud (2000) thematisiert den Fetisch im Zusammenhang mit dem Komplex der Kastrationsangst. Der Fetisch sei Ausdruck und Modus der Verleugnung der Differenz zwischen Sohn und Mutter bzw. des KastrationsVFKUHFNV GHV -XQJHQ (QWVSUHFKHQG IXQJLHUH HU DOV Ä=HLFKHQ GHV 7ULXPSKHV EHU GLH .DVWUDWLRQVGURKXQJ³XQGDOVÄ6FKXW]JHJHQVLH³HEG6 /DFDQ ZLHGHUXP geht bei seiner Theorie des Imaginären von einer frühen Phase im Leben des Kleinkinds aus, in der es mit seinem Bild im Spiegel konfrontiert werde. Trotzdem sich das Kind noch nicht als ganzheitlich und einheitlich erlebe, entstehe erstmals ein Bild von Ganzheit und Einheit. Das Bild jedoch komme von woanders her, es sei nicht an dem Platz, an dem das Kind sich befinde. Identifikation impliziere folglich immer Entfremdung, die aber von den illusorischen und den Eindruck von Ganzheitlichkeit evozierenden Wirkungen des Imaginären überlagert werde.
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Humor und (De-)Normalisierung Auf dem Feld des Humors werden soziale und kulturelle Konfliktpotenziale in besonderer Weise zur Schau gestellt.100 Entsprechend werden Karikaturen bisweilen DOV ÄQHUY|VH $XIIDQJVRUJDQH GHV ]HLWJHQ|VVLVFKHQ LQQHUHQ XQG lXHUHQ /HEHQV³ charakterisiert.101 Im Hinblick auf die Bilderwitze auf Postkarten wäre ergänzend festzuhalten, dass sie nicht einfach etwas zur Schau stellten oder auffingen, sondern Lebensweisen und Konflikte mit modellierten. Vor allem haben sie zerstreute Diskurse zu bündeln und massenmedial aufzubereiten vermocht. Was hier aufbereitet und gleichzeitig hergestellt wurde, war der Nexus zwischen Sexualität und Rasse. Folglich lassen sich die Witzkarten im Anschluss an Michel Foucault den Mechanismen und Wirkungen des Sexualitätsdispositivs zuordnen, also jener seit dem 19. Jahrhundert vermehrt sich ausbreitenden Wissensbereiche, in denen zwischen der Gesundheit und Kraft einer Bevölkerung einerseits und Sexualität andererseits konstitutive Verbindungslinien hergestellt wurden und die für die Genese des modernen Rassismus von zentraler Bedeutung waren.102 Der Literaturwissenschaftler Jürgen Link geht in Erweiterung der Foucault¶schen Theorie davon aus, dass Sexualitätsdispositiv und Rassismus als Ausdruck einer Ä'HQRUPDOLVLHUXQJVDQJVW³ YHUVWDQGHQ ZHUGHQ N|QQHQ103 Denormalisierungsangst sei ein Effekt der Normalität, die sich in okzidentalen Gesellschaften seit der AufNOlUXQJ DOV ÄUHJXODWLYH ,GHH³ HWDEOLHUW KDEH104 Normativ-juridische Orientierungsparameter, die noch die Gesellschaften des Ancien Régime gekennzeichnet hätten, seien zunehmend abgelöst worden von politischen Strategien, die auf die Festlegung von Normalitätsgrenzen gezielt hätten. Link unterscheidet vor allem zwei Strategien: eine protonormalistische, die im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts dominiert hätte, und eine flexibel-normalistische, die nach dem Zweiten Weltkrieg bestimmend geworden sei. 105 Erstere sei durch das Bemühen charakterisiert, möglichst stabile Normalitätsgrenzen festzulegen, wohingegen Letztere sich durch deren Flexibilisierung auszeichne. Beim kolonialen Rassismus handle es sich um eine signifikant protonormalistische Strategie, da er dazu tendiere, sich an vornormalis-
100 Vgl. Bachmaier (2005), S. 130. 101 Herding/Otto (1980b), S. 8. 102 Vgl. Foucault (1995). Siehe auch Magiros (1995, 2001 und 2004); Stingelin (2003). Aus postkolonialer Perspektive befasst sich mit Foucaults Rekonstruktion der Entstehungsbedingungen des Sexualitätsdispositivs Stoler (2000). 103 Link (1995), S. 27. 104 (EG 6 %DONH 6 VSULFKW YRQ HLQHU ÄÃ*UXQG-$QJVW GHU 0RGHUQHµ QLFKW QRUPDO]XVHLQ³1RUPDOLWlWZLHGHUXPVHLÄNHLQHVR]LDOH3HUIHNWLRQVIRUPHOVRQGHUQEeschreibt den Modus, wie die Gesellschaft ihre eigene Dynamik reguliert, nachdem sie alOH %UFNHQ ]X GHQ YRUPDOLJHQ NXOWXUHOOHQ 6LFKHUKHLWHQ KLQWHU VLFK DEJHEURFKHQ KDW³ (ebd., S. 69). 105 Vgl. Link (1997), v.a. S. 75-102.
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tisch-QRUPDWLYH $XVJUHQ]XQJHQ DQ]XOHKQHQXQG VLFKÄGXUFK P|JOLFKVW HQJH 7ROeranz-=RQHQJHJHQGLH'HQRUPDOLVLHUXQJVDQJVW]XÃYHUVLFKHUQµ³106 Auch die Bilderwitze auf Postkarten stellten Artikulationen von Denormalisierungsangst dar. Zugleich fungierten sie als Strategien der Selbstvergewisserung und somit als Versicherung gegenüber dieser Angst. Indem die groteske Welt des kolonialen Karnevals hier als Negativfolie vor Augen gestellt wurde, wurde die Möglichkeit von Denormalisierung zwar thematisiert; das Verfahren der Ridikülisierung aber stellte die Normalitätsgrenzen sicher. In diesem Sinne fungierte der koloniale Karneval, dessen zentrales Motiv der sexuelle Kontakt zwischen Weißen und Schwarzen war, als Terrain, auf dem Vorstellungen von Weiß-Sein konturiert wurden. Als Negativfolie nämlich implizierte das karnevaleske Treiben, dass WeißSein vor allem durch Abgrenzung bzw. durch Einhaltung von rassisch definierten Grenzen und also durch Rassebewusstsein charakterisiert sei. Der weiße Körper der Kolonisierenden ± so lässt sich schlussfolgern ± zeichnete sich vor allem durch rassische Disziplin aus. Die Bilderwitze waren ein Beitrag zu dem Bestreben, eine solche Disziplin einzuüben.
106 Link (1995), S. 27. Siehe auch Link (2000), wo er sich mit dem so genannten NeoRassismus als einer flexibel-normalistischen Strategie befasst.
4. Ordnende Praxis ± Über das Sammeln von Postkarten The postcard is therefore both a cosmopolitan form and a constant reminder of the imperial conditions that establish the basis for modern cosmopolitanism. (SALONI MATHUR: WANTED NATIVE VIEWS) Die ganze Welt ist unser Arbeitsfeld. (WELTBUND ± ANSICHTSKARTENSAMMLER-WELTVERBAND)
4.1 Z WEI W ELTREISEN Ende 1899 kündigte der Centralverband für Ansichtkarten-Sammler in seinem Verbandsorgan, dem Centralblatt für Ansichtkarten-SammlerHLQHÄ:HOWUHLVH]ZHLPDO XPGHQ$HTXDWRU³DQ(VKDQGHOWHVLFKQLFKWXPHLQH5HLVHLPHLJHQWOLFKHQ6LQQH Vielmehr bewarb der Centralverband eine neuartige Sammelidee: Ausgangspunkt war eine imaginäre Reiseroute, die durch Europa, Asien, Nord- und Südamerika, Afrika und Australien führte. Aus über 100 Ländern entlang dieser Route sollten Bildpostkarten verschickt werden, und zwar in einer Reihenfolge, die der ausgedachten Route entsprach. Sammler_innen vor Ort, die mit dem Centralverband assoziiert waren, sollten die Verschickung gewährleisten. Für die Mitglieder des Verbands, die durch Bezahlung zur Teilnahme an der Weltreise berechtigt waren, eröffnete sich die Möglichkeit, in den Besitz einer ungewöhnlichen Sammlung zu geODQJHQ ZREHL KLQVLFKWOLFK GHU 0RWLYDXVZDKO ]XJHVLFKHUW ZXUGH Ä>«@ KHUYRUUagend schöne Gebäude oder Gegenden, berühmte Orte, beim Auslande Trachten RGHU 7\SHQ YRQ (LQJHERUHQHQ³ (QWVSUHFKHQG UHVPLHUWH GDV Centralblatt Ä'LH ReiseFROOHFWLRQÃZweimal um den AequatorµZLUGGDKHUHLQHDXVVHURUGHQWOLFKLQWe-
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ressante Sammlung bilden, deren compl. Anschaffung jedem Sammler zu empfehOHQLVW³1 Einige Wochen zuvor war in einer Beilage des Centralblatts ein Artikel erschienen, in dem von einer anderen Art der Weltreise, nämlich von einer Weltumwanderung berichtet wurde. Otto Giers und August Muddist hatten sich am 1. August desselben Jahres von Amsterdam aus auf den Weg gemacht, um unter anderem Deutschland, Italien, Spanien, Frankreich, Österreich, die Türkei, Persien, Indien, Australien und Nord- und Südamerika zu Fuß zu durchqueren. Zwei Wochen nach LKUHP 5HLVHDQWULWW WUDIHQ GLH EHLGHQ Ä:HOWZDQGHUHU³ ZLH VLH VLFK VHOEVW QDQQWHQ mit dem Autor des Artikels in Mannheim zusammen. An ihrem rechten Oberarm WUXJHQVLHHLQH$UPELQGHPLWGHU$XIVFKULIWÄ5XQGXPGLH(UGH³ 2 Zudem führten sie in ihrem Gepäck nebst Messer und Revolver auch einen Fotoapparat mit sich. 3 Das ist insofern bemerkenswert, als die Weltumwanderung von Giers und Muddist gewissermaßen als eine partizipative Reise konzipiert war. Im Auftrag eines niederländischen Verlagshauses sollten die Reisenden Fotografien von jedem Aufenthaltsort machen, die als Postkarten reproduziert wurden. Unter anderem sollten sie, in entsprechende Trachten gekleidet, Selbstporträts anfertigen. Für die ZuhauseGebliebenen bestand die Möglichkeit, sich als Abonnent_innen dieser Karten registrieren zu lassen. Gegen Entgelt erwarb man den Anspruch, in einem Abstand von ca. drei Wochen die jeweiligen Karten zugesandt zu bekommen, um so an der Reise WHLO]XKDEHQ'HU9HUDQVWDOWHUVHOEVWVSUDFKYRQGHU0|JOLFKNHLWÄHLQH:HOWLQ3KoWRJUDSKLHQ ]X VDPPHOQ³ ,QVEHVRQGHUH VROOWH HV GDUXP JHKHQ GHP ÄHFKW GHXtsche[n] Sport des Kartensammelns durch diese Reise einen neuen Reiz und neue $QUHJXQJ³]XYHUVFKDIIHQ4 Die Weltreise zweimal um den Aequator sowie die Weltumwanderung von Giers und Muddist galten als Innovationen auf dem Gebiet der Sammelpraxis. Sie veranschaulichen, dass die Hersteller_innen von Postkarten darauf bedacht waren,
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Metzner (1899), S. 272. Aufgrund der großen Resonanz wiederholte der Centralverband das Projekt Weltreise zu Beginn des Jahres 1900 [vgl. Metzner (1900]). Auch andere Veranstalter_innen organisierten derartige Reisen. Dies wird u.a. daran deutlich, dass der Centralverband VHLQ9RUKDEHQDOVÄ*HJHQVWFN]XDOOHQELVKHULJHQYHUNUDFKWHQXYHUXnJOFNWHQ :HOWUHLVHQ³ DQNQGLJWH 0HW]QHU >@ 6 6LHKH DXFK 'HU 6FKULWW ]XP Lächerlichen (1899), wo eine allzu kommerzielle Ausrichtung der Weltreise kritisiert wurde. Steppacher (1899), S. 36. Vgl. ebd. Nobles (1900), S. 32. Die Weltumwanderung verlief nicht ohne Zwischenfälle: Im Centralblatt wurde berichtet, dass Muddist aufgrund privater Gründe die Reise abbrechen musste (vgl. ebd.). Von Giers wiederum heißt es einige Ausgaben später, dass durch den Ausbruch der Pest in Persien die Weiterreise verzögert worden sei (vgl. Weltumwanderung [1900]). Ob die Reise tatsächlich beendet wurde, ist den Zeitschriften nicht zu entnehmen. Auf die Charakterisierung der Sammelpraxis als Sport wird zurückzukommen sein.
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beständig neue Serien von Motiven als potenzielle Sammelgegenstände zu kreieren, die den Sammler_innen ein Gefühl von Originalität und entsprechend Distinktionsgewinn verschaffen sollten. Somit wird aber auch deutlich, dass das Sammeln von Postkarten um 1900 derart verbreitet war, dass es sich als ein eigenständiges Marktsegment etablieren konnte.5 Schätzungen zufolge wurden zumindest im Deutschen Kaiserreich ca. 20 Prozent der produzierten Karten direkt von der Sammelszene absorbiert.6 Zudem existierten 1897 allein in Deutschland 60 Firmen, die Sammelsteckalben für Bildpostkarten herstellten.7 Schließlich zeichnete sich ein mit hohem Tempo vollzogener Organisierungs- und Institutionalisierungsschub ab, wovon insbesondere zahlreiche Gründungen von Sammelvereinen zeugen, die meist eigene Zeitschriften herausgaben.8 Die in diesen Zeitschriften geführten Debatten geben einen Einblick in das Selbstverständnis und Ethos zumindest der organisierten Sammelszene. Darüber hinaus zeigen sie an, welcher spezifische ideelle und pädagogische Wert dem Sammeln von Bildpostkarten zugemessen wurde. Zu den Grundüberzeugungen der organisierten Sammelszene gehörte die Annahme, dass mit der Bildpostkarte ein Medium entstanden sei, das Wissen über die Welt zu generieren und zu distribuieren auf neue, massenwirksame Weise möglich mache. Die Sammlung wurde als ein Mikrokosmos aufgefasst, in dem der Makrokosmos Welt zur Anschauung gelangen sollte. Von besonderem Interesse waren in diesem Zusammenhang vor allem Ansichtskarten (aber auch so genannte Ereigniskarten, auf denen politische und kulturelle Begebenheiten dokumentiert wurden). Denn gerade mit der Ansichtskarte verband sich die Hoffnung, die ± wie es in einem 1897 in der Zeitschrift Gut Ferngruss! erschienenen Artikel heißt ± ÄHQJHUH +HLPDWK XQG GLH ZHLWH ZHLWH (UGH spieOHQG NHQQHQ ]X OHUQHQ³9 Das (mehr oder weniger) einheitliche Format der 3RVWNDUWHIKUWHGD]XGDVVGLH$QVLFKWHQYRQGHUÃHQJHUHQ +HLPDWKµXQGYRQGHU ÃZHLWHQ ZHLWHQ Erdeµ LQ HLQHP JHPl GHQ Größenverhältnissen immer gleichen Rahmen erscheinen konnten. In der Sammlung dann war es möglich, all diese An-
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Ferguson (2005), S. 171, merkt in diesem Zusammenhang an: Ä&ROOHFWLELOLW\>«@ZDVDQ aspect of the postcard that manufacturers exploLWHGHDUO\DQGRIWHQ³ Vgl. Hax (1999), S. 101; Leclerc (1986), S. 31. Dieser Wert leitet sich aus der Differenz zwischen der geschätzten Menge an produzierten Karten und tatsächlich von der Reichspost beförderten Karten ab. Vgl. Walter (2001), S. 48, GLHGDYRQDXVJHKWGDVVHLQÄ*URVGHU$QVLFKWVNDUWHQ>«@XnEHVFKULHEHQ LQ GHQ .LVWHQ XQG $OEHQ HLIULJHU 6DPPOHU XQG 6DPPOHULQQHQ³ ODQGHWH (ebd.). Kaufmann (1985), S. 411, zufolge gab es in Deutschland zwischen 1896 und 1902 mindestens elf Postkarten-Sammelzeitschriften. Einen Überblick über das weit verzweigte Netz von Vereinen und Zeitschriften bietet Lutz (1897a-d). Eine detaillierte Entstehungsgeschichte der Postkarten-Sammelszene und ihrer Institutionen findet sich in Fünf Jahre Sammlerverein (1899a-h). V.A. (1897a), S. 2.
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sichten miteinander in Beziehung zu setzen und derart in Reihe anzuordnen, dass die Welt als eine in Serien zerlegbare Universalie erschien, die vollständig zu erfassen zumindest potenziell möglich sein sollte. In diesem Sinne resümiert Enrico 6WXUDQLGDVVVLFKPLWGHP6DPPHOQYRQ%LOGSRVWNDUWHQGHUÄDXINOlUHULVFKH7UDXP HLQHUHQ]\NORSlGLVFKHQ6DPPOXQJGHUÃ:LUNOLFKNHLWµ³YHUEDQG10 Wurde dieser Traum in den vorherigen Kapiteln im Rahmen allgemeiner Überlegungen zu Funktion und Status der Bildpostkarte um 1900 bereits erwähnt, so soll er im Folgenden detailliert nachgezeichnet werden. Im Mittelpunkt stehen der Diskurs der organisierten Sammelszene sowie die Bedingungen, unter denen dieser entstand. Entsprechend rückt eine weitere um 1900 weit verbreitete Praxis der Aneignung und des Gebrauchs des Mediums Postkarte in den Fokus der Aufmerksamkeit. Insbesondere geht es um die Frage, inwiefern sich das Sammeln vor allem von Ansichtskarten als eine Form der Weltaneignung mit kolonialen Praktiken der Weltaneignung in Beziehung setzen lässt. Wie zu zeigen sein wird, war der Diskurs über das Sammeln Bestandteil eines Prozesses der Popularisierung von Wissen und Wissenschaft, in dem versucht wurde, Freizeit und Unterhaltung als Bildung und Belehrung zu modellieren. Zugleich eignete diesem Diskurs eine spezifische Modellierung der Welt, die nicht nur als Ausstellungsobjekt handhabbar und verfügbar gemacht wurde, sondern auch gemäß eurozentrischer Blickachsen und Positionierungen geordnet war. Die organisierte Sammelszene jedenfalls stellte die MöglichNHLW LQ $XVVLFKW ÄVLFK HLQH 6DPPOXQJ YRQ :LVVHQ DQ]XHLJQHQ³ 11 Idealerweise sollte eine solche Sammlung im StandHVHLQÄGDV]X(QGHJHKHQGH-DKUKXQGHUW LQMHGHU +LQVLFKW ZLHGHU]XVSLHJHOQ³12 Zwar spielte eine kosmopolitische Ausrichtung im Selbstverständnis der Sammler_innen eine wichtige Rolle. Die Wissensordnung allerdings, auf der der Diskurs über das Sammeln von Postkarten basierte bzw. die dieser aktualisierte, korrespondierte mit der kolonialen Zurichtung der Welt um 1900.
10 Sturani (2001), S. 20. 11 Metzner (1898b), S. 50. 12 Der Ansichtskartensport (1899), S. 2.
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4.2 K ONTURIERUNG : S AMMELN , S PORT W ISSENSCHAFT
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UND
Strategisches Potenzial der Sportsemantik 'DVVGDV6DPPHOQÄHLQ$QWKURSRORJLNXPVFKOHFKWKLQGDUVWHOOW³ZXUGHDXFKLQQHrhalb der Postkarten-Sammelszene reflektiert. 13 Entsprechend galt es, sich in die lange Geschichte unterschiedlichster Sammelpraktiken einzureihen und die Vorläufer_innen auf dem Gebiet des Sammelns gewissermaßen als Ahn_innen anzuerkennen. Zugleich musste die noch relativ junge Praxis des Sammelns von Postkarten als eigenständiger Bereich vorgestellt und ausgehend von der Bildpostkarte als spezifischem Sammelgegenstand ein originäres Sammelethos begründet werden. Dass es dabei notwendigerweise zu konstitutiven Abgrenzungen kam, wird insbesondere anhand des ambivalenten Verhältnisses zur Briefmarken-Sammelszene deutlich. Die Sammler_innen von Briefmarken firmierten in der Logik der PostkartenSammelszene als nächststehende Verwandte. 14 Dies lag daran, dass sich die Briefmarke erst einige Jahrzehnte zuvor als Sammelgegenstand etabliert hatte. 15 Außerdem wurde die Postkarte zunächst überwiegend in Briefmarken-Sammelkreisen gesammelt, und zwar als mitgesammelter Untergrund der Briefmarke. Schließlich waren es nicht zuletzt einige Sammler_innen von Briefmarken, die dafür plädierten, der Postkarte einen eigenständigen Wert als Sammelobjekt zuzumessen. 16 Es ist demnach kaum verwunderlich, dass im Hinblick auf sowohl das Sammelethos als auch das Sammler_innenprofil weitreichende Überschneidungen zwischen den jeweiligen Sammelszenen existierten. Dennoch kam es im Zuge der Konstituierung einer eigenständigen Postkarten-Sammelszene zu markanten Verschiebungen. Dies lässt sich insbesondere anhand der jeweiligen Gewichtung von Wissenschaft und Sport als zentralen Konzepten, von denen ausgehend die Praxis des Sammelns mit Sinn und Bedeutung aufgeladen wurde, nachvollziehen.
13 Assmann/Gomille/Rippl (1998b), S. 8. In der Erstausgabe der PostkartensammelZeitschrift Gut Ferngruss! ]%ILQGHWVLFKGHU9RUVFKODJGDV6DPPHOQDOVHLQHQÄVHFKsWHQ 6LQQ³ ]X YHUVWHKHQ GD VFKRQ ÄLQ XQYRUGHQNOLFKHQ =HLWHQ³ JHVDPPHOW ZRUGHQ VHL (V.A. [1897a], S. 1). 14 Ausführlich mit dem Verhältnis zwischen Briefmarken- und Postkarten-Sammelszene befasst sich Kaiser (1907a und 1907b). 15 Die Briefmarke wurde im Mai 1840 in Großbritannien erstmals eingeführt. 16 Der vermutlich erste Artikel, in dem Bildpostkarten der Status eines eigenständigen Sammelobjekts zuerkannt wurde, erschien im Februar 1892 in einer Ausgabe der Illustrierten Briefmarken-Zeitung (vgl. Moschkau [1892]). In den ab Mitte der 1890er Jahre entstehenden Postkarten-Sammelzeitschriften wurde immer wieder auf diesen Artikel als eine Art Gründungstext der Postkarten-Sammelszene Bezug genommen (vgl. z.B. Der Ansichtskartensport [1899], S. 2).
