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German Pages 394 [395] Year 2012
SCHRIFTENREIHE FINANZIERUNG UND BANKEN Herausgeber: Prof. Dr. Detlev Hummel
Arno Richter
Finanzierung kleiner und mittlerer Unternehmen – eine theoretische und empirische Analyse sowie Besonderheiten in Ostdeutschland
Verlag Wissenschaft & Praxis
Finanzierung kleiner und mittlerer Unternehmen
SCHRIFTENREIHE FINANZIERUNG UND BANKEN
herausgegeben von Prof. Dr. Detlev Hummel
Band 20
Arno Richter
Finanzierung kleiner und mittlerer Unternehmen – eine theoretische und empirische Analyse sowie Besonderheiten in Ostdeutschland
Verlag Wissenschaft & Praxis
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d‐nb.de abrufbar. ISBN 978‐3‐89673‐619‐2 © Verlag Wissenschaft & Praxis Dr. Brauner GmbH 2012 D‐75447 Sternenfels, Nußbaumweg 6 Tel. +49 7045 93 00 93 Fax +49 7045 93 00 94 verlagwp@t‐online.de www.verlagwp.de Druck und Bindung: Esser Druck GmbH, Bretten Alle Rechte vorbehalten Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außer‐ halb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Geleitwort Die vorliegende Dissertation befasst sich mit den betriebswirtschaftlichen Besonderheiten kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU), welche sich auch und gerade in der Finanzierung ergeben. Es werden ebenso die finanzwirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Mittelstan‐ des in Deutschland untersucht und der Frage nachgegangen, ob und inwiefern KMU in ver‐ schiedenen regionalen Strukturen ihre volkswirtschaftlichen Aufgaben erfüllen können. Die theoretische und empirische Analyse von mittelständischen Strukturen im Ost–West– Vergleich ist interessant, da der sogenannte Mittelstand in ganz Deutschland flächende‐ ckend besonders ausgeprägt ist und eine hohe Reife erlangt hat, andererseits aber, erhebli‐ che Entwicklungsunterschiede bestehen. Die deutsche Wirtschaft ist geprägt von einer hete‐ rogenen Gruppe sogenannter KMU und einem bankenorientierten Finanzsystem, wo soge‐ nannte Hausbankbeziehungen dominieren. Deren Zukunfts‐ und Entwicklungsfähigkeit wird aus der Perspektive kleiner Firmenkunden kritisch analysiert. Die Forschungslücke, welche Herr Richter in den Focus rückt, schließt eine detaillierte Dar‐ stellung der Mittelstands‐Strukturen und Finanzierungsverhältnisse bis auf Ebene der Bun‐ desländer ein. Der Autor kann aus den gegebenen, tatsächlichen Wirtschaftsstrukturen, ins‐ besondere der Kleinteiligkeit und Branchenprägung einzelner Regionen, den Zusammenhang zu Ertrags‐ und Finanzierungstrukturen nachweisen. Die empirischen Befunde entsprechen offensichtlich nicht immer der etablierten Finanzierungslehre. Systematisch gezeigt werden von Richter ausgewählte Finanzierungsinstrumente der Ban‐ ken‐ und Finanzmärkte hinsichtlich ihrer praktischen Nutzungsmöglichkeit für KMU in Deutschland. Die besondere Bedeutung und auch die Zukunftsfähigkeit der klassischen Hausbankbeziehung im Rahmen des ausgesprochen bankenorientierten Finanzsystems wird hinterfragt, was gerade durch die andersartige Entwicklung der Bankenstrukturen benach‐ barten Ländern Europa nun eine spannende Thematik geworden ist. Wie dieser Band der Schriftenreihe zeigt, bleiben kleinere Unternehmen auch künftig stark von den regionalen Hausbankfinanzierungen abhängig. Dies resultiert einerseits aus der Kleinteiligkeit bestimmter Wirtschaftsregionen, andererseits aus den Gegebenheiten der Finanzmärkte. Innovative Finanzierungslösungen mit Hilfe neuer wirtschaftspolitischer För‐ derinstrumente, aber auch die Überprüfung von Verhaltensweisen der Hausbanken dabei ist stärker denn je gefragt. Der Autor liefert mit der vorliegenden Arbeit eine kritische Be‐ standsaufnahme und Auseinandersetzung zu den etablierten Instrumenten der Finanzie‐ rungslehre, welche den KMU nur sehr begrenzt zur Verfügung stehen. Die vorliegende Dissertation entstand im Rahmen eines vom BMBF–geförderten For‐ schungsprojektes am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Finanzie‐ rung und Banken. Einzelne empirische Teilanalysen fließen als Ergebnisse in die Projektstudie ein. Es handelt sich also hier um Grundlagenforschung für die Vorbereitung wirtschaftspoliti‐ scher und kreditwirtschaftlicher Entscheidungen. Der Herausgeber wünscht dem neuen Band der Schriftenreihe Interesse beim geneigten Le‐ ser sowie Anregung und Hinweise für künftige Forschungen an der Universität Potsdam. Potsdam, im Februar 2012
Prof. Dr. Detlev Hummel 5
Vorwort Eine Lebensweisheit besagt, dass die schönste Zeit im Leben häufig diejenigen Momente sind, in denen man spürt, dass man zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist. So verhielt es sich auch während meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Betriebswirt‐ schaftslehre mit dem Schwerpunkt Finanzierung und Banken an der Universität Potsdam. Hier hatte ich das Glück, meinem Erkenntnisdrang nachgehen und mich einem interessanten und komplexen Thema widmen zu können. Das wissenschaftliche Umfeld der Universität Potsdam bot mir dafür nicht nur die besten Forschungsbedingungen, sondern gab mir gleichzeitig auch die Möglichkeit, wertvolle Erfahrungen zu sammeln und mich persönlich weiter zu entwickeln. Die wunderbare Zeit, die ich hier verbringen durfte, war von einer Vielzahl besonderer Menschen geprägt, denen ich im Folgenden von Herzen danken möchte. Auf der akademischen Seite gilt mein besonderer Dank meinem Doktorvater, Prof. Dr. Detlev Hummel. Durch seine stete Gesprächsbereitschaft und fachlichen Anregungen sowie die Möglichkeit zur kreativen Forschung und persönlichen Diskussion hat er mich auf dem Weg zur erfolgreichen Promotion stets unterstützt. Insbesondere sein großes Engagement bei der Einwerbung von Fördergeldern beim BMBF und die damit verbundene Möglichkeit, das Un‐ ternehmensregister als Datenbasis verwenden zu können, haben wesentlich zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Bedanken möchte ich mich auch bei Prof. Dr. Dieter Wagner für die freundliche Übernahme des Zweitgutachtens und die Möglichkeit, an seinen Doktorandenseminaren teilnehmen zu können. Herrn Prof. Dr. Christoph Rasche danke ich für die Übernahme des Vorsitzes der Prüfungskommission und Herrn Prof. Dr. Ulfert Gronewold für die Komplettierung der Prü‐ fungskommission. Weiterhin geht mein Dank an das gesamte Lehrstuhlteam für die einzigartige Arbeitsatmo‐ sphäre, die gute Zusammenarbeit sowie die vielen konstruktiven Anmerkungen und Diskus‐ sionen. Dabei möchte ich mich speziell bei Angelika Leisse bedanken, deren wertvolle Rat‐ schläge und administrative Unterstützung mir stets eine große Hilfe waren. Darüber hinaus möchte ich auch all jenen meinen Dank aussprechen, die mich während der Promotionszeit in meinem privaten Umfeld begleitet und unterstützt haben. Hier möchte ich mich zunächst bei Mirko Deckert bedanken, der es schaffte, durch seine ruhige und humor‐ volle Art die vielen Stunden der technischen Erstellung dieser Arbeit unvergesslich werden zu lassen. Bei Rico und Manuela Illner möchte ich mich vor allem für den moralischen Rück‐ halt bedanken sowie dafür, dass ich in ihrer Familie stets willkommen bin. Für das Auslandssemester an der Universität St. Gallen geht mein herzlicher Dank an Claudio Pehnert. Ich denke sehr gerne an die schöne, spaßige und aufregende Zeit zurück und freue mich, dass ich ihn auch zukünftig zu meinen Freunden zählen darf. Ein besonderer Dank gilt zudem Claudios Papa, Eckhard Pehnert, der durch seine bereitwillige Übernahme des Kor‐ rekturlesens sowie seine sprachlichen und formalen Verbesserungsvorschläge entscheidend zum Feinschliff dieser Arbeit beigetragen hat. Marcus Langheimer, Andreas Kiefel und Chris‐ tian Städter danke ich dafür, dass sie mich stets daran erinnert haben, dass es neben der
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Promotion noch weitere wichtige Dinge im Leben gibt und die mich dementsprechend oft an ihren Freizeitaktivitäten teilhaben ließen. Mein ganz persönlicher Dank gilt nach Abschluss eines weiteren Lebensabschnitts schließlich den Mitgliedern meiner Familie. Hervorheben möchte ich hier meinen Onkel, Helmut Porep, der mich in meinem Promotionsvorhaben bestärkt und stets unterstützt hat. Größter Dank gebührt jedoch meinen mir immer zur Seite stehenden Großeltern, Heinrich und Erna Wilski, deren bedingungslose Liebe, Unterstützung und Geduld für mich von unermesslichem Wert sind. Ohne ihren uneingeschränkten und selbstlosen Rückhalt wären mir viele Schritte mei‐ nes Lebens ̶ sowohl privat als auch beruflich ̶ unmöglich gewesen. Für die Möglichkeit, meinen eigenen Weg gehen zu können und dabei fortwährende Unterstützung zu erfahren, möchte ich mich sowohl bei Gott als auch bei meinen Großeltern bedanken und ihnen als kleines Zeichen meiner zutiefst empfundenen Dankbarkeit das vorliegende Buch widmen. Potsdam, im Februar 2012
Arno Richter
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Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis ................................................................................................ 15 Abbildungsverzeichnis ................................................................................................. 17 Tabellenverzeichnis ..................................................................................................... 19 A Einleitung .............................................................................................................. 21 A 1 Aufbau der Arbeit .................................................................................................................. 22 A 2 Kriterien zur Abgrenzung mitteständischer Unternehmen ..................................................... 26 A 2.1 Quantitative Kriterien ..................................................................................................... 26 A 2.2 Qualitative Kriterien ........................................................................................................ 30 A 2.3 Arbeitsspezifische Definition für mittelständische Unternehmen ................................... 33
B Theorie des Unternehmers und der Finanzierung ............................................... 35 B 1 „Entrepreneur“ und „Entrepreneurship“ ............................................................................... 35 B 2 „Unternehmer“ und „Unternehmertum“ ............................................................................... 39 B 3 Die Funktionen des Unternehmers in der ökonomischen Theorie ......................................... 42 B 3.1 Innovationsfunktion nach Schumpeter ........................................................................... 45 B 3.2 Arbitragefunktion nach Kirzner ....................................................................................... 49 B 3.3 Unsicherheitsfunktion nach Knight ................................................................................. 54 B 3.4 Koordinationsfunktion nach Casson ................................................................................ 56 B 3.5 Vergleich und Zusammenfassung .................................................................................... 59 B 4 Die Funktionen von KMU in der deutschen Volkswirtschaft ................................................... 63 B 4.1 Beschäftigungsfunktion ................................................................................................... 63 B 4.2 Innovationsfunktion ........................................................................................................ 66 B 4.3 Wachstums‐ und Wettbewerbsfunktion ......................................................................... 68 B 5 Vor‐ und Nachteile mittelständischer Unternehmen ............................................................. 70 B 6 Finanzierungsziele kleiner und mittlerer Unternehmen ......................................................... 74 B 6.1 Liquidität ......................................................................................................................... 75 B 6.2 Rentabilität ...................................................................................................................... 76 B 6.3 Sicherheit ........................................................................................................................ 77 B 6.4 Unabhängigkeit ............................................................................................................... 78 9
B 7 Theorie zur Gestaltung der Kapitalstruktur in KMU ................................................................ 80 B 7.1 Abgrenzung des Finanzierungsbegriffs ............................................................................ 80 B 7.2 Unterscheidung von Eigen‐ und Fremdkapital ................................................................. 83 B 7.3 Funktionen von Eigen‐ und Fremdkapital ........................................................................ 85 B 7.4 Modelle zur Entscheidung über die Kapitalstruktur ........................................................ 87 B 7.4.1 Die traditionelle These zur Relevanz der optimalen Kapitalstruktur ......................... 90 B 7.4.2 Die „Irrelevanzthese“ nach Modigliani/Miller .......................................................... 91 B 7.4.3 Argumente für die Bedeutung der Kapitalstruktur in KMU ....................................... 93 B 7.4.4 Die Pecking‐Order‐Theorie ....................................................................................... 95 B 7.4.5 Die Financial‐Life‐Cycle‐Theorie ............................................................................... 97 B 7.4.6 Fazit ........................................................................................................................ 100
C Unternehmens‐ und Finanzierungsstrukturen im deutschen Mittelstand ........ 103 C 1 Das Unternehmensregister als Ausgangsbasis für die Analyse des deutschen Mittelstands ................................................................................................. 104 C 2 Merkmale und Besonderheiten des Analysedatensatzes ..................................................... 106 C 3 Gewählte Definitionsbasis für die empirische Untersuchung ............................................... 108 C 4 Entwicklung der Mittelstandsstruktur in Deutschland ......................................................... 110 C 4.1 Anzahl mittelständischer Unternehmen ........................................................................ 110 C 4.2 Unternehmen nach Umsatzgrößenklassen .................................................................... 112 C 4.3 Unternehmen nach Beschäftigtengrößenklassen .......................................................... 114 C 4.4 Unternehmen nach Rechtsformen ................................................................................ 115 C 5 Entwicklung der Mittelstandsstruktur in Ost‐ und Westdeutschland ................................... 116 C 5.1 Anzahl mittelständischer Unternehmen ........................................................................ 116 C 5.2 Unternehmen nach Umsatzgrößenklassen .................................................................... 118 C 5.3 Betriebe nach Beschäftigtengrößenklassen ................................................................... 119 C 5.4 Unternehmen nach Rechtsformen ................................................................................ 120 C 6 Entwicklung der Mittelstandsstruktur in den einzelnen Bundesländern .............................. 122 C 6.1 Anzahl der Unternehmen .............................................................................................. 122 C 6.2 Unternehmen nach Umsatzgrößenklassen .................................................................... 124 C 6.3 Betriebe nach Beschäftigtengrößenklassen ................................................................... 125 C 6.4 Unternehmen nach Rechtsformen ................................................................................ 127
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C 7 Fazit zur mittelständischen Unternehmensstruktur in Deutschland ..................................... 129 C 8 Ertragslage und Finanzierungsbedingungen mittelständischer Unternehmen in Deutschland ..................................................................................................................... 130 C 8.1 Eigenkapitalquoten ost‐ und westdeutscher Unternehmen im Vergleich ..................... 131 C 8.2 Eigenmittelquoten nach Umsatzgrößenklassen ............................................................ 134 C 8.3 Branchenspezifische Eigenmittelquoten ....................................................................... 136 C 8.4 Bilanzstruktur und Eigenmittel ...................................................................................... 138 C 8.5 Analyse der Verbindlichkeitsstruktur ostdeutscher Unternehmen ................................ 139 C 8.6 Kreditvolumen in Ost‐ und Westdeutschland nach Bankengruppen ............................. 146 C 8.7 Zwischenergebnisse zur Finanzierungsstruktur deutscher Unternehmen ..................... 149 C 9 Finanzierungsbesonderheiten mittelständischer Unternehmen .......................................... 152 C 9.1 Probleme bei der Beschaffung von Eigenkapital ........................................................... 152 C 9.2 Erschwerter Zugang zu Fremdkapital ............................................................................ 154 C 9.3 Informationsverhalten von KMU ................................................................................... 155 C 9.4 Erhöhte Insolvenzgefahr ................................................................................................ 157 C 9.5 Höhere Finanzierungskosten ......................................................................................... 161 C 9.6 Die besondere Eigentümerstruktur ............................................................................... 162 C 9.7 Die Nachfolgeproblematik ............................................................................................. 163 C 9.8 Fazit ............................................................................................................................... 166
D Anwendbarkeit und Nutzen ausgewählter Finanzierungsinstrumente für die Eigen‐ und Fremdkapitalversorgung mittelständischer Unternehmen ............. 169 D 1 Kriterien zur Analyse der Finanzierungsinstrumente ........................................................... 169 D 2 Der Bankkredit als Hauptfinanzierungsinstrument .............................................................. 172 D 2.1 Systematisierung von Bankkrediten .............................................................................. 172 D 2.1.1 Kurzfristige Bankkredite ......................................................................................... 173 D 2.1.1.1 Kontokorrentkredite ........................................................................................ 173 D 2.1.1.2 Lombardkredite ............................................................................................... 174 D 2.1.1.3 Diskontkredite ................................................................................................. 175 D 2.1.1.4 Akzeptkredite .................................................................................................. 175 D 2.1.1.5 Avalkredite ...................................................................................................... 176 D 2.1.2 Langfristige Bankkredite ......................................................................................... 176 D 2.2 Eignung als Finanzierungsinstrument für KMU ............................................................. 177
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D 3 Alternative Finanzierungsinstrumente ................................................................................. 182 D 3.1 Einlagenfinanzierung durch „alte“ und „neue“ Gesellschafter ...................................... 183 D 3.1.1 Ablauf einer Kapitalerhöhung in Abhängigkeit der Unternehmensrechtsform ...... 184 D 3.1.2 Eignung als Finanzierungsinstrument für KMU ....................................................... 185 D 3.2 Private Equity ................................................................................................................ 188 D 3.2.1 Anbieter und Anlässe von PE‐Finanzierungen ........................................................ 189 D 3.2.2 Vor‐ und Nachteile der PE‐Finanzierung ................................................................. 190 D 3.2.3 Eignung als Finanzierungsinstrument für KMU ....................................................... 191 D 3.3 Börsengang ................................................................................................................... 196 D 3.3.1 Zugangsvorrausetzungen für einen Börsengang ..................................................... 197 D 3.3.2 Vor‐ und Nachteile eines Börsengangs ................................................................... 201 D 3.3.3 Eignung als Finanzierungsinstrument für KMU ....................................................... 203 D 3.4 Mezzanine ..................................................................................................................... 206 D 3.4.1 Formen und Eigenschaften von Mezzanine‐Kapital ................................................ 207 D 3.4.2 Vor‐ und Nachteile von Mezzanine‐Finanzierungen ............................................... 209 D 3.4.3 Eignung als Finanzierungsinstrument für KMU ....................................................... 211 D 3.5 Leasing .......................................................................................................................... 215 D 3.5.1 Leasingformen und Ausgestaltungsvarianten ......................................................... 215 D 3.5.2 Vor‐ und Nachteile des Leasings ............................................................................. 217 D 3.5.3 Eignung als Finanzierungsinstrument für KMU ....................................................... 219 D 3.6 Factoring ....................................................................................................................... 221 D 3.6.1 Formen des Factoring ............................................................................................. 222 D 3.6.2 Vor‐ und Nachteile des Factoring ........................................................................... 223 D 3.6.3 Eignung als Finanzierungsinstrument für KMU ....................................................... 224 D 3.7 Lieferantenkredit .......................................................................................................... 226 D 3.7.1 Vertrags‐ und Zahlungsvarianten ........................................................................... 227 D 3.7.2 Vor‐ und Nachteile des Lieferantenkredits ............................................................. 227 D 3.7.3 Eignung als Finanzierungsinstrument für KMU ....................................................... 228 D 3.8 Anleihen ........................................................................................................................ 230 D 3.8.1 Vor‐ und Nachteile der Anleihefinanzierung .......................................................... 231 D 3.8.2 Eignung als Finanzierungsinstrument für KMU ....................................................... 232 12
D 3.9 Asset Backed Securities ................................................................................................. 235 D 3.9.1 Grundkonzept einer ABS‐Verbriefung .................................................................... 236 D 3.9.2 Vor‐ und Nachteile einer ABS‐Verbriefung ............................................................. 238 D 3.9.3 Eignung als Finanzierungsinstrument für KMU ....................................................... 238 D 4 Fazit ..................................................................................................................................... 242
E
Unternehmensfinanzierung durch Banken ........................................................ 247 E 1 Finanzintermediation und Finanzintermediäre .................................................................... 247 E 2 Begründung der Existenz von Banken .................................................................................. 249 E 2.1 Informationsökonomische Erklärungsansätze ............................................................... 250 E 2.2 Institutionenökonomische Erklärungsansätze ............................................................... 254 E 2.2.1 Property‐Rights‐Ansatz ........................................................................................... 254 E 2.2.2 Prinzipal‐Agenten‐Theorie ...................................................................................... 257 E 2.2.3 Transaktionskostenansatz ...................................................................................... 260 E 3 Kernfunktionen von Banken ................................................................................................. 264 E 4 Das Hausbankprinzip als tragende Säule der Mittelstandsfinanzierung ............................... 267 E 4.1 Kennzeichnende Merkmale einer Hausbankbeziehung ................................................. 267 E 4.2 Bankloyalität als Vorrausetzung für das Hausbankprinzip ............................................. 269 E 4.3 Höhere Hausbankabhängigkeit von (ostdeutschen) KMU ............................................. 273 E 4.4 Empirische Studien zum Vorliegen einer Hausbankverbindung ..................................... 275 E 4.4.1 Anzahl der Bankbeziehungen .................................................................................. 275 E 4.4.2 Dauer von Bankbeziehungen .................................................................................. 276 E 4.5 Empirische Befunde zum Einfluss von Hausbankbeziehungen auf die Finanzierungsbedingungen von KMU ............................................................................. 279 E 4.5.1 Kreditverfügbarkeit ................................................................................................. 279 E 4.5.2 Kreditkonditionen ................................................................................................... 281 E 4.5.3 Umfang der Kreditbesicherung ............................................................................... 283 E 4.6 Vor‐ und Nachteile des Hausbankprinzips ..................................................................... 285 E 4.6.1 Bewertung aus Sicht der Unternehmen .................................................................. 285 E 4.6.2 Bewertung aus Sicht der Banken ............................................................................ 287 E 4.6.3 Resümee ................................................................................................................. 289
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F
Entwicklung eines integrativen Finanzkonzepts unter Berücksichtigung neuer Finanzierungsansätze ............................................................................... 291 F 1 Optimierung der Finanzierung auf Unternehmensebene ..................................................... 292 F 1.1 Finanzplanung und Cash‐Management ......................................................................... 292 F 1.2 Finanzierung aus Rückstellungen ................................................................................... 298 F 1.3 Finanzierung aus Vermögensumschichtung ................................................................... 299 F 1.3.1 Finanzierung durch Abschreibungen ....................................................................... 300 F 1.3.2 Kapitalfreisetzung durch Rationalisierungsmaßnahmen ......................................... 301 F 1.3.3 Finanzierung durch den Verkauf (nicht) betriebsnotwendiger Vermögensgegenstände .......................................................................................... 301 F 1.3.4 Implikationen für die KMU‐Finanzierung ................................................................ 302 F 2 Ausgewählte Praxisbeispiele zur Verbesserung der Mittelstandsfinanzierung ..................... 302 F 2.1 Das Modell „Analyse Zukunftsfähigkeit“ der Commerzbank .......................................... 303 F 2.2 Bürgschaft ohne Bank .................................................................................................... 305 F 2.3 Der Kreditmediator der Bundesregierung ...................................................................... 308 F 2.4 Mikrokreditfonds Deutschland ...................................................................................... 311 F 3 Synthese zu einem integrativen Finanzkonzept für KMU...................................................... 313
G Zusammenfassung und Ausblick ........................................................................ 317 Anlagen ...................................................................................................................... 327 Literaturverzeichnis ................................................................................................... 365
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Abkürzungsverzeichnis ABCP
‐
Asset Backed Commercial Paper
ABS
‐
Asset Backed Securities
AG
‐
Aktiengesellschaft
AktG
‐
Aktiengesetz
BdB
‐
Bundesverband deutscher Banken
BGB
‐
Bürgerliches Gesetzbuch
BMAS
‐
Bundesministerium für Arbeit und Soziales
BMWi
‐
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie
BoB
‐
Bürgschaft ohne Bank
BörsG
‐
Börsengesetz
BVK ‐ Bundesverband Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften – German Private Equity and Venture Capital Association e. V.
‐
Deutsches Mikrofinanz Institut e.V.
DSGV
‐
Deutscher Sparkassen‐ und Giroverband
DVFA
‐
Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management
eG
‐
eingetragene Genossenschaft
EK
‐
Eigenkapital
EStG
‐
Einkommensteuergesetz
ErbStG
‐
Erbschaftssteuer‐ und Schenkungssteuergesetz
EU
‐
Europäische Union
FK
‐
Fremdkapital
FWB
‐
Frankfurter Wertpapierbörse
GmbH
‐
Gesellschaft mit beschränkter Haftung
GmbHG
‐
Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung
HGB
‐
Handelsgesetzbuch
‐
Institut für Mittelstandsforschung Bonn
DMI
IfM Bonn
ifm Mannheim ‐
Institut für Mittelstandsforschung Mannheim
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IFRS
‐
International Financial Reporting Standards
IPO
‐
Initial Public Offering
KBG
‐
Kapitalbeteiligungsgesellschaft
KfW
‐
Kreditanstalt für Wiederaufbau
KG
‐
Kommanditgesellschaft
KGaA
‐
Kommanditgesellschaft auf Aktien
KMU
‐
Kleine und mittlere Unternehmen
KWG
‐
Kreditwesengesetz
L&L
‐
Lieferung und Leistungen
MBG
‐
Mittelständische Beteiligungsgesellschaft
MBI
‐
Management‐Buy‐in
MBO
‐
Management‐Buy‐out
OHG
‐
Offene Handelsgesellschaft
PE
‐
Private Equity
PME
‐
Petit et Medium Entreprise
SE
‐
Societas Europaea
SME
‐
Small and Medium‐Sized Enterprises
SPV
‐
Special Purpose Vehicle
SVB
‐
Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte
URS
‐
Unternehmensregister
URS 95
‐
Unternehmensregister‐System 95
WpHG
‐
Wertpapierhandelsgesetz
WpPG
‐
Wertpapierprospektgesetz
WpÜG
‐
Wertpapiererwerbs‐ und Übernahmegesetz
WZ
‐
Wirtschaftszweig
WZ 2003
‐
Systematik der Wirtschaftszweige 2003
WZ 2008
‐
Systematik der Wirtschaftszweige 2008
ZEW
‐
Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH
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Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Gliederung und Fragestellungen der Arbeit ................................................................... 25 Abbildung 2: Mittelstandsdefinition des IfM Bonn ............................................................................. 28 Abbildung 3: Mittelstandsdefinition der Europäischen Kommission .................................................. 28 Abbildung 4: Arbeitsdefinition für mittelständische Unternehmen .................................................... 33 Abbildung 5: Historische Entwicklung der Begriffe „Entrepreneur“ und „Unternehmer“ ................... 40 Abbildung 6: Schulen nach Cantillons Vorarbeiten ............................................................................. 44 Abbildung 7: Innovationsfunktion nach Schumpeter .......................................................................... 48 Abbildung 8: Unternehmertheorien im Überblick .............................................................................. 60 Abbildung 9: Beschäftigung in Unternehmen 2008 nach Umsatzgrößenklassen ................................ 64 Abbildung 10: Stärken und Schwächen von KMU ............................................................................... 74 Abbildung 11: Elemente des Finanzierungsbegriffs ............................................................................ 82 Abbildung 12: Charakteristika von Eigen‐ und Fremdkapital .............................................................. 83 Abbildung 13: Kapitalstrukturmodelle im Überblick ........................................................................... 88 Abbildung 14: Finanzierungshierarchie nach der Pecking‐Order‐Hypothese ...................................... 96 Abbildung 15: Der Financial‐Life‐Cycle von Unternehmen .................................................................. 99 Abbildung 16: Unternehmen nach Umsatzgrößenklassen (2007) ..................................................... 113 Abbildung 17: Vergleich der Eigenkapitalquoten west‐ und ostdeutscher Unternehmen bis 50 Mio. Euro Umsatz ............................................................................................ 133 Abbildung 18: Anteil mittelständischer Unternehmen mit einem Eigenkapital von null oder darunter ............................................................................................... 134 Abbildung 19: Eigenmittelquoten nach Umsatzgrößenklassen für den Zeitraum 2003 ‐ 2007 .......... 135 Abbildung 20: Eigenmittelquoten in ausgewählten Branchen für den Zeitraum 2003 ‐ 2007 ........... 137 Abbildung 21: Bilanzstruktur in Gesamt‐ und Ostdeutschland für den Zeitraum 2003 ‐ 2007 .......... 139 Abbildung 22: Fristigkeiten der Verbindlichkeiten als Anteil an der Bilanz für den Zeitraum 2003 ‐ 2007 .................................................................................... 140 Abbildung 23: Unternehmensverbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten als Anteil an der Bilanzsumme ................................................................................... 141 Abbildung 24: Verbindlichkeiten der Unternehmen gegenüber Kreditinstituten als Anteil an der Bilanzsumme ................................................................................... 142 Abbildung 25: Struktur der Unternehmensverbindlichkeiten im Zeitraum 2003 ‐ 2007 ................... 144 Abbildung 26: Vergebene Kredite an inländische Unternehmen nach Sitz des Kreditinstituts in 2009 (in Mio. Euro) ................................................................................................ 147 Abbildung 27: Anteile der Bankengruppen am ausstehenden Kreditvolumen in Ost‐ und Westdeutschland ..................................................................................... 148 Abbildung 28: Der Einfluss beschränkter Finanzierungsmöglichkeiten auf die Kapitalstruktur ostdeutscher Unternehmen ....................................................................................... 150 Abbildung 29: Systematisierung von Bankkrediten ........................................................................... 173
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Abbildung 30: Durchschnittliche Effektivzinssätze im Kreditneugeschäft an Unternehmen im Juli 2010 ................................................................................................................ 178 Abbildung 31: Alternative Finanzierungsinstrumente im Überblick .................................................. 183 Abbildung 32: Abgrenzung zwischen Venture Capital und Private Equity i.e.S. ................................ 189 Abbildung 33: Börsensegmente der Frankfurter Wertpapierbörse ................................................... 201 Abbildung 34: Idealtypische Rendite‐Risiko‐Struktur von Mezzanin‐Instrumenten .......................... 208 Abbildung 35: Merkmale des Operate‐ und Finance Leasing ............................................................ 217 Abbildung 36: Konditionen der Leasing‐Gesellschaften .................................................................... 219 Abbildung 37: Funktionsweise von ABS ............................................................................................ 237 Abbildung 38: Die Chancen mittelständischer Unternehmen, alternative Finanzierungsinstrumente in Abhängigkeit ihrer Unternehmensgröße in Anspruch zu nehmen .......................... 244 Abbildung 39: Unterscheidung von Finanzintermediären ................................................................. 248 Abbildung 40: Einflussfaktoren der Bankloyalität ............................................................................. 272 Abbildung 41: Bedarfsbündel für Firmenkunden .............................................................................. 275 Abbildung 42: Ergebnisse der MIND‐Studie zur Dauer der Hauptbankverbindung ........................... 278 Abbildung 43: Vor‐ und Nachteile der Hausbankbeziehung .............................................................. 289 Abbildung 44: Ausgleich der Finanzströme als Aufgabe der Finanzwirtschaft des Unternehmens ... 293 Abbildung 45: Liquiditätspolitische Maßnahmen .............................................................................. 295 Abbildung 46: Bewertungsfaktoren des Modells „Analyse Zukunftsfähigkeit“ ................................. 304 Abbildung 47: Das BoB‐Programm der Bürgschaftsbank Brandenburg ............................................. 306 Abbildung 48: Das Kreditmediationsverfahren in Deutschland ......................................................... 310 Abbildung 49: Der Ablauf der Kreditvergabe über den Mikrokreditfonds Deutschland .................... 312 Abbildung 50: Beispiel eines integrativen Finanzkonzepts für KMU ................................................. 314
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Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Unternehmen nach der KMU‐Definition des IfM Bonn (2007) ......................................... 109 Tabelle 2: Unternehmen nach der KMU‐Definition der EU (2007) .................................................... 109 Tabelle 3: Entwicklung des Unternehmensbestandes (2002 – 2007) ................................................ 111 Tabelle 4: Unternehmen nach Umsatzgrößenklassen (2002 – 2007) ................................................ 112 Tabelle 5: Unternehmen nach Beschäftigtengrößenklassen (2002 – 2007) ...................................... 114 Tabelle 6: Unternehmen nach Rechtsformen (2007) ........................................................................ 115 Tabelle 7: Entwicklung des KMU‐Bestandes nach Ost und West (2002 – 2007) ................................ 117 Tabelle 8: Ost‐ und westdeutsche Unternehmen nach Umsatzgrößenklassen (2007) ...................... 119 Tabelle 9: Ost‐ und westdeutsche Betriebe nach Beschäftigtengrößenklassen (2002 – 2004) ......... 120 Tabelle 10: Ost‐ und westdeutsche Betriebe nach Beschäftigtengrößenklassen (2005 – 2007) ....... 120 Tabelle 11: Ost‐ und westdeutsche Unternehmen nach Rechtsform (2002 – 2007) ......................... 121 Tabelle 12: KMU‐Bestand in den Bundesländern nach EU Definition (2007) .................................... 122 Tabelle 13: Unternehmen nach Umsatzgrößenklassen und Bundesländer (2007) ............................ 124 Tabelle 14: Betriebe nach Beschäftigtengrößenklassen und Bundesländer (2007) ........................... 126 Tabelle 15: Unternehmen nach Rechtsform und Bundesländer (2007) ............................................ 128 Tabelle 16: Unternehmensinsolvenzen nach Rechtsform von 2005 bis 1. Hj. 2010 .......................... 158 Tabelle 17: Unternehmensinsolvenzen nach Anzahl der Mitarbeiter von 2005 ‐ 1. Hj. 2010 ............ 159 Tabelle 18: Insolvenzen nach Umsatzgrößenklassen von 2005 bis 1. Hj. 2010 ................................. 160 Tabelle 19: Insolvenzen nach Unternehmensalter von 2005 bis 1. Hj. 2010 ..................................... 160
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A Einleitung Kaum ein Thema wurde in den letzten Jahrzehnten so intensiv behandelt und diskutiert wie der Mittelstand.1 Es fehlte kaum an Aufsätzen, Büchern und Zeitschriftenartikeln, die sich nicht in irgendeiner Weise mit der wohl vielseitigsten, flexibelsten und interessantesten Un‐ ternehmensgruppe in Deutschland beschäftigten. Doch warum wird gerade ihr so viel Auf‐ merksamkeit in der Literatur und Praxis zuteil? Eine Antwort hierauf ist einfach: Der Mittel‐ stand stellt nicht nur den weit überwiegenden Anteil am gesamten deutschen Unterneh‐ mensbestand, sondern ist darüber hinaus auch, wie noch zu zeigen sein wird, von hoher volkswirtschaftlicher Bedeutung. Diese zeigt sich z.B. in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit, in de‐ nen gerade Politiker dem Mittelstand einen hohen Stellenwert beim Beschäftigungsbeitrag beimessen. In monostrukturierten Gebieten, d.h. in jenen, die nur von einem Wirtschaftsbe‐ reich bzw. von einigen wenigen Großunternehmen dominiert werden, kommt dem Mittel‐ stand die Aufgabe zu, neue Wirtschaftsbereiche aufzubauen und den Strukturwandel inner‐ halb der Branchen zu fördern. Ein Wachstums‐ und Innovationsbeitrag wird dem Mittelstand darüber hinaus besonders in den Regionen zugschrieben, die, wie z.B. Baden Württemberg, hauptsächlich vom industriellen Mittelstand geprägt sind.2 In Anbetracht dieser und weiterer volkswirtschaftlicher Funktionen werden mittelständische Unternehmen häufig auch als Kern und Wachstumsmotor der deutschen Wirtschaft bezeichnet.3 Aufgrund der spezifischen Eigenheiten und der hohen volkswirtschaftlichen Bedeutung klei‐ ner und mittlerer Unternehmen ist ein tiefgreifendes Verständnis ihrer Besonderheiten un‐ erlässlich. Ein wichtiger Teilaspekt hiervon ist die Finanzierung, da sie die Grundvorausset‐ zung für den Aufbau und Erhalt der Unternehmen bildet. In der betriebswirtschaftlichen Li‐ teratur werden zur Finanzierung von KMU oftmals Instrumente vorgeschlagen, die sich bei Großunternehmen bereits bewährt haben. Die hierbei zumindest indirekte Unterstellung der Eignung und Übertragbarkeit setzt dabei jedoch an einer Reihe von Prämissen an, die den betrieblichen Verhältnissen in mittelständischen Unternehmen nur zum Teil entsprechen. So erfordert die Mehrzahl des in Großunternehmen zum Einsatz kommenden finanzwirtschaft‐ lichen Instrumentariums die Existenz von gut ausgebauten Planungs‐ und Kontrollsystemen, die in der geforderten Qualität und Güte nur in wenigen KMU vorhanden sind.4 Hinzu kommt, dass ein Großteil der in der Finanztheorie entwickelten Kapitalstrukturmodelle von börsennotierten Unternehmen ausgeht und damit nicht ohne weiteres auf kleine und mittle‐ re Unternehmen übertragbar ist.5 Die ihnen zugrunde liegenden Erklärungsansätze vernach‐ lässigen dabei häufig, dass sich KMU aufgrund von Marktunvollkommenheiten zahlreichen Beschränkungen bei der Kapitalaufnahme ausgesetzt sehen und sich ihre Unternehmensfüh‐ rung, im Gegensatz zu Großunternehmen, besonders dadurch unterscheidet, dass sie stark von der Persönlichkeit des Unternehmers geprägt ist.6 Besonders Letzteres führt dazu, dass 1
Im Rahmen dieser Arbeit werden im Weiteren folgende Begriffe synonym verwendet: Unternehmen, Unter‐ nehmung (als finanzielle‐rechtliche Einheit) sowie entsprechend kleine und mittlere Unternehmen (KMU), Mittelstand. 2 Vgl. De (2005), S. 242. 3 Vgl. BdB (2005), S. 3. 4 Vgl. Streithorst (2001), S. 1. 5 Vgl. Hermanns (2006), S. 1 ff. 6 Vgl. Pfohl (2006 a), S. 80.
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sich Finanzierungsentscheidungen stark an den Bedürfnissen des Unternehmers ausrichten. Neben den für alle Unternehmen geltenden Finanzierungszielen (Liquidität, Rentabilität und Sicherheit) rückt hierbei speziell die Wahrung der Unabhängigkeit in den Vordergrund. Dies hat zur Folge, dass in KMU auf den Einsatz von Finanzinstrumenten, die die Einflussnahme Dritter auf das Unternehmen erhöhen und damit dem Unabhängigkeitsstreben der Unter‐ nehmer entgegenstehen, weitgehend verzichtet wird.7 Ein weiterer wichtiger Aspekt, der einer uneingeschränkten Anwendung von traditionellen Kapitalstrukturmodellen auf die Finanzierungsentscheidungen in KMU entgegensteht, ist in den deutschen Unternehmensstrukturen zu sehen. Bisherige Studien zur strukturellen Zu‐ sammensetzung und Ausgestaltung des Mittelstands sind bislang noch sehr allgemein gehal‐ ten und beschränken sich hauptsächlich auf generelle Angaben zur gesamtdeutschen Mittelstandsstruktur. So wird bspw. je nach verwendeter KMU‐Definition angeführt, dass 99,6 % aller Unternehmen zum Mittelstand gehören.8 Tiefergehende Analysen, welche z.B. die Unternehmensstrukturen in Ost‐ und Westdeutschland sowie in den einzelnen Bundes‐ ländern darstellen und in Zusammenhang mit dem Finanzierungsverhalten der dort ansässi‐ gen kleinen und mittleren Unternehmen stellen, bilden dagegen eher die Ausnahme. Um jedoch die Finanzierungsentscheidungen von mittelständischen Unternehmen besser zu ver‐ stehen, bedarf es gleichzeitig aber auch einer tiefgreifenden Analyse der Auswirkungen der Unternehmensstrukturen auf die KMU‐Finanzierung. Genau dieser Forschungslücke widmet sich die vorliegende Arbeit. Sie verfolgt das Ziel, mit‐ tels einer theoretischen und empirischen Analyse der ost‐ und westdeutschen Unterneh‐ mensstrukturen die Finanzierungsverhältnisse und Hausbankbeziehungen kleiner und mittle‐ rer Unternehmen zu untersuchen. Der Gegenstand dieser Arbeit ist daher die detaillierte Darstellung der Mittelstandsstruktur bis auf Bundesländerebene und die Analyse der sich daraus ergebenden Folgen für die Ertrags‐ und Finanzierungsstruktur der dort ansässigen Unternehmen. Um darüber hinaus die mangelnde Nutzung finanzwirtschaftlicher Instrumen‐ te im Mittelstand zu erklären, werden ausgewählte Finanzinstrumente auf ihre Anwendbar‐ keit für die KMU‐Finanzierung hin überprüft und die besondere Bedeutung der Hausbankbe‐ ziehung für kleine und mittlere Unternehmen im Rahmen eines bankenorientierten Finanz‐ systems untersucht. Auf Basis der zuvor gewonnenen Erkenntnisse wird schließlich ein integ‐ ratives Finanzkonzept entwickelt, das unter den derzeit bestehenden Rahmenbedingungen die Möglichkeit bietet, die Finanzierungsverhältnisse von mittelständischen Unternehmen zu verbessern.
A 1 Aufbau der Arbeit Im Kapitel A wird der Mittelstand inhaltlich abgegrenzt und die für den weiteren Fortgang dieser Arbeit maßgebende, arbeitsspezifische Definition dargelegt. Die Darstellung des theo‐ retischen Bezugsrahmens ist Aufgabe des Kapitels B. Hier wird neben der begrifflichen Ab‐ grenzung von „Entre‐preneur/Entrepreneurship“ und „Unternehmer/Unternehmertum“ vor allem ein Überblick über die vielfältigen Unternehmertheorien gegeben, die Bedeutung von 7
Vgl. Börner (2006), S. 298. Vgl. IfM Bonn (2011).
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mittelständischen Unternehmen aufgezeigt und ihre Vor‐ und Nachteile allgemein betrach‐ tet. Aufgrund der starken Stellung des Unternehmers und seines damit verbundenen Einflus‐ ses auf die Unternehmensfinanzierung werden sodann die von KMU verfolgten Finanzie‐ rungsziele dargestellt, ehe im zweiten Teil dieses Kapitels der Frage nachgegangen wird, ob sich das Finanzierungsverhalten von mittelständischen Unternehmen auch auf theoreti‐ schem Wege erklären lässt. Um sich der Beantwortung dieser Frage zu nähern, wird in einem ersten Schritt eine Abgrenzung des Finanzierungsbegriffs vorgenommen und das dieser Ar‐ beit zugrunde liegende Begriffsverständnis aufgezeigt. Im Weiteren werden die Merkmale und Funktionen von Eigen‐ und Fremdkapital beschrieben und darauf aufbauend diejenigen Kapitalstrukturmodelle vorgestellt, die geeignet erscheinen, den größten Erklärungsbeitrag zur Kapitalstruktur und zum Finanzierungsverhalten mittelständischer Unternehmen zu leis‐ ten. Den empirischen Schwerpunkt dieser Arbeit bildet das Kapitel C. Die Besonderheiten und Merkmale des verwendeten Datensatzes vorangestellt, werden im ersten Teil dieses Kapitels die Anzahl der Unternehmen, die Umsatz‐ und Beschäftigtengrößenklassen sowie die Vertei‐ lung der Rechtsformen in Gesamtdeutschland, Ost‐ und Westdeutschland sowie in den ein‐ zelnen Bundesländern in einem dreistufigen Analyseprozess dargestellt. Im zweiten Teil wird den Ergebnissen der Strukturanalyse Rechnung getragen, indem die Ertragslage und Finan‐ zierungsbedingungen mittelständischer Unternehmen aufgezeigt und die Auswirkungen der Unternehmensstruktur hierauf diskutiert werden. Das Kapitel schließt mit einer Aufzählung von Finanzierungsbesonderheiten, aufgrund derer Probleme bei der Finanzierung mittel‐ ständischer Unternehmen allgemein hergeleitet werden können. Auf Basis der im Kapitel C identifizierten Finanzierungsstrukturen und ‐besonderheiten steht im Kapitel D die Frage im Mittelpunkt, welche Finanzierungsinstrumente abseits des Bank‐ kredits zur Finanzierung von kleinen und mittleren Unternehmen geeignet sind. Um diese Frage in angemessener Form beantworten zu können, werden anhand eines auf den Bedürf‐ nissen von KMU abgeleiteten Kriterienkataloges ausgewählte Finanzinstrumente auf deren Anwendbarkeit und Nutzen untersucht und die sich daraus für mittelständische Unterneh‐ men ergebenden Finanzierungsoptionen in Abhängigkeit ihrer Größe dargestellt. Da der Bankkredit aufgrund von Kapitalmarktbeschränkungen respektive der Nichteignung zahlreicher Finanzinstrumente nach wie vor zu den wichtigsten Finanzierungsquellen von KMU gehört, wird im Kapitel E die Hausbank, als zentrale Anlaufstelle für die Kreditvergabe, näher untersucht. Ausgehend von der definitorischen Abgrenzung des Finanzintermediati‐ onsbegriffs wird hier zunächst allgemein die Existenz und Vorteilhaftigkeit von Banken mit‐ hilfe von informations‐ und institutionenökonomischen Ansätzen begründet, bevor im An‐ schluss daran ihre Funktionen in einer Volkswirtschaft dargestellt werden. Um die ökonomi‐ sche Bedeutung von Hausbankbeziehungen im Vergleich zu „normalen“ Bankbeziehungen herauszuarbeiten, werden im Weiteren die Merkmale einer Hausbankbeziehung, der Einfluss der Bankloyalität sowie die höhere Hausbankabhängigkeit von KMU aufgezeigt. Den Schwerpunkt dieses Kapitels bildet die Untersuchung der Anzahl und Dauer der im deut‐ schen Mittelstand unterhaltenen Bankbeziehungen sowie deren Einfluss auf die Kreditver‐ fügbarkeit, die Kreditkonditionen und den Umfang der Besicherung. Welche Vor‐ und Nach‐
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teile eine Hausbankbeziehung für die Unternehmen und Banken mit sich bringt, wird am Ende des Kapitels diskutiert. Zentrales Anliegen des Kapitels F ist es, unter Beachtung der zuvor in dieser Arbeit gewon‐ nenen Erkenntnisse Ansatzpunkte zur Verbesserung der KMU‐Finanzierung aufzuzeigen. Hierfür werden in einem ersten Schritt zunächst jene Möglichkeiten dargestellt, die auf eine Optimierung des Finanzbedarfs auf Unternehmensebene abstellen. Aufgrund der großen Bedeutung des Bankkredits werden im Anschluss daran ausgewählte Praxisbeispiele vorge‐ stellt, die das Ziel verfolgen, den Kreditzugang speziell für kleine und mittlere Unternehmen zu erleichtern. Mit der Synthese aller zuvor dargestellten Finanzierungsinstrumente und ‐ maßnahmen zu einem integrativen Finanzkonzept wird schließlich ein Modell vorgestellt, das die Absicht verfolgt, die Finanzierungsbedingungen des Mittelstands dauerhaft zu ver‐ bessern. Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse und einem Ausblick auf die zukünftigen Handlungsmöglichkeiten von Unternehmen und Banken zur Verbesserung der KMU‐Finanzierung. Die Struktur und Gliederung der Arbeit wird durch die Abbildung 1 zusammenfassend illus‐ triert. Die in der Dissertation zu beantwortenden Kernfragen sind dabei den einzelnen Kapi‐ teln zugeordnet.
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Abbildung 1: Gliederung und Fragestellungen der Arbeit
Kapitel A – Einleitung
Kapitel B – Theorie des Unternehmers und der Finanzierung Welche Rolle spielt der Unternehmer im Wirtschaftprozess? Lässt sich das Finanzierungsverhalten von KMU mithilfe der Finanzierungstheorie erklären? Existiert eine optimale Kapitalstruktur? Von welchen Faktoren wird sie beeinflusst? Nach welchen Kriterien treffen KMU ihre Finanzierungsentscheidungen?
Kapitel C – Unternehmens‐ und Finanzierungsstrukturen im deutschen Mittelstand Gibt es unterschiedliche Unternehmensstrukturen in den neuen und alten Bundesländern? Wenn ja, welche Auswirkungen haben diese auf die Ertragslage und Finanzierungsbedingungen der dort ansässigen Unternehmen? Aufgrund welcher Besonderheiten können Probleme bei der Finanzierung mittelständischer Unternehmen ganz allgemein hergeleitet werden?
Kapitel D – Finanzierungsmöglichkeiten für den Mittelstand Inwieweit sind bereits am Markt existierende Finanzierungsinstrumente geeignet, um es mittelständischen Unternehmen zu ermöglichen sich mit einem optimalen Mix aus Eigen‐ und Fremdkapital zu möglichst geringen Finanzierungskosten auszustatten?
Kapitel E – Unternehmensfinanzierung durch Banken Wie lässt sich die Existenz von Banken begründen und welche Funktionen nehmen sie in der Volkwirtschaft wahr? Was ist eine Hausbankbeziehung und welchen Einfluss hat diese auf die Unternehmensfinanzierung von KMU? Welche Vor‐ und Nachteile lassen sich im Rahmen von Hausbankenbeziehungen feststellen?
Kapitel F – Maßnahmen zur Verbesserung der KMU‐Finanzierung Welche Möglichkeiten besitzen mittelständische Unternehmen, ihre Liquidität zu optimieren, Fehlbeträge (Liquiditätsengpässe) zu vermeiden und ihren Finanzbedarf zu senken? Existieren „neue“ Finanzierungsmöglichkeiten, die geeignet sind den Kreditzugang für KMU zu erleichtern? Wie könnte ein Finanzkonzept aussehen, dass die Finanzierungsbedingungen für mittelständische Unternehmen dauerhaft verbessert?
Kapitel G – Zusammenfassung und Ausblick
Quelle: Eigene Darstellung. 25
A 2 Kriterien zur Abgrenzung mitteständischer Unternehmen Bei der Diskussion um die deutsche Wirtschaft findet kaum ein Schlagwort so häufig Ver‐ wendung wie das vom Mittelstand. Um wen oder was handelt es sich aber, wenn vom Mit‐ telstand gesprochen wird? Bei näherer Betrachtung ergibt sich, dass der Begriff oft unter‐ schiedlich gebraucht wird9 und dass sich hinsichtlich dessen, was unter Mittelstand eigent‐ lich konkret zu verstehen ist, keine einheitliche, allgemein anerkannte Legaldefinition entwi‐ ckelt hat.10 Bemerkenswert ist, dass der Begriff „Mittelstand“ ausschließlich in Deutschland gebräuchlich ist. Im internationalen Sprachgebrauch spricht man hingegen von „Small and Medium‐Sized Enterprises" (SME) oder „Petit et Medium Entreprise" (PME) und meint damit in aller Regel einen rein statistisch definierten Teil der Gesamtwirtschaft. Im deutschen Sprachgebrauch deckt der Begriff „Mittelstand“ zwar diesen statistisch dokumentierten Be‐ reich ebenfalls ab, geht jedoch inhaltlich darüber hinaus.11 Ein Hauptproblem bei der Kon‐ zeption einer allgemeingültigen Definition ist vornehmlich die Vielzahl, Unterschiedlichkeit und Ungenauigkeit der Merkmale des Mittelstandes.12 Dies hat dazu geführt, dass mit der steigenden Auseinandersetzung mit dem Untersuchungsobjekt der mittelständischen Unter‐ nehmung auch eine zunehmende Definitionsvielfalt einhergeht.13 So werden bei dem Ver‐ such der Konzeption einer Mittelstandsdefinition14 je nach Autor und Forschungsinteresse neben ökonomischen, psychologischen, soziologischen, politischen, rechtlichen und statisti‐ schen Merkmalen auch quantitative und qualitative Kriterien hinzugezogen. Als Konsequenz dieser Merkmalskombinationen ergibt sich eine sehr komplexe Vorstellung des Phänomens Mittelstand, so dass insbesondere diese vieldimensionalen, fließenden Grenzen, die Uneinheitlichkeit und die Beweglichkeit der kleinen und mittleren Unternehmen im moder‐ nen Wirtschaftsleben als charakteristisch für den Mittelstand erachtet werden.15 Im Folgenden sollen die in der Literatur gängigsten quantitativen und qualitativen Kriterien zur Unterscheidung von mittelständischen Unternehmen vorgestellt werden, so dass nach‐ folgend eine für diese Arbeit zweckmäßige Abgrenzung mittelständischer Unternehmungen entwickelt werden kann.
