Management kleiner und mittlerer Unternehmen: Strategische Aspekte, operative Umsetzung und Best Practice 9783110413939, 9783110413922

Strategic and operational issues are both critical to the management of SMEs. This textbook undertakes a scientific exam

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German Pages 564 Year 2015

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Table of contents :
Vorwort der Herausgeber
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Kapitel 1: KMU – Stärken und Schwächen, Chancen und Risiken
1 Einleitung
2 Herausforderungen und Potenziale für KMU
3 Themenzusammenstellung dieses Werkes
3.1 Unternehmensgründung
3.2 Unternehmensentwicklung
3.3 Marketing und Kommunikation
3.4 Personalmanagement
3.5 Rechtliche Grundlagen
3.6 Unternehmensnachfolge und -übergabe
3.7 Mediation und Konfliktlösung
4 Dieser Sammelband
Literaturangaben
Teil I: Unternehmensgründung
Kapitel 2: Aus dem Hörsaal in die Gründung (Best Practice)
1 Learning by doing – vom Hobby zur Unternehmensschmiede
2 Hier ist die Masterarbeit. Wo ist der nächste Notar? – Die Gründung von Talents’ Friends e.K.
3 Wollt Ihr nicht mitmachen? – Der Wechsel vom e.K. zur GmbH
4 Herr Platenius, ich brauche einen Zahnarzt – Der Deutsche Zahnarzt Service als erste „Tochter“
5 Unverhofft kommt oft – Von Gesundheitshelden und weiteren Start-Ups
6 Man braucht nicht eine gute Idee, um ein Unternehmen aufzubauen, sondern tausend
Kapitel 3: Unternehmensgründung – Chancen und Herausforderungen (Best Practice)
1 Selbstständig oder angestellt, das ist hier die Frage
2 Warum der Weg in die Selbstständigkeit gewählt wird
3 Was den „Unternehmertyp“ auszeichnet
4 Herausforderungen & Stolpersteine für Start-Ups und Jungunternehmer
4.1 Stolperstein Nr.1: „Für die Lösung haben wir kein Problem“ oder „Geschäftsidee ohne Geschäftsmodell“
4.2 Stolperstein Nr.2: Fehlende Marktorientierung & Marktkenntnisse
4.3 Stolperstein Nr.3: Falsche Teamzusammensetzung
4.4 Stolperstein Nr.4: Das persönliche Umfeld
4.5 Stolperstein Nr.5: Unrealistische Finanzplanung
4.6 Stolperstein Nr.6: Bei Fehlern den Kopf in den Sand stecken
4.7 Stolperstein Nr.7: Die Mühlen der Bürokratie mahlen langsam
4.8 Stolperstein Nr.8: Delegieren
5 Fazit
Literaturangaben
Teil II: Unternehmensentwicklung
Kapitel 4: Auswirkungen und Effekte von Netzwerken
1 Einleitung
2 Grundlagen
2.1 Neu gegründete Unternehmen
2.2 KMU
2.3 Strategische Unternehmensführung
2.4 Netzwerke
3 Literatur Review
4 Praktischer Bezug
5 Fazit
Literaturangaben
Kapitel 5: Strategien des Auslandsmarkteintritts für kleine und mittlere Unternehmen
1 Einleitung
2 KMU in Deutschland
3 Formen des Auslandsmarkteintritts
3.1 Export
3.2 Lizenzierung
3.3 Franchising
3.4 Joint Ventures
3.5 Tochtergesellschaften
4 Timing des Auslandsmarkteintritts
4.1 Länderspezifische Timing-Strategien
4.1.1 Pionier-Strategie
4.1.2 Frühe-Folger-Strategie
4.1.3 Späte-Folger-Strategie
4.2 Länderübergreifende Timing-Strategien
4.2.1 Wasserfall-Strategie
4.2.2 Sprinkler-Strategie
4.2.3 Praxisbeispiel: Metro AG
5 Strategieauswahl
5.1 Generelles Vorgehen
5.2 Zielsetzungsorientierte Strategieauswahl
5.2.1 Bewertung der Markteintrittsformen
5.2.2 Bewertung des Markteintrittszeitpunktes
5.2.3 Bewertung der Markteintrittsabfolge
5.2.4 Handlungsempfehlungen
6 Fazit und Ausblick
Literaturangaben
Kapitel 6: Changemanagement in KMU: Zwischen Spielraum und Struktur
1 Einleitung
2 Das Unternehmen
2.1 Ausgangslage
2.2 Das Problem
3 Konzepte der Analyse
3.1 Schlecht-definierte Systeme
3.2 Komplexe Handlungssituationen
3.3 Umgang mit komplexen Handlungssituationen in schlecht definierten Systemen
4 Schlussfolgerungen
4.1 Die zweifache Unterschätzung
4.2 Was tun?
4.3 Handlungsansätze
4.4 Ausblick
Literaturangaben
Kapitel 7: Erfolgsfaktoren im Crowdfunding (Best Practice)
1 Was ist Crowdfunding?
1.1 Entwicklung der Finanzierungsmethode
1.2 Heutige Situation
2 Plattformen
2.1 Lending (Crowdlending)
2.2 Equity Crowdfunding (Crowdinvesting)
2.3 Soziales Crowdfunding
2.4 Reward Crowdfunding
3 Projekte
4 Erfolgsfaktoren von Crowdfunding-Kampagnen
4.1 Innovationsgrad des Produkts
4.2 Video
4.3 Kundennähe durch Reaktionsschnelligkeit
4.4 Kontinuität und Transparenz durch regelmäßige Updates
4.5 Glaubwürdigkeit durch prominente Testimonials
4.6 Produktportfolio
4.7 Finanzierungsschwelle
4.8 Marketing-Unterstützung
4.9 Detaillierte Projektplanung
5 Zusammenfassung
Literaturangaben
Teil III: Marketing und Kommunikation
Kapitel 8: KMU-spezifische Aspekte der Erarbeitung von Marketingkonzeptionen
1 Abgrenzung von KMU und Großbetrieben
1.1 Quantitative Kriterien
1.2 Qualitative Kriterien
2 Wandlungen im Marketing(verständnis)
3 Bedeutung des Marketing für KMU
4 Implementierung des Marketing als Unternehmensführungskonzeption in KMU
4.1 Umsetzung des Marketing als Maxime (Philosophieaspekt)
4.2 Umsetzung des Marketing als Methode
4.2.1 SWOT-Analyse
4.2.2 Strategische Zielplanung
4.2.3 Marketingstrategien
4.3 Umsetzung des Marketing als Mittel
4.3.1 Marketing-Mix
4.3.2 Anmerkungen zu ausgewählten KMU-spezifischen Beschränkungen bei den Marketinginstrumenten
5 Fazit
Literaturangaben
Kapitel 9: Markenführung in kleinen und mittleren Unternehmen
1 Warum Markenführung in KMU?
2 KMU in Deutschland
2.1 Relevanz und Abgrenzung von KMU in Deutschland
2.2 Herausforderungen von kleinen und mittleren Unternehmen
2.3 Eine Antwort zur Bewältigung aufgezeigter Herausforderungen
3 Identitätsbasierte Markenführung als Instrument für kleine und mittlere Unternehmen
3.1 Grundkonzept der identitätsbasierten Markenführung
3.2 Die Markenidentität und ihre Komponenten
3.3 Markenimage
3.4 Prozess der identitätsbasierten Markenführung
4 Fazit
Literaturangaben
Kapitel 10: Live-Kommunikation für KMU
1 Einleitung
1.1 Besondere Anforderungen von KMU (an den Marketing-Mix)
1.2 Live-Kommunikation – eine kurze Einführung
1.3 Messen als Instrument der Live-Kommunikation
2 Das Instrument Messe: Grundlagen
2.1 Messe-Typologie
2.2 Messe-Funktionen
3 Messen im Marketing
3.1 Messen im Marketing-Mix
3.2 Messen im Kommunikations-Mix
3.2.1 Vorteile von Messeteilnahmen
3.2.2 Nachteile von Messeteilnahmen
3.3 Ziele von Messebeteiligungen
3.4 Zielgruppen der Aussteller
4 Messebeteiligungs-Planung
4.1 Kommunikations-Planung
4.2 Kommunikations-Strategie
5 Integrationsaspekte
5.1 Messen als Teil der Live-Kommunikation
5.2 Der AUMA als wichtigste Support-Instanz
6 Schlussbetrachtung
Literaturangaben
Kapitel 11: Back to the Roots – Guerilla-Marketing für kleine und mittlere Unternehmen
1 Einleitung
2 Kommunikations-Herausforderungen für KMU
2.1 Allgemeine Bedingungen im Rahmen der Kommunikation
2.2 Strategische Kommunikationsalternativen
3 Die Grundidee des Guerilla-Marketing
4 Instrumente des Guerilla-Marketing
4.1 Ressourcenfokussierte Instrumente
4.2 Aufmerksamkeitsfokussierte Instrumente
4.3 Verbreitungsfokussierte Instrumente
5 Guerilla-Marketing Plan
6 Fazit
Literaturangaben
Teil IV: Personalmanagement
Kapitel 12: Personalentwicklung im Mittelstand: Zukunft verschlafen oder Zukunft gestalten?
1 Das Problem: Ignoranz zentraler Zukunftsherausforderungen
2 Der Ansatzpunkt: Verständnis von Dynamik
3 Die Konsequenz: Eine neue Personalentwicklungs-Agenda
4 Der Nutzen: Professionalisierung und Dynamik-Fitness
Literaturangaben
Kapitel 13: Arbeitgeberattraktivität und Personalrekrutierung im Mittelstand
1 Einleitung
2 Arbeitgeberattraktivität
2.1 Faktum als begleitende Zeiterscheinung
2.2 Professionalisierungsbestrebungen
3 Zielgruppe: Generation Y
3.1 Positionierung im Arbeitsmarkt
3.2 Ansprüche und Wünsche
4 Der Mittelstand
4.1 Bedeutung und Kennzeichen
4.2 Strategisches Personalmanagement im Mittelstand
4.3 Strategisches Personalmanagement im Kontext von Arbeitgeberattraktivität
5 Zielgruppenspezifische personalwirtschaftliche Funktionen im Mittelstand
5.1 Personalplanung und Personalmarketing
5.2 Personalrekrutierung
5.3 Personalführung und Personalentwicklung
6 Fallstudie: Mittelständischer Hidden Champion auf der Suche nach der Generation Y
6.1 Hochschultage
6.2 Kooperatives Führungsverhalten
6.3 Work-Life-Balance
7 Fazit
Literaturangaben
Kapitel 14: Steigerung des Organizational Commitment in kleinen und mittleren Handelsunternehmen
1 Einleitung
2 Automobilhandel in Deutschland
2.1 Grundlegende Strukturen
2.2 Aktuelle Situation
3 Personalmanagement in KMU
4 Commitment im Zentrum der Betrachtung von Personal- und Markenmanagement
4.1 Zielgröße des Personalmanagements
4.2 Commitment als Zielgröße des Markenmanagements
4.3 Relevanz des Brand Commitment für das Personalmanagement
5 Studienaufbau und Auswertung
5.1 Forschungsfragen
5.2 Datenerhebung
5.3 Deskriptive Datenauswertung
5.4 Weiterführende Datenauswertung
6 Zusammenfassung
Literaturangaben
Teil V: Rechtliche Grundlagen
Kapitel 15: Die Qual der Rechtsformwahl
1 Einleitung
2 Einzelunternehmen
3 Personengesellschaften
3.1 Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR)
3.2 Die offene Handelsgesellschaft (oHG)
3.3 Die Kommanditgesellschaft (KG)
4 Kapitalgesellschaften
4.1 Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH)
4.2 Die Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) (UG haftungsbeschränkt)
4.3 Die Aktiengesellschaft (AG)
5 Mischformen und andere Gesellschaften
5.1 GmbH & Co. KG
5.2 Andere Gesellschaftsformen
6 Fazit
Abkürzungsverzeichnis
Literaturangaben
Kapitel 16: Compliance in KMU
1 Unternehmensskandale und Geldbußen als Wegbereiter für Compliance
1.1 Historische Einordnung
1.2 Begriffsbestimmung: Compliance
2 Rechtliche Anforderungen an Corporate Compliance
3 Haftungsrisiken innerhalb des deutschen Rechts
3.1 Haftungsmöglichkeiten der Geschäftsleitung
3.2 Haftung gegenüber der Gesellschaft im Innenverhältnis
3.3 Haftung gegenüber Dritten im Außenverhältnis
3.4 Haftung des Compliance-Verantwortlichen als Sonderfall
3.5 Verbandsgeldbuße gegen eine juristische Person
4 Internationale Haftungsrisiken
4.1 Federal Sentencing Guidelines
4.2 Foreign Corrupt Practices Act
4.3 UK Bribery Act 2010
4.3.1 Aktive und passive Bestechung
4.3.2 Bestechung ausländischer Amtsträger
4.3.3 Versäumnis der Bestechungsprävention durch Unternehmen
5 Schlussbetrachtung
Literaturangaben
Kapitel 17: Compliance – Best Practice
1 Anleitung zur Best Practice in Deutschland: Der IDW PS 980
1.1 Grundelemente eines CMS
1.2 Praktikabilität
2 Der IDW PS 980
2.1 Compliance-Kultur
2.2 Compliance-Ziele
2.3 Compliance-Risiken
2.4 Compliance-Programm
2.5 Compliance-Organisation
2.6 Compliance-Kommunikation
2.7 Compliance-Überwachung/Verbesserung
2.8 Compliance-Maßnahmen
3 Abschließende Betrachtung
Literaturangaben
Teil VI: Unternehmensnachfolge und -übergabe
Kapitel 18: Wer soll es werden?
1 Einleitung
1.1 Familienunternehmen, keines ist wie das andere
1.2 Die Unternehmensnachfolge als Prozess
1.3 Die Optionen der Unternehmensnachfolge – Extern vs. Intern
2 Die Auswahl des richtigen Nachfolgers
2.1 Die Rollen im Auswahlprozess
2.2 Die Kriterien
2.3 Was am Ende wirklich zählt
2.4 Umsetzung
3 Fazit
Literaturangaben
Kapitel 19: Sozioemotionales Kapital im Rahmen von Unternehmensnachfolgen in deutschen KMU
1 Einleitung
1.1 Forschungsfrage
1.2 Aufbau der Studie
2 Theoretischer Hintergrund
2.1 KMU und Familienunternehmen: Definition, Besonderheiten, Abgrenzung
2.1.1 Kleine und Mittlere Unternehmen
2.1.2 Familienunternehmen
2.2 Theoretischer Bezugsrahmen
2.2.1 Das Modell des sozioemotionalen Kapitals
2.2.2 Sozioemotionales Kapital als multidimensionales Konzept
2.2.3 Familienunternehmen aus einer sozioemotionalen Perspektive
2.3 Unternehmensnachfolge
2.3.1 Arten von Nachfolgen
2.3.2 Prozessmodelle der Nachfolge
2.3.3 Das integrative Nachfolgemodell
2.4 Prozessbetrachtung der Unternehmensnachfolge unter einer sozioemotionalen Perspektive
3 Methodik
3.1 Datenerhebung
3.2 Fallauswahl
3.3 Datenauswertung
3.4 Datensatz
4 Ergebnisse
4.1 Metall AG – Ein Produktionsgewerbe mit Tradition
4.2 Prime Media
4.3 Deluxe Metzger
4.4 Kugel GmbH
5 Cross-Case-Analyse
5.1 Unternehmen und Unternehmensumfeld
5.2 Familiäre Beziehungen
5.3 Person
5.4 Moderierende Variable
5.5 Sozioemotionales Kapital
5.6 Nachfolgeprozess
5.7 Nachfolgeerfolg
5.8 Zusammenfassung bisheriger Aspekte
6 Diskussion
6.1 Beziehung zwischen den moderierenden Variablen und dem sozioemotionalen Kapital
6.2 Auswirkungen sozioemotionalen Kapitals auf den Nachfolgeprozess
7 Schlussbetrachtung
8 Limitationen und weiterer Forschungsbedarf
Literaturangaben
Teil VII: Mediation zur Konfliktlösung
Kapitel 20: Mediation als Instrument der betrieblichen Konfliktbewältigung
1 Auswirkungen betrieblicher Konflikte
1.1 Konflikte im Unternehmenskontext
1.2 Folgen für kleine und mittlere Unternehmen
2 Konfliktentstehung
3 Mediation als innovativer Konfliktbewältigungsansatz
3.1 Mediation – was ist das?
3.2 Entwicklungsgeschichte der Mediation
3.3 Anwendungsfelder der Mediation
4 Inhalt und Ablauf des Mediationsprozesses
4.1 Das Harvard-Konzept als Mediations-Grundlage
4.2 Kommunikation und ihre Wirkung
4.3 Mediationsprozess
4.4 Dauer und Kosten
5 Aufgaben beteiligter Parteien
5.1 Aufgaben des Mediators
5.2 Aufgaben der Parteien
5.3 Anwaltliche und therapeutische Begleitung
6 Schlussbetrachtung
Literaturangaben
Kapitel 21: Fallstudie (Best Practice)
1 Hintergrund der Fallstudie
2 Fallstudie: „Familienkonflikte im Rahmen der Unternehmensnachfolge“
2.1 Firmenhistorie
2.2 Karl Weber: Der Firmenpatriarch
2.3 Das Testament von Karl Weber
2.4 Matthias Weber
2.5 Gabriele Weber
2.6 Die aktuelle Situation
3 Fragen zur Fallstudie
4 Lösungsskizzen
4.1 Lösung mittels Gerichtsentscheid nach Testamentseröffnung
4.2 Lösung mittels Mediation nach Testamentseröffnung
4.3 Lösung mittels Mediation zu Lebzeiten des Erblassers
5 Fazit
Herausgeber- und Autorenverzeichnis
Die Herausgeber
Die Autoren
Schlagwortverzeichnis
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Management kleiner und mittlerer Unternehmen: Strategische Aspekte, operative Umsetzung und Best Practice
 9783110413939, 9783110413922

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Patrick Haag, Patrick Roßmann (Hrsg.) Management kleiner und mittlerer Unternehmen half_title_book_series

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Patrick Haag, Patrick Roßmann (Hrsg.)

Management kleiner und mittlerer Unternehmen | Strategische Aspekte, operative Umsetzung und Best Practice

editor

CoopPartner

Herausgeber Patrick Haag Geschäftsführender Inhaber HAAG INTERNATIONAL EVENTS Uhlandstraße 65 71299 Wimsheim [email protected] Patrick Roßmann Wissenschaftlicher Mitarbeiter Lehrstuhl für innovatives Markenmanagent an der Universität Bremen Hochschulring 4 28359 Bremen [email protected]

ISBN 978-3-11-041392-2 e-ISBN (PDF) 978-3-11-041393-9 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-042382-2 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalogue record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2015 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Titelbild: AndreyPopov/istock/thinkstock Satz: PTP-Berlin, Protago-TEX-Production GmbH, Berlin Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort der Herausgeber Kleine und mittlere Unternehmen bilden den Kern der deutschen und europäischen Wirtschaft. Aufgrund ihre speziellen Eigenschaften und Charakteristika ergeben sich für diese Gruppe von Unternehmen eine Vielzahl unterschiedlicher Möglichkeiten zur erfolgreichen Umsetzung ihrer Unternehmensstrategie, die für Großunternehmen nicht oder nur schwer umsetzbar sind. Den häufig als prägendsten Vorteilen beschriebenen Eigenschaften wie flache Hierarchien, ein hohes Maß an Flexibilität oder ein oft emotionales und motiviertes partnerschaftliches Mitwirken und Gestalten der Mitarbeiter und Eigentümer steht jedoch in der Regel eine ebenso prägnante Zahl an Herausforderungen gegenüber. Zu ihnen zählen unter anderem begrenzte finanziellen, personellen und materiellen Ressourcen, eine begrenzte Bekanntheit der Unternehmen und ihrer Marken oder eine mangelnde aufbau- und ablauforganisatorische Struktur. Um diesen Nachteilen professionell und nachhaltig zu begegnen gilt es, die KMU-spezifischen sowie unternehmensindividuellen Chancen und Optionen sowohl in die operative wie auch in die strategischen Unternehmensführung mit einzubeziehen. Dieser Sammelband setzt an dieser Schnittstelle an. Er verdeutlicht in einer Symbiose aus wissenschaftlicher und praxisorientierter Perspektive mögliche Problemfelder und zeigt auf, wie diesen begegnet werden kann. So werden strategische Aspekte aus wissenschaftlicher Sichtweise beleuchtet und deren operative Umsetzung in der Praxis diskutiert. Darüber hinaus enthält der Sammelband weiterführende Best PracticeBeiträge, welche die Umsetzung der wissenschaftlichen und theoriebasierten Ergebnisse in der praktischen Anwendung verdeutlichen. Das Werk spricht somit Wissenschaftler und Praktiker gleichermaßen an und soll als Impulsgeber dienen. Auf der einen Seite soll die Implementierung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Theorien in der KMU-Praxis gefördert werden. Auf der anderen Seite soll der Band zur weiteren und tieferen Beschäftigung mit praxisnahen und -relevanten Fragestellungen in der KMUForschung sowie im wissenschaftlichen Diskurs anregen. Dabei dienen die in diesem Werk vorhandenen Beiträge sowohl aus wissenschaftlicher als auch aus praxisbezogener Perspektive als Orientierung, die zur Etablierung von langfristigen Problemlösungsstrategien herangezogen werden können. Die Beiträge richten sich sowohl an Studierende wie auch an Nachwuchswissenschaftlicher und Praktiker, sie sollen zum Weiterdenken anregen und zum kritischen Dialog einladen. Es war uns ein Anliegen ein Werk zu schaffen, an dem sich auf der einen Seite sowohl Praktiker wie auch etablierte Wissenschaftler beteiligen, um der Leserschaft ein breites Spektrum an Auffassungen, Sichtweisen und Einschätzungen präsentieren zu können. Auf der anderen Seite war es uns bei der Umsetzung ein besonderes Bedürfnis, engagierten Nachwuchsforschern und jungen Gründern eine Plattform zu bieten und diese umfangreich in das Projekt einzubinden. Wir möchten auf diesem Weg für eine jüngere Generation die Möglichkeit schaffen, ihre bisherigen Erfahrungen, ihre Ideen

VI | Vorwort der Herausgeber

sowie ihre Perspektiven in die Diskussion von aktuelle Themen aus Wissenschaft und Praxis einzubringen. Wir freuen uns daher sehr darüber, dass sich bereits in einer sehr frühen Phase der Vorbereitungen eine Vielzahl von Wissenschaftlern und Praktikern bereit erklärt haben, dieses Projekt zu unterstützen. Bei diesen bedanken wir uns recht herzlich für ihr Engagement und ihre tollen Beiträge. Ein Dank gilt darüber hinaus allen Unterstützern, die durch förderliche Dialoge und kritische Fragen maßgeblich zum Gelingen dieses Sammelbandes beigetragen und uns in manch kniffliger Situationen mit Ihren Ratschlägen neue Möglichkeiten des Weiterkommens aufgezeigt haben. Einen besonderen Dank möchten wir an dieser Stelle Herrn Prof. Dr. Heiko Burchert von der Fachhochschule Bielefeld aussprechen, der uns bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt mit seiner langjährigen Erfahrung durch wertvolle Ratschläge unterstützte. Des Weiteren gilt unser Dank Herrn Dr. Stefan Giesen und Frau Anja Cheong für ihren Einsatz beim Satz und der Gestaltung dieses Buches sowie ihre durchweg tolle Betreuung. Gleichzeitig freuen wir uns darauf, mit den Lesern sowohl in einen inhaltlichen wie auch einen strukturellen Diskurs zu diesem Werk einzutreten. Wir laden Sie daher herzlich ein, uns Ihre Meinung, Anregungen und Hinweise zukommen zu lassen. Unsere Arbeit lebt von angeregten und offenen Gesprächen – werden Sie ein Teil dieser Gespräche! Aus Gründen der besseren Lesbarkeit der in diesem Sammelband vorhandenen Beiträge wurde, sofern es sich nicht um Zitate handelt, auf die explizite Nennung beider Geschlechterformen verzichtet und stattdessen stets die männlichen Schreibweise (z.B. Mitarbeiter) verwendet. An dieser Stelle sei daher explizit erwähnt, dass dies vereinfacht als Synonym sowohl für die männliche als auch für die weibliche Form verwendet wurde und alle männlichen und weiblichen Personen gleichberechtigt angesprochen werden. Dem Leser wünschen wir nun eine spannende und interessante Lektüre sowie viele Impulse und Eindrücke für den wissenschaftlichen Diskurs und/oder die praktische Umsetzung. Wimsheim und Bremen, im April 2015

Patrick Haag Patrick Roßmann

Inhaltsübersicht Vorwort der Herausgeber | V Abbildungsverzeichnis | XXIII Patrick Haag und Patrick Roßmann Kapitel 1: KMU – Stärken und Schwächen, Chancen und Risiken | 1

Teil I: Unternehmensgründung Jan Philipp Platenius Kapitel 2: Aus dem Hörsaal in die Gründung (Best Practice) | 19 Fabian Stichnoth Kapitel 3: Unternehmensgründung – Chancen und Herausforderungen (Best Practice) | 35

Teil II: Unternehmensentwicklung Patrick Haag Kapitel 4: Auswirkungen und Effekte von Netzwerken | 53 Rahel Rüth und Patrick Haag Kapitel 5: Strategien des Auslandsmarkteintritts für kleine und mittlere Unternehmen | 73 Cornelius Klingel Kapitel 6: Changemanagement in KMU: Zwischen Spielraum und Struktur | 97 Tobias Kohler und Tom Suberg Kapitel 7: Erfolgsfaktoren im Crowdfunding (Best Practice) | 117

Teil III: Marketing und Kommunikation Günter Schmid Kapitel 8: KMU-spezifische Aspekte der Erarbeitung von Marketingkonzeptionen | 133

VIII | Inhaltsübersicht

Patrick Roßmann Kapitel 9: Markenführung in kleinen und mittleren Unternehmen | 171 Stefan Luppold Kapitel 10: Live-Kommunikation für KMU | 197 Patrick Roßmann und Patrick Haag Kapitel 11: Back to the Roots – Guerilla-Marketing für kleine und mittlere Unternehmen | 223

Teil IV: Personalmanagement Volker Stein und Tobias M. Scholz Kapitel 12: Personalentwicklung im Mittelstand: Zukunft verschlafen oder Zukunft gestalten? | 253 Bernd Helbich und Volker Herzig Kapitel 13: Arbeitgeberattraktivität und Personalrekrutierung im Mittelstand | 263 Patrick Roßmann Kapitel 14: Steigerung des Organizational Commitment in kleinen und mittleren Handelsunternehmen | 299

Teil V: Rechtliche Grundlagen Marcel Widmaier Kapitel 15: Die Qual der Rechtsformwahl | 327 Marc-Hendrik Kipp Kapitel 16: Compliance in KMU | 355 Marc-Hendrik Kipp Kapitel 17: Compliance – Best Practice | 387

Teil VI: Unternehmensnachfolge und -übergabe Sabrina Schell Kapitel 18: Wer soll es werden? | 407

Inhaltsübersicht | IX

Christian Fuchs Kapitel 19: Sozioemotionales Kapital im Rahmen von Unternehmensnachfolgen in deutschen KMU | 429

Teil VII: Mediation zur Konfliktlösung Mechthild Stockmeier und Patrick Roßmann Kapitel 20: Mediation als Instrument der betrieblichen Konfliktbewältigung | 487 Patrick Roßmann und Mechthild Stockmeier Kapitel 21: Fallstudie (Best Practice) | 509 Herausgeber- und Autorenverzeichnis | 525 Schlagwortverzeichnis | 533

Inhaltsverzeichnis Vorwort der Herausgeber | V Abbildungsverzeichnis | XXIII Patrick Haag und Patrick Roßmann Kapitel 1: KMU – Stärken und Schwächen, Chancen und Risiken | 1 1 Einleitung | 1 2 Herausforderungen und Potenziale für KMU | 4 3 Themenzusammenstellung dieses Werkes | 5 3.1 Unternehmensgründung | 6 3.2 Unternehmensentwicklung | 6 3.3 Marketing und Kommunikation | 8 3.4 Personalmanagement | 10 3.5 Rechtliche Grundlagen | 12 3.6 Unternehmensnachfolge und -übergabe | 13 3.7 Mediation und Konfliktlösung | 14 4 Dieser Sammelband | 15 Literaturangaben | 15

Teil I: Unternehmensgründung Jan Philipp Platenius Kapitel 2: Aus dem Hörsaal in die Gründung (Best Practice) | 19 1 Learning by doing – vom Hobby zur Unternehmensschmiede | 19 2 Hier ist die Masterarbeit. Wo ist der nächste Notar? – Die Gründung von Talents’ Friends e.K. | 20 3 Wollt Ihr nicht mitmachen? – Der Wechsel vom e.K. zur GmbH | 24 4 Herr Platenius, ich brauche einen Zahnarzt – Der Deutsche Zahnarzt Service als erste „Tochter“ | 26 5 Unverhofft kommt oft – Von Gesundheitshelden und weiteren Start-Ups | 32 6 Man braucht nicht eine gute Idee, um ein Unternehmen aufzubauen, sondern tausend | 33

XII | Inhaltsverzeichnis

Fabian Stichnoth Kapitel 3: Unternehmensgründung – Chancen und Herausforderungen (Best Practice) | 35 1 Selbstständig oder angestellt, das ist hier die Frage | 35 2 Warum der Weg in die Selbstständigkeit gewählt wird | 36 3 Was den „Unternehmertyp“ auszeichnet | 39 4 Herausforderungen & Stolpersteine für Start-Ups und Jungunternehmer | 41 4.1 Stolperstein Nr.1: „Für die Lösung haben wir kein Problem“ oder „Geschäftsidee ohne Geschäftsmodell“ | 41 4.2 Stolperstein Nr.2: Fehlende Marktorientierung & Marktkenntnisse | 42 4.3 Stolperstein Nr.3: Falsche Teamzusammensetzung | 46 4.4 Stolperstein Nr.4: Das persönliche Umfeld | 47 4.5 Stolperstein Nr.5: Unrealistische Finanzplanung | 48 4.6 Stolperstein Nr.6: Bei Fehlern den Kopf in den Sand stecken | 48 4.7 Stolperstein Nr.7: Die Mühlen der Bürokratie mahlen langsam | 49 4.8 Stolperstein Nr.8: Delegieren | 49 5 Fazit | 50 Literaturangaben | 51

Teil II: Unternehmensentwicklung Patrick Haag Kapitel 4: Auswirkungen und Effekte von Netzwerken | 53 1 Einleitung | 53 2 Grundlagen | 55 2.1 Neu gegründete Unternehmen | 55 2.2 KMU | 57 2.3 Strategische Unternehmensführung | 58 2.4 Netzwerke | 58 3 Literatur Review | 60 4 Praktischer Bezug | 64 5 Fazit | 67 Literaturangaben | 68 Rahel Rüth und Patrick Haag Kapitel 5: Strategien des Auslandsmarkteintritts für kleine und mittlere Unternehmen | 73 1 Einleitung | 73 2 KMU in Deutschland | 75

Inhaltsverzeichnis | XIII

3 Formen des Auslandsmarkteintritts | 77 3.1 Export | 77 3.2 Lizenzierung | 78 3.3 Franchising | 79 3.4 Joint Ventures | 79 3.5 Tochtergesellschaften | 80 4 Timing des Auslandsmarkteintritts | 80 4.1 Länderspezifische Timing-Strategien | 81 4.1.1 Pionier-Strategie | 81 4.1.2 Frühe-Folger-Strategie | 82 4.1.3 Späte-Folger-Strategie | 82 4.2 Länderübergreifende Timing-Strategien | 82 4.2.1 Wasserfall-Strategie | 83 4.2.2 Sprinkler-Strategie | 84 4.2.3 Praxisbeispiel: Metro AG | 85 5 Strategieauswahl | 86 5.1 Generelles Vorgehen | 86 5.2 Zielsetzungsorientierte Strategieauswahl | 89 5.2.1 Bewertung der Markteintrittsformen | 89 5.2.2 Bewertung des Markteintrittszeitpunktes | 90 5.2.3 Bewertung der Markteintrittsabfolge | 91 5.2.4 Handlungsempfehlungen | 92 6 Fazit und Ausblick | 93 Literaturangaben | 93 Cornelius Klingel Kapitel 6: Changemanagement in KMU: Zwischen Spielraum und Struktur | 97 1 Einleitung | 97 2 Das Unternehmen | 98 2.1 Ausgangslage | 98 2.2 Das Problem | 99 3 Konzepte der Analyse | 100 3.1 Schlecht-definierte Systeme | 101 3.2 Komplexe Handlungssituationen | 101 3.3 Umgang mit komplexen Handlungssituationen in schlecht definierten Systemen | 103 4 Schlussfolgerungen | 107 4.1 Die zweifache Unterschätzung | 107 4.2 Was tun? | 108 4.3 Handlungsansätze | 110 4.4 Ausblick | 113 Literaturangaben | 114

XIV | Inhaltsverzeichnis

Tobias Kohler und Tom Suberg Kapitel 7: Erfolgsfaktoren im Crowdfunding (Best Practice) | 117 1 Was ist Crowdfunding? | 117 1.1 Entwicklung der Finanzierungsmethode | 118 1.2 Heutige Situation | 119 2 Plattformen | 120 2.1 Lending (Crowdlending) | 121 2.2 Equity Crowdfunding (Crowdinvesting) | 121 2.3 Soziales Crowdfunding | 121 2.4 Reward Crowdfunding | 122 3 Projekte | 123 4 Erfolgsfaktoren von Crowdfunding-Kampagnen | 125 4.1 Innovationsgrad des Produkts | 125 4.2 Video | 125 4.3 Kundennähe durch Reaktionsschnelligkeit | 127 4.4 Kontinuität und Transparenz durch regelmäßige Updates | 127 4.5 Glaubwürdigkeit durch prominente Testimonials | 128 4.6 Produktportfolio | 129 4.7 Finanzierungsschwelle | 130 4.8 Marketing-Unterstützung | 130 4.9 Detaillierte Projektplanung | 130 5 Zusammenfassung | 131 Literaturangaben | 132

Teil III: Marketing und Kommunikation Günter Schmid Kapitel 8: KMU-spezifische Aspekte der Erarbeitung von Marketingkonzeptionen | 133 1 Abgrenzung von KMU und Großbetrieben | 133 1.1 Quantitative Kriterien | 133 1.2 Qualitative Kriterien | 135 2 Wandlungen im Marketing(verständnis) | 137 3 Bedeutung des Marketing für KMU | 140 4 Implementierung des Marketing als Unternehmensführungskonzeption in KMU | 143 4.1 Umsetzung des Marketing als Maxime (Philosophieaspekt) | 143 4.2 Umsetzung des Marketing als Methode | 143 4.2.1 SWOT-Analyse | 143 4.2.2 Strategische Zielplanung | 153 4.2.3 Marketingstrategien | 158

Inhaltsverzeichnis | XV

4.3 4.3.1 4.3.2

Umsetzung des Marketing als Mittel | 162 Marketing-Mix | 162 Anmerkungen zu ausgewählten KMU-spezifischen Beschränkungen bei den Marketinginstrumenten | 163 5 Fazit | 167 Literaturangaben | 167 Patrick Roßmann Kapitel 9: Markenführung in kleinen und mittleren Unternehmen | 171 1 Warum Markenführung in KMU? | 171 2 KMU in Deutschland | 172 2.1 Relevanz und Abgrenzung von KMU in Deutschland | 172 2.2 Herausforderungen von kleinen und mittleren Unternehmen | 174 2.3 Eine Antwort zur Bewältigung aufgezeigter Herausforderungen | 176 3 Identitätsbasierte Markenführung als Instrument für kleine und mittlere Unternehmen | 177 3.1 Grundkonzept der identitätsbasierten Markenführung | 178 3.2 Die Markenidentität und ihre Komponenten | 180 3.3 Markenimage | 186 3.4 Prozess der identitätsbasierten Markenführung | 187 4 Fazit | 191 Literaturangaben | 191 Stefan Luppold Kapitel 10: Live-Kommunikation für KMU | 197 1 Einleitung | 197 1.1 Besondere Anforderungen von KMU (an den Marketing-Mix) | 197 1.2 Live-Kommunikation – eine kurze Einführung | 198 1.3 Messen als Instrument der Live-Kommunikation | 198 2 Das Instrument Messe: Grundlagen | 199 2.1 Messe-Typologie | 199 2.2 Messe-Funktionen | 201 3 Messen im Marketing | 203 3.1 Messen im Marketing-Mix | 204 3.2 Messen im Kommunikations-Mix | 205 3.2.1 Vorteile von Messeteilnahmen | 206 3.2.2 Nachteile von Messeteilnahmen | 207 3.3 Ziele von Messebeteiligungen | 207 3.4 Zielgruppen der Aussteller | 210 4 Messebeteiligungs-Planung | 212 4.1 Kommunikations-Planung | 212 4.2 Kommunikations-Strategie | 213

XVI | Inhaltsverzeichnis

4.3 Beteiligungs-Mix | 214 5 Integrationsaspekte | 216 5.1 Messen als Teil der Live-Kommunikation | 216 5.2 Der AUMA als wichtigste Support-Instanz | 218 6 Schlussbetrachtung | 218 Literaturangaben | 219 Patrick Roßmann und Patrick Haag Kapitel 11: Back to the Roots – Guerilla-Marketing für kleine und mittlere Unternehmen | 223 1 Einleitung | 223 2 Kommunikations-Herausforderungen für KMU | 224 2.1 Allgemeine Bedingungen im Rahmen der Kommunikation | 225 2.2 Strategische Kommunikationsalternativen | 226 3 Die Grundidee des Guerilla-Marketing | 229 4 Instrumente des Guerilla-Marketing | 233 4.1 Ressourcenfokussierte Instrumente | 234 4.2 Aufmerksamkeitsfokussierte Instrumente | 239 4.3 Verbreitungsfokussierte Instrumente | 243 5 Guerilla-Marketing Plan | 245 6 Fazit | 248 Literaturangaben | 249

Teil IV: Personalmanagement Volker Stein und Tobias M. Scholz Kapitel 12: Personalentwicklung im Mittelstand: Zukunft verschlafen oder Zukunft gestalten? | 253 1 Das Problem: Ignoranz zentraler Zukunftsherausforderungen | 253 2 Der Ansatzpunkt: Verständnis von Dynamik | 255 3 Die Konsequenz: Eine neue Personalentwicklungs-Agenda | 257 4 Der Nutzen: Professionalisierung und Dynamik-Fitness | 259 Literaturangaben | 260 Bernd Helbich und Volker Herzig Kapitel 13: Arbeitgeberattraktivität und Personalrekrutierung im Mittelstand | 263 1 Einleitung | 263 2 Arbeitgeberattraktivität | 265 2.1 Faktum als begleitende Zeiterscheinung | 266 2.2 Professionalisierungsbestrebungen | 267

Inhaltsverzeichnis | XVII

3 3.1 3.2 4 4.1 4.2 4.3

Zielgruppe: Generation Y | 268 Positionierung im Arbeitsmarkt | 268 Ansprüche und Wünsche | 269 Der Mittelstand | 270 Bedeutung und Kennzeichen | 270 Strategisches Personalmanagement im Mittelstand | 272 Strategisches Personalmanagement im Kontext von Arbeitgeberattraktivität | 276 5 Zielgruppenspezifische personalwirtschaftliche Funktionen im Mittelstand | 278 5.1 Personalplanung und Personalmarketing | 279 5.2 Personalrekrutierung | 282 5.3 Personalführung und Personalentwicklung | 284 6 Fallstudie: Mittelständischer Hidden Champion auf der Suche nach der Generation Y | 290 6.1 Hochschultage | 291 6.2 Kooperatives Führungsverhalten | 293 6.3 Work-Life-Balance | 294 7 Fazit | 296 Literaturangaben | 296 Patrick Roßmann Kapitel 14: Steigerung des Organizational Commitment in kleinen und mittleren Handelsunternehmen | 299 1 Einleitung | 299 2 Automobilhandel in Deutschland | 300 2.1 Grundlegende Strukturen | 300 2.2 Aktuelle Situation | 304 3 Personalmanagement in KMU | 306 4 Commitment im Zentrum der Betrachtung von Personal- und Markenmanagement | 309 4.1 Zielgröße des Personalmanagements | 309 4.2 Commitment als Zielgröße des Markenmanagements | 311 4.3 Relevanz des Brand Commitment für das Personalmanagement | 315 5 Studienaufbau und Auswertung | 315 5.1 Forschungsfragen | 315 5.2 Datenerhebung | 316 5.3 Deskriptive Datenauswertung | 317 5.4 Weiterführende Datenauswertung | 318 6 Zusammenfassung | 321 Literaturangaben | 322

XVIII | Inhaltsverzeichnis

Teil V: Rechtliche Grundlagen Marcel Widmaier Kapitel 15: Die Qual der Rechtsformwahl | 327 1 Einleitung | 327 2 Einzelunternehmen | 327 3 Personengesellschaften | 329 3.1 Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) | 331 3.2 Die offene Handelsgesellschaft (oHG) | 335 3.3 Die Kommanditgesellschaft (KG) | 340 4 Kapitalgesellschaften | 344 4.1 Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) | 344 4.2 Die Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) (UG haftungsbeschränkt) | 349 4.3 Die Aktiengesellschaft (AG) | 350 5 Mischformen und andere Gesellschaften | 351 5.1 GmbH & Co. KG | 351 5.2 Andere Gesellschaftsformen | 352 6 Fazit | 352 Abkürzungsverzeichnis | 353 Literaturangaben | 354 Marc-Hendrik Kipp Kapitel 16: Compliance in KMU | 355 1 Unternehmensskandale und Geldbußen als Wegbereiter für Compliance | 355 1.1 Historische Einordnung | 358 1.2 Begriffsbestimmung: Compliance | 359 2 Rechtliche Anforderungen an Corporate Compliance | 362 3 Haftungsrisiken innerhalb des deutschen Rechts | 364 3.1 Haftungsmöglichkeiten der Geschäftsleitung | 364 3.2 Haftung gegenüber der Gesellschaft im Innenverhältnis | 365 3.3 Haftung gegenüber Dritten im Außenverhältnis | 367 3.4 Haftung des Compliance-Verantwortlichen als Sonderfall | 369 3.5 Verbandsgeldbuße gegen eine juristische Person | 370 4 Internationale Haftungsrisiken | 372 4.1 Federal Sentencing Guidelines | 372 4.2 Foreign Corrupt Practices Act | 375 4.3 UK Bribery Act 2010 | 378 4.3.1 Aktive und passive Bestechung | 378 4.3.2 Bestechung ausländischer Amtsträger | 379 4.3.3 Versäumnis der Bestechungsprävention durch Unternehmen | 380

Inhaltsverzeichnis | XIX

5 Schlussbetrachtung | 383 Literaturangaben | 384 Marc-Hendrik Kipp Kapitel 17: Compliance – Best Practice | 387 1 Anleitung zur Best Practice in Deutschland: Der IDW PS 980 | 387 1.1 Grundelemente eines CMS | 387 1.2 Praktikabilität | 393 2 Der IDW PS 980 | 394 2.1 Compliance-Kultur | 395 2.2 Compliance-Ziele | 396 2.3 Compliance-Risiken | 397 2.4 Compliance-Programm | 399 2.5 Compliance-Organisation | 400 2.6 Compliance-Kommunikation | 401 2.7 Compliance-Überwachung/Verbesserung | 402 2.8 Compliance-Maßnahmen | 403 3 Abschließende Betrachtung | 404 Literaturangaben | 404

Teil VI: Unternehmensnachfolge und -übergabe Sabrina Schell Kapitel 18: Wer soll es werden? | 407 1 Einleitung | 407 1.1 Familienunternehmen, keines ist wie das andere | 408 1.2 Die Unternehmensnachfolge als Prozess | 409 1.3 Die Optionen der Unternehmensnachfolge – Extern vs. Intern | 411 2 Die Auswahl des richtigen Nachfolgers | 412 2.1 Die Rollen im Auswahlprozess | 413 2.2 Die Kriterien | 416 2.3 Was am Ende wirklich zählt | 419 2.4 Umsetzung | 422 3 Fazit | 425 Literaturangaben | 427 Christian Fuchs Kapitel 19: Sozioemotionales Kapital im Rahmen von Unternehmensnachfolgen in deutschen KMU | 429 1 Einleitung | 429 1.1 Forschungsfrage | 430 1.2 Aufbau der Studie | 431

XX | Inhaltsverzeichnis

2 2.1

Theoretischer Hintergrund | 431 KMU und Familienunternehmen: Definition, Besonderheiten, Abgrenzung | 431 2.1.1 Kleine und Mittlere Unternehmen | 432 2.1.2 Familienunternehmen | 434 2.2 Theoretischer Bezugsrahmen | 437 2.2.1 Das Modell des sozioemotionalen Kapitals | 437 2.2.2 Sozioemotionales Kapital als multidimensionales Konzept | 439 2.2.3 Familienunternehmen aus einer sozioemotionalen Perspektive | 442 2.3 Unternehmensnachfolge | 443 2.3.1 Arten von Nachfolgen | 444 2.3.2 Prozessmodelle der Nachfolge | 445 2.3.3 Das integrative Nachfolgemodell | 447 2.4 Prozessbetrachtung der Unternehmensnachfolge unter einer sozioemotionalen Perspektive | 450 3 Methodik | 454 3.1 Datenerhebung | 455 3.2 Fallauswahl | 455 3.3 Datenauswertung | 457 3.4 Datensatz | 457 4 Ergebnisse | 457 4.1 Metall AG – Ein Produktionsgewerbe mit Tradition | 458 4.2 Prime Media | 459 4.3 Deluxe Metzger | 461 4.4 Kugel GmbH | 464 5 Cross-Case-Analyse | 465 5.1 Unternehmen und Unternehmensumfeld | 466 5.2 Familiäre Beziehungen | 466 5.3 Person | 467 5.4 Moderierende Variable | 467 5.5 Sozioemotionales Kapital | 468 5.6 Nachfolgeprozess | 470 5.7 Nachfolgeerfolg | 472 5.8 Zusammenfassung bisheriger Aspekte | 472 6 Diskussion | 473 6.1 Beziehung zwischen den moderierenden Variablen und dem sozioemotionalen Kapital | 474 6.2 Auswirkungen sozioemotionalen Kapitals auf den Nachfolgeprozess | 475 7 Schlussbetrachtung | 478 8 Limitationen und weiterer Forschungsbedarf | 480 Literaturangaben | 481

Inhaltsverzeichnis | XXI

Teil VII: Mediation zur Konfliktlösung Mechthild Stockmeier und Patrick Roßmann Kapitel 20: Mediation als Instrument der betrieblichen Konfliktbewältigung | 487 1 Auswirkungen betrieblicher Konflikte | 487 1.1 Konflikte im Unternehmenskontext | 487 1.2 Folgen für kleine und mittlere Unternehmen | 489 2 Konfliktentstehung | 490 3 Mediation als innovativer Konfliktbewältigungsansatz | 495 3.1 Mediation – was ist das? | 495 3.2 Entwicklungsgeschichte der Mediation | 496 3.3 Anwendungsfelder der Mediation | 498 4 Inhalt und Ablauf des Mediationsprozesses | 499 4.1 Das Harvard-Konzept als Mediations-Grundlage | 499 4.2 Kommunikation und ihre Wirkung | 501 4.3 Mediationsprozess | 502 4.4 Dauer und Kosten | 504 5 Aufgaben beteiligter Parteien | 505 5.1 Aufgaben des Mediators | 505 5.2 Aufgaben der Parteien | 505 5.3 Anwaltliche und therapeutische Begleitung | 506 6 Schlussbetrachtung | 506 Literaturangaben | 507 Patrick Roßmann und Mechthild Stockmeier Kapitel 21: Fallstudie (Best Practice) | 509 1 Hintergrund der Fallstudie | 509 2 Fallstudie: „Familienkonflikte im Rahmen der Unternehmensnachfolge“ | 511 2.1 Firmenhistorie | 511 2.2 Karl Weber: Der Firmenpatriarch | 513 2.3 Das Testament von Karl Weber | 513 2.4 Matthias Weber | 514 2.5 Gabriele Weber | 515 2.6 Die aktuelle Situation | 516 3 Fragen zur Fallstudie | 516 4 Lösungsskizzen | 517 4.1 Lösung mittels Gerichtsentscheid nach Testamentseröffnung | 517 4.2 Lösung mittels Mediation nach Testamentseröffnung | 519 4.3 Lösung mittels Mediation zu Lebzeiten des Erblassers | 520 5 Fazit | 523

XXII | Inhaltsverzeichnis

Herausgeber- und Autorenverzeichnis | 525 Die Herausgeber | 525 Die Autoren | 526 Schlagwortverzeichnis | 533

Abbildungsverzeichnis Abb. 1.1: Abb. 3.1: Abb. 3.2: Abb. 3.3: Abb. 4.1: Abb. 4.2: Abb. 4.3: Abb. 4.4: Abb. 4.5: Abb. 4.6: Abb. 5.1: Abb. 5.2: Abb. 5.3: Abb. 5.4: Abb. 5.5: Abb. 5.6: Abb. 5.7: Abb. 5.8: Abb. 5.9: Abb. 5.10: Abb. 6.1: Abb. 6.2: Abb. 7.1: Abb. 7.2: Abb. 7.3: Abb. 7.4: Abb. 7.5: Abb. 7.6: Abb. 8.1: Abb. 8.2: Abb. 8.3: Abb. 8.4: Abb. 8.5: Abb. 8.6: Abb. 8.7: Abb. 8.8: Abb. 8.9: Abb. 8.10: Abb. 8.11: Abb. 8.12: Abb. 8.13: Abb. 8.14: Abb. 8.15: Abb. 9.1: Abb. 9.2:

Überblick über verschiedene KMU-Definitionen | 2 Gründe für den Weg in die Selbstständigkeit | 37 Risiken und Hinderungsgründe der Selbstständigkeit | 41 Markt und marktliches Umfeld | 44 Ansoff-Matrix | 54 Unternehmenslebenszyklus | 56 Gründungsphase im Lebenszyklus | 56 Beispielhafte Eigenschaften von Netzwerken | 60 Netzwerkthemen in Forschung und Literatur | 61 Netzwerkeigenschaften | 65 Neigung zur Internationalisierung | 75 Systematisierung von Markteintrittsformen | 78 Wasserfallstrategie | 83 Sprinklerstrategie | 84 Timing-Strategie der Metro Group | 85 Faktoren zur Grobauswahl der Markteintrittsstrategie | 88 Markteintrittsformen und Zielsetzungen | 90 Markteintrittszeitpunkte und Zielsetzungen | 91 Abfolge der Markteintrittszeitpunkte und Zielsetzungen | 92 Strategien zur Zielerreichung | 92 Kriterien komplexer Handlungssituationen | 102 Praktisches Beispiel einer Outputmatrix für Feedbacktools | 113 Weltweit eingeworbene Crowdfunding-Finanzmittel (in Mrd. $) | 120 Gegenüberstellung von drei Crowdfunding-Plattformen | 122 Relative Verteilung der Crowdfunding-Kategorien in 2012 | 123 Videosequenzen PowerUp 3.0 | 126 Pressy – the Almighty Android Button | 127 Powerup-Rewards | 129 Größenabgrenzung von KMU gemäß IfM, Bonn | 133 Größenabgrenzung von KMU gemäß EU-Kommission | 134 Phasen des Marketingmanagementprozesses | 139 Ausgewählte marketingrelevante Stärken und Schwächen von KMU | 141 Einstellungen zum Marketing im Handwerk | 142 SWOT-Analyse | 144 Produktbezogene contra marktorientierte Definition der Unternehmensaufgabe | 145 Zukunftsorientierte Feststellung betrieblicher Erfolgsfaktoren | 146 Five Forces Modell | 147 ntegrierte „Stärken-Schwächen“/“Chancen-Risiken“-Analyse | 151 Handlungsalternativen im Rahmen der SWOT-Analyse | 153 Zielhierarchie im Strategischen Management | 154 Unternehmensgrundsätze eines fiktiven Fleischerfachgeschäftes | 156 Strategieraster nach Becker | 159 Grundmuster empirisch beobachtbarer Strategien nach Mintzberg | 160 Überblick über verschiedene KMU-Definitionen | 173 Vor- und Nachteile von KMU gegenüber großen Unternehmen | 174

XXIV | Abbildungsverzeichnis

Abb. 9.3: Abb. 9.4: Abb. 9.5: Abb. 9.6: Abb. 9.7: Abb. 9.8: Abb. 10.1: Abb. 10.2: Abb. 10.3: Abb. 10.4: Abb. 10.5: Abb. 11.1: Abb. 11.2: Abb. 11.3: Abb. 11.4: Abb. 11.5: Abb. 11.6: Abb. 11.7: Abb. 11.8: Abb. 11.9: Abb. 11.10: Abb. 11.11: Abb. 11.12: Abb. 11.13: Abb. 11.14: Abb. 13.1: Abb. 13.2: Abb. 14.1: Abb. 14.2: Abb. 14.3: Abb. 14.4: Abb. 14.5: Abb. 14.6: Abb. 14.7: Abb. 14.8: Abb. 14.9: Abb. 14.10: Abb. 14.11: Abb. 14.12: Abb. 16.1: Abb. 16.2: Abb. 16.3: Abb. 17.1: Abb. 17.2: Abb. 17.3: Abb. 17.4: Abb. 17.5: Abb. 18.1: Abb. 18.2:

Grundverständnis der identitätsbasierten Markenführung | 179 Auswahl an unternehmensbezogenen Brand Touch Points | 180 Komponenten der Markenidentität | 181 Relevanzermittlung der Markenidentitätskomponenten | 185 Markenimage und Bekanntheit | 187 Managementprozess der identitätsbasierten Markenführung | 188 Typologie von Messen und Ausstellungen | 201 Perspektiven und Funktionen von Messen | 201 Charakterisierung der Instrumente des Kommunikations | 206 Zielsetzung von Messebeteiligungen | 208 Zielsetzungen von Messebeteiligungen | 209 Aufmerksamkeitsdilemma | 226 Angriffsstrategien in der Kommunikation | 228 Anwendungshäufigkeit von Guerilla-Maßnahmen im Marketing-Mix | 230 Red Bull Guerilla-Maßnahmen | 231 Merkmalskompass des Guerilla-Marketings inkl. relevanter Markenaspekte | 232 Systematisierung unterschiedlicher Guerilla-Marketing-Instrumente | 234 Moskito-Marketing mit Kommunikations- und Distributionsbezug | 235 Ambush Marketing von Pringles im Jahr 2009 | 237 Ambush Marketing der Warsteiner Brauerei im Jahr 2009 | 238 Zielgrößen des Ambush Marketing | 239 Beispiele für Ambient-Marketing-Maßnahmen | 240 Beispiel für eine Sensation-Marketing-Maßnahme | 241 Beispiele für Street-Marketing-Maßnahmen | 242 Guerilla-Marketing-Konzeption | 247 Personalwirtschaftliche Funktionen und Akteure | 279 Personalwirtschaftliche Funktionen, Instrumente, Rollen und Beiträge | 287 Betriebstypen im Automobil-Einzelhandel | 302 Einstufung vergleichbarer Betriebe nach Definition des IfM Bonn | 303 Sektorspezifische Definition kleiner und mittlerer Unternehmen | 304 Zulassungszahlen und Verkaufsstützpunkte im Neuwagensektor (D) | 305 Bruttolohnvergleich im Jahr 2012 | 308 Komponenten des Organizational Commitment | 311 Einflussfaktoren auf das Brand Commitment | 313 Ausprägungen von Brand Commitment | 314 Untersuchungsmodell der Studie | 316 Übersicht über Alters- und Arbeitsbereichsverteilung in der Datenbasis | 318 Reliabilitätsübersicht | 319 Ergebnisse der durchgeführten Auswertung | 320 Corruption Perception Index 2012 | 356 Gesamtstrafen ausgewählter Kartelle | 357 Strafen ausgewählter Einzelunternehmen | 357 Grundelemente eines CMS nach IDW PS 980 | 388 Grundelemente eines CMS im Vergleich der dargestellten Kodizes | 394 Beispielhafte Compliance-Ziele | 397 Compliance-Organisation der ThyssenKrupp AG | 398 Das Siemens-Compliance-System | 399 Der Prozess der Unternehmensnachfolge | 409 Optionen der Eigentums- und Führungsnachfolge | 411

Abbildungsverzeichnis | XXV

Abb. 18.3: Abb. 18.4: Abb. 18.5: Abb. 18.6: Abb. 18.7: Abb. 19.1: Abb. 19.2: Abb. 19.3: Abb. 19.4: Abb. 19.5: Abb. 19.6: Abb. 19.7: Abb. 19.8: Abb. 19.9: Abb. 19.10: Abb. 19.11: Abb. 19.12: Abb. 19.13: Abb. 19.14: Abb. 19.15: Abb. 19.16: Abb. 19.17: Abb. 19.18: Abb. 19.19: Abb. 20.1: Abb. 20.2: Abb. 20.3: Abb. 20.4:

Rollen im Unternehmensnachfolgeprozess | 415 Auswahlkriterien nach Chrisman et al. (1998) | 417 Auswahlkriterien im Spannungsfeld des Familienunternehmens | 421 Checkliste möglicher Auswahlkriterien | 423 Der Auswahlprozess | 425 Aufbau der Studie | 431 Definition KMU der Europäischen Union | 433 Verlustaversion und sozioemotionales Kapital als Referenzpunkt | 439 Nachfolgeprozess nach Handler | 445 Integratives Nachfolgemodell | 449 Moderierende Faktoren der Bildung von sozioemotionalem Kapital | 453 Unternehmensnachfolge unter einer sozioemotionalen Betrachtung | 454 Übersicht über die untersuchten Unternehmen | 456 Metall-AG | 459 Prime-Media | 460 Deluxe-Metzger | 462 Kugel GmbH | 465 Vergleichsdimensionen Cross-Case-Analyse | 466 Moderierende Variablen, empirische Verhärtung | 468 Sozioemotionales Kapital | 470 Nachfolgeprozess | 471 Verhärtetes Modell | 473 Einfluss moderierender Variablen | 475 Unternehmensnachfolgeprozess inkl. einer sozioemotionalen Perspektive | 478 Konflikt-Eskalationsstufen | 492 Dual-Concern-Modell | 493 Potentielle und optimale Konfliktlösungsverfahren | 494 Das Harvard-Verhandlungskonzept | 500

Patrick Haag und Patrick Roßmann

Kapitel 1: KMU – Stärken und Schwächen, Chancen und Risiken Wie Herausforderungen zu Potenzialen werden

1 Einleitung Unternehmen sind in ihrer täglichen Arbeit mit unterschiedlichen Herausforderungen und Ansprüchen konfrontiert, die sich je nach Unternehmensgröße unterscheiden können. Dabei ist nicht in allen Fällen sofort eindeutig erkennbar, ob es sich bei Unternehmen um ein kleines beziehungsweise mittelgroßes Unternehmen (KMU) oder um ein großes Unternehmen handelt. Zwar existieren verschiedene Ansätze zur Abgrenzung und zur Definition von KMU (Europäische Kommission 2006, 16; IfM Bonn 2012a, 1 ff.; HGB 2014, 3. Buch; Günterberg 2012, 174) gegenüber großen Unternehmen und Konzernen, eine eindeutige Zu- oder Einordnung ist dennoch problematisch. Dies kann hauptsächlich auf zwei Punkte zurückgeführt werden. Einerseits auf die unterschiedlichen Schwellenwerte, die in den verschiedenen, quantitativen Abgrenzungen herangezogen werden (Europäische Kommission 2006, 16; IfM Bonn 2012a, 1 ff.; HGB 2014, 3. Buch; Günterberg 2012, 174), andererseits auf die Uneinigkeit darüber, ob KMU überhaupt nach quantitativen Gesichtspunkten oder besser nach qualitativen Merkmalen abgegrenzt und definiert werden sollen. Zur quantitativen Abgrenzung werden hauptsächlich die Ansätze der EUKommission (Europäische Kommission 2006, 16) sowie die im Handelsgesetzbuch (HGB 2014, 3. Buch) aufgezeigten Größen herangezogen. Diese unterscheiden sich lediglich in den verwendeten Schwellenwerten, der Betrachtungsgegenstand von Mitarbeiterzahl, Umsatz und Bilanzsumme bleibt in beiden Abgrenzungen identisch. Weiterhin spielt eine Rolle, in wie weit das betrachtete Unternehmen als ein eigenständiges Unternehmen anzusehen ist, also zu welchem Anteil es zu einem anderen Unternehmen gehört oder Anteile an diesem besitzt (Europäische Kommission 2003, Artikel 3).

|| Patrick Haag, M. Sc. Geschäftsführender Inhaber HAAG INTERNATIONAL EVENTS Patrick Roßmann, M. Sc. Lehrstuhl für innovatives Markenmanagement Universität Bremen

2 | Patrick Haag und Patrick Roßmann

Definition entsprechend … IfM Bonn Größe

klein mittel

Abgrenzungskriterium

Mitarbeiter ≤ 9 Umsatz in Mio. p.a. Summe d. Bilanz in Mio. p.a.

≤1

Handelsgesetzbuch (HGB) EU-Kommission groß

klein

mittel

groß

kleinst klein mittel

groß

≤ 499

> 500

≤ 49

≤ 249

> 249

≤9

≤ 49

≤ 249

> 249

≤ 50

> 50

< 9,68

≤ 38,5

> 38,5

≤2

≤ 10

≤ 50

> 50

oder

oder

oder

oder

oder oder

oder

< 4,84

≤ 19,25 > 19,25 ≤ 2

≤ 10

> 43

≤ 43

Abb. 1.1: Überblick über verschiedene KMU-Definitionen. Quelle: In Anlehnung an IfM Bonn 2013; HGB.

Eine weitere quantitative Abgrenzung kann den Definitionen des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn entnommen werden. In dieser werden KMU anhand der Mitarbeiterzahl sowie des Umsatzes pro Jahr in Euro klassifiziert (IfM Bonn 2015). Neben dieser eigenen Definition stützt sich das IfM Bonn jedoch vielmehr auf qualitative Eigenschaften von Unternehmen und hebt in diesem Zusammenhang vor allem die Einheit von Führung und Eigentum im Unternehmen hervor (Günterberg/Wolter 2002, 2). Nicht nur durch das IfM Bonn, auch in der allgemeinen betriebs- und volkswirtschaftlichen Betrachtungsweise erfolgt eine Abgrenzung von KMU oft anhand qualitativer Merkmale oder in der Kombination von qualitativen und quantitativen Eigenschaften. So können unter anderem folgende qualitative Merkmale zur Abgrenzung gegenüber großen Unternehmen herangezogen werden (Renker 2009, 62 ff.; Hilzenbecher, 2006, 88 ff., Schauf 2009, 8 f.), wobei die einzelnen Kriterien häufig als die klassischen Vorteile von kleinen und mittleren gegenüber großen Unternehmen verstanden werden. – Einheit von Eigentum und Führung – Verantwortliches Mitwirken der Leitung an allen relevanten Entscheidungen im Unternehmen – Verhältnismäßig schnelle Entscheidungsfindung und Umsetzung der Beschlüsse – Räumliche und zeitliche Nähe zum Kunden aufgrund „einfacher“ Strukturen – Kurze Kommunikationswege im Unternehmen – Flache Hierarchien – Hohes Maß an Flexibilität – Engagement und Involvement von Mitarbeitern und Führung

Kapitel 1: KMU – Stärken und Schwächen, Chancen und Risiken | 3

Diesen vermeintlichen Vorteilen stehen jedoch auch Eigenschaften gegenüber, welche als Herausforderung oder Schwierigkeit für KMU gesehen werden können. Diese sind vor allem (Renker 2009, 62 ff.; Hilzenbecher, 2006, 88 ff., Schauf 2009, 8 f.): – Schwerere Finanzierung und Herausforderungen bei der Beschaffung von Fremdkapital – Begrenztes Eigenkapital – Geringere Economies of Scale (Skaleneffekte, die erst durch die Größe, eine hohe Stückzahl etc. zum Tragen kommen) – Einheit von Eigentum und Führung, die zur Herausforderung werden kann Durch die Vermischung von qualitativen oder quantitativen Gesichtspunkten fällt es schwer, eine eindeutige und pauschal gültige Aussage darüber zu treffen, ob ein Unternehmen als KMU einzustufen ist oder nicht. Während hier Unstimmigkeit herrscht, ob qualitative oder quantitative Merkmale stärker gewichtet werden sollten, herrscht Einigkeit darin, dass KMU als der Treiber der Wirtschaft schlechthin gesehen werden müssen. In Deutschland sind laut Definition der Europäischen Kommission 99,5 % aller Unternehmen als KMU einzustufen (IfM Bonn 2012c, 1), nach der Definition des IfM Bonn sogar 99,6 % (IfM Bonn 2012b, 1). KMU erzielen über ein Drittel des gesamten Umsatzes aller deutschen Unternehmen (IfM Bonn 2012b, 1; IfM Bonn 2012c, 1) und sind je nach herangezogener Definition Arbeitgeber für 54 % (nach EU Definition) beziehungsweise 59,4 % (IfM Definition) aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland (IfM Bonn 2012b, 1; IfM Bonn 2012c, 1). Zudem absolvieren über 80 % der deutschen Auszubildenden ihre Berufsausbildung in einem KMU (Institut der deutschen Wirtschaft Köln 2013, 4). Nicht nur auf nationaler Ebene, auch im europäischen und globalen Kontext kommt dieser Gruppe von Unternehmen eine zentrale Rolle im Erfolg der jeweiligen Wirtschaft zu. In Europa sind rund 99 % aller Unternehmen als KMU einzustufen (Verheyden/Goeman 2013, 3) und auch in anderen wichtigen Wirtschaftsnationen erbringen KMU einen entscheidenden Beitrag zur Wirtschaftsleistung (Cunningham 2011, 50). Aufgrund dieser hohen Bedeutung widmet sich dieser Sammelband insbesondere der Fragestellung, in welchen Gebieten für KMU besondere Herausforderungen entstehen können und wie diesen Herausforderungen begegnet werden kann. Darüber hinaus zeigen die einzelnen Beiträge auf, wo innerhalb von KMU besondere Potenziale entstehen und wie diese in der strategischen und operativen Unternehmensführung ein- und umgesetzt werden können.

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2 Herausforderungen und Potenziale für KMU Die Bezeichnung und Einstufung eines Unternehmens als KMU ist wie aufgezeigt primär auf bestimmte quantitative und qualitative Merkmale zurückzuführen, aus denen besondere Eigenschaften hervorgehen, die hauptsächlich bei kleinen und mittleren Unternehmen zu beobachten sind. Bei der Betrachtung fällt auf, dass hier in der Regel (zumindest auf Personalebene) eher Generalisten als Spezialisten zu finden sind. So kümmert sich zum Beispiel nicht selten der Vertriebsleiter „nebenbei“ mit um das Marketing und die Unternehmenskommunikation. In diesem Verantwortungsbereich kann er zudem unter anderem für die Messeauftritte, den Marketingplan und die Kommunikationsstrategie des Unternehmens verantwortlich sein. Wo sich in Großunternehmen meist eigene Abteilungen, mindestens aber einzelne Mitarbeiter für verschiedene Themen und Aufgabenstellungen verantwortlich zeichnen, fallen diese in KMU oft auf eine Person zusammen. Ähnliches kann auch in Bezug auf das Hinzuziehen von externen Dienstleistern oder die Nutzung von externem Know-how festgestellt werden. So entsteht implizit eine Verbindung zu dem oft hervorgebrachten Argument der fehlenden Ressourcen. Selbiges kann in Bezug auf die KMU-typischen flachen Hierarchien, die kurzen Kommunikationswege oder das hohe Maß an Flexibilität, welches in eine gute Anpassungsfähigkeit an Marktveränderungen mündet, gesehen werden. Hier liegt es auf der Hand, dass Unternehmen mit weniger Mitarbeitern schneller reagieren können, Kommunikationswege in ihrer Länge begrenzt sind oder flachere Hierarchien eher möglich sind als in größeren Strukturen. Bei großen Unternehmen müssen in der Regel andere Strukturen aufgebaut werden, um eine entsprechend funktionsfähige Aufbauorganisation zu schaffen. Diese Strukturen und Organisation zu verändern erfordert mehr Zeit und Energie, als dies in kleinen und mittleren Unternehmen in der Regel der Fall ist. Die Frage nach der Ursache entspricht der Metapher von Henne und Ei. So kann einerseits argumentiert werden, dass ein KMU dann als KMU eingestuft wird, wenn es die – hauptsächlich quantitativen – Eigenschaften erfüllt. Andersherum muss aber beachtet werden, dass gerade durch diese quantitativen Eigenschaften die qualitativen Merkmale entstehen. So werden die KMU-spezifischen Generalisten, die flachen Hierarchien oder die gute Anpassungsfähigkeit an Veränderungen im Unternehmensumfeld erst aufgrund der quantitativen Eigenschaften möglich. Dementsprechend führen die quantitativen Einschränkungen einerseits zu qualitativen Merkmalen (wenige Mitarbeiter müssen alle Aufgabengebiete abdecken  Generalisten), während diese andererseits die quantitativen Messgrößen beeinflussen (Generalisten im Unternehmen  geringerer Bedarf an Spezialisten = neue Mitarbeiter). Ebenso lässt sich dieser Gedanke auf Herausforderungen und Potenziale in KMU übertragen. Während einerseits als Herausforderung verstanden werden kann, dass KMU nur eine begrenzte Mitarbeiterzahl aufweisen und somit eher auf Generalisten

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angewiesen sind, kann andersherum das Vorhandensein solcher Mitarbeiter als Potenzial und Stärke verstanden werden. Ein weiteres Beispiel kann in der oft vorhandenen Einheit von Eigentum und Führung in KMU und Familienunternehmen gesehen werden. Diese bringt zum Beispiel den Vorteil, dass sich die Geschäftsführung nicht vor den Eigentümern rechtfertigen muss um entsprechende Investitionen zu tätigen. So entstehen kurze (oder keine) Kommunikationswege, was zu mehr Flexibilität und schnelleren Reaktionszeiten führt. Kritisch betrachtet muss in dieser Konstellation jedoch angemerkt werden, dass es gerade durch die Einheit von Eigentum und Führung auch zu Entscheidungen kommen kann, die einen anderen Ausgang hätten, wenn Führung und Eigentum personell getrennt wären. In diesem Falle würde durch entsprechende Gespräche, zum Beispiel zwischen Geschäftsführer und Eigentümer, zwar Zeit verloren gehen und Reaktionsgeschwindigkeit eingebüßt werden, was jedoch andere Perspektiven oder eine differenziertere Betrachtungsweise entstehen lassen könnte.

3 Themenzusammenstellung dieses Werkes Die in diesem Sammelband aufgegriffenen Themen zeigen sowohl strategische wie auch operative Aspekte im Rahmen der täglichen Arbeit innerhalb eines KMU auf. Die Beiträge sind dabei thematisch in folgende Gebiete untergliedert: – Unternehmensgründung – Unternehmensentwicklung – Marketing und Kommunikation – Personalmanagement – Rechtliche Grundlagen – Unternehmensnachfolge und -übergabe – Mediation zur Konfliktlösung Es ist zu erwähnen, dass sich das Management eines Unternehmens nicht trivial in verschiedene, voneinander unabhängige Themen- und Aufgabengebiete unterteilen lässt. So können zwar Schwerpunkte gebildet werden, wobei jedoch Entscheidungen im operativen sowie im strategischen Management immer Auswirkungen auf andere Themengebiete mit sich führen. Jede Entscheidung wirkt sich somit auf die Gesamtunternehmenssituation aus und beeinflusst direkt oder indirekt alle anderen Entscheidungen die im Unternehmen getroffen werden.

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3.1 Unternehmensgründung Die Gründung eines Unternehmens erfolgt nicht von einem Moment auf den anderen. Vielmehr bedarf es des Zusammenkommens mehrerer Faktoren, damit eine Neugründung langfristig erfolgversprechend ist. Eine innovative Idee, ein Gründer mit Mut, Überzeugung und Willen etwas erschaffen oder verändern zu wollen sind nur drei dieser Faktoren. Nicht selten kommt es bereits in der Ausbildung oder im Studium zu ersten Ideen für ein eigenes Unternehmen. Doch ist der Weg in die Selbstständigkeit mit vielen Herausforderungen verbunden, die bewältigt werden müssen. Enge finanzielle Spielräume, keine oder nur wenig Mitarbeiter zu Beginn der Arbeit und der Aufbau entsprechender Markt- und Branchenkenntnisse sind nicht selten Gründe, weshalb am Ende von einer Gründung abgesehen wird. Dennoch: wenn die Bereitschaft, sich auf Risiken einzulassen und sowohl fachliche Qualifikationen als auch ein gewisses Maß an unternehmerischem Denken vorhanden sind, sollte die Gründung eines Unternehmens ernsthaft in Betracht gezogen werden. Die Risiken sind nicht zu unterschätzen, aber bei einer strukturierten Herangehensweise und mit Hilfe von erfahrenen Unternehmern als Mentoren ist der Erfolg nicht unwahrscheinlich.

3.2 Unternehmensentwicklung Insbesondere im Rahmen der Unternehmensentwicklung bedarf es nicht selten Ideenreichtum und Umsetzungswillen um entscheidende Vorteile für das eigene Unternehmen zu generieren. In Bezug auf die Mitgliedschaft in Netzwerken können sich gerade für KMU bedeutende Vorteile ergeben. Die grundlegende Idee von Wirtschafts- und Unternehmensnetzwerken besteht darin, durch einen geregelten Zusammenschluss verschiedener KMU Vorteile von größeren Unternehmen und deren Strukturen auch in den teilnehmenden KMU nutzen zu können (Sattes et al. 1995, 191). Solche Eigenschaften, die dann durch das Netzwerk genutzt werden können, sind zum Beispiel: – Der Zugriff auf finanzielle und personelle Ressourcen – Bildung von zusätzlichem Know-how durch verschiedene Netzwerkpartner mit unterschiedlichem Wissensinput – Ein gemeinsames, und dadurch stärkeres Auftreten am Markt – Reduktion von Kosten aufgrund gemeinsamer Investitionen – Die Nutzung von Skaleneffekten Neben dem hieraus resultierenden direkten Nutzen ergibt sich das Ziel des Zusammenschlusses in Netzwerken für KMU vor allem dadurch, die aufgezeigten Netzwerkeigenschaften sowie die sich daraus ergebenden Vorteile mit den generellen Vorteilen und Stärken von kleinen und mittleren Unternehmen zu kombinieren. Zu

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diesen gehören beispielsweise flache Hierarchien, eine hohe Flexibilität und Schnelligkeit, eine tendenziell größere Kundennähe und die Möglichkeit einer stärkeren individuell angepassten Bedarfsdeckung. So entsteht durch die Verknüpfung und Kombination von KMU-spezifischen Stärken mit den entsprechenden Netzwerkeigenschaften ein Wettbewerbsvorteil für jedes am Netzwerk teilnehmende Unternehmen (Corsten 2000, 4). Bei einer weltweiten Außenhandelsquote von über 72 % im Jahr 2013 (Lenkeit 2014, 3) und einem rasanten Wachstum der Weltwirtschaft (Feenstra/Taylor 2008, 10) kommt der Internationalisierung im Rahmen der Unternehmensentwicklung ebenfalls eine herausgehobene Rolle zu. Der Zeitpunkt einer internationalen Unternehmensexpansion sowie die Art und Weise, wie die Internationalisierung erfolgen soll, stellen hierbei zwei entscheidende Aspekte dar. Es gilt im Zuge der strategischen Unternehmensführung zu analysieren, wie sich eine optimale Strategie für den Auslandsmarkteintritt gestalten lässt, zu welchem Zeitpunkt eine Investition im internationalen Umfeld sinnvoll ist und in welcher Form investiert werden soll. Gerade bei KMU spielen die vorgenannten Aspekte eine besondere Rolle. So hat diese Gruppe von Unternehmen nicht selten nur einen Standort und ist zunächst häufig nur auf dem Heimatmarkt aktiv. Zudem muss beachtet werden, dass mit der Entscheidung zur Internationalisierung ein nicht zu unterschätzendes Investment einhergeht. Bedingt durch eine limitierte Verfügbarkeit an Eigenkapital sowie die entsprechend schwierigere Beschaffung von Fremdkapital (im Vergleich zu großen Unternehmen), kann gerade in KMU keine „Trail-and-Error-Strategie“ verfolgt werden. Ein nicht optimales Vorgehen kann zu bedeutenden Rückschlägen führen und im Worst-Case sogar die Existenz des Unternehmens gefährden. In diesem Zusammenhang muss auf ein weiteres, für KMU relevantes Themengebiet verwiesen werden, welches sich zwar stark in der operativen Unternehmensführung ansiedeln lässt, jedoch nennenswerte Auswirkungen in strategische Themengebiete und Fragstellungen hat: Die Beschaffung von finanziellen Mitteln. Neben den klassischen Möglichkeiten zur Beschaffung von Fremd- und Eigenkapital, zum Beispiel in Form von Kapitalbeteiligungen wie Venture Capital oder durch Kredite, kann gerade für KMU und Start-Ups die Methode des Crowdfunding eine interessante Alternative oder Ergänzung darstellen. So ist die Idee des Crowdfunding die Beschaffung von Fremdkapital von vielen, meist über das Internet akquirierten Investoren. Crowdfunding als Möglichkeit zur Finanzierung von Geschäftsvorhaben oder Projekten zeichnet sich in seinen verschiedenen Formen vor allem durch die große Zahl an – in der Regel privaten – Investoren aus. So stellt es gerade für KMU eine Möglichkeit dar, potenzielle Schwierigkeiten bei der Kapitalbeschaffung zu umgehen. Es kann daher lohnenswert sein, auch diese Finanzierungsmethode im Rahmen von strategischen Überlegungen in Betracht zu ziehen. Ein weiteres Themenfeld, welches im Bereich der Unternehmensentwicklung einen besonderen Stellenwert einnimmt, befasst sich mit Veränderung und Optimie-

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rung innerhalb eines Unternehmens. Beispielhaft kann an dieser Stelle das Ausscheiden eines entscheidenden Mitarbeiters genannt werden. Während in Großkonzernen ein solches Ereignis in der Regel durch andere Mitarbeiter der Abteilung aufgefangen werden kann, besteht diese Möglichkeit in vielen KMU nicht oder nur sehr begrenzt. So kann das Ausscheiden eines zentralen Mitarbeiters dazu führen, dass ein erhebliches Maß an Know-how und Kompetenzen verloren geht, welches – zumindest kurzfristig – von den anderen Mitarbeitern nicht aufgefangen oder ausgeglichen werden kann. Vergleichbare Beispiele lassen sich auch auf finanzieller Ebene oder in Bezug auf die Anzahl der Kunden darstellen. Aufgrund des Verhältnisses der finanziellen Ressourcen zum finanziellen Umfang eines Großprojekts ergeben sich im Worst-Case – zum Beispiel beim Scheitern eines solchen Projekts – drastische Auswirkungen auf die finanzielle Gesamtsituation des Unternehmens. Adaptiert auf die Kundenstruktur eines KMU kann dies bedeuten, dass durch den Wegfall eines zentralen Kunden, der einen hohen Umsatzanteil repräsentiert, die Situation des gesamten Unternehmens gefährdet sein kann. Diese Beispiele verdeutlichen, wie schnell und mit welchen drastischen Auswirkungen Veränderungen in KMU stattfinden und welche Folgen sie haben können. Unabhängig davon, ob diese Veränderungen geplant sind oder spontan eintreten, ob diese positive oder negative Auswirkungen für das Unternehmen mit sich bringen – in jedem Fall gilt es auf sie zu reagieren. Hierzu bedarf es eines strukturierten Changemanagement Prozesses, welcher, in enger Verzahnung mit der Unternehmensstrategie, einerseits auf entstehende Veränderungen eingeht und andererseits bewusst Veränderungen einleitet und steuert.

3.3 Marketing und Kommunikation Im Marketing von KMU spielen sowohl die strategische Planung als auch die entsprechende operative Umsetzung eine bedeutende Rolle. So wird das Marketing in der KMU-Praxis oft unkoordiniert betrieben, sodass der Return on Investment eher unzufriedenstellend ausfällt (Johne 2014, 7). Ein Grund dafür kann unter anderem darin gesehen werden, dass Aufgaben – auch die des Marketings – eher von Generalisten umgesetzt werden, da entsprechende Spezialisten nicht vorhanden sind (Dünser 2013, 80 f.). Ein weiterer Punkt ist in der Orientierung und Ausrichtung von und in KMU zu sehen. So sind diese oft auf deren Tätigkeiten bezüglich ihrer Produkte und Dienstleistungen fokussiert, sodass Fragen des Marketings eher in den Hintergrund geraten (Bekmeier-Feuerhahn/Wickel 2006, 66). In diesem Zusammenhang spielt neben dem nur begrenzt vorhandenen Know-how im Unternehmen auch ein entsprechend begrenzter finanzieller Spielraum eine bedeutende Rolle. So ist es KMU in vielen Fällen nicht möglich, Expertenwissen in Form von Personal oder Dienstleistungen zuzukaufen oder entsprechende Kampagnen umzusetzen. Diesen Nachteilen und Herausforderungen, denen sich KMU ausgesetzt sehen, stehen jedoch entsprechende Vorteile gegenüber. Sie leiten sich größtenteils aus den generellen Stärken

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und Vorteilen von KMU ab und sind unter anderem in der Möglichkeit zur schnellen Reaktion auf Marktveränderungen, in einer hohen Flexibilität durch kurze Entscheidungswege, in geringeren Organisationskosten sowie in einem oft bestehenden guten und direkten Kontakt zu Kunden und Stakeholdern (Bekmeier-Feuerhahn/Wickel 2006, 69; Kranzusch/Holz 2013) zu finden. Neben der Betrachtung von Vor- und Nachteilen im Marketing von KMU muss ein weiterer Blick auf die Relevanz einer professionellen Markenführung in gerade diesen Unternehmen erfolgen. Eine eigene und professionell geführte Marke bietet KMU die Möglichkeit, sich gegenüber anderen Unternehmen abzugrenzen und eine entsprechend erhöhte Nachfrage nach dem Unternehmen und dessen Produkten und/oder Dienstleistungen zu generieren (Burmann et al. 2005, 13; Meffert et al. 2012, 358). Dies bringt mit sich, dass durch die bewusste Markenführung die Kunden gefunden und gebunden werden können, die der Marke trotz entsprechender Substitute und Alternativen im Markt freiwillig bleiben (Linxweiler 2004, 38). Weiter wird durch eine entsprechende Markenführung das Ziel verfolgt, sich durch den Aufbau eines einzigartigen Images im Gedächtnis der Zielgruppe zu etablieren (Mattenklott 2007, 257) und durch dieses Markenimage einen Mehrwert beim Konsumenten zu erzielen. So kann durch eine emotionale Aufladung eine entsprechende Bindung des Konsumenten zur Marke entstehen, welche schließlich zu einer höheren Zahlungsbereitschaft führt (Häusel 2009, 28 ff.). Für KMU kann die Bildung und Führung einer entsprechenden Marke weitreichende Vorteile mit sich bringen. Zwar werden durch die damit verbundenen Aufgaben Ressourcen im Unternehmen beansprucht, ein Return on Investment kann jedoch bei erfolgreicher Markenführung die Aufwendungen kompensieren und zu erheblichen Erfolgspotenzialen führen. Als zwei Komponenten des Marketings und der Unternehmenskommunikation lassen sich exemplarisch Messebeteiligungen sowie Guerilla-Marketing-Aktivitäten nennen. Zwar bilden diese beiden nur einen Bruchteil dessen ab, wie in KMU Marketing und Kommunikation betrieben werden kann, stellen gleichermaßen aber zwei Möglichkeiten dar, die gerade für KMU je nach Situation interessant und effizient erscheinen. Messebeteiligungen, als ein Teil des Eventmarketing-Mixes, zeichnen sich vor allem durch einen hohen Grad der Kundenintegration aufgrund von direkter- und faceto-face-Kommunikation (Dinkel/Semblat 2013, 133), durch den Erlebnis- und Emotionscharakter (Kroeber-Riel/Esch 2000, 70 f.) sowie die multisensuale Erfahrbarkeit von Produkt und/oder Dienstleistung (Springer 2008, 6 f.; Drenger/Zanger 2002, 2) des Unternehmens aus. Während Messen je nach Ansatz unter anderem als eigenständiges Marketinginstrument (Selinski/Sperling 1995, 96 ff.) oder als Instrument der Distributions- und Kommunikationspolitik (Bruhn 2011, 954 ff.) eingestuft werden können, erfolgt die Einordnung in der unternehmerischen Praxis meist in Abhängigkeit von den Messezielen des Unternehmens (Fuchs/Unger 2014, 43 f.). So kann im Rahmen der Produkt- und Preispolitik auf Messen zum Beispiel eine Verkaufsförderung durch besondere Messekonditionen angestrebt werden (Ossola-Harring 2008, 104 ff.), die Ein-

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bindung von Stakeholdern und dadurch eine konzentriertere Bearbeitung von Absatzmärkten ein Ziel der Distributionspolitik auf Messen sein (Huckemann et al. 2005, 137) oder im Rahmen der Kommunikationspolitik verschiedene Instrumente des Kommunikationsmixes in der Messebeteiligung integriert werden (Bruhn 2009, 77). Zwar bringen Messebeteiligungen durch ihre begrenzte Reichweite, die örtliche und zeitliche Gebundenheit (Kirchgeorg et al. 2009, 22) sowie durch einen hohen Ressourceneinsatz gerade für KMU etsprechende Herausforderungen mit sich, sie bieten aber gleichermaßen herausstechende Vorteile, die ihre Stärken gerade in KMU und deren Strukturen entfalten können. So sind Messen als Plattform für den marktorientierten Austausch und somit eine zielgruppengerechte Kommunikation einzustufen (Brühe 2003, 76). Vor allem durch den persönlichen Kontakt von Unternehmen zu Kunden und Stakeholdern, die emotionale Ansprache, die hohe Kontaktintensität sowie die Möglichkeit der multisensualen Präsentation von Unternehmen, Produkt und Leistung (Kirchgeorg et al. 2009, 22) können Messebeteiligungen einen wichtigen Baustein im Marketingund Kommunikationsmix von KMU darstellen. Maßnahmen des Guerilla-Marketings verfolgen primär das Ziel, durch unkonventionelle Kommunikationsaktivitäten den Fokus Zielgruppe auf das eigene Unternehmen zu lenken (Hutter/Hoffmann 2013). Im Vergleich zu Messen und Live-Kommunikation, die einen verhältnismäßig hohen Mitteleinsatz fordern, sind Guerilla-Maßnahmen als eher kostengünstige Marketing-Maßnahmen einzustufen (Levinson 2008, 30 ff.). So zeichnen sich Guerilla-Marketing-Maßnahmen vor allem durch ihre unkonventionelle, ungewöhnliche und teils überraschende Art aus, mit der sie versuchen, die entsprechenden Zielgruppen anzusprechen (Zerr 2003, 583; Nufer/Bender 2008, 5). Die Grundidee liegt demnach in der kreativen, ungewöhnlichen und dadurch zielgerichteten und effizienten Ansprache der Rezipienten. Sie sind nicht zwangsläufig mit ausschweifenden und dadurch kostspieligen Kampagnen verbunden. Gerade die zielgerichtete und wirkungsvolle Ansprache potenzieller Kunden macht Guerilla-Marketing für KMU besonders interessant. So können einerseits (vor allem finanzielle) Ressourcen geschont werden, während andererseits die Vorteile von KMU, wie zum Beispiel Kundennähe oder das Verständnis für die Zielgruppe gekonnt eingesetzt und genutzt werden können.

3.4 Personalmanagement Während bei der vorangegangenen Darstellung von Marketing- und Kommunikationsthemen vermehrt auf finanzielle Ressourcen Bezug genommen wird, stellen personelle Ressourcen in KMU einen weiteren erfolgskritischen Faktor dar. Diese müssen sowohl quantitativ als auch qualitativ in adäquater Form vorhanden sein um keine unnötige finanzielle Belastung darzustellen, sondern durch ihr persönliches Engagement einen Mehrwert für das gesamte Unternehmen zu schaffen. So sind in diesem Zusammenhang unter anderem die Personalentwicklung, das Perso-

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nalrecruiting und die damit verbundene Arbeitsplatzattraktivität sowie das Commitment der Mitarbeiter zum Unternehmen als zentrale Punkte zu verstehen. Bei der Personalentwicklung ergeben sich Herausforderungen sowohl aus den Eigenschaften von KMU wie auch aus gesellschaftlichen Hintergründen und Entwicklungen. Als generelle Entwicklungen können unter anderem der demografische Wandel, der Fachkräftemangel oder der sogenannte „War for Talents“ gesehen werden. KMU-spezifische Herausforderungen sind in diesem Kontext unter anderem die Attraktivität der KMU, die sich teilweise durch begrenzte Ressourcen, Unsicherheit und andere Anforderungen an den Arbeitnehmer – im Vergleich zu großen Unternehmen – äußern. Hier stehen KMU vor dem Problem, dass sie nicht nur untereinander um entsprechende Mitarbeiter konkurrieren sondern sich auch gegen Großunternehmen durchsetzen müssen. So müssen KMU darauf Wert legen für ihre Mitarbeiter attraktiv zu werden und zu bleiben. Es muss eine Neuorientierung zu einer Professionalisierung (Stein 2010) der Personalentwicklung erfolgen. Diese soll vor allem Attraktivität schaffen, durch das Eingehen auf eine dynamische Gesellschaft und eine dynamische Zukunft und deren Bedürfnisse. Gerade in der Anpassungsfähigkeit und der Reaktion auf diese Anforderungen können die Stärken von KMU liegen, die diese im „War for Talents“ gegenüber den eher unflexiblen und starren Strukturen von Großunternehmen abheben. Während der Arbeitsplatz- und die Arbeitgeberattraktivität einerseits eine hohe Bedeutung im Rahmen der Bindung von Mitarbeitern im Unternehmen zukommt, spielt sie andererseits auch eine vitale Rolle bei der Gewinnung von neuen Mitarbeitern für das Unternehmen. Die Arbeitsplatz- oder Arbeitgeberattraktivität kann analog zum Produktmarketing als Aufbau einer Arbeitgebermarke verstanden werden, bei der der Arbeitgeber versucht ähnlich attraktiv für seine Arbeitnehmer zu sein wie der Hersteller von Markenartikeln für seine Konsumenten (Gaiser et al. 2005, 475). So sind Bestandteile dieser Arbeitgeberattraktivität unter anderem die Analyse der Bedürfnisse der Arbeitnehmer sowie die Umsetzung der in der Analyse evaluierten Ergebnisse (Preißing 2010, 109). Attraktivität entsteht in diesem Zusammenhang vor allem durch Maßnahmen und Angebote, die über die „Üblichen“ hinausgehen und durch welche sich das entsprechende Unternehmen von anderen Unternehmen positiv abhebt (Helbich/Herzig 2014, 26 f.). Dies kann unter anderem durch materielle und/oder immaterielle Leistungen geschehen, durch Leistungen zur Individualisierung der Arbeitsbedingungen, durch das Angebot von Weiterentwicklungschancen oder durch eine besonders attraktive Unternehmenskultur wie zum Beispiel im Rahmen des „Great Place to Work Konzepts“ (Hauser 2009, 97 ff.). Auch aus der Perspektive der Arbeitgeber ergeben sich aus den genannten Punkten solche, die in KMU einfacher umgesetzt werden können und solche, deren Umsetzung eher problematisch zu sehen ist. Eine eher schwerere Umsetzbarkeit zur Erzielung von Attraktivität stellen materielle Mehrleistungen wie Prämien oder Zuschüsse dar, da diese aus den oft knappen Ressourcen finanziert werden müssen.

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Auch sind immaterielle und soziale Mehrleistungen wie zum Beispiel Leistungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, zur Krankheitsprävention oder zur Förderung der Gesundheit in der Praxis eher in größeren Unternehmen zu finden. Während sich KMU hier schwer tun, besteht bei diesen jedoch vor allem die Chance individuell auf die einzelnen Arbeitnehmer oder potenzielle neue Arbeitnehmer einzugehen. So können hier unter anderem eher variable Arbeitszeiten oder Aufstiegs- und Fördermöglichkeiten angeboten werden, die direkt auf die Bedürfnisse des Mitarbeiters zugeschnitten sind. Auch stellt die Schaffung einer auf die Mitarbeiter und deren Bedürfnisse angepassten Unternehmenskultur eine Möglichkeit dar, eine für die Arbeitnehmer attraktivere Arbeitsumgebung zu schaffen. An die Überlegungen zur Steigerung von Arbeitsplatz- und Arbeitgeberattraktivität und die aufgezeigten Chancen schließt der Gedanke des Organizational Commitment an. Commitment kann in diesem Zusammenhang verstanden werden als die Bindung oder Bindungskraft mit der sich eine Person an eine Einstellung gegenüber einem materiellen oder immateriellen Gegenstand gebunden fühlt (Solomon et al. 2013, 411). Im konkreten Fall stellt das Commitment pauschal formuliert also die Bindung des Mitarbeiters zu seinem Unternehmen und Arbeitsplatz dar. Durch ein hohes Commitment des Arbeitnehmers gegenüber seinem Arbeitsumfeld ergeben sich Vorteile, die die Performance der Mitarbeiter steigern und so zu einem Gewinn für das gesamte Unternehmen werden. So kann aus steigendem Commitment eine erhöhte Arbeitsleistung, eine erhöhte Akzeptanz des Arbeitgebers, das Einhalten von Standards, das Achten von Prinzipien, das Wahren von Maßstäben, das Verinnerlichen von Werten oder eine erhöhte Bindung an den Arbeitgeber resultieren (Porter et al. 1974, 604; Mohamed/Anisa 2012, 8). Wie im vorangegangenen Abschnitt beschrieben, muss auch hier abgewogen werden, welche Möglichkeiten bei KMU bestehen um eine positive Einstellung des Arbeitnehmers gegenüber seines Unternehmens zu erreichen. Die oben aufgeführten Möglichkeiten können hier sicherlich ihren Teil dazu beitragen, wobei es Ziel des Personalmanagements sein muss, nicht nur, aber auch in KMU ein Commitment der Arbeitnehmer gegenüber ihrem Arbeitgeber zu erzielen.

3.5 Rechtliche Grundlagen In kleinen und mittleren Unternehmen treten regelmäßig entsprechende rechtliche Themen und Fragestellungen auf. So spielt es in vielen Fällen eine wichtige Rolle, in welcher Rechtsform das Unternehmen firmiert und welche Folgen sich daraus im operativen Tagesgeschäft ergeben. Anforderungen an verschiedene Rechtsformen unterscheiden sich teilweise gravierend und bringen in KMU, vor allem aber in Kleinst- und Start-Up-Unternehmen besondere An- und Herausforderungen mit sich. Einen Überblick der rechtlichen Rahmenbedingungen sowie der Anforderun-

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gen im operativen Geschäft bei verschiedenen Rechtsformen gibt der Beitrag zur Rechtsformwahl in diesem Sammelband. Ein weiteres Thema, welches aus juristischer Sicht im operativen Geschehen des Unternehmens einzuordnen ist, kann unter dem Begriff „Compliance“ subsumiert werden. So wird unter Compliance generell die Pflicht eines Unternehmens verstanden, sich an geltende Rechtsvorschriften, regulatorische Standards und weitere wesentliche Anforderungen zu halten (Buffo/Brünjes 2008, 108; Vetter 2008, 33). Compliance spielt zwar für Unternehmen jeglicher Größenordnung eine Rolle, stellt aber gerade KMU immer wieder vor Herausforderungen. Dies ist einerseits auf die Komplexität der Thematik zurückzuführen, resultiert aber auch aus nicht vorhandenen personellen Ressourcen, die sich mit Fragestellungen des Compliance befassen. Während in großen Unternehmen oft eigene Abteilungen, zumindest aber entsprechende personelle Kapazitäten geschaffen werden, um sich mit dem Thema auseinander zu setzen, um Richtlinien aufzustellen und diese auf einem aktuellen Stand zu halten sowie deren Einhaltung zu kontrollieren, stellt neben den fehlenden personellen Ressourcen auch fehlendes Know-how in diesem Bereich ein nicht zu unterschätzendes Problem dar. So können sich in großen Unternehmen entsprechende Abteilungen gezielt in national und international geltende Gesetze, Regeln und Standards einarbeiten, während Compliance-Themen in KMU oft „nebenbei“ behandelt werden (müssen). Trotz dieser Herausforderungen auf Seiten der KMU müssen sich diese an entsprechende Regeln und Gesetze halten um im Wettbewerb langfristig mithalten zu können. So resultiert die Einhaltung entsprechender Standards auf Druck von außen – nicht nur von Seiten der Kunden, sondern von allen Stakeholdern des Unternehmens. Der Umgang mit Compliance-Themen fordert von KMU sowohl personelle als auch finanzielle Ressourcen und äußert sich oft in nicht unerheblichem bürokratischen Aufwand. Andererseits eröffnet das Thema jedoch die Möglichkeit, sich im Markt von den Wettbewerbern abzuheben.

3.6 Unternehmensnachfolge und -übergabe Der größte Teil der KMU kann als Familienunternehmen bezeichnet werden. So sind zwischen 80–98 % aller weltweiten Unternehmen als Familienunternehmen einzustufen wobei diese 50–75 % aller Beschäftigten bei sich anstellen (Poza/Daughtery 2014). Die wenigsten von Ihnen schaffen es jedoch in die dritte Generation (Ward 1987; Aronoff 2001). So wird seit geraumer Zeit hinterfragt, warum der Nachfolgeprozess so viele Unternehmen vor Herausforderungen stellt. Ein Ansatz hierbei ist, die Nachfolge nicht als einen bestimmten Zeitpunkt zu sehen, an dem Führung und Eigentum an eine oder mehrere Personen übertragen werden (Morris et al. 1997; Lin et al. 2007), sondern als einen Prozess zu gestalten, der sich über lange Zeit im operativen Geschehen des Unternehmens widerspiegelt. Hierbei müssen verschiedene Schritte, beispielsweise die Suche eines Nachfolgers, dessen Einarbeitung, sowie die operative

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Umsetzung der Nachfolge betrachtet werden. Weiter stellt sich die Frage, ob Leitung und Eigentum gemeinsam oder getrennt übergeben werden sollen. Es ergeben sich schließlich verschiedene Kombinationen der Übergabe die eine familieninterne oder externe, eine getrennte oder gemeinsame Übergabe von Eigentum und Führung beinhalten und schließlich in fünf Optionen (Familiennachfolge, Verkauf des Unternehmens, Stiftung, Fremdmanagement, Verkauf mit Fortführung) münden (Felden/Pfannenschwarz 2009, 27). Der Nachfolgeprozess in Familienunternehmen stellt viele Unternehmen und Unternehmer nicht zuletzt deshalb vor eine Herausforderung, da eine Vermischung von „harten“ und „weichen“ Faktoren und Argumenten erfolgt und gerade die Auswahl des Nachfolgers beeinflusst. So stehen auf der einen Seite die harten Faktoren, welche objektiv betrachtet einen Wert für das Unternehmen mit sich bringen. Diesen stehen teilweise weiche Faktoren gegenüber, die aus dem subjektiven Verhältnis, zum Beispiel zwischen dem Vater als Übergeber und dem Sohn als potenziellem Nachfolger, bestehen. Hier gilt es entsprechend abzuwägen und durch klare Prozesse und strukturierte Entscheidungsfindung das beste Ergebnis in Bezug auf die entsprechende Zielsetzung im Nachfolgeprozess zu erzielen.

3.7 Mediation und Konfliktlösung Nicht nur, aber auch im und bedingt durch den Nachfolgeprozess im Unternehmen können Konflikte – zum Beispiel zwischen mehreren potenziellen oder tatsächlichen Nachfolgern oder zwischen Übergeber und Übernehmer – entstehen. Während solche Konflikte einerseits oft als negativ betrachtet werden, können sie andererseits, sofern sie sachlich und problemorientiert ausgetragen werden, eine Chance darstellen und die vorhandenen Wertevorstellungen beeinflussen (Hintz 2011, 119). Wenn aus dem Konflikt eine sachliche Auseinandersetzung entsteht, welche zur Lösung eines Problems führt, kann ein solcher Konflikt sogar als etwas Positives eingestuft werden (Jehle 2007, 148). Um Konflikte zu lösen bieten sich verschiedene Möglichkeiten und Methoden an. Mit dem Ziel, dass die Konfliktparteien freiwillig und eigenverantwortlich eine einvernehmliche Beilegung ihres Konflikts anstreben (MedG, 2012, 1577 ff.), kann die Mediation als eine Möglichkeit der Konfliktbewältigung herangezogen werden. Gerade durch den freiwilligen und eigenverantwortlichen Charakter dieses Verfahrens können Konflikte in vielen Fällen zu einem für alle Seiten positiven Ergebnis führen. Neben dem oft positiven Ausgang bringt die Mediation zwei weitere Vorteile mit sich. So wird zum einen davon ausgegangen, dass durch die Mediation schneller und effizienter ein Ergebnis erzielt werden kann als im Rahmen eines Gerichtsprozesses. Zum anderen entstehen bei der Mediation regelmäßig geringere Kosten als bei der gerichtlichen Austragung des Konflikts. So stellt die Mediation gerade für KMU eine bedeutende Konfliktlösungsmethode dar, da charakteristisch knappe finanzielle und zeitliche Ressourcen geschont werden können. Weiter sprechen für die Mediation in KMU die Charakteristika der Beteilig-

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ten auf sozialer Ebene, wie ein Zusammengehörigkeitsgefühl im Unternehmen, das oft persönliche Interesse am Unternehmen oder das Engagement für ein gemeinsames Ziel. Diese KMU-typischen Eigenschaften können bei der Mediation genutzt werden, um schließlich ein Ergebnis zu erzielen, mit dem die Konfliktparteien einverstanden sind und welches schlussendlich durch eine effiziente und konstruktive Lösung das Unternehmen weiterbringt.

4 Dieser Sammelband KMU bringen Vor- und Nachteile, Potenziale und Herausforderungen mit sich. Entscheidend ist es, diese zu erkennen und sowohl in strategischen als auch operativen Fragestellungen mit einzubeziehen. Nur so können durch ein konsequentes und bewusstes Ausnutzen dieser Eigenschaften und durch die Verknüpfung mit den unternehmensspezifischen Rahmenbedingungen Nachteile zu Vorteilen und Herausforderungen zu Potenzialen gewandelt werden. Dieser Sammelband geht auf die in diesem Einführungsbeitrag aufgezeigten Themenfelder ein und beleuchtet sie in den entsprechenden Beiträgen näher. So kann beim Leser ein detailliertes Bild zu spezifischen Fragestellungen entstehen, während spezielle Probleme und Herausforderungen sowie Chancen und Potenziale von KMU dargestellt werden.

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Kapitel 1: KMU – Stärken und Schwächen, Chancen und Risiken | 17

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Kapitel 2: Aus dem Hörsaal in die Gründung Gedanken aus der Start-Up-Praxis Best Practice

1 Learning by doing – vom Hobby zur Unternehmensschmiede Ein Unternehmen wird selten aus dem Affekt heraus gegründet, sondern ist häufig das Ergebnis langen Nachdenkens über eine Idee und die Konsequenzen der Entscheidung. In meinem Fall war es so, dass ich ungefähr nach der Hälfte eines geisteswissenschaftlichen Lehramtsstudiums durch die Gründung einer Vereinsabteilung merkte, dass es mir viel mehr Spaß macht, Organisationen aufzubauen, als Wissen zu vermitteln. In der zweiten Hälfte des Studiums sammelte ich daher bei verschiedenen mittelständischen Unternehmen und Konzernen erste Erfahrung in der Wirtschaft und war Vorsitzender einer Studentischen Unternehmensberatung, für die ich zudem kleinere Unternehmen beriet. Gegen Ende des Studiums stellte sich aufgrund meiner fachlichen Interessen dann die Frage: Personalabteilung oder Unternehmensberatung? In mehreren Gesprächen mit meinem Mentor stellte sich als Problem heraus, dass eine sehr strategische und generalistische Arbeitsweise, wie ich sie beim Aufbau der Vereinsabteilung und dem Führen der Studentischen Unternehmensberatung liebgewonnen und als Stärke erkannt hatte, beim Berufseinstieg kaum zu verwirklichen ist. „Man steigt so selten nach dem Studium als Geschäftsführer ein“, sagte mein Mentor, der Leiter der Personalentwicklung eines großen deutschen Unternehmens ist, und brachte mich damit unbewusst auf den Gedanken, ein eigenes Unternehmen aufzubauen. Bei einem sollte es nicht bleiben, denn mittlerweile (etwa fünf Jahre nach diesem Gespräch, im Oktober 2014) betreibt Talents’ Friends – so heißt das Unternehmen, das ich nach dem Studium gründete – als Holding drei Start-Ups. Aber auch dabei soll es nicht bleiben: In den nächsten Jahren werden wir Talents’ Friends zu einem Start-Up-Inkubator weiterentwickeln. Auf diese Weise möchten wir Nachwuchsgrün-

|| Jan Philipp Platenius Geschäftsführender Gesellschafter Talents’ Friends GmbH

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dern unser Know-how sowie notwendige Ressourcen zur Verfügung stellen und mit ihnen gemeinsam weitere Start-Ups in ihren jeweiligen Märkten etablieren. Die sehr vielfältigen Gründungserfahrungen, die ich in den letzten Jahren gesammelt habe, sollen im Folgenden dargestellt und analysiert werden.

2 Hier ist die Masterarbeit. Wo ist der nächste Notar? – Die Gründung von Talents’ Friends e.K. Die Thematik, mit der ich mich unternehmerisch beschäftigen wollte, war von Anfang an klar: Mein Start-Up sollte – zumindest anfangs – kleine und mittelständische Unternehmen unterstützen, ein attraktiver Arbeitgeber zu werden und gezieltes Personalmarketing betreiben. In der zweiten Hälfte meines Studiums war ich häufiger darauf gestoßen, dass es für viele KMU in meiner Region OstwestfalenLippe ein Problem ist, regelmäßig gute Nachwuchskräfte für sich zu gewinnen. Gleichzeitig war ich zum einen der Zielgruppe sehr nah und hatte zum anderen sehr viele Ideen und kreative Ansätze, wie Unternehmen sich im Personalmarketing und in der Rekrutierung von Konkurrenten abheben könnten. Meine Dienstleistung sollte daher einerseits die strategische Beratung wie die Erarbeitung einer Arbeitgebermarke, andererseits aber auch die operative Umsetzung wie die Gestaltung von Karriere-Webseiten umfassen. Im Mai 2010, ein paar Tage nach Abgabe meiner Masterarbeit, war es dann soweit: Das Unternehmen wurde gegründet und als Talents’ Friends e.K. in das Handelsregister eingetragen. Der eigentliche Gang zum Notar war dabei das einfachste und sehr unspektakulär. Die Vorüberlegungen waren wesentlich schwieriger für jemanden, der in vielen Themen keinerlei Vorkenntnisse besaß. Bei der Wahl der Rechtsform entschied ich mich für eine Gründung als „e.K.“, da diese wesentlich weniger bürokratische Pflichten mit sich brachte als eine Kapitalgesellschaft. Auch das Haftungsrisiko schien mir aufgrund der rein beratenden Tätigkeit im Personalmarketing überschaubar. Dies war sicher eine richtige Entscheidung, denn die Gründung einer GmbH beispielsweise wäre sehr viel aufwendiger gewesen, kostet im laufenden Geschäft mehr Zeit und Geld und hätte in diesem Bereich keinerlei Vorteile gehabt, auch nicht in Bezug auf die Reputation, denn Beratung ist ein „people business“. Vor dem Start war natürlich die Frage der Finanzierung zu klären. Zwar brauche ich nicht viel mehr als ein Telefon und einen Computer, doch muss ein Gründer ja auch selbst von etwas leben – bei der Gründung eines Unternehmens nach dem Studium stehen in der Regel weder die Kunden Schlange noch konnte man vorher besonders viel Geld ansparen. Um mich privat zu finanzieren, arbeitete ich daher noch ein Jahr mit einer halben Stelle an der Universität. Zudem hatte ich das große Glück,

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dass mir meine Eltern ein kleines Startkapital für die Gründung zur Verfügung stellten, auch wenn sie selbst von dem Unterfangen wenig begeistert oder gar überzeugt waren. In den ersten Wochen setzte ich alles daran, möglichst viel Wissen aufzubauen, jede Diplomarbeit und jeden deutschen oder amerikanischen Blog las ich von vorne bis hinten. Es war mir sehr wichtig, einen möglichst guten Überblick über das Thema zu haben, bevor ich an den Markt gehe. Ebenfalls war es mir sehr wichtig, dass Logo, Texte auf der Webseite so sind, wie ich sie mir vorstelle. In vielen Veröffentlichungen zu Unternehmensgründungen wird dies schließlich immer wieder als sehr wichtig geschildert. Im Nachhinein würde ich hier einiges anders machen, viel weniger Zeit auf Dinge wie die Website oder Visitenkarten verwenden sowie viel schneller und mit Lücken an den Markt gehen, um zu lernen und mein Angebot zu verbessern. Doch damals war der Lean-Startup-Ansatz in Deutschland noch kaum verbreitet und mir nicht bekannt. Vor der Gründung stand natürlich auch die Beschäftigung mit dem Markt. Wie sich bereits in den ersten Wochen herausstellte, war der Markt für meine Dienstleistung überhaupt kein Problem. Die Medien schrieben im Wochentakt über den Fachkräftemangel und den demographischen Wandel, sodass mein Thema einen medialen Rückenwind erhielt, der in keinem Business-Plan vorgesehen war und durch kein noch so gutes Marketing zu erzielen gewesen wäre. Die Aktualität des Themas äußerte sich auch darin, dass nur wenige Kilometer entfernt ein Konzern einen Geschäftsbereich gründete, der sich mit mehreren Dutzend Leuten ebenfalls diesem Thema widmete. Man kann sich vorstellen, dass das zunächst keine schöne Information für einen jungen Gründer ist. Dass der Markt existiert, heißt aber noch nicht, dass ein Unternehmen funktioniert und erfolgreich wird. Eine der trivialsten, aber wichtigsten Fragen, die sich ein Gründer stellen sollte – aber sicher nicht immer stellt –, ist die, wie man sein Produkt denn nun auf den Markt bringt und Kunden gewinnt. Die erste und sehr gängige Möglichkeit wäre die reine Telefonkaltakquise gewesen. Ich hielt sie jedoch nicht für geeignet, um meine Stärken – Kreativität, Wissensvorsprung, Nähe zur Zielgruppe der Kunden – zu transportieren. Meine Überlegung ging daher dahin, zum einen eine Studie von hoher Relevanz zu veröffentlichen und auf diese Weise Aufmerksamkeit zu erregen, sowie zum anderen einen Kooperations- und Vertriebspartner mit einer gewissen Reputation zu gewinnen. Den Kontakt zu einem potenziellen Kooperationspartner, ein etabliertes und in unserer Region namhaftes HR-Beratungsunternehmen, hatte mir wiederum mein Mentor schon während der Planungsphase des Unternehmens hergestellt. Wir vereinbarten, dass wir bei der Studie zum Teil zusammen arbeiten und das Unternehmen meine Dienstleistung bei den eigenen Kunden mitvertreibt. Eigentlich eine sehr gute Möglichkeit, um in den Markt einzutreten, spielte diese Kooperation auf Dauer jedoch keine größere Rolle.

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Die Studie hingegen war eine sehr erfolgreiche Methode, um in den Markt einzutreten. Auf der einen Seite befragte ich angehende Ingenieure der westfälischen Hochschulen, auf welche Aspekte sie bei der Arbeitgeberwahl Wert legen und wie ihre regionalen Präferenzen aussehen. Auf der anderen Seite befragte ich Unternehmen, wie sie bei dieser Zielgruppe Personalmarketing betreiben. Es ergaben sich sehr interessante Ergebnisse, die für diese Region und diese Zielgruppe vorher noch nicht so genau untersucht worden waren. Zum Beispiel konnten die Unternehmen aus der Studie Rückschlüsse auf ihre Bekanntheit und Reputation an einzelnen Hochschulstandorten oder auch auf die Umzugsbereitschaft der Studierenden der jeweiligen Hochschulen ziehen. Durch die neuen Erkenntnisse konnte ich Talents’ Friends mit dieser Studie in nahezu jedem westfälischen Printmedium platzieren und auch etwa 20 Termine bei Unternehmen vereinbaren. Die 1000 €, die ich in die Befragungen investierte, sind nach wie vor eine der besten Investitionen unserer jungen Unternehmensgeschichte. Gutes Marketing muss nicht teuer sein, es muss gut und damit auch gezielt sein. In Folge der Termine kam es zu mehreren kleinen Beratungsprojekten, der ganz große Durchbruch blieb jedoch aus. Woran lag es? Einerseits hatte ich keine guten „Produkte“ im Angebot. Konkrete Strategien zu erarbeiten und die Vorteile eines Unternehmen als Arbeitgeber und deren Kommunikation individuell zu erarbeiten, ist wesentlich schwieriger zu verkaufen als ein standardisiertes, greifbares Produkt. Andererseits fehlte in meinem – nach wie vor nur aus mir bestehendem – Team ein richtiger Vertriebler, der nachbohrt, Kundenbeziehungen systematisch aufbaut und pflegt sowie Spaß am Verkaufen hat. Alle notwendigen Kompetenzen eines Unternehmens in einer Person zu vereinen, ist eine große Herausforderung. Eine weitere Herausforderung für viele Gründer, die alleine starten, ist die Einsamkeit und der fehlende Austausch. Wenn man nicht gerade in den Gründerhochburgen wie Berlin, Hamburg, Köln oder München gründete, gab es zu der Zeit relativ wenige Personen, die in einer ähnlichen Situation waren und das Auf und Ab eines Gründers nachvollziehen konnten oder gar vor den gleichen Problemen standen. Umso wichtiger ist mentale Stärke und die Fähigkeit, sich ein Netzwerk aus Gleichgesinnten aufzubauen. Alles in allem war das erste Jahr nach der Gründung kein sonderlich erfolgreiches – zumindest auf den ersten, wirtschaftlichen Blick. Zwar waren die Ideen und Strategien durchaus gut, doch zeigte sich, dass es als unerfahrener Einzelkämpfer sehr schwierig ist, ein nachhaltig erfolgreiches Beratungsunternehmen aufzubauen, zumal es mit einem projektbasierten Geschäftsmodell schwierig ist, regelmäßige und wachsende Umsätze zu generieren. Auch ist es als Sologründer nach dem Studium nicht immer leicht, zu sehen, dass die Freunde Karriere in namhaften Unternehmen machen und viel Geld verdienen, während man selbst weiterhin wie ein Student lebt und es völlig unklar ist, ob das eigene Unternehmen auch mal namhaft

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wird. Als Gründer braucht man in dieser Hinsicht Durchhaltevermögen und/oder ein Umfeld aus Freunden, Familie, bei mir auch Mitbewohnerinnen und andere wohlgesonnenen Personen, die „zu einem halten“. Da sich zudem zeitgleich mit diesen Feststellungen mehrere Möglichkeiten boten, andere Karrierepfade einzuschlagen, war klar, dass das Unternehmen nur weitergeführt wird, wenn ich ein Team auf die Beine stellen kann – in der Anfangszeit hatte ich leider keine passenden Mitgründer gefunden – und wir ein Geschäftsmodell entwickeln, das nachhaltiger Umsätze erwirtschaftet, als es kleine Beratungsprojekte tun („repeatable and scalable“). Im Nachhinein betrachtet war es also zwar kein wirtschaftlich erfolgreiches Jahr für das Unternehmen, doch waren die Erfahrungen und Lehren wiederum auch so günstig, dass man sie in Bezug auf 30 oder 40 Jahren Unternehmertum aktuell und hoffentlich auch zukünftig als relativ günstige Investitionen in das eigene Know-how sehen kann. Aus den Erfahrungen des ersten Jahres kann man für andere Gründungen also folgende Aspekte schließen: – Anstatt sich zu viele Gedanken zu machen und alles bis ins Letzte vorbereiten und perfektionieren zu wollen, sollte man lieber schnell an den Markt gehen und von ihm lernen. – Bei jeder Gründung muss der Vertrieb sichergestellt sein. Ist der Gründer nicht die Person dafür, muss entweder ein Vertriebler im Team sein oder aber das Geschäftsmodell so ausgelegt sein, dass wenig manueller Vertrieb notwendig ist (z.B. bei Online-Modellen). – Es sollte schnellstmöglich der Austausch mit anderen Gründern gesucht werden, um voneinander zu lernen. – Man sollte keine Angst haben, offen über seine Ideen und Pläne zu sprechen. Die Chance auf wertvolles Feedback ist in der Regel größer als das Risiko, dass jemand anders die Idee umsetzt und dies auch noch besser kann als man selbst. – Kaum eine Gründung und kaum ein Business-Plan funktionieren so, wie man es sich ursprünglich vorgestellt hat. Ein Gründer sollte daher einerseits über eine gewisse Beharrlichkeit verfügen, andererseits aber nicht zu lange an einem nicht funktionierenden Konzept festhalten. Er sollte in der Lage sein, einzelne oder mehrere Aspekte schnell und notfalls auch radikal zu ändern. – Häufig ist es einfacher, einfache und konkrete Produkte zu verkaufen, auch wenn sie weniger die Welt „revolutionieren“, als es viele Gründer anfangs vorhaben. Passenderweise ergaben sich im Frühjahr 2011, also etwa ein Jahr nach Gründung, zwei gute Gelegenheiten, die notwendigen Änderungen am Unternehmen vorzunehmen. Diese werden in den folgenden beiden Kapiteln erläutert.

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3 Wollt Ihr nicht mitmachen? – Der Wechsel vom e.K. zur GmbH Wie oben bereits geschildert, führte ich vor und zunächst auch neben dem Aufbau von Talents’ Friends Beratungsprojekte für eine Studentische Unternehmensberatung durch. Hierzu gehörte auch die Organisation eines Wirtschaftsforums, die insgesamt etwa 18 Monate lief. Nach dem erfolgreichen Abschluss des Projektes konnte ich zwei der anderen Organisatoren für Talents’ Friends gewinnen. Nach einer derart langen Zusammenarbeit kann man die Stärken und Schwächen der einzelnen Projektmitglieder gut beurteilen. Vorher hatte ich mich mehrfach gegen potenzielle Geschäftspartner entschieden, da ich entweder dachte, dass es persönlich aufgrund unterschiedlicher Werte auf die Dauer nicht so gut funktioniert hätte, oder aber die Kompetenzen zu ähnlich waren und wichtige Fähigkeiten im Team weiterhin gefehlt hätten. Neben dem „Gefühl, nicht mehr Einzelkämpfer zu sein“, hatte Talents’ Friends nun nach der Ergänzung mit zwei Personen mit betriebswirtschaftlichem Hintergrund und starken vertrieblichen Potenzialen ein Team, das in Bezug auf Werte einigermaßen homogen, in Bezug auf persönliche Stärken aber sehr heterogen war – eine Mischung, die vermutlich relativ selten, aber für die Entwicklung eines Unternehmens sehr hilfreich ist. Die Personen sollten nicht als klassische Mitarbeiter, sondern auch als Gesellschafter aktiv sein, sodass sich zwangsläufig die Frage stellte, welche Rechtsform nun zu wählen sei. Da wir große Pläne hatten und haben, wollten wir es nun direkt „richtig“ machen und gründeten eine GmbH. Konkrete Regelungen und Bestimmungen zu den unterschiedlichen Gesellschaftsformen können bei Bedarf im Beitrag „Die Qual der Rechtsformwahl“ in diesem Sammelband nachgelesen werden. Warum entschieden wir uns für eine GmbH? Nun, vielleicht wäre anfangs eine Gesellschaft bürgerlichen Rechtes wegen der geringeren rechtlichen Pflichten und Kosten für Notar, Buchführung, Jahresabschluss die günstigere Alternative gewesen, allerdings hatten wir beschlossen, mit einer finanziellen Ausstattung zu beginnen, die auch die Gründung einer GmbH erlaubte. Zudem hat die GmbH unseres Erachtens hinsichtlich unseres Ziels, eine Holding mit mehreren Beteiligungen aufzubauen, langfristig Vorteile bei der Außenwirkung, vor allem aber auch bei der Aufnahme von Investoren in die Holding sowie der Verwaltung und dem Verkauf von Anteilen an Tochterfirmen. Eine spätere Umwandlung, um diese Effekte zu erzielen, hätte uns viel Zeit und Geld gekostet. Auch erschien es uns bei so einer langfristigen angelegten und nicht genau zu überblickenden Mission wie unserer sinnvoll, das Haftungsrisiko zu begrenzen. Ein weiterer – nicht sehr rationaler, aber psychologisch nicht zu unterschätzender – Grund, eine GmbH und keine GbR zu gründen, war für uns sicherlich, dass wir die Beratungsprojekte in der Studentischen Unternehmensbera-

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tung immer über GbRs abgewickelt hatten und uns mit einer GmbH auch gedanklich von den studentischen Projekten absetzen und ein Zeichen setzen wollten, dass wir etwas Nachhaltiges über einzelne Projekte hinaus aufbauen wollen. Aus diesem Grund entschieden wir uns auch gegen die Gründung einer UG (haftungsbeschränkt), die zu der Zeit in Deutschland zudem auch noch relativ wenig gängig war und zu vielen Fragen und Verwirrungen geführt hätte. Außerdem hatten wir, wie oben geschrieben, das Ziel, unser Unternehmen mit einem Kapital zu beginnen, das die Gründung einer GmbH erlaubte und damit eine UG (haftungsbeschränkt) überflüssig machte. Da es einfacher als eine Änderung der Gesellschaftsform war, meldete ich Talents’ Friends e.K. kurzerhand ab und wir gründeten die Talents’ Friends GmbH neu. Bei der Abwicklung half es uns sehr, dass sich im familiären Umfeld ein Steuerberater befand – die Unterstützung, die wir auf diese Weise bekamen, wäre finanziell und zeitlich ansonsten eine sehr starke Belastung für ein junges Unternehmen gewesen. Im Nachhinein betrachtet, haben wir dennoch möglicherweise einen größeren Fehler begangen, indem wir uns als Privatpersonen an der GmbH beteiligten und nicht jeder über eine eigene Kapitalgesellschaft. Dies könnte sich zukünftig noch als steuerlich wenig sinnvolle Lösung erweisen. Dies ist jedoch wiederum ein Aspekt, der in der Gründungsliteratur und bei Gründungsberatungen wenig gegenwärtig ist und eher über „Ökosysteme“, also durch den Austausch mit Start-Ups und auf StartUps spezialisierte Dienstleister transportiert wird. Bei der Wahl des Geschäftsführers entschieden wir uns dafür, dass aus verschiedenen Gründen zunächst zwei, kurze Zeit später alle drei von uns als Geschäftsführer fungierten. Gründungscoachs empfehlen allerdings teilweise, dass es auch bei einem einigermaßen gleichberechtigten Gründerteam nur einen Geschäftsführer geben soll, damit nur eine Person die Pflichten des Geschäftsführers übernimmt. In der Gründungsliteratur und -beratung wird häufig betont, dass nicht nur die Verantwortlichkeiten, sondern auch die Entscheidungsbefugnisse im Team anfangs direkt klargestellt werden sollen. Dies ist bei uns auch nach drei Jahren noch nicht geschehen, dennoch sind wir nach kürzeren oder längeren Diskussionen in der Regel zu gemeinsamen Entscheidungen gekommen – generell ist es für ein Gründerteam aber sicherlich wichtig, dies zu klären und insbesondere auch die Verantwortlichkeiten und Aufgaben klar abzustecken. Aus den Erfahrungen unserer Teamzusammenstellung und GmbH-Gründung lassen sich folgende Empfehlungen ableiten: – Es sollte versucht werden, ein Gründungsteam zusammenzustellen, das ähnliche Wertvorstellungen aufweist, dennoch aber über unterschiedliche fachliche Kompetenzen verfügt. Drei finanz- und steuerinteressierte Personen werden ebenso selten ein Problem aus mehreren Perspektiven diskutieren können, wie drei Kreative Freude an den rechtlichen und buchhalterischen Aspekten eines

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Unternehmens haben oder drei Programmierer sich gerne dem Vertrieb widmen werden. Vor der GmbH-Gründung sollte man sich mit anderen, möglichst erfahrenen Gründern, die den Prozess idealerweise bereits mehrfach durchlaufen haben, austauschen. Auch wenn die Abwicklung einer GmbH-Gründung ein relativ standardisierter Prozess sein sollte, gibt es immer verschiedene Möglichkeiten, den Prozess zu beschleunigen – von der Optimierung des eigenen Gesellschaftsvertrags ganz abgesehen. Gleiches gilt auch generell für die Kommunikation mit verschiedenen Ämtern, zum Beispiel dem Marken- und Patentamt. Innerhalb des Teams sollten die Verantwortlichkeiten klar abgesteckt sein – eine gute Zusammenstellung des Teams erkennt man möglicherweise daran, dass sich die Verantwortlichkeiten fast von selbst ergeben.

4 Herr Platenius, ich brauche einen Zahnarzt – Der Deutsche Zahnarzt Service als erste „Tochter“ Wie ich in Kapitel 1 bereits erläutert habe, stellte sich nicht nur die Frage, inwieweit ich ein Team aufbauen kann, sondern ebenfalls, welches Geschäftsmodell für die nun in Gründung befindliche Talents’ Friends GmbH zukünftig das richtige ist. Zwar bot es sich an, weiterhin einzelne Beratungsprojekte im Bereich Personalmarketing durchzuführen, die wir nicht mehr aktiv akquirieren mussten, doch wollten wir zudem ein Produkt im Portfolio haben, das wiederholbar und skalierbar ist, regelmäßige Umsätze sichert und relativ leicht zu vertreiben ist. Wir hatten hierfür etwa fünf konkrete Ideen. Eine drehte sich um eine Personalvermittlung für Zahnärzte, da ich vorher ein Suchprojekt für eine Zahnarztpraxis durchgeführt hatte. Obwohl es auf den ersten Blick nicht nach einem guten Thema für ein ambitioniertes Gründerteam aussieht, entschieden wir uns dafür, uns diesem Markt zu widmen. Dies hatte mehrere Gründe: – Personalsuche ist trotz einiger Abstufungen ein unkompliziertes und damit einfach zu vertreibendes Produkt. Jede Zahnarztpraxis kann sich ausrechnen, ob es sich lohnt, in einen Suchauftrag zu investieren. – Der Vertrieb zeichnet sich durch die Nähe zum Entscheider aus. Das Produkt kann am Telefon – und damit deutschlandweit – verkauft werden und es ist relativ leicht, mit dem Entscheider zu sprechen. Das ist im B2B-Bereich mit seinen häufig langen Entscheidungswegen selten. – Es handelt sich um einen kleinen Markt. Zwar ist das Wachstum innerhalb dieses Marktes auf Dauer begrenzt, doch gibt es auch wenig Konkurrenz und das Tempo der Branche ist im Vergleich eher gering, das Thema war noch nicht besetzt und es gab keine großen Markteintrittshürden.

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Ein kleiner Markt ist immer ein Teil eines größeren Marktes. Unsere Prozesse, unsere Technik und unser Know-how sind sehr leicht auf andere Branchen zu skalieren. Ein kleiner Markt mit geringem Tempo ist eine sehr gute Möglichkeit, um notwendige Kompetenzen wie Vertrieb und Webtechnologien relativ „günstig“ zu erlernen. Aufgrund des Geschäftsmodells, der geringen Konkurrenz und der kaum vorhandenen Markteintrittshürden ist relativ wenig Kapital notwendig, um zu starten. Es werden schnell und – aufgrund der wachsenden Datenbanken – nachhaltig Umsätze generiert. Für die weitere Entwicklung des Unternehmens, beispielsweise die Suche nach Investoren, ist die Eroberung eines kleinen Marktes und die Generierung regelmäßiger Umsätze eine gute Referenz.

Um schnell ein gutes Standing im Markt zu haben, traten wir hier unter der Marke „Deutscher Zahnarzt Service“ auf – es ist für eine Zahnarztpraxis ein wesentlicher Unterschied, ob der Deutsche Zahnarzt Service anruft oder die Talents’ Friends GmbH. Gleichermaßen aus Unerfahrenheit und geringen finanziellen Mitteln lief die Marke als ein Teil der Talents’ Friends GmbH. Besser wäre es vielleicht gewesen, hierfür direkt eine Tochterfirma zu gründen, da wir uns später nicht mit einer Ausgliederung hätten beschäftigen müssen. Aber die Möglichkeit gab es zu der Zeit nicht. Wie so viele Gründer wollten wir am Anfang am liebsten direkt „alles“ anbieten, neben der Personalsuche dachten wir noch über Praxismanagement, Praxismarketing oder Qualitätsmanagement für Zahnarztpraxen nach. Recht schnell entschieden wir uns aber, uns auf die Personalsuche zu fokussieren, da wir nicht in allem gleichzeitig gut werden und akquirieren konnten, zudem sollten die Kunden nur ein bestimmtes Produkt mit dem Deutschen Zahnarzt Service verbinden – in diesem wollten wir aber die Experten am Markt werden. Unser Geschäftsmodell sah vor, Zahnarztpraxen gegen Honorar bei der Suche und Auswahl von Zahnärzten zu unterstützen, und bei einer Vermittlung eine erfolgsabhängige Prämie zu berechnen. Es handelte sich also um ein relativ individuelles und aufwendiges Produkt. Bereits nach kurzer Zeit entwickelten wir es zu einem eher auf Masse ausgelegten Produkt, indem wir die für unsere Kunden weniger relevanten Interviews mit und die ausführliche, individuelle Beurteilung von Kandidaten strichen und dadurch unsere Dienstleistung noch erfolgsabhängiger vergüten lassen konnten. Auf diese Weise gewannen wir nicht mehr wenige ausgewählte Kunden, sondern sehr viele. Gleichzeitig passten wir unser Preismodell an die unterschiedlichen regionalen Gegebenheiten an. Da wir gleichzeitig immer bekannter und in der

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Bewerberakquise immer besser wurden, konnten wir so ein Geschäftsmodell finden, das wiederholbar und skalierbar ist. Diese Strategie war im Wesentlichen bislang sehr erfolgreich. Nach etwa 2,5 Jahren haben wir deutschlandweit fast 300 Praxen betreut und gewinnen mittlerweile viele Kunden durch Empfehlungen. Ebenso sind wir in Fachzeitschriften vertreten und bekommen täglich neue qualifizierte Bewerber, sodass wir uns auch einen deutlichen Vorsprung vor potenziellen neuen Mitbewerbern geschaffen haben. Aus den Erfahrungen, die wir beim Aufbau des Deutschen Zahnarzt Service gesammelt haben, kann man folgende Aspekte ableiten: – Auch wenn die „Gründerpresse“ auf Start-Ups mit großen Märkten „steht“ und diese im Fokus von Investoren, Gründerträumen und Medien stehen, so haben auch kleine Märkte vor allem am Anfang ihre Vorteile – wenn sie gut gewählt sind. – Viele Gründer haben viele Ideen, die sie am liebsten alle parallel umsetzen möchten, ohne dann aber in eine der Ideen genug Schlagkraft zu bekommen. Zumindest bis das erste Standbein gefestigt ist, sollte das Motto „Fokus, Fokus, Fokus“ lauten. – Der Name, unter dem ein Unternehmen am Markt agiert beziehungsweise ein Produkt platziert, kann in vielen Fällen so bedeutend sein, dass er gut gewählt werden sollte. „Deutscher Zahnarzt Service“ ist beispielsweise nicht hip, aber er vermittelt dem Kunden direkt einen seriösen Eindruck. – Gründer sollten bereit und in der Lage sein, ihr Geschäftsmodell an die Bedürfnisse des Marktes anzupassen.

Man muss viele Frösche küssen ... – Auf der Suche nach Risikokapital Nachdem der Deutsche Zahnarzt Service gut aufgestellt war, kümmerte sich ein Geschäftsführer hauptsächlich um seine Entwicklung, während die anderen beiden vor allem ein weiteres Geschäftsfeld analysierten und die Gründung eines Tochterunternehmens vorantrieben. Dieses sollte zwar immer noch in einem überschaubaren Markt platziert, jedoch bereits etwas größer gestartet werden. Um dieses und gegebenenfalls später weitere Unternehmen zu finanzieren, planten wir, externes Geld einzuwerben. Die naheliegende Möglichkeit, bei einer Bank einen Kredit aufzunehmen, schied für uns von vorneherein aus. Stattdessen wollten wir private Eigenkapital-Geber ansprechen, da wir uns von diesen über Geld hinaus auch erfahrene Unterstützung erhofften. Es galt also nun, uns Zugang zu potenziellen Neugesellschaftern zu verschaffen, denn abseits der schon genannten Start-Up-Hochburgen gibt es selten eine Start-Up-Szene, noch seltener aber entsprechende Verbindungen zu professionellen Investoren.

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Auch wenn nun zwei von drei Personen in unserem Team einen starken betriebswirtschaftlichen Hintergrund hatten, ist die Gewinnung und Beteiligung von Investoren an einem Start-Up für unerfahrene Gründer doch ein nicht ganz unkompliziertes Vorgehen. Parallel zur Zusammenarbeit mit einer großen Kanzlei und einem ihrer auf Start-Ups spezialisierten Juristen versuchten wir deswegen insbesondere Wissen über die rechtlichen Aspekte aufzubauen. Das notwendige Know-how erwarben wir auf folgenden Wegen: – Besuch von Seminaren bei Kanzleien zur Durchführung von Finanzierungsrunden – Lektüre sehr spezialisierter amerikanischer und deutscher Blogs – Lektüre amerikanischer Fachbücher und eines McKinsey-Buches zu BusinessPlänen – Unterstützung eines sehr erfahrenen Business Angels, zu dem wir frühzeitig den Kontakt herstellen konnten Parallel versuchten wir, erste potenzielle Investoren anzusprechen. Im Blick hatten wir vor allem Privatpersonen, die im Idealfall aus der gleichen Region kommen und schon Erfahrung mit Start-Up-Investments haben sollten. Institutionelle Anleger waren in dieser Phase nicht relevant, da wir die Chance sehr gering einschätzten. Die Ansprache der größeren Unternehmer unserer Region blieb fast gänzlich erfolglos. Die Finanzierung von Start-Ups durch erfolgreiche Unternehmer ist anders als in anderen Regionen – Stichwort „Start-Up-Ökosystem“ – in Ostwestfalen noch kaum verbreitet. Dennoch kamen wir mit einigen potenziellen Investoren in Kontakt. Dies geschah hauptsächlich auf folgenden Wegen: – Persönliche Verbindungen – Online- und Offline-Anschreiben – Kontakte der bereits gewonnenen Investoren Der Prozess der Investoren-Ansprache kann in Kürze wie folgt skizziert werden: – Kontaktaufnahme auf oben genannten Wegen – Übersendung eines kurzen Teasers als erste Information – Telefonischer oder persönlicher Termin – Verhandlung beziehungsweise Übersendung eines Term Sheets mit den rechtlichen Eckpfeilern der Beteiligung – Klärung von Details – Abschluss des Beteiligungsvertrags, der Gesellschaftervereinbarung und des Gesellschaftsvertrags In unserem Fall dauerte der gesamte Prozess von der Erstellung des ersten BusinessPlans bis zum Notartermin etwa neun Monate. Das Ergebnis war zufriedenstellend, wir konnten insgesamt drei neue Gesellschafter gewinnen und einen bedeutenden

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Zufluss in die Kapitalrücklage verzeichnen. Nicht zu verachten sind auch die Reputation und „Seriösität“, die namhafte Gesellschafter einem jungen Start-UpUnternehmen geben. Voraussetzung ist natürlich, dass „die Chemie stimmt“ und die Gründer sich damit abfinden, dass sie nicht mehr das alleinige Sagen im Unternehmen haben und bei bestimmten Entscheidungen die Zustimmung der Geldgeber brauchen. Heute stehen wir mit den Investoren etwa monatlich im Austausch und treffen uns etwa zweimonatlich, um die aktuelle Lage des Unternehmens zu besprechen. Aus unseren Erfahrungen bei der Investoren-Suche kann man folgende Aspekte ableiten: – Eine sehr gute Vorbereitung, insbesondere auch in rechtlicher Hinsicht, ist die Voraussetzung, um den Prozess der Investorensuche und -aufnahme erfolgreich abwickeln zu können. – Die Affinität zur Thematik des Start-Ups, vor allem aber die Kompetenz des Gründerteams sind für Investoren in der Regel die entscheidenden Faktoren für eine Beteiligung an einem Start-Up. – Je mehr das Unternehmen bereits vorzuweisen hat, desto besser. Ein Prototyp ist mehr wert als eine Präsentation und regelmäßige Umsätze sind natürlich ebenfalls ein Pluspunkt. – Gründer sollten bei der Investorensuche auch auf ihr Bachgefühl hören: Gibt es eine reelle Aussicht, auf Dauer mit den neuen Gesellschaftern „glücklich zu werden“? Stimmt die Chemie schon bei den ersten Treffen nicht, ist dies vermutlich eher zu verneinen.

Sie suchen IT-Talente? – Neue Tochter, neuer Markt Das neue Unternehmen wurde im Sommer 2013 gegründet und „IT-Talents“ genannt. Sein Ziel ist es, mittels einer Online-Plattform angehende IT-Fachkräfte frühzeitig mit Unternehmen zusammenzubringen, die am Arbeitsmarkt vielleicht etwas weniger bekannt als die großen Konzerne, aber dennoch interessante Arbeitgeber sind. Hintergrund war die eigene Erfahrung aus der Studentischen Unternehmensberatung, dass Nachwuchsinformatiker immer gesucht sind, viele kleinere Unternehmen jedoch im Wettbewerb um gute Arbeitskräfte gegen die Manpower und Budgets der großen Unternehmen häufig das Nachsehen haben. Vor der Gründung des Unternehmens stand die Entscheidung für einen Standort. Zur Diskussion stand die teilweise oder komplette Ansiedlung dieser Tochterfirma an einem anderen Ort, insbesondere in Hamburg oder Berlin. Wir dachten, auf diesem Weg unser Netzwerk erweitern zu können sowie für potenzielle Start-Up-affine Mitarbeiter interessanter zu sein. Nach näherer Beschäftigung mit der Thematik entschieden wir uns jedoch dagegen, da die Bedingungen in Bielefeld sich als besser herausstellten. Neben wesentlich günstigeren Mieten sind wir hier nicht eines von

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vielen Start-Ups und damit für potenzielle Mitarbeiter, die in unserer Region im StartUp-Umfeld arbeiten möchten, sowie regionale Investoren interessant. Zudem möchten wir in der Region mittelfristig die Anlaufstelle für Gründer werden und schätzen es so ein, dass die Mitarbeiter hier zuverlässiger sind und weniger den Arbeitgeber wechseln als in den Start-Up-Hochburgen. In diesem Fall starteten wir direkt mit einem fünfköpfigen Team. Die Personen hatten größtenteils ihr Studium gerade abgeschlossen, waren uns vorher schon bekannt, zum Teil waren wir mit ihnen befreundet. Um sie an das Unternehmen zu binden, durch Teilhabe am Erfolg des Unternehmens zu motivieren und zudem anfangs geringere Gehälter bezahlen zu müssen, beteiligten wir sie per Employee Stock Ownership Plan mit virtuellen Anteilen am Unternehmen. Kurz nach der Gründung des Unternehmens gingen wir mit der Webseite online. Da es sich bei unserem Thema im Endeffekt um den Aufbau eines Marktplatzes handelt, standen wir vor dem bekannten Henne-Ei-Problem: Für IT-Talente waren wir ohne Partnerunternehmen nicht interessant, für potenzielle Partnerunternehmen waren wir ohne IT-Talente nicht interessant. Den ersten Teil lösten wir, indem wir uns von diesem Netzwerkeffekt abkoppelten und für die User-Seite eine virale Marketing-Aktion durchführten und dadurch eine gewisse Reichweite generierten. Als sehr zäh erwies sich jedoch insbesondere am Anfang der Vertrieb unseres Produktes, einer Partnerschaft für unser Netzwerk. Die Kombination aus oben genanntem Henne-Ei-Problem und der generellen Schwierigkeit für Start-Ups, mit Produkt und Pricing „direkt den Markt zu treffen“, führte dazu, dass es erheblich länger dauerte, Vertriebserfolge zu erzielen und dies einiger Pivots bedurfte. Diese schnellen Veränderungen im Geschäftsmodell sind nicht jedermanns Sache, für ein Start-Up aber notwendig, wie der Siegeszug der Lean-Start-Up-Methodik in den letzten Jahren zeigt. Als weitere Herausforderung stellte sich bereits in einem so kleinen Team wie unserem die Kommunikation zwischen Entwicklern und Nicht-Technikern heraus. Beide Seiten mussten hier dazulernen und sich gemeinsame Tools schaffen, um effizienter in der Zusammenarbeit zu werden. Heute, etwa ein Jahr nach Gründung, sind längst noch nicht alle Herausforderungen gemeistert und es ist auch noch nicht klar, welche Rolle das Unternehmen am Markt langfristig spielen wird. Die Dinge entwickeln sich in den letzten Monat allerdings positiv, sodass wir frohen Mutes sind, zukünftig viele mittelständische Unternehmen und IT-Talente zusammenzuführen. Folgende Aspekte können für andere Neugründungen festgehalten werden: – Jedes Unternehmen muss sich individuell mit der Suche nach dem Standort beschäftigen. Die großen Gründerhochburgen haben natürlich ihre Vorteile, aber auch verschiedene Nachteile. Wichtig ist, dass die Gründer und ihr Team sich an dem gewählten Standort auf ihre Arbeit konzentrieren können.

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Es ist für uns noch zu früh, zu beurteilen, inwieweit die (virtuelle) Beteiligung der Mitarbeiter am Unternehmen ihren Zweck erfüllt. Es ist jedoch für jeden Gründer sinnvoll, sich mit dieser Möglichkeit zu beschäftigen. Ebenso wie es in Start-Up-Kreisen diskutiert wird, ob Freunde zusammen gründen sollten, wird auch diskutiert, ob man Freunde einstellen sollte, da das nahe Verhältnis Vor- und Nachteile hat. Vielleicht ist der Satz „Man sollte Freunde nur einstellen, wenn man sie auch wieder entlassen würde“ nicht ganz falsch. Marktplätze – zumal solche, bei denen man die Marktteilnehmer auf der Webseite sieht – mit ihren notwendigen Netzwerk-Effekten sind ein im Erfolgsfall sehr lohnendes, aber auch sehr herausforderndes Geschäftsmodell. Es ist aufgrund des genannten Henne-Ei-Effektes sehr schwierig, sie aufzubauen, gleichzeitig schaffen sie ab einem gewissen Punkt starke Wachstumsmöglichkeiten sowie Hürden für potenzielle neue Marktteilnehmer. Die Notwendigkeit, schnell Anpassungen am Geschäftsmodell vorzunehmen, sind bei Start-Ups eher die Regel als die Ausnahme, da kaum Erfahrungen in dieser speziellen Marktsituation existieren. Dementsprechend ist es zum einen wichtig, dass die Gründer aber auch ihr Team gut mit ihnen umgehen können und Veränderungen der Vorgehensweise als Chance sehen. Zum anderen ist eine passende Finanzierung notwendig und Start-Ups sollten größere Ausgaben für beispielsweise Marketing erst tätigen, wenn bewiesen ist, dass das Geschäftsmodell funktioniert. Eine Beschäftigung mit dem Lean-Start-Up-Ansatz ist dringend zu empfehlen. Wie in jedem Unternehmen muss in Start-Ups unbedingt sichergestellt sein, dass das Management-Team, falls es keinen technischen Hintergrund hat, gut und zielgerichtet mit der IT kommunizieren kann. Ist dies nicht der Fall, werden die Prozesse schnell ineffizient.

5 Unverhofft kommt oft – Von Gesundheitshelden und weiteren Start-Ups Je mehr sich herausstellte, dass wir uns mit dem Deutschen Zahnarzt Service eine sehr gute Position im Markt erarbeitet haben, desto häufiger stellte sich die Frage, inwieweit wir unseren Service auf andere Bereiche der Gesundheitsbranche übertragen können. Eigentlich wollten wir uns damit erst nach der Etablierung von ITTalents beschäftigen, allerdings bot sich dann bereits vorher eine Gelegenheit, eine sehr talentierte Absolventin für dieses Vorhaben zu gewinnen, die zunächst vier Monate lang eine Art Trainee-Programm in unseren Start-Ups absolvierte und anschließend mit unserer Unterstützung die GGP Gesellschaft für Gesundheit und Personal mbH gründete, um unsere Modelle auf die gesamte Gesundheitsbranche

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auszuweiten. Dazu betreibt sie unter anderem das Portal gesundheitshelden.eu. Für ein Zwischenfazit und Lessons learned ist es an dieser Stelle noch zu früh. Neben der Eroberung eines neuen Marktes ist die Gründung der GGP Gesellschaft für Gesundheit und Personal mbH auch als erster Schritt in Richtung unseres eingangs genannten Ziels, dem Aufbau eines Start-Up-Inkubators, zu verstehen. Da wir selbst erlebt haben, wie schwierig es ist, Gründungsideen umzusetzen, wenn man sich „nebenbei“ noch mit rechtlichen und bürokratischen Themen, der Finanzierung, Räumlichkeiten, Technologie, IT-Infrastruktur und weiteren Themen beschäftigen muss, daher möchten wir mittelfristig talentierten Gründern Unterstützung in Form von Räumlichkeiten, Finanzierung, unternehmerischem Know-how und Administration anbieten, um mit ihnen gemeinsam neue Unternehmen aufzubauen. Im Gegensatz zu einzelnen Dienstleistern für Gründer möchten wir vielleicht nicht alles, aber doch vieles aus einer Hand bieten und gleichzeitig über eine Beteiligung an dem Unternehmen auch das unternehmerische Risiko mittragen. Natürlich bedeutet das für den Gründer, dass er nicht mehr alleiniger Inhaber seines Unternehmens ist, aber dafür kann er sich auf sein Produkt und einen Markt konzentrieren und hat erheblich größere Erfolgschancen. Zudem haben sich das Gründen von Unternehmen und die Start-Up-Szene in den letzten Jahren erheblich professionalisiert. Konzerne mischen mit und es sind einige „Start-Up-Fabriken“ entstanden, sodass die Chancen, als Sologründer ein größeres und zukunftsträchtiges Unternehmen aufzubauen, meines Erachtens wesentlich geringer sind als früher.

6 Man braucht nicht eine gute Idee, um ein Unternehmen aufzubauen, sondern tausend Wie die Schilderung und Analyse meiner Erfahrungen gezeigt haben, gibt es vielerlei Dinge zu bedenken, um aus einer guten Idee ein sich tragendes und expandierendes Unternehmen zu erschaffen. Neben den genannten „Hausaufgaben“ in den Bereichen Recht, Finanzen oder Organisation, die mehr oder weniger vorausgesetzt werden müssen, sind die Wahl des Marktes, die Fähigkeit, ein gutes, am Markt erfolgreiches Produkt zu entwickeln, und insbesondere der Aufbau eines Teams, das hierzu in der Lage ist, entscheidende Faktoren, um erfolgreich ein Start-Up zu betreiben. Abschließend lässt sich also sagen, dass es zwar theoretisch leicht ist, ein Unternehmen zu gründen, dass es jedoch nicht einer, sondern tausend guter Ideen bedarf, ein Start-Up so aufzustellen, dass es am Markt bestehen und erfolgreich skalieren kann

Fabian Stichnoth

Kapitel 3: Unternehmensgründung – Chancen und Herausforderungen Stolpersteine für Start-Ups und Jungunternehmer Best Practice

1 Selbstständig oder angestellt, das ist hier die Frage Träume und Visionen können der Anfang einer erfolgreichen Selbstständigkeit sein. Dabei geht es darum, die Vision in einem Geschäftsmodell umzusetzen. Robert F. Kennedy sagte dazu: Manche Menschen sehen Dinge wie sie sind und fragen sich ‚warum‘. Ich träume von Dingen, die es noch nie gab und frage ‚warum nicht‘? (von Boehm 2003, 202).

Kreativität, unternehmerisches Denken und Erfindergeist sind dabei der erste Schritt in die richtige Richtung. Selbstständigkeit hat in den letzten Jahren in der Gesellschaft immer mehr an Bedeutung gewonnen, aber nicht jeder ist für eine Selbstständigkeit geboren. Es ist eine Typfrage und eine Frage des Mutes, ob der Weg als Existenzgründer oder aber als abhängig beschäftigter Arbeitnehmer der Beste für einen ist. Sobald die Bereitschaft, sich auf Unsicherheiten sowie Risiken einzulassen und sowohl fachliche Qualifikationen als auch ein gewisses Maß an unternehmerischem Denken vorhanden sind, sollte eine Selbstständigkeit in Betracht gezogen werden. Es gibt viele Gründe, die für eine Selbstständigkeit sprechen. Sei es das Streben nach Eigenverantwortung und Unabhängigkeit, die Aussicht auf ein möglicherweise höheres Einkommen oder aber die Hoffnung auf einen verbesserten gesellschaftlichen Status (Forsa 2012). Knapp 60 % der Deutschen empfinden das Unternehmertum aus diesen Gründen als ein attraktives berufliches Ziel (Amway 2013, 6). Ein großer Anteil gibt an, die Selbstständigkeit gegenüber einer Anstellung als abhängig

|| Fabian Stichnoth, Dipl. Oek. Geschäftsführender Gesellschafter smart insights GmbH

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beschäftigter Arbeitnehmer zu bevorzugen. Jedoch verwirklichen nur etwa 20 % diesen Wunsch auch tatsächlich (Amway 2013, 9). Dies liegt darin begründet, dass die Gründung eines eigenen Unternehmens auch mindestens ebenso viele Herausforderungen wie Chancen mit sich bringt. Dabei ist die größte Herausforderung der Markt selbst, genauer genommen die Konsumenten, die es genauestens zu analysieren gilt. Ohne ausreichende Nachfrage ist auch die beste Idee zum Scheitern verurteilt. Ein Existenzgründer sollte deswegen immer im Hinterkopf behalten, dass es mit dem Finden einer Geschäftsidee allein noch nicht getan ist. Es gilt, das (Markt-)Potenzial der Geschäftsidee zu sehen und zwar vor anderen möglichen Wettbewerbern. Daher sollte nicht zu lange mit dem Markteintritt gezögert werden. Nach LinkedIn Gründer Reid Hoffman gilt dabei folgender Grundsatz: If you’re not ashamed by the first version of your product, you have launched too late. (Hoffman zit. in: Gairifo Santos 2012, 238)

Nach seiner Ansicht sollten auch Produkte und Dienstleistungen, die gegebenenfalls noch nicht die volle Marktreife erreicht haben, dennoch frühzeitig in den Markt eingeführt werden. Durch die Reaktion des Marktes und das Feedback der Kunden lassen sich so wertvolle Hinweise für die Weiterentwicklung des Produktes oder der Dienstleistung gewinnen. Ziel dieses Beitrags ist es, sowohl die Chancen als auch die Herausforderungen sowie mögliche Stolpersteine zu betrachten und damit für Gründungsinteressierte als Entscheidungshilfe zu fungieren.

2 Warum der Weg in die Selbstständigkeit gewählt wird Häufig sind die Gründe für eine Selbstständigkeit identisch zu den möglichen Chancen. Gemäß des Amway Global Entrepreneurship Report 2013 (Amway 2013, 13), für den weltweit mehr als 26.000 Frauen und Männer zwischen 14 und 99 Jahren befragt wurden, wird der Wunsch nach Unabhängigkeit von einem Arbeitgeber und damit das Ziel, sein eigener Chef zu sein von knapp 50 % der Befragten in der Altersgruppe der 14 bis 29 Jährigen (Amway 2013, 13) angegeben und belegt damit Rang eins der Gründe für die Selbstständigkeit. Die Ränge zwei und drei belegen dabei das Streben nach Selbstverwirklichung und die damit verbundenen besseren Möglichkeiten, seine eigenen Ideen umzusetzen (45 %) sowie zusätzliche Verdienstmöglichkeiten (30 %). Häufig genannte Gründe für die Selbstständigkeit stellt Abbildung 3.1 dar.

Kapitel 3: Unternehmensgründung – Chancen und Herausforderungen | 37

Was reizt mich an der Selbstständigkeit? Große Freude an der Arbeit Hobby zum Beruf machen Bessere und zusätzliche Verdienstmöglichkeiten Eigenverantwortlichkeit; Unabhängigkeit vom Arbeitgeber; eigener Chef sein Bessere Vereinbarkeit von Familie, Freizeit und Beruf Selbstverwirklichung Höheres Ansehen in der Öffentlichkeit Übernahme des Familienunternehmens

Abb. 3.1: Gründe für den Weg in die Selbstständigkeit. Quelle: Eigene Darstellung.

Tatsächlich sieht es bei denjenigen, die sich – nach mehr oder weniger reiflicher Überlegung – selbstständig machen, häufig anders aus: Das Ideal der angestrebten Selbstverwirklichung wird nur in wenigen Fällen tatsächlich erreicht. Dabei sind es die üblichen Gesetze des Marktes, die ein Gründer zu befolgen hat und die nicht selten im Widerspruch mit dem Wunsch nach Selbstverwirklichung stehen. Die Selbstständigkeit ist demnach die Möglichkeit, das zu verwirklichen, was man immer schon tun wollte. Allerdings gilt natürlich auch hier, dass mit einer Unternehmensgründung Tätigkeiten einhergehen, die gemeinhin eher ungeliebt sind. Dazu zählen sehr häufig Bereiche wie Buchhaltung, Mahnwesen und die zahlreichen Behördengänge inklusive langer Wartezeiten. Glücklich kann sich hier schätzen, wer sein Gründerteam mit jemandem komplettiert hat, dem derartige Aufgaben leichter von der Hand gehen. Eigenverantwortlich arbeiten kann ein Gründer vom ersten Tag seiner Existenzgründung an. Frei und unabhängig ist diese Arbeit jedoch nur in wenigen Fällen. Zahlreiche Gründer und Jungunternehmer berichten dazu, dass sich bei ihnen das freie und unabhängige Arbeiten erst nach Jahren der Geschäftstätigkeit eingestellt hat. In den Anfangsjahren haben Gründer – insbesondere in der Dienstleistungsbranche – häufig dem Diktat des Marktes und der Macht seiner Kunden zu folgen. In Gründerkreisen wird häufig auch von Gründen wie „das Hobby zum Beruf zu machen“ oder „zeitlich flexibel arbeiten und damit mehr Zeit für die Familie haben“ gesprochen. Bei genauerer Betrachtung fällt allerdings auf, dass es doch nur relativ wenige Hobbies sind, die sich tatsächlich für eine Existenzgründung eignen. Zeitlich flexibel ist ein Existenzgründer ohne Zweifel, allerdings nur bis zu dem Zeitpunkt, an dem Aufträge eingehen und Kunden enge Lieferfristen setzen, die es einzuhalten gilt. Damit wird deutlich, dass die Zeit für die Familie in Zeiten der Flaute in den Auf-

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tragsbüchern durchaus mehr werden kann. In den wünschenswerten Zeiten der vollen Auftragsbücher hingegen, ist die Zeit für die Familie eher knapper bemessen. Große Freude an der Arbeit haben Gründer besonders in der Startphase und in Phasen, in denen das Geschäft „brummt“. In diesen Zeiten gilt es, jeden Erfolg zu genießen, denn auf den Erfolg werden erfahrungsgemäß auch Misserfolge und Rückschläge folgen. Gründer berichten vielfach, dass sie insbesondere in der Anfangsphase ihres unternehmerischen Tuns problemlos und sogar mit Begeisterung Doppelschichten einlegen und sich ihre Arbeitstage oftmals bis in die Nacht ausdehnen. Dies liegt darin begründet, dass sie zumindest wissen, wofür sie es tun. Für die Verwirklichung ihrer eigenen Idee, ihrer Vision und ihres Geschäftsmodells. Sie machen dies, weil es sie selbst sind, die irgendwann die Lorbeeren ernten und nicht jemand anderes, dem sie zuarbeiten und der sich am Ende möglicherweise mit fremden Federn schmückt. Auch bessere oder zusätzliche Verdienstmöglichkeiten werden von immerhin einem knappen Drittel der Gründer als Grund für die Selbstständigkeit genannt. Dies kann richtig sein und gilt (von möglichen Anfangsinvestitionen oder laufenden Investitionen in Forschung und Entwicklung abgesehen) zumindest solange, wie der Wettbewerb nicht beginnt, durch Dumping-Preise den ein oder anderen Auftrag vor der Nase wegzuschnappen. Richtig ist hingegen, dass die Verdienstmöglichkeiten deutlich stärker an die eigene Leistung gekoppelt sind, als dies in der Regel in abhängigen Beschäftigungsverhältnissen der Fall ist. Ein gewisser Anteil an Gründern wagt diesen Schritt nur mehr oder weniger freiwillig, da ein bestehendes Familienunternehmen weitergeführt werden muss. Dabei wird jedoch oftmals Tradition sowie Können nicht ausreichend vom Kunden honoriert und ein möglicherweise eingeschlagener (umfangreicher) Strategiewechsel durch den Jungunternehmer vom Kunden abgelehnt. Strategiewechsel sind jedoch häufig notwendig, da die Unternehmensstrategie der Eltern oder Großeltern oftmals nicht mehr als zeitgemäß erachtet wird. Dennoch hat der Jungunternehmer seine Versuche, das Familienunternehmen fit für die Neuzeit zu machen, zu revidieren. Ein Gründer oder Jungunternehmer kann ein höheres Ansehen in der Öffentlichkeit sowie bei Freunden, Bekannten und Verwandten erreichen. Dies ist jedoch an die zwingende Voraussetzung des unternehmerischen Erfolges geknüpft. Diesen Erfolg muss sich ein Gründer zunächst einmal mit großem Zeitaufwand und persönlichem Einsatz erarbeiten. Gelingt es ihm darüber hinaus Arbeitsplätze zu schaffen oder zu erhalten, dann ist ihm die Wertschätzung des Umfeldes nahezu sicher. Dieses Kapitel mag nun sehr nach einem Votum gegen die Selbstständigkeit klingen, ist es jedoch keinesfalls. Dies ist es gewiss nicht. Ziel dieses Abschnittes ist es, deutlich zu machen, dass die Gründe und Chancen einer Unternehmensgründung auf den ersten Blick zwar logisch und ehrenhaft erscheinen, sie sich aber in der Realität nur in wenigen Unternehmensgründungen in der Form wiederfinden.

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Schreckt die realistische Beurteilung und Kommentierung der Chancen, die hier und da vielleicht etwas überspitzt dargestellt sind, nicht ab, so ist auf den ersten Blick eine ausreichend hohe Leidensfähigkeit für die Selbstständigkeit zu attestieren.

3 Was den „Unternehmertyp“ auszeichnet Die berufliche Selbstständigkeit ist nicht für jeden das Richtige. Das zeigen schon die Ausführungen aus Abschnitt 2 dieses Beitrags. Nicht jeder ist zum Gründer geboren, dennoch ist in zahlreichen Publikationen immer wieder vom „Unternehmertyp“ die Rede. Der Unternehmertyp zeichnet sich durch eine Reihe von Eigenschaften aus, die er mitbringen oder im Laufe der Zeit erwerben sollte und die den Erfolg oder Misserfolg der unternehmerischen Tätigkeit beeinflussen können. Aus der Erfahrung heraus sind dies unter anderem: – Ein hohes Maß an Motivation sowie Durchhaltevermögen: Wirtschaftlicher Erfolg wird sich üblicherweise nicht von heute auf morgen einstellen. Insbesondere in der Anfangsphase der unternehmerischen Tätigkeit läuft vieles oft anders als geplant. In diesen Phasen gilt es, sich selbst und das eventuell existierende Gründerteam motivieren zu können und sich nicht von Rückschlägen aus der Bahn werfen zu lassen. Durchhaltvermögen und ein langer Atem sind für Gründer oft der Schlüssel zum Erfolg. – Mut, Risikobereitschaft, Flexibilität und Kreativität: Mut zu einem mehr oder weniger kalkulierbaren Risiko ist für Existenzgründer unabdingbar. Unternehmertum ist eng mit der Bereitschaft verknüpft, gewisse Risiken einzugehen. Es gibt nur wenige Unternehmensgründungen, die sich nicht großer Unsicherheit gegenübersehen und sich schnell auf neue Rahmenbedingungen einstellen müssen. Sei es eine neue Technologie, die die eigene Geschäftsidee unnötig zu machen droht oder „nur“ ein weiterer Wettbewerber, der auf der Bildfläche erscheint. Mit Flexibilität und Kreativität müssen neue Wege eingeschlagen werden, um seine Unique Selling Proposition (USP) zu sichern. – Emotionale Stabilität und Selbstvertrauen: Existenzgründer brauchen eine gehörige Portion Selbstvertrauen. Selbstvertrauen hilft, die kleinen und großen negativen Erlebnisse oder Rückschläge, mit denen man im Laufe der Selbstständigkeit fast zwangsläufig konfrontiert wird, besser zu verarbeiten. Glücklich schätzen kann sich, wem Selbstvertrauen in die Wiege gelegt wurde. Sollte dies nicht der Fall sein, lässt sich Selbstvertrauen glücklicherweise auch antrainieren. Dabei ist es entscheidend, dass der Gründer nicht nur selbst an seine Fähigkeiten glaubt, sondern es ihm darüber hinaus gelingt, auch andere davon zu überzeugen. Leichter von der Hand geht dies in der Regel, wenn man seinen Beruf wirklich beherrscht. Nichts gibt größeres Selbstvertrauen als das Wissen um die eigene Kompetenz und die Wertschätzung Dritter. Dabei ist allerdings zu

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beachten, dass hohes Selbstvertrauen nicht zu einer maßlosen Selbstüberschätzung führt. Entscheidungsfreudigkeit, Zielorientierung und Durchsetzungsvermögen: Nach Aufnahme der Selbstständigkeit sagt einem niemand mehr, wo es langgeht. Es ist der Gründer selbst, der Entscheidungen treffen und die Fähigkeit besitzen muss, sich Ziele zu setzen, diese zu verfolgen und gegen etwaige Widerstände durchzusetzen. Kontaktfreudigkeit: Für Gründer ist es wichtig, auf andere Menschen zugehen zu können. Sei es die Ansprache von Kunden im Rahmen von vertrieblichen Aktivitäten oder der Aufbau eines Netzwerkes. Eine umfangreiche Vernetzung ist für jeden Unternehmer von immenser Bedeutung. Daher sollte es für Gründer und Jungunternehmer selbstverständlich sein, sich beispielsweise auf Fachmessen oder Netzwerkabenden wohlzufühlen. Lernfähigkeit: Nicht nur während des Gründungsprozesses, sondern auch während der gesamten Zeit des Unternehmertums passieren Fehler. Entscheidend ist, dass Gründer sich mit diesen Fehlern beschäftigen, sie intensiv analysieren und nicht ein zweites Mal begehen. Gründer sollten sich nicht auf ihrem Erfahrungsschatz ausruhen, sondern sich einem dauerhaften Lernprozess unterziehen. Dies gilt nicht nur für eigene Fehler, sondern auch für Fehler, die im Gründernetzwerk diskutiert werden. Fähigkeit zur Mitarbeiterführung und soziale Kompetenz: Vollzieht ein Gründer eine Einzelgründung, so trägt er die Verantwortung nur für sich selbst. Werden erste Mitarbeiter wie Praktikanten, Teil- oder gar Vollzeitkräfte eingestellt oder aber eine Teamgründung vollzogen, so ändern sich automatisch die Aufgaben und so erhöht sich die Verantwortung, die ein Gründer zu übernehmen hat. Von Vorteil ist es dann, wenn der Unternehmer bereits über Führungserfahrung aus vorherigen Angestelltenverhältnissen verfügt. Andernfalls ist der Besuch von Führungsseminaren ratsam, da das Einnehmen der Chef-Position gelernt werden muss.

Verfügt ein potentieller Gründer über die genannten Eigenschaften und bringt zudem die relevanten fachlichen Voraussetzungen sowie idealerweise Branchenkenntnisse mit, so scheint er dem Unternehmertum und den daraus resultierenden Risiken und Herausforderungen zunächst gewachsen (Abbildung 3.2).

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Welche Risiken und/oder Hindernisse sehen Sie bei einer Selbstständigkeit?

(Mehrfachnennung möglich)

In %

Finanzielle Belastung bis hin zur Insolvenz

41 %

Gefahr der Wirtschaftskrise

31 %

Gefahr der Arbeitslosigkeit

15 %

Persönlicher Misserfolg; Verlust des Selbstwertgefühls

14 %

Gezwungen sein, Verantwortung dafür zu übernehmen

13 %

Rechtsfolgen; Rechtsstreitigkeiten

13 %

Meine Familie zu enttäuschen oder zu verlieren

9%

Verlust des guten Rufes bei Freunden, Kollegen, Geschäftspartnern

6%

Keine zweite Chance erhalten

6%

Sonstiges

4%

Abb. 3.2: Risiken und Hinderungsgründe der Selbstständigkeit. Quelle: Amway 2013, 13.

4 Herausforderungen & Stolpersteine für Start-Ups und Jungunternehmer Neben den Risiken und Herausforderungen gibt es in der Praxis verschiedene Stolpersteine, mit denen sich Unternehmensgründer häufig konfrontiert sehen und die im Folgenden näher betrachtet werden.

4.1 Stolperstein Nr.1: „Für die Lösung haben wir kein Problem“ oder „Geschäftsidee ohne Geschäftsmodell“ Vielen Existenzgründern gelingt es nicht, eine Geschäftsidee und ein Geschäftsmodell auseinanderzuhalten. Oftmals wird die Idee fälschlicherweise mit dem Geschäftsmodell gleichgesetzt. Dabei ist die Geschäftsidee die Grundlage einer jeden Gründung. Neue Geschäftsideen sind heute in fast jedem Bereich unseres alltäglichen oder auch nicht alltäglichen Lebens zu finden. Die Herausforderung liegt darin, diese auch als solche zu erkennen und dabei darauf zu achten, dass es auch tatsächlich ein Problem für die Lösung gibt. Eine Geschäftsidee ohne echten Mehrwert für den Kunden ist in den meisten Fällen zum Scheitern verurteilt. Dabei ist es

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nicht einmal zwingend erforderlich, dass die Geschäftsidee von einem hohen Innovationsgrad geprägt ist. Hingegen ist das Geschäftsmodell die Monetarisierung der Geschäftsidee. Es kann schon reichen, ein bereits etabliertes Geschäftsmodell zu erweitern oder zu optimieren. Dies können beispielsweise besondere Serviceleistungen sein oder aber die Verwendung von besonderen Technologien. Der Phantasie sind hier oftmals keine Grenzen gesetzt. Das Entscheidende dabei ist allerdings, die Idee zu einem Geschäftsmodell reifen zu lassen. Dennoch müssen sich Gründer insbesondere mit hochgradig innovativen Geschäftsideen und Geschäftsmodellen häufig den Vorwurf „wo kein Wettbewerb, da kein Markt“ gefallen lassen. Dies wird vielen Gründern insbesondere in frühen Bankgesprächen, in denen das Geschäftsmodell gegebenenfalls noch nicht vollends ausgereift ist, zu Ohren kommen. Hiervon darf sich ein Gründer nicht entmutigen lassen. Irgendwer muss die Pionierarbeit leisten. Sind die Geschäftsidee und das Geschäftsmodell gut, dann stellt sich der Wettbewerb von alleine ein. Hier gilt es also, auch im Bankgespräch nicht zu früh den Kopf in den Sand zu stecken und seine Idee weiter zu verfolgen.

4.2 Stolperstein Nr.2: Fehlende Marktorientierung & Marktkenntnisse Gründer wissen häufig, insbesondere in der Vorgründungsphase sowie der Anfangsphase nur wenig vom Geschehen im relevanten Markt. Dabei werden beispielsweise gerne die Nachfrage für ihr Produkt oder ihre Dienstleistung überschätzt oder aber der Wettbewerb unterschätzt. Daher ist es unabdingbar, sich vor Aufnahme der Geschäftstätigkeit und idealerweise noch deutlich vor Beginn der Forschungs- und Entwicklungsarbeit intensiv mit dem Markt auseinanderzusetzen. Sei es, dass auf der einen Seite eine intensive Wettbewerbsanalyse vorgenommen wird, oder aber auf der anderen Seite umfangreiche Marktforschungsaktivitäten unter Einbeziehung potentieller Kunden durchgeführt werden. Häufig entwickeln sowohl Gründer als auch gestandene Unternehmen vollständig an den Wünschen und Bedürfnissen ihrer Kunden vorbei, weil sie vernachlässigen, sich intensiv mit ihrer Zielgruppe auseinanderzusetzen. Aus diesem Grund scheitern rund 70 % aller neu eingeführten Produkte im Markt der Fast Moving Consumer Goods in Deutschland, weshalb jährlich etwa 10 Milliarden Euro fehlinvestiert werden (GFK 2006). Der Grund hierfür kann unter anderem in der Tatsache gesehen werden, dass viele Gründer denken, sie selbst seien ihr durchschnittlicher Kunde. Marktforschungsergebnisse hingegen zeigen häufig, dass der Kunde ganz andere Wünsche und Bedürfnisse hat. Daraus wird deutlich, dass Kunden selbst die besten Produktentwickler sind, da sie die Produkte tagtäglich verwenden. Durch schlau implementierte

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Feedback-Mechanismen lässt sich häufig enormes Potenzial für Problemlösungen gewinnen. Im Rahmen einer umfangreichen Marktanalyse kann sich aber ebenso herausstellen, dass die Zeit für ein bestimmtes Produkt oder eine Dienstleistung noch nicht gekommen ist. Um den Risiken von nicht vorhandener oder nur geringer Marktkenntnis entgegen zu wirken, werden in verschiedenen Existenzförderprogrammen die Durchführung von Wettbewerbsanalysen und Kundenbefragungen als wichtige Meilensteine definiert. Auch im Rahmen der Erstellung eines Businessplans wird der Markt- und Wettbewerbsanalyse eine große Bedeutung zugesprochen, da eine unzureichende Marktanalyse einer der häufigsten Gründe für das Scheitern von Existenzgründungen ist. Im Rahmen der Marktanalyse gilt es, verschiedene Fragestellungen zu betrachten und nicht nur eine einfache Beurteilung der Wettbewerber und derer Aktivitäten vorzunehmen: 1. Marktgröße: Hierbei geht es um die Frage, wie groß der relevante Markt heute ist. Die Frage nach der Marktgröße stellt den Ausgangspunkt einer jeden Marktanalyse dar. Ein zentraler Aspekt dabei ist die Frage nach dem Umsatz oder der Anzahl der verkauften Einheiten. Idealerweise wird hierbei auf Daten aus dem vorhergehenden Quartal oder dem Vorjahr zurückgegriffen. Ist die aktuelle Marktgröße definiert, so lässt sich im nächsten Schritt das Marktwachstum bestimmen lassen. 2. Marktwachstum: Eine Betrachtung des Marktwachstums ermöglicht es, Trends im Markt aufzudecken. Hierbei ist entscheidend, dass eine Prognose für die nächsten drei bis fünf Jahre erstellt und dabei auch die Dynamik des Marktes berücksichtigt wird. Die fundierte Prognose des Marktwachstums ist für die Absatzplanung und entsprechend auch die Finanzplanung (Stolperstein Nr. 5) sowie für potentielle Kapitalgeber von besonderer Bedeutung. 3. Marktpotenzial: Die Betrachtung des Marktpotenzials behandelt die langfristigen Wachstumspotenziale im jeweils relevanten Zielmarkt. Dabei dreht sich alles um die Frage, wie groß der Markt maximal werden kann und demnach darum, wann der Markt gesättigt ist. Dies ist insbesondere auch für die strategische Unternehmensplanung von Relevanz. Im Anschluss an die Bestimmung von Marktgröße, Marktwachstum und Marktpotenzial sollte eine umfangreiche Wettbewerbsanalyse durchgeführt werden. Entscheidend dabei ist es, die wichtigsten Charakteristika des Marktes und des marktlichen Umfelds (Freiling/Reckenfelderbäumer 2010, 19) zu berücksichtigen.

