Kleinunternehmer und Politik in Deutschland: Eine Studie zur politischen Konstitution der Reproduktionsbedingungen und Erfolgschancen kleiner und mittlerer selbständiger Unternehmen in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft [1 ed.] 9783428485048, 9783428085040

Die neuerdings immer wieder beschworene »Renaissance« der kleinen und mittleren (»mittelständischen«) Unternehmen zeigt

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German Pages 297 Year 1996

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Kleinunternehmer und Politik in Deutschland: Eine Studie zur politischen Konstitution der Reproduktionsbedingungen und Erfolgschancen kleiner und mittlerer selbständiger Unternehmen in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft [1 ed.]
 9783428485048, 9783428085040

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BERND KIESSLING

Kleinunternehmer und Politik in Deutschland

Volkswirtschaftliche Schriften Begründet von Prof. Dr. Dr. h. c. J. Broermann t

Heft 454

Kleinunternehmer und Politik in Deutschland Eine Studie zur politischen Konstitution der Reproduktionsbedingungen und Erfolgschancen kleiner und mittlerer selbständiger Unternehmen in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft

Von

Bernd Kießling

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Kiessling, Bernd: Kleinunternehmer und Politik in Deutschland : eine Studie zur politischen Konstitution der Reproduktionsbedingungen und Erfolgschancen kleiner und mittlerer selbständiger Unternehmen in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft / von Bernd Kiessling. - Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Volkswirtschaftliche Schriften; H. 454) Zugl.: Bielefeld, Univ., Habil.-Schr., 1994 ISBN 3-428-08504-3 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten

© 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0505-9372 ISBN 3-428-08504-3

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Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Meinen Eltern

"Entgegen Marx ist der 'Überbau' oft geschichtsbestimmender als der 'Unterbau'."

Fritz Marbach, Die Wirtschaftskonzentration,

1964, S. 178

Vorwort Thema der Studie ist das Verhältnis von modernem Staat und kleinen bzw. mittelständischen Unternehmen: Im Mittelpunkt steht die wesentliche 'politische Vermitteltheit' der Reproduktionsbedingungen und Erfolgschancen derselben. Der 'empirische Blick' konzentriert sich auf die Verhältnisse in Deutschland seit 1949. Für die nähere Explikation der Problemstellung sei der Leser gleich weiter ans erste Kapitel der Arbeit verwiesen. Hier sei vorerst nur hervorgehoben, daß Anliegen und Telos der Studie die Arbeit am Projekt einer soziologisch bzw. gesellschaftstheoretisch ansetzenden 'politischen Ökonomie' des Kleinunternehmens in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft ist: Festhalten will ich also an der großen (und, was oft verkannt wird, weit über die Marxschen Verkürzungen hinausreichenden) Tradition der 'politischen Ökonomie', deren ungebrochene Aktualität und Vitalität in der theoretisch-empirischen Auseinandersetzung mit einem konkreten Gegenstand demonstriert werden soll. Dabei ist die 'politische Ökonomie' für die vorliegende Studie vor allem eben als Forschungsperspektive grundlegend, in der es darum geht, Wirtschaft, Gesellschaft und Politik in ihrem integralen Zusammenhang zu analysieren. Eine so verstandene 'politische Ökonomie' setzt tiefer und umfassender an als die herkömmlichen Ansätze der Wirtschaftssoziologie: Sie bezieht die Reflexion auf 'die Politik' bzw. auf 'den Staat' mit ein. Die vorliegende Studie ist aus meiner Bielefelder Habilitationsschrift hervorgegangen. Danken möchte ich an dieser Stelle vor allem den Professoren Dr. Hansjürgen Daheim und Dr. Peter Schöber. Professor Daheim hat mein wissenschaftliches Interesse auf die 'kleinen Unternehmen' hingelenkt, und namentlich Professor Schöber war es, der mich in meiner Bielefelder Assistentenzeit die Lebendigkeit der Tradition der 'politischen Ökonomie' gelehrt hat. Dank schulde ich beiden auch und gerade für ihre uneigennützige und jederzeitige Unterstützung meines Forschungsvorhabens. Für ihre professionelle editorische Unterstützung sei schließlich auch Frau Petra Scheper ein herzliches Dankeschön gesagt. Bielefeld/Vechta, im Juni 1995

Bernd Kießling

Inhaltsverzeichnis 1.

Zur Einführung: ThemensteIlung, Aktualität der Forschungsfrage, Dermitorisches ........................................................................ 15 1.1

Die 'kleinen Unternehmen': Zur 'Renaissance' eines Forschungsthemas ........................................................ 16

1.2

2.

Definitorische Abgrenzungen: Zum Begriff des 'kleinen' bzw. 'mittelständischen' Unternehmens ............................. 24

Zur 'Theorie-' und 'Problemgeschichte' der Kleinunternehmerforschung: Die 'Politik' als weitgehend vernachlässigte Dimension der bisherigen Kleinunternehmerforschung .................. 35 2.1

Das 'Politikdefizit' der Kleinunternehmerforschung: Einführende Problemexposition ....................................... 35

2.2

Das Kleinunternehmen in historischer Perspektive: Ein kritischer Literaturüberblick über die Haupttraditionen der Kleinunternehmerforschung ....................................... 41 2.2.1

Von den englischen Klassikern zur Marxschen Prognose vom notwendigen 'Untergang' der kleinen selbständigen Unternehmen ...................... 41

2.2.2

Exkurs: Die 'Marginalisierung' des Kleinunternehmens in der modernen Ökonomik und in den soziologischen 'Theorien der industriellen Gesellschaft' ................................................... 51

2.2.3

Stationen der 'klassischen' Kritik der 'Untergangstheorie' vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis zum zweiten Weltkrieg ............................................ 59

2.2.4

Die Wiederaufnahme der Diskussion nach dem zweiten Weltkrieg: Die handlungstheoretisch ansetzende Kölner Mittelstandssoziologie und die

12

Inhaltsverzeichnis subjektbezogene Tradition der amerikanischen 'small-business'-Forschung ................................ 72 2.2.5

Nach der 'Stagnation' in den 70er Jahren: Der überraschende Boom der Kleinunternehmerforschung in den 80er Jahren und die Begeisterung für das 'flexible Kleinunternehmen' und seine vermeintlichen selektiven Vorteile ........................ 78

2.3

3.

Zusammenfassung: Das 'Politikdefizit' und die 'politische Kurzschlüssigkeit' der Kleinunternehmerforschung ............... 96

Das Kleinunternehmen und der moderne Staat: Zur KonzeptuaIisierung einer 'politikzentrierten ' Forschungs- und Theorieperspektive . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . ... . . . . ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. 103 3.1

Eucken, das 'Monopolproblem' und seine Kritik am 'Mythos VOn der Zwangsläufigkeit der Entwicklung' und dem 'notwendigen Untergang der Konkurrenz' .............................. 105

3.2

Euckens 'Wettbewerbsordnung' der 'vollständigen Konkurrenz' als 'mittelständisches' Ordnungsideal .............. 129 3.2.1

Euckens Marktform der 'vollständigen Konkurrenz' als 'zureichende Ordnung' für die moderne Wirtschaft? .................................................... 130

3.2.2

Die 'Wettbewerbsordnung' als 'mittelständisches' Ordnungs ideal ................................................ 133

4.

Zur historisch-systematischen Bestimmung des Verhältnisses von modernem Staat und marktwirtschaftlicher Ökonomie ............................................................................. 147 4.1

Zur Orientierung und Methodik der Argumentation: Ausblick auf das 4. und 5. Kapitel ............................................... 147

4.2

Die zünftig geordnete Handwerksökonomie ....................... 155

4.3

Der Siegeszug der modernen 'kapitalistischen' bzw. 'marktwirtschaftlichen' Produktionsweise .................................. 166

Inhaltsverzeichnis 4.3.1

13

Der moderne Staat als Proakteur der marktwirtschaftlichen Produktionsweise ............................ 168

4.3.2

Die marktwirtschaftliehe Produktionsweise und der 'kapitalistische Reichtum' ............................ 179

4.3.3

Der moderne Staat als 'Steuerstaat' oder die 'politische Funktionalisierung' der Ökonomie ........ 183

4.3.4

Exkurs: Die historische Durchsetzung der 'steuerhoheit' . . . . .. ... .. . . ... . . . . . . . . . .... . ..... . . . . . . . . . . . . . . . . .... . .. 192

4.4

Zusammenfassung: Moderner Staat, Ökonomie und die 'politische Vermittlung' der Produktions- und Reproduktionsbedingungen in der Marktwirtschaft ................................. 202

5.

Der moderne Staat und die kleinen Unternehmen: Das Beispiel der Bundesrepublik Deutschland seit 1949 ........................................ 207 5.1

Vorbemerkung ............................................................ 207

5.2

Historischer Exkurs: Kleinunternehmen und nationalsozialistische Wirtschaftspolitik ............................................. 212

5.3

Walter Eucken und die 'Neuordnung' der bundesrepublikanischen Nachkriegsökonomie ......................................... 217 5.3.1

'Momente der Krisis': 1945 and the years after ..... 218

5.3.2

Das Kartellgesetz als 'Grundgesetz der Marktwirtschaft' .......................................................... 226

5.3.3

Die 'soziale Marktwirtschaft' und das Konzept des 'funktionsfahigen Wettbewerbs' .................... 229

5.4

Mittelstandspolitik und kleinbetriebliehe Reproduktionsbedingungen in der Bundesrepublik ................................. 236 5.4.1

Vorbemerkung zur Argumentationslogik .............. 237

5.4.2

Mittelstandspolitische Programmatik und Mittelstandspolitik im zeitgenössischen Deutschland ....... 240

14

Inhaltsverzeichnis

5.4.3

Staat und kleine Unternehmen: 'Materielle' und 'gesellschaftspolitische' Aspekte seines 'mittelständischen' Interesses ..................................... 248

6.

Schlußbetrachtung: Zur 'politisch vermittelten' Konstanz der kleinen und mittleren selbständigen Unternehmen in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft ........................................ 265

Literatur ........................................................................................... 269

1. Zur Einführung: ThemensteIlung, Aktualität

der Forschungsfrage, Definitorisches

Über die Frage nach Persistenz oder Niedergang der kleinen und mittleren selbständigen Unternehmen (bzw. des selbständigen gewerblichen Mittelstandes) in der Industriegesellschaft wird seit über hundert Jahren in den Sozialund Wirtschaftswissenschaften eine kontroverse Debatte geführt (2. Kapitel): Immer wieder wurde versucht nachzuweisen, daß angesichts der Übermacht der Großunternehmen 'die Kleinen' vor ihrem baldigen Ende stehen. Dieses aber ist, bislang jedenfalls, nicht eingetreten; und darauf ist von den Gegnern der sog. 'Untergangsprognose' völlig zu Recht immer wieder hingewiesen worden. Im Rückblick müssen wir allerdings konstatieren, daß die Zahl jener, die über die letzten hundert Jahre hinweg den kleinen Unternehmen eine eher düstere Prognose ausstellen wollten, die Zahl der Optimisten weit überwog. Erst im letzten Jahrzehnt hat sich hier eine grundlegende 'Umwertung der Werte' ereignet: Die lange 'vergessene' Kleinunternehmerforschung ist wieder stärker in den Vordergrund gerückt und hat mit dem Hinweis auf das Paradigma (oder ist es vielleicht doch nur ein Klischee?) des 'dynamischen, flexiblen und innovativen Kleinbetriebs' die Aufmerksamkeit auch von Öffentlichkeit und Politik auf sich gezogen. Im Rückblick fällt freilich auch auf, daß seit den Anfangen der Diskussion vor über hundert Jahren das 'Schicksal' der selbständigen Kleinunternehmen in der Regel und typischerweise immer nur und ausschließlich mit Bezug auf ökonomische Strukturparameter thematisiert wurde. Dieser defizitären Ansatzweise gegenüber wollen wir in und mit unserer Studie ein alternatives Forschungsdesign entwickeln, das davon ausgeht, daß die Reproduktionsbedingungen und Erfolgschancen der Kleinunternehmen in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft keineswegs eine rein 'ökonomische Angelegenheit' sind, sondern selbige vor allem und grundlegend politisch bzw. staatlich vermittelt und gesetzt sind: Für die theoretische Rekonstruktion der Reproduktionsbedingungen der kleinbetrieblichen Produktion ist die Reflexion auf die 'mittelständischen' Interessen des Staates zentral; das ist die grundlegende ,Idee' unseres Designs.

16

1. Zur Einführung

Die Leistungsfähigkeit unseres Forschungsdesigns wollen wir am Beispielfall Deutschland (womit wir vor allem 'die Bundesrepublik' meinen) erproben und demonstrieren (5. Kapitel). Diese Aufgabe kann nicht umstandslos in Angriff genommen werden: Zuvor gilt es, als Voraussetzung dafür, unseren politikzentrierten Ansatz der Kleinunternehmensforschung theoretisch zu fundamentieren und das Verhältnis von modernem Staat und Ökonomie in allgemeiner Perspektive zu untersuchen (3. und 4. Kapitel). In diesem Zusammenhang werden wir auch, über die spezifische Thematik der vorliegenden Studie ins Grundsätzliche 'vorstoßend', eine innovative Rekonstruktion des Verhältnisses von modernem Staat und marktwirtschaftlicher Ökonomie vorstellen und auf diese Weise die Vitalität einer von Grund auf und im wahrsten Sinne des Wortes: 'politisch-ökonomischen' Ansatzweise zu dokumentieren versuchen. Beginnen wollen wir unsere Studie im folgenden mit einigen einführenden Hinweisen zur definitorischen Abgrenzung des Forschungsgegenstandes 'Klein und Mittelunternehmen' (Abschnitt 1.2) sowie zur Aktualität der 'kleinbetrieblichen' ThemensteIlung überhaupt (Abschnitt 1.1): Immerhin verdanken wir der, wie es seit über zehn Jahren in der Literatur immer wieder heißt: 'Renaissance des Kleinunternehmens' das Thema unserer Studie.

1.1 Die 'kleinen Unternehmen': Zur 'Renaissance' eines Forschungsthemas Während in der Nachkriegszeit lange Jahrzehnte vor allem 'der Großbetrieb' im Zentrum der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit stand, sind neuerdings die kleinen bis mittleren, rechtlich selbständigen, und von einem Eigentümerunternehmer geführten Industriebetriebe fast zu so etwas wie einem Modethema der Forschung in den Wirtschafts- und vor allem Sozialwissenschaften geworden. Vielleicht ist es nicht ganz verkehrt, in diesem Zusammenhang das Jahr 1973 zu nennen. 1973 nämlich, als alle Welt noch fasziniert auf die Strukturen des 'big business' (vgl. Drucker 1947; Steindl 1947; Lilienthal1952) blickte, 'Größe' und 'Massenproduktion' als selbstverständliche und unbedingte Voraussetzungen ökonomischer Leistungsfähigkeit galten (vgl. Grabher 1988b: 3; Servan-Schreiber 1968; Galbraith 1971), und entsprechend 'Klein- und Mittelbetriebe' in aller Regel "als bedauernswerte Relikte einer schlechteren Vergangenheit" (Aiginger/Tichy 1985: 5) abgetan wurden, meldete sich eine ziemlich vereinzelte Stimme zu Wort, die drastisch mit dieser weithin akzeptierten Weitsicht brechen wollte: Wir denken hier an

1.1 Renaissance der 'kleinen Unternehmen'

17

die in der Folge 'berühmt' gewordene Studie "Small is Beautiful" des britischen Ökonomen E.F. Schumacher (1973), die schon allein mit ihrem Titel ein neues Credo ausgab. Mit kritischem Blick auf die seinerzeit dominierende Megalomanie forderte der Autor "Die Rückkehr zum menschlichen Maß", so die Überschrift der im Jahre 1977 erschienenen deutschen Ausgabe der besagten Studie. Damit war im Grunde schon der Weg gebahnt für eine erneute und intensivierte Auseinandersetzung mit den in den fortgeschrittenen Industriegesellschaften allen Unkenrufen zum Trotz so hartnäckig 'persistierenden' (vgl. Bechhofer/Elliott 1976) kleinbetrieblichen Produktionsstrukturen. So richtig in Gang kommen sollte die 'neue' Kleinunternehmerdiskussion indes erst ein paar Jahre nach der Erstveröffentlichung von Schumachers Buch; zu Beginn der achtziger Jahre nämlich, als plötzlich 'die kleinen Unternehmen' verstärkt das Interesse nicht nur der Wissenschaft, sondern auch der breiteren Öffentlichkeit auf sich zogen. In seiner Einleitung zu dem von ihm 1984 herausgegebenen Sammelband "SmalI Business: Theory and Policy", beschreibt C. Levicki (1984b: 1) diese Trendwende eindrucksvoll mit den folgenden Worten: "SmalI business has become big news. In the somewhat frenetic turn and turnabout of fashion and trend in public policy-making, promotion of the merger mania of the 1960s has given way to an altogether different approach. The conventional wisdom no longer emphasises the need for ever bigger corporations in order to harness the economies of large-scale organisation, for now the stress is laid on the advantages of smaller units: divestment, management buy-outs, workers' co-ops, and encouragement for the individual entrepreneur are the current order of the day. " Was war geschehen? Nun, im Jahre 1979 veröffentlichte der amerikanische Ökonom D. Birch unter dem Titel "The Job Generation Process" eine Studie, die enormes Aufsehen erregte: Sich auf die empirisch-statistische Analyse des Datenmaterials von Kreditauskunfteien stützend, kam der Autor zu dem damals geradezu sensationellen Schluß, daß kleine und vor allem junge selbständige Unternehmen weit überproportional zur Entstehung neuer Arbeitsplätze beizutragen vermögen. Daß dieses Forschungsresultat nicht nur von Wissenschaftlern, sondern auch von Wirtschaftspolitikern geradezu euphorisch aufgegriffen wurde, braucht nun insofern nicht zu verwundern, als sich ja die Ökonomien der führenden westlichen Industrieländer und damit die gesamte Weltwirtschaft spätestens seit dem ersten Ölpreisschock im Jahre 2 Kießling

18

1. Zur Einführung

1973 in einer tiefgreifenden Wachstums- und Strukturkrise befanden, deren Symptome, wie vor allem das sozialpolitisch gravierendste Problem massiver Massenarbeitslosigkeit auf anhaltend hohem Sockel, sich gegenüber den in Anschlag gebrachten wirtschaftspolitischen Gegenstrategien einigermaßen resistent erwiesen. An dieser Stelle muß daran erinnert werden, daß man in den siebziger Jahren in den westlichen Industrieländern zunächst noch unisono versucht hatte, 'der Krise' mit dem klassischen Instrumentarium keynesianischer Wirtschaftsund Beschäftigungspolitik Herr zu werden (vgl. Scharpf 1987; Hall 1989); immerhin hatte man ja damit zuletzt in den sechziger Jahren, nicht nur bei uns in der Bundesrepublik, sondern in der gesamten 'westlichen Welt', bei der Bekämpfung der ersten Nachkriegsrezession Erfolge erzielt, die sich sehen lassen konnten. Die Rezeptur freilich, die in den sechziger Jahren der 'kränkeinden" Wirtschaft rasch und zuverlässig wieder auf die Beine half, vennochte indes gegen die komplexe Gemengelage von Wachstumsschwäche, depressiven und stagflativen Tendenzen sowie struktureller Arbeitslosigkeit der siebziger Jahre kaum mehr etwas Rechtes auszurichten, so daß in der Öffentlichkeit der westlichen Industrieländer immer öfter die Frage aufgeworfen wurde, ob am Ende nicht nur 'die Wirtschaft', sondern vielleicht auch und gerade die Wirtschaftspolitik selbst 'in die Krise' geraten sei (vgl. Thurow 1984). Bedenklich mußte vor allem folgender Umstand erscheinen: Obwohl die keynesianischen 'Instrumente' ihrem spezifischen Zuschnitt nach vor allem an den Strukturen und Bedingungen des großbetrieb lichen Sektors ansetzten (vgl. Piore/Sabel 1989: 86ff.), und entsprechend auch Großunternehmen und Konzerne wirtschaftspolitisch bevorzugt wurden, zeigte sich in den siebziger Jahren mehr und mehr, daß gerade hier die meisten Arbeitsplätze abgebaut wurden. In der wissenschaftlichen Literatur brachte man dieses beunruhigende Phänomen relativ schnell mit der sich abzeichnenden Herausbildung einer 'neuen internationalen Arbeitsteilung' (v gl. Fröbel et al. 1977; 1986) zusammen. Die empirische Evidenz nämlich schien kaum bezweifelbar, daß insbesondere die großbetrieblich organisierte 'Massenproduktion' standardisierter Konsumgüter im großen Stil aus den fortgeschrittenen Industrieländern in die Entwicklungs- und Schwellenländer verlagert wird, weil für derlei Produktion die Qualifikationserfordernisse relativ niedrig sind und die entsprechenden Arbeitskräfte in den besagten Ländern weit kostengünstiger rekrutiert werden

1.1 Renaissance der 'kleinen Unternehmen'

19

können als bei uns. Pessimisten nutzten die Gunst der Stunde und malten in diesem Zusammenhang gleich das Menetekel einer drohenden 'Deindustrialisierung' der 'altindustrialisierten' Länder an die Wand (vg1. z.B. Blackaby 1979; Bluestone/Harrison 1982; RowthornlWells 1987); andere wiederum sprachen vom nahenden "Ende der Massenproduktion" (vg1. Piore/Sabel 1984; 1989; SabellZeitlin 1985) und wollten damit "nicht selten das Ende des Großunternehmens gleich mit prognostizier(en)" (Grabher 1988b: 3). Vergegenwärtigt man sich diese Zusammenhänge, muß es nicht verwundern, daß Birchs Thesen vom überproportionalen Wachstums- und Beschäftigungspotential gerade kleinerer Unternehmen in die Stimmungslage der achtziger Jahre wie eine Bombe einschlugen und nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern auch in Europa und namentlich bei uns in der Bundesrepublik mit Begeisterung rezipiert wurden. In der Folge war bald von den Kleinbetrieben als den aussichtsreichsten "Hoffnungsträger(n) der Beschäftigungspolitik" (Cramer 1987: 15) die Rede; und manche Autoren wollten sie gar zur "great hope of the late twentieth century" (Rainnie 1985: 143) hochstilisieren: Möglicherweise, so räsonierten und fragten natürlich vor allem die vielen neuen "Kleinunternehmensfans" (Tichy 1991a: 19), lag die Erfolglosigkeit der keynesianischen Wirtschaftspolitik der siebziger Jahre fundamental darin begründet, daß sie allzu einseitig an den Strukturen des big business ansetzte, wo doch ökonomisches Wachstums- und Beschäftigungspotential, sofern überhaupt (noch) vorhanden bzw. mobilisierbar, in der Zwischenzeit vielleicht längst zur exklusiven Domäne kleinerer und mittlerer Unternehmen geworden war. Wie wäre es also, wenn die in den Großbetrieben der industriellen Massenproduktion abgebauten Arbeitsplätze tatsächlich in Betrieben kleinerer und mittlerer Größenordnung neu geschaffen werden könnten? Auf jeden Fall war plötzlich weithin von der "Größe der Kleinen" die Rede (vg1. Aiginger/Tichy 1984); und auf die immer wieder aufgeworfene Frage nach einer möglichen "Renaissance" (vg1. bspw. Berger et al. 1990; Manz 1991b; Tichy 1991a) bzw. 're-emergence' (vg1. Sengenberger et a1. 1990) der kleinen Unternehmen wurde immer öfter ein positiver Bescheid erteilt. Im Rückblick auf die 80er Jahre darf man heute wohl zu Recht formulieren, daß gerade Birch mit seinen provozierenden Thesen der Kleinunternehmerforschung neue Impulse gegeben hat. Dabei hat sich die Forschung ganz im Geiste der Birchschen Pionierarbeit zunächst vor allem mit dem Thema des 2·

20

1. Zur Einführung

beschäftigungspolitischen Potentials kleinerer und mittelgroßer Unternehmen auseinandergesetzt und in diesem Zusammenhang eine Fülle von sog. 'job generation-studies' hervorgebracht, auf die wir später noch zurückkommen werden. Sodann hat sich die Forschung konsequenterweise intensiv auch auf die Frage gerichtet, wie 'man' - in erster Linie wird hierbei natürlich an 'die Politik' gedacht - den kleineren Unternehmen bei ihren vielfältigen betrieblichen Problemen (kaufmännische Qualifikationsdefizite des Kleinunternehmers; Informationsmängel; Finanzierungsprobleme usw.) so unter die Arme greifen kann, daß sie ihr 'Arbeitsplatzpotential ' optimal zu entfalten vermögen (vgl. z.B. Levicki 1984a; Behrens/Ramberg 1985; Hennicke/de Pay 1986; Hull/Hjern 1987; Barber et al. 1989; Bannock/Albach 1991). Über die 'arbeitsplatzdynamische' Thematik hinaus, wurde 'der Kleinbetrieb' in den achtziger Jahren noch in allen möglichen anderen Hinsichten und Dimensionen zum prominenten Gegenstand wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher Forschung. Man interessierte sich ganz allgemein für die gesellschaftlichen und ökonomischen 'Außenbeziehungen ' kleinerer Betriebe und fragte etwa nach ihrer Rolle im Prozeß des 'wirtschaftlichen Wandels' (vgl. Berger et al. 1990) bzw. der 'industriellen Modernisierung' (vgl. Manz 1991). Damit in engem Zusammenhang stehend, wurde natürlich auch das immer wieder beschworene große 'Innovationspotential ' von Kleinunternehmen kritisch untersucht (vgl. z.B. Rothwell/Zegveld 1982; Mombaur 1988; Schmalholz 1989; Acs/Audretsch 1992). Ferner explorierte man die Bedeutung des Beitrages kleinerer und mittlerer Unternehmen für die regionale Wirtschaftsentwicklung (vgl. bspw. Oakey 1984; Keeble/Wever 1986; Ellwein/Bruder 1982; Spehl 1987; Fritsch 1990) und die Natur von in der Regel regional fokussierten kleinbetrieblichen Kooperationsnetzwerken (vgl. z.B. Goodman et al. 1989; Pyke et al. 1990; O'Doherty 1990; Domeyerl Funder 1991a; Hilbert et al. 1991; Semlinger 1993). Selbstverständlich haben nicht nur die Außenbeziehungen und überbetrieblichen Verflechtungen der Kleinunternehmen das Interesse der Forschung auf sich gezogen. Auch die charakteristischen Binnenbeziehungen und Binnenstrukturen der Kleinbetriebe sind immer wieder untersucht worden. So fragte man nach den Arbeitsbedingungen in Kleinbetrieben und nach deren 'Humanisierungspotential' (vgl. z.B. Dabrowski et al. 1981; Weimer 1983; Mendius et al. 1987; HilbertiSperling 1990; Bundesministerium für Forschung und Technologie 1985), thematisierte in handlungstheoretisch-phäno-

1.1 Renaissance der 'kleinen Unternehmen'

21

menologischer Perspektive die 'soziale Welt kleiner Betriebe' (vgl. Kotthoffl Reindl 1990) und erkundigte sich dabei natürlich auch gleich nach der Problematik der Interessenvertretung der Arbeitnehmer (vgl. z.B. Hoffmann/Neumann 1987; Grube 1987). Was nun gerade die Binnenstrukturen kleiner Betriebe anlangt, wollte letztlich auch die Betriebswirtschaftslehre nicht mehr abseits stehen und schloß sich in den achtziger Jahren dem neuen Forschungstrend an: Mittlerweile liegen zwei, von namhaften Autoren herausgegebene, repräsentative Sammelbände (vgl. Albach/Held 1984; Pfohl 1990) vor, in denen jeweils im Vorwort beklagt wird, daß sich die Betriebswirtschaftslehre bislang viel zu einseitig mit den Großbetrieben beschäftigt hätte. Dem wollte man gegensteuern und stellte daher jeweils neuere Beiträge zusammen, die das Kleinunternehmen im Horizont der 'klassischen' betriebswirtschaftlichen Gegenstands- und Problemdimensionen: 'Produktion und Logistik', 'Finanzierung und Steuern', 'Absatz und Export', 'Organisation und Personalwesen' , 'Planung und Kontrolle' usw. thematisieren. Schließlich bleibt an dieser Stelle noch zu erwähnen, daß - nach allem bisher Gesagten kaum überraschend - die 'Kleinunternehmerfans ' im wiedervereinigten Deutschland gerade kleineren Betrieben eine führende Rolle beim 'Aufbau Ost' zutrauen wollen; entsprechende Theorie- und Forschungsarbeit ist bereits geleistet und literarisch dokumentiert worden (vgl. z.B. Albach 1991; Hüfner et al. 1992; Kokalij/Richter 1992). Damit wollen wir diesen knappen Überblick über die aktuelle Kleinunternehmerliteratur l abschließen, in dem es einstweilen nur darum ging, kursorisch zu zeigen, daß seit etwa Anfang der achtziger Jahre die Kleinunternehmerforschung einen geradezu boomartigen Aufschwung erlebt. Wenn wir uns in der vorliegenden Studie mit den Kleinunternehmen auseinandersetzen, haben wir es also ganz sicher nicht mit einem marginalen Gegenstand zu tun. Klein- und Mittelbetriebe figurieren in der Literatur als bedeutende Wachstums- und Beschäftigungsfaktoren in unseren fortgeschrittenen Industriegesellschaften. In diesem Sinne sei schließlich noch auf einen vor nicht allzu langer Zeit von den Autoren A. Brock und D.S. Evans (1989· 7) publizierten Überblicksartikel mit dem Titel "Smali Business Economics" aufmerksam gemacht, in welchem davon die Rede ist, daß "small firms are playing an increasingly important role in the economy"; und zu guter Letzt sollen auch 1 An dieser Stelle sei der Leser ausdrücklich auch auf die unlängst erschienene "International Entrepreneurship and Small Business Bibliography" (Welsch 1992) verwiesen.

22

1. Zur Einfiihrung

noch Z.J. Acs und D.B. Audretsch (1990c: 1) zu Wort kommen, für die die 'smali firms' mittlerweile gar als die "driving force of the U.S. economy" gelten: 2 Wie wir meinen, kommt in diesen Stellungnahmen exemplarisch jener selbstbewußte Optimismus zum Ausdruck, wie er für die neuere Kleinunternehmerliteratur insgesamt charakteristisch ist. Schon bei der ersten Sichtung der aktuellen Literatur sticht ins Auge, wie auffallend offensiv und euphorisch heute die 'Renaissance' des Kleinbetriebs propagiert wird. Und ganz gewiß kann man sagen, daß die Aussichten der kleinen Unternehmen heute so zuversichtlich beurteilt werden, wie seit langem nicht mehr. Dabei vermag aber die erste Auseinandersetzung mit der aktuellen Literatur auch schon in aller Deutlichkeit zu zeigen, daß die moderne Forschung den kleinbetrieblichen Sektor noch weitgehend in der Perspektive bzw. im Horizont altbekannter Fragestellungen thematisieren will. Wir möchten hier vor allem an die 'traditionelle Mittelstandsdiskussion' bei uns in Deutschland erinnern, wie sie in der ersten Hälfte des Jahrhunderts von Autoren wie H. Böttger (1901), J. Wernicke (1907), W. Sombart (1928a-f) und F. Marbach (1942) geführt wurde: Hier ging es im Kern darum, die ursprünglich von K. Marx profilierte Prognose vom alsbaldigen Niedergang der kleinen selbständigen Unternehmen ('Niedergangsprognose') zurückzuweisen. Im Mittelpunkt stand die Frage nach Fortbestand und Überlebensfähigkeit der kleinen selbständigen Betriebe angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung, die mit ihren unleugbaren Konzentrationstendenzen (vgl. z.B. Sombart 1928f, 3. Bd.: 816ff.; Keiser 1931; Hausmann 1940: 14ff.) die großbetrieb liehe Produktionsorganisation doch so sehr zu begünstigen schien. 2 Daß K1ein- und Mittelunternehmen in den Unternehmensgrößenstatistiken der fortgeschrittenen westlichen Industrieländer stark zu Buche schlagen, also zumindest in quantitativer Hinsicht nicht zu vernachlässigen sind, darüber bestand ohnehin kein Dissens. Auf diesen im Grunde rein quantitativen Aspekt wird in der Literatur natürlich in der Regel hingewiesen. So heißt es bspw., mit Bezug auf die Verhältnisse in Deutschland, in der Einleitung zu der Schrift "Die soziale Welt kleiner Betriebe" bei H. Kotthoff und J. Reindl (1990: 8): "Industriebetriebe kleiner und mittlerer Größe (weniger als 500 Beschäftigte) nehmen in der Wirtschaftsstruktur der Bundesrepublik eine gewichtige Stellung ein. 95 % der Betriebe im verarbeitenden Gewerbe gehören zu dieser Größenklasse. In ihnen arbeitet die Hälfte der 6,9 Millionen Beschäftigten dieses Wirtschaftssektors. " Entsprechend lesen wir in der Schrift "The Economics of Small Businesses. Their Role and Regulation in the U.S. Economy" von W.A. Brock und D.S. Evans (1986: 5) mit Blick auf die Vereinigten Staaten, "that most businesses are small by almost any reasonably measure." - Der in der Kleinunternehmerliteratur aktuell zur Schau gestellte Optimismus setzt indes in erster Linie gerade nicht an der Unternehmensgrößenstatistik an, sondern vertraut zentral auf qualitative Aspekte: Vor allem auf die 'den' Kleinunternehmen typischerweise attestierte besondere 'Innovativität' und 'Flexibilität'. Nur sekundär verweist man auf die schiere Quantität der kleinen Unternehmen; im Vordergrund steht der Hinweis auf deren präsumtive beschäftigungspolitische Dynamik.

1.1 Renaissance der ' kleinen Unternehmen'

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Genau diese Frage nach den Reproduktionsbedingungen und Erfolgsaussichten der Kleinbetriebe 'im wirtschaftlichen Wandel' bzw. 'im Prozeß der industriellen Modernisierung' - wir beziehen uns hier auf die Titel zweier repräsentativer neuerer Reader (vgl. Berger et al. 1990; Manz 1991a) - konstituiert auch heute noch und wieder die einheitliche Perspektive und den gemeinsamen begrifflichen Horizont der Kleinunternehmerjorschung. Seit über einem Jahrhundert also geht es in der Literatur immer wieder um ein und dieselbe Frage: um die nach dem 'Sein' oder 'Nichtsein' der kleinen Unternehmen. Diese Frage stellt sozusagen den 'kleinsten gemeinsamen Nenner' der Kleinunternehmerforschung dar, wobei im 'Zähler' oft genug schon die bangen Formeln "Todeskampf" (Kautsky 1919: 16) und "Untergang" (Marx 1972: 655) eingetragen standen, aber immer wieder auch von der "existenziellen Konstanz" (Marbach 1942: 257) und heute eben von der 'Renaissance' des Kleinbetriebs die Rede war und ist. Schließlich halten wir es für angebracht, schon jetzt in wenigstens knapper Form darauf hinzuweisen, daß sich auch heute Wissenschaftler finden (vgl. z.B. Semlinger 1989; Brandt et al. 1990; Rainnie 1991; Mayer/Paasch 1990), die die Aussichten der kleinen selbständigen Unternehmen etwas zurückhaltender beurteilen wollen, als dies das Gros der Kleinunternehmerforscher tut. Und es ist mit kritischem Blick auf die von den 'Kleinunternehmerfans' nur allzu übermütig zur Schau gestellten Euphorie bereits auch vereinzelt der Verdacht geäußert worden, daß es hier vielleicht doch eher um die verklärende 'Konstruktion' eines 'modernen Mythos' (Rainnie 1989: 9ff.; "constructing a modern myth ") gehen könnte, denn um die nüchterne Präsentation empirisch gesicherter Fakten.3 Für diesen Einwand scheint nun in der Tat einiges zu sprechen: Wir werden später selbst Belege für die These beibringen, daß in der Kleinunternehmerliteratur nicht nur empirisch generiertes Wissen und objektivierbare Argumente, sondern immer wieder auch 'ideologische Legenden' transportiert wurden und werden. Der kleinbetriebliehe Sektor oder der 'Mittelstand' bilden eben, wie Th. Geiger (1930: 641) schon vor über 60 Jahren so prägnant wie treffend bemerkt hat, "den gesegneten Boden ideologischer Verwirrung" . 3 Auf diese Dimension der zeitgenössischen Kleinuntemehmerliteratur weist auch W. Wassermann (1991a: 37; Hervorh. v. uns) hin, wenn er in seinem unlängst erschienenen Artikel "The Importance of Small and Medium-sized Enterprises in the Federal Republic of Germany", folgendes schreibt: "Once written off as relics of early capitalism, small and medium-sized enterprises have now become mythologised as the 'shining ho pe of employment policy'." Auch hier ist also von 'Mythologisierung' die Rede.

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I. Zur Einführung

Im zweiten Kapitel werden wir uns etwas eingehender mit der Theorie- und Problemgeschichte der Kleinunternehmerforschung auseinandersetzen und dabei vergleichend vor allem nach dem spezifischen Zuschnitt der theoretischen Perspektive fragen, in welcher die Reproduktionsbedingungen und Erfolgschancen des kleinbetrieblichen Sektors in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft jeweils untersucht worden sind. Wir werden sehen, daß in der bisherigen Forschung typischerweise immer wieder die 'Abhängigkeit' der kleinen Unternehmen von den strukturellen Parametern der übergreifenden sozialökonomischen Umwelt kategorial berücksichtigt worden ist; daß aber bislang kaum systematisch untersucht wurde, inwiefern und inwieweit die Reproduktionsbedingungen der kleinen selbständigen Unternehmen vor allem auch politisch bzw. staatlich gesetzt und vermittelt sind. Systematisch auszu-

loten, wie sehr das 'Schicksal' der kleinen Unternehmen von staatlichem Handeln beeinflußt wird, soll deshalb auch Thema der vorliegenden Studie sein.

In diesem Sinne verfolgt das folgende zweite Kapitel der Studie den Zweck, im detaillierten Nachweis des gravierenden 'Politikdefizits' der bisherigen Kleinunternehmerforschung, die theoretische Relevanz unserer politik- bzw. staatszentrierten Fragestellung konkret darzutun. Aber zunächst einmal müssen wir die begrifflichen Grundlagen für das weitere Vorgehen schaffen. Und das heißt, daß wir zuvörderst klären müssen, was überhaupt unter einem Klein- bzw. Mittelunternehmen zu verstehen ist.

1.2 Definitorische Abgrenzungen: Zum Begriff des 'kleinen' bzw. 'mittelständischen' Unternehmens In unseren bisherigen Ausführungen haben wir uns implizit darauf verlassen, daß in der scientific community der Kleinunternehmerforscher hinreichender Konsens darüber besteht, welche Unternehmen bzw. Unternehmensgrößenformen als 'kleine und mittlere Unternehmen' anzusprechen sind. Zumindest wenn man die neuere Literatur überblickt, scheint es nun eine solche Übereinstimmung in der Tat zu geben. Natürlich enthalten die jeweiligen Verwendungsweisen der Begrifflichkeit immer einen Schuß 'nominalistischer' Willkür, und besonders die Frage danach, ob als Abgrenzungskriterium eher die Beschäftigtenzahl, die Höhe des Umsatzes oder vielleicht die Summe der betrieblichen Wertschöpfung herangezogen werden soll, wird kontrovers diskutiert (vgl. z.B. Aengenendt-Papesch 1962: 5ff.; Günzel 1975; Welsh/White 1980; Fritsch 1987; Pfohl/Kellerwessel 1990). Aber um diese und ähnliche

1.2 Definitorische Abgrenzungen

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Fragen brauchen wir uns für die Argumentationszwecke der vorliegenden Studie nicht weiter zu kümmern. Sieht man nämlich einmal von im Grunde unerheblichen Details ab, so scheint man sich im deutschsprachigen wie im internationalen Schrifttum weitgehend darüber einig zu sein, daß ein Unternehmen mit bis zu etwa 500 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von höchstens 100 Millionen DM als 'klein' bzw. 'mittelgroß' anzusprechen ist. 4 Indes spielen diese im Grunde rein quantitativen Aspekte für die begriffliche Definition des Klein- und Mittelbetriebes in der Literatur gewiß nicht die Hauptrolle. Wenn nämlich bspw. Storey et al. (1989: 3) mit aller Emphase geltend machen, "that the small firm is not simply a scaled down version of the large firm" (Storey et al. 1989: 3), wollen sie damit insbesondere darauf aufmerksam machen, daß sich 'das kleine Unternehmen' keineswegs nur in quantitativer Hinsicht, sondern vor allem qualitativ: seiner spezifischen sozialen Organisation nach, vom Großunternehmen unterscheidet. Das kleine und mittlere Unternehmen, wie es in der neueren Literatur vielfach als 'dynamisches Kraftzentrum' beschrieben wird, zeichnet sich nämlich typischerweise dadurch aus, daß es als rechtlich unabhängige Unternehmenseinheit von einem im Betrieb selbst tätigen Eigentümeruntemehmer geführt wird. Und genau dieses 'Eigentumsverhältnis' des Unternehmers zu seinem Betrieb wird gemeinhin dafür verantwortlich gemacht (vgl. z.B. Gutersohn 1954: 213ff.; Krisam 1965: 129ff.; Schmidt 1970: 54ff.; Kotthoff/Reindl 1990; Haake 1987; Fröhlich/ Pichler 1988), daß sich dieser, wie es ja in der Tat oft den Anschein hat, für sein Unternehmen stärker engagiert (hier also, scheint es, hätte man einen ersten wichtigen Grund für die selektiv-besondere 'Dynamik' des Kleinbetriebs 'dingfest' gemacht!), als der 'eigentumslose' , abhängig beschäftigte Manager für 'sein' Großunternehmen (vgl. Jungfer 1954; Baumol 1968; Endreß 1971: 72ff.; Schmölders 1978: 43ff.; Schumpeter 1987: 213ff.; Hamer 1987; 1988).5 In diesem Sinne wird in der Literatur nicht nur von einer 'Renais4 Vgl. hierzu bspw. die einzelnen Beiträge in Storey 1983, FritschlHull 1987a, Berger et al. 1990 oder Sengenberger et al. 1990, in denen jeweils in wenigstens knapper Form auch auf die 'Definitions-' und 'Abgrenzungsproblematik' der Kleinbetriebe reflektiert wird. 5 Anders hierzu W. Eberwein und J. Tholen (1990: 76), die in ihrer Srudie zur "Managermentalität" folgende 'Minderheitenmeinung' äußern: "Man kann ... annehmen, daß der Eigentümer-Unternehmer seine Funktion nicht grundSätzlich anders ausüben wird als andere Manager auch. Hierzu zwingen nämlich die strukrurellen Gegebenheiten des Wirtschaftsprozesses wie Konkurrenz mit anderen Anbietern und Marktabhängigkeit, denen auch der Eigentümer-Unternehmer - bei sonst drohender Strafe des wirtschaftlichen Untergangs - gerecht werden muß." Uns scheint es, daß die Autoren die abstrakten Modelle der neoklassischen Mikroökonomie, in denen es gleichsam nur 'zwingende Strukruren', aber kein 'selbstbewußtes Handeln' gibt (vgl. Kießling 1989a; 1989b), empirisch reifizieren. - In der Literarur hat man übrigens bereits frühzeitig darauf aufmerksam gemacht, daß im modemen Großbetrieb der Eigentümerunternehmer

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1. Zur Einführung

sance des Kleinunternehmens sondern zugleich immer auch von einer "Renaissance des Kleinunternehmertums " (Hilbert/Sperling 1991: 73) gesprochen. I I

Im Begriff des selbständigen gewerblichen 'Mittelstandes' bzw. des 'mittelständischen Unternehmens' haben wir nun im Deutschen ein 'einzigartiges'6 kategoriales Mittel zur Hand, die eigentümliche Einheit des Eigentümerunternehmers mit 'seinem' Klein- bzw. Mittelbetrieb pointiert zum Ausdruck zu bringen. 7 Sehr zu Recht weist in diesem Sinne ehr. HuB (1983: 153) in seinem für D.J. Storeys Sammelband "The Small Firm. An International Survey" (1983) geschriebenen Beitrag zu den kleinen Unternehmen in der Bundesrepublik darauf hin, daß dieser Begriff eben nicht allein, und schon gar nicht in erster Linie, auf die schiere Größe der Klein- und Mittelunternehmen referiert, sondern vor allem auf deren spezifische 'Sozialorganisation' ('social order'). Aber lassen wir HuB (ebd.; Hervorh. im Orig.) selbst zu Wort kommen: "West Germany's small firms are its mittelständische Unternehmen. That they are labeBed with reference to the social order ('mittelständisch ') rather than to size (' small ') should indicate that we are dealing here with a category which in Germany is as much a social and political (even ideological) as an economic one."

alten Stils keinen Platz mehr hat; stattdessen sieht man gerade in der 'Trennung von Eigentum und Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel' (' separation of ownership and control') das Grundprinzip desselben. Bezüglich dieser Thematik gilt die zuerst 1932 erschienene Schrift "The Modem Corporation and Private Property" von A.A. Berle, Ir. und G. Means als 'der' Klassiker. Vgl. hierzu etwa noch Hartmann 1968: 28ff. und Biermann 1971. 6 Fast mit ein wenig Stolz heißt es in der vom Institut für Mittelstandsforschung Bonn (1993: I) erstellten "Unternehmensgrößenstatistik 1992/93": "Der Terminus 'Mittelstand' ist einzigartig auf der Welt. Keiner der zur Identifizierung ähnlicher Realphänomene international gebräuchlichen Begriffe deckt all die Bedeutungskomponenten ab, die man in der Bundesrepublik Deutschland mit dem Begriff Mittelstand bzw. seiner hier interessierenden Einengung, dem 'wirtschaftlichen Mittelstand', verbindet. Weder die im anglo-amerikanischen Sprachraum geläufige Bezeichnung small and medium-sized enterprises (SME) noch die im österreichischschweizerischen Raum gebräuchliche Terminologie, die vom Gewerbe spricht, können völlig synonym auf die Bezeichnung Mittelstand übertragen werden. Das liegt wohl vor allem daran, daß der Begriff 'wirtschaftlicher Mittelstand' sowohl quantitative als auch qualitative Merkmale umfaßt, die nicht nur von rein sprachwissenschaftlichem Interesse sind, sondern die jedes für sich und in ihrer ökonomischen Verbindung für die Funktionsfahigkeit einer marktwirtschaftlichen Ordnung essentielle Bedeutung haben. " 7 Entsprechend unserer ThemensteIlung interessieren wir uns in der vorliegenden Studie nur für den sog. 'alten', selbständig-gewerblichen Mittelstand, nicht für den 'neuen' Mittelstand der abhängig beschäftigten mittleren Angestellten und Beamten. Zu dieser begrifflichen Unterscheidung, die uns schon früh in der Literatur entgegentritt, vgl. etwa: Böttger 1901; Wernicke 1907: 320ff; Marbach 1942: 188ff.; König 1949: 63ff.; Gantze11962: 41ff.

1.2 Definitorische Abgrenzungen

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Im Terminus des 'mittelständischen Unternehmens' ist also grundsätzlich und zentral mitgedacht, daß der Eigentümerunternehmer als "prägende Figur" (Kotthoff/Reindl 1990: 14) im Mittelpunkt des kleinen bzw. mittleren Unternehmens steht. Im mittelständischen Betrieb ist eben "der Unternehmer ... die wichtigste ökonomische Figur, die im Gegensatz zum großbetrieb lichen Manager noch eine unmittelbare Beziehung zum Eigentum und damit auch zu den Risiken des ökonomischen Prozesses hat" (ebd.). In diesem Sinne kann unserer Überzeugung nach mit dem Begriff des 'mittelständischen Unternehmens' die spezifische Qualität des Klein- und Mittelbetriebes weit prägnanter zur Geltung gebracht werden, als wenn man unter Bezugnahme auf Definitionskriterien und Maßzahlen wie Anzahl der Beschäftigten, Größe des Umsatzes usw. auf rein quantitativ bestimmte Aspekte abzustellen versuchte. 8 Aber wenn man es auch außerhalb Deutschlands nicht zu einer solchermaßen ingeniösen, das 'Wesen' (vgl. Gantzel 1962) bzw. die eigentümliche 'mittelständische' Sozial- und Organisationsform des Kleinunternehmens treffenden Begrifflichkeit gebracht hat, scheint uns doch im normalen Verwendungsmodus etwa des international gebräuchlichen Terminus der 'smalI and medium-sized firm' in aller Regel wenigstens implizit der Sachverhalt mitge8 Es soll hier nicht verschwiegen werden, daß den Begriffen 'Mittelstand' und 'mittelständisches Unternehmen' keineswegs nur Wohlwollen entgegengebracht wird. Überblickt man die Literatur, hat es eher schon den Anschein, daß der Begriff des 'Mittelstandes', der bei uns eine lange Tradition hat (vgl. etwa die folgenden Handbuch- und Lexikonartikel: Biermer 1910; Wernicke 1925; Lübbering 1929; Nell-Breuning 1960; v.d. Gablentz 1961; Daheim 1972), oft genug als einigermaßen 'problematischer' Begriff empfunden worden ist. Th. Geiger (1967: 28) bspw. hat in seiner Schrift "Die soziale Schichtung des deutschen Volkes" (zuerst 1932) hier einmal von einem "Verlegenheitsbegriff" gesprochen und E. Grünberg (1932: 18) wollte in seiner 1932 erschienenen Schrift "Der Mittelstand in der kapitalistischen Gesellschaft" bezüglich der verschiedenen Definitionsversuche gar von einer "babylonische(n) Verwirrung" sprechen. 30 Jahre später hat sich K.-J. Gantzel (1962) von dieser 'Verwirrung' freilich nicht davon abhalten lassen, ein dickes Buch über "Wesen und Begriff der mittelständischen Unternehmung" zu schreiben, in weIchem er eine "Sammlung von 190 bemerkenswerten Definitionen und Umschreibungen des Mittelstandes allgemein oder des selbständigen gewerblichen Mittelstandes" (ebd.: 46) vorstellt und darin "ein Zeichen für die Schwierigkeit des Begriffs" sieht. Und wiederum 20 Jahre später publizierte E. Marwede (1983) "Eine Literaturanalyse" zur "Abgrenzungsproblematik mittelständischer Unternehmen", aus der zumindest erhellt, daß die entsprechende Begrifflichkeit im Schrifttum nach wie vor sehr nuancenreich interpretiert und verwendet wird. - Vergegenwärtigt man sich diese in der Literatur dokumentierten 'Schwierigkeiten' im Umgang mit dem Begriff 'Mittelstand'l'mittelständisches Unternehmen', scheint die von D. Bögenhold vertretene Position durchaus etwas für sich zu haben: "Ich (halte) den Terminus des Mittelstandes für äußerst diffus und unpräzise und werde ihn daher nicht verwenden", schreibt er in der Einleitung zu seiner Arbeit "Die Selbständigen" (1985: 12; Hervorh. im Orig.). Nichtsdestotrotz wollen wir in der vorliegenden Studie an dem Begriff des 'mittelständischen Unternehmens' festhalten, namentlich deshalb, weil er eben, wovon wir fest überzeugt sind, wie kaum ein anderer Begriff die spezifische Sozialorganisation des kleinen selbständigen, von einem Eigentümerunternehmer geführten Unternehmens zum Ausdruck zu bringen vermag.

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1. Zur Einführung

dacht zu sein, daß in der organisatorischen Schnittstelle des Unternehmens der 'entrepreneur' (vgl. z.B. Storey 1982), 'smali firm owner manager' (vgl. Deeks 1976) oder 'smali business owner' (vgl. Scase/Goffee 1987) steht. Insgesamt denken wir deshalb, mit einigem Recht davon ausgehen zu können, daß zumindest in der aktuellen internationalen Literatur einheitlich so ziemlich dasselbe gemeint ist, wenn von 'kleinen' bzw. 'mittelständischen Unternehmen', von 'smali firms', 'petites entreprises' oder auch von 'piccole imprese' gesprochen wird; was eben auch heißt, daß man im internationalen 'Kleinunternehmerdiskurs' nicht aneinander vorbeiredet, wenn man sich auf den gemeinsamen Forschungsgegenstand bezieht: Rechtlich unabhängige Unternehmen mit bis zu 500 Beschäftigten, die von einem selbständigen Eigentümerunternehmer geführt werden. Oder, in knappem Englisch buchstabiert: "Smali firms are owner-managed businesses of modest scale." (Bannock 1981: 1) Dabei besteht weitgehende Übereinstimmung darüber, daß den qualitativen Aspekten größere Relevanz zukommt als den quantitativen; darüber also, daß die Sozialfigur des selbständigen Eigentümerunternehmers als das konstitutive Element der eigentümlichen Organisationsstruktur des 'kleinen Unternehmens' zu gelten hat. Dieses Resultat unserer Ausführungen zur Frage der definitorischen Abgrenzung und begrifflichen Bestimmung des Kleinunternehmens bedeutet nun auch, daß wir uns für die Profilierung der Argumentation der vorliegenden Studie unproblematisch auch auf die internationale Literatur beziehen dürfen; referieren doch, wie wir gesehen haben, die verschiedenen Begriffe 'Kleinunternehmen' , 'smali business' usw. auf dasselbe empirische Substrat; begriffliche Mißverständnisse scheinen damit weitgehend ausgeschlossen zu sein. Da sich der thematische Fokus unserer Studie insbesondere auf das Verhältnis der kleinen Unternehmen zum Staat bzw. zu der Politik richtet, scheint an diesem Ort der Hinweis darauf nützlich zu sein, daß sich die politischen Akteure in den westlichen Industrieländern auf den kleinbetrieblichen Sektor in grundSätzlich derselben begrifflichen Perspektive beziehen wie die Wissenschaft. Dies muß nun insofern nicht überraschen, als ja die beiden institutionellen Sphären: Politik und Wissenschaft, sich in der Perzeption der sozialen und ökonomischen Wirklichkeit in vielfältiger Hinsicht wechselseitig beeinflussen. So bearbeiten Wissenschaftler in der Regel solche Probleme, die ihnen von der Politik zur Lösung vor- bzw. aufgegeben werden; und diese wiederum läßt sich natürlich in ihrer Wahrnehmung der ökonomischen und

1.2 Definitorische Abgrenzungen

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gesellschaftlichen Wirklichkeit auch und gerade von wissenschaftlich erarbeiteten Kategorien und Theoriebezugsrahmen leiten. Von daher gesehen ist es nun nicht verwunderlich, daß auch die Politik das kleine und mittlere Unternehmen vom selbständigen Eigentümerunternehmer her 'denkt'. Dies gilt für sämtliche westlichen Industrieländer; für die Vereinigten Staaten nicht weniger als für die europäischen Demokratien und namentlich für Deutschland. In den marktwirtschaftlich und freiheitlich orientierten politischen Kulturen des Westens spielen ja die Grundwerte des 'unabhängigen und selbstverantwortlichen Eigentums' und des 'freien Unternehmertums' seit je eine zentrale Rolle. 9 In diesem Sinne definieren die Akteure etwa der amerikanischen 'smali business policy' nicht minder als die der 'Mittelstandspolitik' 10 hierzulande, den Gegenstand ihrer Bemühungen zuvörderst unter Rekurs auf jenes qualitative Kriterium, mit dessen Hilfe die Kleinunternehmerforschung ihr Untersuchungsfeld absteckt: 'Smali business policy' und 'Mittelstandspolitik' haben es mit kleinen bis mittleren Unternehmen zu tun, die von einem mitarbeitenden Eigentümerunternehmer selbständig geführt werden; wobei vielleicht noch anzumerken ist, daß in und mit dem spezifisch deutschen Terminus 'Mittelstandspolitik' - was wir oben bereits für den Begriff 'Mittelstand' ausgeführt haben, gilt entsprechend auch hier - diese eigentümliche Fokussierung von vorneherein zum Ausdruck gebracht wird. Exemplarisch sei hier aus dem 1986 von der Bundesregierung veröffentlichten Bericht "Lage und Perspektiven des selbständigen Mittelstandes in der Bundesrepublik Deutschland" zitiert (Bundesregierung 1986: 2f.):

9 Für die Vereinigten Staaten vgl. etwa. Mayer/Goldstein 1961: 1; Collins/Moore 1964; Piore/Sabel 1989: 329ff.; für Deutschland bspw. Krüger 1966: 421ff.; 1970b; Schlecht 1989; Oberender 1989. 10 Der Tenninus 'Mittelstandspolitik' wird in Deutschland seit je der Fonnulierung 'Politik für kleine und mittlere Unternehmen' vorgezogen. Immerhin gibt es hier doch 'feine Unterschiede'. So wurde die sog. 'Mittelstandsabteilung' im Bundeswirtschaftsministerium im Dezember 1970 in eine Abteilung für 'Strukturpolitik für kleine und mittlere Unternehmen' umbenannt (vgl. Eick 1987: 323): Die 'neue' SPD/FDP-Regierung tat sich offenbar mit den traditionellen Begriffen 'Mittelstand' und 'Mittelstandspolitik' anfangs etwas schwer. Insofern ist in den noch im Dezember 1970 veröffentlichten "Grundsätzen einer Strukturpolitik für kleine und mittlere Unternehmen" nur noch von denselben und nicht mehr vom 'Mittelstand' die Rede. Als freilich im Jahre 1976 ein "Bericht der Bundesregierung über Lage und Entwicklung der kleinen und mittleren Unternehmen (Mittelstandsbericht)" veröffentlicht wurde, tauchte der 'alte' Begriff, vorerst freilich in Klammem gebannt, wieder auf. Diese Klammem schließlich fielen der 'Wende' zur CDU/FDP-Regierung zum Opfer, so daß 1986 von der Bundesregierung wieder ein sozusagen traditionell titulierter Bericht "Lage und Perspektiven des selbständigen Mittelstandes in der Bundesrepublik Deutschland" publiziert werden konnte.

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1. Zur Einführung

"Eine klare, eindeutige und aussagekräftige Definition der Begriffe Kleinst-, Klein-, Mittel- und Großunternehmen sowie der Begriffe 'selbständiger Mittelstand' oder 'mittelständische Wirtschaft' gibt es nicht. Die Bundesregierung hält sie auch nicht für notwendig. Die Wirtschaftseinheiten, die unter diese Begriffe gefaßt werden, sind wirtschaftlich nicht homogen: Sowohl zwischen als auch innerhalb der einzelnen Wirtschaftszweige bestehen erhebliche Unterschiede in den Größenverhältnissen, und diese Begriffe sind nicht allein durch quantitative Merkmale, sondern auch durch qualitative Eigenschaften gekennzeichnet, die organisatorische, rechtliche, soziale und soziologische Elemente umfassen. Für praktische Regelungen und Maßnahmen werden diese Begriffe je nach Zweck und Bedürfnissen unterschiedlich abgegrenzt, wobei als quantitative Merkmale am häufigsten die Zahl der Beschäftigten und der Jahresumsatz zur Bestimmung der Unternehmensgröße herangezogen werden. Eine gebräuchliche Arbeitsdefinition für den Begriff 'mittelständische Wirtschaft' ist es, dazu alle wirtschaftlich selbständigen gewerblichen und freiberuflichen Wirtschaftseinheiten zu rechnen, die weniger als 500 Beschäftigte und weniger als 100 Mio. DM Jahresumsatz haben." Wie man sieht, fungiert hier die 'wirtschaftliche Selbständigkeit' als das qualitative Kriterium, das die Einheit des, nach sonstigen quantitativen Merkmalen und Aspekten als reichlich inhomogen eingeschätzten, klein- und mittelbetrieblichen Sektors als 'mittelständische Wirtschaft' konstituiert. Noch deutlicher erhellt dies aus einer Formulierung, die sich in dem vom Bundesministerium für Wirtschaft herausgegebenen Bändchen "Leistungsträger Mittelstand" (o.J.: 7; Hervorh. im Orig.) findet.!l Als Antwort auf die Frage "Wer ist Mittelstand?" heißt es hier: "Qualitativ gesehen, handelt es sich (dabei; B.K.) überwiegend um kleine und mittlere Unternehmen, die von selbständigen, mitarbeitenden Inhabern unter vollem wirtschaftlichen Risiko geleitet werden." Damit arbeitet die Politik mit einer 'Definition', die genügend Raum für eine weitere Feindifferenzierung des Mittelstandes entlang quantitativer Kriterien läßt. So wird etwa in dem nämlichen Bändchen (vgl. ebd.), nach 'Zahl der Beschäftigten' und 'Jahresumsatz in DM', zwischen den 'kleinen' (bis 49 Beschäftigte; bis 1 Mio. DM Jahresumsatz) und 'mittleren Unternehmen' (50 bis 499 Beschäftigte; Jahresumsatz 1 bis 100 Mio. DM),

II Ein Erscheinungsjahr wird in dem Bändchen nicht genannt; immerhin erhellt aus ihm, daß es während der Amtsperiode M. Bangemanns als Bundeswirtschaftsminister veröffentlicht wurde, also zwischen 1984 und 1988.

1.2 Definitorische Abgrenzungen

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und in dem vorangegangen erwähnten Bericht der Bundesregierung (1986: 3) "Lage und Perspektiven des selbständigen Mittelstandes in der Bundesrepublik Deutschland" noch zwischen den 'Kleinst'- (1 bis 2 Beschäftigte; bis unter 0,1 Mio. DM Jahresumsatz) und 'Kleinunternehmen' (entsprechend 3 bis 49 Beschäftigte; 0,1 Mio bis unter 5 Mio. DM Jahresumsatz) unterschieden; im Vergleich dazu will man von einem Großunternehmen dann sprechen, wenn mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigt sind und ein Jahresumsatz von mindestens 100 Mio. DM erzielt wird.12 Insgesamt gesehen zeigt sich also, daß sowohl für die Wissenschaft wie für die Politik die 'rechtliche Selbständigkeit' des Betriebes und die Mitarbeit eines 'Eigentümerunternehmers' die zentralen Merkmale des kleinen bzw. 'mittelständischen' Unternehmens sind; diese Merkmale, so könnte man sagen, konstituieren 'die Natur' des Kleinunternehmens, machen somit seinen 'qualitativen Begriff' aus. Die Favorisierung qualitativer Aspekte bei der definitorischen und begrifflichen Abgrenzung ihres Untersuchungsgegenstandes ist nun auch der Grund dafür, daß in der aktuellen Kleinunternehmerliteratur die Termini 'Kleinunternehmen' und 'Kleinbetrieb' weitgehend synonym verwendet werden. Dies ist gelegentlich moniert worden (vgl. z.B. Fritsch/Hull 1987b; Tichy 1991a), wird doch in der Betriebswirtschaftslehre und Organisationstheorie in der Regel zwischen dem Unternehmen als rechtlich-wirtschaftlicher Einheit und dem Betrieb als technischer Einheit (Arbeits- bzw. Produktionsstätte) unterschieden (vgl. z.B. Schmidt 1970: 37ff.; Wittmann 1982: 18ff.; Busse von Colbe/Laßmann 1986: 12ff.; Stockmann 1987: 48ff.). In der Perspektive dieser terminologischen Differenzierung kann ein 'großes' Unternehmen mehrere 'kleine' Betriebe umfassen, die als solche aber nicht zum genuinen Untersuchungsfeld der Kleinunternehmerforschung rechnen; und zwar 12 In der vom Institut für Mittelstandsforschung Bonn (1993: 14) zusammengestellten "Unternehmensgrößenstatistik 1992/93" findet sich der Hinweis darauf, daß das statistische Amt der europäischen Gemeinschaften Eurostat (vgl. EUROSTAT 1990) entlang der Merkmalsdimension 'Zahl der Beschäftigten' zu folgender Feingliederung der Unternehmensgrößenklassen kommt: Mikrobetriebe (0 bis 9), Kleinbetriebe (10 bis 99), Mittelbetriebe (100 bis 499), schließlich Großbetriebe (500 und mehr). Im Unterpunkt "Mittelstand auf internationaler Ebene" dieser Publikation (vgl. ebd.: 9ff.) wird daruber hinaus vorgeführt, wie entsprechend in den einzelnen Ländern der EG, sowie in Japan und in den Vereinigten Staaten kleine Unternehmen feindifferenziert werden; wir ersparen dem Leser die Einzelheiten und begnügen uns damit anzumerken, daß auch auf internationaler Ebene durchwegs die 'Eigenständigkeit' des Unternehmens zentrales Kriterium dafür ist, ein Unternehmen als 'kleines' oder 'mittleres' Unternehmen einzuschätzen.

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1. Zur Einführung

deshalb nicht, weil diese Betriebe rechtlich nicht unabhängig, eben nicht auf die Sozialfigur eines selbständigen Eigentümerunternehmers bezogen sind. Die terminologische Unterscheidung zwischen 'Betrieb' und 'Unternehmen' spielt mithin in der Kleinunternehmerliteratur kaum eine Rolle; und man hat folglich auch da, wo man von einem Kleinbetrieb spricht, ein selbständiges, von einem Eigentümerunternehmer geführtes Kleinunternehmen im Auge. 13 Unsere Ausführungen zur Problematik der begrifflichen 'Abgrenzung' des 'Kleinunternehmens' und also des Untersuchungsfeldes der vorliegenden Studie wollen wir mit dem Hinweis darauf beschließen, daß die 'Renaissance des Kleinunternehmens' in der Literatur in erster Linie mit Blick auf den industriellen Sektor unserer fortgeschrittenen Industriegesellschaften behauptet worden ist; wobei in diesem Zusammenhang immer wieder namentlich auf den Paradefall des kleinen, innovativen High-Tech-Unternehmens gezeigt worden ist, das mit originellen Technologien 'intelligente' Produkte fertigt und damit neue und zukunftsweisende Märkte erschließt,14 Entsprechend hat sich das Augenmerk der zeitgenössischen Kleinunternehmerforschung vor allem auf das kleinere Industrieunternehmen, auf den 'mittelständischen Industriebetrieb' (Kotthoff/Reindl 1990) also, oder auf die, wie es im Titel der Schrift von J. Hilbert und H.J. Sperling (1990) heißt, 'kleine Fabrik' gerichtet. Diese Perspektive und Fokussierung wollen wir für unsere Studie grundsätzlich übernehmen, was indes nicht heißen soll, daß Seitenverweise etwa auf das Handwerk, den Handel, oder auf den Dienstleistungsbereich kategorisch ausgeschlossen seien. 15

13 Bei den meisten KIeinunternehmen fällt die 'Unternehmung' ohnehin mit dem 'Betrieb' zusammen: Das ist der typische Fall des 'Einbetriebsunternehmens' . Nichtsdestotrotz findet man in der Empirie gelegentlich auch KIeinunternehmen, die in mehrere Betriebe untergliedert sind. 14 In diesem Zusammenhang wird gern auf die 'Entwicklungsgeschichte' der Computerbranche im legendären Silicon Valley hingewiesen (vgl. zur sog. 'Apple-Story' bspw. Rogersl Larsen 1986; zum 'Phänomen' der kleinen High-Tech-Firma allgemein etwa Rothwell/Zegveld 1982; Oakey 1984; StroetmannlSteinle 1986; Bögenhold 1987: 97ff.; Acs/Audretsch 1992). 15 Angemerkt sei hier, daß es ohnehin immer schwieriger zu werden scheint, industriellen und Dienstleistungsbereich auseinanderzubalten. So hat L. Hack (1988: 21) unlängst zu Recht angemerkt, daß "die Begriffe 'Industrie' und 'Dienstleistung' nicht trennscharf gegeneinander (sind)" und sich "die jeweils gemeinten Wirklichkeitsbereiche überschneiden". Plausibel scheint dieses Argument um so mehr zu sein, wenn man den in den letzten Jahren verstärkt beobachteten Trend in Rechnung stellt, daß gerade große Industrieuntemehmen sog. 'produktionsnahe' bzw. 'produktionsbezogene Dienstleistungen' aus ihrem Betriebs- und Organisationszusammenhang ausgliedern, um diese kostengünstig von selbständigen Unternehmen produzieren zu lassen bzw. einzukaufen (vgl. Reissert et al. 1989: 74ff.; von Einem 1986; Audretsch/Yamawaki 1981).

1.2 Definitorische Abgrenzungen

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Nachdem wir in diesem einführenden Kapitel auch versucht haben, dem Leser gleichsam nebenbei schon einen ersten Einblick in die Welt der Kleinunternehmen und in die zeitgenössische Kleinunternehmerliteratur zu vermitteln, muß es nun im folgenden zweiten Kapitel darum gehen, in der Auseinandersetzung mit den theoriestrategischen Defiziten der bisherigen Forschung die spezifische Fragestellung unserer Studie zu erarbeiten.

3 Kießling

2. Zur 'Theorie-' und 'Problemgeschichte' der Kleinunternehmerforschung: Die 'Politik' als weitgehend vernachlässigte Dimension der bisherigen Kleinunternehmerforschung 2.1 Das 'Politikdefizit' der Kleinunternehmerjorschung: Einführende Problemexposition In seinem unlängst erschienenen Buch "Industrial Relations in Small Firms" formuliert A. Rainnie (1989: 38) eine ungemein wichtige Einsicht: "The small firm does not exist in a social, political or economic vacuum. It is not cut off from the world around it, and indeed, that world determines the rules of the game that the small firm plays." Wir können dem Autor nur beipflichten und wollen diese empirische Einsicht sogleich zu einem fundamentalen methodischen Prinzip der Kleinunternehmerforschung überhaupt erklären: Für die adäquate Einschätzung und zureichende Beurteilung der Reproduktionsbedingungen und Erfolgs- bzw. Entwicklungschancen kleiner selbständiger Unternehmen genügt es nicht, sich in mikrotheoretisch fokussierter Analyse der für den Wirtschaftserfolg relevanten strukturellen und sozialen Charakteristika der Binnenorganisation der Unternehmen (wie z.B. 'Kapitalausstattung' , 'Managementstrategien' , 'Arbeitsbeziehungen' , 'Technologien' usw.) zu vergewissern; und es reicht auch nicht allein die handlungstheoretisch zugeschnittene Reflexion auf die Ebene der kulturell wie 'sozialpsychologisch ' konstituierten beruflichen Orientierungsund Handlungsmuster der Unternehmer als zentraler Akteure der Unternehmen. Unbedingte Voraussetzung für eine gelungene wissenschaftliche Annäherung an den kleinbetrieblichen Sektor ist unserer Überzeugung nach nämlich nicht minder die Profilierung und Befolgung einer dezidiert makrotheoretisch ansetzenden Analyseperspektive, in der die Kleinunternehmen im Kontext ihrer vielfältigen und komplexen Interaktions- und Austauschbeziehungen mit der übergreifenden ökonomischen, sozialen, kulturellen und vor allem po-



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2. 'Theoriegeschichte' der Kleinunternehmerforschung

litischen 'Umwelt'J betrachtet und untersucht werden. Man darf das Kleinunternehmen mithin nicht als einen für sich seienden Mikrokosmos begreifen: Über seinen Wirtschaftserfolg entscheiden weder allein die Spezifika seiner organisatorischen Binnenstruktur noch ausschließlich 'Geschick', 'Qualifikation' oder 'Mentalität' (vgl. König 1965) der 'mittelständischen Unternehmerpersönlichkeit' ; vielmehr resultiert der konkrete Unternehmenserfolg aus der komplexen Wechselwirkung zwischen der betrieblichen Organisationsstruktur und den 'soziopsychischen' Determinanten des Unternehmerhandelns einerseits sowie den 'objektiven' Strukturen der betrieblichen Umwelt, die mit Bezug auf das Wirtschaftshandeln des Unternehmers durchaus auch restriktive Potenzen entfalten können, andererseits. Mit anderen Worten: Der konkrete Stand der Reproduktionsbedingungen kleiner selbständiger Betriebe in unseren fortgeschrittenen Industriegesellschaften steht in einem wesentlichen Vermittlungszusammenhang mit der Entwicklung der übergreifenden Systeme von Wirtschaft und Gesellschaft, Kultur und Politik. So vermögen bspw. die Einkaufstrategien von Großunternehmen in geradezu dominierender Weise die Bedingungen, unter denen 'kleine Zulieferer' ihre Produktion steuern, zu prägen. Oder, um ein weiteres Exempel anzuführen: Politisch induzierte Wechselkursschwankungen können durchaus die Außenhandelsbedingungen und damit den Wirtschaftserfolg exportorientierter Kleinunternehmen nachhaltig beeinflussen. Die Bedeutung von derlei Einflußfaktoren zeigt sich freilich nur dem Forscherblick, der den kleinbetrieblichen Sektor im Kontext von Ökonomie und Politik der übergreifenden Gesamtgesellschaft verortet sieht. Wenn wir uns nun im folgenden erst einmal detailliert mit der Theorie- und Problemgeschichte der Kleinunternehmerforschung auseinandersetzen wollen, 1 H. Kubicek und N. Thom (1976) sprechen in einem Beitrag für das von E. Grochla und W. Wittmann herausgegebene "Handwörterbuch der Betriebswirtschaft" (1976) hier allgemein vom 'betrieblichen Umsystem'; die Autoren wollen diesbezüglich eine 'ökonomische', eine 'technologische', eine 'rechtlich-politische' und schließlich eine 'sozio-kulturelle' 'Komponente' unterscheiden. In einem Forschungsprojekt zum "Unternehmerhandeln im gemeindlichen Kontext einer strukturschwachen Region" bringt H. Daheim (1987: 21) in diesem Sinne, und zwar in handlungstheoretischer Orientierung auf das berufliche Handeln des Kleinunternehmers, ein soziologisches 'Situationsmodell ' ins Spiel: "Den Kern des Situationsmodells bildet das einfache rollentheoretische Schema der Interaktion: Der Kleinunternehmer als Rollenträger handelt beruflich im Bezug auf andere Rollenträger, die seine 'soziale Umgebung' ausmachen. Er interagiert unmittelbar mit Kunden, Lieferanten, seiner Bank, der Gemeindeverwaltung, einflußreichen Personen in der Gemeinde. Mittelbar ist sein Verhalten auf Konkurrenten, 'den Staat', die Parteien, die Gewerkschaften, die Unternehmer im allgemeinen und die Branche bezogen; die Handelnden sind für ihn Bezugsgruppen. " - In der Organisationstheorie wird das Unternehmen seit je in seinem integralen Bezug auf seine multipel dimensionierte 'Umwelt' gesehen (vgl. hierzu bspw. Coase 1956; Penrose 1959; CyertJMarch 1963; Williamson 1987; 1988; 1990).

2.1 Das 'Politikdefizit' der Kleinunternehmerforschung

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geht es uns dabei vor allem darum, konkret nachzuweisen, daß die bisherige Forschung typischerweise im Horizont einer reichlich defizitären Theorieperspektive und Begriffsstrategie vorangetrieben wurde. So werden wir uns in der kritischen Aufarbeitung der Literatur davon überzeugen können, daß die Forschung das kleine Unternehmen zwar durchaus im Kontext übergreifender gesellschaftlicher und insbesondere makroökonomischer Strukturen und Entwicklungstendenzen analysiert und auch den kulturellen und soziopsychisehen Bedingungen für den kleinunternehmerischen Wirtschaftserfolg Aufmerksamkeit geschenkt hat; daß demgegenüber aber der Frage, inwiefern und inwieweit die Reproduktionsbedingungen und Erfolgschancen des kleinbetrieblichen Produktionssektors politisch bzw. staatlich gesetzt und vermittelt sind, bislang kaum systematische Beachtung geschenkt wurde. An diesem Defizit will unsere Studie ansetzen und namentlich vermittels einer kategorialen Berücksichtigung und methodischen Einbeziehung der 'politischen Dimension' einen Beitrag für die Erarbeitung eines zureichenden Ansatzes für die Erforschung der Erfolgschancen kleiner selbständiger Unternehmen in unseren fortgeschrittenen Industriegesellschaften leisten. Gerade weil nun unsere Behauptung eines 'Politikdefizites ' der bisherigen Kleinunternehmerforschung den Leser auf den ersten Blick einigermaßen befremden wird, kommen wir nicht darum herum, für einen erschöpfenden Nachweis die Theorietradition mitsamt der entsprechenden Literatur wenigstens in ihren Hauptsträngen systematisch zu 'durchforsten'. Immerhin scheint es sich doch, zumindest dem ersten Augenschein nach und ganz im Gegensatz zu unserer These, so zu verhalten, daß in der Literatur fortwährend vom Staat 'die Rede ist'. Bei uns in Deutschland ist ja gerade in der traditionellen Mittelstandsliteratur der Jahrzehnte um die Wende zu unserem Jahrhundert immer wieder der sterotype Ruf nach dem Staat laut geworden; der Ruf also nach einem Staat, der die seinerzeit nur allzu bedrängten kleinen Selbständigen vor der übermächtigen '(groß)kapitalistischen Konkurrenz' in Schutz zu nehmen hätte. 2 Wie sehr dabei die Problematik des 'Überlebens' der kleinen 2 Für die klassische Mittelstandsliteratur vgl. hier nur bspw. G. Schmollers Untersuchung "Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert" (1870), H. Böttgers kleine Schrift "Vom alten und neuen Mittelstand" (1901) und J. Wernickes Klassiker "Kapitalismus und Mittelstandspolitik" (1907). Informative Rückblicke und Vergegenwärtigungen finden sich etwa in H.A. Winklers Studie "Mittelstand, Demokratie und Nationalsozialismus. Die politische Entwicklung von Handwerk und Kleinhandel in der Weimarer Republik" (1972), in F. Lengers "Sozialgeschichte der deutschen Handwerker seit 1800" (1988: 110ff.) oder auch in B. Frankes historisch und ideologiekritisch orientierter Arbeit "Die Kleinbürger. Begriff, Ideologie, Politik" (1988).

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2. 'Theoriegeschichte' der Kleinunternehmerforschung

Unternehmen (seinerzeit dachte man hierbei natürlich vorwiegend an die traditionellen Handwerksbetriebe.) von vorneherein mit Bezug auf die Sphäre der Politik gesehen wurde, mag idealtypisch aus einer Formulierung erhellen, die wir in H. Grandkes "Zusammenfassender Darstellung" (1897) der vom 'Verein für Socialpolitik' (1895ff.) in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts durchgeführten legendären "Untersuchungen über die Lage des Handwerks in Deutschland, mit besonderer Rücksicht auf seine Konkurrenzfahigkeit gegenüber der Großindustrie" finden: Grandke (1897: 268; Hervorh. v. uns) wirbt hier nämlich für seine Überzeugung, "daß man ... die Handwerkerfrage in erster Linie als eine Frage der praktischen Politik auffassen sollte ... ", womit natürlich die Grenzen zwischen Wissenschaft und Politik einigermaßen verwischt wären. Insgesamt ist es dann wohl auch so gewesen, daß Mittelstandstheorie einerseits und Mittelstandsbewegung bzw. Mittelstandspolitik andererseits, sich oft genug bedenklich nahe kamen, und nicht selten auch, worauf kein Geringerer als T. Geiger (1949: 95ff., 160ff.) hingewiesen hat, die 'wissenschaftliche' Literatur dazu mißbraucht wurde, "scheintheoretische Begründungen" (Geiger 1949: 163) für partikularistisch interessierte 'mittelstandspolitische' Positionen zu lancieren. Wenn so B. Franke (1988: 9) in seiner Studie "Die Kleinbürger" die These vorträgt, daß der Begriff des Kleinbürgers "stark mit ideologischem und polemischen Gehalt aufgeladen" sei und ihm "etwas von dem unseriösen Geruch der Sphäre seiner Herkunft ... , der des politischen Kampfs" anhaftet, dann mag dies wenigstens ein Stück weit auch für den Begriff des Mittelstandes zutreffen. Mit Blick auf diese Sachlage wollen wir nun aber keineswegs den Schluß ziehen, der Begriff des 'Mittelstandes' überhaupt sei 'kompromittiert' oder 'problematisch'. Im übrigen hatten wir uns ja bereits in unserer obigen 'Einführung' ganz entschieden für diesen Begriff ausgesprochen. Und davon wollen wir auch jetzt nicht abrücken: Daß nämlich der Mittelstandsbegriff von Anfang an immer auch politische und ideologische Komponenten und Konnotationen enthalten hat, muß ja noch lange nicht bedeuten, daß der Begriff deswegen für wissenschaftliche Zwecke unbrauchbar ist. Überraschend ist nur, daß die 'Nähe' des Mittelstandsbegriffs zur 'politischen Arena' die Mittelstandstheoretiker und Kleinunternehmerforscher nie dazu hat inspirieren können, systematisch zu untersuchen, wie die Reproduktionsbedingungen kleiner Unternehmen politisch vermittelt sind, wie sich also insbesondere die von der Politik gesetzten Parameter historisch-spezifischer

2.1 Das 'Politikdefizit' der Kleinunternehmerforschung

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Wirtschaft- und Wettbewerbsordnungen als institutionelle Rahmenbedingungen für das Wirtschaftshandeln kleiner Unternehmen konkret geltend machen. Wie wir sehen werden, ist dieses Desinteresse nicht nur für ausgesprochene 'Mittelstandspessimisten' wie etwa E. Grünberg bezeichnend, der in seiner 1932 erschienenen Schrift "Der Mittelstand in der kapitalistischen Gesellschaft", unter Verweis auf die vermeintliche mittelstandspolitische 'Impotenz' des Staates, mit der Problematik schon wieder fertig war, noch ehe er sich überhaupt auf sie eingelassen hatte. Der Prägnanz halber sei dem Leser die einschlägige Stelle in Grünbergs Buch (1932: 197f.) vorgestellt: "In Wahrheit ist der kapitalistische Staat nicht imstande, irgend etwas zum Schutze und für die wirtschaftliche Erhaltung des Mittelstandes zu unternehmen. Jeder Versuch, den Mittelstand im Rahmen der privaten Wirtschaft gegen ihre Entwicklung zu schützen, wird automatisch von den immanenten Gesetzen dieser Wirtschaft hintertrieben." Aber auch durchaus optimistisch gestimmten Autoren wie etwa J. Wernicke (1907) oder später F. Marb ach , auf dessen einflußreiche "Theorie des Mittelstandes" (1942) wir noch zurückkommen werden, ist es nicht in den Sinn gekommen, systematisch in Rechnung zu stellen und theoretisch zu reflektieren, daß es gerade und vor allem der Staat ist, der mit der politischen Durchsetzung und Garantierung bestimmter, historisch durchaus variabler Wirtschafts- und Wettbewerbsordnungen überhaupt erst die konkreten institutionellen Bedingungen setzt, unter denen die Kleinunternehmen mit 'den Großen' (und natürlich auch untereinander) konkurrieren. Wie wir später noch im einzelnen zeigen werden, muß der heutigen Kleinunternehmerforschung im großen und ganzen dasselbe 'Politikdefizit' zum Vorwurf gemacht werden wie der traditionellen Mittelstandstheorie. Der nun zweifelsohne mögliche Hinweis darauf, daß 'der Staat' in der aktuellen internationalen Kleinunternehmerliteratur keineswegs der 'große Unbekannte' ist, vermag uns indes diesbezüglich keinerlei argumentative Konzession abzuringen; schließlich vertreten wir die Überzeugung, daß die mittelstandspolitischen 'Hilferufe' an den Staat, auf die man bei der Lektüre auch der modernen Literatur natürlich immer wieder stößt, die Ausarbeitung einer systematischen Theorie der politischen Konstitution der Reproduktionsbedingungen des kleinbetrieblichen Sektors in fortgeschrittenen Industriegesellschaften keineswegs ersetzen können. Hier sticht übrigens sofort ins Auge, daß heutige Autoren oft im selben Atemzuge die besondere Innovativität, Flexibilität und be-

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2. 'Theoriegeschichte' der Kleinunternehmerforschung

schäftigungspolitische Dynamik der kleinbetrieblichen Produktionsorganisation - immer natürlich vor der Folie des Klischees der schwerfälligen Großorganisation - beschwören und nichtsdestotrotz vom Staat dezidiert eine selektive wirtschaftspolitische Förderung der kleinen Unternehmen gefordert wird. Dabei will man darauf hinweisen, daß, wie die Autoren K. Aiginger und G. Tichy in ihrer Schrift "Die Größe der Kleinen" (1985: 137; vgl. a. 126ff.) formulieren, "selbst eine neutrale Wirtschaftspolitik die Großbetriebe (bevorzugt)", was eben bedeutet, daß das Ziel der Herstellung von "Chancengleichheit zwischen Klein- und Großunternehmen" (ebd.: 138) eine entsprechend orientierte "Umstrukturierung der Wirtschaftspolitik" (ebd.: 126) voraussetzt; und die 'Realisierung dieser Chancengleichheit' ihrerseits wird nun wiederum als Voraussetzung dafür angemahnt, daß das den Kleinunternehmen zugeschriebene überdurchschnittliche 'Beschäftigungspotential' voll zum Tragen kommen bzw. freigesetzt werden kann. 3 Mit dieser Argumentation verwickeln sich nun, unserer Auffassung nach, die 'Kleinunternehmerfans' ironischerweise in einen augenfälligen Widerspruch: Warum nämlich sollte sich der Staat selektiv gerade um die kleinen Unternehmen kümmern, wenn diese wirklich so flexibel, innovativ usw. und also den Großbetrieben überlegen sind, wie in der Literatur stereotyp behauptet wird?4 - Indes soll an dieser Stelle diese Problematik nicht weiter erörtert werden, galt es doch einstweilen nur auf das Politikdefizit der traditionellen Mittelstandsdiskussion wie der zeitgenössischen Kleinunternehmerforschung hinzuweisen: Inwiefern und inwieweit die Reproduktionsbedingungen und Erfolgschancen kleiner Unternehmen in unseren fortgeschrittenen Industriegesellschaften politisch vermittelt sind, ist bis auf den heutigen Tag nicht systematisch geklärt worden. Wie wir weiter unten noch sehen werden, entspricht dieses hier speziell der Kleinunternehmerforschung vorgeworfene Politikdefizit einer weitgehenden "Vernachlässigung des Nationalstaates" (Knöbl 1993: 221) in wichtigen Traditionen der sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Theoriebildung überhaupt. Auf dieses Manko haben Autoren wie T. Skocpol (1979), J.A. Die Forderung nach einer selektiven staatlichen Förderung der kleinen Unternehmen findet sich in der aktuellen Literatur ziemlich ubiquitär. Vgl. hier vorerst etwa folgende Beiträge: Armington/Odle 1982; Piore/Sabel 1983; Reuss 1984; Hull 1987; Bühler 1987; Heinzel 1990. 4 Ganz in dieser Perspektive hat schon vor über 60 Jahren E. GfÜnberg (1932: 207) mit Blick auf den Mittelstand seiner Zeit folgendes geschrieben: "Und die ständigen Hilferufe und Klagen des Mittelstandes stehen in traurig-groteskem Widerspruch zu den großspurigen Beteuerungen seiner unverwüstlichen Lebenskraft, seiner großen wirtschaftlichen Bedeutung und der Haltlosigkeit der Niedergangstheorie. "

2.1 Das 'PolitikdefIzit' der Kleinunternehmerforschung

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Hall (1986; 1987), M. Mann (1984, 1987; 1988; 1990; 1991) oder auch A. Giddens (1981; 1985) seit Beginn der 80er Jahre nachdrücklich aufmerksam gemacht und unter der plakativen Devise "Bringing the State Back In" - so der Titel einer von P.B. Evans, D. Rueschemeyer und T. Skocpol im Jahre 1985 herausgegebenen, thematisch einschlägigen Aufsatzsammlung - einen 'Angriff' auf die bislang dominierenden 'gesellschaftszentrierten ' (vgl. Knöbl 1993: 221) Sozialtheorien eingeleitet.5 In der nämlichen Perspektive wollen wir nun auch und gerade bezüglich des Verhältnisses von 'Ökonomie' und 'Staat' bzw. 'Politik' die Kritik vortragen, daß zumindest in der unsere Universitäten beherrschenden Theorietradition der liberalen Neoklassik nicht weniger als in der Gegentradition des Marxismus 'die Wirtschaft' - sei es als 'autonom-ausdifferenzierte Marktwirtschaft', sei es als den 'Überbau' bestimmende 'kapitalistische Basis' - als gleichsam naturwüchsig-unmiuelbar gegebene Seinssphäre figuriert und damit systematisch verkannt wird, daß weder die historische Herausbildung noch die kontinuierliche Reproduktion der 'modemen Marktwirtschaft' ohne ein entsprechend orientiertes Handeln des 'modemen Nationalstaates' zu denken ist. An dieser Stelle sei schließlich noch angemerkt, daß wir mit unserer Studie, über die engere Thematik des kleinbetrieblichen Sektors hinausweisend, auch einen Beitrag zu einer zeitadäquaten theoretischen Neubestimmung des Verhältnisses von 'Politik' und 'marktwirtschaftlicher Ökonomie' leisten möchten.

2.2 Das Kleinunternehmen in historischer Perspektive: Ein kritischer Literaturüberblick über die Haupttraditionen der Kleinuntemehmerjorschung 2.2.1 Von den englischen Klassikern zur Marxschen Prognose vom notwendigen 'Untergang' der kleinen selbständigen Unternehmen Auf den ersten Blick mag es den Anschein haben, als ob die Theorie des Kleinunternehmens mit dem Werk von K. Marx und F. Engels beginnt. Immer wieder nämlich wurde in der Kleinunternehmerliteratur gerade auf die von den beiden Autoren zuerst in ihrem 1848 veröffentlichten "Manifest der 5 Für einen knappen, nichtsdestotrotz aber informativen Überblick über die 'staatszentrierten' Neuansätze vgl. das erste Kapitel von L. Weiss' "Creating Capitalism" (1988). Etwas umfang- und auch detailreicher ist der erst vor kurzem in der 'Zeitschrift für Soziologie' publizierte Beitrag "Nationalstaat und Gesellschaftstheorie. Anthony Giddens', John A. Halls und Michael Manns Beiträge zu einer notwendigen Diskussion" von W. Knöbl (1993).

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2. 'Theoriegeschichte' der Kleinunternehmerforschung

Kommunistischen Partei" (Marx/Engels 1974) ziemlich apodiktisch vorgetragene Prognose vom alsbaldig zu erwartenden Untergang der kleinen selbständigen Unternehmen als Ausgangs- und Orientierungspunkt für die weitere Auseinandersetzung mit der historischen Entwicklung des kleinbetrieblichen Sektors in den fortgeschrittenen Industriegesellschaften Bezug genommen. 6 Jahrzehntelang ging es dabei in der einschlägigen Literatur im Grunde nur um die eine Frage: Hatten Marx und Engels mit ihrer Prognose Recht, oder befanden bzw. befinden sie sich im Irrtum? Und darüber wurde in der Literatur unerbittlich gestritten. - Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang, daß die von Marx und Engels inaugurierte 'Niedergangsprognose' zunächst in dem 1891 verabschiedeten und weithin beachteten "Erfurter Programm" der deutschen Sozialdemokratie ihren prominenten Niederschlag gefunden hat?, und später dann von vielen Ökonomen und Sozialwissenschaftlern wie bspw. G. v. Schulze-Gävernitz (1892), Ziegler (1910), E. Grünberg (1932), R. Luxemburg (1967/68; Orig. 1913), R. Hilferding (1968, Orig. 1910) H. Grossmann (1967; Orig. 1929) oder auch P.A. Baran und P.M. Sweezy (1970; amerik. Orig. 1966), die allesamt von der wirtschaftlichen Überlegen-

6 Vor allem die folgenden beiden Passagen aus dem "Kommunistischen Manifest" zitierte man in diesem Zusammenhang immer wieder (vgl. z.B. König 1949: 52; Gantzel 1962: 4; Krisam 1965: 25; Schöber 1968: 9; Bögenhold 1985: 18). Die erste Stelle lautet: "Unsere Epoche, die Epoche der Bourgeoisie, zeichnet sich ... dadurch aus, daß sie die Klassengegensätze vereinfacht hat. Die ganze Gesellschaft spaltet sich mehr und mehr in zwei große feindliche Lager, in zwei große, einander direkt gegenüberstehende Klassen: Bourgeoisie und Proletariat." (Marx/ Engels 1974: 463) Und ein paar Seiten weiter heißt es: "Die bisherigen kleinen Mittelstände, die kleinen Industriellen, Kaufleute und Rentiers, die Handwerker und Bauern, alle diese Klassen fallen ins Proletariat hinab, teils dadurch, daß ihr kleines Kapital für den Betrieb der großen Industrie nicht ausreicht und der Konkurrenz mit den größeren Kapitalisten erliegt, teils dadurch, daß ihre Geschicklichkeit von neuen Produktionsweisen entwertet wird." (ebd.: 469) 7 Es war kein Geringerer als K. Kautsky (1919; erste Auflage 1891), der das "Erfurter Programm", "in seinem grundsätzlichen Teil erläutert", publiziert hat. Unter der Überschrift "Der Untergang des Kleinbetriebs" wird der Prognose von Marx und Engels hier nun ohne Umschweife der Status gesicherten empirischen Wissens verliehen: "Die ökonomische Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft führt mit Naturnotwendigkeit zum Untergang des Kleinbetriebs, dessen Grundlage das Privateigentum des Arbeiters an seinen Produktionsmitteln bildet. Sie trennt den Arbeiter von seinen Produktionsmitteln und verwandelt ihn in einen besitzlosen Proletarier, indes die Produktionsmittel das Monopol einer verhältnismäßig kleinen Zahl von Kapitalisten und Großgrundbesitzern werden. Hand in Hand mit dieser Monopolisierung der Produktionsmittel geht die Verdrängung der zersplitterten Kleinbetriebe durch kolossale Großbetriebe, geht die Entwicklung des Werkzeugs zur Maschine, geht ein riesenhaftes Wachstum der Produktivität der menschlichen Arbeit. Aber alle Vorteile dieser Umwandlung werden von den Kapitalisten und Großgrundbesitzern monopolisiert. Für das Proletariat und die versinkenden Mittelschichten - Kleinbürger, Bauern - bedeutet sie wachsende Zunahme der Unsicherheit ihrer Existenz, des Elends, des Drucks, der Knechtung, der Erniedrigung, der Ausbeutung." (Kautsky 1919: 3) Wenige Seiten weiter ist in diesem Zusammenhang explizit und pointiert vom "Todeskampf des Kleinbetriebs" (ebd.: 6) die Rede.

2.2 Das Kleinunternehmen in historischer Perspektive

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heit des Großbetriebs und der Unaufhaltsamkeit zunehmender Wirtschaftskonzentration überzeugt waren, propagiert wurde. Auf der anderen Seite hat es natürlich auch nicht an Autoren gefehlt, die vehement die Gültigkeit der Prognose von Marx und Engels bestritten und für den 'selbständigen Mittelstand' auch in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft eine Perspektive sehen wollten: J. Wernicke (1907), F. Simiand (1928), F. Marbach (1942) oder auch Th. Geiger (1949; 1967) wären hier etwa als herausragende Beispiele zu nennen. Nach dem zweiten Weltkrieg hat dann als erster R. König (1949: 52ff.) in seiner Schrift "Soziologie heute" an die 'alte' Diskussion angeknüpft und in aller Entschiedenheit gegen die "Prophetie von Marx" (ebd.: 52) Partei ergriffen, indem er anmahnte, "dass die geschichtliche Entwicklung einen völlig anderen Verlauf genommen hat, als Marx auf Grund seiner Analyse des Kapitalismus voraussagte." (ebd.)8 Unter den Mitarbeitern des von König im Jahre 1957 mitbegründeten Kölner Mittelstandsinstituts war es dann gang und gäbe, ganz im Königschen Gestus die Marx-Engelsche Prognose zum (negativen) Ausgangspunkt der jeweiligen Forschung und Argumentation zu machen (vgl. z.B. Hagemann 1962; Molsberger 1967; Schöber 1968), wobei freilich namentlich P. Schöber in seiner Studie über die "Wirtschaftsmentalität der westdeutschen Handwerker" (1968) nicht zu unrecht darauf hinwies, daß Marx und Engels ihre Prognose vielleicht doch etwas differenzierter und im ganzen nuancenreicher vorgetragen haben, als dies mit Blick auf die übliche Zitation der einschlägigen Passagen aus dem "Kommunistischen Manifest" den Anschein haben mochte. Schöber (1968: 9; Hervorh. v. uns) machte in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, daß "die für den selbständigen Mittelstand düstere Prognose einen langfristigen Charakter (hatte)" und daß Marx und Engels keineswegs "übersahen, daß im Verlauf der Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft selbständige Berufe nicht nur vergingen, sondern auch entstanden. "9 8 Vgl. auch die folgende Stelle aus Königs "Soziologie heute": "Schon ein erster Überblick lehrt, dass die Mittelklassen durch die weitere Entwicklung des Kapitalismus keineswegs zerrieben und proletarisiert worden sind, wie Marx es erwartete. Vielmehr hat sich gezeigt, dass ... grosse Teile des alten Mittelstandes - trotz schwerer Belastungen im ausgehenden 19 . Jahrhundert, trotz der ungeheuren Blutungen des ersten und zweiten Weltkrieges und der Weltwirtschaftskrise von 1929 - sich anzupassen und zu überleben vermochten ... " (ebd.: 53). 9 Schöber (ebd.) zitiert hier als Beleg die folgende Passage aus dem "Kommunistischen Manifest": "In den Ländern, wo sich die modeme Zivilisation gebildet hat, hat sich eine neue Kleinbürgerschaft gebildet, die zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie schwebt und als ergänzender Teil der bürgerlichen Gesellschaft stets von neuem sich bildet, deren Mitglieder aber beständig durch die Konkurrenz ins Proletariat hinabgeschleudert werden, ja selbst mit der Entwicklung der großen Industrie einen Zeitpunkt herannahen sehen, wo sie als selbständiger

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2. 'Theoriegeschichte' der Kleinunternehmerforschung

Schließlich sei noch auf die vor kurzem in der Zeitschrift für Soziologie ausgetragene Debatte zwischen Th. Hagelstange (1988a; 1988b) und D. Bögenhold (1988) über die Frage "Niedergang oder Renaissance der Selbständigen?" hingewiesen, in der auch wieder von der Marx-Engelschen Niedergangsprognose ausgegangen wurde und einmal mehr darüber disputiert wurde, wie dieselbe adäquat zu interpretieren sei. Ganz im Sinne der vorhin vorgestellten Schöberschen Argumentation schreibt Hagelstange (1988a: 143) diesbezüglich mit kritischem Blick gerade auf Bögenholds Buch "Die Selbständigen" (1985) folgendes: "Auch wurde nicht, wie jüngst wieder Marx unterstellt wurde (s. Bögenhold 1985: 19), behauptet, daß die kleinen Produktionseigner eines schönen Tages von der Bühne kapitalistischer Marktgesellschaften ganz verschwunden sein würden. Selbst Marx unterstellte, daß sich das Kleinbürgertum trotz zunehmender Bedrängnis als Typus reproduzieren kann." Und wenn Hagelstange dann in seinem Aufsatz weiter anmerkt, daß "inzwischen ... nun aber häufiger gefragt (wird), ob die These des Niedergangs des Kleinbürgertums bzw. des Trends zur Gesellschaft der Unselbständigen mittlerweile nicht ausgedient habe" ,10 so kann dies unseren Gesamteindruck, daß die 'Niedergangsprognose' aus dem "Kommunistischen Manifest" bis in die allerletzte Zeit die Gemüter zu erregen vermag und noch immer als archimedischer Bezugspunkt für die Orientierung der Kleinunternehmerforschung dienen muß, nur verstärken. In diesem Sinne eben war oben davon die Rede, daß es den Anschein hat, daß die Theorie des Kleinunternehmens überhaupt mit dem Werk von Marx und Engels anhebt und in deren 'Niedergangsprognose ' ihren historischen Ausgangspunkt hat. Aber das ist nicht ganz richtig. Denn, was oft übersehen wird, im eigentlichen Sinne beginnt die moderne Kleinunternehmertheorie schon 'etwas' früher, und zwar mit der Tradition der klassischen englischen Politischen Ökonomie. Mit Fug und Recht kann man nämlich darauf verweisen, daß die Systeme der englischen Klassiker von A. Smith (1990; engl. Orig. 1776), über D. Ricardo (1980; engl. Orig. 1817) bis hin zu J.St. Mill (1921; engl. Orig. 1848) mit Blick gerade auf kleinbetriebliehe Produktions- und Wirtschaftsstrukturen entworfen wurden; was nun freilich allein schon deshalb nicht besonders überraschen muß, als es ja zu den Zeiten der Klassiker den Teil der modemen Gesellschaft gänzlich verschwinden und im Handel, in der Manufaktur, in der Agrikultur durch Arbeitsaufseher und Domestiken ersetzt werden." (Marx/Engels 1974: 484) 10 Hagelstange verweist hier auf folgende Autoren: Boissevain 1984; Bechhofer/Elliott 1985; Steinmetz/Wright 1987.