A 2.1 Quantitative Kriterien Die Notwendigkeit, erstmals Unternehmen hinsichtlich ihrer Größe zu unterscheiden, ent‐ stand vor allem in der öffentlichen Verwaltung. Um von den Großunternehmen Körper‐ schaftssteuer sowie von der großen Masse der kleinen und mittleren Unternehmen Ein‐ kommenssteuer erheben zu können, musste eine verwaltungswirtschaftliche Abgrenzung nach Unternehmensgrößen gefunden werden. Daneben setzte sich in der Politik die Er‐ kenntnis durch, öffentliche Subventionen nicht allein auf Großunternehmen zu konzentrie‐ ren, sondern auch kleine und mittlere Unternehmen aufgrund ihrer wirtschaftspolitischen 9
Vgl. Klein (2004), S. 9. Vgl. Ensser (1998), S. 34. Vgl. Bussiek (1996), S. 16 f.; Günterberg/Wolter (2002), S. 1. 12 Vgl. Gantzel (1962), S. 12 ff. 13 Vgl. Maurenbrecher (2008), S. 11 f. 14 Gantzel hat bspw. bei einer eingehenden Literaturrecherche insgesamt 190 Definitionen zum Mittelstand ausfindig machen können. Vgl. Gantzel (1962), S. 46. 15 Vgl. Püthe (2009), S. 9. 10 11
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Bedeutung zu fördern, so dass auch unter diesem Blickwinkel die quantitative Abgrenzung von Unternehmen notwendig wurde.16 Für eine quantitative Unterscheidung zwischen Klein‐, Mittel‐ und Großunternehmen kön‐ nen, wie eingangs geschildert, eine Vielzahl von Kriterien herangezogen werden.17 Problema‐ tisch bei der Abgrenzung des Begriffs Mittelstand mittels quantitativer Merkmale erweist sich die Frage, welche Merkmale aus der Fülle möglicher Kriterien auszuwählen sind und welche Schwellenwerte verwendet werden sollen.18 Die Wissenschaft kennt dabei eine Viel‐ zahl solcher Kriterien, wie z.B. Gewinn, Anlagevermögen, Wertschöpfung, Stellung am Markt, Betriebskosten, Investitionskapital sowie Produktions‐ und Absatzmengen. Die amtli‐ che Statistik liefert jedoch zu den meisten der zuvor aufgeführten Definitionskriterien keine oder nur auf bestimmte Wirtschaftsbereiche oder Größenklassen beschränkte Daten. In aller Regel wird daher ein pragmatischer Ansatz zur Beschreibung von Unternehmensgrößen ge‐ wählt, der sich vornehmlich auf die Höhe des Umsatzes und die Zahl der Beschäftigten be‐ schränkt, die einzeln oder gemeinsam bestimmte Schwellenwerte nicht überschreiten sol‐ len.19 Generell wird dabei zwischen der Anwendung eines einzigen Abgrenzungskriteriums (eindimensionaler Ansatz) und mehrerer quantitativer Kriterien (mehrdimensionaler Ansatz) unterschieden.20 Ein Beispiel für einen mehrdimensionalen Ansatz zeigt sich in der Mittelstandsabgrenzung der Europäischen Kommission. Diese auf den Merkmalen: Beschäftigte, Umsatz bzw. Bilanz‐ summe sowie dem Unabhängigkeitskriterium beruhende Abgrenzung gilt zwar nicht als for‐ mal verbindlich, beinhaltet aber eine starke Standardisierungskraft.21 Weitaus weniger stan‐ dardisiert ist dagegen die Abgrenzung des Mittelstands auf nationaler Ebene. Angesichts der Weite und Vielfalt der Unternehmensgruppen und der Tatsache, dass Wandel für den Mit‐ telstand eine ganz wesentliche Antriebskraft ist, hat sich die Bundesregierung dafür ent‐ schieden, auf jede einengende und starre Definition, mit Ausnahme von individuellen Ab‐ grenzungen im Rahmen von Förderprogrammen, zu verzichten.22 Folglich stammen die im deutschen Sprachraum, in Ministerien und bei Verbänden der deutschen Wirtschaft am häu‐ figsten verwendeten Mittelstandsdefinitionen vom Institut für Mittelstandsforschung Bonn (IfM Bonn) und der Europäischen Union, die beide einen mehrdimensionalen Ansatz zur Größeneinteilung von Unternehmen verwenden.23 Beim IfM Bonn werden die Unternehmensgrößen, wie in Abbildung 2 zu sehen, in klein (bis zu 9 Beschäftigte und einem Umsatz bis zu 1 Mio. Euro im Jahr), mittel (10 bis 499 Beschäf‐ tigte und einem Umsatz bis zu 50 Mio. Euro im Jahr) und groß (ab 500 Beschäftigte und ei‐ nem Umsatz von mehr als 50 Mio. Euro im Jahr) unterschieden.24
16
Vgl. Hamer (2006), S. 9 f. Vgl. Klein (2004), S. 10. 18 Vgl. Püthe (2009), S. 9. 19 Vgl. Fröhlich u.a. (2000), S. 12; Gerke u.a. (1995), S. 13; Günterberg/Wolter (2002), S. 1; Kabst (2004), S. 3. 20 Vgl. Kramer (1999), S. 14. 21 Vgl. Mugler (1998), S. 30. 22 Vgl. Günterberg/Wolter (2002), S. 3. 23 Vgl. Lüpken (2003), S. 6; Maurenbrecher (2008), S. 13. 24 Vgl. IfM Bonn (2002). 17
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Abbildung 2: Mittelstandsdefinition des IfM Bonn Unternehmensgröße
Zahl der Beschäftigten
Umsatz in € / Jahr
klein
bis 9
bis unter 1 Mio.
mittel
10 bis 499
1 bis unter 50 Mio.
groß
500 und mehr
50 Mio. und mehr
Quelle: Günterberg/Kayser (2004), S. 3.
Bei der Definition der Europäischen Kommission, die seit dem 1. Januar 2005 gilt, gehören indessen zu den kleinen und mittleren Unternehmen alle Gesellschaften mit weniger als 250 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von höchstens 50 Mio. Euro oder einer Jahresbilanz‐ summe von höchstens 43 Mio. Euro.25 Die Abbildung 3 verdeutlich hier noch einmal die Schwellenwerte, die für die jeweiligen Unternehmensklassen in der Definition der Europäi‐ schen Union gelten. Abbildung 3: Mittelstandsdefinition der Europäischen Kommission Beschäftigung
Unternehmensgröße
Anzahl der Mitarbeiter
Umsatz
Bilanzsumme
Kleinst
43 Mio. Euro
Mittelstand
Großunternehmen 1
Finanzen1
Kriterium
Konzernunabhängigkeit Zugehörigkeit zu anderen Unternehmen Das Unternehmen darf nicht zu 25 % oder mehr des Kapitals oder der Stimm‐ anteile im Besitz von einem oder mehreren weiteren Unternehmen gemeinsam sein, welche die Mittel‐ standsdefinition nicht erfüllen. ‐
Hiervon ist fakultativ ein Kriterium zu erfüllen.
Quelle: In Anlehnung an Bauer/Frings (2008), S. 6; Europäische Kommission (2003 a), S. 39.
Zur weiteren Abgrenzung wird von der Europäischen Kommission zusätzlich das qualitative Merkmal der Eigenständigkeit der Unternehmen verlangt. Demnach ist ein Unternehmen kein KMU, wenn 25 % oder mehr seines Kapitals oder seiner Stimmrechte direkt oder indi‐ rekt von einem oder mehreren Unternehmen einzeln oder gemeinsam kontrolliert werden, die selbst nicht die Mittelstandsdefinition der EU erfüllen. Ausgenommen von dieser Rege‐ lung sind jedoch öffentliche Anteilseigner wie: staatliche Beteiligungsgesellschaften, Risiko‐ kapitalgesellschaften, Universitäten oder Forschungszentren ohne Gewinnabsicht, institutio‐ nelle Anleger einschließlich Entwicklungsfonds sowie autonome Gebietskörperschaften mit einem Jahreshaushalt von weniger als 10 Mio. Euro und weniger als 5.000 Einwohnern.26 Ziel der expliziten Berücksichtigung der Unternehmensverflechtungen bei der Ermittlung der 25 26
Vgl. Europäische Kommission (2003 a), S. 39. Vgl. Europäische Kommission (2003 a), S. 39; Europäische Kommission (2006), S. 16 ff.
28
Schwellenwerte ist, dass konzernabhängige Unternehmen nicht automatisch zum Kreis der KMU zählen.27 Trotz ihrer allgemeinen Anerkennung sind sowohl die Mittelstandsdefinition des IfM Bonn als auch die der Europäischen Kommission mit einigen Problemen behaftet. Eines resultiert bspw. aus der uneinheitlichen Abgrenzung der Schwellenwerte hinsichtlich der Mitarbeiter‐ zahl und der Umsatzhöhe. Ein Unternehmen mit 400 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 40 Mio. Euro würde nach Einteilung der Europäischen Kommission als Großunterneh‐ men gelten, während es nach der Unternehmensabgrenzung des IfM Bonn als mittelstän‐ disch anzusehen ist.28 Hinzu kommt, dass sich die hier vorliegenden mehrdimensionalen Ab‐ grenzungen zwar durch eine präzise Differenzierung auszeichnen, die Zahl der Dimensionen jedoch auch die Probleme der Messbarkeit, Erfassbarkeit und Gewichtung der einzelnen Fak‐ toren erhöht.29 In der einschlägigen Literatur wird die Verwendung der aufgezeigten Kriteri‐ en mit der leichten Verfügbarkeit der Daten begründet. In der Praxis ergeben sich jedoch oft Probleme bei der Erfassung von Bilanzsummen und Umsatzzahlen, da kleine und mittlere Unternehmen im Allgemeinen geringeren Publizitätspflichten unterliegen und ihre internen Daten nur ungern offenlegen.30 Ein weiteres Problem liegt darin, dass eine eindeutige Festlegung der Größenklassen auf‐ grund der spezifischen betriebswirtschaftlichen Eigenarten der unterschiedlichen Wirt‐ schaftsbereiche, z.B. im Hinblick auf Kapital‐ und Arbeitsintensitäten, oft nicht vorgenom‐ men werden kann.31 Dies kann bspw. dazu führen, dass bei Abgrenzung anhand eines Merk‐ mals, wie z.B. der Beschäftigtenzahl (eindimensionaler Ansatz), ein personalintensives Dienstleistungsunternehmen größer erscheint als ein Produktionsunternehmen mit hohem Automatisierungsgrad, obwohl beide Unternehmen relativ gleiche Kapitalintensitäten auf‐ weisen.32 Aus den zuvor geschilderten Problemen wird deutlich, dass unabhängig von der Wahl des Indikators eine quantitative Abgrenzung immer nur eine zweckorientierte, untersuchungs‐ vereinfachende Näherung darstellen kann.33 Quantitative Indikatoren alleine werden der heterogenen Gruppe von kleinen und mittleren Unternehmen demnach nur bedingt ge‐ recht.34 Daher stellt sich die Frage, über welche gemeinsamen konstitutiven Merkmalen KMU verfügen, anhand derer eine Abgrenzung zu Großunternehmen erfolgen kann. Die – an welchen Kriterien auch immer gemessene – Größe allein kann die Zweckmäßigkeit einer Ge‐ genüberstellung von mittelständischen und großen Unternehmen kaum begründen. Viel‐ mehr ist daher auch nach den qualitativen Merkmalen zu fragen, die kleine und mittlere Un‐ ternehmen miteinander teilen.35
27
Vgl. Bauer u.a. (2008), S. 10 f. Vgl. Lüpken (2003), S. 7 f. 29 Vgl. Kramer (1999), S. 15. 30 Vgl. Lüpken (2003), S. 7. 31 Vgl. Günterberg/Wolter (2002), S. 2. 32 Vgl. Streithorst (2001), S. 4. 33 Vgl. Günterberg/Wolter (2002), S. 2. 34 Vgl. Klein (2004), S. 11. 35 Vgl. Welter (2003), S. 28. 28
29
A 2.2 Qualitative Kriterien Aufgrund der zuvor genannten Probleme bei der Verwendung von quantitativen Abgren‐ zungskriterien geht die Definition des Mittelstandes im deutschsprachigen Raum über rein quantitative Aspekte hinaus und wird um qualitative ergänzt. Auf diese Weise soll nicht nur der Heterogenität der unter dem Begriff Mittelstand subsumierten Unternehmen Rechnung getragen, 36 sondern es sollen auch allgemeine Besonderheiten, die KMUs von ihrem Wesen her von Großbetrieben unterscheiden, herausgestellt werden.37 In der einschlägigen Litera‐ tur lassen sich für eine qualitative Begriffsbildung eine Vielzahl von mehrdimensionalen Ab‐ grenzungen finden, die sich häufig in Form von Merkmalskatalogen manifestieren. Der wohl umfangreichste Merkmalskatalog zur direkten Gegenüberstellung von KMU und Großunter‐ nehmen wurde von Pfohl erarbeitet.38 Er orientiert sich bei seiner Gegenüberstellung an ei‐ ner üblichen Gliederung betrieblicher Tätigkeiten39, indem er die qualitativen Merkmale den einzelnen Unternehmensbereichen zuordnet.40 Zu berücksichtigen ist dabei allerdings, dass aus der Vielzahl der von Pfohl aufgeführten Merkmale jeweils auch nur einzelne Aspekte kleine und mittlere Unternehmen prägen können, so dass folglich nicht alle Kriterien glei‐ chermaßen erfüllt werden müssen.41 Einen weit weniger umfangreichen Merkmalskatalog zur Beschreibung mittelständisch rele‐ vanter Aspekte liefert Mugler. Er führt als Kennzeichen42 mittelständischer Unternehmen nachfolgende Eigenschaften auf:43 1. Das gesamte Unternehmen wird durch die Persönlichkeit des Unternehmers geprägt. 2. Der Unternehmer ist (oft) Leiter und Eigentümer. 3. Der Unternehmer verfügt über ein umfangreiches Netzwerk an persönlichen Kontak‐ ten. 4. Die Leistungserstellung erfolgt in der Regel nach individuellen Wünschen der Kunden. 5. Zwischen der Unternehmensleitung und den Mitarbeitern bestehen enge und infor‐ melle Beziehungen. 6. Die Organisation der Unternehmung ist durch eine gering ausgeprägte Formalisie‐ rung geprägt. 7. Das Unternehmen kann rasch auf Umweltänderungen reagieren. 36
Vgl. Achleitner/Fingerle (2004), S. 9. Vgl. Pfohl (2006 b), S. 18 ff. 38 Vgl. Wegmann (2006), S. 15 ff. 39 Vgl. hierzu Anhang 1. 40 Vgl. Pfohl (2006 b), S. 18 ff. 41 Vgl. Wegmann (2006), S. 15 ff. 42 Wie schon zuvor bei Pfohl ist auch hier zu berücksichtigen, dass nicht sämtliche Ausprägungen erfüllt sein müssen, um als KMU zu gelten. Besonders die Abgrenzungsmerkmale 9 und 10 werden in der Literatur kri‐ tisch gesehen. Bspw. verweisen Mugler und Wolter/Hauser darauf, dass auch Unternehmen in einem Kon‐ zernverbund durch mittelständische Strukturen gekennzeichnet sein können. Ferner kommt es im Hinblick auf die Frage der Marktabgrenzung auf den relevanten Markt an. Bspw. kann ein Unternehmen zwar über einen geringen Marktanteil innerhalb einer Branche verfügen, jedoch aufgrund der Einzigartigkeit seines Produkts bei einer engeren Marktabgrenzung zum Marktführer werden. Vgl. Mugler (1998), S. 20 f.; Wol‐ ter/Hauser (2001), S. 29 ff. 43 Vgl. Mugler (1998), S. 20. 37
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8. Das Unternehmen hat nur ein Produkt oder ist gering diversifiziert. 9. Das Unternehmen wird nicht von einem größeren Unternehmen, z.B. im Rahmen ei‐ nes Konzerns, beherrscht. 10. Das Unternehmen hat nur einen kleinen Marktanteil. Insbesondere die ersten beiden Aspekte – die Leitung durch den Eigentümer bzw. mehrheit‐ lichen Kapitalgeber sowie die durch seine Persönlichkeit hervorgerufene starke Prägung der Unternehmenskultur – können als zentrale Kennzeichen von KMU betrachtet werden.44 Da mittelständische Unternehmen in der Regel inhabergeführt sind, nimmt der Unternehmer als Dreh‐ und Angelpunkt eine dominante Stellung ein. Entscheidungsbefugnis, Eigentum, Risiko und fachliche Zuständigkeit konzentrieren sich dabei nicht selten auf eine oder wenige Personen.45 Idealtypisch zeigt sich die enge Verflechtung vor allem in der Einheit von Eigen‐ tum und Haftung, der direkten Einwirkung der Unternehmensleitung auf alle strategisch be‐ deutsamen Vorgänge, der Verantwortlichkeit der Führungsperson für alle unternehmensre‐ levanten Entscheidungen sowie der völligen oder zumindest weitgehenden Konzernunab‐ hängigkeit.46 Besonders der Aspekt der Eigenverantwortung, d.h. der unmittelbar persönli‐ chen Erfolgs‐ und Risikohaftung aufgrund der selbstständigen Arbeits‐ und Leistungsent‐ scheidung des Unternehmers, wird in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur häufig mit dem Begriff der Eigentümerunternehmerschaft47 umschrieben.48 Aufgrund der bestehenden Kapitalbindung resultiert oft eine lebenslange Bindung an das Unternehmen, so dass der Unternehmer, aufgrund eines hohen Eigenkapitalanteils und vielfach auch persönlicher Bürgschaften für Unternehmenskredite, einem hohen persönlichen Risiko ausgesetzt ist. Tendenziell kann daher davon ausgegangen werden, dass die Entwicklung der Unterneh‐ mung stark von den persönlichen Risikoabwägungen des Eigentümerunternehmers beein‐ flusst wird.49 Für ihn stehen daher die Unternehmenssicherung und die Beibehaltung der Selbstständigkeit im Vordergrund, während beim Vorstand eines Großunternehmens vor‐ nehmlich die Gewinnerzielung im Mittelpunkt des Interesses steht.50 Besonders deutlich zeigt sich die Einheit von Eigentum und Leitung am Beispiel von Fami‐ lienunternehmen. Durch die intensive Verflechtung von Führung, Kapital und Familie kommt es gerade hier zu einer nachhaltigen Prägung von Familie und Unternehmen. Liegt ein maß‐ geblicher Einfluss der Familie auf das Unternehmen vor, d.h. hat die Familie eine dominie‐ renden Einfluss auf einen der entscheidenden betrieblichen Faktoren, wie z.B. Eigenkapital oder Management, so ist davon auszugehen, dass auch die Entwicklung der Familie einen großen Einfluss auf die Unternehmensentwicklung ausübt. Diese Situation kann zum einen 44
Vgl. Bergman/Crespo (2009), S. 10 f.; Bussiek (1996), S. 18; Frenkel/Fendel (1999), S. 4; Kabst (2004), S. 3 f.; Thomas (1994), S. 16; Welter (2003), S. 28. Vgl. Paffenholz (2001). 46 Vgl. Günterberg/Wolter (2002), S. 4; Wallau (2006), S. 13 ff. 47 Wolter/Hauser kommen bei ihrer Untersuchung über die Bedeutung des Eigentümerunternehmens in Deutschland zu dem Ergebnis, dass unter Zugrundelegung qualitativer Kriterien, d.h. der Einheit von Eigen‐ tum und Leitung, das mittelständische Unternehmen mit 94,8 % der vorherrschende Unternehmenstyp in der deutschen Wirtschaft ist. Vgl. Wolter/Hauser (2001), S. 25 ff. 48 Vgl. Hinderer (1984), S. 9. 49 Vgl. Achleitner/Fingerle (2004), S. 10; Bussiek (1996), S. 18; Schachner u.a. (2006), S. 1 ff. 50 Vgl. Bussiek (1996), S. 18 f.; Püthe (2009), S. 13. 45
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viele Vorteile bieten, zum anderen kann sie aber auch das Unternehmen, aufgrund des stän‐ digen Spannungsfeldes zwischen familiären und unternehmerischen Interessen, belasten.51 So ist die unternehmerische Stabilität von Familienunternehmen, die oftmals über Generati‐ onen hinweg erworben wurde, ein dominierender Erfolgsmaßstab. Die enge Verbindung zwischen Familie und Unternehmen kann jedoch auch die Ursache für besondere Schwierig‐ keiten, speziell beim Übergang von der alten auf die junge Generation, sein.52 Neben den bereits genannten qualitativen Kriterien können noch weitere sekundäre Merk‐ male wie die Innovationsfähigkeit, die betriebliche Organisation sowie die Produkt‐, Beschaf‐ fungs‐ und Absatzpolitik hinzugefügt werden. Jedoch ist dabei zu beachten, dass die genann‐ ten qualitativen Merkmale starken Schwankungen unterworfen sind. Vor allem mit Blick auf die sekundären Merkmale lassen sich zum Teil stärkere – betriebsgrößen‐ und branchenbe‐ zogene – Unterschiede unter den KMU feststellen als bei großen Unternehmen. Umgekehrt verhält es sich dagegen bei den primär qualitativen Unterscheidungsmerkmalen. Die schon zuvor angesprochene enge Bindung zwischen Unternehmen und Inhaber, die sich in der en‐ gen Verbindung von wirtschaftlicher Existenz des Inhabers und des Unternehmens sowie der Verantwortlichkeit des Inhabers für die Unternehmensleitung niederschlägt, ist nach wie vor typisch für die meisten KMU. Eine kleine Einschränkung ergibt sich derweil bei der Einheit von Eigentum und Haftung. Hier gewinnt die GmbH eine immer größer werdende Bedeu‐ tung.53 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich qualitative Merkmalskataloge, wie sie bspw. von Pfohl und Mugler entworfen wurden, durch eine hohe Aussagekraft auszeichnen. Bedingt durch die hohe Anzahl an Merkmalen wird nicht nur der heterogenen Eigenschaften kleiner und mittlerer Unternehmen Rechnung getragen, sondern es werden auch wichtige Unterschiede zu Großunternehmen hervorgehoben und Schwachstellen aufgedeckt.54 Der Umfang der zugrundegelegten Kriterien bringt jedoch auch den entscheidenden Nachteil mit sich, dass viele der Kriterien nicht für ein einzelnes Unternehmen zutreffen müssen und sich mehrdimensionale Abgrenzungsansätze nur schwer verallgemeinern lassen. Dies führt dazu, dass bei der Verwendung von qualitativen Kriterien nicht auf einen, in der Literatur allge‐ mein gültigen Kriterienkatalog zurückgegriffen werden kann.55 Darüber hinaus erweist sich der praktische Einsatz von qualitativen Merkmalen als schwierig, da sich nur selten quantita‐ tive Hilfsgrößen entwickeln lassen, um qualitative Daten zu erheben. Ein Merkmalskatalog kann daher nicht als Abgrenzung im Sinne einer trennscharfen Definition, sondern nur als Annäherung an diese dienen.56 Im Hinblick auf die Probleme bei der Erfassung von qualitati‐ ven Merkmalen des Mittelstands hat sich mit der Zeit ein Gewöhnungseffekt eingestellt, der dazu geführt hat, dass die quantitative Definition, die anfänglich nur ein Hilfskriterium war, heute als maßgebend für ein mittelständisches Unternehmen angesehen wird.57 Da in der Literatur sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht eine große Begriffsvielfalt 51
Vgl. Achleitner/Fingerle (2004), S. 9; Schachner u.a. (2006), S. 1 ff.; Wössner (1998), S. 19 ff. Vgl. Wegmann (2006), S. 20 f. Vgl. Welter (2003), S. 28 f. 54 Vgl. Streithorst (2001), S. 7 ff. 55 Vgl. Maurenbrecher (2008), S. 13 ff.; Walther (2004), S. 37 f. 56 Vgl. Streithorst (2001), S. 8. 57 Vgl. Wallau (2006), S. 15. 52 53
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vorherrscht, ist es für den weiteren Fortgang der Arbeit notwendig, eine arbeitsspezifische Definition für mittelständische Unternehmen festzulegen.
A 2.3 Arbeitsspezifische Definition für mittelständische Unternehmen Mit Blick auf die Probleme bei der Abgrenzung mittelständischer Unternehmen anhand qua‐ litativer Kriterien sowie der in der Literatur vorherrschenden Definitionsvielfalt wird für die vorliegende Arbeit eine Abgrenzung gewählt, die auf den beiden Merkmalen „Mitarbeiter‐ zahl“ und „Jahresumsatz“ basiert. Wie in Abbildung 4 zu sehen, werden im Sinne dieser Ar‐ beit folglich solche Unternehmen als mittelständisch bezeichnet, die einen Jahresumsatz von 50 Mio. Euro und eine Mitarbeiterzahl von 500 nicht überschreiten. Abbildung 4: Arbeitsdefinition für mittelständische Unternehmen Unternehmensgröße
Zahl der Beschäftigten
Umsatz in € / Jahr
Mittelständisches Unternehmen
≤ 500
≤ 50 Mio.
Großunternehmen
> 500
> 50 Mio.
Quelle: Eigene Darstellung
Eine Abgrenzung anhand qualitativer Merkmale erscheint für den Fortgang dieser Arbeit nicht zweckmäßig, da die Auswahl kleiner und mittlerer Unternehmen für die empirische Untersuchung ebenfalls auf Basis der gewählten Definition erfolgen soll. Damit wird zugleich auch darauf abgestellt, dass die Erhebung der zur Abgrenzung gewählten Kriterien grund‐ sätzlich möglich ist, der damit im Zusammenhang stehende Aufwand angemessen erscheint und die erzielbare Genauigkeit ausreichend hoch ist.58 Entsprechend dieser Forderung ist dem quantitativen Ansatz eindeutig der Vorzug zu geben, nicht zuletzt auch, weil mit dem Unternehmensregister59 eine Datenbasis zur Verfügung steht, die es erstmals erlaubt, alle wirtschaftlichen Unternehmen, die ihren Sitz bzw. Standort in Deutschland haben, anhand der Kriterien „Umsatz“ und „Beschäftigtenzahl“ nahezu vollständig auszuwerten.
58 59
Vgl. Pfohl (2006 b), S. 6. Eine ausführliche Beschreibung des Unternehmensregisters erfolgt in Kapitel C.
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B Theorie des Unternehmers und der Finanzierung Das zentrale Erklärungsinteresse dieser Arbeit liegt in der Identifikation und Analyse von Finanzierungsproblemen mittelständischer Unternehmen.60 Um eine geeignete Konzeption und Darstellungsweise zu entwickeln, ist es notwendig, die wichtigsten theoretischen Ansät‐ ze, die zur Erklärung des Sachverhalts und damit zur Entwicklung eines Bezugsrahmens bei‐ tragen können, zu diskutieren. Im Vergleich zu zahlreichen anderen wirtschaftlichen The‐ menkomplexen wird sowohl in der Theorie als auch in der Praxis die unternehmerische Funktion und damit einhergehend das Verständnis über unternehmerisches Denken mit ei‐ ner Vielzahl von Begriffen mit unterschiedlichem Inhalt beschrieben. Um einen Überblick über die inhaltlichen Komponenten des Unternehmertums zu erhalten, ist eine Hermeneutik der in der Literatur in diesem Zusammenhang oftmals verwendeten Begriffe „En‐ trepreneur/Entrepreneurship“ sowie „Unternehmer/Unternehmertum“ erforderlich. Den Ausführungen vorangestellt sei die in der Literatur vertretene Auffassung, dass Begriffe wie bspw. Entrepreneurship noch nicht abschließend definiert seien bzw. bisherige Definitions‐ versuche noch ein eher vages Konzept darstellen.61 Vor einer weiteren Begriffsbestimmung ist daher festzuhalten, dass ein Begriffsverständnis methodologisch nicht als richtig oder falsch, sondern lediglich als mehr oder weniger passend zu den Untersuchungszielen einge‐ ordnet werden kann.62
B 1 „Entrepreneur“ und „Entrepreneurship“ Um aus der Vielzahl der verwendeten Definitionen von Entrepreneurship eine einheitliche Vorstellung über die inhaltliche Bedeutung zu erlangen, ist es von Vorteil, die etymologi‐ schen Wurzeln des Begriffs einer genaueren Betrachtung zu unterziehen. So lässt sich bspw. in der lateinischen Sprache das Verb „prehendere“ finden, welches mit „etwas unterneh‐ men“ übersetzt werden kann. Dem französischen Sprachraum entstammt das Verb „entreprendre“, was so viel wie „unternehmen“ oder „sich anstrengen“ bedeutet. Bereits im frühen 14. Jahrhundert fand der Begriff „Entrepreneur“ Eingang in die französische Sprache. Wurden hierunter zunächst noch Glücksritter und Projektmacher verstanden, so wurden bis ins frühe 16. Jahrhundert militärische Führer sowie Personen, die für das Militär Brücken, Straßen, Häfen und Befestigungsanlagen bauten, als Entrepreneure bezeichnet. Spätestens seit dem 18. Jahrhundert ist der Begriff des Entrepreneurs, vor allem durch die beiden Öko‐ nomen Jean‐Baptiste Say63 und Richard Cantillon64, untrennbar mit unternehmerischem Handeln verbunden, so dass der Ausdruck „Entrepreneur“ auch Eingang in die deutsche Sprache fand. Aufgrund der Übernahme und der zunehmenden Verwendung in der engli‐ 60
Unternehmen können in einer weiten Begriffsauslegung als offene, autonome, dynamische, ökonomische und sozio‐technische Systeme bezeichnet werden, die in vielfachen Austauschbeziehungen mit ihrem Um‐ feld stehen. Vgl. Blessin (2000), S. 17 f. 61 Vgl. De (2005), S. 17. 62 Vgl. Freiling (2006), S. 11. 63 Jean‐Baptiste Say (1767 ‐ 1832) war ein französischer Volkswirtschaftler, der sich mit der Nationalökonomie befasste und besondere Berühmtheit durch das nach ihm benannten Saysche Theorem erlangte. Vgl. Say (1999), S. 1 ff. 64 Richard Cantillon (1680 – 1734) war ein irischer, in Frankreich lebender, Bankier und Nationalökonom. Er gilt als Begründer der Theorie zum Unternehmertum. Vgl. Cantillon (1931), S. 1 ff.
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schen Sprache begann sich der Begriff „Entrepreneur“ im Laufe des 19. Jahrhunderts auch im anglizistischen Sprachraum durchzusetzen. Durch die Zufügung des Suffix „Ship“ wurde aus dem ursprünglich französischen Wort „Entrepreneur“ der heute immer beliebter werdende Begriff „Entrepreneurship“, welcher, vereinfacht ausgedrückt, die Tätigkeit eines Entrepreneurs beschreiben soll.65 Angesichts der langanhaltenden begrifflichen Verankerung von Entrepreneur und Entrepreneurship hat sich bis heute weder in der Theorie noch in der Praxis ein allgemeines Verständnis über die Bedeutung durchsetzen können.66 So kommt bspw. Faltin zu dem Schluss: „Es gibt im Deutschen kein Wort, das die Bedeutung von Entrepreneurship einiger‐ maßen zutreffend wiedergeben würde.“67 Probleme ergeben sich jedoch nicht nur bei der Übersetzung ins Deutsche. Vielmehr existieren in der Literatur neben der Unklarheit über den Wesensgehalt von Entrepreneurship auch Divergenzen im Hinblick auf die definitorische Erfassung der Person des Entrepreneurs.68 Wie vielfältig die Auslegung von Entrepreneurship ist, zeigen folgende Definitionen einiger ausgewählter Autoren/Institutionen: Europäische Kommission: „The [European] Commission defines entrepreneurship as the mindset and process to create and develop economic activity by blending risk–taking, creativity and/or innovation with sound management, within a new or an existing organization.”69 Urs Fueglistaller u.a.: Entrepreneurship ist „ein Prozess, der von Individuen initiiert und durchgeführt wird und der dazu dient, Gelegenheiten zu identifizieren, zu evaluieren und zu nutzen.“70 Michael H. Morris: „Entrepreneurship is the process through which individuals and teams create value by bring‐ ing together unique packages of resource inputs to exploit opportunities in the environment. It can occur in any organizational context and results in a variety of possible outcomes, in‐ cluding new ventures, services, processes, markets, and technologies.”71 Walter Kuemmerle: „I define entrepreneurship as opportunity‐driven behaviour cognizant of the resources re‐ quired to pursue the opportunity. The kernel of entrepreneurship is to identify a potential opportunity, match the opportunity and resources optimally, and keep adjusting that match as the opportunity materializes.”72
65
Vgl. Freiling (2006), S. 11 ff.; Haid (2004), S. 59 ff.; Lackner (2002), S. 7 ff.; Schaller (2001), S. 9 ff. Vgl. Lackner (2002), S. 9. Faltin (1998), S. 3. 68 Vgl. Lackner (2002), S. 9. 69 Europäische Kommission (2003 b), S. 6. 70 Fueglistaller (2008), S. 1. 71 Morris (1998), S. 16. 72 Kuemmerle (2008), S. 312. 66 67
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William D. Bygrave: „An entrepreneur is someone who perceives an opportunity and creates an organization to pursue it, and the entrepreneurial process includes all the functions, activities, and actions that are part of perceiving opportunities and creating organizations to pursue them.”73 In der Literatur lassen sich noch zahlreiche Interpretationsversuche finden, so dass Gartner im Rahmen einer Delphi‐Befragung die Bedeutungsinhalte, die mit dem Begriff „Entrepreneurship“ in Zusammenhang gebracht werden, wie folgt zusammenfasst:74 ‒ Entrepreneurship erfordert Personen, die sich aufgrund ihrer Persönlichkeit, ihres Charakters und ihrer Fähigkeiten von anderen Personen abheben. ‒
Entrepreneurship schafft Werte. Die Akquirierung, der Einsatz und die Bündelung von Ressourcen sowie der Aufbau einer effizienten Unternehmensstruktur verfolgt in ers‐ ter Linie das Ziel, den Unternehmenswert zu maximieren.
‒
Entrepreneurship ist untrennbar mit Wachstum verbunden.
‒ Entrepreneurship verbindet Eigentum und Verfügungsgewalt, d.h. es braucht Perso‐ nen, die sowohl als Manager als auch als Eigentümer des Unternehmens fungieren. Aus den oben dargestellten Definitionen und den soeben aufgezeigten Merkmalen wird deutlich, dass diese sich vornehmlich komplementär und nicht gegensätzlich zueinander verhalten. Ein Hauptgrund dafür ist, dass die Autoren jeweils einen bestimmten Aspekt von „Entrepreneur“ bzw. „Entrepreneurship“ betrachten, ohne dass diese sich einander gänzlich ausschließen. So kommt bspw. Baumol zu dem Schluss, dass das Wort „Entrepreneur“ in der wissenschaftlichen Literatur vornehmlich zwei Bedeutungen aufweist, die beide zwar legi‐ tim, im Grunde jedoch gänzlich unterschiedlich sind.75 „One uses the term to refer to some‐ one who creates and then, perhaps, organizes and operates a new business firm, whether or not there is anything innovative in those acts. The second takes the entrepreneur as the inno‐ vator – as the one who transforms inventions and ideas into economically viable entities, whether or not, in the course of doing so they create or operate a firm.”76 Erschwerend kommt hinzu, dass sich in der Vergangenheit viele Autoren bei der Betrachtung von Entrepreneurship auf die Persönlichkeitsmerkmale des Unternehmers fokussierten und die Wissenschaft unter Zuhilfenahme von empirischer Psychologie zu verstehen suchte, wann ein Entrepreneur erfolgreich ist. Neuere Veröffentlichungen zum Entrepreneurship‐Begriff richten dagegen ihren Fokus auf die Merkmale des unternehmerischen Prozesses. Der Entrepreneur wird hier in erster Linie über sein Handeln definiert und erst dann werden Per‐ sönlichkeitsmerkmale betrachtet, um beurteilen zu können, auf welcher Stufe des ökonomi‐ schen Prozesses welche Verhaltensweise unterstützend wirkt.77 Bei der Begriffsbestimmung ist auch zu berücksichtigen, dass nicht jede neugegründete, kleine Firma auch als „entrepreneurial“ zu bezeichnen ist. Bspw. wird jemand, der eine Tank‐ 73
Bygrave (2007), S. 49. Vgl. Gartner (1990), S. 15 ff. Vgl. Baumol (1993), S. 198. 76 Baumol (1993), S. 198. 77 Vgl. Ripsas (1997), S. 58. 74 75
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stelle oder ein Restaurant eröffnet, nicht als Entrepreneur bezeichnet, da dieser jemand et‐ was tut, was schon viele andere vor ihm getan haben. Zwar ergreift auch in diesen Fällen der Unternehmensgründer die Initiative und nimmt mit der Eröffnung seines Geschäfts ein Risi‐ ko in Kauf, aber er weckt oder befriedigt weder ein neues Bedürfnis noch eine neue Nach‐ frage. Um als „entrepreneurial“ zu gelten, bedarf es daher der Entwicklung eines Geschäfts‐ modells, was es in dieser Art und Weise vorher noch nicht gegeben hat. Entrepreneure sind demnach bestrebt, etwas zu entwickeln oder zu verkaufen, was es bisher noch nicht gab. Dies kann bspw. dadurch geschehen, dass Produkte oder Dienstleistungen verändert, ver‐ edelt oder neue Bedürfnisse und Nachfragen nach diesem einen besonderen Gut erzeugt werden.78 Als Musterbeispiel für gelungenes „Entrepreneurship“ kann bspw. der Aufstieg McDonalds zur weltweit führenden Fast‐Food‐Kette angesehen werden. Zwar wurden schon seit dem 19. Jahrhundert in den USA Hamburger und Pommes Frites verkauft, doch erst durch die Idee von Ray Arthur Kroc,79 den Produktionsprozess zu standardisieren, den Service und die Qualität stetig zu verbessern und das gesamte Geschäftskonzept als Franchise‐Lösung anzu‐ bieten, wurde aus McDonalds eine der größten Erfolgsgeschichten der letzten 50 Jahre. Kroc gelang es mit seinem Restaurantkonzept, in dem Hamburger, Pommes Frites und Getränke extrem schnell sowie mit hoher Qualität und freundlichem Service zubereitetet werden, neue Bedürfnisse zu wecken, neue Märkte zu erschließen und neue Kunden zu gewinnen.80 Die Geschichte von McDonalds offenbart damit den Grundgedanken von Entrepreneurship: „Die großen Erfindungen sind oft für lange Zeit nicht marktreif, sind noch mit kleinen Fehlern behaftet, scheitern daher leicht im ersten Anlauf, weil sie technisch nicht völlig ausgereift sind, werden in ihrer Bedeutung nicht erkannt oder werden vom Publikum nicht akzeptiert.“81 Es geht daher bei der erfolgreichen Unternehmensgründung selten um völlig neue Erfindun‐ gen, so genannte „inventions“ als vielmehr um die „innovation“, den Rückgriff auf bereits existierende Ideen und deren Nutzung in einem anderen Zusammenhang.82 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich der Entrepreneur ständig auf der Suche nach neuen Möglichkeiten befindet, Werte zu schaffen. „The Entrepreneur is someone who specializes in taking responsibility for and making judgmental decisions that affect the loca‐ tion, form, and the use of goods, resources, or institutions.”83 Hebert/Link gelingt es mit die‐ ser Definition, die historischen Themen des Entrepreneurship: Risiko, Unsicherheit, Innovati‐ on, Auffassungsgabe und Wandel zu vereinen.84 Der Entrepreneur lässt sich somit als eine Person skizzieren, die Wertschöpfungspotentiale erkennt und diese auf eigene Rechnung, sei es nun durch Gründung eines Unternehmens oder freiberuflich, realisiert. Hervorzuheben ist, dass unter der Gründung nicht allein der formaljuristische Vorgang der Gewerbeanmel‐ dung und die damit in Verbindung stehende rechtsformabhängige Eintragung in das Han‐ delsregister zu verstehen ist, sondern der gesamte ökonomische Prozess von der Grün‐ 78
Vgl. Jacobsen (2006), S. 30. Ray Arthur Kroc gilt als Gründer der McDonald’s Corporation. Vgl. McDonalds (2009). Vgl. Drucker (2007), S. 15 f. 81 Faltin (1989), S. 5. 82 Vgl. Faltin (1998), S. 5 ff.; Jacobsen (2006), S. 30 f. 83 Hebert/Link (1989), S. 47. 84 Vgl. Hebert/Link (1989), S. 47 f. 79 80
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dungsabsicht bis zur erfolgreichen Etablierung im Markt.85 Der Begriff „Entrepreneurship“ lässt sich damit als eine bestimmte Form von wirtschaftlichem Verhalten verstehen.86 „In developing a behavioral theory of entrepreneurship, it becomes clear that entrepreneurship is defined by more than a set of individual traits and it is different from economic function. It is a cohesive pattern of managerial behavior.”87
B 2 „Unternehmer“ und „Unternehmertum“ Während der Begriff „Entrepreneur“ bereits seit dem 18. Jahrhundert mit unternehmeri‐ schem Handeln verbunden ist, entwickelte sich die Bezeichnung „Unternehmer“ erst Anfang des 19. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebrauch (Abbildung 5). Als Unternehmer wurde zunächst jeder ökonomische Akteur bezeichnet, der als Pionier den Markt betritt, ein Unter‐ nehmen gründet und dabei das Risiko von Produktion und Handel übernimmt.88 Interessant ist, dass sich die ökonomische Interpretation des Wortes nicht im allgemeinen Sprachge‐ brauch durchgesetzt hat. So definiert bspw. das Gabler Wirtschaftslexikon einen Unterneh‐ mer als „eine natürliche Person, die eine Unternehmung plant, mit Erfolg gründet und/oder selbstständig und verantwortlich mit Initiative leitet, wobei sie persönliches Risiko oder Kapi‐ talrisiko übernimmt.“89 Auffällig ist, dass zwar auf die Unternehmensgründung sowie auf die Leitung abgestellt wird, nicht aber auf die Schaffung neuer Werte. Damit wird offensichtlich, dass sich der Unternehmerbegriff in seiner aktuellen Ausgestaltung nicht mit dem englischen Begriff „Entrepreneur“ deckt. Allein der Besitz eines Unternehmens bzw. das selbstständige und verantwortliche Leiten eines Unternehmens reichen aus, um zur Gruppe der Unterneh‐ mer zu zählen. Hinzu kommt, dass im Deutschen die Unternehmensgründung keine Vorrau‐ setzung für die Anwendung des Unternehmerbegriffs ist.90 Folglich wird dieser sehr weit ge‐ fasst, so dass darunter sowohl Selbstständige als auch Gründer von Start‐ups, Inhaber von Familienunternehmen, innovative Manager oder Vorstände in Großunternehmen fallen.91 Wie umfassend die Begriffsauslegung im Deutschen ist, zeigt auch die Legaldefinition im Bürgerlichen Gesetzbuch. „(1) Unternehmer ist eine natürliche oder juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt. (2) Eine rechtsfähige Personengesellschaft ist eine Personengesellschaft, die mit der Fähigkeit ausgestattet ist, Rechte zu erwerben und Verbindlichkeiten einzugehen.“92
85
Vgl. Freiling (2006), S. 23 f. Vgl. Ripsas (1997), S. 63. Stevenson u.a. (1999), S. 15. 88 Vgl. Lackner (2002), S. 11 ff; Redlich (1959), S. 486 ff. 89 Berwanger u.a. (2010). 90 Vgl. Ripsas (1997), S. 63 ff. 91 Vgl. Fueglistaller u.a. (2008), S. 2 f. 92 § 14 BGB. 86 87
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Abbildung 5: Historische Entwicklung der Begriffe „Entrepreneur“ und „Unternehmer“
14. Jahrhundert
Entrepreneur
18. Jahrhundert
…
Eingang in die französische Sprache.
Einführung aus dem französischen Sprach‐ gebrauch in die Wissen‐ schaft durch Richard Cantillon und Jean‐ Baptiste Say.
19. Jahrhundert
20. Jahrhundert
Gegenwart
Eingang in den anglizistischen Wirtschaftsbereich.
Bis zu den 90er Jahren nahezu keine Verwendung im deutschen Sprachgebrauch. Einfluß der us‐ amerikanischen Managementlehre führt zur Wiederbe‐ lebung des Begriffs in den 90er Jahren.
Verwendung auch in populistischen Medien und somit zunehmend im allgemeinen Sprachgebrauch.
Erste Verwendung im Sprachgebrauch.
Schumpeter prägt die Verwendung nachhaltig.
Eingang in den deutschsprachigen Wirtschaftsbereich.
Unternehmer
Zunehmende Substituierung durch den Begriff „Entrepreneur“.
Quelle: Lackner (2002), S. 12.
Im Hinblick auf den Unternehmerbegriff lassen sich aus der Historie heraus bis heute drei Interpretationsmöglichkeiten unterscheiden: Position, Funktion und Person des Unterneh‐ mers. Bei ersterer handelt es sich, gemäß der allgemeinsprachlichen Verwendung des Be‐ griffs, um eine Person, die Eigentümer des Unternehmens ist oder dieses leitet. Das positionale Unternehmerbild umfasst damit, abgestuft nach den jeweiligen Eigentumsantei‐ len an der betreffenden Unternehmung, den Unternehmensgründer in seiner Eigenschaft als Eigentümer des Unternehmens, den geschäftsführenden Eigentümer, den Großaktionär so‐ wie den angestellten Direktor. Der funktionale Unternehmerbegriff definiert sich im Gegen‐ satz dazu über die Verhaltensweise des Unternehmers. Wie die nachfolgenden Abschnitte zum Unternehmertum zeigen werden, hat sich eine Reihe von namhaften Autoren intensiv mit den funktionalen Aspekten des Unternehmers beschäftigt. So spielen hier bspw. das von Kirzner sog. unternehmerische Element,93 mit dem sich ein Unternehmer von anderen Per‐ sonen des Wirtschaftslebens abhebt, sowie das von Schumpeter betonte innovierende Ele‐ ment, mit dem der Unternehmer sein Unternehmen in ständiger Bewegung hält, eine be‐ deutende Rolle. Kernaussage der funktionalen Begriffsauffassung ist, dass die Realisierung von Gewinnen durch den Unternehmer nur dann möglich ist, wenn dieser sein Verhalten permanent den sich wechselnden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen anpasst. Bei der dritten Interpretationsmöglichkeit, dem personalen Unternehmerbegriff, steht schließlich die Beschreibung von Persönlichkeitsmerkmalen wie Wissen, Fähigkeiten und Einstellung im Mittelpunkt.94 93
Kirzner bezeichnet die Findigkeit bei der menschlichen Entscheidungsbildung bezüglich möglicher neuer loh‐ nender Ziele und neuer verfügbarer Ressourcen als unternehmerisches Element. Nach seiner Auffassung ba‐ siert auf diesem Element die Vorstellung des menschlichen Handelns als aktiv, kreativ und menschlich, statt passiv, automatisch und mechanisch. Vgl. Kirzner (1978), S. 28 ff. 94 Vgl. Kirzner (1978), S. 28 ff.; Lackner (2002), S 11 ff.; Ripsas (1997), S. 63 ff.; Schumpeter (1997), S. 100 ff.
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Eng verbunden mit dem Begriff des Unternehmers ist im deutschen Sprachgebrauch auch die Bezeichnung Unternehmertum, die vornehmlich im Zusammenhang mit der funktionalen und personalen Unternehmerdefinition steht und damit auf die Ausprägungen und Eigen‐ schaften eines Unternehmers abstellt. Vielfach erfolgt zu dieser ursprünglichen Verwendung auch die Übersetzung des englischen „Entrepreneurship“. Hier ist allerdings zu beachten, dass im englischen Sprachgebrauch zwischen „Entrepreneurship“, welches speziell den inno‐ vativen Aspekt hervorhebt, und „Business Administration“, das die alltägliche Unterneh‐ mensführung beschreibt, unterschieden wird.95 „Whereas English speakers identify entre‐ preneurship with the new, small business, the Germans identify it with power and property, which is even more misleading. The Unternehmer – the literal translation into German of Say’s entrepreneur – is the person who both owns and runs a business (the English term would be ‘owner‐manager’).”96 Eine vorbehaltslose Übersetzung des englischen Entrepreneurship durch Unternehmertum führt dementsprechend zu einer Verzerrung der ursprünglichen Bedeutung, da unter dem Begriff „Unternehmertum“ auch die alltägliche Unternehmensführung verstanden wird.97 Damit wird deutlich, dass im Gegensatz zum „Entrepreneur“ der Unternehmer nicht ausdrücklich in direktem Zusammenhang mit einer Unternehmensgründung stehen muss. Vielmehr erstreckt sich der Wesensgehalt von Unter‐ nehmertum auf die Ausübung von Unternehmerfunktionen während der gesamten Schaf‐ fenszeit des Unternehmers. Die Bezeichnung unternehmerisch umfasst dabei alle innovati‐ ven Handlungen eines Eigentümers, unabhängig vom jeweiligen Entwicklungsstand des Un‐ ternehmens.98 Es kann daher festgehalten werden, dass im deutschsprachigen Raum ein „Unternehmer“ und ein „Entrepreneur“ nicht das Gleiche sind, sondern der Entrepreneur eine Untermenge aus dem Oberbegriff „Unternehmer“ darstellt. Die Verwendung des Wor‐ tes „Entrepreneur“ erfolgt daher meist als Verleihung eines Prädikats für besondere Unter‐ nehmer, die sich vornehmlich durch innovative und dynamische Attribute auszeichnen. Entrepreneurship als das vom Entrepreneur vertretene Denk‐ und Handlungsprinzip ist dem‐ entsprechend die analoge Untermenge von Unternehmertum, was der vagen und meist sub‐ jektiven Vorstellung des „vorbildlichen Unternehmers“ als Träger von Entrepreneurship ent‐ spricht.99 Wie die zuvor dargestellte Begriffsvielfalt zeigt, ist man von einer allgemein akzeptierten Definition von „Entrepreneur“ und „Entrepreneurship“ weit entfernt. Der Dissens in der Be‐ griffsbelegung sowie die Probleme bei der sinnvollen Übertragung auf die im deutschen Sprachraum verwendeten Begriffe „Unternehmer“ und „Unternehmertum“ sind ein untrüg‐ liches Zeichen dafür, dass eine einheitliche Theorie des Unternehmers fehlt.100 Es ist daher Aufgabe der nachfolgenden Abschnitte, die Erforschung des Unternehmers in der ökonomi‐ schen Literatur zu betrachten und der Frage nachzugehen, ob es tatsächlich an einer einheit‐ lichen Theorie des Unternehmers fehlt.