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Ökonomisches Umfeld

Mögliche neue Mitbewerber/ Wettbewerber?

Lieferant

Unternehmung & Wettbewerber

Verhandlungsmacht

Technologisches Umfeld

Verhandlungsmacht

Markteintrittsbarrieren

Nachfrager

Soziokulturelles Umfeld

Bedrohung durch Substitute

Ersatzprodukte

Politisch-rechtliches Umfeld

Abb. 3.3: Markt und marktliches Umfeld. Quelle: Freiling/Reckenfelderbäumer 2010, 19; Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2012, 46.

Im Rahmen der Analyse des marktlichen Umfelds sind insbesondere die vier in der Abbildung 3.3 beschriebenen Faktoren zu berücksichtigen. – Technologisches Umfeld: Das technologische Umfeld ist grundsätzlich und insbesondere für Start-Ups und Jungunternehmer relativ schwer zu erfassen und vorauszuahnen. Besonders Innovationen in diesem Bereich können den Markt völlig verändern. Als ein Beispiel sein hier die Einführung von eBooks zu nennen, die den gesamten Buchmarkt verändert haben (Freiling/Reckenfelderbäumer 2010, 19). – Ökonomisches Umfeld: Jede Volkswirtschaft unterliegt einem ständigen Wandel. Diese Veränderungen sind weder von etablierten Unternehmen, noch von Start-Ups exakt prognostizierbar. Zwar lassen sich Trends erahnen, jedoch ist mit Blick auf die vergangene Wirtschaftskrise deutlich geworden, dass selbst spezialisierte Wirtschaftsforschungsinstitute mit permanenten und umfangreichen Marktbeobachtungen nicht alle Szenarien vorhersagen können (Freiling/Reckenfelderbäumer 2010, 20) – Sozio-kulturelles Umfeld: Unternehmen müssen ihre Produkte und Dienstleistungen hier und da an unterschiedliche Gesellschaften mit unterschiedlichen

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Lebensgewohnheiten, demographischen Merkmalen sowie Normen etc. anpassen. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie internationale Märkte erschließen wollen. Daher ist es mit Unsicherheit verbunden, wie eine Gesellschaft beispielsweise in den arabischen Staaten auf das Marketing eines Unternehmens aus der westlichen Welt reagiert. Zusätzlich gilt es hier, die Entwicklung der jeweiligen Gesellschaften und gesellschaftlich relevante Ereignisse genauestens zu verfolgen. Nur so können frühzeitig entsprechende Konsequenzen gezogen werden und nicht erst reagiert werden, wenn Maßnahmen auf Widerstand stoßen (Meffert et al. 2010, 46) Politisch-rechtliches Umfeld: Veränderungen in den politisch-rechtlichen Rahmenbedingungen können enorme Auswirklungen auf etablierte Unternehmen und Start-Ups haben. Diese als Start-Up oder Jungunternehmer vollständig zu durchschauen ist schwer. Daher empfiehlt es sich, frühzeitig Informationen über die jeweils relevanten Branchenverbände zu beschaffen um den daraus resultierenden Unsicherheiten mehr und mehr gewachsen zu sein. Zusätzlich hilft es, im Rahmen der Markt- und Wettbewerbsanalyse auf das FiveForces-Modell von Porter zurückzugreifen. Dieses beruht auf der Annahme, dass die nachfolgenden fünf Aspekte die Attraktivität einer Branche determinieren. Marktrivalität unter bestehenden Wettbewerbern: Mit zunehmender Rivalität unter den bereits aktiven Wettbewerbern in der Branche sinkt die Rentabilität und Attraktivität des jeweiligen Marktes. Daher sind die Wettbewerber genauestens unter die Lupe zu nehmen und dabei auch die Themen Aggressivität der Wettbewerber, Liquidität, Expansionsplanungen sowie Preisstrategien zu berücksichtigen. Verhandlungsmacht der Kunden: Insbesondere in Konsumgütermärkten und Commodities können Kunden nahezu beliebig ihre Hersteller und Dienstleister auswählen. Dadurch erhalten sie große Macht, um unter anderem Einfluss auf die Preispolitik auszuüben. Je stärker der Einfluss und die Macht der Kunden, desto unprofitabler erscheint eine Branche. Gelingt es einem Unternehmen, neben einer gewissen Verbundenheit auch eine Gebundenheit seiner Kunden zu erreichen, so sinkt nach und nach auch die Verhandlungsmacht der Kunden. Verhandlungsmacht der Lieferanten: Lieferanten sind insbesondere für produzierende Unternehmen von besonderer Wichtigkeit. Je spezifischer das vom Start-Up oder Jungunternehmen benötigte Rohmaterial ist, desto größer ist üblicherweise die Macht der Lieferanten (beispielsweise Forderung höherer Preise oder Lieferung einer schlechteren Qualität), da die Anzahl möglicher Lieferanten mit zunehmendem Spezifitätsgrad abnimmt. Im Rahmen der Analyse ist es daher zwingend notwendig, auch bereits eine Strategie gegen eine zu hohe Verhandlungsposition seitens der Lieferanten zu erarbeiten. Bedrohung durch Substitute: Gibt es Alternativen zu dem angebotenen Produkt oder der Dienstleistung, die den gleichen Nutzen stiften und gegebenenfalls

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noch dazu für einen geringeren Preis zu haben sind (beispielsweise die Nutzung eines Fernbusses anstatt der Deutschen Bahn oder die Nutzung eines Smartphones anstatt eines mobilen Navigationsgerätes), so sinken damit Rentabilität und Attraktivität des Marktes. Gibt es ein solches Ersatzprodukt bisher im relevanten Markt noch nicht, so sollte dennoch überlegt werden, ob das angebotene Produkt oder die Dienstleistung kurz-, mittel- oder langfristig durch ein neues Angebot abgelöst werden könnte. Markteintrittsbarrieren: Markteintrittsbarrieren begrenzen den Zugang zum jeweiligen Markt und beeinflussen daher die Rivalität zwischen den Wettbewerbern. Sind diese erst einmal überwunden, so schützen diese oftmals vor einer Flut an potenziellen neuen Mitbewerbern. Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass hohe Markteintrittsbarrieren für etablierte Anbieter von Vorteil sind, während sie für Start-Ups oftmals eine große Hürde darstellen. Daher sollten sich Start-Ups bereits in sehr frühen Phasen intensiv mit etwaigen Markteintrittsbarrieren auseinandersetzen und hier frühzeitig bei den jeweils relevanten Branchenverbänden über Möglichkeiten zur Überwindung der Barrieren informieren.

Abschließend sei zu Stolperstein Nr. 2 gesagt, dass der Businessplan inklusive Wettbewerbsanalyse sowie die Ergebnisse einer Kundenbefragung unbedingt vor der Gründung fach- und sachkundigen Personen wie Gründungsberatern von Förderbanken etc. zur Prüfung vorgelegt werden sollte, um so frühzeitig auf eventuelle Fallstricke hingewiesen zu werden.

4.3 Stolperstein Nr.3: Falsche Teamzusammensetzung Die Teamzusammensetzung ist für Start-Ups ein wesentliches Erfolgskriterium. Es wird ein Team benötigt, welches über ein heterogenes Kompetenzprofil verfügt. Sei es technisches Know-how, strategische Weitsicht oder der Überblick und der geschickte Umgang mit Finanzen. Nicht selten fehlt es in Gründerteams an relevanten Kompetenzen. Zudem gibt es kein Patentrezept, wie groß ein Gründerteam sein sollte. Wichtig ist, dass alle relevanten Bereiche abgedeckt sind oder aber auf externe Unterstützung beispielsweise im Aufgabenbereich der Buchführung zurückgegriffen wird. Werden einzelne Tätigkeits- und Aufgabenbereiche vernachlässigt, sind Konflikte im Team und mit den Behörden vorprogrammiert. Zudem kommt es darauf an, dass Zuständigkeiten klar aufgeteilt und definiert werden. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass die Stärken der einzelnen Mitglieder optimal eingesetzt werden. Dadurch lassen sich Kompetenzlücken aufdecken (und durch frühzeitige externe Unterstützung ausgleichen) sowie Kompetenzstreitigkeiten vermeiden. Bei der Bildung eines schlagkräftigen Gründerteams kommt es auf einige Details an, die im Vorfeld der Gründung zwingend berücksichtigt werden sollten.

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2.

3.

Allen voran sollten die Mitglieder des Gründungsteams eine gemeinsame Vision haben und damit an einem Strang ziehen. Sind nicht alle Mitglieder von der Geschäftsidee überzeugt und existieren zahlreiche unterschiedliche Vorstellungen, die es unter einen Hut zu bringen gilt, so kostet dies in der Regel viel Zeit und Kraft und resultiert oft darin, dass das Unternehmerteam oftmals nicht langfristig Bestand haben wird. Es gilt, für verschiedene Eventualitäten klare Vorgaben zu definieren. Hierzu gehören definierende Eigentumsverhältnisse, welche im Gesellschafts-, Gesellschaftervertrag oder ähnlichem festgehalten werden und definieren, wie bestimmte Entscheidungen getroffen werden. Ebenso ist hier zu fixieren, was im Falle von Streitigkeiten und daraus möglicherweise resultierendem Ausstieg eines Partners geschieht. Häufig werden im Rahmen der Gründung Aussagen wie „wir kennen uns schon so lange, das passiert uns nicht“ getroffen, dabei aber vergessen, dass es sich nicht länger um eine rein freundschaftliche sondern nun (zusätzlich) geschäftliche Beziehung handelt, in der Partner oftmals anders auftreten, als es im privaten der Fall ist. Streitigkeiten zwischen Partnern führen nicht selten dazu, dass sie getrennte Wege gehen. Wurde hierfür im Vertragswerk nicht vorgesorgt, so ist der Niedergang der Unternehmung im Fall der Fälle oft nicht mehr aufzuhalten. Ein Team ist nur so gut, wie sein schwächstes Glied. Daher ist es in Teamgründungen entscheidend, dass alle Mitglieder zusammenhalten, zusammenarbeiten und sich in gleichem Maße einbringen. Geschieht dies nicht, so bleibt zu hoffen, dass für alle Eventualitäten (Punkt 2) in ausreichendem Maße vorgesorgt wurde.

Es muss aber natürlich nicht immer eine Teamgründung erfolgen. Zahlreiche Beispiele der vergangenen Jahre zeigen, dass auch Sologründungen von großem Erfolg gekrönt sein können. Eine Teamgründung ist besonders dann sinnvoll, wenn dauerhaft bestimmte Kompetenzen im Unternehmen gebündelt und permanent verfügbar sein sollen.

4.4 Stolperstein Nr.4: Das persönliche Umfeld Eine Unternehmensgründung benötigt Zeit. Dies in doppelter Hinsicht: Auf der einen Seite braucht es häufig Zeit, bis der Break-even-Point erreicht wird, auf der anderen Seite haben Gründer aufgrund der zahlreichen Aufgaben lange Arbeitstage, -wochen und -monate vor sich. Zwar haben Gründer in gewissem Maße eine Flexibilität in ihren Arbeitszeiten, dennoch artet eine Arbeitswoche durchaus – insbesondere in der Startphase – gut und gerne zu einer 60–80-Stundenwoche aus. Hieraus entsteht oftmals ein zwickmühlenartiges Spannungsfeld, in dem ein Lebensbereich

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zu scheitern droht. Dabei geht es darum, das Privatleben und die Arbeit in ein für alle Beteiligten akzeptables Verhältnis zu bringen. Demnach ist es insbesondere in der frühen Gründungsphase von besonderer Bedeutung, dass das persönliche Umfeld dies toleriert und den Gründer darüber hinaus in allen Lebenslagen unterstützt. Daher ist es von großer Bedeutung, das Umfeld schon frühzeitig über die Planung einer Selbstständigkeit zu informieren und zu integrieren. Gründer und Jungunternehmer werden den finanziellen und emotionalen Beistand dringend benötigen. Zusätzlich kann es auch ratsam sein, sich frühzeitig von erfahrenen Gründern oder professionellen Gründercoaches zu den Themen Zeitmanagement und Work-Life-Balance beraten zu lassen, um sich von Beginn an mit seiner neuen Rolle als Jungunternehmer vertraut zu machen.

4.5 Stolperstein Nr.5: Unrealistische Finanzplanung Sich hohe Ziele zu setzen, schadet in der Regel nicht. Häufig ist es sogar ratsam, ein bisschen zu träumen. Dies gilt für fast alles, was mit der Gründung zu tun hat. Mit Ausnahme der Finanzplanung. Im Rahmen einer jeden Unternehmensgründung ist es ratsam, einen detaillierten Businessplan zu erstellen. Dies gilt nicht nur für diejenigen, die eine der zahlreichen am Markt angebotenen Gründungsförderungen oder aber die Finanzierung beispielsweise über ein Finanzinstitut in Anspruch nehmen wollen. Der Businessplan hilft, die Geschäftsidee und das Geschäftsmodell kritisch und von allen Seiten zu hinterfragen und dabei einen umfangreichen Blick auf die Finanzplanung zu lenken. Häufig finden sich Businesspläne, die in keiner Weise der Realität gerecht werden. Oft wird dabei der Finanzbedarf deutlich unterschätzt. Dies insbesondere bei Gründungen, bei denen in Forschung und Entwicklung investiert werden muss. Auch werden weitere tatsächlich anfallende Kosten wie die Aufwendungen für das Marketing gerne maßlos unterschätzt. Es zahlt sich aus, frühzeitig alle Eventualitäten wie verspätete Zahlungseingänge oder unvorhersehbare Aufwendungen zu berücksichtigen und sowohl ein Best-Case-Szenario, wie auch ein Worst-Case-Szenario zu berechnen. Bei der Erstellung der Finanzplanung ist es ratsam, sich in seinem Gründernetzwerk oder bei professionellen Gründercoaches Rat zu holen, um in der Finanzplanung auch wirklich alle relevanten Positionen zu berücksichtigen.

4.6 Stolperstein Nr.6: Bei Fehlern den Kopf in den Sand stecken Niemand mag sie, aber dennoch gehören Sie dazu – Fehler. Es gibt wohl kaum einen Gründer, der keine Fehler macht. Das Entscheidende ist, dass sich gewisse Lerneffekte einstellen, aus den Fehlern gelernt und nicht erneut dieselben Fehler begangen werden. „Lernen“ ist dabei das entscheidende Stichwort. Es ist ratsam,

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sich intensiv auch mit den Aktivitäten des Wettbewerbs auseinanderzusetzen. Auch Wettbewerber begehen, wie ein jeder, Fehler. Startet ein Wettbewerber beispielsweise eine Marketingkampagne, die keinen Erfolg bringt, so können daraus häufig Rückschlüsse für das eigene Unternehmen gezogen werden. Auch der gezielte Einsatz der Trial-and-Error-Methode kann hier und da wertvolle Erkenntnisse liefern. Selbst wenn ein Start-Up einmal vollständig scheitert, so ist dies kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken, auch wenn dies in erster Instanz mehr als nachvollziehbar ist. Jährlich wagen in Deutschland zahlreiche Selbstständige, die bereits einmal mit ihrer Geschäftsidee/ihrem Geschäftsmodell gescheitert sind, einen Neustart. Auf den ersten Blick haben es Gründer im zweiten Anlauf zunächst einmal schwerer, da sie beispielsweise über weniger Startkapital verfügen, Banken ihnen noch schwerer Mittel zur Verfügung stellen und sie gegebenenfalls auch noch mit der Abwicklung des alten Unternehmens beschäftigt sind. Dennoch zeigt sich, dass Gründer im zweiten Anlauf häufig deutlich erfolgreicher sind. Als ein Beispiel sei an dieser Stelle Lars Hinrichs, der Gründer der „Open Business Club GmbH“ (heute XING AG) genannt, dessen 1999 gegründete „Böttcher-Hinrichs-AG“, eine PR-und Kommunikationsagentur, im Jahr 2001 Insolvenz anmeldete.

4.7 Stolperstein Nr.7: Die Mühlen der Bürokratie mahlen langsam Langsam mahlende Mühlen der Bürokratie sind als ein nicht zu unterschätzender Stolperstein anzusehen, die auf der einen Seite Zeit, aber auch Nerven kosten. Kommt das Start-Up erfreulicherweise in den Genuss einer oder mehrerer Förderungen, so bedeutet dies auf der einen Seite sicherlich eine große Unterstützung. Auf der anderen Seite gehen damit häufig lange Genehmigungsverfahren oder aber regelmäßiges Einreichen von Unterlagen, Anträgen oder anderen Schriftstücken einher. Die Zeit, die für die Erstellung, Abstimmung und Einreichung notwendig ist, wird in der Planung häufig unterschätzt. Dazu kommt, dass zahlreiche Förderungen anteilig übernommen werden. Dabei gilt es zu beachten, dass das Start-Up oftmals in Vorleistung gehen muss und Auszahlungen der in Zuwendungsbescheiden bewilligten Beträge erst Monate später ausgezahlt werden. Dies ist in der Finanzplanung zwingend zu berücksichtigen.

4.8 Stolperstein Nr.8: Delegieren Viele Gründer neigen dazu, alles selbst machen zu wollen. Nicht selten ist insbesondere in der Anfangsphase festzustellen, dass Gründer die volle Kontrolle über Idee, Umsetzung und das operative Tagesgeschäft behalten wollen. Daraus resultiert die Gefahr, dass es aufgrund der Vielzahl an Aufgaben zu Überforderung kommt und dadurch Stillstand oder gar Rückschritte drohen. Daher ist es entschei-

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dend, dass Gründer frühzeitig durch die Einstellung neuer Mitarbeiter oder den Aufbau eines Stammes an Freelancern vorsorgen, um insbesondere in Zeiten guter Auftragslage den Aufgaben gewachsen zu sein. Neben den hier aufgeführten Stolpersteinen gibt es sicherlich noch zahlreiche weitere Herausforderungen, an denen Start-Ups und Jungunternehmen scheitern können. Zu nennen seien hier exemplarisch Themen wie die Wahl der richtigen jeweils geeignetsten Rechtsform oder die Aufbringung des für die Gründung notwendigen Kapitals. Die Berücksichtigung dieser Stolpersteine im Zuge dieses Beitrages würde allerdings den Rahmen deutlich sprengen. Daher sei an dieser Stelle auf die einschlägige Fachliteratur sowie die weiteren Beiträge in diesem Sammelband verwiesen. Zudem ist es ratsam, sich insbesondere zu dem Punkt der Rechtsformwahl beispielsweise bei einem Steuerberater des Vertrauens zu informieren.

5 Fazit Entgegen vieler Vorstellungen wird das Ideal der angestrebten Selbstverwirklichung durch eine Unternehmensgründung nur in ganz wenigen Fällen erreicht. Frei und unabhängig ist gerade in den Anfangsjahren einer Unternehmung ein „Fremdwort“, wobei der Gründer den Bestimmungen des Marktes beziehungsweise der Macht seiner Kunden folgen muss. Trotz der benannten Schwierigkeiten sind im Jahr 2013 circa 870.000 Unternehmensgründungen (77 % als Einzelgründung) erfolgt, was eine Steigerung in Höhe von 12 % gegenüber 2012 bedeutet (Metzger 2014, 3). Dennoch haben nur circa 40 % aller Unternehmensgründungen langfristig Erfolg. Durch die Berücksichtigung der beschriebenen acht Stolpersteine kann es gelingen, nicht zu den 60 % zu gehören, die mit ihrer Unternehmung scheitern (Mohr et al. 2012, 53). Generell gilt, dass jeder Gründer charakterstarke Eigenschaften wie beispielsweise Nervenstärke, Ehrgeiz, Flexibilität und Offenheit mitbringen sollte, um erfolgreich zu sein. Dies ist jedoch nicht alleine entscheidend für den Erfolg. Schon vor der Gründung sollten sich Gründer intensiv mit den Stolpersteinen auseinandersetzen, damit diese von vornherein vermieden oder umgangen werden können. Darüber hinaus lässt sich sagen, dass die Kunst des Gründer- und Unternehmertums nicht nur darin liegt Erfolge zu feiern, sondern auch Krisen zu überstehen. Ein essentielles Hilfsmittel, welches nicht nur genutzt wird, um aus schlechten Zeiten herauszukommen oder gar nicht erst in diese zu gelangen, ist Kundenfeedback. Ehrliches Kundenfeedback, welches kontinuierlich in die Weiterentwicklung der angebotenen Produkte und Dienstleistungen einfließt, ist vielfach ein Schlüssel zum Erfolg.

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Allgemein muss jedoch bedacht werden, dass es kein Geheimrezept für ein langfristiges Bestehen einer Unternehmung gibt. Alle Zutaten müssen harmonisieren, um ein überzeugendes und leistungsstarkes Ergebnis zu erzielen.

Literaturangaben Amway (2013): Amway Global Entrepreneurship Report 2013 – Encouraging Entrepreneurs – Eliminating the Fear of Failure, Puchheim: Amway Verlag. Forsa (2012): Flexibilitätsstudie: Deutschland muss flexibel sein. Und will es auch!, Forsa-Umfrage im Auftrag von CosmosDirekt, Saarbrücken. Freiling, J./Reckenfelderbäumer, M. (2010): Markt und Unternehmung, 3. Aufl., Wiesbaden: Gabler. Gairifo Santos, P. (2012): European Founders at Work, New York: Apress. GfK (2006): 70 Prozent Innovationsflops – Das vermeidbare Fehlinvestment von 10 Milliarden Euro im Jahr, Pressemitteilung von Markenverband, GfK und Serviceplan zu einer umfassenden Studie über die Ursachen von Produktflops bei Fast Moving Consumer Goods vom 20.04.2006. Meffert, H./Burmann, C./Kirchgeorg, M. (2012): Marketing, 11. Aufl., Wiesbaden: Gabler. Metzger, G. (2014): KfW-Gründungsmonitor 2014, in: KfW Bankengruppe (Hrsg.), Frankfurt am Main. Mohr, B./Metzger, G./Ullrich, K./Fryges, H./Gottschalk, S./Murmann, M. (2012): Start mit Strategie – Beschäftigungsfluktuation und Finanzierungsverhalten junger Unternehmen, in: Verband der Vereine Creditform e.V., KfW Bankengruppe, Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH (ZEW) (Hrsg.), Mannheim. Porter, M. E. (2008): The five competitive forces that shape strategy, in: Harvard Business Review 2008 (1), 25–40. von Boehm, G. (2003): Mythos Kennedy, München: Collection Rolf Heyne.

Patrick Haag

Kapitel 4: Auswirkungen und Effekte von Netzwerken Strategische Aspekte für neu gegründete Unternehmen und KMU

1 Einleitung Neben kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) die aufgrund ihrer hohen Zahl in Deutschland (IfM Bonn 2012, 1) und in Europa (Verheyden/Goeman 2013, 3) den größten Teil der Unternehmen ausmachen, zeigt sich die Relevanz dieses Themas insbesondere für junge und neu gegründete Unternehmen. So sind in der Bundesrepublik im Jahr 2013 rund 338.000 Existenzgründungen verzeichnet (IfM Bonn 2014, 1). Zudem stufen knapp die Hälfte der 18 bis 64-Jährigen Deutschen eine Unternehmensgründung als attraktive berufliche Perspektive ein (Amorös/Bosman 2014, 27). Bewusst erfolgt in diesem Beitrag die gemeinsame und übergreifende Betrachtung von KMU sowie neu gegründeten Unternehmen, da Neugründungen in diesem Zusammenhang als ein Teil von KMU verstanden werden. Diese Sichtweise entsteht vor allem aus dem praktischen Umfeld, in welchem – abgesehen von Einzelfällen wie zum Beispiel Unternehmensübernahmen oder -nachfolgen – auch neu gegründete Unternehmen zu einem großen Teil zu einem KMU führen. Solche Unternehmen, also neue gegründete und/oder KMU, gleichen sich unter anderem oft in deren strategischer Zielsetzung. So versuchen Sie mit ihrem Produkt- und Leistungsportfolio entweder einen neuen Markt zu erschließen, auf bestehenden Märkten Erfolg zu haben oder mit neuen Produkten bestehende oder neue Märkte zu bespielen. Ebenso ist eine Kombination – also die Erschließung neuer Märkte mit neuen Produkten – denkbar. So liegt dieser Arbeit die Betrachtung von solchen Neugründungen und KMU zugrunde, welche als längerfristige Unternehmensstrategie die Markt-Erschließung, ProduktEntwicklung oder Diversifikation definieren (siehe Abbildung 4.1). Obgleich die Ansoff Matrix ihre Anwendung hauptsächlich im Kontext großer Unternehmen findet, spiegelt sie in diesem Zusammenhang doch gut den Betrachtungsgegenstand der Zielsetzung von KMU und Start-Ups wieder. Neben der Zielsetzung der betrachteten Unternehmen erfolgt eine Abgrenzung aus Unternehmensperspektive vor allem über deren Größe sowie deren Zeit am

|| Patrick Haag, M. Sc. Geschäftsführender Inhaber HAAG INTERNATIONAL EVENTS

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Markt. Unabhängig davon, ob Unternehmen definitorisch den kleinst-, kleinen und mittleren Unternehmen oder den Start-Ups zuzuordnen sind, stehen insbesondere jene Unternehmen im Fokus dieses Beitrags, die bedingt durch begrenzte Ressourcen und begrenztes Know-how besonderen Herausforderungen in ihrer strategischen Unternehmensführung ausgesetzt sind. Ein Mittel, gerade diesen Herausforderungen entgegenzutreten, kann das Zusammenwirken verschiedener Unternehmen in Netzwerken sein. Da gerade kleinere und neu gegründete Unternehmen hieraus Ressourcen, Erfahrung und Know-how schöpfen können, jedoch auch Input bringen müssen um Teil des Netzwerks zu werden, kommt der Bewertung der jeweiligen Vor- und Nachteilen solcher Netzwerke ein exponierte Rolle zu. Vor allem mit den in der Ansoff Matrix aufgezeigten Zielsetzungen der Erschließung neuer Märkte und der Optimierung und Anpassung von Produkten und Leistungen (siehe Abbildung 4.1) in Verbindung mit den Eigenschaften neu gegründeter und kleinerer Unternehmen muss die Überlegung, ob und in welchem Maße Netzwerke in der Praxis Anwendung finden, in die strategische Unternehmensführung mit einbezogen werden. Bestehende Produkte

Neue Produkte

Bestehende Märkte

Marktdurchdringung

Produkt-Entwicklung

Neue Märkte

Markt-Erschließung

Diversifikation

Abb. 4.1: Ansoff-Matrix. Quelle: In Anlehnung an Ansoff 1965, 98.

Der vorliegende Beitrag verfolgt dementsprechend zwei ineinander greifende Ziele. So wird durch Literaturarbeit der wissenschaftliche Stand der Forschung ermittelt und beleuchtet, welche Erkenntnisse im wissenschaftlichen Diskurs vorliegen. Auf diesen aufbauend werden entsprechende Vor- und Nachteile hervorgehoben um auf diesen Aufbauend Implikationen für die Praxis abgeleitet, welche in KMU und neu gegründeten Unternehmen Anwendung finden können und sollen. Es wird aufgezeigt, wie und inwieweit sich Netzwerke auf neu gegründete sowie kleine und mittlere Unternehmen auswirken können. Hierbei liegt ein besonderer Fokus auf den Auswirkungen für die strategische Unternehmensführung. Gerade neu gegründete Unternehmen können in vielerlei Situationen deutliche Vorteile aus Netzwerken ziehen (Jörgensen et al. 2010, 397), wobei diesen Vorteilen ebenso Nachteile gegenüber stehen (z.B. Gronum et al. 2012, 257 ff.). Vor allem in den ersten Phasen des Unternehmenslebenszykluses kommt den Auswirkungen von Netzwerken große Bedeutung zu, da gerade hier durch strategische Maßnahmen großer Einfluss auf die weitere Entwicklung des Unternehmens genommen werden kann. Um Effekte, Auswirkungen sowie Vor- und Nachteile von Netzwerken auf und für Neugründungen und KMU zu betrachten, werden nachfolgend grundlegende Begrif-

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fe dieses Beitrags näher beleuchtet und deren Verständnis definiert. Darauf folgt die Betrachtung des aktuellen Standes der Forschung im Literatur Review, wobei auf bereits vorhandene Literatur sowie vorhandene Forschungslücken und Ergebnisse der aktuellen Forschung näher eingegangen wird. Die hier erlangten Ergebnisse werden anschließend mit aus der Praxis gewonnenen Einsichten in Verbindung gebracht, sodass schlussendlich ein Gesamteindruck entsteht, welcher Wissenschaft und Praxis zusammenführt und dadurch einen Einblick in das Thema gibt sowie die Relevanz von Netzwerken für Start-Ups und KMU aufzeigt.

2 Grundlagen Um ein Grundlegendes Verständnis der im Rahmen dieses Beitrags angeführten relevanten Terminologie zu erlangen, erfolgt an dieser Stelle eine Erläuterung der zentralen Begrifflichkeiten und Themenfelder. Der Erläuterung von neu gegründeten Unternehmen und KMU folgt die Betrachtung des Begriffs der strategischen Unternehmensführung. Das Kapitel schließt mit einer zusammenfassenden Erläuterung des Verständnisses von Netzwerken und deren verschiedenen möglichen Ausprägungen. So entsteht ein Gesamteindruck welcher die Bedeutung der strategischen Unternehmensführung für neu gegründete Unternehmen und KMU darstellt und aufzeigt, welche Rolle Netzwerke in diesem Zusammenhang einnehmen.

2.1 Neu gegründete Unternehmen Die Verwendung der Begrifflichkeit neu gegründete Unternehmen basiert im Zusammenhang dieses Beitrags hauptsächlich auf der Wirkungsweise von Entrepreneuren und der Definition von Start-Ups. Diese wiederum lässt sich auf die Theorien und Ansichtsweisen von Schumpeter zurückführen. Ihr liegen hier vor allem zwei Perspektiven zu Grunde welche Ronstadt (1984) und Casson (1982) hervorheben. Während einerseits die schrittweise Schaffung von Wohlstand und Vermögen im Vordergrund steht (Ronstadt 1984, 1 ff.), kann andererseits das Vorhandensein von knappen Ressourcen als ein Hauptmerkmal angesehen werden (Casson 1982, 22 ff.). Entrepreneurship ist somit auch als Aufbau, Entwicklung und Management eines neuen Unternehmens zu verstehen (Hirsch/Peters 1992, 1 ff.). Während Entrepreneur den Unternehmer als Person beschreibt, bezieht sich Start-Up auf die Situation des Unternehmens oder der Unternehmung. Hierbei kann vor allem auf den Unternehmenslebenszyklus Bezug genommen werden. Ein Start-Up Unternehmen ist aus dieser Perspektive ein „neu gestartetes“ Unternehmen, welches sich in einem frühen Stadium des Lebenszykluses befindet (Heinrichs 2008, 17 ff.). Am

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Absatz

nachfolgend dargestellten absatzorientierten Unternehmenslebenszyklus stellen diese Phasen die Einführung sowie teilweise die Anfänge der Wachstumsphase dar.

Einführung

Wachstum

Reife

Sättigung

Zeitverlauf

Abb. 4.2: Unternehmenslebenszyklus. Quelle: In Anlehnung an Siems 2010, 82.

So zeichnet sich die erste Phase des Unternehmenslebenszyklus, unabhängig der Betrachtung von Umsatz, Absatz oder Gewinn, in der Regel durch ein Invest aus, welches dann im Optimalfall zum gewünschten Wachstum führt. Dieses Wachstum ist typischerweise durch wachsende Absatzmengen, einen wachsenden Umsatz und einen wachsenden Gewinn charakterisiert, sodass die Start-Up-Phase hauptsächlich den Gründungsprozess umfasst, in vereinzelten Situationen aber leicht über diesen hinaus gehen kann.

Umsatz Gewinn Umsatz

Gründungsentschluss

Markteintritt

Gewinn

Zeitverlauf

Vorgründungsphase

Gründungsphase

Gründungsprozess

Abb. 4.3: Gründungsphase im Lebenszyklus. Quelle: In Anlehnung an Unterkofler 1989, 37.

Frühentwicklungsphase

Neuer Entwicklungszyklus

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2.2 KMU Als KMU oder SME (Small and Medium Enterprise) werden Unternehmen bezeichnet, welche eine bestimmte Größenordnung nicht überschreiten. So beziehen sich zum Beispiel Richtlinien der Europäischen Union auf Mitarbeiterzahl, Jahresumsatz und Bilanzsumme eines Unternehmens (Europäische Kommission 2006, 16). Ein weiteres Kriterium ist die Eigenständigkeit. So darf das einzuordnende Unternehmen nicht mehr als 25 % an Kapital oder Stimmrechten an einem anderen Unternehmen besitzen und/oder es dürfen nicht mehr als 25 % der eigenen Kapitalbasis beziehungsweise der eigenen Stimmrechte bei einem anderen Unternehmen liegen. (Europäische Kommission 2006, 16). Weitere Abgrenzungen und Definition, welche von dem hier verwendeten Verständnis jedoch nur im Detail abweichen, finden sich zum Beispiel im dritten Buch des Handelsgesetzbuches (HGB) sowie beim Institut für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn. In der terminologischen Auseinandersetzung kann der KMU-Begriff in zwei Teilen betrachtet werden. So bildet den ersten Teil die Beschreibung der Größe als „klein“ oder „mittel“ während der zweite Teil sich auf entsprechende „Unternehmen“ bezieht. Als Unternehmen gilt jede Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt. Dazu gehören insbesondere auch jene Einheiten, die eine handwerkliche Tätigkeit oder andere Tätigkeiten als Einpersonen- oder Familienbetriebe ausüben, sowie Personengesellschaften oder Vereinigungen, die regelmäßig einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen. (Europäische Kommission 2003, Artikel 1)

Eine der gängigen Definitionen und Abgrenzungen der Größe kann ebenfalls der KMU-Definition der europäischen Kommission entnommen werden. So werden hier die Größen für kleine und mittlere Unternehmen definiert wobei ebenfalls festgehalten wird, dass auch Kleinstunternehmen, also solche mit maximal neun Beschäftigten und einer Jahresbilanz beziehungsweise einem Jahresumsatz von maximal zwei Millionen Euro den KMU zuzuordnen sind. (1)

(2)

(3)

Die Größenklasse der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) setzt sich aus Unternehmen zusammen, die weniger als 250 Personen beschäftigen und die entweder einen Jahresumsatz von höchstens 50 Mio. EUR erzielen oder deren Jahresbilanzsumme sich auf höchstens 43 Mio. EUR beläuft. Innerhalb der Kategorie der KMU wird ein kleines Unternehmen als ein Unternehmen definiert, das weniger als 50 Personen beschäftigt und dessen Jahresumsatz beziehungsweise Jahresbilanz 10 Mio. EUR nicht übersteigt. Innerhalb der Kategorie der KMU wird ein Kleinstunternehmen als ein Unternehmen definiert, das weniger als 10 Personen beschäftigt und dessen Jahresumsatz beziehungsweise Jahresbilanz 2 Mio. EUR nicht überschreitet. (Europäische Kommission 2003, Artikel 2)

Weiter regelt und definiert der Absatz 3 die Berechnung der Mitarbeiterzahlen und geht vor allem auf die entsprechenden finanziellen Schwellenwerte ein (Europäi-

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sche Kommission 2003, Artikel 3). Hieraus geht ebenfalls der bereits oben aufgezeigter Wert zur Eigenständigkeit von 25 % Stimmrechten oder Kapital hervor.

2.3 Strategische Unternehmensführung Aus zahlreichen Definitionen und Sichtweisen von strategischer Unternehmensführung wird in diesem Beitrag eine allgemeine, praxisbezogene Perspektive herangezogen. So leitet sich „Strategie“ von „strategos“ ab und benennt im ursprünglichen und wörtlichen Sinne „das Handwerk des Generals“ (Übersetzt durch den Verfasser, Peng 2009, 8). In den 60er Jahren erfolgt die erste Adaption der Prinzipien in andere, nicht militärische Bereiche, sodass Alfred Chandler erstmals „Strategie“ im wirtschaftlichen Kontext anwendete (Chandler 1962). In diesem Zusammenhang beschreiben Kenneth und Mary Louise Hatten Strategie als „die Art und Weise, organisatorische Ziele zu verwirklichen“ (übersetzt durch den Verfasser, Barney 1996, 6). Unter anderem hieraus ergibt sich das Verständnis von strategischer Unternehmensführung als Führung eines Unternehmens, aus dessen strategischem Management nachhaltige Wettbewerbsvorteile resultieren (Prange 2002, 69). Gerade bei neu gegründeten Unternehmen sowie bei KMU spielt die strategische Planung und Führung eine bedeutende Rolle. Hier kann durch das strategische Management des Entrepreneurs die Richtung der Entwicklung des Unternehmens vorgegeben und gesteuert werden. Einen Aspekt der strategischen Unternehmensführung stellt die Überlegung dar, ob und in welcher Form und Umfang an Netzwerken partizipiert werden soll.

2.4 Netzwerke Die grundlegende Idee von Netzwerken im Unternehmenskontext besteht darin, die Vorteile größerer Unternehmenseinheiten (wie zum Beispiel den Zugriff auf personelle und finanzielle Ressourcen, Know-how, ein gemeinsames Auftreten am Markt, Reduktion von Kosten aufgrund gemeinsamer Investitionen ...) mit den Vorteilen kleiner Unternehmen (wie zum Beispiel flache Hierarchien, Flexibilität, Schnelligkeit, Kundennähe, Individualität ...), zu kombinieren (Sattes et al. 1995, 191) und somit Wettbewerbsvorteile zu nutzen oder zu generieren (Corsten 2000, 4). Grundlegend können verschiedene Formen von Netzwerken unterschieden werden (Chetty et al. 2008, 175). In Bezug auf die strategischen Auswirkungen des Netzwerks auf das entsprechende Unternehmen wird zwischen strategischen und operativen Netzwerken unterschieden. Während die Unternehmen in strategischen Netzwerken hinsichtlich strategischer Entscheidungen betroffen sind, werden in einem operativen Netzwerk Leistungen erbracht, welchen keine strategische Bedeutung zukommt (Rössl 2006, 75). Weiter muss an dieser Stelle betrachtet werden, ob das

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entsprechende Netzwerk dauerhaft oder zeitlich beziehungsweise inhaltlich als Projektnetzwerk abzugrenzen ist (Sydow et al. 2002, 215). Eine weitere Unterscheidung kann anhand der Größe der jeweiligen Unternehmen im Netzwerk erfolgen. Symmetrische Netzwerke bestehen zwischen Unternehmen derselben Größe, während asymmetrische Netzwerke zwischen unterschiedlich großen Unternehmen vorkommen (Echeverri-Caroll et al. 1998, 721). Weiter wird zwischen „Lernenden Netzwerken“, „Kommerziellen Netzwerken“ und „Innovationsnetzwerken“ differenziert (Huggins 1997, 813), wobei in diesem Zusammenhang auf den Zweck und die Zielsetzung des entsprechenden Netzwerks Bezug genommen wird. Eine Unterscheidung kann ebenfalls auf Grundlage der geografischen Ausdehnung von Netzwerken erfolgen. So ist eine Differenzierung zwischen lokal, national und international operierenden Netzwerken möglich (Ivarsson 1997, 37). So können lokale Netzwerke zum Beispiel die Innovation der teilnehmenden Unternehmen und Regionen steigern (Roper 2001, 215). Während sowohl in der Praxis als auch in der Wissenschaft weitere Unterschiede zwischen Eigenschaften, Ausprägungen und Merkmalen vorherrschen, stellen die hier dargestellten, die zentralen Betrachtungsfelder des wissenschaftlichen Diskurses dar. Beispielhaft lässt sich in diesem Zusammenhang ein Netzwerk verschiedener Maschinenbauer in einer Region heranziehen. In diesem haben sich unterschiedliche KMU zusammengeschlossen. Die einzelnen Unternehmen bieten jeweils Maschinen und Dienstleistungen zur Blechbearbeitung an, können aufgrund Ihrer Größe jeweils aber nur einzelne Teilaspekte der Blechbearbeitung bedienen. Während ein Unternehmen Stanzautomaten herstellt, bietet ein anderes Laserschneidmaschinen an, weitere Unternehmen des Netzwerks haben sich auf das Biegen und Umformen von Blechen spezialisiert oder bieten Maschinen und Dienstleistungen zum Schweißen von Blechen an. Durch den Zusammenschluss dieser Unternehmen entsteht eine Struktur, die dem potenziellen Kunden einen Mehrwert dadurch bietet, dass er aufeinander abgestimmte Produkte erhält. So bieten ihm die entsprechenden Unternehmen beispielsweise zu einander kompatible Maschinen an, sodass Fertigungsteile direkt von der Schneidemaschine in die Biegepresse und von dort automatisiert zum Schweißrobotter gelangen können. Neben diesem regionalen, symmetrischen, kommerziellen Netzwerk kann ein Mehrwert für die teilnehmenden Unternehmen auch durch gemeinsame Forschungs- und Entwicklungsarbeit entstehen. So tauschen sich die Entwicklungsabteilungen der verschiedenen Unternehmen aus und bilden somit ein lernendes Netzwerk, welches darauf ausgelegt ist, Erfahrungen zu teilen und einen gegenseitigen Erkenntnisgewinn herbeizuführen. Ein weiteres Beispiel stellt der fiktive Zusammenschluss mehrerer deutscher Dienstleister in der Veranstaltungsbranche dar. In diesem symmetrischen Netzwerk haben sich unterschiedliche KMU zusammengeschlossen, die Dienstleistungen im Bereich der Veranstaltungstechnik anbieten. Aufgrund derer Standorte, die in ganz Deutschland verteilt sind, ist es diesen möglich, kosteneffiziente Dienstleistungen im gesamten Bundesgebiet anzubieten. So unterstützt das in Süddeutschland ansässige

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KMU das aus Hamburg kommende Unternehmen bei dessen Veranstaltungen in Baden-Württemberg und Bayern, während das aus Hamburg kommende KMU die Messen des süddeutschen Unternehmens in Norddeutschland ausstattet. Durch dieses nationale Netzwerk, ist es den einzelnen KMU möglich, ein erweitertes Leistungsportfolio anzubieten, was ohne die entsprechenden Netzwerkpartner nicht möglich wäre. Aus den verschiedenen aufgezeigten Merkmalen und Ausprägungen von Netzwerken kann eine mehrdimensionale Systematisierung und Kategorisierung verfolgen. Nachfolgende Grafik stellt diese anhand der aufgeführten Attribute dar und ordnet die angeführten Beispiele exemplarisch ein. Hierbei ist zu beachten, dass sowohl die Dimensionen (Attribute) als auch deren Ausprägungen je nach Anwendung oder Perspektive variiert werden können. Netzwerke und deren Ausprägungen strategisch

operativ

symmetrisch

asymmetrisch

lokal

international

dauerhaft

projektbezogen

...

... Blechnetzwerk

DL-Netzwerk

Abb. 4.4: Beispielhafte Eigenschaften von Netzwerken. Quelle: Eigene Darstellung.

3 Literatur Review Zu Netzwerken sowie deren Auswirkungen und Effekten auf Start-Ups, Entrepreneure und KMU ist ein breites Spektrum an Literatur vorhanden. Diese bezieht sich sowohl auf wissenschaftliche Quellen als auch auf qualitative und quantitative Erhebungen und Forschung. In der bereits vorhandenen Literatur können neun Schwerpunkte festgestellt werden. Neben der (1) Funktionsweise von Netzwerken (z.B. Hielscher et al. 2009, 41 ff.) wird vermehrt diskutiert, welchen (2) Erfolg und Nutzen Netzwerke für einzelne Unternehmen mit sich bringen (z.B. Miller et al. 2005, 167 ff.). Ein starker Fokus liegt hierbei und generell auf den (3) Unterschieden von lokalen, nationalen und internationalen Netzwerken (z.B. Keeble et al. 1998, 319 ff.). Neben den Auswirkungen von (4) Netzwerken auf Marketing- und Kommunikationsaktivitäten von Unternehmen (z.B. Mc Grath et al. 2011, 58 ff.) kann ein weiterer Schwerpunkt auf (5) Innovation und Fortschritt durch Netzwerke festgestellt werden (z.B. Graf et al. 2009, 1349 ff.). Weitere Themen des wissenschaftlichen sowie des praxisorientierten Dis-

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kurses stellen verschiedene (6) Ansätze zur Netzwerkbildung (z.B. Prior 2007, 17 ff.; Barney/Clark 2007, 1 ff.), die (7) Entstehung von Netzwerken (z.B. Eisenhard et al. 1990, 504 ff.) sowie verschiedene Netzwerkstrategien (z.B. Miller/Besser 2005, 167 ff.) dar. Außerdem sind Themenschwerpunkte (8) der Entrepreneur und dessen Rolle in Netzwerken (z.B. Dias/Filho 2010, 181 ff.) sowie (9) das Scheitern von Unternehmen in Netzwerken (Biggs/Shah 2006, 3043 ff.).

Funktionsweise Erfolg und Nutzen

Entstehung

Bildung

Unterschiede

Netzwerke

Marketing und Kommunikation

Rolle des Entrepreneurs

Fortschritt und Innovation

Scheitern von Teilnehmern

Abb. 4.5: Netzwerkthemen in Forschung und Literatur. Quelle: Eigene Darstellung.

Während eine Vielzahl von Studien über die Zusammenarbeit von Unternehmen existiert, ist nur wenig Literatur über die Erfolge der Zusammenarbeit vorhanden (Staber 2000, 329), sodass hier eine eindeutige Forschungslücke festgestellt werden kann. Auch die Kommunikation von Netzwerken in der Dienstleistungsbranche wurde bisher nur begrenzt betrachtet. So stellt sich zum Beispiel die Frage, ob Dienstleister als Full-Service-Anbieter auftreten, oder ob diese es vorziehen sollen vorhandene Netzwerke und die Zusammenarbeit mit kompetenten Partnern zu kommunizieren. Des Weiteren ist wissenschaftliche Betrachtung der Zusammenhänge von Clusterbildung, Netzwerken und lokaler Wirtschaftsentwicklung bisher nur begrenzt vorhanden (Deutz et al. 2008, 1313). Diese Themen können gerade für Start-Ups und KMU relevant sein, da diese aufgrund ihres jungen Alters oder der kleinen Unternehmensgröße durch strategische Maßnahmen einfacher beeinflusst werden können. Eine strategische Ausrichtung des Unternehmens im generellen, jedoch auch im speziellen Bereich der Netzwerke, ist dementsprechend gerade in der Start-Up Phase unbedingt notwendig.

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Als aktueller Forschungsstand können schwerpunktmäßig nachfolgende Ergebnisse festgehalten werden. Diese geben einen Überblick über das gesamte Spektrum an Literatur, greifen jedoch vor allem auf relevante Quellen und deren Ergebnisse zurück, auf Grundlage welcher nachfolgende Implikationen erarbeitet werden. Zur allgemeinen Funktionsweise und den Eigenschaften und Auswirkungen von Netzwerken kann festgehalten werden, dass je größer das Netzwerk eines Entrepreneurs ist, desto mehr Wissen kann er durch dieses erlangen (Sullivan et al. 2011, 185). Hierbei kann es sich zum Beispiel um Wissen über die eigene sowie über fremde Branchen, aktuelle Trends, bestehende und potentielle Kunden sowie Zulieferer handeln. Je mehr Knotenpunkte im jeweiligen Netzwerk vorhanden sind, desto einfacher können solche Informationen erlangt und vom Netzwerk und dessen Gliedern gelernt werden. Als Knotenpunkte werden in diesem Zusammenhang die teilnehmenden und involvierten Unternehmen verstanden. Es ist jedoch darauf zu achten, dass sich bisherige Lernkonzepte ausschließlich auf Kontext-Analogien und nicht auf StrukturAnalogien beziehen (Hielscher et al. 2009, 61). So lernen zum Beispiel AutomobilUnternehmen nur von Automobil-Unternehmen, also aus dem Kontext der Branche und der Aufgabenstellung, dies jedoch weitestgehend unabhängig von der jeweiligen Struktur des entsprechenden Unternehmens. Als Lerneffekt der aus einer StrukturAnalogie hervorgeht, kann zum Beispiel das Lernen von zwei oder KMU von einander bezeichnet werden, die ähnliche Unternehmensstrukturen aufweisen, jedoch in verschiedenen Branchen tätig sein können. Generell muss weiter festgehalten werden, dass das verfügbare Lernpotential von Netzwerken in den meisten Fällen nicht komplett ausgeschöpft wird (Hielscher et al. 2009, 61). Neben der Funktion des Austausches von Informationen fungieren Netzwerke auch als Speichermedium für Informationen, wie zum Beispiel Kundendaten (Geib 2006, 119). In den meisten Fällen kann festgehalten werden, dass KMU, die in Netzwerken organisiert sind, besseren Zugriff auf Informationen haben, was schließlich zu mehr Erfolg des einzelnen Unternehmens führt (Miller et al. 2005, 167). Im Umkehrschluss kann dementsprechend ein Zusammenhang zwischen der Nichtzugehörigkeit zu Netzwerken und dem Scheitern des Unternehmens am Markt oder formalen Fehlern im Unternehmen festgestellt werden (Biggs et al. 2006, 3043). Während einerseits untersucht wird, wie ein Unternehmen Mitglied eines Netzwerks werden kann (Hillmerson et al. 2012, 682), wird andererseits auf die Schwierigkeit aufmerksam gemacht, einen Leiter für das Netzwerk zu finden (Lelah et al. 2012, 299). Kommunikation, Koordination und Verhandlungsstärke werden als wichtige Teile bei der Führung von Netzwerken gesehen (Sydow et al. 2008, 161), wobei die Leitung eines Netzwerks mit hohem Aufwand verbunden sein kann (Gardet et al. 2012, 216). Um in der heutigen Zeit effektiv zusammenarbeiten und adäquat kommunizieren zu können, werden neue Tools benötigt, welche großteils im Rahmen neuer Medien und technologischen Entwicklungen zu finden sind (Blinn et al. 2010, 3).

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Neben den Vorteilen der Teilnahme an Netzwerken, wie zum Beispiel der vereinfachten Umsetzung von Corporate Social Responsibility (CSR) Maßnahmen (von Weltzien Höivik et al. 2011, 175), werden auch negative Auswirkungen diskutiert. So kann die Teilnahme an Netzwerken eine „De-Spezialisierung“ zur Folge haben, da grundlegende Überlegungen oder wichtige Schritte der Wertschöpfung ausgelagert und nicht mehr selbst betrachtet werden (Lyberaki 2011, 216). Je nach Netzwerk kann es außerdem bei der Integration von Unternehmen zu Problemen kommen, da der Entrepreneur nicht ertragen kann, dass das von ihm Aufgebaute nun Teil eines großen Gesamtkonstrukts ist (Vesper 2012, 10). Dieses Phänomen ist geschlechterübergreifend, vor allem bei inhabergeführten- und Familienunternehmen sowie Start-Ups oder KMU festzustellen. Ein Zusammenhang zwischen Geschlecht des Unternehmers und der Zugehörigkeit zu Netzwerken besteht laut bisherigem Forschungsstand nicht (Hanson et al. 2009, 135). Während internationale Netzwerke zum länderübergreifenden Wissensaustausch von innovativen Praktiken, neuen Instrumenten und Best Practice dienen (Ottow 2010, 36), sind kooperative und innovative Netzwerke nur in sehr geringem Maße räumlich oder lokal begrenzt (Grotz et al. 1997, 545). Obwohl lokale Netzwerke für KMU meist eine höhere Bedeutung haben (Keeble et al. 1998, 319), schließen sich nicht nur große Unternehmen, sondern immer mehr auch KMU zu internationalen Netzwerken zusammen, um Vorteile, wie zum Beispiel grenzübergreifende Arbeitsteilung, zu nutzen (Lungwitz et al. 2006, 372). In internationalen Netzwerken unterstützen Stakeholder unterschiedlicher Nationalität bei der Informationssuche, beschleunigen Entscheidungsprozesse und reduzieren politische Risiken (Holtbrügge et al. 2009, 369). Während Netzwerke die Chancen der Internationalisierung von KMU deutlich erhöhen (Torkkeli et al. 2012, 25), unterscheiden sich innovative Leistungen in verschiedenen Regionen, abhängig von den dort vorherrschenden Netzwerkstrukturen (Graf et al. 2009, 1349). Aufgrund der immer stärker werdenden Globalisierung muss sich jede Region ein Netzwerk als „Wissenspool“ aufbauen, welcher dann als Unique Selling Proposition (USP) der Region gesehen wird (Malecki 2010, 1033). Forschungs- und Entwicklungs- (F&E) sowie Innovationsnetzwerke zur Weiterentwicklung des eigenen Unternehmens kommen häufiger vor als langfristige Netzwerke zu Zulieferern (Steiner et al. 2008, 793). Je nach Aufbau und Teilnehmern können Netzwerke verschiedene Auswirkungen auf Innovationen haben, die aus dem jeweiligen Netzwerk entstehen. Nicht jedes Netzwerk trägt also dazu bei, dass teilnehmende Unternehmen innovativer werden (Pullen et al. 2012, 130). Unterschiede zwischen innovativen Leistungen hängen von verschiedenen Strukturen der vorherrschenden Netzwerke ab (Graf et al. 2009, 1349). Generell gilt, dass vor allem im Bereich der F&E die positiven Effekte umso höher sind, je früher Unternehmen Mitglied in Netzwerken werden (Jörgensen et al. 2010, 397). Auf der Gegenseite muss jedoch beachtet werden, dass mit dem Einbezug von

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Netzwerken in Innovationsprozesse die Möglichkeit bestehen kann, Informationen an andere Teilnehmer des Netzwerks zu verlieren (Gretzinger et al. 2010, 193). Nicht nur in Innovations- und F&E-Prozessen kann die Teilnahme an Netzwerken negative Auswirkungen haben. So kann zum Beispiel eine „De-Spezialisierung“ erfolgen, da wichtige Schritte ausgelagert werden und nicht mehr selbst betrachtet werden (Lyberaki 2011, 216). Während durch Unternehmensnetzwerke Leistungen für den Kunden wirtschaftlicher erbracht werden können (Geib 2006, 1 ff.), müssen sich Firmen darauf konzentrieren, nur die Netzwerke auszubauen, bei welchen sich ein spürbarer Nutzen erkennen lässt (Gronum et al. 2012, 257). Aufgrund immer schneller werdender Innovationen und immer kürzer werdender Produktlebenszyklen müssen auch Unternehmen, vor allem in Entwicklung, Produktion und Absatz, schneller werden. Dies kann vor allem durch die Arbeit in und mit Netzwerken erfolgen (Mercan et al. 2011, 80). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Unternehmen, die in Netzwerken aktiv sind, effektivere Strategien erkennen lassen, um mit Kunden, Angestellten und Zulieferern zu kommunizieren und zu interagieren, was sich auf den gesamten Geschäftserfolg positiv auswirkt (Miller et al. 2005, 167). Nichts desto trotz wird weiter untersucht, wie KMU ihre Wettbewerbsfähigkeit und Vorteile im Netzwerk weiter ausbauen können (Wincent 2005, 383 ff.). Nicht nur, aber auch aufgrund der immer weiter fortschreitenden Globalisierung ist es wichtig, dass sich Regionen und Netzwerke USPs aneignen (Malecki 2010, 1033). Nur so können Netzwerke geschlossen auftreten und ganzheitlich und stringent kommunizieren. Es gilt jedoch auch in diesem Kontext festzuhalten, dass auch Marketing- und Werbenetzwerke sowohl Vor- als auch Nachteile mit sich bringen (Mc Grath et al. 2011, 58).

4 Praktischer Bezug Die Diskussion der auf Grundlage der aufgeführten Literatur erarbeiteten Ergebnisse und Erkenntnisse wird nachfolgend anhand einiger in der Praxis erhobener Daten und Einsichten ergänzt. So wird der Bezug und die Relevanz des Themas zur und in der Praxis hergestellt und aufgezeigt. Während Netzwerkaktivitäten einerseits Ressourcen des jeweiligen Unternehmens in Anspruch nehmen, können andererseits auch deutliche Vorteile aus der Teilnahme an Netzwerken entstehen. Eine besonders hohe Bedeutung kommt Netzwerken von und mit innovativen Unternehmen zu, da diese vor allem durch Informationen aus den Netzwerken profitieren. Gleiches gilt für Unternehmen, die im Zuge ihrer Internationalisierung auf Netzwerke und deren Aktivitäten und Angebote zurückgreifen.

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Ein Überblick der gewonnen Erkenntnisse kann nachfolgender Tabelle entnommen werden. Hierbei fällt auf, dass positive Auswirkungen quantitativ überwiegen. Dennoch muss der Beitritt und das Mitwirken von Unternehmen zu und in Netzwerke von Fall zu Fall überdacht und individuell auf Grundlage der jeweiligen strategischen Unternehmensführung entschieden werden. Da sich im wissenschaftlichen und literaturbasierten Diskurs hauptsächlich die Schwerpunktthemen der Internationalisierung sowie der Auswirkung von Netzwerken auf Innovationen herauskristallisieren, werden diese in nachfolgender Zusammenfassung gesondert herausgestellt.

Pro Netzwerke

Contra Netzwerke





Bereichsübergreifend





 

Internationalisierung

  

Innovation





Je größer das Netzwerk, desto mehr Wissen kann daraus erlangt werden. Je mehr Knotenpunkte im Netzwerk, desto einfacher die Informationsgewinnung Größerer Erfolg des einzelnen Unternehmens durch mehr Informationen und Wissen Unterstützung der Netzwerke bei Entscheidungs- und Lösungsfindung Netzwerke ermöglichen eine bessere Kommunikation zu allen Stakeholdern



Netzwerkaktivitäten erfordern Ressourcen aus/ im Unternehmen Schwierigkeiten des Entrepreneurs beim teilweisen „Loslassen“

Wertsteigerung, da immer mehr KMU in internationalen Netzwerken aktiv Netzwerke erhöhen Chancen der Internationalisierung von KMU Netzwerke reduzieren politische Risiken des einzelnen Unternehmens

Je früher ein Unternehmen in innovativen Netzwerken vertreten ist, desto höher sind die positiven Auswirkungen Durch Netzwerke können innovative Leistungen wirtschaftlicher erbracht werden

  

Nicht jedes Netzwerk wirkt innovationsfördernd „De-Spezialisierung“ durch das Abgeben von Aufgaben und Wissen Verlust von USPs durch Abgabe von Wissen und Know-how

Abb. 4.6: Netzwerkeigenschaften. Quelle: Eigene Darstellung.

Die in der Tabelle dargestellten Ergebnisse geben einen Überblick der relevanten Argumente für und gegen den Beitritt und das Engagement von Unternehmen in Netzwerken. Hierbei muss jedoch beachtet werden, dass diese verhältnismäßig

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wenig spezialisiert entstehen. So wird zwar in einigen Quellen, die diesen Ergebnissen zu Grunde liegen, auf spezielle Branchen, Märkte oder unterschiedliche Situationen Bezug genommen, während die Darstellung der Ergebnisse pauschalisiert und nicht mit Bezug auf etwaige spezielle Umstände erfolgt. Eine Bestätigung der durch die Literaturarbeit gewonnen Ergebnisse ergibt sich zudem aus der Praxisperspektive. So wurden im Rahmen eines noch nicht veröffentlichten wissenschaftlichen Forschungsprojekts durch den Verfasser dieses Beitrags unter anderem Dienstleister zur Nutzung von Netzwerken befragt. Im Gegensatz zu oben aufgezeigter Pauschalisierung der Ergebnisse ist in diesem Zusammenhang jedoch zu beachten, dass sich die 59 befragten KMU alle den Agenturen im Bereich der Live-Kommunikation sowie den Bereichen von Dienstleistungen in Kommunikation, Marketing und Werbung zuordnen lassen. Trotz dieser Einschränkung werden nachfolgende Daten mit in die Betrachtungen dieser Arbeit einbezogen. Sie sind als Ergänzung zu den, aus der Literatur gewonnen Erkenntnissen und Einsichten zu verstehen und bilden in Verbindung mit diesen einen Gesamteindruck, welcher zum Verständnis und Beantwortung der Themen und Fragestellungen dieser Arbeit beiträgt. Die befragten Dienstleister sind zu 31 % in ein bis zwei Netzwerken Mitglied, 53 % sind in drei bis fünf Netzwerken aktiv. Somit besitzt der überwiegende Teil der untersuchten Unternehmen eine Mitgliedschaft in einem bis fünf Netzwerken. Lediglich 6 % sind in sechs oder mehr Netzwerken aktiv, ähnlich selten ist die Zahl der Unternehmen, die keinem Netzwerk angehören, ihr Wert liegt bei 3 %. Hauptgründe für die Mitgliedschaft in Netzwerken sind die Antworten Kontakte zu knüpfen und zu pflegen sowie neue Kunden zu finden, welche von jeweils 66 % der Unternehmen genannt werden. Einen Imagegewinn aufgrund der Zugehörigkeit zu einem Netzwerk erhoffen sich 58 % der Unternehmen, 37 % nutzen Netzwerke um neue Partner zu finden, 31 % um Innovationen zu fördern und 32 % zur Innovationsbeschaffung. Gemeinsame Werbung beziehungsweise Kommunikation sehen 20 % der Unternehmen als Hauptgrund für eine Mitgliedschaft in einem Netzwerk, lediglich 7 % nennen eine Reduzierung der Kosten. Ein Großteil der Unternehmen (66 %) arbeitet bei der Erstellung ihrer Leistungen in Netzwerken mit einem bis fünf Partnern zusammen, 24 % arbeiten zusammen mit sechs bis zehn Partnern, respektive externen Unternehmen. Kein einziges Mal wird die Zahl der Partner mit „11 bis 20“ genannt. Lediglich 3 % der Unternehmen geben an, mit mehr als 20 Partnern Leistungen zu erstellen. Folgend arbeiten 90 % der untersuchten Unternehmen mit einem bis 10 Partnern bei der Erstellung ihrer Leistungen regelmäßig zusammen, während lediglich 3 % der Unternehmen mit keinem Partner zusammenarbeiten. Als Hauptgründe für die Zusammenarbeit mit Partnern nennen 61 % fehlendes Know-how, respektive fehlende Expertise und 54 % fehlende personelle Ressourcen. 46 % der Unternehmen nennen Erstellung eines Leistungsbündels für Kunden im Rahmen eines Full-Service Angebotes als Grund, 29 % sehen gemeinsame Kommunikation beziehungsweise Werbung als Hauptgrund an. Eine

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Reduzierung von Risiko oder fehlende finanzielle Ressourcen werden von lediglich 19 %, respektive 7 % der befragten Unternehmen als Hauptgrund für die Zusammenarbeit mit Partnern genannt. Auf die Frage „Treten Sie Ihren Kunden gegenüber eher als Full-Service Dienstleister auf oder kommunizieren Sie, dass Ihr Unternehmen die Leistungen gemeinsam mit Partnern erbringt?“ geben 31 % der Unternehmen an, „als Full-Service Dienstleister“ aufzutreten. 34 % wählen die Antwort „eher als Full-Service Dienstleister“. Dagegen wird die Antwort „Gemeinsam mit Partnern“ gar nicht und „Eher gemeinsam mit Partnern“ lediglich von 7 % genannt. Mit der Antwort „Von Fall zu Fall verschieden“ entscheiden sich 29 % der befragten Unternehmen für keine einheitliche Positionierung. Es kann also eine eindeutige Präferenz der untersuchten Dienstleistungsunternehmen zugunsten eines Auftretens als Full-Service Anbieter festgestellt werden. Als Grund für ihre Antworten bei dieser Frage geben die Unternehmen an, dass als Full-Service Anbieter die Chancen bei der Vergabe berücksichtigt zu werden meist größer sind und der Kunde dadurch, wie häufig gewünscht, nur einen Ansprechpartner hat. Auch dass Kunden Leistungen aus einer Hand erwarten, sich einen „RundUm-Service“ wünschen und „am Liebsten allen Planungsaufwand abgeben“, nennen die befragten Dienstleister als Gründe für Ihr Auftreten. Des Weiteren wird argumentiert, dass dem Ansatz „one face to the customer“ besondere Bedeutung zukommt. Einen Grund für Ihre Kommunikation sehen die Dienstleister auch darin, dass vom Kunden eine Spezialisierung auf bestimmte Themenfelder und Aufgabenstellungen erwartet wird. Aus der praxisorientierten Untersuchung geht demnach hervor, dass nahezu alle Untersuchten KMU mit Partnern zusammenarbeiten und in Netzwerken organisiert sind. Gründe hierfür ergeben sich neben dem breiteren Leistungsspektrum, welches dem Kunden angeboten werden kann auch aus dem Mangel an Know-how und Ressourcen sowie dem Bedarf, eine „große“ Leistung aus einer Hand anbieten zu können. Die durch diese Befragung gewonnen Erkenntnisse bestätigen die in vorangegangenen Überlegungen und die aus der Literatur gewonnenen Erkenntnisse. Dementsprechend wird der Zusammenhang zwischen Theorie und Praxis untermauert, sodass ein realitätsnahes Gesamtbild zur Themenstellung dieser Arbeit entsteht.

5 Fazit Vor allem aufgrund der Verknüpfung literaturbasierter Arbeit mit den aus der Praxis gewonnenen Erkenntnissen entsteht durch diesen Beitrage ein bedeutender Mehrwert für die praktische Anwendung. Dieser resultiert nicht zuletzt daraus, dass sich die empirisch erhobenen Daten der verwendeten Quellen größten Teils auf die praktische Anwendung beziehen. Daraus lässt sich schließen, dass Netzwerken in der

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Unternehmenspraxis eine bedeutende Rolle zukommt. Bei der Implementierung der in dieser Arbeit gewonnen Ergebnisse in die Praxis muss besonderer Wert auf die jeweilige Situation des Unternehmens gelegt und darauf geachtet werden, inwieweit sich Aussagen auf die individuelle Situation beziehen oder adaptieren lassen. Eine unternehmensbezogene und individuelle Aussage darüber, ob und in welchem Umfang sich Unternehmen in Netzwerke einbringen sollen, kann aufgrund der zahlreichen Einflussfaktoren nicht getroffen werden. Abhängig von strategischen Zielen und Maßnahmen muss diese Frage individuell und mit Fokus auf die jeweilig vorherrschende Situation geprüft und geklärt werden. Generell lässt sich festhalten, dass Netzwerke viele Vorteile für Unternehmen mit sich bringen können, die sich vor allem auf Start-Ups und KMU positiv auswirken und in der strategischen Unternehmensführung betrachtet und beachtet werden müssen. Die vorliegende Arbeit gibt hierzu einen Einblick und Überblick in Auswirkungen und Effekte, welche durch das Engagement in und die Teilnahme an unterschiedlichen Netzwerken entstehen können.

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Rahel Rüth und Patrick Haag

Kapitel 5: Strategien des Auslandsmarkteintritts für kleine und mittlere Unternehmen Formen und Timing

1 Einleitung Das bis dato beispiellose, rasante Wachstum der Weltwirtschaft seit dem Ende des zweiten Weltkrieges (Feenstra/Taylor 2008, 10) prägte den bis heute populären Begriff der „Globalisierung“ (Stock 2011; Levitt 1965). Dank erheblicher Reduktion von Handelshemmnissen, sowie neuen Technologien im Transport- und Kommunikationssektor, sind die Aktivitäten im internationalen Handel beträchtlich gestiegen (Frankel 2000). Während die weltweite Außenhandelsquote im Jahr 1970 noch bei 12 % liegt, beträgt sie im Jahr 2005 bereits 30 % (Feenstra/Taylor 2008, 14). Das fortwährend rasante Wachstum führt zu einem Wert von 72,2 % in 2013 (Lenkeit 2014, 3). Der gestiegene Wettbewerbsdruck im Zuge der Globalisierung fordert immer mehr Unternehmen heraus, in Auslandsmärkte zu investieren. Hierbei gilt es abzuwägen, wie sich die optimale Strategie für den Auslandsmarkteintritt gestaltet, zu welchem Zeitpunkt eine Investition im internationalen Umfeld sinnvoll ist und in welcher Form investiert werden soll. Diesen Fragestellungen muss und kommt vor allem bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) eine große Bedeutung zu. Einerseits ergibt sich die hohe Relevanz aus dem Stadium des entsprechenden Unternehmens. Tendenzielle stehen hier KMU, vor allem aber junge Unternehmen eher in einer der früheren Phasen wie zum Beispiel am Unternehmenslebenszyklus visuell dargestellt werden kann. Im Vergleich zu größeren und großen Unternehmen und Konzernen ergibt sich hier die strategische Komponente der Unternehmensführung aus zentralen und grundlegenden Fragen, wie zum Beispiel dem Erschließen neuer Märkte und Zielgruppen. Während diese in größeren Unternehmen oft bereits erschlossen oder festgelegt sind und || Rahel Rüth, B. Sc. International Business Peking University Patrick Haag, M. Sc. Geschäftsführender Inhaber HAAG INTERNATIONAL EVENTS

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sich im Laufe der in der Regel bereits länger andauernden Entwicklung bewusst oder unbewusst ergeben haben, muss Internationalisierung und der Eintritt in ausländische Märkte gerade bei KMU in der Unternehmensstrategie mit einbezogen sein. Weiter ergibt sich die Relevanz der Thematik aus dem hohen Anteil von KMU in der deutschen (IFM Bonn 2012, 1) und europäischen Wirtschaft (Verheyden/Goeman 2013, 3), sowie aus der Struktur die bei der Internationalisierung und Erschließung neuer Märkte bei großen Unternehmen und Konzernen hervorgeht. Da, insofern noch nicht während der Wachstumsphase des großen Unternehmens, also in dessen Zeit als KMU geschehen, der Eintritt von großen Unternehmen in Auslandsmärkte in der Regel meist in kleineren Einheiten, wie zum Beispiel auf Produktebene oder abgegrenzt durch Sektoren oder Geschäftsfelder etc. erfolgt, liegen auch in größeren und großen Unternehmen beim Auslandsmarkteintritt oft KMU-ähnliche Strukturen und Bedingungen vor. Ein entscheidender Unterschied ergibt sich hierbei jedoch oft aus finanzieller Perspektive. Während die Investitionen in einen Auslandsmarkteintritt bei großen Unternehmen durch die Relation zum Gesamtunternehmensbudget meist einen geringeren Stellenwert als bei KMU haben, steigt auch aus dieser Perspektive die Relevanz der Themenstellung im Kontext von KMU. „Strategie“ leitet sich vom griechischen „strategos“ ab und benennt im wörtlichen Sinne das „Handwerk des Generals“ (Übersetzt durch die Verfasser, Peng 2009, 8). Die zunächst rein militärischen Prinzipien wurden in den 1960ern erstmals von Alfred Chandler auf die Wirtschaft angewandt (Chandler 1962). Kurz definiert wird Strategie in diesem Kontext von Kenneth und Mary Louise Hatten als „die Art und Weise, organisatorische Ziele zu verwirklichen“ (Übersetzt durch die Verfasser, in Barney 1996, 9). Auslandsmärkte werden in dieser Arbeit als alle diejenigen Ländermärkte bezeichnet, die außerhalb des eigenen Wirtschaftsgebiets liegen (Witte/Altmann o. D.), weshalb Strategien des Auslandsmarkteintritts folglich definiert sind als das Bündel der Entscheidungen, die getroffen werden, um wirtschaftliche Ziele auf fremden Ländermärkten zu verwirklichen. Form und Timing werden als zentrale Entscheidungsbereiche des Auslandsmarkteintritts betrachtet. Gemeinsam bilden diese Faktoren im Folgenden eine Strategie des Auslandsmarkteintritts. Nachfolgend werden oben aufgezeigte Fragen zu Strategien und dem Timing des Auslandsmarkteintritts bei KMU vor dem Hintergrund unterschiedlicher Unternehmenszielsetzungen bearbeitet und beantwortet. So wird zunächst erörtert, welche Unternehmen mit welcher spezifischen Motivation den Eintritt in einen Auslandsmarkt wagen. Es werden verschiedene Formen eines solchen Eintritts vorgestellt und deren zentrale Vor- und Nachteile erörtert. Hiermit einher stellt sich die Frage nach dem optimalen Zeitpunkt des Markteintritts, für welchen unterschiedliche Modelle diskutiert werden. Abschließend werden verschiedene Schemata zur Strategieauswahl für den Auslandsmarkteintritt vorgestellt.

Kapitel 5: Strategien des Auslandsmarkteintritts für kleine und mittlere Unternehmen | 75

2 KMU in Deutschland Da immer mehr Güter und Dienstleistungen nicht nur global vertrieben, sondern auch im internationalen Umfeld produziert werden, stellt sich die Frage nach der Internationalisierung der Geschäftstätigkeit einer zunehmenden Anzahl von Unternehmen (Berger 1997, 19). Nach Mike W. Peng ist die konkrete Neigung der Unternehmen zur Internationalisierung dabei von zwei Faktoren abhängig zu machen: Der Größe der Firma und der Größe des Heimatmarktes, den sie bearbeitet. Je kleiner der Markt und je größer die Firma die ihn bedient, desto stärker der Drang nach Internationalisierung (Peng 2009, 158). Hieraus ergibt sich eine zwei kreuz zwei Matrix, aus welcher vier unterschiedliche Firmentypen resultieren.

Große Unternehmen Enthusiastischer Internationalisierer

Langsamer Internationalisierer

Nachfolgender Internationalisierer

Gelegentlicher Internationalisierer

Kleine Unternehmen Kleiner Heimatmarkt

Großer Heimatmarkt

Abb. 5.1: Neigung zur Internationalisierung. Quelle: In Anlehnung an Peng 2009, 158.

Ein Unternehmen, das selbst verhältnismäßig groß ist und auf einem kleinen Heimatmarkt agiert, wird der Internationalisierung enthusiastisch gegenüber stehen, da die Wachstumsmöglichkeiten auf dem Heimatmarkt begrenzt sind. Unter Umständen hat eine solche Firma sogar Überkapazitäten, die sie nur über Ausweitung des Marktes abbauen kann. In diesem Zusammenhang ist die Relation der Marktgröße zum betrachteten unternehmen entscheidend, nicht alleine die Größe des Unternehmens. Es fallen also auch KMU in diese Kategorie, deren Firmengröße im Verhältnis zu großen Unternehmen oder Konzernen zwar relativ klein ist, die aber in einem kleinen Heimatmarkt agieren. Dies kann vor allem solche KMU betreffen die mit spezialisierten Produkten nur eine kleine Zielgruppe ansprechen, welche den Markt begrenzt. Unternehmen, die selbst klein sind und dabei einen kleinen Heimatmarkt bearbeiten, können als Nachfolgende Internationalisierer bezeichnet werden, da ihre

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Motivation in ausländische Märkte zu investieren in erster Linie von ihren größeren Geschäftspartnern (Zulieferern oder Abnehmern) abhängt. Gründe für die Internationalisierung liegen im Erhalt der Marktmacht. Große Unternehmen die auf großen Heimatmärkten positioniert sind, werden nur langsam Auslandsmärkte akquirieren, da sie nicht zwingend auf eine Absatzsteigerung angewiesen sind. Zur Festigung ihrer Marktmacht, vor allem in oligopolistisch geprägten Märkten, ist das „Going International“ jedoch unerlässlich. Als vierter Typus ergibt sich ein kleines Unternehmen das auf einem großen Binnenmarkt beheimatet ist. Eine solche Firma hat bereits auf dem Heimatmarkt genügend Wachstumspotenzial und verspürt darum wenig Druck, Auslandsmärkte zu erschließen. Gelegentlich wird ein solches Unternehmen dennoch internationalisieren, beispielsweise um Zugang zu Ressourcen zu gewinnen. John H. Dunning stellt 1994 vier „raisons d’être“ (Dunning 1997, 218), also vier unterschiedliche Motivationen und damit Zielsetzungen für Auslandsinvestitionen vor. An erster Stelle nennt er beschaffungsorientierte Ziele, gefolgt von absatzorientierten, effizienzorientierten und strategischen Zielen (Dunning 1997, 219). Es wird ersichtlich, dass die Motivation eines Markteintritts vielschichtig ist und nicht nur auf die Gewinnoptimierung in einem spezifischen Markt abzielt (Zentes 1992, 32). Beschaffungsorientierte Ziele des Auslandsmarkteintritts liegen nach Dunning im Zugang des Unternehmens zu Ressourcen. Diese können materieller, menschlicher oder finanzieller Art sein, sich also unter anderem auf Rohstoffe, qualifiziertes Personal oder günstiges Kapital beziehen. Zu beachten ist, dass diese Motivation häufig nicht von einem Ressourcenmangel auf dem Heimatmarkt, sondern von Kostenunterschieden zwischen den Ländermärkten geleitet wird (Kutschker/Schmid 2011, 90). So können die Produktionskosten durch den Zugang zu günstigen Ressourcen wesentlich gesenkt werden. In der Literatur wird vielfach als Hauptmotivation eines Auslandsmarkteintritts die Erschließung von neuen Absatzmärkten angenommen (Morschett et al. 2009, 71). So können Überkapazitäten abgebaut, Konjunkturschwächen auf dem Heimatmarkt ausgeglichen und zusätzliche Gewinne erwirtschaftet werden. Zudem kommt es zu einer Konsolidierung der Marktmacht des Unternehmens (Berndt et al. 2010, 7 f.). Effizienzorientierte Motive beziehen sich auf die Realisierung von Skaleneffekten, wobei mit Steigerung des Produktionsvolumens Kostenvorteile geschaffen werden sollen. Auch durch die Optimierung der Wertschöpfungskette, beispielsweise indem komplementäre Fähigkeiten auf den unterschiedlichen Ländermärkten zusammen geführt werden, können effizientere Prozesse implementiert werden (Meffert et al. 2010, 64). Eine weitere Zielsetzung des Auslandsmarkteintritts ist strategischer Art. So möchten Unternehmen beispielsweise Zugang zu Wissen erlangen, indem sie sich in einem innovativen Cluster niederlassen. Exemplarisch kann in diesem Zusammenhang das Silicon Valley in Kalifornien genannt werden. Der Aufbau eines Kontaktnetzwerkes oder die Sicherung der Marktstellung gegenüber Konkurrenten werden ebenfalls als strategische Ziele kategorisiert (Kutschker/Schmid 2011, 91).

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Obwohl in der gängigen Literatur auch andere Systematisierungsformen der Zielsetzungen eines Auslandsmarkteintritts diskutiert werden (u.a. Macharzina/Wolf 2008, 936), wird im Folgenden die Auswahl nach Dunning beibehalten. Dieses Vorgehen erfolgt aufgrund der Überschneidungsfreiheit der Ziele und der damit einhergehenden Übersichtlichkeit. Hierbei ist generell zu beachten, dass Unternehmen in der Regel mehr als nur ein Ziel mit dem Schritt der Internationalisierung verfolgen. Es wird den einzelnen Motivationen jedoch unterschiedliche Gewichtung verleihen (Berndt et al. 2010, 7 f.). Häufig liegt die Frage nach der Internationalisierung nicht nur im autonomen Entscheidungsspielraum des Unternehmens, sondern stellt eher ein Reaktionsfeld auf die gegebene Umweltsituation dar. So muss zum Beispiel dem Verhalten von Wettbewerbern, Zulieferern und Abnehmern Rechnung getragen werden. So kann der Spielraum der Entscheidungsfindung über die Option des Auslandsmarkteintritts im konkreten Fall zu einer Ja-Nein Entscheidung eingeengt werden (Meissner/Gerber 1980, 222).

3 Formen des Auslandsmarkteintritts Unternehmen, deren Entscheidung über den Auslandsmarkteintritt einmal positiv getroffen wurde, sehen sich im zweiten Schritt mit einer Vielzahl von möglichen Markteintrittsformen konfrontiert, deren Spektrum im Zuge der fortschreitenden Globalisierung der 1980er und 1990er Jahre um neue Abstufungen erweitert wurde (Zentes et al. 2010, 217). Zu ihrer Systematisierung können unterschiedliche Kriterien herangezogen werden. Die Abbildung 5.2 kategorisiert mögliche Formen des Markteintritts nach dem geografischen Schwerpunkt der Wertschöpfungsaktivitäten, also dem Ort der Leistungserstellung. Darüber hinaus wird die mögliche Bandbreite von Kooperationsformen aufgezeigt, wobei die Transaktionsformen „Markttransaktionen“ und „Unternehmensintegration“ die Pole eines Kontinuums darstellen, zwischen welchen steigende Transaktionskosten liegen. So stellt die Markteintrittsform des Export diejenige mit den geringsten, die Gründung von Tochtergesellschaften diejenige mit den höchsten Transaktionskosten dar.

3.1 Export Export wird von Michael Kutschker und Stefan Schmid als der „Absatz eigener Güter und Dienstleistungen in fremden Wirtschaftsgebieten“ definiert (Kutschker/Schmid 2011, 855) und stellt eine Grundform des Außenhandels dar (Jahrmann 2007, 21). Gerade in Deutschland, das zwischen 2003 und 2009 weltweit das höchste Exportvolumen einer Volkswirtschaft aufwies (WTO 2013), kommt dieser Markteintrittsform eine herausgestellte Bedeutung zu. Gemeinhin erfolgt eine Unterscheidung

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zwischen direktem und indirektem Export. Letzteres bezeichnet die Einschaltung eines Handelsmittlers im Land des Exporteurs (Kutschker/Schmid 2011, 854).

Markteintrittsformen

Wertschöpfung im Inland

Wertschöpfung im Ausland

Ohne Kapitaltransfer

Export (direkt/indirekt)

Markttransaktionen

Lizenzen

Franchising

Mit Kapitaltransfer

Joint Ventures

Tochtergesellschaften

Unternehmensintegration

Abb. 5.2: Systematisierung von Markteintrittsformen. Quelle: In Anlehnung an Schramm-Klein 2012, 26.

Export gilt als die einfachste Möglichkeit eines Auslandsmarkteintritts (Berndt et al. 2010, 143), da Ressourcenbindung, finanzielles Risiko und organisatorische Komplexität gering sind. Somit ist diese Form der Marktbearbeitung leicht reversibel, wodurch dem Exporteur ein hohes Maß an Flexibilität verliehen wird (Kutschker/Schmid 2011, 855). Nachteilig ist zu nennen, dass der Exporteur (vor allem beim indirekten Export) weit entfernt von seinem Absatzmarkt agiert und daher wenig Kontrolle ausübt, während er einem ständigen Währungsrisiko unterliegt. Auch ist der Export für bestimmte Gütergruppen ungeeignet, zum Beispiel solchen, die nur mit unverhältnismäßig hohen Kosten exportiert werden können (Kutschker/Schmid 2011, 864).

3.2 Lizenzierung Mit Lizenzverträgen gestattet der inländische Lizenzgeber einem Lizenznehmer im Ausland die Nutzung von intangiblen Vermögenswerten gegen Entgelt. Dies können beispielsweise Patente, Warenzeichen, Know-how oder Urheberrechte sein. Im Vertrag wird restriktiv festgelegt, in welchem geografischen Raum, über welchen Zeitraum hinweg und in welcher sachlichen Verwendung der fragliche Vermögenswert genutzt werden darf (Kutschker/Schmid 2011, 864). Lizenzierung gestattet dem Lizenzgeber einen leichten und schnellen Einstieg auf dem Auslandsmarkt (Kulhavy 1986, 21), da sie mit geringer Ressourcenbindung sowie einem geringen unternehmerischen Risiko

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realisierbar ist (Kutschker/Schmid 2011, 868). Markteintrittsbarrieren lassen sich zu Teilen mit Hilfe dieser Strategie umgehen (Kulhavy 1986, 21).Die Kontrolle, die der Lizenzgeber über sein Produkt ausübt, ist jedoch gering, was die Gefahr birgt, mit dem weitergegebenen Wissen Konkurrenten heranzuziehen. Zudem besteht aufgrund der mangelnden Kontrollmöglichkeiten die Gefahr von Qualitätsschwankungen und Imageverlust (Kutschker/Schmid 2011, 870 f.). Lizenzierung hat sich als bewährte und profitable Form des Markteintritts erwiesen (Meffert et al. 2010, 181), dem in den vergangenen Jahren eine steigende Bedeutung zukommt (Lisanti 2008). Bekanntester Lizenzgeber ist die Coca Cola Company die mit etwa 275 Lizenznehmern in über 200 Ländern kooperiert (o.V. Coca Cola GmbH 2008).

3.3 Franchising Franchising bezeichnet die Überlassung eines umfassenden Beschaffungs-, Absatz-, Organisations- und Managementkonzepts des Franchisegebers an den Franchisenehmer gegen Entgelt (Kutschker/Schmid 2011, 873). Die Bindung des Vertriebspartners ist hierbei deutlich umfassender als bei der Lizenzierung (Esch et al. 2008, 342), da Marktauftritt und systemkonformes Verhalten vom Franchisegeber vorgeschrieben sind (Meurer 1997, 9). Der Franchisegeber findet sich in der vorteilhaften Position, mit geringem Kapitalaufwand und geringem Risiko, dafür jedoch mit hoher Geschwindigkeit in Auslandsmärkte eintreten zu können. Zusätzlich verfügt er über mehr Kontrolle des Vertragspartners im Vertrieb als bei der reinen Lizenzierung (Kutschker/Schmid 2011, 877). Das Problem des Kontrollverlusts über weitergegebenes Know-how bleibt hingegen bestehen, wie der Franchisegeber Pizza Hut beispielhaft in Thailand erfahren musste (Tasker 2002). Dort machte sich sein Franchisenehmer selbstständig und erlangte innerhalb weniger Jahre einen Marktanteil von 70 % (Peng 2009, 161). Der Erfolg des Konkurrenten The Pizza Co. beruht auf einem tieferen Marktverständnis als es der Franchisegeber besaß, was generell ein Defizit des Franchisings darstellt. In den vergangenen 15 Jahren verdreifachte sich die Anzahl der Franchisenehmer in Deutschland (Meffert et al. 2012, 571). Als bekannteste Marken können McDonalds, Subway und Holiday Inn genannt werden.

3.4 Joint Ventures Joint Ventures zählen zu den kooperativen Formen des Markteintritts (Zentes et al. 2004, 256), bei der zwei oder mehr Partner eine neue Unternehmung mit eigener Rechtspersönlichkeit schaffen (Meffert et al. 2010, 185). Je nach Beteiligungsverhältnis der Partner kann diese als Majoritäts-, Paritäts- oder Minoritäts-Joint Venture geführt werden (Holtbrügge/Welge 2010, 114).

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Zentrale Vorteile für den aus dem Ausland kommenden Partner sind die Marktkenntnisse des lokalen Counterparts sowie die Umgehung von gesetzlichen Bestimmungen und Importverboten, die auf vielen wachsenden Ländermärkten bestehen (Meffert et al. 2010, 185). Beispielsweise war ausländischen Firmen in der Volksrepublik China bis ins Jahr 2001 keine andere Form des Markteintritts als ein Joint Venture erlaubt (Peng 2006, 26 f.). Hintergrund dieser Bestimmung waren die Ambitionen der chinesischen Regierung, ihre Volkswirtschaft leistungsstärker zu machen. Sie wollten vom Know-how der ausländischen Investoren profitieren. Der Abfluss von Know-how stellt neben einem hohen Koordinationsaufwand, geteilter Entscheidungsmacht und geteilten Gewinnen den bedeutendsten Nachteil von Joint Ventures dar. Häufig werden Joint Ventures deshalb nur als Übergangslösung für den Markteintritt angesehen (Kutschker/Schmid 2011, 891).

3.5 Tochtergesellschaften Eine Tochtergesellschaft stellt eine Direktinvestition im Ausland dar, die zu einem rechtlich selbstständigen Unternehmen führt und mit dem im Zielland investierten Kapital haftbar ist (Meffert et al. 2010, 187). Hierbei wird unterschieden zwischen Neugründung und Akquisition, wobei beide Alternativen erhebliche Kapital- und Managementressourcen beanspruchen (Kutschker/Schmid 2011, 909). Bei Akquisitionen entsteht häufig ein Kompatibilitätsproblem, da zwei unterschiedliche Unternehmenskulturen aufeinander prallen (Peng 2009, 334). Neugründungen sind dagegen zeitintensiver (Meffert et al. 2010, 192). Beiden Formen der Tochtergesellschaften ist gemein, dass sie frei sind, eigenständig und unabhängig auf dem Auslandsmarkt zu agieren und dabei ihre eigene Unternehmensstruktur sowie -strategie beibehalten können. Die Kontrolle verbleibt vollständig beim Mutterunternehmen (Kutschker/Schmid 2011, 908). Die Investition in eine Tochtergesellschaft birgt dennoch ein hohes Risiko. Unsicherheit über die politische Stabilität in Entwicklungsländern und die hohe Ressourcenbindung, die die Entscheidung schwer reversibel macht, sind ernstzunehmende Hindernisse für Direktinvestitionen in Tochtergesellschaften (Kutschker/Schmid 2011, 907).

4 Timing des Auslandsmarkteintritts Neben der Wahl der Markteintrittsstrategie spielt das Timing desselben ebenfalls eine entscheidende Rolle (Johnson/Tellis 2008, 4). Es stellt sich vorab die Frage, ob Auslandsaktivitäten auf nur einem oder auf mehreren neu zu erschließenden Märkten aufgenommen werden. Soll nur ein neuer Ländermarkt bearbeitet werden, so muss

Kapitel 5: Strategien des Auslandsmarkteintritts für kleine und mittlere Unternehmen | 81

ausschließlich der Eintrittszeitpunkt bestimmt werden. Hierbei handelt es sich um länderspezifische Timing-Strategien. Im Falle der Erschließung mehrerer Auslandsmärkte kommt es zu einem doppelten Timing-Problem: Nicht nur der Zeitpunkt, sondern auch die Abfolge der Eintritte müssen geplant werden (Backhaus/Voeth 2010, 95 ff.). Eine Diskussion dieser Konstellationen erfolgt im Abschnitt „Länderübergreifende Timing-Strategien“ erörtert.

4.1 Länderspezifische Timing-Strategien Im Falle eines einfachen Markteintritts lassen sich nach Klaus-Ulrich Remmerbach drei Grundstrategien feststellen: Als Pionier die Führungsrolle auf dem Markt zu übernehmen (Pionier-Strategie), als früher Folger gemeinsam mit dem Pionier den Markt zu bearbeiten (Frühe-Folger-Strategie), oder erst dann einzutreten, wenn sich bereits Marktstrukturen und -regeln etabliert haben (Späte-Folger-Strategie) (Remmerbach 1988, 51 ff.).

4.1.1 Pionier-Strategie Als Pionier gilt der Wettbewerber, der als erster in den Markt eintritt und eine neue Technologie beziehungsweise ein neuartiges Produkt anbietet. Solange bis weitere Anbieter in den Markt eintreten findet er sich kurzfristig in der Position eines QuasiMonopolisten. Er besitzt große Freiräume in der Preisgestaltung und kann in einer vergleichsweise kurzen Zeitspanne die zunächst hohen Kosten der Markterschließung amortisieren (Backhaus/Voeth 2010, 98). Zudem hat der Pionier die Möglichkeit, Markteintrittsbarrieren zu errichten um mögliche Wettbewerber abzuschrecken (Benkenstein/Uhrich 2009, 122). Dies kann vor allem erfolgen, wenn es dem Pionier gelingt, die Markteintrittskosten der Konkurrenz zu erhöhen oder deren Umsatzpotenziale zu senken. Weiter hat er die Möglichkeit ein tiefes Marktverständnis zu entwickeln sowie die eigene Marktposition zu festigen (Remmerbach 1988, 58). Er trägt dabei jedoch ein großes Risiko, da das Nachfrageverhalten des Marktes ungewiss ist, die Gefahr von Technologiesprüngen besteht und das Verhalten der Wettbewerber unvorhersehbar bleibt (Porter 1999, 255). Ein Beispiel hierfür stellt der Ford T dar, welcher 1914 als erstes Automobil in Fließbandfertigung produziert wurde. Hierdurch entstand ein enormer PionierVorteil für die Ford Motor Company, der jedoch nicht erhalten werden konnte, da Chevrolet nachzog und in der Lage war, ein Automobil zum selben Preis auch mit unterschiedlicher Farbgebung anzubieten (Schilling 2007).

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4.1.2 Frühe-Folger-Strategie In der Position des Frühen Folgers finden sich diejenigen Anbieter, die nach dem Pionier auf einen noch nicht entwickelten Markt eintreten (Backhaus/Voeth 2010, 97). So kann der Frühe Folger entweder ein verbessertes Produkt anbieten oder den Konsumenten eine bloße Replikation des Pioniers präsentieren. Dies wird als „second-butbetter entry“ respektive als „me-too entry“ bezeichnet (Schnaars 1986, 28). Theodore Levitt formuliert den zentralen Vorteil des Frühen Folgers indirekt: „The trouble with being a pioneer is that the pioneers get killed by the Indians“ (Levitt 1965, 28). Er drückt damit aus, dass die Frühen Folger von der Vorarbeit der Pioniere bei ungleich geringerem Risiko profitieren können, da die Vorteile der Pioniere in den Grundzügen auch auf die Situation der Frühen Folger zutreffen (Remmerbach 1988, 61). Sie haben die Möglichkeit, auf die Marktentwicklung einzuwirken, sich eine gefestigte Position auf dem Markt zu verschaffen und am Produktlebenszyklus beinahe vollständig teilzuhaben. Nachteile können ihnen dabei durch bereits errichtete Markteintrittsbarrieren des Pioniers, sowie durch den zeitnahen Eintritt weiterer Konkurrenten entstehen. Des Weiteren müssen sie ihre Strategie auf die des Pioniers ausrichten (Backhaus/Voeth 2010, 98).

4.1.3 Späte-Folger-Strategie Erst wenn sich bereits grundlegende Marktstrukturen und -regeln entwickelt haben tritt der Späte Folger in den Markt ein (Backhaus/Voeth 2010, 96). Seine Motivation ist die Partizipation an den zwischenzeitlich ersichtlichen Marktchancen (Remmerbach 1988, 61). Hierbei profitiert er vom bereits bekannten Nachfrageverhalten und vergleichsweise geringen Markterschließungskosten, für die er jedoch Imagenachteile gegenüber den bereits eingeführten und etablierten Produkten in Kauf zu nehmen hat. Darüber hinaus muss der Späte Folger die von den Vorstreitern errichteten Markteintrittsbarrieren überwinden und eine geringe Flexibilität in seiner Strategieausrichtung akzeptieren (Backhaus/Voeth 2010, 99).

4.2 Länderübergreifende Timing-Strategien Tritt ein Unternehmen in mehrere Auslandsmärkte ein, so muss neben der Frage des Zeitpunktes auch die Frage nach der Abfolge der Eintritte evaluiert werden. Für den Eintrittszeitpunkt sind dieselben Strategien wie bei den länderspezifischen TimingStrategien anwendbar. Im Folgenden werden die beiden idealtypischen Möglichkeiten (Backhaus/Voeth 2010, 105) der Abfolge eines Auslandsmarkteintritts in mehrere Länder dargestellt. Hierbei ist zu beachten, dass in der Praxis häufig eine Mischform der beiden Strategien umgesetzt wird. Dies ist unter anderem am Beispiel der Metro AG zu erkennen.

Kapitel 5: Strategien des Auslandsmarkteintritts für kleine und mittlere Unternehmen | 83

4.2.1 Wasserfall-Strategie Die Wasserfall-Strategie zeichnet sich durch ein stufenweises Hineintasten in den Weltmarkt aus (Kreutzer 1989, 238). Die Anzahl der bearbeiteten Länder wird dabei sukzessive erhöht (Kutshcker/Schmid 2011, 991), was bedeutet, dass die Märkte nacheinander und nur nach jeweils ausführlicher Informationensuche erschlossen werden (Berndt et al. 2010, 161). Die erste Stufe stellt dabei die Produkteinführung auf dem Heimatmarkt dar (Kreutzer 1989, 238). Verläuft diese erfolgreich, werden in der zweiten Stufe erste Auslandsmärkte erschlossen. In der Regel wendet sich die Unternehmung dabei zunächst Märkten mit großer Ähnlichkeit zum Heimatmarkt zu, um so auf die bereits erlangten Erfahrungen zurückgreifen zu können (Backhaus/Voeth 2010, 106). Ist die Stellung auf den erschlossenen Märkten gesichert, erfolgt auf den nachfolgenden Stufen der Eintritt in Märkte, die in ihrer Heterogenität graduell steigend sind (Berndt et al. 2010, 161 f.). Eintritt

Land 1 Land 2 Land 3 Land 4 Land 5

0

Zeit

Abb. 5.3: Wasserfallstrategie. Quelle: In Anlehnung an Backhaus/Voeth 2010, 106.

Bei Anwendung der Wasserfallstrategie profitiert das Unternehmen von dem langen Zeitraum über den sich die Produkteinführung auf neue Märkte erstreckt. Hierdurch wird das Risiko des Auslandsengagements verringert, da ein Abbruch auf jeder Stufe möglich ist und das Unternehmen heterogenere Märkte mit jeweils tieferem Erfahrungsschatz betritt (Kutschker/Schmid 2011, 991). Zusätzlich müssen die für den Auslandsmarkteintritt benötigten Ressourcen ebenfalls nur sukzessive aufgebracht werden (Backhaus/Voeth 2010, 107), wodurch frühere Auslandsmarkteintritte nachgelagerte mitfinanzieren können (Kutschker/Schmid 2011, 993). Dem steht entgegen, dass Wettbewerber früher in Zielmärkte eintreten können und somit sämtliche Vorteile einer Pionierstrategie verloren gehen. Auch kann es zu vorschnellen Fehleinschätzungen bezüglich späterer Markteintritte kommen, wenn falsche Rückschlüsse aus vorgelagerten Stufen gezogen werden (Kutschker/Schmid 2011, 994).

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Ein Beispiel für eine erfolgreiche Implementierung der Wasserfallstrategie stellt der britische Handelskonzern Tesco dar, welcher in den 1990er Jahren zunächst benachbarte europäische Märkte penetrierte. Um die Jahrtausendwende folgte Markteintritt auf asiatische Märkte und 2007 in den US-Amerikanischen Markt. Tesco entwickelte sich zum viertgrößten Handelskonzern der Welt (Swoboda et al. 2009, 216 ff.).

4.2.2 Sprinkler-Strategie Bei der Anwendung der Sprinkler-Strategie werden alle Schlüsselmärkte (Kreutzer 1989, 241) simultan innerhalb einer vergleichsweise kurzen Zeitspanne erschlossen (Backhaus/Voeth 2010, 111). Anders als bei der Wasserfall-Strategie kommt es somit zu keiner zeitlichen Differenzierung des Markteintritts (Kutschker/Schmid 2011, 994). Eintritt

Land 1

Land 2

Land 3

Land 4

0

Land 5

Zeit

Abb. 5.4: Sprinklerstrategie. Quelle: In Anlehnung an Backhaus/Voeth 2010, 111.

Den zentralen Vorteil der Strategie bildet der frühe Eintrittszeitpunkt auf die einzelnen Ländermärkte, durch den Pioniervorteile abgeschöpft werden können (Kutschker/Schmid 2011, 994). Der sprunghafte Anstieg des Absatzes ermöglicht zudem die Realisierung von Skaleneffekten (Meffert et al. 2010, 192) wodurch es zu einer schnellen Amortisation der Fixkosten kommt (Kutschker/Schmid 2011, 995). Nachteilig ist zu erwähnen, dass ein simultaner Markteintritt in verschiedene Länder umfangreiche Ressourcen fordert und einen hohen Koordinationsaufwand bedeutet. Der japanische Spielekonsolenhersteller Sony unterschätzte diesen bei der geplanten simultanen Markteinführung der PS3 (PlayStation 3) in den USA und Europa im Jahr 2006. Aufgrund von Lieferproblemen musste die Markteinführung in Europa um ein halbes Jahr verschoben werden, was neben anderen negativen Auswirkungen den Konkurrenten einen Zeitvorsprung verschaffte (Zentes et al. 2010, 192). Da kaum Lerneffekte bei den einzelnen Markteintritten erzielt werden können, besteht zudem ein hohes Floprisiko, was wiederum mit Imageverlusten verbunden ist (Kutschker/Schmid 2011, 995 f.). Fehlinvestitionen bei der Sprinkler-Strategie werden jedoch im Voraus eingeplant (Bogner/Brunner 2007, 143), weshalb der Rück-

Kapitel 5: Strategien des Auslandsmarkteintritts für kleine und mittlere Unternehmen | 85

zug aus einzelnen Ländermärkten bereits als Teil der Strategie verstanden werden kann (Meffert et al. 2010, 192).

4.2.3 Praxisbeispiel: Metro AG Die Expansion der Metro Group auf Auslandsmärkte verläuft auf den ersten Blick nach der Wasserfall-Strategie. Nach Eintritt auf einen dem Heimatmarkt ähnlichen Markt, in diesem Falle Belgien, folgt der Eintritt in weitere, verhältnismäßig ähnliche Märkte im europäischen Ausland. Erst nach Festigung der Position auf diesen Märkten folgt eine weitere Expansionsstufe in die USA. Seit Ende der 1990er Jahre werden in rascher Folge immer weitere Märkte erschlossen. Anzahl der Länder Pakistan Serbien Moldavien

30

20

10

Dänemark Frankreich Österreich Großbritannien

Luxemburg* Spanien Italien

Schweden

Ukraine Vietnam Indien Japan Russland Slovakia Kroatien Tschechien Bulgarien Polen Rumänien Ungarn China Schweiz Marokko Mexico*** Türkei Griechenland Portugal

USA**

Niederlande Deutschland Belgien

* Verkauf des Formats ** Austritt nach Test *** Erste Verhandlungen

1964 1967 1970 1973 1976 1979 1982 1985 1988 1991 1994 1997 2000 2003 20062007 – Organisches Wachstum – Makro-Merger – Nicht-C&C-Länder Abb. 5.5:Timing-Strategie der Metro Group. Quelle: In Anlehnung an Swoboda et al. 2009, 212.

Obwohl die Metro Group über lange Zeiträume hinweg die Märkte sukzessive erschlossen hat, werden im Verlauf jedoch Zeitpunkte sichtbar, in welchen eine simultane Erschließung der Märkte stattfand. Beispielweise wurden 1970 Großbritannien, Österreich, Frankreich und Dänemark simultan betreten, ebenso wie Spanien und Italien ein Jahr später. Es wird deutlich, dass Unternehmen in der Praxis Mischformen der reinen Strategien verfolgen (u.a. Backhaus/Voeth 2010, 113).

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5 Strategieauswahl Da die Entscheidung über die Markteintrittsstrategie jeden Aspekt der internationalen Geschäftsentwicklung vor allem in den Jahren nach der Implementierung beeinflusst, ist die Auswahl der optimalen Strategie von zentraler Bedeutung. Die mit der Strategieauswahl verbundenen Entscheidungen beeinflussen wesentliche Determinanten der Unternehmensstruktur (Schramm-Klein 2012, 25), weshalb falsch gewählte Optionen das gesamte Auslandsengagement zum Scheitern bringen können (Peng 2009, 179). Aufgrund der hohen Bedeutung der Strategieauswahl für den Erfolg des Auslandsengagements wird in diesem Kapitel zunächst das generelle Vorgehen von Unternehmen bei der Strategieauswahl für den Auslandsmarkteintritt dargestellt. Im zweiten Teil folgt die konkrete Anwendung auf die in Kapitel zwei beschriebenen Zielsetzungen.

5.1 Generelles Vorgehen Bei der Wahl der Markteintrittsstrategie können drei grundsätzliche Prinzipien differenziert werden (Root 1994), die sich in ihrem Anspruchsniveau unterscheiden (Albaum et al. 2001, 243). Hierbei werden in der Anwendung die Regeln der Wahl des reinen Markteintrittsmodus auf die Wahl der Markteintrittsstrategie übertragen. Bei der sogenannten naiven Regel wird nur ein Weg des Auslandsmarkteintritts in Erwägung gezogen, wobei die variierenden Eintritts- und Marktbedingungen auf den verschiedenen Auslandsmärkten nicht berücksichtigt werden. Weiter kann nach der pragmatischen Regel verfahren werden, wobei zunächst ein risikoarmer Eintrittsmodus gewählt wird. Nur im Falle von Nichteignung sucht das Unternehmen nach alternativen Markteintrittsstrategien. Dabei besteht die Gefahr, zwar eine geeignete, nicht jedoch die optimale Strategie zu verfolgen (Albaum et al. 2001, 244). Die in ihrer Auswahl fundierteste, jedoch auch arbeitsintensivste Alternative bietet die strategische Regel, bei deren Anwendung das Unternehmen alle in Frage kommenden Eintrittsstrategien bewertet. Diejenige Strategie, welche dabei den Gewinnbetrag hinsichtlich der verfügbaren Ressourcen, der Risiken und der nicht gewinnorientierten Ziele maximiert, wird umgesetzt (Albaum et al. 2001, 243). Unter allen verfügbaren Handlungsalternativen kommt es dabei zunächst zu einer Grobauswahl der Markteintrittsstrategie (Berndt et al. 2010, 169). Diese wird anhand von unternehmensbezogenen, produktbezogenen und marktbezogenen Faktoren getroffen (Meffert/Bolz 1998, 139 ff.). Eine detaillierte Auflistung aller Faktoren kann Abbildung 5.6 entnommen werden. Die Unternehmensbezogenen Faktoren stellen hierbei die Argumente dar, welche sich auf das Unternehmen beziehungsweise den zu internationalisierenden Teil des Unternehmens beziehen. Hierunter fällt einerseits die Unternehmensstrategie

Kapitel 5: Strategien des Auslandsmarkteintritts für kleine und mittlere Unternehmen | 87

sowie die Kostensituation des Unternehmens oder dessen betrachteten Bereichs. So wird im Bereich der strategischen Perspektive unter anderem Betrachtet welche übergreifende und spezielle Wettbewerbs- und Internationalisierungsstrategie im Unternehmen verfolgt wird. Weiter spielen die zu bearbeitenden Marktsegmente sowie der aktuelle Stand des Unternehmens eine bedeutende Rolle. So muss je nach verfolgter Wettbewerbsstrategie oder in Anpassung an die gesamtunternehmerische und langfristig geplante Internationalisierungsstrategie die Auswahl der entsprechenden ersten oder nächsten Schritte der Internationalisierung erfolgen. Im Bereich der realisierten Marktstellung kann zum Beispiel das Image des Unternehmens in den angestrebten Auslandsmärkten eine Bedeutende Rolle einnehmen. So muss bei der Auswahl der Internationalisierungs- und Markteintrittstrategie mit einbezogen werden, welches Image im entsprechenden Zielland bereits besteht oder in wie fern Imagebildende Maßnahmen nötig sind, um den geplanten und gewünschten Erfolg beim Markteintritt zu erzielen. Im Bereich der Kostensituation müssen unter anderem Standort-, Vertriebs- oder Produktivitätskosten sowie Skalen- und Erfahrungskurveneffekte betrachtet und berücksichtigt werden. In diesem Zusammenhang kann zum Beispiel die Adaption von Markteintrittskonzepten von einem Land auf ein anderes genannt werden, wobei aufgrund unterschiedlichster Einflussfaktoren wie zum Beispiel Kultur, Mentalität, Einstellung etc. im entsprechenden Zielland andere Ergebnisse erzielt werden als in dem Land, aus dem Erfahrungswerte vorliegen. So können höhere Vertriebs- und Standortkosten oder eine geringere Produktivität zur Entscheidung gegen oder für einen Markteintritt in einem anderen Land führen und müssen dementsprechend länderspezifisch und in anbetracht der jeweiligen Unternehmenssituation betrachtet und in die Strategie mit einbezogen werden. Eine weiteren Entscheidungsfaktor stellt das Produkt an sich dar. Hier muss beachtet werden, wie der entsprechende Auslandsmarkt zum Produkt steht. Eine entscheidende Fragestellung kann in diesem Zusammenhang die Neuartigkeit des Produkts sein. Auswirkungen eines neuen Produkts können sowohl sein, dass der Markt dieses nicht kennt und somit nicht annimmt oder das es aufgrund der Neuartigkeit besonders gut angenommen wird. Auch können Adaptionen des Produkts oder der Produkte an den entsprechenden Markt von Nöten und entscheidend sein, sodass die Akzeptanz und/oder der Bedarf des Produkts im neuen Markt steigt. Solche Überlegungen müssen bei der Auswahl der Strategie des Markteintritts für jedes Produkt separat und mit Bezug auf jeden einzelnen potenziellen neuen Markt erfolgen. Marktbezogene Faktoren lassen sich in rechtliche, ökonomische, Wettbewerbs-, Handels- und Konsumentensituation unterteilen. Hierbei liegt der Fokus jeweils auf der entsprechenden Situation im betrachteten und in die Überlegung mit einfließenden Land und Markt. In Verbindung und Verknüpfung aller marktbezogenen Faktoren mit den unternehmens- und produktbezogenen Faktoren kann somit eine Grobauswahl und eine Priorisierung der Märkte erfolgen die als potenzielle neue internationale

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Märkte in Frage kommen. Ein besseres Zusammenpassen der entsprechenden unternehmens- und Produktbezogenen Faktoren mit den entsprechenden marktbezogenen Faktoren führt zu einer höheren Priorität des Entsprechenden Marktes.

Unternehmensbezogene Produkt- Marktbezogene Faktoren Faktoren bezogene Faktoren WettStrategie KostenRechtliche Ökonobewerbssituation Situation mische situation Situation

Handelssituation

Konsumentensituation

Wettbewerbsstrategie

Kapazitäts- Produktauslastung art

PreisMarktkontrollen volumen

Substitutionsgüter

Strategie der Internationalisierung

Technologie

Phase im Produktlebenszyklus

Dumpingbestimmungen

Marktstruktur

Anzahl der Anzahl der Konkurren- Absatzten mittler

Zu bearbeitende Marktsegmente

Standorte

Neuigkeitsgrad

Steuern

Wechselkurse

Wettbewerbsstärke der Konkurrenten

Ausmaß der Produktdifferenzierung

Ex- und Inflation Importbeschränkungen

Nachfrageverhalten

LocalContentVorschriften

Markttransparenz

Realisierte FaktorMarktkosten stellung (Bekanntheitsgrad, Image etc.) Produktivität

Skalen- und Erfahrungskurveneffekte Vertriebskosten

Abb. 5.6: Faktoren zur Grobauswahl der Markteintrittsstrategie. Quelle: In Anlehnung an Zentes et al. 2010, 248.

Konditionen- Preisstrukturen elastizität

Nachfragerverhalten

MachtMarktposition der transparenz Absatzmittler

Einkommen

Kapitel 5: Strategien des Auslandsmarkteintritts für kleine und mittlere Unternehmen | 89

Wurde die Anzahl der Markteintrittsalternativen eingegrenzt, muss eine Wirtschaftlichkeitsanalyse zur Feinauswahl vorgenommen werden (Berndt et al. 2010, 169). Hier kann unter anderem nach der Kapitalwertmethode vorgegangen werden. Diese zeigt die Wirtschaftlichkeit jeder Alternative auf, indem deren jeweilige Kapitalwerte errechnet werden. Es wird folglich die Strategie ausgewählt, die den höchsten Kapitalwert erzielt (Perlitz 2004, 190 ff.).

5.2 Zielsetzungsorientierte Strategieauswahl Mit dem in dieser Arbeit verfolgten Konzept von Strategie als Bündel aus Entscheidungen, welche getroffen werden, um wirtschaftliche Ziele zu verwirklichen, kann die Selektion der optimalen Markteintrittsstrategie nur vor dem Hintergrund einer gegebenen Zielsetzung erfolgen. Nachfolgend wird die Eignung der diskutierten Markteintrittsformen und Timing-Strategien für konkrete Zielsetzungen bewertet. Als mögliche Zielsetzungen werden die vorgestellten Motive der Internationalisierung nach Dunning herangezogen. Hierbei sind die in den Tabellen mit (–) bewerteten Alternativen als ungeeignet eingestuft, während mit (+) bewertete Alternativen eine Grobauswahl darstellen, da sie als anwendbar angenommen sind. Mit (++) bewertete Optionen bezeichnen die für die jeweilige Zielsetzung am sinnvollsten erscheinende Alternative. In der praktischen Anwendung muss jede Methode vor dem Hintergrund der konkreten Unternehmenssituation bewertet werden, um eine geeignete Grobauswahl herauszufiltern (Zentes et al. 2010, 248). Beispielsweise kann die Markteintrittsform der Tochtergesellschaft für ein Unternehmen die optimale Entscheidung zum Erlangen der Zielsetzung sein. Sind jedoch die finanziellen Ressourcen zum Aufbau einer solchen nicht vorhanden, muss die Option bereits bei der Grobauswahl eliminiert werden. In der nachfolgenden Bewertung wird aufgrund dessen ausschließlich die generelle Eignung aller möglichen Strategien für das Erlangen konkreter unternehmerischer Ziele beurteilt. Die erarbeiteten Handlungsempfehlungen stellen eine Orientierung und grobe Richtungsvorgabe für die Strategieauswahl dar, müssen jedoch als für jede Unternehmenssituation speziell anzupassende Optionen verstanden werden.

5.2.1 Bewertung der Markteintrittsformen Mit der Auswahl der Markteintrittsform trifft das Unternehmen eine Festlegung, die über das Ausmaß des finanziellen Engagements, das Risiko, die Reversibilität und Kontrollmöglichkeiten der künftigen Geschäftstätigkeit im Ausland entscheidet. Aus diesen Faktoren erschließt sich die unterschiedliche Eignung der Alternativen für unterschiedliche Unternehmensziele.

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Zielsetzung

Export

Lizenzierung Franchising

Joint Venture Tochtergesellschaften

Zugang zu Ressourcen







++

+

Erschließung neuer Absatzmärkte

++





+

+

Effizienzsteigerung

+





++

+

Strategischer Art

+

+

+

+

++

Abb. 5.7: Markteintrittsformen und Zielsetzungen. Quelle: Eigene Darstellung.

Möchte das Unternehmen Zugang zu Ressourcen im Ausland erlangen, so gelingt dies am besten durch Gründung eines Joint Ventures. Bei dieser Markteintrittsform ist die Repräsentanz vor Ort gewährleistet und es kann von den Marktkenntnissen und dem landesspezifischen Know-how des Partners profitiert werden (Kutschker/Schmid 2011, 890 f.). Diese Eigenschaften qualifizieren das Joint Venture in Bezug auf die Zielsetzung der Ressourcengewinnung besser als die Tochtergesellschaft. Stellt das Unternehmen dagegen das Ziel der Absatzmarktgewinnung in den Vordergrund, so ist die Markteintrittsform des Exports die geeignetste Option. Hier können mit geringem Kostenaufwand in kurzer Zeit zahlreiche Märkte erschlossen werden (Meffert et al. 2010, 179). Für die Zielsetzung der Effizienzerlangung erweist sich ebenfalls die Gründung eines Joint Ventures als sinnvolle Alternative. So können nicht nur Skaleneffekte durch die gesteigerte Produktion realisiert, sondern darüber hinaus auch komplementäre Fähigkeiten des Partners in den Produktions- und Planungsprozess eingebracht werden (Kutschker/Schmid 2011, 890 f.). Zuletzt nennt Dunning strategische Motive, wie beispielsweise den Zugang zu Clustergebieten. Hierfür eignet sich der Aufbau einer Tochtergesellschaft in besonderem Maße, da vor Ort unabhängig agiert werden kann, während die Kontakte zum Auslandsmarkt sehr intensiv geführt werden (Foscht 2004, 345).

5.2.2 Bewertung des Markteintrittszeitpunktes Die Bestimmung des Markteintrittszeitpunktes legt fest, welche Marktposition das Unternehmen auf dem Auslandsmarkt erlangen kann. Da für unterschiedliche Zielsetzungen auch andersgeartete Positionen erstrebenswert sind, erweisen sich einige Eintrittszeitpunkte als besser geeignete und darum zu bevorzugende Alternativen.

Kapitel 5: Strategien des Auslandsmarkteintritts für kleine und mittlere Unternehmen | 91

Zielsetzung

Pionier

Früher Folger

Später Folger

Zugang zu Ressourcen

++

+

+

Erschließung neuer Absatzmärkte

+

+

++

Effizienzsteigerung

+

++

+

Strategischer Art

++

+

+

Abb. 5.8: Markteintrittszeitpunkte und Zielsetzungen. Quelle: Eigene Darstellung.

So ist die Pionier-Strategie besser als die alternativen Möglichkeiten zur Ressourcengewinnung geeignet. Das Unternehmen, welches vor den Konkurrenten auf den Markt eintritt, erlangt zuerst Zugang zu Ressourcen wie Rohstoffen und Know-how und kann sich diese im Regelfall noch vor dem Eintritt der Folger für sich allein sichern (Peng 2009, 168). Möchte das Unternehmen vor allem Absatzmärkte gewinnen, so ist die Strategie des Späten Folgers die risikoärmste. Zu diesem Zeitpunkt ist bereits erwiesen, dass Marktpotenzial besteht und vergleichsweise wenige Ressourcen zur Markterschließung aufgewandt werden müssen (Backhaus 2011, 986). Ist Effizienz in der Produktion die primäre Zielsetzung des Unternehmens, so stellt sich die Strategie des Frühen Folgers als am geeignetsten dar. Zu diesem Zeitpunkt sind die Unternehmen noch frei in der Gestaltung ihres Produktes wobei gleichzeitig die Chance auf einen hohen Marktanteil zur Realisierung von Skaleneffekten besteht (Backhaus/Voeth 2010, 98). Strategische Ziele sind am besten in der Situation des Pioniers zu verwirklichen. Er befindet sich in der Situation der absolut freien Gestaltungsmöglichkeiten seiner Strategie, kann als erster Kontakte knüpfen und sich in die erwünschte Marktposition bewegen.

5.2.3 Bewertung der Markteintrittsabfolge Die Determinanten, die durch die Abfolge der Markteintrittszeitpunkte bestimmt werden, sind Qualität und Geschwindigkeit des Eintritts sowie die Quantität der erreichten Märkte. Damit einher gehen unterschiedliche Vor- und Nachteile, die für jede Zielsetzung differenziert bewertet werden müssen. Die Wasserfallstrategie erweist sich im Hinblick auf den Zugang zu Ressourcen sowie für das Erreichen strategischer Ziele als überlegen. Da durch die sukzessive Erschließung der neuen Märkte ein nachhaltiges Wachstum gewährleistet ist sowie eine gründliche Vorbereitung des Eintritts erfolgt, besteht die Möglichkeit den Zu-

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gang zu Ressourcen zielgerichtet zu erarbeiten. Das Unternehmen verfügt über die Zeit, seine Position auf dem Markt strategisch zu planen und zu beeinflussen. Aus diesem Grund können auch strategische Ziele leichter erreicht werden. Ist hingegen die Erschließung neuer Märkte oder eine Effizienzsteigerung der Prozesse geplant, erscheint die Sprinkler-Strategie als geeigneter. Hierbei kann in einem kurzen Zeitraum eine hohe Anzahl von Märkten bearbeitet werden, was den Absatz steigert und zu einer effektiveren Realisierung von Skaleneffekten führt.

Zielsetzung

WasserfallStrategie

SprinklerStrategie

Zugang zu Ressourcen

++

+

Erschließung neuer Absatzmärkte

+

++

Effizienzsteigerung

+

++

Strategischer Art

++

+

Abb. 5.9: Abfolge der Markteintrittszeitpunkte und Zielsetzungen. Quelle: Eigene Darstellung.

5.2.4 Handlungsempfehlungen Aus diesen Ergebnissen folgt, dass für jede der genannten Zielsetzungen eine optimale Strategie gefunden werden kann. Wird die konkrete Unternehmenssituation zunächst nicht in Betracht gezogen, ergeben sich nachfolgende Handlungsempfehlungen zur Strategieauswahl. Diese eignen sich zur groben Orientierung im Entscheidungsfindungsprozess der Auslandsmarkteintrittsstrategie, müssen aber vor dem Hintergrund einer konkreten Umweltsituation evaluiert, überdacht und angepasst werden.

Zielsetzung

Form

Zeitpunkt

Abfolge

Zugang zu Ressourcen

Joint Venture

Pionier

Wasserfall

Erschließung neuer Absatzmärkte

Export

Später Folger

Sprinkler

Effizienzsteigerung

Joint Venture

Früher Folger

Sprinkler

Strategischer Art

Tochter-

Pionier

Wasserfall

gesellschaft

Abb. 5.10: Strategien zur Zielerreichung. Quelle: Eigene Darstellung.

Kapitel 5: Strategien des Auslandsmarkteintritts für kleine und mittlere Unternehmen | 93

6 Fazit und Ausblick Der vorliegende Beitrag diskutiert verschiedene strategische Möglichkeiten eines Auslandsmarkteintritts. Es wird davon ausgegangen, dass Unternehmen mit der Aufnahme internationaler Geschäftstätigkeit stets konkrete Zielsetzungen verfolgen. Um diese zu erreichen muss nach einer Strategie verfahren werden, die einerseits im Bereich der Möglichkeiten des Unternehmens liegt und dessen spezieller Situation Rechnung trägt, die jedoch andererseits die Bedürfnisse der Zielsetzung berücksichtig. So muss ein Unternehmen, welches primär seinen Absatz steigern möchte, möglichst viele Märkte in kurzer Zeit erreichen und darf sich nicht über mehrere Jahre hinweg sukzessive unter Aufwand und Einsatz vieler Ressourcen in neue Ländermärkte vortasten. Für vier ausgewählte und grundlegende Zielsetzungen wird so eine Strategie erarbeitet, die optimal die Bedürfnisse der Ziele erfüllt. Diese können von Unternehmen bei der Erörterung möglicher Auslandsmarkteintrittsstrategien als richtungweisend herangezogen werden. Der erarbeitete Katalog stellt hierbei eine Orientierungshilfe, jedoch keine Handlungsanweisung dar, da sich die konkreten Situation von Unternehmens zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedlich präsentieren. Diese müssen bei der Auswahl der Markteintrittsstrategie Berücksichtigung finden, da nur so der entscheidende Schritt des Auslandsmarkteintritts erfolgreich und nachhaltig gegangen werden kann. Im Zeitalter der Globalisierung, in dem Märkte zunehmend zusammenrücken, Ländergrenzen durchlässiger werden und Entfernungen eine immer untergeordnetere Rolle spielen, sind die hier vorgestellten Handlungsoptionen sowie die erarbeiteten Ergebnisse von hoher Brisanz. Nach wie vor stellt ein Auslandsmarkteintritt Unternehmen, darunter vor allem KMU, vor immense Herausforderungen, welchen mit fundiertem strategischem Wissen begegnet werden muss. So liefert diese Arbeit eine erste Orientierung und Hilfestellung indem Alternativen aufgezeigt werden und mögliche Maßnahmen angedeutet werden, sodass sowohl die Auswahl der Strategie als auch die Wahl des Timings des Auslandsmarkteintritts besser erfolgen kann.

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Cornelius Klingel

Kapitel 6: Changemanagement in KMU: Zwischen Spielraum und Struktur 1 Einleitung „Yes we can!“ war die Parole des Jahres 2009 und transportierte als Slogan im USamerikanischen Präsidentschaftswahlkampf vor allem ein Konzept, mit dem sich nicht nur die Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung, sondern auch Beobachter aus aller Welt identifizieren konnten: „Change“ – der Wandel, die Veränderung, eine klare Abkehr vom Bisherigen. Dieser Slogan feierte einen überwältigenden Siegeszug und spülte einen Mann ins höchste Amt der Vereinigten Staaten, der sowohl inhaltliche als auch aufgrund seiner Hautfarbe echte Innovation vermittelte. Die postulierte Botschaft war prägnant und wurde im Wahlkampf auch bisweilen wenig subtil formuliert als: „So wie bislang kann es nicht weitergehen!“ Am Anfang eines jeden Change Prozesses steht ein Problembewusstsein (Oliver 1992) Ob organisationsintern gewachsen (Schein 1983) oder von extern angesteuert, die aktive Wahrnehmung eines unbefriedigenden Zustandes stellt den Ausgangspunkt für nachhaltige Veränderung dar. In der ersten Feststellung „So kann es nicht weitergehen“ liegt zugleich eine Hoffnung und Erwartung auf Besserung der Situation. Wandel als Chance stellt zwar noch keine Lösung, aber doch zumindest eine Bewegung, also eine Chance dar (Kotter 1995). Das Hauptproblem der meisten Change-Prozesse liegt dann in der Vielzahl der Aspekte, die berücksichtigt und der Komplexität der Entscheidungen, die getroffen werden müssen, um den Wandel konstruktiv zu lenken. Ein Veränderungsprozess mag „dramatisch“ in einer einzigen Aktion vom Management initiiert werden, „systematisch“ von einem Expertengremium oder einer Taskforce begleitet oder „organisch“ über einen längeren Zeitraum hinweg „bottom-up“ entwickelt werden (Huy/Mintzberg 2003; Owen 2005). Von entscheidender Bedeutung ist, dass die betroffenen Mitarbeiter ein gemeinsames Verständnis von Ziel und Zweck der Veränderung (Weick/Quinn 1999; Corley 2004), ihrer eigenen Rolle darin (Schein 1984) und den neu an sie gestellten Erwartungen (Kim/Mauborne 2003) entwickeln. Für den Arbeitsalltag in kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) bedeutet das unter anderem, dass Mitarbeitern zwar Strukturen und Regeln vorgege-

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ben, gleichzeitig aber der Erfindergeist und die Problemlösungskapazitäten, ja auch Zweifel und Widerstand jedes Einzelnen genutzt werden sollen (Waddell/Sohal 1998). Genau diese Paradoxie, Mitarbeitern Handlungsspielraum zu ermöglichen und gleichzeitig verlässliche Strukturen schaffen zu wollen, überfordert und überlastet viele Veränderungsprozesse. In diesem Artikel sollen exemplarisch einige mögliche Herangehensweisen für dieses Dilemma zwischen Struktur und Spielraum an einem konkreten, anonymisierten Beispiel untersucht werden. Dazu werden zunächst Theorien aus dem verhaltensökonomischen und sozialpsychologischen Umfeld vorgestellt, um das Verhalten von Mitarbeitern in verschiedenen Situationen und Graden von Strukturierung sichtbar zu machen. Dieser Betrachtung liegen mehrere Praxisfälle und Interviews zu Grunde, die aus Gründen des Datenschutzes anonymisiert wurden – daher wird an einigen Stellen auf Erhebungen Bezug genommen die nicht in diesem Kapitel selbst enthalten sind.

2 Das Unternehmen 2.1 Ausgangslage Im Folgenden werden die Veränderungsprozesse des fiktiven Unternehmens Laserlight GmbH geschildert. Es handelt sich um eine Spedition, die mehrere Großkunden im Maschinenbausektor bedient. Zuletzt wurden hier mit einer externen Unternehmensberatung Maßnahmen zur Neuordnung der Prozesse und Strukturen entwickelt. Ziel war die Steigerung der Produktivität des Unternehmens durch eine Reduktion von Transaktionskosten und die Verbesserung der Koordination der einzelnen Geschäftsbereiche untereinander. Die Kunden der Laserlight GmbH zählen im Maschinenbaugewerbe zu den Marktführern in ihren Branchen und legen großen Wert auf zuverlässige und effiziente Partner. Im Lauf der vergangenen Jahrzehnte wurde eine Vielzahl von Produktionsschritten auf Kundenseite als just-in-time (JIT) oder just-in-sequence (JIS) direkt an die Leistungen der Laserlight GmbH angeschlossen und mehrere Consultingbegleitete Projekte wie TQM und Balanced Scorecard durchgeführt. Zuletzt wurden auf Kundenseite sowohl die Produktionszahlen als auch die Produktpaletten erweitert. Die Komplexität der Produkte und damit die Anforderungen an Transport und Zulieferung wachsen seit Jahren stetig. Dies stellt Personal, IT und Prozessgestaltung der Laserlight GmbH beständig vor neue Herausforderungen. Das Unternehmen konnte als Folge der langfristigen Partnerschaften expandieren und neben dem Hauptstandort auch zwei Zweigstellen einrichten, die der Nähe zum Kunden dienen. Mehrere Zweckbauten zur Lagerung von Material und Fahrzeugen wurden zudem im Raum zwischen den Standorten eingerichtet.

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Die Laserlight GmbH greift seit einigen Jahren auf das Beschäftigungsmodell des Personal-Leasings zurück. Mitarbeiter werden auf diesem Wege befristet über eine private Personalvermittlungsagentur eingestellt, erhalten aber nicht den Status eines Festangestellten und fallen nicht unter die branchentariflichen Bestimmungen. Etwa ein Viertel der Mitarbeiter des Unternehmens sind Leasingkräfte oder per Zeitvertrag angestellt. Bezüglich der Altersstruktur ist die Belegschaft durchmischt. Durch die Wirtschaftskrise brach allgemein der Umsatz im Maschinenbausektor ein. Auch die Auftragslage der Laserlight GmbH war davon in signifikantem Maße betroffen, was Kürzungen bei Projektbudgets und Anschaffungsinvestitionen zur Folge hatte. Als Folge der Krise steht nun für die Laserlight GmbH eine Fusion mit dem größten regionalen Konkurrenten zur Diskussion. Die genauen Modalitäten einer solchen Zusammenarbeit sind für die Mitarbeiterschaft nicht abschätzbar und könnten im schlimmsten Fall eine erhebliche Zahl von Entlassungen zur Folge haben. Das Leitbild des Unternehmens definiert sich folgendermaßen: Wir erstreben einen effizienten, flexiblen und vorhersehbaren Logistik-Prozess, der die Anstrengungen aller Funktionen innerhalb der Wertkette [...] bündelt, um unseren Kunden die richtigen Teile, zum gewünschten Zeitpunkt, in der erforderlichen Qualität, am gewünschten Platz zur Verfügung zu stellen.

2.2 Das Problem Die grundlegende Funktion eines Logistikunternehmens ist vergleichbar mit einem menschlichen Blutkreislauf. An einer Stelle werden Materialien und Baustoffe aufgenommen, die andernorts abgeliefert werden um nach Bedarf und Potenzial eingesetzt zu werden. Gleichzeitig müssen andere Güter, wie End- aber auch Abfallprodukte ihren Weg in die andere Richtung beziehungsweise zum jeweiligen Bestimmungsort finden. Dies erfordert sowohl ein hohes Maß an Strukturiertheit, wie beispielsweise ein Netz aus Blutgefäßen, Routenplanung, Transportfahrzeuge und Arbeitsroutinen, allerdings auch ein gewisses Maß an Improvisation und Adaptionsfähigkeit, falls ein Kunde Spezialwünsche äußert, unerwartet Probleme auftreten oder sich Prioritäten verschieben. Diese Ambivalenz von Struktur und Spielraum zeichnet den Logistiksektor verstärkt aus, allerdings finden sich diese Pole zu einem gewissen Grad in den allermeisten Unternehmen der Produktions- und Servicewirtschaft. Bei der Laserlight GmbH wurde nun zuletzt eine Auditprüfung der internen Abläufe und Prozesse durchgeführt und ein Bericht mit Empfehlungen zur Überarbeitung der Materialwirtschafts- und Logistikprozesse erstellt. Diese Empfehlungen stellten keine konzeptionellen Lösungsvorschläge dar, sondern primär Hinweise auf Veränderungsbedarf. Daraufhin wurde bereits mit Hilfe einer externen Managementberatung eine Analyse und Priorisierung der angemahnten Punkte vorgenommen

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und Lösungsmöglichkeiten erörtert. Workshops mit Teilnehmern aus allen Abteilungen wurden durchgeführt und dienten dazu, vor Ort Lösungen zu den betreffenden Fragen zu entwickeln. Die Beteiligung an diesen Workshops war hoch und das Interesse zur Mitarbeit zu Beginn groß. Für die Umsetzung der entwickelten Empfehlungen wurde anschließend eine „Roadmap“ erstellt, die anstehende Veränderungsmaßnahmen und mittelfristige Ziele umfasste und in einen zeitlichen Horizont einordnete. Zu dieser Roadmap gehörten unter Maßnahmen wie: – Zentralisierung der verschiedenen Standorte – Neuordnung der Materialverteilung zum Kunden inkl. veränderter Personalstruktur – Einführung des Softwaresystems „SAP Warehouse Management System“ (SAP WMS) zur Verbesserung der Transparenz und Auswertungsmöglichkeiten – Umstellung auf „prozessgesteuerte Logistik“ über normative Verschriftlichung von Abläufen und Zuständigkeiten innerhalb des Unternehmens. – Einführung eines Kennzahlensystems im Materialwirtschaftsberichtswesen Teile dieser Roadmap wurden zu Beginn der Betrachtung bereits umgesetzt, so zum Beispiel die Restrukturierung der Materialverteilung zum Kunden, sowie die Umstellung der Software auf SAP WMS. Dies bedeutet für die Betrachtung, dass im Unternehmen nun in kurzer Zeit viele Jobs, Zuständigkeiten und Köpfe gewechselt haben während gleichzeitig ein völlig neues Softwaresystem für die Bearbeitung der Projekte und Dienstleistungen eingeführt wurde. Mit der Zentralisierung der Standorte kommt außerdem noch ein geografischer Wandel hinzu und die Verschriftlichung der Prozesse wird eine verstärkte Standardisierung nach sich ziehen. Nach Implementierung der ersten Schritte wurden jedoch bereits Schwierigkeiten in der Nachhaltigkeit der Umsetzung dieser Maßnahmen sichtbar: Mitarbeiter verfielen in Gewohnheiten aus der Zeit vor der Veränderung, improvisierten frei nach eigenem Ermessen an unpassender Stelle oder führten ungeschriebene Regeln ein, die mit der Managementebene weder geplant noch abgestimmt waren. Um die Gründe für solches Verhalten näher zu beleuchten und den konstruktiven Umgang damit zu ermutigen werden nun im folgenden Kapitel einige Konzepte und Begriffe zur Betrachtung organisationaler Veränderungsprozesse beschrieben.

3 Konzepte der Analyse Die hier vorgestellten Konzepte sind als Vokabular und Werkzeugkasten zu verstehen, welche die Analyse der auftretenden Probleme in Unternehmen und anderen Organisationen erleichtern können. Die zugrundeliegenden Theorien entstammen

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den Bereichen der Verhaltensökonomie und der Sozialpsychologie. Zur besseren Anschauung werden die Konzepte daher durch praktische Beispiele ergänzt.

3.1 Schlecht-definierte Systeme Mit dem Begriff schlecht-definiertes System beschreibt der Soziologe und Systemtheoretiker Dirk Baecker eine Situation beziehungsweise ein System, in dem im Vorhinein nicht bekannt ist ob, wann oder wie sich Zustände und Bedingungen innerhalb des Systems verändern werden. Da die meisten Situationen zwischenmenschlicher Interaktion nicht von der bedingungslosen Logik eines Homo Oeconomicus geprägt sind, trifft diese Beschreibung besonders häufig auf Situationen im Verlauf eines Change-Prozesses zu. Näheres zur Einordnung und zum Umgang mit schlecht-definierten Systemen folgt in Abschnitt 3.3. Dem schlecht-definierten System entgegen steht das Konzept des wohl-definierten Systems in dem die Zustände und deren Übergänge bekannt und voraussagbar sind. Abgesehen von Computerprogrammen, deren Programmierung nur eine bestimmte Folge oder Auswahl von Handlungsoptionen zulässt sind solche Systeme und Situationen im Alltag sehr selten. Bereits ein Brettspiel vom Komplexitätsgrad eines „Mensch ärgere dich nicht“ bietet trotz seiner klaren Spielregeln großen Spielraum für zufällige oder unberechenbare Ereignisse. Daher sind diese beiden Systemtypen weniger in Reinform zu verstehen, sondern eher als zwei Extreme der Skala, zwischen denen sich Systeme stärkerer/besserer und schwächerer/schlechterer Definition finden. Im alltäglichen Unternehmenskontext finden sich bereits viele Ebenen und Elemente von Definition wie zum Beispiel Verträge, Organigramme, Richtlinien und Prozessbeschreibungen. Je mehr und je stärker definiert wird, desto weniger Raum bleibt für Unklarheit, allerdings auch für Flexibilität und Kreativität, was, wie wir noch sehen werden, nicht immer im Sinne des Unternehmens ist.

3.2 Komplexe Handlungssituationen In schlecht-definierten Systemen ergeben sich aufgrund der Nichterwartbarkeit der Umstände konstant sogenannte komplexe Handlungssituationen für die darin agierenden Individuen (Dörner 2003; Bick et al. 1994). In Unternehmen der Produktions- und Dienstleistungsbranche finden sich solche Momente verstärkt. Aber prinzipiell in sämtlichen Organisationen, zumal solchen, die im Begriff sind einen Wandel zu durchlaufen, entstehen derartige Situationen. Dörners Modell und die nachfolgenden Begriffe finden daher auch in der Managementliteratur Aufnahme zur Beschreibung von Verhalten in Organisationen (Greif et al. 2004).

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Komplexe Handlungssituationen sind insbesondere geprägt durch vier Elemente:

Vernetzung

Dynamik

Komplexität

Intransparenz Komplexe Handlungssituation

Abb. 6.1: Kriterien komplexer Handlungssituationen. Quelle: In Anlehnung an Dörner 2003.

Komplexität Es existieren viele Variablen im System, die einander beeinflussen und dazu führen, dass isolierte Faktorveränderungen nicht möglich sind. Vernetzung Das Maß in dem sich diese Variablen gegenseitig beeinflussen und Fern- beziehungsweise Nebenwirkungen haben ist hoch. Dynamik Das System entwickelt sich fort im Verlauf der Beobachtung. Ein klassisches Beispiel für Dynamik ist Zeitdruck unter dem anstehende Entscheidungen getroffen werden. Intransparenz Der Einblick in die Zusammenhänge und Interdependenzen des Systems ist unvollständig. Es sind fast nie alle entscheidungsrelevanten Faktoren gleichzeitig beobachtbar. Das Arbeiten in einer komplexen Handlungssituation beschreibt Dörner mit folgender Metapher:

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[...] wir sagen, dass ein Akteur in einer komplexen Handlungssituation einem Schachspieler gleicht, der mit einem Schachspiel spielen muss, welches sehr viele (etwa: einige Dutzend) Figuren aufweist, die mit Gummifäden aneinander hängen, sodass es ihm unmöglich ist, nur eine Figur zu bewegen. Außerdem bewegen sich seine und des Gegners Figuren auch von allein, nach Regeln, die er nicht genau kennt oder über die er falsche Annahmen hat. Und obendrein befindet sich ein Teil der eigenen und der fremden Figuren im Nebel und ist nicht oder nur ungenau zu erkennen (Dörner 2003, 66).

3.3 Umgang mit komplexen Handlungssituationen in schlecht definierten Systemen Die oben genannten Faktoren stellen den Akteur in einer komplexen Handlungssituation vor extreme Informationsunsicherheiten. Um nun trotzdem handlungsfähig zu bleiben neigen Menschen zur Bildung behelfsmäßiger Hypothesen, die den kognitiven Aufwand einer Situationsanalyse erleichtern sollen. Man orientiert sich also beispielsweise an Maßnahmen, die schon einmal funktioniert haben, sucht nach Vergleichsfällen oder verlässt sich auf sein Bauchgefühl. Dies geschieht sowohl auf der Ebene individueller Mitarbeiter als auch auf der Gesamtorganisationsebene. Gerade in Veränderungsprozessen, die besonders durch wechselnde Ausgangsdaten gekennzeichnet sind, besteht die realistische Chance, dass der Rückgriff auf die Daten, die eben gerade verfügbar sind zur Bildung falscher Hypothesen über die Situation führt. Für den Alltag in einem Unternehmen bedeutet dies, dass tendenziell jeder Mitarbeiter, Vorgesetzte oder Untergebene über unterschiedliche begrenzte Informationen, Herangehensweisen und Prioritäten verfügt und entsprechend eigene Hypothesen und Heuristiken entwickelt (Weick 1999). Laut Dörners Einschätzung sind besonders Experten, die täglichen Umgang mit Grenzbereichen haben, anfällig für das übermäßige Festhalten an ihren Aussagen, da sie im intuitiven Umgang mit dem System lernen die Sicherheitszonen als nutzbares Areal einzuplanen und zudem ihre Meinung in der Regel eines ihrer höchstgeschätzten Güter ist (Dörner 2003, 69 ff.). Laien, die vor das gleiche Problem gestellt werden, sind sich in der Regel ihrer unzureichenden Informationslage eher bewusst. Gerade in Organisationen die einen hohem Anteil an Experten aufweisen besteht ein häufiges Ziel von Managementberatung darin diese unterschiedlichen Sichtweisen durch eine Struktur und ein gemeinsames Bild der Organisation zusammenzubringen. Die Überbetonung von Struktur dezimiert allerdings den Spielraum, der in flexiblen Branchen wie der Logistik notwendig ist, um auf unerwartete Änderungen adäquat reagieren zu können. In den Worten Dirk Baeckers: „Eine der erstaunlichsten Fähigkeiten der Menschen liegt im Umgang mit schlecht-definierten Systemen. Scheinen sie gegenüber wohl-definierten Systemen vieles falsch zu machen, so wachsen sie, ohne recht zu wissen wie, über sich selbst hinaus, wenn sie als Teil eines schlecht-definierten Systems agieren“ (Baecker 1994, 40).

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Hypothesenbildung aus Sicht der Verhaltensökonomie Der Ausgangspunkt von Baeckers Konzept des schlecht-definierten Systems liegt bei den Psychologen Amos Tversky und Daniel Kahnemann, die Mitte der siebziger Jahre Entscheidungen unter Unsicherheit untersuchten. Demnach tendieren Menschen unter Unsicherheit dazu, sich an Heuristiken und Erfahrungswerten zu orientieren. In erster Linie werden also Situationen, die eine Entscheidung erfordern, anhand von Ähnlichkeiten mit bereits Erlebtem beurteilt. Im Alltag sind derartige Daumenregeln und Erfahrungsassoziationen in den meisten Fällen hilfreich, da sie Denkprozesse automatisieren und somit komplexere Tätigkeiten wie Autofahren, Lesen oder Sport erst ermöglichen (Kahnemann 2011). Diese Automatisierung führt allerdings zu einer gefährlichen Beeinflussung unseres Urteilsvermögens. Solche Effekte, die zu falschen Hypothesen führen (sog. Biases) sind beispielsweise: Availability Bias: Je besser die Verfügbarkeit einer Information im Gedächtnis ist, desto stärker ist die Voreingenommenheit, wenn eine Entscheidung bezüglich des entsprechenden Themas ansteht (Tversky/Kahnemann 1974) als „availability of instances” bezeichnet. Je häufiger Situationen auftreten, umso wichtiger werden sie bewertet – unabhängig von ihrer tatsächlichen Relevanz für den Unternehmenserfolg. Diese Überlegungen spielen im Rückblick auf die oben angeführte Nutzung von Grenzbereichen und Sicherheitsreserven eine großes Rolle. Anchoring Bias: Das Prinzip des Ankereffekts beschreibt die Abhängigkeit der Wahrnehmung einer Situation vom ersten Eindruck oder Vergleichswert, ergo welchen „Anker“ man in ein Thema hat (Tversky/Kahnemann 1974). Man betrachtet dann alle nachfolgenden Ereignisse durch die Brille des ersten Ereignisses und ignoriert in der Regel, dass andere Sichtweisen denkbar gewesen wären, hätte man einen anderen Ausgangspunkt gewählt. Der erste Eindruck zählt also nicht nur zwischen Menschen, sondern auch in Prozessen, neuen Softwaresystemen und jeder anderen Art von Veränderungen, die uns zum ersten Mal begegnen. Dazu zählen selbst mitunter auch die eigenen Gedanken. Allzu oft halten wir eine Idee gerade dann für besonders gut, wenn sie uns auf Anhieb einleuchtet oder anspricht. Unabhängig davon wie begründet dieser Eindruck sein mag ist damit der erste Anker gesetzt um weitere Entscheidungen auf dieser Basis zu treffen. Overconfidence Bias: Unter Unsicherheit tendieren Menschen dazu, die eigenen Fähigkeiten zur Problemlösung zu überschätzen. Dieses evolutionär an sich vorteilhafte Denkmuster führt in Change Prozessen regelmäßig zu unrealistischen Zeitund Kosteneinschätzungen sowie Understaffing von Projekten. Dieser Effekt trifft vor allem vermeintliche Experten: Obwohl diese tatsächlich über einen größeren Erfahrungsschatz verfügen, sind sich Laien, die vor das gleiche Problem gestellt

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werden, in der Regel ihrer unzureichenden Informationslage eher bewusst und hinterfragen ihr Verhalten daher häufiger (Tversky/Kahnemann 1974). Sunk cost fallacy: Dieses Denkmuster ist eine der am häufigsten anzutreffenden falschen Annahmen. Die sunk cost fallacy argumentiert damit, dass man einen bereits eingeschlagenen Weg, in den auch bereits investiert wurde, nun zu Ende bringen müsse – auch wenn das Ergebnis absehbar kein wünschenswertes ist. Hintergrund ist der Unwille Einzelner, ein Scheitern einzugestehen und damit ihre eigene Arbeit scheinbar zu entwerten. Insbesondere Führungskräfte bringen häufig Projekte zu Ende, deren Scheitern bereits in der Mitte des Prozesses erkennbar war und deren Ausführung mit erheblichem Ressourceneinsatz verbunden ist (Tversky/Kahnemann 1974). Dissonanzreduktion als Umgang mit falschen Hypothesen Wurde einmal eine Hypothese gebildet, erleichtert sie scheinbar den Umgang mit komplexen Handlungssituationen. Sie suggeriert, dass das System nun hinreichend wohl-definiert sei. Widersprüchliche Ereignisse stören diesen Frieden: sie würden die Komplexität neu aufbrechen. Dies führt zum Festhalten an falschen Hypothesen, selbst beim Auftreten eindeutiger Anzeichen der Falsifikation. Menschen verwenden in der Regel mehr Energie und Zeit auf den Umgang mit den Konsequenzen der falschen Entscheidungen als nötig wäre um die Hypothese komplett zurückzunehmen und von vorn zu beginnen. Dieser Prozess wird als Dissonanzreduktion (Festinger/Arondson 1960) beschrieben und kann sich in unterschiedlichen konkreten Verhaltensweisen äußern: Zielinversion: Hierbei wird ein unerwünschtes Ergebnis im Nachhinein entweder als akzeptabel oder als notwendiger Zwischenschritt auf dem Weg zum eigentlichen Ziel eingestuft. Reparaturdienstverhalten: Von Reparaturdienstverhalten wird gesprochen, wenn nicht die eigentlich als wichtig eingestuften Aufgaben und Probleme bearbeitet werden, sondern solche mit einer besonderen Dringlichkeit oder Sichtbarkeit. Das bedeutet, es werden die Probleme gelöst die man lösen kann und nicht jene die man lösen müsste, was langfristig zu einer Akkumulation des Immanenten beziehungsweise einer Verschlimmerung des Unausweichlichen führen kann (Dörner 2003, 88 ff.). Verbalintegration des Unvereinbaren: Dieses Verhaltensmuster täuscht, vergleichbar George Orwells „Newspeak“ in seinem Roman „1984“, eine formelle Lösung des Problems vor, indem eine Paradoxie eingeführt und deren unmögliche Lösung dann dem jeweils Betroffenen überlassen wird (Dörner 2003, 103 ff.). Im Arbeitsalltag finden sich solche Paradoxien oft an Schnittstellen zwischen Planung und Operati-

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ve: So planen Ingenieure Maschinen, die im Computer wunderbar funktionieren und in der Praxis nicht umsetzbar oder nicht zu montieren sind. Vorgesetzte stecken Ziele, die dem Budget, der Personaldecke, den Materialressourcen widersprechen und überlassen das Problem danach den Untergebenen. Verbalintegration des Unvereinbaren in anderen Worten ist etwas das hervorragend klingt und perfekt funktioniert solange es niemand tatsächlich ausprobiert. Fremdattribution: Fremdattribution beschreibt die Externalisierung der Problemursache. Dies geschieht häufig in Form von Schuldzuweisungen oder Verschwörungstheorien. Hier wird die Verantwortung für die gescheiterte Problemlösung schlicht auf Faktoren außerhalb des Einflussbereiches des Entscheiders verschoben (Dörner 2003, 105 f.) – auf Kollegen, eine andere Abteilung, die Chefetage, die Konkurrenz, bis hin zum Wetter – Hauptsache sie liegt nicht im eigenen Verantwortungsbereich. Gemeinsam haben diese Verhaltensweisen, dass Informationen nur sehr selektiv aufgenommen werden um die eigene Kompetenzmeinung zu wahren, also weiterhin „im Recht“ zu sein auch wenn die Situation beginnt, dagegen zu sprechen. Allerdings sind weder wohl-definierte noch schlecht-definierte Systeme per se wertvoll: Stellt man einen Menschen in ein besonders wohl-definiertes System wird er durch die Anwendung von Heuristiken und für die Wahrung seiner Kompetenzmeinung die Grundregeln des Systems schnell als einengend, langweilig oder unpassend abstempeln. Der natürliche Hang zur Bildung von Hypothesen und zum Problemlösen zielt immer wieder darauf ab das jeweilige schlecht-definierte System unter Kontrolle zu bringen. Hill climbing – Metapher Eine anschauliche Metapher Morays für das unter-Kontrolle-Bringen schlechtdefinierter Systeme durch einzelne Akteure, ist das Hill climbing. Der Akteur ist in diesem Bild ein Wanderer in einer sich wandelnden Landschaft. [These] landscapes are [...] complex, [...]but should still be reasonably safe for the traveller. Minor changes in topography occur, and what appears at one time to be a satisfactorily high peak may later seem less satisfactory. [...] Water tables rise and fall, lakes temporarily dry up and snow melts, so that the relative heights of features in the landscape do change. But the changes are governed by reasonably well-defined distributions (Moray 1984, 15).

In anderen Worten die Aufgabenlandschaft für alle Beteiligten in einem Unternehmen wandelt sich beständig mit jedem neuen Kunden, jedem Auftrag, jedem Gespräch und jedem Personalwechsel. (Reise-)Ziele müssen unbedingt gesetzt werden um eine Orientierung und Marschroute zu ermöglichen, allerdings gibt es keine Garantie, dass sich diese Ziele im Nachhinein auch als befriedigend erweisen. Im Unternehmensumfeld eines solchen Systems sind die Fragen dann nicht mehr:

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„Sind wir erfolgreich? Sind wir gut? Sind wir Marktführer?” sondern „Sind wir erfolgreich genug? Sind wir gut genug? Wo ist eigentlich vorne?”. Unter diesem Gesichtspunkt macht es für den Akteur in einer wechselnden Landschaft nur wenig Sinn nach perfekter Beherrschung und Kontrolle der Situation zu streben. Nachhaltiger scheint die Suche nach einem angemessenen Gleichgewicht aus Kontrolle und Sichtflug, Wissen und Ungewissheit. Für derartige Aufgaben in schlecht-definierten Systemen ist der menschliche Drang zur Kontrolle und zum Problemlösen gut geeignet. Stellt man einen Menschen allerdings in ein besonders wohl-definiertes System wird er durch die Anwendung von Heuristiken und für die Wahrung seiner Kompetenzmeinung die Grundregeln des Systems schnell als einengend, langweilig oder unpassend abstempeln. Confronted, then, even with a well-defined system[…] the human operator will not do very well. […]He will underestimate variance, consider only a limited amount of data, refuse to change hypotheses, and so on. In hill-climbing terms, he will sit on the first molehill he happens across and effectively refuse to budge (Moray 1984, 17).

4 Schlussfolgerungen Die Ambivalenz menschlichen Verhaltens sowohl in schlecht- als auch in wohldefinierten Systemen bietet also Chancen und Risiken, deren bewusste Betrachtung sich im Unternehmensalltag lohnen kann. In einer Organisation ist jeder Angestellte, der über nennenswerte Erfahrung im Umgang mit seinen Aufgaben verfügt und darauf basierend eigenständige Entscheidungen trifft ein Experte, der ein hinlänglich schlecht-definiertes System bearbeitet. Wenn sich diese Systeme nun verändern, sei es in der Organisation beabsichtigt, oder unfreiwillig, dann tritt eine Dynamik in Kraft, die den Einzelnen zum Problemlösen herausfordert. Die Fragen hier sind: Welches Maß an Regeln und Selbstorganisation verträgt die Organisation und benötigen die beteiligten Mitarbeiter um effektiv arbeiten zu können?

4.1 Die zweifache Unterschätzung Die Unsicherheit unbekannter, unüberschaubarer Situationen muss nicht schrecklich sein, denn der Mensch als Problemfinder und Problemlöser unterliegt mit seiner Wahrnehmung laut Baecker einer zweifachen Unterschätzung: […] both the unsuspected threats to a project and our surprising ability to overcome its insurmountable difficulties are hidden from us when we enter a project (Hirschmann 1967 zitiert in Baecker 2009).

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Menschen überschauen also zunächst einmal nicht, welche Entwicklungen die Dimensionen eines Problems nehmen können, welche Faktoren der Umwelt Einfluss nehmen und wie die schließlich gefundenen Lösungen zu bewerten sind – sie unterschätzen also das Problem. Die zweite Unterschätzung bezieht sich auf die menschliche Vorliebe für schlecht definierte Systeme. Menschen finden und erfinden erst in Struktur-, Zwang- und Orientierungslosigkeit die Methoden, die ihren Problemen gewachsen sind. Der Zustand großer Unsicherheit ist dem Menschen als Status primär unangenehm und untragbar und generiert gerade deshalb, quasi mit Narrenfreiheit, Innovation und unvorhergesehene Lösungen (Baecker 1994, 41 f.). Für den „Regelfall“ führt Baecker eine weitere Facette des unberechenbaren menschlichen Verhaltens in den wohl-definierten Systemen darauf zurück, dass die starre Struktur dem Individuum nicht die Herausforderung bietet, die es in seiner Arbeit gerne vorfinden möchte. In den wohl-definierten Systemen langweilen wir uns, und dann kommen wir auf die interessante Idee, sie zu testen, bis sie nachgeben (Baecker 2007, 12).

Der Mensch tendiert zu einer Form der Unberechenbarkeit in schlecht-definierten Systemen, da die Kommunikationsformen, die ihm verraten was ‘gemeint ist‘, Spielraum geben aber auch Missinterpretationen erlauben und dadurch in seinem relativ wohl-definierten Umfeld neuen Input und neue Spannung generieren. Sowohl die Fähigkeit zur kreativen Störung, als auch die Fähigkeit zur selbstinitiierten Strukturierung und herzlichen Regeltreue können in der Organisation sowohl einen Zweck erfüllen, als auch Schaden anrichten. Für ein nachhaltiges Unternehmensdasein stellt sich daher also die Frage, welche Bedingungen ein „optimales“ Mittelmaß an Struktur und Gestaltungsfreiheit zu erfüllen hätte. Die Komplexität der Handlungssituationen ist hierbei nicht länger nur ein Problem, sondern ein wesentlicher Charakter konstruktiver Problemlösungen (Baecker 1994, 114 ff.).

4.2 Was tun? Die grundsätzliche Tendenz des Menschen in unübersichtlichen Situationen Strukturen zu bilden, erzeugt in einem Unternehmen Regeln, Organigramme, Prozessbeschreibungen und andere Entscheidungsprämissen die der Komplexitätsreduktion dienen (Luhmann 1986). Die Organisation versucht damit ihre Strukturen stärker zu definieren, und bemüht sich um eindeutige Zuordnungen und beobachtbare Zustände. In der praktischen Anwendung treten allerdings vielerorts Probleme und Abweichungen von den wohl-definierten Regeln auf. Kunden kommen mit ungeahnten Problemen, Mitarbeiter gestalten eigenständig ihre Arbeitsprozesse um. Die Beteiligten improvisieren in und mit den Systemen. Sie neigen dazu, die mühsam

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errichtete Ordnung und Struktur mit ihren Ideen, Adaptionen, Witzen, Zumutungen und Anmaßungen zu konfrontieren und somit wohl-definierte in schlecht-definierte Systeme zu verwandeln. Das Unternehmen muss also ein hinreichend schlecht-definiertes System erfinden, einen Balance-Zustand zwischen definierten Verfahren und der geplanten und gewollten Möglichkeit zur Abweichung.

In Organisationen, die mit kreativer Arbeitsweise rechnen, finden diese schlechtdefinierenden Tendenzen wohlwollende Aufnahme. So wird beispielsweise in Organisationen wie Werbeagenturen, Katastrophenhilfsinstitutionen oder Fußballmannschaften bewusst eingeplant, dass zur Bearbeitung der relevanten Probleme ein hohes Maß an Eigeninitiative abrufbar sein muss, da es für die Lösung zunächst noch keine perfekte Vorgabe gibt. Organisationen, die also die Eigenschaften schlecht-definierter Systeme nutzen wollen, müssen nicht nur in der Lage sein ein gewisses Maß an organisationaler Anarchie zu tolerieren. Sie müssen auch angemessen mit deren Output umgehen zu können. In anderen Worten: Inwiefern und in welcher Form wird den operativen Mitgliedern eigenverantwortliche Entscheidungskompetenz zugestanden beziehungsweise ermöglicht. Freilich lassen sich solche Tendenzen auch bis zu einem gewissen Grad kategorisch unterbinden. Abweichungen von der wohl-definierten Systemstruktur könnten schlicht sanktioniert werden. Damit führt man das Problem jedoch einer restriktiven statt einer konstruktiven Lösung zu. Der Grund für die Abweichung würde ignoriert und im Optimalfall der Status Quo gewahrt. Eine proaktivere Möglichkeit ist es diese Tendenz zur schlecht-Definiertheit als Ressource für Innovation zu verstehen. Schließlich setzt sich der improvisierende Akteur an dieser Stelle bereits freiwillig oder unfreiwillig mit Alternativen zur bestehenden Ordnung und somit auch dem potentiell Nützlichen auseinander. Diese generierten Innovationen können evolutionärer, also systembegleitender, oder revolutionärer also systemverändernder Natur sein. Entsprechend der erwarteten Dimension muss die Gestaltung der Schnittstelle zwischen Innovationsquelle und Organisation erfolgen, da sonst Reibungen in Form von Frustration, Ineffizienz und Widerstand auftreten können. Und auch diese Reibungen und Widerstände gilt es dann als Chance für Weiterentwicklung und Hinweise auf Veränderungspotenzial zu verstehen. Ziel der Organisation müsste es damit sein, für komplexe Handlungssituationen einen metastabilen Prozess der Aufnahme und Rezeption alternativer, eventuell innovativer Prozessbearbeitung und organisationaler Kreativität oder Anarchie zu schaffen, der die Optionen der Komplexitätsbearbeitung wahrnehmen, auf Zweckmäßigkeit evaluieren und in Entscheidungen überführen kann (hierzu auch Baecker 1994, 114 ff.).

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4.3 Handlungsansätze Systemverständnis Das grundlegendste der identifizierten Themen im Zusammenhang mit der Nachhaltigkeit von organisationalen Veränderungen ist das Verständnis für die Funktionsweise, die Einbettung und das Ziel einer definierten Maßnahme. Nur über das intrinsisch angestoßene und gedanklich verankerte Verständnis für Prozesse, Werkzeuge und Abläufe lässt sich eine konstruktive und evolutionäre Fortentwicklung der Organisation sowie ihrer Akteure verwirklichen. Hier stellt sich also für eine Konkretisierung die Frage nach der Wissensvermittlung und Verdeutlichung dieser Elemente der Maßnahme. Da das Verständnis beim Anwender selbst geweckt oder erzeugt werden soll bietet sich die Ermutigung beziehungsweise wertschätzende Aufforderung zum „selber Denken“ an. Auf Basis einer Vorstellung der anstehenden Themen und Planungsetappen soll sich der Mitarbeiter gemeinsam mit dem direkten Vorgesetzten die Frage stellen: „Was bedeutet diese Veränderung für mich und meine Aufgaben? Welche Konsequenzen kann diese Maßnahme haben? An welcher Stelle kann meine Fachkompetenz von Nutzen sein?“. Diese Auseinandersetzung muss in den Kontext eingeordnet werden und nicht nur im Gespräch mit den Kollegen, sondern gerade mit der zuständigen Planungsinstanz stattfinden. Ziel dieses Prinzips ist die Möglichkeit, aber auch das Gefühl die Veränderung selbst aktiv zu begleiten. Im Anschluss soll der Anwender sagen können: „Ja, das habe ich mitentwickelt und ich kann nachvollziehen warum das so gemacht wird. Ich bin stolz auf das Ergebnis.“ Die Konsequenz wären weniger dogmatische Handlungsanweisungen und tendenziell weniger Abweichungen vom definierten Prozess. Denn die meisten dieser Abweichungen resultieren aus dem Verständnis, dass man selbst als Experte einen Prozess auch anders auslegen und durchführen kann um den Betriebsablauf zu sichern, oder einen Zeit-, Material-, Kostenvorteil zu erzielen. Konkret ist denkbar, dass gerade für die eigene Station im Arbeitsalltag der Prozessstandard, also die möglichst präzise und verständliche Bedienungsanleitung für einen konkreten Arbeitsschritt vom Anwender selbst geschrieben wird. Dies hätte nicht nur den erwähnten Vorteil der Identifikation mit dem Ergebnis, sondern vor allem die Reflexion des zugrunde liegenden Prinzips und die Möglichkeit eines Abgleichs von Systemverständnis zwischen Prozesszieldefinition und gelebter Arbeitswirklichkeit zur Folge. Prinzipiell sollte eine Einführung in relevante Veränderungen jeder Art durch zwei Instanzen erfolgen: Die Führungsspitze muss glaubhaft die Stoßrichtung und den Zweck der Veränderungsmaßnahmen erläutern und die Vision schildern, die damit verfolgt wird und der jeweils unmittelbare Vorgesetzte muss erläutern welche Maßnahmen den individuellen Mitarbeiter erwarten und diese in den Gesamtkontext der Vision einordnen.

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Information und Kommunikation Zunächst stellt sich die Frage nach der geeigneten Plattform für eine Kommunikation, die den Anforderungen der Betroffenen genügt. Diese Anforderungen sind: Zuverlässigkeit, Regelmäßigkeit, Ernsthaftigkeit, wechselseitige Anerkennung der Relevanz und ein respektvoller Kommunikationsstil. Bestehende Optionen und erprobte Konzepte für Kommunikationsplattformen sind: Klassiker wie Veranstaltungen des Gesamtunternehmens, Jour Fixe, Workshops, Gesprächsrunden, Mailings, Mitarbeitergespräche, Aushänge und Wochenendveranstaltungen mit Eventcharakter aber auch zeitgemäße Lösungen wie Intranet, Wikis, Betriebsblogs, Service-desks oder social-media-orientierte Ansätze. Die grundlegende Frage besteht darin welche Informationen im entsprechenden Format kommuniziert werden sollen und wen diese interessieren. Im Kontext eines Change Prozesses könnten angestrebte Ziele ein respektvoller Umgang aller Seiten mit tatsächlichen Informationen, der Abbau von Gerüchten und Vorurteilen, sowie der Aufbau von Vertrauen zwischen den Instanzen sein. Für die Teilnehmer wird es von Bedeutung sein ihre Rolle beziehungsweise ihr Selbstverständnis zu kennen und zu diskutieren. Feedback Wie beim Thema der Information stellen sich auch hier zunächst die Fragen nach dem Selbstverständnis der Teilnehmer und der angemessenen Plattform. Feedback an sich, als Rückmeldung sowohl aus der Operative über den Verlauf, Erfolge und Misserfolge in der Umsetzungspraxis, als auch aus der Managementebene über Pläne, Erkenntnisse und Ergebnisse der Steuerungsarbeit, ist ein zentraler Beitrag zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit jeglicher Organisation. Die reflektierte Betrachtung allein kann Lernfähigkeit, Adaption und evtl. Notwendigkeit von Kurskorrekturen anzeigen. In diesem Sinne ist auf beiden Seiten der Mut vonnöten, aktive Rückmeldung über den Fortgang und Hergang von Plänen, Projekten und Entwicklungen einzufordern. Der Modus erfordert einen respektvollen Ton sowohl für Lob als auch für Kritik. Beide müssen mitunter aktiv eingeholt werden, wenn die Wahrnehmung so sehr auf das alltägliche Problemlösen fokussiert ist, dass „Reparaturdienstverhalten“ die systemischen Schwierigkeiten überstrahlt. Kaffee anzubieten bringt dann manchmal weiter als Recht zu haben. Kritik wird in diesem Medium problemorientiert und nur in Ausnahmefällen personenbezogen angebracht. Allerdings ist ein klarer Adressat des Feedbacks wichtig. Allgemeine Kritik verpufft gewöhnlich genauso im Raum wie allgemeines Lob, wenn niemand sich dafür zuständig fühlt. Als grundsätzliche Unterscheidung im Feedbackprozess sind die Schriftform und die Gesprächsform zu unterscheiden.

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Die bisherigen Erfahrungen in der Laserlight GmbH lassen auf eine akzeptable Nutzung von persönlichen Gesprächsformaten wie Jour Fixe und Mitarbeitergesprächen schließen. Schriftliche Medien wie die öffentliche Verbesserungstafel werden aktuell kaum genutzt, erfuhren aber in der Zeit unmittelbar nach den letzten Workshops im Unternehmen eine aktive Annahme. Das vermutete Problem der Verbesserungstafel liegt in der Übernahme von Verantwortung und dem Aufwand sich aktiv mit einem problematischen Prozess auseinanderzusetzen und diesen an einem halböffentlichen Ort in eine Form zu bringen, die dem Medium angemessen ist (Verantwortlicher, Problem, Ursache, Lösung). Für Kleinigkeiten müsste der Mitarbeiter also die Stirn besitzen zu sagen: „Das stört mich und wenn ich auch vielleicht der einzige bin, dann schreibe ich das jetzt auf und überlege mir oder erhoffe mir von anderen eine Lösung.“ Alternativ könnte er aber auch denken: „Das ist doch nicht mein Problem.“ und wäre konsequenzlos aus dem Verbesserungsprozess ausgestiegen. Zu berücksichtigen ist auch das Auftauchen von Problemen, die nicht im Format der Tafel konfrontierbar sind. Demotivation, Zukunftsangst, Kritik an Führungsstilen, Diskussionsbedarf mit der Belegschaft sind nur wenige Beispiele für Probleme, die nicht in diesem schriftlichen Format betrachtet und bearbeitet werden können. Eine Plattform für Feedback vor allem operativer beziehungsweise systemischer Natur ist in Form von regelmäßigen Gesprächsrunden mit festen Ansprechpartnern denkbar, beispielsweise in einem Change Prozess repräsentative Vertreter von Teilprojekten und/oder Aufgabenbereichen. Für die Abrufung nicht-systemischen Feedbacks ist z.B.: eine schriftliche Plattform im Stile einer World Café Lösung denkbar, die vor allem die Hemmschwelle zur Äußerung von Feedback über eine weniger vorstrukturierte und somit offenere Form senken soll. Gerade Demotivation und Frustration einzelner Teilnehmer kann eine Motivation sein sich am Diskurs und somit dem Ansatz der Plattform zu beteiligen um sich Dinge von der Seele zu schreiben. Feedback erfüllt eine Selbstheilungsfunktion für Probleme im Umgang mit alltäglichen Vorgängen und besonders hinsichtlich Wachstum und Veränderung. Die Nutzung der Erfahrung, der Perspektive und der Kreativität von Kollegen und Mitarbeitern wirkt in diesem Prozess vergleichbar einer Arbeitsspeichererweiterung auf dem PC. Gleichzeitig ist zu berücksichtigen welche große Bandbreite an Ergebnissen ein seriöser Feedbackprozess nach sich ziehen kann. Abbildung 6.2 zeigt eine beispielhafte Übersicht möglicher Outputkategorien für die erwähnten Feedbackformate. Um solche Resultate angemessen zu verarbeiten ist ein hohes Maß an Aufrichtigkeit und Verbindlichkeit zwischen den Beteiligten erforderlich. Ein Feedbackprozess gleich welcher Art sollte nicht durchgeführt werden sofern nicht geplant ist die dabei herauskommenden Ergebnisse ernst zu nehmen und in sichtund spürbare Maßnahmen umzusetzen.

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allgemein Wir-Gefühl Rebellion Vertrauen/ Hoffnung Verschwörungstheorien Stimmungsbild Team Spirit Gerüchte Pessimismus Ventil Offenheit Informationsaustausch für Unmut Motivationsideen Petitionen Verständnis Angst Sprüche Phrasen/Plattitüden Problembeschreibungen destruktiv

konstruktiv Kauderwelsch Meckern Bashing

Beleidigungen Mobbing

Witziges/Ermutigendes

Informationsbedarf Ansatzpunkte für Hinweise Diskussion Reflexion/ Handlungsbedarf Einzelfälle konkrete Verbesserungsvorschläge speziell

Abb. 6.2: Praktisches Beispiel einer Outputmatrix für Feedbacktools. Quelle: Eigene Darstellung.

Beschäftigungsmodelle Die Mitarbeiterschaft eines Unternehmens mit Kundenkontakt zählt zu dessen größtem Kapital. Innerhalb der Mitarbeiterschaft der Laserlight GmbH ist das Verständnis für die aktuelle Situation Maßnahmen groß. In Bezug auf die Perspektive nachhaltiger Beschäftigungsmodelle finden sich Kritikpunkte wie Antriebsverlust, aktionistischer Erfolgsdruck und eine gefühlte Zweiklassengesellschaft zwischen Zeitarbeitern und regulären Angestellten. Für die aktive Weiterentwicklung eines Unternehmens, das nachhaltige Prozessinnovationen anstreben und darstellen will ist dies kein akzeptabler Zustand und keine wünschenswerte Perspektive. Um diese Faktoren zu beheben wäre eine aufrichtige und ergebnisoffene Diskussion um die Möglichkeiten der Weiterbeschäftigung und alternativer Modelle zur aktuellen Situation ratsam. Diese Diskussion sollte auch die Festangestellten einbeziehen und über Unmut und Missstände informieren.

4.4 Ausblick Es ist unumgänglich, dass die Praxis, die Operative und die Problembelasteten nach Patentlösungen, nach größtmöglicher Konkretisierung von Maßnahmen, nach Anweisungen und nach Heilmitteln für die bestehenden und anstehenden Probleme verlangen.

