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German Pages 386 [404] Year 1958
OTTO
HAINTZ
K Ö N I G K A R L XII. V O N SCHWEDEN
Kail
XU.
Ölgemälde von David von
Krallt.
A u s S . F.. B r i i i « ; , K a r l
X I I . , S . 190.
KÖNIG KARL XII. VON SCHWEDEN VON
OTTO HAINTZ
DRITTER Der Ausgang
der
BAND Königstragödie
(1715—1719)
ERSTE
AUFLAGE
BERLIN
WALTER
DE
1958
G R U Y T E R
& CO.
vormal« G. J. Göschen'sche Verlagshandlang — J . Gattentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J . Trübner — Veit & Comp.
© Copyright 1958 by Walter de Gruyter & Co., Berlin Printed in Germany Archiv-Nr. 41 49 58 Alle Rechte, einschließlich des Rechtes der Herstellung von Fotokopien und Mikrofilmen, vorbehalten. Drude: Thormann & Goetsch, Berlin-Neukölln
HERMAN BRULIN
UND GUSTAF
IN DANKBARKEIT UND
PETRI
FREUNDSCHAFT
ZUGEEIGNET
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort I. Die machtpolitisdien Positionen in Europa um die Jahreswende 1714/1715. Der Übergang Preußens und Hannovers auf die Seite der Nordischen Allianz. Die Vorbereitungen für den Feldzug in Norddeutschland II. Die Operationen zu Lande und zur See bis zur Einschließung von Stralsund III. Neue politische Verhandlungen. Die Landung der Alliierten auf Rügen und die nächtliche Schlacht bei Groß-Stresow IV. Die Eroberung von Stralsund und der Verlust aller Besitzungen Schwedens in Norddeutschland V. Die Rüstungen seit dem Winter 1715/1716 und die Gefahr einer schwedischen Landung auf Seeland. Die Flottenoperationen bis zum Sommer 1716
XI—XV
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VI. Karls XII. mißlungener Feldzug in Norwegen 1716 und das Eingreifen der dänisch-norwegischen Flotte 88—103 VII. Die Gruppierung der europäischen Mächte im Nordischen Krieg bis zum Sommer 1716. Görfc und die große Politik bis zum Frühjahr 1717. Das Vorspiel zum Älandskongreß 104—125 VIII. Der große Flotten- und Truppenaufmarsch der Alliierten gegen Südschweden 1716. Der Verzicht auf die Landung in Schonen 126—143 IX. Der Norden und Europa um die Jahreswende 1716/1717. Schwedens und Dänemarks militärische Vorbereitungen 144—155
X. Die See- und Landkriegführung bis zum Sommer 1718 XI. Die große Politik bis zur Haftentlassung von Görg XII. Vor dem Älandskongreß XIII. Die Mission des jüngeren Fabrice. Das Treffen der königlichen Familie in Kristinehamn . . . . XIV. Der Älandskongreß vom Mai bis August 1718 und die europäischen Mächte XV. Die legten Phasen des Älandskongresses bis zu Karls XII. Tode XVI. Der norwegische Feldzug von 1718 XVII. Der Schuß von Fredrikshald XVIII. Das Ende XIX. Die Wirtschafts-, Finanz- und Geldpolitik der Görtjschen Periode
156—167 168—178 179—195 196—208 209—243 244—258 259—287 288—310 311—339 340—351
Personenregister
352—363
Ortsregister
364—371
K A R T E N UND B I L D E R I. Die Verteidigungsanlagen von Stralsund 1715 (Karte) II. Stralsund zur Zeit des Nordischen Krieges (Kupferstich) III. Der Kriegsschauplatz in Südnorwegen 1716 und 1718 (Karte) IV. Fredrikshald (zeitgenössisches Bild) V. Der Feldzug um Drontheim 1718 (Karte) VI. Drontheim 1718 (Karte) VII. Der Fredriksten (Karte) VIII. Der Angriff auf die Festung Fredrikshald (Kupferstichkarte)
TITELBILD Karl XII. (Ölgemälde von David v. Krafft)
32 48 80 96 256 272 288 304
VORWORT
Als ich mit der Niederschrift des Entwurfes dieses abschließenden dritten Bandes meiner Biographie König Karls XII. begann, da herrschten in meinem Vaterland chaotische Zustände. Es waren das die ersten Jahre nach dem zweiten Weltkriege, und nach menschlichem Ermessen bestand keinerlei Aussicht darauf, daß das Gesamtwerk jemals abgeschlossen, geschweige denn zu Ende gedruckt werden könnte. Zu dieser Zeit befand sich das schon vor Kriegsausbruch fertiggestellte Manuskript des zweiten Bandes in der Obhut des Schwedischen Rekhsarchivs in Stockholm, wohin es während des Krieges in Abschrift gerettet worden war. Dieser Band wurde von dem Stockholmer Verlag Norstedt & Söner übernommen und dann 1951 mit Unterstützung durch den staatlichen Humanistischen Fonds und durch die Gesellschaft Karolinska Förbundet gedruckt. Mir persönlich bedeutete in damaliger Zeit diese unerwartete Hilfe ganz außerordentlich viel. Konnte ich doch mit einem Gefühl der Befreiung von einem unerträglichen moralischen Drude daraus ersehen, daß man in Schweden trotj der fortschwelenden Leidenschaften sehr wohl zu unterscheiden wußte; man wußte um den alten, immer noch lebendigen kulturtragenden Kern Deutschlands. Überhaupt: ohne die Ermutigung und die stete Unterstütjung durch meine Freunde von jenseits der Ostsee hätte ich in all den deutschen Wirren und Nöten der Nachkriegszeit niemals die Kraft finden können, die Arbeit an meinem dritten Bande durchzuhalten und zu vollenden. Diesen meinen Freunden kommt daher das Hauptverdienst daran zu, und ihnen in allererster Linie habe ich dafür zu danken. Etwa fünf Jahre umfaßt die legte dramatisch bewegte Periode der Regierungszeit Karls XII. zwischen den Jahren 1715 und 1719, und an deren Ende steht der tragische Tod des Königs vor der Festung Fredrikshald mit der darauf folgenden Staatsumwälzung in Schweden. Diese Jahre sind, wenn man absieht von dem russischen Feldzug von 1708/1709, so gründlich wie keine andere der
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Ereignis- und Problemketten der Epoche Karls X I I . historisch untersucht und leidenschaftlich diskutiert worden. Dennoch ist die Forschung in den zentralen Fragen dieser Zeit im Grunde fast überall nicht weiter als bis zu einem resignierenden non liquet gekommen. Das gilt sowohl für die damaligen Machtpositionen in dem säkularen Kampf um die Vorherrschaft in Osteuropa und die Beherrschung des baltischen Meeres, wie für die Verhandlungen während des Kongresses auf den Älandinseln, wie besonders auch für die letjten politischen und militärischen Zielsetzungen des Königs und die rätselhaften, bis in die jüngste Zeit immer wieder heftig umstrittenen Hintergründe und Vorgänge bei seinem Tode. Mit all dieser Problematik hatte ich mich an der Hand einer höchst umfangreichen, zum Teil stark polemischen Literatur, welche die Arbeit ganzer Generationen an Forscherleistung umfaßt, auseinanderzusetzen. Die vorhandenen und zugänglichen primären Quellen an gedruckten und ungedruckten Archivalien waren bereits von diesen zahlreichen und bedeutenden Historikern für ihre Untersuchungen gründlich ausgewertet worden. In dieser Beziehung handelte es sich für mich daher vorwiegend um gewissenhaftes Referat und um überschauende Beurteilung. Dennoch kam ich, mir zunächst ganz unvermutet, in die Lage, die archivalischen Schätze des ehemaligen Preußischen Geheimen Staatsarchivs zu Rate ziehen zu können, die mir bei der Arbeit an meinen beiden vorhergehenden Bänden aus Gründen, die ich im Vorwort zu meinem zweiten Bande auseinandergesetzt habe, weithin als eine Art Ariadnefaden gedient hatten. Beim Zusammenbruch meines Vaterlandes waren die reichen Materialien der deutschen Archive Kriegsbeute der Siegermächte geworden. Die Prärogative des Siegers wurde auch ausgedehnt auf solche Archivmassen, die nicht mehr von gegenwartspolitischer, sondern nur noch von historischer Bedeutung sind. Dies Schicksal traf auch die Bestände des Preußischen Geheimen Staatsarchivs, die während des Krieges zum größten Teil aus Berlin-Dahlem verlagert worden waren, um diese für die Geschichtsschreibung unersetzlichen Werte vor den von J a h r zu J a h r gesteigerten Bombenangriffen in Sicherheit zu bringen. Die sowjetische Militärverwaltung, in deren Hand das archivalische Kulturgut des Preußischen Geheimen Staatsarchivs gefallen war, hat es jedoch von 1948 an bis 1955 wieder zurückgegeben. Und zwar an das
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inzwischen geschaffene Deutsche Zentralarchiv in der Deutschen Demokratischen Republik, wo die Aktenbestände in Merseburg der Forschung wieder zur Verfügung stehen. 1 Mir wurden sie in dem neu errichteten Archivgebäude in Potsdam bereitwillig zugänglich gemacht. Ich erhielt auch einen Dauerpassierschein, der im zweigeteilten Deutschland auch für Fahrten von West-Berlin nach Potsdam leider nötig ist, und ich habe den Archivbeamten in Merseburg und Potsdam dafür zu danken, daß sie mir bei der Bereitstellung und der Benutzung der für meine Zwecke bedeutungsvollen Akten jede Unterstüljung und Hilfe gewährt haben. E s handelte sich dabei vor allem um die Serien zu den Kämpfen u m die schwedischen Ostseeländer und zu den Verhandlungen auf den Älandinseln, besonders die Berichte des preußischen Gesandten v. Mardefeld und die dazugehörigen Reskript« und Beilagen. Soweit ich sehen konnte, hat das Preußische Geheime Staatsarchiv die Abenteuer seiner Fluchtodyssee und seines Verweilens in fremdem Gewahrsam bei nur geringen Verlusten überraschend gut überstanden. 2 Jedenfalls waren die Aktenbände aus den früher e n Reposituren 11 und 81, die ich in den Händen gehabt habe, i m alten tadellosen Zustand. Auch die Beschaffung der Literatur für den Zeitabschnitt, der in meinem Abschlußbande Darstellung findet, bereitete nicht geringe Schwierigkeiten. Denn ein sehr großer Teil der Bücher der ehemals Preußischen, jetjt Deutschen Staatsbibliothek in B e r l i n war während des Krieges, um sie der Gefährdung durch die Luftangriffe zu entziehen, verlagert worden und befindet sich heute in Marburg. Nicht immer genügte für die Bücherbeschaffung die Unterstützung durch die Fernleih- und die Auskunftstelle der Deutschen Staatsbibliothek. Auch in dieser Hinsicht war ich daher auf den Beistand angewiesen, der mir bei der Heranziehung von Literatur, die mir in Deutschland unter den jetjigen Zeitumständen entweder gar nicht oder nur schwer erreichbar war, teils von schwedischen Freunden teils von Institutionen in den skandina1 Vgl. die informierende Einleitung zu: Übersicht über die Bestände des Deutschen Zentralarchivs Potsdam, von H. Lötzke und G. Enders (Schriftenreihe des Deutschen Zentralarchivs Nr. I 1957), ferner H. Lötzke in: Archivmitteilungen 1956 S. 33 f., 65 f., u. in: Der Archivar 9, 1956. 2 Darüber W. Nissen, Das Schicksal der ausgelagerten Bestände des Preuß. Geh. Staatsarchivs und des Brand.-Preuß. Hausarchivs und ihr heutiger Zustand (Archivalische Zeitschrift 49, 1954); W. Zimmermann, Das Hauptarchiv — Preuß. Geh. Staatsarchiv — in den ersten Kriegsjahren (Der Archivar 8, 1955).
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visthen Ländern gewährt worden ist. Solche Literaturhilfe und wertvolle Hinweise habe ich erhalten besonders von der Bibliothek des Kgl. Schwedischen Kriegsarchivs, aber auch von dem Kgl. Dänischen Heereskommando, der Carnisonbibliothek in Kopenhagen, sowie der kriegshistorisdien Abteilung des Kgl. Norwegischen Verteidigungsministeriums. Ich bin diesen Institutionen und den Männern, die mir privat oder in amtlicher Eigenschaft durch Hergabe oder Beschaffung von Literatur geholfen haben, im Interesse meiner Arbeit zu großem Dank verpflichtet. Karolinska Föjrbundet verdanke idi die mir unentbehrliche ganze Reihe der wertvollen Jahrbücher dieser historischen Gesellschaft. Der frühere schwedische Reichsarchivar, Herr Prof. Dr. Boethius, einer der bedeutendsten Kenner der Wirtschafts- und Sozialgeschichte seines Landes, hatte die Freundlichkeit, mir bei der Abfassung des legten Kapitels dieses Bandes, das solche Fragen in knapper Form erörtert, durch literarische Hinweise und durch Ratschläge zur Seite zu stehen. Und nicht zulegt ist es mir auch ein Bedürfnis, Frau Major Schürer von Waldheim hier auf das herzlichste Dank dafür zu sagen, daß sie mir aus der schönen karolinischen Bibliothek ihres verewigten Mannes so wesentliche Werke wie Nordbergs »Konung Carl Den XII:tes Historia« und das Sammelwerk von S. E. Bring »Karl XII. tili 200-Ärsdagen Af Hans Död« überlassen hat. Die Herkunft der diesem Bande beigegebenen Karten und Bilder ist jeweils besonders vermerkt worden. Für die Datierung ist in diesem Bande im allgemeinen das System der Doppeldatierung angewandt worden: nach dem alten julianischen Kalender, der während der dargestellten Jahre außer in Schweden noch in Rußland und England im Gebrauch war, und nach dem neuen gregorianischen Kalender, der im übrigen Europa galt und dem julianisdien Kalender um elf Tage voraus war. Zum Teil aber, besonders bei zitierten Schriftstücken und Archivalien, hat nur die eine oder die andere Form der Datierung Anwendung gefunden. Es ist das dann jedesmal durch die Bezeichnung »a. St.« oder »n. St.« vermerkt worden. In den beiden ersten Bänden ist dagegen bis Ende Februar 1712 nach dem damaligen schwedischen Kalender (schw. St.) zitiert worden, der von 1700 bis zum 1. März 1712 in Schweden Anwendung fand und bis zu diesem Tag dem julianischen Kalender um einen Tag voraus war. Diese Datierungsdifferenz muß bei Rück-
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Verweisungen auf Ereignisse und Dokumente innerhalb dieses Zeitraumes beachtet werden. (Vgl. über den Datierungswirrwarr der drei verschiedenen »Stile« die Vorworte zu den Bänden I und II.) Otto
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KAPITEL I
Die machtpolitischen Positionen in Europa um die Jahreswende 1714/1715. Der Übergang Preußens und Hannovers auf die Seite der Nordischen Allianz. Die Vorbereitungen für den Feldzug in Norddeutschland.
In drei großen Abschnitten hat sich die im Geschichtlichen großartige und menschlich ergreifende Lebensbahn König Karls XII. vollendet. Der erste reicht bis zur Epochenschlacht von Poltawa und zur Kapitulation von Perevolotnja; er f ü h r t in steilem Aufstieg empor zu historischer Größe und unvergänglichem R u h m und endet in einer militärischen Katastrophe. Der zweite reicht bis zur Heimkehr des Königs aus der fernen Türkei und endet mit dem Verlust fast aller schwedischen Außenländer. Der dritte und letzte schließt, ein neue Ära in der Geschichte Schwedens und des gesamten europäischen Nordens einleitend, mit dem Soldatentöd des Königs vor der norwegischen Feste Frederikshaid. J e d e r dieser drei Abschnitte eines wahrhaft königlichen Lebens bedeutet die Tragödie einer politischen Idee, die hinter den militärischen Zielsetzungen und den diplomatischen Verhandlungen lebendig und erkennbar ist. In der ersten Phase f ü h l t der König sich stark genug, aus der K e t t e der Angreifer Schwedens ein Glied nach dem anderen herauszubrechen, und scheitert schließlich an dem letzten und gefährlichsten Widersacher, dem großen Zaren und seiner Staatsschöpfung, als ein unbewußter Vorkämpfer eines künftigen Europa. In der zweiten Phase sucht Karl XII., so wie fast zwei Jahrhunderte f r ü h e r der König von Frankreich gegen das habsburgische Großreich sich mit Sultan Soliman II. verbündet hatte, gegen Rußland die asiatischen K r ä f t e der türkisdien Despotie aufzubieten und im Bündnis mit dieser barbarischen Macht noch einmal sein Schweden zu einer Erneuerung des Endkampfes gegen das petrinische Rußland empor zur eißen. Diese großartige 1 Haintz, König Karl XII., Bd. 3
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politische Konzeption erweist sich als undurchführbar, wegen der Untauglichkeit der türkischen Staatsführung, wegen des fortsdireitenden Kräfteverfalls der schwedischen Heimat und nicht zuletzt wegen der Blindheit der europäischen Mächte gegenüber der rasch anwachsenden russischen Gefahr. Während der Endphase seines Lebens versucht Karl XII., ähnlich wie es im Jahre 1658 sein kriegsgewaltiger Vorfahr Karl X . Gustav an einer schicksalhaften Wende seines von übermächtigen Feinden angegriffenen Reiches getan hatte, seinen Staat an Dänemark schadlos zu halten. Gleichzeitig bemüht sidi der Enkel dieses ersten Pfälzers auf dem schwedischen Thron um irgendeinen Ausgleich mit der einen oder der anderen Gruppe derjenigen seiner Feinde, die für ihn zunächst unangreifbar geworden waren. Dahinter steht das Ziel, innerhalb neu zu schaffender Mächtegruppierungen in Europa Schwedens Großmacht trotz allem schließlich dodi nodi wieder aufzurichten. Jede dieser Lebensphasen des großen Königs verläuft wie eine planvoll gebaute Tragödie, während deren jedesmal des Königs politische Zielsetzung sich dramatisch kompliziert, immer wieder zu atemberaubender Peripetie emporsteigt und schließlich in eine Katastrophe hinabstürzt. Alle diese tragisch verlaufenden Lebensabschnitte dieses Herrscherlebens verbindet der Abwehrdiarakter seines Kampfes um die Behauptung der Großmachtstellung des schwedischen Staates und Volkes. Zu keiner Stunde eines so opfervollen 18jährigen Ringens war Schweden und sein König der Angreifer. Vielmehr hat dieser unerhörte Heldenkampf stets der Verteidigung des guten schwedischen Rechts gegolten. Darauf hat Karl X I I . sidi allezeit versteift und dabei allzu sehr besonders zu Anfang seiner Laufbahn die raffinierten Mittel der damaligen Kabinettspolitik mißachtet. Die Geschichte ist während der Periode des Nordischen Krieges über Schwedens gutes Redit hinweggeschritten. Alte, bis dahin festgefügte Formen des staatlichen Zusammenlebens hat sie hinweggefegt und neue Kräfte aus dem gärenden Chaos dieses großen welthistorischen Kampfes emporsteigen lassen. Das ostwärts gewandte Antlitz des alten Erdteils Europa erhielt im Endergebnis ein vollkommen verändertes machtpolitisches Gepräge. Rußland, von Karl XII. seit den ersten Kriegsjahren immer klarer als der gefährlichste Feind erkannt und immer wieder in entscheidenden Schicksalsstunden vergeblich bekämpft, reckte sidi während des Krieges immer unwiderstehlicher in seiner riesigen
König
Karl XII. von
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Stärke empor. Dagegen sank Polen, dessen Schlüsselposition an der Grenzscheide zwischen Ost und West der schwedisdie König vollkommen richtig erkannt hatte und dessen heruntergewirtschaftete Staatsform er, allerdings mit untauglichen Mitteln, zu stützen bemüht war, damals zu einem Trabanten des Zarenreiches herab, das von der polnischen Bastion aus die Mitte Europas überschattete. Diese östliche Kräftekombination ist dann, obwohl in sidi voll immer erneuerter innerer Spannungen, während der kommenden Jahrhunderte nur vorübergehend aufgelöst worden und im Wesentlichen bis in die Gegenwart bestehen geblieben, ohne daß die europäischen Mächte sich der latenten Gefahr eines durch die Beherrschung des polnischen Raumes gegen Europa vorstoßenden Kußland recht bewußt gewesen wären. 1 Die Türkei, seit Jahrzehnten schon ohne klare politische Linie, h a t t e sich jeder Aktivität an ihrer europäischen Nordgrenze begeben und ihre immer noch bedeutenden aggressiven K r ä f t e dem Mittelmeerraum zugewandt. Preußen hatte seit dem Ende des Spanischen Erbfolgekrieges seine bis dahin im Westen gebundene Militärmacht zu seiner freien Verfügung und schickte sich zögernd an, auf die Seite der Gegner Schwedens zu treten, ohne sich jedoch jetzt und in Z u k u n f t auf deren divergierende Interessen allzu sehr festzulegen. August der Starke, in Polen in Abhängigkeit von dem verbündeten Zaren zu geraten, vermochte in Z u k u n f t auch in Deutschland kein bedeutendes Gewicht mehr in die Waagschale der Entscheidungen zu legen. Das Haus Habsburg, das seit den Friedensschlüssen am Ende des großen Ringens um die spanisdie Erbfolge seinen Länderbesitz bedeutend hatte vergrößern können, war dennoch weder militärisch noch finanziell stark und sdieute einen Einsatz in die epochale Auseinandersetzung um den Bestand oder den Untergang der schwedischen Großmacht. Denn es fürchtete die bourbonische Drohung von Westen her und die türkische im Osten. 1 Als zu Beginn des Sommers 1715 die kaiserliche Politik Schweden in Norddeutschland Beinen Feinden preisgab, da bedeutete das, wie Per Sörensson im I. Teil seiner groß angelegten Untersuchung. »Kejsaren, Sverige och de Nordiske Allierade frän Karl XII :s hemkomst frän Turkiet tili Alliansen i Wien 1719« (in Kar. Förb. Arsbok 1926 S. 203/204) stark betont, einen für die Zukunft verhängnisvollen weiteren Schritt auf dem Wege der Niederreißung der bisherigen Schranken »gegen die Gefahr aus dem Osten, welche damals die schwedische Großmacht mit willfährigem Beistand Westeuropas zerschmetterte, aber später einmal gerade diejenigen Mächte, mit deren Hilfe oder stillschweigendem Einverständnis das geschah, mit den größten Gefahren bedrohen sollte«.