95
Vgl. Lackner (2002), S. 11 ff.; Ripsas (1997), S. 63 ff. Drucker (2007), S. 22. Vgl. Faltin (1998), S. 3. 98 Vgl. Freiling (2006), S. 21 ff.; Lackner (2002), S. 15. 99 Vgl. Schaller (2001), S. 6 ff. 100 Vgl. Schaller (2001), S. 6 ff. 96 97
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B 3 Die Funktionen des Unternehmers in der ökonomischen Theorie Bevor ein Überblick über die vielfältigen Unternehmertheorien in der Literatur gegeben wird, soll festgehalten werden, dass mit dem dort umschriebenen Begriff der Unternehmer‐ funktionen diejenigen Aufgaben gemeint sind, die seitens handelnder Personen in einer bzw. für eine Unternehmung wahrgenommen werden müssen, um die Wettbewerbsfähigkeit langfristig sicherzustellen. Freiling weist bei dieser Begriffsbestimmung ausdrücklich darauf‐ hin, dass die Funktionen nicht von einer bestimmten Person oder Personengruppe in der Unternehmung ausgeübt werden muss. Wichtig ist nur, dass eine Ausübung auch tatsächlich erfolgt. Infolgedessen können sowohl Personen, die in einer Unternehmung tätig sind und eine leitende Position bekleiden, als auch externe Personen und/oder Institutionen Unter‐ nehmerfunktionen ausüben. Als weiteres bedeutendes Merkmal von Unternehmerfunktio‐ nen tritt die damit einhergehende Möglichkeit zur gestaltenden Einflussnahme auf das Ver‐ hältnis von Unternehmung und Umwelt, was nicht zuletzt auch in engster Beziehung zur er‐ folgreichen Entdeckung bzw. Generierung und anschließender Nutzung von Opportunitäten steht.101 Die Lehre von den Unternehmerfunktionen verfügt über eine lange Tradition. Erste Ansätze lassen sich bereits bei den Philosophen der Antike finden.102 Die erste Theorie zum Unter‐ nehmertum begründete Cantillon mit seinem 1755 publizierten Werk „Essai sur la Nature du Commerce en General“, in welchem er erstmals den Unternehmer und seine Funktionen in den Mittelpunkt des Wirtschaftsgeschehens stellte.103 Seitdem hat sich eine Vielzahl von Autoren mit der Unternehmerfigur und deren Aufgaben beschäftigt, so dass die in der Lite‐ ratur zu findenden Forscherbeiträge die vom Unternehmer wahrzunehmenden Funktionen sehr unterschiedlich interpretieren bzw. je nach Sichtweise nur Teilaspekte betonen. Auf Basis der in Anhang 2 überblicksartig dargestellten Forschungsansätze können folgende thematische Schwerpunkte in der Diskussion um Unternehmerfunktionen identifiziert wer‐ den: (1) die Erkennung und Ausschöpfung gewinnbringender Möglichkeiten, (2) die Über‐ nahme von Geschäftsrisiken, (3) das Hervorbringen neuer Lösungen und (4) die Koordination von Gütern.104 Damit wird deutlich, dass fast alle Forschungsansätze mit der Einführung des Unternehmers und seiner Funktionen innerhalb des Wirtschaftsprozesses kritisch an den zentralen Annahmen der neoklassischen Theorieperspektive ansetzen.105 Betrachtet man die ökonomischen Gleichgewichtsmodelle näher, so ist in der Tat kein Platz für findige, dynamische oder innovative Unternehmer vorgesehen. In einer Welt der klassi‐ schen Ökonomie reagieren gewinnmaximierende Unternehmer unmittelbar auf Preissignale des Marktes. Eine erhöhte Nachfrage impliziert eine Erhöhung der Produktion und des An‐ gebots. Koordinationsprobleme bei der Herstellung von Gütern und Dienstleistungen wer‐ den in Form von Produktionsfunktionen dargestellt, Ungewissheit wird durch die Annahme vollständiger Information ausgeschlossen und längerfristige Marktungleichgewichte treten nicht auf. Vorausgesetzt, die Signale des Marktes weisen in die richtige Richtung, werden 101
Vgl. Freiling (2006), S. 81. Vgl. Meinhövel (2005 a), S. 33 ff.; Schneider (2001), S. 100 ff. Vgl. Cantillon (1931), S. 1 ff.; Haid (2004), S. 60. 104 Vgl. Freiling (2006), S. 81 ff.; Schoppe (1995), S. 281 f. 105 Vgl. Brüderl u.a. (2007), S. 25 f. 102 103
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sich, gemäß den Modellannahmen, immer eine ausreichende Anzahl von Personen finden, die unternehmerische Initiative ergreifen und den Markt zum Gleichgewicht führen. Konse‐ quenz der in der Neoklassik getroffenen Verhaltens‐ und Informationsannahmen ist die Aus‐ schaltung des Unternehmers als aktives Element.106 Kirzner führt in diesem Zusammenhang aus, dass sich in einer analytischen Welt, in der überhaupt kein Unternehmertum zugelassen ist, ausschließlich Gleichgewichte erklären lassen, nicht jedoch, wie Preise, Mengen und Qualitäten der Produktionsmittel und produzierten Güter im Verlauf des Marktprozesses systemisch geändert werden.107 Die bereits in den vorhergehenden Abschnitten erläuterten Unterschiede in der Verwendung des Unternehmerbegriffs sowie die dafür verwendeten Synonyme ziehen auch Differenzen in der wissenschaftlichen Diskussion über die Unternehmerfigur nach sich. Obwohl der Un‐ ternehmer eine außerordentliche Bedeutung innerhalb eines leistungsorientierten markt‐ wirtschaftlichen Systems einnimmt und sich bereits seit Jahrhunderten eine Vielzahl von Wissenschaftlern mit der Frage beschäftigt, welches die wichtigsten Funktionen eines Un‐ ternehmers sind und wie sich diese in die ökonomischen Modelle einbinden lassen, beklagt die Wissenschaft bis heute den Mangel einer umfassenden Theorie des Unternehmertums (Entrepreneurships). Daraus ergibt sich auch der Umstand, dass dem Unternehmer bisher sowohl eine einheitliche Sichtweise über seine begriffliche Bedeutung als auch ein systema‐ tischer Platz in den ökonomischen Modellen und in der Theorie der Unternehmung versagt bleibt.108 Da sich die Wissenschaft bisher noch auf keine einheitliche Theorie verständigen konnte, gibt es bisher nur Ansätze, einzelne Theorien zu selektieren und zu gruppieren. Oftmals wird daher die Unterscheidung in statische und dynamische Ansätze gewählt, die jeweils unter‐ schiedliche Funktionen des Unternehmers betrachten. Hebert/Link haben bspw. nach einge‐ hender Literaturrecherche zwölf Unternehmerfunktionen109 identifiziert, die immer wieder in den Unternehmeransätzen unterschiedlicher Autoren zum Tragen kommen. So zählen sie zu den wichtigsten statischen Unternehmerfunktionen die Aufgaben als: Kapitalgeber, Ma‐ nager, Eigentümer und Arbeitgeber. Da jedoch in einer statischen Welt der Unternehmer zu einem passiven Element mutiert, dessen Handlungen lediglich auf bereits in der Vergangen‐ heit erlernten Verfahren und Techniken beruht, liefern statische Ansätze allein in einer sich ständig verändernden Umwelt keine hinreichende Antwort für den Erfolg eines Unterneh‐ mers.110 Stattdessen schlagen Hebert/Link vor, ausschließlich dynamische Funktionen, die
106
Vgl. Brüderl u.a. (2007), S. 25 f.; Schoppe (1995), S. 281. Vgl. Kirzner (1978), S. 34. Vgl. Lackner (2002), S. 15 f. 109 Der Unternehmer nach Hebert/Link erfüllt in einer statischen Welt die Funktionen: Kapitalgeber, Manager, Eigentümer und Arbeitgeber. In einer dynamischen Welt wird er dagegen zum Risikoträger, Innovator, Ent‐ scheidungsträger, Branchenführer, Arbitrageur, Kontraktor sowie Koordinator und Allokateur von Gütern. Vgl. Hebert/Link (1989), S. 40 f. 110 Schoppe kommt sogar zu dem Schluss: „[…] was könnte es denn Widersprüchlicheres geben als einen stati‐ schen Unternehmer?“ Freiling stimmt dieser Aussage zu, fügt jedoch an, dass eine wie auch immer zu defi‐ nierende Statik schon allein dadurch erzeugt wird, dass die Ausübung dynamischer Unternehmerfunktionen unterbleibt. Vgl. Freiling (2006), S. 85; Schoppe (1995), S. 282. 107 108
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den Unternehmer als Innovator oder Risikoträger kennzeichnen, in Untersuchungen über den Unternehmer einzubeziehen.111 Möchte man die Entwicklung der Lehre von den Unternehmerfunktionen entlang unter‐ schiedlicher Sprachräume nachvollziehen und systematisieren, so haben sich aus einer Viel‐ zahl dynamischer Funktionen drei Schulen herausgebildet, die je nach Ausrichtung unter‐ schiedliche – von der Neoklassik negierte – Aspekte der Unternehmerfunktion herausstellen. So betont die Chicagoer Schule, als deren Hauptvertreter Knight und Schultz gelten, das Tra‐ gen von und den Umgang mit Unsicherheit, während die deutsche Schule durch die von Thünen und Schumpeter geprägte Innovationsfunktion gekennzeichnet ist und insbesondere Innovation und Wandel als Wettbewerbselemente herausstellt. Vertreter der österreichi‐ schen Schule, und hier vor allem von Mises und Kirzner, rücken hingegen die Identifizierung und Ausnutzung von Arbitragemöglichkeiten in den Mittelpunkt ihrer Forschungen. Wie in Abbildung 6 zu sehen, finden alle dargestellten Ansätze ihren Ursprung in Cantillons Unter‐ nehmertheorie, in der er bereits 1755 dynamische Aspekte, wie die Verringerung von Ein‐ kommensunsicherheiten von Arbeitnehmern und Kapitalgebern sowie die Suche nach Spe‐ kulationsgewinnen, aufgriff.112 Abbildung 6: Schulen nach Cantillons Vorarbeiten
Cantillon (1755)
American School (Chicago)
German School
Austrian School
„uncertainty“
„innovation and change“
„disequilibrium and human action“
Knight (1921) Schultz (1975)
v. Thünen (1826) Schumpeter (1911)
v. Mises (1949) Kirzner (1973)
Quelle: Schoppe u.a. (1995), S. 282.
Eine Erweiterung erfahren die zuvor genannten Ansätze durch Casson, der in seinem Unter‐ nehmeransatz die Koordinationsfunktion zur zentralen Aufgabe des Unternehmers erhebt. In der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur können somit vornehmlich vier verschiedene Unternehmerfunktionen (mit ihren jeweiligen Hauptvertretern) unterschieden werden: 113 1. 2. 3. 4.
Die Innovationsfunktion (Schumpeter) Die Arbitragefunktion (Kirzner) Die Unsicherheitsfunktion (Knight) Die Koordinationsfunktion (Casson)
111
Vgl. Hebert/Link (1989), S. 40 f.; Lackner (2002), S. 15 f.; Ripsas (1997), S. 10 ff. Vgl. Ripsas (1997), S. 10 ff.; Schoppe (1995), S. 282 ff. 113 Vgl. Freiling (2006), S. 85 ff.; Haid (2004), S. 59 ff.; Lackner (2002), S. 17 ff.; Ripsas (1997), S. 10 ff.; Schoppe (1995), S. 282 ff. 112
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Um ein möglichst umfassendes Verständnis von den Funktionen des Unternehmers in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur zu erhalten, genügt es nicht, die Funktion losgelöst vom Gesamtmodell zu betrachten. Es soll vielmehr auch immer der theoretische Rahmen beschrieben werden, in dem die jeweilige Unternehmerfunktion Eingang gefunden hat. Um den Umfang dieser Arbeit nicht zu sprengen, beschränken sich die nachfolgenden Ausfüh‐ rungen auf die in der Literatur wiederholt auftauchenden vier Hauptfunktionen des Unter‐ nehmers. Diese bilden sowohl die theoretische Basis für die vorliegende Arbeit als auch die Grundlage für die Herausstellung und Bedeutung des deutschen Mittelstands und seiner Finanzierungsprobleme.
B 3.1 Innovationsfunktion nach Schumpeter Besondere Bedeutung erfuhr der Begriff Entrepreneurship durch den berühmten Ökonomen Schumpeter, der den Unternehmer vornehmlich als einen Innovator sah, der Ressourcen neu kombiniert, auf den Markt bringt und damit das Marktgleichgewicht stört.114 Grundlage für seine Überlegungen ist das Bild eines entwicklungslosen „Kreislaufes der Wirtschaft unter gegebenen Bedingungen“. Dieser stationäre Kreislauf ist dadurch bestimmt, dass die Wirt‐ schaft zu jedem Zeitpunkt mit einem Set an gegebener Erfahrung und auf Grundlage vor‐ handener und routinemäßig vertrauter Daten arbeitet.115 „Jede Wirtschaftsperiode gleicht in den Grundzügen wie in der Masse der Einzelheiten der vorhergehenden [...] Das liegt nicht nur daran, dass der stetige Kreislauf von Produktion und Konsumtion immer wieder ‐ gleich‐ sam bei jeder Umdrehung jahraus jahrein ‐ dieselbe objektive Situation schafft, die wesent‐ lich immer dieselben Möglichkeiten darbietet und andere ausschließt, sondern auch daran, dass die Wirtschaftssubjekte mit wesentlich immer der gleichen, festgewordenen und sich nur langsam ändernden Mentalität, denselben Kenntnissen und Erfahrungen, derselben Wei‐ te des Gesichtskreises, denselben Produktionsmethoden, Geschäftsgewohnheiten, Ge‐ schmacksrichtungen und im Besitz derselben Beziehungen, Kunden, Lieferanten, Konkurren‐ ten an sie herantreten und unter dem Druck der Notwendigkeiten des Alltags in der Regel herantreten müssen. Diese Tatsache, dass sich die Masse wirtschaftlichen Tuns jeweils in ausgefahrenen und vertrauten Bahnen bewegt, erklärt einerseits die relative Promptheit, die das Handeln auf wirtschaftlichem Gebiet auszeichnet [...] Sie erklärt ferner den glatten, fast automatischen Ablauf der normalen Wirtschaftsperioden"116 Für Veränderungen bzw. den Wandel im Wirtschaftprozess führt Schumpeter zunächst zwei Möglichkeiten an. Zum einen exogene Einflüsse, wie Naturkatastrophen, Kriege, wirtschafts‐ politische Eingriffe und Reformen der Wirtschaftsgesetzgebung, also jene Faktoren, die von außen auf das Wirtschaftsgeschehen einwirken. Diese Einflüsse ziehen zwar seiner Auffas‐ sung nach Datenänderungen und Störungen im Wirtschaftskreislauf nach sich, die Wirtschaft kann sich jedoch, innerhalb der bestehenden Produktions‐ und Konsumkombinationen an diese neuen Gegebenheiten anpassen. Zum anderen stellt das bloße Wachstum der Wirt‐ schaft, wie es sich z.B. in Bevölkerungs‐ und Reichtumszunahme äußert, die zweite Möglich‐ keit für Veränderungen im Wirtschaftsprozess dar. Diese rufen nach Schumpeter allerdings 114
Vgl. Fueglistaller (2008), S. 5. Vgl. Bachinger/Matis (2004). 116 Schumpeter (1999), S. 168. 115
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keine qualitativ neuen Erscheinungen hervor, sondern gleichfalls nur Anpassungsreaktio‐ nen,117 die – da Wachstum kontinuierlich auftritt ‐ ohne wahrnehmbare Störungen vom Wirtschaftssystem absorbiert werden können. Schumpeter verwirft damit die bis heute do‐ minante Sichtweise, Entwicklung mit wirtschaftlichem Wachstum gleichzustellen. Der Wirt‐ schaftskreislauf, wie er von der statischen Gleichgewichtstheorie beschrieben wird, ist nicht veränderungslos, aber, wie Schumpeter betont, entwicklungslos.118 Von wirtschaftlicher Entwicklung kann Schumpeters Auffassung zufolge erst dann gespro‐ chen werden, wenn: „das wirtschaftliche Leben selbst seine Daten ruckweise ändert, [wenn] fundamentale Veränderungen in der Sphäre der Produktion im weitesten Sinn [auftreten]“. Ergänzend stellt er in diesem Zusammenhang fest: „Unter „Entwicklung“ sollen also nur sol‐ che Veränderungen des Kreislaufs des Wirtschaftslebens verstanden werden, die die Wirt‐ schaft aus sich selbst heraus zeugt, nur eventuelle Veränderungen der „sich selbst überlas‐ senen“, nicht von äußerem Anstoße getriebenen Volkswirtschaft.“119 Solche Veränderungen bzw. historische und irreversible Umwälzungen im Produktionsapparat, die die Wirtschaft durch den „Unternehmer“ aus sich selbst heraus (endogen) erbringt, bezeichnet Schumpeter als „Innovationen“. Diese Innovationen, so führt Schumpeter weiter aus, unterscheiden sich von der Produktion, unter der er die Kombination vorhandener Dinge und Kräfte versteht, insofern, dass mit ihnen die neue und andersartige Kombination dieser Dinge und Kräfte verbunden ist.120 Schumpeter beschreibt damit die ökonomische Entwicklung als Prozess der „schöpferischen Zerstörung“,121 der durch die wirtschaftlichen Neuerungen gespeist wird.122 Das „Neue“ sprengt somit die bislang nur kreislaufähnliche Bewegungsweise der Wirtschaft und ermöglicht auf diese Weise die dynamische, sprunghafte Entwicklung. Schumpeter defi‐ niert Entwicklung somit als diskontinuierliche, spontane Durchsetzung neuer Kombinationen von Produktionsmitteln.123 Wann solche Innovationen auftreten, führt er in fünf Fällen auf:124 1. Herstellung eines neuen Gutes oder einer neuen Qualität eines Gutes 2. Einführung einer neuen, d.h. dem betreffenden Industriezweig noch unbekannten Produktionsmethode, die aber nicht auf einer neuen Erfindung beruhen muss 3. Erschließung eines neuen Absatzmarktes, auf dem ein Industriezweig bisher noch nicht eingeführt war, ganz gleich, ob dieser Markt schon vorher existierte oder nicht 4. Entdeckung einer neuen Bezugsquelle von Rohstoffen und Halbfabrikaten 5. Schaffung neuer Organisationen, wie z.B. die Errichtung einer Monopolstellung (z.B. durch Vertrustung) oder Durchbrechen eines Monopols 117
Vgl. Schumpeter (1997), S. 96. Vgl. Bachinger/Matis (2004). Schumpeter (1997), S. 95. 120 Vgl. Schumpeter (1997), S. 100. 121 Der Begriff der „kreativen Zerstörung“ wurde von Schumpeter in der ersten Hälfte des vergangenen Jahr‐ hunderts geprägt. Sein Anliegen war es, dass Wesen des zu seiner Zeit vorherrschenden Kapitalismus und den „Motor“ wirtschaftlicher Veränderungen zu erfassen. Er kam zu dem Schluss, dass Kapitalismus eine Form des stetigen wirtschaftlichen Wandels sei, bei der „Neues“ durch einen Prozess „kreativer Zerstörung“ „Altes“ ersetzt. Vgl. Schumpeter (1993), S. 134 ff. 122 Vgl. Schumpeter (1993), S. 134. 123 Vgl. Bachinger/Matis (2004). 124 Vgl. Schumpeter (1997), S. 100. 118 119
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Die grundlegenden Merkmale von Schumpeters Innovationen lassen sich damit wie folgt zusammenfassen: Sie entspringen spontan der Wirtschaft und treten diskontinuierlich in Erscheinung. Sie bewirken massive wirtschaftliche Datenveränderungen, welche nicht mehr durch eine statische „passive“ Reaktion der Wirtschaft innerhalb der gegebenen Bahnen des Kreislaufs absorbiert werden können. Sie erzwingen dynamische Anpassungen und werfen die gesamte Volkswirtschaft in eine neue Bahn.125 Ferner ist nach Schumpeter strikt zwischen Innovationen und Inventionen, also Erfindungen zu trennen, da letztere an sich noch keinen wirtschaftlichen Bezug aufweisen. Erst mit der erfolgreichen wirtschaftlichen Verwertung und Einführung des "Neuen" auf dem Markt wird eine Invention zur Innovation. Innovatio‐ nen sind somit Teil des Wirtschaftssystems, wobei Erfinder und Innovator, von Schumpeter als Unternehmer bezeichnet, deshalb meist unterschiedliche Akteure darstellen.126 „Wir se‐ hen nun, warum wir soviel Gewicht auf das Durchsetzen der neuen Kombinationen legten und nicht auf ihr „Finden“ oder „Erfinden“. Die Funktion des Erfinders oder überhaupt Tech‐ nikers und die des Unternehmers fallen nicht zusammen. Der Unternehmer kann auch Erfin‐ der sein und umgekehrt, aber grundsätzlich nur zufälligerweise.“127 Der unternehmerische Prozess nach Schumpeter, wie in Abbildung 7 zu sehen, besteht im Kern darin, dass neue Produktionsprozesse in Form neuer Erzeugnisse oder neuer Produkti‐ onsverfahren eingeführt werden.128 Derjenige, der diese Innovationen durchsetzt, ist Schumpeters Auffassung nach Unternehmer.129 „ […] the function of the entrepreneurs is to reform or revolutionize the pattern of production by exploiting an invention or, more general‐ ly, an untried technological possibility.”130 Dieser stört den gleichmäßigen Wirtschaftprozess, indem er neue Verfahren oder neue Dinge erfindet und sich auf diese Weise Kostenvorteile gegenüber seinen Konkurrenten am Markt verschafft. Durch Ausübung dieser Funktion ist es dem Schumpeter‐Unternehmer möglich, vorrübergehend Lücken zwischen Faktoreinsatz‐ Preis und Produktausstoß‐Preis hervorzurufen.131 Mit dem Durchsetzen von Innovationen entgegen allen Markwiderständen132 erlangt der Unternehmer, von Schumpeter auch als Pionier, dynamischer Unternehmer oder „Revolutionär der Wirtschaft“133 bezeichnet, eine Monopolstellung, die es ihm ermöglicht, Gewinne zu realisieren. Für die alten Unterneh‐ mungen kommt es hingegen zu einem Anstieg der Kosten. Dieser resultiert vornehmlich da‐ raus, dass die neuen Unternehmungen durch ihre Nachfrage nach Produktionsmitteln und Arbeit in Konkurrenz zu den alten treten und so z.B. einen Anstieg von Rohstoffpreisen und Löhnen bewirken. Darüber hinaus drücken die neuen Unternehmungen die Erträge der al‐ 125
Vgl. Bachinger/Matis (2004). Vgl. Kirzner u.a. (2006), S. 4; Schumpeter (1997), S. 129 ff. Schumpeter (1997), S. 129. 128 Vgl. Kirzner (1978), S. 63. 129 Vgl. Dürr (1987), S. 247 f. 130 Schumpeter (2006 a), S. 132. 131 Vgl. Kirzner (1978), S. 63. 132 Schumpeter unterscheidet hierbei äußere Widerstände, die auf „dem Gegendrucke, mit dem die soziale Umwelt jedem begegnet, der überhaupt oder speziell wirtschaftlich etwas Neues tun will“ beruhen und in‐ nere Widerstände, die sich in der Motivation des einzelnen Unternehmers finden. „Es ist eine psychische Tatsache, daß es unendlich viel leichter ist, eine scharf ausgetretene Bahn zu begehen, als eine neue einzu‐ schlagen.“ Schumpeter (1997), S. 126; Schumpeter (2006 b), S. 120; Vgl. hierzu auch Wieandt (1994 a), S. 21. 133 Vgl. Dürr (1987), S. 248; Schumpeter (1997), S. 130. 126 127
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ten, indem sie die gleichen Güter besser oder billiger oder andere Arten und Qualitäten von Gütern anbieten und so die Nachfrage der Konsumenten auf sich konzentrieren.134 Im Laufe der Zeit wird die Innovation jedoch von anderen übernommen bzw. drängen Imitatoren auf den Markt, so dass die Wiederherstellung eines gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts auf neuem Niveau erfolgt. Im Ergebnis kommt es damit zur Zerstörung bestehender Produkte und Produktionsverfahren sowie u.U. von Branchen, Märkten und Unternehmen. Weiterhin ergeben sich aus den schöpferischen Neukombinationen bessere Produkte, effizientere Pro‐ duktionsverfahren sowie neue Branchen, Märkte und Unternehmen, die das Erreichen eines höheren Wohlstandsniveaus ermöglichen.135 Abbildung 7: Innovationsfunktion nach Schumpeter
Suche nach externen und internen Profitchancen
unternehmerische Aktivitäten
Management der Innovation
Gewinne oder Verluste
neue Ressourcen‐ kombinationen
Prozess der kreativen Zerstörung
Quelle: Haid (2004), S. 66.
Die Finanzierung des soeben beschriebenen Entwicklungsvorgangs geschieht laut Schumpe‐ ter nicht primär durch Selbstfinanzierung der Unternehmer, sondern durch Banken, die das notwendige Kapital durch Kreditschöpfung zur Verfügung stellen.136 „Das kapitalistische Kre‐ ditsystem ist tatsächlich aus und an der Finanzierung neuer Kombinationen erwachsen […] und erst im Zusammenhang damit auf Depositenjagd und wiederum im Zusammenhang da‐ mit an die Gewährung von Zirkulationskredit auch an eingelebte Betriebe gegangen.“137 Der Bankier nimmt damit eine bedeutsame Rolle im Entwicklungsprozess ein138, da er „nicht so sehr und nicht in erster Linie Zwischenhändler mit der Ware „Kaufkraft“ [ist], sondern vor allem Produzent dieser Ware. […] Er ermöglicht die Durchsetzung der neuen Kombinationen, stellt gleichsam im Namen der Volkswirtschaft die Vollmacht aus, sie durchzuführen.“139 134
Vgl. Bachinger/Matis (2004). Vgl. Blessin (2000), S. 6; Weitz (2008), S. 115. Vgl. Bachinger/Matis (2004); Dürr (1987), S. 248. 137 Schumpeter (1997), S. 106. 138 Vgl. Bachinger/Matis (2004). 139 Schumpeter (1997), S. 110. 135 136
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Schumpeter zeigt mit seiner Konzeption vom Unternehmertum, dass Innovationen zu einer Verbesserung des Unternehmergewinns führen und dadurch Imitationen anderer Wettbe‐ werber stimulieren.140 Die neuen Ressourcenkombinationen müssen hierbei jedoch nicht in dem Sinne neu sein, dass der Unternehmer sie selbst erfunden hat, sondern seine Aufgabe besteht in der Durchsetzung einer Erfindung (invention) am Markt und somit in der Nutz‐ barmachung von Wissen und der Überwindung bestehender Routinen und Strukturen.141 Als Motive für das Durchbrechen des Wirtschaftskreislaufs mittels Innovationen führt Schumpe‐ ter neben dem Gewinnmotiv das Streben nach sozialer Machtstellung, die Freude am schöp‐ ferischen Gestalten sowie das Erfolgsstreben um des Erfolges willen an.142 „Unter unserem Bild vom Unternehmertypus steht das Motto: plus ultra. […] Und die sein Verhalten adäquat interpretierende Motivation liegt nahe genug: […] Der Traum und der Wille, ein privates Reich zu gründen […] Kämpfenwollen einerseits, Erfolghabenwollen des Erfolgs als solchen wegen andrerseits. […] [sowie] Freude am Gestalten.“143 Der Pionierunternehmer ist in Schumpeters Modell die entscheidende treibende Kraft der wirtschaftlichen Entwicklung, da er das Durchsetzen immer neuer Faktorkombinationen for‐ ciert.144 Er ist ständig auf der Suche nach neuen Innovationen, um seinen Gewinn stetig zu realisieren. Dazu ist er gezwungen, sich ständig weiterzuentwickeln, um nicht im Kreislauf der Wirtschaft stehenzubleiben und so letztendlich zu jenen zu gehören, die von besseren Produkten oder Produktionsprozessen aus dem Markt gedrängt werden.145 Nach Schumpeters Auffassung bleibt eine Volkswirtschaft durch diese beständigen, von immer neuen Pionierunternehmern ausgelösten Innovationen nie in einem statischen Gleichge‐ wicht, sondern entwickelt sich durch die „schöpferische Zerstörung“ der Unternehmer dy‐ namisch weiter.146 Blickt man auf Schumpeters Theorie vom Unternehmertum zurück, so ist festzustellen, dass er mit seiner Konzeption als Erster eine konsistente evolutorische Interpretation des öko‐ nomischen Wandels entworfen und den Menschen als zentrale Figur in einer ökonomischen Theorie verankert hat.147 Innovationen, wie z.B. die Neukombinationen von Produktionsfak‐ toren, sind hier zentrale Bestandteile zur Erklärung wirtschaftlicher Entwicklung respektive Wirtschaftswachstum.148
B 3.2 Arbitragefunktion nach Kirzner Einer der bedeutendsten Vertreter der österreichischen Schule,149 der sich in seinen Studien gleichermaßen mit der Theorie des Unternehmertums auseinandergesetzt hat, ist Israel M. 140
Vgl. Baumol (1993), S. 202. Vgl. Haid (2004), S. 65. Vgl. Blessin (2000), S. 6. 143 Schumpeter (1997), S. 137 f. 144 Vgl. Schaller (2001), S. 10. 145 Vgl. Baumol (1993), S. 202. 146 Vgl. Ricketts (2008), S. 46 f.; Schaller (2001), S. 10. 147 Vgl. Blessin (2000), S. 6. 148 Vgl. Dürr (1987), S. 247; Metcalfe (2008), S. 86. 149 Zu dieser Schule zählen neben Kirzner, insbesondere Eugen von Boehm Bawerk, Friedrich von Hayek, Carl Menger und Ludwig von Mises. 141 142
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Kirzner.150 Seiner Auffassung nach bietet ein Markt, der nur aus ökonomisierenden, maxi‐ mierenden Individuen zusammengesetzt ist, keinen geeigneten Ansatz zur Erklärung von Marktprozessen.151 „Um den Marktprozeß entstehen zu lassen, brauchen wir zusätzlich ein Element, das innerhalb der engen begrifflichen Grenzen ökonomisierenden Verhaltens nicht erfaßt werden kann. Dieses Element im Markt läßt sich meines Erachtens am besten als Un‐ ternehmertum identifizieren.“152 Zur Begründung führt er an, dass es in den ökonomischen Theorien, die sich mit einer Welt vollkommenen Wissens befassen, weder nötig noch mög‐ lich ist, Unternehmertum einzuführen oder das Augenmerk auf irgendeinen unternehmeri‐ schen Faktor bei der individuellen Entscheidungsbildung zu lenken, da die Annahme voll‐ kommenen Wissens eben diesen Faktor eliminiert.153 „[…] the perfect knowledge assumption makes it pointless to ask how the market process can induce co‐ordination among decisions; such co‐ordination is already implied in the perfect knowledge assumption.“154 Weiterhin betont Kirzner, dass in der Preistheorie die typische Theorie der gewinnmaximierenden Un‐ ternehmung zu einer völligen Verschleierung der rein unternehmerischen Rolle der Produ‐ zenten führt, da die Analyse der Gewinnmaximierung im Allgemeinen mit bekannten Erlös‐ und Kostenfunktionen arbeitet, so dass diese Funktionen als bereits bekannt angenommen werden und die Optimierungsentscheidungen schon in den Erlös‐ und Kostendaten enthal‐ ten sind. Folglich ist es für Kirzner im Hinblick auf den Produzenten als Unternehmer nicht entscheidend zu fragen, wie die Minimalkostenkombination oder die gewinnmaximale Preis‐ Mengen‐Kombination bei gegebenen Erlös‐ und Kostendaten bestimmt werden kann, son‐ dern welche Erlös‐ und welche Kostenfunktionen der Unternehmer‐Produzent für sich all‐ gemein als relevant ansieht.155 „Unternehmertum besteht nicht darin, nach einem freien Zehndollarschein zu greifen, den man bereits irgendwo entdeckt hat, es besteht vielmehr darin, zu entdecken, daß es ihn gibt und daß er greifbar ist.“156 Ziel Kirzners ist es daher, den Marktprozess und damit den Veränderungsprozess der Preise zu erklären.157 Kirzner folgert aus seinen Überlegungen, dass die Einführung des Unternehmerelements und damit die Findigkeit menschlichen Handelns zur Erklärung von Marktprozessen nur möglich sind, wenn die Annahme vollkommenen Wissens der Marktteilnehmer fallengelassen wird.158 „Die Analyse des Marktprozesses vermag die Erkenntnis zu nutzen, daß die Teilneh‐ mer nicht nur auf gegebene Marktdaten reagieren, sondern vielmehr auch im Hinblick auf mögliche Veränderungen der Daten eine unternehmerische Findigkeit entfalten – eine Fin‐ digkeit, die man zur Erklärung verwenden kann, wie diese Veränderungen im allgemeinen entstehen können.“159 Erst bei Einführung einer Welt unvollkommenen Wissens, d.h. in einer Welt, in der definitionsgemäß Marktunvollkommenheiten bestehen, eröffnen sich für den Unternehmer Spielräume zur Entscheidungsbildung und damit die Möglichkeit, durch Nut‐ 150
Vgl. Blessin (2000), S. 6. Vgl. Kirzner (1978), S. 25. 152 Kirzner (1978), S. 25. 153 Vgl. Kirzner (1978), S. 38; Kirzner (1992), S. 4 f. 154 Kirzner (1992), S. 4 f. 155 Vgl. Kirzner (1978), S. 37 f. 156 Kirzner (1978), S. 38. 157 Vgl. Kirzner (1978), S. 8 ff. 158 Vgl. Kirzner (1978), S. 30 f. 159 Kirzner (1978), S. 31. 151
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zung zusätzlicher Informationen Vorteile aus profitablen Geschäften zu ziehen.160 Um die beste Entscheidung zu treffen, benötigt der Unternehmer folglich nur das Wissen, wo es unausgenutzte Gelegenheiten gibt, d.h. er muss einzig und allein herausfinden, wo Käufer zu viel bezahlt und Verkäufer zu wenig erhalten haben, und diese Differenz dadurch beseitigen, dass er bei Letzteren kauft und an Erstere etwas billiger verkauft.161 „Wenn jedoch die Ent‐ scheidungsträger sich der Möglichkeit bewußt sind, daß sozusagen »hinter der nächsten Ecke« bessere Preise verborgen sein können, dann ist die »beste Nutzung« nicht mehr nur eine Sache des Ausrechnens oder des Ökonomisierens; ihre Bestimmung hängt entscheidend auch von der Unternehmerqualität des Entscheidungsträgers ab – von seinem Spürsinn, wel‐ che Preise für ihn wirklich erreichbar sind.“162 Kirzner betont in seiner Konzeption daher sehr stark die zentrale Rolle von Informationen in der Ökonomie und sieht den Unternehmer dementsprechend als das entscheidende Wirt‐ schaftssubjekt, das mit dem Beschaffen und zielgerichteten Auswerten von Informationen betraut ist. Der Unternehmer wird somit zum Entdecker von Arbitragemöglichkeiten163 über Raum und Zeit.164 „Arbitrage activity consists of acting upon the discovery of a present dis‐ crepancy […] between the prices at which a given item can be bought and sold.“165 Nach Kirzner ist der Unternehmer die reagierende Kraft, die Marktunvollkommenheiten beseitigt wobei er durch seine Tätigkeiten die Ausbreitung des technischen Fortschritts, der durch Innovationen entstanden ist, forciert. Die Ursache für die auftretenden Marktunvollkom‐ menheiten sieht er in der ungleichen Informationsverteilung der Marktteilnehmer, wodurch marktsysteminhärente räumliche, zeitliche, quantitative und qualitative Informationsun‐ gleichgewichte hervorgerufen werden, die einen Markt niemals vollkommen erscheinen las‐ sen.166 Werden diese Marktunvollkommenheiten als gegeben vorausgesetzt, so ist für den Unter‐ nehmer eine erfolgreich Arbitrage immer dann möglich, wenn gleichartige Leistungen auf einem oder mehreren Märkten zu unterschiedlichen Preisen angeboten werden, es inner‐ halb eines bestimmten Zeitraums zu Preisdifferenzen bei einer gleichartigen Leistung kommt (zeitliche Arbitrage) oder Preisunterschiede auf verschiedenen Produktionsstufen bestehen (Produktionsstufen‐Arbitrage).167 Herauszustellen ist, dass für Kirzner die Entdeckung einer Arbitragemöglichkeit bedeutet, etwas zu entdecken, was ohne jede Gegenleistung erhältlich ist und überhaupt keiner Investition bedarf. Insbesondere zu letztgenanntem Punkt führt Kirzner aus, dass die Ausnutzung der Arbitragmöglichkeit an sich zwar den Einsatz von Kapi‐ tal erfordere, der Unternehmer jedoch keinerlei eigene Investitionsmittel benötige, wenn 160
Vgl. Kirzner (1979), S. 110 ff. Vgl. Kirzner (1978), S. 33. Kirzner (1978), S. 32. 163 Unter Arbitrage soll hierbei die Tätigkeit des Vermittelns zwischen Angebot‐ und Nachfrage und damit als Spekulation verstanden werden. Schneider bspw. betont, dass der Begriff des Spekulanten sowie die Erzie‐ lung von Spekulationsgewinnen den zutreffenderen Ausdruck für diese Unternehmerfunktion darstellen. Der Spekulant verfolgt das Ziel, Spekulationsgewinne zu erzielen, indem er als Mittler zwischen mit Unsi‐ cherheit behafteten Produkt‐ und Faktormärkten agiert. Vgl. Schneider (1995), S. 37. 164 Vgl. Schaller (2001), S. 11 f.; Wadeson (2008), S. 106. 165 Kirzner (1999), S. 9 und 16; Vgl. hierzu auch Kirzner (2000), S. 247. 166 Vgl. Haid (2004), S. 62. 167 Vgl. Schneider (1995), S. 37 f. 161 162
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der aus dem Arbitragegeschäft resultierende Überschuss, als Differenz zwischen Verkaufs‐ und Einkaufspreis, ausreicht, um anderen, die die nötigen Finanzierungsmittel bereitstellen könnten, einen genügend attraktiven Zins zu bieten.168 Um die vorhandenen Arbitragemöglichkeiten noch vor allen anderen Marktteilnehmern zu seinem Vorteil aufspü‐ ren und nutzen zu können, ist der Unternehmer gezwungen, sich in ständiger Alarmbereit‐ schaft (alertness) zu befinden. Nur diese Wachsamkeit in Verbindung mit einem ausgepräg‐ ten Handlungswillen (responsiveness), Gelegenheiten auch tatsächlich gewinnbringend vor allen anderen Marktteilnehmern zu verwerten, macht für Kirzner den Unternehmer zum Schlüsselfaktor des Marktprozesses.169 Aufgrund der Unwissenheit der Marktteilnehmer erhalten diese erst im Verlaufe der gegebenen Periode Informationen über die tatsächlichen Entscheidungen der Konkurrenz, so dass das neue Wissen über das Verhalten der Konkur‐ renz bei den Marktteilnehmern zu Korrekturen ihrer eigenen Entscheidungen bzw. verbes‐ serten Plänen für die darauffolgende Zeitperiode führt. Im Zeitablauf betrachtet, wird durch diese fortwährende Veränderung der Entscheidungen der Marktprozess ausgelöst und Wettbewerb angeregt. Ergebnis dieses Wettbewerbs ist eine höchstmögliche Qualität und ein Marktprozess, der in Richtung des Gleichgewichtspreises tendiert, der jedoch aufgrund der Unwissenheit der Marktteilnehmer nie erreicht werden kann.170 Fasst man Kirzners Theorie zusammen, so kommen dem Unternehmer in seiner Arbeit vier wesentliche Funktionen zu: 171 1. Die Preisarbitrage, d.h. die Ausnutzung erkannter bzw. vermuteter Preisdifferenzen zwischen Produkt‐ und Faktormärkten, die anderen Wettbewerbern entgangen ist. 2. Die Information der Marktteilnehmer, indem potentielle Käufer und Verkäufer zu‐ sammengeführt werden, so dass es auf diese Weise zur Herstellung von Markttrans‐ parenz kommt. 3. Die Marktgleichgewichtsbildende Funktion, indem durch anhaltende räumlich und zeitliche Arbitrage Preisunterschiede verringert werden. 4. Die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung durch die Einbeziehung innovativer Aktivitäten in die Arbitragefunktion. Das Bild des Unternehmers, wie es bei Kirzner zum Tragen kommt, weist in vielerlei Hinsicht Ähnlichkeiten mit dem von Schumpeter entworfenen auf. Beide lehnen die Betrachtung ei‐ nes Marktes der nur aus ökonomisierenden, maximierenden Wirtschaftssubjekten zusam‐ mengesetzt ist ab und stellen den unternehmerischen Faktor bei der individuellen Entschei‐ dungsbildung in den Vordergrund. Während bei Schumpeter der Unternehmer aus der ge‐ wohnten Routine ausbricht, um mittels Innovationen die wirtschaftliche Entwicklung voran‐ zutreiben,172 nimmt er bei Kirzner, die sich ihm aufgrund von Arbitragemöglichkeiten bieten‐ den Gewinnmöglichkeiten, die von seiner Seite weder eines Ressourcen‐ noch eines Kapital‐ einsatzes bedürfen, wahr. Erst die Einführung von Marktunvollkommenheiten eröffnet für 168
Vgl. Kirzner (1978), S. 39. Vgl. Casson (1995 a), S. 369 f.; Kirzner (1978), S. 54 f.; Schaller (2001), S. 12. Vgl. Kirzner (1978), S. 8 ff.; Ossadnik u.a. (2002), S. 4. 171 Vgl. Blessin (2000), S. 7. 172 Vgl. Dürr (1987), S. 247. 169 170
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die Unternehmer in beiden Ansätzen die Möglichkeit, unausgenutzte Gelegenheiten wahr‐ zunehmen und daraus durch Innovieren, Verändern und Neuschaffen Gewinne zu realisie‐ ren. Weitere Ähnlichkeiten bestehen hinsichtlich der Tatsache, dass weder beim Schumpeterschen Innovator‐Unternehmer noch beim Unternehmer nach Kirzner die Not‐ wendigkeit besteht, eigene Ressourcen zur Produktion beizusteuern.173 Beiden Konzepten liegt der Grundgedanke inne, dass der Unternehmer immer dann einen Weg zur Erzielung eines reinen Gewinns entdeckt hat, wenn der Unternehmergewinn ausreicht, um den Kapi‐ talgebern, die die nötigen Finanzierungsmittel zur Verfügung stellen, einen attraktiven Zins zu zahlen.174 Schumpeter führt in diesem Zusammenhang aus, dass der Unternehmer zur Produktion und Neukombination von Gütern Kaufkraft benötige, die er sich zunächst auslei‐ hen muss.175 „Sein erstes Bedürfnis ist ein Kreditbedürfnis. Ehe er irgendwelcher Güter be‐ darf, bedarf er der Kaufkraft. […] Er kann nur Unternehmer werden, indem er vorher Schuld‐ ner wird.“176 Ein eigener Ressourceneinsatz von Seiten des Unternehmers ist folglich keine Vorrausetzung177 für unternehmerische Tätigkeit.178 Die Leistung des Unternehmers besteht in beiden Konzepten lediglich in der reinen Entscheidung, die Ressourcen in keinen anderen als den ausgewählten Produktionsprozess zu lenken.179 Neben den zuvor aufgezeigten Gemeinsamkeiten bestehen jedoch zwischen beiden Konzep‐ tionen hinsichtlich der Unternehmerbeschreibung und der Unternehmerrolle auch bedeu‐ tende Unterschiede. Der wohl Wichtigste ist die Zuschreibung, wann jemand die Fähigkeit besitzt, Unternehmer zu sein. Für Schumpeter besitzen lediglich außergewöhnliche Men‐ schen diese Fähigkeit, während bei Kirzner jeder über das Potenzial verfügt. Weitere Unter‐ schiede ergeben sich in der Betrachtungsweise von Unternehmertum. Bei Schumpeter be‐ deutet dies vor allem, aus der Routine auszubrechen, um neue Produkte oder neue Produk‐ tionsverfahren einzuführen, hingegen es für Kirzner vielmehr in der Fähigkeit liegt, neue Ge‐ legenheiten zu entdecken, zu sehen, wo neue Produkte für Konsumenten wertvoller gewor‐ den bzw. wo neue Produktionsverfahren möglich geworden sind, die anderen bisher unbe‐ kannt waren.180 Bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang auch, dass Kirzner den Unternehmer damit als jemanden ansieht, der auf Veränderungen reagiert, während er bei Schumpeter derjenige ist, der die Änderungen auslöst.181 In seinem Konzept bewirkt der Pro‐ zess der „schöpferischen Zerstörung“ ein Ausbrechen aus dem Marktgleichgewicht, wodurch dieser zur Hauptantriebskraft der ökonomischen Entwicklung gerät. Anders bei Kirzner, hier nutzt der Unternehmer profitable Arbitragemöglichkeiten, die auf Anpassungsdefizite zwi‐ schen verschiedenen Märkten zurückzuführen sind und die von anderen Marktteilnehmern bisher übersehen wurden. Die unternehmerische Findigkeit bezüglich unerkannter Gelegen‐ 173
Vgl. Kirzner (1978), S. 64 f. Vgl. Kirzner (1978), S. 39. Vgl. Schumpeter (1997), S. 148. 176 Schumpeter (1997), S. 148. 177 Bei Kirzner als auch bei Schumpeter besteht dadurch die Möglichkeit, dass sich der Unternehmer zu 100% fremdfinanziert. Vgl. Albach (1984), S. 127 f. 178 Obwohl kein eigener Ressourceneinsatz seitens des Unternehmers notwendig ist, erkennen Schumpeter und Kirzner an, dass ein und dasselbe Individuum Unternehmer und Kapitalgeber zugleich sein kann, jedoch nicht zwangsläufig sein muss. Vgl. Kirzner (1978), S. 40 f.; Schumpeter (1997), S. 148. 179 Vgl. Kirzner (1978), S. 65. 180 Vgl. Blessin (2000), S. 7; Kirzner (1978), S. 65. 181 Vgl. Kirzner (1978), S. 58 f.; Schaller (2001), S. 12. 174 175
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heiten führt bei Kirzner dazu, dass sich am Markt ergebende Ungleichgewichte durch die Reaktion der Unternehmer immer wieder abgebaut werden, was die Wirtschaft in einem sich ständig ändernden Umfeld durch Spekulation bzw. Nutzung von Arbitragen, zu einem Gleichgewicht führt. Während also für Schumpeter Unternehmertum in erster Linie wichtig ist, um wirtschaftliche Entwicklung in Gang zu setzen, ist es für Kirzner in erster Linie wichtig, damit der Marktprozess in jedem Zusammenhang funktionieren kann, wobei er die Möglich‐ keit der wirtschaftlichen Entwicklung nur als einen besonderen Fall ansieht.182
B 3.3 Unsicherheitsfunktion nach Knight Nach den beiden zuvor dargestellten Ansätzen ergeben sich Gewinnmöglichkeiten aus Inno‐ vationen bzw. Arbitragegeschäften. Während bei Innovationen in der Regel der Unterneh‐ mer das aktive Management der Ressourcen in seinem Einflussbereich übernimmt, ist im Fall von Arbitrage lediglich die Kenntnis einer Gewinnmöglichkeit bei der Überbrückung von Märkten notwendig. Die Überbrückung kann dabei auf zeitlicher, räumlicher oder sachlicher Ebene erfolgen (z.B. Transformation in neue Produkte).183 Einen weiteren Ansatz zur Beschreibung des Unternehmers bzw. Unternehmertums versucht Knight zu entwickeln. Aufbauend auf dem von Cantillon 1755 publizierten Werk „Essai sur la Nature du Commerce en General“184 befasst er sich ausführlich mit der Funktion des Unter‐ nehmers als Träger von Unsicherheit.185 Ausgangsbasis seiner Überlegungen bildet die Kritik an der vollständigen Informationsannahme in der klassischen Theorie. Danach verfügen alle am Markt agierenden Wirtschaftsakteure über umfassende Informationen über das Markt‐ geschehen, so dass die Allokation der verfügbaren Ressourcen allein durch den Preismecha‐ nismus gesteuert werden und der Prozess der Produktion gleichsam auf die jeweiligen Signa‐ le des Marktes reagiert. Hieraus folgt, dass dem Unternehmer nach dem Idealmodell der klassischen Theorie kein abschöpfbarer Gewinn verbleibt, da dieser im Gleichgewicht auf null sinkt und die unternehmerische Leistung allein nach ihrem Wertgrenzprodukt entlohnt wird.186 „It is pointed out that if the manager were completely and accurately informed on every matter connected with his decisions he would never incur losses, and if all competitors were so informed he would have no opportunity to make gains.”187 Für Knight sind jedoch gerade die Elemente Ungewissheit und unvollständige Information der zentrale Bestandteil des Wirtschaftslebens.188 182
Vgl. Blessin (2000), S. 7; Carter (2008), S. 116; Casson (1995 a), S. 380; Fueglistaller (2008), S. 5; Kirzner (1978), S. 65. 183 Vgl. Blessin (2000), S. 8. 184 Cantillon unterscheidet in seiner Theorie vier Klassen von Wirtschaftsakteuren: Die unabhängigen Fürsten und Grundeigentümer, den Lohnempfänger mit festem, sicheren Gehalt sowie den Unternehmer, welcher gewissermaßen einen unsicheren Lohn empfängt. Nach Cantillons Auffassung besteht die zentrale Funktion des Unternehmers im Treffen unternehmerischer Entscheidungen unter Unsicherheit. Knights Beitrag zur Theorie des Unternehmertums liefert eine verfeinerte Betrachtung der bereits von Cantillon definierten Übernahme von Risiko, indem er durch eine Isolation von zwei Teilaspekten eine genauere Abgrenzung er‐ möglicht. Vgl. Schneider (1995), S. 35 f.; Haid (2004), S. 60; Hebert/Link (1989), S. 42 f.; Lackner (2002), S. 20. 185 Vgl. Haid (2004), S. 60; Knight (1965), S. 19 f. 186 Vgl. Brüderl u.a. (2007), S. 23; Haid (2004), S. 60 f. 187 Knight (1934), S. 541. 188 Vgl. Haid (2004), S. 61.