2.2 Das Kleinunternehmen in historischer Perspektive

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modemen Großbetrieb, wie er später Furore machen sollte, noch überhaupt nicht gegeben hat. Die konkrete empirische Wirtschaftspraxis, die Leute wie Smith, Ricardo und Mill vor Augen hatten, war eben durch und durch kleinbetrieblich strukturiert, war die 'kapitalistische Welt' im status nascendi, in der sich die, ob ihrer unermüdlichen 'Initiative' von den Ökonomen gelobten, 'neuen' 'Bourgeois' an der Spitze ihrer noch erst kleinen aber nichtsdestotrotz dynamischen Unternehmen anschickten, die feudale Vergangenheit endgültig zu zerstören, um, wie es im "Kommunistischen Manifest" heißt (vgl. Marx/ Engels 1974: 463), die 'modeme bürgerliche Gesellschaft' zu erschaffen. Wenn so die amerikanischen Kleinunternehmerforscher K.B. Mayer und S. Goldstein (1961: 1; Hervorh. v. uns) in ihrer vielbeachteten Studie "The First Two Years: Problems of Small Firm Growth and Survival" im historischen Rückblick davon schreiben, daß "the early history of America has been a history of small enterprises ", so mag dies nicht minder auf die Situation in Europa zutreffen: Auch hier war natürlich, wie Marx (1972: 789; Hervorh. v. uns) im ersten Band seines "Kapital" - und zwar im Kapitel über die 'sogenannte ursprüngliche Akkumulation' - zu Recht geltend gemacht hat, auch und gerade "der Kleinbetrieb eine notwendige Bedingung für die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktion." Im explizierten Sinne war also die gesamte klassische Politische Ökonomie von A. Smith bis 1.St. Mill gleichsam eine Politische Ökonomie kleinbetrieblicher Wirtschaftsstrukturen. Dabei fällt in der Auseinandersetzung mit den klassischen Systemen auf, daß hier das Unternehmen, das normalerweise eben ein kleines Unternehmen war, sogleich integral im Kontext der übergreifenden ökonomischen und gesellschaftlichen Strukturen betrachtet wurde: Das Wirtschaftshandeln der (Klein-)Unternehmer wird als Resultat der objektiven Marktlogik begriffen, wird in seiner Notwendigkeit dechiffriert als Ausdruck eines im Hintergrund waltenden 'Wertgesetzes' , das als 'unsichtbare Hand' die ökonomische und soziale Synthesis des Gesamtsystems leistet und verbürgt (vgl. hierzu Hofmann 1979a: 38).11 Für die methodische Orientierung der Kleinunternehmerforschung bietet mithin die Tradition der klassischen Politischen Ökonomie insofern wichtiges Anregungspotential, als das Unter1J Genau diese Leistung hat Hegel (1970: 346f.; Hervorh. im Orig.) an der 'neuen Wissenschaft' der Politischen Ökonomie fasziniert. Im einschlägigen § 189 seiner "Rechtsphilosophie" heißt es hierzu: "Es ist dies eine der Wissenschaften, die in neuerer Zeit ... entstanden ist. Ihre Entwicklung zeigt das Interessante, wie der Gedanke (s. Smith, Say, Ricardo) aus der unendlichen Menge von Einzelheiten, die zunächst vor ihm liegen, die einfachen Prinzipien der Sache, den in ihr wirksamen und sie regierenden Verstand herausfindet. "

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2. 'Theoriegeschichte' der Kleinunternehmerforschung

nehmen hier nicht als für sich seiender Mikrokosmos, sondern von vorneherein als in den übergreifenden sozialökonomischen Strukturzusammenhang des 'Wertgesetzes': in das System der marktwirtschaftlichen Konkurrenz also, unaufhebbar eingebunden thematisiert wurde. Festgehalten muß hier indes werden, daß sich die englische Klassik selbst natürlich nicht explizit als Theorie einer klein betrieblichen Ökonomie verstand: Für sie war ja, entsprechend den konkreten wirtschaftlichen Zeitumständen, die Differenz von Groß- und Kleinunternehmen kaum von empirischer Relevanz. Man hatte eben einfach Unternehmen sans phrase im Auge, die, von ihren Eigentümerunternehmern oder capitalists - wie die Engländer seinerzeit noch ganz ohne Resentiments schrieben - geführt, das Geschäft der 'Kapitalisierung' und 'Industrialisierung' besorgten und damit der neuen Ordnung der "bürgerlichen Wirtschaftsgesellschaft" (vgl. Hofmann 1969: 106) den Weg bahnten. Daß im Verlauf dieses historischen Prozesses die Unternehmen wuchsen und größer wurden, war zwar praktisch durchaus erwünscht, wurde aber von den englischen Klassikern nicht eigens theoretisch reflektiert. Überhaupt interessierten diese sich wenig für die in der neuen Marktgesellschaft angelegten Entwicklungstendenzen, und so ist auch, wie W. Hofmann im, der "Theorie der Wirtschaftsentwicklung" gewidmeten, dritten Band seiner "Sozialökonomischen Studientexte" (1979b: 48) völlig zu Recht anmerkt, ihr "Beitrag zur Lehre vom Wirtschaftsprozeß ein bescheidener geblieben": Die "Theorie der Kapitalakkumulation und der hieraus entspringenden volkswirtschaftlichen Gesamtentwicklung" , so Hofmann entschieden, "(ist) ... in klassischer Zeit ... sehr vernachlässigt geblieben." (ebd.: 63) Mithin zeigt sich also gerade hier, wie sehr die englischen Ökonomen im Kern doch statisch orientiert geblieben sind. Wie anders waren demgegenüber Theorieperspektive und methodischer Ansatz des deutschen Schülers der englischen Klassiker orientiert bzw. zugeschnitten. Die Rede ist natürlich von K. Marx, der in seinem Hauptwerk "Das Kapital", wie Hofmann (ebd.; Hervorh. im Orig.) in diesem Zusammenhang weiters hervorhebt, ja "nicht nur ein 'Modell' des kapitalistischen Kreislau/und Akkumulationsprozesses geliefert, sondern auch wichtige Ansätze einer Konjunkturtheorie geboten und schließlich die allgemeine historische Tendenz der von ihm untersuchten ... Wirtschaftsweise zu bestimmen unternommen (hat)." Diese grundSätzliche Umorientierung der Theorieperspektive hing na-

2.2 Das Kleinunternehmen in historischer Perspektive

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türlich eng mit dem Umstand zusammen, daß erst zu Marxens Zeiten offen sichtbar wurde, in welch großem Maße für die modeme Marktgesellschaft "ewige Unsicherheit und Bewegung", wie es im "Kommunistischen Manifest" heißt (Marx/Engels 1974: 465), charakteristisch sind. Und mit Blick nun auf diese endgültig enthüllte Dynamik der modemen Marktgesellschaft war es für Marx geradezu zwingend, die 'statische' Theorieperspektive der Klassiker radikal zu 'dynamisieren '. Dabei hat Marx natürlich das in den Mittelpunkt seiner "Kritik der politischen Ökonomie" gerückt, was ihm an der modemen Wirtschaft am meisten beeindruckte, "die Tendenz zur Produktion im Großen sowie zur Konzentration des Kapitaleigentums" (Hofmann 1979b: 84; Hervorh. v. uns) nämlich. Marx war der erste Ökonom, der die typischen Begleiterscheinungen und Ausdrucksformen der kapitalistischen Industrialisierung und Modernisierung: Unternehmenswachstum, Konzentration und Zentralisation des Kapitals, den "Zug zur Großunternehmung" (Schumpeter 1987: 85) also, systematisch zur Kenntnis genommen, analytisch untersucht und theoretisch verarbeitet hat.12 Für Marx war damit auch nicht mehr, wie noch für seine klassischen Lehrer, das Unternehmen sans phrase das gegebene Thema der ökonomischen Wissenschaft; den veränderten Zeitumständen entsprechend hatte er es eingestandenermaßen mit differenzienen Unternehmens formen zu tun, die gerade auch entlang der Größendimension signifikante Unterschiede aufwiesen. Wichtig ist, daß in dieser 'differentiellen' Perspektive das Kleinunternehmen nun auch als solches perzipiert werden konnte und damit eine spezielle Theorie des kleinbetrieblichen Sektors möglich wurde: Und genau in diesem Sinne enthält die Marxsche "Kritik der politischen Ökonomie" in der Tat die erste sich als solche reflektierende ökonomische Theorie des kleinen Unternehmens. Das Interesse der Marxschen Theorie richtete sich allerdings bevorzugt auf die 'große Industrie' (vgl. Marx 1972: 391ff.), wie diese seit etwa der Mitte des vergangenen Jahrhunderts immer mehr zum ökonomischen Zentrum der modemen Marktgesellschaft wurde (vgl. Sabel/Zeitlin 1985; Piore/Sabel 1989: 30ff.). Dabei muß die technologische Leistungsfähigkeit und wirtschaftliche Dominanz der 'großen Industrie' dem Autor des "Kapital" von 12 Gerade in dieser Hinsicht hat J.A. Schumpeter in seinem Werk "Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie" (1987; arnerik. Original 1942) Marx Beifall gezollt. So schreibt Schumpeter, daß "klarer als irgend ein anderer Autor seiner Zeit ... Marx den Zug zur Großunternehmung erkannt (hat)" (ebd.: 85). Und ebenso: "(D)as Aufkommen der großen Unternehmungen vorherzusagen, war in Anbetracht der Verhältnisse zu Marxens Zeit eine Leistung an sich." (ebd.: 63)

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2. 'Theoriegeschichte ' der Kleinunternehmerforschung

vorneherein so imposant erschienen sein, daß seine 'spezielle Theorie' des

kleinbetrieblichen Sektors in ihrem Kern darauf hinauslief, diesem eine, wie wir ja schon gesehen haben, alles in allem doch recht düstere Zukunft vorauszusagen: Paradox genug, hebt also die modeme Theorie des Kleinbetriebs damit an, daß sie ihrem Gegenstand den, wenn schon nicht alsbaldigen, so doch wenigstens 'langfristigen' (vgl. Schöber 1968: 9) Niedergang prophezeien wollte.

Im folgenden wollen wir nun vor allem deshalb etwas ausführlicher auf die Marxsche 'Untergangsprognose' eingehen, weil ja gerade sie immer wieder als Bezugspunkt für die weitere Orientierung der seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in Gang gekommenen Kleinunternehmerdiskussion fungiert hat. Dabei ist hier sogleich darauf hinzuweisen, daß es Marx nicht bei der plakativen Formulierung der Prognose im zusammen mit F. Engels 1848 veröffentlichten "Kommunistischen Manifest" belassen hat. Vielmehr hat er später, und zwar in den drei Bänden seines politisch-ökonomischen Hauptwerkes "Das Kapital" (Marx 1972; 1973a; 1973b), eine akkumulations- und konzentrationstheoretische Begründung der Prognose 'nachgereicht' und versucht, den Niedergang des kleinbetrieblichen Sektors als notwendiges Resultat der eigentümlichen Entwicklungsdynamik des modemen Kapitalismus zu 'erklären'. Das Marxsche Werk enthält also eine explizit ausgesprochene, sozialäkonomisch und gesellschajtstheoretisch fundiene Theorie des Kleinunternehmens, in der das Schicksal desselben mit den theoretisch 'abgeleiteten' Entwicklungstendenzen des übergreifenden Gesellschaftssystems in integralen Zusammenhang gebracht wird. Ganz anders als in den Systemen der englischen Klassiker, in denen der ökonomische und gesellschaftliche Fortschritt noch als das ausschließliche Werk von in aller Regel kleinen, von ihren Eigentümerunternehmern geführten Betrieben erschien, vermag im Horizont der Marxschen "Kritik der politischen Ökonomie" allein der seit etwa Mitte des 19. Jahrhunderts in der Tat rasant expandierende großbetriebliehe Sektor die sozialökonomische Dynamik der modemen Gesellschaft zu verbürgen. Dabei hatte Marx (vgl. 1972: 655f.; 1973b: 452ff.) schon die 'auf großer Stufenleiter produzierenden' modemen Aktiengesellschaften vor Augen, in denen der selbständige Eigentümerunternehmer als "überflüssige Person aus dem Produktionsprozeß (verschwindet)" (ebd.: 401) und von angestellten und also 'abhängigen' 'Managern' (vgl. Marx 1972: 207) ersetzt wird.

2.2 Das Kleinunternehmen in historischer Perspektive

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In der Perspektive der im "Kapital" explizierten Konzentrationstheorie erscheint also die kleinbetriebliche Produktionsorganisation nur mehr als historischer Ausgangspunkt der modemen 'kapitalistischen' Produktion; erscheint sozusagen, wie Marx (1972: 789) in dem Abschnitt über die "Geschichtliche Tendenz der kapitalistischen Akkumulation" gegen Ende des ersten 'Kapitalbandes' unter Bezugnahme auf den französischen Ökonomen C. Pecqueur ein wenig verächtlich schreibt, nur mehr als "allgemeine Mittelmäßigkeit", die "vernichtet werden (muß)": "Ihre Vernichtung, die Verwandlung der individuellen und zersplitterten Produktionsmittel in gesellschaftlich konzentrierte, daher des zwerghaften Eigentums vieler in das massenhafte Eigentum weniger, daher die Expropriation der großen Volksrnasse von Grund und Boden und Lebensmittel und Arbeitsinstrumenten, diese furchtbare und schwierige Expropriation der Volksrnasse bildet die Vorgeschichte des Kapitals." (ebd.: 789f.) Wie wir sehen, malt Marx auch im "Kapital" die Zukunftsperspektive der kleinen Unternehmen grau in grau. Als fundierendes und steuerndes Strukturprinzip der hierfür verantwortlich gemachten Entwicklungsdynamik der Gesellschaft insgesamt fungiert hier das sog. 'allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation', wie Marx es im berühmten 23. Kapitel des ersten Bandes seines Hauptwerkes dargestellt hat: Dieses 'Gesetz' besagt, daß mit dem sukzessiven Fortschreiten der 'kapitalistischen' Produktionsweise die zunehmende Zentralisation und Konzentration der Produktionsmittel notwendig einhergeht. Den Grund hierfür sieht Marx darin, daß sich die Akkumulation des Kapitals als "Konkurrenzkampf" um Marktanteile vollzieht, in welchem "die größeren Kapitale ... die kleineren (schlagen)" (ebd.: 654), sich also fortwährend die "Verwandlung vieler kleinere(r) in weniger größere Kapitale" (ebd.) ereignet, was seinen Grund, so das alles in allem doch ziemlich einfach gestrickte Marxsche Argument, letztlich in den Produktivitäts- und den daraus resultierenden Kostenvorteilen der letzteren gegenüber ersteren hätte. Damit ist nun die klassische Untergangsprognose in ihrer politischökonomisch fundierten Form ausgesprochen: "Die Konkurrenz ... endet stets mit Untergang vieler kleinere(r) Kapitalisten, deren Kapitale teils in die Hand des Siegers übergehn, teils untergehn." (ebd.: 655)13 13 Ausführlicher heißt es in diesem Zusammenhang weiter (ebd.: 654f.): "Der Konkurrenzkampf wird durch Verwohlfeilerung der Waren geführt. Die Wohlfeilheit der Waren hängt,

4 Kießling

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2. 'Theoriegeschichte' der Kleinunternehmerforschung

Ausdrücklich sei hier noch einmal darauf hingewiesen, daß die Prognose vom tendenziellen Niedergang des kleinbetrieblichen Sektors beim 'reifen' Marx den Status bloßer politischer Propaganda abstreift und in seiner Theorie der Akkumulation des Kapitals, die letztlich eine Theorie der Entwicklungsdynamik der modemen Industriegesellschaft sein will, ihre systematische politisch-ökonomische Begründung findet: Die "Expropriation" der kleinen Eigentümerunternehmer, lautet eine einschlägige Passage im "Kapital", "vollzieht sich durch das Spiel der immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion selbst, durch die Zentralisation der Kapitale." (ebd.: 790) Kein Wunder also, daß im Marxschen System die 'Vernichtung' des Kleinbetriebs mitsamt der entsprechenden Sozialfigur des Eigentümerunternehmers als notwendige Vorbedingung für die Entwicklung der modemen kapitalistischen Produktionsweise überhaupt figuriert. Unmißverständlich heißt es in diesem Sinne am Schluß des ersten 'Kapitalbandes': "Kapitalistische Produktions- und Akkumulationsweise ... bedingen die Vernichtung des auf eigner Arbeit beruhenden Privateigentums ... " (ebd.: 802) Damit wird endgültig klar, daß in der Perspektive der Marxschen Theorie kleinbetriebliche Produktionsformen nur zur "Vorgeschichte des Kapitals" (ebd.: 790; Hervorh. v. uns) gehören und mit dieser untergehen müssen; das Kapital selbst nämlich, seiner wahren Natur und Bestimmung nach, ist für Marx nur als 'großes Kapital' und das System der modemen Industrie entsprechend nur als 'große Industrie' zu denken. Vergegenwärtigen wir uns nun die Marxsche Position im zusammenfassenden Überblick, so fällt zunächst auf, daß das Kleinunternehmen ganz entschieden in den Kontext der übergreifenden Gesellschaft und deren Entwicklungsdynamik eingebunden gesehen wird. Und namentlich in dieser formalen (oder: methodischen) Hinsicht ist der Marxsche Ansatz, abgesehen einmal von der fragwürdigen empirischen Triftigkeit der mit ihm verbundenen inhaltlichen Prognose, bis auf den heutigen Tag aktuell geblieben: Insofern eben in der Konzeption des Ansatzes die grundlegende Einsicht umgesetzt worden ist, caeteris paribus, von der Produktivität der Arbeit, diese aber von der Stufenleiter der Produktion ab. Die größeren Kapitale schlagen daher die kleineren. Man erinnert sich ferner, daß mit der Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise der Minimalumfang des individuellen Kapitals wächst, das erheischt ist, um ein Geschäft unter seinen nonnalen Bedingungen zu betreiben. Die kleineren Kapitale drängen sich daher in Produktionssphären, deren sich die große Industrie nur noch sporadisch oder unvollkommen bemächtigt hat." - Wir sehen hier, daß Marx nicht nur apodiktisch vom Niedergang der kleineren Unternehmen spricht, sondern mit Bezug auf den kleinbetrieblichen Sektor wenigstens rudimentär auch bereits eine 'Nischentheorie' , wie wir sie vor allem in der späteren Kleinunternehmerliteratur finden, skizziert.

2.2 Das Kleinunternehmen in historischer Perspektive

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daß die Reproduktionsbedingungen, Erfolgschancen und Entwicklungsaussichten des kleinbetrieblichen Sektors nur mit Blick auf die umfassende Gesellschaft erfolgversprechend erforscht und zureichend beurteilt werden können. Indes sticht bei der Auseinandersetzung mit der Marxschen 'Untergangstheorie' nicht minder ins Auge, daß der Frage, inwiefern und inwieweit die Reproduktionsbedingungen der kleinen Unternehmen nicht nur ökonomisch und gesellschaftlich, sondern auch und gerade politisch bestimmt bzw. vermittelt sind, keine systematische Beachtung geschenkt wird. Die 'Akkumulation des Kapitals' wird in den drei Bänden des "Kapitals" gleichsam nur in ihrer rein ökonomischen Immanenz bzw. Unmittelbarkeit thematisiert; was eben heißt, daß in der Darstellung erklärtermaßen und programmgemäß von den politisch gesetzten Ordnungen und Rahmenbedingungen, die die konkreten Verlaufsformen des Akkumulationsprozesses nachhaltig zu prägen vermögen, methodisch abstrahiert wird.14 Bekannt ist ja, daß Marx das ambitionierte Programm seiner in einem emphatischen Sinne politischen Ökonomie: Ökonomie und Politik bzw. Staat der modernen Gesellschaft in ihrem integralen Gesamtzusammenhang zu betrachten (vgl. Z.B. Marx 1974a: 28f.; 1974b: 7), nicht verwirklicht hat. Der "Staat blieb", woraufP.M. Sweezy (1974: 284) in seiner Marx-Interpretation eindringlich hingewiesen hat, "immer im Hintergrund und erfuhr niemals die 'zusammenhängende Verarbeitung', die Marx beabsichtigt hatte." Und insofern muß es nicht verwundern, daß Marx im "Kapital" seine Theorie der kapitalistischen Entwicklung und des Niedergangs der selbständigen Kleinbetriebe ohne systematische Reflexion auf die Sphäre des Staates ausgearbeitet hat. In diesem Sinne müssen wir also gerade auch der Marxschen Politischen Ökonomie so gut wie seiner 'Niedergangstheorie' des kleinen Unternehmens in aller Entschiedenheit ein gravierendes 'Politikdefizit' vorhalten. 2.2.2 Exkurs: Die 'Marginalisierung' des Kleinunternehmens in der modernen Ökonomik und in den soziologischen 'Theorien der industriellen Gesellschaft' Wir haben die Marxsche 'Niedergangstheorie' vor allem deshalb etwas ausführlicher behandelt, weil sie, wie wir gesehen haben, bis in die allerletzte 14 Vgl. hierzu etwa das Vorwort zur ersten Auflage des ersten Bandes des "Kapital", wo es heißt, daß "es ... der letzte Endzweck dieses Werks (ist), das ökonomische Bewegungsgesetz der modemen Gesellschaft zu enthüllen" (Marx 1972: 15f.; Hervorh. v. uns). 4*

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Zeit als Bezugspunkt für die Orientierung der Diskussion dient. Dabei muß die Marxsche Prognose vom notwendigen 'Untergang' des kleinbetrieblichen Sektors Anhänger so gut wie Gegner seines Systems in gleicher Weise und in einem solchem Maße beeindruckt haben, daß für die Nationalökonomie in den auf Marx folgenden Jahrzehnten eine relativ einmütige analytische bzw. kategoriale 'Marginalisierung' des Kleinbetriebs konstatiert werden kann. Sukkurs erhält unsere Argumentation übrigens von keinem Geringeren als F. Marbach, der in seiner 1942 erschienenen "Theorie des Mittelstandes", im Rückblick gerade auf die Jahrzehnte nach Marx, folgendes geschrieben hat: "In diesen Zeiten hat man wohl noch weitherum mittelständisch gelebt, aber man hat trotzdem im wesentlichen einer polaren Denkweise gehuldigt, auf der einen Seite das Proletariat gesehen, auf der andem das raffende Kapital, Lazarus hier, John Pierpont Morgan dort und nicht viel zwischen drin, . obwohl das zwischen den Polen liegende so interessant, so beachtungswürdig und typisch war und ist wie die Pole selber." (Marbach 1942: 47f.) Vor dem Hintergrund dieser Einschätzung will nun Marbach der Nationalökonomie überhaupt vorwerfen, "dadurch eine Sünde begangen (zu haben), dass sie sich um die theoretische Analyse des Wesens und der Interessen des Mittelstandes nur ausnahmsweise und ungenügend bemüht hat" (ebd.: 41). Die wenigen 'Ausnahmen', die hier zu erwähnen sind, und auf die wir weiter unten zurückkommen werden, spricht der Autor dann an anderer Stelle seiner "Theorie des Mittelstandes" als "Oasen im Bewunderungsgebiet des Kolossalen" (ebd.: 60) an und bringt damit, wie wir meinen, die Gewichtung der Forschungsinteressen überaus anschaulich zum Ausdruck. Bevor wir uns in unserer Rekonstruktion der Theorie- und Problemgeschichte der Kleinunternehmerforschung detailliert mit den einschlägigen Ansätzen vor und nach Marbachs "Theorie des Mittelstandes", und natürlich mit dieser selbst, auseinandersetzen wollen, mögen zur besseren Einordnung des Kommenden vielleicht einige Hinweise auf die allgemeine Theorieentwicklung angebracht sein. So sei zunächst einmal darauf hingewiesen, daß man in der marxistischen Theorietradition, was freilich nicht sonderlich erstaunen muß, konsequent am alten Marxschen Dogma festhielt und jeden Bankrott eines Kleinbetriebs als einen Beleg für die unumstößliche 'Wahrheit' der Konzentrationstheorie verbuchte. Ganz offen kommt dies in E. Grünbergs 1932 erschienener Schrift

2.2 Das Kleinunternehrnen in historischer Perspektive

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"Der Mittelstand in der kapitalistischen Gesellschaft" zum Ausdruck, wo es heißt, daß "die im Jahre 1848 im kommunistischen Manifest erstmalig expressis verbis ausgesprochene und später vom Erfurter Programm (1891) übernommene These von der zwangsläufigen Vernichtung des Mittelstandes im kapitalistischen System ... vollauf bewiesen (erscheint)" (Grünberg 1932: 120) und wo auch konsequent davon die Rede ist, daß "die damals in die Form einer Voraussage für die Zukunft gekleidete Sentenz ... heute als erfüllte Weissagung, als reale Gegenwart" (ebd.) gelten kann. Grünberg formuliert seine Einschätzung ausgesprochen pointiert, aber für die marxistische Theorietradition insgesamt durchaus typisch. Stellt man nun den ausgesprochenen Mittelstandspessimismus marxistisch orientierter Ökonomen und Sozialwissenschaftier in Rechnung, muß es nicht verwundern, daß von dieser Seite so gut wie keine Anstrengungen zur Erarbeitung einer Theorie des kleinen oder mittelständischen Unternehmens unternommen wurden; es sei denn, man hielte die fortwährende (und auf die Dauer langweilige) Erneuerung der 'Untergangsprognose' schon für eine elaborierte Theorie. Aber warum auch sollten sich die Marxisten noch mit einem 'Gegenstand' befassen, den sie ohnehin längst auf die 'Abschußliste' der modemen Wirtschaftsgeschichte gesetzt hatten? Angesichts des nach wie vor als sakrosankt vorausgesetzten "Gesetz(es) der zunehmenden Unternehmensvergrößerung" (Hymer 1972: 201)15 lag es eben viel näher, die Forschungskapazitäten auf den großbetrieblichen Sektor zu konzentrieren; zumal ja Marx (1973b: 454) selbst im dritten Band des "Kapitals" die modeme Aktiengesellschaft bereits als "Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise selbst" begrüßte, und man in Fortführung dieses Gedankens das Großunternehmen integral mit dem gesellschaftlichen Fortschritt verknüpft hat. Insofern mag es auch nicht übermäßig verwundern, daß gerade für marxistische Ökonomen und Sozialwissenschaftler jene "Abwertung der Bedeutung alles dessen, was nicht als Mammutunternehmen qualifiziert werden kann", von der E.K. Scheuch (1976: 303) einmal gesprochen hat, charakteristisch ist. Schon im Titel vieler marxistischer Bücher kommt dies zum Ausdruck. Bei R. Hilferding (1968) bspw. ist vom "Finanzkapital" die Rede; und in P.A. Barans und P.M. Sweezys "Monopolkapital" 15 Im Jargon des Neomarxismus der 70er Jahre buchstabierte sich die Konzentrationstheorie nun wie folgt: "Seit Beginn der Industriellen Revolution hat das typische Unternehmen eine Tendenz zur Vergrößerung gezeigt: von der Werkstatt zur Fabrik zum nationalen Konzern zum multidivisionalen Konzern und nun zum multinationalen Konzern." (Hymer 1972: 202; Hervorh. im Orig.)

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2. 'Theoriegeschichte' der Kleinunternehmerforschung

(1968) taucht bereits in der Überschrift jener Begriff auf, den Huffschmid (1975: 4) "als zentrale(n) Begriff der politischen Ökonomie des Kapitalismus" ansprechen will. Kein Wunder also, daß der Beitrag der marxistischen Wirtschafts- und Sozialwissenschaften zum Projekt einer Theorie der Kleinunternehmung insgesamt sehr dürftig geblieben ist: Im Grunde ist man über die akkumulationstheoretische Formulierung der 'Niedergangstheorie' , wie sie sich schon im Marxschen "Kapital" findet, nicht hinausgekommen; statt 'positive' Forschungs- und Theoriearbeit zu leisten, statt die Reproduktionsbedingungen und Erfolgschancen kleiner Unternehmen mit Blick auf historisch-spezifische, ökonomisch, gesellschaftlich und vor allem auch politisch bestimmte Umweltbedingungen konkret auszuloten, haben sich Marxens Schüler und Proselyten damit begnügt, nur immer wieder aufs neue die 'alte Platte' der Untergangsprognose aufzulegen, die im Laufe der Jahrzehnte gewiß zwar zum oftgehörten oldie, deswegen aber um keinen Deut besser geworden ist. Im übrigen sei hier noch angemerkt, daß man eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der für unsere Studie konstitutiven Frage danach, inwiefern und inwieweit die kleinbetrieblichen Reproduktionsbedingungen insbesondere politisch vermittelt und gesetzt sind, von der marxistischen Tradition ohnehin nicht erwarten durfte: Kein Geheimnis ist es ja, daß man hier normalerweise genau 'umgekehrt' gedacht und argumentiert hat, man den Staat als bloßes Anhängsel der 'kapitalistischen Ökonomie' hat sehen, ihn sozusagen zu einer 'abhängigen Variablen' im Geflecht ökonomischer und gesellschaftlicher Interessen hat degradieren wollen. Auf die Idee zu untersuchen, wie der Staat wirtschafts- und wettbewerbspolitisch die Handlungsbedingungen kleiner Unternehmen in grundSätzlicher und vielfaltiger Weise beeinflußt, sind die Marxisten schon allein deshalb nicht gekommen, weil für sie apodiktisch immer schon feststeht, daß es die Monopole und großen Konzerne sind, die nicht nur die Entwicklungsperspektiven der Wirtschaft determinieren, sondern die auch den Handlungsspielraum des von ihnen vermeintlich abhängigen 'Staatsapparates' (vgl. Hirsch 1974) restriktiv begrenzen (vgl. Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik 1988: 211fL). Nach unseren Hinweisen verwundert kaum, daß die marxistische Theorietradition den Kleinbetrieb nicht als ernsthaften Forschungsgegenstand akzeptiert hat. Etwas überraschen muß es nun aber doch, daß man sich auch in der Gegentradition der neoklassischen Ökonomik, die in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zunächst als 'nutzentheoretische' Kritik an der zuletzt

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weitgehend von Marx beherrschten, klassischen 'Arbeitswerttheorie ' begonnen hatte (vgl. Hofmann 1979a: 113ff.) und in der Folge der bahnbrechenden Entwürfe von W.St. Jevons, C. Menger und M.E. Walras rasch zum allgemein anerkannten mainstream der Wirtschaftstheorie avancierte (vgl. Schumpeter 1967: 825ff.), nicht sonderlich um das kleine Unternehmen kümmern wollte. Gerade was die Beurteilung der wirtschaftlichen Entwicklung der modernen Industriegesellschaften anlangte, waren die neoklassischen Ökonomen, allen sonstigen Differenzen zum Trotz, weithin der gleichen Meinung wie ihre marxistisch orientierten Kollegen: Daß die Tage der kleinen Unternehmen gezählt sind, und die Zukunft der großbetrieblichen Produktionsorganisation gehört, galt auch ihnen als ausgemachte Sache. Kein Geringerer als Schumpeter (1987: 62) war es übrigens, der in seinem zuerst 1942 in Amerika erschienenen Werk "Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie" in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen hat, daß "das, was die üblichen Lehrbücher (und da hatte der Autor eben die der Neoklassiker im Auge; B.K.) über dieses Thema sagen" "ziemlich gleich (lautet) wie das", was seinerzeit schon Marx als Begründung für seine 'Konzentrationstheorie' vorgebracht hatte. Dabei muß man gerechtigkeitshalber aber doch anmerken, daß die Neoklassik mit ihrem überaus komplexen Konzept der 'zunehmenden Skalenerträge' ('economies of scale')I6 insgesamt doch etwas differenzierter und raffinierter argumentiert, als uns Schumpeter hier suggerieren will. Ohne allzusehr ins Detail zu gehen, mögen an dieser Stelle die Hinweise darauf genügen, daß es hier in erster Linie um die Behauptung von Kosten- und also Konkurrenzvorteilen der groß- gegenüber der kleinbetrieblichen Produktionsorganisation geht, wobei zur Begründung die verschiedensten Argumente ins Feld geführt wurden und werden (vgl. hierzu z.B. Aiginger/Tichy 1985: 24ff.): Man verweist darauf, daß bei gleichmäßiger Erhöhung des Einsatzes der Inputfaktoren eine technologisch bedingte überproportionale Vergrößerung des Produktionsoutputs auftreten kann; oder darauf, daß zunehmende Skalenerträge darin gründen können, daß für manche Produktionen bestimmte 'Mindestinputs' nicht unterschritten werden dürfen; weiters wird geltend gemacht, daß für größere Unternehmenseinheiten eine Verringerung der Koste;! der Unsicher16 K. Aiginger und G. Tichy (1985: 24) haben, unter Bezugnahme auf einen einschlägigen Überblicksartikel von B. Gold (1981), darauf aufmerksam gemacht, daß das Konzept der 'zunehmenden Skalenerträge' "selten klar formuliert (wurde) ... , so daß sehr Verschiedenes darunter verstanden werden kann und meist auch verstanden wird." Zur Verwendungsweise des Konzepts in der ökonomischen Theorie vgl. bspw. Varian 1985: 20ff.; Barro 1986: 288f.; sowie den von Aiginger und Tichy erwähnten Beitrag von Gold (1981).

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2. 'Theoriegeschichte' der Kleinunternehmerforschung

heit ('stochastic economies of scale'; vgl. Needham 1978) beobachtet werden kann und auf die Möglichkeit der Erzielung von Spezialisierungs- und mithin Standardisierungseffekten hingewiesen; schließlich sei noch erwähnt, daß man Skalenerträge auch insofern annehmen will, als man Großbetrieben eine bessere Forschungsorganisation oder auch den Aufbau effizienterer Vertriebsnetze zutraut als Kleinbetrieben. Die 'Präferenz' des neoklassischen Paradigmas für den Großbetrieb kommt nun auch darin schlagend zum Ausdruck, daß die für das Paradigma insgesamt konstitutive mikroökonomische 'Theorie der Unternehmung' (vgl. Z.B. Coase 1956; Blaug 1980: 175ff.; Varian 1985: 7ff.; Blien 1986: 73ff.) typischerweise mit Blick auf das Großunternehmen modelliert wird. So weisen die Wirtschafts- und Organisationswissenschaftler R.M. Cyert und J.G. March in ihrem Klassiker "A Behavioral Theory of the Firm" (1963: 1; Hervorh. v. uns) selbst darauf hin, daß '''the modern 'representative firm' is a large, complex organization"; und in dieser steht längst nicht mehr der klassische Eigentümerunternehmer - der, wie wir ja gesehen haben, in der Figur des "altmodischen Kapitalisten" (Sweezy 1974: 305; Hervorh. v. uns) auch in der Marxschen Tradition nur noch als Museumsstück bestaunt wird -, sondern der "eigentumslose Manager" (Jungfer 1954: 121) oder "angestellte Gehaltsunternehmer" (Hamer 1984: 38) im Miuelpunkt. 17 In dieser Perspektive hat V. Jungfer (1954) in einem thematisch einschlägigen Aufsatz auch von "Wandlungen des Unternehmerbegriffs im 20. Jahrhundert", so dessen Titel, sprechen wollen. Lassen wir den Autor selbst zu Wort kommen (Jungfer 1954: 112; Hervorh. i. Orig.): "Zweifellos ist es die stürmische Entwicklung zum Großbetrieb, die im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts einsetzte und auch die Wissenschaftler so faszinierte, daß sie, wenn sie von 'Unternehmer' sprachen, ihre Augen lediglich auf die Führer jener großartigen wirtschaftlichen Entwicklung richteten, deren soziale und gesellschaftliche Auswirkungen sie allenthalben verspürten. " 17 Im Jahre 1932 haben A.A. Berle und G. Means in ihrem bald zum Klassiker gewordenen Werk "The Modem Corporation and Private Property" die für die moderne Großunternehmung konstitutive Trennung von Eigentum und Verfügungsgewalt wegweisend untersucht. T. Parsons und NJ. Smelser haben in ihrem Buch "Economy and Society" (1956: 253) bezüglich dieser Studie von "one of the most significant studies in the literature on American economic institutions" gesprochen: "It was an extensive analysis of the 'government' of the type of large corporation whieh by that time already oeeupied the most strategie position in Ameriean business, and on the whole has inereased in relative importanee sinee then." - Vgl. hierzu etwa auch Pross 1965 sowie Pross/Boettieher 1971.

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Die begriffliche Fixierung auf den Großbetrieb hätte zur Folge, so argumentierte Jungfer (ebd.: 111) in diesem Zusammenhang seinerzeit mit Blick auf die "gegenwärtige" ökonomische Wissenschaft, daß "der selbständige Kleinunternehmer ... überhaupt vergessen (wird)". In der Folge ist dieser Vorwurf zwischendurch immer wieder einmal laut geworden. So hat bspw. zwei Jahrzehnte später der amerikanische Ökonom I.M. Kirzner in seinem Werk "Wettbewerb und Unternehmertum" (1978; amerik. Orig. 1973) gegenüber der modemen Neoklassik die Kritik geltend gemacht, daß in deren abstrakten Wettbewerbsmodellen "das unternehmerische Element aus der Analyse ausgeklammert" (Kirzner 1978: 7) werde und die Rolle des Unternehmers "im Marktprozeß ... - besonders in den letzten Jahrzehnten - fast immer ignoriert worden" sei (ebd. 24). Und hierzulande hat G. Schmölders in seinem Buch "Verhaltensforschung im Wirtschaftsleben" (1978: 43) der "Wirtschaftswissenschaft" zur Last gelegt, daß sie sich "mit Person und Funktion des Unternehmers und seiner Bedeutung für den Wirtschaftsablauf ... bisher viel zu wenig und zu oberflächlich beschäftigt" hätte. Damit wollen wir unsere Auseinandersetzung mit dem neoklassischen Paradigma, wie es die akademische Ökonomik an unseren Universitäten nach wie vor dominiert, vorerst beschließen; galt es doch einstweilen nur die Gründe dafür namhaft zu machen, warum die modemen Wirtschaftswissenschaften dem kleinen selbständigen Unternehmen und seinem Eigentümerunternehmer jahrzehntelang kaum Aufmerksamkeit geschenkt haben. Aber nicht nur in den Wirtschafts-, sondern auch in den Sozialwissenschaften galt jahrzehntelang das Dogma vom unaufhaltsamen Niedergang des kleinbetrieblichen Sektors als weithin akzeptierte, forschungsleitende Grundüberzeugung. Wir denken hier in erster Linie an die Theorien der 'Industriegesellschaft' , wie sie im ausgehenden 19. Jahrhundert dezidiert als Gegenentwürfe zur marxistisch orientierten Theorie des 'Kapitalismus' erarbeitet wurden (vgl. Giddens 1982: 29ff.) und noch bis in die letzten Jahre die zeitdiagnostische Diskussion in den Sozialwissenschaften stark beeinflußt, wenn nicht dominiert haben (vgl. Badharn 1984; Beck 1985; Ritsert 1987). Das Konzept der 'industriellen Gesellschaft'18 wurde ursprünglich von H. de Saint-Simon (1965) geprägt, um die Jahrhundertwende von den Gesellschafts18 Vgl. zum Folgenden v.a. das Kapitel "Competing Interpretations: Industrial Society or Capitalism" in A. Giddens' "Sociology" (1982: 29ff.); vgl. desweiteren Badham 1984 und Berger/Piore 1980: 133ff.

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theoretikern E. Durkheim (1977) und M. Weber (1924; 1980) ausgearbeitet und in den 50er, 60er und 70er Jahren von Autoren wie R. Dahrendorf (1957), C. Kerr (1960), R. Aron (1968) oder auch D. Bell (1975; amerik. Orig. 1973) weiterentwickelt. Ohne nun leugnen zu wollen, daß es zwischen den einzelnen Autoren Differenzen im Detail gibt (vgl. Giddens 1982: 32), darf man wohl doch von einem relativ homogenen, paradigmakonstituierenden Kern der verschiedenen Konzeptionen ausgehen; was eben auch rechtfertigen mag, wie es etwa A. Giddens (1982: 3lff.) getan hat, von der 'Theorie der Industriegesellschaft' im Singular zu sprechen ('the theory of industriaI society'). Die einheitliche Idee der verschiedenen Ansätze besteht nun darin, die 'modeme Gesellschaft' von den Grundstrukturen ihrer 'industriellen Organisation' her zu begreifen. Dabei war man der Ansicht, wie es Goldthorpe (1984: 315; Hervorh. im Orig.) auf den Punkt gebracht hat, daß "all technologically and economicaIly advanced societies ... , whether capitaIist or not, displayed essentiaIly similar structural and processual features, which where associated with the requirements and consequences of large-scale industrial production." Aber genau in dieser Hinsicht unterschieden sich die 'Theorien der industriellen Gesellschaft' nun nicht von den marxistischen Entwürfen, von denen sie sich doch so sehr abgrenzen wollten: Über Paradigmagrenzen hinweg ist man sich einig in der Annahme, daß "an industrial society comes into being as technologies based on machine production in large-scale factories for mass markets spread through the economy ... " (Berger/Piore 1980: 133). In ihrem Buch "Creating Capitalism" hat L. Weiss (1988: lf.) auf diese Konvergenzen zwischen den einzelnen Theorierichtungen hingewiesen; ihrer Prägnanz halber sei die entsprechende Passage ausführlich zitiert: "Nowadays there is no need to labour the point that our theories of industrialism and capitaIism have overstated the degree of homogeneity within and between societies. This applies equaIly to Marxist and liberalFunctionalist traditions, each of which has posited some law-like tendency to produce similar economic and sociaI structures. Though such theories disagree about the politicaI outcome of such tendencies they are united in denying significant space to small producers. In these theories of demise, big business capitaIism - symbolized in mass production, the large factory and the giant corporation - is the superior economic form destined to dominate, if not exhaust, economic space. By contrast, small capitaI ... is at best an anachronism destined for the dustbin of economic inefficiency. " Wenn wir an dieser Stelle die Ausführungen in diesem Unterpunkt unserer Studie zusammenfassen wollen, dann soll vor allem schlaglichtartig noch

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einmal hervorgehoben werden, wie sehr Marx mit seiner Prognose vom notwendigen Niedergang der kleinen selbständigen Unternehmen die spätere Theorieentwicklung insgesamt beeinflußt hat: Nicht nur in der marxistischen Tradition, sondern auch in der Gegentradition der ökonomischen Neoklassik und in dem Paradigma der 'industriellen Gesellschaft' wurden die kleinen Unternehmen weitgehend marginalisiert. Allen sonstigen Differenzen zum Trotz huldigten die wichtigsten Traditionen bzw. Paradigmata der modemen Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in seltener Eintracht dem von W. Eucken sogenannten "Mythos von der Zwangsläufigkeit der Entwicklung" (Eucken 1990: 200), den der Autor wie folgt näher charakterisiert hat: "Die modeme Technik führe - so heißt es - zwangsläufig zur Großmaschine und zum Großbetrieb, damit zur Konzentration und zum Monopol ... " (ebd.: 225). Mindestens bis zum Beginn der 80er Jahre, als die von uns schon beschriebene 'Renaissance' der Kleinunternehmerforschung begann, bewegten sich also die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler - bis auf Ausnahmen, auf die wir sogleich zu sprechen kommen werden - ziemlich einhellig im, von Marbach (1942: 60) einst so titulierten, "Bewunderungsgebiet des Kolossalen", ohne groß darüber hinauszuschauen. Deshalb auch vermag die Auseinandersetzung mit dem mainstream verpflichteten Ansätzen für die Orientierung unserer Forschungskonzeption wenig Ertrag zu bringen. Und in der Tat ist das Resultat der Darstellung in diesem Unterpunkt ein ziemlich negatives: Über ein Jahrhundert lang hat man im mainstream der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften mit dem 'Absterben' der Kleinunternehmen gerechnet; und hat es darüber unterlassen, deren Reproduktionsbedingungen und Erfolgschancen konkret zu untersuchen. Um so wichtiger wird es nun für uns, jetzt erst einmal nach den schon von Marbach georteten 'Oasen' im 'Bewunderungsgebiet des Kolossalen' Ausschau zu halten; vielleicht können wir hier ja unseren 'wissenschaftlichen Durst' ein wenig stillen. 2.2.3 Stationen der 'klassischen' Kritik der 'Untergangstheorie' vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis zum zweiten Weltkrieg Im folgenden wollen wir uns nun mit jenen, vom wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen mainstream abweichenden Theoretikern auseinandersetzen, die gegen den "häßlichen Drachen der 'Niedergangstheorie'" (Grünberg 1932: 123) ankämpfen und für die kleinen selbständigen Unternehmen auch in der modemen Industriegesellschaft Überlebens- und Erfolgschancen sehen und ausmachen wollten. Dabei betrachten wir zunächst nur die ('klassische')

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Periode bis zum 2. Weltkrieg, bis zu F. Marbachs "Theorie des Mittelstandes", die noch während der Kriegswirren, 1942 nämlich, erschienen ist. Angemerkt sei hier freilich ausdrücklich, daß unsere Darstellung keineswegs Vollständigkeit anstrebt, geht es uns doch in diesem Kapitel unserer Studie nur darum, den von uns gegenüber der bisherigen Kleinunternehmerforschung erhobenen Vorwurf eines gravierenden 'Politikdefizits' zu substantialisieren. Von daher mag es sich gleichsam von selbst verstehen, daß für uns in erster Linie solche Autoren von Relevanz sind, die das kleine Unternehmen in seinem integralen 'Eingebundensein ' in die übergreifenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systeme analysieren. Deshalb eben liegt uns die exemplarische Bezugnahme auf die wirtschafts- und gesellschaftstheoretisch inspirierten Autoren W. Sombart, J. Wernicke und last hut not least F. Marbach näher als die Auseinandersetzung mit Leuten wie W. Stieda (1905), L. Müffelmann (1913), O. Leimgruber (1923), L.D. Pesl (1926), F. Simiand (1928) oder auch Th. Geiger (1967; zuerst 1932), die ihre Einwände gegen die 'Niedergangstheorie ' nicht in einem vergleichbaren Maße theoretisch fundiert vorgetragen haben.

In diesem Sinne wollen wir uns zunächst mit W. Sombart befassen, der in seinem monumentalen Werk "Der modeme Kapitalismus", in erster Auflage 1902 erschienen, in einem, wie der Autor selbst schreibt, "ausgedehnten und wichtigen Kapitel" (1928f: 882) mit der Überschrift "Die Konzentration" (vgl. ebd.: 816ff.), die Marxsche Prognose einer differenzierten Kritik unterzogen hat. Seine Ausführungen begann Sombart mit dem zweifelsohne zutreffenden Hinweis darauf, daß Marx mit "Folgerichtigkeit sein ganzes System auf dem Begriffe der Konzentration aufbaute" (ebd.: 816) und entsprechend mit "eine(r) immer stärkere(n) Zusammenballung der Betriebe" (ebd.: 817) und dem schließlichen 'Niedergang' der selbständigen Kleinunternehmen überhaupt rechnete. Nicht zu Unrecht sprach Sombart in diesem Zusammenhang von einer "Verabsolutierung des Konzentrationsgedankens" (ebd.) bei Marx, die er freilich als solche, und damit beginnt seine Kritik, "ohne Zweifel (für; B.K.) falsch" hielt (ebd.). Sombart ging davon aus, "daß Marx in wesentlichen Punkten geirrt hat" (ebd.); wobei er immerhin vorsichtig genug war, im unmittelbaren Anschluß folgende Qualifizierung 'nachzureichen': "In wesentlichen Punkten: keineswegs in allen. Denn daß eine gewaltige Konzentrationsbewegung durch unsere Zeit geht: wer möchte es leugnen?" (ebd.) Worin aber bestand nun genau der Unterschied von Sombart zu Marx bzw. den Marxisten? Sombart schreibt hierzu selbst:

2.2 Das Kleinunternehmen in historischer Perspektive

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"Aber was unser Urteil von dem der Marxisten unterscheidet, ist dieses: daß wir eine Verschiedenheit der Entwicklung in den verschiedenen großen Bereichen des Wirtschaftslebens und eine solche in der Entwicklung auch der einzelnen Produktionszweige wahrnehmen zu können glauben. Wir suchen aber diese Verschiedenheit zu erklären mit Hilfe des Begriffes des Betriebsgrößenoptimums, das keineswegs überall dasselbe ist. Die Vergrößerung des Betriebes ist nicht schlechthin rationell, sondern nur bis zu dem Punkte, wo sie das Optimum erreicht. Auch dann also, wenn nur rationale Gründe auf die Betriebsgestaltung Einfluß haben, wird die Konzentration keine grenzenlose sein und sicher keine gleichmäßige." (ebd.) Sombart führt an entscheidender Stelle das Konzept des 'Betriebsgrößenoptimums '19 in die Diskussion ein, um gegenüber Marx differenzierend geltend machen zu können, daß für die modeme Wirtschaft keineswegs eine allgemeine und 'absolute' Konzentrationstendenz postuliert werden darf. Vielmehr müsse angenommen werden, daß das Maß der empirisch erreichbaren Konzentration in manchen Produktionszweigen auf immanente technologische und ökonomische Grenzen stoßen dürfte, was eben die Behauptung einer generellen Konzentrationstendenz von vorneherein ausschließe. In der Auseinandersetzung nun mit der Empirie seiner Zeit kam Sombart zu der Überzeugung, daß zwar "auf allen Gebieten des hochkapitalistischen Wirtschaftslebens eine mehr oder weniger starke Neigung zur Vergrößerung der Betriebe" zu beobachten, es aber nur "in ganz seltenen Ausnahmefällen ... dabei zu einer Konzentration im engeren Sinne gekommen" sei (ebd.: 882; Hervorh. im Orig.); wovon man dann sprechen müsse, wie Sombart näher darlegt, wenn "das Vordringen des Großbetriebes zu einer Zurückdrängung oder gar Beseitigung der kleineren und mittleren Betriebe (führt)" (ebd.). Gerade davon darf aber nach Sombart keine Rede sein, macht er doch mit allem Nachdruck darauf aufmerksam, daß eben die kleineren und mittleren Unternehmen "der Regel nach ... in ihrem absoluten Umfange erhalten (bleiben), ... der Großbetrieb (also) kein schon besiedeltes Land (erobert), sondern ... nur Neuland (besetzt)" (ebd.). Wie wir sehen, weist Sombart die Marxsche 'Niedergangsprognose' letztenendes also zurück; dabei will er sich darauf berufen, daß Klein- und 19 Dabei bezieht er sich (vgl. 1928f: 521) u.a. auf den Klassiker A. Marshall (1891). - Erwähnt sei hier, daß das Konzept der 'optimalen Betriebsgröße' in der modemen Betriebswirtschaftslehre eine große Rolle spielt; aber auch in der neueren Konzentrations- und (wirtschaftstheoretisch ansetzenden) Kleinunternehmerforschung wird immer wieder auf das Konzept Bezug genommen (vgl. z.B. Lenel 1962: 21ff.; Aengenendt-Papesch 1962: 25ff.; Molsberger 1967: 37ff.; Aiginger/Tichy 1985: 23ff.).

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Großbetriebe normalerweise überhaupt nicht miteinander konkurrieren, vielmehr in verschiedenen Sphären operieren, für die auch jeweils unterschiedliche 'Betriebsgrößenoptima' kennzeichnend sind. Und wenn Sombart an anderer Stelle sein Argument dergestalt konkretisiert, daß er darauf aufmerksam macht, daß die Kleinbetriebe, die für ihn als solche noch ganz zum Handwerk rechnen (vgl. ebd: 959), gerade auf den "Gebiet(en) der "individualisierten Arbeit, ... der lokalisierten Arbeit ... (und) der Reparaturarbeit" (ebd.: 961; Hervorh. im Orig.) der Konkurrenz des Großbetriebs widerstehen, dann bringt er jene 'Standardformeln' ins Spiel, wie wir sie in der Kleinunternehmerliteratur fortan stereotyp wiederfinden werden. Betrachten wir abschließend die Sombartsche Marx-Kritik im Überblick, fällt sofort auf, daß Sombart - obwohl er, wie wir in einem späteren Kapitel noch sehen werden, in seinem "Modernen Kapitalismus" ansonsten die 'kapitalistische Wirtschaft' und den modemen 'Nationalstaat' in enger Wechselwirkung sieht - die Frage nach dem 'Überleben' der kleinen Unternehmen angesichts der großkapitalistischen Konkurrenz allein unter Bezugnahme auf technologische und ökonomische Konzepte und Situationsparameter ('Betriebsgrößenoptimum '; Nachfrage nach 'individualisierten' Produkten usw.) beantworten will, aber die Reflexion darauf vernachlässigt, inwiefern und in welchem Maße die kleinbetrieblichen Reproduktionsbedingungen auch und gerade durch die staatliche Wirtschajts- und Wettbewerbspolitik bestimmt und vermittelt sind. Immerhin zeigt die Auseinandersetzung mit Sombarts "Modernem Kapitalismus" schlagend, daß schon frühzeitig namhafte Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler die Zukunftsaussichten der kleinen Unternehmen optimistischer beurteilen wollten als der mainstream. Als zweite 'Ausnahme' drängt sich uns nun J. Wernickes "Kapitalismus und Mittelstandspolitik" aus dem Jahre 1907 geradezu auf; nicht nur deshalb, weil hier der ambitionierte Anspruch erhoben wird, "das erste umfassende wissenschaftliche Werk auf diesem Gebiete" (Vorwort) vorzulegen, sondern auch weil schon im Titel des Buches explizit auf die Sphäre der Politik abgestellt wird. Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß es Wernickes Verdienst war, in seinem voluminösen Werk (es umfaßt mehr als 1000 Seiten!) die gesamte zu seiner Zeit verfügbare Literatur zur 'Miuelstandsfrage' aufgearbeitet zu haben; dabei hat der Autor, wie er schrieb, den Eindruck gewonnen, daß bezüglich der "Aussichten" der Kleinbetriebe "die Ansichten vieler Autoritäten recht

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ungünstig lauten" (Wernicke 1907: 266). Und auch er selbst will erst einmal zugestehen, daß in der Tat "die rasche Entwicklung der Technik und der Massenproduktion" (ebd.: 186; Hervorh. im Orig.) gerade die handwerklichen Kleinbetriebe in der letzten Zeit "mehr und mehr zurückgedrängt und ihnen die Produktion aus der Hand genommen" (ebd.) hat. Aber nichtsdestotrotz möchte Wernicke gegen die vom mainstream hochgehaltene 'Niedergangsprognose' mit allem Nachdruck opponieren, vertritt er doch die Ansicht, daß sich die Erfolgsaussichten der Kleinbetriebe in der Zukunft durchaus wieder verbessern können. So verweist er einmal darauf, daß sich die Lage des Handwerks und der kleinen Betriebe dramatisch verbessern dürfte, wenn sich die Handwerker und Kleinunternehmer darum bemühen würden, sich "technisch und kaufmännisch energisch fortzubilden" (ebd.: 186); zum anderen bringt er den 'elektrischen Kleinmotor' ins Spiel, der fortan in der 'optimistischen' Kleinunternehmerliteratur immer wieder bemüht werden wird:2o "Die Frage ist noch keineswegs entschieden", schreibt Wernicke hoffnungsvoll, "ob nicht die neuzeitlichen Kleinmotore, besonders die elektrischen, wenn die Anwendung der Elektrizität noch weitere Verbreitung und namentlich auch Verbilligung erfahren hat, den Kleinbetrieb auf vielen Gebieten wieder konkurrenz- und lebensfähig machen werden." (ebd.: 304f.; Hervorh. im Orig.) Hier zeigt sich in aller Deutlichkeit, daß sich Wernicke gerade vom ökonomischen und technologischen Fortschritt, wie ihn der elektrische Kleinrnotor für ihn exemplarisch verkörperte, positive Auswirkungen auf die kleinbetrieblichen Erfolgsaussichten erhoffte. Wie man sieht, hielt Wernicke offenbar wenig von dem alten Dogma eines vermeintlich unaufhebbaren Gegensatzes zwischen industriell-technologischer Fortschrittsdynamik und kleinbetrieblichem Wirtschaftserfolg. Und genau in dieser Perspektive ging Wernicke auch über Sombarts, in erster Linie auf das Konzept des 'Betriebsgrößenoptimums' abstellende, Zurückweisung der 'Niedergangsprognose' hinaus: Insofern er nämlich mit allem Nachdruck auf die Möglichkeit verwies, daß vor allem im ökonomisch-industriellen Fortschritt selbst ganz neuartige Erfolgschancen für kleine Unternehmen angelegt sein könnten. Neben dieser eher allgemeinen Überlegung findet sich in Wernickes Buch übrigens noch der etwas konkretere Hinweis darauf, daß der "heute ... allgemein feststehende Grundsatz, daß 20 R. König (1965: 268f.) verdanken wir den Hinweis darauf, daß der elektrische Kleinmotor zum ersten Mal im Jahre 1884, und zwar auf der Turiner Industriemesse, vorgestellt worden ist, also ein Jahr nach dem Tode Marxens!

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der Großbetrieb im allgemeinen dem Kleinbetrieb überlegen ist, weil er leistungsfähiger sei und billiger produzieren, bezw. verkaufen könne" (ebd.: 307; Hervorh. im Orig.), keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen dürfe. So kann es nämlich durchaus sein, daß "der Kleinbetrieb dem Großbetriebe ev. überlegen (ist) in Anfertigung von individuellen Spezialitäten, für die die Maschinenanlagen des Großbetriebs nicht ausgenutzt werden können." (ebd.: 308) Denn, so die Begründung Wernickes: "Der Großbetrieb eignet sich daher in der Regel nicht für die Herstellung derartiger Spezialitäten, sondern mehr für die Fabrikation von gleichartigen Massenartikeln." (ebd.) Wie wir meinen, zeigt unsere Auseinandersetzung mit Sombart und Wernicke, daß sich schon frühzeitig eine vom wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen mainstream abweichende Gegenbewegung zur kleinbetrieblichen 'Untergangstheorie' formiert hat. Dabei zeigen gerade Sombarts originelle Einführung des Konzeptes des 'Betriebsgrößenoptimurns ' und Wernickes Verweis auf die selektiven Vorteile kleiner Unternehmen in der Produktion 'individueller Spezialitäten', daß hier auf hohem wirtschaftstheoretischen Niveau argumentiert wird; zumal wenn man bedenkt, daß gerade Wernickes Gedanke, Jahrzehnte später wiederentdeckt, hinreichen wird, den Weltruhm der Autoren M.J. Piore und Ch.F. Sabel zu begründen, die in ihrer als originell und geradezu 'revolutionär' gefeierten Schrift "Das Ende der Massenproduktion" (1989; amerik. Orig. 1984) im Rekurs auf die Konzepte 'flexible Spezialisierung' und 'differenzierte Qualitätsproduktion' die These profilieren werden, daß sich mit dem Aufbrechen der Strukturen der großbetrieblich organisierten Massenproduktion gerade für kleine, 'flexibel spezialisierte' Unternehmen neue Erfolgschancen eröffnen können. Indes ist nicht nur der Sombartschen, sondern gerade auch der Wernickeschen Position vorzuhalten, daß hier die Reproduktionsbedingungen und Erfolgschancen der kleinen Unternehmen in der modemen Industriegsellschaft nur mit Bezug auf ökonomische Strukturparameter und wirtschaftstheoretische Konzepte diskutiert werden, während auf eine systematische Reflexion der Rolle der staatlichen Wirtschafts- und Wettbewerbspolitik verzichtet wird. Insofern hält Wernickes Buch auch nicht, was der Titel so erwartungsvoll verspricht. Oder anders: Wenn Wernicke von 'Mittelstandspolitik' spricht, dann zielt er in erster Linie auf die Forderungen und Aktionen der verschiedenen Fraktionen der 'Mittelstandsbewegung' , deren 'Praxis' in seinem Buch ausführlich dargestellt wird. Die theoretisch weit interessantere und grundlegen-

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dere Frage aber nach der politischen 'Vermitteltheit' der kleinbetrieb lichen Reproduktionsbedingungen selbst bleibt bedauerlicherweise ungestellt. Gewiß sind Sombart und Wernicke nicht die einzigen Autoren, die in der Zeitspanne zwischen dem ausgehenden 19. Jahrhundert und dem zweiten Weltkrieg der 'Niedergangstheorie' kritisch begegnet sind; etwas näher eingegangen sind wir aber auf die Positionen gerade dieser beiden Wissenschaftler aus dem Grunde, weil hier theoretisch fundierter angesetzt und keineswegs nur aus der Defensive heraus argumentiert wird, also nicht nur darauf beharrt wird, daß sich die 'Niedergangsprognose' , bislang jedenfalls, nicht bewahrheitet hätte, sondern umgekehrt der offensive Versuch gemacht wird nachzuweisen, daß sich im Zuge des industriellen Fortschritts für die kleinen Unternehmen bisher unbekannte Erfolgschancen neu eröffnen können. Radikaler noch als Sombart und Wernicke hat zweifelsohne F. Marbach in dieser Richtung argumentiert. Deshalb auch verdient dessen 1942 erschienene und von R. Krisam (1965: 16) zu Recht als "Standardwerk zur Mittelstandsproblematik" eingeschätzte "Theorie des Mittelstandes" unsere besondere Aufmerksamkeit. 21 Natürlich ist auch für den Marbachschen Ansatz die Bezugnahme auf die Marxsche 'Untergangsprognose' und Konzentrationstheorie konstitutiv. Von Sombart, Wernicke und anderen Autoren unterscheidet sich Marbach indessen insofern ziemlich radikal, als er sich in seiner Kritik an der 'Niedergangstheorie' gerade auf basale Argumentationsfiguren der Marxschen Konzentrationsund Akkumulationstheorie stützen will. Marbach, daran hat unlängst noch einmal B. Franke (1988: 129) erinnert, ist im Grunde nicht anders als Marx davon überzeugt, daß "Konzentration und Monopolisierung" als "Primärtendenzen " der modemen Industriegesellschaft angesprochen werden müssen; und natürlich weiß Marbach auch, daß es "utopisch (wäre) anzunehmen, dass eine Wirtschaft, die Flugzeuge, Automobile, 80 000-Tonnenschiffe (usw.; B.K.) ... produziert, die Standardprodukte in früher nie gekanntem Ausrnass in die Massen wirft, auf rein mittelständischer Grundlage organisiert werden könnte" (Marbach 1942: 70). Aber anders als Marx ist er nichtsdestotrotz davon überzeugt, daß "der Mittelstand ... nicht aussterben", sondern "in einem bestimmten Umfang weiterhin bestehen (wird)" (ebd.). Diese Überzeugung hat Marbach schließlich in der Formulierung seines berühmten Gesetzes von 21 Weit mehr als etwa Sombart und Wernicke gilt in der Literatur Marbach als die klassische Referenz für die Gegenposition zur 'Niedergangstheorie' . Vgl. zur neueren Marbach-Rezeption bspw. Bögenhold 1985: 20f. und Franke 1988: 128ff. 5 Kießling

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der "existenzielle(n) Konstanz des selbständigen, produzierenden Mittelstandes" (vgl. ebd.: 257ff.) zum Ausdruck gebracht, das in Rechnung stellt, daß es immer nur einzelne Kleinunternehmer sind, "aber nicht der Stand bezw. die Klasse, die proletarisiert (werden)" (ebd.: 257; Hervorh. im Orig.). Bemerkenswert ist nun freilich die konkrete Argumentation, mit der Marbach sein 'Gesetz' begründen will. Dabei ist es nicht einmal so sehr seine Strategie, kleinbetriebliche Erfolgschancen in der modemen Industriegesellschaft gerade im Blick auf ökonomische Strukturparameter und unter Bezugnahme auf wirtschaftstheoretische Konzepte ausloten zu wollen, was uns hier aufstößt; das hatten wir ja auch schon bei Sombart und Wernicke positiv gewürdigt, die es ebenfalls nicht versäumt hatten, das kleine selbständige Unternehmen in seinem sozialökonomischen Umfeld zu 'verorten' . Nein, das vor allem anderen geradezu Irritierende an Marbachs Ansatz ist, daß er die 'Niedergangstheorie' im Rekurs ausgerechnet auf die Marxsche Politische Ökonomie widerlegen will! So will er das innovative Erklärungsprogramm seiner "Theorie des Mittelstandes" folgendermaßen spezifizieren: "Wir werden aufzeigen, dass der Mittelstand eine einwandfreie Theorie aus den ökonomischen Lehren der nationalökonomischen Klassiker, namentlich aus Marxens 'Kapital' hätte ableiten können, und wir werden die Theorie darzustellen versuchen." (ebd.: 58) Konkret ausgeführt finden wir dieses Programm im vierten Abschnitt des zweiten Kapitels des Marbachschen Buches; dieser Abschnitt trägt den Titel "Der nationalökonomisch-klassische Grund, der für die Dauerhaftigkeit eines selbständigen Mittelstandes spricht" (vgl. ebd.: 74). Sehen wir also zu, wie Marbach Marx mit dessen eigenen Waffen schlagen will. Marbach beginnt seine Ausführungen mit dem Hinweis darauf, daß der weite Zuspruch, den die 'Niedergangstheorie' findet, "auf der Beobachtung und zugleich Überschätzung der kapitalistischen Entwicklung zur Grossunternehmung (gründet)" (ebd.: 75). Damit ist zunächst einmal klar: Marbach teilt grundSätzlich mit Marx die Überzeugung, daß für die modeme 'kapitalistische Entwicklung' der Zug zur 'Grossunternehmung' charakteristisch ist, macht aber diesem gegenüber sogleich geltend, daß man diese Entwicklung auch nicht 'überschätzen' sollte. Und das, obwohl Marbach Anfang der 40er Jahre doch schon die "Fabriken Fords" (ebd.: 70), und nicht nur die, sondern auch die 'Riesenunternehmungen' vor Augen hatte, wie sie zum Markenzei-

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chen für die Kriegswirtschaften Europas geworden sind (vgl. König 1949: 56; Eucken 1990: 235f.). ' Ganz 'marxistisch' ist nun auch die wirtschaftstheoretische, oder sagen wir vielleicht besser: 'politisch-ökonomische' Begründung, die Marbach zur Erklärung der von ihm selbst bezeugten Entwicklungstendenz zur großbetrieblichen Produktionsorganisation vorträgt: Marbach (1942: 75f.) verweist hier in erster Linie auf das Konzept des 'relativen Mehrwerts', mit dem Marx (1972: 331ff.) im ersten Band seines "Kapital" auf den für konkurrenzieIl strukturierte Marktwirtschaften charakteristischen Zwang zur Verbilligung der Waren vermittels Produktivitätssteigerung, Rationalisierung der Produktionsverfahren, Reduktion der relativen Lohnkosten und Ausdehnung des absoluten Produktionsumfanges abstellte. Soweit argumentiert Marbach ganz auf der Linie der traditionellen und im übrigen wohlbekannten Akkumulations- und Konzentrationstheorie Marxens: Ohne auf Details eingehen zu wollen, können wir zusammenfassend formulieren, daß sich Marbach (1942: 86) eben justament im Rückgriff auf Konzepte aus der Marxschen 'Kritik der politischen Ökonomie' die für seine Zeit typische Entwicklung hin zum "Grosse(n), ... Maschinell-Monumentale(n), ... Amerikanische(n) ... " klarmacht; und wenigstens für einen Moment mag es den Anschein haben, als ob Marbach schließlich doch dem nur allzu verführerischen Charme der 'Niedergangstheorie' erlegen ist: "So schien es tatsächlich, dass der Zwang zur relativen Mehrwertbeschaffung, verbunden mit vermehrter Akkumulierung von Kapital, die mittelständischen Betriebe in relativ kurzer Zeit ausradieren werde." (ebd.: 87) Aber natürlich war dem nicht so; und das Wort: 'schien', gleich am Anfang des letzten Zitats, hätte eine dicke Kursivschrift zu Recht verdient. Unmittelbar im Anschluß an die zuletzt gegebene Stelle heißt es nämlich: "In Wirklichkeit ist die Entwicklungslinie, die wir, ausgehend vom Zwang zur Schaffung relativen Mehrwerts und der Rationalisierung, Maschinisierung und Monumentalisierung der Produktion, gezeichnet haben, nicht falsch. Aber sie ist nicht vollständig, und darin liegt die Hoffnung für den selbständigen Mittelstand, die er, mangels theoretischer Fundierung, viel zu wenig beachtet hat." (ebd.; Hervorh. im Orig.) Für die hier in Aussicht gestellte 'theoretische Fundierung' seines Gesetzes von der 'existenziellen Konstanz des selbständigen, gewerblichen Mittelstan5"

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des', bringt Marbach nun Argumentationsfiguren aus dem Marxschen "Kapital" mit den Konzepten des 'Betriebsgrößenoptimums ' und der 'Produktion individueller Spezialitäten', wie wir sie in den mittelstandstheoretischen Ansätzen Sombarts und Wernickes kennengelernt haben, in einen durchaus originellen Zusammenhang: Mit Marx verweist Marbach darauf, daß die für die modeme Industriegesellschaft charakteristische "Maschinisierung und Monumentalisierung der Produktion ... zu einer Verschiebung der organischen Zusammensetzung des Kapitals geführt (hat), in der Weise, dass nicht nur das konstante im Verhältnis zum variablen, sondern innerhalb des konstanten namentlich das fixe Kapital gewaltig erhöht worden ist." (ebd.; Hervorh. im Orig.) Die modeme 'Grossproduktion' , so Marbach noch immer ganz im Geiste der Marxschen Konzentrationstheorie, sei also ungemein 'kapitalintensiv' und genau deshalb in der Wahl ihrer jeweiligen Produktions-, Absatz- und Marktstrategien wenig elastisch und flexibel: "Die stark maschinisierte, kapitalistische Grossproduktion ist auf möglichst gute, ja in manchen Fällen annähernd auf Vollbeschäftigung angewiesen. Sie ist somit überaus krisenempfindlich. Sie kann kostenmäßig nicht ausweichen während die kleinere, arbeitsintensivere Unternehmung bis hinunter zum Handwerk viel kostenelastischer ist." (ebd.: 88) Dies bedeutet für Marbach nun aber auch, daß es notwendigerweise gewisse Produktionssphären geben muß, die für die kapitalintensive Großproduktion kaum interessant sind: Jene sog. "Produktionslücken" (ebd.: 89), in denen es um die Herstellung von 'speziellen Produkten' geht und wo folglich auch die mindestoptimale Betriebsgröße kleiner ist als in den von den Großbetrieben dominierten Bereichen. Diese 'Produktionslücken' oder 'Marktnischen' , wie man später sagen wird, sind eben so bestimmt, daß in ihnen "mittelständische Unternehmungen bezw. Betriebe ... dem Leistungsoptimum näher kommen als die Grossen. " (ebd.: 61). Wir sehen hier, wie Marbach in der Tat Grundkonzepte der freilich 'etwas' gegen den Strich gelesenen Marxschen Akkumulationstheorie mit Gedanken von Sombart und Wernicke zu einem originellen Argument verknüpft und damit gleichsam 'mittelständischen Lebensraum ' 'erobert': "Die Notwendigkeit, unter allen Umständen gut beschäftigt zu sein, um der Kostenprogression aus dem Wege zu gehen, hat der grosskapitalistischen Tätigkeit namentlich überall dort Schranken gesetzt, wo die Produktion nicht eindeutig auf einen Markt trifft, der Standardartikel nachfragt. Es ist nämlich weiterhin zu beachten:

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Die progressive Maschinisierung der kapitalistischen Produktionsstätten musste sich, um nicht zu ausgedehnt und unwirtschaftlich zu sein, auf die Herstellung normalisierter und typisierter Produkte ausrichten, denn sie ist oft nur wirtschaftlich, wenn sie in Serien arbeitet. Daher kostet die geringste Abweichung vom Normaltyp, so bald auf der Lieferung eines Sonderexemplars bestanden wird, unverhältnismässig viel, wenn überhaupt ein spezielles Exemplar geliefert werden kann. Da nun die Menschen nicht nur Standardartikel nachfragen und weil sich die Serienfabrikation auch auf dem Gebiete der Kapitalgüterherstellung weitgehend durchgesetzt hat, so ergeben sich von der

Grossproduktion nicht betreute 'Produktionslücken " die, um sich eines modern gewordenen Ausdruck zu bedienen, mittelständischen Lebensraumdarstellen." (ebd.: 88f.; Hervorh. imOrig.) Im Grunde ganz ähnlich der Sombartschen, läuft die Marbachsche Argumentation darauf hinaus, daß Groß- und Kleinbetriebe nicht unbedingt in Konkurrenz zueinander stehen müssen, vielmehr sich auch wechselseitig befruchten können: Marbach zufolge tun sich eben gerade im Gefolge der Ausdehnung der modernen, kapitalintensiven Großproduktion immer wieder 'Produktionslücken' auf, in welche die kostenelastischer produzierenden Kleinunternehmen vorstoßen können; wobei Marbach (vgl. ebd.: 89f.) nicht nur an die Produktion 'nichtstandardisierter' , 'individualisierter' Güter, sondern auch an das Gebiet der 'Reparatur' denkt, das ja in der Tat bis auf den heutigen Tag ein geradezu klassisches Betätigungsfeld kleiner Handwerksbetriebe geblieben ist. Auf der anderen Seite unterscheidet sich Marbach aber von Sombart (und auch von Wernicke) gerade darin, daß er die Marxsche Konzentrationstheorie als solche gar nicht einmal kritisieren will; woran er sich stößt, ist nur die Instrumentalisierung konzentrationstheoretischer Konzepte für eine mittelstandspessimistische Argumentation, wie dies ja in der Tat für die Marxsche Position bezeichnend ist. Demgegenüber beharrt Marbach darauf, "dass die gleichen Erscheinungen, die ihn (nämlich den Mittelstand; B.K.) einer raschen und zwangsläufigen Liquidierung entgegenzutreiben schienen, im Verlaufe ihrer Entwicklung aus sich selbst heraus diejenigen Bedingungen erzeugen mussten, die Voraussetzung sind für den weiteren Bestand eines seiner wichtigsten Sektoren, des Gewerbes nämlich und, eines Teiles wenigstens, des Handwerks." (ebd.: 90) Wie wir sehen, verläßt sich Marbach also auf eine durchaus originelle Interpretation der Marxschen Konzentrations- und Entwicklungstheorie, wenn er den von ihm reklamierten

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"nationalökonomisch-klassische(n) Grund" (ebd.: 74) für die 'existenzielle Konstanz' des selbständigen Mittelstandes in der modemen Industriegesellschaft benennen und 'theoretisch fundieren' will. Betrachten wir schließlich die Marbachsche "Theorie des Mittelstandes" im kritischen Überblick, dann sticht neben einer allzu stark ahistorisch orientierten Verallgemeinerung und Verabsolutierung22 der zentralen Aussagen sofort 22 Obwohl sich für den spezifischen Argumentationszweck unserer Studie eine eingehende Kritik der Marbachschen Position eliibrigt, sei hier dennoch, über den im weiteren Text konkretisierten Vorwurf eines 'Politikdefizites' hinaus, der antiempirische Absolutheitsanspruch, den Marbach für seine "Theorie" erhebt, kritisch moniert. In Marbachs Urteil nämlich, daß "der kleine und mittlere Handels- und Gewerbebetrieb ... nicht aus(stirbt), weil er immer notwendig sein wird" (ebd.: 61; Hervorh. v. uns), scheint uns ein Mittelstandsoptimismus zum Ausdruck zu kommen, der erfahrungswissenschaftlich nicht gedeckt ist. Denn, so eine einfache Überlegung, woher will Marbach überhaupt wissen, daß die von ihm gepriesenen 'Produktionslücken' für alle Zeiten 'mittelständischen Lebensraum' darstellen werden? Marbach muß hier, für seine Zeit gewiß zu Recht, unterstellen, daß die in der 'Grossfabrik' eingesetzte Maschinerie "so ausschließlich auf das technisch ganz bestimmt gestaltete Produkt eingestellt (ist), dass die Vornahme von Änderungen unwirtschaftlich wäre" (ebd.: 89), muß also eine rigide und unjlexible Technologie unterstellen, die sich nur für "die Herstellung normalisierter und typisierter Produkte" (ebd.: 88) rechnet, "nur wirtschaftlich (ist), wenn sie in Serien arbeitet" (ebd.). Nun zeigt aber gerade die neueste Entwicklung, daß sich im industriellen Bereich zunehmend Technologien durchsetzen, die in einem solchem Maße 'flexibel' sind, daß in den zukunftsorientierten Szenarien der Industriesoziologen schon die Möglichkeit einer Versöhnung von 'Massenfertigung und Individualität' (vgl. KernlSchumann 1984: 41ff.) in Aussicht gestellt wird. In diesem Sinne sprechen H. Kern und M. Schumann mit exemplarischen Blick auf die Automobilindustrie unverhohlen davon, daß hier bereits 'das Gesetz der Massenproduktion durchlöchert wird' (vgl. ebd.: 40f.), und umreißen das entsprechende 'neue Produktionskonzept' mit folgenden Worten (ebd.: 43f.): "Die durchschnittliche Seriengröße in der Automobilproduktion ist entscheidend heruntergedliickt worden. Es müssen folglich Produktionsmittel und Organisationsformen gefunden werden, die anders als die Methoden industrieller Massenfertigung gerade im mittleren Stückzahlenbereich eine kostengünstige Fertigung gewährleisten. Das neue Rationalisierungs-Paradigma heißt: Effizienz durch Flexibilität. Die Maschinen müssen sich mit geringstem Aufwand für neue (sagen wir vorsichtiger: ähnliche) Teile umliisten lassen (Änderungsflexibilität), besser noch: unterschiedliche Varianten, um nicht zu sagen Modelle, in möglichst chaotischer Folge bearbeiten (Fertigungsflexibilität), einen hohen Mechanisierungsgrad auch bei kleineren Serien zulassen und auch bei Typenwechsel möglichst wiederverwendbar sein." - Aber nicht nur in der Automobilbranche, sondern in der Industrie generell, werden heute von der Wissenschaft 'neue Produktions-' und 'Organisationskonzepte' jenseits von 'fordistischer' und 'tayloristischer' Massenproduktion ausgemacht (vgl. z.B. Fach/Weigel 1986; die Beiträge in Malsch/Seltz 1988; Rosner 1990: 123ff.; Bechtle/Lutz 1989; Altmann et al. 1986; Baethge/Oberbeck 1986; Jäger 1989: 55ff.). Dabei denkt man vor allem an die Strategien der 'flexiblen Spezialisierung' und der 'differenzierten Qualitätsproduktion' . Interessant ist nun, daß man in der Kleinunternehmerliteratur diese flexiblen Fertigungs- und Absatzstrategien bevorzugt für kleine Betriebe reklamieren will und die 'Renaissance' derselben gerade mit ihrem Flexibilitätspotential in Zusammenhang bringt (vgl. z.B. Piore/Sabel 1989; Sabel 1982: 194ff.; Sabel 1983; Sabel/Zeitlin 1985; Maier 1987; Poutsma 1991; Loveman/Sengenberger 1990: 46ff.). Unserer Auffassung nach übersehen hier die 'Kleinunternehmerfans' , daß ja die flexiblen Technologien gerade auch von den kapitalstarken Großunternehmen eingesetzt werden können. Deshalb darf man heute wohl auch nicht mehr die Möglichkeit kategorisch ausschließen, daß es in der Zukunft flexible Großbetriebe geben könnte, die 'individualisierte' Güter in beliebigen Variationen und Losgrößen zu produzieren in der Lage wären. Dann könnte auch so manche 'Pro-

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ins Auge, daß hier ausschließlich auf der ökonomischen Ebene und ausschließlich im Rückgriff auf wirtschaftstheoretische Konzepte argumentiert wird: Auf die Idee aber, danach zu fragen, inwiefern und in welchem Maße der konkrete Verlauf der ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklung und damit auch die Reproduktionsbedingungen und Erfolgschancen der kleinen Unternehmen gerade auch von den Interessen des Staates beeinflußt werden, wie diese in historisch und national variablen wirtschafts- und wettbewerbspolitischen Strategien und Maßregeln zum Ausdruck kommen und geltend gemacht werden, scheint Marbach nicht einmal im Ansatz gekommen zu sein. Marbachs "Theorie des Mittelstandes" stellt den Höhe- und zugleich Schlußpunkt der 'klassischen' Kritik der kleinbetrieblichen 'Niedergangstheorie' dar, wie wir sie vor allem auch mit den herausragenden Namen Sombart und Wernicke verbunden haben: Diese Autoren waren sich einig darin, daß die moderne Gesellschaft im ganzen zwar von der 'großen Industrie' dominiert wird, daß aber das Strukturgeflecht der großbetrieblichen Massenproduktion 'Lücken' aufweist. Entsprechend fokussierte die Forschungs- und Theorieperspektive der 'klassischen' Mittelstandstheorie auf den sozialökonomischen Strukturzusarnmenhang der modernen Gesellschaft, um den darin objektiv enthaltenen bzw. eingelassenen 'mittelständischen Lebensraum' auszuloten. Und wenigstens insofern entspricht der 'klassische' Ansatz auch dem oben von uns formulierten fundamentalen methodischen Prinzip der Kleinunternehmerforschung, daß nämlich, kurz gesagt, die Reproduktionsbedingungen des kleinbetrieblichen Sektors vor allem mit Blick auf die übergreifenden und historisch variablen Strukturen von Wirtschaft und Gesellschaft zu analysieren und zu beurteilen sind. Allerdings haben wir in unserer Auseinandersetzung mit den 'Klassikern' auch sehen müssen, daß diese nicht umfassend genug ansetzen und namentlich darauf verzichten, systematisch zu untersuchen, inwiefern und in welchem Maße die Erfolgschancen der Kleinunternehmen gerade auch von der Sphäre der Politik aus bestimmt werden, sich also

duktionslücke' von den Großunternehmen zurückerobert werden, und die wenigen kritischen Mahner (vgl. Grabher 1988b: 3; Brandt 1990b: 315 ), die gegen die Kleinunternehmereuphorie einwenden wollen, daß das 'Ende der Massenproduktion' noch lange nicht das Ende des Großunternehmens bedeuten muß, behielten das letzte Wort. Aber das sind empirische Fragen, auf die wir heute noch keine schlüssige Antwort geben können. Sicher ist nur, daß man gerade was Fragen der industriellen Entwicklung und der Zukunft des Kleinunternehmens anlangt mit Generalisierungen vorsichtiger als Marbach sein sollte.

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2. 'Theoriegeschichte ' der Kleinunternehmerforschung

mindestens in dieser Hinsicht dessen schuldig machen, was man heute 'öko-

nomischen Reduktionismus ' zu nennen pflegt.

2.2.4 Die Wiederaufnahme der Diskussion nach dem zweiten Weltkrieg: Die handlungstheoretisch ansetzende Kölner Mittelstandssoziologie und die subjektbezogene Tradition der amerikanischen 'small-business'-Forschung Marbachs "Theorie des Mittelstandes" - wie wir gesagt haben: der Höheund Schlußpunkt der 'klassischen' Mittelstandstheorie' - erschien im Jahre 1942: Mitten in den Wirren des zweiten Weltkriegs sollte in diesem Buch die 'Konstanz' des Mittelstandes als perennierendes Strukturprinzip der modemen Industriegesellschaft nachgewiesen und damit das Gespenst der 'Niedergangstheorie' ein für allemal gebannt werden. Kein Wunder also, daß schon bald nach dem Ende des Krieges die wenigen einschlägig orientierten Wissenschaftler sich auf Marbachs "Theorie" besannen. Wir denken hier vor allem an R. König, der in seiner 1949 publizierten Schrift "Soziologie heute" auch auf die 'Mittelstandsfrage' eingegangen ist und in diesem Zusammenhang namentlich auf Marbach verwiesen hat (vgl. König 1949: 68). König ist nun für uns nicht nur deshalb interessant, weil er im Nachkriegsdeutschland wohl als erster an die 'exklusive' Tradition der Kritik am großbetrieblieh orientierten Dogma der 'Untergangsprognose' angeknüpft hat;23 unsere Aufmerksamkeit verdient er gerade auch deshalb, weil er gegenüber der 'klassischen' Kritik eine alternative und durchaus originelle mittelstandstheoretische Argumentation profiliert hat, die in der Folge vor allem von seinen Mitarbeitern in der, seinerzeit an der Universität zu Köln ansässigen, soziologischen Abteilung des im Jahre 1958 gegründeten Köln-Bonner 'Mittelstandsinstitutes' konkretisiert worden ist. Im folgenden wollen wir deshalb hier auch insgesamt vom 'Kölner' Ansatz der Mittelstandstheorie bzw. Kleinunternehmerforschung sprechen. Das Charakteristische an diesem Neuansatz war zunächst einmal die Relativierung jener sozialökonomisch und strukturtheoretisch ausgerichteten For-

schungs- und Theorieperspektive, wie sie für die Klassiker von Sombart über Wernicke bis hin zu Marbach bezeichnend gewesen ist. Dabei hatten König 23 Im Rückblick hat König (1987: 9Of., Anm.; Hervorh. im Orig.) über seine Schrift "Soziologie heute" folgendes geschrieben: "Das wesentliche Ergebnis dieser Arbeit ist die empirische Widerlegung der Marxschen Voraussage vom Verschwinden der Mittelklassen ... "; diese Stelle findet sich in Königs 1987 erschienener Sammlung "Soziologie in Deutschland", in der Teile der früheren Schrift wiederabgedruckt sind.

2.2 Das Kleinunternehmen in historischer Perspektive

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und seine Mitarbeiter gar nicht einmal Grundlegendes gegen die Forschungsresultate der Klassiker einzuwenden. Deren Leitthematik: den Aufweis von in der modernen Industriegesellschaft strukturell angelegten und objektiv existierenden 'mittelständischen Lebensräumen' , hielt man nämlich nur deshalb für, im wahrsten Wortsinne: erledigt, weil man überhaupt keinen Grund sah, an den 'klassischen' Argumenten zu zweifeln. H. Daheim hat diese Überzeugung in seiner Kölner Einführungsvorlesung als Privatdozent im Jahre 196724 prägnant zum Ausdruck gebracht, als er im summarischen Rückblick davon sprach, daß die "Diskussion" der "These vom Untergang der Kleinunternehmen im Zuge der Industrialisierung ... nachweisen (konnte), daß die moderne Wirtschaftsgesellschaft dem Mittelbetrieb, vielfach auch dem Kleinbetrieb, weiterhin Erfolgschancen bietet" (Daheim 1967: 25). Darüber waren sich die Kölner Kleinunternehmer- bzw. Mittelstandsforscher eben mit den Klassikern und gegenüber dem nach wie vor auf den großbetrieblichen Sektor abonnierten mainstream einig: Daß von der modernen Industriegesellschaft und namentlich vom 'Großbetrieb' kaum (mehr) eine Existenzgefahr für die Kleinund Mittelunternehmen auszugehen schien. Indessen hatte man in Köln längst einen anderen 'Feind' des Mittelstandes ausgemacht, der nun freilich nicht mehr von außen, sondern gleichsam von innen kam: So brachte König (1965: 271; Hervorh. von uns) in seinem Aufsatz "Der Gestaltwandel des Mittelstandes" aus dem Jahre 1965 unverhohlen seine Überzeugung zum Ausdruck, "daß die größte Gefährdung den Mittelklassen gelegentlich gar nicht einmal aus der Wirtschaftsentwicklung erwächst, sondern aus ihnen selber." Worauf König damit konkret hinauswollte, erhellt schlaglichtartig aus einer Formulierung, die wir in seiner früheren Schrift "Soziologie heute" finden: "Die eigentliche Problematik der mittelständischen Existenz", schrieb König schon kurz nach dem Krieg und nicht einmal 10 Jahre nach Marbachs "Theorie des Mittelstandes", "liegt aber ganz und gar in der Mentalität." (König 1949: 71). Daheim (1967: 25) hat diese Leitidee später in den folgenden Sätzen griffig zum Ausdruck gebracht: Er war davon überzeugt, daß "man König (wird) zustimmen können, wenn er feststellt, daß die Existenzgefährdung der Klein- und Mittelunternehmer heute nicht so sehr vom Großbetrieb ausgeht, als vielmehr in der Mentalität der Kleinunternehmer selbst begründet ist: Eine rückwärts gewandte, 'zünftIerische' Mentalität hindert vielfach die Nutzung der gebotenen Chancen. " 24 Wir zitieren hier aus der erweiterten Fassung der Vorlesung, wie sie seinerzeit unter dem Titel "Ausbildung und Berufsorganisation als Bedingungen des wirtschaftlichen Erfolges von Kleinunternehmern" in der "Kölner Zeitschrift" veröffentlicht worden ist (Daheim 1967).

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2. 'Theoriegeschichte ' der Kleinunternehmerforschung

Und genau "diesen Ansatz", so Daheim weiter, "haben wir in der soziologischen Abteilung des Instituts für Mittelstandsforschung fruchtbar zu machen versucht. Wir setzen dabei voraus, daß dem Kleinunternehmer Erfolgschancen in unserer Gesellschaft geboten werden, und untersuchen vor allem die sozialkulturellen Bedingungen für erfolgreiches Wirtschaftshandeln. " (ebd.; Hervorh. v. uns) Was sich also die Klassiker noch hart erarbeiten mußten, gerät den Kölner Mittelstandsforschern zur beinahe selbstverständlichen Voraussetzung: An Chancen für Klein- und Mittelunternehmen gäbe es in der modernen Industriegesellschaft keinen Mangel;25 die Frage sei nur, ob die Kleinunternehmer als soziale Akteure die objektiv gegebenen Chancen auch subjektiv zu nutzen verstünden. Damit wird deutlich, wie entschieden sich die grundlegende Forschungsperspektive der Kölner Forscher von der der Klassiker unterschied. Nicht mehr die sozialökonomisch ausgerichtete und strukturtheoretisch ansetzende Begründung objektiver Chancen ist das Thema, sondern die wirtschaftssoziologisch zugeschnittene (vgl. Daheim 1967: 49) und handlungstheoretisch orientierte Frage danach, ob es den Kleinunternehmern gelingt, sich 'an die moderne Wirtschaft anzupassen' (vgl. König 1965: 277); ob diese, konkreter formuliert, in der Lage sind, sich in ihren 'beruflichen Orientierungen' (vgl. Daheim 1969: 595) und in ihrem 'beruflichen Handeln' (vgl. ebd.: 596) auf "die Bedingungen und Möglichkeiten der industriellen Gesellschaft ... einzustellen." (Schöber 1968: 10) Genau in dieser Hinsicht aber wollten die Kölner Mittelstandsforscher den Klein- und Mittelunternehmern indes nicht allzu viel zutrauen; vielmehr meinten sie annehmen zu müssen, daß selbige durch ein "krampfhaftes Festhalten an Mentalitäten, die einer vergangenen Geschichtsepoche angehören" - Schöber (1968: 10) sprach hier von "vorindustriellen Kulturmustern" -, sich "selbst um einen großen Teil (ihrer) Arbeit bring(en)." (König 1965: 278) Konkreter rechneten die Kölner Wissenschaftler damit, daß die bei den Kleinunternehmern vermuteten 'vorindustriellen' bzw. 'traditionalen' Berufsorientierungen die für den Unternehmenserfolg unerläßliche Anpassung namentlich an die für die moderne Industriegesellschaft charakteristischen 'Leistungsnormen' (vgl. Parsons 25 Die Kölner Forscher sind sich einig, daß man über die Argumente, die die Klassiker für ihre These beibrachten, 'heute' nicht mehr zu streiten braucht. Und so kann man sich auch damit begnügen, die 'klassischen' Argumente 'einfach'zu resümieren. Vgl. etwa die folgenden Ausführungen Daheims (1967: 25): "Bestimmte technologische Erfindungen erlauben auch dem kleineren Betrieb eine Rationalisierung seiner Arbeitsprozesse und geben ihm damit als Zulieferer für Großbetriebe sowie als Installateur und Reparateur der Produkte der Großbetriebe wieder eine Existenzbasis. Dazu kommt, daß die steigende Kaufkraft breiter Bevölkerungsschichten Dienstleistungen nachfragt, die früher nur wenigen erreichbar waren. "

2.2 Das Kleinunternehmen in historischer Perspektive

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1954; Dahrendorf 1961; 1965) außerordentlich erschweren dürften (vgl. Daheim 1967: 26). Das ungefähr war die Grundannahrne, die die Kölner Mittelstandsforscher vor allem in den 60er Jahren in einer Reihe empirischer Untersuchungen überprüften und zumindest für die damalige Zeit auch weitgehend bestätigen konnten. Für den von uns verfolgten Argumentationszweck brauchen wir nicht näher auf die einzelnen Forschungsarbeiten eingehen. 26 Zusammenfassend sei hier nur noch einmal unterstrichen, daß es in der Tat das Verdienst der Kö1ner Wissenschaftler gewesen ist, mit allem Nachdruck darauf aufmerksam gemacht zu haben, daß die Reproduktionsbedingungen und Erfolgschancen kleiner und mittlerer selbständiger Unternehmen in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft keineswegs allein sozialökonomisch bestimmt sind; daß vielmehr auch die je spezifischen Muster beruflicher Orientierungen und beruflichen Handeins der Unternehmer über den Wirtschaftserfolg der Kleinunternehmen mitentscheiden. Und genau in der Perspektive dieser Überlegung vennochten die Kölner Mittelstandssoziologen auch über den Objektivismus der klassischen Mittelstandstheorie hinauszugehen, der eben darin bestand, daß aus dem Vorhandensein objektiver Erfolgschancen unvermittelt schon auf den tatsächlichen Erfolg der Kleinunternehmen geschlossen (oder vielleicht besser: 'kurzgeschlossen') wurde. Insofern hatten die Kölner sicher recht, wenn sie darauf beharrten, daß die gesellschaftstheoretisch bzw. sozialökonomisch und strukturtheoretisch orientierte Forschungs- und Theorieperspektive der Klassiker einer wirtschaftssoziologischen und handlungstheoretischen Ergänzung bedarf. Wenn so auch die Kölner Mittelstandsforscher gegenüber den Klassikern zu Recht geltend gemacht haben, daß für die Beurteilung der Reproduktionsbedingungen des kleinbetrieblichen Sektors in unseren fortgeschrittenen Industriegesellschaften der Reflexion auf "die sozialen und soziopsychischen Bedingungen erfolgreichen Handeins von Kleinunternehmern" (Daheim 1969: 593) eine nicht zu unterschätzende methodische Relevanz zukommt, so haben sie sich freilich ebenso wenig wie diese systematisch um die substantielle Fra26 Dem näher interessierten Leser seien die wichtigsten Arbeiten wenigstens kursorisch genannt: Etwa F. Sacks (1966) Untersuchung über die "Integration und Anpassung des Handwerks in der industriellen Gesellschaft"; die Arbeiten von P. Schöber und K. Oelschläger über die "Wirtschaftsmentalität" und das "Finanzierungsverhalten" von Handwerkern (Schöber 1968; Oelschläger/Schöber 1969); schließlich eine empirische Studie von H. Daheim (1987) zum "Unternehmerhandeln im gemeindlichen Kontext einer strukturschwachen Region", die zu Beginn der 70er Jahre durchgeführt wurde, aber erst in den 80er Jahren veröffentlicht worden ist.

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2. 'Theoriegeschichte ' der Kleinunternehmerforschung

ge gekümmert, inwiefern und in welchem Maße gerade der modeme Staat mit seinen wirtschafts- und wettbewerbspolitischen Strategien und Maßregeln das wirtschaftliche Schicksal der Kleinunternehmen maßgeblich beeinflußt. Gewiß gab König (1949: 68) einmal einen knappen Hinweis darauf, daß der "Mittelstand überhaupt weniger ökonomisch als politisch bedroht" werde; und in dem seinerzeit von Daheim spezifizierten 'Modell des Kleinunternehmerhandelns' fand auch die Interaktion des Kleinunternehmers mit den 'Behörden' (vgl. Daheim 1967: 44; vgl. auch Daheim 1987: 19ff.) Berücksichtigung; und natürlich kam den Kölner Mittelstandssoziologen sofort der Staat in den Sinn, wenn sie darüber nachdachten, wer den Kleinunternehmern dabei helfen könnte, die von der modemen Zeit geforderten leistungsorientierten Einstellungsmuster zu entwickeln bzw. zu übernehmen (vgl. Daheim 1972: 554). Eine systematische Behandlung des Verhältnisses von modernem Staat und Kleinunternehmen aber haben die Kölner Mittelstandssoziologen nie beabsichtigt. Die Situation der Kleinunternehmerforschung im Amerika der ersten Nachkriegsjahrzehnte gestaltete sich ganz ähnlich wie in der Bundesrepublik. Na-

türlich war gerade jenseits des Atlantiks der wirtschafts- und sozialwissenschaftliche mainstream großbetrieblich orientiert, waren doch die Vereinigten Staaten spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts die klassische Heimat des big business, der großen Konzerne und der trusts; und natürlich hielt man auch hier durchweg die Tage der Kleinunternehmen für gezählt (vgl. z.B. Lilienthal 1952; Galbraith 1971). Aber nichtsdestotrotz gab und gibt es gerade in Amerika auch eine lange Tradition, in der die Werte beruflicher Selbständigkeit hochgehalten werden. K.B. Mayer und S. Goldstein (1961: 2) sprechen hier vom "American dream of independence", der "still survives". Und dieser Tradition ist es wohl auch zu verdanken, daß sich in den Vereinigten Staaten immer wieder Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler gefunden haben, die, abweichend vom Gros ihrer Kollegen, in der Auseinandersetzung mit den kleinen Unternehmen eine lohnende Aufgabe sehen wollten. Nach dem zweiten Weltkrieg sollte die amerikanische Kleinunternehmerforschung erst in den 60er Jahren wieder in Gang kommen: In ihrem "Smali Business Act" von 1958 beauftragte die Regierung die "Smali Business Administration"27 damit, Forschungsarbeiten zu initiieren, in denen die ver27 Die im Jahre 1953 gegründete "Small Business Administration" ist eine Bundesbehörde, deren Aufgabe die selektive Beratung und Förderung kleiner Unternehmen ist.

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muteten Wettbewerbsnachteile der Klein- gegenüber den Großbetrieben systematisch thematisiert werden sollten (vgl. Daheim 1987: 3). In der Folge kam es auch prompt zu einer ganzen Serie von vor allem soziologisch auf der Handlungsebene ansetzenden Untersuchungen, in denen es - ganz ähnlich wie im Kölner mittelstandssoziologischen Ansatz - darum ging, die "sozialen und psychischen Bedingungen für Erfolg bzw. Mißerfolg von bereits bestehenden wie von neugegründeten Kleinunternehmen empirisch zu untersuchen." (Daheim 1968: 2) Einen (leider nicht veröffentlichten) "Systematischen Bericht" über diese Forschungsarbeiten verdanken wir H. Daheim (1968), der während eines Gastjahres (1967/68) in den Vereinigten Staaten die dortige small business-Szene aufmerksam beobachtet hat; in dem Bericht finden wir die relevanten amerikanischen Forschungsarbeiten umfassend dokumentiert. Schon ein erster Blick in diesen Bericht zeigt, wie groß seinerzeit die thematischen und methodischen Überschneidungen zwischen der amerikanischen small business-Forschung und dem Kölner Ansatz einer handlungs- und subjekttheoretisch orientierten Mittelstandssoziologie waren: Auch in den Vereinigten Staaten setzten die Kleinunternehmerforscher der 60er Jahre voraus, daß in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft für kleine und mittlere Unternehmen Erfolgschancen objektiv vorhanden seien;28 das hielt man nicht weiter für forschungsrelevant, sondern konzentrierte sich stattdessen auf Persönlichkeit, Motivation und berufliches Handeln der Unternehmer, um herauszufinden, ob auf der subjektiven Seite auch die Voraussetzungen für die Nutzung der objektiv unterstellten Chancen vorhanden seien. Hier soll nicht weiter auf die einzelnen Studien eingegangen werden; vielmehr wollen wir uns damit begnügen, drei herausragende Arbeiten, die auch über Amerika hinaus zu Ruhm und Ehre gekommen sind, wenigstens kursorisch zu nennen: Zum einen die stark psychoanalytisch ausgerichtete Studie "The Enterprising Man" von O.F. Collins und D.G. Moore (1964), dann der 28 Bei uns hat man sich (die Kölner Minelstandssoziologen!) in dieser Hinsicht auf die Argumente von Leuten wie Wemicke, Simiand oder auch Marbach verlassen können. In Amerika war es, darauf hat Daheim (1969: 594) hingewiesen, namentlich W. Thorpe (1929), der mit ähnlichen Argumenten in der fortgeschrinenen Industriegesellschaft objektiv vorhandenen 'mittelständischen Lebensraum' abstecken wollte. Daheim (1969: 594) hat die Argumente Thorpes wie folgt resümiert: "Danach können Kleinunternehmer Erfolg haben, wenn sie 1. Güter herstellen oder verarbeiten, die wegen individueller Nachfrage nicht standardisiert werden können, 2. Güter herstellen oder verteilen, für die es nur einen kleinen Markt gibt, 3. Rohmaterialien an Ort und Stelle verarbeiten, weil die Transportkosten hoch oder die Güter leicht verderblich sind, 4. Güter herstellen oder verteilen, die wegen der Transportkosten nur einen lokalen Markt haben, und Dienste leisten oder solche Güter herstellen, deren Produktion nur mit hochqualifizierten Arbeitskräften möglich ist. "

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2. 'Theoriegeschichte' der Kleinunternehmerforschung

Klassiker "The First Two Years: Problems of Small Firm Growth and Survival" von K.B. Mayer und S. Goldstein (1961), schließlich H.B. Pickles Studie "Personality and Succes" (1964), wo schon im Titel die für die amerikanischen small business-Studien überhaupt konstitutive subjektorientierte Forschungsperspektive prägnant zum Ausdruck kam. Gerade mit Blick auf den spezifischen Zuschnitt dieser Forschungsperspektive muß es uns nicht weiter verwundern, daß in den relevanten amerikanischen Untersuchungen die Frage nach dem grundsätzlichen Verhältnis von modernem Staat und kleinbetrieblichem Sektor kaum thematisiert wurde. Wenn man überhaupt auf die Sphäre der Politik referiert hat, dann in der Weise, daß der Staat als Instanz bzw. 'Akteur' vorausgesetzt wurde, der sich eben um die selektive Förderung der wettbewerbsmäßig benachteiligten Kleinunternehmen zu kümmern hätte: Aber diese Unterstellung vermag eine systematische Darstellung der politischen 'Vermitteltheit' der kleinbetrieblichen Reproduktionsbedingungen natürlich nicht zu ersetzen. 2.2.5 Nach der 'Stagnation' in den 70er Jahren: Der überraschende Boom der Kleinunternehmerforschung in den 80er Jahren und die Begeisterung für das 'flexible Kleinunternehmen' und seine vermeintlichen selektiven Vorteile Wir haben soeben gesehen, wie in den 60er Jahren, nicht nur bei uns in der Bundesrepublik, sondern auch in den Vereinigten Staaten, gerade soziologisch (konkreter: handlungs- und subjekttheoretisch) orientierte Ansätze für einen neuen Schwung in der Kleinunternehmerforschung sorgten. Dabei muß hier freilich sogleich angemerkt werden, daß unsere Rede von einem 'neuen Schwung in der Kleinunternehmerforschung' natürlich nicht heißen soll, daß damit die überkommene 'Niedergangstheorie' vom Tisch gewesen wäre. Immerhin hatten wir ja oben selbst darauf hingewiesen, daß die 'Marginalisierung' des Kleinunternehmens für den mainstream in den modernen Wirtschafts- und Sozialwissenschaften zumindest bis Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre charakteristisch geblieben ist; das Gros der Wissenschaftler hielt sich eben, von den Arbeiten der Kölner Mittelstandssoziologen und der amerikanischen small business-Forschung ziemlich unbeeindruckt, nach wie vor an das Leitbild des Großbetriebs, welches sogar noch an Überzeugungskraft gewinnen konnte: Gerade in den 70er Jahren war man in Westeuropa und in den Vereinigten Staaten mehr denn je davon überzeugt, daß in der modernen,

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vom Produktionsmodell des 'Fordismus' (vgl. Berger 1990: 9f.)29 dominierten Industriegesellschaft die kleinen, für ökonomisch wenig effizient erachteten selbständigen Unternehmen nun wirklich nichts mehr zu suchen hätten. Und insofern war es 'forschungspolitisch' (vgl. Daheim 1987: 3) nur konsequent, daß man in den 70er Jahren kaum mehr Ressourcen für die Kleinunternehmerforschung 'vergeuden' wollte; diese kam dann auch in der Tat beinahe für ein ganzes Jahrzehnt fast vollständig zum Erliegen. Wie wir freilich schon in der Einführung zu unserer Studie dargestellt haben, hat sich indes seit Anfang der 80er Jahre die forschungspolitische Situation in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften dramatisch gewandelt: In der Folge der "David Birch story" (Domeyer/Funder 1991b: 5)30 fand die These vom besonderen beschäftigungspolitischen und arbeitsplatzdynamischen Potential gerade kleinerer Unternehmen nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in der Öffentlichkeit der fortgeschrittenen Industrieländer rasch eine zahlreiche Anhängerschaft. Und von heute auf morgen wurde das ehedem weithin 'geschmähte' Kleinunternehmen zu einem prominenten Forschungsobjekt, das man in allen möglichen Dimensionen und Problembezügen 'ausleuchten' wollte. Daß es dabei immer wieder auch und vor allem um die Birchsche Problemstellung ging, muß uns ob deren beschäftigungspolitischer Brisanz nicht verwundern: Ganze Heerscharen von Kleinunternehmerforschern auf beiden Seiten des Atlantiks haben sich von dem amerikanischen Wissenschaftler dazu inspirieren lassen, den Dingen empirisch auf den Grund zu gehen. In der Folge wurde eine Fülle sog. job generation-studies publiziert, in denen man dann auch überwiegend bestätigen wollte, daß kleinere Unternehmen in der Tat einen bedeutenden Beitrag zur Schaffung neuer Arbeitsplätze zu leisten scheinen)1 29 Zum Konzept des 'fordistischen Produktionsmodells' bzw. der 'fordistischen Gesellschaft' vgl. auch die folgende Literatur: Aglietta 1979: 116ff.; Hirsch 1985; Hirsch/Roth 1986: 46ff.; Altvater 1987: 24ff.; Mahnkopf 1988b; BischofflDetje 1989: 29ff.; Hübner 1989: 98ff.; Rosner 1990: 123ff.; Böckler 1991: 209ff., 296ff. 30 Auf Birchs ursprüngliche Studie "The Job Generation Process" aus dem Jahre 1979 haben wir oben schon hingewiesen; hier sei zusätzlich darauf aufmerksam gemacht, daß der Autor 1987 in dem Buch "Job Creation in America. How Our Smallest Companies Put the Most People to Work" eine zusammenfassende Darstellung seiner Thesen und Forschungsergebnisse vorgelegt hat. 31 Vgl. z.B. die einzelnen Beiträge in dem von DJ. Storey (1983) hrsg. Sammelband "The Small Firm. An International Survey", sowie die zusammenfassende Darstellung "Job Generation and Labour Market Change", die Storey im Verein mit S. Johnson (l987a) veröffentlicht hat. Vgl. darüber hinaus die folgende international orientierte Literatur: Fothergill/Gudgin

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2. 'Theoriegeschichte' der Kleinunternehmerforschung

Für den Argumentationszweck unserer Studie erübrigt es sich, auf diese Studien im einzelnen einzugehen. Immerhin sei aber im folgenden auf ein paar in der Literatur gelegentlich vorgebrachte Kritikpunkte aufmerksam gemacht; auf Kritikpunkte, die geeignet sind, die modische Kleinunternehmenseuphorie in ein etwas realistischeres Licht zu rücken. Vor allem im 5. Kapitel werden wir auf die im folgenden vorgestellten und entwickelten Argumente zurückkommen. So ist erstens darauf hingewiesen worden, daß in den meisten Studien die beschäftigungsdynamischen Effekte der Variablen 'Unternehmensgröße' und 'Unternehmensalter' nicht gesondert berücksichtigt und untersucht wurden (v gl. bspw. HUll 1984); mit der Folge, daß man die den kleineren Unternehmen zugeschriebenen job generation-Kapazitäten systematisch überschätzt hat. Empirische Analysen, in deren Design einer entsprechenden analytischen und methodischen Differenzierung Rechnung getragen wurde, konnten nämlich zeigen, "daß es nicht so sehr die kleinen als insbesondere die jungen Firmen waren, die Arbeitsplätze schufen" (Eckart et al. 1987: 37; Hervorh. v. uns). 'Kleinheit' als solche scheint damit noch lange nicht eine besondere Beschäftigungsdynamik zu verbürgen, zumal sich diese (die 'Beschäftigungsdynamik' , nicht die 'Kleinheit'!) mit zunehmendem Unternehmensalter zu verflüchtigen scheint. Dieser Hinweis etwas besonnener argumentierender Kleinunternehmerforscher ist durchaus ernstzunehmen und könnte vielleicht dazu führen, das vermeintliche Arbeitsplatzpotential der kleinen Unternehmen insgesamt doch etwas realistischer zu veranschlagen.