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Aber jegliche Lösung, jede Konkretisierung oder Maßnahme kann nur dann erfolgreich sein, wenn ihre Umsetzung nachhaltig verankert wird. Dazu benötigt es nicht nur Strukturen, Pläne und Abläufe sondern auch ein Grundvertrauen in die kurzfristige Anpassung und kreative Improvisationsfähigkeit der eigenen Mitarbeiter. Die sehnlich erwünschten Patentlösungen sind daher nicht abstrakt dar-, sondern gerade im Aufbau herstellbar. Vorgestellt wurden verschiedene Werkzeuge und Konzepte, die Führungskräfte dabei unterstützen sollen, eine in ihrem Unternehmen optimale Balance zwischen Struktur und Spielraum zu ermöglichen.

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Kapitel 6: Changemanagement in KMU: Zwischen Spielraum und Struktur | 115

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Tobias Kohler und Tom Suberg

Kapitel 7: Erfolgsfaktoren im Crowdfunding Best Practice

1 Was ist Crowdfunding? Crowdfunding ist eine Möglichkeit der Finanzierung von Geschäftsvorhaben, wobei die benötigten Investitionsmittel durch eine große Anzahl von Investoren zur Verfügung gestellt werden. Mit dem Aufstieg des Internets in den letzten zwei Jahrzehnten ist es einfacher als nie zuvor, mit Menschen auf der ganzen Welt zu kommunizieren. Heute sind geschätzte 8 bis 10 Milliarden Endgeräte mit dem Internet verbunden. Experten schätzen, dass diese Zahl bis 2020 auf mehr als 40 Milliarden anwachsen wird (Soderbery 2013). Einige Unternehmen profitieren davon, indem sie ihre Geschäftsmodelle auf die Unterstützung durch Internetnutzer ausrichten und sogenanntes „Crowdsourcing” betreiben. Die bekanntesten Beispiele für auf Crowdsourcing basierende Dienste sind die Online-Enzyklopädie Wikipedia, die Videoplattform YouTube oder der Nachrichtendienst Reddit (Ohanian 2010). Dabei werden die Inhalte der jeweiligen Plattform – Enyklopädie-Artikel, Videos und Nachrichten – von den Nutzern geschaffen. Beim „Crowdfunding” ist das Prinzip ähnlich und ist auf die Nutzung als Finanzierungsmodell ausgerichtet. Jedes Crowdfunding-Projekt beginnt mit dem Projektgründer und dessen Idee: um diese in die Tat umzusetzen, können Gründer sich und ihre Projekte auf Crowdfunding-Plattformen präsentieren. Das Ziel dabei ist es, möglichst viele interessierte Spender und Investoren (sogenannte „Backer”) zu rekrutieren, die das Projekt finanziell unterstützen. In der Regel wird vorher ein Finanzierungsvolumen festgelegt. Allein in den USA wurden im Jahr 2013 rund 531 Milliarden Dollar in StartupUnternehmen und Crowdfunding-Geschäftsvorhaben investiert (Visual.ly 2013).

|| Tobias Kohler, Dipl.-Medienwirt, B.Soc.Sc. Geschäftsführender Gesellschafter Crowdstars GmbH Tom Suberg, B. Sc. Geschäftsführender Gesellschafter Crowdstars GmbH

3

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Diese Statistiken verdeutlichen die Wichtigkeit der Methode vor allem für Kleinunternehmer und Start-Ups, denen zum Zeitpunkt der Gründung die finanziellen Mittel fehlen, um ihr Produkt oder ihren Service an den Markt zu bringen. Außerdem wird das Finanzierungsrisiko bei der Firmengründung auf eine größere Anzahl an Investoren verteilt. Beim Crowdfunding gibt es auf den meisten Plattformen in der Regel keine Garantie für die Legitimität der Projekte, da nur bei wenigen Plattformen eine Vorauswahl stattfindet. Daher können Investoren lediglich auf Grund der CrowdfundingProjektseite des Gründerteams einschätzen, ob sie sich an dem Risiko einer Finanzierung beteiligen wollen. Daher ist es für den Projektgründer beziehungsweise das gründende Team eine Erfolgsvoraussetzung, die potenziellen Investoren von ihrem Erfolgskonzept und ihrer Vertrauenswürdigkeit zu überzeugen. Erfahrungsgemäß zeigen CrowdfundingInvestoren eine besonders hohe Markenloyalität gegenüber dem Projektgründer und seinem Unternehmen. Bei einer anschließenden Markteinführung des crowdfinanzierten Produkts kann ein Gründerteam im Falle einer erfolgreich abgeschlossenen Kampagne auf eine bereits vorhandene Kundenbasis für die Markteinführung ihres Produkts zurückgreifen. Durch eine Analyse der Investorenprofile können Projektgründer außerdem Informationen über Zielgruppen gewinnen und Strategien gegebenenfalls anpassen. Da Crowdfunding als Finanzierungsmethode auf vielen Plattformen an verhältnismäßig wenige Bedingungen geknüpft ist, kann das Modell entsprechend flexibel eingesetzt werden. Kleine und mittelständische Unternehmen können Crowdfunding auch dazu benutzen, um ein bestehendes Finanzierungsmodell zu ergänzen und mögliche Lücken in der Unternehmensfinanzierung zu schließen. Außerdem hat ein Unternehmen die Möglichkeit, die Akzeptanz eines bestimmten Produkts über Crowdfunding am Market zu testen, bevor eine Massenproduktion gestartet wird.

1.1 Entwicklung der Finanzierungsmethode Obwohl sich der Begriff „Crowdfunding” erst mit der Gründung der Online-Crowdfunding-Plattformen Kickstarter (2009) und Indiegogo (2008) etablierte, besteht die Grundidee dieser Finanzierungsmethode bereits weitaus länger. Der Vorläufer des heutigen Crowdfundings – das sogenannte Pränumerationsmodell – entstand wohl im Deutschland des 17. Jahrhunderts. Damals machten Verleger vor der Produktion eines Buches bereits Werbung für das jeweilige Werk, um eine finanzielle Grundlage für den Druck des Werkes zu schaffen. Die Investoren wurden später im Einband genannt und bezahlten einen geringeren Preis.

Kapitel 7: Erfolgsfaktoren im Crowdfunding | 119

Nach dem Erfolg der Pränumeration wurde die Idee auch abseits des Buchdrucks übernommen. Ein besonders bekanntes Beispiel dafür ist der Bau der Freiheitsstatue in Frankreich und in den USA. Als die Konstruktion der Statue 1875 in Paris begann, einigten sich die beiden beteiligten Staaten darauf, dass Frankreich die Finanzierung der Statue übernehmen würde, während die Vereinigten Staaten den Sockel finanzieren sollten. Um die 2,25 Millionen Francs für den Bau zusammen zu bekommen, organisierte der französische Bauherr Frédéric-Auguste Bartholdi eine Spendenaktion, bei der Teilnehmer Preise wie Eintrittskarten zur Besichtigung der Werkstatt gewinnen konnten. Nicht nur beim Bau der Statue, auch beim Bau des Sockels in den USA gab es finanzielle Engpässe. Dies rief den New Yorker Verleger und Philanthrop Joseph Pulitzer auf den Plan, eine Spendenaktion ähnlich der in Frankreich zu starten. Über seine Zeitung New York World schaffte Pulitzer es, über fünf Monate hinweg 102.000 Dollar von 120.000 Spendern zu sammeln. Rund 80 % der Einnahmen kamen aus Spenden von unter einem Dollar. Mit der Ausbreitung des Internets verschwanden die vorherigen Grenzen des Crowdfunding-Prinzips dann mehr und mehr. Plötzlich war es möglich, eine große Anzahl an Menschen zu erreichen und man musste nicht mehr Besitzer einer Zeitung sein, um auf sein Projekt aufmerksam zu machen. Im Jahr 2001 wurde ArtistShare als erste Crowdfunding-Plattform der Welt gegründet und startete damit einen Trend. In den Folgejahren entstanden vor allem in den USA erfolgreiche Plattformen wie beispielsweise Sellaband (2006), Indiegogo (2008) und Kickstarter (2009). Im Jahr 2012 gab es bereits mehr als 500 verschiedene Crowdfunding-Plattformen weltweit. Im März 2014 wurden weltweit auf allen Plattformen zusammen genommen in jeder Stunde durchschnittlich 60.000 Dollar eingesammelt und 442 neue Projekte gestartet. Dabei unterscheiden sich die Projekte auch aufgrund der verschiedenen Crowdfunding-Methoden (The Crowdfunding Centre 2014).

1.2 Heutige Situation Der Crowdfunding-Sektor hat in den letzten Jahren international und auch in Deutschland ein beträchtliches Wachstum aufgezeigt. Vor allem weltweit hat der Markt Dimensionen erreicht, die erahnen lassen, inwieweit Crowdfunding als Finanzierungsmethode in Zukunft noch an Bedeutung zunehmen kann. Allein im Jahr 2013 wurden weltweit geschätzte 5,1 Milliarden Dollar durch Crowdfunding-Projekte eingenommen (Visual.ly 2013). Aufgrund einer durchschnittlichen Wachstumsrate von 85 % in den letzten drei Jahren und aufgrund der verbesserten Gesetzeslage in vielen Ländern gibt es Schätzungen, dass 2014 weltweit über 10 Milliarden Dollar durch CrowdfundingProjekte eingenommen werden könnten (The World Bank 2013).

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10

5,1

2,7 1,5

2011 Visual.ly, 2013

2012

2013

2014

Schätzung: The World Bank, 2013

Abb. 7.1: Weltweit eingeworbene Crowdfunding-Finanzmittel (in Mrd. $). Quelle: Visual.ly 2013; The World Bank 2013.

Vor allem weil Crowdfunding derzeit hauptsächlich in reichen Industrienationen verbreitet ist, sprechen Experten dem Markt auch langfristig ein großes Potential aus. Allgemein wird insbesondere der chinesische Markt als hoffnungsvoll bezeichnet (The World Bank 2013). In Deutschland steckt der Markt im Vergleich zu den USA noch in den Kinderschuhen. Während Kickstarter seit seiner Gründung im Jahr 2009 bis November 2014 insgesamt über 1,3 Milliarden Dollar einsammelte, kam Startnext – laut Crowdfunding.de Deutschlands größte Crowdfunding-Plattform – seit 2010 lediglich auf knapp über 10 Millionen Euro.

2 Plattformen Mit dem Erfolg des Prinzips Crowdfunding wuchs auch die Anzahl der Crowdfunding-Plattformen, auf denen Gründer ihre Projekte einer interessierten Öffentlichkeit präsentieren konnten. Nach der Gründung von ArtistShare im Jahre 2001 erlebte der Markt vor allem nach 2010 seine größte Ausbreitung. Laut Statista entstanden allein in den neun Jahren nach 2001 geschätzte 283 Crowdfunding-Plattformen. Im Jahr 2012 zählte Statista dann bereits insgesamt 536 aktive Plattformen.

Kapitel 7: Erfolgsfaktoren im Crowdfunding | 121

2.1 Lending (Crowdlending) Längst nicht alle Plattformen arbeiten nach demselben Finanzierungsprinzip. Crowdlending beruht zum Beispiel darauf, dass Projektgründer sich die benötigten Finanzmittel lediglich leihen. Nach erfolgreicher Beendigung der Kampagne und nach einer bestimmten Frist muss der Gründer das geliehene Geld zuzüglich der Zinsen zurückbezahlen. Im Jahr 2012 betrug der Anteil der Crowdlending-Projekte geschätzte 13 % aller Projekte (Go Get Funding 2013). Crowdlending ist vor allem für Gründer interessant, die bei Kreditinstituten aus verschiedenen Gründen keinen Kredit bekommen haben. Oft genug werden Kredite aufgrund eines schwierigen wirtschaftlichen Gesamtumfelds, negativer Scoring- oder Rating-Werte eines Schuldners oder aufgrund von bürokratischen Hürden versagt, obwohl ein Produkt oder Dienst durchaus Chancen hätte, sich im Markt zu etablieren.

2.2 Equity Crowdfunding (Crowdinvesting) Beim Equity Crowdfunding – oder auch Crowdinvesting – sammeln Projektgründer die benötigten Finanzen durch den Verkauf von Anteilen am Stammkapital ihres Unternehmens ein. Dabei unterscheidet sich Equity Crowdfunding vom AngelInvesting durch die vergleichsweise große Anzahl an Investoren. Plattformen für dieses Prinzip existieren bereits in 17 verschiedenen Ländern, wobei Großbritannien mit 40 Crowdinvesting-Plattformen die mit Abstand meisten beheimatet. Im Jahr 2012 stellten Crowdinvesting-Projekte weltweit rund 15 % aller Projekte (Go Get Funding 2013). Für Kleinunternehmen ist diese Finanzierungsmethode vor allem interessant, weil die Abhängigkeit auf eine große Zahl von kleinen Investoren verteilt wird. Dadurch behalten die Projektgründer effektiv mehr Kontrolle über das finanzierte Unternehmen und können die zukünftige Ausrichtung ihres Unternehmens weitestgehend selbst bestimmen. Insbesondere das Instrument des partiarischen Nachrangdarlehens ist bei deutschen Crowdinvesting-Plattformen die Methode der Wahl. Das Ausfallrisiko im Falle einer Insolvenz ist hierbei jedoch nicht zu unterschätzen.

2.3 Soziales Crowdfunding Soziales Crowdfunding – auch Donation-based Crowdfunding genannt – beruht auf der Idee, soziale Zwecke durch Spenden und ohne Gegenleistung zu unterstützen. Plattformen, die sich hauptsächlich auf das einsammeln von Spenden konzentrieren, stellten 2012 rund 29 % aller Projekte (Go Get Funding 2013).

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Soziales Crowdfunding eröffnet vor allem Wohltätigkeitsorganisationen neue Möglichkeiten. Durch die globale Reichweite der Crowdfunding-Plattformen können soziale Zwecke zusätzliche Spender akquirieren, die zuvor unerreichbar waren. Während große Spendenorganisationen weiterhin auf klassische Marketingmaßnahmen wie Informationsstände und Anzeigenkampagnen setzen, haben viele kleinere Organisationen die Vorteile des sozialen Crowdfunding bereits verstanden. Neben der Erweiterung der Kampagnenreichweite kann darüber hinaus ein vergleichsweise geringerer Anteil der eingeworbenen Spendengelder für effizientere Online-Marketingmaßnahmen und eine entsprechend schlankere Projektorganisation verwendet werden.

2.4 Reward Crowdfunding Das am weitesten verbreitete Crowdfunding-Prinzip – mit 43 % Marktanteil und einer Wachstumsrate von 524 % im Jahr 2012 – ist Reward Crowdfunding (Go Get Funding 2013). Um die benötigten Finanzmittel einzunehmen, bieten Gründer auf ihrer Projektseite sogenannte Rewards beziehungsweise Geschenke an. Diese Rewards können sowohl das zu finanzierende Produkt, als auch mögliches Zubehör, andere Werbeartikel oder Sondergeschenke beinhalten. Eine Garantie zur Auslieferung der bestellten Produkte gibt es in der Regel jedoch nicht. Nachdem Kickstarter bereits häufiger aufgrund fehlgeschlagener Projekte in die Kritik geriet, musste nun auch Indiegogo im April 2014 seine Anti-Betrug-Garantie zurück nehmen und gestand damit offiziell das Risiko ein, das mit dem Prinzip Crowdfunding verbunden ist.

Kickstarter

Indiegogo

Startnext

Unternehmenssitz

New York, USA

San Francisco, USA

Dresden, DE

Gründung

2009

2008

2010

Modell

All or Nothing

Keep it All

All or Nothing

Verfügbare Länder*

10

Keine Begrenzung

Keine Begrenzung

Verfügbare Sprachen*

Englisch

Englisch, Französisch, Deutsch, Spanisch

Deutsch, Englisch

Erfolgsrate*

39%

10%

60%

Anzahl der Projekte*, **

180.000

150.000

3.000

* Stand: März 2015

** Auf Tausenderstelle gerundet

Abb. 7.2: Gegenüberstellung von drei Crowdfunding-Plattformen. Quelle: Eigene Darstellung.

Kapitel 7: Erfolgsfaktoren im Crowdfunding | 123

Reward-basierte Plattformen wie Kickstarter und Indiegogo unterscheiden sich im Aufbau hauptsächlich durch das verwendete Gewinnmodell voneinander. Während Gründer auf beiden Plattformen ein Funding Goal – ein Finanzierungsziel in bestimmter Höhe – angeben müssen, bekommen Gründer auf Kickstarter ihre Finanzmittel nur, wenn dieses Ziel auch erreicht wird. Wird das Ziel nicht erreicht, wird der Einsatz wieder an die Backer zurückerstattet, weswegen dieses Modell allgemein All or Nothing genannt wird. Auf Indiegogo hingegen können Gründer durch das Keep it All-Modell die eingenommen Mittel behalten, selbst wenn das angegebene Finanzierungsziel nicht erreicht wird.

3 Projekte Crowdfunding-Projekte gibt es in einer Vielzahl an Variationen. Abgesehen von der Plattform, auf der sie sich präsentieren, unterscheiden sich diese Projekte auch in der Zahl der angeworbenen Unterstützer, in der Länge der Kampagne, in der Zielsetzung des Projekts, in den eingenommenen Mitteln und vor allem in der Art der Produkte voneinander. Allgemein wird geschätzt, dass 30 % der Crowdfunding-Kampagnen soziale Projekte sind. Mit 19,4 % der Kampagnen stellen Kunstprojekte die zweitgrößte Kategorie der durch Crowdfunding finanzierten Unternehmungen (Go Get Funding 2013).

Soziale Projekte

30,0 %

Kunstprojekte

19,4 %

Unternehmertum

16,9 %

Energie und Umwelt Andere

5,9 % 28,0 %

Abb. 7.3: Relative Verteilung der Crowdfunding-Kategorien in 2012. Quelle: Go Get Funding 2013.

Vor allem an der großen Anzahl der nicht kategorisierten Projekte ist erkennbar, wie sehr sich die Projekte voneinander unterscheiden. Fast ein Drittel aller Kampagnen ist so individuell, dass sie in keine der vier Kategorien passen und sich auch voneinander zu sehr unterscheiden, um eine neue Kategorie zu bilden. Auch beim Erfolg der jeweiligen Kampagnen gibt es erhebliche Unterschiede. Das erfolgreichste deutsche Crowdfunding-Projekt war die Finanzierung des Kinofilms Stromberg durch die Kölner Produktionsgesellschaft Brainpool. Innerhalb von nur

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einer Woche erreichten die Produzenten das ausgegebene Ziel von einer Million Euro. Im internationalen Vergleich erscheint dieses Projekt dennoch vergleichsweise klein. Das weltweit erfolgreichste Crowdfunding-Projekt ist bis dato (Stand: März 2015) das Online-Videospiel Star Citizen. Nachdem Entwickler Chris Roberts im November 2012 über zwei Millionen Dollar auf Kickstarter eingesammelt hatte, erwies sich das Konzept Crowdfunding für das Gründerteam als so effektiv, dass das Projekt noch heute – unabhängig von Kickstarter – weiter aktiv Spenden einwirbt. Im März 2015 berichtete die Website des Projekts, dass bereits über 77 Millionen Dollar an Spenden für das Spiel eingenommen werden konnten. Da der bislang höchste Betrag für das Spiel Star Citizen über eine unabhängige Kampagne eingenommen wurde, führt Kickstarter das Projekt „The Coolest Cooler“ als erfolgreichstes Projekt auf seiner Plattform an. Mit über 13 Millionen Dollar an eingeworbenen Spenden stellte Gründer Ryan Grapper im August 2014 einen neuen Kickstarter-Rekord auf und bewegte mehr als 62.000 Backer dazu, sein Projekt zu unterstützen und Vorbestellungen für die technisch ausgefeilte Kühlbox „The Coolest Cooler“ abzugeben. Auch der Erfinder Palmer Luckey schaffte es mit seinem Produkt über eine bereits sehr erfolgreiche Kickstarter-Kampagne hinaus. Im September 2012 hatte Luckey mit der Videospielbrille Oculus Rift über 2,4 Millionen Dollar auf Kickstarter eingenommen. Nur 18 Monate später – im März 2014 – verkauften er und Mitgründer Brendan Iribe das unvollendete Konzept an Facebook. Für ihre Firma Oculus VR erhielten die beiden Entwickler der Videobrille ein Vergütungspaket im Wert von über zwei Milliarden Dollar, bestehend aus einer Barabfindung, Bonuszahlungen und Facebook-Aktien. Während Indiegogo für die große Anzahl an eher kleinen erfolgreichen Projekten bekannt ist, gibt es auch bei Kickstarters größtem Konkurrenten finanzstarke Kampagnen. Die höchsten Einnahmen auf Indiegogo konnte bislang der SmartphonePrototyp „Ubuntu Edge“ verbuchen. Obwohl die Entwicklerfirma Canonical es schaffte, mehr als 12,8 Millionen Dollar einzusammeln, scheiterte das Projekt an dem enormen Finanzierungsziel in Höhe von 32 Millionen Dollar. Mit Einnahmen von rund 2,5 Millionen Dollar ist daher das Brauerei-Projekt „Stone Groundbreaking Collaborations“ das erfolgreichste bislang realisierte Indiegogo-Projekt (Stand März 2015). Ubuntu Edge ist allerdings bei weitem nicht das einzige gescheiterte Crowdfunding-Projekt. Zahlreiche Projekte scheitern, obwohl das Kampagnenziel erreicht wurde. Da es auf den meisten Crowdfunding-Plattformen keine Garantie für die erfolgreiche Herstellung und letztlich den Versand der Produkte an die Backer gibt, wird erfolglosen Projektgründern von den betroffenen Backern schnell Betrug vorgeworfen. In der Regel sind jedoch Fehler in der Planung eines Crowdfunding-Projekts die eigentliche Ursache für das Scheitern. So betrug die Erfolgsquote – also der Anteil der Projekte, die ihr Finanzierungsziel erreichen konnten – aller Projekte auf Kickstarter im März 2015 lediglich 39 %.

Kapitel 7: Erfolgsfaktoren im Crowdfunding | 125

Nachdem beispielsweise das Unternehmen The Forking Path mit seiner KickstarterKampagne zum Brettspiel „The Doom That Came To Atlantic City!“ im Juni 2012 über 122.000 Dollar eingenommen hatte. erklärte Gründer Erik Chevalier das Projekt bereits ein Jahr später offiziell für gescheitert. In einem öffentlichen Update auf seiner Kickstarter-Seite erklärte Chevalier die Gründe des Scheiterns und warum er die Kampagne lieber jemandem mit mehr Erfahrung im Crowdfunding überlassen hätte (Chevalier 2013): [...] Every possible mistake was made, some due to my inexperience in board game publishing, others due to ego conflicts, legal issues and technical complications. No matter the cause though these could all have been avoided by someone more experienced and I apparently was not that person. [...]

Doch was genau sind die Faktoren, die den Erfolg einer Crowdfunding-Kampagne bestimmen?

4 Erfolgsfaktoren von Crowdfunding-Kampagnen Aus der Praxis der Planung und kommunikativen Begleitung zahlreicher Crowdfunding-Kampagnen konnten von den Autoren die folgenden Erfolgsfaktoren identifiziert werden:

4.1 Innovationsgrad des Produkts Insbesondere bei Crowdfunding-Projekten im Hardware- und Design-Bereich ist die Neuheit eines Produkts beziehungsweise der Innovationscharakter entscheidend für den Kampagnenerfolg. In der Regel werden besonders innovative Produkte von einzelnen Erfindern oder auch von Teams aus Tüftlern und Designern entwickelt, die sodann auf Crowdfunding-Plattformen wie Kickstarter und Indiegogo austesten, ob es für das entwickelte Produkt eine Nachfrage gibt, bevor eine kostspielige Serienproduktion angestoßen wird, ohne dass Gewissheit über eine entsprechende Kundennachfrage besteht. Man kann hierbei auch vom „Venture Shopping” sprechen. Für sogenannte „Gadgets”, die im stationären Handel noch nicht verfügbar sind, da sie Produktneuheiten darstellen, ist ein Erfolg wahrscheinlicher als für bereits am Markt verfügbare Produkte ohne besondere technische Neuheit.

4.2 Video Das Kampagnenvideo ist zentraler Bestandteil einer Crowdfunding-Projektseite und liefert einen umfassenden audiovisuellen Eindruck über das beworbene Crowdfun-

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ding-Vorhaben. Es ist besonders dafür geeignet, eine emotionale Produktinszenierung zu gewährleisten und einen Einblick hinter die Kulissen eines Vorhabens zu bieten. Außerdem können die Projektgründer darin die Gelegenheit nutzen, sich und ihr Projekt einem weltweiten Publikum vorzustellen. Ein Projektvideo sollte in maximal drei Minuten die wesentlichen Punkte eines Produkts und der Ziele der Crowdfunding-Kampagne aufgreifen und mit einem Handlungsaufruf („Call to Action”) an den Zuschauer enden. Die Tonalität eines Videos sollte der Kommunikationsstrategie folgen, auf der die Crowdfunding-Kampagne aufgesetzt ist. Ein besonders origineller Ansatz geht über die Präsentation des Vorhabens und die Vorstellung des Gründerteams hinaus und erzählt auf unterhaltsame Weise eine Geschichte über die Entstehung der Produktidee und das Gründerteam bis hin zur Präsentation des Produkts beziehungsweise Prototyps. Hier einige erfolgreiche Beispiele, zunächst PowerUp 3.0: Smartphone-Controlled Paper Airplane. Im Video zu PowerUp 3.0 wird der Initiator Shai als kreativ-genialer Erfinder, Designer und Hobbypilot dargestellt, der nach jahrelanger Labor- und Werkstattarbeit ein Modul entwickelt hat, mit dem sich jedes selbst gebastelte Papierflugzeug fernsteuern lassen kann. Das Video zeigt den Prototypen in Aktion und verdeutlicht, dass die Erfindung tatsächlich funktioniert.

Abb. 7.4: Videosequenzen PowerUp 3.0. Quelle: Kickstarter.com 2014.

Ein zweites Beispiel ist „Pressy – The Almighty Android Button“. Die beiden Bastler und besten Freunde Nimy und Boozy stellen in ihrem Video mit einem Komparsen im Bärenkostüm die Funktionsweise ihrer Erfindung vor. Die jeweiligen Funktionen und Anwendungsbeispiele wie zum Beispiel das automatische Hochladen eines soeben gemachten Handyfotos, das Übermitteln des aktuellen Aufenthaltsorts oder das Aufrufen von bestimmten Apps.

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Abb. 7.5: Pressy – the Almighty Android Button. Quelle: Kickstarter.com.

„Who Gives A Crap – Toilet Paper that Builds Toilets“ und „Good Spread Peanut Butter“ sind außerdem zwei Beispiele, die neben dem Absatz ihrer Produkte auch soziale Zwecke verfolgen. Das Team von „Who Gives A Crap“ investiert die Hälfte der aus der Kampagne eingeworbenen Erlöse aus dem Verkauf ihres besonders verträglichen Toilettenpapiers in den Bau von Toiletten in Entwicklungsländern. Die Projektgründer erzählen ihre Geschichte im Video, während sie auf einer Kloschüssel sitzen. Die beiden Gründer der Erdnussbutter-Marke „Good Spread“ vermitteln im lockeren Plauderton zwischen Versandkartons sitzend, dass im Gegenzug für jede verkaufte Tüte Erdnussbutter je eine Tüte an Schulen in Entwicklungsländern verschickt wird. Das Video ist darüber hinaus mit einem sehr eingängigen Soundtrack unterlegt.

4.3 Kundennähe durch Reaktionsschnelligkeit Kundennähe wird hauptsächlich durch eine zeitnahe Rückmeldung auf Anfragen von Unterstützern und durch eine kurzfristige Erreichbarkeit hergestellt (Hsieh 2010). Die meisten Plattformen gestatten es Interessenten und Spendern, mit den Projektgründern in direkte Kommunikation zu treten, indem Anfragen über entsprechende Online-Formulare verschickt werden können. Häufig gestellte Fragen (FAQ) lassen sich auf der Projektseite sammeln und so bereits im Vorfeld beantworten. Als weitere Kanäle, um mit den Unterstützern in Kontakt zu treten und das Customer Relationship Management (CRM) durchzuführen, eignen sich insbesondere Social-Media-Kanäle wie Facebook und Twitter.

4.4 Kontinuität und Transparenz durch regelmäßige Updates Durch regelmäßige, umfassende und transparente Updates lässt sich der Fortschritt vom Zeitpunkt des Beginns einer Kampagne bis hin zum Ausliefern des fertigen Endprodukts darstellen. Die Spender erhalten die Updates unmittelbar nach der

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Veröffentlichung außerdem direkt per E-Mail, so dass sie jederzeit über den Verlauf des Projekts, das sie unterstützen, informiert sind und ständig am Entwicklungsprozess teilhaben können. Updates liefern eine Art Fortschrittsbericht und beleuchten unterschiedliche Aspekte eines Produktentwicklungs- und Fertigungsprozesses wie zum Beispiel unterschiedliche Anwendungsszenarien eines Produkts, Verpackungsdesign, erreichte Meilensteine oder die Aufnahme der Serienproduktion. Als ideal für die BackerZufriedenheit kann von einer wöchentlichen oder mindestens zweiwöchentlichen Update-Frequenz ausgegangen werden. Als erfolgreiches Beispiel soll auf die Updates des Kickstarter-Projekts „FlyKly Smart Wheel“ – einer technischen Erweiterung für Fahrräder – verwiesen werden, in denen ein konsistenter Erzählstrang die unterschiedlichen Projektphasen begleitet, angefangen vom vorzeitigen Erreichen des Finanzierungsziels (Update Nr. 1), das Einführen neuer Finanzierungsziele (Stretch Goals) während der Kampagnenlaufzeit (Update Nr. 2), dem Erreichen dieser Ziele, der Einführung zusätzlicher technischer Erweiterungen, der Vorstellung von Designdetails von Produkt und App, Neuigkeiten aus der Fertigung und der erfolgreichen Anwendung des Produkts durch die Unterstützer der Kampagne (Update Nr. 15).

4.5 Glaubwürdigkeit durch prominente Testimonials Der Status und das Vertrauen, das Prominente in der Öffentlichkeit genießen, kann durch deren Beteiligung an einer Crowdfunding-Kampagne auf das Produkt abstrahlen. Das Team von „Pono Music“ konnte gemeinsam mit der Beteiligung der Rocklegende Neil Young für den MP3-Player „Pono“ Stars wie David Crosby, Tom Petty, Norah Jones und Bandmitglieder von Pearl Jam, Beastie Boys und Red Hot Chili Peppers vor der Kamera für positive Aussagen zur Klangqualität mit dem Pono Music Player gewinnen. Das Team von „Reading Rainbow“ hat gemeinsam mit dem Schauspieler LeVar Burton (u.a. Raumschiff Enterprise) mit seiner Initiative „Bring Reading Rainbow Back for Every Child, Everywhere!“ einen außergewöhnlichen Erfolg erzielt, indem es über 105.000 Unterstützer für seine Kampagne gewinnen konnte. Ziel des Projekts ist die Einführung einer App und das Bereitstellen einer kostenlosen digitalen Bibliothek für die Förderung der Lesekompetenz von Grundschülern. Beide Kampagnen gehören mit einem Finanzierungsvolumen von 6,2 Mio. Dollar (Pono Music) beziehungsweise 5,4 Mio. Dollar (Reading Rainbow) zu den erfolgreichsten Crowdfunding-Kampagnen.

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4.6 Produktportfolio Ein zentraler Erfolgsfaktor bei produktorientierten Crowdfunding-Projekten sind die Geschenke, die Unterstützer als Gegenleistung für eine Spende erhalten. Von großer Bedeutung ist das Angebot von Geschenken in unterschiedlichen Preisniveaus, um eine größtmögliche Zahl an Kunden anzusprechen und die Zahlungsbereitschaft der unterschiedlichen Zielgruppen bestmöglich auszuschöpfen. Über unterschiedliche Preisklassen lässt sich außerdem die Zahlungsbereitschaft des Zielmarkts sondieren. Spezialanfertigungen oder besondere Produktversionen (zum „Versioning” Zerdick 2010), die nur für die an der Crowdfunding-Kampagne teilnehmenden Unterstützer vorgesehen sind, lassen die Generierung und Abschöpfung zusätzlicher Margen zu. Sonderpreise für sehr zahlungsbereite und besonders begeisterte Spender sind unter anderem Besichtigungen der Produktionsstätte oder die Teilnahme an Premieren oder ersten öffentlichen Produktvorstellungen. Als erfolgreiches Beispiel soll hier das Projekt „PowerUp 3.0“ genannt werden, wo die Breite unterschiedlicher Zahlungsbereitschaften von 1 US-Dollar bis hin zu 500 US-Dollar optimal ausgenutzt wurde.

Abb. 7.6: Powerup-Rewards. Quelle: Kickstarter.com, 2014.

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4.7 Finanzierungsschwelle Als besonders erfolgskritisch ist die Festlegung des Finanzierungsziels zu sehen. Ist die Finanzierungsschwelle zu hoch angesetzt, kann diese möglicherweise nicht erreicht werden. Ist sie zu niedrig, droht im Fall einer unzureichenden Finanzierungssumme Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit, wenn die Zahlungsmittel nicht ausreichend sind, um die erste Produktion zu finanzieren. Besonders zu beachten sind versteckte Kosten bei Produktgestaltung, Verpackung, Fertigung und weltweitem Versand. Externe Dienstleister sind in Kostenkalkulation selbstverständlich zu berücksichtigen. Außerdem sollte stets ein hinreichender Kostenpuffer eingeplant werden.

4.8 Marketing-Unterstützung Auch bei Crowdfunding-Kampagnen gilt: Kein Produkt vermarktet sich von selbst! Aufgrund des Prinzips der netzöffentlichen Kommunikation mit der „Crowd”, der mehr oder weniger großen Zahl von Interessenten und Unterstützern, sind bei der Projektkommunikation die Prinzipien des Endverbraucher-Marketings anzuwenden. Neben einer perfekt choreografierten PR-Kampagne, die das Produkt und die Kampagne an entsprechende Journalisten und Redakteure durch entsprechende Pressearbeit kommuniziert, ist das Bespielen der Social-Media-Kanäle wie Facebook und Twitter vonnöten, um die Reichweite einer Crowdfunding-Kampagne zu vergrößern und schon vor dem eigentlichen Kampagnenstart mögliche Spender zu gewinnen. Selbst bei kleinen Projekten sollte immer ein Anzeigenbudget für OnlineWerbung auf Youtube, Facebook und Google eingeplant werden. In der Außendarstellung – ob über Pressearbeit oder Social Media – muss auf die einheitliche Darstellung des Vorhabens und des Teams geachtet werden, die eine Authentizität in der Kommunikation bedingt. Es sollte besonderer Fokus auf das Gründerteam beziehungsweise die Gründerpersönlichkeit gelegt werden, so dass externe Dienstleister eher im Hintergrund agieren. Backer, die von Anfang an in den Produktentwicklungsprozess involviert sind und mitbestimmen können, wohin die Reise geht (vgl. Stretch Goals bei PowerUp 3.0), legen eine hohe Markenloyalität an den Tag, da durch die Mitbestimmung und Mitgestaltung des Produkts ein besonderes Zugehörigkeitsgefühl entsteht.

4.9 Detaillierte Projektplanung Die detaillierte Planung eines Crowdfunding-Projekts muss bereits weit im Vorfeld stattfinden und muss die Preisgestaltung, Kommunikationsstrategie und Fertigungsplanung umfassen. Unterschiedliche Szenarien erlauben eine Problemvor-

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beugung und Früherkennung möglicher Krisen, wie zum Beispiel sogenannter „Shitstorms”, also geballt auftretende negative Äußerungen auf der Projektseite. Da in kleineren Teams mit nur wenigen Beteiligten die Fehlerbehebung besonders aufwändig, weil kostenintensiv und zeitkritisch ist, kommt der detaillierten Planung einer Kampagne besondere Bedeutung zu.

5 Zusammenfassung Als innovative und in den vergangenen Jahren immer mehr in Anspruch genommene Finanzierungsform gewinnt Crowdfunding gerade für junge Unternehmen, StartUps und KMU kontinuierlich an Bedeutung. Vor allem bei neuen, innovativen Projekten stellt Crowdfunding eine Möglichkeit dar, einen großen Teil des angestrebten Projekts durch Fremdkapital zu finanzieren. So wurden alleine im Jahr 2013 weltweit über fünf Milliarden US-Dollar durch Crowdfunding eingesammelt. Die steigende Bekanntheit dieser Finanzierungsmethode einerseits, sowie die jährlich steigenden erwirtschafteten Beträge andererseits zeigen, dass Crowdfunding längst keine exotische Methode mehr ist, um Projekte fremd zu finanzieren. Um über Crowdfunding an Fremdkapital zu gelangen, stehen dem Unternehmer zahlreiche Plattformen mit unterschiedlichen Modellen, Methoden und Funktionsweisen zur Verfügung. Während beim Crowd-Lending das Kapital geliehen wird und nach entsprechender Zeit wieder zurückgezahlt werden muss, erwirbt der Kapitalgeber beim Equity Crowdfunding beziehungsweise Crowdinvesting Stammkapital als Gegenleistung für seinen Invest. Das Soziale Crowdfunding beziehungsweise Donation-Based Crowdfunding unterstützt meist soziale Projekte ohne Gegenleistung. Beim Reward Crowdfunding, welches die am weitesten verbreitete Crowdfunding-Methode darstellt, erhalten die Investoren entsprechende Rewards für ihre Spende, wobei die diese je nach Höhe des Investments unterschiedlich ausgestaltet sein können. Zwar bieten die unterschiedlichen Methoden des Crowdfundings für nahezu jedes Projekt die Möglichkeit Fremdkapitalgeber zu akquirieren, wobei der Erfolg nebst der Methode von weiteren Faktoren abhängt. Diese stellen unter anderem der Innovationsgrad des zu finanzierenden Projekts, die Nähe zum Kunden beziehungsweise der Zielgruppe durch Reaktionsschnelligkeit, Kontinuität und Transparenz durch regelmäßige Kommunikation, Glaubwürdigkeit sowie die entsprechenden Gegenleistungen oder Rewards für den Investor dar. Zudem sind eine detaillierte Projektplanung und eine professionelle und gezielte Marketingunterstützung unabdingbar, um die Erfolgschancen zu steigern. Durch strategische Planung und konsequente Durchführung des entsprechenden Crowdfunding-Projekts, stellt diese Finanzierungsmethode gerade für Start-Ups und KMU eine besonders interessante Alternative dar, an Investoren und damit verbundenes Kapital zu gelangen.

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Literaturangaben Amway (2013): Amway Global Entrepreneurship Report 2013 – Encouraging Entrepreneurs – Eliminating the Fear of Failure, Puchheim: Amway Verlag. Chevalier, E. (2013): Terminus, in: https://www.kickstarter.com/projects/forkingpath/the-doomthat-came-to-atlantic-city/post s/548030, (Zugriff: 07.10.2014). Go Get Funding (2013): Crowdfunding Trends and Statistics Infographic, in: http://www.crowdmapped.com/crowdfunding-trends-and-statistics/, (Zugriff: 07.10.2014). Hsieh, T. (2010): Delivering Happiness: A Path to Profits, Passion and Purpose, New York: Business Plus. Ohanian, A. (2010): Without Their Permission, New York: Business Plus. Soderbery, R. (2013): How Many Things Are Currently Connected To The „Internet of Things“ (IoT)?, in: http://www.forbes.com/sites/quora/2013/01/07/how-many-things-are-currentlyconnected-to-the-internet-of-things-iot/ (Zugriff: 07.10.2014). The Crowdfunding Centre (2014): Mapping The State of The Crowdfunding Nation. Documenting The Global Rise of eFinance & the eFunding Escalator. The World Bank (2013): Crowdfunding's Potential For The Developing World, Washington DC: infoDev. Visual.ly (2014): Startup Funding, in: http://visual.ly/startup-funding (Zugriff: 07.10.2014). Zerdick, A. (2001): Die Internet-Ökonomie: Strategien für die digitale Wirtschaft (European Communication Council Report), 3. Aufl., Berlin: Springer.

Günter Schmid

Kapitel 8: KMU-spezifische Aspekte der Erarbeitung von Marketingkonzeptionen 1 Abgrenzung von KMU und Großbetrieben Die begriffliche Abgrenzung von KMU erfolgt in der Regel über quantitative und qualitative Kriterien. Relativ einfach ist die Abgrenzung mit Hilfe quantitativer Kriterien, auch wenn es bzgl. der Kriterien sowie vor allem bzgl. der zugrunde zulegenden Schwellenwerte unterschiedliche Auffassungen gibt.

1.1 Quantitative Kriterien Das Institut für Mittelstandsforschung in Bonn (IfM, Bonn) grenzt kleine und mittelgroße Unternehmen wie folgt ab:

Unternehmensgröße

Zahl der Beschäftigten

Umsatz/Jahr

klein

bis 9 (einschließlich)

bis < 1 Mio. €

mittel

10 bis 499 (einschließlich)

1 Mio. € bis < 50 Mio. €

(KMU) zusammen

< 500

< 50 Mio. €

Abb. 8.1: Größenabgrenzung von KMU gemäß IfM, Bonn. Quelle: o.V., Abruf: 07.08.2014.

Die EU-Kommission greift bei der Bestimmung von KMU ebenfalls auf die Kriterien „Zahl der Mitarbeiter“ und den „Jahresumsatz“ sowie ergänzend auf die „Bilanzsumme“ zurück, allerdings mit zum Teil anderen Schwellenwerten. Deutlich größere Un-

|| Prof. Dr. Günter Schmid Studiengangsleiter Bachelor Betriebswirtschaftslehre Leiter Fachgruppe Marketing, Fachhochschule Bielefeld

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ternehmen erfasst beispielsweise die KfW in ihrem Mittelstandspanel, in dem Unternehmen berücksichtigt werden, deren Jahresumsatz bis 500 Mio. € betragen kann.

Unternehmensgröße

Zahl der Beschäftigten

Kleinstunternehmen

< 10

Kleinunternehmen

10 ≤ bis < 50

Mittleres Unternehmen

50 ≤ bis < 250

(KMU) zusammen

< 250

Jahresumsatz oder Bilanzsumme

≤ 2 Mio. € (Jahresumsatz) oder ≤ 2 Mio. € (Bilanzsumme) 2 Mio. € bis ≤ 10 Mio. € (Jahressumme) oder 2 Mio. € bis ≤ 10 Mio. € (Bilanzsumme) 10 Mio. € bis ≤ 50 Mio. € (Jahressumme) oder 10 Mio. € bis ≤ 43 Mio. € (Bilanzsumme) < 50 Mio. € (Jahresumsatz) oder < 43 Mio. € (Bilanzsumme)

Abb. 8.2: Größenabgrenzung von KMU gemäß EU-Kommission. Quelle: Amtsblatt der Europäischen Union 2013.

Zusätzlich erhebt die EU die Forderung, dass es sich bei KMU um eigenständige Unternehmen handeln soll. Damit wird versucht, KMU von „Partnerunternehmen“ und „verbundenen Unternehmen“ abzugrenzen (Europäische Kommission 2006, 20 ff.). Mit dieser Einschränkung möchte die EU-Kommission vor allem vermeiden, dass beispielsweise „kleine“ Tochterunternehmen von Konzernen als KMU gelten und dadurch gegebenenfalls Anspruch auf KMU-spezifische Fördermittel erhalten. Das Kriterium der Eigenständigkeit ist auch bei der Behandlung des Aufsatzthemas von hoher Bedeutung, da es die Einheit von Eigentum und Leitung betont. Diese ist verantwortlich für eine Reihe spezifischer Merkmale von KMU (Schauf 2009, 5 f.). Die quantitative Bestimmung von KMU hilft insbesondere bei statistischen Erhebungen. Ansonsten ist die Aussagekraft quantitativer Abgrenzungskriterien stark eingeschränkt. So wirkt die Festlegung der Abgrenzungskriterien teilweise willkürlich. Außerdem sind sie in Anbetracht der großen Bandbreite des Tätigkeitsfeldes von KMU (Handwerksunternehmen, Handelsunternehmen, Industrieunternehmen, Dienstleistungsunternehmen etc.) von sehr unterschiedlicher Bedeutung. 2011 entfielen in Deutschland 3,65 Mio. Unternehmen, dies entspricht 99,6 % aller Unternehmen, auf KMU. In ihnen waren 59,4 % aller sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten tätig. Sie erwirtschafteten 35,9 % des gesamten Umsatzes aller deutschen Unternehmen und steuerten knapp 55 % zur gesamten Wirtschaftsleistung bei (IfM Bonn).

Kapitel 8: KMU-spezifische Aspekte der Erarbeitung von Marketingkonzeptionen | 135

1.2 Qualitative Kriterien Mit Hilfe qualitativer Merkmale lassen sich charakteristische Eigenschaften von KMU aufzeigen. Zu zentralen Merkmalen von KMU gehören die (Renker 2009, 62 ff.; Schauf 2009, 8 f.): Einheit von Eigentum, Leitung und Kontrolle Durch die oben aufgezählten quantitativen Grenzen bei den Beschäftigtenzahlen, beim Umsatz beziehungsweise der Bilanzsumme und der Einbeziehung der entsprechenden Kennzahlen beteiligter Unternehmen beziehungsweise verbundener Unternehmen sind die Größenordnungen von KMU überschaubarer und die Komplexität von Führungs-, Planungs-, Organisations- und Kontrollfragen verglichen mit Großunternehmen beschränkter. Eigentümerunternehmerschaft Die Unternehmensleitungen von KMU sind nicht primär gehalts- und/oder bonigesteuert, wie im Fall von angestellten Managern, sondern sie agieren in erster Linie als Risikounternehmer. Ihre Unternehmenspolitik ist nicht zuletzt deshalb langfristig(er) ausgelegt. Starke Ausrichtung auf die Person des Eigentümerunternehmers Alle betrieblichen Abläufe sind auf die Person des Unternehmers zugeschnitten und der betriebliche Erfolg ist stark abhängig von seinen unternehmerischen Fähigkeiten. „So wird über Hans Riegel von Haribo gesagt: ´Seine Person und sein Unternehmen waren immer eine Einheit`“ (Simon 2006, 58). Hohe Kontinuität in der Unternehmensleitung Während die durchschnittliche Verweildauer der Vorstände der 2500 größten börsennotierten Unternehmen nur vier bis sechs Jahre beträgt (Tödtmann 09.08.2014), stehen Eigentümerunternehmer häufig mehr als 20 Jahre an der Spitze ihrer Unternehmen (Simon 2006, 59). Dies hat positive Auswirkungen auf die Kontinuität der Unternehmenspolitik. Autonomen Entscheidungsmöglichkeiten In eigentümergeleiteten Unternehmen sind schnelle(re) Entscheidungen möglich, während in Konzernen zum Teil langwierige Abstimmungsprozesse anfallen. Human Resources Die Unternehmensleistungen sind, unabhängig von der Unternehmensgröße, stark von den Fähigkeiten und Fertigkeiten der Mitarbeiter abhängig. Kompetente Mitarbeiter bevorzugen heute in wachsendem Maße Großunternehmen (Renker 2009, 64). Mittelständische Unternehmen werden sich zudem in Zukunft verstärkt Akademikern öffnen müssen, um den ständig steigenden Marktanforderungen gerecht werden zu können. Der demographiebedingte allgemeine Facharbeitermangel wird den personalpolitischen Druck auf die KMU noch zusätzlich erhöhen (Richter 2009, 20 ff.). Fröhlich/Pichler/Pleitner (2000, 29) attestieren dagegen KMU auch personalpolitische Stärken. Sie weisen darauf hin, dass KMU vielfach humanere Arbeitsplätze und befriedigendere Tätigkeiten bieten als große Unternehmungen, weshalb Arbeitnehmer in kleineren Betrieben zufriedener seien als ihre Kollegen in Großbetrieben.

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Nachfolgeregelungen Ein zentrales Thema von KMU ist das Finden eines geeigneten Nachfolgers. Nach Recherchen des IfM, Bonn, stand, beziehungsweise steht zwischen 2010 und 2014 jährlich bei rund 2000 Unternehmen die Unternehmensnachfolge an. In 54 % der Fälle – so die Prognosen – wird eine familieninterne Lösung gefunden. Von den 46 % der Unternehmen, die an Familienfremde verkauft werden, entfallen circa 29 % auf unternehmensexterne Käufer und 17 % auf einen Management Buy-Out (unternehmensinterne Käufer) (O.V. 10.08.2014; Kay/Suprinovic 2013). Begrenzte Eigenkapitalausstattung Die finanziellen Ressourcen von KMU liegen trotz Verbesserungen in den letzten Jahren weit unter denen der Großunternehmen (Schwartz o. J., 3). Deren Möglichkeiten der Selbstfinanzierung, beispielsweise über Abschreibungen, sind deutlich besser. Außerdem haben KMU einen schlechteren Zugang zum Kapitalmarkt. Hidden Champions (Simon 2006, 49 ff.) Simon zählt zur Charakterisierung seiner Stillen Stars unter anderem folgende Eigenschaften auf: sie verfügen über langfristige Visionen, sie setzen sich sehr ambitionierte Ziele, zum Bespiel bezogen auf ihre Marktposition, deren Realisierung sie äußerst entschlossen über Jahrzehnte verfolgen, sie grenzen die von ihnen bearbeiteten strategischen Geschäftsfelder relativ eng ab – die Marktbearbeitung der Stillen Stars ist eher tief als breit –, die hochspezialisierten Produkte und Dienstleistungen werden weltweit vermarktet, sie unterhalten enge Beziehungen zu ihren (Top-)Kunden, ihr Markterfolg beruht auf einer hohen Innovationsfähigkeit, sie verfolgen eher eine Differenzierungs- als eine Kostenführerschaftsstrategie, die Stillen Stars vertrauen lieber ihren eigenen Stärken, und halten, zumindest bezogen auf ihre Kernkompetenzen, wenig von Outsourcing und strategischen Allianzen, sie räumen ihren Mitarbeitern große Entscheidungsspielräume ein und fördern gezielt deren intrinsische Motivation. Die Hidden Champions darf man hier nur mit starken Einschränkungen berücksichtigen. Dies hängt mit den von Simon gewählten Abgrenzungskriterien zusammen. Simon definiert Hidden Champions an Hand von drei Kriterien: Hidden Champions gehören zu den drei TopUnternehmen auf dem Weltmarkt oder sind die Nr. 1 auf einem Kontinent, ihr Umsatz liegt unter 5 Mrd. € und sie sind in der Öffentlichkeit kaum bekannt (Simon 2012, 83). Damit dürfte es sich bei den Hidden Champions im Sinne der in diesem Aufsatz zugrunde gelegten quantitativen Abgrenzung im Regelfall um Großunternehmen und nicht um KMU im klassischen Sinn handeln.

Auch die qualitativen Kriterien sind nur beschränkt geeignet, KMU gegenüber Großunternehmen abzugrenzen. So besteht bei den möglichen qualitativen Kriterien eine große in der Literatur keineswegs abgestimmte Bandbreite. Einigen der aufgeführten Kriterien fehlt es an der notwendigen Eindeutigkeit. Die Entscheidungszentralisation oder lange Wertschöpfungsketten kann man sowohl als Stärke (so Simon 2006, 57) als auch als mögliche Schwäche (Bussiek 1997, 15 f.) ansehen. Andere Kriterien lassen sich bei KMU und bei Großunternehmen gleichermaßen beobachten. So können beispielsweise auch Großunternehmen durch Eigentümerunternehmer geleitet werden, siehe hierzu beispielhaft die zu den Großunternehmen zu zählende OetkerGruppe, und umgedreht handelt es sich bei KMU keineswegs um ausschließlich von Eigentümern geführte Unternehmen. Für Abgrenzungszwecke wäre es außerdem

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erforderlich, bei den qualitativen Kriterien konkrete Grenzwerte festzulegen (Bekmeier-Feuerhahn/Wickel 2006, 58). Letztlich hängt es von der zu untersuchenden Fragestellung ab, auf der Basis welcher Kriterien man die Abgrenzung von KMU und Großbetrieben vornimmt. Für die in diesem Aufsatz zu untersuchende Frage soll, trotz aller Schwächen, primär von den qualitativen Kriterien ausgegangen werden, ohne dabei aber auf die quantitativen Abgrenzungskriterien zu verzichten (Wossidlo 1993, Sp. 2888 ff.). Den qualitativen Kriterien wird vor allem deshalb große Beachtung geschenkt, weil KMU keine Großunternehmen im Miniaturformat sind, sondern sich durch spezifische Merkmale, Merkmalsausprägungen und Problemstellungen auszeichnen (Grothus 2000, 15). Diese lassen sich aus qualitativen Merkmalen (zum Teil in Kombination mit quantitativen Überlegungen) leichter ableiten als allein aus quantitativen Kriterien. Unabhängig von den Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen KMU und Großunternehmen bleibt zusätzlich das Problem der extremen Heterogenität der KMU bestehen (Meyer 2000, 4). Konkrete betriebswirtschaftliche und insbesondere marketingpolitische Aussagen werden dadurch stark erschwert. Es werden nicht nur, wie eingangs schon erwähnt, sehr unterschiedliche Branchen betrachtet, die ihrerseits bereits sehr große Unterschiede speziell auch im Marketing aufweisen, sondern auch die Größenunterschiede sind enorm. Sie reichen vom Ein-Mann-Betrieb bis zu Unternehmen, die, je nach Abgrenzung, in der Spitze 250 beziehungsweise 500 Mitarbeiter mit bis zu 50 Mio. € Umsatz aufweisen können. Kleinstunternehmen stellen aber ganz andere Anforderungen an Organisations-, Planungs- und Entscheidungsprozesse als mittelgroße oder große KMU. Die Möglichkeiten der Arbeitsteilung und damit der Spezialisierung, die einsetzbaren personellen und finanziellen Ressourcen sind überhaupt nicht mit denen der größeren Unternehmen vergleichbar. Außerdem ist zu beachten, dass sich unter den Kleinstunternehmen auch viele Start-up-Unternehmen befinden, die wiederum andere Anforderungen an das Marketing stellen als etablierte Unternehmen (zum Marketing von Unternehmensgründern siehe detailliert Rüggeberg 2003).

2 Wandlungen im Marketing(verständnis) Das Marketingverständnis hat im Laufe seiner gut 100-jährigen Geschichte starke Wandlungs- und Ausweitungsprozesse erfahren. Von einer primär distributionsorientierten Ausrichtung hat sich das Marketingverständnis zu einer das Gesamtunternehmen umfassenden Unternehmensführungskonzeption gewandelt. Dabei steht im modernen Marketing nicht die einzelne Kundentransaktion im Vordergrund des Interesses, sondern der Aufbau und die Pflege dauerhafter Kundenbeziehungen (CRM), mit der Absicht, über Kundenbindung einen entscheidenden Beitrag zur Erreichung der (finanziellen) Unternehmensziele sowie der Ziele der Stakeholder zu

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leisten (Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2012, 12 ff.). Die Einbeziehung der Stakeholderziele wird als „Deepening des Marketing“ bezeichnet. Sie beruht auf der Idee, dass der Marketingerfolg auch in hohem Maße abhängig ist von der Berücksichtigung der Interessen aller Stakeholder. Neben den Kunden sind dies zum Beispiel die Mitarbeiter, die Lieferanten, die Kapitalgeber, die Absatzmittler und sonstige Interessengruppen, wie Gewerkschaften, Bürgerinitiativen, die Politik etc. Eine weitere Vertiefung hat die Zielfunktion des Marketing in den letzten Jahren durch die Forderung erfahren, bei den Marketingaktivitäten zusätzlich Aspekte nachhaltigen Wirtschaftens ausreichend zu beachten (Walsh/Klee/Kilian 2009, 8 f.). Die zu Beginn stark instrumental ausgerichtete Marketingauffassung wurde in den 70er Jahren um ein Marketingmanagementdenken ergänzt, das von der Erkenntnis ausgeht, dass modernes Marketing nur „in einem systematisch strukturierten Prozess geplant, umgesetzt und kontrolliert“ (Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2012, 18) werden kann. Außerdem erfolgte eine institutionelle Ausweitung des Marketingansatzes. Im kommerziellen Marketing wurde zur besseren Ausrichtung auf spezifische Aspekte der Austauschobjekte und/oder der Marktpartner das Investitions- und das Dienstleistungsmarketing entwickelt. Für nichtkommerzielle Organisationen (NKO) und Individuen kam es zur Herausbildung eines Non-Profitmarketing (Broadening des Marketingkonzeptes). Darüber hinaus wurde in den 70er Jahren das Marketing im Sinne einer generischen Interpretation als universelles Konzept zur Gestaltung von Austauschprozessen zwischen Individuen und Gruppen ausgebaut (vergleiche beispielhaft Kotler 1978). Ferner wurden branchenspezifische Marketingansätze entwickelt (zum Beispiel das Banken-, Handels- und Handwerksmarketing) und funktionsspezifische Ansätze (beispielsweise das Beschaffungs-, Finanz- und Personalmarketing) erarbeitet. Die Bausteine eines systematischen Marketingmanagementprozesses sind der Abbildung 8.3 zu entnehmen, wobei das Kernstück des Marketingmanagementprozesses die Erarbeitung einer Marketingkonzeption bildet. In diesem Sinn wird modernes Marketing als eine Unternehmensführungskonzeption definiert, die von der Erkenntnis ausgeht, dass der Schlüssel zur Erreichung der Unternehmensziele in der Schaffung von Kundenzufriedenheit liegt. Diese versucht man, basierend auf einer sorgfältigen Analyse der bewussten und unbewussten Bedürfnisse der vorhandenen und potentiellen Kunden, mit Hilfe des gleichermaßen effektiven wie effizienten Einsatzes des marketingpolitischen Instrumentariums durch Schaffung von Wettbewerbsvorteilen aufzubauen beziehungsweise zu erhalten (Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2012, 7 ff.).

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Analysephase

Durchführungsphase

Planungsphase

Kontrollphase

zunehmende Konkretisierung

Analyse der Marketingsituation und Prognose der zukünftigen Entwicklung

Festlegung der Marketingziele (abgeleitet aus Unternehmenszielen)

Formulierung von Marketingstrategien auf versch. Strategieebenen

Planung der absatzpolitischen Instrumente (Marketingmix)

Realisierung der MarketingEntscheidungen

Überprüfung der Marketingergebnisse

Entwicklung einer umfassenden Marketingkonzeption

Rückkopplung

Abb. 8.3: Phasen des Marketingmanagementprozesses. Quelle: Scharf/Schubert/Hehn 2009, 30.

Mit Nieschlag/Dichtl/Hörschgen (2002, 14 f.) lassen sich beim modernen Marketing drei Ebenen unterscheiden: Marketing als Maxime (Philosophie) Alle Unternehmensentscheidungen und -handlungen sind an den Markterfordernissen auszurichten. Anders als im alten, verkaufsorientierten Marketingkonzept kommt es im modernen Marketingkonzept nicht auf die Vermarktung vorhandener Produkte an, sondern auf die Erarbeitung von Problemlösungen für die Kunden. Als entscheidend für den Unternehmenserfolg erachtet man, dass die Kunden mit der Unternehmensleistung zufrieden sind und zu treuen Wiederholungskäufern werden und/oder für die Unternehmensleistungen gegenüber Dritten werben. Da an der Erstellung der Unternehmensleistung in der Regel alle Mitarbeiter mittel- oder unmittelbar beteiligt sind, müssen auch alle Mitarbeiter im Rahmen ihrer täglichen Arbeit kundenorientiert denken und handeln (integriertes Marketingdenken). Dies zielt sowohl auf ein intern optimal aufeinander abgestimmtes Verhalten aller Unternehmensbereiche in Bezug auf die Anforderungen und Wünsche der verschiedenen Zielgruppen beziehungsweise Märkte ab als auch auf die möglichst weitgehende Erschließung des (Kreativ-)Potentials aller Unternehmensmitarbeiter, mit dem Ziel, einen überlegenen Kundennutzen zu schaffen und in seiner Folge einen überdurchschnittlichen Unternehmensgewinn zu erwirtschaften.

140 | Günter Schmid

Marketing als Methode Um erfolgreich zu sein, muss das Marketing „alle sinnvollen wissenschaftlichen Verfahren und leistungsfähigen Managementmethoden [nutzen], um fundiert effektive Entscheidungen herbei[…]führen und zielgerichtet, planvoll-systematisch, strategisch … effizient in der Bearbeitung der Märkte und des Einsatzes der Ressourcen vor[…]gehen“ (Renker 2009, 31; Schauf 2009a, 63 ff.) zu können. Marketing als Mittel Die markt- beziehungsweise kundenbezogenen Ziele sollen mit Hilfe des absatzpolitischen Instrumentariums realisiert werden. Dabei steht die optimale Abstimmung aller marketingpolitischen Teilinstrumente im Vordergrund des Interesses (Optimierung des Marketingmix). Bei der systematischen Ausrichtung der Instrumente fordern Kotler/Keller/Bliemel, dass zu der anbieterdominierten Sicht der 4 Ps (Produkt, Price, Place, Promotion) die nutzenorientierte Konsumentensicht durch Berücksichtigung der 4 Cs (Customer Solutions, Cost to the Customer, Convenience, Communication) treten soll. Auf diese Weise soll – bezogen auf jedes Marketinginstrument – „klar sein, welche Nutzenaspekte für den Kunden damit verbunden sind“ (Kotler/Keller/Bliemel 2007, 26).

3 Bedeutung des Marketing für KMU Marketing ist im Laufe der Jahre mit der Sättigung vieler Märkte und ihrer Wandlung zu Käufermärkten, der Intensivierung des Wettbewerbs, den ständig steigenden Ansprüchen der Kunden, der permanenten Verkürzung der Produktlebenszyklen, der Globalisierung der Märkte, der zunehmenden Transparenz der Märkte durch das Vordringen der modernen Informationstechnik etc. immer wichtiger geworden. In vielen KMU wird dem Marketing aber immer noch eine eher untergeordnete Bedeutung beigemessen. „Allzu oft wird es ziel- und planlos betrieben – hier eine Anzeige in der Tageszeitung, dort eine Werbe-E-Mail oder ein Prospekt an potenzielle Kunden, mit der Folge, dass die Wirkung verpufft und Geldmittel vergeudet werden. Nicht selten hört man dann nach halbherzigen Aktionen, Marketing sei ‚zu teuer‘, ‚zu theoretisch‘ und ‚bringt nichts‘ “ (Johne 2014, 7). Hinzu kommen Vorurteile infolge von fehlendem oder unzureichendem Wissen (Renker 2009, 22 ff.). Die Gründe für die(se) negative Haltung gegenüber dem Marketing sind sicher auch in den spezifischen Merkmalen der KMU zu suchen. Wie oben erwähnt ist die Arbeitsteilung in KMU verglichen mit Großunternehmen deutlich schwächer ausgeprägt. In KMU sind mehr Generalisten als Spezialisten gefragt (Dünser 2013, 80 f.). Größenbedingt kann in KMU nicht jede Managementfunktion durch einen Experten wahrgenommen werden. Stabsstellen sind weitgehend unbekannt. Ferner ist in KMU häufig eine Funktionsüberlastung in der Person des Eigentümerunternehmers zu beobachten. Er ist häufig „in Personalunion Finanzchef und Vertriebsprofi, Chefstratege und Controllingfachmann, Entwicklungsleiter und Personalmanager, Logistikexperte und Pressesprecher“ (Haubold et. al. 2014, S. V.).

Kapitel 8: KMU-spezifische Aspekte der Erarbeitung von Marketingkonzeptionen | 141

Stärken

Schwächen

Unternehmensführung, Organisation und Planung

schnelle Reaktion auf Marktänderungen möglich höhere Flexibilität durch kurze Entscheidungswege Firmengründer als Geschäftsführer sind erfolgsmotiviert und ermöglichen schnellere Umsetzung von Innovationen und Marketingstrategien. geringere Organisationskosten (verglichen mit Großunternehmen)

Kompetenzschwächen des Unternehmers sind gleichbedeutend mit einer Schwächung des Unternehmens; es gibt im Falle von Fehlentscheidungen in KMU nur geringe Ausgleichsmöglichkeiten; das (familiäre) Führungspersonal ist nicht austauschbar KMU-Gründern fehlt oft marketingspezifisches Wissen enge Einbindung in das Tagesgeschäft erschwert Marketing langfristige, schriftlich ausgearbeitete Planungen der Unternehmens- und Marketingpolitik sind eher selten anzutreffen

Personal

informelle Kontakte zwischen Unternehmer und Mitarbeitern höhere Identifikation mit der Arbeit/Aufgabe sorgt für eine bessere intrinsische Motivation mit potentiell positiven Auswirkungen auf die Arbeitsergebnisse

tendenziell ein weniger professionelles Marketing, da die Beschäftigten meist nur begrenzt spezialisiert sind; für die Beschäftigung von Spezialisten sind die KMU zu klein

Leistungserstellung

Vorteile liegen in qualitativen Merkmalen wie individuellen Leistungen und speziellen Serviceangeboten für die Kunden

Kostensenkungspotentiale sind aufgrund des hohen Anteils der Personalkosten nur eingeschränkt erschließbar

Finanzierung

Notwendigkeit, kostspielige Werbekampagnen durchzuführen, ist für KMU nicht zwingend gegeben

eingeschränkter finanzieller Spielraum, das Marketingbudget ist bei KMU in der Regel (sehr/zu) klein

Absatz- und Beschaffungsmarkt

persönliche Kontakte des Unternehmers zu Kunden und Lieferanten begrenzte Kundenanzahl ermöglicht Aufbau und Pflege direkter Kundenbeziehungen. dies erlaubt reaktionsschnelle Problemlösungen mit tendenziell positiven Auswirkungen auf die Kundenbindung

KMU fällt es häufig schwer, neue Vertriebspartner und -wege zu finden. Daraus resultiert eine hohe Abhängigkeit von den bestehenden Kunden und Lieferanten, mit einem entsprechen-den Gefährdungspotential für die langfristige Existenz des Unternehmens eingeschränkte Möglichkeiten speziell im Konsumgütermarketing in den E-Commerce einzusteigen aufgrund der finanziellen und personellen Restriktionen eingeschränkte Möglichkeiten der Internationalisierung

Abb. 8.4: Ausgewählte marketingrelevante Stärken und Schwächen von KMU. Quelle: In Anlehnung an Bekmeier-Feuerhahn/Wickel 2006, 69; Kranzusch/Holz 2013.

Viele mittelständische Unternehmer sind von Hause aus eher produkt- oder technikorientiert. Dies führt dazu, dass Marketingdenken und Marketingwissen in vielen KMU unterentwickelt sind (Bekmeier-Feuerhahn/Wickel 2006, 66). Hinzu kommen die be-

142 | Günter Schmid

grenzten finanziellen Möglichkeiten, die sich in teilweise sehr kleinen Marketingbudgets niederschlagen. Dies erlaubt es in der Regel nicht, (großzügig) Expertenwissen auf dem Markt einzukaufen und/oder umfangreiche(re) klassische Marketingaktivitäten (zum Beispiel im Kommunikationsbereich) zu entfalten. Die Märkte werden aber auch für KMU immer enger, nicht nur durch die generelle Wettbewerbsintensivierung zum Beispiel infolge der Globalisierung. So ist beispielsweise im Handwerk die Zahl der Handwerksbetriebe von 1991 bis 2011 von 642.000 Betrieben auf rund 1 Mio. Unternehmen angewachsen (ZDH). Neue, primär IT-gestützte Technologien in Produktion (z. B. 3D-Drucker) und Kommunikation ermöglichen auch Großunternehmen eine hohe Individualisierung des Marketing bis hin zum One-to-One-Marketing (Mass Customization-Konzept). (Detailliert zu den Individualisierungsstrategien im Marketing siehe Becker 2013, 293 ff. + 681 ff.). Damit drängen die Großunternehmen immer stärker in Marktnischen vor, die traditionell das Hauptarbeitsfeld von KMU bilden. Marketing ist zwar kein Allheilmittel, um die wachsenden Probleme der KMU zu lösen. Es ist aber mit seiner systematischen und umfassenden Marktausrichtung ein wichtiges Unternehmensführungskonzept, um die KMU besser an die Markterfordernisse heranzuführen, und ihnen neue Zukunftsperspektiven zu eröffnen. Experten bescheinigen beispielsweise dem Handwerk, das mehr als 25 % aller KMU stellt, noch erhebliche Defizite im Marketing (Stark 2000, 415). Marketingdenken und Marketingwissen sind im Handwerk generell deutlich verbesserungsfähig (siehe exemplarisch Abbildung 8.5). Diese Zustandsbeschreibung dürfte auch auf viele KMU anderer Branchen zutreffen „Marketing ist eher …“

… überflüssig 2%

… ein Muss 38 %

Einschätzung: „Marketing spielt in einem Betrieb …“ … eine große Rolle 8 %

… gar keine Rolle 8 %

… ein notwendiges Übel 28 % … eine Rolle 38 %

… eine geringe Rolle 46 %

… eine große Chance 32 %

Basis: Repräsentative Befragung elektrotechnischer Handwerksbetriebe in NRW Ende 90er Jahre Abb. 8.5: Einstellungen zum Marketing im Handwerk. Quelle: Stark 2000, 417 f.

Kapitel 8: KMU-spezifische Aspekte der Erarbeitung von Marketingkonzeptionen | 143

4 Implementierung des Marketing als Unternehmensführungskonzeption in KMU 4.1 Umsetzung des Marketing als Maxime (Philosophieaspekt) Geht man von der oben vorgestellten Marketingdefinition mit seinen drei Ebenen aus, gilt es als erstes die Grundlagen zu schaffen, dass Marketing als Unternehmensführungskonzeption in KMU begriffen und gelebt wird. Die Unternehmensleitung muss bei ihren Mitarbeitern dafür Sorge tragen, dass sich jeder mit dem Unternehmen und seinen Leistungen identifiziert und seine Arbeitsleistung als Teil der dem Kunden offerierten Problemlösung versteht. Dies gilt natürlich vor allem im Dienstleistungsbereich, auf den 2013 in Deutschland 69 % der gesamten Bruttowertschöpfung entfielen (Statista). Im Dienstleistungsbereich kommen die Mitarbeiter in der Regel in unmittelbaren Kontakt mit den Kunden. Sie müssen das Marketingkonzept konkret beim Kunden umsetzen. Dies wird aber nur geschehen, wenn die Unternehmensleitung sich der Bedeutung des Marketing bewusst ist, ein explizit ausformuliertes Marketingkonzept erarbeitet, dieses den Mitarbeitern vermittelt und diese für die (praktische) Umsetzung schult. Die Identifikation der Mitarbeiter mit dem Marketingkonzept steigt, wenn sie aktiv in dessen Erarbeitung eingebunden sind. Sie erfahren im täglichen Umgang mit den Kunden deren Probleme und erleben deren Reaktion auf die Angebote des Unternehmens. Allein deshalb sind sie ein wichtiger Informationslieferant für die Marktanalyse (allerdings keineswegs der einzige). Nach Ansicht von Bekmeier-Feuerhahn/Wikel (2006, 67) herrscht in vielen KMU ein positives Betriebsklima, mit der Möglichkeit, freier und selbständiger zu arbeiten als in Großbetrieben. Das wirke sich positiv auf die Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen und seinen Leistungen aus und fördere die Bereitschaft zu einem kundenorientierten Verhalten der Mitarbeiter. Vor diesem Hintergrund darf in KMU unterstellt werden, dass hier prinzipiell gute Voraussetzungen gegeben sind, die moderne Marketingphilosophie umzusetzen. Selbst die für KMU als charakteristisch geltende patriarchalische Führung steht dem nicht zwingend entgegen, wenn sichergestellt ist, dass die Unternehmensführung die Mitarbeiter für ihre (Marketing-)Aufgaben begeistern kann und ihnen genügend Freiraum für Eigeninitiativen lässt (Cernavin 2012, 77 ff.).

4.2 Umsetzung des Marketing als Methode 4.2.1 SWOT-Analyse Basis einer systematischen, langfristig angelegten Marketingkonzeption ist die Analyse der Ausgangssituation inklusive der Prognose über die zukünftige Entwicklung des Unternehmens sowie des inneren und äußeren Marketingumfeldes. Hierzu wird

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in der Regel der Rückgriff auf die SWOT-Analyse empfohlen. Der schematische Aufbau einer solchen Analyse ist Abbildung 8.7 zu entnehmen.

Ermittlung der für die Erarbeitung einer Marketingkonzeption relevanten Einflussgrößen

Potentialanalyse Stärken-/Schwächenanalyse des eigenen Unternehmens bezogen auf alle Funktions-/ Managementbereiche Beschaffung F&E (Innovationsgrad, Entwicklungszeit für neue Produkte, Knowhow etc.) Produktion (Fertigungstechnik, Elastizität der Anlagen, Qualität der Fertigungsplanung und -steuerung) Absatz (marktbezogene Bestimmung der Unternehmensaufgabe, Positionierung der Unternehmensleistungen im Markt etc.) Finanzierung (EK-Ausstattung, Fremdfinanzierungsmöglichkeit etc.) Personal (Altersstruktur, Ausbildungsstand, Qualifikation u. Motivation der Führungskräfte etc.) Unternehmensführung (Unternehemenskultur und -philosophie, Mitarbeiterführung; Qualität der Unternehmensplanung und -strategien etc.)

Wettbewerbsanalyse Analyse der Wettbewerber, mit denen man in (unmittelbarer) Konkurrenz steht (Markensegmentwettbewerb). Die bezogen auf die Wettbewerber zu ermittelnden Daten entsprechen im Wesentlichen den im Rahmen der Potentialanalyse zu erhebenden Fakten.

Marktanalyse Analyse der Zielgruppen des integrierten Marketingkonzeptes: Kunden Lieferanten Kapitalgeber Mitarbeiter Absatzhelfer Absatzmittler

Durch den Vergleich der das eigene Unternehmen und die Wettbewerber betreffenden Daten und deren unmittelbare Gegenüberstellung erhält man ein Stärken-/ Schwächenprofil des eigenen Unternehmens.

Umfeldanalyse Erfassung der vom Unternehmen nicht unmittelbar beeinflussbaren Faktoren aus den Bereichen: Gesellschaft (z.B. Wertewandel, grundsätzliche Trends im Kundenverhalten) soziales Umfeld (Einkommensentwicklung, demographische Struktur und Entwicklung) Technologie/Ökologie Politik/Administration (politische Stabilität, Rechtssicherheit, Gesellschaftssystem) Makroökonomie (Wachstum, Inflation, Arbeitslosenrate etc.) politisch-wirtschaftliches Umfeld (Förder- u. Subventionsrichtlinien, EU-Erweiterung etc.) politisch-rechtliches Umfeld (Gesetze, Bestimmungen, Verordnungen hinsichtlich Steuern, Umwelt, Wettbewerb, Arbeitsrecht etc.)

Chancen-/RisikenAnalyse („markt“-bezogen)

Stärken-/SchwächenAnalyse (interner Bezug)

Zusammenführung zur SWOT-Analyse (Ermittlung, wo interne Stärken auf externe Chancen bzw. interne Schwächen auf externe Risiken stoßen)

Abb. 8.6: SWOT-Analyse. Quelle: Hörschgen et al. 1993, 23 ff.

Kapitel 8: KMU-spezifische Aspekte der Erarbeitung von Marketingkonzeptionen | 145

4.2.1.1 Potentialanalyse Je dynamischer, komplexer und enger die Märkte und ihr Umfeld sind, umso bedeutsamer wird es für die Unternehmen, eine systematische und vor allem integrative Analyse der Ausgangssituation vorzunehmen. Mit Hilfe der SWOT-Analyse erhält das Unternehmen durch unmittelbaren Vergleich mit den Hauptwettbewerbern Aufschluss über eigene zentrale Stärken und Schwächen sowie die des Wettbewerbs. Durch Einbeziehung der Märkte und des Umfeldes werden außerdem Informationen über die sich dem Unternehmen bietenden Chancen und Risiken erhoben. Die Grundidee der Potentialanalyse besteht darin, die Business Idea einer kontinuierlichen Überprüfung und Weiterentwicklung zu unterziehen. Dies spielt natürlich bei der Geschäftsgründung eine besonders wichtige Rolle, ist aber auch in allen anderen Lebensphasen eines Unternehmens von zentraler Bedeutung für den Unternehmenserfolg. In diesem Zusammenhang sind ferner die marktorientierte Bestimmung der Unternehmensaufgabe und ihre permanente Aktualisierung von hoher Relevanz. Diese muss sowohl bedarfs- als auch produktbezogen erfolgen. Während die bedarfsbezogene Bestimmung der Unternehmensaufgabe langfristiger Art ist und kaum Änderungen unterliegt, ist die produktbezogene Definition der Unternehmensaufgabe häufigen Änderungen und Erweiterungen unterworfen. Mit der marktorientierten Fortschreibung der Unternehmensaufgabe verfolgt man letztlich das Ziel, dem Unternehmen neue Kaufkraftreserven zu erschließen.

Unternehmen

Produktbezogene Definition

Marktorientierte Definition

Bahn

Wir betreiben eine Eisenbahnlinie

Wir bieten pünktlichen Transport

VW

Wir produzieren und verkaufen Autos

Wir verstehen uns als Mobilitätsdienstleister für unsere Kunden

Bäcker

Wir backen Brot, Brötchen und Kuchen

Wir helfen, die Lebensqualität unserer Kunden durch gesunde, genussorientierte Backwaren zu steigern

Friseur

Wir schneiden Haare

Wir verkaufen Hoffnung auf Schönheit

Bauunternehmung

Wir bauen und modernisieren Häuser

Wir erfüllen unseren Kunden den Traum vom Eigenheim

Abb. 8.7: Produktbezogene contra marktorientierte Definition der Unternehmensaufgabe. Quelle: Kotler et al. 2007, 94 f.

Die Bandbreite potentieller Stärken (wie natürlich auch potentieller Schwächen), die man mit Hilfe der SWOT-Analyse aufdecken kann, ist groß. Es kann dabei um

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die Produkte des Unternehmens gehen, um ihre Qualität und ihren Innovationsgrad, um die Qualität von Service- und Zusatzleistungen, um die Leistungsfähigkeit und -bereitschaft der Mitarbeiter (Motivation), deren Ausbildungsstand, die Organisationsstruktur, das Planungsverhalten, das Image des Unternehmens und seiner Leistungen, seine finanzielle Stärke, seine Unabhängigkeit (zum Beispiel von Banken, anderen Unternehmen, Verbänden und sonstigen Einrichtungen), die Flexibilität, sowie grundsätzliche Einflussfaktoren wie Einhaltung von Terminen, Zuverlässigkeit, Fairness, Verantwortungsbewusstsein und Freundlichkeit im Umgang mit den Marktpartnern etc. Die Analyse der Stärken und Schwächen des Unternehmens sollte an Hand von Checklisten erfolgen, die im Laufe der Zeit verfeinert und an die Entwicklung angepasst werden. Eine SWOT-Analyse ist keine einmalige Angelegenheit, sondern bedarf der regelmäßigen Fortschreibung. Der damit verbundene Zeit- und Arbeitsaufwand ist beim ersten Mal sicher am höchsten. Folgeanalysen können sich auf Teilbereiche, bei denen Veränderungen aufgetreten sind, beschränken. Wie häufig die Analyse wiederholt werden muss, hängt zum einen von der Dynamik der Märkte und zum anderen von den geplanten Veränderungen in der Unternehmenspolitik ab. Die Potentialanalyse sollte darüber hinaus weniger vergangenheits- als vielmehr zukunftsbezogen erfolgen, indem man Antworten auf die Fragen der Abbildung 8.8 sucht.

Heute

In 5 bis 10 Jahren

Welche Kunden bedienen wir heute?

Welche Kunden werden wir in Zukunft bedienen?

Über welche Distributions- und Kommunikationskanäle erreichen wir heute unsere Kunden?

Über welche Distributions- und Kommunikationskanäle werden wir unsere Kunden in Zukunft erreichen?

Wer sind heute unsere (Haupt-)Konkurrenten?

Wer werden in Zukunft unsere (Haupt-) Konkurrenten sein?

Was ist heute die Grundlage für unsere Wettbewerbsvorteile?

Was wird in Zukunft die Grundlage für unsere Wettbewerbsvorteile sein?

Worauf beruhen unsere Gewinnspannen heute?

Worauf werden unsere Gewinnspannen in Zukunft beruhen?

Durch welche Fertigkeiten bzw. Fähigkeiten heben wir uns heute ab?

Durch welche Fertigkeiten bzw. Fähigkeiten werden wir uns in Zukunft abheben?

Abb. 8.8: Zukunftsorientierte Feststellung betrieblicher Erfolgsfaktoren. Quelle: Hamel/Prahalad 1995, 42.

Kapitel 8: KMU-spezifische Aspekte der Erarbeitung von Marketingkonzeptionen | 147

4.2.1.2 Wettbewerbsanalyse Die Wettbewerbsanalyse soll nicht nur Benchmark-Informationen zur Ermittlung der (eigenen) Stärken und Schwächen liefern. Mit Hilfe des Five Forces Konzeptes von Porter gilt es auch der Frage nachzugehen, welche neuen Konkurrenten in den nächsten Jahren in den Markt drängen könnten. Darüber hinaus ist abzuklären, ob aufgrund sich verändernder Verhaltensweisen der Kunden neue Wettbewerbssituationen entstehen können, mit positiven oder negativen Konsequenzen für das eigene Geschäftsmodell. Ferner ist zu untersuchen, ob sich in Zukunft die Machtverhältnisse zu den Lieferanten beziehungsweise den Abnehmern verschieben könnten mit entsprechenden Auswirkungen auf die eigene Wettbewerbsfähigkeit. Potentielle neue Konkurrenten Bedrohung durch neue Konkurrenten

Verhandlungsstärke der Lieferanten

Wettbewerber in der Branche

Lieferanten

Verhandlungsmacht der Abnehmer Abnehmer

Rivalität unter den bestehenden Unternehmen Bedrohung durch Ersatzprodukte und -dienste sowie neue Verhaltensweisen der Kunden Ersatzprodukte Abb. 8.9: Five Forces Modell. Quelle: In enger Anlehnung an Porter 1992, 26.

Von besonderer Bedeutung im Rahmen der Wettbewerbsanalyse ist die Untersuchung der unmittelbaren Branchenwettbewerber. Dabei muss man in der Regel nur eine kleine Zahl von Wettbewerbern analysieren. Meyer/Davidson empfehlen, maximal drei bis vier (Haupt-)Wettbewerber zu untersuchen (Meyer/Davidson 2001, 231). Bei den (Haupt-)Wettbewerbern handelt sich um jene Unternehmen, die eine vergleichbare Marktpositionierung (vergleichbare Produkte, zu vergleichbaren Preisen und Qualitäten, gleiche Zielgruppe etc.) aufweisen (Kotler/Bliemel 1999, 392).

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Wichtig bei Wettbewerbsanalysen ist, diese permanent in dem Sinne durchzuführen, dass man alle möglichen Informationen über die Wettbewerber sammelt und auswertet. „Mit etwas Zielstrebigkeit und Ausdauer kann man fast alles über einen Wettbewerber … herausfinden.“ (Meyer/Davidson 2001, 230) Auch für KMU sind solche Wettbewerbsanalysen unverzichtbar, wollen die Unternehmen nicht unvorbereitet neuen Wettbewerbern, neuen Strategien, neuen Marktverhältnissen gegenüberstehen. So sah und sieht sich zum Beispiel die mittelständisch geprägte Augenoptikerbranche tiefgreifenden Veränderungen ausgesetzt. Zum einen zahlen die (gesetzlichen) Krankenkassen praktisch keine Zuschüsse mehr zum Kauf einer Brille. Während Mitte der 90er Jahre die Optiker noch rund 1/3 ihres Umsatzes mit Krankenkassen tätigten, ist dieser Anteil heute auf etwa 1,5 % geschrumpft (Naupold, 4.11.2014). Zum anderen wächst der Wettbewerb in der Branche. Die Filialisten, allen voran der Branchenprimus Fielmann, bauen ihren Marktanteil kontinuierlich zu Lasten der KMUs aus. Während der traditionelle Optiker im Durchschnitt zwei Brillen pro Tag verkauft, setzt eine Fielmann-Filiale circa 35 Brillen ab. Dem Durchschnittsumsatz des klassischen Optikerbetriebes in Höhe von 300.000 € stehen pro Fielmann-Filiale 1,7 Mio. € Umsatz gegenüber. Den Filialisten ist es offensichtlich besser gelungen, sich auf die Veränderungen im Gesundheitswesen einzustellen. Sie haben „kreativere“ (Marketing-)Lösungen entwickelt, verfügen über ein deutlich höheres Werbebudget, erzielen Preisvorteile beim Großeinkauf von Gestellen und Brillen und weisen günstigere Kostenstrukturen auf. Eine weitere Wettbewerbsverschärfung könnte das Anwachsen des E´Commerce bringen. Ohne zeitnahes und umfassendes Wissen um diese Entwicklungen ist die Erarbeitung einer das wirtschaftliche Überleben sichernden Strategie, die auf den eigenen Stärken und den ermittelten Schwächen der Konkurrenz beruht, nicht möglich. Auch bezüglich des E´Commerce sollten sich die selbständigen Optiker frühzeitig um eine adäquate Antwort bemühen, damit die Marktentwicklung nicht an ihnen vorbei geht (Naupold, 4.11.2014).

4.2.1.3 Marktanalyse Der dritte zentrale Bereich der SWOT-Analyse umfasst die Marktanalyse. Ein erster wesentlicher Block ist dabei der Kundenanalyse gewidmet. Jedes Unternehmen, egal ob Großbetrieb oder KMU, muss sich laufend mit seinen Kunden und der Entwicklung ihrer Bedürfnisse und Verhaltensweisen beschäftigen. Im Vordergrund effektiver Kundenanalysen stehen unter anderem folgende Fragen (Meyer/Davidson 2001, 236 ff.): – Wer sind unsere Kunden heute und in Zukunft (gemessen an soziodemographischen, geographischen und psychographischen Kriterien)? – Was wollen, brauchen und erwarten unsere Kunden heute und morgen? – Wie zufrieden sind unsere Kunden mit unseren Leistungen heute? (Kundenzufriedenheitsmessungen, Ermittlung der Ursachen für Kundenunzufriedenheit, Kundenzufriedenheit oder Kundenbegeisterung)

Kapitel 8: KMU-spezifische Aspekte der Erarbeitung von Marketingkonzeptionen | 149





Wie loyal verhalten sich unsere Kunden und mit welcher Entwicklung ist zu rechnen? (Ermittlung der Kundenabwanderungsrate, der Zusammenhänge zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenbindung sowie zwischen Kundenbindung und Unternehmensgewinn, der Bereitschaft zum Cross-Selling und zur Mitwirkung an der Entwicklung neuer Produktideen sowie der Verbesserung der Unternehmensleistungen) Wie viel sind unsere Kunden wert? (Ermittlung des Deckungsbeitrages, des Informations- und des Referenzwertes des Kunden)

Ein zweiter wesentlicher Block der Marktanalyse behandelt die quantitativen Marktdaten. Insbesondere bei Neugründungen von Unternehmen, dem Eintritt in neue Märkte, zur Formulierung operativer Ziele und der Ausarbeitung von Strategien werden Informationen zum Marktpotential, dem Marktvolumen, dem zu erwartenden Marktwachstum, der Verteilung der Marktanteile, der Stabilität des Bedarfs, der Preisentwicklung, der Kontinuität des Marketinginstrumentaleinsatzes etc. benötigt. Ein dritter Block beschäftigt sich mit den übrigen Marktpartnern wie zum Beispiel den Absatzhelferbetrieben, den Absatzmittlern, den Lieferanten, den Kapitalgebern. Auch hier ist zu ermitteln, wer als Partner überhaupt in Frage kommt, welche Leistungsfähigkeit sie aufweisen und mit welcher Entwicklung bei ihnen zu rechnen ist.

4.2.1.4 Umfeldanalyse Der vierte und letzte Informationsblock der SWOT-Analyse umfasst die Umfeldanalyse. Um zukunftsorientierte Marketingkonzepte erarbeiten zu können, muss man auch über die Rahmenbedingungen, innerhalb deren die Unternehmen agieren, und ihre wahrscheinliche Entwicklung Bescheid wissen. Bedeutsam sind zum Beispiel die soziodemographische Entwicklung der Bevölkerung, die Entwicklung der makroökonomischen Daten (Arbeitslosenrate, Inflationsrate, Wechselkurse, Bruttoinlandsprodukt etc.), zu erwartende rechtliche, steuerrechtliche, sozialpolitische, technische und politische Entwicklungen etc. Unabhängig von der Unternehmensgröße muss sich heute jedes Unternehmen darüber Gedanken machen, wie sich die zukünftige Gestaltung der sozialen Sicherungssysteme wahrscheinlich auf die frei verfügbare Kaufkraft der Zielgruppen und damit auf die Absatzmöglichkeiten auswirken wird, welche Auswirkungen der demographische Wandel der Gesellschaft haben wird (zum Beispiel Facharbeitermangel, seniorengerechter Umbau der Wohnungen etc.), welche Konsequenzen sich aus einer möglichen weiteren EU-Ausdehnung ergeben werden, welche ökonomischen Folgen die fortschreitende Globalisierung für das eigene Unternehmen haben wird (zum Beispiel neue Freihandelsabkommen), wie sich technologische Veränderungen (zum Beispiel das umfassende Vordringen des Internets) auf das Kaufverhalten auswirken werden etc.

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Bei der Umfeldanalyse kann das einzelne KMU in der Regel auf Unterstützungsleistungen durch staatliche Organisationen, Banken, Kammern und teilweise auch die Lieferanten zurückgreifen. Diese Organisationen, die in ihren Stabsabteilungen über umfangreiche (personelle) Ressourcen verfügen, können detaillierte systematische Berichte über Situation und Entwicklung einzelner Branchen liefern. Da es in der Umfeldanalyse in erster Linie um die Einschätzung der generellen Branchenentwicklung geht, die es dann erst in weiteren Schritten auf die Unternehmensebene herunter zu brechen gilt, können sich die KMU bei der Umfeldanalyse in den meisten Fällen auf die Auswertung der Studien der externen Partner beschränken.

4.2.1.5 Stärken-/Schwächen-/Chancen-/Risiken-Analyse Im letzten Schritt der SWOT-Analyse sind die in der Stärken-/Schwächen-Analyse festgestellten Stärken und Schwächen des Unternehmens mit den sich aus der Markt- und Umfeldanalyse ermittelten Chancen und Risiken in Verbindung zu bringen. Das KMU muss sich in diesem Stadium der Analyse fragen, ob und in welchem Umfang die festgestellten Stärken auf Chancen im Markt treffen beziehungsweise inwieweit die ermittelten Schwächen vom Markt als relevant angesehen werden. Ergibt sich, dass der Markt vorhandene Stärken des Unternehmens als nicht relevant für Kaufentscheidungen ansieht, steht das Unternehmen vor der Frage, ob es diese Stärken in Zukunft abbauen will. Dies dürfte immer dann naheliegen, wenn der Aufbau beziehungsweise die Pflege dieser Stärken Kosten verursacht. Eventuell besteht aber auch die Möglichkeit, die potentiellen Nachfrager vom Nutzen dieser Stärken zu überzeugen und die vorhandenen Stärken zu einem kaufbeeinflussenden Faktor zu entwickeln. Für KMU kommen dabei weniger kostenträchtige Werbekampagnen in Frage, als vielmehr individuelle Überzeugungsarbeit im Rahmen von Kundengesprächen. Da KMU größenbedingt häufig in einem engen, persönlichen Kontakt zu ihren Kunden stehenden, dürfte ihnen dies im Allgemeinen nicht schwerfallen, vor allem dann nicht, wenn die Stärke mit einem Nutzen für den Kunden verbunden ist.

4.2.1.6 Anmerkungen zur Implementierung der SWOT-Analyse in KMU Nach Lewis (2014, 78) steigt der Grad der Rationalität strategischer Entscheidungsfindung mit der Größe der Organisation. Lewis begründet dies mit der Existenz umfangreicherer personeller Ressourcen, besserer Möglichkeiten der Arbeitsteilung und dem Vorhandensein größerer finanzieller Mittel. Diesen größenbedingten Nachteil bei der strategischen Entscheidungsfindung können sich KMU aber eigentlich nicht leisten. Sie verkraften wirtschaftliche Misserfolge schlechter als Großunternehmen. Deshalb sind sie in besonderem Maße auf verlässliche Informationen angewiesen. Dabei liegt das Problem weniger im Zugang zu Daten und Informationen als vielmehr in der begrenzten Fähigkeit, die für das Unternehmen relevanten

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Informationsbereiche klar abzugrenzen und sich bei der Datensuche und -analyse auf das Wesentliche zu beschränken (Lewis 2014, 79). Hier vermag der Rückgriff auf das Instrument der SWOT-Analyse eine wichtige Hilfestellung zu liefern.

Umfeldanalyse

Marktanalyse Kriterien

Beurteilung

Stärken-Schwächen-Analyse Beurteilung

Kriterien

Kriterien

Beurteilung 1 x

2

Qualität

o

x

Ökologie

Marktpotential ... Marktvolumen ... Potenzielle Kooperationspartner

Technologische Entwicklung

Technologie - Elektronik - Nichtelektronischer Bereich

Wirtschaftliche Entwicklung

Absatzorganisation ...

JA

NEIN

Chancen-Risiken-Analyse Kriterien Ökologie ... Technologische Entwicklung ... Absatzmärkte

Chancen

Risiken

x x

Abb. 8.10: Integrierte „Stärken-Schwächen“/“Chancen-Risiken“-Analyse. Quelle: Nieschlag et al. 2002, 115.

4

o

x

1 = sehr schwach 5 = sehr stark

Trifft die Marktbzw. Umfeldentwicklung auf eine Stärke?

3 o

5

x

o

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Ein weiteres Hindernis ist der in KMU stark verbreitete Widerwillen gegen eine systematische Informationspolitik. Der Aufwand wird als zu hoch und der Nutzen als zu gering eingeschätzt. Kundenbefragungen beispielsweise stuft man einfach als Belästigungen ein, um nicht in die Verlegenheit ihrer Durchführung zu kommen (Bekmeier-Feuerhahn/Wickel 2006, 75). Eine effektive und effiziente SWOT-Analyse ist sicher arbeitsintensiv. Meyer/Davidson raten Unternehmen, bei der Informationssuche nicht an den Ressourcen zu sparen. In der Regel sei „es sinnvoll, mindestens einen Vollzeit-Mitarbeiter mit dem Sammeln, der Koordination und der Bewertung von Marktdaten zu betrauen“ (Meyer/Davidson 2001, 231). Dieser Aufforderung können Kleinst- und KleinUnternehmen und wohl auch viele größere KMU nicht nachkommen. Dennoch müssen, wie oben dargelegt, auch diese Unternehmen ihre strategischen Entscheidungen durch belastbares Datenmaterial unterfüttern. Um SWOT-Analysen sinnvoll in KMU einsetzen zu können, muss dieses Instrument auf die besonderen Rahmenbedingungen in KMU zugeschnitten werden. Dazu ist der Informationsaufwand auf die wirklich benötigten Informationen zu begrenzen. Die Zahl der zu untersuchenden Wettbewerber ist auf die unmittelbaren Hauptwettbewerber zu beschränken, also auf maximal drei oder vier Konkurrenten. Auch die für das Unternehmen in Frage kommenden (potentiellen) Zielgruppen und Märkte gilt es möglichst genau abgrenzen. Die näher zu untersuchenden strategischen Handlungsalternativen sollte man im Vorfeld eingrenzen und nur jene Möglichkeiten näher untersuchen, die für das Unternehmen wirklich in Frage kommen. Die Kunst besteht dabei darin, die Handlungsalternativen einerseits nicht zu stark zu begrenzen, um interessante Alternativen nicht von vorneherein aus der Betrachtung auszuschließen, sie andererseits aber auch nicht zahlmäßig zu groß zu wählen, um den Arbeits- und Zeitaufwand im Rahmen der Situationsanalyse in tolerierbaren Grenzen zu halten. Meyer/Davidson (2001, 213) gehen von drei bis fünf Handlungsalternativen aus, die im Rahmen der SWOT-Analyse datailliert(er) analysiert werden. Die Sammlung der Daten im Zuge der SWOT-Analyse sollte gerade in kleineren Unternehmen auf mehrere Mitarbeiter aus verschiedenen Funktionsbereichen verteilt werden. Die Struktur der SWOT-Analyse erlaubt es, den einzelnen Mitarbeitern konkrete Informationsbereiche fest zuzuordnen und ihnen feste Termine für die Aufbereitung und Weitergabe der ermittelten Daten zu setzen (Meyer/Davidson 2001, 231). Mit der aktiven Einbindung der Mitarbeiter in die SWOT-Analyse lassen sich mehrere Vorteile erzielen. Die personelle Trennung von Informationsbeschaffer und Entscheidungsträger erhöht die Rationalität der Entscheidungsfindung (Lewis 2014, 78). Außerdem entlastet dieses Vorgehen Entscheidungsträger in zeitlicher Hinsicht. Ferner erhöht die Einbeziehung der Mitarbeiter in die SWOT-Analyse deren Motivation und Bereitschaft, sich aktiv in die strategische Entwicklung der Unternehmung einzubringen. Für KMU dürfte die Einbindung der Mitarbeiter in die SWOT-Analyse relativ leicht möglich sein, da hier in der Regel flache Hierarchien vorherrschen, die den Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen den Organisationsmitgliedern fördern (Lewis 2014, 83).

Kapitel 8: KMU-spezifische Aspekte der Erarbeitung von Marketingkonzeptionen | 153

Datenbanken mit Basisdaten aufbauen und pflegen

Liste mit zehn bis 15 Handlungsabsichten erstellen

Zusätzliche Daten identifizieren, die zur Bewertung der alternativen Handlungsmöglichkeiten benötigt werden

Analyse durchführen und regelmäßig aktualisieren

Analyse beenden

Liste mit geplanten Maßnahmen erstellen

Abb. 8.11: Handlungsalternativen im Rahmen der SWOT-Analyse. Quelle: Meyer/Davidson 2001, 213.

4.2.2 Strategische Zielplanung Marketing als Unternehmensführungskonzeption begriffen ist grundsätzlich auch aufgerufen, ein möglichst konkretes Bild der Unternehmenszukunft zu entwerfen. Niemand darf dabei 100 % sichere Voraussagen erwarten. Aber allein die systematische Beschäftigung mit der möglichen Entwicklung der Kundenbedürfnisse, der Absatzwege, der Produktions- und Kommunikationstechniken, der rechtlichen Rahmenbedingungen, der Kosten und der Wettbewerbsbedingungen im Zusammenhang mit der Durchführung einer SWOT-Analyse erhöht deutlich die Chancen auf unternehmerischen Erfolg (Meyer/Davidson 2001, 285). Um die Trefferquote der Prognosen bezogen auf die Entwicklung der einzelnen Faktoren zu verbessern, sollte man auch immer einen Blick in die Vergangenheit werfen und einen Vergleich mit der Gegenwart ziehen (Meyer/Davidson 2001, 296). Ein solcher Blick zurück hilft, sich besser auf Überraschungen einzustellen und unter Berücksichtigung der dynamischen Entwicklung der Märkte kühne, aber zugleich realistische Zukunftsentwürfe zu konzi-

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pieren. In der Regel ist es ferner sinnvoll, mehrere Szenarien zu entwickeln, um schneller auf unterschiedliche Rahmenbedingungen reagieren zu können (Welge/AlLaham 2012, 419 ff.). Die angesprochene Rückschau ist allerdings nicht dahingehend zu interpretieren, die Zukunft mit Hilfe von Trendextrapolationen vorhersagen zu wollen. Der Rückblick soll vielmehr dazu anhalten, sich intensiv mit den Ursachen der Entwicklung bezogen auf die einzelnen Faktoren zu beschäftigen. Angesichts der heute allgemein anzutreffenden Dynamik der Märkte und den vielfältigen Veränderungen in den Rahmenbedingungen, ist beim Entwurf des Zukunftsbildes von einer Vielzahl von Trendbrüchen und Diskontinuitäten in der Entwicklung auszugehen (Welge/Al-Laham 2012, 419 ff.).

Vision

Unternehmensgrundsätze

Unternehmensziele

Geschäftsbereichsziele

Funktionsbereichsziele

Abb. 8.12: Zielhierarchie im Strategischen Management. Quelle: In enger Anlehnung an Bea/Haas 2009, 74.

4.2.2.1 Visionen, Unternehmensgrundsätze, Unternehmensziele Der Zukunftsentwurf eines Unternehmens schlägt sich in verschiedenen Unternehmensführungsinstrumenten nieder, wie zum Beispiel der Vision, den Unternehmensgrundsätzen, dem Unternehmens- beziehungsweise dem Marketingleitbild (Meyer/ Davidson 2001, 304 ff.). Diese Instrumente weisen vielfältige Abhängigkeiten auf. Visionen sind weit in die Zukunft reichende Vorstellungsbilder, die dem Unternehmer und seinen Mitarbeitern den Blick öffnen, wie das Unternehmen in fünf, zehn oder fünfzehn Jahren aussehen soll. Visionen verfügen über eine Orientierungsfunktion. So wie sich die Seefahrer früher bei der Bestimmung ihrer Route am Sternenhimmel orientiert haben, so benötigen auch Unternehmen einen „Polarstern“, dem sie folgen können.

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„Der Stern ist nicht das Ziel, gibt jedoch die Richtung an, in die … [die Mitarbeiter] ihr Denken, Handeln und Fühlen lenken können“ (Hinterhuber 1992, 42). So schwebte zum Beispiel Max Grundig die Vision vor, es solle in jedem deutschen Haushalt ein Radio geben (Hans 2003, 101). Gottlieb Duttweiler, Gründer der Migros, hatte die Vision, mit der Migros den Lebensmitteleinzelhandel in der Schweiz zu revolutionieren und die „überkommenen Handelsstrukturen im Interesse der ärmeren Bevölkerungsschichten aufzubrechen“ (Hinterhuber 1992, 43). Visionen wenden sich nicht an die rationale, sachliche Ebene im Menschen, sondern sprechen dessen emotionale Seite an. Visionen sollen Begeisterung und Enthusiasmus auslösen sowie Überzeugungskraft ausstrahlen. Sie sollen bei den Mitarbeitern für Freude, Stolz und Spaß an der Arbeit, Liebe zum Produkt und zum Kunden sorgen. Gute Visionen wirken identifikationsstiftend und geben der Arbeit einen tieferen Sinn. Dazu müssen Visionen positiv, konstruktiv und lebensbejahend formuliert sein. Visionen lassen gewinnen, ohne das andere verlieren. Visionen zeigen auf, welchen positiven Beitrag das Unternehmen für die Entwicklung der Kunden, der eigenen Mitarbeiter und der Gesellschaft leisten will. Visionen bilden ein Spannungsfeld zwischen der IST-Situation, die wir heute erleben, und dem visionären Vorstellungsbild vom zukünftigen Zustand des Unternehmens. Visionen sind einerseits in dem Sinne realistisch, dass die aufgezeigten Ziele erreichbar sind. Sie zeigen andererseits aber auch zeitlich weitreichende Perspektiven auf, die vom Heute so weit entfernt sind, dass sie gerade noch erreichbar scheinen. Sind Visionen nicht kühn genug oder scheinen sie unerreichbar, haben sie kaum noch eine mobilisierende Wirkung auf die Mitarbeiter (Becker 2013, 46 ff.). Sie sind innovativ und kreativ, gehen an die Grenzen des Möglichen, und erzeugen Spannung für das Abenteuer, das auf dem Weg zur Erfüllung der Vision auf die Mitarbeiter des Unternehmens zukommt (Mann 1990, 34 f.). Typische Basisfragen, die es im Zusammenhang mit der Formulierung einer Vision und der darauf aufbauenden Unternehmensgrundsätze zu beantworten gilt, sind (Hans 2003, 104 f.): – Welchen Unternehmenszweck soll das Unternehmen in Zukunft verfolgen? – Wie sollen sich die Beziehungen zu den Kunden entwickeln? – Wie soll sich das Verhältnis des Unternehmens zu den Mitarbeitern und der Mitarbeiter untereinander entwickeln? – Welche Produkte beziehungsweise Dienstleistungen will das Unternehmen in Zukunft auf dem Markt anbieten? – Wie lassen sich die Existenz des Unternehmens und damit die Arbeitsplätze sichern? – Wie sollen sich die Beziehungen zu den übrigen Partnern des Unternehmens gestalten? – Welche Einstellung will das Unternehmen in Zukunft zum Umfeld und zur Natur pflegen?

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Die Antworten auf die Basisfragen bilden die Unternehmensgrundsätze. Die Entwicklung einer Vision und die Erarbeitung der Unternehmensgrundsätze stellen auch mittelständische Unternehmen vor keine unüberwindbaren Hindernisse. Aufbauend auf den Informationen der SWOT-Analyse ist in einem ersten Schritt die zentrale Unique Selling Proposition (USP) des Unternehmens herauszuarbeiten und daraus abgeleitet sind in einem zweiten Schritt konkrete Antworten auf die vorstehend aufgelisteten Basisfragen zu geben. Hans hat dieses Vorgehen am Beispiel einer fiktiven Fleischerei demonstriert. Es ist der nachstehenden Abbildung 8.13 zu entnehmen.

Vision

International lecker essen mit Meister-Qualität.

Unternehmenszweck

Wir wollen unseren Kunden ein stets aktuelles Geschmackserlebnis der besonderen Art bieten. Unser Handeln ist darauf ausgerichtet, ständig darüber informiert zu sein, was bei den Kunden derzeit aktuell und gewünscht ist. Das heißt: Wir holen den (Geschmack des) Kunden dort ab, wo er steht!

Beziehung zu den Kunden

Wir wollen unsere Kunden nachhaltig begeistern. Sie kommen nicht nur in unser Geschäft, um Wurst und andere Waren einzukaufen – es bedeutet ein Erlebnis mit einem hohen Nutzen für sie, unseren Laden zu betreten.

Beziehung zu den Mitarbeitern

Geschäftsinhaber und Mitarbeiter bilden ein Team, das gemeinsam und partnerschaftlich an dem Ziel arbeitet, den Kunden zufrieden zu stellen. Ziel der intensiven Weiterbildung der Mitarbeiter ist deren Kundenorientierung.

Produkte und Dienstleistungen des Unternehmens

Unsere Produkte und Dienstleistungen sind am Geschmack und den Erwartungen der Kunden orientiert. Die Produktqualität und ein ausgezeichneter Service sind unsere Hauptstärken.

Sicherung des Unternehmens und der Arbeitsplätze

Wir sind das TOP-Fleischerfachgeschäft in Beckum und der umliegenden Gegend.

Beziehung zu Partnern von außen

Unser Verhältnis zu den Lieferanten ist partnerschaftlich, ebenso wie das zu den Konkurrenzunternehmen; denn eine gesunde Konkurrenz belebt das Geschäft – für alle!

Verhältnis zu Umfeld und Natur

Wir beziehen unser Fleisch und unsere Produkte nur von Landwirten und anderen Lieferanten, die ihre Tiere artgerecht halten.

Abb. 8.13: Unternehmensgrundsätze eines fiktiven Fleischerfachgeschäftes. Quelle: In enger Anlehnung an Hans 2003, S. 106.

Bei der Erarbeitung von Visionen und Unternehmensgrundsätzen empfiehlt sich die Einschaltung eines unternehmensinternen oder externen Moderators, der den Pro-

Kapitel 8: KMU-spezifische Aspekte der Erarbeitung von Marketingkonzeptionen | 157

zess der Erarbeitung objektiv und neutral begleitet (Mann 1990, 61 f.). Ferner sollten Visionen und Unternehmensgrundsätze unter Einbezug der Mitarbeiter entwickelt werden, damit sie auf eine möglichst hohe Akzeptanz stoßen und von allen Menschen im Unternehmen gelebt werden. Das Ergebnis der Überlegungen ist schriftlich festzuhalten und insbesondere im Unternehmen, gegebenenfells aber auch extern, zu kommunizieren. Unternehmensgrundsätze dürften in allen Unternehmen vorhanden sein. In vielen KMU sind sie allerdings nicht „sichtbar“, sondern vom „Treibsand“ des Tagesgeschäfts überlagert (Mann 1990, 36) und selten schriftlich fixiert (Schauf 2009a, 68). Visionen wie auch Unternehmensgrundsätze sind relativ vage gehalten. Zur Steuerung des Unternehmens bedürfen sie der Konkretisierung. Dies geschieht in Form der Unternehmensziele, die wiederum weiter spezifiziert werden in Geschäftsbereichs- und Funktionsbereichsziele.

4.2.2.2 Anmerkungen zur Implementierung strategischer Zielplanung in KMU Empirische Erhebungen haben gezeigt, dass Klein- und Mittelbetriebe vielfach auf eine explizite Zielplanung verzichten (Deimel/Kraus 2007, 155 ff.; Menzel/Geithner 2010, 54 ff.). Während es in Großbetrieben eine Selbstverständlichkeit ist, eine konkrete, weit in die Zukunft reichende Zielplanung zu betreiben, neigen die Inhaber von KMU dazu, ihre Unternehmen „eher intuitiv, autoritär und operativ“ (Schneider 1995, Sp. 1684) zu leiten. Die langfristigen Zielvorstellungen sind, sofern überhaupt vorhanden, eher diffus und Ergebnis einfacher Trendextrapolationen. Die verfolgten Ziele sind oftmals eindimensional in Form globaler Gewinn- oder Umsatzziele. Bei der Frage nach den von ihnen verfolgten betrieblichen Zielen antworten beispielsweise „die meisten Handwerksunternehmer sehr allgemein, wie zum Beispiel ‚mehr Umsatz’ oder ‚bessere Gewinne’. Für das Marketing reichen solche Globalziele nicht aus“ (Chmielewski 1996, 134). Komplette, operational formulierte, schriftlich fixierte Zielfunktionen und Zielpyramiden sind in KMU selten anzutreffen. Wer heute keine Vision hat, hat morgen kein Unternehmen. (Norbert Hans: Aufbruch im Mittelstand, Wiesbaden 2003, 99.)

Wenn mittelständische Unternehmen auf die explizite Erstellung von Zielsystemen verzichten, ist dies unter anderem darauf zurückzuführen, dass in Unternehmen dieser Größenordnung sich die Unternehmensleitung nur aus der Person des Firmeninhabers und eventuell engen Familienmitgliedern zusammensetzt. Durch die fehlende Aufteilung der Unternehmensführung auf verschiedene Personen, die gegebenenfalls auch noch in verschiedenen Hierarchien angesiedelt sind, und durch den Verzicht auf eine geographische Aufspaltung des Unternehmens in Filialbetriebe oder Tochterunternehmen, ergibt sich für diese Unternehmen kein aus

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dem täglichen Leistungserstellungsprozess unmittelbar resultierender Druck, konkrete Ziele für die Unternehmenstätigkeit zu formulieren, um die Grundlagen für eine geschlossene, einheitliche Unternehmenspolitik zu schaffen. Außerdem sehen sich mittelständische Unternehmer aufgrund fehlender oder stark eingeschränkter personeller Möglichkeiten zur Aufgabendelegation oft so stark in das Tagesgeschäft eingebunden, dass sie glauben, keine Zeit mehr zur Vorbereitung grundsätzlicher Unternehmensentscheidungen zu haben (Treis 1981, 38 ff.; Dünser 2013, 100 ff.). Damit droht aber die Gefahr, dass man das Geschäft nur noch reaktiv im Sinne eines „muddling through“ betreiben kann. Die Geschäftspolitik ist lediglich kurzfristiger Natur. Auf den steigenden Wettbewerbsdruck und die wachsende Dynamik der Märkte wird zunehmend hektischer reagiert und die geschäftspolitischen Entscheidungen werden immer häufiger im Wege von Zufallsentscheidungen ohne Blick auf das Ganze (repräsentiert durch die strategischen Ziele) getroffen (Becker 2013, 822). Je höher die marktbedingten Anforderungen an die Effizienz der betrieblichen Leistungserstellung werden, umso existenzgefährdender wird eine solche Politik.

4.2.3 Marketingstrategien Um die langfristigen Unternehmensziele effektiv und effizient zu erreichen, ist ein (Handlungs-)Leitfaden erforderlich. Diesen Handlungsfaden liefern die Strategien. Sie geben ferner vor, wie die finanziellen und personellen Ressourcen des Unternehmens schwerpunktmäßig eingesetzt werden sollen, dienen der Fortschreibung der Business Idea, bestimmen die Handlungsmöglichkeiten (in welchen Märkten will man in Zukunft mit welchen Leistungen auftreten, wie soll die zukünftige Stellung des Unternehmens im Markt aussehen, welche Zielgruppen will man als Kunden gewinnen etc.) und legen die für die Realisierung der Handlungsmöglichkeiten erforderlichen Erfolgspotentiale und Erfolgsfaktoren fest. Es gibt diverse Systematiken, mit deren Hilfe man versucht, die Unternehmen offenstehenden Strategien zu systematisieren. Im Folgenden soll auf die Systematik von Becker zurückgegriffen und untersucht werden, welche der Strategien für KMU besonders geeignet sind. Um eine erfolgreiche Strategie entwickeln zu können, empfiehlt Becker die strategischen Handlungsoptionen mit Hilfe verschiedener Ebenen zu konkretisieren (Becker 2013, 351 ff.). Erstens ist zu bestimmen, wie das Unternehmen zu wachsen gedenkt (Marktfeldstrategien), zweitens muss sich das Unternehmen entscheiden, wie es seine Leistungen am Markt zu positionieren beabsichtigt (Marktstimulierungsstrategien), drittens ist die Frage zu beantworten, wie das Unternehmen den Markt bearbeiten will (Marktparzellierungsstrategien) und viertens sind die Märkte festzulegen, auf denen das Unternehmen tätig werden möchte (Marktarealstrategien).

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Strategie-Ebenen 1. Marktfeldstrategien [Wie will das Unternehmen wachsen?]

Strategiealternativen

MarktMarktdurchdringungs- entwicklungsstrategie strategie

2. Marktstimulierungsstrategien

Produktentwicklungsstrategie

Präferenzstrategie

Diversifikationsstrategie

Preis-Mengenstrategie

[Wie will sich das Unternehmen im Markt positionieren?] 3. Marktparzellierungsstrategien [Wie will das Unternehmen den Markt bearbeiten?] 4. Marktarealstrategien [In welchen Märkten will das Unternehmen tätig sein?] Legende:

Massenmarktstrategie (totale) (partiale)

Lokale Strat.

Regionale Strat.

NatioÜberregionale nale Strat. Strat.

Segmentierungsstrategie (totale) (partiale)

MultiInterWeltnationale tionale marktStrat. Strat. Strat.

Bevorzugtes Strategieraster von KMU

Abb. 8.14: Strategieraster nach Becker. Quelle: In enger Anlehnung an Becker 2013, 352.

4.2.3.1 KMU-spezifische Aspekte des Strategierasters nach Becker Von den Marktfeldstrategien kommen für KMU vor allem Marktdurchdringungsstrategien in Frage. Sie weisen von den vier Wachstumsalternativen die relativ gesehen geringsten Kosten und besten Erfolgschancen auf (Becker 2013, 417). Auf der zweiten Ebene eignen sich für KMU in der Regel nur die Präferenzstrategien. Für PreisMengen-Strategien, die ihre konsequenteste Ausprägung in Discountstrategien finden, sind die Ausbringungsmengen von KMU im Allgemeinen zu klein. Auf der dritten Ebene müssen sich die Unternehmen entscheiden, ob sie den Markt undifferenziert oder differenziert bearbeiten wollen. Da viele KMU ihren primären Wettbewerbsvorteil in der spezifischen Ausrichtung ihrer Leistungen auf spezielle Kundenbedürfnisse sehen, bieten sich für sie vor allem Segmentierungsstrategien mit partieller Marktabdeckung an (Martin 2005, 4 ff.). Bei den Marktarealstrategien ist zu beobachten, dass 2011 sogar die Kleinstunternehmen schon durchschnittlich fast

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fünf Exportregionen belieferten, während Kleinunternehmen auf neun und große KMU auf 15 Exportmärkte kamen (zum Vergleich: Großunternehmen bearbeiteten durchschnittlich fast 26 Exportmärkte) (Kranzusch/Holz 2013, 18). Dabei sind allerdings große branchenspezifische Unterschiede zu beobachten. So spielt beispielsweise der Export in den Wirtschaftsbereichen „Personennahe Dienstleistungen und Gastgewerbe“ naturgemäß keine Rolle (Kranzusch/Holz 2013, 14).

4.2.3.2 KMU-spezifische Aspekte im Strategieplanungsprozess Neben den Strategieformen ist im Zusammenhang mit der Behandlung von Planungsfragen auch die Art des Planungsprozesses von Bedeutung. Nach der klassischen (synoptischen) Strategieauffassung ist eine Strategie „das Ergebnis formaler, rationaler Planungen“ (Wege/Al-Laham 2012, 16). Danach setzen sich, wie eingangs bereits angemerkt, Strategien aus einer Vielzahl bewusst geplanter, aufeinander abgestimmter Einzelmaßnahmen zusammen. Sie sind eingebettet in das hierarchische Konstrukt des strategischen Managements (Unternehmensvision, strategische Ziele, operative Maßnahmenplanung), bestimmen die Positionierung der Unternehmung im Markt und legen die Allokation der Ressourcen fest (Welge/Al-Laham 2012, 17 ff.).

Durchdachte Strategie Geplante Strategie

Realisierte Strategie

Verworfene Strategie

Ungeplante Strategie

Abb. 8.15: Grundmuster empirisch beobachtbarer Strategien nach Mintzberg. Quelle: Welge/Al-Laham 2012, 21.

Mintzberg verweist darauf, dass strategisches Management auch anders betrieben werden kann. Er hat in der Praxis – neben der synoptischen Strategieplanung – vier weitere (inkrementelle) Formen der Strategieplanung beobachtet (Welge/Al-Laham 2012, 20 + 39 f.):

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– – – –

Strategien der List (diese Strategien beruhen eher auf taktischen Maßnahmen, mit denen man die Konkurrenten überraschen will), Strategien als Muster (hier entwickeln sich Strategien ungeplant aus einzelnen Handlungen, denen zu Beginn noch kein einheitlicher Plan zugrunde liegt), Strategien als Positionierung (Strategien erstrecken sich in diesem Fall vor allem auf die Positionierung einer Unternehmung), Strategien als Anschauung (Strategien werden in diesem Fall „weder schriftlich festgehalten noch explizit kommuniziert, sondern … [bilden] ein gemeinsam geteiltes Einstellungsmuster des Managements“).

In KMU dürfte das synoptische Vorgehen bei der Strategiebestimmung eher die Ausnahme darstellen. Es dürften, wenn überhaupt, eher inkrementelle Strategieprozesse anzutreffen sein. Bei einer inkrementellen Strategieplanung geht der Planer nicht von einem voll ausformulierten, systematischen Plan eines gewünschten Zukunftszustandes aus, sondern plant nur kleine, bei Bedarf rasch revidierbare Veränderungsschritte („Stückwerktechnologie“) (Welge/Al-Laham 2012, 40). Der verstärkte Rückgriff auf inkrementelle (Strategie-)Planungen in KMU ist nicht nur auf die begrenzte Größe der Unternehmen zurückzuführen. Einige Autoren unterstellen, dass strategische Planungen erst in Unternehmen mit mindestens fünf bis zehn Mitarbeitern anzutreffen sind (Deimel/Kraus 2007, 163 f.). Wichtig ist auch die Eigentümerstruktur. Vor allem für inhabergeführte Unternehmen gilt, dass sie: – weniger häufig planen, – einen kürzeren Planungszeithorizont haben, – über ein geringeres strategisches Planungs-Know-how verfügen, – weniger formalisiert, detailliert und quantitativ planen, – weniger häufig Führungskräfte und externe Berater in die Planung einbeziehen und – seltener Funktionsbereichspläne erstellen (Deimel/Kraus 2007, 164). Welge/Al-Laham gewinnen dem Strategieansatz von Mintzberg sowohl positive als auch negative Seiten ab. Als positiv sehen sie dessen konzeptionelle Offenheit an. Erfolgreiche Strategien können neben dem synoptischen Weg auch in anderer, weniger formalisierter Form entwickelt werden. Als nachteilig empfinden sie aber, dass man nach dem Ansatz von Mintzberg fast alle Entscheidungen als potentiell strategisch ansehen kann und beispielsweise aus zufälligen Einzelentscheidungen resultierende Strategien keinen expliziten Bezug zur Zielplanung, zur Analyse der Stärken und Schwächen des Unternehmens sowie zur systematischen Suche nach Wettbewerbsvorteilen aufweisen. Damit fehlen diesem Strategieansatz zentrale, den Erfolg der synoptischen Strategieentwicklung bestimmende Planungsschritte (Welge/AlLaham 2012, 21 f.). Deshalb ist es KMU anzuraten, sich auch stärker um eine theorie-

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gestützte Strategieplanung zu bemühen, bei der empirisch abgesicherte Konzepte und Techniken zum Einsatz kommen (Schauf 2009a, 66).

4.3 Umsetzung des Marketing als Mittel Zur Umsetzung der Marketingstrategien und damit der Marketingziele werden konkrete Marketingmaßnahmen geplant. Dabei wird auf den Marketing-Mix zurückgegriffen, der sich im Konsumgütermarketing aus den Submixbereichen Produkt-, Preis-, Distributions- und Kommunikationspolitik zusammensetzt, wobei jeder Submixbereich aus einer Vielzahl von Einzelinstrumenten besteht, deren Zahl und Ausprägung sich im Zeitablauf ändern können. Die Bestimmung des Marketing-Mix bildet so gesehen die operative Seite der Marketingkonzeption. Becker spricht deshalb auch von der konkreten, „maßnahmen-orientierten Umsetzung zielstrategischer Vorgaben“ (Becker 2013, 485).

4.3.1 Marketing-Mix Die Festlegung des Marketing-Mix gehört zu schwierigsten Aufgaben im Marketingmanagement, da es sich um ein sehr komplexes, schlecht strukturiertes Entscheidungsproblem handelt. Dies ist eine Folge: – der Vielfalt der Marketinginstrumente (Zahl und Ausprägungsformen), – der Notwendigkeit, Marketing-Mix-Entscheidungen simultan treffen zu müssen, – der Vielzahl unternehmensexterner und -interner Einflussfaktoren auf die Marketing-Mix-Entscheidungen, – der Unsicherheit und Unvollständigkeit der Informationen, auf denen Marketing-Mix-Entscheidungen beruhen, – der Dynamik des wirtschaftlichen Geschehens, so dass sich die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Instrumenten laufend ändern und das Wissen um effektive und effiziente Marketingentscheidungen schnell veraltet sowie – der zeitlichen Interdependenzen zwischen den einzelnen Mix-Instrumenten, also der Frage, in welcher zeitlichen Reihenfolge die einzelnen Instrumente zum Einsatz kommen sollen und mit welchen Wirkungsverzögerungen und welcher Wirkungsdauer bei den einzelnen Instrumenten zu rechnen ist (Kleinhückelskoten 2000a, 22 ff.). In der Literatur existiert eine Reihe von Modellen, um dem Management bei der Lösung des Marketing-Mix-Problems zu helfen. Dabei spielen die analytischen Modelle, wie zum Beispiel das Dorfmann-Steiner-Theorem oder die Modelle der mathematischen Programmierung, in der Praxis keine große Rolle (Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2012, 791 ff.). Als praxisorientierter gelten die heuristischen Modelle, wie zum Beispiel

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das Kühn-Modell oder die warenspezifische Analogiemethode. Heuristische Modelle zeichnen sich aus durch: – einfache Entscheidungsregeln, – die Zerlegung des Gesamtproblems in Teilprobleme, – die sukzessive Lösung der Teilprobleme (anstelle der simultanen Lösung in analytischen Modellen), – den Rückgriff auf analoge Problemstellungen und ihre Lösungen aus der Vergangenheit, anderen Branchen, Ländern oder Produkten und – den Verzicht auf optimale Lösungen zu Gunsten satisfizierender Lösungen (Kleinhückelskoten 2000b, 85). Insofern dürften sich heuristische Modelle prinzipiell gut für KMU zur Bestimmung des Marketing-Mix eignen. Voraussetzung ist allerdings, dass das Management der KMU über ein ausreichendes Grundwissen im Marketing verfügt. Das Management benötigt Kenntnisse über die Zusammenhänge zwischen den Marketinginstrumenten, es muss in der Lage sein, die einzelnen Marketinginstrumente zieladäquat einzusetzen, es muss also beispielsweise die Methoden der Mediaplanung oder der betrieblichen Preispolitik kennen, und allgemeine entscheidungslogische Methoden sowie heuristische Prinzipien und Verfahren beherrschen (Kleinhückelskoten 2000b, 90). In Anbetracht der oben festgestellten Defizite im Marketingwissen vieler KMU dürfte hier das größte Hindernis in der Anwendung heuristischer Modelle liegen.

4.3.2 Anmerkungen zu ausgewählten KMU-spezifischen Beschränkungen bei den Marketinginstrumenten Das „Herzstück“ des Marketing-Mix bildet in der Regel die Produktpolitik (Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2012, 385). In Anbetracht der eingangs aufgezeigten Stärken dürfte dies auch für die meisten KMU zutreffen. In ihrem Bestreben, eine möglichst optimal auf die spezifischen Kundenbedürfnisse zugeschnittene Customizing-Politik zu verfolgen, spielen hochwertige Produktqualitäten in Verbindung mit umfangreichen Dienstleistungen und der Fähigkeit, schnell auf sich ändernde Kundenwünsche eingehen zu können, eine wesentliche Rolle in der Ausgestaltung der Produktpolitik der KMU (Menzel/Geithner 2010, 63 f.). Da die Großunternehmen technologiebedingt ebenfalls immer stärker auf eine Individualisierung ihrer Produkte setzen, sind die KMU gezwungen, ihren Marketingmix weiter zu optimieren. Die Innovationspolitik spielt in diesem Zusammenhang sicher eine wichtige Rolle für KMU. Befragungen zeigen aber, dass die Entwicklung neuer, innovativer Leistungen nur bei 30 % der KMU im Vordergrund der Unternehmenspolitik steht (Martin 2005, 10). Wichtiger für KMU ist eine Politik der kontinuierlichen Verbesserung bewährter Produkte gegebenenfalls in Verbindung mit produktbegleitenden Dienstleistungen sowie Verbesse-

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rungen der Produktionsprozesse (Pfäfflin 2007, 5). Dies ist unter anderem auch eine Folge der beschränkten Aufwendungen für Forschung & Entwicklung in KMU. Daneben hängt der Grad der Innovationsorientierung auch stark von der Branche ab. So attestieren Glasl und Schempp Handwerksunternehmen „ein mangelhaftes Innovationsmanagement“ und begründen dies neben der geringen Unternehmensgröße mit einer fehlenden Innovationskultur. Innovationstätigkeit geschehe im Handwerk „vielfach mehr zufällig als systematisch geplant.“ (Glasl/Schempp 2010, 146) Ganz anders ist die Situation bei High-Tech-Startups, wo selbst junge, kleine Unternehmen eine intensive Innovationspolitik im Bereich der Spitzentechnologie betreiben. „Forschende KMU … sind aber nicht typisch für den Mittelstand“ (Pfäfflin 2007, 3). Nachholbedarf zeigen viele KMU im Bereich der Markenpolitik. Eine systematische, konsequente Markenpolitik wirkt sich, wie eine Studie von McKinsey belegt, signifikant positiv auf die Ebit-Marge aus (Claye 2013, 4). Dies gilt auch für den B2BBereich. So haben 300 befragte deutsche Einkäufer erklärt, ihre Einkaufsentscheidung würde zu 14 % von der Markenstärke des Anbieters beeinflusst. Im Ausland liegt die Bedeutung der Marken zum Teil noch deutlich höher als in Deutschland (USA: 18 % und Indien 19 %) (Claye et al. 2013, 5). KMU können sich angesichts der immer stärker werdenden Angleichung der Produkte und ihrer Qualitäten nicht mehr darauf verlassen, sich allein über persönliche Beziehungen, Vertrauen, Glaubwürdigkeit und Expertenwissen hinreichend vom Wettbewerb differenzieren zu können. Starken Marken, seien es Corporate Brands, Familienmarken oder einzelne Produktmarken, kommt in diesem Zusammenhang eine wichtige vertrauensbildende Funktion zu (Bialek/Koenen 2014, 20). Eine starke Marke können auch kleine Unternehmen aufbauen, wenn es ihnen gelingt, der Marke eine eigene Identität zu verleihen und in Verbindung mit einem einzigartigen Nutzenversprechen für hohe Akzeptanz beim Kunden zu sorgen (detailliert zum Konzept der Identitätsorientierten Markenführung siehe Meffert/Burmann/Koers 2005). Die Stärke der Marke hängt jedenfalls nicht allein und nicht in erster Linie von der Höhe des Kommunikationsetats ab. In der betrieblichen Praxis kommen primär drei Prinzipien der Preisbildung zum Einsatz, die kosten-, die wettbewerbs- und die abnehmerorientierte Preispolitik. Alle drei Prinzipien sollten simultan eingesetzt werden. Dabei lässt sich jedoch in der Praxis beobachten, dass kleine Unternehmen stärkeres Gewicht auf die kostenorientierte Preisbestimmung legen, während die wettbewerbs- und insbesondere die nachfrageorientierte Preisfestlegung deutlich weniger intensiv berücksichtigt werden (Homburg 2012, 702 ff.). Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass kostenorientierte Verfahren einfacher zu handhaben sind, der zusätzliche Informationsbedarf für eine kostenorientierte Preispolitik relativ gering ist, da Kosteninformationen in den Unternehmen regelmäßig bereits für andere Zwecke aufbereitet werden und die handelnden Personen das Gefühl haben, die Entscheidungsunsicherheit mit Cost-Plus-Preisbildung besser bewältigen zu können als mit einer marktorientierten Preisbildung (Diller 2009, 191).

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Die relativ kleinen Unternehmensgrößen begrenzen den preispolitischen Spielraum von KMU. Es ist davon auszugehen, dass KMU sich in der Regel stärker an den Preisen der großen Wettbewerber orientieren (müssen). Allerdings verfolgen viele KMU Differenzierungsstrategien, die ihnen, sofern sie damit erfolgreich sind, eine gewisse Alleinstellung verschaffen und dadurch auch für gewisse preispolitische Spielräume sorgen. Wichtig ist, dass die Preise entsprechend den Marktgegebenheiten kalkuliert werden (Weinhold-Stünzi 2000, 122 f.). Ein starrer Rückgriff allein auf eine kostenorientierte Preisgestaltung ist nicht zielführend. Um eine effektive und effiziente Preispolitik betreiben zu können, muss die Unternehmensführung mit den Techniken des modernen Preismanagements (Preisabsatzfunktionen, Preiselastizitäten, Preisdifferenzierungen etc.) vertraut sein. Es ist zu befürchten, dass dies in vielen KMU nicht in ausreichendem Maße der Fall ist. Simon/Fassnacht konstatieren in vielen Unternehmen neben Wissensdefiziten zudem einen verbreiteten Widerstand gegen theoretisch fundierte Preismodelle, allerdings mit großen Unterschieden zwischen den Branchen. Mit weitem Abstand führend bei der Anwendung hochentwickelter Preissysteme sind, so die beiden Autoren, die Pharmaindustrie, die Hersteller von Premiumfahrzeugen, Telekommunikationsunternehmen und Fluggesellschaften (Simon/Fassnacht 2009, 10). Bei den dabei betrachteten Unternehmen dürfte es sich aber ausschließlich um Großunternehmen handeln. Im Submixbereich Distributionspolitik stehen die Unternehmen vor der prinzipiellen Frage, ob sie direkt oder indirekt distribuieren beziehungsweise, ob sie gegebenenfalls auch über beide Wege ihre Leistungen vertreiben wollen. Aufgrund ihrer Betriebsgröße unterliegen KMU auch in diesem Submixbereich vielen Beschränkungen. Allein aus finanziellen Gründen sind KMU häufig nicht in der Lage, auf allen wichtigen Märkten mit eigenen Niederlassungen vertreten zu sein. Stattdessen müssen sie dann auf die Hilfe von Absatzhelferbetrieben wie zum Beispiel Handelsvertretungen zurückgreifen. Im Einzelhandel haben Einzelunternehmer oftmals keinen Zugang zu attraktiven Standorten. Die Vermieter präferieren aus Bonitätsgründen Großunternehmen. Wollen Herstellerbetriebe ihre Produkte über den Einzelhandel absetzen, haben viele KMU Probleme, die zum Teil hohen Listungsgelder der Handelsbetriebe zu zahlen. In verschiedenen Branchen stellt der E‘-Commerce eine auch für KMU nutzbare Alternative zum Offline-Handel dar. Ob man daraus aber gleich den Schluss ziehen kann, die moderne Informationstechnologie sorge für Chancengleichheit zwischen Klein- und Großbetrieben (Füglistaller 2000, 225), ist zumindest noch diskussionsbedürftig. Da viele KMU über intensive Beziehungen zu ihren Kunden verfügen und ihr Kundenkreis überschaubar ist, müssen sie in der Regel nicht auf kostspielige (Massen-)Werbekampagnen zurückgreifen. Um eine wirksame Kommunikationspolitik betreiben zu können, sollten sie aber zumindest eine aussagekräftige Datenbank über ihre Kunden anlegen.

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Auch im Bereich der Kommunikationspolitik bietet sich das Internet als Kommunikationsplattform für KMU an. So setzt zum Beispiel die nur 15 Mitarbeiter beschäftigende sächsische Kelterei Walther in ihrer Kommunikationspolitik auf einen eigenen Corporate Blog. Mit dem Weblog „Der Walther“ hat das Unternehmen seinen Aktionsradius über die Landesgrenzen hinaus ausdehnen können. Im Verhältnis zu klassischer Werbung ist der kommunikative Interneteinsatz, so das Unternehmen, sehr preiswert. Lediglich der Zeitaufwand, den man aufbringen müsse, um den Corporate Blog effizient einsetzen zu können, sei relativ hoch (Löwer 2006, 21). Insgesamt ist anzumerken, dass nur knapp ein Drittel der von Martin befragten KMU sehr viel in die Marktkommunikation investieren, während 51 % einen eher geringen Kommunikationsaufwand betreiben (Martin 2005, 10). Um die größenbedingten Nachteile im Marketing kompensieren zu können, bieten sich für KMU beispielsweise Kooperationen an. Solche schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts bekannten Kooperationen, Schulze-Delitzsch gründete 1849 zwei Einkaufsgenossenschaften für Tischler und Schumacher (Schultz/Zerche 1983, 21), können unterschiedlich intensiv ausgestaltet sein. Sie können von schwachen, zeitlich begrenzten Zusammenschlüssen, mit nur wenigen gemeinsam wahrgenommenen Funktionen, bis hin zu dauerhaft angelegten, starken, filialähnlichen Systemen gehen mit umfangreicher Funktionsübernahme durch die Kooperation (Lerchenmüller 2014, 307 ff.). Im mittelständischen Einzelhandel zielen intensive Kooperationen zum Beispiel auf die Behebung struktureller Schwächen im Beschaffungs-, Absatz- und Finanzierungsbereich sowie im Bereich der Unternehmensführung. Im Absatzbereich werden von den Kooperationen komplette Marketingkonzepte erarbeitet. Diese reichen von der Standortplanung und -erschließung über eine moderne den Kunden und seine Erlebnisbedürfnisse ansprechende äußere und innere Ladengestaltung, eine adäquate Warenpräsentation, eine Sortimentszusammenstellung, die laufend die sich stetig verändernden Kundenbedürfnisse berücksichtigt, die Einbindung von Handelsmarken in die Sortimentspolitik, die Erarbeitung bedarfsrelevanter Serviceleistungen, eine kosten-, abnehmer- und wettbewerbspolitischen Gesichtspunkten gleichermaßen Rechnung tragende Konditionenpolitik bis hin zu einer modernen Kommunikationspolitik, die die neuesten verhaltenswissenschaftlichen und medienpolitischen Erkenntnisse berücksichtigt (Schmid 1997, 125). Die Intensität der Kooperation korreliert einerseits negativ mit den unternehmerischen Freiheiten der Kooperationsmitglieder. Andererseits wirkt sich die Kooperationsintensität positiv auf die Kompensationsmöglichkeiten der KMU-spezifischen Schwächen durch die Kooperation aus. Hier muss jeder mittelständische Unternehmer abwägen, ob und in welchem Umfang er sich den Freiheitsbeschränkungen von Kooperationen unterwerfen will. Generell ist festzustellen, dass sich KMU lieber auf die eigenen Stärken konzentrieren (53 %) als eine enge Kooperation mit anderen Unternehmen zu suchen (35 %) (Martin 2005, 10; ähnlich zum Misstrauen der KMU gegenüber Kooperationen (Ko-

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operationen Bekmeier-Feuerhahn/Wickel 2006, 80 f.). Dabei muss dies keineswegs zwingend ein Widerspruch sein. Kooperationen können vielmehr ein wichtiges Instrument sein, damit sich die Kooperationspartner auf ihre Stärken konzentrieren können, und Unterstützung durch die Kooperation in den Bereichen erfahren, in denen sie (strukturbedingt) Schwächen aufweisen.

5 Fazit KMU sind sehr heterogen zusammengesetzt. Dies erschwert konkrete Aussagen zu KMU-spezifischen Aspekten der Marketingkonzepterstellung. Dennoch lässt sich generell feststellen, dass KMU vor allem Schwächen im Bereich des Marketing als Methode sowie des Marketing als Mittel aufweisen. Die Defizite in der systematischen, langfristigen Planung der Marketingkonzeption (und zwar sowohl in der Analyse der Ausgangssituation, als auch der Ziel- und Strategiebildung sowie der Konzeption des Marketing-Mix) werden für KMU dann zu einem ernsten Problem, wenn der Wettbewerbsdruck sich weiter erhöht und zum Beispiel die Großbetriebe verstärkt in die Marktnischen von KMU eindringen. Eine Möglichkeit systembedingte Defizite abzubauen, ist der Beitritt zu beziehungsweise der Aufbau von Kooperationen. Ferner sollten KMU durch Weiterbildung aller Führungsebenen den Wissensstand bezüglich des strategischen und operativen Marketing gezielt verbessern, um die marktorientierte Ausrichtung, eine der zentralen Stärken der KMU, auch in Zukunft sicherstellen zu können. Dabei gilt es die in der Regel für Großbetriebe entwickelten Konzepte, Methoden und Verfahrensweisen des modernen Marketing individuell auf die Belange der KMU anzupassen. Die Notwendigkeit zur (strategischen) Planung und Konzepterstellung hat bereits Sunzi, ein chinesischer General und Philosoph, vor 2500 Jahren erkannt, als er feststellte, dass der „General, der eine Schlacht gewinnt, … vor dem Kampf im Geiste viele Berechnungen an[stellt]. Der General, der verliert, stellt keine Berechnungen an. So führen viele Berechnungen zum Sieg und wenig Berechnungen zur Niederlage – überhaupt keine erst recht.“ (Sunzi 1988, 24 f.)

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Patrick Roßmann

Kapitel 9: Markenführung in kleinen und mittleren Unternehmen Relevanz und Konzeption eines identitätsbasierten Markenführungsansatzes

1 Warum Markenführung in KMU? Im Allgemeinen stehen Großunternehmen mit ihren international bekannten Marken im Mittelpunkt der Betrachtung von Politik und Öffentlichkeit. Die wesentlich größere Anzahl der in Deutschland registrierten Gesellschaften ist jedoch der Gruppe der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) zuzuschreiben. Die Relevanz von kleinen und mittelgroßen Betrieben für den jeweiligen Wirtschaftsstandort ist dabei nicht nur in Deutschland, sondern auch international, unbestritten. So liegt beispielsweise der Anteil von kleinen und mittleren Unternehmen in China bei über 99 % (Cunningham 2011, 39). Speziell in Deutschland und in Europa hat man die Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung und die Beschäftigung erkannt. Man versucht daher seit einigen Jahren gezielt, beispielsweise durch den auf europäischer Ebene im Jahr 2008 verabschiedeten Small Business Act, die Rahmenbedingungen für KMU zu verbessern (Schiersch/Kritikos 2014, 277). Nichts desto trotz werden wissenschaftliche Theorien oder Forschungen häufig auf die Bedürfnisse und Situationen von großen, international tätigen Unternehmen ausgerichtet. Dieses Vorgehen folgt dem jahrelangen Irrglauben, das bei kleinen und mittleren Unternehmen im Grunde die identischen Managementgrundsätze wie in großen Unternehmen Gültigkeit haben und damit lediglich auf eine kleinere Einheit adaptiert werden müssen (Welsh/White 1981, 2). Die Erkenntnis, dass ein kleines Unternehmen nicht einfach als Großunternehmen im Mini-Format anzusehen ist, hat sich in den letzten Jahren auch aufgrund zahlreicher Mittelstandsinitiativen, einer professionalisierten Verbandsarbeit oder der Einrichtung spezieller Lehrstühle mit entsprechenden Studienprogrammen (bspw. an den Universitäten Bremen oder Siegen) durchgesetzt. Die Forschung im Bereich Markenmanagement bei kleinen und mittleren Unternehmen ist insgesamt vergleichsweise übersichtlich (Ahonen 2008). In diesem Bei-

|| Patrick Roßmann, M. Sc. Lehrstuhl für innovatives Markenmanagement, Universität Bremen

172 | Patrick Roßmann

trag soll daher ein auf KMU zugeschnittenes Markenmanagements unter besonderer Berücksichtigung ausgewählter Rahmenbedingungen näher erläutert werden. Eine eigene, professionell geführte Marke bietet kleinen und mittleren Unternehmen die Möglichkeit, sich gegenüber Wettbewerbern unterschiedlichster Größe zur differenzieren und die Bindung der Nachfrager an das eigene Unternehmen beziehungsweise die eigenen Erzeugnisse zu erhöhen (Burmann et al. 2005, 13; Meffert et al. 2012, 358). Als Basis dient der identitätsorientierte Markenführungsansatz nach Burmann et al. (Burmann et al. 2012), da dieser Ansatz neben der klassischen Outside-In-Sichtweise zusätzlich einen Inside-Out-Blickwinkel berücksichtigt. Im weiteren Verlauf wird zunächst auf die speziellen Hürden von kleinen und mittleren Unternehmen eingegangen. Im anschließenden Kapitel wird der Aufbau einer Marke unter Berücksichtigung der aufgezeigten KMU-Besonderheiten anhand des Managementprozesses der identitätsbasierten Markenführung dargestellt. Den Abschluss bildet das Kapitel 4 mit den zentralen Erkenntnissen und Handlungsempfehlungen.

2 KMU in Deutschland 2.1 Relevanz und Abgrenzung von KMU in Deutschland Weltweit leisten kleine und mittlere Unternehmen in den wichtigsten Wirtschaftsnationen einen erheblichen Beitrag zu Wirtschaftsleistung (Cunningham 2000, 50). Auch in Deutschland besitzen KMU seit jeher eine enorme Bedeutung für die Wirtschaft. Sie stellen eine wichtige Grundlage für eine moderne Produktion dar, wobei sich eine Reihe von großen Unternehmen aus ehemaligen KMU entwickelt haben (Cunningham 2011, 47). Im Jahr 2013 betrug laut einer Schätzung des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) der Anteil von kleinen und mittleren Gesellschaften am Gesamtunternehmensbestand 99,6 % (IfM Bonn 2013). Die enorme Relevanz für den deutschen Markt resultiert jedoch nicht ausschließlich aus der mengenmäßigen Dominanz. So sind die rund 3,6 Millionen Unternehmen, die der Gruppe der KMU zuzurechnen sind, laut dem Institut der Wirtschaft in Köln für gut 71 % aller sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland verantwortlich. Darüber hinaus absolvieren rund 83 % aller Auszubildenden eines Jahrganges ihre Berufsausbildung in einem kleinen oder mittleren Unternehmen (IW Köln 2013, 4). Insgesamt ist der deutsche Mittelstand mit 2,1 Billionen Euro für rund 36 % des Umsatzaufkommens aller deutschen Unternehmen und für rund 55 % der gesamten Wirtschaftsleistung aller deutschen Unternehmen verantwortlich (IfM Bonn 2014). Allerdings gibt es bis zum heutigen Tage kein einheitliches Verständnis darüber, wann genau von einem kleinen, einem mittleren oder einem großen Unternehmen zu sprechen ist. Neben den wohl bekanntesten Definitionen (Abbildung 9.1) der EUKommission, des Handelsgesetzbuches (HGB) und des IfM Bonn existieren mehrere,

Kapitel 9: Markenführung in kleinen und mittleren Unternehmen | 173

zum Teil sektorspezifische, weitere Definitionen zur Abgrenzung von zur Klassifizierung von Unternehmen.

Definition entsprechend … IfM Bonn Größe

klein mittel

Abgrenzungskriterium

Mitarbeiter ≤ 9 Umsatz in Mio. p.a. Summe d. Bilanz in Mio. p.a.

≤1

Handelsgesetzbuch (HGB) EU-Kommission groß

klein

mittel

groß

kleinst klein mittel

groß

≤ 499

> 500

≤ 49

≤ 249

> 249

≤9

≤ 49

≤ 249

> 249

≤ 50

> 50

< 9,68

≤ 38,5

> 38,5

≤2

≤ 10

≤ 50

> 50

oder

oder

oder

oder

oder oder

oder

< 4,84

≤ 19,25 > 19,25 ≤ 2

≤ 10

> 43

≤ 43

Abb. 9.1: Überblick über verschiedene KMU-Definitionen. Quelle: In Anlehnung an IfM Bonn 2013; HGB.

Die Frage, ob ein Unternehmen anhand quantitativer Vergleichsgrößen nun ein kleines oder ein mittleres Unternehmen darstellt, ist jedoch in der Praxis eher von nachrangiger Bedeutung. Dies wird bei der Betrachtung der in Abbildung 9.2 aufgeführten größenspezifischen Vor- und Nachteile deutlich, die bei einem Vergleich zwischen kleinen und mittleren Unternehmen relativ identisch sind, sich jedoch gegenüber Großunternehmen und Konzernen sehr stark unterscheiden. Exemplarisch können die Schnelligkeit in der Entscheidungsfindung und deren Umsetzung oder die Flexibilität angeführt werden, die insbesondere in kleinen und mittleren Unternehmen aufzufinden sind. Begründet liegt dies beispielsweise in der (vergleichsweise) geringen Mitarbeiterzahl, den gegenüber großen Unternehmen flacheren Hierarchien oder dem Fehlen von Aufsichts- und Mitbestimmungsgremien (Hilzenbecher 2006, 88 ff.).

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Aspekt Potentielle Vorteile KMU (Auswahl)

Potentielle Nachteile KMU (Auswahl)

Beschreibung

Schnelligkeit in der Entscheidungsfindung

‒ ‒ ‒ ‒

Geringe Anzahl v. Mitarbeitern Flache Hierarchien Kurzer Weg zur Geschäftsleitung Keine Aufsichts- u. Mitbestimmungsgremien

Schnelligkeit in Umsetzung und Abwicklung

‒ Bei verfügbaren Ressourcen schneller als Großunternehmen

Abwesenheit von Komplexität

‒ Einfache Strukturen ‒ Kurze Kommunikations- und Entscheidungswege

Nähe zum Kunden

‒ Räumliche und zeitliche Nähe ‒ Verständnis für Bedürfnisse des Kunden ‒ Verständnis für Budgetgrenzen des Kunden

Spezialisten-Status

‒ Spezialwissen in engen Anwendungsund Marktgebieten ‒ Wissen in der Regel Individuenbezogen

Grenzen in Finanzierung und Wachstum

‒ Grenzen bei der Aufnahme von zusätzlichem Eigen- oder Fremdkapital zur Wachstumsfinanzierung (Risikobewertung)

Kostennachteile

‒ Generierung von Economies of Scale begrenzt ‒ Einstieg in Preiswettbewerb i.d.R. nicht möglich

Kurze Reichweite & geringe Bekanntheit

‒ Geschäftstätigkeit oft geographisch bzw. abnehmerbedingt limitiert ‒ Bekanntheit i.d.R. geringer als bei Großunternehmen

Management- und Führungsbegrenzung

‒ Starke Anfälligkeit für Managementund Führungsfehler

Abb. 9.2: Vor- und Nachteile von KMU gegenüber großen Unternehmen. Quelle: In Anlehnung an Hilzenbecher, 2006, 88 ff.

2.2 Herausforderungen von kleinen und mittleren Unternehmen Bereits bei der Betrachtung der im vorangegangenen Kapitel aufgeführten Nachteile für kleine und mittlere Unternehmen ist festzustellen, dass diese aufgrund ihrer Größe (liabilities of smallness) und zum Teil aufgrund einer geringen Präsenzzeit am Markt (liabilities of newness) vor besonderen Herausforderungen stehen. In Zeiten einer erhöhten Dynamik, einer steigenden Angebotsvielfalt, verkürzten Produktlebenszyklen

Kapitel 9: Markenführung in kleinen und mittleren Unternehmen | 175

und einer stetig steigenden Unsicherheit sind eine mangelnde Planung, ein Defizit an professionellen Ansätzen zur Entwicklung und Implementierung von Strategien, ein nicht professionalisiertes Management sowie eine daraus resultierende unzureichende Analyse und Bewertung der eigenen Wettbewerbsvorteile häufig der Grund für das unternehmerische Scheitern (Deimel 2004, 204 ff.; Deimel/Kraus 2007, 155). Inzwischen herrscht weitgehende Einigkeit darüber, dass ein professionelles Management nicht ausschließlich eine Notwendigkeit der Großunternehmen darstellt, sondern auch in kleinen und mittleren Unternehmen eine verstärkte Rolle spielen sollte (Behrends et al. 2005, 17). An dieser Stelle sind jedoch Management-Ansätze notwendig, die auf die spezielle Situation von kleinen und mittleren Unternehmen zugeschnittenen sind (Welsh/White 1981, 2). Denn anders als bei großen Unternehmen oder international tätigen Aktienkonzernen liegt den einzelnen Handlungen und Entscheidungen bei kleinen und mittleren Unternehmen in der Regel die Maxime der Langfristigkeit zu Grunde (Ergenzinger/Krulsi-Randa 2006, 67). Zur Verdeutlichung soll nachfolgend das Augenmerk kurz auf die Herausforderungen in den Bereichen der Finanzierung, Personalmanagement (vergleiche hierzu ausführlich den Beitrag Steigerung des Organisational Commitment in kleinen und mittleren Handelsunternehmen in diesem Sammelband) und Kundenbindung gelegt werden. Aus finanzwirtschaftlicher Sicht unterliegen insbesondere kleine und mittlere Unternehmen speziellen Besonderheiten (Beck et al. 2010). Beispielsweise tun sich KMU traditionell bei der Ausstattung mit externem Kapital schwerer (Ayadi 2009, 72). Zudem konnte eine Untersuchung von Schulte (2006) aufzeigen, dass aus finanzwirtschaftlicher Sicht eine schlechte Ertragslage, ein fehlender Zugang zum Kapitalmarkt und eine schwache Eigenkapitalbasis zu den gängigen Herausforderungen zählen, wobei die Relevanz mit zunehmender Unternehmensgröße und zunehmendem Unternehmensalter abnimmt (Schulte 2006, 119 ff.). Er führt weiterhin an, dass die Selbstfinanzierung die empirisch wichtigste Finanzierungsform im laufenden Geschäftsbetrieb darstellt. Dies kann auch damit erklärt werden, dass insbesondere bei KMU Probleme im Rahmen der Außenfinanzierung wie beispielsweise die mangelnde Bereitschaft von Kreditinstituten zur Erhöhung von Kreditlinien bei Forderungsausfällen, entsprechende Sicherungsforderungen der Banken oder eine zu hohe Intransparenz im Angebot staatlicher Finanzierungshilfen auftreten, wobei sich die Anzahl der Probleme bei einer steigenden Unternehmensgröße erhöht (Schulte 2006; Geiseler 1999; Börner/Grichnik 2003, 683). Im Rahmen des Personalmanagements rücken zur Sicherung des Unternehmenserfolgs sowohl die Bindung vorhandener als auch die Gewinnung neuer Mitarbeiter kontinuierlich in den Fokus. Vor dem Hintergrund einer in den kommenden Jahren alternden und schrumpfenden Bevölkerung stehen kleine und mittlere Unternehmen vor der Herausforderung, potentielle Mitarbeiter von einem Eintritt in das Unternehmen beziehungsweise aktuelle Mitarbeiter vom Verbleib im Unternehmen zu überzeugen, ohne dabei primär auf die monetäre Vergütung als Argument zu setzen (Roßmann 2015; Suprinovic/Kay 2009, 114). Große Unternehmen zahlen in der Regel einen höheren Preis, um sich die begehrten Arbeitskräfte zu sichern. Ein Blick auf die durchschnittli-

176 | Patrick Roßmann

che Bezahlung von Mitarbeitern in großen Unternehmen und KMU verdeutlicht dieses Argument. So lagen exemplarisch im Jahr 2012 die durchschnittlichen Bruttojahreslöhne und -gehälter (exklusive Ausbildungsvergütungen) bei Unternehmen im Wirtschaftszweig „Produzierendes Gewerbe und Dienstleistungen“ mit bis zu 49 Mitarbeitern bei 33.000 Euro, bei Unternehmen mit bis zu 499 Mitarbeitern bei 39.343 Euro und in großen Unternehmen bei durchschnittlich 45.092 Euro (Destatis 2014). Für das Personalmanagement in kleinen und mittleren Unternehmen stellt dies eine erhebliche Herausforderungen dar, zumal aktuelle Forschungsergebnisse belegen, dass eine professionelle Personalabteilungen und ein professionelles Personalmanagement mit speziell ausgearbeiteten Methoden in den Bereichen Rekrutierung, Ausbildung, Leistungsbeurteilung oder Chancengleichheit vorwiegend in großen Unternehmen vorkommt und dort weiter verbreitet sind als bei KMU (Bacon/Kim 2005, 1976; Katz et al. 2000, 8). Eine weitere Herausforderung für kleine und mittelständische Unternehmen stellt die Bindung des Konsumenten zum Unternehmen dar. Im Kern dieser Herausforderung stehen der Aufbau und die Pflege einer Anbieter-Nachfrager-Beziehung, die neben anderen Komponenten vorrangig durch die Konstrukte Vertrauen und Zufriedenheit determiniert werden (Meffert et al. 2012, 132). Als Zufriedenheit kann das Ergebnis eines physischen Soll-Ist-Vergleichs zwischen den individuellen Erwartungen und Erfahrungen bezeichnet werden, wobei sich dies als positives Gefühl nach dem Kauf beziehungsweise der Handlung beim Konsumenten zeigt (Trommsdorff 2008, 127 f.). Sie gilt als die Voraussetzung für die Kundenbindung und den Unternehmenserfolg, wobei der Wunsch des Konsumenten nach Abwechslung gepaart mit seiner Neugier, das sogenannte variety seeking, einen erheblichen Einfluss auf das Maß der Kundenzufriedenheit besitzt (Jeschke 2001, 1939; Kaiser 2005, 30 ff.). Bei einer geringen Kundenzufriedenheit kann es vorkommen, dass Konsumenten unbemerkt zur Konkurrenz wechseln oder sich entsprechend negativ gegenüber anderen Personen über das Unternehmen oder die Marke äußern (Meffert et al. 2012, 130). Neben der Zufriedenheit ist das Vertrauen eine wesentliche Komponente beim Aufbau von Kundenzufriedenheit. Vertrauen basiert auf verschiedenen Einstellungskomponenten, wobei sich mit zunehmenden positiven Erfahrungen ein Vertrauensgefühl („blindes Vertrauen“) entwickeln und dadurch eine hohen Anbieterloyalität entstehen kann (Lorbeer 2003, 127; Meffert et al. 2012, 132).

2.3 Eine Antwort zur Bewältigung aufgezeigter Herausforderungen Eine Möglichkeit den zuvor aufgezeigten Herausforderungen zu begegnen ist der Aufbau eines professionellen Markenmanagements und die Etablierung einer eigenen Marke. Sie unterstützt das Unternehmen, sich und seine Produkte im relevanten Markt bekannt zu machen und eine Differenzierung gegenüber dem Wettbewerb herbeizuführen.

Kapitel 9: Markenführung in kleinen und mittleren Unternehmen | 177

Insbesondere in Märkten mit homogenisierten Produkten und Dienstleistungen bieten starke Marken dem Konsumenten Orientierung, schaffen Vertrauen und sorgen damit für eine Reduzierung des vom Kunden subjektiv empfundenen Kaufrisikos (Burmann et al. 2012, 2). Dies führt dazu, dass die Konsumenten mit dem Kauf beziehungsweise der Verwendung einer Marke geringe Transaktionskosten verbinden (Kaas 1990, 543). Damit sorgt eine Marke im Idealfall neben der Steigerung der Absatzmenge für den Aufbau von Präferenzen beim Konsumenten, verbunden mit der Steigerung des eigenen ökonomischen Wertes (Burmann et al. 2012, 3). So erhält das markenführende Unternehmen ein zusätzliches Instrumentarium zur Maßnahmenoptimierung im Rahmen der Kundengewinnung und der Kundenbindung. Darüber hinaus lassen sich durch die Verwendung einer Marke preisliche Premiumaufschläge realisieren, die zu einer verbesserten Selbstfinanzierung und damit zu einer stärkeren Unabhängigkeit von externen Geldgebern beitragen. Nicht zuletzt stellt eine Marke ein wichtiges Instrument im Rahmen des Personalmanagements dar, denn durch den Aufbau und die Stärkung der psychologischen Verbundenheit zwischen dem Mitarbeiter und der Marke (Brand Commitment) entstehen für das Unternehmen ökonomische Vorteile wie beispielsweise die Reduzierung der durchschnittlichen Krankheitstage oder die signifikante Verbesserung des kundenorientierten Verhaltens (Piehler 2011, 198; Gallup 2009, 82).

3 Identitätsbasierte Markenführung als Instrument für kleine und mittlere Unternehmen Mit dem Aufbau und der Führung einer Marke werden primär zwei Ziele verfolgt. Zunächst wird mit Hilfe einer professionellen Markenführung versucht, mittel- bis langfristig genau die Verwender zu finden, die der Marke trotz erheblicher Abwerbeversuche der Wettbewerber die Treue halten (Linxweiler 2004, 38). Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund des Kostenaspekts für Kundenbindungs- und Kundenfindungsmaßnahmen von erheblichem Interesse. In gesättigten Märkten, auf denen das verfügbare Angebot in Bezug auf die technisch-funktionalen Aspekte als stark homogen bezeichnet werden kann, sind beispielsweise die Kosten für die Gewinnung neuer Kunden in der Regel wesentlich höher als die Kosten für den Erhalt treuer und zufriedener Kunden. Damit einher geht das zweite Ziel der Marke, nämlich sich auf eine einzigartige und unverwechselbare Weise im Bewusstsein der Konsumenten festzusetzen (Weinberg 1995, 2679 ff.). Diese beiden Markenziele können vor allem dann erreicht werden, wenn die Konsumenten eine emotionale Bindung zur Marke aufbauen (Mattenklott 2007, 257). Unterstützt wird der Aufbau einer entsprechenden Bindung vor allem dann, wenn im Sinne von Luhmann eine Marke über einen langen Zeitraum bei dem bleibt, was sie bewusst und auch unbewusst über sich Preis gegeben hat (Luhmann

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2000, 48). Passend dazu kommt Aaker (2002, 99) zu dem Schluss, dass „a brand can thus provide a self-expressive benefit by providing a way for a person to communicate his or her self-image“. Sie bezieht sich bei seinen Ausführungen auf die Erkenntnisse von Belk (1988, 139), der sich mit der Beziehung zwischen dem Besitz eines Gegenstandes (bspw. eines Markenproduktes) und dem sich daraus ergebenden Selbstwertgefühl des Konsumenten beschäftigte. Die Treue zur Marke und die Resistenz der Konsumenten gegenüber Wettbewerbsangeboten sind demnach insbesondere dann ausgeprägt, wenn die Verwendung einer Marke den Konsumenten bei seiner Selbstdarstellung unterstützt (Roßmann 2011, 9). Dies geschieht vor allem, wenn eine Marke die Idealvorstellung des Konsumenten hinsichtlich seiner wünschenswerten Persönlichkeitseigenschaften verkörpert oder die Persönlichkeit des Konsumenten nahezu perfekt reflektiert. Für Häusel (2009, 18 ff.) ist eine solche emotionale Aufladung einer Marke schon aus rein ökonomischer Sicht unverzichtbar, da eine mit positiven Emotionen aufgeladene Marke einen besonderen Stellenwert im Gehirn einnimmt und dafür sorgt, dass der Verwender gegenüber der Marke eine höhere Preisbereitschaft erzeugt. Erste Ansätze zur Führung von Marken basierten auf einer primär absatzmarktbezogenen Sichtweise, wohingegen die identitätsbasierte Markenführung sowohl das Fremdbild einer Marke (im Sinne der klassischen Sichtweise) wie auch das Selbstbild der Marke (im Sinne einer eigenen Markenidentität) berücksichtigt. Kern ist die Betrachtung einer wechselseitigen Wirkung zwischen dem Selbstbild einer Marke, auch als Markenidentität bezeichnet, und dem als Markenimage bezeichneten Fremdbild einer Marke (Burmann et al. 2012, 28). Sie stellt damit den aktuellen Stand der Forschung im Bereich der Markenführung dar und wird für die weiteren Ausführungen als Theoriebasis verwendet.

3.1 Grundkonzept der identitätsbasierten Markenführung Im Verständnis der identitätsbasierten Markenführung wird unter einer Marke ein Bündel von verschiedenen Nutzen beziehungsweise Nutzenkomponenten verstanden (Keller 2003). Definitorisch beschreibt ein solcher Nutzen die bei einem Verbraucher beziehungsweise Verwender hervorgerufene Befriedigung eines Bedürfnisses durch ein Ge- oder Verbrauchsobjekt beziehungsweise eine Dienstleistung (Diller 2001, 1201 ff.). Ein so definierter Nutzen kann entweder in physikalisch-funktionaler Ausprägung (beispielsweise bei einem Schreibtischstuhl die Möglichkeit lange Zeit beschwerdefrei zu sitzen) zur Befriedigung von Basisbedürfnissen oder in nichtfunktionaler Ausprägung zur Befriedigung eines individuellen Zusatzbedürfnisses (beispielsweise die Befriedigung eines Prestige-Bedürfnisses durch einen möglichst teuren Schreibtischstuhl) vorhanden sein (Meffert 1998, 323; Vershofen 1940, 67 ff.). Das zuvor beschriebene Nutzenbündel besitzt somit spezifische Ausprägungen, wodurch es in der Lage ist, sich gegenüber anderen Einzelnutzen, welche dieselben

Kapitel 9: Markenführung in kleinen und mittleren Unternehmen | 179

Basisbedürfnisse erfüllen, aus der Sicht der jeweils relevanten Zielgruppe nachhaltig zu differenzieren (Burmann et al. 2012, 30; Keller 2003). Marktwirkungen (externe Zielgruppe)

Führung (interne Zielgruppe)

Wahrgenommenes Feedback

Wahrgenommener Markenauftritt

Markennutzenversprechen

Kommunizierte Bedürfnisse

Markenverhalten

Kommunizierte Erlebnisse

Funktionale und symbolische Markennutzen

Herkunft Woher kommen wir?

Brand Touch Points

Persönlichkeit Wie kommunizieren wir? Werte Woran glauben wir? Kompetenzen Was können wir?

Leistungen Was vermarkten wir?

Vision Wohin wollen wir?

Wahrgenommene Markenattribute

Markenbekanntheit

Abb. 9.3: Grundverständnis der identitätsbasierten Markenführung. Quelle: In Anlehnung an Burmann et al. 2012, 29.

Bei der Entstehung einer Marke ist eine Interaktion zwischen der die Markenidentität prägenden internen Zielgruppe (Mitarbeiter, Führungskräfte etc.) auf der einen Seite und der externen Zielgruppe (Konsumenten, NGO’s etc.) auf der anderen Seite von entscheidender Bedeutung! Diese Interaktion ist ein bedeutender Teil im Rahmen der Imagebildung bei der externen Zielgruppe und findet über sämtlichen Brand Touch Points sowie über unterschiedlichste Kommunikationskanäle statt. Als Brand Touch Points werden all jene Punkte bezeichnet, an denen die relevante Zielgruppe mit der Marke in Berührung kommt beziehungsweise potentiell in Berührung kommen kann (Burmann et al. 2012, 103).

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Mitarbeiter Firmengelände

Auslieferungszentrum

Außendienst

Print-Werbung

Out-ofHomeWerbung

etc.

Sponsoring

Onlineshop

Homepage

Facebook Brand Page

Youtube-Kanal

Abb. 9.4: Auswahl an unternehmensbezogenen Brand Touch Points. Quelle: In Anlehnung an Burmann et al 2012, 104.

3.2 Die Markenidentität und ihre Komponenten Die Markenidentität umfasst alle aus Sicht der internen Zielgruppe (Mitarbeiter und Führungskräfte) raum-zeitlich gleichartigen Merkmale, die in nachhaltiger Weise den Charakter einer Marke prägen (Burmann et al. 2012, 30). Die Identität der Marke besteht aus mehreren Komponenten und kann mit der Identität einer natürlichen Person verglichen werden (Roßmann 2011, 14; Burmann/Meffert 2005, 56). Durch die Kombination aus funktionalen und die individuelle Selbstdarstellung unterstützenden (symbolischen) Nutzenkomponenten soll die Markenidentität beim Aufbau und der Etablierung einer Beziehung zwischen der Marke und einem Konsumenten behilflich sein und dadurch die Kaufentscheidung beziehungsweise die Inanspruchnahme einer Dienstleistung positiv beeinflussen (Aaker/Joachimsthaler 2000, 43; Aaker 1996, 95). Die Markenidentität konstituiert sich aus sechs Komponenten beziehungsweise aus den Merkmalen eben jener Komponenten, welche aus Sicht der internen Zielgruppe die Marke in nachhaltiger Weise determinieren. Bei den Komponenten handelt es sich um die Herkunft, die Vision, die Werte, die Kompetenzen, die Persönlichkeit und die Leistung einer Marke (Burmann et al. 2012; Burmann et al. 2003, 7). Die Markenidentität und die einzelnen Komponenten sind jedoch keinesfalls starre Konstrukte, sondern müssen im Zeitablauf an die sich verändernden Umweltbedingungen angepasst werden. Der Aufbau einer Marke beziehungsweise der Markenidentität stellt daher für kleine und mittlere Unternehmen häufig ein radikal neues

Kapitel 9: Markenführung in kleinen und mittleren Unternehmen | 181

Konzept mit besonderen Herausforderungen dar, da entsprechende Ressourcen und ein entsprechendes Know-how in der Regel nur sehr eingeschränkt oder gar nicht vorhanden sind (Inskip 2004; Ahonen 2008). Dennoch können mit Hilfe einer sorgfältigen Planung, einem einheitlichen Verständnis der Marke und Einbeziehung der gesamten Organisation in den Markenentwicklungsprozess die Herausforderungen und deren Auswirkungen bewältigt werden (Abimbola 2001, 102). Markenidentität (Inside-Out-Perspektive)

Persönlichkeit Wie kommunizieren wir? Werte Woran glauben wir? Kompetenzen Was können wir?

Leistungen Was vermarkten wir?

Vision Wohin wollen wir?

Herkunft Woher kommen wir?

Wahrgenommenes Feedback

Markennutzenversprechen Markenverhalten

Abb. 9.5: Komponenten der Markenidentität. Quelle: In Anlehnung an Burmann et al. 2012, 44.