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Vor diesem Hintergrund führte er in seiner Betrachtung des Unternehmertums die bis heute gängige Unterscheidung von Risiko und Unsicherheit ein.189 „The practical difference be‐ tween the two categories, risk and uncertainty, is that in the former the distribution of the outcome in a group of instances is known (either through calculation a priori or from statis‐ tics of past experience), while in the case of uncertainty this is not true, the reason being in general that it is impossible to form a group of instances, because the situation dealt with is in a high degree unique.“190 Während also dem Entscheidungsträger in einer Risikosituation die möglichen zukünftigen Ereignisse sowie die Wahrscheinlichkeiten ihres Eintretens be‐ kannt sind und diese sich rechentechnisch erfassen lassen, ist selbiges im Fall von Unsicher‐ heit nicht möglich. Risiken sind daher, im Gegensatz zu Unsicherheiten, diversifizier‐ bzw. überwälzbar.191 Da jede Gesellschaftsordnung, die auf marktwirtschaftlichen Prinzipien be‐ ruht, mit nicht‐versicherbaren Risiken behaftet ist, wird für Knight das Tragen dieser Unsi‐ cherheit zur zentralen Funktion einer kleinen Gruppe von Unternehmern.192 Demzufolge kommt er zu dem Schluss, dass das Agieren unter Unsicherheit das kennzeichnende Merk‐ mal unternehmerischer Tätigkeit ist. Danach handelt ein Unternehmer immer dann, wenn er in der Übernahme eines Wagnisses (Unsicherheit) eine Chance zur Realisierung von Gewinn‐ potenzialen sieht. Der aus allen Produktions‐ und Handlungsentscheidungen resultierende Gewinn, stellt somit die Kompensation für das Tragen der Unsicherheitskosten dar.193 Neben der Chance auf einen Gewinn besteht jedoch auch fortwährend die Einkommensunsicher‐ heit, d.h. die Gefahr, dass die tatsächlichen Ereignisse von den getroffenen Erwartungen abweichen.194 Für Knight wird der Erfolg unternehmerischen Handelns damit maßgeblich durch die Fähigkeit des Unternehmers bestimmt, unsichere zukünftige Ereignisse besser als andere Marktakteure zu antizipieren und die erwachsenen Erwartungen gewinnbringend zu nutzen.195 Im Gegensatz zu angestellten Managern,196 die vorwiegend Routineentscheidungen treffen, zeichnet sich der Unternehmer bei Knight dadurch aus, dass er echte Führungsentscheidun‐ gen trifft und in seiner Hauptfunktion zum Träger des Risikos wird, d.h. als Inhaber einer Un‐ ternehmung die ungeteilte Verantwortung für die komplexen Entscheidungen unter Unsi‐ cherheit trägt.197 Komplexe Entscheidungen ergeben sich dabei insbesondere hinsichtlich zukünftiger Entwicklungen bei der Produktnachfrage, der Koordination von Produktionsfak‐ toren sowie als Eigentümer eines Unternehmens, das für den Markt produziert und somit 189
Vgl. Schaller (2001), S. 11. Knight (1965), S. 233. 191 Vgl. Bamberg/Coenenberg (2008), S. 18 ff.; Brüderl u.a. (2007), S. 23; Mullineux (1996), S. 678 f.; Perridon u.a. (2009), S. 102 ff. 192 Der übrige Teil der Gesellschaft entzieht sich dadurch einer möglichen Verantwortung und wird gegen ein festes Gehalt dem Unternehmer unterstellt. Vgl. Lackner (2002), S. 19. 193 Vgl. Blessin (2000), S. 10; Brüderl u.a. (2007), S. 23 f.; Haid (2004), S. 61 f.; Schaller (2001), S. 11. 194 Vgl. Schneider (1995), S. 6 ff. 195 Vgl. Haid (2004), S. 62. 196 Angestellte Manager in modernen Kapitalgesellschaften werden durch Dritte mit der Erfüllung von Aufga‐ ben betraut. Ungeachtet der Möglichkeit, dass diese über eine uneingeschränkte Leitungskontrolle über das Unternehmen verfügen können, besitzen sie Knight zufolge nicht die notwendigen Unternehmereigenschaf‐ ten. Gemäß Knight stellt sich ein Unternehmer selbst seine Aufgaben, trägt das Produktionsrisiko, handelt auf eigenen Namen und eigene Rechnung. Vgl. Knight (1965), S. 297 ff. 197 Vgl. Schaller (2001), S. 11. 190
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auch die Bedürfnisse der Konsumenten berücksichtigen muss.198 Die Übernahme von Leitung und Verantwortung gehören damit zu den charakterisierenden Merkmalen des knightschen Unternehmers, den darüber hinaus die eigene Urteilsfähigkeit in Verbindung mit einer ge‐ ringen Risikoaversion sowie Selbstvertrauen auszeichnen. Kritisch anzumerken bleibt, dass durch die zentrale Betonung der Übernahme des Risikos bei Knight jeder Unternehmer wäre, der bereit ist, Risiken einzugehen, indem er Entscheidungen über einen ungewissen Zeit‐ raum in der Zukunft fällt. Das findige und suchende Element, wie es etwa bei Kirzners Unter‐ nehmerbild zum Tragen kommt, wird hier weitgehend vernachlässigt.199
B 3.4 Koordinationsfunktion nach Casson Den Versuch, eine umfassende Theorie zu entwickeln, die den Unternehmer in die Hauptli‐ nie der ökonomischen Theorie – der neoklassischen Tradition – integrierbar macht, unter‐ nahm Casson in seinem 1982 erschienenen Werk „The Entrepreneur – An Economy Theo‐ ry“.200 Da dieses Werk auf einer sehr umfangreichen Darstellung beruht, sollen an dieser Stelle nur die wesentlichen Grundzüge wiedergegeben werden. Wie auch schon bei Schumpeter, Kirzner und Knight zuvor basiert auch die Unternehmerkon‐ zeption Cassons auf der fundamentalen Kritik an der Theorie des vollkommenen Wettbe‐ werbs, wonach alle Wirtschaftssubjekte über vollkommene Informationen verfügen und frei von Transaktionskosten sind. Da jedoch in der Realität unvollständige, ungleich verteilte In‐ formationen und das Vorhandensein von Transaktionskosten einen wichtigen Stellenwert für die auf dem Markt stattfindenden Austauschprozesse einnehmen, hebt Casson beide An‐ nahmen auf und versucht durch die Einführung des Unternehmers eine theoretische Rekon‐ struktion der Neoklassik. In einer Welt unvollkommener Information und positiver Transak‐ tionskosten bieten sich nun für den Unternehmer eine Vielzahl von Gelegenheiten, die Allo‐ kation knapper Ressourcen zu verbessern, so dass sich unmittelbar aus der Aufhebung der beiden Annahmen die zentrale Funktion des Cassonschen Unternehmers als „Koordinator“ ergibt, dessen maßgebliche Koordinationsleistung201 im Treffen ökonomischer Entscheidun‐ gen höchster Komplexität besteht.202 „An entrepreneur is someone who specializes in taking judgemental decisions about the coordination of scarce resources.“203 Casson spricht in die‐ ser Hinsicht auch von der Herbeiführung einer effizienten statischen und dynamischen Allo‐ kation knapper Ressourcen durch den Unternehmer, wobei dessen Koordinationsfunktion im Wesentlichen drei Schritte umfasst: 204
198
Vgl. Knight (1965), S. 268 ff. Vgl. Blessin (2000), S. 10; Kirzner (1978), S. 65 ff. 200 Vgl. Schaller (2001), S. 12. 201 Unter Koordination wird im Allgemeinen die wechselseitige Abstimmung von Elementen eines Systems zum Zwecke der Optimierung von Aufgaben desselben verstanden. Vgl. Rühli (1992), Sp. 1165. 202 Vgl. Casson (1982), S. 22 ff.; Schaller (2001), S. 13; Wieandt (1994 a), S 22 f.; Wieandt (1994 b), S. 51. 203 Casson (1982), S. 23. 204 Vgl. Casson (1982), S. 25 ff. und S. 164 f.; Haid (2004), S. 68 f.; Wieandt (1994 a), S. 22 f.; Wieandt (1994 b), S. 51 f. 199
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1) Das Aufspüren von Koordinationsgelegenheiten („opportunities of coordination“), was immer dann der Fall ist, wenn „neue“ Informationen205 verfügbar werden, wel‐ che die auf den Markt gegenwertig vorherrschenden Ressourcenallokationen ineffi‐ zient erscheinen lassen. 2) Auf der Basis der Informationen über eine bestehende Koordinationsgelegenheit trifft der Unternehmer seine Koordinationsentscheidung (judgemental decisions“). Selbst dann, wenn der Unternehmer keinen Informationsvorsprung besitzt, zeichnet er sich bei Casson durch eine überlegene Urteilskraft aus, die es ihm erlaubt, voraus‐ schauend die richtige Koordinationsentscheidung zu treffen. 3) Bei der Verwirklichung seiner Koordinationsentscheidung („market‐making“) sieht sich der Unternehmer mit einer Reihe von Hindernissen206 konfrontiert, die vornehm‐ lich aus Informationsasymmetrien zwischen den Transaktionspartnern resultieren und sich wie folgt gestalten können: Es existiert kein Vertrag zwischen den Handelspartnern bzw. diese kennen ihre gegenseitigen Wünsche nicht und haben folglich auch noch keine Übereinstim‐ mung hinsichtlich des Preises erzielt. Bei der Transaktion der Ware zwischen Käufer und Verkäufer fallen Steuern und Zölle an. Auf Seiten des Käufers können Zweifel auftreten, ob die Waren seinen Anforde‐ rungen entsprechen. Beide Vertragsparteien sehen sich der Ungewissheit ausgesetzt, ob sie im Fall der Nichterfüllung der vertraglich festgelegten Pflichten entschädigt werden. Um die zuvor skizzierten Hindernisse zu überwinden, bedient sich der Unternehmer so ge‐ nannter „market‐making‐Aktivitäten, die im Einzelnen die Herstellung des Kontakts zwischen Käufer und Verkäufer, das Führen von Preisverhandlungen, die Ausformulierung von Verträ‐ gen, die Regelung des Transports, die Überwachung der Vertragsabwicklung sowie Verwal‐ tungstätigkeiten und gegebenenfalls die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen um‐ fassen können.207 Bei der Ausübung der zuvor dreiteilig dargestellten Koordinationsfunktion, insbesondere beim Ausschöpfen von Koordinationsgelegenheiten, fallen Informations‐ und Transaktionskosten an, die der Unternehmer mit dem Ziel der Gewinnmaximierung208 durch Schaffung einer Institution209, die Casson als „market‐making‐firm“ bezeichnet, zu minimie‐ 205
Unter „neuen“ Informationen werden hier sowohl neue Entdeckungen als auch die Aktualisierung von be‐ reits vorhandenem Wissen verstanden. Vgl. Casson (1982), S. 25. Zu diesen Hindernissen zählen auch Entscheidungsprobleme hinsichtlich der Ressourcenauswahl und ‐ kombination, des Einsatzes an Produktionstechnologie und der Realallokation des Güterverbrauchs. Vgl. Casson (1982), S. 41 ff. 207 Vgl. Casson (1982), S. 164; Wieandt (1994 a), S. 22 f.; Wieandt (1994 b), S. 52. 208 Nach Casson beruht die Motivation des Unternehmers auf seinem Eigeninteresse, welches sich als Ausdruck der Gewinnmaximierung niederschlägt. Die Annahme der Gewinnmaximierung als Grundlage der Unter‐ nehmermotivation stellt zugleich auch eine Vereinfachung seiner Theorie dar. Vgl. Casson (1982), S. 25.; Welzel (1995), S. 153. 209 Unter einer Institution wird „ein auf ein bestimmtes Zielbündel abgestelltes System von Normen einschließ‐ lich deren Garantieinstrumente (die „Spielregeln“) mit dem Zweck, das individuelle Verhalten in eine be‐ stimmte Richtung zu steuern“, verstanden. Vgl. Richter/Furubotn (1999), S. 513. 206
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ren versucht.210 „A firm may be defined as a specialised decision‐making unit, whose function is to improve coordination by structuring information flow, and which is normally endowed with legal privileges, including indefinite life.“211 Somit werden bestehende Marktunvoll‐ kommenheiten von Seiten des Unternehmers dergestalt ausgenutzt, dass der Koordinati‐ onsaufwand in Form von Informations‐ und Transaktionskosten im Vergleich zu einer Koor‐ dination über den Markt reduziert wird. Der Unternehmer führt auf diese Weise Gleichge‐ wichte herbei und wird dadurch zum Pendant des Marktpreissystems.212 Neben der Koordi‐ nationsleistung, die theoretisch auch eine Institution übernehmen könnte, stellt Casson in seinem Unternehmerkonzept die Individualität des Unternehmers heraus,213 der als Planer und Entscheider214 die Koordinationsfunktion durch rationales Beschaffen und Auswerten derselben mit einem überdurchschnittlichen Urteilsvermögen wahrnimmt.215 Zugleich hebt er durch die Koordination knapper Ressourcen den Aspekt des dynamischen Unternehmer‐ tums hervor, da jede Koordination die auf dem Markt existierende Allokation verändert und damit einhergehend zu einer Situationsverbesserung führt.216 Um das Ziel der nutzenbringenden Realkoordination bzw. Organisation knapper Ressourcen zu erreichen, bedarf es nach Casson auch der Verfügungsgewalt über sie. Folglich werden seiner Auffassung zufolge für ein erfolgreiches Unternehmertum neben Personalführungs‐ qualitäten, Teamfähigkeit in Verbindung mit einem gut ausgebauten Netzwerk unterschied‐ lichster Informationsquellen und Ratgeber, vor allem eine ausreichende Ausstattung an fi‐ nanziellen Mitteln benötigt.217 Unternehmer treffen daher Koordinationsentscheidungen innerhalb ihres Wirkungskreises, d.h. sie beziehen sich auf ihre Unternehmungen, eine Bran‐ che, ein Produkt oder einen Markt. Die Beschränkung auf einen kleinen Sektor führt dazu, dass die Beschaffungskosten gering bleiben, wodurch die potentiell eher konservativ einge‐ stellten Geldgeber eher geneigt sind, finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen, als dies bei weitreichenden unternehmerischen Vorschlägen der Fall wäre.218 210
Vgl. Schaller (2001), S. 13; Wieandt (1994 a), S. 22 f.; Wieandt (1994 b), S. 52 f. Casson (1995 b), S. 6. 212 Die Koordinationsaktivitäten des Unternehmers lassen sich inhaltlich nach innovativer und arbitragierender Koordination unterscheiden. Während die innovative Koordination durch eine Unternehmerentscheidung über eine Allokation knapper Güter zum Zwecke der marktbezogenen Durchsetzung einer technischen Neu‐ erung gekennzeichnet ist, stellt die arbitragierende Koordination eine Unternehmerentscheidung dar, die den Interessen der Marktgegenseite auf räumlich oder zeitlich verteilten Märkten zum Ausgleich verhilft. Beide Formen der Koordination stehen in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander. Aus innovativen Koordinationen können sich Spill‐over‐Effekte ergeben, die die Umwelt anderer Marktteilnehmer verän‐ dern. In der Folge können sich jedoch auch für andere Wettbewerber wiederum Möglichkeiten zur arbitragierender Koordination bieten. Somit führt innovative Koordination zwar zur Zerstörung des Markt‐ gleichgewichts, wird jedoch prinzipiell durch die arbitragierende Koordination kompensiert. Vgl. Schaller (2001), S. 13; Welzel (1995), S. 151. 213 Der Unternehmer kann daher nicht wie in der Neoklassik mit einer Institution zusammenfallen. Vgl. Schal‐ ler (2001), S. 13. 214 Casson betont: “The entrepreneur believes that he is right, while everyone else is wrong. Thus the essence of entrepreneurship is being different – being different because one has a different perception of the situation.” Casson (1982), S. 14 und 328. 215 Vgl. Casson (1995 b), S. 6 ff.; Casson (1996), S. 249 f.; Casson (1982), S. 23 ff.; Haid (2004), S. 69; Schal‐ ler (2001), S. 14. 216 Vgl. Blessin (2000), S. 9. 217 Vgl. Blessin (2000), S. 9; Casson (1982), S. 22 ff. 218 Vgl. Casson (1982), S. 152; Welzel (1995), S. 151. 211
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Casson selbst kommt zu dem Schluss, dass seine Konzeption vom Unternehmertum (Entrepreneurship) so umfassend ist, dass er die zuvor dargestellten Unternehmeransätze von Schumpeter, Kirzner und Knight als Spezialfall seiner Theorie ansieht.219 Ohne dies einer näheren Kritik zu unterziehen, ist zu konstatieren, dass sein Ansatz die Verbindung zur Transaktionskostentheorie herstellt, indem er ausdrücklich die Kosten der unternehmeri‐ schen Funktionsausübung berücksichtigt.220 Hierzu löst er die neoklassische Annahme der Nichtexistenz von Transaktionskosten auf, so dass sich infolgedessen “market‐making‐costs“ und als Folge dieser Kosten die „market‐making‐firm“ ergibt.221 Frühere Ansätze von Schum‐ peter und Kirzner vernachlässigen hingegen diesen Aspekt.222 Ferner ist es Cassons Ver‐ dienst, durch die Annahme der Gewinnmaximierung als Berücksichtigung der Eigeninteres‐ sen des Unternehmers sowie durch die Verbindung von Entrepreneurship mit der Annahme rational‐sozialen Verhaltens eine vereinfachte Theorie darzustellen, die eine Integration in die bestehende ökonomische Theorie ermöglicht und zugleich die Ausschaltung des Unter‐ nehmers aus der Theorie der Neoklassik beseitigt.223
B 3.5 Vergleich und Zusammenfassung Die eingangs des Kapitels dargestellte Vielfalt der Begriffs‐ und Forschungsansätze offenbart, wie unterschiedlich die wahrzunehmenden Funktionen des Unternehmers innerhalb des Wirtschaftslebens interpretiert werden. Dabei hat sich gezeigt, dass die Durchsetzung neuer Ressourcenkombinationen am Markt (Innovationsfunktion), das Aufdecken und Nutzen von Arbitragemöglichkeiten (Arbitragefunktion), das Treffen von Entscheidungen unter Unsi‐ cherheit (Unsicherheitsfunktion) und die effiziente Koordination von Ressourcen (Koordina‐ tionsfunktion) zu den thematischen Schwerpunkten in der Diskussion um Unternehmerfunk‐ tionen gehören. Ferner konnte herausgestellt werden, dass jede funktionale Abgrenzung für eine ökonomische Forschungstradition steht, die als komplementär und nicht als gegenseitig ausschließend zu betrachten sind.224 Festzuhalten bleibt auch, dass gegen alle hier vorge‐ stellten Ansätze Einwände erhoben werden können und dass es der Wirtschaftsforschung bislang nicht gelungen ist, eine allgemein anerkannte ökonomische Theorie unter Berück‐ sichtigung der Funktion des Unternehmers zu entwickeln.225 Ein Hauptproblem dafür mag in der Berücksichtigung menschlichen Verhaltens und damit der Trennung von Ökonomie und Verhaltenswissenschaft liegen. Welzel bemerkt dazu, dass eine universale Theorie – sofern möglich – multiperspektivisch konzipiert sein muss, d.h. neben funktionalen Aspekten soll‐ ten auch personal‐verhaltensorientierte Facetten des Unternehmers sowie umweltliche und organisatorische Sichtweisen Eingang finden. Die Herausforderung für künftige wissenschaft‐
219
Vgl. Schaller (2001), S. 14. Vgl. Blessin (2000), S. 9; Wiandt (1994 a), S. 24; Wieandt (1994 b), S. 53 f. 221 Vgl. Casson (1982), S. 15 ff. 222 Vgl. Blessin (2000), S. 9. 223 Vgl. Schaller (2001), S. 13 f. 224 Vgl. Haid (2004), S. 59 f. 225 Casson führt bspw. dazu aus: „It may be said quite categorically that at the present there is no established economic theory of the entrepreneur. The subject area has been surrendered by economists to sociologists, psychologists and political scientists. Indeed, almost all the social sciences have a theory of the entrepreneur, except economics.” Casson (1982), S. 9. 220
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liche Forschungen wird es sein, gerade an dieser Stelle ein überzeugendes Theoriegebäude zu entwickeln, in dem der Unternehmer Berücksichtigung findet.226 Um den Vergleich zu erleichtern, werden die zuvor dargestellten Unternehmertheorien in Abbildung 8 noch einmal gegenübergestellt. Ohne auf jedes Detail noch einmal näher einge‐ hen zu wollen, sollen im Folgenden die wesentlichen Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den einzelnen Ansätzen herausgestellt werden. Abbildung 8: Unternehmertheorien im Überblick Kriterium
Schumpeter
Kirzner
Knight
Casson
Ausgangspunkt
Kritik am vollkommenen Wettbewerb
Kritik am vollkommenen Wettbewerb
Kritik am vollkommenen Wettbewerb
Kritik am vollkommenen Wettbewerb
Unternehmerische Hauptfunktion
Innovation durch schöpferische Zerstörung (1911)
Arbitrage
Tragen von Unsicherheit
Koordination
Unternehmerische Teilfunktionen
1. Invention und Ideenfindung
1. Informations‐ beschaffung
2. Innovation
2. Arbitrage
1. Selektion von Gewinnmöglich‐ keiten
1. Koordinations‐ gelegenheiten finden
3. Durchsetzung a) Produkte b) Prozesse c) Organisationen d) Absatzmärkte e) Bezugsmärkte
3. Spekulation
2. Treffen von Führungsentschei‐ dungen
2. Koordinations‐ entscheidungen treffen
3. Tragen von Unsicherheit
3. Koordinations‐ potentiale aus‐ schöpfen
4. Realisierung von Gewinnpotentialen
4. Marktschaffung Gleichgewichts‐ bezug
Störung alter Gleichgewichte und Schaffung neuer Ungleichgewichte
Schaffung von Gleichgewichten durch Nutzung von Ungleichgewichten
Schaffung von Gleichgewichten
Schaffung von Gleichgewichten
Transaktionskosten
Keine Kostenbetrachtung
Keine Kostenbetrachtung
Keine Kostenbetrachtung
Minimierung von Transaktionskosten
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Schoppe u.a. (1995), S. 287; Welzel (1995), S. 157 ff.; Wieandt (1994 b), S. 53.
Der Gang durch die Theorien der dynamischen Unternehmerfunktionen hat deutlich ge‐ macht, dass ihr gemeinsamer Ausgangspunkt in der Kritik an dem neoklassischen Leitbild des vollkommenen Marktes und der vollständigen Konkurrenz zu suchen ist. Da Arbitrage und Innovation Marktungleichgewichte schaffen bzw. deren Existenz voraussetzen, sind voll‐ kommene Märkte nicht mehr vorstellbar.227 Folglich zeigt sich, dass die Unternehmerfunkti‐ onen sowie der Stellenwert des Unternehmers innerhalb der Wirtschaft von den jeweiligen Autoren im Zusammenhang mit ihrer Theorie entwickelt wurden. Bei Schumpeter nimmt der Unternehmer eine zentrale Position ein, um als Innovator die Durchsetzung von neuen Kom‐ binationen in der Wirtschaft voranzutreiben, so dass durch die Prozesse der schöpferischen 226 227
Vgl. Ripsas (1997), S. 46 ff.; Welzel (1995), S. 166 f. Vgl. Schoppe (1995), S. 284 ff.; Wieandt (1994), S. 53 ff.
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Zerstörung die volkswirtschaftliche Entwicklung erreicht wird. Auch in Kirzners Marktpro‐ zesstheorie findet sich der Unternehmer in einer Schlüsselrolle wieder, indem er auf dem Markt sowohl die Funktion der reinen Preisarbitrage als auch der Spekulation und Innovation übernimmt. Der Unternehmer trägt hierbei ein marktinduziertes Entscheidungsrisiko, das ihn aufgrund der durch Unsicherheit gekennzeichneten Marktsituationen in seinen Entschei‐ dungen trifft. Zugleich übernimmt er aber auch die Aufklärung der Marktteilnehmer228 und somit die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung. Bei Knight hingegen ist der Unter‐ nehmer in erster Linie Träger von Unsicherheit und Koordinator von Produktionsmitteln im Wirtschaftsprozess, während Casson dem Unternehmer sowohl auf der Unternehmungs‐ als auch auf der Marktebene eine entscheidungsorientierte Koordinationsfunktion zuweist. Cassons methodischer Ansatz ist dabei so umfassend konzipiert, dass er alle, in den Theorien zuvor beschriebenen, Unternehmerfunktionen integriert, was seinem Unternehmer zum zentralen Ansatzpunkt einer eigenständigen Unternehmertheorie erhebt.229 Im Hinblick auf die Bereitstellung von Kapital lässt sich feststellen, dass dieser Aspekt mehr oder weniger von den jeweiligen Autoren zu den ausgeschlossenen Funktionsmerkmalen gehört. So impliziert die Unternehmerfunktion bei Schumpeter nicht unbedingt die Bereit‐ stellung von Kapital und somit auch nicht das Tragen des Kapitalrisikos seitens des Unter‐ nehmers. Kirzner und Casson schließen dies ebenfalls für die räumliche, nicht jedoch für die zeitliche, Preisarbitrage aus. Dabei betonen sie, dass das marktinduzierte Entscheidungsrisi‐ ko in jedem Fall vom Arbitrageur zu getragen ist.230 Für Knight stellt der Gewinn, den der Unternehmer nach Abzug aller Kosten erhält, die Kompensation für das Treffen von Produk‐ tions‐ und Handelsentscheidungen verbunden mit dem Tragen der daraus entstehenden Unsicherheit dar. Die Bereitstellung finanzieller Ressourcen durch den Unternehmer und damit einhergehend das Tragen des Kapitalrisikos ist dabei für ihn, im Gegensatz zu den vor‐ genannten Autoren, von entscheidender Bedeutung.231 Die von den einzelnen Autoren entwickelten Ansätze zur Erklärung der Funktion des Unter‐ nehmers innerhalb einer Volkswirtschaft entfalten unterschiedliche Auswirkungen auf das Marktgleichgewicht. Bei Schumpeter erfolgt die Zerstörung des Marktgleichgewichts durch den Innovator, der durch das Durchsetzen immer neuer Faktorkombinationen dafür sorgt, dass eine Volkswirtschaft nie zu einem statischen Gleichgewicht findet und sich nur durch die „schöpferische Zerstörung“ der Unternehmer dynamisch weiterentwickelt.232 Bei Kirzner und Knight hingegen ist der Unternehmer konzeptionell für die tendenzielle Herstellung bzw. Widerherstellung des Marktgleichgewichts in partieller und globaler Hinsicht verantwort‐ lich.233 Somit wird deutlich, dass im Gegensatz zum gleichgewichtsorientierten Streben des Arbitrageurs, der auf vorhandene Ungleichgewichte reagiert, der Schumpeter‐Unternehmer selbst ein Ungleichgewicht („creative destruction“) schafft.234 Nur Casson erreicht mit seiner 228
Durch seine Preisarbitrage bringt der Unternehmer Käufer und Verkäufer zusammen, wodurch sich die Transparenz des Marktsystems erhöht und Wissensdefizite der Markteilnehmer abgebaut werden. Vgl. Welzel (1995), S. 141. 229 Vgl. Welzel (1995), S. 157 ff. 230 Vgl. Welzel (1995), S. 157 ff. 231 Vgl. Knight (1965), S. 268 f.; Ripsas (1997), S. 14 f. 232 Vgl. Schaller (2001), S. 10. 233 Vgl. Knight (1965), S. 274; Welzel (1995), S. 157 ff. 234 Vgl. Mugler (1998), S. 15.
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integrativen Koordinationsfunktion sowohl die Zerstörung durch innovatorische Koordinati‐ on als auch zugleich eine tendenzielle Herstellung des volkswirtschaftlichen Gleichgewichts durch imitative, reallokative, X‐Ineffizienzen235 beseitigende oder arbitragierende Koordina‐ tion.236 Im Vergleich zu den früheren Ansätzen von Schumpeter, Kirzner und Knight, die die Kosten der unternehmerischen Funktionsausübung weitgehend unberücksichtigt lassen, gelingt es Casson, die Verbindung zur Transaktionskostentheorie herzustellen, indem er eigens die Kos‐ ten der unternehmerischen Funktionsausübung als Transaktionskosten berücksichtigt. Das Verhalten des Unternehmers ist in seinem Ansatz durch das Bestreben gekennzeichnet, die bei seiner wirtschaftlichen Betätigung entstehenden Transaktionskosten zu minimieren.237 Aus den vorangegangenen Ausführungen wird deutlich, dass die zuvor beschriebenen Ansät‐ ze den Versuch unternehmen, die Eigenschaften des Unternehmers zu erfassen und seine zentrale Stellung als Träger von Funktionen im Unternehmen bzw. im ökonomischen Prozess zu charakterisieren. Im Vergleich zur klassischen Theorie exekutiert der Unternehmer nicht nur eine gegebene Produktionsfunktion, sondern stellt eine lebendige Person dar, die mit unterschiedlichen Ambitionen antritt, vielfältige Entscheidungen trifft und aktiv in das Marktgeschehen eingreift. Die Funktionen unternehmerischen Handelns umfassen dabei die Durchsetzung von Innovationen (Schumpeter), das Erkennen und Nutzen von Arbitragen (Kirzner), das Treffen von Entscheidungen unter Unsicherheit (Knight) sowie die Koordinati‐ on von Ressourcen (Casson).238 Um diese Aufgaben erfolgreich wahrzunehmen, werden vom Unternehmer finanzielle, personale und soziale Ressourcen benötigt. Besonders beim Erst‐ genannten ist der Mittelstand auf Kapitalgeber, und hier vornehmlich auf Banken, angewie‐ sen, so dass die Sicherstellung der Kreditvergabe eine Voraussetzung für die Erfüllung der vier Hauptfunktionen des Unternehmertums und damit einhergehend der Entwicklung der deutschen Volkswirtschaft ist. In den vorangestellten Unternehmeransätzen wird jedoch nicht explizit auf das Thema der Kapitalbeschaffung und der damit in Verbindung stehenden Probleme eingegangen, so dass es Aufgabe des Kapitels E sein wird, die Beziehung von KMU und (Haus‐) Banken näher zu beleuchten. Ob und in welcher Form erfolgversprechende Marktlücken und Gewinnmöglichkeiten wahrgenommen werden, hängt nicht zuletzt auch von der sozialen und beruflichen Einbettung des Unternehmers, von dessen Informationsni‐ veau sowie seiner Humankapitalausstattung ab.239 Somit wird deutlich, dass der Unterneh‐ mer vor allem in Phasen der Unsicherheit bzw. des Wandels eine wichtige Schlüsselrolle im Wirtschaftsprozess einnimmt. Insbesondere vor dem Hintergrund der hohen quantitativen 235
Harvey Leibenstein stellte 1966 erstmals seine X‐Ineffizienzen‐Theorie vor. Unter X‐Ineffizienzen werden im Allgemeinen Wirtschaftlichkeitsdefizite verstanden, die bspw. auf bedingter Rationalität der Entscheidungs‐ träger oder Agency‐Probleme basieren und u.a. dazu führen, dass bei gegebenen Output die tatsächlichen Kosten über den notwendigen bzw. minimalen Kosten liegen. Leibenstein betrachtete daher Unternehmer‐ tum als kreative Antwort auf X‐Ineffizienzen, indem der nach Gewinn strebende Unternehmer nach Mög‐ lichkeiten sucht, diese Wirtschaftlichkeitsdefizite abzubauen. Vgl. Ahnefeld (2007), S. 73 ff.; Leibenstein (1966), S. 392 ff.; Leibenstein (1968), S. 72 ff.; Mugler (1998), S. 16. 236 Vgl. Welzel (1995), S. 157 ff. 237 Vgl. Wiandt (1994 a), S. 22 f.; Wiandt (1994 b), S. 53 f. 238 Vgl. Blessin (2000), S. 10 f.; Haid (2004), S. 69 f.; Schaller (2001), S. 14. 239 Vgl. Brüderl u.a. (2007), S. 26 f.
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Bedeutung240 der Kleinst‐, Klein‐ und Mittelunternehmen, die in der Regel von einer Einzel‐ person geführt werden, bildet die Unternehmerperson das Fundament unternehmerischer Entscheidungen, so dass auch Erfolg und Misserfolg des Unternehmens eng mit der Persön‐ lichkeit des Unternehmers verbunden sind.241
B 4 Die Funktionen von KMU in der deutschen Volkswirtschaft Im vorhergehenden Abschnitt wurden die in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur vor‐ herrschenden Theorien zur Beschreibung von Unternehmerfunktionen dargestellt. Ob diese auch zur Erklärung der Bedeutung von mittelständischen Unternehmen in der deutschen Volkswirtschaft herangezogen werden können, gilt es nachfolgend zu untersuchen. Hierbei wird sich zeigen, dass die von Knight aufgestellten Unternehmerkriterien von der überwie‐ genden Mehrheit der deutschen Unternehmer erfüllt werden. Zudem wird deutlich, welche Rolle kleine und mittlere Unternehmen sowohl bei der Beschäftigung als auch im betriebli‐ chen Ausbildungssystem spielen. Da bereits Schumpeter auf die enorme Bedeutung von In‐ novationen und deren Einfluss auf den wirtschaftlichen Wandel hingewiesen hat, soll folglich auch die Stellung und Funktion der KMU im deutschen Innovationssystem untersucht wer‐ den. Dass mittelständische Unternehmen im deutschen Wirtschaftsgeschehen auch eine Wachstums‐ und Wettbewerbsfunktion wahrnehmen und damit nicht nur am Entstehen neuer Marktsegmente beteiligt sind, sondern auch die von Kirzner und Casson beschriebe‐ nen Arbitrage‐ und Koordinationsprozesse fördern, wird im letzten Teilabschnitt deutlich.
B 4.1 Beschäftigungsfunktion Je mehr Unternehmen in einer Volkswirtschaft vertreten sind, desto mehr Beschäftigungsal‐ ternativen bieten sich auf dem Arbeitsmarkt. Insofern werden kleine und mittlere Unter‐ nehmen oftmals als der Beschäftigungsmotor in Deutschland bezeichnet. Ob jedoch seitens der KMU ein beschäftigungsschaffender Effekt vorliegt, hängt davon ab, wie dauerhaft die neuen Beschäftigungsmöglichkeiten sind. Im Rahmen der sog. Mittelstandshypothese wer‐ den daher beide Aspekte, Beschäftigung zu stabilisieren und Beschäftigung zu schaffen, auf‐ gegriffen. Im Kern wird davon ausgegangen, dass mittelständische Unternehmen eine höhe‐ re Wachstums‐ und Beschäftigungsdynamik bzw. ein größeres Beschäftigungspotential als Großunternehmen aufweisen. Ferner wird angenommen, dass in Großunternehmen langfris‐ tig mehr Arbeitsplätze abgebaut werden, während in KMU immer mehr Arbeitsplätze ent‐ stehen.242 Um die Mittelstandshypothese zu untersuchen, bietet es sich zunächst an, die Beschäfti‐ gungsverhältnisse in den einzelnen Unternehmensgrößenklassen näher zu betrachten (Abbildung 9). Im Jahr 2008 waren z.B. in den mehr als 3,6 Mio. Unternehmen insgesamt rund 25,4 Mio. sv‐pflichtig Beschäftigte tätig. Auffallend dabei ist, dass der Beschäftigungs‐ beitrag von Kleinstunternehmen (bis 1 Mio. € Jahresumsatz) mit 29,8 % annähernd dem von Großunternehmen mit 30,9 % entspricht. Weiterhin ist zu konstatieren, dass mittelständi‐ sche Unternehmen mit einem Jahresumsatz von 2 bis 10 Mio. € das drittgrößte Kontingent 240
Vgl. Kapitel C. Vgl. Blessin (2000), S. 10 f. 242 Vgl. Wegmann (2006), S. 40 f. 241
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(16,7 %) an Arbeitsplätzen stellten. Werden alle sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zusammengefasst, die in KMU tätig waren, wird deutlich, dass kleinere und mittlere Unter‐ nehmen aufgrund ihrer Beschäftigungsquote von 69,1 % eine wichtige beschäftigungsstabili‐ sierende Wirkung für die deutsche Volkswirtschaft haben.243 Abbildung 9: Beschäftigung in Unternehmen 2008 nach Umsatzgrößenklassen in % 7.828.981 30,9
über 50 Mio. über 25 Mio. ‐ 50 Mio.
1.636.458
9,3
2.347.815
über 10 Mio. ‐ 25 Mio.
16,7
4.239.988
über 2 Mio. ‐ 10 Mio. über 1 Mio. ‐ 2 Mio.
6,5
1.730.535
bis 1 Mio.
6,8 7.566.781
29,8
In 3.625.108 Unternehmen1 waren insgesamt 25.350.558 sv‐pflichtig Beschäftgte tätig. 1
Aktive Unternehmen mit steuerbarem Umsatz und/oder mit sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Berichtsjahr 2008 (Auswertungsstichtag: 30.6.2010). Alle Wirtschaftszweige der Wirtschaftszweigsystematik WZ 2008 außer: Land‐ und Forstwirtschaft, Fischerei (WZ A), Öffentliche Verwaltung, Verteidigung, Sozialversicherung (WZ O), Private Haushalte mit Hauspersonal, Herstellung von Waren und Erbrin‐ gung von Dienstleistungen durch Private Haushalte für den Eigenbedarf ohne ausgeprägten Schwerpunkt (WZ T), Exterritoriale Organisationen und Körperschaften (WZ U).
Quelle: Statistisches Bundesamt (2011).
Mit der nachhaltigen Beschäftigungswirkung und Arbeitsplatzdynamik in kleinen und mittle‐ ren Unternehmen beschäftigte sich auch das IfM Bonn in seiner empirischen Untersuchung auf Basis des Umsatzsteuerpanels für die Jahre 2001 bis 2005. Im betrachteten Untersu‐ chungszeitraum zeigte sich auch hier, dass der relative Beschäftigungsbeitrag von mittel‐ ständischen Unternehmen deutlich höher als der von Großunternehmen ist. Ursächlich für die höheren Beschäftigungsbeiträge von KMU war zum einen, dass im angegebenen Zeit‐ raum die Neuschaffung von Arbeitsplätzen durch Zugänge von Unternehmen stets den Weg‐ fall von Arbeitsplätzen durch Abgänge von Unternehmen überwog. Zum anderen sorgten vor allem die bestehenden Kleinstunternehmen für einen stets positiven Beschäftigungsbeitrag. Die Befunde bestätigen damit noch einmal die Gültigkeit der Mittelstandshypothese, wo‐ nach KMU langfristig betrachtet einen größeren Beitrag zur Beschäftigung und Reallokation von Arbeitsplätzen leisten als Großunternehmen.244 Der von mittelständischen Unternehmen geleistete Beschäftigungsbeitrag unterscheidet sich jedoch nicht nur in der Höhe, sondern auch im Hinblick auf die Arbeitsplatzdauer und ‐ sicherheit. Zahlreiche Studien belegen, dass vornehmlich kleine und mittlere Unternehmen 243 244
Vgl. Statistisches Bundesamt (2011). Vgl. Haunschild u.a. (2009), S. 1 ff.
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auch während der Krise dazu neigen, an ihren Mitarbeitern festzuhalten.245 So konnten bspw. die Ökonomen Moscarini und Postel‐Vinay in ihrer Langzeitstudie nachweisen,246 dass große Unternehmen sensibler auf Konjunkturveränderungen reagieren. Sie entlassen wäh‐ rend der Rezession mehr Mitarbeiter als mittelständische Unternehmen und stellen erst am Ende des Konjunkturaufschwungs überproportional neue Mitarbeiter ein. Dies führt dazu, dass kleine und mittlere Unternehmen im Aufschwung anfänglich schneller wachsen und so früher ihre Maximalgröße erreichen. Großunternehmen hingegen benötigen aufgrund ihrer Größe mehr Zeit, um geeignetes Fachpersonal in ausreichender Anzahl einzustellen, so dass ihr Wachstum erst am Ende des Konjunkturaufschwungs schneller zunimmt als das von KMU.247 Die Argumente, die für das Festhalten von Mitarbeitern in der Rezession sprechen, dürften vor allem in der Produktionsstruktur von KMU zu finden sein. Während Großunter‐ nehmen zumeist auf Standard‐ und Massenproduktionen bzw. ‐dienstleistungen spezialisiert sind und diese besser und billiger mit Maschinen als mit Menschen durchführen können, erbringen kleine und mittlere Unternehmen vorwiegend individuelle Güter und Dienstleis‐ tungen. Die für die Erstellung solcher Auftragsproduktionen oder ‐dienstleistungen nötige Flexibilität ist jedoch ohne Menschen nicht vorstellbar, so dass nicht das Anlagekapital, son‐ dern die Mitarbeiter den dominierenden Produktionsfaktor für mittelständische Unterneh‐ men bilden.248 Das Handeln von KMU ist somit von dem Motiv getrieben, Mitarbeiter auch in Krisenzeiten zu halten, da im Fall von Entlassungen und anschließender Neueinstellung im Konjunkturaufschwung die Suche nach „passendem“ Personal mit Aufwand, Zeit und erneu‐ ten Einarbeitungskosten verbunden ist. Managementgeführte Großunternehmen – und hier insbesondere börsennotierte – unterliegen dagegen anderen Rahmenbedingungen, da bei ihnen häufig die Ertragskraft im Mittelpunkt steht. Dies führt dazu, dass das Management gezwungen ist, die Produktivität der Mitarbeiter zu erhöhen, wodurch in Großunternehmen nur ein Teil der einmal abgebauten Arbeitsplätze in konjunkturellen Aufschwungphasen wieder aufgebaut wird. Im Ergebnis bedeutet dies, dass Großunternehmen einen längeren Zeitraum benötigen, um einen einmal erreichten Beschäftigungsstand nach einer Krise wie‐ der aufzubauen.249 Neben der hohen Bedeutung für den Arbeitsmarkt kommt mittelständischen Unternehmen auch eine wichtige Rolle im betrieblichen Ausbildungssystem zu.250 So zeigt bspw. die Be‐ schäftigtenstatistik der Bundesagentur für Arbeit, dass von den insgesamt rund 1,7 Mio. Auszubildenden im Jahr 2009 ca. 83,1 %, das sind 1,41 Mio., in Unternehmen mit weniger als 500 Beschäftigten ausgebildet wurden. Damit wird deutlich, dass der Anteil an Auszubilden‐ den in KMU tendenziell höher ist als in Großunternehmen.251 Speziell im Handel aber auch im Gast‐ und Baugewerbe sind fast ausschließlich kleine und mittlere Unternehmen für die 245
Vgl. De (2005), S. 182 f. Die Ergebnisse der Studie basieren auf der Auswertung umfangreicher Statistiken aus vier Konjunkturzyklen (Zeitraum von 1975 bis 2005) mehrerer Länder. Das Phänomen, dass Großunternehmen sensibler auf Kon‐ junkturveränderungen reagieren, konnten die Autoren in einer Vielzahl von Ländern mit unterschiedlicher Größe und Entwicklungsstand nachweisen. Vgl. Moscarini/Postel‐Vinay (2009), S. 1 ff. 247 Vgl. Moscarini/Postel‐Vinay (2009), S. 1 ff. 248 Vgl. Hamer (2006), S. 35. 249 Vgl. De (2006), S. 182 f. 250 Vgl. Hamer (2006), S. 35. 251 Eine Ausnahme bilden naturgemäß die Kleinstbetriebe mit nur einem sozialversicherungspflichtig Beschäf‐ tigten. 246
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Durchführung der betrieblichen Berufsausbildung verantwortlich bzw. anders ausgedrückt, in all diesen Wirtschaftsbereichen ist nicht einmal jeder zwanzigste Auszubildende in einem Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten tätig.252 Die Zahlen belegen somit recht ein‐ drucksvoll die zentrale Bedeutung von KMU für die Schaffung und Erhaltung eines hohen Qualitätsstandards im betrieblichen Ausbildungssystem. Wie die vorangegangen Ausführungen gezeigt haben, resultieren die beschäftigungsstabili‐ sierenden Effekte kleiner und mittlerer Unternehmen vor allem aus ihrer Flexibilität, d.h. in ihrer schnellen Möglichkeit zur Anpassung an sich verändernde Wirtschaftsbedingungen. Die hohe Ausbildungsquote ist darüber hinaus ein weiterer Beleg für die Bestrebungen mittel‐ ständischer Unternehmen, ihre Flexibilität durch gut ausgebildetes und qualifiziertes Perso‐ nal zu erhalten.253
B 4.2 Innovationsfunktion Schon der bedeutende Ökonom Joseph Alois Schumpeter wies darauf hin, dass Innovationen sowohl für die wirtschaftliche als auch für die gesellschaftliche Entwicklung von herausra‐ gender Bedeutung sind.254 Insbesondere in einem Land wie Deutschland, das über wenige Rohstoffe verfügt und durch hohe Arbeitskosten gekennzeichnet ist,255 spielen Innovationen eine zentrale Rolle bei der Sicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Sie leisten nicht nur einen wichtigen Beitrag zum Wohlstand und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, sondern tragen ebenfalls zur Lösung der neuen Herausforderungen, wie z.B. der Verknap‐ pung von Rohstoffen, der beschleunigten Globalisierung oder dem demografischen Wandel, bei.256 Als entscheidende treibende Kraft im Innovationsprozess erhebt Schumpeter den Unter‐ nehmer und schließt daraus, dass das Hervorbringen von Innovationen zum Wesen der Un‐ ternehmerfunktion gehört.257 Vor dem Hintergrund, dass ca. 94,8 % der deutschen Unter‐ nehmen inhabergeführt sind258 und somit die Unternehmerperson das Fundament aller un‐ ternehmerischen Entscheidungen bildet,259 beschränkt sich die Entwicklung von Innovatio‐ nen nicht nur auf Großunternehmen. Speziell im deutschen Innovationssystem spielen kleine und mittlere Unternehmen daher eine wichtige Rolle. Vorteile im Innovationsprozess erge‐ ben sich für sie insbesondere aufgrund ihrer schlanken Organisationsstruktur und ihrer grö‐ ßeren Flexibilität, die es ihnen erlaubt, schneller als Großunternehmen auf neue technologi‐ sche Entwicklungen zu reagieren.260 Als Nachteil kann dagegen angesehen werden, dass es bei ihnen besonderer Innovationsanstrengungen bedarf, um trotz der größenbedingten Res‐ sourceneinschränkungen Innovationen hervorzubringen. So verfügen KMU im Vergleich zu Großunternehmen naturgemäß über eine geringere Ausstattung an Ressourcen unterschied‐ 252
Vgl. IfM Bonn (2011). Vgl. Wegmann (2006), S. 40 f. 254 Vgl. Schumpeter (1993), S. 134. 255 Vgl. Wegmann (2006), S. 42. 256 Vgl. KfW (2009 a), S. 31. 257 Vgl. Schumpeter (1997), S. 110 f. 258 Vgl. Wolter/Hauser (2001), S. 25 ff. 259 Vgl. Blessin (2000), S. 10 f. 260 Vgl. KfW (2009 a), S. 31. 253
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lichster Art. Dies gilt bspw. für ihre Kapitalausstattung, für die Bandbreite an Qualifikationen und Kompetenzen, die innerhalb des Unternehmens zur Verfügung stehen, oder auch für die Vernetzung mit anderen Unternehmen nach außen.261 Im Hinblick auf ihre Bedeutung für den technischen Fortschritt stellt sich die Frage, welchen Platz mittelständische Unternehmen im Rahmen des deutschen Innovationssystems ein‐ nehmen? Zur Beantwortung dieser Frage hat sich in der wirtschaftswissenschaftlichen Lite‐ ratur eine differenzierte Sichtweise etabliert, wonach hauptsächlich zwei Perioden unter‐ schieden werden. Zu Beginn der 50er‐ bis zum Anfang der 80er‐Jahre prägten maßgeblich Großunternehmen die Innovationsprozesse in Deutschland. Aufgrund der hohen Kosten, die mit Innovationen verbunden waren sowie der Möglichkeit, durch Streuung von Innovations‐ aktivitäten das Risiko der einzelnen Aktivität zu reduzieren, waren hauptsächlich sie die Initi‐ atoren und Antreiber im Bereich der Grundlagen‐ und der großtechnischen Forschung. Mit Beginn der 80er Jahre änderte sich dies jedoch. Während bei Großunternehmen der Innova‐ tionsprozess noch in einem linearen Entwicklungsprozess, bestehend aus Forschungs‐, Ent‐ wicklungs‐ und Umsetzungsphase, eingebettet war, herrschte in mittelständischen Unter‐ nehmen bereits eine andere Begriffsauffassung vor. Als Innovation wurden jetzt nicht mehr nur neue Produkte oder Prozesse verstanden, sondern auch Verbesserungen und Adaptio‐ nen bereits existierender Produkte oder Prozesse. Einhergehend mit diesem neuen Ver‐ ständnis zeichneten sich die Innovationsaktivitäten kleiner und mittlerer Unternehmen fort‐ an durch eine Konzentration auf Produktinnovationen, die in einem größeren Umfang markt‐ und kundenorientiert sind, durch Adaption bzw. Änderung bereits existierender Produkte, die einen schnellen Marktzugang ermöglichen sowie durch den Druck, Produkte sehr schnell zur Marktreife entwickeln zu müssen, aus.262 Die Beteiligung von KMU am Innovationsgeschehen wird auch durch zahlreiche Studien do‐ kumentiert. Sie zeigen, dass der Anteil innovierender Unternehmen sukzessive mit der Un‐ ternehmensgröße steigt. So belegen Untersuchungen für den Zeitraum 2003 ‐ 2005, dass kleine Unternehmen mit weniger als 5 Beschäftigten eine Innovatorenquote von lediglich 39 % ausweisen, während sie bei großen Mittelständlern (50 und mehr Beschäftigte) nahezu 71 % beträgt.263 KfW‐Analysen für das Jahr 2008 bestätigten diesen Trend. Auch hier wiesen größere Unternehmen (mehr als 50 Beschäftigte) mit 67 % eine höhere Innovatorenquote auf als kleine Unternehmen (weniger als fünf Beschäftigte), die lediglich einen Anteil von 34 % verzeichnen konnten.264 Im Ergebnis zeigen beide Studien, dass größere Mittelständler häufiger Innovationen hervorbringen als kleinere Unternehmen. Die Ursache hierfür dürfte neben der eingeschränkten Möglichkeit, von Synergieeffekten und Risikostreuung profitie‐ ren zu können, auch dem Umstand geschuldet sein, dass das Innovationsverhalten kleinerer Unternehmen eine stärkere Konjunkturabhängigkeit aufweist. Größere Unternehmen sind dagegen eher in der Lage, die Ressourcen für Innovationen auch in einem wirtschaftlich schlechteren Umfeld aufzubringen.265 261
Vgl. Kirzner (2006), S. 1. Vgl. Mugler (1998), S. 46 f.; Wegmann (2006), S. 42 f. Vgl. Reize (2006), S. 17 ff. 264 Vgl. KfW (2009 a), S. 40. 265 Vgl. KfW (2009 a), S. 39 ff.; Mugler (1998), S. 47. 262 263
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Hinsichtlich der Frage, welchen Beschäftigungsbeitrag Innovationen in kleinen und mittleren Unternehmen leisten, zeigen Zahlen aus dem Jahr 2004, dass das Beschäftigungswachstum in innovierenden Unternehmen rund 1,8 %, in nicht innovierenden Unternehmen dagegen nur rund 0,5 % betrug. Damit lag der Beschäftigtenzuwachs in innovierenden Unternehmen um das rund 3,4fache höher als in nicht innovierenden Unternehmen. Interessant erwies sich auch ein Vergleich der Stärke des Einflusses von Innovationen auf die Beschäftigtenent‐ wicklung mit anderen Bestimmungsfaktoren. So wurde deutlich, dass von Innovationen be‐ sonders starke Effekte auf die Beschäftigtenentwicklung in einem Unternehmen ausge‐ hen.266 Eine aktuellere Untersuchung des ZEW untermauert die Ergebnisse. Sie kommt zu dem Schluss, dass von Innovationen sowohl in schrumpfenden als auch in wachsenden KMU positive Beschäftigungseffekte ausgehen, wobei temporär betrachtet hauptsächlich von neuen bzw. verbesserten Prozessen eine höhere Beschäftigungswirkung als von Neuerungen in der Produktpalette zu erwarten ist.267 Insgesamt betrachtet, leistet die überwiegende Mehrheit der mittelständischen Unterneh‐ men durch ihre F&E‐Anstrengungen auf den verschiedensten Gebieten allein schon durch ihre Anzahl an der Unternehmenspopulation einen entscheidenden Beitrag zum Innovati‐ onsgeschehen in Deutschland.268 Aufgrund ihrer Größe sind sie weniger diversifiziert als grö‐ ßere Unternehmen, wodurch sie gezwungen sind, ihre Innovationsaktivitäten besonders effizient zu bündeln und auf ein strategisches Ziel ausrichten.269 Ein langes Verweilen der Produkte in der Forschung können sich mittelständische Unternehmen daher nicht erlau‐ ben.270 Fehlversuche oder negative Wechselwirkungen von Innovationsaktivitäten zwischen verschiedenen Unternehmensbereichen können für KMU schnell mit existenziellen Folgen verbunden sein. Da sie in der Regel nicht über eine breite Ressourcenbasis verfügen, sind für sie Rückschläge bei Innovationen nur schwer zu verkraften.271 Folglich steht bei mittelständi‐ schen Unternehmen die erfolgreiche Umsetzung von Innovationen unter Einbeziehung von Kunden, Lieferanten und dem Markt im Vordergrund.272
B 4.3 Wachstums‐ und Wettbewerbsfunktion Da das Hervorbringen von Innovationen als langfristige Strategie zur Existenzsicherung von Unternehmen interpretiert werden kann, stehen Wachstums‐ und Innovationsfunktion in enger Beziehung zueinander. So führt die auf erfolgreichen Innovationsprozessen basierende Einführung neuer Produkte sowie die damit einhergehende Erschließung bestehender und neuer Märkte zur zusätzlichen Wertschöpfung und damit zum Wachstum einer Volkswirt‐ schaft. Allein für das Jahr 2007 betrugen die Bruttoanlageinvestitionen in Sachanlagen273 266
Vgl. Zimmermann (2006), S. 54 ff. Vgl. Zimmermann (2009), S. 313 ff. Vgl. De (2005), S. 243. 269 Vgl. Kirzner u.a. (2006), S. 13 ff. 270 Vgl. Wegmann (2006), S. 43. 271 Vgl. Kirzner u.a. (2006), S. 30 ff. 272 Vgl. Wegmann (2006), S. 43. 273 Zu den Bruttoinvestitionen in Sachanlagen zählen Bruttozugänge an Sachanlagen, „bewertet zu Anschaf‐ fungs‐ bzw. Herstellungskosten, soweit aktiviert bzw. in das Verzeichnis der Anlagegüter aufgenommen, oh‐ ne Abzug von Abschreibungen oder sonstigen Wertberichtigungen, Umbuchungen und ohne abzugsfähige Vorsteuern (»brutto«). Typischerweise zählen hierzu Ausrüstungen (z.B. Maschinen, Einrichtungen und Fahr‐ 267 268
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kleiner und mittlerer Unternehmen ca. 42,3 %, während sich ihr Anteil an der Bruttowert‐ schöpfung zu Faktorkosten274 auf 45,1 % belief.275 Schätzungen des IfM Bonn zufolge ver‐ zeichneten KMU bei der Nettowertschöpfung276 für das Jahr 2008 sogar einen Anteil von 48,6 %.277 Darüber hinaus unterstützen kleine und mittlere Unternehmen auch das Wachs‐ tum von Großunternehmen, indem sie als Produzent oder Dienstleister Tätigkeiten im Zulie‐ ferer‐, Weiterverarbeitungs‐ und Servicebereich übernehmen. Zur Bedeutung mittelständi‐ scher Unternehmen im Marktgeschehen sei auch angemerkt, dass eine hohe mittelständi‐ sche Produktion immer auch ein Wohlstandindiz ist. Je höher der Lebensstandard einer Ge‐ sellschaft, desto individueller werden die Wünsche der Konsumenten und umso mehr müs‐ sen die Anbieter diese individuelle Nachfrage mit individuellen Güter‐ und Dienstleistungs‐ produkten befriedigen. Oft geht dies auch mit der Schaffung neuer Marktsegmente einher, so dass insbesondere mittelständische Unternehmen den Markt für individuelle Produkte dominieren. Begünstigt wird diese Entwicklung auch durch den Trend zur Dezentralisierung der Produktion in kleinen oder mittleren Betrieben sowie der rasanten Entwicklung in der Daten‐ und Kommunikationstechnik.278 Die schon bei Kirzner beschriebene, gewinnbringen‐ de Ausnutzung von Gelegenheiten, wie sie von mittelständischen Unternehmern gerade im Bereich neuer Marktsegmente betrieben wird, ist ein Beleg dafür, wie KMU den Marktpro‐ zess fördern.279 Volkswirtschaftliche Bedeutung kommt mittelständischen Unternehmen auch bei der Siche‐ rung und Funktionsfähigkeit des marktwirtschaftlichen Systems zu. Die Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen gewährleistet nicht nur einen intensiven Wettbewerb, sondern ermöglicht auch durch die große Zahl der Anbieter ein vielfältiges Angebot für Konsumen‐ ten.280 Besonders der Deckung von räumlichen Versorgungslücken in strukturarmen Gebie‐ ten kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu. Sie liegt fast ausschließlich in den Händen von kleinen und mittleren Unternehmen.281 Hinzu kommt, dass KMU dem Risiko von Mono‐ strukturen282 durch ihre sektorale Vielfalt und geringe Größe entgegenwirken. Krisen inner‐ halb einer Branche wirken sich dadurch oft nur auf einige wenige Unternehmen, selten auf eine ganze Region aus. Daneben besteht die Möglichkeit, dass die Krise einer Branche gele‐ gentlich durch ein Hoch der anderen Branche begleitet wird. In diesem Fall wäre es denkbar, dass mittelständische Unternehmen, die in anderen Branchen tätig sind, freiwerdende Ar‐ zeuge), Bauten, Grundstücke (Grund und Boden) sowie selbst erstellte Sachanlagen für betriebliche Zwecke.“ Statistisches Bundesamt (2010), S. 491. 274 „Die Bruttowertschöpfung zu Faktorkosten (Herstellungspreisen) beinhaltet die Bruttoerträge durch betrieb‐ liche Aktivitäten nach Anpassung bezüglich der betrieblichen Subventionen und indirekten Steuern.“ Statisti‐ sches Bundesamt (2010), S. 491. 275 Vgl. Statistisches Bundesamt (2010), S. 499. 276 Zur Berechnung der Nettowertschöpfung wird die Bruttowertschöpfung um den durch Fremdbezug von Leistungen bzw. durch Outsourcing erbrachten Teil der Gesamtleistung vermindert. Vgl. Köckritz u.a. (2010), S. 53 f. 277 Vgl. IfM Bonn (2011). 278 Vgl. Hamer (2006), S. 36 f. 279 Vgl. Casson (1995 a), S. 369 f.; Kirzner (1978), S. 54 f.; Schaller (2001), S. 12. 280 Vgl. Bussiek (1996), S. 21 f. 281 Vgl. Hermann (1996), S. 125. 282 Von Monostrukturen wird gesprochen, wenn einige wenige Großunternehmen der gleichen Branche eine Region beherrschen und von anderen Unternehmen umgeben sind, deren Erträge zum Großteil von ihnen abhängen. Vgl. De (2005), S. 245.