Zweitens wurde die u.E. berechtigte Kritik geäußert (vgl. Fritsch/Hull 1987b; Weimer 1990: 117), daß die job generation-Studien von ihrem methodischen Ansatz her typischerweise als sog. 'Survivor-Analysen' angelegt sind; was bedeutet, daß in die entsprechenden Sampies nur die Unternehmen Eingang finden, die im relevanten Erhebungszeitraum 'überlebt' haben. Daraus resultiert nun der sog. "Survivor-Bias" (Fritsch/Hull 1987c: 150): Die beschäftigungspolitische Bedeutung der kleinen und mittleren Unternehmen (1979); OECD 1985; Storey/Johnson 1987b; Sengenberger/Loveman 1988. Eine Übersicht über bundesdeutsche Studien zur Arbeitsplatzdynamik kleinerer Unternehmen haben M. Fritsch und C.J. Hull (1987c: 154f.) zusammengestellt; hier finden folgende Arbeiten Erwähnung: Schwarting 1979; Friedrich/Spitznagel1981; SteinIe 1982; 1984; Ewers et al. 1984; Fritsch 1984; Hull 1985; Bock 1987; Dahremöller 1986; Eckart et al. 1986; Hunsdiek 1987; Irsch 1986; Kulicke 1987; Schanz/Tengler 1986; Spehl 1987; Weitzel 1986. Zusätzlich sei der Leser auf die folgende Literatur verwiesen: Acs/Audretsch 1987; 1989; OchellSchreyer 1988; Weimer 1990; Cramer 1990.

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wird dadurch und deshalb "systematisch überschätzt", weil aufgrund dieser methodischen Vorentscheidung "Arbeitsplatzverluste infolge von Schließungen während des Untersuchungszeitraumes nicht erfaßt" (ebd.) werden. Solche Schließungen sind aber ohne Zweifel gerade für kleine und junge bzw. neugegründete Unternehmen symptomatisch (vgl. Weimer 1990: 117). Insofern eben scheint uns die Argumentation vieler 'Kleinunternehmerfans' etwas 'verdächtig' zu sein: Man nimmt in die Sampies nur 'überlebende' und also erfolgreiche Kleinunternehmen auf, um dann flugs auf den beschäftigungsdynamischen Erfolg gleich der ganzen Gesamtheit zu schließen. Wenn S. Weimer (1990: 117) hier von einem "considerable distortion effect" spricht, wählt sie eine taktvolle Umschreibung für einen Argumentationsstil, den man mit etwas mehr Temperament auch unter Tautologieverdacht stellen kann. Schließlich ist drittens angemerkt worden, daß die vielgepriesene Arbeitsplatzdynamik der Kleinunternehmen vor allem im Dienstleistungssektor zu beobachten sei (Vgl. z.B. Hof 1984; Tichy 1991a: 19), in dem die Unternehmen ohnehin eher klein sind. Insofern darf angenommen werden, daß der behauptete "gesamtwirtschaftliche Trend zu kleineren Betrieben strukturell bedingt sein (kann), dadurch daß der traditionell kleinbetrieblich organisierte Dienstleistungssektor der Volkswirtschaft ... stark angewachsen ist." (Cramer 1990: 22; vgl. a. Domeyer/Funder 1991b: 5f.)32 Dieser 'Trend' verliert damit natürlich viel von seiner Faszination, weil er so eher als Korrelat des für die jüngste Entwicklung der modemen Industriegesellschaften charakteristischen Strukturwandels hin zum tertiären Sektor gedeutet werden muß, denn als Ausdruck einer vermeintlich außergewöhnlichen 'Dynamik' von industriellen Kleinbetrieben,33 32 Für einen schnellen Überblick über die einschlägigen Theorien der 'postindustriellen' bzw. der 'Dienstleistungsgesellschaft' (vgl. Bell 1975; Touraine 1972; Clark 1940; Fourastie 1954; Fuchs 1968 Gershuny 1981) sei der Leser auf F.W. Scharpfs Aufsatz "Strukturen der post-industriellen Gesellschaft" (1986) und das kenntnisreiche Kapitel "Gängige Übergangsannahmen und die besondere Bedeutung des arbeitsgesellschaftlichen Krisen- und Transformationstheorems" in S. Rosners Buch "Gesellschaft im Übergang?" (1990: 64ff.) verwiesen. Informativ sind auch die einzelnen Beiträge in dem von O. Giarini herausgegebenen Reader "The Emerging Service Economy" (1987). 33 Bereits in der Einführung (Abschnitt 1.2) haben wir darauf hingewiesen, daß die Bereiche 'Industrie' und 'Dienstleistung' heute nicht mehr so einfach auseinanderzuhalten sind wie früher: Symptomatisch hierfür sind jene kleinen Dienstleistungsunternehmen, die Großunternehmen sog. 'produktionsnahe' bzw. 'produktionsbezogene' Dienstleistungen zuliefern. Solche Kleinunternehmen des Dienstleistungsbereichs stellen natürlich eine wichtige Ressource für die Dynamik und Leistungskraft der Wirtschaft insgesamt dar; wobei man allerdings nicht vergessen darf, daß 'die Dynamik' in der Regel von den Großbetrieben ausgeht, die in der strategischen Einrichtung von zwischenbetrieblichen Zuliefernetzwerken ihren eigenen Produktionsprozeß organisieren und effektivieren; kleinere Unternehmen spielen in diesen Netzwerken in der Regel 6 Kießling

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2. 'Theoriegeschichte' der Kleinunternehrnerforschung

Angesichts der genannten Argumente wird es vernünftig sein, gegenüber dem modischen Mythos des 'dynamischen Kleinunternehmens' eine gewisse Reserve zu behaupten; weshalb wir uns auch den Autoren W. Eckart et al. (1987: 29; Hervorh. v. uns) anschließen wollen, die nach einer Sichtung insbesondere der amerikanischen Forschung zu dem Urteil gekommen sind, daß "die Befunde zur Arbeitsplatzdynamik in ihrer Quantifizierung mit größter Vorsicht zu behandeln" seien. Angebracht dürfte es in diesem Zusammenhang sein, vor allem auch auf die "immense Heterogenität und Variabilität" (Kotthoff/Reindl 1990: 16) des kleinbetrieblichen Sektors hinzuweisen: Während hier gewiß hochgradig innovative und dynamische kleine Industrie- bzw. High-Tech-Betriebe anzutreffen sind, dürften letztlich doch die eher marginalen kleinen Handwerks- und Reparaturbetriebe, Kleinläden und Geschenkboutiquen, Eckkneipen, Imbißstände, Flickstuben, Vollkornbäckereien, Softwareshops usw. ungezählter Kleingewerbetreibender und 'Kleinkrämer' (vgl. Bögenhold 1991: 233), 'Selbständiger aus Not' und 'alternativer Selbständiger' (Vgl. Bögenhold 1987: 27ff., 4lff.) weit überwiegen. Wenn sich diese mit ihren Betrieben über Wasser halten können, ist schon viel gewonnen; zur 'driving force' (Acs/Audretsch 1990c:1) unserer Volkswirtschaften wird man sie indes kaum rechnen dürfen. Stellt man dies in Rechnung, kann man G. Tichy (1991a: 21) nur zustimmen, wenn er gegenüber der modischen Kleinunternehmenseuphorie geltend macht, daß "für eine generelle Überlegenheit der kleineren Einheiten ... nicht allzu viel (spricht)" . Nichtsdestotrotz wurde und wird in der zeitgenössischen Kleinunternehmerliteratur eifrig am Mythos des 'dynamischen Kleinunternehmens' 'gestrickt'. Und es sind ja in der Tat genau die von den 'Kleinunternehmerfans' nur, wie es G. Brandt et al. (1990: 370) einmal fonnuliert haben, die Rolle einer "abhängige(n) Variablen". - Darf also schon mit Blick auf die 'produktionsbezogen' tätigen kleinen Dienstleistungsunternehmen mit Fug bezweifelt werden, daß sie jene 'small finns' sind, die Z.J. Acs und D.B. Audretsch (1990c: 1) als die 'driving force' der zeitgenössischen Ökonomie ausmachen wollen, dann mögen solche Zweifel umso mehr bei den Kleinbetrieben angebracht sein, die 'herkömmliche' Dienstleistungen 'produzieren'. Jedenfalls gilt in der wissenschaftlichen wie öffentlichen Diskussion der traditionelle Dienstleistungssektor völlig zu Recht nicht gerade als der Kembereich der Ökonomie. Darauf hat unlängst Audretsch (1989: 5) selbst aufmerksam gemacht. Mit Blick auf die Debatte über die internationale Wettbewerbsfähigkeit der amerikanischen Wirtschaft schreibt er folgendes: "At the heart of the battle for global markets are the manufacturing industries. While the rate of growth in the United States has slowed, the American economy has continued to expand throughout the 1980s(;) ... but a number of economists and policymakers have expressed concem that what growth has been accomplished has emanated from the service sector and not from the manufacturing sector. In the face of high import penetration, plant c10sures and the displacement of jobs in the manufacturing sector by jobs in the service sector, Lee Iacocca ... wams: 'We can't afford to become a nation of video arcades, drive-in-banks and McDonalds hamburger stands. "

2.2 Das Kleinunternehmen in historischer Perspektive

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behaupteten arbeitsplatzdynamischen Qualitäten der kleineren Betriebe, die dafür verantwortlich sind, daß diese in den 80er Jahren nicht nur von der Forschung wiederentdeckt wurden, sondern darüberhinaus auch zum Thema der breiteren öffentlichen und nicht zuletzt politischen Diskussion geworden sind. Auf die politische Variation bzw. Intonation der Thematik werden wir vor allem im 5. Kapitel noch eingehend zurückkommen. An dieser Stelle mag es genügen, eine typische Formulierung vorzustellen; und zwar eine Äußerung des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten J. Rau aus der Zeit Mitte der 80er Jahre: 34 "Wo meine süddeutschen Amtskollegen (seinerzeit waren das L. Späth und F.J. Strauß; B.K.) auf Elefantenhochzeiten tanzen und an immer größeren Rüstungskonzernen puzzeln, da setze ich", so der über die neuesten Forschungstrends bestens informierte sozialdemokratische Politiker, "ganz bewußt auf die innovative Kraft der kleinen und mittleren Unternehmen." Man sieht, daß Rau das in der aktuellen Kleinunternehmerliteratur ziemlich ubiquitäre Klischee des dynamisch-innovativen Kleinunternehmens begeistert aufgreift. Wie weit aber nun in einer solchen Formulierung das 'mittelstandspolitische' Interesse des Staates am kleinbetrieblichen Sektor authentisch zum Ausdruck kommt, soll hier noch nicht untersucht werden. Hingewiesen sei vorerst nur darauf, daß diese Frage für die ThemensteIlung unserer Studie zentral ist: Denn schließlich dürften ja nicht zuletzt Qualität und Intensität des Interesses der maßgeblichen politischen Akteure am kleinbetrieblichen Sektor der Ökonomie die konkrete Ausrichtung der wirtschafts- und wettbewerbspolitischen Strategien nachhaltig bestimmen; und diese wiederum 'beeinflussen' die Reproduktionsbedingungen der kleinen Betriebe grundlegend. Bevor wir uns mit dieser Frage auseinandersetzen wollen, scheint es freilich erst einmal angebracht zu sein, als Voraussetzung für die weitere Argumentation, dem Klischee des 'erfolgreichen Kleinunternehmens ' sozusagen auf den Grund zu gehen. Und das im wahrsten Sinne des Wortes, soll doch eruiert werden, welche Gründe in der zeitgenössischen Literatur genannt werden, um die behauptete außerordentliche Dynamik der kleinen und mittleren Unternehmen argumentativ zu untermauern. Und diese 'Gründe' sind es ja auch, mit denen die 'Kleinunternehmerfans' den verantwortlichen Politikern die selektive Förderung kleinerer Unternehmen ans Herz legen wollen.

34 Rede in Ahlen am 16.12.1985, Ms. S. 26; wir entnehmen die zitierte Stelle einem Beitrag von J. Goldberg (1987: 309) über "Die 'neuen Selbständigen"'.



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2. 'Theoriegeschichte ' der Kleinunternehmerforschung

In diesem Zusammenhang sei zunächst darauf hingewiesen, daß in der zeitgenössischen Literatur eine Fülle solcher 'Gründe' bzw. Argumente dafür namhaft gemacht wird, daß die kleinen Unternehmen in der heutigen Industriegesellschaft nicht nur, allen Unkenrufen zum Trotz: so hartnäckig überleben, sondern, wie gesagt wird, ganz munter florieren. Freilich sind viele der in der aktuellen Diskussion genannten Argumente keineswegs 'originell', finden sich vielmehr schon in der 'klassischen' Mittelstandsliteratur (s.o. Abschnitt 2.2.3) der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts. Insofern können wir uns auch in dieser Hinsicht kurz fassen und auf die entsprechende Darstellung in J. Hilberts und H.J. Sperlings Buch "Die kleine Fabrik" (1990) verweisen. Im Abschnitt "Zur Marktökonomie der Klein- und Mittelbetriebe" stellen die beiden Autoren eine Typologie von vier unterschiedlichen Kleinbetriebstypen vor, die in ihrem Konstruktionsprinzip die in der Literatur stereotyp angeführten Gründe bzw. Argumente für die Persistenz des kleinbetrieblichen Sektors in der modemen Gesellschaft reflektieren (Hilbert/Sperling 1990: 20ff.): Im Verein mit vielen anderen Kleinunternehmerforschern vertreten die Autoren die Überzeugung, daß die Kleinunternehmen als 'Marktzulieferer', 'Marktspezialisten' , 'Markt-Newcomer' oder 'Markt-Lokalisten' auch in den Ökonomien fortgeschrittener Industriegesellschaften eine unverziehtbare Rolle zu spielen vermögen. Wie wir auf den ersten Blick sehen, gibt es hier eine enge Verbindung zu den Gedanken der 'Klassiker': Schließlich stießen wir schon bei der Diskussion der mittelstandstheoretischen Ansätze von Autoren wie etwa W. Sombart, J. Wernicke und F. Marbach immer wieder auf das Argument, daß Kleinbetriebe gerade dann nach wie vor Erfolgschancen haben, wenn sie 'individualisierte' Güter herstellen, sich auf 'Produktionsnischen' spezialisieren und/oder sich auf 'lokalisierte' Märkte ausrichten. Aber es geht in der neueren Literatur eben nicht nur darum, schlicht und bescheiden das bloße' Überleben '35 der kleineren Unternehmenseinheiten in der modemen Industriegesellschaft zu behaupten. Ganz im Gegenteil gehen, wie wir ja bereits gesehen haben, heutigentags die zahlreichen 'Kleinunternehmerfans ' selbstbewußt in die Offensive und attestieren den kleinen selbständigen Betrieben eine solch ausgeprägte "Entwicklungskraft und Leistungs35 So im Titel des zweibändigen Sammelbandes "Tbe Survival of the Small Firm" (Curran et al. 1986aJb). Eine umfassende und durchaus repräsentative Sammlung der verschiedenen 'Überlebensgrunde' wie sie in der neueren Literatur immer wieder genannt werden, findet der Leser in Teil 1 "Tbe Economics of Survival" (vgl. Bannock 1986; Binks/Jennings 1986; Woodcock 1986; HutchinsonlRay 1986) und in Teil 2 "Tbe Survival of Entrepreneurship" (Storey 1986; Chell1986; Bechhofer/Elliott 1986; Scase/Goffee 1986) des ersten Bandes.

2.2 Das Kleinuntemehmen in historischer Perspektive

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fähigkeit" (Wassermann 1991b: 98), daß sie diesen zutrauen wollen, ehedem an den Großbetrieb verlorenes Terrain zurückzugewinnen. Für diesen ehrgeizigen Argumentationszweck wird nun in erster Linie die grundlegende These bemüht, daß kleine Unternehmen auf sich wandelnde Umweltparameter viel flexibler agieren und reagieren können als die ob ihrer rigiden Organisations-, Entscheidungs- und Produktionsstrukturen als nur allzu schwerfällig und behäbig diskreditierten Großbetriebe. Und da 'Flexibilität' heute "vielfach als grundlegende Voraussetzung für ökonomische Prosperität" und "Flexibilisierung dementsprechend als Wunderwaffe gegen Wachstumsschwäche und Beschäftigungsmangel" (Sernlinger 1988: 229) gilt, denken vor allem die vielen 'Kleinunternehmerfans' bevorzugt an die kleineren und mittleren Unternehmenseinheiten, wenn es darum geht, die potentiellen Träger für ein "neues Wirtschaftswunder" (ebd.) auszumachen: "Klein ist flexibel" (Rainnie 1991: 147), lautet konsequenterweise das griffige Motto, unter dem die Argumente für die größenspezifischen Vorteile der kleinbetrieblichen Produktion zusammengefaßt werden. An dieser Stelle muß darauf hingewiesen werden, daß das Modell des "flexiblen Betriebes" (vgl. Atkinson/Meager 1986) in engem Kontakt mit einem ambitionierten produktionstheoretisch und sozialökonomisch orientierten Szenario entwickelt wurde, das Mitte der 80er Jahre von den amerikanischen Ökonomen M.J. Piore und Ch.F. Sabel vorgestellt worden und mittlerweile zu einiger 'Berühmtheit' gekommen ist: Die beiden Autoren sprechen vom 'Ende der Massenproduktion'36 in den fortgeschrittenen westlichen Industrieländern, welche im Zuge der Herausbildung der Strukturen einer 'neuen internationalen Arbeitsteilung' (vgl. hierzu auch Fröbel et al. 1977; 1986) immer mehr in die Entwicklungs- und Schwellenländer 'verlagert' wird, wo vor allem aufgrund niedrigerer Löhne und weniger restriktiver Umweltauflagen die Herstellung von standardisierten Massengütern kostengünstiger ist als bei uns. 36 So der Titel der deutschen Ausgabe des Buches "The Second Industrial Divide. Possibilities for Prosperity" von MJ. Piore und Ch.F. Sabel (1984; 1989), in dem dieses Szenario zuerst ausführlich entwickelt und vorgestellt worden ist. Es ist sicher nicht zuviel gesagt, wenn man darauf hinweist, daß ein Großteil der für die 80er Jahre typischen Faszination für die Kleinbetriebe von diesem Buch seinen Ausgang nahm, wollten doch viele Autoren die Überzeugung vertreten, daß mit den Konzepten des 'flexiblen Betriebes' und der 'flexiblen Spezialisierung' das von Birch beschriebene kleinbetriebliche 'job generation'-Phänomen produktions- und gesellschaftstheoretisch 'fundiert' werden könnte. - Zur Rezeption und Diskussion der 'Theorie' von Piore und Sabel vgl. etwa die folgenden Beiträge: Schwartz 1984/85; Kieser 1985; Brandt 1985; Heilbroner 1985; Erd 1986; Krüger 1986; Williams et al. 1987; Lane 1988; Kenney/Florida 1988; Poliert 1988; Phillimore 1989; Schmitz 1989; Jäger 1989: 59ff.; Rosner 1990: 126ff.; Brandt 1990b; Hirst/Zeitlin 1991.

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2. 'Theoriegeschichte' der Kleinunternehmerforschung

Und genau in dieser Restrukturierung der 'weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung' vermuten Piore und Sabel (1989: 11) den zentralen Grund für "die Probleme Arbeitslosigkeit und nachlassendes Wirtschaftswachstum ... , die in fast allen Industrienationen chronisch geworden sind." Insofern beurteilen sie auch alle herkömmlichen Strategien der Krisensteuerung bis hin zum Aktionsprogramm eines 'multinationalen Keynesianismus' (vgl. ebd.: 280ff.), wie es in den 80er Jahren immer wieder vorgeschlagen worden ist (vgl. z.B. Keohane 1984; Scharpf 1987: 315ff.), einigermaßen skeptisch. Weit mehr Aussicht auf Erfolg scheinen ihnen stattdessen Strategien 'flexibler Spezialisierung' zu versprechen, in denen die Produktion standardisierter Massengüter bewußt in den Hintergrund gerückt und stattdessen auf die 'differenzierte Qualitätsproduktion ' (vgl. Maier 1987) von Kleinserien und hochwertigen Spezialgütern gesetzt wird. Die grundlegende Idee dabei ist, daß die Industrieländer gar nicht erst versuchen sollten, mit den Schwellenländern auf den sog. 'Massenmärkten' zu konkurrieren; stattdessen sollte die Energie von vorneherein auf solche Fertigungsbereiche konzentriert werden, wo man das überlegene technologische know how und das traditionell hoch qualifizierte Arbeitskräftepotential ausspielen kann. Kleine und mittlere Betriebe spielen nun in den Strategien 'flexibler Spezialisierung' deshalb eine besonders wichtige Rolle, weil man aus einer Reihe von Gründen gerade ihnen jene Entscheidungs- und Produktionsflexibilität zutrauen will, wie sie unbedingte Voraussetzung für 'differenzierte Qualitätsproduktion ' ist: In diesem Zusammenhang wird typischerweise immer wieder geltend gemacht, daß die Management- und vor allem Entscheidungsstrukturen in kleineren Unternehmen weniger rigide und bürokratisch 'organisiert' seien als in Großbetrieben und deshalb ersteren die Anpassung an die immer hektischer sich wandelnden 'Moden' einer zunehmend 'individualisierten' Nachfrage 37 leichter fallen dürfte. Dabei wird der Vorteil der kleinbetrieblichen Betriebsorganisation vor allem auch darin gesehen, daß "Informationsbeschaffung, Informationsverarbeitung und Entscheidungskompetenz meist in einer Person - idealtypisch: in der des Inhaberunternehmers - zusammenfallen." (Semlinger 1988: 231) Hinzu kommt, daß die Arbeitskraft in den kleineren Unternehmen im Schnitt höher qualifiziert ist als die in den größeren Betrieben: Auch das 37 Im Zusammenhang mit der aktuellen Debatte über 'Individualisierungstendenzen' in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft (vgl. bspw. Beck 1983; 1986: 121ff.) ist immer wieder darauf hingewiesen worden, daß diese Tendenzen im Wirtschaftssystem gerade auch in zunehmend entstandardisierten bzw. eben: 'individualisierten' Nachfragemustern zum Ausdruck kommen (vgl. bspw. BischofflDetje 1989: 124ff.; Häußermann/Siebel 1987).

2.2 Das Kleinunternehmen in historischer Perspektive

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stellt eine wichtige Voraussetzung für die 'differenzierte Qualitätsproduktion ' dar. Von den angeführten Flexibilitätsressourcen erhoffen sich nun Piore und Sabel, und mit ihnen all die anderen zahlreichen 'Kleinunternehmensfans' unserer Tage, durchaus bedeutende größenspezifische Vorteile der kleinbetrieblichen Produktion, welche gerade in einer ökonomischen Konstellation zum Tragen kommen können, wo eben nicht mehr die Produktion von standardisierten Massengütern im Mittelpunkt steht, sondern die Herstellung hochwertiger Produkte für eine zunehmend 'individualisierte' Nachfrage. Und da die 'Kleinunternehmerfans' zudem darauf setzen, daß die modernen rechnergestützten Technologien, wie sie in der 'differenzierten Qualitätsproduktion' zum Einsatz kommen, immer kostengünstiger und also auch für kleinere Betriebe erschwinglich werden,38 scheint es für sie nur recht und billig zu sein, Qualitäts- und kleinbetriebliche Produktion weitgehend gleichzusetzen. K. Aiginger und G. Tichy (1985: 31) haben in diesem Zusammenhang davon geschrieben, "daß die relative Überlegenheit von größeren und kleineren Firmen von der Art der erzeugten Produkte abhängt: Je mehr Massenproduktion ... , desto größer der Vorteil der Großfirmen, ... je höher der Spezialisierungsgrad, desto größer die Vorteile kleinerer Betriebe. " Und mit Blick auf die aktuellen Trends der Reorganisation der 'internationalen Arbeitsteilung' sind die genannten Autoren zu folgendem zusammenfassenden, freilich überaus vorsichtig formulierten Urteil gekommen: "Angesichts des Abwanderns nicht unerheblicher Teile der Massenproduktion aus den alten Industriestaaten in die südlichen Entwicklungsgebiete Europas und in die Schwellenländer und den dadurch bedingten Zwang, auf neue, hochtechnologische Produkte auszuweichen, wäre eine zumindestens leichte Verschiebung der Effizienz zugunsten der kleineren Betriebe nicht unwahrscheinlieh." (ebd.) Unsere vorstehenden Ausführungen haben es deutlich gemacht: Das Konzept des 'flexiblen Kleinunternehmens' stellt das dominante Paradigma der zeitgenössischen Kleinunternehmerforschung dar. Und es ist eben vor allem "die vielgerühmte kleinbetriebliehe Flexibilität" (Sernlinger 1988: 229), auf die die heutigen 'Kleinunternehmerfans' hinweisen, wenn sie den kleinen und mittleren selbständigen Betrieben eine glänzende Zukunft und den Ökonomien

38 Wir haben es hier mit einer zeitgemäßen Version des altehrwürdigen 'Elektromotorargumentes' zu tun.

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2. 'Theoriegeschichte' der Kleinunternehmerforschung

der fortgeschrittenen Industrieländer einen neuen Aufschwung entlang innovativer Systeme 'flexibler Spezialisierung' prophezeien wollen.39 Wenn wir uns an dieser Stelle an unsere obige Diskussion der 'Mittelstandsklassiker' erinnern, fällt uns natürlich sofort auf, daß das Konzept des 'flexiblen Kleinbetriebs' als solches nicht so 'neu' ist, wie es auf den ersten Blick scheinen mag; schließlich waren sich ja schon Autoren wie Sombart, Wernicke oder auch Marbach darüber einig, daß der Kleinbetrieb dem Großbetrieb in der Produktion 'individualisierter Spezialgüter' überlegen sei. Freilich waren die Klassiker in ihrem 'Lob der Flexibilität'40 etwas zurückhaltender als die heutigen Kleinunternehmerfans. Denken wir hier nur noch einmal an Marbach (1942: 70): Diesem schien es bspw. "utopisch anzunehmen", daß die modeme Wirtschaft "auf rein mittelständischer Grundlage organisiert werden könnte"; im Mittelpunkt des Gesellschaftsbildes Marbachs standen nämlich unangefochten "die Fabriken Fords" (ebd.), weshalb sich dieser auch damit begnügte, sein Gesetz von der 'existenziellen Konstanz des selbständigen Mittelstandes' mit dem relativ 'defensiven' Hinweis auf die in absehbarer Zukunft perennierende Existenz von 'Produktionsnischen' in der ansonsten doch vom System der großbetrieblichen Massenproduktion dominierten modemen Wirtschaft zu begründen. Ganz anders demgegenüber die für die heutige Kleinunternehmerdiskussion geradezu prototypische Argumentationsstrategie der Autoren Piore und Sabel. Mit dem Konzept der 'flexiblen Spezialisierung' wollen sie, wie G. Brandt (1990b: 316) zu Recht angemerkt hat, "ein mit der Massenproduktion konkurrierendes Produktionsmodell " benannt haben, das an deren Stelle treten soll: Piore und Sabel (1989: 329) schwebt das sozialökonomische Zukunftsmodell einer "Handwerkscommunity"41 vor, die sie,

39 In der von G. Loveman und W. Sengenberger (1990: 46) verfaßten Einleitung zu dem Sammelband "The Re-Emergence of Small Enterprises", in dem eine aktuelle 'Bestandsaufnahme' der kleinbetrieblichen Produktion in den führenden marktwirtschaftlichen Industrieländern gegeben wird, kommt dies klar zum Ausdruck: "The explanation for the shift to smaller units that is most pervasive and persuasive in the country reports involves the Piore and Sabel (1984) notion of a crisis in the institutional structure based on mass production and a movement toward an alternative based on flexible specialisation." 40 Diesen Titel trägt w. Krugers (1986) Besprechung des Buches von Piore und Sabel in der Wochenzeitung "Die Zeit". 41 Im amerikanischen Original ist von "craft community" (Piore/Sabel 1984: 303) die Rede. Hier ist nun freilich darauf hinzuweisen, daß die Übersetzung dieses Terminus für die deutsche Ausgabe nicht ganz korrekt ist. Brandt (1990b: 306, Fn. 1) hat diesbezüglich folgendes ausgeführt: "Craft Production meint bei Piore und Sabel, anders als die deutsche Übersetzung dieses Begriffs mit 'handwerkliche Produktion' es nahelegt, klein- und mittelbetriebliche Formen industrieller Produktion. "

2.2 Das Kleinunternehmen in historischer Perspektive

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'Kleinunternehmerfans' durch und durch, uns politisch verfaßt als eine "Republik von Kleineigentümern" (ebd.: 331) vorstellig machen wollen. Die Differenz zu den mittelstandstheoretischen Klassikern kommt aber nicht nur in dem überaus euphorischen Argumentationsstil zum Ausdruck; Unterschiede zeigen sich vor allem auch insofern, als im Mittelpunkt der zeitgenössisch kurrenten Konzepte 'flexibler Spezialisierung' weniger der einzelne Kleinbetrieb als solcher steht, sondern dabei vor allem auf kooperative zwischenbetriebliche Unternehmensnetzwerke abgestellt wird. Als regional fokussierte 'Industriedistrikte ' (' industrial districts') spielen diese nicht nur bei Piore und Sabel, sondern in der neueren Kleinunternehmerliteratur überhaupt eine zentrale Rolle (vgl. etwa Fritsch 1990; Grabher 1993). Dabei handelt es sich um kleinbetriebliche Netzwerke, die regional begrenzt sind, was die Herausbildung von stabilen Strukturen wechselseitigen 'Vertrauens' zwischen den einzelnen Unternehmerakteuren dergestalt begünstigt, daß sich zwischen diesen Beziehungsmuster einer Arbeitsteilung herausbilden können, in denen 'Konkurrenz' und 'Kooperation' so ausbalanciert sind, daß sich für die einzelnen Betriebe und das System insgesamt sog. Synergieeffekte ergeben. 42 Ausgehend von Piore und Sabel (1989: 229ff.) und den Arbeiten italienischer Sozialwissenschaftler (vgl. z.B. Capecchi et al. 1979; Brusco/Sabel 1981) hatte sich die Forschung zunächst auf die in der Folge schnell berühmt gewordenen 'distretti industriali' in Mittel- und Oberitalien konzentriert;43 42 Für die Orientierung der kleinbetrieblichen Netzwerkforschung scheint die herkömmliche, am Gegensatz von 'Markt' und 'Hierarchie' (vgl. Williamson 1975) ausgerichtete, neoklassische Ökonomie wenig zu bieten. Eher schon will man sich in der Auseinandersetzung mit den Unternehmensnetzwerken in 'Industriedistrikten' von den Seitenlinien der ökonomischen Theorietradition inspirieren lassen: Zu nennen sind hier zunächst A. MarshalI, der in seinem Werk "Industry and Trade" (1923: 599ff.) den Terminus 'industrial district' ursprünglich geprägt hat; aber auch O. Hirschman (1989), der in seinen "Abweichenden Betrachtungen" zu "Entwicklung, Markt und Moral" betont, daß Marktbeziehungen ohne einen prinzipiellen Fundus an 'Vertrauen' zwischen den Vertragspartnern überhaupt nicht zustandekommen; auch O. E. Williamson (1981; 1987; 1988; 1990), der in seinen Publikationen immer wieder auf die prinzipielle Möglichkeit der 'Vermittlung' von 'Konkurrenz' und 'Kooperation' hingewiesen hat; schließlich sei hier noch auf Williamsons schwedische Schüler hingewiesen, die versucht haben, dessen Ansatz zu einer allgemeinen Theorie ökonomischer 'Netzwerke' zu erweitern (vgl. HellgrenlStjernberg 1987; Johannisson 1987; JohannissonlMattson 1987): 'Netzwerke' figurieren hier, worauf G. Grabher (l988b: 14f.) aufmerksam gemacht hat, als eine "Zwischenform zwischen preisdeterminierten und hierarchischen Austauschbeziehungen " . 43 Man hat in diesem Zusammenhang auch von dem sog. 'Emilian model' (vgl. Brusco 1982) oder dem 'Bologna model' (vgl. Storey/Johnson 1987a: 143ff.) gesprochen. - Einen guten Überblick über den aktuellen Forschungsstand vermittelt eine Monographie A. Bagnascos ("La costruzione sociale dei mercato. Studi sullo sviluppo di piccola impresa in ltalia"; 1988) sowie die einzelnen Beiträge zweier repräsentativer Sammelbände (vgl. GoodmanlBamford 1989; Pyke et al. 1990).

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2. 'Theoriegeschichte ' der Kleinunternehmerforschung

mittlerweile sind aber auch in anderen Ländern Regionen mit kleinbetrieblichen Kooperationsnetzen beobachtet und zum Gegenstand der Forschung gemacht worden (vgl. z.B. Raveyre/Saglio 1984; Maier 1987; Grabher 1988b; Lorenz 1988; Hilbert et al. 1991). Ob nun freilich das in 'zwischenbetriebliche' Kooperationsnetzwerke und 'Industriedistrikte' eingebundene 'flexible Kleinunternehmen' wirklich so dynamisch, leistungsfähig und beschäjtigungspolitisch erfolgversprechend ist, wie uns die zeitgenössischen 'Kleinunternehmerfans' in ihrer Euphorie glauben machen wollen, scheint mit Blick auf die Empirie letztlich doch bezweifelbar zu sein. Wir jedenfalls sind der Überzeugung, daß man den kleinen Unternehmenseinheiten etwas zuviel zutraut, wenn man sich vorrangig von ihnen einen Ausweg aus der notorischen Wirtschafts- und Beschäftigungskrise erhofft. Und so erscheint uns auch die von W. Wassermann (1991b: 98; Hervorh. v. uns) in seinem vor kurzem erschienenen Beitrag "Wirtschaftswunder durch kleine Betriebe" aufgeworfene Frage danach, ob "die italienischen 'industrial districts' ... ein Modell für die neuen Bundesländer" abgeben können, um dort für wirtschaftliche Prosperität zu sorgen, fast ein wenig grotesk zu sein: Die 'Kleinunternehmerfans' tun so, um einmal mehr ein Zitat aus Marbachs (1942: 70) "Theorie des Mittelstandes" zu bemühen, als ob "eine Wirtschaft, die Flugzeuge, Automobile, 80 000-Tonnenschiffe, Gleichrichter, Turbinen, Eisenbahnen, Glühlampen, Cibazol und Radium produziert ... (,) auf rein mittelständischer Grundlage organisiert werden könnte." Schon vor 50 Jahren hat Marbach diesbezüglich von einer 'utopischen' Vorstellung gesprochen; und es scheint uns auch und gerade heute Gründe genug dafür zu geben, wieder an die Worte des Mittelstandsklassikers zu erinnern. Unsere entsprechenden Bedenken seien im folgenden noch etwas konkretisiert. Fürs erste sei darauf aufmerksam gemacht, daß kein Geringerer als F. W. Scharpf (1987: 332) - und zwar in dem "Hoffnungen am Ende der achtziger Jahre" titulierten Schlußkapitel seines Buches "Sozialdemokratische Krisenpolitik in Europa" - die 'flexible Spezialisierung' zu den "attraktiven Rezepten" gezählt hat, die gegen die notorische Wirtschaftsschwäche in den fortgeschrittenen Industrieländern in Anschlag gebracht werden könnten. Dabei darf man freilich die feinen Qualifizierungen, die Scharpf, explizit und implizit, angebracht hat, nicht übersehen. Lassen wir den Autor selbst ausführlich zu Wort kommen:

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"Die 'flexible Spezialisierung' auf qualitativ hochwertige Produkte und eine differenzierte Nachfrage ... hat der deutschen Automobilindustrie die Expansion in der Krisenperiode ermöglicht ... , und die Kombination der produktivitätssteigernden Möglichkeiten der Mikroelektronik mit dem hohen Qualifikationsniveau der deutschen Facharbeiter ... hat der deutschen Industrie insgesamt eine im internationalen Vergleich hohe Wettbewerbsfähigkeit gesichert ... " (ebd.: 332f.). Wie man sieht, gewinnt Scharpf der 'flexiblen Spezialisierung' durchaus positive Aspekte ab; aber nichtsdestotrotz weigert er sich, in die Euphorie der 'Kleinunternehmerfans' einzustimmen: Für ihn zählt nämlich die 'flexible Spezialisierung' zu den "mikroökonomischen Strategien", mit denen "sich Wettbewerbsvorteile gewinnen oder verteidigen (lassen)", durch die sich aber keineswegs "die makroökonomischen Restriktionen außer Kraft setzen ließen, die derzeit das wirtschaftliche Wachstum in den Industrieländern insgesamt begrenzen. Deshalb werden nach aller Voraussicht weder die Förderung der High-Tech-Industrien ... noch die durch Mikroelektronik und flexible Fertigungsorganisation erziel baren Produktivitäts-Vorsprünge ausreichen, um im Laufe des nächsten Jahrzehnts die Vollbeschäftigung in jenen Ländern zurückzugewinnen, in denen heute Massenarbeitslosigkeit herrscht." (ebd.; Hervorh. v. uns) Um nur auf ein Exempel der von Scharpf genannten 'makroökonomischen Restriktionen' knapp hinzuweisen: Da wo die gesamtwirtschaftliche Nachfrage auf chronisch niedrigem Niveau stagniert, können auch die von den 'Kleinunternehmerfans' mythologisierten 'flexiblen Kleinbetriebe' kaum eine nachhaltige Belebung der Ökonomie bewirken.

Im übrigen erhellt aus dem angeführten Zitat, daß Scharpf mit vollem Recht 'flexible Spezialisierung' für eine Strategie hält, die keineswegs nur kleinen Unternehmen zur Verfügung steht: Während nämlich in der Kleinunternehmerliteratur nur allzu voreilig und gern der Eindruck erweckt wird, daß 'flexible Spezialisierung' und 'flexibler Kleinbetrieb' notwendig zusammengehören, hat Scharpf in erster Linie Großunternehmen (bspw. die der Automobilindustrie) im Auge, wenn er von 'flexibler Spezialisierung' spricht. 44 Und 44 An dieser Stelle verdient erwähnt zu werden, daß vor allem auch die ausgesprochenen 'Kleinunternehmerfans ' Piore und Sabel für die empirische Illustration ihres Konzeptes der 'flexiblen Spezialisierung' wiederholt auf Beispiele gerade aus dem großbetrieblichen Sektor verweisen. Hierauf hat bereits G. Brandt (199Ob: 315f.) in seiner fundierten Kritik des Buches von Piore und Sabel aufmerksam gemacht: "Hervorgehoben zu werden verdient zunächst, daß einige der von den Autoren angeführten Belege für eine Renaissance der Craft Production beziehungsweise eine Tendenz zur flexiblen Spezialisierung sich nicht auf klein- und mittelbetriebliehe, sondern auf großbetriebliehe Produktionsformen beziehen, die hinsichtlich der dominanten Produktionsverfahren der Großserien- und der Massenproduktion entsprechen. So lassen sich die

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2. 'Theoriegeschichte' der Kleinunternehmerforschung

das gewiß zu Recht: Schließlich ist es ja kein Geheimnis, daß gerade Großbetriebe mit den verschiedensten Dezentralisierungs- und Kooperationsstrategien auf die immer 'turbulenter' werdenden 'wirtschaftlichen Umwelten' antworten. So wird in der neueren wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Literatur immer wieder darauf hingewiesen, daß sich die 'Installation' (vgl. Brandt et al. 1990: 370) und 'Organisation' von industriellen Netzwerken vor allem den Zwecken großer Unternehmen verdankt, die versuchen, mit den innovativen Kooperationsmustern betriebsübergreifender 'systemischer Rationalisierung'45 und der Ausgliederung bestimmter produktiver Teilbereiche in selbständige Zulieferunternehmen (Verringerung der Fertigungstiefe)46 ihre Produktionskosten zu senken. Nach Sichtung der einschlägigen Literatur sind wir jedenfalls zu der Überzeugung gelangt, daß es in den 'flexiblen zwischenbetrieblichen Unternehmensnetzwerken' keineswegs in erster Linie um die Kooperation von kleinen Unternehmen untereinander geht; vielmehr scheint uns hier, mit Blick auf gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge, vor allem die Zusammenarbeit von Groß- und Kleinbetrieben im Vordergrund zu stehen. G. von den Autoren im Anschluß an deutsche Forschungserfahrungen angeführten Anhaltspunkte für RequalifIzierungstendenzen in der chemischen Industrie kaum als Indizien für das Aufkommen einer neuen Form der Craft Production, sondern allenfalls für eine, möglicherweise folgenreiche, ModifIkation des überkommenen Typus der Massenproduktion interpretieren. Tatsächlich scheint es sich so zu verhalten, daß die Konzerne als Träger des Systems der Massenproduktion im Begriff sind, den aufgrund systemimmanenter Entwicklungstendenzen veränderten Kontextbedingungen mit Strategien zu begegnen, die sich bewußt des Prinzips der flexiblen Spezialisierung bedienen, um es in die überkommene Produktions- und Organisationsstruktur der Massenproduktion einzubeziehen. Angeführt zu werden verdienen in diesem Zusammenhang Ansätze zu einer Dezentralisierung der Unternehmensorganisation und zur Verselbständigung nachgeordneter Unternehmenseinheiten; die Ausgliederung ganzer Produktionslinien nach dem Vorbild des auch von Piore und Sabel erwähnten japanischen zaibatsu-Systems; die Enthierarchisierung der vertikalen und die Flexibilisierung der horizontalen Organisationsstruktur; und natürlich die von Horst Kern und Michael Schumann unter dem Titel der Neuen Produktionskonzepte dargestellte Reintegration der Arbeitsaufgaben, die im Kernbereich der industriellen Produktion mit einer RequalifIzierung und Reprofessionalisierung einherzugehen scheint. All diese Ansätze werden von den Autoren durchaus erwähnt, jedoch in der Regel als Anhaltspunkte für ein mit der Massenproduktion konkurrierendes Produktionsmodell, nicht aber, auch nicht im achten Kapitel, das es mit den Antworten der Großunternehmen auf die Krise zu tun hat, für eine ModifIkation des Systems der Massenproduktion und damit für eine Strategie behandelt, mit der dieses System sich erfolgreich den veränderten Umweltbedingungen anpaßt. " 45 Vgl. hierzu etwa Altmann et al. 1986; Baethge/Oberbeck 1986: 20ff.; KernlSabel 1989 sowie die einzelnen Beiträge in den folgenden repräsentativen Sammelbänden: AltmannlSauer 1989; BergstermannlBrandherm-Böhmker 1990; Hilbert et al. 1991. 46 Zur näheren Information vgl. bspw. die folgenden Beiträge: Münzner 1985; HinterhuberlVogel 1986. Sog. 'just-in-time'-Verbundsysteme sind vor allem in der Automobilindustrie in sozialwissenschaftlicher Perspektive erforscht worden. Vgl. hierzu etwa die folgende Literatur: Dankbaar et al. 1988; Jürgens et al. 1985; Jürgens/Gutzler 1987; Jürgens et al. 1987; Jürgens/Reuner 1989; BochumlMeißner 1988a,b,c; Doleschal 1989; DoleschallKlönne 1989 sowie die einzelnen Beträge in Mendius/Wendeling-Schröder 1991.

2.2 Das Kleinunternehmen in historischer Perspektive

93

Grabher (1988b: 48) hat diesbezüglich von 'Veränderungen in der Arbeitsteilung zwischen Groß- und Kleinunternehmen' und namentlich davon gesprochen, daß "die zunehmende Turbulenz der ökonomischen Umwelt ... das unter stabilen oder in ihrem Wandel langfristig absehbaren Bedingungen effiziente Organisationsmodell des autarken Großunternehmens zur Disposition (stellt)": Die entsprechenden Netzwerke werden von den Großunternehmen in der Perspektive des Zweckes institutionalisiert, eine optimalere Anpassung der betrieblichen Produktion an die zunehmende Umweltkomplexität zu ermöglichen. Daß diese Netzwerke von den Großbetrieben dominiert werden, steht ganz außer Frage: Die Kleinunternehmen (bspw. als Zulieferfirmen) hingegen vermögen in aller Regel nur die Rolle "eine(r) abhängige(n) Variable(n)", wie es Brandt u.a. (1990: 370) so prosaisch wie treffend ausgedrückt haben, zu spielen. Vor allem aufgrund mangelnder Kapitalstärke fehlt ihnen eben die Potenz dafür, "den Großunternehmen ... Paroli bieten zu können" (ebd.); die in der Literatur stereotyp erwähnten "Vorteile, die Kleinunternehmen gegenüber Großunternehmen haben, wie z.B. eine größere Dynamik des Managements oder die Fähigkeit, Marktnischen zu besetzen" (ebd.) allein reichen dafür nämlich keineswegs aus. Was den Kleinunternehmen in aller Regel fehlt, ist die "Strategiefähigkeit" (vgl. Mendius et al. 1987: 211ff.),47 die Fähigkeit also, die Parameter der relevanten Umwelt in aktivem Gestus verändern zu können. An dieser Stelle sei noch einmal auf den Beitrag "Organisatorische und technologische Innovation in der Industrie und ihre gesellschaftlichen Implikationen" von G. Brandt u.a. (1990: 369) hingewiesen, in welchem dem modischen Mythos des 'flexiblen und dynamischen Kleinunternehmens' mit geziemender Skepsis begegnet wird: Während die Autoren mit Blick auf die Empirie in den fortgeschrittenen Industriegesellschaften durchaus konzidieren wollen, "daß kleineren Unternehmen aus schmalen Marktsegmenten heraus Markterfolge beschieden waren, die sie in die Lage versetzen, neue Märkte zu erschließen", geben sie schließlich doch nachdrücklich zu bedenken, daß diese unbezweifelbare "Tatsache ... nicht darüber hinwegtäuschen (darO", daß die Kleinunternehmen, "solange sie eine bestimmte finanzielle Stärke nicht erreicht haben, kaum Möglichkeiten haben, in Projekte mit einem hohen Anteil 47 So schon V. Domeyer und M. Funder (l991b: 47) in ihrem Beitrag "Soziologische Aspekte der Kleinbetriebsforschung": "Die ernüchternde Aussage - um euphorische Bilder einer Rückkehr zu dezentralen, wettbewerbskräftigen und umweltresistenten Produktionsweisen in kleinen transparenten Einheiten zu vermeiden - unserer Untersuchung ist aber auch, daß Strategiefähigkeit in der kleinbetrieblichen Praxis überwiegend nicht existiert. "

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2. 'Theoriegeschichte' der Kleinunternehmerforschung

an Grundlagenforschung zu investieren." (ebd.) Interessant ist auch der Schluß, den die Autoren (ebd.: 369f.) aus dieser Feststellung ziehen: "Historisch hat das zu dem paradoxen Resultat geführt, daß Großunternehmen die technologischen Voraussetzungen bereitgestellt haben, die zur Basis des Erfolgs kleinerer Unternehmen wurden." Und im unmittelbaren Anschluß (ebd.: 370): "Obwohl es häufig so scheint, als falle kleinen und mittelgroßen Unternehmen die Aufgabe zu, wichtige technische und damit soziale Innovationen zu initiieren, kann man doch feststellen, daß sie oftmals von Anfang an eng mit Großunternehmen verknüpft sind oder es über kurz oder lang sein werden." Wobei hinzuzufügen ist, daß für die Großunternehmen vor allem die 'erfolgreichen' Kleinunternehmen 'von Interesse sind': Gerade sie werden bevorzugt in Kooperationsnetzwerke eingebunden, wo sie nämlich um so effizienter von 'den Großen' kontrolliert und für deren Zwecke eingespannt werden können. Als schließliches Fazit der Ausführungen in diesem Abschnitt müssen wir also formulieren, daß das in der zeitgenössischen Kleinunternehmerliteratur geradezu 'mythologisierte' Konzept des 'flexiblen Kleinunternehmens ' doch mit einiger Zurückhaltung beurteilt werden sollte: Bei näherem Zusehen erweisen sich Systeme 'flexibler Spezialisierung' nur allzu oft als von Großunternehmen dominierte Kooperationsnetzwerke, in welche 'die Kleinen' bevorzugt als Zulieferbetriebe integriert sind; diese befinden sich hier typischerweise in "eine(r) Abhängigkeit vom Auftraggeber ... , die von Selbständigkeit bloß noch das Risiko überläßt." (Tichy 1991a: 25)48 Es ist das Verdienst von 48 G. Grabher (1989: 99) spricht hier auch von "bisweilen feudalen Abhängigkeitsbeziehungen zwischen den dominanten Großunternehmen und den regionalen Zulieferindustrien". Sehr nüchtern liest sich im übrigen auch K. SemJingers (1989: 111f.) Erörterung der "Stellung und Probleme kleinbetrieblicher Zulieferer im Verhältnis zu großen Abnehmern" (so der Titel des entsprechenden Beitrages); das zusammenfassende Urteil des Autors sei dem Leser im Wortlaut vorgestellt: "Die bisherige Entwicklung und die innere Logik der zunehmenden unternehmensübergreifenden Vernetzung deuten darauf hin, daß ein sich ausweitender Zulieferungsmarkt nicht ohne weiteres als Entwicklungschance für Kleinbetriebe angesehen werden kann. Spielen sie bereits heute in der direkten Teilezulieferung für die Massenfertigung von Großunternehmen aus Sicht dieser Großunternehmen nur eine Nebenrolle, so besteht die Gefahr, daß sie infolge der mit der Ausweitung des Fremdleistungsbezugs einhergehenden Intensivierung der Austauschbeziehungen noch weiter an den Rand gedrängt werden." Ganz in dieser Perspektive argumentiert auch A. Rainnie (1991:147) in seinem Beitrag "Just-In-Time, Zulieferwesen und Kleinbetriebe". Hierin setzt sich der Autor sehr kritisch mit "der oft aufgestellten Behauptung auseinander, daß sich eine Entwicklung in Richtung einer Just-in-time-Abnehmer/Lieferantenbeziehung für den Zulieferbetrieb im allgemeinen und K1ein- und Mittelbetrieb ... im besonderen bezahlt macht". Nach der ausführlichen Prüfung vorliegenden empirischen Materials kommt Rainnie zu folgendem 'deprimierenden' Ergebnis: "Es scheint, als ob JIT trotz der schönen Worte die meisten kleinen Zulieferbetriebe zu einer ungewissen Abhängigkeit verdammt. Insbesondere die K1ein- und Mittelbetriebe, die weitestgehend als Erstlieferanten nicht in Frage kom-

2.2 Das Kleinunternehmen in historischer Perspektive

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K. Semlinger (1988: 230), in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen zu haben, daß die kleinbetriebliehe Flexibilität eine "janusköpfige Gestalt" besitzt: Sein Argument ist, daß diese keineswegs nur, wie es die 'Kleinunternehmerfans' gern suggerieren, in der Eigenschaft "aktiver Beweglichkeit" (ebd.: 231) besteht, sondern oft nur "passive Beugsarnkeit" (ebd: 232) bedeutet. Diese ist aber gewiß keine dynamische Tugend, sondern Ausdruck und Resultat der mangelnden kleinbetrieblichen Strategie- und Handlungsfähigkeit. Und genau diese Qualität ist es, die kleinbetriebliche Zulieferer als probate Manövriermasse für ihre großbetrieb lichen Abnehmer so interessant macht. Kooperationsnetzwerke stellen eben nicht nur eine Chance für die kleineren Unternehmen dar, sondern bergen immer "auch die Gefahr der einseitigen Ausnutzung", wie K. Semlinger (1993: 47) unlängst in seinem Aufsatz "Fallstricke und Hemmnisse zwischenbetrieblicher Kooperation" angemerkt hat. 49

men, werden an den Rand gedrängt und müssen in kleinen spezialisierten oder geographisch abgelegenen Märkten arbeiten, bei Engpässen einspringen und sich mit den Brosamen vom Tisch der Großen zufriedengeben. Das ist alles andere als die von den JIT-Anhängern versprochene neue Welt, und für die Klein- und Mittelbetriebe hat sich somit eigentlich nichts geändert." (ebd.: 176) - Zuguterletzt sei in diesem Zusammenhang noch auf die Autoren U. Mayer und U. Paasch (1990; vgl. auch Paasch 1990) aufmerksam gemacht, die in empirischen Fallstudien zum Versicherungsaußendienst, zum Güterkraftverkehr, zu Kaufhäusern, zum Baugewerbe, zur Druckindustrie und zum Verlagswesen immer wieder auf den typischen Sachverhalt gestoßen sind, daß Großbetriebe in der Perspektive einer Strategie zunehmender 'Deregulierung' und 'Flexibilisierung' (vgl. Paasch 1990: 135ff.) verstärkt Aufgaben aus dem engeren Unternehmensbereich ausgliedern, um diese von 'formell' bzw. 'juristisch' selbständigen Unternehmern ausführen zu lassen. Eingedenk dessen zeigen sich Mayer und Paasch (1990: 21) von der "beschworenen 'Existenzgründungswelle '" und den lancierten Statistiken auch nicht sonderlich beeindruckt: "Bei einer zunehmenden Zahl selbständiger Existenzen steht die Selbständigkeit nur auf dem Papier. Diese Selbständigen sind für jeweils nur einen Auftraggeber tätig, arbeiten praktisch genau wie abhängig Beschäftigte und erzielen dabei Einkommen, die im günstigen Fall auf dem Niveau des Entgelts vergleichbarer Arbeitnehmer liegen. Von unternehmerischer Dispositionsfreiheit oder von Gewinnchancen kann bei ihnen keine Rede sein. Ihre 'Selbständigkeit erschöpft sich im wesentlichen darin, daß Arbeitsrecht, Sozial versicherungspflicht und Tarifverträge auf sie nicht angewandt werden." (ebd.) 49 Kleine Zulieferer spüren nur zu oft "Die Faust im Nacken", wie der Titel eines Beitrages von F.A. Linden und K.H. Rüßmann (1988) im "manager magazin" vor einigen Jahren zur Automobilzulieferindustrie sinnreich lautet: "Ignacio Lopez de Arriortua - diesen Namen können viele deutsche Automobilzulieferer nicht mehr hören. Der Mann ist Spanier, promovierter Ingenieur, vor allem aber seit vergangenem Herbst Einkaufschef der Rüsselsheimer Adam Opel AG. Lopez hat die gesamte Branche in Angst und Schrecken versetzt. Selbst Umsatzmilliardäre murren über die Härte, mit der der Spanier sein Geschäft betreibt. Gnadenlos zeigt er den Kfz-Ausrüstern - ob sie nun Bremsen, Federn, Reifen, Vergaser oder Anschnallgurte offerieren -, wie prekär ihre Lage geworden ist." (ebd.: 89; Hervorh. von uns) Kein Wunder, daß man in Wolfsburg auf diesen Mann aufmerksam wurde. Allerdings scheint uns die Debatte um Lopez zu 'subjektivistisch' orientiert zu sein: Wenn es Opel oder VW gelingt, die kleinen Zulieferer unter Druck zu setzen, dann liegt das weniger an den 'Qualitäten' von Lopez, als vielmehr an der Kraft des Unternehmens, als dessen 'Akteur' er aufzutreten vermag. Man stelle sich zur Abwechslung Herrn Lopez nur einmal als Eigentümerunternehmer einer kleinen Zulieferfirma

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2. 'Theoriegeschichte' der Kleinunternehmerforschung

Bevor wir nun unsere theorie- und problemgeschichtlichen Erörterungen abschließen, müssen wir noch näher darauf eingehen, inwiefern auch und gerade der aktuellen Kleinunternehmerforschung ein 'Politikdefizit' zur Last zu legen ist. Dies soll in einem gesonderten Abschnitt geschehen, wo wir die bisherige Argumentation knapp resümieren und als Voraussetzung für den weiteren Gang der Darstellung die Grundzüge einer alternativen Forschungsund Theorieperspektive skizzieren wollen.

2.3 Zusammenfassung: Das 'Politikdefizit' und die 'politische Kurzschlüssigkeit' der Kleinunternehmerjorschung In unserer Rekonstruktion der weit über hundertjährigen Theoriegeschichte der Kleinunternehmerforschung konnten wir uns ein anschauliches Bild davon machen, wie sehr es in der bisherigen Diskussion immer wieder zentral um die grundsätzliche Frage nach dem 'Sein oder Nichtsein' der selbständigen ('mittelständischen') Kleinbetriebe im Verlauf und Fortgang des Industrialisierungsprozesses gegangen ist. Dabei zeigte sich in aller Deutlichkeit, welch dramatischen 'Konjunkturschwankungen' die Einschätzung der Reproduktionsbedingungen und Entwicklungschancen des kleinbetrieblichen Sektors im historischen Wandel der Zeitläufte unterlag: Wir haben gesehen, wie die ursprünglich im vergangenen Jahrhundert formulierte Prognose vom 'notwendigen Untergang' der selbständigen Kleinbetriebe immer wieder zum Gegenstand heftiger Kritik geworden ist; aber auch, daß mindestens bis in die 70er Jahre unseres Jahrhunderts hinein die Vertreter des mainstreams der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften gleichwohl an dieser Prophezeiung festhalten wollten, wenn sie nämlich die großbetrieblich organisierte 'Massenproduktion' zum Produktionsmodell schlechthin der fortgeschrittenen Industriegesellschaft erklären; und schließlich haben wir nachzeichnen können, wie Anfang der 80er Jahre in Wissenschaft und Öffentlichkeit die Karriere des Paradigmas des 'flexiblen Kleinunternehmens' und damit für die Kleinunternehmerforschung überhaupt ein geradezu spektakulärer Neuanfang begann. Was die damit einhergehende 'optimistische' Umbewertung der Erfolgschancen kleiner selbständiger Betriebe anlangt, konnten wir darauf verweisen, daß es gerade die seit der Mitte der 70er Jahre immer weiter sich vertiefenden Struktur- und Beschäftigungskrisen der westlichen Wirtschaften waren, die vor, der, sagen wir, mit VW zurechtzukommen hat - und schon verliert er seinen ganzen Zau-

ber!

2.3 Zusammenfassung

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Sozial- wie Wirtschaftswissenschaftler auf breiter Front aus ihrem nur allzu 'kurzem Traum immerwährender Prosperität' (vgl. Lutz 1984) herausrissen und mit einem Mal massive Zweifel an der Effizienz und Zukunftsträchtigkeit des 'fordistischen' Gesellschaftsmodells der großbetrieblich organisierten Massenproduktion aufkommen ließen. Dabei hatten gerade die an Zahl rasch zunehmenden und immer zuversichtlicher argumentierenden 'Kleinunternehmerfans' der 'neuen Generation' schnell die nunmehr beinahe selbstverständlich - wenn auch für unseren Geschmack etwas klischeehaft - als 'schwerfällig' und 'behäbig' diskreditierten Großbetriebe als die eigentlichen 'Schuldigen' an der 'Krise der Industriegesellschaft' ausgemacht: Während man diesen kaum mehr eine Zukunft zutrauen wollte und will, erhofft man sich demgegenüber nun vor allem von den mittlerweile vor allem ob ihrer 'Flexibilität' gerühmten Kleinunternehmen entscheidende Impulse für eine Neubelebung der industriellen Dynamik. Dabei gehen manche 'Kleinunternehmerfans' in ihrer Argumentation so weit, daß sie gar von einem 'Ende der Massenproduktion' 'träumen' und die fortgeschrittenen Industriegesellschaften schon auf das alternative Gesellschaftsmodell eines von kleinbetrieblichen Kooperationsnetzwerken durchsetzten Systems 'flexibler Spezialisierung' zusteuern sehen, das sie sich politisch als eine 'Republik von Kleineigentümern ' (Piore/Sabel) verfaßt vorstellen wollen.

In der Auseinandersetzung mit solchen einigermaßen utopisch anmutenden 'Visionen' zeigt sich freilich in aller Deutlichkeit auch, daß in der zeitgenössischen Kleinunternehmerliteratur weithin mit einem reichlich idealisierten und alles in allem wohl doch etwas überzogenen Konzept des 'dynamischen Kleinunternehmens' operiert wird, wobei typischerweise auf die "Wunderwaffe 'Flexibilität'" (Semlinger 1988: 229) hingewiesen wird, um die vermeintliche Überlegenheit der klein- gegenüber der großbetrieblichen Produktion zu begründen. Dabei darf hier nicht vergessen werden, daß in der Regel der besagte Hinweis eingebunden in eine sozialökonomisch-gesellschajtstheoretische Argumentation gegeben wird: Soweit jedenfalls in Übereinstimmung mit dem von uns oben (Abschnitt 2.1) formulierten jimdamentalen methodischen Prinzip der Kleinbetriebsforschung, das eine Ergänzung der mikrotheoretischen Auseinandersetzung mit betriebsinternen Parametern um eine makrotheoretisch orientierte Reflexion auf das gesellschaftliche 'Umfeld' der Betriebe anmahnt, wird in der zeitgenössischen Literatur immer wieder auf aktuelle Entwicklungstrends der sozialökonomischen Strukturkonstellation ('Krise der Massenproduktion'; 'neue internationale Arbeitsteilung'; 'Individualisierung' 7 Kießling

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2. 'Theoriegeschichte' der Kleinunternehmerforschung

der Konsumnachfrage usw.) verwiesen, um jene objektiv-strukturellen Ursachen zu nennen, die dafür verantwortlich zu machen sind, daß die den Kleinbetrieben nachgesagte 'Flexibilität' überhaupt erfolgversprechend zum Tragen kommen kann.

In der modemen Kleinunternehmerliteratur wird also durchaus auf die 'sozialökonomische Umwelt' Bezug genommen, wenn es gilt, die Reproduktionsund Entwicklungschancen selbständiger Kleinbetriebe in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft auszuloten. Umso mehr muß es verwundern, daß auch die heutigen Kleinunternehmerforscher, ganz ähnlich wie ihre Vorgänger, in diesem Zusammenhang kaum auf die Sphäre der Politik bzw. des Staates reflektieren. In unserem Abriß der Theorie- und Problemgeschichte der Kleinunternehmerforschung haben wir ja gesehen, daß es vor allem Kategorien und issues (sozial)ökonomischer und technologischer Natur ('mindestoptimale Betriebsgröße'; 'Skalenerträge'; 'Flexibilität') waren und sind, mit denen für die Vor- und Nachteile der verschiedenen Betriebsgrößen argumentiert wurde und wird. Jedenfalls sucht man gerade auch in der aktuellen Literatur vergeblich nach einer systematischen Auseinandersetzung mit der Frage, inwiefern und inwie-

weit die Reproduktionsbedingungen und Erjolgschancen des kleinbetrieblichen Produktionssektors politisch bzw. staatlich gesetzt und vermittelt sind.

Damit soll freilich keineswegs gesagt sein, daß die politische Dimension in der zeitgenössischen Kleinunternehmerliteratur gänzlich außer Betracht bliebe: Immerhin sind es ja nicht zuletzt die doch von der 'Innovativität' und 'Dynamik' der 'flexiblen Kleinbetriebe' so überzeugten 'Kleinunternehmerfans' , die fortwährend 'nach dem Staat rufen' und diesen mit allem Nachdruck dazu auffordern, den Unternehmen dabei Hilfe zu leisten, ihre Entwicklungs- und Wachstumsprobleme50 so zu lösen, "daß ihre ohnehin überdurch-

50 Trotz aller sonstigen Kritik an den 'schwerfalligen Großbetrieben' ist für die zeitgenössische Kleinunternehmerforschung eine auffallige Fixierung auf das betriebliche Wachstum charakteristisch: Damit rucken die Kleinbetriebe paradoxerweise weniger als solche, d.h. eben nicht als Betriebe, "that ... are born small and destined to remain smalI" (Weiss 1988: 204; Hervorh. im Orig.) ins Blickfeld der Forschung, sondern als Unternehmen, denen die immanente Bestimmung zugeschrieben wird, fortwährend zu wachsen, und zwar so lange, bis sie schließlich selbst zu Großbetrieben geworden sind. In diesem Zusammenhang kann man davon sprechen, daß in unseren von sog. "big business cultures" bzw. "Fordist cultures" dominierten westlichen Gesellschaften (vgl. Weiss 1988: 204, 210) das Kleinunternehmen nur als "Iarge firm in embryo" (Bamford 1984: 109) zählt: Vor dem 'normativen Hintergrund' der industriegesellschaftlichen 'Wachstumskultur' erscheint so die bloße Reproduktion des Kleinbetriebs auf ge-

2.3 Zusammenfassung

99

schnittliehe Beschäftigungsentwicklung noch günstiger" (Hull 1987: 292) ausfallen kann: In der Tat "ist die modeme Kleinbetriebsforschung typischerweise von der praktischen Absicht motiviert, die für Kleinbetriebe charakteristischen Wachstumshindemisse51 zu analysieren, um der "gestaltenden Politik" (Hull 1987: 314) nützliche Hinweise und Fingerzeige darauf geben zu können, was diese ihrerseits dazu beitragen kann, um dieselben aus dem Weg zu räumen. 52 Wir müssen uns an dieser Stelle nicht damit aufhalten, die verschiedenen 'Maßnahmen' und 'Hilfen' monetärer, fiskalischer, legislativer, sachlicher oder auch 'beratungsförmiger' Art im einzelnen aufzulisten, die in diesem Zusammenhang von der Wissenschaft vorgeschlagen werden und die sich auch, in der einen oder anderen Form, in der Praxis der staatlichen Mittelstandsbzw. Kleinbetriebspolitik wiederfinden (siehe hierzu unten Abschnitt 5.4). Worauf hier indes mit allem Nachdruck hingewiesen werden muß, ist der Umstand, daß die Kleinunternehmerforschung, obwohl sie ja ersichtlich damit rechnet, daß die Politik mit ihren vielfältigen Förderangeboten durchaus praktischen Einfluß auf das wirtschaftliche Geschick der Kleinbetriebe nehmen kann und nimmt, es bislang versäumt hat, systematisch zu untersuchen, wie gerade dadurch, daß der Staat bestimmte Wirtschafts- und Wettbewerbsordnungen setzt und aufrechterhält, die Reproduktionsbedingungen und gebenem Niveau bereits als Mangel und die in der Empirie nicht selten beobachtbare Skepsis von Kleinunternehmern gegenüber einem Wachstum ihrer Betriebe als deviante Motivation. SI Idealtypisch kommt diese Motivation in dem Titel einer Studie von C.J. Hull und B. Hjern zum Ausdruck: "Helping Srnall Firms Grow" (1987). In dieser Arbeit werden folgende "eight impediment categories" spezifiziert: "Finance, purchases, technical change, personneI, sales, management, premises (location) and a residual category of 'other impediments'." (ebd.: 5) Damit sind die kleinbetriebsspezifischen 'Wachstumshemmnisse' genannt, wie sie in der Literatur immer wieder diskutiert werden (vgl. z.B. die einzelnen Beiträge in Barber et al. 1989). 52 Davon, daß der sprichwörtliche 'Ruf nach dem Staat' - aus den Reihen der Kleinunternehmer selbst oder aus der Wissenschaft - keineswegs ein neuartiges Phänomen ist, konnten wir uns in unserem theorie- und problemgeschichtlichen Abriß bereits hinreichend überzeugen. Auffallend ist allerdings, daß sich die heute allgemein angeschlagene 'Tonart' einigermaßen von jener früherer Zeiten unterscheidet: Während hierzulande etwa die 'Mittelständler' der Kaiserzeit (vgl. z.B. Böttger 1901; Wernicke 1907) und der Weimarer Republik (vgl. hierzu z.B. Winkler 1972: 40ff.; Winkler 1978; Leppert-Fögen 1974: 259ff.; Lenger 1988: 163ff.; Franke 1988: 175ff.) den Staat in defensivem Gestus und beinahe kleinlaut um 'Protektion' vor der 'großkapitalistischen Konkurrenz' 'angingen', geht man heute selbstbewußt in die Offensive. Zumindest stehen die 'Kleinunternehmerfans ' in der Wissenschaft auf dem Standpunkt, daß die kleinen Unternehmen im Zeitalter des vermeintlichen 'Niedergangs der Massenproduktion' kaum mehr des staatlichen Schutzes vor der Konkurrenz der Großunternehmen bedürfen; ganz im Gegenteil hält man ja, wie wir gesehen haben, die 'flexiblen Kleinbetriebe' für 'leistungsfähiger' als die 'behäbigen' Großunternehmen und fordert staatlichen Sukkurs für den Zweck einer noch wirksameren Freisetzung des an sich ohnehin gegebenen kleinbetrieblichen Wachstumspotentials. 7·

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2. 'Theoriegeschichte ' der KIeinunternehmerforschung

Entwicklungschancen kleiner selbständiger Unternehmen noch weit grundlegender und nachhaltiger determiniert und strukturiert werden. Und so ist es vor allem diese mangelnde Reflexion auf die Systemebene der staatlich gesetzten Wirtschafts- und Wettbewerbsordnung als zentraler makrostrukturel-

ler 'Umweltdimension' des kleinunternehmerischen Wirtschaftshandeins, derentwegen wir auch der aktuellen Kleinbetriebsforschung ein gravierendes 'Politikdefizit' zur Last legen wollen. Um dieses Defizit zu beheben - und darum in erster Linie ist es ja in der vorliegenden Studie zu tun - müssen wir vorgängig danach fragen, was der Staat überhaupt für Interessen und Zwecke gegenüber der Ökonomie hat bzw. verfolgt; denn immerhin sind es diese Interessen und Zwecke, die die Präferenz der maßgeblichen Akteure der Politik für bestimmte wirtschafts- und wettbewerbspolitische Strategien strukturieren. An einer systematischen Untersuchung der besagten Thematik zeigt sich die Kleinunternehmerforschung insgesamt wenig interessiert. Stattdessen operieren vor allem die in der heutigen Forschung den Ton angebenden zahlreichen 'Kleinuntemehmerfans ' mit der einfachen, argumentativ nicht substanzialisierten Unterstellung eines affirmativen Interesses des modemen Staates an der Persistenz des kleinbetrieb lichen Sektors und wollen in allen möglichen kleinbetrieblichen Wachstumshemmnissen und Entwicklungsproblemen immer gleich eine "Herausforderung an die Politik" (Grabher 1989: 106) sehen. Gleichviel ob so etwa, um nur einige wenige markante Beispiele anzuführen, K. Semlinger (1993: 52) für die Kleinbetriebe eine "öffentliche Kooperationsförderung" fordert, G. Grabher (1989) eine kleinbetriebsfokussierte Reorientierung der Regionalpolitik vorschlägt oder C.J. Hull und B. Hjem (1987: 175ff.) die Hilfe politischer Akteure beim Aufbau lokal und regional fokussierter 'assistance structures' anmahnen: Stets wird nur allzu unvermittelt auf den Staat geschlossen, der gleich einem Deus ex machina als Proakteur des kleinbetrieblichen Wirtschaftswohls ins Spiel gebracht wird. Ohne die spezifische Perzeptions- und Handlungslogik des Staates gegenüber sozialökonomischen 'Problemen' eigens zu untersuchen, wird in der Form eines funktionalistischen Fehl- bzw. Kurzschlusses davon ausgegangen, daß die kleinbetrieb lichen Wirtschaftsprobleme unmittelbar auch die des Staates bzw. der maßgeblichen politischen Akteure sind. Dies gilt im übrigen auch für die einzigen beiden Studien, die theoretisch auf das Verhältnis von kleinbetrieblichem Sektor und Staat in der modemen Industriegesellschaft reflektieren, und die wir deshalb vom Vorwurf des 'Politikdefizites' der modemen Kleinunternehmerliteratur ausnehmen wollen. Gemeint sind hier die von uns schon wiederholt

2.3 Zusammenfassung

101

angeführte Arbeit von M.J. Piore und Ch.F. Sabel (1989) über das "Ende der Massenproduktion" und die Siudie "Creating Capitalism. The State and Small Business since 1945" der Sozialwissenschaftlerin L. Weiss. Beide Arbeiten sind im Gestus einer extremen Sympathie für den kleinbetrieb lichen Sektor geschrieben, die sich nicht nur dadurch zum Ausdruck bringt, daß - aller 'Heterogenität' dieses Sektors zum Trotz - die kleinen Betriebe insgesamt für ihre 'Flexibilität' und 'Dynamik' gewürdigt werden, sondern vorn Staat, über die punktuelle Unterstützung kleiner Unternehmen in einzelnen Problembereichen weit hinausgehend, gar ein radikales 'Umkrempeln' von Gesellschaft und Ökonomie entlang der "Vision einer Kleinindustrie" (Piore/Sabel 1989: 10)53 bzw. eines "re-creating micro-capitalism" (Weiss 1988: 196ff.; Hervorh. v. uns) verlangt wird.54 So radikal und originell diese 'Forderung' von L. 53 In ihrer Studie "Das Ende der Massenproduktion" vertreten die Autoren Piore und Sabel die Überzeugung, daß wir heute vor einer zweiten 'industriellen Wegscheide' stehen: Daß heute die im letzten Jahrhundert beschrittene Entwicklung der führenden Industrieländer zu einem großbetrieblieh organisierten System der 'Massenproduktion' revoziert werden könnte und also der Weg hin zu einer 'craft economy' und einer 'Republik von Kleineigentümern' (wieder) offen steht. Für die praktische Realisierung einer solchen 'Alternative' wäre natürlich letztenendes vor allem der Staat gefordert. 54 Genauso wie Piore und Sabel, auf die sie sich bezieht, ist L. Weiss davon überzeugt, daß 'alles ganz anders sein könnte'. In ihrer Studie "Creating Capitalism" (1988), die sich vor allem auf das modeme Italien bezieht, will sie von ihrem "central claim" ausgehen, "that capitalist development is inherently neutral. The development of capitalism", so die Überzeugung der Autorin, "does not necessarily favour any one particular economic outcome. More than one form of capitalism is (and has been) possible. What matters is the way in which states, in pursuit of their own objectives, have inserted themselves in the economic process." (ebd.: 1) L. Weiss vertritt die Ansicht, daß "successful capitalism need not come in a big business package and economic development does not preclude the existence of extensive microcapitalist production" (ebd.: 161). Von daher gesehen erscheint es freilich keineswegs als zwingend, daß sich die modemen Staaten, wie L. Weiss selbst weiß, so vorbehaltlos für die Förderung großbetrieblicher Strukturen eingesetzt haben. Für eine Auflösung dieses Rätsels bietet uns die Autorin einerseits (und zwar unter Bezugnahme auf die neueren staatstheoretischen Ansätze der 'bringing the state back in'-Perspektive; vgl. ebd.: Iff.) nur relativ pauschale und abstrakte Hinweise auf 'geopolitische Zwänge' (vgl. ebd.: 161ff.). Zum anderen zeigt sie auf den Beispielfall Italien ('the italian case, 1945-1975'; vgl. ebd.: 13ff.), wo der Ansicht der Autorin nach der kleinbetriebliche Sektor (die 'industrial districts') eine größere Rolle als in anderen Industriestaaten zu spielen scheint; und dies bringt sie vor allem damit in Verbindung, daß die Christdemokraten, aufgrund ihrer traditionellen Verbindungen zu den kleinbürgerlichen Schichten, die kleinen Unternehmen seit je selektiv gefördert hätten (vgl. ebd.: 55ff., 81ff.; vgl. hierzu schon Berger 1981). Die Autorin spricht in diesem Zusammenhang von dem "DC project" einer "propertyowning democracy" (vgl. ebd.: 107). - Um dem eigentümlichen Verhältnis von modernem Staat und kleinen Unternehmen 'beizukommen', muß man freilich weit tiefer ansetzen als L. Weiss: In den nächsten Kapiteln unserer Studie werden wir unter Bezugnahme auf ein Konzept 'kapitalistischer' bzw. 'marktwirtschaftlicher Produktivität' zeigen, wie sehr die modernen Staaten seit je um den Aufbau einer im Kern großbetrieblich strukturierten Ökonomie bemüht waren und zwar genau deshalb. weil sie sich von der überlegenen Leistungsfähigkeit eines 'big business capitalism' die Produktion jenes nationalen Reichtums erhoffen können, den sie für die Verfolgung ihrer innen- so gut wie außenpolitischen Zwecke brauchen. Und in genau diesem

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2. 'Theoriegeschichte' der Kleinunternehmerforschung

Weiss, M.l. Piore und Ch.F. Sabel auf den ersten Blick nun auch scheinen mag, so ist sie doch keineswegs neu: Lange schon vor diesen Autoren, kurz nach dem letzten Weltkrieg nämlich, hat der deutsche Nationalökonom W. Eucken in seinen "Grundsätzen der Wirtschaftspolitik" (1990; zuerst 1952 veröffentlicht) sein Ordnungsideal einer kleinbetrieblich organisierten Wirtschaft ausgearbeitet und den maßgeblichen Politikakteuren als 'das' Modell für die Ordnung der bundesdeutschen Nachkriegswirtschaft nahegelegt. Mit dieser eigentümlichen 'Idee' einer politisch inszenienen Restrukturierung der modemen Wirtschaft in kleinbetrieblicher Perspektive müssen wir uns im folgenden nun doch etwas näher befassen, wobei wir es für sinnvoll halten, uns auf die Euckensche Original version zu konzentrieren: In der Auseinandersetzung mit den politiktheoretischen Defiziten derselben werden wir viel über das Verhältnis von modernem Staat und Kleinunternehmen lernen können. Voraussetzung dafür freilich ist, daß wir die Frage nach dem spezifischen Interesse des modemen Staates an den Kleinunternehmen als eine offene Frage behandeln. Für eine adäquate Antwort darauf werden wir schließlich auch auf das Verhältnis von Staat und marktwirtschaftlicher Ökonomie überhaupt zu reflektieren haben.

Sinne 'kommt', entgegen der Überzeugung von L. Weiss, 'successful capitalism' traditionell 'in a big business package' 'daher'.

3. Das Kleinunternehmen und der moderne Staat: Zur Konzeptualisierung einer 'politikzentrierten' Forschungs- und Theorieperspektive Wenn wir im folgenden eine Forschungs- und Theorieperspektive ausarbeiten wollen, in der die Rolle der Politik für die Konstitution der Reproduktionsbedingungen und Erfolgschancen kleiner selbständiger Betriebe in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft in den Mittelpunkt gerückt wird, können wir uns ein gutes Stück weit an den kategorialen Vorleistungen jenes Autors orientieren, von dem soeben schon die Rede war: Gemeint ist der Ökonom W. Eucken, der zwar nicht eigentlich dem Kreise der Kleinunternehmensforscher zuzurechnen ist, der dafür aber nur umso größere Sensibilität für die prinzipielle Abhängigkeit des kleinbetrieblichen Wirtschaftserfolgs von 'politischen Strukturvorgaben' bewiesen hat. Erinnert sei hier erst einmal daran, daß Eucken noch in der Zeit der Naziherrschaft (zusammen mit F. Böhm, H. Großmann-Doerth, A. Lampe u.a.) die sog. Freiburger Schule des Ordoliberalismus (vgl. hierzu z.B. Blum 1969; Boelcke 1978) mitbegründet hatte und sich mit dem Entwurf einer 'wissenschaftlichen Morphologie' idealtypischer Wirtschaftssysteme und vor allem mit der Grundlegung eines normativ orientierten Systems von "Grundsätzen der Wirtschaftspolitik" einen bleibenden Namen gemacht hat.! Gerade die von Eucken hiermit und hierin profilierte Theorie einer zeitgemäßen und sachgerechten Wirtschaftsordnungspolitik2 enthält ein ungemein wichtiges Anregungspotential 1 Wichtig sind für uns die beiden Hauptwerke Euckens: Die 1939 in erster Auflage erschienenen "Grundlagen der Nationalökonomie" (81965), und mehr noch die nach dem Tod des Autors von dessen Witwe und K.P. Hensel im Jahre 1952 herausgegebenen "Grundsätze der Wirtschaftspolitik", die wir nach einer 1990 edierten Taschenbuchausgabe zitieren. 2 Mit der Frage nach der Bedeutung W. Euckens für die Entwicklung der Wirtschaftsordnung im Nachkriegsdeutschland werden wir uns noch im einzelnen zu beschäftigen haben. An dieser Stelle mag es vorerst genügen, darauf hinzuweisen, daß Eucken auch heute noch als maßgebliche Autorität der 'Ordnungspolitik' bemüht wird. Sehr informativ sind in diesem Sinne die einzelnen Beiträge in dem von dem Eucken-Schüler H.O. Lenel mitherausgegebenen 40. Band (1989) des "Jahrbuchs für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft" ("Ordo") mit dem Leitthema: "50 Jahre 'Grundlagen der Nationalökonomie' von Walter Eucken". Namentlich mit Blick auf die Problematik der marktwirtschaftlichen Transformation der ostdeutschen und osteuropäischen Ökonomien erinnert man sich gern an Euckens ordnungspolitische Grundsätze: Man lese hierzu nur das aufschlußreiche Vorwort von E.-J. Mestmäcker (1990) zur Neuausgabe der Euckenschen "Grundsätze der Wirtschaftspolitik" in Taschenbuchformat, und vieIIeicht noch

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3. Das Kleinunternehmen und der moderne Staat

für die Ausarbeitung eines zu den herkömmlichen 'politikdefizitären' Ansätzen der Kleinbetriebsforschung alternativen theoretisch-methodischen Ansatzes, in dem der prinzipiellen Abhängigkeit des kleinbetrieblichen Wirtschaftserfolges von konkreten wirtschafts- und wettbewerbspolitischen Strategien des modemen Staates gebührend Rechnung getragen wird. Dabei wird sich im Fortgang unserer Argumentation in der Tat zeigen, daß paradoxerweise der eher allgemein orientierte Ordnungstheoretiker Eucken (sozusagen als 'Außenseiter') für die theoretische und methodische Konzeptualisierung der Kleinunternehmerforschung mehr zu 'bieten' hat, als viele 'Kleinunternehmerspezialisten' . Aber dieses im Euckenschen Werk 'verborgene' Potential gilt es erst einmal transparent und für unseren Ansatz fruchtbar zu machen. Aus zweierlei Gründen scheint nun Euckens Ordnungstheorie für die Problemstellung unserer Studie von eminentem Interesse zu sein. Zunächst einmal ist in diesem Zusammenhang darauf zu verweisen, daß wir in der Auseinandersetzung mit Euckens "Grundsätzen der Wirtschaftspolitik" sehen werden, daß die Vision eines Umbaus der fortgeschrittenen Industriegesellschaft in der Perspektive einer im Kern kleinbetrieblich strukturierten Ökonomie keineswegs so neu und originell ist, wie es uns die heutigen 'Propagandisten' derselben: allen voran die Autoren Piore und Sabel glauben machen wollen. Bezeichnend ist es freilich, daß es nicht Wissenschaftler aus dem Umkreis etwa der 'klassischen' Mittelstandstheorie waren, die mit solchen Visionen auf sich aufmerksam machten; wir hatten ja an Ort und Stelle bereits exemplarisch auf F. Marbach (1942: 70) hingewiesen, der, aller in seiner "Theorie des Mittelstandes" für den selbständigen Mittelstand bekundeten Zuversicht und Sympathie zum Trotz, doch soviel Respekt vor den "Fabriken Fords" hatte, daß es ihm "utopisch" schien "anzunehmen", daß die modeme Wirtschaft "auf rein mittelständischer Grundlage organisiert werden könnte." Genau das aber, was der 'Experte' Marbach im Jahre 1942 als weltfremde Utopie abtat, sollte schon wenige Jahre später - und eben nicht erst in den Zeiten unserer heutigen 'Kleinunternehmerrenaissance' - von dem Ordnungstheoretiker Eucken ganz ernsthaft als die angemessene Zielvorstellung für eine zeitgemäße und verantwortungsbewußte Wirtschafts- und Wettbewerbspolitik den 1991 in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (7. 9. 1991, Nr. 208) erschienenen Überblicksartikel "Der Weg zur Marktwirtschaft" von J. Starbatty, in welchem bezüglich der 'Transformationsproblematik' auf die "Lehren der Ordnungstheorie" verwiesen wird und auch ein Abschnitt mit der Überschrift "Was Walter Eucken jetzt empfehlen würde" nicht fehlt.

3.1 Eucken und das 'Monopolproblem '

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ausgegeben werden: So hat Eucken in der Tat in seinen Ende der 40er Jahre ausgearbeiteten "Grundsätzen der Wirtschaftspolitik" die prinzipielle (und für sein ordnungspolitisches Denken zentrale) Forderung an den deutschen Nachkriegsstaat gestellt, die nationalsozialistische Hinterlassenschaft einer von Großbetrieben und Monopolen dominierten Ökonomie rigoros auf mittelständischer Basis zu reorganisieren. Wenn Eucken (1990: 245ff.) nämlich die 'vollständige Konkurrenz' (manchmal spricht er auch einfach von der 'Wettbewerbsordnung ') als die einzige 'zureichende' und 'sachgerechte' Ordnungsform für die modeme Wirtschaft favorisierte, auf deren Durchsetzung er eben den Staat verpflichten wollte, dann ließ er sich dabei von der Überzeugung leiten, daß sich "der Industrieapparat" hier "auch aus kleineren Werken zusarnmen(setzt) als in anderen Marktformen. " (ebd.: 237) Auf diese Thematik werden wir detailliert zurückkommen. Doch zunächst wollen wir auf den zweiten Grund zu sprechen kommen, der für unser Interesse an Euckens Werk verantwortlich ist: Wie wir zeigen werden, baut Eucken für den Nachweis der 'Machbarkeit' und praktischen Relevanz seiner 'mittelstandsorientierten' Ordnungstheorie und Ordnungspolitik auf eine kritische Auseinandersetzung mit der klassischen 'Niedergangsprognose' , in der er viele Argumente und Gedankenfiguren, wie sie in der heutigen Kleinunternehmerliteratur mit dem Anspruch auf Originalität auftreten, entwickelt und vorwegnimmt. In der detaillierten Rekonstruktion seiner Argumentation werden wir, für die Problemstellung unserer Studie entscheidend, sukzessive verstehen lernen, wie und warum Eucken schließlich zu der theoretischen Gewißheit gelangt, daß es letztenendes vor allem die von den maßgeblichen staatlichen Akteuren verfolgten wirtschafts- und wettbewerbspolitischen ('ordnungspolitischen') Strategien sind, die den nachhaltigsten Einfluß auf die konkrete Gestaltung und Strukturierung der Reproduktionsbedingungen der kleinen selbständigen Betriebe haben.

3.1 Eucken, das 'Monopolproblem ' und seine Kritik am 'Mythos von der Zwangsläufigkeit der Entwicklung' und dem 'notwendigen Untergang der Konkurrenz' Als Eucken Ende der 40er Jahre die Marktform der 'vollständigen Konkurrenz'3 als zeitgemäßes Wirtschaftsordnungsideal profilieren wollte, mußte er Wir werden noch eingehend zu erörtern haben, worauf Eucken mit dem Terminus 'vollständige Konkurrenz' genau hinauswollte; und wir werden auch im einzelnen klären müs-

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3. Das Kleinunternehmen und der moderne Staat

nicht nur gegen den akademischen mainstream, sondern durchaus auch gegen die seinerzeitige industrielle Empirie 'andenken'. Wir brauchen hier nur an unsere Untersuchungen im zweiten Kapitel unserer Studie erinnern, die ja tatsächlich ergeben haben, daß die überwiegende Mehrzahl der Sozialwissenschaftler und Ökonomen die modeme Ökonomie irreversibel von industriellen Großstrukturen beherrscht sah. Eucken (1990: 239) selbst zitiert in diesem Zusammenhang keinen Geringeren als J.A. Schumpeter, der in seiner Schrift "Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie" (1987: 174) in aller Entschiedenheit den Standpunkt vertreten hatte, daß "die vollständige Konkurrenz unter modemen industriellen Bedingungen unmöglich ist".4 Allerdings qualifiziert Eucken (1990: 239) diesen Standpunkt sogleich und mit allem Nachdruck als "eine typische Äußerung anachronistischen Denkens": "Veraltet ist nicht die Konkurrenz", schreibt er fast ein wenig bissig, "sondern der Glaube, sie wäre veraltet. Tatsachen zerstören die alte Geschichtsdoktrin, nach welcher die vollständige Konkurrenz zum Untergang verurteilt ist." (ebd.) Wie wir sehen, 'fordert' Eucken also in aller Entschiedenheit die altehrwürdige 'Untergangstheorie' 'heraus', die ja davon ausging, daß in der modemen Industriegesellschaft für kleine selbständige Betriebe kein Platz mehr ist. Dabei spielt die entsprechende Argumentation Euckens für die Profilierung seines Ansatzes durchaus eine entscheidende Rolle: Euckens spezifischer ordnungspolitischer Impetus zielte ja in der Tat ins Leere, wenn es denn wahr wäre, daß die Zeiten der 'vollständigen Konkurrenz' wirklich ein für allemal passe wären. So schreibt er hierzu selbst folgendes (ebd.: 227): "Die Situation wäre aussichtslos, das zentrale, wirtschaftspolitische Ordnungsproblem der modemen Welt wäre unlösbar, - wenn die Behauptung vom notwendigen Untergang der Konkurrenz richtig wäre. Unser Buch wäre am Ende. Denn der Nachweis der Unmöglichkeit der Problemlösung wäre erbracht. Wir haben also zu fragen, ob die Behauptung vom notwendigen Untergang der Konkurrenz richtig ist." sen, aus welchen Gründen er dieser Markt- bzw. Wirtschaftsordnungsform den Vorzug vor anderen gegeben hat. Zum Verständnis der folgenden Ausführungen mag es einstweilen genügen, den Leser darauf aufmerksam zu machen, daß Eucken, ganz in der Tradition der neo klassischen Ökonomik stehend, 'vollständige Konkurrenz' dann gegeben sah, wenn auf dem Markt viele Anbieter miteinander konkurrieren, zwischen denen kein Machtgefälle existiert und die auch nicht über die Ressourcen verfügen, Marktstrategie treiben zu können und die folglich (als bloße 'Preisnehmer') dazu gezwungen sind, die Marktpreise als objektiv vorgegebene Daten zu akzeptieren: Wir sehen schon, daß Eucken auf eine Ökonomie abstellt, in der ausschließlich Kleinbetriebe wirtschaften. 4 Schumpeter (1987: 174) schreibt in diesem Zusammenhang weiter, daß "wir ... anerkennen (müssen) ... , daß die Großunternehmung zum kräftigsten Motor" des "wirtschaftlichen Fortschritts" geworden ist.

3.1 Eucken und das 'Monopolproblem '

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Aber es ist natürlich nicht nur die 'alte Geschichtsdoktrin' vom notwendigen Untergang der 'Konkurrenz' bzw. der kleinen selbständigen Betriebe gewesen, gegen die Eucken zu Felde ziehen mußte; immerhin war es doch die Ende der 40er Jahre geschichtlich gewordene industrielle Wirklichkeit selbst, die dieser Doktrin weitgehend rechtzugeben schien: Eucken (ebd.: 235f.) selbst wußte am besten, daß die 'industriepolitische' Hinterlassenschaft der Kriegswirtschaften nicht nur in Deutschland, sondern auch in den meisten übrigen Industrieländern in der Tat monströse Monopol- und Konzernstrukturen waren, in denen die persistierenden kleinbetrieblichen Produktionsstrukturen ein relativ kärgliches Nischendasein fristeten. Diese Ausgangssituation in Rechnung gestellt, drängt sich uns natürlich mit allem Nachdruck die Frage auf, worauf Euckens unerschütterlicher Optimismus gründet, daß es nichtsdestotrotz nicht nur wünschenswert, sondern auch möglich ist, die moderne Industrie als 'vollständige Konkurrenz' zu (re)organisieren. Dieser Frage müssen wir nun nachgehen; dabei werden wir und dies, so meinen wir, rechtfertigt unsere relativ intensive Auseinandersetzung mit der Euckenschen Ordnungstheorie - viel darüber lernen, wie ein adäquater Ansatz zur Erforschung der Reproduktionsbedingungen und Erfolgschancen kleiner selbständiger Unternehmen in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft zu konzeptualisieren ist. Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß Eucken (1990: 30ff.) der von ihm doch so scharf gescholtenen 'Geschichtsdoktrin' vom 'Ende der Konkurrenz' überraschenderweise erst einmal insofern und soweit beipflichten will, als er selber in der bisherigen geschichtlichen Entwicklung der industriellen Gesellschaft ein, wie er sich ausdrückt: 'Monopolproblem ' orten will. Und immerhin finden wir in den "Grundsätzen der Wirtschaftspolitik" eine Passage, in denen Eucken die folgende Einsicht zum Ausdruck bringt: "Als Folge der modernen Technik bedeckt sich die Erde mit großen Fabriken, Eisenbahnen, Straßenbauten und Großstädten. Die Werkstätten der Vergangenheit erscheinen sehr klein im Vergleich zu denen, die wir vor Augen sehen." (ebd.: 235) Schließlich, so als wolle er sich am Ende selbst in die Phalanx der 'Untergangstheoretiker' einreihen, schreibt Eucken ganz unverhohlen von einer "historische(n) Tendenz zur Konzentration" (ebd.: 221), die in der Tat, dessen ist er sich gewiß, "zur Vernichtung vieler kleiner Betriebe geführt" (ebd.: 240) hätte.

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Von großem Interesse wird es nun sein, uns mit den Gründen zu befassen, die Eucken für diese Entwicklung, die in den industriellen Riesengebilden der europäischen und nordamerikanischen Kriegswirtschaften5 gipfelte, anführt. In der Rekonstruktion der entsprechenden Gedankenführung werden wir freilich auch die Argumente kenneniernen, die Eucken entwickelt, um für seine Überzeugung zu werben, daß die besagte Konzentrationstendenz schließlich doch kein geschichtliches Absolutum ist und den ihr vielfach zugeschriebenen Status 'irreversibler Zwangsläufigkeit' nicht verdient. Als besonders aufschlußreich sei zunächst die folgende Passage aus den "Grundsätzen" in aller Ausführlichkeit zitiert (ebd.: 235): "Die industrielle Konzentration der letzten hundert Jahre ergab sich aus einem Bündel von Ursachen. Streben nach Macht, Hang zur Monopolbildung, Wirtschafts- und Rechtspolitik bewirkten oder begünstigten die Konzentration. Aus der gesamtgeschichtlichen Entwicklung ging sie hervor. Im Rahmen dieser Gesamtgeschichte wirkte sich auch die moderne Technik aus. Aber es war nicht so, daß die Konzerne und Syndikate mit Zwangsläufigkeit aus dem technischen Apparat hervorwuchsen. " In dieser Deutung der geschichtlichen Konzentrationstendenz ist von einem ganzen 'Bündel von Ursachen' die Rede, dem bzw. denen wir nun unsere Aufmerksamkeit widmen müssen. Beginnen wollen wir dabei mit dem von Eucken ins Spiel gebrachten 'Hang zur Monopolbildung' (das daneben angeführte 'Streben nach Macht' dürfte weitgehend deckungsgleich mit diesem sein): Dies scheint insofern einen guten Einstieg in die Diskussion zu gewähren, als wir damit wieder bei dem 'Monopolproblem' angelangt sind, von dem oben schon die Rede war. Mit explizitem Blick darauf schreibt Eucken (1990: 26ff.) zu Beginn des "Erfahrung und Kritik" überschriebenen 'zweiten Buches' seiner "Grundsätze" davon, daß zwar im Prozeß der Industrialisierung im Europa des vergangenen Jahrhunderts zunächst die Marktform der 'vollkommenen Konkurrenz' dominierte, diese aber bald "andere(n) Marktformen" (ebd.: 30) Platz machen mußte: "Es entstanden Monopole von Arbeitgebern auf vielen lokalen Arbeitsmärkten, Monopole oder Oligopole auf zahlreichen lokalen Warenmärk5 Eucken (1990: 181ff.; 235f.) ist davon überzeugt, daß gerade in Kriegszeiten die modemen Staaten die großbetriebliche Organisation der industriellen Produktion forcieren, was ja die Erfahrung der beiden Weltkriege dieses Jahrhunderts durchaus bestätigt. Übrigens war es gerade die kritische Auseinandersetzung mit den 'kriegswirtschaftlichen Riesengebilden' , aus denen sich Euckens ordnungspolitischer Impetus speiste.