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Schon im Selbstverständnis der Sammler_innen von Briefmarken waren der Rekurs auf die Wissenschaft und die Frage nach dem Verhältnis zum Sport prägend. Dies verdeutlicht ein Artikel, der 1875 in einer Ausgabe des Illustrierten Briefmarken-Journals erschien. Der Autor, Alfred Moschkau, ein Begründer der Philatelie in Deutschland und innerhalb der Postkarten-Sammelszene als Pionier und eine Art Übervater verehrt, beschäftigte sich hier mit dem sozialen Profil der Sammler_innen von Briefmarken.17 Dabei machte er deutlich, dass vor allem Angehörige der Elite des noch jungen Kaiserreichs (Adel, Militär, Gelehrte) als Protagonist_innen der Briefmarkenkunde in Erscheinung getreten waren. Hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Wissenschaft und Sport konstatierte Moschkau: Mögen sich unter diesen hoch- und hochwohlgeborenen Herren und Damen immerhin einige EHILQGHQGHQHQGLH3KLODWHOLHQXUHLQÄ6SRUW³LVWVRKDEHLFKGHPJHJHQEHUXQWUJOLFKH%eweise in Händen, dass man grossentheils mit Ernst und Interesse an der Sache sammelt; übrigens hat jede Wissenschaft Anhänger in Menge, denen ein tieferes Eingehen in das betreffenGH*HELHWJlQ]OLFKIHUQOLHJWGLHDEHUGRFKDXVÄ=HLWYHUWUHLE³RIWDEHUÄXPGHVJXWHQ7RQHV ZLOOHQ³VLFKGDPLWEHVFKlIWLJHQ18
Der Einsatz der Begriffe Sport und Wissenschaft signalisierte eine Differenz, die mit einer Wertigkeit einherging. Sport assoziierte Moschkau mit Masse und Zerstreuung, Wissenschaft hingegen mit Ernst und Interesse. Zwar ging es ihm offensichtlich nicht darum, dasjenige, was er als Sport klassifizierte, zu denunzieren. Er JDEDEHUXQPLVVYHUVWlQGOLFK]XYHUVWHKHQGDVVHUGLH3KLODWHOLHXQWHUGLHÄKLVWRUiVFKHQ +OIVZLVVHQVFKDIWHQ³ HLQJHRUGQHW VHKHQ ZROOWH XQG GDVV VLH LKUHQ VSH]LIischen Wert erst dann zu entfalten vermöge, wenn sie von Spezialist_innen und Expert_iQQHQDOVÄQHXH> @:LVVHQVFKDIW³DXVJHEWZUGH19 Im Gegensatz zu einer solchen Strategie der Differenzierung zeichnete sich der Diskurs der Postkarten-Sammelszene durch den Versuch aus, Sportsgeist und Wissenschaftlichkeit als sich gegenseitig bedingende und verstärkende Charakteristika eines neuartigen Sammelethos in Einklang zu bringen. Dem Sportbegriff wurde dabei ein prominenter Status eingeräumt. Das Centralblatt für Ansichtkarten-Sammler beispielsweise stellte jedHUVHLQHU$XVJDEHQHLQ0RWWRYRUDQLQGHPYRQGHQÄLGHaOHQXQGQW]OLFKHQ6HLWHQGHV6SRUWV³GLH5HGHZDU8QGGLH=HLWVFKULIW Gut Ferngruss! NQGLJWH LQ LKUHU (UVWDXVJDEH DQ GDVV VLH UHJHOPlLJ ÄEHU EHPHr-
17 Zum Status von Moschkau innerhalb der Postkarten-Sammelszene siehe O.B. (1895), S. 8. 18 Moschkau (1875), S. 54. 19 Ebd., S. 53. In späteren Texten aus Briefmarken-Sammelzeitschriften wurde zwar an der Unterscheidung zwischen Wissenschaft und Sport festgehalten, jegliche normative Setzung hingegen mehr oder weniger aufgehoben (vgl. Crome [1894a-f]).
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kenswerthe Ereignisse auf dem Gebiete unserHV6DPPHOVSRUWV³EHULFKWHQZHUGH20 Dass die Adaption und Proliferation des Sportbegriffs auch implizierte, sich von der Briefmarken-Sammelszene abzugrenzen, veranschaulicht ein in der Erstausgabe der Monatsschrift für Ansichtkarten-Sammler vom Februar 1895 erschienener Beitrag, der programmatischen Charakter hinsichtlich des Sammelns von Postkarten beanspruchte. Der Autor des Artikels, Otto Weise, ebenfalls oft als Pionier der Postkarten-Sammelpraxis gehandelt, leitete seine Ausführungen mit der Erfolgsmeldung HLQ GDVV GHU ÄQHXH 6SRUW³ VLFK VFKQHOO DXV]XEUHLWHQ EHJLQQH 21 Mit Blick auf das Verhältnis zu den Sammler_innen von Briefmarken wiederum argumentierte er: Ä:HQQGLH0DUNHQVDPPOHUVLFKDXV0DQJHODQ6WRIILPPHUZLHGHUGDUEHUVWUHiten, ob sie einem Sport oder einer Wissenschaft huldigen, so sind wir weniger anVSUXFKVYROO XQG YHUIDOOHQ QLFKW LQ GHQ )HKOHU GHU Ã:LVVHQVFKDIWOHUµ³ 6FKOLHOLFK YHUNQGHWH:HLVHÄ8QVHU6SRUWLVWHLQH/LHEKDEHUHL³ 22 Der Sportbegriff hatte sich also in Bezug auf die Sammelpraxis etabliert. Mehr noch: Er avancierte zum Oberbegriff eines Betätigungsfelds, das sich gerade als Sport auszudifferenzieren versuchte. Auffallend ist, dass sich das Sammeln von Postkarten kaum mit der heute geläufigen Semantik des Sports als um Bewegung zentrierte Körperkultur sowie als Leistungsvergleich im Wettkampf in Verbindung bringen lässt.23 Die Adaption des Sportbegriffs durch die Sammelszene verdeutlicht demnach zum einen die anfängliche Offenheit des in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Großbritannien entstandenen semantischen Felds Sport, in das sich unterschiedliche Praxisbereiche einschreiben konnten. Zum anderen wird das strategische Moment dieser Adaption ersichtlich. Denn als Import aus dem englischen Empire sowie als Bezeichnung neuartiger Formen der Freizeitgestaltung haftete dem Sportbegriff ein Modernitätsversprechen an. Entsprechend lässt sich die Konturierung des Sammelns als Sport als Versuch verstehen, das zu markieren, was die PostkartenSammelszene als zentrale Charakteristik ihrer selbst postulierte: den Anspruch, modern zu sein.24 Wie genau dieser Anspruch argumentativ entfaltet wurde und welche Aufladungen die Postkarte in diesem Zusammenhang erfuhr, wird im weiteren Verlauf dieses Kapitels Thema sein. Der Einsatz des Sportbegriffs jedenfalls erweist
20 Fischer (1897), S. 1. 21 Weise (1895), S. 4. Zum Status von Weise innerhalb der Postkarten-Sammelszene siehe Die Urzeit der Ansichtkarte und unseres Sportes (1899), S. 138. 22 Weise (1895), S. 5. Die Monatsschrift für Ansichtkarten-Sammler war eine der ersten Postkarten-Sammelzeitschriften überhaupt. Insofern ist die Bedeutung von Weises Beitrag hinsichtlich der Definition und Profilierung eines spezifischen PostkartenSammelethos wohl nicht hoch genug einzuschätzen. Ich werde auf diesen Artikel zurückkommen. 23 Zur Semantik des Sports siehe Eisenberg (2002). 24 An anderer Stelle habe ich diskutiert, ob und inwiefern Faktoren wie ein Regelsystem, der Ethos des Fair Play oder der olympische Gedanke der Völkerverständigung die Adaption des Sportbegriffs durch die Sammelszene plausibilisieren (vgl. Axster [2009]).
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sich als eine Strategie des Distinktionsgewinns, zumal er erst ab den 1870er/80er Jahren nach Deutschland importiert wurde.25 Dass es dabei nicht nur um die Abgrenzung gegenüber der Briefmarken-Sammelszene ging, sondern auch um Distinktion innerhalb der weit verbreiteten Praxis des Sammelns von Postkarten selbst, lässt sich vor allem anhand der Relationierung von Sport- und Wissenschaftsbegriff veranschaulichen. Sammelsport als Generierung von Wissen Zwar kündete der Beitrag von Otto Weise in euphorischem Duktus von der Entstehung und Etablierung des neuartigen Postkarten-Sammelsports. Allerdings gab er DXFK ]X YHUVWHKHQ GDVV GLH Ã/LHEKDEHUHLµ NHLQ 6HOEVW]ZHFN VHLQ VROOWH ,Q GLHVHP Zusammenhang kam Weise darauf zu sprechen, dass der Sammelsport, gerade weil HUVLFKVRVFKQHOODXV]XEUHLWHQEHJRQQHQKDEHGDVÄ*HSUlJHGHV6FKZDFKHQ8nUHLIHQ³LQVLFKWUDJH26 Was damit gemeint war, wird deutlich anhand einer UnterVFKHLGXQJ GLH :HLVH LQ VHLQHQ 7H[W HLQIKUWH 'LH Ã/LHEKDEHUHLµ ± so heißt es an einer Stelle ± ÄNDQQ XQV 9RUWHLOH XQG 1DFKWHLOH EULQJHQ NDQQ XQV EHOHKUHQ RGHU DXFK QLFKW ZHQQ ZLU QXU PHFKDQLVFK NDXIHQ XQG ]XVDPPHQKlXIHQ³ 6LQQ XQG Zweck des Sammelns von Postkarten bestand also in der Möglichkeit der BelehUXQJ ,KU ZXUGH HLQ ÃPHFKDQLVFKHV .DXIHQ XQG =XVDPPHQKlXIHQµ JHJHQEHUJestellt, das als Gefahr für den Sammelsport problematisiert wurde. Konsequenterweise entwarf Weise ein Anforderungsprofil für Sammler_innen, das auf dem Aspekt der Belehrung basierte: Wer aber offenen Auges und Verstandes ist, wer es lernt, sich in die Geheimnisse unseres Sports einzuarbeiten, wer ein Interesse daran hat, sich an idealer und belehrender Beschäftigung hinauszuheben aus dem Alltagsleben mit seinem Sturm und Drang, der findet bei uns reichen StofIXQGUHLFKH%HIULHGLJXQJ>«@(LQEORVVHV1DVFKHQOLHJWQLFKWLQGHU1DWXUGHV Deutschen, nicht in der Natur des Mannes: nur Beharrlichkeit führt zu einem befriedigenden Ziel! Lassen Sie uns auch in der Liebhaberei nicht auf vielen Gebieten Pfuscher, sondern auf einem Meister sein!27
Das Bemühen, zwischen unterschiedlichen Praktiken des Sammelns von Postkarten zu differenzieren, machte sich nicht nur in Weises Ausführungen bemerkbar. Vielmehr durchzog es den Diskurs der Postkarten-Sammelszene insgesamt. Vor diesem Hintergrund erscheint auch der ab Mitte der 1890er Jahre einsetzende Organisie-
25 Vgl. Eisenberg (1999), S. 11. 26 Weise (1895), S. 4. 27 Ebd., S. 5-6. Auf die geschlechtsspezifischen Zuschreibungen im Sammelsport sowie auf die Bedeutung des Nationalismus wird zurückzukommen sein.
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rungsschub in einem anderen Licht: Die Vereine hatten es sich zur Aufgabe gemacht, insbesondere mittels der Vereinszeitschriften ± wie es in der Satzung des Centralverbands für Ansichtkarten-Sammler heißt ± ÄEHOHKUHQGXQGDXINOlUHQGDXI GLH 6DPPOHU ]X ZLUNHQ XQG GDV 6DPPHOQ LQ GLH ULFKWLJHQ %DKQHQ ]X OHQNHQ³ 28 Folglich erweisen sich die zahlreichen Gründungen von Vereinen und Zeitschriften nicht nur als ein Indiz für die zunehmende Popularität des Mediums Bildpostkarte, sondern auch als Regulierungsversuch, wobei im Vordergrund stand, verbindliche Konventionen zu etablieren, um das Sammeln von Postkarten gemäß einem Regelkatalog zu normalisieren. In diesem Zusammenhang kam auch das Bestreben nach Wissenschaftlichkeit zur Geltung ± nicht als das Andere des Sports (wie noch im Kontext der Briefmarken-Sammelszene), sondern als Charakteristik einer gleichsam wahrhaftigen Sammelpraxis. Auf welche Weise Sammeln und Wissenschaft miteinander in Beziehung gesetzt wurden, veranschaulicht ein mehrteiliger Artikel, der ab März 1900 im Centralblatt für Ansichtkarten-Sammler publiziert wurde. Der Autor, Rudolf Lutz, skizzierte hier eine Sammler_innen-Typologie, die in der Art eines FamilienstammEDXPVJHJOLHGHUWZDU(UXQWHUVFKLHG]ZLVFKHQÄ/LHEKDEHUQ³Ä$XIEHZDKUHUQ³XQG Ä6DPPOHUQ³ GLH JHZLVVHUPDHQ HYROXWLRQlU DXVHLQDQGHU KHUYRUJHJDQJHQ VHLHQ Sein Interesse richtete sich vor allem auf die letzte (und unzweifelhaft höchste) Stufe der EQWZLFNOXQJ QlPOLFK GHQ ÄHLJHQWOLFKHQ Ã6DPPOHUµ >«@ GHU KHXWH EHUDOO DXI GHP JDQ]HQ (UGEDOO ]X ILQGHQ LVW³29 'LHVHP ÃHLJHQWOLFKHQ 6DPPOHUµ VSUDFK /XW]GDV9HUGLHQVW]XÄGHQQHXHQ$QVLFKWNDUWHQ-Sammelsport geschaffen [zu] haEHQ³30 8QG XP LKQ YRQ GHQ ÃKartenliebhaber_iQQHQµ XQG Ã-aufbewahrer_iQQHQµ abgrenzen zu können, brachte Lutz das Kriterium der Wissenschaftlichkeit ins Spiel: Ein ernster Sammler wird nie vergessen, eben weil er eine gewisse Wissenschaftlichkeit in sein System legt, dass er seine Karten nicht zusammenträgt, um sich einer möglichst grossen Zahl rühmen zu können, er wird nicht alles was ihm in die Hand kommt planlos seiner Sammlung einverleiben, er wird ein bestimmtes System nach wissenschaftlicher Grundlage einzuhalten haben, will er GLH6DPPOXQJQLFKW]XHLQHPJHLVWORVHQÄ6DPPHOVXULXP³KHUDbsinken lassen.31
:RGXUFK JHQDX VLFK GDV DXI HLQHU ÃZLVVHQVFKDIWOLFKHQ *UXQGODJH EHUXKHQGH 6\sWHPµ JHJHQEHU GHP ÃJHLVWORVHQ 6DPPHOVXULXPµ DXV]HLFKQHQ VROOWH YHUGHXWOLFKWH Lutz im weiteren Verlauf VHLQHU%HVFKUHLEXQJGHVÃHLJHQWOLFKHQ6DPPOHUVµ
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Satzung des Centralverbands für Ansichtkarten-Sammler (1901), S. I. Lutz (1900c), S. 97. Lutz (1900a), S. 78. Lutz (1900c), S. 97-98.
178 | KOLONIALES SPEKTAKEL IN 9 X 14 Er wird die Beschaffenheit des Objects, sein Wesen, seine Herkunft, den Ort und die Art der Entstehung zu ergründen suchen, er wird sich informiren über die Technik der Herstellung, über die geographische Lage des auf der Karte dargestellten Ortes, welche Gebäude auf ihr abgebildet sind, in welchem Stile sie gebaut, ob sie historische Vergangenheit haben. Er wird sich informiren über Land und Leute, Trachten, Sitten und Gebräuche und alle übrigen Eigenarten der dargestellten Gegend.32
Es galt offenbar, das Sammelobjekt zum Ausgangspunkt weiterer Studien zu machen und das Wissen über die Materialität des Objekts selbst sowie über das im Objekt Abgebildete zu vertiefen. Um eine solche der Wissensproduktion und -akkumulation dienende Sammelpraxis zu konturieren, rekurrierte Lutz auf den Begriff der Wissenschaft. Mit welchem Nachdruck hier versucht wurde, eine spezifische Sammelnorm zu etablieren, zeigt sich anhand der Exklusivität, die der KategoULH GHV ÃHLJHQWOLFKHQ 6DPPOHUVµ HLQ- bzw. dessen Status zugeschrieben wurde. 'LHVEH]JOLFK KHLW HV EHL /XW] Ä5HLKW MHPDQG QXU .DUWH DQ .DUWH GDQQ ZLUG HU QLFKWÃ6DPPOHUµVHLQGHU%HDFKWXQJYHUGLHQWZRKODEHUZHQQHUVLFKEHU=ZHFN Nutzen und Ziel seiner Thätigkeit, die er in wissenschaftliche Bahnen zu lenken hat, NODU ZLUG³33 Erst die vermeintlich wissenschaftliche Vorgehensweise, Kategorien wie Zweck und Nutzen, die Ausarbeitung einer Systematik und eine entsprechende Ordnung machten aus dem Sammeln eine sinn- und wertvolle Praxis, die sich von anderen, auf einer gewissermaßen niedrigeren Entwicklungsstufe angesiedelten und massenhaft verbreiteten Formen der Postkarten-Hortung unterschied. Allerdings ließ Lutz den Sammelsport nicht einfach in Wissenschaft aufgehen. Vielmehr betonte er, dass das Sammeln, um sich als Sport auszudifferenzieren, nicht nur wisVHQVFKDIWOLFKHQ.ULWHULHQ JHQJHQVRQGHUQDXFKÄ]XHLQHUUHLFKHQ4XHOOHGHU8nWHUKDOWXQJ³ZHUGHQPVVH34
32 Ebd., S. 98. 33 Lutz (1900a), S. 78. 34 Ebd. Im Zuge des Einsatzes des Wissenschaftsbegriffs kam Lutz auch auf das Verhältnis zur Briefmarken-Sammelszene zu sprechen, das seiner Darstellung zufolge von Konkurrenz sowie von gegenseitiger Ablehnung geprägt war. Lutz kritisierte, dass die Sammler_innen von Briefmarken das Interesse für Postkarten mitunter spöttisch belächelten und als Modeerscheinung denunzierten. Umso mehr galt es, die Sinnhaftigkeit des Sammelns von Postkarten zu XQWHUVWUHLFKHQÄ'LH3KLODWHOLHLVWHLQH]LHPOLFKDOOJHPHLQDQHrkannte Wissenschaft, das Ansichtkarten-Sammeln des ernst Denkenden wird es auch sein müssen, denn alle die Vorzüge, deren sich der Briefmarken-Sammler rühmt, Förderung von Geographie und Geschichte, sowie alles Beiwerks werden auch dem Ansichtkarten6DPPOHUJHERWHQ³/XW]>F@6 $XFKGHUELVZHLOHQIRUPXOLHUWH9RUVFKODJGDV Sammeln von Postkarten ± analog zum Begriff der Philatelie ± als Philatelopsie zu bezeichnen, zeugt von dem Versuch, die eigene Praxis gerade im Verhältnis zu den Sammler_innen von Briefmarken aufzuwerten (vgl. V.A. [1897b], S. 13).
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Bei dem mehrteiligen Artikel von Lutz handelte es sich um einen der wenigen längeren Texte in einer Zeitschrift der Sammelszene. Entsprechend bündelte er nicht nur die wesentlichen Argumentationsfiguren und -strategien, sondern er drückte mit seinem von Enthusiasmus und Euphorie geprägten Duktus in besonders verdichteter Weise aus, wie und warum der Postkarte das Potenzial zur Generierung von Wissen als Ausgangspunkt einer sich als wissenschaftlich verstehenden Sammelpraxis zugesprochen wurde. Lutz ging von einem vor allem ideellen Wert der Postkarte aus. Er stelOWHVLHDOVHLQÄNXOWXUKLVWRULVFKHV'RNXPHQW³YRUGDVQDFKIRlgenden Generationen zu veranschaulichen vermöge, ZLHZLUDXIGHQNOHLQHQ%OlWWFKHQGLHKHXWLJH:HOWZLHVLHLVW>«@>@XQGGLHKHXWLJH =HLW ZDVVLHWUHLEW>«@>@GDU]XVWHOOHQYHUVWDQGHQXQGGiese Darstellungen, zum gegenseitigen Genuss wie zur Weiterbildung, auf practische Art erwarben, austauschten und ordneten.