Die Basis für die Gestaltung der Markenidentität stellt die Gesamtheit aller regionalen, unternehmensbezogenen und branchenbezogenen Markenattribute dar, welche auch als Markengherkunft bezeichnet wird (Kanitz 2013, 26; Becker 2012, 59; Blinda 2003, 39). Im Gegensatz zur Markenhistorie, die sämtliche in der Vergangenheit mit der Marke in Verbindung stehenden Ereignisse umfasst, greift die Markenherkunft nur ausgewählte Aspekte der Markenhistorie auf und betont diese in besonderer Weise, wodurch sie auch als akkumulierte Leistungsgeschichte verstanden werden kann (Burmann et al. 2012, 45; Menninger/Robers 2006, 256). Durch die Betonung der geographischen Herkunftsdimension in der Kommunikation ist es der Marke möglich, die einer Nation beziehungsweise einer Region zugesprochenen Kompetenzen für sich einzufordern und damit die Qualitätswahrnehmung im Bewusstsein der Konsumenten zu beeinflussen (Stolle 2013, 95; Usunier 2006, 68). So können die manufakturartigen Produzenten von Kuckucksuhren aus dem Schwarzwald durch

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eine Betonung ihrer regionalen Herkunft eine besondere Kompetenz in der Herstellung solch spezieller Uhren für sich reklamieren. Einen entsprechenden Herkunftsbezug können hingegen die Anbieter von kostengünstigen Imitaten aus Billiglohnländern nicht glaubhaft in ihre Kommunikation einbauen. Die Betonung der regionalen Herkunft kann durch eine zusätzliche Fokussierung auf kulturelle Aspekte beziehungsweise durch die Hervorhebung entsprechender Kulturkreise unterstützt werden, da diese in der Regel besser von den Konsumenten erinnert werden als spezifische Informationen zum Herkunftsland. (Becker 2012, 56; Lim/O´Cass 2001, 123). So werden beispielsweise DODGE oder CHRYSLER allein durch ihre phonetische Namensgestaltung den amerikanischen Fahrzeugmarken zugeordnet (wobei zusätzlich beide Fahrzeugmarken gleichzeitig die Familiennamen der Unternehmensgründer darstellen), wohingegen die Fahrzeugmarken TOYOTA oder SUZUKI der Gruppe der asiatischen Fahrzeugmarken zugeordnet werden. Im Rahmen der unternehmensbezogenen Herkunft spielen bei kleinen und mittelgroßen Unternehmen vor allem die Unternehmer beziehungsweise die Gründer eine entscheidende Rolle (Esch/Vallaster 2004, 9). Sie prägen durch ihre Vita, ihr Verhalten, ihre Visionen und ihre Werte die Unternehmenskultur und die Marke in entscheidender Weise. So stellte die im Jahr 2004 im thüringischen Altenburg gegründete Sportwagenmanufaktur GUMPERT unter anderem über lange Zeit gezielt die frühere Station ihres Projektleiters Roland Gumpert als Audi-Motorsportchef in der Kommunikation heraus. Hierdurch sollten die sportliche Kompetenz, die Innovationsfähigkeit und der qualitative Anspruch des Unternehmens unterstützt werden. Ein weiteres Beispiel ist der in Brand (Oberpfalz) beheimatete Sportwagen-Luxustuner MANSORY, der die Erfahrungen und die Passion von Firmengründer Kourosh Mansory für Handwerkskunst, ausgereifte Technik und für Tradition stark kommuniziert. Generell muss jedoch herausgestellt werden, dass ein Unternehmen die wahrgenommene Herkunft einer Marke zwar durch gezielte Aktivitäten beeinflussen kann, dies jedoch nur langfristig veränderbar ist (Burmann/Meffert 2005, 59). Im Rahmen der Markenidentität und ihrer Komponenten bildet die Markenherkunft zusammen mit der Markenvision eine Art Klammer. Insbesondere die Markenvision ist dabei ein besonderer Bestandteil, denn aus ihr lassen sich die wesentlichen Markenziele ableiten, die je nach Unternehmen und Marktbedingungen auf einen Zeitraum zwischen fünf und dreißig Jahren ausgelegt sein können (Burmann et al. 2012, 49; Esch 2012, 83 f.). Visionen werden dabei als kreative und innovative Vorstellungsbilder der noch ausstehenden aber gleichzeitig prinzipiell realisierbaren Wirklichkeit verstanden (Diller 2001, 1818). In ihnen soll eine langfristig realistische und von der internen Zielgruppe überwiegend beziehungsweise komplett akzeptierte Wunschvorstellung zum Ausdruck kommen, da dies für Motivation sorgt und zur Stärkung der Identifikation der Mitarbeiter mit der Marke beiträgt (Kapferer 1992, 110 f.). Eine solche Identifikation kann im Sinne von O`Reilly/Chatman als der Wunsch interpretiert werden, weiterhin ein Teil der Marke (bzw. des markenführenden Unternehmens) zu sein (O´Reilly/Chatman 1986, 493). Dies ist insbesondere aus

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personalpolitischer Sicht von Bedeutung, da die Neubesetzung einer offenen Stelle aufgrund eines Mitarbeiterwechsels mit hohen Kosten verbunden ist (Brandon 2005, 89) und der Wunsch, weiterhin Teil einer Gemeinschaft zu sein, die Gefahr eines Ausscheidens potentiell reduziert. Eine Vision kann daher als eine Art Leuchtturm oder Fixpunkt angesehen werden, an dem alle internen Zielgruppen ihr Handeln ausrichten sollen (Burmann/Meffert 2005, 59; Diller 2001, 1818). Beispielsweise können die Kapitalausstattung, die Struktur der Nachfrager (B2B-Nachfrager bzw. B2C-Nachfrager), die angebotenen Produkte und Dienstleistungen oder die Innovationsstärke eines Unternehmens als Aspekte innerhalb der Vision auftreten. In den Kompetenzen der Marke spiegeln sich die unternehmensspezifischen organisationalen Fähigkeiten wieder, die zur marktgerechten Identifikation, Veredelung und Kombination von Ressourcen benötigt und eingesetzt werden (Burmann et al. 2014; Burmann/Meffert 2005, 59). Die Kompetenzen können somit als die grundlegende Voraussetzung für das Bestehen eines Unternehmens am Markt sowie gegenüber dem relevanten Wettbewerb angesehen werden (Freiling 2001, 27). In diesem Zusammenhang ist ein besonderes Augenmerk auf die Kernkompetenzen zu legen. Von Praktikern werden (fälschlicherweise) gerne die Fähigkeiten als Kernkompetenzen interpretiert, in denen ein Unternehmen aus Sicht der internen Zielgruppe besonders „gut“ ist (Bharma/Dani/Bharma 2011, 2730). Vielmehr handelt es sich jedoch um unternehmensindividuelle Kompetenzen, die entweder einen überproportionalen Beitrag zur Generierung eines vom Kunden als relevant empfundenen Nutzens leisten, oder die durch eine besondere Effizienz der Bedürfnisbefriedigung beim Konsumenten zu einem nachhaltigen Wettbewerbsvorteil beitragen (Freiling 2001, 27; Hamel/Prahalad 1992, 164 f.). Sie sind darüber hinaus nur sehr eingeschränkt beziehungsweise in vielen Fällen überhaupt nicht durch die Wettbewerber adaptierbar. Entsprechende Kernkompetenzen können beispielsweise im Rahmen der Produktion, in den allgemein akzeptierten Qualitätsansprüchen, im exklusiven Zugang des Unternehmens zu seltenen Rohstoffen, in den Fähigkeiten und Fertigkeiten der Mitarbeiter, in der Art und Weise der Prozess- und Strukturorganisation oder der Anpassungsfähigkeit an neue Umweltsituationen zum Ausdruck kommen. Eine Studie aus dem Jahr 2011 in britischen KMU ging den Fragen nach, was deren Führungskräfte unter Kernkompetenzen verstehen und in wie weit sie ein entsprechendes Konzept zur Nutzung von Kernkompetenzen in ihrer täglichen Arbeit verwenden (Bharma/Dani/Bharma 2011, 2733). Die Studie zeigt unter anderem auf, dass die Führungskräfte in kleinen und mittleren Unternehmen ein völlig unzureichendes Verständnis von echten Kernkompetenzen und ihrer Relevanz für den Unternehmenserfolg haben, wichtige Aspekte wie Nachhaltigkeit und Anwendbarkeit von Kernkompetenzen in anderen Märkten überhaupt nicht berücksichtigen und in der Regel völlig ahnungslos in Bezug auf mögliche Instrumente und Techniken zur Nutzung echter Kernkompetenzen sind (Bharma/Dani/Bharma 2011, 2738). In den Markenwerten kommen die grundsätzlichen und allgemein gültigen Überzeugungen der Führungskräfte und der Mitarbeiter einer Marke zum Ausdruck. Diese

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Überzeugungen müssen von den internen Zielgruppen gelebt werden, um von der externen Zielgruppe als Bestandteil der Marke anerkannt zu werden (Burmann/Meffert 2005, 62; Burmann et al. 2012, 52). Diese gelebten Werte und Überzeugungen weisen im Idealfall einen hohen Fit zu den Werten der externen Zielgruppe auf. Sie entspringen idealerweise einer konfuzianischen Geisteshaltung, die durch die ihr zu Grunde liegenden Kardinalstugenden Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Weisheit und Güte auf die Vermittlung eines moralisch-ethischen Denkens und Handelns abzielt (Lun 2008, 15). Die aus einer solchen Geisteshaltung entsprungenen Werte sind geprägt von Verantwortung, Rücksichtnahme, Loyalität, Genügsamkeit, Fleiß, Strebsamkeit und/oder Ausdauer (Diller 2001, 1897; Dülfer/Jöstingmeier 2008; Müller/Gelbrich 2004). Werte in kleinen und mittleren Unternehmen sind häufig durch eine enge Bindung zwischen der Unternehmensführung und den Mitarbeitern, sowie durch einer in der Regel sehr begrenzten Ressourcenkapazität geprägt. Beispielhaft können zusätzlich zu den bereits genannten Werten noch eine familiäre Grundüberzeugung, Sparsamkeit, Nachhaltigkeit, Redlichkeit oder Aufopferungsbereitschaft angeführt werden. Marken selbst stellen zunächst leblose Artefakte dar. Um die Interaktion mit solchen Artefakten für den Menschen zu vereinfachen neigen Menschen dazu, den Artefakten menschliche Eigenschaften und damit Merkmale im Sinne einer eigenen Persönlichkeit zuzuschreiben (Aaker 1997, 347; Gilmore 1919; Fournier 1998; Hermann et al. 2001) Merkmale, die der Persönlichkeit einer Marke zugeschrieben werden können, beziehen sich auf das Denken, Fühlen und Handeln und sind von verhältnismäßig dauerhafter Natur (McCrae/Costa 1997, 509). Unter einer Markenpersönlichkeit kann somit „the set of human personality traits, that are both applicable to and relevant for brands“ verstanden werden. (Azoulay/Kapferer 2003, 151). Sie kommt durch einen verbalen wie auch durch einen nonverbalen markenspezifischen Kommunikationsstil zum Ausdruck, der durch die typischen Repräsentanten sowie durch die Herkunft der Marke geprägt wird (Aaker 1997, 348; Schade 2011, 10; Burmann et al. 2003, 23). Auf die von der externen Zielgruppe wahrgenommene Markenpersönlichkeit haben schlussfolgernd Mitarbeiter aus sämtlichen Abteilungen des Unternehmens sowie gegebenenfalls auch externe Dienstleister einen relevanten Einfluss. Folglich muss für eine Einheitlichkeit in der verbalen und auch nonverbalen Kommunikation aller Repräsentanten der Marke gesorgt werden. Die Markenleistungen bringen zum Ausdruck, in welcher Art und Weise eine Marke für den Verwender nutzbar wird, wobei die grundsätzliche Form und Art von Produkten und Dienstleistungen auf den markenspezifischen (Kern-) Kompetenzen basieren (Burmann et al. 2012, 56). Vergleichbar mit einem Menschen, der für sich festlegt welche Rolle und Funktion er innerhalb der Gesellschaft erfüllen möchte, werden bei einer Marke die Nutzenkomponenten definiert, die sie einem Nachfrager bieten sollen (Burmann et al. 2003, 21). Im Rahmen der Formulierung dieser Nutzenkomponenten sollten die Bedürfnisse der relevanten Zielgruppe aufgegriffen werden, wobei eine klare Trennung zur Produktpolitik vorzunehmen ist. Burmann et al. führen als Beispiel für diesen Unterschied die Firma DYSON an. Diese produzierte ursprüng-

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Beinhaltet die Komponente (mindestens) ein Element, welches wichtig für die Marke ist und gleichzeitig einen Beitrag zum Kundenwert liefert oder die Beziehung zum Kunden unterstützt?

Ja?

Helfen die Komponente oder Ihre Attribute, dass sich die Marke von Ihren relevanten Wettbewerbern differenziert?

Ja?

Harmonieren die Komponente oder Ihre Attribute mit dem Kunden?

Ja?

Motivieren die Komponente oder Ihre Attribute die Mitarbeiter?

Ja?

Sind die Komponente oder Ihre Attribute glaubwürdig?

Ja?

Summe der positiv beantworteten Fragen

Markenidentitätskomponente

lich beutellose Staubsauger. Die Art der Markenleistung ist nach ihren Ausführungen nicht die Produktion beutelloser Staubsauger (Produktpolitik), sondern die Verbesserung existierender Produkte wie beispielsweise die Herstellung eines Ventilators ohne Luftschraube oder eines innovativen Handtrockenautomaten für Gaststätten und öffentliche Einrichtungen (Burmann et al. 2012, 57). Die finale Ausgestaltung sowie die jeweilige Relevanzprüfung der sechs Identitätskomponenten sind individuell vorzunehmen und haben darüber hinaus im Kontext der jeweils vorliegenden Rahmenbedingungen zu erfolgen. Diese Rahmenbedingungen können sich in Fragen der Zielgruppenstruktur, der Markenidentität des Hauptwettbewerbers oder in der Struktur des Markenportfolios manifestieren (Burmann et al. 2012, 58). Zusätzlich können sie beispielsweise personalwirtschaftlicher, finanzwirtschaftlicher, ökologischer, ökonomischer oder juristischer Art sein und sowohl singulär wie auch in Kombination auftreten (Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit). Zur Identifikation der jeweils relevanten Identitätskomponenten kann das in Abbildung 9.6 verwendete Kontrollschema verwendet werden.

Relevanz der Komponente

Abb. 9.6: Relevanzermittlung der Markenidentitätskomponenten. Quelle: In Anlehnung an Aaker/Joachimsthaler 2000, 57.

Durch die Zusammensetzung, die inhaltliche Ausgestaltung und die Betonung einzelner Identitätskomponenten wird ein von der Marke ausgehendes Nutzenversprechen bestimmt. In diesem von der Marke kommunizierten Nutzenversprechen werden die Identitätskomponenten zu wenigen kurzen, leicht verständlichen Aussagen komprimiert und in eine für die externe Zielgruppe verständliche Aussage über die von der Marke gebotene Bedürfnisbefriedigung transformiert. Zudem spielt das

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Markenverhalten bei der Identitätsvermittlung eine entscheidende Rolle. Es umfasst sowohl die technisch-funktionalen Leistungen einer Marke, das Verhalten der Markenrepräsentanten im Kontakt mit dem Nachfrager sowie den Kontakt des Nachfragers mit der Marke an allen möglichen Brand Touch Points (Burmann et al. 2012, 73). Die Kombination des sog. Markennutzenversprechens und des Markenverhaltens stellt die an die externe Zielgruppe vermittelte Markenpositionierung dar, wobei als Markenpositionierung die Planung, Umsetzung, Kontrolle und Weiterentwicklung einer an den Idealvorstellungen der Nachfrager ausgerichteten markenidentitätskonformen Position verstanden wird, die sich von den Positionen der relevanten Wettbewerber differenziert und durch die eigenen Ressourcen sowie die eigene Kompetenzausstattung darstellbar ist (Feddersen 2010, 29).

3.3 Markenimage Das Markenimage stellt ein wertendes und verdichtendes Vorstellungsbild einer Marke dar, welches sich in der Psyche der relevanten externen Zielgruppe (Konsumenten, Behörden, etc.) verankert, sich bei dieser über einen langen Zeitraum verfestigt und erst durch den Kontakt der Zielgruppe mit der Markenidentität entstehen kann (Burmann/Meffert 2005, 53; Foscht/Swoboda 2011, 126; Trommsdorff 2011, 133). Alle im Rahmen des Auftritts von der Marke ausgehenden und über die Brand Touch Points kommunizierten Reize und Informationen werden durch die externe Zielgruppe subjektiv wahrgenommen und dechiffriert, wobei insbesondere eine Bewertung hinsichtlich der Fähigkeit einer Marke zur individuellen Bedürfnisbefriedigung vorgenommen wird. Das Ergebnis dieses Vorgangs stellt das subjektive Wissen eines Individuums über eine Marke dar. Die Bekanntheit einer Marke ist dabei kein Bestandteil des Markenimages, sondern deren Voraussetzung; sie gibt die Fähigkeit der relevanten Zielgruppe wieder, sich an eine Marke ohne Unterstützung (Brand Recall oder ungestützte Markenbekanntheit) beziehungsweise nach vorheriger akustischer und/oder visueller Unterstützung (Brand Recognition oder gestützte Markenbekanntheit) zu erinnern (Aaker 1991, 61; Burmann et al. 2012, 59). Ein Mindestmaß an Bekanntheit ist für die Entstehung eines Markenimages zwingend erforderlich. In Kombination mit dem Markenimage bildet die Markenbekanntheit das Markenwissen (Keller 2013, 72). Aus dem subjektiven Markenwissen konstituieren sich für den Nachfrager sowohl funktionale wie auch nicht-funktionale Nutzen, die individueller Natur sind und zu einem unterschiedlichen Grad zur Befriedigung der Bedürfnisse beim individuellen Nachfragers beitragen (Vershofen 1950; Keller 1993, 17; Meffert/Burmann 1996, 34 f.; Keller 2013, 77). Die funktionalen Nutzen beinhalten sämtliche Dimensionen, die in Zusammenhang mit den physisch-funktionalen Merkmalen der Marke stehen. Stiftet eine Marke einem Nachfrager darüber hinaus weitere Nutzen, die für die symbolhafte Befriedigung von nachfragerindividuellen Motiven stehen wie bei-

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spielsweise Prestige oder die Befriedigung eines optischen Schönheitsempfindens, so ist von nicht-funktionalen beziehungsweise symbolischen Nutzen die Rede (Bielefeld 2012, 19 f.; Burmann et al. 2012, 59; Stolle 2013, 72). Die von den Nachfragern an die Marke kommunizierten Bedürfnisse sowie die von der externen Zielgruppe gemachten Erlebnisse bilden das Feedback, welches von Seiten der externen Zielgruppe an die markenführende Institution über die Brand Touch Points kommuniziert wird. Anhand dieses Feedbacks lässt sich ein Soll-Ist-Vergleich erstellen, auf dessen Basis sich die Markenidentität an die Erwartungen der externen Zielgruppe anpassen lässt. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass die an den Touch Points kommunizierten Informationen potentiell gefiltert sind und somit unvollständig beim jeweiligen Rezipienten ankommen können. Markenimage (Outside-In-Betrachtung)

Kommunizierte Bedürfnisse

Funktionale und symbolische Markennutzen

Wahrgenommener Markenauftritt

Wahrgenommene Markenattribute

Kommunizierte Erlebnisse

Markenbekanntheit

Abb. 9.7: Markenimage und Bekanntheit. Quelle: In Anlehnung an Burmann et al. 2012, 60.

3.4 Prozess der identitätsbasierten Markenführung Zum strukturierten Aufbau einer Marke, zur Implementierung eines ganzheitlichen Markenmanagements sowie der sich anschließenden Erfolgskontrolle dient der nachfolgend dargestellte Prozess der identitätsbasierten Markenführung. Im Rahmen dieses Prozesses erfolgt eine Trennung in strategieorientierte, umsetzungsorientierte und controllingorientierte Teilaspekte.

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Situationsanalyse

Markenziele Markenidentität

Strategisches Markenmanagement

Markenpositionierung

Markenarchitektur

Markenevolution

Markenbudgetierung

MarkenControlling

Operatives Markenmanagement

Internal Branding

Employer Branding

External Branding

Marktbezogene Instrumente Organisationsbezogene Instrumente

Markenerfolgsmessung

Markenbewertung

Abb. 9.8: Managementprozess der identitätsbasierten Markenführung. Quelle: In Anlehnung an Burmann et al. 2014.

Im Rahmen der strategischen Teilaspekte ist zunächst eine interne wie auch eine externe Situationsanalyse durchzuführen. Die interne Situationsanalyse dient insbesondere zur Aufdeckung vorhandener (Kern-) Kompetenzen, von vorhandenen und gegebenenfalls auch fehlenden Fähigkeiten der aktuellen Mitarbeiter, von sich abzeichnenden produktionsfaktorbezogenen Engpässen sowie zur Ermittlung der vom Gründer vertretenen Visionen, Kompetenzen und Persönlichkeitseigenschaften. Darüber hinaus umfasst die interne Analyse in der Regel die Betrachtung der

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Strukturen und Prozesse, wobei diese jedoch in kleinen und mittleren Unternehmen nachrangig behandelt werden kann. Grund dafür ist eine bei KMU wesentlich simplere interne Organisationsstruktur, die im Vergleich zu großen Unternehmen im Bedarfsfall sehr schnell angepasst werden kann und eine schnelle Reaktion auf Veränderungen zeigt (Arágon-Sanchez/Sanchez-Martin 2005, 288). Im Rahmen der externen Situationsanalyse sind die Bedürfnisse der Nachfrager, die Identifikation der relevanten Wettbewerber und die Wahrnehmung der Wettbewerbsmarken aus Sicht der Konsumenten zu erheben (Burmann et al. 2012, 97). Im Zuge dieser Analyse ist zudem ein zeitliche, geographische und sachliche Markt- und Geschäftsfeldabgrenzung zur Feststellung des eigenen Tätigkeitsgebietes durchzuführen (Voeth/Herbst 2013, 26 ff.). Aufgrund der zuvor erläuterten finanziellen Restriktionen ist in einem ersten Schritt die Verwendung von öffentlich zugänglichen Daten wie beispielsweise Studien, amtlichen Statistiken, durch Verbände /Kammern zur Verfügung gestellte Informationen oder amtliche Statistiken anzuraten. Erst wenn unter Rückgriff auf diese sog. Sekundärdaten eine zufriedenstellende und aussagekräftige Analyse nicht möglich ist, sollte die Möglichkeit eigener Marktforschungsaktivitäten (Primärdatenerhebung) in Betracht gezogen und kostengünstige Durchführungsmaßnahmen (beispielsweise Verbundstudien mit anderen Unternehmen oder Forschungskooperationen mit Hochschulen) evaluiert werden. Die Situationsanalyse stellt die Basis für die Festlegung der als Markenziele zusammengefassten psychographischen, verhaltensbezogenen und ökonomischen Zielgrößen dar. Insbesondere die psychographischen und verhaltensbezogenen Zielgrößen stellen für KMU eine wichtige Messgröße dar. Hierunter fallen beispielsweise Kundenzufriedenheit, Kaufintention und die Weiterempfehlung der Marke, aber auch die Bereitschaft der internen Zielgruppe, ein markenkonformes Verhalten (verbale- und nonverbale Kommunikation) zu zeigen (Piehler 2011; Skala-Gast 2012). Da die Marke auch im Rahmen der Akquisition und Bindung von Mitarbeitern eingesetzt werden kann, können KMU beispielsweise auch Akquisitions-, Bindungs- oder Fluktuationskosten als Markenzielgrößen formulieren (Burmann/Piehler 2013, 224). An die Definition der Markenziele schließt sich die zuvor beschriebene Konstruktion der Markenidentität und die Positionierung dieser im Wahrnehmungsraum der relevanten Zielgruppe an (Kapitel 3.1). Sofern ein Unternehmen im Besitz mehrerer Marken ist, besteht die Notwendigkeit der Abstimmung zwischen den einzelnen Marken. Dabei hat sich die Trennung zwischen hierarchischen und strategischen Gestaltungsaspekten als zweckmäßig herausgestellt (Burmann et al. 2012, 117). Im Rahmen der Hierarchiefestlegung erfolgt eine Einteilung der vorhandenen Marken auf verschiedene Ebenen. Dies sind in Anlehnung an Aaker die Ebenen (1) der Unternehmensmarke, (2) der Geschäftsfeldmarke, (3) der Produktgruppenmarke, (4) der Produktmarke und (5) der Produktmerkmalsmarke (Aaker 1996, 242 f.; Kanitz 2013, 79). Im Zuge der strategischen Gestaltung sind die konkreten Handlungsoptionen für jede einzelne Marke innerhalb des Portfolios zu definieren und zu bewerten. Im Rahmen dieser Festlegung ist beispielsweise die Frage zu beantworten, ob bezogen

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auf das eigene Portfolio einer Marke als „Dominierende Marke“ oder als „Eine unter Vielen“ am Markt in Erscheinung treten soll (hierzu ausführlich Kanitz 2013). Für KMU ist die Frage der Architekturgestaltung in der Regel von nachrangiger Bedeutung, da in seltenen Fällen ein entsprechendes Markenportfolio vorhanden ist und vorrangig der Aufbau und die Führung einer einzelnen Unternehmensmarke im Fokus des Interesses stehen. Im Rahmen der Markenevolution ist die Frage zu beantworten, wie sich eine Marke im Zeitablauf aufgrund von Markt-, Umwelt- und Unternehmensbedingungen verändern soll, wobei die Planung der Evolutionsmaßnahmen durch die Visionen der Marke geprägt sind (Burmann et al. 2012, 129 f.). Generell kann zwischen Strategien der Markenexpansion und Strategien der Markenkonsolidierung unterschieden werden. Expansionsstrategien fordern von Unternehmen die zusätzliche Bindung von Ressourcen und Kompetenzen, wohingegen diese bei der Umsetzung von Konsolidierungsstrategien freigesetzt werden. Eine Expansion kann dabei in drei Grundarten sowie in einer Kombination auftreten (Burmann et al. 2012, 130 f; Burmann et al. 2005, 184): (1) innerhalb der gleichen Produktkategorie (siehe die verschiedenen Geschmacksrichtungen der Marke COCA COLA), (2) zwischen zwei unterschiedlichen Produktgruppen (siehe die im Kapitel 3.1 erwähnte Marke DYSON) oder (3) auf geographischer Ebene (Eintritt mit der bestehenden Marke in einen neuen Ländermarkt). Markenkonsolidierungen stellen im Sinne von Raabe die klassische Form einer offenen Markenbereinigung dar (Raabe 2004, 842). Sie können (1) in Form eines sofortigen Rückzugs (sofortige Elimination der Marke), (2) in Form eines abgestuften Rückzugs (Einstellung weiterer Investitionen in die Marke und Beibehaltung am Markt, bis keine positiven Deckungsbeiträge mehr generiert werden) oder (3) in Form einer Markenmigration (Zusammenfassung der Angebote von mindestens zwei bisher eigenständig am Markt agierenden Marken und Weiterführung unter einen gemeinsamen Marke) in Erscheinung treten (Roßmann 2011, 27 ff.; Burmann et al. 2005, 184). Aufgrund der strategischen Ausrichtung dieses Beitrages erfolgt an dieser Stelle lediglich ein kurzer Überblick über die Bereiche des operativen Markenmanagements. Für eine intensive Betrachtung des Bereichs sei auf Piehler (2011) und Burmann/ Piehler (2013), für eine intensive Betrachtung des Markencontrollings auf Jost-Benz (2009) verwiesen. Die Umsetzung des operativen Markenmanagements erfolgt im Rahmen des External, des Internal und des Employer Branding. Diese drei Teilkomponenten des operativen Markenmanagements richtet sich an externen Zielgruppen (vorranging Kunden, aber auch bspw. NGOs oder Wettbewerber) des markenführenden Unternehmens sowie die aktuellen und potentiellen Mitarbeiter. Im Rahmen des Internal Branding sind Maßnahmen zu ergreifen, mit deren Hilfe die Marke bei aktuellen Mitarbeitern verankert wird und die zu einem markenkonformen Verhalten des Mitarbeiters führen (Burmann/Piehler 2013, 228 ff.). Die Maßnahmen des Employer Branding zielen auf die Etablierung der Marke als attraktiver Arbeitgeber bei potentiellen Mitarbeitern ab. Zur Vermittlung der Markenidentität und des Markennutzen-

Kapitel 9: Markenführung in kleinen und mittleren Unternehmen | 191

versprechens an aktuelle und potentielle Markenverwender werden im Rahmen des External Branding die klassischen Marketing-Mixinstrumente eingesetzt.

4 Fazit Kleine und mittlere Unternehmen besitzen eine herausragende Bedeutung für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Dennoch werden viele wissenschaftliche Theorien und Modelle häufig nur unzureichend auf die spezifischen Bedingungen dieser Unternehmen hin ausgerichtet. Dabei bieten viele etablierte wissenschaftliche Forschungsfelder insbesondere für KMU eine Möglichkeit der Professionalisierung und der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. Ein Beispiel hierfür ist ein auf die Bedürfnisse von KMU zugeschnittenes Markenmanagement, welches die besonderen Rahmenbedingungen im Vergleich zu großen Unternehmen herausstellt. Aufgrund beschränkter personeller, materieller und finanzieller Einschränkungen stellen der Aufbau und die Führung einer Marke für kleine und mittlere Unternehmen im Vergleich zu Großunternehmen eine ungleich schwierigere Aufgabe dar. Nichts desto trotz konnte gezeigt werden, dass eine Marke im Bereich der Liquiditätsgenerierung, der Kundenbindung sowie der Personalarbeit einen positiven Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten kann. Der Aufbau und die Konstruktion der Markenidentität bietet insbesondere für KMU die Chance, alle Mitarbeiter in den Aufbau der Markenidentität einzubinden und für ein markenkonformes Verhalten, sei es im Rahmen der verbalen oder der nonverbalen Kommunikation, zu sensibilisieren und zu begeistern. Im Rahmen der Situationsanalyse des Managementprozesses der identitätsorientierten Markenführung konnten relevante Hindernisse für kleine und mittlere Unternehmen extrahiert und ein angepasstes Analysevorgehen aufgezeigt werden. Bei der weiteren Betrachtung des Managementprozesses wurde deutlich, dass nicht alle strategischen Aspekte im Rahmen einer erstmaligen Markeneinführung Berücksichtigung finden müssen.

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Stefan Luppold

Kapitel 10: Live-Kommunikation für KMU Messen als Instrument im Marketing-Mix

1 Einleitung Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sind anders, sind besonders. Daher ist eine Betrachtung ihrer kommunikationspolitischen Chancen-Lage im Kontext von LiveKommunikation wichtig – und mit Blick auf die besonders guten Ansätze, die Priorisierung durch limitierte Budgets, eingeschränkte Marktzugänge und weitere Aspekte auch besonders relevant.

1.1 Besondere Anforderungen von KMU (an den Marketing-Mix) Die Bestimmung, wann es sich um KMU handelt, hängt in der Regel von den Größen Mitarbeiterzahl, Bilanzsumme und Jahresumsatz ab. Zusätzlich herangezogen wird die Unabhängigkeit des Unternehmens. Bis 250 Beschäftigte und einem Jahresumsatz von unter 50 Millionen Euro und/oder einer Bilanzsumme kleiner 43 Millionen Euro legt eine Definition der Europäischen Kommission die Kategorie KMU an, bei Kapital- oder Stimmrechtebesitz von weniger als 25 % im Unternehmen selbst (Haag 2012, 13). KMU verfügen, das ergibt sich unter anderem aus diesen Faktoren, über eingeschränkte Budgets und können, etwa im Bereich Forschung & Entwicklung, immer nur sehr eingeschränkt, verglichen mit großen Unternehmen, agieren. Dies führt unter anderem zu Sondermodellen wie Crowdfunding, Unternehmenskooperationen und selbstverständlich der geografischen wie produktorientierten Spezialisierung. Aus KMU können große Unternehmen wachsen. Zunächst jedoch steht alles am Anfang, bei neu gegründeten Unternehmen befinden sich erste Produkte am Beginn ihres Lebenszyklus. Vielfach sind es Pioniere und keine (frühen oder späten) Folger, weshalb Strategie-Determinanten wie Preis (Monopolstellung) und Kosten (Erfahrung, Lernkurve) eine besondere Rolle spielen. Allerdings insbesondere dann, wenn die Zeit bis zum Eintritt der Konkurrenz genutzt wird, etwa zum Aufbau der nötigen Betriebsgröße (Meffert et al. 2012, 434 ff.).

|| Prof. Stefan Luppold Leiter des Instituts für Messe-, Kongress- und Eventmanagement (IMKEM) Studiengangsleiter an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg

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In diesem Zusammenhang kann auf das bekannte AIDA-Schema verwiesen werden: Im ersten Schritt müssen (potenzielle) Kunden auf das Unternehmen beziehungsweise dessen Leistungen aufmerksam gemacht werden. Im Werbewirkungsprozess folgt dann eine Einstellungsänderung, verbunden mit Interesse, gefolgt von einem Wunsch oder dem Verlangen, schließlich dann die Handlung – der Kauf (Hutzschenreuter 2013, 193 f.). Das Erlangen von Aufmerksamkeit muss bei eingeschränkten Kommunikationsbudgets besonders zielgerichtet erfolgen, soll eine möglichst große Gruppe an potenziellen Kunden ansprechen und damit den quantitativen und qualitativen Eingangswert im Sales Cycle hoch halten.

1.2 Live-Kommunikation – eine kurze Einführung Live-Kommunikation – ein Ansatz oder Instrumenten-Bündel der betrieblichen (Markt-)Kommunikation, ist die persönliche, direkte, interaktive Begegnung und das aktive Erlebnis der Zielgruppe mit einem Unternehmen, seiner Marke(n) und seiner Produkte. Häufig emotional ausgerichtet erzeugt Live-Kommunikation einzigartige und nachhaltige Erinnerungen. Zu den Instrumente der Live-Kommunikation zählen insbesondere Messen und (Marketing-)Events. Die Kommunikationsart ist typischerweise dialoggeprägt, die Begegnungsform persönlich; eine aktive Kundenintegration wird mit hoher Erfahrbarkeit verbunden, Emotionen und multisensuale Inszenierungen spielen eine Rolle (Kirchgeorg et al. 2009, 15 ff.). Typisch für Live-Kommunikation ist aber auch ein sehr fokussierter Einsatz; zielgenau sollen relevante Interessenten- und Kundengruppen angesprochen, Streuverluste reduziert werden. Im Kontext zunehmender Medialisierung und der technischen Möglichkeiten zur elektronischen Kommunikation werden auch virtuelle Veranstaltungsformen der Live-Kommunikation zugeordnet, sofern sie in Echtzeit übertragen werden. Diese hybriden oder Online-Veranstaltungen sind allerdings, auf Grund des fehlenden Potenzials zur Aktivierung der Sinne, meist nur ein Weg zur Reichweitenverlängerung (Dinkel/Semblat 2013, 133 ff.).

1.3 Messen als Instrument der Live-Kommunikation Messen sind ein traditionsreiches, der Live-Kommunikation zugeordnetes Instrument. Sie sind ein bedeutsames Kommunikationsmittel für Käufer und Verkäufer, basierend auf einer ausgeprägten Zielsetzung sowie der geplanten Vorbereitung und Durchführung (Ermer 2013, 14 f.). Messen sind nicht nur Kommunikations- sondern auch Marketinginstrument (Haag 2012, 5). Als Marktplätze, auf denen Angebot und Nachfrage zusammengeführt werden, finden dort auch preis-, produkt- und distributionspolitische Fragestellun-

Kapitel 10: Live-Kommunikation für KMU | 199

gen einen „Ort der Handlung“. Auf weitere Determinanten und Spezifika wird im Fortgang dieses Beitrags eingegangen. Messen selbst stehen im Mittelpunkt von für sie entwickelten kommunikationspolitischen Konzepten. Der zufällige Besuch am Messestand ist erwünscht, erwartet jedoch wird ein Geplanter – der soll durch ein spezifisches Besuchermarketing erreicht werden. Zielgruppen müssen identifiziert, hinsichtlich ihrer Dimension und Spezifikation beschrieben und bereits im Vorfeld einer Messe kommunikativ bespielt werden (Esche/Gnauck 2010, 11 ff.). An dieser Stelle jedoch noch ein Hinweis auf die Vielfalt in der Messe-Typologie: Messen können auch in den eigenen Räumen stattfinden, als sogenannte Hausmessen. In einigen Branchen führen beispielsweise Einkaufsgemeinschaften messeähnliche Veranstaltungen durch, reduziert wird dabei die Vielzahl der Anbieter (Goschmann 2000, 72).

2 Das Instrument Messe: Grundlagen Wer an einer Messe teilnimmt, der wird wahrgenommen und über den wird geredet. Wer dort nicht auftaucht, dem widerfährt schlimmes. Über ihn wird möglicherweise gar nicht mehr geredet.

Dieser Satz stammt aus einer Rede des ehemaligen Bundeskanzlers Ludwig Erhard, anlässlich der Eröffnung der Hannover Messe im Jahr 1965. Seine Relevanz ist erhalten geblieben, hat sich sogar im Kontext der Informationsüberlastung verstärkt (Beckmann/Müller-Martin 2000, 9). Deutschland ist führend in der Ausrichtung von Messen, gilt als Messeland Nr. 1 weltweit. Jährlich finden rund 150 internationale Messen statt, an denen 180.000 Aussteller auf etwa 10 Millionen Besucher treffen – jeweils mit internationalem Hintergrund, also Anbieter und Nachfrager aus allen relevanten Ländern (AUMA 2013, 5). Diese Zahlen weisen auf die zentrale Stellung von Messen und Ausstellungen im Marketing-Mix von Unternehmen hin. Mit durchschnittlich 20 % des Kommunikationsbudgets belegen Messen außerdem den zweiten Platz hinter der klassischen Werbung. Sie sind damit eindeutig ein wichtiges Instrumenten im Kommunikations-Mix von Unternehmen (Kirchgeorg 2011, 16).

2.1 Messe-Typologie Messen und Ausstellungen müssen voneinander abgegrenzt werden; hierzu können die Gewerbeordnung (GewO) und die Definition des Ausstellungs- und Messe-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft e.V. (AUMA) heranzgezogen werden (Kirchgeorg 2003, 55, mit Verweis auf die AUMA Konvention 1976).

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Paragraph 64 (1) GewO definiert Messe als eine […] zeitlich begrenzte, im allgemeinen regelmäßig wiederkehrende Veranstaltung, auf der eine Vielzahl von Ausstellern das wesentliche Angebot eines oder mehrerer Wirtschaftszweige ausstellt und überwiegend [..] an gewerbliche Wiederverkäufer, gewerbliche Verbraucher oder Großabnehmer vertreibt.

Eine Ausstellung ist laut § 65 GewO eine […] zeitlich begrenzte Veranstaltung, auf der eine Vielzahl von Ausstellern ein repräsentatives Angebot eines oder mehrerer Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete ausstellt und vertreibt oder über dieses Angebot zum Zweck der Absatzförderung informiert.

Die zeitliche Begrenzung und das Ziel der Absatzförderung sind demnach beiden Veranstaltungstypen gemein. Ein wesentlicher Unterschied besteht in der Funktion der jeweiligen Veranstaltung. Während laut dieser Definitionen das vorwiegende Ziel einer Messeteilnahme der Abschluss von Transaktionen ist, steht bei der Teilnahme an einer Ausstellung die Weitergabe von Informationen im Vordergrund. Diesem Umstand wird in den Definitionen des AUMA Rechnung getragen. Dort heißt es: […] bei vorrangiger Ansprache von Fachbesuchern […]

für den Begriff der Messe und […] bei vorrangiger Ansprache des allgemeinen Publikums [...]

für den Begriff der Ausstellung (Kirchgeorg 2003, 55, mit Verweis auf die AUMA Konvention, 1976). Publikumsmessen sind demnach, streng genommen, keine Messen, sondern Ausstellungen (Neven 2008, 33 f.). Im Zusammenhang dieses Beitrags wird der Fokus auf Messen gelegt; dennoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass KMU insbesondere in der Distribution ihrer Produkte (Verbraucher-)Ausstellungen nutzen oder gegebenenfalls sogar ausschließlich darüber vertreiben. Zusätzlich zur Unterteilung in Fach- und Publikumsmessen werden Messen unterschieden nach Schwerpunkt, Breite und Reichweite des Angebotes (Kirchgeorg 2003, 66). In Abbildung 10.1 sind verschiedene Messetypen für diese Kriterien aufgezeigt. Die Relevanz des Messtyps für einen Aussteller ist abhängig vom Marketingziel des jeweiligen Unternehmens und wird von der Bedeutung, der Qualität, dem Standort, der Besucherstruktur und dem Thema der einzelnen Messe beeinflusst (Marquart 2000, 20). In der Regel findet auch hier ein Mix statt; Unternehmen beteiligen sich als Aussteller unterschiedlicher Messen, die insgesamt eine homogene Plattform schaffen – und beispielsweise aus einer nationalen Universalmesse und mehreren internationalen Fach- und Branchenmessen zusammengesetzt ist.

Kapitel 10: Live-Kommunikation für KMU | 201

Kriterium

Messetypen

Angebotsbreite

Universal-, Spezial-, Branchenmessen, Fach- oder Verbundmesse

Angebotsschwerpunkt

Konsumgütermesse, Investitionsgütermesse

Angebotsfunktion

Informationsmesse, Motivationsmessen Ordermesse

Angebotsreichweite

regionale, überregionale, nationale und internationale Messe

Zielgruppe

Fachbesucher- oder Publikumsmesse, Händlermesse

Abb. 10.1: Typologie von Messen und Ausstellungen. Quelle: In Anlehnung an Kirchgeorg/Springer/Brühe 2009, 101 f.

Wachstumsziele im Unternehmen (Marktwachstum) determiniert letztlich hier die mittel- und langfristig definierten Messebeteiligungen beziehungsweise bestimmt aus kurzfristiger Sicht Messen als Versuchs- beziehungsweise Test-Objekt für potenzielle Marktzugänge (siehe „Benchmarking“ im folgenden Abschnitt).

2.2 Messe-Funktionen Je nach Betrachtungsweise erfüllen Messen verschiedene Funktionen. Differenziert wird dabei nach gesellschaftlichen, volkswirtschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Funktionen (AUMA 2013, 10 ff.). Das folgende Schaubild zeigt diese Perspektiven und die jeweils spezifischen Funktionsbereiche.

Perspektive Gesellschaftlich

Volkswirtschaftlich

Betriebswirtschaftlich

    

   

Funktion

   

Innovation Information Aufmerksamkeitsfunktion Politikfunktion

Marktbildung Marktpflege Handelsfunktion Transparenzfunktion Wirtschaftsförderung

Informationsfunktion Beeinflussungsfunktion Verkaufsfunktion Motivationsfunktion

Abb. 10.2: Perspektiven und Funktionen von Messen. Quelle: In Anlehnung an Kirchgeorg 2003, 58.

Die gesellschaftliche wie auch die volkswirtschaftliche Perspektive sind für den Betrachtungsgegenstand des vorliegenden Beitrags von nachrangiger Bedeutung.

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Daher werden ausschließlich die für die messespezifische Unternehmenskommunikation entscheidenden, betriebswirtschaftlichen Funktionen weiter differenziert und hinsichtlich ihrer Bedeutung erläutert. Nach Fuchslocher und Hochheimer lassen sich die betriebswirtschaftlichen Messefunktionen wie folgt differenzieren: Orientierungs- und Identifikationsfunktion: Messen schaffen die Möglichkeit zum direkten, gezielten Informationsaustausch zwischen Aussteller und Besucher. Sie bieten die Möglichkeit, einen weitgehend anonymen Markt zu personifizieren und dienen sowohl der persönlichen Orientierung aller Marktteilnehmer als auch deren Identifikation mit dem Marktgeschehen (Fuchslocher/Hochheimer 2000, 191). Kompetenz- und Prestigefunktion: Messen gelten als Spiegel des Marktes und der jeweiligen Branche. Aufgrund dessen unterliegen sie einer Qualitätsvermutung. Das hohe Prestige einer Messe kann sich, bei Nutzung der gegebenen Spielräume, auf das Image aller Akteure einer Messe übertragen, ist gleichzeitig aber abhängig vom Verhalten aller Messeteilnehmer (Fuchslocher/Hochheimer 2000, 191 f.). Vertrauensfunktion: Wegen der direkten Kommunikation vor Ort (definiert als persönliche oder Face-to-face-Kommunikation zwischen Personen (Bruhn 2007, 425) und der schon beschriebenen Orientierungs-, Identifikations- und Kompetenzfunktion wirken Messeveranstaltungen vertrauensbildend. Dieses Vertrauen wiederum wirkt sich auf die Qualität der Messe und somit auf die Qualität der Aussteller und Besucher aus (Fuchslocher/Hochheimer 2000, 191 f.). Diese Grundfunktionen werden durch die vom AUMA beschriebenen Messefunktionen ergänzt und konkretisiert (AUMA 2013, 10 ff.). Persönliche Kommunikation, Kundenpflege und Neukundengewinnung: Messen bieten die Möglichkeit zur persönlichen Kommunikation zwischen Ausstellern und Besuchern. Sie schaffen außerdem die ideale Plattform für den Aufbau und die Pflege von langfristigen Kundenbeziehungen. Als Verortung von Angebot und Nachfrage, als Treffpunkt einer Branche, als Marktplatz sind Messen dabei sowohl für zufällige und erste Begegnungen als auch für gezielte, vorbereitete Zusammenkünfte geeignet. Präsentation neuer Angebote, Benchmarking: Aufgrund der räumlich-zeitlichen Festlegung und der unmittelbaren Nähe zum Wettbewerb eignen sich Messen als Testmärkte für die Akzeptanz neuer Produkte und Dienstleistungen. Darüber hinaus sind sie eine Plattform für den Leistungsvergleich innerhalb der Branche. Eine produktpolitisch vorteilhafte Situation im Markt wird so direkt und im Feld der relevanten Marktbegleiter kommuniziert.

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Emotionale Ansprache, Imagepflege und Medienwirkung: Auf Messen können Produktqualitäten mit allen Sinnen erfasst werden. Durch kompetente Kommunikation und die gezielte Inszenierung des Messeauftritts werden Kunden emotional angesprochen und so langfristig an das Unternehmen gebunden. Sowohl Fach- als auch Publikumsmessen sind Ereignisse mit großer Medienwirkung. Diese Wirkungsbreite kann genutzt werden, um das Firmenimage gezielt aufzubauen und nachhaltig zu stärken. Für KMU symbolisiert dies die Zugehörigkeit zu einer Klasse, einer Liga! Motivation: Aufgrund ihres hohen strategischen wie operativen Aufwands schaffen Messen innerhalb der Unternehmen eine starke Motivation zur Realisierung der jeweiligen Messeziele. Verstärkt wird diese Motivation zum einen durch die repräsentative Gestaltung des Messestandes und zum anderen durch die unmittelbare Nähe zum Wettbewerb.

3 Messen im Marketing Bruhn führt den Ansatz, Marketing als unternehmerische Denkhaltung zu verstehen, weiter und stellt fest : Sie konkretisiert sich in der Analyse, Planung, Umsetzung und Kontrolle sämtlicher interner und externer Unternehmensaktivitäten, die durch eine Ausrichtung der Unternehmensleistungen am Kundennutzen im Sinne einer konsequenten Kundenorientierung darauf abzielen, absatzmarktorientierte Unternehmensziele zu erreichen (Bruhn 2012, 14).

Um diese (absatzmarktorientierten) Ziele erreichen zu können, stehen allen Unternehmen grundsätzlich dieselben Instrumente zur Marktbearbeitung zur Verfügung. Dieses sogenannte Marketinginstrumentarium setzt sich mindestens aus den vier klassischen Politik-Bereichen zusammen: 1. Produktpolitik, 2. Preispolitik, 3. Distributionspolitik und 4. Kommunikationspolitik (Wöhe/Döring 2008, 418). Die einzelnen Teilbereiche werden unternehmensspezifisch im Marketing-Mix verbunden und dienen der operativen Umsetzung der absatzmarktgerichteten Unternehmensziele (Meffert et al. 2012, 22). Selinski und Sperling definieren den Begriff Marketing-Mix als die […] Kombination und Harmonisierung aller Marketing-Instrumente und -maßnahmen untereinander […].

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Weiterhin bringen sie zum Ausdruck, dass jedes Marketinginstrument gleichermaßen strategisch-langfristige und taktisch-kurzfristige Komponenten zur Marktbearbeitung aufweist (Selinski/Sperling 1995, 81).

3.1 Messen im Marketing-Mix Zur Einordnung von Messen in den Marketing-Mix können verschiedene Ansätze herangezogen werden. Eine Möglichkeit ist ihre Klassifizierung als eigenständiges Marketinginstrument, wie sie beispielweise von Selinski und Sperling vorgenommen wird (Selinski/Sperling 1995, 96 ff.). Weitere Ansätze verfolgen die Einordnung von Messen als Instrumente der Distributions- oder der Kommunikationspolitik (Bruhn 2011, 954 ff.). In der unternehmerischen Praxis erfolgt die Einordnung der Messe in Abhängigkeit von den Messezielen eines Unternehmens (Fuchs/Unger 2014, 43 f.). Unabhängig von diesen Zuordnungen wirken sich Messen auf jeden einzelnen Marketingbereich aus und sind generell von langfristiger Bedeutung für das Marketing und die Beeinflussung der Zielgruppen des Unternehmens (Selinski/Sperling 1995, 83 ff. + 97). Nachfolgend sind verschiedene Marketingziele dargestellt, die im Rahmen einer Messebeteiligung verfolgt werden können. Ziele der Produktpolitik auf Messen sind beispielsweise die Vorstellung von Produkt- und Dienstleistungsinnovationen oder die Prüfung der Akzeptanz des Sortiments am Markt. Im Rahmen der Preispolitik können Messen genutzt werden, um die derzeitige Preisstruktur des Marktes zu prüfen und Kundenreaktionen auf die eigene Preispolitik abzuschätzen. Weiterhin ist es möglich, besondere Messekonditionen festzulegen und diese verkaufsfördernd einzusetzen (Ossola-Harring 2008, 104 ff.). Hinsichtlich der Distributionspolitik sind Messeauftritte ein ideales Werkzeug, um Lieferanten, Absatzmittler und Absatzhelfer in die Marktbearbeitung einzubinden und vertriebspolitische Ziele in enger Abstimmung mit ihnen umzusetzen. So wird das Vertrauen der Partner untereinander erhöht und Absatzmärkte können konzentrierter bearbeitet werden (Huckemann et al. 2005, 137). Im Rahmen der Kommunikationspolitik ermöglichen Messen die Integration verschiedener Instrumente des Kommunikations-Mix. Zu diesen Instrumenten zählen Werbung, Öffentlichkeitsarbeit, persönlicher Verkauf und Verkaufsförderung (Bruhn 2009, 77). Primäres Ziel ist dabei, Absatzwiderstände durch den gezielten Einsatz von Informationen zu überwinden (Wöhe/Döring 2008, 477). Messen schaffen ein geeignetes Umfeld für den zielgruppengerechten Austausch von Informationen und werden so zur Plattform für marktorientierte Kommunikation (Brühe 2003, 76). Wegen ihrer vielfältigen Möglichkeiten zählen Messebeteiligungen zu den wichtigsten Marketinginstrumenten für die Mehrzahl der Unternehmen. Sie bilden damit,

Kapitel 10: Live-Kommunikation für KMU | 205

unabhängig von der jeweiligen Unternehmensgröße, eine wesentliche Grundlage für die Kommunikation mit den Kunden und allen weiteren Adressaten des Marketings.

3.2 Messen im Kommunikations-Mix Nachfolgend wird aufgezeigt, inwieweit sich Messen von anderen Kommunikationsinstrumenten unterscheiden und welche Möglichkeiten sich dadurch im Rahmen der Unternehmenskommunikation ergeben. Hierzu werden vorab die verschiedenen Kommunikationsmaßnahmen vorgestellt und charakterisiert. Im Anschluss daran sind die Vor- und Nachteile von Messebeteiligungen als Kommunikationsinstrument, insbesondere bezogen auf KMU, dargestellt. Der Kommunikations-Mix eines Unternehmens lässt sich praxisnah gliedern in Above- und Below-the-line-Maßnahmen (Nufer 2002, 8). Above-the-line-Maßnahmen umfassen alle Kommunikationsinstrumente die einer breiten Masse zugänglich, aber nicht zielgruppenspezifisch sind. Beispielhaft dafür sind Presse, Außenwerbung, Radio, TV oder Kino. Im Gegensatz dazu zeichnen sich Below-the-line-Maßnahmen durch einen hohen Grad an Zielgruppengenauigkeit aus. Sie werden in festgelegten Situationen angewandt und dienen der individualisierten Kommunikation. Zu ihnen gehören Mailings, Sponsoring und Messeteilnahmen (Kirchgeorg et al. 2009, 15 f.). Bezüglich dieser strikten Trennung weist Nufer darauf hin, dass die Grenzen zwischen beiden Maßnahmen-Kategorien fließend sind. Im Rahmen einer schlüssigen Unternehmenskommunikation müssen sie verzahnt werden und miteinander koordiniert zum Einsatz kommen (Nufer 2002, 9). Dies führt schließlich dazu, dass immer wieder von „Around-the-line“ gesprochen wird, da sich bestimmte Maßnahmen nicht eindeutig zuordnen lassen, letztlich zwischen beiden Gliederungsgruppen ihren Einsatz und ihre Wirkung zeigen. Um dementsprechend eine ausgewogene Zusammenstellung von Kommunikationsinstrumenten und -maßnahmen vornehmen zu können, bietet sich eine zusätzliche Gliederung in Klassische Kommunikation, Live- und Virtuelle Kommunikation an, wie sie beispielsweise von Kirchgeorg, Springer und Brühe vorgenommen wird (Kirchgeorg et al. 2009, 22). Insbesondere die Messe als Instrument der Live-Kommunikation bietet die Möglichkeit, alle anderen Kommunikationsinstrumente einzubinden. Allerdings ist bereits bei der Planung von messebezogenen Kommunikationsaktivitäten darauf zu achten, diese Instrumente inhaltlich, formal und zeitlich in die Unternehmenskommunikation zu integrieren (Pepels 2005, 279). So unterstützen sich die verschiedenen Instrumente des Kommunikations-Mix gegenseitig und führen gleichermaßen zur Erreichung der Messe- und der Unternehmensziele (Selinski/Sperling 1995, 83 ff.). Die Abbildung 10.3 zeigt einzelne Kommunikationsformen und deren MerkmalsAusprägungen. Vor- und Nachteile der einzelnen Medien lassen sich auf einen Blick erfassen.

Merkmale

206 | Stefan Luppold

Kommunikationsform

Klassisch

Live

Virtuell

Instrumente

Plakate, Kino, PR, Presse, Radio etc.

Messen, Events, Showrooms etc.

Webseiten, Blog, Mailing, Foren etc.

Reichweite

xxx

x

xxx

Örtliche Fixierung

x

xxx

o

Zeitliche Fixierung

x

xxx

x

Kontaktintensität

x

xxx

x

Persönlicher Kontakt

x

xxx

xx

Kontrolle des Zielgruppenumfeldes

x

xx

x

Kontaktkosten

xx

xxx

x

Interaktionsmöglichkeit

x

xxx

xxx

Erfahrbarkeit

x

xx

x

Emotionalität

xx

xxx

x

Multisensualität

x

xxx

o

xxx: sehr stark ausgeprägt, xx: stark ausgeprägt, x: schwach ausgeprägt, o: nicht ausgeprägt

Abb. 10.3: Charakterisierung der Instrumente des Kommunikations. Quelle: In Anlehnung an Kirchgeorg et al. 2009, 22.

3.2.1 Vorteile von Messeteilnahmen Messen zeichnen sich gegenüber den anderen Instrumenten der Kommunikationspolitik durch mehrere Vorteile aus. Sie schaffen […] die höchstmögliche Konzentration von Angebot und Nachfrage auf engstem Raum und in kürzester Zeit […] (Pepels 2005, 173).

Damit bewirken sie eine Informationsqualität und Kommunikationsdichte wie kaum ein anderes Instrument im Kommunikations-Mix (Meffert et al. 2012, 698). Bezogen auf die eingangs geschilderten Einschränkungen von KMU (u.a. Budget-Limits) ist dies möglicherweise das wichtigste Argument pro Messebeteiligung. Messen eignen sich zur Integration weiterer Kommunikationsinstrumente und sprechen alle menschlichen Sinne an. Auf diesem Weg können Informationen aktiver und intensiver vermittelt werden als durch andere Kommunikationsinstrumente (Kirchgeorg et al. 2009, 21 f.). Außerdem ermöglichen Messen die unmittelbare Resonanz des Marktes und der Interessenten (Pepels 2005, 173). Eine Voraussetzung für rasche Reaktionen, sofern sie möglich sind – tendenziell bei KMU eher als bei großen Unternehmen.

Kapitel 10: Live-Kommunikation für KMU | 207

3.2.2 Nachteile von Messeteilnahmen Die größten Schwächen von Messen sind, so das Ergebnis einer Ausstellerbefragung des AUMA, ihr erheblicher Kostenfaktor und der hohe organisatorische Aufwand (AUMA 1999, 56). Ein zusätzlicher Nachteil besteht in der geringen Disponibilität von Messen (Pepels 2005, 173). Hinsichtlich ihrer Komplexität erfordern Messen einen hohen Grad an Professionalisierung. Vor allem bei Unternehmen, die zum ersten Mal oder im Fortgang nicht regelmäßig an Messen teilnehmen, ist eine solche Professionalität oft nicht gegeben (Kirchgeorg et al. 2009, 28 ff.). Weitere kritische Faktoren sind die unterschiedlichen Bedürfnisse der Messebesucher, die Auswahl von geeignetem Personal sowie die Gestaltung und Organisation des Messestandes (Pepels 2005, 174 ff.). Die bisherigen Ausführungen machen die Vielschichtigkeit einer Messebeteiligung deutlich und zeigen auf, welche Nutzenpotenziale für KMU bestehen. Insbesondere im Hinblick auf die Kostenintensität und den insgesamt hohen organisatorischen Aufwand ist schlüssig, dass eine erfolgreiche Messeteilnahme nur dann zu realisieren ist, wenn sie zielgerichtet geplant und konsequent umgesetzt wird (Wenge 1992, 289). Hinsichtlich der systematischen Planung von Messebeteiligungen ist es sinnvoll, die jeweils notwendigen Einzelaktivitäten zu bündeln und in einen strukturierten Planungsprozess zu überführen. Messen stellen ein Protfolio mit Instrumenten sämtlicher Sub-Mixe dar, da Messebeteiligungen das Ergebnis einer Kombination vieler verschiedener Einzelaktivitäten mit instrumentalem Charakter sind (Meffert 1988, 12 ff.).

3.3 Ziele von Messebeteiligungen Die vordergründigen Motive einer Messebeteiligung sind die Anbahnung neuer Geschäftskontakte und der Austausch von Informationen zwischen Ausstellern und Besuchern (Bruhn 2011, 961). Hieraus und den vorab beschriebenen betriebswirtschaftlichen Messefunktionen folgend lassen sich unterschiedliche messespezifische Zielsetzungen ableiten. Differenziert wird dabei in ökonomische und psychographische Zielsetzungen (Meffert 2003, 1154). In der Praxis wird analog dazu von Verkaufs- und von Kontaktzielen gesprochen. Während Verkaufsziele den ökonomischen Zielsetzungen zugeordnet werden, zählen Kontaktziele zu den psychographischen Zielsetzungen (Huckemann et al. 2005, 93). Diese Zielgrößen beziehen sich unter anderem auf Kundenpräferenzen oder die Bekanntheit des Unternehmens. Sie bilden die Grundlage für die Erreichung der ökonomischen Ziele (Kirchgeorg et al. 2009, 74).

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Ökonomische Zielsetzungen

Psychografische Zielsetzungen

Verkaufsziele

Kontaktziele

o Produktziele

o Beeinflussungsziele

o Preisziele

o Informationsziele

o Distributionsziele

o Motivationsziele

Abb. 10.4: Zielsetzung von Messebeteiligungen. Quelle: In Anlehnung an Meffert 2003, 1155.

Verkaufsziele orientieren sich am Portfolio des Unternehmens und der Position der messerelevanten Produkte im Produktlebenszyklus. Hier wird, erneut, deutlich, wie wichtig diese Einordnung aus KMU-Sicht und bezogen auf die Erschließung von (neuen, zusätzlichen) Märkten für neue Produkte ist. Im Gegensatz dazu sind Kontaktziele darauf ausgerichtet, an Hand von gezielter Kommunikation, sowohl bei Fachkunden als auch bei den Medien und der breiten Öffentlichkeit Interesse für die Unternehmenstätigkeit zu wecken. Darüber hinaus beziehen sich Kontaktziele darauf, Informationen bereitzustellen, Marktpräsenz zu zeigen und Kompetenz zu demonstrieren. Auch Kundenpflege und Neukundengewinnung, sowie Markt- und Branchenbeobachtung werden unter der Kategorie Kontaktziele zusammengefasst (Winnen/Beuster 1992, 370). Die konkreten Messeziele eines Unternehmens werden auf Basis der jeweiligen Unternehmens- und Marketingziele, in Abhängigkeit zur Spezifikation der geplanten Messe festgelegt. Folgende Ziele können mit einer Messeteilnahme verfolgt werden: Stammkundenpflege, Neukundengewinnung, Präsentation neuer Produkte, Erschließung neuer Zielgruppen oder Märkte, Ausbau bestehender Märkte, Verkaufsförderung vor Ort, Imagepflege, Steigerung des Bekanntheitsgrads, Entwicklung der Verkaufsorganisation, Gewinnung von Kooperations- oder Vertriebspartnern, Marktpflege, Marktbeobachtung, Durchsetzung neuer Marktstrategien, Kontaktpflege und das Motivieren der eigenen Mitarbeiter (Kreuter 2014, 8 f.). Zur Kategorisierung dieser Ziele empfiehlt der AUMA die Unterscheidung in quantitative und qualitative Ziele. Quantitative Messeziele sind direkt in Wert oder Menge zu bemessen. Sie werden als harte Faktoren bezeichnet. Qualitative Ziele beziehen sich hingegen auf weiche Faktoren. Ihr Wert lässt sich im Regelfall nicht direkt beziffern. Qualitative Ziele müssen hinsichtlich ihres individuellen Nutzens von jedem Aussteller subjektiv bewertet werden (AUMA 2014, 23 f.). Wie für alle betriebswirtschaftlich relevanten Ziele, gilt es auch bei der Auswahl und Formulierung von Messezielen darauf zu achten, dass die Ziele präzise formuliert, erreichbar, messbar und terminiert sind. Darüber hinaus sollten sie von allen

Kapitel 10: Live-Kommunikation für KMU | 209

beteiligten Personen akzeptiert und getragen werden. Die klare, eindeutige Formulierung von Messezielen bildet die Grundlage der gesamten operativen Messeplanung. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die soeben genannten Oberziele zu konkretisieren. Ist beispielsweise Neukundengewinnung das übergeordnete Ziel, muss festgelegt werden, wie viele Neukunden mithilfe der Messe gewonnen werden sollen und auf welchem Weg.

Quantitative Ziele

Qualitative Ziele

o Kontaktziele

o Marktpräsenz

o Kommunikationsziele

o Benchmarking

o Informationsziele

o Dialogkommunikation

o Präsentationsziele

o Networking

o Vertriebs- und Verkaufsziele

o Beitrag zum Branchenmarketing

Abb. 10.5: Zielsetzungen von Messebeteiligungen. Quelle: In Anlehnung an AUMA 2014, 24.

Während bei Publikumsmessen ohnehin Kontakt- und Informationsziele die Hauptmotivation für die Teilnahme der ausstellenden Unternehmen bilden, gewinnt laut einer Studie des AUMA auch im Bereich der Fachmessen die Informationsorientierung an Bedeutung (AUMA 2013, 8). In diesem Zusammenhang verweist Bruhn darauf, dass Kontaktziele [...] nicht als vorrangiges Ziel von Messen und Ausstellungen, sondern als notwendige Voraussetzung zur Erzielung von Wirkungen bei den einzelnen Standbesuchern zu sehen (Bruhn 2011, 964).

sind. Um hinsichtlich der angestrebten Ziele die gewünschte Wirkung erreichen zu können, ist es somit im Rahmen der Zielformulierung unerlässlich, auch auf psychologische Zielsetzungen einzugehen (Bruhn 2011, 964). Diese Zielsetzungen lassen sich in drei Kategorien gliedern und werden nachfolgend bezüglich ihrer Ausrichtung und Möglichkeiten für den Messeeinsatz erläutert. Kognitive Ziele beziehen sich darauf, die Aufnahme, Verarbeitung und Speicherung von Informationen bei den Messebesuchern positiv zu beeinflussen. Der Einsatz von Produktproben, die bewussten Platzierung visueller Informationsträger und die direkte Kommunikation vor Ort wirken aktivierend auf die Wahrnehmung des Leistungsangebotes eines Unternehmens (Bruhn 2011, 964). Nufer weist diesbezüglich darauf hin, dass Informationen, die durch aktives Erleben, im Kontext einer Messe, vermittelt werden oder auf eigenen Erfahrungen der Messebesucher beruhen, besonders gut verarbeitet und gespeichert werden (Nufer 2002, 136). Beispiele

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für kognitive Ziele sind die Vermittlung von Kenntnissen über das Unternehmen, seine Produkte und Dienstleistungen, die Steigerung des Bekanntheitsgrades derselben oder die Vorstellung neuer Unternehmens- und Marketingstrategien (Bruhn 2011, 964). Affektive Ziele richten sich darauf, mithilfe des Eventcharakters von Messen bestimmte emotionale Erlebnisse bei den Messebesuchern auszulösen und so ihr Verhalten zu beeinflussen. Möglichkeiten zur Umsetzung bietet die Standgestaltung oder die Nutzung von Show-Elementen am Stand. Imagetransfer anzustreben ist ein weiteres affektives Ziel. Es bezieht sich gleichermaßen auf die Einstellung der Messebesucher zu einzelnen Produkten des Unternehmens wie auch auf den Imageübertrag einer Messe auf das gesamte Unternehmen und dessen Produkte. Andere affektive Ziele sind etwa die Produktpositionierung mittels Emotionen oder die Integration einer Marke und ihrer Botschaft in die Erlebniswelt des Messebesuchers (Bruhn 2011, 964 f.). Konative Ziele richten sich darauf, konkrete Kaufabsichten oder den Wunsch nach Inanspruchnahme von Dienstleistungen auszulösen. Vor einer Messe bestehen konative Ziele darin, Kontakt mit der Zielgruppe aufzunehmen und diese so zum Messebesuch zu bewegen. Während einer Messe stehen der Aufbau und die Festigung von Kundenbeziehungen im Vordergrund. Diese Form der Kundenbindung lässt sich vor allem mithilfe von Interaktionen am Messestand und dem direkten Dialog zwischen Standpersonal und Besuchern erreichen. Ein zusätzlicher Effekt besteht im Auslösen von positiver Mund-zu-Mund-Propaganda durch die Messebesucher. Interessenten- und Neukundengewinnung, die Verkaufs- und Wiederkaufsförderung oder die Festigung der Kundenbindung sind Beispiele für konative Ziele (Bruhn 2011, 964 f.). Die besondere Herausforderung bei der Auswahl und Formulierung von Messezielen ist es, interne Zielkonflikte zu vermeiden. Zur Lösung von auftretenden Zielkonflikten empfiehlt Bruhn die Entwicklung eines hierarchischen Messezielsystems auf Basis der unternehmensinternen Zielpräferenzen (Bruhn 2011, 962 f.).

3.4 Zielgruppen der Aussteller Aufgrund des breiten Funktionsspektrums bedienen Messen eine Vielzahl von Zielgruppen. Um einen Messeauftritt erfolgreich planen und durchführen zu können, müssen Aussteller ihre Zielgruppen und deren Bedürfnisse kennen (Kirchgeorg et al. 2009, 67). Zusätzlich zur Unterscheidung in Fachbesucher und privates Publikum lassen sich Messebesucher nach dem Grund ihrer Teilnahme oder nach soziodemografischen Merkmalen unterscheiden (Kirchgeorg et al. 2012, 15 ff.).

Kapitel 10: Live-Kommunikation für KMU | 211

Für den Bereich der Fachmessen wurden in einer Studie des Lehrstuhls für Marketing an der Universität Erlangen/Nürnberg folgende sechs Besuchertypen bestimmt: Heavy Visitors stellen die größte Gruppe der Messefachbesucher (25,1 %). Diese Personen sind gleichermaßen an Informationsgewinnung und geschäftlichen Interaktionen interessiert. Sie informieren sich im Vorfeld der Messe über das Angebot der Aussteller, nehmen gezielt an Messen teil und nutzen diese als wichtigste Plattform für geschäftliche Kommunikation. Die Gruppe der Informationssuchenden nimmt mit 22,3 % den zweitgrößten Anteil unter den Fachbesuchern ein. Informationssuchende konsumieren unspezifisch und sind für jede Art von Informationen zugänglich. Aufgrund der fehlenden Festlegung weist dieser Besuchertyp ein hohes Neukundenpotenzial auf. Die Zielgruppe der mobilen Bindungsunwilligen ist weder räumlich noch emotional an eine Messe oder bestimmte Aussteller gebunden. Obwohl sie kaum Neukunden- oder Bindungspotenzial aufweist, sollte diese Gruppe im Rahmen der Kommunikationsstrategie Beachtung finden, da sie mit 17,4 % den drittgrößten Teil der Messefachbesucher stellt. Auf den Typus des Interaktionsorientierten entfällt ein Anteil von 16,2 %. Im Gegensatz zum bindungsunwilligen Messebesucher erhofft sich diese Zielgruppe möglichst viele direkte Kontakte und Gespräche, sowohl geschäftlicher als auch privater Natur. Dieser Besuchertyp erwartet im Rahmen seines Messeaufenthalts eine ausgewogene Mischung aus nutzbaren Angeboten und angenehmen Elementen. Die letzten beiden Gruppen stellen die Standortfixierten und die Unterhaltungssuchenden. Sie stellen mit 13,1 % (Standortfixierte) und 5,8 % (Unterhaltungssuchende) die kleinsten Zielgruppen unter den Messebesuchern. Der Standortfixierte besucht die Messe in erster Linie wegen der Nähe des Veranstaltungsortes. An Geschäftsabschlüssen hat er kein konkretes Interesse. Auch der Unterhaltungssuchende ist eher am Rahmenprogramm einer Messe und der privaten Kontaktpflege als an geschäftlichen Tätigkeiten interessiert. Unter den Besuchern gibt es unterschiedliche Besuchsmotive und Ansprüche an Messeveranstaltungen und Aussteller. Zielgruppen von Messen sind dabei nicht nur die Kunden eines Unternehmens, sondern auch andere Multiplikatoren wie beispielsweise Medien und Mitarbeiter (Kirchgeorg et al. 2009, 64 f.).

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4 Messebeteiligungs-Planung Messebeteiligungs-Planung ist einerseits eine funktionale Aufgabe, die sich den Fragestellungen häufig „typisch projektorientiert“ annimmt. Die Teilnahme an einer Messe als Aussteller erfordert konzeptionelle Überlegungen – mit strategischen wie operativen Komponenten (messepolitische Ziele wie auch Standplanung, Personalauswahl etc.) (Goschmann 2013, 146 ff.). Dieser Beitrag fokussiert kommunikationspolitische Aspekte, weiterführende Grundlagen sind in verschiedenen Publikationen zu finden (z.B. Harbecke 2013, 13 ff.).

4.1 Kommunikations-Planung Messeauftritte sind, wie andere Marketingmaßnahmen auch, Teil eines Kreislaufes. Sie sind unter anderem abhängig vom Marktgeschehen, dem Unternehmensumfeld, von den spezifischen Messezielen eines Unternehmens und den anvisierten Zielgruppen (Meffert 1988, 15). Gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen ist die strategisch angelegte Messebeteiligung ein Aspekt der konstanten Unternehmenskommunikation in einem dynamischen Umfeld. Inhalt sowohl von Messe- als auch von Kommunikationsstrategien sind Entscheidungen zu Objekt, Zielgruppen, Botschaft, Medien, Zeitpunkt und Areal der kommunikativen Maßnahmen (Bruhn 2011, 957). Im Vorfeld aller messebezogenen Planungen steht die Analyse der Unternehmenssituation, um die Chancen und Risiken einer Messebeteiligung abzuwägen. Wird die Entscheidung gefällt, an einer Messe teilzunehmen, erfolgt im nächsten Schritt die Festlegung der Messeziele. Hinsichtlich der Kommunikationsplanung findet parallel eine Bestandsaufnahme der kommunikativen Situation des Unternehmens statt (Esch/Winter 2009, 415 f.). Iterativ werden die relevanten Zielgruppen bestimmt, passende Messeveranstaltungen ausgewählt und geeignete Kommunikationsstrategien festgelegt (Bruhn 2011, 957). Die operative Planung besteht im Wesentlichen aus den drei Elementen Messestand, Messeteam und Messekommunikation (Clausen 2010, 33). Sie schließt an die Festlegung der Kommunikationsstrategie an und beschäftigt sich sowohl mit Entscheidungen zur Standkonzeption und zum Personaleinsatz als auch mit der Auswahl der Exponate und der Gestaltung der begleitenden Messekommunikation. Im Anschluss folgt die Realisationsphase; sie beinhaltet die Organisation, Durchführung und Kontrolle der Messebeteiligung (Bruhn 2011, 956 ff.). Weitere wichtige Bestandteile der Messeplanung sind die Budgetierung und das phasenübergreifende Controlling.

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4.2 Kommunikations-Strategie Kommunikationsstrategien bilden die entscheidende Grundlage für die Planung aller operativen Kommunikationsmaßnahmen und den Instrumenteneinsatz (Esch/Winter 2009, 417). Grundsätzlich erfolgt die Formulierung von messebezogenen Kommunikationsstrategien im Sinne der bestehenden Kommunikationspolitik des Unternehmens. Hinsichtlich der jeweilig verfolgten Messeziele und der angestrebten Zielgruppen kann sie jedoch von dieser abweichen (Bruhn 2011, 976). Die Inhalte von Kommunikationsstrategien betreffen Entscheidungen zu Objekt, Zielgruppen, Botschaft, Medien, Zeitpunkt und Areal der kommunikativen Maßnahmen. Auf die Situation einer einzelnen Messe übertragen steht „Objekt“ für den Träger der Kommunikation. Hier ist die Frage zu beantworten, was auf der Messe beworben werden soll. „Botschaft“ meint den zentral zu transportierenden Inhalt der Messe. Der Begriff „Medien“ umfasst sämtliche Kommunikationsmaßnahmen und die einzusetzenden Instrumente. Die Bezeichnung „Areal“ bezieht sich darauf, ob die Messekommunikation primär regional, überregional oder international auszurichten ist (Bruhn 2011, 973 f.). Zusätzlich erfolgt die Ausrichtung messespezifischer Kommunikationsstrategien anhand der folgenden Strategietypen (Bruhn 2011, 976 f.): Eine Bekanntmachungsstrategie verfolgt das Ziel, das ausstellende Unternehmen beziehungsweise seine Produkte und Dienstleistungen bei den relevanten Besuchergruppen bekannt zu machen. Im Gegensatz dazu steht bei einer Informationsstrategie die Aufklärung über bestimmte Produkte, Dienstleistungen oder Services im Vordergrund. Eine Imageprofilierungsstrategie zielt darauf ab, die Wahrnehmung der Zielgruppe hinsichtlich des Unternehmensimages zu beeinflussen. Dazu werden mithilfe der Kommunikation von bestimmten Nutzendimensionen, wie beispielsweise Natürlichkeit, Exklusivität oder Innovation, positive Einstellungen bei den Messebesuchern erzeugt. Ein weiterer Strategietyp ist die Konkurrenzstrategie. Hier erfolgt die Profilierung gegenüber den Wettbewerbern durch die Kommunikation leistungsunterscheidender Merkmale wie Preis, Qualität oder Garantiezeit. Innerhalb einer Zielgruppenerschließungsstrategie konzentriert sich der Aussteller darauf, im Rahmen seines Messeauftritts gänzlich neue Zielgruppen anzusprechen und zu erschließen. Eine Kontaktanbahnungsstrategie ähnelt der Zielgruppenerschließungsstrategie, ist aber konsequent auf die Gewinnung neuer Geschäftskontakte, vorrangig mit bisher unternehmensfernen Zielpersonen, ausgerichtet. Schließlich zielt eine Beziehungspflegestrategie darauf, den Kontakt mit den verschiedenen Zielgruppen und Geschäftspartnern zu pflegen. Die Wahl der Strategie basiert auf den Messezielen des Unternehmens. Sie wird beeinflusst von der Art der Messe und der Stellung des Unternehmens am Markt (Bruhn 2011, 977). Ein Markteintritt ist folglich ebenso eine spezifische StrategieAuswahl-Situation wie die Messebeteiligung in einem komplexen Angebots-PolypolSegment. Die Kommunikationsstrategie bildet ihrerseits die Leitlinie für die gestalterische Konzeption des Standes (Bruhn 2011, 989).

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4.3 Beteiligungs-Mix Die im Rahmen einer Messebeteiligung eingesetzten Kommunikationsinstrumente lassen sich unter dem Begriff Messebeteiligungs-Mix zusammenfassen. Bestandteile dessen sind typischerweise der Messestand, das Messeteam, die Messeexponate und die begleitenden Kommunikationsmaßnahmen (Meffert 1988, 13). Wie eingangs dargestellt, kommuniziert ein Unternehmen mittels verschiedener Instrumente mit seinen Zielgruppen. Sowohl der Einsatz als auch die Ausgestaltung dieser Instrumente sind dabei stark abhängig von der Art der jeweiligen Messe und der gewählten Kommunikationsstrategie (Bruhn 2011, 976 f.). Die Messebotschaft bildet den roten Faden der Kommunikationsgestaltung. Sie soll während der gesamten Messeveranstaltung als Leitgedanke präsent und für die Messebesucher erkennbar sein; spricht man in diesem Zusammenhang von einer Kampagne, dann wird die Botschaft bereits in der Vorphase der Messe kommuniziert – und bleibt über die MesseZeit hinaus noch in der Nachphase erhalten. Der Messestand bildet das Kommunikationsgehäuse, ist Visitenkarte des Unternehmens und Ort dreidimensionaler Markenkommunikation. Er ist die „[…] Plattform für ein multisensuales Markenerlebnis“ (Kirchgeorg et al. 2009, 111). Die ersten Entscheidungen bei der Messestandplanung betreffen Typ, Größe und Lage des Messestands. Diese Kriterien beeinflussen sich gegenseitig. Während sich die Standgröße an der erforderlichen Präsentationsfläche bemisst und durch das zur Verfügung stehende Budget bestimmt wird, wirkt sie sich gleichzeitig auf die mögliche Lage aus. Die Lage des Messestandes ihrerseits ist abhängig vom Standtyp und der verfügbaren Fläche. Messestände sind nach ihrer Lage zu differenzieren in Reihenstand, Eckstand, Kopf- und Blockstand. Ein Reihenstand zeichnet sich durch drei geschlossene und eine offene Standseite aus. Je nach Hallengangplanung variiert dieser Standtyp in Breite und Tiefe. Aufgrund der einseitigen Kontaktstrecke eignet sich ein solcher Stand für Aussteller, denen Präsenz wichtiger ist als Präsentation. Empfehlenswert sind Reihenstände außerdem für Aussteller, die im Rahmen einer thematischen Gemeinschaft auftreten. Typisch für Eckstände sind zwei geöffnete Seiten, die in zwei unterschiedliche Hallengänge gerichtet sind. Diese Stände sind beidseitig erreichbar und gut sichtbar. Kopfstände sind nach drei Seiten geöffnet. Die Vorteile dieses Standtyps sind ähnlich der der Eckstände. Durch die großflächige Öffnung wirken sie allerdings noch kommunikativer und einladender als diese. Der Block- oder Inselstand bietet das stärkste Alleinstellungsmerkmal. Er ist nach allen Seiten für den Besucherstrom geöffnet und schafft so eine besonders große Kontaktfläche zur Zielgruppe. Die absolute Transparenz von Blockständen ist nicht in jedem Fall als positiv zu bewerten. Blockstandkonzepte erfordern einen wesentlich höheren organisatorischen Aufwand als die anderen Standtypen, nicht alle Standseiten sind hinsichtlich des Besucherstroms gleich attraktiv. Vor allem in Anbetracht notwendiger Funkti-

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onszonen bieten Eck- oder Kopfstände oftmals bessere Gestaltungsmöglichkeiten (Damböck 2013, 140 ff.). Die Planung der Kommunikationszonen ist ein weiterer Aspekt der Messestandkonzeption. Die Gliederung der Standfläche erfolgt, in Abhängigkeit vom Messetyp und den kommunikativen Anforderungen, von außen nach innen in vier Funktionszonen. Diese Zonen dienen der Besucherorientierung, der Information, der Produktpräsentation, der vertiefenden Beratung und als Funktionsraum im Sinne von Lagerfläche, Garderobe oder Küchenbereich (Vettermann 2005, 496 f.). Ergänzend zu den vorab aufgeführten Gestaltungsmöglichkeiten soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass sich die Standkonzeption, in Abhängigkeit des verfolgten Strategieansatzes, grundsätzlich daran ausrichten sollte, ob der Messestand bevorzugt der Kommunikation oder der Information dient. Exponate verdeutlichen das Leistungsangebot eines Unternehmens und machen es physisch erfahrbar. Für eine kommunikative Spannung am Stand ist es ratsam, Exponate so auszuwählen, dass sie den Besuchern die Möglichkeit zur Interaktion gestatten. Außerdem sollten sie optisch ansprechend präsentiert werden (Wenge 1992, 297). Das Standpersonal bildet den kommunikativen Träger des Unternehmens (Meffert 1988, 23). In Abhängigkeit der Unternehmensgröße definiert sich bei KMU auch die Zusammensetzung des Messeteams; gegebenenfalls sind typische Rollen (Standleiter, Servicepersonal, Fachberater) in Personalunion zusammengefasst. Eine Studie der HHL Leipzig Graduate School of Management bestätigt, dass eine positive Standatmosphäre einen entscheidenden Beitrag zur Differenzierung auf der Messe und zum Erfolg der Messe leisten kann. Weiter heißt es dort: Je motivierter und qualifizierter das Standpersonal ist und je glaubwürdiger die Markenbotschaft kommuniziert wird, umso größer sind die Chancen eine […] besondere „Standatmosphäre“ auszulösen[…]

und ein unvergessliches Messeerlebnis zu kreieren (Kirchgeorg/Springer 2006, 30 + 40). Zur Unterstützung der Messebeteiligung bedarf es seitens der ausstellenden Unternehmen einer Reihe werbe- und öffentlichkeitswirksamer Aktivitäten. Zu diesen Aktivitäten gehören die Besucherwerbung, Pressearbeit, diverse Below-the-LineMaßnahmen und die systematische Messenachbereitung durch Follow-upMaßnahmen (Selinski/Sperling 1995, 179). Sie umfassen den gesamten Messeprozess und lassen sich in Maßnahmen vor, während und nach der Messe unterteilen. Der Erfolg der Messe ist dabei stark abhängig vom Einsatz der verschiedenen Kommunikationsinstrumente (Bruhn 2011, 995). Während der Vor-Messe-Phase stehen die Besucherwerbung und die Gewinnung von Aufmerksamkeit im Vordergrund. Einladungen, ob als klassischer Brief, persönliches Einladungsschreiben oder als multimediale Kampagne, sind integraler

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Bestandteil der Messekommunikation. Weitere Werbeinstrumente sind Printmedien wie Anzeigen, Plakate, Prospekte oder Kataloge. Gezielter erfolgt die Besucherwerbung über die Internetpräsenz des Ausstellers oder über Kommunikationsdienstleistungen der Messegesellschaft (Kromer von Baerle/Müller 2003, 777). Besondere und wachsende Aufmerksamkeit bei der Besucherwerbung kommt der OnlineKommunikation zu. Je nach Messetyp eignen sich dafür verschiedene Social-MediaKanäle. Etablierte Business-Plattformen, wie XING und LinkedIn für Fachmessen, Facebook als weitverbreitete Kommunikationsplattform für Publikumsmessen. In der Messe-Phase gilt es, die Kommunikation fortzuführen, das Unternehmen angemessen und glaubhaft zu präsentieren und die Besucher emotional zu beeinflussen (Esche/Gnauck 2010, 23). Dies geschieht durch Interaktionen am Messestand und durch den parallelen Einsatz klassischer und virtueller Medien. Mögliche Interaktionsinstrumente sind das Messegespräch, Produktvorführungen, Events am Messestand oder Give-aways (Kolb 2013, 53 ff.). Das Messegespräch ist der zentrale Punkt der Interaktion zwischen Standpersonal und Messebesucher. Die relevanten Gesprächsinhalte daraus sollten, als Basis für eine effiziente Messenacharbeit, dokumentiert werden (Kolb 2013, 61 ff.). Eine weitere Möglichkeit, den eigenen Messeauftritt kommunikativ zu unterstützen, stellt die Beteiligung am Rahmenprogramm der Messe dar. Die Nach-Messe-Phase dient der Nachbereitung mittels Follow-up-Maßnahmen. Die Instrumente der Messenachbearbeitung entsprechen im Wesentlichen denen der Besucherwerbung durch die Aussteller. Das besondere Augenmerk liegt auch hier auf dem direkten Kontakt zum Kunden. Die Qualität der Messenacharbeit ist diesbezüglich in hohem Maß abhängig von den während der Messe angefertigten Gesprächsnotizen. Zusätzlich zu den direkt abzuarbeitenden Kundenkontakten kann die Nachbereitung der Messe auch über mediale Kanäle erfolgen (Geisser/Luppold 2013, 71 ff.). Auch die messebegleitende Pressearbeit lässt sich in die drei genannten Phasen gliedern und so chronologisch ordnen.

5 Integrationsaspekte 5.1 Messen als Teil der Live-Kommunikation Messeteilnahmen sind niemals isoliertes Element der Unternehmens-Kommunikation und in der Regel auch nur eines von mehreren Elementen der Live-Kommunikation.

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Häufig finden sich Begriffe wie „360-Grad-Kommunikation“, „Cross-Media-Kommunikation“ oder „Vernetzte Kommunikation“, die alle charakterisieren, dass Unternehmen in einer abgestimmten Kommunikation – ganzheitlich betrachtet – Marke, Produkt(e) beziehungsweise Unternehmen vermitteln. Bei integrierter Kommunikation handelt es sich um einen Prozess, der, auf interne wie externe Kommunikation ausgerichtet, auch koordinierend wirkt: die Vielfalt der Kommunikationsverantwortlichen, -situationen, -ziele, -zielgruppen und -instrumente werden aufeinander abgestimmt geplant, eingesetzt und in diesem Zusammenhang auch hinsichtlich ihrer Effizienz und Effektivität kontrolliert (Meffert/Bruhn 2006, 474). Innerhalb der integrierten Unternehmenskommunikation ist eine Unterscheidung zwischen inhaltlicher, formaler und zeitlicher Integration notwendig: Die inhaltliche Integration stellt den zentralen Schwerpunkt dar; die Kommunikationsmaßnahmen müssen thematisch miteinander verbunden werden, um etwa Konsistenz und Eigenständigkeit zu erreichen. Bei der formalen Integration steht die Einhaltung formaler Gestaltungsprinzipien im Vordergrund, die so Präsenz, Prägnanz und Klarheit erzeugen. Die zeitliche Integration ist die chronologische Verbindungslinie als Abstimmungs-Gegenstand innerhalb und zwischen Planungsperioden, Konsistenz und Kontinuität sind die Ziele (Bernard/Luppold 2010, 36 ff.). Die Entscheidung für eine Messeteilnahme bedeutet grundsätzlich auch, dass eine Abstimmung mit den bereits vorhandenen Kommunikationsmaßnahmen erfolgen muss. Die Messeteilnahme unterstützt, ergänzt oder ersetzt Maßnahmen entsprechend ihrer Zielplanung (beispielsweise die Zielgruppenerweiterung, die Kundenbindung, die Produkteinführung). Betrachtet man die Messeteilnahme als Kern einer Kommunikationskampagne, erfordert dies wiederum begleitende Kommunikation zur Unterstützung des Erfolgs und sollte als Teil der Gesamt-Projektierung eingeplant werden. Genannt wurde bereits beispielhaft die Einladung potenzieller Besucher als Kommunikationsmaßnahme. Unterstützend wirken ebenfalls moderne Elemente wie etwa das mobile Messemarketing: seit einigen Jahren greifen Aussteller vermehrt auf technologisch-basierte Kommunikationsmöglichkeiten zurück, etwa dem „Mobile Public Gaming“ oder den „Codebasierten Gewinn-Kampagnen“ (Bernard/Luppold 2010, 84 ff.). Daneben wächst die Nutzung virtueller Tools im Kontext ganzheitlicher Begegnungskommunikation. Sie verlängert zeitlich durch vorgelagerte Kommunikation via sozialer Medien, erhöht parallel zur Messeteilnahme die Reichweite und ist in der nachgelagerten Kommunikation Verbindungsglied zur während der Messe erfolgten Kommunikation (Geisser/Luppold 2013, 67 ff.). Die Begegnungskommunikation am Messestand ist gegebenenfalls Teil einer Live-Kommunikations-Strategie, die auf weitere Werkzeuge beziehungsweise Mittel zurückgreift, wie etwa die Kunden-Events. Gleichzeitig – beschreibbar als „Veran-

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staltung innerhalb einer Veranstaltung“, lassen sich besondere Begegnungen am Messestand inszenieren, die eine gezielte Interaktion generieren. Interaktion entsteht, wenn auf einen Input eine Reaktion erfolgt. Ziele dabei können unter anderem die Steigerung der langfristigen Gedächtniswirkung (Erinnerung an das Unternehmen, die Marke, die vermittelten Inhalte) oder die Vereinfachung eines Gesprächseinstiegs sein (Kolb 2013, 42 f.)

5.2 Der AUMA als wichtigste Support-Instanz Der in diesem Beitrag mehrfach erwähnte Ausstellungs- und Messeausschuss der Deutschen Wirtschaft e.V. (AUMA) mit Sitz in Berlin ist ein wichtiger Ankerpunkt für kleine und mittlere Unternehmen, die sich mit einer Kommunikationserweiterung durch Messeteilnahmen beschäftigen. Online (www.auma.de) stehen umfangreiche Hilfsmittel zur Verfügung, darunter, in der Rubrik „Tipps für Aussteller“, ein Messe-Nutzen-Check. Die Beurteilung des Nutzens einer Messebeteiligung ist nicht trivial, unter anderem durch kurz-, mittel- und langfristige Wirkungen. Der Messe-Nutzen-Check des AUMA ist eine Handreichung, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, jedoch eine Einschätzung erlaubt. Die Kernfrage dabei ist: Welche Kosten würden entstehen, um die Ziele einer Messebeteiligung mit anderen Instrumenten zu erreichen (Anzeige, Vertreterbesuch)? Ziele und Budget einer Messebeteiligung werden ermittelt, der Nutzen bestimmt. Eine umfangreiche Messe-Datenbank ermöglicht die zielgerichtete Recherche nach geeigneten Messeveranstaltungen und weist die entscheidungsrelevanten Messe-Daten aus, darunter die Zahl und Struktur der Besucher sowie Branchen- und Angebotsschwerpunkte. Kompetenzen im Zusammenhang mit Auslandsmessen, aber auch Förderprogramme (für Messebeteiligungen in Deutschland wie im Ausland), sind zentral beim AUMA verortet und können dort erfragt werden.

6 Schlussbetrachtung Nicht nur, aber auch im Bereich der Unternehmenskommunikation und des Marketings von KMU muss eine Betrachtung derer unternehmerischen und strukturellen Besonderheiten erfolgen und in die jeweilige Marketing- und Kommunikationsstrategie mit einfließen. So sind limitierte Budgets, eingeschränkte Marktzugänge oder weitere Aspekte, wie zum Beispiel Besonderheiten in der Unternehmensstruktur zu beachten und ein entscheidender Faktor dafür, wie nach außen aufgetreten und kommuniziert werden soll und kann.

Kapitel 10: Live-Kommunikation für KMU | 219

Während sich Live-Kommunikation als eine persönliche, direkte, interaktive und emotionale Art der Kommunikation mit Erlebnischarakter und der Möglichkeit zur Multisensualität beschreiben lässt, stellen Messen eines der typischen Instrumente der Live-Kommunikation dar. Sie gelten als traditionsreiches Marketing- und Kommunikationsinstrument und sind – gemessen am Anteil der Marketing- und Kommunikationsbudgets – eines der wichtigsten Kommunikationsinstrumente. In einigen Märkten ist die Teilnahme an der entsprechenden Leitmesse für Unternehmen nahezu Pflicht um am Markt wahrgenommen zu werden. Die besonderen und einzigartigen Eigenschaften von Messen, wie die hohe Kontaktintensität, der persönliche Kontakt auf dem Messestand, die Interaktionsmöglichkeit zwischen Anbieter und Nachfrager sowie die Emotionalität und Multisensualität machen Messen gerade für KMU zu einem der wichtigsten Kommunikations- und Marketinginstrumente. Zwar sind bei KMU in vielen Fällen die Nachteile von Messeteilnahmen – wie hohe Kosten, großer Organisationsaufwand, ein hohes Maß an Komplexität und hierdurch bedingtes Know-How in der Organisation und Durchführung – besonders spürbar, wobei die Vorteile die durch die Eigenschaften und Merkmale von Messen entstehen sowie die hohe Informationsqualität und die Kommunikationsdichte auf Messen in vielen Fällen erfolgversprechend sind. Gerade bei KMU mit deren speziellen Eigenschaften und Anforderungen muss die Messeteilnahme des Unternehmens optimal geplant, vorbereitet und durchgeführt werden um die entsprechenden Ziele zu erreichen. Dies setzt von Unternehmensseite einerseits eine konkrete Zielsetzung voraus und führt andererseits zu der Fragestellung ob entsprechende Ziele und/oder Zielgruppen mit der Messeteilnahme generell erreicht werden können. Weiter muss die Messeteilnahme in der Kommunikations- und Marketingstrategie des Unternehmens eingebettet und entsprechende Marketing- und Kommunikationsmaßnahmen aufeinander abgestimmt sein. Gerde in KMU stellt die Beantwortung dieser Fragen sowie die Bewältigung der aufgezeigten Aufgaben nicht selten eine Herausforderung dar. Durch Unterstützungsangebote – allen voran seien hier die des AUMA genannt – besteht jedoch auch für KMU die Möglichkeit Schwierigkeiten zu bewältigen. So können Messeteilnahmen für KMU einerseits als Herausforderung angesehen werden, stellen andererseits aber vor allem eines der wichtigsten und – insofern entsprechend eingesetzt und angewendet – erfolgversprechendsten Marketing- und Kommunikationsinstrumente für KMU dar.

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Patrick Roßmann und Patrick Haag

Kapitel 11: Back to the Roots – Guerilla-Marketing für kleine und mittlere Unternehmen Grundlagen, Instrumente und Planung

1 Einleitung In den vergangenen Jahren ist eine kontinuierliche Veränderung in Bezug auf die Kommunikationsmaßnahmen von Unternehmen zu beobachten. In den meisten Branchen ist diese Veränderung sehr leicht für jeden wahrnehmbar. So werden im Vergleich zu den Kommunikationsmaßnahmen von vor fünfzig Jahren in der heutigen Zeit immer weniger Informationen und dafür immer stärker Bilder in den Mittelpunkt gestellt (Kroeber-Riel/Esch 2007, 17). Zudem verhindert heutzutage die Menge der von Unternehmen ausgesendeten Reize die bewusste Aufnahme einer Vielzahl von Informationen durch den Rezipienten (Meffert et al. 2014, 569 f.). Für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) stellen in diesem Zusammenhang, neben weiteren Einflussfaktoren, vorrangig die Informationsüberlastung des Rezipienten, die gesättigten Märkte, die sich ändernden gesellschaftlichen Bedingungen sowie der Wertewandel die relevantesten Herausforderungen im Rahmen der Kommunikationsaktivitäten dar. Für KMU ist es häufig Normalität, sich mit geringen finanziellen und personellen Ressourcen gegen die Kommunikationsmacht von größeren und etablierten Wettbewerbern am Markt zu behaupten zu müssen. Um dem schwindenden Einfluss klassischer Medien zu begegnen, haben Unternehmen prinzipiell die Möglichkeit Ihr Kommunikationsbudget zu erhöhen und damit zu einer weiteren Steigerung des Werbedrucks beizutragen. Neben den negativen Effekten des steigenden Werbedrucks ist dieses Vorgehen in vielen Fällen für kleine und mittlere Unternehmen nicht realisierbar. Alternativ existieren jedoch auch unkonventionelle Formen des Marketings, auf die sich Unternehmen mit geringen Ressourcen

|| Patrick Roßmann, M. Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter Fachhochschule Bielefeld Patrick Haag, M. Sc. Geschäftsführender Inhaber HAAG INTERNATIONAL EVENTS

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fokussieren können. Die verschiedenen Instrumente werden unter dem Begriff Guerilla-Marketing subsummiert und zielen vorrangig darauf ab, mit einem relativ geringen Mitteleinsatz eine relativ große Wirkung zu erzielen, wobei unter anderem auf die Erzeugung von Aufmerksamkeit mittels Überraschungseffekt und die exponentielle Diffusion der kommunizierten Inhalte gesetzt wird (Rößl et al. 2009, 18; Hutter/Hoffmann 2013, 24 ff.). Guerilla Marketing gilt in der Praxis als innovative Kommunikationsstrategie, die sich in den vergangenen Jahren von einer David-gegenGoliath-Methode kleiner und mittlerer Unternehmen verstärkt zu einem integrativen strategischen Marketingkonzept für Unternehmen jeder Größe entwickelt hat (Hutter/Hoffmann 2010, 121). Als (Wieder-)Begründer dieses Marketing-Stils gilt Jay C. Levsinon, ein amerikanischer Unternehmensberater, der Guerilla-Maßnahmen insbesondere für kleine Unternehmen als geeignet betrachtete. Auch heute ist der Ansatz für kleine und mittlere Unternehmen eine lohnenswerte Alternative zu klassischen Marketing-Maßnahmen und sollte daher stärker in die Marketingplanung einbezogen werden. Der vorliegende Beitrag beschreibt zunächst die für kleine und mittlere Unternehmen anzutreffenden Herausforderungen und Restriktionen in Bezug auf die Konzeption und Durchführung von Kommunikationsmaßnahmen. Er zeigt im Anschluss auf, wie mit Hilfe einer langfristig ausgerichteten und planvollen Orchestrierung verschiedener Guerilla-Marketing-Instrumenten ein entsprechender Kommunikationserfolg erzielt werden kann. Dabei stellen personelle und finanzielle Einschränkungen eher zweitrangige Restriktionen dar, denn eine gelungene GuerillaMarketing-Kampagne lebt in erster Linie von der Kreativität, die in ihre Konzeption einfließt. Hierzu werden unterschiedliche Instrumente vorgestellt und anhand von Praxisbeispielen erläutert. Gerade kleine und mittlere Betriebe, Start-Up Unternehmen oder Selbstständige kommt hier ihre Flexibilität zu Gute, denn sie verfügen über die Fähigkeit, sich schnell zu mobilisieren, unterschiedlichste Marketingtools einzusetzen und die Ideen der brillantesten Marketinghirne zu adaptieren und in eine wirkungsvolle Guerilla-Kampagne umzuwandeln (Levinson 2008, 24). Dies sorgt dafür, dass auch bei einem tendenziell geringeren Marketingbudget eine vergleichsweise große Aufmerksamkeit erzielt werden kann.

2 Kommunikations-Herausforderungen für KMU Weltweit leisten kleine und mittlere Unternehmen in den wichtigsten Wirtschaftsnationen einen erheblichen Beitrag zur Wirtschaftsleistung ihres jeweiligen Landes (Cunningham 2000, 50). Dabei sind KMU ebenso wie große Unternehmen mit einer stetig steigenden Komplexität und Dynamik ihres Umfeldes und damit wachsenden Herausforderungen konfrontiert (Meyer/Linh 2010, 3). Diesen Herausforderungen gilt es sich zu stellen, doch sind zum Teil erhebliche Defizite im betriebswirtschaftli-

Kapitel 11: Back to the Roots – Guerilla-Marketing für kleine und mittlere Unternehmen | 225

chen Bereich – gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen – festzustellen (Glasl/Schempp 2010, 143), da der Fokus häufig primär auf der Innovationsgenerierung und dem Leistungserstellungsprozess liegt. Entsprechende Defizite zeigen sich nicht nur im Beriech der Unternehmensfinanzierung (vergleiche hierzu den Beitrag Crowdfunding als Finanzierungsinstrument für kleine und mittlere Unternehmen in diesem Sammelband) oder der Bindung vorhandener beziehungsweise der Rekrutierung neuer Mitarbeiter (vergleiche hierzu den Beitrag Arbeitgeberattraktivität und Personalrekrutierung im Mittelstand in diesem Sammelband), sondern auch insbesondere im Bereich des Marketing. Viele mittelständische Unternehmer sind produkt- oder technikorientiert was zur Folge hat, dass Marketingdenken und Marketingwissen in vielen KMU unterentwickelt sind (Bekmeier-Feuerhahn/Wickel, 2006, 66). Bei steigender Marktdynamik, steigender Angebotsvielfalt und verkürzten Produktlebenszyklen sind eine mangelnde Planung, ein Defizit an professionellen Ansätzen zur Entwicklung und Implementierung von Strategien, ein nicht (ausreichend) professionalisiertes Management sowie eine daraus resultierende unzureichende Analyse- und Bewertungsfähigkeit der eigenen Wettbewerbsvorteile häufig der Grund für das Scheitern von jungen Unternehmen und KMU (Deimel 2004, 204 ff.; Deimel/Kraus, 2007, 155).

2.1 Allgemeine Bedingungen im Rahmen der Kommunikation In einer steigenden Anzahl von Märkten ist zudem eine zunehmende Tendenz zur Konsolidierung unter den anbieterseitigen Marktteilnehmern zu beobachten. Dadurch gleichen sich die angebotenen Produkte und Dienstleistungen immer stärker, so dass die Konsumenten die Vorteile eines Produktes oder einer Marke gegenüber anderen Wettbewerbsangeboten zunehmend schlechter erkennen können, wodurch eine Unterscheidung letztlich immer schwieriger wird (Hutter/Hoffmann 2013, 5). Dies trifft vorrangig Unternehmen, denen nur ein geringes Kommunikationsbudget zur Verfügung steht, denn um in einem solchen Umfeld auf sich aufmerksam zu machen, erhöhen viele finanzkräftige Unternehmen den Werbedruck. Andererseits empfinden die Konsumenten gerade die Zahl der stetig steigenden und wahrgenommenen Kommunikationsaktivitäten, die auf bis zu 1500 pro Tag geschätzt wird, als zunehmende Belastung (Zerr, 2003, 584; Hutter/Hoffmann 2013, 5). Die These der zunehmenden Kommunikationsaktivitäten sei mit einem Beispiel belegt. Im Jahr 1990 warben gerade einmal 2000 Marken im Fernsehen, im Jahr 2000 waren es bereits 69.000 Marken (Förster/Kreuz 2006, 38). Die Konsumenten tendieren zunehmend dazu, sich bewusst nicht (mehr) mit Werbung auseinanderzusetzen oder zeigen eine erhöhte Reaktanz gegenüber Kommunikationsmaßnahmen, wie in Abbildung 11.1 schematisch hervorgeht (Patalas 2006, 43 in Hutter/Hoffmann 2010, 122; Meffert et al. 2014, 570).

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Homogene Produkte bzw. homogene Marken

Steigender Wettbewerbsdruck

Zunahme des Werbedrucks Zunahme der Werbebotschaften

Information Overload

Homogene Kommunikation

Reaktanz

Wear-out-Effekt

Nachlassende Werbeeffizienz

Sinkende Werbebudgets

Alternative Kommunikationsansätze

Abb. 11.1: Aufmerksamkeitsdilemma. Quelle: In enger Anlehnung an Hutter/Hoffmann (2013), 6.

Hinzu kommt, dass als Konsequenz aus diesem Verhalten der Konsumenten die Effizienz klassischer Werbemaßnahmen weiterhin abnehmen wird (Kim et al. 2011, 436; Shanker/Horton 1999, 308 ff.). Dieses Entwicklung wird in Zukunft noch deutlicher erkennbar sein, da mit einem weiteren Anstieg der Kommunikationsmaßnahmen zu rechnen ist (Esch 2011, 22). Da jedoch die Kapazitäten eines Konsumenten zur Verarbeitung entsprechender Informationen begrenzt ist, wird die ohnehin schon vorhandene Spannweite zwischen Informationsangebot und Informationsnachfrage auf absehbare Zeit tendenziell größer werden (Kroeber-Riel et al. 2009, 93). Aus dem Wunsch heraus, auf effektivem und effizienten Weg eine Wirkung beim Konsumenten zu erzielen, ohne diesen dabei durch ständige Wiederholungen der immer gleichen Botschaft zu langweilen, entstanden sukzessive neue Kommunikations- und Werbeformate (Voeth/Herbst 2013, 519; Levinson/Godin 1996, 40).

2.2 Strategische Kommunikationsalternativen Zur Überwindung der im vorangegangenen Teilkapitel aufgezeigten Herausforderungen bedienen sich Unternehmen unterschiedlicher Kommunikationsalternativen. Dabei ist die Grundidee, die Positionen der relevanten Wettbewerber im Ver-

Kapitel 11: Back to the Roots – Guerilla-Marketing für kleine und mittlere Unternehmen | 227

hältnis zu eigenen Position entweder direkt (durch kommunikative Abarbeitung an den Wettbewerbern) oder indirekt (durch den Versuch, die Konsumenten durch Kommunikationsmaßnahmen von der Vorteilhaftigkeit der jeweils eigenen Produkte, Dienstleistungen und Marken zu überzeugen) anzugreifen und zu schwächen. Bei den klassischen Strategien stehen dazu prinzipiell der Frontalangriff, der Umzingelungsangriff, der Flankenangriff oder der Angriff am Gegner vorbei zur Verfügung (Kotler 2007, 1126). Bei einem Frontalangriff richtet ein Angreifer seine gesamten Ressourcen gegen die Hauptmacht des Gegners, wobei der Erfolg dieser Strategie maßgeblich davon abhängig ist, dass der Angreifer im Vergleich zum Gegner wesentlich stärker ist (Kotler et al. 2007, 1126). Als Beispiel für einen Frontalangriff können klassische TV-Spots angeführt werden. Diese stellen in der Regel die Stärken des „werbenden Produktes“ beziehungsweise der werbenden Marke in den Mittelpunkt und zielen damit direkt auf die Stärken der relevanten Wettbewerber. Die eigene (finanzielle) Stärke und die damit verbundene Möglichkeit der langfristigen Darbietung entsprechender TVMaßnahmen ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung, da erst nach einer mehrfachen Exposition mit einer Kommunikationsbotschaft beim Rezipienten eine „Lernschwelle“ überschritten wird und die Kaufhandlung ausgelöst werden kann (Halaszovich 2011, 88 ff.). Zudem ist zu hinterfragen, ob klassische Maßnahmen, die mit einem geringen Kommunikationsbudget durchgeführt werden müssen nicht ohnehin nur unzureichend wahrgenommen werden und damit nur einen geringen Einfluss auf die Absatzmenge entfalten können (Meffert et al. 2014, 577). Auch der Umzingelungsangriffs basiert auf einer stärkeren Position des Angreifers gegenüber dem Verteidiger, wobei im Gegensatz zur Frontalstrategie zusätzlich ein Angriff über die Seiten und aus dem Hintergrund erfolgt und der Angreifer davon ausgeht, dass diese Strategie langfristig weniger Ressourcen verbraucht als ein ausschließlich frontal geführter Angriff (Kotler et al. 2007, 1127). Die in beiden Strategien propagierte quantitative Überlegenheit der eigenen Ressourcen gegenüber denen des Gegners ist dabei elementar. Schon von Clausewitz (2003, 179) war sich der Bedeutung der eigene Stärke in einem offenen Gefecht bewusst, als er feststellt, … … das die Überlegenheit der Zahl der wichtigste Faktor in dem Resultat eines Gefechtes ist, nur muss sie groß genug sein, um den übrigen mitwirkenden Umständen das Gleichgewicht zu halten. Die unmittelbare Folge davon ist, dass man die möglichst größte Zahl […] auf den entscheidenden Punkt ins Gefecht bringen müsse. […] Es geht hieraus wohl hervor, dass es […] sehr schwer ist, einer feindlichen Macht von doppelter Stärke den Sieg abzugewinnen …

Obwohl sich von Clausewitz in seinen Ausführungen ohne Zweifel nicht auf betriebswirtschaftliche Strategieentwicklungen bezieht, können und sollten seine Schlussfolgerungen dennoch für eben jenen Bereich Anwendung finden. Denn angesichts ohnehin schon geringer und sinkender Budgets in vielen Wirtschaftsbereichen, müssen in erster Linie kleine und mittlere Unternehmen ihre definierten Marketingziele mit immer

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geringeren Werbebudgets erreichen (Hutter/Hoffmann 2013, 7). Auch aus diesem Grund stellt ausschließliche Verfolgung von Frontal- und Umzingelungsstrategien für kleine und mittlere Unternehmen in der Regel keine ernstzunehmende Strategieoption dar. Angriff am Gegner vorbei

Frontalangriff

Verteidiger

Angreifer

Flankenangriff

Umzingelungsangriff

Guerilla-Angriff Abb. 11.2: Angriffsstrategien in der Kommunikation. Quelle: In Anlehnung an Kotler et al. (2007), 1126.

Alternativ können budgetorientiertere Unternehmen, bei denen die eigenen Ressourcen denen des Gegners unterlegen sind, einen Flanken- oder einen indirekten Angriff am Gegner vorbei initiieren. Bei einem Flankenangriff wird statt auf die eigene Stärke auf die Überraschung und auf geschickte Manöver zur Überwältigung des Gegners gesetzt, was aus Marketingsicht insbesondere die Bearbeitung der vom Gegner vernachlässigten Marktbedürfnissen und geographisch vernachlässigten Regionen bedeutet (Kotler et al. 2007, 1126 f.). Bei einer indirekten Strategie werden überwiegend Märkte bearbeitet, die verhältnismäßig leicht zu erobern sind und die Ausgangsbasis des Angreifers stärken (Kotler et al. 2007, 1127). Wenn jedoch weder die Bearbeitung von leicht zu erobernden (und/oder geographisch bisher vernachlässigten) Märkten noch die Befriedigung von vernachlässigten Marktbedürfnissen im Zentrum des Interesses steht, stellt sich die Frage nach alternativen Kommunikationsmöglichkeiten. In einem solchen Fall können sich Unternehmen eines Guerilla-Marketing-Konzepts bedienen. Aufgrund der zuvor erläuterten Proble-

Kapitel 11: Back to the Roots – Guerilla-Marketing für kleine und mittlere Unternehmen | 229

matik des zunehmenden Werbedrucks und der zunehmend wahrnehmbaren Reaktanzen der Rezipienten bietet sich dieses Konzept vorrangig für kleine und mittelständische Unternehmen an, bei denen das Kriterium der Werbe-Effizienz zunehmend an Bedeutung gewinnt (Zerr 2003, 584). Diesem Umstand trägt ein Guerilla-Konzept ebenso Rechnung wie der Tatsache, dass viele Maßnahmen verhältnismäßig einfach planbar, durchführbar und wiederholbar sind. In den vergangenen Jahren wurde das Konzept vermehrt auch von Großunternehmen aufgegriffen und im wissenschaftlichen Kontext häufig mit Anwendungsbeispielen großer beziehungsweise finanzstarker Unternehmen belegt. Dabei bieten sich insbesondere für kleine Unternehmen vielfältige Möglichkeiten der effizienten und nachhaltigen Kommunikation an.

3 Die Grundidee des Guerilla-Marketing Seit den 60er Jahren hat sich mit dem Guerilla Marketing eine neue Variante der Kommunikation entwickelt, die primär auf den Basis der Methoden der Kriegsführung aus dem spanischen Unabhängigkeitskrieg basiert. Eng verbunden ist diese Art der Kriegsführung mit der kubanischen Revolution, dem Guerilla-Krieg in Bolivien sowie in personeller Hinsicht mit Fidel Castro und Ernesto „Che“ Guevara. Von Guerilla („Kleinkrieg“) beziehungsweise Guerilla-Kriegsführung, die im Kern die punktuelle Schwächung eines Gegners zum Ziel hat, wurde erstmals Anfang des 19. Jahrhunderts gesprochen (Schulte 2007, 38 ff.; Nufer/Bender 2008, 3). Die damaligen GuerillaKrieger waren ihren Gegnern in der Regel personell, materiell und technologisch unterlegen, weshalb sie einen offenen Kampf (Hippner et al. 2010, 352), beispielsweise einen Frontal-, oder Umzingelungsangriff vermieden und überwiegend aus dem Hinterhalt (Guerilla-Operation), über die Flanken oder am Gegner vorbei operierten. Die Guerilla-Philosophie nimmt Einfluss auf alle vier Instrumente des Marketingmix, allerdings basiert der weitaus größte Teil der Guerilla-Aktionen auf Kommunikationsmaßnahmen (Kannbach 2012, 5; Reinhard 2007, 27; Schulte 2007, 21; Huber et al. 2012, 153 f.). Die einem Guerilla-Konzept zugehörigen Methoden basieren dabei vorrangig auf militärischen Wurzeln, denen zwei strategische Orientierungen zu Grunde liegen können (Voeth/Herbst 2013, 519; Hutter/Hoffmann 2013, 13). Auf der einen Seite zielen Guerilla-Maßnahmen auf die Schwächung des Wettbewerbers durch die aktive Thematisierung von dessen Schwachstellen ab (vorrangige Wettbewerbsorientierung) und auf der anderen Seite soll durch eine unkonventionelle Vorgehensweise im Rahmen der Kommunikationsaktivitäten bei den Rezipienten eine erhöhte Aufmerksamkeit und damit eine erhöhte Bereitschaft zur Aufnahme der Kommunikationsbotschaft (vorrangige Konsumentenorientierung) erzielt werden (Hutter/Hoffmann 2013; 2011; 2010).

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Distributionspolitik: 10%

Produktpolitik: 10%

Preispolitik: 10%

Kommunikationspolitik: 70% Abb. 11.3: Anwendungshäufigkeit von Guerilla-Maßnahmen im Marketing-Mix. Quelle: Eigene Darstellung, Schulte/Pradel 2006, 31.

In seiner frühen Form ist Guerilla-Marketing vorwiegend für den Einsatz in kleinen und mittleren Unternehmen angedacht gewesen, da jene mit Hilfe von innovativen und gleichzeitig verhältnismäßig kostengünstigen Marketing-Ideen gegen große Unternehmen bestehen mussten (Levinson 1992, 12 ff.). Doch heutzutage setzen zunehmend auch große Unternehmen auf Guerilla-Marketing, da es eine relativ große Wirkung mit einem relativ geringem Mitteleinsatz verspricht (Levinson 2008, 30 ff.). Dies spiegelt sich unter anderem auch darin wider, dass ein zunehmend größerer Teile des Kommunikationsbudgets der Unternehmen der nicht-klassischen Kommunikation zugeteilt wird, zu der auch das Guerilla-Marketing zählt (Hutter/Hoffmann 2010, 122). Laut Meffert et al. (2012, 589) entfallen auf Außenwerbung und Online-Angebote, die Haupteinsatzfelder des Guerilla-Marketing, zusammen mittlerweile 10,6 % aller Werbeausgaben. Der vergleichsweise neue Ansatz des Guerilla-Marketing dient dabei vor allem der Verkaufsförderung und der Schaffung von Bekanntheit, weshalb er nach wie vor bestens für den Einsatz bei kleinen und mittleren Unternehmen geeignet ist (Krieger 2012, 15). Guerilla-Marketing-Maßnahmen zeichnen sich dadurch aus, dass Sie regelmäßig rebellisch, überraschend, unkonventionell, flexibel, originell/kreativ, ungewöhnlich/untypisch, frech/provokant, witzig, spektakulär, ansteckend und/oder besonders effizient sind (Zerr 2003, 583; Nufer/Bender 2008, 5). Nufer/Bender (2008, 6) identifizieren aus den unterschiedlichen Anforderungen vier übergeordneten Dimensionen, anhand derer das Guerilla-Marketing beziehungsweise einzelne Guerilla-MarketingMaßnahmen auf ihren Erfüllungsgrad hin überprüft werden können. Die KonventionsDimension beschreibt, in wie weit eine Maßnahme im Vergleich zu den in einer Zielgruppe allgemein geltenden Konventionen als frech, provokant und damit unkonventionell gilt. Die Charakteristika-Dimension beschreibt die Maßnahme im Hinblick auf

Kapitel 11: Back to the Roots – Guerilla-Marketing für kleine und mittlere Unternehmen | 231

ihre Wirkung beim Rezipienten, beispielsweise ob die Maßnahme Überraschung auslöst oder als witzig beziehungsweise innovativ wahrgenommen wird. Die RessourcenDimension beschreibt die Verhältnismäßigkeit zwischen finanziellem, personellem und materiellen Input auf der einen Seite und dem messbaren Output in Form von Bekanntheitssteigerung, Imageverbesserung oder auch Zielgruppengenauigkeit auf der anderen Seite. Die Verbreitungsdimension gibt Auskunft darüber, ob die Maßnahme das Potential besitzt, im Rahmen der klassischen Mundpropaganda (World of Mouth) oder mittels medialer Unterstützung zusätzliche Bekanntheit zu erlangen. Wird im Rahmen dieses Prozesses lediglich über die Maßnahme, nicht jedoch über den Initiator der Marke gesprochen, so ist von einem Vampir-Effekt die Rede, da die Erinnerung lediglich auf der Maßnahme selbst, nicht jedoch auf dem Initiator bezogen ist. Bei der Umsetzung von Guerilla-Maßnahmen sollten darüber hinaus auch immer die Fragen gestellt werden, ob (1) einen Markenfit vorliegt und (2) ob das von der Marke ausgehende Nutzenversprechen optimal kommuniziert wird (für die Erläuterung der Relevanz einer professionellen Markenführung in kleinen und mittleren Unternehmen sowie des Begriffs Nutzenversprechen vergleiche den Beitrag Markenführung in kleinen und mittleren Unternehmen in diesem Sammelband). Dies kann anhand eines Beispiels verdeutlicht werden. Dass es sich dabei nicht um die Marke eines klassischen KMU handelt, möge dem Autor mit Blick auf die größere Bekanntheit des gewählten Unternehmens und die damit verbundene Nachvollziehbarkeit der Ausführungen verziehen werden:

Abb. 11.4: Red Bull Guerilla-Maßnahmen. Quelle: Eigene Darstellung.

(1) Die Marke Red Bull steht seit jeher für Cartoon-orientierte Kommunikationsmaßnahmen und das Versprechen „Belebt Geist und Körper“, welches mit dem Claim „Red Bull verleiht Flügel“ verdeutlicht wird (Red Bull 2014). Die Marke präsentiert sich jung, kreativ, modern und darüber hinaus alles andere als konservativ. Eine Guerilla-Kommunikation wird bei einer solchen Marke von dem Rezipienten vermutlich eher als passend betrachtet als dies bei konservativeren, traditionsbewussteren und gediegeneren Marken (beispielsweise bei großen Bankhäusern) der Fall ist. Die Kommunikationsmaßnahme muss somit zur Mar-

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ke und zu den Markenzielen passen (Esch 2008, 282 ff.) In einem solchen Fall ist die Rede von einem Markenfit oder anders ausgedrückt: Passen GuerillaMaßnahmen und die initiierende Marke prinzipiell zusammen? (2) Darüber hinaus sollten Guerilla-Maßnahmen das von einer Marke kommunizierte Nutzenversprechen wiederspiegeln und unterstützen. Red Bull hat dies umgesetzt, in dem es besondere Guerilla-Maßnahmen mit dem Leitgedanken „Red Bull verleiht Flügel“ aufgelegt hat. Hierzu zählen beispielsweise der Red BullFlugtag, bei dem Teilnehmer mit einem selbstgebauten Fluggerät so weit wie möglich „fliegen“ sollen oder der Stratosphärensprung von Felix Baumgartner (Red Bull-Stratos 2014; Red Bull-Flugtag 2014). Bei beiden Maßnahmen verleiht Red Bull den Teilnehmern beziehungsweise Felix Baumgartner im übertragenen Sinne Flügel oder anders ausgedrückt: Wird das Nutzenversprechen der Marke durch die Guerilla-Maßnahme prinzipiell unterstützt?

Konventionen

unkonventionell frech/provokant

Verbreitung

GuerillaCharakteristika Maßnahme

überraschend flexibel originell/kreativ witzig spektakulär innovativ

Ressourcen

ansteckend World of Mouth multimedial

optimales Kosten-Nutzen-Verhältnis effizient Abb. 11.5: Merkmalskompass des Guerilla-Marketings inkl. relevanter Markenaspekte. Quelle: Eigene Darstellung, Nufer/Bender (2008), 6.

Guerilla-Aktionen ändern sich im Zeitverlauf aufgrund der technischen Möglichkeiten und dem Erfahrungswissen der Kunden, da hier eine Originalitätsinflation festzustellen ist (Hutter/Hoffmann 2010, 132; Patalas 2006, 48). Während früher bereits

Kapitel 11: Back to the Roots – Guerilla-Marketing für kleine und mittlere Unternehmen | 233

die Platzierung von Produktinformationen in Leserbriefen als Guerilla angesehen wurde, werden heute gezielt platzierte Informationen auf Weblogs als Guerilla Maßnahme verstanden (Puttenat 2007, 145; Hutter/Hoffmann 2010, 132). Darüber hinaus sind nach heutigem Verständnis auch kostenintensive Kampagnen (z. B. Maßnahmen, die auf das Stilmittel des Gigantismus zurückgreifen) zum Guerilla-Marketing hinzuzurechnen, sofern diese (1) ein verhältnismäßig hoher Überraschungseffekt erzeugen und/oder (2) ein verhältnismäßig großer Personenkreis erreichen, da sich in diesem Fall die Investition relativiert (Hutter/Hoffmann 2010, 2011, 2013). Für junge Unternehmen, Start-Ups und KMU sollten solche Maßnahmen nicht den primären Fokus im Rahmen einer Guerilla-Marketing-Konzeption darstellen. Dennoch werden entsprechende Maßnahmen der Vollständigkeit halber ebenfalls im kommenden Kapitel thematisiert.

4 Instrumente des Guerilla-Marketing In der Literatur findet sich eine Vielzahl an unterschiedlichen Abgrenzungen der verschiedenen zum Guerilla-Marketing zählenden Instrumente. Krieger unterscheidet beispielsweise zwischen Offline- und Online-Instrumenten, wobei er nur die OfflineInstrumente als klassisches Guerilla-Marketing im engeren Sinne ansieht (Krieger 2012, 14). Eine solche Unterscheidung ist aus Sicht von kleinen und mittleren Unternehmen unzweckmäßig, da Sie keinerlei Hinweis auf die Menge der einzusetzenden Ressourcen und die potentiell mit einer Maßnahme erreichbaren Effekte liefert. Einen anderen Ansatz liefern Hutter/Hoffmann, die zwar eine Unterscheidung hinsichtlich des primären Effektes einer Maßnahme vornehmen (Hutter/Hoffmann 2010, 125), allerdings die Dimension der einzusetzenden Ressourcen nicht weiter differenzieren. Daher soll auf Basis der nachfolgend dargestellten integrierten Systematisierung eine Beschreibung der unterschiedlichen Instrumente vorgenommen werden

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Offline-Instrumente

Online-Instrumente

ressourcenfokussiert aufmerksamkeitsfokussiert

verbreitungsfokussiert

MarketingInstrument

Moskito

Ambush

Ambient

Sensation Street

Buzz

Viral

Social Media

relativer Ressourceneinsatz

gering

gering

mittel/ hoch

mittel/ hoch

mittel/ hoch

mittel

gering/ mittel

gering

Überraschung mittel

gering/ mittel

hoch

hoch

mittel/ hoch

gering

gering/ mittel

gering/ mittel

Diffusion

gering

gering/ mittel

gering/ mittel

hoch

gering/ mittel

mittel

mittel/ hoch

gering

Abb. 11.6: Systematisierung unterschiedlicher Guerilla-Marketing-Instrumente. Quelle: Eigene Darstellung, Krieger 2012, 14 ff.; Hutter/Hoffmann 2011, 125.

4.1 Ressourcenfokussierte Instrumente Die ressourcenbasierten Instrumente spiegeln die Anforderung nach einem möglichst geringen Ressourceneinsatz am stärksten wider. Die Methoden sind primär auf die Ausnutzung der Schwachstellen des Gegners ausgerichtet (Hutter/Hoffmann 2013, 24) Die ressourcenfokussierten Instrumente haben in der Regel eine wettbewerbsstrategische Orientierung und werden teilweise auch als Trittbrettfahrer- beziehungsweise parasitäre Marketinginstrumente bezeichnet, da sie die Aufmerksamkeit des Rezipienten auf Kosten des Angegriffenen generieren (Drees/Jäckel 2008, 31; Voeth/Herbst 2013, 520) und sich auf dessen Kosten profilieren. Der Einsatz von ressourcenfokussierten Instrumenten ist gerade für kleine und mittelständische Unternehmen aufgrund ihrer vergleichsweise geringen Ressourcenbindung häufig sehr reizvoll. Insbesondere beim Moskito-Marketing liegt der Fokus auf einer Identifizierung und Ausnutzung entsprechender Schwachstellen der relevanten Wettbewerber. Das Ziel hinter der Identifizierung solcher Schwachstellen von zumeist wesentlich größeren und wirtschaftlich stärkeren Wettbewerbern ist die Befriedigung der von den Wettbewerbern bewusst oder unbewusst nicht bedienten Kundenbedürfnisse (Patalas 2006, 71; Hutter/Hoffmann 2011, 126; Hutter/Hoffmann 2013, 24).

Kapitel 11: Back to the Roots – Guerilla-Marketing für kleine und mittlere Unternehmen | 235

Abb. 11.7: Moskito-Marketing mit Kommunikations- und Distributionsbezug. Quelle: www.emmas-enkel.de 2014.

So hat beispielsweise der Online-Lebensmittelanbieter Emmas Enkel aus Essen und Düsseldorf im Gegensatz zu den meisten anderen Supermarktketten bewusst auf das Internet nicht nur als Informations- sondern auch als Vertriebsweg gesetzt und in den Mittelpunkt seiner Kommunikation den Bestellvorgang im Netz, den OnlineEinkaufszettel und die Lieferung zur Wunschzeit bis zur Wohnungstür gestellt (o.V. 2014b). Damit haben die Betreiber eine Schwachstelle identifiziert, die sich erst durch die Verbreitung des Internet ergeben hat. Das Beispiel zeigt zudem, dass Guerilla-Marketing-Maßnahmen nicht ausschließlich auf der Kommunikationsebene, sondern auch durch Elemente aus anderen Marketing-Mix-Elementen – wie hier dem Distributionsmix – bedient werden können. Da Anbieter wie Rewe in ausgesuchten Großstädten mit einem ähnlichen Angebot nachgezogen haben, wird an diesem Beispiel die begrenzte Halbwertzeit von Guerilla-Maßnahmen nochmals deutlich. Wie oben bereits erwähnt, können Guerilla-Maßnahmen prinzipiell Bestandteile aller vier Marketing-Mix-Elemente enthalten. Eine Variante des Moskito-Marketing, die sowohl Bestandteile der Kommunikations- wie auch der Preispolitik beinhalten, ist das gezielte Einlösen von Gutscheinen und Rabatt-Coupons der Wettbewerber in den eigenen Filialen, um so den eigenen Marktanteil zu steigern (Förster/Kreuz 2006, 51). So hat beispielsweise die Drogeriekette Müller im Sommer 2014 für wenige Wochen damit geworben, nicht nur die eigenen Rabatt-Coupons anzuerkennen, sondern auch die der Konkurrenten DM, Rossmann und Douglas (Mayer 2012). Zwar landete die Aktion auf Betreiben der Wettbewerbszentrale vor dem Landgericht Ulm, dieses entschied aber, dass die Guerilla-Maßnahme rechtens sei und wies eine entsprechende Klage ab (o.V. 2014a).

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Eine Variante, bei der neben der Kommunikations- vor allem die Produktpolitik genutzt wird, kann anhand der Brauerei Strate aus dem lippischen Detmold verdeutlicht werden. Die familiengeführte Brauerei stellt außergewöhnliche BierVariationen, sogenannte Craft-Biere, wie beispielsweise einen Chardonnay Hopfen, einen Bierbrand oder das 2013 als Bier des Jahres gekürte Tusnelda her (Panster 2014, 46). Dabei setzt die Brauerei primär auf die Ausnutzung der Schwachstelle der Wettbewerber: eine gewisse Ideen- und Anspruchslosigkeit in Bezug auf Innovationen und die Charaktere der verschiedenen Biere. Der Chardonnay-Hopfen beispielswiese reift vor seiner Abfüllung vier Monate in einem Original-Bourbon-Fass. Ein vergleichsweise geringer Aufwand, wenn man die Aufmerksamkeits- und Bekanntheitssteigerung bedenkt, die dieses und andere Biere der Brauerei beschert hat. Das zweite Instrument mit Ressourcenfokussierung stellt das Ambush Marketing dar. Dieses bedient ein ähnliches Feld wie das Moskito-Marketing, setzt aber speziell auf die Platzierung der der Werbebotschaft bei Events und Großveranstaltungen (vergleiche zum Thema Events und Messen für KMU den Beitrag Live-Kommunikation für KMU in diesem Sammelband), ohne dabei selbst als Sponsor des Events oder Sponsor der Großveranstaltung aufzutreten (Hutter/Hoffmann 2013, 24; Farrelly et al. 2005, 341). Nufer (2011, 56) definiert dies als die Vorgehensweise von Unternehmen, dem direkten und indirekten Publikum durch eigene Marketing- [und] insbesondere Kommunikationsmaßnahmen eine autorisierte Verbindung zu einem Event zu signalisieren, obwohl die betreffenden Unternehmen keine legalisierten oder lediglich unterprivilegierte Vermarktungsrechte an dieser von Dritten gesponserten Veranstaltung besitzen.

Durch den Einsatz solcher Maßnahmen wird versucht, einen Image-Transfer von der Großveranstaltung beziehungsweise von dem Event auf den Werbenden, der auch Ambusher genannt wird, zu erzeugen ohne jedoch die dafür fälligen Lizenz- oder Sponsorengebühren zu entrichten (Schulte/Pradel 2006, 64; Nufer 2011, 57). Der finanzielle Aufwand des Ambushers für die Generierung einer entsprechenden Aufmerksamkeit ist dabei wesentlich geringer als die des offiziellen Werbetreibenden (Voeth/Herbst 2013, 521). Im Rahmen der Anwendung dieses Instrumentes wird regelmäßig versucht, mittels ungewöhnlicher, überraschender und/oder provokanter Aktionen die Aufmerksamkeit auf die eigene Marke, die eigenen Produkte und das eigene Unternehmen zu transferieren (Huber et al. 2012, 154; Bruhn/Ahlers 2003, 273; Schulte 2007, 74). Beispielshaft kann hier eine Aktion des Chips-Herstellers Pringles aufgeführt werden, die während des Tennisturniers in Wimbledon im Jahr 2009 durchgeführt wurde. Da die Verpackung der Chips denen von Tennisbällen sehr ähnelt, bedruckte das Unternehmen 24.000 Dosen mit dem Spruch „These are not Tennis Balls“ und verteilte die so bedruckten Produkte während des Zeitraums des Turniers in den Geschäften und vor dem Wimbledon-Gelände.

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Abb. 11.8: Ambush Marketing von Pringles im Jahr 2009. Quelle: www.dickanddave.net 2015.

Darüber hinaus kann es das Ziel sein einen Konkurrenten, der als Sponsor bei einer Veranstaltung auftritt, mit entsprechenden Maßnahmen, zum Beispiel durch die Verhinderung eines Exklusiv-Sponsorings oder die Behinderung der Werbung des eigentlichen Sponsors, gezielt zu schwächen (Faatz 2006, 15; Nufer 2011, 57; Hutter/Hoffmann 2013, 25). Eine durchaus gelungene Variante hat sich die Warsteiner Brauerei ausgedacht, wenngleich es hier nicht um die Schwächung eines Wettbewerbers sondern vielmehr um die Nutzung einer anderen Veranstaltung mit hohem Aufmerksamkeitspotential ging. Im Zuge der Bundestagswahlen 2009 produzierte die Partei eigene Plakate im Stil eines klassischen Wahlkampfplakates, auf dem neben einem „Politiker“ eine Flasche alkoholfreies Bier und der Slogan „Ich will 0,0 Prozent“ zu sehen war. Diese Warsteiner-Plakate wurden in Hamburg oberhalb der klassischen Wahlkampfplakate montiert, wie in Abbildung 11.9 zu sehen ist.

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Abb. 11.9: Ambush Marketing der Warsteiner Brauerei im Jahr 2009. Quelle: www.marketing-blog.biz 2014; WestfalenPost 2009.

Dieses Beispiel zeigt zudem, dass sich der Einsatz von Ambush Marketing Maßnahmen oftmals an der Grenze der Legalität bewegt. Die offiziellen Sponsoren von Veranstaltung oder Events bezeichnen diese Art der Aufmerksamkeitsgenerierung durch entsprechende Konkurrenten auf Kosten von teuer gekauften Werberechten gerne als „Diebstahl“ und betonen die illegalen Aspekte des Ambush Marketing (Nufer 2011, 56; Townley et al. 1998, 337 f.). Deshalb ist eine rechtliche Evaluation der geplanten Maßnahme in jedem Fall zwingend notwendig (Nufer 2011, 56). Primär werden mit Ambush-Maßnahmen in erster Linie psychologische Zielgrößen, wie beispielsweise die Steigerung der Bekanntheit oder der Aufbau eines entsprechenden Images und konkurrenzorientierte Zielgrößen wie beispielsweise die Schwächung der Konkurrenz oder die Vermeidung beziehungsweise die Reduzierung der Wirkung entsprechender Wettbewerber verfolgt. Durch die Erreichung dieser außerökonomischen Zielgrößen kann die Erreichung von ökonomischen Zielgrößen wie die Steigerung des Absatzes oder des Gewinns unterstützt werden.

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Zielgrößen des Ambush-Marketing

psychologische Zielgrößen Aufmerksamkeit Bekanntheit Imageaufbau Goodwill-Transfer

konkurrenzorientierte Zielgrößen Schwächung der Konkurrenz Vermeidung der Wirkung von Sponsoring

ökonomische Zielgrößen Absatzsteigerung Umsatzsteigerung Marktanteilszuwachs Gewinnsteigerung

Abb. 11.10: Zielgrößen des Ambush Marketing. Quelle: In Anlehnung an Nufer 2011, 59.

4.2 Aufmerksamkeitsfokussierte Instrumente Während die ressourcenorientierten Instrumente primär einen geringen finanziellen Aufwand als Kernprämisse aufweisen, ist dies bei den aufmerksamkeitsfokussierten Instrumenten eher zweitrangig. Im Kern wird durch den Einsatz dieser Instrumente versucht, den Rezipienten in alltäglichen Situationen zu erreichen, in denen er möglichst nicht mit kommunikativen Maßnahmen von Unternehmen rechnet und sich daher durch die ungewöhnliche Darbietung der Maßnahmen in der Regel positiv überrascht fühlt (Hutter/Hoffmann 2012, 26; Drees/Jäckel 2006, 32; Voeth/Herbst 2013, 526; Abdul-Razzaq et al. 2009, 2). Der Vorteil dieser Instrumente liegt in der Akzeptanz durch die Konsumenten. Da die Maßnahmen im Idealfall in das direkte Lebensumfeld der Rezipienten integriert sind, empfinden diese die Maßnahme überwiegend als sympathisch und originell (Schulte 2007, 84). Die Ausgestaltung soll im Idealfall dazu führen, das die Rezipienten diese als ein aufsehenerregendes und außergewöhnliches Ereignis empfinden und als Besonderheit wahrnehmen (Schulte 2007, 40). Ein erstes Instrument stellt das Ambient-Marketing dar. In der jüngeren Vergangenheit wächst die Nachfrage dieser Variante, denn sie hat gegenüber Fernseh-, Radio-, Internet- oder Zeitungswerbung einen entscheidenden Vorteil: sie lässt sich weder einfach abschalten noch überblättern (Förster/Kreuz 2006, 38). Unter Ambient Medien sind ganz allgemein planbare unkonventionelle Werbeformen in der Außenwerbung zu verstehen (Schulte 2007, 84; Hippner et al. 2010, 353). Durch die Nutzung von ungewöhnlichen Werbeträgern wie Zapfsäulen, Gepäckbändern, Einkaufswagen oder Rolltreppen lassen sich Botschaften direkt im Lebens- und Freizeitumfeld der Konsumenten platzieren. Solche zum Teil ungewöhnlichen Werbeträger genießen

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durchaus eine positive Akzeptanz und zeichnen sich zudem durch eine gegenüber klassischen Meiden zumeist höhere Zielgruppenerreichbarkeit aus (Förster/Kreuz 2006, 44). Als Stilmittel können im Rahmen von Ambient-Maßnahmen zum Beispiel, Gigantismus, Minimalismus, der Tabubruch, Erschrecken, Schockieren, Verhöhnen oder die Förderung der Schadenfreude genutzt werden (Zerr 2003, 8 f.; Hutter/Hoffmann 2011, 127). Zudem bietet sie den Vorteil, dass entsprechende Maßnahmen tendenziell wiederholbar sind, was beispielsweise im Rahmen des SensationMarketing nicht der Fall ist (Nufer/Bender 2008, 16).

Abb. 11.11: Beispiele für Ambient-Marketing-Maßnahmen. Quelle: o.V. 2014c; o.V. 2014d; o.V. 2014e.

Ein Beispiel für eine originelle Ambient-Maßnahme sind sogenannte Swing-Ads. Diese sind in Bussen und Bahnen als Haltemöglichkeit vorhanden und können über entsprechende Werbepartner mit überschaubaren Kosten zu Kommunikationsinstrumenten umgestaltet werden. Eine andere Variante ist die Gestaltung und kos-

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tenlose Verteilung von Pizzaboxen an ausgewählte Lieferdienste unter der Maßgabe, dass diese die Kartons nur in bestimmten Regionen oder zu bestimmten Zeiten für die Auslieferung von Pizzen verwenden. Um einen Rückschluss auf den Erfolg der Maßnahme ableiten zu können, kann darüber hinaus beispielsweise ein Gutschein oder ein Gewinnspiel in das Design der Box integriert werden, mit dem die Kunden bei einer nächsten Bestellung einen Rabatt eingeräumt bekommen. Aktivierende und aufmerksamkeitserregende Werbeinstallationen, Produktinszenierungen und Marketingaktionen im Out-of-Home-Bereich werden als Sensation Marketing bezeichnet (Krieger 2012, 16). Diese Maßnahmen zielen darauf ab, den Rahmen des gewöhnlichen zu sprengen, wodurch sie häufig Gemeinsamkeiten mit verschiedenen Event-Marketing Maßnahmen aufweisen und sich im Vergleich zum Ambient Marketing durch ihre Einmaligkeit und die Generierung eines „Wow“-Effektes beim Rezipienten unterscheiden (Hutter/Hofmann 2011, 127; Hutter/Hoffmann 2013, 26; Nufer/Kern 2012, 2). Entsprechenden Maßnahmen werden häufig die Charakteristika witzig, überraschend, rebellisch, ungewöhnlich, faszinierend, innovativ oder ansteckend zugeschrieben (Krieger 2012, 16; Hippner et al. 2010, 354; Drees/Jäckel 2008, 36). Anders als bei anderen Instrumenten des Guerilla-Marketings, die grundsätzlich Bestandteile aus allen klassischen vier Mix-Elementen beinhalten können, stellt das Sensation-Marketing ein reines Kommunikationsinstrument dar (Czech 2011, 31). Ziel einer Sensation Maßnahme ist eine aus Sicht des Rezipienten spektakuläre Inszenierung mit einem hohen Unterhaltungswert, da die Aufmerksamkeit zunächst gewonnen werden und der Konsument durch die Einzigartigkeit der Maßnahme in einen High Involvment Zustand versetzt werden soll (Nufer/Kern 2012, 3; Drees/Jäckel 2008, 34; Krieger 2012, 16). Nachteilig bei Sensation-Maßnahmen ist die vergleichsweise geringe Reichweite in Relation zu den einzusetzenden finanziellen und personellen Ressourcen. Durch eine zuvor geplante mediale Dokumentation solcher Maßnahmen kann im Anschluss eine digitale Verbreitung erfolgen, die im Idealfall den Wunsch bei den Empfängern weckt, bei einer zukünftigen Maßnahme selbst vor Ort zu sein.

Abb. 11.12: Beispiel für eine Sensation-Marketing-Maßnahme. Quelle: o.V. 2014g; o.V. 2014h.

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Eine solche Maßnahme hat Edeka im Jahr 2014 durchgeführt. In einem Markt wurden neun Musiker an die Kassen gesetzt, deren Scanner unterschiedlich Töne erzeugten (o.V. 2014 f.). Während des normalen Tagegeschäftes gingen die Lichter im Kassenbereich unvermittelt aus und die Musiker begannen das Lied „Jingle Bells“ mit Hilfe der Töne aus den Kassenscannern zu spielen. Während es sich aus Sicht der Personen, die zum Zeitpunkt der Veranstaltung im Geschäft waren, um eine klassische Sensation-Maßnahme gehandelt hat, stellt der später bei Youtube eingestellte Clip eine klassische Social-Media-Maßnahme dar (siehe hierzu das kommende Kapitel). Unter dem Begriff Street Marketing subsummiert Krieger unkonventionelle Kommunikationsformen, die mithilfe einfacher Mittel und Werbeträgern in der Öffentlichkeit Marken- und Werbebotschaften verbreiten (Krieger 2012, 17). Entsprechende Maßnahmen werden häufig auch als Reverse-Graffiti oder Street-Branding bezeichnet, wobei einige Autoren dieses Instrument als Ausprägungsform des Ambient-Marketings betrachten. Der Grundidee des Ambient-Marketings folgend, können prinzipiell jegliche Art von öffentlichen Objekten wie beispielsweise Gehwege, Wände, Gebäude, Skulpturen, Bauzäune oder Pflanzen zur Werbefläche umfunktioniert werden (Krieger 2012, 17; Caveman 2014). Zur Erstellung der Maßnahmen können Kreidemalereien, Mittels Hochdruckreiniger und Schablonen hergestellte Graffitis, Wash Away Graffitis oder Lichtprojektionen genutzt werden. (Krieger 2012, 17; Esch et al., 2009, 96). Insbesondere Street-Marketing ist für kleine und mittlere Unternehmen geeignet, da es wie einige andere Methoden nicht viel Geld, sondern stattdessen den Einsatz von Energie, Vorstellungskraft und Zeit erfordert (Levinson 1998; Levinson 2014). So hat sich beispielsweise der Geländewagen-Hersteller Jeep eine Street-Marketing-Maßnahme überlegt, die einen Fit zur Marke und auch zum eigentlichen Nutzenversprechen aufweist, indem sie die möglichen Parkplätze für ihre Fahrzeuge kurzerhand selbst neu definiert haben. Durch die Markierung von Parkplätzen auf Treppen oder über Verkehrsinseln hinweg sollte auf die Geländegängigkeit und die Robustheit der Fahrzeuge hingewiesen werden.

Abb. 11.13: Beispiele für Street-Marketing-Maßnahmen. Quelle: o.V. 2014b; o.V. 2014i; o.V. 2014k.

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4.3 Verbreitungsfokussierte Instrumente Die verbreitungsfokussierten Instrumente stellen primär auf das gezielte Auslösen von Mundpropaganda zum Zwecke der Vermarktung von Unternehmen, Leistungen (Langner 2009, 27) und Marken ab. Die Absicht solcher Maßnahmen liegt auf der bewussten Initiierung eines Kommunikationsprozesses mit dem Ziel, das sich dessen Inhalt beziehungsweise Botschaft möglichst schnell und möglichst weit verbreitet und damit zur Bekanntheitssteigerung des Senders beiträgt (Hutter/Hoffmann 2013, 29; Langner 2009, 27). Häufig werden diese oder ähnliche Charakterisierung primär für virale Marketingmaßnahmen verwendet, deren Konzeption die Nutzung von OnlineMedien beinhaltet. (Hutter/Hoffmann 2011, 2013; Krieger 2012; Langner 2009; Stenger 2009; Drees/Jäckel 2008). Allerdings beschreibt sie bei genauerer Betrachtung auch das Buzz-Marketing und das Social Media Marketing, weshalb diese Charakterisierung vielmehr als übergreifende Charakterisierung zu verstehen ist. Das Buzz-Marketing beschreibt den Einsatz von echten Fans eines Produktes, einer Dienstleistung oder einer Marke, die in ihrem persönlichen Umfeld von den Vorzügen und den positiven Erfahrungen des jeweiligen Bezugsobjektes berichten (Hughes 2005; Patallas 2006, 68; Hutter/Hoffmann 2011, 127). Es basiert auf der Wirkung der traditionellen Mundpropaganda, bei der in der Regel Privatpersonen (die sogenanten Buzz-Agents) gegen ein Honorar oder die Vergabe von Gratisprodukten in ihrem sozialen Umfeld oder an öffentlichen Einrichtungen in einer möglichst ungezwungenen und natürlichen Art positiv über die zu bewerbende Marke, Produkte und Dienstleistungen sprechen (Esch 2014). Dabei geht die Kommunikation anders als beim Viral- oder Social-Media Marketing primär vom Buzz-Agent aus, während bei den letztgenannten Instrumenten die Unternehmen die primären Initiatoren einer entsprechenden Botschaft sind (Stenger 2009, 32). Als Buzz Agents eignen sich insbesondere Personen, die ein innovatives Produkt oder eine innovative Dienstleistung bereits in einem sehr frühen Stadium des Adoptionsprozesses verwendet und aufgrund ihrer Persönlichkeit und ihres Verhaltens als Meinungsbilder auftreten können (Hutter/Hoffmann 2013, 85; Thomas 2006, 65). Ein Buzz Agent übernimmt jedoch nicht nur die Rollen des frühen Konsumenten und des Meinungsbildners, sondern darüber hinaus wirkt er als Markenbotschafter und Vertriebsunterstützer sowie als Marktforscher (Ahuja et al. 2007). Um diese Rollen ausfüllen zu können, erfolgt im Vorfeld eine genaue Instruktion für die Ansprache der Zielpersonen, entsprechende Produktmuster zum Testen und detaillierte Instruktionen zum Ablauf (o.V. 2006). Entsprechend müssen Unternehmen, die sich für den Einsatz eines Buzz-Agenten entscheiden, eine sehr genaue Auswahl treffen, wer für ihr Unternehmen diese Aufgabe übernimmt. Ein Fehlverhalten oder negative Äußerungen des Buzz-Agents können dabei potentiell auf das Unternehmen oder die Marke zurück fallen. Das virale Marketing ist trotz seiner Ähnlichkeit nicht mit klassischer Mundpropaganda zu verwechseln. Letztere ist ein alltäglicher, bewusst oder unbewusst statt-

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findender Prozess, welcher sich innerhalb einer Gesellschaft in fast allen Lebensbereichen abspielt (Ryu/Han 2009, 403). Virales Marketing hingegen beschreibt Strategien und Techniken welche dazu geeignet sind, Konsumenten und Rezipienten dahingehend zu motivieren, Produkte, Dienstleistungen und Botschaften freiwillig an Personen in ihrem Netzwerk zu verbreiten, um auf diese Weise das Potential für eine exponentielle Ausbreitung zu schaffen (Stenger 2009, 28; Klinger 2006, 13; Bryce 2005, 17). Trotz der häufig mit dem Terminus assoziierten Einsatzes einer Internetbeziehungsweise Online-Maßnahme kann virales Marketing sowohl online wie auch offline eingesetzt werden. Durch die erstmalige Platzierung der Botschaft bei sogenannten Multiplikatoren soll die virale Diffusion gestartet beziehungsweise gezielt unterstützt werden, da Multiplikatoren Informationen, Ideen und Botschaften an ein weniger interessiertes Publikum weitervermitteln und damit ohne Zutun des primären Senders für eine möglichst umfangreiche Verbreitung sorgen (Langner 2009, 16; Esch et al. 2009, 11; Kroeber-Riel 2011, 63; Hutter/Hoffmann 2011, 127). Die Kernelemente des viralen Marketings stellen (1) das Kampagnengut, (2) geeignete Rahmenbedingungen und (3) eine zielgruppenspezifische Streuung dar (Stenger 2012, 38 f.). Das Kampagnengut bezieht sich auf die Gesamtheit der inhalts- und formbezogenen viralen Darbietung, die so gestaltet sein muss, dass die Rezipienten beim Betrachten der Maßnahme eine interessante und unterhaltsame Situation erleben und daraufhin das Bedürfnis empfinden, über die Maßnahme und den Sender der Maßnahme im Anschluss in ihrem Familien-, Freundes und Bekanntenkreis sprechen zu wollen (Stenger 2012, 38; Langner 2009, 29). Zudem müssen den Empfängern bestimmte Rahmenbedingungen für eine einfache Weiterverbreitung zur Verfügung gestellt werden. Dies kann im Offline-Bereich mit Hilfe der Bereitstellung von Aufklebern oder der Verteilung von Flyern geschehen. Bei einem zusätzlichem Einsatz von Online-Maßnahmen ist beispielsweise die kostenfreie Nutzung des Angebotes, die Einbindung eines „Send-to-aFriend“-Buttons (Stenger 2009, 39) oder die Möglichkeit, das entsprechende Angebot über unterschiedliche Endgeräte (Desktop-PC, Smartphones, Tablets etc) in gleichbleibender Qualität konsumieren zu können denkbar. Darüber hinaus ist im Rahmen der zielgruppenspezifischen Streuung (seeding) zu entscheiden, ob die Darbietung nur an eine geringe Anzahl von Multiplikatoren (z.B. Kunden, Freunde und Bekannte) oder an eine möglichst breite Zielgruppe unter zu Hilfenahme technischer Kanäle (z.B. Massenmedien) erfolgen soll (Stenger 2009, 39). Das Social Media Marketing bezieht sich auf den überwiegenden beziehungsweise ausschließlichen Einsatz von sozialen Netzwerken wie Youtube, Facebook oder Twitter zur Verbreitung von Botschaften. Sie ist unter den verbreitungsfokussierten Instrumenten jenes, welches das größte Potential für eine epidemische Ausbreitung entsprechender Botschaften bietet und zudem für kleine und mittlere Unternehmen insbesondere aufgrund des geringen Ressourcenaufwandes besonders interessant ist. Dabei spielt vor allem eine Rolle dass, anders als bei klassischer Kommunikation,

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bei der der Kommunikationsprozess nur vom Sender zum Empfänger verläuft, durch das Internet die Möglichkeit geboten wird, dass jeder Teilnehmer gleichzeitig als Sender und Empfänger auftritt und damit die virale Verbreitung noch stärker vorangetrieben wird (Förster/Kreuz 2006, 28; Stender-Monhemius/Monhemius 2013, 200; Tropp 2011, 47 f.; Meffert et al. 2014, 636). Als Beispiel sei hier auf den Bielefelder Cartoonisten Ralph Ruthe verwiesen, der wöchentlich zwei neue Comics beziehungsweise Videos auf seiner Homepage sowie seinem Youtube- und Facebook-Kanal online stellt. Dies hat dazu geführt, dass binnen eines Jahres bei Facebook rund 440.000 Menschen seine Seite mit „Gefällt mir“ geliked haben (insgesamt knapp 690.000 „Likes“ am 27.12.2014), die nicht nur als Konsumenten seiner kostenlosen Comics sondern zusätzlich als potentielle Konsumenten von Büchern und DVD´s, als Besucher seiner Live-Auftritte und insbesondere als Multiplikatoren für eine weitere Verbreitung seiner Arbeit in Frage kommen. Ralph Ruthe hat nach eigenen Angaben keinen großen Mitarbeiterstab, sondern arbeitet primär alleine. Das Beispiel verdeutlicht daher sehr gut, dass gerade das Internet für kleine und mittlere Unternehmen zu einem bevorzugter Aufenthaltsort werden sollte (Levinson 2008, 24), da es die Möglichkeit bietet mit einem begrenzten finanziellen, personellen und materiellen Aufwand in einer überschaubaren Zeit eine vergleichsweise große Zielgruppe zu erreichen.

5 Guerilla-Marketing Plan Obwohl Guerilla-Marketing in den häufigsten Fällen kostengünstiger als herkömmliche Kommunikationsmaßnahmen sein dürfte, kann durch einen nicht zielgruppenspezifischen Einsatz die Gefahr bestehen, dass die beabsichtigten Wirkungen gar nicht oder nicht vollständig eintreten. Es gilt daher, wie beim Einsatz von klassischen Marketinginstrumenten auch, im Vorfeld eine möglichst fundierte und dezidierte Planung durchzuführen, denn die Voraussetzung für das Einsetzen eines Guerilla-Effektes bei der Zielgruppe ist zunächst eine umfassende Kenntnis der Zielgruppe (Patalas 2006, 50). Nur wenn Gewohnheiten, Vorerfahrungen sowie Erwartungshaltungen einer Zielgruppe bekannt sind, kann eine hohe Kontaktzahl erreicht oder ein großen Überraschungseffekt erzeugt werden (Hutter/Hoffmann 2010, 131). Es ist daher auch im Rahmen des Einsatzes von Guerilla-Marketing für kleine und mittlere Unternehmen unumgänglich, sich zu Beginn um eine aussagekräftige Marketingplanung zu bemühen (für eine ausführliche Betrachtung der Thematik der Marketing-Konzeptionierung vergleiche den Beitrag KMU-spezifische Aspekte der Erarbeitung von Marketingkonzeptionen in diesem Sammelband). Zunächst sind im Rahmen der Durchführung einer SWOT-Analyse die potentiellen Stärken und Schwächen, sowohl des eigenen Unternehmens wie auch die der relevanten Wettbewerber zu analysieren und zu den potentiellen Chancen und Risiken in Be-

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ziehung zu setzen. Das Ergebnis dieser Analyse ist ein unternehmensspezifisches „strategisches Fenster“, welches die eigenen besonderen Kompetenzen zur Befriedigung der aktuellen und potentiellen Marktbedürfnisse wiederspiegelt (Meffert et al. 2014, 224). Diese Kombination aus Kompetenzen und Marktbedürfnissen bilden die Ausgangslage für die sich anschließende Zieldefinition. Eine Guerilla-Marketing-Konzeption muss der Erreichung von übergeordneten Marketing- und Unternehmenszielen dienen. Hier ist zu erörtern, welche Ziele im Rahmen der generellen Marketingkonzeption zu verfolgen sind und in welchem Umfang beziehungsweise welcher Stelle eine Guerilla-MarketingStrategie die Erreichung dieser Ziele unterstützen kann. Ein Guerilla-Marketing-Konzept muss sich nicht auf die gesamte Zielgruppe eines Unternehmens beziehen. So kann es durchaus ratsam sein, mit dem Konzept nur einzelne Teil-Zielgruppen zu erreichen, da beispielsweise zunächst nur die potentiellen Multiplikatoren angesprochen werden sollen oder weil im Rahmen einer anstehenden Unternehmensexpansion eine geographische Selektion vorgenommen werden muss. Eine solche durchzuführende Segmentierung kann (1) anhand von demographischen Kriterien, (2) anhand von psychographischen Kriterien und (3) anhand von kaufverhaltensbezogenen Kriterien erfolgen (Becker 2009, 251; Freter 2001, 1074; Freter 2008, 93). Im Rahmen der demographischen Kriterien kann eine Segmentierung beispielsweise anhand der sozialen Schicht (Einkommen, Schulbildung, Beruf), anhand geographischer Merkmale (Wohnort, Wohnortgröße, Stadt/Land, Region) oder anhand personenindividueller Merkmale (Geschlecht, Alter, Familienstand, Haushaltsgröße) erfolgen. Auf Basis von psychographischen Kriterien wird eine Segmentierung anhand von allgemeinen Persönlichkeitsmerkmalen (Interessen, Werte, soziale Orientierung) und produktbezogenen Merkmalen (Motive, Einstellungen) vorgenommen. Im Rahmen einer Segmentierung auf Basis von kaufverhaltensbezogenen Kriterien lassen sich beispielhaft des Preisverhaltens, der Mediennutzung, der Einkaufsstättenwahl oder der eigentlichen Produktwahl heranziehen (Becker 2009, 251). Die entsprechenden Informationen lassen sich durch den Einsatz von Kundenkarten, Kassenbon-Analysen, persönlichen Gesprächen und den Aufbau eines professionellen Daten-Management-Systems gewinnen. Die Einrichtung eines entsprechenden Systems ist nicht ausschließlich für Unternehmen mittlerer Größe aufwärts von hoher Relevanz. Gerade kleine Unternehmen benötigen Informationen über Ihre Zielgruppe, da sich ein nicht optimaler Einsatz der ohnehin knappen Ressourcen spürbar auf den Erfolg auswirken kann. Große Unternehmen können beispielsweise Kosten von 3000 € für eine nicht optimal platzierte Guerilla-Maßnahme bei einem Gesamt-Marketingbudget von jährlich über 100.000 Euro besser verkraften als kleine und mittlere Unternehmen, denen nicht selten nur ein Bruchteil dieser Summen für Marketing-Maßnahmen zur Verfügung stehen. Entsprechend ist für die Konzeption auch eine fundierte und realistische Budgetierung vorzunehmen. Auch hier ist eine Einbettung in die Marketing- und Unternehmensbudgetplanung erforderlich, da sich eine Budgetierung für Guerilla-Maßnahmen aus der generellen Marketing-Budgetierung ableiten muss.

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Auf Basis dieser Informationen und Vor-Planungen kann eine nachhaltige Guerilla-Marketingstrategie erarbeitet werden. Dabei sollte darauf geachtet werden, das der Einsatz von Guerilla-Marketing keine einmalige Aktion wird, sondern dass es sich um ein langfristiges und auf mehrere Jahre ausgelegtes Konzept handelt, damit eine entsprechende Wirkung bei den Rezipienten einsetzen kann (Levinson 2008, 40 ff.). Dazu gilt es, die generell in Betracht kommenden Instrumente unter Berücksichtigung ihrer Eignung zur Zielerreichung hin auszuwählen. Je nach Ausgestaltung der GuerillaMarketingstrategie kann es sein, dass sich einige Instrumente nicht für die Verfolgung der definierten (Ober-)Ziele eignen. Zwar ist in der Regel bei einer SensationMaßnahme der Überraschungseffekt sehr hoch, doch sind genau diese Maßnahmen im Vergleich zu anderen Guerilla-Instrumenten verhältnismäßig teuer. Sofern also durch die Budgetierung eine Restriktion in Bezug auf die jährlichen Gesamtkosten in die Guerilla-Marketingstrategie eingeflossen ist, so dürften Sensation-Maßnahmen zunächst von nachrangiger Priorität sein.

Bestandteile einer Guerilla-Marketing-Strategie Aktuelle Situation analysieren

Stärken, Schwächen, Chancen, Risiken für das eigene Unternehmen und relevante Wettbewerber

Ziele definieren

Was soll generell durch den Guerilla-Marketing-Einsatz erreicht werden?

Zielgruppe festlegen

Welche Zielgruppe(n) soll(en) angesprochen werden?

Budget bereitstellen

Welcher finanzielle/personelle/materielle Aufwand soll maximal entstehen?

Zwischenfazit

Formulierung von Guerilla-Marketingstrategien

Instrumente auswählen

Welche Guerilla-Instrumente sollen eingesetzt werden?

Instrumente ausgestalten

Welche Maßnahme soll mit welchem Inhalt zu welchem Zweck durchgeführt werden?

Instrumente orchestrieren

Welche Maßnahme soll wann, wo und wie lange durchgeführt werden?

Umsetzung realisieren

Die einzelnen Maßnahmen entsprechend der Konzeption durchführen

Erfolg messen

Welche Möglichkeit der Erfolgsmessung können / sollen zur Überprüfung eingesetzt werden?

Abb. 11.14: Guerilla-Marketing-Konzeption. Quelle: In Anlehnung an Scharf et al. 2009, 30.

Im weiteren Verlauf gilt es, die ausgewählten Instrumente inhaltlich auszugestalten und im Hinblick auf Ihren Einsatz (Ort, Zeit, Dauer) zu orchestrieren. Beispielsweise lassen sich besonders die aufmerksamkeitsfokussierten Instrumente einsetzen, um

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zunächst eine punktuelle Aufmerksamkeit zu erzeugen. Im Anschluss können dann Planung, Aufbau, Inszenierung sowie die Reaktionen der Rezipienten mit Hilfe von Viral- oder Social-Media Marketing weiterverarbeitet wird. Auch hier wird die Vorteilhaftigkeit eines langfristig angelegten Guerilla-Konzeptes deutlich, denn es können Kosten reduziert und Wiedererkennungseffekte generiert werden, was den Aufwand für die Konzeption und die Durchführung neuer Maßnahmen reduziert. Zur Evaluation des durchgeführten Konzeptes und als Basis für die Planung weiterer Maßnahmen ist eine Erfolgsmessung durchzuführen. Diese bezieht sich jedoch weniger auf die Kontrolle ökonomischer als vielmehr auf die Kontrolle psychologischer und behavioristischer Kenngrößen, wenngleich eine kostenbezogene Nachbetrachtung zwingend erforderlich ist. Hier können beispielsweise die Bekanntheit und das Image einer Marke, die Anzahl der Twitter-Follower, die Messung der potentiellen und tatsächlichen Reichweite der durchgeführten Maßnahme oder ein Plan-IstKostenvergleich herangezogen werden (Burmann et al. 2012; Meffert et al. 2014).

6 Fazit Insgesamt bietet das Guerilla-Marketing insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen nach wie vor eine Vielzahl an Möglichkeiten, sich gegen größere und finanzkräftigere Wettbewerber zu behaupten. Trotz der Adaption des Konzeptes durch große Unternehmen besitzen gerade die kleinen und mittleren Unternehmen die Flexibilität und Schnelligkeit, um ein Guerilla-Konzept erfolgversprechend planen und umsetzen zu können. Dabei kommt ihnen zu Gute, dass ein Guerilla-Konzept von der Einsatzbereitschaft und der Kreativität der Unternehmer und weniger von einem umfangreichen Marketing-Budget lebt. Allerdings sind dazu eine detaillierte Planung und eine umfassende Guerilla-Marketing-Konzeptionserstellung notwendig, damit die entsprechenden Maßnahmen sowohl die Erreichung der direkten Ziele wie auch die Erreichung der übergeordneten Marketing- und Unternehmensziele unterstützen. Dabei stellt die zielgruppenspezifische Ausgestaltung und Umsetzung der jeweiligen Maßnahme eine wichtige erfolgsrelevante Komponente dar, die erst durch den Aufbau und den Einsatz eines umfangreichen und professionell geführten Daten-Management-Systems planvoll umgesetzt werden kann. Guerilla-Marketing sollte daher nicht als das Marketing zweiter Klasse verstanden werden. Die fehlenden finanziellen, personellen und materiellen Ressourcen bedeuten nicht automatisch, dass das Erreichen anspruchsvoller Marketing-Ziele ausgeschlossen ist. Vielmehr setzt Guerilla Marketing auf die die Fähigkeiten, die in vielen großen Unternehmen an Werbeagenturen und Beratungsgesellschaften ausgelagert sind. Dies sorgt zwar gegebenenfalls zunächst für einen erhöhten Arbeitsaufwand im Rahmen der Planung und der Durchführung, dennoch sind psychografische und behavioristische Ziele sowie, aus diesen abgeleitet, auch ökonomische Ziele realisierbar.

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Volker Stein und Tobias M. Scholz

Kapitel 12: Personalentwicklung im Mittelstand: Zukunft verschlafen oder Zukunft gestalten? 1 Das Problem: Ignoranz zentraler Zukunftsherausforderungen In den Medien wird in den letzten Jahren viel über Demografie, Fachkräftemangel und den War for Talents gesprochen – und über die damit verbundenen Schwierigkeiten des Mittelstands. Man könnte fast meinen, mittelständische Unternehmen verlören auf dem Arbeitsmarkt sukzessive ihre Konkurrenzfähigkeit. Denn obwohl das exportstarke Deutschland das Land der mittelständischen „hidden champions“ (Simon 2012) und der dort hervorgebrachten Innovationen ist, konkurriert der Mittelstand nicht nur untereinander um qualifiziertes Personal, sondern auch mit Großunternehmen, die vermeintlich besser aufgestellt sind. Gekämpft werden muss „mit harten Bandagen“, denn die Konkurrenz ist groß. Doch wie stellt sich der Mittelstand tatsächlich auf? Ist er in der Lage, insbesondere die qualifizierten Mitarbeiter in der heutigen, so volatilen Welt zu binden? Kann er sie so weiterentwickeln, damit sie nicht abwandern und auch in der Zukunft einen signifikanten Beitrag für das Überleben und die Wettbewerbsfähigkeit ihres mittelständischen Unternehmens leisten werden? Liest man jüngst die Zeitungsüberschrift „Dem deutschen Mittelstand ist die Digitalisierung egal“ (Knop 2014, 25), so sind massive Zweifel daran angebracht, dass der Mittelstand die Tragweite der Herausforderungen bereits begriffen hat: Eine aktuelle empirische Studie unter 1000 mittelständischen Unternehmen zeigt deutlich den erschreckend geringen Anteil der Digitalisierung an deren Geschäftsstrategie. Auch die Zukunftsrelevanz dieses Themas ist nicht durchgehend auf den Radarschirmen der kleinen und mittelgroßen Unternehmen. Die Investitionsbereitschaft für IT-Anschaffungen ist im Mittelstand unterdurchschnittlich, ein Handlungsdruck || Univ.-Prof. Dr. Volker Stein Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insb. Personalmanagement und Organisation, Universität Siegen Dipl. Kfm. Tobias M. Scholz Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insb. Personalmanagement und Organisation, Universität Siegen

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wird gar nicht erst gesehen (GfK Enigma 2014, 40). Die Warnung aus der Studie sollte nicht ungehört verhallen: Gleichgültig, ob die Bundesregierung eine ‚Digitale Agenda‘ zum Ausbau der Breitbandnetze verfolgt oder Angela Merkel zur Eröffnung der jüngsten Hannover Messe zur Eile mahnt, um in Fragen der Digitalisierung der Industrie nicht den Anschluss zu verlieren: Für 70 % der deutschen Betriebe mit einem Umsatz von unter 5 Millionen Euro im Jahr hat die Digitalisierung im Herstellungs- und Wertschöpfungsprozess kaum oder gar keine Relevanz. Deshalb ist die Digitalisierung auch nur bei der Hälfte aller mittelständischen Unternehmen mit einem Umsatz von bis zu 125 Millionen Euro Teil der Geschäftsstrategie. (Knop 2014, 25)

Zugespitzt: Verschläft der „analoge deutsche Mittelstand“ (so die Zeitungskommentierung der Studie) gerade seine Zukunft? Unabhängig davon, was die Gründe für diese Ignoranz und Trägheit sind: An den Befunden ist gefährlich, dass sie Fern- und Nebenwirkungen aufweisen. Sie lösen nämlich weitere Ignoranz und Trägheit aus, gerade auch im Personalmanagement und – speziell – in der Personalentwicklung: High Potentials kommen gar nicht erst in einen unattraktiven Mittelstand. Selbst wenn dieser seine Mitarbeiter weiterentwickelt, wandern diese bald zu einem Großunternehmen ab, wenn sie der Meinung sind, ihr mittelständischer Arbeitgeber sei nicht „fit für die Zukunft“. Diese adverse Selektion entzieht dem Mittelstand weiteres Innovationspotenzial, sodass bleibende Trägheit und andauernde Ignoranz von Zukunftsthemen nicht unwahrscheinlicher werden. Zudem ist die Digitalisierung nicht die einzige Herausforderung, die über die Zukunftsfähigkeit des Mittelstands entscheidet. Vernetzung, Automatisierung, Industrie 4.0, Mobilitätszunahme, sozio-strukturelle Verschiebungen und immer noch die Globalisierung – alles dies bedeutet eine immens zunehmende Dynamik (Virilio 1989). Wandel von und in Organisationen ist zur Normalität geworden (Farjoun 2010, 206). Uns ist durchaus bewusst, dass der Mittelstand mit der begrenzten Institutionalisierung betrieblicher Funktionen (insbesondere der Personalfunktion), mit der Familiarität, Eigentümerzentrierung und besonderen Flexibilität in der Unternehmensführung spezifische Charakteristika aufweist, die ihn von Großunternehmen abgrenzen (Stein 2013, 379 ff.). Doch ist es letztlich unerheblich, ob hierdurch Dynamik besonders bedrohlich wird oder besondere Chancen bietet – reagieren sollte der Mittelstand auf sie allemal. Gerade eine umfassende Orientierung mittelständischer Unternehmen auf Dynamik hin lässt sich vorausschauend nutzen, um vorhandene Mitarbeiter zu binden und neue Mitarbeiter zu gewinnen. Wie lässt sich diese Orientierung besser als ernst gemeint signalisieren als durch eine substanzielle Personalentwicklung der Mitarbeiter? In unserem Beitrag wollen wir uns deshalb mit der Personalentwicklung in mittelständischen Unternehmen beschäftigen. Wir wollen nicht nur aufzeigen, dass Personalentwicklung als die Investition in die Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbei-

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ter eine sinnvolle Idee sowohl zur Mitarbeiterbindung als auch für die Unternehmensproduktivität ist. Sondern wir wollen den Mittelstand darauf hinweisen, dass die Herausforderungen dynamischer Umfelder und dynamischer Handlungsnotwendigkeiten auch eine neue Sicht auf die Personalentwicklung erfordern – was in Zukunft gelernt werden muss und wie sich die Personalentwicklungsfunktion selbst in Zukunft darauf einstellen muss. Nur mit einem weitreichenden, fast schon radikalen Umdenken in der Personalentwicklung lässt sich das „Zukunft verschlafen“ noch in „Zukunft gestalten“ umdrehen!

2 Der Ansatzpunkt: Verständnis von Dynamik Akzeptiert man „Dynamik“ als übergeordnete Herausforderung, so wird ihre Präzisierung notwendig. Dynamik ist nicht nur das Gegenteil von Statik und basiert auf Antriebskraft, sondern meint vor allem ein Verhalten, bei dem die vorhandenen Kräfte auch zur Entfaltung gebracht werden (Stein 2014, 24 f.). Damit stellt sich in der Regel ein Ergebnis ein, das Veränderung und Entwicklung impliziert. Bewertet wird Dynamisches häufig als lebendig und damit vielfach als wünschenswert. Als Grundkonstante unserer Welt ist Dynamik unausweichlich – sowohl als Möglichkeit des Neuen als auch als Bedrohlichkeit, die sich aus der damit verbundenen Ungewissheit und Unvorhersehbarkeit speist. Nicht von ungefähr versuchen Menschen und Unternehmen häufig, Dynamik zu vermeiden und stattdessen Ordnung, Stabilität, Standardisierung – also letztlich Statik – zu schaffen. Um dennoch eine dynamische Sichtweise zur Basis des Handelns zu machen, sind konkrete Ansatzpunkte zu suchen. Hier bietet sich ein systematisches, multiperspektivisches Vorgehen an, das alle Dynamikherausforderungen integriert abdeckt und hierdurch das Übersehen wichtiger Teilaspekte verhindert. In einem solchen Sinne lässt sich Dynamik allgemein durch die folgenden sechs Aspekte charakterisieren (Stein 2012): (1) In Bezug auf Ziele, Aufgabenzuordnung und Strukturen heißt dynamisch „differenzierter“. In der externen und internen Unternehmensumwelt verändern sich ständig Rahmenbedingungen und Erwartungen, auf die hin das eigene System mitsamt seinen Zielen stimmig gemacht werden muss. Jede betriebliche Handlungsfunktion muss sich daher vorausschauend auf diese dauernden Veränderungen differenziert einstellen, also beispielsweise die unterschiedlichen Ansprüche ihrer Stakeholder kennen und an allen Stakeholder-Schnittstellen gleichzeitig agieren. (2) In Bezug auf Prozesse heißt dynamisch „schneller“. Externe und interne Kunden eines Unternehmens erwarten eine immer schnellere Aufgabenerledigung. Dies bedeutet die Notwendigkeit, Prozesse so zu strukturieren, zu automatisieren

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und zu optimieren, dass auf dynamische Impulse fast ohne Zeitverzögerung und damit annähernd „in Echtzeit“ reagiert werden kann. In Bezug auf den Entwicklungsstand und den „Reifegrad“ eines Systems heißt dynamisch „veränderungsfähiger“. Abhängig davon, ob eine Organisation frisch gegründet wurde oder schon jahrzehntelang arbeitet, erfordert die jeweilige Lebenszyklusposition bei gleichartigen Problemen unterschiedliche organisatorische Lösungen. Anfangen muss jede betriebliche Handlungsfunktion bei sich selbst, also prüfen, ob sie überhaupt in der Lage ist zur Anpassung an die Herausforderungen oder ob sie sich verändern muss. Ziele sind eine „Co-Evolution“ mit langfristigen Veränderungstrends, der Abbau von Trägheit und die Bereitschaft zu organisationalem Wandel. In Bezug auf Unternehmenskultur, Werte und Ethik heißt dynamisch „nachhaltiger“. In Zeiten dynamischen Wettbewerbs wird eine Denkhaltung, die vornehmlich auf das Bewahren von Erreichtem – also auf Statik – ausgerichtet ist, zunehmend dysfunktional. Doch gleichzeitig ist Wandel so zu gestalten, dass das System überhaupt erst einmal langfristig erhalten bleibt und auf diesem Weg nicht unter die Räder des Wandels gerät. Dieser vermeintliche Widerspruch lässt sich durch die Orientierung hin auf Nachhaltigkeit auflösen: Während jeder Einzelne im Alltagshandeln die dynamische Zukunft durch dynamikbezogene Werte wie Aufbruch und Risikofreude mitgestaltet, richtet die langfristige Nachhaltigkeitsorientierung diese Dynamik übergeordnet auf eine ethisch tragfähige Zukunftsperspektive aus. In Bezug auf organisationales Wissen und organisationales Lernen heißt dynamisch „kompetenter“. Zeitraumbezogenes Denken tritt an die Stelle zeitpunktbezogenen Denkens. Auch sind Fern- und Nebenwirkungen geplanter Handelungen bereits zum Zeitpunkt der Strategieentwicklung zu antizipieren. Hierzu sind neue methodische Kompetenzen erforderlich, so Simulationsverfahren für Zukunftsentwicklungen sowie Methoden zum Sichtbarmachen der Dynamik, zum Beispiel als Fliessgleichgewichte mit historischen Entwicklungsverläufen. In Bezug auf organisationsinterne und organisationsübergreifende Kooperation heißt dynamisch „flexibler“. Die immer relevanter werdenden kooperativen Wertschöpfungsnetzwerke erfordern nicht zuletzt, dass Ressourcen dorthin verteilt werden, wo sie für das gesamte Netzwerk die größte Effektivität hervorbringen und wo ihr Fehlen im Sinne eines Puffers den größten Schaden anrichten würde. Partnerschaft erfordert die Abkehr vom ausschließlichen Denken in Eigentumskategorien. Dynamik entfaltet sich dann, wenn sich alle Kooperationspartner aufgrund flexibilitätssteigernder Dynamic Capabilities Synergien erschließen können.