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Schon im J a h r e 1715 zeichneten sich die neuen Konturen der Machtverhältnisse im Norden und Osten unseres Erdteils deutlich ab. Doch sollten die eisernen Würfel noch lange J a h r e rollen, bis überall dort die Waffen das letzte Wort gesprochen hatten. Als sich in der dunklen Nacht zum 11./22. November des Jahres 1714 vor dem König Karl X I I . , der nur von dem Oberstleutnant Otto Friedrich v. Düring begleitet war, eines der Tore seiner treuen Festung Stralsund geöffnet hatte, da war damals nicht allein das hohe politische Spiel in der Türkei verloren. E s war auch das letzte Feldheer Schwedens, die Armee Stenbock, schon im Mai 1713 in Holstein zugrunde gegangen. Und jenseits der Ostsee, die einmal in vergangenen stolzen Tagen nahezu ein schwedisches Binnenmeer gewesen war, hatte Schweden nur noch die starken Plätze Stralsund und Wismar, so weit deren Waffen reichten, fest in der Hand. Das Antlitz der Lage Schwedens war drohend, düster, voll von Zukunftsgefahren. Die feindliche Koalition stand so mächtig da wie je. Preußen hatte über die Sequester von Stettin den mittelbaren Anschluß an sie gefunden. Die Unterstützung der Seemächte hatte Schweden längst verloren. Von Frankreich hatte es trotz des Defensivbündnisses vom 24. März/4. April 1715, das Schweden immerhin auf drei J a h r e j e 6 0 0 0 0 0 Reichstaler Subsidien zusicherte, 1 darüber hinaus wirksame Hilfe nicht zu erwarten. Auch mit Spanien suchte Karl einen ähnlichen Subsidienvertrag, der sich gegen England richten sollte, zustande zu bringen. Doch scheiterten die Unterhandlungen, die der Sohn des Grafen Mauritz Vellingk in Madrid führte, im November 1715. Unter solchen Umständen hatte Schweden auf einen ehrenvollen Frieden, der ihm wenigstens einen Teil des reichen Kranzes seiner Provinzen jenseits des baltischen Meeres zurückgegeben hätte, trotz seiner Verbindung mit Frankreich keine begründete Aussicht. Die harte Notwendigkeit der Stunde bestand daher in neuen 1 P. Sörensson, Sverige och Frankrike 1715—1718, S. 11, 31; derselbe bei S . E . Bring: Karl X I I . tili 200ärsdagen af hans död S.417; F . F . Carlson, Om fredsunderhandlingarne ären 1709—1718 (Stockholm 1857), S. 78 f. Carlson datiert das Bündnis, ebenfalls wie Sörensson unter Berufung auf das Original im Schwedischen Reichsarchiv, auf den 22. März 1715. Am 6./17. April schon ratifizierte Karl X I I . den Vertrag in Stralsund. Dieser garantierte die Abmachungen der Friedensschlüsse seit dem Westfälischen Frieden für beide vertragschließenden Parteien. Doch zögerte Frankreich später unter dem Vorwand eigener finanzieller Bedrängnis die Auszahlung der Subsidien hinaus, so daß Schweden während der Belagerung von Stralsund in größte Geldnot geriet.
König Karl XII. von Schweden
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Rüstungen, neuen' Aushebungen, neuen Geldauflagen, alles in allem eine furchtbare Last für den tief erschöpften Körper des schwedischen Reiches. An der Streitfrage der Sequester der wichtigen Oderfestung Stettin entzündete sich im Sommer des Jahres 1715 der Krieg zwischen Schweden und Preußen. Zwei J a h r e vorher, im Juni 1713, hatten Vellingk, der in Abwesenheit des Königs die Deutschlandpolitik Schwedens führte, und Görtz, der holsteinische Staatsminister, mit Preußen die Übergabe von Stettin und Wismar in die Hände von Gottorp und einer »neutralen Macht«, womit Preußen gemeint war, vereinbart. Nach Kriegsend« sollten beide Festungen an Schweden zurückgegeben und dieses bis dahin im Besitz von Rügen und Stralsund gesdiützt werden. Die Sequesterabmachung der beiden Staatsmänner war in Hamburg wenige Wochen nach dem Untergang der Armee Stenbock getroffen worden. Kein Zweifel, daß sie unter dem deprimierenden Eindruck dieser Katastrophe zustande gekommen ist und für Schweden den Sinn haben sollte, noch Schlimmeres zu verhüten. Doch hatten die beiden Festungskommandanten sich geweigert, das Vertragswerk ohne die Zustimmung ihres Souverains anzuerkennen, und dieser hatte zu Anfang des August in scharfer F o r m die Ausführung untersagt. Schon vorher war es seit dem 23. Juli/3. August 1 7 1 3 zur Belagerung von Stettin durch Russen und Sachsen gekommen, und als die Lage der Festung verzweifelt geworden war, trat die Frage der Sequester Stettins in ihr zweites Stadium. Am 19./30. September 1713 hatte der Kommandant General Meijerfelt die ihm anvertraute und tapfer verteidigte Stadt mit russischer Zustimmung zwei schwedischen Bataillonen überlassen, die vorher in gottorpischen Dienst übernommen worden waren. Der größere Rest der Garnison hatte freien Abzug nach Stralsund erhalten. Es war dann der Hauptrezeß zu Schwedt am 25. September/6. Oktober 1713 zwischen dem Fürsten Mensciiikow, welcher vorgab, durch die Nordische Allianz zum Abschluß bevoll1 Zu den früheren Phasen der Sequesterfrage vgl. Band II S. 231 f., 274 f., 291 f. Dort hat auch ihre Verfilzung mit den intriganten Plänen der holsteinischen Politik, sowie die Reaktion Dänemarks und die Stellungnahme des Zaren Darstellung gefunden. Bis zum Jahre 1716 spielt die Sequesterfrage in dem Propagandakrieg zwischen Schweden und Preußen eine sehr wesentliche Rolle. (Vgl. z. B. Preuß. Geh. Staatsarchiv, Varia bellum Svecicum concern. fol. 167, Rep. XI 247 II 115.) Die Propaganda wandte sich von beiden Seiten vor allem an Frankreich und den Kaiser.
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mächtigt zu sein, u n d den preußischen U n t e r h ä n d l e r n in Gegenw a r t Friedrich Wilhelms I. abgeschlossen w o r d e n . In A u s f ü h r u n g dieses V e r t r a g e s w a r e n zwei preußische Bataillone zu den beiden gottorpischen nach Stettin gelegt w o r d e n . Darauf w a r die Festungsk o m m a n d a n t u r aus den H ä n d e n des gottorpischen V e r m i t t l e r s v. Bassewitz, d e m Meijerfelt seine Festung ü b e r g e b e n h a t t e , an d e n r a n g ä l t e s t e n preußischen Offizier G e n e r a l m a j o r v. Borde übergegangen. Durch den Schwedter H a u p t r e z e ß h a t t e F ü r s t Menschikow im Namen des Z a r e n d e m König von P r e u ß e n Stettin bis zum Kriegsende in Sequesterverwaltung gegeben. E i n e geheime Klausel h a t t e festgelegt, d a ß a u ß e r dem H i n t e r l a n d der F e s t u n g bis zur P e e n e m i t den Plätzen D e m m i n und Anklam auch der auf dem W e s t u f e r d e r P e e n e a u s m ü n d u n g aus d e m Haff belegene O r t Wolgast in die Sequester einbegriffen sein sollte. Sachsen, das die von seinen T r u p p e n besetzten Plätze a n d e r P e e n e ausgeliefert h a t t e , war durch die b e d e u t e n d e S u m m e von 200 000 Reichstalern abgefund e n worden, die d e r König von P r e u ß e n aus seinem Staatsschatz gezahlt h a t t e . Dieser Betrag, der sich u m die gleiche, f ü r R u ß l a n d ausbedungene Summe v e r m e h r t e , sollte d a n n nach dem E n d e des Nordischen Krieges von Schweden gegen Rückgabe seines pommerschen Besitzes P r e u ß e n w i e d e r e r s t a t t e t w e r d e n . D e r S c h w e d t e r H a u p t r e z e ß ist jedoch schließlich nicht einmal von Sachsen u n d R u ß l a n d , geschweige denn von d e m benachteiligten u n d beiseite geschobenen V e r b ü n d e t e n D ä n e m a r k ratifiziert w o r d e n . Schweden legte feierlich V e r w a h r u n g ein. Beide e i n a n d e r v e r f e i n d e t e n Mächte p r o t e s t i e r t e n jede f ü r sich auf das h e f t i g s t e gegen diese h i n t e r ihrem Rücken abgeschlossene Abmachung. Praktisch w a r daraus die V e r p f ä n d u n g einer K r i e g s e r o b e r u n g a n einen d r i t t e n u n d zwar an einen n e u t r a l e n Staat geworden, eine T r a n s a k t i o n , die nach den damals geltenden völkerrechtlichen Begriffen höchst a n f e c h t b a r war. Doch v e r r i n g e r t e das keineswegs das politische Gewicht des Schwedter Hauptrezesses, dessen D u r c h f ü h r u n g n u n vornehmlich zu einem S t r e i t o b j e k t zwischen P r e u ß e n u n d Schweden wurde. D a m i t war die F r a g e der Sequester von Stettin in ihr d r i t t e s Stadium eingetreten. P r e u ß e n h a t t e zunächst versucht, auf dem Wege friedlicher V e r e i n b a r u n g e n den König von Schweden zur Ane r k e n n u n g des Geschehenen zu bewegen, u n d h a t t e sich dabei der Vermittlung F r a n k r e i c h s bedient, dessen Stimme bei den guten
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schwedisch-französischen Beziehungen Gewicht hatte. Doch hatte sich Preußen für einen schwedischen Verzicht auf den preußischen Sequesterbesitz in Pommern nur zu einer sehr wenig effektiven Unterstützung Schwedens mit diplomatischen Mitteln in dessen Kriege gegen die Nordische Allianz bereitfinden wollen. Karl XII. hatte dagegen offene Parteinahme Preußens, ja sogar Unterstütjung bei einer Wiederaufnahme des Kampfes um den Besig der verlorenen baltischen Länder verlangt und bis zu einer so weittragenden Entscheidung an seiner formellen Verwerfung des Hauptrezesses zu Schwedt festgehalten. Diese politische Entscheidung Preußens zugunsten Schwedens ist niemals erfolgt. Sie war bei der Schwäche der schwedischen Machtstellung südlich der Ostsee auch von Anfang an nicht zu erwarten gewesen und hätte ein ungeheures Risiko f ü r den Hohenzollernstaat bedeutet. Vielmehr hatte der preußische König alsbald nach dem Schwedter Hauptrezeß enge Fühlung mit Rußland aufgenommen und im Mai 1714 gleichzeitig mit der Ablehnung der schwedisch-französischen Angebote dem Zaren von deren Inhalt Mitteilung gemacht. So hatte das politische Schwergewicht der Abmachungen zu Schwedt dazu geführt, daß die schwedisch-preußischen Verbindungen abgerissen waren, daß Preußen zwar seine Neutralität im Nordischen Kriege noch aufrechterhalten hatte, daß aber sein Übertritt auf die Seite der Nordischen Allianz nur noch eine Frage der Zeit war. Besonders als Schweden die kaiserliche Autorität angerufen hatte, damit es wieder in den Besitz seiner in Deutschland verlorenen Länder gelange, und diese ebenso aussichtslose wie unvorsichtige diplomatische Aktion zur Kenntnis Preußens gelangt war, hatte die wachsende Spannung zwischen beiden Mächten dazu geführt, daß Friedrich Wilhelm I. in Mißachtung der zu Schwedt getroffenen Abreden die preußischen Truppen in Stettin im August 1714 ganz erheblich hatte verstärken lassen. Im Januar des kommenden Jahres folgte ein weiteres Regiment preußischer Truppen. 1 Gleichzeitig rüstete der heimgekehrte König von Schweden in Stralsund. Immerhin zählte die 1 H. Voges, Beiträge zur Geschichte des Feldzuges von 1715, in: Baltische Studien, N. F., Bd. VII (1903), S. 22 f. Anfang Februar folgte noch eine Schwadron Dragoner. Zur gleichen Zeit begann Friedrich Wilhelm I. in Stettin mit der Errichtung eines großen Magazins für 15 000 Mann. Nach Nordberg (Bd. II S. 493) lagen im März 1715 in Stettin jedoch erst 6 preußische Bataillone. Doch verlegte der preußische König Truppenteile aus den östlichen Gebieten der Monarchie nach Hinterpommern und begann damit, sie auf Feldfuß zu setzen.
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Besatzung von Stralsund um die Jahreswende 1714/1715 ungefähr 11 000 Mann, von denen allerdings nur ein Teil für einen Feldkrieg brauchbar und ausgerüstet war. 1 Noch einmal, zum letzten Male, hatte König Friedrich Wilhelm I. den Versuch gemacht, Karls XII. Zustimmung zu den Abreden von Schwedt zu gewinnen, als er den gerade von seiner schwedenfeindlidien Mission beim Zaren heimgekehrten, jedoch am schwedischen Hofe seit langem gut angeschriebenen Diplomatoffizier Graf Schlippenbach nach Stralsund entsandt hatte, um den König von Schweden zu seiner glücklichen Heimkehr in sein Reicht zu beglückwünschen. Schlippenbach war jedoch alsbald zurückberufen worden, als es sich herausstellte, daß Karl XII. nach wie vor zu keinerlei Entgegenkommen bereit war. 3 Und nun entstanden alsbald Händel wegen der Plätze an der Peene, deren Besitz Preußen im Schwedter Hauptrezeß insgeheim zugestanden worden war. Zunächst ließ König Karl am 12./23. Februar 1715 ein kleines Piquet von 20 preußischen Soldaten aus dem an der untersten Peene gegenüber der Insel Usedom gelegenen Städtchen Wolgast vertreiben. 3 Diese wenig bedeutende Unternehmung führte vorher und nachher zu erbitterten Remonstrationen von beiden Seiten, ging aber noch ohne Anwendung von Waffengewalt und vor allem ohne Blutvergießen ab. 1
Vgl. Band II S. 305. J. G. Droysen, Geschichte der preußischen Politik, Bd. IV 2 S. 302 Anm. 3, 309. Nach Droysens Ansicht sei das Verfahren Karls XII. dasjenige gewesen, was die Lage erforderte; »er mußte darauf rechnen, daß der Schrecken seines Namens ergänzen werde, was ihm zunächst noch an Mitteln fehlte«. Andererseits aber sagt Droysen, daß die preußischen Erbietungen keineswegs ein Zurückweichen vor dem gefürchteten Schwedenkönig bedeuteten. Nach S. Schartau (Förhällandet mellan Sverige och Hannover 1709—1715, S. 166 f.) erklärt sich dieser letzte Versuch Preußens, zu einem Ausgleich mit Schweden, dessen Träger Schlippenbach war, zu gelangen, dadurch, daß die preußisch-hannoverischen Verhandlungen nicht vom Flecke kamen und daß Georg I. sogar mit der Ratiiikation der Punktuationen zu Alt-Landsberg vom 11. November (n.St.) 1714 (vgl. Band II S. 302) Schwierigkeiten machte. War es doch sogar so, daß die englischen Torys, die eine Wiederkehr der Dynastie Stuart begünstigten, sich gegen den Erwerb von Bremen stemmten, der ja für Georg I. sein Hauptanliegen bei dem Abschluß der Punktuationen von Alt-Landsberg gewesen war. Erst nach dem Wahlsieg der Whigs im Februar 1715 wichen die Torys in ihren Forderungen zurück. Über den Verlauf der Mission Schlippenbachs vgl. die immer noch sehr lesenswerte und gut dokumentierte Abhandlung von B. Lundberg, De diplomatiska förbindelserna mellan Sverige och Preussen 1709—1715 (Lund 1893), S. 158 f. 3 Wolgast befand sich, auf dem linken Peeneufer gelegen, außerhalb des eigentlichen Sequesterbereichs, und die Verlegung preußischen Militärs dorthin bedeutete nach schwedischer Auffassung daher einen Übergriff. 2
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Friedrich Wilhelm I. begann nun für einen Feldzug gegen Schweden vorbereitende Vorsichtsmaßnahmen größeren Stils. Er befürchtete einen Durchbruch der schwedischen Königsarmee über die Inseln Usedom und Wollin hinweg durch preußisches Gebiet nach Polen. 17 Infanterieregimenter, 4 weitere Bataillone und 16 Kavallerieregimenter, die sich bis zum 30. März/10. April in einem Lager bei Schwedt versammeln sollten, wurden für diesen Konfliktsfall bestimmt.1 Gleichzeitig verstärkten die Preußen ihre Stellungen auf den Oderinseln2 und die Schweden ihre Positionen an der Peenelinie. Im März 1715 hatten die Preußen mit der Befestigung des Städtchens Wollin begonnen, dessen Lage die Einfahrt aus dem Stettiner Haff in die damals allerdings kaum schiffbare Dievenow beherrscht. Als die Vorstellungen, die König Karl von Stralsund aus gegen diese militärische Maßnahme erheben ließ, nichts fruchteten, stellte er im Schutze der Rügenschen Halbinsel Mönchgut eine Flottenexpedition zusammen,3 landete am 11./22. April auf Usedom und ließ wenige Tage darauf, nachdem die Preußen die erste Salve abgefeuert hatten, die inzwischen verstärkte Peenemünder Schanze4 durch die Übermacht seiner drei Bataillone erstürmen. Darauf erfolgte in wenigen Tagen die Besetzung der ganzen Insel Usedom durch die Schweden, teils durch Truppen, 1 Doch sammelten Bich diese Regimenter erst nach dem l.Mai in der Gegend von Stettin. 2 Darin, wie überhaupt in 6einen Kriegsrüstungen, wurde Friedrich Wilhelm I. bestärkt durch eine Denkschrift des sächsischen Ministers Graf v. Flemming vom 23. März (n. St.) und durch ein Handschreiben des Zaren vom 1. April. Ein Auszug aus ersterem Dokument mit Randbemerkungen des Königs, aus denen sein Kriegswille klar hervorgeht, und der Brief des Zaren im Wortlaut finden sich bei J. G. Droysen, Geschichte der preußischen Politik, Bd. IV 4 S. 318 f. und 321 f. Über die Datierung des Zarenbriefes vgl. Band III S. 19. 3 Seitdem im November 1713 Dänemark seine Flotte aus den pommerschen Gewässern zurückgezogen hatte, beherrschte das leichte schwedische Geschwader von Stralsund wieder den Greifswalder Bodden. (Vgl. Band II S. 241.) 4 Bei Nordberg (Bd. II S. 498) findet offenbar eine Verwechslung der Peenemünder Schanze mit Wollin statt. Denn noch vier Wochen später stand auf der Insel Wollin die Armeeabteilung v. Arnim in Stärke von 9200 Mann, davon in der Stadt Wollin selber acht preußische Bataillone. (Nach den Akten des Preuß. Geh. Staatsarchivs H. Voges in: Baltische Studien N. F. Bd. VII S. 60, 71.) In dem Brief v. Müllems an Stiernhöök in Wien, den Nordberg (Bd. II S. 501 f.) wiedergibt, ist dann richtig von dem Zwischenfall bei den Schanzen auf Usedom die Rede. Nach dem Dänischen Generalstabswerk (Bd. VII S. 40/41) hat sich indessen die Peenemünder Schanze kampflos ergeben, während die Swineschanze erstürmt werden mußte.