35
Erneut skizzierte Lutz hier, indem er Genuss und (Weiter-)Bildung miteinander in Beziehung setzte, die wesentlichen Grundprinzipien des Sammelsports. Voraussetzung war allerdings das der Postkarte zugeschriebene Vermögen, die Welt abbilden bzw. ein Bild der Welt darstellen zu können. Zudem benannte Lutz implizit zwei Sammelgebiete, die in der organisierten Sammelszene als wesentliche und bedeutVDPVWH *HELHWH DQHUNDQQW ZDUHQ ]XP HLQHQ GLH $QVLFKWVNDUWH ÃGLH KHXWLJH :HOW ZLH VLH LVWµ ]XP DQGHUHQ GLH*HOHJHQKHLWV- RGHU (UHLJQLVNDUWH ÃGLH KHXWLJH =HLW ZDVVLHWUHLEWµ 'LHSURPLQHQWH(UZlKQXQJGLHVHU6DPPHOJHELHWHNRUUHVSRQGLHUWH mit dem zugrunde liegenden Sammelideal: Denn gerade in der Verbindung von Geographie und Zeit- oder Ereignisgeschichte als Hauptthemengebieten kam der Anspruch zur Geltung, sich vermittels der Postkarte Wissen über die Welt anzueignen. Sinn, Zweck, Systematik, Bildung, Unterhaltung, Genuss ± hiermit waren die wesentlichen Parameter benannt, die das Sammeln von Postkarten als von wissenschaftlichem Erkenntnisinteresse geleiteter Sport auszeichnen sollten. Zudem war auf das der Postkarte oder zumindest spezifischen Motivgenres zugeschriebene Potenzial hingewiesen, Wissen über die Welt generieren bzw. diese vor Augen stellen zu können. Die Sammler_innen von Postkarten wiederum wurden, sofern sie dem Anforderungsprofil entsprachen, gewissermaßen als Quasi-Wissenschaftler_innen vorgestellt. Dabei wurde vor allem durch den Einsatz des Sportbegriffs ein im Verhältnis zur Briefmarken-Sammelszene neuartiges Verständnis von Wissenschaft konturiert, das mit Faktoren wie Freizeit und Unterhaltung kompatibel war und in dem sich die Effekte eines Prozesses der Popularisierung von Wissen widerspiegel-
35 Lutz (1900a), S. 78.
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ten, der mit der Entstehung und Ausbreitung massenmedialer Kommunikationsformate und massenkultureller Freizeitgestaltungspraktiken einherging.
4.3 W ISSENSORDNUNG UND - POPULARISIERUNG Dass der Diskurs der Postkarten-Sammelszene Konfliktpotenziale zu erkennen gab, die für den Übergang zur Massenkultur charakteristisch waren, wurde eingangs dieses Buchs bereits angesprochen (siehe Kap. 1.2). Die Abgrenzung gegenüber dem (vermeintlich) elitären Selbstverständnis der Sammler_innen von Briefmarken verdeutlicht einmal mehr, dass und auf welche Weise hier Fragen nach Partizipation und Deutungshoheit verhandelt wurden. Und auch in dem ambivalenten Bezug zum Faktor Masse, der in der Relationierung von Sport- und Wissenschaftsbegriff zum Ausdruck kam, machten sich diese Fragen geltend. Signalisierte der Sportbegriff eine Öffnung zur Masse, die implizierte, dass Wissen zu generieren und zu verwalten nicht auf einige wenige und privilegierte Expert_innen beschränkt sein sollte, sondern dass es darauf ankam, Wissen massenhaft zu verbreiten und wirksam werden zu lassen, so wurde mit dem Kriterium der Wissenschaftlichkeit ein Telos des Sammelsports bzw. ein ideales Sammler_innenprofil definiert, die der Absetzung von der Masse dienten. In diesem Sinne war das Streben der organisierten Sammler_innen nach einer Bildungsoffensive durch eine Spannung charakterisiert, die das Projekt der Popularisierung von Wissen und Wissenschaft, das ein wesentlicher Bestandteil des Übergangs zur Massenkultur war und diesen zugleich rahmen sollte, insgesamt kennzeichnete. Exkurs: Wissenspopularisierung und Populärwissenschaft 'HU%HJULIIGHU3RSXODULVLHUXQJDYDQFLHUWHQDFKLQ'HXWVFKODQG]XHLQHPÄLnIODWLRQlU JHEUDXFKWHQ 6FKODJZRUW³36 Mit ihm verband sich der Anspruch, gerade das Wissen der empirischen Naturwissenschaften (wie zum Beispiel die Evolutionstheorie) hinsichtlich der Organisation von Staat und Gesellschaft praktisch anzuwenden, so dass sich das gestalterische Potenzial dieses Wissens entfalten könne.37 Zugleich transportierte er ein spezifisches Verständnis von Bildung, demzufolge erst eine weit verbreitete Kenntnis der das Leben und soziale Organisationen betreffenden Prozesse und Gesetzmäßigkeiten Fortschritt und Emanzipation garantieren würde.38 Folglich waren die Bestrebungen zur Popularisierung von Wissen im 19. Jahrhundert Ausdruck sowohl des Aufschwungs der (Natur-)Wissenschaften, die 36 Daum (2002), S. 2. 37 Grundlegend hierzu siehe Daum (2002); Schwarz (1999 und 2003). 38 Vgl. Daum (2002), v.a. S. 1-14; Schwarz (1999), v.a. S. 23-47.
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zunehmend Deutungsmacht und -hoheit für sich beanspruchten, als auch sich transformierender gesellschaftspolitischer Kräfteverhältnisse, wobei vor allem das Prinzip der Öffentlichkeit mehr und mehr in den Fokus der Aufmerksamkeit rückte. 39 Zentrales Moment des Popularisierungsschubs war die Entstehung zahlreicher medialer Vermittlungsformen und Wissensräume, denen die breitenwirksame und allgemeinverständliche Präsentation (natur-)wissenschaftlicher Kenntnisse oblag. Ob es sich um Zeitschriften oder um Bücher handelte, um öffentliche Vorträge, natur- und völkerkundliche Museen, zoologische und botanische Gärten, Aquarien, Sternwarten, Weltausstellungen, so genannte Völkerschauen usw. ± der Prozess der Popularisierung von Wissenschaft brachte eine Populärwissenschaft hervor, die den gesellschaftlichen Raum in Beschlag nahm. Dabei ging es nicht nur um Bildung, Belehrung und Zweckdienlichkeit. Vielmehr setzten die populärwissenschaftlichen Vermittlungsformate auch auf den Faktor Unterhaltung. 40 In dieser Akzentverlagerung zeigt sich eine wesentliche Eigenheit des populärwissenschaftlichen Paradigmas: Denn wenn es galt, die Grenzen zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit neu zu vermessen, so implizierte das auch, das Verhältnis zwischen Arbeit und Freizeit neu zu modellieren. Entsprechend zielte die Populärwissenschaft nicht zuletzt darauf, Freizeit derart zu gestalten, dass sie sowohl nützlich (im Sinne von Bildung) sein als auch als Genuss erfahren werden konnte. Insgesamt markiert der populärwissenschaftliche Boom in der zweiten Hälfte GHV-DKUKXQGHUWVGHQ9HUVXFKÄ:LVVHQVFKDIWDOV7HLOGHU0Dssenkultur zu etaEOLHUHQ³41 Aus dieser Perspektive lassen sich die populärwissenschaftlichen DisNXUVHDOVHLQÄ2UWEHVWLPPHQ>«@DQGHPPDVVHQZLUNVDPÃ%HGHXWXQJµHQWVWHKW³ 42 =XGHPHUZHLVWVLFKGLH3RSXOlUZLVVHQVFKDIWDOVHLQÄ3URGXNWGHVEUJHUOLFKHQ=eitDOWHUV³43 Nicht nur war die Entstehung und Ausdifferenzierung der Populärwissenschaft als eigenständiger Wissensbereich Ausdruck des zunehmenden politischen Gestaltungswillens und Partizipationsanspruchs des Bürgertums. Auch entstammten die Produzent_innen und Agent_innen populärwissenschaftlichen Wissens überwiegend dem bürgerlichen Milieu.44 Dies verdeutlicht nicht zuletzt die für das Bürgertum charakteristische Vereinskultur, die für den Aufstieg der Populärwissen-
39 'DXP 6PHUNWLQGLHVHP=XVDPPHQKDQJDQÄ'LH)RUGHUXQJGLHHQWVWHKHnden Fachwissenschaften auf ein größeres Publikum hin zu öffnen und allgemeinverständliche Informations- und Rezeptionsmöglichkeiten zu schaffen, wurde seit der Mitte des Jahrhunderts in allen Ländern Europas und Nordamerikas artikuliert und bildete vor allem in Deutschland ein Substrat demokratisch-SDUWL]LSDWRULVFKHQ:LOOHQV³ 40 Diesen Aspekt betonen Brecht/Orland (1999), S. 6. 41 Sarasin (1995), S. 105. 42 Ebd., S. 98. 43 Brecht/Orland (1999), S. 5. 44 Zur Wissenschaftspopularisierung im proletarischen Milieu während der Weimarer Republik siehe Deilmann (2004).
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schaft von zentraler Bedeutung war.45 Der Verein fungierte als ein Forum für Bildung und Belehrung. Zugleich wurde er als eine Einrichtung konzipiert, in der sich gerade die Verbindung zwischen Bildung und Unterhaltung vollziehen sollte. Der Historiker Dieter Hein merkt in diesem Zusammenhang an: Über dem gemeinen Leben, den Widrigkeiten und Beschränkungen des Alltags, erhob sich >«@HLQEHVRQGHUHUQXUGXUFK%LOGXQJXQGVWHWHV6LFK-Bilden erreichbarer Raum der Kultur, der zu einem wesentlichen Teil bürgerlichen Daseins wurde und diesem die entscheidenden Perspektiven gab. Bildung wurde auf diese Weise nicht nur als Voraussetzung und als Medium gehobener Geselligkeit begriffen, sondern stellte deren eigentlichen Kern dar.46
Die bürgerlichen Vereine sollten garantieren, dass sich Geselligkeit in der Begegnung gebildeter und zum Weiterbilden bereiter Individuen realisieren konnte. Sie ODVVHQ VLFK VRPLW JOHLFKHUPDHQ DOV Ä6R]LDOLVDWLRQVDJHQWXUHQ³ ZLH DOV Ä:LVVHQVDJHQWXUHQ³ EHVFKUHLEHQ47 =XJOHLFK ZDUHQ GLH 9HUHLQH DXFK Ä6WlWWHQ LQ GHQHQGLH ungebärdigen Äußerungen des Volkes entschärft und kultiviert werden sollten. Ã6LWWLJXQJµ XQG Ã9HUHGHOXQJµ VLQG 3DUROHQ GLH LPPHU ZLHGHU LQ 9HUHLQVVWDWXWHQ DXIWDXFKHQ³48 Wurde die Wissens- und Wissenschaftspopularisierung in der Forschung lange als ein Diffusionsprozess vorgestellt, in dem die Wissenschaft tendenziell als aktive Produzentin und die Öffentlichkeit als passive Konsumentin von Wissen figurieren, so rückt zunehmend der produktive Anteil des Popularisierungsvorgangs selbst in den Vordergrund.49 Die Wissenschaftsforscherin Ulrike Felt spricht in diesem ZuVDPPHQKDQJ YRQ HLQHU ÄÃYHUJHVHOOVFKDIWHWH>Q@µ 1HXLQWHUSUHWDWLRQ³ YRQ ZLVVHnVFKDIWOLFKHP:LVVHQZRULQGLHÄVR]LDOH0DFKWGHU:LVVHQVFKDIWVSRSXODULVLHUXQJ³ begründet sei.50 Demnach handelt es sich bei der Popularisierung weniger um ein 3KlQRPHQ GHU 9HUPLWWOXQJ (KHU VHL YRQ HLQHU Ä3RSXODULVLHUXQJVDUEHLW³ DXV]XJeKHQ GLH VLFK LQVEHVRQGHUH DOV Ä9HUKDQGOXQJV- beziehungsweise GrenzverschieEXQJVDUEHLW³ HUZHLVH51 =XU 'LVNXVVLRQ VWHKW DOVR HLQH Ä3ROLWLN GHV :LVVHQV³ GDV KHLWGLHÄ(WDEOLHUXQJGRPLQDQWHU5HSUlVHQWDWLRQHQGHU:HOW³GLHÄHLQZHLWJHKHn-
45 Vgl. Daum (2002), S. 85-191. 46 Hein (2003), S. 164. 47 Ebd., S. 148. Den Versuch einer Klassifizierung je spezifischer Agenturen und Agent_innen der Populärwissenschaft unternimmt Daum (2002), S. 377-458. 48 %DXVLQJHU 6GHUDXFKGDUDXIKLQZHLVWGDVVÄGDV$PVHPHQWLQGHU]ZHLWHQ Hälfte des 19. JaKUKXQGHUWV ]X HLQHP /HLWPRWLY EUJHUOLFKHU *HVHOOLJNHLW ZLUG³ HEG S. 37). 49 Einen Überblick über die verschiedenen aktuellen und historischen Forschungsansätze bieten Daum (2002), v.a. S. 14-25; Kretschmann (2003). Siehe auch Szöllösi-Janze (2004). 50 Felt (2002), S. 49. 51 Ebd., S. 50.
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GHV=XUFNGUlQJHQDQGHUHU0RGHOOHGHV9HUVWHKHQV³LPSOL]LHUW 52 In diesem Sinne stellt sich Wissenschaftspopularisierung als ein Verfahren dar, um Definitionsmacht zu erlangen, und zwar indem im Zuge des Popularisierungsprozesses andere Wissensordnungen zunehmend disqualifiziert werden. Somit verschiebt sich aber auch die Fragerichtung. Denn das ErkenntnisinteresVHHLQHUÄ*HVFKLFKWHGHV:LVVHQV³ULFKWHWVLFKQLFKWQXUDXIdie Beschaffenheit von Wissen bzw. darauf, ob und inwiefern zum Beispiel das Wissen der Populärwissenschaft mit dem harten wissenschaftlichen Wissen korreliert. Vielmehr steht auch XQGYRUDOOHP]XU'LVNXVVLRQDXIZHOFKH:HLVHÄ*HVHOOVFKDIWHQLKUH:LUNOLFhkeit mit Bedeutungen belegen und symbolisch aufladen, diese Wirklichkeit in Form von :LVVHQVEHVWlQGHQKHUYRUEULQJHQXQGDN]HSWLHUHQ³ 53 In diesem Zusammenhang ist VRZRKO GLH Ä5H]LSUR]LWlW YRQ :LVVHQ XQG *HVHOOVFKDIW³ DOV DXFK GLH Ä6LWXLHUWKHLW YRQ:LVVHQ³ in Rechnung zu stellen.54 Anders formuliert geht es um die Einsicht, dass Kollektive Wissen hervorbringen und gleichzeitig von Wissensordnungen VWUXNWXULHUWZHUGHQXQGGDVVVLHYRQHLQHUÄ3OXUDOLWlWGHU:LVVHQVIRUPHQ³JHNHQnzeichnet sind.55 Im Fokus einer derart verstandenen Wissensgeschichte steht die Frage, wer welches Wissen warum hervorbringt und auf welche Weise dieses Wissen von anderen Wissensformen abgegrenzt wird.56 Organisationsform des Sammelsports Innerhalb der Forschung wird immer wieder darauf hingewiesen, dass das Sammeln von Postkarten vor allem in bürgerlichen Kreisen weit verbreitet war. 57 Zumindest ist davon auszugehen, dass ein Großteil der organisierten Sammler_innen bürgerlich sozialisiert war.58 Unabhängig von dem sozialen Status der Akteur_innen lässt sich ± im Anschluss an das in der neueren Bürgertumsforschung etablierte Konzept GHUÃ%UJHUOLFKNHLWµ± die Rahmung der kulturellen Praxis des Sammelns von Postkarten, wie sie von den Vereinen und ihren Publikationen vorgenommen wurde, als Intervention verstehen, die darauf abzielte, ein spezifisch bürgerliches Sammelethos
52 53 54 55 56 57
Ebd., S. 56. Landwehr (2002c), S. 72. Landwehr (2002b), S. 16-17. Landwehr (2002c), S. 72. Vgl. ebd., S. 88. Vgl. z.B. Hax (1999), die diese Annahme daraus ableitet, dass sich das Sammeln im ausgehenden 19. JahUKXQGHUWÄDOOJHPHLQ]XHLQHUEUJHUOLFKHQ/HLGHQVFKDIWHQWZLFNHOW³KDtte (ebd., S. 101). Siehe auch Leclerc (1986), S. 34. 58 Die in den Zeitschriften ab und an veröffentlichten Auszüge aus den Mitgliederlisten der Vereine veranschaulichen, dass die überwiegende Mehrzahl der Mitglieder Ingenieure, Kaufmänner, Fabrikanten, Versicherungsbeamte etc. waren (vgl. Fünf Jahre Sammlerverein (1899a-h).
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zu profilieren und zu hegemonialisieren.59 Entsprechend kann der Sammelsport ÄDOVVSLHOHULVFKH)RUPERXUJHRLVHU+DQGOXQJVHWKLNDXIJHIDVVWZHUGHQ'LH$NWLYität des Akkumulierens und der Wertevermehrung wird hier symbolisch ausgeIKUW³60 Die Vereine als zentrale Organisationseinheiten der Postkarten-Sammelszene erfüllten verschiedene Funktionen. Eine dieser Funktionen, die immer wieder in den Vordergrund gestellt wurde, wohl auch, um neue Mitglieder zu akquirieren, betraf den Tauschverkehr zwischen den Sammler_innen. Die Vereine sahen es als ihre Aufgabe an, diesen zu formalisieren und zu reglementieren, um ihre Mitglieder vor möglichem Betrug zu schützen. Sie bauten überregionale Tauschnetzwerke sowie vereinseigene Sammlungen auf, auf die die Mitglieder Zugriff hatten.61 Dabei wurGHDQHLQHÄ(KUHQSIOLFKWGHV6DPPOHUV³DSSHOOLHUWZRQDFKLP9HUNHKUGHU6DPmler_iQQHQXQWHUHLQDQGHUÄMHGH.DUWHPLWHLQHUJOHLFKZHUWLJHQ]XEHDQWZRUWHQ³VHL62 Die Nicht-Beantwortung von Karten hingegen wurde massiv kritisiert. Von einem ÄLPPHU VWlUNHU ZHUGHQGH>Q@ 6FKZLQGHO³ ZDU GLH 5HGH GHU GHQ 6DPPHOVSRUW Eedrohe.63 8QGHVZXUGHYRUÄ3LUDWHQ³XQGÄ0DURGHXUH>Q@³JHZDUQWGLHGHUÃ(KUHnpflicht des SammlHUVµDQVFKHLQHQGQLFKWQDFKNDPHQ64 Eine zweite Funktion der Vereine sollte dem Genüge leisten, was zuvor schon unter dem Aspekt der Geselligkeit angesprochen wurde. Die Vereine waren zumeist überregionale Zusammenschlüsse von Sammler_innen. Gleichwohl waren sie in Ortsgruppen untergliedert, deren Mitglieder zu regelmäßigen Treffen zusammenkommen sollten. Die Hamburger Ortsgruppe der Internationalen Ansichtkartensammler-Association Weltall zum Beispiel hielt ihre monatlichen Sitzungen Anfang des 20. Jahrhunderts in einem Caféhaus in der Innenstadt ab. Die Wahl dieses Orts ± so heißt es in einer Art Erlebnisbericht ± VHLÄHLQJHQLDOHU*HGDQNHHLQHVXQVHUHU 0LWJOLHGHU³JHZHVHQGHQQÄZLUDPVLUHQXQVGRUWLPPHUN|VWOLFK³$OV+|KHSXQNW dieser Versammlungen galt GHU0RPHQWÄZHQQXQVHUH)UDX(UQVWPLWLKUHUNOHLQHQ Handtasche angesteuert kommt, denn darin ist für Alle etwas enthalten, sie bringt stets Berge von Postkarten und immer die neuesten Sachen zur gefl. [= gefälligen] $QVLFKW PLW³ 'LH DQZHVHQGHQ0LWJOLHGer des Weltalls erwarben einen Teil dieser .DUWHQ XQG VFKULHEHQ ÄJOHLFK LP &DIp YHUVFKLHGHQH GDYRQ DQ XQVHUH %HNDQQWHQ
59 =XP.RQ]HSWGHUÃ%UJHUOLFKNHLWµVLHKH'DXP GHUYRQÄ.XOWXUQRUPHQ/HEHQVorientierungen und Werthaltungen³ VSULFKW ÄLQ GHQHQ DXFK GHU :LVVHQVFKDIW XQG GHQ %LOGXQJVGLVNXUVHQ MHQVHLWV GHU +RFKNXOWXU HLQH HQWVFKHLGHQGH 5ROOH ]XNRPPW³ HEG S. 9). Siehe auch Kocka (1987). 60 Holzheid (2011), S. 250. 61 Vgl. Welche Vorteile bietet die Mitgliedschaft im Deutschen Ansichtkarten-SammlerVerband? (1897). 62 Bock (1901d), S. 38. 63 Linke (1901), S. 120. 64 E.K.H. (1903b), S. 14.
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6SRUWVIUHXQGHXQG7DXVFKJHQRVVHQ³65 Die Vereine sollten demnach auch als Orte für soziales Miteinander dienen, und um diesen Zweck zu realisieren, wurden bisweilen öffentliche Orte aufgesucht. Eine dritte Funktion verwies auf den Komplex der Bildung/Belehrung. Ein VerHLQZDUDOVÄ=HQWUDOHDOOHQ0HLQXQJVDXVWDXVFKHV³NRQ]LSLHUW66 Über die vereinseigenen Zeitschriften wiederum sollte dieser Meinungsaustausch organisiert werden. Anhand der Kriterien, die hinsichtlich des Profils der Mitarbeiter_innen der Zeitschriften aufgestellt wurden, lässt sich einmal mehr das Selbstverständnis der organisierten Sammelszene bzw. ihr Anspruch, im Verhältnis zu den nicht organisierten Sammler_innen von Postkarten eine Avantgarde darzustellen, nachvollziehen. Das Centralblatt für Ansichtkarten-Sammler merkte in diesem Zusammenhang an: Nur wer durch reiche Erfahrung befähigt ist, eine Meinung öffentlich vorzutragen[,] und wer logisch entwickeln kann, sollte Mitarbeiter an Fachzeitschriften sein, die nicht die Stimme der Menge ± die belehrt werden muss ± vertreten sollen, sondern das Urtheil denkender Sammler, deren Menge im Verhältnis zur Gesamtzahl eine leider geringe ist. 67
Der Wille zur Belehrung richtete sich hier auf eine imaginäre Masse von Postkarten-Sammler_iQQHQGLHVLFKQLFKWLQ9HUHLQHQRUJDQLVLHUWHQ$XIJDEHGHUÃGHQNHnGHQ6DPPOHUµZLHGHUXPVROOWe es sein, an der Aufklärung dieser Masse mitzuwirken. Entscheidend war hierbei die Einsicht, dass die Ansichtskarte ± wie in einem Bericht über eine 1898 in Wien eröffnete Postkartenausstellung postuliert wurde ±, DQVWDWWHLQHÄ6SLHOHUHL³]XVHLQGLHÄ%Hdeutung eines ernsten Culturobjectes erlangt >KDW@HLQHVHUQVWHQ%LOGXQJVPLWWHOVIUGDV9RON³(UVWZHQQGLHVH%HGHXWXQJDnHUNDQQWZUGHXQG]ZDUDXFKXQGYRUDOOHPYRQGHQÄZLOGGDUDXIORVVDPPHOQGHQ >VLF@Ã0RGH-6DPPOHU>Q@µ³NlPHGDV3RWHQ]LDOGHU$QVLFKWVNDUWHDOVÄHLQDOOH*eELHWHGHV:LVVHQVSRSXODULVLUHQGHV&XOWXUPLWWHO³]XUYROOHQ(QWIDOWXQJ68
65 66 67 68
Wieck (1904), S. 222. Mello (1895), S. 5. Fünf Jahre Sammlerverein (1899h), S. 271. Michel (1898), S. 68. Immer wieder findet sich in den Zeitschriften der Vorschlag, Ansichtskarten in der Schule als Lehrmittel im Geographieunterricht einzusetzen (vgl. Hoffmann, M.M.G. [1899]; Mello [1898]). Und in einem Lob der Ansichtkarte betitelten Gedicht, das das Centralblatt im August 1900 publizierte, wurde der Sammelsport speziILVFKHQZLVVHQVFKDIWOLFKHQ'LV]LSOLQHQ]XJHRUGQHWÄ:LUWUHLEHQ>«@/DQG- und VölkerNXQGH8QG IULVFKHQ JHRJUDSK¶VFKHV :LVVHQ DXI'HQQ XP GHQ (UGHQEDOO PDFKW VLH GLH 5XQGH'LH$QVLFKWNDUWHUDVFKLP6LHJHVODXI³8OOULFK>], S. 187).