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ten und Kartelle mit weitem Herrschaftsbereich." (ebd.: 30f.) Eucken erklärt diese Entwicklung erst einmal mit dem Hinweis darauf, daß die ökonomischen Akteure die neue bürgerliche Freiheit offenbar auch dazu nutzten, "sich zusammenzuschließen und so die Konkurrenz zu beseitigen." (ebd.) Wo man die Leute nicht daran hindert, sich zusammenzutun, da werden sie dies auch tun: Ohne zu zögern schreibt Eucken dieser (gewiß nicht allzu spektakulären) These den Status einer anthropologischen Konstante zu (ebd.: 31; Hervorh. im Orig.): "Anbieter und Nachfrager suchen stets - wo immer es möglich ist Konkurrenz zu vermeiden und monopolistische Stellungen zu erwerben oder zu behaupten. Ein tiefer Trieb zur Beseitigung von Konkurrenz und zur Erwerbung von MonopolsteIlungen ist überall und zu allen Zeiten lebendig. Jeder erspäht Möglichkeiten, um Monopolist zu werden. Warum sollen drei Bäcker in einer Stadt des 13. Jahrhunderts konkurrieren? Sie verabreden sich und bilden ein Monopol, und sie versuchen darüber hinaus, sich gegen weitere Konkurrenz abzuschirmen. Ähnlich war es vorher, ist es heute und wird es in Zukunft sein. Der Arbeitgeber auf dem Arbeitsmarkt, die Anbieter oder Nachfrager auf den Warenmärkten oder die Arbeiter streben MonopolsteIlungen an. Universal besteht der 'Hang zur Monopolbildung , - ein Faktum, mit der [sie] alle Wirtschaftspolitik zu rechnen hat. " Folgt man dieser Gedankenführung,6 dann muß man sich wirklich nicht wundem, daß das 'glorreiche Zeitalter' der 'vollständigen Konkurrenz' nur relativ kurz währte; eher schon drängt sich einem die Frage auf, worauf Eucken angesichts seiner 'Anthropologisierung' und gleichsam 'Ontologisie6 Diese ist übrigens keineswegs originell: Die Annahme eines "stets und überall lebendige(n) Hang(s) zur Monopolbildung" (ebd.: 237) findet sich bspw. schon bei A. Smith. In seinem "Wealth of Nations" äußert dieser die typische Befürchtung, daß die Unternehmer und Geschäftsleute jede sich bietende Gelegenheit dazu nutzen, Preisabsprachen zu treffen und MonopolsteIlungen anzustreben: Insofern "stehe" das Interesse gerade dieser Klasse "nicht ... mit dem öffentlichen in Einklang" (Smith 1990: 213). Und ausführlicher (ebd.): "Das Interesse der Kaufleute aller Branchen in Handel und Gewerbe weicht aber in mancher Hinsicht stets vom öffentlichen ab, gelegentlich steht es ihm auch entgegen. Kaufleute sind immer daran interessiert, den Markt zu erweitern und den Wettbewerb einzuschränken. Eine Erweiterung des Marktes mag häufig genug auch im öffentlichen Interesse liegen, doch muß eine Beschränkung der Konkurrenz ihm stets schaden, da diese lediglich dazu dienen kann, daß die Geschäftsleute ihren Gewinn über die natürliche Spanne hinaus erhöhen und gleichsam den Mitbürgern eine absurde Steuer zum eigenen Vorteil auferlegen. Jedem Vorschlag zu einem neuen Gesetz oder einer neuen Regelung über den Handel, der von ihnen kommt, sollte man immer mit großer Vorsicht begegnen. Man sollte ihn auch niemals übernehmen, ohne ihn vorher gründlich und sorgfaltig, ja, sogar mißtrauisch und argwöhnisch geprüft zu haben, denn er stammt von einer Gruppe von Menschen, deren Interesse niemals dem öffentlichen Wohl genau entspricht, und die in der Regel vielmehr daran interessiert sind, die Allgemeinheit zu täuschen, ja, sogar zu mißbrauchen. Beides hat sie auch tatsächlich bei vielen Gelegenheiten erfahren müssen."

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rung' der Konzentrationstendenz seine Kritik an derselben überhaupt gründen will. Denn immerhin gibt Eucken ja den 'Konzentrationstheoretikern' soweit recht, daß er selbst von einer inhärenten Instabilität des Konkurrenzsystems sprechen will, das als solches den Keim der zwangsläufigen Selbstaujhebung in sich trägt. Mit Blick ausschließlich auf die ökonomische Sphäre scheint also zwischen den 'Konzentrationstheoretikern' und Eucken weitgehende Übereinstimmung zu herrschen. 7 Euckens 'Markenzeichen' ist es indessen - und das macht einen Unterschied 'ums Ganze' -, daß er von vorneherein ganz zentral die Bedeutung der Politik in Rechnung stellt: Er verweist darauf, daß der leidige 'Hang zur Monopolbildung , nur in der Konsequenz defizitärer wirtschaftspolitischer Strategien des Staates zum Tragen kommen kann. In diesem Sinne kritisiert er im zweiten Buch "Erfahrung und Kritik" seiner "Grundsätze" die 'Wirtschaftspolitik des Laissez-faire' so gut wie die 'Wirtschaftspolitik der Experimente' ,8 um daraus die Forderung nach einer speziellen Wirtschaftsordnungspolitik abzuleiten, welche die 'vollständige Konkurrenz' als 'zureichende Ordnungsforrn' für die modeme Industriegesellschaft politisch durchsetzen und garantieren soll. Kommen wir zunächst auf Euckens Vergegenwärtigung und Kritik der 'Wirtschaftspolitik des Laissez-faire' zu sprechen, womit er "allgemein gesprochen ... die Wirtschaftspolitik des 19. Jahrhunderts; genauer: vom Beginn der großen Reformen zu Anfang und in der Mitte des 19. Jahrhunderts an bis 1914" (ebd.: 27) meint. 9 Zunächst einmal weist Eucken instruktiv darauf hin, daß ihm die übliche Antwort auf die Frage nach dem Zweck und Inhalt der 'Wirtschaftspolitik des Laissez-faire' ("Die Antwort lautet meist: Es 7 Weiter unten werden wir allerdings noch sehen, daß sich Eucken schließlich in der Beurteilung der Rolle des 'technischen Fortschritts' von der 'herkömmlichen' Theorie abhebt. 8 Eucken (1990: 26) geht davon aus, daß "es zweckmäßig (ist), die Wirtschaftspolitik des industriellen Zeitalters in zwei Epochen zu teilen: In die lange Epoche der 'Politik des Laissezfaire' und in die folgende kürzere Epoche der 'wirtschaftspolitischen Experimente'. Beide Epochen", schreibt er, "bieten eine geradezu großartige Möglichkeit, wirtschaftspolitische Erfahrung zu gewinnen: Von den Problemen, von den Lösungsversuchen und von ihren Erfolgen und Mißerfolgen. " 9 Die Prinzipien dieser Wirtschaftspolitik wurden in den klassischen Schriften liberaler ökonomischer und politischer Denker wie etwa A. Smith, D. Ricardo oder auch J.St. Mill grundgelegt. Was die Entwicklung der wirtschaftspolitischen Maxime des Laissez-faire anlangt, verweist Eucken (1990: 27, Fn. 1) selbst auf die bekannte Schrift "Die Maxime Laissez faire et laissez passer, ihr Ursprung, ihr Werden" (1974; zuerst 1886) von A. Oncken, weiters auf A.Rüstows "Das Versagen des Wirtschaftsliberalismus" (1945) und J.M. Keynes' "Das Ende des Laissez-Faire" (1926).

3.1 Eucken und das 'Monopolproblem'

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war die Zeit einer 'staatsfreien Wirtschaft"'; vgl. ebd.: 26)10 wenig gefallt. Weil die entsprechende Argumentation Euckens uns weiter unten noch 'gute Dienste' leisten wird, sei sie in ausführlicher Form vorgestellt (ebd.: 26f.): "Ein kurzer Blick in die geschichtliche Wirklichkeit hätte zeigen können, daß die Antwort falsch ist. Der Staat hat gerade in dieser Zeit ein strenges Eigentums-, Vertrags-, Gesellschafts-, Patentrecht usw. geschaffen. Jeder Betrieb und jeder Haushalt bewegte sich tagtäglich im Rahmen solcher staatlich gesetzten Rechtsnormen, mochte er kaufen oder verkaufen oder einen Kredit nehmen oder eine andere wirtschaftliche Handlung vollziehen. - Wie darf man da von 'staatsfreier Wirtschaft' sprechen? Was also war tatsächlich die Politik des Laissez-faire? - In dieser Zeit setzten die Staaten sich selbst Staatsordnungen oder Verfassungen, um einen funktionsfahigen Staatsapparat herzustellen und um die Freiheit des einzelnen zu schützen. Ebenso schufen sie Rechtsordnungen durch umfassende Kodifikation. Eine Gesamtentscheidung auch für die Wirtschaftsordnung war damit gegeben. Aber die Überwachung der Wirtschaftsordnung im Sinne der Gesamtentscheidung wurde nicht als besondere staatliche Aufgabe angesehen. Man war der Überzeugung, daß sich im Rahmen des Rechtes eine zureichende Wirtschaftsordnung von selbst entwickeln würde. - Diese Wirtschaftspolitik des Laissez-faire basierte auf der Überzeugung, daß brauchbare Formen, also im ganzen eine zweckmäßige Wirtschaftsordnung, sich von unten her aus den spontanen Kräften der Gesellschaft von selbst entfalten, wenn Freiheit bestehe und das Rechtsprinzip gewahrt werde. Nur an einzelnen Stellen - wie bei den Notenbanken - suchte man Teile der Wirtschaftsordnung zu gestalten. Aber im ganzen überließ der Staat die Formen, in denen gewirtschaftet wurde, den Privaten. Die Aufhebung der ungezählten Regulierungen, der Preisfestsetzungen, Verbote, Zwangsverbände usw., die aus dem Mittelalter und aus merkantilistischer Zeit überkommen waren, geschah in der Überzeugung, durch Freiheit eine weit bessere Ordnung als bisher zu realisieren. Man war von dem Glauben beherrscht, endlich die allein richtige, natürliche, göttliche Ordnung entdeckt zu haben und zu verwirklichen; die Ordnung nämlich, in welcher die Gesetze der vollständigen Konkurrenz die Produktion und die Verteilung beherrschen. " Wie wir sehen, geht Eucken - wie wir meinen: zu Recht - davon aus, daß der moderne Staat von Anfang an in massiver Weise wirtschaftspolitisch in die Ökonomie eingegriffen hat; insofern ist eben der moderne Staat zu keiner 10 In der Literatur wird der Laissez-faire-Liberalismus üblicherweise mit den beiden aufeinander bezogenen Konzepten einer "staatsfreien Wirtschaft" und des sog. "Nachtwächterstaates" (F. Lassalle) in Zusammenhang gebracht. Mit letzterem ist ein gleichsam "'negativer' Staat" gemeint, der "sich auf die Abwehr von Verletzungen der Rechtsordnung beschränk(t)" (Trapp 1987: 141), aber nicht in das innere Gefüge der Ökonomie als solcher eingreift (vgl. auch Kromphardt 1980: 18lf.).

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Zeit jener 'Nachtwächterstaat' gewesen, den viele in ihn sehen wollten. Aber Eucken weist ebensosehr mit allem Nachdruck darauf hin, daß der Staat des Laissez-faire-Zeitalters keine spezifische Wirtschaftsordnungspolitik getrieben hat. Dazu sahen die politischen Akteure ja auch keinen Grund, gingen sie doch zuversichtlich, wenn auch einigermaßen unreflektiert, davon aus, daß sich die als optimal eingeschätzte Marktordnung der 'vollständigen Konkurrenz' im naturwüchsig-ökonomischen Handeln der einzelnen quasi automatisch realisieren würde, wenn man diese nur mit den gebotenen Mitteln der staatlichen Gewalt auf die Respektierung der basalen 'bürgerlichen' Institutionen des Privateigentums und des Vertragsrechts verpflichtete. Kurzum: In der Perspektive der Euckenschen Ordnungstheorie warfen die Wirtschaftspolitiker des Laissez-faire-Liberalismus nur allzu naiv den allgemeinen Grundtypus des 'Marktes' und die spezifische Marktordnung der 'vollständigen Konkurrenz' zusammen und dachten, daß mit der politischen Durchsetzung und Garantie der allgemeinen Verkehrs formen einer Marktwirtschaft auch schon die Realisierung 'vollständig konkurrenzieller' Verhältnisse sichergestellt sei. Diese Auffassung nun ist es, die Euckens Kritik radikal in Frage stellen will. Dabei sah der Autor der "Grundsätze der Wirtschaftspolitik" gerade im Fehlen einer spezifischen Marktordnungspolitik den Grund dafür, daß die 'Wettbewerbsordnung' relativ schnell solchen Marktformen Platz machen mußte, die von zunehmender Konzentration und immer weiteren Raum einnehmenden monopolistischen Strukturen des 'organisierten Kapitalismus '\\ geprägt waren. In diesem Sinne würdigt Eucken die Wirtschaftspolitik des Laissez-faire zwar dafür, die Konstitution der Wirtschaft als Marktwirtschaft geleistet und damit auch "die entscheidende Voraussetzung für Entstehung und Ausdehnung der modemen Industrie geschaffen" (ebd.: 29) zu haben. Auf der anderen Seite wäre diese Politik aber an der Aufgabe gescheitert, die politisch erwünschte Ordnungsform der 'vollständigen Konkurrenz' auf Dauer zu garantieren. "Die Wirtschaftspolitik des Laissez1aire", schreibt er, "war 11 Eine erste und weithin beachtete systematische Analyse der Strukturen des' organisierten Kapitalismus' hat R. Hilferding in seiner zuerst 1910 erschienenen Schrift "Das Finanzkapital. Eine Studie über die jüngste Entwicklung des Kapitalismus" versucht. Hierin wurde "das Charakteristische des 'modemen' Kapitalismus" eben in "jene(n) Konzemrationsvorgänge(n)" gesehen, "die einerseits in der 'Aufhebung der freien Konkurrenz' durch die Bildung von Kartellen und Trusts, andererseits in einer immer innigeren Beziehung zwischen Bankkapital und industriellem Kapital" erscheinen (Hilferding 1968: 17). Vgl. zu dem Konzept des 'organisierten Kapitalismus' auch Hofmann 1979b: 150ff. sowie die einzelnen Beiträge in dem von H.A. Winkler (1974) besorgten Sammelband "Organisierter Kapitalismus. Voraussetzungen und An-

fänge".

3.1 Eucken und das 'Monopolproblern '

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ein Versuch, mit verkehrswirtschajtlichen Methoden das Ordnungsproblem zu [ösen" (ebd.: 29; Hervorh. im Orig.), ein Versuch, der eben von vorneherein zum Scheitern verurteilt war. Wir können Euckens grundsätzlicher Überzeugung, daß die dauerhafte Sicherung der Marktform 'vollständiger Konkurrenz' allein durch eine spezielle Wirtschaftsordnungspolitik zu erreichen ist, nur beipflichten: Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß die 'vollständige Konkurrenz', rein auf sich gestellt (in ihrer 'ökonomischen Unmittelbarkeit' also), inhärent instabil ist und prinzipiell den Keim ihrer Selbstaufhebung 12 in sich trägt; was Eucken vor allem auf jenen schon erwähnten 'universalen Hang zur Monopolbildung' zurückführen will. Ordnungspolitisch 'ungebremst' führt dieser 'Hang' nämlich zwangsläufig dazu, daß die Wirtschaftsakteure die ihnen zu Gebote stehende 'Vertragsfreiheit' auch und gerade gegen die Freiheit des Wettbewerbs instrumentalisieren. Daß die 'Wirtschaftspolitik des Laissez-faire' diese Möglichkeit zuließ, darin sieht Eucken (ebd.: 170) einen prinzipiellen Mangel und Widerspruch derselben: "Das Recht der Vertragsfreiheit durfte auch dazu benutzt werden, um Konkurrenz zu beseitigen und um - durch Sperren, Boykott usw. - die Freiheit anderer zu beschränken. Das Prinzip der Vertragsfreiheit geriet in offenen Konflikt mit dem Prinzip des Wettbewerbs. Die Gesetzgebung hat im Zeitalter des Laissez-faire keinen durchgreifenden Versuch unternommen, um diesen Konflikt, der immer wieder ausbrach und die Gerichte dauernd beschäftigte, grundsätzlich zu lösen. Nach einem Worte von Heckscher hat 'der Liberalismus sich niemals klar entschieden für freie Konkurrenz a tous prix gegen Vertragsfreiheit ä. tous prix oder für diese gegen jene'. So war es auch in Deutschland. Nun wurde die Vertragsfreiheit selber dazu benutzt, um einen Zustand herzustellen, in dem sie faktisch ausgeschaltet war. Es wurde etwa - unter Berufung auf die Vertragsfreiheit - ein Kohlensyndikat gebildet, demgegenüber die Kohlenhändler und die Konsumenten keine Vertragsfreiheit mehr besaßen, weil sie auf einen Anbieter angewiesen waren und seine Bedingungen annehmen mußten. "

12 "Die Durchführung des Prinzips des Laissez-faire löst ... die Tendenz zu seiner Aufhebung aus", heißt es bei Eucken (1990: 55). - In einem Abschnitt über 'die Wettbewerbsordnung' , in dem von H.-D. Hardes u.a. herausgegebenen Lehrbuch "Volkswirtschaftslehre. Eine problemorientierte Einführung" (1986: 39) lesen wir hierzu folgendes: "Nach ordoliberaler Auffassung kann das Wettbewerbsprinzip allerdings nur innerhalb eines staatlichen Ordnungsrahmens funktionieren. Ein sich selbst überlassener Wettbewerb würde durch das Streben aller Unternehmer nach höheren und sicheren Gewinnen zu einer Monopolisierung und damit zur Selbstaufhebung des Wettbewerbs führen."

8 Kießling

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An dieser Stelle scheint es uns angebracht zu sein, die bisher erzielten Ergebnisse unserer Auseinandersetzung mit dem ordnungstheoretischen Denken Euckens in der Form eines Zwischenjazits zusammenzufassen. Dabei verdient in diesem Zusammenhang zunächst noch einmal der Umstand Erwähnung, daß Eucken als Resultat des bis zum Beginn des ersten Weltkrieges währenden wirtschaftsliberalen Zeitalters die führenden Industriegesellschaften von 'vermachteten ' und 'monopolisierten' Wirtschafts- und Industriestrukturen durchzogen sah, in denen selbständige Kleinbetriebe nur noch eine marginale Existenz fristeten und insgesamt die Marktform der 'vollständigen Konkurrenz' kaum mehr als den Status eines ziemlich weltfremden Ideals beanspruchen durfte. Gesehen haben wir auch, daß Eucken (einstweilen)13 vor allem zwei Ursachen für diese Entwicklung benennt: Einen 'Hang zur Monopolbildung' der ökonomischen Akteure und eine defizitäre Wirtschaftspolitik des liberalen Staates, die es, einem (so Eucken;) falsch verstandenen Freiheitsverständnis entsprechend, versäumt hat, diesem 'Hang' Einhalt zu gebieten und tatenlos zugesehen hat, wie die 'Wettbewerbsordnung , zuschanden wurde. Wir wollen dieses 'Zwischenfazit' auch dazu nutzen, um mit allem Nachdruck darauf aufmerksam zu machen, daß für Euckens Position selbst, ganz wie für die der von ihm so heftig kritisierten 'Konzentrationstheoretiker' , ein ausgeprägter Mittelstandspessimismus kennzeichnend ist. Soweit wir das Euckensche Denken bislang rekonstruiert haben, scheint dieses ja von der Grundüberzeugung auszugehen, daß sich in der Sphäre der 'unmittelbaren' Ökonomie betriebliche Konzentrationsprozesse unaufhaltsam, gleichsam 'zwangsläufig' ereignen. Soweit jedenfalls steht Eucken selbst fest in der Tradition der altehrwürdigen 'Theorie vom zwangsläufigen Niedergang des Kleinbetriebs'; Und gerade der Nachdruck, mit dem Eucken vom Staat eine spezielle Wirtschaftsordnungs-, und das heißt für ihn vor allem; Wettbewerbspolitik, fordert, zeigt, wie sehr er die Marktform der Konkurrenz und mit ihr Existenz und Überleben kleiner selbständiger Betriebe in der modemen Industriegesellschaft für prinzipiell prekär hält. Wettbewerbspolitik ist nur deshalb notwendig, weil der Wettbewerb als solcher über sich hinaustreibt. In einer anderen Hinsicht freilich unterscheidet sich Euckens Ansatz radikal von dem der herkömmlich argumentierenden Anhänger der traditionellen 'Niedergangstheorie' ; Wo diese nämlich in ausschließlicher I3

Auf die Rolle der 'Technik' im Euckenschen Denken werden wir noch zurückkommen.

3.1 Eucken und das 'Monopolproblem'

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Orientierung auf die ökonomische Sphäre mittelstandspessimistische Trübsal geblasen haben, da kehrt Eucken den Analysefokus um und bezieht vor allem die Sphäre der Politik integral in sein Theoriedesign ein. Euckens Kritik an der Konzentrationstheorie ist insofern auch nicht 'ökonomisch' orientiert, sondern lebt gleichsam von der grundlegenden Annahme, daß die in der modemen Industriegesellschaft durchaus empirisch konstatierbaren Konzentrationstendenzen insofern nicht den Status absoluter Zwangsläufigkeit beanspruchen dürfen, als auf der Ebene der Politik entsprechende Gegengewichte gesetzt werden können. Gerade in dieser Perspektive gewinnt die Euckensche Gedankenführung für die in der vorliegenden Studie vorgeschlagene politikzentrierte Reorientierung der Kleinbetriebsforschung immense Relevanz: In der Auseinandersetzung mit Euckens Ordnungstheorie können wir ein Gefühl für die methodische Notwendigkeit entwickeln, zunächst ausschließlich 'ökonomisch' bestimmt scheinende 'Gegenstände' immer auch mit explizitem Bezug auf die Sphäre der 'Politik' zu reflektieren. Eucken (ebd.: 13) schärft unsere Wahrnehmung des unaufhebbaren "Zusammenhang(s) von Wirtschaft und Politik" in allgemeiner Hinsicht und macht uns sensibel dafür, in der Auseinandersetzung mit den Reproduktionsbedingungen und Entwicklungschancen kleiner selbständiger Unternehmen in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft immer auch zentral die jeweilige "Wirtschafts- und Rechtspolitik" (vgl. ebd.: 235) und die "Daten ... der rechtliche(n) und soziale(n) Organisation" (ebd.: 236) als konstitutive Elemente der relevanten "Bedingungskonstellation" (ebd.: 219,222) in Rechnung zu stellen. 14 Wir haben bisher gesehen, wie Eucken in seiner Kritik an den Defiziten der 'Wirtschaftspolitik des Laissez-faire' die normative Forderung an den Staat entwickelt hat, die Wirtschaft der modemen Industriegesellschaft als 'vollständige Konkurrenz' zu 'ordnen', also die 'Wettbewerbsordnung' durchzusetzen und gegen Angriffe zu schützen. Dabei konnten wir in unserer Auseinandersetzung mit den Grundlagen der Euckenschen Ordnungstheorie uns auch schon einen ersten Eindruck davon machen, wie sehr die Reproduktionsbedingungen der kleinen selbständigen Unternehmen in der modemen

14 Vgl. hierzu auch den folgenden 'methodischen Hinweis' aus den "Grundsätzen der Wirtschaftspolitik": "Die Wirtschaftspolitik setzt ordnungspolitische Bedingungen; diese lösen Tendenzen aus, - welche oft nicht beachtet, aber absehbar sind und beachtet werden könnten." (ebd.: 222)

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3. Das Kleinunternehmen und der moderne Staat

Gesellschaft grundsätzlich von politischen 'Bedingungskonstellationen' (mit) bestimmt sein müssen und sind. Eindrucksvolle empirische Belege dafür stellt Eucken selbst gerade auch im Zusammenhang seiner Kritik an der 'Wirtschaftspolitik der Experimente'15 vor. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß das Zeitalter der 'Experimente' für Eucken (ebd.: 55) mit "dem Kriege 1914/18" begann; damals sei "die Wirtschaftspolitik der Welt in eine neue Ära eingetreten". Interessant ist nun zunächst einmal, daß in dieser Zeit, die in der Euckenschen Datierung bis nach dem zweiten Weltkrieg reicht, die Staaten der fortgeschrittenen Industriegesellschaften sich zwar von den Prinzipien eines rigorosen 'Laissez-faire' distanzierten, sich aber keineswegs am Ideal der 'Wettbewerbsordnung' orientieren wollten, sondern ganz im Gegenteil auf die "Förderung und Aufrichtung von Monopolen" (ebd.: 55) setzten und damit betriebliche Konzentrationsprozesse und den korrespondierenden Niedergang der selbständigen Kleinbetriebe politisch forcierten. Eucken verweist in diesem Zusammenhang auf 'interventionistische' Strategien; auf Versuche, zentralverwaltungswirtschaftliche Systeme aufzubauen; schließlich auf die kriegswirtschaftlichen Anstrengungen der einzelnen Staaten, die allesamt auf eine Favorisierung großbetrieblicher Strukturen hinausliefen. Als wohl bestes Beispiel hierfür nennt Eucken das nationalsozialistische Deutschland (vgl. hierzu auch: Barkai 1977; Neumann 1977; Herbst 1982), wo zentralverwaltungswirtschaftliche Strukturen bereits frühzeitig in kriegswirtschaftlicher Perspektive aufge15 Eucken unterscheidet idealtypisch zwei Grundformen wirtschaftspolitischer 'Experimente' (zusammen mit den korrespondierenden Ordnungsformen). Die folgenden relativ knappen Hinweise mögen genügen. - Die erste 'Form' ist für Eucken (1990: 58; Hervorh. im Orig.) die "Politik zentraler Lenkung des Wirtschaftsprozesses"; diese "(ist) insofern das Gegenstück zur Politik des Laissez-faire, als in ihr der alltägliche Wirtschaftsprozeß und die Wirtschaftsordnung vom Staate bestimmt werden - während ja die Politik des Laissez-faire beides den Privaten überließ." Exemplarisch für diesen ersten Typus verweist Eucken (ebd.) auf die "meisten kriegführenden Staaten der beiden großen Kriege des 20. Jahrhunderts", auf "Rußland" etwa "seit 1928", auf "Deutschland zwischen 1938 und 1948", weiters auf "England und Holland auch nach 1945". Mit Bezug auf den zweiten Typus wirtschaftspolitischer 'Experimente' lesen wir in den "Grundsätzen" (ebd.) folgendes: "Die anderen Experimente sind bemüht, zwischen zentraler Lenkung des Wirtschaftsprozesses und Freiheit in der Gestaltung der Ordnungsformen und in der Lenkung der Wirtschaft die Mitte zu behalten." (ebd.: 58) Eucken behandelt diesen Typus näher im 9. Kapitel seiner "Grundsätze" (ebd.: 140ff.), wo auch davon die Rede ist, daß es hier um die Suche nach einem praktikablen "Komprorniß zwischen Laissez-faire und Zentralverwaltungswirtschaft" (ebd.: 144) ginge, nach einer "Kombination von Freiheit und zentraler Lenkung" (ebd.: 140) also. Genannt werden in diesem Zusammenhang die Ansätze zu einer "Vollbeschäftigungspolitik" , wie sie in ihren theoretischen Grundsätzen vor allem auf die Theorie J .M. Keynes' zurückgehen (vgl. ebd.: 140ff.); die "Politik partiell zentraler Leitung des Wirtschaftsprozesses" (vgl. ebd.: 144ff.) und Versuche der Lenkung der Wirtschaft über die Institutionalisierung berufsständischer Ordnungen (vgl. ebd.: 145).

3.1 Eucken und das 'Monopolproblem '

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baut wurden. Als für die spezielle Problematik unserer Studie besonders aufschlußreich sei die folgende Passage aus den "Grundsätzen" ausführlich zitiert (Eucken 1990: 78; Hervorh. im Orig.): "Die vielen industriellen Klein- und Mittelbetriebe, die es in Deutschland gab, stellten für ihre Maschinen, Ersatzteile, Hilfsstoffe usw. individuelle und verschieden geartete Ansprüche, die von Planstellen schwer beurteilt und entschieden werden konnten. Überhaupt sind die Klein- und Mittelbetriebe in ihrer unübersehbaren Mannigfaltigkeit schwer zentral zu planen .... So führte die Zentralverwaltungswirtschaft dahin, daß nicht nur eine Typisierung und Normierung stattfand, sondern daß bei Neubauten möglichst große Betriebe geschaffen wurden. Man denke etwa an das Volkswagenwerk in Fallersleben. Grundsätzlich wichtig ist hierbei, daß eben nicht nur die Betriebsgröße auf die Wirtschaftsordnung einwirkt. Hierüber ist in der Literatur viel gesprochen worden, und man hat gemeint, daß die wachsende Betriebsgröße zu Monopolen oder zur Zentralverwaltungswirtschaft geführt habe. Manchmal ist dies tatsächlich der Fall. Doch

auch der umgekehrte Kausalnexus besteht. Je nach der Wirtschaftsordnung wird das Optimum der Betriebsgröße an anderer Stelle gesucht. So werden

z.B. in den Wirtschaftsordnungen des zentralverwaltungswirtschaftlichen Typs besonders große Betriebseinheiten bevorzugt oder geschaffen, die in einem Lande sonst vielleicht nie entstanden wären. Dies war auch in Deutschland der Fall. Die Wahl sehr großer Betriebseinheiten ergibt sich aus der besonderen Form der Planung, die in der Zentralverwaltungswirtschaft stattfindet. Durch das langjährige zentralverwaltungswirtschaftliche Regime erhielt die deutsche Volkswirtschaft einen anderen Charakter: Großbetriebe, Normung, Typisierung und Standardisierung wurden ausgedehnt. "16 Eucken macht hier darauf aufmerksam, daß die in einer konkreten Volkswirtschaft empirisch vorfindlichen 'Betriebsgrößenverhältnisse' mit der je realisierten Wirtschaftsordnung in einem integralen Zusammenhang stehen, mit anderen Worten also vor allem auch von den ökonomischen und wirtschaftspolitischen Interessen des Staates abhängen. So hinterließ gerade die "Kriegswirtschaft der kriegführenden Länder, die im 20. Jahrhundert dem zentralverwaltungswirtschaftlichen Typ zugehörte, ... meist sehr große Werke" (ebd.: 16 In diesem Zusammenhang verdient auch erwähnt zu werden, daß in der Literatur zu Recht immer wieder auf die tiefe Kluft zwischen der, zunächst noch auf die kleinbürgerlichen Wählerkreise schielenden, "nationalsozialistischen Mittelstandspropaganda " (Unterstell 1989: 106ff.) und der realiter praktizierten, betriebliche Konzentrationsprozesse fördernde, Wirtschafts-, Industrie- und schließlich Kriegspolitik der etablierten Nazi-Herrschaft hingewiesen worden ist (vgl. etwa Winkler 1972: 183ff; Leppert-Fögen 1974: 259ff.; Winkler 1978; Franke 1988: 175ff.).

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235),17 was von Eucken (ebd.: 236) mit den folgenden Worten kommentiert wird: "Schon hier zeigt sich die Einwirkung der Wirtschaftsordnung auf die Größe der Werke ... "18. An dieser Stelle sei in einem weiteren Zwischenjazit auf folgendes aufmerksam gemacht: Und zwar darauf, daß es angesichts der von Eucken selbst verfolgten - und empirisch so eindrucksvoll belegten - Entwicklungstendenzen der fortgeschrittenen Industriegesellschaften eigentlich nicht verwundern muß, daß in Politik, Öffentlichkeit und nicht zuletzt auch in der Wissenschaft der 'Mythos von der Zwangsläufigkeit der Entwicklung' hin zu zunehmend 'vermachteten', 'monopolisierten' und 'konzentrierten' Wirtschaftsstrukturen immer mehr Anhänger gefunden hat. 19 Und dennoch will Eucken diesen 'Mythos' herausfordern: Daß er dabei vor allem auj die Sphäre der Politik reflektiert und sich so von den 'herkömmlichen' 'Konzentrations-' und 'Niedergangstheoretikern' argumentativ absetzt, haben wir ja schon gesehen. Im folgenden wollen wir noch zeigen, daß Eucken (nach dem bisher Entwickelten muß man sagen: überraschenderweise) auch in der Sphäre von Ökonomie und namentlich in der modernen Technik selbst Tendenzen angelegt sieht, die das 'Element der Konkurrenz' zu stärken scheinen. Unserer Meinung nach verlohnt es sich, ein wenig eingehender auf die entsprechenden Ausführungen einzugehen; und sei es nur deswegen, um dem Leser zu zeigen, daß viele Argumente, wie sie in der aktuellen Kleinunternehmerdiskussion mit dem Anspruch auf Originalität auftreten, so neu nicht sind: Vieles, was wir im folgenden aus dem einschlägigen 14. Kapitel "Technik, Konzentration und Ordnung der Wirtschaft" der "Grundsätze" (vgl. ebd.: 225ff.) vorstellen wollen, kennen wir nämlich schon aus unserer Diskussion der Kleinunternehmerliteratur der 80er Jahre (s.o. Abschnitt 2.2.5). Überaus aufschlußreich wird es frei17 Vgl. hierzu auch die folgenden beiden Passagen aus den "Grundsätzen der Wirtschaftspolitik" (ebd.: 152, 18lf.): "Würde das 20. Jahrhundert nicht zwei große Kriege hervorgebracht haben, so würden die Wirtschaftsordnungen der Welt anders aussehen. Krieg und Politik zentraler Leitung des Wirtschaftsprozesses hängen eng zusammen." "Zum Beispiel: Ein Staat ist verfassungsrechtlich ein Bundesstaat mit betont föderalistischem Charakter. Im Zusammenhang mit einem Krieg ändert aber dieser Staat seine Wirtschaftsordnung. Nunmehr wird in ihm die Lenkung des Wirtschaftsprozesses so vorgenommen, daß zentrale Planstellen beauftragt sind, ihn zu dirigieren. " 18 Die Frage danach, warum die Staaten gerade mit Blick auf außenpolitische Krisen und Herausforderungen der internationalen Staatenkonkurrenz sich bevorzugt auf eine großbetrieblich organisierte ('konzentrierte') Ökonomie zu verlassen scheinen, wird uns später noch im Rahmen unseres Versuchs einer grundbegrifflichen Klärung des Verhältnisses von modernem Nationalstaat und marktwirtschaftlicher Ökonomie beschäftigen. 19 "Die Menschen des 20. Jahrhunderts sind in wachsender Zahl geneigt, die Zwangsläufigkeit als gegeben anzusehen", konstatiert Eucken (1990: 200) selbst.

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lich sein zu sehen, daß Eucken auf die von ihm in der modemen Wirtschaft entdeckten konkurrenzfördernden 'Elemente' ökonomischer und technischer Natur in solcher Weise Bezug nimmt, daß er schließlich doch wieder auf die Sphäre der Politik zurückverwiesen wird. Und überhaupt, das sei bereits an diesem Ort erwähnt, geht es Eucken in dem 14. Kapitel seiner "Grundsätze" theoriestrategisch ohnehin nur darum, Argumente für seine Überzeugung beizubringen, daß die ordnungspolitische Realisierung des Ideals der 'Wettbewerbsordnung' jedenfalls nicht an gegenläufigen Entwicklungstendenzen der 'modemen Technik' scheitern muß. So heißt es gleich zu Beginn des besagten Kapitels: "Wenn sich in der Wirtschaftspolitik das Denken in Ordnungen durchsetzen soll, dann muß vor allem mit einer Grundkonzeption aufgeräumt werden, die heute bei der Beurteilung der Fragen wirtschaftlicher und sozialer Macht und aller übrigen wirtschaftspolitischen Fragen weit verbreitet ist: Die modeme Technik führe - so heißt es - zwangsläufig zur Großmaschine und zum Großbetrieb, damit zur Konzentration und zum Monopol und von da schließlich zur zentralen Lenkung des Wirtschaftsprozesses. Die modeme Technik töte somit die Konkurrenz." (ebd.: 225) Natürlich fehlt in diesem Zusammenhang auch bei Eucken der explizite Hinweis auf die einschlägigen Formulierungen Marxens nicht.2o Ebensowenig vergißt Eucken (vgl. ebd.: 226, Fn. 1), Autoren wie Schumpeter, G. Masci oder auch E. Schmalenbach zu erwähnen, um die uns ja bereits hinlänglich bekannte 'klassische' Annahme einer vor allem 'technikbedingten' unaufhaltsamen Konzentrationstendenz zu markieren, welche er zu Recht als "die herrschende Ansicht" (ebd.: 225) bezeichnet. Eucken aber ist davon überzeugt, daß es sich hier um einen 'Mythos' handelt: Und jedes Argument, das er gegen diesen beibringen kann, wird letztlich seine ordnungspolitische Überzeugung, daß, allen Unkenrufen zum Trotz, auch und gerade die 'moderne Industrie' als 'Konkurrenz' geordnet werden kann, unterstützen. Sehen wir also zu, welche Argumente Eucken für seinen zu der 'herrschenden Ansicht' ("die modeme Technik töte die Konkurrenz") konträren Standpunkt ("Die Technik verstärkt die Konkurrenz", wie der zweite Abschnitt des 14. Kapitels der "Grundsätze" überschrieben ist) zu mobilisieren versteht. Vorgestellt sei zunächst die Grundüberzeugung Euckens, daß näm20 "Der heutige Stand der Technik oder wie Marx formulierte - 'die Entwicklungsstufe der materiellen Produktivkräfte' mache die Konzentration der Produktion in einem oder in wenigen großen Werken notwendig, sie führe zwangsläufig zum Monopol." (ebd.: 225f.)

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lieh die Technik 'heute' andere Wirkungen zeitigt als im vergangenen Jahrhundert: "Daß in den Zeiten der St.-Simonisten und von Marx die Auffassung entstand, die moderne Technik töte die Konkurrenz, ist durchaus begreiflich. Inzwischen aber ist die Industrialisierung stark fortgeschritten, und neue wesentliche Tatsachen üben ihren Einfluß aus. Sie weisen genau in die entgegengesetzte Richtung. Eine ungemein starke Tendenz zur Konkurrenz wird nunmehr durch die Anwendung der modernen Technik ausgelöst. Sie verstärkt sich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt und ist im 20. Jahrhundert weit stärker als im 19. Jahrhundert." (ebd.: 227) Warum soll dem so sein? Eucken nennt hierfür drei Gründe bzw. Ursachen, die wir im einzelnen vorstellen wollen. So ist erstens davon die Rede, "daß durch die außerordentliche Verbesserung und Verbilligung des Verkehrs ... die vielen lokalen Märkte ineinandergeschoben (wurden) und ... ihre Selbständigkeit (verloren)" (ebd.: 227) haben. Eucken denkt hier in erster Linie an den Umstand, daß die modernen Verkehrstechniken die lokale und regionale Segmentierung und Schließung von Märkten zunehmend erschweren. Sein Fazit scheint insofern in der Tat naheliegend zu sein: "Die Konkurrenz, die früher selten war, ist lebendig geworden. Und zwar war es die moderne Technik, die sie zur Entwicklung brachte." (ebd.: 228)

Zweitens will Eucken geltend machen, daß die moderne "Technik ... zu einer ungeahnten Verschärfung der Substitutionskonkurrenz (geführt)" (ebd.: 228) hat. "Dadurch", so Eucken (ebd.: 228f.), "wächst die Elastizität der Nachfrage nach der einzelnen Ware; die Marktform nähert sich also der vollständigen Konkurrenz an, auch wenn der Anbieter der einzelnen Warenart Monopolist ist. Dadurch werden Monopole gezwungen, sich ähnlich wie in Konkurrenz zu verhalten: So etwa Ziegeleikartelle, die mit der Konkurrenz neuer Baustoffe, also mit größerer Elastizität der Nachfrage rechnen müssen; oder Eisenbahnen bei aufkommender Kraftwagenkonkurrenz. So allgemein ist die Substitutionskonkurrenz geworden, daß sie in jedem Betrieb und in jedem Haushalt bei Kauf und Verkauf mitentscheidend ist. " Das dritte Argument nun, das Eucken in Anschlag bringt, spielt gerade auch in der zeitgenössischen Kleinunternehmerdiskussion eine zentrale Rolle: In unserer Vergegenwärtigung derselben haben wir gesehen, wie hier vor allem das 'Flexibilitätspotential ' der kleinbetrieblichen Produktion immer wieder ins Feld geführt wird. Um so mehr muß es uns freilich verwundern, wenn

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wir schon in den Euckenschen "Grundsätzen der Wirtschaftspolitik" auf das folgende Lob der 'Flexibilität' und 'Anpassungsfähigkeit' der industriellen Fertigung (ebd.: 229) stoßen: "Durch die neuere Entwicklung des technischen Wissens hat der moderne Industrieapparat in hohem Maße an Fähigkeit zur Anpassung gewonnen. Die Fähigkeit der Fabriken der weiterverarbeitenden Industrie, rasch von einer Fertigung zur anderen überzugehen, also den Markt zu wechseln, ist stark gewachsen. In den beiden großen Kriegen des 20. Jahrhunderts ist diese Tatsache ganz deutlich geworden. Sie hat auch Fachkenner überrascht, und sie hat zugleich den Ablauf der Kriege wesentlich mitbestimmt. Uhrenfabriken stellten sich auf Zünderfabrikation, Maschinenfabriken auf die Produktion von Granaten und U-Boot-Teilen sehr rasch um. In kurzer Zeit war ein großer Teil des industriellen Produktionsprozesses umgeleitet. Und umgekehrt in anderer Richtung nach Beendigung der Kriege, wenn sich z.B. Kanonenfabriken auf Maschinen, Fabriken von Panzern auf Lastwagen umstellten. Die erstaunlich rasche Anpassung des amerikanischen Produktionsapparates nach 1945 ermöglichte den Übergang zur Friedensproduktion ohne Krise oder Depression. " Beachtenswert ist hier allerdings, daß bei Eucken von einer mit der Entwicklung der modernen Technik zunehmenden 'Anpassungsfähigkeit ' der Industrie überhaupt die Rede ist, während die heutigen 'Kleinunternehmerfans' 'Flexibilitätsgewinne' typischerweise nur (bzw. bevorzugt) den Kleinbetrieben zuschreiben und Großunternehmen hingegen als träge und schwerfällige Kolosse diskreditieren wollen. Aber sehen wir zu, wie Eucken (ebd.: 229) seinen "Begriff 'Fähigkeit zur Anpassung der Produktion''', der "einen genau umgrenzten Inhalt (hat)", bestimmt (ebd.): "Es ist die Fähigkeit eines Betriebes, seine Produktion von einern Markt auf einen anderen überzuleiten. Und diese 'Fähigkeit zur Anpassung der Produktion' hat im letzten halben Jahrhundert eine ungewöhnliche Steigerung erfahren." Von Interesse ist, was Eucken (ebd.: 229f.) hierzu näher ausführt: "Anders als noch um 1900 werden die Produktionsprogramme in den Betrieben der indu.~triellen Weiterverarbeitung fortwährend geändert: Eine Fabrik z.B., die Ofen herstellt, nimmt auch die Fabrikation von Kühlschränken und später von Radioapparaten auf. Sie erscheint also auf neuen Märkten als Konkurrent. Eine andere Firma, die auf einern oligopolistischen Markt Spezialpumpen anbot, gibt den Kampf auf und produziert Landmaschinen. Eine dritte Firma stellt sich von Fahrrädern auf Motorrädern um, eine vierte Firma der optischen Industrie beginnt mit der Fabri-

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kation von Schlössern. Und zwar wechseln die Produktionsprogramme der produzierten Waren von Jahr zu Jahr - je nach den Gewinnchancen. Die Auslese der 'Artikel' ist für die Betriebe der weiterverarbeitenden Industrie fortwährend eine Aufgabe, und die Wahl liegt keineswegs fest. Würden nicht Patente oder Lizenzgebühren den Übergang behindern, so würde das Fluktuieren der Firmen von Markt zu Markt noch stärker sein. Die Technik, vor allem die Entwicklung der modemen Maschinentechnik, erlaubt es. Deshalb müssen auf den meisten Märkten der weiterverarbeitenden Industrie die Anbieter mit dem Auftauchen neuer leistungsfähiger Konkurrenten fortwährend rechnen. " Wir sehen hier, wie Eucken von der 'Technik', namentlich von der 'modemen Maschinentechnik' , eine Steigerung der 'Anpassungsfähigkeit' (oder eben: 'Flexibilität') der industriellen Produktion erwartet; und wie er damit rechnet, daß in dieser Perspektive "das Element der Konkurrenz - Konkurrenz im strengen Sinne des Wortes - verstärkt" wird (ebd.: 227). An dieser Stelle müssen wir für einen Moment innehalten, scheint uns doch in der Euckenschen Argumentation eine logische Ungereimtheit zu stecken: Wir haben nämlich Probleme damit, den Gedanken nachzuvollziehen, daß die modeme ('anpassungsfähige') Technologie als solche die in Aussicht gestellte 'Verstärkung des Elementes der Konkurrenz' bewirken soll. Uns jedenfalls scheint es, daß das entsprechende Argument nur dann greifen kann, wenn man plausibel begründete, daß flexible Technologien bevorzugt von kleinen Unternehmen in Anschlag gebracht werden und insofern deren Konkurrenzchancen gegenüber den Großbetrieben verbessert werden. Genau in diesem Zuschnitt wird das Argument heute von Autoren wie Piore und Sabel vertreten, wogegen wir freilich bereits oben in Abschnitt 2.2.5 - wie wir meinen nur allzu berechtigte - Einwände vorgebracht haben: Dort hatten wir gegenüber dem allzu euphorischen Optimismus der zeitgenössischen 'Kleinunternehmerfans ' zu bedenken gegeben, daß der Einsatz flexibler Technologien gerade für finanzstarke Großunternehmen ein probates Mittel ist, ihre Konkurrenzvorteile gegenüber kleinen Produzenten zu behaupten und womöglich weiter auszubauen (vgl. hierzu Williams et al. 1987: 429ff.; Brandt 1990b: 315ff.). Blicken wir nun auf die über vierzig Jahre alte Euckensche Argumention zurück, so scheint diese - wenn auch ungewollt - unsere Bedenken nur noch zu bekräftigen: So wie Eucken sein Argument profiliert, stellt er keineswegs auf unterschiedliche Unternehmensgrößen ab, weshalb auch nicht abzusehen ist, warum die modeme Technik die Konkurrenz allgemein beför-

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dem soll und nicht etwa insbesondere große Unternehmen selektiv begünstigen könnte. 21 Eucken spricht in diesem Zusammenhang nur davon, daß die 'modeme Produktionstechnik' als solche durch eine hohe 'Anpassungsfähigkeit' an eine rasch wechselnde Nachfrage charakterisiert sei; davon aber, daß die Vorteile der 'anpassungsfähigen Technik' nur oder bevorzugt den kleineren Unternehmen zugute kämen, ist nicht die Rede. Wenn Eucken (ebd.: 230) also gegen den, wie er sich ausdrückt: "Anachronismus der Ideen", und namentlich gegen die "Meinung, die vor über 100 Jahren entstand", aber "noch immer herrscht", zu Felde ziehen will, "daß mit der modemen Produktionstechnik die Unternehmen die Fähigkeit verlören, sich den Änderungen der Nachfrage auf den Märkten anzupassen", denkt er dabei an Unternehmen jeglicher Größenordnung. In diesem Zusammenhang liest sich die folgende Passage aus den "Grundsätzen der Wirtschaftspolitik" (ebd.: 230f.; Hervorh. v. uns) wie eine vorweggenommene Kritik an Piore und Sabel, die die Wachstumsprobleme der fortgeschrittenen Industrieländer mit einer (vermeintlichen) Krise der Strukturen der großbetrieblichen Massenproduktion in Verbindung bringen wollen22 , und die sich von einer Reorganisation der Industrie in der Perspektive kleinbetrieblich fokussierter Systeme 'flexibler Spezialisierung' die Freisetzung eines neuen Wachstumspotentials erhoffen: "Man stellt sich den modemen Produktionsapparat als starr vor: Ausgerichtet auf bestimmte Fertigungen, technisch unfähig sich anzupassen. Dem wird die rasch wechselnde Nachfrage gegenübergestellt und aus diesem Konflikt ein großes wirtschaftliches Problem konstruiert (Piore und Sabel!; B.K.). Diese Idee gehört auch zu den Grundvorstellungen der von Keynes 21 Mit allgemein orientierten Aussagen muß man bezüglich dieser Problematik vorsichtig sein, da hier viel, wenn nicht alles, von den historisch-empirischen Umständen abhängt. Konkret gesprochen spielt hier die selektive Verfügbarkeit der avancierten Technologien eine eminente Rolle: Sind diese auch für kleinere Produzenten erschwinglich, so können sie ohne Zweifel dazu beitragen, die 'Strategiefahigkeit' bzw. Konkurrenzfahigkeit der Kleinunternehmen gegenüber großen Herstellern zu verbessern. Wie wir im zweiten Kapitel unserer Studie gesehen haben, mußte in der älteren Kleinunternehmerliteratur für diesbezügliche Argumentationszwecke immer wieder der "elektrische Kleinmotor" herhalten. Insofern muß es uns nicht weiter verwundern, daß ein entsprechender Hinweis auch in den Euckenschen "Grundsätzen" (ebd.: 234) nicht fehlt: "Im übrigen hat bekanntlich die neuere technische Entwicklung - so die Elektrifizierung durch den Kleinmotor - in zahlreichen Branchen das kleine und mittlere Werk kostenmäßig begünstigt. " 22 Zur Vergegenwärtigung des Argumentes von Piore und Sabel (1989: 11) vgl. folgendes Zitat: "Unsere Behauptung ist, daß die gegenwärtige Verschlechterung der Funktionsfahigkeit der kapitalistischen Wirtschaften von den Grenzen der auf Massenproduktion beruhenden industriellen Entwicklung herrührt: also dem Einsatz spezialisierter, produktionsspezifischer Maschinen und angelernter Arbeiter zur Produktion standardisierter Güter."

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beeinflußten Vollbeschäftigungstheorie und Vollbeschäftigungspolitik, die versucht, den angeblich starren Apparat trotz des Wechselns der Nachfrage in Gang zu halten. Aber diese Grundvorstellung steht in vollständigem Widerspruch zur Realität. Um 1850 oder 1900 besaß zwar der industrielle Produktionsapparat bei geringer entwickelter Technik eine gewisse Starrheit, die er aber heute längst verloren hat. ... Fortwährend geht die Anpassung der Produktionspläne an die Gewinnchancen auf den vielen Märkten, z.B. der chemischen Industrie oder des Maschinenbaues oder der Schuhindustrie vor sich - auch wenn viel Kapital in den Anlagen der Werke fest investiert ist. " Daß mit der Entwicklung der industriellen Fertigungstechnologien eine enorme Zunahme der 'fixen Kosten' verbunden ist, stellt natürlich auch Eucken in Rechnung. Aus diesem unbezweifelbaren Umstand aber auf eine Rigidität der Industrieproduktion schließen zu wollen, hält er (ebd.: 231) nichtsdestotrotz für verkehrt: "Die relative Zunahme der 'fixen' Kosten in der modernen Industrie ist oft beschrieben worden, - z.B. von Schmalenbach .... Da wird ein großes Kesselhaus mit Staubfeuerung oder eine Räderfräsmaschine geschildert. Den arbeitenden Menschen sieht man kaum; der Produktionsapparat scheint in Stein und Eisen fixiert zu sein. Daraus wurde gefolgert, daß dem industriellen Produktionsapparat die Fähigkeit der Anpassung fehle. Als ob der Produktionsapparat stets die gleichen Waren ausstoße. Tatsächlich werden durch das Kesselhaus etwa Maschinen bewegt, die in dauerndem Wechsel andere Waren erzeugen, und die Räderfräsmaschine dient ebenfalls wechselnden Produkten. Auch das fließende Band, etwa einer Fahrradfabrik, erlaubt es, daß sehr verschiedene Produkte durch das Band bewegt und mit ihm hergestellt werden. " Euckens (ebd.) einleuchtendes Argument ist, daß "'fixe Kosten' ... nicht 'fixierte Produktion' (bedeuten)", daß "trotz hoher fixer Kosten der Produktionsapparat anpassungsfähig sein kann", und daß "also die alte Lehre überholt ist": "Direkt oder indirekt ist die Fähigkeit zur Anpassung der Produktion im Zuge der technischen Entwicklung so gewachsen, daß der ganze moderne Produktionsapparat in hohem Maße anpassungsfähig ist" (ebd.; Hervorh. von uns). Wohlgemerkt, und es verdient durchaus, nochmals unterstrichen zu werden: Anders als bei den heutigen 'Kleinunternehmerfans' , für die Flexibilität vor allem eine kleinbetriebliehe Tugend ist, ist bei Eucken von der gestiegenen Anpassungsfähigkeit des 'ganzen (!) modernen Produktionsapparates' die Rede. Was freilich in seiner Konsequenz auch bedeutet, daß der Hinweis auf

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die 'konkurrenzverstärkende' Wirkung der modemen Technik ins Leere zielt, wofern man unter 'Konkurrenz', wie Eucken dies ja tut, die 'Konkurrenz vieler kleiner Anbieter' verstehen will: Eucken muß seine eigene Deutung der Technik sozusagen 'vergewaltigen', um daraus ein Argument für die Stärkung der Konkurrenzfahigkeit der Kleinbetriebe und damit der Konkurrenz überhaupt zu gewinnen. Und auf keinen Fall darf er beanspruchen, mit seinen Ausführungen eine stringente Kritik des 'Technikmythos' ("Die modeme Technik führe - so heißt es - zwangsläufig zur Großmaschine und zum Großbetrieb ... ; ebd.: 225) geleistet zu haben. Hinreichend klar dürfte geworden sein, daß Eucken mit Bezug auf die modeme Technik durchaus ambivalent argumentiert. Und schließlich ist in den "Grundsätzen der Wirtschaftspolitik" selbst von einer 'ambivalenten' Natur der modemen Technik die Rede (ebd.: 240): "Die Entwicklung des modemen technischen Wissens hat sich nach zwei Seiten hin ausgewirkt. Sie hat zur Vernichtung vieler kleiner Betriebe geführt, aber sie hat - im Gegensatz hierzu - durch Entfaltung der Substitutionskonkurrenz, Erweiterung der Absatzradien und steigende Anpassungsfahigkeit der Produktion auch das Element der Konkurrenz verstärkt. Ihre Wirkung auf den Konzentrationsprozeß war also ambivalent. " Man sieht sofort, daß der Konkurrenzbegriff hier überhaupt nicht mehr auf die Sphäre kleiner Betriebe zugeschnitten ist: Die' Vernichtung vieler (!) kleiner Betriebe' und die 'Verstärkung' der Konkurrenz werden in dem angeführten Zitat auf eine solche Weise in Zusammenhang gebracht, wie man das in Anbetracht der oben vorgestellten Euckenschen Exposition des Ordnungsideals der 'vollständigen Konkurrenz' nicht erwartet hätte. Offenbar geht es Eucken hier darum, seinen Konkurrenzbegriff so umzuinterpretieren, daß die empirischen Konzentrationstendenzen, die er ja selbst bezeugen will,23 mit 23 Aus folgendem Zitat mag erhellen, in welchem Maße Eucken (ebd.: 233f.; Hervorh. im Orig.) sich der empirisch beobachtbaren Konzentrationstendenzen bewußt war: "Regelmäßig", so Eucken, "besteht die industrielle Konzentration also in der Vereinigung vieler Werke unter einheitlicher Leitung. - Ist aber diese Konzentration nicht vielleicht durch die Entwicklung der Technik bewirkt? Man kann geltend machen: Oft werden durch größere Werke, die mit neuen Verfahren arbeiten, kleine Firmen, die noch eine ältere Technik anwenden, vernichtet oder bedroht. Erhebliche Teile des Handwerks wurden aus der Produktion gedrängt: so z.B. Teile des Textilhandwerks oder der Müllerei - die Bedrohung vieler kleiner Kalkwerke durch moderne Großanlagen oder zahlreicher älterer Essigsäurefabriken durch neue, die durch Großerzeugung billiger produzieren. Wird dadurch nicht die Konzentration in die Wege geleitet?" Auf diese Frage gibt Eucken (ebd.: 234) die folgende lapidare Antwort: "Solche Tatbestände sind früher und heute häufig. "

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diesem in 'kategorialen' Einklang gebracht werden können. 24 Mit anderen Worten: In der Bezugnahme auf historisch-empirische Entwicklungstrends von Ökonomie und Gesellschaft operiert Eucken mit einem Konkurrenzbegriff, der anders als sein normativ-ordnungspolitisches Konzept nicht auf die Verhältnisse kleinbetrieblicher Konkurrenz zugeschniuen ist. Wenn Eucken also davon spricht, daß die modeme Technik die Konkurrenz fördere, dann zeigt gerade die von ihm selbst bemühte Empirie die Problematik dieser Rede: Insofern schlagen wir hier die Deutung vor, daß es Eucken mit seinem Verweis auf die Technik vor allem darum geht, die Suggestion zu lancieren, daß die Verwirklichung seines Ideals einer 'vollständig konkurrenzielI' (und also im Kern kleinbetrieblich) geordneten Marktwirtschaft nicht allein von einem ordnungspolitischen Dezisionismus zu erhoffen ist, sondern vielmehr die "Wirtschaftspolitik ... (nur) ... zur Entfaltung bring(t), was in den Dingen selbst zur Realisierung drängt" (ebd.: 240).25 Mit diesem Kunstgriff versucht Eucken sein Ordnungsideal in sozialökonomischhistorischer Perspektive zu verankern, obwohl er uns doch andererseits gerade davon überzeugt hat, daß die 'Weubewerbsordnung' gegen widerläufige empirische Entwicklungstrends politisch durchgesetzt werden muß: "Obwohl wir in der Geschichte einen starken Zug feststellen konnten, der auf ihre (der Weubewerbsordnung; B.K.) Realisierung hindrängt, so wissen wir doch zugleich, daß sie sich nicht von selbst verwirklicht, daß vielmehr in der Wirtschaftspolitik gewisse einfache Prinzipien Geltung gewinnen müssen, um ihre Realisierung zum Durchbruch zu bringen. Sie wird nicht der wirtschaftlichen Wirklichkeit oktroyiert; aber sie wächst auch nicht aus der wirklichen Wirtschaft von selbst heraus." (ebd.: 325) So bleibt Eucken also, wie wir sehen, nichts übrig, als schließlich doch wieder auf die Sphäre der Politik zu verweisen. 26 Offenbar ist der 'starke 24 Diesbezüglich heißt es (ebd.: 234): "Die Geschichte mancher Industrien im 19. und 20. Jahrhundert zeigt: Der Untergang kleiner und mittlerer Firmen, die mit der Einführung von Großanlagen verbunden ist, bedeutet nicht Auslöschung der Konkurrenz, weil sie sich durch Erweiterung der Märkte und durch Substitution wieder durchsetzt. " 25 "Es ist möglich, diejenigen Kräfte, gerade auch der modemen Technik, die auf Konkurrenz hindrängen, durch die Wirtschaftspolitik zur Ordnung der Wirtschaft nutzbar zu machen. " (ebd.) 26 Im übrigen zeigen gerade die von uns aufgedeckten Schwierigkeiten, die Eucken dabei hat, die modeme Technik für sein Argument einzuspannen, die unbedingte Notwendigkeit des Schlusses auf den Staat; weshalb wir auch der Rekonstruktion der Euckenschen Gedankenführung relativ breiten Raum einräumen wollten: Immerhin geht es uns in diesem Kapitel ja darum, in der Auseinandersetzung mit Euckens Ordnungstheorie für unsere Überzeugung zu werben, daß die Reproduktionsbedingungen und Erfolgschancen der kleinen selbständigen Unternehmen

3.1 Eucken und das 'Monopolproblern'

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Zug', von dem in der zitierten Stelle die Rede ist, nicht 'stark' genug, um sich ohne politische Assistenz Bahn zu brechen: Als einziges schlagendes Argument, das für die Möglichkeit der Verwirklichung der 'Wettbewerbsordnung' spricht, bleibt am Ende der Schluß auf die Politik, auf den Staat. Für den politisch orientierten Denker Eucken ist eben "die Abhängigkeit der angewandten Technik und damit auch der Werkgröße von den realisierten Ordnungsformen" (ebd.: 236) ein unbezweifelbares Faktum. In 'pragmatischer' Perspektive folgt aus der Anerkennung desselben die Einsicht in die prinzipielle politische 'Machbarkeit' der jeweiligen Wirtschaftsform (ebd.: 236f.): "Für die Wirtschaftspolitik aber gilt: Es ist ein Fehler, die Größe der Werke und den Grad der Mechanisierung als wirtschaftspolitisches Datum hinzunehmen. Indem die Wirtschaftspolitik die Wirtschaftsordnung beeinflußt oder gestaltet, wirkt sie auf die Werkgröße und auf die gesamte angewandte Technik ein. ... Der Industrieapparat sieht in der vollständigen Konkurrenz anders aus, setzt sich auch aus kleineren Werken zusammen als in anderen Marktformen ... ". An dieser Stelle nun soll die in diesem Abschnitt (3.1) vorgetragene Gedankenführung in knapper Form rekapituliert werden. Wir wollen den Ertrag unserer bisherigen Auseinandersetzung mit Euckens Ordnungstheorie für die Formulierung einer 'politikzentrierten' Theorieperspektive der Kleinbetriebsforschung aufzeigen und schließlich einen Ausblick auf die weitere Argumentationsrichtung geben. Zunächst aber muß noch einmal auf die beiden folgenden Punkte aufmerksam gemacht werden. So haben wir in unserer bisherigen Erörterung der "Grundsätze der Wirtschaftspolitik" erstens gesehen, wie Eucken davon ausgegangen ist, daß die 'Konzentrationstendenz' , die auch er in der Ökonomie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft ausmachen will, letztlich nur von einer an der Marktform der 'vollständigen Konkurrenz' orientierten Wirtschaftsordnungspolitik des Staates aufgehalten bzw. 'gebrochen' werden kann: Mit kritischem Blick auf die weitgehend 'monopolisierten' und 'konzentrierten' Wirtschafts- und Betriebsstrukturen, wie diese als Hinterlassenschaft der 'Kriegswirtschaft' für in fortgeschrittenen Industriegesellschaften nur mit Blick auf die Sphäre der Politik adäquat erforscht und analytisch beurteilt werden können. Insofern ist die Kritik der Euckenschen Ordnungstheorie für unsere Argumentationsstrategie fundamental. Und nebenbei zeigen unsere entsprechenden Ausführungen ja auch, daß vieles, was in der heutigen Literatur mit dem Anspruch von Innovativität und Originalität auftritt, diesbezüglich Relativierung verdient.

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3. Das Kleinunternehmen und der moderne Staat

die führenden Industrieländer kennzeichnend waren, forderte er nach dem Ende des zweiten Weltkrieges die maßgeblichen staatlichen Akteure (namentlich in Deutschland) dazu auf, einen ordnungspolitischen Neuanfang zu wagen. Konkret gesprochen: Der Staat soll die Ökonomie als 'Wettbewerb vieler kleiner Unternehmen' 'ordnen' und mit seiner Ordnungspolitik den so realisierten kleinbetrieblichen Zuschnitt derselben dauerhaft sichern. Damit wird klar, daß in der Perspektive der Euckenschen Argumentation das 'Schicksal' der kleinen selbständigen Unternehmen vor allem zu einer Frage der staatlichen Ordnungspolitik wird. Und so konnten wir uns, worauf nun zweitens, und als für die Problemstellung unserer Studie besonders wichtig, hinzuweisen ist, im Nachvollzug der Euckenschen Kritik an der 'Konzentrationsthese' einen ersten Eindruck und Begriff davon machen, wie fundamental in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft nicht nur die Strukturen der Ökonomie überhaupt, sondern gerade auch die Reproduktionsbedingungen und Entwicklungschancen kleiner selbständiger Unternehmen staatlich bzw. politisch bestimmt und vermittelt sind. Während wir im Abschnitt 2.3 unserer Arbeit gesehen haben, daß in der Kleinunternehmerforschung typischerweise nur insofern und soweit auf den Staat Bezug genommen wird (an Ort und Stelle sprachen wir von 'politischer Kurzschlüssigkeit'), als man von diesem bloß 'punktuelle' wirtschaftspolitisehe ('mittelstandspolitische') Hilfen und Fördermaßnahmen für den kleinbetrieblichen Sektor erwartet, hat uns der Ordnungstheoretiker Eucken die Augen dafür geöffnet, wie wichtig es ist, viel ernsthafter und systematischer auf die politische Sphäre zu reflektieren: Deshalb soll in dem in dieser Studie profilierten Theorie- und Forschungsdesign für die Analyse der Reproduktionsbedingungen und Erfolgschancen kleiner selbständiger Unternehmen vor allem der konstitutiven Rolle der Wirtschaftsordnungspolitik des modemes Staates für die historisch je spezifische Konstitution derselben Rechnung getragen werden.

Im 5. Kapitel unserer Studie werden wir versuchen, die Leistungsfähigkeit

unseres Theoriedesigns in einer exemplarischen, historisch-theoretisch orientierten Fallstudie zum Verhältnis von Staat und kleinen bzw. 'mittelständischen' Betrieben in der Bundesrepublik zu demonstrieren. Dabei werden wir unseren argumentativen Ausgang von der Einsicht darein nehmen, daß die maßgeblichen staatlichen Akteure, allen Ehrbezeigungen für den Ordolibera!ismus zum Trotz, in ihrem praktischen ordnungspolitischen Handeln wenig

3.2 Euckens 'mittelständisches' Ordnungsideal

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Affinität zum Ideal der 'Wettbewerbsordnung' bewiesen haben. Und warum auch sollten sie gerade diese zur Norm ihres Handeins machen? Warum sollten sie die Ökonomie als, wie Eucken heute von Leuten wie Piore und Sabel neumodisch buchstabiert wird: 'Handwerkscommunity' ordnen und das ganze Land zu einer 'Republik von Kleineigentümern' umkrempeln? Diese Fragen werden unsere weiteren Theoriereflexionen und Forschungen orientieren: Im Versuch einer Antwort werden wir die empirische Wirklichkeit des Beispielfalls Bundesrepublik mit dem normativen Konzept der 'Wettbewerbsordnung' konfrontieren und, der Methodologie M. Webers (1988: 190ff.) folgend, in der Reflexion auf die empirisch zu konstatierenden Abweichungen vom als Idealtyp vorausgesetzten Euckenschen Ordnungskonzept die 'politische Dimension' der Reproduktionsbedingungen kleiner Unternehmen in der Bundesrepublik erschließen. Bevor wir uns, wie gesagt im 5. Kapitel unserer Studie, dieser Aufgabe unterziehen, müssen wir indessen vorher noch etwas näher klären, warum Eucken einzig und ausschließlich die Form der 'vollständigen Konkurrenz' als 'zureichende Ordnung' für die moderne Gesellschaft gelten lassen wollte (Abschnitt 3.2) und im Anschluß daran auf die grundbegrifjliche Frage ('Welche Interessen verfolgt der Staat gegenüber der Ökonomie?') nach dem Verhältnis von Staat und marktwirtschaftlicher Ökonomie überhaupt eine vernünftige Antwort suchen (Kapitel 4).

3.2 Euckens 'Wettbewerbsordnung , der 'vollständigen Konkurrenz' als 'mittelständisches' Ordnungsideal Als Voraussetzung für die weitere Argumentation müssen wir nun zwei Punkte ansprechen: Warum, zum einen, geht Eucken davon aus, daß die Ordnung der 'vollständigen Konkurrenz' die einzige 'zureichende Ordnung' für die moderne Industriegesellschaft ist? Eine Antwort auf diese Frage soll in Abschnitt 3.2.1 versucht werden. Andererseits müssen wir, eng damit zusammenhängend, Inhalt und Natur der 'Wettbewerbsordnung' noch etwas eingehender untersuchen; dabei werden wir feststellen, daß wir es hier mit einem im Grunde 'mittelständischen' Ordnungsideal zu tun haben (Abschnitt 3.2.2).

9 Kießling

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3. Das Kleinunternehmen und der moderne Staat

3.2.1 Euckens Marktform der 'vollständigen Konkurrenz' als 'zureichende Ordnung' für die modeme Wirtschaft? In seinen "Grundsätzen der Wirtschaftspolitik" geht Eucken (1990: 11) davon aus, daß im Zentrum aller wirtschaftspolitischen Überlegungen das 'ordnungspolitische Problem' steht: "Alle wirtschaftspolitischen Fragen", schreibt er, "laufen auf die Frage nach der Ordnung der Wirtschaft hinaus und haben nur in diesem Rahmen einen Sinn." Der volkswirtschaftliche Gesamtprozeß von Produktion, Zirkulation und Distribution vollzieht sich immer in konkreten 'Formen' oder 'Ordnungen'. Diese aber realisieren sich nicht von selbst, sondern bedürfen eines entsprechenden zielgerichteten Eingriffs der wirtschaftspolitischen Akteure. Allerdings ist Eucken (ebd.: 14) davon überzeugt, daß "die dem Zeitalter der Industrialisierung, der raschen Bevölkerungsverynehrung, der Verstädterung und Technisierung" adäquate "funktionsfahige und menschenwürdige Ordnung" bislang noch nicht gefunden worden ist: In Abschnitt 3.1 haben wir ja gesehen, wie er Ende der 40er Jahre die fortgeschrittenen Industrieländer von gigantischen Monopol- und Konzernstrukturen durchzogen sah, die für ihn nur davon zeugten, daß in der Empirie das gerade Gegenteil einer "zureichenden Ordnung" (ebd.: 241) verwirklicht war. Was aber hatte Eucken eigentlich gegen Monopole und Konzernstrukturen, und warum ergriff er so emphatisch für sein Ideal einer kleinbetrieblieh zugeschnittenen 'Wettbewerbsordnung' , in der die in der modemen Wirtschaft offenbar ubiquitären Konzentrationstendenzen ordnungspolitisch in Schach gehalten werden sollen, Partei? Weshalb schließlich sollte sich gerade der Staat zum Proakteur der 'Weubewerbsordnung' machen? Um eine Antwort auf diese Fragen zu finden, müssen wir noch einmal auf die Grundlagen des ordnungstheoretischen Denkens Euckens reflektieren. Dabei wollen wir uns so knapp wie möglich fassen. Orientieren wir uns zunächst am 1. Kapitel der "Grundsätze der Wirtschaftspolitik", das den Titel "Über die Aufgabe" trägt: Eucken (vgl. ebd.: 2ff.) beginnt hier seine Ausführungen mit dem Hinweis darauf, daß es die vordringlichste Aufgabe der Wirtschaftsordnungspolitik ist, für den komplexen Gesamtprozeß der modemen Wirtschaft eine befriedigende 'Lenkung' zu finden. Andernorts, in seinen "Grundlagen der Nationalökonomie" nämlich, spricht Eucken (1965: 2; Hervorh. im Orig.) diesbezüglich auch von jenem "gewaltigen arbeitsteiligen Gesamtzusammenhang" , der in der Tat ein diffiziles "Lenkungsproblem" (Eucken 1990: 4) aufwirft: In der Perspektive der

3.2 Euckens 'mittelständisches' Ordnungs ideal

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tendenziellen Realisierung eines allgemeinen Gleichgewichts des Wirtschaftssystems müssen praktikable Formen der Vermittlung, Koordinierung und Ausbalancierung der indviduellen Wirtschaftspläne und Interessen der einzelnen Wirtschaftsakteure gefunden werden. Immerhin steht fest, daß an die angestrebte institutionelle 'Lösung' des 'Lenkungsproblems' hohe Anforderungen gestellt werden. Eucken (ebd.: 7) formuliert das so: "Aufgabe der Wirtschaftsordnung ist: die einzelnen Arbeitsstunden aller arbeitenden Menschen und die unübersehbar vielen sachlichen Produktionsmittel alltäglich so ineinandergreifen zu lassen, daß die wirtschaftliche Knappheit so gut wie möglich überwunden wird." Für Eucken (ebd.: 8) ist "die Knappheit" "das zentrale Phänomen der Wirtschaft. Auf ihre Überwindung kommt es an." Daß es hierbei so 'ökonomisch', so 'effizient' und so 'produktiv' wie möglich zuzugehen hat, versteht sich im Grunde von selbst: Und das heißt für Eucken eben, daß für die Lenkung des Wirtschaftsprozesses Ordnungsformen gefunden werden müssen, die eine Allokation der wirtschaftlichen Ressourcen in der Perspektive der Realisierung eines allgemeinen Gleichgewichts des ökonomischen Gesamtsystems zu garantieren vermögen; dabei muß, ganz im Geiste des A. Smithschen Prinzips von der 'unsichtbaren Hand', die Ordnung so gestaltet sein, daß es gelingt, die "spontanen Kräfte der Menschen" (ebd.: 365) und deren 'Einzelinteressen' so in den Dienst des übergeordneten Systems zu nehmen, daß daraus das gesellschaftliche 'Gesamtinteresse'27 zu resultieren vermag (vgl. ebd.: 355ff.). Die Wirtschaftsordnung soll aber nicht nur Effizienz und Produktivität des ökonomischen Gesamtprozesses verbürgen. Sie muß darüber hinaus so zugeschnitten sein, daß die weiteren "großen Anliegen der Zeit", "soziale Sicherheit und soziale Gerechtigkeit" nämlich (ebd.: 1), ebenso einer adäquaten Lösung nähergebracht werden. Es geht eben nicht nur darum, für die 'moderne industrialisierte Wirtschaft' eine 'funktionsfähige' Ordnung überhaupt zu finden; vielmehr muß sich diese auch und gerade als "menschenwürdige Ordnung" (ebd.: 14; Hervorh. v. uns) qualifizieren.

27 Auf eine nähere Klärung des Begriffs des gesellschaftlichen 'Gesamtinteresses ' kann vorerst verzichtet werden: Wir werden im 4. Kapitel unserer Studie auf diese Problematik zurück-

kommen. Hier sei nur angemerkt, daß Eucken (ebd.: 356) selbst in seinen "Grundsätzen" darauf hinweist, daß es "schwierig (ist), dem Begriff des 'Gesamtinteresses' ... einen bestimmten Inhalt zu geben"; zugleich betont er aber auch, daß ein solcher Begriff "für die Wirtschaftspolitik ... nicht entbehrlich ist" (ebd.). 9"

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3. Das Kleinunternehmen und der moderne Staat

Kaum überrascht sein dürfte der Leser, wenn wir ihm nun sagen wollen, von welcher Wirtschaftsordnung Eucken sich eine kompakte Lösung für das grundlegende 'Lenkungsproblem' verspricht: Natürlich denkt er hier an die Marktform der 'vollständigen Konkurrenz'; einzig im Rahmen der 'Wettbewerbsordnung' scheint ihm die systemische Koordination der individuellen Wirtschaftspläne und Handlungen in der Weise gewährleistet zu sein, daß das 'Lenkungsproblem' in seinen verschiedenen Dimensionen und Aspekten gemeistert werden kann. Während (vgl. ebd.: 31ff.) nämlich gerade in der von 'monopolisierten' und 'konzentrierten' Betriebsstrukturen durchzogenen Wirtschaftsordnung wie wir ja bereits wissen, fungiert im 'morphologischen' Denken Euckens das Horrorszenario der 'Monopolwirtschaft' als idealtypologisches Gegenbild zur 'Wettbewerbsordnung' 'Monopolpreise' , 'künstlich aufrechtgehaltene Knappheiten', 'Monopolkämpfe' , 'Marktschließungsstrategien' usw. die Freisetzung der produktiven Kräfte in der Perspektive der optimalen Güterversorgung der Bevölkerung verhindern und so auch die 'Entstehung der sozialen Frage' (vgl. ebd.: 30f.) forcieren, lockt die Marktform der 'vollständigen Konkurrenz' die Wirtschaftsakteure aus der Reserve, zwingt sie zu optimaler Leistungsbereitschaft und vermag so den Weg zu bahnen für die Realisierung des Gleichgewichts des ökonomischen Gesamtprozesses im Sinne einer allgemeinen Koordination der vielen partikularen Einzelpläne und Einzelinteressen: "Die Marktform der vollständigen Konkurrenz", bringt Eucken (ebd.: 237) die Sache auf den Punkt, "unterwirft den einzelnen der Kontrolle des Marktes, entmachtet ihn weitgehend, zwingt zur Leistungssteigerung, nötigt zu dauernden Anpassungen und besitzt in der Verlust gefahr und im Konkurs unangenehme Zwangsmittel. "

In der Welt der 'vollständigen Konkurrenz' ist eben, folgen wir Eucken, im wahrsten Wortsinne alles 'in Ordnung': Die 'Wettbewerbsordnung' gewährleistet, daß sich kein Wirtschaftsakteur vor seiner 'Verantwortung' drücken kann, sich nach Kräften für die ökonomische Effizienz und soziale Balance des wirtschaftlichen Gesamtprozesses zu engagieren. Und genau deshalb erwartet Eucken vom Staat als dem Proakteur des 'Gesamtinteresses' die Durchsetzung und dauerhafte Garantierung dieser Ordnungsform.

3.2 Euckens 'mittelständisches' Ordnungsideal

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3.2.2 Die 'Wettbewerbsordnung' als 'mittelständisches' Ordnungsideal Im folgenden sollen nun, über die bereits in Abschnitt 3.1 gegebenen Andeutungen hinausgehend, Natur und Inhalt der Marktform der 'vollständigen Konkurrenz' einer eingehenden Analyse unterzogen werden. 28 Schon geläufig ist uns ja die Einsicht darein, daß Eucken (ebd.: 237) davon ausgeht, daß "der Industrieapparat ... in der vollständigen Konkurrenz anders aus(sieht), ... sich auch aus kleineren Werken zusarnmen(setzt) als in anderen Marktformen": Mit seinem Konzept der 'Wettbewerbsordnung' hat Eucken mithin eine mittelständisch geprägte Wirtschaft im Auge, in der kleine und mittlere Unternehmen, miteinander in 'Leistungskonkurrenz' stehend, das ökonomische Allgemeinwohl befördern. Dabei macht Eucken mit allem Nachdruck klar, daß der Begriff 'Leistungskonkurrenz' gerade nicht auf die aus der Wirtschaftsgeschichte hinlänglich bekannten 'Monopolkämpfe' abstellt. Lassen wir den Autor selbst (ebd.: 247) ausführlich zu Wort kommen: "Was ist vollständige Konkurrenz? Sie ist eine bestimmte, exakt definierbare Marktform und ist nicht mit dem Laissez-faire zu verwechseln. Sie ist auch etwas ganz anderes als 'Monopolkampf' : Etwa der Kampf eines teilmonopolistischen Syndikates gegen Außenseiter, die bisher in seinem Schatten lebten, oder der Kampf zweier oligopolistischer Schiffahrtslinien oder Eisenbahnen oder Benzinkonzerne miteinander. Im teilmonopolistischen oder oligopolistischen Kampf wird oft mit dem Instrument der Sperre gegen Lieferanten oder Abnehmer des Gegners gearbeitet. In der vollständigen Konkurrenz aber kann es keine Sperre geben. Oligopolisten oder Monopolisten des Angebotes oder der Nachfrage treiben Marktstrategie, die in der vollständigen Konkurrenz fehlt. Vollständige Konkurrenz besteht nicht im Kampf von Mann gegen Mann, sondern vollzieht sich in paralleler Richtung. Sie ist nicht Behinderungs- oder Schädigungswettbewerb , sondern 'Leistungswettbewerb ' . " Wie wir sehen, will Eucken von vorneherein ausschließen, daß sein Ordnungskonzept der 'vollständigen Konkurrenz' in irgendeiner Weise mit 28 Angebracht scheint an dieser Stelle der kursorische Hinweis darauf, daß der Begriff der 'vollständigen Konkurrenz' in der wirtschaftstheoretischen Literatur von Anfang an umstritten gewesen ist: So ist von Kritikern immer wieder in Abrede gestellt worden, daß einem entsprechend konstruierten MarktrnodelI überhaupt irgendein empirischer Sinn zukäme, ist prinzipiell bezweifelt worden, daß diese Ordnungsform in der Empirie der modernen Gesellschaft verwirklicht werden könnte (vgl. bspw. Schumpeter 1987: 127ff.; Robinson 1961; Chamberlin 1962; Arndt 1978: 4lff.). - Angemerkt sei hier auch, daß Eucken, was die grundlegende Begriffsbildung anlangt, eigentlich wenig Originelles zu sagen hat. Die analytischen Bestimmungen, mit denen er operiert, sind aus der Axiomatik der Gleichgewichtsökonomik neo klassischer Provenienz gut bekannt; für einen entsprechenden Überblick über die entsprechende Tradition vgl. z.B.: Haslinger/Schneider 1983: 7ff.; Holleis 1985: 26ff.; Hardes et al. 1986: 22.

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3. Das Kleinunternehmen und der moderne Staat

dem Phänomen 'Kampf' in Verbindung gebracht wird. Damit versucht er, der "älteren Konkurrenzkritik" (ebd.) den Wind aus den Segeln zu nehmen. Diese sei, führt er diesbezüglich näher aus, " ... dadurch entwertet, daß sie die verschiedenen Marktformen durcheinander mischte und alle zusammen Konkurrenz nannte. Es wurde geschildert, wie die Konkurrenten sich gegenseitig persönlich bekämpften und ruinierten, wie die Konkurrenz der 'rivalisierenden Kapitale rast' (Marx), wie die größeren Kapitalisten die kleineren totschlügen, wie in diesen Kämpfen sinnlos Vermögen vertan werde, wie die Arbeiter von einem Arbeitgeber abhängig seien und wie im ganzen der Konkurrenzkampf ein anarchischer Zustand sei. Die Tatbestände, die beschrieben wurden, waren oft faktisch vorhanden. Aber sie wurden ganz falsch gedeutet, indem sie als Wirkungen der Konkurrenz bezeichnet wurden. Es waren Schilderungen von Monopolkämpfen und der Abhängigkeit von Monopolen und Teilmonopolen. " Eucken zeigt sich sehr darum bemüht, die Marktform der 'vollständigen Konkurrenz' als harmonisches Miteinander der einzelnen Wirtschaftsakteure zu präsentieren: Nicht als 'ruinöser Kampf', auch nicht als 'Behinderungsoder Schädigungswettbewerb' wird sie vorgestellt, sondern als "Leistungswettbewerb" , der "einem Wettlauf (ähnelt)" (ebd.: 42). Analytisch hängt hier alles an dem feinen Unterschied zwischen 'Wettkampf und 'Wettlauf: Während es sich bei ersterem vor allem um ein agonales Gegeneinander handelt, geht es bei einem 'Wettlauf' neben- oder hintereinander, auf jeden Fall immer in "paralleler Richtung" (ebd.: 247; Hervorh. von uns), auf ein gemeinsames Ziel zu. Wir hegen nun die Vermutung, daß Eucken sich hier deshalb aus dem Vokabular des Sports ('Wettlauf') bedient, um dem für die 'vollständige Konkurrenz' charakteristischen 'Leistungswettbewerb' jenes Fluidum der Unerbittlichkeit zu nehmen, das er mit dem' ruinösen Monopolkampf' verbinden will. Wundern müssen wir uns allerdings darüber, daß in den "Grundsätzen der Wirtschaftspolitik" die 'vollständige Konkurrenz' ansonsten als eine Sphäre beschrieben wird, in der doch ein ziemlich rauher Wind zu wehen pflegt: Immerhin gibt es hier nicht nur Gewinne und Prämien zu verteilen; vielmehr lauern hier auch, worauf uns ja Eucken selbst schon hingewiesen hat, namentlich "in der Verlustgefahr und im Konkurs unangenehme Zwangsmittel" (ebd.: 237). Stellt man dies in Rechnung, verliert die 'vollständige Konkurrenz' schnell ihre vermeintliche 'Friedlichkeit' und, in Ermangelung eines treffenderen Ausdrucks: 'Unbekümmertheit'. Gerade wenn man an die Mög-

3.2 Euckens 'mittelständisches' Ordnungsideal

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lichkeit des Konkurses denkt, welchen Eucken, wie es scheint einigermaßen verharmlosend, als nur 'unangenehmes Zwangsmittel' bezeichnet: Schließlich geht es hier um die Existenz der Wirtschaftsakteure; und oft genug bedeutet Konkurs eben auch den wirtschaftlichen Ruin. Angesichts dieser allgegenwärtigen Drohung dürfte es in der Konkurrenz auch weniger friedlich und harmonisch zugehen, als Eucken suggeriert: Der eigene Erfolg geht in der 'vollständigen Konkurrenz' nicht weniger als im 'Monopolkampf' oft zu Lasten der Mitbewerber. Und so zielt noch jeder Versuch, etwa durch Verbesserung oder Verbilligung des Angebotes sich in der Konkurrenz durchzusetzen, zumindest implizit darauf ab, die Konkurrenten zu schädigen, diese sozusagen 'aus dem Rennen zu werfen'. Zu Ende gedacht kann auch die 'vollständige Konkurrenz' nichts anderes sein als ein 'Behinderungs- oder Schädigungswettbewerb' , ein 'Kampf'29 eben auf Leben und Tod: Eucken selbst freilich hat sich vor dieser Konsequenz seines eigenen Gedankens gescheut und sich immer darum bemüht, die 'Wettbewerbsordnung' als eine harmonische und insgesamt idyllische Veranstaltung zu beschreiben. Wie wir später noch näher sehen werden, überhöht Eucken in dieser Perspektive den typisch 'mittelständischen' bzw. 'kleinbürgerlichen' Wunschtraum von einer prinzipiell gesicherten individuellen Reproduktion in der Konkurrenz zu einem ordnungspolitischen Leitbild. Eucken konzeptualisiert die 'vollständige Konkurrenz' als eine im Kern friedliche Veranstaltung, in der die Interessen der verschiedenen Wirtschaftsakteure 'gleichgewichtig' ausbalanciert sind. Diesem' friedlichen' Flair seines Konkurrenzkonzeptes entspricht nun die weitgehende Negation von 'Macht': Solche kann es für Eucken nur in der monopolistischen oder oligopolistischen Wirtschaft geben, während für die 'Wettbewerbsordnung' charakteristisch ist, daß sie "den einzelnen der Kontrolle des Marktes (unterwirft), ... ihn weitgehend (entmachtet)" (ebd.: 237; Hervorh. v. uns). Eucken argumentiert hier ganz analog der neoklassischen Ökonomik, die für die Demonstration der 29 Daß 'Konkurrenz' (welcher Form auch immer) prinzipiell 'Kampf' b\:deutet, scheint uns an M. Weber geschulten Sozialwissenschaftlern keine sonderlich aufregende These zu sein: In der Lektüre von "Wirtschaft und Gesellschaft" haben wir ja nicht nur gelernt, daß das ökonomische Leben in der modemen Marktgesellschaft prinzipiell als "Konkurrenzkampf um Tauschchancen" (Weber 1980: 20) geführt wird, sondern auch, daß die für die entsprechende Wirtschaftsform konstitutive "Kapitalrechnung in ihrer formal rationalsten Gestalt ... den Kampf des Menschen mit dem Menschen voraus(setzt)" (ebd.: 49; Hervorh. im Orig.). - Lange vor Weber hat G.W.F. Hegel (1970: 458; § 289, Anm.) in seiner "Rechtsphilosophie" die "bürgerliche Gesellschaft" - sein terminus technicus für die modeme Marktkonkurrenz - als "Kampfplatz des individuellen Privatinteresses aller gegen alle" bestimmt.

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Möglichkeit eines allgemeinen Gleichgewichtes 'vollständig konkurrenzieller' Marktrelationen in ihren axiomatischen Modellen die Existenz individueller Machtdifferenzen zwischen den Wirtschaftsakteuren negieren und diese selbst zu bloßen 'Preisnehmern' degradieren muß.30 In diesen Modellen wird, wie es K. W. Rothschild einmal formuliert hat, vorausgesetzt, daß "die Zahl der Marktteilnehmer in jedem einzelnen Markt ... so groß (ist), daß kein Käufer oder Verkäufer den Preis durch sein Verhalten beeinflussen kann" (Rothschild 1981: 8); so ist "der Markt ... für jedes Individuum ein Datum" (ebd.). In der Perspektive einer solchen Begriffsbildung erscheinen die Wirtschaftsakteure unterschiedslos als bloße Marionetten, die auf die objektiv vorgegebenen ökonomischen Strukturen nur passiv reagieren können, denen es jedenfalls nicht gegeben ist, aktiv auf diese einzuwirken. Wenn so im Jargon der Neoklassik von einer "Vielzahl selbständiger, gleichgroßer Unternehmen" (vg1. Hardes et a1. 1986: 22; Hervorh. von uns) die Rede ist, die in 'polypolistischen ' oder 'atomistischen Marktstrukturen ' konkurrieren, dann sind hier also immer "viele gleich schwache Unternehmen" (Arndt 1979: 167; Hervorh. von uns) gemeint. Wenn Eucken (1990: 248) die Preise "als gegebene Größen - als Daten ... " bestimmt, bewegt er sich also ganz in der Tradition der Neoklassik: Grundprinzip seiner ordoliberalen 'Wettbewerbsordnung' ist, daß "der Preis vom Markt genommen, nicht dem Markt in Marktstrategie aufgezwungen (wird)" (ebd.: 249). 'Genommen' (oder sollen wir besser sagen: 'hingenommen'?) von Unternehmen, die so klein und schwach sind, daß sie von vorneherein nicht über die Ressourcen ('wirtschaftliche Macht') verfügen, die sie bräuchten, um 'Marktstrategie' treiben zu können. So etwas kann es nur in der von Großunternehmen dominierten 'monopolistischen' (oder 'oligopolistisehen') Wirtschaft geben: Nur "Oligopolisten oder Monopolisten des Angebotes oder der Nachfrage treiben Marktstrategie, die in der vollständigen Kon-

30 Im Rahmen unserer Studie kann darauf verzichtet werden, die Prämissenstruktur der neoklassischen Gleichgewichtsmodelle ('Markttransparenz' , 'Güterhomogenität' , 'Gewinnmaximierung' usw.) im einzelnen zu diskutieren; schaden kann es freilich nicht, wenn wir im folgenden auf einige für unser Thema besonders relevante 'begriffliche' Querverbindungen bzw. Parallelen zwischen Ordoliberalismus und Neoklassik aufmerksam machen wollen. - Eine detaillierte Darstellung der neoklassischen Modellprämissen findet der Leser in der einschlägigen ökonomischen Literatur (z.B. Wal ras 1954; Debreu 1959; ArrowlDebreu 1954; ArrowlHahn 1971; Hahn 1984; Malinvaud 1985; Weintraub 1983; Varian 1985). Diskussion und Kritik der Modelle und Prämissen findet man bspw. in folgenden Publikationen: Vogt 1973; Kirzner 1978; Amdt 1979; Rothschild 1981; Neumann 1983; Holleis 1985; Hardes et al. 1986; Benassy 1986.

3.2 Euckens 'mittelständisches' Ordnungsideal

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kurrenz fehlt" (ebd.: 247); hier, so viel steht fest, sind "Anbieter oder Nachfrager ... nicht fähig und nicht bereit, Marktstrategie zu treiben" (ebd.: 41). Eucken selbst scheint es gar nicht aufgefallen zu sein, daß er mit diesen Hinweisen die 'vollständige Konkurrenz' als eine recht deprimierende 'Angelegenheit' konzeptualisiert; deprimierend jedenfalls für die von ihr betroffenen Kleinunternehmer (in der Welt der 'vollständigen Konkurrenz' gibt es keine anderen!), die in der ordoliberalen Dramaturgie der 'Wettbewerbsordnung' die ziemlich traurige Rolle von bloßen Marionetten zu spielen haben, die der Objektivität der wirtschaftlichen Strukturen gegenüber prinzipiell nicht 'strategiefahig' sind und denen diese deshalb nur als 'schicksalhaftes Verhängnis' erscheinen kann. Kein Wunder also, daß bei den Unternehmern, wie Eucken ja selbst weiß, "die Marktform der vollständigen Konkurrenz ... oft unbeliebt" (ebd.: 237) ist. Wer will es ihnen verdenken? An dieser Stelle nun müssen wir auf eine eigentümliche Zweideutigkeit des Euckenschen Ordnungsideals der 'vollkommenen Konkurrenz' hinweisen: Sofern und soweit hier die einzelnen Wirtschaftsakteure als 'ohnmächtige' und 'strategieunfähige' Marionetten modelliert werden, scheint uns das Euckensche Ordnungsideal einen wichtigen Aspekt der Wirklichkeit gerade der kleinbetrieblichen Existenz in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft widerzuspiegeln. Und zwar der Wirklichkeit, wie sie ist: Die entsprechenden Bestimmungen treffen die Bedingungen, unter denen selbständige Kleinunternehmen in der hier und heute praktisch realisierten und von Großunternehmen durchsetzten marktwirtschaftlichen Konkurrenz zu agieren gezwungen sind. Erinnert sei der Leser an dieser Stelle noch einmal an unsere obige Darstellung der aktuellen Kleinbetriebsforschung (vgl. Abschnitt 2.2.5), wo wir gesehen haben, wie kritische Beobachter gerade die nur allzu geringe (bzw. nicht 'vorhandene') "Strategiefähigkeit" kleiner Betriebe monieren (vgl. Mendius et al. 1987: 211 ff.; Domeyer/Funder 1991b: 47) und zu bedenken geben wollen, daß diese in den von Großbetrieben dominierten arbeitsteiligen Netzwerken oft "nur eine abhängige Variable darstellen" (Brandt 1990: 370). Was bei Eucken mithin als Ideal der Konkurrenz schlechthin figuriert,31 gilt unter Kleinunternehmerforschern als ein typisches Handicap kleiner Betriebe, das dringender Korrektur und Abhilfe bedarf (s.o. Abschnitt 2.3).

31 Man kann es auch so sagen: Eucken möchte die kleinbetrieblichen Reproduktionsbedingungen verallgemeinern bzw. universalisieren.

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Auf der einen Seite widerspiegelt Euckens Konkurrenzkonzept also nur die 'wirkliche' Empirie der kleinbetrieblichen Reproduktionsbedingungen in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft. Aber andererseits präsentiert Eucken 'seine' Konkurrenz als einigermaßen illusionäres und wirklichkeitsfremdes Ideal, insofern nämlich, als es in ihr keinen 'Kampf', sondern nur eine harmonische Balance der Einzelinteressen gibt: Er führt uns die Konkurrenz so vor, wie sie nie gewesen ist, nie sein wird und wohl auch prinzipiell nicht sein kann. Eine entsprechende Kritik ist gegenüber dem neoklassischen Konkurrenzkonzept immer wieder geltend gemacht worden. Mitunter hatte die Kritik auch die ordoliberale Version direkt im Auge. Auf jeden Fall können die einschlägigen Argumente problemlos auf Euckens 'Wettbewerbsordnung' bezogen werden; im folgenden seien sie dem Leser in knappen Zügen vorgestellt. Erwähnt sei zunächst, daß mit Fug bezweifelt worden ist, ob in der 'atomistischen Marktstruktur' der 'vollständigen Konkurrenz' mit ihren vielen gleich schwachen 'Kleinunternehmen' Wettbewerb im eigentlichen Sinne des Wortes überhaupt möglich ist. In diesem Zusammenhang verdienen die Ökonomen H.-D. Hardes, F. Rahmeyer und A. Schmid (1986: 40) zitiert zu werden, die in ihrem Einführungsbuch "Volkswirtschaftslehre" die vielfach geäußerten "Zweifel an der Funktionsfähigkeit der vollkommenen Konkurrenz" folgendermaßen resümieren: "Die atomistische Marktstruktur wurde eine 'Schlafmützenkonkurrenz' (Lutz)32 genannt, da kleinere Unternehmen angeblich kaum in der Lage seien, untereinander einen starken Wettbewerb zu führen. Wettbewerb sei vor allem ein dynamischer Prozeß, bei dem temporäre Gewinnvorsprünge und handlungsfähige Unternehmensgrößen erforderlich seien. Die Schumpeter-Hypothese, wonach ein bestimmtes Maß an Marktmacht einen dynamischen (innovativen) Wettbewerb erst möglich mache, wurde reaktiviert. " Folgt man diesen Überlegungen, die in den 60er Jahren vor allem von E. Kantzenbach (1967; 1968), der die Euckensche Position wenig respektvoll als "neoliberale Ideologie" abqualifizieren wollte (1968: 178; Hervorh. von uns), zum Konzept des 'funktionsfähigen Wettbewerbs' ausformuliert wurden,33 so 32

(1956).

F.A. Lutz verwendet diesen Begriff in seinen "Bemerkungen zum Monopolproblem"

33 Im 5. Kapitel unserer Studie werden wir auf diese Thematik, und in diesem Zusammenhang auch auf den für die Entwicklung der bundesrepublikanischen Wirtschafts- und Ordnungspolitik wichtigen Theoretiker Kantzenbach, noch im DetailzUlückkommen.

3.2 Euckens 'mittelständisches' Ordnungsideal

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ist gerade das Erreichen einer bestimmten Betriebsgröße die unerläßliche Voraussetzung dafür, daß ein Unternehmen als ernstzunehmender und 'handlungsfähiger' 'Wettbewerber' auf dem Markt auftreten kann. 34 Ganz in diesem Sinne hatte ja schon F. Marbach (1964: 55) in seiner Schrift "Die Wirtschaftskonzentration"35 mit allem Nachdruck geltend gemacht, daß "der Wettbewerb, wie er sich in der Wirklichkeit präsentiert und wie ihn jeder Unternehmer, ob groß oder klein, versteht, ... sich vom Begriff der Macht nicht trennen (läßt)"; weshalb Marbach eben den ordoliberalen Konkurrenzbegriff als eine "reine Abstraktion" (ebd.: 191) bzw. als ein "Trugbild" (ebd.: 190) einschätzen wollte. Schließlich sei noch Schumpeter erwähnt, der in seiner Schrift "Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie" (1987: 140) mit einem besonders ausdrucks starken Bild aufwartete, vertrat er doch die Ansicht, daß sich die wirkliche Konkurrenz vom Wettbewerbsmodell so unterscheidet, "wie ... ein Bombardement ... im Vergleich zum Aufbrechen einer Tür". Auf Euckens Konkurrenzideal bezogen: Könnte man die konstruiert-fiktive Seite desselben besser treffen als mit diesem Bild? Damit dürfte klar geworden sein, warum und inwiefern wir oben von einer

Zweideutigkeit bzw. Ambivalenz des Euckenschen Wettbewerbskonzepts sprechen wollten. Dieses scheint ja in der Tat die Konkurrenzsituation namentlich

kleiner Unternehmen in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft so widerzuspiegeln, wie sie ist: Mangelnde 'Strategiefähigkeit' gegenüber der markt-

wirtschaftlichen Strukturobjektivität scheint uns nicht nur eine analytische Modellprämisse zu sein, sondern eine empirische Bestimmung, die auf die meisten Kleinbetriebe hier und heute zutrifft.

34 Wir kennen das ja aus der soziologischen Theorie: 'Handlungsfähigkeit' setzt die Verfügung über Machtressourcen voraus. Genügen mag hier der beiläufige Verweis auf A. Giddens' (1976; 1977; 1984; vgl. hierzu auch unsere eigenen früheren Arbeiten: Kießling 1988; 1990) Kritik der strukturobjektivistischen Ansätze, in welchen die Akteure nur als 'dopes' erscheinen. Demgegenüber will Giddens in seiner 'Theorie der Strukturierung' von der Anerkennung einer "logical connection between action and power" ausgehen (Giddens 1984: 14). - In unserem Vortrag "Zum Programm einer Wirtschaftssoziologie in integrativ handlungs- und strukturtheoretischer Perspektive" auf dem Züricher Soziologentag 1988 haben wir in der Perspektive einer entsprechenden Begriffsbildung der neoklassischen Modellökonomie ein gravierendes 'Handlungsdefizit' vorgeworfen und in der 'Behebung' desselben den Ansatzpunkt für die Konstitution eines adäquaten theoretischen Ansatzes der Wirtschaftssoziologie gesehen (vgl. Kießling 1989a). 35 Wir beziehen uns hier auf eine 1964 erschienene Schrift des Minelstandsforschers, die sich als "Eine Auseinandersetzung mit der Antikonzentrations-Ideologie, speziell Hans Ono Lenels" (so der Untertitel) versteht: Marbach kritisiert die, wie er meint, überzogenen Dekonzentrationsvorschläge des Eucken-Schülers Lenel ("Ursachen der Konzentration", 1962); aber natürlich geht es Marbach vor allem auch um den Euckenschen Ordoliberalismus selbst, dem sich Lenel wie kaum ein anderer verpflichtet weiß.

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3. Das Kleinunternehmen und der moderne Staat

Auf der anderen Seite haben wir aber auch gesehen, wie uns Eucken die 'vollständige Konkurrenz', ganz in der neoklassischen Tradition, nur allzu utopisch und illusionär als eine friedlich-harmonische Veranstaltung schmackhaft machen will: Gleichsam als "unwirkliche Biedermännerwelt" oder "künstlich konstruierte Biedermänner-Idylle", um auf zwei von H. Arndt (1979: 156, 150) geprägte Ausdrücke, wie wir sie uns passender kaum vorstellen können, zurückzugreifen. Gerade mit Blick auf diese 'idyllische' Seite des Modells der 'vollständigen Konkurrenz', zeigt sich nun in aller Deutlichkeit, wie sehr Euckens ordnungspolitisches Denken 'mittelständisch' fundiert und strukturiert ist. Schon Marbach (1964: 190) hatte in seinem von uns bereits erwähnten Buch "Die Wirtschaftskonzentration" die "oft extrem-mittelständische, emotionale Einstellung neoliberaler , prinzipiell konzentrationsgegnerischer Autoren" angesprochen: Auf keinen anderen besser als auf Eucken trifft diese Einschätzung zu. Und in der Tat: Bei näherem Zusehen entpuppt sich dessen Konzept der 'vollständigen Konkurrenz' als genuin 'mittelständisches Ordnungsideal '; und zwar gerade insofern, als damit nicht nur die Prämissen einer "alles Große verdächtigenden reinen Modelltheorie" (Marbach 1964: 12),36 sondern auch und gerade die typischen Ressentiments37 der kleinen Selbständigen und mittelständischen Unternehmer selbst gegen das 'große Kapital' in den Rang eines ordnungspolitischen Leitbildes gehoben werden: Euckens Ordnungskonzept modelliert den typisch 'kleinbürgerlichen' Wunschtraum von einer 'befriedeten' Konkurrenz, in der es keine Machtunterschiede zwischen den 36 Besagte Modelltheorie qualifiziert Marbach (ebd.; Hervorh. im Orig.) mit folgenden Worten näher: Er spricht von einer "Theorie, die nicht etwa (wie es verständlich und sogar erwünscht wäre) das Ziel anvisiert, dem Mißbrauch der wirtschaftlichen Macht durch besonders marktpotente Unternehmungen mittels aller tauglichen legalen oder zu legalisierenden Mittel den Kampf anzusagen, sondern vielmehr glaubt, dem Volkswohlstand zu dienen, wenn sie das Böse in der wirtschaftlichen Welt vorwiegend als Emanation großer Wirtschaftsstrukturen auffaßt". Solches Denken ist für Marbach für solche Ökonomen charakteristisch, die "in großen Strukturen nichts als den unangebrachten Einbruch willkürlich handelnder usurpierter Macht in das introvertiert-treuherzige Idyll biedermeierlicher ZUlÜckgezogenheit erblicken." (ebd.) 37 Wie wir in unserem theorie- und problemgeschichtlichen Überblick (Kapitel 2) gesehen haben, sind diese Ressentiments gerade in der älteren Kleinunternehmer-, Handwerker- und Mittelstandsliteratur thematisiert worden (vgl. bspw. Wernicke 1907; 1925; Lübbering 1929; Geiger 1930; GlÜnberg 1932; vgl. zur Diskussion etwa Nell-Breuning 1960; AbellSchlotter 1961; Winkler 1972; 1978; Unterstell 1989): Von einer Angst vor "Deklassierung" (LeppertFögen 1974: 185ff.), einer "Selbstunsicherheit" des Mittelstandes (Marbach 1942: 38ff.) oder gar von einer "Panik im Mittelstande" (Geiger 1930) war immer wieder die Rede. Aber auch für die typischen Forderungen vieler heutiger Autoren nach einer selektiven Wachstumshilfe für kleine Unternehmen (vgl. Abschnitt 2.3) ist die Einsicht in 'größenbedingte Nachteile' derselben konstitutiv.