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die das leichte Geschwader von Stralsund gelandet hatte, teils über 'die unterste Peene hinweg. Die gefangengenommenen schwachen preußischen Truppen wurden auf die Nachbarinsel Wollin oder nach Anklam entlassen, da Karl der X I I . damals noch den offenen Bruch mit Preußen zu vermeiden wünschte. 1 So war bei der Erstürmung der Peenemünder Schanze das B l u t geflossen, an dem sich der Kriegsbrand zwischen beiden Mächten entzündete. Der König von Preußen beantwortete diesen neuen Handstreich dadurch, daß er am 16./27. April 1715 die beiden gottorpischen Besatjungsbataillone in Stettin 2 gefangen nehmen, das Arsenal besetzen und die schwedische Zivilverwaltung der Stadt, die bis dahin immer noch ungestört ihres Amtes gewaltet hatte, absetzen ließ. Außerdem befahl er, den schwedischen Gesandten in Berlin Baron Friesendorf und seinen Sekretär Brunei aus Preußen auszuweisen, ebenso den schwedisdernissen, die indessen auf etwa 40 km Abstand von Stral1 Nach einem Briefe Peters an Friedrich Wilhelm (Preuß. Geh. Staatsarchiv Rep. 247) vom 11./22. April. Doch ist dies russische Korps während des Jahres 1715 niemals auf dem Kriegsschauplatz in Pommern erschienen, da es durch einen polnischen Aufstand gegen König August festgehalten wurde. August der Starke selber widersetzte sich einem Durchmarsch der Russen durch Polen. Auch Preußen zeigte sich schließlich wenig interessiert an russischer Waffenhilfe. (Vgl. hierüber H. Voges, Balt. Studien N. F. Bd. VIII S. 55f.; Dan. Gen.-Stab Bd. VII S. 134 f., 195; P. Sörensson in: Kar. Förb. Arsbok 1926 S. 185, 220 f.). 2 Die Angabe der Stärke der Belagerer bei Nordberg (Bd. II S. 514) ist nicht ganz zutreffend.
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sund die enorme Länge von mehr als 100 km ausmachen, -wäre gegenüber der feindlichen Übermacht, die ihre Stoßrichtung hätte wählen können, ein Widerstand völlig aussichtslos gewesen.1 Eben* so hatte Karl XII. weiter rückwärts die für eine Verteidigung sehr geeignete, nur 20 1"" messende Widerstandslinie hinter den Sumpf- und Wasserstrecken des Borgwallseeabschnitts preisgeben müssen. Offenbar war auch zur ausreichenden Besetjung dieses nur 5 km von den Festungswerken entfernten Geländeabschnittes seine Streitmacht zu schwach.3
1 Auch wenn Karl XII. unter Aufgabe des Peeneabschnittes seine Verteidigung auf pommer8chem Boden hinter die obere Trebel und den bei Greifswald ins Meer mündenden Byckgraben verlegt hätte, wo sie im Jahre 1712 gestanden hatte, wäre die gesamte Abwehrfront vom Saaler Bodden bis zum Greifswalder Bodden hinter den natürlichen Hindernissen der Recknitz, der oberen Trebel und des Byckgrabens immer noch 70 km lang gewesen, hätte also von den zu schwachen schwedischen Kräften gegen die feindliche Übermacht nicht gehalten werden können. 2 Vgl. Band II S. 160 f., 169.
KAPITEL II
Die Operationen zu Lande und zur See bis zur Einschließung von Stralsund.
Gegenüber der im offenen Felde erdrückenden Übermacht der gegnerischen Koalition hatten des schwedischen Königs Abwehrmaßnahmen rein defensiv bleiben müssen. Es erhebt sich hier die Frage, aus welchen Gründen Karl XII. nicht dem Beispiel Stenboeks vom Oktober 1712 gefolgt ist und rechtzeitig über die untere Recknitj vorgebrochen ist, um sidi auf die von Rostode anmarschierenden Dänen zu werfen. 1 Ebenso wäre eine offensive Aktion gegen die auf den Peeneabschnitt heranrückenden Preußen und Sachsen an sich denkbar gewesen. Kein Zweifel, daß die mächtige kriegerische Energie des Schwedenkönigs diese Möglichkeiten erwogen, jedoch schließlich verworfen hat. Die Gründe für diesen Entschluß liegen klar zutage. Stenbock verfügte im Herbst 1712 bei Stralsund insgesamt über 19 000 Mann, aus denen er eine vortrefflidie Feldarmee von 16 000 Mann aller Waffengattungen zusammenstellen konnte. Karl XII. hatte drei Jahre später dagegen nur 12 000 Mann, einschließlich der Kranken unid Abkommandierten, zur Verfügung, von denen 4000 Mann als Festungsbesatjung damals unbedingt erforderlich waren.2 Vgl. Band II S. 160 f., 182 f. Karls XII. Armee in Stralsund, die seit dem Abzug Stenbocks bis zum Jahre 1715 dort emporgewachsen war, setzte sich, außer den von Stenbock zurückgelassenen 3000 Mann, aus Verstärkungen von Wismar, den aus Stettin abgezogenen Truppen, einem aus Frankreich zurückgekehrten gottorpischen Hilfskorps, dem Heeresgefolge des Königs aus der Türkei und einigen Verstärkungen aus dem Mutterlande zusammen. Sie war also auf das bunteste zuammengewürfelt und bestand zum allergrößten Teil aus Deutschen. Von diesen 12 000 Mann waren 7000 Mann Fußvolk und 3000 Reiter, der Rest sonstiges militärisches Personal. Die Besatzung der Festung Wismar, die 1713 noch über 5000 Mann gezählt hatte, war im Jahre 1715 auf 3000 Mann gesunken, die indes hinreichend waren. (Vgl. Band I I S. 240/241, 304/305.) H. Voges (Balt. Studien N. F. Bd. VII S. 67) überschätzt die Stärke der Armee von Stralsund 1 2
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Mit nur 8000 Mann hatte er weder gegenüber den mehr als 28 000 Dänen 1 nodi gegenüber den fast 27 000 Mann zählenden Preußen und Sachsen 2 einige Aussicht, ein neues Gadebusch zu schlagen. Vor allem hat auf der schwedischen Seite eine für die Schlachtentscheidung im offenen Felde unentbehrliche, ausreichend starke und gut berittene Reiterwaffe gefehlt. 3 Entscheidend für den schweren Entschluß des schwedischen Königs, auf einen Ausbruch aus dem Festungsbereich und eine Feldschlacht zu verzichten, dürfte die Tatsadie gewesen sein, daß diesmal, sehr zum Unterschied zu der strategischen Lage, der sich Stenbock während der Monate Oktober—Dezember 1712 gegenüber sah, die Nordischen Alliierten im J a h r e 1715 ihren Vormarsch sehr viel besser koordiniert hatten. Sie überschritten ziemlich gleichzeitig die Flußbarrieren der Recknitj—Trebellinie und der Peenelinie und trafen ebenso audi gleichzeitig vor den Außenwerken von Stralsund ein, wo der König von Preußen und unter ihm der Alte Dessauer den Oberbefehl übernahm. Unter soldien Umständen war eine Ausbruchsoperation aus dem Raum von Stralsund über die Flußlinien hinweg zur Erzwingung einer Schlachtentscheidung gegen eine der beiden heranrückenden gegnerischen Kräftegruppen für die Schweden undurchführbar. Hätte Karl XII. mit der viel zu geringen Stärke von etwa 8000 Mann die Dänen oder die Preußen und Sachsen angefallen, so hätte eine Katastrophe für die Schweden allein schon deswegen nicht ausbleiben können, weil die nicht angegriffene feindliche Kräftegruppe rechtzeitig mit starkem Aufgebot auf dem Walplatj hätte eintreffen und die Schlacht entscheiden können. mit 17 000 Mann bei weitem, gibt aber ein zutreffendes Bild von den Mängeln in der Ausrüstung der Schweden. Später dagegen (Bd. VIII S. 91) gibt der gleiche Verfasser die zutreffende Truppenstärke von 12 000 Mann an. Der wie immer gut unterrichtete Engländer Jefferyes, der wie einst in der Türkei so auch jetzt im Hauptquartier Karls XII. weilte, beziffert zu Anfang des Juni die Stärke der Schweden in Stralsund auf höchstens 12 000 Mann. (Jefferyes' bref in: ffist. Handl. Del 16 S. 96.) 1 Außer einer kleinen Besatzung in Rostock hatte der dänische Oberbefehlshaber 5000 Mann als Einschließungskorps vor Wismar zurückgelassen. 2 Die 3500 Preußen vor Wismar scheinen nicht in der von Nordberg (Bd. I I S. 505) angegebenen Truppenstärke von 16 000 Mann mit inbegriffen zu sein. Creifswald wurde nur von einigen Kompanien preußischen Militärs besetzt s Von den 3000 Reitern, die Karl XII. in Stralsund vorgefunden hatte, war mehr als die Hälfte unberitten. Allerdings waren zu Beginn des Jahres 1715 Kavalleriepferde aufgekauft worden. Ferner waren in der Landgrafschaft Hessen-Kassel Monturen angefertigt worden. Dadurch wuchs natürlich die Kampfbereitschaft der Truppen.
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Selbst bei Gadebusch war es doch so gewesen, daß wenigstens einige sächsische Reiterregimenter unter Flemmings Oberbefehl rechtzeitig zur Stelle gewesen waren, eine schwere Belastung für Stenbocks Schlachtplan. 1 Die Stenbocksituation vom Herbst und Frühwinter 1712 wiederholte sich für König Karl X I I . im Sommer des Jahres 1715 nicht. Im Gegensatj zu der im Vorhergehenden vertretenen Auffassung von den harten Notwendigkeiten, vor die sich K a r l X I I . im J a h r e 1715 gestellt sah und denen er in seinen militärischen Entschlüssen Rechnung getragen hat, findet Hermann Voges in den durch Gründlichkeit ausgezeichneten Forschungen, die er der dramatischen Geschichte dieses letjten Feldzuges des schwedischen Königs auf deutschem Boden gewidmet hat, 2 dieser habe es verabsäumt, rechtzeitig die strategische Offensive zu ergreifen. K a r l X I I . hätte während der Bereitstellung der gegnerischen Heeresverbände über die Oderinseln nach Hinterpommern und Polen durchbrechen können, und später, während des Anmarsches der Preußen und Sachsen von Südosten und der Dänen von Westen her, hätte er gegen eine der beiden Armeegruppen ein neues Gadebusch zu schlagen vermocht. Man könne sich nicht genug darüber wundern, — so meint dieser historische Verfasser — , daß die Alliierten bis vor die Wälle von Stralsund gelangten, ohne irgendwo auf ernstlichen Widerstand zu stoßen. B e i einem geglückten Durchbruch nach Polen hätte die Königsarmee auf den inneren Linien zwischen Polen, Sachsen, Preußen und Russen operieren können; die gegnerischen Truppen in Pommern hätten folgen müssen; das feste Stralsund wäre alsbald des feindlichen Angriffs quitt geworden; im Falle eines Schlachtensieges hätte der König von Schweden mit starkem Anschluß an polnischen Aufständischen sowie mit einer türkischen Hilfsarmee rechnen können; ja, es sei sogar nicht unwahrscheinlich gewesen, daß Frankreich vom Rhein her Truppen hätte marschieren lassen, um Schweden zu helfen. Noch unverzeihlicher als die Unterlassung eines rechtzeitigen Durchbruchs nach Polen sei — so meint Voges — es gewesen, daß K a r l eine Vereinigung der preußisch-sächsischen mit der dänischen Armee zugelassen habe. E r hätte entweder wie einst Stenbock sich Vgl. Band II S. 195 f., 204. Baltische Studien N. F. Bd. VII—IX, und Die Belagerung von Stralsund, Stettin 1922. 1
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den Dänen während ihres Vormarsches mit allen seinen Kräften entgegenwerfen sollen oder von seiner beherrschenden Stellung bei Loitz aus die über die Peene vordringenden Truppen Friedrich Wilhelms I. in der linken Flanke packen und im Schule der nur an wenigen Stellen passierbaren Redtnig—Trebel—Peenelinie zu einer Schlacht mit verkehrten Fronten zwingen können. Indessen fehlten für einen Durchbruch nach Polen und vor allem für eine erfolgreiche Kriegführung in diesem Lande, das weithin von sehr starken russischen Truppen beherrsdit wurde, alle Voraussetzungen. Das gleiche gilt für eine Feldschlacht auf mecklenburgischem oder pommerschem Boden entweder mit den Dänen oder mit den Preußen und Sachsen. Vor allem waren Karls feldtüchtige Verbände, über die er nach Abzug der als Festungsbesatjung unentbehrlichen Truppenteile verfügen konnte, an Zahl viel zu schwach. E r konnte keineswegs 17 000 Mann in den Feldkrieg führen, wie Voges irrigerweise annimmt, sondern nur etwa 8000. Vor allem aber fehlte ihm ja eine ausreichend starke und gut berittene Kavallerie, die für eine Feldschlacht, noch mehr aber für eine Kriegführung in den weiten, dünn besiedelten Ebenen des Ostens absolut unentbehrlich war. 1 Dazu traten zahlreiche schwere Mängel in der Ausrüstung aller seiner Truppengattungen. In keinem Falle konnte der König, wenn wirklich der Durchbruch nach Polen gelang, auf türkische Waffenhilfe rechnen. Die Türkei hatte sich ja seit ihrem Friedensschluß mit Polen vom April des Vorjahres längst an Polen desinteressiert. 2 Ebensowenig konnte nach dem 22. August/1. September erfolgten Tode Ludwigs X I V . ein bewaffnetes Eingreifen des tief erschöpften Frankreich auf deutschem Boden erwartet werden. Und wie wenig auf einen 1 Dieser schwere Mangel, der damals den zeitgenössischen Beobachtern allgemein bekannt war, ist auch Voges nicht ganz entgangen. Nicht dagegen ist die Meinung von Voges zutreffend, als sei Karl bei einem Durchbruch nach Polen von der Nachführung von Magazinen abhängig gewesen. Karl XII. hatte vielmehr bei zahlreichen seiner früheren Züge auf den östlichen Kriegsschauplätzen sich aus dem Lande versorgen können, ohne daß dieser Umstand die Schlagkraft seiner Truppen beeinträchtigt hätte. Wenn Voges dann abschließend zu dem Ergebnis gelangt, der schwedische König sei von vornherein auf die Defensive angewiesen gewesen, so erledigt sich nach alledem die anfangs von diesem Militärkritiker vertretene Ansicht, daß für Karl XII. im Sommer des Jahres 1715 ein Durchbruch von Stralsund nach Polen im Bereich der Möglichkeiten gelegen habe, von selbst an den inneren Widersprüchen seiner Argumentation. 2 Vgl. Band II S. 308 f. Gerade damals war die Türkei zudem in einen gefährlichen Krieg mit Venedig und Habsburg verwickelt.
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Kräftezuschuß aus dem desorganisierten Polen zu hoffen war, das hatte die schwedische Heeresleitung in früheren Jahren, als Schweden noch militärisch intakt war, mehr als einmal genugsam erfahren müssen. Ebensowenig wie Karls XII. Streitkräfte für einen Durchbrach nach Polen nach Zahl, Zusammensetzung und Ausrüstung hinreichten, waren sie auch zu einer Feldschlacht gegen eine der beiden übermächtigen feindlichen Kräftegruppen im Stande. Die 8000 Mann schwedischer Feldtruppen hätten entweder gegen 30 000 Dänen oder gegen 24 000 Mann Preußen und Sachsen schlagen müssen, in jedem Falle gegen eine Überzahl an erstklassigen Truppen, gegen die ein Schlachtensieg von vornherein so gut wie ausgeschlossen war. Vor allem aber war der Vormarsch dieser beiden Heeresgruppen sowohl zeitlich wie in der Wahl der Marschrouten so gut geplant und durchgeführt, daß es für die schwedische Königsarmee nicht möglich gewesen wäre, den einen Gegner zur Schlacht zu stellen, ohne daß der andere rechtzeitig hätte zu Hilfe eilen können. In einer so aussichtslosen Lage mußte auch ein Feldherr wie Karl XII., der sich niemals gescheut hat, feindliche Übermacht im offenen Felde anzugreifen, vor dem Risiko einer Schlacht zurückschrecken.1 Es beruht nach alledem auf irrigen Voraussetzungen, wenn Voges das »Rückwärtskonzentrieren« des schwedischen Heeres von der Peenelinie gegen Stralsund hin aus strategisch-politischen Gründen entschieden verurteilen zu müssen glaubt. Wohl aber war es in der Tat eine Kriegführung wie -des Vercingetorix vor Alesia oder wie die Bazaines vor Metz. In jedem dieser Fälle blieb dem Feldherrn schließlich keine andere Wahl, als aus dem Feldkrieg, in dem eine Schlacht unmöglich zu gewinnen war, zum Festungskrieg überzugehen. Wenn es auch zutreffend ist, daß !) Nach H. Voges (Ball. Studien N. F. Bd. VIII S. 81) sei auch Karl XII. ein Kind seiner Zeit gewesen, in der die Feldherren Schlachten nach Möglichkeit zu vermeiden suchten. Dieser Erklärungsversuch dafür, daß der König 1715 vor Stralsund einer Feldschlacht aus dem Wege gegangen ist, muß durchaus abwegig erscheinen. In dieser Hinsicht bedurfte es kaum noch der Untersuchungen des Schwedischen Generalstabswerks »Karl XII. pä slagfältet«, um zu zeigen, daß die Kriegführung des Königs allezeit, wo immer nur möglich, vom Manöver hinweg dem Schlachtenpol zugestrebt ist. (»Karl XII. pä slagfältet« S. 912: »Karl XII :s krigföring och slag präglades alltid av hans strävan efter det fullständiga avgörandet. Även under de sväraste omständigheter begagnade fältherren varje medel att framkalla största möjliga seger, väl vetande att läget i stört icke tillät honom att nöja sig med mindre.c)
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dieser Entschluß Karls X I I . den Untergang seines Heeres in naher Zukunft unabwendbar machte, daß ferner dadurch der Ausgang wenn auch nicht des ganzen Krieges, wie Voges meint, so doch des norddeutschen Feldzuges besiegelt wurde, so ist es aber nicht minder zutreffend, daß die Verhältnisse stärker waren als selbst die gewaltige Energie dieses geborenen Heerführers. Mit guten Gründen hatte also König Karl darauf verzichtet, auf der Landseite das weite Vorfeld der Festung Stralsund zu verteidigen. Statt dessen hatte e r alle Energie auf die Sperrung des komplizierten Systems der Seewege nach Stralsund gewandt. Solange Rügen und die Oderinseln sich in schwedischer Hand befanden, war die feste Stadt am Strelasund im Schutze ihrer starken Werke und der vor ihnen liegenden Wasserbreiten so gut wie uneinnehmbar und konnte immer wieder Kräftezufuhr aus dem schwedischen Mutterlande erhalten. Die nördliche Einfahrt in den Strelasund zwischen Hiddensö und der Halbinsel Zingst war navigatorisch so schwierig, und ein Versuch, dort durchzudringen und auf Rügen zu landen, bot so geringe Möglichkeiten einer Unterstütjung von der Landseite aus, daß diese Angriffsrichtung für die Pläne der Nordischen Alliierten ausschied. Sie ist daher auch niemals, weder 1712 noch 1715, von dänischen Kriegsschiffen versucht worden. Dagegen bot an der Südosteinfahrt in den Strelasund das Becken des Creifswalder Boddens gute Möglichkeiten für eine Landung auf Rügen und für eine völlige Einschließung der Festung. Doch mußte dafür die Ausfahrt aus dem Stettiner Haff aufgesprengt und die Einfahrt in den Greifswalder Bodden erzwungen werden. Das war aber nicht möglich ohne sehr schwierige kombinierte Operationen zur See und zu Lande. Die gleichen Schwierigkeiten galten auch für die schwedischen Abwehrmaßnahmen. Usedom war in guten Verteidigungszustand gebracht, vor allem die Peenemünder Schanze und die Swineschanze an diesen beiden Ausfahrten in die Pommersche Bucht für die Verteidigung ausgebaut. Am linken Peeneufer war Wolgast in schwedischer Hand. 1 Auf der Insel Wollin dagegen standen seit Anfang Mai in ansehnlicher Stärke die Preußen. 2 V o r allem 1 Nicht erst schen Politik, Preußen dann Band III S. 8,
seit dem 17./28. Juli, wie J. G. Droysen (Geschichte der preußiBd. IV 2 S. 133) angibt. Nach Droysens Darstellung hätten die drei Tage später das Schloß von Wolgast erstürmt. Vgl. dazu 33. Nordberg Bd. I I S. 517.
2 Die Armeeabteilung v. Arnim zählte 9200 Mann, darunter 4 sächsische Infanteriebataillone und 2 sächsische Kavallerieregimenter.