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Das Geschlecht des Sammelsports Mit Blick auf die Verankerung der organisierten Sammelszene im bürgerlichen Milieu stellt sich die Frage nach der geschlechtlichen Codierung des Sammelsports. Zunächst ist einem Forschungsbefund zufolge davon auszugehen, dass es Frauen waren, die die meisten Postkarten verschickten.69 Vor diesem Hintergrund resümiert GLH.XQVWKLVWRULNHULQ5HEHFFD'H5RRÄ7KXVSRVWFDUGs allowed women the opportunity to display publicly their taste, education, and individuality, and provided a PHDQV RI QHJRWLDWLQJ EHWZHHQVRFLDO FXVWRP DQGSHUVRQDO GHVLUH³ 'DUEHU KLQDXV KlWWHVLFKIU)UDXHQGXUFK3RVWNDUWHQGLH0|JOLFKNHLWHU|IIQHWÄto explore vicariRXVO\GLVWDQWSODFHVZLWKLQWKHSULYDWHVSDFHVRIWKHLUKRPHV³70 In den Mitgliederlisten der Vereine der Sammelsportszene hingegen waren nur vereinzelt Frauen verzeichnet.71 Und in den von den Vereinen herausgegebenen Zeitschriften publizierten nahezu ausschließlich Männer.72 Der Umstand allerdings, dass auch Frauen Postkarten sammelten, wurde im Diskurs über den Sammelsport durchaus als bemerkenswert registriert. Bezeichnend ist dabei, wie eine spezifisch männliche und eine spezifisch weibliche Sammelpraxis konturiert und einander gegenübergestellt wurden. So konstatierte zum Beispiel ein Beiträger in der Sammelzeitschrift Das Blaue Blatt, dass sich die Ansichtskarte ± im Gegensatz zu Münzen oder Postwertzeichen ± ÄLQGLH+HU]HQGHVVFKZDFKHQ, zarten, schönen Geschlechts HLQ]XVFKPHLFKHOQJHZXVVW³KDEH*OHLFK]HLWLJZLHVHUGDUDXIKLQÄGDVVGLH6DPmOHUPlQQOLFKHQ*HVFKOHFKWVGDV6DPPHOQHLQJHKHQGHUEHWUHLEHQ³ZRKLQJHJHQHLQH MXQJH )UDXÄDOOHVGXUFKHLQDQGHU³VDPPHOQZUGHÄEHVFKULHEHQHXQGunbeschriebene Karten, an sie und an fremde Personen adressierte, Witz-, Blumen-, Licht und Buntdruckkarten u.s.w., sie sammelt sozusagen Alles, was ihr unter die Hände
69 Vgl. Kaufmann (1985), S. 410-411; Mathur (1999), S. 112. Allerdings standen gerade Frauen dem neuen Medium anfänglich offenbar eher skeptisch bis ablehnend gegenüber, und zwar v.a. ± wie Holzheid (2011), S. 241, anmerkt ± ÄHLQ7HLOGHUHWDEOLerten BürgerLQQHQPLWWOHUHQ$OWHUV³'HPQDFKYROO]RJVLFKPLWGHU$EO|VXQJGHU3RVWNDUWHGXUFKGLH %LOGSRVWNDUWHDXFKÄHLQZLFKWLJHU1XW]HUZDQGHO³HEG 70 DeRoo (2004), S. 167 und 168. 71 Holzheid (2011), S. 251, kommt hier zu einem gegenläufigen Befund: Aus den MitglieGHUOLVWHQJHKHKHUYRUGDVVVLFKÄQHEHQGHQPlQQOLFKHQ%HDPWHQEHVRQGHUVZRKOVLWXLHUWH 'DPHQ>«@IUGDV6DPPHOQYRQ3RVWNDUWHQLQWHUHVVLHUWHQ³8QNODUEOHLEWZHOFKH/LVWHQ welcher Vereine hier gemeint sind. Möglicherweise war die Beteiligung von Frauen je nach Verein verschieden. Im Centralverband für Ansichtkarten-Sammler jedenfalls waren zumindest in den Anfangsjahren fast ausschließlich Männer organisiert (vgl. Fünf Jahre Sammlerverein (1899a-h). 72 Der Anteil von Beiträgen, die dem Namen nach von Frauen verfasst worden waren, war verschwindend gering. Zumeist handelte es sich um Berichte von Vereinssitzungen oder um Briefe von Leserinnen. Allerdings erschienen auch zahlreiche Artikel ohne Namensangabe bzw. lediglich mit Kürzel. Entsprechend ist schwer zu ermessen, in welchem Ausmaß Frauen an den in den Zeitschriften geführten Debatten partizipierten.
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NRPPW³$OV)D]LWJDEGHU$XWRUNDWHJRULVFK]XYHUVWHKHQÄ,FKKDOWHGLHVH$UWGHV SammHOQVIUZHUWKORV³73 Ein anderer Beiträger im Blauen Blatt JLQJDXIGDVÄ6SH]LDOVDPPHOQYRQ.Lnderköpfen, Reproduktionen von Gemälden, Büsten, Künstlerphotographien etc. etc. HWF³HLQÄGDVKHXW]XWDJHDXFKEHLQDKHDXVVFKOLHOLFKLQGHU'DPHQZHOW$QHUNHnnuQJ ILQGHW³ ZlKUHQG GHU $XWRU GLH JHQDQQWHQ 0RWLYH ÄDOV QLFKW VDPPHOEHUHFhWLJW³NODVVLIL]LHUWH74 Ein dritter Autor schließlich argumentierte: Freilich, blosses Aufbewahren, Gebraucht- und Zuadressirt-Sammeln ohne eigentliche Grundsätze, so also wie es viele jüngere Sammler und die Damenwelt grösstentheils macht, das ist kein geistreiches Thun, darin liegt keine Wissenschaftlichkeit. 75
'LH =LWDWH YHUDQVFKDXOLFKHQ GDVV GHU ÃGHQNHQGHµ RGHU ÃHLJHQWOLFKHµ 6DPPOHU DOV männlicher Sammler vorgestellt wurde, wohingegen die zu belehrende Masse, die den Rationalitätskriterien des Sammelsports nicht entsprach, weiblich codiert war. 76 Die Intervention, als die sich der Diskurs über das gelehrte Sammeln verstand, zielte folglich auf zwei miteinander verschränkte Konfliktfelder: Der Versuch, im Bereich der Massenkultur Deutungshoheit ± im Sinne von bürgerlichen Wertvorstellungen ± zu erlangen, korrespondierte mit der Absicht, die Geschlechterverhältnisse gemäß patriarchalischer Ordnungsvorstellungen zu modellieren. Saloni Mathur weist diesbezüglich auf die für das 19. und frühe 20. Jahrhundert charakteristische ÄIHPLQL]DWLRQRIPDVVFXOWXUH³KLQ+LHUDXVOHLWHWVLHGLH$QQDKPHDEGDVV3RVWNDrten gerade von Angehörigen sozialer und kultureller Eliten kritisch beäugt worden VHLHQ Ä3RVWFDUGV WRR ZHUH GHOLQHDWHG DV ORZ EHFDXVH RI WKHLU DVVRFLDWLRQ ZLWK ZRPHQ³77 Auch im Diskurs über den Sammelsport waren derartige Assoziationen SRSXOlU 6R ZXUGH GLH 3RVWNDUWH ]XP %HLVSLHO DOV HLQH Ä FP EUHLWH XQG FP ODQJH'DPH³EH]HLFKQet.78 Allerdings signalisierte eine solche Form der Feminisierung des Sammelobjekts hier weder Skepsis noch geringe Wertschätzung. Vielmehr
73 74 75 76
Kg. (1901), S. 89-90. Gesamtsammler und Spezial-Sammler (1905), S. 119. Lutz (1900c), S. 98. Holzheid (2011), S. 256, merkt in diesHP =XVDPPHQKDQJ DQ Ä2EZRKO ]XQHKPHQG Sammlerinnen den zunächst männlich dominierten Postkartensammlerklubs beitraten und den Diskurs mitbestimmten, wurde das Stereotyp der Kartensammlerin aufrechterhalten, die lediglich quantitativ hortete und eine selektive konzentrierte Sammlung besonderer Kartenexemplare vermissen ließ, während das Bild des Sammlers positiv mit analytischer 6DPPOHUNRPSHWHQ]EHVHW]WZDU³ 77 Mathur (1999), S. 112. 78 V.A. (1898a), S. 137. Eine derartige Anthropomorphisierung ± darauf weist Holzheid (2011), S. 239, hin ± ÄGXUFK]LHKWGLH3RVWNDUWHQJHVFKLFKWHYRQLKUHQ $QIlQJHQELVKHuWH³ 'DEHL VHL GLH .DUWH ]XPHLVW ÄDOV ZHLEOLFK FKDUDNWHULVLHUW³ ZRUGHQ ]% ZHQQ GLH Bildpostkarte als Tochter bzw. Schwester der Postkarte vorgestellt wurde (ebd.).
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VWHOOWHVLHGHQ9HUVXFKGDUGLHÃ/LHEKDEHUHLµGLHGHU6DPPHOVSRUWDXFKVHLQVROOWH zu rahmen und zu rationalisieren. Insofern galt also nicht das Sammelobjekt an sich als anstößig, sondern das weiblich konnotierte ziel- und geistlose Sammeln der Masse. In Abgrenzung dazu wurde eine männlich attributierte, elitäre Sammelpraxis profiliert, der die Fähigkeit zugeschrieben wurde, ernsthaft und belehrend auf die Masse einwirken zu können. Wissensproduktion und Sammelberechtigung Bei dem Bemühen, die Masse zu belehren, ging es den Protagonist_innen des Sammelsports nicht darum, neueste wissenschaftliche Erkenntnisse zu vermitteln. Eher wurde die Postkarte als eine Art Quelle aufgefasst, die Zeugnis ablegen sollte von der historischen Entwicklung und aktuellen Erscheinung der Erde und ihrer Bewohner_innen. Entsprechend wuchs der Postkarte ± oder zumindest einigen Postkarten-Genres ± ein archivalischer Status zu: Anhand von Postkarten sollte das Weltgeschehen dokumentierbar sein. Die organisierte Sammelbewegung wiederum verstand sich als Chronistin ihrer Zeit. Zugleich war sie darum bemüht, auf diese Zeit einzuwirken, und zwar indem sie Wissensproduktion und -distribution mit spezifischen Werten und Tugenden korrelierte. Vor allem die Diskussion über das Kriterium der Sammelberechtigung nahm hierbei großen Raum ein. Im Mittelpunkt stand die Frage, welche Karten bzw. Arten von Karten als Sammelobjekte akzeptiert werden sollten.79 Die Diskussion veranschaulicht, dass für die Definition oder Charakterisierung einer legitimen Sammelpraxis nicht nur Dispositionen und Herangehensweisen der Sammler_innen ausschlaggebend waren, sondern auch der Sammelgegenstand selbst bzw. dessen Potenzial zur Belehrung und zur Generierung von Wissen. Wie bereits erwähnt wurde dieses Potenzial vor allem zwei Kartengenres zugeschrieben: zum einen den Ansichtskarten (Ansichten von Gebäuden, Orten, Städten oder Landschaften), zum anderen den Gelegenheitskarten (anlässlich historischer Ereignisse herausgegebene Karten).80 Die Festlegung bestimmter Sammelgebiete ging meist einher mit einer Kritik an der Dynamik des Markts, die vor allem gegen die Hersteller_innen von 3RVWNDUWHQJHULFKWHWZDU (LQH ÄWlJOLFKDQVFKZHOOHQGH)OXW YRQ1HXDXVJDEHQDOOHU
79 Grundsätzlich ordneten sich die Sammler_innen verschiedenen Subgenres zu. So wurde z.B. zwischen gelaufenen und nicht gelaufenen Karten sowie zwischen General-, Spezialund Durchschnittssammler_innen unterschieden (vgl. Knizek [1897]; Metzner [1898a und 1902]). Trotz dieser Ausdifferenzierung kennzeichnete den Diskurs der PostkartenSammelszene das Bemühen, hinsichtlich der Frage der Sammelberechtigung verbindliche Kriterien festzulegen. 80 Oftmals wurde auch noch ein drittes Genre als legitimes Sammelgebiet angeführt: Postkarten, die wichtige Werke aus der Kunstgeschichte, Uniformen, Trachten, bedeutende Persönlichkeiten etc. darstellten (vgl. z.B. Naulin [1901]).
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P|JOLFKHQ .DUWHQ³ZXUGHEHDQVWDQGHWVRZLHHLQHÄEHLQDKHNUDQNKDIWH6XFKW>«@ PLWQHXHQRULJLQHOOVHLQVROOHQGHQ.DUWHQYRUGDV3XEOLNXP]XWUHWHQ³ 81 Insbesondere richtete sich die Kritik gegen vermeintlich unnatürliche Karten, die von der Ä1DWXUZDKUKHLW DOV ZHUWKYROOVWH (LJHQVFKDIW HLQHU $QVLFKW³ DEZLFKHQ82 Somit standen verschiedene Verfremdungstechniken wie Kolorierung und Fotomontage, aber auch Karikaturen und Witzpostkarten zur Diskussion.83 Der Imperativ der Naturwahrheit fungierte ± wie bereits dargelegt ± als ein zentrales Ordnungsprinzip innerhalb der organisierten Postkarten-Sammelszene (vgl. Kap. 1.2). Gradmesser für die Bewertung einer Abbildung bzw. für die Unterscheidung zwischen legitimen und illegitimen Karten war folglich das Kriterium der ObMHNWLYLWlW GDV GHQ JHJHQ VR JHQDQQWH Ã6FKXQGNDUWHQµ JHIDKUHQHQ $WWDFNHQ DUJumentativ zugrunde lag.84 Zugleich wurde der Postkarte und vor allem der Ansichtskarte ausgehend von diesem Kriterium ein Alleinstellungsmerkmal im weiten Feld der Sammelgegenstände, das heißt im Verhältnis zum Beispiel zu Münzen, Medaillen oder Briefmarken, zugesprochen. Die Behauptung nämlich, dass das Sammeln JHUDGHYRQ$QVLFKWVNDUWHQHLQHQÄQRFKK|KHUHQ5HL]KDEH³ZXUGHDXIGHQÄZRKlbegründeten Idealismus dieses Sammelobjektes selbst [zurückgeführt], das uns in seinen nie erschöpfenden, der Natur abgelauschten, oft berückend schönen Bildern HQWJHJHQWULWWXQGLQXQVEHUJHKW³ 85 Demnach galt die Natur selbst bzw. ihre vermeintlich unverfälschte Abbildung als Quelle des Schönen. Und an die Postkarte wurde die Hoffnung geknüpft, dass sie, wenn sie die Vorgaben der Naturwahrheit erfülle und außerdem handwerklich und künstlerisch wertvoll gestaltet sHL ÄGHQ *HVFKPDFNGHUJURVVHQ0HQJHELOGHWXQGYHUIHLQHUW³ 86 In diesem Sinne lässt sich der Diskurs der Postkarten-Sammelszene mit jenem Versprechen der Massenkultur
81 Ebd., S. 96. 82 Weise (1901b), S. 81. 83 Vgl. Weise (1905). An anderer Stelle wurde PRQLHUWÄ(VOlVVWVLFKQLFKWJDQ]DEOHXJQHQ dass der schöne Kartensport in gewisser Hinsicht zu einer Modetorheit ausgeartet ist, wenn man bedenkt, wie neben den Ortsansichten und Gelegenheitskarten auch Millionen andere Karten zur Beförderung gelangen, nicht minder auch manche zweifelhafte Juxund Witzkarten, welche zumeist nur den Zweck haben, den lieben Nächsten zu ärgern. Der Sammelsport hat mit solchen Karten nichts zu schaffen und dieser Auswuchs ist eine ebenso natürliche Erscheinung, als zugleich mit dem Weizen auch das Unkraut üppig geGHLKW³'HU$QVLFKWVNDUWHQ-Sammelsport [1908], S. 169). 84 Vgl. V.A. (1897b), S. 13. Immer wieder wurde in diesem Zusammenhang auch die HerVWHOOXQJÃSLNDQWHUµGKHURWLVFKHUXQGSRUQRJUDSKLVFKHU.DUWHQNULWLVLHUW(vgl. Ein ernstes Wort an gewisse Ansichtkarten-Verleger [1898]). 85 Hoffmann, M. (1899), S. 181. 86 %RFN 6$QDQGHUHU6WHOOHKHLWHVGLHVEH]JOLFKÄ'LH$QVLFKWVNDUWHWUlJWLKU 7HLOEHL]XU$XINOlUXQJZHLWHU9RONVNUHLVHZHQQ>«@SODQPlVVLJJHVammelt und geordnet wird. Sie wirkt erzieherisch, weil sie den Geschmack veredelt, den Kunstsinn fördert XQG GLH .HQQWQLV YRQ IUHPGHQ /lQGHUQ XQG 6LWWHQ YHUPLWWHOW³ 'HU $QVLFKWVNDUWHQSammelsport [1908], S. 169).
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LQ %H]LHKXQJ VHW]HQ GDV .DVSDU 0DDVH DOV 3URMHNW HLQHU ÄbVWKHWLVLHUXQJ GHV $OlWDJV³beschreibt.87 Fungierte das Argument der Naturwahrheit als Voraussetzung der Unterscheidung zwischen sammelwürdigen und -unwürdigen Postkarten, so begründete es zugleich die Annahme, dass Ersteren das Potenzial für eine massenwirksame Belehrung und Erziehung inhärent sei. Entsprechend wird anschaulich, dass der mechanische Objektivitätstyp bzw. die Vorstellung einer sich im Aufnahmemedium selbst reproduzierenden Natur die epistemologische Basis bildete, von der ausgehend der Sammelsport als Projekt der Evidenzstiftung Wirksamkeit zu erzielen hoffte. Dabei war das Prinzip der Naturwahrheit keineswegs nur auf die Abbildungen selbst beschränkt. Vielmehr galt es darüber hinaus auch als übergeordnetes Ordnungsschema, nach dem die jeweiligen Sammlungen auszurichten seien. Dies lässt sich insbesondere anhand der Vorschläge, wie eine Sammlung von geographischen Ansichtskarten anzulegen sei, nachvollziehen. Zunächst wurde als Grundbedingung einer ernsthaften Sammelpraxis das Streben nach Vollständigkeit formuliert. Ziel einer Sammlung sollte es sein, möglichst alle verfügbaren Karten des Sammelgebiets zu vereinen, um ein nahezu vollständiges Bild zu ermöglichen.88 Zudem war die Frage von Bedeutung, gemäß welcher Systematik die Anordnung der Karten zu erfolgen habe. Immer wieder begegnet in diesem Zusammenhang der warnende Hinweis vor einer alphabetischen Systematik, die mit Monotonie, Langeweile oder einem Mangel an Herausforderung assoziiert wurde. Stattdessen wurde vorgeschlagen, die Sammlung entlang geographischer Anhaltspunkte zu ordnen und ± je nach Sammelgebiet ± zwischen Kontinenten, Ländern, Regionen und Städten zu unterscheiden.89 Erst durch eine solche geographische Systematik ± so die Argumentation ± ZHUGHGDV=LHOHUUHLFKWÄWDWVlFKOLFK HLQ %LOG GHU :HOW³ OLHIHUn zu können.90 Mit dieser Logik korrespondierend finden sich auch weitergehende Vorschläge, die das geographische Ordnungsmuster en
87 Maase (2001a), S. 18. 88 Angesichts der Masse an Postkarten war das Kriterium der Vollständigkeit bzw. dessen Definition umstritten. Allerdings ging es hier v.a. um Nuancen, darum also, wie weit Vollständigkeit zu fassen sei. Konsens herrschte wohl hinsichtlich des Anspruchs, so etwas wie Vollständigkeit wenigstens anzustreben, auch wenn die Dynamik des Markts einen solchen Anspruch bisweilen ad absurdum führen würde. Das folgende Zitat markiert eine extreme Position im Hinblick auf das Kriterium der Vollständigkeit. Zugleich lässt es erahnen, worLQ JHQDX VLFK GLH MHZHLOLJHQ 1XDQFLHUXQJHQ XQWHUVFKLHGHQ Ä8QG ZHQQ ein Gebäude zum Beispiel hundertmal dargestellt wird, wie es thatsächlich jetzt nicht gar so selten mehr vorkommt, so ist dies für die Wissenschaft unseres Sportes interessant und muss in der Specialsammlung zur Erscheinung kommen, nachdem von dem AllgemeinVDPPOHUGLH)HVWVWHOOXQJVROFKHU7KDWVDFKHQZHGHUYHUODQJWQRFKHUZDUWHWZHUGHQNDQQ³ (Weise [1901a], S. 56). 89 Vgl. Der Ansichtskartensport (1899); V.A. (1897b), S. 13. 90 Bastian (1902), S. 121.