Will ein System in diesem Sinne dynamischer werden, muss es einerseits sicherstellen, dass es fachlich dynamisch handeln kann: Es muss lernen, wie man die Vielfalt

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der Umwelt differenziert erfasst, wie man Prozesse schneller macht, wie man Veränderungsfähigkeit durch Wandlungskompetenzen stärkt, wie man kurzfristiges Dynamikdenken auf Nachhaltigkeit hin ausrichtet, wie man zeitraumbezogen denkt und wie man eine flexible Ressourcenkonfiguration durchführt. Andererseits muss das System sicherstellen, dass es auch dynamisch handeln darf: Hiermit sind die Rechte angesprochen, die Planungshoheit über differenzierte Handlungsfelder zu haben, Prozess(mit)eigner der zu beschleunigenden Prozesse zu sein, Autonomie bei der Vorgabe von eigenen Wandlungszielen zu haben, über Rechte zur Mitentscheidung über Nachhaltigkeitskriterien zu verfügen, Vetorechte im eigenen Kompetenzbereich bei der Abwendung antizipierter Schädigungen zu haben und flexible Budgetallokationsverantwortung tragen zu dürfen. Diese sechs Dynamisierungsaspekte sind nicht isoliert voneinander zu betrachten, sondern in ihrer Gleichzeitigkeit und Verbundenheit. Auch wenn es gedanklich herausfordernd ist: Diese Komplexität existiert in der Realität von Unternehmen und lässt sich nicht einfach dadurch wegdefinieren, dass sie ignoriert wird. Wird diese Komplexität aber akzeptiert, ergibt sich aus ihr die Möglichkeit, erfolgreicher – da aspektübergreifend gesamtheitlich und sozusagen „ohne blinde Flecke“ – dynamisch zu handeln. Aus allen diesen sechs Aspekten müssen folglich auch Konsequenzen für unternehmerische Handlungsfelder abgeleitet werden – so etwa für die Personalentwicklung im Mittelstand.

3 Die Konsequenz: Eine neue Personalentwicklungs-Agenda Die Zusammenführung der Defizite bei der Ausrichtung des Mittelstands auf wichtige Zukunftsherausforderungen mit dem Grundverständnis von Dynamik führt hinsichtlich der Personalentwicklung unmittelbar zu der Frage: Werden die Mitarbeiter im mittelständischen Unternehmen dynamikkompatibel weitergebildet? Was genau wird ihnen vermittelt – und passen diese Lerninhalte zu den bestehenden Herausforderungen? Die Vermutung ist, dass auch die Personalentwicklung im Mittelstand die relevanten Zukunftsfelder vielfach noch nicht abdeckt und noch nicht einmal im Blick hat – was im Übrigen nicht allein die Entwicklung der Fachkräfte, sondern auch die Führungskräfteweiterbildung betrifft (Stein/Wiedemann 2014). Ordnet man neuere Lernherausforderungen, wie sie vielfach in der Managementliteratur diskutiert werden (z.B. Ali et al. 2012; Findler/Gorbis 2013), auf die sechs Dynamikaspekte zu, so ergibt sich folgende Systematik: (1) Lernherausforderungen für differenzierteres Denken und Handeln betreffen alles, was den eigenen Kompetenzbereich der Mitarbeiter überschreitet. Dies wird mit

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interdisziplinär, transdisziplinär oder auch interkulturell bezeichnet. Der Mittelstand müsste demzufolge seine Mitarbeiter daraufhin trainieren, dass sie gezielt Grenzen überschreiten, seien es solche zwischen Arbeitsfeldern, zwischen technologischen Systemwelten, zwischen Praxis und Wissenschaft, zwischen Inputlogik und Outputlogik, zwischen kulturellen Traditionen. Das Lernen an fachlichen Schnittstellen wird genauso wichtig wie das Lernen innerhalb des eigenen Arbeitsfeldes. Lernherausforderungen für schnelleres Denken und Handeln betreffen die Stärkung der Mitarbeiter in Richtung auf schnelleres Problemlösen, ohne jedoch die Fehlerraten in den Prozessen zu erhöhen. Dies ist dadurch zu vermitteln, dass die Analyse unterschiedlicher Situationen und die autonome Entwicklung von robusten Problemlösungen unter Verwendung computerbasierter Prozessunterstützung trainiert werden. Die Kompetenz zum situativ-adaptiven Denken in Verbindung mit dezentralen, subsidiären Entscheidungen kann dazu führen, dass sich Prozesse beschleunigen. Lernherausforderungen für veränderungsfähigeres Denken und Handeln betreffen die Sensibilisierung der Mitarbeiter hin auf aktive persönliche Veränderungsbereitschaft. Dies bedeutet im Umkehrschluss den Abbau von Vergangenheitsorientierung und Beharrungskräften. Stattdessen werden Change ManagementKompetenzen von der partizipativen Veränderungsplanung bis hin zur tatkräftigen Veränderung für alle Mitarbeiter relevant, nicht nur für die Verantwortlichen von Wandlungsprozessen. Damit einher geht die Vermittlung von Fähigkeiten, mit dieser hohen Komplexität aus eigener Arbeit und Arbeit für die Veränderung des eigenen Systems umzugehen. Lernherausforderungen für nachhaltigeres Denken und Handeln betreffen Methoden, um Schnelligkeit, Veränderung und Dynamik einen Sinn zu geben. Sinngebung in Richtung Dynamik meint also, sich individuell und auch im Team gedanklich mit Dynamik auseinanderzusetzen, die Ereignisse und Erfahrungen einzuordnen und diese mit einer langfristig attraktiven Vision der Zukunftsentwicklung verbinden zu lernen. Vereinfacht ausgedrückt meint dies das Trainieren der sozialen Veränderungsintelligenz, also eines gemeinsamen Redens über Wandel und Zukunft und des Nicht-Tabuisierens von damit verbundenen Konflikten und Teamdynamiken. Lernherausforderungen für kompetenteres Denken und Handeln betreffen vor allem die konsequente Ausrichtung der Personalentwicklung aller Mitarbeiter auf die Digitalisierung. Hierbei ist IT-nahes Denken die Schlüsselkompetenz, also zumindest Grundkenntnisse im Verständnis von Prozessmodellbildung, Programmierung und Simulationsverfahren. Jeder Mitarbeiter muss mit den neueren sozialen Medien umgehen können, die traditionelle Medien ablösen, und fähig sein, sich darin umfassend zu informieren. Zugleich müssen die Mitarbeiter mit der Informationsflut umgehen können und fähig sein zur kritischen In-

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formationsselektion. Gerade die Verstehenskompetenz neuer Medien wird sich über die Zeit hinweg verändern, vor allem aufgrund der dortigen Innovationsgeschwindigkeit. (6) Lernherausforderungen für flexibleres Denken und Handeln betreffen die Kompetenz zur virtuellen Zusammenarbeit – von der Organisation verteilter Wertschöpfung über die sachliche und kommunikative Reintegration der verteilten Prozessergebnisse bis hin zum Management netzwerkbezogener Ressourcenengpässe im Sinne eines Multiprojektmanagements. Unverzichtbar ist in diesem Zusammenhang auch die Beschäftigung mit IT-Strukturen und IT-Sicherheit, wie die immer dynamischer werdenden Cloud-Konzepte erahnen lassen. In dieser Hinsicht hat der Mittelstand sicherlich viel zu tun, nämlich, seine Personalentwicklung daraufhin zu überdenken, ob sie den Herausforderungen der anstehenden Dynamik gerecht werden kann. Benötigt wird wahrscheinlich eine viel antizipierendere, proaktivere, modernere – also eine vollkommen neue – PersonalentwicklungsAgenda!

4 Der Nutzen: Professionalisierung und Dynamik-Fitness Wie aber muss sich das Personalentwicklungssystem eines mittelständischen Unternehmens verändern, wenn es die neue Personalentwicklungs-Agenda glaubhaft und nachhaltig einführen will? Auch im Selbstverständnis und in den Methoden der Personalentwicklung werden Neuorientierungen notwendig: (1) Differenzierter erfordert die Ausrichtung auf die individuellen Entwicklungsbedarfe jedes einzelnen Mitarbeiters. Gerade sie müssten ebenfalls differenziert wahrgenommen werden. Darüber hinaus wird die Konzeption vielfach diverser, transdisziplinärer Lernumgebungen notwendig. (2) Schneller erfordert die Parallelisierung von Lernen, also die Gleichzeitigkeit verschiedener Lernformen und Lerninhalte. Dies führt auch dazu, dass sich die Tragfähigkeit alternativer Personalentwicklungskonzepte nicht immer im Vorfeld, sondern teilweise erst im Nachhinein im Lichte ihres Erfolgs im wechselseitigen Wettbewerb beurteilen lässt. (3) Veränderungsfähiger erfordert das Zulassen von experimentellem Lernen, das dazu beitragen kann, unterschiedliche Szenarien der Veränderung auf seine Folgen hin zu beurteilen. Zudem sind gerade die Führungsnachwuchskräfte des Unternehmens besonders in der Personalentwicklung zu berücksichtigen – etwa mit Executive MBA-Programmen universitärer Business Schools –, um den sich verändernden Umweltherausforderungen kompetent stellen zu können.

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(4) Nachhaltiger erfordert die Schaffung von Räumen zum kritischen Diskurs, in denen der kollektive Sinn von Dynamik auch kommunikativ erschlossen werden kann. (5) Kompetenter erfordert die eigene Expertise der Verantwortlichen für Personalentwicklung, mit neuen Medien, Digitalisierung und Dynamik umzugehen und diese als Instrumente der Innovation von Personalentwicklung einzusetzen. Beispielsweise wird es zunehmend erforderlich, mittels Big Data-Analysen neue Lernnotwendigkeiten zu identifizieren. (6) Flexibler erfordert das Fördern kooperativen Lernens in sozialen Gruppen, beispielsweise in themenorientierten Lernclustern, die auch unternehmensübergreifend gebildet werden können. Insgesamt werden diese Neuorientierungen zu einer Professionalisierung (Stein 2010) der Personalentwicklung beitragen und diese weniger statisch machen, als sie es bislang ist. Dazu sind gar nicht primär viele neue finanzielle Ressourcen für die Personalentwicklung erforderlich, sondern die Umwidmung vorhandener Ressourcen auf die erfolgskritischen Lernfelder und Entwicklungsmethoden. Nichtsdestotrotz ist mit einer ansteigenden Steuerungskomplexität (Scholz 2013) zu rechnen. Aber auch die Ausrichtung auf die dynamische Zukunft der Wirtschaft und der mittelständischen Unternehmen wird erhöht: Personalentwicklung kann den Unterschied ausmachen, ob ein mittelständisches Unternehmen für qualifizierte Mitarbeiter attraktiv erscheint oder nicht, ob es also seine Mitarbeiter langfristig an sich binden kann und neue Mitarbeiter gewinnt. Und sie kann den Unterschied ausmachen, ob und wie ein mittelständisches Unternehmen mitsamt seinen veränderungsbereiten Mitarbeitern (Rafferty et al. 2013, 130) die digitale Revolution bewältigt. Allein die Auflistung neuerer Berufsbilder vom Social-Media-Manager über Community Manager, Chief Experience Officer, Online-Reputationsmanager, Gamification Designer, Augmented-Reality-Architect bis zum Kryptowährungs-Banker und Telecop (Pein 2014) lässt erahnen, welche Veränderungen in der Unternehmenswelt sich anbahnen. Der Mittelstand sollte sich dafür entscheiden, mithilfe seiner Personalentwicklung diese dynamische Zukunft mit zu gestalten.

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Bernd Helbich und Volker Herzig

Kapitel 13: Arbeitgeberattraktivität und Personalrekrutierung im Mittelstand Durch strategisches Personalmanagement die Generation Y finden und binden

1 Einleitung Die Überschrift suggeriert, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen Arbeitgeberattraktivität, Personalrekrutierung und strategischem Personalmanagement. Absicht dieses Aufsatzes ist es, diesen Zusammenhang zu erläutern. Dabei wählen die Autoren mittelständische Betriebe, also den klassischen Mittelstand, als Bezugsobjekte und grenzen diese von Großunternehmen ab. Wenn man heute generell analysiert, welche Unternehmen eine strategische Herangehensweise praktizieren, wird man mit hoher Wahrscheinlichkeit fundamentale Unterschiede zwischen Großunternehmen und mittelständischen Unternehmen erkennen. Großunternehmen bauen entsprechende Ressourcen auf, verfügen über eine professionell besetzte Personalabteilung, haben Routine und Erfahrungen mit strategischen Konzepten. Insbesondere legen sie ihre Unternehmens- und Personalpolitik langfristiger und nachhaltiger an, vernetzen und koordinieren die verschiedenen Funktionsbereiche intensiver und richten sie konsequenter auf die zuvor festgelegten Zielgrößen aus. Der Mittelstand – die Rede ist von Unternehmen in der Größenordnung von circa 100 bis 800 Mitarbeitern – ist anders aufgestellt. Personalabteilungen sind häufig mit Generalisten knapp besetzt. Personalverwaltung und das operative Tagesgeschäft der Personalarbeit stehen im Vordergrund, für strategische Überlegungen fehlen oft Zeit und personelle Ressourcen. Andererseits ist heute Mittelständlern schon wegen zu erwartender Engpässe bei Fach- und Führungskräften aufgrund des demografischen Wandels bewusst, dass sie sich um innovative Themen aktiv(er) kümmern und Personalarbeit zukunftsorientiert(er) gestalten müssen.

|| Prof. Dr. Bernd Helbich Professur für Personalmanagement und Personalführung Fachhochschule Bielefeld – University of Applied Sciences Prof. Dr. Volker Herzig Professur für Personal- und Organisationswesen Fachhochschule Bielefeld – University of Applied Sciences

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Der Mittelstand ist das Fundament für das Bruttoinlandsprodukt. Er ist Treiber für innovative Ideen, und er baut in Summe Arbeitsplätze auf und nicht ab. Seine Personalarbeit hat noch viel Potenzial für eine Professionalisierung. Wenn er Personal sucht, kommt es alleine schon aus Kostengründen darauf an, die „richtigen Mitarbeiter“ zu finden. Personalflops können teuer werden und die Existenz gefährden. Folgerichtig existiert in der heutigen Zeit ein Bedarf, sich um den Auf- oder Ausbau einer Arbeitgeberattraktivität zu kümmern – nicht als Selbstzweck, sondern als Überlebensnotwendigkeit im Wettbewerb um gut ausgebildete Mitarbeiter. Wenn die Konjunktur gut läuft und der Auftragseingang zulegt, dann haben mittelständische Unternehmen einen Personalbedarf, der weder quantitativ noch qualitativ einfach zu decken ist. Die Begründung liegt auf der Hand, weil in einer solchen Wachstumssituation natürlich auch große Unternehmen einen entsprechenden Personalbedarf ausweisen und erhebliche Anstrengungen unternehmen, Mitarbeiter zu rekrutieren. Es dreht sich das Wettbewerbskarussell im „Kampf um Talente“. Unterstellt werden darf aufgrund einschlägiger Studien und Erkenntnisse aus der Praxis, dass Großunternehmen bei der Personalrekrutierung einen Wettbewerbsvorteil haben. Ihr Bekanntheitsgrad ist größer, ihre Attraktionsfaktoren sind präsenter und umfangreicher, die Wege des „Zueinanderfindens“ zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind transparent und per Internet digital zugänglich. Die Überlegungen der Autoren gehen jedoch in die Richtung, dass mittelständische Unternehmen diesen Wettbewerbsvorteil verringern, wenn nicht sogar ausgleichen können: Sie benötigen dazu aber eine mittelstandskonforme personalstrategische Herangehensweise, die sich von der Strategie der Großunternehmen unterscheiden, sich mehr an den spezifischen Rahmenbedingungen des Mittelstandes orientieren muss. In diesem Sinne können sie Angebote unterbreiten beziehungsweise Arbeitgeberleistungen erbringen, die zu ihnen passen, Authentizität vermitteln und auf ihre speziellen Zielgruppen zugeschnitten sind. Es gibt bei der Personalbeschaffung nicht nur eine Zielgruppe, der Katalog der Zielgruppen ist prinzipiell breit gefächert. Wenn hier jedoch der Fokus auf die Zielgruppe der Generation Y gelegt wird, dann ist das der Tatsache geschuldet, dass Angehörige dieser Zielgruppe als Berufseinsteiger besonders umworben werden. Grund für die Auswahl der Zielgruppe Y und Beschränkung ist auch, dass daran die personalstrategischen Vorgehensweisen gut deutlich gemacht werden können, welche zu einer schnellen und erfolgreichen Personalrekrutierung – oder anders ausgedrückt: Personalfindung – und einer nachfolgend angestrebten langfristigen Personalbindung führen. Da hier die Zeitperspektive thematisiert wird, lässt sich vermuten, dass das Procedere als Prozess angesehen werden kann, welcher noch weitere Erfolgsfaktoren beinhalten könnte. In der Tat: die Autoren sehen auch in der Personalplanung, im Personalmarketing, in der Personalführung und der Personalentwicklung einen Beitrag – strategisch richtig umgesetzt – Arbeitgeberattraktivität zu erzeugen und damit die Rekrutierung und Mitarbeiterbindung zu erleichtern.

Kapitel 13: Arbeitgeberattraktivität und Personalrekrutierung im Mittelstand | 265

Es braucht Mitarbeiter, die sich darum kümmern. In einem klassischen Modell, das auf Großunternehmen bezogen ist, organisiert die Personalabteilung, untergliedert noch in verschiedene Referate und ausgestattet mit hinreichend qualifiziertem eigenen Personal, diesen mehrgliedrigen Prozess komplett. Im vorliegenden „mittelständischen Modell“ spielt die Personalabteilung, sofern vorhanden – was keine Selbstverständlichkeit ist – natürlich auch eine tragende Rolle. Darüber hinaus haben die Führungskräfte im Mittelstand mehr als eine Nebenrolle – man muss ihnen schon fast die Hauptrolle zuweisen. Aufgrund der besseren Überschaubarkeit wegen flacher Hierarchien sind sie einerseits enger als ihre Kollegen in Großunternehmen am „Puls der Zeit“, das heißt an den Überlegungen, Konzepten und Entscheidungen der Geschäftsführung und Personalabteilung beteiligt. Sie können andererseits viel schneller als in Großunternehmen Wünsche, Interessen und Potenziale ihrer Mitarbeiter an die Personalabteilung rückmelden beziehungsweise selbst darauf eingehen, unter anderem bei der Personalführung und auch bei der Personalentwicklung. Gerade der hier besonders herausgestellte Aspekt der Personalführung mag bezüglich seines Beitrags zur Arbeitgeberattraktivität überraschen, aber in der im Folgenden beschriebenen Fundierung und Ausformung der Arbeitgeberattraktivität sehen die Autoren eine große Chance für den Mittelstand mit starker Hebelwirkung auf Personalfindung und -bindung. Die Führungskräfte gilt es für einen Führungsprozess zu sensibilisieren und zu befähigen, den sie mit ihren Mitarbeitern gestalten und in welchem sie durch ein kooperatives Führungsverhalten und eine angemessene Personalentwicklung dazu beitragen können, dass sich gerade junge Mitarbeiter der Generation Y im Unternehmen anerkannt, gut aufgehoben sowie gefordert und gefördert fühlen. Die Führungskräfte müssen aber schon zu einem früheren Zeitpunkt in einen Prozess eingebunden werden, welcher Zielgruppen, strategische Vorgehensweisen und personalwirtschaftliche Maßnahmen bestimmt. Das wären dann in Summe Bestandteile einer Personalstrategie, welche Arbeitgeberattraktivität gewährleisten würde und damit Erfolg hinsichtlich der Zielstellung „Personalfindung und Personalbindung“ hätte. Die Autoren verdeutlichen ihre Überlegungen am Beispiel eines Referenzunternehmens, eines typischen Mittelständlers als Familienunternehmen, eines Weltmarktführers abseits der Metropolen, der aufgrund seines stetigen Wachstums einen kontinuierlichen Bedarf an Fachkräften aufweist.

2 Arbeitgeberattraktivität Wer sich heute mit Arbeitgeberattraktivität befasst, wird gleich personalwirtschaftliche Funktionen wie Personalrekrutierung und Personalmarketing mit Aspekten wie employer branding und employer of choice assoziieren. Vielleicht wird er auch an Personalentwicklung denken, aber wahrscheinlich weniger an Personalplanung,

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schon gar nicht an Personalführung. Arbeitgeberattraktivität macht sich fest am neudeutschen Begriff der Arbeitgebermarke. Man spricht vom Aufbau einer Arbeitgebermarke analog zum Produktmarketing, um als Arbeitgeber für Mitarbeiter ähnlich attraktiv zu sein wie Anbieter von Markenartikeln für Kunden (Gaiser et al. 2005, 475). Das Entwickeln einer Marke erfordert einen strategisch angelegten nachhaltigen Prozess, der die Kunden-, hier Mitarbeiterbedürfnisse analysiert und soweit wie möglich konsequent umsetzt (Preißing 2010, 109). Attraktiv wird man mit „Maßnahmen“, die mehr sind als selbstverständlich und sich von anderen Unternehmen positiv abheben (Helbich/Herzig 2014, 26 f.).

2.1 Faktum als begleitende Zeiterscheinung Gab es Arbeitgeberattraktivität früher auch schon oder ist sie neu? Älteren Arbeitnehmer-Generationen hat sich eingeprägt: – der Handschlag des Chefs am Freitagnachmittag, – die finanzielle Unterstützung örtlicher Vereine, denen große Teile der Belegschaft angehörten, – das Darlehen des Firmeninhabers für den eigenen Hausbau. Das war der familiäre Stil, der die Mitarbeiter sehr persönlich ansprach. Und das waren spürbare Maßnahmen, so dass sich Mitarbeiter heimisch und wohl fühlten und darüber im Bekanntenkreis anerkennend berichteten. Arbeitgeberattraktivität gab es also immer als Zeiterscheinung, sie wurde nur nicht so genannt. Überlegt hat sich der Arbeitgeber auch früher schon, wie er gute Mitarbeiter finden und binden konnte. Während mittelständische Unternehmen diesen Zustand behutsam ausbauten oder konservierten, hat in Großunternehmen im letzten Jahrzehnt eine besondere Entwicklung, eine schnellere Dynamik eingesetzt, die Arbeitgeberattraktivität zu erhöhen. Es wurden katalogmäßig viele Maßnahmen angeboten in der Hoffnung, dass sie als geballte Ladung schon einen Effekt haben würden. Und diese Effekte sind schließlich auch eingetreten, das heißt, die Maßnahmen haben gegriffen und wurden von den Mitarbeitern gerne angenommen. Zu nennen sind – materielle Leistungen wie Prämien, privat nutzbare Dienstfahrzeuge, Zuschüsse zu Versicherungen, zusätzliche Betriebsrente, – soziale Leistungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, zur Gesundheitsprävention und zur Förderung der Fitness, – Leistungen zur Individualisierung der Arbeitsbedingungen wie variable Arbeitszeiten, Aufstiegs- und Fördermöglichkeiten, – Offerierung von Eintrittschancen durch Jobmessen und Absolventenkongresse, – immaterielle Inszenierungen zur Identitätsstiftung wie die Herausstellung einer hervorragenden Unternehmenskultur oder Auszeichnungen als bester Arbeit-

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geber – in moderner Form zum Beispiel im Rahmen des „Great Place to WorkKonzeptes“ (Hauser 2009, 97 ff.). Dies alles kann für Großunternehmen nach wie vor Sinn machen, ist für Mittelständler in Summe aber kaum zu stemmen. Wichtig für Mittelständler wäre, dass entsprechende Maßnahmen lieber in etwas geringerem Umfang, dafür aber als Katalog in sich stimmiger zielgruppenorientierter Maßnahmen durchgeführt werden. Ungeplanter Aktionismus hilft nicht weiter, Maßnahmen sollten zum Unternehmen passen.

2.2 Professionalisierungsbestrebungen Warum haben Großunternehmen ihre Anstrengungen erhöht? Die Gründe liegen zum einen in der Problematik der personellen Bedarfsdeckung, weil insbesondere bei Fach- und Führungskräften schon vor einiger Zeit abzusehen war, dass aufgrund des demographischen Wandels Lücken entstehen werden. Zum anderen wird Loyalität zunehmen ökonomisiert – vor allem bei der jungen Generation, die im Vergleich zu früheren Generationen nicht nur zahlenmäßig schrumpft, sondern auch weniger bindungsbereit ist. Genannt werden können die technologische Entwicklung, die zum Beispiel im Maschinenbau Fachwissen als Integration elektrotechnischer und mechanischer Aspekte erfordert, und die zunehmende Komplexität betrieblicher Prozesse und Funktionen. Unternehmen müssen konstatieren, dass das verfügbare Wissen und Know-how, ausgelöst durch neue Erkenntnisse in Wissenschaft und Forschung, exponentiell wächst. Organisatorische Interdependenzen und Schnittstellen bei der Leistungserstellung führen laufend zu neuen, unbekannten Problemstellungen, die nur von kompetenten Mitarbeitern lösbar sind. Allein die Variantenvielfalt von industriell gefertigten Produkten aufgrund der zunehmenden Spezifität und Individualität von Kundenwünschen erfordert immense Koordinationsanstrengungen, die organisatorische Maßnahmen, aber eben auch Qualifizierungsmaßnahmen bedingen. Die Antwort auf diese Anforderungen: Unternehmen brauchen gut ausgebildetes Fachpersonal, welches auch zu großen Teilen langjährig im Unternehmen bleibt, um den Wissensbestand zu sichern. Dieses Personal wird in Zukunft, so die allgemeine These, nicht mehr so einfach zu beschaffen sein wie in früheren Zeiten. Generell gilt: Gefahr droht allen Unternehmen, insbesondere aber dem Mittelstand. Seine Betriebe sind weniger bekannt und hinsichtlich einer Bewerbungsentscheidung weniger attraktiv. Großunternehmen haben diese Entwicklungen schneller erfasst, auf jeden Fall haben sie eher auf diese Herausforderungen und Gefahren reagiert und versucht, sich als attraktive Arbeitgeber zu positionieren. Zu berücksichtigen dabei ist: Arbeitgeberattraktivität richtet sich nach innen und außen. „Innen“ meint solche Mitarbeiter, welche sich bewährt haben und vom Unternehmen folgerichtig

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aufgrund ihrer Leistung und Erfahrung gehalten werden wollen (Personalbindung). „Außen“ meint zunächst unspezifisch potenzielle Mitarbeiter, die es zu finden und zu rekrutieren gilt. Die Unklarheit hilft aber nicht weiter, weshalb es sinnvoll ist, genaue Zielgruppen zu bestimmen (Stritzke 2010, 46). An dieser Zielgruppenbestimmung hat es in der Vergangenheit gefehlt. Aufgrund ihrer Größe und ihres Bedarfes haben die großen Unternehmen im Prinzip alle Gruppierungen angesprochen, indem sie einen bunten Blumenstrauß von Maßnahmen realisiert haben. Die beabsichtigte Wirkung wird vermutlich eintreten, aber welche Zielgruppe etwas davon anspricht oder erreicht, bleibt oft im Dunkeln. Hier ist es eher die Masse an Maßnahmen, die geballte Medienvermarktung, die „zieht“.

3 Zielgruppe: Generation Y Auch wenn hier primär Hochschulabsolventen der Generation Y im Fokus stehen, heißt das nicht, dass diese die einzig relevante Zielgruppe bilden. Weitere Zielgruppen können Auszubildende, Facharbeiter, Ingenieure, Produktmanager oder Frauen als Berufsrückkehrerinnen sein. Man sieht an dieser willkürlich erscheinenden Mischung, dass es nicht einfach ist, Zielgruppen zu definieren. Aus Sicht des Unternehmens sind es Gruppen mit bestimmten Funktionen und Qualifikationen, an denen es heute oder zukünftig mangeln wird. Ohne Bestimmung von Zielgruppen und deren Anforderungen bleibt der Begriff „Arbeitgeberattraktivität“ eine leere Hülse, und es drohen Maßnahmen, die einen reinen „nice to have-Charakter“ haben und in ihrer Wirkung verpuffen. Die Autoren nehmen – der Tätigkeit als Hochschullehrer geschuldet – die Generation Y in den Blick. Das sind die von 1984–1994 Geborenen (Parment 2009, 15 f.), die heute und in nächster Zeit als Absolventen in die Unternehmen eintreten werden.

3.1 Positionierung im Arbeitsmarkt Die Generation Y ist gut qualifiziert und legt Wert auf interessante und anspruchsvolle Aufgaben, die Spaß machen sollen. Sie wünscht Abwechslung, ist wechselbereit, tritt auf dem Arbeitsmarkt wählerisch auf und bewertet Arbeitgeber ähnlich wie Produkte (Parment 2009, 15 ff.). Sie ist gut vernetzt – permanent online kommuniziert sie über Facebook, Twitter und XING. Arbeitszufriedenheit, Rekrutierungsvorlieben und Wechselbereitschaft können so schnell verbreitet werden – man denke an den „Gefällt-mir-Button“. Ob das Verhalten für alle gilt, wird sich zeigen. Unternehmen sollten sich darauf einstellen: Die durchschnittliche Verweildauer der unter dreißigjährigen Mitarbeiter sinkt, sie beträgt heute 536 Tage, vor 20 Jahren waren das noch 814 (IAB 2011). Fluktuationskosten werden aus Unternehmenssicht zukünftig eine noch größere Rolle spielen.

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Die fehlende oder eingeschränkte Loyalität ist Ausfluss eines wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umfeldes, welches der Generation Y eine Vielzahl an Wahlmöglichkeiten bietet. Parallelen zwischen dem Absatzmarkt und dem Arbeitsmarkt werden augenfällig. Der Arbeitsmarkt gilt – ähnlich dem Produktmarkt – als Ausdruck eigener Identität. Trägt der Arbeitgeber zu einem schlechten persönlichen Image bei, sucht man Alternativen (Parment 2009, 38 ff.). Ein weiterer Grund für die hohe Wechselbereitschaft liegt in der Verfolgung neuartiger Karrierestrategien. Um auf dem Arbeitsmarkt nicht als unflexibel und erfahrungslos dargestellt zu werden, strebt die Generation Y an, innerhalb der ersten zehn Jahre nach dem Studium oder der Ausbildung mehrere Veränderungen im Berufsleben vorgenommen zu haben. Das soll sich dann in einem interessanten Lebenslauf widerspiegeln (Parment 2009, 77 f.). Die Generation Y ist einerseits aufgrund der geburtenschwachen Jahrgänge (gegenüber der Generation X und der Baby-Boomer-Generation) relativ klein, wird aber andererseits im Jahr 2020 einen großen Teil aller Arbeitnehmer ausmachen (Meister/Wilyerd 2010, 4). In der personalwirtschaftlichen Diskussion um den demographischen Wandel und um eine sich dynamisch verändernde Arbeitswelt gebührt ihr daher besonderes Interesse.

3.2 Ansprüche und Wünsche Charakterisiert werden die Nachwuchskräfte der Generation Y als Personen, die hintergründige „Warum-Fragen“ stellen und vieles kritisch reflektieren, was ihnen auf ihrem Lebens- und Berufsweg begegnet (deshalb gelegentlich auch als Generation WHY tituliert). Bei der Wahl des zukünftigen Arbeitgebers sind Entwicklungsund Selbstverwirklichungsmöglichkeiten die wichtigsten immateriellen Entscheidungskriterien. Die jungen Talente suchen Herausforderungen und wollen diese meistern. Weiterhin zählen die Bedürfnisse nach umfassender Transparenz und digitaler Vernetzung zu den besonderen Merkmalen der Internet-Generation. Daraus resultiert der Wunsch nach moderner technologischer Arbeitsplatzausstattung. Die heutige Technik verbindet Menschen weltweit. Soziale Netzwerke in virtuellen Welten sind Möglichkeiten, Kontakte zu knüpfen. Dennoch ist neben der virtuellen eine persönliche emotionale Kommunikation von Bedeutung. Sie soll nicht oberflächlich, sondern tiefergehend und nachhaltig sein. Nachhaltigkeit erhöht die Chance, die Mitarbeiterbindung zu steigern. Die „Digital Natives“ erwarten von ihrem Arbeitgeber eine eigenverantwortliche Zeiteinteilung sowie eine angemessene faire und leistungsorientierte Vergütung. Die spontane Anerkennung von Leistungen gewinnt allerdings gegenüber der langfristigen Honorierung und anderen materiellen Anreizen an Bedeutung. Die Generation Y zeigt sich bei der Wahl einer Arbeitsstelle flexibel und mobil, um sich zukünftige Optionen offen zu halten. Dies gilt auch hinsichtlich fließender Übergänge zwischen Beruf und Privatleben, was durch

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flexible Arbeitszeitmodelle und Vertrauensarbeitszeit erreicht werden kann. Die Trennung von Arbeit und Leben verschwimmt für diese Generation. Der Wunsch nach Selbstverwirklichung lässt sich auf den Arbeitgeber übertragen und möchte durch Freude an der Arbeit, Sinnhaftigkeit von Aufgabenstellungen, interessante Arbeitsinhalte, Gestaltungsspielräume und Entwicklungsmöglichkeiten erfüllt werden. Die Generation Y versteht unter Karriere nicht den typischen Aufstieg in der Hierarchie. Sie stellt herkömmliche Karrieremuster, die im Wesentlichen nur vertikalen Aufstieg kennen, infrage und setzt mehr auf individuelle Fortschritte. Dazu gehört Selbstverwirklichung auch an der Schnittstelle zum Privatleben. In diesem Zusammenhang spielt Work-Life-Balance bei der Arbeitgeberwahl eine wichtige Rolle (Parment 2009, 60 ff.). Ziel aus Unternehmenssicht wäre es, der Generation Y eine Botschaft als attraktiver Arbeitgeber zu vermitteln, die sich langfristig in den Köpfen festsetzt und mit einem positiven Image verbunden ist. Dazu ist viel Phantasie im Mittelstand gefragt.

4 Der Mittelstand „Mittelstand“ ist ein typisch deutscher Begriff, welcher quantitative und qualitative Faktoren beinhaltet. Der Mittelstand ist zunächst quantitativ von Großunternehmen abgrenzbar. Dabei kann auf bewährte Klassifizierungsschemata zurückgegriffen werden. Zu nennen sind die Klassifizierungen der Europäischen Union (EU) und des Institutes für Mittelstandsforschung Bonn (IfM Bonn). Beide Definitionen nehmen synonym für den Mittelstand den KMU-Begriff auf: er steht für kleine und mittlere Unternehmen. Diese Definitionen ermöglichen – was allgemeiner Konsens ist – allerdings nur unscharfe Einordnungsversuche. Eine eindeutige Definition eines mittelständischen Unternehmens gibt es nicht, sie ist auch bei der Vielzahl möglicher Konstellationen und Rahmenbedingungen nicht sinnvoll.

4.1 Bedeutung und Kennzeichen Laut KMU-Definition der EU umfassen mittelständische Unternehmen solche bis 249 Mitarbeiter und bis 50 Mio € Umsatz pro Jahr. Die KMU-Definition des IfM Bonn weist dagegen als Mittelstand Unternehmen unter 500 Mitarbeiter und mit einem Umsatz unter 50 Mio € pro Jahr aus (Institut für Mittelstandsforschung Bonn o.J.). In beiden Klassifizierungen taucht der Begriff KMU für kleine und mittlere Unternehmen auf. Die EU-Definition unterscheidet nach kleinsten Unternehmen bis neun Mitarbeiter, kleinen Unternehmen bis 49 Mitarbeiter, mittleren Unternehmen bis zu 249 Mitarbeiter. Das IfM Bonn unterscheidet nach kleinen Unternehmen bis neun

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Mitarbeiter und mittleren Unternehmen bis 499 Mitarbeiter. Ab 500 Mitarbeiter beginnt also gemäß dieser Definition der Kreis der Großunternehmen. Die Autoren orientieren sich an der IfM-Definition. Gleichwohl: die Grenzen sind fließend. Die Autoren erleben in ihrer Region, dass sich auch Unternehmen mit bis zu 800 Mitarbeitern, gerade auch wenn sie inhabergeführt sind, noch zum Mittelstand zählen. Der Schwerpunkt der Betrachtungen hier ist der Mittelstand in der Größenordnung 100 bis 800 Mitarbeiter. Das heißt auch, dass die Autoren die vielen kleinsten und kleinen Unternehmen (bis 9 Mitarbeiter, bis 49 Mitarbeiter nach EUDefinition) außen vorlassen. Interessant ist nun der Übergang zu den qualitativen Faktoren. Ein wesentlicher Faktor besteht in der „Einheit von Eigentum und Leistung“, was bedeutet, dass mittelständische Unternehmen zwar nicht generell, aber in Mehrheit inhabergeführte Familienunternehmen sind. Eine Analyse des Institutes für Mittelstandsforschung Bonn ergab, dass 94,8% aller mittelständischen Unternehmen zur Gruppe der inhabergeführten Unternehmen (Eigentümerunternehmen) gehören (Günterberg/Wolter 2003, 1 ff.). Die Einheit von Eigentum und Leitung beinhaltet auch die Übernahme von Haftung und Risiko genauso wie die unmittelbare Mitwirkung der Leitung an allen unternehmerischen Entscheidungsprozessen. Neben den Eigentumsverhältnissen kommt als qualitatives Unterscheidungsmerkmal die Unternehmenskultur hinzu, welche sich ausdrückt im Umgang mit Veränderungen und eigenen Ressourcen und stark durch unmittelbares Erleben der Personen an der Spitze des Unternehmens und deren Vorbildverhalten geprägt ist. Qualitative Aspekte sind so Ausdruck einer inneren Evolution, eines gewachsenen Verständnisses für Machbarkeit und Gestaltungsmöglichkeiten auf dem je eigenen Dienstleistungs- beziehungsweise Gütermarkt und Arbeitsmarkt sowie den Gestaltungsfeldern der internen Strukturen und Prozesse. Mittelständische Unternehmen profitieren von ihrer vielbeschworenen Stärke „Flexibilität“, welche sie als großen Wettbewerbsvorteil ansehen. Wenn sie Kundenorientierung ernst nehmen wollen, müssen sie in der Lage sein, kurzfristig auf veränderte Nachfrage zu reagieren. Sie setzen daher zu Recht auf eine flexible Organisation ohne starre Vorgaben aufgrund langfristiger Planung. Dieser Verzicht auf Vorgaben spiegelt sich dann auch im fehlenden oder nur rudimentär vorhandenen strategischen Personalmanagement wider. Mittelständische Unternehmen verfügen – wenn sie als Familienunternehmen agieren – kaum über ausformulierte Pläne zur Steuerung und Kontrolle der Geschäftsführung. Denn anders als in Großunternehmen oder bei Kapitalgesellschaften sind die Geschäftsführer oft die Inhaber, die gegenüber Kontrollgremien keine Rechenschaft abzulegen haben. Wesentliche Planungs-, Steuerungs- und Kontrollprozesse werden von ihnen selbst wahrgenommen. Diese starke Ausrichtung auf den oder die Eigentümer prägt in hohem Maße das operative Geschäft. In solchen Unternehmen wundert es nicht, wenn sich die Personalabteilung und Führungskräfte auf ihren Chef, sprich den Geschäftsführer verlassen. Sie überlassen ihm den Vortritt zu entscheiden, ob und wie im Unternehmen Personalmanagement

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strategisch angegangen wird. Wird das Handeln des Chefs durch Tradition oder Festhalten an Bewährtem bestimmt, bleibt wenig Raum für eine bewusste Modernisierung. Fordert der Chef dagegen von seinen Führungskräften Innovationen, dann entsteht eine kollektive Dynamik, was durch vorhandene Nähe zwischen Geschäftsführung und Führungskräften begünstigt wird. Der Kreis der Führungskräfte auf der zweiten Ebene direkt unter der Geschäftsführung ist überschaubar. Es handelt sich um typische Funktionen wie Betriebsleiter, Kaufmännischer Leiter, Einkaufsleiter, Leiter IT, Leiter Logistik, Vertriebsleiter, Marketingleiter etc. Kennzeichen ihrer Arbeit sind handfeste Arbeitsweisen. Führungskräfte wollen präsent sein vor Ort, sie wollen operativ mitarbeiten. Nicht selten bestehen langjährige Betriebszugehörigkeiten, welche den Aufstieg aus den eigenen Reihen ermöglicht haben. Die Identifikation mit dem Unternehmen und dem Unternehmer ist hoch und zeigt sich in wechselseitiger persönlicher Verbundenheit. Führungskräfte im Mittelstand führen pragmatisch. Instrumenten der Personalführung wie dem Mitarbeitergespräch oder Potenzialanalysen stehen sie oft skeptisch gegenüber. Dann ist Überzeugungsarbeit angesagt. Hinsichtlich ihres Führungsverhaltens sind unterschiedliche Stile vorhanden: von patriarchalisch bis kooperativ, von kaum erkennbar, unter anderem auch weil nicht gelernt, bis passend, reflektiert, menschlich als Naturtalent. Ihre gleichzeitige Nähe zu Mitarbeitern und zur Geschäftsführung eröffnet Chancen für die Beteiligung an strategischen Entscheidungen und für die anschließende sofortige Umsetzung, zum Beispiel bei der Förderung junger Mitarbeiter der Generation Y. Wenngleich deren Aufstiegschancen aufgrund der Unternehmensgröße begrenzt sind, bieten sich gerade für sie interessante Perspektiven, die darin bestehen, in kürzerer Zeit selbständigere und vor allem abwechslungsreichere Aufgaben mit mehr Befugnissen und Verantwortung zu übernehmen. Darin besteht ein wesentlicher Unterschied zu Großunternehmen, in denen ein Mitarbeiter der Generation Y das Risiko tragen muss, in Routineprozessen „unterzugehen“ und einer unter vielen und damit austauschbar zu sein. Im Mittelstand sind nicht nur die Unternehmenskultur familiärer und die Aufgaben ganzheitlicher, sondern über Leistung und Arbeitserfolg gibt es ein unmittelbares Feedback.

4.2 Strategisches Personalmanagement im Mittelstand Der Begriff „Personalmanagement“ impliziert die Vernetzung aller klassischen Personalfunktionen als Teil eines übergreifenden Managementsystems und -prozesses mit dem Ziel, die Leistungsfähigkeit und den Erfolg einer Organisation zu optimieren. Der Fokus liegt hierbei auf den Humanressourcen, also den Mitarbeitern, ohne deren Kompetenzen und Engagement ein Unternehmen kaum wettbewerbsfähig wäre. Da menschliche Ressourcen nicht nur knapp sind, sondern sich als besonders kostenintensiv erweisen, bedarf es aus ökonomischer Sicht eines effizienten, professionell

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gesteuerten Einsatzes dieses klassischen Produktionsfaktors im Sinne Gutenbergs, was letztlich auch durch die gängige Bezeichnung „Personalwirtschaft“ adäquat beschrieben wird. Mitarbeiter nicht nur als Kostenfaktor, sondern vor allem als Innovationstreiber und Wissensträger zu betrachten, steht dabei im Mittelpunkt managementorientierten Denkens und Handelns, welches von einer intelligenten Verbindung wirtschaftlicher und sozialer Belange geprägt ist. Im Gegensatz zum eher verwaltenden und passiven „Personalwesen“, beinhaltet das Management des Personals ein aktiv zu gestaltendes, methodisch und inhaltlich fundiertes System, das sich neben den finanz- und leistungswirtschaftlichen Systemen als dritte Säule der Unternehmensführung etabliert hat (Berthel/Becker 2010, 13; Bröckermann 2012, 15). Zum strategischen Ansatz werden alle für den langfristigen Erfolg besonders relevanten und nachhaltigen Maßnahmen zur quantitativen und qualitativen Personalbedarfsdeckung (Personalrekrutierung und Freisetzung), zum Personaleinsatz, zur Personalentwicklung und zur Gestaltung der Arbeitsbedingungen einschließlich der Vergütung gezählt. Als Strategie wird allgemein die Erstellung und Umsetzung von Handlungsanweisungen verstanden, welche als Gesamtkonzept zur Lösung grundlegender und langfristiger Probleme dienen können. Das Ziel eines strategischen Personalmanagements wäre es, Impulse aus der Unternehmensstrategie aufzunehmen und mit den eigenen Aktivitäten der Personalabteilung zu verzahnen. Im Kern geht es um den Aufbau, die Erhaltung und die Nutzung der Personalressourcen des Unternehmens. Strategisches Personalmanagement im Mittelstand ist Chefsache, also Sache der Geschäftsführung. Das heißt auf Basis relevanter Daten eine Einschätzung vorzunehmen, welche internen und externen Einflussfaktoren die personelle Situation des Unternehmens bestimmen und mit welchen Maßnahmen diesen Herausforderungen nicht nur reaktiv, sondern auch proaktiv zu begegnen ist. Durchaus opportun wäre es, wenn die Geschäftsführung Flagge zeigt und vorangeht, zum Beispiel bei der Erarbeitung von Führungsgrundsätzen. Die schnelle Kommunikation zwischen Geschäftsführung, Personalleitung und Führungskräften begünstigt eine zielgerichtete Umsetzung, wenn etwa zum Zwecke der Personalrekrutierung eine Karriereseite auf der eigenen Homepage platziert werden soll. Strategisches Personalmanagement heißt Planung des Bedarfes an Mitarbeitern und Führungskräften mit unterschiedlichen Qualifikationen für unterschiedliche Funktionen, Planung der Personalkosten, aber auch über die Planung hinaus Schaffung der Voraussetzungen, dass die Planung umgesetzt wird. Bei allen Entwicklungen sind die Geschwindigkeiten zu bewerten, ein Zeithorizont für die Strategie ist festzulegen, zum Beispiel über drei bis fünf Jahre. Kernpunkt beim strategischen Personalmanagement von Mittelständlern im Vergleich zu Großunternehmen ist, dass bei Großunternehmen die Planung auf fundierten statistischen Auswertungen aufsetzt. Das ist notwendig, weil es sonst für Großunternehmen zu unscharf wird bei der Menge der Fakten. Für Mittelständler ist eine Abschätzung zielführender, wenn

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die Ermittlung konkreter Daten als Grundlage nicht möglich ist oder zu viel Aufwand bedeuten würde. Auch diese eher grobe Vorgehensweise trägt dazu bei, dass bei Geschäftsführung, Personalleitung und Führungskräften ein Bewusstsein für die Bedeutung eines strategischen Personalmanagements geschaffen wird. Die in größeren Unternehmen erforderlichen Strukturen und Standards mit starren mehrstufigen Über- und Unterordnungsverhältnissen, klar definierten Berichtswegen, Vollmachtregelungen und Prozessschritten stabilisieren zwar die Organisation, machen sie aber auch schwerfällig bei Veränderungen und Anpassungsbedarf. Andererseits verfügen diese Unternehmen über Experten, die Daten und Fakten zum Markt, zur Unternehmensentwicklung oder zu gesellschaftlichen Veränderungen recherchieren und für Managemententscheidungen sachgerecht aufbereiten. Diese Fachleute arbeiten in der Marktforschung als spezifizierte Stäbe, als externe Berater oder auch als Personalreferenten mit übergreifenden zentralen Projektthemen, beispielweise zum demografischen Wandel, zum Diversity- und Change-Management, zur betrieblichen Gesundheitsfürsorge oder auch zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie und zur WorkLife-Balance. Es liegt auf der Hand, dass die Erkenntnisse unmittelbar für fundierte Unternehmensentscheidungen verwertbar sind. Dies gilt auch für Verhandlungen mit der Arbeitnehmervertretung im Rahmen der betrieblichen Mitbestimmung. Hier tun sich mittlere Unternehmen schwerer. Sie sehen sich häufiger ihrer Tradition verpflichtet und halten auch in grundlegend veränderten Umweltsituationen – auch bezogen auf den Arbeitsmarkt – an bisherigen Erfolgsrezepten fest, deren Eignung sich für neue Problemstellungen aber allzu häufig als unzureichend erweist. Großunternehmen haben in der Regel umfassende Software-Tools zur Verfügung. Ob sie genutzt werden, steht auf einem anderen Blatt. Im Mittelstand sind diese Software-Tools so nicht vorhanden, das heißt die Datenbasis ist schmaler, man kann sich in der Regel immer auf handgestrickte Excel-Lösungen beziehen. Führungskräften im Mittelstand muss klar sein, dass sie dazu aus ihren Fachbereichen Daten und Fakten liefern müssen, um einen Ist-Stand herzustellen, zum Beispiel welche Schlüsselpositionen in ihrer Abteilung in den nächsten fünf Jahren altersbedingt neu besetzt werden müssen. Bei der Personalentwicklung sollten Führungskräfte Bescheid wissen über Anforderungsprofile und notwendige Kompetenzen und bei Personalkosten über sinnvolle Gehaltsanpassungen, ohne erst groß in Datenbanken zu wühlen. Es wird deutlich, dass in der Argumentation der Autoren Führungskräfte im strategischen Personalmanagement im Mittelstand eine besondere Aufgabe haben – mehr als in Großunternehmen. Die Personalstrategie im Mittelstand ist übersichtlicher, kleiner, handfester, pragmatischer. Sie sollte in dieser Form Herausforderungen angehen, die natürlich für Großunternehmen genauso relevant sind (Haufe 2010, 3 ff.): – Verzahnung der Unternehmensstrategie mit der Personalstrategie, was heißt zu erkennen, wo das Unternehmen hin will, wo Kapazitätsgrenzen und Möglichkeiten liegen. – Erkennen von Risiken der Personalunterdeckung und Personalüberdeckung.

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Erkennen von Trends, zum Beispiel hinsichtlich Technologie, Fachkräfteentwicklung, demographischer Entwicklung. Erkennen der internen Entwicklung, zum Beispiel der Altersstruktur. Erkennen von mittelstandsgerechten Stellschrauben und wie man diese anziehen beziehungsweise drehen kann, zum Beispiel bei der Ausbildungsquote, bei der Zusammenarbeit mit regionalen Schulen und Hochschulen. Identifizierung und Beschreibung sich verändernder Qualifikationsanforderungen im Unternehmen. Identifizierung von zukünftigen Vakanzen bei Führungsposition einschließlich der notwendigen Qualifikationen.

Neben den Aspekten der Systembeobachtung und -gestaltung, die überwiegend durch professionell agierende Fachkräfte der Personalabteilung wahrgenommen werden, gehören auch verhaltenssteuernde Einflüsse der Führungskräfte in Form der täglichen Personalführung dazu. Diese dezentralisierte, im gesamten Unternehmen anzutreffende und notwendige Aufgabe des Personalmanagements wird häufig als solche nicht erkannt oder unzureichend ausgeübt, da Führungskräfte vielfach nur aufgrund ihrer Fachkompetenz in hierarchische Positionen gelangen. Während in Großunternehmen regelmäßig Führungstrainings und situativ Coachings durchgeführt und auf diese Weise entsprechende Qualifikationen vermittelt werden, gehen kleinere bis mittlere Unternehmen unreflektiert davon aus, dass dies Praxiserfahrung und nicht weiter spezifizierte autodidaktische Phänomene richten werden. Da die angesprochene professionelle Personalarbeit durch eine zentrale Personalabteilung in KMU zudem aufgrund einer vielfach zu beobachtenden Unterbesetzung relativ schwach entwickelt ist, kommt den Führungskräften eine umso wichtigere kompensierende Funktion zu (Steinmann et al. 2013, 695). Mittelständler – so die Überzeugung der Autoren – können durch mehr Management-Transparenz und -Kompetenz ihrer Führungskräfte diese (strategische) Lücke füllen, zumal diese Instanzen in der Regel eine größere Nähe zur obersten Führungsebene aufweisen und im direkten Dialog ohne beschränkende Filterungseffekte eines Controllings personalwirtschaftliche Handlungsalternativen ausloten und gegebenenfalls schnell beschließen können. Führungskräfte können von der Personalabteilung als „Experten“ genutzt werden. Dadurch lassen sich im Sinne des Speed-Managements Flexibilisierungs- und Entscheidungsvorteile nutzen, zum Beispiel wenn es darum geht, geeignet erscheinende Bewerber unbürokratischer sowie schneller einzustellen, einzuarbeiten und zu fördern. Unter diesem Aspekt macht es Sinn, wenn sich der Mittelstand stärker internen und externen Herausforderungen antizipatorisch und weniger reaktiv stellt, um pragmatische Lösungen zum Beispiel in Arbeitskreisen aus Führungskräften und Vertretern der Personalabteilung frühzeitig zu entwickeln. Auf diese Weise können unternehmensspezifische Handlungsalternativen wie etwa bei der Festlegung geeigneter Rekru-

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tierungswege einschließlich digitaler Medien oder bei der Implementierung von Personalentwicklungsmaßnahmen aufgelistet und gemeinsam beschlossen werden. Unternehmensrelevante Strömungen lassen sich häufig schon als strategisches Radar diversen Beiträgen in Fachzeitschriften entnehmen oder durch kreative Szenariotechniken, zum Beispiel mit der Delphi-Methode, proaktiv generieren. Idealtypische Personalmanagement-Modelle von Großunternehmen können und sollten nicht vollständig adaptiert, sondern lediglich als Anregung verstanden werden nach dem Motto: „Der Weg ist das Ziel“. Bewährte Teile lassen sich aber in kleineren Organisationen durchaus testen und bei Bewährung in vereinfachter Form institutionalisieren. Dies gilt unter anderem für die Personalplanung, bei der zukünftige Personalbestände relativ einfach ermittelt und mit den schon schwieriger zu prognostizierenden Personalbedarfen abgeglichen werden müssen, um notwendige Rekrutierungen oder Freisetzungen rechtzeitig in Gang zu setzen. Die in mittelständischen Unternehmen gelegentlich zu beobachtenden kostentreibenden Übereinstellungen auf Zuruf lassen sich so weitgehend vermeiden. Ähnliches gilt auch für die Personalentwicklung, die weniger aufgrund einer Bildungsbedarfsanalyse problemorientiert, systematisch und nachhaltig, sondern eher konjunkturabhängig nach dem Gießkannenprinzip angelegt wird.

4.3 Strategisches Personalmanagement im Kontext von Arbeitgeberattraktivität Thematisiert werden an dieser Stelle in Ergänzung zum vorherigen Kapitel Ideen für strategisches Personalmanagement im Kontext der Arbeitgeberattraktivität. Das ist für diesen Aufsatz eine notwendige Begrenzung. Gleichwohl sei der Hinweis erlaubt, dass andere innovative personalpolitische Aufgaben und Themen wie WorkLife-Balance, Betriebliches Gesundheitsmanagement oder Betriebliches Eingliederungsmanagement in ähnlicher Form strategisch erarbeitet werden können. Bezugspunkt sind immer die Rahmenbedingungen des Mittelstandes. Was ist darunter zu verstehen, wenn dafür plädiert wird, dass Aufgaben und Themen strategisch erarbeitet und in einem Strategiekonzept formuliert werden? Was bedeutet es, wenn ein mittelständisches Unternehmen aus strategischer Sicht für sich Sinn und Notwendigkeit einer adäquaten Personalausstattung und damit den Bedarf an Personalrekrutierung klärt? Was heißt es, sich um Arbeitgeberattraktivität zu kümmern? Voraussetzung ist, dass Ausgangssituation, Problemstellung und Ziele systematisch erörtert werden. Die Kernfrage mit Bezug zur Arbeitgeberattraktivität lautet: Ist Arbeitgeberattraktivität Zweck oder Mittel, das heißt, muss ich mich als Unternehmen personalwirtschaftlich so ausrichten, dass ich Arbeitgeberattraktivität als Ergebnis habe (Zweck) – oder: muss ich mir die Frage stellen, wie mir bei der Personalplanung, beim Personalmarketing, bei der Personalrekrutierung die Arbeitgeberattraktivität „helfen“ kann (Mittel)?

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Die letzte Frage ist richtungsweisend. Ideal wäre, sie im Kontext eines mittelstandskonformen Personalszenarios zu diskutieren, bei dem Geschäftsführung und Personalabteilung die innere Personalsituation, Personalbedarfe und Veränderungen aufgreifen und zu äußeren gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen in Bezug setzen und nach Aus- und Wechselwirkungen fragen. Und in dem Zusammenhang müsste geklärt werden, was man im Unternehmen unter Arbeitgeberattraktivität verstehen möchte, wie man diese „leben“ und in Beziehung zu Personalplanung, Personalmarketing, Personalrekrutierung, Personalführung und Personalentwicklung setzen kann. Diese Vorgehensweise ist zielführend und pragmatisch umsetzbar. Man verzichte also auf lange Rechercheaufgaben, mit denen man (nicht vorhandene) Stabsabteilungen betraut, sondern nutze dafür nahestehende Quellen wie regionale Arbeitgeberverbände, Kammern, die Arbeitsagentur und Hochschulen. Ergebnisse müssten im Unternehmen vorgestellt und diskutiert werden, Unternehmen könnten dazu auch den Austausch mit anderen Mittelständlern in der Region suchen, sich vernetzen. Dies alles können Geschäftsführung und Personalabteilung nicht alleine bewerkstelligen, es müssen neben externen Beratern die Führungskräfte beteiligt werden. Und das bedeutet im Sinne eines neuen Modells, Führungskräfte mehr als bisher einzubeziehen in die strategischen Überlegungen und einzufordern, dass sie sich Gedanken zur Mitarbeiterbindung durch gute Personalführung machen, was noch naheliegend ist, aber auch perspektivisch zur Mitarbeiterrekrutierung und in dem Zusammenhang zum dafür notwendigen Beitrag der Arbeitgeberattraktivität. Das darf nicht alleinige Spielwiese von Geschäftsführung und/oder Personalleitung sein. Praktisch ist die Einbindung realisierbar, indem Unternehmen (extern) moderierte Workshops mit Geschäftsführung, Personalabteilung, Betriebsrat und Führungskräften durchführen, um dadurch Akzeptanz, Transparenz und verbindliche Beteiligung der Führungskräfte zu erreichen. Der Mittelstand hat den Vorteil, dass neben der Geschäftsführung in der Regel die komplette zweite Managementebene einbezogen werden kann. Es sind in der Regel zahlenmäßig nicht mehr als 10 bis 15 Personen. Ein wichtiges Ziel dabei wäre, dass die Führungskräfte die Bedeutung der Arbeitgeberattraktivität für die Personalrekrutierung und Mitarbeiterbindung und die Bedeutung von Zielgruppen, insbesondere die der relevanten Zielgruppe der Generation Y mit deren Bedürfnissen und Ansprüchen, erkennen. Ein weiteres wichtiges Ziel wäre, dass die Führungskräfte die Bedeutung und Chancen der Personalführung für das erste Ziel analysieren und zu neuen Einsichten und Vereinbarungen über ein entsprechend angepasstes unterstützendes Führungsverhalten und über eine angemessene Personalentwicklung gelangen. Das ist etwas, was sie selbst entscheidend beeinflussen können. Der wesentliche Knackpunkt ist: Die Führungskräfte müssen zunächst erkennen, wie wichtig ihr Führungsverhalten für die Bindung und Gewinnung neuer Mitarbeiter ist, um dieses dann selbstkritisch an den Erwartungen der

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Generation Y auszurichten. In einem solchen Prozess werden Führungskräfte auf sehr authentische Weise mit allen relevanten zielgruppenspezifischen personalwirtschaftlichen Funktionen des Mittelstandes konfrontiert.

5 Zielgruppenspezifische personalwirtschaftliche Funktionen im Mittelstand Die Betriebswirtschaftslehre versteht unter personalwirtschaftlichen Funktionen verschiedene Aufgabenfelder im Personalmanagement, die sich grundsätzlich nach Gestaltungs- und Verwaltungsschwerpunkten unterscheiden lassen. „Träger“ bei der Ausübung personalwirtschaftlicher Funktionen ist der Mensch, wobei in unserem Modell eine Vierteilung vorgenommen werden kann. Wir sehen als ersten „Akteur“ die Geschäftsführung an, welche unter der Voraussetzung, dass es keine Personalabteilung gibt, die Gesamtverantwortung für strategisches Personalmanagement und die Federführung bei der Umsetzung hat. Als zweiten Akteur nehmen wir die Personalabteilung in den Blick. Im Idealfall ist sie vorhanden, personell adäquat ausgestattet mit einem Personalleiter an der Spitze. Die Führungskräfte zählen wir zur dritten Gruppe der Akteure, welche in wichtige Gestaltungsaufgaben einbezogen werden müssen. Die Mitarbeiter gehören zur vierten Gruppe, wobei wir in diesem Aufsatz den Blick auf die Generation Y legen. Die Herausstellung der Menschen als Träger und Gestalter personalwirtschaftlicher Funktionen, welche einen entscheidenden Einfluss auf das Betriebsergebnis haben, rechtfertigt nach Meinung der Wissenschaft auch die begrifflichen Anpassungen in Richtung Personalmanagement beziehungsweise HumanResource-Management. In der Literatur werden zwecks analytischer Durchdringung die personalwirtschaftlichen Funktionen in der Regel einzeln abgearbeitet, wobei der Hinweis nicht fehlt, dass in der Praxis vielfältige wechselseitige Beeinflussungen vorhanden sind (Bröckermann 2009, 15 ff.). Die Autoren schließen sich dieser Auffassung an und thematisieren im Folgenden fünf zentrale personalwirtschaftliche Funktionen – davon vier paarweise in einer sehr engen Vernetzung (Abbildung 13.1). Die gestalterischen Aspekte stehen im Vordergrund. Der Bezug zum Mittelstand soll hergestellt werden, ebenso der Bezug zu einer in Zukunft stärkeren strategischen Herangehensweise. Thematisiert werden: 1. Personalplanung und Personalmarketing 2. Personalrekrutierung 3. Personalführung und Personalentwicklung

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Personal-planung -marketing

Geschäftsführung

Personalabteilung

Mitarbeiter Generation Y

Personal-führung -entwicklung

Personal-rekrutierung

Führungskräfte

Abb. 13.1: Personalwirtschaftliche Funktionen und Akteure. Quelle: Eigene Darstellung.

5.1 Personalplanung und Personalmarketing Die Personalplanung bildet die Basis für alle personalwirtschaftlichen Gestaltungsfelder. Sie ist eine notwendige Voraussetzung, um zielgerichtete Maßnahmen zur quantitativen Personalbedarfsdeckung durch Rekrutierung und Freisetzung und zur qualitativen Personalbedarfsdeckung durch Personalentwicklung durchführen zu können. Der qualitative Aspekt wird in Abschnitt 5.3 erörtert. Ohne konkrete Informationen und Erkenntnisse über die zukünftige Entwicklung eines Unternehmens können keine fundierten Managemententscheidungen getroffen werden, und es besteht hochgradig Gefahr, dass Einstellungen oder Entlassungen von Mitarbeitern

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willkürlich oder zumindest unüberlegt – einer aktuellen Begebenheit, zum Beispiel einem ungewöhnlich hohen Auftragseingang folgend – voreilig realisiert werden. Zu viele Mitarbeiter bedeuten hohe, zudem weitgehend fixe Kosten, bei zu wenigen kann das Erreichen der Unternehmensziele oder die Nutzung von Marktchancen gefährdet sein (Lindner-Lohmann et al. 2012, 22). Die Personalplanung fußt auf der Personalbestandsplanung, welche die aktuelle und zukünftige Mitarbeiterzahl global oder differenziert nach Qualifikations- oder Berufsgruppen ermittelt. Unter Berücksichtigung von aus Sicht des Arbeitgebers autonomen und initiierten Personalveränderungen wird der zukünftige Ist-Personalbestand prognostiziert. Dabei sind weitgehend sichere (z.B. Altersabgänge, bereits beschlossene Übernahmen von Auszubildenden) und nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorhersehbare Ereignisse (z.B. arbeitnehmerseitige Kündigungen, Todesfälle) zu unterscheiden. Auf der Grundlage einer Fortschreibung des Personalbestandes und einer laufenden Ermittlung der Besetzung in den einzelnen Altersgruppen kann auch der Mittelstand seinen Handlungsbedarf bei der Einstellung jüngerer Mitarbeiter der Generation Y zur Sicherstellung des Betriebes leicht erkennen, da ohne Rekrutierung eine schleichende natürliche Personalreduktion erfolgt. Parallel hierzu wird der aktuelle und zukünftige Personalbedarf (Soll-Bestand) ermittelt. Ausgehend vom gegenwärtigen Stellenbestand werden hierbei insbesondere aus den Absatz- und Produktionsplänen resultierende Wachstums- oder Schrumpfungsabsichten sowie organisatorische Veränderungen (z.B. Rationalisierungsvorhaben, Technologieeinsatz, Outsourcing-Entscheidungen, Umstrukturierungen, Prozessoptimierungen) und exogene Einflüsse (z.B. Konjunkturentwicklung, Gesetzesänderungen) berücksichtigt. Gegenüber der Bestandsplanung erweist sich dies als komplexer und verdeutlicht die vorhandene Interdependenz der betrieblichen Teilpläne, welcher nur durch einen simultanen Ansatz zu begegnen ist. Der hierfür notwendige Aufwand korrespondiert mit der Länge des Planungshorizontes. Während kurzfristige Planungen in nahezu allen Unternehmensgrößen anzutreffen sind, weil sie die Funktionstüchtigkeit des operativen Geschäfts betreffen, wird die methodische Umsetzung langfristiger und strategischer Überlegungen weitgehend nur von in Großunternehmen verfügbaren Planungsexperten hinreichend zu leisten sein. Mittelständler können aber sehr wohl auch bewährte Instrumente der Personalbedarfsplanung realisieren. Hierzu gehören neben der weitgehend unpräzisen, aber einfach umzusetzenden Schätzung mehrstufige Expertenbefragungen von eigenen Führungskräften und externen Beratern sowie Kennzahlenverfahren, die auf einer Kausalität zu bestimmten Determinanten beruhen (z.B. Arbeitsproduktivität, Umsatz, Produktions- und Verkaufsfläche, Öffnungszeiten). Umsetzbar sind auch arbeitswissenschaftliche Methoden, bei denen der quantitative Personalbedarf insbesondere in der heterogenen Fertigung in einem mehrstufigen Verfahren anhand von Vorgabezeiten für Haupt- und Nebentätigkeiten sowie Verteilzeiten berechnet wird. Das Zusammenführen der zukünftigen Personalbestände und -bedarfe erfolgt in der Perso-

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naleinsatzplanung, bei der alle vorgesehenen Stellen mit einem geeigneten Mitarbeiter besetzt werden (sollen). Die für diesen Beitrag relevante Personalbeschaffungsplanung mündet in Rekrutierungsmaßnahmen am externen Arbeitsmarkt, selbst wenn einige Vakanzen motivationsfördernd auch intern besetzt werden können, wodurch aber neue Lücken entstehen. Bevor dieser zentrale Kernprozess der Ausschreibung und Bewerberauswahl im folgenden Abschnitt beschrieben wird, soll als wichtige Vorleistung hierfür die Bedeutung des Personalmarketings herausgestellt werden. Personalmarketing resultiert ähnlich wie im Absatzbereich aus einer veränderten Marktkonstellation, die eine proaktive Bearbeitung bedingt. Der Arbeitsmarkt hat sich zunehmend von einem Verkäufer- (hier gemeint als Anbieter von Stellen) zu einem Käufermarkt (hier gemeint als Nachfrager von Stellen) verändert. Die demografische Entwicklung mit dem daraus resultierenden Mangel an Fach- und Führungskräften hat demzufolge die Machtverhältnisse zugunsten der Bewerber verschoben. Die Arbeitgeber – auch solche verschiedener Branchen in einer Wirtschaftsregion – sehen sich zunehmend als Wettbewerber um qualifizierte Mitarbeiter. Der Kampf um die besten Arbeitskräfte ist nach Meinung vieler Fachleute voll entbrannt. Daraus resultiert die Frage, wie kleinere und mittlere Unternehmen ihre Arbeitgeberattraktivität gegenüber privilegierten Konzernen verbessern können. Personalmarketing ist als eine grundsätzliche Denkweise und Haltung zu verstehen, die auf den Arbeitsmarkt ausgerichtet ist und ein Bewusstsein für die Situation und Sichtweise der Marktpartner – hier von Mitarbeitern – entwickelt. Damit soll eine langfristig-systematische und auf einer guten Informationsbasis gestützte Gewinnung neuer und Bindung bereits beschäftigter Mitarbeiter erreicht werden. Dabei spielt der Zielgruppenbezug eine entscheidende Rolle. Für die hier fokussierte Gruppe der YGeneration sollte ein positives, das heißt von ihr als attraktiv wahrgenommenes Arbeitgeberimage möglichst im Sinne einer Markenbildung (employer branding) etabliert werden. Diese nach außen gerichtete externe Form des Personalmarketings bedingt eine schlüssige Kommunikationsstrategie. Diese beinhaltet zum einen die Kontaktanbahnung, die potenzielle Bewerber auf das Unternehmen aufmerksam machen soll. Zum anderen umfasst sie die Kontaktverdichtung, um das Interesse dieser Personen für einen Einstieg zu wecken. Mit der Kontaktpflege soll schließlich während des gesamten Auswahlprozesses der Kontakt zu geeigneten Bewerbern bis zur möglichen Einstellung gehalten werden (Kolb 2008, 76 ff.). Auch diese Kontaktmöglichkeiten sind im Führungskreis im Rahmen des strategischen Personalmanagements abzustimmen, wobei zu klären ist, wer von Personalabteilung und von Führungskräften Kontakte zu potenziellen Bewerbern hält. Mit welchen geeigneten Instrumenten kann der Mittelstand in den ersten beiden Phasen agieren? Unter Berücksichtigung beschränkter Budgets lassen sich einige pragmatische Ansätze vorstellen, um Präferenzen und ein positives ArbeitgeberImage aufzubauen: Da Mittelständler vorrangig regional ihren Personalbedarf decken,

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kommt insbesondere der Mundpropaganda – sprich den Empfehlungen der Mitarbeiter und Führungskräfte in ihren Bekannten- und Freundeskreisen – eine zentrale Bedeutung zu. Eine überzeugend vorgetragene Identifikation mit „ihrem Unternehmen“, die vor allem mit gutem Betriebsklima, kooperativer Führung, interessanten Aufgaben und motivationsfördernden Arbeitsbedingungen begründet wird, hat eine starke Wirkung. Man kann davon ausgehen, dass diese authentisch empfundene Wahrnehmung im Laufe der Zeit durch Wiederholung und Weitergabe immer größere Kreise zieht. Unterstützt werden kann diese Verbreiterung durch Unternehmensveranstaltungen wie den „Tag der offenen Tür“, Hausmessen, Informations- und Schnuppertage für Schulabgänger oder Exkursionen von Studierenden, über die idealerweise in der regionalen Presse berichtet wird. Bei Hochschulabsolventen könnten thematisch ausgerichtete Workshops mit Fach- und Führungskräften der Abteilungen einen Einblick in den betrieblichen Alltag ermöglichen und gleichzeitig pragmatische Lösungen für betriebliche Problemstellungen liefern. Weitere sinnvolle Ansätze sehen die Verfasser in der Betreuung von Praktika sowie Examens- und Hausarbeiten, wodurch ebenfalls mehrfacher Nutzen eintreten kann. Dieser besteht für die YGeneration darin, erste Praxiskontakte für den späteren Berufseinstieg zu knüpfen und praktische Erfahrungen zu sammeln, während für die Unternehmen wissenschaftliche Expertise für Projekte verfügbar wird. Verstärken lässt sich dieser Effekt durch regelmäßige Praktikervorträge und einen interaktiven Internetauftritt, mit denen über Karrierewege, Fördermaßnahmen, aber auch offene Stellen informiert wird. Die Übernahme öffentlicher Aufgaben wie etwa das Sponsoring von Sportevents und die Vergabe von Auszeichnungen oder Stipendien kann hierzu beitragen.

5.2 Personalrekrutierung Begünstigt durch ein zielgruppenorientiertes, die Arbeitgeberattraktivität förderndes Personalmarketing einerseits und konkretisiert durch eine fundierte Personalplanung andererseits, kann die Personalrekrutierung durchgeführt werden. Bei dieser von der Personalabteilung federführend verantworteten Funktion geht es darum, in enger Abstimmung mit den Führungskräften den positiv ermittelten Nettopersonalbedarf in quantitativer, qualitativer, zeitlicher und wirtschaftlicher Hinsicht zu decken. Dies erweist sich häufig als anspruchsvolle und durchaus strategisch relevante Aufgabe, geht es letztlich darum, den bestgeeigneten Bewerber auf eine ausgeschriebene Stelle aus einer größeren Gruppe von Kandidaten mit vertretbarem Aufwand auszuwählen, der dann bei einem unbefristeten Arbeitsverhältnis langfristig dem Unternehmen als Leistungsträger zur Verfügung steht. Der Rekrutierungsprozess als einer der Kernprozesse der Personalwirtschaft lässt sich insofern in mehrere chronologisch aufeinander aufbauende Phasen zerlegen. Zunächst ist zu entscheiden, ob eine Ausschreibung, evtl. auch eine Versetzung innerhalb des Betriebes möglich und sinnvoll erscheint. Ist dies bei hinreichenden

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Qualifikationen der Fall, wird häufig der interne Beschaffungsweg beschritten, der aufgrund der bereits erfolgten Integration der Bewerber als bereits bekannte Mitarbeiter in der Regel schnell, mit geringerem Risiko und motivationsfördernd zum Erfolg führt. Nachteile resultieren tendenziell aus fehlenden Impulsen und neuen Erkenntnissen infolge von Betriebsblindheit, eingeschränkter Akzeptanz und Missgunst von Kollegen und der Entstehung neuer Vakanzen. Alternativ – insbesondere bei Unternehmenswachstum – wird ein externes Stellenangebot platziert. Traditionell geschieht dies abhängig von der Bedeutung und erwarteten Resonanz in regionalen oder überregionalen Tageszeitungen und Fachzeitschriften. Da die hier besonders betrachtete Y-Generation eher digital unterwegs ist, sollten auch oder eher Schaltungen in öffentlichen (z.B. Arbeitsagentur) und kommerziellen (z.B. Stepstone) Jobbörsen erwogen werden, da hier aufgrund leistungsfähiger Suchmaschinen die Filterung erleichtert und die Verfügbarkeit örtlich wie zeitlich kaum eingeschränkt ist. Flankierend müssten die Stellen im Karriereteil des eigenen Internetauftritts mit weiterführenden Informationen beschrieben werden. Allerdings stellt sich dann die Frage, ob bei eher unbekannten kleineren Unternehmen deren Web-Sites überhaupt von der Zielgruppe gesucht und gefunden werden. Zu erwägen wäre auch die Nutzung der Social-Media-Instrumente wie Facebook, Twitter, Xing, Linkedin oder You-Tube durch Postings eigener zufriedener Mitarbeiter. Zur Einstellung von Fach- und Führungskräften führen so genannte Headhunter telefonische Direktansprachen bei potentiellen Bewerbern durch. Im Gegensatz zum Posting eines Stellenangebotes wird dies als aktives Sourcing oder Scouting bezeichnet. Überträgt man diesen Gedanken auf die Generation Y und lässt die externen Headhunter außen vor, dann heißt das, dass benötigte Mitarbeiter an der Quelle in Bildungseinrichtungen, Hochschulen oder auf Absolventenkongressen gezielt angesprochen und informiert werden – durch Mitarbeiter der Personalabteilung. Hierzu gehören auch die Analyse von Stellengesuchen und Initiativbewerbungen sowie sämtliche Formen des Kennenlernens und Aktivierens von Zielgruppen-Mitgliedern im Rahmen des oben beschriebenen Personalmarketings. Ein ökonomisches Ziel der Personalrekrutierung besteht darin, nicht besonders viele, sondern möglichst geeignete Kandidaten zu einer Bewerbung zu animieren. Dies gelingt am besten durch eine möglichst vollständige und präzise Beschreibung der zu besetzenden Stellen hinsichtlich Aufgaben und Anforderungen sowie durch eine sich anschließende kritische Selbstprüfung der Interessenten hinsichtlich der Erfüllung zumindest der Muss-Kriterien. Der Personalbereich hat nach Bewerbungseingang in einem mehrstufigen Verfahren die jeweilige Eignung zu beurteilen. Den Ausgangspunkt bildet die Dokumentenanalyse der eingereichten Unterlagen (Anschreiben, Lebenslauf, Zeugnisse). Eine Vorauswahl entscheidet dann in Abstimmung mit den zuständigen Führungskräften darüber, welche Kandidaten zu persönlichen Vorstellungsgesprächen eingeladen werden. Diese Gespräche dienen dazu, einen persönlichen Eindruck zu gewinnen, Vorstellungen zur Aufgabenwahrnehmung und

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Intentionen zur weiteren beruflichen Entwicklung zu erörtern und offene Fragen des Bewerbers zu klären. Die Rekrutierung endet nach Überzeugung der Autoren nicht mit dem unterzeichneten Arbeitsvertrag, sondern umfasst noch die anschließende Einarbeitung und notwendige Personalentwicklung im Unternehmen. Erst wenn diese für beide Seiten erfolgreich abgeschlossen ist, kann mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, einen neuen Mitarbeiter gewonnen zu haben.

5.3 Personalführung und Personalentwicklung Personalführung bezieht sich auf die personenbezogene Umsetzung von Unternehmenszielen und Unternehmensstrategien und von Entscheidungen auf den einzelnen hierarchischen Ebenen durch Führungskräfte. Sie kann als Teil der Unternehmensführung in einem weiten Sinne angesehen werden (Olfert 2008, 211). Personalführung ist damit nicht die Person an der Spitze der Hierarchie der Personalabteilung, sie ist die Hauptaufgabe von Führungskräften. Dabei werden die Führungskräfte von der Personalabteilung unterstützt. Personalführung wird verstanden als zielorientierte soziale und interpersonelle Einflussnahme zur Erfüllung gemeinsamer Aufgaben in einer strukturierten Arbeitssituation (Bröckermann 2009, 239 f.). Was hier sehr akademisch klingt, bedeutet, dass nicht nur die Führungskräfte ihre Mitarbeiter beeinflussen, sondern auch die Mitarbeiter Einflussmöglichkeiten haben. Das wird eine Rolle spielen, wenn die Wünsche und Interessen der Generation Y auf die Führungskräfte stoßen und bei der Aufgabenbearbeitung und Personalentwicklung berücksichtigt werden wollen. Die Bedeutung der Personalführung ist in den letzten Jahren gewachsen. Genannt als Begründung werden gesellschaftliche Demokratisierungstendenzen und bildungspolitische Anstrengungen. Sie haben bei Arbeitnehmern zu einem gewachsenen Selbstbewusstsein und – durch bessere Ausbildung – zu einer höheren Qualifikation geführt (Olfert 2008, 212). Auch hier wird man sich in mittelständischen Unternehmen damit auseinandersetzen müssen, was dies bei der jungen Mitarbeitergeneration bedeutet. Eine Führungskraft hat im Rahmen der Personalführung mit ihren Mitarbeitern fünf Aufgaben zu erfüllen: 1. Ziele setzen, 2. organisieren, 3. entscheiden, 4. kontrollieren, 5. Menschen entwickeln und fördern (Malik 2000, 171 ff.). Dies gelingt nur, wenn alle Akteure motiviert und leistungsorientiert zu Werke gehen. Voraussetzung dafür ist eine gelungene Kommunikation. Weitere praktische und theoretische Aspekte bilden eine Grundlage der Personalführung: – Führungstheorien stellen einen Leitrahmen für das Handeln von Führungskräften dar. – Führungsgrundsätze normieren die Führungsbeziehungen zwischen Führungskraft und Mitarbeiter. Sie werden in der Praxis unternehmensspezifisch in Unternehmen aufgestellt und vermittelt.

Kapitel 13: Arbeitgeberattraktivität und Personalrekrutierung im Mittelstand | 285







Führungsmittel weisen darauf hin, womit geführt wird. Zu ihnen gehören Stellenbeschreibungen und Anforderungsprofile ebenso wie Anweisungs- und Reportingmittel, die Arbeitsmethodik, Beurteilungen und das Mitarbeitergespräch. Führungstechniken zeigen, wie geführt wird. Es handelt sich um die klassischen „management by“-Techniken wie Management by Delegation oder Management by Objectives (Führen durch Zielvereinbarungen). Führungsstile sind für Mitarbeiter erlebbar als die von der jeweiligen Führungskraft praktizierte Art und Weise im Umgang mit Menschen.

Während die Führungstheorien eine eher theoretische Wirkung entfalten können, sind bei den Führungsgrundsätzen, Führungsmitteln, Führungstechniken und Führungsstilen sehr starke praktische Implikationen erkennbar und auch möglich. Dies alles kann im Rahmen des strategischen Personalmanagements im Dialog zwischen Geschäftsführung, Personalleitung und Führungskräften thematisiert, verinnerlicht und durch konkrete Maßnahmen ausgekleidet werden. Ein Führungsverhalten, welches einem modernen Führungsstil entsprechen soll, lässt sich trainieren. Gerade im Mittelstand sind dazu Trainingsmaßnahmen möglich, bei denen alle Führungskräfte eines Unternehmens in Firmenseminaren einen situationsgerechten Führungsstil und eine situationsgerechte Kommunikation üben können. Die Diskussion um Führungsstile hat eine gewisse Tradition im Kontext der Personalführung. Es ist aber nach wie vor fruchtbar und belebend, sich an den Aussagen eines traditionellen autoritären Führungsstils und eines modernen kooperativen Führungsstils abzuarbeiten. Die Autoren schließen sich der Meinung an, dass ein Führungsstil sich unterschiedlichen Situationen anpassen soll, wobei in der heutigen Situation mit Bezug zur Generation Y ein kooperativer Führungsstil favorisiert wird. Für die Führungskraft liegt die Herausforderung darin, den Führungsstil nicht nur auf die aktuellen Aufgaben und Projekte im Tagesgeschäft zu beziehen, sondern auch auf erwünschte Wirkungen mit Bezug zu den Arbeitsverhältnissen der Mitarbeiter. An erster Stelle sollte das Führungsverhalten darauf überprüft werden, inwieweit es einen Beitrag zur Mitarbeiterbindung leistet. Führungskräfte werden – sinnvoll unterstützt durch Führungskräftetrainings – zu der Erkenntnis kommen, dass ein kooperatives Führungsverhalten für die Generation Y angemessen ist. Zu einem kooperativen Führungsverhalten gehören die Einbindung und Beteiligung der Mitarbeiter, der Ausdruck von Empathie und das Schaffen einer Leistungs- und Wohlfühlatmosphäre im Arbeitsbereich, was zusammen ein erwünschtes (mit-)unternehmerisches Handeln begünstigt (Wunderer 2009, 218 ff.). Neben dem unmittelbar Erlebbaren ist dann für die Mitarbeiter noch etwas spürbar, was einen Arbeitgeber attraktiv macht, was durch das Führungsverhalten erzeugt beziehungsweise verstärkt werden kann. Das Spürbare ist die Kultur, das Miteinander, der Umgang der Führungskräfte mit den Mitarbeitern, das Gespräch, die Abstimmung von Zielen und Aufgaben, das konstruktive Feedback, der

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motivierende menschliche Zuspruch als Ausdruck von Wertschätzung und Akzeptanz, die Anerkennung für gute Leistungen (Helbich/Herzig 2014, 27 ff.). Um gute Leistungen erzielen zu können, ist eine ständige Aktualisierung der Qualifikationen notwendig. Die betriebliche Personalentwicklung unterstützt diesen Prozess. Sie lässt sich definieren als eine personalwirtschaftliche Funktion, durch die Potenziale und Qualifikationen so entwickelt werden, dass Mitarbeiter ihre aktuellen und zukünftigen Aufgaben – orientiert an den Unternehmenszielen – besser erfüllen können. Personalentwicklung entfaltet sich auf verschiedenen Handlungsfeldern. Nach wie vor guter Ausgangspunkt und gerade für Mittelständler entscheidend ist das Handlungsfeld der betrieblichen Weiterbildung. Es gilt Qualifikationsbedarfe zu ermitteln, Weiterbildung umzusetzen und durch geeignete Verfahren zu evaluieren. Grundlage im Mittelstand ist das Gespräch zwischen Führungskraft und Mitarbeiter. Denn es sind insbesondere die Führungskräfte, die hier tätig werden müssen, um für ihre Mitarbeiter den richtigen Qualifikationsbedarf festzulegen. Mit Spannung kann erwartet werden, welche Weiterbildungsbedarfe die Generation Y reklamiert. Neben der Weiterbildung können natürlich auch andere Handlungsfelder der Personalentwicklung bearbeitet werden, wie man sie aus Großunternehmen kennt. Voraussetzung ist eine Klärung im Rahmen des strategischen Personalmanagements. Mögliche Themen sind: Nachwuchs-Förderprogramme, Potenzialanalysen, Coaching und Mentoring, Kollegiale Fallberatung etc., die Liste könnte noch vervollständigt werden. Mittelständler sollten sich allerdings nicht den gesamten möglichen Katalog von Maßnahmen vornehmen, sondern sich auf ausgewählte Konzepte beschränken, wie etwa Nachwuchs-Förderprogramme, welche auch betriebsübergreifend mit anderen Unternehmen im mittelständischen Netzwerk realisiert werden könnten. Als zentrales Element der Personalentwicklung gilt aber das Mitarbeitergespräch, welches, wenn es als Jahresgespräch anhand eines strukturierten Leitfadens durchgeführt wird, sowohl dem Mitarbeiter als auch der Führungskraft eine Standortbestimmung durch Feedback ermöglicht. In diesem Mitarbeitergespräch erfährt auch die Führungskraft, inwieweit ihr Führungsverhalten und ihr Führungsstil das Unternehmen für den Mitarbeiter attraktiv machen. Der Mitarbeiter erfährt, wie seine Leistung gesehen wird und welche Möglichkeiten zur Qualifizierung und Weiterentwicklung für ihn bestehen. Feedback im Sinne einer Rückmeldung zu sich selbst wird von einem Mitarbeiter der Generation Y als sehr wichtig angesehen. An der Rückmeldung generell, an konstruktiver Kritik, an der Anerkennung und am Aufzeigen von Perspektiven wird er nicht zuletzt festmachen, ob und wie er seine Zukunft im Unternehmen gestalten möchte. Personalentwicklung rundet so die Personalrekrutierung ab. Sie gleicht noch vorhandene Defizite aus, hilft Potenzial zum Durchbruch und führt so zur gewünschten Zufriedenheit.

Personalmarketing

Personalplanung

Kapitel 13: Arbeitgeberattraktivität und Personalrekrutierung im Mittelstand | 287

personalwirtschaftliche Rollen und Beiträge Instrumente der Geschäftsführung

Rollen und Beiträge Rollen und Beiträge der der Personalabteilung Führungskräfte

Personalbestandsermittlung und -fortschreibung

Realisation/ Koordination aller relevanten Maßnahmen/ Entscheidungen

aktive Beteiligung an strategischen und operativen Maßnahmen

Expertenschätzung des Teilnahme als Experte Personalbedarfs

Organisation, Teilnahme als Experte

Teilnahme als Experte

Szenariotechnik (Delphi-Methoden)

Organisation, Teilnahme

Teilnahme

Vorgabe strategisch relevanter Rahmendaten

Teilnahme

Analyse des relevanten Arbeitsbeschaffungsmarktes

Datenbeschaffung bei Botschafterfunktion im regionalen internen und externen Arbeitsagenturen, Arbeitsmarkt Kammern, Verbänden, Hochschulen; Auswertung

Kennzahlen

Vorgabe als Planungsinstrument

Organisation

Datenlieferant und -interpret

Hochschulmarketing

strategische Vorgabe

Organisation, Kontaktaufbau, Kontaktpflege

Kontaktaufbau, Kontaktpflege mit Fachdisziplinen

Praktikervortrag in Hochschulen

Vorbild, Zustimmung

Organisation, eigene Durchführung bei Personalthemen

Durchführung bei Fachthemen (z.B. Technik, Controlling, Einkauf)

Einladung von Studierenden zu Workshops

Teilnahme am Workshop

Ausschreibung, Auswahl der Teilnehmer, Organisation

Teilnahme am Workshop

Kontaktpflege zu Hochschulabsolventen

Organisation, Durchführung

aktive Teilnahme

Jobmessen, Freigabe Absolventenkongresse

Organisation eigener Teilnahme bei Jobmessen, Teilnahme fachlichen Jobmessen

Tag der Offenen Tür

Freigabe, Präsenz im Unternehmen, Repräsentation

Organisation, Koordination

Teilnahme als Ansprechpartner für fachliche Themen

Flexibles Arbeitszeitmodell

Initiierung, Freigabe

Entwicklung, Implementierung und Organisation

Unterbreitung bereichsspezifische Gestaltungsansätze

Abb. 13.2: Personalwirtschaftliche Funktionen, Instrumente, Rollen und Beiträge. Quelle: Eigene Darstellung.

Personalrekrutierung

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personalwirtschaftliche Rollen und Beiträge Instrumente der Geschäftsführung

Rollen und Beiträge Rollen und Beiträge der der Personalabteilung Führungskräfte

traditionelle und digitale Stellenausschreibung intern und extern (Posting)

Medienauswahl; Ausschreibungstext, Stellenangebot; systematische Umsetzung des gesamten Rekrutierungsprozesses

aktive Einbindung in den Rekrutierungs- und Auswahlprozess mit Entscheidungsbeteiligung

Sourcing und Scouting

Organisation, Bewerbersuche als Scout

aktive Beteiligung als Scout

Karriere-Homepage

Organisation, Beauftragung von Fremdfirmen

Anforderungsprofil

Organisation

Informationsbereitstellung

Stellenbeschreibung

Organisation

Informationsbereitstellung

Analyse von Bewerbungsunterlagen

Federführung bei der Analyse

Beteiligung an der Analyse Teilnahme

Einbindung bei der Rekrutierung höherer Fach-/Führungskräfte

Vorstellungsgespräch

Teilnahme bei relevanten Fach- und Führungspositionen

Organisation, Gesprächsführung

Arbeitsvertrag

Setzen von Rahmenbedingungen

Erstellung, Verwaltung

Einarbeitungsplan

Abb. 13.2: Fortsetzung.

Erarbeitung/ Federführung bei Aktualisierung; Betreuung in der Überwachung bis Ende Einarbeitung Probezeit; Abschlussgespräch

Kapitel 13: Arbeitgeberattraktivität und Personalrekrutierung im Mittelstand | 289

personalwirtschaftliche Rollen und Beiträge Instrumente der Geschäftsführung

Rollen und Beiträge Rollen und Beiträge der der Personalabteilung Führungskräfte

Führungsgrundsätze

Formulierung der Führungsphilosophie

Führungstraining

Anregung / Unterstützung, evtl. eigene Teilnahme Leitfunktion, Vorbild, Klärung mit dem Führungskreis

Implementierung und laufende Anpassung; Beratung der Führungskräfte Organisation

Kooperatives Führungsverhalten

Personalführung

Teambesprechung Mitarbeitergespräch

Vorbild/Vorreiter für Top-Down-System

Potenzialanalyse und Mitarbeiterbeurteilung

Nachwuchsförderprogramm

Freigabe, Mitsprache bei Benennung von Teilnehmern Mentoring Geschäftsführung als Mentor Coaching von Fach- und Freigabe Führungskräften Kollegiale Beratung

Personalentwicklung

Wissenstransfer alt/jung

Weiterbildung: QualifikationsBedarfsermittlung Weiterbildung: Durchführung Weiterbildung: Evaluation

Abb. 13.2: Fortsetzung.

Anwendung; selbstkritische Prüfung der eigenen Umsetzung als Vorbild Entwicklung von Eigenmotivation zur Teilnahme Konzepterstellung, „Inhaber“, „Ausüber“ Organisation von und Teilnehmer am Klärungs-Workshops Klärungsprozess Organisation, Moderation Organisation für das Vorbereitung, Durchgesamte Unternehmen; führung mit Mitarbeiter; Erstellung Leitfaden; Rückmeldung von PEEntgegennahme von Bedarf an PersonalPE-Bedarf zur weiteren abteilung; selbst Planung, Umsetzung Teilnehmer Entwicklung geeigneter Instrumente; Erstellung Anforderungsprofile, Abgleich Fähigkeitsprofile Entwicklung, Implementierung, Organisation und Planung Organisation Organisation, Beauftragung von externen Coaches Anstöße

Durchführung der Mitarbeiterbeurteilung einschl. Beurteilungsgespräch (Feedback) Benennung von Teilnehmern; aktive Beteiligung als Dozent Führungskraft als Mentor eigene Teilnahme als Coachee Organisation

Impuls für die bereichsübergreifende abteilungsbezogene Einführung eines Organisation; Organisation, Wissensmanagements Einrichtung Unterstützung von Wissensdatenbanken Lerntandems Bedarfsnennung auf Führen von Gesprächen; Inputgeber für den Meta-Ebene Beauftragung eines eigenen und Bedarf der Bildungswerkes Mitarbeiter, Klärung mit Mitarbeitern Budgetfreigabe Organisation mit Freistellung der Bildungswerk Mitarbeiter Organisation Hilfe beim Bildungstransfer

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Die Ausführungen im vorliegenden Kapitel 5 haben deutlich gemacht, dass für die Erfüllung der personalwirtschaftlichen Funktionen auf zahlreiche personalwirtschaftliche Instrumente zurückgegriffen werden kann. Diese sind nicht als starr undunveränderbar anzusehen, sondern an die spezifischen Situationen im Unternehmen anzupassen. Wer auf bewährte Instrumente schaut, sollte sich den Blick für eine Modernisierung oder die Neuentwicklung nicht verstellen. Abbildung 13.2 stellt den personalwirtschaftlichen Funktionen ausgewählte personalwirtschaftliche Instrumente gegenüber, wie sie im Mittelstand Anwendung finden können. Die entsprechenden Rollen und Beiträge der ersten drei Akteure sind ebenfalls erfasst. In der in Kapitel 6 folgenden Fallstudie finden sich einzelne Instrumente in ihren Praxisbezügen wieder. Die Tabelle stellt insofern in kompakter Form pragmatisches Wissen vor und hilft vor allem dem Leser aus der Praxis als grobe Orientierung bei seinem individuellen Vorgehen.

6 Fallstudie: Mittelständischer Hidden Champion auf der Suche nach der Generation Y Das Referenzunternehmen kommt aus dem Maschinen- und Anlagenbau und liegt in der Provinz. Es gehört zu den Hidden Champions und stellt Spezialmaschinen für einen technologiedominierten Markt her. Das Unternehmen hat circa 500 Mitarbeiter. Als inhabergeführter Betrieb mit wenig Fluktuation wird Wachstum anvisiert. Der Bedarf an jungen Fach- und Führungskräften steigt, nicht zuletzt wegen eines relativ hohen Altersdurchschnitts. Gesucht werden kaufmännische Fachkräfte, Vertriebler, Ingenieure, Programmierer, Prozessmanager, Mitarbeiter im Service. Das Unternehmen ist zwar in der Branche als Weltmarktführer bekannt, nicht aber regional und überregional als attraktiver Arbeitgeber. Strategisches Handeln und Führungsverhalten orientieren sich am Inhaber, einer Persönlichkeit mit Ausstrahlung und Weitblick. Der Inhaber agiert patriarchalisch, trifft Entscheidungen oft zwar allein, bindet seine Führungskräfte aber stark in den Entscheidungsprozess und in die Kommunikation ein. Die kleine, aber schlagkräftige Personalabteilung mit vier Personen (ein Personalleiter, zwei Personalreferenten, eine Sekretärin) arbeitet sehr eng mit den Führungskräften zusammen, zum Beispiel bei der Personalrekrutierung, Personalplanung, Personalauswahl. Es gibt Gesprächskreise der Führungskräfte und Personalleitung mit dem Chef. Diese Gespräche sind regelmäßig, dauern auch einige Stunden, sind nachhaltiges Instrument für strategische Entscheidungen auf den Geschäftsfeldern, der internen Organisation und des Personalmanagements. So wird zum Beispiel abgestimmt, dass die Ausbildungsquote sehr hoch gehalten wird – sie liegt bei 10 % – und dass ein „Pool von Talenten“ aufgebaut werden soll. Basis der Entscheidungen im Führungskreis sind fundierte Informationen, die pragmatisch aufbereitet werden. Daneben

Kapitel 13: Arbeitgeberattraktivität und Personalrekrutierung im Mittelstand | 291

gibt es eine Vielzahl bilateraler Gespräche der Personalleitung mit dem Inhaber, mit einzelnen Führungskräften, mit dem Betriebsrat. Die Atmosphäre ist immer konstruktiv, die Ergebnisse sind zielführend, es wird nichts groß blockiert und auf die lange Bank geschoben. Das schnelle Vorgehen wird durch die direkte Kommunikation begünstigt, was einen wesentlichen Unterschied zu Großunternehmen ausmacht. In den folgenden drei Kapiteln werden Maßnahmen beschrieben, an denen in kumulierter Form deutlich gemacht werden soll, wie Arbeitgeberattraktivität für die Generation Y erzeugt werden kann und zur Personalrekrutierung und Mitarbeiterbindung beiträgt. Alle Maßnahmen sind in das strategische Personalmanagement eingebettet. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Es handelt sich um eine Auswahl, womit gesagt werden soll, dass es im Unternehmen weitere traditionelle und moderne Ansätze zur Mitarbeiterfindung und -bindung gibt.

6.1 Hochschultage Als Beispiel für Personalplanung, Personalmarketing und Personalrekrutierung für die Generation Y mag das Konzept der Hochschultage gelten. Die Ausgangslage dabei war, dass der Maschinen- und Anlagenbau dank guter Konjunktur einen hohen Fachkräftebedarf hat. Aufgrund des prognostizierten demographischen Wandels wird dieser in den nächsten Jahren noch weiter ansteigen. Das Referenzunternehmen hat im Führungskreis ein ambitioniertes Konzept verabschiedet, welches als Resultat eines sehr pragmatischen strategischen Personalmanagements angesehen werden kann. Externe Anforderungen des demographischen Wandels und des Fachkräftemangels, besonders im Bereich der Ingenieure und Betriebswirte, wurden mit internen Bedingungen konfrontiert. Das Ergebnis: es fehlt eine Altersschicht, junge Fachkräfte sind nicht in ausreichendem Maße vorhanden. Dem Unternehmen wurde deutlich, dass es daher Sinn machen würde, sich ab sofort den guten Nachwuchs an Ingenieuren und Betriebswirten zu sichern – für die Bereiche Maschinenbau/Konstruktion, die Prozesstechnik, die Automatisierungstechnik/Informatik ebenso wie für das Beschaffungsmanagement und den Vertrieb. Nachdem der Bedarf bei der Geschäftsführung und Personalabteilung sowie dem Führungskreis erkannt war, wurde daraus die Frage abgeleitet, wie man sich als Unternehmen für Studierende/Absolventen der Generation Y attraktiv und bekannt machen könnte. Dies wurde im Führungskreis diskutiert. Die Idee der Hochschultage wurde geboren. Studierende aus den Hochschulen der Region werden für zwei Tage ins Unternehmen eingeladen. Die Teilnehmer erhalten die Hinweise dazu von ihren Professoren, welche wiederum vorab von der Personalabteilung und Führungskräften kontaktiert wurden. Einzelne Teilnehmer wurden durch eine kurz vorher veranstaltete regionale Job-Messe gewonnen, wieder andere wurden durch die UnternehmensHomepage aufmerksam gemacht oder durch persönliche Ansprache von Unternehmensmitarbeitern. Auch bei den Studierenden der umliegenden Hochschulen hat es

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sich mittlerweile herumgesprochen, dass ein interessantes Programm die Teilnehmer erwartet. Ihnen gegenüber sitzen als Fachbetreuer Führungskräfte, erfahrene Mitarbeiter und „Jung-Ingenieure“, deren Abschied aus dem Studentenleben noch nicht allzu lange zurückliegt. Die Geschäftsführung und Personalleitung sind auch dabei, um die Studierenden mit wichtigen Informationen zu versorgen. Und die Studierenden bekommen etwas geboten. In verschiedenen Präsentationen zur Unternehmensphilosophie, zur Produktpalette, zum internationalen Kundenkreis und zum Projektgeschäft mit seiner interdisziplinären Arbeitsweise informieren Personalreferenten und Mitarbeiter über das Unternehmen. Betriebsrundgänge durch die Produktion und die Bürobereiche runden die gewonnenen Firmeneindrücke ab. Die Studierenden erfahren so hautnah, welche Anforderungen ein zukünftiger Arbeitgeber an sie stellt und welche attraktiven Zusatzleistungen das Unternehmen bietet. Denn auch die Möglichkeiten der Weiterbildung und Personalentwicklung sind im Unternehmen umfassend und für jeden Berufseinsteiger interessant. Die Hochschultage haben für die Studierenden auch einen aktiven Teil, in welchem sie echt gefordert werden. In kleinen Gruppen bearbeiten die Studierenden ein reales Projekt. Es geht um ein neues Produkt für einen neuen Kunden, wobei nicht nur technische Lösungen gefunden werden müssen, sondern auch Verkaufsargumente. Die Aufgabe fordert nicht nur den zukünftigen Konstrukteur oder Informatiker heraus, sondern auch den Vertriebler und Einkäufer. Hier können die Studierenden zeigen, was sie im Studium gelernt haben und wie sie eine Projektaufgabe angehen. Wichtig ist, dass sie dabei nicht allein gelassen werden, sondern Hilfestellung von den Fachbetreuern erhalten. Auf diese Weise kommen im intensiven Dialog praxisnahe originelle Ergebnisse zustande. Die Studierenden skizzieren erste Lösungsansätze, deren Qualität von den Fachbetreuern beurteilt werden kann. „In einer solchen Situation erfahre ich mehr über zukünftige Mitarbeiter als in zwei Vorstellungsgesprächen“, sagt der Vertriebsleiter, der als Fachbetreuer mit an Bord ist. Im Folgenden werden diese Personen dann um eine Bewerbung gebeten und zu einem Gespräch eingeladen, welches die sonst üblichen Mehrfachgespräche ersetzt und oft zur Einstellung führt – ein gelungenes Beispiel für Personalrekrutierung auf „mittelständische Art“. In der Region sind die Hochschultage als zukunftsträchtiges Personalmanagement mittlerweile Vorbild – mit vielen Effekten. Das Unternehmen präsentiert sich als attraktiver Arbeitgeber und macht sich in der Hochschullandschaft einen Namen. Gute Kontakte zu Hochschulen und Hochschullehrern konnten so in den letzten Jahren schrittweise aufgebaut werden. Der größte Effekt liegt aber darin, dass die Kommunikation mit den Studierenden zwar nicht das Vorstellungsgespräch ersetzt – auf dieses wird man nicht verzichten können, da letztlich auch individuelle Fragen zum Lebenslauf, zu den Zeugnissen, zu Vertragsbestandteilen, aber auch Fragen der Bewerber geklärt müssen – jedoch manches Folgegespräch verzichtbar macht. Ein Teil der Personalrekrutierung folgt damit einer neuen Philosophie: gegenseitiges Kennenlernen, Beobachten, Ausloten, ob man zueinander passt – und das in einer angenehmen kreativen und familiären Atmosphäre.

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6.2 Kooperatives Führungsverhalten Eine Reflexion im Führungskreis über adäquate Personalführung brachte Erkenntnisse und den Wunsch, in Führungstrainings eine moderne Personalführung zu trainieren. Die Idee einer kooperativen Führung wurde geboren. Kooperatives Führungsverhalten kann hier als Beispiel für eine gute Personalführung einschließlich guter Personalentwicklung dienen, Erfahrungen aus der Service-Abteilung mögen dies illustrieren (Helbich/Herzig 2014, 29). Die Abteilung kümmert sich um den Ersatzteilverkauf und Einsatz von Servicetechnikern. Zwei Serviceteams sind altersgemischt mit jungen Leuten der Generation Y und älteren Mitarbeiten zusammengestellt. Der Abteilungsleiter ist Ende dreißig, er kommt aus dem Team, hat den Stallgeruch der Branche. Seine Führung findet Gefallen, er – bespricht im regelmäßigen jährlichen Mitarbeitergespräch mit den Mitarbeitern Ziele und Entwicklungsmöglichkeiten, – holt in Teambesprechungen Vorschläge ein, zum Beispiel wie Lieferzeiten verkürzt werden können, – macht sich Gedanken zur „Chemie und Zusammensetzung“ beider Teams, die er mit den Mitarbeitern diskutiert, – vergibt anspruchsvolle Projekte und Aufgaben, zum Beispiel zur Erstellung eines Kalkulationsprogramms für den Beratungsaufwand mit Kunden, – stellt Aufgaben, die das Team selbst regeln kann, zum Beispiel zur Betreuung der Kunden, – fördert die Idee kollegialer Schulungen, zum Beispiel in Form kurzer Präsentationsrunden am Nachmittag, – schafft Transparenz mit Kennzahlen und gibt Feedback im Rahmen von Teambesprechungen und Einzelgesprächen, wobei er Interessen, Fähigkeiten, Stärken und Schwächen erfahren will, um darauf individuell eingehen zu können, – gibt Anstöße zur Personalentwicklung, indem er Potenzialanalysen durchführt und seine Mitarbeiter zur Weiterbildung animiert. Wenn dann noch das Führungsverhalten speziell für junge Mitarbeiter – Einarbeitungsprogramme beinhaltet und sich an guter Nachwuchsförderung ausrichtet, – Mentoring und Wissenstransfer vorsieht (nach dem Modell: Ältere und Jüngere arbeiten Hand in Hand und partizipieren gegenseitig von den Fähigkeiten der anderen) und – soziale Aspekte aufgreift, zum Beispiel zur Vermeidung von Überlastung, Gesundheitsförderung, Offenheit und Ansprechbarkeit auch für private Probleme, wird die Generation Y dies als wertschätzend und fördernd registrieren und darauf mit positiver Resonanz reagieren. Arbeitgeberattraktivität wird so „en passant“ erzeugt.

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Klar ist, dass das nicht allein von Führungskräften gestaltbar ist, sondern einer Unterstützung der Personalabteilung bedarf, die so eine wichtige Funktion als interner Dienstleister erfüllt. Und zu berücksichtigen ist auch, dass viele Führungsthemen wie die Durchführung von Stärken- und Schwächen-Analysen und die Feedbackgabe nicht automatisch von Führungskräften in ihrem Führungsrepertoire vorgehalten werden, sondern mit Hilfe der betrieblichen Weiterbildung professionalisiert werden müssen.

6.3 Work-Life-Balance Work-Life-Balance versteht sich als Metabegriff für eine Vielzahl verschiedener Maßnahmen des Personalmanagements zur Vereinbarkeit von Beruf und Freizeit beziehungsweise Familie. Die Balance zwischen diesen beiden Lebenswelten wird insbesondere von der Y-Generation deutlich gefordert und angestrebt, stellt sie doch sicher, dass eine berufliche Selbstverwirklichung durch anspruchsvolle Aufgaben und Karriereperspektiven mit individuellen Bedürfnissen und Aktivitäten in außerbetrieblichen sozialen Gruppen (z.B. Familie, Freundeskreis, Verein) kompatibel ist. Begründet wird die Work-Life-Balance durch veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen wie den demografischen Wandel, die Entwicklung von der Industrie- zur Wissensgesellschaft, den technischen Fortschritt und die Globalisierung. Bei einem breit angelegten Begriffsverständnis von Work-Life-Balance können diverse Konzepte wie Betriebliches Gesundheitsmanagement, Arbeitsplatzgestaltung, Diversity-Management, Corporate Social Responsibility, Programme zur Familienförderung, Betreuung und Haushaltsservice oder Arbeitszeit- und Arbeitsortflexibilisierung subsumiert werden. Hierdurch werden dem Menschen Möglichkeiten eingeräumt, lebensphasenspezifisch und individuell für beide Lebenswelten die anfallenden Verpflichtungen und Interessen erfüllen zu können, um so dauerhaft gesund, leistungsfähig, motiviert und ausgeglichen zu sein (Freier 2005, 15). Im Referenzunternehmen besteht in dieser Hinsicht noch Handlungsbedarf. Eine strategische Ausrichtung der Work-Life-Balance bedingt eine intensivere Diskussion und Abwägung möglicher Maßnahmen durch die Geschäftsführung, Personalleitung und die Führungskräfte. Dass mit der Umsetzung die Arbeitgeberattraktivität steigen wird, ist den betrieblichen Akteuren bewusst. Was davon eine explizite Wirkung für die Generation Y im Unternehmen zeitigen würde, ist noch offen. Im Unternehmen wird viel Wert auf die Arbeitszufriedenheit aller Generationen gelegt. Bereits jetzt schon werden folgende Ansätze dem Work-Life-Balance Konzept zugeordnet: – Die betriebliche Gesundheitsfürsorge umfasst Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes und der Vorsorge sowie Sportprogramme zur körperlichen Fitness. Hierzu gehören Jogging-Gruppen, eine Betriebsfußballmannschaft, Muskel- und Konditionstraining in einer nahegelegenen Kurklinik, die über das notwendige Equipment und Kursangebote verfügt. Das Thema gesunde Ernäh-

Kapitel 13: Arbeitgeberattraktivität und Personalrekrutierung im Mittelstand | 295





rung wird in Kooperation mit einer Krankenkasse in mehreren Seminaren vermittelt und durch eine abwechslungsreiche Menüauswahl im neu eingerichteten Bistro praktisch umgesetzt. Bei längerer Arbeitsunfähigkeit können Mitarbeiter durch das Betriebliche Eingliederungsmanagement freiwillig in den Arbeitsprozess re-integriert werden. Zusammen mit anderen mittelständischen Unternehmen der Region wurde eine Servicestelle für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eingerichtet. Ihre Aufgabe besteht darin, über sämtliche Hilfsangebote regionaler Organisationen zu informieren und adäquate Dienstleistungen zu vermitteln. Dies betrifft insbesondere die kurzfristige Betreuung von Kindern und pflegebedürftigen Angehörigen sowie Hilfestellung in akuten Krisensituationen wie bei Scheidung, Schulden- und Suchtproblemen. Im Bereich der flexiblen Arbeitsgestaltung bietet das Unternehmen seinen Mitarbeitern unterschiedliche Arbeitszeitmodelle sowie Altersteilzeit, Gleitzeit, Elternzeit und Home-Office-Lösungen an, die durch eine erhöhte Präsenz und Wegfall von Wegezeiten familiäre Verpflichtungen besser erfüllen lassen. Persönliche Belange sollen zudem in Absprache mit den Führungskräften und Personalverantwortlichen individuelle Berücksichtigung finden.

Mit einer aktuellen zum Thema Work-Life-Balance vergebenen empirischen Bachelorarbeit wurden Führungskräfte im Referenzunternehmen zu Erweiterungs- und Optimierungsmöglichkeiten des Instrumentariums als Bestandteil des strategischen Personalmanagements interviewt. Ein überraschendes Ergebnis dieser Erhebung ist, dass nahezu 40 % der Vorgesetzten die Gesundheitsförderung nicht als Aufgabe des Unternehmens betrachten, andererseits sich aber mehr Sportprogramme und Seminare zu gesunder Ernährung wünschen. Weitere Vorschläge bestehen in verstärkten Angeboten für Kinderbetreuung und für Bildungsmaßnahmen zur Selbstorganisation in Verbindung mit autogenem Training. Eine weitere Befragung von 100 Studierenden der Generation Y an den regionalen Hochschulen hebt den Abschluss von unbefristeten Arbeitsverhältnissen, Gesundheitsfürsorge und die Nutzung flexibler, selbst bestimmter Arbeitszeiten und -orte hervor. Auf den folgenden Rängen werden Möglichkeiten der Kinderbetreuung, zur Weiterbildung und zur Unterstützung der Pflege wie auch bei privaten Notfällen genannt. Weitere Motivationsfaktoren bestehen in einer Betriebskantine, ergonomischen Arbeitsplatzbedingungen, Gesundheitschecks beziehungsweise Vorsorgeuntersuchungen, Sport und Schulungen zur Gesundheit. Als zentrale Erkenntnis aus der Analyse wird empfohlen, unter anderem regelmäßige Gesundheitstage für alle Mitarbeiter einzurichten, verstärkt Sozialund Familienberatung zu betreiben und die Familienpolitik insbesondere durch eine zeitnahe Reservierung von Belegplätzen in Kindertageseinrichtungen zu schärfen. Auch in die Unternehmensstrategie sollte die Work-Life-Balance als ernst gemeinte Zieldimension aufgenommen werden.

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7 Fazit In der Zusammenfassung der zum Thema gewonnenen Erkenntnisse kommen die Autoren zu der Schlussfolgerung, dass die Arbeitgeberattraktivität mittelständischer Unternehmen für die Rekrutierung und Bindung von Mitarbeitern vor dem Hintergrund des Fach- und Führungskräftemangels ausgebaut und optimiert werden kann. Dabei erscheint es weniger sinnvoll, Erfolgsrezepte von Großunternehmen unreflektiert zu adaptieren und lediglich den Umfang der zum Teil aufwendigen Instrumente zu erweitern. Effizienter und überzeugender sind in sich stimmige Konzepte, die die Spezifika und Stärken der KMU herausstellen und gleichzeitig die besonderen Interessen der fokussierten Zielgruppe ansprechen. Die Generation Y erwartet nicht nur eine großzügige Entgeltpolitik und berufliche Karrieremodelle, wie sie von Konzernen wegen ihrer mehrstufigen und breit gefächerten Organisationsstrukturen gern propagiert werden. Die Chancen des Mittelstandes liegen eher in einem ebenso gewünschten familiären Betriebsklima mit direkten und weniger hierarchischen Kommunikationsbeziehungen bei hoher Transparenz betrieblicher Prozesse. Ein mitarbeiterorientiertes kooperatives Führungsverhalten mit Partizipationsmöglichkeiten der Mitarbeiter kommt diesem Bedürfnis genauso entgegen wie flexible Arbeitszeitmodelle und Hilfestellungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Freizeit. Geschäftsführung, Personalleitung und Führungskräfte sollten in diesem Sinne eine kritische Stärken-Schwächen-Analyse vornehmen und gleichermaßen geeignete wie finanzierbare Maßnahmen vereinbaren, die die Attraktivität als Arbeitgeber verbessern helfen. An dieser Strategieentwicklung könnten zur Nutzung eines Synergieeffektes auch Mitglieder der Generation Y, zum Beispiel in Kooperation mit Hochschulen, aktiv beteiligt werden: zum einen, weil sie ihre eigenen Bedürfnisse am besten kennen und hierzu pragmatische Umsetzungsvorschläge unterbreiten können, und zum anderen, um die Vorteile unbürokratischer Arbeitsformen im Mittelstand als Attraktivitätsfaktor hautnah zu erleben.

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Kapitel 13: Arbeitgeberattraktivität und Personalrekrutierung im Mittelstand | 297

Hauser, F. (2009): Wahre Schönheit kommt von innen: Der Great Place to work-Ansatz, in: Trost, A. (Hrsg.): Employer Branding, Köln, 97–110. Helbich, B./Herzig, V. (2014): Arbeitgeberattraktivität und Personalführung, in: HR Consulting Review, Band Nr. 04, Berlin, 26–31. IAB (2011): Pressekonferenz am 03.03.2011, in: http://www.iab.de/1406/view.aspx. Institut für Mittelstandsforschung Bonn (o. J.): Tabellen zu den KMU, in: http://www.ifm-bonn.org, (Zugriff: 19.11.2014). Kolb, M. (2008): Personalmanagement, Wiesbaden. Lindner-Lohmann, D./Lohmann, F./Schirmer, U. (2012): Personalmanagement, Berlin, Heidelberg. Malik, F. (2000): Führen – Leisten – Leben, Stuttgart, München. Meister, J. C./Wilyerd, K. (2010): Mentoring für Millennials, in: Harvard Business Manager, 32 (7), 38–42. Mühlenhoff, H. (2014): Spurwechsel in den Mittelstand, in: Personalmagazin 07/14, 78–79. Olfert, K. (Hrsg.) (2008): Personalwirtschaft, Ludwigshafen. Parment, A. (2009): Die Generation Y – Mitarbeiter der Zukunft: Herausforderung und Erfolgsfaktor für das Personalmanagement, Wiesbaden. Preißing, D. (2010): Erfolgreiches Personalmanagement im demografischen Wandel, München. Steinmann, H./Schreyögg, G./Koch, J. (2013): Management, Wiesbaden. Stritzke, C. (2010): Marktorientiertes Personalmanagement durch Employer Branding. Theoretischkonzeptioneller Zugang und empirische Evidenz, Wiesbaden. Wunderer, R. (2009): Führung und Zusammenarbeit, Köln.

Patrick Roßmann

Kapitel 14: Steigerung des Organizational Commitment in kleinen und mittleren Handelsunternehmen Darstellung der positiven Wirkung von Automobilmarken auf die Verbundenheit von Mitarbeitern zum Arbeitgeber am Beispiel des Automobil-Neuwagenhandels

1 Einleitung Die Automobilindustrie stellt traditionell eine der attraktivsten Branchen dar, wenn es um die Frage des beruflichen Tätigkeitsfeldes geht. Die Begeisterung für Automobile, deren Historie und das damit verbundene hohe Interesse an einer Tätigkeit in der Branche beginnen jedoch langsam zu sinken. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Beispielhaft sei hier angeführt, dass durch den sich vollziehenden Wertewandel in der Gesellschaft das Automobil als Statussymbol zunehmend an Bedeutung verliert. Zudem werden Unternehmen aus anderen Technologiebranchen als Arbeitgeber für Nachwuchskräfte zunehmend interessanter (Esch et al. 2013, 293) und durch den Trend zur Urbanisierung muss der Wunsch nach individueller Mobilität nicht mehr zwingend mit dem Besitz eines eigenen Fahrzeugs einhergehen. Neue CarSharing-Modelle wie beispielsweise CAMBIO, CAR2GO oder BOOK-N-DRIVE erfreuen sich wachsender Beliebtheit und sorgen so dafür, dass der Besitz eines eigenen Fahrzeugs nicht länger notwendig ist. Damit erodiert die Identifikation der Konsumenten mit einer Fahrzeugmarke, einem eigenen Fahrzeug oder dem Automobil ganz generell. Es bedarf immer größerer Anstrengungen, um weiterhin in gleichem Maße wie bisher sowohl Konsumenten wie auch junge Talente für eine Branche zu begeistern, die in Deutschland einen gesättigten Markt mit einem hohen Konsolidierungsdruck bedient. Hinzu kommen die seit Jahren in der Automobilbranche vorzufindenden Kosten- und Ertragsprobleme, die sich unweigerlich auf der Ebene der Hersteller wie aber auch auf den vor- und nachgelagerten Wertschöpfungsebenen bemerkbar machen (Becker 2007, 80). Die Branche tritt auf Zulieferer-, Hersteller- und Handelsebene aus personalwirtschaftlicher Sicht unweigerlich in den Kampf um die Talente und die passenden Mitarbeiter ein.

|| Patrick Roßmann, M. Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter Fachhochschule Bielefeld

300 | Patrick Roßmann

In diesem Umfeld besitzt die Marke eine herausragende Bedeutung für den Unternehmenserfolg. Aufgrund der aufgezeigten Konsolidierungstendenzen und der damit einhergehenden Komponentenhomogenisierung (Dannenberg 2005, 48) sowie der steigenden Zahl an Produktions-Kooperationen erfolgt eine Differenzierung in diesem Sektor aus Sicht der Konsumenten immer stärker über die Marke (Dannenberg 2003, 89). Auch im Rahmen der operativen Personalarbeit hält die Marke zunehmend Einzug und genießt immer stärkere Aufmerksamkeit und Bedeutung. Mitarbeiter gelten mittlerweile als die heimlichen Helden einer Marke (Esch et al. 2013, 306), weshalb es umso wichtiger ist, in der Automobilindustrie dem Markenaspekt auch bei der Suche nach passenden Mitarbeitern besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Allerdings werden häufig weder die Bedeutung der Personalarbeit noch die Bedeutung der Marke in den Strukturen der Unternehmen deutlich. Aktuelle Forschungen zeigen, dass Personalabteilungen und ein Personalmanagement mit speziell ausgearbeiteten Methoden in den Bereichen Rekrutierung, Ausbildung, Leistungsbeurteilung oder Chancengleichheit überwiegend in großen Unternehmen vorkommen und dort weiter verbreitet sind als in kleinen und mittleren Unternehmen (Bacon/Kim 2005, 1976; Katz et al. 2000, 8). Besonders für den durch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) geprägten PKW-Handel stellen Mitarbeiter mit einer hohen Verbundenheit zum Arbeitgeber einen Schlüsselfaktor für den Unternehmenserfolg dar, da Automobilhändler sich nur bedingt durch eigene Produkte von den Wettbewerbern abheben können und somit verstärkt auf eine Differenzierung mittels Preisgestaltung (Rabattaktionen), mittels Dienstleistungen (Hol- und BringService für Werkstattkunden) oder mittels Mitarbeiterverhalten setzen. Dieser Beitrag soll die Bedeutung der Markenverbundenheit von Mitarbeitern in Automobilhandelsunternehmen und dessen Einfluss auf die Bindung des Mitarbeiters an den Arbeitgeber verdeutlichen. Eine solche Bindung wird als Commitment bezeichnet und führt in der Regel dazu, dass Mitarbeiter sich mehr als vertraglich geschuldet für das Unternehmen einsetzen. Zu diesem Zweck werden die Beziehung zwischen der Bindung des Mitarbeiters an den Arbeitgeber auf der einen Seite und an die durch den Arbeitgeber vertrieben Fahrzeugmarken auf der anderen Seite untersucht. Es wird die Frage betrachtet, ob ein Mitarbeiter mit einer hohen Verbundenheit zu einer bestimmten Fahrzeugmarke automatisch auch eine höhere Bindung an seinem Arbeitgeber besitzt, wenn dieser die von dem Mitarbeiter favorisierte Fahrzeugmarke vertreibt.

2 Automobilhandel in Deutschland 2.1 Grundlegende Strukturen Von wenigen Ausnahmen abgesehen erfolgt der Vertrieb von neuen Automobilen in Deutschlandüber über eine indirekte Vertriebsstruktur, die sich auf Basis von Be-

Kapitel 14: Steigerung des Organizational Commitment in Handelsunternehmen | 301

triebstypen und Betriebsformen spezifizieren lässt. Dabei spezifiziert die Betriebsform eines Handelsbetriebs dessen Stellung innerhalb der Handelskette und kennzeichnet dessen Tätigkeit auf einer bestimmten Wirtschaftsstufe, wohingegen mit dem Betriebstyp die Handelsunternehmen einer bestimmten Wirtschaftsstufe anhand von verschiedenen Leistungspolitiken und Faktorkombinationen sowie der sich daraus ergebenden Strukturmerkmalen kategorisiert werden (Barth et al. 2007, 43 f.). In Deutschland wird der PKW-Handel überwiegend über Marktteilnehmer organisiert, die als Betriebsformen dem Großhandel beziehungsweise dem Einzelhandel zuzurechnen sind (Seÿffert 1972, 88). Dabei zeichnen sich Handelsunternehmen gegenüber anderen Branchen dadurch aus, dass sie (Handels-) Waren unter Ausschluss einer regelmäßigen Be- oder Verarbeitung beschaffen und veräußern (Ausschuss für Definitionen zu Handel und Distribution 2006, 37 f.). Im Automobilsektor wird die Aufgabe des Großhandels von Marktteilnehmern übernommen, die überwiegend als nationalen Vertriebsgesellschaften oder Generalimporteur in Erscheinung treten und der Gruppe der Werkshandelsunternehmen zuzuordnen sind (Diez 2012, 279). Auf der Ebene des Einzelhandels ist zunächst vorgelagert eine Konkretisierung des Vertriebsweges vorzunehmen. Der Fokus der weiteren Ausführungen liegt auf dem indirekten Vertrieb durch klassische Autohäuser beziehungsweise Autohandelsgruppen. Als Vertragshändler wird nach Ahlert (1996, 215) der rechtliche Betreiber eines Gewerbes verstanden, der aufgrund seines Vertrages ständig damit betraut ist, im eigenen Namen und auf eigene Rechnung Waren zu vertreiben und [darüber hinaus] verpflichtet ist, sich für deren Absatz nach der Konzeption des Herstellers. Für eine weiterführende Systematisierung des indirekten Vertriebs wird üblicherweise auf die Aspekte des angebotenen Leistungsumfangs und der geographischen Ausdehnung der Standorte zurückgegriffen. Das Leistungsspektrum im Automobilhandel ist weitgehend Deckungsgleich mit dem von Fach- beziehungsweise Spezialgeschäften (Müller-Hagedorn et al. 2012, 91; Barth et al. 2007, 91). Neben dem Vertrieb von Neu- und Gebrauchtfahrzeugen gehören beispielsweise die Reparatur und Instandhaltung von Fahrzeugen, der Verkauf von Ersatzeilen und Zubehör, Angebote im Bereich Fahrzeugfinanzierung und Fahrzeugversicherung sowie Serviceleistungen im After-Sales-Bereich zum Leistungsspektrum, wenngleich es in den Ausprägungen des Umfangs durchaus Unterschiede zwischen klassischen Händlern und Handelsgruppen geben kann. Die Differenzierung zwischen einem klassischen Autohaus und einer Automobilhandelsgruppe erfolgt dabei über den quantitativen Aspekt der Betriebsgröße. In Deutschland wird von einer Autohandelsgruppe gesprochen, wenn ein rechtlich selbständiger Marktteilnehmer inklusive seines Hauptstandortes mehr als zwei Betriebsstätten unterhält (Brachat 2009, 69). Im Vertrieb von neuen Automobilen treten gegenüber den Endverbrauchern sowohl

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Vollständiges Leistungsprogramm Spezielles Leistungsprogramm

Umfang Leistungsspektrum

indirekte Vertriebspartner in Form von rechtlich selbstständigen Vertragshändlern als auch direkte Vertriebspartner in Form von herstellereigenen Niederlassungen in Erscheinung (Diez 2012, 279).

Traditionelles Autohaus (Komplettbetrieb)

Automobilhandelsgruppe

Vertragswerkstatt

Filialisierte Spezialbetriebe von Automobilhandelsgruppen

Ein oder zwei Standorte

Drei oder mehr Standorte

Geographische Ausdehnung

Abb. 14.1: Betriebstypen im Automobil-Einzelhandel. Quelle: In Anlehnung an Diez 2012, 282.

Darüber hinaus ist zu beachten, dass die ansonsten gängige Kombination des Umsatzes und der Mitarbeiterzahl zur Abgrenzung von kleinen und mittleren Unternehmen gegenüber Großunternehmen im Automobilhandel eine suboptimale Definitionsgrundlage darstellt. Dies hat insbesondere zwei Gründe. Zunächst ist im Gegensatz zu anderen Branchen beim Handel mit Neufahrzeugen bereits bei einer geringen Absatzmenge ein relativ großer Umsatz zu erzielt, weshalb die umsatzinduzierten- sowie die bilanzsummeninduzierten Grenzwerte in den Definitionen des IfM Bonn beziehungsweise der EU-Kommission zu eng gefasst sind (Abbildung 14.2). Hinzu kommt ein sehr heterogenes Preisniveau der Fahrzeuge. Im deutschen Absatzraum wird zwischen elf unterschiedlichen Fahrzeugsegmenten (Minis, Kleinwagen, Kompaktklasse, Mittelklasse, Obere Mittelklasse, Oberklasse, Geländewagen, Sportwagen, Mini-Vans, Großraum-Vans, Utilities, Wohnmobile und sonstige Fahrzeuge; KBA 2014) unterschieden, und sowohl zwischen den einzelnen Segmenten als auch innerhalb eines Segments können erhebliche Preisunterschiede vorhanden sein. Auch die Verwendung der Anzahl der Mitarbeiter als Definitionsgrundlage ist im Automobilhandel suboptimal, da in einer Vielzahl von Händlerverträgen Mindestanforderungen in Bezug auf Art und Anzahl der einzurichtenden Arbeitsplätze in den einzelnen Unternehmensbereichen enthalten sind. Die nachfolgende Grafik verdeutlicht die Problematik der konkreten Unternehmenseinstufung anhand eines einfachen Beispiels.

Kapitel 14: Steigerung des Organizational Commitment in Handelsunternehmen | 303

Segmentintern

OPEL Adam

INFINITY G37 Coupé AT

KIA Picanto

Segmentübergreifend Mitarbeiter: 9 Absatzmenge p.a.: 100 11.500 € Preis p. KFZ: Umsatz p.a.: 1.150.000 €

Mitarbeiter: 9 Absatzmenge p.a.: 100 8.990 € Preis p. KFZ: 899.000 € Umsatz p.a.:

Mitarbeiter: 6 Absatzmenge p.a.: 25 47.160 € Preis p. KFZ: Umsatz p.a.: 1.179.000 €

gem. Definition des IFM Bonn:

gem. Definition des IFM Bonn:

gem. Definition des IFM Bonn:

Mittleres Unternehmen

Kleines Unternehmen

Mittleres Unternehmen

Abb. 14.2: Einstufung vergleichbarer Betriebe nach Definition des IfM Bonn (Preise 2013 für Basismodelle ohne Sonderausstattung). Quelle: Eigene Darstellung.

Es erscheint unter Berücksichtigung der vorgenannten Argumente sinnvoll, in dieser Branche eine sektorspezifische Definition zur Abgrenzung von kleinen und mittleren Unternehmen anzuwenden, die den vorgenannten Hauptkritikpunkten Rechnung trägt und zu einer Vergleichbarkeit sowohl innerhalb einzelner wie auch zwischen den einzelnen Segmenten führt. Einen Vorschlag zur sinnvollen Abgrenzung liefert Brachat. Er differenziert die Betriebe anhand der abgesetzten Neu- und Gebrauchtwagenmenge sowie anhand des Umsatzes, wobei er die entsprechenden Grenzen wie in Abbildung 14.2 dargestellt den Branchengegebenheiten anpasst.

304 | Patrick Roßmann

Definition entsprechend … IfM Bonn

Abgrenzungskriterium

Größe

Handelsgesetzbuch (HGB)

EU-Kommission

Brachat (sektorspezifisch)

klein mittel groß klein mittel groß kleinst klein mittel groß klein mittel groß

Mitarbeiter

≤9

≤ 499 > 500 ≤ 49 ≤ 249 ≤ 249

≤9

≤ 49 ≤ 249 ≤ 249

Umsatz in Mio. p.a.

≤1

≤ 50

≤2

≤ 10

> 50 < 9,68 ≤ 38,5 > 38,5

Summe d. Bilanz in Mio. p.a.

oder oder oder oder < 4,84 ≤19,25 >19,25 ≤ 2

≤ 50

> 50

≤3

≤ 10

≤ 10

oder oder oder ≤ 10 ≤ 43 > 43

Neuwagen

≤ 100 ≤ 400 > 400

Gebrauchtwagen

≤ 90 ≤ 300 > 300

Abb. 14.3: Sektorspezifische Definition kleiner und mittlerer Unternehmen. Quelle: In Anlehnung an IfM Bonn 2013; HGB; Brachat 2009, 69.

2.2 Aktuelle Situation Der Automobilhandel befindet sich in Deutschland seit längerem in einem Konsolidierungsprozess und ist durch eine große Heterogenität und einen starken Wettbewerb geprägt. Neben dem indirekten Vertrieb von Fahrzeugen, der durch rechtlich selbstständige Absatzmittler unterschiedlichster Vertriebsränge (hat ein Händler einen Liefervertrag mit dem Hersteller/Importeur, so gilt er als Händler 1. Ranges bzw. Primärhändler; besitzt er einen Liefervertrag mit einem Primärhändler gilt er als Händler 2. Ranges bzw. Sekundärhändler) realisiert wird, erfolgt der Verkauf als Direktvertrieb über die zuvor bereits erwähnten herstellereigene Niederlassungen (Brachat 2009, 40 f.). Ergänzt werden diese beiden klassischen Vertriebswege zunehmend durch ein mit Hilfe der neuen Medien entstandenen neuen Vertriebsweg: die internetbasierte Multi-Marken-Plattform. Unter einer internetbasierten Multi-Marken-Plattform wird eine für eine Vielzahl von Anbietern und Nachfragern über das Internet bereitgestellte Transaktionsplattform zur räumlich-zeitlich asynchronen Informationsbeschaffung über und zur Vermittlung von Fahrzeuge(n) verstanden. Als Beispiel für solche Multi-Marken-Plattformen können die Portale meinAuto.de oder 12Neuwagen.de angeführt werden. Diese Veränderung geht zu Lasten der klassischen Vertriebswege. Multi-MarkenPlattformen sorgen für eine hohe Angebotstransparenz bei den Marktteilnehmern

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und damit für einen zusätzlichen Preisdruck. Zwischen 2006 und 2009 hat im Zuge dieses Preis- und Margendrucks der Anteil der Händler, die zur Verbesserung ihrer Ertragssituation mehr als eine Fahrzeugmarke in ihrem Betrieb anbieten, um fast zehn Prozentpunkte (2006: 39,90 %; 2009: 49,80 %) zugenommen (Diez et al. 2009, 21). Darüber hinaus ist die Zahl der durch die rund 8000 rechtlich selbstständigen Vertragshändler in Deutschland betriebenen Neuwagen-Verkaufspunkte im Zeitraum zwischen 2007 und 2012 von 15.371 Verkaufsstellen auf 13.969 Verkaufsstellen gesunken, wobei bis zum Jahr 2020 mit einer weiteren Konsolidierung auf dann circa 4500 rechtlich selbständige Händler (Diez 2013, 32) sowie mit einer weiteren Reduzierung der Verkaufspunkte gerechnet wird.

Absatzzahlen und Vertriebspartner in Deutschland zum 31.12…. Jahr

Marktvolumen

KFZ-Bestand

Verkaufspunkte

NL-/Direktvertrieb

2007

3.148.163

41.183.594

15.372

472

2008

3.090.040

41.321.171

15.694

464

2009

3.807.175

41.737.627

14.963

468

2010

2.916.260

42.301.563

14.539

441

2011

3.173.634

42.927.647

14.336

415

2012

3.082.504

43.431.124

13.969

454

2013

2.952.431

43.851.230

13.339

487

Abb. 14.4: Zulassungszahlen und Verkaufsstützpunkte im Neuwagensektor (D). Quelle: Eigene Darstellung, Meunzel/Schwickal 2013; Selze/Meunzel 2013, KBA, 2013.

Neben der Konsolidierung auf Handelsebene ist eine seit mehreren Jahren stattfindende Konsolidierung auf Marken- beziehungsweise Herstellerebene zu beobachten. Von den im Jahr 1970 in der Triade (aus den USA, Westeuropa und Japan bestehender Absatzraum) existierenden 36 selbstständigen Fahrzeugherstellern waren im Jahr 2012 noch zwölf Unternehmen rechtlich selbstständig (Sopha 2012, 100; in der Aufzählung der Quelle fehlt Mitsubishi Motors). Im Zuge dieser Entwicklung wurden komplette Unternehmen inklusive ihre Marken von anderen Marktteilnehmern übernommen (beispielsweise hat Fiat den Chrysler-Konzern übernommen), einzelne Marken inklusive der zugehörigen Infrastruktur wurden an Konkurrenten verkauft (beispielsweise hat Ford die Marke Volvo an das chinesische Unternehmen Geely veräußert) oder aber Marken wurden durch eine Eliminationsstrategie (beispielsweise hat General Motors im Zuge seiner Insolvenz im Jahr 2009 die Marken Pontiac und Hummer eliminiert) komplett aus dem Angebotsportfolio entfernt (Roßmann 2011, VIII).

306 | Patrick Roßmann

Durch die Neuregelung der Gruppenfreistellungsverordnung GVO 1400/2002 der europäischen Kommission im Jahr 2002 verloren die Fahrzeughersteller zudem die Möglichkeit, für ihre Marke eine selektive und gleichzeitig (gebiets-)exklusive Vertriebsstruktur zu etablieren, da die Kommission einen stärkeren Wettbewerb im Automobilhandel innerhalb der EU und den einzelnen Mitgliedsstaaten als Ziel ausgegeben hatte (Genzow 2004, 405). Bis zu diesem Zeitpunkt war bis auf einige Ausnahmen der marken- und gebietsexklusive Händler die Selbstverständlichkeit im deutschen Automobilhandel (Monzel 2004, 619). Durch die eindeutige HändlerHersteller-Kombination waren Vertragshändler klar gegenüber anderen Marktteilnehmern als Vertreter einer bestimmten Fahrzeugmarke innerhalb eines bestimmten geographisch abgegrenzten Gebietes zu identifizieren. Eine solch eindeutige MarkeHändler-Kombination ist heute eher die Seltenheit denn die Regel, auch wenn die Hersteller durch die zum 01.06.2013 in Kraft getretene neue VO 330/2010 (diese löst die bis dahin gültige GVO 1400/2002 im Bereich des Verkaufs von Automobilen ab) in gewissen Grenzen wieder die Möglichkeit bekommen haben, eine selektive sowie marken- und gebietsexklusive Vertriebsstruktur zu errichten (Siegert 2013, 12; Europäische Kommission 2010b, Tz.129 ff.; Europäische Kommission 2010b, Tz. 26 ff.). Diese Entwicklung wird für die Hersteller als auch für die Händler eine große Bedeutung erlangen, da sich speziell bei größeren Händlern ein markenexklusiver Vertrieb, beziehungsweise auf Autohandelsgruppen adaptiert ein standortbezogener, markenexklusiver Vertrieb eher zu lohnen scheint als der Vertrieb mehrerer PKW-Marken (Diez et al. 2009, 22). Dies wiederum wirft die Frage auf, auf welche Weise sich die unzähligen kleinen und mittleren Unternehmen des Automobilhandelssektors künftig gegen große, finanzstarke Handelsketten im Wettbewerb behaupten sollen. Eine Option besteht beispielsweise im Bereich des Personalmanagements und der Mitarbeiter. Diese haben eine besondere Bedeutung, da die Möglichkeit einer Differenzierung über die Produkte und Preise zwischen den einzelnen Händlern nur sehr eingeschränkt vorhanden – wenn nicht sogar ausgeschlossen sein dürfte.

3 Personalmanagement in KMU Das Personalmanagement ist ein in der Literatur vielfach auf unterschiedliche Weise definierter und inhaltlich besetzter Begriff. Es wird fortan als die Gesamtheit aller Maßnahmen und Entscheidungen personalwirtschaftlicher Art verstanden, die als integrierter Bestandteil des gesamten Managementprozesses in einem Unternehmen betrachtet werden, wobei deren Fokus die effiziente Verwendung und Weiterentwicklung der Ressource Humankapital im Sinne der Unternehmensziele darstellt (Meckl 2010, 898). Zur weiteren Differenzierung kann eine Unterscheidung hinsichtlich der inhaltlichen Beschreibung und der inhaltlichen Ausrichtung vorgenommen werden. Die inhaltliche Beschreibung umfasst nach Meckl (2010, 899) im Wesentlichen die Felder

Kapitel 14: Steigerung des Organizational Commitment in Handelsunternehmen | 307

(1) (2) (3) (4) (5) (6) (7)

Personalbedarfsbestimmung, Personalbestandsanalyse, Personalbeschaffung, Personalentwicklung, Personalfreisetzung, Personaleinsatz und Personalführung.

Die inhaltliche Ausrichtung kann sich neben der klassischen Maximierung der Unternehmensperformance zusätzlich an Kenngrößen wie beispielsweise der Zufriedenheit von Mitarbeitern, der Gewerkschaften, der Regierungen und anderen Stakeholdern oder dem Ruf des Unternehmens orientieren (Tocher/Rutherford 2009, 457). Die diesem Beitrag zu Grunde liegende Orientierung des Personalmanagements basiert nicht ausschließlich auf der Maximierung der Unternehmensperformance, sondern auf einem Verständnis, bei dem die Mitarbeiter, deren Zufriedenheit und vor allem deren Verbundenheit zum Arbeitgeber den Kern bilden und die Unternehmensperformance das Resultat der Optimierung eben jener Orientierungspunkte darstellt. Der Umfang der unter dieser Definition subsumierten Teilkomponenten und Ausrichtungen wird mit Blick auf unterschiedliche Unternehmensgrößen nicht weiter differenziert. Bemerkenswert ist an dieser Stelle jedoch, dass neue Theorien und Ansätze im Personalmanagement in der Regel nicht in KMU sondern in großen Organisationen entwickelt und getestet werden, weshalb nicht selten wenig über die Übertragbarkeit dieser Theorien auf den Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen bekannt ist (Heneman et al. 2000, 12). In Zukunft werden ein strategisches Personalmanagement, welches als die Gesamtheit aller, den Feldern des Personalmanagement zuzuschreibenden kohärenten Praktiken zur Erreichung einer langfristig optimalen Performance beim Aufbau eines nachhaltigen Wettbewerbsvorteils und zur Erreichung der Unternehmensziele verstanden wird, zusammen mit den Mitarbeitern eine Schlüsselrolle einnehmen (Wright/McMahan 1992, 298; Delery/Doty 1996, 805; Razouk 2011, 311). Obwohl auch Technologien oder natürliche Ressourcen für eine eindeutige Differenzierung gegenüber der Konkurrenz sorgen können, sind solche Wettbewerbsvorteile leicht zu imitieren, wohingegen das vorhandene Humankapital und speziell ein strategisches Personalmanagement einen nur schwer bis gar nicht nachzuahmenden Wettbewerbsvorteil darstellt (Barney 1991, 102; Wright/McMahan 1992, 301; Lado/Wilson 1994, 701; Becker/Gerhart 1996, 782). Bei Betrachtung der demographischen Entwicklung wird die Bedeutung der richtigen Mitarbeiter für den Unternehmenserfolg besonders deutlich, denn eine sinkende Geburtenrate und der Anstieg der Lebenserwartungen sorgen dafür, dass sich die Bevölkerung in Deutschland signifikanten verändern wird (Suprinovic/Kay 2009, 114). Beispielhaft kann zum Beleg die Betrachtung des Erwerbspersonenpotentials – die über alle Wirtschaftsbereiche zur Verfügung stehende Erwerbspersonen ohne Berücksichtigung der Qualifikation – herangezogen werden. Prognosen zufolge wird sich das auf dem deutschen Arbeitsmarkt

308 | Patrick Roßmann

zur Verfügung stehende Erwerbspersonenpotential bis zum Jahr 2030 von 44,7 Mio. Erwerbspersonen (2010) auf 39,4 Mio. Erwerbspersonen reduzieren und bis zum Jahr 2050 sogar auf 35,4 Mio. Erwerbspersonen absinken (Mertens 2012, 249). Die Ressource Mitarbeiter wird dadurch auf mittlere Sicht zu einem knappen und entscheidenden Gut und erhält mehr noch als heute eine entscheidende Bedeutung für eine erfolgreiche Unternehmenszukunft (Mertens 2012, 249). Für kleine und mittlere Unternehmen rücken die Gewinnung neuer und die langfristige Bindung vorhandener Mitarbeiter zur Sicherung des Unternehmenserfolgs somit immer stärker in den Fokus. Auf den ersten Blick scheint die Personalarbeit für kleine und mittlere Unternehmen unter diesen Voraussetzungen ein erhebliches Problem darzustellen, zumal aktuelle Studien belegen, dass eine professionalisierte Personalabteilungen und ein professionalisiertes Personalmanagement mit speziell ausgearbeiteten Methoden und Steuerungsinstrumenten vorwiegend in großen Unternehmen vorzufinden und dort weiter verbreitet sind als in kleinen und mittleren Unternehmen (Bacon/Kim 2005, 1976; Katz et al. 2000, 8). So erscheint zunächst für KMU nur die Bezahlung zur Differenzierung zu bleiben. Allerdings stehen speziell die KMU vor der Aufgabe, qualifizierte Mitarbeiter für einen Unternehmenseintritt beziehungsweise einen Unternehmensverbleib zu begeistern, ohne dabei ausschließlich auf die Bezahlung als Argument zu setzen. Der Grund dafür liegt in der Bereitschaft großer Unternehmen, einen höheres Entgelt und damit einen höheren Preis für die gefragte Arbeitsleistung zu erbringen. Die Abbildung 14.5 zeigt exemplarisch die durchschnittliche Vergütung bei kleinen, mittleren und großen Unternehmen. Und obwohl die Entlohnung entgegen der Bekundungen vieler Mitarbeitern häufig eine starke Motivationswirkung besitzt, ist sie tatsächlich in vielen Fällen nicht die primär motivierende Variable (Rynes et al. 2004, 391)

Branche: Produzierendes Gewerbe & Dienstleistungen 2012

Mitarbeiter Durchschnittliche Bruttolöhne & Gehälter ohne Ausbildungsvergütung

Kleine Unternehmen mit …

Mittlere Unternehmen mit …

Große Unternehmen mit …

≤9

≤ 499

> 1.000

33.000 €

39.343 €

45.092 €

Abb. 14.5: Bruttolohnvergleich im Jahr 2012. Quelle: Eigene Darstellung, Destatis 2014.

Zwei Studien im Auftrag des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln zeigen auf, dass das Wohlbefinden der Mitarbeiter nicht etwa durch die Höhe des Lohns besonders

Kapitel 14: Steigerung des Organizational Commitment in Handelsunternehmen | 309

stark beeinflusst wird, sondern durch weiche Faktoren wie beispielsweise das Verhalten der Führungskraft oder die Möglichkeit der eigenen Einflussnahme (Institut der deutschen Wirtschaft Köln 2013, 4 f.) Hier bietet sich für kleine und mittlere Unternehmen eine Möglichkeit, sich über die Bezahlung hinaus mit einer attraktiven Unternehmenskultur und Organisationsstruktur, Angeboten zur Work-Life-Balance, Gesundheitsangeboten, attraktiven Aufstiegschancen oder einem familiären Arbeitsklima gegenüber großen Unternehmen positiv zu differenzieren. Beispielsweise werden speziell familienfreundliche Maßnahmen von den Mitarbeitern positiv aufgenommen, unabhängig davon ob sie persönlich einen Vorteil davon haben oder nicht (Grover/Crooker 1994, 274). Bezogen auf die vorhandenen Mitarbeiter dienen die Maßnahmen des Personalmanagement vorwiegend der Optimierung von zwei Aspekten. Zum einen geht es um die Erzeugung und Steigerung der Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter, die in diesem Kontext als Grad der positiven oder angenehmen Emotionen in Bezug auf ihre jeweiligen Arbeitsrollen beschrieben werden kann (Locke 1976, 1300; Kallenberg 1977, 127; Smith/Hulin 1969, 6; Cully et al. 1999, 181; Currivan 1999, 497). Parallel dazu ist die Erzeugung beziehungsweise die Steigerung des Commitment der Mitarbeiter ein Kernanliegen. Dieses kann beispielsweise durch eine familienfreundliche Unternehmenspolitik, einen hohen Arbeitsstandart, durch Partizipationsmöglichkeiten sowie durch Gewerkschaften positiv beeinflusst werden (Grover/Crooker 1995, 279; Shen/Cherrie 2011, 3.023). Im weiteren Verlauf der Ausführungen wird auf den Aspekt des Commitment intensiver eingegangenen.

4 Commitment im Zentrum der Betrachtung von Personal- und Markenmanagement 4.1 Zielgröße des Personalmanagements Das Konstrukt des Commitment stammt ursprünglich aus dem Bereich der Organisationsforschung, hat aber im Laufe der Zeit auch in anderen Bereichen Einzug gehalten. Allgemein formuliert beschreibt das Commitment die Bindungskraft, mit der sich eine Person an eine Einstellung gegenüber einem materiellen beziehungsweise immateriellen Gegenstand, einer Institution, einer Person, einer Gruppe oder einer Norm gebunden fühlt (Solomon et al. 2013, 411). Es stellt eine Einflussvariable dar, die eine stabilisierende Wirkung auf ein gezeigtes Verhalten hat und diese auch dann entfaltet, wenn andere motivationale Anreizsysteme ihre (vollständige) Wirkung nicht entfalten beziehungsweise nicht entfalten können (Scholl 1981, 589; Weller 2003, 79). Eine in Literatur und Forschung etablierte Konzeptualisierung stammt von Allen/Meyer. Sie fassen die vorhandenen Konstruktbestandteile, die sie auf Basis einer Literaturrecherche extrahiert haben, zu den Komponenten (1) continuance (abschätzungsgetriebenes) Com-

310 | Patrick Roßmann

mitment, (2) normative (verpflichtungsgetriebenes) Commitment und (3) affective (emotionsgetriebenes) Commitment zusammen (Allen/Meyer 1990, 3). Die beiden Autoren weisen in Ihren Ausführungen darauf hin, dass es sich um drei voneinander trennbare psychologische Teilkomponenten handelt, die gleichzeitig in unterschiedlich starken Ausprägungen vorkommen können (Allen/Meyer 1990, 3). Das abschätzungsgetriebene Commitment basiert demnach auf einem ökonomischen Kosten-Nutzen-Vergleich möglicher (ggf. auch fehlender) Wechsel-Alternativen. Demgegenüber resultiert das verpflichtungsgetriebene Commitment aus einem Gefühl des „verpflichtet sein“ gegenüber dem Bezugsobjekt (Meyer/Allen 1991, 83 f; Scholz 2011, 476). Das emotionsgetriebene Commitment als dritte Ausprägung resultiert aus einer freiwilligen, emotional gewachsenen Bindung an das jeweilige Bezugsobjekt (Meyer/Allen 1991, 83 f.; Scholz 2011, 476). Mit anderen Worten können die beiden erstgenannten Commitment-Varianten als eine Art Gebundenheit (im Sinne einer tendenziellen Unfreiwilligkeit) und das emotionsgetriebene Commitment als eine Art Verbundenheit (im Sinne einer tendenziellen Freiwilligkeit) interpretiert werden. Bezogen auf die Organisation ist das Commitment ein in der wissenschaftlichen Forschung weit verbreitetes und häufig behandeltes Konstrukt (Weller 2003, 77). Das Bezugsobjekt „Organisation“ wird in diesem Zusammenhang als ein zielgerichtetes, soziales, arbeitsteiliges System mit formalem Regelwerk verstanden, bei dem mehrere Personen in einem kontinuierlichen, arbeitsteiligen Prozess an einer gemeinsamen Aufgabe zum Zwecke der Zielerreichung und der Aufgabenkoordination arbeiten und dabei bestimmten Regeln unterworfen sind (Lindstädt 2010, 798; Gabler Wirtschaftslexikon 2013). Da sich ein Großteil des Lebens während der Arbeit und somit häufig in Organisationen abspielt, ist Commitment im Kontext der Arbeitswelt zur Erklärung von menschlichem Verhalten von einschlägiger Relevanz (Cooper-Hakim/Viswesvaran 2005, 241). Organizational Commitment beschreibt, in wie weit ein Mensch sich zu einer Organisation oder einem Teil einer Organisation zugehörig und verbunden fühlt (van Dick 2004, 3). Es kommt dadurch zum Ausdruck, dass die Mitarbeiter bestrebt sind weiterhin ein Teil der Organisation zu bleiben und deshalb (1) eine erhöhte Arbeitsleistung zeigen, (2) an die Schlüsselziele des Arbeitgebers glauben und diese akzeptieren, (3) die gültigen Standards einhalten, (4) geltende Prinzipien achten, (5) ethische Maßstäbe wahren, (6) in der Organisation allgemeingültige Werte verinnerlichen sowie (7) das Ziel verfolgen, die Bindung zum Arbeitgeber aufrecht zu erhalten (Porter et al. 1974, 604; Mohamed/Anisa 2012, 8). Im Rahmen der organisationsbezogenen Betrachtung handelt es sich bei den Bestimmungsgrößen affective Commitment, normative Commitment und continuance Commitment um drei psychologische Konstrukte, denen allen die Eigenschaften gemein sind, dass sie auf der einen Seite die Beziehung des Mitarbeiters zu einer

Kapitel 14: Steigerung des Organizational Commitment in Handelsunternehmen | 311

Organisation charakterisieren und auf der anderen Seite die Ausprägung auf die Entscheidung des Mitarbeiters hinsichtlich eines Verbleibs in der Organisation beeinflusst (Meyer/Allen 1991, 67). Meyer et al. konnten in einer von ihnen durchgeführten Meta-Analyse aufzeigen, dass das affective Commitment am stärksten positiv mit dem von den Mitarbeitern gezeigten Arbeitsverhalten korreliert ist, gefolgt vom normative commitment; das continuance Commitment dagegen stand entweder in keiner oder in einer negativen Beziehung zu dem gezeigten Arbeitsverhalten (Meyer et al. 2002, 39). Scholz bezeichnet das (auf das Arbeitsverhältnis bezogene) Commitment darüber hinaus als eine zwischen einem Mitarbeiter und dessen Arbeitgeber beidseitig bestehende Beziehung, in der sowohl eine Bindung zwischen dem Mitarbeiter gegenüber dem Arbeitgeber (Mitarbeiter-Arbeitgeber-Commitment) als auch eine Bindung zwischen dem Arbeitgeber gegenüber dem Mitarbeiter (Arbeitgeber-Mitarbeiter-Commitment) besteht (Scholz 2011, 476).

Abschätzungsgetriebenes (continuance) Commitment

Verpflichtungsgetriebenes (normative) Commitment

Emotionsgetriebenes (affective) Commitment

MitarbeiterArbeitgeberCommitment

Abb. 14.6: Komponenten des Organizational Commitment. Quelle: Eigene Darstellung.

4.2 Commitment als Zielgröße des Markenmanagements Der Begriff des Commitment hat seit einiger Zeit auch Einzug in die Markenführung gehalten (Dholakia 1997, 381; Beattly/Kahle 1988, 4; Thomason et al. 1999, 820; de Chernatony 1999, 158). Als Marken- beziehungsweise Brand-Commitment ist es eine Adaption des Ansatzes zur Erklärung von Organizational Commitment, wobei hier nicht die Organisation als solche den Bezugspunkt bildet, sondern die Marke. Innerhalb der Literatur gibt es hinsichtlich der Definition wenig Dissens, da die Autoren überwiegend auf die Ausarbeitungen von Burmann/Zeplin zurückgreifen und

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Brand Commitment als das Ausmaß der psychologischen Verbundenheit eines Mitarbeiters mit der Marke definieren (Burmann/Zeplin 2005, 120; Piehler 2011, 198 f.). (Zur intensiven Vertiefung der Thematik „Marke“ vergleiche den Beitrag zur strategischen Markenführung in diesem Sammelband.) Für den Aufbau eines markenzentrierten Commitment ist ein markenorientiertes Personalmanagement von entscheidender Bedeutung (Burmann et al. 2012, 179). Erfolgt im Sinne von Chiang at al. eine Ausrichtung der personalwirtschaftlichen Maßnahmen an der Markenidentität, so erzeugen und/oder festigen diese HR-Maßnahmen bei den Rezipienten (den Mitarbeitern) ein positiven Verhaltens und eine positiven Einstellung gegenüber der Marke (Chiang et al. 2012, 629). Im Zuge eines ganzheitlichen Ansatzes sind besonders die Determinanten Führung, Kommunikation und Personalmanagement sowie die Kontextfaktoren Kultur und Struktur ausschlaggebend für die Bildung und Festigung von Brand Commitment (Zeplin 2006, 104). Ein markenorientiertes Personalmanagement umfasst die Abstimmung der Bereiche (1) Personalrekrutierung, (2) Personalselektion, (3) Personaleinführung, (4) Personalentwicklung, (5) Entgelt- und Anreizgestaltung, (6) Personalbeurteilung, (7) Personalbeförderung und der (8) Personalfreisetzung mit den internen Markenverantwortlichen sowie die Orientierung aller HR-Aktivitäten an der Markenidentität zur Sicherstellung eines Personen-Marken-Identitäts-Fit (Zeplin 2006, 105; Piehler 2011, 173 ff.). Ein solcher Fit beschreibt die Übereinstimmung des eigenen Normen- und Wertesystems mit dem Normen- und Wertesystem des Bezugsobjektes, in diesem Fall der Marke (Chatman 1989, 339). Eine markenorientierte Führung zeichnet sich durch (1) das Vorleben der Markenidentität sowohl durch die oberste Geschäftsführungsebene als auch durch alle im Unternehmen tätigen Führungskräfte, (2) einen markenorientierten, transformationalen Führungsstil und (3) durch die Befähigung der Mitarbeiter aus, Vorschläge zur Umsetzung der Identität sowie durch eine weitestgehend eigenverantwortliche Realisierung der Markenidentität innerhalb des eigenen Aufgabenbereiches aus. Ein solcher transformationeller Führungsstil ist durch Charisma, Inspiration, intellektuelle Stimulation sowie eine individuelle Aufmerksamkeit der Führungskraft gegenüber den geführten Mitarbeitern geprägt (Zeplin 2006, 130). Die markenorientierte Kommunikation stellt den dritten Einflussfaktor für das Brand Commitment dar. Sie ermöglicht im Rahmen der markenorientierten Führung die zuvor operationalisierte Markenidentität voll umfänglich, differenziert und unter Berücksichtigung der Kernkompetenzen sowohl einprägsam wie aus Sicht der Organisation wahrheitsgemäß gegenüber den Mitarbeitern mit Hilfe verschiedenster

Kapitel 14: Steigerung des Organizational Commitment in Handelsunternehmen | 313

Kommunikationsmaßnahmen und -formen zu verbalisieren (Ind 2007, 94 ff.; Zeplin 2006, 123). Neben diesen direkten Determinanten haben ergänzend die Kontextfaktoren Kultur und Struktur einen Einfluss auf das Brand Commitment. Die Kultur wird als ein organisationsweiter, interner, symbolischer Kontext aus Grundannahmen, Werten und Normen zur Entwicklung und Erhaltung der Identität der Organisation verstanden, wobei davon ausgegangen wird, dass eine starke und zur Markenidentität komplementäre Unternehmenskultur in der Lage ist, bei den Mitarbeitern einen positiven Einfluss auf das Brand Commitment auszuüben (Hatch/Schultz 1997, 358; Zeplin 2006, 131; Behrends/Meckl 2010, 821).Ein Fit zwischen der Unternehmensstruktur und der Markenidentität ist insbesondere dann gegeben, wenn vorhandene Anreiz- und Belohnungssysteme einem markenidentitätskonformen Verhalten nicht entgegenstehen, eine mit der Markenidentität vereinbare Aufbaustruktur implementiert und die Markenverantwortung an höchster Unternehmensstelle verankert wurde (Dunn/Davis 2003, 34; Zeplin 2006, 123; Ind 2007, 108).

Markenorientierte Führung

Personen-MarkenIdentitäts-Fit

MarkenidentitätsKultur-Fit

Brand Commitment

Markenorientierte Kommunikation

MarkenidentitätsStruktur-Fit

Abb. 14.7: Einflussfaktoren auf das Brand Commitment. Quelle: Eigene Darstellung.

Für eine Konzeptualisierung der Ausprägung von Brand Commitment wird auf die Unterscheidung von O´Reilly/Chatman und Kelman zurückgegriffen, die im Rahmen ihrer Forschung zum Organizational Commitment die Dimensionen Internalisierung, (Internalization), Identifikation (Identification) und Fügsamkeit (Compliance) verwenden (Kelman 1958, 53; O´Reilly III/Chatman 1986, 493), wobei Zeplin explizit herausstellt, dass die Compliance-Dimension keinen positiven Einfluss hinsichtlich nachgelagerter Verhaltenskonstrukte zu leisten scheint und gegebenenfalls sogar negative Auswirkung haben kann (Zeplin 2006, 91). Folglich wird dieser Aspekt im weiteren

314 | Patrick Roßmann

Verlauf nicht näher betrachtet. Internalisierung beinhaltet die intrinsisch motivierte Adaption der Markenidentität in das eigene Selbstkonzept auf Basis einer vom Individuum festgestellten Kongruenz, wobei eine vollständige Übereinstimmung der persönlichen Identität und der Markenidentität als Extremform anzusehen ist (Kelman 1958, 53; Zeplin 2006, 91; Piehler 2011, 221). Die Identifikationsdimension beinhaltet die Akzeptanz äußerlicher Einflüsse aufgrund eines starken Zugehörigkeitsgefühls sowie ein Gefühl des „verpflichtet sein“ gegenüber einer die Markenidentität prägenden Gruppe, wobei die Adaption des gezeigten Verhaltens überwiegend als „zur Beziehung dazugehörend“ empfunden wird und der spezifische Verhaltensinhalt eine geringe Relevanz aufweist (Kelman 1958, 53; Zeplin 2006, 91 f.).

5 Wertekongruenz

Brand Commitment als moralische Verpflichtung

Werteindifferenz

Kein Brand Commitment

Werteinkongruenz

Kein Brand Commitment

Ausgewogenes Brand Commitment

2

Internalisierung

6

4 Brand Commitment als blinde Loyalität

1

niedrig

3 Kein Brand Commitment

hoch

Identifikation

Abb. 14.8: Ausprägungen von Brand Commitment. Quelle: In Anlehnung an Wiener, 1982, 423; Zeplin, 2006, 93.

Die beiden Dimensionen Internalisierung und Identifikation sind zwar überwiegend, jedoch nicht vollständig unabhängig voneinander und sollten zur Bestimmung der Stärke des Brand-Commitments gemeinsam verwendet werden, da Brand Commitment bei jedem Individuum sowohl auf einer als auch auf beiden Dimensionen gleichzeitig beruhen kann (Wiener 1982, 423; Burmann et al. 2012, 171) Das durch eine hohe Internalisierung und eine hohe Identifikation geprägte, ausgewogene Brand Commitment stellt die stärkste Form dar, wohingegen unabhängig von der Identifikationsstärke bei vorliegender Werteinkongruenz sowie bei einer niedrigen Identifikation und gleichzeitiger Werteindifferenz kein relevantes Commitment vorliegt.

Kapitel 14: Steigerung des Organizational Commitment in Handelsunternehmen | 315

4.3 Relevanz des Brand Commitment für das Personalmanagement Die besondere Bedeutung sowohl des Brand Commitment wie auch des Organizational Commitment ergibt sich aus der Situation auf dem deutschen Markt für neue Personenkraftwagen. Rechtlich selbstständige Händler im KFZ-Markt haben häufig nur die Möglichkeit, sich über ihre Mitarbeiter, deren Leistungen und deren Einstellung zum Arbeitgeber, zur Marke und zum Kunden von der Konkurrenz zu distanzieren. Eine Vielzahl von Händlern ist im Zuge der Portfolioerweiterung dazu übergegangen, mehrere Fahrzeugmarken parallel in ihren Häusern anzubieten um damit die Abhängigkeit von einzelnen Herstellern zu reduzieren. Dies führt jedoch zu einem Dilemma, denn die einzelnen Hersteller haben ein starkes Interesse daran, dass die Mitarbeiter des jeweiligen Absatzmittlers ein besonders hohes Maß an Aufmerksamkeit für „die eigene“ Fahrzeugmarke zeigen und weniger für die übrigen durch den jeweiligen Händler vertriebenen PKW-Marken (Hughes/Ahearne 2010, 81). Daneben stehen zudem noch die Ansprüche des Arbeitgebers an die Mitarbeiter, sich vorwiegend an den Interessen des Autohauses zu orientieren und weniger an denen der einzelnen Fahrzeughersteller. Die hieraus resultierende fundamentale Bedeutung der Mitarbeiter für den Erfolg zeigt sich besonders in kleinen und mittelständischen Dienstleistungsunternehmen sowie bei Autohäusern (Sauer 2010, 12). So sind beispielsweise Verkäufer mit einem hohen Commitment zur Organisation ein Schlüsselfaktor für den Erfolg in vielen Geschäftsfeldern (Jaramillo et al. 2005, 705 ff.). In der nachfolgend beschriebenen Studie im Sektor des Automobilhandels wurde daher der Frage nachgegangen, ob ein positives Commitment zu der von Ihrem Arbeitgeber vertriebenen Fahrzeugmarke seitens der Mitarbeiter einen positiven Einfluss auf das Commitment zur arbeitgebenden Organisation ausübt.

5 Studienaufbau und Auswertung 5.1 Forschungsfragen Das Brand Commitment selbst stellt ein Einstellungskonstrukt dar, welches unter Berücksichtigung des hier verfolgten Forschungsinteresses für sich genommen noch nicht als Erfolgskriterium zu werten ist. Allerdings hat es auf andere Einstellungskonstrukte, beispielsweise das affective Organizational Commitment, einen Einfluss: H1: Ein starkes Brand Commitment zu der vom Arbeitgeber vertriebenen Fahrzeugmarke wirkt sich positiv auf die affektive Komponente des Organizational Commitment der Mitarbeiter gegenüber ihrem Arbeitgeber aus. H2: Ein starkes Brand Commitment zu der vom Arbeitgeber vertriebenen Fahrzeugmarke wirkt sich positiv auf die normative Komponente des Organizational Commitment der Mitarbeiter gegenüber ihrem Arbeitgeber aus.

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H3: Ein starkes Brand Commitment zu der vom Arbeitgeber vertriebenen Fahrzeugmarke wirkt sich positiv auf die abschätzungsgetriebene Komponente des Organizational Commitment der Mitarbeiter gegenüber ihrem Arbeitgeber aus.

Markenidentitäts- Markenorientierte Personen-Marken- Markenorientierte MarkenidentitätsKommunikation Identitäts-Fit Führung Kultur-Fit Struktur-Fit

Brand Commitment

H3

H1 H2

Emotionsgetriebenes (affective) Commitment

Verpflichtungsgetriebenes (normative) Commitment

Abschätzungsgetriebenes (continuance) Commitment

MitarbeiterArbeitgeberCommitment

Abb. 14.9: Untersuchungsmodell der Studie. Quelle: Eigene Darstellung.

5.2 Datenerhebung Die Datenerhebung erfolgte im Jahr 2013 bei den Mitarbeitern von klassischen Autohäusern beziehungsweise Autohandelsgruppen mit einem vollständigen Leistungsangebot aus dem Raum Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Bei der Auswahl der Befragungspartner wurde darauf geachtet, dass es sich um kleine beziehungsweise mittlere Unternehmen nach der sektorspezifischen KMU-Definition handelt. Innerhalb dieser Eingrenzungen wurden sämtliche zum Zeitpunkt der Befragung anwesenden Mitarbeiter der einzelnen Autohäuser befragt.

Kapitel 14: Steigerung des Organizational Commitment in Handelsunternehmen | 317

Für die Messung des affective Commitment wurde die deutschsprachige Version des Organizational Commitment Questionaire (OCQ) von Maier/Woscheé verwendet, dessen Original von Mowday/Steers/Porter im Jahr 1979 veröffentlicht wurde und das am häufigsten verwendete Instrument für die Messung dieses Konstruktes darstellt (Maier/Woscheé 2002, 127 ff.; Mowday et al. 1979, 228). Für die Messung des normative und des continuance Commitment wurde auf die englischsprachige Continuance-Commitment-Scale (CCS) sowie die Normative-Commitment-Scale (NCS) von Allen/Meyer zurückgegriffen (Allen/Meyer 1990, 6 f.). Für die Erfassung des Brand Commitment sowie dessen Determinanten und Kontextfaktoren wurde auf die Ausarbeitungen von Zeplin zurückgegriffen, die basierend auf den Erkenntnissen der OrganizationalCommitment-Forschung entsprechende Fragebatterien entwickelt und überprüft hat (Zeplin 2006, 198 ff.). Die Auswertung wurde mit Hilfe der Statistik-Software SPSS durchgeführt.

5.3 Deskriptive Datenauswertung Insgesamt geben 4,1 % der Befragten in der Umfrage kein Geschlecht an, 13,7 % (82,2 %) der Befragten sind weiblich (männlich) und im Alter zwischen 17 und 65 Jahren (Mittelwert = 41 Jahre, Q1 = 33 Jahre, Median/Q2 = 42 Jahre, Q3 = 51 Jahre). Deren Tätigkeitsschwerpunkte verteilen sich auf die Bereiche Ausbildung (sowohl als Auszubildender wie auch als Ausbilder), Teile-Lager, Gebrauchtwagen-Verkauf, TeileVerkauf, Neuwagen-Verkauf, Werkstatt, Buchhaltung beziehungsweise Verwaltung, Service-Annahme und After-Sales-Services. Im Rahmen der Abfrage der Hauptbetätigungsfelder sind Mehrfachnennungen möglich, da im Automobilhandel eine Überschneidung der Tätigkeitsfelder vorkommen kann. Im Durchschnitt liegt die Beschäftigungsdauer der Befragten bei ihren aktuellen Arbeitgebern zwischen 6 Jahren und 8 Jahren (Q1 = 2–4 Jahre, Median/Q2 = 6–8 Jahre, Q3 = 12 Jahre und mehr). Die Betriebe, in denen die Studie durchgeführt wurde, führen Produkte der PKWMarken Renault, Dacia, Ford, Volkswagen, Audi, Mercedes-Benz, Opel, Toyota, Kia, Citroen, Skoda, Fiat, Alfa Romeo und Lancia in unterschiedlichsten Kombinationen in ihrem Portfolio. 61,6 % der Mitarbeiter gaben an, dass die Fahrzeugmarke ihres Privatfahrzeugs mit einer der Fahrzeugmarken ihres Arbeitgebers übereinstimmt, 26,0 % fahren eine andere als die von ihrem Arbeitgeber vertriebene Fahrzeugmarke und 12,3 % äußern sich nicht zur Markenübereinstimmung. Die Privatfahrzeuge von 57,5 % der Mitarbeiter sind den Marken Volkswagen (9,5 %), Renault (8,8 %), Opel (4,4 %), Skoda (4,4 %) und Toyota (3,7 %) zuzuordnen. Darüber hinaus sind noch 10 weitere Marken vertreten, die jedoch nur von wenigen oder einzelnen Befragten repräsentiert werden. Von den Befragten geben 37,0 % an, eine Berufsausbildung erfolgreich abgeschlossen zu haben, 21,9 % geben einen Realschulabschluss beziehungsweise die mittlere Reife und 13,7 % einen Volksschulabschluss beziehungsweise einen Hauptschulabschluss mit Qualifikationvermerk als höchsten Bildungsabschluss an. Dar-

318 | Patrick Roßmann

über hinaus besitzen 8,2 % ein Fachabitur beziehungsweise die Fachhochschulreife, jeweils 6,8 % besitzen das Abitur beziehungsweise einen (Fach-)Hochschulabschluss und 4,1 % geben an eine Meisterprüfung erfolgreich abgelegt zu haben.