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beitskräfte benötigen und gegebenenfalls einstellen.283 KMU wirken damit in konjunkturel‐ len Abschwungphasen nicht nur dem Beschäftigungsabbau von Großunternehmen entge‐ gen, sondern entfalten zugleich auch einen beschäftigungsstabilisierenden Effekt auf den Arbeitsmarkt.284 Mit Blick auf die größere Anpassungsfähigkeit fördern kleine und mittlere Unternehmen auch den Strukturwandel innerhalb einer Volkswirtschaft. Neugründungen, Innovationen und Wachstum führen somit nicht nur zum Aufbrechen bestehender Wirt‐ schaftsstrukturen, sondern auch zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit eines ganzen Wirt‐ schaftssystems.285 Darin eingeschlossen sind auch die von Casson beschriebenen Koordinati‐ onsprozesse knapper Ressourcen, welche die auf dem Markt existierende Allokation verän‐ dern und damit zu einer Wohlstandsverbesserung führen.286 Eine auf Marktwirtschaft basie‐ rende Wirtschaftsordnung ist daher umso stärker, je größer die Anzahl von kleinen und mitt‐ leren Unternehmen in einer Volkswirtschaft ist.287
B 5 Vor‐ und Nachteile mittelständischer Unternehmen Bei der Wahrnehmung der zuvor beschriebenen Unternehmerfunktionen weisen kleine und mittlere Unternehmen eine Reihe von Vorteilen auf, die es ihnen ermöglichen, am Markt erfolgreich mit Großunternehmen zu konkurrieren. So werden ihnen im Allgemeinen eine hohe Flexibilität und bessere Marktanpassungsfähigkeiten bescheinigt. Aufgrund ihrer Größe verfügen sie meist nur über wenige Hierarchieebenen, so dass Entscheidungen mittels kür‐ zerer Informationswege schneller getroffen und rasch umgesetzt werden können. Vielfach verfügt der Eigentümer eines mittelständischen Unternehmens über direkten Kundenkon‐ takt und somit über eine bessere Kundennähe, als dies bei Entscheidungsträgern von Groß‐ unternehmen der Fall ist. Unterstützt durch einen geringen Formalisierungsgrad können so Kundenwünsche und Markttrends schneller erkannt und umgesetzt werden. Kurze Informa‐ tionswege und offene Kommunikationsstrukturen sind auch für den bereichsinternen und ‐ externen Erfahrungs‐ und Meinungsaustausch von Bedeutung. Oft bilden sie sogar erst die Grundlage für erfolgreiche Innovationsaktivitäten. Die ausgeprägte Marktnähe, die Konzent‐ ration auf ein abgegrenztes Marktsegment sowie die teilweise Einbeziehung der Kunden und Lieferanten in den Innovationsprozess machen mittelständische Unternehmen leistungsfähig in der Erarbeitung und Realisierung neuer Konzepte, so dass insbesondere bei ihnen ein bes‐ seres Klima für technische Innovationen vorherrscht.288 In Anbetracht der größtenteils vorherrschenden Marktmacht von Großunternehmen sind KMU gezwungen, sich ständig weiterzuentwickeln. Daher gelingt es ihnen meist besser, Marktnischen zu identifizieren und sich auf diese zu konzentrieren. Flexible Organisations‐ strukturen sowie eine ausgereifte Markt‐ und Kundennähe bieten auch hier gute Vorrauset‐ zungen für eine erfolgversprechende Nischenpolitik. Mit der Konzentration auf eng abgrenz‐ te Marktsegmente geht auch der hohe Spezialisierungsgrad mittelständischer Produkte und 283
Vgl. De (2005), S. 245. Vgl. Bussiek (1996), S. 21 f. Vgl. Mugler (1998), S. 45. 286 Vgl. Blessin (2000), S. 9. 287 Vgl. Bussiek (1996), S. 34; Thomas (1994), S. 118. 288 Vgl. Bergman/Crespo (2009), S. 10 f.; Domsch u.a. (1995), S. 12; Knop (2009), S. 13 ff.; Streithorst (2001), S. 23 f.; Zdrowomyslaw/Dürig (1999), S. 404 ff. 284 285
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Leistungen einher.289 Kleine und mittlere Unternehmen sorgen somit nicht nur für ein reich‐ haltiges und differenziertes Angebot, sondern erschließen durch ihre individualisierte Leis‐ tungserstellung auch differenzierte Märkte und Marktlücken.290 Im Hinblick auf die überschaubare Größe vieler mittelständischer Unternehmen und die in‐ tensive Mitarbeit des Eigentümers besteht vielfach ein durch persönliche Kontakte gepräg‐ tes Verhältnis zwischen Unternehmensleitung und Mitarbeitern.291 Hieraus resultiert oft eine bessere Motivation der Angestellten, welche oft dadurch verstärkt wird, dass Erfolge und Misserfolge unmittelbar für das gesamte Personal sichtbar werden.292 Neben dem direk‐ ten Kontakt der Mitarbeiter zur Unternehmensleitung zählen speziell auch die Übertragung eines selbständigen Aufgaben‐ und Kompetenzbereiches sowie kurze Entscheidungswege zu den bedeutendsten Vorteilen, die ein mittelständisches Unternehmen auszeichnen und es qualitativ von einem Großunternehmen unterscheiden.293 So belegen zahlreiche Studien, dass vor allem die vorstehend genannten Merkmale, und hier insbesondere die Bedeutung der Qualität der sozialen Beziehung am Arbeitsplatz, einen positiven Einfluss auf die Arbeits‐ zufriedenheit von Mitarbeitern in kleinen und mittleren Unternehmen haben.294 Neben den aufgeführten Vorteilen lassen sich jedoch auch Nachteile identifizieren, denen kleine und mittlere Unternehmen direkt oder indirekt ausgesetzt sind. Da der Fokus dieser Arbeit auf der Finanzierung mittelständischer Unternehmen liegt, sollen nachfolgend insbe‐ sondere solche Faktoren Erwähnung finden, die bei KMU hinsichtlich ihrer finanziellen Situa‐ tion entweder zu einer, im Vergleich zu Großunternehmen, höheren Belastung oder zu einer Einschränkung ihrer finanziellen Möglichkeiten führen. Ein bedeutender Nachteil von kleinen und mittleren Unternehmen setzt direkt bei der Be‐ schaffung von nicht selbsterstellten Gütern und Leistungen an. Da Beschaffungs‐ und Perso‐ nalkosten bei einer Vielzahl von Unternehmen einen bedeutenden Faktor darstellen, könn‐ ten Effizienzsteigerungen in der Beschaffung zu einer signifikanten Reduzierung der gesam‐ ten Kosten und damit einhergehend zu einer verbesserten Gewinnsituation führen. Um aber Effizienzpotenziale nutzen zu können, sind bestimmte Vorrausetzungen notwendig. So be‐ darf es bspw. einer großen Anzahl von Lieferanten, die miteinander im Wettbewerb stehen und mittels Preise und Qualitäten um Abnehmer konkurrieren. In der Regel steigt die Anzahl der Lieferanten aber erst mit zunehmender Unternehmensgröße, so dass kleinere Unter‐ nehmen meist auf nur eine beschränkte Anzahl von Lieferanten zurückgreifen können. Die Folge sind tendenziell höhere Beschaffungskosten, die größtenteils auch aus der schwachen Verhandlungsposition gegenüber Lieferanten resultieren. Während Großunternehmen deut‐ lich besser Konditionen erzielen, müssen mittelständische Unternehmen meist höhere Ein‐ kaufspreise und niedrigere Rabatte akzeptieren.295
289
Vgl. Streithorst (2001), S. 24. Vgl. Mugler (1998), S. 45 f. Vgl. Thomas (1994), S. 16. 292 Vgl. Streithorst (2001), S. 23 f. 293 Vgl. Mugler (1998), S. 48 f.; Weston/Brigham (1975), S. 834. 294 Vgl. Behrends (2007), S. 31 ff.; Gude u.a. (2010), S. 116 ff.; Mugler (1998), S. 48 f. 295 Vgl. Wegmann (2006), S. 44 f. 290 291
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Wie bei der Beschaffung, so ergeben sich auch im Produktionsbereich Kostenvorteile für Großunternehmen. So profitieren diese u.a. davon, dass bei einer größeren Produktions‐ menge geringere Kosten pro erzeugter Menge, d.h. Economies of Scale, anfallen. Hinzu kommt, dass Kostensynergieeffekte (Economies of Scope) auftreten können, wenn die gleichzeitige Produktion verschiedener Güter in einem Unternehmen insgesamt kostengüns‐ tiger ausfällt als die arbeitsteilige Erstellung jeweils eines Gutes in einer Unternehmung.296 Geringere Lagerhaltungskosten sowie die Tatsache, dass bestimmte Produktionsfaktoren nur in einer bestimmten Menge und damit erst ab einer bestimmten Unternehmensgröße ein‐ setzbar sind, führen zu weiteren Produktivitätsvorteilen auf Seiten der Großunternehmen.297 Auf der Absatzseite können Großunternehmen vor allem durch ihre Nachfragemacht Kos‐ tenvorteile realisieren. Speziell in Branchen wie dem Handel, in denen sie als Abnehmer ei‐ ner großen Anzahl von kleinen und mittleren Unternehmen gegenüberstehen, gelingt es Großunternehmen häufig, das bestehende Ungleichgewicht zwischen Angebots‐ und Nach‐ fragestruktur zu ihren Gunsten zu nutzen, indem sie niedrigere Einkaufspreise, günstigere Liefer‐ und Zahlungsbedingungen sowie u.U. die Anpassung der Handelspartner an die eige‐ ne Geschäftspolitik durchsetzen. Die Konditionenpolitik kleiner und mittlerer Unternehmen ist daher vom Preisdruck und einer zumeist starken Preisabhängigkeit bestimmt. Auch erlau‐ ben die beschränkten Kapazitäten häufig keinen Aufbau einer eigenen Absatzorganisation, so dass die Distributionspolitik mittelständischer Unternehmen hauptsächlich durch Absatz‐ mittler bestimmt wird. Großunternehmen haben hingegen eher die Möglichkeit, durch den Einsatz von Werbung, einer breiten Öffentlichkeitsarbeit sowie den Aufbau eigener Absatz‐ und Marketingorganisationen den Bekanntheitsgrad ihrer Produkte zu erhöhen und den Ab‐ satz zu steigern. Folglich gelingt es ihnen in der Regel deutlich besser, höhere Absatzerlöse am Markt zu erzielen, während kleine und mittlere Unternehmen aufgrund ihrer Größe so‐ wohl bei Beschaffung als auch bei Produktion und Absatz Kostennachteile erfahren.298 Ein weiterer Faktor, der ebenfalls Auswirkungen auf die finanzielle Situation kleiner und mittlerer Unternehmen hat, sind die Lohnnebenkosten. Aufgrund der Nähe zu den Kunden und der Bedienung relative abgegrenzter Marktsegmente herrscht bei mittelständischen Unternehmen ein hoher Spezialisierungsgrad bei Produkten, Dienstleistungen und Herstel‐ lungsverfahren vor. Der Faktor Arbeit nimmt damit, im Gegensatz zu Großunternehmen, die eher eine maschinenintensive Produktion aufweisen, eine dominante Stellung ein. Eine Er‐ höhung der Lohnnebenkosten führt daher insbesondere bei kleinen und mittleren Unter‐ nehmen zu einer stärkeren finanziellen Belastung.299 Werden die Möglichkeiten eines Unternehmens zur Risikostreuung betrachtet, so wird deut‐ lich, dass sich vornehmlich für Großunternehmen durch die Nutzung eines innerbetriebli‐ chen Risikoausgleichs zwischen Märkten, Produzenten und Kundengruppen bessere risikopo‐ litische Möglichkeiten ergeben.300 Mittelständische Unternehmen bedienen mit ihrer Sorten‐ und Serienfertigung sowie Einzel‐ und Auftragsfertigungen oft nur ein sachlich und geogra‐ 296
Vgl. Piekenbrock (2011). Vgl. Mugler (1998), S. 40 ff. Vgl. Mugler (1998), S. 40 ff.; Wegmann (2006), S. 47 ff. 299 Vgl. Streithorst (2001), S. 21. 300 Vgl. Mugler (1998), S. 41 ff. 297 298
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fisch enges Marktsegment. Plötzlich auftretende Konjunkturschwankungen belasten KMU daher umso stärker, wodurch das im Unternehmen gebundene Kapital einem höheren Risiko ausgesetzt ist. Von Seiten der Kapitalgeber wird dieses Risiko in Form eines höheren Zinses berücksichtigt, so dass die Fremdkapitalkosten für kleine und mittlere Unternehmen stei‐ gen.301 Mit der Berücksichtigung von Führungs‐ und Personalrisiken soll auf zwei weitere Faktoren näher eingegangen werden, die zwar nicht direkten Einfluss auf den finanziellen Bereich ei‐ nes Unternehmens haben, jedoch den wirtschaftlichen Erfolg durch Fehlentscheidungen und dem Abgang wichtiger Mitarbeiter gefährden können.302 Da der Unternehmer in kleinen und mittleren Unternehmen durch die Einheit von Leitung und Haftung im Mittelpunkt steht, ist er nicht nur Garant für den Erfolg, sondern häufig auch die Ursache für Misserfolg.303 Zwar verfügen die Entscheidungsträger von KMU in der Regel über ein großes Fachwissen, jedoch besteht gerade bei ihnen die Gefahr, dass es häufiger durch fehlendes Managementwissen zu Fehlentscheidungen in der Unternehmensführung kommt.304 Dies ist bspw. dann der Fall, wenn durch Veränderungen am Markt bestimmte Unternehmensfelder wie der Einkauf, das allgemeine Management oder die Material‐ und Anlagenwirtschaft einen größeren Stellen‐ wert erlangen, so dass ein dauerhafter generalistischer Umgang ohne eingehenderes Know‐ how von Seiten des Unternehmers nicht mehr ohne weiteres möglich ist. Ebenso verhält es sich in den Wachstumsphasen eines Unternehmens. Da die Unternehmensentwicklung eines der typischen Hauptmotive kleiner und mittlerer Unternehmen ist, bedarf es neben der An‐ passung von Unternehmensstrukturen und ‐systemen auch der Anpassung des Unterneh‐ merverhaltens. Gelingt es dem Unternehmer nicht, das Unternehmenswachstum bzw. den Unternehmenswandel durch ein entsprechendes „persönliches Wachstum“ zu begleiten, kann dies negative Folgen für das Fortbestehen der Unternehmung haben.305 Das hier als Zweites zu berücksichtigende mit dem einzelnen Mitarbeiter verbundende Per‐ sonalrisiko ist bei KMU von größter Bedeutung. In mittelständischen Unternehmen über‐ nehmen die einzelnen Mitarbeiter oft mehrere Aufgaben und werden damit zu alleinigen Wissens‐ und Erfahrungsträgern, während in großen Unternehmen der Großteil aller erfor‐ derlichen Kompetenzen redundant ist. Dementsprechend lassen sich Mitarbeiter in kleinen und mittleren Unternehmen nicht kurzfristig durch neue oder andere Mitarbeiter ersetzen. Im Ergebnis kann ein ungeplantes Ausscheiden einzelner Mitarbeiter zur Entstehung funkti‐ onaler Lücken in wichtigen Prozessen führen, die letztendlich die Leistungsfähigkeit des ge‐ samten Unternehmens gefährden können. Die Personalstruktur von Großunternehmen ist dagegen deutlich breiter aufgestellt, so dass es Ihnen, im Gegensatz zu KMU, besser gelingt, das Ausscheiden von einzelnen Mitarbeitern und den damit verbunden Know‐how‐Verlust zu kompensieren.306 Werden die typischen Stärken und Schwächen mittelständischer Unternehmen gegenüber‐ gestellt (Abbildung 10), so wird deutlich, dass sie flexibler als Großunternehmen auf verän‐ 301
Vgl. Streithorst (2001), S. 21 f. Vgl. Hermann (1996), S. 127 ff. Vgl. Wegmann (2006), S. 58 f.; Zdrowomyslaw/Dürig (1999), S. 403 ff. 304 Vgl. Streithorst (2001), S. 22 f. 305 Vgl. Hermann (1996), S. 135 ff.; Knop (2009), S. 13 ff. 306 Vgl. Bergman/Crespo (2009), S. 11; Hermann (1996), S. 142 ff. 302 303
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derte Marktbedingungen reagieren können und damit die Anpassungsfähigkeit einer Volks‐ wirtschaft erleichtern. Zudem gelingt es ihnen aber auch durch ein reichhaltiges und diffe‐ renziertes Produktangebot, individuelle Konsumwünsche zu befriedigen und Marktlücken zu schließen. Flache Hierarchieebenen, kurze Informationswege sowie eine direkte Kommuni‐ kation zwischen Unternehmer und Mitarbeitern erleichtern nicht nur die schnelle Umset‐ zung von Entscheidungen, sondern fördern auch das Klima für technische Innovationen. Die Nachteile von KMU lassen sich dagegen auf unterschiedlichen Ebenen lokalisieren. Auf der externen Ebene sind es hauptsächlich Größennachteile, die sich vorwiegend im Bereich der Beschaffung, der Produktion, des Absatzes, der Finanzierung sowie der Möglichkeit zur Risi‐ kostreuung wiederspiegeln. Auf der internen Ebene sind es, neben dem Personalrisiko, vor allem die im Führungsbereich eines mittelständischen Unternehmens auftretenden Mängel, die oft in der Person des Unternehmers selbst begründet liegen.307 Abbildung 10: Stärken und Schwächen von KMU Stärken
Schwächen
Hohe Flexibilität und schnelle Umsetzung von Entscheidungen
Begrenzte Finanzierungsmöglichkeiten
bessere Marktanpassungsmöglichkeiten
Mangelnde Machtposition gegenüber Großunternehmen
enge Kundenkontakte
Größennachteile im Produktionsbereich
Besseres Klima für technische Innovationen
höhere Lohnnebenkostenbelastung
Verbesserte Möglichkeiten einer Nischenpolitik
geringere Risikostreuung
Qualitätsangebot / individualisierte Leistungen
Fehlendes Managementwissen bei den Entscheidungsträgern
Direkte Kommunikation zwischen Eigentümer und Mitarbeitern
Erhöhtes Personalrisiko
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Bernet/Denk (2000), S. 25; Streithorst (2001), S. 17.
B 6 Finanzierungsziele kleiner und mittlerer Unternehmen Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, dass der Unternehmer eine wichtige Schlüsselrolle im Wirtschaftsprozess einnimmt. Als zentraler Dreh‐ und Angelpunkt bildet er das Fundament aller unternehmerischen Entscheidungen.308 Dies trifft auch auf die Unter‐ nehmensfinanzierung zu, die oft in einem engen Zusammenhang mit den Finanzierungszie‐ len steht, die der Eigentümer bzw. das Management eines mittelständischen Unternehmens verfolgen. Obwohl Finanzierungsentscheidungen auch durch andere Einflussfaktoren, wie z.B. die Kapitalbedarfslage oder die Umweltsituation (z.B. Konjunktur) beeinflusst werden, 307 308
Vgl. Knop (2009), S. 13 ff.; Wegmann (2006), S. 44 ff. Vgl. Blessin (2000), S. 10 f.
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kommen den vom Unternehmer bzw. Management definierten Anforderungen ausschlagge‐ bende Bedeutung zu, weil Finanzinstrumente, die diese Ansprüche nicht erfüllen, i.d.R. nicht eingesetzt werden.309 Da bei der Wahl des geeigneten Finanzierungsinstruments vorwiegend traditionelle Entscheidungskriterien wie Liquidität, Rentabilität, Sicherheit (Risiko einer Kapi‐ talanlage) und das insbesondere für den Mittelstand bedeutende Kriterium der Unabhängig‐ keit (Erhaltung der unternehmerischen Dispositionsfreiheit)310 eine wichtige Rolle spielen, sollen diese nachfolgend überblicksartig dargestellt werden. Auf andere Zielsetzungen wie Macht, Prestige, Anerkennung usw., wie sie vor allem bei behavioristischen Ansätzen zum Tragen kommen, soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden, da sie sich nur schwer operationalisieren lassen und in ihrer Gänze betrachtet den Rahmen dieser Arbeit sprengen würden.
B 6.1 Liquidität Der Begriff Liquidität bezeichnet die Fähigkeit eines Unternehmens, seinen fälligen Verbind‐ lichkeiten unter der Vorrausetzung des reibungslosen Ablaufs des Betriebsprozesses (z.B. der Vermeidung von Notverkäufen) termingerecht und beitragsgenau nachkommen zu kön‐ nen.311 Die Liquidität nimmt somit einen wichtigen Stellenwert bei Unternehmensentschei‐ dungen ein. Sie führt dazu, dass Investitions‐ und Finanzierungsprogramme aufeinander ab‐ gestimmt werden müssen, um die ständige Zahlungsfähigkeit des Unternehmens zu gewähr‐ leisten.312 Mit der Liquidität eng verbunden ist das finanzielle Gleichgewicht. Es ist erreicht, wenn die Deckung des Zahlungsmittelbedarfs jederzeit sichergestellt und die Zahlungsströ‐ me im Hinblick auf das Zielsystem der Unternehmung optimal aufeinander abgestimmt sind. Bei der Erreichung des finanziellen Gleichgewichts können zwischen den beiden Zielgrößen – Gewinn und Liquidität – Zielkonflikte auftreten, weil ein zu hoher Bestand an Zahlungsmit‐ teln zwar die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens sichert, aber aufgrund zu hoher Zinsbe‐ lastung oder zu geringer Verzinsung der Liquiditätsreserven dem Ziel der Gewinnmaximie‐ rung entgegensteht. Das finanzielle Gleichgewicht ist folglich nur dann erfüllt, wenn die Zah‐ lungsfähigkeit des Unternehmens zu jedem Zeitpunkt gewährleistet ist und die finanziellen Dispositionen so getroffen werden, dass das Unternehmen sein Gewinnmaximum er‐ reicht.313 Um das finanzielle Gleichgewicht im Unternehmen aufrechtzuerhalten, wird ein finanzieller Puffer (z.B. Kassenbestand) benötigt, der geringfügige Differenzen zwischen Ein‐ und Auszahlungen kompensiert. Zum Ausgleich größerer Differenzen müssen dagegen Liqui‐ ditätsreserven in Form von nicht ausgeschöpften Kreditzusagen und Kreditlinien für Konto‐ korrentkredite, Lieferantenkredite, Bankguthaben mit kurzfristiger Kündigungsfrist, diskont‐ fähige Wechsel usw. gebildet werden. Die Höhe und Struktur der Liquiditätsreserven sind dabei im Zeitablauf veränderbar und hängen u.a. von der Risikoneigung des Unternehmers, der jeweiligen Unternehmenssituation und dem Zinsgefüge ab.314 309
Vgl. Geiseler (1999), S. 287. Vgl. Perridon u.a. (2009), S. 11 ff. Vgl. Drukarczyk (2008), S. 36 ff.; Hirth (2008), S. 162 ff.; Schierenbeck (2003 a), S. 490; Spremann (1996), S. 239 ff.; Vorbaum (1995), S. 112 ff.; Wöhe u.a. (2009), S. 25 f. 312 Vgl. Portisch (2008 a), S. 37 ff. 313 Vgl. Wöhe u.a. (2009), S. 27 f. 314 Vgl. Däumler/Grabe (2008), S. 41 f. 310 311
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Gelingt es einem Unternehmen nicht mehr, seinen fälligen Verbindlichkeiten nachzukom‐ men, weil die Fristen zwischen Kapitalbindung und Kapitalüberlassung falsch eingeschätzt wurden oder sich verschoben haben (z.B. durch verzögerten Zahlungseingang von Kunden‐ forderungen), ist das finanzielle Gleichgewicht gestört. In der Praxis wird dabei unterschie‐ den, ob es sich um eine vorrübergehende Störung des finanziellen Gleichgewichts (Zahlungs‐ stockung) handelt oder ob das Unternehmen dauerhaft zahlungsunfähig ist. Die Zahlungs‐ stockung kann für das Unternehmen weitreichende Folgen haben, wenn sie z.B. den Fremd‐ kapitalgebern bekannt wird. Diese werden dann zusätzliche Sicherheiten, Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse oder personelle Veränderungen in der Unternehmensführung verlangen. Schlimmstenfalls können bereits gewährte Kredite gekündigt oder Kreditzusagen zurückgenommen werden, wodurch sich letztendlich die Konkursgefahr weiter erhöht. Die Wahrung der Liquidität sowie die Aufrechterhaltung des finanziellen Gleichgewichts sind somit eine Existenzbedingung für jedes Unternehmen.315
B 6.2 Rentabilität Unter der Rentabilität eines Unternehmens kann absolut betrachtet der Gewinn bzw. Erfolg verstanden werden, d.h. die Differenz zwischen dem wertmäßigen Ertrag und Aufwand. Fällt die Differenz positiv aus, so ist davon auszugehen, dass ein Gewinn vorhanden und die Un‐ ternehmung dem allgemeinen Sprachgebrauch nach „rentabel“ wirtschaftet.316 Aus be‐ triebswirtschaftlicher Sicht wird die Rentabilität oder Rendite als Quotient aus dem Über‐ schuss der Kapitalnutzung im Verhältnis zum Kapitaleinsatz in einer definierten Periode ge‐ messen.317 Die Rentabilität stellt folglich ein Maß für die Kapitalverzinsung innerhalb eines bestimmten Zeitraumes dar und gibt an, ob die Wirksamkeit eines Kapitaleinsatzes möglichst groß ist.318 Um dies beurteilen zu können, sind in erster Linie die Kapitalkosten entschei‐ dend. Hierunter fallen alle Aufwendungen, Finanzmittelabflüsse (außer Tilgungen) sowie entgangenen Finanzmittelabflüsse, die vom Unternehmen zu tragen sind, um Kapital zu er‐ halten bzw. um alle mit dem vorhandenen Kapitalbestand verbunden Zahlungsverpflichtun‐ gen zu erfüllen. Diese Kosten lassen sich dabei weiter in einmalige und fortlaufende Kosten unterscheiden.319 Erstere sind wert‐ und nicht zeitbezogen und fallen üblicherweise in Form von Gebühren oder Kommissionen an. Fortlaufende Kosten hingegen sind während der ge‐ samten Finanzierungsdauer regelmäßig wiederkehrende Kosten, wie z.B. jährliche Zinszah‐ lungen oder sonstige Kapitalnebenkosten.320 Gemäß der Investitions‐ und Finanzierungsthe‐ orie sind Kapitalkosten grundsätzlich identisch mit den Renditeforderungen der Kapitalge‐ ber.321 Da jedes Wirtschaftssubjekt im Allgemeinen das Ziel der Gewinnmaximierung ver‐ folgt, beinhaltet dies auch die Erzielung einer maximalen Rendite.322 Zur Umsetzung des 315
Vgl. Däumler/Grabe (2008), S. 39; Spremann (1996), S. 239 ff.; Wöhe u.a. (2009), S. 27 f. Vgl. Jung (2009), S. 31. Vgl. Portisch (2008 a), S. 38. 318 Vgl. Jung (2009), S. 31; Jahrmann (2009), S. 9. 319 Einmalige und fortlaufende Kosten lassen sich darüber hinaus in Fremdleistungskosten, d.h. Kosten die dem Unternehmen für Leistung Dritter entstehen (z.B. Bankprovisionen), Nutzungskosten, die aus der Nutzung des Kapitals in Form von Zinsen und Dividenden resultieren und Steuern unterscheiden. Vgl. Huth (1996), S. 8. 320 Vgl. Huth (1996), S. 8. 321 Vgl. Süchting (1995), S. 420. 322 Vgl. Perridon u.a. (2009), S. 14. 316 317
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Renditeziels müssen vom Eigentümer bzw. vom Management eines Unternehmens mehrere Unterziele erfüllt werden. So sollte neben der Minimierung der Kapitalkosten (z.B. Zinsen und Spesen) auch die Maximierung der Kapitalerträge (z.B. effektive Investitionen und Geld‐ anlagen) sowie die Minimierung der Kapitalbindungsdauer (z.B. Verkürzung der Lagerhaltung und der gewährten Zahlungsziele) angestrebt werden.323
B 6.3 Sicherheit Als komplementäres Entscheidungskriterium zur Rentabilität ist das einer finanzwirtschaftli‐ chen Maßnahme innewohnende Risiko zu betrachten, das in Konflikt mit dem für Unter‐ nehmer grundsätzlich anzunehmenden Sicherheitsstreben steht. Dieser Zielkonflikt zwischen Rentabilität und Sicherheit besteht sowohl für Kapitalanlage‐ als auch Kapitalaufbringungs‐ entscheidungen der Unternehmung. Bei ersterer steht das Sicherheitsstreben einer zu ho‐ hen Verschuldung entgegen. Deutlich wird dies am Beispiel des Leverage‐Effekts. Mit stei‐ gendem Verschuldungsgrad eines Unternehmens wächst das Leverage‐Risiko, weil den ver‐ traglich fixierten Auszahlungen an die Fremdkapitalgeber unsichere Einzahlungen aus der Unternehmenstätigkeit gegenüberstehen. Im Fall von Kapitalanlageentscheidungen steht das Sicherheitsstreben unsicheren und schwankenden Rückflüssen aus der Investition ent‐ gegen. Weil das Auftreten bestimmter Erträge ex ante meist nur mit bestimmten subjektiven Wahrscheinlichkeiten belegt werden kann, wird häufig vom Risiko gesprochen.324 Es unter‐ scheidet sich vom Zustand der Unsicherheit insofern, dass bei Risiko die Wahrscheinlich‐ keitsrechnung in das Kriterium einfließt, mit dem die zur Wahl stehenden Entscheidungsal‐ ternativen bewertet werden.325 Bei Unsicherheit hingegen sind zwar die Entscheidungsalter‐ nativen bekannt, jedoch können diesen keine genauen Wahrscheinlichkeiten zugeordnet werden.326 Mit dem Sicherheitsstreben der Eigentümer bzw. des Managements einer Unternehmung geht zugleich auch das Ziel einher, das zur Verfügung gestellte Kapital uneingeschränkt zu erhalten. Weil jedoch beinahe jede unternehmerische Tätigkeit mit einem gewissen Risiko behaftet ist, müsste bei einseitiger Verfolgung dieses Ziels jede derartige Tätigkeit eingestellt werden. Da dies jedoch nicht Sinn und Zweck dieser Zielsetzung sein kann, kommt dem Sicherheitsstreben vielmehr der Stellenwert einer Nebenbedingung zu, bei der insbesondere das Verhältnis von Risiko und Gewinn entscheidet. Hieraus folgt, dass je höher das Risiko einer unternehmerischen Tätigkeit ist, desto höher kann i.d.R. auch der Gewinn aus dieser Tätigkeit und damit auch die Steigerung der Rentabilität ausfallen. Anders verhält es sich dagegen bei Misserfolg. Dieser wirkt sich negativ auf die Rentabilität aus und kann bei ent‐ sprechend hohem Verlust dazu führen, dass Gewinne aus anderen unternehmerischen Akti‐ vitäten aufgezehrt werden. Bei entsprechend hohen (kumulierten) Periodenverlusten kann es zudem zur Verminderung bis hin zur völligen Aufzehrung des Eigenkapitals kommen.327 Das Finanzierungsziel der Sicherheit umschreibt folglich die mit einer Finanzierungsmaß‐ nahme verbundenen Risikoeffekte, die mit den verschiedenen Finanzierungsinstrumenten 323
Vgl. Dettmer/Hausmann (1998), S. 13. Vgl. Perridon u.a. (2009), S. 15 f.; Thommen/Achleitner (2009), S. 659 ff. Vgl. Spremann (1996), S. 110. 326 Vgl. Portisch (2008 a), S. 40 f. 327 Vgl. Bieg/Kußmaul (2009), S. 7. 324 325
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für die betroffenen Anteilseigner zusammenhängen.328 Jede risikobewusste Finanzierung verlangt daher ein bestimmtes Mindesteigenkapital, dessen Höhe u.a. von Unternehmens‐ art, ‐zweck und ‐rechtsform abhängen. Für Fremdkapitalgeber ist das Volumen und die Qua‐ lität des Eigenkapitals ein Bestimmungsfaktor für die Kreditvergabe und insofern ein Kriteri‐ um für die Kreditwürdigkeit. Steigt das Risiko, werden sowohl bei den Fremdkapitalgebern als auch bei den Eigenkapitalgebern höhere Finanzierungskosten verursacht und die Rentabi‐ lität verringert. Ist das mit einer Investition verbundene Risiko gar zu hoch, wird i.d.R. keine Finanzierung erhältlich sein.329 Im Ergebnis zeigt sich, dass die in Abschnitt B 7.3 beschriebe‐ ne Verlustausgleichs‐ und Haftungsfunktion des Eigenkapitals sowie dessen Stärkung eng mit dem Sicherheitsbestreben verbunden sind, da Verluste, die sich aus der Geschäftstätigkeit eines Unternehmens ergeben, aufgefangen und so der Insolvenzgefahr entgegengewirkt werden kann.330
B 6.4 Unabhängigkeit Die Aufrechterhaltung der finanziellen Unabhängigkeit eines Unternehmens ist eine bedeu‐ tende Zielsetzung der Unternehmensfinanzierung. Das Motiv der Eigentümer bzw. der Un‐ ternehmensleitung besteht darin, die Kapitalbeschaffung so zu gestalten, dass Dritte so we‐ nig wie möglich Einfluss auf das Unternehmensgeschehen nehmen können.331 Hierbei steht vor allem die Frage im Mittelpunkt, inwieweit finanzwirtschaftliche Maßnahmen die Ent‐ scheidungsfreiheit des Unternehmens einschränken.332 Daneben spielen bei finanzwirt‐ schaftlichen Entscheidungen, speziell im Bereich der Kapitalaufbringung, auch die Erhaltung der Dispositionsfreiheit und der Flexibilität des Unternehmens sowie die Unternehmenskon‐ trolle eine bedeutende Rolle.333 So ist die Beteiligungsfinanzierung (Zuführung von Eigenka‐ pital) in der Regel mit der Gewährung von Entscheidungs‐, Mitsprache‐, Stimm‐ und Kont‐ rollrechten verbunden, welche die Dispositionsfreiheit des Unternehmens einschränken können. Im Gegensatz zur Aufnahme neuen Eigenkapitals sind die Mitspracherechte bei der Kreditfinanzierung üblicherweise niedriger. Dennoch kann es auch hier, je nach Umfang der Kreditgewährung und Marktmacht des Gläubigers im Verhältnis zur kreditnehmenden Un‐ ternehmung, zu Einschränkungen der Dispositionsfreiheit kommen. Diese reichen bspw. von der Vorschrift einer bestimmten zukünftigen Finanzierungspolitik bei Kreditneugewährung334 bis hin zum direkten Eingriff in strategische Unternehmensentscheidungen bei starker Über‐ schuldung.335 Hinzu kommt, dass auch die Stellung von Kreditsicherheiten, in Form von Hy‐ potheken, Sicherungsübereignungen und Verpfändungen, zu Einschränkungen der unter‐ nehmerischen Verfügungsgewalt, Begrenzungen weiterer Kreditaufnahmemöglichkeiten und damit letztendlich auch der Unabhängigkeit des Unternehmens führen kann. Je höher die Kreditgewährung von Seiten eines bestimmten Fremdkapitalgebers ist bzw. je höher das 328
Vgl. Kramer (1999), S. 66 f. Vgl. Jahrmann (2009), S. 12. 330 Vgl. Kramer (1999), S. 66 f. 331 Vgl. Bieg/Kußmaul (2009), S. 7 ff. 332 Vgl. Kramer (1999), S. 67. 333 Vgl. Perridon u.a. (2009), S. 11 f. 334 Bspw. muss sich der Unternehmer bei Beantragung eines Kredites bei der Bank vertraglich verpflichten, bestimmte Bilanzstrukturkennziffern einzuhalten. 335 Vgl. Huth (1996), S. 7 f. 329
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Volumen der eingeräumten Sicherheiten ausfällt, desto mehr nimmt die Flexibilität des Un‐ ternehmens ab.336 Mittelständische Unternehmer versuchen daher eine Finanzierungsform zu finden, die die Einflussnahme auf Entscheidungen durch Dritte reduziert, so dass die Kon‐ trolle über das Unternehmen und über dessen Entscheidungsprozesse aufrechterhalten werden kann.337 Mit Blick auf die mit der jeweiligen Finanzierungsmaßnahme verbundenen Publizitätspflich‐ ten zeichnet sich eine ausgeprägte Aversion des Mittelstands ab, da diese die Unabhängig‐ keit des Unternehmers bzw. der Unternehmensleitung insofern beeinträchtigen, als das Un‐ ternehmensentscheidungen transparenter gemacht und Gegenstand der öffentlichen Dis‐ kussion werden können. Die Publizität als Monitoring‐Instrument zur Unternehmensüber‐ wachung steht daher dem Streben von mittelständischen Unternehmern nach Unabhängig‐ keit entgegen. Demzufolge werden Finanzierungsalternativen danach beurteilt, inwieweit sie Publizitätspflichten mit sich bringen. Hieraus folgt, dass Finanzierungsformen dann zur Un‐ abhängigkeit beitragen, wenn sie keine weitegehenden Offenlegungspflichten beinhalten.338 Das Ziel, die finanzielle Unabhängigkeit zu wahren wird grundsätzlich von allen Unterneh‐ men verfolgt. Dennoch ist diese Zielsetzung gerade im Mittelstand besonders stark ausge‐ prägt.339 So konnte bspw. Oelschläger mit seinen empirischen Untersuchungen zum Unab‐ hängigkeitsstreben mittelständischer Unternehmer zeigen, dass sich deren starkes Autono‐ miestreben darin auswirkt, dass sie versuchen, ihr Unternehmen möglichst mit eigenen Mit‐ teln oder mit Mitteln, deren Auswirkungen auf das Unabhängigkeitsziel gering sind, zu finan‐ zieren. Explizit zeigte sich dies durch eine stärkere Ablehnung der Beteiligungsfinanzierung und der erhöhten Bedeutung der Selbstfinanzierung. Im Ergebnis dieser Finanzierungspolitik stellte Oelschläger einen erhöhten Eigenkapitalanteil der Unternehmen immer dann fest, wenn die Unabhängigkeit als dominierende Zielvorstellung von Unternehmern genannt wur‐ de.340 Geiseler konnte Oelschlägers Befunde teilweise bestätigen. Auch in seiner Studie führ‐ te eine hohe Bewertung der unternehmerischen Unabhängigkeit bei Personengesellschaften zu einer erhöhten Ablehnung einer Neuaufnahme von Gesellschaftern. Einen Zusammen‐ hang zwischen starkem Autonomiestreben und Kapitalstruktur konnte er dagegen nicht nachweisen.341 Zusammenfassend zeigt sich, dass im Mittelstand Vorbehalte gegenüber der Aufnahme von externem Kapital bestehen, da dies stets einen Verlust von Unternehmenskontrolle der bis‐ herigen Unternehmenseigner bzw. die Zunahme der externen Einflussnahme bedeutet. Mit‐ telständische Unternehmer sind daher bestrebt, Finanzierungsformen zu finden, die mög‐ lichst geringe Publizitätsanforderungen stellen, den Einfluss auf Unternehmensentscheidun‐ gen durch Dritte reduzieren und die Anpassung an unternehmensspezifische Gegebenheiten zulassen bzw. eine kurzfristige Reaktion auf Veränderungen ermöglichen. Darüber hinaus müssen sie aber auch die finanzwirtschaftliche Dispositionsfreiheit gewährleisten und Ein‐ 336
Vgl. Bieg/Kußmaul (2009), S. 7 ff.; Jahrmann (2009), S. 12; Perridon u.a. (2009), S. 11 f. Vgl. Kramer (1999), S. 69. Vgl. Kramer (1999), S. 67 f. 339 Vgl. Thommen/Achleitner (2009), S. 659 ff. 340 Vgl. Oelschläger (1971), S. 142 ff. 341 Vgl. Geiseler (1999), S. 287 ff. 337 338
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schränkungen der unternehmerischen Handlungsfreiheit ausschließen.342 Basierend auf die‐ sen Anforderungen wird deutlich, dass KMU im Allgemeinen die Fremdkapitalfinanzierung mit gewissen Überwachungsrechten (Monitoring) gegenüber der externen Eigenkapitalfi‐ nanzierung, welche konkrete Mitspracherechte mit sich bringt, vorziehen.343
B 7 Theorie zur Gestaltung der Kapitalstruktur in KMU Bei der Darstellung der für KMU typischen Finanzierungsziele deutete sich bereits an, dass im Mittelstand gewisse Vorbehalte gegenüber jenen Finanzierungsinstrumenten bestehen, die mit einer Einflussnahme von außen verbunden sind. Für den weiteren Fortgang dieser Arbeit stellt sich damit die Frage, ob sich das Finanzierungsverhalten von KMU auf theoreti‐ schem Wege erklären lässt. Um sich schrittweise einer Beantwortung dieser Fragen zu nä‐ hern, wird zunächst eine Abgrenzung des Finanzierungsbegriffs vorgenommen und das die‐ ser Arbeit zugrunde liegende Begriffsverständnis aufgezeigt. Da sich die Kosten für das einer Unternehmung zur Verfügung gestellte Gesamtkapital aus der gewünschten Mindestverzin‐ sung der Eigenkapitalgeber und den vertraglich garantierten Zinsen für die Fremdkapitalge‐ ber zusammensetzt,344 sollen in den darauffolgenden Abschnitten die wichtigsten Merkmale und Funktionen von Eigen‐ und Fremdkapital dargelegt werden. Aufbauend darauf erfolgt eine überblicksartige Darstellung der Modelle zur Entscheidung über die Kapitalstruktur, in deren Anschluss einzelne Finanzierungstheorien näher vorgestellt werden. Erklärtes Ziel ist es dabei, diejenigen Kapitalstrukturmodelle zu identifizieren, die geeignet erscheinen, den größten Erklärungsbeitrag zur Kapitalstruktur und zum Finanzierungsverhalten mittelständi‐ scher Unternehmen zu leisten.
B 7.1 Abgrenzung des Finanzierungsbegriffs Wird der Betrieb als eine planvoll organisierte Wirtschafteinheit verstanden, in der Sachgü‐ ter und Dienstleistungen hergestellt und abgesetzt werden,345 kann der leistungswirtschaftli‐ che Bereich in Beschaffung von Produktionsfaktoren, Produktion und Absatz der erstellten Leistung unterteilt werden. Demgegenüber steht der finanzwirtschaftliche Bereich, der sich in Kapitalbeschaffung (Finanzierung), Kapitalverwendung (Investition) und Kapitaltilgung untergliedert. Die Lehre der Finanzwirtschaft beinhaltet somit die Theorie und Technik der Kapitalaufbringung (einschließlich der Kapitaltilgung) und Kapitalanlage, so dass sowohl die Akquisition als auch die Disposition finanzieller Mittel Gegenstand der Betrachtung sind.346 Die Zusammenfassung von Investition und Finanzierung unter dem Begriff der Finanzwirt‐ schaft erfolgt, weil beide Bereiche in einem engen Zusammenhang stehen. Eine Mittelver‐ wendung setzt eine Mittelbeschaffung voraus, d.h. ein Investitionsplan ist ohne Bedeutung, wenn die beabsichtigte Investition nicht finanziert werden kann. Andererseits erübrigt sich die Beschaffung finanzieller Mittel, wenn ihnen keine ertragreichen Investitionsmöglichkei‐
342
Vgl. Kramer (1999), S. 67 ff. Vgl. Gerke u.a. (1995), S. 31. Vgl. Wöhe/Döring (2008), S. 588 f. 345 Vgl. Wöhe/Döring (2008), S. 2. 346 Vgl. Bieg/Kußmaul (2009), S. 2; Perridon u.a. (2009), S. 5. 343 344
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ten gegenüberstehen. Mittelverwendung setzt daher generell Mittelbeschaffung voraus bzw. muss Mittelbeschaffung generell Mittelverwendung zur Folge haben.347 Während unter dem Begriff Investition im Allgemeinen die Verwendung von finanziellen Mitteln zur Beschaffung von Sachvermögen, immateriellem Vermögen oder Finanzvermögen (z.B. Maschinen, Vorräte, Wertpapiere und Lizenzen) verstanden wird,348 herrscht in der Li‐ teratur keine Einigkeit über die Definition von Finanzierung.349 So orientiert sich bspw. der klassische Finanzierungsbegriff an dem in der Bilanz ausgewiesen Kapital (Passiva der Bilanz), wobei er in seiner engsten Fassung ausschließlich die langfristige Kapitalbereitstellung bein‐ haltet. In einer weiter gefassten Form umfasst er dagegen auch die kurzfristige Kapitalauf‐ bringung sowie alle Kapitaldispositionen, die im Zusammenhang mit dem Betriebsprozess stehen, also auch die Kapitalrückzahlung und die Kapitalumschichtung im Bereich der Passi‐ va. Wird der Finanzierungsbegriff nicht nur auf die Vorgänge der Passivseite beschränkt, sondern um die Vermögensseite (Aktiva der Bilanz) erweitert, so handelt es sich um den am Realkapital orientierten Finanzierungsbegriff. Dieser umfasst neben der Beschaffung exter‐ ner Mittel auch die interne Kapitalaufnahme durch Gewinne, Mittelfreisetzungen, Abschrei‐ bungen usw. Unabhängig dieser von Vermögen und Kapital bestimmten Begriffe hat sich ein weiterer, an Zahlungsströmen orientierter, monetärer Finanzierungsbegriff herausgebildet, bei dem statt Kapitalveränderungen Geldströme im Vordergrund stehen.350 Für Köhler stellt sich die Finanzierung damit als Teil der Finanzwirtschaft dar: „definiert als Gesamtheit der Zahlungszuflüsse (Einzahlungen) und der beim Zugang nicht monetärer Güter vermiedenen sofortigen Zahlungsmittelabflüsse (Auszahlungen).“351 Damit umfasst der so formulierte Fi‐ nanzierungsbegriff alle Formen der internen und externen Geld‐ und Kapitalbeschaffung, einschließlich der Kapitalfreisetzungseffekte.352 In dieser Arbeit soll der Auffassung von Bieg/Kußmaul gefolgt werden, die dem Finanzie‐ rungsbegriff vier Kernbereiche zuordnen. Wie in Abbildung 11 zu sehen, erfasst der erste Bereich der Finanzierung aller betrieblichen Maßnahmen zur Versorgung eines Unterneh‐ mens mit disponiblem Kapital zur Durchführung der betrieblichen Leistungserstellung und Leistungsverwertung sowie zur Vornahme bestimmter außerordentlicher finanztechnischer Vorgänge.353 Darüber hinaus beschränkt sich der Begriff der Finanzierung nicht nur auf die Beschaffung liquider Mittel, sondern umfasst auch die Bereitstellung von Sachgütern in Form von Sacheinlagen oder die Einbringung von Wertpapieren. Neben der Zurverfügungstellung von finanziellen Mitteln jeder Art (Kapitalbeschaffung i.w.S.) kommt als Zweites die Freiset‐ zung von in Sach‐ und Finanzwerten investierten Geldbeträgen in liquider Form durch den sich über den Markt vollziehenden betrieblichen Umsatzprozess hinzu. Hierbei handelt es sich hauptsächlich um die Wiederbeschaffung früher investierter Mittel und deren Bereit‐ stellung für erneute Finanzierungsvorgänge. Die daraus resultierenden Kapitalfreisetzungsef‐ 347
Vgl. Wöhe u.a. (2009), S. 5. Vgl. Wöhe u.a. (2009), S. 5. 349 Eine ausführliche Darstellung zur Abgrenzung des Finanzierungsbegriffs findet sich bei Grochla (1976), Spal‐ te 413 ff. 350 Vgl. Bieg/Kußmaul S. 11 ff.; Perridon u.a. (2009), S. 357. 351 Köhler (1969), S. 451. 352 Vgl. Bieg/Kußmaul (2009), S. 13; Perridon u.a. (2009), S. 357. 353 Beispiele für außerordentliche finanztechnische Vorgänge sind: Unternehmensgründungen, Kapitalerhöhun‐ gen, Fusionen, Umwandlungen, Sanierungen, Liquidationen. Vgl. Bieg/Kußmaul (2009), S. 13. 348
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fekte haben nicht nur Auswirkungen auf der Passivseite der Bilanz (wegen der Erfolgswirk‐ samkeit), sondern zeigen sich insbesondere auch in Form von Vermögensumschichtungen auf der Aktivseite. Da Vermögensumschichtungen auch möglich sind, wenn die auf der Pas‐ sivseite der Bilanz ausgewiesenen Kapitalpositionen konstant bleiben, fällt auch die Bereit‐ stellung finanzieller Mittel, die nicht zu einer Erhöhung des auf der Passivseite ausgewiese‐ nen Kapitals führen, unter den Finanzierungsbegriff. Ergänzend dazu kommen als Drittes Maßnahmen zur optimalen Strukturierung des Kapitals der Unternehmung in Form von Kapi‐ talumschichtungen und Umfinanzierung. Als Viertes wird der verwendete Finanzierungsbe‐ griff durch die Einbeziehung der Sanierung und Liquidation auf den Verlust und die Rückzah‐ lung früher beschafften Kapitals ausgeweitet. Derartige Kapitalabflüsse können sich dann bspw. in Form von Kapitalentnahmen, Kredittilgungen oder Gewinnausschüttungen auswir‐ ken.354 Abbildung 11: Elemente des Finanzierungsbegriffs Finanzierung i.w.S.
Kapitalbeschaffung Kapitalerhöhung
von außen
von innen
Kapital‐ Kapitalzuwachs‐ aufnahme durch Gewinn‐ von EK thesaurierung bzw. oder FK Bildung von Rückstellungen
Kapitalfreisetzung Kapitalrückfluss
Kapitalumschichtung Umfinanzierung
Erhöhung, Beschleunigung der Freisetzung von disponiblem Kapital durch Vermögensum‐ strukturierungen
Veränderung der Kapitalstruktur
Kapitalabfluss Kapitalherabsetzung
innerhalb des Betriebes
nach außen
Kapital‐ verlust am EK und/oder FK
Kapital‐ rückzahlung von EK und/oder FK
Quelle: Bieg/Kußmaul (2009), S. 16.
Schlussendlich sei noch einmal auf die enge Beziehung von Finanzierung und Investition hin‐ gewiesen. Werden beide Bereiche vom Standpunkt der Bilanz aus betrachtet, so zeigt sich die Kapitalbeschaffung zunächst auf der Passivseite (Kapitalbereich). Sie gibt Auskunft darü‐ ber, welche Kapitalbeträge in welcher rechtlichen Form (Eigen‐ oder Fremdkapital) dem Un‐ ternehmen zur Nutzung überlassen wurden. Demgegenüber bringt die Aktivseite (Vermö‐ gensbereich) zum Ausdruck, in welchen Vermögensarten (Geld, Wertpapiere, Sachgüter) die von den Kapitalgebern zur Verfügung gestellten Mittel derzeit gebunden sind.355 354 355
Vgl. Bieg/Kußmaul (2009), S. 13 f.; Wöhe u.a. (2009), S. 4 ff. Vgl. Bieg/Kußmaul (2009), S. 14; Wöhe u.a. (2009), S. 5.
82
B 7.2 Unterscheidung von Eigen‐ und Fremdkapital In Anbetracht der großen Variantenvielfalt von Finanzkontrakten bzw. Formen von Finanz‐ kapital ist es für die Betrachtung der Kapitalstruktur von mittelständischen Unternehmen notwendig, zunächst die wichtigsten Finanzierungsquellen voneinander zu unterscheiden. Die einem Unternehmen zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel lassen sich demnach in Eigen‐ und Fremdkapital unterscheiden, wobei jede der beiden Gruppen in sich recht hete‐ rogen ist.356 Unter Eigenkapital, sog. Passiv‐Posten der Bilanz, „versteht man i.w.S. die in Geldwert ausgedrückten Mittel, die die Eigentümer eines Unternehmens eingebracht ha‐ ben.“357 Es wird auch als Risikokapital oder haftendes Kapital bezeichnet und steht dem Un‐ ternehmen grundsätzlich unbefristet zur Verfügung. Im Vergleich dazu wird unter Fremdka‐ pital oder „Kreditkapital“ jenes Kapital verstanden, das Dritte dem Unternehmen zur Verfü‐ gung gestellt haben. Das Fremdkapital stellt somit die Schulden einer Unternehmung dar. Es behält, im Gegensatz zum Eigenkapital, seine rechtliche Selbstständigkeit und steht der Un‐ ternehmung jeweils nur für einen begrenzten Zeitraum zur Verfügung.358 Die typischen Cha‐ rakteristika von Eigen‐ und Fremdkapital werden in Abbildung 12 überblicksartig dargestellt und im weiteren Verlauf einer näheren Betrachtung unterzogen. Abbildung 12: Charakteristika von Eigen‐ und Fremdkapital
Merkmal
Eigenkapital
Fremdkapital
Rechtliche Stellung
Erwerb von Eigentum
Schuldrechtliche Verbindung
Geschäftsführungsbefugnis
I. d. R. vorhanden
Nicht vorhanden (höchstens indirekt)
Dauer
Unbefristet
Befristet
Art der Entgeltung
Gewinnabhängig
Unabhängig vom Erfolg
Gewinnbeteiligung
Ja
Nein
Auswirkung der Entgeltung auf den Erfolg
Gewinnverwendung
Aufwand/Betriebsausgabe (im Rahmen der Gewinnermittlung)
Verlustteilnahme
In voller Höhe
(Zunächst) nicht
Stellung von Sicherheiten
Nicht möglich
Normalfall
Quelle: Bieg/Kußmaul (2009), S. 123.