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détail auszubuchstabieren suchten. Von Stadt- oder Reiseführern war die Rede sowie von imaginären Spaziergängen, Wanderungen oder Rundreisen, die als Orientierung für die Reihenfolge der Karten innerhalb der Sammlungen dienen sollten. 91 In jedem Fall stand im Vordergrund, sich an dem zu orientieren, was wahlweise als Natur oder als Welt bezeichnet wurde. Dies galt nicht nur für das Sammelobjekt selbst bzw. für die Beschaffenheit der Abbildung, sondern eben auch im Hinblick auf die Sortierung und Ordnung der eigenen Sammlung. Utopien des Sammelsports Der Vorschlag, Sammelsystematiken an imaginären Reiserouten auszurichten, zielte noch auf einen weiteren, über den Ordnungsaspekt hinausgehenden Effekt. Denn eine solcherart aufgebaute Sammlung sollte garantieren, dass die Welt auch beim Anblick von Postkarten auf eine Weise erfahrbar sei, die den Erfahrungen beim Reisen entsprach. Entsprechend wurde der Überzeugung Ausdruck gegeben, dass das Eintauchen in eine Sammlung wie ein Reiseersatz anzusehen sei. Das heißt, man rechnete Mechanismen, die als Charakteristika des Reisens galten, auch dem Sammelsport zu. So wurde zum Beispiel kolportiert, dass das in den Sammlungen ODJHUQGH :LVVHQ GD]X JHHLJQHW VHL ÄGHQ %OLFN ]X ZHLWHQ XQG KLQDXV]XKHEHQ DXV GHP$OOWDJVOHEHQPLWVHLQHP6WXUPXQG'UDQJ³ 92 An anderer Stelle wiederum erfuhr dieses Argument, dass man durch Sammeln den Horizont erweitern könne, eiQH DQGHUH 8PVFKUHLEXQJ Ä'LH $QVLFKWVNDUWH EHIULHGLJW QDPHQWOLFK GHQ LQ MHGHP 0HQVFKHQ LQQHZRKQHQGHQ +DQJ HQWIHUQWH /lQGHU XQG 9|ONHU NHQQHQ ]X OHUQHQ³ 8QGZHLWHUKHLWHVÄ>:@LUN|QQHQVDJHQGLH$QVLFKWVNDUWHEHIULHGLJWGHQMHGHP Menschen inQHZRKQHQGHQ:DQGHUWULHE³93 Diese Konzeption des Sammelns als Reise oder Reiseerfahrung veranschaulicht in besonderer Weise das Ausmaß der Aufladung der Postkarte im Diskurs der Sammelszene. Denn die Postkarte erwies sich hier nicht nur insofern als ein Tor zur Welt, als sie diese abzubilden im Stande sein sollte; auch sollte mit dem Blick auf die Postkarte ein Tor durchschritten werden, wobei sich in physischer und affektiver Hinsicht jene Dimensionen des Erlebens einstellen sollten, die gemeinhin mit dem Reisen als dem Anderen des vertrauten Alltags konnotiert waren. Übersteigert wurde das Motiv der Horizonterweiterung, wenn Sammler_innen ihre Praxis als Projekt der Völkerverständigung im globalen Maßstab imaginierten. Diesbezüglich wurde in einem Beitrag für das Blaue Blatt eindrücklich formuliert:
91 Vgl. H. (1898); Schmidt (1901). 92 Bastian (1902), S. 121. 93 Bock (1901a), S. 1-2.
192 | KOLONIALES SPEKTAKEL IN 9 X 14 Aus den Alben der Sammler gehen die leuchtenden Strahlen hervor, welche nach und nach in die mächtigen Schatten der alten, ± in dieser Verkehrs- und Sammlerzeit zusammenbrechenden, ± Völkeransichten eindringen und die dunkelsten Reflexe verschwinden lassen werden.
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In einer späteren Ausgabe der Zeitschrift schrieb derselbe Autor: Allen Freunden, Freundinnen und Anhängern dieser schönen Sitte, des Sammelns von Ansichtskarten, die die Nationen immer mehr und immer enger aneinandergliedert, die mit der Friedenspalme in der Hand den Weg zu den Völkern, die fortgesetzt in unseligem Zweikampf alten Hass entflammen lassen, sich bahnt und durch den Austausch der Grüsse der Sammler untereinander nicht zum geringsten Theile dazu beitragen hilft, dass die Völker endlich zum Waffenstillstand, ja zum Ziele dem herrlichen Frieden, sich versöhnend die Hand reichen, P|JH]XJHUXIHQZHUGHQÃODVVWHXFKGLHVN|VWOLFKH*XWQLFKWHQWUHLVVHQ6DPPHOWXQGKDOWHW Ordnung in euren Alben, damit der Kunstschatz, der in euren Bänden liegt, euch und eure )UHXQGHHUIUHXHXQGDQIURKHKHLWHUHDEHUDXFKHUQVWH=HLWHQXQG6WXQGHQHULQQHUHµ
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Der helle Strahl, der das Licht in das Dunkel der Welt trägt, die Friedenspalme, die die Feindschaft zwischen den Völkern aufzuheben vermag ± in diesen Bildern verdichtete sich der utopische und kosmopolitische Gehalt des Sammelsports. Die Postkarte erhielt hier, indem das ihr zugeschriebene Potenzial gleichsam makropolitisch hochgerechnet wurde, eine neue Funktionszuschreibung. Ihre vermeintliche Fähigkeit, die Welt abzubilden und so das Wissen über die Welt zu bündeln, wurde komplettiert durch eine weitere und fundamentalere Fähigkeit, die Fähigkeit nämlich, der Welt selbst eine neue politische Ordnung zu geben. Die eingeforderte Ordnung in den Sammelalben erwies sich folglich als Grundbedingung und Voraussetzung eben dieser durch Postkarten und Sammelsport ermöglichten politischen Ordnung. Es ging nicht mehr nur um die Erschließung von Raum und Zeit als wesentliche Funktionen des Sammelns, wie sie im Zusammenhang mit der Frage nach Sammelgebieten und -ordnungen zum Ausdruck kamen. 96 Vielmehr wurde der Sammelsport in ein visionäres politisches Projekt eingebunden, wobei Raum und Zeit neu konfiguriert wurden ± im Hinblick auf das Anbrechen eines neuen Zeitalters.97
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Linke (1901), S. 119. Linke (1902b), S. 178. Zu diesen Funktionen bzw. zum Sammeln allgemein siehe Stagl (1998). An dieser Stelle lässt sich abermals die Frage nach der Adaption des Sportbegriffs durch die organisierte Sammelszene diskutieren: Das utopische Projekt der Völkerverständigung sowie die entsprechende Rhetorik lassen nur unschwer wesentliche Ideologeme der olympischen Bewegung erkennen, wie sie sich Ende des 19. Jahrhunderts herauszubilden begonnen hatten. Alkemeyer (1996), S. 189ff., weist auf die Verflechtungen zwischen dem Olympismus und einer im Entstehen begriffenen bürgerlichen Weltfriedens-
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4.4 S AMMELN
ALS
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W ELTBEZUG
Formatierungen von Welt Gerade der skizzierte visionäre Gehalt des Sammelsports verweist darauf, dass der :LOOH]XJHVWDOWHQDOVÄWUHLEHQGH.UDIWGHV6DPPHOQV³IXQJLHUW98 Der Mathematiker Jochen Brüning argumentiert, dass das Gestalten sich durch ein spezifisches Spannungsverhältnis auszeichne, in dem Kontextbrechung einerseits (das Herauslösen der Objekte aus Verwendungszusammenhängen im Sammlungsakt) und Kontextstiftung andererseits (Anordnung der Objekte nach bestimmten Parametern) konstitutiv aufeinander bezogen seien. Zudem verweise das Gestalten auch auf die affektive Dimension des Sammelns. Denn indem die Sammelobjekte gleichermaßen als Medien der Erinnerung wie als Speicher von Emotionen fungierten, seien sie an der Konstitution des individuellen Gedächtnisses von Sammler_innen beteiligt. In dieVHP6LQQHUHVPLHUW%UQLQJGDVVGLHVHQÄLKUH6DPPOXQJ]XU:HOWZLUG³ 99 Mit Blick auf den Diskurs über das Sammeln von Postkarten lässt sich dieses Zur-Welt-Werden der Sammlung noch in anderer Hinsicht argumentativ entfalten. Der Historikerin Astrid Kusser zufolge zeichnete sich im Diskurs der Postkarten6DPPHOV]HQHGHU9HUVXFKDEÄGDV]XQRUPDOLVLHUHQZDVEHVWlQGLJDQGLH*UHnzen des Sichtbaren und Sagbaren stieß und was im Produzieren, Aneignen und Ordnen YRQJOHLFKIRUPDWLJHQ%LOGHUQDOVÃ:HOWµUHFRGLHUWZHUGHQVROOWH³ 100 Das Erzeugen von Welt, das dem individuellen Sammelakt als metaphysische Komponente eignet, wurde hier also gewissermaßen gedoppelt durch das Erzeugen des Sammelobjekts Ã:HOWµ 'DEHL JLQJ HV ]XP HLQHQ GDUXP VLFK DQKDQG YRQ 3RVWNDUWHQ :LVVHQ EHU die Welt anzueignen und diese zu repräsentieren. Zum anderen war dieses Wissen Voraussetzung für die Hervorbringung einer neuen Welt, die sich im globalen Netzwerk der Postkarten-Sammler_innen als Vorreiter_innen einer neuen Form der Vergemeinschaftung zu etablieren beginnen sollte. Gerade in dem Bemühen, die Welt zu repräsentieren, verweist der PostkartenSammelsport auf ältere Sammelpraktiken und -logiken, die sich insbesondere wäh-
bewegung hin. Wie genau der Sammelsport sich hierzu in Beziehung setzen lässt, woran Übereinstimmungen und Differenzen festgemacht werden könnten, soll hier nicht weiter interessieren. Vielmehr ist von Bedeutung, wie der Sport (ob olympischer Sport oder Sammelsport) mit der Idee von Völkerverständigung und Weltfrieden zusammengebracht wurde. Die Thematik der Völkerverständigung jedenfalls vermag am deutlichsten zu unterstreichen, wie sich der Sammelsport, indem er den Sportbegriff adaptierte, in das semantische Feld des Sports oder zumindest eines Teilbereichs des Sports einzuschreiben versuchte. 98 Brüning (2003), S. 562. 99 Ebd., S. 561. 100 Kusser (2008b).
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UHQG GHU 5HQDLVVDQFH DOV GHU ÄHLJHQWOLFKH>Q@ *ODQ]]HLW GHV 6DPPHOQV³ HWDEOLHrten.101 Nun begann sich ± so argumentiert der Kunsthistoriker Andreas Grote ± zuPLQGHVWLQ(XURSDÄHLQQHXHU7\SXV GHU6DPPOXQJHLQHQHXH0RWLYDWLRQ³DXV]uEUHLWHQ0LWGHU(QWVWHKXQJHLQHUÄQHXHQZLVVHQVFKDIWOLFKHQ:HOWVFKDX³VRZLHPLW dem Beginn des Zeitalters der kolonialen Eroberungen sei der Wunsch entstanden, ÄVLFK KLHU XQG MHW]W GHU 6FK|SIXQJ GDGXUFK ]X YHUVLFKHrn, daß man exempla ihrer Phänomene zusammenträgt und so die Welt in der eigenen Stube symbolisch wiGHUVSLHJHOW³ (QWVSUHFKHQG UHVPLHUW *URWH Ä'HU 0DNURNRVPRV ZLUG DOVR LQ GHQ 0LNURNRVPRVJHEUDFKW³102 Auch der Philosoph und Historiker Krzysztof Pomian zeigt auf, wie seit dem 16. Jahrhundert eine neue Sammelrationalität zunehmend Bedeutung erlangte. Im Gegensatz zu den mittelalterlichen Schatzkammern von Königen, Adel und Klerus, bei denen die Repräsentation von Reichtum und Macht oder einfach Kontemplation im Vordergrund standen, fungierten die neu entstehenden Kunst- und Wunderkammern als Produktionsstätten und Speicher von Wissen. Pomian spricht in diesem =XVDPPHQKDQJ YRQ HLQHU ÄHQ]\FORSlGLVFKHQ :LEHJLHU³ GLH VLFK PLW GHP =LHO YHUEXQGHQ KDEH ÄGLH JDQ]H Schöpfung der Erkenntnis zu öffnen, den Makrokosmos in den Mikrokosmos zu projizieren, das gesamte Universum in den Raum eines 6WXGLRV]XIDVVHQ³103 Die Sammlung war nun Ausgangspunkt und Gegenstand wissenschaftlicher Studien, und mit der Figur des Gelehrten zeichneten sich auch die Konturen eines neuen Sammlerprofils ab.104 Die Protagonist_innen des Sammelsports lassen sich nicht den Gelehrten des 16. und 17. Jahrhunderts gleichsetzen. Zwar verstanden sie sich als Avantgarde und Speerspitze einer neuen (Massen-)Bewegung, doch sahen sie ihre Aufgabe vor allem darin, eine sinnvolle und lehrreiche Freizeitgestaltung zu profilieren. Gleichwohl traten die Sammelsport-Aktivist_innen gerade im Verhältnis zur Masse auch als Spezialist_innen auf. Mit ihrem Habitus, ihrem Sammelethos und ihrem aufklärerischen Sendungsbewusstsein erhoben sie den Anspruch, als Freizeitwissenschaftler_innen anerkannt zu werden. Und sie übernahmen den Vorsatz der Gelehrten, mit dem gesammelten Wissen die Welt abzubilden und sie erklärbar und verstehbar zu machen. Wurde in der Wunderkammer das Außen in einen Raum übertragen, in dem verschiedene Gegenstände versammelt waren (archäologische Funde, Pflanzen, ausgestopfte Tiere, so genannte Exotika, Kuriositäten etc.), so bestand die spezifische Übersetzungsleistung beim Sammelsport darin, das Außen in einem genormten, zweidimensionalen Format erscheinen zu lassen und zudem in einem Album
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Brandt (1994), S. 22. Grote (1994b), S. 11. Pomian (1994), S. 113. Vgl. ebd., S. 113-114.
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anzuordnen. Entsprechend verschoben sich auch die Koordinaten der Repräsentation: Zwar existierten jeweilige Genrebezeichnungen, nach denen zwischen Ansichten von Städten oder von Landschaften, politischen Ereignissen und Kunstgeschichte unterschieden wurde. Doch waren die Abbildungen als Dokumentationen des Außen zumindest in formaler Hinsicht immer gleich. Potenziell konnte alles der eigenen Sammlung einverleibt und getauscht werden. Indem das Außen also auf ein einheitliches Format geschrumpft wurde, ermöglichte der Sammelsport eine neue Art des Zugriffs, bei dem die Totalität Welt, wenn auch in Serien zerlegt, vollständig zu erfassen zumindest vorstellbar war, und zwar nicht in den Laboren der Wissenschaft oder in naturkundlichen Museen, sondern in den Wohn- und Arbeitszimmern der Sammler_innen. Sammelsport als fetischistische Praxis Dass dem Sammelsport eine fetischistische Komponente eignete, ist bisher mehrfach angeklungen (die Kennzeichnung der Postkarte als Dame, die Stilisierung der Sammelpraxis als Fundament eines zukünftigen Weltfriedens etc.). 105 Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass die Protagonist_innen des Sammelsports immer wieder Analogien zu kultischen Praktiken herstellten, wenn es galt, sowohl die Popularität der Postkarte als auch die Eigenheiten des Sammelns zu beschreiben. Dies zeigt sich unter anderem daran, dass der Sammelgegenstand durchweg mit einer Mächtigkeit ausgestattet wurde, die gewissermaßen die Welt überstrahlen sollte. Die Postkarte ± so wurde häufig kolportiert ± herrsche, nachdem sie anfänglich verVSRWWHWZRUGHQVHLÄPLWGHVSRWLVFKHU0DFKW³ 106 Eine andere Formulierung erklärte, VLH VHL ]X HLQHU Ä0DFKW JHZRUGHQ GHU DOOHV KXOGLJW³ 8QG LQ %H]XJ DXI GDV 6DmPHOQDEHUDXFKDXIGDV6FKUHLEHQXQG9HUVFKLFNHQYRQ3RVWNDUWHQKHLWHVÄ(VLVW wie ein Rausch, wie eine Epidemie im besten Sinne des Wortes, die jetzt überall herrschen.³107 Ein Autor bezeichnete die Postkarte ± in diesem Fall waren vor allem Ereigniskarten gemeint ± DOV HLQH Ä5HOLTXLH³ GD VLH ÄJOHLFKJLOWLJ ZDV LKU %LOG XQV ]HLJW ein kleines Zeichen der Erinnerung an ein Ereigniss [darstellt], welches uns interessiert, ja sie ist ein kleiner Teil dieses Ereignisses, ein dauerndes Überbleibsel des-
105 Schon Benjamin (1977), S. 144, bezeichnete Sammler_innen in einer Fußnote seines Aufsatzes Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit DOVÄ)HWiVFKGLHQHU³'DPLWGHXWHWHHUDQGDVVVLFKSDUDOOHO]XP3UR]HVVGHU(QWDXUDWLVLHUXQJYRQ Kunst als Folge der Funktionsweise technisch-mechanischer Reproduktion eine gegenläufige Tendenz abzeichne, wonach der Kultwert von spezifischen Dingen durch neuartige rituelle Praktiken (wieder-)hergestellt würde. 106 Sammeln von Ansichtskarten (1910), S. 150. 107 V.A. (1898a), S. 137.
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VHOEHQ³108 Auch im Hinblick auf die Ansichtskarte lässt sich eine dem EreignisWerden komplementäre Zuschreibung beobachten. Vorausgesetzt nämlich, dass die Ansichtskarte ± so schreibt derselbe Autor ± ÄQDWXUJHWUHXXQGZDKU³VHLYHUP|JH sie nicht nur ein Bild des jeweils abgebildeten Orts zu vermitteln. 109 Sondern ihr ZRKQHGDUEHUKLQDXVHLQEHVRQGHUHUÄXQVLFKWEDUHU5HL]³LQQHGHUDXVGHUÄSRVWDOiVFKH>Q@(LJHQVFKDIW³GHU3RVWNDUWH UHVXOWLHUHZRGXUFKGHUÄ(PSIlQJHULQXQPLWWHlEDUHQ .RQWDNW PLW GHP 2UWH GHU $EVHQGXQJ³ JHVHW]W ZHUGH 'DV $OOHLQVWHOOXQJsmerkmal, das der Ansichtskarte im Verhältnis zum Beispiel zu einfachen FotograILHQ]XJHVFKULHEHQZXUGHEDVLHUWHGHPQDFKDXIGHPÄ8PVtand, dass das Blättchen 3DSLHUGDVZLULQ+lQGHQKDOWHQGRUWXQGGRUWWKDWVlFKOLFKJHZHVHQLVW³ 110 Dieses Dort-gewesen-Sein der Ansichtskarte als Mechanismus der AuthentizitätsbeglaubiJXQJ ZLHGHUXP HYR]LHUH HLQH Ä,OOXVLRQ³ HV ÄYHUVHW]W XQV LP *HLVWH DQ jenen Ort XQG EHIULHGLJW LQ XQV HLQHQ YHUERUJHQHQ :XQVFK³ ± GHQ EHUHLWV HUZlKQWHQ Ã:DnGHUWULHEµ111 Die Postkarte ± so lässt sich die Logik des Sammelsports zusammenfassen ± war nicht identisch mit dem, was auf ihr zu sehen war, weder mit einem Ort noch mit einem Geschehen. Aber sie war auch nicht einfach nur ein Abbild der Welt. Eher wurde sie als ein belebtes Objekt aufgefasst. Das Verhältnis zwischen Repräsentation und Repräsentiertem erschöpfte sich folglich nicht in der Dimension von Verweis oder Referenzialität. Der besondere Charakter dieses Verhältnisses bestand vielmehr darin, dass die Grenzen zwischen Bild und Außen verschwammen. In jedem Fall sollten die Postkarte und eine bestimmte Sammelpraxis es ermöglichen, an diesem Außen teilhaben, in es eintauchen und sich in ihm versenken zu können. Sammelobjekt und Sammelsport erschienen somit als eine Art Schnittstelle, an der das Außen und das Innen ineinander übergingen. Und das Sammeln von Postkarten stellte den Versuch dar, sich des Außen zu bemächtigen ± indem man es ordnend bewältigte und über das Medium an ihm partizipierte. Das, was hier als Außen angesprochen ist, wurde im Diskurs der Sammelszene als Welt bezeichnet und gleichzeitig konstituiert. Die Welt war das zentrale Referenzobjekt, an dem sich die Verfahren der Wissensproduktion und die Prinzipien, nach denen Karten als sammelwürdig ausgewählt wurden, orientierten. Auffallend ist, dass diese Fokussierung zu einer Zeit vorgenommen wurde, die von umfassenden Transformationen des Weltbezugs gekennzeichnet war. Erinnert sei hier noch einmal an Sebastian Conrads Begriff eines globalen Bewusstseins, das im ausgehenden 19. Jahrhundert angesichts von zunehmender weltweiter Verflechtung, Imperialismus, Mobilität, Verkehr, Kommunikationsmedien etc. im Entstehen begrif-
108 109 110 111
Bock (1901c), S. 19. Bock (1901b), S. 12. Bock (1901a), S. 1. Ebd., S. 2.