Altersgruppe k.a. 4,1%

16–20 21–25 26–30 31–35 36–40 41–45 46–50 51–55 56–60 61–65 > 65 5,5%

5,5% 9,6% 9,6% 15,1% 15,1% 8,2% 12,3% 11,0% 2,7%

1,4%

Gesamt 1004%

Arbeitsbereiche (Mehrfachnennung möglich) AusTeilebildung Lager 11,0%

11,0%

Gebraucht- TeileWerkwagenVerkauf statt Verkauf 23,3%

11,0%

NeuBuchService- Afterwagen- haltung/ Annahme SalesGesamt Verkauf Verwaltung Services

42,5% 36,1%

5,5%

19,2%

9,6%

168,9%

Abb. 14.10: Übersicht über Alters- und Arbeitsbereichsverteilung in der Datenbasis. Quelle: Eigene Darstellung.

5.4 Weiterführende Datenauswertung Zur Reliabilitätsüberprüfung wird die Split-half-Methode herangezogen. Diese Methode selektiert die Skala in zwei Hälften und berechnet die Korrelation beider Teilhälften untereinander, wobei dieser Korrelationswert mit Hilfe der Spearman-BrownFormel aufgewertet wird und im Anschluss die Reliabilität der Skala angibt (Bühner 2008, 141). Bei der Betrachtung der Reliabilitätsübersicht der genutzten Skalen sticht die Skala der Markenorientierten Personalarbeit aufgrund der verhältnismäßig geringen Reliabilität heraus. Gründe für die vergleichsweise niedrige Reliabilität können die Schwere der verwendeten Fragen oder eine geringe Skalenhomogenität sein, da die Trennschärfe der Items in dieser Skala „nur“' zwischen ,441 und ,574 liegt. Zur weiteren Analyse wird die multiple Regressionsanalyse verwendet. Sie unterstützt die Aufdeckung von Zusammenhängen zwischen einer (oder mehreren) Prädiktorvariablen und einer Vorhersagevariablen (Backhaus et al. 2008, 52). Die verwendeten Daten müssen bei diesem Verfahren (1) metrisch skaliert und (2) normalverteilt sein, (3) unter den Prädiktorvariablen darf keine Multikollinearität auftreten und (4) zwischen den Prädiktorvariablen und der Prognosevariable muss eine lineare Beziehung vorhanden sein (Raithel 2006, 170; Backhaus et al. 2008, 55 + 87). Die für die Untersuchung erhobenen Daten können ebenso wie die aus den Variablen extrahierten Faktoren aufgrund der verwendeten Skala (7-Punkt-Likert-Scale mit den Endpunktbenennungen „stimme vollkommen zu“ und „stimme gar nicht

Kapitel 14: Steigerung des Organizational Commitment in Handelsunternehmen | 319

zu“) als intervallskaliert betrachten werden. Die Normalverteilung der Stichprobe wird mit Hilfe der Kolmogorov-Smirnov-Anpassung überprüft Dieser prüft die Abweichungen der Stichprobenverteilung von der Normalverteilung (Schmidt 2013, 8).

Reliablilitätsübersicht Organisational Commitment

Affective Commitment

Normative Commitment

Continuance Commitment

Cronbach’s Alpha

,934

,760

,681

Split-halfKorrelation

,876

,532

,876

Spearman-Brown – ungleich

,934

,693

,490

Markenorientierte Personalarbeit

Markenorientierte Kommunikation

Markenorientierte Führung

Marken identitätsKultur-Fit

Reliablilitätsübersicht Brand Commitment

Brand Commitment

MarkenidentitätsStruktur-Fit

Cronbach’s Alpha

,906

,708

,883

,904

,829

,825

Split-halfKorrelation

,772

,565

,672

,650

,586

,606

Spearman-Brown – ungleich

,871

,722

,805

,790

,739

,757

Abb. 14.11: Reliabilitätsübersicht. Quelle: Eigene Darstellung.

Bei der Interpretation der Testergebnisse ist darauf zu achten, dass ein asymptotischer Signifikanzwert von p < 0,05 bei diesem Test bedeutet, dass die Stichprobenverteilung von der Normalverteilung abweicht und damit eine Voraussetzungen für die Durchführung der Regressionsanalyse nicht gegeben ist. Im vorliegenden Fall liegen die Signifikanzen der verwendeten Skalen im Intervall zwischen minimal p = 0,121 und maximal p = 0,912. Es wird daher bei allen Faktoren auf eine (annähernde) Normalverteilung geschlossen. Zur Aufdeckung von Abhängigkeiten zwischen den Prädiktorvariablen ist eine Überprüfung der Multikollinearität durchzuführen. Hierzu ist eine Regression jeder unabhängigen Variablen auf die jeweils übrigen beschreibenden Variablen durchzuführen, wobei im Anschluss eine Überprüfung auf eine eventuell vorhandene Multikollinearität anhand der Toleranzwerte und des Variance Inflation Factor (VIF) erfolgt (Urban/Meayerl 2011, 231; Backhaus et al. 2008, 89). Dabei sind Toleranzwerte von „eins“ beziehungsweise knapp darunter so zu interpretieren, dass die Varianz dieser Variablen nicht durch die übrigen Prädiktoren ausgeschöpft wird, was einer vollständigen Eigenständigkeit innerhalb des Modells gleichkommt.

320 | Patrick Roßmann

r = 680** r = 500**

r = 691** r = 341**

r = 447** r = ,500**

MarkenidentitätsStruktur-Fit

r = ,677**

Markenorientierte Kommunikation

r = 448**

r = 578**

PersonenMarkenIdentitäts-Fit

r = 548**

Markenorientierte Führung

MarkenidentitätsKultur-Fit

β = ,146**

Brand Commitment

B = ,328* β = ,343*

Emotionsgetriebenes (affective) Commitment R² = ,627**

Verpflichtungsgetriebenes (normative) Commitment R² = ,118*

Abschätzungsgetriebenes (continuance) Commitment R² = ,047

MitarbeiterArbeitgeberCommitment ** = Signifikant auf Niveau 0,01 ** = Signifikant auf Niveau 0,05 Abb. 14.12: Ergebnisse der durchgeführten Auswertung. Quelle: Eigene Darstellung.

Urban/Mayerl verweisen diesbezüglich auf ein unterer Grenzwert für die Toleranz von circa 0,2 bis 0,25 sowie oberer Grenzwert für den Variance Inflation Factor (der Variance Inflation Factor entspricht dabei dem reziproken Wert der Toleranz) von 5,00, da

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andernfalls von einer starken linearen Abhängigkeit der Prädiktorvariablen auszugehen ist (Urban/Meayerl 2011, 232). Im vorliegenden Fall überschreiten die Toleranzwerte (Minimum = ,347) durchgängig den unteren Grenzwert. Gleiches gilt somit auch für die Ausprägungen des Variance Inflation Factor, die durchgängig einen ausreichenden Abstand zum veranschlagten oberen Grenzwert aufweisen (Maximum = 2,883). Abschließend kann auch das Vorhandensein einer linearen Beziehung zwischen den Prädiktorvariablen und der Prognosevariable verneint werden. Die Ergebnisse der Analyse sind nach Überprüfung der relevanten Kriterien in Abbildung 14.12 dargestellt.

6 Zusammenfassung Der positive Einfluss des Brand Commitment auf das von den Mitarbeitern gegenüber Ihrem Arbeitgeber gezeigte Commitment konnte mit Hilfe der durchgeführten Analyse bestätigt werden. Dieses entwickelt vor allem einen positiven Einfluss auf die affektive und die normative Komponente des Mitarbeiter-Arbeitgeber-Commitment, wobei der eindeutig stärkere Effekt auf Seiten der affektiven Komponente festzustellen ist (Bestätigung der Hypothese H1). Vor dem Hintergrund, dass das affektive Commitment als „echte Verbundenheit“ mit einem positiven Effekt auf das von den Mitarbeitern gezeigte Arbeitsverhalten angesehen werden kann (Meyer et al. 2002, 39), unterstreicht dieses Ergebnis zusätzlich die Notwendigkeit einer markenorientierten Personalarbeit. Hinsichtlich des Einflusses auf das normativen Commitment (Hypothese H2) kann die zuvor getroffene Annahme teilweise bestätigt werden; der Einflusses auf das Continuance Commitment (Hypothese H3) kann auf Basis der durchgeführten Analyse nicht bestätigt werden. Das Wissen über diesen Zusammenhang kann zu einer win-win-Situation sowohl für Unternehmen wie auch für (potentiellen) Mitarbeiter führen. Beispielsweise können sich eine markenkonforme Unternehmenskultur und auch eine markenkonforme Unternehmensstruktur positiv beim Aufbau beziehungsweise bei der Festigung von Brand-Commitment und damit indirekt auf die Unternehmensverbundenheit auswirken. Allerdings stellen die Veränderung einer Unternehmenskultur beziehungsweise von Unternehmensstrukturen häufig langfristige Prozesse dar (Gust von Loh 2009, 104). Hingegen können die Kommunikation und das Verhalten der Führungskräfte relativ kurzfristig an die entsprechenden markenrelevanten Aspekte angepasst werden. Eine substanzielle Ausrichtung, insbesondere des Führungs- und Kommunikationsverhaltens, an der Markenidentität kann die Verbundenheit der Mitarbeiter zu dem arbeitgebenden Unternehmen somit bereits kurzfristig stärken. Die Ergebnisse dieser Analyse sind sowohl im Kontext der Mitarbeitergewinnung als auch im Rahmen der Mitarbeiterbindung zu betrachten. Bereits bei der Suche nach neuen Mitarbeitern bietet die Berücksichtigung der Ergebnisse erste Chancen. Denn eine markenkonforme Ausrichtung des Recruiting-Prozesses stellt zwar keine

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Garantie für ein hohes Brand Commitment der Mitarbeiter zum Zeitpunkt der Einstellung dar. Dennoch erhöht es die Wahrscheinlichkeit, dass die Mitarbeiter bereits bei der Einstellung ein hohes Commitment zu einer vom Unternehmen angebotenen Marke aufweisen oder sich ein solches Commitment zumindest durch eine markenorientierte Führung und Kommunikation im Laufe der Zeit (stärker) herausbilden. Betriebe, die sich in diesem Bereich professionell aufstellen erhalten die Möglichkeit, sich im Kampf um begehrte Mitarbeiter einen vielleicht entscheidenden Vorteil zu sichern. Auch bei bereits vorhandenen Mitarbeitern kann die gezielte Orientierung der Personalabteilung und ihrer Aktivitäten beziehungsweise aller Personen mit Personalverantwortung an den markenrelevanten Vorgaben und Richtlinien zu einer Steigerung des Organizational Commitment beitragen. Denn die Stärkung der affektiven Commitment-Komponente bei den Mitarbeitern sorgt dafür, dass diese ihre Arbeit in der Organisation auch zukünftig fortsetzen wollen (Brown et al. 2011, 926 f.), was für die Unternehmen potentiell zu einer Reduzierung der Fluktuationszahlen und damit zu geringeren Kosten führt. Dient die Ausrichtung der Personalabteilung vordergründig der Stärkung der Verbundenheit der Mitarbeiter mit dem Unternehmen, so sind langfristig jedoch auch zusätzliche positive Effekte durch die Förderung des Brand Commitment möglich. Beispielsweise kann sich bei den Mitarbeitern ein positives Extra-Rollenverhalten (auch als Organizational Citizenship Behaviour bezeichnet) einstellen. Diese wirken dann im Idealfall als Multiplikatoren, indem sie gegenüber anderen Personen und Gruppen von den positiven Erfahrungen innerhalb des Unternehmens berichten und diesem durch die positive Mundpropaganda potentiell zu neuen Kunden verhelfen. Dabei darf jedoch nicht aus den Augen verloren werden, dass aus Sicht der Personalabteilung die Erzeugung von Brand Commitment nicht das primäre Ziel sein kann. Vielmehr stellt es ein Werkzeug zur Steigerung der Zufriedenheit und der Verbundenheit des Mitarbeiters mit dem Arbeitgeber dar. Dennoch folgt aus den Ergebnissen die Notwendigkeit, das Markenmanagement nicht nur als die Aufgabe der Marketingabteilung oder des Vorstandes zu verstehen. Vielmehr stellt es ganzheitliche Aufgabe aller Mitarbeiter und Führungskräfte dar.

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Marcel Widmaier

Kapitel 15: Die Qual der Rechtsformwahl 1 Einleitung Am Anfang eines jeden erfolgreichen Unternehmens steht die Entscheidung über dessen Organisationsform. Hier stehen dem Unternehmensgründer zahlreiche Varianten zur Auswahl, von denen jede einzelne sowohl Vor- als auch Nachteile, sowie Chancen und Risiken mit sich bringt. Im Rahmen dieses Beitrages werden die verschiedenen Varianten der gesellschaftsrechtlichen Organisation vorgestellt und hinsichtlich der Nutzen und deren Möglichkeiten erläutert.

2 Einzelunternehmen Zunächst ist zu fragen, ob es überhaupt der Gründung einer Gesellschaft bedarf, oder ob es schlicht ausreicht ein Gewerbe anzumelden und als Einzelunternehmen tätig zu werden. Für sämtliche Gewerbe gilt die Gewerbeordnung (GewO). Diese statuiert in deren § 1 GewO die Gewerbefreiheit. In den §§ 29 ff GewO wird diese Freiheit dahingehend eingeschränkt, dass Gewerbetätigkeiten vorgeschrieben werden, für die der Gewerbetreibende eine Erlaubnis benötigt. Es empfiehlt sich daher dingend vor der Aufnahme der jeweils beabsichtigten Tätigkeit einen Blick in diese Normen zu werfen. Als Beispiel dient nunmehr das Überwachungsgewerbe, welches seinen Niederschlag in § 34a GewO findet. Die Legaldefinition des Überwachungsgewerbes findet sich in § 34a Abs. 1 GewO und lautet „Wer gewerbsmäßig Leben oder Eigentum fremder Personen bewachen will […]“: Sämtliche Gewerbe mit diesem Gegenstand bedürfen der Genehmigung der zuständigen Behörde, also des jeweils zuständigen Gewerbeamtes. Voraussetzung, dass diese Erlaubnis erteilt wird, ist dass der Gewerbetreibende zuverlässig ist. Im Rahmen der Zuverlässigkeitsprüfung kann sowohl die wirtschaftliche Zuverlässigkeit, als auch die persönliche Zuverlässigkeit geprüft werden und in die Entscheidung der Behörde einfließen. So wurde durch den Verwaltungsgerichtshof Bayerns jüngst einem Mitglied eines Rockerclubs die Erlaubnis zum Betrieb dieses Gewerbes verweigert (VGH Bayern, Urteil vom 20.02.2014, Az. 22 BV 13.1909; NJW 2014, 2375). Sollte es zu einschlägigen Vorstrafen kommen, die auf eine Unzuverlässigkeit schließen lassen,

|| Marcel Widmaier Rechtsanwalt Kanzlei Jäger & Collegen

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zeugt dies auch von der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit und die Erlaubnis kann daraufhin nicht erteilt oder nach deren Erteilung wieder entzogen werden (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28.02.2011, Az. 4 E 872/10). Sollte das Gewerbe ohne Erlaubnis betrieben werden, so stellt dies eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 144 GewO dar. Zu beachten ist, dass hier bereits die fahrlässige Begehung genügt um letztlich der Sanktion ausgesetzt zu sein. Nach der erfolgreichen Anmeldung des Gewerbes ist zu beachten, dass dieses gesetzeskonform geführt werden muss. Das bedeutet nicht nur, dass der Wirtschaftsbetrieb nach dem angemeldeten Geschäftszweck ausgestaltet ist, sondern auch, dass sämtliche einschlägigen Rechtsnormen erfüllt werden. Die folgende Darstellung beschränkt sich jedoch auf relevantesten Erwägungen im Rahmen des Gesellschaftsrechts. Diese werden meist viel schneller relevant als dies zunächst den Anschein hat. Bereits das Hinzutreten eines Geschäftspartners, mit welchem das Gewerbe gemeinsam geführt werden soll genügt, um sich aktiv mit dem Thema beschäftigen zu müssen. Ohne einen Geschäftspartner und ohne die Vorteile bestimmter Gesellschaftsformen nutzen zu wollen kann sich der Unternehmer des eingetragen Kaufmanns als Rechtsform bedienen (e.K.). Einschlägig hierfür sind die Normen des Handelsgesetzbuches (HGB). § 1 HGB schreibt vor, dass jeder, der ein Handelsgewerbe betreibt Kaufmann ist. Von besonderer Relevanz ist § 1 Abs. 2 HGB. Dieser formuliert eine gesetzliche Vermutung dahingehend, dass jeder Gewerbebetrieb zunächst als Handelsgewerbe anzusehen ist, es sei denn ein in kaufmännischer Weise eingerichteter Geschäftsbetrieb ist nicht erforderlich. Die kaufmännische Einrichtung eines Gewerbebetriebes bedeutet vor allem Vornahme der kaufmännischen Buchhaltung und Bilanzierung. Aber auch die Größe eines Betriebes und die Funktionen der Beschäftigten sind für die Bewertung relevant. Bei dem Umsatz als solchem ist jedoch Vorsicht geboten (Hopt, in Baumbach/Hopt HGB, 36. Auflage 2014, § 1 Rn. 23). Maßgeblich sind aber auch die Art und Weise der Geschäftstätigkeit und das Betätigungsfeld. Indizien für das Vorliegen eines in kaufmännischer Weise eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes sind die Vielfalt der Erzeugnisse, die Fremdkapitalquote im Unternehmen, die erforderliche Lagerhaltung und die internationale Ausrichtung des Betriebes (Hopt, in Baumbach/Hopt HGB, 36. Auflage 2014, § 1 Rn. 23). Weitere entscheidende Kriterien sind die Mitarbeiterzahlen, die Organisation etwaig vorhandener Betriebsstätten und die genutzte Betriebsfläche (Hopt, in Baumbach/Hopt HGB, 36. Auflage 2014, § 1 Rn. 23). Hieraus wird ersichtlich, dass aufgrund der Vielzahl der für die Beurteilung relevanten Kriterien die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung nicht gerade als einfach bezeichnet werden kann. Die Beweislast dafür, dass kein in kaufmännischer Weise eingerichteter Gewerbebetrieb vorliegt, trägt der Unternehmer, der sich darauf beruft. Für den Fall, dass das Unternehmen nicht bereits gemäß § 1 Abs. 2 HGB als Handelsgewerbe zu qualifizieren ist, kann dies durch die Ingebrauchnahme der Regelung nach § 2 HGB erfolgen. Wenn die Firma in das Handelsregister eingetragen wird,

Kapitel 15: Die Qual der Rechtsformwahl | 329

wozu keine Verpflichtung besteht, kann der Unternehmer die Geltung der Vorschriften für Kaufleute herbeiführen. Dies kann Vorteile mit sich bringen, wenn beabsichtigt ist das Unternehmen unter der Firmenbezeichnung im Rechtsverkehr zu führen, oder sonst am kaufmännischen Verkehr teilzunehmen. Ein besonderer Nutzen können die Vorschriften über Handelsgeschäfte darstellen, die im Einzelnen in den §§ 343 ff HGB geregelt sind. Hieraus wird als Beispiel die Rügeobliegenheit herangezogen. Diese ist in § 377 HGB geregelt. Bei Warenlieferungen ist der Empfänger zu einer Wareneingangsprüfung verpflichtet und hat die festgestellten Mängel unverzüglich gegenüber dem Lieferanten anzuzeigen. § 377 Abs. 2 HGB regelt, dass die Ware im Falle des Unterlassens der unverzüglichen Rüge als genehmigt gilt. Dies gilt selbstverständlich nicht, wenn der Mangel nicht erkennbar war. Die unterlassene Rüge hat zur Folge, dass der Empfänger sich nachträglich nicht mehr auf die Mangelhaftigkeit der Ware berufen kann. Diese und andere Normen, welche speziell den Geschäftsverkehr bei Handelsgewerben regeln sogen für Rechtssicherheit und Schnelligkeit im gewerblichen Geschäftsverkehr. Die Haftung des Kaufmanns ist unbeschränkt auf dessen Vermögen, sodass dieser auch privat für Verbindlichkeiten des Unternehmens haftet. Dies gilt auch für Schadensersatzansprüche Dritter gegenüber dem Unternehmen. Gerade für kleine Unternehmen, die letztlich von einer Person geführt werden und keine Tätigkeiten ausüben, die ein hohes Haftungsrisiko mit sich bringen, ist diese Form der Teilnahme am Geschäftsverkehr interessant. Der Aufwand ein solches Unternehmen einzurichten ist juristisch nicht groß und der Unternehmer kann schnell am Markt tätig werden. Sollte jedoch das Unternehmen von mehreren Personen geführt werden, zu Finanzierungszwecken weitere Personen am Unternehmen beteiligt werden, ein Zusammenschluss von Geschäftspartnern erfolgen oder ein Tätigkeitsfeld mit signifikantem Haftungsrisiko bedient werden, so empfiehlt sich die Gründung einer Gesellschaft.

3 Personengesellschaften Das Gesellschaftsrecht unterscheidet grundsätzlich zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften. Diese sind unterschiedlich organisiert und unterliegen auch unterschiedlichen rechtlichen Grundsätzen. Die Personengesellschaften sind keine juristischen Personen, wie dies bei den Kapitalgesellschaften der Fall ist. Es handelt sich um natürliche Personen. Ein wesentlicher Unterschied stellt auch der Grundsatz der Selbstorganschaft bei Personengesellschaften verglichen mit dem der Fremdorganschaft bei Kapitalgesellschaften dar. Die Selbstorganschaft bedeutet, dass nur den Gesellschaftern die Geschäftsführung zusteht (BGHZ 41, 637). Es ist daher erforderlich, dass wenn Dritte, die nicht Gesellschafter sind

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mit Geschäftsführungsaufgaben betraut werden sollen eine Gesellschaftsvertragliche Regelung geschafften wird, die dies erlaubt (BGH, NJW 1962, 738). Selbst mit dieser gesellschaftsvertraglichen Regelung erhält der Dritte mit derartigen Aufgaben Betraute, nicht die Stellung des eigentlichen gesellschaftlichen Geschäftsführers (BGH, NJW 1962, 738). Der Bundesgerichtshof hat bestätigt, dass die Möglichkeit besteht auch Dritte mit umfassenden Vollmachten auszustatten und so wichtige Aufgaben aus dem Bereich der Geschäftsleitung auf diese zu übertragen (BGH, NJW 1982, 1817). Dies ist auch schon deshalb nötig, da bei großen Unternehmen nicht alle Aufgaben, die üblicherweise der Geschäftsführung zu Teil werden auch von dieser ausgeübt werden können. Bereits aus organisatorischen Erwägungen kann es Sinn machen bestimmte Aufgabengebiete an Vertreter zu übertragen. Durch Ausstattung mit entsprechenden Vollmachten wird dies auch bei Personengesellschaften ermöglicht. Ein weiterer zentraler Unterschied zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften ist die Haftung, welche bei Kapitalgesellschaften grundsätzlich beschränkt ist und bei Personengesellschaften unbeschränkt ist. Hierzu werden die Ausführungen bei den einzelnen Gesellschaften folgen. Auch steuerlich ergeben sich Unterschiede. Bei der Besteuerung der Personengesellschaften erfolgt diese über jeden einzelnen Gesellschafter. Die Kapitalgesellschaften unterliegen der Körperschaftssteuer, welche direkt bei der Gesellschaft ansetzt. Die Gesellschaften werden in unterschiedliche Abteilungen des Handelsregisters eingetragen. Der § 3 der Verordnung über die Einrichtung und Führung des Handelsregisters lautet auszugsweise wie folgt: (2) In die Abteilung A werden eingetragen die Einzelkaufleute, die in den § 33 des Handelsgesetzbuchs bezeichneten juristischen Personen sowie die offenen Handelsgesellschaften, die Kommanditgesellschaften und die Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigungen. (3) In die Abteilung B werden eingetragen die Aktiengesellschaften, die SE, die Kommanditgesellschaften“.

Zu erwähnen ist noch der so genannte numerus clausus des Gesellschaftsrechts. Dieser bedeutet, dass nur die gesetzlich bestimmten Gesellschaften bestehen und keine eigenen „Kreationen“ geschaffen werden dürfen. Durch die Globalisierung und die engen Verbindungen zwischen den Staaten in der EU stand dieser Grundsatz in den letzten Jahren auf dem Prüfstand. Durch die „Inspire Art“-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 30.09.2003 wurde die Niederlassungsfreiheit im Sinne des Art. 49 AEUV (vormals Art. 43 EGV) in der Form gestärkt, dass eine Gesellschaft eines Mitgliedsstaates auch in einem anderen Mitgliedstaat betrieben und verwaltet werden darf (EUGH, NJW 2003, 3111 ff; WM 2002, 2042). Eine weitere Ausweitung des numerus clausus ist durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes erfolgt. Mit dem Argument der Freizügigkeit der US-amerikanischen Gesellschaft ermöglichte es der Bundesgerichtshof auch Rechtsformen der USA zu verwenden (BGH, NJW 2003, 1607; BGH MDR 2005, 560). Des Weiteren ist es zulässig die Gesell-

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schaftsformen der EWR-Mitgliedsstaaten zu verwenden. Dies hat der Bundesgerichtshof durch Urteil vom 19.09.2005 eindeutig bestätigt (BGH, NJW 2005, 3351; MDR 2006, 105). Die Rechtsfähigkeit der Gesellschaft ist dann nach den Regeln des jeweiligen Gründungsstaates zu beurteilen (BGH, NJW 2009, 289, m.w.N.). Demnach bleibt es zwar nach wie vor verboten nicht existierende Gesellschaftsformen zu gründen, jedoch stehen dem Gründer die vorbezeichneten zur Verfügung.

3.1 Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) Die GbR ist im BGB geregelt und stellt zunächst nur einen Zusammenschluss mehrerer Personen zur Erreichung eines gemeinsamen Zweckes dar. Dies wird durch § 705 BGB geregelt. Die §§ 705 ff BGB, welche die GbR Regeln sind auch für die anderen Personengesellschaften hilfsweise heranzuziehen, wenn es für diese keine Spezialvorschriften gibt (Sprau, in Palandt BGB 73. Auflage 2014, § 705 Rn. 6). Der Bundesgerichtshof wendet diese Vorschriften auch als Ergänzung für Gesellschaften nach ausländischen Rechtsordnungen an (BGH, NZG 2009, 68). Gegründet wird die GbR durch Abschluss eines Gesellschaftsvertrags. Dieser hat die gegenseitige Verpflichtung der Gesellschafter zum Gegenstand die Erreichung eines gemeinsamen Zweckes zu fördern. Dies geschieht ins Besondere durch die Leistung der vertraglich vereinbarten Beiträge. Die Gründung, das heißt der Gesellschaftsvertrag, ist grundsätzlich formfrei (Sprau, in Palandt BGB 73. Auflage 2014, § 705 Rn. 12). Das bedeutet, dass ein solcher Gesellschaftsvertrag auch konkludent geschlossen werden kann. Die Formfreiheit des Gesellschaftsvertrags wird dann durchbrochen, wenn ein Grundstück in die Gesellschaft eingebracht werden soll. In diesem Fall gilt die Formvorschrift des § 311b BGB und die notarielle Beurkundung wird erforderlich (Grüneberg, in Palandt BGB 73. Auflage 2014, § 311 b Rn. 9). Die notarielle Form muss auch schon dann eingehalten werden, wenn sich einer der Gesellschafter zur späteren Einbringung eines Grundstücks verpflichtet (BGH, Urteil vom 10.01.1955, Az. II ZR 294/53). Sollte die Gesellschaft aber den bloßen Zweck des Grundstückserwerbs haben, so führt dies nicht zur Formbedürftigkeit des Gesellschaftsvertrags (BGH, NJW 1998, 376). Dies ist in der Konsequenz auch logisch, da die GbR dann selbst das Grundstück erwerben wird und dieser Vertrag dann dem Formerfordernis des § 311b BGB gerecht wird. Der Zweck der Gesellschaft ist grundsätzlich von den Gesellschaftern frei wählbar. Eine Ausnahme bildet das Betreiben eines Handelsgewerbes in der Form, dass ein in kaufmännischer Weise eingerichteter Geschäftsbetrieb erforderlich ist (Sprau, in Palandt BGB 73. Auflage 2014, § 705 Rn. 6). Demnach kann mittels der GbR jeder an sich legale gemeinsame Zweck verfolgt werden. Viele Unternehmen beginnen ihre Tätigkeit als GbR und dies zum Teil, ohne dass dies den Gesellschaftern in vollem Umfang bewusst ist. Dieser Umstand ist vor allem der Möglichkeit der stillschweigenden Gründung der Gesellschaft geschuldet.

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Im Gesellschaftsvertrag kann die Organisation der Gesellschaft umfassend geregelt werden. Der Gesetzgeber hat durch die Vorschriften §§ 705 ff BGB jedoch für den Fall, dass ein Gesellschaftsvertrag keine Regelungen enthält die wichtigsten Punkte gesetzlich geregelt. So normiert § 706 Abs. 1 BGB relativ abstrakt, dass die Gesellschafter grundsätzlich die gleichen Beiträge zur Gesellschaft zu leisten haben. Unter Beiträgen kann jedoch jede Form der Leistung gefasst sein, begonnen mit Geldleistungen über Werkleistungen, bis hin zu Dienstleistungen (BGH, NJW 1987, 3124). Es muss auch nicht jeder Gesellschafter den gleichen Leistungstyp erbringen. Hier bestehen umfassende Regelungsmöglichkeiten durch den Gesellschaftsvertrag. Es empfiehlt sich zum Beispiel wenn einer der Gesellschafter Arbeitsleistungen erbringt und der andere Gesellschafter sich auf die Finanzierung konzentriert eine Regelung zu schaffen, in wie weit sich welcher Gesellschafter zu den jeweiligen Leistungen verpflichtet und wie diese gegenüber einander zu bewerten sind. Ein wichtiger Aspekt in der Praxis ist die Geschäftsführung. § 709 Abs. 1 BGB regelt, dass diese den Gesellschaftern gemeinschaftlich zu steht. Die Norm geht sogar noch weiter, sie enthält die Regelung, dass für jedes Geschäft die Einstimmigkeit der Gesellschafter erforderlich ist. § 709 Abs. 2 BGB regelt jedoch unmittelbar im Anschluss eine Alternative zum Erfordernis der Einstimmigkeit. Durch eine gesellschaftsvertragliche Bestimmung kann der Wechsel zum Mehrheitsprinzip erfolgen. Hierbei ist jedoch auf die konkrete Formulierung zu achten. Sollte die Vereinbarung des Mehrheitsprinzips zu allgemein gehalten sein, werden von dieser unter Berücksichtigung des Grundsatzes gemäß § 709 Abs. 1 BGB nur gewöhnliche Maßnahmen der Geschäftsführung, sowie laufende Angelegenheiten der Gesellschaft umfasst (Sprau, in Palandt BGB 73. Auflage 2014, § 709 Rn. 2). Die Gesellschaft betreibt das Unternehmen und erwirtschaftet hierdurch im Idealfall Gewinne, die sich dann im Eigentum der Gesellschaft befinden. § 718 BGB regelt, dass es sich hierbei um das Gesellschaftsvermögen handelt, welches gemeinschaftliches Vermögen der Gesellschafter darstellt. § 719 Abs. 1 BGB führt für die Gesellschafter zur Bindung an das Gesellschaftsvermögen und untersagt es den Gesellschaftern Teilung zu verlangen. Der jeweilige Gesellschafter ist berechtigt über seinen Gesellschaftsanteil selbst zu verfügen. Dies gilt auch für einen Teil des Gesellschaftsanteils. Es ist für jeden Gesellschafter möglich über diesen zu verfügen, das heißt auch diesen an einen Dritten zu übertragen (Sprau, in Palandt BGB 73. Auflage 2014, § 717 Rn. 1). Zu beachten ist jedoch, dass dies aus dem Rechtsgrund erfolgt, dass es sich hierbei um die persönlichen korporativen Rechte und die vermögensrechtliche Stellung des Gesellschafters handelt (Sprau, in Palandt BGB 73. Auflage 2014, § 717 Rn. 1). Die Rechte der Gesellschafter untereinander, welche diesen aus dem Gesellschaftsverhältnis zustehen, sind hingegen nicht übertragbar auf Dritte (Sprau, in Palandt BGB 73. Auflage 2014, § 717 Rn. 1). Letztlich ist es dem jeweiligen Gesellschafter möglich über seinen Anteil an der Gesellschaft als solchen zu verfügen, nicht jedoch über einzelne Ansprüche

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aus dem Gesellschaftsverhältnis. Voraussetzung ist jedoch, dass die anderen Gesellschafter der Übertragung zustimmen (BGHZ 81, 82). Die jeweiligen Gesellschafter der GbR sind gemäß § 705 BGB verpflichtet die Erreichung des gemeinsamen Zweckes zu fördern und ihren jeweiligen Beitrag dazu zu leisten. Die anderen Gesellschafter haben darauf einen Anspruch. Sollte es also im Innenverhältnis zur Nichterfüllung von Gesellschafterpflichten gegenüber der Gesellschaft oder gegenüber anderen Mitgesellschaftern kommen, steht diesen die sogenannte actio pro socio zur Verfügung um die Rechte geltend zu machen. Die actio pro socio ermöglicht es dem jeweiligen Gesellschafter einen anderen Mitgesellschafter im Interesse der Gesellschaft in Anspruch zu nehmen (BGH, NJW 2013, 2586). Dies gilt auch für die Inanspruchnahme im eigenen Interesse (BGH, Urteil vom 22.03.2004, Az. II ZR 50/02). Dies führt letztlich zur Zulässigkeit einer Art Insichprozesses bezogen auf die Gesellschaft. Lange Zeit war problematisch, wie die GbR von Dritten in Anspruch genommen werden kann. Dies wurde unter dem Begriff der Parteifähigkeit der GbR diskutiert und war sehr umstritten. Zwischenzeitlich steht fest, dass die GbR parteifähig ist. Bereits im Urteil vom 29.01.2001, Az. II ZR 331/00 hat der BGH die GbR im Außenverhältnis als parteifähig angesehen (BGH, NJW 2001, 1056). Dies hat weitreichende Konsequenzen. Die Folgen hiervon sind, dass die GbR als solche auch in der Lage ist Vertragspartnerin zu sein, eigene Rechte und Pflichten zu begründen und diese dann auch gerichtlich durchzusetzen. Zwischenzeitlich ist die Parteifähigkeit unproblematisch gegeben und entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, NJW 2008, 1216; BGH, NJW, 2008, 2441). Das letzte größere rechtliche Problem war die Grundbuchfähigkeit der GbR. Diese ist gerade bei einem häufigen Anwendungsfall der Gesellschaftsform in der Praxis von besonderer Bedeutung. Die GbR ist eine beliebte Gesellschaftsform für Immobiliengesellschaften. Besonders vorteilhaft ist es, wenn die Gesellschaft als solche im Grundbuch eingetragen werden kann. Dies hat der Gesetzgeber durch die Einführung des § 47 Abs. 2 GBO ermöglicht. Die Regelung führte jedoch weiterhin zur Uneinigkeit über die Voraussetzungen der Eintragung und in Besondere über die Erforderlichkeit zur Führung bestimmter Nachweise, zum Beispiel über die Existenz der GbR oder deren Vertretung. Der Bundesgerichtshof hat diese Problematik durch Urteil vom 28.04.2011, Az. V ZB 194/10 geklärt. Nicht mehr erforderlich wurden durch dieses Urteil Nachweise über die ordnungsgemäße Vertretung der GbR, deren Gesellschafter oder gar deren Existenz (BGH, NJW 2011, 1958). Bei der GbR besteht die Möglichkeit diese auch nur befristet auf einen gewissen Zeitraum abzuschließen. Sollte dies nicht der Fall sein, so regelt § 723 BGB die Möglichkeit zur Kündigung der Gesellschaft durch die Gesellschafter. Die Auflösung der Gesellschaft kann jedoch auch durch andere Voraussetzungen geschaffen werden. Gemäß § 726 BGB endet die Gesellschaft auch, wenn die Zweckerreichung unmöglich wird. Besonders zu beachten ist die Regelung des § 727 BGB, der das Ende der Gesellschaft statuiert, für den Fall des Todes eines der Gesellschafter. Gesellschaftsvertrag-

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lich kann geregelt werden, was mit der Gesellschaft nach dem Tod eines Gesellschafters, nach einer Kündigung durch einen Gesellschafter oder im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Gesellschafters geschehen soll. Als Grundlage hierfür dient der § 726 BGB. Die gesellschaftsvertraglichen Regelung zu diesen Szenarien sollte wohl überlegt sein. Beispielsweise können Fortsetzungsklauseln zu Abfindungsansprüchen der Erben des verstorbenen Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft führen (Sprau, in Palandt BGB 73. Auflage 2014, § 727 Rn. 2 f.). Sollte die Gesellschaft aufgelöst werden finden sich die Regelungen hierüber in den §§ 731 ff BGB. Zunächst sind eingebrachte Gegenstände und die Einlagen des jeweiligen Gesellschafters an diesen zurückzuführen (§§ 732, 733 BGB). Der verbleibende Überschuss wird an die Gesellschafter nach dem Verhältnis ihrer Anteile am Gewinn ausgekehrt. Zunächst soll die Verteilung nach dem Realteilungsgrundsatz erfolgen (Sprau, in Palandt BGB 73. Auflage 2014, § 734 Rn. 2). Zur Verteilung des Überschusses können die Vorschriften der §§ 752 ff BGB herangezogen werden. Die Gesellschafter müssen eine Auseinandersetzungsbilanz erstellen, aus welcher sich die Verteilung ergibt (Sprau, in Palandt BGB 73. Auflage 2014, § 713 Rn. 7, § 721 Rn. 3, § 734 Rn. 1). Die Nachhaftung ausscheidender Gesellschafter lässt sich gemäß § 736 Abs. 2 BGB i.V.m. § 160 Abs. 1 HGB beschränken. Die Nachhaftung des Gesellschafters lässt sich auf fünf Jahre beschränken. Die Frist wird bei der Geltendmachung oder dem Anerkenntnis von Ansprüchen unterbrochen (Sprau, in Palandt BGB 73. Auflage 2014, § 736 Rn. 15). Von der Begrenzung der Nachhaftung sind sämtliche Ansprüche gegen die Gesellschaft, sowie Ansprüche gegenüber Mitgesellschaftern, aber auch solche aus anderen Rechtsverhältnissen betroffen (Sprau, in Palandt BGB 73. Auflage 2014, § 736 Rn. 14, m.w.N.). Es besteht auch bezüglich dieser Regelung zu Gunsten der Gläubiger Dispositionsfreiheit. So können mit einzelnen Gläubigern abweichende Regelung getroffen werden (BGH, NJW 2000, 249). Zu beachten ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass im Falle der Insolvenz der Gesellschaft diese Regelungen stets im Lichte der möglichen Gläubigerbenachteiligung zu prüfen sind. Diese Regelungen sollten im Einzelnen sehr genau geprüft werden und deren Zulässigkeit kritisch begutachtet werden. Es besteht bei der GbR auch die Möglichkeit einen Gesellschafter von der Gesellschaft auszuschließen. Die Voraussetzungen sind in § 737 BGB geregelt. Auch hierbei ist darauf zu achten, ob der Gesellschaftsvertrag Regelungen zur Fortsetzung der Gesellschaft enthält, oder ob diese durch den Ausschluss eines Gesellschafters aufgelöst wird. Die GbR ist eine einfach gehaltene und flexible Gesellschaftsform. Sie ist mit einem umfassenden Haftungsrisiko belastet. Die Eignung der GbR beschränkt sich auf kleine Unternehmen, die keines in kaufmännischer Weise eingerichteten Gewerbebetriebs bedürfen. Sollte ein solcher erforderlich sein, so wandelt sich die GbR in die offene Handelsgesellschaft um. Die GbR besticht mit minimalistischem Formzwang und großer Flexibilität. Dennoch ist die gesellschaftsvertragliche Regelung stets zu

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empfehlen, da diese neben der Möglichkeit die gesetzlichen Regelungen abzubedingen oder für den jeweiligen Zweck der Gesellschaft anzupassen auch Rechtssicherheit in der Gesellschaft mit sich bringt.

3.2 Die offene Handelsgesellschaft (oHG) Die offene Handelsgesellschaft ist die am einfachsten strukturierte Form der Personenhandelsgesellschaft. Ihre gesetzlichen Regelungen finden sich in den §§ 105 ff HGB. § 105 HGB charakterisiert die wesentlichen Merkmale der oHG. Ziel einer oHG ist stets der Betrieb eines Handelsgewerbes unter einer gemeinsamen Firma. Dies folgt schon aus dem Wortlaut des § 105 Abs. 1 HGB. Außerdem ergibt aus diesem die unbeschränkte Haftung der Gesellschafter. Der Zusammenschluss freier Berufe kann nicht als oHG erfolgen, da diese kein Gewerbe darstellen, sondern eine besondere gesetzliche Stellung einnehmen (BGH, NJW 2003, 1803). Die oHG verliert ihre Rechtsform, wenn die Voraussetzungen des § 105 HGB nicht mehr erfüllt sind. Das heißt, dass die oHG erlischt und aufgrund der Tatsache, dass diese aus mehreren Gesellschaftern besteht, automatisch in eine GbR umgewandelt wird (BGH, 113, 134). Sollte der Fall eintreten, dass die Gesellschaft aufgrund des Wegfalls von Gesellschaftern erlischt, so folgt die Umwandlung nicht in eine GbR, sondern in einen Einzelkaufmann im Wege der Gesamtrechtsnachfolge (Hopt, in Baumbach/Hopt HGB, 36. Auflage 2014, § 105 Rn. 8). Der Gesellschaftszweck „Verwaltung eigenen Vermögens“, der später bei der GmbH nochmals eine Rolle spielen wird, ist für eine oHG untauglich. Dieser kann nach dem Grundprinzip der oHG nicht der alleinige Zweck dieser sein (BGH, 82, 170). Der Gesetzgeber hat jedoch durch den § 105 Abs. 2 HGB eine Möglichkeit geschaffen, wie dies ausnahmsweise doch möglich ist. Erforderlich ist die Eintragung der Firma ins Handelsregister. Außerdem bedarf es eines planmäßigen Geschäftsbetriebes, der einem in kaufmännischer Weise eingerichteten Gewerbebetrieb entspricht (OLG Celle, Urteil vom 29.07.2004, Az. 8 U 16/04)). Dies kommt in den Fällen in Betracht in denen die oHG über beträchtliches Vermögen verfügt, oder die Vermögensverwaltung aufgrund der Art der Vermögenswerte sich besonders schwierig gestalten und daher vergleichbarer Aufwand zu einem typischen Handelsgewerbe erforderlich wird. Da die Grundstruktur der oHG und der GbR vergleichbar sind, findet sich auch eine entsprechende Verweisung auf die Vorschriften der GbR in § 105 Abs. 3 HGB, die als Ergänzung zu den §§ 105 ff HGB heranzuziehen sind. Gründung und Anmeldung der oHG Auch die oHG wird durch einen Gesellschaftsvertrag gegründet und organisiert. Hier sind die Vorschriften der §§ 705 ff BGB heranziehen, da das HGB selbst hier keine grundsätzliche Neuregelung geschaffen hat, sondern sich auf die Vorschriften zur GbR bezieht.

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Der Vertrag als solcher ist nicht als rein schuldrechtlicher Vertrag anzusehen, sondern er hat die Eigenheit, dass durch dessen Abschluss ein Gesellschaftsverhältnis mit entsprechenden Rechten und Pflichten der Gesellschafter begründet wird (BGHZ, 112, 45). Die Eintragung in das Handelsregister schafft den Rechtsschein gegenüber Dritten, dass die Gesellschaft besteht (Hopt, in Baumbach/Hopt HGB, 36. Auflage 2014, § 105 Rn. 11, m.w.N.). Dies hat zur Folge, dass sich die Gesellschafter nach außen an dem gesetzten Rechtsschein festhalten lassen müssen, was zur Folge hat, dass die Gesellschafter haften, wie wenn die Gesellschaft tatsächlich in der eingetragenen Form bestünde. Die Gesellschafter müssen den Antrag auf Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister gemäß § 108 HGB gemeinschaftlich stellen. Die einzutragenden Merkmale lassen sich auf § 106 HGB entnehmen. Es ist dringend zu empfehlen das Handelsregister immer auf dem aktuellen Stand zu halten, da dieses den soeben beschriebenen Rechtsschein setzt und sich Gesellschafter im Zweifel an der Publizität des Handelsregisters festhalten lassen müssen. Problematisch ist, wenn der Gesellschaftsvertrag Fehler enthält, oder im Vollzug der Gesellschaft Fehler aufgetreten sind. In diesen Fällen gelten die rechtlichen Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft. Beispielweise handelt es sich um eine fehlerhafte Gesellschaft, wenn ein Minderjähriger Gesellschafter wurde. Der Minderjährige genießt gesetzlichen Schutz. Das Problem ergibt sich nun im möglichen Fortbestand der Gesellschaft. Der Bundesgerichtshof löst dieses in der Form, dass die Gesellschaft nur dann fortbesteht, wenn die übrigen Gesellschafter auch ohne den Minderjährigen eine derartige Organisationsstruktur schaffen wollten (BGH, NJW 1983, 748). Die fehlerhafte Gesellschaft kann beim Vorliegen von Formfehlern geheilt werden, indem nicht eingehaltenen Formerfordernisse nachgeholt werden (Hopt, in Baumbach/Hopt HGB, 36. Auflage 2014, § 105 Rn. 55, m.w.N.). So besteht die Möglichkeit Grundstücksverträge, die vom Gesellschaftsvertrag mitumfasst sind und deren Form nach § 311b BGB nicht eingehalten worden ist, nach den Vorschriften über die Heilung formunwirksamer Grundstücksverträge auch der Gesellschaftsvertrag geheilt werden. Keine Heilung ist nach der Rechtsprechung jedoch möglich, wenn es sich um einen Fehler hinsichtlich des Mangels der Vertretungsmacht handelt. In diesen Fällen können vorrangige Schutzinteressen gegen die Heilung des Gesellschaftsvertrages sprechen (BGHZ, 41, 301). Zur fehlerhaften Gesellschaft kann es nicht nur durch die Nichtigkeit des Gesellschaftsvertrages gemäß § 134 BGB kommen, sondern auch durch Anfechtung oder Rücktritt vom Vertrag durch einen oder mehrere Gesellschafter. Beispielsweise kann der Vertrag sittenwidrig im Sinne des § 138 BGB sein oder einer der Gesellschafter wurde mittels einer arglistigen Täuschung oder einer Drohung zum Vertragsschluss gebracht. Auch in diesen Fällen können die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft angewendet werden. Grundsätzlich erfolgt bei derartigen Fehlern eine Rückabwicklung des Vertrages ex tunc, also von Beginn an (BGH, NJW 2009, 1266). In den Fällen, in denen die Gesellschaft bereits am Rechtsverkehr als solche Teil genommen hat, vertrauen jedoch auch au-

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ßenstehende Dritte auf den Fortbestand der Gesellschaft und die Beteiligung der bekannten Gesellschafter. In diesen Fällen hat die Rechtsprechung einen Interessenschutz entwickelt. Dieser hat zur Folge, dass die Gesellschaft bei Fehlern zwar ex tunc nichtig ist, jedoch die Rückabwicklung nur ex nunc erfolgt (BGH, Urteil vom 19.11.2013, Az. II ZR 320/12; BGH, NJW-RR 2004, 1407; BGH, Urteil vom 22.05.2012, Az. II ZR 1/11, m.w.N.). Es entsteht sodann ein Abwicklungsverhältnis zwischen den Gesellschaftern, das die Gesellschaft insgesamt rückabwickelt. Diese Rückabwicklung der Gesellschaft erfolgt nach den Gesichtspunkten des Bereicherungsrechts. Insgesamt bleibt ein zentraler Aspekt der Schutz von unbeteiligten Dritten, denen die Fehler der Gesellschaft nicht zum Nachteil gereichen dürfen. Organisation der Gesellschaft Die Organisation der oHG richtet sich zunächst nach dem abgeschlossenen Gesellschaftsvertrag. Diese Regelung kommt in § 109 HGB zum Ausdruck. § 110 HGB regelt, dass die Gesellschaft einem Gesellschafter, der aufgrund der ihm zustehenden Rechte zur Geschäftsführung Verluste erleidet, einen Ersatzanspruch gegenüber der Gesellschaft erhält. Bei Aufwendungen handelt es sich um freiwillige Vermögensopfer des Gesellschafters, die er im Interesse der Gesellschaft erbringt (BGH, NJW 1960, 1569). Zu beachten gilt auch hier, dass der Gesellschaftsvertrag von der gesetzlichen Regelung Abweichungen statuieren kann (BGH, NJW 1980, 339). Eine besondere Pflicht der Gesellschafter regelt § 112 HGB. Dieser umfasst ein Wettbewerbsverbot für die Gesellschafter. Dieses kann durch Zustimmung der anderen Gesellschafter abbedungen werden. Es dient dazu Interessenkonflikte der einzelnen Gesellschafter zur vermeiden, die sich aus anderweitigem persönlichem Engagement ergeben (BGHZ, 1989, 165). § 113 HGB sieht einen Schadensersatzanspruch der Gesellschaft gegen einen Gesellschafter vor, der seine Obliegenheiten nach § 112 HGB verletzt. Die Rechtsfolgen sind sowohl ein Anspruch der Gesellschaft auf Herausgabe des Gewinnes, den der Gesellschafter durch die Handlung entgegen § 112 HGB erzielt hat und auch ein Unterlassungsanspruch gegen den Gesellschafter für die Zukunft. Die Geschäftsführung steht den Gesellschaftern gemäß § 114 Abs. 1 HGB gemeinsam zu. Die Geschäftsführung umfasst gewöhnliche und außergewöhnliche Geschäftshandlungen für die Gesellschaft (Hopt, in Baumbach/Hopt HGB, 36. Auflage 2014, § 114 Rn. 2). Nicht von der Geschäftsführung umfasst sind Grundlagengeschäfte der Gesellschaft, da es sich hierbei weder um gewöhnliche, noch um außergewöhnliche Geschäfte der Gesellschaft handelt (BGHZ, 76, 164). Unter Grundlagengeschäften sind solche zu verstehen, die für die Gesellschaft essentielle Bedeutung haben und auf diese als solche einwirken. Beispiele sind die Änderung des Gesellschaftsvertrages, die Umwandlung der Gesellschaft oder der Auflösung, aber auch die Hinzuziehung eines weiteren Gesellschafters (BGHZ 1976, 164) oder die Veräußerung des Handelsgeschäftes (BGH, NJW 1995, 596). Diese Ausführung ist selbstverständlich

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nicht abschließend. § 114 Abs. 2 HGB eröffnet die Möglichkeit die Befugnis zur Geschäftsführung auf einen oder mehrere Gesellschafter zur übertragen, mit der Folge, dass die anderen Gesellschafter sodann von der Geschäftsführung ausgeschlossen sind. Zu beachten gilt, dass die Übertragung schon nach dem Wortlaut der Norm nur auf Gesellschafter, nicht jedoch auf außenstehende Dritte erfolgen kann. Die Regelung des § 115 HGB beugt Unstimmigkeiten zwischen mehreren zur Geschäftsführung berufenen Gesellschaftern vor. Sie bestimmt, dass Handlungen zu unterbleiben haben, wenn diesen durch einen anderen geschäftsführenden Gesellschafter widersprochen wird. Der Umfang der Geschäftsführung findet seinen gesetzlichen Niederschlag in § 116 HGB. § 117 HGB sieht vor, dass einem Gesellschafter die Befugnis zur Geschäftsführung durch ein Gericht entzogen werden kann. Es bedarf jedoch eines wichtigen Grundes für diese Maßnahme. Die benannten Regelbeispiele sind die Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung und die grobe Pflichtverletzung. Als eine grobe Pflichtverletzung ist beispielsweise die nachhaltige Nichtbeachtung von Mitwirkungsrechten der Gesellschafter zu sehen (BGH, NJW 1986, 173). Als Unfähigkeit zur Geschäftsführung gelten auch persönliche Gründe, wie die dauerhafte Erkrankung (Haas, in Röhricht, Graf von Westphalen, Haas HGB, 4. Auflage 2014, § 117 Rn. 5, m.w.N.). Die Formulierung der Norm lässt auch andere wichtige Gründe zu, die nicht als Regelbeispiele benannt sind. Ein grundlegendes Merkmal des Gesellschaftsrechts ist das Kontrollrecht der Gesellschafter, welcher für die oHG in § 118 HGB geregelt ist. Dieses ist durch Informationsrechte der Gesellschafter und Einsichtnahmerechte ausgestaltet. Die Norm als solche ist selbsterklärend. Immer wieder kommt es zur Streitigkeiten, wenn ein Gesellschafter Dritte zur Ausübung seiner Kontrollrechte hinzuziehen möchte. Grundsätzlich steht den Gesellschafter das Recht zur Kontrolle nur persönlich zu (BGHZ, 25, 122). In einigen Fällen ist der Gesellschafter selbst aufgrund seiner persönlichen Fähigkeiten jedoch nicht in der Lage seine Rechte vollumfänglich wahrzunehmen. Vor diesem Hintergrund ist es zulässig, dass dieser sachverständige Dritte zu Rate zieht (BGHZ, 25, 115). Aber auch die Kontrollvorschrift ist dispositiv und kann im Gesellschaftsvertrag geregelt werden. Für die Beschlussfassung der oHG ist gemäß § 119 Abs. 1 HGB grundsätzlich die Einstimmigkeit der Gesellschafter erforderlich. Bereits § 119 Abs. 2 HGB eröffnet abweichende gesellschaftsvertragliche Regelungen. Die Grenzen finden sich hier im Minderheitenschutz. Selbstverständlich dürfen die Beschlüsse nicht gegen die allgemeinen Grundsätze der guten Sitten nach den §§ 134 und 138 BGB verstoßen. Aber schon das Reichsgericht hat entschieden, dass den Gesellschaftern auch keine Nachschusspflichten aufgebürdet werden dürfen, ohne dass deren Zustimmung erfolgt (RG, 91, 168). Die Grenzen können als Verbot des Eingriffes in den Kernbereich eines Gesellschafters zusammengefasst werden, ohne dass dieser dem Eingriff zugestimmt hat (BGH, NJW 1995. 194). Letztlich sind so auch die Interessen der Gesellschafter geschützt, die nur geringe Gesellschaftsanteile halten. Die Beteiligung am Gewinn

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und Verlust der Gesellschaft erfolgt jeweils am Ende eines Geschäftsjahres nach den Bestimmungen der §§ 120 ff HGB. Die Gesellschaft als solche kann gemäß § 124 BGB eigene Rechte und Pflichten erwerben. Diese Norm regelt auch die Parteifähigkeit der oHG bei gerichtlichen Auseinandersetzungen. Zwangsvollstreckungen in das Vermögen der oHG sind auf der Basis eines gegen diese gerichteten Titels möglich. Die Vertretung der Gesellschafter ist durch jeden, nicht vertraglich hiervon ausgeschlossenen Gesellschafter möglich (§ 125 HGB). In der Geschäftspraxis zu beachten ist, dass die Pflichtangaben des § 125a HGB auf allen Geschäftsbriefen abgedruckt sind. Das Registergericht ist aus § 125 Abs. 4 HGB dazu ermächtigt durch die Verhängung von Zwangsgeldern die Konformität der Geschäftsbriefe sicher zu stellen. Haftung Die Haftung der Gesellschafter ist grundsätzlich als persönliche ausgestaltet. § 128 HGB regelt dies spezifischer. Betroffen sind alle Verbindlichkeiten der Gesellschaft egal aus welchem Rechtsgrund (BGH 87, 288). Die Haftung dauert über den gesamten Zeitraum des Bestehens der Gesellschaft. Nach dem Ausscheiden eines Gesellschafters verjährt die Haftung nach § 159 Abs. 1 HGB innerhalb von fünf Jahren (Hopt, in Baumbach/Hopt HGB, 36. Auflage 2014, § 128 Rn. 4, m.w.N.). Gemäß § 129 HGB stehen den Gesellschaftern die Einwendungen zu, die auch der Gesellschaft zustehen. § 130 HGB sieht vor, dass eintretende Gesellschafter ebenso haften, wie solche, die bereits Mitglieder der Gesellschaft sind. Diese Pflicht ist Dritten gegenüber nicht disponibel. § 130a HGB verpflichtet die Gesellschafter zur Stellung des Insolvenzantrages im Falle des Vorliegens der insolvenzrechtlichen Voraussetzungen. In diesem Fall genügt für die Haftung der Gesellschafter bei einer Verletzung dieser Pflicht auch der Vorwurf der Fahrlässigkeit (BGH 126, 199). Auch faktische Geschäftsführer sind von dieser Pflicht umfasst. Dies können zum einen fehlerhaft bestellte Geschäftsführer sein (Hopt, in Baumbach/Hopt HGB, 36. Auflage 2014, § 130a Rn. 6 f.), oder schlicht tatsächliche Geschäftsführer, die jedoch gesellschaftsrechtlich nicht als solche bestellt wurden (BGH 104, 44). Bereits aus diesem Grund ist auf Klarheit hinsichtlich der Geschäftsführereigenschaften zu achten. Auflösung der Gesellschaft Die Auflösungsgründe finden sich in § 131 HGB. Diese Vorschrift enthält eine Liste an Gründen, die zwingend zur Auflösung der oHG führen. Aufgrund der gebotenen Kürze wird darauf verzichtet die Auflösungsgründe umfassend darzulegen und ins besondere die Möglichkeiten der Forstzungenklauseln und die vertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten zum Ende einer Gesellschaft zu erörtern. Ebenso möglich ist die Kündigung des Vertrages durch einen der Gesellschafter. Diese ist nur zum Schluss eines Geschäftsjahres und mit einer Frist von sechs Monaten möglich. Auch diese Möglichkeiten können gesellschaftsvertraglich geregelt werden.

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Eine Parität zwischen den Gesellschaftern ist nicht erforderlich (BGH, WM 1968, 532). Hier zeigen sich Grenzen in den Fällen überlanger Bindungen der einzelnen Gesellschafter. Bindungen von 30 Jahren wurden vom Bundesgerichtshof schon als unbedenklich eingestuft (BGH; WM 1967, 316). Dies kann sicher nicht uneingeschränkt gelten, da auch hier der Zweck und die sonstige Ausgestaltung der Gesellschaft berücksichtigt werden müssen um keine Unverhältnismäßigkeiten zu schaffen. Die Auflösung kann im Rahmen des § 133 HGB auch durch eine gerichtliche Entscheidung bewirkt werden. Auch hierfür ist wiederum ein wichtiger Grund erforderlich: so, die Unzumutbarkeit der Fortsetzung der Gesellschaft (BGH 69, 169). Insgesamt ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu wahren. Leichtfertig werden die Gerichte derartige Entscheidungen nicht treffen. Zusammenfassung Die oben stehenden Ausführungen sind nur ein Auszug aus dem Recht der oHG. § 143 HGB schreibt vor, dass sämtliche Änderungen auf Seiten der Gesellschafter angemeldet werden müssen. Auch die Liquidation der Gesellschaft ist gesetzlich normiert (§§ 145 ff HGB). Es kann statt der Liquidation auch die Auseinandersetzung der Gesellschaft im Sinne des § 158 HGB vereinbart werden. Zu beachten gilt auch die Verjährungsfrist für gesellschaftsrechtliche Ansprüche nach § 159 HGB in fünf Jahren. Insgesamt stellt die oHG eine Gesellschaftsform dar, die sich nach ihrer gesetzlichen Zweck zum Betrieb von Handelsgewerben eignet. Diese ist vor allem dann zu empfehlen, wenn die Erfordernisse einer Haftungsbeschränkung nicht gegeben sind. Als Nachfolge zur GbR, wenn der Geschäftsbetrieb in kaufmännischer Weise eingerichtet sein muss, stellt die oHG eine häufige Rechtsform dar. Als Übergangsgesellschaft zur Kommanditgesellschaft ist die oHG besonders geeignet. Die Geschäftsführer der Gesellschaft sind als Gesellschafter unmittelbar an der Gesellschaft beteiligt und die Steuerung der Gesellschaft erfolgt damit direkt durch die Eigentümer. Eine enge Verbundenheit ist praktisch garantiert. Diese Gesellschaftsform wird häufig, vor allem auch wegen der Flexibilität in der Organisation, für Neugründungen gewählt.

3.3 Die Kommanditgesellschaft (KG) Die KG ist eine Personengesellschaft, die es ermöglicht Gesellschafter mit einer Haftungsbeschränkung auszustatten. Die Regelungen zur KG finden sich in den §§ 161 ff HGB. Es handelt sich bei der KG, wie auch bei der oHG, um eine Personenhandelsgesellschaft. Das Wesen der KG ist das Vorliegen von haftungsbeschränkten Gesellschaftern (Kommanditisten) und vollhaftenden Gesellschaftern (Komplementären). Komplementär kann jeder sein, der auch Gesellschafter einer oHG sein kann, demnach auch eine andere Gesellschaft, wie eine oHG, eine KG oder eine GmbH (RG 105, 104). Grundsätzlich kann auch jeder Kommanditist einer KG sein. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz bilden Erbengemeinschaften. Hier werden die einzelnen

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Erben im Rahmen der Sonderrechtsnachfolge Kommanditisten, nicht jedoch die Erbengemeinschaft als solche (BGH 68, 225). Eine KG muss mindestens über einen Kommanditisten und einen Komplementär verfügen, da sonst deren gesellschaftsrechtliche Existenz nicht möglich ist (Hopt, in Baumbach/Hopt HGB, 36. Auflage 2014, § 161 Rn. 3 f.). Auch die KG wird durch den Abschluss eines Gesellschaftsvertrages gegründet. Dies ist auch stillschweigend möglich, jedoch nur, wenn auch eine Einigung über die Haftungseinlage der Kommanditisten erzielt wird (BGH, NJW 1985, 1080). Sinn der Kommanditisten ist die Einbringung von Kapital durch die Einzahlung einer Einlage in die Gesellschaft. Die Komplementäre bilden den typischen Teil der Personengesellschaften, nämlich die unbeschränkte Haftung ab. Gründung und Anmeldung der KG Die KG ist ebenso anzumelden wie die oHG. Das Gesetz verweist in § 162 Abs. 1 HGB auf § 106 Abs. 2 HGB, der die Anmeldung der oHG regelt. Wichtigster Unterschied ist, dass bei er KG auch die Kommanditisten im Einzelnen mit deren Bezeichnung und der Höhe derer Einlage anzumelden sind. Dies gilt auch beim späteren Eintritt eines Kommanditisten oder bei dessen Ausscheiden. Bei einem Wechsel eines Kommanditisten ist neben dem Austritt des alten und des Eintritts des neuen auch die Art der Nachfolge einzutragen (Nachfolgevermerk) (KG Berlin, Urteil vom 28.04.2009, Az. 1 W 389/08). Ins Besondere bei der Nachfolge von Erben spielt dies eine wichtige Rolle, da durch die Eintragung im Handelsregister deutlich werden muss, dass auch nach dem Erbfall nicht mehr Haftungsvolumen vorhanden ist als vor dem Erbfall. Dies gilt vor allem für die Haftungssumme, an welcher im Rechtsverkehr ein großes Interesse besteht (BayObLg, DNotZ 1979, 109). Auch bei der KG gilt, vergleichbar mit der oHG, dass der Gesellschaftsvertrag die wesentliche Grundlage der Organisation der Gesellschaft bildet. Mit diesem können umfassende Regelungen geschaffen werden, welche für den Geschäftsverkehr maßgelblich sind und die Verhältnisse in der Gesellschaft und nach außen regeln. Organisation der KG Die Organisation der KG ist ebenfalls mit der oHG zu vergleichen. § 164 HGB regelt die Geschäftsführung. Diese Norm sieht vor, dass die Kommanditisten grundsätzlich von der Geschäftsführung ausgeschlossen sind. Hingegen erhält der Kommanditist über den Verweis des § 164 Satz 2 HGB wichtige Rechte eingeräumt. Unter Heranziehung des § 116 Abs. 2 HGB ist die Zustimmung aller Gesellschafter zur außergewöhnlichen Geschäften erforderlich. Dies entspricht auch der gefestigten Rechtsprechung (RG 158, 305). Es ist auch möglich diese Norm vertraglich abzubedingen und einem oder mehreren Kommanditisten Geschäftsführungsbefugnisse einzuräumen (OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.05.2007, Az. I-6 U 78/06, m.w.N.). Dieses Vorgehen kann vor allem dann Sinn machen, wenn als Komplementärin eine GmbH eingesetzt ist und diese nur den Zweck der Haftungsbeschränkung übernimmt, selbst jedoch keinerlei Interesse an der Geschäftsführung und den Geschäften der KG als solche

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hat. Als Beispiel kann eine KG herangezogen werden, die vorwiegend als Investmentgesellschaft agiert und das Vermögen beispielsweise in Immobilien investiert. Zur Beschränkung der Haftung kann eine GmbH als Komplementärin eingesetzt werden, die jedoch nichts mit den Geschäften der KG als solche zu tun hat und auch in anderen KGen als Komplementärin agiert. Entgegen dem umfassenden Wettbewerbsverbot, welches bei der oHG gesetzlich geregelt ist, besteht kein solches bei der KG für die Kommanditisten. Dies regelt § 165 HGB ausdrücklich. Auch diese Vorschrift ist dispositiv und kann vertraglich anders geregelt werden. Hierzu sind jedoch unbedingt die § 1 GWB und § 138 BGB zu beachten (BGH, NJW 1989, 2687). Diese stellten die Grenzen für die Wirksamkeit und die Zulässigkeit vertraglicher Wettbewerbsverbote dar. Die Kommanditisten sind mit Kontrollrechten ausgestattet, durch welche ermöglicht wird den Jahresabschluss und die Bücher der Gesellschaft zu prüfen. Dieser Anspruch kann durch die Kommanditisten aus der Norm des § 166 Abs. 3 HGB durchgesetzt werden. Auch hinsichtlich der Berechnung des Gewinnes und des Verlustes der Gesellschaft wird auf die Vorschriften zur oHG verwiesen (§ 167 HGB). Die Verteilung des Gewinnes bestimmt sich nach § 168 HGB. Dieser enthält eine Verweisung auf § 121 Abs. 1 und 2 HGB, jedoch mit der Einschränkung, dass der Gewinn 4 % der Kapitalanteile nicht übersteigt. Somit steht den Gesellschaftern zunächst ein Gewinnanteil in Höhe von 4 % des jeweiligen Kapitalanteiles zu. Die Kommanditisten sind jedoch nicht berechtigt die 4 % aus der Gesellschaftskasse zu entnehmen, da diesen gemäß § 169 Abs. 1 HGB die Rechte aus § 122 HGB nicht zustehen. Eine zentrale Vorschrift stellt § 170 HGB dar, welcher die Kommanditisten von der Vertretung der Gesellschaft ausschließt. Diese Regelung kann jedoch ebenfalls durch den Gesellschaftsvertag abbedungen und anders ausgestaltet werden. Der Bundesgerichtshof hat bereits früh festgestellt, dass die Kommanditisten sowohl mit Prokura (BGH 17, 394), als auch mit einer Generalvollmacht (BGH 36, 295) ausgestattet werden können. Im Sinne des § 52 Abs. 1 HGB kann die Prokura einem Kommanditisten jederzeit durch eine diesbezügliche Erklärung nach außen entzogen werden. Letztlich gilt auch bei der KG, dass die gesellschaftsvertraglichen Regelungen maßgeblich für die Organisation und die Struktur der KG sind. Kommanditistenhaftung Die Haftung der Kommanditisten ist das wichtigste Kriterium einer KG und maßgeblicher Unterschied zur oHG. Die Haftung der Kommanditisten ist in § 171 HGB geregelt. Grundsätzlich haften Kommanditisten nur bis zur Höhe ihrer Kommanditeinlage den Gläubigern der Gesellschaft gegenüber unmittelbar persönlich. Soweit die Einlage geleistet ist, haften die Kommanditisten nicht mehr. § 172 Abs. 1 HGB regelt, dass die Haftung gegenüber den Gläubigern von der Eintragung ins Handelsregister abhängt. Bis zur Eintragung der Einlage im Handelsregister haftet der Kommanditist unbeschränkt gegenüber den Gläubigern. Dies ist in der Konsequenz auch logisch,

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da er bis dahin letztlich den Stand eines Gesellschafters vergleichbar zu dem einer oHG gegenüber den Gläubigern hat. Aktuell ist die Diskussion über die Haftung der Kommanditisten im Falle von durch die Gesellschaft zurückbezahlten Kommanditeinlagen. Maßgelblich ist hier der § 172 Abs. 4 HGB. Dieser normiert ausdrücklich, dass zurückbezahlte Einlagen gegenüber den Gläubigern der Gesellschaft als nicht geleistet gelten und die Haftung des Kommanditisten daher wieder auflebt. Eingeschränkt wird diese Norm durch § 172 Abs. 5 HGB, der dem Kommanditisten in einzelnen Fällen einen Schutz des guten Glaubens einräumt. Besonders relevant ist diese Problematik bei Gesellschaften, die als so genannte Publikums-KGs ausgestaltet sind, das heißt bei denen eine Vielzahl an Kommanditisten beteiligt sind und die Gesellschaften als Kapitalanlagen genutzt werden. Typisch hierfür sind beispielsweise Schiffsfonds oder geschlossene Immobilienfonds. In diesem Zusammenhang hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass eine Rückforderung der zurückbezahlten Einlagen an die Kommanditisten von der Gesellschaft nur dann möglich ist, wenn diese auch ausdrücklich im Gesellschaftsvertrag vorgesehen ist (BGH, NJW 2013, 2278; BGH, Urteil vom 12.03.2013, Az. II ZR 74/13). Sollte die Rückforderung von Liquiditätsausschüttungen gewünscht sein, so ist dies im Gesellschaftsvertrag möglichst eindeutig zur regeln. Der Insolvenzverwalter, der in Insolvenz gefallenen KG, ist als Vertreter der Gläubiger zur Rückforderung der ausgeschütteten Kommanditeinlagen berechtigt (BGH, Urteil vom 22.03.2011, Az. II ZR 100/09). Um den Gutglaubensschutz des § 172 Abs. 5 HGB zu genießen, genügt es nicht darauf zu vertrauen, dass die Ausschüttung ordnungsgemäß war, sondern es muss ein Vertrauen auf die in der Bilanz ausgewiesenen Zahlen bestehen und der gute Glauben muss sich gerade darauf erstrecken (BGH, NJW 2009, 2126). Letztlich stellt gerade die Ausschüttung von Liquiditätsüberschüssen nach wie vor ein Risiko für die Kommanditisten dar. Die Gesellschaft als solche kann bei Ermangelung einer eindeutigen vertraglichen Grundlage jedenfalls die Ausschüttungen nicht zurückfordern. Zu beachten ist auch, dass bei der Gewinnentnahme die zwischenzeitlich eingetreten Verluste hinsichtlich der eingelegten Summe zu berücksichtigen sind. Nach § 172 Abs. 4 Satz 2 HGB lebt die Haftung auch wieder auf, wenn Gewinne entnommen werden, denen höhere Verluste hinsichtlich des eingelegten Kapitals gegenüberstehen. Der § 173 HGB regelt, dass auch neu eintretenden Kommanditisten nach den §§ 171, 172 HGB für die bisher in der Gesellschaft schon bestehenden Verbindlichkeiten haften. Auch hier ist wiederum die Eintragung im Handelsregister maßgeblich (BGH, NJW 1981, 2747). Die Wichtigkeit der Publizität des Handelsregisters zeigt sich auch in dem § 174 HGB. Dieser normiert, dass die Herabsetzung der Einlage gegenüber den Gläubigern bis zu deren Eintragung ins Handelsregister unwirksam ist. § 176 HGB bestätigt ebenfalls diesen Grundsatz. Für Geschäfte, welche seitens der Gesellschaft vorgenommen wurden, bevor diese ins Handelsregister eingetragen wurde, haften die Kommanditisten unbeschränkt, wie bei einer oHG. Dies gilt auch für einen neu eintretenden Kommanditisten (BGH, NJW 1980, 1630). Daher ist auch

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in diesem Fall auf eine schnelle Eintragung im Handelsregister zu achten um die Rechtssicherheit zu wahren und das Haftungsrisiko zu minimieren. Ende der Gesellschaft Da sich im HGB hierzu keine speziellen Regelungen finden, ist die Verweisung aus dem § 161 Abs. 2 HGB heranzuziehen, sodass auch hier die Vorschriften über die oHG zur Anwendung kommen. Es besteht eine Sonderregelung dahingehend, dass die Gesellschaft beim Tod eines Kommanditisten mit dessen Erben fortgesetzt wird, sofern keine anderweitige Reglung getroffen wurde. Dies normiert § 177 HGB. Die Erbengemeinschaften treten im Wege einer Sondererbfolge in die Gesellschaft ein (Hopt, in Baumbach/Hopt HGB, 36. Auflage 2014, § 177 Rn. 3). Auch hier können gesellschaftsvertraglich andere Regelungen getroffen werden. Zusammenfassung Die KG ist eine gute Kombination aus den Vorteilen des Personengesellschaftsrechts und der Haftungsbeschränkung. Ins besondere eignet sich die Gesellschaft zur Beschaffung von Kapital von nicht vollhaftenden Gesellschaftern. Die KG kann als Publikums-KG zahlreiche Gesellschafter auf sich vereinen. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass Rechtsstreite gegen alle Gesellschafter geführt werden müssen, die sich auf die Anfechtung von Beschlüssen der Gesellschafterversammlung abzielen (BGH, NJW 2011, 2578). Daher ist auch hier ratsam im Gesellschaftsvertrag eine entsprechende Regelung zu schaffen, dass diese Rechtsstreite auch gegen die Gesellschaft als solche geführt werden können. Die KG ermöglicht auch die Beteiligung der Geldgeber an der Gesellschaft und an den erwirtschafteten Gewinnen. Sie birgt, wie auch die oHG das Haftungsrisiko für die Komplementäre der Gesellschaft. Die KG kann durch die gesellschaftsvertraglichen Regelungen umfassend gestaltet werden.

4 Kapitalgesellschaften Die Kapitalgesellschaften sind die zweite große Gruppe der bestehenden Gesellschaftsformen. Diese könne auch mit Personengesellschaften kombiniert auftreten, wobei die Gesellschaft als solche dann eine Personengesellschaft bleibt und nur, wie zum Beispiel bei der GmbH & Co. KG die Eigenschaft des vollhaftenden Komplementärs durch eine GmbH erfüllt wird. Hierauf wird später noch eingegangen.

4.1 Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) Bei der GmbH handelt es sich um eine Kapitalgesellschaft, welche für jeden zulässigen Zweck errichtet werden kann und über Geschäftsanteile verfügt. Es handelt sich

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um eine Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit. Gemäß § 13 Abs.1 GmbHG handelt es sich bei der GmbH um eine juristische Person. Des Weiteren handelt es sich bei dieser Gesellschaft um einen Formkaufmann gemäß § 13 Abs. 3 GmbHG. Verglichen mit den Personengesellschaften ist die GmbH wesentlich formalistischer und unflexibler durch zwingendes Recht. Die GmbH-Anteile sind zwar veräußerbar, jedoch nicht börsenfähig. Der größte Vorteil dieser Gesellschaft besteht in der Haftungsbeschränkung auf das Kapital der Gesellschaft. Gründung der GmbH Die Gründung einer GmbH ist wesentlich komplizierter als die Gründung der oben beschriebenen Personengesellschaften. Die Gründung der GmbH verläuft in drei Phase: zunächst das Vorgründungsstadium, dann der Gründungsvorgang und schließlich die Eintragungsphase. In der Vorgründungsphase einigen sich die zukünftigen Gesellschafter auf eine Satzung. In dieser Phase besteht noch keinerlei Haftungsbeschränkung (BGH, NJW 1992, 2698). Der eigentliche Vertragsschluss muss sodann gemäß § 2 GmbHG notariell beurkundet werden. Der formalistische Charakter der Gesellschaft zeigt sich bereits bei dem Schluss des Gesellschaftsvertrags, dessen Mindestinhalt in § 3 GmbHG definiert ist. Während der Vorgründungsphase besteht bereits eine Innen-GbR, deren Zweck die Errichtung der GmbH ist (BGHZ 91, 148). Sollte die Gesellschaft bereits vor Gründung der GmbH ein Handelsgewerbe betreiben, so besteht zwischen den Gesellschaftern bereits eine oHG. Besteht letztlich Einigkeit unter den Gesellschaftern hinsichtlich der Satzung und wurde diese beurkundet, so schließt sich die Gründungsphase an. Diese beginnt mit der Beurkundung des Gesellschaftsvertrags. Das MoMiG hat ein vereinfachtes Verfahren zu Gründung von Gesellschaften mit nur einem Geschäftsführer und maximal drei Gesellschaftern eingeführt. Es besteht in der Anlage zum GmbHG ein Musterprotokoll, welches für die Gesellschaftsgründung herangezogen werden kann und diese erheblich vereinfacht. Die Gründung der GmbH als Einmann-Gesellschaft ist zulässig (BGH, ZIP 1984, 950). Die GmbH muss über einen Geschäftsführer verfügen. Dessen Bestellung kann entweder gemäß § 6 Abs. 3 GmbHG bereits im Gesellschaftsvertrag erfolgen, oder erst später durch Gesellschafterbeschluss gemäß § 46 Abs. 5 GmbHG. Im Gesellschaftsvertrag kann die Errichtung eines Aufsichtsrates gemäß § 52 GmbHG verankert werden. Bevor die Gesellschaft eingetragen werden kann, müssen die Gesellschafter die vertragsgemäßen Einlagen erbringen. In dieser Phase handelt es sich also um die GmbH i.Gr. Gemäß § 5 Abs. 1 HGB beträgt das Mindeststammkapital einer GmbH 25.000,00 Euro. Die Anmeldung der GmbH beim Handelsregister darf gemäß § 7 Abs. 2 GmbHG erst erfolgen, wenn von jedem Geschäftsanteil mindestens ¼ des Nennbetrages eingezahlt ist und insgesamt mindestens ½ des Stammkapitals der Gesellschaft. Es ist unbedingt darauf zu achten, dass nur vollständige und wahrheitsgemäße Angaben über die Einzahlung des Kapitals gegenüber dem Handelsregister gemacht werden, da hier empfindliche Strafen drohen (BGH, NStZ 2012, 511). Es ist auch möglich Sacheinlagen in die Gesellschaft zu erbringen. In

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diesem Fall ist ein Sachgründungsbericht zu erstellen (§ 5 Abs. 4 GmbHG). Über die Anforderungen an den Sachgründungsbericht hat der BGH bereits in zahlreichen Urteilen entschieden (z.B. BGH, Urteil vom 28.04.1997, Az. II ZB 25/96). Die Gründungsphase endet mit der Anmeldung zum Handelsregister, die gemäß § 78 GmbHG durch alle Gesellschafter gemeinsam erfolgen muss. Es schließt sich die letzte Phase der GmbH-Gründung an, nämlich das Eintragungsverfahren. § 11 GmbHG normiert, dass erst durch die Eintragung die GmbH als solche existiert. § 8 GmbHG verpflichtet die Gesellschafter die erforderlichen Unterlagen beim Handelsregister einzureichen. Die gemachten Angaben müssen der Wahrheit entsprechen, da auch hier falsche Angaben der Strafbarkeit unterliegen. Die formellen und materiellen Voraussetzungen der Anmeldung werden nach den Vorschriften des § 9c GmbHG durch das Gericht geprüft. Bei positivem Ergebnis erfolgt sodann die Eintragung. Es besteht auch bei der GmbH die Möglichkeit gesetzliche Vorschriften durch die Satzung abzubedingen, oder zumindest auszugestalten. Die Satzung als solche bietet viele Möglichkeiten, aber auch zahlreiche Risiken. So können von erforderlichen Quoren, über die Gewinnverteilung bis hin zur Einrichtung von Kontrollorganen, wie einem Beirat oder einem Aufsichtsrat, Regelungen in der Satzung geschaffen werden. Es ist hierbei stets zu beachten, dass die Änderung der Satzung durch die §§ 53 f GmbHG geregelt ist und diese ein Quorum vom ¾ vorschreiben, sowie eine notarielle Beurkundung. Es lohnt sich also sich bereits von Anfang an umfassend mit der Satzung und der Organisationsstruktur der Gesellschaft zu beschäftigen. Die GmbH kann auch mittels einer Vorrats- oder Mantelgesellschaft gegründet werden (BGH, NJW 1992, 1824). Die Gründer können auf diese Weise versuchen die Haftungsrisiken in der Vorgründungsphase und der Gründungsphase zu umgehen (BGH, NJW 2003, 3198). Es ist jedoch unzulässig in der Satzung einen Unternehmensgegenstand anzugeben, der nicht erreicht werden soll. Die sogenannte verdeckte Vorratsgründung ist daher unzulässig. Zulässig wird dies, wenn die Vorratsgründung offen gelegt wird. Dies kann durch den Zweck „Verwaltung eigenen Vermögens“ geschehen (Jochen Hell, Saarbrücker Studien 2010, 33, m.w.N.). Die Aktivierung einer Vorratsgesellschaft stellt nach der Rechtsprechung eine wirtschaftliche Neugründung dar, sodass die Kontrolle durch das Registergericht analog erfolgen muss (BGH, NJW 2003, 3198; NJW 2003, 892). Demnach ist in jedem Einzelfall genau abzuwägen, ob überhaupt Vorteile durch die Verwendung einer Vorratsgesellschaft entstehen. Bei Fehlern bei der GmbH-Gründung kann nach der Eintragung die Nichtigkeitsklage gemäß § 75 GmbHG erhoben werden, welche zur Auflösung der Gesellschaft führt. Das Registergericht hat die Möglichkeit die Gesellschaft nach den §§ 397, 399 FamFG zu löschen oder aufzulösen.

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Organisation der GmbH Die GmbH verfügt über zwei Organe: die Gesellschafterversammlung gemäß den §§ 45 ff GmbHG und dem Geschäftsführer gemäß §§ 6, 35 ff GmbHG, wobei die Gesellschafterversammlung hierarchisch über dem Geschäftsführer steht (BGH, NJW 2006, 1344). Demgemäß hat die Gesellschafterversammlung die Möglichkeit alle Entscheidungen selbst zu treffen. Die Satzung stellt die Grundlage der Organisationsstruktur dar. In dieser können Kompetenzen, Stimmgewichte, Weisungsrechte und sonstige Detailfragen geregelt werden. Hinauskündigungsklauseln sind äußerst kritisch zu sehen, da diese häufig unzulässig sind (BGH, NJW 2005, 3644). Der Geschäftsführer wird durch dessen Bestellung Organ der Gesellschaft. Wie bereits ausgeführt, kann dies zum einen durch Mehrheitsbeschluss der Gesellschafterversammlung gemäß § 46 GmbHG erfolgen, aber auch bereits durch die Satzung. Die Bestellung bedarf der Zustimmung des Geschäftsführers. Im Kapitalgesellschaftsrecht gilt der Grundsatz der Fremdorganschaft, welcher ein zentraler Unterschied zum Personengesellschaftsrecht darstellt. Bei mitbestimmten Gesellschaften bildet der Aufsichtsrat das Bestellungsorgan (§ 31 MitbestG). Zu unterscheiden von der Bestellung des Geschäftsführers als Organ der Gesellschaft ist dessen Dienstvertrags. Dieser regelt beispielsweise die Bezüge und die Ausgestaltung des Dienstverhältnisses als solches. Gemäß § 35 GmbHG ist der Geschäftsführer zur Vertretung der Gesellschaft gesetzlich ermächtigt. Die Gesellschafterversammlung kann als hierarchisch übergeordnetes Organ im Rahmen des § 37 Abs. 1 GmbHG die Geschäftsführungsbefugnis auch einschränken, oder dem Geschäftsführer Weisungen erteilen. § 37 Abs. 1 normiert hingegeben, dass die soeben ausgeführten Beschränkungsmöglichkeiten nur im Innenverhältnis der Gesellschaft wirksam sind. Im Außenverhältnis sind die Befugnisse des Geschäftsführers nicht beschränkbar. Der Geschäftsführer hat außerdem Buchführungspflichten, Rechenschaftspflichten und auch die Pflicht zur Stellung des Insolvenzantrages gemäß § 15a Abs. 1 InsO. Der Geschäftsführer haftet gemäß § 46 GmbHG für sein Handeln. Das Gesetz formuliert „Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes“. Dies ist als strenger Haftungsmaßstab anzusehen. Zu beachten ist, dass die Außenhaftung des Geschäftsführers hohen Voraussetzungen unterliegt. Diese sind auf eigene vertragliche Verpflichtungen oder Normen beschränkt, die eine solche ausdrücklich vorsehen. Besonders problematisch ist die Haftung des Geschäftsführers für deliktische Haftungstatbestände. Entscheidendes Kriterium ist, ob der Geschäftsführer neben der organbezogenen Schutzpflicht auch eine persönliche verletzt hat (BGH, NJW 2006, 830). Die Haftung im Außenverhältnis wird ebenfalls bei verspäteter Insolvenzantragsstellung bejaht (BGH, NJW 1998, 2667). Im Gegensatz zum Geschäftsführer, welcher als Exekutivorgan der Gesellschaft tätig ist, handelt es sich bei der Gesellschafterversammlung um das Willensbildungsorgan. § 46 GmbHG regelt den Aufgabenbereich der Gesellschafter und ist

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lesenswert. Die Gesellschafter fassen Ihre Beschlüsse gemäß § 48 Abs. 1 GmbHG in der Gesellschafterversammlung. Deren Einberufung erfolgt regelmäßig durch den Geschäftsführer. Sämtliche Grundlagenentscheidungen werden durch die Gesellschafterversammlung getroffen. Hiervon sind auch Kapitalmaßnahmen gemäß § 55 ff GmbHG erfasst. Das Stimmrecht in der Gesellschafterversammlung richtet sich nicht nach dem Pro-Kopf-Prinzip, wie dies im Personengesellschaftsrecht der Fall ist, sondern nach den Anteilen am StammkapitAuflage Dieses Grundprinzip kann durch die Satzung umgestaltet werden. Bei gerichtlichem Vorgehen gegen einen Gesellschafterbeschluss durch einen Mitgesellschafter stehen die Anfechtungsklage und die Nichtigkeitsklage gemäß § 241 AktG zur Verfügung. Gemäß § 246 Abs. 1 AktG gilt hier für die Klageerhebung eine strikte Monatsfrist. Die Rechtsprechung hat diese bei der GmbH auf bis zu sechs Wochen ausgeweitet (BGH, ZIP 2009, 1880; OLG Celle, Urteil vom 04.09.2013, Az. 9 U 123/12). Haftung der Gesellschafter In Stadium der Vor-GmbH hat die Rechtsprechung die Unterbilanzhaftung als Haftungsmaßstab der Gesellschafter entwickelt (BGH, NJW 1997, 1507). Wenn alle Gesellschafter mit der Geschäftsaufnahme einverstanden sind, hat dieser Haftungsmaßstab zur Folge, dass Verbindlichkeiten eingegangen werden dürfen. Dies war früher nicht der Fall, da ein generelles Verbot zur Begründung von Verbindlichkeiten in der VorGmbH bestand (BGH, NJW 1981, 1373). Es ist darauf zu achten, dass in der Vor-GmbH bestimmte Fälle der Durchgriffhaftung auf die Gesellschafter möglich sind. Die Haftung der Gesellschafter nach Eintragung der GmbH ins Handelsregister ist stark eingeschränkt, da sie durch § 13 Abs. 2 grundsätzlich ausgeschlossen wird. Nur in engen Grenzen bestehen Durchgriffhaftungstatbestände. Diese beschränken sich auf existenzvernichtende Eingriffe der Gesellschafter in die Gesellschaft (BGH, NJW 2001, 3622). Diese können in der planmäßigen Entziehung von Gesellschaftsvermögen bestehen mit der Folge, dass die Gesellschaft ihre Verbindlichkeiten dauerhaft nicht mehr erfüllen kann. Erforderlich ist in diesem Fall ein zumindest bedingt vorsätzliches Handeln (BGH, NJW 2007, 2689). Ein weiterer Fall des Haftungsdurchgriffes besteht bei einer Vermögensvermischung zwischen dem Gesellschaftsvermögen und dem privaten Gesellschaftervermögen, da dadurch die Einhaltung der Kapitalerhaltungsvorschriften unmöglich wird (BGH, NJW 2006, 1344). Die Aspekte zu dem Themenkomplex Kapitalerhaltung werden aufgrund derer Komplexität in diesem Beitrag ausgeklammert. Geschäftsanteile Die Geschäftsanteile der GmbH berechtigen auch zur Teilhabe am Bilanzgewinn. Gemäß § 29 GmbHG entscheidet die Gesellschafterversammlung über die Gewinnverwendung. Es kann damit sowohl zur Auszahlung, als auch zur Thesaurierung kommen. Es ist auch möglich an die Geschäftsanteile Nachschussplichten zu knüpfen, für den Fall, dass die Gesellschaft weiteres Kapital benötigt. Dies sieht § 26 GmbHG sogar

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ausdrücklich vor. Auch die Gesellschafter einer GmbH den bereits aus den Personengesellschaften bekannten Treuepflichten. Die Veräußerung eines Geschäftsanteils bedarf der notariellen Beurkundung. Außerdem ist die Gesellschafterliste nach der Veräußerung unverzüglich zu aktualisieren. Die Auflösung der GmbH bestimmt sich nach den §§ 60 ff GmbHG. Da die Gesellschaft liquidiert werden muss, werden die Geschäftsführer durch Liquidatoren ersetzt, die jedoch personenidentisch sein können. Nach Abschluss der Liquidation tritt dann die so genannte Beendigung ein. Diese ist gemäß § 74 Abs. 1 GmbHG zum Handelsregister anzumelden. Nach dieser Anmeldung sind die Geschäftsunterlagen noch zehn Jahre aufzubewahren. Zusammenfassung Die GmbH ist eine äußerst beliebte Gesellschaftsform in Deutschland. Sie ermöglicht es die Haftung stark zu beschränken, bittet jedoch noch wesentlich mehr Flexibilität als die AG. Im Verglich mit den Personengesellschaften ist die GmbH wesentlich formalistischer. Gerade für haftungsintensive Geschäftsfelder ist die GmbH sinnvoll. Durch die Fremdorganschaft werden verglichen mit den Personengesellschaften neue Möglichkeiten geschaffen. Unbedingte Voraussetzung zur Gründung der GmbH ist die Kapitalaufbringung, die gewährleistet werden muss.

4.2 Die Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) (UG haftungsbeschränkt) Durch das MoMiG wurde die UG (haftungsbeschränkt) durch § 5a GmbHG eingeführt. Sie war die Antwort auf die immer weiter zunehmende Anzahl britischer Limited Gesellschaften auf dem deutschen Markt. Die UG (haftungsbeschränkt) kann mit einem Mindeststammkapital von 1,00 Euro gegründet werden. Da die Gesellschaft durch diese Vorschrift über eine minimalistische Kapitalausstattung verfügt, werden andere Marktteilnehmer durch die Pflicht zur Führung des Zusatzes „(haftungsbeschränkt)“ vor Irrtümern geschützt. Es ist gemäß § 5a Abs. 2 Satz 2 GmbHG nicht möglich das Kapital durch Sacheinlagen einzubringen. § 5a Abs. 3, 5 GmbHG schreiben vor, dass das Stammkapital auf das Mindestmaß einer GmbH zu erhöhen ist. Dies ist wie folgt ausgestaltet: In der Bilanz der nach den §§ 242, 264 des Handelsgesetzbuchs aufzustellenden Jahresabschlusses ist eine gesetzliche Rücklage zu bilden, in die ein Viertel des um einen Verlustvortrag aus dem Vorjahr geminderten Jahresüberschusses einzustellen ist. […] (§ 5a Abs. 3 Satz 1 GmbHG)

Aufgrund der Bindung der Verwendung wird das Stammkapital sodann erhöht. Es besteht keine Verpflichtung dahingegen die Gesellschaft in eine GmbH umzuwandeln sobald die Mindesthöhe des Stammkapitals erreicht ist. Sollte die Firmierung als GmbH dennoch einmal vollzogen sein, so kann dies nicht mehr rückgängig gemacht werden.

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Es ist sinnvoll die Kapitalerhöhung vorzunehmen auch in eine GmbH umzufirmieren um die Gesellschaftsform mit der höher Akzeptanz auf dem Markt zu erhalten. Ein besonderes Risiko der UG (haftungsbeschränkt) entsteht, wenn der auf die Haftungsbeschränkung hinweisende Zusatz nicht geführt wird. Dies kann beim Hinzutreten eines Vertrauensmomentes durch die Geschäftspartner zur persönlichen Vollhaftung des Geschäftsführers führen (LG Düsseldorf, Urteil 16.10.2013, Az 9 O 434/12). Es gilt also auch hier stets darauf zu achten mit der richtigen Firmierung im Geschäftsverkehr aufzutreten. Zur Erwähnen bleibt noch, dass Geschäftsanteile nur auf volle Eurobeträge lauten können. Auch hier ist die Gründung über das Musterprotokoll möglich. Diese muss wie bei der GmbH notariell beurkundet werden. Die UG (haftungsbeschränkt) eignet sich für Unternehmensgründungen vor allem deshalb, weil sie mit minimalem Kapital initiiert werden kann. Die Akzeptanz ins Besondere in kapitalintensiven Betätigungsfeldern ist jedoch praktisch nicht gegeben. Außerdem gelten im Übrigen die Vorschriften zur GmbH, sodass die UG (haftungsbeschränkt) mit einem nicht unerheblichen Verwaltungsaufwand behaftet ist. Sie stellt allerdings eine sehr gute Alternative zur Limited dar. Diese hat zwar den Vorteil, dass die Gründung nicht notariell beurkundet werden muss, jedoch handelt es sich letztlich um eine britische Rechtsform. Das heißt, dass auch die Gründungsdokumente englischsprachig sein müssen. Sie ist hinsichtlich der Gründungskosten noch günstiger als die UG (haftungsbeschränkt), da die Notarkosten wegfallen. Ein Vorteil der Limited bringt der internationale Bekanntheitsgrad. Die UG (haftungsbeschränkt) ist als Novum vor allem im Ausland kaum bekannt, sodass sich aus der Gründung einer Limited hieraus ein strategischer Vorteil ergeben kann. Eine nicht zu unterschätzende Herausforderung stellt die Anwendung des Rechts von Großbritannien auf die Limited dar, sodass der UG (haftungsbeschränkt) besonders wenn die Gründer keine Erfahrungen auf dem Gebiet haben, der Vorzug gegeben werden sollte.

4.3 Die Aktiengesellschaft (AG) Die AG ist eine Rechtsform die grundsätzlich nur für große oder kapitalintensive Unternehmen geeignet ist. Charakteristisch für die AG ist deren Funktion als Publikumsgesellschaft. Die AG ist börsenfähig und kann dadurch große Kapitalbeträge beschaffen. Sie ist juristische Person und auf das Gesellschaftsvermögen haftungsbeschränkt (§ 1 Abs. 1 AktG). Der Mindestnennbetrag des Grundkapitals der Gesellschaft beträgt 50.000,00 Euro. Die AG als solche ist gesetzlich streng geregelt. Dies gilt sowohl für die Gründung, als auch für deren Existenz. Die Organe der AG sind der Vorstand, für welchen sich die Regelungen in den §§ 76 ff AktG finden, der Aufsichtsrat, welcher in den §§ 95 ff AktG geregelt ist, sowie die Hauptversammlung mit den Regelungen aus den §§ 118 ff AktG. Die Akzeptanz der AG in der Wirtschaft ist als hoch einzustufen. Dies resultiert zum einen aus der strengen Organisationsform

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und der damit verbundenen Überwachung, zum anderen aber auch aus dem hohen Stammkapital. Die AG ist aufgrund der Organisationsform nicht oder zumindest nur sehr eingeschränkt für kleine Unternehmen geeignet. Aus diesem Grund ist der Abschnitt zur AG bewusst kurz gehalten. Wenn die Gründung einer AG erwogen wird, sollte unbedingt eine umfassende rechtliche Beratung eingeholt werden. Die Organisation des Kapitals in Aktien kommt auch noch bei Mischformen zwischen der AG und der KG in zur Anwendung. Die sogenannte Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) verfügt über vollhaftende Komplementäre. Das Kommanditkapital wird. in Aktien ausgegeben. Bei der KGaA handelt es sich letztlich um eine AG mit vollhaftenden Komplementären, daher ist sie auch eine Kapitalgesellschaft und hat nur personengesellschaftsrechtliche Züge. Auch bei dieser Gesellschaftsform, wie auch bei möglichen Mischformen mit der Gesellschaft (z.B. GmbH & Co KGaA oder AG & Co. KGaA), dass diese rechtlich anspruchsvoll sind. Bei kleinen und mittleren Unternehmen sind diese Gesellschaftsformen nicht unbedingt geeignet. Auch hier sollte eine umfassende rechtliche Beratung erfolgen, bevor eine solche Gesellschaft gegründet wird. Daher wird darauf verzichtet diese Gesellschaftsformen umfassend zu erläutern.

5 Mischformen und andere Gesellschaften 5.1 GmbH & Co. KG Wie bereits ausgeführt, können sich auch Gesellschaften an anderen Gesellschaften beteiligen. Die GmbH & Co. KG ist dadurch charakterisiert, dass es sich um eine KG, also eine Personengesellschaft handelt, bei welcher eine GmbH als vollhaftender Komplementär eingesetzt ist. Hieraus folgt, dass auf die KG die Vorschriften der §§ 161 ff HGB anzuwenden sind und auf die GmbH nach wie vor das GmbHG Anwendung findet. Die GmbH hat die Aufgabe der Geschäftsführung und der Vertretung der KG. Dies kann gesellschaftsvertraglich auch abweichend geregelt werden. Es ist nach wie vor nicht völlig unumstritten, ob auch die UG (haftungsbeschränkt) Komplementärin einer KG sein kann. Insgesamt ist die GmbH & Co. KG als Publikumsgesellschaft besonders geeignet, wenn diese personengesellschaftlich organisiert bleiben soll. Im Übrigen kann auf vorstehende Beschreibungen verwiesen werden. Selbstverständliche sind auch sonstige gesellschaftsrechtliche Mischformen möglich.

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5.2 Andere Gesellschaftsformen Es existieren noch weitere Gesellschaftsformen auf die jedoch im Einzelnen nicht weiter eingegangen wird, da sie eine untergeordnete Rolle gegenüber der vorbezeichneten Gesellschaftsformen spielen. Im Hinblick auf die freien Berufe ist die Partnerschaftsgesellschaft zu erwähnen. Diese ermöglicht einen Zusammenschluss mehrerer freier Berufe zum Zwecke derer Ausübung in einer Gesellschaft. Ergänzend zu den Regelungen des für diese Gesellschaftsform geschaffenen PartGG ist das BGB heranzuziehen. Gekennzeichnet wird diese Gesellschaft gemäß § 2 PartGG durch den Zusatz „und Partner“ oder „Partnerschaft“. Des Weiteren muss mindestens der Name eines Partners genannt sein. Gegründet wird diese Gesellschaft durch den Abschluss eines Partnerschaftsvertrages. Die Partnerschaftsgesellschaft wird im Partnerschaftsregister eingetragen. Die Partner haften gegenüber Gläubigern der Partnerschaftsgesellschaft gesamtschuldnerisch mit der Einschränkung des § 8 Abs. 2 PartGG. Diese Gesellschaft ist ausschließlich für freie Berufe geeignet und dann vergleichbar mit der GbR, sowie der oHG.

6 Fazit Maßgeblich für die Wahl der Gesellschaftsform sollte immer der Gesellschaftszweck bleiben. Außerdem sind die unterschiedlichen Anforderungen der Gesellschaftsformen an deren Verwaltungsaufwand zu beachten, die bei den Kapitalgesellschaften höher sind als bei den Personengesellschaften. Auch das zur Verfügung stehende Kapital sollte in die Überlegungen mit einbezogen werden, da dies meist bei kleinen Unternehmen nicht in größerem Umfang vorhanden ist, scheiden kapitalintensive Gesellschaftsformen oft aus. Bei Betätigungsfeldern, welche ein hohes Haftungsrisiko mit sich bringen, sollte erwogen werden, ob dies durch gesellschaftsrechtliche Maßnahmen beschränkt werden kann. Bei Start-Up-Unternehmen empfiehlt es sich nicht durch die Wahl einer kosten- und verwaltungsintensiven Gesellschaftsform wie der AG zusätzliche Schwierigkeiten aufzubürden. Dies gilt vor allem wenn die Gründer noch keine gesellschaftsrechtlichen Erfahrungen haben. Wollen die Gründer jedoch haftungsrechtlich abgesichert sein so kommen die GmbH und die UG (haftungsbeschränkt) in Betracht. Die GmbH hat den Vorteil der höheren Akzeptanz, wohingegen die UG (haftungsbeschränkt) einen minimalen Kapitalaufwand erfordert. Beide Gesellschaftsformen lassen sich mit einem überschaubaren Kapitalaufwand gründen, sind jedoch trotzdem grundsätzlich teurer als die Personengesellschaften. Legen die Gründer einen höheren Wert auf Flexibilität so bieten die Personengesellschaften diesbezüglich mehr Möglichkeiten. Bei Kleinunternehmen und mittleren Unternehmen kommen GbR und oHG in Betracht, da diese vom Verwaltungsaufwand eher gering sind und vertraglich umfassend aus-

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gestaltet werden können. Die KG bietet die Möglichkeit Kapital zu beschafften, ohne dass die Kapitalgeber dem vollen Haftungsrisiko ausgesetzt sind. Dies kann besonders bei mittleren Unternehmen interessant sein, wenn beispielweise zur weiteren Expansion Kapital benötigt wird. Mischformen der Gesellschaftsformen sind verwaltungsintensiver und daher nur eingeschränkt zu empfehlen. Ein guter Anhaltspunkt für die Rechtsformwahl ist ein Blick auf den jeweiligen Markt. Gesellschaftsformen, die dort besonders häufig auftreten sind regelmäßig geeigneter für das eigene Unternehmen, als solche, die auf dem Markt nicht oder nur kaum vorhanden sind. Im Zweifel empfiehlt es sich vor der Gründung einer Gesellschaft juristisch beraten zu lassen um sämtliche Chancen und Risiken für den konkreten Bedarfsfall nutzen und abwägen zu können.

Abkürzungsverzeichnis AEUV AktG Az. BayObLG BGB BGH BGHZ DnotZ e.K. EGV ERW GewO GmbHG HGB KG Berlin LG MoMiG NJW NStZ OLG OVG PartGG RG

Vertrag Ober die Arbeitsweise der europaischen Union Aktiengesetz Aktenzeichen Bayrisches Oberstes Landesgericht Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgenichtshofs in Zivilsachen, Carl Heymanns Verlag, Koln Deutsche Notar-Zeitschrift, Bundesnotarkammer, C.H. Beck- Verlag, München eingetragener Kaufmann Vertrag zur Gründung der europaischen Gemeinschaft europaischer Wirtschaftsraum Gewerbeordnung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschrankter Haftung Handelsgesetzbuch Kammergericht Berlin Landgericht Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekampfung von Missbrauchen Neue Juristische Wochenschrift, C.H.Beck-Verlag, München Neue Zeitschrift für Strafrecht, C.H. Beck- Verlag, München Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht Gesetz Ober Partnerschaftsgesellschaften Angehöriger Freier Berufe Reichsgericht

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VGH WM ZIP

Verwaltungsgerichtshof Wertpapier-Mitteilungen, Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht, C.H. BeckVerlag, München Zeitschrift für Wirtschaftsrecht, RWS Verlag, Köln

Literaturangaben Baumbach, A./Hopt, K. (2014): Bearbeiter, in Baumbach/Hopt HGB, 36. Auflage 2014, Fundstelle. Bürgerliches Gesetzbuch, 74. Auflage 2014, München: C.H. Beck-Verlag. Handelsgesetzbuch, 4. Auflage 2014, München: C.H. Beck – Verlag. Handelsgesetzbuch, 36. neubearbeitete Auflage 2014, München: C.H. Beck-Verlag. Hell, J. (2010): GmbH-Mantelverwendung – Haftung und Verantwortlichkeit jenseits der „wirtschaftlichen Neugründung“, Saarbrücken 2010, Saarbrücker Studien zitiert: Jochen Hell, Saarbrücker Studien 2010, Fundstelle. Palandt, O. (2014): Bearbeiter, in Palandt BGB 73. Auflage 2014, Fundstelle. Röhricht, V./Haas, U. (2014): Bearbeiter, in Röhricht, Graf von Westphalen, Haas HGB, 4. Auflage 2014, Fundstelle.

Marc-Hendrik Kipp

Kapitel 16: Compliance in KMU Gesetzliche Anforderungen

1 Unternehmensskandale und Geldbußen als Wegbereiter für Compliance Bribery, if left unchecked, destroys the integrity and ethical foundations of all institutions, public and private. Economic globalisation means that the damaging impact of commercial bribery that seeks to subvert open competition in business transactions, has now moved beyond unilateral national policies and has become a global problem. (Kenneth Clarke, Lord Chancellor and Secretary of State for Justice des Vereinigten Königreichs im Foreword of Consultation Paper CP 11/10).

Bestechung von Amts- und Entscheidungsträgern ist in vielen Ländern noch immer das gewählte Mittel zum Zweck der Erlangung eines Auftrages im internationalen Geschäftsverkehr. Zwar sehen sich die bestechenden Unternehmen und Personen heutzutage einer stärkeren Verfolgung ausgesetzt, doch waren beispielsweise Schmiergeldzahlungen im geschäftlichen Verkehr bis zum 1. Januar 1999 noch legal als nützliche Aufwendungen als Betriebsausgaben in Deutschland geltend zu machen. Noch immer hängt den Straftatbeständen der Vorteilsgewährung (§ 333 StGB) und der Bestechung (§ 334 StGB) die Eigenschaft eines Kavaliersdeliktes an. Dennoch fand inzwischen von politischer wie unternehmerischer Seite ein Umdenken statt. In nahezu jedem Industrieland der Welt gibt es nun Gesetze zur Bestrafung von Korruption, private Institutionen wie Transparency International (TI) untersuchen regelmäßig die weltweite Situation in Bezug auf Korruption und stellen die Ergebnisse öffentlichkeitswirksam dar und Unternehmen bekennen sich öffentlich zur Compliance – also zur Einhaltung geltender Vorschriften und Gesetze. Die Abbildung 16.1 zeigt die Ergebnisse des jährlich von TI herausgegebenen Corruption Perception Index 2012 und macht starke Unterschiede zwischen Europa, Nordamerika sowie Australien, die als kaum korrupt gewertet werden, und Asien, Südamerika sowie Afrika, die als äußerst korrupt gelten, deutlich. TI fasst die Ergebnisse wie folgt zusammen:

|| Marc-Hendrik Kipp, M. A., LL. M. Kaufmännische Projektleitung ThyssenKrupp Industrial Solutions AG

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Abb. 16.1: Corruption Perception Index 2012. Quelle: Transparency International 2012a.

The Corruption Perceptions Index scores countries on a scale from 0 (highly corrupt) [Anm.: In roter Farbe dargestellt.] to 100 (very clean) [Anm.: In gelber Farbe dargestellt.]. While no country has a perfect score, two-thirds of countries score below 50, indicating a serious corruption problem. (Transparency International 2012a).

Problematisch wird dieses Ergebnis in Verbindung mit aktuellen Wirtschaftsdaten. So hat der Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. in seiner Prognos-Studie 2012 eine Quote von 7 % aller getätigten Auslandsinvestitionen deutscher Industrieunternehmen in Brasilien, Indien, Russland und China berechnet (BDI 2012). Weltweit landen diese sog. BRIC-Staaten auf Basis getätigter Investitionen durch ausländische Unternehmen auf den Plätzen 4 (65 Mrd. USD), 9 (51 Mrd. USD), 15 (26 Mrd. USD) und 2 (121 Mrd. USD) (UNCTAD 2014). Diese Länder belegen im o.g. Korruptionsindex jedoch die Plätze 69 (Score 43), 133 (Score 28), 94 (Score 36) und 80 (Score 39) – weisen also signifikante Probleme in der Korruptionsbekämpfung auf. Dementsprechend treffen ausländische Investoren hier noch immer auf in ihrem Land verbotene Geschäftspraktiken. Für das investierende oder auftragnehmende Unternehmen stellt sich somit auch die Frage nach einer Beteiligung an solchen Praktiken oder aber der mögliche Verlust eines (Groß-)Auftrages. The higher the financial stakes of the transaction, the greater the temptation for management to choose profit over compliance. (FCPA-Guide, 57).

Aber: Ein Rechtsverstoß und ein Compliance-bezogener Missstand im Unternehmen kann drastische, teilweise aber auch dramatische Konsequenzen für das Unternehmen bedeuten, die vom Reputationsverlust und dem Ausschluss von öffentlichen und privaten Auftragsvergaben über erhebliche finanzielle Einbußen bis hin zu strafrechtlichen Maßnahmen reichen.

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Während nur wenige Korruptionshandlungen in der Presse behandelt werden – in der Fachpresse finden sich zumeist nur Randnotizen zu Skandalen, die mit hohen Haftstrafen oder Geldbußen für führende Manager beendet werden – so finden Verfahren über Preisabsprachen und Kartelle immer wieder seitenweise den Weg in die Tagespresse. Dies mag den hollywoodreifen Hintergrundgeschichten zu Hinterzimmer-Treffen, Bordellbesuchen bekannter Manager und Dawn-Raids, um nur einige Stichworte der jüngsten Berichterstattung zu nennen, und den teilweise drakonisch anmutenden Bußgeldern der ermittelnden Behörden, geschuldet sein. Beispielhaft lassen sich hierbei die von der europäischen Kommission verhängten Bußgelder nennen: So wurden in den Jahren 2010 bis Oktober 2014 Bußgelder in Höhe von mehr als 8,6 Mrd. € gegen 187 Unternehmen wegen Verstößen gegen das Kartellrecht in 29 Kartellentscheidungen verhängt. Vor allem sind an dieser Stelle diejenigen Fälle zu erwähnen, die aufgrund der Höhe des Bußgeldes auch der breiten Öffentlichkeit bekannt wurden:

Jahr

Kartellbezeichnung

Betrag in €

2007

Fahrstühle und Rolltreppen

2008

Autoglas

1.383.896.000

2012

TV- und Monitorröhren

1.470.515.000

2013

Zinsderivate (EIRD)

1.042.749.000

2014

Automobil-Wälzlager

832.422.250

953.306.000

Abb. 16.2: Gesamtstrafen ausgewählter Kartelle. Quelle: EC 2014.

Jahr

Unternehmen

Fall

2001

F. Hoffmann – La Roche AG

Vitamine

462.000.000

2008

Saint Gobain

Autoglas

715.000.000

2009

Philips

TV- und Monitorröhren

705.296.000

2009

LG Electronics

TV- und Monitorröhren

687.537.000

2013

Deutsche Bank AG

Zinsderivate (EIRD)

465.861.000

Abb. 16.3: Strafen ausgewählter Einzelunternehmen. Quelle: EC 2014.

Betrag in €

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Auch die jeweils gegen einzelne Unternehmen aus diesen und anderen Kartellen verhängten Bußgelder zeigen die finanziellen Risiken eines Verstoßes auf. Hierbei kann es zu einer Abschöpfung in Höhe von maximal 10 % des weltweiten Jahresumsatzes kommen (siehe dazu auch Punkt 2.2.3). Die aufgeführten Beträge veranschaulichen deutlich die Notwendigkeit einer unternehmensinternen Prüfungsabteilung, um die Mitarbeiter zuerst hinreichend zu schulen oder aber – im Ernstfall – den Schaden zu minimieren.

1.1 Historische Einordnung Die Regierungen der größten Volkswirtschaften haben seit der Finanzkrise und dem Börsencrash im Jahr 1929 als Reaktion auf die größten Wirtschaftsskandale bis heute zahlreiche Verfügungen erlassen, um Wirtschaftskriminalität effektiv bekämpfen zu können. So waren zumeist große und öffentlichkeitswirksame Ereignisse ein Treiber dieser Regulierung. Der Skandal um das Schneeballprinzip um Kreuger & Toll (Otte 2013) im Jahr 1932 beispielsweise war der Auslöser zur Gründung der Securities and Exchange Commission (SEC), die Pflicht zur Abschlussprüfung börsennotierter Unternehmen durch einen qualifizierten Wirtschaftsprüfer sowie die Möglichkeit für Aktionäre das Unternehmen wegen Betruges zu verklagen, die Folge. Weithin bekannt sind auch die Skandale um die Manipulation der Rechnungslegung des US-Amerikanischen Großkonzerns Enron unter Zusammenarbeit mit dem damaligen Wirtschaftsprüfungsunternehmen Arthur Anderson sowie um WorldCom aufgrund gefälschter Buchungen in Milliardenhöhe. Anlass genug, für die selbst stark in die Kritik geratene US-Regierung den Sarbanes-Oxley-Act (SOX) zu erlassen. Dieses US-Bundesgesetz soll vor allem dazu dienen, die Verlässlichkeit der Berichterstattung von kapitalmarktorientierten Unternehmen in den USA verbessern. Nach Abschnitt 404, dem bekanntesten innerhalb dieses Gesetzes, muss jeder Jahresbericht eine Beurteilung über die Wirksamkeit des internen Kontrollsystems für die Rechnungslegung durch die Geschäftsleitung enthalten. Es wird zunehmend deutlich, dass der Druck seitens der Regierungen auf die Unternehmen zu einer ordentlichen Geschäftsführung wächst. Diese soll durch immer weiter gefasste und restriktivere Gesetze umgesetzt werden. Zuwiderhandlungen bergen große Risiken für das Unternehmen und die betroffenen Beschäftigten selbst. So können die oben erwähnten Strafen das Unternehmen im Zweifel sogar in eine bedrohliche Schieflage bringen. Eben deshalb – und auf Druck der Share- sowie Stakeholder – hat die Disziplin der Compliance in den letzten Jahren eine erstaunliche Durchsetzung innerhalb der internationalen Großkonzerne gefunden. Aber auch kleine und mittelständische Unternehmen entdecken vermehrt den Reiz (oder aber die Notwendigkeit) der Einrichtung einer Compliance-Stelle im Unternehmen.

Kapitel 16: Compliance in KMU | 359

1.2 Begriffsbestimmung: Compliance Vor gut zehn Jahren war der (Rechts-)Begriff der Compliance in Deutschland noch gänzlich unbekannt. Der Ausdruck „to comply with“ (Dt. befolgen, einhalten, sich regelkonform verhalten) entstammt der anglo-amerikanischen Rechtspraxis und umschreibt die Pflicht, die für ein Unternehmen geltenden Rechtsvorschriften, regulatorische Standards und weitere wesentliche Anforderungen einzuhalten (Buffo/Brünjes 2008, 108; Vetter 2008, 33; Poppe 2010, Kap. 1 Rn.1 f.). Der eigentlichen Übersetzung nach, ist die Compliance nicht nur auf eine rechtliche Dimension begrenzt. Vielmehr findet sich dieser Begriff auch in anderen Bereichen wieder, beispielsweise in der Medizin, in der sie das konforme Verhalten von Patienten gegenüber ärztlichen Anweisungen beschreibt. Als rechtlicher Begriff wurde die Compliance bereits in den 80er Jahren im anglo-amerikanischen Rechtssystem verwendet. Hierbei lag die Verwendung allerdings zuerst speziell in typischen Risikobereichen von Banken, in denen bestimmte interne Vorschriften befolgt werden sollten (Schmidt 2010, 17 f.). Im Recht der europäischen Union hat sich der Begriff der sogenannten „crosscompliance“ bereits seit mehreren Jahren fest etabliert. Er bezeichnete anfangs die Koppelung von der Gewährung von Beihilfen für Landwirte an die Einhaltung von Umweltschutzauflagen (Verordnung Nr. 1782/2003 des Rates der und Verordnung Nr. 796/2004 der Kommission). Wie kaum ein anderer Begriff hat die Compliance so schnell und umfassend Einzug in die deutsche Rechtsterminologie gehalten. Von der ersten Erwähnung im deutschen Schrifttum im Jahr 1993 ist hieraus innerhalb kürzester Zeit eine eigenständige Disziplin geworden, die ihren Schwerpunkt in den Rechtswissenschaften, aber auch in der Betriebswirtschaftslehre, hierbei unter anderem im Bereich des Risikomanagements, wie auch der Unternehmensführung hat (Eisele 1993, 1021). Der Begriff der Corporate Governance hingegen, auch dem angloamerikanischem Rechtskreis entstammend, bedeutet in etwa „Unternehmensverfassung“ und umfasst als Ordnungsrahmen weithin den Bereich der Unternehmensführung beziehungsweise -leitung (hierzu die Präambel des DCGK). Das allgemeine Begriffsverständnis impliziert allerdings auch alle gesetzlichen Regelungen und anerkannten Standards sorgfältiger Unternehmensführung und bildet somit den Ordnungsrahmen für die Leitung und Überwachung von Unternehmen (Schmidt 2010, 19 f.; Bergmoser et al. 2008, 1). Die Corporate Compliance – als Verbindung dieser beiden Begriffe – stellt somit das Überwachungsinstrument der Corporate Governance dar. Spezieller wird im Bereich der Betriebswirtschaftslehre von der Governance-Risk-Compliance gesprochen. Dieser Ansatz vereint die Compliance mit dem Risikomanagement eines Unternehmens. Nicht zuletzt ist dies der Tatsache geschuldet, dass in jüngster Vergangenheit Unternehmen für Compliance-Verstöße wie Kartellbildung und Preisabsprachen

360 | Marc-Hendrik Kipp

Strafgelder und Schadensersatzzahlungen in Milliardenhöhe zu zahlen hatten. Den sich aus Rechtsverletzungen ergebenden materiellen wie auch immateriellen Schäden und Nachteilen für das Unternehmen soll durch ordnungsgemäße Compliance vorgebeugt werden. Aufgrund des immer umfangreicher werdenden Verantwortungs- und Handlungsrahmens des Vorstandes, der durch zivil- und öffentlich-rechtliche Pflichten bestimmt wird, und aus dem sich eine Vielzahl von rechtlichen Risiken für das Unternehmen ergeben, haben diese, wie auch Geschäftsführer vieler weitaus kleinerer Gesellschaften, erkannt, dass sie in weitem Umfang präventiv tätig werden müssen, wenn sie ihrer Compliance-Verantwortung nachkommen wollen, aber auch um Haftungsansprüche gegen ihre eigene Person zu verhindern (Schmidt 2010, 19 f.). Unter dem Begriff der Corporate Compliance versteht man somit auch die Entwicklung unternehmerischer Strategien, Prozesse und Systemen zur Verhinderung von Verstößen gegen Gesetz, Satzung und unternehmensinterne Geschäftsführungsregelungen durch organisatorische Maßnahmen. Mit Hilfe eines solchen sog. Compliance Management Systems (CMS) wird die Einhaltung von Gesetzen durch die Gesellschaft, ihrer Organe und Mitarbeiter organisiert und kontrolliert. Hierbei vereinen sich betriebswirtschaftliche wie auch rechtliche Aspekte und Problemstellungen, wobei sämtliche Bereiche des Unternehmens einer solchen Prüfung sowie Kontrolle und Überwachung unterliegen. Die Corporate Compliance dient damit der Minimierung von Haftungsrisiken und der Sicherung rechtmäßigen Verhaltens im Unternehmen. Auch wenn CMS in letzter Zeit vermehrt in kleinen wie auch mittelständischen Unternehmen eingeführt wurden, so befindet sich diese Entwicklung erst in ihrem Anfangsstadium. Ein Schwerpunkt liegt im Folgenden aufgrund der Korrelation zwischen Unternehmensgröße und Haftungsrisiken auf börsennotierten, international tätigen Aktiengesellschaften. Diese haben bereits seit mehreren Jahren ComplianceProgramme in ihren Unternehmenskomplex etabliert, so dass man hier bereits auf fundierte Erfahrungswerte zurückgreifen kann. Dennoch kann man, ausgehend von den dargestellten Compliance-Maßnahmen der Großkonzerne, Handlungsempfehlungen auch für kleine und mittelständische Unternehmen ableiten. Durch einen publizierten Compliance-Verstoß kann es gegenüber Kunden, Lieferanten und Banken zu einem massiven Vertrauensverlust und somit einer Beeinträchtigung der Geschäftsbeziehungen kommen. Eine Nichteinhaltung der nötigen Compliance, beispielsweise bei Kartellverstößen auf europäischer Ebene, kann aber auch dazu führen, dass Bußgelder von bis zu 10 % des Gesamtumsatzes des vorausgegangenen Geschäftsjahrs zu zahlen sind. So wurden in den letzten Jahren Bußgelder gegen Kartelle teilweise im Milliardenbereich verhängt. Der Reputationsverlust für die betroffenen Unternehmen ist hierbei kaum zu beziffern. Die Compliance dient somit letztendlich der Risikovorbeugung und der Schadensabwehr im Unternehmen. Eine funktionierende Unternehmens-Compliance ist regelmäßig geeignet, Schadensersatzansprüche Dritter gegen die Gesellschaft abzuwehren wie auch Ansprüche der

Kapitel 16: Compliance in KMU | 361

Gesellschaft gegen die Mitglieder der Geschäftsleitungs- und des Aufsichtsorgans zu vermeiden (Vetter 2008, 34). Zusammenfassend kann man die Corporate Compliance als „die Gesamtheit aller Maßnahmen, um das rechtmäßige Verhalten der Unternehmen, der Organmitglieder und der Mitarbeiter in Hinblick auf alle gesetzlichen Gebote und Verbote zu gewährleisten“ (Schneider 2003, 645) beschreiben. Compliance ist somit inzwischen das neue Zauberwort zur Gewährleistung der Einhaltung interner sowie externer Vorschriften im Unternehmen; für manche schlicht ein Unwort, denn sie verbinden damit lediglich mehr Bürokratie im Geschäftsablauf. Fakt ist aber: Compliance geschieht nicht freiwillig, sondern resultiert aus dem steigenden Druck von außen. Treiber sind zum einen wachsende Haftungsrisiken insbesondere für das Unternehmen, Entscheidungsträger und Unternehmensvorstände. Auf der anderen Seite steht die Zunahme gravierender indirekter Schadensfolgen. Unternehmen sehen sich heute wie noch nie zuvor sowohl einer kritischen Presse und Öffentlichkeit als auch einer intensiven Strafverfolgung ausgesetzt. Erst im Sommer 2009 begründete der BGH in einem für die Fachliteratur spektakulärem obiter dictum (Eine geäußerte Rechtsansicht innerhalb eines Urteils ohne Sachverhaltsbezug aber grundsätzlicher Bedeutung innerhalb des behandelten Rechtsgebietes – BGH 5 StR 394/08) für Compliance Officer eine „Sonderverantwortlichkeit“ für die Integrität des übernommenen Verantwortungsbereichs. Nach dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung schützt ein Compliance-Programm vor allem dann nicht, wenn es nur als Feigenblatt diente (PwC 2010, 3). Eine glaubhafte Umsetzung des eigenen Compliance-Programms sollte also oberstes Ziel für ein Unternehmen sein. Nach Überzeugung führender Wirtschaftsprüfungsunternehmen werden sich in naher Zukunft Standards für ComplianceProgramme durchsetzen, die deren Glaubwürdigkeit erhöhen und als nachhaltig eigestuft werden dürften (PwC 2011, 55). Um gerade diese Glaubwürdigkeit zu untermauern, fordert TI eine vorbehaltlose Berichterstattung aller Unternehmen in den Bereichen Anti-Korruption und Umsatzförderung innerhalb der drei folgenden Berichtsdimensionen: 1. Public reporting on anti-corruption programmes: covering bribery, facilitation payments, whistleblower protection and political contributions 2. Organisational transparency: including information about corporate holdings 3. Country-by-country reporting.“

Zu diesem Zweck erstellt TI jährlich eine Studie zum Corporate Reporting, in der die 105 größten und öffentlich gelisteten Aktiengesellschaften der Welt in Bezug auf die o.g. Faktoren untersucht werden. Neben den Veröffentlichungen privatrechtlicher Institutionen, denen zumeist ein großes öffentliches Interesse gewiss ist, unterliegen deutsche Unternehmen in Bezug auf die Corporate Compliance nicht nur dem deutschen Recht. Vielmehr bildet sich ein immer restriktiverer internationaler Rechtsrahmen mit weiten Anwendungsbereichen heraus. Die ist nicht zuletzt der

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Tatsache geschuldet, dass sich im Zuge der immer fortschreitenden Internationalisierung des Warenverkehrs die Unternehmen diversen Rechtsordnungen ausgesetzt finden und diesen entsprechen müssen.

2 Rechtliche Anforderungen an Corporate Compliance Um sich mit den Anforderungen an die Ausgestaltung eines Compliance Management System zu befassen, ist es vorab essentiell, sich mit den geltenden Gesetzesnormen vertraut zu machen. Das deutsche Recht kennt keine Gesetzesnorm, die die Geschäftsleitung einer Kapitalgesellschaft im Allgemeinen zur Vornahme systematischer ComplianceMaßnahmen und zur Einrichtung eines allgemeinen Compliance Management Systems (CMS) verpflichtet. Zu erwähnen seien an dieser Stelle allerdings rechtlich begründete Organisationspflichten für spezifische Branchen, wie zum Beispiel der § 25a KWG für Kreditinstitute, § 64a VAG für Versicherungen oder auch der § 33 WpHG für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die spezielle Vorschriften für diese Geschäftsbereiche aufstellen. An weiteren verpflichtenden Rechtsvorschriften fehlt es allerdings, so dass eine Pflicht zur Compliance allerhöchstens aus der Herleitung verschiedener Gesetze möglich ist. Im Bereich des Gesellschaftsrechts sieht beispielsweise der § 76 I AktG vor, dass der Vorstand die Gesellschaft unter eigener Verantwortung zu leiten hat und dabei die nach § 93 I AktG erforderliche Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden hat. Aus den §§ 76 I i.V.m. 93 I AktG lässt sich grundsätzlich eine organschaftliche Pflicht des Vorstands zur Legalitätskontrolle der im Unternehmen tätigen Mitarbeiter und der Ergreifung von geeigneten organisatorischen Maßnahmen ableiten. Streitig ist bereits seit längerem, ob sich diese Leitungsaufgabe auch auf Tochtergesellschaften und beherrschte Unternehmen erstreckt, Nach herrschender Meinung allerdings erstreckt sich diese Pflicht zumindest nicht im Sinne einer umfassenden Leitung dieser Gesellschaften, was mit den §§ 311 ff. AktG nicht vereinbar wäre, die dem Vorstand der herrschenden Gesellschaft im faktischen Konzern Grenzen setzen und dem Vorstand der Tochtergesellschaft die Eigenverantwortlichkeit belässt (Fett/Theusinger 2010, 8; Fleischer 2010, § 76 Rn. 91). Dieser trägt somit die Verantwortung für die Einrichtung eines CMS im Rahmen seiner Leitungsaufgabe, wenn auch eine Verpflichtung für konkrete ComplianceMaßnahmen sich aus den o.g. genannten Vorschriften nicht direkt ergibt, Schneider aber dennoch im Wege einer Gesamtanalogie eine generelle Verpflichtung aller Unternehmen zur Einrichtung einer Compliance-Organisation bejaht (Schneider 2003,

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648; Hauschka 2004, 878; Fleischer 2010, § 91 Rn. 43). In der Literatur ein bis heute noch stark umstrittenes Thema. In der Rechtsprechung hingegen wird dieser Ansicht gefolgt, wie beispielsweise auch dem Bußgeldbescheid gegen die Siemens AG vom 15.12.2008 zu entnehmen ist: Das „Tagesgeschäft“ der Compliance jedoch kann auf ein einzelnes Vorstandsmitglied übertragen werden, wodurch bei den übrigen Vorstandsmitgliedern, wenn sie nicht eine besondere Bindung an bestimmte Vorgänge aufgrund anderer Kompetenzen haben, nur noch eine allgemeine Kontrollaufgabe verbleibt. Diese allgemeine Kontrollaufgabe ist Ausfluss der Gesamtverpflichtung des Vorstands auf das Unternehmenswohl. (Staatsanwaltschaft München 2008).

Auch die aktuelle Rechtsprechungspraxis der Kartellgerichte sowie die Praxis des Bundeskartellamts verweisen bei Anwendung des § 130 OWiG unter dem Punkt der „erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen“ auf die Notwendigkeit der Einrichtung von Compliance-Programmen (Poppe 2010, Kap. 1, Rn. 39.). Demgegenüber verneint dennoch der überwiegende Teil der Literatur eine Rechtspflicht des Vorstands, ein Compliance-Verfahren zu implementieren (Liese 2008, 17; Hauschka 2004, 878). Eine solche Verpflichtung scheidet bereits aufgrund entsprechender gesetzlicher Vorgaben aus. Zweifelsfrei besteht für das Unternehmen die Pflicht, sich als juristische Person rechtstreu zu verhalten und ihre Organe für das rechtstreue Verhalten zu sorgen haben, jedoch steht es ihnen auch frei, die dafür erforderlichen Wege und Mittel selbst auszuwählen (Schmidt 2010, 19 f.). Die jeweiligen, individuellen Maßnahmen stehen im Übrigen generell unter dem Vorbehalt des unternehmerischen Ermessens des Vorstands im Sinne von § 93 I2 AktG und unterliegen damit der sog. Business Judgement Rule (dazu: Fleischer 2010, § 93, Rn. 59 ff): Danach hat der Vorstand über Art und Umfang der organisatorischen Maßnahmen zu entscheiden und für die Rechtstreue im Unternehmen zu sorgen, also auch ein Instrument zur Verhinderung von Rechtsverstößen innerhalb des Unternehmens zu implementieren. Dies bedeutet, dass das Geschäftsleitungsorgan bei der Festlegung der Anforderungen und der Dimensionierung einer Compliance-Organisation nach sorgfältiger Ermittlung der relevanten Risikofaktoren das individuelle Gefahrenpotential und Risikoszenario des Unternehmens beurteilen und bewerten muss. Die Geschäftsleitung muss die jeweiligen Konsequenzen für das Unternehmen vor Augen haben, die bei Eintritt eines spezifischen Risikos entstehen können. Versäumnisse können einen Sorgfaltsverstoß im Sinne von § 93 Abs. 2 AktG bilden und somit eine Haftung begründen (Fleischer 2003, 300; Kort 2008, 84). Soweit die getroffenen Maßnahmen allerdings unzureichend sind, Risiken einzudämmen oder zu verhindern, trifft den Vorstand dennoch die volle Verantwortung für diese Versäumnisse. Beispielsweise lässt sich hier erneut der Bußgeldbescheid gegen die Siemens AG heranziehen, in der die Staatsanwaltschaft München sich intensiv mit dem Thema der Effektivität des bestehenden CMS der Siemens AG auseinandersetzte:

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Das Compliance-System der Siemens AG war nicht hinreichend effektiv, um die Bildung von schwarzen Kassen und damit die Zurverfügungstellung von Geldern für Schmiergeldzahlungen zu verhindern. […] Die gesamte Compliance-Struktur der Siemens AG war derart schwach ausgestattet, dass eine tatsächliche Umsetzung der Compliancevorgaben schlicht nicht möglich war. […] Es gab kein hinreichend wirksames Kontrollsystem für die tatsächliche Umsetzung der Compliance Richtlinien in den Geschäftsbereichen. (Staatsanwaltschaft München 2008).

Ausdrücklich wird die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen sowie unternehmerischen Richtlinien unter dem Begriff der Compliance durch den Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) normiert. Nach Ziffer 4.1.3 DCGK soll der Vorstand einer börsennotierten Gesellschaft für die Einhaltung dieser Vorschriften sorgen und zu diesen hinwirken (Hölters 2010, Rn.91). Dort heißt es „Der Vorstand hat für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der unternehmensinternen Richtlinien zu sorgen und wirkt auf deren Beachtung durch die Konzernunternehmen hin (Compliance)“. Der DCGK, ein von der hierzu im Jahr 2001 eigens eingerichteten Regierungskommission erarbeitetes und verabschiedetes Regelwerk, enthält Vorschläge zu einer guten Unternehmensführung. Dieser beinhaltet also ethische Verhaltensweisen für Mitarbeiter und Führungsgremien. Der Kodex an sich kennt drei unterschiedliche Arten von Normenarten. Zum einen wird geltendes Gesetzesrecht wiederholt (sog. „muss“-Vorschriften), zum anderen Anregungen (sog. „sollte“ /„kann“-Vorschriften) gegeben. Das wesentlichste Element des Kodex stellen allerdings die Empfehlungen (sog. „soll“-Vorschriften) dar. Zwar handelt es sich bei diesen Regelungen um keine Rechtsvorschriften, dennoch müssen sämtliche in Deutschland börsennotierten Unternehmen jährlich eine nach § 161 AktG sog. Entsprechenserklärung abgeben, dass den Empfehlungen des Kodex entsprochen wurde und auch im folgenden Jahr gefolgt wird. Wie bereits erwähnt, gibt es im deutschen Rechtsraum allerdings keine verbindlichen Normen in Bezug auf die Anforderungen an die Ausgestaltung eines CMS. Dementsprechend sollen im weiteren Verlauf dieses Beitrags die Haftungsrisiken für das Unternehmen und bestimmte Organe dessen beleuchtet werden, um die Risiken von Non-Compliance zu verdeutlichen.

3 Haftungsrisiken innerhalb des deutschen Rechts 3.1 Haftungsmöglichkeiten der Geschäftsleitung Im Rahmen seiner bereits oben angesprochenen Leitungsaufgabe hat der Vorstand einer AG in eigener Verantwortung zu handeln. Er hat seine Entscheidungen autonom zu fällen und unterliegt lediglich der Kontrolle des Aufsichtsrates, nicht aber den Weisungen dieses oder auch einzelner (Groß-)Aktionäre. Als oberste Hand-

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lungsmaxime wird unter Auslegung des § 93 I1 AktG nach herrschender Meinung die Wahrung des Unternehmensinteresses unter Billigung des eigenen unternehmerischen Ermessens – unter entsprechend weiter Auslegung – als maßgeblicher Orientierungspunkt angesehen (Rahlmeyer 2009, 33 f.; BGHZ 64, 325, 329; GVerfGE 50, 290, 371; BGHZ 135, 244, 253). Der somit entsprechend weite Handlungsspielraum muss dem Vorstand aufgrund der Vielzahl der zu treffenden unternehmerischen Entscheidungen auch zugebilligt werden, um die Leitung der Gesellschaft zu gewährleisten. § 93 I1 AktG versucht hierbei durch Festlegung eines allgemein gehaltenen, nicht näher definierten Sorgfaltsmaßstabs Grenzen des unternehmerischen Handlungsspielraums festzulegen, ihn aber dennoch nicht übermäßig einzuschränken, um eine reibungslose Geschäftsführung zu ermöglichen (BGHZ 135, 244, 253 f.; Landwehrmann 2011, § 93, Rn. 50). Nach herrschender Meinung soll hierbei der Branchenvergleich als Maßstab dienen; also der Vergleich mit einer anderen Vorstandsperson in vergleichbarer Stellung in einem Unternehmen vergleichbarer Art und Größe. Unstreitig sind hier die Verpflichtung des Vorstands zu Fortbestand und Rentabilität der Gesellschaft und das Verbot der Ausnutzung der Organstellung im eigenen Interesse (OLG Hamm, AG 1995, 512, 514; Plück/Lattwein 2000, 2.1.7). Aus dieser sog. Vorteilswahrungs- und Schadensabwendungspflicht der Generalklausel des § 93 I1 AktG lässt sich somit auch die Verpflichtung entnehmen, die Gesellschaft nach gesetzlichen Bestimmungen sowie interner Satzungen zu organisieren. Eine Organisationspflicht, die sich unter den oben bereits angesprochenen Sammelbegriff der Corporate Compliance somit subsumieren lässt (Hübner 1992, 9). Die Pflicht des Vorstands zur Corporate Compliance ergibt sich somit aus den o.g. Gesichtspunkten und wird zusammenfassend unter den Begriff des Legalitätsprinzips subsumiert, welches sich wiederum in die Legalitätspflicht und die Legalitätskontrolle unterteilt. So wird von jedem Amtsträger, also auch dem Vorstand einer AG, verlangt, sich bei der Amtsführung gesetzestreu zu verhalten und sicherzustellen, dass die Gesellschaft ihren Rechtspflichten nachkommt (Schmidt 2009, 1295). Denkbar sind bei Nichtbeachtung zwei Haftungsszenarien: Zuerst die Haftung im Innenverhältnis zur Gesellschaft als juristische Person sowie auch die Haftung im Außenverhältnis gegenüber den Anteilseignern, also den Aktionären der Gesellschaft.

3.2 Haftung gegenüber der Gesellschaft im Innenverhältnis Eine Haftung für den Verstoß gegen diese Pflicht lässt sich aus dem als Dienstvertrag gemäß §§ 611 ff., 675 BGB qualifizierenden Anstellungsvertrag mit dem Gegenstand der Geschäftsbesorgung herleiten. Durch diesen Vertrag werden die angesprochenen Organpflichten zugleich Hauptpflichten des Vertragsverhältnisses zwischen der Gesellschaft und dem Vorstand (Schmidt 2009, 1295).

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Nach § 93 II ff. AktG werden Grundlagen der Verantwortlichkeit des Vorstandsorgans gegenüber der Gesellschaft normiert. Als Ermessensgrundlage dient hierzu der § 93 I AktG, der klarstellt: „Vorstandsmitglieder haben bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und Gewissenhaften Geschäftsführers anzuwenden.“ Darin ist vor allem eine Bindung des Vorstands an das Unternehmensinteresse zu sehen (Hüffer 2010, § 76 Rn. 15). Resultierend hieraus kann der Vorstand einem Treuhänder gleichgesetzt werden, der fremden Vermögensinteressen verpflichtet ist (Hüffer 2010, § 76 Rn. 4). Diese Vorschriften dienen dem Schutz des Interessensgefüges der Aktiengesellschaft, bestehend aus Aktionären, Arbeitnehmern und Öffentlichkeit (zum Interessengefüge einer Aktiengesellschaft: Hüffer 2010, § 76 Rn. 12). Dennoch handelt es sich bei dem § 93 AktG im Bereich der Innenhaftung um kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 II BGB, da diese Haftungsart lediglich den Schutz der Gesellschaft vor ihrem Vorstand bezweckt. Weiter handelt es sich bei dieser Vorschrift um eine zwingende Regelung, die nicht durch Vertrag oder Satzung abgeschwächt oder gar aufgehoben werden darf (LG Mannheim WM 1955, 116). Dem entgegengesetzt wird eine Verschärfung der Norm ebenso verneint, um die Risiken einer Änderung der Vorschrift in eine Erfolgshaftung der Gesellschaft gegenüber dem Vorstand gar nicht erst aufkommen zu lassen (Knappke 2008, 23; BGHZ 64, 325 (326)). Wird also die Gesellschaft erfolgreich in Regress genommen und muss aufgrund einer schuldhaften Handlung eines Vorstandsorgans haften, so kann die Gesellschaft diesen wiederum im Innenverhältnis in Regress nehmen und Schadensersatz verlangen. Voraussetzung einer wirksamen und erfolgreichen Haftung eines Vorstandsorgans ist die Prüfung, zumeist durch den Aufsichtsrat als höchstes Kontrollgremium der AG, ob dem betreffenden Vorstandsmitglied ein Überschreiten der Grenze vom unternehmerischen Interesse zur Pflichtverletzung nachzuweisen ist. Hierbei ist aber, wie oben bereits erwähnt, dem Vorstand ein gewisser Handlungsspielraum hinsichtlich seiner unternehmerischen Entscheidungen zuzubilligen. Neben wirtschaftlicher wie rechtlicher Risiken unternehmerischer Entscheidungen gehören auch im Nachhinein als Fehlentscheidungen eingestufte Handlungen zu diesem Spielraum. Ein haftungsbegründender Tatbestand wäre insoweit nur erfüllt, soweit die fragliche Person sein Handeln und seine Risikobereitschaft nicht mehr am Maßstab der ordentlichen Geschäftsführung messen lassen kann. Der BGH hat an dieser Stelle in einem Grundsatzurteil ausdrücklich einen haftungsfreien Handlungs- und Ermessensspielraum des Vorstands als Teil seiner unternehmerischen Leitungsaufgabe anerkannt (BGHZ 135, 244 (250)). Eine mögliche Haftung erfolgt sodann Gesamtschuldnerisch aus der analogen Anwendung der §§ 76, 77 AktG durch den gesamten Vorstand, welcher den durch die Pflichtverletzung entstandene Schaden gegenüber der Gesellschaft zu ersetzen hat.

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Die Beweislast liegt in diesem Fall klar bei dem jeweiligen Vorstandsmitglied, da es für eine Schadensbegründung der Gesellschaft lediglich ausreicht nachzuweisen, dass ihr aufgrund der Handlung dieses Vorstandsmitgliedes außerhalb seines gewährten Handlungsspielraumes ein Schaden entstanden ist (Wiesner 2007, § 26 Rn. 9). Nach § 93 II2 AktG ist es dann Sache des einzelnen Vorstandsmitglieds zu belegen, dass er die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters angewandt hat. Die Beweislast umfasst also den Nachweis der pflichtgemäßen Ausübung seiner Geschäftsführung, was die Gefahr einer persönlichen Haftung erheblich erhöht (Hüffer 2010, § 93 Rn. 16; Buchta 2003, 695). Eine Geltendmachung von Haftungsansprüchen erfolgt gemäß § 112 AktG durch den Aufsichtsrat oder kann nach § 173 AktG auf der Hauptversammlung von den Aktionären erzwungen werden. Ein Anspruch ist dem BGH nach immer zu verfolgen, soweit er Aussicht auf Erfolg hat, darf allerdings bei gewichtigen Gründen zum Wohle der Gesellschaft unterbleiben.

3.3 Haftung gegenüber Dritten im Außenverhältnis Eine weitere Möglichkeit der Haftung könnte unmittelbar gegenüber den Anteilseignern der Gesellschaft, bei einer AG also gegenüber den Aktionären, bestehen. Grundsätzlich sind die Aktionäre aber nur auf ihre Mitverwaltungsrechte in der Hauptversammlung beschränkt. Dennoch kann sich in bestimmten Fällen eine Haftung des Vorstands aus dem AktG ergeben. Anspruchsgrundlage einer solchen Haftung kann § 117 AktG sein. Hiernach ist jede Person gegenüber den Aktionären für jeden unmittelbaren Schaden, abgesehen vom Schaden der Gesellschaft selbst, schadensersatzpflichtig, soweit diese durch ihren Einfluss auf die Gesellschaft einen vorsätzlichen Schaden durch Pflichtverletzung nach § 93 AktG hervorgerufen hat (Hübner 1992, 19). Neben diesem Anspruch kann auch ein deliktischer Anspruch aus § 823 I BGB bestehen. Das Mitgliedschaftsrecht des Aktionärs ist hierbei nach allgemeiner Ansicht als „sonstiges Recht“ geschützt (RGZ 100, 274 (278); Hübner 1992, 19 f.). Streitig ist allerdings, ob dieser deliktische Mitgliedschaftsschutz auch im Verhältnis zu den Unternehmensleitern eingreift. Die Gewährung eines Schadensersatzanspruchs aus § 823 I BGB würde den Aktionären im Verhältnis zu den organschaftlichen Vertretern der Gesellschaft ein Kontrollrecht zuerkennen, welches ihnen aus dem AktG eben nicht zusteht und somit auch vom Gesetzgeber nicht gewollt ist. An entsprechenden Urteilen fehlt es bis heute. Auch die Frage des zu ersetzenden Schadens ist somit nicht geklärt. Einigkeit besteht im Schrifttum allerdings darüber, dass sich der Schutzbereich des § 823 I BGB nicht auf die Wertminderung der Aktien in Folge von Schäden im Gesellschaftsvermögen erstreckt. Dieser Anspruch steht lediglich der Gesellschaft als juristischer Person in Bezug auf eine Minderung des Firmenwertes zu (Raiser/Veil 2010, § 11 Rn. 17).

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Ein Anspruch aus § 823 II BGB i.V.m. § 826 BGB sowie einem Schutzgesetz zugunsten der Aktionäre wäre dennoch an dieser Stelle denkbar. Als Schutzgesetze könnten hier die allgemeinen Handlungsvorschriften der §§ 93, 116 AktG in Betracht kommen. Auch hierbei ist lediglich ein Anspruch der Gesellschaft gegen das verletzende Organ möglich, da der § 93 AktG kein Schutzgesetz zu Gunsten der Aktionäre darstellt (LG Bonn AG 2001, 484, 486; Hüffer 2010, § 93 Rn. 19). Ausnahmen können spezielle Vorschriften, nachfolgendend sind die einschlägigsten aufgeführt, wie zum Beispiel ein Verstoß gegen die Anzeigepflicht nach § 92 I AktG, welche in diesem Fall als Anspruchsgrundlage der Aktionäre streitig zu verneinen ist (Bejahend: Fleischer 2010, § 92 Rn. 17; Verneinend: Krieger/Sailer-Coceani 2010, § 92 Rn.10; Hüffer 2010, § 92 Rn. 15. Der verneinenden Ansicht ist zu folgen, so Hüffer a.a.O., da der Normzweck nicht dem Individualschutz der Aktionäre dient), sowie unter anderem die Straftatbestände der § 266 StGB, § 399 AktG (BGHZ 105, 121, 124f) oder § 400 AktG (BGH NJW 2005, 2450, 2451 und 2453) und andere sein. Weitere, meist vergeblich von Aktionären in Klagen angeführte, Schutzgesetze können § 15 WpHG zur Wahrheitspflicht in Ad-hoc-Mitteilungen oder § 88 I Nr. 1 BörsG zum Schutz vor Kursmanipulationen sein, deren Schutzzweck aber letztendlich vom BVerfG (2 BvR 742/02) verneint wurde. Der Schutzzweck der Norm muss also grundsätzlich auf das Interesse des Aktionärs abzielen, damit dieser überhaupt einen Anspruch geltend machen kann. Eine rechtliche Grundlage zur Geltendmachung von Ansprüchen der AG gegen eines ihrer Organe besteht demnach nur in den Ausnahmefällen der §§ 309 IV, 310 IV, 317 IV, 318 IV AktG. (Hüffer 2010, § 93 Rn. 19). Abschließend festzustellen sei an diesem Punkt, dass die Geltendmachung von Ansprüchen durch Aktionäre gegen Vorstandsmitglieder weitgehend aussichtslos ist. Gründe hierfür sind unter anderem, dass diese keine Beweiserleichterung sondern die volle Darlegungs- und Beweislast trifft (Buchta 2003, 696). Zusätzlich zu einer Haftung gegenüber den Anteilseignern kommt allerdings auch eine Haftung gemäß § 130 OWiG in Betracht. Diese greift dann, wenn Mitarbeiter eines Unternehmens eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen hat, die sich durch die im § 130 OWiG formulierte ordnungsgemäße Aufsicht und Kontrolle hätte verhindern oder wesentlich erschweren lassen. In einem solchen Fall kann die Geschäftsleitung persönlich mit einer Geldbuße gemäß §§ 130 I1, 9 I OWiG belegt werden (Grützner/Behr 2013, 73). Problematisch ist die fehlende Definition der ordnungsgemäßen Aufsichtsmaßnahmen. Dennoch kann aus dem Umkehrschluss der Anspruchsgrundlage geschlossen werden, dass eine Haftung dann entfällt, wenn die erforderlichen Maßnahmen erfüllt wurden. Grützner/Behr fordern demnach im Rahmen einer Strafzumessung die Bewertung des unternehmenseigenen CMS im Hinblick auf dessen Wirksamkeit. Soweit dieses effektiv und dazu geeignet ist, Straftaten und Ordnungswidrigkeiten der Mitarbeiter grundsätzlich zu verhindern, so soll sich dies in einem Verfahren strafmildernd auswirken (Grützner/Behr 2013, 74).

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Hiermit soll einer pauschalen Haftung der Unternehmensleitung entgegengewirkt werden, um bei korrekter Durchführung der Aufsicht durch ein CMS der Haftungsgefahr zu begegnen. Ob und inwieweit ein CMS allerdings Einfluss auf die Rechtsprechung haben wird, bleibt derzeit noch abzuwarten.

3.4 Haftung des Compliance-Verantwortlichen als Sonderfall Als spezieller Fall sei im Zuge dieser Ausarbeitung die Haftung von ComplianceVerantwortlichen aufzuführen, soweit diese Tätigkeit vom Vorstand delegiert wurde, was aufgrund ihrer Komplexität und Größe einer Aktiengesellschaft anzunehmen ist. In seinem bereits in der Einleitung genannten Urteil zur Strafbarkeit von Compliance-Verantwortlichen hat der BGH festgestellt, dass diese aufgrund ihrer Garantenstellung im Sinne des § 13 I StGB gegenüber dem Unternehmen und ihrer Pflicht zur Vermeidung von Straftaten gegen das Unternehmen sowie seitens des Unternehmens gegen Dritte eine besondere Verantwortung und somit auch bei Vorsatz oder Fahrlässigkeit eine Strafbarkeit gegeben ist (BGH 5 StR 394/08; Wybitul 2009, 2590 ff.). Ob man bei diesem Urteil von einem Grundsatzurteil, wie im Schrifttum (hierzu u.a. Schmidt-Husson 2010, 128 ff.; Meier-Greve 2010, 216) mehrmals als solches bezeichnet, sprechen kann, bleibt dahingestellt, zumal der BGH in seiner Urteilsbegründung die Garantenstellung eines Compliance-Beauftragten ohne dogmatische Begründung hervorgehoben hat. Dennoch muss man von einer maßgeblichen Bedeutung dieses Urteils ausgehen, da dieses bislang als erstes und einziges einen direkten Bezug zur Haftung eines Compliance-Verantwortlichen herstellt (Poppe 2010, Kap. 1, Rn. 21). Für die Haftung eines solchen Compliance-Beauftragten, wird von der ermittelnden Staatsanwaltschaft zu prüfen sein, ob das jeweilige, für das Ressort der Compliance verantwortliche, Vorstandsmitglied von dem Verstoß wusste – oder aber davon hätte wissen müssen. Analog hierzu sei der Begriff der sog. „willful blindness“ aus dem anglo-amerikanischen Strafrecht anzuführen. Hierbei wird davon ausgegangen, dass ein Vorstandsmitglied sich nicht wegen Nichtwissens enthaften kann, sondern ordnet dieses Nichtwissen zwischen Vorsatz und grober Fahrlässigkeit ein (Schemmel/Kirch-Heim 2008, 96 ff.). Strafrechtlich kann sich eine Haftung aus seiner Garantenstellung, die er kraft vertraglicher Übernahme von Schutzpflichten innehat, ergeben. Die Erfolgsabwendungspflichten des Vorstands werden in vollem Umfang auf den ComplianceBeauftragten übertragen, so dass dieser strafrechtlich ohne Einschränkung haftet (Dierlamm 2010, Kap. 6, Rn. 122). Eine Strafbarkeit ist allerdings dann selbst bei Fahrlässigkeit in aller Regel zu verneinen, soweit dieser von einem geplanten oder bevorstehenden Verstoß keine Kenntnis erlangt hat, da dies zumeist auf organisatorische oder strukturelle Mängel in der Compliance-Konzeption zurückzuführen ist und folg-

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lich dem Vorstand im Rahmen seiner Organisationspflicht zur Last gelegt werden kann (Dierlamm 2010, Kap. 6, Rn. 124). Genau an diesem Punkt setzt der Prüfungsstandard IDW PS 980 an, um unter anderem die Funktionalität des CMS im Unternehmen zu überprüfen. Für eine Haftung des Compliance-Beauftragten spielt es allerdings eine entscheidende Rolle, auf welche Tätigkeiten sich seine Bestellung erstreckt. So kann von einer Garantenstellung nur für solche Bereiche ausgegangen werden, für die er auch ausdrücklich zuständig ist. Von einer vorsätzlichen Handlung ist allerdings nur dann auszugehen, wenn diese vom Beauftragten selbst begangen wird, was dessen Strafbarkeit wiederum entscheidend einschränkt. Eine fahrlässige Tathandlung dagegen ist allerdings schon dann anzunehmen, wenn notwendige Vorsichtsmaßnahmen oder Aufsichtspflichten seinerseits unterbleiben oder verletzt werden (Raum 2012, 197 f.). Problematisch und in der Literatur streitig ist an dieser Stelle die – derzeit noch ungeklärte – rechtliche Zuordnung des Compliance-Beauftragten zum Personenkreis der Aufsichtspflichtigen gemäß § 9 II i.V.m. § 130 OWiG. Soweit sein Tätigkeitsbereich klar begrenzt und herausgehoben ist, spricht nach Raum einiges dafür, ihn als eine solche Person anzusehen. Dies würde wiederum zur Folge haben, dass er gemäß § 130 OWiG auch für sämtliche betriebsbezogenen Taten bußgeldrechtlich haftet. In diesem Falle wäre eine fahrlässige Handlung bei Unkenntnis ausreichend (Raum 2012, 198; anderer Ansicht u.a. Zimmermann 2011, 636). In der Pflicht des Compliance-Beauftragten liegt es allerdings, bei Bekanntwerden eines Verstoßen im Unternehmen die nötigen Vorkehrungen zu treffen, so dass ein gleich gearteter Verstoß verhindert werden kann, da seine Aufgabe nach streitiger Auffassung des BGH ist, die Verhinderung von Rechtsverstößen, insbesondere von Straftaten, die aus dem Unternehmen heraus begangen werden und für dieses erhebliche Nachteile durch Haftungsrisiken oder Ansehensverluste bringen können. (BGHSt 54, 44).

3.5 Verbandsgeldbuße gegen eine juristische Person Wie bereits in der Einführung kurz erwähnt, ergeben sich für juristische Personen aus Verstößen gegen geltende Gesetze enorme Gefahren der Haftung, unter anderem aus wirtschaftlicher Sicht. So kann gegen Unternehmen und ihre Verantwortlichen unabhängig von ihrer Kenntnis oder einem Vorsatz eine Geldbuße aufgrund eines strafbaren Organisationsverschulden nach §§ 130, 30 OWiG verhängt werden, wenn Unternehmensangehörige ein betriebsbezogenes Wirtschaftsdelikt begangen haben. Voraussetzung hierfür ist, dass diese natürliche Person in seiner Funktion als vertretungsberechtigtes Organ beziehungsweise Organmitglied oder auch Repräsentant (hierzu den § 9 OWiG) eines Unternehmens eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begeht, durch

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die Pflichten des Unternehmens verletzt wurden oder wenn das Unternehmen unrechtmäßig bereichert wurde oder werden sollte. Ebenso kann eine Verbandsgeldbuße gegen ein Unternehmen bei Auslandstaten verhängt werden, wenn auf diese Tat das deutsche Strafrecht oder das Ordnungswidrigkeitenrecht Anwendung findet (Grützner/Behr 2013, 73; Rogall 2006, § 30 Rn. 71). In dieser Vorschrift ist ein Auffangtatbestand zu sehen, der eine Durchgriffshaftung auf das Unternehmen bei allen betriebsbezogenen Pflichtverstößen durch Unternehmensangehörige ermöglichen soll (Bussmann/Matschke 2009, 132). Der § 30 OWiG an sich enthält keinen Ahndungstatbestand, sondern leitet das Delikt einer natürlichen Person auf eine juristische Person weiter, so als hätte dieses das Delikt begangen (Dierlamm 2010, Kap. 6, Rn. 83). Anhaltspunkte, welche konkreten Rechtspflichten für das Unternehmen zwingend einzuhalten sind, um den haftungsbegründenden Tatbestand der Pflichtverletzung nicht zu erfüllen, werden nicht genannt (Pelz 2010, § 6 Rn. 14). § 103 I2 OWiG verdeutlicht lediglich, welche Maßnahmen auch zu treffen sind (Bussmann/Matschke 2009, 132). Als haftungsbegründende Pflichtverletzungen sind aber generell ebensolche wie die oben bereits erwähnten anzusehen, sollten aber für die Aufsichtsperson praktisch durchführbar und zumutbar sein (Pelz 2010, § 6 Rn. 15; OLG Düsseldorf wistra 1999, 116). Es sollen hierbei Maßnahmen ergriffen werden, die eine Verhinderung von möglichen Verstößen wahrscheinlich macht (Maschke 1997, 42). Nach § 30 IV OWiG kann zur Bemessung der Geldbuße dann der erlangte wirtschaftliche Vorteil der Zuwiderhandlung herangezogen werden, wenn das gesetzliche Höchstmaß nach § 30 II Nr. 2 i.V.m. § 17 II OWiG von 2.500.000 Euro ansonsten überschritten werden würde. Diese neue Wertgrenze gilt seit dem 1. August 2013; zuvor waren es lediglich 500.000 Euro (Artikel 4 BGBl I, 2013, Nr. 32 vom 29.09.2013). Innerhalb des Entscheidungsprozesses der Verwaltungsbehörde, obliegt es ihr, von einer Geldbuße nach dem Opportunitätsprinzip abzusehen („kann“ in § 30 I OWiG) oder aber zumindest ein effektives CMS im Rahmen ihres Auswahlprozesses haftungsmindernd zu berücksichtigen (Rogall 2006, § 30 Rn. 118). An Entscheidungen hierzu fehlt es derzeit allerdings noch. Zusammenfassend ist aber festzustellen: Wenn ein Unternehmen nicht genügend interne Kontrolle schafft und es dadurch zu Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten der Mitarbeiter kommt, so haftet es. (Baumert 2013, 266).

Weiter besteht die Möglichkeit einer Haftung nach § 33 III GWB. Diese Vorschrift erfasst Verstöße gegen diejenigen des GWB, die Wettbewerbsregeln des EGV, hierbei insbesondere die Art. 81 und 82, sowie gegen Verfügungen der Kartellbehörde und billigt in derartigen Fällen den Betroffenen Ansprüche auf Beseitigung und Unterlassung aber auch ein Schadensersatzanspruch im Sinne des § 33 III3 GWB zu.

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Betroffen im Sinne des Gesetzes sind hierbei diejenigen Dritte, die als Mitbewerber oder sonstiger Marktteilnehmer durch einen der o.g. Verstöße betroffen sind (Immenga/Mestmäcker 2007, § 33 Rn. 10, 33). Auf europäischer Ebene sind hier vorzugsweise die Artikel 23 KartVO und 14 FKVO zu nennen. Diese Bußgeldtatbestände dienen als Bemessungsgrundlage unter anderem bei Verstößen gegen das oben erwähnte Kartellverbot nach Artikel 81 EGV oder den Marktmacht-Missbrauch nach Artikel 82 EGV. Diese Bußgelder richten sich direkt gegen das Unternehmen und nicht ihre Vertreter und haben keinen strafrechtlichen Charakter (Art. 23 V KartVO, Art. 14 IV FKVO). In beiden Fällen ist die Höhe der Geldbuße auf 10 % des erzielten Jahresumsatzes des letzten Geschäftsjahres begrenzt.

4 Internationale Haftungsrisiken Im internationalen Rechtsraum finden sich immer mehr Regelungen mit zumeist weiten Anwendungsbereichen, die neben Strafbarkeitsvorschriften auch Anforderungen an ein CMS im Unternehmen festsetzen. Soweit den letzteren nachweislich gefolgt wird, lassen sich festgesetzte Strafen verringern oder ist in Ausnahmenfällen eine vollständige Exkulpation möglich. Aufgrund der teilweise weitreichenden Anwendungsbereiche der nachfolgenden Regelungen, finden diese teilweise Anwendung auf deutsche Unternehmen, weshalb eine intensivere Betrachtung dieser unentbehrlich ist.

4.1 Federal Sentencing Guidelines Anders als in Deutschland kennt das Rechtssystem der USA schon seit langem die Unternehmensstrafe als solche, nach der sowohl juristische Personen als auch Personenvereinigungen nach Kapitel 8 der Federal Sentencing Guidelines mit Wirkung ab dem 1. November 2011 (FSG) auf Basis der ausführlichen Strafzumessungserwägungen für Unternehmen bestraft werden können. Diese Strafzumessungen orientieren sich dabei an der Schwere der Tat und somit an der Höhe des erlangten Vorteils oder entstandenen Schadens oder aber, je nachdem welcher Wert höher ist, an einer speziellen Schadenstabelle (Rieder/Falge 2010, Kap. 2 Rn. 27). Diese Schadenstabelle findet sich unter § 8 C 2.4 (d) der FSG und reicht von Bußgeldern ab 5000 USD bei 6 oder weniger Punkten der sog. „culpability score“ (hierzu § 8 C 2.4 USSG) bis hin zu 72,5 Mio. USD für 38 und mehr Punkte und wird nach einem Punktesystem berechnet. Die Berechnungsgrundlage hierfür findet sich unter § 8 C 2.4 f. Innerhalb der Berechnung unterscheidet die Strafzumessung und jeweilige Wertigkeit nach Punkten, beginnend bei 5 Punkten, zwischen 4 strafverschärfenden sowie zwei strafmildernden Einflussfaktoren:

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Strafverschärfend wirkt sich aus: – § 8 C 2.5 (b): Involvement in or Tolerance of Criminal Activity, also die Beteiligung an einer oder Duldung einer strafbaren Handlung. (Maximal 15 Punkte) – § 8 C 2.5 (c): Prior History, also die Vorgeschichte eines Unternehmens. (Maximal 2 Punkte) – § 8 C 2.5 (d): Violation of an Order, also die Verletzung einer gerichtlichen Anordnung. (Maximal 2 Punkte) – § 8 C 2.5 (e): Obstruction of Justice, also eine Behinderung der Justiz. (3 Punkte) Strafmildernd um bis zu 5 Punkte wirken sich dagegen aus: – § 8 C 2.5 (f): Effective Compliance and Ethics Program, also das Vorhandensein eines effektiven Compliance- und Ethik-Programms. – § 8 C 2.5 (g): Self-Reporting, Cooperation, and Acceptance of Responsibility, also eine Selbstanzeige, die Kooperation mit den Ermittlungsbehörden oder die Übernahme der Verantwortung. Nach § 8 C 2.6. der FSG wird sodann auf Basis der Punkte ein Multiplikator zwischen 0,05 und 4, je nach Höhe der vorher berechneten Punktzahl, auf eben diese angewandt, um nach der oben erwähnten Bußgeldtabelle die Höhe der Strafzahlung zu berechnen. Erwähnenswert ist auch die Tatsache, dass eine „organisational probation“ gemäß § 8 D der FSG, also eine Art Bewährungsstrafe für Unternehmen, wenn sie mehr als 50 Mitarbeiter haben, nur in Betracht kommt, wenn ein Compliance-Programm wie nachfolgend beschrieben, vorhanden ist (hierzu § 8 D 1.1 FSG). Hierdurch kann, unter gewissen Auflagen wie zum Beispiel einer vom Gericht angeordneten Aufsicht auf eine Strafzahlung – oder zumindest einen Teil davon – verzichtet werden. Die Anforderungen an die Ausgestaltung eines effektiven und somit strafmildernden Compliance- und Ethik-Programms nach den Regelungen der FSG richten sich nach § 8 B 2.1. „Effective Compliance and Ethics Program“. Im Grundsatz soll das Compliance-Programm eines Unternehmens dazu dienen, due diligence, also die „gebotene Sorgfalt“, zu praktizieren und kriminelle Handlungen zu verhindern oder zu entdecken und eine Organisationskultur zu fördern, die dazu anregt, ethisch zu handeln und sich zur Einhaltung von Gesetzen zu bekommen. Die FSG fordern hierbei eine Gestaltung, Implementierung und Durchführung des Programms in der Art, dass es grundsätzlich effektive dazu dient, kriminelle Handlungen zu entdecken und zu verhindern (§ 8 B 2.1. (a) FSG). Diese grundsätzlichen Anforderungen werden unter § 8 B 2.1. (b) in den Minimalanforderungen an ein Compliance-Programm im Sinne des FSG weiter spezifiziert und sollten die Grundlage eines jeden CMS bilden, welches im Zweifel dazu geeignet ist, die o.g. Haftungsrisiken zu minimieren.

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Im Rahmen einer regelmäßigen Überprüfung in Hinblick auf ComplianceRisiken, sollen alle notwendigen Schritte in Ausgestaltung und Implementierung unternommen werden, um das Programm innerhalb der nachfolgend aufgeführten Anforderungen insofern anzupassen, dass diese identifizierten Risiken stetig minimiert werden. Beginnend mit der grundsätzlichen Anforderung, Standards und Prozeduren zur Erkennung und/oder Vermeidung von kriminellen Handlungen einzuführen, fordern die FSG eine sog. Top-down-Organisationsstruktur. So ist der Vorstand eines Unternehmens dazu verpflichtet, über Inhalt und Aktionen des Programms informiert zu sein („shall be knowledgeable“) und in Hinblick auf Implementierung und Effektivität eine angemessene Aufsicht zu führen („shall exercise a reasonable oversight“). Sog. „High-level personnel“, also Führungskräfte des Unternehmens, sollen die Effektivität des Programms sicherstellen und einigen bestimmten Personen dieser Gruppe soll die übergeordnete Verantwortung über das Programm übertragen werden („shall be assigned overall responsibility“). Auf der operativen Ebene sollen wiederum Personen bestimmt werden, die das Compliance-Programm dort verantworten und regelmäßig an die übergeordnete Ebene oder in begründeten Einzelfällen den Vorstand berichten. Hierfür sollen von Unternehmensseite adäquate Ressourcen, Befugnisse und direkten Zugang zu den übergeordneten Stellen gewährt werden (§ 8 B 2.1. (b) (1) f. FSG). Ebenfalls soll es vermieden werden, innerhalb dieses Personenkreises auf solche zu verzichten, von denen bekannt ist, in der Vergangenheit bereits in die zu vermeidenden (illegalen) Aktivitäten involviert gewesen zu sein (§ 8 B 2.1. (b) (3) f. FSG). Neben den organisatorischen Maßnahmen, soll der oben erwähnte Personenkreis in regelmäßigen Abständen über die Inhalte und Maßnahmen des ComplianceProgramms informiert und geschult werden. Der aktiv in das Compliance-Programm involvierte Personenkreis wird allerdings in Bezug auf die Schulungsmaßen auch auf alle sonstigen Mitarbeiter und Agenten des Unternehmens erweitert (§ 8 B 2.1. (b) (4) f. FSG). Des Weiteren ist das Unternehmen nach § 8 B 2.1. (b) (5) FSG dafür verantwortlich die folgenden Maßnahmen zu unternehmen: – Überwachung und Revision der Einhaltung des Compliance-Programms. – Regelmäßige Evaluierung der Effektivität des Compliance-Programms. – Einführung eines Systems zur Meldung potenzieller oder akuter Verstöße gegen die Regelungen des Compliance-Programms auf anonymer und geheimer Grundlade für Mitarbeiter und Agenten (sog. Whistleblower-System). Im letzten Abschnitt der Anforderungen eines Compliance-Programms nach den FSG werden unter Punkt (6) Anreize für die Einhaltung der Compliance-Regelungen und Maßnahmen bei einem Verstoß dagegen vorgeschrieben. Unter Punkt (7) abermals alle notwendigen Schritte gefordert, die, nach Feststellung eines Verstoßes, dazu beitragen, ebensolche in der Zukunft zu verhindern (§ 8 B 2.1. (b) (6) f. FSG).

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Wie in keiner anderen internationalen Rechtsordnung werden die Anforderungen an ein CMS so explizit und allgemeingültig benannt, wie in den FSG. Dies mag vor allem der kasuistisch veranlagten angloamerikanischen Rechtsordnung geschuldet sein, um verbindliche Vorgaben für Unternehmen zu schaffen. Dementsprechend sind diese Vorgaben auch für deutsche Unternehmen verpflichtend, auf die der nachfolgend aufgeführte Foreign Corrupt Practices Act (FCPA) anwendbar ist. Auch wenn unter anderem Hauschka feststellt, dass die FSG „für deutsche Verhältnisse doch sehr ungewöhnliche Forderungen [enthalten]“ (Hauschka 2010, § 1 Rn. 43), so ist doch gerade das angloamerikanische case law im Verhältnis zu den abstrakten Organisationsvorgaben der kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen geeigneter und anschaulicher, die Vorgaben an ein CMS zu konkretisieren. Dies mag auch der Vorreiterrolle der USA im Bereich der Unternehmens-Compliance geschuldet sein, weshalb man auf die Erfahrungen und herausgearbeitete best-practice durch langjährige Rechtsprechung nicht verzichten sollte, auch wenn sie noch so „ungewöhnliche Forderungen“ enthalten (Rieder/Falge 2010, Kap. 2 Rn. 33). Es bleibt festzustellen, dass die FSG in ihrer derzeitigen Fassung die wesentlichen Elemente eines wirkungsvollen Compliance-Programms aufzeigen und bietet somit nicht nur amerikanischen Unternehmen eine Anleitung zur Schaffung effektiver Compliance-Strukturen als Grundlage eines geeigneten CMS (Hauschka 2010, § 1 Rn. 43).