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aber wurde das Stettiner Haff durch ein kleines schwedisches Geschwader bestückter Schiffe beherrscht. Auf Rügen waren an allen für eine Landung geeigneten Stellen Verteidigungsanlagen aufgeworfen worden, besonders an dem hauptsächlich bedrohten Südufer der Insel zwischen den Rügenschen Halbinseln Zudar und Mönchgut. Die kleine Insel Rüden unweit der Peenemünder Schanze war stark befestigt und besetjt worden. Und eine nicht unbedeutende Kampfkraft besaß das schwedische Geschwader von Stralsund. Es kam für die Nordischen Alliierten alles darauf an, daß die dänische Flotte in Aktion trat, um die schwedischen Kriegsschiffe von der See zu vertreiben. Ohne dänische Flottenhilfe wäre das schwere Unternehmen gegen Stralsund von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen. Allerdings mußte mit Gegenwirkungen von Seiten der in Karlskrona stationierten schwedischen Hochseeflotte gerechnet werden. Doch lag dieser Flottenstützpunkt für Unternehmungen in den Rügenschen Gewässern weit ungünstiger als Kopenhagen. Seit Ende Juni jedenfalls waren beide Hochseeflotten in See. 1 Am 7./18. Juli 1715 erschien ein bunt zusammengesetztes dänisches Geschwader unter dem Kommando des Vizeadmirals Sehestedt, 2 bestehend aus 29 flachgehenden Schiffen, darunter 5 Fregatten, mit einem Schlachtschiff, das die Flagge des Admirals führte, und einer Anzahl von Transportschiffen, die für eine Landung auf Rügen bestimmt waren, in der Pommerschen Bucht bei der Greifswalder Oie. Das bedeutete den Beginn der Kämpfe zur See um die Einfahrt in den Greifswalder Bodden.® Sie wurde durch das schwedische Geschwader von Stralsund gesperrt, von dem 6 Fregatten und 2 Artillerieschiffe, gestützt auf die artilleristische Kampfkraft der Insel Rüden, den dänischen Schiffen sich vorlegten. Dort entspann sich am 9./20. Juli ein Artilleriegefecht. Es 1 Am 13./24. April bereits hatte ein Seegefecht zwischen einer überlegenen dänischen und einer schwedischen Flottenabteilung im Fehmarnbelt stattgefunden, das für die Schweden mit Verlust zweier Kriegsschiffe geendet hatte. Die schwedischen Schiffe hatten sich in die Kieler Förde retten müssen. Dort waren auch die übrigen sechs Schiffe der schwedischen Flottenabteilung verlorengegangen. (A. Hojer, König Friedrichs IV. glorwürdigstes Leben, S. 282 f.) Der Verlauf der Seeschlacht ist im einzelnen untersucht und dargestellt im Dan. Gen.-Stabswerk Bd. VII S. 25 f. und bei 0 . Bergersen, Viceadmiral Tordenskiold, Bd. I S. 504 f.) 3 Über die Persönlichkeit dieses bedeutenden Seeoffiziers vgl. Dan. Gen.-Stab Bd. VII S. 82. 3 Die bei Nordberg (Bd. II S. 516 f.) angegebenen Schiffszahlen sind nicht richtig.
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kam jedoch hier zunächst zu keiner Seeschlacht. Denn am folgenden Tage t r a f unter Admiral Claes Sparre das Geschwader von Karlskrona, auf 20 große Kriegsschiffe sowie einige Fregatten und Brander verstärkt, mit Rekruten, Kriegsmaterial und Vorräten an B o r d von Transportschiffen vor der Insel Rügen ein und landete dort seinen wertvollen Kräftezuschuß. 1 Vor dieser überlegenen Flottenstärke zogen sich die größeren dänischen Schiffe nach der Insel Moen zurück, während die Flottille an kleineren Schiffen sich unter Land vor Usedom legte, wo sie, wenn auch von der Land- wie von der Seeseite her beschossen, den tiefgehenden Linienschiffen des schwedischen Geschwaders unangreifbar war. Doch mußte die Lage dieser blockierten dänischen Schiffe sehr bedenklich werden, wenn sie nicht von See aus entsetzt wurden. 2 Sehestedts Flottille war nach ihrer Schiffszusammensetjung allein imstande, die Einfahrt in den Greifswalder Bodden zu erzwingen und in den dortigen flachen Gewässern zu operieren. Von ihrer Rettung hing es ganz wesentlich ab, ob in diesem J a h r e noch auf Rügen gelandet und der Feldzug um den Besitz von Stralsund glücklich zu Ende geführt werden konnte. Bis zum 28. Juli/8. August trafen aus den dänischen Gewässern unter Admiral Peter Raben dann endlich 2 1 große Kriegsschiffe und eine Anzahl von Fregatten und Brandern ein. An diesem Tage kam es zwischen der Halbinsel Jasmund und der Greifswalder Oie zu einer heftigen und auf beiden Seiten verlustreichen Seeschlacht zwischen den dort zusammengezogenen ziemlich gleich starken Kriegsflotten, worauf sowohl Raben wie Sparre mit ihren großen Schiffen, der eine nach Kopenhagen, der andere nach Karlskrona, die pommerschen Küstengewässer wieder verließen. Die Seeschlacht war taktisch unentschieden geblieben, hatte indes die wichtige Folge, daß Sehestedts leichtes Geschwader entsetzt und für seine große Aufgabe, die Forcierung der Einfahrt in den Greifswalder Bodden, frei geworden war. Diesen Operationen zur See hatte König Karl, teils von Rüden, teils von Rügen aus, beigewohnt. Sie waren wenigstens insofern ein Erfolg für die schwedische Seite, als die beabsichtigte Landung des Feindes auf der 1 Über die preußischen Besorgnisse wegen einer schwedischen Landung an der hinterpommerschen Küste vgl. H. Voges a. a. O. S. 63 f. 2 Um die Bedrohung dieser dänischen Schiffe vom Lande her auszuschalten und ihre Versorgung zu ermöglichen, befahl der König von Preußen am 13./24. Juli den sofortigen Beginn der Okkupation der Insel Usedom.
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Insel Rügen zunächst unterblieben war.1 Beide Gegner rühmten sich ihres Seesieges. Aber beide Hauptflotten schieden infolge ihrer Havarien auf lange Wochen aus den Kriegshandlungen aus. Es hatte sich dabei für die kombinierte Land- und Seekriegführung der Nordischen Alliierten die Notwendigkeit ergeben, sich zunächst einmal der Oderinsel Usedom zu bemächtigen. Schon am 16./27. Juli hatte die schwache schwedische Besatzung von Wolgast erst die Stadt und zwei Tage später auch das feste Wasserschloß vor preußischer Übermacht räumen müssen.2 Nach weiteren zwei Tagen war von der Insel Wollin aus gegenüber der Swineschanze auf Booten der Übergang nach Usedom erfolgt. Die dort stehenden Schweden, bei denen ihr König sich befand, waren nach heftigem Widerstand, wobei sich Karl XII. nach seiner Art wiederum stark exponierte, durch die weit überlegenen Truppen der Armeeabteilung v. Arnim an der Swinemündung geworfen worden. Noch am gleichen Tage waren 200 Mann schwedischer Reiterei bei der Swineschanze übermannt und zum größten Teil im Nahkampf, Deutsche gegen Deutsche, wie so oft in der leidvollen Geschichte dieser Nation, getötet worden.3 Der Rest der Schweden an Infanterie und Reiterei hatte sich unter dem Feuerschutz schwedischer Kriegsschiffe mit dem König nach Koserow und dann nach Peenemünde zurückgezogen. Damit war die bedrängte Lage der unter Land liegenden Flottille des dänischen Vizeadmirals Sehestedt ganz bedeutend erleichtert. Nachdem Wolgast und die Swineschanze verloren waren, konnte das Stettiner Haff von der kleinen schwedischen Flottille nicht mehr behauptet werden. Durch die geöffnete Swine drangen dänische Schiffe von der Flottenabteilung Sehestedt in das Haff ein. 1 Der Verlauf der Operationen der beiden Hauptflotten während der Monate Juli und August findet ausführliche Darstellung im Dan. Gen.-Stabswerk Bd. VII S. 93 f., 107 f. und, sehr kritisch gegenüber der dänischen Flottenführung, bei O. Bergersen, Viceadmiral Tordenskiold, Bd. I S. 523 f. In dieser Seeschlacht kam der tapfere Befehlshaber des schwedischen Geschwaders von Stralsund, Vizeadmiral Henck, ums Leben. Vgl. Band III S. 30/31. 3 Nach Nordberg (Bd. II S. 517) hat die Besatzung kapituliert. Sie scheint sich jedoch auf einige Kaperschiffe der Haffflotille gerettet zu haben. 3 Nordbergs Darstellung (Bd. II S. 517 f.) entbehrt ganz offenkundig der Kenntnis der näheren Umstände dieser Gefechtshandlung, die H.Voges (Balt. Studien N. F. Bd. VIII S. 166) nach den preußischen Quellen im einzelnen aufgehellt hat. Vgl. Arnims »Relation von der Eroberung der Insel Usedom und der Peenemünder Schantze« vom 4./15. September (bei J. G. Droysen, Geschichte der preußischen Politik, Bd. IV 4 S. 364 f.), femer die Darstellung des Dan. Gen.-Stabswerks Bd. VII S. 102 f.
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Doch vermochte der schwedisch« Flottillenchef an den von den Preußen aufgeworfenen Strandbatterien vorbei alle seine Schiffe durdi die Peeneausfahrt in die offene See zu retten, ohne daß das draußen liegende dänische Geschwader Gelegenheit fand einzugreifen. Die stark bestückte und besetzte Sternschanze bei Peenemünde konnte jedoch nicht so leicht wie die Schanze an der Swinemündung durch einen Handstreich überrumpelt werden. Sie war auf drei Seiten durch die Ostsee geschützt, zudem gegen ein Landungsunternehmen von der See her gedeckt durch die große Batterie auf der nahen Insel Rüden. Die Landseite gegen Südosten war sumpfig und von Gräben durchzogen; sie wurde völlig unpassierbar, sobald starker Nordwest das Wasser der Peene aufstaute. Nur von dorther konnte Friedrich Wilhelm I. angreifen lassen. Schwere Belagerungsartillerie, Munition und Schanzzeug mußten von Anklam herangeschafft werden, damit ein regulärer Belagerungsangriff durchgeführt werden konnte. Mehr als zwei Wochen gingen darüber ins Land. In der Nacht vom 6./17. auf den 7./18. August wurde die erste Parallele fertig, und drei eingebaute Batterien begannen die Beschießung. Zwei Tage darauf wurde die zweite Parallele etwa 100 m von der Südfront des Werkes ausgehoben. Indessen drängte die Zeit. Denn es mußte die Peenedurchfahrt in den Greifswalder Bodden, welche durch die 13 Feuerschlünde der Schanze beherrscht wurde, schleunigst geöffnet werden, wenn noch vor Einbruch der rauhen Jahreszeit das Geschwader von Stralsund aus dem Greifswalder Bodden vertrieben und die Landung auf Rügen durchgeführt werden sollte, ohne die das feste Stralsund nicht bezwungen werden konnte. General v. Arnim entschloß sich aus diesen Erwägungen heraus, und zur Eile angetrieben durch seinen König, zu dem Wagnis, auf die Anlage der dritten Parallele zu verzichten und von der zweiten aus zu stürmen. Nach einer pausenlosen nächtlichen Beschießung aus Kanonen und Mörsern traten nodi bei Dunkelheit am 11./22. August die Belagerer in drei Sturmkolonnen an und eroberten nach einstündigem erbittertem Kampf, schon vorher durch das heftige Abwehrfeuer furchtbar dezimiert, die Schanze gegen den hartnäckigen Widerstand der Verteidiger. Die Verluste waren auf beiden Seiten sehr hoch. Von den nicht ganz 300 Schweden1 wurden 1
Nordberg (Bd. II S. 512) nennt die Zahl von 450 Mann.
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6 Offiziere und 52 Mann getötet und 4 Offiziere und 64 Mann verwundet. Der Sturm war von 1000 Grenadieren und Füsilieren, Preußen und Sachsen, durchgeführt worden. Von diesen fielen 12 Offiziere und 142 Mannschaften, und verwundet wurden 21 Offiziere und 4 3 3 Mannschaften. Zu den Gefallenen gehörten der tapfere schwedische Kommandant der Schanze sowie die Mehrzahl der Führer der angreifenden Sturmkolonnen. 1 Wenige Tage nach dieser Waffentat wurden die Belagerungsgeschütze über eine inzwischen bei Wolgast geschlagene Pontonbrücke zurückgeführt. Als sich zeigte, daß eine Unternehmung der Schweden zur Rückeroberung von Usedom nicht mehr zu befürchten war, wurden seit dem Ende des September die meisten Truppenteile von dort weggezogen, und die selbständige Armeeabteilung v. Arnim hörte auf zu bestehen. I m m e r noch behauptete das schwedische Geschwader von Stralsund, gestützt auf die große, auf der Insel Rüden angelegte Batterie, die Einfahrt in den Greifswalder Bodden. Eine sommerliche Schlechtwetterperiode verhinderte bis Ende August sowohl die Verschiffung der preußischen schweren Belagerungsartillerie von Stettin aus wie die Verstärkung der dänischen Transport- und Landungsflotte, die seit langen Monaten untätig zwischen den Inseln Moen und Falster im Grönsund abwartete. Am 20./31. August erst konnte der Transport der Belagerungsgeschütze, 80 24-Pfünder und 4 0 Mörser, von Stettin nach Anklam durch das von den schwedischen Kapern gesäuberte Stettiner Haff beginnen. Doch war die Weiterfahrt der Transportschiffe von dort bis nach Greifswald nicht möglich, solange die Stralsunder Flottille den Greifswalder Bodden beherrschte. Endlich erhielt jedoch Admiral Sehestedt die erforderliche Verstärkung an flachgehenden Artillerieschiffen; ferner traf vom Grönsund her die Transportflotte ein, und bei Greifswald wurde eine überwältigende Truppenstärke für die Landung auf Rügen, 20 0 0 0 Mann Preußen, Dänen und Sachsen, bereitgestellt. Nach einem vergeblichen Versuch am Vortage gelang schließlich dem dänischen Geschwader, das ungefähr 3 0 Kriegsfahrzeuge zählte, am 14./25. September der Durchbruch durch eine der schmalen Fahrrinnen, das Westertief, nördlich an Rüden vorbei in den 1 Instruktion für General v. Arnim und seine Relation, Preuß. Geh. Staatsarchiv Rep. X I 247. (Vgl. J. G. Droysen, Geschichte der preußischen Politik, Bd. IV 4 S. 362f.; Dan. Gen.-Stab Bd. VII S. 106.)
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Greifswalder Bodden, obwohl die Schweden in der Fahrrinne Schiffe versenkt und an der Südspitze von Mönchgut mehrere Strandbatterien postiert hatten. Ein verräterischer pommerscher Lotse soll dabei wertvolle Dienste geleistet haben. Die 8—9 schwedischen Schiffe, welche die Einfahrt sperrten, hatten unter der Kanonade des überlegenen Gegners schwer gelitten. Sie wurden unter den Feuerschutz der großen Batterie auf Rüden zurückgezogen. Drei von ihnen mußten jedoch bei Groß-Zicker an der Halbinsel Mönchgut auf Land gesetzt werden. 1 Nun endlich war für die Artillerie- und Munitionstransporte die Wasserstraße nach Greifswald frei. Doch dauerte es immer noch bis in den Oktober hinein, ehe diese Transporte, teils durch die Peene, teils durch die Swine, unter dem Schutz der wieder in offener See erschienenen und östlich der Halbinsel Jasmund kreuzenden dänischen Hochseeflotte nach Greiswald geschafft werden konnten. Erst am 1S./24. November, nachdem die Landung der Alliierten auf Rügen geglückt war, räumte der tapfere Kommandant von Rüden, Oberstleutnant Axel Löwen, seine Insel uriid rettete seine Mannschaft auf den dort liegenden Schiffen nach Schonen.2 Der von König Karl befohlene neue Einsatz der Hauptflotte von Karlskrona war ausgeblieben.
1 Der Bericht des sächsischen Oberstleutnants Monti an Friedrich IV. über die Forcierung des Westertiefs, der sich sowohl im Sachs. H. Staatsarchiv wie im Preuß. Geh. Staatsarchiv findet, ist abgedruckt bei J. G. Droysen, Geschichte der preußischen Politik. Bd. IV 4 S. 345 f. Nach A. Hojer (König Friedrichs IV. glorwürdigstes Leben, S. 188) wurde das Durchbruchsunternehmen Sehestedts durch die zwischen Rügen und Boraholm stehende dänische Hauptflotte unter Generaladmiral Gyldenlöwe gedeckt, zu der acht englische Schiffe gestoßen waren; daraufhin sei die schwedische Kriegsflotte, die noch einmal in See gegangen war, mit ihren Transport- und Munitionsschiffen alsbald wieder nach Karlskrona zurückgekehrt. Indessen führte während dieser Zeit das Kommando über die dänische Flotte noch Admirai Raben, der dann kurz darauf durch den Generaladmiral Gyldenlöwe abgelöst wurde. Vgl. auch O. Bergersen, Viceadmiral Tordenskiold, Bd. I S. 544 f. 2 Den Kampf um die Insel Rüden u. die Öffnung des Greifswalder Boddens schildert Axel v. Löwen selber in seinen freilich erst nach Jahrzehnten niedergeschriebenen Mémoires (veröffentlicht in: Kar. Förb. Arsbok 1929 S. 45 f.).
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Neue politische Verhandlungen. Die Landung der Alliierten auf Rügen und die nächtliche Schlacht bei Groß-Stresow.
Während dieser ersten Phase des Kampfes um den mächtigen Waffenplatz Stralsund, in der mit Ausnahme von Rügen alle Außenpositionen der Festung den Schweden entrissen worden waren, hatte auch Georg I. als Kurfürst von Hannover nach langem und inständigem Drängen von Seiten Dänemarks seine Entscheidung getroffen. Noch im Oktober gab er durdi ein öffentliches Manifest seinen Eintritt in den Krieg der Nordischen Alliierten gegen Schweden bekannt. 1 Das gesdiah aber erst, als nadi monatelangem Feilsdien am 4./15. Oktober das Erzstift Bremen an Hannover übergeben war und Dänemark auf Verden endgültig verzichtet hatte. 2 1 Dies Manifest berief sich auf die Verwerfung der Haager Neutralitätsakte vom Jahre 1710 durch Karl XII. (vgl. Band II S. 84/85) und die Weigerung des Königs, an dem Friedenskongreß des Jahres 1713 in Braunschweig (vgl. Band II S. 258 f.) teilzunehmen. Darin sei — so folgert das Manifest nach so langem zeitlichem Abstand sehr wenig überzeugend — eine effektive Kriegserklärung Schwedens an alle diejenigen Mächte zu erblicken, die nicht bereit seien, gegen die Nordische Allianz Partei zu nehmen. Da Schweden durch sein Verhalten den Frieden im Reich bedrohe, sei Kur-Hannover als Kreisdirektor des in erster Linie gefährdeten Niedersächsischen Kreises gezwungen, nunmehr gegen den Friedensstörer zu den Waffen zu greifen. Wie wenig stichhaltig die Begründung ist, auf welcher die hannoverische Kriegsproklamation aufgebaut ist, geht auch daraus hervor, daß in ihr die Behauptung aufgestellt ist, die Armee Stenbock habe auf ihrem Marsch nach Holstein kurbraunschweigisches Gebiet verletzen wollen, und König Karl würde auch jetzt vor solchen Übergriffen nicht zurückschrecken, wenn sich ihm die Gelegenheit dazu biete. Wie die Zeit über dieses Manifest dachte, zeigen die ironischen Anmerkungen bei A. Hojer, König Friedrichs IV. glorwürdigstes Leben, S. 281. 2 Über die endlosen Schwierigkeiten, die überwunden werden mußten, ehe der Anschluß Hannovers an die antischwedische Mächtegruppe erreicht werden konnte, vgl. die ausgezeichnete Untersuchung von S. Schartau, Förhällandet mellan Sverige och Hannover 1709—1715, Kap. X—XIII.