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fen war (vgl. Kap. 1.1). Der Sammelsport war Ausdruck dieses globalen Bewusstseins und veranschaulicht zugleich das Bemühen, sich die in Veränderung begriffene und gleichsam unbegriffene Welt verfügbar zu machen. An dieser Stelle lässt sich ein Befund aus der Fetisch-Theorie übertragen, wonach Sammelobjekte ± wie Krzysztof Pomian argumentiert ± GHQÄ9HUNHKUPLWGHP 8QVLFKWEDUHQ³RUJDQLVLHUHQ112 Das heißt, dass die Dinge im Akt des sakralisierenden Sammelns eine über ihre Nützlichkeit hinausweisende Bedeutung erlangen, und ]ZDU DOV Ä9HUPLWWOHU ]ZLVFKHQ %HWUDFKWHU XQG 8QVLFKWEDUHP³ ZREHL /HW]WHUHV DOV HLQÄOHHUH>U@5DKPHQ³YRU]XVWHOOHQVHLLQGHQÄGLHXQWHUVFKLHGOLFKVWHQ:HVHQXQG Gegebenheiten hineinpassen: Götter, Tote, andere Menschen als wir, Ereignisse, 8PVWlQGH³113 $XFK GHU .XOWXUZLVVHQVFKDIWOHU +DUWPXW %|KPH VSULFKW GHU Ä.XOtIRUPGHU6DPPOXQJ³GDV3RWHQ]LDO]XGHQ$XVWDXVFKPLWGHP8QVLFKWEDUHQE]Z GLH9HUVWlQGLJXQJEHUGLHÄSHUVRQDOHQXQGNROOHNWLYHQV\PEROLVFKHQ2UGQXQJHQ³ sowie den AEJOHLFKPLWGHPÄNXOWXUHOOHQ*HGlFKWQLV³DQ]XOHLWHQ114 Zudem würden Sammlungen dazu einladen, die Erfahrung der Kontingenz zu egalisieren, sich dem ÄÃ:HUGHQ XQG 9HUJHKHQµ³ ]X ZLGHUVHW]HQ115 In diesem Sinne erweise sich das 6DPPHOQDOVHLQÄ9HUVXFK'DXHUKDIWLJNHLWDQJHVLFKWVHLQHU=HLWGLHYHUJHKWXQG reflektierende Konzentration angesichts eines Raumes, der zerfällt, künstlich und ULWXHOOKHU]XVWHOOHQ³116 Gerade wenn man den Wandel der Raum-Zeit-Koordinaten sowie die Auflösung tradierter (Selbst-)Gewissheiten als Effekte der Globalisierungsdynamiken um 1900 in Rechnung stellt, lassen sich eben diese Dynamiken als das Unsichtbare des Sammelsports fassen. Anders gesagt: Der Sammelsport mit seiner Orientierung auf die Welt war ein Versuch, die nicht unmittelbar sichtbaren Effekte der Globalisierung zu rationalisieren. Und dieser Versuch implizierte, der Welt eine Ordnung und also eine Form zu geben sowie sie im Hinblick auf die Zukunft zu gestalten und zu modellieren ± im Format 9 x 14.
4.5 K OLONIALE I MPLIKATIONEN
DES
S AMMELSPORTS
Wenn der Sammelsport mit den Globalisierungsdynamiken um 1900 in Verbindung gebracht werden kann und wenn sein Ethos wesentlich durch den Anspruch charakterisiert war, die Verfasstheit der Welt abzubilden, dann stellt sich die Frage, ob und wie der Kolonialismus den Diskurs der deutschen Sammler_innen strukturierte.
112 113 114 115 116
Pomian (1994), S. 107. Pomian (1993), S. 42 und 44. Böhme (2006), S. 368. Ebd., S. 360. Ebd., S. 368.
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Immerhin war die globalisierte Welt um 1900 eine in hohem Maße kolonisierte Welt. Zudem hatte sich das Deutsche Kaiserreich seit einigen Jahren auf der kolonialpolitischen Bühne etabliert. Wie also schlug sich die koloniale Imprägnierung der Welt im deutschen Sammelsport nieder? Wie verhielten sich die Weltentwürfe der Sammler_innen von Postkarten zu zeitgenössischen kolonialen Weltaufteilungen? Diese Fragen sollen im Folgenden erörtert werden. Dabei wird deutlich werden, dass die Produktion von Postkarten mit kolonialen Motiven in der Sammelszene aufmerksam verfolgt wurde. Zudem wird ersichtlich, dass der Sammelsport von eurozentrischen Haltungen und Perspektiven geprägt war, die bewirkten, dass das gelehrte Sammeln von Postkarten als ein globales Zivilisierungsprogramm konzipiert wurde. Schließlich soll aufgezeigt werden, dass und wie eine epistemologische Verwandtschaft bestand zwischen kolonialen Politiken der Repräsentation und der Poetik des Sammelns.117 Die Kolonien kennen In den Zeitschriften der Sammelvereine finden sich immer wieder Hinweise, die GDUDXIKLQGHXWHQGDVVGDV6DPPHOJHELHWÃ'HXWVFKH.RORQLHQµRGHUDOOJHPHLQÃ.oORQLHQµ DOV DXHUJHZ|KQOLFK XQG EHVRQGHUV DQJHVHKHQ ZXUGH,P YLHUWHQ +HIW GHV Centralblatts für Ansichtkarten-Sammler zum Beispiel, das Mitte 1898 erschien, ZXUGH XQWHU GHU 5XEULN Ã%HVSUHFKXQJHQµ YHUPHUNW Ä$IULND EHJLQQW MHW]WGLe AufPHUNVDP>N@HLWGHU+HUVWHOOHU]XHUZHFNHQ³9HUZLHVHQZXUGHDXIÄ8QVHUH&oORQLHQ³EHWLWHOWH$QVLFKWVNDUWHQÄGLHUHFKWXQGHFKW/HEHQXQG7UHLEHQLQ'HXWVFK$IULND ZLHGHUJHEHQ³ =XGHP ZXUGH HLQH ZHLWHUH Ä8QVHU .DPHUXQ³ EH]HLFKQHWH Serie von zwölf Karten erwähnt: Diese Karten sind nach naturgetreuen, eigens zu diesem Zweck in Kamerun im Frühjahr d. J. hergestellten photographischen Aufnahmen künstlerisch ausgeführt und veranschaulichen recht deutlich, welche Erfolge deutsche Thatkraft und deutsche Kultur in unseren Colonien bis jetzt erzielte.118
Die Kommentierung im Centralblatt gibt einmal mehr zu erkennen, dass dem Imperativ der Naturwahrheit hinsichtlich der Auswahl und Bewertung von Karten fundamentale Bedeutung zukam. Weiterhin gibt sie zu verstehen, dass bei Erfüllung
117 Mit dem Begriff der Poetik ist auf die Forschungsperspektive der Poetologie angespielt, GLH9RJO 6]XIROJHGDYRQDXVJHKWGDVVGLH)UDJHQDFKGHUÄ+HUVWHOOXQJYRQ Wissensobjekten und Aussagen unmittelbar mit der Frage nach deren Inszenierung und 'DUVWHOOEDUNHLWYHUNQSIW³LVW 118 Afrika (1898), S. 74.
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GHU$QIRUGHUXQJHQGLHVHV,PSHUDWLYVGXUFKDXVDXFK5DXPIUÃNQVWOHULVFKH$XsIKUXQJHQµ EHVWDQG Und es wird ersichtlich, dass die koloniale Praxis des Deutschen Kaiserreiches von der Redaktion und somit auch vom Vorstand des Centralverbands befürwortet wurde. Offenbar stand nicht nur die durch diese Praxis eröffnete Möglichkeit im Vordergrund, neue Sammelgebiete erschließen zu können. Vielmehr wurde grundsätzlich von einem zivilisatorischen Potenzial des Kolonialismus ausgegangen, das sich in der Expansion spezifisch nationalstaatlicher Werte und Normen erweisen sollte. Ebenfalls im Centralblatt erschien einige Ausgaben später ein zweiteiliger Artikel, in dem der Verlag Albert Aust aus Hamburg, der sich auf die Produktion von Postkarten aus vor allem Afrika, Asien und Nord- und Südamerika spezialisiert hatWH EHVSURFKHQ ZXUGH =XQlFKVW EHIDVVWH VLFK GHU $XWRU PLW GHU )UDJH ZDV ÄGDV 6SHFLDOVDPPHOQ EHUVHHLVFKHU $QVLFKWSRVWNDUWHQ GHP 6DPPOHU ELHWHW³ 8QG HU kam diesbezüglich zu dem SFKOXVV GDVV GLH $EELOGXQJHQ ÄUHLFKOLFKH %HOHKUXQJ über die landschaftliche Lage der Gegend und über deren Bewohner und das Leben XQGGLH%HVFKlIWLJXQJGHUVHOEHQ³YHUVFKDIIHQZUGHQ0LW%OLFNDXIGHQ9HUODJLQ +DPEXUJZXUGHNRQVWDWLHUWGDVVGLHVHUÄVHLWMärz 1898, frei von jeder speculativen Absicht, die Sammlerwelt mit fortwährenden überseeischen Neuerscheinungen erIUHXWGHUHQ$Q]DKOELVMHW]WDXIFLUFDYHUVFKLHGHQH.DUWHQDQJHZDFKVHQLVW³119 Über GLHGHXWVFKHQ.RORQLHQKHLWHVGDQQÄ0LWYROOVWHP5echt erfreuen sich die deutschen Colonien, von den ältesten bis zu den jüngsten, einer besonderen Pflege GHV$XVW¶VFKHQ9HUODJV³'LHHQWVSUHFKHQGHQ$QVLFKWVNDUWHQZUGHQHLQÄYRU]gOLFKHV %LOG³ GHU MHZHLOLJHQ NRORQLVLHUWHQ /lQGHU OLHIHUQ XQG VHLHQ GHVKDOE ÄDOOHQ ,QWHUHVVHQWHQGHXWVFKHU.RORQLDOSROLWLNDQJHOHJHQWOLFKVWHPSIRKOHQ³120 Während beim ersten Beispiel vor allem die Dokumentation der vermeintlichen Erfolge deutscher Kolonialpolitik argumentativ ins Feld geführt wurde, stand hier die Vermittlung von geographischem und ethnographischem Wissen im Vordergrund. Demnach galten Ansichtskarten aus den Kolonien in dem Maße als interessant und sammelwürdig, in dem sie es vermochten, die Sammler_innen über das koloniale Setting, das heißt über die Landschaft vor Ort sowie über die Eigenheiten der Kolonisierten, aufzuklären. Gerade der Umstand, dass die Ansichtskarte an der Schnittstelle von Geographie und Ethnographie angesiedelt sei, wurde immer wieder als Besonderheit betont und als Potenzial bewertet. In einem Die Ansichtskarte in Ost-Afrika überschriebenen Artikel, den die Zeitschrift Das Blaue Blatt im JanuDU SXEOL]LHUWH ZDU YRQ ÄUHFKW JXW DXIJHQRPPHQHQ /DQGVFKDIWVELOGHUQ YRQ .VWHQVWlGWHQ³GLH5HGHVRZLHYRQ.DUWHQGLHÄHLQ]HOQH7\SHQXQGJDQ]H*UXppHQYRQ9|ONHUVWlPPHQ.DUDZDQHQ-DJGV]HQHQHWF³GDUVWHOOHQZUGHQ 121
119 Stahl (1898a), S. 107. 120 Stahl (1898b), S. 120. 121 H. (1905), S. 13.
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Die Zeitschrift Gut Ferngruss! ging noch einen Schritt weiter, indem sie in einem über zwei Ausgaben vom April und Mai 1898 verteilten Beitrag die Postkarte gewissermaßen als Motor des Kolonisierungsprozesses vorstellte. Ausgangspunkt war die Popularität von Karten, auf denen Motive aus Kiautschou abgebildet waren, das im November 1897 von einem deutschen Marinegeschwader besetzt und einige Monate später als Pachtgebiet vom Deutschen Kaiserreich annektiert wurde. Der %HLWUDJJLQJ]XQlFKVWYRQHLQHU%HREDFKWXQJDXVÄ.LDRWVFKRXGDVYLHOH7DXVHQG Meilen entfernt liegt, ist uns geläufiger als mancher Ort, von dem uns nur wenige .LORPHWHU WUHQQHQ³122 In einem zweiten Schritt wurde diese Beobachtung analytisch gerahmt: Manchmal ist die Ansichtkarte der Entdeckung eines Landes vorausgeeilt. Es wurden Karten von Orten hergestellt, von denen man authentische Abbildungen überhaupt noch nicht besass, so erschien eine Legion von Kiaotschaukarten, bevor ein authentisches Bild davon da war. 123
Der Ansichtskarte wurde hier ein Pionierstatus zugesprochen. Denn erst durch sie seien Bilder von Orten in Umlauf gebracht worden, von denen zuvor keine Bilder (zumindest keine piktoralen Bilder) existierten ± wenigstens nicht für ein europäisches Publikum. Entsprechend wurde der aktive und produktive Anteil des Sammelobjekts im Kolonisierungsprozess herausgestellt: Die Kolonisierung (oder Entdeckung) ± so lässt sich das Zitat auch lesen ± setzte in dem Moment ein, in dem durch die Ansichtskarte die Möglichkeit entstand, sich den zu kolonisierenden Ort als Bild vor Augen zu stellen, Wissen über ihn zu erlangen und ihn visuell anzueignen.124 Es ließen sich noch weitere Textstellen anführen, in denen der Kolonialismus bzw. Postkartenmotive aus den Kolonien zum Thema gemacht wurden. Doch wird bereits anhand der skizzierten Argumentationsstränge ersichtlich, dass der Ansichtskarte auf drei miteinander korrespondierenden Ebenen Bedeutung hinsichtlich des Kolonisierungsprozesses zugesprochen wurde: als Dokumentarin kolonisatorischen Erfolgs, als Vermittlerin von Wissen über die Kolonien sowie als Pionierin, die koloniale und vor allem noch zu kolonisierende Territorien zu erschließen vermag, indem sie ihre visuelle Aneignung ermöglicht. Konsequenterweise wurde
122 V.A. (1898a), S. 138. 123 V.A. (1898b), S. 154. 124 Auch das Centralblatt thematisierte den Postkartenverkehr zwischen Deutschland und Kiautschou. So wurde auf eine regelmäßig in .LDXWVFKRX HLQWUHIIHQGH Ä/DGXQJ YRQ %ULHIHQ XQG .DUWHQ³ DXV GHP .DLVHUUHLFK DXIPHUNVDP JHPDFKW LQGHQHQ GLH (PSIlnger_innen von meist unbekannten Absender_innen gebeten würden, Ansichtskarten mit Motiven aus Kiautschou zu verschicken. Selbst der Kaiserliche Gouverneur von Kiautschou habe entsprechende Anfragen erhalten (Ansichtkarten in Deutsch-China [1900]).
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auch der Sammelsport selbst ± wie im Folgenden deutlich werden wird ± als ein Pionier entworfen, der einen genuinen Beitrag zum kolonialen Zivilisierungsprogramm zu leisten im Stande sein sollte. Sammelsport, Kosmopolitismus und Zivilisierungsmission Das Sammeln so genannter überseeischer Ansichtskarten wurde auf eine Weise propagiert, die kolonialen Eroberungsrhetoriken nachempfunden war. Der außergewöhnliche Reiz bzw. der spezifische symbolische Mehrwert, der diesem SamPHOJHELHW]XHUNDQQWZXUGHZXUGHGDPLWEHJUQGHWGDVVKLHUÄWlJOLFKQHXH*HJHnden erschlossen werden, die bisher von unserem Sporte noch nicht berührt worden waren, so dass sich immer wieder neue und andere Bilder vor dem Auge des SammOHUVHQWUROOHQ³125 Darüber hinaus sollten die Karten mit Motiven aus anderen Erdteilen noch eine weitere Funktion erfüllen: Das 9HUVSUHFKHQÄHLQHQ(LQEOLFNLQ GLHIUHPGHQ/lQGHU³]XHUKDOWHQNRUUHVSRQGLHUWHmit dem Anspruch, auch in diesen Ländern eine Postkarten-Sammelkultur zu initiieren und zu etablieren.126 Folglich JDOWHVÄGLH%HZRKQHUEHUVHHLVFKHU6WlGWHXQG/lQGHUGXUFK+HUDXVJDEHYRQ$nVLFKWNDUWHQLKUHU*HJHQGIUXQVHUHQ6SRUW]XJHZLQQHQ³127 Erneut zeigt sich hier der utopische und kosmopolitische Gehalt des Sammelsports als Projekt der Völkerverständigung. Die Hoffnung, dass sich das Sammeln von Postkarten zu einer weltweiten Bewegung ausbreite und dass die Sammler_innen über kontinentale Grenzen hinweg einen reziproken Verkehr zu organisieren begännen, fügte sich ein in die Vision eines künftig zu erreichenden Weltfriedens, der auf der Basis einer allgemeinen Verfügbarkeit von Wissen erreichbar sein sollte. Vor dem Hintergrund dieser idealistischen Zielsetzung gestaltete sich der Versuch, diese Bewegung und ihre Konturen zu umreißen, äußerst euphorisch. Dies zeigt sich in einem Vortrag, der im Juli 1907 während der konstituierenden Sitzung eines neuen Ortsverbands der internationalen Sammler_innen-Vereinigung Weltall gehalten wurde: Noch vor zehn Jahren war die Ansichtskarte nur in Deutschland bekannt. Heute aber, da sie tagtäglich tausendfach produziert wird, gibt es keinen Winkel der Erde mehr, wo man sie nicht kennt. Bis in die Steppen Amerikas, bis in die Wüsten Afrikas, bis in die Eisgegenden Sibiriens hinein dringt dieselbe; kurzum, über all wird sie jetzt begehrt. Und weshalb denn auch nicht? Vermag sich doch zwischen den losesten Bekanntschaften ein Korrespondenzverhältnis entwickeln, wie es kaum größer gedacht werden kann. Leute, die uns nie besuchten, die uns nie kannten, die tausende Meilen entfernt von uns wohnen, beeifern sich jetzt,
125 Stahl (1898a), S. 107. 126 Adrian (1907), S. 187. 127 Stahl (1898a), S. 107.
202 | KOLONIALES SPEKTAKEL IN 9 X 14 durch unsern Ansichtskartensport uns mitzuteilen, wie ihre Verhältnisse sind, wie die Sitten ihres Landes sind, kurz, sie vermögen uns eine treffliche Beschreibung ihres Heimatlandes zu geben.128
Zwar wird schon hier offHQNXQGLJGDVV'HXWVFKODQGDOVÄUrsprungsland³ der Ansichtskarte und des Sammelsports firmierte und dass sich das Potenzial dieses Sports, Menschen auch über große räumliche Entfernungen hinweg miteinander in Kontakt treten zu lassen, eben von Deutschland aus entfalten sollte. Doch verweist der Vortrag eher auf die Überlagerung von Kosmopolitismus und Nationalismus und weniger auf das Verhältnis zwischen Sammelsport und Kolonialismus.129 Allerdings wurde die Utopie von globaler Vernetzung und globalem Austausch durch Postkarten zumeist ausgehend von einer Relation zwischen Europa und dem Rest der Welt artikuliert. Das heißt, dass die Vorstellung, die Sammler_innen von Postkarten könnten gewissermaßen ein globales Dorf errichten, in dem Wissen über die verschiedenen Erdteile zirkuliert und allgemein verfügbar sei, stets auch auf die koloniale Grundierung dieses Dorfs verweist.130 So wurde der Siegeszug der Ansichtskarte, der sich darin auVGUFNHGDVVGLHVHLQÄDOOH:HOWWHLOH>«@JHGUXQJHQ³ VHLXQGVLFKÄ/DQGXQG0HHU>«@HUREHUW³KDEHLPPHUZLHGHUPLWGHP3URJUDPP einer allgemeinen Zivilisierungsmission in Verbindung gebracht.131 Im Blauen Blatt vermeldete ein Beiträger in diesem ZusammenhDQJ LP -DQXDU Ä,FK JODXEH nicht fehlzugehen, wenn ich behaupte, dass die Ansichtskarte binnen kurzer Zeit in stillen verlassenen Erdenwinkeln als erstes Zeichen beginnender Kultur gelten ZLUG³132 Dieser Codierung der Ansichtskarte als Vermittlerin bzw. Überbringerin von Kultur entsprach die Profilierung des Sammelsports als ± wie das Centralblatt auf der Titelseite einer Ausgabe vom September 1900 formulierte ± Ä.XOWXUWUlJHU GHU FLYLOLVLHUWHQ :HOW³133 Denn nicht nur sei es dem Sammelsport zu verdanken, dass sich die Ansichtskarte ± wie es an anderer Stelle heißt ± ZLHHLQHÄIDUEHQVFKLl-
128 Adrian (1907), S. 187. Dass auch der Bildseite im Zuge einer solchen Beschreibung essentielle Bedeutung zukam, gab der Redner einige Zeilen später zu verstehen (vgl. ebd.). 129 Kosmopolitismus und Nationalismus schlossen sich im Sammelsport keineswegs aus. Im Gegenteil wurden die von Sammler_innen errichteten oder zu errichtenden globalen Tausch- und Zirkulationskanäle als eine Zone vorgestellt, in der kosmopolitisch ausgerichtete Angehörige von Nationen einander begegneten. Ein wesentliches Ziel des Sammelsports bestand gerade darin, nationale Eigen- und Besonderheiten vorzuführen und vorgeführt zu bekommen, sie miteinander zu vergleichen und transparent zu machen. In diesem Sinne basierte der Kosmopolitismus des Sammelsports auf dem Konzept Nation. Allgemein zur Genese des Kosmopolitismus seit dem 18. Jahrhundert siehe Albrecht (2005). 130 =XP%HJULIIGHVÃJOREDOHQ'RUIVµVLHKH0F/XKDQ 131 Festrede (1899), S. 22. 132 Bock (1901a), S. 1. 133 Lindhorst (1900), S. 213.