3.2 Euckens 'mittelständisches' Ordnungs ideal

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einzelnen Wirtschaftsakteuren gibt, diese vielmehr als 'Gleiche' unterschiedslos und sozusagen: 'demokratisch' der überindividuellen Marktobjektivität unterworfen sind und in der folglich auch der kleine Unternehmer sein 'gutes Auskommen' finden kann. In gewisser Hinsicht modelliert Eucken die Konkurrenz ganz nach dem Geschmack der Mittelständler und kleinen selbständigen Unternehmer: Einerseits wird die Marktwirtschaft bejaht und werden damit Selbständigkeit und Privateigentum als zentrale Institutionen anerkannt. Auf der anderen Seite aber soll, in dezidierter Abkehr vom Prinzip des Laissez-faire, die marktwirtschaftliche Konkurrenz "an die Kandare staatlicher Ordnungspolitik geleg(t)" (Franke 1988: 58) und als 'mittelständische Wirtschaft' so gesetzt, organisiert und auf Dauer gestellt werden, daß die notorischen Reproduktionsprobleme der Mittelständler prinzipiell und ein für allemal ihre Schärfe verlieren. Wir sehen hier, wie Eucken mit seinem ordnungspolitischen Modell den typisch mittelständischen Forderungen nach einer Beschränkung der Konkurrenz bzw. nach größenspezifischen wirtschaftspolitischen Hilfen38 für kleine Unternehmen (vgl. Abschnitt 2.3) nicht nur nachkommt, sondern, über eine sozusagen 'punktuelle' Assistenz weit hinausgehend, gleich die ganze staatliche Ordnungspolitik darauf verpflichten will, die modeme Wirtschaft insgesamt und grundSätzlich auf 'mittelständischer' Basis zu organisieren. 38 Es mag hier genügen, auf die sozusagen 'klassischen' Stellungnahmen Th. Geigers zu verweisen. Exemplarisch hat dieser in seinem Aufsatz "Panik im Mittelstand" (1930: 643) jene "unzeitgemäßen" Mittelständler kritisiert, die mit der Forderung danach, daß "die Konzentration des Kapitalismus vor ihrer Schwelle haltmachen (soll)", der "spätkapitalistischen Entwicklung" Einhalt gebieten wollten. Zum anderen hat Geiger (1949: 162) in seinem Buch "Die Klassengesellschaft im Schmelztiegel" darauf aufmerksam gemacht, daß die 'realpolitischen' Forderungen der Mittelstandsbewegung seit je darauf zielten, 'den Kapitalismus' so weit zu 'bändigen', daß dieser seine Bedrohlichkeit für die mittelständischen Schichten verliert: "Dieser realpolitische Kampf", so Geiger, "galt nicht dem kapitalistischen System an sich, sondern seiner Entfaltung über den Punkt hinaus, wo es durch fortschreitende Konzentration der Unternehmungen den kleinen und mittleren Selbständigen gefährlich wurde. Die Mittelstandsbewegung erwies sich hierin als entwicklungsfeindlich und auf eine spießbürgerlich-engstirnige Weise konservativ." Aufschlußreich ist auch der süffisante Hinweis, den Geiger (ebd.: 96) darauf gibt, wogegen sich die Mittelstandsbewegung typischerweise richtete: "Die Gewerbegesetzgebung wurde gegen gewisse Konkurrenzübergriffe mobilisiert - wobei der Maßstab für die Unzulässigkeit eines Konkurrenzgebarens dessen Gefährlichkeit für Handwerk und Kleinhandel war." Schließlich sei dem Leser in diesem Zusammenhang noch Geigers (ebd.: 163) Haltung zur mittelständischen 'Konkurrenzmoral' vorgestellt: "Scheintheoretische Begründungen werden für eine Konkurrenzmoral ins Feld geführt, die als loyale Wettbewerbsmethoden genau diejenigen anerkennt, denen der kleine Gewerbetreibende gewachsen ist, und die er selbst anzuwenden vermag, während die durch höhere Effektivität mögliche Unterbietung seitens des Großunternehmens als Schmutzkonkurrenz verpönt wird. Unentwegte und erhitzte Agitation gegen die Monopolbildungen des Großkapitals verfehlte denn auch in der Tat nicht, einen gewissen Eindruck auf die Öffentlichkeit zu machen."

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3. Das Kleinunternehmen und der moderne Staat

Trotz aller Rede also davon, daß es ihm, die Arena der sozialökonomischen Interessen und Machtkämpfe transzendierend, darum geht, für das Ordnungsproblem jenseits "ideologische(r) Subjektivität ... eine objektive Lösung" (Eucken 1990: 19) zu finden, scheint Eucken mit seinem Ordnungskonzept doch spezifisch mittelständische Interessen zu favorisieren. Der ökonomischen Realität der Marktwirtschaft in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft wird das Leitbild einer mittelständisch geordneten Wirtschaft gegenübergestellt, das mit den Mitteln der staatlichen Gewalt durchgesetzt werden soll. Eucken verlangt mithin vom Staat nicht weniger, als daß dieser die moderne Wirtschaft so 'ordne', daß die alte kleinbürgerliche Utopie von einer Ordnung in Erfüllung geht, "in der Maß und Gleichgewicht bestehen" (Eucken 1990: 372; Hervorh. v. uns).39 Mit kritischem Blick auf die 'unmäßigen' und aus dem Gleichgewicht geratenen 'monopolisierten' und 'konzentrierten' ('hypertrophen') Wirtschaftsstrukturen am Ende der 40er Jahre fordert Eucken also von den staatlichen Autoritäten eine "Rückkehr zum Maßvollen "40. Damit sind wir nun wieder just am Ausgangspunkt unserer Studie angelangt: In unserer Einführung (Abschnitt 1.1) hatten wir ja darauf aufmerksam gemacht, daß die aktuelle 'Renaissance' der Kleinunternehmerforschung - noch vor Birchs job generationstudies - mit Schumachers Schrift "SmalI is Beautiful. A Study of Economics as if People Mattered" (1973) begann: In kritischer Abkehr von der damals herrschenden Megalomanie forderte der Autor "Die Rückkehr zum menschlichen Maß" (so der Titel der 1977 erschienen deutschen Ausgabe) und leitete damit die Renaissance eines, wenn dieser Ausdruck erlaubt sein sollte, 'Klein39 'Maß' und 'Gleichgewicht': Das sind seit je die Erztugenden der Mittelständler und des Kleinbürgertums. Für eine nähere Dokumentation und Analyse der entsprechenden Syndromatik des mittelständischen bzw. kleinbürgerlichen Sozialcharakters sei der Leser auf B. Frankes informative Studie "Die Kleinbürger" verwiesen. Franke selbst kommt nicht auf Euckens Ordnungstheorie zu sprechen, wohl aber auf die Autoren F. Weltsch ("Das Wagnis der Mitte"; 1965) und W. Röpke ("Maß und Mitte"; 1950), in deren Werk er jeweils Elemente jener liberalismus- bzw. Konkurrenzkritik entdeckt, wie sie gerade auch der Ausgangspunkt für Euckens Ordoliberalismus ist. Zu Röpke schreibt Franke (1988: 58): "Das Ziel ist ... eine 'maßvolle' Marktwirtschaft, der der Stachel des liberalen Konkurrenz- und Expansionsprinzips gezogen ist, der alte Traum der liberalen Handwerkerbewegung des 19. Jahrhunderts. Röpkes Lektion lautet entsprechend, daß das zu radikale Freiheitspostulat des Liberalismus in faktische Unfreiheit mündet, da die ökonomische Konzentration dem eigentlichen Hauptübel, dem Kollektivismus in die Hände arbeite. Der sich hieran anschließende kleinbürgerliche Liberalismus ist aber ein an die Kandare staatlicher Ordnungspolitik gelegter Liberalismus, der damit unverkennbar konservative Züge annimmt." 40 Bei Eucken findet sich diese Forderung nur sinngemäß; aufs Wort genau hingegen in Röpkes Buch "Maß und Mitte" (1950: 157; zit. n. Franke 1988: 58): Hier ist von der "Rückkehr zum Maßvollen, zum Proportionierten" die Rede.

3.2 Euckens 'mittelständisches' Ordnungsideal

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betriebsromantizismus ' ein, wie er, wovon wir uns mittlerweile überzeugen konnten, gerade in Deutschland kein ganz neuartiges 'Phänomen' ist. Ganz im Gegenteil: Im Umkreis der zeitgenössischen Kleinunternehmerliteratur werden jene mittelständisch-kleinbürgerlichen Tugenden und Ideale von 'Maß und Gleichgewicht', wie sie seit je zum Fundus der romantischen Kapitalismus- und Liberalismuskritik41 gehören, wiederentdeckt. Auffallend ist freilich, daß die entsprechenden Theoreme und utopischen Figuren heute mit einem Anspruch auf Originalität auftreten, der ihnen keinesfalls zukommt. Herausragendes Beispiel scheint uns hier der in der Kleinunternehmerliteratur sehr einflußreiche Ansatz von Piore und Sabel zu sein, in welchem 'die Krise' der fortgeschrittenen Industriegesellschaft letztlich in den Großstrukturen der modemen Massenproduktion gesucht wird; auch L. Weiss' 're-creating micro capitalism'-Perspektive ist hier zu nennen. In der Konsequenz dieser Diagnosen und 'Perspektiven' wird dann die Überwindung der Krise in einer Restrukturierung und Reorganisation der Wirtschaft auf kleinbetrieblicher ('mittelständischer') Grundlage gesucht: In romantisierendverklärender Manier schreiben Piore und Sabel (1989: 329ff.) von einer möglichen "Rückkehr der Wirtschaft in die Gesellschaft" und sehnen sich nach dem Idyll einer "Handwerkscommunity", in der 'Konkurrenz' und 'Kooperation' miteinander versöhnt42 sind. Sieht man näher zu, wird man 41 B. Franke spricht in seinem Kleinbürgerbuch (1988: 43; Hervorh. v. uns) diesbezüglich von einem "kleinbürgerlichen Liberalismus", der seine Wurzeln in der politischen Theorie Rousseaus hat: "In der klassischen Demokratietheorie J .-J. Rousseaus ist diese Gleichheit (die der Individuen; B.K.) substantiell begründet in der Vorstellung einer Gesellschaft selbständiger Kleineigentümer." (ebd.: 38; Hervorh. v. uns) 1. Gall (1976: 184, Anm. 40), auf den sich auch Franke (1988: 222, Anm. 19) beruft, hat in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam gemacht, daß die Liberalen und Demokraten des Vormärz insgesamt "zentral bestimmt waren vom Ideal einer mittelständischen Gesellschaft" bzw. von der Utopie "einer klassenlosen Bürgergesellschaft 'mittlerer' Existenzen" (ebd.: 176), in der sich die verschiedenen ökonomischen, sozialen und politischen Kräfte und Interessen in einer vernünftigen und harmonischen Balance befinden. 42 Bei Piore und Sabel (ebd.: 331) ist in diesem Zusammenhang von "kooperativem Wettbewerb" die Rede: Unserer Meinung nach ist dies das genaue Pendant zu Euckens Wettbewerb als 'paralleler Anstrengung'. Dieses Ideal eines 'kooperativen Wettbewerbs' spielt, wie wir ja schon wissen, in der zeitgenössischen Kleinunternehmerliteratur eine große Rolle; insbesondere mit Blick auf die 'kooperativen Netzwerke' kleiner selbständiger Betriebe, die 'Kleinunternehmerfans' nicht nur in den oberitalienischen 'Industriedistrikten' ausmachen wollen (vgl. bspw. Raveyre/Saglio 1984; Maier 1987; Grabher 1988a/b; Lorenz 1988; GoodmanlBamford 1989; Pyke et al. 1990), ist das Konzept immer wieder ins Spiel gebracht worden. Hierzu an dieser Stelle nur soviel: Sofern die modemen Kooperationskonzepte empirische Verhältnisse abbilden wollen, steht ihr (wissenschaftlicher) Gehalt ganz außer Frage. Denn immerhin ist die Kooperation von Unternehmen ein beobachtbares matter of fact; als solches aber vielleicht nicht ganz neu: Unternehmenskooperation gibt es in der arbeitsteiligen Marktökonomie seit je. Unserer Meinung nach zielt aber der eigentliche Impetus des Konzepts des 'kooperativen Wettbewerbs'

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3. Das Kleinunternehmen und der moderne Staat

gewahr, daß es den Autoren um nichts anderes geht als um die normative 'Zügelung' und 'Beschränkung' des sich gegenüber den unmittelbaren gesellschaftlichen Lebenswelten verselbständigt habenden 'Molochs' einer 'autonomen Ökonomik' (vgl. Ulrich 1986: 173ff.), der bzw. die in die Gesellschaft reintegriert, auf ein normales 'Maß' zurechtgestutzt und schließlich politisch als "Republik von Kleineigentümern" (Piore/Sabel 1989: 331) bzw. als "Yeoman-Demokratie" (ebd.: 329)43 organisiert werden soll. Um auf Eucken zurückzukommen: Eingedenk der 'rauben' Wirklichkeit der empirischen Konkurrenz mit ihrer inhärenten "historischen Tendenz zur Konzentration" (1990: 221) entwarf er das Ideal einer 'mittelständisch' strukturierten 'Wettbewerbsordnung' , welche durchzusetzen er den Akteuren des keineswegs allein oder bevorzugt auf die empirische Ebene; vielmehr scheint es um die Profilierung eines normativen Modells zu gehen: In einer Ökonomie und Gesellschaft, die die Klassiker der Philosophie, Ökonomie und Soziologie immer mit Bezug auf Kategorien wie 'Eigennutz', 'Atomistik', 'Konflikt', 'Kampf' usw. beschreiben wollten, will man plötzlich wieder das biedermeierliche Idyll einer "Gemeinschaft von Produzenten" (Piore/Sabel 1989: 331) propagieren. - In seiner Kritik am Ansatz von Piore und Sabel macht freilich G. Brandt (1990b: 317) zu Recht darauf aufmerksam, daß man dem (vermeintlichen) 'Frieden' nicht trauen sollte: "Im übrigen tut man gut daran, sich nicht das geschönte Bild zueigen zu machen, das die Massenmedien und die Propheten einer Informationsgesellschaft von den High-Technology Communities entwerfen und von dem Piore und Sabel sich nicht energisch genug absetzen. So haben wir es bei diesen Communities nicht, wie auch Piore und Sabel verschiedentlich glauben machen wollen, mit einer neuen Einheit von Lebens- und Arbeitswelt zu tun, die durch wissenschaftliche Neugier, kooperative Formen des Wettbewerbs und einen neuen Community Spirit geprägt wäre, vielmehr scheinen sich hier ganz im Gegenteil völlig entschränkte Formen kapitalistischer Rationalität geltend zu machen, die uns mit ihren Begleiterscheinungen aus der FTÜhphase des Kapitalismus wohlvertraut sind. Wie sich das darstellt, haben unlängst Everett M. Rogers und Judith K. Larsen (1984) in einer eindringlichen Studie unter dem bezeichnenden Titel 'Silicon Valley Fever' beschrieben. Mit der Erosion von überkommener politischer Kultur und Community Spirit, der Vernachlässigung und Verwahrlosung von Infrastruktur und öffentlichen Dienstleistungen und gesteigerter Anfälligkeit für psychische Störungen bei denen, die unter dem Druck des Leistungswettbewerbs an den Rand gedrängt und aus dem Rennen geworfen zu werden drohen, macht sich, wenn diese Formel einen Sinn hat, tatsächlich eine Kolonialisierung der Lebenswelt geltend, die ihren Vorbildern in den Zentren der industriellen Massenproduktion in nichts nachsteht und diese um einige besonders bizarre Varianten bereichert." Brandts Hinweise scheinen unseren Verdacht zu bestätigen, daß die neumodische Rede von den 'Handwerkscommunities' auch gewichtige ideologische Konnotationen enthält. Und vielleicht sind die Kategorien unserer Klassiker doch zeitgemäßer als manche das wahrhaben wollen? 43 In der deutschen Übersetzung fmdet sich hierzu folgende Anmerkung (ebd.: 329): "Dieser Begriff - in der Kombination der beiden Wörter auch im Amerikanischen eine Neuschöpfung - bleibt hier unübersetzt, da es ein deutsches Pendant zu 'yeoman' nicht gibt. Die 'yeoman' waren in der englischen Geschichte eine Klasse von Landbesitzern; der erste Teil des Wortes bedeutet ethymologisch 'Distrikt, Provinz, Siedlungsgebiet' (und ist dem deutschen Wort 'Gau' verwandt). ... Es hätte nahegelegen, einen vergleichbaren Begriff aus der deutschen Geschichte zu suchen. Dagegen sprach jedoch zweierlei: erstens gab es ... in Deutschland keine vergleichbare Klasse; und zweitens wäre man in allen etwas weiter - etwa auf das Zunftwesen ausgreifenden Parallelen bei Begriffen gelandet, die durch den Mißbrauch diskreditiert sind, der mit ihnen im Nationalsozialismus getrieben wurde. (A.d.Ü.)" - Wir erlauben uns hier die Frage zu stellen, ob letzteres nicht vielleicht zu einem guten Teil an der Sache selbst liegen könnte?

3.2 Euckens 'mittelständisches' Ordnungs ideal

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Staates anheimstellt. 'Ordnungspolitisch an die Kandare genommen', verlöre die so 'befriedete' und in 'maßvollem Gleichgewicht' gehaltene Konkurrenz für die kleinen Unternehmer ihre Schrecken, wären die notorischen Reproduktionsprobleme derselben einigermaßen entschärft. Hätten die Politikakteure (bspw. bei uns in Deutschland anläßlich des Neuanfangs nach dem letzten Weltkrieg) die Ökonomie und Konkurrenz (bereits) solchermaßen geordnet, wären wir mit unserer Arbeit natürlich schon am Ende. Und zwar in zweierlei Hinsicht: Wir hätten eine Antwort auf unsere Frage nach den Reproduktionsbedingungen und Erfolgschancen der kleinen selbständigen Unternehmen in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft. Und diesen bräuchten wir zu den in diesem Sinne als grundlegend staatlich bzw. politisch gesetzt und garantiert enthüllten besten Erfolgsaussichten nur noch zu gratulieren. Aber wir schreiben hier nicht an einem Filmdrehbuch für Hollywood, wo es immer ein happyend geben muß. Vielmehr arbeiten wir an einer empirisch orientierten Studie, für die es durchaus eine offene Frage ist, ob denn der moderne Staat überhaupt ein Interesse an der Durchsetzung einer 'mittelständisch' strukturierten Wirtschaftsordnung hat. Eucken ging seinerzeit davon aus. Und die Mittelständler selbst scheinen ihm darin wenigstens ein gutes Stück weit zu folgen: Wenn sie nämlich ihre typischen "Wunsch- und Schutzvorstellungen" seit je "auf den Staat (richten)" (Franke 1988: 83), dann setzen sie bei diesem ein grundsätzliches Interesse an einer für sie vorteilhaften ordnungspolitischen Gestaltung ihrer Reproduktionsbedingungen voraus. Wir müssen nun zusehen, ob diese Voraussetzung gerechtfertigt ist. Für eine Klärung dieser Problematik kommen wir freilich um eine grundbegriffliche Reflexion auf das Verhältnis von Staat und moderner marktwirtschaftlicher Ökonomie nicht herum. Wir müssen rekonstruieren, welche Interessen der Staat gegenüber der Ökonomie hat und verfolgt. Darum soll es im 4. Kapitel unserer Studie gehen.

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4. Zur historisch-systematischen Bestimmung des Verhältnisses von modernem Staat und marktwirtschaftlicher Ökonomie 4.1 Zur Orientierung und Methodik der Argumentation: Ausblick auf das 4. und 5. Kapitel Im 3. Kapitel unserer Studie haben wir den Leser mit Euckens mittelständischem Ordnungs ideal der 'vollständigen Konkurrenz' bzw. 'Wettbewerbsordnung' bekanntgemacht: In und mit selbigem haben wir die gleichsam klassische, auf ihren ordnungspolitischen Begriff gebrachte Form des gerade heute wieder von vielen 'Kleinunternehmerfans' hochgehaltenen Ideals einer 'Rückkehr zum Kleinunternehmen' vor uns liegen. Dabei haben wir in unserer Auseinandersetzung mit den Euckenschen "Grundsätzen der Wirtschaftspolitik" bereits auch gesehen, wie sich deren Autor mit diesen vor allem an 'den Staat' selbst richtet, und zwar mit der Forderung, dieser solle aus der geschichtlichen Erfahrung lernen und im wohlverstandenen Interesse aller die Ökonomie ordnungspolitisch auf mittelständischer Grundlage organisieren (bzw. reorganisieren) . Und in der Tat schien nach dem verlorenen Krieg gerade bei uns in Deutschland eine günstige Ausgangsposition für eine Neuordnung der Wirtschaft und also Verwirklichung bzw. Durchsetzung der 'Wettbewerbsordnung , zu bestehen. Wie wir freilich im 5. Kapitel unserer Studie noch im einzelnen nachzeichnen werden, hat der neugegründete bundesrepublikanische Staat in seiner praktischen Wirtschaftsordnungspolitik dem Euckenschen Ansinnen allerdings keineswegs entsprechen wollen: Nach den anfänglichen, aber nur allzu zaghaften Vorstößen in Richtung auf eine Dekartellierung und Dekonzentration der Wirtschaft und der Betriebsstrukturen, stellten die maßgeblichen Akteure der Wirtschaftspolitik bald auf eine Politik der Tolerierung, wenn nicht gar Förderung der bald wieder erstarkenden Konzentrationstendenzen um. Und im übrigen traf dies nicht erst für K. Schillers, an ökonomischen Groß strukturen orientierte, keynesianische Politik der Globalsteuerung zu (vgl. Scharpf 1987: 153); schon L. Erhard ging es in seiner Wirt10·

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4. Der moderne Staat und die Marktwirtschaft

schaftspolitik nicht darum, einem rigorosen Ordoliberalismus ordnungspolitisch die Bahn zu brechen. Insofern muß doch in aller Entschiedenheit jener bundesrepublikanischen 'Standardlegende' entgegengetreten werden, die da behauptet, daß es in der Erhardschen Politik um die geradlinige Umsetzung des ordoliberalen Gedankengutes ging. 1 Festgehalten muß hier also werden, daß die maßgeblichen Akteure der bundesrepublikanischen Wirtschafspolitik sich in ihrem praktischen Handeln zu keiner Zeit von dem ordoliberalen Ordnungsmodell, wie es Eucken und die übrigen Freiburger nach dem Krieg so emphatisch propagiert haben, leiten lassen wollten. Die Einsicht darein provoziert natürlich die Frage nach dem Warum. An mangelndem ökonomischen Sachverstand der Akteure kann es kaum gelegen haben. Dies kann gerade für die erste Nachkriegszeit guten Gewissens behauptet werden: Immerhin berief Erhard neben anderen 'Freiburgern' wie E. v. Beckerath, F. Böhm, A. Lampe und L. Miksch Eucken höchstpersönlich in den wissenschaftlichen Beirat seines Ministeriums (vgl. Eick 1987: 71). Aber vielleicht trägt ein anderer Erklärungsversuch weiter. Eucken (1990: 325f.) selbst hatte ja in seinen "Grundsätzen der Wirtschaftspolitik" eine tiefe Skepsis darüber geäußert, ob man sich vom modernen Staat die Verwirklichung der 'Wettbewerbsordnung' überhaupt ernsthaft "erhoffen" dürfe, "nachdem die geschichtliche Entwicklung so viele Enttäuschungen gebracht hat und", so Eucken weiter, "der Staat sich nur zu oft als schwach, als Spielball in den Händen von Interessentengruppen erwiesen hat". So gesehen läge als Antwort auf unsere obige Frage der Hinweis auf den möglichen Einfluß von Interessentengruppen, welche großbetriebliehe und 'konzentrierte' Wirtschaftsstrukturen favorisieren, auf die Gestaltung der Wirtschaftspolitik 1 Dies hat schon V. Berghahn in seinem Aufsatz "Ideas into Politics: The Case of Ludwig Erhard" (1984) zu Recht bestritten. - Überaus typisch für das 'öffentliche Bewußtsein' in Deutschland scheint uns die Darstellung in dem populären Werk "So nutzt man den Wirtschaftsteil einer Tageszeitung" (Eick 1987) zu sein. In dem Buch, geschrieben von Redakteuren des Wirtschaftsteils der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", werden, allzu unbekümmert um Details, die Freiburger Ökonomen und namentlich Eucken als "geistige Väter" des Müller-Armack-Erhardschen Konzepts der 'sozialen Marktwirtschaft' reklamiert. Natürlich ist es nicht falsch zu schreiben, daß das "Handeln von Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard ... ohne die Vorarbeit der 'Freiburger Schule' gar nicht denkbar (ist)" (ebd.: 71); aber nichtsdestotrotz muß man in Rechnung stellen, daß Erhard nicht im entferntesten daran dachte, die 'mittelständische' Präferenz der Freiburger Ordoliberalen als 'kategorischen Imperativ' für seine Wirtschaftspolitik zu akzeptieren. Nur wer den 'mittelstandsidealistischen ' Kern der Freiburger Lehre verkennt, kann den im Nachkriegsdeutschland schließlich eingeschlagenen ordnungspolitischen Weg mit dieser in einen konstitutiven Zusammenhang bringen.

4.1 Zur Orientierung und Methodik

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nahe. Und in der Tat scheint es hierfür ernstzunehmende Indizien zu geben, stieß doch das noch von den Alliierten initiierte Dekonzentrations- und Dekartellierungsprogramm gerade in der deutschen Industrie auf heftigen Widerstand,2 so daß das schließlich im Jahre 1957 von der Bundesregierung verabschiedete 'Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellgesetz)' wohl durchaus mit einigem Recht als "ein Kompromiß zwischen dem Bundeswirtschaftsministerium und der Mehrheit der Unternehmer" (Jaeger 1990: 230) angesprochen worden ist. In der Perspektive dieser Erklärungsstrategie betrachtet, hätten sich die von Eucken geäußerten Befürchtungen bestätigt und der Staat sich einmal mehr als 'zu' schwach erwiesen, die von der ordnungspolitischen Vernunft gebotene Wirtschaftsordnung der 'vollständigen Konkurrenz' praktisch durchzusetzen. Diese Erklärung scheint zunächst sicher einiges für sich zu haben, letztlich aber doch zu kurz zu greifen. Der bloße Hinweis auf die in den Industrie- und Wirtschaftsverbänden organisierten 'konkurrenzfeindlichen' (bzw. 'konkurrenzskeptischen') Interessen, erklärt ja noch nicht, warum der Staat diesen entgegenkommen wollte. Aber genau die Reflexion auf dessen eigene Interessen fehlt in dem besagten Erklärungsansatz. Ohne die Sachlage systematisch und explizit zu klären, wird dem Staat einfach ein Interesse an der Ordnung der 'vollständigen Konkurrenz' zugeschrieben, welches sich nicht gegen die Interessen 'der Industrie' hätte durchsetzen können. Damit wird der Staat als abhängig von wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Interessentengruppen vorgestellt, aber nicht einmal entfernt die Frage danach aufgeworfen, ob dem Staat nicht vielleicht von sich aus wenig an der rigorosen Durchsetzung eines mittelständisch zugeschnittenen Ordnungsmodells gelegen war. Dieser Frage nachzugehen, erscheint uns viel erfolgversprechender zu sein, als agenturtheoretische Verdächtigungen zu lancieren, die mit dem Konzept eines 'schwachen' Staates operieren und suggerieren wollen, daß selbiger gegenüber den ökonomischen Interessen eine abhängige Größe ist. 2 Diesbezüglich kommt H. Jaeger in seiner "Geschichte der Wirtschaftsordnung in Deutschland" (1988: 229f.) zu der folgenden Einschätzung: "In der deutschen Industrie war der Widerstand gegen eine DekartelIierung zunächst sehr stark. Er wurde getragen von einer Generation von 'Wirtschaftsführern', die im System der HochkartelIierung aufgewachsen waren und denen der Gedanke an einen 'zügellosen Wettbewerb' Beklemmungen verursachte. So initiierte der BDI bald nach seiner Gründung in deutlicher Frontstellung gegen Erhard eine Kampagne zugunsten der Kartelle, die sich in Deutschland historisch bewährt hätten. Allenfalls waren Verbände wie der BDI und der DIHT bereit, eine Mißbrauchsregelung hinzunehmen, wie sie in der Zwischenkriegszeit gegolten hatte. Die Auseinandersetzungen in dieser Frage zogen sich über viele Jahre hin."

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Insofern soll in unserem alternativem Erklärungsansatz, wie wir ihn schließlich im 5. Kapitel unserer Studie dem Leser präsentieren werden, auch weniger von einer 'Schwäche' des Staates die Rede sein, als vielmehr der Hinweis auf ein spezifisch strukturiertes Interesse desselben in den Mittelpunkt gerückt werden: In diesem Zusammenhang werden wir zeigen, daß die Ordnung der Wirtschaft entsprechend den 'idyllischen' Vorstellungen des Euckenschen Ordoliberalismus dem bundes republikanischen Staat eben gerade nicht als das nonplusultra der ordnungspolitischen Vernunft galt und gilt; nicht als die Neuordnung der westdeutschen Nachkriegswirtschaft zur Debatte stand, und heute schon gar nicht. Damit ist ansatzweise die Argumentationsperspektive skizziert, an der wir uns im folgenden orientieren wollen: Wenn wir im 5. Kapitel, mit Blick auf den Beispielfall Deutschland, den Sachverhalt der politischen Konstitution der Reproduktionsbedingungen und Erfolgschancen kleiner Betriebe in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft thematisieren wollen, so setzt dies die vorgängige Bestimmung des Interesses des Staates gegenüber der Ökonomie voraus; und diese wiederum kann nur im Rahmen einer grundbegrifflich und allgemein orientierten Reflexion auf das Verhältnis von modernem Staat und marktwirtschaftlicher Ökonomie gelingen, wie wir sie in diesem 4. Kapitel versuchen wollen. Immerhin ist bereits für den ordnungstheoretischen Ansatz Euckens die Hinwendung auf die Sphäre des Staates konstitutiv: Wenn Eucken (1990: 325) im 'fünften Buch' der "Grundsätze der Wirtschaftspolitik" nach den 'tragenden Kräften' und hier insbesondere nach den 'ordnenden Potenzen' fragt, die sich für das ordoliberale Wettbewerbsmodell stark machen könnten, nennt er natürlich in erster Linie den 'Staat'. Ausgehend von diesem grundSätzlichen Hinweis geht es ihm dann im besagten 5. Buch seiner "Grundsätze" um die Klärung der Frage danach, ob der modeme Staat tatsächlich "genug Macht besitzt, (um seine) Ordnungsaufgaben zu erfüllen" (ebd.: 331); oder ob selbiger, verstrickt bleibend in "neufeudale Abhängigkeiten" (ebd.: 334) von partikularen Interessentengruppen, einmal mehr "als ordnende Potenz versagt" (ebd.: 330). Was uns in diesem Zusammenhang freilich zunächst und vor allem auffällt, ist die merkwürdig eingeschränkte Perspektive, in der Eucken nur danach fragt, ob der Staat die 'Wettbewerbsordnung' verwirklichen kann, sich aber nicht einmal ansatzweise mit der

4.1 Zur Orientierung und Methodik

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nicht minder spannenden Frage auseinanderzusetzen gedenkt, ob dies denn der Staat prinzipiell auch will. Natürlich wissen wir bereits, warum Eucken nicht an dem von ihm vorausgesetzten 'wettbewerbspolitischen' Interesse des modemen Staates zweifeln wollte: Immerhin war er selbst so sehr von der 'vollständigen Konkurrenz' als dem 'ordnungspolitischen Maß aller ökonomischen Dinge' überzeugt, daß er nicht einmal im Traum mit der Möglichkeit rechnete, sein Modell am Geschmack der staatlichen Akteure 'vorbeikonstruiert' zu haben. Wir hingegen haben uns den eigentümlich mittelständischen Zuschnitt seiner Ordnungskonzeption klargemacht und schon allein deshalb eine gewisse Skepsis gegenüber Euckens nur allzu großer Zuversichtlichkeit gewonnen: Warum auch, so die sich uns geradezu aufdrängende Frage, sollte sich der modeme Staat auf eine Ordnungspolitik verpflichten, die in ihrem Kern auf eine grandiose Protektion des mittelständischen Sektors seiner Volkswirtschaft hinausliefe? Insofern wird es uns im 5. Kapitel unserer Studie (Abschnitt 5.3) auch nicht weiter wundem, wenn wir sehen, daß das ordoliberale Ordnungsideal von den pragmatisch orientierten 'Machern' der bundesrepublikanischen Wirtschaftspolitik ziemlich schnell ausrangiert wurde; wiewohl es als normatives bzw. ideologisches Konzept bis auf den heutigen Tag in Politik und Öffentlichkeit eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt. Für die Durchsetzung seiner ordnungspolitischen Konzeption fordert Eucken (ebd.: 337; Hervorh. v. uns) einen starken Staat, der zu einer von wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Partikularinteressen "unabhängige(n) Willensbildung" fähig ist. Eucken spricht diesbezüglich auch von einem "aktionsfähigen Staat" (ebd.: 334; Hervorh. v. uns), der als solcher "die neufeudalen Abhängigkeiten überwindet" (ebd.), die der Durchsetzung der 'Wettbewerbsordnung' im Wege stehen könnten. Überaus bezeichnend ist es nun, daß Eucken den modemen Staat, so wie er sich ihm Ende der 40er Jahre in Deutschland (und nicht nur hier) präsentierte, keineswegs als 'starken' Staat einschätzen wollte. 3 Aber deswegen wollte er keineswegs in einen allgemeiFür die historische Zeitspanne, die Eucken überblicken konnte, vermeint er allgemein eine 'Abnahme der staatlichen Autorität' konstatieren zu müssen. Der "weitaus wichtigste Wesenszug staatlicher Entwicklung im 20. Jahrhundert", schreibt er, "ist die Zunahme im Umfange der Staatstätigkeit und die gleichzeitige Abnahme der staatlichen Autorität." (Eucken 1990: 327; Hervorh. im Orig.) Eucken spricht hier auch vom Staat, "der mächtig scheint, aber abhängig ist": "Man stellt es sich meist nicht anschaulich genug vor, welch wesentlichen, oft entscheidenden aber unkontrollierten Einfluß Verbände der Industrie, Landwirtschaft und des Handels, größere Monopole und Teilmonopole, Konzerne und Gewerkschaften auf die Willensbildung der Staaten ausüben." (ebd.)

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nen Pessimismus verfallen. Ganz im Gegenteil heißt es in den "Grundsätzen" in durchaus optimistischem Gestus (ebd.: 338): "Der modeme Staat ist zwar keine zureichende ordnende Potenz, aber er könnte es werden." Eucken (ebd.: 332) verweist in diesem Zusammenhang grundlegend auf die "Interdependenz beider Ordnungen - der Wirtschaftsordnung und der Staatsordnung" (ebd.: 332) und ferner auf das Argument, daß die zentrale Voraussetzung für die Konstitution eines 'aktionsfähigen Staates' die Durchführung einer 'gewissen Wirtschaftsordnungspolitik' ist: "Ohne eine Wettbewerbsordnung kann kein aktions fähiger Staat entstehen und ohne einen aktionsfähigen Staat keine Wettbewerbsordnung. " (ebd.: 338) Eucken selbst scheint sich an dem Zirkel nicht sonderlich gestört zu haben, in den er sich hier begeben hat: Für die Konstitution eines aktionsfähigen Staates setzt er die erfolgreiche Durchführung der von ihm favorisierten Ordnungspolitik voraus; aber er gibt keine Antwort auf die damit zwingend aufgeworfene Frage danach, wie ein Staat, der als noch nicht 'aktionsfähig' unterstellt ist, gegenüber einflußreichen Interessentengruppen eine solchermaßen auf deren 'Entmachtung' abzielende Ordnungspolitik überhaupt zu verfolgen in der Lage wäre. Uns soll es allerdings nicht darum gehen, Eucken diesen Zirkel vorzurechnen. Viel interessanter und für die Orientierung unseres Ansatzes wichtiger ist, daß sich hier in aller Deutlichkeit zeigt, wie Eucken auf den modemen Staat in der Form eines normativen Konzepts Bezug nimmt und in der Konsequenz seiner Ordnungstheorie zur Forderung nach einem Staat kommt, der sich die Ökonomie unterwerfen und sich so als souveräne politische Herrschaft über Wirtschaft und Gesellschaft konstituieren soll. Damit operiert Eucken mit einem Konzept des modemen Staates, wie es seit den europäischen Religionskriegen für die Theorie und die Praxis desselben als Träger der souveränen politischen Entscheidung bestimmend geworden ist (vgl. z.B. Schmitt 1973: 377ff.; Krüger 1966: Hf.; Darmstaedter 1971: Hf., 52ff., 129ff.). In entschiedenem Gegensatz zu Eucken gilt uns freilich die "spezifische Organisationsform 'souveräner Staat'" (Schmitt 1973: 377) gerade nicht als ein normatives oder sein sollendes Konzept, das noch erst verwirklicht werden muß; vielmehr wollen wir davon ausgehen, daß sich spätestens seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts diese Organisationsform in der politischen Praxis unserer westlichen Industriegesellschaften durchgesetzt hat. Anders als Eucken (1990: 326) scheint uns nämlich der modeme Staat keineswegs ein "Spielball in den Händen von Interessentengruppen" zu sein; stattdessen sehen wir in ihm jenen aktionsfähigen Souverän, der sich, unter An-

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drohung und/oder Anwendung des von ihm 'monopolisierten' 'spezifischen' Mittels 'legitimer Gewaltsamkeit', Gesellschaft und Ökonomie gemäß seinen Zwecken erfolgreich unterworfen hat (vgl. Weber 1980: 29f.). Und genau deshalb ist für den von uns favorisierten Ansatz der Kleinunternehmensforschung die Reflexion auf den Staat und dessen ökonomischen Zwecke so zentral: Weil dieser nämlich im konkreten Zuschnitt und in der Durchsetzung seiner wirtschafts- und ordnungspolitischen Strategien nicht nur den Rahmen für die ökonomischen Aktivitäten seiner Bürger überhaupt setzt, sondern damit auch und gerade die Reproduktionsbedingungen und Entwicklungschancen kleiner selbständiger Unternehmen entscheidend mitbestimmt. 4 Bevor wir uns in dieser 'staatszentrierten' Perspektive wieder unserer kleinbetrieblichen Thematik zuwenden, müssen wir dem Leser unseren 'staatstheoretischen Ansatz' allerdings etwas näher vorstellen. Für diesen Zweck werden wir auf thematisch relevante Konzepte und Theoriestücke vor allem der klassischen Staatslehre5 zurückgreifen. Für die Problemstellung der vorliegenden Studie ist es freilich nicht nötig, einen allgemeinen Begriff des modernen Staates in all seinen Facetten zu entwickeln; es mag genügen, wenn 4 Daß Interessentengruppen versuchen, auf die Gestaltung der staatlichen Politik Einfluß zu nehmen, wird von uns natürlich ebenso wenig bestritten wie der Umstand, daß sie dabei durchaus Erfolg haben können: Daß diese Gruppen sich mit ihren Anliegen aber an den Staat wenden und eben nicht ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen, scheint uns allerdings nur ein Beleg für unsere These von der erfolgreich durchgesetzten Souveränität des Staates als zentraler politischer Entscheidungsinstanz zu sein. 5 Es ist hier darauf aufmerksam zu machen, daß es heutzutage einen allgemein verbindlichen 'Begriff' des modemen Staates, der in der Literatur unumstritten wäre, nicht gibt. So ist bspw. in der 1992 erschienenen Schrift "Ironie des Staates" H. Willkes gar davon die Rede, daß "die Staatstheorie klassischer Prägung ... verschwunden (ist)"; demgegenüber wird in dieser Schrift für eine systemtheoretisch fundierte "Theorie des politischen Systems" geworben, die "im Ganzen sehr viel erfolgreicher" sei (Willke 1992: 7). Nur sehr kursorisch erwähnt Willke in diesem Zusammenhang jene Ansätze vor allem angelsächsischer Provenienz, wie sie unter der Devise eines 'bringing the state back in' in den letzten Jahren profiliert worden sind. In unserer 'einführenden Problemexposition' zum 'Politikdefizit' der Kleinunternehmerforschung (Abschnitt 2.1) haben wir aber gerade auch auf diese neueren Ansätze (für die sich Autoren wie T. Skocpol, J.A. Hall, M. Mann, A. Giddens u.a verdient gemacht haben) hingewiesen. Interessant erscheinen uns diese Ansätze, insofern sie, in bewußter Abkehr von den dominierenden 'gesellschaftszentrierten' Ansätzen (vgl. Knöbl 1993: 221), der "Vernachlässigung des Nationalstaates" (ebd.: 221) in der neueren sozial- und politikwissenschaftlichen Theoriebildung gegensteuern wollen. Dabei scheint unter den entsprechend ansetzenden Wissenschaftlern Konsens darüber zu bestehen, daß der Staat mit Bezug auf die Ökonomie eine oft unterschätzte Rolle spielt. In unserer Rekonstruktion des Verhältnisses von Staat und Wirtschaft werden wir uns allerdings weniger an diesen neuen Ansätzen, als vielmehr bevorzugt an der klassischen Staatstheorie orientieren: Willke (1992: 7) hat nämlich ganz recht, wenn er schreibt, daß diese neueren Ansätze vorerst "nur Programm geblieben" sind. Aus dieser Verlegenheit können wir uns aber helfen, wenn wir uns gleich und ohne große Umwege auf die klassischen Theorietraditionen besinnen, für die der Staat von Anfang an im Mittelpunkt stand, und es noch nicht des flat eines 'bringing the state back in' bedurfte.

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4. Der moderne Staat und die Marktwirtschaft

wir, weit spezifischer und sozusagen 'gegenstandsbezogener' ansetzend, auf den Staat vor allem in seinem Verhältnis zur marktwirtschaftlichen Ökonomie reflektieren. Dabei ist es das Ziel der folgenden Ausführungen, dieser Hinweis sei dem Leser als eine Art Lesehilfe an die Hand gegeben, in einer historisch so gut wie systematisch ansetzenden Rekonstruktion der in einem eminenten Sinne politisch vermittelten Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte des 'modemen Kapitalismus' (W. Sombart) den Weg zu einem Standpunkt zu bahnen, von dem aus "das Wirtschaften als das anerkannt" werden kann, "was es ist: ein Politikum".6 Erst von dieser grundlegenden und im wahrsten Wortsinne: politisch-ökonomischen Einsicht aus werden sich uns die Reproduktionsbedingungen der kleinen selbständigen Unternehmen in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft in ihrer essentiellen politischen Vermitteltheit erschließen. Der historische Ausgangspunkt für unseren Versuch einer Rekonstruktion des Verhältnisses von modernem Staat und marktwirtschaftlicher Ökonomie ist die kapitalistische Industrialisierung, wie sie seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert von den Staaten in Europa initiiert und gefördert worden ist. Seinerzeit begannen die fortgeschrittenen Staaten die Ökonomie als eine Ressource zu entdecken, die so zu ordnen war, daß sie den staatlichen Zwecken am besten zu entsprechen vermochte: Im Interesse einer produktiven und effizienten Ökonomie begannen die Staaten sich als Pro akteure der Industrialisierung zu betätigen. Dabei verstanden die maßgeblichen politischen Akteure unter 'Industrialisierung' vor allem auch wirtschaftliche 'Modernisierung' überhaupt. Mit anderen Worten: Die Staaten hatten ein vitales Interesse an einer 'marktwirtschaftlichen' Reform der überkommenen Wirtschaftsstrukturen. Indem wir im folgenden nachzuzeichnen versuchen, was der konkrete Inhalt dieses staatlichen Interesses war, werden wir uns Aufschluß über das Verhältnis Staat und Marktwirtschaft allgemein und überhaupt verschaffen können. Dafür müssen wir aber vorgängig klären, was das für Wirtschaftsstrukturen waren, die plötzlich so sehr der Kritik der staatlichen Akteure verfielen, daß diese mit ihrem Programm einer marktwirtschaftlichen 'Revolution von oben' ernst machten und die Welt in einem bisher nicht gekannten Maße umkrempelten. Darum geht es im nächsten Abschnitt unserer Studie. 6 Diese Bestimmung finden wir in E. Heimanns Schrift "Soziale Theorie des Kapitalismus" (1929: 60; vgl. auch Heimann 1963: 67ff.). Heimanns Formulierung ist von der klassischen Staatstheorie, bspw. in H. Hellers (zuerst 1934 erschienener) einflußreicher "Staatslehre" (1963: 214), zustimmend aufgegriffen worden.

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4.2 Die zünftig geordnete Handwerksäkonomie Die überkommenen Strukturen, gegenüber denen die an der politischen Durchsetzung einer "liberalen, kapitalistischen Ordnung der Wirtschaft" (Jaeger 1988: 21) interessierten staatlichen Reformer ihre praktisch orientierte Kritik geltend machten, waren die der kleinbetrieblich zugeschnittenen und zünftig organisierten 'Handwerksökonomie' , wie diese, neben der Landwirtschaft, bis ins 19. Jahrhundert hinein das Wirtschaftsleben der europäischen Gesellschaften dominierte (vgl. Sombart 1954: 53). Auf die Zerstörung der Strukturen dieser Handwerksökonomie zielten alle Versuche der staatlichen Akteure, in ihren Ökonomien Industrialisierungsprozesse zu initiieren. 7 Was aber hatte der Staat im Übergang zum 19. Jahrhundert auf einmal gerade an der Handwerksökonomie auszusetzen? Die Beantwortung dieser Frage setzt eine nähere Bestimmung zum einen der ökonomischen Interessen des emporstrebenden modemen Staates, zum anderen der grundlegenden Strukturund Organisationsprinzipien der Handwerksökonomie voraus. Am besten dürfte es sein, beide Komplexe in ihrem immanenten Wechselbezug aufeinander zu thematisieren. Eines vorneweg: Für unseren Argumentationszweck wird es genügen, die handwerkliche Produktionsweise soweit vorzustellen, daß die konkreten Ansatzpunkte für die staatlichen Reformbestrebungen sichtbar werden. Dabei werden wir uns auf die Verhältnisse in Deutschland und namentlich in Preußen zu Beginn des 19. Jahrhunderts konzentrieren. Wie gesagt, war die gewerbliche Wirtschaft seinerzeit noch größtenteils handwerksmäßig organisiert; aber diese 'alte' Ordnung der Wirtschaft sollte bald grundlegend 'revolutioniert' werden. Welche entscheidende Rolle dabei staatliche Eingriffe ins Wirtschaftsleben spielten, wollen wir mit Blick gerade auf das Exempel der Reformgesetzgebung des preußischen Staates seit dem Edikt von 1807 rekonstruieren und belegen. Dabei zielt unsere Argumentation freilich immer auch auf Verallgemeinerung. Am Beispiel Preußens wollen wir uns einen ersten Begriff vom Verhältnis zwischen modernem Staat und Ökonomie überhaupt 7 Für die Argumentationsstrategie unserer Studie ist die Reflexion auf die Strukturprinzipien der (städtischen) Handwerksökonomie viel wichtiger als die Auseinandersetzung mit der (ländlichen) Agrarökonomie bzw. "Agrarverfassung" (vgl. Sombart 1954: 44ff.). Vgl. hierzu auch einen Hinweis von H.-V Wehler (1987a: 90): "Obwohl die Durchsetzung des Agrarkapitalismus ... in gewisser Hinsicht eine schwer entbehrliche günstige Vorbedingung für den erfolgreichen Industriekapitalismus schuf, bahnten sich doch die wahrhaft umwälzenden ökonomischen Entwicklungen in der gewerblichen Wirtschaft an. Aus diesem Grund verdient die unmittelbare Vor- und Frühgeschichte der Industrialisierung besondere Aufmerksamkeit. "

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erarbeiten. Dafür bietet sich gerade die Bezugnahme auf die Verhältnisse in Preußen an: O. Hintze hat nämlich, jedenfalls mit Blick auf das im folgenden thematische Verhältnis der Politik zur Marktwirtschaft, sicherlich recht, wenn er den Preußenstaat des 19. Jahrhunderts als Paradigma für den modemen, neuzeitlichen Staat überhaupt ansehen wollte. 8 Daran nun, daß es den preußischen Reformern (allen voran Stein und Hardenberg), beeindruckt wie diese von der Stärke des 'neuen' Frankreich und den Siegen der napoleonischen Armee waren, insbesondere mit ihren auf die 'Modernisierung' der Wirtschaft zielenden 'Gewerbereformen' um eine Politik der Stärkung des Staates ging, kann kaum Zweifel bestehen. 9 In der Perspektive dieser Zielsetzung mußte freilich vor allem die Wirtschajtskrajt des Landes grundSätzlich gestärkt werden: In der allgemeinen Staatskrise nach der militärischen Niederlage gegen Napoleon 'entdeckte' die preußische Politik 'die Wirtschaft' als wesentliche Ressource der staatlichen Autorität. Und von dieser 'Entdeckung' oder Einsicht ausgehend, zielte die Reformpolitik wenigstens in wirtschaftlicher Hinsicht darauf ab, das Leistungspotential der Ökonomie zu erschließen bzw. zu erweitern und zu kräftigen. Wehler (1987a: 403) bringt das Gemeinte konzis auf den Punkt, wenn er schreibt, daß bei dem Versuch, die Staatskrise zu meistem, " ... im Erfahrungshorizont der Reformbeamten die Liberalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft, die Entfesselung aller Produktivkräfte und menschlichen Energien in einer ständefreien, rechtsgleichen, privatkapitalistischen Eigentümergesellschaft auf der Tagungsordnung (stand). Diesem Prozeß sollte die verbesserte Effektivität und wohlwollende Unterstützung der Verwaltung zustatten kommen. Nur auf diese Weise, schien es, konnte das wirkliche Leistungspotential Preußens freigesetzt werden, infol-

8 Vgl. hierzu insgesamt Hintzes "Gesammelte Abhandlungen", Bde. 1-3 (1962ff.), vor allem freilich den dritten Band mit dem Titel "Regierung und Verwaltung. Gesammelte Abhandlungen zur Staats-, Rechts- und Sozialgeschichte Preußens" (1967); hier heißt es im Vorwort des Herausgebers G. Oestreich, daß "im preußischen Staat ... Hintze sein Paradigma des modemen Staates (fand)". 9 Darauf hat erst kürzlich wieder H.-U. Wehler (1987a: 401) im ersten Band seiner "Deutschen Gesellschaftsgeschichte" hingewiesen: "In der klassischen Situationsanalyse der Hardenbergsehen Reformpolitik, der Rigaer Denkschrift vom September 1807, sind die wichtigsten Überlegungen wie in einem Brennspiegel eingefangen. Das von Niebuhr, Altenstein und Schön konzipierte Memorandum ging trotz des königlichen Adressaten in unverschnörkelt formulierter Hochachtung von der Einsicht aus, daß die Revolution 'den Franzosen .... einen ganz neuen Schwung' gegeben habe. 'Alle schlafenden Kräfte wurden geweckt, das Elende und Schwache, veraltete Vorurteile und Gebrechen wurden' zerstört. Die 'gewaltsame Impulsion' von außen, die seit 1806 Preußen als einen der 'Überwundenen ... mit dem Strome fortgerissen' habe, eröffne die allein erfolgverheißende Perspektive einer Politik tiefgreifender Reformen. "

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gedessen das Volkseinkommen, Steuervolumen und Zahlungsvermögen gesteigert werden. "10 Die Wehlersche Vergegenwärtigung der Ziele der preußischen Reformpolitik zeigt eindrucksvoll, daß die 'Modemisierungsstrategie' ganz und gar in der Perspektive einer 'positiven' 'Staatsraison ' forciert wurde: In der Tat ging es um eine 'Revolution von oben' (vgl. ebd.: 401), in der man wohl auch das Wohl der Bürger, noch mehr aber die "künftige Größe" (ebd.: 402) des Preußenstaates im Auge hatte. Zu Recht spricht Wehler mit Blick auf die preußischen Gewerbereformen von einem "sozialökonomisch orientierten Frühliberalismus " ,11 welcher "untrennbar mit dem Einfluß des großen schottischen Sozialtheoretikers Adam Smith verbunden ist" (ebd.: 404):12 Dieser übte nun gerade deshalb eine so große Anziehungskraft auf die preußischen Reformer aus, weil sein 1776 erschienenes bahnbrechendes Werk "An Inquiry into the Nature and Causes of 10 Vgl. des weiteren die folgende aufschlußreiche Einschätzung Wehlers (1987a: 403; Hervorh. v. uns): "Einmal galt es den Reformern als Zweck an sich, die Wirtschafts- und Gesellschaftsverfassung, die Staatsverwaltung, das Militär- und Bildungssystem auf die Höhe des zeitgenössischen Entwicklungsstandes zu heben. Zugleich bedeutete diese Absicht natürlich auch - das lag ganz auf der Linie des älteren Reformabsolutismus -, den inzwischen schmerzhaft vergrößerten Abstand zu Westeuropa zu verringern, womöglich ganz wettzumachen, ehe er une inhol bar groß wurde. Der Abbau der relativen Rückständigkeit sollte in einen säkularen Erfolg münden, der darin bestand, die Leistungsfähigkeit, Effizienz und Staatsmacht eines Landes wie Frankreich zu gewinnen; die preußischen Reforrnrnaßnahmen schmiegten sich daher auch häufig der westfälischen und französischen Gesetzgebung dicht an. Ohne die erhofften Fortschritte war an verläßliche Herrschaftsstabilisierung nicht zu denken, und das war ein Gut, das die Verfechter des bürokratischen Absolutismus besonders zu schätzen wußten. Zugleich wollten sie die Machtdiffusion des Ancien Regime zu ihren Gunsten überwinden, die 'zersplitterten Herrschaftsbefugnisse' des Adels und der Stände, des königlichen Kabinetts und Hofes in ihrem Sinne bündeln. Ein reformiertes Preußen gewann schließlich auch wieder die Konkurrenzfähigkeit im internationalen Mächtesystem zurück, es konnte, wie auch und gerade Hardenberg forderte, der Expansion als seinem Lebensprinzip erneut folgen: 'Preußen muß sich wieder vergrößern, ... noch mehr erwerben, oder es sinkt, es geht ganz unter.' Drückende Finanznot, konkrete Reformpolitik und künftige Ausbreitung hingen danach aufs engste zusammen." 11 Wehler hierzu näher: '" Aus dem Hauptgrundsatz, daß die natürliche Freiheit nicht weiter beschränkt werden müsse, als es die Notwendigkeit erfordert', hieß es in einer typischen Wendung der Rigaer Denkschrift, 'folgt schon die möglichste Herstellung des freien Gebrauchs der Kräfte der Staatsbürger aller Klassen'. Sämtliche Barrieren, die dem ungehemmten Modus Operand i einer Marktgesellschaft freier Wirtschaftssubjekte entgegenstanden, waren deshalb zu beseitigen: Spätfeudales Bodenrecht, Ständeunterschiede, Erbuntertänigkeit, Fronarbeit, Zunftschranken, Störungen des Investitionsflusses und der Gewerbeentwicklung - alle Wachstumshemmungen sollten im Prinzip abgebaut werden, da sich sonst keine der wesentlichen Absichten verwirklichen ließ. Hierüber herrschte unter den Reformbeamten eines Montgelas, Reitzenstein, Stein und Hardenberg ein breiter Konsens." (ebd.: 404) 12 Wehler (ebd.: 405) spricht in diesem Zusammenhang auch davon, daß "die Beschäftigung mit Smith" in Preußen "geradezu eine intellektuelle Mode mit bedeutenden politischen Folgen" war. Vgl. hierzu etwa auch Jaeger 1988: 34.

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the Wealth of Nations", wie Wehler (ebd.: 405) anmerkt, "auch 'ein politisches Programm für ein unterentwickeltes Land'" enthielt und, mit Blick auf die englische Empirie, eindrucksvoll demonstrierte, wie sehr der 'Wohlstand' nicht nur des einzelnen, sondern vor allem 'der Nation' von der politischen Durchsetzung einer "dynamischen Konkurrenzwirtschaft" (ebd.: 430) profitieren konnte. Daß sich die preußischen Reformpolitiker mit ihrer Vision einer 'liberalen Konkurrenzwirtschaft' gegen die überlieferte, zünftig und kleinbetrieblich geordnete Handwerksökonomie richteten, hatten wir oben schon erwähnt. Im folgenden gilt es nun, noch etwas eingehender zu klären, warum diese der Kritik der Reformer so sehr verfiel. Für diesen Darstellungszweck werden wir uns mit den grundlegenden Struktur-und Organisationsprinzipien des 'alten Handwerks' auseinandersetzen müssen. Dies soll probaterweise gleich vom pragmatischen Standpunkt der preußischen Reformer aus geschehen, den wir in der Form eines historisch orientierten role-taking einnehmen wollen. In dieser Perspektive wird sich uns 'das Wesen' des Handwerks in der Weise erschließen, daß zugleich hervortritt, warum und inwiefern den Reformpolitikern die überkommene Handwerksökonomie nicht effizient genug strukturiert war. Zunächst freilich wollen wir uns in der Spezialliteratur nach einer Antwort auf die Frage nach einem adäquaten Begriff des Handwerks umsehen. Als erste Referenz bietet sich zunächst einmal eine "Sozialgeschichte der deutschen Handwerker seit 1800" an, die F. Lenger erst kürzlich, im Jahre 1988 nämlich, publiziert hat. Dieser verweist uns prompt an K.H. Kaufhold weiter, welcher eine Definition erarbeitet hat, die sich, so Lenger (1988: 10), "in der Praxis der historischen Forschung ... am besten bewährt" hätte: Für uns mag es hier reichen, darauf hinzuweisen, daß in Kaufholds Definition das Handwerk begriffen wird '" als selbständige gewerbliche Tätigkeit', die 'mit der Person ihres Träger unlösbar verbunden ist und bei der auf Grundlage individueller, erlernter Handfertigkeit und umfassender Werkstoffbeherrschung produziert wird ... oder Dienstleistungen ... angeboten werden'" (ebd.: 10; Kaufhold 1978: 28). An der Kaufholdschen Handwerksdefinition fällt auf, daß vor allem auf die 'Selbständigkeit' des Handwerkers sowie auf die stoffliche Seite der konkreten handwerklichen Tätigkeit ('Werkstoffbeherrschung' ; 'Handfertigkeit') fokussiert wird: Was freilich allzusehr vernachlässigt wird, ist die Reflexion auf 'das Handwerk' als eine Produktionsweise, die ganz bestimmte Wirtschajts-

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orientierungen seitens der Subjekte der handwerklichen Tätigkeit einschließt. Gerade in dieser Hinsicht nun zieht eine weitere von Lenger (1988: lOf.) vorgestellte Handwerksdefinition unser prinzipielles Interesse auf sich: Eine Definition, wie sie ursprünglich wohl von Marx und Engels profiliert worden ist. Lenger selbst macht hier auf eine Passage aus deren früher Schrift "Die deutsche Ideologie" aufmerksam, wo das in der handwerklichen Produktion angelegte Kapital qualitativ unterschieden wird von jenem 'modemen', wie es für die kapitalistische Produktion charakteristisch ist. Die entsprechende Textstelle wollen wir etwas ausführlicher als Lenger zitieren: Das handwerkliche 'Kapital', heißt es bei Marx und Engels (1973: 52; Hervorh. im Orig.; Lenger 1988: 11), " ... war ein naturwüchsiges Kapital, das in der Wohnung, den Handwerkszeugen und der naturwüchsigen, erblichen Kundschaft bestand und sich wegen des unentwickelten Verkehrs und der mangelnden Zirkulation als unrealisierbar vom Vater auf den Sohn forterben mußte. Dies Kapital war nicht, wie das modeme, ein in Geld abzuschätzendes, bei dem es gleichgültig ist, ob es in dieser oder jener Sache steckt, sondern ein unmittelbar mit der bestimmten Arbeit des Besitzers zusammenhängendes, von ihr gar nicht zu trennendes, und insofern ständisches Kapital. " Mit aller Entschiedenheit wird hier auf die eigentümliche Formbestimmung des in der handwerklichen Produktion engagierten Kapitals fokussiert: Dieses zeichnet sich, Marx und Engels zufolge, dadurch aus, daß es mit der 'bestimmten Arbeit' des Handwerkers 'unmittelbar zusammenhängt' und sich damit in der Tat genuin als 'ständisches' (oder eben: 'stehendes' bzw. 'immobiles') Kapital erweist; ganz anders als sein modemes Gegenstück, dem es völlig gleichgültig ist, 'ob es in dieser oder jener Sache steckt'. Wesentliches Charaktermerkmal des 'handwerklichen' als 'ständischen' Kapitals ist also, daß es noch nicht auf dem modemen Standpunkt der 'universellen Rentabilität' steht: Einsatz und Verwendung orientieren sich an den stofflichinhaltlichen Spezifika der handwerklichen Produktion und nicht am Zweck der optimalen Verwertung. Während das 'ständische Kapital' jeweils mit einer konkret bestimmten handwerklichen Tätigkeit untrennbar zusammenhängt, repräsentiert das 'modeme' Kapital seinem ureigensten Wesen nach nichts als eine abstrakte Geldsumme, die jederzeit und sozusagen 'vorurteilslos' dazu bereit ist, in jede Produktionssphäre zu fließen, wenn nur ihre optimale Verwertung gewährleistet ist. Auf einen einfachen Nenner gebracht: Für das 'handwerkliche Kapital' und das Handwerk überhaupt war eine gewisse

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Immobilität charakteristisch, während das 'moderne Kapital' demgegenüber vor allem durch seine Mobilität beeindruckte. Und am meisten beeindruckt mußte diese Mobilität des 'modernen Kapitals' natürlich 'unsere ' preußischen Reformpolitiker haben, denen, vom Standpunkt ihres an der liberalen politischen Ökonomie A. Smiths geschulten Bestrebens, die Reichtumsquellen der Ökonomie voll zu erschließen, das 'ständische' Kapital in der Tat als ein 'alter Zopf' erscheinen mußte, den es abzuschneiden galt: Allein das mobile, 'moderne' Kapital, von dem A. Smith in seinem "Wealth of Nations" schwärmte, versprach die Produktion maximalen nationalen Reichtums, von welchem sich der Staat eine gehörige Portion für seine Zwecke erhoffen durfte. Hier also enthüllt sich uns im Ansatz der materiale Grund des staatlichen Interesses an der Institutionalisierung einer 'kapitalistischen' Marktwirtschaft; und dafür, das wußten die Reformer nur zu gut, war die Durchsetzung der 'Gewerbefreiheit' unabdingbare 'rechtliche' Voraussetzung. Im folgenden müssen wir unsere Charakterisierung der Handwerksökonomie noch etwas vertiefen. Hierfür wollen wir einmal mehr Marx zu Wort kommen lassen und dem Leser eine Passage aus dessen "Grundrissen der Kritik der politischen Ökonomie", auf die sich auch Lenger (1988: 11) in seiner "Sozialgeschichte der deutschen Handwerker" bezieht, vorstellen: "Bei dem städtischen Handwerk, obgleich es wesentlich auf Austausch beruht und Schöpfung von Tauschwerten, ist der unmittelbare, der Hauptzweck dieser Produktion Subsistenz als Handwerker, als Handwerksmeister, also Gebrauchswert; nicht Bereicherung, nicht Tauschwert als Tauschwert. Die Produktion ist daher überall einer vorausgesetzten Konsumtion, die Zufuhr der Nachfrage untergeordnet und erweitert sich nur langsam." (Marx 1974a: 411f.; Hervorh. im Orig.) Marx kommt hier auf den Zweck zu sprechen, den die Subjekte der Handwerksökonomie mit ihrer Tätigkeit verbinden. Dabei zeigt bereits ein erster Blick, daß damit, über die bereits vorgestellte Immobilität des 'ständischen' Kapitals hinausgehend, auf eine weitere 'Beschränktheit' bzw. 'Begrenztheit' der handwerklichen Produktion hingewiesen wird: Diese wird charakterisiert als allein auf den Zweck der Sicherung der individuellen Subsistenz des Handwerkers (und natürlich seiner Familie) bezogen. Mit Blick auf die 'Orientierungsgestimmtheit' der Subjekte ist damit eine zentrale Formbestimmung der Handwerksökonomie getroffen: In dieser geht es nicht um die Pro-

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duktion gesellschaftlichen Reichtums als solchen, sondern um den individuellen (und also in dieser Hinsicht beschränkten) Subsistenzzweck des Handwerkers. Unter Bezugnahme auf einschlägige Ausführungen W. Sombarts, der Marxens grundlegende Charakterisierung der handwerklichen Produktionsweise weiter konkretisiert hat, wollen wir diese Thematik noch etwas weiter vertiefen. Sehen wir also zu, was Sombart13 zur Handwerksökonomie zu sagen hat. Dabei wollen wir unmittelbar anknüpfen an die soeben vorgestellte 'Subsistenzorientierung' des Handwerkers und auf zwei grundlegende Bestimmungen hinweisen, mit denen Sombart (1954: 55; Hervorh. im Orig.) das 'Streben des Handwerkers' charakterisiert: "Mir scheint, als ob es vor allem zwei Punkte seien, auf die das Streben des Handwerkers gerichtet ist: ein standesgemäßes Auskommen und Selb-

ständigkeit. Ein standesgemäßes Auskommen strebt er an, nicht weniger, aber vor allem auch nicht mehr. Seine gewerbliche Arbeit soll ihm ... die materielle Basis für seine Existenz: seine 'Nahrung' verschaffen, das Handwerk soll seinen Mann 'nähren'. Das ist der Grundton, der durch alle Äußerungen des Handwerks seit seinem Bestehen hindurchklingt .... Aber der Handwerker will sein Auskommen haben und dabei ein freier Mann sein, d.h. als selbständiger Produzent bestehen können. Diese Selbständigkeit ist es erst, die den Handwerker im eigentlichen Sinne von ebenfalls gewerblichen Arbeiten anderen ökonomischen Charakters unterscheidet. " Damit formuliert Sombart handlungsanalytische Bestimmungen, die die oben schon vorgestellte lmmobilität der Handwerksökonomie noch weiter unterstreichen: Und in der Tat ist gerade die bloße Orientierung des Handwerkers an seiner 'Nahrung' 14 für die charakteristische Statik der handwerklichen Produktionsweise verantwortlich. Bescheiden begnügt sich der Handwerker damit, seine 'Nahrung' zu gewinnen; der Produktionszweck der Be13 Von den Struktur- und Organisationsprinzipien der Handwerksökonomie sowie der typischen Wirtschaftsorientierung der Handwerker, handelt Sombart in unübertroffener Prägnanz und Treffsicherheit in seinem monumentalen Werk "Der moderne Kapitalismus" (1928), vor allem im ersten Band desselben, der "die vorkapitalistische Wirtschaft" zum Thema hat. Eine relativ knapp gehaltene Vorstellung der "Idee des Handwerks" (Sombart 1928a: 188; Bd. 1, 1. Hbd.) bzw. der "handwerksmäßigen Organisation der Wirtschaft", also jenes "Wirtschaftssystemes" , welches "während des europäischen Mittelalters das Wirtschaftsleben beherrscht hat" (ebd.), finden wir freilich auch in Sombarts zuerst im Jahre 1903 erschienener Schrift "Die deutsche Volkswirtschaft im 19. Jahrhundert und im Anfang des 20. Jahrhunderts" (1954), auf die wir uns im folgenden vor allem stützen wollen. 14 Diese 'Nahrungsoriemierung' wird in der Literatur immer wieder als typisches Spezifikum der Handwerksökonomie genannt; vgl. statt vieler bspw. Weber 1924: 127ff; Wehler 1987a: 93ff.; Lenger 1988: 13ff. 11 Kießling

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reicherung als solcher ist ihm durch und durch fremd. Als Handwerker steht er auf dem Standpunkt seines 'Kleinbetriebs', als "der handwerksmäßigen Organisation der Produktion innerlich entsprechenden Form der Betriebsgestaltung" (ebd.: 56; Hervorh. im Orig.), welchen er als solchen erhalten möchte. Spießbürger wie sie im Buche standen, wollten die traditionellen Handwerker nur eines: Wollten nur, daß alles seinen gewohnten Gang geht. Für eine Enveiterung der Produktion jedenfalls mochten sie sich nicht ins Zeug legen. Genau das aber mußte sie 'unseren' umtriebig in die Zukunft schauenden preußischen Reformpolitikem (um beim Beispiel bzw. Paradigma des Preußenstaates zu bleiben) von Grund auf verdächtig machen: Diese träumten ja längst von einem 'Wealth oj Nations', während ihre Untertanen noch spätestens dann den Hammer in die Ecke ihrer Werkstatt warfen, wenn sie ihre individuelle Nahrung gesichert sahen. Mit diesem Egoismus jedenfalls mußte Schluß sein, wenn aus Preußen (wieder) etwas werden sollte! Was den die Ökonomie als Grundlage der Staatsrnacht entdeckenden Reformakteuren (und das gewiß nicht nur in Preußen) an der überkommenen handwerklichen Produktionsweise so gar nicht gefallen wollte, war also, wenn wir die bisher zusammengetragenen Bestimmungen auf einen einfachen, von Sombart ins Spiel gebrachten Begriff bringen dürfen, deren 'Mittelmäßigkeit': "Man kann", klärt uns der Nationalökonom (1954: 54) auf, "eine handwerksmäßige Organisation auch als eine solche bezeichnen, in der die Mittelmäßigkeit das die Produktion regelnde Prinzip ist. "15 Eine Einschätzung, wie sie sich freilich auch bei anderen Autoren immer wieder findet. Genügen mag es hier, einmal mehr auf Marx (1972: 789) zu verweisen, der im ersten Band IS Folgen wir Sombart (1954: 54), so ist diese 'Mittelmäßigkeit' des Handwerkers das Korrelat zu dessen 'Universalität': Der "Handwerker besitzt nicht nur das für die Ausübung seines Gewerbes notwendige Sachvermögen, er besitzt auch alle dazu erforderlichen persönlichen Eigenschaften: er ist eine Art von gewerblichem 'Herrn Mikrokosmos'. Was später sich in zahlreichen Individuen zu besonderen Veranlagungen auswächst: das alles vereinigt der Handwerker auf seinem 'Ehrenscheitel' . Selbstverständlich alles in einem en-miniature-Ausmaße. Seiner Universalität entspricht mit Notwendigkeit seine Mittelmäßigkeit. Man kann eine handwerksntäßige Organisation auch als solche bezeichnen, in der die Mittelmäßigkeit das die Produktion regelnde Prinzip ist." - Sombart stellt uns hier den Handwerker als gewerblichen Kleinunternehmer vor, der über einen eigenen (Klein-)Betrieb verfügt und insofern genuin als Eigentümerunternehmer anzusprechen ist. Das entspricht durchaus dem Bild, das die modeme Literatur vom Kleinunternehmer zeichnet. Gerade auch insofern, als der Sombartsche Handwerkerunternehmer die von der modemen Arbeits- und Berufssoziologie analytisch unterschiedenen 'Arbeitsgrundformen': 'leitende Arbeit', 'Expertenarbeit' sowie 'ausführende, wenig qualifizierte Arbeit' (vgl. Beck/Brater/Daheim 1980: 117ff.) allesamt gleichermaßen in seinem beruflichen Handeln aktualisieren muß. Für Sombart (1954: 54) nämlich ist er "Organisator ebensowohl wie ... Leiter der Produktion. Er ist Generaldirektor, Werkmeister und Handlanger in einer Person. Er ist aber auch Kaufmann" (Sombart 1954: 54).

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seines "Kapital", unter Verwendung eines Ausdrucks des französischen Ökonomen C. Pecqueur, von der "allgemeinen Mittelmäßigkeit" der handwerklichen Produktionsweise sprechen wollte. 16 Damit haben wir die basalen Strukturprinzipien der Handwerksökonomie sowie die dazugehörigen Handlungsorientierungen der entsprechenden Handwerkersubjekte vorgestellt. Um dem Leser ein vollständiges (wenn auch knappes) Bild von der Handwerksökonomie zu vermitteln, müssen wir schließlich noch auf die institutionelle Ordnung (im Sinne eines Systems normativer Regeln) der Handwerksökonomie zu sprechen kommen.17 Gemeint ist damit nichts anderes als die 'Zunftordnung' bzw. 'Zunftverfassung' als jene eigentümliche 'Ordnung der Handwerksarbeit' , welche die von uns rekonstruierte 'Mittelmäßigkeit' der handwerklichen Produktion normativ festgeschrieben hat. In seinem "Modemen Kapitalismus" führt Sombart (1928a: 195; Bd. 1; 1. Hbd.; Hervorh. im Orig.) hierzu folgendes aus: "Daß nun dem Handwerker stets ein bestimmter Betriebsumfang gesichert sei (das heißt also ein bestimmter Abnehmerkreis), daß der eine sich nicht auf Kosten des anderen vergrößere und bereichere, daß vielmehr alle einen möglichst gleichen Anteil an dem gesamten Absatzgebiet behalten; auf die Erreichung dieser Ziele (die also recht eigentlich die Sicherung der 'Nahrung' bedeuten) ist das Hauptaugenmerk der Handwerkerordnungen gerichtet, weshalb wir häufig diesen Teil ihrer Bestimmungen schlechthin als Zunjtordnung bezeichnen." Auf der Hand liegt, daß die 'Zunftordnung' ihrem eigentlichen Gehalt nach nichts war als eine "Handwerkerschutzgesetzgebung ", worauf Sombart (1954: 57) in seiner Schrift "Die Deutsche Volkswirtschaft im 19. Jahrhundert und im Anfang des 20. Jahrhunderts" hinweist: "Ist alles Streben des Handwerkers seinem Grundgedanken nach auf die auskömmliche Nahrung und die selbständige Produzentenstellung gerichtet, so muß aller Inhalt einer Handwerkerschutzordnung auf das Bemühen hinauslaufen, Nahrung und Selbständigkeit zu sichern. Wie es denn auch in 16 In ausführlicher Zitation: "Diese Produktionsweise unterstellt Zersplitterung des Bodens und der übrigen Produktionsmittel. Wie die Konzentration der letztren, so schließt sie auch die Kooperation, Teilung der Arbeit innerhalb derselben Produktionsprozesse, gesellschaftliche Beherrschung und Reglung der Natur, freie Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte aus. Sie ist nur verträglich mit engen naturwüchsigen Schranken der Produktion und der Gesellschaft. Sie verewigen hieße, wie Pecqueur mit Recht sagt, 'die allgemeine Mittelmäßigkeit dekretieren' ." (Marx 1972: 789) 17 Es geht hier um die 'Ordnung' der Handwerksökonomie im Euckenschen Sinne; zum Begriff der 'Ordnung' bzw. 'Wirtschaftsordnung' vgl. insgesamt das 3. Kapitel unserer Studie. 11'

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Wirklichkeit der Fall ist. Deshalb kann man den Grundgedanken aller Zunftgesetzgebung auch negativ dahin formulieren, daß sie eine Ausschließung der Konkurrenz um die Kundschaft anstrebte. "18 Strategien der Regulierung und Kontrolle des Rohstoffbezugs wie des Absatzes, der 'Schließung des Handwerks', der Beschränkung des maximalen 'Produktionsquantums' des einzelnen Handwerkers und damit der Betriebsgrößen, der Normierung des Angebotes usw. waren die von der Zunftordnung sanktionierten 'Maßregeln', mit denen sichergestellt werden sollte, daß die handwerkliche Produktion ihren Zweck der Sicherung der individuellen Nahrung und Selbständigkeit der Handwerker und ihrer Familien erfüllen konnte. Auf der individuellen Ebene gewährleistete die Zunftordnung die Reproduktion der einzelnen Handwerker; und auf der gesellschaftlichen die der Ökonomie als Handwerksökonomie: Für diesen Zweck mußte eben in erster Linie die "Monopolisierung und Reglementierung der gewerblichen Arbeit" (Sombart 1954: 59) sichergestellt werden, mußte die Konkurrenz der einzelnen Handwerker und also die Möglichkeit "ungezügelten Wettbewerbs" (Wehler 1987a: 93) ausgeschaltet werden. Und genau in der Weise bewährte sich die Zunftordnung als 'Handwerkerschutzgesetzgebung' , als sie so nämlich vor allem die "Entwicklung zum Großbetriebe" (Sombart 1954: 59; Hervorh. v. uns) oder, in M. Webers (1924: 129) Worten, überhaupt die "Entwicklung von Kapitalsmacht verhindert(e)". Summa summarum: Die Zunftordnung hatte den Zweck, die Reproduktion der Handwerksökonomie gerade in ihrer 'Statik', 'Mittelmäßigkeit', 'mittelalterlichen Genügsamkeit' ,19 vor allem auch in ihrem kleinbetrieblichen Zuschnitt normativ zu sanktionieren und für alle Zeiten institutionell festzuschreiben. Damit haben wir die Organisations- und Strukturprinzipien der zünftig geordneten Handwerksäkonomie soweit rekonstruiert, daß einsichtig werden mag, warum der nach einer Verbreiterung seiner ökonomischen Machtbasis Ausschau haltende moderne Staat, auf den wir vorerst in seiner 'paradigma-

18 Ganz in diesem Sinne lesen wir in M. Webers "Wirtschaftsgeschichte" (1924: 129; Hervorh. im Orig.) folgendes: "Der Geist der abendländisch-mittelalterlichen Zunft wird am einfachsten wohl durch den Satz charakterisiert: Zunftpolitik ist Nahrungspolitik. Sie bedeutet Regulierung des gut bürgerlichen Fortkommens der Zunftangehörigen trotz erhöhter Konkurrenz infolge Engerwerdens des Nahrungsspielraums: der einzelne Zunftgenosse soll seine traditionelle Nahrung haben und darin erhalten bleiben ... ". 19 Von den "glücklichen Thälem mittelalterlicher Genügsamkeit" ist in A. Kotelmanns Beitrag "Die Ursachen des Pauperismus unter den deutschen Handwerkern" (1851: 228) die Rede; wir verdanken diesen Hinweis F. Lenger (1988: 88).

4.2 Die Handwerksökonomie

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tischen' Form (Hintze) des auf der Schwelle zur Moderne stehenden Preußen Bezug genommen haben, danach trachtete, diese so schnell wie möglich zu überwinden. Darüber jedenfalls gab es in den Kreisen der reformorientierten Politikakteure keinen Zweifel: Mit einer Ökonomie, in der es den produzierenden Individuen nur um die Sicherung ihrer 'Nahrung' ging und deren grundlegendes Prinzip die 'allgemeine Mittelmäßigkeit' überhaupt war, war im Übergang zum 19. Jahrhundert 'kein Staat mehr zu machen'. Gemessen an den Zwecken der modernen Politik, war das "ständische Kapital" der Handwerker unter der Hand zum Auslaufmodell geworden; was man jetzt brauchte, davon hatte man sich von A. Smith überzeugen lassen, das war 'richtiges' Kapital, echt 'kapitalistisches' Kapital also, mithin eine 'kapitalistische Marktwirtschaft', in der es um die Produktion gesellschaftlichen Reichtums als solchen geht, und die sich damit von dem allzu bornierten Standpunkt der 'individuellen Nahrung' emanzipiert. Schließlich hatte man bei Smith (1990: 9) auch gelesen, daß es gerade "die Arbeitsteilung" ist, die "die produktiven Kräfte der Arbeit mehr als alles andere fördern und verbessern (dürfte)"; was wiederum Grund genug war, die 'mittelmäßige Universalität' des Handwerkers einer schonungslosen Kritik zu unterziehen und stattdessen auf die von Smith propagierten Produktivitätsvorteile der "Spezialisierung" (ebd.: 10) zu setzen. Damit hatten die Staatsakteure ein klares Ziel vor Augen: An die Stelle der kleinen Werkstätten hatten industriekapitalistische Großbetriebe zu treten. Und für die Realisierung dieses gigantischen Modernisierungsprojekts waren die Reformpolitiker, wie es M. Weber in seiner "Wirtschaftsgeschichte" (1924: 288) mit kaum zu überbietender Prägnanz formuliert hat, auf ein "Bündnis ... mit dem Kapital" angewiesen und ferner darauf, die 'Gewerbefreiheit' als zentrale rechtliche Voraussetzung "für die Tätigkeit eines freien großgewerblichen bzw. industriellen Unternehmertums" (Wehler 1987a: 432) zu forcieren. Die Sympathien der politischen Akteure wurden sozusagen neu verteilt: Während man auf der einen Seite das neue 'Unternehmertum' hofierte und auf ein "Kompagniegeschäft mit dem emporstrebenden Kapitalismus" (vgl. Sombart 1928a: 369; 1. Bd., 1. Hbd.; Hervorh. im Orig.) setzte, überließ man die Handwerker ihrem Schicksal und das hieß eben: der nunmehr enthemmten, 'ungezügelten Konkurrenz', in der ihre Existenz in der Tat schnell zu einer 'Frage' wurde.

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4. Der moderne Staat und die Marktwirtschaft

4.3 Der Siegeszug der modernen 'kapitalistischen' bzw. 'marktwirtschajtlichen' Produktionsweise Die Stoß richtung der Reformpolitik, wie sie im 19. Jahrhundert nicht nur in Preußen, sondern auch in anderen zukunftsorientierten deutschen und europäischen Staaten forciert worden ist (vgl. Jaeger 1988: 33ff.), kann man nach zwei Seiten hin qualifizieren. Auf der einen Seite war das Telos klar vorgegeben: Die Durchsetzung 'marktwirtschaftlicher Verhältnisse' modemen Zuschnitts in der Perspektive einer 'Kapitalisierung' des Gewerbelebens und der Ökonomie überhaupt. Andererseits wußte man nur zu genau, wovon man weg wollte: Von der überkommenen und mittlerweile für zu 'eng' und wenig effizient empfundenen Handwerksökonomie. Dafür mußte man vor allem die alte Zunftordnung durch die modeme 'Gewerbefreiheit' ersetzen. Ausdrücklicher Zweck der Zunftordnung war ja gerade die Verhinderung der Entstehung von 'Kapital' überhaupt, zumal von großen 'Zusammenballungen' desselben, die aber den Staatsakteuren des 19. Jahrhunderts, die sich davon enorme Anstöße für die Produktivität der Ökonomie überhaupt erhofften, gar nicht groß genug sein konnten. Hatte man aber einmal die 'Gewerbefreiheit' durchgesetzt, so die Hoffnung der Reformpolitiker , dann konnte man sich darauf verlassen, daß im freien Spiel der Marktkräfte sich schon alles richten würde: Und in der Tat haben wir ja in unserer Vergegenwärtigung der Euckenschen Kritik an der Politik des 'Laissez-faire' gesehen (Abschnitt 3.1), daß der von den Reformern (die ein ganz anderes Ökonomie-Ideal im Kopf hatten als später Eucken) erhoffte Konzentrationsprozeß wirklich in Gang gekommen ist. Die Leidtragenden der neuen 'Freiheit', der Modernisierungspolitik und der korrespondierenden Wirtschafts- und Betriebskonzentration waren in erster Linie die Handwerker, die in der Form von Werkstattschließungen, Proletarisierung und Pauperismus (vgl. Lenger 1988: 36ff.) gerade den durchschlagenden Erfolg der Reformpolitik am eigenen Leib zu spüren bekamen. In der Folge wurde die zunehmend prekäre Situation der Handwerker dann auch unter dem Titel der 'Handwerkerfrage' in Wissenschaft und Öffentlichkeit thematisiert: 2o Wie wir ja schon in unserem theorie- und problemgeschichtlichen

20 Am bekanntesten dürften hier die vom "Verein für Socialpolitik" (1895-97) durchgeführten "Untersuchungen über die Lage des Handwerks in Deutschland mit besonderer Rücksicht auf seine Konkurrenzfähigkeit gegenüber der Großindustrie" sein (vgl. hierzu auch Grandke 1897); ein eindrucksvolles Dokument ist auch G. Schmollers Schrift "Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert" (1870). Vgl. vielleicht noch die folgende Literatur: Kautsky 1905; Sombart 1954: 279ff.; Wehler 1987a; 1987b; Lenger 1988. - Daß es im

4.3 Der Siegeszug der Marktwirtschaft

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Überblick gesehen haben, sah man die Lage des Handwerks allgemein in wenig rosigem Licht, rechnete man doch ziemlich einhellig mit dem alsbaldigen Untergang desselben. Mit Blick auf die allerorten entstehenden und in rasantem Tempo expandierenden kapitalistischen Unternehmungen hielt man das Handwerk einfach nicht mehr für konkurrenzfähig. Erwähnung verdient an dieser Stelle der Hinweis, daß man seinerzeit 'Handwerk' und 'Kleinbetrieb' einigermaßen umstandslos 'zusammendachte' und beides der kapitalistischen Industrie, die man sich gar nicht anders als 'groß' vorstellen konnte, kontrastierte. Hält man nun aber 'Handwerk' und 'Kleinbetrieb' analytisch auseinander, dann sieht man, daß die alten 'Niedergangsprognosen " wie sie seit Marx immer wieder variiert worden sind (Abschnitt 2.2.1), 'wahr' und 'falsch' zugleich waren: Nicht bewahrheitet haben sie sich insofern, als im Prozeß der kapitalistischen Industrialisierung der Kleinbetrieb als solcher keineswegs von der Bildfläche verschwunden ist. Aber Recht behalten haben die 'Handwerkspessimisten' jedenfalls in der Hinsicht, daß in der Tat die überkommene Produktionsweise der Handwerksökonomie weitgehend zersetzt worden ist. "Aus dem Untergang der feudalen GeseIlschaft", hieß es bspw. im "Kommunistischen Manifest" (Marx/Engels 1974: 463), ist die "modeme bürgerliche Gesellschaft21 (hervorgegangen)", in der nicht mehr die "feudale Organisation der Agrikultur und Manufaktur" (ebd.: 467), nicht mehr die "feudale oder zünftige Betriebsweise der Industrie" (ebd.: 463), sondern die "freie Konkurrenz" (ebd.: 467) grundlegendes Strukturprinzip ist: Mit der Entwicklung der modemen Marktgesellschaft und dem Siegeszug der 'kapitalistischen' Produktion, die, wie M. Weber in seiner "Wirtschaftsgeschichte" (1924: 239) schreibt, zumindest bei uns im Okzident "seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Gegebene" ist,22 wurden "alle feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört" (Marx/ Engels 1974: 464).23 letzten Jahrhundert auch eine 'Arbeiterfrage' gegeben hat, ist uns nicht unbekannt; aber diese ist für die vorliegende Studie weniger von Belang. 21 Marx und Engels lehnen sich hier an den Sprachgebrauch der englischen und schottischen Politischen Ökonomen an: So ist etwa bei A. Ferguson und A. Smith von der 'commercial' oder 'civii society' die Rede. Ganz in diesem 'ökonomischen' Sinne gebrauchte ja schon Hegel in seiner 'Rechtsphilosophie' den Terminus der 'bürgerlichen Gesellschaft'. 22 Ganz ähnlich heißt es bei Sombart (1954: 84), daß seit den "1850er Jahre(n) ... der modeme Kapitalismus definitiv zur Grundlage der Volkswirtschaft" geworden ist. 23 Gerade in der modemen Kleinunternehmerliteratur wird in der Regel in einer ziemlich verkürzten Weise auf die klassischen Niedergangsprognosen Bezug genommen: So wird typischerweise übersehen, daß gerade bei Marx nicht nur vom Untergang des Kleinbetriebs (in rein quantitativer Hinsicht) die Rede ist, sondern vom Untergang einer (vor allem: qualitativ

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4. Der moderne Staat und die Marktwirtschaft

4.3.1 Der modeme Staat als Proakteur der marktwirtschaftlichen Produktionsweise Als treibende Kraft der Umgestaltung der wirtschaftlichen Verhältnisse würdigen Marx und Engels, um noch einmal auf die 'Urväter' der 'Niedergangsprognose ' Bezug zu nehmen, die 'Bourgeoisie': Sie hätte "in der Geschichte eine höchst revolutionäre Rolle gespielt", heißt es im "Kommunistischen Manifest" (ebd.: 464) voller Respekt. Ganz schlecht weg hingegen kommt im Urteil der beiden 'Materialisten' die "modeme Staatsgewalt", die sie nur als einen "Ausschuß" gelten lassen wollten, "der die "gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse verwaltet." (ebd.) Mit diesem ökonomischen Reduktionismus fallen Marx und Engels freilich ganz entschieden hinter eine Einsicht zurück, wie sie der von den beiden sehr geschätzte Philosoph Hegel ein paar Jahrzehnte zuvor schon in seiner 'Rechtsphilosophie' formuliert hat: Daß nämlich der Staat der "wahrhafte Grund" der 'bürgerlichen Gesellschaft' und damit dieser gegenüber "das Erste" (Hegel 1970: 397; § 256, Anm.; Hervorh. im Orig.) sei. Unumwunden brachte Hegel seine Überzeugung zum Ausdruck, daß die "Ausbildung" der 'bürgerlichen Gesellschaft' "später als die des Staates erfolgt", "den sie als Selbständiges vor sich haben muß, um zu bestehen" (ebd.: 339; § 182, Zusatz). Anders also als die ökonomischen Reduktionisten Marx und Engels würdigt Hegel ganz entschieden die konstitutive Rolle des Staates in der "Schöpfung der bürgerlichen Gesellschaft" (ebd.).24 Und genau diesen sozusagen 'staats-' oder 'politikzentrierten' Gedanken halten wir für korrekt: Daß die 'bürgerliche Gesellschaft' bzw. die modeme Marktwirtschaft die 'Schöpfung' oder das 'Produkt' des Staates ist; daß am Ursprung der Konstitution marktwirtschaftlich-konkurrenzieller Wirtschaftsstrukturen der entschiedene Wille des modemen Staates steht, in der Perspektive des Aufbaus einer effizienten Wirtschaft mit der überkommenen Tradition der zünftig organisierten Handwerksökonomie (und natürlich auch mit der feudal verfaßten Agrarökonomie) zu brechen. An dieser Stelle müssen wir nun etwas detaillierter auf das 'wahre' Subjekt der gesellschaftlichen und ökonomischen Umgestaltung eingehen: auf den bzw. inhaltlich eigentümlich bestimmten) Produktionsweise, nämlich der Handwerksökonomie mitsamt des Komplexes der für sie typischen Organisationsprinzipien (Ausschaltung der Konkurrenz usw.) und Handlungsorientierungen ('Nahrungsorientierung'). 24 In diesem Sinne hat schon A. Giddens in seiner Schrift "The Nation-State and Violence" (1985: 21; Hervorh. im Orig.) Hegel dafür Beifall gezollt, daß er "accentuates the independent power of the political as against Marx's tendency to economic reductionism": "... Hegel sees that 'civii society', as bürgerliche Gesellschaft, is in substantial part created by the (modem) state ... ".

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'modemen Staat'. Mit Blick auf das 'Paradigma' (Hintze) der preußischen Reformpolitik haben wir uns schon mit diesem bekannt gemacht; jetzt gilt es, die bereits entwickelten Bestimmungen zu vertiefen und zu verallgemeinern. Dabei knüpfen wir an eine Tradition an, die von Hegel über Sombart, O. Hintze, M. Weber, H. Heller, C. Schmitt bis hin zu H. Krüger und C. Offe reicht und bestimmt nicht unumstritten ist.25 Da man es aber, wie im wirklichen Leben auch, in einer wissenschaftlichen Studie nicht allen rechtmachen kann und wir im übrigen davon überzeugt sind, daß sich uns im Rekurs auf Argumentationsfiguren gerade dieser staatstheoretischen Tradition eine fruchtbare Perspektive auf unser Forschungsthema erschließen wird, haben wir uns dazu entschlossen, uns an einem entsprechend zugeschnittenen Konzept des 'modemen Staates' zu orientieren. Wichtig scheint zunächst der Hinweis darauf zu sein, daß das von uns favorisierte Konzept des Staates bzw. der politischen Herrschaft stark historisch26 zugeschnitten ist: Mit der Kategorie 'moderner Staat' zielen wir auf jene "spezifische Organisations form 'souveräner Staat'" (Schmitt 1973: 375), wie sie endgültig seit und mit der französischen Revolution 1789 (zuerst in Europa) "zur einzigen normalen Erscheinungsform der politischen Einheit überhaupt" (ebd.) geworden ist.27 Am Beispiel des preußischen Staates hatten wir uns bereits ein erstes Bild davon gemacht, wie der 'modeme' Staat im Europa des vergangenen Jahrhunderts die Wirtschaft als Mittel für seine politischen Zwecke entdeckt und be25 Der Leser sei hier darauf aufmerksam gemacht, daß vor allem Politikwissenschaftler, die dem aktuellen 'bringing the state back in' -Ansatz verpflichtet sind, bewußt oder unbewußt an diese große Tradition anknüpfen. Siehe hierzu auch bereits unsere obigen entsprechenden Ausführungen (Abschnitt 4.1). 26 Wir befinden uns hier ganz im Einklang mit C. Schmitt und M. Weber. Ersterer weist explizit darauf hin, daß für ihn 'der Staat' eine "durchaus zeitgebundene, geschichtlich bedingte, konkrete und spezifische Organisationsform der politischen Einheit" ist (Schmitt 1973: 376). Und M. Weber (1980: 30) hat im berühmten § 17 seiner "Soziologischen Grundbegriffe" folgendes geschrieben: "Den Staatsbegriff empfiehlt es sich, da er in seiner Vollentwicklung durchaus modem ist, auch seinem modemen Typus entsprechend ... zu definieren." (Weber 1980: 30) Auf die Webersche Position hat übrigens Schmitt (1973: 384) selbst zustimmend hingewiesen: "In Max Webers Soziologie hat das Wort einen geschichtlich-konkreten Sinn; Staat ist für Max Weber eine spezifische Leistung und ein Bestandteil des occidentalen Rationalismus und darf schon deshalb nicht mit Herrschaftsorganisationen anderer Kulturen und Epochen gleich benannt werden. " 27 Der historische Prozeß der Herausbildung des 'souveränen Staats', wie er in der französischen Revolution kulminiert, beginnt natürlich schon viel früher: Und zwar im Zeitalter der Religionskriege (vgl. Schmitt 1973: 375). Vorbereitet wurde der modeme Staat, das sei hier ausdrücklich erwähnt, durch die juristische Konstruktion der modemen Souveränitätsidee, deren ursprüngliche Formulierung sich bei Bodin (1530-1596) findet (vgl. Schmitt 1979: 13ff.).

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ginnt, die Wirtschaft für sich zu instrumentalisieren: Die Ökonomie verlor damit sukzessive ihren ursprünglichen Status, eine (ausschließlich bzw. bevorzugt) private 'Veranstaltung' der allein ihre Reproduktion suchenden Individuen zu sein und wird zu einer politischen Ressource. Immer mehr wird die Ökonomie zur Ökonomie des Staates, zur "Staatswirtschaft" (Jaeger 1988: 23), zur "Landesökonomie" (Hofmann 1979b: 31), zur 'politischen Ökonomie' in einem emphatischen Sinne des Wortes; womit zugleich jene neu auftretende Wissenschaft ihren Namen gefunden hat, die den 'neuen Gegenstand' und das ihn konstituierende eigentümliche Verhältnis von Politik und Wirtschaft theoretisch reflektiert. Daß dem modemen Staat die sprichwörtliche "spießbürgerliche Trägheit" (Schmoller 1870: 14) der überkommenen Handwerksökonomie ein Dom im Auge war, und er danach trachtete, die Wirtschaft so zu reformieren und zu reorganisieren, daß die Produktivkräfte derselben maximal entfesselt werden, haben wir ja schon gesehen. Weshalb aber hatte bzw. entwickelte der Staat im 19. Jahrhundert mit einem Male ein solch starkes Bedürfnis nach einer 'produktiven Ökonomie'? Für welche politischen Zwecke mußte er sich eine schlagkräftige materielle Basis einrichten? Auf diese Fragen gilt es im folgenden eine passende Antwort zu geben. Für einen probaten Einstieg in die Diskussion sei eine Passage aus der "Allgemeinen Staatslehre" H. Krügers28 vorgestellt, in der ein systematischer Begriff des staatlichen Interesses an einer produktiven Wirtschaft gegeben wird (ebd.: 583; Hervorh. im Orig.): "Das älteste und vornehmste Ziel staatlicher Wirtschaftspolitik ist die Produktivität der Wirtschaft -, ja aktiver Staat29 und produktive Wirtschaft hängen innerlich so sehr zusammen, daß ein Gemeinwesen ohne tätiges Interesse am Gedeihen der Wirtschaft von vornherein nicht als Staat angesprochen werden darf, während ökonomische Produktivität ein sicheres Anzeichen dafür darstellt, daß die wirtschaftende Gruppe politisch als Staat verfaßt ist. Die Notwendigkeit dieses Zusammenhangs liegt sowohl in der Sache wie in der beiderseitigen 'Gestimmtheit'. Realpolitisch ist es vor al-

28 Krügers 1964 in erster Auflage erschienene "Staatslehre" ist für uns deshalb besonders wichtig, weil hier die auf die 'Souveränität' des modemen Staates fokussierende staatstheoretische Tradition in unübertroffener Weise zu einem allgemeinen Begriff des Staates zusammengefaßt wird. Darauf, daß wir gerade zu dieser Tradition eine besondere Affinität besitzen, haben wir ja oben schon hingewiesen. 29 Der Verweis auf Euckens Begriff des 'aktionsfähigen ' Staates liegt hier natürlich auf der Hand.

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lern der von Anfang an nicht nur sehr viel höhere, sondern auch - nach der Entstehung einer europäischen Außenpolitik - sehr viel lebenswichtigere Geldbedarf des Modemen Staates, der diesen Zusammenhang herstellt. Höhe und Art dieses Bedarfs lassen es nicht mehr zu, ihn allein aus den unmittelbar gegebenen natürlichen Quellen zu befriedigen - selbst wenn man wie das koloniale Spanien Quellen dieser Art von unerhörter Ergiebigkeit anzuschlagen vermag. So wie die Technik immer mehr zur Erzeugung von Energie übergeht bis zu dem unerhörten Höhepunkt der Atomkraft, so sieht sich auch der Staat gezwungen, künstlich jene Voraussetzungen zu schaffen, die seinen nicht minder rasch ansteigenden Bedarf nach Kraft zu befriedigen vermögen. Es ist der Merkantilismus, der hiennit angesprochen ist. Die Kette: Modeme Außenpolitik - stehendes Heer und Berufsbeamtenturn - Finanzbedarf endet bei der Pflege der Wirtschaft: 'Die ganze Volkswirtschaft in Stadt und Land, ist gleichsam die zu melkende Kuh des Militärstaates; aber der Staat hat doch auch nie vergessen, die Kuh zu füttern und zu pflegen. '30 Es ist überflüssig zu bemerken, daß nicht etwa nur Preußen ein 'Militärstaat' dieser Art gewesen ist." Treffender kann man das Verhältnis des modemen Staates zu seiner Ökonomie nicht zum Ausdruck bringen: Im Bild der 'zu melkenden Kuh' erscheint diese als ein Mittel, auf das sich der Staat bezieht und die er so zu organisieren ('ordnen') gedenkt, daß sie seinen Zwecken optimal gerecht zu werden vermag. Dabei denkt Krüger hier natürlich nicht nur an den Merkantilismus,3! der historisch ersten Form der systematischen Instrumentalisierung der Wirtschaft für die Politik, der historisch ersten Gestalt der 'Staatswirtschaft' , in der nicht mehr die 'Nahrung' der Individuen, sondern die Finanzbedürfnisse des Staates im Mittelpunkt stehen.32 Auch und gerade dem mo30 Das von Kriiger hier gegebene Zitat stammt aus dem Aufsatz "Geist und Epochen der preußischen Geschichte" von o. Hintze (1967b: 17). Hintze (ebd.: 16f.) bezieht sich in diesem Aufsatz auf die Wirtschaftspolitik des Preußenkönigs Friedrich 1. wie folgt: "Das ist die Hauptarbeit seines Lebens gewesen, seinen Staat fmanziell selbständig zu machen, so daß er die militärische Rüstung, die er angelegt hatte, aus eigenen Kräften tragen und aus eigenen Mitteln Krieg führen konnte. Er hat das erreicht zum Teil durch seine sparsame und genaue Verwaltung, die mit bewußter Beschränkung alle Staatsmittel auf den militärischen Zweck konzentrierte; aber es bedurfte freilich auch zugleich einer Erhöhung der Steuern, namentlich der Akzise. . .. Die Regierung sorgte gewissenhaft und väterlich und mit Eifer und Verständnis für eben die Klassen und Gewerbe, von denen sie ihre Steuereinkünfte bezog." 31 Die Anfange der merkantilistischen Wirtschaftspolitik, an deren Stelle im Laufe des 18. Jahrhunderts liberale Konzeptionen treten, reichen bis ins 17. Jahrhundert zurück. Für einen Überblick über den Merkantilismus vgl. etwa das 23. Kapitel "Der Merkantilismus als Ganzes" des ersten Bandes (1. Hbd.) von Sombarts "Modernem Kapitalismus" (1928a: 362ff.), A. Smiths (1990: 347ff.) ausführliche Kritik der merkantilistischen Wirtschaftspolitik, wie wir sie in seinem "Wohlstand der Nationen" finden, sowie E.F. Heckschers "Der Merkantilismus" (1932). 32 In den deutschen Staaten sprach man seinerzeit nicht von Merkantilismus, sondern von Kameralismus (vgl. Jaeger 1988: 21ff.). Das Prinzip war dasselbe, daß nämlich die Wirtschaft "nach staatlichen Gesichtspunkten reguliert und geleitet" wird, so Hintze (1967b: 17) mit exemplarischen Blick auf die Wirtschaftspolitik Friedrich 1. - Überaus treffende Formulierungen

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demen Wirtschajtsliberalismus war und ist es nämlich um die Vereinnahmung der Ökonomie für politischen Zwecke zu tun. Hierzu Krüger (ebd.: 584; Hervorh. im Orig.) im unmittelbaren Anschluß an die soeben zitierte Stelle: "Der Wirtschajtsliberalismus bedeutet, vom Staate her gesehen, nicht etwa einen Bruch mit dieser Zielsetzung und der zu ihr führenden gedanklichen Kette. Es handelt sich vielmehr lediglich um einen Wechsel in der Methode: Der Staat läßt sich von der Theorie, hier vor allem von Adam Smith, davon überzeugen, daß nicht die staatliche Pflege, sondern allein die Initiative der Bürger die Produktivität der Wirtschaft auf das erreichbare Höchstmaß zu steigern vermöge. Es ist daher wesentlich die staatliche Bürokratie, die die Gewerbefreiheit gegen erheblichen Widerstand der Wirtschaft selbst durchsetzt. Diese Überlegung hat sich ökonomisch im großen und ganzen als richtig erwiesen: Wenn auch dafür, daß das 19. Jahrhundert den Modemen Staat rein und kräftig ausgebildet hat, eine ganze Reihe von Faktoren verantwortlich zu machen ist, so wäre doch eine solche Entfaltung ohne die Leistungsfähigkeit der freien Wirtschaft nicht möglich gewesen. Es genügt, an Umfang und Ausrüstung der Volksheere zu erinnern, mit denen die Kriege des 19. Jahrhunderts und der Erste Weltkrieg geführt worden sind." Krüger verweist zu Recht darauf, daß sich die Wirtschaftspolitik des modemen liberalen Staates in ihrer inhaltlichen Ziel- bzw. Ausrichtung keineswegs vom Merkantilismus und Kameralismus des absolutistischen Fürstenstaates unterscheidet. Es geht lediglich um einen Unterschied in der Methode: Wie wir am Beispiel der preußischen Reformer gesehen haben, erhofften sich der Prinzipien der kameralistischen Politik finden wir in Stellungnahmen zeitgenössischer Kameralisten. wie sie F.K. Mann in seinen "Steuerpolitischen Idealen" (1978) zusammengetragen hat. Mann (1978: 26) verweist etwa auf Wilhelm Freiherr von Schröder (1640-1688), der schon frühzeitig "den Grundsatz des 'freien Commerciums'" pries, unter welchem Titel "er die Beschränkung der Privilegien, die Abschaffung der Monopole und die Beseitigung der 'närrischen und vermaledeyten geschlossenen Zünfte'" forderte. Und als "große Aufgabe der Praxis und der Wissenschaft", sah es der Freiherr, "die Mittel ausfindig zu machen, 'wodurch ein Land zu macht und reichtum erschwungen werden mag'" (ebd.: 6). Daß der wirtschaftliche Reichtum als solcher kein Selbstzweck sein darf, war für die Kameralisten eine ausgemachte Sache. Wohin man diesen dirigieren wollte, ging klar aus dem 'fiskalischen Ziel' hervor, das man der Wirtschaftspolitik vorgab: Es muß dem Staat darum gehen, "viel Geld im Kasten" (ebd.: 25) zu haben, wie es Freiherr von Schröder lapidar formulierte. Daß man dieses Ziel nicht dadurch erreicht, daß man die Wirtschaft rücksichtslos' schröpft', wußten die Kameralisten natürlich auch schon. Ihre Einsicht verstanden sie freilich etwas bildhafter auszudrücken, als wir dies heute tun, wenn wir von der Notwendigkeit der 'Pflege' eines Wirtschaftsstandorts sprechen. So z.B. J. Bornitz, ein 'Kollege' von Schröder: "Wann die Hüner gar geschlacht werden, so legen sie nimmer Eyer." (zit. bei. Mann 1978: 23) Suffisant verweist Mann (ebd.) noch darauf, daß "ein späterer deutscher Kameralist ... den Gedanken sogar in Verse gebracht und seinem Reformplan vorangestellt (hat)". Da ein wenig Poesie nicht schaden kann, soll dem Leser das gemeinte 'Gedicht' von K.F. Pescherinus nicht vorenthalten werden (ebd.): "Doch wer zugleich das Fell abzieht/Bringt sich um kümfftigen Profit".