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In der für Schweden 80 überaus ungünstigen und bedrohlichen Lage, wie sie sich seit der Heimkehr des Königs aus der Türkei politisch wie militärisch gestaltet hatte, war es sicherlich ein Fehler gewesen, daß er im Februar 1715 ein altes Kaperreglement vom J a h r e 1711 erneuert hatte, das jeden Handel nach den von den Russen besetzten baltischen Häfen unter Kaperrecht stellte. 1 Allerdings war der schwedische König in seinem empfindlichen Ehrgefühl besonders durch die Generalstaaten schwer gereizt worden. Diese hatten im Juli des vergangenen Jahres 1714 zusammen mit einem Edikt, das für ihre Untertanen jeden Handel mit Kriegskontrebande für die in Nordeuropa kriegführenden Mächte ebenso wie den Verkauf oder die Überlassung von Handelsschiffen an sie und die Anheuerung von Seeleuten für sie unter strenge Strafen stellte, ein anderes Edikt veröffentlicht, welches das schwedische Vorgehen gegen die holländische Seefahrt als Seeraub bezeichnete und alle Konfiskationen durch Kaperschiffe mit schwedischem Kaperbrief für rechtsunwirksam erklärte. Dagegen hatte Karl X I I . im Februar 1715 durch eine lateinische Note feierlich protestiert, die der schwedische Gesandte Palmquist im Haag übergab, und sich auf die öffentlich bekanntgegebenen Vollmachten berufen, welche die Kaperschiffe rechtens erhalten hätten. Dieser Protest hatte jedoch keineswegs gefruchtet. Nicht nur Holland, sondern auch das nicht minder betroffene England hatte beschlossen, nunmehr durch Geschwader von Kriegsschiffen den Handelsfahrzeugen Konvoi zu geben, um sie vor der Aufbringung durch die schwedischen Kaper zu schützen. Mitte J u n i war dann eine starke englisch-holländische Kriegsflotte drohend in den Gewässern des öresundes erschienen. Sie zählte nicht weniger als 19 englische und 12 holländische Kriegsschiffe, die einen Riesenkonvoi von 450 Kauffahrteischiffen zu geleiten hatten. Auf dänischer Seite hatte man vergebens darauf gedrängt, daß das überlegene Geschwader der Seemächte die schwedische Hauptflotte im Kriegshafen Karlskrona blockierte. Vielmehr hatte der Konvoi mit seiner Bedeckung Kurs auf Danzig und die baltischen Häfen 1 Über die seit dem Verlust der baltischen Häfen Schwedens mit den Seemächten entstandenen schweren Differenzen, von denen Nordberg (Bd. I I S. 140, 143 f., 147) berichtet, vgl. Band I I S. 87, 94/95, 265. Die Erneuerung des Kaperreglements vom 8./19. Februar 1715 findet sich bei C. G. Malmström in: Handlingar hörande tili Konung Carl X I I :s historia (Stockholm 1826) T. I V S. 224. Vgl. F. F. Carlson, Om fredsunderhandlingarne, S. 81. Über den Kaperkrieg bringt sehr ins einzelne gehende Angaben 0 . Bergersen, Viceadmiral Tordenskiold, Bd. I und II.
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genommen. Daß so zahlreiche Handelsschiffe unbehelligt ihre Waren bis nach St. Petersburg hin hatten löschen und andere Produkte, die für die Schiffahrt treibenden Nationen lebenswichtig waren, hatten laden und heimtransportieren können, ohne daß die schwedische Kriegsmarine dagegen auftrat, das bedeutete eine sehr schwere Niederlage Schwedens in seinem Handelskrieg mit den Seemächten, dessen politische Konsequenzen für den Staat Karls XII. schon seit langem höchst bedenklich waren. Die erhoffte Unterstützung der dänischen Operationen zur See durch Kriegsschiffe der Seemächte war allerdings bis dahin ausgeblieben. 1 Inzwischen waren seit Beginn des Jahres 1715 lange und sehr geheimgehaltene Verhandlungen zwischen Hannover und Dänemark geführt worden, deren Ergebnis am 15./26. Juni 1715 ratifiziert worden war. Gegen die Summe von 300 000 Reichstalern, wozu noch schließlich etwa 400 000 Taler in Restzahlungen kamen, verzichtete Dänemark auf alle seine durch Kriegsrecht erworbenen Ansprüche auf die ehemals schwedischen Herzogtümer Bremen und Verden. 2 Es erhielt dafür einen Anspruch auf SchwedischVorpommern bis zur Peene. 3 Doch dauerte es noch bis zum 4./15. Oktober, ehe in Stade die Übergabe der dänischen Kriegseroberung an die Bevollmächtigten von Kur-Hannover geschah und die öffentlichen Staatsorgane feierlich für das neue Herrscherhaus in Pflicht genommen wurden. Darauf wurde dann am gleichen Tage das in dem dänisch-hannoverischen Vertrag vereinbarte und von den übrigen Nordischen Alliierten gebilligte Kriegsmanifest Hannovers gegen Schweden proklamiert. Bereits am 1./12. Oktober hatte Schweden, dessen politischer Leitung natürlich die heraufziehende Gefahr nicht entgangen war, durch seinen Gesandten in London Graf Gyllenborg sich auf die alten Verträge zwischen Schweden und England berufen und neue Verhandlungen über 1 Über die machtpolitischen, die handelspolitischen und die seestrategischen Bedingtheiten dieses großen Flottenunternehmens und seine Konsequenzen vgl. J. J. Murray in: Kar. Förb. Arsbok 1953. Die dort angegebene Zahl der durch den Konvoi geschützten Handelsschiffe ist jedoch wesentlich geringer. 2 Nordberg Bd. II S. 522 f.; Lamberty, Mémoires Bd. IX S. 638. Allerdings hatte Hannover bereits im Sommer 1712 während der Belagerung der Festung Stade das Land Verden und einige Plätze des Erzstiftes Bremen, autorisiert durch den schwedischen Generalgouverneur Grafen Vellingk, in seine Hand gebracht. Vgl. Band II S. 154/155, 298. 3 J. G. Droysen, Geschichte der preußischen Politik, Bd. IV 2 S. 130, 145; S. Schartau, Förh&llandet mellan Sverige och Hannover 1709—1715, S. 180 f.; Dän. Gen.-Stab Bd. VII S. 148.
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die alte Streitfrage des Ostseehandels in Vorschlag gebracht.1 Es war jedoch viel zu spät; diese diplomatische Aktion blieb ohne jede Wirkung. Als die Belagerungsarbeiten der drei Verbündeten vor Stralsund schon sehr weit fortgeschritten waren und das Inselkastell Rügen bereits in ihre Hand gefallen war, machte im November 1715 der französische Vermittler Marquis v. Croissy, der sich immer noch im Gefolge Karls XII. befand, in allerletzter Stunde einen Versuch, den bewaffneten Konflikt durch einen allgemeinen Frieden zu beendigen. In drei Schreiben an den preußischen Staatsminister v. Ilgen2 teilte er diesem, freilich ohne sich auch nur andeutungsweise näher auszusprechen, mit, der König von Schweden sei bereit, günstige und ehrenvolle Angebote für die Wiederherstellung des Friedens zu machen; in einer Verhandlung von allerhöchstens zwei Stunden könne der ganze Konflikt glücklich beendet werden. Das war nun allerdings ein Vorschlag, der angesichts einer Kriegslage, in der die Entscheidung vor Stralsund nahe bevorstand, völlig undurchführbar und daher indiskutabel war. Kein Wunder, daß der versierte und vorsichtige preußische Staatsmann in seiner Antwort auf das erste Schreiben Groissys unzweideutig dem Verdacht Ausdruck gab, Preußen solle nur hingehalten und an der Nase herumgeführt (»amüsiert«) werden. Das Manöver des französischen Unterhändlers wurde dadurch zunichte gemacht, daß ihm zwar der Zutritt zu König Friedrich Wilhelm I. gestattet, aber der Paß für die Rückkehr nach Stralsund verweigert wurde. Dieser ganze Briefwechsel geriet schließ1 Als Vorwand nahm diese Note die Nachricht, daß acht englische Kriegsschiffe zur Verstärkung der dänischen Flotte und zu ihrer Unterstützung bei der Landung auf Rügen unterwegs seien. Jedoch gaben die insgesamt 19 englischen Linienschiffe zusammen mit dem holländischen Geschwader, das 12 Schiffe zählte, zunächst nur den Kauffahrteischiffen der beiden Seemächte Konvoischutz auf der Fahrt nach Riga und Reval. Erst später, am 4./15. September, als der englisch-holländische Konvoi auf der Heimfahrt im Begriff stand, den Öresund zu passieren, hatten sich diese acht englischen Schiffe mit der dänischen Hauptflotte vereinigt. Sie sind jedoch niemals in Aktion getreten. Anders als England wahrte Holland trotz seines Streites mit Schweden wegen des Ostseehandels strenge Neutralität und stellte im Gegensatz zu der Haltung des englischen Geschwaderchefs Admiral Norris den Feinden Karls XII. keine Kriegsschiffe zur Verfügung. J. G. Droysen, Geschichte der preußischen Politik, Bd. IV 2 S. 132; Dän. Gen.-Stab Bd. VII S. 140f., 150f., 221 f.; A. Hojer, König Friedrichs IV. glorwürdigstes Leben, S. 295. 2 Vom 11., 12. und 15. November (a. St.) Nordberg Bd. II S. 532 f.
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lidi völlig in den Bereich des Illusorischen, als Croissy am 24. N o v e m b e r / 5 . D e z e m b e r m i t t e i l t e , er k ö n n e seine A n g e b o t e nur d a n n u n t e r b r e i t e n , wenn er die Gewißheit h a b e , daß auch die a n d e r e n Nordischen Alliierten sich den Entschlüssen des K ö n i g s v o n P r e u ß e n anschließen w ü r d e n ; f ü r die F o r t s e t j u n g der Verh a n d l u n g e n u n t e r französischer u n d kaiserlicher 1 V e r m i t t l u n g seien b e r e i t s zwei S t ä d t e in Vorschlag gebracht w o r d e n . D i e s e r B r i e f w u r d e jedoch von Ilgen nicht m e h r b e a n t w o r t e t . F ü r alles, was Croissy a u ß e r d e m h ä t t e b i e t e n k ö n n e n , u m P r e u ß e n o d e r Sachsen zu gewinnen, w a r es viel zu s p ä t . A u c h w a r die französische A k t i v i t ä t zugunsten Schwedens schon d a d u r c h l a h m g e l e g t w o r d e n , daß wenige M o n a t e v o r h e r , am 21. A u g u s t / 1 . S e p t e m b e r , K ö n i g L u d w i g X I V . seine l a n g e u n d r u h m v o l l e L e b e n s b a h n beschlossen h a t t e . U n t e r der R e g e n t s c h a f t P h i l i p p s von Orléans sollte sich die französische P o l i t i k in zun e h m e n d e m M a ß e an d e m Schicksal Schwedens desinteressieren. 3 D e r M a r q u i s b e g a b sich n u n nach einer Abschiedsaudienz bei K ö n i g K a r l u n d einem E m p f a n g durch Friedrich Wilhelm I. nach Hamburg.3 1 Es weilte damals im Feldlager der Alliierten ein kaiserlicher Unterhändler, der in dieser Situation indes ebensowenig wie Croissy zum Zuge kam. 2 Über die Linie der französischen Außenpolitik unter dem Regenten, der zunächst Torcy als Außenminister durch Huxelles ersetzte, und die allmähliche Hinwendung der Politik Frankreichs zu England, die nach dem Mißerfolg des jakobitischen Aufruhrs in Schottland vom Sommer und Herbst 1715 zustande kam und die dem schwedischen Interesse abträglich war, vgl. P. Sörensson, Sverige och Frankrike 1715—1718, I S. 16 f., 41 f., 75. 3 Die schlechte Behandlung, die Croissy zu Anfang des Dezember bei seinem letzten Besuch im preußischen Lager widerfuhr, wo Friedrich Wilhelm ihn brüskierte und sein diplomatisches Gepäck durchsucht wurde, zeigt deutlich, wie tief das internationale Ansehen Frankreichs insbesondere seit Ludwigs XIV. Tode gesunken war. Croissy blieb auch nach seiner Abreise aus dem schwedischen Hauptquartier Vertreter Frankreichs neben dem in Stockholm residierenden Campredon. Von Hamburg aus, verhandelte Croissy dann noch weiterhin nach allen Seiten, hatte sich aber durch seine allzu offen bekundeten Sympathien für Schweden zu stark exponiert, als daß er noch die geeignete Persönlichkeit gewesen wäre, Frankreichs Vermittlungsabsichten zu fördern. Er erhielt daher auch am 13./24. Januar aus Paris die Anweisung, seine Unterhandlungen einzustellen, und traf Ende Mai in Paris ein. Obwohl nach der glücklichen Rettung Karls XII. aus Stralsund die französischen Subsidienzahlungen endlich wieder aufgenommen wurden, so begannen doch in den ersten Monaten des Jahres 1716 französische Verhandlungen mit Preußen, Holland und auch mit Rußland, die dazu beitrugen, Frankreichs Verbindung mit Schweden zu lockern, ohne daß jedoch etwas Greifbares bei diesen neuen Verhandlungen herauskam. Nordberg Bd. II S. 532 f. ; P. Sörensson bei : S. E. Bring S. 420.
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Das schwierige kombinierte See- und Landunternehmen der Alliierten gegen die Insel Rügen, von dessen Ausgang das Schicksal der Festung Stralsund und der Erfolg oder das Mißlingen des ganzen norddeutschen Feldzuges des Jahres 1715 abhingen, hatte immer und immer wieder aufgeschoben werden müssen. Auch die ungeduldige Energie des Königs von Preußen, in dessen Händen das Oberkommando lag, hatte vor den stets von neuem sich erhebenden Komplikationen ein um das andere Mal kapitulieren müssen. Schon seit dem April 1715 lagen Operationspläne vor. Indessen fehlten noch alle Vorbedingungen für deren Durchführung. Vor allem mußte die Transportflotte für ein Landungskorps von nicht weniger als rund 20 000 Mann beschafft und bereitgestellt werden. In den preußisch-dänischen Verhandlungen, die aml9./30. Mai zum Abschluß gelangt waren, hatte Dänemark außer dem Einsatz seiner Kriegsflotte auch die Gestellung von Transportfahrzeugen zugesagt; Friedrich Wilhelm I. hatte sich seinerseits verpflichtet, Schiffsraum für 5000 Mann aufzubringen. Der Übergang nach Rügen war für den Anfang des Juni festgesetzt worden. Doch standen damals die preußisch-sächsischen Angriffstruppen immer noch im Lager bei Stettin, die dänische Armee weit entfernt im Westen an der mecklenburgischen Grenze.1 Daher hatte der Termin des Landungsmanövers auf den 22. August/2. September verschoben werden müssen. Zwar war Stralsund seit dem 4./15. Juli auf der Landseite durch Dänen, Preußen und Sachsen eingeschlossen, und die Insel Usedom war seit der Erstürmung der Peenemünder Schanze am 11./22. August ganz in preußischer Hand. Auch hatten die Artillerietransporte auf dem Wasserweg von Stettin her wenigstens Anklam erreichen können. Aber immer noch beherrschte das schwedische Geschwader von Stralsund den Greifswalder Bodden und machte eine Landung auf Rügen unmöglich. Erst nach dem 14./25. September war es durch den dänischen Admiral Sehestedt aktionsunfähig gemacht und der Greifswalder Bodden geöffnet worden.2 Jetzt endlich konnten die Alliierten im Ernst daran denken, ihre schwere Hand auf das schwedische Rügen zu legen. Beiderseits von Greifswald standen etwa 20 000 Mann Landungstruppen in Biwaks bereit. Doch war die Artillerie immer noch nicht voll1 2
Band III S. 18 f. Band III S. 23, 33 f.
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zählig, und es fehlte auch noch an Transportschiffen. Schlechtes W e t t e r hatte deren Zusammenziehung bis Mitte Oktober behindert, ein Menetekel für eine Landungsoperation so großer Verbände über eine breite Wasserstrecke hinweg zu so später Jahreszeit. Am 10./21. Oktober ergingen die Befehle Friedrich Wilhelms I. an den Fürsten Leopold von Anhalt-Dessau. 1 640 Transportschiffe aller Größenklassen waren unter dem Schutz der dänischen Kriegsschiffe in der Bucht von Eldena bei Greifswald versammelt. 2 Nach so langen Monaten schienen nun endlich alle Vorbereitungen für eine Durchführung des in jedem Falle höchst gefahrvollen Unternehmens glücklich beendet. Doch verursachte herbstliches Sturmwetter eine neue Verzögerung. Erst am 30. 0 k t o b e r / 1 0 . November war die Einschiffung aller Truppen beendet. Doch hatte dieser Wettersturz für die Alliierten die glückliche Folge, daß die wieder in See gegangene schwedische Hochseeflotte nach Karlskrona umkehren mußte und vor Rügen nicht in Aktion treten konnte, in welchem Falle unübersehbare Komplikationen hätten eintreten und unter Umständen das Landungsmanöver in einer Katastrophe hätte endigen können. Seit dem frühen Morgen des 1./12. November lichteten die Fahrtbrigaden der unübersehbaren Transportflotte bei günstigem Südwestwinde nacheinander die Anker. Es dauerte bis in den Nachmittag, ehe die 4 3 8 Schiffe alle unter Segel waren. Vor Palmerort, der Südspitze der Rügenschen Halbinsel Zudar, ging die gesamte Flotte für die Nacht vor Anker. Weiterzusegeln, wäre an diesem kurzen Novembertag für eine so zahlreiche Flotte, deren letzte Schiffsverbände erst am Nachmittag die Fahrt angetreten hatten, kaum möglich gewesen. Sehestedts Kriegsschiffe 1 H. Voges (Balt. Studien N. F. IX S. 189 f.) bringt nach dem Preuß. Geh. Staatsarchiv, dem Preuß. Kriegsarchiv und gedruckten Quellen die ordre de bataille zum Abdruck. Dort findet sich auch eine genaue Übersicht über die eingesetzten Truppenkörper und deren Stärkeberechnung. 3 Nach der Berechnung des Dan. Ceneralstabswerkes (Bd. VII S. 182 f.) sind von der versammelten Gesamtstärke 17 219 Mann (einschl. des Befehlspersonals) eingeschifft worden. Auf 438 Transportfahrzeugen (ohne die Landungsboote), von denen Dänemark 200, die übrigen (meist kleineren) Preußen gestellt hatte, sind außerdem noch 5183 Pferde und 26 Kanonen verladen worden. Dänemark hatte für das Landungskorps 18 Schwadronen und 10 Battaillone verfügbar gemacht, Preußen 15 Schwadronen und 10 Bataillone, Sachsen 2 Schwadronen und 4 Bataillone. Es waren das Vorbereitungen für ein Landungsunternehmen allergrößten Maßstabes.
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schürten die Transportflotte, teils durch Konvoi, teils durch Abschirmung gegen die Insel Rüden, wo immer noch einige schwedische Fregatten lagen. Allem Anschein nach sollten die Truppen bei Palmerort gelandet werden, von wo aus schon einmal im Juli 1713 Sachsen und Russen vorübergehend den größten Teil von Rügen in ihre Hand gebracht und drohend Stralsund gegenüber auf dem hohen Ufer von'Altefähr erschienen waren. 1 Als nach Einbruch der Dunkelheit die Sturminfanterie in die Boote ging, zwang neu aufkommendes schlechtes Wetter zu der gefahrvollen Wiedereinholung der Landungsboote in Finsternis und Sturm. 2 Während der beiden folgenden Tage, am 2./13. und 3./14. November, sah sich die vor Anker liegende Transportflotte im stürmischen Wetter an Ort und Stelle festgenagelt. Seegang und Mangel an Wasser, Brot und Fourage begannen bereits am Mark der Regimenter zu zehren. Diese Tage waren ohne Zweifel eine furchtbare Belastung für die Könige von Preußen und Dänemark, die sich bei der Landungsflotte befanden, und ihre hohen Militairs in verantwortlicher Stellung. Das war um so mehr der Fall, als längst das Überraschungsmoment für eine Landung bei Palmerort dahingeschwunden war. Denn bereits seit dem Abend des 1./12. November stand der König von Schweden mit dem größten Teil seiner auf Rügen stehenden Truppen, in der Stärke von 2 Infanterie- und 6 schwachen Reiterregimentern mit 12 Feldkanonen, zusammen 3000—3500 Mann in rasch zusammengerafften Verbänden, am Ufer bereit, die ersten Landungsabteilungen wieder ins Meer zu werfen. 3 Die Küste war schon vorher hier zur Verteidigung hergerichtet, eine Anzahl von Schiffsgeschütjen in Stellung gebracht worden. Kein Zweifel, daß nunmehr eine Landung bei Palmerort, wenn überhaupt, so nur unter dem Schutze der Nacht und nicht ohne sehr schwere Verluste durchgeführt werden konnte. Band II S. 240/241. Daß diese Infanterie, wie Voges, dem Journal de la campagne en Pomeranie (bei J. G. Droysen, Gesch. d. preuß. Politik, Bd. IV 4 S. 354) folgend, annimmt, bei finsterer Nacht auf ihren Booten über die ganze Weite des Rügenschen Boddens auf 20 km Entfernung in die Bucht von Groß-Stresow hinübergefahren werden sollte, ist vollständig ausgeschlossen. (H. Voges, Balt. Studien N. F. Bd. I X S. 196.) 1
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3 Ursprünglich hatte der König den größten Teil seiner nach Rügen verlegten Truppen in der Mitte der Insel bei dem Städtchen Bergen postiert, von welcher Zentralstellung aus jede der möglichen Landungsstellen verhältnismäßig rasch erreicht werden konnte.