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OHUQGH)OXW>«@WlJOLFKXQGVWQGOLFKGXUFKGLHJDQ]H]LYLOLVLHUWH:HOW³HUJLHH 134 6RQGHUQHUVHLDXFKGDIUYHUDQWZRUWOLFKGDVVGLHÄEXQWHQ.DUWHQJOHLFK3LRQLUHQ³ in GHU:HOW9HUEUHLWXQJIlQGHQGDVVVLHÄKLQDXVEHUGLH*UHQ]HQEHUGLHEUDnGHQGH6HH³EHNDQQWZUGHQ135 *HUDGHLQDQGHUHQ:HOWJHJHQGHQVROOWHQGLHÃEXQWHQ .DUWHQµ DOV ÄHUVWHV =HLFKHQ GHU =LYLOLVDWLRQ³ :LUNVDPNHLW HQWIDOWHQ136 Und mit ihnen sollte das Bestreben zu wissen sowie die an dieses Bestreben geknüpften Rationalitätsvorstellungen und Repräsentationslogiken in die Welt ± und das war vor allem die kolonisierte Welt ± hinausgetragen werden. Der Anspruch, sich zu einer weltweiten Bewegung auszubreiten, an der die Bewohner_innen jedes Erdteils partizipieren, war in dem Maße vorstell- und artikulierbar, in dem der Kolonialismus die jeweiligen Erdteile miteinander in Verbindung brachte. Der Wunsch wiederum, dass die Sammler_iQQHQDXFKÄGHQVWDXQHnden Wilden LKUH6DPPHOEFKHU]HLJHQ³P|JHQXPGLHVHQGLH9RU]JHYRQ3RVtkarten und Sammelpraxis nahezubringen, zeugt von dem zivilisatorischen Sendungsbewusstsein der Sammelvereine.137 In diesem Sinne lässt sich schlussfolgern, dass der Kosmopolitismus des Sammelsports auf der kolonialen Topographie der Welt um 1900 basierte. Die Weltschau des Sammelsports Die Vorstellung einer zweigeteilten Welt, die implizierte, dass der eine Teil vom anderen quasi emporgehoben werden könnte, um in den Kreislauf der Geschichte einzutreten, schlug sich auch im Sammelsport nieder. Mehr noch: Nur auf der Grundlage dieser Vorstellung konnte der Sammelsport als globales Zivilisierungsprogramm entworfen werden und Begeisterungsstürme entfachen. So gesehen erweist sich der Sammelsport als ein eurozentrisches Projekt, das mit der zeitgenössischen kolonialen Rationalität korrespondierte. Doch lässt sich auch im Hinblick auf die Poetik des Sammelns, das heißt auf die Art und Weise, wie der Wissensgegenstand Welt in den Sammlungen nicht nur abgebildet, sondern ebenso hervorgebracht wurde, ein Bezug zu kolonialen Wissensordnungen herstellen. Anders gesagt: Die Welt, die in den Sammelalben entstand, war eine durch den Kolonialismus gerahmte Welt, wie sie koloniale Rahmungen gleichzeitig performativ aktualisierte. Um dies zu veranschaulichen, soll hier zunächst noch einmal an den bereits erwähnten Anspruch erinnert werden, die Welt als Ganzes sammeln und zur Darstellung bringen zu können. Das diesem Anspruch zugrunde liegende Versprechen eines spezifischen Zugriffs auf die Welt bzw. ihrer
134 135 136 137
Sammeln von Ansichtskarten (1910), S. 150. Linke (1901), S. 120. Sammeln von Ansichtskarten (1910), S. 150. V.A. (1898a), S. 138.
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spezifischen Verfügbarmachung hing unauflöslich mit der Geschichte kolonialer Expansionsdynamiken und Wissensproduktion zusammen. In einem im Juli 1903 in Das Blaue Blatt erschienenen Artikel, der Wie ordne ich meine Sammlung? betitelt war, heißt es diesbezüglich: In Bild und Wort tritt all überall dem eifrigen Sammler die weite Welt entgegen: die Heimat, das Vaterland wie die fernsten Erdteile. Der Norden mit seinem ewigen starrenden Eissee und die sandigen Wüsten der Sahara, Spaniens und Italiens alte Kirchen und Schlösser und fremde Bilder des Orients mit seinen hohen Moscheen und den träumerischen Minarets, alles, alles tritt in bunter Folge dem Sammler vor die Augen.138
Der Sammelsport richtete sich, wie der AutRU ]X YHUVWHKHQ JDE DXI ÃDOOHV DOOHVµ 'LHVHV ÃDOOHVµ ZDU GLH ÃZHLWH :HOWµ GLH LQ HLQHU 6DPPOXQJ DOV EXQWH 6HULH DQJeschaut, konsumiert und besessen werden konnte. Zwar gab es in den Alben als Ort, an dem die Serie entstehen sollte, ein Hinten und ein Vorne. Und auch die Sammlung hatte einen Anfang und ein Ende. Zumindest theoretisch aber sollten die Seiten der Alben auseinandergeklappt und zu einem einzigen Bild, das die Welt als Ganzes umfasste, zusammengefügt werden können. 'HU 7UDXP ÃDOOHV DOOHVµ Garstellen zu können, implizierte, potenziell jegliches Weltgeschehen und die gesamte Oberfläche aller Kontinente als Sammelobjekte verfügbar zu machen. Er lässt sich zu dem in Beziehung setzen, was die Romanistin 0DU\/RXLVH3UDWWDOVÄIRXQGLQJRIWKHJOREDOFODVVLILFDWRU\SURMHFW³EH]HLFKQHW139 Damit ist auf die Genese eines wissenschaftlichen Erkenntnismodells angespielt, das sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts zu formieren begann und von dem Bemühen gekennzeichnet war, die Beziehungen zwischen jeweiligen Wissensobjekten (Pflanzen, Tieren, Menschen etc.) im Rahmen eines naturgeschichtlichen Klassifikationsschemas neu zu ordnen.140 3UDWW VSULFKW YRQ HLQHP 9HUIDKUHQ GHV ÄJOREDO UHVHPDQWLFL]LQJ³GDVHLQHQWRWDOLVLHUHQGHQ%OLFNE]ZGLH(LQQDKPHHLQHVHQWVSUechenden Beobachterstandpunkts ermöglicht habe.141 Und sie konstatiert, dass sich GLHVHV9HUIDKUHQDOVHLQÄEDVLFHOHPHQWFRQVWUXFWLQJPRGHUQ(XURFHQWULVP³HUZLeVHQKDEHVRZLHDOV9HUVXFKÄWRÃQDWXUDOL]HµWKHP\WKRI(XURSHDQVXSHULRULW\³ 142 Die postkoloniale Theoretikerin Anne McClintock merkt mit Blick auf Pratts Argumentation an, dass die im 18. -DKUKXQGHUWVLFKDXVELOGHQGHÄJOREDOVFLHQFHRI WKHVXUIDFH>«@VRUHO\ODFNHGWKHWHFKQLFDOFDSDFLW\WRIRUPDOO\UHSURGXFHWKHRSWi-
138 Rob (1903), S. 175. 139 Pratt (1995), S. 27. 140 Pratt bezieht sich u.a. auf das 1735 erschienene Buch Systema Naturae des schwedischen Naturforschers Carl von Linné (vgl. ebd., S. 15-37). 141 Ebd., S. 31. 142 Ebd., S. 15 und 32.
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FDOÃWUXWKµRIQDWXUH³143 Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sei der Anspruch auf naturgetreue Abbildung der Erdoberfläche infolge der Entwicklung der Fotografie zur vollen Entfaltung gelangt. 144 Insofern konnte sich der Sammelsport EHL VHLQHP %HPKHQ GLH :HOW ]X ÃUH-)semantisierHQµ DXI QHXDUWLJH 3UR]HGXUHQ der Evidenzstiftung berufen bzw. diese zur Anwendung gelangen lassen. Der mechanische Objektivitätstyp war die Grundlage, auf der der Sammelsport seine Form der Weltschau autorisierte. Denn der mechanische Objektivitätstyp gewährleistete, was der Politikwissenschaftler Timothy Mitchell in seiner Analyse der :HOWDXVVWHOOXQJHQ LP -DKUKXQGHUW ÄUHDOLW\-HIIHFW³ QHQQW145 Damit ist der Versuch gemeint, beim Nachbau der Welt den Eindruck von Authentizität zu evozieren, und zwar sowohl durch die Topographie der Ausstellung als auch durch die Exponate selbst.146 Im Sammelsport wurde die Organisation von Authentizität der Kamera als Aufnahmemedium übertragen. Zugleich galt es, Authentizität in der Sammlung selbst herzustellen ± mittels der Beschaffenheit und Anordnung der Sammelobjekte. Wurde dieser Anspruch erfüllt, konnte das Navigieren in der eigenen Sammlung als Reise an einen anderen Ort empfunden werden. Entsprechend erwies sich die Sammlung nicht einfach nur als ein Modus der beobachtenden :HOWVFKDX 9LHOPHKU HQWVSUDFK VLH DXFK HLQHP ÄGHVLUH IRU WKLV LPPHGLDcy of the UHDO³GHP:XQVFKDOVRLQGLH:HOWHLQWDXFKHQXQGVLFKLQLKUYHUOLHUHQ]XN|QQHQ und eröffnete somit die Möglichkeit des partizipierenden In-der-Welt-Seins.147 Doch von wo aus sollte die Weltschau begonnen und somit ein Ausgangspunkt des In-der-Welt-Seins festgelegt werden? Was war der Ort, der die Anordnung und Erfahrbarkeit der Welt strukturierte? In dem obigen Beitrag aus dem Blauen Blatt ZXUGHHPSIRKOHQÄGDVVGDV+HLPDWODQGKLHUDQGLH6SLW]HWULWWXQGGDVVGLHEULJHQ Länder nach ihrer geogUDSKLVFKHQ /DJH DXI HLQDQGHU IROJHQ³ ,P =HQWUXP VWDQG GHPQDFK'HXWVFKODQGDOVGLHHLJHQH1DWLRQDQGLHVLFKÄGLHQ|UGOLFKHQ/lQGHU(uURSDV³GLHÄPHKUFHQWUDOHQ/lQGHU³GLHÄ/lQGHUGHV0LWWHOPHHUHV³XQGVFKOLHOLFK Ä$PHULND$VLHQ$IULND$XVWUDOLHQ³Dnschlossen.148 In einem anderen Beitrag aus derselben Zeitschrift wurde eine als nahezu perfekt bewertete Sammlung vorgestellt, die sich unter anderem dadurch auszeichnete, dass Anzahl, Herkunft, Produktionsweise, Eingangsdatum und Aufbewahrungsort der Karten in eigens geführten Listen vermerkt wurden. Zudem waren in den Alben Landkarten eingeklebt, auf denen mit Punkten oder Unterstreichungen gekennzeichnet war, von welchen Orten sich Karten in der Sammlung befanden. Die Alben wiederum waren folgenderma-
143 144 145 146 147 148
McClintock (1995), S. 34. Vgl. ebd., S. 36. Mitchell (1988), S. 13. Vgl. Ebd., S. 7-10. Ebd., S. 27. Rob (1903), S. 176.
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ßen gruppiert: Im ersten Album befanden sich Karten aus Preußen, im zweiten alle übrigen Staaten Deutschlands, ein drittes Album umfasste Karten aus nord- und osteuropäischen Staaten, ein viertes Album war für Karten aus dem übrigen Europa und den Kontinenten Asien und Afrika bestimmt, und in einem fünften Album schließlich wurden Karten aus Amerika und Australien aufbewahrt. 149 Auch wenn die Sammlungslogiken variierten, wird ersichtlich, dass die Weltschau des Sammelsports auf einer Relation zwischen Zentrum und Peripherie basierte.150 Das Zentrum war der Ort, von dem aus die Welt angeordnet wurde. Und insofern die Möglichkeit bestand, die Seiten des Albums um- oder ein zweites, drittes usw. Album aufzuschlagen, konnte die Welt im Sinne einer Reise auch erfahrbar gemacht werden. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, was Anne McClintock ± im Anschluss an Foucault ± DOVÃDQDFKURQLVWLVFKHQ5DXPµXQGÃSDQRSWLVFKH =HLWµ EH]HLFKQHW151 Angespielt ist auf eine spezifische Raum-Zeit-Konfiguration, die für koloniale Narrative einer zweigeteilten Welt charakteristisch war und den Effekt hatte, dass der Raum verzeitlicht und die Zeit verräumlicht wurde. McClintock argumentiert, dass die koloniale Welt durch die Unterscheidung zwischen Dynamik und Fortschritt auf der einen und Starre und Fixierung auf der anderen Seite in unterschiedliche Zeitzonen als Entwicklungsparameter aufgeteilt war, wodurch jeder Raum mit einer spezifischen Zeitlichkeit belegt wurde. Der Begriff des anachronistischen Raums zielt entsprechend auf die Produktion von Räumen, die geZLVVHUPDHQDXHUKDOEGHU=HLWOLHJHQRGHU]XPLQGHVWÃYRUµGHUÃHLJHQWOLFKHQµ=HLW die die Zeit des Fortschritts als Charakteristik des Westens ist. Die Rede von der panoptischen Zeit wiederum verweist auf die Möglichkeit, die Welt und ihre Geschichte von einem (unsichtbaren) Beobachter-Standpunkt in einem Blick erfassen und konsumieren zu können. Aus dieser Perspektive lässt sich die Weltschau des Sammelsports als eine Reise durch Raum und Zeit verstehen. Es handelte sich um eine Weltschau, die versprach, die Welt als geographische Entität sowie als Produkt eines historischen Entwicklungsprozesses in den Blick nehmen zu können. Indem der Blick beim Umblättern der Seiten in den Sammelalben zu schweifen begann, boten sich ihm zunehmend weiter entfernte Territorien dar, die je spezifische Entwicklungsstufen repräsentierten. Und wenn die Sammlungen mit der Möglichkeit assoziiert wurden, LQ:HOWHQHLQWDXFKHQ]XN|QQHQGLHÄ]XYHUVFKZLQGHQGURKHQ³VRZLUGGHXWOLFK
149 Vgl. Linke (1902a), S. 166, und Linke (1902b), S. 177. 150 Auch für die Weltausstellungen war eine solche Relation konstitutiv. Mitchell (1988), 6PHUNWLQGLHVHP=XVDPPHQKDQJDQÄ7KHUHSUHVHQWDWLRQRIUHDOLW\ZDVDOZD\VDQ exhibit set up for an observer in its midst, an observing gaze surrounded and set apart by WKH H[KLELWLRQ¶V FDUHIXO RUGHU ,I WKH GD]]OLQJ GLVSOD\V RI WKH H[KLELWLRQ FRXOG HYRNH some larger historical and political reality, it was because they were arranged to demand WKLVLVRODWHGJD]H³ 151 Vgl. McClintock (1995), S. 36. Siehe auch Foucault (1994), S. 251-292.
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dass der Sammelsport nicht einfach nur von einem kolonialen Raum-Zeit-Gefüge und entsprechenden Wertigkeiten geprägt war, sondern dass im Akt des Sammelns bzw. der Anordnung der Sammelobjekte selbst Raum verzeitlicht und Zeit verräumlicht und koloniale Zurichtungen der Welt vollzogen wurden.152
152 Weise (1895), S. 5.
Schluss
Rekapitulation 'DVÃJROGHQH=HLWDOWHUµGHU%LOGSRVWNDUWHXPZDUDXFKHLQNRORQLDOHV=HLWDlter. Zwischen der Karriere des neuen Massenmediums einerseits und der kolonialen Formierung der Welt andererseits bestanden in vielerlei Hinsicht Wechselbeziehungen: Die Landnahme des Deutschen Kaiserreichs in Teilen von Afrika, China und der Südsee führte zu einer verstärkten Nachfrage nach Bildern aus den Kolonien. Dies galt im Besonderen für den Kolonialkrieg in Namibia, der dem kolonialen Engagement von Kolonialvereinen, Regierungsbehörden, Missionen, Militär und Siedler_innen in hohem Maße Aufmerksamkeit verschaffte. Postkarten waren verhältnismäßig billig herzustellen und zu verschicken und somit in besonderer Weise geeignet, den steigenden Bildbedarf zu decken. Immerhin wurden im Laufe des Kriegs zig Millionen Bildpostkarten hergestellt, die nicht zuletzt als von der Front verschickte Feldpost in Umlauf gebracht wurden. Insofern hat die koloniale Landnahme die Postkartenindustrie beflügelt. Zugleich haben die aus den Kolonien verschickten Karten den Prozess der Landnahme befördert. Gerade fotografische (Ansichts-)Karten versprachen, einen authentischen Einblick in das Geschehen vor Ort zu vermitteln. Darüber hinaus eröffneten sie die Möglichkeit, das koloniale Territorium und seine Bewohner_innen visuell anzueignen. Schließlich bewirkten gerade die Feldpostkarten eine spezifische Rahmung des Kolonialkriegs. Indem nämlich die Motive ± Ansichten von Siedlungen oder von Landschaften, Aufnahmen der Kolonisierten, fotografische Dokumentationen des Kriegsgeschehens ± allesamt mit standardisierten Grußformeln versehen und also gewissermaßen gleichwertig behandelt wurden, wurde die koloniale Gewalt als Alltäglichkeit vorgeführt und somit gleichermaßen normalisiert wie banalisiert. 'RFK ODVVHQ VLFK GLH NRORQLDOHQ ,PSOLNDWLRQHQ GHV ÃJROGHQHQ =HLWDOWHUVµ GHU Bildpostkarte nicht auf die Zirkulation von vermeintlich authentischem Bildmaterial aus den Kolonien reduzieren. Auch das weit verbreitete Genre der Witzpostkarte trug dazu bei, koloniale Ordnungsvorstellungen zu popularisieren bzw. massen-
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wirksam zu generieren. In diesem Zusammenhang waren Karikaturen über sexuelle Beziehungen zwischen Weißen und Schwarzen ein beliebtes Motiv. Sie spielten mit dem karnevalesken Prinzip der verkehrten Welt und entwarfen humoristische Szenarien der Überschreitung und Entgrenzung, in denen rassische Zugehörigkeit und entsprechende soziale und kulturelle Positionierungen aufgehoben zu sein schienen. Allerdings diente das Medium des Witzes hier nicht dazu, Normen und hegemoniale Existenzweisen grundsätzlich zu hinterfragen. Im Gegenteil fungierte die verkehrte Welt als Negativfolie, vor der sich die Notwendigkeit eines auf rassischer Differenzierung und Hierarchisierung basierenden Gemeinwesens abzeichnen sollte. In diesem Sinne waren die Karikaturen eine ambivalente Reaktion auf den Handlungsspielraum subalterner Akteur_innen: Mit dem Szenario der Unordnung wurde dieser Handlungsspielraum sichtbar gemacht. Zugleich wurden die Handlungen der Protagonist_innen ridikülisiert, und zwar indem diese zu groteskmonströsen Figuren stilisiert wurden. 'DVÃJROGHQH=HLWDOWHUµGHU%LOGSRVWNDUWHZDUDXFKGXUFKGLH(QWstehung einer ÄÃSRVWFDUGFXOWXUHµ³FKDUDNWHULVLHUW1 Damit ist vor allem die massenhaft betriebene Praxis des Sammelns gemeint, die sich infolge der Gründung zahlreicher Sammelvereine schnell auszudifferenzieren begann. Auch diese Praxis lässt sich mit kolonialen Formierungsprozessen in Verbindung bringen. Denn nicht nur waren Postkarten mit Motiven aus den (deutschen) Kolonien begehrte Sammelobjekte. Auch wurde das Sammeln gerade von Ansichtskarten als eine Art Bildungsoffensive verstanden, die unter anderem dazu beitragen sollte, Wissen zu akkumulieren und vermeintlich entlegene Weltgegenden zu zivilisieren. So gesehen galten Ansichtskarte und Sammler_innen als avantgardistische Pionier_innen, die eine kulturelle Hebung vor allem der nicht-westlichen Welt in Gang setzen sollten. Bezeichnend ist dabei, wie bestimmte Sammellogiken, die in den Zeitschriften der Sammelvereine diskutiert wurden, eurozentrische Aufteilungen und Sichtachsen perpetuierten. 6R ZXUGH GHU 6DPPHOJHJHQVWDQG Ã:HOWµ PHLVW YRQ (XURSD DXV Hrschlossen, während zum Beispiel Afrika und Asien an der Peripherie angesiedelt waren. Das heißt, dass die zu Europa gehörigen Karten in den Alben der Sammler_innen vorne angeordnet wurden, während die Karten aus Übersee sich im hinteren Albumteil oder in nachgeordneten Alben befanden. Beim Eintauchen in die Sammlung konnte der Blick zu schweifen beginnen: Er wanderte von dem eigenen Wohnort über das Heimatland und die europäischen Nachbarstaaten bis in andere Kontinente, wobei nicht nur der Raum durchmessen, sondern auch verschiedene Zeit- bzw. Entwicklungsstufen durchschritten wurden. Der kosmopolitische Anspruch der organisierten Sammelszene, der in der Vorstellung kulminierte, durch das Sammeln vor allem von Ansichtskarten Wissen über die Welt verbreiten und somit zu Frieden und Völ-
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Prochaska (2001), S. 393.