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die maßgeblichen Akteure des modemen Staates von der marktwirtschaftlich ('konkurrenzieIl ') freigesetzten Privatinitiative33 der Wirtschaftsakteure gegenüber einer merkantilistischen ('obrigkeitsstaatlichen') 'Gängelung' derselben, eine deutliche Stärkung der Produktivität der Wirtschaft insgesamt. Und genau dafür hatte A. Smith in und mit seinem "Wealth of Nations" geworben.34 Nun aber müssen wir doch endlich klären, warum dem Staat so sehr daran gelegen war, die 'Produktivität der Wirtschaft' zu stärken: Gestellt ist damit die Frage nach den spezifischen Zwecksetzungen, für die sich der modeme Staat eine leistungsfähige ökonomische Grundlage schaffen wollte und mußte. Oder die nach den 'Problemen', mit denen der Staat sich im Interesse der Sicherung seiner Existenz - C. Offe (1975: 17) sprach hier einmal treffend von einem "Selbsterhaltungsinteresse" des Staates35 - auseinanderzusetzen gezwungen ist. In seiner "Allgemeinen Staatslehre" spricht Krüger (1966: 15ff.) diesbezüglich von den 'Vorgegebenheiten' der "inneren" und "äußeren Lage", gegenüber denen der Staat sich zu 'erhalten' habe: Für Krüger, und wir wollen ihm darin folgen, ist es die (sozusagen: essentielle) "Auseinandersetzung"

33 Wenn wir hier von einer staatlich forcierten Freisetzung der Privatinitiative sprechen, 'unterschätzen' wir gewissennaßen den Anteil des Staates an der "Entstehung der Unternehmerschaft" . In dem nämlich titulierten achten Abschnitt des ersten Bandes seines "Modemen Kapitalismus" schreibt Sombart (1928b: 845; 1. Bd., 2. Hbd.) realistischer: "Der Staat ist es, der vielerorts die Privaten an den Ohren herbeizieht, damit sie sich als kapitalistische Unternehmer betätigen. Er stößt und treibt sie mit Gewalt und Überredung in den Kapitalismus hinein. Das Bild der körperlichen Nötigung, das ich hier gebrauche, ist der Schrift eines kameralistischen Schriftstellers (seinen Namen verschweigt uns Sombart; B.K.) des 18. Jahrhunderts entlehnt, der da meint: 'daß der Plebs von seiner alten Leyer nicht abgehe, bis man ihn bei Nase und Anne zu seinem neuen Vorteile hinschleppe.'" 34 Völlig zu Unrecht ist Smith immer wieder die Forderung nach einer 'staatsJreien' Marktwirtschaft unterstellt worden. Wie hingegen M. Trapp (1987) in seiner Neuinterpretation des Smithschen Werks klarstellt, wird in selbigem auf die Wirtschaft immer schon und grundlegend als Staatswirtschaft Bezug genommen. Trapp (1987: 272f.) verweist darauf, daß Smith, weit davon entfernt, dem Staat wirtschaftspolitische Abstinenz zu verordnen, von diesem nicht weniger verlangte, als "die Durchsetzung und Förderung einer neuen Wirtschaftsweise (der produktiven, allgemeinen Arbeit)", in der die Produktion nationalen (Smith hat sich schon etwas dabei gedacht, wenn er im Titel seines Hauptwerkes vom 'Wealth oj Nations' gesprochen hat!) Reichtums ins Zentrum rückt: "Denn", so Trapp (ebd.: 166) an anderer Stelle, "das weiß Adam Smith genau, die Macht eines Staates hängt von seinem Reichtum ab, und der Reichtum ist nichts als der Wert der jährlich produzierten Güter." 35 Die Bestimmungen "Selbsterhaltungsinteresse" und "Interesse des Staates an sich selbst" finden sich im ersten Kapitel ("Staatstheoretische Perspektiven") der Offeschen "Fallstudie" zur "Berufsbildungsrefonn" (1975: 9ff.). Der Autor entwickelt hier ein allgemeines Konzept des modemen bzw., wie er sich ausdrückt, "kapitalistischen Staates", welchem es auch und gerade in der Profilierung und Forcierung seiner Wirtschaftspolitik vor allem um sich selbst zu tun ist.

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(ebd.: 15) mit diesen 'Lagen' ,36 in und vermittels welcher der modeme Staat seine Identität und Selbsterhaltung gewinnt und sichert. Beginnen wir mit der Reflexion auf das Verhältnis des Staat zu den 'äußeren Lagen' . Diesbezüglich ist zunächst darauf hinzuweisen, daß der modeme Staat, wie er sich im Europa des 18. und 19. Jahrhunderts ursprünglich herausgebildet hat (vgl. ebd.: 1ff.; 5ff.), sogleich in der Form einer Pluralität sich gegenseitig ihre Existenz bestreitender Einzelstaaten aufgetreten ist. Von Anfang an und bis auf den heutigen Tag, sieht sich also der modeme Staat vor allem mit dem existenziellen Problem konfrontiert, seine "Souveränität nach außen" (Hegel 1970: 442; § 278, Anm.; Hervorh. im Orig.) zu sichern bzw. zu verteidigen. Und mit Blick auf genau diese Problemstellung hat schon der absolutistische Fürstenstaat danach getrachtet, seine Ökonomie so produktiv wie möglich 'einzurichten', damit diese die für eine erfolgreiche Außenpolitik unabdingbar notwendigen materiellen Ressourcen zur Verfügung stellen konnte. Man muß hier nicht gleich, wie Hegel (ebd.: 491ff.; §§ 324ff.) in seiner "Rechtsphilosophie" , an den "Krieg" denken; an den Krieg zwischen Staaten, die Hegel sich gar nicht anders als im permanenten "Naturzustande gegeneinander" (ebd.: 499; § 333) stehend vorstellen konnte. Aber dennoch muß hier darauf hingewiesen werden, daß das Argument, daß gerade die Orientierung am Kriegsbedarj dafür verantwortlich war (wenn man schon keinen Angriffskrieg führen wollte, so mußte man nichtsdestotrotz fortwährend 'auf der Hut' sein und sich zumindest für die Verteidigung 'rüsten'), daß dem neuzeitlichen Staat der 'modeme Kapitalismus' (ob dessen unerhörter Produktivität nämlich) so 'gelegen' kam, in der Staatstheorie immer eine große Rolle gespielt hat37 und noch immer38 spielt. 36 KlÜger vergißt nicht zu erwähnen, daß der staatstheoretisch relevante Begriff der 'Lage' vor allem in der "Politischen Geographie" F. Ratzeis (1897) eine große Rolle spielt. Angemerkt sei hier, daß sich etwa auch A. Giddens in seiner Schrift "The Nation-State and Violence" (1985: 49) auf Ratzel bezieht. 37 Man denke hier nur an M. Weber, der in seiner "Wirtschaftsgeschichte" (1924: 288f.) in kaum zu überbietender Prägnanz von der wechselseitigen Abhängigkeit zwischen Staat und moderner Marktwirtschaft, oder wie es hier heißt: 'Kapital' handelt. Bei Weber ist die Rede von dem System der "konkurrierenden Nationalstaaten" in Europa, "die in ständigem friedlichem und kriegerischem Kampf um die Macht lagen": "Dieser Konkurrenzkampf schuf dem neuzeitlich-abendländischen Kapitalismus die größten Chancen. Der einzelne Staat mußte um das freizügige Kapital konkurrieren, das ihm die Bedingungen vorschrieb, unter denen es ihm zur Macht verhelfen wollte. Aus dem notgedrungenen Bündnis des Staates mit dem Kapital ging der nationale Bürgerstand hervor, die Bourgeoisie im modemen Sinn des Wortes. Der geschlossene nationale Staat also ist es, der dem Kapitalismus die Chancen des Fortbestehens gewährleistet ...... - Auch Sombart hat, sowohl in seinem "Modemen Kapitalismus", als auch in einer "Krieg und Kapitalismus" (1913) titulierten einschlägigen Spezial schrift, auf den besagten Zusammenhang aufmerksam gemacht. Vgl. z.B. folgende Passage aus dem "Modemen Kapitalis-

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Namentlich O. Hintze, der mit seinem 'militaristischen' Politikansatz zu internationalem Ruhm39 gekommen ist, muß in diesem Zusammenhang genannt werden: In seinen historisch orientierten Studien hat dieser immer wieder darauf aufmerksam gemacht, wie zentral wichtig es ist, den modernen Kapitalismus mit Bezug nicht nur auf den einzelnen Staat, sondern gleich im Blick auf das moderne Staateruystem zu denken, in welchem eine "zu einem habituellen Dauerzustande" gewordene "Rivalität der einzelnen Staaten untereinander (herrscht)" (Hintze 1964c: 435). Hintze (l964b: 383) ist nun davon überzeugt, daß dieses "dynamische Getriebe der großen Politik ... für die Wirtschaft von fundamentaler Bedeutung ist": Überzeugt eben davon, daß namentlich der "Kapitalismus von Anfang an und bis auf die Gegenwart in der engsten Verbindung mit der nationalen Machtpolitik der Staaten steht, sei mus": "Aus Blut und Eisen ist der modeme Fürstenstaat aufgebaut. Nach innen wie nach außen wurde er so stark und so groß, wie die Macht seines Schwertes reichte. Entwicklung des modernen Staates und Entwicklung des Heereswesens sind daher gleichwertige Begriffe. Aus diesem Grunde wird jeder, der irgend etwas vom modemen Staat aussagen will, die Eigenart der militärischen Verhältnisse in Rücksicht ziehen müssen. Aber nicht nur deshalb spreche ich hier von der Begründung und Ausweitung der modemen Heere, sondern auch und vor allem aus dem Grunde: weil gerade von dieser Seite her der Kapitalismus eine wesentliche und weite Gebiete berührende Förderung erfahren hat, also daß die Herausbildung des Militarismus als eine der Vorbedingungen des Kapitalismus erscheint." (Sombart 1928a: 342; I. Bd., 1. Hbd.) 38 A. Giddens bringt den 'Nationalstaat' gleich im Titel seiner entsprechenden Schrift "The Nation-State and Violence" (1985) mit dem Phänomen der 'Gewalt' in Verbindung. Schon in der Einleitung betont er, daß "modem 'societies' ... nation-states" sind, "existing within a nation-state system" (ebd.: 1), und daß es in seinem Buch darum gehen wird, "(to) place a good deal of emphasis upon the role of military power in the organization of traditional and modem states" (ebd.: 2): "The merging of industry, technology and the means of waging war has been one of the most momentous features of processes of industrialization as a whole." (ebd.: 3) Zum Zusammenhang von modernem Staat, außenpolitischer Gewalt und kapitalistischmarktwirtschaftlicher Ökonomie vgl. auch die folgenden 'modernen' Publikationen: Skocpol 1985: 4ff.; Evans 1985: 213ff.; Rueschemeyer/Evans 1985; Tilly 1985 (172: "War making, extraction, and capital accumulation interacted to shape European state making"); Tilly 1975b: 40ff.; Finer 1975; Ardant 1975; Braun 1975. 39 Gerade auch im Zusammenhang der "bringing the state back in"- Ansätze wird gern auf die ungebrochene Aktualität des Hintzeschen Werks aufmerksam gemacht. Verwiesen sei hier nur auf Giddens. In seinem Buch "The Nation-State and Violence" (1985: 27) schreibt er folgendes: "Hintze stresses the general association between the existence of states and the consolidation of military power, and sees such power both as involved with the development of capitalisrnlindustrialism and as shaping their future course of development. He is strongly critical of Marxist assumptions: 'It is one-sided, exaggerated and therefore false to consider class conflict the only driving force in history . Conflict between nations has been far more important.' (Giddens zitiert hier aus F. Gilbert, "The Historical Essays of Otto Hintze", 1975, S. 183; B.K.) Hintze criticizes Schumpeter for trying to show, in quasi-Marxist vein, that capitalism and 'the nation' are antithetical. 'The rise and development of capitalism', according to Hintze, 'remain unintelligible without insight into how they were conditioned by the course of national formation.' (Zitat im Zitat: ebd.; von Giddens leicht modifizierte Übersetzung!; B.K.) In many respects, he goes on to claim, the expansion of capitalism and the increasing power of the nation-state march in tandem."

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es, daß er mehr von der staatlichen Gewalt als Instrument dieser Machtpolitik benutzt und gefördert wird, sei es, daß er selbst im geschäftlichen Interesse diese Machtpolitik und die Chancen, die sie ihm bietet, auszunutzen bestrebt ist." (ebd.: 384) Dabei betont Hintze (ebd.), daß "dies ... nicht nur eine gelegentliche Konstellation (ist)", "sondern ... zu dem eigentlichen inneren Wesen des modemen Kapitalismus" gehört, welcher eben "mit dem modemen Staatensystem und seiner Politik auf Gedeih und Verderb verbunden (ist)." Die zitierten Formulierungen finden sich in dem Aufsatz "Wirtschaft und Politik im Zeitalter des modemen Kapitalismus", der im Jahre 1929 verfaßt wurde. 4o Hintze hat mithin nicht nur das europäische Staatensystem des 19. Jahrhunderts vor Augen, sondern argumentiert schon vor der geschichtlichen Erfahrung des ersten Weltkriegs und mit Blick auf jene weltgeschichtliche Konstellation, die schließlich zum Ausbruch des zweiten Weltkrieg geführt hat. Sein Ansatz ist freilich bis auf den heutigen Tag aktuell geblieben: Noch immer stehen sich die einzelnen Nationalstaaten, in verschiedene Staatenbündnisse zusammengefaßt, als 'Rivalen' gegenüber, deren Souveränität im System der Weltpolitik letztlich nur im Maße ihrer Militärkraft gesichert ist;41 diese wiederum ist, heute nicht anders als zu Hintzes Zeiten, wesentlich eine Funktion der "Wirtschaftsmacht" (Hintze 1962b: 481) der jeweiligen nationalen Volkswirtschaften, aus denen die Staaten ihre 'Ressourcen' schöpfen können. Kein Wunder also, daß die Staaten ein vitales Interesse an einer produktiven Organisation ihrer Ökonomien haben. 42 Damit haben wir uns, um unsere Ausführungen zur Auseinandersetzung des modemen Staates mit der 'äußeren Lage' zusammenzufassen, nicht nur einigen Aufschluß über 'das Wesen' desselben verschaffen können, sondern auch schon gesehen, wie dieser ein geradezu existenzielles Interesse daran hat, sich als Pro akteur der marktwirtschaftlichen bzw. 'kapitalistischen' Produktionsweise zu engagieren. Aber nicht nur mit Blick 'nach außen', sondern auch mit Bezug auf die 'innere Lage', gibt es für den modemen Staat Gründe 40 Abgedruckt ist dieser Aufsatz im zweiten Band ("Soziologie und Geschichte") der Hintzeschen "Gesammelten Abhandlungen" (l964a). 41 Vgl. hierzu: Giddens 1985; Hall 1987; Mann 1987; Held 1991; für eine zusammenfassende Diskussion verweisen wir auf Knöbl 1993. 42 In seiner "Allgemeinen Staatslehre" schreibt Krüger (1966: 279) folgendes: "Da die Lagen und ihre Entwicklung sich heute weniger denn je im vornherein übersehen lassen. muß der Staat mit allem rechnen und daher auf alles und jedes gerüstet sein." Uns scheint es. daß dieser Satz nicht nur auf Krügers 'heute' der 60er Jahre (seine "Staatslehre" erschien zuerst 1964). sondern gerade auch auf unser 'heute' paßt: Schließlich ist die Welt nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ein Stück unberechenbarer geworden.

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genug, sich um die Leistungsfähigkeit seiner wirtschaftlichen Basis zu kümmern. Im folgenden soll in knapper Weise auf diese Thematik eingegangen werden. In der Perspektive seines 'Selbsterhaltungsinteresses ' bedeutet die Auseinandersetzung mit der 'inneren Lage' vor allem die innenpolitische Anstrengung des Staates, seine Souveränität und Herrschaft über sein Staatsgebiet und vor allem über seine Staatsbürger dauerhaft zu sichern. Recht besehen ist dies der 'Kampf' um die Legitimität der staatlichen Herrschaft, oder anders: der Kampf um die Gewinnung der 'Massenloyalität' (vgl. Habermas 1973; Offe 1972). Und die ist spätestens seit dem Eintritt ins Zeitalter des Wohlfahrtsstaates ohne ein erfolgreiches Gelingen der Massenversorgung der Bürger nicht zu haben. Auch dafür ist der Staat auf eine produktive und leistungsfähige Ökonomie angewiesen: Diese muß im Idealfall Vollbeschäftigung und Massenwohlfahrt ('unmittelbar') garantieren und soviel 'überschüssigen' Reichtum produzieren, daß die sozialpolitische Abfederung sozialer Härten ('mittelbar') problemlos möglich ist. In diesem Zusammenhang verlohnt es sich, darauf hinzuweisen, daß der Staatsrechtler H. Krüger (1966: 586; Hervorh. v. uns) in seiner, von uns ja schon wiederholt 'bemühten' "Allgemeinen Staatslehre" von einer "Zweiheit des Verhältnisses des Staates zur Produktivität der Wirtschaft - dort Produktivität um des Staates, hier um der Bürger willen -", gesprochen hat: Gerade weil der Staat existenziell auf die Loyalität seiner Bürger angewiesen ist, muß er sich um das wirtschaftliche Wohl derselben sorgen. Aufschlußreich schreibt Krüger (ebd.: 582) hierzu folgendes: "Eudämonismus und Staatsräson sind heute keine Gegensätze mehr: Gerade die Staatsräson verlangt, daß der Staat so viele seiner Bürger wie möglich so glücklich mache wie möglich -, eine Auffassung, die naturgemäß eine Standardisierung, Veräußerlichung und Verwirtschaftlichung dessen voraussetzt, was man unter 'Glück' versteht. Staatsräson und Glück haben sich gefunden, weil 'unglückliche' Menschen heute ein schwacher Punkt eines jeden Staates sind. Der Staat bezahlt hiermit einen hohen Preis für seine Eigenart und seine Leistung: Verheißt er den Menschen Verbesserung und erfüllt er diese Verheißung nicht gegenüber allen seinen Bürgern in einem hohen Maße, dann kann er von den Enttäuschten oder leer Ausgegangenen nicht jenes Staatsbewußtsein erwarten, das seine Existenz ausmacht. Solche schwachen Punkte sind der Sprengstoff, dessen sich Revolutionäre zu bedienen suchen. Der äußere Gegner vermag ihn sich gleichfalls nutzbar zu machen, jedenfalls gegenüber 'offenen' Staaten, also Staaten, deren Grundrechte Jedermann als Einfallspforte geöffnet sind. " 12 Kießling

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Krüger (ebd.: 413) verweist darauf, daß "Erschütterungen" in der Wirtschaftssphäre in die politische Sphäre "hineinwirken" , nach dorthin 'durchschlagen'. In erster Linie denkt er dabei an mögliche 'Wirtschaftskrisen', die "sich zu Staats- und Gesellschaftskatastrophen auszuwachsen (drohen), wie die Krise der Jahre 1929ff. in ihrer Wirkung auf Deutschland unübersehbar lehrt." (ebd.) Ganz allgemein formuliert daher Krüger (ebd.: 413f.) mit Bezug auf das Verhältnis von modernem Staat und Ökonomie folgendes: "Für jeden Staat ohne Rücksicht auf politische und Wirtschaftsverfassung sind daher Wirtschaft und größere Unternehmen auf jeden Fall lebenswichtig wegen der Gefährdungen seiner Existenz, die von ihnen ausgehen können .... In Wahrheit ist heute jeder Staat, und zwar gerade auch im Frieden, auf die Leistungen der Wirtschaft in einem Maße angewiesen, wie es noch niemals der Fall gewesen ist. Schon seit langem handelt es sich nicht mehr allein um das fiskalische Interesse am Steuerertrag, das den Staat eine gedeihende Wirtschaft gern sehen läßt. Heute muß sich der Staat als erstes darüber klar sein, daß seine Bürger sich mit zunehmender Zivilisation, insbesondere Verstädterung um so viel weniger selbst mit den lebensnotwendigsten Gütern versorgen können -, mit der Folge, daß jede Unterbrechung in der Herstellung und Zuführung von Wirtschaftsgütern die Bevölkerung buchstäblich vor die Existenzfrage stellt. Hierzu kommt weiter, daß sich jeder Staat heute dem Ideal der 'Hebung des Lebensstandards' verschrieben hat. Die Methoden, mittels deren man sich diesem Ziel zu nähern hofft, sind zwar verschieden. Aber auch da, wo der Staat das Beste von der freien Initiative seiner Unternehmer erwartet, kann es ihm um seiner selbst willen nicht gleichgültig sein, ob man auf dem Wege vorankommt, der zu dem gewünschten Ziele führen soll." Krüger verweist plausibel darauf, daß Souveränität und Stabilität des modemen Staates eng mit dem Gelingen der Versorgung der Bürger verknüpft sind. In diesem Sinne muß sich der modeme Staat wesentlich auch als Sozialstaat begreifen, der freilich weiß, daß 'aktive Konjunkturpflege' (ebd.: 588ff.) und 'Vollbeschäftigungspolitik' (ebd.: 586ff.) die beste Sozialpolitik sind und daß "sozialstaatliche Fürsorge" (ebd.: 586) um so eher zu finanzieren ist, je leistungsfähiger die Ökonomie insgesamt organisiert ist. Auch mit Blick auf die Problematik der Sicherung der Massenloyalität tut also der Staat gut daran, sich auf die produktiven Möglichkeiten und Ressourcen einer modemen Marktwirtschaft zu verlassen, stellt diese doch "dem Konsumenten das beste Angebot zum billigsten Preis" (ebd.: 586) in Aussicht. Davon waren übrigens schon die Klassiker überzeugt: Daß allein die "an Massenabsatz und Massenversorgungschancen" (Weber 1924: 286) bzw. am "großen Bedarf"

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(Sombart 1928c: 190; 2. Bd., 1. Hbd.; Hervorh. im Orig.) orientierte marktwirtschaftliche ('kapitalistische') Produktion, die Versorgung der für die modeme Gesellschaft typischen 'Massen' zu gewährleisten in der Lage sei. Der überkommenen 'Handwerksökonomie' mitsamt ihrer 'spießbürgerlichen Trägheit' wollte man das jedenfalls nicht zutrauen. 43 Stattdessen setzte man realistischerweise auf die 'kapitalistische Massenproduktion', die eben gerade auch Produktion für die Massen ist, d.h. für jene Menschen, deren Reproduktion ihre Selbstverständlichkeit verloren hat, seit sie aus dem Schoß und von der Scholle der feudal-idyllischen Wirtschaftsverhältnisse in die 'große Freiheit Modeme' entlassen worden sind. 4.3.2 Die marktwirtschaftliche Produktionsweise und der 'kapitalistische Reichtum' In Abschnitt 4.3.1 haben wir gesehen, wie sehr der modeme Staat von Anfang an an der Institutionalisierung einer 'produktiven' Ökonomie interessiert ist und nachgezeichnet, wie die Entstehung der modemen marktwirtschaftlichen Produktionsweise von der staatlichen Reformpolitik, welche sich in erster Linie gegen die überkommene Handwerksökonomie richtet, forciert wird. Unsere Untersuchungs- und Darstellungsperspektive war dabei historisch und systematisch zugleich orientiert: In der Auseinandersetzung mit den historischen Entwicklungsprozessen zielten wir immer schon darauf, das Verhältnis von modernem Staat und marktwirtschaftlicher Ökonomie gerade auch in seiner allgemeinen Systematik zu bestimmen. An diesem Punkt unserer Darstellung kommen wir nun nicht darum herum, Inhalt und Zweck der modemen marktwirtschaftlichen bzw. 'kapitalistischen' Produktion noch etwas näher zu charakterisieren: Es geht darum, die Affinität bzw. 'Wahlverwandtschaft' zwischen dieser und dem modernem Staat weiter zu verdeutlichen. Dabei wollen wir uns vor allem an den Ausführungen der Klassiker orientieren: Fast noch im Bannkreis der sozialhistorisch 'eben erst' überwundenen Handwerksökonomie, entwickelten diese die 'neuen' Prinzipien der modemen Produktionsweise in besonders pointierter Manier. Im un43 Hierzu hat K. Rathenau (1906: 3f.; Hervorh. im Orig.) zu Beginn des Jahrhunderts folgendes ausgeführt: "Nur durch eine hochentwickelte Massenfabrikation ist eine bessere Lebenshaltung für die große Menge ermöglicht. Erst durch die Fortschritte im Buchdruck kann die Literatur auch dem Hause des einfachen Mannes zugeführt und sein Heim mit guten Nachbildungen von Gemälden geschmückt werden. Die häuslichen Gerätschaften, fabrikmäßig in Massen und für die Massen gefertigt, befriedigen die Ansprüche besser und billiger, als in früheren Jahren die handwerksmäßig hergestellten. " 12*

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mittelbaren Kontrast zu den überkommenen Gesellschafts- und Produktionsformen sahen sie die eigentümlichen Struktur- und Organisationsprinzipien der Moderne deutlicher als spätere Autoren, denen die letzteren im Laufe der Zeit gleichsam zu einer 'Selbstverständlichkeit' geworden sind. In diesem Sinne bietet sich vor allem der Bezug auf Sombarts "Modernen Kapitalismus" an, in welchem ein allgemeiner Begriff des 'kapitalistischen Wirtschaftssystem' in explizitem Gegensatz zur Handwerksökonomie entwickelt wird.44 So beginnt Sombart (1928a: 328; 1. Bd., 1. Hbd.) seine Ausführungen gleich mit dem Hinweis, daß der 'kapitalistische Geist' "die Schranken der auf geruhsamer Genügsamkeit aufgebauten, sich selbst im Gleichgewicht haltenden, statischen, feudal-handwerksmäßigen Bedarfsdeckungswirtschaft (durchbricht) und ... die Menschen in die Wirbel der Erwerbswirtschaft hinein(treibt)", in welcher es um nichts anderes als darum geht, "eine Geldsumme (zu) vergrößern". In diesem Sinne steht im Mittelpunkt der modernen Produktion nicht mehr der konkrete Bedarf; immanenter Zweck der produktiven Tätigkeit ist vielmehr "ein Abstraktum: das Kapital" (ebd.: 329). Was freilich in seiner Konsequenz auch bedeutet, daß der Produktionszweck selbst ein 'abstrakter' ist: "In dieser Abstraktheit des Zweckes", so Sombart (ebd.) weiter, "liegt seine Unbegrenztheit. In der Überwindung der Konkretheit aller Zwecke liegt die Überwindung ihrer Beschränkung." Und insofern ist in Sombarts "Modernem Kapitalismus" auch von dem für die moderne Produktion konstitutiven "Unendlichkeitsstreben" (ebd.: 328) die Rede. Im Mittelpunkt der kapitalistischen Produktionsweise steht also nicht mehr das für die Handwerksökonomie charakteristische 'Bedarfsdeckungsprinzip' , sondern das 'Erwerbsprinzip ': Während es im ersteren Fall um die Deckung des 'naturalen Bedarfs', um die konkrete 'Nahrung' geht, ist es im zweiten um etwas ganz anderes zu tun: Um das Streben nach 'Gewinn', darum, "eine möglichst große Geldmenge ... zu erwerben" (Sombart 1928a: 14; 1. Bd., 1. Hbd.), endlich also um die Vermehrung und Verwertung einer Geldsumme als Kapital. Der Reichtum mithin, um den es in der kapitalistischen Produktion geht, ist Geldreichtum und besteht als solcher eben nicht in konkreten Gebrauchsgütern, die ein bestimmtes Bedürfnis befriedigen können, sondern ist seiner 44 Vgl. hierzu vor allem Sombart 1928a: 319ff., I. Bd., I. Hbd. und Sombart 1928e: 127ff., 3. Bd., I. Hbd.

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wesentlichen Bestimmung nach abstrakter Reichtum; dessen zentrale Zweckbestimmung die Verwertung, nicht die Konsumtion ('Nahrung') ist: "Immer kommt es darauf an, daß am letzten Ende jenes Plus an Tauschwert (Geld) in den Händen des kapitalistischen Unternehmers zurückbleibt, auf dessen Erlangung seine ganze Tätigkeit eingestellt ist. Alle Vorgänge der Wirtschaft verlieren dadurch ihre qualitative Färbung und werden zu reinen in Geld ausdrückbaren und ausgedrückten Quantitäten." (ebd.: 321) Gerade in ihrem an Vermehrung und Verwertung des Geldreichtums orientierten 'Unendlichkeitsstreben ' wird nun die unerhörte Dynamik der modernen Produktionsweise greifbar: Kapitalistischer Reichtum ist durch und durch dynamischer Reichtum. Objektiver Zweck und Inhalt der modemen Produktion ist eben, um neben Sombart noch eine weitere Autorität in Sachen 'Kapitalismus', Marx (1972: 168; Hervorh. von uns) nämlich, zu zitieren, "nicht der einzelne Gewinn, sondern nur ... die rastlose Bewegung des Gewinnens" , wie sie vom "absoluten Bereicherungstrieb" (ebd.) des 'Kapitalisten' an- und vorangetrieben wird. Namentlich diese 'Rastlosigkeü'45 und Dynamik ist es, die für die enorme Produktivität der modemen Produktionsweise verantwortlich ist: "Akkumulation um der Akkumulation, Produktion um der Produktion willen", so hat Marx (ebd.: 621) das Programm derselben griffig auf den Punkt gebracht. Kapitalistischer Reichtum ist produktiver Reichtum par excellence und als solcher, ganz anders als der "genießende Reichtum" (Marx 1976a: 242) des feudalen Zeitalters, reflexiv auf sich selbst bezogen. 46 Sein Telos, seine Zweckstruktur ist die radikale Entfesselung der Produktivkräfte in der Perspektive einer fortwährenden Erweiterung der produktiven Basis der Wirtschaft. Insofern kann man auch sagen, daß "die modeme Wirtschaft ... die Produktion selbst zur eigentlichen Grundlage" (Hofmann 1969: 50 Hervorh. im Orig.) hat: Und entsprechend muß die modeme Gesellschaft im Kontrast zu ihren historischen Vorgängerinnen auch in einem eminenten Sinne als 'Produktionsgesellschaft' bestimmt werden.

45

Marx (ebd.; Hervorh. v. uns) spricht in diesem Zusammenhang auch treffend von der

"leidenschajtliche(n) Jagd auf den Wert". 46 Den produktiven Reichtum zeichnet also gerade "die charakteristische Art kapitalistischer Gewinnverwendung" (Hofmann 1969: 49; Hervorh. im Orig.) aus: "Was vorbügerlichen Gesellschaften durchaus fremd bleibt, ist die Kapitalakkumulation, der Nichtverzehr des Gewonnenen und sein systematischer Wiedereinsatz für Zwecke der erweiterten Produktion." (ebd.: Her-

vorh. im Orig.)

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4. Der moderne Staat und die Marktwirtschaft

Reichtum als produktiver ist sich nie genug: Sein Zweck und Telos liegt in einer Zukunft, die immer Zukunft bleibt. Produktiver Reichtum ist damit recht eigentlich als eine Potenz bestimmt, als produktive Potenz: Gemeint ist weniger der (bereits) daseiende Reichtum, als vielmehr die "Fähigkeit (,) Wohlstand hervorzurufen" (Philippovich 1910: 340) bzw. hervorrufen zu können. Daß damit nicht der Reichtum einzelner Individuen angesprochen ist, sondern immer der der ganzen Gesellschaft, versteht sich dabei eigentlich von selbst: "Immer ist der Reichtum ein soziales Produkt, das durch das zusammenwirkende Arbeiten von vielen ins Leben gerufen und erhalten wird", wie Philippovich (ebd.) in seinem Beitrag über das "Wesen der volkswirtschaftlichen Produktivität" deutlich macht. Produktiver Reichtum als produktive Potenz ist, wie es Hegel (1970: 353; §§ 199 und 200) in seiner "Rechtsphilosophie" genannt hat: das "allgemeine Vermögen" der Wirtschaft als eines "gesellschaftlichen Zusammenhangs" (Hegel 1975: 406, § 524); nicht das Vermögen einzelner Individuen als solcher also, sondern, um einmal mehr Sombart (1928d: 929; 2. Bd., 2. Hbd.) zu zitieren, "völkische Produktivkraft", die "Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft als eines Ganzen" (ebd.: 930).47 Wenn wir an dieser Stelle für einen Moment innehalten und auf unsere Ausführungen in diesem Abschnitt zurückblicken, mag uns endgültig klar werden, warum der modeme Staat, dessen "Kraft ... in erster Linie Wirtschaftskraft ist" (Krüger 1966: 585), seit seinen Anfängen und bis auf den heutigen Tag, ein ungemein starkes Interesse an der politischen Durchsetzung und Stabilisierung der marktwirtschaftlichen (bzw. 'kapitalistischen') Produktionsweise hatte und hat: Es ist die unerhörte 'dynamische Produktivität' dieser Produktionsweise, die dafür verantwortlich ist, daß diese mehr und besser als alle anderen konkurrierenden Produktionsmodelle48 verspricht, jenen gesellschaftlichen Reichtum zu produzieren, auf den der modeme Staat für die Verfolgung seiner innen- und außenpolitischen Ziele und Zwecke (Abschnitt 4.3.1) rekurrieren will und muß. Und in der Perspektive der Partizipation an 47 Gerade die merkantilistischen Ökonomen lobt Sombart (ebd.; Hervorh. im Orig.) dafür, daß sie "unter Reichtum... etwas ganz anderes verstanden als die späteren Nationalökonomen der statischen Schule, nämlich soviel wie Reichtumsmöglichkeiten. " 48 Die preußischen Reformpolitiker, auf die wir 'paradigmatisch' immer wieder Bezug genommen haben, hatten noch die 'alte Handwerksökonomie' vor Augen, deren selbstgenügsame 'Nahrungsorientierung' und 'spießbürgerliche Trägheit' ihnen ein Dorn im Auge war. Heute, am Ausgang des 20. Jahrhunderts, sind es die Reformpolitiker in den östlichen Staaten, die, fasziniert von der Produktivität des von ihnen einst so sehr geschmähten 'Kapitalismus', ihre Ökonomien auf den Weg zur 'Marktwirtschaft' führen wollen.

4.3 Der Siegeszug der Marktwirtschaft

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diesem Reichtum bringt er ein ganzes 'Arsenal' an geeigneten politischen und rechtlichen 'Organisationsmitteln' :49 "Eigentums-, Vertrags-, Gesellschafts-, Patentrecht usw." (Eucken 1990: 26) in Anschlag, um die Wirtschaft als Konkurrenz- bzw. Marktwirtschaft zu setzen und als solche dauerhaft zu stabilisieren. Soviel jedenfalls ist klar: Der modeme Staat setzt seine Ökonomie als produktive Marktwirtschaft und erhebt Anspruch auf (wenigstens) einen Teil des gesellschaftlich produzierten Reichtums, auf den er unter dem Titel des Nationalreichtums Bezug nimmt. Und gerade mit Blick auf diesen grundsätzlichen Anspruch des Staates zeigt sich die Wahrheit der in A. Smiths "Wealth of Nations" ausgesprochenen Überzeugung, daß, worauf M. Trapp (1987: 179; Hervorh. im Orig.) in seiner Interpretation hingewiesen hat, "der Reichtum ... immer auch Reichtum einer bestimmten Nation (ist)". Dabei ist hier sogleich anzumerken, daß überhaupt erst der prinzipielle Anspruch des Staates auf den Reichtum diesen im eigentlichen Sinne als Nationalreichtum setzt. - Wie aber gelingt es dem modemen Staat, diese Frage stellt sich jetzt mit Nachdruck, den von ihm geltend gemachten Anspruch auf eine gehörige Portion des Nationalreichtums zu realisieren? Eine Antwort auf diese Frage wollen wir im nächsten Abschnitt versuchen. 4.3.3 Der modeme Staat als 'Steuerstaat' oder die 'politische Funktionalisierung' der Ökonomie Es soll im folgenden entwickelt werden, wie der modeme Staat vor allem mit dem spezifischen Organisations mittel der 'Steuerhoheit' (auch das 'Enteignungsrecht' wird an Ort und Stelle zu erwähnen sein) seinen prinzipiellen Anspruch auf einen Teil des gesellschaftlich produzierten Reichtums zur Geltung bringt und damit die Ökonomie als 'Mittel' für seine Zwecke funktionalisiert. Gerade unter Bezugnahme auf das vom modemen Staat erfolgreich durchgesetzte Institut der 'Steuerhoheit' wollen wir versuchen, unseren politiktheoretischen Ansatz weiter zu konkretisieren, welcher sich insbesondere von jenen Ansätzen unterscheiden will, die den modemen Staat als von ökonomischen Interessen und Kräften abhängige Größe konzeptualisieren. Kritik verdient hier vor allem die marxistische Theorietradition, weil sie, wie H. Heller (1963: 211) in seiner "Staatslehre" angemerkt hat, in kaum 49 Den Begriff des politischen 'Organisationsmittels' finden wir bspw. bei C. Schmitt (1973: 379) und C. Offe (1975: 1Iff.).

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zu überbietendem Maße "in dem Dogma befangen ist, die staatliche sei nur ein Mittel der wirtschaftlichen Funktion". Im pointierten Gegensatz hierzu gehen wir gerade von der umgekehrten Sichtweise aus, wobei wir uns am Grundsatz der "relative(n) Autonomie der staatlichen Funktion" (ebd.: 213)50 orientieren, welchen Grundsatz Heller (ebd.: 214) einmal folgendermaßen formuliert hat: "Jeder, auch der noch so kapitalistische Staat muss seiner notwendigen Funktion wegen die Wirtschaft immer nur als ein Mittel für sein eigengesetzliches Wirken gebrauchen. "51

Wie aber 'stellt' es der Staat im einzelnen 'an', die moderne Marktwirtschaft für sein 'eigengesetzliches Wirken' zu instrumentalisieren, wie schafft er es, dieser gegenüber seinen "sacro egoismo" (Sombart 1928e: 60; 3. Bd., 1. Hbd.) konkret geltend zu machen? Um eine Antwort auf diese Frage zu erhalten, müssen wir etwas ausholen: und uns zunächst an H. Krügers (1966: 279) Hinweis darauf erinnern, daß der moderne Staat mit Blick auf die in den 'inneren' und 'äußeren Lagen' lauernden und seine Existenz bedrohenden Gefahren "mit allem rechnen und daher auf alles und jedes gerüstet sein (muß)". Und das wiederum bedeutet, daß der Staat im Interesse der Gewährleistung seiner prinzipiellen und jederzeitigen "Handlungsfähigkeit" (ebd.) sicherstellen muß, sich "nach eigenem Gutdünken mit allen Mitteln versehen zu dürfen, deren es zur Auseinandersetzung mit eingetretenen oder drohenden Lagen bedarf." (ebd.: 818) Das 'Organisationsmittel' nun, mittels dessen sich der Staat auf die notwendigen 'Mittel' bezieht, stellt uns Krüger als diesbezügliche "General- und Blankovollmacht" vor (ebd: 818).52

50 Vgl. hierzu auch: Luhmann 1970: 156; Giddens 1981: 214ff.; Poulantzas 1978: 177ff.; Esser et al. 1983: 14ff. 51 Heller bezieht sich hier übrigens auf eine bereits oben von uns zitierte Stelle aus E. Heimanns "Sozialer Theorie des Kapitalismus" (1929: 60), in der "das Wirtschaften selbst ... als ein Politikum" bestimmt wird. 52 Um möglichen Mißverständnissen vorzubeugen, führt Krüger (ebd.: 279) zur Verdeutlichung folgendes aus: "Die Rede von einer 'Blankovollmacht' heißt nicht, daß die Staatsorgane von Fall zu Fall aus der Situation heraus nach bestem Gutdünken handeln dürften. Abgesehen von der Auswahl der Staatsorgane versucht man vielmehr Richtigkeit des Inhaltes und Wirksamkeit der Durchsetzung der notwendigen Entscheidung dadurch zu erreichen, daß man für Findung und Vollziehung ein geordnetes Verfahren vorschreibt, das sich bestimmter Institute zu bedienen und in einem vorgeschriebenen Gleise zu bewegen hat. Unter diesen Verfahren nimmt die Gesetzgebung, unter diesen Instituten das Gesetz die erste Stelle ein. Kurzum: Auch in der Art und Weise der Bewältigung der Lagen handelt es sich darum, auf jeden Fall die Reaktion auf die Notwendigkeiten in Gestalt und Verfassung zu bringen, d.i. zu institutionalisieren."

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Dabei denkt Krüger nicht nur und keineswegs in erster Linie an die in den Verfassungen der modemen Staaten den maßgeblichen politischen Akteuren in aller Regel zugestandene Option darauf, in Zeiten des 'Staatsnotstandes' die staatliche Souveränität und Existenz mit solchen 'Mitteln' zu sichern, die im rechtsstaatlichen Alltag normalerweise nicht zur Verfügung stehen. Und auch für unsere Studie sind eher die 'Mittel' interessant, auf die sich der Staat in der politischen Alltagsroutine verlassen will und muß. Krüger klärt uns darüber auf, woran hier in erster Linie zu denken ist: "Hierzu gehört nicht zuletzt auch die Befugnis, Person und Vermögen der Bürger in Anspruch nehmen, also Dienst- und Leistungspflichten auferlegen zu dürfen." (ebd.: 818) Ganz pathetisch, aber sachlich völlig zu Recht, hat schon Hegel (1970a: 494; § 325) in seiner "Rechtsphilosophie" diesbezüglich davon gesprochen, daß die "Aufopferung für die Individualität des Staates" "allgemeine Pflicht" (ebd.; Hervorh. im Orig.) der Staatsbürger sei; und für jene, die meinen, daß es der höchste Zweck des modemen Staates sei, Leben, Eigentum und Freiheit der Bürger zu sichern, hatte er nur Hohn und Spott übrig (vgl. ebd.: 492; § 324, Anm.). Nicht deshalb freilich, weil ihm diese Werte nichts bedeuteten; sondern weil er wußte, daß diese nur dann prinzipiell gesichert sind, wenn, als grundlegende Voraussetzung dafür, die souveräne Gestaltungsmacht des Staates selbst gewährleistet ist: Ohne die Existenz (und d.h.: Souveränität) des Staates ist alles nichts, weshalb diese auch der wahre Endzweck staatlichen Handeins ist. Die 'Selbsterhaltung' des Staates ist sozusagen der Zweck der Zwecke und mit Bezug darauf "das Interesse und das Recht der Einzelnen als ein verschwindendes Moment gesetzt" (Hegel 1970a: 491; § 324). In seiner eigentümlichen Sprache formuliert Hegel hier die grundlegende Einsicht, daß der Staat 'über' der Gesellschaft und Ökonomie steht und diese als gegenüber seiner Souveränität und Existenz prinzipiell relativiene Sphären setzt: "Es ist notwendig", unterstreicht Hegel, "daß das Endliche, Besitz und Leben als Zufälliges gesetzt werde" (ebd.; Hervorh. im Orig.). Dies gilt auch und gerade für den modemen freiheitlichen Rechtsstaat: Die freiheitliche Ordnung will gegen äußere wie innere Feinde verteidigt sein - und für diesen Zweck muß der Staat auch das Leben und Gut seiner Bürger legitim fordern dürfen. Hegel weiß natürlich, daß es sich hier um "die Härte der höchsten Gegensätze" (ebd.: 496; § 328) handelt: "Das Leben daran setzen" (ebd.;

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§ 328, Anm.) für ein Leben in Freiheit. Das ist sicher der 'härteste Gegensatz', der sich denken läßt. Aber es ist kein bloßer Gegensatz im Denken: Im modemen Staat hat dieser Gegensatz seine Wirklichkeit gefunden; diesem ist es ohne Zweifel gelungen, seinen prinzipiellen Anspruch auf das Leben seiner Bürger (in der Form der allgemeinen Wehrpflicht) als legitime Forderung durchzusetzen. Und genau darin erweist er sich als "absolute Macht auf Erden" (ebd.: 498; § 331; Hervorh. im Orig.) und, wenn man so will, als "wirklicher Gott" (ebd.: 403; § 258, Zusatz).

Selbstverständlich verlangt der modeme Staat von seinen Bürgern die 'Aufopferung ihres Lebens' nicht leichtfertig. Solches fordert er nur im Falle des 'äußeren Staatsnotstandes' , im Falle eines Krieges, in dem es gilt, die staatliche Souveränität als die absolute Voraussetzung von Leben und Freiheit mit Waffengewalt zu verteidigen. Da freilich besagter 'äußerer Staatsnotstand' , zumindest bei uns in Mitteleuropa, kein alltägliches Phänomen ist, wollen wir uns auch mit der prinzipiellen Möglichkeit der staatlichen Forderung nach der' Aufopferung unseres Lebens' nicht weiter beschäftigen. Umso mehr muß uns als politische Ökonomen freilich der Umstand interessieren, daß es der Staat im Routinealitag auf etwas ganz anderes als unser Leben abgesehen hat: "Mit der Steuerforderung in der Hand" (Schumpeter 1976: 341) ist er hinter unserem Gelde her, so als wolle er immer wieder aufs neue die Aktualität des fiskal politischen Ziels des Kameralisten Schröder unter Beweis stellen, der schon vor über 300 Jahren die Devise ausgab, daß es vor allem darauf ankäme, "viel Geld im Kasten" zu haben. Um noch einmal an Hegel anzuknüpfen: Es ist hier darum zu tun, daß der Staat nicht nur prinzipiell das 'Leben' seiner Bürger fordern darf, sondern daß er vor allem auch deren 'Gut', also deren Eigentum und Vermögen, für den existenziellen Zweck der Bewältigung 'kritischer Lagen' in Anspruch nehmen kann. Oder darum, daß es vor allem die ökonomische Sphäre ist, die der Staat für seine Zwecke zu instrumentalisieren trachtet. Auch und gerade darin freilich erweist sich der Staat als 'absolute Macht auf Erden' , daß er von seinen Bürgern legitimerweise verlangen darf, daß diese ihm eine gehörige Portion ihres ökonomischen Reichtums zur Verfügung stellen. Hegelisch ausgedrückt, erweist sich damit der Staat gegenüber den Sphären des 'Privatwohls' und der 'bürgerlichen Gesellschaft' nicht nur als eine "äußerliche Notwendigkeit" (Hegel 1970: 407; § 261; Hervorh. im Orig.), sondern als "ihre höhere Macht" (ebd.), was hinwiederum nichts anderes heißt, als daß

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die ökonomische Sphäre der modernen Gesellschaft gegenüber der des Staates von vornherein und prinzipiell als 'relativierte ' gesetzt ist. Es ist also gerade der in der modernen Ökonomie produzierte Reichtum, aus dem sich der Staat für seine Zwecke bedient. Im Rahmen seiner 'General- und Blankovollmacht' bezieht er sich auf sie als eine Sphäre, die die materiellen 'Mittel' für die Bewältigung 'kritischer Lagen' bereithält. Aus der Ökonomie schöpft die Staatsgewalt gleichsam, um auf eine von C. Schmitt geprägte Formel zurückzugreifen, "politischen Mehrwert"53 ab und macht den ökonomischen Reichtum damit zu einem 'Politikum'. Politische Bedeutung gewinnt die Ökonomie, weil der Staat sich auf sie als auf sein 'Mittel' bezieht. Und insofern kann dem Staat die Produktion des ökonomischen Reichtums nicht gleichgültig sein: Da sich der Staat desselben als eines Mittels für die Bewältigung 'kritischer Lagen' bedienen will, muß er sich im wohlverstandenen 'Eigeninteresse' um die Produktivität seiner Ökonomie kümmern; schließlich kann ihn diese nur im Maße ihrer Leistungsfähigkeit mit den begehrten 'ökonomischen Mitteln' versorgen: Genau in diesem Sinne sind die 'Staatsräson' des modernen Staates und die "Wirtschaftsräson"54 der modernen Marktwirtschaft aufeinander bezogen. 'Souveränität' und 'Aktionsfähigkeit'55 des Staates wären leere Worte, wenn ihnen nicht die Potenz des Staates entspräche, die nach sozusagen 'kritischer Lage' der Dinge erforderlichen Mittel jederzeit beschaffen zu können: Ohne die institutionelle Durchsetzung und dauerhafte Garantie der prinzipiellen Instrumentalisierung der Ökonomie für die staatlichen Zwecke läßt sich somit das Konzept der staatlichen Souveränität nicht einmal im An53 G.L. Ulmen hat in seiner kürzlich erschienenen Schrift "Politischer Mehrwert. Eine Studie über Max Weber und Carl Schmitt" (1991) auf die Bedeutung dieser Kategorie aufmerksam gemacht. Sie findet sich in dem letzten von C. Schmitt vor seinem Tode veröffentlichten Aufsatz "Die legale Weltrevolution: Politischer Mehrwert als Prämie auf juristische Legalität und Superlegalität" (1978). Hieraus sei dem Leser die folgende, für die ThemensteIlung unserer Studie unmittelbar relevante Passage ausführlich vorgestellt (ebd.: 322f.; Hervorh. im Orig.): "Zur staatlichen Legalität gehören die unvermeidlichen politischen Prämien auf den staatlich-legalen Machtbesitz: obeissance prealable für alle Gesetze und staatlichen Akte; Verfügung über Militär, Polizei und Finanz, Verwaltung und Justiz; Verteilung des Sozialprodukts, der Ämter, Stellen und Subventionen; Interpretation der zahlreichen neuen Situationen, die sich unaufhörlich aus dem raschen wissenschaftlichen, technischen und wirtschaftlich·industriellen Fortschritt ergeben. Aus diesem Grunde hat die jeweilige Staatsgewalt - wenn sie politisches Selbstbewußtsein hat - erstaunliche Möglichkeiten, selber immer neue Situationen und immer neue folgenreiche faits accomplis zu schaffen. Die staatliche Legalität verschafft ihr einen politischen Mehrwert: sie ist, wie es Karl Marx für das Kapital gesagt hat, 'ein Mehrwert heckender Wert'." 54 Diese Kategorie findet sich im Werk Hintzes (1962b: 484; 1964b: 384). 55 Wie sie ja gerade auch W. Eucken als Voraussetzung für die Durchsetzung der 'Wettbewerbsordnung' gefordert hat.

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4. Der moderne Staat und die Marktwirtschaft

satz denken. Die Souveränität des modernen Staates gründet somit vor allem auch in der gelungenen Subsumtion der Ökonomie unter die staatlichen Zwecksetzungen. Daß nun die Souveränität des Staates 'an' der prinzipiellen Instrumentalisierung der Ökonomie für seine Zwecke 'hängt' und nicht nur daran, daß es dem Staat gelingen mag, dieses oder jenes ökonomische Mittel in Anspruch zu nehmen, darauf hat Krüger (1966: 818; Hervorh. im Orig.) in seiner "Allgemeinen Staatslehre" mit folgenden Worten aufmerksam gemacht: "Es zeigt sich ... , daß es sinnlos wäre, den Staat mit einigen konkreten Mitteln auszustatten, mit denen er in jeder Lage und für alle Zeiten auszukommen hätte. Auch hier muß vielmehr der Staat mit der abstrakt-generellen Fähigkeit ausgerüstet werden, sich jeweils mit denjenigen Mitteln ausrüsten zu dürfen, deren es zur Bewältigung irgendeiner Aufgabe und deren Vorbereitung bedürfen könnte. Das Institut, das ihm diese Fähigkeit verleiht, ist die Staatsgewalt. Sie ist daher zu definieren als die Generalund Blankovollmacht des Staates, sich nach eigenem Gutdünken mit allen Mitteln versehen zu dürfen, deren es zur Auseinandersetzung mit eingetretenen oder drohenden Lagen bedarf. " Im Interesse der Souveränität und 'Aktionsfähigkeit ' des Staates insgesamt muß sich die Staatsgewalt in der politischen Praxis als 'unwiderstehlich' erweisen. Insbesondere 'die Ökonomie' darf ihrer Instrumentalisierung durch den Staat nichts entgegenzusetzen haben. Konkret heißt das, so Krüger (ebd.: 818.; Hervorh. im Orig.), "daß die Staatsgewalt dazu ermächtigen muß, unbedingt wirksame Mittel wählen und einsetzen zu dürfen. Die dieser Notwendigkeit entsprechende Eigenschaft der Staatsgewalt ist es, die man als ihre 'Unwiderstehlichkeit' zu kennzeichnen pflegt. Hiermit soll vor allem gesagt sein, daß im Innern des Staates niemand tatsächlich oder rechtlich so stark sein darf, daß er sich den Befehlen und Forderungen des Staates erfolgreich widersetzen könnte. Um jeden Versuch dieser Art vollständig und sicher brechen zu können, umschließt die Staatsgewalt auch die Fähigkeit, unmittelbaren Zwang gegen die Bürger anzuwenden." Staatliche Souveränität erweist sich für Krüger darin, daß der Staat auf die Ökonomie in ihrer Allgemeinheit Bezug nehmen kann, daß es dem Staat gelingt, sich dieselbe dauerhaft als, um einen Ausdruck von Hegel (1970: 353; § 200) zu gebrauchen, sein 'allgemeines Vermögen' verfügbar zu machen. Krüger (1966: 828) wörtlich: "Soll die Staatsgewalt ... jeder neuen Lage in einer sich unablässig und immer schneller verändernden Welt sofort, vollständig und wirksam ent-

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sprechen können, dann darf sie nicht als ein fester Bestand gegebener Einzelrechte verstanden, sie muß vielmehr als die Rechtsmacht des Staates konstruiert werden, sich einseitig jede Möglichkeit schaffen (Hervorh. im Orig.) zu dürfen, deren er zur erfolgreichen Erledigung der angesichts der Lage gestellten Aufgaben bedarf, und zwar einschließlich der Möglichkeit, Leben und Gut der Untertanen in Anspruch zu nehmen. In der Staatsgewalt kommt am deutlichsten zum Ausdruck, daß mit dem Staat immer mehr oder weniger die Existenzfrage gestellt ist. Ist dies aber richtig, dann darf es niemals an der grundSätzlichen Verschaffbarkeit und Einsetzbarkeit derjenigen Mittel (diese Hervorh. von uns) fehlen, ohne die die Existenz der staatlichen Gruppe nicht behauptet werden kann. " Von dieser Krügerschen Bestimmung der 'Staatsgewalt' aus wird es unmittelbar einsichtig, warum gerade mit der vollständigen Durchsetzung der staatlichen Souveränität im Zuge der endgültigen Herausbildung des modernen Staates im 18. und 19. lahrhundert56 die frühere Gleichgültigkeit des Staates gegenüber der Wirtschaft einer stetig zunehmenden Interessiertheit weicht: Der Staat begnügt sich nicht mehr nur damit, Reichtum aus der Ökonomie abzuschöpfen, sondern sorgt sich effektiv um die Bedingungen der Produktion des Reichtums in einer Ökonomie, die er nun prinzipiell als die seinige in Anspruch zu nehmen gedenkt. Die Instrumentalisierung der Ökonomie als (im wahrsten Wortsinne:)

Staatsökonomie setzt natürlich voraus, daß sich der Staat einen grundsätzlichen 'Rechtstite1'57 über diese verschafft: Der Staat muß sich ein 'Organisationsmittel' 'konstruieren', mit dem er seine Souveränität und also 'Herr56 Zu Recht velWeist Krüger (ebd.: 827) darauf, daß die Revolutionen des 19. und 20. Jahrhunderts sich nicht gegen 'den Staat' richteten, sondern auf die Durchsetzung der staatlichen Souveränität zielten: Das Ancien Regime ging, so Krüger (ebd.), "wegen seiner außen- und innenpolitischen Leistungsunflihigkeit unter. Die sich industrialisierende bürgerliche Gesellschaft duldet nicht mehr eine lässige, genießende Adelsherrschaft -, sie verlangt vom Staat Initiative, Energie, VelWirklichung -, wie denn seit der Französischen Revolution sehr viel rücksichtsloser regiert wird als im Zeitalter des Absolutismus. Die Revolutionen des 18. und 19. Jahrhunderts sind daher nicht als Revolutionen gegen, sondern für Staat und Staatsgewalt zu sehen." Am alleIWenigsten kann die modeme Demokratie hier als Gegenargument bemüht werden: "Der demokratische Staat ermangelt ... als demokratischer nicht einer Staatsgewalt. Es ist lediglich die Trägerschaft des Volkes, nicht aber Existenz und Intensität der Staatsgewalt, die die Demokratie von anderen Staatsformen unterscheidet. Es scheint sogar, daß die Staatsgewalt noch energischer und umfassender fordern kann, wenn sie im Namen des Volkes fordert." (ebd.: 829) 57 Hierzu Krüger (1966: 828; Hervorh. von uns) grundsätzlich: "Die Staatsgewalt ist also eine umfassende Fähigkeit in potentia und muß eine solche Fähigkeit sein, da selbstverständlich die Anwendung eines in jeder Hinsicht geeigneten und erlaubten Mittels nicht daran scheitern darf, daß es mangels eines Titels nicht beschafft werden kann. Insbesondere dürfen daher die Bürger als Einzelne nicht imstande sein, eine Aktion der Selbstbehauptung zu hindern, die sie als Gesamtheit für unerläßlich halten. "

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schaft' auch und gerade über seine 'Staatsökonomie' realisieren und auf Dauer stellen kann. In diesem Zusammenhang wird es wichtig, auf das von Krüger (ebd.: 892; Hervorh. im Orig.) sog. Prinzip der "materiellen Einseitigkeit der staatlichen Willensbildung" zu verweisen. Hierunter sei "die Fähigkeit der Staatsgewalt zu verstehen, sich allein gemäß ihrer Bestimmtheit durch das Gemeinwohl entsprechend den Erfordernissen der Lage spontan und selbständig entschließen zu können" (ebd.). Dieses Prinzip soll also die "Staats- und Amtsgewalt von der Mißlichkeit freihalten, sich die Befugnis zum Handeln überhaupt oder zu einem konkreten Vorgehen erst seitens Dritter verschaffen zu müssen" (ebd.) und bedingt so die geforderte 'Handlungsfähigkeit' des Staates. An dieser Stelle sei an Eucken erinnert, der genau dieses Prinzip im Auge hatte, als er davon sprach, daß sich der Staat von den 'neufeudalen Abhängigkeiten', von der Bindung an partikulare Gruppeninteressen also, zu lösen habe. Die geforderte 'Aktionsfähigkeit' des Staates setzt die vollständig durchgesetzte Souveränität des Staates voraus. Krüger (ebd.: 893) dazu: "Niemand darf insbesondere die Staatsgewalt in die Notwendigkeit versetzen können, sich ihre Handlungsfähigkeit überhaupt oder im einzelnen Falle erst erkämpfen oder erkaufen zu müssen. Denn in jedem dieser Fälle würden subjektive Gesichtspunkte und private Interessen die Herrschaft über Gemeinwohl, allgemeine Zielsetzungen und das Gesetz gewinnen." Bezüglich der Ökonomie nun realisiert sich die 'materielle Einseitigkeit der Staatsgewalt' in zwei für den modemen Staat charakteristischen 'Organisationsmitteln' oder 'Instituten'. Sehen wir zu, was Krüger (ebd.: 893) hierzu näher ausführt: "Diese materielle Einseitigkeit der Staatsgewalt äußert sich vor allem in zwei für den Modemen Staat typischen Instituten -, in der Enteignung und in der Besteuerung (diese beiden Hervorh. im Orig.).58 Sie zeigen, daß der 58 Als weiteres relevantes Organisationsmittel wäre hier zusätzlich der 'öffentliche Kredit' zu nennen. Wir können es uns ersparen, darauf näher einzugehen, da es uns hier vor allem darum zu tun ist, die Instrumentalisierung der Ökonomie durch den Staat in prinzipieller Hinsicht zu rekonstruieren. Immerhin sei doch in einer knappen Anmerkung vorgestellt, was schon J.K. Bluntschli in seiner Schrift "Allgemeines Staatsrecht" (1965: 541; Hervorh. im Original) zu dieser Thematik geschrieben hat: "Wenn die Einnahmen des Staates nicht zureichen, um die Ausgaben zu decken und überwiegende Gründe vorhanden sind, um die Steuerkraft des Volkes nicht höher oder nicht so hoch zu spannen, dass die Mindereinnahme dadurch gedeckt wird, so steht dem Staate noch das Recht zu, Staatsschulden zu kontrahieren .... Der Staatskredit beruht in Wahrheit mehr auf der Macht des Staates und auf dem Vertrauen, welches die öffentliche

4.3 Der Siegeszug der Marktwirtschaft

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Staat sich typischerweise die von ihm benötigten Güter nicht dadurch beschafft, daß er einen an sich zur Leistung nicht verpflichteten Bürger durch Bitten, Drohungen oder vor allem durch Gegenleistungen zu einer entsprechenden Leistungsbereitschaft bewegt -, daß er vielmehr um der Ausschaltung eines solchen Faktors der Ungewißheit und der Unsachlichkeit willen Eigentum und Vermögen generell und apriori dem Zugriff des Staates unterworfen hat und deswegen diese Zugriffsmöglichkeit einseitig, d.h. also sicher und sachlich, zu aktualisieren vermag (diese Hervor. von uns). Auch hier, und zwar vor allem für die Deckung des Finanzbedarfes, gilt abermals der Satz, daß der Untertan nicht imstande sein darf, darüber zu verfügen, was er als Bürger durch seine Repräsentanten über sich beschlossen hat: Der Bürger spricht sein Wort zu den Entscheidungen der Staatsgewalt in der Wahl und durch das Parlament -, der Rest ist schweigender Gehorsam." Treffender kann man die prinzipielle Instrumentalisierung der Ökonomie für staatliche Zwecksetzungen, die grundsätzliche 'Unterworfenheit' der Ökonomie unter die Herrschaft des Staates kaum formulieren: Im 'Enteignungsrecht' und in der 'Steuerhoheit' vollendet sich die politische Konstitution der Ökonomie als Staatsökonomie und damit die materielle Souveränität des modemen Staates. 'Enteignungsrecht' und 'Steuerhoheit' sind also die spezifischen Organisationsmittel, mit denen der Staat die in der Perspektive der Steigerung der Produktivität als 'freie' und 'autonome' 'Marktwirtschaft' scheinbar aus seinen Fittichen 'entlassene' Ökonomie auf ihren eigentlichen Zweck: Staatsökonomie zu sein, zurückführt bzw. verpflichtet. 'Freiheit' und 'Autonomie' der kapitalistischen Marktwirtschaft erscheinen damit insofern 'relativiert', als der Staat mit den besagten Organisationsmitteln bzw. Instituten, "Eigentum und Vermögen", so Krüger (ebd.: 893), "generell und apriori" seinem "Zugriff ... unterworfen hat." Und nur deshalb kann der modeme Staat so gelassen auf die wirtschaftliche Privatinitiative seiner Bürger bauen, weil er sich längst die passenden Institute geschaffen hat, prinzipiell und im Maße seiner Bedürfnisse den von denselben produzierten ökonomischen Reichtum für sich beanspruchen zu können. In dem folgenden historisch orientierten Exkurs nun werden wir sehen, wie wenig selbstverständlich gerade das Institut der 'Steuerhoheit' ist, wenn wir unseren Blick in die Vergangenheit richten: Ohne weiteres Aufheben zahlen Meinung dem rechtlichen Charakter seiner Leitung zuwendet, als auf irgend einer Realsicherheit, die er zu bestellen vermöchte ...

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4. Der moderne Staat und die Marktwirtschaft

wir heute unsere Steuern an den Staat - und ärgern uns höchstens über deren

Höhe; aber die prinzipielle Legitimität des Prinzips der 'Besteuerung' wollen

wir nicht einmal im Traum in Frage stellen. Aber genau um dieses uns selbstverständlich scheinende Recht des Staates auf die Steuer, wurden in der Epoche der historischen Herausbildung des modernen Staates die erbittertsten Kämpfe geführt: In der Reflexion auf diese Problematik werden wir unseren bisher entwickelten Begriff vom Verhältnis von Staat und ('politischer') Marktwirtschaft weiter vertiefen können. Gerade im komparativen Blick aufs Vergangene (oder 'Andere') mag es gelingen, den Schleier des Selbstverständlichen zu zerreißen und das theoretische Wahrnehmungsvermögen so zu schärfen, daß 'das Wesentliche' erfaßt werden kann. Insofern ist auch unsere historische Orientierung keine überflüssige Zutat zum 'systematischen Argumentieren', sondern für unseren Ansatz konstitutiv. 59 4.3.4 Exkurs: Die historische Durchsetzung der 'Steuerhoheit'

Im wahrsten Wortsinne 'souverän' setzt der moderne Staat seinen Bedarf als ein 'Datum '60 und versorgt sich nach Maßgabe desselben aus seiner Ökonomie mit den entsprechenden ('dafür notwendigen') Mitteln. Daß der Staat, ganz im Gegensatz übrigens zu uns, die wir von klein auf gelernt haben, unsere Bedürfnisse nur allzu bescheiden an die Einnahmen anzupassen, diese

S9 Man denke hier nur daran, wie 'komfortabel' wir die wesentlichen Strukturbestimmungen der modemen marktwirtschaftIichen Produktion gerade im Vergleich zu jenen der vorangegangenen Handwerksökonomie herausarbeiten konnten. - Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auf das Prinzip der komparativen Methodik, wie es von G. Bechtle und B. Lutz (1989: 81; Hervorh. im Orig.) einmal folgendermaßen beschrieben worden ist: "GesamtwirtschaftIichgesamtgesellschaftIiche Strukturen und ihre - historische - Entwicklung können nur dann zum Gegenstand systematischer sozialwissenschaftIicher Untersuchung und Analyse werden, wenn es gelingt, wesentliche Strukturmomente gezielt zu variieren. Dies ist der Grund, warum alle Klassiker der Sozialwissenschaften zur Herausarbeitung und Konzeptualisierung der konstitutiven Merkmale moderner Gesellschaften systematisch entweder fruhere historische Epochen oder die sogenannten 'primitiven' Kulturen ins Blickfeld geruckt hatten; es gibt keine Theorie der Moderne, die nicht auf diese Weise aus vergleichender Kontrastierung zu 'nicht-modernen' oder 'vor-modernen' Verhältnissen abgeleitet worden wäre." 60 Darauf macht F. Neumark (1952: 606; Hervorh. im Orig.) in seinem Beitrag "Grundsätze und Arten der Haushaltführung und Finanzbedarfsdeckung" (publiziert in dem von ihm mitbetreuten "Handbuch der Finanzwissenschaft") aufmerksam: "Gelegentlich eines Vergleichs von Staatswirtschaft und Privatwirtschaft, wie er in zahlreichen finanzwissenschaftIichen Lehrbüchern angestellt wird, um die Eigenarten der öffentlichen Wirtschaft herauszuarbeiten, findet sich häufig die Ansicht vertreten, daß, während die private Wirtschaft ihre Ausgaben den Einnahmen anzupassen habe, der Staat für seinen als Datum angesehenen Bedarf die erforderlichen Deckungsmittel beschaffen müsse und könne. Bis auf den heutigen Tag wird aus diesem Grunde in einzelnen Ländern daran festgehalten, die angebliche Vorrangstellung der Ausgaben auch äußerlich dadurch zum Ausdruck zu bringen, daß im Budget die Ausgabenvoranschläge denen der Einnahmen vorangestellt werden."

4.3 Der Siegeszug der Marktwirtschaft

193

beneidenswerte Haltung einnehmen kann, setzt freilich voraus, daß es ihm gelungen ist, sich vor allem gegenüber der Ökonomie als 'absolute Macht' zu etablieren; daß es ihm, um einen Gedanken H. Hellers (1963: 215) zu zitieren, gelungen ist, "die ökonomischen Zwecke der politischen Gesamtsituation einzuordnen, was selbstverständlich nur von einem der Ökonomie übergeordneten Standpunkt aus geschehen kann" (Heller 1963: 215). In diesem Exkurs wollen wir nun zeigen, wie es dem modemen Staat gelungen ist, die 'Steuerhoheit' und damit die Souveränität überhaupt über die Ökonomie zu erringen. Für diesen Darstellungszweck sei zunächst an eine 'klassische' Kontroverse erinnert, die zu Beginn unseres Jahrhunderts Furore gemacht hat: Die zwischen Schumpeter und dem Begründer der Finanzsoziologie R. Goldscheid sehr engagiert geführte Debatte über die "Finanzkrise des Steuerstaats" .61 Bemerkenswert erscheint uns hier zunächst einmal die Position Goldscheids (1976a: 41; Hervorh. im Orig.), die auf ein Lamento über die "durch (dessen) Besitzlosigkeit verursachte wirtschaftliche Ohnmacht" des modemen Staates hinausläuft. Goldscheid führt uns den modemen Staat als 'armen Schlucker' vor, der nach der historischen 'Expropriation' - es ist wörtlich von der "Expropriation des Staates" (ebd.: 52; Hervorh. im Orig.) die Rede - von seinen Wirtschaftsmitteln, "seinen Bürgern als Besitzloser gegenüber(steht)" (ebd.), und dem ob seiner essentiellen ''finanziellen Bedingtheit "62 nichts anderes übrigbleibt, als bei seinen Bürgern einerseits um Steuerzahlungen 'zu bitten', sich andererseits bei ihnen zu 'verschulden': Und insofern spricht Goldscheid auch von der Gestalt des "verschuldeten Steuerstaates" (ebd.: 43). Als 'glückliches' Gegenbild zum 'verschuldeten' und 'steuerabhängigen' modemen Staat hat Goldscheid den vormodern-feudalen Staat im Kopf, wo der absolutistische Fürst die Staatszwecke und also Staatsausgaben aus seinen eigenen Vermögensbeständen und Besitztümern finanzieren und decken mußte. Wie jedoch Schumpeter in seiner kritischen Antwort63 auf die Goldscheidsche Finanzsoziologie angemerkt hat, war es um den 'Reichtum' des 61 Die entsprechenden Beiträge finden sich zusammengetragen in dem von R. Hickel hrsg. Band "Die Finanzkrise des Steuerstaates. Beiträge zur politischen Ökonomie der Staatsfinanzen" (1976); für die Aufführung im einzelnen dürfen wir den Leser auf das Literaturveneichnis zu unserer Studie verweisen. 62 Goldscheid (ebd.: 41; Hervorh. im Orig.) formuliert den grundSätzlichen Ansatzpunkt seiner Finanzsoziologie folgendermaßen: "Aus seiner finanziellen Bedingtheit glaube ich den notwendigen Charakter des Staates am reinsten begreifen zu können." 63 Gemeint ist hier die Schumpetersche Schrift "Die Krise des Steuerstaats" , zuerst erschienen 1918; wir zitieren hier aus dem Abdruck in dem von Hickel besorgten Sammelband.

13 Kießling

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4. Der modeme Staat und die Marktwirtschaft

vormodernen Staates nicht allzu gut bestellt: So waren etwa die mittelalterlichen 'Landesfürsten' , wie Schumpeter moniert, bspw. nicht einmal in der Lage, der Türkengefahr im Rekurs allein auf die eigenen Mittel Herr zu werden. Ihnen, welchen es eben noch nicht gelungen war, die Souveränität über Bevölkerung und Ökonomie im vollgültig-modemen Sinne durchzusetzen,64 blieb nichts übrig, als bei den Ständen 'betteln' zu gehen. Schumpeter (1976: 338) hierzu aufschlußreich: "Der Landesfürst machte was er konnte, nämlich Schulden. Als es damit nicht länger ging, wandte er sich bittend an seine Stände. Er erkannte an, daß er kein Recht habe zu fordern, erklärte, daß die Bewilligung seiner Bitten den Rechten der Stände keinen Abbruch tun solle, versprach, niemals wieder zu bitten - das ist der Inhalt jener 'Schadlosbriefe " die, wenn dieser Entwicklung ungebrochener Fortgang beschieden gewesen wäre, die Stelle einnehmen würden, die in England die magna charta hat. Er wies dabei· auf sein Unvermögen hin und darauf, daß Dinge wie z.B. die Türkenkriege doch nicht bloß seine persönliche Angelegenheit seien - und auf die 'gemeine Not'. Und die Stände ließen das gelten." Dieses Beispiel ist deshalb für unsere Argumentation von Interesse, weil es zu verdeutlichen vermag, daß der sich formierende Nationalstaat vor allem in der Perspektive der Sicherung seiner Existenz gegenüber äußeren Bedrohungen, sich schlecht auf den als solchen immer beschränkten Privatbesitz des Landesfürsten verlassen konnte und sich teleologisch vielmehr der Möglichkeit des prinzipiellen Zugriffs auf die Ökonomie insgesamt vergewissern

mußte.

Genau mit Blick auf diesen 'prinzipiellen Zugriff' müssen wir nun mit allem zu Gebote stehenden Nachdruck Kritik an Goldscheids Ansatz üben: Recht besehen bedeutet die 'Expropriation des Staates' nur die Emanzipation desselben von den allzu beschränkten Privatmitteln der mittelalterlichen Landesfürsten, in der Perspektive nämlich der prinzipiellen Instrumentalisierung des gesellschaftlich produzierten Reichtums vermittels vor allem der spezifischen Organisationsmittel 'Steuerhoheit' und 'öffentlicher Kredit'.

64 Unter Verweis auf Historiker und Staatstheoretiker wie L. v. Ranke, R. v. Mohl, H. Kantorowicz, F. Kern, O. Brunner, H. Heller, C. Schmitt oder auch G. Burdeau, stellt H. Krüger in seiner "Allgemeinen Staatslehre" (1966: 3) zu Recht fest, "daß der Modeme Staat etwas ganz anderes ist als das Reich des Mittelalters und erst recht etwas ganz anderes als die entsprechenden Bildungen der Antike. Hat man ... die Eigenart des Staates herausgearbeitet ... , dann wird man die entsprechenden Bildungen des Mittelalters und der Antike allenfalls noch in einem ganz unspezifischen Sinne als 'Staaten' bezeichnen können."

4.3 Der Siegeszug der Marktwirtschaft

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An dieser Stelle scheint nun die folgende KlarsteIlung angebracht zu sein. Daß er sich entsprechend seines als Datum angesetzten Bedarfs und im Rahmen seiner 'General- und Blankovollmacht' aus der Ökonomie 'bedient', soll nun keineswegs heißen, daß der moderne Staat nicht auf die immanenten Notwendigkeiten und Gesetzmäßigkeiten seiner (mittlerweile) als Marktwirtschaft gesetzten Ökonomie Rücksicht nehmen würde. Daß er das tun muß, hat sich der modeme Staat von seinen ökonomischen Beratern sagen lassen: Gerade die merkantilistische bzw. kameralistische Literatur ist, wie wir ja schon gesehen haben,65 voll von Warnungen, daß schließlich Steuerquellen versiegen werden, wenn die Steuerschraube zu fest angezogen wird. Weit verführerischer in Anbetracht dieser drohenden Mißlichkeit war da die Rezeptur, welche die 'klassischen' politischen Ökonomen zur Hand hatten: Allen voran A. Smith, 'rieten' sie dem Staat zu einer 'Radikalkur' und empfahlen 'das Modeli' der 'produktiven Marktwirtschaft' als Heilmittel nicht zuletzt für die chronischen Finanznöte des Staates. Dabei haben die politischen Akteure freilich schnell gelernt, daß die Marktwirtschaft dauerhaften 'politischen Mehrwert' nur dann verspricht, wenn sie auch entsprechend 'gepflegt' wird: Was nicht zuletzt heißt, daß der Staat die Prinzipien und Gesetze des marktwirtschaftlichen Produzierens zu respektieren habe. Die Politikakteure wissen, daß die 'Gesetze des Marktes' nur solange (auch in ihrem Sinne) wirken, als sie diese anerkennen: Und in diesem Sinne macht sich der Staat in seinem eigenen Interesse von der Ökonomie auch abhängig. Aber nichtsdestotrotz macht sich der Staat in dieser Hinsicht keineswegs zu jenem Anhängsel oder Epiphänomen der 'kapitalistischen Ökonomie', wie ihn uns vor allem die Tradition der marxistischen Staatstheorie gerne präsentieren will. Warum sollte sich der Staat gegen 'die Gesetze' gerade jener Ökonomie richten, die ihn so vorteilhaft mit ökonomischen Mitteln auszustatten versteht: Daß er sich diesen Gesetzen 'unterwirft', darf insofern gewiß nicht als 'Schwäche' interpretiert werden, sondern eher schon als Ausdruck staatspolitischer Klugheit. Und immerhin ist es ja der modeme Staat selbst, der mit einem ganzen Arsenal an spezifischen Organisationsmitteln (Eigentumsrecht, Vertragsrecht usw.) die Wirtschaft erst als Marktwirtschaft setzt; so daß gerade mit Blick auf die ökonomische Sphäre N. Luhmanns (1981: 10; Hervorh. im Orig.)

65 Für einzelne Belege sei der Leser einmal mehr auf F.K. Manns Schrift "Steuerpolitische Ideale" (1978) verwiesen.

13"

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4. Der moderne Staat und die Marktwirtschaft

Gedanke richtig sein mag, daß es der Staat im Grunde nur "mit selbstgeschaJ-

Jenen Wirklichkeiten" zu tun hat.66

66 Daß die politische Setzung der Wirtschaft als Marktwirtschaft in ihrer Konsequenz auch Probleme für den Staat aufwirft, kann unseres Erachtens nicht als Beleg für eine prinzipielle Schwäche des Staates - in der Literatur finden hier immer wieder die aufeinander bezogenen

Tennini 'Markt-' und 'Staats-' bzw. 'Politikversagen' Erwähnung - bemüht werden. Besagter Sachverhalt, den wir gar nicht bestreiten wollen, fordert als solcher nur ein sachgerechtes Handeln der maßgeblichen politischen Akteure heraus: Mögliche Schwierigkeiten sind in der Perspektive der kontinuierlichen Sicherung der Leistungsfähigkeit der Ökonomie aktiv und zweckdienlich zu überwinden. - Problematisch erscheint uns in dieser Perspektive auch der aktuelle Forschungsansatz des 'Neokorporatismus', auf den auch H. Willke (unter Verweis vor allem auf Schmitter 1983 und Schmitter/Lehmbruch 1979) in seiner Schrift "Ironie des Staates. Grundlinien einer Staatstheorie polyzentrischer Gesellschaft" (1992: 78f.) in folgender Weise Bezug nimmt: "Bei aller Unterschiedlichkeit im Detail hat die Neokorporatismus-Debatte insgesamt doch deutlich gemacht, in welch grundsätzlicher und vielfältiger Weise der autoritative Führungsanspruch der Politik sich der Trias von Unregierbarkeiten, Implementationsdefiziten und Teilbereichsautonomien hat beugen müssen. In unterschiedlichen neokorporatistischen Arrangements ist das politische System in Kooperationsbeziehungen mit anderen Teilsystemen eingetreten und hat auf der anderen Seite diese in Prozesse der gesellschaftlichen Entscheidungsfindung mit eingebunden. In durchaus unterschiedlich erfolgreicher Weise ist damit in Konzertierten Aktionen, sozio-ökonomischen Räten, Vernehmenlassungsverfahren, Sozialpartnerschaften, Bildungs-, Wissenschafts- und Technologie-Räten etc. die Grundidee einer polyzentrischen Architektur gesellschaftlicher Ordnung praktisch geworden." Und noch eine weitere einschlägige Stelle aus Willkes Buch (ebd.: 7f.; Hervorh. von uns) sei zitiert: "Während die Zwänge der Praxis längst Koordinationsgremien, Konzertierte Aktionen, Runde Tische und Verhandlungssysteme der unterschiedlichsten Art hervorgebracht haben, während die massiven Risiken einer ungebremsten Eigendynamik der spezialisierten Funktionssysteme notdürftig durch rudimentäre Fonnen der Selbstbescheidung und Reflexion eingedämmt werden, geistern durch kleine Teile der Politikwissenschaft und große Teile der Rechts- und Staatstheorie nach wie vor die Allmachtsphantasien staatlicher Kontrolle und Steuerung gesellschaftlicher Prozesse." Nicht zu Unrecht, wie wir meinen: In diesen Ansätzen wird durchweg in Rechnung gestellt, daß sich staatliche Souveränität in verschiedenen Formen oder Verfahren zur Geltung bringen kann: Warum auch sollte der Staat seine Zwecke etwa mit brachialer Gewalt durchsetzen, wo es viel effektiver, weil sozialverträglicher, ist, die 'Betroffenen' in das Entscheidungsprocedere einzubeziehen? J. Esser, W. Fach und W. Väth haben das, was hier gemeint ist, in ihrer Studie über die politische "Krisenregulierung" (1983) in der deutschen Stahlindustrie empirisch dokumentiert. Grundbegrifflich unterscheiden die Autoren dabei zwei Fonnen staatlicher 'Steuerung': Diese "geschieht entweder 'dirigistisch', so daß sich die politische Administration auf ihr technisches Expertentum und polizeiliches Instrumentarium verläßt, um unabhängig von der 'gesellschaftlichen Produktivkraft Partizipation', im Zweifel auch gegen sie, den 'richtigen' Entwicklungsweg durchzusetzen. Oder es geschieht 'korporatistisch' mit Hilfe des Adressatenkreises staatlichen Handeln. Hier will der Staat alle Beteiligten 'an einen Tisch' bringen, um anstehende Streitfälle allgemein akzeptabel zu schlichten. Diese Strategie der 'konzertierten Aktionen' und 'tripartistischen' Runden geht davon aus, daß unter gegebenen Umständen das 'sachlich Gebotene' dank eines staatlich vennittelten 'neuen Sozialvertrags ' oder 'neuen sozialen Konsenses' effektiver ins Werk gesetzt werden kann als durch 'staatsfrei ' ausgetragene Klassenkonflikte. " (Esser et al. 1983: 21; Hervorh. im Orig.) Wie man sieht, diskutieren hier die Autoren die Frage der alternativen Durchsetzungsfonnen des 'sachlich Gebotenen' in der Perspektive ihrer 'Effektivität'! Auch bei Willke (1992: 79) finden sich Argumente, die gegen die neokorporatistische Konstruktion eines nur allzu schwachen Staates zielen: "Aufschlußreich an dieser Praxis nicht-hierarchischer, politisch induzierter gesellschaftlicher Koordination ist die Beobachtung, daß trotz des Mangels an autoritativen Eingriffsmöglichkeiten die Politik keineswegs als geschwächt oder gar handlungsunfähig erscheint. Ganz im Gegenteil: Indem sie von einer kostspieligen und widerstandsträchtigen 'big stick policy' abrückt und in verwickelten und undurch-

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Wir haben gesehen: Vor allem das Organisationsmittel der 'Steuerhoheit' ist die 'lange Leine', mit der der moderne Staat die Ökonomie an seine Zwecke zurückbindet. Und gerade weil sich der Staat aufgrund seiner über die Ökonomie errungene 'Steuerhoheit' derselben prinzipiell 'sicher' sein kann, kann er diese getrost als 'autonome' Marktwirtschaft ihren eigenen Gesetzen überlassen. Als um das 'Erwerbsmotiv' herum organisierte Konkurrenzökonomie vermag die moderne Marktwirtschaft dem Zweck der maximalen Entfesselung der Produktivkräfte der gesellschaftlichen Arbeit in idealer Weise zu entsprechen: Auf den in der Sphäre der Ökonomie produzierten Reichtum hat der Staat ja ohnehin längst seinen 'steuerhoheitlichen' Anspruch geltend gemacht. Insofern auch konnte Schumpeter (1976: 341) in seiner Auseinandersetzung mit Goldscheid mit Recht davon sprechen, daß "der Staat (mit der Steuerforderung in der Hand) in die Privatwirtschaft ein(gedrungen ist) (und) immer größere Herrschaft über sie (gewann)". Womit freilich auch gesagt ist, daß 'Privatheit' der modernen Ökonomie im Grunde eine Fiktion ist. Ihrer immanenten 'politischen Zweckstruktur' nach ist die Marktwirtschaft mehr als die bloße Privatangelegenheit der unmittelbar wirtschaftenden Akteure: Gerade als Marktwirtschaft ist die Ökonomie zu einem 'Politikum' geworden. Vom Standpunkt der durchgesetzten 'Steuerhoheit' aus erscheint die politische Instrumentalisierung der Ökonomie als selbstverständliches Faktum.

Aber genau um diese Instrumentalisierung wurden im Zeitalter des sich formierenden modernen Staates die erbittertsten Kämpfe geführt. Reichhaltiges dokumentarisches Material hat F.K. Mann (1978) in seiner Schrift "Steuerpolitische Ideale. Vergleichende Studien zur Geschichte der ökonomischen und politischen Ideen und ihres Wirkens in der öffentlichen Meinung 1600-1935"67 zusammengetragen; vorgestellt werden in dem Buch vor allem die juristischen und staatstheoretischen Konstruktionen, mit denen der emporstrebende moderne Staat versucht hat, seine 'steuerhoheitlichen' Ambisichtigen Problemlagen flexiblere Strategien sich zugesteht, ist sie gerade in Bereichen einflußreich und wirksam geworden, die bislang sich entweder administrativ-formalem Zugang sperrten oder aber als gegen die Politik erkämpfte Autonomieräume gegen jeden 'hoheitlichen' Übergriff der Politik sorgfaltig abgeschirmt wurden. Während der Laufzeit der klassischen Konzertierten Aktion galt dies für den Bereich der Tarifautonomie; dies gilt gegenwärtig z.B. im Rahmen der Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen für die Autonomie der Verbände; und dies wird in Zukunft vor allem für den Bereich der Wissenschaftsautonomie brisant werden. " 67 Manns Buch erschien zuerst im Jahre 1937; wir zitieren aus einer von der wissenschaftlichen Buchgesellschaft besorgten Neuausgabe. Von Interesse ist ferner ein Sammelband mit Beiträgen Manns zur "Finanztheorie und Finanzsoziologie" (1959).

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4. Der moderne Staat und die Marktwirtschaft

tionen durchzusetzen. In unserer folgenden Auseinandersetzung mit diesen Konstruktionen, werden wir unser Verständnis des modernem Staates weiter vertiefen können. Gleich zu Beginn seiner Schrift nimmt Mann auf die 'politischen Fundamente' der modemen Staatenwelt (1978: 1) in folgender Weise Bezug: "Die nationale Einheit der europäischen Staatenwelt ist in jahrhundertelangen Kämpfen mühsam errungen worden. Die großen Werkmeister dieses politischen Baus - die absoluten Fürsten und ihre Gehilfen - brauchten zwei Grundstoffe, Menschen und Geld: Menschen, um das Land zu besiedeln, den Gewerben und den neuaufblühenden Manufakturen Arbeitskräfte zuzuführen und die Zahl ihrer Bataillone zu vermehren; Geld hauptsächlich deshalb, weil das fürstliche Beamtentum, der Träger des Einheitsgedankens, nicht mehr mit Lehen oder anderen naturalen Werten vorliebnahm, sondern in Geld besoldet werden wollte und weil auch die Truppe nur dann ein willfähriges Werkzeug fürstlicher Machtpolitik blieb, wenn sie reichlich verpflegt und gekleidet wurde und außerdem einen Entgelt in barer Münze erhielt. Deshalb war der Ersatz der Feudalheere durch Soldtruppen und späterhin durch Volksheere nicht zuletzt eine Finanzfrage; oft genug mußten nunmehr 30-70 v.H. der gesamten Staatsausgaben für Heereszwecke verwandt werden. "68 Um sich die beiden, wie Mann sich ausdrückt, 'Grundstoffe': Menschen und Geld zu verschaffen, mußte sich der nach politischer Souveränität strebende Staat mit eben jenen Rechtstiteln und Legitimationsfiguren ausstatten, die ihm einen legitimen Zugriff auf die gesellschaftlichen und ökonomischen Ressourcen versprachen. Mit Bezug auf die materielle Sphäre ('Geld'), die uns natürlich vorrangig interessiert, ging es dabei vor allem darum, der Bevölkerung und den 'Ständen' das 'Steuerbewilligungsrecht' abzutrotzen: Im 17. und 18. Jahrhundert mußten die staatlichen Akteure die Bevölkerung "erst an eine regelmäßige fiskalische Beanspruchung gewöhnen" (ebd.: 22). Mann (ebd.: 10; Hervorh. im Orig.) verweist darauf, daß sich schon in Th. Hobbes' "Leviathan" (1984; urspr. 1651) erste Versuche finden, die fiskalischen Ansprüche des Staates zu legitimieren: "Seine (nämlich Hobbes'; B.K.) Verklärung der absoluten Herrschergewalt räumte alle Bedenken hinweg. Durch den Unterwerjungsvertrag erhält der Machthaber das ursprüngliche Recht auf alles, was die Einzelnen aufgegeben haben. Er ist durch kein Gesetz gebunden. Sein Wille ist der 68 Mann verweist in diesem Zusammenhang auf G. Schmollers Beitrag "Historische Betrachtungen über Staatenbildung und Finanzentwicklung " (1909).

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Staatswille. Er gibt auch die allgemeinen Regeln über das Eigentum; er definiert das Mein und Dein. Niemand kann sich ihm gegenüber auf das Privateigentum berufen; denn, bevor die höchste Gewalt geschaffen war also im Naturzustande - gab es kein Privateigentum. Jeder hatte ein Recht an jedem Gut; das war die Ursache des bellum omnium contra omnes. " In der Perspektive der Konstruktion Hobbes' holt sich der Souverän in der Form der Steuer nur einen Teil dessen zurück, was er den Bürgern qua Setzung als Privateigentum überhaupt erst gegeben hat. Selbiges entpuppt sich damit gleichsam als staatliches 'Lehen' ,69 dem als solchem keinerlei (etwa naturrechtlich zu begründende) Eigenlegitimität innewohnen kann. Ganz in diesem Sinne war auch, worauf F. Neumark (1952: 610) hingewiesen hat, der Kriegsminister Ludwigs XIV. Louvois davon überzeugt, daß "die Untertanen, wenn sie Steuern zahlen, dem Herrscher in Wirklichkeit nichts geben, was diesem nicht schon vorher gehört hätte. " Wenn Mann (1978: 11) nun darauf verweist, daß es "für die praktischen Staatsmänner ... leicht (war), die steuerpolitischen Folgerungen" aus der Hobbesschen Konstruktion des politischen Unterwerfungsvertrags zu ziehen, so überrascht uns das nicht. Insbesondere J. Law, so Mann (ebd.), hätte sich als "leidenschaftlicher Verfechter des politischen Absolutismus" hervorgetan und "jede Form des ständischen oder parlamentarischen Steuerbewilligungsrechtes zurück(gewiesen). Der König hätte", referiert Mann (ebd.) die Lawsche Position, '''die absolute Gewalt', diejenigen Steuern, die er für zweckmäßig hielt, einzuführen, wie er umgekehrt jede unzweckmäßige Steuer beseitigen könnte. " Die wichtigste und wohl auch aufschlußreichste Legitimationsfigur mit Blick auf die Problematik der Durchsetzung der 'Steuerhoheit ' war freilich die auf H. Grotius zurückgehende, juristische Konstruktion eines 'dominium eminens' (vgl. Mann 1978: llff.), welches dem staatlichen Souverän das Recht zubilligt, "im öffentlichen Interesse die Grenzen der Eigentumsordnung zu überschreiten" (ebd.: 12). Mann (ebd.) führt hierzu folgendes aus: "Das dominium eminens, das dem Staat zusteht und vom Inhaber der souveränen Gewalt ausgeübt wird, erstreckt sich auf alle Güter, die den Untertanen gehören. Folglich kann der Staat oder der Souverän diese Güter gebrauchen, sie sogar zerstören oder verkaufen; und zwar nicht allein im Falle der äußersten Not (in welcher nämlich auch dem Einzelnen ein glei69 Neumark (1952: 611) weist darauf hin, "daß im Zeitalter des Absolutismus ... alles Eigentum der Bürger nur als eine Art Leihgabe des Fürsten galt".

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4. Der moderne Staat und die Marktwirtschaft

ches Recht gegenüber fremden Gütern zusteht!), sondern auch dann, wenn es der öffentliche Nutzen erfordert ('ob publicam utilitatem'); denn von denjenigen, die sich zur bürgerlichen Gesellschaft zusammengeschlossen haben, darf angenommen werden, daß sie auch ihre privaten Interessen dem öffentlichen Wohl aufopfern wollten. " Daß den maßgeblichen Akteuren des emporstrebenden Staates die Konstruktion des dominium eminens sehr gelegen kam, um die Durchsetzung der 'Steuerhoheit' in legitimatorischer Hinsicht abzustützen, muß unmittelbar einleuchten. Mann (ebd.) hierzu: "Es bedurfte keines weiten Umweges, um aus dem dominium eminens auch das Recht des Staats und des Souveräns zur Erhebung von Steuern und zur öffentlichen Nutzung von Privatgütern abzuleiten; wobei allerdings wiederum vorausgesetzt wurde, daß die Beschränkungen des Privateigentums durch die 'salus reipublicae' erfordert würden." Für die Konstruktion dieses zukunjtsweisenden Übergangs zum 'Recht auf Besteuerung' haben sich vor allem Autoren wie S. Pufendorf, J.C. Becmanus, J.F. Horn oder auch J.F. Döhler verdient gemacht. Mann (ebd.: 13.) weist hier darauf hin, daß das dominium eminens allmählich seinen Status eines "strittigen Sonderrechtes" verlor und immer mehr zu einem "alle Majestätsrechte gleichmäßig durchdringende(n) 'modus universalis'" wurde (ebd.: 13f.): "Der Fürst ist ein Ebenbild Gottes auf Erden ('un image de Dieu en terre')7o oder ein Pro-Deus und kann daher unbedingten Gehorsam fordern. Darum ist das Dominium eminens das Ebenbild des Dominium excellenciae, das Gott an allen irdischen Gütern, also auch am Privateigentum zusteht. Es ist ein intermediäres Recht, gleichsam eingeschoben zwischen dem göttlichen Dominium excellenciae und den gewöhnlichen menschlichen Nutzungsrechten. " Zusammenfassend kommt Mann (ebd.: 15) mit Blick auf das dominium eminens zu folgendem, von uns unmittelbar nachvollziehbarem, Urteil: "Wir brauchen kaum zu schildern, wie mit Hilfe dieser Konstruktion das Steuerbewilligungsrecht der Stände beiseite geschoben werden konnte: wenn die Stände die erbetenen Zwangsabgaben verweigerten, berief sich der Landesherr auf die Rechte der Majestät. Das außerordentliche Besteuerungsrecht war die logische Folgerung aus der 'obristen Herrschaft über 70

Mann zitiert hier Sully, "Sages et royales oeconomies d'Estat", 1837.

4.3 Der Siegeszug der Marktwirtschaft

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der Untertanen Vermögen'. So kam das Theorem vom Dominium eminens allen Bestrebungen entgegen, das absolutistische Regiment durch Unterhöhlung der ständischen Macht zu festigen - wenn es nicht noch darüber hinaus als bequeme Ausflucht fiskalischer Willkürherrschaft diente. " Für unseren Darstellungszweck ist es nun freilich nicht erforderlich, die 'steuerpolitischen Ideale' seit dem 17. Jahrhundert bis in unsere heutige Zeit Revue passieren zu lassen; der entsprechend interessierte Leser sei diesbezüglich auf die Mannsehe Schrift verwiesen. Hingewiesen werden soll an dieser Stelle allerdings darauf, "daß sich", wie Mann (ebd.: 332f.) gegen Ende seiner Darstellung schreibt, "die politische Ideologie des beginnenden 20. Jahrhundert schrittweise den Gedankenbahnen des 17. Jahrhunderts angenähert hat"; unseres Erachtens ein Zeichen für die ungebrochene Aktualität der ursprünglichen steuerpolitischen Legitimationsfiguren. Im Unterschied zu früheren Zeiten wirken diese heutzutage allerdings gleichsam unter der Hand: Längst ist die' Steuer' zu einem Institut geworden, das als solches nicht mehr strittig ist und im öffentlichen Diskurs auch keiner eigenen legitimatorischen Rechtfertigung mehr bedarf. Symptomatisch dafür scheint uns nicht zuletzt die von uns immer wieder bemühte Krügersche "Allgemeine Staatslehre" zu sein, in der ganz selbstverständlich davon ausgegangen wird, daß sich das eminente Phänomen politischer Souveränität ohne den Rekurs auf eine 'General- und Blankovollmacht' des Staates auf 'Leben' und vor allem 'Gut' der Bürger schlechterdings nicht denken läßt. Aber, und das ist entscheidend: Auch wenn wir bei der Lektüre der Krügersehen Schrift zunächst befremdet sein mögen, so ist es doch nur die politische Wirklichkeit, die hier auf ihren Begriff gebracht wird. Krüger macht uns klar, was der 'modeme Staat' ist, mit welchen Ansprüchen er auftritt, und was er von uns Bürgern nicht nur legitim fordern darf, sondern, in unserem eigenen Interesse als Staatsbürger, auch fordern muß. Das dominium eminens, um welches in früheren Jahrhunderten die heftigsten Diskussionen und Kämpfe geführt wurden, ist heute in Gestalt des vermittels der spezifischen Organisationsmittel: 'Steuerhoheit ' und 'Enteignungsrecht' durchgesetzten prinzipiellen Anspruchs des Staates auf den gesellschaftlichen Reichtum venvirklicht. Diese beiden Institute binden die 'autonome Marktwirtschaft' als 'Politikum' an die staatlichen Interessen und Zwecksetzungen. Und wenn es erlaubt sein sollte, noch einmal auf Mann (1978: 39) zu verweisen, der daran erinnert, daß "im 16. und 17. Jahrhundert ... viele (glaubten), die Einrichtung (der Steuer) grundsätzlich verneinen zu dürfen",

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4. Der moderne Staat und die Marktwirtschaft

und "noch bis ins 18. Jahrhundert hinein ... die Ansicht verteidigt (wurde), daß das Steuerzahlen eine unnatürliche Neuerung wäre, die höchstens im Notfall gerechtfertigt werden könnte" (ebd.: 40), dann mag man ermessen, welch ungeheure Leistung der modeme Staat vollbracht hat, uns "an die Besteuerung als Dauereinrichtung (zu gewöhnen)" (ebd.: 39),71 uns so weit zu bringen, daß wir die Legitimität seines prinzipiellen Anspruchs auf den gesellschaftlichen Reichtum fraglos akzeptieren: Damit ist die in ihrer Produktivität unschlagbare Marktwirtschaft als 'Steuerquelle ' für den modemen Staat zur 'Reichtumsquelle' par excellence geworden; und in der Tat zu jener unerschöpflichen 'Goldgrube', von der die Merkantilisten und Kameralisten der früheren Jahrhunderte nur träumen konnten.