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I n der E r w a r t u n g der ersten Herbststürme, die jeden Tag losbrechen konnten, wurde unter dem Druck einer nahezu verzweifelt gewordenen Lage am Morgen des 4 . / 1 5 . November im K r i e g s r a t der Alliierten beschlossen, das gescheiterte Landungsm a n ö v e r bei P a l m e r o r t 1 aufzugeben und am bellen Tage in der flachen Bucht von Groß-Stresow an L a n d zu gehen. Der Wind h a t t e sich etwas gelegt und stand günstig aus Südosten. Während die Kavallerieschiffe bei Pallnerort noch stehenblieben, richteten gegen Mittag die Infanterieschiffe ihren K u r s nach Nordosten h i n t e r dem Nebelschleier eines kalten Sprühregens, der den Schweden diese Schiffsbewegung zunächst noch verbarg. B e i Groß-Stresow war n u r eine schwedische Küstenwache von 2 0 Dragonern postiert. A m frühen Nachmittag n a h m die Ausschiffung der Sturminfanterie in der Bucht unweit dieses Ortes ihren Anfang. Gleichzeitig wurden die Kavallerieschiffe, die bis dahin eine Landungsdemonstration gegenüber dem Dörfchen Grabow bei P a l m e r o r t vorgenommen hatten, um den Gegner zu täuschen, nun ebenfalls nach Groß-Stresow dirigiert. B e i aufklar e n d e m W e t t e r ging die Landung binnen zwei Stunden ohne Schwierigkeit vonstatten, und in der Dunkelheit des frühen Abends k a m auch die Reiterei an Land. F ü r s t Leopold von Anhalt1 Nach den preußischen Quellen, auf denen die Darstellung bei H. Voges (Balt. Studien N. F. Bd. I X S. 196) beruht, ist die Zusammenziehung der gesamten Landungsflotte bei Palmerort nur ein Täuschungsmanöver gewesen, um die Aufmerksamkeit der Schweden abzulenken und ihre Streitkräfte dort zu binden; von Anfang an sei die Bucht von Groß-Stresow als Landungsplatz in Aussicht genommen worden. Offensichtlich sind diese Angaben, denen auch P. Sörensson im I. Teil seiner 1909 erschienenen Abhandlung »Sverige och Frankrike 1715—1718« (T. I S. 25) folgt, tendenziös. Denn das Ziel einer Landung bei Groß-Stresow hätte leichter und vor allem rascher erreicht werden können, wenn nur die Kavallerietransporter sich vor Palmerort gelegt hätten und wenn dann noch ihnen die Infanterieschiffe mit dem günstigen Achterwind dieses Tages direkten Kurs auf die Bucht von Groß-Stresow genommen hätten, um dort unmittelbar zu landen. Die unsichere Wetterlage um die Mitte des November verbot ohne Zweifel einen so zeitraubenden Operationsplan, wie es die Versammlung der gesamten Flotte vor Palmerort, eine Scheinlandung an dieser Stelle und dann in der darauf folgenden Nacht die Weiterfahrt durch den Rügenschen Bodden bis Groß-Stresow gewesen wäre. Auch spricht die nächtliche Einschiffung von Landungstruppen vor Palmerort, die wegen des eingefallenen schlechten Wetters aufgegeben werden mußte, durchaus gegen die Annahme, als habe es sich hier nur um ein Ablenkungsmanöver gehandelt. Man wird annehmen müssen, daß die Alliierten den Mißerfolg ihres ersten Landungsversuchs später nicht haben eingestehen wollen. Sicherlich ist die auch quellenmäßig gut bezeugte Auffassung des Schwed. Gen.-Stabswerks (Bd. I V S. 907 f.), daß die ursprünglich bei Palmerort geplante Landung der Alliierten gescheitert ist und dann erst beschlossen wurde, den Versuch bei GroßStresow zu erneuern, die richtige.
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Dessau, der als einer der ersten den Strand betreten und sofort persönlich rekognosziert hatte, stellte die 24 Infanteriebataillone in einem weiten Viereck um das Dorf Groß-Stresow auf. Die Aufstellung geschah in zwei Treffen, indem sofort die mitgeführten spanischen Reiter vor jeder der drei Fronten des nach der See offenen Vierecks verfestigt wurden. Dann begannen die Schanzarbeiten zur Herstellung einer durchlaufenden Grabenwehr. Um Mitternacht war die Befestigung des Brückenkopfes fertiggestellt und in seinem Inneren die Kavallerie nach ihrer ordre de bataille aufgestellt. An geeigneten Stellen waren 12 Infanteriegeschütze in den Bataillonslücken aufgefahren. Diese Anordnungen sollten sich außerordentlich gut bewähren. Ihre Durchführung zeigt die vortreffliche Ausrüstung besonders der preußischen Infanterie und legt ein sprechendes Zeugnis von der genauen Beachtung der gegebenen Befehle ab. Das Gelände, auf dem der Brückenkopf durch die Tausende von Händen und Spaten angelegt wurde, steigt von der flachen Küste her ganz allmählich gegen den niedrigen Höhenzug hin an, der seit den Tagen Friedrich Wilhelms IV. das Denkmal mit dem Erzbildnis des ersten Preußenkönigs dieses Namens trägt, der hier im Jahre 1715 der oberste Heerführer war. Die höchste Stelle der gesamten Schanzanlage war ihre beherrschende Nordostecke. Hier war es, wo König Karl von Osten her nodi in der Nacht auf schmaler Front einen starken Stoß ansetzte, um ins Innere des Vierecks durchzustoßen, die auf engem Raum zusammengepackte und daher unbewegliche Masse von etwa 15 000 Soldaten in der Mitte auseinanderzubrechen und dann die wirren Haufen nach beiden Seiten von ihrem Landungsplatz abzudrängen. Indessen sollte dieser überkühne Schlachtplan an der zweckmäßigen Aufstellung der Alliierten hinter starken künstlichen Geländehindernissen und vor allem an der viel zu geringen Zahl der schwedischen Angriffskadres zerbrechen. 1 König Karl hatte schon ziemlich früh durch das eingerichtete Signalsystem Meldung von der Abfahrt eines großen Teils der feindlichen Landungsflotte in der Richtung auf die kleine bewaldete Insel Vilm und die dahinter liegende Bucht von Groß-Stresow erhalten. Da jedoch zunächst nicht klar war, ob das nur ein Täuschungsmanöver war, um seine Streitmadit von Palmerort fortzulocken, und da er ferner ja doch in keinem Falle vor den mit 1
Schwed. Gen.-Stab Bd. IV S. 910/911.
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günstigem Winde segelnden Alliierten bei Groß-Stresow eintreffen konnte, ließ er seine Truppen ruhig auf der Halbinsel Zudar stehen, bis auch die vor Palmerort zurückgebliebenen Schiffe des Feindes gegen den Vilm hin folgten. Das war erst gegen vier Uhr nachmittags der Fall, als schon das Licht des kurzen Novembertages anfing zu erlöschen. Erst jetzt ließ der schwedische König seine Regimenter den Eilmarsdi über Putbus gegen Groß-Stresow hin antreten. Gegen acht Uhr abends hatte der König mit der Reitervorhut die 2 5 km lange Marscfastrecke zurückgelegt. 1 Seine nächtliche Erkundung ergab, daß der Gegner mit sehr starken Kräften an Land war und daß der Brückenkopf zur Verteidigung eingerichtet wurde. Dennoch blieb keine Wahl als anzugreifen, wenn nidht Rügen kampflos aufgegeben werden sollte. Nachts um drei Uhr 2 bei völliger Finsternis setzte Karl XII. in tiefer Kolonne den Dur&bru-distoß gegen die beherrschende Nordostecke der Brückenkopfversdianzung an. Es war dies das einzige Strategem, das gegen die erdrückende mehr als fünffache Übermacht des Gegners vielleicht Erfolg versprach. Doch scheint auch die oberste Heeresleitung der Alliierten erkannt zu haben, daß von hieraus der Brückenkopf aufgebrochen werden konnte. Denn die rechte (östliche) Flanke des Vierecks war mit insgesamt 9 Bataillonen am stärksten besetzt, und hier waren auch vor den Bataillonen des zweiten Treffens Schanzanlagen ausgehoben. 1 Nach Nordberg (Bd. II S. 530) traf Karl XII. gegen 7—« Uhr abends mit 300 Reitern ein, und es folgten etwas später 1200—1500 Mann Infanterie. 2 L. v. Ranke (Zwölf Bücher preußischer Geschichte, Buch IV S. 493) meint, Karl XII. habe seinen Mißerfolg selber dadurch verschuldet, daß er zu spät nach Groß-Stresow geeilt und dort noch mit der Ingangsetzung des Angriffs bis zum Eintreffen seiner Geschütze gezögert habe. Auch H. Voges (Balt. Studien N. F. Bd. I X S. 202) übernimmt diese Kritik an Karls Dispositionen. Doch bleibt bestehen, daß der König weder zeitiger von Palmerort aufbrechen noch früher bei Groß-Stresow angreifen konnte. Weshalb die beiden auf Mönchgut postierten Regimenter nicht nach Groß-Stresow geeilt sind, um die schwachen dort angreifenden schwedischen Truppen zu verstärken, ist nicht bekannt. Es kann auch nicht eingewendet werden, Karl XII. habe es verabsäumt, von den innner noch in der Festung Stralsund stehenden 7000—8000 Mann Besatzungstruppen zur rechten Zeit eine Anzahl von weiteren Regimentern nach Rügen überzusetzen und sich durch sie zu verstärken. Der Belagerungsangriff auf die Festung war durch die gewaltige Überzahl der Alliierten zu diesem Zeitpunkt schon viel zu weit vorgetrieben, als daß eine weitere Schwächung der Festungsbesatzung hätte verantwortet werden können. Nur die aus der schwedischen Heimat sehnlich erwarteten Verstärkungen hätten die viel zu schwache Landabwehr auf Rügen entlasten und vielleicht die Insel retten können.
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An die Spitje der schmalen Angriffskolonne stellte Karl seine beiden deutschen Infanterieregimenter in Bataillonsfronten hintereinander, und dem Fußvolk folgten, ebenfalls hintereinander, die aufmarschierten 20 Schwadronen seiner 4 Kavallerie- und Dragonerregimenter. Alles in allem waren es nicht mehr als 3000 Mann, 750 Infanteristen und etwas über 2200 Reiter. Die 8 Feldstücke fanden in zwei Batterien Aufstellung. Unter heftigem feindlichem Feuer ging die schwedische Infanterie, ohne zu schießen, zum Angriff vor, riß die spanischen Reiter auseinander und erreichte über den Graben hinweg die Brustwehr. Hier jedoch wurde Karls deutsche Infanterie durch das gegenüberstehende dänische Fußvolk geworfen. Als trotzdem die tapferen Männer auf Befehl des Königs, der hoch zu Pferde in vorderster Linie den Angriff leitete, den Sturm erneuerten, ließ der alte Dessauer fünf preußische und sächsische Schwadronen unter dem dänischen General v. Dewitz aus der östlichen Front des Brückenkopfes zur Entlastungsattacke auf die linke Flanke der schwedischen Angriffskolonne vorbrechen. Die schwedischen Dragoner warfen jedoch die feindlichen Reiter im Gegenstoß. Karl XII. wurde das Pferd unter dem Leib erschossen. Als er sich in dieser Phase des blutigen Ringens im Kampfe um den Wall an die Spitze seines Fußvolkes setjte, traf ihn eine Musketenkugel in die linke Brust. Das bedeutete das Ende des ungleichen Kampfes. Als der König fühlte, daß seine Kräfte ebenso wie die seiner Tapferen am Ende waren, gab er den Rückzugsbefehl. Obwohl weitere alliierte Schwadronen ihren zurückgeworfenen Kameraden gefolgt waren, so unterblieb doch jede Verfolgung. Die Reste der Truppen des Königs zogen sich nach Altefähr zurück. Ihnen folgten später, unbehindert vom Feinde, die beiden schwedischen Regimenter Infanterie und Dragoner, denen die Verteidigung der Halbinsel Mönchgut anvertraut war.1 Erst drei Tage nach der nächtlichen Schlacht bei Groß-Stresow2 erschienen die alliierten Streitkräfte in großer Stärke vor der Altefährschanze, die deren Kommandant, Generalleutnant Marschalk, ohne die Vollmacht seines Königs am 7./18. November kampflos übergab. 1 Ihr unerschrockener Befehlshaber Oberstleutnant Stenflycht führte seine Mannschaft nach dem nördlichen Rügen, dann auf Booten nach Hiddensö und von dort nach Stralsund. s Nach Nordberg (Bd. II S. 531) erschienen die Verbündeten mit ihrer gesamten Streitmacht schon am Abend des Schlachttages vor der Altefährschanze, was jedoch durch die Augenzeugenberichte widerlegt wird, so durch das Journal de la campagne en Pomeranie.
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Die schwedischen Verluste in der erbitterten nächtlichen Schlacht waren außergewöhnlich schwer gewesen. Von Karls 3 0 0 0 Kriegern waren 4 0 0 gefallen und 200 schwer verwundet auf der Walstatt liegengeblieben. 1 Die Alliierten dagegen hatten nur 200 Tote und Verwundete zu beklagen. In der Altefährschanze gerieten weit über 100 Offiziere und etwa 1000 Mann in Gefangenschaft, zu denen noch eine nicht unbeträchtliche Zahl von Versprengten auf der Insel kam. 2 Auch die Beute an Geschützen war nicht unerheblich. D e r Kampf um Rügen hatte für Karl X I I . trotj allen Mannesmutes seiner Truppen mit dem Verlust der Insel geendet. Alle Außenpositionen von Stralsund einschließlich der Insel Rüden, deren Besatzung auf den dort liegenden legten Schiffen nach Schweden entkam, waren in den Händen der Alliierten. Die Flottille des Admirals Sehestedt, die sich glänzend bewährt hatte, überwinterte in den Gewässern des Greifswalder Boddens. Abgesehen von fünf dänischen Regimentern, die dem neu ernannten dänischen Gouverneur auf Rügen General v. Dewitj überlassen blieben, kehrten alle Landungstruppen auf das Festland in das Lager vor Stralsund zurück. Der Fall der hart bedrängten Festung war nun nur noch eine Frage ganz kurzer Zeit.
1 Unter ihnen auch Karls treue Gefolgsmänner aus seiner türkischen Zeit Baron v. Grothusen und Graf Jakob Torgtensson. 2 Aus den Gefangenen wurde ein neues preußisches Infanterieregiment unter einem Sohne des Alten Dessauers gebildet. In der Altefährschanze wurden auch die Reste des französischen Dragonerregiments in schwedischen Diensten de Villelongue gefangen, die nun ebenfalls preußische Dienste nahmen. Über diesen interessanten »Condottiere« französischer Herkunft, der ein für seine Zeit bezeichnender Typus war, vgl. H. Brulin in: Kar. Förb. Ärsbok 1943 (Condottiere greve De la Cerda de Villelongue och hans minnesanteckningar om Karl X I I :s krig), ferner Band II S. 48. Sein Dragonerregiment, das Bendersche, hatte, wenn auch ohne seinen Chef, bei Groß-Stresow gefochten und wechselte also nun zum vierten Mal, aus französischem in sächsischen, schwedischen und jetzt preußischen Dienst, die Fahne, auch das ein bezeichnender Zug im Heereswesen der Zeit.
4 Haintz, König Karl XII., Bd. 3
KAPITEL IV
Die Eroberung von Stralsund und der Verlust aller Besitzungen Schwedens in Norddeutschland.
Als um die Mitte des Monats November 1715 Rügen von den legten Schwedischen Soldaten gesäubert war, da stand gegen das seit langem schon eingeschlossene Stralsund aus den Belagerungswerken heraus, die gegen die feste Stadt vorgetrieben waren, ein vorbereiteter Gewaltangriff nahe bevor. Stralsund wird im Jahre 1715 kaum 8000 Einwohner gezählt haben. Seine Bevölkerung war dezimiert worden bei der Beschießung des Jahres 1678, die der Große Kurfürst mit 80 Kanonen, 50 Haubigen und 52 Mörsern durchgeführt hatte, dann durdi die Folgen eines großen Brandes im Jahre 1680 und zulegt durch die Pestfurie von 1710, die hier wie überall in Ost- und Nordeuropa die Menschen dahingemäht hatte. Die Festung war durch ihre natürliche Lage sehr stark. 1 Im Nordosten war sie geschürt durch den Meeresarm des Strelasundes, der an seiner engsten Stelle 2 km breit ist, im Südosten durch den Frankenteich und im Westen durch den Knieperteich. Beide Wasserflächen, die immerhin eine Breite von 200—400 m hatten, waren durch Unterwasserpalisaden unpassierbar gemacht und konnten aufgestaut werden. Durch die gut geschützten Stauwerke waren überdies damals angrenzende sumpfige Wiesen weithin überflutet worden. An drei Stellen führten aufgeschüttete Dammwege zu den Stadttoren: von Nordwesten her zwischen Strelasund und Knieperteich zum Kniepertor, von Westen her zwischen Knieper- und Frankenteich zum Tribseer Tor, von Südosten her zwischen Frankenteich und Strelasund zum Frankentor. 1 Über die Befestigungsanlagen von Stralsund vgl. H. Voges, Die Belagerung von Stralsund im Jahre 1715, S. 3 f. Diese detaillierten Angaben gründen sieb vor allem auf eine genaue Kenntnis der zeitgenössischen Festungspläne.
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Die Befestigungswerke standen bei Beginn der Belagerungsarbeiten nur zum Teil auf der Höhe der Zeit, obwohl der König schließlich bis zu 10 000 abkommandierte Soldaten und Bauern an der Verstärkung der Schanzen, teilweise sogar auch nachts, hatte arbeiten lassen. Die Anlagen am Meeresufer und hinter den beiden Teichen, nach frühem niederländischem Muster errichtet, waren veraltet. Sie bestanden hinter den Teichen aus Bastionen, deren Flanken sidi meist im rechten Winkel vorwärts an die verbindenden Courtinen anlehnten. Die Bastionen waren indes zu klein, als daß sie eine ausreichende Geschütjarmierung für Frontalfeuer feindwärts und für Flankenfeuer zur Bestreichung des Raumes vor den Courtinen hätten aufnehmen können. Wegen des hohen Grundwasserstandes war es nicht möglich gewesen, diese Wehrbauten so niedrig zu halten, daß sie feindlichem Feuer aus Flachbahngeschütjen genügend entzogen waren. Aus dem gleichen Grunde hatten auch tief gelegene Schu^bauten für Besamungen und Munition nicht angelegt werden können, was wegen der immer größer werdenden Bedeutung des Wurffeuers aus Mörsern nötig gewesen wäre. War doch schon im Jahre 1678 die Kapitulation der Festung nadi nur fünftägigem Bombardement im wesentlichen durch den Bogenschuß der Mörser und Haubitjen erzwungen worden. 1 Und vom Tribseer Tor bis zum Frankentor wurde die Courtine durdi die ziemlich hohe alte Stadtmauer ersetjt, die weder gegen Sicht gedeckt noch gegen direkten Frontalbeschuß stark genug war. Noch schwächer waren die Verteidigungsanlagen der Stadt auf der Seeseite, von der Fährbrücke, die durch ein mit Gesdiütjen armiertes Blockhaus bewehrt war, bis zum Kniepertor sogar nur ein niedriger Erdwall. Allerdings war wegen des schützenden Meeresarmes ein Angriff von See her nicht zu befürchten, wie auch über die breiten Teiche hinweg der Belagerer nicht vorgehen konnte. Es wäre alles darauf angekommen, durch vorgeschobene Außenwerke mit starker Geschütjbewaffnung die Angriffsartillerie des Feindes so weit entfernt zu halten, daß sie gegen die Stadt nicht redit wirksam werden und dem Infanterieangriff den Weg nicht bahnen konnte. Vor allem mußten die von der Natur gewiesenen Angriffsstellen gegenüber den drei Stadttoren frei gehalten werden. Hier waren tatsächlich schwer einnehmbare Verteidigungs1 H. Müller, Geschichte des Festungskrieges (Berlin 1880), S. 16; L. Blesson, Geschichte des Belagerungskrieges (Berlin 1835), S. 253.
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systeme geschaffen worden. Sowohl vor dem Kniepertor wie vor dem Tribseer Tor waren zusammenhängende und in den Flanken durch die Wasser- und Sumpfhindernisse gedeckte Erdwerke hintereinander über die Straßenengpässe hinaus gegen das offene Land hin vorgeschoben und durch Gräben und feindwärts gerichtetes Clacis geschützt worden. Besonders stark waren die Anlagen vor dem Frankentor. Hier befand sich jenseits des vor der Hohen Bastion liegenden Grabens, weldier den Frankenteich mit dem Meere verband, eine grabengeschüljte und mit Kanonen bewehrte Contregarde. Vor diese legte sich feindwärts ein sogenanntes Hornwerk, von dessen beiden Halbbastionen die eine an den Frankenteich und die andere an das Meer gelehnt war. In dem breiten und tiefen Wassergraben vor diesem Hornwerk war eine Grabenschere zur Zwischenverteidigung hergerichtet worden. Über Graben und Grabenschere hinweg gelangte man auf ein Glacis, vor dem die Brustwehr eines Gedeckten Weges zwischen Teich und Meeresarm zur Infanterieverteidigung profiliert war. Außerdem war auf der sich südwärts verbreiternden Halbinsel zwischen Frankenteich und Strelasund ein ausgedehntes Schanzensystem mit vorgelegten Gräben, einRetranchement, rasch hergerichtet. Das Verteidigungssystem vor dem Frankentor galt damals bei Freund und Feind f ü r uneinnehmbar 1 , und dennoch sollte von hier aus später der Zugang zu der Feste aufgebrochen werden. Jenseits des breiten südlichen Zipfels des Frankenteiches wurde ein ähnliches Retrandiement vor den vorgeschobenen Werken des Tribseer Tores bis zu einer langgestreckten Ausbuchtung des Knieperteiches und ferner jenseits dieser Moorteich genannten Ausbuchtung ein drittes Retrandiement vor den Werken des Kniepertores bis zum Strelasund hin angelegt. Doch waren alle diese Erdwerke niedrig und schwach, ohne Glacis, ohne Gedeckten Weg, und ohne dessen Ausbau zu places d'armes f ü r Ausfälle vorzusehen. 1 Über die Stärke der Festung Stralsund vgl. das Schreiben des französischen Vermittlers, des Marquis v. Croissy, an König Friedrich Wilhelm I. vom 11./ 22. Mai 1715 aus Stralsund. (Angeführt bei Nordberg Bd. II S. 508) Offenkundig gibt in dieser Hinsicht der Brief der Überzeugung eines alten Militairs Ausdruck, der auf seine Erfahrungen in 25 Jahren Kriegsdienst zurückblicken konnte. Im Gegensatz zu der Annahme von H. Voges (Die Belagerung von Stralsund, S. 13) ist die bei J. G. Droysen (Gesch. d. preuß. Politik, Bd. IV 4 S. 323/24) gegebene Datierung dieses Briefes auf den 11./22. Mai die richtige. Vgl. Band III S. 18.