Das Eigenkapital einer Unternehmung zeichnet sich dadurch aus, dass mit ihm eine Eigentü‐ merposition verbunden ist, d.h. dass eine Person mit der Bereitstellung von finanziellen Mit‐ teln (Mit‐) Eigentum am Unternehmen erlangt. Die Höhe der Beteiligung hängt dabei von dem Anteil oder der Quote ab, die von der Person am gesamten Eigenkapital der Unterneh‐ mung erbracht wird. Gläubiger als Fremdkapitalgeber erwerben im Gegensatz dazu kein Ei‐ 356
Vgl. Spremann (2007), S. 41. Schäfer (2002), S. 16. 358 Vgl. Jung (2009), S. 716 f. 357
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gentum an der Unternehmung und besitzen, im Vergleich zu Eigenkapitalgebern damit auch keine Mitsprache‐, Kontroll‐ und Entscheidungsbefugnisse bei der Geschäftsführung. Die Gelegenheit zur indirekten Einflussnahme auf die Geschäftsführung eines Unternehmens bietet sich – wenn überhaupt – nur dann, wenn das Unternehmen einen hohen Verschul‐ dungsgrad aufweist und der Großteil des Fremdkapitals von nur einer geringen Anzahl von Gläubigern zur Verfügung gestellt wurde. Aufgrund der daraus resultierenden Machtposition gegenüber den Eigenkapitalgebern wäre es dann möglich, dass für die Gläubiger Mitspra‐ che‐, Kontroll‐ und sogar Entscheidungsbefugnisse entstehen.359 Um die Verlustausgleichsfunktion im Fall einer fortbestehenden Unternehmung sowie die Haftungsfunktion im Fall einer aufzulösenden Unternehmung erfüllen zu können, muss Ei‐ genkapital dem Unternehmen unbefristet zur Verfügung stehen. Das Finanzierungsverhältnis zwischen Eigenkapitalgeber und Unternehmung endet somit erst, wenn die Unternehmung aufgelöst wird, das Beteiligungsverhältnis aufgekündigt oder die Beteiligung an einen neuen Eigenkapitalgeber veräußert wird. Als Kompensation für die Kapitalüberlassung werden die Eigentümer entsprechend ihrem Eigenkapitalanteil am Erfolg des Unternehmens beteiligt. Bei Misserfolg müssen sie jedoch in Abhängigkeit der gewählten Unternehmensrechtsform auch für entstandene Verluste, bei beschränkter Haftung bis zur Höhe ihrer Einlagen oder im Fall der unbeschränkten Haftung mit dem gesamten Privatvermögen, haften.360 Da der Ge‐ winn eine Residualgröße ist, kann die Verzinsung des Eigenkapitals nicht vertraglich fixiert werden, sondern unterliegt mitunter starken Schwankungen, bis hin zum Totalverlust. Hie‐ raus folgt, dass Eigenkapitalgeber einem höheren Risiko ausgesetzt sind und ihr Verzin‐ sungsanspruch damit höher ausfallen dürfte als der von Fremdkapitalgebern.361 Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch, warum Eigenkapitalgeber in der Regel auch bedeutend mehr Interesse an der Entwicklung des Unternehmens haben als Fremdkapitalgeber (Gläubiger).362 Völlig gegensätzlich verhält sich dazu die Position der Fremdkapitalgeber. Diese stellen ihre finanziellen Mittel lediglich befristet zur Verfügung und erwerben damit einen Anspruch auf Rückzahlung des Nominalwertes des zur Verfügung gestellten Kapitals. Da sie nicht Eigner, sondern Gläubiger der Unternehmung sind, hängt ihre Entlohnung auch nicht vom Erfolg oder Misserfolg der Unternehmung ab, d.h. unabhängig davon, ob die Geschäfte der Unter‐ nehmung gut oder schlecht laufen, haben Fremdkapitalgeber nicht nur Anspruch auf frist‐ gemäße Rückzahlung ihres Kapitals, sondern auch Anspruch auf die Zahlung des für die Kapi‐ talüberlassung vereinbarten Zinssatzes.363 Für die Schuldnerunternehmen bedeuten diese Zins‐ und Tilgungsleistungen eine feste Liquiditätsbelastung, die bei starken Umsatzrückgän‐ gen zur Einengung der Dispositionsfreiheit oder sogar zu Liquiditätsschwierigkeiten führen kann. Im Vergleich dazu sind mit dem Eigenkapital keine zwingenden Zahlungsverpflichtun‐ gen verbunden. Dies hat den Vorteil, dass die Ausschüttung von Gewinnen häufig nur dann erfolgt, wenn diese auch tatsächlich von der Unternehmung erwirtschaftet werden. In Kri‐
359
Vgl. Bieg/Kußmaul (2009), S. 121; Daferner (2000), S. 114 ff.; Schmidt/Terberger (1997), S. 20 ff. Vgl. Bieg/Kußmaul (2009), S. 121 f.; Schmidt/Terberger (1997), S. 20 ff. Vgl. Bösch (2009), S. 7. 362 Vgl. Vormbaum (1995), S. 37. 363 Vgl. Schmidt/Terberger (1997), S. 20 ff. 360 361
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sensituationen muss die Unternehmensleitung somit keine Ausschüttungen vornehmen, wodurch die Unternehmung keine zusätzliche Liquiditätsbelastung erfährt.364 Ein weiteres wesentliches Merkmal von Eigen‐ und Fremdkapital liegt in der unterschiedli‐ chen Auswirkung auf den handels‐ und steuerrechtlichen Erfolg. Die Höhe der vertraglich vereinbarten Zinszahlungen für das einer Unternehmung geliehene Fremdkapital stellt (han‐ delsrechtlich) Aufwand und (steuerrechtlich) Betriebsausgaben dar und wirkt sich somit ne‐ gativ auf den handels‐ bzw. steuerrechtlichen Erfolg der Unternehmung aus. Bei der Aus‐ schüttung von Gewinnen an die Eigenkapitalgeber handelt es sich hingegen um die Verwen‐ dung des erwirtschafteten und bereits versteuerten Gewinns. Kapitalrückzahlungen an Ei‐ genkapitalgeber sowie Tilgungszahlungen an Fremdkapitalgeber haben dagegen keine Aus‐ wirkungen auf den Erfolg der Schuldnerunternehmung.365 Im Fall einer Insolvenz werden die Ansprüche der Fremdkapitalgeber vor den Ansprüchen der Eigenkapitalgeber befriedigt.366 Die Gläubiger genießen damit im Verhältnis zu den Ei‐ genkapitalgebern durch die Voraushaftung des Eigenkapitals der damit im Zusammenhang stehenden Voraus‐Rückzahlungsverpflichtung und durch die feste Verzinsung eine größere Sicherheit.367 Um sich zusätzlich gegen einen möglichen Verlust abzusichern, verlangen Fremdkapitalgeber i.d.R. Kreditsicherheiten, die sie bei Ausfall des Schuldners zur Befriedi‐ gung ihrer Forderung veräußern können. Die Einbringung von Eigenkapital erfordert dagegen keine Stellung von Sicherheiten, da dieses ja gerade das Risikokapital darstellt, das die Ver‐ lustausgleichs‐ und Haftungsfunktion übernehmen soll.368
B 7.3 Funktionen von Eigen‐ und Fremdkapital Die im vorhergehenden Abschnitt vorgenommene Abgrenzung von Eigen‐ und Fremdkapital steht in einem engen Zusammenhang mit den zu erfüllenden Funktionen. In der Literatur werden folgende Funktionen von Eigen‐ und Fremdkapital unterschieden, die ihre Wirkung sowohl im Innenverhältnis als auch im Verhältnis zu Wirtschaftssubjekten außerhalb des Unternehmens entfalten: Ingangsetzungsfunktion Die Funktion von Eigenkapital als Errichtungsgrundlage kann juristisch und ökonomisch in‐ terpretiert werden. Erstere besagt, dass die Gründung von Unternehmungen bestimmter Rechtsformen bzw. Branchen an eine bestimmte Mindesteigenkapitalausstattung gebunden ist, ohne die eine Unternehmung nicht errichtet werden kann.369 So erfordert bspw. die Er‐ richtung einer Aktiengesellschaft einen Mindestnennbetrag des Grundkapitals von 50.000 EUR,370 während gemäß § 10 KWG Kredit‐ und Finanzdienstleistungsinstitute zum Betreiben von Bankgeschäften stets „angemessene Eigenmittel“ vorhalten müssen. Obwohl nicht jede Unternehmensgründung eine Mindesteigenkapitalausstattung verlangt, erscheint die Auf‐ 364
Vgl. Bieg/Kußmaul (2009), S. 122; Vormbaum (1995), S. 37 f.; Wöhe u.a. (2009), S. 172 f. Vgl. Bieg/Kußmaul (2009), S. 122 f. Vgl. Bösch (2009), S. 7. 367 Vgl. Vormbaum (1995), S. 37 f. 368 Vgl. Bieg/Kußmaul (2009), S. 122 f. 369 Vgl. Bieg/Kußmaul (2009), S. 37 f.; Daferner (2000), S. 120 ff.; Müller u.a. (2006), S. 182 f. 370 Vgl. § 7 AktG. 365 366
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bringung von Eigenkapital unerlässlich, da Gläubiger in aller Regel nur dann Fremdkapital zur Verfügung stellen, wenn ein Teil der zu investierenden Beträge von den Eigentümern selbst aufgebracht werden. Eine reine Fremdfinanzierung dürfte i.d.R. ausgeschlossen sein, da sonst die Gläubiger das gesamte Risiko zu tragen hätten, ohne an den Gewinnen beteiligt zu werden.371 Finanzierungsfunktion Damit in einem Unternehmen die Grundlage wirtschaftlichen Handelns begründet und ge‐ schaffen werden kann, ist der Einsatz von Kapital erforderlich. Dabei ist es zunächst uner‐ heblich, ob es sich um den Einsatz von Eigenkapital (z.B. Einlage der Gesellschafter) oder von Fremdkapital (z.B. Aufnahme eines Kredites) handelt. In beiden Fällen führt die Aufnahme von Kapital dazu, dass die wirtschaftlichen Handlungen eines Unternehmens ermöglicht werden. So gesehen, lässt sich feststellen, dass das Kapital in einer Unternehmung, d.h. so‐ wohl das Eigen‐ als auch das Fremdkapital, die Finanzierungsfunktion zu übernehmen hat.372 Verlustausgleichs‐ und Haftungsfunktion Damit Kapitalgeber bereit sind, einen Kredit zu gewähren und ihre Mittel als Fremdkapital zur Verfügung zu stellen, sind von Seiten der Eigentümer eine Reihe von Vorrausetzungen zu erfüllen. Eine dieser Vorrausetzungen ist die Stellung von angemessenen Sicherheiten. Ihr Umfang hängt zum einen von den Risiken ab, die das zur Verfügung gestellte Kapital bedro‐ hen, zum anderen von der Rangfolge der zur Deckung dieser Risiken herangezogenen Kapi‐ talbestandteile. In Bezug auf die Rangfolge rangiert Eigenkapital in seiner Rückzahlungsver‐ pflichtung grundsätzlich hinter dem Fremdkapital. Damit Gläubiger weitestgehend vor dem Verlust ihrer Forderungen geschützt werden, lässt sich die Funktion des Eigenkapitals an‐ hand von zwei Ausprägungen unterscheiden: 1. Im Fall der Fortführung eines Unternehmens hat das Eigenkapital die Aufgabe, Verluste und Erträge aus der laufenden Geschäftstätigkeit aufzurechnen. Das Eigenkapital übernimmt in diesem Fall eine Verlustausgleichsfunktion (Pufferfunktion), die zunächst dafür sorgt, dass die Verluste nicht auf die laufenden Zins‐ und Tilgungszahlungen durschlagen. Erst wenn die Verluste den Eigenkapitalbetrag der Unter‐ nehmung übersteigen, wirkt sich dies auf die Fremdkapitalgeber aus. 2. Im Fall einer Insol‐ venz übernimmt das Eigenkapital die Haftungsfunktion. Es hat dann die Aufgabe, Gläubiger vor den Kosten einer Insolvenz und den Verlusten der Liquidation eines Unternehmens zu schützen.373 Durch die nachrangige Befriedigung der Eigenkapitalgeber wird das Eigenkapital gelegentlich auch als Risiko‐, Garantie‐ oder Haftungskapital bezeichnet. Da eine ausrei‐ chende Eigenkapitalausstattung als Puffer gegenüber Liquiditätsengpässen und Insolvenzen dient, wird deutlich, dass die Verlustausgleichs‐ und Haftungsfunktion nicht vom Fremdkapi‐ tal übernommen werden kann, da Fremdkapitalgeber aus Gründen der Sicherheit für ihr
371
Vgl. Bieg/Kußmaul (2009), S. 38.; Kaiser (1995), S. 12 ff. Vgl. Vormbaum (1995), S. 35. 373 Vgl. Bieg/Kußmaul (2009), S. 38 ff.; Jahrmann (2009), S. 188; Kaiser (1995), S. 12 ff.; Müller u.a. (2006), S. 182; Olfert/Reichel (2005), S. 24 ff.; Schäfer (2002), S. 16 ff.; Vormbaum (1995), S. 35 f. 372
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Kapital ein den Risiken der Betriebswirtschaft angemessenes voraushaftendes Eigenkapital erwarten.374 Repräsentationsfunktion Das in einem Unternehmen vorhandene Eigenkapital repräsentiert Vermögen, welches nicht durch Gläubigeransprüche belastet ist. Es signalisiert generell Stabilität und Vertrauenswür‐ digkeit und verbessert mit steigendem Volumen die Kreditwürdigkeit einer Unternehmung. Eigenkapital ist damit Vorrausetzung für die Fremdkapitalbeschaffung und gilt im Außenver‐ hältnis als Maßstab für die Bonität und Kreditwürdigkeit einer Unternehmung. Auch bei Ban‐ ken fließt die Höhe der Eigenkapitalausstattung direkt in den Ratingprozess ein.375 So lässt sich feststellen, dass für einen Kreditgeber ein geringeres Risiko besteht, wenn ausreichen‐ des Eigenkapital beim Kreditnehmer vorhanden ist. Gleiches gilt für Lieferanten. Auch sie werden bei ausreichender Eigenkapitalausstattung eher dazu geneigt sein, der Unterneh‐ mung Lieferantenkredite zur Bezahlung ihrer Waren zur Verfügung zu stellen.376 Darüber hinaus lässt eine hohe Eigenkapitalquote gegenüber Konkurrenten oder einer Branche für Außenstehenden positive Rückschlüsse auf die zukünftige Zahlungsfähigkeit eines Unter‐ nehmens sowie auf ein geringeres Risiko des Forderungsausfalls zu.377 Im Innenverhältnis repräsentiert das Eigenkapital hingegen die Machtbefugnisse der Eigentümer zueinander. Je höher der Eigenkapitalanteil eines Gesellschafters ist, desto größer ist sein Einfluss auf das Unternehmensgeschehen. Dies bedeutet aber auch, dass mit abnehmendem (gesamtem) Eigenkapital einer Unternehmung die Abhängigkeit gegenüber den Fremdkapitalgebern steigt.378 Geschäftsführungs‐ und Kontrollfunktion Die Höhe, Struktur und Zusammensetzung des Eigenkapitals determinieren nicht nur den Anteil am Gewinn, über den jeder Eigenkapitalgeber verfügen darf, sondern auch bestimmte Herrschaftsrechte, die Kontroll‐ und Einflussmöglichkeiten sowie Entscheidungsrechte mit sich bringen. Die Herrschaftsrechte können dabei in Abhängigkeit von Rechtsform, Größe des Unternehmens und Anzahl der Eigentümer verschiedene Ausgestaltungsformen haben. So können diese bspw. die Berechtigung oder Verpflichtung zur Geschäftsführung beinhalten oder dem Eigenkapitalgeber nur Veto‐ oder Stimmrechte (z.B. auf der Hauptversammlung) zugestehen.379
B 7.4 Modelle zur Entscheidung über die Kapitalstruktur Die Kapitalstruktur beschreibt die Mischung der in einem Unternehmen verwendeten Finan‐ zierungsinstrumente und konzentriert sich dabei hauptsächlich auf das Verhältnis von Eigen‐ zu Fremdkapital.380 Die Frage, ob eine optimale Kapitalstruktur existiert, von welchen Fakto‐ 374
Vgl. Vormbaum (1995), S. 36; Daferner (2000), S. 122 ff. Vgl. Bieg/Kußmaul (2009), S. 41; Jahrmann (2009), S. 188; Kaiser (1995), S. 12 ff.; Müller u.a. (2006), S. 183. Vgl. Müller u.a. (2006), S. 183. 377 Vgl. Schäfer (2002), S. 19. 378 Vgl. Bieg/Kußmaul (2009), S. 41; Jahrmann (2009), S. 188. 379 Vgl. Jahrmann (2009), S. 188; Kramer (1999), S. 50; Müller u.a. (2006), S. 181; Vormbaum (1995), S. 42. 380 Vgl. Schraml (2010), S. 140. 375 376
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ren sie beeinflusst wird und nach welchen Kriterien Unternehmen ihre Finanzierungsent‐ scheidungen treffen, wird in einer Vielzahl theoretischer Modelle diskutiert. Diese lassen sich, wie in Abbildung 13 zu sehen, überblicksartig in klassische und neuere Theorien eintei‐ len. Den Ausgangspunkt der klassischen Theorien bilden die „Traditionelle These“ und die „Irrelevanzthese“ von Modigliani/Miller, die jeweils zwei entgegengesetzte Standpunkte in der Diskussion um die Kapitalstruktur von Unternehmen bilden. Weil Modigliani/Miller in ihrem Modell von einem vollkommenen Markt ausgingen und dabei zu dem Schluss kamen, dass Finanzierungsentscheidungen keinen Einfluss auf dem Unternehmenswert haben und damit die Wahl der Finanzierunginstrumente irrelevant ist,381 war es das Ziel der nachfol‐ genden theoretischen Beiträge, Marktimperfektionen, wie z.B. Steuern, Transaktions‐, Kon‐ kurs‐ und Informationskosten zu identifizieren und die Wirkung dieser auf die Kapitalstruktur von Unternehmen zu analysieren. Dabei wurden zunächst exogene Einflüsse, wie z.B. Steu‐ ern, und später auch endogene Einflüsse, wie beispielsweise Konflikte zwischen Managern und Eigentümern, in die Modelle integriert, so dass letztlich der Beweis für die Relevanz der Kapitalstruktur in Unternehmen erbracht werden konnte. Neben der „Traditionellen These“ und dem Irrelvanztheorem sind von den klassischen Beiträgen zur Kapitalstruktur insbeson‐ dere die Trade‐off‐Theorie, die Agency‐theoretischen Ansätze sowie die auf asymmetrischer Information basierende Pecking‐Order‐Theorie hervorzuheben.382 Abbildung 13: Kapitalstrukturmodelle im Überblick Klassische Theorien zur Kapitalstruktur „Traditionelle These“
„Irrelevanz‐ these“
Konflikte zwischen Anteilseignern und Gläubigern • These des Vermögenstransfers • Unterinvestitionsthese • These der Reputationseffekte
Trade‐off‐ Theorie
Theorien basierend auf Ansätzen der Agency Theorie
Konflikte zwischen Anteilseignern und Managern
Theorien basierend auf asymmetrischer Information
Signalling Theorie
Pecking‐Order ‐ Theorie
• Konsumthese • Free‐Cashflow‐These • Über‐ und Unterinvestitionsthese • Liquidationsverschleppungsthese
Neuere Theorien zur Kapitalstruktur basierend auf: der Financial Life‐Cycle Theorie
produkt‐ und markt‐ spezifischen Modellen zur Kapitalstruktur
dem Markt für „Corporate Control“
dynamischen Anpassungs‐ Prozessen, Windows‐of‐Opportunity und Market Timing Modellen
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Herrmans (2006), S. 1 ff.
Die in der Abbildung 13 verwendete Bezeichnung „Neuere Theorien zur Kapitalstruktur“ ba‐ siert darauf, dass die hierunter aufgeführten Forschungszweige bzw. theoretische Ansätze 381 382
Vgl. Eilenberger (1997), S. 324 ff.; Kruschwitz/Husmann (2010), S. 253 ff.; Schäfer (2002), S. 105 ff. Vgl. Hermanns (2006), S. 1 ff.
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hauptsächlich Mitte der achtziger Jahre oder später begründet wurden. Im Gegensatz zu den klassischen Theorien, die durch eine statische Betrachtungsweise gekennzeichnet sind, zeichnen sie sich primär durch ihre integrative Betrachtungsweise aus, die die Kapitalstruk‐ tur nicht mehr isoliert von anderen unternehmensrelevanten Aspekten analysiert, sondern in einen Gesamtkontext stellt. Die neueren Theorien unterstellen vor allem, dass die beo‐ bachtete Kapitalstruktur eines Unternehmens nicht der optimalen Kapitalstruktur entspricht. Sie analysieren daher insbesondere die Dynamik der Anpassungsprozesse an die jeweilige Zielkapitalstruktur.383 In der Folge entwickelte sich so eine Vielzahl interdisziplinärer Ansätze, bei denen u.a. Erkenntnisse aus anderen wirtschaftswissenschaftlichen Fachbereichen wie Strategie, Produkt‐ und Absatzpolitik, Marketing, Organisation und Verhaltenspsychologie in die theoretische Auseinandersetzung über die Kapitalstruktur integriert und auf deren wech‐ selseitigen Einfluss mit der Kapitalstruktur untersucht wurden.384 Trotz der Vielzahl der bereits existierenden Kapitalstrukturmodelle konnte bis jetzt noch kein abschließendes universelles Erklärungsmodell entwickelt werden. Einer der Hauptgründe dafür ist, dass kein Unternehmen dem anderen gleicht und dass eine Vielzahl von komple‐ xen, teilweise beobachtbaren und nicht beobachtbaren Faktoren die Kapitalstruktur beein‐ flusst. Die Anwendung von Kapitalstrukturmodellen auf kleine und mittlere Unternehmen erweist sich daher besonders problematisch, da die durch die amerikanische finanzwirt‐ schaftswissenschaftliche Literatur geprägte Diskussion zur Kapitalstruktur grundsätzlich von börsennotierten Unternehmen ausgeht. Hierunter fallen im Allgemeinen große Kapitalge‐ sellschaften, die i.d.R. über eine breit gestreute Aktionärsstruktur und einen guten Zugang zum Kapitalmarkt verfügen. Insofern sind die in der Abbildung 13 dargestellten Theoriean‐ sätze nicht ohne weiteres auf KMU übertragbar, da beispielsweise Windows‐of‐Opportunity‐ oder Market‐Timing‐Theorien die Emission von Finanztiteln in Abhängigkeit von Markt‐ und Zeitphasen untersuchen und damit vornehmlich auf börsennotierte Unternehmen abstel‐ len.385 Vor diesem Hintergrund erscheinen die Erklärungsansätze der Pecking‐Order‐Theorie, die eine Finanzierungshierarchie der von Unternehmen in Anspruch genommenen Finanzie‐ rungsinstrumente unterstellt, und der Financial‐Life‐Cycle Theorie, die von einer Veränder‐ barkeit der verfügbaren Finanzierungsinstrumente im Lebenszyklus eines Unternehmens ausgeht, am besten geeignet, die Finanzierungsstruktur von KMU zu erklären. Zum einen bieten sie den Vorteil, dass sie sich gegenseitig ergänzen, da Elemente der Pecking‐Order‐ Theorie auch in der Financial‐Life‐Cycle Theorie zum Tragen kommen. Zum anderen können die für diese Theorien grundlegenden Kriterien auch in der Realität recht gut beobachtet werden. So lassen sich die von einem Unternehmen in Anspruch genommenen Finanzie‐ rungsinstrumente und damit auch die Kapitalstruktur mithilfe der Bilanz ablesen, so dass Präferenzen hinsichtlich der verwendeten Finanzierungsinstrumente deutlich werden. Darü‐ ber hinaus lässt sich in den meisten Fällen auch die Lebensphase eines Unternehmens recht gut bestimmen, so dass sich auch der Einfluss dieser auf die Kapitalstruktur eines Unterneh‐ mens untersuchen lässt.386 383
Vgl. Hermanns (2006), S. 1 ff. Vgl. Brander/Lewis (1986), S. 958 ff.; Maksimovic (1988), S. 390 ff.; Maksimovic/Titman (1991), S. 175 ff. 385 Vgl. Hermanns (2006), S. 1 ff. 386 Vgl. Portisch (2008 a), S. 11 ff. 384
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In den folgenden Abschnitten werden daher mit der traditionellen These und dem Irrelevanztheorem von Modilgiani/Miller zwei Konzepte vorgestellt, die zu jeweils unter‐ schiedlichen Aussagen über die Relevanz der Kapitalstruktur von Unternehmen führen. Wäh‐ rend die traditionelle These von der Existenz eines optimalen Verschuldungsgrades ausgeht, kommen Modigliani/Miller zu dem Schluss, dass die Art der Finanzierung bzw. die Kapital‐ struktur für den Unternehmenswert irrelevant ist. Da Modigliani/Miller jedoch von sehr weitreichenden Prämissen ausgehen, werden im darauffolgenden Abschnitt Argumente dar‐ gelegt, die für die Relevanz der Kapitalstruktur in Unternehmen sprechen. Mit der Darstel‐ lung der Pecking‐Order als informationsökonomischer Ansatz sowie der Financial‐Life‐Cycle‐ Theorie als dynamischer Ansatz wird dem Umstand Rechnung getragen, dass gerade jene Konzepte besonders geeignet erscheinen, Kapitalstrukturentscheidungen von mittelständi‐ schen Unternehmen zu erklären. B 7.4.1 Die traditionelle These zur Relevanz der optimalen Kapitalstruktur Um die Frage zu beantworten, in welchem Maße die Aufnahme von Fremdkapital aus der Sicht des Unternehmens bzw. seiner Eigentümer vorteilhaft ist, wurde die häufig als „traditi‐ onell“ bezeichnete These zur optimalen Kapitalstruktur entwickelt. Den Ausgangspunkt die‐ ser Konzeption bildet der als Leverage‐Effekt bekannte Zusammenhang zwischen der Eigen‐ kapitalrendite und dem Verschuldungsgrad. Dabei zeigt sich, dass eine Unternehmung bei gegebenem Gesamtkapital in der Lage ist, durch sukzessive Substitution von „teurem“ Ei‐ genkapital durch „billiges“ Fremdkapital die Gesamtkapitalkosten sowie den Marktwert der gesamten Unternehmung zu beeinflussen. Hieraus folgt wiederum, dass die Eigenkapitalren‐ tabilität durch Fremdfinanzierung von Investitionen, deren Gesamtkapitalrentabilität über dem Fremdkapitalzins liegt, erhöht werden kann. Unter Berücksichtigung der Risikosensibili‐ tät der Kapitalgeber existiert im Unternehmen ein optimaler Verschuldungsgrad also genau dort, wo die Funktion der durchschnittlichen Kapitalkosten ihr Minimum erreicht.387 Die traditionelle These beruht in ihrer Argumentation auf Beobachtungen und Verhaltens‐ annahmen von Eigen‐ und Fremdkapitalgebern bezüglich ihrer Ausschüttungs‐ bzw. Zinsfor‐ derungen gegenüber dem Unternehmen aufgrund unterschiedlicher Verschuldungsgrade. Hierbei wird davon ausgegangen, dass die Renditeforderungen der Kapitalgeber mit dem Anstieg des Verschuldungsgrades ebenfalls wachsen. Zentrale Annahme ist, dass die Eigen‐ kapitalgeber früher als die Fremdkapitalgeber ihre Renditeforderungen erhöhen, sobald die Verschuldung des Unternehmens zunimmt.388 Beim Ansteigen der Renditeforderung auf‐ grund der wachsenden Verschuldung lassen sich daher drei Effekte beobachten:389 1. Im Verlauf der zunehmenden Verschuldung wird „teures“ Eigenkapital durch „billigeres“ Fremdkapital substituiert. Es kommt damit zu einer Senkung der durchschnittlichen Kapital‐ kosten, da weder die Eigen‐ noch die Fremdkapitalgeber auf eine schrittweise, aber modera‐ te Anhebung des Verschuldungsgrades reagieren.
387
Vgl. Perridon u.a. (2009), S. 496 ff.; Wöhe u.a. (2009), S. 41 ff. Vgl. Schäfer (2002), S. 106 ff. 389 Vgl. Schäfer (2002), S. 106 ff.; Schneider (1992), S. 550 ff.; Schmidt/Terberger (1997), S. 245 ff.; Wöhe/Döring (2008), S. 662 ff. 388
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2. Überschreitet der Verschuldungsgrad eine kritische Schwelle, nimmt das Risiko für die Eigen‐ kapitalgeber zu, so dass diese ihre Mindestzinsforderung um eine verschuldungsgradabhän‐ gige Risikoprämie erhöhen. Die durchschnittlichen Kapitalkosten werden jedoch bei steigen‐ der Eigenkapitalrendite anfänglich noch weiter sinken. 3. Erst bei hohem Verschuldungsgrad steigen auch die Fremdkapitalzinsen, da sich die Gläubi‐ ger in ihren Zins‐ und Tilgungsansprüchen bedroht sehen. Folglich sind sie zu Kreditprolonga‐ tionen oder neu bereitzustellenden Krediten nur bereit, wenn die Unternehmensleitung Risi‐ koaufschläge in den Kreditzinsen akzeptiert.
Bei der traditionellen These werden somit das Ansteigen des Verschuldungsgrads und das damit einhergehende höhere Risiko durch steigende Kapitalkosten berücksichtigt. Hierbei wird unterstellt, dass die Kapitalkosten marktbestimmt sind und folglich den gewachsenen Renditeforderungen der Kapitalgeber entsprechen. Für die Unternehmensleitung stellt sich das Kapitalstrukturproblem als ein reines Kostenproblem dar, d.h. es wählt diejenige Kapital‐ struktur (denjenigen Verschuldungsgrad), bei dem die durchschnittlichen Kapitalkosten ihr Minimum erreichen.390 Damit zeigt sich, dass die durchschnittlichen Kapitalkosten das „Er‐ gebnis“ der Wahl der Kapitalstruktur sind, während die Eigen‐ und Fremdkapitalkosten die Ursachen darstellen.391 Die gegenläufige Entwicklung von Verschuldungsgrad und Kapitalkos‐ ten definieren somit einen maximalen Unternehmenswert und damit eine optimale Kapital‐ struktur gemessen an Marktpreisen (nicht anhand der Bilanz).392 Die bei der traditionellen These getroffenen Annahmen werden in der Literatur teilweise stark diskutiert. Einerseits wird bemängelt, dass die verschuldungsgradabhängige Erhöhung der Kapitalkosten vom Markt vorgegeben wird. In der Praxis dürfte es jedoch schwierig sein, den Zeitpunkt, ab dem die Verschuldung ihren kritischen Punkt erreicht sowie die danach einsetzende Kapitalkostenerhöhung, exakt zu bestimmen. Andererseits stellen die Anbieter von Eigen‐ und Fremdkapital in der Realität keine homogene Gruppe mit einheitlichen Risi‐ kopräferenzen dar, weshalb auch nicht, wie bei der traditionellen These geschehen, von ein‐ heitlichen Mindestverzinsungsansprüchen ausgegangen werden kann.393 B 7.4.2 Die „Irrelevanzthese“ nach Modigliani/Miller Die Frage, ob sich durch Variation des Verschuldungsgrads der Marktwert eines Unterneh‐ mens maximieren lässt, war auch Gegenstand der Untersuchungen von Modigliani/Miller.394 Auf Grundlage eines ganz anderen Denkansatzes stellten sie in ihrem 1958 erschienenen Aufsatz „The Cost of Capital, Corporation Finance and the Theory of Investment” eine nach ihnen benannte Gegenthese zu der von den Anhängern der „traditionellen These“ postulier‐ ten Existenz eines kapitalkostenabhängigen Verschuldungsgrades auf.395 Ausgangspunkt ih‐ rer Überlegungen bildete dabei die Erkenntnis, dass auf einem vollkommenen Kapitalmarkt homogene Güter den gleichen Preis haben müssen. Die entscheidende Kernthese von Mo‐ 390
Vgl. Schäfer (2002), S. 106 ff. Vgl. Schmidt/Terberger (1997), S. 246. Vgl. Schneider (1992), S. 550 ff. 393 Vgl. Wöhe/Döring (2008), S. 665. 394 Vgl. Wöhe/Döring (2008), S. 665. 395 Vgl. Modigliani/Miller (1958), S. 261 ff. 391 392
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digliani/Miller lautet daher, dass unter bestimmten stringenten Annahmen der Verschul‐ dungsgrad eines Unternehmens ohne Einfluss auf seinen Marktwert ist, da die Kapitalstruk‐ tur lediglich eine Form der Aufteilung der Unternehmergewinne auf verschiedene Parten darstellt. Die Verteilung der unsicheren Cashflows an die Kapitalgeber erfolgt somit unab‐ hängig davon, in welcher Weise das für die Durchführung der Investition benötigte Kapital aufgebracht wird. Hieraus folgt, dass die Art der Finanzierung bzw. die Kapitalstruktur für den Unternehmenswert nicht relevant ist.396 Für den Beweis Ihrer Aussagen legen Modigliani/Miller eine Reihe von Annahmen zugrun‐ de.397 So gehen sie in ihrem Modell von einem vollkommenen Kapitalmarkt aus, auf dem ein einheitlicher Zinssatz für Kapitalanlagen und Kreditaufnahmen existiert, der gleichermaßen für Unternehmen wie für Privatpersonen gilt. Die Kapitalanleger haben dann die Wahl, ob sie Forderungstitel (= Fremdkapital bereitstellen) mit dem Anspruch auf Fremdkapitalzinsen oder Beteiligungskapital (= Eigenkapital bereitstellen) mit dem Anrecht auf Dividenden er‐ werben wollen. Darüber hinaus existiert für Fremdkapitalgeber annahmegemäß kein Forde‐ rungsausfallrisiko, so dass der Erwerb von Forderungstiteln risikolos ist. Zudem wird ange‐ nommen, dass sich Unternehmen in homogene Risikoklassen einteilen lassen. Das bedeutet, dass innerhalb einer Risikoklasse ein einheitliches Geschäftsrisiko bezüglich etwaiger Ge‐ winnschwankungen im Zeitablauf besteht und ein Vergleich mit bekannten Marktwerten anderer Unternehmen in einer gleichen Risikoklasse hergestellt werden kann. Für das Modell von Bedeutung sind überdies der aus der Annahme des vollkommenen Marktes resultieren‐ de freie Zugang zum Kapitalmarkt, die beliebige Teilbarkeit von Finanzierungstitel sowie die Abwesenheit von Informations‐ und Transaktionskosten.398 Um die These von der Irrelevanz der Kapitalstruktur zu untermauern, argumentieren Modig‐ liani/Miller ausschließlich mit Gleichgewichtsüberlegungen.399 So führen die von ihnen ge‐ troffenen Annahmen dazu, dass Unternehmen, die einer Risikoklasse angehören, homogene Güter sind, die unter der Vorrausetzung eines vollkommenen Kapitalmarkts gleiche Preise, d.h. gleiche Gesamtkapitalkosten, aufweisen. Kommt es jedoch aufgrund unterschiedlicher Kapitalstrukturen dennoch zu Preisunterschieden zwischen ansonsten gleichen Unterneh‐ men, so stellen sich nach Modigliani/Miller Arbitrageprozesse400 ein, die dazu führen, dass das Preisgleichgewicht wieder hergestellt wird.401 Die Möglichkeit zur Arbitrage beruht dabei auf der Tatsache, dass Arbitrageure die Verschuldung des Unternehmens durch eigene Ver‐ schuldung ersetzen bzw. die Verschuldung einer Unternehmung für sich neutralisieren kön‐ nen.402 Modigliani/Miller zeigen mit ihrem Arbitragebeweis, dass die Eigenkapitalkosten eine 396
Vgl. Eilenberger (1997), S. 324 ff.; Kruschwitz/Husmann (2010), S. 253 ff.; Schäfer (2002), S. 110 ff. Vgl. Modigliani/Miller (1958), S. 268. Vgl. Breuer (2008), S. 81 ff.; Schäfer (2002), S. 110 f.; Wöhe/Döring (2008), S. 665 ff. 399 Vgl. Schmidt/Terberger (1997), S. 269. 400 Im Verlauf des Arbitrageprozesses verkaufen die Anteilseigner Aktien des höher bewerteten Unternehmens, um damit Anteile am geringer bewerteten Unternehmen zu erwerben. Aufgrund dieser Umschichtungen, d.h. der steigenden Nachfrage nach den relativ unterbewerteten Aktien und dem Nachfragerückgang bei den relativ teuren Papieren, kommt es zu Preisanpassungen. Kurz bis mittelfristig werden so Unterschiede im Marktwert von zwei Unternehmen aufgrund der stattfindenden Arbitrageprozesse ausgeglichen und das Gleichgewicht wieder hergestellt. Vgl. Hermanns (2006), S. 14 ff.; Modigliani/Miller (1958), S. 268 ff. 401 Vgl. Kramer (1999), S. 51 f.; Süchting (1995), S. 475 ff. 402 Vgl. Modigliani/Miller (1958), S. 268 ff. 397 398
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linear ansteigende Funktion des Verhältnisses von Fremd‐ zu Eigenkapital sind und dass die durchschnittlichen Kapitalkosten im Gleichgewicht unabhängig von der Verschuldung sind. Somit gibt es auf einem vollkommenen Kapitalmarkt im Gleichgewicht keine optimale Kapi‐ talstruktur, so dass Investitionsentscheidungen in diesem Fall mit einem von der Finanzie‐ rung unabhängigen Kalkulationszinsfuß getroffen werden können.403 B 7.4.3 Argumente für die Bedeutung der Kapitalstruktur in KMU Die von Modigliani/Miller entwickelte Theorie erlangte unter dem Namen „lrrelevanz‐ theorie" Berühmtheit und wurde in der Literatur intensiv diskutiert. Dabei wurde insbeson‐ dere Kritik an der im Modell unterstellten Annahme eines vollkommenen Kapitalmarkts ge‐ übt, auf dem eine Vielzahl von unabhängigen Anbietern über vollkommene Information ver‐ fügen und auf dem weder Steuern noch Transaktionskosten existieren. In der Realität dürf‐ ten jedoch gerade spekulative Kapitalmarkttransaktionen auf die ungleiche Verteilung von Informationen zurückzuführen sein. Auch dürfte die Unvollkommenheit an den Kapitalmärk‐ ten schon allein durch die Existenz von Transaktionskosten und die unterschiedliche Markt‐ macht einzelner Akteure begründet sein. Als problematisch könnte sich zudem die Zuord‐ nung von Unternehmen zu Risikoklassen erweisen, da schon die Bestimmung von Gewinnen verschiedener Unternehmen aufgrund finanzieller Bewertungsspielräume Schwierigkeiten bereitet. Darüber hinaus unterstellen Modigliani/Miller, dass weder wirtschaftliche noch juristische Unterschiede zwischen der Verschuldung eines Unternehmens und der privaten Kapitalaufnahme bestehen. In der Praxis ist jedoch die Haftung einer Kapitalgesellschaft auf die Höhe der Einlage begrenzt, während der private Schuldner grundsätzlich mit seinem ge‐ samten Vermögen haftet und damit ein größeres Risiko trägt. Dazu kommt, dass die Zinssät‐ ze für die Unternehmensverschuldung in der Regel etwas niedriger als für die private Kredit‐ aufnahme ausfallen.404 Der häufig geübten Kritik der Nichtberücksichtigung von Steuern begegneten Modiglia‐ ni/Miller in einem fünf Jahre später erschienenen Aufsatz mit dem Titel „Corporate Income Taxes and the Cost of Capital: A Correction“, in dem sie ihr Grundmodell um Körperschaft‐ steuern ergänzten.405 Darin kommen sie zu dem Ergebnis, dass durch die steuerliche Abzugs‐ fähigkeit von Fremdkapitalzinsen die Kapitalkosten einer Unternehmung durch den Einsatz von Fremdkapital gesenkt werden können. Obwohl unter dieser Bedingung eine fast 100%ige Verschuldung des Unternehmens optimal erscheint, weisen Modigliani/Miller da‐ rauf hin, dass der Steuervorteil der Fremdfinanzierung nicht unbedingt als Argument für eine hohe Fremdverschuldung der Unternehmen dienen sollte. So könnte einerseits die Finanzie‐ rung aus einbehaltenen Gewinnen unter gewissen Umständen billiger sein als die Fremdfi‐ nanzierung. Andererseits sei aber auch der Zugang zu Fremdkapital i.d.R. begrenzt.406 Mit Blick auf kleine und mittlere Unternehmen dürfte sich der Vorteil der Abzugsfähigkeit von 403
Vgl. Schmidt/Terberger (1997), S. 269 f. Vgl. Hirth (2008), S. 162 ff.; Perridon u.a. (2009), S. 511 ff.; Spremann (1996), S. 308 ff.; Süchting (1995), S. 478 ff. 405 Der Originalaufsatz von 1958 enthielt zwar einen Abschnitt, der den Einfluss von Steuern berücksichtigte, jedoch wurde dieser von Modigliani/Miller falsch berechnet, so dass sie ihren Fehler in dem 1963 erschie‐ nenen Aufsatz: „Corporate Income Taxes and the Cost of Capital: A Correction“ korrigier‐ ten. Vgl. Hermanns (2006), S. 19; Modigliani/Miller (1958), S. 293 ff.; Modigliani/Miller (1963), S. 433 ff. 406 Vgl. Hermanns (2006), S. 20; Modigliani/Miller (1963), S. 442 f.; Weston/Copeland (1992), S. 582 ff. 404
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Fremdkapital aber nur dann steuerlich auswirken, wenn das Unternehmen einen steuerba‐ ren Gewinn ausweist. Da speziell junge Wachstumsunternehmen weniger profitabel sind und höhere Grenzsteuersätze weniger wahrscheinlich, wirkt sich der Steuervorteil eines hö‐ heren Verschuldungsgrades für sie geringer aus als bei Großunternehmen.407 Für die Relevanz der Kapitalstruktur in mittelständischen Unternehmen sprechen die im Mo‐ dell von Modigliani/Miller vernachlässigten Insolvenzkosten.408 Diese nehmen mit wachsen‐ dem Verschuldungsrad weiter zu, da die fixen Zahlungsansprüche der Fremdkapitalgeber im Gegensatz zu den Residualansprüchen der Eigenkapitalgeber weiterhin bedient werden müssen.409 Für KMU sind die Insolvenzkosten aus zweierlei Hinsicht von großer Bedeutung. Zum einen sind sie größtenteils fix und treffen so insbesondere kleinere Unternehmen.410 Zum anderen ergaben Untersuchungen von McConnell und Pettit, dass bei steigendem Ver‐ schuldungsgrad die Grenzkosten der Insolvenz für KMU stärker ansteigen als bei Großunter‐ nehmen.411 Vor diesem Hintergrund kann die Suche nach der optimalen Verschuldungsstruk‐ tur als Zusammenhang zwischen der Fremdfinanzierung mit dem Ziel der Steuerlastminimie‐ rung und den zu erwartenden höheren Kosten durch die Gefahr einer Insolvenz interpretiert werden.412 Ein weiteres Argument für die Bedeutung der Kapitalstruktur bietet die in der Realität vor‐ herrschende Informationsverteilungsstruktur. So ist die Unternehmensleitung i.d.R. besser über die gegenwärtigen und zukünftigen wirtschaftlichen sowie finanziellen Verhältnisse des Unternehmens informiert, als es Fremdkapitalgeber sein können.413 Um die daraus resultie‐ rende asymmetrische Informationsverteilung zu überwinden, weisen KMU häufig höhere Signalling‐Kosten414 aus. So kann es durchaus sein, dass ein Unternehmer weiterhin einen großen Eigenkapitalanteil hält, um (potentiellen) Fremdkapitalgebern das Vertrauen in die Entwicklungsfähigkeit seines Unternehmens zu signalisieren. Vor diesem Hintergrund sind die Möglichkeiten der Substitution von Eigen‐ und Fremdkapital für kleine und mittlere Un‐ ternehmen häufig begrenzt.415 Bei der allgemeinen Diskussion um die Kapitalstruktur darf jedoch auch nicht übersehen werden, dass diese vornehmlich von der amerikanisch finanzwirtschaftswissenschaftlichen 407
Vgl. Kramer (1999), S. 53. In der Literatur werden direkte und indirekte Insolvenzkosten unterschieden. Direkte Insolvenzkosten um‐ fassen alle Auszahlungen für die Durchführung eines Insolvenzverfahrens, wie z.B. Verwaltungs‐, Beratungs‐, Gerichts‐ und Anwaltskosten. Die indirekten Kosten der Insolvenz setzen sich hingegen aus reduzierten Ein‐ zahlungen und der Unsicherheit in der Durchführung des operativen Geschäfts zusammen. Mögliche Ursa‐ chen können neben dem Ausbleiben zukünftiger Umsätze auch erhöhte Finanzierungskosten auf operativer Ebene sein, da sich Kapitalgeber, Kunden und Lieferanten in Antizipation einer Insolvenz teilweise vom Un‐ ternehmen abwenden oder ihre Zahlungspolitik ändern. Darüber hinaus kann die Gefahr bestehen, dass die Veräußerung von Vermögensgegenständen aufgrund der schlechten Verhandlungsposition des Unterneh‐ mens nur zu einem niedrigeren Wert erfolgen kann. Vgl. Kudla (2005), S. 38 ff.; Lodowicks (2007), S. 34 ff. 409 Vgl. Baxter (1967), S. 395 ff.; Kudla (2005), S. 38 ff. 410 Vgl. Kramer (1999), S. 52. 411 Vgl. McConnell/Pettit (1984), S. 114 f. 412 Vgl. Schäfer (2002), S. 115. 413 Vgl. Schäfer (2002), S. 125. 414 Unter Signalling‐Kosten werden jene Kosten verstanden, die dadurch entstehen, dass ein Unternehmer versucht, durch bestimmte Aktionen die Qualität seines Unternehmens für andere Markteilnehmer zu sig‐ nalisieren. Vgl. Hermanns (2006), S. 65 ff.; Perridon u.a. (2009), S. 545. 415 Vgl. McConnell/Pettit (1984), S. 115; Niederöcker (2002), S. 55 ff. 408
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Literatur geprägt ist, die bei ihren Überlegungen grundsätzlich von börsennotierten „Corporates“ ausgeht. Hierzu zählen mehrheitlich große Kapitalgesellschaften, die i.d.R. über eine breit gestreute Aktionärsstruktur und einen guten Zugang zum Kapitalmarkt verfü‐ gen.416 Mittelständische Unternehmen sind jedoch bei der Akquirierung von Kapital schon allein aufgrund ihrer Größe einer Vielzahl von Restriktionen ausgesetzt, so dass die Auswei‐ tung des Fremdkapitalanteils nur bedingt möglich ist.417 Die Kapitalstruktur von KMU orien‐ tiert sich somit vielmehr an den Möglichkeiten, bestimmte Finanzierungsinstrumente in An‐ spruch zu nehmen und der Fähigkeit, Sicherheiten in ausreichendem Umfang stellen zu kön‐ nen. Vor diesem Hintergrund ist die von Modigliani/Miller aufgestellte „Irrelevanzthese“ nicht auf die Kapitalstruktur von kleinen und mittleren Unternehmen übertragbar.418 B 7.4.4 Die Pecking‐Order‐Theorie Die Hackordnung der Finanzierung, besser bekannt als Pecking‐Order‐Theorie, bietet einen anderen Ansatz zur Erklärung des Finanzierungsverhaltens von Unternehmen. Im Jahre 1984 von Myers und Majluf entwickelt, analysiert das Konzept den Zusammenhang zwischen den durch Informationsasymmetrie bedingten Informationskosten und den besonderen Eigen‐ schaften des gewählten Finanzierungsinstruments und kommt zu dem Ergebnis, dass es eine Hierarchie bezüglich der gewählten Finanzierungsformen in Unternehmen gibt.419 Zur De‐ ckung des Kapitalbedarfs werden daher jene Finanzinstrumente genutzt, die kostenoptimal sind und der Unternehmensleitung am ehesten gestatten, sich der Kontrolle der Kapitalge‐ ber zu entziehen. Folglich wird die Innenfinanzierung jeder Form der Außenfinanzierung vor‐ gezogen, wobei die Selbstfinanzierung aus einbehaltenen Gewinnen gegenüber der Finanzie‐ rung aus Abschreibungen und Rückstellungen eine übergeordnete Stellung einnimmt. Rei‐ chen die internen Finanzmittel nicht aus, um den Finanzbedarf zu decken, müssen externe Finanzierungsquellen genutzt werden. Hierbei zieht die Unternehmensleitung generell die Emission sicherer Finanztitel der Emission risikobehafteter Finanztitel vor. Auf diese Weise kann eine Reihenfolge („pecking order“) von Finanzierungsalternativen abgeleitet werden, so dass zuerst Schuldtitel wie Bankkredite oder Anleihen, dann hybride Titel wie Wandel‐ und Optionsanleihen und letztlich Aktien für die Unternehmensfinanzierung emittiert wer‐ den.420 Eine optimale Kapitalstruktur bzw. eine Zielkapitalstruktur gibt es in der Pecking‐ Order‐Theorie nicht. Die zu beobachtende Kapitalstruktur von Unternehmen ist damit viel‐ mehr das Ergebnis von kumulierten externen Finanzierungserfordernissen und kann perma‐ nenten Veränderungen unterworfen sein.421 Die in der Pecking‐Order Theorie aufgestellte Finanzierungsreihenfolge, abgebildet in Abbil‐ dung 14, wird von Myers/Majluf mit vorvertraglichen Informationsasymmetrien erklärt, die aus der Dreierbeziehung Fremdkapitalgeber, Management und Eigenkapitalgeber resultie‐ ren. Während das Management auf Basis interner Informationen eine genaue Vorstellung 416
Vgl. Hermanns (2006), S. 12. Vgl. Fueglistaller (2008), S. 315 ff. Vgl. Chittenden u.a. (1996), S. 66 f.; Hermanns (2006), S. 11 ff.; Niederöcker (2002), S. 55 ff.; Reid (1996), S. 6. 419 Vgl. Myers/Majluf (1984), S. 187 ff. 420 Vgl. Achleitner/Fingerle (2004), S. 12; Myers/Majluf (1984), S. 219 f.; Myers (1989), S. 84 f.; Myers (2001), S. 92 f.; Paul/Stein (2002), S. 21. 421 Vgl. Hermanns (2006), S. 69 f. 417 418
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über den Wert des Unternehmens besitzt, haben Kapitalgeber lediglich eingeschränkte Mög‐ lichkeiten, die Eigenschaften der Kapitalnehmer bzw. die Qualität der finanzierten Projekte zu beobachten. Aus diesem Grund ist eine verstärkte Kontrolle der Kapitalnehmer durch die Kapitalgeber erforderlich, um mögliche Anreizprobleme auf Seiten der Kapitalnehmer einzu‐ schränken und somit ihr eigenes Risiko zu verringern. Diese Kontrolle wird jedoch von den Kapitalnehmern als Eingriff in den Entscheidungsprozess der Unternehmen aufgefasst. Um dieses zu verhindern, werden sie versuchen, in erster Linie auf Innenfinanzierungsmittel zu‐ rückzugreifen. Solange interne Quellen zur Finanzierung von Investitionen ausreichen, fallen für das Management weder Kosten zur Überwindung von Informationsunterschieden an, noch kommt es zu Einschränkungen ihrer Handlungsfreiheit. Erst wenn Fremdkapital, z.B. in Form von Krediten, benötigt wird, ist das Management gezwungen, die auf Seiten der Fremdkapitalgeber bestehenden Informationsunterschiede abzubauen. Dazu kann es nötig sein, dass bestimmte Bedingungen, (Stellung von Sicherheiten, Vorhandensein eines Risiko‐ managementsystems oder Vorlage einer plausiblen Finanzplanung) erfüllt werden müssen. Dies verursacht nicht nur Kosten, sondern kann auch mit Einschränkungen der Handlungs‐ freiheit (z.B. Zweckbindung des Kredites) für das Management verbunden sein. Ähnlich ver‐ hält es sich mit Finanzinvestoren. Da auch sie nicht über vollständige Informationen verfü‐ gen, können sie den wahren Wert der Beteiligung oder der neu ausgegebenen Aktien nicht kennen. Daher sind diese nur dann zu einem Engagement mit Eigenkapital bereit, wenn sie die Beteiligung bzw. die neuen Aktien mit einem Preisabschlag erwerben können. Jede Emis‐ sion bzw. Erhöhung des Eigenkapitals ist daher mit erheblichen Kosten für die Unterneh‐ mung verbunden.422 Abbildung 14: Finanzierungshierarchie nach der Pecking‐Order‐Hypothese
Innen‐ finanzierung Emission von risikolosem Fremdkapital Emission von risikoreichem Fremdkapital
Ausgabe von hybriden Finanztiteln
Emission von Eigenkapital
Quelle: Kramer (1999), S. 55. 422
Vgl. Börner u.a. (2010), S. 230 f.; Myers/Majluf (1984), S. 187 ff.; Rehkugler (2007), S. 294; Spremann (2007), S. 415 ff.