4.4 Zusammenfassung: Moderner Staat, Ökonomie und die 'politische Vermittlung' der Produktions-und Reproduktionsbedingungen in der Marktwirtschaft In unserer historisch-systematisch orientierten Rekonstruktion des Verhältnisses von modernem Staat und marktwirtschaftlicher Ökonomie haben wir gesehen, welch großes Interesse der im System der europäischen Staatenkonkurrenz 'groß gewordene' modeme Nationalstaat hatte, die unmittelbar vorgefundenen, überkommenen Produktionsweisen der Agrar- und vor allem Handwerkswirtschaft in der Perspektive der Förderung und Einrichtung einer 'dynamischen' Marktwirtschaft zu 'reformieren'. Dieses Interesse des Staates an einer produktiven Ökonomie ist freilich bis auf den heutigen Tag aktuell und wirtschaftspolitisch bestimmend geblieben: Im Interesse der Versorgung der Bevölkerung wie der Sicherung seiner eigenen Existenz ist der modeme Staat

71 Im Zusammenhang (ebd.: 39): "Ob die Steuer ein natürliches staatliches Hilfsmittel war, dessen regelmäßige Anwendung außerhalb jeder Erörterung stand, oder ein Zeichen politischer Entartung, eine Anomalie, die so bald als möglich wieder ausgerottet wurde? Den späteren Jahrhunderten ist der Sinn für die Ernsthaftigkeit der Frage verlorengegangen. An die Besteuerung als Dauereinrichtung gewöhnt, hielten sie die Alternative für eine müßige Spekulation weltfremder Theoretiker. Wer wollte die Notwendigkeit der Besteuerung als regelmäßiger Staatseinnahme bezweifeln? Das 16. und 17. Jahrhundert dachten anders; teilweise sogar noch das 18. Jahrhundert. Vornehmlich im Zeitalter des Absolutismus lehnte nicht nur das Volk, sondern auch die Mehrheit der Wissenschaftler die Besteuerung als Dauerzustand ab." - In seinem Beitrag "Financial Policy and Economic Infrastructure of Modem States and Nations" macht G. Ardant (1975: 194) auf das für frühere Jahrhunderte charakteristische Phänomen der 'tax revolt' aufmerksam: "If one leaves aside religious movements, it is striking that most of the rebeJIions in European states from the fourteenth to the seventeenth, or even the eigtheenth century, were tax revolts. "

4.4 Zusammenfassung

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auf Gedeih und Verderb auf eine leistungsfähige Ökonomie angewiesen, die ihm die 'materiellen Mittel' für die erfolgreiche Auseinandersetzung mit den "heute mehr denn je bedrohlichen äußeren und inneren Lagen" (Krüger 1966: V) zur Verfügung stellen kann. Und damit sie das auch tut, hat sich der Staat vor allem mit dem Organisationsmittel der 'Steuerhoheit' ausgestattet. Vermittels dieses spezifischen Organisationsmittels soll sichergestellt werden, daß der gesellschaftlich produzierte Reichtum prinzipiell auch und gerade für seine Zwecke realiter zur Verfügung steht: Im modernen "Wirtschaftsstaat" (ebd.: 809) ist "die Wirtschaft ... ein Stück der Existenz des Staates" (Krüger 1970c: 243); so sehr, daß, folgen wir dem Staatsrechtler Krüger (ebd.: 240), "in der Gegenwart" nicht einmal "juristisch ... Souveränität, diese markante Eigenschaft des Staates, ... ohne Blick auf die Wirtschaft gedacht werden (kann)". Deshalb sorgt sich der moderne Staat um die Leistungsflihigkeit seiner 'materiellen Basis', auf die er als 'Staatsökonomie' Bezug nimmt: Er setzt und erhält die Wirtschaft als produktive Marktwirtschaft. Moderner Staat und Marktwirtschaft treten von Anfang an als 'Partner' auf. Was auch seinen guten Grund hat: Schließlich ist die Marktwirtschaft als 'produktive Reichtumsquelle' unschlagbar, wie die klassischen 'politischen Ökonomen' den Reformpolitikern des 19. Jahrhunderts vorschwärmten und deren neoklassische Enkel und Urenkel bis auf den heutigen Tag nicht müde werden wieder und wieder zu beteuern. Und das, obwohl heute nun wirklich niemand mehr im Ernst daran zweifeln mag; und die Marktwirtschaft, nach dem Zerfall des Ostblocks, endgültig zur unangefochtenen number one der 'Welthitliste' der Produktionsweisen aufgestiegen ist. Konstitutiv für die 'Produktivität' der Marktwirtschaft ist das 'Konkurrenzprinzip'. Dieses sorgt dafür, daß die 'Wirtschaftsgesinnung' nicht mehr allein und vorwiegend auf den unmittelbaren Bedarf (die 'Nahrung') der einzelnen

Produzenten selbst bezogen bleibt, sondern sich wesentlich auf die Produktion allgemeinen, abstrakten und in der Tat gesellschaftlichen Reichtums richtet, den (zumindest eine gehörige Portion desselben) sich der Staat, unter Rekurs vor allem auf das Institut der 'Steuerhoheit' als Nationalreichtum, legitim anzueignen vermag. Gerade dieses Institut löst die Aufgabe, die ökonomischen Aktivitäten der unmittelbaren Wirtschaftsakteure an den staatlichen Zweck zurückzubinden; es gewährleistet, daß sich die marktwirtschaftliche Ökonomie auch und gerade als politische Ökonomie zu bewähren vermag.

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4. Der moderne Staat und die Marktwirtschaft

Daß sich nun gerade die Marktwirtschaft in optimaler Weise als Staatsökonomie zu bewähren vermag, muß auf den ersten Blick etwas verwundern. Immerhin zeichnet sich diese Wirtschaftsform ja durch ihr Strukturprinzip der 'Privatautonomie' aus; und namentlich dadurch, daß es in ihr eigennützig jedem nur um sich selbst zu tun ist. Dem näheren Zusehen enthüllt sich jedoch gerade der Eigennutz der Individuen als idealer Transmissionsriemen für die Verwirklichung des Allgemeinwohls. Es ist das (vermeintlich bloß) individualwirtschaftliche Kriterium der 'Rentabilität', das die Marktwirtschaft als gesamtökonomischen Systernzusarnmenhang realisiert: In der arbeitsteiligen Marktwirtschaft haben die allseitig voneinander abhängigen Individuen wirtschaftlichen Erfolg nur in dem Maße, in dem sie ihr Handeln an der gesellschaftlichen Nachfrage orientieren und in ihrer Produktion den allgemein erreichten Technologiestandards genügen. So garantiert die marktwirtschaftliche Konkurrenz, daß sich die Individuen im Eigeninteresse für die Produktion und Beförderung des allgemeinen Reichtums, auf den sich der Staat als nationalen Reichtum bezieht, engagieren. In materieller Hinsicht ist der moderne Staat wesentlich 'Steuerstaat'. Als solcher schätzt er freilich die Marktwirtschaft nicht nur ihrer immensen Produktivität halber, sondern vor allem auch wegen der spezifischen Form, in der diese den ökonomischen Reichtum produziert: Es ist abstrakter oder eben Geldreichtum, der als solcher problemlos aus der Ökonomie abgeschöpft werden kann. Auch deshalb war und ist der moderne Staat an der Einrichtung und Erhaltung der Wirtschaft als Marktwirtschaft interessiert: Weil in ihr, wie sie nicht nur Tausch-, sondern vor allem Geldwirtschaft ist, der Reichtum in unmittelbar 'besteuerbarer' und dem staatlichen Zweck optimal entsprechender Form produziert wird.72 Als Geldreichtum liegt der in der Form der 72 Auf den integralen Zusammenhang von modernem 'Steuerstaat' und 'Geldwirtschaft' ist in der Literatur immer wieder hingewiesen worden: Schließlich ist die moderne Steuer ihrem Wesen nach Geldsteuer! Vgl. hierzu etwa Schumpeter (1976: 341): "Ohne das finanzielle Bedürfnis hätte der unmittelbare Anlaß zur Schöpfung des modernen Staats gefehlt. Daß dieses Bedürfnis auftrat und daß gerade die Methode der Steuerforderung gewählt wurde, um es zu befriedigen, erklärt sich einerseits aus dem Zersetzungsprozesse mittelalterlicher Lebensformen, der durch alle Zwischenursachen hindurch sich sehr wohl auf die Umbildung der Bedingungen der Wirtschaft zurückführen läßt und in die freie Individualwirtschaft der einzelnen Familien ausmündet. Deshalb öffnet sich dieser Art, die Dinge zu betrachten, ein Weg zu den tiefsten Gründen des sozialen Geschehens: Die Steuer ist keine bloße Oberflächenerscheinung, sie ist ein Ausdruck dieses Geschehens, das sie in einer bestimmten Richtung resümiert. Die Steuer hat den Staat nicht nur mitgeschaffen. Sie hat ihn auch mitgeformt. Das Steuerwesen war das Organ, dessen Entwicklung die der anderen Organe mitzog. Mit der Steuerforderung in der Hand drang der Staat in die Privatwirtschaft ein, gewann er immer größere Herrschaft über sie. Und die Steuer bringt Geldwirtschaft und rechnenden Geist in Ecken, wo sie noch nicht hausen, und

4.4 Zusammenfassung

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'Geldsteuer' vom Staat beanspruchte nationale Reichtum in der Form seiner allgemeinen und universellen Einsetzbarkeit vor und eignet sich gerade so ideal als jenes 'Mittel', das der Staat für die Auseinandersetzung mit 'bedrohlichen Lagen' in ihrer prinzipiell unabsehbaren Variation in Anschlag zu bringen in der Lage sein muß. Die modeme Marktwirtschaft fungiert also nicht nur insofern als die materielle Basis der Souveränität des Staates, als sie diesen mit einem unermeßlichen Reichtum an Mitteln auszustatten vermag; die Pointe ist vielmehr, daß sie dem Staat den Reichtum als Geldreichtum, und das heißt: in der zweckdienlichsten Form seiner universellen Verwendbarkeit zur Verfügung stellt. An dem "Kompagniegeschäft" (Sombart) mit der Marktwirtschaft ist der modeme Staat vor allem wegen deren Produktivität interessiert: Mittels eines ganzen Arsenals von Ordnungsmitteln und Ordnungsleistungen (Eigentums-, Vertrags-, Patent-, Erb-, Wettbewerbs-, Arbeitsrecht usw.; Wirtschafts-, Geld-, Sozial-, Vollbeschäftigungspolitik usw.) setzt und erhält er im wohlverstandenen Eigeninteresse die Wirtschaft als Marktwirtschaft. 73 Um ein Bild von C. Offe (1975: 10) ins Spiel zu bringen: "Der Staat entwickelt und unterhält sozusagen die Gleisanlagen des gesellschaftlichen Verkehrs"; wenn wir präzisieren dürfen: die des 'marktwirtschaftlichen Verkehrs'. Auf diesen 'Gleisanlagen' hat sich das ökonomische Geschehen abzuspielen: Für die priwirkt so fonnend auf den Organismus zuruck, der sie entwickelt hat. Über ihre Art und Höhe entscheidet die soziale Struktur, aber sie wird, einmal da, eine Handhabe, an der soziale Mächte anfassen können, um diese Struktur zu ändern." - Namentlich M. Weber hat mit allem Nachdruck auf den konstitutiven Zusammenhang von moderner 'Geldwirtschaft' , 'Steuersystem' und bürokratischer Herrschaft des modemen Staates hingewiesen. In "Wirtschaft und Gesellschaft" (1980: 558f.; Hervorh. im Orig.) heißt es hierzu: "Wenn also auch die volle Entwicklung der Geldwirtschaft keine unentbehrliche Vorbedingung der Bürokratisierung ist, so ist diese doch, als eine spezifisch stetige Struktur, an eine Voraussetzung geknüpft: das Vorhandensein stetiger Einnahmen zu ihrer Erhaltung. Wo diese nicht aus dem privaten Profit - wie bei der bürokratischen Organisation moderner Großunternehmungen - oder aus festen Grundabgaben - wie bei der Grundherrschaft - gespeist werden können, ist also ein festes Steuersystem Vorbedingung der dauernden Existenz bürokratischer Verwaltung. Für dieses aber bietet die durchgeführte Geldwirtschaft aus bekannten allgemeinen Grunden die allein sichere Basis." - Schließlich sei noch auf G. Ardant (1975: 166; Hervorh. im Orig.) verwiesen, der in einem Beitrag über "Financial Policy and Economic Infrastructure of Modern States and Nations" darauf aufmerksam gemacht hat, daß "an analysis of the system of taxation in contemporary times as weil as in the past shows that tax collection and assessment are indissolubly linked to an exchange economy." 73 Einen entsprechenden Nachweis zu führen, darum war es Sombart (1928d: 847; 2. Bd., 2. Hbd.) in seinem "Modernen Kapitalismus" zu tun. Hier lesen wir: "Aber gerade das ist ja eines der wichtigsten Erkenntnisse, die dieses Werk zutage fördern soll: daß das moderne Wirtschaftsleben zu einem guten Teile sein Dasein der rucksichtslosen Durchsetzung des modernen Staatsinteresses verdankt und daß es grundverkehrt ist, den modernen Kapitalismus aus bloß chrematistischen Ursachen ableiten zu wollen."

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4. Der modeme Staat und die Marktwirtschaft

vaten Wirtschaftsakteure bedeutet das, daß sie in ihrem Wirtschaftshandeln die 'Ordnung der Marktwirtschaft' als Datum zu respektieren haben. Dafür steht der Staat nicht nur mit seinem "Organisationsmonopol" (ebd.: ), sondern schließlich auch mit seinem "Gewaltmonopol " (M. Weber) ein. Damit erweist sich gerade in der 'autonomen Marktwirtschaft' das Wirtschaftsleben durch staatliche Ordnungsmittel und Ordnungsleistungen in einem hohen Maße reguliert; und vermittels derselben, kann man sagen, ist der Staat selbst "in der Wirtschaft existent" (Krüger 1970c: 243).74 Mit anderen Worten: Die Bedingungen, unter denen die Individuen in der Marktwirtschaft produzieren und sich reproduzieren, sind wesentlich politisch bzw. staatlich gesetzt und vermittelt, was natürlich auch für 'unsere' Kleinunternehmer gilt. Diesen Sachverhalt mit Bezug auf die Interessen des modernen Staates an seiner 'ökonomischen Basis' zu verdeutlichen, darum ging es in diesem Abschnitt. Dabei haben wir freilich auch gesehen, daß die ökonomischen Interessen und Zwecke des modemen Staat vor allem auf die Entfesselung und Förderung der 'Produktivität' der Wirtschaft fokussieren. Und genau das kommt in der Spezifität seiner Ordnungsleistungen für die Wirtschaft zum Ausdruck.

74 Zu Recht geht A. Giddens (1981: 165) davon aus, daß in vorrnodemen Gesellschaften (' class-divided societies') Staat und Gesellschaft weit weniger innig miteinander verbunden sind als in modemen: "The state in class-divided societies was far more 'separate' from the rest of society - or, put negatively, the degree of penetration of the day-to-day life of the majority of the population was much lower - than in capitalism. "

5. Der moderne Staat und die kleinen Unternehmen: Das Beispiel der Bundesrepublik Deutschland seit 1949 5.1 Vorbemerkung

Vor dem Hintergrund der im vierten Kapitel geleisteten Rekonstruktion des Verhältnisses von modernem Staat und marktwirtschaftlicher Ökonomie überhaupt, gilt es nun spezifischer das Verhältnis zwischen dem Staat und den kleinen selbständigen Unternehmen zu untersuchen: Gestellt ist damit die Forschungsfrage nach der politischen Konstitution und Vermittlung der Reproduktionsbedingungen und Erjolgschancen kleiner Unternehmen in der fortgeschrittenen Industriegesellschajt. Entsprechend der 'politikzentrierten' Logik unseres Forschungsansatzes geht es in diesem Kapitel zunächst darum, empirisch nachzuzeichnen, wie sich das eigentümliche Interesse des modemen Staates an der marktwirtschaftlichen Ökonomie überhaupt in dessen Bezugnahme auf den klein- und mittelbetrieblichen Produktionssektor konkretisiert. Im 4. Kapitel haben wir uns einen Begriff davon machen können, wie sehr das Wirtschaftsleben gerade in der modemen Marktwirtschaft von politischen Interessen abhängig ist, wie weitgehend und tiefgreifend es von entsprechenden staatlichen Ordnungsleistungen 'reguliert' wird: Eine Einsicht, die auch mit Blick auf den kleinbetrieblichen Sektor Gültigkeit beanspruchen wird dürfen. Von dieser Einsicht aus gewinnen wir natürlich, gegenüber den üblichen Ansätzen der Kleinbetriebsforschung, einen tieferen Zugang zur Problematik der Analyse und Bestimmung der Reproduktionsbedingungen und Erfolgsaussichten kleiner Betriebe in modemen Gesellschaften, die sich uns so in ihrer wesentlichen politischen Determiniertheit erschließen. Im letzten Kapitel haben wir auch gesehen, wie sehr das 'ökonomische Interesse' des modemen Staates vor allem auf eines zielt: Auf die (Erhaltung und Förderung der) Leistungsfähigkeit der Ökonomie, welche im Maße eben ihrer 'Reichtumsproduktivität' als die materielle Basis der Existenz und Souveränität des Staates zu fungieren vermag. Ausgehend von dieser grundlegenden Erkenntnis muß die folgende These nicht weiter überraschen: Wir gehen

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5. Staat und Kleinunternehmen in der Bundesrepublik

davon aus, daß der modeme Staat kein spezielles Interesse an den kleinen und mittleren selbständigen Unternehmen als solchen hat. Und das bedeutet, um vorerst nur einen besonders geläufigen Aspekt plakativ herauszugreifen, daß der oft von Kleinunternehmern selbst an die Adresse des Staats gerichtete Wunsch nach einer betriebsgrößenspezifischen Förderung bzw. nach einer wirtschaftspolitischen Korrektur etwaiger Konkurrenznachteile gegenüber größeren Unternehmen sich immer an den staatspolitischen Interessen zu 'relativieren' hat. Woran der Staat ein vorrangiges (freilich keineswegs ausschließliches) Interesse hat, ist die Produktivität seiner Ökonomie; und im Interesse der Stärkung derselben wird er sich grundSätzlich davor hüten, kleinbetriebliche Konkurrenzreservate einzurichten; von den Klein- und Mittelunternehmern erwartet er vielmehr, daß sie sich, genau wie alle übrigen Wirtschafts akteure auch, mit aller zu Gebote stehenden Kraft für das gesellschaftliche und nicht zuletzt staatliche Allgemeinwohl engagieren. Dabei ist es, wie wir schon im letzten Kapitel gesehen haben, gerade das "Erwerbsstreben", von dem sich der Staat, so H. Krüger (1966: 601) in seiner "Allgemeinen Staatslehre", "ein Höchstmaß an wirtschaftlicher Produktivität" erhofft; weshalb sich der Staat ja auch, mit Blick auf die verschiedenen Möglichkeiten der 'Organisation' einer Volkswirtschaft, "für die Marktwirtschaft entschieden hat" (ebd.: 465), in welcher diesem 'Motiv' eben die notwendigen Frei- und Wirkräume institutionell eröffnet werden. Daß besagter "Erwerbstrieb des Privatmannes" als "Motor der Marktwirtschaft" (ebd.: 464) in der modemen Gesellschaft "geradezu zu einem Motiv öffentlicher Erheblichkeil" (ebd.: 601) geworden ist und "durch Wettbewerb, aber auch durch staatliche Hilfen hochgezüchtet" (ebd.: 465) wird, muß uns nach unserer Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Staat und Ökonomie nicht verwundern. Die Aktualisierung dieses Motivs fordert der Staat von den Wirtschaftsakteuren, zumal von den Unternehmern, gleichviel ob 'groß' oder 'klein': "(Z)ur letzten Anstrengung im Wettbewerb" (ebd.: 426) sollen diese sich aufraffen und sich so gleichsam als 'Funktionäre' der Produktion nationalen Reichtums betätigen. l Wenn wir nun untersuchen wollen, inwiefern und inwieweit die Reproduktionsbedingungen und Erfolgschancen kleiner bzw. mittelständischer Unter1 Das ist die politische Funktion des unternehmerischen Eigentums in der modemen Marktwirtschaft: "Initiative und Intelligenz -, das sind konkret gesprochen diejenigen beiden Eigenschaften, die das Eigentum dem Unternehmer zu seinem Nutzen und dadurch zum Nutzen der Gesamtwirtschaft vermitteln soll." (ebd.)

5.1 Vorbemerkung

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nehmen in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft politisch gesetzt bzw. vermittelt sind, wollen wir uns aus forschungspragmatischen Gründen auf den Beispielfall der bundesrepublikanischen Gesellschaft konzentrieren, die gewonnenen Resultate freilich in einer 'generalisierten' Perspektive interpretieren. Die Konzentration auf die Bundesrepublik bietet sich nun nicht nur aus 'pragmatischen' Gründen an, sondern vor allem deshalb, weil man hier, nach dem verlorenen Weltkrieg und dem Zusammenbruch der Naziherrschaft, in der Tat einen radikalen gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Neuanfang versucht hat. Wir dürfen hier an das dritte Kapitel unserer Studie erinnern, in welchem das prominente Ordnungskonzept W. Euckens vorgestellt wurde: Dort hatten wir gesehen, wie Eucken, unmittelbar nach dem Krieg und unter dem Eindruck der nicht nur in Nazideutschland, sondern auch in den anderen führenden Industrieländern kriegswirtschaftlich forcierten industriellen Großstrukturen von den maßgeblichen staatlichen Akteuren die ordnungs- und wettbewerbspolitische Durchsetzung der 'Wettbewerbsordnung' (der 'vollständigen Konkurrenz') forderte. Entscheidend ist nun die Einsicht, daß dieses Ordnungsideal eigentümlich mittelständisch geprägt bzw. zugeschnitten war: Die Durchsetzung und Kontinuierung des Euckenschen Konzepts liefe darauf hinaus, die modeme Wirtschaft so zu 'ordnen', daß auch die kleinen selbständigen Unternehmer und Gewerbetreibenden prinzipiell ihr 'gesichertes Auskommen' finden könnten, jedenfalls der so bedrängenden Konkurrenz mit 'den Großen' von vorneherein enthoben wären. In einem Wort: Die Venvirklichung des Euckenschen Ordnungsideals hätte die endgültige (und zwar: politische) Negation der Prognose vom notwendigen Niedergang der Kleinbetriebe bedeutet. An dieser Stelle ist es vielleicht angebracht, wenigstens in knapper Form noch einmal an die Gründe und Triebkräfte zu erinnern, die Eucken seinerzeit dazu gebracht haben, so emphatisch auf das Ordnungsideal der 'Wettbewerbsordnung' zu setzen: Geschult an den Argumentationsfiguren der neoklassisehen Ökonomik, störte sich Eucken an den für 'monopolistische' und 'konzentrierte' Wirtschaftsstrukturen so charakteristischen Gleichgewichtsstörungen (natürlich denkt er hier vor allem an Störungen des für die 'Lenkung' der Produktion in der Marktwirtschaft zentralen Preismechanismus) und sozialen Ungerechtigkeiten; von seiner Kritik aus gelangte er dann fast zwangsläufig zu der Erkenntnis, daß man die besagten Disbalancen vermeiden könnte, 14 KießIing

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5. Staat und Kleinunternehmen in der Bundesrepublik

wenn man nur wettbewerbspolitisch rigoros genug die Zusammenballung wirtschaftlicher Einheiten und die Konzentration ökonomischer Macht verhinderte. In dieser Perspektive wandte sich Eucken mit seinen "Grundsätzen der Wirtschaftspolitik" vor allem an die politisch maßgeblichen Akteure des 'Neuanfangs' selbst, um diese davon zu überzeugen, daß man die Gunst der Stunde dafür nutzen sollte, um die Wirtschaft, wenigstens in Deutschland, auf mittelständischer Basis zu reorganisieren. Mit seinem Ende der 40er Jahre vorgestellten ordnungspolitischen Programm verlangte Eucken vom Staat also nicht weniger, als daß dieser radikal von seiner über hundertjährigen Praxis der Tolerierung und Förderung der für die modeme Marktwirtschaft typischen Konzentrationsprozesse abrückt. Eucken selbst mußte ja, wie wir im 3. Kapitel unserer Studie gesehen haben, in Rechnung stellen, daß die führenden Industriestaaten betriebliche Konzentrationsprozesse nicht nur hingenommen, sondern, oft genug (aber nicht nur) in kriegswirtschaftlichen Hinsichten, massiv gefördert haben. Bevor wir näher untersuchen wollen, auf wieviel Entgegenkommen Eucken mit seinem Ordnungsideal bei den politischen 'Machern' der bundesrepublikanischen Nachkriegsordnung gestoßen ist (Abschnitt 5.3), sei noch einmal darauf hingewiesen, wie sehr das Leitbild des 'industriellen Großbetriebs' seit je die ökonomische Vorstellungswelt der Politiker bestimmte. In unserem, im zweiten Kapitel vorgestellten, theorie- und problemgeschichtlichen Rück- und Überblick (insbesondere Abschnitt 2.2.2) haben wir ja gesehen, daß gerade der mainstream der modemen Neoklassik eigentlich nie am Großbetrieb als dem nonplusultra ökonomischer Produktivität und Effizienz gezweifelt hat: Und die Politiker, beeindruckt und beeinflußt vom Sachverstand ihrer ökonomischen Ratgeber, haben natürlich nicht lange gezögert, vor allem im Interesse der ihnen besonders am Herzen gelegenen Produktivität der Volkswirtschaft insgesamt, das Leitbild des Großbetriebs auf ihre 'wirtschaftspolitischen Fahnen' zu schreiben: Nur einer im Kern großbetrieblich organisierten Ökonomie trauten sie die Produktion jenes nationalen Reichtums zu, ohne welchen, wie sie meinten, weder die Versorgung der Bevölkerung noch die Existenz des Staates insgesamt und überhaupt zu sichern sei. Erst und allein der Großbetrieb, das konnten die politisch Verantwortlichen ja schon in den Schriften der Klassiker nachlesen, erlaubt die betriebsinterne Arbeitsteilung, Funktionsspezialisierung, Mechanisierung und Automatisierung und damit eine enorme Steigerung der Produktivität der nationalen Wirtschaft.

5.1 Vorbemerkung

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Von daher gesehen muß es uns nicht verwundern, wenn Sombart (1928d: 847; 2. Bd., 2. Hbd.) in seinem "Modemen Kapitalismus" einen "starken Willen des modemen Staates, in seinem Bereiche eine Großindustrie zur Entfaltung zu bringen"', ausmachen wollte: Wenn man sich schon für die Marktwirtschaft entschied, dann wollte man sie auch in ihrer 'großbetrieblichen Gestalt'. Insofern ging es schon den marktwirtschaftlichen Reformern des 19. Jahrhunderts nicht nur darum, an die Stelle der alten Handwerksbetriebe 'kapitalistische', also am 'Erwerbsstreben' orientierte, Betriebe treten zu lassen: Was man wollte, das waren 'kapitalistische' und also effiziente Großbetriebe. So konnte Sombart (1928c: 173; 2. Bd., 1. Hbd.; Hervorh. von uns) auch zu Recht vom "brennende(n) Interesse (des) modemen Staates daran" sprechen, "daß die Volkswirtschaft ihren Körper ausweitete", weshalb auch der Staat "seine ganze Macht zugunsten der kräftigsten Wirtschaftsformen ein(setzte)" (Sombart 1928e: 60; 3. Bd., 1. Hbd.). Sombart (1928c: 173; 2. Bd., 1. Hbd.; Hervorh. v. uns) bringt den Zusammenhang folgendermaßen auf den Punkt: "Der Staat will gerade wie die Privaten die Wirtschaft auf höherer Stufenleiter organisieren. Er will größere Massen von Produktivkräften zu erfolgreicherem Wirken zusammenfassen. Er schafft also just wie der Kapitalismus den wirtschaftlichen Großbetrieb." Besonders charakteristisch in dieser Hinsicht war die Wirtschaftspolitik des nationalsozialistischen Staates, die, allem propagandistischen Umwerben der kleinen Unternehmer bzw. des Mittelstandes zum Trotz, in ihrer praktischen Stoßrichtung und im nationalen (und vor allem kriegswirtschaftlichen) Interesse, die betriebliche Konzentration forciert und damit Bedingungen gesetzt hat, die für viele kleine Unternehmen, zumal für viele Handwerksbetriebe, das wirtschaftliche Aus bedeuteten. Und da nicht nur Euckens ordnungspolitisches Design, sondern auch die bundesrepublikanische Nachkriegsentwicklung von den 'Resultaten' dieser Politik ihren Ausgang genommen hat, kann es nicht verkehrt sein, wenn wir uns zunächst, wenigstens in ein paar knappen Strichen, die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik vergegenwärtigen; gerade auch davon wollte man sich ja in und bei der Neuordnung nach dem Krieg emanzipieren.

14"

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5. Staat und Kleinunternehmen in der Bundesrepublik

5.2 Historischer Exkurs: Kleinunternehmen und nationalsozialistische Wirtschaftspolitik In der Perspektive der ThemensteIlung unserer Studie ist ein Rückblick auf die Wirtschaftspolitik der Nationalsozialisten vor allem auch deshalb verlockend, weil für diese eine gleichsam paradigmatisch-extreme Differenz bzw. Divergenz von 'mittelstandsfreundlicher' Propaganda und 'mittelstandsfeindlicher' Praxis charakteristisch war: Verlockend also gerade deshalb, weil der Nationalsozialismus betriebliche Konzentrationsprozesse in der Perspektive seiner kriegswirtschaftlichen Ambitionen nicht einfach nur massiv förderte darin unterschied sich die deutsche Wirtschaftspolitik in den dreißiger Jahren keineswegs von der in den übrigen führenden Industrienationen praktizierten -, sondern weil er, wenigstens zu Beginn seines Siegeszuges, einmal die Verwirklich~ng ganz anderer Ideale versprochen hatte. Wir plaudern ja kein Geheimnis aus, wenn wir auf die typische Verwurzelung der nationalsozialistischen Bewegung und Ideologie in der Gemengelage mittelständischer Interessen und Sozialmentalitäten hinweisen: In einer berühmt gewordenen Formulierung hat S.M. Lipset (1967) diesbezüglich einmal vom "Extremismus der Mitte" sprechen wollen, der für die Nazibewegung bezeichnend gewesen sei.2 Aufmerksam gemacht sei hier außerdem gleich auf H.A. Winkler (1983: 197; Hervorh. im Orig.), dem wir die folgende korrekte Einschätzung verdanken: "Die NSDAP war für die Massen der Handwerker und Kleinhändler wählbar geworden, weil sie deutlich gemacht hatte, daß ihr 'Sozialismus' nichts mit Enteignung zu tun hatte, und weil der Gesamtkatalog mittelständischer Schutzforderungen in ihre Wahlversprechungen eingegangen war. Die NSDAP wurde gewählt, weil das Kleingewerbe außer ihr keine Kraft mehr sah, die bereit war, alle Widerstände gegen die Verwirklichung mittelständischer Forderungen zu beseitigen. Nur der Nationalsozialismus versprach, das Übel an der Wurzel zu packen, die organisierte Arbeiterschaft und das anonyme Großkapital zu bändigen, Parlament und Parteien und damit die Gefahr der Majorisierung der Besitzinteressen endgültig auszu2 Zum Verhältnis von Nationalsozialismus und Mittelstand vgl. vor allem H.A Winklers "Mittelstand, Demokratie und Nationalsozialismus" (1972). Hingewiesen sei etwa noch auf die folgende wichtige Literatur: Schweitzer 1970; Leppert-Fögen 1974; Winkler 1978; Franke 1988; Unterstell 1989. - Auch den Zeitgenossen ist natürlich die Affinität zwischen der nationalsozialistischen Ideologie und den selbständigen Gewerbetreibenden aufgefallen. Erinnert sei hier einmal mehr an Geigers Aufsatz 'Panik im Mittelstand" (1930: 647), in dem es schon vor der Machtergreifung der Nazis hieß: "Niemand zweifelt daran, dass der Nationalsozialismus ... seinen Wahlerfolg wesentlich dem Alten und Neuen Mittelstand verdankt."

5.2 Kleinunternehmen und Nationalsozialismus

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schalten, die 'ruinöse' Gewerbefreiheit zugunsten einer geordneten und befriedeten Berufsstandswirtschaft aufzugeben." Völlig zu Recht auch hat H. Jaeger (1988: 177) in diesem Zusammenhang von einer "Anbiederung der NSDAP an den gewerblichen Mittelstand" gesprochen; und davon, daß es den Nationalsozialisten natürlich in erster Linie darum ging, "das Stimmenreservoir des mittelständischen Bürgertums möglichst gründlich auszuschöpfen" (ebd.). Für diesen Zweck hatten die Propagandaführer in der Tat ideologische Elemente in das Parteiprogramm aufgenommen, die auf eine "Glorifizierung der romantischen Ideale des Mittelstandes" (Schweitzer 1970: 19) hinausliefen. Und gerade mit ihrer Kritik am Laissez-faire-Liberalismus und dem komplementären Versprechen einer Eindämmung der 'ruinösen' Gewerbefreiheit zugunsten der politischen Durchsetzung einer 'geordneten und befriedeten' Marktwirtschaft, in der auch und vor allem der kleine selbständige Gewerbetreibende sein gesichertes Auskommen finden kann, machten sich die Nazis beim Mittelstand viele Freunde. Bald schon nach der Machtergreifung der Nazis sollte sich freilich zeigen, daß deren 'mittelstandsutopische' Versprechungen nur Schall und Rauch, wenn man so will: eine matter 0/ ideology gewesen sind, die ihre Funktion im Wahlkampf zwar trefflich gespielt hatten, bald darauf aber nur um so leichter und schneller ausrangiert werden konnten: Die wirtschaftspolitische "Praxis nach dem 30. Januar 1933 sah anders aus" (Winkler 1983: 197),3 anders jedenfalls als man das den mittelständischen Bevölkerungsschichten versprochen hatte. Ganz anders: Schließlich hatten die an die Macht gekommenen Nationalsozialisten ambitionierte außenpolitische Ziele. Und dafür wollten sie sich nicht auf die mittelständische Wirtschaft verlassen; vielmehr gingen die nationalsozialistischen Pragmatiker bald dazu über, die Ökonomie in zentralverwaltungswirtschaftlicher Perspektive zu reorganisieren, was vor allem auch die explizite Förderung betrieblicher Konzentrationsprozesse und den Aufbau produktiver industrieller Großstrukturen implizierte: Statt die "sozialprotektionistische(n) Wünsche" der Mittelständler zu erfüllen, schreibt B. Franke (1988: 200f.) in seinem Buch "Die Kleinbürger" (und zwar im vierten, "Die radikale Konsequenz: Kleinbürger und Nationalsozialismus" überschriebenen Kapitel) zu Recht, setzten die nationalsozialistischen Wirtschaftspolitiker ganz Vgl. hierzu etwa auch Jaeger 1988: 175ff. und Barkai 1977.

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5. Staat und Kleinunternehmen in der Bundesrepublik

entschieden "auf die Entfaltung der kapitalistischen Produktivität", die sie eben, ganz im Einklang mit der Überzeugung der Mehrzahl der Ökonomen, eher in Großunternehmen als in kleinen Betrieben vermuteten. Das produktive, effiziente Großunternehmen war das Leitbild der Wirtschaftspolitik der Nazis. Ausgedient hatte damit die "kleinbürgerliche Wirtschaftsutopie ", die auf einen "gezähmte(n), 'ständische(n) Kapitalismus'" (ebd.: 212) gehofft hatte: "Die dem industriellen und kapitalistischen System verpflichtete NS-Wirtschaft, die unter Kriegsbedingungen zum planwirtschaftlichen Staatskapitalismus ausgebaut wird," so resümiert Franke (ebd.: 209f.), "besiegelt die eindeutige Divergenz von kleinbürgerlich-korporatistisehern Faschismus und nationalsozialistischer Herrschaftspraxis. " In seiner Schrift "Mittelstand, Demokratie und Nationalsozialismus" (1972: 183) hat Winkler bezüglich des "Verhältnis(ses) von nationalsozialistischem Regime und gewerblichem Mittelstand ... drei Phasen unterscheiden" wollen: Und zwar "eine erste Phase von der Machtergreifung bis zum Juli 1933, in der die nationalsozialistischen Mittelstandsideologen und ihre Kampforganisationen das Bild bestimmten und kurz vor der Erfüllung ihrer Wünsche schienen; eine zweite Phase bis zum Jahre 1936, in der den gewerblichen Mittelständlern ein sozialer Schonraum zugebilligt wurde, ohne daß sie ihre Ordnungsvorstellungen auf die übrige Gesellschaft hätten übertragen können; und eine dritte Phase bis zum Ende des 'Dritten Reiches', in der die Interessen der Kleingewerbetreibenden zunehmend kriegswirtschaftlichen Erfordernissen untergeordnet wurden. " Winkler (ebd.: 184) äußert in diesem Zusammenhang seine Überzeugung, daß "die Uhr der Mittelstandsideologen ... bereits ein halbes Jahr nach der Machtergreifung abgelaufen (war)" und auch die, daß spätestens seit 1936 "der Primat der Rüstungsbedürfnisse '" alle anderen Interessen weit ab(schlug)" (ebd.: 185).4 Gerade für die ambitionierten außenpolitischen Ziele mußte sich der Nazistaat mit den entsprechenden 'Mitteln' ausstatten, deren Produktion er sich eher von einer dynamischen und produktiven Ökonomie 4 Winkler verweist hier u.a. auf einen Artikel des Wirtschaftsredakteurs F. Nonnenbruch, der im Januar 1939 im "Völkischen Beobachter" veröffentlicht wurde. Hier werden die kleinbürgerlichen ProtektionsanspTÜche mit kaum zu überbietender Rigorosität zurückgewiesen: "Mit Minelstandsideologen kann man keine Volkswirtschaft, die die Wirtschaft des Volkes sein soll, aufbauen!", heißt es bspw. in dem Artikel (zit. nach Winkler 1972: 187). Darüber hinaus werden die 'Minelstandsideologen' dafür kritisiert, daß sie- "den Mittelstand nicht in den Dienst des Volkes, sondern das Volk in den Dienst des Mittelstandes stellen" wollen (ebd.).

5.2 Kleinunternehmen und Nationalsozialismus

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modemen Zuschnitts erhoffte, denn von einer ständisch-statisch organisierten Wirtschaft, wie sie als Ideal in den Köpfen der Mittelständler herumspukte. Von daher gesehen versteht es sich fast von selbst, daß die Akteure der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik auch wenig Neigung zeigten, die wirtschaftlich Schwächeren vor den Stärkeren zu schützen. Umgekehrt galt es vielmehr, die Leistungskraft der Wirtschaft, auch und gerade auf Kosten der 'Schwächeren', so zu stärken, daß sie optimal vor allem für die außenpolitischen Ziele in den Dienst genommen werden konnte. 5 Und genau in dieser Perspektive hat die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik den Aufbau produktiver Großstrukturen unterstützt; dabei konnte man sich einerseits getrost auf die im marktwirtschaftlichen System ohnehin wirkenden Konzentrationstendenzen verlassen, die man in ihrer Wirkung nur nicht (durch eine mittelstandsprotektionistische Ordnungspolitik etwa) behindern durfte; zum anderen wurden gerade "im Zuge der 'Bereinigung' des Handwerks ... zahlreiche Bereiche stillgelegt, die nicht als kriegswirtschaftlich notwendig galten" (Winkler 1972: 185); geradezu sprichwörtlich sind hier die sog. "'Auskämmaktionen' während des Krieges" (Winkier 1983: 189) geworden. Kein Zweifel kann also daran bestehen, daß sich die nationalsozialistischen Wirtschaftspolitiker 'Reichtumsproduktivität' gerade von einer großbetrieblich strukturierten Wirtschaft erhofften. Insofern hielten sie herzlich wenig von den abstrakten Modellen der 'vollständigen Konkurrenz'; vielmehr ließen sie sich bevorzugt von solchen Wirtschaftstheoretikern inspirieren, die, wie bspw. Schumpeter (1987: 174) in seiner 1942 in Amerika erschienenen Schrift "Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie", davon ausgehen wollten, "daß die Großunternehmung zum kräftigsten Motor (des) Fortschritts" geworden ist, und die dementsprechend der "vollkommenen Konkurrenz" den "Anspruch" bestreiten wollten, "als Muster idealer Leistungsfähigkeit zu gelten" (ebd.: 175). Aber nicht nur auf das Urteil der in ihrer Mehrzahl dem Großbetrieb zugetanen Ökonomen wollten sich die nationalsozialistischen Wirtschaftspolitiker verlassen. Schließlich waren da noch andere Stimmen mitten aus der 5 H. Jaeger (1988: 178) hat darauf hingewiesen, daß Hitler selbst "immer wieder seine Ansicht von der minderen Rangordnung der Wirtschaft gegenüber Werten und Institutionen wie Volk, Rasse und Partei bekräftigt (hat), denen sie zu dienen hätte. Diese Auffassung vom absoluten Vorrang der Politik", so Jaeger (ebd.) weiter, "durchzieht wie ein roter Faden alle späteren wirtschaftspolitischen Maßnahmen des Nationalsozialismus." - Zur nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik vgl. etwa noch die folgenden einschlägigen Publikationen: Neumann 1977; Barkai 1977; Herbst 1982.

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5. Staat und Kleinunternehmen in der Bundesrepublik

Praxis des Wirtschaftsalltags zu vernehmen, an deren Sachverstand zu zweifeln man keinen Grund sah. Und überhörbar waren ja die fortwährenden Klagen der Mittelständler, jener "ewig Unzufriedenen" - wie Geiger (1930: 643) sie in seinem 1930 erschienenen Aufsatz "Panik im Mittelstand" einmal genannt hat - über die überlegene Leistungsfähigkeit und Stärke der Großunternehmen weiß Gott nicht: Soviel praktischen Sachverstand durfte man in der Durchführung des nationalen Projekts des Aufbaus einer produktiven (und im wahrsten Wortsinne: 'schlagkräftigen') Ökonomie einfach nicht ignorieren! Was also lag näher, als 'die Großen' im Sinne der 'staatswirtschaftlichen' Zwecksetzungen noch größer und noch mächtiger und damit insgesamt, wie zu hoffen stand: noch produktiver zu machen? Die protektionistischen Forderungen der Mittelständler nahm man dabei als das, was sie nun einmal waren: Als ein nur allzu ehrliches Eingeständnis der mangelnden mittelständischen Leistungskraft, aus dem die 'falligen' wirtschaftspolitischen Schlüsse zu ziehen waren. Was sollten da noch die erneuten Klagen der Mittelständler helfen, jetzt darüber, daß man in der praktischen Wirtschaftspolitik von den Versprechungen, weswegen man ja die Nationalsozialisten gewählt hatte, nichts mehr wissen wollte? Diese waren ja von Anfang an das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt waren. Statt den Mittelstand zu fördern, "erleichterte" die "nationalsozialistische Wirtschaftspolitik ... vor allem der Großindustrie die Kooperation" (J aeger 1988: 180), so daß das gewünschte Resultat schließlich nicht ausblieb: Nicht nur wurden "bei Neubauten möglichst große Betriebe" (Eucken 1990: 78), sondern überhaupt ein "hochkonzentrierter, autoritär gelenkter Industriekomplex" (Jaeger 1988: 180) geschaffen, während komplementär "die Zahl der mittelständischen Betriebe ... außergewöhnlich stark zurück(ging)" (ebd.). Ausgerechnet die Nationalsozialisten also, die den Mittelständlern soviel versprochen hatten, wurden zum politischen Erfüllungsgehilfen der Prognose vom notwendigen Untergang der Kleinbetriebe, wenigstens in Deutschland. Selbigem ging freilich der des ganzen Reiches parallel: Und als 1945 der nationalsozialistische Wahnsinn sein jähes Ende fand, lag nicht nur Deutschland, sondern mit ihm auch halb Europa in Schutt und Asche.

5.3 Die 'Neuordnung' der Wirtschaft nach dem Krieg

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5.3 Walter Eucken und die 'Neuordnung' der bundesrepublikanischen Nachkriegsökonomie6 1945 war nicht nur der Weltkrieg zu Ende, sondern auch die "Epoche der 'wirtschaftspolitischen Experimente'" (Eucken 1990: 26); so jedenfalls hoffte es W. Eucken, der auch bald schon mit seinen Ideen herausrückte, wie die Wirtschaft neu zu 'ordnen' sei: Die Rede ist von Euckens "Grundsätzen der Wirtschaftspolitik", die wir ja bereits im dritten Kapitel unserer Studie ausführlich diskutiert und als im Kern mittelständisches Wirtschaftsordnungskonzept 'enttarnt' haben. Mit dem 'Experimentieren' sollte es nun endgültig vorbei sein: Immerhin trat Eucken (ebd.: 18f.) ja mit dem Anspruch auf, die einzig 'zureichende Ordnung' für die Wirtschaft der modemen Industriegesellschaft nicht nur 'gefunden', sondern objektiv 'erkannt' zu haben. Und klar war auch, daß die bisherige Wirtschaftspolitik, nicht nur die deutsche, sondern auch die der anderen Industrienationen, vor allem dafür zu tadeln war, daß sie so zielstrebig die in der Marktökonomie ohnehin angelegten Konzentrationstendenzen zu fördern suchte. Damit sollte nun Schluß sein: Den maßgeblichen politischen Akteuren der bundesrepublikanischen Neuordnung legte Eucken mit allem Nachdruck nahe, das Modell der 'Wettbewerbsordnung' , die Marktform der 'vollständigen Konkurrenz' also, ordnungspolitisch durchzusetzen. Und für diesen 'ordnungspolitischen Vorschlag' wurde nicht nur Eucken, sondern mit ihm seine ganze Schule des Freiburger Ordoliberalismus berühmt. Dem Leser vorgestellt haben wir das ordoliberale Ordnungskonzept schon im dritten Kapitel, und dort auch bereits gezeigt, daß dieses Konzept auf eine grandiose Mittelstandsprotektion hinausläuft, da ja vom Staat nicht weniger verlangt wird, als daß er die Möglichkeit wirtschaftlicher Konzentration, den 'klassischen Feind' des Kleinunternehmens, ein für allemal ordnungspolitisch auszuschalten habe. Jetzt gilt es zu untersuchen, wie das Konzept der 'Wettbewerbsordnung' von den politisch Maßgeblichen aufgenommen wurde. Hatte Eucken mit seinen "Grundsätzen der Wirtschaftspolitik" soviel Glück wie seinerzeit A. Smith mit seinem "Wealth of Nations", den die Reformer des 19. Jahrhunderts ja in der Tat als blueprint dafür lasen, wie sie die überkommene 6 Wir beschäftigen uns im folgenden nicht mit der Frage der politischen Neuordnung Deutschlands als solcher und auch mit der Problematik der Neuordnung der Wirtschaft nur soweit, wie dies für die spezielle 'kleinbetriebliche ' Thematik unserer Studie unerläßlich ist. Zur weiteren Information und Einordnung vgl. etwa die folgenden Publikationen: Hartwich 1970; Thränhardt 1986; Abelshauser 1983; Berghahn 1985; Jaeger 1988.

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Wirtschaft praktisch umzukrempeln hatten? Nun, wir werden sehen: Und dabei am Beispielfall der Bundesrepublik auch, wie sehr die Reproduktionsbedingungen und Erfolgschancen kleiner Unternehmen, so oder so, essentiell politisch vermittelt und determiniert sind. 5.3.1 'Momente der Krisis': 1945 anti the years after In und mit seinen "Grundsätzen der Wirtschaftspolitik" fordert Eucken Ende der 40er Jahre vom modernen Staat, daß dieser von seiner über hundertjährigen wirtschaftspolitischen Orientierung am Leitbild des 'produktiven Großbetriebs' abrücken soll: Gesellschaftliches und staatliches Allgemeinwohl seien fortan nicht mehr in der Perspektive einer großbetrieblich strukturierten Volkswirtschaft, sondern mit einer auf mittelständischer Basis (re)organisierten Ökonomie zu verwirklichen. Und die Chancen für eine tiefgreifende Restrukturierung der Wirtschaftsordnung standen seinerzeit nicht einmal schlecht: Zumal in Deutschland, wo nach dem verlorenen Weltkrieg ja nun wirklich einer jener, wie Eucken (1990: 219) sie genannt hat: "Momente der Krisis" gegeben bzw. erreicht war, in welchen die Durchsetzung "neue(r) Bedingungskonstellationen" (ebd.) politischer oder auch wirtschaftspolitischer Natur noch am ehesten gelingen mag: "Es gibt erfahrungsgemäß in der Geschichte 'Momente der Krisis', die für Jahre richtunggebend werden - auch in der Wirtschaftspolitik; aber nicht nur in ihr. So in Preußen zwischen 1807 und 1811, in Deutschland 1879 und 1933, in Rußland 1917 und 1928, in England 1931/32. Die Konstellation der politischen Kräfte ermöglicht eine grundsätzliche Entscheidung, von der eine Kette weiterer wirtschaftspolitischer Entscheidungen und Tendenzen ausgeht. Nicht selten sind es Notlagen, die solche grundsätzlichen Wendungen möglich machen und in denen bisherige wirtschaftspolitische Konzeptionen weniger Personen7 entscheidend werden und die Bedingungskonstellationen der Wirtschaftspolitik gestalten. Nun erklärt sich auch die Beobachtung, wie stark wirtschaftspolitische Auffassungen, Haltungen, Gesamtkonzeptionen die faktische Wirtschaftspolitik beeinflussen und zwar teils, indem sie im Rahmen von 'Tendenzen' bestimmte Wege weisen; teils, indem sie in 'Momenten der Krisis' Geltung gewinnen und wesentlich dazu beitragen, neue Bedingungskonstellationen herzustellen." (ebd.) 7

haben.

Hier mochte Eucken vor allem auch an sich selbst und seine Freiburger Freunde gedacht

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Eucken weist darauf hin, daß die geschichtliche Erfahrung zeigt, daß 'neue Bedingungskonstellationen ' gerade in sog. 'Momenten der Krisis' durchgesetzt wurden: Dabei denkt er vor allem an politische Strukturen und Institutionen, die als Regelungssysteme für das ökonomische und gesellschaftliche Leben fungieren. Jahrzehnte später werden sich die Autoren Piore und Sabel mit einer ganz ähnlich zugeschnittenen Argumentationsfigur gegen die verschiedenen Spielarten des 'technologischen Determinismus' wenden, um im Kontrast dazu ihre Gegenposition zu profilieren: Daß es immer auch politisch gesetzte Institutionensets sind, die die konkrete Gestalt der industriellen und wirtschaftlichen Entwicklung bestimmen. Aus den Euckenschen 'Momenten der Krise' sind bei den beiden Amerikanern "brief moments" (Piore/Sabel 1984: 4) geworden, jene "kurzen Augenblicke", um aus der deutschen Ausgabe des Buches von Piore und Sabel (1989: 13) zu zitieren, "in denen die Richtung der technologischen Entwicklung selbst zur Debatte steht". Von "Wegscheiden der industriellen Entwicklung" ("industrial divides") ist hier auch die Rede (ebd.), in denen diese "auf Jahrzehnte hinaus" bestimmt wird und "Entscheidungen" getroffen werden, "die auf lange Zeit hin die ökonomischen Institutionen prägen werden." (ebd.) Auch im Gedankengut der Schule der 'Regulationisten' ,8 wie es aus Frankreich, der Heimstatt der 'Theorie der Regulation', mittlerweile auch zu uns nach Deutschland herüberschwappt,9 wird die Relevanz von politisch vermittelten 'Bedingungskonstellationen' für die konkrete Ausgestaltung industrieller und wirtschaftlicher Entwicklungspfade grundsätzlich anerkannt. Bei R. Boyer (1979) spielt in diesem Zusammenhang das Konzept der 'großen Krise', in welcher sich bevorzugt Chancen für den politischen Anschub institutioneller Neuanfänge bieten mögen, eine zentrale Rolle. B. Lutz (1984: SOff.) nun war es, der in seinem Versuch einer "Neuinterpretation der industriell-kapitalistischen Entwicklung im Europa des 20. Jahrhunderts" - so der Untertitel seiner weithin beachteten Schrift "Der kurze Traum immerwährender Prosperität" - in einer Weise auf dieses Konzept der 'großen Krise' zurückgegriffen hat, daß die 'große Nähe' desselben zum Euckenschen Ansatz 8 Um nur die prominentesten Begründer und Vertreter der Schule zu nennen: M. Aglietta (1979), R. Boyer (1986), A. Lipietz (1985). 9 Für die deutsche Rezeption und kritische Bilanzierung der Diskussion vgl. v.a. Hübner 1989 sowie die einzelnen Beiträge in dem von B. Mahnkopf besorgten Sammelband "Der gewendete Kapitalismus. Kritische Beiträge zur Theorie der Regulation" (1988). Hingewiesen sei ferner auf die folgenden Publikationen und Beiträge: Hübner 1987; Hirsch/Roth 1986; Hirsch 1985; Böckler 1991.

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deutlich geworden ist: So heißt es bei Lutz (ebd.: 20; vgl. a. SOff.) im Rekurs auf den Ansatz Boyers, daß "jeder Wachstumsschub die Herstellung einer jeweils neuen Prosperitätskonstellation voraus(setzt), die ihrerseits als eine unverwechselbare (und unwiederholbare) historische Leistung gesehen werden muß." In fast gleichlautender Terminologie ist hier die Rede natürlich von Euckens 'neuen Bedingungskonstellationen' , wie sie sich besonders in 'Momenten der Krisis' Bahn brechen sollen. Dem Leser sei die Lutzsche Bezugnahme auf Boyer mit einem Zitat ausführlich vorgestellt (ebd.: 51): "Die Entwicklung kapitalistischer Volkswirtschaften vollzieht sich, so Boyer (durchaus im Sinne von Kondratieff und seinen Nachfolgern, die allerdings von Boyer kaum zitiert werden), in einer Aufeinanderfolge von Wachstumsperioden, die einem jeweils typischen Verlaufsmuster gehorchen, und deren Anfang und Ende jeweils durch eine 'große Krise' markiert wird. Während auf dem Tiefpunkt des Konjunkturzyklus (den Boyer als 'kleine Krise' bezeichnet) die Marktmechanismen ausreichen, um die im vorausgegangenen Boom aufgebauten Spannungen, Widersprüche und Blockierungen zu lösen, charakterisiert sich eine 'große Krise' dadurch, daß die geltenden Regelungssysteme (dies ist ein zentraler, auf staatstheoretische Überlegungen verweisender Begriff von Boyer) und die in ihrem Rahmen möglichen endogenen Anpassungsreaktionen der Wirtschaftssubjekte nicht mehr ausreichen, einen neuen Aufschwung in Gang zu setzen." Eine entscheidende Rolle in Boyers 'regulationistischem' Forschungs- und Theorieansatz spielt das Konzept des "Regelungssystems" , das die konkrete Richtung und Gestaltung der ökonomischen Prozesse institutionell steuert bzw. eben 'reguliert'. Boyer denkt hier in erster Linie, so erläutert Lutz (ebd.), an die "jeweils geltende institutionelle Form und Ausprägung der ... grundlegenden Gesellschaftsbeziehungen - genannt werden im einzelnen: Lohnarbeitsverhältnis, Konkurrenz- und Kapitalbeziehungen, Geld- und Währungssystem sowie das System der internationalen Arbeitsteilung und die Stellung jeder Volkswirtschaft in ihm". Die 'große Krise' spielt nun im Denken nicht nur Boyers, sondern der 'Regulationisten' überhaupt, die nämliche Rolle wie die 'kritischen Momente' bei Eucken: Die Chance für die Durchsetzung innovativer 'Regelungssysteme' tut sich auf, und damit die Möglichkeit, dem Entwicklungsgang der Wirtschaft eine neue Richtung zu geben. Lutz (ebd.: 52) stellt in diesem Zusammenhang eine wichtige These der Boyerschen Argumentation vor, die besagt,

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" ... daß die großen Krisen (die man auch als Strukturkrisen bezeichnen könnte) die SchlüsselsteIlen, Kreuzwege, Entscheidungsknoten der Entwicklung industriell-kapitalistischer Gesellschaften darstellen: Mit jeder solchen Krise geht eine Periode mehr oder minder starken und anhaltenden Wachstums im Rahmen eines gegebenen Regelungssystems zu Ende. Und ihre Überwindung geschieht dadurch (und nur dadurch), daß sich weitreichende Veränderungen des Regelungssystems durchsetzen, das in seiner neuen Gestalt Grundlage und Rahmen für eine neue Wachstumsperiode ist. " Von theoretischem Interesse für unseren Ansatz ist nun eine Kritik, wie sie Lutz speziell gegenüber Boyer geltend machen will, wie sie mit einigem Recht aber gegenüber der 'Regulationsschule' generell behauptet werden darf. Und zwar moniert Lutz (ebd.: 55; Hervorh. im Orig.), daß sich gerade Boyers "Argumentationen" " . .. sehr viel stärker auf ökonomische Sachverhalte im traditionellen Sinne (konzentrieren), als dies der von ihm selbst in die Analyse eingeführten Rolle gesellschaftlicher Institutionen und Regelungsformen adäquat wäre. Diese Schwäche wird z.B. dann sehr deutlich, wenn Boyer ganz selbstverständlich Synchronität und Parallelität des Entwicklungsverlaufs in allen kapitalistischen Ländern unterstellt, obwohl sich doch ganz offenkundig sowohl die nordamerikanischen wie die ostasiatischen Industriestaaten im Hinblick auf institutionelle und gesellschaftliche Regelungsformen ganz anders entwickelt haben, als dies in den wichtigsten Industrienationen Europas der Fall war." Des weiteren stört sich Lutz zu Recht daran, daß bei Boyer "der Prozeß der Krisenüberwindung allenfalls schemenhaft angedeutet" ist (ebd.: 55; Her-

vorh. im Original), sich dieser "im wesentlichen mit allgemeinen Verweisungen auf soziale Auseinandersetzungen und die Bedeutung von politischer Sphäre und staatlichem Handeln zufrieden(gibt). Die Durchsetzung eines neuen Regelungssystems wird infolgedessen eher als ein einmaliges Ereignis denn als ein historischer Prozeß verstanden, der lange Zeit in Anspruch nehmen kann." (ebd.) Genau diese konzeptiven Kritikpunkte gilt es im folgenden zu bedenken, wenn wir in der Perspektive unseres 'politikzentrierten' Ansatzes den Prozeß der Neuordnung der Wirtschaft im Nachkriegsdeutschland nachzeichnen wollen. Einerseits müssen wir darauf reflektieren, welche Interessen sich geltend zu machen verstanden, als am 'Anfang' der Bundesrepublik in der Tat das Euckensche Ordnungskonzept zur Diskussion (und vielleicht zur Verwirkli-

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chung?) stand; und zum anderen ist uns inzwischen klar geworden, wieviel konzeptuelles Anregungspotential wir gerade aus dem Euckenschen ordnungstheoretischen Ansatz schöpfen können, in dem gewiß noch pointierter als in dem der 'Regulationisten' oder in dem damit verwandten und zur Zeit nicht minder populären der Neoinstitutionalisten lO der grundlegenden Einsicht darein, daß ökonomische Sachverhalte und Prozesse in ihrer konkreten Gestalt immer wesentlich politisch vermittelt und strukturiert sind, Rechnung getragen wird. Die vor allem auch praktische Relevanz der Euckenschen Konzeption zeigt sich darin, daß sich der Prozeß der wirtschaftlichen Neuordnung Deutschlands mindestens bis in die 50er und 60er Jahre hinein tatsächlich in der Form einer Auseinandersetzung mit Euckens Ideen deuten läßt. Welche Akteure (und Interessen) in diesem Prozeß eine Rolle spielten, soll nun näher untersucht werden: Damals jedenfalls, in den Jahren der 'großen Krise' nach 1945, wurden die Weichen gestellt für die Entwicklung der Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik und damit auch für lange Zeit präjudiziert, was die kleinen und mittleren Unternehmen für eine Rolle in ihr zu spielen hatten. Als die alliierten Siegermächte den geschlagenen Deutschen in der Stunde Null eine neue Ordnung buchstabieren wollten, hatte es ihnen das 'D' besonders angetan: Allen voran die Amerikaner verfolgten nämlich die Politik, die Deutschen für die - wie D. Thränhardt in seiner "Geschichte der Bundesrepublik Deutschland" (1986: 15) schreibt - "in den 'D's zusammengefaßten" Ziele: "Demokratisierung, Denazifizierung, Demilitarisierung, Dekartellisierung, Dezentralisierung" zu begeistern. Und in der Tat, wenn wir uns hier nur auf die für die Themenstellung unserer Studie in erster Linie relevante Sphäre der Ökonomie beziehen: Dekartellierung, Dezentralisierung und namentlich die Zerschlagung der von den Nazis aufgebauten industriellen Großstrukturen waren in der neugegründeten Bundesrepublik zunächst die populärsten wirtschaftspolitischen Leitbilder; und gerade unter den politisch maßgeblichen Akteuren jeglicher Couleur hatten diese Leitbilder viele Anhänger. Daß Euckens Konzept der 'Wettbewerbsordnung' seinerzeit als die verbindlich anerkannte, zusammenfassende theoretische Formulierung derselben galt, sei an 10 Wir denken hier vor allem an die "neue institutionelle Ökonomie", wie sie mit den Namen D.C. North (1992), O.E. Williamson (1975; 1990), A.A. Alchian und H. Demsetz (1972) oder auch E.G. Furubotn und S. Pejovich (1972) verbunden wird. Einen guten Überblick vermitteln die Beiträge in Schmid et al. 1988. Im übrigen setzt auch F. W. Scharpfs kritische Darstellung und Analyse der "Sozialdemokratischen Krisenpolitik in Europa" (1987) 'neoinstitutionalistisch' an (vgl. auch Scharpf 1983).

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dieser Stelle noch einmal eigens erwähnt. Und auch, daß neben Eucken selbst noch andere Freiburger Ordoliberale wie E. von Beckerath, F. Böhm, A. Lampe, L. Miksch oder auch W. Hallstein vom ersten bundesrepublikanischen Wirtschaftsminister L. Erhard in den wissenschaftlichen Beirat seines Ministeriums geholt wurden (vgl. Eick 1987: 71). Die Chancen also für die Reorganisation der deutschen Wirtschaft im Sinne der politischen Durchsetzung der 'Wettbewerbsordnung' standen insofern gar nicht schlecht. Und das, obwohl gerade Eucken selbst, wie wir im dritten Kapitel unserer Studie ja schon gesehen haben, ernste Zweifel daran hatte, daß der Staat, ob etwaiger 'neufeudaler Abhängigkeiten' von partikularen Interessentengruppen, sich außerstande sehen könnte, selbigen gegenüber die 'oft unbeliebte' 'vollständige Konkurrenz' ordnungspolitisch durchzusetzen. Auf die Idee, daß der bundesrepublikanische Staat selbst andere Ordnungsformen favorisieren könnte, ist Eucken nie gekommen: Daß dieser neue deutsche Staat eben, ganz wie seine historischen Vorgänger auch, sich im wohlverstandenen 'Eigeninteresse' am Aufbau einer produktiven Ökonomie und noch dazu aus freien Stücken langfristig lieber auf industrielle Großstrukturen, die auch nach 1945 unter Ökonomen weithin als Muster wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit galten, setzen wollte, als sich auf ein 'Experiment' 11 mit der 'vollständigen Konkurrenz' einzulassen, das hätte sich Eucken nicht träumen lassen. Nachdem wir uns freilich im 4. Kapitel unserer Studie einigen Aufschluß über das zentrale Interesse des modemen Staates allgemein an der Produktivität seiner ökonomischen bzw. materiellen Basis verschaffen konnten, muß es uns freilich nicht wundem, daß sich in der deutschen Ordnungsdiskussion die anfängliche 'Dekonzentrations-' und 'Konkurrenzeuphorie' schnell gelegt hat. Eucken selbst ist es erspart geblieben, miterleben zu müssen, was aus seinem Ordnungskonzept im Laufe der Jahre geworden ist: Er starb im Frühjahr 1950 auf einer Vortragsreise in London. Ausschlaggebend dafür, daß sich schließlich die Euckensche Konzeption nicht durchsetzen konnte, waren aber keineswegs die Unternehmer- und Industrieverbände, die natürlich dagegen Sturm liefen (vgl. bspw. Jaeger 1988: 229ff.; Berghahn 1985: 152ff.). Entscheidend dürften vielmehr die Interessen des bundesrepublikanischen Staates an einer produktiven Ökonomie gewesen sein. Wobei hier nicht zu erwähnen vergessen werden darf, daß die 1\ Daß wir im Zusammenhang mit der Ordnungsform der 'vollständigen Konkurrenz' von einem 'Experiment' sprechen, würde uns Eucken nie verzeihen. Für ihn sollte damit ja das 'Zeitalter der wirtschaftspolitischen Experimente' zu Ende sein.

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Amerikaner schon 1951 unter dem Eindruck der Korea-Krise (vgl. Berghahn 1985: 272) von ihrer Überzeugung abrückten, daß man Deutschland ökonomisch möglichst 'klein' halten sollte: Man ließ der deutschen (Wirtschafts-) Politik auch und gerade insofern zunehmend freie Hand, als ein wirtschaftlich potentes Bollwerk an der Grenze zu Osteuropa gegen den aufstrebenden Kommunismus ja durchaus von Wert sein konnte. Dieser war nach dem zweiten Weltkrieg zu einer weltpolitisch relevanten Größe geworden, was die Konkurrenz in der Staatenwelt in gewisser Hinsicht noch zu steigern vermochte: Und diese wurde nach wie vor auch und vor allem mit dem Mittel der ökonomischen Produktivität geführt. Gerade die politisch maßgeblichen Akteure in der neugegründeten Bundesrepublik waren im Sinne ihres genuin politischen Interesses am Aufbau eines nicht nur 'nach innen', sondern auch 'nach außen' 'handlungsfähigen' Staates nicht an der Institutionalisierung und Konservierung einer 'mittelständisch gezügelten' Ökonomie interessiert. Ganz in diesem Sinne macht V. Berghahn in seiner Schrift "Unternehmer und Politik in der Bundesrepublik" (1985: 156) auf die Differenzen des pragmatisch orientierten L. Erhard zu den Freiburgern und namentlich zu Eucken aufmerksam. Berghahn schreibt zu Recht, daß Erhard eben kein "puristischer Neoliberaler" war, "der gegen die Großindustrie eingestellt war und dem Ideal eines mittelständischen Kleinkapitalismus nachhing": Er sah sich keineswegs "als 'Vollstrecker der Ideen' (A. Hunold) von Walter Eucken und Wilhelm Röpke" (ebd.).12 Erhard, so verdeutlicht Berghahn, war sich nämlich klar, daß "gerade auf (dem) Weltmarkt ... nur Großunternehmen bestehen" können, weshalb er "durchaus konsequent 1950 gegen eine zu weit gehende Entflechtung der deutschen Industrie kämpfte" (ebd.). Der bundesrepublikanische Staat, dessen maßgeblicher Akteur in der hier in Frage stehenden Thematik zunächst Erhard war, und eben nicht die ordoliberalen Wirtschaftstheoretiker, machte sich schnell von deren Ordnungsprogrammatik frei und setzte im wohlverstandenen nationalen Interesse und aus freien Stücken (nach dem Koreaschock hatten die Alliierten ja dazu grünes Licht gegeben) auf ein 'Kompagniegeschäft' (Sombart) mit den Großunterneh12 In Berghahns Aufsatz "Ideas into Politics: The Case of Ludwig Erhard" (1984: 178) lesen wir hierzu näher: "A. Hunold called Erhard 'the executor of the ideas' of Eucken and Röpke. The problem with this approach is that it may have established all too direct a link between the 'Freiburg School' and the Minister of Economics ... " Berghahn bezieht sich hier übrigens auf Hunolds Aufsatz "Sir Robert Peel and Ludwig Erhard" (1957). Zur Erhardschen Ordnungspolitik vgl. auch Weiss 1988: 115ff., 177f.

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men; was uns nach unserer Rekonstruktion des Verhältnisses von modernem Staat und Ökonomie im 4. Kapitel unserer Studie freilich nicht besonders zu verwundern vermag. Ganz realistisch ging Erhard davon aus, daß mit einer Wirtschaft, die ausschließlich aus Kleinunternehmen besteht, auf dem Weltmarkt wenig auszurichten war: Und genau dort mußte man mitmischen, wenn man aus der Bundesrepublik etwas 'machen' wollte. Das scheint uns ungemein wichtig zu sein und soll daher hier noch einmal eigens herausgestellt werden: Es war das Interesse des bundesrepublikanischen Staates selbst und nicht der Einfluß der großbetrieblichen Lobby, das verantwortlich dafür war, daß im Nachkriegsdeutschland kein 'mittelständischer Kleinkapitalismus' , kein 'Kleinunternehmerparadies' also, ordnungspolitisch verwirklicht wurde. Den Einfluß der besagten Lobby hat es sicher gegeben, das wollen wir gar nicht bestreiten: Entschieden aber hat schließlich die Staatsgewalt. Worum es im Prozeß der Durchsetzung der grundlegenden Ordnungsform der bundesdeutschen Nachkriegswirtschaft ging, läßt sich näher mit Bezug auf die Formulierung des 'Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ' (GWB) darstellen. Dieses 'Grundgesetz der Marktwirtschaft', wie Erhard es einmal genannt hat (v gl. Hardes et al. 1986: 39), wurde 1957 verabschiedet und ist seitdem fünfmal, zuletzt 1989 mit Blick vor allem auch auf den europäischen Einigungsprozeß, novelliert worden (vgl. Herdzina 1991: 125ff.).13 Eine knappe Auseinandersetzung mit den grundSätzlichen Intentionen des Wettbewerbs- bzw. Kartellgesetzes, wie diese bis auf den heutigen Tag fortwirken, wird sich für uns verlohnen: Dabei werden wir sehen, wie gerade in und mit diesem Gesetz die ursprünglichen Dekartellierungs- und Dekonzentrationsziele endgültig und sozusagen mit 'Gesetzeskraft' eskamotiert wurden. Eine erschöpfende Darstellung ist indes nicht beabsichtigt: Uns geht es nur um jene Aspekte, die effektive Relevanz für 'unsere' selbständigen Klein- und Mittelbetriebe haben. 14

13 Zuletzt geändert wurde das GWB im Jahre 1990, was aber "nur zwei unbedeutende Verfahrensfragen (betraf)" (Basedow/Jung 1993: 31), man folglich nicht von einer Novellierung im eigentlichen Sinne sprechen kann. 14 Wer sich näher informieren möchte, sei auf die Spezialliteratur verwiesen, bspw. auf K. Herdzinas "Wettbewerbspolitik" , mittlerweile in dritter (aktualisierter) Auflage erschienen (1991; 1t983); im Literaturverzeichnis dieser Arbeit findet man weitere einschlägige Publikationen. Vgl. darüber hinaus vielleicht noch die Schrift "Das Wettbewerbsrecht als Mittel der Wirtschaftsgestaltung " von R. Ott (1980).

15 Kießling

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5.3.2 Das Kartellgesetz als 'Grundgesetz der Marktwirtschaft' Schon eine oberflächliche Auseinandersetzung mit dem Prozeß der 'politischen Geburt' des Wettbewerbsgesetzes im Jahre 1957 zeigt, wie wenig Interesse der bundesrepublikanische Staat daran hatte, eine 'Wettbewerbsordnung' im Sinne Euckens und der übrigen Neo- bzw. Ordoliberalen zu verwirklichen. 15 Eucken hatte in seinen "Grundsätzen der Wirtschaftspolitik", wie wir ja schon wissen, vom Staat nicht nur die sozusagen einmalig-punktuelle 'Verordnung' der 'vollständigen Konkurrenz', sondern vor allem die 'Dauertherapie ' der in der Marktwirtschaft nun einmal chronisch angelegten 'Konzentrationskrankheit' gefordert: Einmal durchgesetzt, sollte der Staat darauf achten, daß die 'Wettbewerbsordnung' nicht gleich wieder ausgehöhlt werden würde. Dafür· sah Eucken (1990: 294) in seiner Konzeption die Einrichtung eines "staatlichen Monopolaufsichtsamt(es)" vor: Diesem wies er die Aufgabe zu, vorhandene "Monopole soweit wie möglich aufzulösen" (ebd.); und es sollte die Ökonomie in der Perspektive 'überwachen', daß Konzentrationsprozesse im Keim erstickt und so gar nicht erst zum Tragen kommen können. Mit einer entsprechenden "Monopolgesetzgebung" (ebd.: 295) sollen für diesen Zweck namentlich alle Spielarten "des Behinderungswettbewerbs - Kampfpreise, Sperren, Treurabatte usw." (ebd.: 299) unter Strafe gestellt werden. In solchen Fällen freilich, wo wirtschaftliche Groß strukturen und selbst Monopole in der Wettbewerbsordnung schlechterdings unvermeidlich sind, insofern sie nämlich "auf Grund echter Kostenvorteile " und also "systemgerecht " (ebd.: 292) entstehen,16 soll das 'Monopolamt' diese "beaufsichtigen" (ebd.: 294), sie unter seine "Monopolkontrolle" (ebd.: 295) stellen, mit dem Zweck, sie "zu einem Verhalten zu veranlassen, als ob vollständige Konkurrenz bestünde" (ebd.). Ein Monopol dazu zu bringen, daß es sich "wettbewerbsanalog" (ebd.) verhält: Wie man das anstellen soll, diesbezüglich hielt sich Eucken selbst be15 Vgl. hierzu vor allem das sehr informative Kapitel "Der Kampf um die westdeutsche Wettbewerbsordnung" in Berghahns "Unternehmer und Politik in der Bundesrepublik" (1985: 152ff.). Aus 'linkskritischer' Sicht hat J. Huffschmid in seiner Schrift "Die Politik des Kapitals. Konzentration und Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik" (1969: 64ff., 109ff.) auf die in Frage stehende Thematik Bezug genommen. 16 "In diesen Fällen", verdeutlicht Eucken, "ist die optimale Betriebsgröße so bedeutend, daß die Ausbringung nur eines Betriebes genügt, um den Markt zu versorgen. Mehrere Betriebe könnten nur zu Preisen absetzen, welche die Kostendeckung nicht ermöglichen." (ebd.; Hervorh. im Orig.)

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deckt. Und auch wir wissen keine Lösung für dieses Problem. Was insofern freilich nicht weiter tragisch ist, als sich die politisch maßgeblichen Akteure bei der Konstruktion des Wettbewerbsgesetzes als dem 'Grundgesetz' der neuen Wirtschaftsordnung ohnehin nicht an die in Euckens "Grundsätzen der Wirtschaftspolitik" enthaltenen prinzipiellen Vorstellungen gehalten haben: So muß hier angemerkt werden, daß es in der Bundesrepublik eine Wettbewerbs- und Antimonopolpolitik, die dem ordoliberalen Ideal auch nur annähernd entsprochen hätte, zu keiner Zeit gegeben hat. Zwar "(galt) in den 50er Jahren ... das Konzept der vollkommenen Konkurrenz" durchaus als "Leitbild für die Wettbewerbspolitik" (Hardes et al. 1986: 40); aber wohl doch mehr im Sinne einer öffentlichkeitswirksamen 'Ideologie', mit der die unter der Hand längst betriebene pragmatische Politik der 'Restauration' großindustrieller Strukturen kaschiert werden sollte (vgl. Huffschmid 1969: 143ff.). Jedenfalls erwies sich das "gesetzliche Instrumentarium von 1957 (als) ... keineswegs ausreichend" (Hardes et al. 1986: 40) dafür, der bundesdeutschen Wirtschaft eine der Euckenschen 'Wettbewerbsordnung' entsprechende 'vollständig konkurrenzielle' Struktur zu 'geben'. Und dafür war das 'Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen' ja auch nicht gedacht. Und gerade das 1958 in Berlin tatsächlich gegründete Bundeskartellamt bekam, anders als Eucken sich dies erhofft hatte, von der Politik nicht die Aufgabe übertragen, gegenüber der 'schlechten Wirklichkeit' die heeren Ideale der 'Wettbewerbsordnung' hochzuhalten; schon von Anfang an war es vielmehr dazu angehalten, gegenüber den ökonomischen Konzentrations- und Kartellierungstendenzen eine moderate Haltung einzunehmen: Kernstück des Wettbewerbsgesetzes bildete zwar durchaus ein grundSätzliches Verbot von Kartellen; aber das grundSätzliche Kartellverbot war "von einer Vielzahl von Ausnahmeregelungen 'durchlöchert"', wie Hardes et al. (ebd.: 40) schreiben. So waren und sind "beispielsweise Spezialisierungs-, Rationalisierungs- oder Strukturkrisenkartelle unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt" (ebd.). Und schließlich wird im Wettbewerbsgesetz dem Bundeswirtschaftsminister die jederzeitige Möglichkeit eingeräumt, "ein Kartell' ... aus Gründen der Gesamtwirtschaft und des Gemeinwohls' zuzulassen ('Ministerkartell des §8 GWB')" (ebd.), auch wenn die Kartellbehörde selbst bereits anders entschieden haben sollte. Was namentlich im Wettbewerbsgesetz von 1957 unterblieb, war ein Verbot von Unternehmenszusammenschlüssen (Fusionen), "obwohl dadurch", wie Hardes et al. (ebd.) zu Recht anmerken, "der Wettbewerb in weit höhe15"

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rem Maße als durch Kartelle beeinträchtigt werden konnte." Das Gesetz verbot zwar Kartelle, sah aber keine Fusionskontrolle vor und ermunterte damit die Unternehmen geradezu zu einem "Ausweichen in die Konzentration".17 Gerade auf diese Weise forcierte das Wettbewerbsgesetz die Unternehmenskonzentration und trug so zum Aufbau großbetrieblicher Strukturen bei.18 Später (anläßlich bzw. in der Novellierung des Wettbewerbsgesetzes von 1973) wurde die Problematik der Unternehmensfusion und Unternehmenskonzentration zwar explizit berücksichtigt (vgl. Herdzina 1991: 218ff.; Hardes et al. 1986: 4lf.), aber, gewissermaßen als 'Gegengewicht' und analog zur grundsätzlichen Möglichkeit 'ministerieller' Kartellgenehmigungen, sogleich das Institut der sog. 'Ministererlaubnis' geschaffen: Auch wenn die Berliner Behörde sich gegen eine geplante Fusion zweier oder mehrerer Unternehmen wegen einer dadurch möglichen Gefährdung des Wettbewerbs aussprechen sollte, hat es der Bundeswirtschaftsminister in der Hand, den Zusammenschluß zu genehmigen, dann nämlich, wenn er sich in der Perspektive eines von ihm geltend gemachten 'überragenden Interesses der Allgemeinheit' davon 'gesamtwirtschaftliche Vorteile' (vgl. Herdzina 1991: 231) verspricht. Da haben wir ihn also wieder: Den 'sacro egoismo' des Staates, wie ihn Sombart einmal genannt hat, welchem gegenüber sich der Wettbewerb als solcher keineswegs als sakrosankter 'wirtschaftspolitischer Selbstwert' entpuppt (vgl. Hofmann 1969: 102), der vielmehr die Ökonomie nach Maßgabe seiner politischen Interessen und Zwecksetzungen beurteilt und gestaltet.1 9 Wenn wir die Ausführungen in diesem Unterabschnitt insgesamt überblicken, dürfte klar werden, daß in der Bundesrepublik bereits in den 50er 17 Diese Fonnulierung finden wir im Bericht der Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel in der Bundesrepublik Deutschland (Ms., Oktober 1976, S. 728; zit. nach Berghahn 1985: 280). 18 In seinem Aufsatz "Die Logik der Koordination des verarbeitenden Gewerbes in Amerika" hat J.R. Hollingsworth (1991) einen interessanten Gedanken vorgetragen: Im Abschnitt über die "unbeabsichtigten Wirkungen der Kartellgesetzgebung" (ebd.: 23f.) macht er mit Blick auf die Zeit zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts darauf aufmerksam, daß damals "die Kartellgesetzgebung in Amerika die unbeabsichtigte Folge hatte, die Entwicklung großer hierarchischer Konzerne zu beschleunigen" (ebd.: 23), während "ironischerweise ... das Fehlen eines effektiven Kartellgesetzes in Europa zur Folge hatte, relativ kleine Familienbetriebe fortbestehen zu lassen." (ebd.) 19 In seinen "Grundelementen der Wirtschaftsgesellschaft" schreibt W. Hofmann (1969: 100) hierzu insgesamt: "Bei keiner ihrer Maßnahmen hat sich die Wirtschaftspolitik nach aller bisherigen Erfahrung je von Verletzungen der vielberufenen 'Marktkonfonnität' abhalten lassen, wenn dies den Beteiligten nützlich war. Ebensowenig zielen die wirtschaftspolitischen Entscheidungen auf Erhaltung der freien Konkurrenz als eines wirtschaftspolitischen Selbstwertes ab, wie das Verhalten gegenüber Kartellen und marktbeherrschenden Unternehmensgebilden heute hinreichend zeigt. "

5.3 Die 'Neuordnung' der Wirtschaft nach dem Krieg

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Jahren (vor allem mit dem Wettbewerbsgesetz von 1957 als dem 'Grundgesetz der Wirtschaft') die politische Entscheidung für eine Wirtschaftsordnung getroffen und durchgesetzt wurde, die alles andere war, als die von Eucken als das ordnungspolitische nonplusultra erhoffte 'mittelständische Marktwirtschaft'. Den "hohen Anforderungen" (Kromphardt 1980: 183), die Eucken und seine ordoliberalen Mitstreiter einst an die zu schaffende Wirtschaftsordnung stellten, wurde die Praxis jedenfalls nicht im entferntesten gerecht: Die bundesdeutsche Wirtschaft, wie sie sich in den 50er Jahren entwickelte und schon auf dem Sprung stand, zu einem Wirtschaftswunder zu werden,2o war meilenweit vom Euckenschen "Ideal eines mittelständischen Kleinkapitalismus" (Berghahn 1985: 156) entfernt. Damit wurde es freilich auch Zeit, im wissenschaftlichen, öffentlichen und politischen Diskurs dem Konzept des Wettbewerbs eine neue Deutung zu geben: Die Wirtschaftspolitik sollte sich zwar nach wie vor an der Durchsetzung und Aufrechterhaltung der 'Wettbewerbsordnung' orientieren, aber unter 'Wettbewerb' verstand man nicht mehr die von Eucken und den übrigen Ordoliberalen favorisierte 'vollständige Konkurrenz', sondern etwas ganz anderes. Was, das wollen wir im nächsten Unterabschnitt erörtern. 5.3.3 Die 'soziale Marktwirtschaft' und das Konzept des 'funktionsfähigen Wettbewerbs' Was sich in den 50er Jahren endgültig als offizielles Leitbild der bundesrepublikanischen Wirtschaftspolitik durchzusetzen vermochte, war nicht das Ideal eines 'mittelständischen Kleinkapitalismus' , sondern die Konzeption der 'sozialen Marktwirtschaft' (vgl. Kromphardt 1980: 185f.). Ursprünglich von A. Müller-Armack (1956; 1974) theoretisch ausgearbeitet,21 wurde die 'soziale Marktwirtschaft' von L. Erhard in die Praxis umgesetzt (vgl. Jaeger 1988: 225).22 Dabei hat sich dieses Konzept in seiner Grundstruktur als so offen für alle möglichen Interpretationen der verschiedensten Couleur erwiesen, 20 Vgl. hierzu etwa die einzelnen Beiträge in dem erst kürzlich von H. Kaelble (1992) herausgegebenen Sammelband "Der Boom 1948-1973." 21 Berghahn (1985: 289) hat darauf aufmerksam gemacht, daß Müller-Armack, "der von 1952 bis 1963 mit Erhard im BWM eng zusammenarbeitete und 1958 zum Staatssekretär ernannt wurde", großen Einfluß auf Erhard hatte. 22 Aufschlußreich sind hier Erhards eigene Schriften: z.B. seine "Deutsche Wirtschaftspolitik" (1962) und sein "Wohlstand für alle" (1957). Aus der Fülle von Arbeiten zum Konzept der 'Sozialen Marktwirtschaft' sei hier bspw. auf die folgenden verwiesen: Blum 1969; Pilz 1981; Lampert 1988; Meißner/Markl 1988.

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daß es, endgültig seitdem sich auch die 'Grünen' nicht mehr verweigern wollen, schillernd wie ein die ganze Gesellschaft überspannender Regenbogen, bis auf den heutigen Tag nichts von seiner ursprünglichen Präge- und Leuchtkraft verloren hat. Keine Frage: Natürlich spielt auch im Ordnungsmodell der 'sozialen Marktwirtschaft' das Organisationsprinzip des 'Wettbewerbs' bzw. der 'Konkurrenz' eine zentrale Rolle. Aber, und das macht einen Unterschied ums Ganze, hier geht es nicht (mehr) um die 'vollständige Konkurrenz' im Sinne Euckens und der Freiburger Ordoliberalen, sondern um eine pragmatischere und moderatere Version derselben,23 in der Großunternehmen nicht von vorneherein als Horrorgebilde erscheinen. Und gerade die verstanden es am besten, vom oben schon angesprochenen sog. 'Koreaboom' zu profitieren. Daß freilich an dem wirtschaftlichen Erfolg der Großunternehmen auch und gerade der bundesrepublikanische Staat gehörig zu partizipieren verstand, dürfte sich in der Perspektive unseres 'politikzentrierten' Ansatzes eigentlich von selbst verstehen. 24 Vor allem im Zuge des besagten 'Koreabooms' fand der westdeutsche Staat immer mehr Gefallen an 'seiner' Wirtschaft, die sich in zunehmendem Maße auch als wachsende Wirtschaft entpuppte; was die Politikakteure natürlich schon in ihrem eigenen Interesse gerne sahen. Damit lag nun auch die Überlegenheit des Leitbildes der 'sozialen Marktwirtschaft' gegenüber dem ordoliberalen Ordnungsmodell auf der Hand: Wie dies nämlich schon Müller-Armack so wollte, wird mit diesem Konzept ganz zielstrebig wirtschaftspolitischer Raum für eine 'bewußte Wachstumspolitik' eröffnet (vgl. Kromphardt 1980: 186); womit auch bereits der Grundstein für die Mitte bzw. Ende der 60er Jahre von K. Schiller forcierte Wirtschaftspolitik der Globalsteuerung gelegt war, die ja bekanntlich vor allem an den mittlerweile immer weiter und noch weiter ausgreifenden industriellen und betrieblichen Groß strukturen ansetzte. Schiller bewegte sich ja mit seinem 23 In W. Abelshausers "Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland (19451980)" (1983: 71) lesen wir folgendes: "Organisationsprinzip der Wirtschaft sollte der Wettbewerb sein, ohne daß Müller-Annack das ordoliberale Theorem der 'vollständigen Konkurrenz' beschwor. " 24 Hierzu W. Abelshauser (1983: 70) in seiner "Wirtschaftsgeschichte" ausführlich: "Der Durchbruch zu einem sich selber tragenden Wachstum der Wirtschaft war Mitte 1952 offenkundig gelungen. Detenninanten dieser Entwicklung, in der die Schwerindustrie wieder an Bedeutung gewann, waren vor allem die beispiellose Expansion des Außenhandels, der die Investitionsgüterindustrie begünstigte, und die weltweite Rüstungskonjunktur, die mit großer Verzögerung schließlich auch in der Bundesrepublik anlief. Beide Entwicklungen wurden durch den Koreaboom direkt oder indirekt in Gang gesetzt. Der Krieg in Ostasien hat damit den Lauf der westdeutschen Rekonstruktion stärker beeinflußt als alle wirtschaftspolitischen Planspiele."

5.3 Die 'Neuordnung' der Wirtschaft nach dem Krieg

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Stabilitäts- und Wachstums gesetz von 1967 und der entsprechenden keynesianischen Politik nach wie vor auf dem konzeptiven Parkett der 'sozialen Marktwirtschaft'; nur daß er eben die liberal inspirierte "Planungsfeindlichkeit der Erhardschen Wirtschaftspolitik" (Scharpf 1987: 152) in der Perspektive eines moderaten Keynesianismus überwinden wollte. Im Rückblick jedenfalls erscheinen die Kontinuitäten zwischen Erhard und Schiller substanzieller als die Differenzen: 'Soziale Marktwirtschaftler' waren beide durch und durch. Eine besondere Rolle in der 'Konstruktionsgeschichte' der westdeutschen Wirtschaftsordnung spielt der Ökonom E. Kantzenbach (1967; 1968), der mit seinen Konzepten des "funktionsfähigen Wettbewerbs" und der "optimalen Wettbewerbsintensität"25 dem 'Wettbewerbs-' und 'Konkurrenzkonzept' eine Interpretation gab,26 welche sozusagen 'rückwirkend' die in der wirtschaftspolitischen Praxis ohnehin längst vollzogene Abkehr von den ordoliberalmittelständischen Ordnungsmodellen sanktionierte und 'nach vorne' den Übergang zur 'großstrukturorientierten ' Politik Schillers theoretisch-kategorial vorbereitete. Was uns an Kantzenbachs Position zunächst auffallt: Sie läßt keinerlei Berührungsangst mit wirtschaftlichen Großstrukturen erkennen. Von einer aufs Kleine und Überschaubare gerichteten Nostalgie finden wir bei Kantzenbach keine Spur. Der Mann steht auf dem Boden einer gerade auch auf dem Weltmarkt erfolgreichen Wirtschaft; und er weiß den Anteil, den die Großunternehmen am deutschen Wirtschaftswunder haben, zu würdigen: "In der historischen Entwicklung des Kapitalismus", führte er (1968: 177) in seiner Frankfurter Antrittsvorlesung 196827 aus, "haben weitgehend verselbständigte Großunternehmen ein derartiges quantitatives Gewicht erreicht, daß sie m.E. in der Wirtschaftstheorie und -politik einer gesonderten Berücksichtigung bedürfen. "28 Diesen Satz hätte freilich Eucken auch so schreiben können: Daß 2S Für eine infonnative Kurzerläuterung dieser Konzepte sei der Leser auf K. Herdzinas "Wettbewerbspolitik" (1991: 35ff.; 112ff.) verwiesen; vgl. ferner Hardes et al. 1986: 459ff. 26 J. Huffschmid (1969: 128) hat hier von einer "Umfunktionierung der Wettbewerbskonzeption " für die "Theorie der gesamtwirtschaftlichen Steuerung der Wirtschaft" gesprochen: "Die erste durchgehende Formulierung dieser Umfunktionierung nahm in der Bundesrepublik Erhard Kantzenbach vor, auf dessen 1966 erschienene Habilitationsschrift "Die Funktionsfahigkeit des Wettbewerbs" sich seither der Bundesverband der Deutschen Industrie, die Bundesregierung und das Bundeskartellamt gleichermaßen berufen. " 27 Die Vorlesung findet sich unter dem Titel "Gedanken zur wirtschaftspolitischen Grundentscheidung" im "Jahrbuch für Sozialwissenschaft" (1968) abgedruckt. 28 In dieser Vorlesung berief sich Kantzenbach zustimmend auf die amerikanischen Ökonomen J.K. Galbraith (1968), A.A. Berle, Jr. und G. Means (1932): Im Mittelpunkt der Theo-

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dieser aber, 'Kleinunternehmensfan' , wie er nun einmal einer war, den Staat dazu aufgerufen hat, der Dominanz der Großstrukturen ordnungspolitisch ein Ende zu bereiten, wissen wir bereits. Anders Kantzenbach, der, ganz das Kind seiner Zeit, zu den industriellen Groß strukturen ein affirmatives Verhältnis entwickelte. Schon in der Einleitung zu seiner Schrift "Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs" (1967: 11) bekundete er unumwunden, daß für ihn "die vollständige Konkurrenz nicht nur unrealistisch, sondern auch wenig erstrebenswert ist" - und bricht damit den Stab über Euckens ordoliberale Ideale. Daß diese Konkurrenzkritik so neu und originell nicht ist, wissen wir bereits; immerhin kennen wir selbige bspw. schon von Schumpeters "Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie" (1987: 174f.) her. Aber Kantzenbach hat dieser Kritik ein theoretisches Fundament gegeben; und er ist für uns namentlich deshalb von Relevanz, weil es nun einmal seine Version war, welche die bundesrepublikanische Wirtschaftspolitik seit der Mitte bzw. dem Ende der 60er Jahre so nachhaltig zu beeinflussen vermochte (vgl. Huffschmid 1969: 128f.). Kantzenbach fackelt nicht lange: Mit einem Handstreich fegt er das altehrwürdige Konzept der 'vollständigen Konkurrenz' vom Tisch. Noch dazu mit Argumenten, die einleuchten: Daß etwa das Erreichen einer bestimmten Betriebsgröße die schlechterdings unabdingbare Voraussetzung dafür ist, daß ein Unternehmen überhaupt als leistungsfähiger und ernstzunehmender 'Wettbewerber' auf den Markt treten kann, werden ihm gerade Kleinunternehmer gerne bestätigen. 'Handlungsfähigkeit' , darauf haben wir ja schon in unserer Auseinandersetzung mit Euckens Position hingewiesen, setzt eben eine gewisse Potenz, Macht oder Größe voraus, die man für die Zielerreichung einsetzen kann. Ganz in diesem Sinne hielt Kantzenbach auch Euckens Idee, das Konkurrenzkonzept konstitutiv ausgerechnet mit der Unfähigkeit der einzelnen Unternehmen dazu, 'Marktstrategie' treiben zu können zu verknüpfen, für keine glückliche. 29 Wirtschaftlicher Wettbewerb hat ganz unbezweifelbar zur Voraussetzung, daß die einzelnen Unternehmen 'strategiejähig' sind, wie man heutzutage sagen würde. Schon allein in der Perspektive also, einen rien der modernen Industriegesellschaft dieser Autoren steht "die Lehre vom gigantischen Großunternehmen", wie es Huffschmid (1969: 129) formulieren wollte. 29 Kantzenbach knüpft vor allem an das 'workable competition'-Konzept an, wie es (als explizite Kritik an der Orthodoxie der 'vollständigen Konkurrenz') in der angelsächsischen Literatur zunächst von J.M. Clark (1940) ausgearbeitet wurde; heute bemühen sich namentlich die Vertreter der 'Industrial Markets' -Forschung darum, das Konzept fortzuentwickeln (vgl. Hardes et al. 1986: 459).

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wirklich 'funktionsfähigen' Wettbewerb und nicht nur eine 'Schlafmützenkonkurrenz' (Lutz), in der alle gleicherweise und ohne Aktionspotential einer zur Allmacht hypostasierten Marktobjektivität unterworfen sind, ordnungspolitisch einzurichten, war man auf 'lebensfähige' Betriebsgrößen angewiesen: Und auf diese Weise vom ordoliberalen Ideal einer mittelständisch-idyllisch organisierten Wirtschaft abgekommen. 'Optimale Wettbewerbsintensität' im Sinne der bestmöglichen Freisetzung der produktiven Potenzen der Gesamtwirtschaft, erwartete Kantzenbach (1967: 15; 32ff.) mithin von und in einer Marktorganisation, in der hinreichend große Unternehmen konkurrieren.3O Auf der anderen Seite dürfen diese Unternehmen aber auch nicht Monopolstatus erreichen, weil dies natürlich nicht minder abträglich für die erwünschte 'Wettbewerbsintensität' ist: Damit war das wirtschaftspolitische ZieP! im Groben vorgegeben: Auf keinen Fall darf die Wirtschaft entsprechend dem mittelständischen Ideal Euckens (lauter kleine, handlungsunfähige Preisnehmer!) geordnet werden. Vielmehr sollte die Wirtschaftsordnung eine hinreichende Größe der Unternehmen erlauben. Monopole freilich sollen verhindert werden: Das ist die Aufgabe der Wettbewerbs- und Antimonopolpolitik. Großfusionen sind in dieser Perspektive staatlicher Beobachtung und Genehmigung (vgl. ebd.: 139) zu unterwerfen, für den Fall aber, daß sie im gesamtwirtschaftlichen Sinne und also im Staatsinteresse geboten scheinen, durchaus erwünscht. Damit zeigt sich, wie Kantzenbach mit seinem Konzept des 'funktionsfähigen Wettbewerbs' der an einer produktiven und auch international konkurrenzfähigen (großindustriell strukturierten) Ökonomie interessierten Schillersehen Wirtschafts- und Industriepolitik eine theoretische Grundlegung zu liefern vermochte. Dabei hatte Kantzenbach gerade mit Blick auf die Empirie leichtes Spiel, sein Konzept zu begründen. Immerhin konnte er geltend machen, daß sich die Wirklichkeit längst vom einstigen ordoliberalen Leitbild meilenweit entfernt hat, ohne daß es zu einer Beeinträchtigung der 'Funktionsfähigkeit' des marktwirtschaftlichen Systems gekommen wäre. So schreibt er (1967: 10), daß, "im Gegensatz" zur "Wettbewerbsvorstellung" der Ordoliberalen,

30 "Die optimale Wettbewerbsintensität wird nicht in extremen Marktformen, sondern in weiten Oligopolen ... erreicht." (Kantzenbach 1967: 137; Hervorh. im Orig.) 31 Vgl. hierzu insgesamt den dritten Teil ("Wirtschaftspolitische Folgerungen") der Kantzenbachschen Habilitationsschrift.

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in der Realität oligopolistische Marktformen und wettbewerbsbeschränkende Organisationen eher die Regel als die Ausnahme (bilden). In weiten Produktions bereichen konkurrieren jeweils wenige Unternehmer miteinander und sind durch ein Netz von Kapital- und Personalverflechtungen, Verträgen und formlosen Verhaltens abstimmungen miteinander verbunden. Obwohl die Verhältnisse in der Realität sich also sehr erheblich von den herrschenden theoretischen Vorstellungen unterscheiden, wird die Funktionsfähigkeit des Systems im großen und ganzen befriedigend beurteilt. " Immerhin mußte Kantzenbach (vgl. ebd.) anerkennen, daß die ordoliberale Wettbewerbskonzeption nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in der Öffentlichkeit und Politik als (wenn auch bloß: ideelles) Leitbild nach wie vor eine große Rolle spielte: Mit seiner theoretischen Grundlegung der an den großindustriellen Strukturen orientierten Ordnungspolitik Schillers ist es aber Kantzenbach (1968: 178; Hervorh. von uns) endgültig gelungen, die ordoliberale Ordnungskonzeption als das zu qualifizieren, was sie nicht erst in den 60er Jahren, sondern im Grunde schon von Anfang war: eine "neoliberale Ideologie" ,32 wie er sich in seiner Frankfurter Antrittsvorlesung ausdrücken wollte. Offiziell anerkannt war damit auch, daß man es in der Bundesrepublik mittlerweile mit einer von Großunternehmen dominierten 'sozialen Marktwirtschaft' zu tun hatte; und das hielt man, mit Blick vor allem auf die Produktivität und internationale Konkurrenz,fähigkeit der Wirtschaft nicht für einen Makel, der wirtschafts- bzw. wettbewerbspolitisch zu 'therapieren' ist; ganz im Gegenteil wußte man diese Entwicklung als notwendige Basis für die Wiedergewinnung nationalstaatlicher Stärke sehr zu schätzen. Daß das Ordnungsideal Euckens von Kantzenbach so respektlos als 'neoliberale Ideologie' abgetan werden konnte, liegt freilich nicht in diesem selbst begründet, sondern reflektiert vor allem das Interesse des Staates an einer produktiven materiellen Basis. Und die wollten sich die maßgeblichen politischen Akteure eben nicht als 'mittelständisches Biedermeieridyll' vorstellen, in welchem alle Konzentrationstendenzen ordnungspolitisch im Keim erstickt werden. Im nationalen Interesse war vielmehr eine im Kern großbetrieblich strukturierte Wirtschaft gefragt, mit der man hoffen konnte, auch auf dem

32 Wir halten es für angebracht, an dieser Stelle noch einmal an Geigers (1930: 641) Rede davon, daß der "Mittelstand ... den gesegneten Boden ideologischer Verwirrung (bildet)", zu erinnern.

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Weltmarkt eine gute Figur33 zu machen. Betriebliche Konzentrationsprozesse34 galten in dieser Perspektive als ein Pfund, mit dem man wuchern konnte, welche daher wirtschaftspolitisch zu fördern waren.35 Daß durch diese Politik die selbständigen Klein- und Mittelunternehmen unter Druck gerieten, war durchaus erwünscht: "Where too many small and medium-sized companies existed", resümiert Küster (1974: 81) die Stimmung, "competition had first of all to be fostered by creating efficient firm units ... ". Kein Wunder also, daß deren Zahl in der Folge immer mehr abnahm: 36 Auf diejenigen unter ihnen freilich, die im nationalen Interesse zu Wachstum und Kooperation bzw. Fusion bereit waren, wollte man gerne bauen. Mit Blick auf unseren 'darstellungslogischen ' Ausgangspunkt kann also zusammenfassend gesagt werden, daß es mit der Verwirklichung des von Eucken Ende der 40er Jahre so emphatisch propagierten Ordnungsideals einer 'mittelständisch' zugeschnittenen Ökonomie in der Bundesrepublik nichts ge33 Hierzu Berghahn (1985: 281): "Erst nach der Fusionswelle der siebziger Jahre rückten die größten westdeutschen Unternehmen auf die vorderen Plätze der Weltrangliste hinter die amerikanischen ... ". 34 Vgl. zu den begrifflichen Grundlagen der 'Konzentration' etwa folgende Publikationen: ArndtiOllenburg 1960; Lenel 1962: Hf.; Marbach 1964; Molsberger 1967; Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik 1988: 2Hf. 3S Vgl. hierzu bspw. Küster 1974: 79ff.; Berghahn 1985: 279ff.; Grosser 1985; Weiss 1988: 115ff., 177ff. Küster (1974: 79) spricht in diesem Zusammenhang von einer "promotion of concentration", gar von einer "concentration euphoria" in Deutschland: "In the concentration euphoria of the mid-1960s the connection between enterprise size and export potential played a special role. Tbe opening of the European market and the expansion of American direct investments in western Europe were thought to be overwhelming the German economy. Government and industry saw the promotion of concentration an effective instrument of adaptation to the international situation." (ebd.: 80) Und noch ein Küster-Zitat (ebd.: 82): "To sum up, a new concept of competition policy was developed by the official policymakers in the 1960s. Appealing to the need for improved performance in technology and for greater international competitiveness, it fostered a concentration trend that was already apparent in the economy. Tbis had two decisive consequences for government-enterprise relations. First, competition itself became an instrument in anational planning process, that process being undertaken cooperatively by the economic centers of power. At the same time, the officially sanctioned concentration process provided the basis for the development of more and more powerfid enterprises through which cooperation between government and large enterprise could be extended and intensified .• 36 Daß in den 50er, 60er und 70er Jahren die Zahl der selbständigen Unternehmen in der Bundesrepublik ständig abnahm, ist auch in der zeitgenössischen Kleinunternehmerliteratur unbestritten. In seiner Schrift "Die Selbständigen. Zur Soziologie dezentraler Produktion" schrieb D. Bögenhold (1985: 27; Hervorh. im Orig.) im Jahre 1985 hierzu: "Die Selbständigen waren anteilsmäßig im Jahre 1960 am umfangreichsten. Seitdem sind sie mit fast 27 v.H. um mehr als ein Viertel geschrumpft. In dem Zeitraum 1970 bis 1981 betrug deren Exodusrate noch knapp 12. v.H .. Dabei ist die Verminderung der Selbständigen seit 1960 fast linear verlaufen, mit einer Ausnahme im Jahre 1979/80, in dem ein vorübergehender leichter Anstieg zu verzeichnen war.· Vgl. hierzu insgesamt Bögenhold 1985: 23ff. (mit ausführlichen Statistiken), sowie Bögenhold 1988 und Hagelstange 1988a; 1988b.