4.2 Foreign Corrupt Practices Act Der FCPA von 1977 wurde erlassen, um Zahlungen oder ähnliche Werte und Wertgegenstände an ausländische staatliche Amtsträger zu verbieten, die darauf abzielen, sich neue Geschäfte zu verschaffen oder bestehende aufrechtzuerhalten. Während dieser im Zuge des Watergate-Skandals mit Inkrafttreten im Jahre 1977 auf alle USAmerikaner und -Unternehmen anwendbar war, so wurde der Anwendungsbereich im Jahre 1998 auf sämtliche Firmen und Personen ausgeweitet, deren aktive oder passive Handlung innerhalb des Staatsgebietes der USA eine Korruptionshandlung ausländischer Amtsträger fördert (USDOJ 2014a). Diese Änderung basiert auf dem International Anti-Bribery Act und dient der nationalen Umsetzung der Convention on Combating Bribery of Foreign Public Officials in International Business Transactions der OECD vom 17. Dezember 1997. Ebenfalls wurde der Begriff der Zahlungen auf den sehr weiten Ausdruck „any improper advantage“ abgeändert. Grundsätzlich verbietet der FCPA sowohl natürlichen als auch juristischen Personen sämtliche Handlungen, die eine Vorteilsgewährung an einen Amtsträger, eine politische Partei oder einen Kandidaten außerhalb der USA durch Geldzahlungen fördert sowie die Aufforderung eine solche Zahlung vorzunehmen (15 U.S.C. 78dd 1(a), 78dd 2(a), 78dd-3(a); Cohen/Holland 2008, 7). Amtsträger im Sinne des FCPA ist jeder Beamter oder Angestellter einer ausländischen Regierung, einer staatlichen internationalen Organisation oder jeder Abteilung oder Dienststelle hiervon sowie jede Person,

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die eine Amtshandlung begeht (15 U.S.C. 78dd 1(f)(1), 78dd 2(h)(2), 78dd 3(f)(2); hierzu FCPA-Guide, S2 ff.; Herbert 2013, 7.C.II Rn. 29 ff). Weiter muss die strafbare Handlung den Zweck verfolgen, das dienstliche Verhalten einer solchen Person dahingehend zu beeinflussen, dass diese ihren Einfluss ausnutzt, um dem bestechenden Unternehmen einen unangemessenen Vorteil zu verschaffen oder zu sichern. Zu diesen Vorteilen gehören unter anderem auch die bewusste Missachtung von Verboten („conscious disregard“) und die bewusste Fahrlässigkeit („willful blindness“) (15 U.S.C. 78dd 1(f)(3), 78dd 2(h)(4), 78dd 3(f)(4); Cohen/Holland 2008, 7). Die fünf Anwendungsvoraussetzungen des FCPA lassen sich also wie folgt zusammenfassen: 1. Personenkreis: Jede mittelbar und unmittelbar für ein Unternehmen handelnde Person. 2. Bestechungsabsicht: Die Zahlung muss unter dem Vorsatz der Bestechung erfolgen. 3. Zahlung: Jede Geldzahlung oder andere Vorteilsgewährung. 4. Empfänger: Ausländischer Amtsträger im erweiterten Sinne. 5. Geschäftszweck: Die Handlung muss im betrieblichen Umfeld erfolgt sein. Der FCPA stellt somit die Anspruchsgrundlage zur Durchsetzung der o.g. Strafen gemäß der FSG dar. Entgegen der Tatsache, dass es in Deutschland eines hinreichenden Anfangsverdachts bedarf, so kann die SEC grundsätzlich unabhängig vom Grad des Verdachtes entscheiden, ob sie wegen Bestechung ermittelt oder nicht (Cohen/Holland 2008, 8). Im November 2012 wurde vom US Department of Justice und der SEC der „Resource Guide to the U.S. Foreign Corrupt Practices Act“ herausgegeben, um Unternehmen zu helfen, gemäß des FCPA zu handeln, Verstöße zu verhindern und zu entdecken sowie ein effektives Compliance-Programm zu implementieren (FCPAGuide, 2). Im Hauptteil dieses Guides, der Erläuterung der Anti-Korruptionsvorschriften, werden die nachfolgenden 12 Fragen beantwortet: 1. Who Is Covered by the Anti-Bribery Provisions? 2. What Jurisdictional Conduct Triggers the Anti-Bribery Provisions? 3. What Is Covered? – The Business Purpose Test 4. What Does „Corruptly” Mean? 5. What Does „Willfully” Mean and When Does It Apply? 6. What Does „Anything of Value” Mean? 7. Who Is a Foreign Official? 8. How Are Payments to Third Parties Treated? 9. What Affirmative Defenses Are Available? 10. What Are Facilitating or Expediting Payments 11. Does the FCPA Apply to Cases of Extortion or Duress? 12. What Is the Applicable Statute of Limitations?

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Ein Compliance-System soll nach diesem Guide wie folgt aufgebaut werden: Um die Effektivität eines CMS zu überprüfen, gibt es keinen formalistischen Ansatz. Die USBehörden analysieren das CMS eines Unternehmens lediglich anhand der folgenden drei Fragen: 1. Is the company's compliance program well designed? 2. Is it being applied in good faith? 3. Does it work well? Somit wird deutlich, dass es auch nach Ansicht der US-Behörden kein einheitliches Schema für ein CMS gibt („a check-the-box approach may be ineffcient and, more importantly, ineffective“) (FCPA-Guide, 57). Vielmehr soll es risikobasiert und auf das individuelle Unternehmen maßgeschneidert sein („there is no one-size-fits-all program“) (FCPA-Guide, 57). Dennoch listet der Guide 10 Kennzeichen (sog. „Hallmarks“) auf, die innerhalb eines effektiven CMS vorhanden sein sollten (hierzu FCPA-Guide, 57 ff): 1. Commitment from Senior Management and a Clearly Articulated Policy against Corruption 2. Code of Conduct and Compliance Policies 3. Oversight, Autonomy and Resources 4. Risk Assessment 5. Training and Continuing Advice 6. Incentives and Disciplinary Measures 7. Third-Party Due Diligence and Payments 8. Confidential reporting and Internal Investigation 9. Continuous Improvement: Periodic Testing and Review 10. Mergers and Acquisitions: Pre-Acquisition Due Diligence and Post-Acquisition Integration Inhaltlich handelt es sich hierbei um die Erweiterung des FSG § 8 B 2.1 (b) durch Beispiele und Handlungsanweisungen, was eine erneute Wiederholung an dieser Stelle entbehrlich macht. Der FCPA-Guide ist somit eine wertvolle Ergänzung zu den FSG und dem FCPA als solchen. Es werden konkrete Überlegungen des DOJ und der SEC zur Verfolgung von Compliance-Verstößen und der Auswahl möglicher Sanktionen. Anschaulich werden einige Fälle der jüngeren Verfolgungspraxis eingearbeitet und regelmäßig Beispielfälle aufgeführt. Für die Compliance-Praxis im Unternehmen sind besonders die oben angesprochenen Punkte zur Effektivität eines CMS eine Pflichtlektüre, da denkbar viele Unternehmen in den persönlichen Anwendungsbereich des FCPA fallen. Und nur durch ein nachweisbar effektives CMS kann eine Verminderung der Strafe oder gar eine Exkulpation erwirkt werden. So wurde beispielsweise die Investmentbank Morgan Stanley im April 2012 innerhalb eines Verfahrens wegen Bestechungszahlungen in Höhe von $ 5 Mio. im Zusammenhang mit Immobilienge-

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schäften nicht angeklagt, da DOJ und SEC innerhalb einer Vorprüfung zu dem Ergebnis kamen, dass Morgan Stanley ein effektives Ethik- und Compliance-Programm eingerichtet haben.

4.3 UK Bribery Act 2010 Der Bribery Act 2010 (UKBA) ist ein Antikorruptionsgesetz des Vereinigten Königreichs vom April 2010 mit Wirkung ab dem 1. Juli 2011 und ersetzen die Prevention of Corruption Acts von 1889 bis 1916 als Vorgängerstatue und das umfangreiche case law, welche gemeinsam aufgrund ihrer Vielzahl aber auch Regelungslücken zu steigender Unsicherheit bei den Unternehmen geführt haben (Deister/Geier 2011, 12). Der Anwendungsbereich des UKBA ist inhaltlich wie kollisionsrechtlich weiter gefasst als diejenigen der o.g. Regelungen. So findet der UKBA Anwendung auf jedes Unternehmen unabhängig von seiner Rechtsform aber auch auf jede natürliche Person, soweit der Geschäftssitz in Großbritannien liegt. Erweitert wird dieser insofern, als dass aber auch die genannten Rechtssubjekte nur eine Geschäftsbeziehung zum Vereinigten Königreich unterhalten müssen, um unter den Anwendungsbereich des UKBA zu fallen. Der Umsatz von Export und Import von und in das Vereinigte Königreich lag im Jahr 2012 bei 116 Mrd. Euro, was es zum viertgrößten Handelspartner der Bundesrepublik Deutschland machte (DESTATIS 2013). Diese Zahlen verdeutlichen, dass der UKBA nicht nur eine lokale Erscheinung ist, sondern vielmehr auf viele deutsche Unternehmen Anwendung findet. Sachlich findet der UKBA Anwendung auf Fälle der aktiven und passiven Bestechung (§§ 1, 2 UKBA), über die Bestechung von ausländischen Amtsträger (§ 6 UKBA) und – als legislatives Novum – das Versäumnis der Bestechungsprävention durch das Unternehmen (§ 7 UKBA).

4.3.1 Aktive und passive Bestechung Gemäß §§ 1, 2 des UKBA ist unter aktiver Bestechung das Anbieten, Versprechen oder Gewähren eines finanziellen oder anders gearteten Vorteils zu verstehen (UKBA § 1 (2) f.: „[A person] offers, promises or gives a financial or other advantage to another person“). Um diesen Tatbestand zu erfüllen, muss diese Vorteilsgewährung allerdings immer darauf abzielen, den Vorteilsnehmer zur Begehung einer unzulässigen Handlung oder Unterlassung („improper performance“) zu bewegen (UKBA § 1 (2) (b) (ii)). Im Gegensatz dazu, macht sich eine Person der passiven Bestechung strafbar, die zur Begehung oder Unterlassung einer solchen Tat unter Annahme eines Vorteils bereit ist (UKBA § 2 (2)-(5)). Die Guidance des Ministry of Justices zu den UKBA stellen etwas ausführlicher dar, wie eine solche improper performance ausgestaltet sein muss, um den Anforde-

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rungen des UKBA gerecht zu werden. Dies ist dann der Fall, wenn die Handlung dem guten Glauben („good faith“) sowie der Sitten und Bräuche in Großbritannien („of what a person in the UK would expect“) widerspricht (UKBA-Guidance Nr. 18 f.). Weiterhin ist, im Gegensatz zu anderen Kodizes wie beispielsweise § 299 I, II StGB (Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr), der Anwendungsbereich der §§ 1, 2 des UKBA nicht nur auf Teilnehmer am wirtschaftlichen Verkehr beschränkt, sondern auf sämtliche natürlichen und juristischen Personen ausgeweitet. Zum einen geht dies aus Nummer 18 der Guidance hervor („Therefore, bribery in both the public and private sectors is covered“), die auch im privatwirtschaftlichen Sektor den Tatbestand der Bestechung eindeutig eröffnet, zum anderen aber auch aus § 12 (2) (c) UKBA, der den Anwendungsbereich auf natürliche wie juristische Personen beschränkt, die Britische Staatsbürger sind oder ihren gewöhnlichen Wohnsitz in Großbritannien haben, aber auch auf juristische Personen, die in Großbritannien inkorporiert sind („if that person has a close connection with the United Kingdom“) (UKBA § 12 (2) (c); Herbert 2013, Kap. 7.C.III Rn. 36).

4.3.2 Bestechung ausländischer Amtsträger Ähnlich wie oben bereits ausgeführt, entspricht die Tathandlung der Bestechung eines ausländischen Amtsträgers nach § 6 UKBA derjenigen der aktiven Bestechung nach § 1 UKBA mit dem Unterschied, dass diese darauf abzielen muss, ein Geschäft oder einen geschäftlichen Vorteil zu erhalten oder zu sichern (Herbert 2013, Kap. 7.C.III Rn. 37). Allerdings stellt die Guidance zu diesem Punkt klar, dass Auslagen („expenditures“) zur Geschäftsanbahnung und (Werbe-)Geschenke sowie Gastfreundschaft als solche ein wichtiger Teil der Geschäftstätigkeit darstellt und keineswegs vom UKBA unter Strafe gestellt werden soll (UKBA-Guidance Nr. 26). Allerdings dürfen diese expenditures nicht ein bestimmtes Maß beziehungsweise einen bestimmten Umfang überschreiten oder aber vorsätzlich dazu eingesetzt werden, einen geschäftlichen Vorteil zu erlangen (UKBA-Guidance Nr. 26–32; Herbert 2013, Kap. 7.C.III Rn. 37). Die Guidance führt hierbei den allgemeinen Grundsatz an, dass eine Bestechung umso wahrscheinlicher anzunehmen ist, wenn diese Auslagen proportional höher sind, als ähnlich getätigte Ausgaben (UKBA-Guidance Nr. 27). Im Gegensatz zum deutschen § 333 StGB stehen auch die sog. „faciliation payments“, also Zahlungen zur Beschleunigung eines routinemäßigen behördlichen Vorgangs, auf den ein Rechtsanspruch besteht, nach dem UKBA verboten. Ausnahmen würden hierbei zu Unsicherheiten und Missbrauchsgefahr führen, weshalb der britische Gesetzgeber bei Umsetzung der OECD-Konvention über die Bekämpfung und Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr vom 17.12.1997, auch deren Empfehlung gefolgt ist, keine Ausnahmeregelungen für solche Zahlungen zu schaffen. Dementsprechend erlaubt sind somit nur solche Beeinflus-

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sungen, die nach dem auf die Amtsausführung anwendbaren Recht erlaubt sind (Deister/Geier 2011, 14). Als Amtsträger im Sinne des § 6 (5) f. UKBA ist demnach jede Person zu qualifizieren, die durch Ernennung oder Wahl eine Position im Bereich der Gesetzgebung, Verwaltung oder Justiz eines Staates außerhalb des Vereinigten Königreichs innehat. Außerdem erstreckt sich dieses Tatbestandsmerkmal weiter auf Mitarbeiter aller untergeordneten staatlichen Behörden und öffentlichen Unternehmen, sowie Mitarbeiter öffentlich-rechtlicher inter-nationaler Organisationen mit Sitz innerhalb und außerhalb des Vereinigten Königreichs und orientiert sich somit an der Definition des Amtsträger im Sinne des Art. 1.4 der bereits erwähnten OECD-Konvention (Deister/Geier 2011, 14). Auch für diesen Tatbestand gilt ein Strafrahmen von einer Geldstrafe bis hin zu zehn Jahren Freiheitsstrafe.

4.3.3 Versäumnis der Bestechungsprävention durch Unternehmen Nach der grundlegenden Erörterung der Bestechungstatbestände des UKBA, wird in § 7 unter der Überschrift „Failure of commercial organisations to prevent bribery“ der in der Fachwelt gefürchtete weite Anwendungsbereich des UKBA eröffnet. So ist gemäß § 7 (5) UKBA jede ausländische Rechtseinheit erfasst, die irgendeine Geschäftsbeziehung in Großbritannien unterhält: („any other body corporate (wherever incorporated) which carries on a business, or part of a business, in any part of the United Kingdom“) (UKBA § 7 (5) (2) (b)). Geschäftsbeziehungen in Großbritannien unterhält ein Unternehmen gemäß der Guidance dann, wenn es eine sichtbare Geschäftspräsenz unterhält („demonstrable business presence“), welches allerdings fallweise nachzuweisen ist, da es innerhalb der Guidance versäumt wurde, hierfür geeignete Anhaltspunkte zu statuieren, noch Fallbeispiele anzubringen. Einziger Anhaltspunkt zur Feststellung einer solchen Präsenz kann und soll nur anhand des gesunden Menschenverstandes erfolgen („common sense approach“) (UKBA-Guidance Nr. 36). Weiter muss das Unternehmen auch mit der handelnden Person in irgendeinem Verhältnis stehen („if a person associated with a relevant commercial organisation“) (UKBA § 7 (1)). Im Sinne der deutschen Arbeits- und Werkverträgen ist von einem solchen Verhältnis allerdings immer auszugehen. Weiter trifft dies auch auf Dienstleistungsverhältnisse und Vertreter sowie auf Lieferanten, deren Geschäftsbeziehung sich zur betroffenen Organisation nicht nur auf Lieferungen beschränkt, zu (UKBA § 8 (3); UKBA-Guidance Nr. 38). Es gilt außerdem zu beachten, dass sich Unternehmen nach dem UKBA auch strafbar machen können, wenn die Bestechungshandlung an sich keine Verbindung mit Großbritannien hat, also weder innerhalb des Territoriums, über eine britische Bank oder durch einen britischen Staatsbürger verübt wurden. Eine Geschäftstätigkeit des Unternehmens in Großbritannien reicht für die Anwendung des UKBA aus (hierzu: Herbert 2013, Kap. 7.C.III Rn. 44).

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Aufgrund des unzureichend definierten Anwendungsbereiches bleibt den Unternehmen somit nur die Möglichkeit ein CMS nach Vorgaben des UKBA zu schaffen, um die nachfolgend dargestellten Möglichkeiten zur Strafmilderung bis hin zur Exkulpation zu nutzen. Hierzu ist es nötig, den Nachweis zu erbringen, dass vom unternehmen angemessene Strukturen implementiert wurden, die dazu geeignet sind, alle in einer Dienstleistungsbeziehung stehenden Personen von einer Korruptionshandlung abzuhalten (UKBA § 7 (2)). Ein CMS ist nach der Guidance dann angemessen, wenn es den nachfolgend jeweils kurz erläuterten sechs Prinzipen entspricht: 1. Verhältnismäßige Maßnahmen (Proportionate procedures) Die Maßnahmen zur Vermeidung von Korruption müssen verhältnismäßig zum individuellen Korruptionsrisiko sein und sich deshalb in Art und Intensität am Risiko ausgerichtet sein (UKBA-Guidance 1.2). Eine Erfassung aller Korruptionsrisiken des gesamten Tätigkeitsbereiches des Unternehmens ist somit unerlässlich und steigert sich proportional mit dem Wesen, der Größe und der Komplexität dieses. Empfohlen wird innerhalb der Guidance daher ein zweistufiges Vorgehen: Zuerst sollen die Ziele der Antikorruptionsstrategie festgelegt werden und danach die erforderlichen Maßnahmen zur Implementierung der Risikovorsorge definiert werden (Ausführlich mit Beispielen hierzu: UKBA-Guidance 1.6 f.). 2. Zero-Tolerance-Haltung (Top-Level-Commitment) Das Top-Level Management ist verpflichtet, eine Unternehmenskultur zu schaffen und zu fördern, die keinen Platz für Korruption bietet. Auch hier wird ein zweistufiges Vorgehen empfohlen: Erstens soll das Top-Management ihre korruptionsfeindliche Haltung klar artikulieren und nach innen und außen kommunizieren. In einem weiteren Schritt darf es allerdings nicht bei einem Lippenbekenntnis bleiben. Die aktive Umsetzung dieser Strategie wird vom TopManagement ebenso gefordert wie die regelmäßige Auswahl und Betreuung der für Antikorruption zuständigen Mitarbeiter (Ausführlich mit Beispielen hierzu: UKBA-Guidance 2.3 f.). 3. Risikobewertung (Risk Assessment) Die Risikobewertung knüpft an den ersten Punkt der Verhältnismäßigkeit an und verlangt eine regelmäßige Analyse aller aktuellen internen wie externen Risikofaktoren im Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit des Unternehmens. Auch hierzu finden sich innerhalb der Guidance unter den Punkten 3.5 und 3.6 Beispiele für typische interne wie externe Risikofaktoren. 4. Due Diligence Due diligence Prozesse sollen nach der Guidance immer dann in Erwägung gezogen werden, wenn neue Geschäftsbeziehungen geknüpft oder neue Märkte erschlossen werden. Dies gilt insbesondere bei Unternehmenstransaktionen

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oder aber bei der Einstellung von neuem Personal, die mit den bereits identifizierten Risikobereichen in Kontakt kommen (UKBA-Guidance 4.6). Eine solche Prüfung soll im Sinne des ersten Prinzips ebenfalls der Verhältnismäßigkeit unterliegen, so dass eine regelmäßige externe Überprüfung durch Anwaltskanzleien oder Wirtschaftsprüfer nicht unbedingt gefordert ist (UKBA-Guidance 4.3 ff.). 5. Kommunikation und Training Die interne Kommunikation der Antikorruptionsstrategie soll als sog. „tone from the top“ erfolgen, also als möglichst präzise Darstellung der beschlossenen Präventivmaßnahmen, ausgehend vom Top-Management (UKBA-Guidance 5.3). Extern können diese beispielsweise durch einen code of conduct kommuniziert werden (UKBA-Guidance 5.4). Zusätzlich soll ein vertrauliches und ungezwungenes Kommunikationssystem geschaffen werden, um es internen wie externen Quellen zu erlauben, auf Missstände hinzuweisen (sog. Whistleblowing/speak-up-procesures) (UKBA-Guidance 1.7, 2.3, 5.2). Weiter fordert die Guidance eine Gewährleistung effektiver Schulung des eigenen Personals durch beispielsweise Schulungen, Kurse, e-Learning oder ähnlichem. Hierdurch soll eine Steigerung der Effektivität der Sicherungsmaßnahmen durch Lerneffekte sichergestellt werden (UKBA-Guidance 5.5 ff.). 6. Überwachung und Weiterentwicklung (Monitoring and review) Im Rahmen eines sich stetig veränderndem Wirtschaftsumfeldes ändern sich auch die Größe und Strukturen des Unternehmens. Eine regelmäßige Evaluierung der vorhandenen aber auch neuer Risiken ist daher unentbehrlich. Neben zahlreichen Beispielen für Evaluierungsmaßnahmen ist vor allem herauszustellen, dass eine Zertifizierung des Unternehmens durch externe Prüfer keine Garantie für eine Exkulpation nach § 7 (2) UKBA bietet (UKBA-Guidance 6.4). Es wird ein hoher Aufwand für die betroffenen Unternehmen bereits aus dieser Zusammenfassung benötigt, die geforderten Schritte zur Implementierung, Durchsetzung und ständigen Weiterentwicklung durchzuführen. Diese Bemühungen können sich allerdings in Anbetracht der Möglichkeit der Strafmilderung sowie Exkulpation lohnen. Das Strafmaß kann bei Verstößen natürlicher Personen gegen die §§ 1, 2, 6 UKBA bei einer Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren liegen, bei juristischen Personen bei einer unlimitiert hohen Geldstrafe (UKBA § 11 (1) f.). Mit Inkrafttreten des UKBA zum 1. Juli 2011 wurde ein weiterer Meilenstein zur Bekämpfung internationaler Korruption geschaffen. Grundsätzlich positiv zu werten ist die Tatsache, dass der UKBA innerhalb seiner Guidance zur Ausgestaltung von geeigneten CMS nicht eine allgemeine Vorgabe für Unternehmen schafft. Vielmehr wird immer wieder auf die „proportinality“ der zu ergreifenden Maßnahmen abgezielt. Der UKBA folgt damit einem risikobasiertem Ansatz statt starre Strukturen vorzugeben. Wenn auch das Risiko eines allgegenwärtigen Haftungsrisikos bereits bei

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Einzelfällen wie ein Damokles-Schwert über den Unternehmen zu schweben scheint, so ist sich das Schrifttum – unter Berufung auf Aussagen des Serious Fraud Office – doch einig, dass der UKBA nur eine Verschärfung der Gangart gegenüber „persistent acts of bribery“ – also andauernden und beharrlichen Verstößen – darstellt (Deister et al. 2011, 88). Offensichtlich sind die nur kleinen Abwandlungen an die Anforderungen eines CMS im Vergleich zu den oben aufgezeigten des FCPA. Es bildet sich somit immer mehr ein global einheitlicher Standard für die Ausgestaltung eines voll integrierten CMS heraus. Auch im Hinblick auf diese Veränderungen sollten die gezeigten Anforderungen möglichst bald auch in deutschen Unternehmen integriert werden, um einerseits den internationalen Anforderungen der Gesetzgebung aber auch der Geschäftspartner gerecht zu werden und andererseits die immer weiter steigenden Strafen bei Verstößen zu vermeiden. Somit nehmen weltweit die Haftungsrisiken auch für heimische Unternehmen stetig zu. Neben den erwähnten nationalen Risiken einer straf- wie zivilrechtlichen Verfolgung in Deutschland, drohen auch im internationalen Geschäftsverkehr erhebliche Risiken bei Non-Compliance. Die dargestellten Regelungen zeigen auf, dass der Anwendungsbereich dieser so weit gefasst ist, dass viele deutsche Unternehmen eben diesen auch unterliegen. Eine Studie mit 603 befragten deutschen Unternehmen von PwC zeigt, dass etwa 45 % der dieser Unternehmen dem Geltungsbereich des FCPA und etwa 41 % dem Geltungsbereich des UKBA unterliegen (PwC 2013, 4). Es wird deutlich, dass der UKBA und der FCPA im Gegensatz zum deutschen Recht zwar einerseits eine weitaus höhere Strafbemessung haben, andererseits aber auch explizite Anforderungen an die Ausgestaltung eines CMS liefern, um diese zu vermeiden. Während der UKBA durch die nachgelagerte Guidance den Kernbegriff adequate procedures im Sinne der Strafverfolgungsbehörden genauer erläutert, so zeigt der Leitfaden des DOJ und der SEC ebenfalls die Rechtsauffassung dieser Behörden auf. Wenngleich beide Ergänzungswerke keine Gesetzesqualität haben, so zeigen Sie doch die Kernpunkte der Anforderungen an ein wirksames CMS im Sinne der im Falle eines Vergehens ermittelnden Behörden auf. Um die Haftungsrisiken nach FCPA und UKBA dementsprechend zu minimieren, ist es somit auch für deutsche Unternehmen essentiell, sich an diesen Rahmenvorgaben bei der Konzeption und Implementation des eigenen CMS zu orientieren.

5 Schlussbetrachtung Sowohl auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene wird die Einführung eines professionelles Compliance Management System – nicht nur für Großunternehmen sondern auch insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen – künftig von be-

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sonderer Bedeutung sein. Vor allem bei KMU, die internationale Geschäftsbeziehungen unterhalten, erlangt die Thematik aufgrund der steigenden Anzahl unterschiedlichster Regelungen erhöhte Bedeutung. So lassen sich durch die Implementierung eines entsprechenden Systems mögliche Strafen reduzieren beziehungsweise eine vollständige Exkulpation erlangen, was insbesondere bei Unternehmen mit begrenzten finanziellen und personellen Ressourcen von entscheidender Bedeutung ist. Zudem wächst der Druck von Regierungen und externen Stakeholdern auf Unternehmen, eine ordnungsgemäße Geschäftsführung sicherzustellen. Darüber hinaus ist es auch im Interesse der handelnden Personen, ein ernstzunehmendes Compliance-Management-System zu installieren, um eigene Haftungsrisiken ausschließen zu können. Wie ein professionelles Compliance-ManagementSystem aussehen und ausgestaltet sein kann, kann in dem Beitrag „Compliance – Best Practice“ in diesem Sammelband anschaulich nachgelesen werden.

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Marc-Hendrik Kipp

Kapitel 17: Compliance – Best Practice Der IDW PS 980 im Lichte internationaler CMS-Anforderungen Best Practice

1 Anleitung zur Best Practice in Deutschland: Der IDW PS 980 Der im März 2010 veröffentlichte Prüfungsstandard 980 (PS 980) des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW) mit der Bezeichnung „IDW PS 980-Grundsätze ordnungsmäßiger Prüfung von Compliance Management Systemen“ könnte hier Klarheit über die bisherige Qualität des Compliance Management Systems geben, aber auch im Falle einer positiven Bescheinigung durch den Wirtschaftsprüfer Möglichkeiten der Enthaftung bieten, wie es bei den oben dargestellten ausländischen Kodizes bereits vorgesehen ist. Erstmals werden somit die Minimalanforderungen an ein CMS im deutschen Rechtsraum aufstellt. Nachfolgend werden diese Anforderungen mit denen des FCPA und des UKBA verglichen, um eine Handlungsmaxime zur Ausgestaltung eines CMS herzuleiten, die den genannten Kodizes genügt.

1.1 Grundelemente eines CMS Wie oben bereits erwähnt, ist die Compliance eine Leitungsaufgabe nach § 76 I AktG und dadurch zwingend dem Vorstand einer Aktiengesellschaft zugewiesen. Inwieweit ein CMS aber den Grundsätzen ordnungsgemäßer Compliance genügt, ist in Deutschland de jure noch nicht geklärt, für den Unternehmensvorstand aber allein aus Gründen der Haftung, von essentieller Bedeutung. Durch die Heterogenität der adressierten Unternehmen lässt sich aber kein einheitliches, abstraktes Muster für Compliance-Systeme bestimmen (Rieder/Jerg 2010, 201). Vor diesem Hintergrund also liegt es nahe, das konzerneigene CMS durch einen externen Sachverständigen auf Geeignetheit und Effektivität zu untersuchen. Genau

|| Marc-Hendrik Kipp, M. A., LL. M. Kaufmännische Projektleitung ThyssenKrupp Industrial Solutions AG

3

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hier setzt der vom IDW entwickelte Prüfungsstandard „Grundsätze ordnungsgemäßer Prüfung von Compliance Management Systemen IDW PS 980“ an. Gegenstand der Prüfung ist das unternehmenseigene CMS. Dieses wird als die Zusammenfassung der Grundsätze und Regeln, welche von den gesetzlichen Vertretern des Unternehmens eingeführt wurden, die auf das regelkonforme Verhalten dieser, aber auch der Mitarbeiter abzielen. Dementsprechend sind also alle Aussagen Prüfungsgegenstand, die im Rahmen der CMS-Beschreibung getroffen wurden. Der Standard unterscheidet hierbei nach sieben Grundelementen: 7 ComplianceÜberwachung/Verbesserung

6 Compliance-Kommunikation 



5 Compliance-Organisation   



Betroffene Mitarbeiter und ggfs. Dritte werden über das ComplianceProgramm sowie Rollen/Verantwortlichke iten informiert Festlegung eines Berichtswesens für identifizierte Risiken, festgestellte Regelverstöße sowie eingehende Hinweise

Rollen und Verantwortlichkeit Aufbau- und Ablauforganisation Ressourcenplanung

 

Überwachung der Angemessenheit und Wirksamkeit (inkl. Reporting) Voraussetzung: ausreichende Dokumentation Management trägt Verantwortung

1 Compliance-Kultur  

1

7

6

2 CMS 2 5

3

Compliance-Ziele 

4  3

4 Compliance-Programm

Compliance-Risiken





Auf Grundlage der identifizierten Risiken werden Grundsätze und Maßnahmen eingeführt, die risikominimierend wirken

Grundlage für die Angemessenheit und Wirksamkeit des CMS Grundeinstellung und Verhaltensweisen des Managements („Tone from the Top“)



Identifikation von wesentlichen Compliance-Risiken der Gesellschaft Systematische Risikoerkennung mit Risikobeurteilung

Abb. 17.1: Grundelemente eines CMS nach IDW PS 980. Quelle: In Anlehnung an Ernst&Young 2011.

Festlegung wesentlicher Ziele, die mit dem CMS erreicht werden sollen Festlegung wesentlicher Teilbereiche und der in den Teilbereichen einzuhaltenden Regeln

Kapitel 17: Compliance – Best Practice | 389

Kultur Die Compliance-Kultur im Unternehmen beschreibt im Wesentlichen den gelebten Wertekanon des Unternehmens und seiner Mitarbeiter sowie den gesamtgesellschaftlichen Kontext, in dem sich das Unternehmen bewegt. Hierbei wird besonders auf folgende Merkmale geachtet: – Dass die Unternehmenswerte vermittelnde Verhalten der gesetzlichen Vertreter – Die aufgestellten und kommunizierten Verhaltensgrundsätze – Das integre, verantwortungsvolle und werteorientierte Verhalten der Mitglieder des Managements auf allen Managementebenen im Einklang mit den zu beachtenden Regeln – Die Anreizsysteme, mit denen regelkonformes Verhalten gefördert wird, einschließlich der Berücksichtigung von Compliance bei Personalbeurteilungen und Beförderungen – Der Führungsstil und die Personalpolitik des Unternehmens – Die Stellung des Aufsichtsorgans und seiner Art der Aufgabenwahrnehmung im Zusammenhang mit Risikomanagement und Compliance Bei einer positiven Compliance-Kultur im Unternehmen, welche unter anderem die o.g. Punkte vollkommen umsetzen, werden die im CMS verankerten Grundsätze und Maßnahmen von den Mitarbeitern eher beachtet (IDW PS 980 Rn. A14). Die Compliance-Kultur wird in erster Linie durch das Verhalten des Vorstands und des Managements bestimmt („Tone from the Top”). Um den Beschäftigten des Unternehmens die Bedeutung von Compliance entsprechend vermitteln zu können, muss von der Geschäftsleitung unmissverständlich deutlich gemacht werden, dass rechtswidriges Verhalten im Unternehmen nicht geduldet wird. Ein solches Compliance-Commitment entspricht einerseits den Anforderungen des § 130 I OWiG, da Aufsichtsmaßnahmen gegenüber den zu beaufsichtigenden Mitarbeitern verkündet werden müssen und andererseits bedarf es einer ausdrücklichen und regelmäßigen Thematisierung der Compliance-Vorschriften im Unternehmen (OLG Düsseldorf, 05.04.2006 – VI-2 Kart 5 + 6/05 OWi; von Busekist/Hein 2012, 45). Zur weiteren Umsetzung der Compliance-Kultur im Unternehmen werden von Busekist/Hein noch weitere, durchaus stimmige Beispiele für eine intensivere Auseinandersetzung mit den Anforderungen genannt. Hierbei sind vor allem die Punkte „Einrichtung einer eigenen Compliance-Funktion im Vorstand“, „Regelmäßige und systematische Befassung mit Compliance in Vorstand und Aufsichtsrat“ sowie „Hinreichende Aufsichtsbefugnisse des Chief Compliance Officers und der Compliance Organisation zur Wahrnehmung ihrer (Aufsichts-)Aufgaben“ zu nennen, die je nach Größe des Unternehmens zwar unterschiedlich stark ausgeprägt sein können; sobald ein Unternehmen allerdings international tätig wird, in jedem Fall vorhanden sein müssen (von Busekist/Hein 2012, 45 f.).

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Ziele Die Festlegung von Compliance-Zielen erfolgt in der Regel zusammen mit den allgemeinen Unternehmenszielen. Umfasst werden hierbei unter anderem die Abgrenzung von Teilbereichen und den dazugehörigen zu beachtenden Regeln. Bei der Festlegung von Compliance-Zielen sollten besonders folgende Anforderungen beachtet werden (IDW PS 980 Rn. A15): – Konsistenz der unterschiedlichen Ziele – Verständlichkeit und Praktikabilität der Ziele – Messbarkeit des Grades der Zielerreichung – Abstimmung mit den verfügbaren Ressourcen Es fehlt hierbei an der Voraussetzung, das CMS über die verschiedenen Unternehmensdimensionen hinaus zu definieren. So sollte bei der Definition der ComplianceZiele stets ebenso bedacht werden, welche Unternehmensaktivitäten und -einheiten, Rechtsgebiete, Personenkreise und gegebenenfalls Jurisdiktionen unter den Anwendungsbereich des CMS fallen. Nur so ist eine eindeutige Festlegung der Ziele möglich. Das Element Compliance-Ziele ist nach dem Prüfungsstandard genau genommen aber keine Anforderung an ein CMS im Sinne einer Organisationsmaßnahme. Im Rahmen des IDW PS 980 hat es vielmehr die Funktion, den Prüfungsumfang zu begrenzen, indem der Teilbereich, der geprüft werden soll, möglichst klar definiert wird (von Busekist/Hein 2012, 46 f.). Dennoch bietet eine intensive Auseinandersetzung mit den genannten Unternehmensdimensionen dem Vorstand die Möglichkeit, sämtliche Compliance-Risiken im Rahmen seiner Geschäftstätigkeit im nächsten Schritt zu finden und zu definieren. Risiken Erst durch die Festlegung und Beurteilung der möglichen Compliance-Risiken wird die Grundlage für die Entwicklung eines angemessenen Compliance-Programms geschaffen. Hierbei sollten besonders mögliche Risiken für Regelverstöße innerhalb der einzelnen Bereiche des Compliance-Programms systematisch aufgenommen und analysiert werden. Auf die Risikoanalyse sollten grundsätzliche Entscheidungen zur Risikosteuerung wie zum Beispiel Risikovermeidung, -reduktion, -überwälzung und akzeptanz erörtert und gefällt werden. Allgemeine Faktoren der Risikoanalyse sind hierbei zum Beispiel: – Änderungen im wirtschaftlichen und rechtlichen Umfeld – Personalveränderungen – Überdurchschnittliches Unternehmenswachstum – Neue Technologien – Neue oder atypische Produkte und Geschäftsfelder – Umstrukturierungen – Orte der Geschäftstätigkeit – Expansion in neue Märkte

Kapitel 17: Compliance – Best Practice | 391

Hierbei muss stringent darauf geachtet werden, dass eine solche Risikoanalyse kein einmaliger Vorgang sein darf, sondern ein Regelprozess, der einen wesentlichen Bestandteil der kontinuierlichen Weiterentwicklung und Verbesserung des CMS darstellt (IDW PS 980 Rn. A16). So kann beispielsweise bei der Bewertung von Risiken im Rahmen der Orte der Geschäftstätigkeit auf den Corruption Perception Index von TI zurückgegriffen werden, um regelmäßig die Korruptionsrisiken in einzelnen Ländern zu analysieren (Moosmayer 2011, 27). Die Risikoidentifizierung und -bewertung ist Grundlage und Maßstab, um die nach § 130 OWiG erforderlichen, geeigneten und zumutbaren Aufsichtsmaßnahmen auszuwählen; ohne Risk Assessment hängen Compliance-Maßnahmen gewissermaßen „in der Luft” (von Busekist/Hein 2012, 48). Ohne ein Risk Assessment lässt sich weder einschätzen, ob eine Compliance-Maßnahme erforderlich, noch beurteilen wie sie auszugestalten ist (ausführlich dazu: von Busekist/Schlitt 2012, 86 ff.). Programm Das Compliance-Programm eines Unternehmens setzt sich aus den aufgestellten Grundsätzen und Maßnahmen zusammen, die auf eine Begrenzung der ComplianceRisiken und damit auf ein regelkonformes Verhalten abzielen. Dabei handelt es sich um Regelungen, mit denen Mitarbeiter aber auch Dritte zu regelkonformen Verhalten angehalten werden. Sie enthalten klare Festlegungen zur Zulässigkeit aber auch Unzulässigkeit bestimmter Aktivitäten sowie zu den Maßnahmen des Compliance-Programms, die zur Sicherstellung der Compliance im Unternehmen zu beachten sind. Grundlage des Compliance-Programms sollte die Prävention sein, also die Verhinderung von Regelverstößen. Dies umfasst das Zusammenspiel einer frühzeitigen Erkennung des Risikos und die Reaktion hierauf sowie im Falle eines Verstoßes eine wirksame Ursachenanalyse, die wiederum wesentliche Grundlage für die Verbesserung des CMS darstellt. Maßnahmen zur Prävention können hierbei unter anderem sein (IDW PS 980 Rn. A17): – Funktionstrennungen – Berechtigungskonzepte – Genehmigungsverfahren und Unterschriftsregelungen – Vorkehrungen zum Vermögensschutz und andere Sicherheitskontrollen – Unabhängige Gegenkontrollen (Vier-Augen-Prinzip) – Job-Rotationen Organisation Die Merkmale einer guten Compliance-Organisation im Unternehmen sind unter anderem: – Die klare Festlegung von Rollen und Verantwortlichen im CMS, wie zum Beispiel die Bestimmung eines Compliance-Beauftragen oder -Gremiums ein-

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schließlich einer dazugehörigen Hierarchie, Berichtslinie und organisatorischen Einordnung Das zur Verfügung stellen hinreichender Ressourcen für die Konzeption, ordnungsgemäße Durchführung und Weiterentwicklung des Compliance-Programms im Unternehmen Die Kopplung des Compliance-Programms an bereits bestehende Systeme der Unternehmensorganisation wie das Risikomanagement oder anderweitige interne Kontrollmechanismen Die stetige (Weiter-)Entwicklung organisatorischer und technischer Hilfsmittel, die für eine erfolgreiche Durchführung des Compliance-Programms nötig sind, wie zum Beispiel IT-Tools, Handbücher oder Checklisten

Kommunikation Ein weiterer wichtiger Punkt im CMS ist auch die interne wie externe Kommunikation. Hierbei ist zu beachten, die jeweils betroffenen Mitarbeiter über bestehende und neue Regeln der Compliance zu unterrichten. Weiter müssen Berichtswege über etwaige Compliance-Risiken und festgestellte wie auch vermutete Compliance-Verstöße aufgestellt werden. Zuletzt sollten die Ergebnisse von Überwachungsmaßnahmen intern kommuniziert werden, um eine stetige Weiterentwicklung des CMS zu gewährleisten (IDW PS 980 Rn. A19). Überwachung und Verbesserung Bei der Compliance-Überwachung handelt es sich um eine Überwachungsmaßnahme, um das Überwachungsinstrument CMS selbst zu kontrollieren. Hierfür sollten prozessunabhängige Stellen wie zum Beispiel die interne Revision eingesetzt werden. Ziel der Überwachung ist es festzustellen, ob das CMS unter Beachtung der angewandten Grundsätze angemessen ausgestaltet und wirksam ist. Hierzu zählen unter anderem: – Festlegung der Zuständigkeit für die Compliance-Überwachung – Entwicklung eines Überwachungsplans – Bereitstellung von ausreichend erfahrenen Ressourcen für die Durchführung der Überwachungsmaßnahmen – Bestimmung der Berichtswege für die Ergebnisse der Überwachungsmaßnahmen – Erstellung von Berichten über die Ergebnisse der Überwachungsmaßnahmen und Auswertung der Berichte durch die zuständige Stelle Diese zuletzt genannten Ergebnisse sollen Hinweise auf Schwachstellen im CMS geben und somit zur Erhöhung der Wirksamkeit des CMS beitragen (IDW PS 980 Rn. A20).

Kapitel 17: Compliance – Best Practice | 393

1.2 Praktikabilität Ziel der Einführung dieses Prüfungsstandards ist in erster Linie eine Orientierungsmöglichkeit für Compliance-Verantwortliche zur Ausgestaltung eines für ihr Unternehmen angemessenes CMS. Wie bereits erwähnt, liegt in diesem Punkt auch das Problem des Standards. Aufgrund der heterogenen Unternehmenslandschaft ist es kaum möglich, einen einheitlichen Ansatz für die die Ausgestaltung und Organisation von Compliance-Systemen zu schaffen. Ein solches System sollte immer genau auf die Bedürfnisse des jeweiligen Unternehmens ausgerichtet sein. Hierbei sind vor allem bei einer solchen Ausgestaltung ein Augenmerk auf die Größe, Risikofelder sowie bestehende Strukturen im Unternehmen zu beachten. Wenngleich aus diesen Gründen eine Vereinheitlichung sämtlicher Compliance-Systeme an dieser Stelle abzulehnen sei, so ist die Schaffung eines einheitlichen Prüfungsstandards durchaus zu begrüßen. Dies bietet den jeweiligen Compliance-Verantwortlichen die Möglichkeit, ihre ComplianceOrganisation zu überprüfen. Die Schaffung des IDW PS 980 ist hierbei ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu transparenten und allgemein anerkannten Prinzipien (Willems/Schreiner 2010, 214). Fraglich ist, ob eine Zertifizierung nach IDW PS 980 vor deutschen Gerichten ebenso exkulpierend wirken kann, wie die Einhaltung der Vorschriften zur Ausgestaltung des CMS nach den o.g. Vorschriften gegenüber den dortigen Strafverfolgungsbehörden. Hierbei gibt es diverse Auffassungen in der juristischen Fachwelt: – Gelhausen/Wermelt nehmen beispielsweise an, dass dem Nachweis einer erfolgten Prüfung von den Gerichten enthaftende Wirkung beigemessen wird. Sie sind weiter der Meinung, dass ein uneingeschränktes Testat eines Wirtschaftsprüfers eine Haftung nach §§ 130 I, IX OWiG oder § 93 II AktG ausschließt (Gelhausen/Wermelt 2010, 210). – Rieder/Jerg hingegen zweifeln an der Wirksamkeit einer „betriebswirtschaftlichen Prüfung“ (IDW PS 980, Rn. 24) zur Klärung einer juristischen Fragestellung, nämlich der geforderten, angemessenen Ausgestaltung des CMS (Rieder/Jerg 2010, 204). Einem Wirtschaftsprüfer kann und sollte nicht die Aufgabe überlassen werden, juristische Sachverhalte zu bewerten (von Busekist/Hein 2012, 41). – Richtig stellen Schemmel/Minkoff aber fest, dass „Compliance jedoch bei weitem mehr [ist,] als eine allein rechtliche oder aber allein betriebswirtschaftliche Erscheinung.“ Zur Schaffung eines funktionierenden CMS bedarf es nämlich nicht nur an Juristen oder Betriebswirten, sondern Experten aus allen Unternehmensbereichen, da Compliance eine interdisziplinäre Aufgabe im Unternehmen darstellt. Dies führt folgerichtig zu dem Schluss, dass ein Unternehmer sein CMS nicht nur auf eine einzige Schwerpunktlösung ausrichten darf (Schemmel/Minkoff 2012, 51). Neben den Exkulpationsmöglichkeiten in Bezug auf die gesetzlich vorgeschriebene Kontrollfunktion und die Sorgfaltspflichten der Organisationsorgane, die durch die Ausstellung eines antizipativen Sachverständigengutachtens gegeben sein können,

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bietet der Standard somit auch durch seine festgeschriebenen Entwicklungs- und Steuerungsinstrumente einen weiteren Nutzen für das Unternehmen. Denn: Nur durch die externe und unabhängige Prüfung eines solches System kann eine ständige Weiterentwicklung des CMS gewährleistet werden (Görtz/Roßkopf 2010, 105; Ernst&Young 2011).

2 Der IDW PS 980 Dem geneigten Leser wird somit aus diesem und dem vorherigen Kapitel klar geworden sein, dass es einer Kombination der Mindestanforderung der dargestellten Regelungen bedarf, um ein effektives CMS im eigenen Unternehmen zu etablieren. Vor allem für Unternehmen, die sich wirtschaftlich in den Rechtsräumen des Anwendungsbereiches der analysierten Regelungen bewegen, ist eine solche Kombination der Anforderungen zu einem ganzheitlichen CMS essentiell. Ausgehend vom IDW PS 980, soll nun in Kürze dargestellt werden, welcher weiteren Maßnahmen es bedarf, um diesen Anforderungen gerecht zu werden und den im vorangegangenen Kapitel dargestellten Haftungspotenzialen entsprechend zu begegnen. Anhand der oben dargestellten sieben Grundelemente eines CMS nach IDW PS 980 werden nachfolgend die Grundanforderungen nach UKBA und FCPA den entsprechenden Grundelementen zugordnet, um einen anschließenden Vergleich zu ermöglichen: IDW PS 980

UKBA

FCPA / FSG

1

Kultur

Top-Level-Commitment

Senior Management Commitment Code of Conduct

2

Ziele

Proportionate Procedures

3

Risiken

Risk Assessment Due Diligence

Risk Assessment

4

Programm

Proportionate Procedures

Third-Party Due Diligence

5

Organisation

Proportionate Procedures

Oversight, Autonomy and Resources

6

Kommunikation

Communication Training Confidential Reporting

Training Continuing Advice Continous Improvement

7

Überwachung/Verbesserung

Monitoring and review Internal Investigation

8

Incentives Disciplinary Measures

Abb. 17.2: Grundelemente eines CMS im Vergleich der dargestellten Kodizes. Quelle: Eigene Darstellung.

Kapitel 17: Compliance – Best Practice | 395

Aus dieser Darstellung lassen sich somit 8 Elemente eines CMS identifizieren, die den Anforderungen der drei dargestellten Kodizes entsprechen. Nachfolgend, auf Basis der jeweils dargestellten und in der Abbildung 17.2 jeweils zugeordneten Grundelemente, werden diese noch einmal kurz zusammenfassend erläutert und einige (nicht abschließende) Beispiele namhafter Unternehmen aufgezeigt:

2.1 Compliance-Kultur Die Basis eines CMS sollte eine Compliance-Kultur im Unternehmen bilden. Compliance muss im Unternehmen gelebt und Teil der Geschäftsaktivität werden. Sie beeinflusst also die Bedeutung, welche die Mitarbeiter des Unternehme der Beachtung von Regeln beimessen und damit ihre Bereitschaft zu regelkonformen Verhalten. Merkmale einer guten Compliance-Kultur sind zum Beispiel die Integrität gesetzlicher Vertreter, das Bekenntnis des Managements zur Bedeutung eines verantwortungsvollen Verhaltens im Einklang mit den zu beachtenden Regeln und die von den gesetzlichen Vertretern aufgestellten und kommunizierten Verhaltensgrundsätze (Eisolt 2010, 1846). Einstimmig fordern alle drei Kodizes einen „tonefrom-the-top“ – also ein Bekenntnis des höchsten Leitungsorgans des Unternehmens. Beispiele hierfür sind ein Compliance-Commitment, in welchem sich der Vorstand beziehungsweise die Geschäftsführung sowie der Aufsichtsrat oder andere Kontrollgremien klar zur Einhaltung von Rechtsvorschriften bekommen. Das Bekenntnis zur Compliance muss somit zu einem Teil der Unternehmenswerte werden. Die ThyssenKrupp AG hat ihre Null-Toleranz-Haltung gegenüber Rechtsverstoßen konkret in Bezug auf ihre Geschäftstätigkeit gesetzt (ThyssenKrupp 2014c): – Korruption und Kartellverstöße bedrohen diese Erfolgsgaranten und werden nicht geduldet (Zero Tolerance). – Schmiergelder oder Kartellabsprachen sind für uns keine Mittel, um einen Auftrag zu erlangen. Lieber verzichten wir auf ein Geschäft und auf das Erreichen interner Ziele, als gegen Gesetze zu verstoßen. Weiter soll allen Mitarbeitern ein Code of Conduct – also ein Verhaltenskodex beziehungsweise ein Orientierungsrahmen auf Basis des Compliance-Commitments – zur Verfügung gestellt werden, der wesentliche Prinzipien und Grundregeln des geschäftlichen Handelns innerhalb und außerhalb des Unternehmens verständlich zusammenfasst. Hierzu gehört auch das zur Verfügung stellen dieses Codes in sämtlichen, im Unternehmen kommunizierten Sprachen. Die ThyssenKrupp AG stellt unter http://www.thyssenkrupp.com/de/nachhaltigkeit/code_of_conduct.html seinen Code of Conduct in 7 Sprachen zur Verfügung. Weitere Dax-Unternehmen stellen ihren Code of Conduct zumindest auf Deutsch und Englisch auf ihrer Unternehmenswebseite zur Verfügung. Zusätzlich dazu soll nach dem UKBA dieser Code

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of Conduct auch gegenüber externen Dritten zugänglich gemacht werden (UKBAGuidance, 29 f.). Von den 603 befragten Unternehmen, die an der Studie von PwC zum Thema Wirtschaftskriminalität teilgenommen haben (PwC 2013), besitzen mehr als 90 % der Unternehmen ein Compliance-Commitment sowie einen Verhaltenskodex. Zu Recht wird dieser Punkt als Basis eines jeden CMS angesehen, da es eine klare Leitungsaufgabe des Vorstandes ist, mit gutem Beispiel voranzugehen und Compliance zu leben. Gegenstände einer gelebten und kommunizierten Compliance-Kultur sollen demnach sein: – Individualismus: Was kann jeder Mitarbeiter für Compliance tun? – Offene Kommunikationskultur: Wie werden Compliance und gegebenenfalls ein Verstoß kommuniziert? – Regelkonformität: Wie bindend sind die Regeln formuliert? – Transparenz: Wie transparent ist das Unternehmen intern wie extern in Bezug auf Compliance? Je ausführlicher sich das Management mit diesen Punkten und aufgeworfenen Fragen befasst, desto glaubwürdiger und somit effektiver lässt sich die ComplianceKultur im Unternehmen gestalten.

2.2 Compliance-Ziele Der Vorstand muss sich im Klaren darüber sein, welche Ziele mit Einführung des CMS im Unternehmen verfolgt werden sollen. Hierbei muss, vom Code of Conduct ausgehend, eine Konzeption erarbeitet werden, die als Grundlage für den Punkt „Compliance-Risiken“ den Risikoumfang innerhalb im Unternehmen definiert. Wie oben bereits angesprochen, müssen hierbei die verschiedenen Unternehmens- und Risikodimensionen auf das Unternehmen übertragen werden. Zusätzlich sollten die Compliance-Ziele ein Teil der Unternehmensziele insgesamt werden, um zum Zwecke der Durchsetzung diese festzuschreiben und regelmäßig im Hinblick auf ihre Erreichung überprüft werden. Vorzeigebeispiel für eine fortlaufende Dokumentation der Compliance-Ziele innerhalb eines bestehenden CMS ist die Siemens AG, die auf aktueller Basis derzeitige Umsetzungsziele innerhalb der Compliance-Arbeit im Unternehmen auf seiner Unternehmenswebseite darstellt:

Kapitel 17: Compliance – Best Practice | 397

Ziele

Zieltermin

Status

Compliance Risk Assessment (CRA)

09/2012

Ziel erreicht: Im Geschäftsjahr 2012 haben wir das CRA erstmals in allen Sektoren, regionalen Clustern und sektionsübergreifenden Aktivitäten durchgeführt.

fortlaufend

Ziel erreicht: Der Status der 31 Projekte, die in der ersten Förderrunde mit einem vertraglich vereinbarten Fördervolumen in Höhe von 37,7 Mio. US$ ausgestattet wurde der Weltbank im März 2012 vorgestellt. Basis der Präsentation war der erste Jahresbericht zur Siemens-Integritätsinitiative, der online öffentlich erhältlich ist.

Das im Geschäftsjahr 2011 entwickelte CRA unternehmensweit in allen Sektoren und regionalen Clustern sowie Cross-SectorBusinesses ausrollen Siemens Integrity Initiative Die Förderprojekte der ersten Förderrunde weiter implementieren und den Status an die Weltbank berichten

Neue Ziele Integritätsdialog

09/2013

Mit der Einführung des neu entwickelten Integritätsdialogs im Unternehmen beginnen und das Management in den Geschäftseinheiten in Ihrer neuen Rolle begleiten und unterstützen Siemens Integrity Initiative

09/2013

Das Konzept für die zweite Förderrunde entwickeln und das Bewerbungs- und Auswahlverfahren für die zweite Förderrunde eröffnen

Abb. 17.3: Beispielhafte Compliance-Ziele. Quelle: In Anlehnung an Siemens AG 2013.

2.3 Compliance-Risiken Auf Basis der Compliance-Ziele bedarf es einer genauen Bestimmung der Compliance-Risiken. Diese Analyse sollte in erster Linie auf Compliance-Verstößen der Vergangenheit beruhen, um diese in Zukunft zu verhindern. Diese geben bereits einen ersten Überblick über akute Risiken im Unternehmen. Weiter sollten die Geschäftsbereiche des Unternehmens auf Risiken untersucht werden. Beispielsweise werden große Infrastrukturprojekte zumeist von öffentlichen Stellen beauftragt, welche einer erhöhten Aufmerksamkeit im Bereich der Compliance aufgrund restriktiver

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Strafzumessung im Bereich der Korruption gegenüber Amtsträgern bedürfen. Wie bereits angesprochen, kann ein Verstoß in diesem Bereich zum Ausschluss von zukünftigen Vergabeverfahren führen, was mitunter für diesen Geschäftsbereich existenzbedrohend werden kann. Die Regionen der Geschäftstätigkeit bedürfen einer Untersuchung besonderer Risiken (siehe Corruption Perception Index im vorherigen Kapitel: TI 2012a), Rechtsvorschriften und besonderer Begebenheiten im Tätigkeitsumfeld. Besonders hervorzuheben ist die neue dreidimensionale Ausrichtung des CMS der ThyssenKrupp AG, die diesen Risiken jeweils gerecht wird:

Vorstand

Chief Compliance Officer

Business Areas (BA)

Regions

Compliance Executive

CT

ET

IS

MX

BA Compliance Officer

SE

AM

Corporate HQ

Spanien

Italien

Russland

Awareness & Prevention

China

Indien

Asien

Projects, Reorting, Processes

Amerika

MENA

Osteuropa

Investigations

Brasilien

Frankreich Türkei

Refional Compliance Officer

Regions

Compliance Officer

Operating (Sub) Unit / Konzernunternehmen (KU) Compliance Manager Grundsätzlich Finanzverantwortlicher des KU-Leistungsteams (derzeit KU CFO)

Abb. 17.4: Compliance-Organisation der ThyssenKrupp AG. Quelle: In Anlehnung an ThyssenKrupp 2014d.

Dieses CMS ist innerhalb seiner Organisationsstruktur mit jeweils separaten Verantwortlichkeiten hin auf die Geschäftsbereiche (Business Areas), Hauptregionen der Tätigkeiten sowie das Programm selbst konzipiert. Weitergehend wird hierauf unter Punkt „Compliance-Organisation“ weiter unten eingegangen. Grundsätzlich müssen die Risiken regelmäßig neu evaluiert und in das CMS aufgenommen werden. So ist beispielsweise die dreidimensionale Ausrichtung des CMS der ThyssenKrupp AG das Ergebnis der sich stetig ändernden und regional unterschiedlichen Compliance-Anforderungen, einer Verlagerung der Geschäftsaktivitäten

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von den USA und Europa in die bereits oben angesprochenen BRIC-Staaten sowie der Konzernumstrukturierung vom Stahlproduzenten hin zu einem diversifizierten Industriekonzern. Notwendig ist allerdings eine Wesentlichkeitsgrenze innerhalb des Risk Assessments. In ihrer Startorganisation sollte das CMS zunächst die größten Risiken effektiv abdecken, bevor in weiteren Schritten geringere Risiken abgedeckt werden. Im Rahmen einer Kosten-Nutzen-Analyse sollte man entscheiden, welcher Aufwand für die Vermeidung eines Risikos nötig ist und unter Abwägung des möglichen Risikos eine Entscheidung zur Aufnahme ins CMS treffen. Letztendlich dreht sich das Risiko Assessment also darum, Branchenrisiken, typische Fallverläufe, Muster für Kriminalität und Non-Compliance zu erkennen (Heißner/Benecke 2013, 2925).

2.4 Compliance-Programm Nachdem die Risiken innerhalb einer ersten Analyse adressiert wurden, muss auf Basis des generierten Datenbestandes nun ein wirksames Programm zur Vermeidung dieser geschaffen werden. In der internationalen Compliance-Praxis hat sich hierbei ein dreistufiges Programm durchgesetzt, welches aus den Punkten Prävention, Identifikation und Reaktion besteht. Innerhalb des ersten Programmpunktes, werden sämtliche Schritte unternommen, um den erkannten Risiken mit verschiedenen Mitteln vorzubeugen. Der zweite Punkt zielt auf eine wirksame Identifikation von Verstößen sowie neuer Risiken ab. Innerhalb des letzten Punktes werden dann Maßnahmen ergriffen, um die identifizierten Risiken und Verstöße bestmöglich zu beheben oder zu kompensieren. So stellt die Siemens AG sein Compliance-Programm wie folgt dar:

Vorbeugen

Erkennen

Reagieren

Verantwortung des Managements      

ComplianceRisikomanagement Richtlinien und Verfahren Training und Kommunikation Beratung und Unterstützung Integration in Personalprozesse Collective Action

    

Meldewege und   Ombudsmann Compliance Kontrollen  Monitoring und CompliancePrüfung Compliance-Audits ComplianceUntersuchungen

Abb. 17.5: Das Siemens-Compliance-System. Quelle: In Anlehnung an Siemens 2014b.

Ahndung von Fehlverhalten Nachbereitung von Fällen Globale Fallverfolgung

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Innerhalb des UKBA wird zusätzlich noch die Implementation einer Third-Party Due Diligence gefordert, die es ermöglicht sämtliche Dritte der Unternehmensumwelt auf mögliche Compliance-Risiken hin zu untersuchen. Neben den Grundsätzen des Programms müssen geeignete Maßnahmen entwickelt werden, die auf die Begrenzung von Compliance-Risiken ausgelegt sind. In diesem Bereich haben sich Richtlinien und Handbücher für alle Mitarbeiter sowie Schulungen (Präsenz/Online) für bestimmte Mitarbeiterkreise mit auf ihnen abgestimmte Inhalte etabliert. Weiterhin können Geschäftsabläufe so modifiziert werden, dass an kritischen Schritten ein Vier-Augen-Prinzip vorgeschrieben wird, um hierbei eine weitere Kontrollinstanz zu schaffen. Risikobehaftete Vorgänge können mit einer Pflicht zur weitergehenden Dokumentation des Entscheidungsträgers versehen werden. Vertriebsmitarbeitern kann schon in der Projektierungs-Phase ein EDV-Tool an die Hand gegeben werden, um etwaige Compliance-Risiken schon im Vorfeld zu erkennen und vermeiden.

2.5 Compliance-Organisation Die Compliance-Organisation regelt einerseits die Rollen und Verantwortlichkeiten sowie andererseits die Aufbau- und Ablauforganisation im CMS als integralen Bestandteil der Unternehmensorganisation und stellt die für ein wirksames CMS notwendigen Ressourcen zur Verfügung. Inzwischen wird Compliance als interdisziplinäre Aufgabe im Unternehmen verstanden und kann somit – je nach Risikoschwerpunkt – der Rechts- oder Finanzabteilung sowie der internen Revision organisatorisch zugeordnet sein, während ihre Unabhängigkeit dennoch gewahrt werden sollte (Eisolt 2010, 1846). Am ausführlichsten äußert sich der FCPA zu diesem Punkt. Wie dargestellt, bedarf es innerhalb des Unternehmens einer autonomen Stelle, die die nötige Einsicht in sämtliche Geschäftsvorfälle, ausreichende Autorität sowie die nötigen Ressourcen zur Verfügung hat. Dementsprechend besitzt jedes der von PwC befragten Unternehmen mindestens einen Beschäftigten, der sich in Vollzeit um Compliance im Unternehmen kümmert sowie durchschnittlich 1,4 Beschäftigte in Teilzeit. International beträgt diese Zahl mindestens 1,3 Beschäftigte in Vollzeit und 2,3 in Teilzeit. Bei Unternehmen über 10.000 Mitarbeitern sind es sogar 8,6 in Vollzeit und 3,6 in Teilzeit bei deutschen Unternehmen beziehungsweise 25 und 21,2 bei internationalen Unternehmen (PwC 2013, 29). So kommen auf einen Vollzeit beziehungsweise zwei Teilzeit-ComplianceOfficer in Deutschland etwa 2400 Mitarbeiter im Unternehmen beziehungsweise 2200 Mitarbeiter bei international operierenden Unternehmen. So besitzt die ThyssenKrupp AG beispielsweise derzeit circa 60 hauptamtliche Compliance Officer sowie 350 Compliance Manager, die neben ihren Hauptaufgaben für die operative Umsetzung des Compliance-Programms innerhalb ihres Verantwortungsbereichs sorgen und liegt damit mit einem Koeffizienten von 1 zu 2500 im unte-

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ren Mittelfeld (ThyssenKrupp 2013a). Diese Compliance Officer sind in den drei Bereichen des CMS Business Areas, Regions und Corporate zugeteilt und verantworten innerhalb dieser Bereiche eigene Ressorts. Besonders hervorzuheben ist der neben dem Bereich Corporate, der sämtliche Programmelemente und dementsprechend deren regelmäßige Weiterentwicklung beinhaltet, der neu geschaffene Bereich der Regions. In diesem Bereich wird für jede Region, in der die ThyssenKrupp AG tätig ist, spezielle Compliance Regeln aufgrund lokaler Gegebenheiten und Risiken erstellt und findet Anwendung auf die dortigen Geschäftstätigkeiten des Konzerns. In Bezug auf die anfangs dargestellten Haftungsmöglichkeiten eines Compliance Officers, sollten Stellen- und Tätigkeitsbeschreibungen möglichst detailliert abgefasst werden, um diesem klare Aufgaben im CMS zuzuweisen und ihm weiterhin auch Rechtssicherheit in Bezug auf den von ihm zu verantwortenden Bereich zu geben. Die organisatorische Ansiedlung der Compliance-Abteilung ist der jeweils individuellen Unternehmens-/Konzernorganisation anzupassen. Fett/Theusinger geben hierzu weitere Anhaltspunkte für die Eingliederung in bestehende Gruppenstrukturen (Fett/Theusinger 2010, 11 ff).

2.6 Compliance-Kommunikation Zur Sicherstellung einer geeigneten Compliance-Kommunikation bedarf es mehrerer Elemente. So muss einerseits das CMS innerhalb des Unternehmens ausreichend kommuniziert werden. Hierunter fällt beispielsweise eine regelmäßige Information des Vorstands über aktuelle Compliance-Maßnahmen und Schulungen von Mitarbeitern zu ausgewählten Compliance-Themen. Das Ziel soll eine Wechselbeziehung zwischen den betroffenen Personen und dem Unternehmen sein, um einerseits diesen Personen eine Eigenverantwortung bei der Durchführung von Compliance zu übertragen und ihnen von Seiten des Unternehmens die dazu erforderlichen technischen und medialen Möglichkeiten an die Hand zu geben (Steßl 2012, VI). Weiter muss ein Berichtswesen ausgearbeitet werden, um den Vorstand im Rahmen seiner Überwachungspflicht zeitnah über relevante Themen zu informieren.Extern sollten Ansprechpartner für Kunden, Partner oder andere Dritte genannt werden, an die sich diese in Bezug zu Compliance-Themen, wie beispielsweise ein Anfangsverdacht oder einen akuten Verstoß, wenden können. Den Mitarbeitern sollte zusätzlich eine Möglichkeit zur Anzeige von ComplianceVerstößen gegeben werden. Hierbei haben sich mittlerweile ein Whistleblower System und/oder ein Ombudsmann etabliert. Der FCPA fordert als einziger Kodex allerdings auch die Möglichkeit diese Systeme externen Quellen zugänglich zu machen: „mechanism for an organisation’s employees and others to report …“ (FCPA-Guide, 61) Die ThyssenKrupp AG bietet seinen Mitarbeitern aber auch externen Dritten auf seiner Unternehmenswebseite beide Kommunikations-Möglichkeiten an und erläutert diese wie folgt:

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Über das ThyssenKrupp Whistleblowing System können mögliche Gesetzes- oder Richtlinienverstöße aus den Bereichen Kartellrecht und Korruption, die Unternehmen des ThyssenKrupp Konzerns betreffen gemeldet werden – auf Wunsch auch anonym. Die Möglichkeit Hinweise abzugeben steht allen ThyssenKrupp Mitarbeitern aber auch Dritten, wie Kunden, Lieferanten, etc. zur Verfügung. (ThyssenKrupp 2014a)

Die Daimler AG geht hier noch weiter und stellt für 42 Länder 24-Stunden-Hotlines zur Verfügung, unter denen, in der jeweiligen Landessprache, Compliance-Verstöße gemeldet werden können (Daimler 2014). Der Ombudsmann steht Mitarbeitern, die sich wegen möglicher Compliance Verstöße gegen Korruptionsvorschriften oder das Wettbewerbsrecht an das Unternehmen wenden möchten, als weiterer Ansprechpartner neben dem Whistleblower System zur Verfügung. (ThyssenKrupp 2014b).

In der Diskussion steht derzeit, ob es sinnvoll ist, Belohnungen für Hinweisgeber auszuschreiben. Während die SEC durch den Dodd-Frank Act eine Belohnung in Höhe von 10 bis 30 % der verhängten Strafen über 1 Mio. US-Dollar für Whistleblower bei sachdienlichen Hinweisen zu Verstößen unter anderem gegen den FCPA gewährt, wird dieses Thema in Deutschland eher ambivalent betrachtet. Hierzulande wird das interne Hinweisgeben von fast allen Unternehmen als Loyalitätspflicht des Arbeitnehmers angegeben und Belohnungen eher als Förderung zum Denunziantentum angesehen. Letztendlich obliegt es der Unternehmensleitung selbst, ob und welche Anreize sie für Hinweisgeber schafft. Möglich ist unter anderem auch Amnestieprogramm für Hinweise von Beteiligten, wie es unlängst von der ThyssenKrupp AG aufgelegt wurde (ThyssenKrupp 2013b). Die Compliance-Kommunikation kann nur erfolgreich implementiert werden, wenn alle Mitarbeiter über die an sie gestellten Forderungen informiert sind und auch die Notwendigkeit dieser Vorgaben verstehen. So sollte beispielsweise innerhalb der internen und externen Kommunikation von Compliance-Maßnahmen seitens der Unternehmensleitung auch der Hintergrund und das Ziel der jeweiligen Maßnahme erläutert werden (Steßl 2012, VII).

2.7 Compliance-Überwachung/Verbesserung Mit Implementierung eines CMS darf dieses Vorhaben allerdings nicht als erledigt betrachtet werden. Das Unternehmen, die Geschäftsfelder und zugehörigen Absatzmärkte sowie der Rechtsrahmen solcher ändern sich stetig. Dementsprechend müssen solche Veränderungen kontinuierlich beachtet und gegebenenfalls in das CMS mit aufgenommen werden. Auch müssen neue Mitarbeiter umfassend über das CMS informiert und geschult werden. Mitarbeiter mit neuen Funktionen im Unternehmen müssen über spezielle Compliance-Anforderungen im neuen Tätigkeitsbereich unterrichtet werden.

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Innerhalb dieser Überprüfungsmaßnahmen wurde bereits durch die deutsche Rechtsprechung eine regelmäßige, stichprobenartige Überprüfung der Mitarbeiter gefordert (BayObLG, wistra 2001, 478 f.). Auch fordern UKBA und FCPA eine regelmäßige Evaluierung der Compliance-Maßnahmen durch Mitarbeiterbefragungen (UKBA Guidance, 31; FCPA-Guide, 61 f). Der FCPA sieht zudem noch eine regelmäßige Abfrage der Kenntnisse der Mitarbeiter über das CMS vor (FCPA-Guide, 61 f). Dementsprechend sollte neben einer Überprüfung des CMS an sich auch ein ComplianceAudit innerhalb der Belegschaft sowie eine regelmäßige Evaluierung der Kenntnisse über das Compliance-Programm (bspw. über regelmäßige e-learning-Module) eingeführt werden. Die Henkel AG & CO KGaA schult beispielsweise seine circa 9000 Führungskräfte weltweit zwei Mal im Jahr in den Bereichen Antikorruption und Kartellrecht, so dass diese wiederum ihr Wissen einerseits in das Tagesgeschäft einfließen lassen aber es auch an ihre Mitarbeiter weitergeben können. Seitens Henkel wird auf eine jährliche Teilnahmequote nahe der 100 % geachtet (Henkel 2014). Essentiell für eine Gewährleistung der regelmäßigen Überprüfung des CMS ist ein Überwachungsplan mit festgelegten Zuständigkeiten einzelner Mitarbeiter oder vorzugsweise externer Experten.

2.8 Compliance-Maßnahmen Keine Beachtung finden allerdings geeignete Maßnahmen bei Verstößen gegen Compliance durch Mitarbeiter im IDW PS 980. So ist es jedem Unternehmen selbst überlassen, wie es intern mit Verstößen vorgeht. Während sich viele Unternehmen zu einer Zero-Tolerance-Haltung verpflichtet haben und diese auch leben, so ist dies nicht erforderlich, um einen positiven Prüfungsvermerk nach IDW PS 980 zu bekommen. Hier besteht in jedem Falle noch Handlungsbedarf seitens des IDW. Bei der ThyssenKrupp AG führte Zero-Tolerance mitunter soweit, dass das ehemalige, unter anderem auch für den Bereichen Compliance verantwortliche, Vorstandsmitglied Jürgen Classen zum Ende des Jahres 2012 aufgrund der zahlreichen Korruptions- und Kartellfälle im Unternehmen, aber auch wegen persönlicher Verfehlungen im Bereich der Compliance, zu entlassen: „Neben dem Thema Steel Americas sieht sich ThyssenKrupp derzeit außerdem mit der Aufdeckung einer Reihe von Korruptions- und Kartellfällen konfrontiert. Auch in diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach der bisherigen Führungskultur im Konzern“ (ThyssenKrupp 2012). Ein Bekenntnis zur Compliance seitens des Vorstandes sollte also, wie bereits unter „Compliance-Kultur“ erwähnt, nicht nur ein Lippenbekenntnis sein, sondern auch aktiv umgesetzt werden.

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3 Abschließende Betrachtung Soweit die genannten Punkte vollumfänglich im Unternehmen umgesetzt wurden, so sollten diese einerseits den Anforderungen an eine Zertifizierung nach dem IDW PS 980 genügen, andererseits aber auch ausreichend vor Verfehlungen nach dem UKBA und dem FCPA schützen und Möglichkeiten einer Haftungsminderung oder gar Exkulpation bieten. Diese Möglichkeiten bestehen derzeit nach dem deutschen Recht aufgrund einer erfolgreichen Zertifizierung nach dem IDW PS 980 nicht. Es bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber sich der Rechtsprechungspraxis nach UKBA und FCPA anpasst und ebenfalls diese Möglichkeiten vorsieht. An entsprechender Rechtsprechung fehlt es zumindest derzeit noch. Möglich und wünschenswert wäre, vor allem im deutschen Recht, auch eine festgeschriebene Kronzeugenregelung für Unternehmen ähnlich der im Kartellrecht. So sehen sich diese doch derzeit damit konfrontiert, bei Aufdeckung eines internen Verstoßes und Offenlegung an die zuständige Behörde, für ihre Aufklärungsarbeit dennoch mit einer Geldbuße belegt zu werden. Erst eine solche Regelung würde ausreichend Anreiz durch Rechtssicherheit schaffen, ein CMS im Unternehmen einzuführen und mit allen nötigen Mitteln auszustatten (Moosmayer 2013, 218). Nichtsdestotrotz ist festzustellen: Ein wirksames CMS im Unternehmen lohnt sich. Peter Solmssen, Vorstandsmitglied der Siemens AG von 2007 bis 2013, erläutert hierzu in einem Interview nach Einigung mit den Justizbehörden der Vereinigten Staaten im Rahmen des Korruptionsskandals der Siemens AG die vergleichsweise niedrige Strafe, die unter anderem auf das effektive CMS von Siemens zurückzuführen ist: Die amerikanischen Justizbehörden haben im Fall Siemens erstmals in ihrer Geschichte ein Bußgeld beantragt, das niedriger war, als es die Vorschriften vorsehen. Sie hätten deutlich mehr fordern können. Die Ermittler haben honoriert, dass wir uneingeschränkt mit den Behörden kooperiert haben, rückhaltlos aufgeklärt und stark in die Verbesserung der internen Kontrollen investiert haben: in neue IT-Systeme, das Kontrollwesen der Rechtsabteilung und eine schlagkräftige Compliance-Abteilung mit rund 600 Mitarbeitern. (SZ 2010).

Literaturangaben Eisolt, D. (2010): Prüfung von Compliance-Management-Systemen: erste Überlegungen zu IDW EPS 980, in BB 2010, 1843. Ernst & Young (2011): Der IDW PS 980, in: http://www.ey.com/Publication/vwLUAssets/EY_Flyer_ zu_IDW_PS_980/$FILE/EY%20Flyer_IDW%20PS%20980.pdf, (Zugriff: 25.11.2014). Fett, T./Theusinger, I. (2010): Compliance im Konzern – Rechtliche Grundlagen und praktische Umsetzung, in BB 2010, 6.

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Gelhausen, H./Wermelt, A. (2010): Haftungsrechtliche Bedeutung des IDW EPS 980: Grundsätze ordnungsmäßiger Prüfung von Compliance-Management-Systemen, in CCZ 2010, 208. Görtz, B./Roßkopf, M. (2010): Zur Signalwirkung von zertifizierten Compliance-ManagementSystemen, in CCZ 2010, 103. Heißner, S./Benecke, F. (2013): Compliance-Praxis im Wandel: von der reinen Kontrolle zum Integrity Management, in BB 2013, 2923. Henkel AG & CO KGaA (2014): Unsere Compliance-Organisation, in: http://nachhaltigkeitsbericht.henkel.de/management/compliance.html, (Zugriff: 25.11.2014). Moosmayer, K. (2011): Compliance, 2. Aufl., München: C.H. Beck. Moosmayer, K. (2013): Kronzeugenregelung für Unternehmen als Compliance-Anreizsystem, in: CCZ 2013, 218. Rieder, M./Jerg, M. (2010): Anforderungen an die Überprüfung von Compliance-Programmen. Zugleich kritische Anmerkungen zum Entwurf eines IDW Prüfungsstandards: Grundsätze ordnungsmäßiger Prüfung von Compliance-Management-Systemen (IDW EPS 980), in CCZ 2010, 201. Schemmel, A./Minkoff, A. (2012): Die Bedeutung des Wirtschaftsstrafrechts für Compliance Management Systeme und Prüfungen nach dem IDW PS 980, in CCZ 2012, 49. Siemens AG (2014a): Compliance-Ziele der Siemens AG, in: http://www.siemens.com/ sustainability/de/themenfelder/compliance/ziele/index.htm, (Zugriff: 25.11.2014). Siemens AG (2014b): Das Siemens Compliance System, in: http://www.siemens.com/ sustainability/pool/de/themenfelder/compliance/uebersicht/compliance_system_de.pdf, (Zugriff: 25.11.2014). Steßl, A. (2012): Im Blickpunkt: Erfolgreiche Compliance-Kommunikation, in BB 2012, VI. Süddeutsche Zeitung (2010): „Wir haben fast unser eigenes FBI” – Interview mit Peter Solmssen, Siemens AG, in: http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/siemens-vorstand-solmssen-wirhaben-fast-unser-eigenes-fbi-1.475448, (Zugirff: 25.11.2014). ThyssenKrupp AG (2012): Vorstand der ThyssenKrupp AG vor personeller Neuordnung, in: http://www.thyssenkrupp.com/de/presse/art_detail.html&eid= TKBase_1354727597140_1352322856, (Zugriff: 25.11.2014). ThyssenKrupp AG (2013a): Compliance bei ThyssenKrupp – Finales Bußgeld gegen ThyssenKrupp im Schienenkartell, in: http://www.thyssenkrupp.com/de/presse/art_detail.html&eid= TKBase_1374570463150_2045373704, (Zugriff: 25.11.2014). ThyssenKrupp AG (2013b): ThyssenKrupp intensiviert Compliance Aktivitäten, in: http://www.thyssenkrupp.com/de/presse/art_detail. html&eid=TKBase_1366096249160_28920187, (Zugriff: 25.11.2014). ThyssenKrupp AG (2014a): Das ThyssenKrupp Whistleblower System, in: http://www.thyssenkrupp.com/de/konzern/whistleblower_system.html, (Zugriff: 25.11.2014). ThyssenKrupp AG (2014b): Der ThyssenKrupp Ombudsmann, in: http://www.thyssenkrupp.com/ de/konzern/ombudsmann.html, (Zugriff: 25.11.2014). ThyssenKrupp AG (2014c): ThyssenKrupp Compliance Commitment, in: http://www.thyssenkrupp.com/de/konzern/commitment.html, (Zugriff: 25.11.2014). ThyssenKrupp AG (2014d): Compliance-Organisation der ThyssenKrupp AG, in: http://www.thyssenkrupp.com/de/konzern/compliance_organisation.html, (Zugriff: 25.11.2014). Transparency International (2012a): Corruption Perception Index 2012, in: http://cpi.transparency.org/cpi2012/results/, (Zugriff: 25.11.2014). UK Ministry of Justice (o. J.): The Bribery Act 2010 Guidance, in: http://www.justice.gov.uk/ downloads/legislation/bribery-act-2010-gui dance.pdf, (Zugriff: 25.11.2014).

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US Department of Justice/US Securities and Exchange Commission (o. J.): A Resource Guide to the U.S. Foreign Corrupt Practices Act, in: http://www.justice.gov/criminal/fraud/fcpa/guide.pdf, (Zugriff: 25.11.2014). von Busekist, K./Hein, O. (2012): Der IDW PS 980 und die allgemeinen rechtlichen Mindestanforderungen an ein wirksames Compliance Management System (1) – Grundlagen, Kultur und Ziele, in CCZ 2012, 41. von Busekist, K./Schlitt, C. (2012): Der IDW PS 980 und die allgemeinen rechtlichen Mindestanforderungen an ein wirksames Compliance Management System (2) – Risikoermittlungspflicht, in CCZ 2012, 86. Willems, H./Schreiner, M. (2010): Anmerkungen zum Entwurf eines IDW Prüfungsstandards/EPS 980 aus Sicht der deutschen Industrie, in CCZ 2010, 214.

Sabrina Schell

Kapitel 18: Wer soll es werden? Die Auswahl von geeigneten Nachfolgern in Familienunternehmen

1 Einleitung Familienunternehmen. Schon das Wort hört sich für manche Ohren staubig an. Die eigene Familie erscheint vor dem inneren Auge, und die hat man sich nun einmal nicht selbst ausgesucht. Und wenn man die kurzen Gedankensprünge ans letzte peinliche Familienfest erfolgreich verdrängt hat, wird das Wort auch nicht besser. Und dann diese Nachfolger in Familienunternehmen: „Mein Vater ist Unternehmer.“ Die Kinder, bei denen bei Geburt bereits klar war: Papa hat BWL in Mannheim studiert, somit wird das Kind BWL in Mannheim studieren. Oder nein noch schlimmer: Da wir jetzt auch noch ein erfolgreiches Unternehmen führen, wird der Sprössling schön in Watte gepackt und auf eine Privatuniversität geschickt. Das andere Extrem, welches sich im Kopf verankert hat, sind die Nachfolger aus kleinen traditionellen Handwerksbetrieben, die schon mit dem Wissen auf die Welt kamen, dass sie auf dem Dorf bleiben und den väterlichen Betrieb übernehmen werden. Die Statistik zeigt, dass Familienunternehmen 80–98 % der weltweiten Unternehmen ausmachen und zwischen 50 und 75 % der Beschäftigten bei ihnen angestellt sind (Poza/Daughtery 2014). Die ökonomische Bedeutung ist damit nicht zu unterschätzen, denn erfolgreiche Familienunternehmen prägen die Unternehmenslandschaft entscheidend. Die Unternehmensnachfolge stellt jedoch eine Herausforderung für Familienunternehmen dar. Familienunternehmen, die es erfolgreich in die dritte Generation geschafft haben, sind nur selten auszumachen (Ward 1987; Aronoff 2001). Eine Vielzahl an wissenschaftlichen Beiträgen versuchen seit Dekaden herauszufinden, welche elementaren Faktoren eben diese Situation hervorrufen. Eine mögliche Lösung könnte in der Frage liegen, ob die Nachfolger überhaupt noch nachfolgen wollen. Verleiten die unzähligen Möglichkeiten der jüngeren Generation diese dazu, die Freiheit zu genießen und schränkt die zu übernehmende Verantwortung für das elterliche Unternehmen sie in eben dieser Freiheit ein? Oder liegt es etwa doch an den Übergebern, die nicht loslassen wollen? Die aufgrund steigender Lebensdauer in Frage stellen, dass schon mit Mitte 60 der Zeitpunkt gekommen ist, das Unternehmen zu verlassen und einer jungen Generation das Unternehmen zu übergeben. || Dip. jur. oec. Sabrina Schell, B. A. Lehrstuhl für Familienunternehmen und Unternehmensnachfolge Universität Siegen

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Der Nachfolgeproblematik in Familienunternehmen, vor allem unter dem Gesichtspunkt der Auswahl des Unternehmensnachfolgers, wird in diesem Beitrag Rechnung getragen. Dabei sollen nicht nur ressourcenbasierte Ansätze Beachtung finden, die in kleinen und mittleren Familienunternehmen eine Rolle spielen, sondern auch das Spannungsfeld von Familienzielen und Unternehmenszielen im Auswahlprozess berücksichtigt werden. Als zentraler Einflussfaktor wird der Auswahlprozess mit seinen Selektionskriterien in den Mittelpunkt gestellt.

1.1 Familienunternehmen, keines ist wie das andere So individuell Familien sind, so individuell sind Familienunternehmen. Wenn man bedenkt, dass Familienunternehmen, nach einer Studie des IfM Bonn aus dem Jahr 2010, 95,3 % der Unternehmen in Deutschland ausmachen, dann unterstreicht dies, neben der Tatsache, dass einige bekannte und bedeutende Unternehmen in Deutschland Familienunternehmen sind, wie z. B. Miele, Dr. Oetker oder BMW und Aldi, die Bedeutung und die Varianz eben dieser. Es gibt unterschiedliche Versuche Familienunternehmen zu definieren und damit vergleichbar zu machen. Hier wird vor allem mit Gesellschaftsanteilen beziehungsweise dem Eigentum an sich operiert, aber auch mit dem strategischen Einfluss, der über das Management ausgeübt werden kann. Eine zentrale Komponente kann aber nie weggedacht werden: die Familie. So gibt es zahlreiche Studien, die Familienunternehmen ausschließlich damit messbar machen, dass die Befragten das Unternehmen selbst als Familienunternehmen einstufen. In dem Fall gibt es Personen, die zur ursprünglichen Gründerfamilie gehören, die einen elementaren Einfluss auf das Unternehmen haben. Dieser Einfluss und die Auswirkungen werden über die von Astrachan und Kollegen (2002) entwickelte F-PEC-Skala gemessen. Diese bildet mit dem Subskalen Power (Machtverhältnisse abgebildet über Eigentum, Management und Governance), Experience (Generation, Generationen, die aktiv im Management sind, Generationen, die aktiv im Bereich Governance sind und die Anzahl der anteilnehmenden Familienmitglieder) und Culture (Überlappung von Familienzielen und Unternehmenszielen, Commitment/Beziehung zum Familienunternehmen) Familienunternehmen in ihren Facetten ab (Astrachan et al. 2002: 52). Vorteilhaft an dieser Skala ist, dass sie die Heterogenität von Familienunternehmen berücksichtigt. Sie zeigt zudem auf, dass auch bei externen Beteiligten im Management oder bei Anteilen, die nicht in Familienhand liegen, das Unternehmen durch einen dominierenden Familieneinfluss im Bereich Unternehmenskultur als Familienunternehmen eingestuft werden kann. Bestimmt die Familie das Unternehmen in einem Bereich, dann wird sie immer einen zentralen Einfluss auf den Unternehmensnachfolgeprozess nehmen und je nach individueller Ausgestaltung der Unternehmenssituation unterschiedliche Ziele mit den Nachfolgeprozess verbinden (De Massis et al. 2008; Steier/Miller 2010).

Kapitel 18: Wer soll es werden? | 409

1.2 Die Unternehmensnachfolge als Prozess

VI: Nachbereitung der Nachfolge

V: Umsetzung der Nachfolge

IV: Einarbeitung eines Nachfolgers

III: Suche eines Nachfolgers

II: Vorbereitung

I: Vorgeschichte

Die Unternehmensübergabe ist kein exakter Zeitpunkt im Lebenszyklus eines Unternehmens. Vielmehr ist sie ein teilweise iterativer Prozess, der zahlreiche Faktoren zu berücksichtigen hat. In Familienunternehmen, in denen bis heute die interne Unternehmensnachfolge bevorzugt wird, müssen Führung und Eigentum an eine oder mehrere Personen übertragen werden (Morris et al. 1997; Lin et al. 2007). Neben dem allgemeinen Tagesgeschäft bedarf es somit einer strukturierten Planung, dem Einbezug von externen Beratern (Steuerberater, Anwalt, Notar etc.), sowie der schrittweisen Umsetzung der unterschiedlichen Prozessschritte. Das nachfolgende Modell bietet einen guten Überblick über die einzelnen Prozessschritte. An dieser Stelle kann schon unterstrichen werden, dass zahlreiche Schritte durchlaufen werden, die teilweise chronologisch, teilweise aber auch wiederkehrend abgearbeitet werden müssen. Zentrales Element ist der Auswahl- und Integrationsprozess des Nachfolgers.

Unternehmensnachfolge i.e.S. Unternehmensnachfolge i.w.S.

Abb. 18.1: Der Prozess der Unternehmensnachfolge. Quelle: In Anlehnung an Halter/Schröder (2012).

Der Prozess der Unternehmensnachfolge findet im Spannungsfeld zwischen Familie, Unternehmen und Eigentum statt. Die Möglichkeit Führung und Eigentum losgelöst voneinander zu betrachten und damit potentiellen Kandidaten Führungsverantwortung, jedoch keine Anteile, beziehungsweise „ungeeigneten“ Kandidaten, aus einem Gerechtigkeitsgedanken heraus Eigentum zu übergeben, jedoch keine Führungsverantwortung zu übertragen, verstärkt das Spannungsfeld und beeinflusst damit den gesamten Prozess. Le Breton Miller und Kollegen haben 2004 ein integratives Erfolgsfaktorenmodell für Unternehmensnachfolgen entwickelt. Hierbei fokussieren sie unter anderem auf die Frage, wann ein Nachfolgeprozess erfolgreich ist. Ein nachhaltiges Bestehen am Markt nach der Unternehmensnachfolge wird als Erfolgsindikator angeboten. Zudem wird unterstrichen, dass eine Nachfolge, dann erfolgreich ist, wenn die Stakeholder, in diesem Fall die Unternehmerfamilie, diese als erfolgreich ansehen.

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Daraus resultiert, dass sich zu Beginn des Nachfolgeprozesses Unternehmerfamilien die Fragen stellen müssen: Was wollen wir eigentlich? Wann ist für unsere Familie die Unternehmensnachfolge erfolgreich? Nachdem diese Fragen im Familienkreis geklärt und das Ziel des Prozesses definiert ist, schließt sich eine strukturierte Planung an. Auch hier folgt dieser Beitrag dem Erfolgsfaktorenmodell von Le Breton Miller et al. (2004) und gliedert den Prozess in folgende Schritte auf. 1. Grundlegende Regeln für den Prozess, sowie die ersten einleitenden Schritte. 2. Identifikation und die Aus- und Weiterentwicklung des oder der Nachfolger. 3. Die finale Auswahl. 4. Die Eingliederung des Nachfolgers in das Unternehmen (Management) und der Eigentumsübertrag. Die Auswahl und Ausbildung des geeigneten Nachfolgers spielt in den ersten drei Prozessschritten eine entscheidende Rolle und dominiert damit den Prozess. Im ersten Schritt ist die Festlegung objektiver Auswahlkriterien empfehlenswert. In diesem Kontext kann die Frage gestellt und offen beantwortet werden, ob eine externe Nachfolgelösung überhaupt denkbar ist, um danach den Kandidatenpool zu umreißen und Klarheit darüber zu gewinnen, welche Personen in Frage kommen. Governance Richtlinien, Zeitpläne sowohl für die Managementübergabe, als auch für die Eigentumsübergabe sind an dieser Stelle ebenso elementar, wie die frühe und kontinuierliche Kommunikation mit allen Beteiligten und je nach Größe des Unternehmens mit externen Experten, deren Beratungsleistung den Prozess positiv beeinflussen können (Reay et al. 2013; Salvato/Corbetta 2013). Im zweiten Schritt wird der Pool der Kandidaten festgelegt. Ziel ist es, die Lücken zwischen den Fähigkeiten und Fertigkeiten, die ein Nachfolger hat und die das Familienunternehmen erfordert, zu füllen. Dies kann durch Trainingsprogramme, eine schrittweise Weiterentwicklung im Unternehmen, das Durchlaufen unterschiedlicher Stationen oder durch Bedingungen, die im Rahmen von formaler Ausbildung erfüllt werden können, erfolgen. Dabei wird auf die Auswahlkriterien des ersten Prozessschrittes zurückgegriffen, jedoch ausgerichtet darauf, dass in Familienunternehmen sehr unterschiedliche Anforderungen an die Führung des Unternehmens gestellt werden. Vor allem das Handling von Unternehmens- und Familienzielen stellt eine spezielle und individuelle Herausforderung dar, für die eine strukturierte auf das Familienunternehmen bezogene Ausbildung notwendig ist. Erst im dritten Schritt erfolgt die konkrete und finale Auswahl des Nachfolgers. Die Auswahlkriterien, die im ersten Schritt festgelegt wurden, können nochmals überprüft und der geeignetste Nachfolger kann ausgewählt werden. An dieser Stelle ist es wichtig, dass ein Legitimierungsprozess geplant und umgesetzt wird. Dieser ermöglicht eine schnellere Akzeptanz, einen größeren Handlungsspielraum für die Nachfolger im Unternehmen und damit die Zuschreibung von Kompetenzen, die strategische Weiterentwicklungen des Unternehmens zulassen. Im vierten Schritt tritt der Übergeber aus dem Unternehmen aus, der Nachfolger tritt final ein und eine Übertragung von Eigentum, die eine Führung ermöglicht, erfolgt.

Kapitel 18: Wer soll es werden? | 411

Alle oben aufgeführten Prozessschritte zu durchlaufen, erfordert einen Zeitraum von mehreren Jahren. Die Ausbildung des Unternehmensnachfolgers bedarf je nach Unternehmen eine akademische Ausbildung, die vor allem dann, wenn die Familie zu Beginn entschieden hat, dass sie eine interne Nachfolge anstrebt, mit in den Prozess einbezogen wird. Die schrittweise Entwicklung im Unternehmen, die eine Zusammenarbeit zwischen Übergeber und Übernehmer beinhaltet, kann Jahre andauern. Eine klare Abgrenzung zwischen den Prozessschritten ist nicht immer möglich. Zusammenfassend kann deshalb an dieser Stelle konstatiert werden, dass eine Unternehmensnachfolge ein Prozess ist, dessen Planungs- und Umsetzungsaufwand nicht zu unterschätzen ist. Die Ziele der Unternehmerfamilie bestimmen das Ziel des Nachfolgeprozesses. Die Auswahl, Ausbildung und Integration des Unternehmensnachfolgers sind Kernelement des Prozesses und damit wichtige Erfolgsfaktoren.

1.3 Die Optionen der Unternehmensnachfolge – Extern vs. Intern Nur wenn Familienunternehmen das Bewusstsein dafür entwickelt haben, dass sie eine Wahl haben, können sie einen Prozess gestalten, der einen Kandidatenpool überhaupt zu lässt. Um eine Entscheidung treffen zu können, müssen die Optionen der Nachfolge bekannt sein. Die organisatorischen Optionen wirken sich auf die Ausgestaltung des Kandidatenpools aus, so dass im ersten Schritt die Frage, welche Nachfolgeoptionen Familienunternehmen überhaupt zur Verfügung stehen, geklärt werden sollte. Nachfolgendes Schaubild zeigt die Optionen der Nachfolge.

Eigentum

intern

intern

extern

Familiennachfolge

Verkauf

Leitung

Stiftung

extern

Fremdmanagement

Abb. 18.2: Optionen der Eigentums- und Führungsnachfolge. Quelle: In Anlehnung an Felden/Pfannenschwarz 2009, 27.

Verkauf mit Fortführung

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Wie oben aufgeführt wird grundsätzlich zwischen Leitungs- und Eigentumsnachfolge unterschieden. Somit können sich Übergeber generell die Frage stellen, ob im ersten Schritt eine Leitungsübergabe nicht eine Chance darstellt, externe Kandidaten in den Pool für eine vollständige Übernahme mit aufzunehmen und die Zeit der Leitungsübernahme als zusätzliche Zeit der Überprüfung des richtigen „Fit“ zum Familienunternehmen zu nutzen. Bleibt das Eigentum in der Familie spricht man vom klassischen Fremdmanagement. Hierbei kann es sich auch um ein Interimsmanagement handeln, wenn zum Beispiel von vornherein klar ist, dass dieses auf Zeit gestaltet ist, da andere Kandidaten, die in jedem Fall in den Kandidatenpool aufgenommen werden sollen, noch nicht so weit sind (Hiepler/Moog 2014). Bei der familieninternen Nachfolge haben Übergeber unterschiedliche Möglichkeiten. Neben der Übergabe an einen einzigen Nachfolger sind Teamnachfolgen denkbar. Diese bieten sich bei großen Unternehmen an, in denen gegebenenfalls unterschiedliche Aufgaben- und Kompetenzbereiche ausgestaltet werden können. Es bietet sich zudem an, wenn in Familien mehrere Kandidaten geeignet und gewillt sind, die Verantwortung im Unternehmen zu übernehmen und dieses weiter zuführen. Sollen sowohl Leitung als auch Eigentum extern übergeben werden, dominiert der Verkauf. Inwieweit hier ein Ewigkeitsgedanke des Unternehmens und vor allem der bestehenden Unternehmensvision erhalten bleiben kann, ist fraglich. Daraus resultiert, dass der Prozess dieser Nachfolgeoption häufig am kürzesten ist (Halter/Kammerlander 2014). Je nachdem wie wichtig dem Übergeber/Verkäufer eine Fortführung in seinem Sinne ist, sollte ein strukturierter Auswahlprozess erfolgen. Eine weitere Variante ist der Verkauf mit Fortführung der Leitung durch Familienmitglieder. Diese Option wird eher selten gewählt, soll aber der Vollständigkeit halber an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben. Eine Sonderform der Unternehmensübergabe ist die Stiftungslösung. Diese wird im Bereich Familienunternehmen immer beliebter und ermöglicht den Erhalt des Unternehmens inklusive seiner Werte durch die Festlegung eines Stiftungszwecks (Moog/Schell 2014).

2 Die Auswahl des richtigen Nachfolgers In Zeiten von Fachkräftemangel und „War for Talents“, den „richtigen“ Nachfolger zu finden ist eine Herausforderung. Die gut ausgebildete Generation strömt auf den Arbeitsmarkt und Unternehmen kämpfen um jeden qualifizierten Mitarbeiter. Aus einem Elternhaus zu kommen, in dem Unternehmertum gelebt wird, ist auch für andere Unternehmen ein Signal für einen Mitarbeiter mit dem Bewusstsein für Verantwortung und Leistung. Damit sind potenzielle Nachfolger umworben, kennen ihren Marktwert und ihre Möglichkeiten. Zudem kann man einen gesellschaftlichen Wandel beobachten, der beinhaltet, dass sich die Familie als Konstrukt und Beziehungsgeflecht verändert. Daraus kann resultieren, dass das Gefühl der Verpflichtung, das Unternehmen zu

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übernehmen nicht mehr so stark ausgeprägt ist und Unternehmensübergeber in ihrer Rolle als Elternteil und Übergeber verstärkt darauf achten, den Druck auf die nachfolgende Generation nicht zu stark auszuüben. „Wer will was von wem?“ ist eine zentrale Frage im von der Nachfolge betroffenen Familienunternehmen, die es zu beantworten gilt um Rollen, Maßnahmen und Ziele zu definieren.

2.1 Die Rollen im Auswahlprozess Zur Beantwortung der Frage, wer was von wem möchte, sollten im ersten Schritt die Akteure, ihre Verantwortlichkeiten und Rollen definiert werden. Im Fall der Familienunternehmen ist zu klären, wer an der Entscheidung der Nachfolgerauswahl beteiligt ist. Dies kann zum einen der Übergeber als Einzelperson (meist in kleinen Unternehmen der Fall), zum anderen aber auch der Übergeber und die Familie sein (in der evtl. Eigentum verteilt ist) beziehungsweise der Übergeber und weitere Anteilseigner. Die Situation, dass Gremien mit externen Beteiligten gebildet werden oder schon vorhanden sind, die verantwortlich für strategische Entscheidungen und damit Anteil an der Auswahl des Nachfolgers haben (dies ist häufig in Großunternehmen oder in Unternehmen mit einer hohen Gesellschafterzahl der Fall), ist möglich und in vielen Fällen empfehlenswert. Hierbei stellt sich auch die Frage der Ressourcen. Der wissenschaftliche Ansatz der „Attention“ bietet sich an, um das Phänomen näher zu beleuchten (Ocasio 1997). Die Aufmerksamkeit eines jeden Individuums und jeder Organisation ist limitiert. Neben dem täglichen Tagesgeschäft ist es notwendig, dem Prozess der Nachfolge Raum zu geben, Aufmerksamkeit darauf zu lenken und strukturiert Kandidaten in Betracht zu ziehen und an das Unternehmen heranzuführen. Die Personen, die mit der Auswahl des Übernehmers betraut sind, haben damit eine zusätzliche Aufgabe und einen zusätzlichen Verantwortungsbereich in ihrem Unternehmen, der ihre Ressourcen limitiert. Danach stellt sich die Frage von wem. Objektiv betrachtet ist jede Person auf dem Arbeitsmarkt, die mit ihrem Kompetenzprofil in Frage kommt und gewillt ist als Karriereoption eine Nachfolge in Betracht zu ziehen, ein potenzieller Kandidat. Aufgrund der Trennung von Führungs- und Eigentumsübertragung könnte zudem die Führungsnachfolge getrennt von der Eigentumsübergabe betrachtet werden. Vor allem für die Führungsnachfolge ist der Pool der Kandidaten ausschließlich auf vorher definierte Auswahlkriterien begrenzt. Ist die Erfüllung der Voraussetzung „Familienmitglied“ notwendig, um in den Pool der Nachfolger zu kommen, so muss diese erfüllt werden und limitiert den Pool der Kandidaten stark. Fraglich ist an dieser Stelle, wann der Prozess der Personalauswahl beginnt und wann er endet. Es wird auf der einen Seite davon ausgegangen, dass die Auswahl des Nachfolgers beginnt, wenn das Thema Unternehmensnachfolge an Dringlichkeit gewinnt. Dies entspricht nicht dem Ansatz, dass Familienunternehmen generell interne Nachfolger bevorzugen. Auf der anderen Seite kann davon ausgegangen werden, dass

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der Auswahlprozess mit der Geburt jedes potenziellen internen Kandidaten beginnt, da schon zu diesem Zeitpunkt klar ist, dass er in den möglichen Kreis der Nachfolger aufgenommen wird. Die Annahme, dass der Auswahlprozess startet wenn das Thema an Dringlichkeit gewinnt, erlaubt die These, dass wie in einer anderen unternehmerischen Personalauswahl alle vorstellbaren Kandidaten, die ein Anforderungsprofil erfüllen in Frage kommen. Als zeitlichen Richtwert wird an dieser Stelle die Dauer von 5–10 Jahren vorgeschlagen. Zudem wird als Ende die vollständige Übertragung des Unternehmens festgelegt. Die Auswahl und Einsetzung im Bereich Führung ist damit nur ein Zwischenschritt im gesamten Nachfolgeprozess. Final abgeschlossen ist dieser erst nach Eigentumsübertrag, der strategische Entscheidungen zulässt beziehungsweise den Übernehmer nicht mehr in seinem Handeln einschränkt (Anteilsmehrheit). Daraus resultiert, dass es sich um einen langen Auswahlprozess handelt. In diesem können sich die Rollen der Beteiligten verschieben und unterschiedliche Konflikte auftreten. Das bekannteste und bedeutendste Rollenmodell offerieren Cater und Justis (2009). Bezogen auf die interne Unternehmensnachfolge, kann das Modell hier ebenfalls im Bereich der externen Nachfolge Anwendung finden. Abbildung 18.3 veranschaulicht den Prozess, sowie den Rollenwechsel der beiden Akteure. Das Modell zeigt auf, dass der Übergeber schrittweise das Unternehmen verlässt und der Unternehmensnachfolger gleichzeitig immer mehr Handlungsspielraum gewinnt. Eine zentrale Erkenntnis, die sich mit zahlreichen weiteren Studien deckt, ist jedoch, dass auch in der vierten Stufe des Prozesses, in dem der Nachfolger die Nachfolge angetreten hat, der Übergeber eine zentrale Rolle im Unternehmen spielt (Sciascia et al. 2013). Als „Consultant“ greift er auf ein breites, kaum angreifbares Erfahrungswissen zurück und kann damit eine inhärente Macht unterstreichen. Dies ist bei einer familienexternen Unternehmensnachfolge der Fall und kann zu Konflikten führen. Im Fall der familieninternen Nachfolge potenziert sich der Rollenkonflikt. Hier kommt zu dem „Abhängigkeitsverhältnis“ final für die Nachfolge ausgewählt zu werden, noch die Eltern-Kind-Beziehung hinzu. Die familiäre Beziehung der beiden Akteure, an der zusätzlich das interne Familiennetzwerk an sich beteiligt ist, verstärkt das Spannungsfeld. Während zu Beginn der Vater den Sohn auswählt, so muss schlussendlich ein Unternehmen an einen Unternehmer übergeben werden. Zudem muss das „Kind“, welches an das Unternehmen herangeführt wurde, als „Erwachsener“ akzeptiert und integriert werden. Die Gefahr, dass der Sohn nicht gewillt ist zu übernehmen oder im Prozess klar wird, dass er nicht fähig ist, ist inhärent. Zahlreiche wissenschaftliche Ansätze gehen davon aus, dass in Familienunternehmen keine oder sehr geringe Informationsasymmetrien vorhanden sind, Opportunismus vornehmlich in Nicht-Familienunternehmen vorherrscht und grundsätzlich Führer von Familienunternehmen sich durch sogenanntes Stewardship-Verhalten auszeichnen (Davis et al. 2010; Pearson/Marler 2010). An dieser Stelle zeigt sich, dass die Möglichkeit besteht, die Erkenntnis der nur bedingt vorhandenen Befähigung potenzieller interner Kandidaten zu vertuschen oder nicht wahrnehmen zu wollen. Dies bietet Potenzial,

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dass es zu Problemfeldern kommt, die vor allem durch das Vorhalten von Informationen bedingt sind. Eine klare Ausdifferenzierung der Rollen kann hier helfen.

Auswahl Einflussfaktoren

Phase 1: Übergeber: Unternehmensführer Nachfolger: Schüler

Wissenserwerb/ -weitergabe

Positive Eltern-KindBeziehung

Kooperationsbereitschaft

Phase 2: Übergeber: Ruler Nachfolger: Unterstützer

Phase 3: Übergeber: Supervisor Nachfolger: Manager

Risikobereitschaft Phase 4: Nachfolger: Unternehmensführer Übergeber: Berater

Abb. 18.3: Rollen im Unternehmensnachfolgeprozess. Quelle: In Anlehnung an Cater/Justis (2009).

Familienunternehmen sind geprägt vom familiären Einfluss, der sich dadurch zeigt, dass am Küchentisch Unternehmensthemen besprochen werden oder mögliche Nachfolger von klein auf im Unternehmen präsent sind. So viele Vorteile dieses Verhalten hat, soviel Gefahrenpotenzial birgt es. Es empfiehlt sich deshalb die Rollen zu klären, Unternehmen und Familie auszudifferenzieren und durch vorher festgelegte Selektionskriterien den Auswahlprozess objektivierbar zu machen. Dies bietet einen weiteren Vorteil: Es kann beobachtet werden, dass sich ausgewählte interne Nachfolger von den Personen abgrenzen, die nicht ausgewählt wurden. Übergeber wählen ein ähnliches Vorgehen. Vor allem in der internen Nachfolge mit mehreren Kandidaten kann hier ein Gerechtigkeitsgedanke festgemacht werden, der

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in Verbindung mit der Legitimierung des Kandidaten einhergeht. Hier helfen objektive Kriterien, die im besten Fall festgeschrieben sind.

2.2 Die Kriterien Wenn Kriterien helfen, den Prozess objektivierbar zu machen und damit auch mögliche Rollenkonflikte zu lösen, müssen eben diese definiert werden. Während in der allgemeinen Management-Literatur Auswahlkriterien für Top-Management-Positionen thematisiert, analysiert und ausdifferenziert werden, gibt es in der spezifischen Familienunternehmensforschung bisher nur wenige Studien, die sich mit den konkreten Auswahlkriterien auseinandersetzen (Schlepphorst/Moog 2014; Chrisman et al. 1998; Sharma/Rao 2000; Motwani et al. 2006). Daraus folgt, dass oftmals angenommen wird, dass die Auswahl von Nachfolgern mehr von Emotionen als von objektiven Kriterien geleitet wird (Lansberg 1988). Daran schließt sich eine Professionalitätsdebatte in Wissenschaft und Praxis an. In diesem Kontext kann beobachtet werden, dass interne Unternehmensnachfolger schon generell unter dem Verdacht stehen, schlechter ausgebildet zu sein als externe Kandidaten, obwohl dies häufig nicht der Fall ist (Hall/Nordqvist 2008). Dieser Diskussion könnten standardisierte beziehungsweise von der Wissenschaft empfohlene Auswahlkriterien Abhilfe schaffen. Wie oben bereits aufgeführt, ist eine Definition von Auswahlkriterien sowie eine Überprüfung eben dieser wichtig, um sicherzustellen, dass die Anforderungen, die das Unternehmen an den Nachfolger hat, erfüllt werden. Die Legitimation der Nachfolger kann leichter erfolgen und unterstützt die Integration in das Unternehmen. Wenn objektive Kriterien genutzt werden, die gegebenenfalls sogar öffentlich bekannt gemacht werden, um den Nachfolger auszuwählen, ist allen Beteiligten klar, welche Erwartungen erfüllt werden müssen. Es stellt sich also jedem Familienunternehmen die Frage, welche Kriterien es festlegen, messen und schlussendlich in die Auswahlentscheidung einfließen lassen muss. Eine Standardisierung, welche für alle Familienunternehmen gilt, erscheint schon wegen der Heterogenität eben dieser nicht sinnvoll. Wie in Personalauswahlprozessen für Top-Management-Positionen sollte ein Anforderungsprofil erstellt, verschriftlicht und gegebenenfalls veröffentlicht werden. Hierbei bietet es sich an, Kriterien nach bestimmten Bereichen, wie Hard- und SoftSkills zu unterteilen. Damit kann auf die Bedürfnisse der „emotionalen Verbundenheit“ zum Unternehmen eingegangen werden. Chrisman et al. (1998) bieten 30 Auswahlkriterien an und unterteilen diese in sechs Gruppen: Beziehung zum Übergeber, Beziehung zu anderen Familienmitgliedern, Position in der Familie (Family Standing), Kompetenzen, Persönlichkeitseigenschaften und aktuelle Integration im Familienunternehmen. Auf den ersten Blick dominiert die Rolle des Nachfolgers im Kontext der Familie. Es kann also die Frage gestellt werden, ob die Familie und ihr Einfluss auf das Familienunternehmen nicht

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überrepräsentiert ist in der Personalauswahl. Um dem nachzugehen bietet sich eine tiefer gehende Betrachtung der Kriterien innerhalb der Kategorien an.

Persönliche Beziehung des potentiellen Nachfolgers zum Übergeber

Persönliche Beziehung des Position in der Familie potentiellen Nachfolgers zu anderen Familienmitgliedern

Persönliche Beziehung zum CEO Respekt von aktuell involvierten Familienmitgliedern

Geburtenfolge

Alter des Nachfolgers

Respekt von nicht involvierten Familienmitgliedern

Geschlecht

Übereinstimmung der Ziele

Vertrauen der Familienmitglieder

Blutsverwandtschaft

Fähigkeit, mit Familienmitgliedern auszukommen Kompetenzen

Persönlichkeitseigenschaften

Aktuelle Integration im Familienunternehmen

Ausbildung

Aggressivität

Aktuelle Geschäftsanteile

Erfahrungen im Familienunternehmen

Kreativität

Respekt von den Mitarbeitern

Erfahrungen außerhalb des Familienunternehmen

Unabhängigkeit

Commitment zum Unternehmen

Vergangenheit

Integrität

Kompetenzen im Finanzierungsbereich

Intelligenz

Kompetenzen in Marketing & Sales

Selbstvertrauen

Kompetenzen in strategischer Planung

Risikobereitschaft

Technische Fähigkeiten Entscheidungsfähigkeit Zwischenmenschliche Fähigkeit

Abb. 18.4: Auswahlkriterien nach Chrisman et al. (1998). Quelle: Eigene Darstellung.

Es zeigt sich, dass die Hard-Skills breiter und tiefergehend betrachtet werden. So werden unterschiedliche Kompetenzen, die sich vor allem durch Aus- und Weiterbildung erwerben lassen, überprüft. Persönlichkeitseigenschaften spielen in der

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Auswahl von potenziellen Nachfolgern eine Rolle und werden, wie in anderen Personalauswahlprozessen, identifiziert. Wie diese Überprüfung stattfindet bleibt fraglich. Während für klassische Personalauswahl Persönlichkeitstests, Arbeitsproben sowie Assessmentcenter empfohlen werden (Bangerter et al. 2012), scheint dies in Familienunternehmen, die als Kriterium eine Familienzugehörigkeit voraussetzen, undenkbar. Der lange Zeithorizont, in dem vorstellbare Kandidaten auf ihre Eignung hin beobachtet werden können, stellt eine Chance für Familienunternehmen dar, die bisher in der Literatur unterrepräsentiert diskutiert wird. Kompetenzen und Persönlichkeitsmerkmale werden über Jahre aufgebaut und entwickeln sich kontinuierlich weiter. Familienunternehmen, die sich ihrer Kriterien bewusst sind, können demnach über Jahre eben diese beobachten, regelmäßig überprüfen und schlussendlich zum Zeitpunkt der Entscheidung gewichten. Dies erfordert eine frühzeitige Festlegung, Dokumentation und ständige Evaluierung. Die wichtigsten Auswahlkriterien, die die Studie von Chrisman et al. (1998) unterstreicht sind Integrität und Commitment zum Unternehmen. Beide Kriterien sind vornehmlich über einen langen Zeitraum beobachtbar beziehungsweise eine Zeitpunktmessung gestaltet sich schwierig. Hier können Familienunternehmen eine Chance nutzen. Commitment zum Familienunternehmen, sogenanntes organisationales Commitment, kann durch Interesse am Unternehmen, frühes Engagement im Unternehmen, Identifikation und Leistungsbereitschaft unterstrichen werden. Da Commitment in vielen Bereichen der Forschung der Familienunternehmen thematisiert und analysiert wird (Sharma/Irving 2005; Cadieux 2007; Carnes/Irland 2013), soll es an dieser Stelle kurz beleuchtet werden. Primär fokussiert wird das organisationale Commitment, welches als besonders hoch eingestuft wird im Kontext von Familienmitgliedern, die im Familienunternehmen aktiv tätig sind (García-Ramos/ García-Olalla 2011). Daraus resultiert, dass Familienmitglieder eine höhere Leistungsbereitschaft, sowie die Bereitschaft sich finanziell in das Familienunternehmen einzubringen, aufweisen (Danes et al. 2009). Uhlaner et al. (2007) konnten nachweisen, dass ein hohes organisationales Commitment sich positiv auf den Unternehmenserfolg auswirken kann. Diese Erkenntnisse zum organisationalen Commitment von Familienmitgliedern könnten für das Kriterium „Familienzugehörigkeit“ sprechen. Kandidaten, die eben solche Signale senden, können die sein, die auch zukünftig den Ewigkeitsgedanken des Familienunternehmens verfolgen und verwirklichen. Integrität wird als Persönlichkeitsmerkmal eingestuft. Auch dieses kann über einen langen Zeitraum besser eingeschätzt und bewertet werden als in klassischen Personalauswahlprozessen die Zeitpunktbetrachtungen sind. Die Studie von Chrisman et al. (1998) unterstreicht, dass vor allem Kompetenzen und Persönlichkeitsmerkmale in Familienunternehmen eine starke Rolle bei der Personalauswahl spielen. In einer nach Relevanz geordneten Übersicht der Auswahlkriterien sind auf Platz 11 und 12 „Respekt vor den im Familienunternehmen“ aktiven Familienmitgliedern, sowie das „Vertrauen der Familienmitglieder in den Nachfolger“ zu finden.

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Objektive und schriftlich fixierte Auswahlkriterien unterstützen nicht nur die Verantwortlichen für die Auswahl, sondern ermöglichen den Kandidaten, sich an eben diesen, zum Beispiel durch eine strukturierte Ausbildung, anzupassen. Es kann angenommen werden, dass oftmals die Erwartungen der Übergeber an den potenziellen Nachfolger nicht bewusst, dem Kandidaten aber noch weniger bekannt sind. Vor allem in Auswahlprozessen, in denen es zwar inhärente Auswahlkriterien gibt, eines aber die Familienzugehörigkeit ist und damit eine starke Vorselektion vorgenommen wurde, kommt es nur noch zu einer Auswahl von internen Kandidaten. Diese kennen zwar gegebenenfalls die Erwartung daran, dass sie eine Bereitschaft zur Nachfolge haben sollten, es ist jedoch nicht zwingend gegeben, dass ihnen klar ist, was ihre Eltern von ihnen in Bezug auf die Erfüllung von Kriterien erwarten. Der lange Zeitraum der Beobachtung, die Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen und die Veränderung des Unternehmens kann zu einer Veränderung der Erwartungen führen. Ob sich diese Veränderung immer bei allen Akteuren gleichzeitig bemerkbar macht, sodass die Akteure entsprechend darauf reagieren können, ist ebenfalls fraglich und sollte von den Parteien berücksichtigt werden. Während die interne Unternehmensnachfolge häufig in der Literatur als unprofessionell angesehen wird, ist vor allem der lange Zeitraum der Beobachtung und des strukturierten Aufbaus des Kandidaten nicht zu unterschätzen. Dieser soll auch in diesem Beitrag positiv unterstrichen werden. Die Chance des langen Zeitraums der Beobachtung von möglichen Kandidaten kann geschmälert werden durch das Risiko der familiären Beziehung. Auf Personalauswahlgespräche und Assessmentcenter können sich die beteiligten Akteure vorbereiten, sich in einem guten Licht präsentieren und beiden Parteien ist der Prozess der Personalauswahl bewusst. In Familienunternehmen ist dies eben nicht der Fall. Hier wird im familiären Kontext ebenso wie im unternehmerischen Kontext ausgelotet, ob geeignete Kandidaten über einen langen Zeitraum Leistungen bringen. Zusätzlich besteht jedoch die Gefahr, dass aufgrund der Eltern-Kind-Beziehung die Beobachtung gestört wird. Damit ist konkret gemeint, dass fehlende Kompetenzen der Nachfolger nicht gesehen werden (wollen), Anforderungskriterien angepasst werden oder der Übergeber schon vor der Nachfolge beginnt, die Unternehmensstruktur so anzupassen, so dass der denkbare Nachfolger eine zentrale Rolle im Unternehmen einnehmen kann. Hierbei muss immer die Frage gestellt werden, inwieweit eben diese Entwicklungen einer Professionalisierung des Unternehmens oder eine Integration eines Familienmitglieds, um den familiären Frieden zu wahren, geschuldet sind. Gefördert werden kann eine solche negative Entwicklung vor allem dann, wenn Auswahlkriterien nicht frühzeitig festgelegt werden.

2.3 Was am Ende wirklich zählt Eine Vielzahl an Auswahlkriterien wird in den wenigen Studien, die es zu Auswahlkriterien gibt, vorgeschlagen, analysiert und nach Prioritäten sortiert. Dabei gehen

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die Wissenschaftler von theoretischen Konstrukten aus, die sinnvolle Eigenschaften für Unternehmensnachfolger vorschlagen und testen diese um herauszufinden, was für Familienunternehmer wirklich zählt. Zumeist können für solche Studien nur Unternehmen befragt werden, die die Nachfolge erfolgreich gemeistert haben. Dadurch entsteht eine Verzerrung, der alle Studien im Bereich der Familienunternehmensforschung unterliegen. In diesem Fall kann es sich jedoch um einen Vorteil handeln, da die von den Unternehmen genannten Auswahlkriterien an Bedeutung gewinnen. Mit der Geburt eines jeden potenziellen Kandidaten bildet sich ein Pool, aus dem ausgewählt werden kann. Die Studie von Chrisman et al. (1998) wurde oben aufgeführt und die Ergebnisse bilden einen zentralen Anknüpfungspunkt dieses Beitrags. Eine Übergabe, mit der die Familie nachhaltig zufrieden ist, ist das übergeordnete Ziel des Übergabeprozesses (Le Breton Miller et al. 2004). Diese Zufriedenheit wird sich vor allem dann einstellen, wenn der Übergeber das Gefühl hat, das Unternehmen verlassen zu können. Chrisman et al. (1998) haben aufgezeigt, dass Commitment das zweitwichtigste Auswahlkriterium in Familienunternehmen ist. Cadieux (2007) hat zudem unterstrichen, dass erst nach erfolgreich unter Beweis gestelltem organisationalen Commitment durch den Nachfolger der Übergeber bereit ist, das Unternehmen zu verlassen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass erst in diesem Moment der Übernehmer einen Handlungsspielraum erhält, mit dem er in strategische Prozesse des Unternehmens eingreifen kann. Je länger dieser Zeitraum dauert, bis es zu eben dieser Situation kommt, desto länger gibt es ein erhöhtes Konfliktpotenzial im Unternehmen. Das interne Familienleben und die Zufriedenheit der einzelnen Familienmitglieder stellen einen wichtigen Punkt im Auswahlprozess dar. Damit wird deutlich, dass mögliche interne Kandidaten zufrieden mit dem Auswahlprozess sein müssen. Dies ist vor allem dann möglich, wenn ein Bewusstsein für gestellte Erwartungen vorhanden ist und Nachfolger wissen wie sie diese erfüllen können. Zudem kann es wichtig sein, Abschnitte und Zeitpunkte der Entscheidungsfindung zu definieren. Kandidaten planen ihren Lebens- und Karriereweg. Eine Transparenz über die Auswahlprozesse und Anforderungen, die zum Beispiel im Durchlaufen unterschiedlicher Stationen im Unternehmen liegen, kann zu einem kooperativen Miteinander führen, das einen Auswahlprozess, der auch kritische Reflexionen ermöglicht, beinhaltet. Folgende Abbildung 18.5 zeigt eine mögliche Orientierung für Familienunternehmen: welche Skills sind in welchen Bereichen wichtig. Das Spannungsfeld, welches sich zwischen Familie, Unternehmen und Eigentum aufspannt, erfordert unterschiedliche Managementkompetenzen. Dieser Beitrag fokussiert an vielen Stellen die in der Realität dominierende interne Nachfolge, dennoch ist es doch auch für familienexterne Personen möglich, die Familie, ihre Werte und Ziele kennenzulernen und vor allem mit Soft-Skills (S-SK) und Persönlichkeitseigenschaften, diese zu „managen“. Hard-Skills (H-SK) werden vor allem in den Bereichen Verwaltung des Eigentums, sowie in den Managementfunktionen benötigt.

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Hierbei helfen auf das Unternehmen zugeschnittene Ausbildungsabschlüsse und -prozesse. Soft-Skills sind nicht nur im Bereich der Mitarbeiterführung ausschlaggebend. Diese können im Umgang mit Familienmitgliedern von Bedeutung sein. Persönlichkeitseigenschaften rahmen die Skills. Sie sind oftmals Voraussetzung, für die Bereitschaft Leistungen zu erbringen, sich im Unternehmen anzupassen, Verantwortung zu übernehmen und risikobereit zu sein. Das vorrangig organisationale Commitment soll an dieser Stelle unterstrichen werden. Es stellt eine weitere Basis für eine nachhaltige Unternehmensnachfolge dar.

Commitment

S-SK H-SK Familie

Unternehmen H-SK

S-SK

S-SK S-SK H-SK

H-SK

H-SK Eigentum

Persönlichkeitseigenschaften

Abb. 18.5: Auswahlkriterien im Spannungsfeld des Familienunternehmens. Quelle: In Anlehnung an Tagiuri/Davis 1996.

Zusammenfassend kann postuliert werden, dass die Anforderungsprofile für Unternehmensnachfolger von einer Vielzahl von Kriterien geprägt werden. Diese stehen nicht nur lose nebeneinander, sondern überschneiden sich und tangieren unter-

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schiedliche Bereiche des Spannungsfeldes Familienunternehmen. Letztendlich ist der richtige „Fit“ des Nachfolgers für das Familienunternehmen entscheidend (Verbecke/Kano 2012; Wiklund et al. 2013). Dieser kann und muss von jedem Familienunternehmen individuell bestimmt werden.

2.4 Umsetzung Bis heute ist sich die Wissenschaft nicht final einig, welche Kriterien bei der Auswahl die entscheidenden sind. Aufgrund der Heterogenität von Familienunternehmen ist eine Verallgemeinerung nur schwerlich möglich. Dennoch wird eins deutlich: Die Auswahl des Unternehmensnachfolgers ist ein entscheidender Erfolgsfaktor im Unternehmensnachfolgeprozess. Dieser braucht Planung, objektive Kriterien und einen Prozess, der es allen Akteuren ermöglicht sich auf die Bedürfnisse des Familienunternehmens einzustellen. Der Planungsprozess sollte folgende Elemente enthalten. Frühzeitig sollten die Selektionskriterien festgelegt werden. Die in Abbildung 18.6 aufgeführte Checkliste kann dabei helfen, diese zu entwickeln. Abhängig von Geschäftsmodell, Branche, Unternehmensgröße usw. kann die Checkliste entsprechend abgearbeitet, notwendige Fähigkeiten, zum Beispiel konkrete Ausbildungsabschlüsse, konkretisiert und weiter ergänzt werden. Die Bestimmung des Kandidatenpools sollte folgen. Hierbei wird gleichzeitig das Selektionskriterium „Familienzugehörigkeit“ festgelegt. Dieses wird in Abhängigkeit zur präferierten Nachfolgeoption gebildet. Es kann jedoch der Fall sein, dass es keine internen Kandidaten gibt und die entsprechende Nachfolgeform deshalb auf den Pool der Kandidaten angepasst werden muss. Wenn es keine Kandidaten gibt, sollte ein Verkauf oder eine Stiftungslösung in Betracht gezogen werden. Das Selektionskriterium Ausbildung und interne Managementerfahrung kann einen internen Ausbildungsprozess erfordern. Dieser muss geplant, strukturiert und als Kriterium kommuniziert werden. Unterschiedliche Ziele können mit dem Durchlaufen der verschiedenen Stufen im Unternehmen verfolgt werden. Zum einen die Beobachtung potenzieller Kandidaten im Kontext des Unternehmens. Hierbei gibt es die Möglichkeit, vor allem interne Kandidaten außerhalb des Familienkontextes zu beobachten und damit die Beziehung der Personen, sowie die Rollen, die sie in diesem Prozess einnehmen, zu klären. Ein auf das Unternehmen fokussierter Blick kann helfen, den Kandidaten objektiver zu bewerten. Zudem kann die Akzeptanz der Mitarbeiter in Augenschein genommen werden. Zum anderen kann dieser Prozess einen strategischen Aufbau des Übernehmers bedeuten. Le Breton Miller et al. (2004) nennt diesen Teil des Prozesses deshalb „Trainings- und Entwicklungsphase“. Hierbei können sowohl interne als auch externe Kandidaten das Zusammenwirken von Familie und Unternehmen kennenlernen. Werte, Normen und strategische Ziele eines Unternehmens sind oftmals nicht auf den ersten Blick ersichtlich und müssen mit der Zeit erlernt werden. Eine Festlegung der zu durchlaufenden Stationen und des Zeitrah-

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mens dieser Ausbildung gibt allen Akteuren Planungssicherheit. Mögliche Übernehmer können diese Zeit als Berufserfahrung nutzen, deshalb ist eine strukturierte Entwicklung der Führungsperson für alle Beteiligten von Vorteil. Schlussendlich ist die Bezahlung während dieser Zeit nicht unbedeutend. Akzeptieren Kandidaten eine Bezahlung, die unter dem marktüblichen Lohnniveau liegt, so kann dies als Zeichen von Commitment gesehen werden. Dies ist vor allem bei internen Kandidaten der Fall. Je nachdem, wie viele Ressourcen in den Aufbau des Nachfolgers investiert werden, kann dies als Personalentwicklungsinvestition verbucht werden.

1. Hard-Skills     

Ausbildung Branchenkenntnisse Interne Managementerfahrung Externe Managementerfahrung Auslandserfahrung und Sprachkenntnisse

2. Soft-Skills     

Entscheidungsfähigkeit Kommunikationsfähigkeit Verantwortungsbewusstsein Teamfähigkeit Konfliktfähigkeit

3. Persönlichkeitseigenschaften     

Kreativität Intelligenz Innovativität Integrität Risikofreudigkeit

4. Commitment      

Organisational Identifikation mit den aktuellen Zielen des Unternehmens Interpersonal Aktuelle Beziehung zum Übergeber Identifikation mit den aktuellen Zielen des Übergebers Respekt gegenüber den aktuell involvierten Familienmitgliedern

Abb. 18.6: Checkliste möglicher Auswahlkriterien. Quelle: Eigene Darstellung.

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Schließlich muss eine Auswahl getroffen und kommuniziert werden. Vor allem dann, wenn mehrere Kandidaten einen internen Ausbildungsweg durchlaufen haben, muss der Zeitpunkt kommen, eine Entscheidung über die Nachfolge zu treffen. Hierbei kommen neben Teamnachfolgen auch Einzelnachfolgen in Frage. Es empfiehlt sich, den Kandidatenpool nochmals zu überprüfen, mit den vorher definierten Selektionskriterien abzugleichen und eine Entscheidung zu treffen. Der Entscheidungsprozess sollte im besten Fall vorher festgelegt und befolgt werden. Dies geschieht in Abhängigkeit davon, wie viele Personen in die Entscheidung involviert sind. In der Nachfolge von der ersten zur zweiten Generation entscheidet zumeist nur der Gründer, bei Mehrgenerationenunternehmen und Unternehmen einer bestimmten Größe ist die Festlegung des Entscheidungsprozesses unausweichlich. Die Kommunikation der Entscheidung spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Hierbei gilt es vor allem dann, wenn mehrere interne Kandidaten zur Auswahl stehen, familiäre und unternehmerische Aspekte in der Kommunikation zu berücksichtigen. Die Familie sollte zuerst informiert werden. Auswahlkriterien helfen, Kandidaten voneinander abzugrenzen und nach objektiven Kriterien den oder die ausgewählten Kandidaten zu legitimieren. Hierbei sind emotionale Aspekte nicht unerheblich. In problematischen Fällen kann es sich anbieten, Gremienmitglieder, die im Auswahlprozess beteiligt waren und nicht aus der Familie stammen, in diesen Prozess miteinzubeziehen. An die interne Kommunikation schließt sich die externe an. Wenn Unternehmensnachfolger interne Prozesse vor der finalen Auswahl durchlaufen haben, sind sie gegebenenfalls Stakeholdern schon bekannt. Die aktive Kommunikation der Auswahl schafft Vertrauen und kann zu Marketingzwecken genutzt werden. Es muss dabei geklärt werden, dass der Übergeber sich aus dem Unternehmen zurückzieht und der Übernehmer zentraler Ansprechpartner wird. An dieser Stelle soll ein Phänomen in Familienunternehmen kurz angesprochen werden. Familienunternehmen, die eine interne Nachfolge bevorzugen, strukturieren ihr Unternehmen im Auswahlprozess um oder stellen Mitarbeiter ein, die die Anforderungslücken zwischen Soll-Profil und Ist-Profil füllen sollen. Dies kann positiv und negativ gewertet werden und bleibt an dieser Stelle offen. Zu unterstreichen ist nur, dass dies bewusst erfolgen sollte. Wird eine interne Lösung bevorzugt, im Prozess die Lücke bemerkt und ist diese nicht durch eine Ausbildung oder Personalentwicklungsmaßnahmen zu schließen, so sollten, nach Ergreifen der oben genannten Maßnahmen, die Selektionskriterien angepasst werden. Wird zum Beispiel ein zentraler Mitarbeiter eingestellt, so ist die Beziehung zwischen diesem und dem Nachfolger entscheidend für die nachhaltige Unternehmensentwicklung.

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Kandidatenpool bestimmen

Interne Kandidaten Externe Kandidaten Mitarbeiter

Selektionskriterien festlegen

Hard-Skills Soft-Skills Persönlichkeitseigenschaften Commitment

Internen Ausbildungsweg bestimmen

Zeitrahmen Stationen Bezahlung

Auswahl des/der Nachfolger

Entscheidungsprozess festlegen Entscheidung treffen Entscheidung kommunizieren

Abb. 18.7: Der Auswahlprozess. Quelle: Eigene Darstellung.

3 Fazit Ziel dieses Beitrags ist die Sensibilisierung für die Individualität von Unternehmensnachfolgen und speziell die Tatsache, dass der Auswahlprozess von Nachfolgern alles andere als vorgefertigt ist. Der Vater hat in Mannheim studiert, der Sohn hat in Mannheim studiert, ist zu kurz gegriffen. Es muss vielmehr festgestellt werden, dass auch viele andere junge Talente in Mannheim studiert haben. Unternehmer werden nicht zwingend geboren und wenn Kinder aus Unternehmerfamilien das „UnternehmerGen“ in sich tragen, so sind sie auf dem restlichen Arbeitsmarkt umworben als intrinsisch motivierte leistungsbereite Arbeitsnehmer. An vielen Stellen dieses Beitrags wurde ein Soll-Prozess definiert, dennoch wurde anhand internationaler Studien untermauert, dass Übergeber selbst auf unterschiedliche Auswahlkriterien besonderen Wert legen und Übernehmer häufig besser ausgebildet sind als angenommen. So zeigt sich, dass schon jetzt ein Auswahlprozess in Familienunternehmen stattfindet und es nicht nur dem Zufall oder dem Recht des Erstgeborenen unterliegt, wer Nachfolger im Unternehmen wird. Es ist jedoch nochmals festzuhalten, dass es bisher nur ein kleiner Teil von Familienunternehmen erfolgreich in die dritte Generation schafft. Dies kann unter anderem an einem unstrukturierten oder zu stark auf den vorhandenen präferierten Nachfolger fokussierten Prozess liegen. Ressourcen zur Verfügung zu stellen und diese aktiv für die Gestaltung des Nachfolgeprozesses mit besonderem Augenmerk auf die Auswahl des Nachfolgers zu nutzen, sollte der Beginn eines jeden Nachfolgeprozesses sein. Besonders in kleinen und mittelständischen Unternehmen kann dies eine Herausforderung sein, da nur ein begrenzter Pool an Ressourcen vorhanden ist. Hier kann die Hinzuziehung externer Beratung hilfreich sein, die auch von öffentlichen Einrichtungen zur Verfügung

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gestellt wird. Der Einsatz von Ressourcen wird sich schlussendlich positiv auf die Nachhaltigkeit des Unternehmens auswirken und damit zudem die Zufriedenheit der Akteure erhöhen. Familienziele und Unternehmensziele in Einklang zu bringen ist eine weitere Herausforderung. Schon die Anforderung, dass potentielle Nachfolger an bestimmten Universitäten bestimmte Abschlüsse erlangen müssen, kann als Druck wahrgenommen werden und die Beziehungen in der Familie negativ beeinflussen. Das Unternehmen erfordert jedoch bestimmte Fähigkeiten und Fertigkeiten einer Führungsperson, um nachhaltig am Markt bestehen zu können. Deshalb ist die Identifikation von Familien- und Unternehmenszielen wichtig. Skills und Persönlichkeitseigenschaften, die Nachfolger dazu befähigen eben diese Ziele zu erreichen, sollten sich in den Auswahlkriterien widerspiegeln. Dadurch kann der Prozess dem Spannungsfeld und seinen Konfliktfeldern entgegenwirken. Der Auswahlprozess braucht Zeit. Vor allem da er nur ein Teil des gesamten Nachfolgeprozesses ist, der zudem rechtliche, steuerliche und strategische Elemente beinhaltet. Deshalb ist die Planung der Nachfolge inklusive der Auswahl elementar und wird oftmals unterschätzt. Eine frühzeitige Festlegung von Selektionskriterien sowie die kontinuierliche Dokumentation möglicher Kandidaten erlaubt es im Fall einer ungeplanten Nachfolge (Nachfolge wegen Sterbefall oder Krankheit) auf eben diese als Basis zurückzugreifen. Somit kann und muss an dieser Stelle unterstrichen werden, dass nach der Nachfolge vor der Nachfolge ist und eine Planung nicht früh genug begonnen werden kann. Eine Auswahl beziehungsweise Systematik von Selektionskriterien hat dieser Beitrag angeboten. Familienunternehmen können sich an diesen übergeordneten Kategorien orientieren. Es kann hilfreich sein die Fähigkeiten, Eigenschaften und Persönlichkeitsmerkmale der Übergebergeneration zu evaluieren. Dies kann dabei unterstützen, Kriterien festzulegen. Jedoch auch die Fragestellung, welche Kriterien man an einen externen Nachfolger anlegen würde, kann helfen Selektionskriterien zu definieren, die so objektiv wie möglich sind. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Familienunternehmen eine Chance und einhergehend damit einen Wettbewerbsvorteil haben. Interne Kandidaten können über Jahre hinweg, soweit sie denn motiviert sind das Unternehmen zu übernehmen, beobachtet und ausgebildet werden. Kaum jemanden kennt man so gut wie das eigene Kind oder nahe Anverwandte. Wenn es Übergebern gelingt einen Schritt zurückzutreten, sich als externen Beobachter zu verstehen, Selektionskriterien festzulegen und zu überprüfen, kann der passende Kandidat speziell auf die Bedürfnisse des Unternehmens hin ausgewählt und zusätzlich ausgebildet werden. Externe Kandidaten können langjährige Mitarbeiter sein. Hierbei gilt es die gleiche Chance zu nutzen wie bei internen Kandidaten. Und wenn völlig unbekannte Personen als Nachfolger in Betracht gezogen werden, so ist dennoch der Ewigkeits- und Nachhaltigkeitsgedanke von Familienunternehmen der, der den Auswahlprozess

Kapitel 18: Wer soll es werden? | 427

bestimmt und die Suche nach einer Person, die Familie und Unternehmen in Einklang bringen kann, kann bei langfristiger Planung verfolgt werden und damit erfolgreich sein.

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428 | Sabrina Schell

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Christian Fuchs

Kapitel 19: Sozioemotionales Kapital im Rahmen von Unternehmensnachfolgen in deutschen KMU Eine empirische Analyse

1 Einleitung Familienunternehmen sind international eine bedeutende wirtschaftliche Kraft (Gómez-Mejíaet et al. 2007, 106; Morck/Yeung 2004, 393) und zudem die vorherrschende Organisationsform weltweit (La Portaet et al. 1999, 511). Auch in Deutschland repräsentieren sie den beherrschenden Unternehmenstypus: „95,3 % aller deutschen Unternehmen sind Familienunternehmen, auf sie entfallen 41,1 % aller Umsätze und 61,2 % aller sozialversicherungspflichtige Beschäftigte“ (Haunschild/Wolter 2010, 26). Unternehmensnachfolge ist für deutsche Familienunternehmen eine zentrale Herausforderung: Allein zwischen 2010 und 2014 besagen die Schätzungen, dass 110.000 Firmen von einer Nachfolge betroffen sind beziehungsweise waren (Hauser et al. 2010, 21). Dabei erzielen rund 66 % der Unternehmen, die mit einer Übergabe konfrontiert sind, einen Jahresumsatz von weniger als einer Million Euro und 93 % einen Jahresumsatz von weniger als fünf Millionen Euro (Hauser et al. 2010, 22). Somit sind sie fest im deutschen Mittelstand verankert. Durch die enorme Anzahl an zu übergebenden Unternehmen besitzt diese Thematik nicht nur für die Eigentümerfamilien eine große Relevanz sondern auch gesamtwirtschaftliche Brisanz. Die Bedeutung für die deutsche Volkswirtschaft wird durch die Tatsache unterstrichen, dass in den zu übergebenden 110.000 Unternehmen rund 1,4 Millionen Arbeitnehmer beschäftigt sind (Hauser et al. 2010, 25). Allerdings hat sich gezeigt, dass Unternehmensnachfolgen ein hohes Fehlschlagpotenzial mit sich bringen. Die Erfolgsquoten variieren von Quelle zu Quelle geringfügig, in der herrschenden Literatur zeigt sich jedoch generell, dass […] only about one third of family businesses survive the transition from the founders (first generation) to the second generation of owner-management (Wang et al. 2004, 59).

In die dritte Generation schaffen es lediglich 10–15 % der Familienunternehmen (Breton-Miller et al. 2004, 305; Birley 1986, 36; Kets de Vries 1993, 60). || Christian Fuchs, M. Sc. Gesellschafter CITY COFFEE Kaffee Service Systeme GmbH

430 | Christian Fuchs

Aufgrund der hohen wirtschaftlichen Bedeutung von Unternehmensnachfolgen und der sehr geringen Erfolgsquote erscheint es wenig erstaunlich, dass die Thematik „Unternehmensnachfolge in Familienunternehmen“ eine zentrale Rolle im akademischen Diskurs einnimmt und zu den am häufigsten untersuchten Themengebieten gehört (Chua et al. 2003, 91). Obwohl das Forschungsfeld bereits gut beleuchtet ist und seit den 1960ern bearbeitet wird (Giambatista et al. 2005, 964), sehen Sharma et al. (2012, 10; Hervorhebung durch den Autor) die Notwendigkeit, dass future research will need to take a more nuanced view of subjects such succession, professionalization, governance, and performance owing to the heterogeneity of the nature of family involvement in a firm […].

Zudem ist es noch nicht abschließend gelungen, eine eigenständige Theorie zu entwickeln, die das komplexe Phänomen „Familienunternehmen und Unternehmerfamilie“ vollständig erklären und vorhersagen kann (Litz et al. 2012, 27). Bis dato wurde verstärkt auf bereits bestehende Theoriegebilde zurückgegriffen, insbesondere auf der Agency-Theory, dem Ressource-Based View (z.B. Cabrera-Suarez et al. 2001) und Stewardship (Litz et al. 2012, 24).

1.1 Forschungsfrage Folglich ist es geboten, die Thematik der Unternehmensnachfolge in Familienunternehmen unter einer „eigenständigen Theorie“ zu beleuchten, um so der Komplexität von Familienunternehmen gerecht zu werden und zudem der von Sharma et al. (2012, 10) geforderten differenzierten Betrachtungsweise von Nachfolgen Rechnung tragen zu können. Ein vielversprechender Ansatz einer eigenständigen theoretischen Fundierung zeigt sich im Modell des sozioemotionalen Kapitals (Gómez-Mejía et al. 2007), welches die Bedeutung von nicht-ökonomischen Faktoren in Familienunternehmen hervorhebt (Gomez-Mejia et al. 2011, 656). Im Kern besagt das Modell, dass Familienunternehmen nach der Erhaltung des Nutzens streben, der aus nichtökonomischen Faktoren erwächst (sozioemotionales Kapital) (Berrone et al. 2012, 259). Durch sozioemotionales Kapital lässt sich die Besonderheit von Familienunternehmen erfassen und es bietet die Möglichkeit, Unterschiede in Managemententscheidungen zwischen Nicht-Familienunternehmen und Familienunternehmen zu erfassen (Gomez-Mejia et al. 2011, 660). Deswegen wird in dieser Studie die Unternehmensnachfolge unter einer sozioemotionalen Perspektive betrachtet, um der Komplexität von Familienunternehmen gerecht zu werden und eine detaillierte Betrachtung der Thematik „Unternehmensnachfolge“ zu fokussieren. Weiterhin sind 93 % der in den nächsten Jahren zu übergebenden Familienunternehmen (Hauser et al. 2010, 22) kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Deswegen untersucht diese Studie die Forschungsfrage:

Kapitel 19: Sozioemotionales Kapital im Rahmen von Unternehmensnachfolgen | 431

Wie beeinflusst sozioemotionales Kapital den Nachfolgeprozess in kleinen und mittleren Familienunternehmen?

1.2 Aufbau der Studie Zur Beantwortung der Forschungsfrage wird zunächst die Literatur unter Bezug auf eine sozioemotionale Perspektive reflektiert. Nachdem die zentralen Begriffe definiert und abgegrenzt wurden, wird im Detail auf die Thematik der Unternehmensnachfolge und das Modell des sozioemotionalen Kapitals eingegangen. Im Anschluss daran wird eine Verbindung von Unternehmensnachfolge und sozioemotionalem Kapital in Form eines Prozessmodells aufgezeigt. Dieses wird mit Hilfe einer Fallstudienuntersuchung empirisch verhärtet, die Ergebnisse im Anschluss diskutiert und interpretiert. Die Studie schließt mit der Conclusio, die Implikationen für Theorie und Praxis aufzeigt, sowie den Limitationen. Der Aufbau der Studie folgt den von Yin (2004, 50) empfohlenen Ablaufs einer Fallstudienuntersuchung. Studienplanung und Definition

Datensammlung und Analyse

Problemstellung und Forschungslücke Kapitel 1 Theoretischer Hintergrund Kapitel 2

Analyse und Conclusion

Cross-Case-Analyse Kapitel 5 Single-Case-Report Kapitel 4

Methodik Kapitel 3

Diskussion Kapitel 6 Conclusion Kapitel 7

Limitationen und weiterer Forschungsbedarf Kapitel 8 Abb. 19.1: Aufbau der Studie. Quelle: Eigene Darstellung.

2 Theoretischer Hintergrund 2.1 KMU und Familienunternehmen: Definition, Besonderheiten, Abgrenzung Die Literatur über Familienunternehmen ist sehr fragmentiert (Gomez-Mejia et al. 2011, 660). Dementsprechend sind auch die zu findenden Definitionen von Familienunternehmen (Holt et al. 2009, 77) und KMU (Spielmann 1993, 13) durchaus heterogen.

432 | Christian Fuchs

Hauser et al. (2010, 22) haben gezeigt, dass ein Großteil der Familienunternehmen in Deutschland KMUs sind. Dennoch muss ein Familienunternehmen zwangsläufig kein KMU sein und folglich sind beide Begriffe nicht synonym zu verwenden, auch wenn deutliche Parallelen erkennbar sind. Im Nachfolgenden wird daher eine Abgrenzung vorgenommen sowie auf die entsprechenden Definitionen und Besonderheiten eingegangen.

2.1.1 Kleine und Mittlere Unternehmen Die Abgrenzung von KMUs variiert je nach Institution [z.B. verwendet die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) eine andere Definition als das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)] und Nationalstaat (Günterberg/Wolter 2003, 4 ff.). Somit gibt es keine allgemeingültige Definition (Spielmann 1994, 13). Im Nachfolgenden wird eine häufig genutzte nationale Definition und die europäische Definition von kleinen und mittleren Unternehmen beleuchtet. Eine anerkannte nationale Definition, der auch die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft folgen (Günterberg/Wolter 2003, 4), stammt vom Institut für Mittelstandsforschung Bonn (IfM-Bonn). Das IfM-Bonn unterscheidet zwischen kleinen, mittleren und großen Unternehmen (IfM-Bonn 2013). Als klein wird eine Unternehmung bezeichnet, wenn bis zu neun Personen beschäftigt werden und ein Jahresumsatz von weniger als einer Millionen Euro erwirtschaftet wird, als mittel wenn bis zu 499 Beschäftigte tätig sind, ein Jahresumsatz von weniger als 50 Millionen Euro erzielt wird und zudem das Unternehmen nicht als klein einzustufen ist (IfM-Bonn, 2013a). Unternehmen, deren Kennzahlen darüber hinaus gehen werden als große Unternehmen klassifiziert. Anders als auf nationaler werden auf europäischer Ebene drei Kriterien zur Definition eines KMUs genutzt (EU-Kommission 2003, Artikel 4): Beschäftigtenzahl, der Jahresumsatz und die Bilanzsumme. Die Auswahl zweier finanzieller Kriterien (Bilanzsumme und Jahresumsatz) wird damit begründet, dass „der Umsatz der Handelsunternehmen und des Vertriebs naturgemäß über dem des verarbeitenden Gewerbes liegt“ (EU-Kommission 2003, Artikel 4). Neben der Einordnung in die entsprechende Kategorie anhand der Kriterien Beschäftigtenzahl, Bilanzsumme und Jahresumsatz, muss die Unternehmung als eigenständig gelten. Hierfür ist es erforderlich, dass ein Beteiligungsgrad von 25 % nicht überschritten wird (EU-Kommission 2003, Absatz 9). Allerdings gibt es einige Ausnahmen. Als Beispiele sind Risikokapitalinvestition eines Business Angels oder die Beteiligung einer Universität ohne Gewinnzweck zu nennen. In dieser Arbeit wird die europäische Definition angewendet, da diese zum einen neben der nationalen Definition des IfM-Bonn die dominante Begriffserklärung in Deutschland ist (IfM-Bonn 2013b) und zum anderen aber auch in Europa zur Anwendung kommt, wodurch die Vergleichbarkeit dieser Studie erhöht wird.

Kapitel 19: Sozioemotionales Kapital im Rahmen von Unternehmensnachfolgen | 433

Typ

Beschäftigte

Bilanzsumme (in Mio. Euro)

Jahresumsatz (in Mio. Euro)

Mittlere Unternehmen

< 250

und

≤ 50

oder

≤ 43

Kleine Unternehmen

< 50

und

≤ 10

oder

≤ 10

Kleinstunternehmen

< 10

und

≤2

oder

≤2

Abb. 19.2: Definition KMU der Europäischen Union. Quelle: Eigene Darstellung, Empfehlung der Kommission 2003/361/EG.

Die genutzten quantitativen Abgrenzungskriterien sind zwar von Definition zu Definition unterschiedlich, dennoch herrscht in der Forschung Einigkeit, dass es deutliche Unterschiede zwischen Großunternehmen und KMU gibt (Deimel 2008, 296), die die Brisanz eines Generationenwechsels für KMU signifikant erhöhen. Im Vergleich zu Großunternehmen ist der Mittelstand durch eine geringere Ressourcenausstattung (Aldrich/Auster 1986, 179) geprägt. Konkret zeigt sich dies zum Beispiel in der Personalsituation und im Finanzbereich (Hansson/Klefsjö 2003, 71). Hierdurch kommt es zu „liabilities of smallness“ (Aldrich/Auster 1986, 179), welche sich in einer im Vergleich zu Großunternehmen höheren Sterberate von KMU niederschlagen. Durch diese Situation wird die Bedeutung und Brisanz des Generationenwechsels in KMU deutlich unterstrichen, denn […] das Nachfolgeproblem [stellt] grundsätzlich eine existentielle Bedrohung dar. (Spielmann 1994, 24)

Während international unter KMU lediglich „[…] ein [...] rein statistisch definierte[r] Teil der Gesamtwirtschaft […]“ (Günterberg/Wolter 2003, 1) verstanden wird, wird vor allem in Deutschland der Mittelstand zudem mit qualitativen Aspekten in Verbindung gebracht. Neben den quantitativen Aspekt tritt die enge Verbindung zwischen Inhaber und Unternehmen (Günterberg/Wolter 2003, 2). Diese drückt sich in zwei Dimensionen aus: Zum einen in der „Einheit von Eigentum, Leitung, Haftung und Risiko, d.h. der Einheit von wirtschaftlicher Existenz des Unternehmens und seiner Leitung (Günterberg/Wolter 2003, 2)

und zum anderen in der „verantwortlichen Mitwirkung der Leitung an allen unternehmenspolitisch relevanten Entscheidungen (Günterberg/Wolter 2003, 2; siehe auch Deimel 2008, 296).

Da der Einfluss von Familie beziehungsweise Inhaber auf das Unternehmen der zentrale Kern eines Familienunternehmens (Gomez-Mejia et al. 2011, 658) ist, sind die Begriffe KMU und Familienunternehmen eng verwoben. Dennoch sind Mittelstand und Familienunternehmen keineswegs deckungsgleich, da letztere zunächst keiner

434 | Christian Fuchs

Größenkategorie unterworfen sind (Spielmann 1994, 19). Zudem hat sich gezeigt, dass die oben aufgeführten Dimensionen nicht ausreichen, um Familienunternehmen in ihrer gesamten Komplexität zu erfassen (u.a. Chrisman et al. 2005, 556). Daher wird im nächsten Abschnitt detailliert auf Familienunternehmen eingegangen.

2.1.2 Familienunternehmen „What is a family business?“ (Lansberg et al. 1988, 1) Obwohl diese Frage intuitiv durchaus leicht zu beantworten zu sein scheint, gibt es bis heute in der Forschung Schwierigkeiten, eine exakte Definition eines Familienunternehmens zu finden (Shanker/Astrachan 1996, 108). Chrisman et al. (2005, 555) formulieren prägnant: […] Researchers continue to disagree over the definition of a family business […].

In der Forschungsgemeinde herrscht zwar Einigkeit darüber, dass Familienunternehmen durch den Einfluss der Eigentümerfamilie geprägt sind, allerdings sind die Definitionen im Detail unterschiedlich (Gomez-Mejia et al. 2011, 658). Traditionelle Definitionsansätze fokussieren stark auf verschiedene Komponenten des Familieneinflusses (Chrisman et al. 2005, 556), wie zum Beispiel Eigentum, Governance-Struktur, Management oder Nachfolge (Litz 2008, 218; Chrisman et al. 2003, 470; Chua et al. 1999, 19). Hierdurch hat ein Großteil der existierenden traditionellen Definitionen Schwächen in der theoretischen Fundierung, denn sie beziehen sich jeweils nur auf die Kombination und Interpretation (Kersten Leiber 2008, 19) von einigen Aspekten des Familieneinflusses und sind dadurch zwangsläufig operationaler Natur. Chua et al. (1999, 21) haben in diesem Kontext die Unterscheidung zwischen theoretischer und operationaler Definition geprägt. Unter Erstgenannter versteht sich eine Begriffsabgrenzung, die ein Unternehmen, ein Objekt oder ein Phänomen abgrenzt. Zudem fußt eine theoretische Definition auf einer konzeptionellen Basis, die die Differenzierung zum einen darlegt und zum anderen aufzeigt, warum diese Unterscheidung von Bedeutung ist. Zweitgenannte umfasst die beobachtbaren und messbaren Eigenschaften, die das Unternehmen, das Objekt oder das Phänomen voneinander abgrenzt. Die theoretische Definition setzt somit eine klare Abgrenzung des Forschungsfeldes (Chua et al. 1999, 24). In anderen Worten ausgedrückt stellt sie deutlich heraus, was ein Familienunternehmen von anderen Unternehmen unterscheidet, während die operationale es ermöglicht, die theoretische Definition zu messen. Da die traditionellen Definitionsansätze vorwiegend operationaler Natur sind, ist es schwer, das komplette und komplexe Gebilde „Familienunternehmen“ in seiner Gesamtheit zu erfassen, denn [a] complete enumeration of the parts seldom gives us the essence of the whole (Chua et al. 1999, 24).

Kapitel 19: Sozioemotionales Kapital im Rahmen von Unternehmensnachfolgen | 435

Zum einen gelingt es nicht zu zeigen, warum der Einfluss der Familie das Verhalten und den Output der Firma so beeinflusst, dass diese sich signifikant von NichtFamilienunternehmen unterscheiden (Chrisman et al. 2005, 556). Zum anderen hat sich gezeigt, dass sich Unternehmen mit demselben Grad an Familieneinfluss (gemessen an oben genannten Aspekten) nicht einheitlich betrachten, d.h., dass sich einige als Familienunternehmen sehen und andere nicht. Um diesem Problem zu begegnen, wurde der Forschungsschwerpunkt auf theoretische Definitionen gelegt, die die Essenz eines Familienunternehmens erfassen und somit eine trennscharfe Abgrenzung erlauben (Chrisman et al. 2005, 556). Hiermit ist auch ein Wechsel in der grundlegenden definitorischen Auffassung verbunden. Während bei operationalen Definitionen ein „components-of-involvement approach“ (Chrisman et al. 2005, 556) verfolgt wird, der implizit auf der Auffassung beruht, dass Familienintegration ausreicht, um Familienunternehmen zu definieren, beruhen theoretische Definitionen auf einem „essence approach“ (Chrisman et al. 2005, 556). Dieser betrachtet Familienintegration als notwendige Bedingung, welches sich in einem Verhalten niederschlagen muss, das eine trennscharfe Abgrenzung erlaubt (Chrisman et al. 2005, 557). Chua et al. (1999, 25) haben eine theoretische Definition entwickelt, durch die der Unterschied zwischen theoretischer und operationaler Definition und folglich der beiden in Konflikt stehenden Ansätze nochmals verdeutlicht wird. The family business is a business governed and/or managed with the intention to shape and pursue the vision of the business held by a dominant coalition controlled by members of the same family of small number of families in a manner that potentially sustainable across generations of the family or families.

Die Definition bringt klar zum Ausdruck, dass die Auffassung eines Familienunternehmens deutlich über die reine Existenz der Elemente Eigentum und Management hinausgeht und das Verfolgen einer Vision im Vordergrund steht, die durch den Einfluss der Familie geformt wird und über mehrere Generationen hinweg konstant ist (Chua et al. 1999, 24 ff.; Kersten Leiber 2008, 18). Allerdings hat sich bis heute keine allgemein anerkannte theoretische Definition durchgesetzt. Chrisman et al. (2005, 557) formulieren hierzu: In summary, the theoretical issues with respect to defining the family firm are still open to debate […].

Gleichwohl zeichnet sich im Diskurs eine Konvergenz von Essenz- und Komponentenansatz ab. Ein entscheidender Meilensteil in der Zusammenführung der beiden Ansätze kann in der Arbeit von Astrachan, Klein und Smyrnios (2002) gesehen werden: die Entwicklung der F-PEC-Skala. Keine einzelne Einflusskomponente der Familie ist trennscharf genug, um Familienunternehmen von Nicht-Familienunternehmen zu trennen (siehe oben: Diskussion operationaler Definitionen). Astrachan et al. (2002, 46) betonen:

436 | Christian Fuchs

A detailed review of definitions employed in studies reveals that there is no clear demarcation between family and nonfamily businesses and that no single definition can capture the distinction between the two types of entities.

Shanker und Astrachan (1996, 109) haben das „family universe bull’s eye“ entwickelt, das drei Stufen des Familieneinflusses definiert: stark, mittel und schwach. Aufbauend auf der Erkenntnis, dass [a] relevant issue, therefore, is not whether a business is family or nonfamily, but the extent and manner of family involvement in an influence on the enterprise (Astrachan et al. 2002, 47)

haben die Autoren eine kontinuierliche Skala (F-PEC) entwickelt. Dadurch wurde das dichotome Verständnis überwunden, dass ein Unternehmen entweder ein Familienunternehmen ist oder eben nicht. Die Definition eines Familienunternehmens ist damit nicht mehr durch eine einzige Begriffserklärung determiniert, sondern besteht aus einem Kontinuum, wobei Familienunternehmen und Nicht-Familienunternehmen die Endpunkte darstellen. Je nach Einfluss der Familie, der durch die drei Dimensionen „power, experience, and culture“ (Astrachan et al. 2002, 47) bestimmt wird, kann das Unternehmen auf dem Kontinuum einsortiert werden. Durch die F-PEC Skala wird es möglich, den Einfluss der Familie auf verschiedene Größen, wie zum Beispiel den Unternehmenserfolg zu messen und zugleich Forschungsdaten auf Basis einer standardisierten Skala vergleichbar zu machen (Astrachan et al. 2002, 51). Zudem wird in der entwickelten Skala ein Instrument gesehen, welches zur Konvergenz von Komponentenansatz und Essenzansatz führt (Chrisman et al. 2005, 557). „Zwar entspricht ihr Modell [die F-PEC-Skala] im Aufbau dem Komponenten-Ansatz, doch sehen sie [=Astrachan et al.] ihn [=Komponenten-Ansatz] lediglich als Mittel zur Definition von Ergebnissen, die durch die Einflussnahme der Familie auf das Unternehmen entstehen“ (Kersten Leiber 2008, 19). Dies lässt sich sehr gut an der Machtskala demonstrieren. Diese setzt sich aus den Unterskalen Eigentum, Kontrolle und Management zusammen, die klassisch für operationale Definitionen (Komponentenansatz) genutzt werden (Kersten Leiber 2008, 19). Allerdings wird Eigentum, Kontrolle und Management von Astrachan et al. (2002) genutzt, um den Familieneinfluss zu determinieren, der wiederum zu einem spezifischen Verhalten führt (Essenzansatz) (Kersten Leiber 2008, 19; Chrisman et al. 2005, 557). Bis dato hat sich der F-PEC-Ansatz auf einer breiten empirischen Basis und in verschiedenen kulturellen Kontexten bezüglich Validität und Reliabilität bewährt (Holt et al. 2009, 85; Klein, Astrachan und Smyrnios 2005, 333). Obwohl Astrachan et al. (2002) die Konvergenz von Komponenten- und Essenzansatz entscheidend vorangetrieben haben und dadurch die Grenzen des Forschungsfeldes genauer bestimmt werden konnten (Chrisman et al. 2003, 11), hat sich bis dato kein universelles Definitionsmodell durchgesetzt (Kersten Leiber 2008, 20). Gomez-Mejia et al. (2011, 660) betonen, dass die große Vielfalt an (operationalen) Definitionen sogar notwendig sei, um die verschiedenen Kontexte einfassen zu kön-

Kapitel 19: Sozioemotionales Kapital im Rahmen von Unternehmensnachfolgen | 437

nen, in denen Familien auf das Unternehmen Einfluss ausüben. Allerdings wird hierdurch auch die Notwendigkeit deutlich, ein theoretisches Grundgerüst zu etablieren, welches die konzeptionelle Logik eines Familienunternehmens widerspiegelt (Gomez-Mejia et al. 2011, 660). Ein solcher konzeptioneller Rahmen wird im Modell des sozioemotionalen Kapitals gesehen (Gómez-Mejía et al. 2007). Berrone et al. (2012, 269) formulieren prägnant: The SEW approach seems to be a suitable perspective for advancing the field because it depicts the uniqueness of the family firms‘ identity through the consideration of noneconomic factors.

Im nächsten Abschnitt wird daher das sozioemotionale Modell vorgestellt. Im Anschluss wird eine dem Kontext dieser Studie entsprechende (theoretische, sowie operationale) Definition gewählt, die durch das theoretische Konstrukt des sozioemotionalen Kapitals fundiert ist.

2.2 Theoretischer Bezugsrahmen In der Familienunternehmensforschung wurden viele verschieden Ansätze vorgeschlagen, um die Spezifika eines Familienunternehmens zu erfassen. Allerdings stammten diese meist aus anderen Disziplinen, wie zum Beispiel dem strategischen Management (Berrone et al. 2012, 258). Berrone et al. (2012, 258) betonen, dass die bis dato gewählten Ansätze Schwächen haben, da sie die Einzigartigkeit eines Familienunternehmens nicht erfassen.

2.2.1 Das Modell des sozioemotionalen Kapitals Daher haben Gómez-Mejía et al. (2007) eine spezifische theoretische Formulierung innerhalb des Forschungsfeldes vorgeschlagen: das Modell des sozioemotionalen Kapitals. Dieses ist eine Erweiterung des Behavioral agency model (BAM), welches von Wiseman/Gomez-Mejia (1998) entwickelt wurde (Berrone et al. 2012, 259). Das Behavioral Agency Model (BAM) ist primär nicht auf Familienunternehmen ausgerichtet, sondern setzt eine Prinzipal-Agenten Situation voraus, die durch verschiedene Interessenslagen von Prinzipal und Agent geprägt ist. Weiterhin ist das BAM auf die Untersuchung von Schlüsselelementen von Anreiz- und MonitoringSystemen beschränkt. Vor allem steht im Fokus, wie diese Elemente die Entscheidungen und das wahrgenommene Risiko von Entscheidungsberechtigten bezüglich strategischer Entscheidungen unter Risiko beeinflussen (Wiseman/Gomez-Mejia 1998, 135). Wiseman und Gomez-Mejia (1998, 149) formulieren einschlägig:

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The mesotheoretic perspective we develop here combines behavioral decision theory with agency theory in order to reexamine the influence of various designs of internal corporate governance on excecutive risk bearing and risk taking.

Aufbauend auf der Annahme, dass „[…] agency theory’s formulation of risk has been too restrictive and naive“ (Wiseman/Gomez-Mejia 1998, 133), integriert das BAM Teile der Agency-Theory, der Prospect-Theory sowie Verhaltenstheorie (Berrone et al. 2012, 259) und ermöglicht dadurch eine detaillierte Betrachtung der Risikobereitschaft im Kontext der Agency-Theory (Wiseman/Gomez-Mejia 1998, 135). Innerhalb der Agency-Theory werden Prinzipale als risikoneutral betrachtet, da diese ihre Aktivitäten über verschiedene Firmen diversifizieren können, während Agenten bezüglich Entscheidungen innerhalb der Firma als risikoavers angesehen werden, um persönliche Wohlstandsrisiken zu minimieren. Das Wohlstandsrisiko des Agenten ist direkt mit der Firma verbunden, da Arbeitsplatzsicherheit und Einkommen an das Unternehmen gekoppelt sind. Eine Diversifikationsmöglichkeit ist folglich für Agenten nicht gegeben. (Wiseman/GomezMejia 1998, 133) Allerdings wird durch diese Risikoauffassung ein umfassendes Verständnis von Managemententscheidungen beschränkt, da verschiedene Risikopräferenzen von Agenten und Prinzipalen nicht erfasst werden (Wiseman/Gomez-Mejia 1998, 133). Daher kombinierten Wiseman und Gomez-Mejia (1998, 135) im BAM die AgencyTheorie mit einem verhaltenstheoretischen Ansatz, nämlich der von Kahneman/Tversky (1979) formulierten Prospect-Theory. Das BAM lockert damit die Annahme der AgencyTheory, dass Entscheidungsträger stets konsistente Risikopräferenzen haben und fokussiert stattdessen eine kontextbezogene Sichtweise, die die Möglichkeit variierender Risikopräferenzen abhängig vom jeweiligen Kontext ermöglicht (Prospect Theory). Laut BAM variiert die Risikopräferenz mit dem Framing des Problems [im Original, „framing of problems“ (Gomez-Mejia, et al. 2010, 225)]. Der gegebene Kontext wird somit vom Entscheider entweder positiv oder negativ erfasst, indem der antizipierte Output mit einem Referenzpunkt verglichen wird und entweder als Gewinn oder Verlust wahrgenommen wird (Kahneman/Tversky 1979, 277). Hierbei determiniert das Modell eine risikoaverse Präferenz in einem positiven Erwartungskontext und eine risikofreudige Präferenz des Entscheidungsträgers in einem negativen Erwartungskontext (GomezMejia et al. 2010, 225). Hinter dieser Logik steht das aus der Prospect Theory (Kahneman /Tversky 1979) stammende Konzept der Verlustaversion (Gomez-Mejia et al. 2010, 225). Dieses beschreibt die Präferenz eines Entscheiders zu risikoreicherem Verhalten, um einen Verlust der Wohlfahrt zu vermeiden (Wiseman/Gomez-Mejia 1998, 135). Anders ausgedrückt, zeigen sich bei der Wertfunktion ein konvexer Verlauf im Verlustbereich und ein konkaver Verlauf im Gewinnbereich (Kahneman/Tversky 1979, 279 ; siehe Abbildung 19.3). Anhand des Verlaufes der Wertfunktion zeigt sich auch, dass Verluste stärker gewichtet werden als Gewinne (Kahneman et al. 1991, 199). Gómez-Mejía et al. (2007) haben das BAM zu einem Modell des sozioemotionalen Kapitals weiterentwickelt, indem sie sozioemotionales Kapital als Referenzpunkt in

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Familienunternehmen bestimmt haben (Gomez-Mejia et al. 2010, 225; Gómez-Mejía et al. 2007, 131; Jones et al. 2008, 1007). Das bedeutet, dass „[…] preserving the family’s socioemotional wealth, which is inextricably tied to the organization, represents a key goal in and of itself.“ (Gómez-Mejía et al. 2007, 108)

Wie bereits gezeigt, ist es für das BAM grundlegend, dass das Verhalten vom Referenzpunkt des Entscheidungsträgers des Unternehmens abhängt. Innerhalb eines Familienunternehmens liegt die Entscheidungsbefugnis aufgrund der Eigentumsverhältnisse bei der Familie (Abschnitt 2.1.2). Referenzpunkt: sozioemotionales Kapital

Wert

konkaver Verlauf: risikoscheu Verluste Gewinne konvexer Verlauf: risikofreudig

Abb. 19.3: Verlustaversion und sozioemotionales Kapital als Referenzpunkt. Quelle: Kahneman/Tversky 1979, 279; Gomez-Mejia et al. 2010, 225.

Gemäß der Logik des Modells des sozioemotionalen Kapitals wird die Familie die Entscheidungen so treffen, dass das sozioemotionale Kapital erhalten bleibt. Daher werden Entscheidungssituationen danach bewertet, wie sie das sozioemotionale Kapital beeinflussen (Berrone et al. 2012, 259). Falls Letztgenanntes gefährdet wird, dann ist die Familie geneigt, Entscheidungen nicht nach einer ökonomischen Logik zu treffen, sondern in der Gestalt, dass das sozioemotionale Kapital erhalten wird (Berrone et al. 2012, 259).

2.2.2 Sozioemotionales Kapital als multidimensionales Konzept Sozioemotionales Kapital spiegelt den […] stock of affect-related value that a family derives from its controlling position in a particular firm (Berrone et al. 2012, 259)

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wider. Diese Definition bringt deutlich zwei zentrale Elemente des sozioemotionalen Konzepts zum Ausdruck: (1) Familie und Unternehmen werden als sehr eng verwoben angesehen (Aldrich/Cliff 2003, 589) und (2) das Familien einen nichtökonomischen Nutzen aus dem Besitz des Unternehmens erfahren (Gomez-Mejia et al. 2011, 654 f.). Gómez-Mejía et al. (2007, 108) haben diesen Nutzen, der sich aus den nichtmonetären Aspekten erschließt, als sozioemotionales Kapital deklariert (Berrone, et al. 2010, 86). Dieser Nutzen ist nicht als eindimensional zu betrachten, sondern als multidimensional. D.h., es gibt nicht das sozioemotionale Kapital, sondern vielmehr ist es durch mehrere Dimensionen geprägt. Berrone et al. (2012, 262 ff.) haben auf Basis einer umfassenden Literaturrecherche die bis dato wenig spezifizierten Ausprägungen des Konzepts in eine detaillierte Ausarbeitungen von fünf Dimensionen überführt. Die Autoren bezeichnen diese als FIBER.

2.2.2.1 Familienkontrolle und -einfluss (Berrone et al. 2012, 262) Die erste Dimension bezieht sich auf den Einfluss und die Kontrolle der Familienmitglieder über strategische Entscheidungen innerhalb des Unternehmens (Chua et al. 1999, 25). Die beherrschende Stellung kann direkt in der Geschäftsleitung ausgeübt werden oder indirekt, indem zum Beispiel das Management durch die Familie bestimmt wird. Diese Dimension ist entscheidend, weil Einfluss und Kontrolle äußerst wichtige Teile des sozioemotionalen Kapitals sind (Zellweger et al. 2012, 854). Die Möglichkeit der Beeinflussung des Unternehmens ist eine Notwendigkeit, um überhaupt sozioemotionales Kapital erhalten zu können. Zellweger et al. (2012, 854 f.) formulieren prägnant: Without existing control, the family cannot receive the benefits flowing from socioemotional wealth.

2.2.2.2 Identifikation der Familienmitglieder mit dem Unternehmen (Berrone et al. 2012, 262). Die zweite Dimension ist die Identifikation der Familienmitglieder mit dem Unternehmen. Die Identität der Familie ist eng an das Unternehmen gebunden, welches häufig auch den Namen der Eigentümerfamilie trägt (Westhead et al. 2001, 108). Dadurch ergibt sich eine identische Identität von Unternehmen und Familie (Berrone et al. 2010, 87), was dazu führt, dass die Firma sowohl bei internen als auch bei externen Stakeholdern als Erweiterung der Familie angesehen wird (Berrone et al. 2012, 262). Dementsprechend verwundert es auch nicht, dass die Grenzen von Familie und Unternehmen äußert verwässert sind und nicht trennscharf bestimmt werden können (Berrone et al. 2010, 90).

Kapitel 19: Sozioemotionales Kapital im Rahmen von Unternehmensnachfolgen | 441

2.2.2.3 Bindende soziale Beziehungen (Berrone et al. 2012, 263) Die dritte Dimension bezieht sich auf die sozialen Beziehungen, die von einem Familienunternehmen ausgehen. Zwischen Stakeholdern und Unternehmen besteht häufig eine enge soziale Beziehung, die qualitativ mit Beziehungen innerhalb eines engen Netzwerks zu vergleichen sind (Cruz et al. 2012, 65). Dabei bestehen nicht nur Bindungen zwischen Familienmitgliedern und Unternehmen (vorherigen Punkt), sondern auch zwischen Mitarbeitern und Unternehmen, die häufig auch die Unternehmensidentität (Vision) teilen (Miller/Le Breton-Miller 2005, 25). Weiterhin bestehen zuweilen auch langjährige und gute Beziehungen zu Lieferanten, die als Teil der Familie angesehen werden (Uhlaner 2006, 132). Außerdem sind Familienunternehmen meist in der lokalen Gemeinde tief verankert (Berrone et al. 2010, 90) und handeln zudem häufig aus altruistischen Gründen, also ohne einen ökonomischen Gegenwert dafür einzufordern (Schulze et al. 2003, 487).