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Im Ergebnis zeigt sich, dass die Interessen des Managements bei der Innenfinanzierung am wenigsten, bei der externen Fremdfinanzierung etwas stärker und bei der Aufnahme neuer Eigenkapitalgeber am stärksten beeinträchtigt werden. Damit beschreibt die Pecking‐Order ein Finanzierungsverhalten, das durch zwei Aspekte gekennzeichnet ist: Zum einen werden erst dann neue Finanzierungsalternativen erschlossen, wenn die bislang genutzten Finanzie‐ rungsquellen ausgeschöpft sind, da die Erschließung einer neuen Finanzierungsquelle als negatives Signal über die Qualität des Unternehmens bzw. seines Managements verstanden werden könnte. Zum anderen wird die Präferenz zwischen den einzelnen Finanzierungsal‐ ternativen durch das Autonomiestreben der Unternehmensleitung – bei geschäftsführenden Gesellschaftern wie bei angestellten Managern – geprägt. Finanzierungsentscheidungen werden dann durch das Ziel eines größtmöglichen Ausschlusses von Informations‐ und Transparenzpflichten sowie von Mitwirkungsrechten Dritter dominiert.423 Signifikante Hinweise auf die Gültigkeit der Pecking‐Order‐Theorie konnten durch zahlreiche empirische Studien erbracht werden. So kamen Fama/French bei ihren Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass insbesondere profitable Unternehmen einen geringeren Verschuldungs‐ grad im Vergleich zu weniger profitablen Unternehmen aufweisen. Da gemäß der Pecking‐ Order profitable Unternehmen ihren Finanzbedarf primär aus eigenen Mitteln decken und damit einen niedrigeren Verschuldungsgrad ausweisen, sahen Fama/French die Gültigkeit der Pecking‐Order‐Theorie bestätigt. Nicht beweisen konnten sie jedoch, dass Unternehmen in der Regel zuerst Fremd‐ vor Eigenkapital emittieren. Speziell im Fall von Wachstumsun‐ ternehmen fanden sie heraus, dass die Finanzierung vorrangig aus der Emission von Eigen‐ kapital resultiert und somit im Widerspruch zur Gültigkeit der Pecking‐Order‐Theorie steht.424 Empirische Untersuchungen von Shyam‐Sunder/Myers belegen, dass sich die Theo‐ rie der Pecking‐Order vor allem als Erklärung für das Finanzierungsverhalten von etablierten Unternehmen eignet.425 Das von Myers/Majluf aufgestellte Konzept der Pecking‐Order nimmt damit einen wichtigen Stellenwert im Rahmen der Kapitalstrukturdiskussion ein. Es liefert nicht nur einen geeigneten Erklärungsbeitrag dafür, wie sich Informationsasymmet‐ rien auswirken, sondern führt auch zu nachvollziehbaren Aussagen hinsichtlich der in der Praxis vorfindbaren Finanzierungsentscheidungen und ‐strukturen von Unternehmen. Ledig‐ lich die in der Pecking‐Order‐Theorie angenommene strenge Finanzierungshierarchie konnte bislang nicht generell bestätigt werden.426 B 7.4.5 Die Financial‐Life‐Cycle‐Theorie Unternehmen durchlaufen einen Lebenszyklus, der in der Literatur im Rahmen eines idealty‐ pischen Prozesses als dynamische wirtschaftliche Entwicklung von der Gründung über das Wachstum bis hin zur Reife und möglichen Krise beschrieben werden kann. Obgleich nicht jedes Unternehmen die gleiche Anzahl an Entwicklungsstufen durchläuft und auch das Auf‐ treten einer Krise nicht zwingend ist, dürfte der reale Lebenszyklus mit Rückkopplungen und Sprüngen in vor‐ oder nachgelagerten Phasen versehen sein, der einem vierstufigen Ansatz weitgehend entspricht. Wird diesem idealtypischen Zyklusmodell gefolgt, so ergeben sich je 423
Vgl. Börner/Grichnik (2003), S. 681 ff. Vgl. Fama/French (2002), S. 26 ff. 425 Vgl. Shyam‐Sunder/Myers (1999), S. 242 f. 426 Vgl. Hermanns (2006), S. 76 f. 424
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nach Lebensphase und der damit verbundenen Vermögen‐, Finanz‐, und Ertragslage nicht nur unterschiedliche Risikolagen der Kapitalgeber, sondern auch differenzierte Finanzie‐ rungsbedarfe eines Unternehmens. Für ein Unternehmen und dessen Management stellt sich daher die Frage, wie es unter Berücksichtigung der jeweiligen Entwicklungsstufen seine Aktivitäten finanzieren soll.427 Weston/Brigham kommen in der von ihnen entwickelten Financial‐Life‐Cycle‐Theorie, zu sehen in Abbildung 15, zu dem Ergebnis, dass die Kapitalstruktur von Unternehmen im We‐ sentlichen von der jeweiligen Lebenszyklusphase bestimmt wird.428 Hiernach werden Grün‐ dungsunternehmen vorwiegend durch die Ressourcen ihrer Eigentümer finanziert, wobei zunächst die Liquiditätssicherung im Vordergrund steht. Da das Innenfinanzierungspotenzial zumeist noch nicht vorhanden ist und sich die Finanzierung durch externe Kapitalgeber als schwierig erweist, sind die meisten Gründungsunternehmen in dieser Phase von einer struk‐ turellen Unterkapitalisierung geprägt. Gelingt es den Unternehmen jedoch, die erste Phase zu überstehen, indem sie sich stabilisieren und langsam wachsen, stehen der Unterneh‐ mensleitung mit der Nutzung von Lieferantenkrediten und kurzfristiger Bankfinanzierung weitere Finanzierungsquellen offen. Aufgrund der starken Inanspruchnahme kurzfristiger Finanzierungsmittel in der Phase der schnellen Expansion besteht aber auch die Gefahr der Illiquidität, da für kleine Unternehmen angesichts des eingeschränkten Zugangs zum Kapi‐ talmarkt langfristige Mittel kaum erhältlich sind. Für dynamische Wachstumsunternehmen eröffnet sich damit eine „Finanzierungslücke“, was zur Folge hat, dass diese entweder ihre Wachstumsraten entsprechend den internen Finanzierungsmöglichkeiten verringern müssen oder den Zugang zum Kapitalmarkt anstreben sollten. Mit voranschreitendem Wachstum und Stabilisierung der Cash Flows verschaffen sich die Unternehmen zusätzlich die Möglich‐ keit, langfristige Bankenfinanzierungen in Anspruch nehmen zu können. Das Eintreten in die Reifephase bietet der Unternehmensleitung die Möglichkeit in Abhängigkeit von der erreich‐ ten Unternehmensgröße und den vorhandenen Sicherheiten weitere Finanzierungsinstru‐ mente zu nutzen. Aufgrund abnehmender Erträge erreichen zahlreiche Unternehmen die Abschwungphase, woraufhin diese entweder übernommen oder liquidiert werden.429
427
Vgl. Portisch (2008 a), S. 11 ff. Vgl. Weston/Brigham (1975), S. 833 ff. 429 Vgl. Chittenden u.a. (1996), S. 61; Kramer (1999), S. 56 f.; Mac an Bhaird (2010), S. 24 ff.; Portisch (2008 a), S. 11 ff. 428
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Abbildung 15: Der Financial‐Life‐Cycle von Unternehmen Lebenszyklusphase
Finanzierungsquellen
Mögliche Probleme
Gründung
Ressourcen der Eigentümer
Unterkapitalisierung
Wachstum I
wie oben plus: einbehaltene Gewinne, Lieferantenkredite, kurzfristige Bankkredite, Kontokorrentkredite, Ratenkauf und Leasing
Illiquidität Overtrading
Wachstum II
wie oben plus: langfristige Bankfinanzierung
Wachstum III
wie oben plus: Emission von Beteiligungskapital
Kontrollverlust
Reife
Nutzung aller Finanzierungsquellen möglich
Aufrechterhaltung der Rentabilität
Abschwung
Finanzierungsentzug: Fallende Rentabilität Firmenübernahme, Aktienrückkauf, Liquidation
„Finanzierungslücke“
Quelle: Mac an Bhaird (2010), S. 25.
Durch die Einbeziehung des Unternehmenslebenszyklus in die Analyse der Finanzierungs‐ struktur von Unternehmen erfährt die Finanzierung in diesem Erklärungsansatz eine Dyna‐ misierung. Weil der Einsatz einzelner Finanzierungsformen in bestimmten Phasen des Un‐ ternehmenslebenszyklus Vorteile aufweist, wechseln die Finanzierungstechniken beim Übergang in eine neue Phase.430 So muss die Unternehmensleitung am Anfang die Grün‐ dungsfinanzierung sicherstellen. In der Wachstumsphase ist dagegen eher die wertsteigern‐ de Finanzierung von Bedeutung. Wenn die Expansion in der Reifephase stagniert, so muss die Finanzierung u.U. auch für anorganisches Wachstum in Betracht gezogen werden. Gerät dagegen ein Unternehmen in die Krise, so steht die Stabilisierung der Finanzierung im Vor‐ dergrund.431 Die Financial‐Life‐Cycle‐Theorie bietet damit nicht nur einen Erklärungsansatz für die in der Realität zu beobachtenden Veränderungen in der Kapitalstruktur von Unter‐ nehmen, sondern liefert auch eine Begründung für den großen Anteil von kurzfristigen Ver‐ bindlichkeiten in der Kapitalstruktur von jungen Wachstumsunternehmen.432 Unter Berück‐ sichtigung der in Deutschland geltenden Rahmenbedingungen wird damit deutlich, dass sich fehlende Finanzierungsmöglichkeiten („finance gap“), insbesondere bei jungen Unterneh‐ men, wachstumshemmend auswirken können.433
430
Vgl. Portisch (2008 a), S. 11. Vgl. Späth (2008), S. VIII. Chittenden u.a. werteten für einen Zeitraum von 5 Jahren insgesamt 3.480 kleine und mittlere Unternehmen aus, von denen 172 an der Börse gelistet waren. Sie konnten bei ihren Analysen zeigen, dass der Anteil von kurzfristigem Fremdkapital in KMU im besonderen Maß davon abhängt, ob ein Unternehmen börsennotiert ist. Nichtbörsennotierte Unternehmen sind demnach verstärkt auf kurzfristiges Fremdkapital angewiesen. Vgl. Chittenden u.a. (1996), S. 62 ff. 433 Vgl. Kramer (1999), S. 56 f. 431 432
99
B 7.4.6 Fazit In der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur beschäftigt sich eine Vielzahl theoretischer Modelle mit der Wahl von Finanzierungsentscheidungen, wobei diese größtenteils auf die Kapitalstruktur, d.h. das Verhältnis von Eigen‐ und Fremdkapital, bezogen werden. Aufgabe der vorstehenden Teilabschnitte war es, einige ausgewählte Kapitalstrukturmodelle vorzu‐ stellen, die für die Finanzierungsentscheidungen mittelständischer Unternehmen den größ‐ ten Erklärungsgehalt implizieren. Hierbei wurde deutlich, dass die traditionelle These und das von Modigliani/Miller aufgestellte Irrelevanztheorem zwei entgegengesetzte Standpunk‐ te in der Diskussion um die Kapitalstruktur von Unternehmen bilden. Während erstere als Ziel von Unternehmen eine optimale Fremdfinanzierung postuliert, die dann erreicht ist, wenn die Kapitalkosten minimal sind, lautet die Kernaussage der Irrelevanzthese, dass Fi‐ nanzierungsentscheidungen eines Unternehmens keinen Einfluss auf dessen Wert haben.434 Das klassische Irrelevanztheorem eröffnete eine lange und intensive Diskussion zur optima‐ len Kapitalstruktur eines Unternehmens. Unter den gesetzten Modellprämissen herrscht in der Literatur Einigkeit über die Gültigkeit des Irrelevanztheorems. Jedoch steht gerade die von Modigliani/Miller unterstellte Grundannahme des vollkommenen Marktes im Wider‐ spruch zur Realität, die nachweislich durch Marktunvollkommenheiten (z.B. Informations‐ asymmetrien und Steuern) gekennzeichnet ist. Die Berücksichtigung eben jener Marktun‐ vollkommenheiten sowie ihre Integration in die Erklärungsmodelle zeichnet die klassischen Theorien zur Kapitalstruktur aus, die damit den Nachweis über die Relevanz der Kapitalstruk‐ tur in Unternehmen erbringen.435 Bei der Diskussion um die verschiedenen Kapitalstruktur‐ modelle ist besonders zu berücksichtigen, dass die überwiegende Literatur zur Kapitalstruk‐ tur große Kapitalgesellschaften zum Gegenstand ihrer finanzwissenschaftlichen Ausführun‐ gen hat. Die Ableitung der Erkenntnisse auf kleine und mittlere Unternehmen ist daher nur eingeschränkt möglich.436 Auf die Frage, welche Ansätze den größten Erklärungsbeitrag für Finanzierungsentscheidun‐ gen in mittelständischen Unternehmen besitzen, ist zunächst zu konstatieren, dass Gege‐ benheiten eines vollkommenen Kapitalmarktes für diese Unternehmen nicht als erfüllt anzu‐ sehen sind. Vielmehr stellen sich die Kredit‐ und Kapitalmärkte für mittelständische Unter‐ nehmen heterogen, stark segmentiert und unvollkommen dar. Viele der auf diesen Märkten angebotenen Finanzierungsinstrumente sind für kleine und mittlere Unternehmen nicht ver‐ fügbar, so dass sie sich nur mit einer spezifischen Auswahl von Krediten und Eigenkapitalmit‐ teln finanzieren können. Die Unvollkommenheit liegt somit in den finanziellen Eintrittsbarri‐ eren und Regelungen der meisten traditionellen Finanzmärkte sowie den mit der Unterneh‐ mensgröße einhergehenden geringen Finanzierungsvolumina begründet. Die Aussagen der Irrelevanzthese besitzen für KMU folglich keine Gültigkeit, da ihre Prämissen bzw. die An‐ nahme eines vollkommenen Kapitalmarktes nicht der Realität entsprechen.437
434
Vgl. Börner u.a. (2010), S. 230. Vgl. Hermanns (2006), S. 78 ff. Vgl. Hermanns (2006), S. 7. 437 Vgl. Chittenden u.a. (1996), S. 66 f.; Hermanns (2006), S. 11 ff.; Niederöcker (2002), S. 55 ff.; Reid (1996), S. 6. 435 436
100
Mit der Pecking‐Order‐Theorie und der Financial‐Life‐Cycle‐Theorie wurden daher zwei Kon‐ zepte gewählt, die von (Kapital‐) Marktunvollkommenheiten ausgehen. Die auf einer asym‐ metrischen Informationsverteilung basierende Pecking‐Order‐Theorie verwirft dabei die An‐ nahme einer optimalen Zielkapitalstruktur und unterstellt eine Finanzierungshierarchie, wo‐ nach sich Unternehmen primär durch eigene Mittel, danach durch externe Finanzierung und zuletzt durch die Emission von Eigenkapital finanzieren. Sie bietet damit eine nachvollziehba‐ re Erklärung für die in der Praxis zu beobachtenden niedrigen Verschuldungsgrade profitab‐ ler Unternehmen und für unterschiedliche Kapitalstrukturen von ansonsten vergleichbaren Unternehmen. Eine Reihe von empirischen Untersuchungen weist auf die Gültigkeit der Pecking‐Order‐Theorie hin. Ihre Erklärungskraft ist jedoch eingeschränkt, da sie sich weniger zur Erklärung der Kapitalstruktur von jungen, wachstumsstarken Unternehmen, welche oft Eigen‐ vor Fremdkapital emittieren, eignet. Hier setzt die Financial‐Life‐Cycle‐Theorie an, die darauf verweist, dass auch die Lebenszyklusphase eines Unternehmens entscheidend für die Kapitalstruktur sein kann. Die Kernaussage dieses Konzeptes lautet, dass sich die verfügba‐ ren Finanzierungsinstrumente im Lebenszyklus eines Unternehmens verändern können. Eine verallgemeinernde Aussage bezüglich einer optimalen Kapitalstruktur von Unternehmen kann somit nicht abgeleitet werden. Die Financial‐Life‐Cycle‐Theorie bietet daher vor allem einen geeigneten Erklärungsansatz für die in der Realität zu beobachtenden Veränderungen in der Kapitalstruktur von Unternehmen.438
438
Vgl. Hermanns (2006), S. 78 ff.; Kramer (1999), S. 58.
101
C Unternehmens‐ und Finanzierungsstrukturen im deutschen Mittelstand Nachdem die theoretischen Grundlagen zum Mittelstand herausgearbeitet wurden, gilt es nun, seine gesamtwirtschaftliche Bedeutung anhand geeigneter Messgrößen aufzuzeigen. In der einschlägigen Literatur wurden hierfür bisher primär quantitative Aspekte, wie z.B. die Beschäftigtenzahl, der Jahresumsatz oder die Bilanzsumme herangezogen. Der Quantifizie‐ rung des Mittelstands waren dabei bisher jedoch speziell durch die Verfügbarkeit entspre‐ chender Daten enge Grenzen gesetzt. So arbeiten zahlreiche Intuitionen wie KfW, BDI oder IHK mit Mittelstandsdefinitonen, die sich entweder an den Beschäftigtenzahlen oder Um‐ satzsummen orientieren. Mit dem Unternehmensregister, das sowohl Angaben zu Unter‐ nehmensumsätzen als auch sv‐pflichtig Beschäftigten in einem Datensatz aufweist, ist es jedoch erstmals möglich, den Mittelstand unter gleichzeitiger Berücksichtigung beider Krite‐ rien darzustellen. Für die im Rahmen dieser Arbeit angestrebte Strukturanalyse bietet sich damit der Vorteil, dass die Abbildung mittelständischer Unternehmensstrukturen nicht mehr nur, wie oft in der Literatur geschehen, für Gesamtdeutschland, sondern erstmals auch auf regionaler Ebene erfolgen kann. Von besonderem Interesse ist in dieser Arbeit dabei, ob sich hinsichtlich der Unternehmensstruktur Unterschiede in den alten und neuen Bundesländern identifizieren lassen, die Auswirkungen auf die Finanzierungsbedingungen der dort ansässigen Unterneh‐ men haben. Um diese Frage zu beantworten, werden in einem dreistufigen Analyseprozess die Anzahl der Unternehmen, die Umsatz‐ und Beschäftigtengrößenklassen sowie die Vertei‐ lung der Rechtsformen in Gesamtdeutschland, Ost‐ und Westdeutschland sowie in den ein‐ zelnen Bundesländern untersucht. Damit die Ergebnisse und ihre Bedeutung entsprechend bewertet und eingeordnet werden können, sind der Mittelstandsanalyse zunächst eine Be‐ schreibung des Unternehmensregisters, die Merkmale und Besonderheiten des Analyseda‐ tensatzes sowie die gewählte Definitionsbasis der empirischen Untersuchung vorangestellt. Den zweiten großen Schwerpunkt dieses Kapitels bilden sodann die Darstellung der Ertrags‐ lage und Finanzierungsbedingungen mittelständischer Unternehmen in Deutschland. Hier gilt es vor allem, dem Ergebnis der im ersten Teil dieses Kapitels dargestellten Strukturanaly‐ se Rechnung zu tragen, wonach insbesondere die ostdeutschen Bundesländer durch eine kleinteiligere Unternehmensstruktur geprägt sind. Die hier zu beantwortenden Fragen lau‐ ten daher, ob und inwieweit diese kleinteiligeren Strukturen auch Auswirkungen auf die Fi‐ nanzierungsstrukturen und ‐bedingungen des ostdeutschen Mittelstands haben und auf‐ grund welcher Besonderheiten Probleme bei der Finanzierung mittelständischer Unterneh‐ men allgemein hergeleitet werden können?
103
C 1 Das Unternehmensregister als Ausgangsbasis für die Analyse des deutschen Mittelstands Mit dem Inkrafttreten der Verordnung (EWG) Nr. 2186/93439 aus dem Jahre 1993440 wurde in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ein gemeinsamer Rahmen für den Aufbau von Unternehmensregistern für statistische Zwecke mit harmonisierten Begriffsbestimmungen, Merkmalen, Erfassungsbereichen und Aktualisierungsverfahren geschaffen.441 Das Ziel dieser Verordnung besteht hauptsächlich darin, dass Register als Informationsquelle für statistische Analysen der Unternehmenspopulation sowie deren Struktur und Entwicklung zu nutzen und es darüber hinaus als zentrales Steuerungsinstrument bei der Planung und Durchführung statistischer Erhebungen einzusetzen.442 In Deutschland erfolgte der Aufbau des Unterneh‐ mensregisters (URS 95) seit Mitte der 1990er Jahre, indem zunächst unterschiedlich vorhan‐ dene, branchenspezifische Statistiken (Erhebungen der Statistischen Ämter) zusammenge‐ führt und den Anforderungen der EU‐Verordnung angepasst wurden. Inzwischen basiert das Unternehmensregister neben den periodischen Erhebungen der amtlichen Statistik auch aus Dateien einzelner Verwaltungsbereiche wie der Bundesagentur für Arbeit, der Finanzbehör‐ den sowie Angaben der einzelnen Bereichsstatistiken, wie z.B. aus den statistischen Rückläu‐ fen des produzierenden Gewerbes, des Handels und des Dienstleistungsbereichs. Ebenso fließen auch Erkenntnisse in das Unternehmensregister ein, die die Statistischen Ämter des Bundes und der Länder aus fachstatistischen Erhebungen gewinnen.443 Geführt wird das Unternehmensregister dezentral von den 16 Statistischen Landesämtern, so dass es sich prinzipiell aus 16 regionalen Teilregistern zusammensetzt. Jedes Bundesland führt und erhebt dabei die Einheiten, die ihren Sitz bzw. Standort im eigenen Land haben. Einmal im Jahr werden die 16 Teilregister zu bestimmten Auswertungszwecken gesichert und dem Statistischen Bundesamt übermittelt, wo auch ein Gesamtregister444 für alle Bun‐ desländer geführt wird.445 Da das Unternehmensregister hauptsächlich aus den jährlichen Lieferungen der Finanzbe‐ hörden und der Bundesagentur für Arbeit gespeist wird, weisen die Registerangaben eine Zeitdifferenz von ca. zwei Jahren zwischen dem Berichtszeitpunkt und dem Zeitpunkt, zu dem die Daten aus dem Unternehmensregister planmäßig für die Nutzer verfügbar werden, aus.446 Für die nachfolgenden Untersuchungen hat das zur Folge, dass zum Auswertungszeit‐ punkt Ende 2009 qualitativ gesicherte Angaben aus administrativen Quellen bis zum Be‐ richtsjahr 2007 bzw. bis zum Berichtsstichtag 31.12.2007 im Unternehmensregister vorlagen. 439
Vgl. Europäische Union (1993), S. 1 ff. Die Verordnung (EWG) Nr. 2186/93 wurde durch die Verordnung (EG) Nr. 177/2008 des Europäischen Par‐ laments und des Rates vom 20. Februar 2008 aufgehoben und ersetzt. Vgl. Europäische Union (2008), S. 6 ff. 441 Vgl. Europäische Union (2008), S. 6 ff. 442 Vgl. Statistisches Bundesamt (2006), Kapitel 1. 443 Vgl. Statistisches Bundesamt (2009). 444 Im Projekt „Zentrale Führung des Unternehmensregisters“ wird ein neues Unternehmensregistersystem (URS‐Neu) entwickelt, mit dem das derzeitige URS 95 im operativen Betrieb abgelöst werden soll. Neben anderen Veränderungen und qualitativen Verbesserungen der Datenlage soll dann nur noch eine einzige Da‐ tei für alle Bundesländer geführt werden. Vgl. Sturm/Tümmler (2006), S. 1028 f. 445 Statistisches Bundesamt (2006), Kapitel 2. 446 Vgl. Statistisches Bundesamt (2009). 440
104
Für die Analyse der deutschen Mittelstandsstruktur erweist sich das Unternehmensregister vor allem dahingehend als vorteilhaft, da gemäß der Verordnung (EG) Nr. 177/2008 des Eu‐ ropäischen Parlaments und des Rates vom 20. Februar 2008, „die Register der Mitgliedsstaa‐ ten grundsätzlich alle Unternehmen mit Sitz im jeweiligen Land (mit allen dazugehörigen in‐ ländischen örtlichen Einheiten) umfassen [sollen], die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben und damit zum nationalen Bruttoinlandsprodukt beitragen.“447 Ausgenommen sind dabei: ‐ private Haushalte, da sie nicht als Unternehmen betrachtet werden; des Weiteren sind auch privaten Haushalte ausgeschlossen, die „häusliche Dienste“ (Abschnitt P der NACE Rev.1) beschäftigen, ‐ natürliche Personen als Eigentümer von Immobilien sowie ‐ internationale Organisationen, Botschaften und Vertretungen ausländischer Regierun‐ gen, deren Tätigkeit dem Abschnitt Q der NACE Rev. 1 zuzuordnen ist.448 Die Einbeziehung von wirtschaftlichen Einheiten aus den Wirtschaftsbereichen Land‐ und Forstwirtschaft (A), Fischerei und Fischzucht (B) sowie öffentliche Verwaltung (L) geschieht bislang nur fakultativ, womit Einheiten dieser Wirtschaftsbereiche derzeit nur lückenhaft im Unternehmensregister geführt werden.449 Gemäß der EU‐Verordnung Nr. 177/2008 muss Deutschland diese Bereiche jedoch nach dem 31. Dezember 2012 in das Statistikregister auf‐ genommen haben.450 Im Unternehmensregister werden somit alle wirtschaftlichen Einheiten erfasst, die ihren Sitz bzw. Standort in Deutschland haben, wobei grundsätzlich zwischen Unternehmen und örtli‐ chen Einheiten (von Unternehmen) unterschieden wird. Unternehmen werden hier als recht‐ lich selbständige Einheiten auf juristischem Wege definiert, örtliche Einheiten nach dem Kri‐ terium der räumlichen Abgrenzung.451 Zu den geführten Einheiten werden eine große Anzahl an Merkmalen erfasst, die sich nach ihrem Verwendungszweck hauptsächlich in fünf Haupt‐ kategorien gliedern lassen:452 ‒
Identifizierungsmerkmale – werden zur eindeutigen Identifizierung der Registerein‐ heiten verwendet (z.B. Adressen, Identitäts‐ und Schlüsselnummern).
‒
Schichtungsmerkmale – sind die zentralen Merkmale für statistische Auswertungen des Registers. Sie dienen zur Abgrenzung von Erfassungsbereichen für statistische Er‐ hebungen sowie für Stichprobenpläne (z.B. Branchenzugehörigkeit, Beschäftigten‐ zahlen, Umsatzangaben).
‒
Demografische Merkmale – hierbei handelt es sich um zeitliche Angaben zur Unter‐ suchung der demographischen Entwicklung von Unternehmen und örtlichen Einhei‐ ten (z.B. Zugangsdatum, Aktualitätsstand, Statusänderungen).453
447
Statistisches Bundesamt (2006), Kapitel 4. Vgl. Statistisches Bundesamt (2006), Kapitel 4. Vgl. Statistisches Bundesamt (2006), Kapitel 4; Sturm/Tümmler (2006), S. 1031. 450 Vgl. Europäische Union (2008), S. 6. 451 Vgl. Statistisches Bundesamt (2006), Kapitel 3. 452 Vgl. Statistisches Bundesamt (2006), Kapitel 5. 453 Das Unternehmensregister eignet sich in seiner bisherigen Form nur sehr eingeschränkt für die Analyse von Unternehmensgründungen und ‐schließungen, da die „demographischen Merkmale“ keine Angaben über 448 449
105
‒
Beziehungsmerkmale – zeigen Beziehungen zwischen Registereinheiten, insbesonde‐ re zwischen Unternehmen und örtlichen Einheiten auf.
‒
Verwaltungsmerkmale – dienen der internen Organisation des Registers.
Von Bedeutung für die Studie sind, neben den Angaben zu den Unternehmensumsätzen und sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (sv‐Beschäftigte), die das Unternehmensregister erstmals in einem Datensatz für die zu betrachtenden Untersuchungseinheiten aufweist, auch der Standort sowie die Rechtsform. Da derzeit jedoch nicht alle der hier aufgeführten Merkmale in gleicher Qualität und Güte vorliegen, wird im nachfolgenden Abschnitt sowie im weiteren Verlauf der Analyse detailliert darauf eingegangen, welche Merkmale welche Bedeutung haben und wo die Stärken und Schwächen der verwendeten Daten im URS 95 liegen.
C 2 Merkmale und Besonderheiten des Analysedatensatzes Die Daten des Unternehmensregisters wurden in enger Abstimmung mit den Mitarbeitern des Forschungsdatenzentrums mittels kontrollierter Datenfernverarbeitung ausgewertet, so dass dieser im Folgenden als Ausgangsdatensatz bezeichnete Datensatz die komplette Zeit‐ scheibe aller im deutschen Register enthaltenen Einheiten mit Sitz in Deutschland zum Zeit‐ punkt 31. Dezember 2009 enthielt. Das bedeutet, dass zum Auswertungszeitpunkt Ende 2009 qualitativ gesicherte Angaben aus administrativen Quellen bis zum Berichtsjahr 2007 bzw. bis zum Berichtsstichtag 31.12.2007 im Unternehmensregister vorlagen. In mehreren Arbeitsschritten wurde aus dem Ausgangsdatensatz durch Eingrenzung des Zeitraums auf die Jahre 2002 ‐ 2007 und den Ausschluss von Variablen der Analysedatensatz gewonnen, der in den folgenden Abschnitten auch die Basis der Auswertungen bildet. Die Eingrenzung des vorgenannten Zeitraums wurde notwendig, weil die Daten vor 2002 nur sehr lückenhaft im Unternehmensregister gepflegt wurden und eine Berücksichtigung die Datenkonsistenz, „im Sinne einer widerspruchsfreien und vollständigen Abbildung der rele‐ vanten Aspekte des erfassten Realitätsausschnitts“454 gefährdet hätte. Im weiteren Verlauf der Analyse wurden im Hinblick auf möglichst aussagekräftige Untersu‐ chungsergebnisse ein Teil der erfassten Einheiten aus dem Datensatz ausgeschlossen. Hier‐ bei handelt es sich hauptsächlich um Einheiten, bei denen im jeweiligen Untersuchungsjahr sowohl bei sv‐Beschäftigten als auch bei Umsätzen keine Angaben vorlagen. Dies geschah, da die Registerangaben kontinuierlich aktualisiert werden, so dass eine Zeitdifferenz von ca. 2 Jahren zwischen dem Berichtszeitpunkt und dem Zeitpunkt, zu dem die Daten aus dem Unternehmensregister planmäßig für die Nutzer verfügbar werden, entsteht. Bei gleichzeiti‐ gem Fehlen von Umsatz‐ und sv‐Beschäftigtenangaben kann also davon ausgegangen wer‐ den, dass die Unternehmen nicht mehr aktiv sind. Folglich wurden diese Einheiten als inaktiv gekennzeichnet und aus dem Analysedatensatz ausgeschlossen. Abweichungen von Angaben das Entstehen, die Entwicklung und das Verschwinden von Einheiten beinhalteten. Diese Merkmale können „nur“ als Bearbeitungsmerkmale gewertet werden. Beispielsweise kann zwar angegeben werden, wann eine Einheit in das URS aufgenommen wurde, jedoch muss damit nicht zwangsläufig verbunden sein, dass die Einheit auch genau zu diesem Zeitpunkt entstanden ist. Vgl. Koch/Migalk (2007), S. 26 ff. 454 Lackes/Siepermann (2011).
106
des Unternehmensregisters bzw. der hier präsentierten Mittelstandsanalyse gegenüber ein‐ zelnen Fachstatistiken sind somit in erster Linie durch methodische Unterschiede bedingt. Sie können bspw. darauf zurückgeführt werden, dass in anderen Statistiken eine andere Grundgesamtheit gewählt oder Unternehmen nur dann als aktiv berücksichtigt werden, wenn diese sowohl Umsatz als auch Beschäftigtenangaben aufweisen. Damit die in der Untersuchung zur Unternehmensstruktur betrachteten Merkmale eine bes‐ sere Einordnung erfahren, werden diese nachfolgend kurz vorgestellt und ihre Besonderhei‐ ten im Unternehmensregister aufgezeigt. Unternehmen „Ein Unternehmen wird in der amtlichen Statistik als kleinste rechtlich selbständige Einheit definiert, die aus handels‐ bzw. steuerrechtlichen Gründen Bücher führt und eine jährliche Feststellung des Vermögensbestandes bzw. des Erfolgs der wirtschaftlichen Tätigkeit vor‐ nehmen muss.“455 Das Unternehmen umfasst hierbei alle örtlichen Einheiten (Zweignieder‐ lassungen), nicht aber rechtlich selbstständige Tochtergesellschaften oder Betriebsführungs‐ gesellschaften. Dementsprechend werden als Unternehmen alle Institutionen des privaten Rechts, insbesondere Einzelunternehmen, nicht rechtsfähige Personenmehrheiten, Perso‐ nen‐ und Kapitalgesellschaften, Erwerbs‐ und Wirtschaftsgenossenschaften, kommunale Verwaltungsgemeinschaften, Arbeitsgemeinschaften sowie sonstige juristische Personen angesehen. Hinzu gezählt werden auch freiberuflich Tätige, die ebenfalls als eigenständige Unternehmen registriert sind.456 Im Rahmen dieser Arbeit fallen darüber hinaus auch Einbetriebs‐,457 Mehrbetriebs‐458 und Mehrländerunternehmen459 unter den hier verwende‐ ten Unternehmensbegriff. Betrieb Unter einem Betrieb wird eine Niederlassung an einem bestimmten Ort verstanden. Hierun‐ ter fallen auch örtlich und organisatorisch angegliederte Betriebsteile. Um als Betrieb zu gel‐ ten, muss zudem mindestens ein Beschäftigter im Auftrag des Unternehmens dort arbei‐ ten.460 Steuerbarer Umsatz Der im Unternehmensregister ausgewiesene steuerbare Umsatz umfasst die Lieferungen und Leistungen eines Unternehmens. Die betreffenden Informationen hierzu werden von den Finanzbehörden zusammen mit den Angaben zur Umsatzsteuerstatistik jährlich über‐ 455
Statistische Ämter des Bundes und der Länder (2011). Vgl. Statistische Ämter des Bundes und der Länder (2011); Statistisches Bundesamt (2006), Kapitel 3. 457 Ein Einbetriebsunternehmen liegt immer dann vor, wenn das Unternehmen nur aus einer einzigen örtlichen Einheit besteht, die ihren Standort am Sitz des Unternehmens hat. Vgl. Statistisches Bundesamt (2006), Ka‐ pitel 3.1. 458 Bei Mehrbetriebsunternehmen handelt es sich um Unternehmen, die mindestens aus zwei örtlichen Einhei‐ ten bestehen. Vgl. Statistisches Bundesamt (2006), Kapitel 3.1. 459 Als Mehrländerunternehmen werden diejenigen Unternehmen bezeichnet, deren örtliche Einheiten sich in mindestens zwei Bundesländern befinden. Vgl. Statistisches Bundesamt (2006), Kapitel 3.1. 460 Vgl. Statistische Ämter des Bundes und der Länder (2011). 456
107
sandt und im Unternehmensregister verarbeitet. In dem gelieferten Datenmaterial sind so‐ mit alle umsatzsteuerpflichtigen Unternehmen enthalten, die im jeweiligen Berichtsjahr Um‐ satzsteuer‐Voranmeldungen in Deutschland abgegeben haben und deren Jahresumsatz im Berichtsjahr über der Umsatzsteuerfreigrenze (z.Zt. 17.500 €) liegt.461 Dies hat zur Folge, dass für alle Einheiten, die von der Umsatzsteuer befreit sind, im Unternehmensregister zwar Angaben zu den Beschäftigtenzahlen erfasst werden, die erzielten Umsätze allerdings nicht. Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Angaben zu den Umsätzen nur auf Ebene von Unternehmen vorliegen, also nicht für die örtlichen Einheiten bzw. Betriebe. Hierbei werden die Umsätze jeweils für alle zusammengehörigen örtlichen Einheiten eines rechtlich selb‐ ständigen Unternehmens zusammen ausgewiesen. Eine Zuordnung zur tatsächlich umsatz‐ generierenden Betriebsstätte ist somit nicht möglich. Analysen zur regionalen Verteilung von Unternehmensumsätzen sind daher mit dem Problem belastet, dass in den Umsatzangaben der Unternehmen einer Region immer auch Umsätze enthalten sind, die von Einheiten die‐ ser Unternehmen außerhalb der Region erwirtschaftet werden. Zugleich fehlen aber auch Umsätze, die von Betrieben in der Region erwirtschaftet werden, die einem Unternehmen außerhalb der Region angehören.462 Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte Zu den sv‐pflichtig Beschäftigten zählen im Unternehmensregister alle Arbeitnehmer, die kranken‐, renten‐, pflegeversicherungspflichtig und/oder beitragspflichtig nach dem Recht der Arbeitsförderung sind oder für die von den Arbeitgebern Beitragsanteile nach dem Recht der Arbeitsförderung zu entrichten sind. Angaben über Betriebe mit sv‐pflichtig Beschäftig‐ ten werden von der Bundesagentur für Arbeit jährlich übermittelt und im Unternehmensre‐ gister verarbeitet.463 Die nachfolgenden Analysen zur Mittelstandsstruktur beinhalten somit Betriebe, in denen zum Stichtag 31.12. sv‐pflichtig Beschäftigte tätig waren. Darüber hinaus wurden auch solche Betriebe berücksichtig, in welchen zwar zum Stichtag keine, jedoch mindestens an einem der übrigen Quartals‐Stichtage sv‐pflichtig Beschäftigte arbeiteten.
C 3 Gewählte Definitionsbasis für die empirische Untersuchung Um die Struktur des deutschen Mittelstands abbilden zu können, bedarf es Kriterien, anhand derer Unternehmen mehr oder weniger eindeutig quantifiziert werden können. Bereits im ersten Kapitel dieser Arbeit wurde auf die Probleme bei der Abgrenzung mittelständischer Unternehmen anhand qualitativer Kriterien verwiesen und für die vorliegende Arbeit eine Abgrenzung gewählt, die auf den beiden Merkmalen „Mitarbeiterzahl“ und „Jahresumsatz“ basiert. Damit wurde dem Umstand Rechnung getragen, dass die Erhebung der zur Abgren‐ zung gewählten Kriterien grundsätzlich möglich ist, der damit im Zusammenhang stehende Aufwand angemessen erscheint und die erzielbare Genauigkeit ausreichend hoch ist. Die in dieser empirischen Untersuchung erfolgte Klassifizierung kleiner und mittlerer Unternehmen erfolgt daher ebenfalls auf Basis der gewählten Merkmale. 461
Vgl. Statistische Ämter des Bundes und der Länder (2011); Statistisches Bundesamt (2006), Kapitel 4. Vgl. Koch/Migalk (2007), S. 30 f. 463 Vgl. Statistische Ämter des Bundes und der Länder (2011). 462
108
Für die Abgrenzung mittelständischer Unternehmen finden im deutschen Sprachraum, in Ministerien und bei Verbänden am häufigsten die Mittelstandsdefinitionen vom Institut für Mittelstandsforschung Bonn und der Europäischen Union Anwendung.464 Wird der Mittel‐ standsauffassung des IfM Bonn gefolgt, so ergibt sich die nachfolgend aufgeführte Größen‐ verteilung deutscher Unternehmen. Tabelle 1: Unternehmen nach der KMU‐Definition des IfM Bonn (2007) Unternehmensgrößenklassen Kleine Unternehmen Mittlere Unternehmen Großunternehmen Gesamt 1
Anzahl der Unternehmen1
Anteil in %
3.061.848
86,9%
449.204
12,7%
KMU vs. Großunternehmen 99,6%
13.247
0,4%
0,4%
3.524.299
100,0%
100,0%
Aktive Unternehmen mit steuerbarem Umsatz und/oder mit sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (ohne geringfügig Beschäftigte) im Berichtsjahr 2007 bzw. zum Berichtsstichtag 31.12.2007, die am Auswertungsstichtag 31.12.2009 noch aktiv waren, d.h. dass Unternehmen die 2008 oder 2009 inaktiv wurden (z.B. aus dem Markt ausgeschieden sind) nicht berücksichtigt werden.
Quelle: Eigene Berechnung, Statistisches Bundesamt – Unternehmensregister (URS 95).
Das Unternehmensregister weist für das Jahr 2007 etwas mehr als 3,5 Mio. Unternehmen aus. Unter Zugrundelegung der quantitativen Definition des IfM Bonn zeigt sich, dass mit rund 86,9 % der größte Anteil auf die kleinste Unternehmensgrößenklasse entfällt. Mittlere Unternehmen kommen auf einen Anteil von 12,7 %. Nur 0,4 % aller Unternehmen in Deutschland sind Großunternehmen bzw. anders ausgedrückt: 99,6 % der deutschen Unter‐ nehmen sind nach dieser quantitativen Definition als mittelständisch zu bezeichnen. Im Unterschied zur Mittelstandsefinition des IfM Bonn wurde von der Europäischen Kom‐ mission (EU) eine davon abweichende Definition geprägt. Um zu sehen, ob sich bei Anwen‐ dung der EU‐Mittelstandsdefinition gravierende Unterschiede in der Unternehmensgrößen‐ verteilung ergeben, wurde auch hier der Unternehmensbestand für das Jahr 2007 ausgewer‐ tet. Tabelle 2: Unternehmen nach der KMU‐Definition der EU (2007) Anzahl der Unternehmen1
Anteil in %
Kleinstunternehmen
3.145.595
89,3%
Kleine Unternehmen
290.450
8,2%
Unternehmensgrößenklassen
99,5%
Mittlere Unternehmen
69.594
2,0%
Großunternehmen
18.660
0,5%
0,5%
3.524.299
100,0%
100,0%
Gesamt
1
KMU vs. Großunternehmen
Aktive Unternehmen mit steuerbarem Umsatz und/oder mit sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (ohne geringfügig Beschäftigte) im Berichtsjahr 2007 bzw. zum Berichtsstichtag 31.12.2007, die am Auswertungsstichtag 31.12.2009 noch aktiv waren, d.h. dass Unternehmen die 2008 oder 2009 inaktiv wurden (z.B. aus dem Markt ausgeschieden sind) nicht berücksichtigt werden.
Quelle: Eigene Berechnung, Statistisches Bundesamt – Unternehmensregister (URS 95). 464
Vgl. Lüpken (2003), S. 6; Maurenbrecher (2008), S. 13.
109
Tabelle 2 zeigt, dass bei Anwendung der EU‐Definition 99,5 % aller deutschen Unternehmen zum Mittelstand und lediglich 0,5 % zu den Großunternehmen zählen. Damit kommen so‐ wohl die Mittelstandsdefinition der EU als auch die vom IfM Bonn zu annähernd gleichen Ergebnissen. Unterschiede ergeben sich lediglich aufgrund der gewählten Grenzwerte der Merkmale „Beschäftigte“ und „Umsatz“, innerhalb der ein Unternehmen als klein, mittel oder groß gewertet wird. Die EU‐Definition verfügt hier mit den „Kleinstunternehmen“ über eine weitere Unternehmensgrößenklasse, was ins‐besondere im Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen zu einer feineren Segmentierung und auf Deutschland bezogen zu einer vergleichsweise besseren Abbildung mittelständischer Strukturen führt. So beträgt der Anteil von Kleinstunternehmen in Deutschland 89,3 %. Kleine und mittlere Unternehmen kommen auf 8,2 bzw. 2,0 %. Großunternehmen stellen dagegen mit nur 0,5 % den gerings‐ ten Anteil am Unternehmensbestand dar. Aufgrund der Vorteile gegenüber der Mittelstandsdefinition des IfM Bonn, d.h. der feineren Segmentierung der Unternehmensgrößenklassen, der damit verbundenen besseren Abbil‐ dung mittelständischer Strukturen sowie der besseren Vergleichbarkeit zu anderen Studien bildet die Mittelstandsdefinition der EU die Grundlage für die nachfolgende Untersuchung, beschränkt sich allerdings aus Praktikabilitätsgründen auf die beiden Merkmale „Beschäftig‐ te“ und „Umsatz“.465 Eine Abweichung von der EU‐Definition erfolgt nur dann, wenn die Datenlage keine Aufschlüsselung nach EU‐Kriterien zulässt oder eine tiefere Untergliederung möglich und aufgrund der mittelständischen Strukturen sinnvoll erscheint.
C 4 Entwicklung der Mittelstandsstruktur in Deutschland Im Folgenden wird die Entwicklung der deutschen Mittelstandsstruktur anhand der Anzahl der Unternehmen, der Umsatz‐ und Beschäftigtengrößenklassen sowie der Verteilung der Rechtsformen für die Jahre 2002 ‐ 2007 aufgezeigt und analysiert.
C 4.1 Anzahl mittelständischer Unternehmen Wie bereits zuvor ausgeführt, wurden in der empirischen Untersuchung nur diejenigen Un‐ ternehmen als aktiv betrachtet, die entweder einen steuerbaren Umsatz und/oder sozialver‐ sicherungspflichtig Beschäftigte (ohne geringfügig Beschäftigte) im betreffenden Jahr ver‐ zeichneten. Die Bestimmung der Anzahl von Unternehmen mit Hilfe des Unternehmensregis‐ ters ist hier jedoch mit einer Einschränkung verbunden. Da das Unternehmensregister 465
Die EU berücksichtigt in Artikel 4 ihrer Empfehlungen zur KMU‐Definition intertemporäre Abhängigkeiten, d.h. über‐ oder unterschreitet ein Unternehmen die KMU‐Kriterien in einem Jahr, so verliert bzw. erwirbt es dadurch den Status eines mittleren Unternehmens, eines kleinen Unternehmens bzw. eines Kleinstunternehmens erst dann, wenn es in zwei aufeinander folgenden Geschäftsjahren zu einer Über‐ oder Unterschreitung kommt. Diese Abhängigkeiten bleiben in dieser Arbeit aus Praktikabilitätsgründen un‐ berücksichtigt, da die hierfür benötigten Informationen im URS 95 nicht vorliegen. Vgl. Europäische Kom‐ mission (2003 a), S. 40.
Unberücksichtigt im Rahmen dieser Untersuchung bleibt auch das in Artikel 3 der Empfehlungen zur KMU‐ Definition geforderte Unabhängigkeitskriterium, wonach ein Unternehmen unabhängig davon, ob es die Umsatz‐ und Beschäftigtenkriterien erfüllt, nur dann ein KMU sein kann, wenn es sich zu weniger als 25 % im Besitz (Kapital‐ oder Stimmanteile) von Unternehmen befindet, die selbst nicht die KMU‐Definition erfül‐ len. Vgl. Europäische Kommission (2003 a), S. 39 f.
110
hauptsächlich aus den jährlichen Lieferungen der Finanzbehörden und der Bundesagentur für Arbeit gespeist wird, weisen die Registerangaben eine Zeitdifferenz von ca. zwei Jahren zwischen dem Berichtszeitpunkt und dem Zeitpunkt, zu dem die Daten aus dem Unterneh‐ mensregister planmäßig für die Nutzer verfügbar werden, aus. Dies führt u.a. dazu, dass bspw. für das Jahr 2007 nur diejenigen Unternehmen gewertet werden, die einen steuerba‐ rem Umsatz und/oder sozialversicherungspflichtig Beschäftigte (ohne geringfügig Beschäftig‐ te) im Berichtsjahr 2007 bzw. zum Berichtsstichtag 31.12.2007 aufweisen und am Auswer‐ tungsstichtag 31.12.2009 noch aktiv waren. Das bedeutet, dass Unternehmen, die 2008 oder 2009 inaktiv wurden (z.B. aus dem Markt ausgeschieden sind), nicht berücksichtigt werden. Unter Beachtung dieser Einschränkung ergibt sich für den Zeitraum 2002 ‐ 2007 die in Tabel‐ le 3 dargestellte Entwicklung des Unternehmensbestandes. Tabelle 3: Entwicklung des Unternehmensbestandes (2002 – 2007) Größenklassen nach EU‐ Definition
Veränderung 2002 ‐ 2007
Anzahl der Unternehmen nach Größenklassen 2002
Kleinst‐ 2.922.720 unternehmen
2003
2004
2005
2006
2007
absolut
in %
2.933.663
2.981.778
3.053.612
3.079.904
3.145.595
222.875
7,6
Kleine Unternehmen
282.779
282.009
277.886
276.633
284.466
290.450
7.671
2,7
Mittlere Unternehmen
63.206
64.238
64.367
64.865
67.476
69.594
6.388
10,1
Groß‐ unternehmen
15.753
16.190
16.515
16.846
17.788
18.660
2.907
18,5
3.284.458
3.296.100
3.340.546
3.411.956
3.449.634
3.524.299
239.841
Gesamt
7,3
Quelle: Eigene Berechnung, Statistisches Bundesamt – Unternehmensregister (URS 95).
Ausgehend von 3.284.458 Unternehmen im Jahr 2002 entwickelte sich der Unternehmens‐ bestand über den gesamten Zeitraum positiv auf 3.524.299 Unternehmen im Jahr 2007. Dies entspricht einem Zuwachs von 239.841 Unternehmen bzw. einem Anstieg um 7,3 %. Die größten Zuwachsraten verzeichneten dabei Großunternehmen mit 18,5 %, gefolgt von mitt‐ leren Unternehmen mit 10,1 % und Kleinstunternehmen mit 7,6 %. Der Anteil von kleinen Unternehmen stieg dagegen nur um 2,7 %. Diese Entwicklung wirkt sich auch auf das Ver‐ hältnis der Unternehmensgrößenklassen untereinander aus. Während der Anteil von Groß‐ unternehmen mit 0,5 % über den gesamten Zeitraum konstant blieb und auch mittlere Un‐ ternehmen nur eine leichte Steigerung von 1,9 (2002) auf 2 % (2007) verbuchen konnten, nahm der Anteil von Kleinstunternehmen von 89 (2002) auf 89,3 % (2007) zu. Kleine Unter‐ nehmen verzeichneten aufgrund eines nur unterdurchschnittlichen Anstiegs einen Rückgang von 8,6 (2002) auf 8,2 % (2007). Wird über den betrachteten Zeitraum eine kombinierte Auswertung des Umsatz‐ und Beschäftigtenkriteriums vorgenommen, zeigt sich, dass ca. 99,5 % aller deutschen Unternehmen zum Mittelstand zählen. 111
C 4.2 Unternehmen nach Umsatzgrößenklassen Wird der Unternehmensbestand für den Zeitraum 2002 ‐ 2007 nach dem Kriterium „Umsatz“ ausgewertet (Tabelle 4), wird deutlich, dass der deutsche Mittelstand aus überdurchschnitt‐ lich vielen kleinen bis sehr kleinen Unternehmen besteht, deren gesamtwirtschaftliche Be‐ deutung sich erst bei ihrer Aggregation ergibt. So weisen im Durchschnitt mehr als 95 % aller deutschen Unternehmen einen Jahresumsatz von weniger als 2 Mio. € aus. Im Vergleich da‐ zu liegt der durchschnittliche Anteil von Unternehmen mit Jahresumsätzen zwischen 2 ‐ 10 Mio. sowie 10 ‐ 50 Mio. € gerade einmal bei 3,7 bzw. 0,9 %. Unternehmen mit einem Jah‐ resumsatz von mehr als 50 Mio. € stellen sogar nur knapp 0,3 % des Unternehmensbestan‐ des dar. Tabelle 4: Unternehmen nach Umsatzgrößenklassen (2002 – 2007) Umsatzgrößenklassen von ... bis... € 250
2005 Ost Anzahl 380.951 62.793 14.109 2.259
2006 West
% 82,8% 13,6% 3,1% 0,5%
Anzahl 1.374.160 237.786 53.503 10.245
Ost % 82,0% 14,2% 3,2% 0,6%
Anzahl 388.316 61.931 14.132 2.252
2007 West
% 83,2% 13,3% 3,0% 0,5%
Anzahl 1.422.421 236.369 54.497 10.370
Ost % 82,5% 13,7% 3,2% 0,6%
Anzahl 393.560 60.253 14.087 2.172
West % 83,7% 12,8% 3,0% 0,5%
Anzahl 1.443.364 235.380 54.620 10.250
% 82,8% 13,5% 3,1% 0,6%
1
1
460.112 100,0% 1.675.694 100,0% 466.631 100,0% 1.723.657 100,0% 470.072 100,0% 1.743.614 100,0% Gesamt Der Anteil der Unternehmen zu denen Beschäftigtenangaben im URS 95 vorlagen, betrug 2005: 71,4% für Ostdeutschland (Ost) und 59,7% für Westdeutschland (West); 2006: 70,2% (Ost) u. 59,6% (West); 2007: 69,7% (Ost) u. 59,8% (West). Un‐ ternehmen zu denen keine Angaben vorlagen, wurden nicht berücksichtigt.
Quelle: Eigene Berechnung, Statistisches Bundesamt – Unternehmensregister (URS 95).
C 5.4 Unternehmen nach Rechtsformen Da bereits in den vorhergehenden Abschnitten die Kleinteiligkeit der ostdeutschen Unter‐ nehmensstruktur anhand des Umsatz‐ und Beschäftigtenkriteriums dargestellt wurde, ist nun die Frage zu klären, inwiefern diese kleinteiligen Strukturen Auswirkungen auf die Rechtsformwahl ostdeutscher Unternehmen hatten. Tabelle 11 gibt hierzu einen Überblick über die Rechtsformen ost‐ und westdeutscher Unternehmen für den Zeitraum 2002 ‐ 2007. Deutlich sichtbar ist, dass in den neuen Bundesländern Unternehmen überwiegen, die eine Person als Inhaber aufweisen. Ihr Anteil fällt um durchschnittlich 4,3 % höher aus als in Westdeutschland. Nicht ganz so hoch, aber dennoch über dem westdeutschen Schnitt liegt der Anteil von Unternehmen, die von mehreren Inhabern geführt werden, während die Rechtsformen AG und KGaA in beiden Teilen Deutschlands mit durchschnittlich 0,3 % vertre‐ 120
ten sind. Stärker in Westdeutschland ausgeprägt sind vor allem die KG und die GmbH & Co. Ihre Anteile fallen gegenüber den neuen Bundesländern annähernd doppelt so hoch aus. Geringere Bedeutung sowohl in Ost‐ als auch in Westdeutschland besitzt hingegen die offe‐ ne Handelsgesellschaft. Ihr Anteil beträgt im Durchschnitt gerade einmal 0,5 (west) bzw. 0,4 % (ost). Tabelle 11: Ost‐ und westdeutsche Unternehmen nach Rechtsform (2002 – 2007) Jahr 2002
2003
2004
2005
2006
2007
Deut‐ schland
Eine Person als Inhaber
West
62,5%
Mehrere Personen als Inhaber 7,6%
Ost
65,8%
8,0%
West
63,4%
Ost
66,6%
West Ost
GmbH & GmbH Co.