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kerverständigung beitragen zu können, beruhte letztlich auf der kolonialen Prämisse, dass Europa das Zentrum der Welt sei, von dem ausgehend der Rest geordnet und zivilisiert werden könne. Intervention Ausgelöst durch das zunehmende Interesse an historischem Bildmaterial zur (deutschen) Kolonialgeschichte ist seit einigen Jahren eine Debatte im Gange, die um die politisch-ethischen Implikationen der Arbeit auch mit Bildpostkarten kreist. 2 Im Zentrum dieser Debatte steht die Frage, unter welchen Bedingungen es heute möglich ist, Bilder zu präsentieren, die unter hochgradig asymmetrischen Machtverhältnissen entstanden und diese perpetuierten. Gerulf Augustins 2009 erschienener Bildband Gruß aus Deutsch-Südwest. Ansichtskarten erzählen. Ein Bild-Lesebuch, in dem er einen Teil seiner eigenen ca. 300 Exponate umfassenden Sammlung von historischen Bildpostkarten aus Namibia präsentiert, stellt sich als weitgehend immun gegenüber dieser Frage und den aus ihr resultierenden Zweifeln dar.3 Das ist ihm vielleicht nur bedingt vorzuwerfen, da er bereits im Vorwort zu verstehen gibt, GDVV HU ÄNHLQH KLVWRULVFKH RGHU SROLWLVFKH .XU]DQDO\VH³ DQVWUHEH *OHLFKZRKO LVW bemerkenswert, wie Augustin die historischen Bildpostkarten präsentiert. Zwar weist er quellenkritisch darauf hin, dass das Leben in der Kolonie in seiner bildlichen Veranschaulichung ÄVHKUDXVHXURSlLVFKHU6LFKWZHLVH³JH]HLJWZHUGHXQGGLH 0RWLYHHQWVSUHFKHQGÄGLH9RUVWHOOXQJVZHOWGHU(LQZDQGHUHU³E]ZÄGLH:HUWHRUdnung der KolonialhHUUHQ³ZLGHUVSLHJHOWHQ8QGHUVWHOOWGHQ.DUWHQGDGLHVHÄQLFKW VR DXVVDJHNUlIWLJ ZLH JHZQVFKW³ VHLHQ DQGHUH 'RNXPHQWH XQG 7H[WH ]XU 6HLWH Doch halten ihn diese Einwände keineswegs davon ab, als ein Ziel seines Buchs das Vorhaben zu benennen, die LeseUBLQQHQÄLQGLHGDPDOLJH=HLW³]XYHUVHW]HQ 4 Um dies zu erreichen, sind auch die Überschriften der jeweiligen Kapitel in Frakturschrift gedruckt. Die rund 150 Postkarten wiederum sind derart angeordnet, dass
2
3 4
Z.B. kam es im Rahmen der vom Verein Kopfwelten 2004 organisierten interdisziplinären Tagung Koloniale und postkoloniale Konstruktionen von Afrika und Menschen afrikanischer Herkunft in der deutschen Alltagskultur zu einer hitzig geführten Debatte, die sich an der Präsentation von kolonialrassistischen Bildquellen in einigen Vorträgen entzündete. Auffallend war hier v.a., dass die Bilder von den Vortragenden auf eine Weise behandelt wurden, als ob sie für sich selbst sprechen könnten, mitunter also weder eine Fragestellung zu erkennen war noch das methodische Vorgehen oder die Situierung der eigenen Forschung angesprochen wurde. Da die Tagung mit einem Vortrag über die performative Kraft von Sprache eingeleitet wurde, in dem der forschungspolitische Umgang mit Begriffen und Redewendungen des kolonialen Rassismus problematisiert wurde, entstand der Eindruck, dass das Niveau, auf dem über Text, Schrift und Sprache reflektiert wurde, für Bilder noch nicht erreicht worden sei. Siehe auch die Kritik von Zeller (2010c). Augustin (2009), S. 6.
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der Eindruck entsteht, man würde in einem Album blättern. Überhaupt zielt die grafische Gestaltung des Buchs darauf ab, die Aura der Karten als historische Exponate zu konservieren. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die Abbildungen im Postkartenformat reproduziert wurden und offenbar großer Wert darauf gelegt wurde, auch die Gebrauchsspuren auf den Postkarten mit abzubilden. Um Missverständnissen vorzubeugen: Der Versuch einer möglichst originalgetreuen Wiedergabe der Karten ist nicht an sich problematisch. In diesem Falle allerdings trägt er ± gerade in Kombination mit Frakturschrift, Albumanordnung und dem Untertitel Ansichtskarten erzählen ± zu einer Fetischisierung des Materials sowie zu einer Nostalgisierung der deutschen Kolonialvergangenheit in Namibia bei. Keineswegs sollen Augustin kolonialapologetische Tendenzen unterstellt werden. Im Gegenteil skizziert er das Vernichtungspotenzial kolonialer Herrschaft gerade während des Kolonialkriegs und kritisiert das zögerliche Verhalten deutscher Regierungsvertreter_innen im Kontext von Erinnerungs- und Versöhnungspolitik.5 Auf der Bildebene, die das Buch deutlich dominiert, entfaltet sich allerdings ein anderes Narrativ: Vor den Augen der Betrachter_innen erwacht eine scheinbar versunkene Welt zu neuem Leben, die zwar durch Spuren kriegerischer Gewalt charakterisiert ist, deren wesentliche Merkmale aber die Schönheit des weiten, kargen und weithin leeren Lands, eine fast schon idyllisch anmutende Koexistenz zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten sowie die vermeintlichen zivilisatorischen Errungenschaften infolge der Landnahme sind. Im Übrigen ist es keineswegs so, dass die von Augustin als Ergänzung hinzugefügten Textquellen den visuellen Eindrücken entgegenstehen oder zumindest über diese hinausweisen würden. Im Gegenteil zitiert er unter anderem aus dem 1985 erschienenen Südwester Kochbuch, in dem ]XP%HLVSLHOHUNOlUWZLUGZLHGDVÄ3HUOKXKQQDFK$UWGHU6FKXW]WUXSSOHU³]X]XEereiten ist.6 Augustins Beitrag ist vor allem deshalb interessant, weil er veranschaulicht, dass und wie Sammler_innen an der gegenwärtigen Zirkulation von kolonialen Postkarten partizipieren ± und zwar nicht nur über Flohmärkte oder netzbasierte Tauschbörsen, sondern eben auch über Publikationen. In forschungspraktischer Hinsicht ergibt sich somit die Möglichkeit, auf Quellenmaterial zugreifen zu können, das sich anders möglicherweise nicht erschlossen hätte. Für die vorliegende Studie jedenfalls war Augustins Sammlung eine wichtige Referenz, zumal für sein Buch sämtliche handschriftlichen Mitteilungen auf den Karten transkribiert worden sind. Gleichwohl stellt die fetischisierende Präsentation des Materials, die impli-
5 6
Vgl. ebd., S. 113. Zitiert nach ebd., S. 49. Das Südwester Kochbuch wurde von 3HWHU¶V$QWLTXHV publiziert, einem Antiquitätengeschäft in Swakopmund, das die Erinnerung an die deutsche Kolonialzeit durch den Verkauf und die Reproduktion von kolonialer Heimatliteratur und sonstigem Kolonialkitsch aufrechterhält.
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ziert, dass die Quellen für sich selbst sprechen bzw. das Eintauchen in eine vergangene Zeit ermöglichen könnten, politisch eine Zumutung dar. 7 Hier gilt es, vermehrt mit Sammler_innen zu kooperieren und gemeinsam nach Wegen eines verantwortungsvoll-reflektierten Umgangs mit kolonialrassistischem Bildmaterial zu suchen.8 Ein Beispiel für eine solche Kooperation ist das 2010 erschienene Buch Weiße Blicke ± Schwarze Körper. Afrikaner im Spiegel westlicher Alltagskultur von Joachim Zeller, das Bilder und vor allem Postkarten des Sammlers Peter Weiss präsentiert.9 Zeller, der sich in zahlreichen verdienstvollen Beiträgen mit der Aufarbeitung der visuellen Dimension des deutschen Kolonialismus befasst hat, weist hier JOHLFK]X$QIDQJGDUDXIKLQGDVVGLH5HSURGXNWLRQYRQNRORQLDOHQ%LOGTXHOOHQÄGLH Gefahr in sich birgt, rassistische Zuschreibungen und Stereotype ungewollt in die *HJHQZDUW]XYHUOlQJHUQ³XQGVRPLWÄ]XP*HIDQJenen des kolonialen Bildarchivs ]XZHUGHQ³10 8PGLHVHU*HIDKUYRU]XEHXJHQVHW]WHUVLFK]XP=LHO]XHLQHUÄ'eNRORQLVLHUXQJE]Z.RVPRSROLWLVLHUXQJGHV%OLFNV³EHL]XWUDJHQXPHLQHÄ'HNROoQLVLHUXQJGHV%HZXVVWVHLQV³]XHUUHLFKHQ8QGZHLWHUKHLWHVÄ*HOingen kann dies nur durch eine Bilderschule des Sehens, dann und nur dann ist die Veröffentlichung VROFKHU%LOGGRNXPHQWHZLHVLHLQGLHVHP%DQGYHUVDPPHOWVLQGJHUHFKWIHUWLJW³ 11 'HPLVWQLFKWYLHOKLQ]X]XIJHQ'LH)UDJHVWHOOWVLFKDEHUZLHVLFKGLHÃ%ilderVFKXOHGHV6HKHQVµLQGHU3UD[LVJHVWDOWHW=HOOHUKDWHLQHQJURIRUPDWLJHQ%LOGEDQG publiziert, in dem die Bildquellen dominieren. Als Einleitung fungiert ein längerer analytischer Text, der sich mit dem Zusammenhang zwischen Bildmedien und Kolonialismus sowie mit der Bildpostkarte befasst. Das Material ist auf verschiedene Kapitel aufgeteilt, denen jeweils ein kurzer Einführungstext vorangestellt ist. Den einzelnen Abbildungen wiederum sind Kurzkommentare zugeordnet, die entweder 7
Eine Steigerung erfährt diese Vorgehensweise noch in dem 2007 von dem Sammler Alan Beukers publizierten Ausstellungskatalog Exotic Postcards. The Lure of Distant Lands. Auf über 200 Seiten werden hier historische Postkarten gezeigt, auf denen exotisierende Darstellungen von Menschen u.a. aus Afrika, Asien und Nord- und Südamerika abgedruckt sind. Die Karten sind großzügig angeordnet, oftmals befindet sich lediglich ein Exemplar auf einer Seite. Gerade der durch diese Anordnung evozierte Eindruck eines Kunstbands trägt zur Fetischisierung der Karten bei. Die Rückseiten spielen keine Rolle, die Karten werden nicht weiter kommentiert, lediglich ein von dem Schriftsteller Paul Theroux verfasstes Vorwort bietet einige Anhaltspunkte. Bemerkenswert ist v.a., dass die Präsentation des Bildmaterials auf jegliche Form kritischer Distanznahme verzichtet (vgl. Beukers [2007]). 8 Sturani (2001), S. 20, berichtet in diesem Zusammenhang von dem Projekt Images & Mémoires ÄGDV VLFK GHU Ã5FNNHKUµ YRQ %LOGSRVWNDUWHQ LQ GLH /lQGHU 6FKZDU]DIULNDV YHUVFKULHEHQKDW³'DV3URMHNWKDWHLQHumfangreiche Sammlung aufgebaut und digitalisiert, die es Forscher_innen zur Verfügung stellt (URL: http://www.imagesetmemoires. com/ [Stand: September 2013]). 9 Auch zahlreiche der in dieser Arbeit diskutierten Karten entstammen wie bereits dargelegt dieser Sammlung. 10 Zeller (2010b), S. 8. 11 Ebd., S. 20.
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den Entstehungskontext der Bilder erklären oder Lektürerichtungen vorgeben. Vor allem die Kurzkommentare sollen dazu dienen, das methodisch umzusetzen, was =HOOHUDOVÄ9HUVXFKGLH%LOGHUJHJHQGHQ6WULFK]XOHVHQ³YRUVFKOlJW 12 So heißt es zum Beispiel mit Blick auf eine auch in der vorliegenden Arbeit diskutierte Witzpostkarte [vgl. Abb. 32] über sexuelle Beziehungen zwischen weißen Frauen und schwarzen Männern: Diese Postkarte belegt zwar die rassistischen Ressentiments gegenüber Beziehungen von Menschen unterschiedlicher Hautfarbe, andererseits lässt sie aber auch anklingen, dass die SURSDJLHUWHQÃ5DVVHQVFKUDQNHQµNHLQHVZHJVXQEHUZLQGOLFKZDUHQ 13
Und bei einer anderen Karte, auf der eine schwarze Frau zu sehen ist, die den Lenker eines Fahrrads hält und deren geöffnetes Sakko den Blick auf ihre entblößten Brüste freigibt ± ODXW%LOGXQWHUVFKULIWKDQGHOWHVVLFKXPHLQHÄ>P@RGHUQH)UDX'O.-$IULND ³ ± NRPPHQWLHUW =HOOHU Ä,Q XQVHUHP SRVWNRORQLDOHQ =HLWDOWHU N|QQHQ solche Bilder als parodierende und ironisierende ImitatiRQGHVÃ$QGHUHQµ± in diesem Fall der Weißen ± JHOHVHQZHUGHQ³14 Deutlich wird, dass Zeller darum bemüht ist, subversiven Bildanalysen Raum zu geben, und zwar in dem Sinne, dass die Zuordnung von Handlungsmächtigkeit, von Aktivität und Passivität, von betrachtendem Subjekt und betrachtetem Objekt hinterfragt wird. Zugleich wird aber auch deutlich, dass er die Beispiele allzu schnell abhandelt. Dies ergibt sich zwingend aus der Anlage des Buchs, das ca. 400 Bilder versammelt. Entsprechend tut sich das Problem auf, dass die analytische Rahmung des Archivmaterials sehr knapp ausfällt und bisweilen oberflächlich ist. Warum ± so ließe sich fragen ± konnte die Frau mit dem Fahrrad nicht schon damals als Imitation und Parodie verstanden werden? Und wenn es erst heute so deutbar ist, welche anderen Lesarten mögen sich den Zeitgenoss_innen eröffnet haben? Es ließen sich noch weitere Beispiele für analytische Rahmungsversuche anführen, die allzu flüchtig und vordergründig geraten sind. Zeller jedenfalls setzt, was die Bildebene angeht, auf Masse. Das hat zur Folge, dass sein Umgang mit dem Material Genauigkeit und Sorgfalt vermissen lässt, zumal er die medialen Eigenheiten der jeweiligen Quellen ± Postkarten, Plakate, Zeitungsartikel, Bücher etc. ± übergeht und die Verwendungszusammenhänge, in denen die Quellen zirkulierten, QLFKWQlKHUHU|UWHUW0DQN|QQWHHLQZHQGHQGDVVVHLQHÃ%LOGHUVFKXOHµIUHLQEUHiteres, über die scientific community hinausgehendes Publikum konzipiert ist und dass es Zeller nicht um Medienanalyse geht, sondern darum, ein Bewusstsein zu schaffen für die Präsenz und Wirkmächtigkeit kolonialrassistischer Repräsentati-
12 Ebd., S. 8. 13 Ebd., S. 107. 14 Ebd., S. 98.
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onsformen in der visuellen (Populär-)Kultur. Auch lässt sich keineswegs in Abrede VWHOOHQ GDVV GLH Ã%LOGHUVFKXOHµ HLQHQ NULWLVFKHQ %OLFk auf die Kolonialgeschichte eröffnet. Und doch bleibt am Ende ein Unbehagen, weil man letztlich in einem Buch blättert, in dem die schiere Präsenz der Bilder den Text als Versuch der Kontextualisierung und Kommentierung überstrahlt. Es handelt sich folglich um die Inszenierung eines visuellen Spektakels, das zwar interpretatorisch-analytisch gerahmt wird, bei dem aber vor allem das Bunte und Schrille der kolonialen Bilder dominiert.15 Position Die Analyse historischer Bildpolitiken ist immer auch selbst Bildpolitik.16 Die Entscheidung, mich auf insgesamt wenige Karten zu beschränken und diese einer ausführlichen Analyse zu unterziehen, war dem Anspruch geschuldet, möglichst behutsam mit den Quellen umzugehen. Dabei war die Annahme leitend, dass zwar die Epoche der europäischen Kolonialherrschaft Geschichte ist, gegenwärtige rassistische Machtverhältnisse und Kämpfe um Sichtbarkeit aber durchaus mit dieser Geschichte in Beziehung stehen.17 Entsprechend habe ich dem Umstand Rechnung zu tragen versucht, dass das für diese Arbeit verwendete Bildmaterial auch heute noch diffamierende oder rassifizierende Wirkungen entfalten kann. Zudem sollten die Karten nicht das So-gewesen-Sein der kolonialen Ordnung belegen, sondern als Einsätze in dem Versuch verstanden werden, eine solche Ordnung herzustellen. In diesem Sinne galt es, die Eigenheiten der Bildpostkarte zu fokussieren, um ihren spezifischen Beitrag im Rahmen der Entstehung und Zirkulati15 Dies gilt auch für den 2008 von Zeller publizierten Bildband Bilderschule der Herrenmenschen, in dem es um koloniale Reklamesammelbilder geht und der Weiße Blicke ± Schwarze Körper im Hinblick auf Aufbau und Anordnung in vielerlei Hinsicht gleicht (vgl. Zeller [2008a]). Im Übrigen ist problematisch, dass Zeller die Bilddokumente stets DOV Ä3URMHNWLRQHQ XQG 3KDQWDVLHQ GHV ÃZHLHQ 0DQQHVµ³ LGHQWLIL]LHUW HEG S. 7). Nicht nur blendet er somit die Partizipation von weißen Frauen im Kolonialismus aus und übergeht geschlechtertheoretische Perspektivierungen, sondern er trägt auch zur Perpetuierung weißer männlicher Allmachtsphantasien bei. 16 Es wäre interessant, gegenwärtige Bildpolitiken in den ehemaligen Kolonien zu untersuchen. In Namibia z.B. macht der je spezifische Einsatz von historischen Fotografien und Postkarten in Sammler_innen-Netzwerken sowie im Rahmen von Ausstellungen, Gedenkstätten, Publikationen und der Tourismusindustrie in besonderer Weise anschaulich, dass die koloniale Vergangenheit ein umkämpftes Terrain ist, das gleichermaßen von der Re-Autorisierung kolonialer Gesten wie von subversiven Strategien der Entwendung kolonialen Archivmaterials gekennzeichnet ist. Zudem wäre die postkoloniale Bildproduktion in Rechnung zu stellen, wobei vor allem den Korrespondenzen zwischen kolonialen und touristischen Arrangements und Blicken nachzugehen wäre. Siehe in diesem Zusammenhang Backes/Goethe/Günther/Magg (2002). 17 Siehe in diesem Zusammenhang für den deutschen Kontext Arndt (2001); Ha (2003 und 2005b); Oguntoye/Opitz/Schultz (1986); Steyerl (2003); Walgenbach (2005b).
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on populärer Rassismen in der visuellen Kultur des Kaiserreichs ermessen zu können. Da die Bildpostkarte als alltäglicher Gebrauchsgegenstand auf verschiedene Weisen angeeignet wurde (Austausch von flüchtigen Grußformeln, visueller Reisebericht, Sammelgegenstand) und da sie außerdem als hybrides Medium unterschiedliche Einzelmedien und ebenso unterschiedliche Verfahrensweisen in sich vereint, war es erforderlich, die jeweiligen Ebenen der Bedeutungsproduktion und ihr Zusammenspiel zu thematisieren. Die Auswahl bestimmter thematischer Schauplätze wiederum, die mit Schwerpunktsetzungen im Hinblick sowohl auf mediale Charakteristik als auch auf Aneignungsformen korrelierte, ergab sich zum Teil aus dem Material selbst. Sie sollte aber auch die Frage nach den Bedingungen von Sichtbarkeit aufwerfen. Der Begriff der Normalisierung schließlich fungierte als analytische Klammer, die es ermöglichte, zwischen Schauplätzen, medialen Verfahren und Aneignungsformen Verbindungen herzustellen. 0LW GHU ÃVHULHOOHQ 2UGQXQJµGHP Ã6SLHO PLW GHU 8QRUGQXQJµ XQG GHU ÃRUGQHnGHQ3UD[LVµNDPHQXQWHUVFKLHGOLFKH1RUPDOLVLHUXQJVVWUDWHJLHQ]XU6SUDFKHGLHDllesamt auf der Zirkulation von Bildpostkarten basierten. Sie wurden einerseits Nutzungspraktiken und andererseits medialen Verfahrensweisen zugeordnet bzw. aus diesen abgeleitet: Das Prinzip der Serie ist der Bildpostkarte durch ihr einheitliches Format inhärent. Es wurde aber auch durch die Nutzer_innen der Karten generiert. Dies wurde in Kapitel 2 anhand von fotografischen Feldpostkarten deutlich gemacht, die im Zuge der Aneignung zu einer Serie verdichtet wurden, und zwar durch die Anordnung in Reihe (mehrere Karten, zwischen denen ein Bezug hergestellt wurde) sowie durch die Hinzufügung standardisierter, mitunter identischer Textbausteine. Die humoristische Inszenierung von Unordnung auf Witzpostkarten, wie sie in Kapitel 3 untersucht wurden, war zwar dem Register der Serialität keineswegs entgegengesetzt (zum Beispiel ließen sich die annähernd gleichen Figuren des Grotesk-Monströsen als Bestandteile einer Serie konzipieren). Bestimmend waren hier aber vor allem das Register des Karnevals und das Motiv der verkehrten Welt. Indem die Karten ein Jenseits der Ordnung vor Augen stellten und gleichzeitig lächerlich machten, entfalteten sie hochgradig sanktionierende und stigmatisierende Wirkpotenziale. Zugleich geben sie ± gleichsam als Überschuss ± eine Lust an der Überschreitung zu erkennen, die auf die Wiederkehr von verdrängter Kontingenzerfahrung zurückgeführt werden kann. Aus dieser Perspektive erweist sich der durchweg vulgäre Rassismus der Witzpostkarten als normalisierende Rationalisierung der Kontingenzerfahrung. Die in Kapitel 4 betrachtete Praxis des gelehrten Sammelns, wie sie von den Vereinen und ihren Zeitschriften propagiert wurde, lässt sich sowohl zum Prinzip der Serie als auch zum Problem der Kontingenz in Beziehung setzen. Die Vorstellung, dass die Welt in Form von Ansichtskarten gesammelt werden könnte, resultierte in dem Bemühen, gleichformatige Ausschnitte als Serie anzuordnen. Diese
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Anordnung wiederum versprach, die durch Globalisierungsdynamiken und ihre Effekte sich wandelnde Welt handhabbar zu machen, sie gestalten zu können und einen Platz auf ihr zu finden bzw. sich des eigenen Platzes zu vergewissern. Die Platznahme allerdings reproduzierte und aktualisierte koloniale ZentrumsPeripherie-Aufteilungen. Sie war somit Bestandteil in dem Versuch, Kontingenzerfahrung gemäß eurozentrischer und rassistischer Ordnungsvorstellungen zu verarbeiten bzw. aufzuheben. Die Normalisierungsstrategien stellten allesamt Rahmungsversuche dar. Ob es sich um die Rahmung durch Bild-Text-Konstellationen auf fotografischen Feldpostkarten, um die Rahmung durch das karnevaleske Prinzip der verkehrten Welt auf Witzpostkarten oder um die Rahmung durch von Sammelvereinen propagierte Sammellogiken handelte ± stets war das Rahmungsverfahren ein normalisierender Modus zur Bewältigung von Kontingenz und zur Stiftung von Ordnung. Es verweist aber immer auch auf Ungeordnetes. Die Prozeduren und Verfahren des kolonialen Spektakels im Postkartenformat sollten eine Ordnung stiftende Funktion erfüllen. Sie stellten zugleich den Versuch dar, der latenten Unordnung im kolonialen Alltag zu begegnen.
Bibliographie
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