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5. Staat und Kleinunternehmen in der Bundesrepublik

worden ist. Aus der Perspektive der kleinen und mittleren selbständigen Unternehmer: Ihnen war es nicht vergönnt, in einer entsprechend den normativen Konzepten von 'Maß und Harmonie' geordneten Wirtschaft, in der sie nur die vergleichsweise harmlose Form einer 'parallelen' Konkurrenz von 'ihresgleichen'37 zu fürchten hätten, ein relativ gesichertes Auskommen zu finden. Stattdessen sahen sie sich einmal mehr einer ökonomischen Situation ausgeliefert, in der sich für sie in einem Wettbewerb, für dessen 'optimale Intensität' der Staat in seinem eigenen Interesse schon ordnungspolitisch sorgte, jeden Tag aufs Neue die nackte Existenzfrage stellte. Aber wenn den Kleinunternehmern in der Bundesrepublik auch keine 'Mittelstandsökonomie' beschieden wurde, so sollten sie doch nicht ganz leer ausgehen: Was die politischen Akteure für sie bereit hielten, das war eine 'Mittelstandspolitik' , deren Prinzipien es im folgenden Abschnitt zu rekonstruieren gilt.

5.4 Mittelstandspolitik und kleinbetriebliche Reproduktionsbedingungen in der Bundesrepublik Nach unseren bisherigen Ausführungen kann darüber kaum ein Zweifel bestehen: 'Mittelstandspolitik' ,38 so wie sie die maßgeblichen politischen Akteure in der Bundesrepublik auf den Weg brachten, war und ist nicht dafür gedacht, die kleinen und mittleren Unternehmen vor dem Wettbewerb zu beschützen. Das galt schon für Erhards Politik, worauf W. Sauer (1984: 79) hingewiesen hat: "Protection would only lead to inefficiency", brachte dieser das Erhardsche mittelstandspolitische Credo kurz aber zweifelsohne treffend auf den Punkt. Und 'Ineffizienz' war schließlich das allerwenigste, was der emporstrebende bundesrepublikanische Staat von 'seinen' Unternehmen und 'seiner' Ökonomie insgesamt erwarten wollte. Welchen Zwecksetzungen diente und dient die deutsche Miuelstandspolitik dann aber stattdessen? L. Weiss (1988: 116f.) hat in ihrer knappen Bezugnahme auf die Bundesrepublik vor allem der 50er und 60er Jahre diesbezüglich die These vertreten, daß gerade die frühen CDU/CSU-Regierungen die Mittelstandspolitik in der Perspektive einer Politik der "balance" inaugurierten: Auf der einen Seite ging es diesen im nationalen bzw. nationalstaatlichen 37 Wir wandeln hier einen von Marbach (1942: 315ff.) gebrauchten Ausdruck ab. Dessen "Theorie des Mittelstandes" enthält bezüglich des 'handeltreibenden Mittelstandes' einen Abschnitt mit der Überschrift: "Die Konkurrenz durch' Seinesgleichen'''. 38 Zur allgemeinen Orientierung vgl. bspw.: Abel/Schlotter 1961; Breucha 1964; Utz 1968; Frechen 1972; Langen 1978; Konrad 1990: 28ff.

5.4 Mittelstandspolitik in Deutschland

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Interesse darum, die Wirtschaft, und das hieß vor allem: das "big business" (ebd.: 117; Hervorh. im Orig.) zu stärken. Und dem daraus mit zwangsläufiger Konsequenz resultierenden 'Druck' auf die Konkurrenzchancen und Reproduktionsbedingungen der kleineren Unternehmen wollte man andererseits mit einer speziellen Mittelstandspolitik 'balancierend' gegensteuern, so jedenfalls das Argument von Weiss (ebd.: 116; mit Bezug auf Denton 1968). Näher führt die Autorin folgendes aus (ebd.; Hervorh. im Orig.): "As part of this 'balancing' act, the CDU/CSU governments have been outspoken advocates of large-scale industry whilst simultaneously stipulating a role for smaller units; and at a practicallevel, have sponsored concentration whilst launching measures of assistance to smaller concerns ... )9 Indeed, German legislation actually 'encouraged concentration by granting tax benefits to firms that merged their subsidiaries ' in the very period that the Mitte[standspolitik was launched. "40 Mit G. Denton (1968: 62) ist L. Weiss (ebd.: 117) der Ansicht, daß es den CDU/CSU-Regierungen darum ging, "to maintain the small business stratum, 'but not to foster it too much"'. Als Grund dafür, daß sich der Staat vor allem für den Auf- und Ausbau der industriellen Groß strukturen einsetzte - von "the government's sponsorship of concentration" (ebd.) ist hier wörtlich die Rede -, nennt L. Weiss dessen überragendes Interesse an einer international konkurrenzfähigen Ökonomie. Das Argument ist als solches sicher richtig, erklärt aber nicht, warum die maßgeblichen politischen Akteure sich überhaupt um die kleinen Unternehmen - wie intensiv auch immer - 'sorgen' wollten; erklärt mithin nicht, warum die politischen Akteure überhaupt eine Mittelstandspolitik für nötig hielten und inszenierten. Warum denn sollte der Staat den Kleinunternehmen unter die Arme greifen? L. Weiss hält sich hier einigermaßen bedeckt. Aber das muß uns nicht weiter irritieren. Wir können ja 'die Politik' bzw. die maßgeblichen Politikakteure selbst danach fragen, wobei wir gegenüber den sich nur auf die 50er und 60er Jahre beziehenden Ausführungen von L. Weiss auch den Zeithorizont der Blickrichtung aktualisieren wollen. 5.4.1 Vorbemerkung zur Argumentationslogik Wenn unser Ansatz in seiner grundlegenden Logik richtig ist, dann müßte sich auch in der Praxis der Mittelstandspolitik, im praktischen wirtschafts39 L. Weiss bezieht sich hier auf die folgenden Autoren: Irving 1979; Peacock 1980; Braunthai 1965. 40 Zitat im Zitat: BraunthaI 1965: 252.

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5. Staat und Kleinunternehmen in der Bundesrepublik

politischen Bezug also des Staates auf die kleinen und mittleren selbständigen Unternehmen, das spezifische Verhältnis von modernem Staat und marktwirtschaftlicher Ökonomie, wie wir es im 4. Kapitel unserer Studie ganz allgemein zu bestimmen versucht haben, sozusagen 'konkretisien' wiederfinden (lassen): Namentlich das Interesse des Staates an einer produktiven Ökonomie; das Interesse des Staates also an einer ökonomischen Basis, die leistungsfähig genug ist, nicht nur die 'Massenversorgung' seiner Bürger (als Voraussetzung für deren 'Massenloyalität') dauerhaft zu gewährleisten, sondern die auch problemlos in der Lage ist, jenen nationalen Reichtum zu produzieren, über den der Staat in der Form 'politischen Mehrwerts' (C. Schmitt) für die Verfolgung seiner Zwecksetzungen und Interessen (vor allem: Erhaltung seiner selbständigen Existenz gegenüber kritischen 'inneren' und 'äußeren Lagen') notwendig verfügen muß. Gemessen an diesem grundsätzlichen 'Produktivitätsinteresse' des Staates muß es diesem an und für sich gleichgültig sein, ob es große oder kleine bzw. mittlere Unternehmen sind, die sich in 'seiner' Ökonomie entsprechend leistungsorientien und im nationalen Sinne: erfolgreich engagieren. Allerdings hat, wie wir ja schon wissen, die Orientierung des modemen Staates gerade an den Großunternehmen eine lange Tradition. Und nicht einmal ein Eucken hat es geschafft (wann, wenn nicht nach einem verlorenen Krieg, soll eine fundamentale Neuorientierung der Politik überhaupt möglich sein?), mit seinem mittelständischen Ordnungsideal bei den maßgeblichen 'Machern' der bundesrepublikanischen Wirtschaftsordnung praktisch folgenreichen Eindruck zu machen. Abgewunken haben sie alle miteinander und stattdessen den newcomer Kantzenbach zu ihrem Cheftheoretiker erkoren, der mit seinen Konzepten der 'funktionsfähigen Konkurrenz' und der 'optimalen Wettbewerbsintensität' der Affinität auch des bundesrepublikanischen Staates zu Großunternehmen und Konzentration ihre theoretische Legitimation gab. Da gibt es kein Vertun: Seit den Zeiten der Klassiker haben die mainstream-Ökonomen immer so sehr von der überlegenen Produktivität der großbetrieblichen Produktionsorganisation geschwärmt, daß die Staatsakteure daran zu zweifeln ja wirklich keinen Grund hatten und im nationalen Interesse konsequent ihre Wirtschaftspolitik entsprechend ausrichteten. Vielleicht nirgendwo besser als hier, kann man die praktisch folgenschwere 'Macht' sehen, die von 'Ideen' auszugehen vermag: Selbst wenn die Ökonomen allesamt geirrt hätten, und der Großbetrieb an sich gar nicht leistungsfähiger wäre als der kleine: Auch dann hätte die Politik doch, aufgrund eben ihres entsprechenden 'Vorurteils',

5.4 Mittelstandspolitik in Deutschland

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die Bedingungen ordnungspolitisch so gesetzt, daß aus diesem 'Vorurteil' 'praktische Wahrheit' geworden wäre. Und umgekehrt: Wenn es jemandem gelänge, die Politik (gleichviel mit welchen Argumenten) davon zu überzeugen, daß es das gesellschaftlich und staatlich allgemeine Beste wäre, die Ökonomie mittelständisch zu ordnen, dann würde diese 'Idee' genausogut zwingende Gewalt erlangen. Ausgestattet mit seiner souveränen Gestaltungsmacht könnte der Staat ja in der Tat die ökonomischen Bedingungen ordnungspolitisch so setzen, daß er, just im ordoliberalen Sinne, die Wirtschaft als mittelständisch strukturierte 'ordnet' und als solche dauerhaft stabilisiert; könnte er die Ökonomie dergestalt 'konstituieren', daß wir es mit einer Ökonomie zu tun hätten, in dem ausschließlich kleine Unternehmen 'maßvoll und harmonisch' miteinander konkurrieren. Was wir hier andeuten wollen, ist dies: Ordnungspolitische Konzeptionen

können die Gewalt von self-fullfilling prophecies gewinnen. Was eben heißt: Wenn der Staat die Ökonomie mittelständisch ordnen wollte, dann würden die

Reproduktionsbedingungen der Kleinunternehmen praktisch so gestaltet, daß diese zwangsläufig die besten Erfolgschancen hätten! Wir sehen hier, als Implikation unseres staats- und politikorientierten Ansatzes, daß die Reproduktionsbedingungen und Erfolgschancen der selbständigen Kleinunternehmen nichts ökonomisch 'Unmittelbares' sind, daß hier vielmehr immer auch ein entsprechender politischer Dezisionismus am Werk ist: Daß die Reproduktionsbedingungen der kleinen und mittleren Unternehmen in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft in der Tat wesentlich politisch vermittelt und gesetzt sind. Daß sie als solche immer erst und nur in einem ordnungspolitisch gesetzten Rahmen ihre ökonomische Wirkung entfalten. Euckens herausragendes 'Markenzeichen' war, daß er von den politisch verantwortlichen Akteuren der neu gegründeten Bundesrepublik tatsächlich die ordnungspolitische Durchsetzung einer 'kleinbetrieblichen Ökonomie' forderte. Wofür ihm, en passant bemerkt, die Kleinunternehmer noch heute dankbar sein sollten; auch wenn er mit seinem Ansinnen wenig Glück hatte. Wie wir freilich bereits wissen, hat Eucken gerade heute wieder jede Menge Nachahmer gefunden; die seine Nachahmer sind, auch wenn sie nichts von ihm wissen: Es sind dies die von uns schon immer wieder einmal genannten Amerikaner Piore und Sabel, die von der "Vision einer Kleinindustrie" inspiriert sind, auch die Autorin L. Weiss (1988: 196), die sich zu der Zielvorstellung eines "re-creating micro capitalism" bekennt, und natürlich all die

240

5. Staat und Kleinunternehmen in der Bundesrepublik

vielen 'Kleinunternehmerfans' der 80er und 90er Jahre, die diese Formeln aufgegriffen haben und sich, wie wir in Abschnitt 2.3 unserer Studie gesehen haben, mit gutem politischen Instinkt an jene Autorität wenden, die einzig die Macht dazu hätte, diese Ideen und Vorstellungen zu verwirklichen. Und in der Tat: In ihren Adressen an den Staat geht es den 'Kleinunternehmerfans' (wie sie ja die zeitgenössische Kleinunternehmerforschung insgesamt dominieren) darum, diesen, rsp. die maßgeblichen politischen Akteure, dazu zu bringen, die Reproduktionsbedingungen der kleinen Betriebe, wenn schon nicht grundlegend, dann wenigstens 'etwas' 'günstiger' zu gestalten. Wieder am Beispiel der Bundesrepublik, jetzt der zeitgenössischen der 70er und 80er Jahre, wollen wir im folgenden untersuchen, ob und gegebenenfalls wie sich in den Zielsetzungen und in der Praxis der Mittelstandspolitik entsprechende Vorstellungen geltend zu machen verstanden und verstehen. Dabei werden wir gleichzeitig noch einmal Bezug nehmen auf die Empirie der kleinbetrieblichen Reproduktionsbedingungen und Erfolgschancen: Allerdings nur soweit dies für die empirische Substanzialisierung der für unsere Studie konstitutiven 'politikzentrierten' Argumentation unabdingbar ist. Motiv unserer folgenden Darstellung wird es auch sein, immer wieder darauf zu reflektieren, ob sich die politische Programmatik mit der Realität deckt: Immer wieder werden wir sehen, daß 'die Politik' in ihrer Bezugnahme auf den kleinbetrieblichen Sektor, ganz genauso übrigens wie die 'wissenschaftlichen Kleinunternehmerfans " in eine nur zu euphorische Stimmlage fällt. Diesbezüglich werden wir dann auch die Frage nach dem Warum stellen und beantworten müssen. Leitmotiv unserer Darstellung ist die Konfrontation der kleinbetrieblichen Empirie mit der, wie wir meinen: mitunter 'schönfärbenden' Bezugnahme auf diese in den politischen Programmschriften und Positionspapieren: Und gerade vermittels der wechselseitigen Projektion von 'politischer Programmatik' und 'Empirie' aufeinander wird es uns gelingen, beides in idealer Weise zu erhellen. 5.4.2 Mittelstandspolitische Programmatik und Mittelstandspolitik im zeitgenössischen Deutschland Zunächst einmal müssen wir uns mit der mittelstandspolitischen Programmatik, wie sie im zeitgenössischen Deutschland formuliert und vertreten wird, vertraut machen. Dabei ist gleich eingangs anzumerken, daß nicht nur der

5.4 Mittelstandspolitik in Deutschland

241

Bund bzw. der bundesdeutsche Zentralstaat als Träger und Akteur der Mittel-

stands- wie der Wirtschaftspolitik überhaupt auftritt. Vor allem natürlich auch die einzelnen Länder (bzw. die Länderregierungen) engagieren sich in dieser Richtung, während hingegen die Gemeinden, die Dritten im Bunde der politischen Gebietskörperschaften (vgl. bspw. Schöber 1991), weitgehend "von der 'großen' Staatspolitik abgekoppelt" (Schönbauer 1993: 25) sind und daher in unserem Zusammenhang auch weniger interessieren. Die wichtigsten und nachhaltigsten mittelstandspolitischen Impulse gehen freilich insgesamt doch vom Bund aus, insofern dieser auch die Gesamtverantwortung für die grundlegende Wirtschaftsordnungspolitik trägt und mit seiner Wirtschaftspolitik schließlich auch die Rahmendaten für die Politik der einzelnen Länderregierungen setzt.

Für die Rekonstruktion der mittelstandspolitischen Programmatik der Bundesregierung wollen wir uns exemplarisch vor allem auf eine Schrift stützen, die in den 80er Jahren vom Bundesministerium für Wirtschaft41 veröffentlicht worden ist; in dieser werden, ebenso knapp wie präzis, die der Mittelstandspolitik zugrunde liegenden Prinzipien zusammenfassend vorgestellt: Gemeint ist das schmale Bändchen "Leistungsträger Mittelstand", das schon im Titel den Bezug zur grundlegenden Logik unseres Ansatzes herstellt, schon in ihm enthüllt, als was die Politik den Mittelstand: die vielen kleinen und mittleren selbständigen Unternehmen, aus dem er sich zusammensetzt, schätzen will als 'Leistungsträger' nämlich für die Produktion des nationalen Reichtums; und keineswegs als 'Kostgänger' desselben. Daneben werden wir uns noch auf weitere mittelstandspolitische-c'Berichte' und 'Stellungnahmen' der Bundesregierung 42 beziehen; und auch die einschlägigen Passagen in den jährlich vom Bundeswirtschaftsministerium herausgegebenen "Jahreswirtschaftsberichten " sollen nicht vergessen werden. Für die Vergegenwärtigung der Mittelstandsprogrammatik auf Länderebene wollen wir uns exemplarisch auf den Freistaat Bayern und auf NordrheinWestfalen beziehen. Im ersten Fall sollen als Materialgrundlage die beiden "Mittelstandsberichte" der bayerischen Staatsregierung aus den Jahren 1988 und 1992 dienen. Für das Land Nordrhein-Westfalen wollen wir uns vor allem auf eine einschlägige umfangreiche Broschüre beziehen,· die das 41 Ein Erscheinungsjahr wird in dem Bändchen nicht genannt; immerhin steht fest (s.o. Abschnitt 1.2, Fn. 11), daß es während der Amtsperiode M. Bangemanns als Bundeswirtschaftsminister veröffentlicht wurde, also zwischen 1984 und 1988. 42 Vgl. Bundesregierung 1960; 1970; 1976; 1986.

16 Kießling

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Landesministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr unter dem Titel "Politik für den Mittelstand" im Jahre 1984 veröffentlicht hat. Mit unserer Konzentration nicht nur auf die Bundesebene, sondern auch auf die Länder Bayern und Nordrhein-Westfalen, stellen wir zugleich sicher, daß wir uns nicht nur auf die Mittelstandsprogrammatik und Mittelstandspolitik liberal-konservativer bzw. konservativer Regierungen (Bundesregierung seit 1982; bayerische Staatsregierung) beziehen, sondern auch mittelstandspolitische Positionen sozialdemokratischer Provenienz (Nordrhein-Westfalen) in unsere Untersuchung einbeziehen. In der Auseinandersetzung mit den einzelnen Schriften und Positionen werden wir freilich kaum auf nennenswerte Unterschiede stoßen: Über die Länder- und Parteigrenzen hinweg stoßen wir wieder und wieder auf dieselben Topoi, Zielvorstellungen und Politikmuster, so daß wir an den ausgewählten Beispielfällen zugleich paradigmatisch demonstrieren, wovon wir in unserer Studie immer schon ausgehen wollten: Daß sich im modernen Staat in Grundsatzfragen, über alle sozialen und ökonomischen Differenzen hinweg, tatsächlich ein objektiv und allgemein verbindlicher politischer Standpunkt herauszukristallisieren vermag. 43 Kurz: Gerade auch mit Blick auf die Verhältnisse in der neueren Bundesrepublik gibt es so etwas wie' eine deutsche Mittelstandspolitik' . Zunächst wollen wir uns dem Bund und damit dem Bändchen "Leistungsträger Mittelstand" (Bundesministerium für Wirtschaft o.J.) zuwenden. Wie bereits gesagt, kommt hier bereits im Titel zum Ausdruck, daß die Politik an den kleinen selbständigen Unternehmen vor allem als 'Leistungsträger' interessiert ist. Es verlohnt sich, in diesem Zusammenhang das Vorwort des Wirtschafts ministers M. Bangemann, der seinerzeit für die Publikation der Schrift verantwortlich war, zu zitieren (ebd.: 3; Hervorh. von uns): "Kleine und mittlere Unternehmen sowie freie Berufe sind entscheidende Leistungsträger unserer Wirtschaft. Gerade sie zeigen in besonderem Maße die Bereitschaft zu unternehmerischem Risiko, zu Investitionen und Innovationen. Vor allem bei der Sicherung und Schaffung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen leisten sie einen überproportionalen Beitrag. Die von der Bundesregierung eingeleitete Wiederbelebung der marktwirtschaftlichen Kräfte kommt auch dem Mittelstand zugute. Damit mittelständische Betriebe ihre Fähigkeiten zum Wohle der Volkswirtschaft voll entfalten und sich neben Großunternehmen behaupten können, zielt die 43 Um an eine Formel von C. Schmitt (1973: 385) anzuknüpfen, kann man vom modemen demokratischen Staat wohl zu Recht als einem "Reich der objektiven Vernunft" sprechen.

5.4 Mittelstandspolitik in Deutschland

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Wirtschaftspolitik darauf ab, günstige Rahmenbedingungen für fairen Leistungswettbewerb zu schaffen und in besonders gelagerten Fällen größenbedingte Wettbewerbsnachteile durch spezifische Hilfen auszugleichen. " Wie wir sehen, kommt in den Formulierungen Bangemanns in aller Deutlichkeit das im 4. Kapitel unserer Studie in allgemeiner Perspektive rekonstruierte Interesse des modemen Staates an einer produktiven, leistungsfähigen Ökonomie zum Ausdruck: Die Politik interessiert sich für die mittelständischen Unternehmungen in erster Linie soweit sich diese als 'entscheidende Leistungsträger unserer Wirtschaft' bewähren und sofern sie 'ihre Fähigkeiten zum Wohle der Volkswirtschaft entfalten', sich also fürs Allgemeinwohl engagieren. Damit die kleinen und mittleren selbständigen Betriebe dies tun können, ist natürlich vorausgesetzt, daß sie sich 'neben den Großunternehmen behaupten können': Dafür soll nun, wie wir gelesen haben, die Wirtschaftspolitik als Mittelstandspolitik dergestalt sorgen, daß sie ganz allgemein die Bedingungen für einen 'fairen Leistungswettbewerb ' schaffen hilft; ferner auch dadurch, daß sie etwaige 'größenbedingte Wettbewerbsnachteile durch spezifische Hilfen ausgleicht'. Diese Formulierungen sind nun auch insofern von Interesse, als aus ihnen erhellt, daß der Staat die in 'seiner' Ökonomie empirisch gegebenen Betriebsgrößenverhältnisse anerkennt: Der Politik geht es nicht darum, diese grundlegend umzumodeln; vielmehr will sie Sorge nur dafür tragen, daß die kleinen selbständigen Unternehmen in den gegebenen ökonomischen Strukturen sich als 'Leistungsträger' und 'zum Wohle der Volkswirtschaft' bewähren können. An dieser Stelle sei bereits ein erster Blick auf die bayerische Mittelstandspolitik geworfen: Wobei wir fürs erste nur darauf hinweisen wollen, daß man auch in Bayern auf den Mittelstand in der nämlichen Perspektive Bezug nimmt, diesen als "Leistungsträger Mittelstand" schätzen will, wie jenes Kapitel im bayerischen "Mittelstandsbericht 1988" (Bayerische Staatsregierung 1988: 3lff.)44 überschrieben ist, in welchem die bayerische Staatsregierung den Beitrag der kleinen Unternehmen für die Produktion, für den Arbeitsmarkt, für die Berufsausbildung usw. würdigt. 44 Entsprechend dem bayerischen Mittelstandsförderungsgesetz (MfG) aus dem Jahre 1974, (geändert 1986), muß die Bayerische Staatsregierung dem Bayerischen Landtag in angemessenen Zeitabständen - mindestens alle vier Jahre - einen Bericht über die Lage der kleinen und mittleren Unternehmen sowie der Freien Berufe vorlegen. Der erste Bericht erschien im Jahre 1976, weitere in den Jahren 1978, 1980, 1982, 1984, 1988 und 1992. Wir wollen uns vor allem auf die Berichte der Jahre 1988 und 1992 stützen.

16·

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Wir haben schon darauf hingewiesen, daß die Mittelstandspolitik des Bundes von Anfang an klarstellt, daß sie sich für den Mittelstand nur soweit interessiert, als sich dieser für die GesamtwirtschaJt, für das allgemeine und staatliche Wohl und Interesse 'nützlich' zu machen versteht. In der Broschüre "Leistungsträger Mittelstand" des Bundeswirtschaftsministeriums (o.J.: 26) lesen wir hierzu folgendes: "Mittelstandspolitik ist integraler Bestandteil einer Wirtschaftspolitik, die zu unternehmerischen Initiativen ermutigt. Ihre Ziele: Wiederbelebung der marktwirtschaftlichen Kräfte, allgemeine Stärkung der Investitions- und Innovationskraft der Unternehmen, Schaffung von ausreichend vielen Arbeits- und Ausbildungsplätzen. " Zweck der Mittelstandspolitik ist keineswegs die Protektion kleiner und mittlerer. Unternehmen vor den Marktkräften. "Erhaltungssubventionen für mittelständische Unternehmen sind ebenso abzulehnen wie subventionskonservierende Hilfen für Großunternehmen oder für ganze Branchen", heißt es in diesem Sinne in dem besagten Bändchen (ebd.: 28): Gegenüber Unternehmen jeglicher Größenordnung wird der übergeordnete Standpunkt des Allgemeinwohls geltend gemacht. Die Politik zielt darauf ab, die Wirtschaft optimal für die 'allgemeinen' Zwecke einzurichten. Hierbei gehen die Politikakteure von der 'alten Weisheit' aus, daß "der Wettbewerb zwischen Unternehmen ... die entscheidende Triebkraft für wirtschaftliche Leistung, für Innovationen, für Investitionen und damit für vermehrte Beschäftigungschancen (ist)" (ebd.). Ganz in dieser Perspektive hat sich die Mittelstandspolitik als "ein wichtiger Bestandteil der Politik zur Stärkung der Marktkräfte" (ebd.: 29) zu bewähren: Mittelstandspolitische Initiativen haben sich an dem übergeordneten Ziel auszurichten, "die Marktwirtschaft funktionsfähig" zu erhalten (ebd.);45 nicht die kleinen und mittleren selbständigen Unternehmen als solche also sind der eigentliche Fokus der Mittelstandspolitik. Damit zeigt sich auch, daß sich die Mittelstandspolitik nicht gegen die allgemeine Wirtschaftspolitik profilieren will, sondern gleichsam als eine spezielle 'Disziplin' derselben, die mit dieser am seI ben Strang ziehen will.

In aller Deutlichkeit wird dieser Standpunkt auch von der bayerischen Staatsregierung geltend gemacht: Im bayerischen Mittelstandsbericht des Jahres 1988 lesen wir diesbezüglich, daß "Mittelstandspolitik ... in erster Linie Politik für eine funktionsfähige Marktwirtschaft (ist)" (Bayer. Staatsregierung 45

Zur Tradition der Mittelstands- als Wettbewerbspolitik vgl. schon Frechen 1972: 63ff.

5.4 Mittelstandspolitik in Deutschland

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1988: 11). Der Politik geht es um die Leistungssteigerung der Volkswirtschaft insgesamt, nicht um den 'Schutz' bestimmter Unternehmensgrößen (ebd.): "Mittelstandspolitik ... bedeutet ... weder Politik gegen Großunternehmen noch Schutzzaunpolitik für kleine und mittlere Betriebe sowie Freie Berufe. Ihr Ziel ist die Chancengleichheit im marktwirtschaftlichen Wettbewerb durch Ausgleich unternehmensgrößenbedingter Nachteile." Nicht um die Protektion kleiner und mittlerer selbständiger Betriebe vor dem Wettbewerb ist es zu tun; angestrebt wird vielmehr "eine weitere Leistungssteigerung des Mittelstands" (ebd.; Hervorh. von uns), damit sich dieser effektiv und dauerhaft für das übergeordnete Ganze engagieren kann. Und das kann, da sind sich die bayerischen Mittelstandspolitiker sicher, gerade nicht durch eine "Politik der Abschottung zugunsten kleiner und mittlerer Unternehmen" erreicht werden, wie sie im Mittelstandsbericht 1992 (Bayer. Staatsregierung 1992: 11) schreiben. Im marktwirtschaftlichen Wettbewerb haben sich die Unternehmen 'zu bewähren'; in ihm entscheidet sich, ob ein Unternehmen, gleichviel ob 'groß' oder 'klein', fürs gesellschaftliche Ganze einen sinnvollen Beitrag zu leisten vermag. Indem die Mittelstandspolitik den kleinen Unternehmen dabei helfen will, in der gesamtwirtschaftlichen Konkurrenz zu bestehen, geht es ihr insofern auch weniger um diese selbst, als vielmehr in erster Linie um die "Sicherung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zukunft des Landes" (ebd.; Hervorh. von uns): Mittelstandspolitik soll, wie es im Bericht 1992 (ebd.: 93; Hervorh. von uns) wörtlich heißt, der "ganzen Gesellschaft (dienen), indem sie ein hohes Maß an Wettbewerb sicherstellt und durch die wirtschaftliche Verwendung knapper Ressourcen eine bestmögliche Versorgung an Gütern und Dienstleistungen gewährleistet. " Oben hatten wir dem Leser versprochen, daß wir uns nicht nur auf die mittelstandspolitischen Perspektiven konservativer bzw. liberalkonservativer Regierungen stützen möchten. Deshalb wollen wir uns, die bisherigen Ausführungen vertiefend und ergänzend, der Position der traditionell sozialdemokratisch geführten Landesregierung Nordrhein-Westfalens zuwenden, wobei wir uns insbesondere auf eine umfangreiche Schrift mit dem Titel "Politik für den Mittelstand", die der zuständige Minister für Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr im Jahre 1984 herausgegeben hat, beziehen wollen. Auf viel

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5. Staat und Kleinunternehmen in der Bundesrepublik

Neues werden wir freilich bei der Lektüre der besagten Schrift nicht stoßen; dies sei dem Leser vorneweg gesagt. Immerhin fällt sofort auf, daß der für die Schrift verantwortliche seinerzeitige Wirtschaftsminister R. Jochimsen gleich im Vorwort zu der besagten Schrift dokumentieren will, daß er auf der Höhe der internationalen small business-Forschung steht. Hier lesen wir nämlich folgendes (Ministerium für Wirtschaft usw. NRW 1984: Vorwort): "450 000 kleine und mittlere Unternehmen sind der lebendige Beweis einer ungebrochenen wirtschaftlichen Vitalität an Rhein und Ruhr. 'Smali business' wird hier ganz groß geschrieben - sei es im verbrauchernahen Handwerks- und Konsumgüterbereich, sei es bei der Vielfalt industrieller Zulieferer, sei es bei den innovationsfreudigen Neugründungen in den Technologiezentren des Landes." Anders als etwa in Bayern hat man an 'Rhein und Ruhr' nicht nur einen

'Mittelstand', sondern ein veritables small business, auf das man stolz ist.

Und viel mag für unsere Interpretation sprechen, daß man hier mit der Verwendung eines bestimmten Jargons nicht nur demonstrieren will, daß man die neueste Forschung kennt, sondern gleichzeitig auch in die 'Euphorie' der 'wissenschaftlichen Kleinunternehmerfans' einstimmen will. Aber auch in Nordrhein-Westfalen gilt der "konsequenten Mittelstandspolitik" (ebd.) - hier verläßt man sich wieder auf herkömmliche Sprachwendungen - das kleine Unternehmen keineswegs als ein Selbstwert an und für sich. Interessant werden die Kleinunternehmen, weil man sich von ihnen einen Beitrag zur Erfüllung gesamtwirtschaftlicher und gesamtgesellschaftlicher Ziele erhofft: "Nordrhein-Westfalen ist das Bundesland mit der größten Anzahl kleiner und mittlerer Unternehmen. Über 450.000 gewerbliche Unternehmen bis 500 Beschäftigte (ohne Land- und Forstwirtschaft) erwirtschaften mit ca. 4 Millionen Beschäftigten knapp zwei Drittel des Sozialprodukts. Sie stellen nahezu 85 % aller Ausbildungsplätze, sichern die wohnortnahe Versorgung der Bevölkerung, geben dem Wettbewerb und der Innovation gerade in Zeiten struktureller Veränderungen neue Impulse. Sie wirken infolge ihrer Anpassungsfähigkeit stabilisierend auch und gerade in Zeiten konjunktureller Schwankungen der Wirtschaft." (ebd.: 2) "Das hohe Gewicht der kleinen und mittleren Betriebe für die Volkswirtschaft und die gesamtwirtschaftliche Entwicklung des Landes verdeutlicht sich in dem Beitrag von knapp 2/3 zum Sozialprodukt in anschaulicher Weise. Er erschöpft sich indes darin nicht: Sie erfüllen wichtige

5.4 Mittelstandspolitik in Deutschland

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Funktionen in ihrer Rolle als Zulieferer, als Arbeitgeber und Ausbildende auf dem Arbeitsmarkt wie als Strukturfaktor für den Wettbewerb auf den Waren- und Dienstleistungsmärkten. " (ebd.: 3) Viel erwartet man sich im sozialdemokratischen Nordrhein-Westfalen von "den Kleinen", wie Wirtschaftsminister Jochimsen sein small business im Vorwort auch nennt, gerade was die Lösung der gewichtigen beschäftigungspolitischen Probleme an Rhein und Ruhr anlangt; offenbar hat man hier also gerade die so hoffnungsvoll verbreiteten Ergebnisse der job generation-Studien mit Interesse zur Kenntnis genommen: 46 "Chancen für mehr Beschäftigung sieht die Landesregierung vor allem bei den mehr als 450.000 kleinen und mittleren Unternehmen, zumal dieser Bereich sich auch bisher schon als ein die Beschäftigung tendenziell stabilisierender Faktor erwiesen hat." (ebd.: 48) Klar ist aber auch, daß in der Perspektive der Steigerung der "wirtschaftliche(n) Dynamik" (ebd.: 52) auch in Nordrhein-Westfalen die Mittelstandspolitik keineswegs darauf abzielt, die kleinen und mittleren Unternehmen vor den größeren Konkurrenten in Schutz zu nehmen; vielmehr geht es darum, ihre "Wettbewerbs- und Leistungsfähigkeit" zu stärken, damit sie mit diesen mithalten können (ebd.: 59): "Eine Politik des Nachteilausgleichs reicht für die Fundierung einer zukunftsweisenden Mittelstandspolitik nicht mehr aus, sondern eine Weiterentwicklung der Mittelstandspolitik ist notwendig, um Wachstumsreserven auszuschöpfen und um einen in ständiger Regeneration befindlichen Unternehmensbestand zu stärken. " Ganz in diesem Sinne ist in dem Band "Politik für den Mittelstand" vom "Konzept einer wachstums- und beschäftigungsorientierten Mittelstandspolitik" (ebd.; Hervorh. von uns) die Rede: Für Wachstum und Beschäftigung haben sich 'die Kleinen' nach Kräften zu engagieren. An die Einrichtung von Mittelstandsreservaten denkt man also auch in Nordrhein-Westfalen nicht. Nicht um den Schutz vor dem Wettbewerb geht es, sondern darum, Leistungsreserven der mittelständischen Unternehmen zu erschließen, damit diese im Wettbewerb bestehen können (ebd.: 60): 46 In der Publikation (ebd.: 48) wird explizit auf W. SteinIes Aufsatz "Der Beitrag des wirtschaftlichen Mittelstandes zur Beschäftigungsentwicklung" (1982) verwiesen (vgl. auch SteinIe 1984).

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5. Staat und Kleinunternehmen in der Bundesrepublik

"Die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen wurde und wird vor allem als Beitrag zur Stärkung von Chancengleichheit beim Marktzugang im Wettbewerb und im Wachstum der Wirtschaft verstanden. In der gegenwärtigen stark veränderten wirtschaftspolitischen Situation hat zusätzlich der Beitrag zur Förderung des Wirtschaftswachstums und vor allem zur Schaffung von Arbeitsplätzen stärkeres Gewicht gewonnen. " Auf keinen Fall zielt die nordrhein-westfälische Mittelstandspolitik gegen Großstrukturen: Schließlich dominieren an Rhein und Ruhr ja die industriellen Großunternehmen, weshalb man hier vor allem auch an die "wirtschaftlichen Chancen im Neben- und Miteinander von Groß und Klein" denkt, wie es schon im Vorwort zu der Schrift "Politik für den Mittelstand" heißt. Wenn wir an dieser Stelle unsere Ausführungen in verallgemeinernder Perspektive zusammenfassen wollen, dürfen wir wohl zu Recht formulieren, daß die Mittelstandspolitik in der Bundesrepublik in ihrer grundlegenden Zielstruktur dezidiert keine Mittelstandsprotektion sein will: Gefragt sind die kleinen selbständigen Unternehmen vor allem als Leistungsträger für die Verwirklichung gesamtwirtschaftlicher Zwecke. Was sich also auch in den mittelstandspolitischen Zwecksetzungen ungebrochen geltend zu machen vermag, ist das allgemeine Interesse der Politik an einer produktiven Wirtschaft: Für die effiziente Produktion und Steigerung des 'Wohlstands' des Staates und seiner Bevölkerung, dafür haben sich die kleinen Unternehmen zu engagieren, und dabei will sie der Staat auch nach Kräften mittelstandspolitisch unterstützen. 47 5.4.3 Staat und kleine Unternehmen: 'Materielle' und 'gesellschaftspolitische' Aspekte seines 'mittelständischen' Interesses

In dem von uns zuletzt immer wieder herangezogenen Bändchen "Leistungsträger Mittelstand" ist von den kleinen und mittleren Unternehmen ganz emphatisch als dem "Rückgrat der Wirtschaft" (Bundeswirtschaftsministerium 47 Wir haben dieses Resultat mit Bezug auf aktuelle Stellungnahmen verschiedener 'mittelstandspolitischer' Akteure (Bund, Bayer. Staatsregierung, Landesregierung NRW) der 80er und 90er Jahre entwickelt. Hingewiesen sei hier freilich darauf, daß es keine Schwierigkeiten machen würde, dasselbe Ergebnis auch im Rekurs auf früher publizierte Mittelstandspositionen bundesdeutscher Politikakteure nachzuweisen. So ist schon in den 1970 veröffentlichten "Grundsätzen einer Strukturpolitik für kleine und mittlere Unternehmen" gerade davon die Rede, daß es der "produktivitätssteigernde Effekt" ist, "der eine öffentliche Förderung rechtfertigt" (Bundesregierung 1970: 11). Auf solche und ähnliche Formulierungen stoßen wir immer wieder, wenn wir mittelstandspolitische Positionspapiere zur Hand nehmen; indes wollen wir den Leser nicht mit der Zitation der einzelnen 'Varianten' langweilen.

5.4 Mittelstandspolitik in Deutschland

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o.J.: 4) die Rede. Und auch die bayerischen Mittelstandspolitiker geraten ins Schwärmen, wenn sie an 'ihren' Mittelstand denken: In ihrem Mittelstandsbericht 1988 bspw. sprechen sie diesen als das "Herzstück der Wirtschaft in Bayern" (Bayer. Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr 1988: 319) an. Schließlich seien auch noch die nordrhein-westfälischen Mittelstandspolitiker erwähnt, die nicht minder anerkennend gerade ihre "450 000 kleine(n) und mittlere(n) Unternehmen" als "lebendige(n) Beweis einer ungebrochenen wirtschaftlichen Vitalität an Rhein und Ruhr" bemühen wollen (Ministerium für Wirtschaft usw. NRW 1984: Vorwort). Es scheint also, daß die 'Kleinunternehmenseuphorie' , wie sie für den aktuellen wissenschaftlichen Diskurs so bezeichnend ist (s.o. Abschnitte 1.1 und 2.2.5), auch die maßgeblichen Akteure der Mittelstandspolitik ergriffen hat. Aber halt: Ist dem wirklich so? Bisher haben wir doch immer wieder gesehen, daß der modeme Staat in seinem Interesse an einer produktiven materiellen Basis traditionell auf die 'große Industrie' gesetzt hat; was wir gerade in der Rekonstruktion des Prozesses der Neuordnung der bundesrepublikanischen Nachkriegswirtschaft exemplarisch aufgewiesen haben. Und jetzt lesen wir auf einmal, daß sich die mittelstandspolitischen Akteure auf den Mittelstand als dem 'Rückgrat' und 'Herzstück' der Wirtschaft beziehen wollen. Was wir nun im folgenden zeigen wollen, ist, daß man solchen Formulierungen und Einschätzungen eine vorsichtige Skepsis entgegenbringen muß. Doch zunächst einmal müssen wir zusehen, mit welchen Argumenten und Daten die politischen Akteure ihre 'affirmative' Einschätzung des kleinbetrieblichen Sektors untermauern wollen. Daß wir dabei auf vieles stoßen, was uns schon von unserer Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Kleinunternehmerliteratur her geläufig ist, wird uns freilich nicht weiter verwundern. Zunächst wollen wir noch einmal das Bändchen "Leistungsträger Mittelstand" zur Hand nehmen; gleich eingangs wird hier eine ganze Reihe von "Aktivposten" kleiner Unternehmen genannt, welche diese als 'Leistungsträger' für die Politik interessant machen: "Kleine und mittlere Unternehmen beschäftigen über 12 Millionen Menschen und stellen damit rund zwei Drittel der Arbeitsplätze in der privaten Wirtschaft, bilden etwa 1,4 Millionen Lehrlinge aus und stellen damit gut 80 Prozent der Ausbildungsplätze, produzieren etwa die Hälfte des gesamten Bruttoinlandsprodukts, erwirtschaften gut die Hälfte aller zu ver-

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5. Staat und Kleinunternehmen in der Bundesrepublik

steuernden Unternehmensumsätze, tätigen rund zwei Fünftel aller Bruttoinvestitionen. " (Bundesministerium für Wirtschaft O.J.: 4) Solche Daten und Zahlen werden auch in der wissenschaftlichen Literatur immer wieder genannt, um auf die, wie es etwa in H. Kotthoffs und J. Reindis Schrift "Die soziale Welt kleiner Betriebe" (1990: 8) heißt, "gewichtige Stellung" der kleinen Unternehmen in der "Wirtschaftsstruktur der Bundesrepublik" aufmerksam zu machen. 48 Allerdings muß hier doch mit allem Nachdruck darauf hingewiesen werden, daß die entsprechenden Daten zunächst einmal nur, wie der Volkswirt G. Zeitel (1990: 26; Hervorh. von uns) in seinem Beitrag "Volkswirtschaftliche Bedeutung von Klein- und Mittelbetrieben" schreibt, die "quantitative Bedeutung des Mittelstandes"49 zu dokumentieren vermögen; über dessen qualitative Bedeutung für die Volkswirtschaft insgesamt hingegen scheint damit allein noch nicht allzu viel ausgesagt zu sein. Auf jeden Fall mutet es einigermaßen voreilig an, mit Blick auf solche Zahlen gleich vom Mittelstand als dem 'Rückgrat' oder 'Herzstück' unserer Wirtschaft und davon zu sprechen, daß "die wirtschaftliche Leistungsfahigkeit, Wohlstand und soziale Sicherheit in der Bundesrepublik in hohem Maße abhängig (sind) von mittelständischen Unternehmen" (Bundesministerium für Wirtschaft o.J.: 6). Für eine Begründung ihres gerade in den letzten Jahren immer wieder so offensiv zur Schau gestellten 'Mittelstandsoptimismus'5o verweisen die Ak48 Kotthoff und Reindl (ebd.) ausführlich: "Industriebetriebe kleiner und mittlerer Größe (weniger als 500 Beschäftigte) nehmen in der Wirtschaftsstruktur der Bundesrepublik eine gewichtige Stellung ein. 95 % der Betriebe im verarbeitenden Gewerbe gehören zu dieser Größenklasse. In ihnen arbeitet die Hälfte der 6,9 Millionen Beschäftigten dieses Wirtschaftssektors. " 49 Zeitel (1990: 26) konkretisiert, daß "in fast allen Wirtschaftsbereichen ... über 90 % der Unternehmen dem Mittelstand zuzurechnen (sind)", obwohl er nichtsdestotrotz auch von einer "neuerdings wieder hervorgehobenen fortgeschrittenen Konzentration in der deutschen Wirtschaft" sprechen will. Die Zahlen, die Zeitel (ebd.: 28) für die 'Unternehmensstruktur' nennt, finden sich in der wissenschaftlichen wie in der 'politischen' Literatur immer wieder. ZeiteIs Ausführungen seien ihrer 'Typizität' für den gesamten Kleinunternehmerdiskurs halber ausführlich zitiert: "Die Unternehmensstruktur in der deutschen Wirtschaft hat nach der Beschäftigtenstatistik aus dem Jahre 1985 folgendes Bild: 99,7 % aller Unternehmen haben weniger als 500 Beschäftigte und 98,2 % aller Unternehmen haben weniger als 100 Beschäftigte. Unternehmen mit weniger als 500 Beschäftigten stellen Arbeitsplätze für über 13 Millionen Erwerbstätige zur Verfügung, das sind etwa 70 % aller Beschäftigten, und produzieren rund 50% des Bruttoinlandsprodukts. " 50 Auch in den "Jahreswirtschaftsberichten" wird selbiger notorisch zur Schau gestellt: "Die Bundesregierung ist sich der hervorragenden Bedeutung der mittelständischen Wirtschaft und der freien Berufe für die weitere Wirtschafts- und Gesellschaftsentwicklung bewußt. Dies gilt

5.4 Mittelstandspolitik in Deutschland

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teure der deutschen Mittelstandspolitik auf 'typische Eigenschaften' kleiner und mittlerer selbständiger Unternehmen, wie sie auch in der wissenschaftlichen Literatur oft genannt werden: Flexibilität', 'Anpassungsfähigkeit' , 'Innovativität', 'Risikofreudigkeit' .51

insbesondere in einer Wirtschaftssituation. in der es vor allem auf die Steigerung der Anpassungs- und Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft ankommt." Diese Passage findet sich unter der Rubrik "Mittelstandspolitik" im "Jahreswirtschaftsbericht" des Jahres 1981 (JWB 1981: 16), bringt also das mittelstandspolitische Credo einer sozialliberalen Regierung zum Ausdruck. Ein Jahr später heißt es an der entsprechenden Stelle des "Jahreswirtschaftsberichtes 1982": "Für den Strukturwandel und die Wiedergewinnung eines hohen Beschäftigungsstandes spielen kleine und mittlere Unternehmen und freie Berufe eine wichtige Rolle." (JWB 1982: 17f.; Hervorh. von uns) Aus dieser Stelle erhellt, daß die Bundesregierung, immer noch sozialliberal geführt, mittlerweile von den Forschungsergebnissen der job generation-Studien Kenntnis genommen hat und die kleinen und mittleren Unternehmen vor allem wegen des darin gepriesenen beschäftigungspolitischen Potentials würdigt. Kaum anders nehmen sich dann freilich die Formulierungen aus, die wir in den Jahreswirtschaftsberichten der nach der Wende im Jahre 1982 liberalkonservativen Bundesregierungen lesen können. So etwa 1983: "Für die Wiedergewinnung von wirtschaftlichem Wachstum und für die Sicherung und Schaffung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen spielt die mittelständische Wirtschaft eine wichtige Rolle" (JWB 1983: 20); und ein Jahr darauf ist davon die Rede, daß "die Neubesinnung auf die marktwirtschaftliche Ordnung ... vor allem auch dem Mittelstand (dient)" (1984: 19). Noch ein Jahr später wird wieder einmal auf die arbeitsmarktpolitische Rolle der mittelständischen Unternehmen positiv Bezug genommen: "Kleine und mittlere sowie junge Unternehmen haben in den vergangenen beiden Jahren einen überproportionalen Beitrag bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze und bei der Bereitstellung von Ausbildungsplätzen geleistet. Damit hat sich einmal mehr die Bedeutung des Mittelstandes für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung erwiesen." (JWB 1985: 20) Im Bericht 1986 steht folgendes: "Die Politik der Bundesregierung hat das große Gewicht und die Bedeutung mittelständischer Unternehmen für die Wettbewerbsfähigkeit und Vitalität der Gesamtwirtschaft stets in Rechnung gestellt. Die Mittelstandspolitik ist wichtiger Bestandteil der Politik zur Stärkung der Marktkräfte. " (JWB 1986: 22) - So finden sich Jahr ums Jahr immer wieder dieselben Formeln in den Jahreswirtschaftsberichten; wobei noch darauf hinzuweisen ist, daß in den letzten Jahren natürlich auch die Themen 'Europa' und 'vereintes Deutschland' ihren Niederschlag finden. So findet sich im Bericht 1989 eine eigene Rubrik mit dem Titel "Leistungsträger Mittelstand für Europa stärken". Hier lesen wir folgendes: "Kleine und mittlere Unternehmen sowie dit: freien Berufe tragen maßgeblich zur Wettbewerbskraft und Anpassungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft insgesamt bei. Die Entstehung eines einheitlichen europäischen Binnenmarktes stellt gerade für die mittelständische Wirtschaft ein zusätzliches Wachstumspotential dar." (JWB 1989: 26) Schließlich noch eine Passage aus dem Bericht des Jahres 1991, in der unter der Überschrift "Die mittelständische Wirtschaft für zusammenwachsende Märkte in Deutschland und Europa stärken" gerade auch auf die 'neuen Bundesländer' Bezug genommen wird: "Auch in der neuen Legislaturperiode besteht eine zentrale Aufgabe der Wirtschaftspolitik darin, die gesamtwirtschaftlichen und mittelstandsspezifischen Rahmenbedingungen so zu gestalten, daß sich kleine und mittlere Unternehmen sowie die freien Berufe im Wettbewerb voll entfalten können. Eine ausgewogene Mischung zwischen kleinen, mittleren und großen Unternehmen ist eine wichtige Voraussetzung für eine günstige Entwicklung der Wirtschaft auch in den neuen Bundesländern. Kleine und mittlere Unternehmen können dabei aufgrund ihrer besonderen Anpassungsflexibilität und ihrer Innovationbereitschaft häufig eine Pionierrolle übernehmen." (JWB 1991: 23) 51 So wird bspw. in der NRW-Schrift "Politik für den Mittelstand" erst einmal das Klischee von den, so wörtlich: "schwerfälligen" Großunternehmen beschworen, um demgegenüber "das F1exibilitäts-, Anpassungs- und Innovationspotential der kleinen und mittleren Unternehmen" (161) zu rühmen.

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5. Staat und Kleinunternehmen in der Bundesrepublik

Angesichts freilich der Tatsache, daß 'der' Mittelstand, wie wir ja schon in Abschnitt 2.2.5 gesehen haben, "ein äußerst heterogener Bereich" (Hilbert/ Sperling 1990: 17) ist, scheint uns der pauschale Verweis auf die angeführten 'mittelständischen Tugenden' einigermaßen beliebig und wohl auch etwas illusionär zu sein. Daß man in der zeitgenössischen Politik ganz dezidiert, von der besagten Heterogenität des kleinbetrieb lichen Sektors abstrahierend, den Mythos des 'innovativen', 'flexiblen' usw. Kleinunternehmen beschwören will, sieht man allein schon daran, daß es die verantwortlichen Akteure eigentlich besser wissen. In dem Bändchen "Leistungsträger Mittelstand" des Bundeswirtschaftsministers (o.J.: 6) heißt es nämlich: "Das für das Wirtschaftsleben der Bundesrepublik typische Unternehmen ist mittelständisch. Die Unterschiede sind allerdings groß: Der Mittelstand reicht vom Tante-Emma-Laden bis zum Industriebetrieb mit weltumspannenden Aktivitäten, vom Alleinhandwerker bis zum Unternehmer mit 500 Beschäftigten." Überaus bezeichnend für Standpunkt und Perspektive der mittelstandspolitischen Akteure ist freilich, daß die Reflexion auf die 'großen Unterschiede' eigentümlich folgenlos bleibt. Im unmittelbaren Anschluß an die soeben zitierte Stelle heißt es in diesem Sinne: "Alles in allem zeichnet sich der Mittelstand als Wirtschaftsfaktor mit beachtlichen Kräften und Leistungen aus." (ebd.: 6) Und gerade der resolute Wille zu diesem 'alles in allem' bedeutet, daß die Politik 'Unterschiede' zwar wahr-, aber nicht ernstnehmen will, daß sie sozusagen kontrafaktisch am Mythos des 'flexiblen', 'innovativen' Kleinunternehmens festhalten und sich dabei von der Empirie nicht stören lassen will. Für unseren Geschmack nur allzu schnell stimmen die Politikakteure das "hohe Lied der gewerblichen Selbständigkeit" an, das schon der Mittelstandsklassiker J. Wernicke (1907: 333) als im großen und ganzen "sehr imaginär" einzuschätzen geneigt war: Und in der Tat, zu 'dem' Mittelstand rechnen eben wirklich nicht nur international erfolgreich konkurrierende Maschinenbauunternehmen oder innovative, kleine High-TechFirmen, wie sie auch in der wissenschaftlichen Kleinunternehmerliteratur gern als schmucke 'Ausstellungsstücke' bemüht werden, sondern auch und gerade die vielen Klein- und Kleinstbetriebe im Bereich von Handwerk, Handel und

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Dienstleistungen, die das Gros der mittelständischen Unternehmen ausmachen. 52 Bereits in Abschnitt 2.2.5 haben wir ja ausführlich erörtert, daß die 'Prachtstücke' unter den Kleinbetrieben, wie zum Beispiel 'technologieorientierte Unternehmen', im Grunde eher die Ausnahmen sind.53 Oft genug handelt es sich gerade bei Neugründungen von Kleinunternehmen um Unternehmen, die sozusagen 'aus der Not geboren' werden. Und gerade in Zeiten hoher Massenarbeitslosigkeit nimmt die Zahl der sog. 'Selbständigen aus Not'54 zu: Deren Existenz verdankt sich freilich weniger einer vermeintlich überlegenen Effizienz ihrer Kleinunternehmen, als vielmehr der fehlenden Alternative 52 Um den Leser nicht mit allzu viel trockenen Zahlen zu langweilen, sei hier nur auf die vom Bonner Institut für Mittelstandsforschung (1993: 15ff.) erstellte "Unternehmensgrößenstatistik 1992/93" verwiesen, in welcher die 'Untemehmensgrößenstruktur' entlang der Variable 'Umsatz' dargestellt wird: Hier zeigt sich, daß die ganz kleinen Unternehmen bei weitem überwiegen, und daß sie es sind, die den Mittelstand 'ausmachen'. Mit Bezug auf die Umsatzsteuerstatistik 1990 ergibt sich für die bundesrepublikanische Wirtschaft insgesamt folgendes Bild: Umsatzgrößenklassen Unternehmen (Anzahl in Tsd.l %) 25 bis 50 Tsd. 258/12,3 50 bis 100 Tsd. 350/16,6 100 bis 500 Tsd. 859/40,8 500 Tsd. bis 1 Mio. 259/12,3 1 Mio. bis 5 Mio. 285/13,5 mehr als 5 Mio 9314,4 Diese Zahlen (vgl. die Tabellen 1 und la der "Unternehmensgrößenstatistik 1992/93", deren Daten wir für unsere Zwecke zusammengefaßt haben) zeigen hinreichend, daß die 'ganz kleinen' Unternehmen (hier mit Bezug auf den Jahresumsatz angegeben) im Mittelstand eindeutig dominieren. Um die Zahlen mit einem Beispiel zu veranschaulichen: Wie wir aus dem eigenen Freundeskreis wissen, ist es keine Schwierigkeit, schon mit einer kleinen Damenboutique (Alleinunternehmerin mit Aushilfe in einer westfälischen Mittelstadt; gehobenes Genre, Anfang der 90er Jahre) einen Jahresumsatz von 400 bis 450 Tausend Mark zu erzielen. Mit Blick auf dieses Beispiel fragt man sich aber dann doch, was das überhaupt für 'Unternehmen' sind bzw. sein sollen, die einen noch geringeren Jahresumsatz erwirtschaften. 53 In seiner Studie über die "Beschäftigungswirkung von Existenzgründungen" macht G. Weitzel (1986: 46; zit. n. Goldberg 1987: 311f.) die folgende bezeichnende Anmerkung: "Unter Hinweis auf die beträchtliche Unsicherheit der Datenlage wird für die Bundesrepublik Deutschland der Anteil der technologieorientierten Neugründungen an den Unternehmensgründungen im Verarbeitenden Gewerbe ... auf jährlich 2-3% geschätzt. Dieser Anteilsatz erschien so niedrig, daß technologieorientierte Gründungen im Rahmen der vorliegenden Studie vernachlässigt wurden." - Goldberg (1987: 312; v.a. auch 310, Fn. 7, unter Hinweis auf Rügemer 1985) verweist in diesem Zusammenhang darauf, daß "Untersuchungen für die USA zu ähnlichen Ergebnissen (kommen)". 54 Das Argument, wie es Bögenhold (1987: 27ff.) in seiner Studie "Der Gründerboom. Realität und Mythos der neuen Selbständigkeit" vorträgt, ist als solches freilich keineswegs neu: Bspw. weist Winkler (1983: 189) darauf hin, daß es schon "in der Zeit der Weltwirtschaftskrise" eine "Flucht in die Selbständigkeit" gegeben hat: "Die Weltwinschaftskrise, während der manche Arbeitslosen versuchten, sich durch die Eröffnung eines Geschäfts - etwa eines Tabakladens - über Wasser zu halten, ließ den Anteil der Selbständigen bis 1933 vorübergehend auf 16,1 % steigen. " (ebd.: 188)

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5. Staat und Kleinuntemehmen in der Bundesrepublik

auf dem Arbeitsmarkt. 55 Nun geht gewiß mit jedem neueröffneten Kopiershop, jeder Videothek, jedem Sonnenstudio, jedem Schnellimbiß und mit jeder Ausbesserungsschneiderei (um nur einige für unsere heutige Gesellschaft typische mittelständische 'Existenzformen ' zu nennen) die Schaffung mindestens eines Arbeitsplatzes einher .56 Aber von der Existenz solcher relativ inferiorer Kleinunternehmen hängt die Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft, um deren internationale Konkurrenzfähigkeit sich der Staat ansonsten sehr sorgt, insgesamt gewiß nicht ab. Mit Blick eben auf die Heterogenität des kleinbetrieblichen Sektors sind 'globale' Zahlen über die Entwicklung der Selbständigenquote insgesamt wenig aussagekräftig. Und doch geraten gerade Politiker angesichts der Tatsache, daß nach einem langen säkularen Fallen "seit etwa zehn Jahren die Zahl der Selbständigen nicht weiter zurückgeht und die Zahl der Unternehmen ansteigt" (Goldberg 1987: 312),57 ziemlich ins Schwärmen: Man spricht, wie 55 Bögenhold (1991: 223) verweist in diesem Zusammenhang auch auf die zunehmende Zahl sog. 'alternativer Selbständiger', die "in einer spezifisch anderen Art und Weise gesellschaftlich und ökologisch 'nützliche' Produkte" produzieren. Dabei bezieht sich das 'anders' auf die typische Wirtschaftsgesinnung, die dem Wirtschafts- und Produktionshandeln zugrundeliegt. Völlig zu Recht macht nun Bögenhold darauf aufmerksam, daß die vermeintlich neuen ('alternativen') Wirtschaftsorientierungen so neu nicht sind: In ihrer selbstgenügsamen Abkehr vom Erwerbs- und Hinwendung zum Bedarfsdeckungsprinzip entsprechen sie den Motivstrukturen, wie sie für die traditionelle Handwerksökonomie typisch waren. Daß man damit 'keinen (modemen) Staat machen' kann, das wußten schon die politischen Proakteure der 'großen Reformen' zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts. Und auch die heutigen Politiker denken eher an die wenigen wirklich innovativen und technologisch 'avantgardistischen' Kleinunternehmen und Neugründungen, wenn sie die 'neue Selbständigkeit' rühmen: "Die Verweise auf 'Silicon Valley' sind hier Programm. Förderung von 'High-Tech' und dynamisches Kleinunternehmertum werden hier geradezu deckungsgleich, obwohl alle Statistiken zeigen, daß neue Technologien, daß Forschung und Entwicklung ganz überwiegend unter den Fittichen weniger Großkonzerne stattfmden" (Goldberg 1987: 310). 56 Was natürlich durch die Liquidations- und Insolvenzproblematik (vgl. Paasch 1990: 129; Goldberg 1987: 313ff.) wieder relativiert wird: Keineswegs alle 'Gründer' vermögen sich langfristig als 'survivor' zu bewähren. Auf diese Problematik hatten wir ja bereits in Abschnitt 2.2.5 unserer Studie hingewiesen. Goldberg (1987: 318f.) führt in diesem Zusammenhang ein weiteres interessantes Argument an: Gerade mit Blick auf den Umstand, daß viele Neugründungen von Kleinunternehmen Auslagerungen von Tätigkeiten aus Großbetrieben sind (z.B.: Software wird nicht mehr von eigenen Angestellten, sondern von einem selbständigen Büro entwickelt), kann die Gesamtwirkung von Existenzgründungen auf den Arbeitsmarkt insgesamt "kaum abgeschätzt werden" (ebd.: 319). - Wir möchten an dieser Stelle noch einmal an unsere kritische Diskussion der zeitgenössischen Kleinunternehmerforschung in Abschnitt 2.2.5 erinnern: Dort hatten wir schon die durchaus einsichtigen Argumente jener Minderheit von Autoren vorgestellt, die den im Hauptstrom der zeitgenössischen Kleinunternehmerliteratur allzu glatt und gefällig präsentierten Mythos des 'dynamischen Kleinunternehmens' differenzierend relativieren wollen. 57 Vgl. hierzu etwa noch Paasch (1990: 129): "Der langfristig rückläufige Trend der Zahl selbständig Erwerbstätiger in der Bundesrepublik ist zu Beginn der 80er Jahre vorläufig zum Stillstand gekommen und bescheidenen positiven Wachstumsraten gewichen." Zur Begründung

5.4 Mittelstandspolitik in Deutschland

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wir ja schon gesehen haben, vom 'Leistungsträger Mittelstand', begrüßt den genannten Trend als Ausdruck einer 'Renaissance des Unternehmertums' und deutet ihn umstandslos als Indiz für gesamtwirtschaftliche Vitalität und Prosperität (vgl.: 314).58 Demgegenüber macht Goldberg (ebd.: 315) in seinem Aufsatz "Die 'neuen Selbständigen'. Vor einer Renaissance der Privatinitiative?", aus dem wir soeben schon zitiert haben, zu Recht darauf aufmerksam, daß Zahlen über Unternehmensneugründungen sehr vorsichtig zu interpretieren sind. Folgen wir seinen entsprechenden Ausführungen, dann wird gerade "in Wirtschaftskreisen ... die Zunahme der Gewerbeanmeldungen ... nicht selten als Zeichen von zunehmender Labilität beklagt." Goldberg nennt in diesem Zusammenhang einerseits die zunehmende Zahl sog. "Schwindelgründungen" (ebd.: 9), die bald wieder von der Bildfläche verschwinden, zum anderen die von uns oben schon angeführten eher marginalen Existenzen im Dienstleistungsgewerbe (vgl. ebd.: 316), hinter deren Gründung oft genug nur das Motiv steht, entweder der (Langfrist-)Arbeitslosigkeit oder einer als unsicher empfundenen Arbeitsplatzsituation zu entkommen. Und auch darauf soll hier noch einmal hingewiesen werden: 59 Daß nämlich in den letzten Jahren Großunternehmen verstärkt auf die Einbindung von selbständigen Kleinbetrieben in ihre Organisationskomplexe setzen: Zum einen werden Produktionsfunktionen ausgegliedert ('Verringerung der Fertigungstiefe' ; 'verlängerte Werkbänke'); zum anderen soll der Vertrieb effektiv (re)organisiert werden ('Franchising'). Allgemeiner Zweck ist in beiderlei Hinsicht die Strategie, die Produktivität und damit Profitabilität der großbetrieblichen Produktion insgesamt zu erhöhen. Erreicht wird dies einmal dadurch, daß bislang von angestellten Arbeitnehmern ausgeführte Funktionen an stärker engagierte Selbständige übertragen werden (vgl. Goldberg 1987: 317);60 andererseits scheint in kleinen Zulieferbetrieben die Arbeitskraft führt der Autor aus (ebd., Fn. 1): "Dies deuten jedenfalls die vom Statistischen Bundesamt auf Grundlage des Mikrozensus ermittelten Daten an (vgl. Statistisches Jahrbuch, div. Jge.). Danach war 1981 mit 2.351.000 Selbständigen der niedrigste Stand in der Geschichte der BRD erreicht; bis 1987 stieg ihre Zahl auf 2.426.000. Erste Ergebnisse der Volkszählung 1987 relativieren allerdings diesen Befund insofern, als danach für 1987 lediglich 2.296.011 Selbständige ermittelt wurden ... ". 58 Goldberg (ebd.: 314) zitiert eine Äußerung M. Wissmanns (aus dem Pressedienst der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag v. 6.1.1986): "Die seit 1983 anhaltende Existenzgriindungswelle ist ein Zeichen der wiedergewachsenen Vitalität und Dynamik der deutschen Volkswirtschaft. " 59 Siehe ausführlicher oben Abschnitt 2.2.5. 60 U. Mayer und U. Paasch (1990) haben kürzlich darauf aufmerksam gemacht, daß bspw. bei selbständigen Ein-Mann-Unternehmen, die in enger Beziehung zu einem größeren Unternehmen stehen, die formell-juristische Selbständigkeit oft nur der Mantel ist, unter dem sich

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gewerkschaftlich geringer organisiert zu sein als in Großbetrieben (vgl. z.B. Mendius et al. 1987; Rainnie 1989; 1991), kann hier mithin 'intensiver' in Anspruch genommen werden: Wo keine Belegschaftsvertretung ('Betriebsrat') wacht, können gesetzliche und soziale Auflagen flexibler gehandhabt werden als in den 'transparenteren' und organisatorisch 'dichteren' Großbetrieben (vgl. etwa Dabrowski et al. 1981; Grube 1987). Wenn wir nun für einen Moment innehalten und die im vorstehenden angeführten Hinweise und Argumente noch einmal Revue passieren lassen, gewinnt der Eindruck immer deutlichere Konturen, daß die pauschale und undifferenzierte Rede vom 'dynamischen innovativen Kleinunternehmen' doch eher auf einen 'Mythos' zielt (vgl. Rainnie 1989: 9ff.), als daß sie die heterogene Realität des mittelständischen bzw. kleinbetrieb lichen Sektors korrekt wiedergibt: Bei näherem, "Fakten und Fiktion" (Bögenhold 1987: 10) isolierendem Zusehen zeichnen sich weite Bereiche desselben durch "Labilität" (Goldberg 1987: 314), 'produktive Inferiorität' und 'Marginalität' aus, daß es schon einigermaßen verwundert, daß die mittelstandspolitischen Akteure die 'mittelständischen Unternehmen' ganz undifferenziert als 'Rückgrat' bzw. 'Herzstück' der Wirtschaft reklamieren wollen. So ganz ernst dürfte es den Politikakteuren mit ihrer Einschätzung wohl selbst nicht sein. Aber nichtsdestotrotz spielt 'der Mittelstand' in den Kalkülen und Strategien der Politik eine gewisse Rolle. Aber welche? Das gilt es nun, konkret zu rekonstruieren. An dieser Stelle ist der Hinweis darauf angebracht, daß in Deutschland sowohl der Bund61 als auch die Länderregierungen ein kaum mehr überschaubares Förder- und Unterstützungssystem für kleine und mittlere Unternehmen unterhalten: Nicht so freilich, daß es ihm, wie sich Eucken dies gewünscht hatte, darum ging, die Reproduktionsbedingungen der mittelständischen Betriebe wirtschaftsordnungspolitisch radikal zu 'entschärfen', nimmt der Staat nichtsdestotrotz wirtschaftspolitischen Einfluß auf die konkrete Gestalt derselben: Mit der Vergabe bspw. von Existenzgründungsdarlehen, der Gewährung von Steuererleichterungen für Kleinbetriebe, der Profilierung von Eigenkapitalhilfe- und Innovationsförderungsprogrammen, der Organisation regionaler materiale Abhängigkeit verbirgt. Mit dem Titel ihres Buches spielen sie darauf an: "Ein Schein von Selbständigkeit". Mit Blick auf diese Empirie bietet sich natürlich der Ausdruck 'abhängige Selbständigkeit' an (1990: 154). Paasch hierzu in einem Aufsatz: "Eine Reihe von Indizien deutet ... darauf hin, daß der statistische 'Gründerboom ' zu einem nicht geringen Teil auf Zunahmen im Bereich der abhängigen Selbständigkeit zurückzuführen ist. " 61 Auf entsprechende Förderungsstrategien und Maßnahmen von seiten der EG bzw. EU soll hier nicht eingegangen werden (vgl. z.B. Bannock/Albach 1991: 44ff.).

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Entwicklungsförderung, die auch Kleinbetrieben zugute kommt, oder etwa auch der Erleichterung kleinbetrieblicher Kooperation durch die juristische Legalisierung sogenannter 'Mittelstandskartelle ' (vgl. Herdzina 1991: 148ff.) beeinflußt der Staat die Erfolgschancen kleiner selbständiger Unternehmen in massiver Weise;62 auch wenn er keineswegs daran denkt, 'staatliche Existenzgarantien' zu geben (vgl. Bundesregierung 1986: 10) und seine Förderung "als Hilfe zur Selbsthilfe" (ebd.: 2) verstehen will. Warum aber sorgt sich der Staat überhaupt um die Reproduktionsbedingungen und Erfolgschancen der Kleinbetriebe? Warum überläßt er diese nicht ihrem Schicksal? Warum gar fördert er mit seinen vielfältigen Existenzgründungsprogrammen die Entstehung neuer Kleinunternehmen? Obwohl sich das Gros der mittelständischen Unternehmen im oben explizierten Sinne gewiß nicht durch eine besondere Effizienz und Leistungsfabigkeit zu profilieren vermag: und sich insofern auch die generelle 'Mittelstandseuphorie' der Politikakteure ('Rückgrat', 'Herzstück') nicht so ganz in unser Bild vom in erster Linie produktivitätsorientierten Wirtschaftsinteresse derselben einzufügen scheint, gibt es doch einige rational nachvollziehbare Gründe für den Staat, dem Mittelstand unter die Arme zu greifen. Und zwar durchaus auch 'handfest-materielle' Gründe, mit denen wir uns zunächst auseinandersetzen wollen. "Alles in allem", heißt es in dem Bändchen "Leistungsträger Mittelstand" (Bundeswirtschaftsminister o.J.: 6), "zeichnet sich der Mittelstand als Wirtschaftsfaktor mit beachtlichen Kräften und Leistungen aus." Und in der Tat ist es ja so, daß 'die' mittelständischen Unternehmen - und gewiß nicht nur die wenigen unter ihnen, die international konkurrenzfähig und innovativ sind - ihren Beitrag zur Produktion des gerade vom Staat so sehr begehrten nationalen Reichtums leisten. Immerhin 'tätigten' die kleinen und mittleren Unternehmen, zu welchen in dem Bändchen (ebd.: 7) im Jahr 1984 in der 62 Für den Argumentationszweck unserer Studie ist es nicht erforderlich, hier ins Detail zu gehen. Wer sich über die diversen mittelstandspolitischen Hilfs- und Fördermöglichkeiten genauer informieren will, sei etwa auf die entsprechenden Abschnitte in den von uns herangezogenen politischen Positionsschriften und Mittelstandsberichten (in denen auch über den 'Erfolg' der einzelnen Strategien 'berichtet' wird) verwiesen (vgl. etwa auch Meyerhöfer 1982; Pütz 1984; Bögenhold 1985: 82ff.; Bannock/Albach 1991: 3lff.; Winkler-Otto 1992/93). Besondere Erwähnung verdienen vielleicht die beiden folgenden vom Bundeswirtschaftsministerium veröffentlichten Informationsbroschüren: "Der Mittelstand. Förderungsmaßnahmen des Bundes für mittelständische Unternehmen, Freie Berufe und Existenzgründer" (1988); "Starthilfe. Die entscheidenden Schritte in die berufliche Selbständigkeit" (1985).

17 Kießling

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5. Staat und Kleinunternehmen in der Bundesrepublik

Bundesrepublik 99,83 Prozent aller umsatzsteuerpflichtigen Unternehmen gerechnet werden, "51, 1 Prozent aller steuerbaren Umsätze", nahmen "rund 44 Prozent aller Bruttoinvestitionen" vor, gaben "etwa 66 Prozent aller abhängig Beschäftigten" einen Arbeitsplatz und erwirtschafteten "rund 56 Prozent des privaten Bruttoinlandsprodukts und circa 49 Prozent des gesamten Bruttoinlandsprodukts" . Neben dem Beschäftigungsaspekt allgemein63 schlägt sich also auch das Engagement der Klein- und Mittelbetriebe für die berufliche Ausbildung in den politischen Stellungnahmen positiv nieder. Zitiert sei hier nur eine Stelle aus dem bayerischen Mittelstandsbericht 1988, wo es heißt, daß "der Mittelstand ... eine Ausbildungsleistung (erbringt), die in Höhe von rd. 85 % der Auszubildenden weit über seinem eigenen Bedarf liegt und daher von grundlegender Bedeutung für unsere Volkswirtschaft ist." (Bayer. Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr 1988: 31) Darüber hinaus wissen die mittelstandspolitischen Akteure an den kleinen und mittleren Unternehmen noch zu schätzen, was die Theorie seit je als spezifischen Vorzug derselben bestimmt: Sie "sichern die wohnortnahe Versorgung der Bevölkerung", wie es bspw. in der NRW-Schrift "Politik für den Mittelstand" (1984: 2) heißt. So gesehen hat eben auch, um nur ein Exempel herauszugreifen, der kleine 'Schnellimbiß' um die Ecke seine 'gesamtwirtschaftliche' Funktion. Obwohl die internationale Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft von ihm sicherlich nicht abhängt, trägt er doch zur 'Massenversorgung' bei und erfüllt so einen sozusagen 'politischen' Auftrag. In dieser Perspektive findet sich in den mittelstandspolitischen Stellungnahmen und Positionsschriften der Politikakteure immer wieder die Zielvorstellung einer 'ausgewogenen' bzw. 'ausbalancierten' Struktur der Gesamtwirtschaft: "Hauptaufgabe der Mittelstandspolitik ist es, im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung für Bedingungen zu sorgen, in denen kleine und mittlere Unternehmen ihre spezifischen Vorteile zum Nutzen der Volkswirtschaft voll entfalten können", heißt es in dem Bändchen "Leistungsträger Mittelstand" (Bundeswirtschaftsminister O.J.: 30); und in der Stellungnahme der Bundesregierung "Lage und Perspektiven des selbständigen Mittelstandes in der Bundesrepublik" (1986: 2) wird "eine Art 'Arbeitsteilung' zwischen 63 So lesen wir im bayerischen Mittelstandsbericht 1988 folgendes: "Im Rahmen des umfassenden Strukturwandels der dritten industriellen Revolution, in dem Großunternehmen vermehn zur Automation übergehen, wird der personalintensive Mittelstand, darunter insbesondere sein teniärer Bereich, immer mehr zum Hoffnungsträger der Beschäftigung." (Bayer. Staatsministerium für Winschaft und Verkehr 1988: 31)

5.4 Mittelstandspolitik in Deutschland

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den verschiedenen Unternehmensgrößen" als "Voraussetzung für eine optimale gesamtwirtschaftliche Bedarfsbefriedigung " beschworen. Die politischen Akteure wissen, daß Produktivität und internationale Wettbewerbsjähigkeit 'ihrer' Volkswirtschaft in erster Linie von den Leistungen der Großunternehmen abhängen;64 aber sie wissen ebensosehr, daß für die Reproduktion des Gesellschafts- und Staatskörpers insgesamt die kleinen und mittleren Unternehmen einen wichtigen Beitrag leisten: Und dies rechtfertigt die mittelstandspolitischen Aktivitäten, die darauf abzielen, die 'marktbedingten Nachteile der Klein- gegenüber den Großunternehmen' (vgl. ebd.: 2) in der Perspektive auszugleichen, daß der Mittelstand insgesamt erhalten bleibt. Es zeigt sich also, daß es gerade die Politik ist, die mit ihren Förderungsmaßnahmen dafür verantwortlich ist, daß die kleinen Unternehmen persistieren. Während der Nationalsozialismus mit seinen "Auskämmaktionen" (Winkler 1983: 189) den Mittelstand politisch 'negieren' wollte, geht es der bundesrepublikanischen Mittelstandspolitik tatsächlich darum, eine ausgewogene Betriebsgrößenstruktur zu erhalten. Bisher haben wir nur dargestellt, warum die Akteure der Mittelstandspolitik ein durchaus materiell orientiertes Interesse an der Erhaltung des Mittelstandes haben. Womit natürlich nicht gesagt sein soll, daß es dem Staat um die kleinen Unternehmen als solchen ginge: Ihm geht es um die Erhaltung einer ausgewogenen Winschajtsstruktur, in der sich 'die Kleinen' entlang der Regeln der marktwirtschaftlichen Konkurrenz für die Wirtschaft "des Landes" bzw. der "ganzen Gesellschaft" (vgl. Bayer. Staatsregierung 1992: 11; 93) engagieren können. Neben den materiellen gibt es aber auch gesellschajtspolitische und, wenn man so will: 'ideelle' Beweggründe und Motive für den Staat, den Mittelstand zu erhalten bzw. zu fördern: Im selbständigen, eigenverantwortlichen Mittelstand sieht der Staat die für die westliche Wirtschafts-, Gesellschaftsund Staatsordnung zentralen Werte: Privateigentum und unternehmerische Initiative, institutionell verankert. 65 Was hiermit gemeint ist, mag aus einer frü64 Hingewiesen werden muß an dieser Stelle freilich darauf, daß die von Großunternehmen betriebene Strategie der Externalisierung vieler Produktionsfunktionen an 'abhängig-selbständige' Kleinunternehmen (Verringerung der Fertigungstiefe, Zuliefernetzwerke, 'systemische Rationalisierung', Franchising usw.) natürlich die Produktivität der Großunternehmen und daher die der Volkswirtschaft insgesamt erhöht. Insofern ist natürlich auch der Staat an den entsprechenden Entwicklungen interessiert, die er mit einer Politik der 'Deregulierung' materiell und institutionell fördert (vgl. Paasch 1990: 135ff.). 65 Daß diese Aspekte gerade in den mittelstandspolitischen Programmen und Positionspapieren von Politikakteuren konservativer und liberaler Provenienz betont werden, muß uns nicht

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hen Stellungnahme des seinerzeitigen Bundespostministers R. Stücklen (1959: 289) auf dem 'legendären' Madrider Mittelstandskongreß des Jahres 1958 erhellen: 66 "Die Bedeutung des Mittelstandes", führt Stücklen aus, "kann keineswegs erkennen, wer allein die wirtschaftliche Seite betrachtet. Für die Zukunft unseres ganzen Volkes, ja ich möchte behaupten für die Zukunft unserer westlichen Demokratie ist die Frage, ob der Mittelstand erhalten werden kann, von grundlegender Wichtigkeit. Das Lebensbewußtsein der westlichen Welt, die Grundlagen ihrer Lebensweise sind zugleich die bestimmenden Wesensmerkmale mittelständischer Gesinnung: Wille zur persönlichen Freiheit, Anerkennung des Privateigentums, christlich-humane Lebensführung, Selbstverantwortlichkeit und Leistungsbewußtsein. Und darum kann unsere gegenwärtige Lebens- und Gesellschaftsordnung nur so lange bestehen, als sie getragen wird von einer überwiegenden Schicht mittelständischer Staatsbürger und bestimmt wird aus dieser Geisteshaltung." Dreißig Jahre später lesen wir im bayerischen Mittelstandsbericht 1988 in der nämlichen Perspektive folgendes (Bayer. Staatsregierung 1988: 31; Hervorh. im Orig.): "Gesellschaftspolitisch noch weiter (weiter eben als der materielle Betrag des Mittelstandes zum Volkswohlstand; B.K.) reichen die Funktionen, die der Leistungsträger Mittelstand mit seinen Attributen wie Selbständigkeit und Eigenverantwortung, Phantasie, Anpassungsjähigkeit und Risikobereitschajt letztlich im Interesse aller erfüllt." Die Rede ist in diesem Zusammenhang auch davon, daß "die Bedeutung des Mittelstandes für Wirtschaft, Staat und Gesellschaft ... nicht hoch genug eingeschätzt werden (kann)" (ebd.): "Selbständigkeit und Unternehmertum" gelten der bayerischen Staatsregierung als "tragende Merkmale der Sozialen Marktwirtschaft" (ebd.). In dem Bericht findet sich ein eigener Abschnitt zur "gesellschaftspolitischen Bedeutung des Mittelstandes" (ebd.: 45ff.),67 in dem überraschen. Sozialdemokratische Politiker unterstreichen eher die materiellen Beiträge der kleinen Unternehmen, namentlich die Beschäftigungseffekte. Allerdings bekennt sich, spätestens seit Godesberg , auch die Sozialdemokratie zu Marktwirtschaft und unternehmerischer Initiative. 66 Vgl. Stücklens Vortrag "Die soziale und politische Bedeutung des Mittelstandes in der Bundesrepublik Deutschland"; abgedruckt in den "Akten des internationalen Mittelstandskongresses", die unter dem Titel "Der Mittelstand in der Wirtschaftsordnung heute" von A.-F. Utz herausgegeben wurden (1959). 67 Vgl. hierzu auch den Aufsatz "Gesellschaftspolitische Bedeutung des mittelständischen Unternehmers" des Mittelstandsökonomen H. Albach (1988), der im Anhang des Bayer. Mittelstandsberichtes 1988 abgedruckt ist. Vgl. des weiteren vielleicht noch E. Hamers Schrift "Das mittelständische Unternehmen" (1987), in der auch die 'gesellschaftliche Bedeutung der

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die Position vertreten wird, daß "unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ... auf dem im Mittelstand besonders ausgeprägten Wesenselement der Selbständigkeit basiert" (ebd.: 45; Hervorh. im Orig.), und schließlich der Mittelstand gar zur "tragende(n) Säule unserer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung" (ebd.: 47) hochstilisiert wird. Angemerkt sei an dieser Stelle, daß wir es hier keineswegs mit, wie man bei oberflächlicher Betrachtung meinen könnte, ideologisch orientierten Formulierungen zu tun haben. Daß die politischen Akteure mit Blick auf die Volkswirtschaft in erster Linie deren Produktivität im Auge haben, muß ja nicht ausschließen, daß sie, vor allem in Hinsicht auf die politische Stabilität der Gesellschaft, auch an einer nach Möglichkeit breiten Streuung des Eigentums interessiert sind. Und in der Tat zählt das 'selbständige Eigentum' ja seit je zu den zentralen Grundwerten des westlich-demokratischen Politikverständnisses (vgl. bspw. Mayer/Goldstein 1961: 1f.; Franke 1988: 21ff.), wenn auch, wie wir am Beispiel der praktisch geltend gemachten Kritik am Euckenschen Ordnungs ideal im Prozeß der Durchsetzung der bundesrepublikanischen Nachkriegswirtschaftsordnung eindrucksvoll gesehen haben, dieser Grundwert von den Politikakteuren am Gesichtspunkt und Maßstab der Produktivität der Volkswirtschaft relativiert wird: Was im Sinne der politischen Stabilität an sich wünschenswert wäre: die politische Ordnung der modemen Industriegesellschaft als, um auf Piores und Sabels griffige Formulierung zurückzugreifen, 'Republik von Kleineigentümern' ,68 ist schließlich doch dem Zweck der möglichst produktiven Organisation der Wirtschaft untergeordnet. Mit einer ausschließlich auf mittelständischer Basis geordneten Wirtschaft, das wissen die Politikakteure genau, ist heute angesichts der Notwendigkeit für politische Zwecke auf eine international konkurrenzfähige Volkswirtschaft bauen zu können, 'kein Staat mehr zu machen'. Und so wollen die Politikakteure nicht auf eine im Kern großbetrieblieh strukturierte Industrie verzichten. mittelständischen Unternehmen' 'für die Freiheit in' (vgl. ebd.: 223ff.) und 'für die Stabilität der Gesellschaft' (vgl. ebd.: 226ff.) wie die 'politische Bedeutung' derselben überhaupt thematisiert wird (vgl. ebd.: 251ff.). 68 Hierzu schon typisch die 'interessierte' Äußerung des pragmatischen Politikers Stücklen (1959: 289): "Soziale Spannungen hingegen gefährden den Staat, ganz besonders den freiheitlichen Staat. So ist beispielsweise die breite Streuung des Eigentums von großer Wichtigkeit. Je mehr selbständige, mittelständische Existenzen sich entfalten können, umso näher wird dieses schwierige Problem seiner Lösung entgegengebracht, ist doch persönliches, unmittelbares Eigentum im Bewußtsein der Menschen wie auch in seiner persönlichkeitsbildenden Wirkung viel höher einzuschätzen als alle Formen eines kollektiven Eigentums. Wievielleichter auch läßt sich das Leben eines unselbständigen Arbeiters ertragen, wenn der tüchtigen Kraft der Weg offensteht zur Selbständigkeit. "

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5. Staat und Kleinunternehmen in der Bundesrepublik

Als Lösung bzw. Balancierung der Zielkonflikte fungiert dann konsequent der oben schon vorgestellte miuelstandspolitische Grundsatz der Schaffung einer 'ausgewogenen' Wirtschafts- und Betriebsgrößenstruktur . So geht beides parallel: Wie wir das schon für den bundesrepublikanischen Staat der 50er, 60er und 70er Jahre dargestellt haben (Abschnitt 5.3), fördert69 auch der Staat der 80er Jahre im Interesse der internationalen Konkurrenzfähigkeit 'seiner' Wirtschaft die wirtschaftliche und betriebliche Konzentration; was ihn aber andererseits nicht daran hindert, mit mittelstandspolitischen Maßnahmen und Hilfen nach Möglichkeit kleine selbständige Betriebe zu erhalten und sogar Neugründungen anzuregen: Euckens einstiges Ordnungsideal eines 'mittelständischen Kleinkapitalismus' (Berghahn) ist zusammengeschrumpft auf das Maß einer Mittelstandspolitik, die sich dem Zweck einer 'ausbalancierten' Größenstruktur der Gesamtwirtschaft verpflichtet fühlt.

In der Perspektive einer solchen Wirtschaftspolitik bedingen sich Konzen-

trations- und Mitte[standsförderung einander: Das "Bemühen, große Kon-

zerne mit staatlicher Förderung zu zimmern ... und die staatliche Förderung von Kleinunternehmen" stellt insofern keinen "Widerspruch" dar (Goldberg 1987: 320). Und so gibt es, als Resultat einer entsprechenden Politik, tatsächlich allen Grund, einerseits die "Jahr für Jahr neue(n) Rekorde" (ebd.: 309) in den "Statistiken der Unternehmensfusionen und Unternehmensinsolvenzen" zu feiern und andererseits eine "Welle ... neue(r) Selbständigkeit" (ebd., mit Bezug auf Späth 1985: 100) und die 'Renaissance der Kleinunternehmen ' . Ganz in diesem Sinne hat G. Tichy (1991b; 1990) vor kurzem auf den "neuen Größenwahn der Fusionen" bzw. auf die aktuelle "merger-mania" hingewiesen: "Fast kein Tag vergeht", schreibt er, "an dem die Zeitungen nicht von Konzentrationstendenzen in der Wirtschaft berichten, insbesondere von Fusionen." (1991b: 516) Und der österreichische Ökonom verweist darauf, daß es vor allem 'die Wirtschaftspolitik' selbst ist, die die 'merger-mania' in der Perspektive des staatlichen Interesses fördert (ebd.: 525): "Die Wirtschaftspolitik ... setzt auf die Macht der Giganten, sie handelt derzeit 69 Allein schon 'bloßes Zusehen' fördert die in der Marktwirtschaft ubiquitären Konzentrationstendenzen: "Neutrale Wirtschaftspolitik bevorzugt Großbetriebe", schreiben die K1einuntemehmerforscher K. Aiginger und G. Tichy (1985: 126ff.). Deshalb forderte Eucken ja so emphatisch eine dezidiert gegensteuernde Ordnungs- bzw. Weubewerbspolitik.

5.4 Mittelstandspolitik in Deutschland

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konträr zu der Hypothese, daß Große und Kleine einander ergänzen - und zwar nicht bloß in Österreich!" Es würde den Rahmen unserer Studie entschieden sprengen, nun im einzelnen nachzuzeichnen, wie die Wirtschaftspolitik im heutigen Deutschland die Konzentration fördert und den resultierenden Stand derselben zu dokumentieren. Für diesen Zweck verweisen wir auf die Hauptgutachten der "Monopolkommission" "zur regelmäßigen Begutachtung der Entwicklung der Unternehmenskonzentration in der Bundesrepublik Deutschland" (§24b GWB).70 Eine empirisch ansetzende Rekonstruktion der Entwicklungstrends findet sich auch in der von der "Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik" verfaßten Dokumentation "Wirtschaftsmacht in der Marktwirtschaft. Zur ökonomischen Konzentration in der Bundesrepublik" (1988),71 in welcher auch viel empirisches Material aus der Tages- und Wochenpresse akribisch verarbeitet wurde. In der Schrift ist davon die Rede, daß gerade "ab Mitte der 80er Jahre eine neue Runde von Großfusionen ein(setzt): Daimler-Benz übernimmt nacheinander MTU, Dornier und die AEG; MBB erhält - wenn auch auf verschlungenen Wegen - die 'industrielle Führung' bei Krauss-Maffei; Rheinmetall kauft die Pierburg-Gruppe, Mannesmann die Sachs AG." (ebd.: 14) Die Autoren nennen noch viele weitere Beispiele aus der jüngsten Konzentrationsund Fusionspraxis, die wir hier gar nicht alle auflisten wollen; uns mag es genügen, darauf hinzuweisen, daß trotz aller miuelstandspolitischer Initiativen die politischen Akteure sich vor allem von der Förderung konzentrativer Prozesse 'gesamtwirtschaftliche Vorteile' erhoffen. 72 73 In 70 Die Einrichtung einer sog. "Monopolkommission" wurde in der zweiten Novelle des Wettbewerbsgesetzes 1973 beschlossen: Diese Kommission soll "alle zwei Jahre Gutachten zum Stand und zur Entwicklung der Unternehmenskonzentration vorleg(en), auf Eigeninitiative oder im Auftrag der Bundesregierung Sondergutachten erstell(en) und bei Anträgen auf Ministererlaubnis bei Zusammenschlüssen gutachtliche Stellungnahmen ab(geben)" (Herdzina 1991: 136). Seit dem ersten 1973/75 sind bislang insgesamt 10 Hauptgutachten sowie zahlreiche Sondergutachten von der Monopolkommission veröffentlicht worden. 71 Die Autoren argumentieren im Theoriebezugsrahmen der Theorie des 'staatsmonopolistischen Kapitalismus'. Daß dieser Ansatz nach unserem Geschmack nicht ist, weiß der Leser von der Lektüre des 4. Kapitels unserer Studie her. Aber Ansatz hin oder her: der 'Arbeitsgruppe' gebührt doch Anerkennung für ihre Verdienste um die empirische Dokumentation der aktuellen Konzentrationstendenzen in der Bundesrepublik. 72 Sehr umstritten war die im Jahre 1989 qua 'Ministererlaubnis' des Bundeswirtschaftsministers durchgesetzte Fusion von Daimler und MBB. Erwähnt sei dieses Beispiel deshalb, weil sich hier sehr deutlich offenbarte, wie sich das 'überragende Interesse der Allgemeinheit', von dem im Wettbewerbsgesetz die Rede ist (§24 (3», gegenüber parteitaktischen Standpunkten und Interessen durchzusetzen vermag: Gegen den starken Druck seiner Parteibasis hat der seinerzeitige FDP-Wirtschaftsminister Hausmann sich über das negative Votum des Bundeskartellamtes hinweggesetzt und die Fusion 'erlaubt'.

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5. Staat und Kleinunternehmen in der Bundesrepublik

allerneuester Zeit gelten sog. "strategische Allianzen" (vgl. bspw. Henzler 1992; Basedow/Jung 1993) zwischen Großunternehmen als das Gebot der Stunde und werden im Sinne einer Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft zum Zielpunkt industriepolitischer Bemühungen. Aber nichtsdestotrotz weiß der Staat auch die Leistungen 'seines' Mittelstandes zu schätzen: und nimmt, wie wir gesehen haben, mit einem ganzen Arsenal an mittelstandspolitischen Mitteln auf die Reproduktionsbedingungen der kleinen und mittleren Unternehmen 'fördernden' Einfluß.

73 In der FAZ (14. 9. 1992, S. 14) findet sich ein instruktiver Beitrag K. Jetters mit dem Titel "Frankreich hat das Ziel der staatlichen Fusionspolitik verfehlt". Ausgangspunkt ist die Feststellung: "Ein Albtraum für Frankreich war ... das industrielle Übergewicht der Bundesrepublik. Die Staatspräsidenten de Gaulle, Pompidou, Giscard d'Estaing hatten alle die gleiche Sorge. Frankreichs Industrie erschien ihnen im Vergleich zur deutschen rückständig, verschlafen, zersplittert." Aber, so Jetter, "trotz Kartellgesetz sind die deutschen Großunternehmen noch schneller größer geworden als die französischen. "

6. Schlußbetrachtung: Zur 'politisch vermittelten' Konstanz der kleinen und mittleren selbständigen Unternehmen in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft Was Marbach seinerzeit in seiner "Theorie des Mittelstandes" (1942) allein und ausschließlich unter Bezug auf rein ökonomische Gründe und Argumentationsfiguren nachweisen wollte: daß der selbständige gewerbliche Mittelstand auch in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft eine Zukunft hat, das haben wir in unserer Studie mit Bezug auf die Sphäre der Politik und namentlich auf die Interessen des modernen Staates gezeigt. Im Verlauf der Argumentation unserer Studie ist immer deutlicher geworden, daß die ökonomischen Verhältnisse und Strukturen der modernen Marktwirtschaft durch und durch staatlich bzw. politisch vermittelt und gesetzt sind, und so auch die Reproduktionsbedingungen und Erfolgsbedingungen der kleinen und mittleren selbständigen Unternehmen. Insofern setzt die traditionelle Kleinunternehmerforschung defizitär an, wenn sie die seit über 100 Jahren immer wieder gestellte Frage nach dem Sein oder Nichtsein der Kleinbetriebe im Fortgang der industriellen Entwicklung in einer ausschließlich 'ökonomistisch reduzierten' Perspektive zu beantworten sucht. Allein die Reflexion auf die Interessen der staatlichen Wirtschaftsund Wirtschaftsordnungspolitik erlaubt es, auf die besagte Frage eine schlüssige Antwort zu geben. Als entsprechendes Resümee unserer Argumentation sei hier unsere Überzeugung ausgesprochen, daß es kleine Unternehmen, einen, wie ihn Marbach seinerzeit genannt hat: 'selbständigen gewerblichen Mittelstand' solange geben wird, solange sich der Staat für deren bzw. dessen Existenz einsetzen will. Solange wird der Staat mittelstandspolitisch und ordnungspolitisch die Reproduktionsbedingungen der kleinen Betriebe so einrichten, daß diese werden persistieren können. Insofern ist die Existenz des Mittelstandes vor allem politisch bedingt. Und es sprechen ja Gründe genug für den Staat, die kleinen Unternehmen zu fördern: Wenn schon nicht allein wegen deren materiellen Beitrag zum Volkswohl stand , dann wegen der gesellschaftspolitischen ' Funktion des 'kleinen Eigentums I

I.

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6. Schlußbetrachtung

Wenn also die politischen Akteure 'prognostisch' davon ausgehen wollen, daß sich, wie es in der Schrift "Leistungsträger Mittelstand" (Bundesministerium für Wirtschaft o.J.: 9) heißt, der Mittelstand "in seiner Zusammensetzung immer wieder regeneriert", dann können sie sich dessen in einem tieferen Sinne sicher sein, als seinerzeit Marbach: Schließlich sorgen sie mit ihrer Mittelstandspolitik selbst dafür, daß sich diese Prognose als praktisch geltende Wahrheit bewährt. Und wenn es den zeitgenössischen 'Kleinunternehmerfans' vor allem mit ihrenjob-generation-studies gelingen sollte, die Politikakteure davon zu überzeugen, daß insbesondere von den kleinen und mittleren Unternehmen beschäftigungsdynamische Impulse l zu erwarten sind, dann kann das Resultat durchaus sein, daß diese ihre Mittelstandsförderung intensivieren und damit die Reproduktionsbedingungen der kleinen Unternehmen effektiv verbessern. Und gleichviel ob es sich dabei nun um innovative HighTech-Betriebe oder doch eher nur um marginale Unternehmensformen handeln mag: Die Persistenz bzw. gar 'Renaissance' der kleinen Betriebe würde sich in der Folge gerade als politisch induziertes Phänomen erweisen. An dieser Stelle mag auch klar werden, daß die Euphorie, wie sie in der zeitgenössischen Kleinunternehmerliteratur zur Schau gestellt wird, mitunter sogar als self-fulfillung-prophecy wirken könnte. Im übrigen ganz unabhängig von ihrem ökonomischen, technologischen und sozialen 'Wahrheitsgehalt' könnten nämlich gerade die Theoreme und Konzepte der 'Kleinunternehmerfans' ('Flexibilität'; 'Dynamik'; 'Innovativität' usw.) insofern praktische Wirkkraft entfalten, als die politischen Akteure, von ihnen gleichsam 'infiziert' bzw. überzeugt, gute Gründe dafür sehen würden, die Reproduktionsbedingungen der Kleinunternehmen mittelstandspolitisch zu 'verbessern'. Gerade auch in dieser Perspektive würden sich die Erfolgschancen der kleinen selbständigen Betriebe in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft als wesentlich politisch bzw. staatlich vermittelt und gesetzt erweisen.

I Wir hatten ja in Abschnitt 5.4 gesehen, daß die politischen Akteure gerade den beschäftigungsdynamischen Aspekt der kleinbetrieblichen Produktion sehr wohl zu schätzen wissen. Dabei ist hier darauf hinzuweisen, daß die Politik zu Recht zwischen Beschäftigungsdynamik und Produktivität unterscheidet: Für die politische Stabilität der Gesellschaft ist beides wichtig; aber beides muß nicht unbedingt in der Weise zusammenfallen, daß die produktiven Unternehmen auch die 'beschäftigungsdynamisch' tonangebenden sind. Es kann ja sein, daß einige wenige produktive, hoch rationalisierte Großunternehmen die WeltmarktsteIlung der Volkswirtschaft insgesamt garantieren, während die für die Massenloyalität nicht minder wichtige Versorgung der Bevölkerung mit Arbeitsplätzen und also Einkommen eher in Kleinunternehmen sichergestellt wird, die weniger durchrationalisiert und damit arbeitsintensiver organisiert sind.

6. Schlußbetrachtung

267

Abschließend möchten wir noch einmal auf den Klassiker Marbach (1942: 74) verweisen, der vor 50 Jahren den, wie er sich ausdrückte: "nationalökonomisch-klassischen Grund, der für eine Dauerhaftigkeit eines selbständigen Mittelstandes spricht", aufdecken wollte, der also im Hinweis auf ökonomische Argumente nachweisen wollte, daß es "auch künftig einen Mittelstand als grosse Gruppe der Gesellschaft geben" wird (ebd.: 423f.; Hervorh. im Orig.); womit er ja auch Recht behalten sollte, wie wir jedenfalls von unserer Warte aus beurteilen können. Geirrt dürfte sich Marbach aber insofern haben, als er im unmittelbaren Anschluß an die soeben zitierte Stelle davon schrieb, daß es ein Mittelstand "stark reduzierten Umfanges sein" würde (ebd.: 424; Hervorh. im Orig.). Hier sieht man, wie wir meinen, den Mangel der rein ökonomischen Argumentation Marbachs in aller Deutlichkeit: Dieser hat in seiner "Theorie des Mittelstandes" völlig außer Acht gelassen, daß über die rein ökonomischen Parameter der kleinbetrieblichen Konkurrenzund also Überlebensfähigkeit vor allem Fragen der politischen Opportunität eine zentrale Rolle spielen: Daß die Reproduktionsbedingungen der kleinen Betriebe nichts 'ökonomisch Unmittelbares', sondern wesentlich politisch bzw. staatlich gesetzt und vermittelt sind. Immerhin hat Marbach mit seinem Gesetz von der 'existenziellen Konstanz' des Mittelstands gegenüber allen Mittelstandspessimisten, bislang jedenfalls, das letzte Wort behalten: Der Mittelstand lebt, existiert. Und solange der modeme Staat in seiner Ökonomie einen selbständigen Mittelstand haben will, wird es einen solchen auch geben. Vor allem mit Blick auf die politische Sphäre hat dieser also keinen Grund dazu, wie Marbach (vgl. ebd.: 74) seinerzeit kritisch diagnostizierte, 'sich selber aufzugeben'. Für solcherlei Klagen gibt es zumindest im zeitgenössischen Deutschland keinen Grund, wo, wie wir gesehen haben, der Mittelstand in der Politik gewichtige Fürsprecher hat.

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