AG/KGaA Sonstige1
Gesamt
OHG
KG
0,5%
0,7%
2,8%
15,1%
0,3%
10,3%
100,0%
0,4%
0,3%
1,6%
15,5%
0,3%
8,1%
100,0%
7,7%
0,6%
0,6%
3,1%
15,7%
0,3%
8,6%
100,0%
8,2%
0,4%
0,3%
1,6%
15,4%
0,3%
7,2%
100,0%
63,3%
7,5%
0,5%
0,6%
3,2%
15,5%
0,3%
9,0%
100,0%
67,2%
8,1%
0,4%
0,3%
1,7%
15,4%
0,3%
6,7%
100,0%
West
64,6%
7,6%
0,5%
0,6%
3,3%
15,7%
0,3%
7,4%
100,0%
Ost
69,0%
8,0%
0,4%
0,3%
1,7%
15,3%
0,3%
5,1%
100,0%
West
64,1%
7,4%
0,5%
0,6%
3,5%
15,9%
0,3%
7,7%
100,0%
Ost
69,1%
7,8%
0,4%
0,3%
1,8%
15,1%
0,3%
5,2%
100,0%
West
63,7%
7,4%
0,5%
0,6%
3,7%
16,0%
0,3%
7,6%
100,0%
Ost 69,5% 7,7% 0,4% 0,3% 1,9% 15,1% 0,3% 4,9% 100,0% 1 Hierunter fallen Genossenschaften, sonstige private Rechtsformen, Unternehmen der öffentlichen Hand, öffentlich‐recht‐ liche Verbände sowie sonstige öffentliche und ausländische Rechtsformen. Hinzu kommen 29 bzw. 2.705 westd. Unter‐ nehmen für die in den Jahren 2004 bzw. 2005 keine Angabe zur Rechtsform erfolgte. In Ostdeutschland lag im Jahr 2005 zu 312 Unternehmen keine Angabe zur Rechtsform vor.
Quelle: Eigene Berechnung, Statistisches Bundesamt – Unternehmensregister (URS 95).
Werden die vorstehenden Ergebnisse zusammengefasst, so zeigt sich, dass die Rechtsform‐ wahl ostdeutscher Unternehmen auch durch die dort vorherrschende kleinteiligere Unter‐ nehmensstruktur beeinflusst wird. So werden ostdeutsche Unternehmen bevorzugt von ei‐ nem oder mehreren Inhabern geführt. Rechtsformen, die gesetzlich festgelegter Informati‐ ons‐ und Kapitalaufbringungsvorschriften unterliegen (GmbH, GmbH & Co. sowie KG) und damit die finanziellen Ressourcen besonders bei kleineren Unternehmen belasten, werden hingegen nur unterdurchschnittlich in Anspruch genommen. Größere Unternehmen, wie sie vorwiegend in Westdeutschland zu finden sind, haben dagegen weniger Probleme, die bei der Rechtsformwahl zu beachtenden gesetzlichen Vorschriften zu erfüllen. Folglich stellen auch sie den größten Anteil bei jenen Rechtformen, die hohen Informations‐ und Kapitalauf‐ bringungsvorschriften unterliegen.475
475
Eine Ausnahme stellen hier die AG und die KGaA dar. Hier verfügen sowohl West‐ als auch Ostdeutschland über eine nahezu gleiche prozentuale Verteilung der Unternehmensanteile.
121
C 6 Entwicklung der Mittelstandsstruktur in den einzelnen Bundesländern Die Darstellung der Entwicklung und des Vergleichs mittelständischer Strukturen in den ein‐ zelnen Bundesländern erfolgt nach dem bereits zuvor angewandten Schema. Demzufolge werden zunächst die Anzahl der Unternehmen, darauf folgend die Umsatz‐ und Beschäftig‐ tengrößenklassen sowie im Anschluss hieran die Verteilung der Rechtsformen für die Jahre 2002 ‐ 2007 aufgezeigt und ausgewertet.
C 6.1 Anzahl der Unternehmen Um eine Aussage darüber treffen zu können, wie sich die Unternehmensstruktur in den ein‐ zelnen Bundesländern im Zeitraum 2002 ‐ 2007 entwickelt hat, wurden in der Tabelle 12 die Anteile und im Anhang 6 ‐ 11 die Anzahl der Unternehmen nach EU‐Definition für das jewei‐ lige Bundesland abgebildet. Tabelle 12: KMU‐Bestand in den Bundesländern nach EU Definition (2007) Bundesland Nordrhein‐ Westfalen Bayern
Kleinst‐ unternehmen
Kleine Unternehmen
Mittlere Unternehmen
Groß‐ unternehmen
Gesamt Anzahl
in %
734.069
20,8%
88,9%
8,4%
2,1%
0,6%
90,1%
7,7%
1,7%
0,5%
624.578
17,7%
89,1%
8,2%
2,1%
0,6%
470.767
13,4% 8,7%
Baden‐ Württemberg Niedersachsen
88,2%
9,2%
2,1%
0,5%
306.872
Hessen
89,4%
7,9%
2,1%
0,6%
263.754
7,5%
Rheinland‐Pfalz
89,9%
8,0%
1,8%
0,4%
176.350
5,0%
Sachsen
89,2%
8,5%
1,9%
0,4%
168.173
4,8%
Berlin
91,7%
6,5%
1,4%
0,4%
147.571
4,2%
Schleswig‐ Holstein Hamburg
89,6%
8,2%
1,8%
0,4%
130.935
3,7%
88,5%
8,6%
2,2%
0,7%
99.942
2,8%
Brandenburg
89,5%
8,3%
1,9%
0,3%
99.435
2,8%
Thüringen
88,5%
9,0%
2,2%
0,4%
86.500
2,5%
Sachsen‐Anhalt
87,4%
9,7%
2,4%
0,5%
81.041
2,3%
88,7%
9,0%
1,9%
0,4%
66.202
1,9% 1,2%
Mecklenburg‐ Vorpommern Saarland
88,9%
8,5%
2,0%
0,6%
41.638
Bremen
85,7%
10,5%
3,0%
0,8%
26.472
0,8%
Durchschnitt
89,0%
8,5%
2,0%
0,5%
3.524.299
100,0%
Quelle: Eigene Berechnung, Statistisches Bundesamt – Unternehmensregister (URS 95).
Werden die Bundesländer nach der Anzahl der Unternehmen geordnet, d.h. derjenigen Un‐ ternehmen, die ihre Hauptniederlassung im entsprechenden Bundesland haben, so wird deutlich, dass sich über den betrachteten Zeitraum keinerlei Veränderungen in der Rangfol‐ ge der Länder ergeben haben. So wiesen die Länder Nordrhein‐Westfalen, Bayern und Ba‐ den‐Württemberg kontinuierlich den größten Unternehmensbestand auf. Allein auf sie ent‐ 122
fielen z.B. im Jahr 2007 ca. 51,9 % aller deutschen Unternehmen, während sich im Gegensatz dazu gerade einmal 18,4 % aller Unternehmenssitze in den neuen Bundesländern (ein‐ schließlich Berlin) befanden. Am Ende der Tabelle und damit durchgehend den geringsten Unternehmensbestand aufweisend finden sich Mecklenburg‐Vorpommern, das Saarland und Bremen wieder. Mit Blick auf die Unternehmensstruktur der einzelnen Bundesländer im Jahr 2007 zeigt sich, dass Kleinstbetriebe mit durchschnittlich 89 % den bei weitem größten Anteil am Unterneh‐ mensbestand ausmachen. Ihr Anteil fällt insbesondere in Berlin (91,7 %) und Bayern (90,1 %) vergleichsweise hoch aus, während sie in Bremen (85,7 %) und Sachsen‐Anhalt (87,4 %) nur unterdurchschnittlich vertreten sind. Kleine Unternehmen, deren Anteil durchschnittlich 8,5 % des gesamten Unternehmensbestands beträgt, sind überdurchschnittlich in Bremen (10,5 %), Sachsen‐Anhalt (9,7 %) und Niedersachsen (9,2 %) vertreten. Relativ gering ist da‐ gegen ihr Anteil in Berlin (6,5 %), Bayern (7,7 %) und Hessen (7,9 %). Mittlere Unternehmen, die im Durchschnitt 2 % des deutschen Unternehmensbestandes ausmachen, sind über‐ durchschnittlich vor allem in Bremen (3,0 %) und Sachsen‐Anhalt (2,4 %) zu finden, wohinge‐ gen ihr Anteil in Berlin (1,4 %) und Bayern (1,7 %) besonders gering ist. Der Anteil von Groß‐ unternehmen, die durchschnittlich zu 0,5 % am gesamten Unternehmensbestand vertreten sind, ist besonders in Bremen (0,8 %) und Hamburg (0,7 %) überdurchschnittlich hoch, wäh‐ rend Brandenburg lediglich einen Anteil von 0,3 % verzeichnen kann. Die in Tabelle 12 dargestellten Unternehmensstrukturen verdeutlichen noch einmal die Kleinteiligkeit gerade in den ostdeutschen Ländern. So sind mit Ausnahme von Sachsen‐ Anhalt alle neuen Bundesländer (einschließlich Berlin) unter den sieben Ländern mit dem geringsten Anteil an Großunternehmen zu finden, so dass gerade hier der Anteil kleiner und mittlerer Unternehmen am größten ist. Die Kleinteiligkeit der ostdeutschen Unternehmens‐ struktur lässt sich darüber hinaus auch anhand absoluter Zahlen belegen. So waren bspw. im Jahr 2007 etwa 2.569 Großunternehmen in Ostdeutschland ansässig, während im Vergleich dazu allein in Baden‐Württemberg 2.723 große Unternehmen verzeichnet wurden.476 Im Ergebnis lassen sich bei der Entwicklung der Unternehmensstrukturen in den einzelnen Bundesländern zwei Trends beobachten. Zum einen hat der Anteil von Kleinstunternehmen von 2002 ‐ 2007 um durchschnittlich 0,5 % zugenommen, während jener von kleinen Unter‐ nehmen im gleichem Umfang zurückging. Ausnahmen hiervon bilden lediglich Rheinland‐ Pfalz und Schleswig‐Holstein, in den denen die Entwicklung entgegengesetzt verlief. Zum anderen verzeichneten im gleichen Zeitraum hauptsächlich die neuen Bundesländer Rück‐ gänge im Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen, während in Westdeutschland lediglich das Saarland und Hessen von einer ähnlichen Entwicklung betroffen waren. Vom Negativtrend der ostdeutschen Bundesländer ein wenig absetzen konnten sich nur Thürin‐ gen und Sachsen‐Anhalt. Sie verzeichneten einen Anstieg um 0,1 % im Bereich der mittleren bzw. großen Unternehmen. Ansonsten waren aber auch sie, mit Ausnahme der Kleinstunter‐ nehmen, von Rückgängen in allen anderen Unternehmensgrößenklassen betroffen.
476
Vgl. Anhang 11.
123
Zusammenfassend lässt sich anhand der dargestellten Ergebnisse zeigen, dass die ostdeut‐ schen Bundesländer (mit Ausnahme von Berlin) im Jahr 2002 noch über eine Unternehmens‐ struktur verfügten, die weitgehend dem gesamtdeutschen Durchschnitt entsprach. Im Zeit‐ ablauf mussten jedoch gerade die neuen Bundesländer im Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen zum Teil deutliche Verluste hinnehmen, während sie lediglich bei Kleinstunternehmen einen starken Zugang verzeichnen konnten. Im Vergleich zu den alten Bundesländern beruht Ostdeutschlands Kleinteiligkeit damit auf einem niedrigeren Unter‐ nehmensbestand sowie geringerer Anteile in den oberen Unternehmensgrößenklassen.
C 6.2 Unternehmen nach Umsatzgrößenklassen Um einen tieferen Einblick in die Kleinteiligkeit der ostdeutschen Unternehmenslandschaft zu erhalten, soll im Folgenden untersucht werden, wie sich die Unternehmensstruktur hin‐ sichtlich des Umsatzkriteriums in den einzelnen Bundesländern darstellt. In Tabelle 13 und im Anhang 12 ‐ 16 wurden dementsprechend für jedes Bundesland die dort ansässigen Un‐ ternehmen nach Umsatzgrößenklassen getrennt ausgewiesen und deren Anteile in Prozent angegeben. Tabelle 13: Unternehmen nach Umsatzgrößenklassen und Bundesländer (2007) Bundesland
250 Tsd. 1 bis unter unter 50 bis unter 100 bis unter bis unter 10 Mill. EUR 50.000 EUR 100 Tsd. EUR 250 Tsd. EUR 1 Mill. EUR
10 bis unter 50 und mehr Keine 50 Mill. EUR Mill. EUR Angabe
Gesamt
Schleswig‐ Holstein
22,4%
16,5%
18,8%
16,5%
7,4%
0,8%
0,2%
17,4%
100,0%
Hamburg
24,5%
17,3%
17,7%
16,0%
9,0%
1,2%
0,5%
13,8%
100,0%
Niedersachsen
23,1%
16,5%
18,6%
17,2%
8,4%
1,0%
0,3%
14,9%
100,0%
Bremen
22,2%
16,1%
17,7%
15,8%
9,8%
1,4%
0,4%
16,4%
100,0%
23,7%
17,8%
19,7%
17,1%
8,4%
1,1%
0,4%
11,8%
100,0%
23,1%
17,6%
19,7%
16,5%
7,8%
0,9%
0,3%
14,0%
100,0%
24,5%
17,9%
19,6%
15,8%
7,0%
0,7%
0,2%
14,4%
100,0%
23,6%
17,4%
19,4%
17,2%
8,5%
1,1%
0,3%
12,5%
100,0%
Nordrhein‐ Westfalen Hessen Rheinland‐Pfalz Baden‐ Württemberg Bayern
24,8%
18,1%
19,7%
16,4%
7,6%
0,9%
0,3%
12,2%
100,0%
Saarland
22,8%
16,3%
18,3%
15,2%
7,3%
0,8%
0,3%
19,0%
100,0%
Berlin
29,4%
18,6%
17,8%
13,6%
5,8%
0,5%
0,2%
14,1%
100,0%
Brandenburg
26,8%
18,2%
18,7%
14,3%
6,5%
0,5%
0,1%
14,9%
100,0%
22,8%
15,8%
17,5%
15,4%
7,1%
0,6%
0,1%
20,6%
100,0%
27,7%
18,3%
18,5%
14,6%
6,8%
0,7%
0,1%
13,3%
100,0%
Sachsen‐Anhalt
23,0%
16,8%
17,8%
15,2%
7,4%
0,7%
0,2%
18,9%
100,0%
Thüringen
25,6%
17,9%
18,3%
14,7%
7,3%
0,8%
0,1%
15,3%
100,0%
Durchschnitt
24,4%
17,3%
18,6%
15,7%
7,6%
0,9%
0,3%
15,2%
100,0%
Mecklenburg‐ Vorpommern Sachsen
Quelle: Eigene Berechnung, Statistisches Bundesamt – Unternehmensregister (URS 95).
Wird die Verteilung der Unternehmen nach Umsatzgrößenklassen zunächst für das Jahr 2007 betrachtet, so fällt auf, dass mit Berlin (29,4 %), Sachsen (27,7 %), Brandenburg (26,8 %) und Thüringen (25,6 %) gleich vier ostdeutsche Bundesländer vertreten sind, die den höchsten Anteil an Unternehmen mit einem Jahresumsatz bis 50.000 € stellen. Mit Bayern, Hamburg und Rheinland‐Pfalz gelingt es dagegen nur drei der alten Bundesländer, den Durchschnitt von 24,4 % in dieser Umsatzgrößenklasse zu übertreffen. Ein ähnliches Bild zeigt sich auch 124
bei Unternehmen mit einem Jahresumsatz zwischen 50 ‐ 100 Tsd. €. Auch hier gelingt es mit Berlin (18,6 %), Sachsen (18,3 %) und Brandenburg (18,2 %) gleich drei ostdeutschen Län‐ dern, den Durchschnitt von 17,3 % in dieser Umsatzklasse deutlich zu übertreffen und die vorderen Plätze einzunehmen. Ihnen folgen Bayern mit 18,1 % und Thüringen mit 17,9 %. Eine andere Verteilung stellt sich dagegen mit dem Ansteigen der Umsatzgrößenklassen ein. In der Umsatzgrößenklasse 100 ‐ 250 Tsd. € ist bspw. Brandenburg das einzige ostdeutsche Bundesland (18,7 %), dass knapp über dem Durchschnitt von 18,6 % liegt, während alle an‐ deren neuen Bundesländer z.T. deutlich darunter liegen. Noch schlechter sieht es in den da‐ rüberliegenden Umsatzgrößenklassen aus. Hier belegen die ostdeutschen Bundesländer durchgehend Plätze im dritten und vierten Quartil. So finden sich z.B. bei der Umsatzgrößen‐ klasse 10 ‐ 50 Mill. € mit Sachsen‐Anhalt, Sachsen, Mecklenburg‐Vorpommern, Berlin und Brandenburg gleich fünf der neuen Bundesländer auf den letzten Plätzen wieder. Bei Unter‐ nehmen mit einem Jahresumsatz von 50 Mill. € und mehr werden sogar alle hinteren Plätze von ostdeutschen Ländern belegt. Im Hinblick auf die anteilige Entwicklung der Umsatzgrößenklassen zeigt sich, dass im Zeit‐ raum 2002 ‐ 2007 insbesondere die Umsatzgrößenklassen bis 50.000 € sowie 50 ‐ 100 Tsd. € einen durchschnittlichen Anstieg der Unternehmen von 1,8 bzw. 0,5 % auf 24,4 bzw. 17,3 % verzeichnen konnten. Einen Rückgang wiesen dagegen die Umsatzgrößenklassen 100 ‐ 250 Tsd. € und 250 Tsd. ‐ 1 Mill. € aus. Sie schrumpften im Durchschnitt um ‐0,6 bzw. ‐0,8 % auf 18,6 und 15,7 %, während alle anderen Umsatzgrößenklassen leicht um jeweils 0,1 % zulegen konnten.477 Im Ländervergleich wird deutlich, dass seit 2002 vornehmlich die ostdeutschen Bundeslän‐ der in den Umsatzgrößenklassen bis 100.000 Tsd. € deutliche Zugänge verbuchen konnten. Sie sind in diesen Umsatzbereichen nunmehr auf den vorderen Plätzen des Länderrankings zu finden. Oberhalb der Umsatzgrößenklasse von 100.000 € gelangen ihnen dagegen keine nennenswerten Anteilsgewinne. Hier dominieren nach wie vor die westdeutschen Bundes‐ länder, so dass die Kleinteiligkeit der ostdeutschen Unternehmenslandschaft auch durch die Analysen der Umsatzgrößenklassen in den einzelnen Bundesländern bestätigt wird.
C 6.3 Betriebe nach Beschäftigtengrößenklassen Um zu zeigen, dass sich die Kleinteiligkeit ostdeutscher Unternehmen auch bei der Beschäf‐ tigtengröße niederschlägt, werden nachfolgend die Beschäftigungsstrukturen in den einzel‐ nen Bundesländern untersucht. Hierbei stehen, wie auch schon im Abschnitt C 5.3 zuvor, die Betriebe im Mittelpunkt der Untersuchung, da sie eine bessere regionale Zuordnung der Beschäftigten ermöglichen. Vor diesem Hintergrund wird in Tabelle 14 zunächst die Beschäf‐ tigtengrößenstruktur der Bundesländer für das Jahr 2007 dargestellt. Aus ihr geht hervor, dass der überwiegende Teil der deutschen Betriebe (Ø 70,1 %) über 1 bis 9 Beschäftigte ver‐ fügte. Durchschnittlich 13,4 % aller Betriebe wiesen 10 bis 49 Beschäftigte aus, während im Schnitt 3,1 % über 50 bis 249 Beschäftigte verfügten. Betriebe, die 250 Beschäftigte und mehr verzeichneten, waren dagegen nur zu durchschnittlich 0,6 % vertreten. Keine Beschäf‐
477
Vgl. Tabelle 13 und Anhang 12 ‐ 16.
125
tigten wiesen im Durchschnitt 12,8 % der Betriebe aus, so dass in diesen Fällen davon auszu‐ gehen ist, dass hier nur der Unternehmer selbst tätig war. Tabelle 14: Betriebe nach Beschäftigtengrößenklassen und Bundesländer (2007) Bundesländer1
Beschäftigtengrößenklasssen 10 bis 49 50 bis 249 13,2% 2,7% 13,4% 3,3% 14,3% 3,2%
Schleswig‐Holstein Hamburg Niedersachsen
0 12,9% 12,8% 12,3%
1 bis 9 70,8% 69,6% 69,8%
ab 250 0,4% 0,8% 0,5%
Gesamt 100,0% 100,0% 100,0%
Bremen Nordrhein‐Westfalen
11,8% 12,4%
67,3% 70,0%
15,5% 13,5%
4,5% 3,4%
0,9% 0,7%
100,0% 100,0%
Hessen Rheinland‐Pfalz
11,5% 13,7%
71,0% 70,3%
13,4% 12,7%
3,4% 2,9%
0,7% 0,5%
100,0% 100,0%
Baden‐Württemberg Bayern
11,5% 13,4%
70,8% 70,2%
13,7% 12,9%
3,4% 2,9%
0,6% 0,5%
100,0% 100,0%
Saarland Berlin Brandenburg
11,7% 12,5% 14,8%
70,9% 73,3% 69,3%
13,5% 10,8% 12,6%
3,2% 2,7% 2,9%
0,7% 0,6% 0,4%
100,0% 100,0% 100,0%
Mecklenburg‐Vorpommern Sachsen
13,5% 13,8%
69,6% 69,2%
13,6% 13,4%
2,9% 3,2%
0,4% 0,4%
100,0% 100,0%
Sachsen‐Anhalt Thüringen
13,1% 12,9% 12,8%
69,1% 69,7% 70,1%
13,7% 13,6% 13,4%
3,5% 3,4% 3,1%
0,5% 0,4% 0,6%
100,0% 100,0% 100,0%
Durchschnitt 1
Der Anteil der Unternehmen zu denen Beschäftigtenangaben im URS 95 vorlagen, betrug für Schleswig‐Holstein 60,9%, Hamburg 54,6%, Niedersachsen 63,3%, Bremen 64,4%, Nordrhein‐Westfalen 60,1%, Hessen 58,9%, Rheinland‐Pfalz 60,4%, Baden‐Württemberg 59,5%, Bayern 58,5%, Saarland 61,3%, Berlin 59,8%, Brandenburg 70,1%, Mecklenburg‐Vorpommern 71,9%, Sachsen 72,1%, Sachsen‐Anhalt 75,9% und Thüringen 73,1%. Unternehmen zu denen keine Angaben vorlagen, wurden nicht berücksichtigt.
Quelle: Eigene Berechnung, Statistisches Bundesamt – Unternehmensregister (URS 95).
Ein Vergleich der Beschäftigungsstrukturen in den einzelnen Bundesländern zeigt, dass im Jahr 2007 vornehmlich die ostdeutschen Bundesländer die höchsten Anteile bei Betrieben ohne sv‐pflichtige Beschäftigte verzeichneten. Brandenburg führt hier mit 14,8 %, gefolgt von Sachsen (13,8 %), Rheinland Pfalz (13,7 %) und Mecklenburg‐Vorpommern (13,5 %). In der Größenklasse 1 ‐ 9 Beschäftigte nehmen hingegen die alten Bundesländer die vorderen Plätze ein, während die ostdeutschen Bundesländer, bis auf Berlin (Platz 1), ausschließlich im dritten und vierten Quartil zu finden sind. Differenzierter gestaltet sich die Betrachtung der neuen Bundesländer in den beiden nachfolgenden Beschäftigungsgrößenklassen (10 ‐ 49 und 50 ‐ 249 Beschäftigte). Hier gehören Länder wie Sachsen‐Anhalt und Thüringen nahezu durchgängig zum ersten Quartil, während Brandenburg und Berlin hauptsächlich auf den hinteren Plätzen zu finden sind. Werden Betriebe mit 250 und mehr Beschäftigten betrach‐ tet, so zeigt sich, dass die westdeutschen Bundesländer die größten Anteile aufweisen, wäh‐ rend Brandenburg, Mecklenburg‐Vorpommern, Sachsen und Thüringen (jeweils 0,4 %) die letzten Plätze belegen.
126
Wird die Entwicklung der Beschäftigungsgrößenklassen in den einzelnen Bundesländern für den Zeitraum 2002 ‐ 2007 betrachtet,478 so fällt auf, dass der durchschnittliche Anteil von Betrieben ohne sv‐pflichtige Beschäftigte von 11,2 % (2002) auf 12,8 % (2007) gestiegen ist, während die Anteile von Betrieben mit 1 ‐ 9 und 10 ‐ 49 Beschäftigte auf Ø 70,1 % (‐1 %) bzw. Ø 13,4 % (‐0,6 %) zurückgegangen sind. Keine Veränderungen gab es dagegen in den anderen Beschäftigungsgrößenklassen. Hier lag der Anteil von Betrieben mit 50 ‐ 249 Be‐ schäftigten bei 3,1 % sowie für Betriebe mit mehr als 250 Beschäftigten bei 0,6 %. Nahezu unverändert blieb auch die Platzierung der neuen Bundesländer im Zeitraum 2002 ‐ 2007. Während sie einen überdurchschnittlich hohen Anteil bei Betrieben ohne sv‐pflichtige Be‐ schäftigte ausweisen konnten, fiel ihr Anteil im Vergleich zu den westdeutschen Bundeslän‐ dern nicht nur bei Betrieben mit 1 ‐ 9 Beschäftigte, sondern auch bei Betrieben mit mehr als 250 Beschäftigten geringer aus.479 Zusammen mit einer relativ uneinheitlichen Platzierung der ostdeutschen Bundesländer in den Größenklassen 10 ‐ 49 und 50 ‐ 249 Beschäftigten zeigt sich, dass sie im Vergleich zu den meisten westdeutschen Ländern über weniger Groß‐ betriebe und damit eher über kleinteiligere Beschäftigtenstrukturen verfügen.
C 6.4 Unternehmen nach Rechtsformen In diesem Abschnitt werden die in den einzelnen Bundesländern vorherrschenden Rechts‐ formen anteilig dargestellt. Das Ziel dabei ist, den Einfluss der Kleinteiligkeit auf die Rechts‐ formwahl deutscher Unternehmen zu untersuchen. Da davon ausgegangen werden kann, dass kleinere Unternehmen i.d.R. größere Probleme haben, die strengen Informations‐ und Kapitalaufbringungsvorschriften von Kapitalgesellschaften zu erfüllen, gilt es hier insbeson‐ dere die Frage zu klären, ob ostdeutsche Bundesländer, die durch kleinteiligere Unterneh‐ mensstrukturen gekennzeichnet sind, einen höheren Anteil an Personengesellschaften auf‐ weisen als westdeutsche. Tabelle 15 gibt hierzu einen Überblick über die Verteilung der Rechtsformen in den einzel‐ nen Bundesländern für das Jahr 2007. Deutlich sichtbar ist, dass die große Mehrheit der deutschen Unternehmen (Ø 64,4 %) eine Person als Inhaber aufweist, während durchschnitt‐ lich 16,4 % aller Unternehmen in der Rechtform der GmbH firmieren. Weitere 7,6 % werden von mehreren Inhabern geführt und durchschnittlich 3,2 % aller Unternehmen weisen die Rechtsform der GmbH & Co. auf. Andere Rechtformen wie die OHG, KG oder AG/KGaA, sind dagegen kaum von Bedeutung.
478 479
Vgl. Tabelle 14 und Anhang 17 ‐ 21. Eine Ausnahme bildet hier das Bundesland Berlin, das beim Länderranking in beiden Beschäftigungsgrößen‐ klassen vordere Plätze belegen konnte.
127
Tabelle 15: Unternehmen nach Rechtsform und Bundesländer (2007) Bundesländer
Eine Mehrere Person als Personen Inhaber als Inhaber
OHG
KG
GmbH & Co.
GmbH
AG/KGaA
Sonstige
1
Gesamt
Schleswig‐ Holstein Hamburg
62,5%
8,3%
0,8%
0,7%
4,2%
14,9%
0,2%
8,4%
100,0%
57,5%
7,7%
0,9%
0,9%
5,0%
21,5%
0,7%
5,8%
100,0%
Niedersachsen
64,1%
8,2%
0,5%
0,6%
4,4%
15,0%
0,2%
7,0%
100,0%
Bremen
54,1%
7,8%
0,8%
0,8%
7,2%
21,8%
0,5%
6,9%
100,0%
Nordrhein‐ Westfalen
63,0%
7,0%
0,6%
0,6%
4,3%
16,4%
0,3%
7,9%
100,0%
Hessen
64,0%
8,0%
0,6%
0,6%
3,3%
17,3%
0,5%
5,8%
100,0%
Rheinland‐Pfalz
54,5%
5,6%
0,5%
0,5%
2,6%
14,0%
0,3%
22,0%
100,0% 100,0%
Baden‐ Württemberg
65,0%
7,8%
0,4%
0,5%
3,1%
16,1%
0,3%
6,7%
Bayern
67,8%
7,4%
0,5%
0,5%
3,2%
14,9%
0,4%
5,2%
100,0%
Saarland
63,2%
7,1%
0,2%
0,2%
2,2%
20,8%
0,5%
5,8%
100,0%
Berlin
66,5%
8,7%
0,4%
0,3%
2,2%
17,4%
0,4%
4,0%
100,0%
Brandenburg
70,6%
7,4%
0,4%
0,2%
1,6%
14,6%
0,2%
4,9%
100,0%
Mecklenburg‐ Vorpommern
65,6%
8,6%
0,6%
0,4%
2,4%
14,5%
0,3%
7,5%
100,0%
Sachsen
72,5%
7,0%
0,4%
0,3%
1,6%
14,0%
0,2%
4,2%
100,0%
Sachsen‐Anhalt
67,8%
7,7%
0,4%
0,3%
1,9%
15,6%
0,4%
6,0%
100,0%
Thüringen
71,9%
7,1%
0,5%
0,3%
1,8%
13,6%
0,2%
4,7%
100,0%
Durchschnitt
64,4%
7,6%
0,5%
0,5%
3,2%
16,4%
0,4%
7,1%
100,0%
1
Hierunter fa l len Genos s ens cha ften, s ons ti ge priva te Rechts formen, Unternehmen der öffentl i chen Ha nd, öffentli ch‐ rechtli che Verbä nde s owi e s ons ti ge öffentli che und a us l ä ndis che Rechts formen.
Quelle: Eigene Berechnung, Statistisches Bundesamt – Unternehmensregister (URS 95).
Im Ländervergleich fällt zunächst auf, dass überdurchschnittlich viele Unternehmen in den ostdeutschen Bundesländern von einer Person geführt werden. Dementsprechend führen hier Sachsen (72,5 %), Thüringen (71,9 %), Brandenburg (70,6 %) und Sachsen Anhalt (67,8 %), gefolgt von Bayern (67,8 %), Berlin (66,5 %) und Mecklenburg‐Vorpommern (65,6 %) die Liste der Bundesländer an. Bei Unternehmen, die von mehreren Personen gelei‐ tet werden, belegen Berlin (8,7 %) und Mecklenburg‐Vorpommern (8,6 %) die ersten Plätze, während mit Ausnahme von Sachsen Anhalt (7,7 %) die Länder Brandenburg (7,4 %), Thürin‐ gen (7,1 %) und Sachsen (7,0 %) nur unterdurchschnittliche Anteile aufweisen und damit die hinteren Ränge besetzen. Bei allen anderen Rechtformen schneiden die alten Bundesländer besser ab. Sie weisen hier die größten Anteile aus, wohingegen die ostdeutschen Bundeslän‐ der mit Ausnahme von Mecklenburg‐Vorpommern bei der OHG und Berlin bei der GmbH sowie AG/KGaA durchgehend die hinteren Plätze belegen. Wird die prozentuale Verteilung der Rechtsformen in den jeweiligen Bundesländern betrach‐ tet, so zeigt sich für den Zeitraum 2002 bis 2007,480 dass der durchschnittliche Anteil von Unternehmen, die von einer Person geführt werden, von 62,4 auf 64,4 % zugenommen hat. Einen positiven Anstieg verzeichneten auch die Rechtsformen GmbH (Ø +0,5 %) und GmbH & Co. (Ø +0,7 %), während die Anteile aller anderen Rechtsformen weitgehend un‐ 480
Vgl. Tabelle 15 und Anhang 22 ‐ 26.
128
verändert blieben. Nahezu unverändert zeigte sich auch das Länderranking. Während die ostdeutschen Länder bei Unternehmen, die von einer Person geführt werden, leicht zulegen konnten, erzielten sie bei allen anderen Rechtsformen dagegen keine nennenswerten An‐ teilsgewinne. Hier weisen nach wie vor die alten Bundesländer die höheren Anteile aus und belegen damit die vorderen Plätze. Im Ergebnis zeigen die vorangestellten Zahlen sehr eindrucksvoll, dass eine kleinteilige Un‐ ternehmensstruktur auch Einfluss auf die Wahl der Rechtsform hat. So verzeichnete Ost‐ deutschland im Zeitraum 2002 ‐ 2007 einen relativ starken Anstieg an Kleinstunternehmen. Da diese jedoch häufig nicht in der Lage sind, die Informations‐ und Kapitalaufbringungsvor‐ schriften von Kapitalgesellschaften zu erfüllen, waren die Möglichkeiten in der Rechtsform‐ wahl beschränkt. Es ist daher davon auszugehen, dass vielen Selbstständigen nichts anderes übrig blieb, als Ihr Unternehmen in der Form einer Einzelunternehmung zu führen, was ge‐ rade im Fall der neuen Bundesländer die hohe Zahl von Ein‐Personen‐Unternehmen erklären würde. Die westdeutschen Bundesländer weisen im Gegensatz dazu eine überdurchschnittli‐ che Anzahl mittlerer und großer Unternehmen aus, denen die Erfüllung gesetzlich vorge‐ schriebener Informations‐ und Kapitalaufbringungsvorschriften weit weniger Probleme be‐ reitet als der großen Mehrheit der in Ostdeutschland ansässigen Kleinstunternehmen. Vor diesem Hintergrund sind es gerade die westdeutschen Bundesländer, die einen hohen Anteil von Unternehmen in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft (GmbH oder GmbH & Co.) verzeichnen.
C 7 Fazit zur mittelständischen Unternehmensstruktur in Deutschland Um die Frage zu beantworten, ob Ostdeutschland im Vergleich zu den alten Bundesländern durch eine kleinteiligere Unternehmensstruktur gekennzeichnet ist, wurden in einem drei‐ stufigen Analyseprozess die Anzahl der Unternehmen, die Umsatz‐ und Beschäftigtengrö‐ ßenklassen sowie die Verteilung der Rechtsformen in Gesamtdeutschland, Ost‐ und West‐ deutschland sowie in den einzelnen Bundesländer untersucht. Hierbei zeigte sich, dass bei kombinierter Auswertung des Umsatz‐ und Beschäftigtenkriteriums rund 99,5 % aller deut‐ schen Unternehmen zum Mittelstand zählen. Werden darüber hinaus die Anteile in den je‐ weiligen Unternehmensgrößenklassen verglichen, so wird deutlich, dass mehr als 89 % der in Deutschland ansässigen Unternehmen in die Gruppe der Kleinstunternehmen einzuordnen sind. Interessante Einblicke in die Größenstrukturen ergaben sich auch bei der Verteilung der Unternehmen nach Umsatz‐ und Beschäftigtenklassen. Beide Untersuchungen lieferten ein‐ deutige Hinweise darauf, wie kleinteilig die Unternehmensstruktur gerade in den unteren Größenklassen ist. So erzielten bspw. im Jahr 2007 mehr als ein Drittel aller deutschen Un‐ ternehmen einen Jahresumsatz von lediglich bis zu 50.000 €. Werden alle Unternehmen zu‐ sammengefasst, die einen Jahresumsatz bis zu 500 Tsd. € verzeichnen, so entfielen auf sie rund 84,5 %, während gerade einmal 0,3 % mit Umsätzen von mehr als 50 Mio. Euro aufwar‐ ten konnten. Im Hinblick auf den hohen Anteil an Kleinstunternehmen zeigte sich die Dominanz von inha‐ bergeführten Unternehmen. Alle übrigen Rechtsformen wiesen dagegen vergleichsweise geringe Anteile auf. Mit ansteigender Unternehmensgrößenklasse konnte jedoch auch beo‐ 129
bachtet werden, dass der Anteil zugunsten der Kapitalgesellschaften abnahm. Dieser Befund lässt daher vermuten, dass mit ansteigender Unternehmensgröße auch die Chancen auf eine Verbesserung der Finanzlage der Eigentümer sowie der für die Bereitstellung umfangreicher Informationen notwendigen Planungs‐ und Kontrollsysteme steigen, so dass sich letztendlich auch die Erfüllung der bei der Rechtsformwahl zu beachtenden gesetzlichen Vorschriften leichter gestaltet. Wird die Unternehmensstruktur in beiden Teilen Deutschlands betrachtet, lassen sich zahl‐ reiche Unterschiede feststellen. So fällt für den Zeitraum 2002 ‐ 2007 auf, dass die ostdeut‐ schen Länder zwar bei der Unternehmensanzahl relativ stark zulegen konnten, gleichzeitig aber immer noch vier Fünftel aller Unternehmen ihren Sitz in den alten Bundesländern ha‐ ben. Doch nicht nur im Hinblick auf die Anzahl der Unternehmen, sondern auch gemessen an der Umsatz‐ und Beschäftigtengröße zeichneten sich die ostdeutschen Bundesländer durch eine kleinteiligere Unternehmensstruktur aus. Sie weisen lediglich überdurchschnittlich hohe Anteile in den Umsatzklassen bis 100.000 € aus, während westdeutsche Bundesländer dage‐ gen in allen darüberliegenden Umsatzgrößenklassen höhere Anteile verzeichnen konnten. Weitere Unterschiede konnten auch bei der Rechtsformwahl ostdeutscher Unternehmen ausgemacht werden. So bewirkte die kleinteiligere Unternehmensstruktur, dass Unterneh‐ men hier überdurchschnittlich oft von einem oder mehreren Inhabern geführt wurden. Westdeutschland, das vergleichsweise über viele mittlere und große Unternehmen verfügt, weist dagegen, mit Ausnahme der AG/KGaA, überdurchschnittliche Anteile bei der GmbH, GmbH & Co., OHG und KG auf. Die auf Ebene der einzelnen Bundesländer durchgeführte Analyse, bestätigt noch einmal die aufgeworfene These, wonach insbesondere ostdeutsche Bundesländer über eine kleinteili‐ gere Unternehmensstruktur verfügen. Sie wiesen überdurchschnittlich viele kleine bis sehr kleine Betriebe bzw. Unternehmen aus, was im Zeitablauf dazu führte, dass sich mit deutli‐ cher Dominanz von Ein‐Personen‐Unternehmen die durchschnittliche Unternehmensgröße in den ostdeutschen Bundesländern weiter nach unten bewegte. Westdeutschland verzeich‐ nete dagegen überdurchschnittliche Anteile an mittleren und großen Unternehmen, die zwar gemessen an der Zahl der Kleinstunternehmen immer noch gering, doch vom Umsatz und Beschäftigung her betrachtet von überdurchschnittlichem Anteilsgewicht waren.
C 8 Ertragslage und Finanzierungsbedingungen mittelständischer Unternehmen in Deutschland Wie bedeutsam adäquate Bank‐ sowie alternative Finanzierungen sind, unterstreicht die letzte Finanzkrise, die besondere Anforderungen an die Finanzkraft und das Liquiditätsma‐ nagement von KMU stellte. Trotz vorhandener struktureller Schwächen der ostdeutschen Wirtschaft, die sich im Vergleich zur Westdeutschen z.B. in einem unterdurchschnittlichen Unternehmensbesatz und geringerer Bruttowertschöpfung äußert, wirkten sich die Finanz‐ krise und ihre Folgen bisher nicht extrem auf finanzwirtschaftliche Kennziffern der Unter‐ nehmen aus.481 So lag die Umsatzrendite482 ostdeutscher Unternehmen laut Angaben der 481 482
Vgl. Hummel u.a. (2009), S. 98. Gemessen als Jahresrendite vor Gewinnsteuern in Prozent des Umsatzes.
130
Deutschen Bundesbank für das Jahr 2007 mit 6,6 % über dem westdeutschen Schnitt von 5,0 %.483 Andere Statistiken, wie z.B. vom Deutschen Sparkassen‐ und Giroverband (DSGV), vermitteln ein differenzierteres Bild. Hiernach realisierte die mittelständische Wirtschaft in Westdeutschland mit 5,5 % eine deutlich höhere Umsatzrendite als im Osten mit 3,1 %.484 Wie anhand der Umsatzrendite deutlich wird, erweist sich die konkrete Bewertung der Er‐ tragslage von kleinen und mittleren Unternehmen als schwierig, da es in Deutschland ‐ im Gegensatz zu Frankreich – keine nationale Bilanzdatenbank gibt, in der die Jahresabschlüsse erfasst werden. Infolgedessen haben es sich verschiedene Institutionen zur Aufgabe ge‐ macht, eigene Datenbanken aufzubauen, die jedoch trotz ihres Umfangs eher Stichproben‐ charakter besitzen.485 In der nachfolgenden Betrachtung der Ertragslage und Finanzierungs‐ bedingungen mittelständischer Unternehmen findet daher in erster Linie die Unterneh‐ mensbilanzstatistik der Deutschen Bundesbank Verwendung. Ergänzend dazu werden Veröf‐ fentlichungen und Ergebnisse von KfW, DSGV und Creditreform herangezogen. Unter Be‐ rücksichtigung der verschiedenen Datenbanken wird gezeigt, wie die Bilanzstruktur ost‐ und westdeutscher Unternehmen aussieht. Dazu gehören u.a. die zeitliche Entwicklung der Ei‐ genkapitalquoten, die Eigenmittelquoten der Unternehmen nach Größenklassen und nach Wirtschaftszweigen sowie die in Anspruch genommenen Bankengruppen.
C 8.1 Eigenkapitalquoten ost‐ und westdeutscher Unternehmen im Vergleich Die Eigenkapitalquote, als Anteil des wirtschaftlichen Eigenkapitals an der Bilanzsumme, dient zur Beurteilung der finanziellen Stabilität und Unabhängigkeit eines Unternehmens, da allgemein davon ausgegangen wird, dass bei einem größeren Eigenkapitalanteil auch die finanzielle Stabilität und Unabhängigkeit eines Unternehmens höher ist. Haftendes Eigenka‐ pital erhöht somit die Risikotragfähigkeit von Unternehmen und ist damit ein Garantiefonds für die Gläubiger. Es ist darüber hinaus das erste Finanzierungsmittel und bildet damit die Grundlage für weitere Fremdfinanzierungen. Niedrigere Eigenkapitalquoten führen dement‐ sprechend dazu, dass sowohl die Kapitalzufuhr als auch Investitionen, z.B. zur Erschließung von Auslandsmärkten, erschwert werden.486 Eine ausreichende Eigenkapitalisierung hat da‐ her eine hohe Bedeutung für den Zugang zu Krediten und trägt darüber hinaus auch dazu bei, die Fremdfinanzierungskosten zu senken.487 Die Frage nach der Höhe der Eigenkapitalquote ost‐ und westdeutscher Unternehmen wird daher zu einer entscheidenden Größe, um die wirtschaftliche Situation in den neuen und alten Bundesländern analysieren zu können. Aufgrund der schon beschriebenen Divergenzen zwischen den Datenbanken der verschiedenen Institutionen muss die Frage nach der Höhe der Eigenkapitalquote je nach verwendeter Datengrundlage unterschiedlich beantwortet werden.
483
Vgl. Deutsche Bundesbank (2009 a), S. 20 und 212. Vgl. DSGV (2010 a), S. 10. Vgl. Prognos AG (2009), S. 37. 486 Vgl. Braunschweig (1999), S. 36; Prognos AG (2009), S. 38. 487 Vgl. KfW (2008 a), S. 63. 484 485
131
Die Ergebnisse der einmal jährlich vom DSGV durchgeführten Studie „Diagnose Mittelstand“ zeigen für das Jahr 2008,488 dass ostdeutsche Unternehmen, im Verhältnis zur Bilanzsumme, besser mit Eigenkapital ausgestattet sind als westdeutsche. Die Eigenkapitalquote, zu sehen in Abbildung 17, lag in den neuen Bundesländern bei 17,2 %, in den alten Bundesländern dagegen bei 13,6 % und fällt damit um 3,6 % höher aus. Im Vergleich zu den Vorjahren blieb der Abstand, mit Ausnahme 2005, damit relativ konstant. So betrugen die Vergleichswerte 3,2 % (2004), 2,4 % (2005), 3,2 % (2006) bzw. 3,3 % (2007).489 Wird die Entwicklung der Ei‐ genkapitalquoten der Unternehmen nach Umsatzgröße für den Zeitraum von 2004 bis 2008 betrachtet, so zeigt sich für Gesamtdeutschland ein stetiger Anstieg des Eigenkapitals über alle Größenklassen hinweg.490 Bemerkenswert ist, dass die Eigenkapitalquote von Unter‐ nehmen mit einem Umsatz von weniger als 250.000 Euro in Ostdeutschland bis 2004, in Westdeutschland sogar bis 2006 null betrug und sich bis 2008 auf 5,9 (Westdeutschland) bzw. 10,9 % (Ostdeutschland) verbessert hat. Unternehmen mit einem Umsatz zwischen 5 und 12,5 Mio. Euro steigerten ihre Eigenkapitalquote im Zeitraum 2004 ‐ 2008 von 16,5 % auf über 20 %. Große mittelständische Unternehmen mit einem Umsatz zwischen 12,5 und 50 Mio. Euro konnten dagegen nur eine Steigerung von 22,6 % auf knapp 24,6 % realisieren. Darüber hinaus wiesen ostdeutsche Unternehmen mit einem Umsatz bis 12,5 Mio. Euro über den gesamten Zeitraum mehr Eigenkapital aus als Westdeutsche. Trotz der anhaltenden Steigerung der Eigenkapitalquoten über alle Umsatzklassen hinweg darf jedoch auch nicht übersehen werden, dass die Unterschiede in der Eigenkapitalausstattung von Großunter‐ nehmen (Umsatz von mehr als 50 Mio. Euro) im Median mit 28,2 % und KMU mit 13,9 % nach wie vor gravierend sind.491
488
In der vorläufigen Trendauswertung für das Jahr 2008 waren bislang gut 97.000 Bilanzen eingeflossen. Vgl. DSGV (2010 b), S. 34 f. Vgl. DSGV (2009 a), S. 6 und DSGV (2010 a), S. 5. 490 Vgl. Anhang 27. 491 Vgl. DSGV (2010 a), S. 5. 489
132
Abbildung 17: Vergleich der Eigenkapitalquoten west‐ und ostdeutscher Unternehmen bis 50 Mio. Euro Umsatz 20% 17,2% 15%
13,7% 11,4%
10%
9,8%
14,5% 13,6% 11,2%
10,5% 9,0%
6,6% 5%
0% 2004
2005 Ostdeutschland
2006
2007
2008
Westdeutschland
Quelle: Eigene Berechnungen nach Angaben des DSGV (2009 a), S. 6 und DSGV (2010 a), S. 5.
Betrachtet man alternativ die im KfW Mittelstandspanel ermittelten Ergebnisse bezüglich der Eigenkapitalquote, so lag diese bei ostdeutschen Unternehmen im Jahr 2004 bei 25,5 % und fiel bis 2007 auf 24,8 % zurück. Westdeutsche Unternehmen konnten dagegen ihre Ei‐ genkapitalquote von 21,7 (2004) auf 24,6 % (2008) steigern.492 Diskrepanzen zur DSGV‐ Studie lassen sich dadurch erklären, dass das KfW‐Mittelstandspanel weniger Unternehmen (ca. 12.000) umfasst und sich ausschließlich auf Mittelständler bezieht, nicht aber auf Klein‐ und Kleinstunternehmen, kleine Personengesellschaften sowie Freiberufler. Allerdings lässt sich, wie auch bei der DSGV‐Studie, eine Abhängigkeit zwischen Eigenkapitalquote und Mit‐ arbeitern herstellen, d.h. je mehr Mitarbeiter ein Unternehmen aufweist, desto höher ist die durchschnittliche Eigenkapitalquote.493 Vergleicht man beide Teile Deutschlands hinsichtlich mittelständischer Unternehmen, die kein bzw. ein negatives Eigenkapital aufweisen, so fällt auf, dass im Jahr 2008 der Anteil in Westdeutschland mit 30,2 % höher als in den ostdeutschen Bundesgebieten mit 24 % ausfiel. Wie in Abbildung 18 zu sehen, konnten sich die Werte über den gesamten Zeitraum kontinu‐ ierlich verbessern. Wiesen im Jahr 2004 noch mehr als ein Drittel aller ostdeutschen Unter‐ nehmen eine Eigenkapitalquote von null oder weniger aus, waren es 2008 nur noch knapp ein Viertel. Analog dazu verlief die Entwicklung bei westdeutschen Unternehmen. Auch ih‐ nen gelang es, die Eigenkapitalquote zu verbessern, so dass die Anzahl der Unternehmen mit einem Eigenkapital von null oder weniger von 41,4 % (2004) auf 30,2 % (2008) sank. Insofern können die annähernd unter der 30‐Prozent‐Marke liegenden Quoten als großer Fortschritt 492 493
Sonderauswertung der KfW für die Universität Potsdam. Vgl. KfW (2009 a), S. 23.
133
in Richtung eines eigenkapitalstarken Mittelstandes angesehen werden.494 Dennoch darf auch hierbei nicht übersehen werden, dass immer noch fast 1/3 aller westdeutschen und ca. 1/4 aller ostdeutschen Unternehmen kein bzw. ein negatives Eigenkapital aufweisen. Das bedeutet, dass in diesen Unternehmen kein Eigenkapital vorhanden ist, das die in Abschnitt B 7.3 beschriebenen Funktionen erfüllen kann. Insbesondere die für die Kreditvergabe so wichtige Verlustausgleichs‐ und Haftungsfunktion des Eigenkapitals kann hier nicht über‐ nommen werden, so dass es diesen Unternehmen schwerfallen dürfte, Bankkredite zu erhal‐ ten. Da eine ausreichende Eigenkapitalausstattung zudem als Puffer gegenüber Liquiditäts‐ engpässen und Insolvenzen dient, wird deutlich, dass gerade diese Unternehmen besonders gefährdet sind. Abbildung 18: Anteil mittelständischer Unternehmen mit einem Eigenkapital von null oder darunter 50,0% 41,4% 40,0%
37,9% 34,8%
36,7%
35,1%
32,8% 30,1%
30,0%
28,2%
30,2% 24,0%
20,0%
10,0%
0,0% 2004
2005 Ostdeutschland
2006
2007
2008
Westdeutschland
Quelle: Eigene Berechnungen nach Angaben des DSGV (2009 a), S. 6 und DSGV (2010 a), S. 5.
C 8.2 Eigenmittelquoten nach Umsatzgrößenklassen Wird eine Differenzierung der Eigenmittelquoten nach der Umsatzgröße vorgenommen (Abbildung 19), zeigt sich für Ost‐ wie für Gesamtdeutschland, dass sich diese mit steigenden Umsätzen verbessern. Unternehmen mit weniger als 2 Mio. Euro Umsatz weisen demnach im Durchschnitt die geringsten Eigenmittelquoten auf, während Unternehmen mit Umsätzen von mehr als 50 Mio. Euro die höchsten Eigenmittelquoten verzeichnen. Bemerkenswert ist, dass die Eigenmittel der Unternehmen in den neuen Bundesländern in jeder Größenklasse über dem Bundesdurchschnitt lagen, wobei der Abstand im Jahr 2007 mit 14,8 % bei Unter‐ nehmen über 50 Mio. Euro Jahresumsatz am größten ausfiel. Angesichts der insgesamt recht niedrigen Eigenmittelausstattung deutscher Unternehmen dürfte sich vor dem Hintergrund zukünftig auftretender Finanzkrisen (Vernichtung von Eigenkapital) und der damit einherge‐ 494
Vgl. DSGV (2009 b), S. 46.
134
henden Finanzierungs‐ und Liquiditätsengpässe ‒ vor allem bei sehr schlechter Auftragslage ‒ die Insolvenzgefahr gerade bei kleineren Unternehmen weiter erhöhen.495 Abbildung 19: Eigenmittelquoten nach Umsatzgrößenklassen für den Zeitraum 2003 ‐ 2007 Ost
2007 Gesamt
27,7%
2006
18,0%
Gesamt Ost
2005 2004
13,1%
Ost
2003
5% > 50 Mio. € Umsatz
15% 10 bis