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Diese drei nebeneinander gelegten Retrandiements, die im Falle eines Überrumplungsversuches gegen eines von ihnen wegen der zwischen ihnen liegenden Sumpf- und Wasserstrecken freilich einander nicht sofort hätten sekundieren können, hätten in der Tat die Festung sturmfrei halten können. Allerdings unter der Voraussetzung, daß ihr Ausbau hätte vollendet werden können und daß K a r l X I I . zur Verteidigung dieser eine volle Wegstunde messenden Außenbefestigung mindestens 2 0 000 Mann Festungsbesatjung mit 100 Gesdiütjen hätte einsetzen können. 1 Jedoch gebot der König in Stralsund anfänglich nur über 12 000 Mann, die sich dann nodi auf 7 0 0 0 — 8 0 0 0 Mann reduzierten, da die Verteidigung der Insel Rügen bedeutende Streitkräfte in Anspruch nahm. 2 Also hat Karl X I I . ganz zweifellos auf einen starken Kräftezuschuß aus der Heimat gerechnet; denn sonst hätte er gewiß diese weiten Retrandiements nicht ausbauen lassen. 3 Wenn aber wirklich die Königsarmee in Stralsund aus Schweden auf die Stärke von 2 0 0 0 0 Mann mit der dazugehörigen Ausrüstung gebracht worden wäre, und zwar bevor die Alliierten mit Übermacht drohend vor der Festung erschienen, dann wäre ein Feldherr wie Karl X I I . ohne jeden Zweifel aus der Enge des Festungsbereichs ausgebrochen, hätte eine Schlachtentscheidung mit einer der beiden heranziehenden Kräftegruppen der Alliierten gesucht und hätte vielleicht, wie seine Gegner befürchteten, den Krieg nach Polen getragen. Dann wäre die Stenbocksituation des Jahres 1712 von neuem gegeben gewesen, 4 und es wäre durch eine solche offensive Kriegführung mit großer Wahrscheinlichkeit auch das feste Stralsund gerettet worden. 1 So das Journal de la campagne en Pomeranie (bei J. C. Droysen, Gesch. d. preuß. Politik, Bd. IV 4 S. 331). 2 Bei Groß-Stresow warf der König 3000 Mann in den nächtlichen Kampf. Außerdem standen auf der Halbinsel Mönchgut je ein Regiment Infanterie und Dragoner, und schließlich gehörte zu den nach Rügen detachierten Truppen auch noch die Besatzung der wichtigen Altefährschanze. Die im Dan. Gen.Stabswerk (Bd. VII S. 166/167) aufgeführte Stärkeliste aus dem Schwedischen Kriegsarchiv zählt insgesamt 6393 Mann, davon 348 Offiziere und Unteroffiziere, aus 16 Infanterieregimentern. Wahrscheinlich fehlen auf dieser Liste die Kranken und Abkommandierten und sicherlich auch die geringe Zahl der in Stralsund verbliebenen Reiter. s Darüber Nordberg Bd. II S. 526/27; Jefferyes' bref (Hist. Handl. Del XVI S. 70, 84). 4 Über die Stenbocksituation von 1712 und die Gründe für Karls XII. defensive Kriegführung vor Stralsund 1715 vgl. Band III S. 25 f.
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Seit dem 4./15. Juli schon war die Festung Stralsund von 20 200 Preußen, 8 0 0 0 Sachsen und 21 800 Dänen eingeschlossen. Diese Truppenziffern sind indes nicht konstant geblieben. 1 Vor allem verminderte sich in der Folgezeit die Zahl der Einschließungstruppen sdion deshalb, weil in der früh hereinbrechenden herbstlichen Jahreszeit ein Teil der Reiterei in rückwärtige Quartiere zurückgezogen werden mußte, und außerdem wegen der unvermeidlichen Ausfälle durch Krankheiten. Andererseits verstärkte August der Starke das sächsische Truppenkontingent um vier weitere Infanteriebataillone. 2 Auch sonst fanden Verschiebungen in der Zusammensetzung der Belagerungsarmee statt. Und im Oktober wurden, zum allergrößten Teil aus den alliierten Truppen vor Stralsund entnommen, 20 0 0 0 Mann bei Greifswald für die Landung auf Rügen bereitgestellt, die dann am 4./15. November glücklich durchgeführt wurde. Gegenüber den Außenwerken der Festung, dem dreigeteilten Retranchement, war noch im J u l i die Contravallationslinie ausgehoben worden. 3 Der Bau einer Circumvallationslinie erübrigte sich, da ein Entsat; von außen her nicht befürchtet zu werden brauchte. Erst nachdem während der Sommermonate Usedom zurückerobert, die schwedische Flottille vom Stettiner Haff verdrängt, die schwedische Hochseeflotte bei Jasmund zurückgeschlagen und durch Admiral Sehestedt die Einfahrt in den Greifswalder Bodden erzwungen war, hatten die Transporte an Belagerungsartillerie und Munition in Greifswald ausgeladen werden können und waren im Laufe des Oktober auf den herbstlich schlechten Landwegen im Lager vor Stralsund eingetroffen. E s waren 8 0 24-Pfünder und 4 0 schwere Mörser, die in einem Artilleriepark bereitgestellt wurden. Das war nicht allzuviel für die 1 Nach A. Hojer (König Friedrichs IV. glorwürdigstes Leben, T. I S. 285 f.) habe die Belagerungsarmee aus je 24 000 Preußen und Dänen und 8000 Sachsen bestanden; nach Nordberg (Bd. II S. 505) waren es 16 000 Preußen, 8000 Sachsen und 30 000 Dänen, in welch letzterer Ziffer offenkundig die Truppen vor Wismar und die Besatzung von Rostock inbegriffen sind. Das Dan. Gen.Stabswerk (Bd. VII S. 52 f., 61 f.) berechnet die Gesamtzahl der Belagerer auf 50 000 Mann, nach Abgang der Truppen vor Wismar und in Rostock 21 800 Dänen, 8000 Sachsen und 20 200 Preußen. In Greifswald waren nur 400 Preußen, in Wolgast nur 150 zurückgelassen worden. 2 Dafür zog August der Starke vier sächsische Reiterregimenter zurück, die vor Stralsund entbehrt werden konnten und in Polen dringend gebraucht wurden. 3 Nach dem Journal de la campagne en Pomeranie (bei J. G. Droysen, Bd. IV 4 S. 334) am 6./17. Juli.
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Sturmreifschießung eines so starken Platjes, wie Stralsund es war. Der Oberbefehlshaber im alliierten Lager, König Friedrich Wilhelm I., hatte ursprünglich geplant, wie sein Großvater der Große Kurfürst im J a h r e 1678, Stralsund durch zusammengefaßte Bombardierung zur Übergabe zu zwingen. Demgegenüber vertrat der sächsische General v. Wackerbarth, 1 ein im Festungskrieg besonders erfahrener und weit berühmter Ingenieuroffizier, der auf Drängen des preußischen Königs im Oktober die Leitung des Angriffs übernommen hatte, die Überzeugung, daß ein solches Verfahren undurchführbar sei und eine förmliche Belagerung durchgeführt werden müsse. Das war zweifellos richtig; denn anders als 1678 war diesmal die Festung durch die vorgelegten Retranchements geschürt, die eine Heranführung der Belagerungsartillerie auf eine wirksame Schußweite verhinderten, und dann war auch die Zahl der vorhandenen Steilfeuergeschütje zu gering. 2 Nachdem eine Menge von Projekten und Denkschriften unter den Verbündeten gewechselt waren, fügte sich schließlich Friedrich Wilhelm I. der besseren Einsicht Wackerbarths. Die Dänen standen nordwestlich von Stralsund vor den Werken am Knieper Tor, die Preußen im Südwesten beiderseits der Verteidigungsanlagen des Tribseer Tores, die Sachsen an der Südostfront vor dem stark geschürten Frankentor. Nur die Sachsen hatten am Frankentor von Anfang an die schwedischen Vorposten bis hinter die Verschanzung des Retrandhements zurückgedrängt. Beide Parteien beschränkten sich während des Sommers im wesentlichen auf Plänkeleien im Vorfeld der Festung. Die Schweden hatten in den drei Abschnitten ihres Retranchements 6 0 0 0 — 7 0 0 0 Mann, meist Infanterie, eine kleine Garnison von knapp 1000 Mann in der Stadt und etwa 5000 Mann, meist Kavallerie, auf Rügen, von wo sie durch die eingebrachte Ernte der fruchtbaren Insel noch die Proviant- und Fonragevorräte der Festung hatten auffüllen können. Sie erwarteten den Hauptangriff gegen die Werke vor dem Tribseer Tor, jedoch erst im Frühling des kommenden Jahres. 1 Nachdem Feldmarschall v. Flemming nach Polen, abgereist war, hatte Wackerbarth den Oberbefehl über die Sachsen übernommen. 2 1678 hatte der Große Kurfürst 50 Haubitzen und 52 Mörser einsetzen können, während Friedrich Wilhelm I. 1715 nur über 40 Mörser verfügte. Die Belagerungsartillerie zu stellen, hatte sich der König von Preußen verpflichtet. (Preußisch-Dänischer Vertrag vom 13./24. Mai 1715, Publikationen aus den Kgl. Preuß. Staatsarchiven Bd. 87 S. 108 f.)
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Nachdem drei Sommermonate im wesentlichen untätig verstrichen waren, begannen die Belagerer am 8./19. Oktober mit der Anlage der ersten Parallelen, durch 17 dänische Bataillone vor dem Knieper Tor, durch 20 preußische und sächsische Bataillone vor dem Tribseer Tor.1 In der Nacht vom 14./25. zum 15./26. Oktober wurde, zwischen den überschwemmten Kupferteichwiesen zur Hechten und einer sumpfigen Strecke zur Linken, etwa 300 in vor den vorspringenden Winkeln des Retranchements vor dem Tribseer Tore die dritte Parallele ausgehoben. Hinter ihrem Schutj wurde eine aus 28 24-Pfündern bestehende Demontierbatterie mit den nötigen Bettungen eingebaut und rechts und links von dieser zwei Steilfeuerbatterien aus je 6 Mörsern. Das geschah nicht ohne heftige schwedische Gegenwirkung durch Geschütj- und Gewehrfeuer. Am 22. Oktober/2. November frühmorgens begannen die drei Batterien der Alliierten mit der Beschießung des Retranchements vor dem Tribseer Tor zwischen Frankenteich und der an der Straße nach Rostock belegenen Kupfermühle. In der darauffolgenden Nacht wurde ein Annäherungsgraben im Zickzack vorgeführt und eine kurze vierte Parallele dicht vor den ausspringenden Winkeln des Retranchements angelegt. Während dieser beiden Tage wurden die hier postierten schwedischen Geschütze niedergekämpft und zum Schweigen gebracht. Damit war der Belagerungsangriff an dieser Stelle so weit vorgetrieben, daß an einen Einbruch in das Retranchement gedacht werden konnte. Allerdings war die kaum 150 m messende Sturmausgangsstellung in der vierten Parallele in gefährlicher Weise schmal. Es war durchaus möglich, daß die schwedische Verteidigung an dieser Stelle so starke Infanteriekräfte hinter den Werken zusammenballte, daß der Gewaltangriff abgeschlagen werden konnte. Die gleichzeitig gegen das Knieper Tor vorgehenden Dänen hatten die Anlage der Parallelen keineswegs mit der gleichen Energie betrieben wie die Preußen und Sachsen vor dem Tribseer Tor. Über den Bau einer starken, mit Redouten bewehrten ersten Parallele waren sie nicht hinausgekommen. Dies zögernde Vorgehen erklärte sich daraus, daß sie fast keine schweren Geschütze hatten. 2 Als ihnen König Friedrich Wilhelm I. auf ihr Ansuchen 1 Der Angriff vor dem Knieper Tor wurde geleitet durch den dänischen General v. Schölten, der vor dem Tribseer Tor durch den preußischen General Graf Dohna. 3 Die Angabe von H. Yoges, die Dänen hätten überhaupt nur über vier schwache Feldgeschütze verfügt, ist, schon an sich unwahrscheinlich, nicht
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zwar einige preußische Bataillone überließ, aber die Gestellung der Hälfte seiner Belagerungsartillerie begreiflicherweise ablehnte, da gab General v. Schölten, der bei Gadebusch ehrenvoll Besiegte, der jetjt hier das K o m m a n d o führte, die Fortsetjung des Belagerungsangriffs, da er aussichtslos gewesen wäre, gänzlich auf. Inzwischen aber h a t t e der Graf v. W a c k e r b a r t h den kühnen Plan einer Überrumpelung der Stadt von der F r a n k e n t o r s e i t e her schon von langer Hand entwickelt. Das war auf Anregung eines preußischen Generaladjutanten, des Oberstleutnants v. Koppen, geschehen, der von seiner Jugendzeit h e r die örtlichen Verhältnisse am F r a n k e n t o r genau kannte und wußte, daß sich hier im Strelasund unweit der K ü s t e gegenüber dem Dänholm eine Sandbank erstreckte, auf welcher bei Nachtzeit im Wasser vorgehende Infanterie die äußere Verschanzung des Retranchements umgehen konnte. 1 Da gegenüber den W e r k e n v o r dem F r a n k e n t o r noch nicht einmal Parallelen angelegt waren, konnte W a c k e r b a r t h dazu treffend. Nach dem Dänischen Generalstabswerk (Bd. VII S. 63) hatte das dänische Heer bei seinem Anmarsch 39 Kanonen, davon allerdings 26 Regimentsgeschütze, und 4 Haubitzen mit sich. Schweres Belagerungsgeschütz ist aber von Dänemark nicht nachgeführt worden, da Friedrich Wilhelm I. dessen Gestellung übernommen hatte. 1 Eine Anzahl von Quellen, vor allem Nordberg (Bd. II S. 529), ähnlich auch Voltaire (Histoire de Charles XII., T. II S. 133) und Lamberty (Mémoires, S. 313), bezeichnet als den Urheber des Plans einen schwedischen Leutnant vom Regiment Marschalk, der bei einem Wortstreit mit dem Obersten Philipp Bogislaw v. Schwerin von diesem geschlagen worden war und keine Satisfaktion hatte erlangen können. Dieser junge Offizier sei wegen solcher Ehrenkränkung übergelaufen und habe die Mitteilung von der Untiefe am Ufer des Strelasundes gemacht. Da jedoch Wackerbarth selber in seiner Angriffsdisposition Ende Oktober Koppen als den Urheber des Handstreichplans bezeichnet und da ferner nach der Durchführung des kühnen Unternehmens Friedrich Wilhelm I. diesen ganz besonders ausgezeichnet und belohnt hat, wird daran festzuhalten sein, daß Wackerbarth auf Köppens Mitteilung und Vorschlag hin den Plan zur Durchführung des Handstreichs gefaßt und ausgearbeitet hat. Es ist aber durchaus möglich, daß auch der Bericht bei Nordberg tatsächliche Grundlagen hat. Beide Versionen finden sich kombiniert in der allerdings recht unzuverlässigen zeitgenössischen Darstellung von Michael Ranft, Die merkwürdige Lebensgeschichte derer vier berühmten Schwedischen Feldmarschalle Grafen Rehnschild, Steenbock, Meyerfeld und Dücker, S. 394 f. Erstaunlich bleibt es freilich, daß von der schwedischen Besatzung keine Vorkehrungen zur Abwehr eines so gefährlichen Handstreiches getroffen worden sind, obwohl auch im schwedischen Lager die geringe Wassertiefe dieser wichtigen Uferstrecke des Strelasundes bekannt war. Axel v. Löwen (Mémoires S. 45) will den König auf diese Gefahr aufmerksam gemacht haben. Daß seine Abwehrvorschläge keine Beachtung fanden, schreibt Löwen dem Generalquartiermeister in Stralsund, dem bekannten Eosander v. Göthe, zu, der für seine fortifikatoriscbe Aufgabe unfähig gewesen sei.
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mit rechnen, daß die schwedische Besatzung sich hier geschwächt hatte, um sich vor dem schwer bedrohten Tribseer Tor stark zu machen. Wahrscheinlich hat Wackerbarth, obwohl der Belagerungsangriff gegen die Werke vor dem Tribseer Tor bisher in kurzer Zeit zu bedeutenden Erfolgen geführt hatte, dann später dennoch die Aussichten für einen Sturm an dieser Stelle nicht günstig beurteilt. Denn es war nicht gelungen, die Wasseraufstauung auf den Kupferteichwiesen zu beseitigen und dadurch die Möglichkeit für eine Verbreiterung der zu schmalen Sturmausgangsbasis zu schaffen. 1 Jedenfalls hat der sächsische Oberbefehlshaber der Belagerungsarbeiten das große Risiko eines Überrumpelungsversuchs von der Frankentorseite her auf sich genommen, in der Erwartung, daß sich das Überraschungsmoment ihm günstig erweisen werde. Gelang es hier, nicht nur das Retrandhement durch Umgehung von der Wasserseite her zu überrennen, sondern auch, wie geplant, in die Stadt einzubrechen und sie zu Fall zu bringen, 2 so war der Feldzug vor Stralsund mit einem betäubenden Schlage beendet. Die Geschichte der Festungsbelagerungen hätte dann ein klassisches Beispiel für die Einnahme eines starken Waffenplatjes durch einen wohldurchdachten und energisch durchgeführten Handstreich in ihren Annalen zu verzeichnen gehabt. Seit Mitte Oktober standen die für die Landung auf Rügen bestimmten 20 000 Mann alliierter Truppen bei Greifswald bereit und warteten auf die Einschiffung. Dadurch war die Stärke der Belagerer vor Stralsund ganz bedeutend verringert, reichte aber immer nodi zur Fortführung des Belagerungsangriffs und für den geplanten Handstreich aus. Andererseits konnte damit gerechnet werden, daß König Karl die an sich schon zu geringe Zahl der Truppen in den Außenwerken der Festung weiterhin schwächen würde, um sich auf Rügen zur Abwehr der sich nun unverkennbar abzeichnenden feindlichen Landung zu verstärken. Der äußerst geheim gehaltene Plan einer Überrumpelung der Verteidigung des 1 Nach H. Voges (Die Belagerung von Stralsund, S. 64/65) ist es lediglich nicht festzustellen, ob das verbündete Hauptquartier nach einer eventuellen Eroberung des Retranchements vor der Südwestfront der Festung den Generalangriff dort gegen die Werke der Hauptverteidigung vor dem Tribseer Tor durchzuführen entschlossen war. 2 Es war den Verbündeten durch Überläufer bekannt geworden, daß die Schweden vor dem Frankentor sich so sicher fühlten, daß sie nachts nicht einmal den Eingangsweg aus dem Retranchement in das Hauptbefestigungssystem versperrten.
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Frankentores — nicht einmal das dänische Hauptquartier wurde unterrichtet — sollte dadurch kaschiert werden, daß der Belagerungsangriff gegen die Werke vor den beiden anderen Toren wie bisher fortgeführt und vor allem vor dem Tribseer Tor mit Sturm gedroht wurde. 1 In der Nacht vom 24. Oktober/4. November zum 25. Oktober/5. November ging der zunehmende Mond bald nach Mitternacht unter den Horizont. Das war die geeignete Stunde für die Durchführung eines so riskanten Unternehmens. Bei Mondlicht wurden die Sturmkolonnen geordnet und bereitgestellt, ohne daß die schwache Besatjung der Schweden vor dem Frankentor die drohende Gefahr bemerken konnte. Der Plan sah vor, daß eine Umgehungskolonne, in drei Abteilungen hintereinander, nach Untergang des Mondes in der tiefen nächtlichen Finsternis unter Benutzung der Sandbank durch das Wasser des Strelasundes unbemerkt ins Innere des Retranchements vor dem Frankentor geführt wurde, und daß dann drei weitere Kolonnen von der Landseite her über die Außenwerke hinweg ins Innere des Retranchements einbrachen. Eine Abteilung der Umgehungskolonne, die der mit dem Gelände vertraute Oberstleutnant v. Koppen führte, war dazu bestimmt, die Postenanfstellungen an dem offenen Eingangsweg durch Contreescarpe, Grabenschere, Hornwerk, Contregarde und das Frankentor selber, wobei nicht weniger als vier Engpässe zu überwinden waren, über den Haufen zu rennen und ins Stadtinnere vorzubrechen. Die beiden anderen Abteilungen der Umgehungskolonne sollten, nachdem sie an Land gestiegen, sich des Inneren des Retranchements bemächtigen und dann den von außen her auf Raketensignal andringenden Kolonnen die Hand reichen. Kavallerie und eine starke Arbeiterkolonne sowie Artilleriemannschaften standen zur weiteren Durchführung des Handstreichs bereit. Etwa 6000 Mann Infanterie waren, außer 1500 Berittenen und den Arbeitern, für dies ebenso kühne wie komplizierte nächtliche Unternehmen zusammengezogen worden. Gleichzeitig mit seinem Beginn sollten sowohl vor dem Knieper wie vor dem Tribseer Tor Scheinangriffe stattfinden. Das Oberkommando der Dänen wurde in dem Glauben belassen, daß jetjt 1 Am 23. Oktober/3. November und 24. Oktober/4. November war die schwedische Artillerie in dem Retranchement vor dem Tribseer Tor außer Gefecht gesetzt worden und damit der Weg für einen Sturmangriff aus der dortigen vierten Parallele heraus frei geworden.
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der Gewaltangriff gegen die Werke vor dem Tribseer Tor durchgeführt wurde. 1 Nach dem Untergang des Mondes zerriß zur befohlenen Zeit um 2 Uhr die Stille der Nacht jäh eine Rollsalve aus den 28 schweren Flachfeuergeschügen und den 12 Mörsern, die hinter der dritten Parallele gegenüber dem Retranchement vor dem Tribseer Tor eingebaut waren. Das war das verabredete Zeichen für den Beginn der beiden Scheinangriffe gegen die Retranchements vor dem Tribseer und dem Knieper T o r , wodurch die Aufmerksamkeit und Aktionskraft der Verteidiger von Stralsund dorthin abgelenkt werden sollte. Diese weithin hallenden Schüsse waren aber auch das Zeichen für die Umgehungskolonne, in äußerster Stille ihren Marsch durch das Wasser des Strelasundes anzutreten. Das heftige Artillerie- und Gewehrfeuer, daß nun von den Werken vor den beiden anderen Stadttoren herüberschallte, wo die Scheinangriffe stattfanden, lenkte die Aufmerksamkeit der Schweden dorthin ab und übertönte die unvermeidlichen Geräusche der durch das Wasser vorgehenden Umgehungsabteilungen an der Frankentorseite. Die erste Abteilung der Umgehungskolonne, etwas über 4 0 0 Mann unter der persönlichen Führung des Oberstleutnants v. Koppen, gelangte im Innern des Retranchements auch unbemerkt an Land. Sie eilte zu dem Straßendurchgang durch die äußere Befestigungslinie des Retranchements, überwältigte die dort stehende schwedische Postierung, sprengte die Sperre und öffnete der in tiefer Finsternis unbemerkt harrenden ersten Gruppe der anderen Angriffskolonnen den Weg ins Innere der Verschanzung. Inzwischen hatten auch die beiden folgenden Abteilungen der Umgehungskolonne die Wasserstrecke passiert. Der Weg dieser beiden Abteilungen war jedoch nicht so unbemerkt und geräuschlos vonstatten gegangen, wie es der ersten Abteilung gelungen war. Kein Wunder übrigens, hatten doch nicht weniger als 9 0 0 Mann in völliger Dunkelheit manchmal bis an die Brust in dem eiskalten Wasser vorzugehen. Als diese Truppen an Land stiegen und von dem dort zurückgebliebenen Oberstleutnant v. Koppen weiter dirigiert wurden, erhielten sie Feuer sowohl vom nahen
1 Über die Disposition zum Sturme vgl. die ganz ausführliche Darstellung bei H. Voges, Die Belagerung von Stralsund, S. 69 f., die auf den Berichten Wackerbartli6 (Sachs. Hauptstaatsarchiv) beruht.
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Dänholm 1 wie von der Eckbastion der Verschanzung des Retranchements am Strelasund her. Nun waren die im Retranchement kampierenden fünf schwachen schwedischen Bataillone alarmiert. 2 Während die letjte der drei Abteilungen der Umgehungskolonne zusammen mit den von außen her eindringenden Kameraden der anderen Kolonnen gegen erbitterten schwedischen Widerstand das Retranchement eroberte, drang die zweite Abteilung der Umgehungskolonne, über die Koppen selber das Kommando übernommen hatte, gegen die inneren Werke am Frankentor vor. In letzter Minute gelang es einem schwedischen Offizier, die Barriere vor dem Eingang in die Contreescarpe zu schließen und die Zugbrücke über den Wassergraben zur Grabenschere hochziehen zu lassen. Durch das beherzte Eingreifen dieses Mannes wurde die Stadt gerettet. Die Frankentorwerke waren intakt geblieben. Alle diese dramatischen Ereignisse in der tiefen Finsternis der kalten Herbstnacht, von der Salve der großen Batterie vor dem Tribseer Tor an bis zu den alarmierenden schwedischen Schüssen auf der Frankentorseite und dem rettenden Eingreifen des schwedischen Offiziers in der Contreescarpe vor dem Frankentor, haben sich in ganz wenigen Stunden abgespielt. Zum Schluß wurde die Besatjung des Retranchements, die in der Front von den über die äußere Umwallung eingedrungenen Kolonnen angepackt war, rasch überwältigt, als Oberstleutnant v. Koppen, nachdem sein Versuch zur Eroberung des Frankentors mißglückt war, in raschem Entschluß seine 400 Mann den verzweifelt kämpfenden Schweden in den Rücken warf. Noch in der Nacht wurde damit begonnen, mit Hilfe der herangezogenen Arbeiterkolonne das eroberte Retranchement zur Ab1 Die Schanze auf dem Dänholm war von derjenigen Strecke des Festlandufers, welche die Umgehungskolonne im Wasser passierte, 300—400 m entfernt 2 Es waren drei Infanterieregimenter, von denen das des Grafen Meilin, das hier völlig aufgerieben wurde, nur einen Restbestand von 50 Mannschaften und Unteroffizieren hatte. Nach einer zeitgenössischen schwedischen Aufstellung standen in dem Retranchement vor dem Frankentor Mitte Oktober (a. St.) zusammen nicht ganz 1600 Mannschaften und Unteroffiziere. Wenn diese Nachricht zutreffend ist, müßten die Schweden, da sie bei der Erstürmung des Retranchements zusammen etwa 700 Mainn an Toten und Gefangenen verloren haben und von der Besatzung fast niemand sich in die Stadt retten konnte, seit Mitte Oktober im Vertrauen auf die Stärke der Befestigungen vor dem Frankentor ihre Besatzung dort erheblich verringert haben. Allerdings ist wohl die auf etwa 200 Mann verstärkte Besatzung des Dänholm von diesen Regimentern gestellt worden.
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wehr eines Ausfalls vom Frankentor her einzurichten und die erbeuteten 29 Gesdiütze und Mörser durch Artilleristen mit der Front gegen die Stadt einzubauen. Bereits am Vormittag wurde aus vier Beutegeschützen das Feuer auf die Werke des Frankentores, den Dänholm und einige dort liegende schwedische Schiffe eröffnet. Der Ausfall, den die Schweden zur Rüdkeroberung ihres Retranchements noch am Nachmittag des 25. Oktober/5. November mit großer Erbitterung unternahmen, hatte keinen Erfolg. Die Schweden hatten ungefähr 200 Mann an Toten und 500 Gefangene verloren. Die Verluste der Angreifer waren bedeutend geringer, 40—50 gefallene Preußen und Sachsen und etwa 80 Verwundete. König Karl XII., der sofort von Rügen herbeigeeilt war, hatte Grund genug, über die mangelnde Wachsamkeit der Seinen ungehalten zu sein. Deshalb lehnte er die angebotene kurze Waffenruhe zur Bestattung der gefallenen schwedischen Soldaten ab. Der mit geringen Opfern erreichte Erfolg der Preußen und Sadisen war deshalb sehr bedeutend, weil, ganz abgesehen von den empfindlichen schwedischen Verlusten an Menschen und Kriegsmaterial, das stärkste der drei Retranchements erobert und eine günstige Sturmausgangsbasis gegenüber dem inneren Befestigungssystem vor dem Frankentor gewonnen war. Das Hauptziel und die Krönung des gewagten Unternehmens, die Einnahme der Stadt und Festung, hatte Wackerbarth allerdings trotz seiner in jeder Beziehung wohl durchdachten und vorbildlichen Angriffsdispositionen nicht erreichen können. Damit hatte sich gleichzeitig ein politisches Intrigenspiel erledigt, das anscheinend vorher von Preußen und Sadisen zum Schaden Dänemarks eingefädelt worden war. 1 Wackerbarth hatte sich f ü r seinen König in den Besitz von Stralsund setzen wollen und soll dazu die Zustimmung des Königs von Preußen erhalten haben. 2 Diese Intrige war abgesprochen worden über den Grafen H. Voges, Die Belagerung von Stralsund, S. 79 f. Dänemark erhob vertragsmäßigen Anspruch auf Schwedisch-Vorpommern nördlich der Peene, während in einer früheren Periode des Nordischen Krieges Friedrich IV. durch die Teilungskonvention vom 7./18. September 1711 August dem Starken den Besitz von Vorpommern mit Rügen zugestanden hatte. Die sehr hochgespannten utopischen Forderungen dieser Teilungskonvention waren dann kurz vor dem Friedensschluß zu Utrecht mit RUcksicht auf die nun freiwerdenden Kräfte der bisher am Spanischen Erbfolgekrieg beteiligten Staaten aufgegeben worden, und der neue »Generalplan« der Nordischen Alliierten vom 21. Februar/4. März 1713 hatte sogar dem Kaiser die Entscheidung über das künftige Schicksal Schwedisch-Vorpommerns überlassen wollen. Im Som1
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v. Manteuffel, den sächsischen Gesandten am preußischen Hofe, und den Feldmarschall v. Flemming, den einflußreichsten politischen B e r a t e r Augusts des Starken. Manteuffels Denkschrift 1 hatte vorgesehen, daß Stralsund nach der E r o b e r u n g von den Sachsen allein besetzt werden sollte, und zwar zunächst im Namen des Obersächsischen Kreises, dem der K u r f ü r s t von Sachsen als Kreisdirektor vorstand. 2 Der Kaiser als Reichsoberhaupt sollte angerufen, und es sollte mit Rußland und England verhandelt werden. Später sollte Stralsund gegen entsprechende Landgebiete in Mitteldeutschland und an der Oder zur Herstellung eines K o r r i d o r s zwischen Sachsen und Polen an Preußen herausgegeben werden.'' mer des gleichen Jahres war nach dem Abzug der Armee Stenbock Rügen von Russen und Sachsen besetzt worden. Da jedoch die Kräfte der Alliierten vor Stettin und Tönning festlagen, hatte in diesem Jahre sich eine Belagerung von Stralsund als undurchführbar erwiesen. Während die Dänen im Herbst ihr leichtes Geschwader aus dem Greifswalder Bodden zurückzogen, hatte die sächsische Heeresleitung aus eigenem Antrieb die Räumung von Rügen veranlaßt. Alle diese Vorgänge und ihre Konsequenzen wurden nunmehr in den teilweise sehr gereizten Verhandlungen zwischen Sachsen, Dänemark und Preußen lebhaft umstritten, wobei auch der Schwedter Hauptrezeß vom 25. September/6. Oktober 1713, gegen den Dänemark seinerzeit erbittert remonstriert hatte, von den dänischen Argumentationen ins Feld geführt wurde. Besonders ausgeprägt war während der Belagerung von Stralsund 1715 der politische Gegensatz zwischen Dänemark und Sachsen. Es gelang jedoch den preußischen Bemühungen immer wieder, die bedrohlichen Zerwürfnisse auszugleichen. (Dän. Gen.-Stab Bd. V S. 2 f., Bd. VII S. 126 f. Vgl. Band II S. 151, 229 f., 240 f.) 1 »Plan der Conduite, so wir zu halten haben, wann die Entreprise auf Stralsund glücklich von Statten geht.« 2 Es waren für die Verteilung in der Stadt bereits die Flugblätter redigiert, in denen Wackerbarth die Inbesitznahme Stralsunds für seinen König öffentlich proklamieren wollte. Das Dän. Gen.-Stabswerk (Bd. VII S. 172) zweifelt indes daran, daß König Friedrich Wilhelm I. seine Zustimmung dazu gegeben habe, im Falle einer Überrumpelung der Festung diese den Sachsen in die Hände zu spielen. Das sei schon deswegen unwahrscheinlich, weil zu dem Zeitpunkt, als Wackerbarths Plan die Billigung des preußischen Königs gefunden habe, die Landung auf Rügen noch nicht durchgeführt war. Und ohne die entscheidende Mitwirkung der dänischen Flotte konnte Rügen nun einmal nicht erobert werden. 3 Nachträglich erhielt auch der Kaiser Kenntnis von dieser Intrige. Am 10./21. November berichtet der kaiserliche Gesandte Graf Virmont aus dem alliierten Hauptquartier, Graf Wackerbarth habe ihm eine solche Eröffnung gemacht. Das ist von ihm, der vorher Gesandter König Augusts in Wien gewesen war, vermutlich geschehen, um zu sondieren, ob der Kaiser bereit sei, auf dem Wege kaiserlicher Sequester von Stralsund, die zu übernehmen Graf Virmont vorgeschlagen sei, Sachsen einen Teil der Beute an Land zuzuschanzen. Doch lautete Virmonts Antwort auf diese Eröffnung sehr zurückhaltend und wenig ermutigend. (Vgl. P. Sörensson in: Kar. Förb. Ärsbok 1926 S. 228, wo der chiffrierte Brief Virmonts nach dem Wiener Staatsarchiv wiedergegeben ist.)
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Die düpierten Dänen hätten sich nach der Auslieferung Stralsunds an die Sachsen Wadeerbarths zunächst gar nicht zur Wehr setzen können. Denn starke dänische Truppenkörper standen bei dem für Rügen bestimmten Landungskorps und waren zum Teil schon eingeschifft. Sie befanden sich, wenige Tage später nach der Landung auf Rügen, seit dem 5./16. November, mit der Person des dänischen Königs selber im Grunde sogar in preußischer und sächsischer Hand — wenn nämlidi inzwischen die Dänen von der Besetzung der überrumpelten Festung ausgeschlossen worden wären. Zu einer so abenteuerlichen Wendung der Dinge, die ein sofortiges Auseinanderfallen der antischwedischen Mächtekombination zur Folge gehabt und unübersehbare Konsequenzen nach sich gezogen hätte, konnte es indessen nicht kommen. Denn nach Manteuffels Denkschrift sollte offene Gewalt gegen die Dänen nicht angewandt werden. Die Freiheit eines Herrschers von Gottes Gnaden anzutasten, war in dieser Blütezeit des fürstlichen Absolutismus zudem ein Gedanke, der dem Zeitalter weltenfern lag. 3 Nun konnte der verwerfliche Verrat an dem dänischen Waffengefährten, wie er immerhin zum mindesten als Plan aufgetaucht ist, schließlich dodi nicht geübt werden, da die Überrumpelung der Festung nicht geglückt war. Aber dieser ganze Verhandlungskomplex ist doch ungemein bezeichnend für die Problematik jeder 1
H. Voges, Balt. Studien, N. F. Bd. IX S. 195. Immerhin aber ist «in knappes Jahr später, im September 1716, von einflußreichen Staatsmännern Georgs I. f ü r einen Augenblick der Gedanke ernstlich erwogen worden, ob nicht Dänemark dazu gebracht werden solle, sich der Person des damals in Kopenhagen weilenden Zaren zu bemächtigen, als dieser das Projekt einer gemeinsamen Landung in Schonen in letzter Minute ganz überraschend zu Fall gebracht und dadurch der Kriegführung der Alliierten einen nicht wieder gut zu machenden Schaden zugefügt hatte. Es mag hierbei Erwähnung finden, daß andererseits in der zeitgenössischen Literatur, so bei Andreas Hojer, immer wieder die Vermutung auftaucht, als habe der König von Dänemark das gekrönte Haupt Karls XII. absichtlich aus Stralsund entkommen lassen, statt, wie es leicht möglich gewesen wäre, das Schiff, das den feindlichen König aus der verlorenen Festung herausführte, durch dänische Flottenstreitkräfte auffangen zu lassen. (Vgl. dazu auch Nordberg Bd. II S. 536.) Indessen gibt es anscheinend kein Quellenzeugnis dafür, daß Friedrich IV. seinem schwedischen Vetter das Entkommen aus Stralsund ermöglicht habe. Vielmehr waren vor der Landung auf Rügen Vereinbarungen zwischen den Königen von Dänemark und Preußen getroffen worden, die ausdrücklich vorsahen, daß die dänische Flotte eine Flucht Karls XII. auf dem Seewege verhindern sollte. Es wurden im Dezember mehrere Fregatten in die Gewässer von Hiddensö entsandt mit dem Auftrag, den schwedischen König in dänische Hand zu bringen, für welchen Fall eine hohe Belohnung versprochen wurde. 3
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gemeinsamen Kriegführung durch Koalitionsmächte, deren politische Ziele einander zuwiderlaufen, und noch mehr bezeichnend für die schamlose Skrupellosigkeit, welche die Politik dieser Epodie kennzeichnet. Nach dem geglückten Handstreich auf das Retranchement vor dem Frankentor stand jedoch der weitaus schwierigste und opferreichste Teil des Angriffs auf die Festung den Verbündeten überhaupt erst bevor. Es sollte noch volle sieben Wochen dauern, ehe Stralsund sich am 12./23. Dezember endlich ergab. Furchtbare Leiden durch Hunger und Seuchen, Nässe und Frost, ganz abgesehen von hohen blutigen Verlusten, mußten die Belagerer bis dahin noch ertragen. Auch die Verteidiger hatten das gleiche zu erdulden. Seitdem König Karl XII. nach dem mißlungenen Nachtangriff auf das Landungskorps des Alten Dessauers am 5./16. November von Rügen nach Stralsund zurückgekehrt war, befeuerte sein« gewaltige Energie die Kräfte der Festungsbesatzung. Sie hat bis zum bitteren Ende mit höchster Bravour gekämpft. Die deutsche Bürgerschaft, die schon seit dem September 1711 und dann das ganze Jahr 1712 hindurdi eine Landblockade ausgehalten hatte 1 und in deren Erinnerung noch die Leiden und Trümmer des Bombardements von 1678 unvergessen waren, mußte nun eine Wiederholung dieses Bombardements und späterhin sogar die Schrecken eines Generalsturms fürchten. Wiederholt haben Rat und Abordnungen der Bürgerschaft ihren König gebeten, es nicht zum Äußersten kommen zu lassen. Jedesmal hat Karl X I I . solche Vorstellungen scharf zurückgewiesen und passive Resistenz bei der Heranziehung der Bürger zu Hilfsdiensten streng geahndet. 1 Auf alliierter Seite war die treibende Kraft bei der Fortführung der immer schwieriger sich gestaltenden Belagerungsarbeiten der sädhsische General v. Wackerbarth. Dazu bedurfte er indes der dänisdien Hilfe, und zwar an Truppen zur Entlastung der überbeanspruchten sächsischen und preußischen Bataillone sowie an Belagerungsgerät, das im dänisdien Lager reichlich vorhanden war.3 Der dänische General v. Schölten lehnte aber jede Gestellung Vgl. Band II S. 149, 160, 240 f. Nicht minder resistent zeigte sich die Landbevölkerung gegenüber den Anforderungen der Alliierten zur Gestellung von Arbeitskräften, Pferden und Wagen, Material und Verpflegung für Mann und Roß. 3 Vor allem fehlte es Wackerbarth vor dem Frankentor an Faschinen, Schanzkörben, Pfählen, Tauen, Laufbrücken und Pontons. 1
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von Mannschaften und Gerät beharrlich ab. Begreiflicherweise war sein militärisches Ehrgefühl durch das Mißtrauen sdiwer gekränkt, das ihm mit der Verschweigung des Handstreichplans gegen das Frankentorretranchement bezeigt worden war. Über diesen persönlichen Affront hinaus ist ihm wahrscheinlich auch die sächsisch-preußische Intrige nicht verborgen geblieben, durch die Dänemark, falls der Handstreich Stralsund zu Fall gebracht hätte, um alle Früchte seiner Mitwirkung an dem pommerschen Feldzug dieses Jahres gebracht werden sollte. Für diese Intrige revanchierte sich Scholtens Souverän, König Friedrich IV. von Dänemark, alsbald, indem er nach Abzug der Sachsen und Preußen von Rügen die Insel in seinen Besitz nahm und seinen General v. Dewitz zu ihrem Gouverneur machte.1 Dieses Vorgehen Dänemarks, wenn es auch in den bestehenden politis