2.2.2.4 Emotionale Verbundenheit (Berrone et al. 2012, 263) Die vierte Dimension des sozioemotionalen Kapitals reflektiert die affektive Komponente und bezieht sich demnach auf emotionale Aspekte im Familienunternehmenskontext. Familien zeichnen sich durch eine große Bandbreite an Emotionen aus, einige positiv, wie Wärme und Freude („welfare emotions“), und andere negativ, wie zum Beispiel Angst oder Wut („emergency emotions“) (Epstein et al. 2003, 594). Die Entstehung dieser Emotionen ist durch die Familienintegration begründet, da durch die Familienbeziehung eine lange Historie von geteilten Erfahrungen und Ereignissen vorliegt (Berrone et al. 2012, 263). Die affektiven Aspekte werden zudem häufig auch als Unterscheidungskriterium von Familienunternehmen und NichtFamilienunternehmen angesehen (Eddleston/Kellermanns 2007, 547). Da die Grenzen von Familie und Unternehmen fließend sind (Berrone et al. 2010, 90), beeinflussen Emotionen den unternehmerischen Prozess und wirken sich somit konkret zum Beispiel auf die Erkennung von Chancen oder auch auf die Beschaffung von finanziellen und personellen Kapazitäten aus (Baron 2008, 335).

2.2.2.5 Erneuerung der Familienbande durch Übergabe des Unternehmens an nachfolgende Generationen (Berrone et al. 2012, 264) Die fünfte und somit letzte Dimension beschreibt die Intention von Familienunternehmen, das Unternehmen von Generation zu Generation weiterzugeben und somit die Familienbande zu erhalten. Die Neigung, dass Unternehmen innerhalb der Familie weiterzugeben und somit die Kontrolle auch generationenübergreifend zu erhalten, ist ein bedeutender Treiber sozioeomotionalen Kapitals (Zellweger et al. 2012, 860). Das Unternehmen für die nächste Generation zu erhalten, wird als bedeutendes Ziel angesehen (Kets de Vries 1993, 69) und zudem erfolgt die Planung in

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längeren Zeithorizonten (Dreux IV 1990, 228; Miller/Le Breton-Miller 2006, 398). Dadurch befinden sich Familienunternehmen in dem Spannungsfeld, geschäftliche Herausforderungen zu bewältigen und zugleich Familienbanden über die Generationen hinweg zu erhalten (Griffeth et al. 2006, 491). („FIBER-Dimension“ bezieht sich auf die englische Originalfassung von Berrone et al. (2012: 262ff.). Aufgrund der deutschen Übersetzung ist das „letzte R“ verschwunden, da „renewal“ mit „Erneuerung“ übersetzt wurde. Wegen der allgemeinen Verwendung des englischen Begriffs „FIBER Dimensions“ wurde die Bezeichnung jedoch beibehalten.) Sozioemotionales Kapital erfasst die Essenz von Familienfirmen und ist somit das theoretische Konstrukt, welches Familienfirmen von Nicht-Familienfirmen unterscheidet (Berrone et al. 2012, 260). Daher soll im nächsten Punkt ein Familienunternehmen anhand sozioemotionalen Kapitals definiert werden.

2.2.3 Familienunternehmen aus einer sozioemotionalen Perspektive Gomez-Mejia et al. (2011, 660) sprechen sich für die Notwendigkeit einer großen Vielfalt von operationalen Definitionen aus, um verschiedene Kontexte einfassen zu können. Gleichwohl betonen sie die Notwendigkeit einer Theorie, die die konzeptionelle Logik eines Familienunternehmens erfasst. Dieser theoretische Rahmen wurde in diesem Beitrag durch das Modell des sozioemotionalen Kapitals geschaffen, dessen Logik als Essenz eines Familienunternehmens angesehen werden kann (Berrone et al. 2012, 260). Deswegen wird im Folgenden eine theoretische Definition vorgeschlagen, um den konzeptionellen Rahmen deutlich herauszustellen sowie eine operationale Definition, die auf den konkreten Kontext dieser Studie abgestimmt ist und für die Sampling-Strategie (Abschnitt 3.2) genutzt wird.

2.2.3.1 Theoretische Definition Chua et al. (1999, 25) haben eine theoretische Definition vorgeschlagen, auf die aufgebaut werden soll: Ein Familienunternehmen ist ein „Unternehmen, welches kontrolliert und geführt wird mit der Intention, die Vision einer dominanten Koalition zu formen und zu verfolgen. Die Koalition wird durch Mitglieder einer oder weniger Familien kontrolliert, auf eine Art und Weise, die potentiell nachhaltig ist über mehrere Familiengenerationen hinweg“ (Übersetzung nach Kersten Leiber (2008), 18.) Aus Kapitel 2.2.1 ist ersichtlich, dass Familienunternehmen danach streben, sozioemotionales Kapital zu erhalten (u.a. Gómez-Mejía et al. 2007, 108). Aus Autorensicht erlaubt die Logik des Modells des sozioemotionalen Kapitals (siehe Abschnitt 2.2.2 für die Dimensionen) die in der Definition von Chua et al. (1999, 25) betonte Vision zu konkretisieren. Deswegen wird folgende theoretische Definition verwendet:

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Ein Familienunternehmen ist ein Unternehmen, welches von einer dominanten Koalition kontrolliert und mit der Intention geführt wird, sozioemotionales Kapital zu erhalten. Die Koalition wird durch Mitglieder einer oder weniger Familien kontrolliert, auf eine Art und Weise, die potentiell nachhaltig ist über mehrere Familiengenerationen hinweg.

2.2.3.2 Operationale Definition Gemäß Chua et al. (1999, 21) umfasst die operationale Definition die beobachtbaren und messbaren Eigenschaften und sollte zudem den Kontext einfassen, in denen Familien Einfluss auf das Unternehmen ausüben (Gomez-Mejia et al. 2011, 660). Der Kontext dieser Studie ist durch die Untersuchung der Beeinflussung des Nachfolgeprozesses durch sozioemotionales Kapital gegeben. Damit dieses entstehen kann, ist es notwendig, dass die Familie die Kontrolle über das Unternehmen hat (Zellweger et al. 2012, 851), da sozioemotionales Kapital den affektiven Wert bezüglich der beherrschenden Position innerhalb eines Unternehmens darstellt (Berrone et al. 2012, 259). Deshalb wird für die operationale Definition auf Variablen zurückgegriffen, die in vielen Studien bereits zur Erfassung der Familienkontrolle genutzt wurden, Eigentum und Management (Kersten Leiber 2008, 35). Folglich wird operational von der Existenz eines Familienunternehmens ausgegangen, wenn die Familie das Unternehmen durch einen Eigentumsanteil von über 50 % kontrolliert und zudem signifikanten Einfluss auf das Management ausübt, entweder indem Familienmitglieder direkt an der Geschäftsleitung beteiligt sind, oder das Management von Familienmitgliedern ausgesucht und kontrolliert wird. Wie bereits erwähnt, ist die Unternehmensnachfolge bei deutschen Familienunternehmen eine zentrale Herausforderung, da allein zwischen 2010 und 2014 in Deutschland 110.000 Unternehmen von einer Nachfolge betroffen sind beziehungsweise waren (Hauser et al. 2010, 21). Dementsprechend ist es nicht verwunderlich, dass Unternehmensnachfolge ein bedeutender Teil der Familienunternehmensforschung ist (Sharma et al. 2012, 10).

2.3 Unternehmensnachfolge In dieser Studie wird Unternehmensnachfolge in Bezug auf die operationale Definition des Familienunternehmens (siehe Abschnitt 2.2.3) durch die Übergabe von Management und Eigentum definiert. Somit wird unter einer Unternehmensnachfolge der Übergang von der Führungsverantwortung (Management) sowohl als auch die Übertragung der kapitalmäßigen Verantwortung (Eigentum) verstanden (nach Spielmann 1994, 22). Bezüglich der Übertragung von Eigentum und Management existieren mehrere Möglichkeiten, wodurch verschiedene Arten der Nachfolge unterschieden werden können (Spielmann 1994, 38 ff.).

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2.3.1 Arten von Nachfolgen Generell kann zwischen familieninterner Nachfolge, Verkauf (externe bzw. firmeninterne Unternehmensnachfolge), Fremdmanagement und der Stiftungslösung (Spielmann 1994, 38 ff.) unterschieden werden. Wenn Eigentum und Management an Mitglieder der Familie übergeben werden, dann handelt es sich um eine familieninterne Nachfolge (Gottschalk et al. 2010, 20; Spielmann 1994, 40 ff.). Beim Verkauf von Eigentum und Management an einen oder mehrere Geschäftsführer, die bislang noch nicht im Unternehmen tätig waren, wird von einer externen Unternehmensnachfolge (Management-Buy-in) gesprochen. Eine weitere Möglichkeit, ein Unternehmen zu verkaufen, besteht darin, dass mehrere Mitarbeiter das Unternehmen übernehmen, die keine Familienmitglieder des Altinhabers sind. In diesem Fall spricht man von einer firmeninternen Übernahme (Management-Buy-out). Bei dieser Variante übernimmt ein Fremdmanager, der nicht zur Familie gehört, das Management des Unternehmens. Dieser erhält keine beziehungsweise nur geringfügige Eigentumsrechte, zum Beispiel in Form einer Kapitalbeteiligung. Allerdings entspricht diese Form nicht der gewählten Definition einer Unternehmensübergabe, da zum einen nur das Management übertragen wird und zum anderen „[…] kommt die Einsetzung eines Fremdmanagers […] in vielen Fällen lediglich einem zeitlichen Hinausschieben der Nachfolge gleich“ (Spielmann 1994, 43). Deswegen ist Fremdmanagement im Mittelstand häufig als Interimslösung zu betrachten. Die vierte Möglichkeit, den Fortbestand einer Unternehmung zu sichern, besteht in einer Stiftungslösung (Spielmann 1994, 55). Hierbei wird das Unternehmensvermögen einer Stiftung gewidmet, wobei verschiedene Erscheinungsformen der privatrechtlichen Stiftung in Erwägung gezogen werden können, wie zum Beispiel Familienstiftungen, unternehmensverbundene Stiftungen oder auch Doppelstiftungen. Letztgenannte ist eine Kombination aus privatnütziger und gemeinnütziger Stiftung (Horvath 2010, 27). Die rechtliche Grundlage bilden bundesrechtliche Regelungen, insbesondere die §§ 80–88 BGB, die durch Landesstiftungsgesetze ergänzt werden (Horvath 2010, 28). Für die Existenz des sozioemotionalen Kapitals ist die Kontrolle des Unternehmens durch die Familie eine zwingende Notwendigkeit (Zellweger et al. 2012, 851). Da der Erhalt des Familieneinflusses nur bei familieninternen Nachfolgen gegeben ist, wird gemäß der Zielsetzung dieser Studie der Fokus der Studie auf familieninterne Nachfolgen gelegt. (Familieninterne) Unternehmensnachfolge ist kein einzelner Schritt beziehungsweise nicht mit einem einzelnen Zeitpunkt verbunden, in dem das Unternehmen übergeben wird (Spielmann 1994, 23). Vielmehr handelt es sich um einen mehrstufigen Prozess, der bereits beginnt, bevor die nachfolgende Generation in das Unternehmen eintritt (Handler 1994, 134; Welsch 1993, 33) und zudem durch einen gewissen Komplexitätsgrad charakterisiert ist (Cadieux 2007, 96).

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2.3.2 Prozessmodelle der Nachfolge Der Nachfolgeprozess wird durch die Logik von Familienunternehmen, sozioemotionales Kapitals zu erhalten (u.a. Berrone et al. 2012, 260; siehe auch Abschnitt 2.2.1), beeinflusst (Gomez-Mejia et al. 2011, 661; Sharma et al. 2012, 10). In diesem Kapitel sollen daher zunächst Prozessmodelle dargestellt werden und im Anschluss daran ein Modell unter einer sozioemotionalen Perspektive vorgeschlagen werden. Dieses stellt die theoretische Ausgangsbasis der empirischen Untersuchung dar. Bezüglich Nachfolgeprozessen werden zwei Verständnisweisen unterschieden: (1) Der Nachfolgeprozess im Sinne der Rollen-Transition-Theorie (Handler 1994, 135) sowie (2) der Nachfolgeprozess als Lebenszyklusansatz (Handler 1994, 135; Mazzola et al. 2008, 240). In der Rollen-Transition-Theorie wird die Nachfolge als ein Prozess der gegenseitigen Rollenanpassung zwischen Übergeber und Übernehmer gesehen (Handler 1990, 39). Jede Prozessstufe wird mit einem bestimmen Rollenverhalten von Übergeber und Übernehmer assoziiert und der Übergang von einer Prozessstufe auf die nachfolgende geht einher mit einer Transition des Rollenverhaltens (Handler 1994, 135). Predecessor Sole Operator

No Role

Monarch

Overseer/ Delegator

Helper

Manager

Consultant

Leader/Chief Decision Maker

Next-Generation Family Member

Abb. 19.4: Nachfolgeprozess nach Handler. Quelle: In Anlehnung an Handler 1990, 43.

Definitorisch lehnt sich Handler (1990, 1994) an Katz/Kahn (1978, 189) an. Entsprechend werden unter Rollenverhalten wiederkehrende Aktivitäten eines Individuums verstanden, welches an das wiederholende Verhalten anderer insofern angepasst ist, dass ein voraussehbares Ergebnis erzielt wird. Die miteinander verflochtenen Verhaltensweisen (durch das Rollenverhalten) bilden ein soziales System oder Subsystem, also ein stabiles kollektives Verhaltensmuster, in dem das Individuum entsprechend seiner Rolle interagiert (Katz /Kahn 1978, 189). Die Anpassung der Rollen ist dabei zum einen durch eine abnehmende Autorität sowie geringerwerdendem Einfluss des Übergebers und zum anderen durch den zunehmenden Einfluss des

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Übernehmers geprägt (Handler 1990, 43). Es ist ersichtlich, dass die Rolle des Übernehmers durch die des Übergebers geprägt ist und eine gegenseitige Anpassung stattfindet (Handler 1990, 43). Allerdings läuft dies nicht parallel ab, weil der Übergeber länger für die Anpassung benötigt. D.h., dass der Nachfolger bereits in der neuen Rolle ist, während der Übergeber noch in der alten Rolle verharrt (Handler 1994, 135). Zentrales Element des Prozesses ist dabei […] the transferral of leadership experience, authority, decisionmaking power, and equity.“ (Handler 1990, 43)

Der Übergeber durchläuft die Phasen des alleinigen Unternehmers (häufige Situation in kleineren Unternehmen, siehe Abschnitt 2.1.1) bis zum Berater, also dem Moment, indem er nicht mehr aktiv im Unternehmen ist. Der Nachfolger durchläuft hingegen eine Entwicklung, die mit keiner aktiven Rolle startet und bei der Übernahme der Hauptverantwortung für das Unternehmen endet (Handler 1994, 137). Die zweite Verständnisweise eines Nachfolgeprozesses ist der Lebenszyklusansatz. Exemplarisch hierfür ist das Nachfolgemodell von Longenecker/Schoen (1978, 4), die den Prozess der Übernahme in sieben Schritten beschreiben (Handler 1994, 135). Drei der sieben Phasen finden statt, bevor der Nachfolger Vollzeit in das Unternehmen eintritt. In der Pre-Business-Phase ist der Nachfolger mit einigen Facetten des Unternehmens vertraut, die Orientierung durch andere Familienmitglieder ist jedoch ungeplant und passiv. In der Introductory-Phase wird die nachrückende Generation durch andere Familienmitglieder mit den Eigenschaften des Unternehmens, den Firmenmitgliedern und Stakeholdern bekannt gemacht. Dies findet vor einer TeilzeitBeschäftigung im Unternehmen statt. In der nachfolgenden Phase (IndroductoryFunctional) beginnt die Zeit als Teilzeit-Angestellter im Unternehmen. Die zu erledigenden Aufgaben werden zunehmend schwieriger und komplexer. Weiterhin beinhaltet dieser Schritt auch die Ausbildung und Anstellung als Vollzeitangestellter in einem anderen Unternehmen. Nun beginnt der Nachfolger im heimischen Unternehmen als Vollzeit-Arbeitskraft in einer Einstiegsposition ohne Führungsverantwortung zu arbeiten (Functional). In der Advanced Functional-Phase rückt der Nachfolger zusehends in Positionen mit Führungsverantwortung vor. Der Aufgabenbereich beinhaltet alle Aufgaben einer Führungsposition, die in der Hierarchie unterhalb des Präsidenten des Unternehmens stehen. In der Phase der Early Succession befindet sich die nächste Generation bereits im oberen Management und beginnt die Komplettverantwortung für das Unternehmen zu übernehmen. In der letzten Phase des Prozesses (Mature Succession) zieht sich der der Übergeber komplett aus der Unternehmung zurück und überträgt die restlichen Unternehmensanteile an den Nachfolger. Der Nachfolgeprozess ist hiermit abgeschlossen und der Nachfolger ist de facto verantwortlich für das Unternehmen. (Longenecker/Schoen 1978, 4)

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Beide Ansätze sind zum einen dazu geeignet sind, charakteristische Probleme innerhalb der verschiedenen Phasen zu identifizieren (McGivern 1978, 34) und zum anderen betonen sie, dass der Nachfolgeprozess kein einmaliges Event darstellt, sondern über eine lange Zeitperiode hinweg geschieht (Mazzola et al. 2008, 240). Aufbauend auf Prozessmodellen hat die Forschung zentrale Bestandteile eines erfolgreichen Nachfolgeprozesses definiert (Wang et al. 2004, 60). Im nächsten Abschnitt wird daher ein integratives Prozessmodell vorgestellt, welches sowohl den Nachfolgeprozess als auch die relevanten Erfolgskriterien innerhalb der einzelnen Phasen betrachtet und somit über den Erkenntnisstand reiner Prozessmodelle hinausgeht. 2.3.3 Das integrative Nachfolgemodell Breton-Miller et al. (2004) haben aufbauend auf einer umfangreichen Sekundärliteraturrecherche ein integratives Modell der erfolgreichen Unternehmensnachfolge in Familienunternehmen entwickelt, welches als Zusammenführung der in Abschnitt 2.3.2 aufgezeigten Prozessmodelle verstanden werden kann. Unter einer erfolgreichen Nachfolge verstehen die Autoren (Breton-Miller et al. 2004, 206) (1) die konsequente positive Leistungsfähigkeit des Unternehmens sowie dessen uneingeschränkte Überlebensfähigkeit und (2) die Zufriedenstellung aller Stakeholder mit dem Nachfolgeprozess. Es wird betont, dass sich die Treiber der Zufriedenheit zwischen den Generationen durchaus unterschiedlich darstellen können. Zum Beispiel haben Sharma, Chrisman/Chua (2003, 679) belegt, dass entsprechende Einflussgrößen bezüglich Nachfolger und Übergeber differenzieren können. Insgesamt werden fünf Einflussfaktoren auf die Zufriedenheit mit dem Nachfolgeprozess (Sharma et al. 2003, 668; Sharma et al. 2001, 22) aufgezeigt: (1) Neigung des Übergebers den Platz zu räumen, (2) die Bereitschaft des Übernehmers das Unternehmen weiterzuführen, (3) Einigkeit innerhalb der Familie, den Einfluss auf das Geschäft zu erhalten, (4) Akzeptanz der individuellen Rollenverteilung und (5) Nachfolgeplanung. Es hat sich gezeigt, dass (1) die Neigung des Übergebers den Platz zu räumen, für den Übergeber kein entscheidender Punkt ist, während dies für den Nachfolger signifikant zur Zufriedenheit beiträgt. Bei Einflussfaktor (2) zeigt sich eine spiegelbildliche Situation. Die Einflussfaktoren (3) bis (5) waren sowohl für den Übergeber als für den Nachfolger zufriedenheitssteigernd (Sharma et al. 2003, 679 ff.). Insofern gilt es festzuhalten, dass generell die Ergebnisse bezüglich der Zufriedenheit mit dem Prozess zumindest danach qualifiziert werden sollten, welche Stakeholder-Gruppe untersucht wird (Sharma et al. 2003, 681). Im integrativen Nachfolgemodell wird der Nachfolgeprozess zum einen als eingebettet in einen nicht familiären Kontext angesehen (Abbildung 19.4, „Industry Context“), der die Umwelt des Familienunternehmens (Abbildung 19.4, „FOB Context“) determiniert und Einfluss auf die gewählten Strategien, Organisations- und Governancestrukturen ausübt. Zum anderen läuft der Prozess innerhalb eines Familienkontextes (Abbildung 19.4, „Family Context“) ab, der sich wiederum in einem sozialen Kontext befindet (Abbildung 19.4, „Social Context“). (Breton-Miller et al. 2004, 317 ff.)

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Sowohl Familienkontext als auch der Geschäftskontext üben einen Einfluss auf den Nachfolgeprozess aus, der in vier Stufen abläuft (Breton-Miller et al. 2004, 318). Stufe 1: Grundlegende Regelungen und erste Schritte Hier soll eine gemeinsame Vision über die Zukunft des Unternehmens entwickelt werden, die Nachfolgeplanung angestoßen und ein Monitoring-System etabliert werden, sowie eine erste Auswahl über potenziell mögliche Nachfolger getroffen werden. Außerdem umfasst die erste Stufe des Nachfolgeprozesses grundlegende Regeln zur Auswahl und zum strukturierten Training des Nachfolgers. Des Weiteren sollten die Rollen von Eigentümern, Management und Familienmitgliedern innerhalb des Prozesses definiert werden. Generell gilt, dass die gesetzten Grundregeln kommuniziert werden müssen und eine Meilensteinplanung erfolgen sollte, die im Zeitablauf sowohl an die geschäftliche als auch an die familiäre Entwicklung angepasst wird (BretonMiller et al. 2004, 318). Stufe 2: Entwicklung und Förderung potenzieller Nachfolger In dieser Stufe des Prozesses sollte die Gruppe von potenziellen Nachfolgern entwickelt und entsprechend gefördert werden. Diese kann aus mehreren Familienmitglieder oder auch Nicht-Familienmitgliedern bestehen. Der Fokus sollte hierbei auf die formale Ausbildung, Training „on-the-job“, Karriereplanung und Berufserfahrung außerhalb des Unternehmens gelegt werden. Während dieser Phase ist eine fortlaufende Leistungskontrolle der Kandidaten erforderlich, um Aussagen darüber treffen zu können, wie die Förderung angepasst werden muss und wie der Kandidatenpool erweitert oder verkleinert werden sollte (Breton-Miller et al. 2004, 318 ff.). Stufe 3: Auswahl In der dritten Stufe werden die Auswahlkriterien der ersten Stufe wieder aufgegriffen. Allerdings gilt es zu beachten, dass die Auswahl des Nachfolgers keine Schwarz-WeißEntscheidung darstellt, sondern vielmehr eine Reihe von Entscheidungssituationen widerspiegelt, welcher Kandidat für welche Position geeignet ist und wer die Gesamtverantwortung für das Unternehmen übertragen bekommt (Breton-Miller et al. 2004, 319). Stufe 4: Übergabe der Verantwortung (Management) und Eigentum an den Nachfolger In der finalen Stufe des Nachfolgeprozesses soll die Übergabe der Managementverantwortung in die nächste Generation geregelt werden. Insbesondere sollte eine Meilensteinplanung für das Austreten des Übergebers und den Aufbau der Position des Nachfolgers als Unternehmensführer (Geschäftsführer) definiert werden. Weiterhin entfällt auf diese Stufe die Entscheidung bezüglich der Notwendigkeit eines potenziellen Interimsmanagement. Eine weitere Schlüsselstelle des Nachfolgeprozesses ist die Übertragung des Eigentums in die nächste Generation beziehungsweise zwischen den Generationen (Breton-Miller et al. 2004, 319).

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INDUSTRY CONTEXT (competitive structure, regulation…)

INCUMBENT (quality relationship with successor, motivationwillingness, personality, needs, …)

FOB CONTEXT Board of directors (composition, frequency) Strategy (strategic planning) Previous succession experiences FOB formalization (processes, structure, …) & FOB size FOB form/ownership (controlling owner, sibling partnership, cousin consortium)

SUCCESSOR (quality relationship with incumbent, motivation, management abilitycompetence, …)

SUCCESSION PROCESS (management & ownership) Ground rules & 1st steps Nurturing/Development Selection of successor(s) Shared vision for the Design of a legitimate future to establish process: Establishing gaps succession planning between needs & Final selection criteria including: prospective successor Selection committee abilities (jury, rules) Selection criteria Range of candidates Formal education Person (talents, desire) (family, extern) program and firm fit Rules for choice Training program Selection of the CEO and (primogeniture, etc.) TMT Apprenticeship (transfer of knowledge – explicit & Identifying potential tacit – & contacts) successor(s) & TMT Governance guideCareer development, lines (rules for ownerearly exposure to the ship, board, council) business & growing involvement Leadership partition plan & transition Outside work Ownership partition experience plan Incumbent personal interactions in the Succession task force successor preparation Time frame & timing To be established early, communicated & adjusted with time, experiences, feedback

Performance/Evaluation – Feedback (monitoring the process) …

Hand-off/Transition Process/Installation Incumbent phase out/transition & new role Successor phase in (COO, CEO, chairman) Bridge manager interim Criteria for the performance of the successor Transfer of capital Partition of shares: one controlling owner, division between siblings equally of not, or between cousin – VS – who ist the FOB leader

… Time & Timing

FAMILY CONTEXT Family dynamics (collaboration-harmony-team approach of relationship, trust, openness, shared values, respect, spouse/mom leadership…) Family influence on business decisions, commitment to the business & importance of family funding Family Council/Meetings (frequency, mission, norms/values, rules/policies, roles/repsonsibilities/privileges/rights) SOCIAL CONTEXT (Culture, social norms, ethics, religion, laws …)

Abb. 19.5: Integratives Nachfolgemodell. Quelle: Breton-Miller et al. 2004, 318.

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Um den Einfluss der Kontextfaktoren besser zu verstehen, wird im nächsten Abschnitt das integrative Modell unter Betrachtung einer sozioemotionalen Perspektive weiterentwickelt. Sozioemotionales Kapital wird als entscheidender Faktor angesehen, der sowohl die Auswahl des Nachfolgers, als auch das Design des Nachfolgeprozesses entscheidend bestimmt (Gomez-Mejia et al. 2011, 662). Familienunternehmen handeln vermutlich auch bei der Nachfolge nach dem Prinzip, ihr sozioemotionales Kapital zu erhalten, anstatt strikt nach ökonomischen Überlegungen zu agieren (Gomez-Mejia et al. 2011, 661). Hierdurch ergeben sich zahlreiche Einflüsse auf den Nachfolgeprozess (Gomez-Mejia et al. 2011, 662). Nachfolgend soll daher ein Prozessmodell der Unternehmensnachfolge unter einer sozioemotionalen Perspektive entwickelt werden.

2.4 Prozessbetrachtung der Unternehmensnachfolge unter einer sozioemotionalen Perspektive Breton-Miller et al. (2004, 318) sehen den Nachfolgeprozess im Spannungsfeld zwischen Familienunternehmen und Familie, die die Kontrolle über das Unternehmen ausübt. Gemäß dem integrativen Modell ist die Familie dabei in einem sozialen und das Unternehmen in einem industriellen Kontext eingebettet (Abschnitt 2.3.3). Das Spannungsfeld aus Unternehmen und Familie ist Grundlage für die Entstehung von sozioemotionalem Kapital, denn dieses ist […] the stock of affect-related value a family derives from its ownership position in a particular firm. (Gomez-Mejia et al. 2010, 225 in Anlehung an Gómez-Mejía et al. 2007).

Zellweger et al. (2011, 1) betonen, dass die Kontrolle des Unternehmens durch die Familie eine Notwendigkeit in Bezug auf die Existenz von sozioemotionalem Kapital darstellt. Jedoch unterscheiden sich Familienfirmen in ihrer Fähigkeit, sozioemotionales Kapital zu erzeugen (Zellweger/Dehlen 2011, 281). Aufbauend auf dem „Affect Infusion Model (AIM)“ (Forgas 1995) haben Zellweger/Dehlen (2011, 285) gezeigt, wie Affekte, also Stimmungen und Emotionen (Forgas 1995, 41; Baron 2008, 328) die Bildung sozioemotionalen Kapitals beeinflussen. Die Autoren zeigen drei moderierende Einflussfaktoren auf: 1. Merkmale des Bewertungsprozesses: Familiarität und Komplexität 2. Persönliche Merkmale des/der Bewertenden,: Persönliche Relevanz, Zielorientiertheit, affektiver Zustand 3. Situation des Bewertungsprozesses: Soziale Erwünschtheit, Verfügbarkeit von Informationen

Kapitel 19: Sozioemotionales Kapital im Rahmen von Unternehmensnachfolgen | 451

Zellweger/Dehlen (2011, 282) haben in ihrem Beitrag sozioemotionales Kapital als […] absolute difference between an owner’s subjective value assessment and the objective market value for the ownerhsip stake of a firm

definiert. Im Gegensatz hierzu, wird in dieser Arbeit (1) eine Operationalisierung von soziemotionalem Kapital durch die „FIBER-Dimension“ (Berrone et al. 2012, 262 ff.; siehe auch Abschnitt 2.2.2) verwendet und (2) bezieht sich der Kontext nicht primär auf die subjektive Bewertung der Eigentumsanteile, sondern ist durch eine Nachfolgesituation geprägt. Dennoch sind aus Sicht des Autors die von Zellweger/Dehlen (2011) identifizierten moderierenden Einflussfaktoren auch in der hiesigen Situation zu beachten. Im nachfolgenden Abschnitt soll diese Behauptung theoretisch untermauert werden. Im AIM werden vier Bewertungsstrategien unterschieden, die sich bezüglich Art und Umfang des Prozesses der Selektion, des Lernens, der Wiedergabe und der Interpretation von Informationen unterscheiden (Forgas 1995, 45). Das Ausmaß der Beeinflussung des Prozesses durch Affekte ist davon abhängig, welche der vier Strategien genutzt wird (Forgas 1995, 46). Die Beeinflussug des Prozesses wird als „affect infusion“ bezeichnet. Forgas (1995, 39) formuliert hierzu: […], affect infusion may be defined as the process whereby affectively loaded information exerts an influence on an becomes incorporated into the judgemental process, entering into the judge’s deliberations and eventually coloring judgmental outcome.

Dementsprechend wird zwischen „Low Affect Infusion Strategies“ und „High Affect Infusion Strategies“ unterschieden (Forgas 1995, 46 f.). Zu Erstgenannten gehört der (1) Direktzugriff und (2) die motivierte Verarbeitung, zu den Zweitgenannten die (3) heuristische und die (4) substanzielle Verarbeitung. Die Strategie des Direktzugriffes ist die einfachste Methode etwas zu bewerten. Sie beruht auf der Verarbeitung von direkt verfügbaren sowie bereits existierenden Informationen (Forgas 1995, 46). Sie wird tendenziell dann verwendet, wenn das Objekt des Urteils sehr vertraut beziehungsweise gut bekannt ist und bereits gespeicherte sowie abrufbare Beurteilungen mit diesem verbunden sind. Zudem wird der Direktzugriff dann verwendet, wenn der Bewerter beziehungsweise die Bewerterin persönlich nicht stark involviert ist und es keine intensiven kognitiven, affektiven, motivationalen sowie situativen Kräfte gibt, die einen intensiveren Prozess der Beurteilung erzwingen (Forgas 1995, 46). Die motivierte Verarbeitung wird genutzt, wenn eine starke Motivation bezüglich der Erreichung eines gewissen Ergebnisses besteht. In diesem Fall wird der Bewertende eine hochgradig selektive und zielgerichtete Informationssuche vollziehen und eine Bewertung durchführen, die durch die bestehende Zielsetzung determiniert ist (Forgas 1995, 47). Beide Strategien gehören zu den „Low Affect Strategies“, da hier die Bewertung nur sehr schwach durch Affekte beeinflusst wird.

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Wenn eine Beurteilung in Situationen getroffen wird, in denen weder auf eine vorherige Evaluation zurückgegriffen werden kann (siehe Direktzugriff), noch eine Zielsetzung vorhanden ist, die das Ergebnis determiniert (siehe motivierte Verarbeitung), dann handelt es sich um „High Affect Infusion Strategies“. Eine heuristische Verarbeitung wird tendenziell dann verwendet, wenn […] the target is simple or highly typical, the personal relevance of the judgement ist low, there are no specific motivational objectives, the judge has limited cognitive capacity, and the situation does not demand accuracy or detailed consideration. (Forgas 1995, 47).

Die heuristische Verarbeitung bezieht Emotionen und Stimmungen mit ein, denn Affekte reduzieren den Aufwand der Informationsverarbeitung (Zellweger/Dehlen 2011, 284). Die Reduktion des Verarbeitungsaufwandes ist eine zentrale Annahme des AIM (Forgas 1995, 46). Die substanziellen Verarbeitungen sind die Strategie, die für den Bewerter mit den höchsten Anforderungen verbunden ist, um ein Urteil zu bilden. Hierfür müssen Informationen selektiert, erlernt und interpretiert werden und zu bereits bestehenden Wissensstrukturen in Relation gesetzt werden (Forgas 1995, 47). Diese Form der Verarbeitung wird tendenziell dann verwendet, wenn das Objekt des Urteils komplex ist, es keine zu verfolgende Zielsetzung gibt und genügend kognitive Kapazität vorhanden ist. Die substanzielle Verarbeitungsstrategie wird nur gewählt, wenn nicht leichtere und weniger aufwendigere Beurteilungsstrategien vorhanden sind (Forgas 1995, 47). Die Beeinflussung durch Affekte ist in dieser Verarbeitungsstrategie durch die selektive Beeinflussung der Informationen, die verarbeitet werden, besonders stark ausgeprägt (Forgas 1992, 246). Zellweger/Dehlen (2011, 284) sehen die substanzielle Verarbeitung als zentralen vorherrschenden Prozess, wenn es um die Bewertung von Unternehmensanteilen in Familienunternehmen geht, da […] the private firm ownerhsip stake is in most cases not tradable on a liquid market for corporate control, which implies the absence of less effortful value appraisal processes. (Zellweger/Dehlen 2011, 284).

Gemäß dem AIM ist das Ausmaß der substanziellen Verarbeitung durch die Merkmale des Objektes, die Merkmale des Beurteilers und die Merkmale der Situation determiniert (Forgas 1995, 48; Zellweger/Dehlen 2011, 284). Da sozioemotionales Kapital in der von Zellweger/Dehlen (2011, 282) gewählten Definition die Differenz zwischen dem subjektiven Unternehmenswert und dem objektiven Unternehmenswert darstellt, ist auch die Bildung von sozioemotionalen Kapital vom Ausmaß der substanziellen Verarbeitung abhängig. Auch in Bezug auf die Unternehmensnachfolge wird aus Autorensicht die substanzielle Verarbeitung als sehr wahrscheinlich erachtet, da die Nachfolgesituation komplex ist (siehe z.B. Breton-Miller et al. 2004; Longenecker/Schoen 1978; Handler 1994) und daher das Erlernen und Interpretieren neuer Informationen (Forgas 1995, 47) er-

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forderlich erscheint. Zudem ist i.d.R. davon auszugehen, dass der Nachfolgeprozess eine sehr starke persönliche Relevanz für die beteiligten Akteure besitzt. Dementsprechend lässt sich die Argumentation von Zellweger/Dehlen (2011) nach Ansicht des Autors analog auf die Situation der Unternehmensübergabe anwenden. Folglich sind auch hier die moderierenden Variablen zu berücksichtigen. Nachfolgende Grafik zeigt diese im Detail.

Merkmale des Übergabeprozesses

Familienkontext

Vertrautheit, Komplexität

Affekt bzgl. Eigentum am Familienunternehmen

Persönliche Merkmale des Bewerbers bzw. der Bewerberin Persönliche Relevanz, Zielorientiertheit, affektiver Zustand

Sozioemotionales Kapital

Situation des Bewertungsprozesses Geschäftskontext

Soziale Erwünschtheit, Verfügbarkeit von Informationen

Abb. 19.6: Moderierende Faktoren der Bildung von sozioemotionalem Kapital. Quelle: In Anlehnung an Zellweger/Dehlen 2011, 285.

Zellweger et al. (2012, 861) haben gezeigt, dass die Absicht der generationenübergreifenden Kontrolle des Unternehmens (durch familieninterne Übergabe des Unternehmens in die nächste Generation) einen starken Einfluss auf die Bildung von sozioemotionalem Kapital hat. Eine Nachfolgesituation birgt die Gefahr des Einflussverlustes der Familie. In einer solchen Situation sind Familienunternehmen geneigt, finanzielle Verluste zu akzeptieren, um sozioemotionales Kapital zu erhalten (Gomez-Mejia et al. 2010, 225). Somit stellt dessen Erhaltung ein wichtiges Ziel bei der Unternehmensnachfolge in Familienunternehmen dar. Allerdings gilt es zu beachten, dass finanzielle Zielsetzungen, wie sie Breton-Miller et al. (2004, 306) betonen, nicht vollständig ungeachtet bleiben, sondern gleichwohl weiterhin eine Rolle spielen. Berrone et al. (2010, 89) formulieren prägnant: The foregoing discussion is not meant to imply that family firms are self-sacrificial, pay exclusive attention to socioemotional wealth, and/or ignore financial issues.

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Sozialer Kontext

Familienkontext

Geschäftskontext

Industrieller Kontext

Moderierende Variablen bei der Entstehung von sozioemotionalem Kapital 1. Merkmale des Übergabeprozesses: Vertrautheit, Komplexität 2. Persönliche Merkmale des Eigentümers: affektiver Zustand, Zielorientiertheit, persönliche Relevanz 3. Situation des Übergabeprozesses: Soziale Erwünschtheit, Verfügbarkeit von Informationen

Sozioemotionales Kapital FIBER

Grundlegende Regelungen und erste Schritte

Entwicklung und Förderung potentieller Nachfolger

Auswahl

Übergabe der Verantwortung (Management) und Eigentum an den Nachfolger

Abb. 19.7: Unternehmensnachfolge unter einer sozioemotionalen Betrachtung. Quelle: Eigene Darstellung.

Die Erhaltung des sozioemotionalen Kapitals hat Auswirkungen auf den Nachfolgeprozess. Diese sind durch die empirische Untersuchung weiter zu spezifizieren. Der Nachfolgeprozess ist dem Modell von Breton-Miller et al. (2004) entnommen. Dieses Modell bildet die theoretische Ausgangsbasis für die empirische Untersuchung und bietet somit den theoretischen Rahmen für die Beantwortung der Ausgangsfrage: „Wie beeinflusst sozioemotionales Kapital den Nachfolgeprozess in kleinen und mittleren Familienunternehmen.

3 Methodik Als Forschungsdesign wird ein multiples Fallstudiendesign nach Yin (2003, 40) genutzt, da zum einen die Forschungsfrage eine Wie-Frage ist und zum anderen ein gegenwärtiges Geschehen (=Unternehmensnachfolge) untersucht wird, über welches der Forscher keine Kontrolle hat (Yin 2003, 9). Berrone et al. (2012, 269) betonen, dass [t]he methodology [=case studies] might be useful for gaining a more profound understanding of certain situation involving SEW arguments.

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3.1 Datenerhebung Die Datenerhebung kann durch verschiedene Quellen erfolgen (Yin 2003, 85). In dieser Studie werden primär problemzentrierte Interviews (problem-centered interviews) (Witzel 2000) mit Schlüsselinformanten genutzt. Dadurch ist gewährleistet, dass [t]he inevitable previous knowledge which must thus be disclosed serves in the data collection phase as a heuristic-analytical framework for ideas for questions during the dialogue between the interviewer and respondent. (Witzel 2000).

Hierfür wurde ein Leitfaden (Witzel 2000) entwickelt, der zum einen für den Interviewer als Orientierung und Gedächtnisstütze fungiert und zum anderen die Vergleichbarkeit der Interviews ermöglicht. Eisenhardt (1989, 538) betont, dass auch bei einem qualitativen Forschungsdesign eine Datentriangulation zu leisten ist, um Reliabilität und Validität (Yin 2003, 34) der erhobenen Daten sicherzustellen. Deswegen wurden entsprechend eines multiplen Schlüsselinformanten-Ansatzes (Kumar et al. 1993, 1634), sofern es möglich war, sowohl mit dem Übergeber als auch mit dem Nachfolger Interviews geführt. Die gewählten Personen sind für die Untersuchung als Schlüsselinformant zu betrachten, da diese wegen ihrer persönlichen Fähigkeiten und ihrer Position im Unternehmen an der Nachfolgesituation beteiligt sind und daher in der Lage, detaillierte Informationen bereitzustellen (Marshall 1996, 92; Phillips 1981, 398). Der Ansatz hat sich in früheren Studien (z.B. Eddleston/Kellermanns 2007, 554) bereits bewährt. Des Weiteren wurden weitere Datenquellen genutzt, um eine Datentriangulation zu leisten.

3.2 Fallauswahl Die untersuchten Unternehmen wurden durch den Einsatz einer theoretischen Sampling-Strategie ausgewählt. Im Gegensatz zu einem quantitativen Vorgehen ist die Auswahl der Fallstudien nicht durch eine statistische Logik bestimmt, sondern durch die sich abzeichnende Theorie (Glaser/Strauss 1998, 53; Eisenhardt 1989, 537). Dementsprechend wird die Strategie der minimalen Kontrastrierung (Wrona 2005, 23) genutzt, wobei der Fokus auf familieninternen Nachfolgen (siehe Abschnitt 2.3) liegt. Gemäß der Beschränkung auf KMU werden ausschließlich Unternehmen einer bestimmten Größenkategorie untersucht. Die Beschäftigtenanzahl liegt unterhalb von 250 Mitarbeitern, die Bilanzsumme ist kleiner als 50 Millionen Euro und der Umsatz pro Jahr übersteigt nicht 43 Millionen Euro. Zudem sind die untersuchten Unternehmen rechtlich selbstständig, gehören also nicht zu einem Konzern. Entsprechend der gewählten operationalen Definition eines Familienunternehmens werden nur Unternehmen in das Sample aufgenommen, bei denen gilt, dass die Familie einen Eigentumsanteil von über 50 % hat und zudem einen signifikanten Einfluss auf das

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Fallstudie

Hintergrund

Datenerhebung

Methodik

Metall AG

Übergabe dritte auf vierte Generation 1903 gegründet 2 Mio. Euro Umsatz 9 Mitarbeiter Herstellung von Lagern, Getrieben, Zahnrädern und Antriebselementen

Interview mit Übernehmer (01:31:30) Unternehmensprospekt Datenbankauszug Dafne Internetseite Betriebsbesichtigung (Rundgang) Auszug Bundesanzeiger (Bilanz)

Problemzentriertes Interview Beobachtung

Prime Media

Übergabe erste auf zweite Generation 1973 gegründet Umsatz 2005: ca. 3,5 Mio. Euro 35 Mitarbeiter Fotografie (inkl. Post Production), Filmproduktion sowie 3DAnimationen

Interview mit Übergeber (00:53:00) und Übernehmer (00:51:30) Internetseite Laterna Magica (Unternehmenshistorie) Unternehmensmagazin Datenbankauszug Dafne Auszug Bundesanzeiger (Bilanz) Betriebsbesichtigung (Rundgang) Linked-in Profil Übernehmer

Problemzentrierte Interviews Beobachtung

Übergabe zweite auf dritte Generation 1958 gegründet ca. 25 Mitarbeiter Produktion, Essen auf Rädern (inkl. Mittagstisch), Party- und Messecatering, Verkauf

Interview mit Übergeber (01:07:12) und Übernehmer (01:06:15) Internetseite Gourmet-Magazin Betriebsbesichtigung (Rundgang Hauptgebäude & neue Filiale) Fotografie des ausgehängten Unternehmensleitbildes

Problemzentrierte Interviews Beobachtung

Übergabe erste auf zweite Generation 1994 gegründet 35 Mitarbeiter Verarbeitung von HochtemperaturWerkstoffen

Interview mit Übergeber, Übernehmer teilweise anwesend (01:21:46) Internetseite Datenbankauszug Dafne Auszug Bundesanzeiger (Bilanz) Xing-Profil des Übernehmers

Problemzentriertes Interview

Deluxe Metzgerei

Kugel GmbH

Abb. 19.8: Übersicht über die untersuchten Unternehmen. Quelle: Eigene Darstellung.

Management ausübt. D.h., dass entweder Familienmitglieder direkt an der Geschäftsleitung beteiligt sind, oder dass das Management von Familienmitgliedern ausgesucht und kontrolliert wird. Des Weiteren werden nur Unternehmen betrachtet, die

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eine erfolgreiche Nachfolge durchschritten haben. Dies ist geboten, da der formulierte Prozess von Breton-Miller et al. (2004) auf eine erfolgreiche Nachfolge (siehe Abschnitt 2.3.3) ausgerichtet ist. Das bedeutet für das Sample, dass nur Unternehmen aufgenommen werden, die zum einen eine Nachfolge durchschritten haben, d.h. Eigentum und Management wurden mindestens teilweise an die nachrückende Generation übergeben und zum anderen, dass dies erfolgreich geschah. Somit ist das letzte Auswahlkriterium, eine konsequente positive Leistungsfähigkeit des Unternehmens kombiniert mit dessen uneingeschränkter Überlebensfähigkeit.

3.3 Datenauswertung Die Interviews wurden auf Tonträger aufgezeichnet und transkribiert. Direkt nach der Befragung hat der Interviewer Postskripte (Witzel 2000) angefertigt. Anschließend wurde ein individueller Single-Case-Report geschrieben, wodurch eine einzelne Betrachtung der Fälle möglich war. Diese Einzelauswertungen wurden im Anschluss mit einer Cross-Case-Analyse ausgewertet, um wiederkehrende Muster („Replication Logic“, Yin 2003, 47) zu identifizieren. Für die Auswertung wurde ein Kategoriensystem genutzt. Dieses besteht aus zwei Teilen: (1) Aus der Theorie abgeleitete Kategorien, wodurch eine enge Verzahnung zur bereits vorhandenen theoretischen Ausgangsbasis gewährleistet wurde und (2) variable Kategorien, die die Beachtung auftauchender Aspekte im Datenerhebungsprozess erlaubten (Eisenhardt 1989, 539).

3.4 Datensatz Insgesamt wurden vier Unternehmen untersucht. Abbildung 19.8 gibt einen Überblick und zeigt zudem die für die Datenerhebung genutzten Daten.

4 Ergebnisse In diesem Abschnitt werden die Fälle einzeln ausgewertet. Die festgestellten geringfügigen Unterschiede bei der Auswertung der Interviews von Übergeber und Übernehmer wurden durch Recherche überprüft, wenn dies nicht möglich war, wurden die Daten gemittelt, um die Reliabilität sicherzustellen (Hurrle/Kieser 2005, 591). Die zugrundeliegenden Codings können der MAXQDA-Datei entnommen werden, die der Autor auf Anfrage gerne zur Verfügung stellt. Weitere Quellen wurden entsprechend angegeben. An dieser Stelle werden nur die Fallstudiencharakteristika und die zentralen Ergebnisse in graphischer Form präsentiert. Die detaillierten SingleCase-Reports können vom Autor angefordert werden.

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4.1 Metall AG – Ein Produktionsgewerbe mit Tradition In dieser Fallstudie wurde die Übergabe von der dritten auf die vierte Generation in einem metallverarbeitenden Gewerbe untersucht. Der Schlüsselinformant war der Übernehmer. Das Unternehmen wurde 1903 gegründet (Unternehmensprospekt) und war zunächst auf die Produktion von Nähmaschinen und Fahrrädern fokussiert. In den 1920er wurde die Firmenentwicklung durch die Weltwirtschaftskrise gebremst. Weiterhin kam hinzu, dass der Firmengründer das Unternehmen an seine sechs Kinder in gleichen Anteilen übergab. Hier kam es zu Konflikten, wodurch die Entfaltung des Unternehmens abermals gebremst wurde. Diese Situation war bis in die 1950er Jahre prägend. Mitte der ´50er hat der Vater des Übernehmers und jetzigen Mitinhabers das Unternehmen übernommen. Durch Kauf konnte er alle Unternehmensanteile bei sich vereinen. Der Vater sanierte die Firma grundlegend, unter anderem durch die Reduktion des Produktportfolios. Heute ist das Unternehmen ein metallverarbeitender Betrieb, der auf die Herstellung von Lagern, Getrieben, Zahnrädern und Antriebselementen (Unternehmensauszug Dafne) spezialisiert ist und eine funktionale Organisationsstruktur aufweist. Die beiden Kernbereiche des Unternehmens sind zum einen der technische Bereich, der die Entwicklung umfasst und zum anderen der kaufmännische Bereich, in dem ein Prokurist für Auftragsdisposition und Angebotserstellung zuständig ist. Zurzeit werden 9 Mitarbeiter beschäftigt und es wird ein Umsatz von circa 2 Mio. Euro erwirtschaftet (Unternehmensauszug Dafne). In diesem Fall konnten zwei moderierende Variablen identifiziert werden: Erstens konnte ein affektiver Status beobachtet werden, der ambivalent ist. Mit dem Übernahmeprozess wurde zum einen ein Unwohlsein verbunden und zum anderen ein positives Gefühl, welches durch einen persönlichen Wachstumsprozess ausgelöst wurde. Zweitens hat sich eine hohe persönliche Relevanz gezeigt. Bezüglich des sozioemotionalen Kapitals konnte in allen fünf FIBER-Dimensionen eine Ausprägung identifiziert werden, wobei die des Übergebers stärker war, als die des Übernehmers. Der Nachfolgeprozess lief wenig strukturiert ab. Es gab weder eine einheitliche Nachfolgeplanung, noch eine geteilte Vision über die Zukunft des Unternehmens zwischen Übergeber und Nachfolger. Bei der Ausbildung des Nachfolgers zeigt sich eine Diskrepanz zwischen sehr guter formaler Ausbildung und der Situation im Betrieb, wo keine strukturierte Einarbeitung stattfand. Die Auswahl des Nachfolgers war unsystematisch und sehr stark auf eine familieninterne Nachfolge fokussiert. Zudem wurde der Nachfolgeprozess durch einen Vater-Sohn-Konflikt überlagert. Hierdurch hat sich der Prozess zum einen verlangsamt und zum anderen hat die Zufriedenheit des Übernehmers sehr stark darunter gelitten. Kern des Konfliktes war eine Diskrepanz über den Führungsstil. Der Führungsstil des Inhabers kann als partizipativ beschrieben werden, wobei großer Wert auf eigenverantwortliches Arbeiten gelegt wird. Der des Vaters war hingegen autoritärer. Hierdurch ist mit der Unternehmensnachfolge auch ein organisatorischer Wandel bezüglich der Unternehmenskultur einhergegangen.

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Familienkontext

Geschäftskontext

Moderierende Variablen Affektiver Status

VaterSohn Kontext

Persönliche Relevanz

Sozioemotionales Kapital Ausprägung in allen fünf Dimensionen –

Fließender Prozess, keine klare Abgrenzung der Phasen Grundlegende Regelungen und erste Schritte

Entwicklung und Förderung potenzieller Nachfolger

Planung bzgl. Eigentumsübergabe

Sehr gute formale Bindung

Keine Planung bzgl. Managementübergabe

Keine betriebliche bzw. unzureichende betriebliche Einarbeitung

Auswahl Ausschließliche Fokussierung auf familieninterne Nachfolge



Zufriedenheit Übergabe (Management, Eigentum) Vater-SohnKonflikt: Übergeber kann nicht loslassen

– Uneingeschränkte Überlebensfähigkeit +

Lösung durch externe Beratung Lernprozess

Organisatorischer Wandel: Änderung Unternehmenskultur

Abb. 19.9: Metall-AG. Quelle: Eigene Darstellung.

4.2 Prime Media Diese Fallstudie beschreibt die Unternehmensnachfolge von der ersten auf die zweite Generation in einem Medienunternehmen. Die Schlüsselinformanten waren in diesem Fall der Übergeber, sowie einer der beiden Söhne. Das Unternehmen beschäftigt heute rund 35 Personen. Es ist auf Fotografie (inkl. Post Production), Filmproduktion sowie 3D-Animationen spezialisiert und ist ein Hidden Champion. Der Übergeber hat das Unternehmen 1973 gegründet. 1982 hat er

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für die Fotografie ein eigenes Lichtsystem entwickelt und 1986 ein Großraumstudio eröffnet, welches für Fotografien für eine Schlüsselindustrie in Deutschland ideal ausgestattet ist. Hierbei wird großer Wert auf Qualität und Innovation gelegt. Bereits 1991 wurde mit elektronischer Bildbearbeitung begonnen und 2000 eine Bilddatenbank aufgebaut (Unternehmenshistorie in Laterna magica). Heute gilt das Unternehmen international als das Maß der Dinge für die Fotografie für eine deutsche Schlüsselindustrie (Presse „Spiegel.de 2011“).

Geschäftskontext

Moderierende Variablen Positiver Informationsaffektiver verfügbarkeit Status

Starke Vermischung

Komplexität

Familienkontext

Persönliche Relevanz

Harmonie zwischen Gesellschaftern

Familiarität

Sozioemotionales Kapital Sehr starke Ausprägung in allen FIBER-Dimensionen +

+ Fließender Prozess, keine klare Abgrenzung der Phasen

Zufriedenheit Grundlegende Regelungen und erste Schritte Planung von Eigentumstransfer und Management Beirat Meilensteinplanung Gemeinsame Vision Inkrementelle Anpassung Rollenverständnis

Entwicklung und Förderung potenzieller Nachfolger Diskrepanz über Vorbereitung Innere Verpflichtung

Auswahl Freie Entscheidung des Nachfolgers Präferenz familieninterner Nachfolger

Übergabe (Management, Eigentum) 24% der Anteile bereits übergeben Managementpositionen durch Nachfolger besetzt

Organisatorischer Wandel: Fotostudio → Medienunternehmen

Abb. 19.10: Prime-Media. Quelle: Eigene Darstellung.

+ Uneingeschränkte Überlebensfähigkeit +

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Strukturell handelt es sich um eine funktionale Organisationsstruktur. Das Unternehmen ist in fünf Abteilungen untergliedert: Finanzwesen, Personalwesen, Akquisition (Neukundengeschäft), Kreativbereich und einen Repräsentationsbereich, der das Unternehmen nach außen vertritt. In diesem Fall konnten fünf moderierende Variablen identifiziert werden: Informationsverfügbarkeit, positiver affektiver Status, Komplexität, persönliche Relevanz und Familiarität. Bezüglich des vorhandenen soziemotionalen Kapitals zeigte sich bei allen fünf Dimensionen eine sehr hohe Ausprägung. Der Nachfolgeprozess war sehr fließend, auffällig ist hierbei eine frühe Integration der nächsten Generation in das Unternehmen. Zudem geht mit der Unternehmensnachfolge ein organisatorischer Wandel einher. Das Unternehmen hat sich von einem Fotostudio zu einem Medienunternehmen gewandelt. Bezüglich des Nachfolgeprozesses hat sich gezeigt, dass sowohl die Eigentumsübertragung als auch die Übergabe des Managements geplant wurden. Hierfür liegt eine Meilensteinplanung vor, die jedoch nicht schriftlich erfasst wurde. Zudem teilen Übergeber und Übernehmer eine gemeinsame Vision bezüglich der Zukunft des Unternehmens. Die genauen Verantwortungsbereiche (Rollenverhältnis Übergeber-Nachfolger) haben sich inkrementell entwickelt. Bei der Entwicklung und Förderung potenzieller Nachfolger hat sich gezeigt, dass der Nachfolger eine akademische Ausbildung hat. Er hätte jedoch noch gerne vor dem Einstieg in das Unternehmen externe Arbeitserfahrung gesammelt. Auf Grund des sich abzeichnenden notwendigen Wandels von einem Fotostudio zu einem Medienunternehmen verspürte er jedoch eine „innere Verpflichtung“ in das Unternehmen einzusteigen. Bei der Auswahl des Nachfolgers konnte eine starke Fokussierung auf eine familieninterne Nachfolgelösung aus dem Datenmaterial extrahiert werden. Die nachfolgende Generation hat bereits 24 % des Unternehmens und ist bereits aktiv im Management des Unternehmens involviert. Bis dato sind alle beteiligten Parteien sehr zufrieden mit dem Nachfolgeprozess. Zudem hat das Unternehmen durch die Weiterentwicklung zu einem Medienunternehmen ein Alleinstellungsmerkmal erzielt, wodurch eine positive Unternehmensentwicklung zu verzeichnen ist.

4.3 Deluxe Metzger Diese Fallstudie beschreibt die Unternehmensnachfolge in einem Metzgereifachbetrieb von der zweiten auf die dritte Generation. Die Schlüsselinformanten waren in diesem Fall der Übergeber, sowie einer der beiden Söhne. Die Metzgerei wurde 1958 gegründet. 1983 wurde die Produktion komplett umgebaut und modernisiert. 1990 hat der jetzige Übergeber das Unternehmen übernommen. Heute gibt es ein Hauptgeschäft, an dem ein Obstladen (Unternehmenshomepage) angegliedert ist. Im Jahr 2000 wurde eine Filiale in der Nähe des Hauptgeschäfts aus strategischen Gründen geschlossen, da die Schwester der Großmutter (der 3. Generation) aus gesundheitlichen Gründen die Filialleitung nicht mehr ausführen konnte.

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Geschäftskontext

Starke Vermischung

Moderierende Variablen Positiver Informationsaffektiver verfügbarkeit Status

Familienkontext Positives BruderBruderVerhältnis Komplexität

Persönliche Relevanz

Konfliktpotenzial Mutter-SohnBeziehung

Sozioemotionales Kapital Sehr starke Ausprägung bei Familieneinfluss, Identifikation, emotionale Bindung und Tradition Ambivalentes Bild bei bindenden sozialen Kontakten

+ –

+ –

Zufriedenheit +

Fließender Prozess, keine klare Abgrenzung der Phasen Grundlegende Regelungen und erste Schritte

Entwicklung und Förderung potentieller Nachfolger

Gemeinsame Vision Inkrementelle Anpassung Rollenverständnis Planung Eigentumstransfer Keine Planung Managementübergabe

Gute Ausbildung als Teil des Nachfolgeprozesses Frühe Integration der Nachfolger in das Unternehmen

Auswahl Bereits exante determiniert Druck auf Nachfolger Dennoch freie Entscheidung

Übergabe (Management, Eigentum) Nachfolger bereits voll integriert in das Management (Filialleitung; ca. 30–40% verantwortlich für Gesamtumsatz) Nachfolger Komplementäre

Uneingeschränkte Überlebensfähigkeit +

Abb. 19.11: Deluxe-Metzger. Quelle: Eigene Darstellung.

Prinzipiell vertritt die Familie die Auffassung, dass eine Filiale immer durch eine Person aus der Familie geführt werden muss. Nachdem sich die nachfolgende Generation ab 2003 und 2004 im Unternehmen etabliert hat, wird gerade eine zweite Filiale neu gebaut. Die Eröffnung findet Mitte September 2013 statt. Neben einer großen

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Theke, einer Küche und zahlreichen Kühl- beziehungsweise Reiferäumen wird auch ein kleines Café in der Filiale integriert sein (Quelle: Betriebsbesichtigung). Das Unternehmen beschäftigt heute 25 Mitarbeiter und ist ab Mitte September 2013 an zwei Standorten vertreten. Organisatorisch fußt es auf vier Säulen: Produktion, Essen auf Rädern (inkl. Mittagstisch), Party- und Messecatering und dem Verkauf. Die neue Niederlassung wird von dem ältesten Sohn eigenverantwortlich geleitet, während sein jüngerer Bruder die Alleinverantwortung für den Obstladen trägt. Strategisch wird das Unternehmen von dem Vater und den beiden Söhnen geleitet. Die Mutter der beiden beziehungsweise die Frau des Vaters sowie die Frau des jüngeren Bruders sind ebenfalls aktiv im Unternehmen. Die Mutter und die Schwägerin des Übernehmers sind sehr stark im operativen Geschäft tätig und weniger an der strategischen Ausrichtung beteiligt. Der vorherrschende Führungsstil richtet sich sowohl beim Senior als auch beim Junior nach klaren Maximen, insbesondere nach dem Prinzip des Vorbildes. Generell ist der Führungsstil durch Autorität und Respekt geprägt, wobei vor allem der Junior dennoch auf ein familiäres Betriebsklima Wert legt. Der Vater hat das Unternehmen als Einzelunternehmen geführt. Seit 2007 ist es eine KG, wobei die beiden Söhne Komplementäre sind und der Vater die Vollhaftung abgegeben hat. Die Ausrichtung der Metzgerei liegt klar auf der Qualitätsführerschaft. Das Unternehmen wurde zum Beispiel 2010 als eine der besten Metzgereien in Deutschland ausgezeichnet (Quelle: Unternehmenshomepage; Gourmetzeitschrift). Jede Woche werden zwischen 1,5 bis 2,5 Tonnen Wurst verkauft und zwischen 150 und 200 Mittagessen pro Tag ausgeliefert. In diesem Fall konnten vier moderierende Variablen identifiziert werden: Informationsverfügbarkeit, positiver affektiver Status, eine hohe persönliche Relevanz und Komplexität. Letztgenanntes konnte nur beim Übernehmer identifiziert werden. Bezüglich des sozioemotionalen Kapitals zeigt sich eine sehr starke Ausprägung in den Dimensionen „Familieneinfluss“, „Identifikation“, „Emotionale Bindung“ und „Tradition“. Bei den „Bindenden sozialen Kontakten“ zeigt sich hingegen eine ambivalente Ausprägung, da ein Vertrauensbruch zu den Mitarbeitern aus dem Datenmaterial extrahiert werden konnte. Der Nachfolgeprozess hat sich als fließender Prozess dargestellt, in dem sich die Nachfolger nach oben arbeiten mussten. Beide Generationen teilen eine gemeinsame Vision über die Zukunft des Unternehmens. Es wurde kein Anforderungsprofil eines Nachfolgers definiert. Allerdings gibt es ein Leitbild, welches erfüllt werden muss. Zudem wurde vor der Übergabe kein Rollenprofil definiert. Eine Diskrepanz zeigt sich bezüglich der Nachfolgeplanung. Während die Managementübergabe nicht geplant wurde, fand in Bezug auf den Eigentumstransfer eine detaillierte Planung statt. Diese wurde auch durch externe Berater betreut. Die Nachfolger haben eine sehr gute Ausbildung (Meister), die sie während des Nachfolgeprozesses absolviert haben. Die weitere Vorbereitung im Betrieb fand fließend statt, zum Beispiel wurde Produktionswissen weitestgehend durch „learning-bydoing“ weitergegeben. Bei der Auswahl des Nachfolgers zeigt sich eine starke Fokus-

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sierung auf eine familieninterne Lösung. Die nachfolgende Generation hat bereits 49 % der Unternehmensanteile. Beide Söhne sind nach und nach in Managementpositionen nachgerückt und leiten heute einzelne Teilbereiche des Unternehmens eigenverantwortlich. Die Nachfolger tragen Verantwortung über 30–40 % des Umsatzes.

4.4 Kugel GmbH Diese Fallstudie beschreibt die Unternehmensnachfolge in einem metall- und kunststoffverarbeitenden Betrieb von der ersten auf die zweite Generation. Der Schlüsselinformant war der Übergeber. In dem Interview war teilweise einer der Übernehmer anweisend. Das Unternehmen ist auf die Verarbeitung von Hochtemperatur-Werkstoffen spezialisiert und an zwei Standorten mit rund 35 Mitarbeitern vertreten. Die Produkte sind ein wichtiger Teil von Kugellagern. Die Organisationsstruktur ist sehr zentral ausgerichtet, wobei der Vater sowohl die technische, als auch die kaufmännische Leitung ausgeführt hat. In der zweiten Generation findet sich eine Doppelspitze, d.h. der eine Sohn hat die technische Leitung, während der andere primär die kaufmännische Verantwortung trägt. Das Unternehmen hat eine funktionale Organisationsstruktur, wobei eine stark ausgeprägte Zentralität zu erkennen ist. In dem untersuchten Unternehmen konnten vier moderierende Variablen herauskristallisiert werden: Informationsverfügbarkeit, positiver affektiver Status, Zielorientiertheit und persönliche Relevanz. Bezüglich des sozioemotionalen Kapitals ließ sich eine starke Ausprägung in allen fünf FIBER-Dimensionen beobachten. Bei der Nachfolgesituation zeigte sich ein fließender Prozess. Zunächst existiert keine Meilensteinplanung der Übergabe im Detail, allerdings ist eine Grobplanung vorhanden. Generell war zu erkennen, dass bezüglich der Eigentumsübertragung eine sehr gute Planung stattgefunden hat. Diese wurde auch durch externe Berater betreut. Bezüglich der Managementübergabe fand jedoch keine Betreuung statt. Die nachrückende Generation teilt eine gemeinsame Vision mit dem Übergeber, ein Rollenprofil wurde vor der Übergabe teilweise vertraglich fixiert, teilweise entwickelte es sich inkrementell. Es wurde kein Anforderungsprofil eines Nachfolgers entwickelt. Allerdings haben beide Nachfolger eine gute formale Ausbildung, wurden jedoch innerbetrieblich nicht strukturiert vorbereitet. Vielmehr zeigte sich ein fließender Lernprozess. Die Auswahl der Nachfolger war sehr stark durch die Fokussierung auf eine interne Nachfolgelösung determiniert. Die nachrückende Generation hat bereits 50 % der Anteile am Unternehmen und ist im Management aktiv. Der Nachfolgeerfolg zeichnet sich sehr deutlich ab, da mit dem jetzigen Prozess eine große Zufriedenheit herrscht und das Unternehmen (Quelle: Bilanz) uneingeschränkt überlebensfähig ist.

Kapitel 19: Sozioemotionales Kapital im Rahmen von Unternehmensnachfolgen | 465

Geschäftskontext

Familienkontext

Moderierende Variablen Positiver Informationsaffektiver verfügbarkeit Status

Zielorientiertheit

Positive Vater- SohnBeziehung

Persönliche Relevanz

Sozioemotionales Kapital Starke Ausprägung in allen FIBER-Dimensionen + + Fließender Prozess, keine klare Abgrenzung der Phasen Grundlegende Regelungen und erste Schritte Keine Meilensteinplanung Gemeinsame Vision Teilweise Definition eines Rollenprofils Externe Beratung bzgl. Eigentumstransfer

Entwicklung und Förderung potenzieller Nachfolger

Auswahl

Formale Ausbildung gut Übergabe als Lernprozess

Präferenz familieninterner Nachfolger

Zufriedenheit Übergabe (Management, Eigentum) 50% der Anteile bereits übergeben

+ Uneingeschränkte Überlebensfähigkeit +

Managementpositionen durch Nachfolger besetzt

Abb. 19.12: Kugel GmbH. Quelle: Eigene Darstellung.

5 Cross-Case-Analyse In diesem Abschnitt wird ein Quervergleich (Cross-Case-Analyse) der Fallstudien gemäß der „Replication Logic“ (Yin 2003, 47) vorgenommen. Hierzu werden die einzelnen Fallstudien anhand der entwickelten Kategorien verglichen. Nachfolgende Grafik gibt einen Überblick über die herausgearbeiteten Vergleichsdimensionen (Wrona 2005, 34).

466 | Christian Fuchs

Das Unternehmen

Metall AG

Prime Media

Deluxe Metzger

Kugel GmbH

Übernehmer

Übergeber

Übergeber

Übergeber/ Übernehmer

Übernehmer

Übernehmer

24

9

9

21

12

12

2



2



1

1

10

1

2

1

11

2

9

7

12

12

9

14

Moderierende Variablen

12

11

15

15

19

28

Sozioemotionales Kapital

46

57

47

46

45

52

Nachfolgeprozess

45

30

23

34

32

33

Nachfolgeerfolg

2

4

5

1

3

1

Unternehmensumfeld Familiäre Beziehungen Person

Zahlen = Anzahl der Codings in der Kategorie Abb. 19.13: Vergleichsdimensionen Cross-Case-Analyse. Quelle: Eigene Darstellung.

5.1 Unternehmen und Unternehmensumfeld Alle untersuchten Unternehmen sind Familienunternehmen, wobei Eigentum und Management jeweils vollständig in Familienhand liegen. Hierbei ist das Verständnis der Unternehmer von einem Familienunternehmen sehr ähnlich: Familienkontrolle zum einen und zum anderen Integration der Familie in das Unternehmen. Bei zwei von vier Unternehmen wurde zudem von externem Wettbewerbsdruck berichtet. Die Deluxe Metzgerei muss sich gegen einen stärker werdenden Discount durchsetzen und bei Prime Media wirkt sich das geänderte Medienkonsumverhalten auf das Unternehmen aus.

5.2 Familiäre Beziehungen Bei allen Unternehmen spielten familiäre Beziehungen eine große Rolle. Bei der Deluxe Metzgerei zeigte sich, dass zum einen die gute Beziehung zum Bruder für das Zustandekommen einer familieninternen Nachfolge entscheidend war und zum anderen die familiäre Beziehung durchaus Konfliktpotenzial in sich trägt. Bei der Metall AG wurde durch einen Vater-Sohn-Konflikt der Nachfolgeprozess überlagert, wodurch erhebliche emotionale Belastungen entstanden sind. Diese haben sich

Kapitel 19: Sozioemotionales Kapital im Rahmen von Unternehmensnachfolgen | 467

direkt auf die Zufriedenheit mit dem Nachfolgeprozess ausgewirkt. Bei Prime Media hat sich hingegen gezeigt, dass eine positive Vater-Sohn-Konstellation sehr positive Auswirkungen auf das Unternehmen haben kann. Durch die Harmonie innerhalb des Gesellschafterkreises wurde eine sehr marktfähige Ausrichtung des Unternehmens erreicht. Bei der Kugel GmbH lag ebenfalls eine sehr gute Vater-Sohn-Konstellation vor.

5.3 Person Die Nachfolger haben alle eine sehr gute formale Ausbildung. Zwei von vier Nachfolgern haben bereits vor ihrem Eintritt in das Unternehmen externe Erfahrung gesammelt. In den anderen beiden Fällen haben die Nachfolger durch Praktika erste Einblicke in andere Unternehmen erlangt. Sowohl Übergeber als auch Übernehmer bilden sich regelmäßig weiter. Eine Ausnahme hierbei stellt die Kugel GmbH dar, wo sich der Übergeber nicht aktiv weitergebildet hat.

5.4 Moderierende Variable Bei den moderierenden Variablen zeigte sich zunächst, dass keine Familiarität bezüglich des Übergabeprozesses vorlag, da bei keinem Unternehmen Vorkenntnisse vorhanden waren. Die Ausnahme war bei Prime Media der Übernehmer, der bereits einige Vorkenntnisse bezüglich Unternehmensübergaben aus seiner universitären Ausbildung besaß. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Komplexität. Lediglich bei der Deluxe Metzgerei hat der Übergeber den Prozess nicht als komplex empfunden, der Übernehmer hingegen schon. Für alle befragten Personen ist der Übergabeprozess von hoher persönlicher Relevanz. Allerdings verlief dieser bei keinem Unternehmen zielgerichtet, mit Ausnahme der Kugel GmbH. Hier konnte eine Zielorientierung des Übergebers festgestellt werden. Zudem war in allen vier Fallstudien ein affektiver Status zu erkennen. Bei drei von vier Fallstudien war dieser positiv, lediglich bei der Metall AG zeigte sich ein ambivalentes Bild. Zum einen wurde hier ein Unwohlsein mit der Übergabe verbunden, zum anderen jedoch ein positives Gefühl wegen des durchlebten persönlichen Wachstumsprozesses. Bei keinem Unternehmen war die Dimension „soziale Erwünschtheit“ von Relevanz. In keinem Fall waren Mitarbeiter beziehungsweise Mitarbeitervertretungen oder Co-Investoren in den Prozess involviert. In drei von vier Fällen waren alle notwendigen Informationen vorhanden, um den Übernahmeprozess zu managen. Abbildung 19.14 gibt einen Überblick.

468 | Christian Fuchs

Metall AG

Prime Media

Deluxe Metzger

Kugel GmbH

Übernehmer

Übergeber

Übernehmer

Übergeber

Übergeber/ Übernehmer

Familiarität





x







Komplexität

x

x

x



x

x

Persönliche Relevanz

x

x

x

x

x

x

Zielorientiertheit











x

Positiver affektiver Status



x

x

x

x

x

Soziale Erwünschtheit













Informationsverfügbarkeit

x

x

x

x

x

x

Übernehmer

Abb. 19.14: Moderierende Variablen, empirische Verhärtung. Quelle: Eigene Darstellung.

5.5 Sozioemotionales Kapital Bei allen vier untersuchten Unternehmen zeigt sich ein starker Familieneinfluss auf das Unternehmen. Sowohl Eigentum als auch Management liegen vollständig in Familienhand. Für alle Interviewpartner war es darüber hinaus für die Existenz eines Familienunternehmen entscheidend, dass die Familie uneingeschränkt Kontrolle über das Unternehmen ausüben kann. Bei sechs der sieben Interviewpartner hat sich eine sehr starke Identifikation mit dem Unternehmen gezeigt. Lediglich bei der Metall AG gab es ein ambivalentes Bild. Dies könnte zum einen daran liegen, dass der Nachfolger lediglich 35 % der Anteile hat und die restlichen Gesellschaftsanteile bei seinen Geschwistern liegen, die nicht aktiv in der Geschäftsleitung involviert sind. Dadurch ist der Nachfolger nicht frei in seinen Entscheidungen. Zum anderen könnte hier der holprige Verlauf der Nachfolge eine Rolle spielen, der fast zum Scheitern des Nachfolgeprozesses geführt hat. Bei zwei von vier Unternehmen zeigen sich starke bindende soziale Kontakte. Beim Deluxe Metzger ist ebenfalls eine deutliche Ausprägung zu erkennen, die jedoch durch eine durchwachsene Beziehung zu den Mitarbeitern reduziert wird. Hier ist das Vertrauen zu den Mitarbeitern von Seiten der Familie abgeschwächt, da es negative Einschnitte in der Beziehung von Geschäftsleitung und Mitarbeitern gab. Bei Betrachtung der Metall AG war erkennbar, dass die Atmosphäre in dem Unternehmen als angespannt beschrieben wird und somit auch hier eine gewisse Distanz zu den Mitarbeitern

Kapitel 19: Sozioemotionales Kapital im Rahmen von Unternehmensnachfolgen | 469

beobachtet werden kann. Dennoch zeigt sich auch in dieser Dimension eine deutliche positive Ausprägung. Die Mitarbeiterbeziehungen sind durchweg sehr langfristig, zum Teil bestehen diese bereits über 40 Jahre lang. Diese Langfristigkeit drückt sich auch in den Beziehungen zu Geschäftspartnern aus und in der Geschäftspolitik, wo konsequent langfristiger Erfolg über kurzfristiger Gewinnsteigerung liegt. Zudem spiegelt auch das Abspracheverhalten eine starke Ausprägung wider, da Vereinbarungen größtenteils nicht schriftlich erfasst werden. Schriftliche Fixierungen wurden lediglich zwischen Mitarbeitern abgefasst und innerhalb der Familie, wenn dies gesetzlich vorgeschrieben war. Bei drei von vier Unternehmen konnte zudem ein starkes soziales Engagement auf regionaler Ebene identifiziert werden. Bei der emotionalen Beziehung von Familienmitgliedern konnte in drei von vier Unternehmen eine hohe Ausprägung beobachtet werden, lediglich bei der Metall AG zeigte sich ein durchwachsenes Bild. Zunächst ist das Unternehmen die Basis für das finanzielle Wohlergehen der Familie, mit Ausnahme der Metall AG. Hier sind die Familienmitglieder größtenteils nur Gesellschafter und nicht im Management (mit Ausnahme des Nachfolgers) aktiv, weswegen diese neben der Tätigkeit als Gesellschafter noch einen Beruf ausüben. Deshalb ist in diesem Unternehmen das finanzielle Wohlergehen der Familie ein Stück weit von der Metall AG losgelöst. Zudem hat sich in allen Unternehmen gezeigt, dass die Entscheidungsfindung nicht immer nach ökonomischen Kriterien stattfindet, sondern durch affektive Komponenten beeinflusst wird. Beispiele hierfür sind zum Beispiel ein „cooles Unternehmen“ zu haben oder Qualitätsführer auf einem hohen Niveau zu sein. Eine Ausnahme stellt der Übergeber der Deluxe Metzgerei dar, der strikt nach ökonomischen Interessen handelt. Zudem unterstreicht das enge Vertrauen innerhalb der Familie die emotionale Bindung. Außerdem konnte in den Fallstudien in drei von vier Fällen eine emotionale Bindung nicht nur innerhalb der Familie beobachtet werden, sondern auch von Übergeber beziehungsweise Übernehmer zum Unternehmen. Bei der Erneuerung der Familienbande haben alle vier Unternehmen eine deutliche positive Ausprägung. Mit Ausnahme der Kugel GmbH hat die Firmentradition erhebliche Auswirkungen auf die Unternehmensführung. Bei der letzten Fallstudie zeigt sich, dass sich noch kein Traditionsverständnis herausgebildet hat. Bei allen Unternehmen konnte aus dem Datenmaterial extrahiert werden, dass die Geschäftspolitik langfristig ausgelegt ist und das Investment in die Firma ebenfalls als äußert langfristig angesehen wird. Besonders deutlich trat dieser Aspekt bei der Unternehmensnachfolge heraus, da ausschließlich familieninterne Nachfolger in Erwägung gezogen wurden. Die Existenz von sozioemotionalem Kapital ist bei allen Unternehmen deutlich ersichtlich. Die stärkste Ausprägung hat sich hierbei bei Prime Media gezeigt und die schwächste bei der Metall AG.

470 | Christian Fuchs

Metall AG

Prime Media

Deluxe Metzger

Kugel GmbH

Übernehmer

Übergeber

Übernehmer

Übergeber

Übernehmer

Übergeber/ Übernehmer

Familieneinfluss

stark

stark

stark

stark

stark

stark

Identifikation

mittel

stark

stark

stark

stark

stark

Bindende soziale Kontakte

mittel

stark

stark

mittel

mittel

stark

Emotionale Beziehung

mittel

mittel stark bis stark

stark

stark

stark

Erneuerung Familienbande

stark

stark

stark

stark

mittel

stark

Abb. 19.15: Sozioemotionales Kapital. Quelle: Eigene Darstellung.

5.6 Nachfolgeprozess Bei allen untersuchten Unternehmen hat sich ein fließender Nachfolgeprozess abgezeichnet, in dem die Phasen „Grundlegende Regelungen und erste Schritte“, „Entwicklung und Förderung potenzieller Nachfolger“, „Auswahl“ und „Übergabe“ nicht trennscharf zu unterscheiden sind. Organisatorischer Wandel Der Nachfolgeprozess war in drei von vier Fällen mit einem organisatorischen Wandel verbunden. In der Deluxe Metzgerei wird eine neue Filiale eröffnet, in der ein neues Konzept umgesetzt wird (Ausbau gastronomisches Angebot), in der Metall AG änderte sich das Unternehmensleitbild von einer autoritären zu einer partizipativen Ausrichtung und Prime Media hat sich von einem Fotostudio zu einem Medienunternehmen gewandelt. In keinem der untersuchten Unternehmen war eine schriftliche Meilensteinplanung zur Managementübergabe vorhanden. Allerdings ist bei Prime Media eine nicht schriftlich fixierte Meilensteinplanung vorhanden, die auch in regelmäßigen Abständen überwacht und angepasst wird. Die Übertragung des Eigentums wurde jedoch bei allen vier Unternehmen frühzeitig geplant und in drei von vier Fällen durch externe Berater unterstützt. Bezüglich der Planung zeigt sich daher ein stark polarisierendes Bild. Die Eigentumsübergabe wurde sehr früh geplant, um auch steuerliche und erbschaftsrechtliche Belange zu antizipieren, die Managementübergabe wurde dagegen in der Planung weitestgehend vernachlässigt. In drei von vier Fällen wurde überhaupt keine Rollenverteilung von ehemaligem Eigentümer und nachfolgender

Kapitel 19: Sozioemotionales Kapital im Rahmen von Unternehmensnachfolgen | 471

Generation definiert. Diese fand intuitiv und inkrementell während des Prozesses statt. Bei der Kugel GmbH wurde die Rollenverteilung zum einen teilweise vertraglich festgeschrieben, zum anderen jedoch auch während des Übergabeprozesses inkrementell angepasst und entwickelt. In keinem Unternehmen lag ein Anforderungsprofil für den Nachfolger oder die Nachfolgerin vor. In keinem Unternehmen gab es eine explizite und geplante Vorbereitung des Nachfolgers. Vielmehr war die Übergabe selbst ein Lernprozess. Allerdings haben alle Nachfolger eine sehr gute formale Ausbildung. Zudem handelt es sich um einen sehr langen Übergabeprozess. In drei von vier Unternehmen dauert der Prozess nunmehr zehn Jahre oder sogar noch länger an. Des Weiteren sind bei allen Unternehmen die Kontakte vom Vater auf den Nachfolger übergeben worden. Allerdings zeigt sich auch hier, dass dies eher intuitiv und wenig geplant geschah. Die Nachfolger sind in „das Netzwerk hineingewachsen“. Bei der Auswahl der Nachfolger zeigt sich über alle Fallstudien hinweg ein sehr homogenes Bild. Bei allen Unternehmen wurde eine familieninterne Nachfolge stark präferiert. Allerdings konnte auch aus dem Datenmaterial extrahiert werden, dass hierdurch Druck auf die Nachfolger ausgeübt wurde, das Unternehmen zu übernehmen.

Unternehmenskontext: Organisatorischer Wandel Fließender Prozess, keine klare Abgrenzung der Phasen Grundlegende Regelungen und erste Schritte Planung bzgl. Eigentumsübergabe Keine Planung bzgl. Managementübergabe Keine Rollenverteilung

Entwicklung und Förderung potenzieller Nachfolger Sehr gute formale Bildung Keine betriebliche bzw. unzureichende betriebliche Einarbeitung Übergabe als Lernprozess

Abb. 19.16: Nachfolgeprozess. Quelle: Eigene Darstellung.

Auswahl ausschließliche Fokussierung auf familieninterne Nachfolger

Übergabe (Management, Eigentum) Nachfolgende Generationen in Management involviert Eigentumsübertragung

472 | Christian Fuchs

Bei allen vier Unternehmen hat die nachfolgende Generation bereits Anteile am Unternehmen und ist aktiv im Management des Unternehmens tätig. Bei der Metall AG hat sich zudem herauskristallisiert, dass diese Phase – obwohl am Ende des Prozesses – durchaus erhebliches Konfliktpotenzial mit sich bringt, wenn der Übergeber nicht vom Unternehmen lassen kann.

5.7 Nachfolgeerfolg Alle Unternehmen haben eine gute Eigenkapitaldecke und sind uneingeschränkt überlebensfähig. Allerdings war die Übergabe nur in drei der vier Unternehmen zufriedenstellend für die Beteiligten, da der Nachfolger bei der Metall AG deutliche Unzufriedenheit mit dem Nachfolgeprozess äußerte. Er betonte, dass er fünf Jahre seines Lebens verschenkt habe.

5.8 Zusammenfassung bisheriger Aspekte Nachdem die Ergebnisse auf Basis einer „literal replication“ (Yin 2003, 49) empirisch verhärtet worden sind, wurden diese in das in Abschnitt 2.4 entwickelte Modell eingefügt. Somit ergibt sich eine Übersicht über die empirischen Verhärtungen des Modells, die aus der Cross-Case-Analyse abgeleitet werden können. Im oberen Abschnitt des Modells sind die moderierenden Variablen aufgezeigt, die einen Einfluss auf die Bildung sozioemotionalen Kapitals haben. Letztgenanntes steht im Zentrum des Modells, wobei sich hierbei bei allen vier Fallstudien eine deutliche Ausprägung abgezeichnet hat. Im unteren Teil des Modells ist der empirisch verhärtete Nachfolgeprozess abgebildet. Zudem konnte aus dem Datenmaterial extrahiert werden, dass die familiären Beziehungen, d.h. der Familienkontext, nicht nur auf die Bildung sozioemotionalen Kapitals Auswirkungen hat, sondern sich direkt auf den Nachfolgeerfolg und Prozess auswirkt. Es ist zu erkennen, dass durch die Cross-Case-Analyse die Beziehungen der Blöcke „Moderierende Variablen“, „Sozioemotionales Kapital“ und „Nachfolgeprozess“ nicht konkret herausgearbeitet werden konnten.

Kapitel 19: Sozioemotionales Kapital im Rahmen von Unternehmensnachfolgen | 473

Geschäftskontext

Moderierende Variablen Positiver Informationsaffektiver verfügbarkeit Status

Familienkontext

Komplexität

Persönliche Relevanz

Positive VaterSohnBeziehung

Sozioemotionales Kapital Starke Ausprägung (FIBER-Dimensionen)

Fließender Prozess, keine klare Abgrenzung der Phasen Grundlegende Regelungen und erste Schritte Planung bzgl. Eigentumsüb ergabe Keine Planung bzgl. Management -übergabe Keine Rollenverteilung

Entwicklung und Förderung potenzieller Nachfolger Sehr gute formale Bildung Keine betriebliche bzw. unzureichende betriebliche Einarbeitung Übergabe als Lernprozess

Auswahl ausschließliche Fokussierung auf familieninterne Nachfolge

Zufriedenheit Übergabe (Management, Eigentum) Nachfolgende Generationen in Management involviert

+ Uneingeschränkte Überlebensfähigkeit +

Eigentumsübertrag

Organisatorischer Wandel

Abb. 19.17: Verhärtetes Modell. Quelle: Eigene Darstellung.

6 Diskussion In diesem Abschnitt werden die Ergebnisse der Cross-Case-Analyse diskutiert und an den theoretischen Grundlagen reflektiert. Hierbei sollen insbesondere die Beziehungen zwischen den (1) moderierenden Variablen und sozioemotionalen Kapital und (2) die Auswirkungen des sozioemotionalen Kapitals auf den Nachfolgeprozess herausgearbeitet werden. Es wird gemäß der Analysemethode des „Pattern Match-

474 | Christian Fuchs

ing“ (Yin 2003, 116) der Nachfolgeprozess an der Theorie des sozioemotionalen Kapitals gespiegelt.

6.1 Beziehung zwischen den moderierenden Variablen und dem sozioemotionalen Kapital Es konnten vier moderierende Variablen empirisch verhärtet werden: Komplexität, persönliche Relevanz, positiver affektiver Status und Informationsverfügbarkeit. Dies deutet darauf hin, dass auch bei der Unternehmensnachfolge eine substanzielle Verarbeitung (Forgas 1995, 47) der Informationen stattfindet und dadurch eine starke Beeinflussung durch Affekte gegeben ist. Dies erscheint durchaus plausibel, da die substanzielle Verarbeitungsstrategie dann gewählt wird, wenn die Notwendigkeit besteht, neue Informationen zu selektieren, zu erlernen, zu interpretieren und diese mit bestehenden Wissensstrukturen zu verknüpfen. Zudem wird diese Verarbeitungsstrategie dann gewählt, wenn das Objekt des Urteils komplex ist und es keine spezifische Motivation gibt, die die Verarbeitung beeinflusst. Des Weiteren kommt hinzu, dass ausreichend kognitive Kapazitäten vorhanden sein müssen und der Entscheider einen Anreiz hat, eine möglichst genaue, fehlerfreie Entscheidung zu treffen. (Forgas 1995, 47) Diese Bedingungen waren in den untersuchten Fällen weitestgehend erfüllt, da (1) mit Ausnahme einer Person keine Erfahrungen mit dem Übergabeprozess vorhanden waren. Des Weiteren war (2) die Übergabe für die beteiligten Personen eine komplexe Aufgabe und (3) hatte hohe persönliche Relevanz, wodurch ein Anreiz gegeben war, eine möglichst genaue Entscheidung zu treffen. Somit ist das Modell von Zellweger/Dehlen (2011, 285) auch im Kontext der Unternehmensnachfolge entsprechend anwendbar. Bei allen Unternehmen hat sich eine deutliche Ausprägung des sozioemotionalen Kapitals gezeigt (siehe Abbildung 19.14, Sozioemotionales Kapital; vorheriges Kapitel). Obwohl bei allen vier Unternehmen ein hohes Niveau zu erkennen ist, gibt es dennoch Unterschiede in der Ausprägung, wobei bei der Metall AG die schwächste und bei Prime Media die höchste zu erkennen ist. Die Kugel GmbH und der Deluxe Metzger liegen in der Ausprägung lediglich knapp hinter Prime Media. Abbildung 19.18 zeigt zum einen die empirisch verhärteten moderierenden Variablen und die von Zellweger/Dehlen (2011, 289) vorhergesagte Auswirkung auf die Bildung sozioemotionalen Kapitals. Zum anderen sind im unteren Teil der Abbildung 19.18 die Ausprägungen des sozioemotionalen Kapitals anhand der FIBERDimensionen (Berrone et al. 2012, 262 ff.) dargestellt. Legt man die theoretischen Annahmen von Zellweger/Dehlen (2011, 289) zugrunde, dann ist es schlüssig, dass bei der Metall AG eine geringere Ausprägung des sozioemotionalen Kapitals vorliegt als bei Prime Media. Bei der Metall AG sind zwei positi-

Kapitel 19: Sozioemotionales Kapital im Rahmen von Unternehmensnachfolgen | 475

ve moderierende Variable und eine negative vorhanden, während bei Prime Media ein Verhältnis von drei positiven zu einem negativen Einflussfaktor vorherrscht. Dieses Muster spricht für eine empirische Verhärtung der von Zellweger/Dehlen (2011, 289) prognostizierten Auswirkung auf das sozioemotionale Kapital.

Metall AG

Prime Media

Deluxe Metzger

Kugel GmbH

Übernehmer

Übergeber

Übernehmer

Übergeber

Übernehmer

Übergeber/ Übernehmer

Komplexität

x

x

x



x

x

positiv

Persönliche Relevanz

x

x

x

x

x

x

positiv

Positiver affektiver Status

-

x

x

x

x

x

positiv

Informationsverfügbarkeit

x

x

x

x

x

x

negativ

Familieneinfluss

stark

stark

stark

stark

stark

stark

Identifikation

mittel

stark

stark

stark

stark

stark

Bindende soziale mittel Kontakte

stark

stark

mittel

mittel

stark

Emotionale Beziehung

mittel

mittel stark bis stark

stark

stark

stark

Erneuerung Familienbande

stark

stark

stark

stark

mittel

stark

Auswirk ungen

Abb. 19.18: Einfluss moderierender Variablen. Auswirkungen nach Zellweger und Dehlen (2011, 89). Quelle: Eigene Darstellung.

6.2 Auswirkungen sozioemotionalen Kapitals auf den Nachfolgeprozess Beim Nachfolgeprozess hat sich in allen untersuchten Fällen gezeigt, dass es sich um einen fließenden Prozess handelt. Die von Breton-Miller et al. (2004) entwickelten Erfolgsfaktoren fanden hierbei auf breiter Basis keine Anwendung. Gemäß des Modells des sozioemotionalen Kapitals ist der Referenzpunkt der Entscheider die Erhaltung sozioemotionalen Kapitals (Gomez-Mejia et al. 2010, 225; Gomez-Mejia et al. 2007, 131; Jones et al. 2008, 1007). In den untersuchten Unternehmen hat sich herauskristallisiert, dass die Nachfolgeplanung sehr schwach ausgeprägt war. Es wurde in keinem Unternehmen die Managementübergabe oder die Rollenverteilung zwischen übergebender und über-

476 | Christian Fuchs

nehmender Generation schriftlich geplant. Gomez-Mejia et al. (2011, 662) betonen, dass die Abneigung des Übergebers zu planen als Neigung angesehen werden kann, den Einfluss und die Kontrolle über das Unternehmen zu erhalten, auch dann, wenn dies nicht den ökonomischen Zielen des Unternehmens dient. Ökonomisch wäre es, die Nachfolge detailliert zu planen, da dies einen entscheidenden Erfolgsfaktor darstellt (Breton-Miller et al. 2004, 318). Allerdings hat sich in allen vier Fällen gezeigt, dass obwohl ein sehr geringes Ausmaß an Planung vorherrschte, die Eigentumsübergabe durchweg sehr gut geplant wurde. Dies erscheint zunächst widersprüchlich zu den Überlegungen von GomezMejia et al. (2011, 662). In den untersuchten Unternehmen wurde deutlich, dass zum einen die Nachfolge sehr lange dauert (deutlich über 10 Jahre) und zum anderen die übergebende Generation noch Anteile an dem Unternehmen hält. Diese ermöglichen dem Übergeber nach wie vor eine Einflussnahme, da die Kontrolle über das Unternehmen durch die Eigentumskonstellation (siehe z.B. § 47 GmbHG) und nicht durch die aktuelle Organisation des Management determiniert ist. Letztgenanntes kann durch die Eigentümer jederzeit geändert werden. Somit erhält der Übergeber zum einen durch die nur teilweise Übergabe des Eigentums ein Stück weit seinen Einfluss auf das Unternehmen und zum anderen entspricht dieses Verhalten der Neigung, die Familienbande über die Generationen hinweg zu erhalten. Werden vor dem Tod der übergebenden Generation keine Regelungen getroffen, erfolgt die Eigentumsübertragung gemäß der gesetzlichen Erbfolge nach § 1922 ff. BGB (DATEV 2011, 30). Hierbei ist im Rahmen der Erbschaftssteuer (siehe auch ErbStG) der „gesamte Vermögensanfall zur versteuern“ (DATEV 2011, 56), wobei die Bewertung des Unternehmens zu Verkehrswerten erfolgt (DATEV 2011, 57). Durch eine frühzeitige Regelung kann die anfallende Steuerlast gesenkt werden. In allen untersuchten Unternehmen kann durch die frühe Planung der Eigentumsübertragung das Unternehmen so übertragen werden, dass hierfür keine Unternehmensanteile verkauft werden müssen, um die Steuerlast zu tragen. Dadurch dient die frühzeitige Planung bezüglich Eigentumstransfer der Einflusssicherung auf das Unternehmen und somit der Erhaltung sozioemotionalen Kapitals. Obwohl die Ergebnisse in der Fallstudienuntersuchung die Logik des Modells des sozioemotionalen Kapitals widerspiegeln, greift eine ausschließliche Betrachtung der individuellen Ebene (Übergeber) zu kurz. Handler/Kram (1988, 375) haben im „Model of Resistance to Succession in the Family Business“ neben der individuellen drei weitere Ebenen identifiziert, die einen Einfluss auf die Resistenz bezüglich der Nachfolgeplanung haben, interpersonelles Gruppenlevel, organisationale Ebene und die Unternehmensumwelt. Auf dem interpersonellen Gruppenlevel erhöhen zum Beispiel fehlendes Vertrauen, eine fehlende offene Kommunikation, Familienkonflikte oder auch die Existenz mehrerer potenzieller Erben die Resistenz von Familienunternehmen bezüglich Nachfolgeplanung. Hingegen wirken sich Vertrauen, ein ausgewogenes Machtverhältnis und die Existenz von nur einem möglichen Erben förderlich auf die Nachfolgeplanung aus (Handler/Kram 1988, 375). Auf organisatio-

Kapitel 19: Sozioemotionales Kapital im Rahmen von Unternehmensnachfolgen | 477

naler Ebene werden zum Beispiel ein stabiles Unternehmenswachstum und eine Kultur, die organisationale Entwicklung fördert, als resistenzerhöhend angesehen. Ein sich abzeichnender organisatorischer Umschwung, eine funktionale Organisationsstruktur und eine Unternehmenskultur, die Wandel als Chance begreift, werden hingegen als resistenzreduzierend betrachtet. Auf Ebene der Unternehmensumwelt wird eine stabile wirtschaftliche Umwelt, in der Industriestandards vorherrschen und spezialisiertes Wissen benötigt wird, als resistenzerhöhend angesehen. Hingegen wirkt ein schwieriges wirtschaftliches Umfeld, in dem es kaum Industriestandards gibt und wenig Spezialwissen erfordert wird, als resistenzmindernd. Zudem konnte aus dem Datenmaterial extrahiert werden, dass die Übergabe als Lernprozess aufgefasst wurde. Entsprechend der beobachteten Logik bei der Nachfolgeplanung zeigte sich in den Unternehmen keine formal strukturierte und systematische Einarbeitung. Die beziehungsorientierte Herangehensweise, in Form eines gegenseitigen Lernprozesses zwischen Übergeber und Übernehmer, ist charakteristisch für Familienunternehmen (Fiegener et al. 1994, 323). Allerdings sollte der Lernprozess sehr früh abgestimmt werden, um Aufgabengebiete zu definieren und Kompetenzanforderungen festzulegen, die auf jeder Prozessstufe zu erfüllen sind (Wang et al. 2004, 61/62). Insbesondere, da die Ausbildung des Nachfolgers Einfluss auf die Übertragung von „tacit knowledge“ hat, welches für den Nachfolgeerfolg relevant ist (Cabrera-Suarez et al. 2001, 41). Auch hier kann die Abneigung des Übergebers den Lernprozess im Detail zu planen als Neigung interpretiert werden, seinen Einfluss und die Kontrolle über das Unternehmen zu erhalten. Somit ist auch auf dieser Prozessstufe ersichtlich, dass das Verhalten der sozioemotionalen Logik entspricht. Bei der Auswahl des Nachfolgers hat sich herauskristallisiert, dass zunächst ausschließlich familieninterne Lösungen in Betracht gezogen wurden. Kets de Vries (1993, 69) kam zu vergleichbaren Ergebnissen. Auch hier zeichnet sich die Logik ab, sozioemotionales Kapital zu erhalten (Gomez-Mejia et al. 2011, 661), da hierdurch zum einen die Familienbande erhalten wird und zum anderen Einfluss und Kontrolle generationenübergreifend erhalten bleibt (Zellweger et al. 2012, 860). Allerdings zeigt sich in der Untersuchung auch, dass hierdurch Druck auf den Nachfolger ausgeübt wurde, dass Unternehmen zu übernehmen. Dies kann für den Erfolg der Nachfolge problematisch sein, da unter Umständen Spannungen im familiären Kontext entstehen beziehungsweise verstärkt werden können, die sich negativ auf den Nachfolgeerfolg ausüben können (Cabrera-Suarez et al. 2001, 43). Zudem ist in Betracht zu ziehen, dass unter Umständen das Familienmitglied nicht der geeignete Nachfolger ist. Royer, Simons, Boyd und Rafferty (2008, 27) betonen, dass Situationen, die familieninterne Nachfolger benötigen, durch die Notwendigkeit des Verständnisses der Beziehungen zwischen Angestellten geprägt sind und das firmenspezifische Wissen in einem „learning-bydoing“-Prozess erlernt werden muss. Sofern jedoch technisches und industriespezifisches Wissen von hoher Bedeutung ist, sollte eine systematische Auswahl in Form eines Bewertungsprozesses zwischen internen und externen Kandidaten stattfinden.

478 | Christian Fuchs

Geschäftskontext

Familienkontext

Moderierende Variablen Positiver Informationsaffektiver verfügbarkeit Status –

Komplexität

+

+

Familiäre Beziehungen

Persönliche Relevanz +

Sozioemotionales Kapital Starke Ausprägung (FIBER-Dimensionen) Erhaltung sozioemotionales Kapital Fließender Prozess, keine klare Abgrenzung der Phasen Grundlegende Regelungen und erste Schritte Planung bzgl. Eigentumsübergabe Keine Planung bzgl. Managementübergabe Keine Rollenverteilung

Entwicklung und Förderung potentieller Nachfolger

Auswahl

Sehr gute formale Bildung Keine betriebliche bzw. unzureichende betriebliche Einarbeitung Übergabe als Lernprozess

ausschließliche Fokussierung auf familieninterne Nachfolge

Zufriedenheit Übergabe (Management, Eigentum) Nachfolgende Generationen in Management involviert Eigentumsübertragung

+ Uneingeschränkte Überlebensfähigkeit +

Organisatorischer Wandel

Abb. 19.19: Prozessmodell der Unternehmensnachfolge unter einer sozioemotionalen Perspektive. Quelle: Eigene Darstellungen.

7 Schlussbetrachtung Zusammenfassend kann zum einen festgehalten werden, dass die von Zellweger und Dehlen (2011, 289) prognostizierter Auswirkungen der moderierenden Variablen auf die Entstehung des sozioemotionalen Kapitals empirisch verhärtet werden konnten. Zum anderen hat sich abgezeichnet, dass die Logik sozioemotionales Kapital zu erhalten,

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mit dem beobachteten Nachfolgeprozess übereinstimmt. Letztendlich hat sich auf allen Prozessstufen gezeigt, dass zur Erhaltung des sozioemotionalen Kapitals ein höheres Fehlschlagrisiko des Prozesses in Kauf genommen wurde, da die von Breton-Miller et al. (2004) aufgezeigten Erfolgsfaktoren kaum Beachtung fanden. Dennoch wurde der Nachfolgeprozess in drei von vier Unternehmen nicht negativ beeinflusst. Bei der Metall GmbH hat sich gezeigt, dass vor allem durch die fehlende, strukturierte Einarbeitung die Zufriedenheit mit der Nachfolge erheblich reduziert wurde. Allerdings ist auch hier die uneingeschränkte Überlebensfähigkeit gegeben. Dies lässt die Schlussfolgerung zu, dass womöglich die Erfolgsfaktoren in kleinen und mittleren Familienunternehmen unterschiedlich stark gewichtet sind. Vor allem war auffällig, dass in den vier untersuchten Unternehmen die Nachfolger stets eine sehr gute formale Ausbildung absolviert haben, bevor sie in das Unternehmen eingetreten sind. Zudem war in drei von vier Fällen eine deutliche Motivation zur Übernahme zu erkennen. Dadurch ist zum einen durch die starke Fokussierung auf familieninterne Nachfolger keine negative Beeinträchtigung des Prozesses entstanden, da alle Nachfolger durchweg für die Übernahme geeignet waren. Des Weiteren hat das gute Verhältnis zwischen Übergeber und Nachfolger (in drei von vier Fällen) einen positiven Effekt auf den beobachteten fließenden beziehungsweise evolutionären Nachfolgeprozess (Cabrera-Suarez et al. 2001, 43). Dadurch kamen die Risiken, die durch die Neigung, sozioemotionales Kapital zu erhalten, in diesen Fällen nicht durchweg zum Tragen. Dennoch bleibt festzuhalten, dass die Logik der Erhaltung sozioemotionalen Kapitals zur Gefährdung des Nachfolgerfolges führen kann. Die Abbildung 19.18 zeigt das finale Modell. Die Forschungsfrage, wie sozioemotionales Kapital den Nachfolgeprozess in kleinen und mittleren Familienunternehmen beeinflusst, wurde durch die Entwicklung eines Prozessmodells beantwortet. Dieses stellt den Ablauf der Nachfolge unter einer sozioemotionalen Perspektive dar. Hierdurch wurde zum einen der Aufforderung von Sharma et al. (2012, 10) nachgekommen, aufgrund der Heterogenität des Familieneinflusses eine differenzierte Betrachtung des Themengebietes „Unternehmensnachfolge“ einzunehmen. Zum anderen konnte der von Gomez-Mejia et al. (2011, 661) aufgezeigte Einfluss des sozioemotionalen Kapitals auf den Nachfolgeprozess weiter detailliert und herausgearbeitet werden. 1. Familie und Unternehmen sind sehr eng verwoben (Aldrich/Cliff 2003, 589). Bei allen Unternehmen hat sich gezeigt, dass die Familien einen nichtökonomischen Nutzen aus dem Besitz des Unternehmens erfahren (Gomez-Mejia et al. 2011, 654 f.). Dieser Nutzen wurde als sozioemotionales Kapital deklariert und an Hand der FIBER-Dimensionen gemessen. 2. Der Familienkontext ist nicht nur Grundlage für die Bildung von sozioemotionalem Kapital (Berrone et al. 2012, 259), sondern hat auch direkte Auswirkungen auf den Nachfolgeerfolg.

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3.

Familienunternehmen entscheiden sich in ihrer Fähigkeit, sozioemotionales Kapital zu erzeugen (Zellweger/Dehlen 2011, 281). Es konnten vier moderierende Variablen und deren Einfluss empirisch verhärtet werden: a. Informationsverfügbarkeit (Negative Auswirkung) b. Positive Affektiver Status (Positive Auswirkung) c. Komplexität (Positive Auswirkung) d. Persönliche Relevanz (Positive Auswirkung) 4. Sozioemotionales Kapital hat Auswirkungen auf den Nachfolgeprozess, da sich die Maxime der Handlungen nicht primär nach ökonomischen Interessen richtet, sondern der Logik folgt, sozioemotionales Kapital zu erhalten. Hierfür wird auch ein höheres Fehlschlagrisiko in Kauf genommen, da Erfolgsfaktoren der Unternehmensnachfolge nicht durchweg beachtet wurden. 5. Der Nachfolgeprozess war fließend und ging mit einem organisatorischen Wandel einher. Die zentralen Charakteristika des Prozesses waren: a. Lange Dauer b. Schwach ausgeprägte Nachfolgeplanung mit der Ausnahme einer Fokussierung auf Planung des Eigentumstransfers c. Übergabe als evolutionärer Lernprozess; keine strukturierte und geplante Einarbeitung d. Ausschließliche Fokussierung auf familieninterne Nachfolge e. Teilweise Eigentumsübertragung mit der Tendenz, die Anteile länger zu halten. Das Modell trägt jedoch nicht nur zur Theorieentwicklung bei, sondern hat zudem auch praktische Implikationen. Es hat sich gezeigt, dass eine starke Fokussierung auf den Eigentumstransfer vorherrscht. Hier sollte zum Beispiel in der Beraterpraxis gezielt darauf geachtet werden, dass neben rechtlichen, steuerlichen und gesellschaftsrechtlichen Aspekten auch die Übertragung der Leitungsverantwortung (Management) Beachtung finden sollte. In der Untersuchung hat sich ein einseitiges Bild der Beratung auf erstgenannte Aspekte gezeigt. Zudem hat sich gezeigt, dass die Erfolgsfaktoren der Unternehmensnachfolge bei kleinen und mittleren Familienunternehmen womöglich unterschiedlich stark gewichtet sind. D.h., dass in der Beratungspraxis eine Fokussierung auf die in dem Nachfolgeprozess empirisch verhärteten Faktoren zielführend sein kann.

8 Limitationen und weiterer Forschungsbedarf Das entwickelte Modell ist strikt unter der Prämisse des qualitativen Forschungsdesigns zu betrachten. Es wurde maßgeblich auf Basis einer Replikationslogik empirisch verhärtet, eine Verallgemeinerung der Ergebnisse auf Basis statistischer Ver-

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fahren kann ausdrücklich nicht geleistet werden. Für die zukünftige Forschung wäre es daher erstrebenswert, die Ergebnisse mit Hilfe quantitativer Verfahren auf Signifikanz in der Grundgesamtheit zu testen. Zudem wäre aus Autorensicht eine Untersuchung größerer Familienunternehmen interessant. Des Weiteren waren die Nachfolger als auch die Übergeber männlich. Ein geschlechtsspezifischer Vergleich könnte daher ebenfalls weitere interessante Einblicke liefern. Weitere Informationen, insbesondere zum Interviewleitfaden sowie zu den Auswertungs- und Studienergebnissen können beim Autor des Beitrags angefordert werden.

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Mechthild Stockmeier und Patrick Roßmann

Kapitel 20: Mediation als Instrument der betrieblichen Konfliktbewältigung

1 Auswirkungen betrieblicher Konflikte 1.1 Konflikte im Unternehmenskontext Konflikte finden sich in vielen Situationen unseres Lebens. In der Familie, unter Freunden, beim Sport, in Vereinen, im Umgang mit Behörden und selbstverständlich auch im betrieblichen Kontext. Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass Konflikte etwas Schädliches sind, wodurch die positiven Aspekte, die durch eine richtige Nutzung von Konflikten entstehen können, aus dem Blickfeld der Betrachter verschwinden. Eine konstruktive Konfliktaustragung kann ein Schlüssel für die sachliche Lösung von Problemen sein, sie kann neue Perspektiven eröffnen und ein kreatives Verhalten stimulieren und dafür sorgen, dass sich Personen und Wertvorstellungen verändern (Hintz 2011, 119). In diesem Zusammenhang ist ein Konflikt als eine Interaktion zu verstehen, an der mindestens zwei Akteure (Individuen, Gruppen oder Organisationen) beteiligt sind, wobei wenigstens ein Akteur eine Unvereinbarkeit seiner Position (Denken, Vorstellungen, Wahrnehmung, Fühlen und/oder Wollen) mit mindestens einem anderen Akteur in der Art und Weise erlebt, das bei der Realisation seiner Position eine Beeinträchtigung durch die Positionsrealisierung von mindestens einem anderen Akteur vorliegt (Glasl 2013, 14. ff.). Im betrieblichen Kontext sind auftretende Konflikte nur sehr selten genereller Natur. Sie beziehen sich in der Regel auf bestimmte Betriebsbereiche beziehungsweise sind auf explizite Themen beschränkt (Hauser-Ditz/Hertwig/Pries 2012, 338). Konflikte können beispielsweise in folgenden Situationen auftreten, wobei die Aufzählung nicht als abschließend anzusehen ist:

|| Mechthild Stockmeier Rechtsanwältin und Mediatorin Leitung Consensus – Institut für Mediation e.V. Patrick Roßmann, M. Sc. Mediator und Ausbilder Consensus – Institut für Mediation e.V.

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Arbeitszeitregelungen Aufstellung von Sozialplänen Beförderungen Einstieg bzw. Ausstieg von Gesellschaftern Fragen der Betriebsorganisation Gestaltung gemeinsamer Büros Investitionsentscheidungen Kompetenzstreitigkeiten Lohn- und Gehaltsverhandlungen Mobbing-Verdacht Ressourcenverteilungen Schadensersatzansprüche Unternehmensnachfolgen Vertragsgestaltungen

Die Thematisierung von Konflikten im betrieblichen Kontext hat seit Mitte der 1990er Jahre spürbar an Bedeutung gewonnen, insbesondere in den Bereichen Management und Organisationspsychologie (Thiel 2009, 232; Glasl 1998; Regnet 2001; Berkel 2005; Glasl 2013). Im organisationspsychologischen Kontext ist die Trennung zwischen Aufgabenkonflikten und Beziehungskonflikten von herausgestellter Bedeutung (Nerdinger/Blickle/Schaper 2008, 123; Jehn/Bendersky 2003). In arbeitsteilig-organisierten Systemen wie einem Unternehmen besitzen die Beziehungskonflikte zwar nicht unmittelbar einen Aufgabenbezug. Dennoch sind sie, sofern sie eine längere Zeit andauern, für einen störungsfreien Betriebsablauf ebenso gefährlich wie direkt aufgabeninduzierte Konflikte. Sie entstehen insbesondere dann, wenn sich ein Akteur durch einen Interaktionspartner herabgesetzt, gedemütigt, vernachlässigt oder zurückgewiesen fühlt. Exemplarisch kann hier die Beziehung zwischen zwei Kollegen als Beispiel herangezogen werden. Fühlt sich eine Person durch das Verhalten oder eine aus ihrer Sicht nicht ausreichend große Wertschätzung der anderen Person herabgesetzt, so kann dies zu einem Beziehungskonflikt zwischen den beiden beteiligten Akteuren führen, obwohl es ceteris paribus keinen aufgabenbezogenen Grund für einen Konflikt gibt. Darüber hinaus kann es in Unternehmen zu den bereits angesprochenen aufgabeninduzierten Konflikten kommen. Diese können in Form von Bewertungs-, Beurteilungs- und/oder Verteilungskonflikten in Erscheinung treten (Nerdinger/Blickle/ Schaper 2008, 124). Bewertungskonflikte beruhen dabei auf vermeidlich unvereinbaren Zielsetzungen und Bedürfnissen. Diese können durch unterschiedliche Werthaltungen der Beteiligten oder durch widersprüchliche formale Zielsetzungen innerhalb des Unternehmens in Verbindung mit einer unterschiedlichen Relevanzbemessung durch unterschiedliche Akteure entstehen. Beurteilungskonflikte hingegen entstehen durch Intransparenz, einer asymmetrischen Informationsverteilung beziehungsweise Informationsbereitstellung sowie den daraus entstehenden unterschiedlichen Beurtei-

Kapitel 20: Mediation als Instrument der betrieblichen Konfliktbewältigung | 489

lungsresultaten. Verteilungskonflikte basieren in der Regel auf der vermeidlichen Unvereinbarkeit der eingenommenen Positionen von mindestens zwei Akteuren bei knappen Ressourcen.

1.2 Folgen für kleine und mittlere Unternehmen Konflikte können wie oben bereits erläutert einen positiven Effekt entwickeln, wenn es sich bei dem Konflikt beispielsweise um eine bewältigte Herausforderung handelt (Jehle 2007, 148). Die aus Konflikten entstehenden negativen Effekte sind jedoch insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen nicht zu unterschätzen. Insbesondere KMU sind im Vergleich zu großen Unternehmen gekennzeichnet durch eine vergleichsweise geringe Mitarbeiterzahl und eine flachere Hierarchie. Erschwerend kommen die geringere finanzielle Ausstattung sowie ein dadurch nur begrenztes Unternehmenswachstum hinzu (Hilzenbecher, 2006, 88 ff.). Wo in großen Unternehmen notfalls zum Beispiel eine Konfliktlösung mittels Versetzung erzeugt werden kann, ist dies bei KMU nur schwer zu realisieren. Hinzu kommt, dass KMU auf lange Sicht verstärkt in einen Kampf um Mitarbeiter eintreten. Aufgrund einer seit Jahren niedrigen Geburtenrate in Kombination mit dem Anstieg der durchschnittlichen Lebenserwartung wird es zu einer deutlichen Veränderung auf dem Arbeitsmarkt kommen (Suprinovic/Kay, 2009, 114). Dem deutschen Arbeitsmarkt stehen Prognosen zufolge im Jahr 2050 knapp 25 % weniger Erwerbspersonen (35,4 Mio.) zur Verfügung als dies noch im Jahr 2010 der Fall war (44,7 Mio.). Qualifizierte Mitarbeiter mit Erfahrung und Bindung an das Unternehmen werden mehr noch als heute eine entscheidende Bedeutung für eine erfolgreiche Unternehmenszukunft bekommen (Mertens, 2012, 249). Ist künftig ein Mitarbeiter in einen Konflikt verwickelt, der nicht zu seiner Zufriedenheit gelöst wurde, so kann dieser die Suche nach einem alternativen Arbeitsplatz wieder als interessante und lohnenswerte Alternative gegenüber einem Verbleib im aktuellen Betrieb ansehen. Nicht selten kann es im Zuge von Konflikten darüber hinaus zu gerichtlichen Auseinandersetzungen kommen, die für ein Unternehmen teuer und langwierig werden können und darüber hinaus die knappen vorhandenen Ressourcen an den falschen Stellen binden. Durch ein entsprechend professionalisiertes Personalmanagement können Situationen wie die geschilderten zwar nicht gänzlich ausgeschlossen, aber zumindest reduziert werden. Eine professionalisierte Personalabteilung mit speziell ausgearbeiteten Methoden und Steuerungsinstrumenten kommt jedoch laut Studien vorwiegend in großen Unternehmen vor und ist dort weiter verbreitet als in kleinen und mittleren Unternehmen (Bacon/Kim 2005, 1976; Katz et al. 2000, 8). Eine Alternative bietet die Inanspruchnahme eines professionellen Mediationsverfahrens. Mediatoren sind allparteiliche Personen, die im Rahmen eines Konfliktlösungsprozesses professionelle Unterstützung anbieten. Sie bieten Konfliktparteien einen Rahmen, in dem diese eine nachhaltige und einvernehmliche Konfliktlösung

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erarbeiten können. Anders als bei Schiedsgerichten oder Schlichtungsstellen übernehmen sie nicht die Aufgabe einer Entscheidungsfindung, sondern unterstützen die Parteien bei der Erarbeitung einer eigenen Lösung. Die in einem solchen Verfahren gefundenen sind in der Regel nachhaltig, da beide Personen an der Erarbeitung sowie an konkreten Umsetzungsmaßnahmen mitgearbeitet haben und daher auch an einer gegenseitigen Einhaltung interessiert sind.

2 Konfliktentstehung Die Definition des Konfliktbegriffs beinhaltet, dass es Tendenzen gibt, die gleichzeitig auftreten, dabei in gegensätzliche beziehungsweise unvereinbare Richtungen weisen und deren Verwirklichung voneinander abhängt. Ein charakteristisches Merkmal ist, dass sie in der Regel nicht zum selben Zeitpunkt realisiert werden können. Umgangssprachlich wird üblicherweise gesagt: „Ich habe einen Konflikt“. Dabei wäre es korrekter zu sagen: „Der Konflikt hat mich!“ Konflikte können im Berufsleben aus unterschiedlichen Gründen auftreten. Im Kontext der Wirtschaft entstehen Konflikte überwiegend dann, wenn Menschen interagieren und gemeinsame Ziele verfolgen und in diesem Kontext unterschiedliche Interessenslagen bei den beteiligten Parteien vorherrschen (Proksch 2010, 4). Dies ist beispielsweise der Fall, wenn zwischen Führungskräften und Mitarbeitern unterschiedliche Informationen verbreitet werden, diese Informationen unterschiedlich interpretiert und somit (bewusst oder unbewusst) Probleme geschaffen werden, deren Auswirkungen oder Lösungsansätze von den verschiedenen an dem Konflikt beteiligten Parteien verschieden definiert werden. Konflikte können darüber hinaus auch durch unterschiedliche Ziele auf der persönlichen Ebene, durch Erwartungen oder das jeweilige Verhalten entstehen. Die häufigsten Konflikte werden hervorgerufen durch unzureichende Kommunikation, gefolgt von gegenseitiger Abhängigkeit und dem Gefühl, ungerecht behandelt zu werden. Auch entwickeln sich Konflikte durch Kämpfe um Macht und Einfluss, bei Verantwortungsüberschneidung, Auseinandersetzungen über Zuständigkeiten sowie dem Wettbewerb um knappe Ressourcen. Auf der persönlichen Ebene grassieren oft Misstrauen, Groll, Ärger oder Empfindlichkeiten. Unvereinbare Persönlichkeiten treffen aufeinander und bewirken eine Cliquenbildung, die den Außenstehenden Gesichtsverluste und andere Nachteile bringen können. In solchen Situationen greifen Menschen auf erlernte Konfliktbewältigungsmechanismen wie Vermeidung, Verleugnung, Ausbrüche, Beschwichtigung, oberflächliche Sachlösung oder faule Kompromisse zurück, die zwar einen kurzfristigen Erfolg bringen mögen, jedoch langfristig in der Regel zu einer erschwerten Zusammenarbeit führen (Thomann 2012, 19). Eine Eskalation beziehungsweise ein späteres erneutes Aufbrechen von Konflikten ist in so einer Situation quasi vorprogrammiert.

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Die von dem österreichischen Ökonomen, Organisationsberater und Konfliktforscher Friedrich Glasl entwickelten neun Stufen eines Eskalationsprozesses zeigen die Dynamik einer Konflikteskalation auf (Glasl 2010, 234 ff.). So können Konflikte in relativ unkritischer, aber auch in einer persönlich und wirtschaftlich gefährlichen Ausprägung auftreten. In der ersten Ebene des Eskalationsprozesses (Stufen 1 bis 3) können beide Konfliktparteien prinzipiell (auch gleichzeitig) als „Gewinner“ aus dem Konflikt hervorgehen. Man bezeichnet dies auch als die bekannte „win-win“Situation. Auf der ersten Stufe (Verhärtung) prallen Meinungen aufeinander, es passieren zeitweilige verbale Ausrutscher. Durch das Bewusstsein einer bestehenden Spannung bei den beteiligten Parteien wird eine Art Krampf erzeugt. Diese Phase ist jedoch dadurch geprägt, dass bei den beteiligten Konfliktparteien die Überzeugung vorherrscht, dass die vorhandenen Spannungen durch Gespräche lösbar sind. In dieser ersten Phase bilden sich noch keine starren Parteien oder Lager um die Konfliktbeteiligten herum. Die Stufe zwei (Polarisation und Debatte) ist geprägt von der Einseitigkeit im Denken, Fühlen und Wollen. Menschen werden in ein „Schwarz-WeißRaster“, also in Gut und Böse eingeteilt. Es entwickelt sich verbale Gewalt, die dadurch zum Ausdruck kommt, dass schlecht über die jeweils anderen Beteiligten gesprochen wird beziehungsweise diese sich gegenseitig abwerten. Auf der dritten Stufe werden vermehrt Taten statt Worte im Rahmen des Konfliktes eingesetzt. Klassischerweise wird hier nicht mehr miteinander gesprochen, sondern eine Strategie der vollendeten Tatsachen angewendet. Das bedeutet, dass mindestens eine der beteiligten Parteien Fakten schafft, die den Konflikt zu ihren Gunsten entscheiden soll. Beispielhaft können im Unternehmenskontext im Rahmen von Kompetenzfragen dadurch Fakten geschaffen werden, dass eine der beteiligten Personen sich gegenüber einem externen Kunden als Projektleiter beziehungsweise künftiger Ansprechpartner vorstellt, obwohl eine interne Entscheidung hierrüber noch nicht getroffen wurde. Nonverbales Verhalten, geprägt von Misstrauen und Drohgebärden dominiert dieses Phase, wobei gleichzeitig ein gutes, von Empathie gestütztes Klima verloren geht. Trotz allem sind auch in dieser Phase noch Lösungen möglich, die es den Parteien erlauben, ohne Gesichtsverlust einen entsprechenden Konflikt zu beenden (Glasl 2010, 236 f.). Die zweite Ebene wird als „win-lose“-Situation bezeichnet und beinhaltet die Eskalationsstufen 4 bis 6. Sobald ein Konflikt auf diese Ebene überspringt, wird sich am Ende des Konfliktes mindestens eine beteiligte Partei als Verlierer fühlen, während sich eine andere Partei als klassischer Gewinner betrachtet. Auf der vierten Stufe (Sorge um Image und Koalitionen) versuchen die Beteiligten, bestimmte negative Klischees und Images bei bisher Außenstehenden zu wecken. Sie drängen den Gegner in eine negative Rolle und werben um Anhänger für ihre eigenen Ansichten, Motive und Handlungen. Sie unterstellen dabei der Gegenseite nicht selten ein strafbares Verhalten, das diese aber noch dementieren kann. Die Eskalation schreitet auf der Stufe 5 (Gesichtsverlust) fort, indem öffentliche und direkte Angriffe auf die moralische Glaubwürdigkeit der Gegenpartei unternommen werden. Es werden Vorwürfe von Ehrverlust, Verrat

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und Verbrechen laut. Demaskierungsaktionen werden inszeniert, bei denen dem Konfliktgegner mutmaßlich die falschen Absichten und dessen unfaire Taten nachgewiesen werden, wodurch ein Ausstoß und ein Verbannen aus bisherigen sozialen Kreisen hervorgerufen werden soll. Auf der letzten Stufe dieser Ebene (Drohstrategien) werden Erpressungen, Drohung und Gegendrohung sowie das Stellen von Ultimaten eingesetzt. Dies soll dazu beitragen, den Stressfaktor zu erhöhen, die Gegenseite einzuschüchtern und Fehlentscheidungen der Gegenseite zu provozieren (Glasl 2010, 236 f.).

I

II

III

„win-win“

„win-lose“

„lose-lose“

Abb. 20.1: Konflikt-Eskalationsstufen. Quelle: In Anlehnung an Glasl 2010, 234 f.

In der letzten Ebene des Eskalationsprozesses, die die Stufen sieben bis neun umfasst, kann keine der beteiligten Parteien mehr als echter Gewinner aus einem Konflikt hervorgehen. Da alle beteiligten Parteien in dieser Phase verlieren, spricht man hier von einer „lose-lose“-Situation. Befindet sich der Konflikt auf der siebten Stufe (Begrenzte Vernichtungsschläge), billigen die Beteiligten dem „Feind“ keine menschlichen Qualitäten und Eigenschaften mehr zu. Positive Werte werden ins Gegenteil gekehrt, ein kleiner eigener Schaden wird als Gewinn betrachtet, solange durch eine eigene Handlung beim Gegner ein größerer Schaden entstanden ist. Setzt eine Partei gezielt auf eine Zersplitterungstaktik (Stufe 8), so wird das Paralysieren des feindlichen Systems bewusst betrieben. Ziel ist es in dieser Phase, die Macht- und Existenzgrundlage des Gegners zu zersplittern und diese zu vernichten. Die Stufe 9 (Gemeinsam in den Abgrund) am Ende des Eskalationsprozesses zeigt, dass es keinen Weg mehr zurück gibt. Zwischen den Beteiligten herrscht die totale Konfrontation. Die Vernichtung des Geg-

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ners ist das primäre Ziel, auch zum Preis der Selbstvernichtung. Es gibt, bildlich gesprochen, sogar vereinzelt die Lust am „Selbstmord“, wenn auch der Feind dabei zugrunde geht (Glasl 2010, 236 f.). Das von einer Person gezeigte Konfliktverhalten ist insbesondere von den Aspekten Eigeninteresse und Fremdinteresse abhängig. Das Eigeninteresse beschreibt, wie stark ein Akteur seine persönlichen Bedürfnisse, Ziele und Interessen gegenüber anderen beteiligten Parteien durchsetzen möchte. Das Fremdinteresse hingegen beschreibt, in wie weit demselben Akteur daran gelegen ist, dass auch die anderen beteiligten Akteure ihre Bedürfnisse, Ziele und Interessen realisieren können (Nerdinger/Blickle/Schaper 2008, 128). Durch die Kombination dieser beiden Einflussdeterminanten lassen sich fünf prototypische Konfliktlösungsansätze ableiten: Fremdinteresse stark

Echte Problemlösung

Anpassen

Kompromiss schließen

Vermeiden

Kämpfen

schwach

Eigeninteresse schwach stark

Abb. 20.2: Dual-Concern-Modell. Quelle: Eigene Darstellung, Pruitt/Carnevale 1993; Nerdinger et al. 2008, 128.

Diese Spirale der Eskalation kann durch ein professionelles Konfliktmanagement unterbrochen oder auch durchbrochen werden. Beispielsweise kann ein Konflikt, unabhängig auf welcher Stufe im Eskalationsprozess er sich befindet, durch die Mitwirkung oder das Eingreifen eines Dritten aufgelöst werden. Welche Form der Intervention sinnvoll ist, hängt von der jeweiligen Eskalationsstufe ab. Dabei sind verschiedene Verfahren denkbar, die, wie aus der nachfolgenden Grafik ersichtlich wird, auf unterschiedlichen Konfliktstufen zum Einsatz kommen können. Es können

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auf den Stufen eins bis drei die Parteien einen vorhandenen Konflikt prinzipiell selbst durch ein Gespräch oder mit Hilfe eines, das Gespräch moderierenden Dritten, klären. Auf der dritten Stufe kann dies im Optimalfall entweder durch einen Moderator oder einen Prozessbegleiter geschehen. Der Moderator verfügt dabei über keinerlei Machtbefugnisse im Rahmen der Konfliktklärung. Er steuert das Gespräch zwischen den Beteiligten und unterstützt bei Begriffsklärungen. Bei einer Prozessbegleitung benötigt der Begleiter das Vertrauen beider Parteien, denn er muss mit den Parteien an den sich fixierten Rollen sowie an der zwischen den Beteiligten vorherrschenden Beziehung arbeiten. Dies geschieht zunächst in Einzelgesprächen, in dem eine selbstkritische Haltung und Empathie aufgebaut wird. Im Anschluss findet dann ein Wechselspiel zwischen Konfrontation und Zusammenführung statt.

Moderation

Prozessbegleitung Sozio-therapeutische Prozessbegleitung Mediation Schieds-/ Gerichtsverfahren Machteingriff

Prinzipiell mögliches Verfahren

Optimales Verfahren

Abb. 20.3: Potentielle und optimale Konfliktlösungsverfahren. Quelle: Anlehnung an Glasl 2010, 234 f. + 395.

Die soziotherapeutische Prozessbegleitung wird häufig dann eingesetzt, wenn die sich im Zeitverlauf aufgebauten Feindbilder noch stärker thematisiert werden müs-

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sen, um eine Konfliktlösung herbeizuführen. In der Regel sind bei den Konfliktparteien angstbesetzte Momente, stereotype Verhaltensweisen oder ein Verlust der IchKontrolle zu beobachten. Daher muss zunächst getrennt in Einzelgesprächen wieder Selbstbewusstsein und -kontrolle aufgebaut werden, Feindbilder und Angst müssen abgebaut werden. Der Prozessbegleiter achtet auf das Einhalten von Spielregeln, muss in seiner Fachkompetenz anerkannt werden und macht am Beginn auch inhaltliche Eingriffe ins Geschehen. Der Vermittler oder Mediator auf den Stufen 5 bis 7 arbeitet mit den Streitparteien am Konflikt mit dem Ziel, eine „win-win-Situation“ zu erreichen. Dabei setzt die Mediation verstärkt auf die Erkenntnis, dass eine echte Konfliktlösung nur dann erfolgen kann, wenn neben einem starken Eigeninteresse auch ein starkes Fremdinteresse vorliegt. Daher wird im Rahmen eines Mediationsverfahrens darauf hingearbeitet, dass bei den beteiligten Akteuren das Fremdinteresse im Rahmen des Verfahrens wächst und es dadurch zu einer echten und nachhaltigen Konfliktlösung kommt. In einem Schiedsverfahren oder einem Gerichtsverfahrens (Stufen 6 bis 8) wird die Entscheidung über den Streit einem Dritten übertragen. Die Auseinandersetzung über Werte und Emotionen wird in einen Streit über Fakten und Normen transformiert. Der Schiedsrichter oder Richter entscheidet nach anerkannten Normen und nach gesetzlichen Vorschriften. Emotionen und Werte der Beteiligten spielen hier keine Rolle. Ebenso wird nicht darauf geachtet, dass die beteiligten Parteien ohne Gesichtsverlust aus dem Verfahren herauskommen. Der Machteingriff als letztes Verfahren erfolgt durch eine in der Hierarchie der beteiligten Personen höher gestellte Person. Diese beendet den Konflikt, indem ein „Machtwort“ gesprochen wird, dem sich die streitenden Parteien beugen müssen. Generell können die Verfahren auch in niedrigeren als in den als optimal vorgeschlagenen Eskalationsstufen eingesetzt werden. Die Eignung eines entsprechenden Verfahrens ist dabei jedoch im Einzelfall zu überprüfen. Im weiteren Verlauf wird sich insbesondere mit der Mediation als dem am weitreichendsten außergerichtlichen Konfliktbewältigungsverfahren befasst.

3 Mediation als innovativer Konfliktbewältigungsansatz 3.1 Mediation – was ist das? Mediation ist ein vertrauliches und strukturiertes Verfahren, bei dem Parteien mithilfe eines oder mehrerer Mediatoren freiwillig und eigenverantwortlich eine einvernehmliche Beilegung ihres Konflikts anstreben (MedG 2012, 1577 ff.). Es handelt sich um ein sehr altes Verfahren des Konfliktmanagements, das in der heutigen Form in den USA in den 1960er und 1970er Jahren bekannt wurde (Besemer 1999).

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Sie kann im Rahmen von aufkommenden beziehungsweise vorherrschenden Konflikten eingesetzt werden, solange sich die streitenden Personen noch in einer Konfliktphase befinden, in der eine Klärung und Beendigung des Konfliktes unter Berücksichtigung der Interessen beider Parteien mit der Hilfe des Mediators möglich und von allen Seiten gewünscht ist. Sie ist daher für alle die Personen und Zielgruppen geeignet, die einen Konflikt mit der beziehungsweise den anderen am Konflikt beteiligten Person(en) in eigener Verantwortung regeln möchten. Die Besonderheit besteht darin, dass die Parteien freiwillig eine faire und vor allem rechtsverbindliche Lösung mit Unterstützung eines Mediators auf der Grundlage der vorhandenen rechtlichen, wirtschaftlichen, persönlichen und sozialen Gegebenheiten und Interessen selbstverantwortlich erarbeiten. Dies hat insbesondere, aber nicht nur, im wirtschaftlichen Kontext den Vorteil, dass anders als in einem Gerichtsverfahren nicht ausschließlich eine abschließende Entscheidung auf Basis vergangener Sachverhalte getroffen wird. In der Regel führt eine gerichtliche Entscheidung zu der Situation, dass die beteiligten Parteien nach dem Urteil ihre Interessen vollständig, teilweise oder gar nicht realisieren konnten. Durch die strukturelle, inhaltliche und formelle Ausgestaltung eines Gerichtsverfahrens ist es beinahe unmöglich, die Interessen aller Parteien im Rahmen der Urteilsfindung vollständig beziehungsweise größtmöglich zu berücksichtigen. An dieser Stelle greift das Mediationsverfahren, dass die an dem Konflikt beteiligten Parteien in die Lage versetzt, konkrete Vorstellungen, Interessen und Wünsche in die Konfliktlösung einzubeziehen.

3.2 Entwicklungsgeschichte der Mediation Der Ursprung des Begriffs Mediation liegt im griechischen und lateinischen. Es ist abgeleitet von dem griechischen Begriff „medos“ (Μῆδος), was inhaltlich als vermittelnd, unparteiisch, neutral beziehungsweise keiner Partei angehörend interpretiert werden kann. Im lateinischen findet sich der Begriff „mederi“, was übersetzt heilen beziehungsweise abhelfen bedeutet. Die Wurzeln der Mediation sind vielfältig. So finden sich entsprechende Ansätze in Asien, Afrika, dem antiken Griechenland oder Rom (Proksch 2014, 52). In Asien, vor allem in China und Japan, wurde aufgrund von Religion und Philosophie schon immer Wert auf Konsens, Kooperation und Harmonie gelegt. Im antiken Griechenland boten kleinere Städte den bedeutenden Stadtstaaten Athen und Sparta Vermittlungsdienste in deren kriegerischen Auseinandersetzungen an. In Afrika gab und gibt es Volksversammlungen, die sogenannten Palaver, in denen eine angesehene Person, meist der Stammesälteste, zwischen streitenden Parteien vermittelt. Auch in verschiedenen Religionen findet man den Vermittlungsgedanken. Für die Bibel seien zwei Stellen angeführt: Matthäus-Evangelium (18,15–17), 1. Korintherbrief (6,1–5). Im Mittelalter wurde der Dreißigjährige Krieg (1618–1648) durch ein Mediationsverfahren beendet. Der Gesandte der Republik Venedig, Alvise Contarini, und der

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außerordentliche Gesandte des Papstes Innozenz X, Fabio Ghigi, wurden als Vermittler 1643 zu den Verhandlungen nach Münster und Osnabrück gesandt, die mit dem „Westfälischen Frieden“ erfolgreich abgeschlossen wurden (Haller 1982). Auf einem zeitgenössischen Stich wird Contarini als Mediator bezeichnet, womit dieser Begriff erstmals dokumentiert ist. Die Grundsätze der Verhandlungsführung wurden von Contarini schriftlich festgehalten. Diese waren: – gleichen Abstand zu Personen und Sachen bewahren, – allparteilich bleiben, – keine Vorschläge an die Parteien machen, – Verschwiegenheit bewahren, – keinen Schiedsspruch aussprechen und – während der Verhandlung die Waffen ruhen lassen. In den USA schuf der Kongress bereits 1898 die gesetzliche Grundlage für die Mediation, die in Arbeitskonflikten eingesetzt wurde. In der Folgezeit wurden immer wieder Konflikte im Wirtschaftsleben durch Mediation gelöst. In den 1960er Jahren wurde das Konzept der Mediation in der heutigen Form entwickelt. Im Zuge der Bürgerrechtsbewegung wurde 1964 der Community Relations Service (CRS) gegründet, mit dessen Hilfe Konflikte und Diskriminierungen rassischer, ethnischer oder nationaler Art gelöst werden sollten. Zur gleichen Zeit bot die Association of Family and Conciliation Courts bereits Schlichtungen bei Familienstreitigkeiten an. In den 70er Jahren wurden in verschiedenen Städten Neighborhood Justice Centers (NJC) eingerichtet, die bei Nachbarschaftskonflikten eine oftmals kostenlose Vermittlung anboten. Auch in anderen Bereichen wie Umwelt und Politik eroberte sich die Mediation ihren Platz. In diesem Zusammenhang sei auf Artikel 33 der Charta der Vereinten Nationen von 1945 verwiesen, der Mediation als eine Konfliktlösungsmöglichkeit bei internationalen Konflikten vorsieht. Heute ist die Mediation in den Vereinigten Staaten fest verankert, einerseits durch verbindliche Rechtsnormen im Rechtswesen und andererseits durch Mediationsklauseln in Verträgen im amerikanischen Wirtschaftsleben. In den Jahren 1977 bis 1982 diskutierten das „Deutsche Familienrechtsforum e.V.“ und die „Evangelische Akademie Bad Boll“ verschiedene Modelle der alternativen Konfliktbeilegung, insbesondere im Bereich der Familie. Beim Familiengerichtstag der „Evangelischen Akademie Arnoldshein“ wurden 1988 Forschungsergebnisse aus den USA juristischen Fachleuten vorgestellt. In der nachfolgenden Zeit konnte sich der Gedanke der außergerichtlichen Konfliktlösung durch Mediation in Deutschland trotz des gut funktionierenden Justizwesens weiter verbreiten. Eine besondere Bedeutung kam der Mediation im Familienrecht zu. Da bis 1977 das Prinzip der Schuldfrage im Scheidungsprozess eine große Rolle spielte, stritten sich die Paare erbittert um die Kinder, das Geld und Vermögen. Um diesem „SchmutzigeWäsche-Waschen“ zu entgehen, suchte man nach Möglichkeiten der „friedlichen Scheidung“, die schlussendlich in der Mediation endete.

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Nachdem sich im Jahr 1992 die Mediatoren mit Spezialausrichtung „Familie“ in der „Bundesarbeitsgemeinschaft für Familienmediation“ (BAFM) zusammenschlossen, wurde später der „Bundesverband Mediation e.V.“ (BM) gegründet, welcher sich nicht nur auf die Familie als Einsatzmöglichkeit der Mediation spezialisiert hat, sondern verschiedene Bereiche der Mediation abdeckt. Trotz der langen Tradition von Mediation in den verschiedensten Bereichen dauerte es bis zum Jahr 1996, bevor sich die auf wirtschaftliche Fragestellungen spezialisierten Mediatorinnen und Mediatoren im „Bundesverband Mediation in Wirtschafts- und Arbeitswelt“ (BMWA) organisierten. Im Jahre 2004 erschien der „European Code of Conduct on Mediation“, der verbindliche Richtlinien für die Tätigkeit der Mediatoren festschrieb. Eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und Rates vom 20. Mai 2008 gab vor, bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen aus dem Bereich der grenzüberschreitenden Streitigkeiten bis zum 20. Mai 2011 in deutsches Recht umzusetzen. Dies geschah am 26.07.2012 mit dem in Kraft treten des „Gesetzes zur Förderung der Mediation und anderer Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung“. Im Zuge dieser Entwicklung haben sich verschiedenste Institute gegründet, die eine Ausbildung in Mediation für verschiedene Berufe mit unterschiedlichsten Inhalten und Zeiten anbieten. Die Zahl der bisher ausgebildeten Mediatoren wird bundesweit mit 7500 angegeben. Daher hat das Bundesjustizministerium in 2014 den Entwurf einer Rechtsverordnung vorgelegt, der die Aus- und Fortbildung konkretisiert. Das Ziel ist die Implementierung des „Zertifizierten Mediators“ zum Schutz der Verbraucher.

3.3 Anwendungsfelder der Mediation Es sind grundsätzlich alle Konflikte in vielen Lebensbereichen und auf vielen Rechtsgebieten für eine Mediation geeignet. Sie ist eine gute Möglichkeit, wenn es wichtig ist, die Beziehung zu den anderen beteiligten Personen aufrecht zu erhalten, die Verantwortung für die Lösung des Konflikts zu behalten, einen Ausgleich aller Interessen herbei zu führen und wenn ein Gerichtsverfahren nicht zu einer Lösung des wirklichen Konflikts führen wird. Seit der Einführung des Mediationsgedankens in Deutschland hat sich das Verfahren besonders in den Gebieten Familie, Erbe, Wirtschaft und Arbeit und da bei Mobbingfällen und gesellschaftsrechtlichen Konflikten etabliert und bewährt. Zunehmend wird Mediation nachgefragt bei steuerrechtlichen Problemen. Wirtschaftsmediation eignet sich in besonderer Weise zur unterstützenden Kommunikation in Joint-Venture Unternehmungen. Die Erstellung eines Organigramms oder eines Soziogramms, das die Strukturen und Hierarchien in Unternehmen, Abteilungen und Teams aufzeigt, ist ein nützliches Hilfsmittel zur Verdeutlichung von Beziehungen. Für die Probleme zwischen Familienmitgliedern oder zwischen Generationen ist ein Genogramm hilfreich.

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Die Mediation eignet sich jedoch nicht, wenn eine grundsätzliche Entscheidung über eine Rechtsfrage erforderlich ist oder jeglicher rechtlicher Handlungsspielraum fehlt, weil die gesetzliche Grundlage der Streitigkeit nur ein „Entweder-Oder“ zulässt. Sie bietet einige Vorteile im Vergleich zu einem Gerichtsverfahren, insbesondere ist sie vertraulich, da der Mediator der Schweigepflicht unterliegt. Sie ist umfassend, denn im Rahmen der Mediation können neben Sachthemen auch zwischenmenschliche Probleme der Parteien einbezogen und besprochen werden. Es herrscht das Prinzip der Selbstverantwortlichkeit, weil die Parteien für die gefundenen Lösungen eigenverantwortlich sind, es gibt keine Entscheidung durch einen Dritten. Weiter ist sie zukunftsgerichtet, da nach tragfähigen Lösungen gesucht wird, die die zukünftigen Beziehungen der Parteien auf eine feste Grundlage stellen. Ein Mediationsverfahren hat zum Ziel, tragfähige Lösungen für die zukünftigen Beziehungen der Parteien zu finden und nicht die Aufarbeitung der zurückliegenden Zeit. Sie ist ergebnisorientiert, denn das Ziel der Mediation ist die Lösung des Konflikts mit einem ausgeglichenen Ergebnis ohne Gewinner oder Verlierer. Sie ist konstruktiv, weil die Parteien im Mediationsgespräch die jeweiligen Sichtweisen des anderen besser kennen lernen, so dass sich verhärtete Positionen auflösen und ein gemeinsames Ziel gefunden werden kann. Darüber hinaus ist sie kostengünstig, da die Parteien die Anzahl der Sitzungen selbst bestimmen und das Honorar mit dem Mediator vereinbart wird. Sie kann kostengünstiger sein als ein Gerichtsverfahren, da für das Gericht und die Rechtsanwälte nach dem Streitwert abgerechnet wird. Wenn die Streitparteien ihr Recht in einem gerichtlichen Verfahren suchen, so entscheidet ein Richter den Streit, wobei es oft nur eine „Entweder-Oder“ Lösung gibt. Im Mediationsverfahren können die Parteien, jenseits vom „Recht-Haben“, nach kreativen, zukunftsgerichteten Lösungen für ihr Problem suchen, die auf die Wünsche der Beteiligten zugeschnitten sind.

4 Inhalt und Ablauf des Mediationsprozesses 4.1 Das Harvard-Konzept als Mediations-Grundlage Der Grundgedanke hinter der Mediation ist das sachbezogene Verhandeln aller an einem Konflikt beteiligten Parteien. Es findet seinen Ursprung im sogenannten Harvard-Modell oder Harvard-Konzept. Dieses Konzept beruht auf dem Harvard Negotiation Project der amerikanischen Harvard-Universität in Boston und wurde von den Rechtswissenschaftlern Roger Fisher, William L. Ury und Bruce Patton entwickelt (Fisher/Ury/Patton 2009). Es ist eine ergebnisorientierte Verhandlungsmethode, die eine „win-win“-Situation anstrebt. Es zielt damit auf das Erreichen eines sachlichen Ergebnisses unter der Prämisse, die persönlichen Beziehungen der Konfliktparteien zu bewahren. Hier unterscheidet sich das Verfahren grundlegend von einem klassi-

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schen (Schieds-)Gerichtsverfahren, da in diesen die zukünftige persönliche Beziehung bei der Urteilsfindung keine Rolle spielt. Es gilt als Klassiker der Verhandlungstechniken und basiert auf den in Abbildung 20.4 aufgeführten Grundregeln.

Verhandlungsführer – das Harvard-Konzept

Klare Trennung von Sachfragen und dem Individuum mit seinen Interessen (Beziehungsebene vs. Sachebene)

Klare Fokussierung auf die Interessen der Beteiligten, nicht auf deren Positionen Grundregeln Gemeinsame Entwicklung von Entscheidungsoptionen bzw. Auswahlmöglichkeiten

Auf objektive Beurteilungskriterien für die erarbeiteten Lösungen bestehen

Abb. 20.4: Das Harvard-Verhandlungskonzept. Quelle: In Anlehnung an Fisher et al. 2009, 34.

Durch die dem Harvard-Konzept zu Grunde liegenden Regeln soll eine langfristige, für alle Beteiligten zufriedenstellende Lösung erarbeitet werden. Es gilt daher der Leitgedanke „Entwickle und zeige Verständnis für die Interessen der Gegenseite, auch wenn Du nicht mit allem einverstanden bist.“ Zur Verdeutlichung des Harvard-Modells soll ein einfacher Fall über die Zuteilung einer Orange zwischen zwei Kindern dienen (Fischer/Ury/Patton 2004, 92): Zwischen zwei Kindern besteht ein Konflikt darin, dass sich diese um eine (die letzte verfügbare) Orange im Haus der Eltern streiten. Nachdem die beiden Kinder selbst nicht zu einem Ergebnis gekommen sind, mit dem beide einverstanden waren, soll die Mutter entscheiden, wer die Orange bekommen soll. Eine Lösungsmöglichkeit ist, dass die Mutter die Orange kurzerhand in zwei Hälften teilt und jedem Kind eine Hälfte gibt. Eine andere Alternative wäre, wenn die Mutter einem Kind die ganze Orange gibt. Beide Varianten entsprechen vom Verfahren her eher einem Schiedsgericht beziehungsweise einem Machteingriff. Ein Externer, nicht am Konflikt Beteiligter, entscheidet abschließend über ihn. Damit sind beide Kinder unzufrieden, weil sie nicht das bekommen haben, was sie ursprünglich gewollt haben. Ein durchaus vergleichbares Verhalten findet sich bei Nachbarschafts-, Arbeitnehmer-, Unternehmens-, Familien oder Erbrechtskonflikten. Auch hier wird es in der Regel eine Partei geben, die mit der abschließenden Entscheidung nicht einverstanden ist. Ein Grund

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dafür ist, dass in solchen richterlichen Entscheidungen die Positionen der Beteiligten unter Berücksichtigung der Rechtslage als Basis der Entscheidungsfindung herangezogen werden. In dem oben genannten Beispiel ist die Position beider Kinder: „Ich will die Orange“. Da die Position des einen Kindes unweigerlich mit der Position des anderen Kindes kollidiert (dieses will ja auch die Orange), kommt es nach der Entscheidung der Mutter zwangsläufig zu einer Unzufriedenheit bei mindestens einem der Kinder. Sobald statt der Positionen die hinter diesen liegenden Interessen in den Fokus der Betrachtung rücken, kann eine für alle Beteiligten zufriedenstellende Lösung erarbeitet werden. In diesem Fall würde die Mutter fragen, was jedes Kind eigentlich mit der Orange machen will. Wenn beide Kinder ein identisches Interesse haben (z.B. die Schale der Orange als Zutat beim Kochen verwenden), so kann eine gemeinsame Umsetzung des Vorhabens eine mögliche Lösung sein. Selbst bei unterschiedlichen Motiven ist noch eine für beide Seiten zufriedenstellende Lösung möglich. So zum Beispiel, wenn ein Kind die Schale zum Kochen verwenden möchte und das andere Kind aus der Orange Saft pressen will. So wird die Orange mit dem Ergebnis aufgeteilt, dass beide Kinder durch die Kommunikation ihrer Interessen bekommen haben, was sie wollten. Für ein erfolgreiches Mediationsverfahren ist eine professionelle Kommunikation wichtig und entscheidend. Der Mediator muss die wesentlichen Begriffe kennen, die Techniken beherrschen und gekonnt anwenden.

4.2 Kommunikation und ihre Wirkung „Man kann nicht nicht kommunizieren“ Dieser Satz von Paul Watzlawick, dem österreichisch-amerikanischen Kommunikationswissenschaftler, Psychotherapeuten, Soziologen und Philosophen beinhaltet, dass immer dann, wenn zwei Personen einander wahrnehmen, diese auch miteinander kommunizieren, verbal oder nonverbal (Watzlawick/Beavin/Jackson 1967, 54). Der Begriff der Kommunikation wird in diesem Kontext so definiert, dass er eine allgemeine und umfassende Bezeichnung für solche Prozesse darstellt, die einen Sender, einen Empfänger, einen Kommunikationsmodus oder Kommunikationskanal sowie eine inhaltlich bestimmbare Botschaft oder Nachricht als analytische Einheiten aufweisen. Vereinfacht ausgedrückt kann dies mit der Frage: „Wer, sagt was, zu wem, womit, durch welches Medium, mit welcher Absicht, mit welchem Effekt“ zusammengefasst werden. Kommunikation findet dabei auf drei Ebenen statt: der Sachebene, der Gefühlsebene und der Beziehungsebene. Auf der Sachebene werden rationale Inhalte weitergegeben und objektive Tatsachen werden überprüft. Auf der Gefühlsebene werden die erhaltenen Informationen emotional verarbeitet, wobei sich die Gefühle aus lebensgeschichtlicher Erfahrung und der aktuellen Stimmung bilden. Die Gefühle teilen dem Gesprächspartner mit,

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was dieser gerade empfindet: Freude, Sympathie, Antipathie, Angst. Gefühle sind weder falsch noch richtig, sie sind nicht planbar oder steuerbar. Bei vielen Menschen ist der tägliche Umgang bestimmt durch die Sachebene, die üblicherweise mit dem Kopf symbolisiert wird. Einen vermeintlich unbedeutenderen Aspekt nimmt die Gefühlsebene, symbolisiert durch Bauch und Herz ein. Noch immer herrscht in der Kindererziehung die Erziehung zur Sachebene vor, so dass es im Rahmen der Kommunikation bei den Erwachsenen nicht selten Defizite auf der Gefühlsebene gibt. Man sieht nur das was der Mensch nach außen trägt. Das andere bleibt verborgen. Nicht selten verhärten sich Positionen durch verletzte Gefühle oder eine zu geringe Wertschätzung. In einem Mediationsprozess wird auch der Gefühlsebene Platz eingeräumt und gezielt zur Lösung von Konflikten eingesetzt.

4.3 Mediationsprozess Der Mediationsprozess wird üblicherweise in 5 Phasen dargestellt. Verschiedene Autoren schlagen auch vier, sechs oder sieben Phasen vor. Es hat sich in der Praxis jedoch gezeigt, dass die Anzahl der einzelnen Phasen nicht entscheidend ist, da die inhaltlichen Ausgestaltungen sich sehr stark ähneln und die Unterscheidung rein didaktischer Natur ist. Dennoch wird an dieser Stelle zur Verdeutlichung des Ablaufs ein fünf Phasen umfassender Ablauf skizziert (Proksch 2014, 55). – Einführung und Vorbereitung der Mediation, Abschluss des Mediationsvertrages – Sammlung der zur Verhandlung anstehenden Regelungspunkte – Klärung der Bedürfnisse und Interessen – Sammlung und Bewertung der Lösungsvorschläge – Vereinbarung und Vertragsformulierung Die erste Phase beinhaltet ein Vorgespräch und die Prüfung der Erwartungen der Parteien, die diese an die Mediation haben. Der Mediator beurteilt dabei zunächst, ob der Fall für ein Mediationsverfahren geeignet ist. Zu Beginn der ersten Sitzung wird der Mediator bei Bedarf noch einmal nähere Erläuterungen über die Mediation, den Ablauf und die Grundlagen des Mediationsprozesses, die Grundregeln der Kommunikation sowie seine Aufgaben als Mediator geben. Diese Grundsätze sind aus dem Harvard-Konzept abgeleitet und für die Mediation detaillierter formuliert. Sie sind zwischen dem Mediator und den Parteien zu vereinbaren und in einem schriftlichen Mediationsvertrag festzuhalten. Die Grundregeln lauten: – Aufmerksames Zuhören – Keine Unterbrechungen – Keine Beleidigungen

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Die weiteren Grundlagen sind: – Ehrlichkeit gegenüber allen Verfahrensbeteiligten – Eigenverantwortlichkeit für die Erarbeitung der Lösung – Fairness innerhalb des Verfahrens – Freiwillige Teilnahme aller Parteien – Kooperationsbereitschaft aller Parteien – Respekt gegenüber dem Mediator und den anderen Parteien – Toleranz gegenüber den Interessen und Motiven anderer Parteien – Vertraulichkeit bezüglich aller Informationen Darüber hinaus sind in dem vorgenannten Mediationsvertrag Regelungen über die Vergütung des Mediators, die Hinzuziehung eines Rechtsbeistandes oder eines Sachverständigen und weitere Aspekte geregelt. In der zweiten Phase wird der Mediator darauf bedacht sein, möglichst viele Informationen zu sammeln. Anhand dieser Informationen werden konkrete Themengebiete erarbeitet, schriftlich festgehalten und die Reihenfolge der Themenbearbeitung in Zusammenarbeit mit den Konfliktparteien bestimmt. In der dritten Phase werden dann die einzelnen Punkte, über die verhandelt werden muss, ausführlich erörtert. Jede Partei schildert das Problem aus ihrer Sicht und bekommt die Zeit, die sie für eine ausführliche Darstellung der Situation benötigt. Die Parteien nehmen dabei in der Regel eine Position ein, von der sie zunächst nicht abrücken wollen und die dafür sorgt, dass die Fronten zunehmend verhärtet sind. In diesen Sitzungen werden die hinter diesen Positionen liegenden verborgenen Interessen, Bedürfnisse, Gefühle und Hintergründe herausgearbeitet. In dieser Phase finden oft heftige und emotionsgeladene Diskussionen zwischen den Parteien statt, die jedoch zur Klärung der hinter den Forderungen liegenden Ursachen nötig sind. Dabei sind die Kenntnisse, die Fertigkeiten und das Einfühlungsvermögen des Mediators gefragt, der die Blockadesituationen zwischen den Parteien durch lösungsorientierte Fragentechniken überwinden muss und dadurch einen Gesprächsrahmen aufbaut. Ein Interesse drückt sich diesbezüglich darin aus, dass entsprechende Aussagen der Beteiligten Auskunft darüber geben, woran ihnen sehr gelegen ist, was ihnen wichtig ist und welche Vorteile beziehungsweise Nutzen erreicht werden sollen. Bedürfnisse sind die Dinge, die den Menschen wertvoll sind und die sie grundsätzlich oder in einem bestimmten Moment brauchen. Im Mediationsverfahren werden alle Bedürfnisse benannt, ernst genommen und nach Möglichkeit erfüllt. So kann ein Verstehen der jeweils anderen Position herbeigeführt und die Verhärtung aufgebrochen werden. Der nächste Schritt in Phase vier ist die Entwicklung und Sammlung von Lösungsvorschlägen der Parteien. Dabei ist zunächst die Quantität von größerer Relevanz als die Qualität. Es folgt die Bewertung der gemeinsam erarbeiteten Lösungsvorschläge durch die Parteien sowie im Idealfall eine Einigung auf eine Lösung

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beziehungsweise auf ein Lösungsbündel. Dabei wird mit Hilfe von Kreativitätstechniken unter Anleitung des Mediators gearbeitet. Wenn für alle Problempunkte eine Vereinbarung erzielt wurde, wird diese entweder in einer mündlichen Vereinbarung der Parteien festgehalten oder schriftlich fixiert. Dies kann durch ein Protokoll der Sitzungen mit zusätzlichem Abschlussprotokoll am Ende des Mediationsverfahrens erfolgen, aber auch durch einen Privatvertrag oder eine notarielle Urkunde. Das Ergebnis muss den Anspruch der Ausgeglichenheit erfüllen, so dass es keinen Gewinner und keinen Verlierer gibt. Dazu ist zu hinterfragen, ob sich wirklich alle Interessen der Parteien in den Lösungen wiederfinden und ob somit eine tragfähige Vereinbarung erreicht wurde. Nach dem Erreichen des Mediationszieles ist der eigentliche Mediationsprozess nunmehr abgeschlossen. Es bleibt aber die Möglichkeit, die Vereinbarung nach einer gewissen Zeit dahingehend zu überprüfen, ob die gefundenen Lösungen den Bedürfnissen und Erforderlichkeiten der Parteien entsprechen oder ob eine Nachbesserung erfolgen muss. Eine Mediation kann auch abgebrochen werden, wenn eine oder alle Parteien oder der Mediator der Ansicht sind, dass eine Fortsetzung der Mediation in einem konkreten Fall nicht sinnvoll erscheint. Ebenso kann es ein Ergebnis des Mediationsverfahrens sein, dass eine einvernehmliche Lösung nicht gefunden werden kann oder eine gerichtliche Entscheidung von allen Parteien favorisiert wird.

4.4 Dauer und Kosten Ein Mediationsverfahren besteht in der Regel aus mehreren Sitzungen, wobei eine Mediationssitzung üblicherweise nicht länger als eine Stunde in Anspruch nehmen sollte. Wie viele Sitzungen tatsächlich zur Klärung eines Konfliktes benötigt werden, hängt von dessen Art und der Komplexität ab. Die Kosten können für eine Mediation variieren, jedoch wird in der Regel immer auf der Basis eines Stundenhonorars abgerechnet. Bei Mediationen im Wirtschaftsbereich richtet sich dieses nach dem Streitwert, wobei sich in anderen Mediationsgebieten, zum Beispiel in der Familienmediation, ein durchschnittliches Honorar von 150,00 Euro etabliert hat. Es gibt eine Reihe von Rechtsschutzversicherungen, die die Kosten für eine Mediation ganz oder teilweise übernehmen. Grund dafür sind die Erfolgsquoten sowie die im Vergleich mit einer Mediation wesentlich höheren Gerichtskosten.

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5 Aufgaben beteiligter Parteien 5.1 Aufgaben des Mediators Der Mediator hat die Aufgabe, den Einigungsprozess zwischen den Konfliktparteien zu fördern. Er strukturiert den Prozess und hilft den Beteiligten, sich über ihre Interessen und Gefühle klar zu werden und diese zum Ausdruck zu bringen. Der Mediator ist zur Neutralität verpflichtet, das bedeutet, dass er sich zwischen den Parteien befindet und kein Interessenvertreter einer Partei ist. Darüber hinaus ist er allparteilich. Er nimmt alle Meinungen, Argumente und Sichtweisen der Parteien ernst und bewertet sie nicht. Der Mediator hat auch die Aufgabe, ein möglicherweise zeitweilig auftretendes Ungleichgewicht zwischen den Parteien zu erkennen und die unterlegene Partei soweit zu stützen, dass das Gleichgewicht wiederhergestellt werden kann. Ergänzend kann er in Ausnahmefällen eigene Lösungsmöglichkeiten einbringen, wenn die Parteien keine eigenen Möglichkeiten mehr sehen. Bei komplexeren Sachverhalten, beispielsweise bei Lizenz-, Vertrags- oder Mehr-Parteien-Konflikten ist es in der Regel ratsam, zwei oder mehr Mediatoren als Team zu beauftragen, um allen Teilnehmern die erforderliche Aufmerksamkeit zukommen zu lassen und den Mediationsprozess wirksam strukturieren zu können.

5.2 Aufgaben der Parteien Für die Parteien ist es Voraussetzung, dass sie freiwillig an der Mediation teilnehmen und bereit sind, mit dem Konfliktpartner nach einer fairen Lösung für alle suchen zu wollen. Sie müssen somit an einem positiven Ausgang des Verfahrens interessiert sein, eine einvernehmliche Lösung anstreben und sich fair und kooperativ verhalten. Da sie in einen Dialog mit den anderen Konfliktpartnern eintreten, müssen sie über eine gewisse Artikulationsfähigkeit und Kommunikationsfähigkeit verfügen. Sollte diese nicht gegeben sein, können entsprechende Begleiter als Sprachorgan an der Mediationssitzung teilnehmen. Weiterhin benötigen sie eine sogenannte Selbstbehauptungsfähigkeit, um ihre Position vertreten zu können, aber auch ihre Interessen und Bedürfnisse offenbaren zu können. In vielen Fällen wird die Einigungsbereitschaft dadurch gestärkt, dass ein Interesse an guten zukünftigen Beziehungen vorhanden ist. Nicht geeignet sind Parteien, die den Mediator oder das Verfahren dahingehend missbrauchen wollen, um dem Gegner einen irreversiblen Schlag zu versetzen, sich wirtschaftliche Vorteile aus der Gesprächsbereitschaft der Konfliktpartei erhoffen oder den Konflikt auf andere Weise manipulieren beziehungsweise diesen zu den eigenen Gunsten wenden zu wollen.

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5.3 Anwaltliche und therapeutische Begleitung Die Mediation ist keine Rechtsberatung und keine Therapie. Es ist nicht zwingend erforderlich, einen Rechtsanwalt in das Mediationsverfahren einzubeziehen. Allerdings sind die Begleitung und die Beratung durch einen Rechtsanwalt sinnvoll, da der Mediator zwar über rechtliche Grundlagen aufklärt, aber keine einseitige Rechtsberatung vornehmen darf. In den Wirtschaftsmediationen ist das Einbinden eines Rechtsanwaltes üblich, da bei der häufig komplexen Sachlage die juristische Beratung erforderlich ist. Es ist zudem nicht unüblich, dass eine Mediationssitzung kurzzeitig unterbrochen wird, damit sich die beteiligten Personen vertraulich mit ihren Anwälten beraten können. Die Mediation wird von folgenden Berufsgruppen angeboten, die in der Regel über eine Zusatzausbildung in Mediation verfügen oder verfügen müssen: – Ärzte – Architekten – Ökonomen – Pädagogen – Psychologen – Rechtsanwälte – Richter – Sozialpädagogen – Sozialarbeiter – Steuerberater – Theologen

6 Schlussbetrachtung Mediationen eigenen sich im Rahmen von Konflikten insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen. Sie bieten eine schnelle und in der Regel preislich attraktive Alternative zu langwierigen Gerichtsverfahren. Jedoch ist hier die freiwillige Mitwirkung der beteiligten Parteien eine unabdingbare Voraussetzung. Ein Zwang zur Durchführung eines entsprechenden Verfahrens führt in der Regel nicht zum Erfolg. Insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen bietet das Verfahren eine Möglichkeit, einen den Betrieb behindernden beziehungsweise schädigenden Konflikt nachhaltig aus der Welt zu räumen, ohne einen „Kollateralschaden“ befürchten zu müssen. Die erzielten Ergebnisse sind in der Regel von allen Konfliktparteien als fair und zufriedenstellend akzeptiert, was die Gefahr eines erneuten Aufbrechens des Konfliktes zu einem späteren Zeitpunkt reduziert. Durch die verschiedenen Grundberufe der Mediatoren ist es möglich, je nach Konflikt einen Mediator mit einem passenden Background auszuwählen. Beispielsweise

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kann es hilfreich sein, bei Konflikten zwischen zwei Mitarbeitern einen Mediator mit einem psychologischen Grundberuf zu wählen, da dieser besondere Sachverhalte gegebenenfalls besser erkennen kann. Bei Konflikten im Zuge von Vertragsstreitigkeiten kann stattdessen ein Mediator mit juristischem und/oder ökonomischem Hintergrund geeigneter sein.

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Kapitel 21: Fallstudie Einsatz der Mediation im Rahmen konfliktbehafteter Unternehmensnachfolgen Best Practice

1 Hintergrund der Fallstudie Sind Sie Unternehmerin oder Unternehmer im Mittelstand? Planen Sie vielleicht aktuell Ihre erste Selbstständigkeit? Dann können Sie mit Fug und Recht behaupten, (bald) ein Teil des Rückgrads der deutschen Wirtschaft zu sein. Sie gehören zu den 99,6 % der kleinen und mittleren Betriebe sowie zu den 95,6 % Familienunternehmen in Deutschland und sind damit Kern der deutschen Wirtschaftsstruktur. Zugegeben, Ihnen ist mit Sicherheit bewusst, dass die Entscheidungen der deutschen Politik in der Regel nur sehr selten etwas mit der Realität in Ihrem Unternehmen zu tun haben. Sie wissen sicherlich auch, dass sich die jungen, gut qualifizierten Fachkräfte nach dem Studium lieber bei großen Unternehmen bewerben, weil der Name eines großen und international tätigen Konzerns im Lebenslauf vermeintlich „mehr hermacht“. Über Ihre Leistungen wird in der Regel nur dann gesprochen, wenn irgendwo in Deutschland wieder ein Konzern von der Schließung bedroht ist und mit Steuergeldern die Arbeitsplätze gerettet werden sollen. In solchen Situationen erinnern sich Politik, Journalismus und Medien ganz allgemein an Sie und das Interesse an Ihrer Arbeit wächst. Nicht etwa, weil man plötzlich erkannt hat, welche Leistungen Sie bringen, wo denken Sie bitte hin. Das wäre nun wirklich zuviel verlangt. Man erinnert sich in solchen Situationen gerne an Sie, weil Sie als bodenständiger, nachhaltig wirtschaftender und in der Regel zurückhaltender Unternehmer das perfekte Gegenstück zu den scheinbar kaltherzigen, unfähigen und überbezahlten Managern des in Schieflage geratenen Unternehmens sind und man

|| Patrick Roßmann, M. Sc. Mediator und Ausbilder Consensus – Institut für Mediation e.V. Mechthild Stockmeier Rechtsanwältin und Mediatorin, Leitung Consensus – Institut für Mediation e.V.

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mit Ihnen so gut Stimmung gegen die Jobrettung machen kann. Aber auch daran haben Sie sich ja sicher mittlerweile gewöhnt. Nichts desto trotz arbeiten Sie gerne in einem mittelständischen Unternehmen und schätzen die Vorteile dieser Betriebsgröße. Die Überschaubarkeit der Prozesse, die Nähe zu Mitarbeitern und Kunden, das zumeist familiäre Verhältnis innerhalb des Unternehmens und das Wissen darum, dass Sie eines Tages Ihr Unternehmen ruhigen Gewissens in die Hände eines Ihrer Kinder legen können. Es wird den Betrieb in Ihrem Sinne weiterführen und für den Erhalt der Arbeitsplätze sorgen. Oder...? Dass eine Nachfolgeregelung ein langfristiger und intensiv zu planender Prozess ist, konnte bereits durch den Beitrag „Wer soll es werden?“ in diesem Sammelband aufgezeigt werden. Dennoch kommt es nicht selten vor, dass eine strukturierte und wohl überlegte Nachfolgeregelung fehlt, sei es, weil der Unternehmer verstirbt ohne entsprechende Regelungen getroffen zu haben oder weil die getroffene Regelung nicht auf die Zustimmung der beteiligten Personen stößt. Insbesondere, wenn mehr als nur ein potentieller Nachfolger bereit steht, stellt sich die Frage: „Was passiert, nachdem das Unternehmen übergeben wird?“. Darüber hinaus kann sich im Rahmen einer Unternehmensnachfolge eine Reihe von weiteren Fragen ergeben, da unterschiedliche beteiligte Systeme wie beispielsweise Familie, Unternehmen und Eigentum aufeinandertreffen. Jedes System hat seine eigene Konfliktdynamik, da mindestens eine der beteiligten Parteien parallel in verschiedenen Rollen agiert, nämlich als Chef/Chefin, als Vater/Mutter und als Ehemann/Ehefrau. Der Generationenwechsel stellt somit ein Risiko für den Fortbestand eines Unternehmens dar, wenn die möglicherweise auftretenden Konflikte nicht gelöst werden. Es ist ratsam, bereits weit vor einer entsprechenden Übergabe Maßnahmen und Regelungen zu treffen beziehungsweise zu initiieren. Regelmäßig ist das Problem den Familienmitgliedern zwar über Jahre bewusst, wird aber verdrängt oder heraus gezögert, häufig bis zu dem Tag, an dem die Übergabe nicht länger aufzuschieben ist, beispielsweise weil der bisherige Unternehmensinhaber erkrankt, verstirbt oder von Seiten der Geldgeber ein Neuanfang unter der Führung der kommenden Generation mehr oder weniger aufoktroyiert wird. Aber was passiert, wenn Sie das Unternehmen in die falschen Hände gelegt haben? Was passiert, wenn Ihre Kinder Ihnen gar nicht nachfolgen wollen, aber dennoch auf den Wohlstand einer Unternehmensfamilie nicht verzichten möchten? Was passiert, wenn Ihre Nachfolger sich zerstreiten und das Unternehmen in Folge jahrelanger Konflikte liquidiert werden muss? Es steht der Familienfrieden auf dem Spiel, die wirtschaftliche Basis ist bedroht durch eine mangelhafte oder – im schlimmsten Fall – gar keine Einarbeitung des Nachfolgers. In solchen Situationen muss im Extremfall sogar mit einer Liquidation des Unternehmens gerechnet werden. Da in nicht wenigen Fällen keine Absprachen oder professionelle Regelungen durch Erbverträge, Schenkungsverträge o.ä. vorhanden sind, kommt es häufiger zu Zwistigkeiten zwischen den Kindern, anderen Familienangehörigen und/oder Mitarbeitern als man gemeinhin glaubt.

Kapitel 21: Fallstudie | 511

Diese Fallstudie soll exemplarisch darstellen, wie ein Mediationsverfahren dabei helfen kann, eine in einem Nachfolgekonflikt scheinbar festgefahrene Situation wieder zu entspannen und den Konflikt zu lösen. Die Fallstudie basiert dabei auf einem realen Mediationsverfahren, welches zur Sicherstellung der Anonymität der beteiligten Parteien teilweise verändert wurde. Zunächst erfolgt eine Situationsbeschreibung aus der jeweiligen Sicht der beteiligten Parteien. Es bleibt Ihnen als geneigter Leser überlassen, ob Sie im Anschluss an die Fallstudienpräsentation eine Bearbeitung auf juristischem Wege dem mediativen Wege vorziehen. Beides ist möglich und kann zu durchaus unterschiedlichen Ergebnissen führen. Sie können die Bearbeitung der Fallfragen jedoch auch auslassen und stattdessen direkt in die Lösungsskizzen springen. Es sollte für Sie auf beiden Wegen eine interessante Lektüre sein, die Ihnen das Instrument der Mediation anhand eines praktischen Beispiels im Idealfall näher bringt.

2 Fallstudie: „Familienkonflikte im Rahmen der Unternehmensnachfolge“ 2.1 Firmenhistorie Der betrachtete Fall ereignete sich in einem Maschinenbauunternehmen in Bielefeld. Das als Gesellschaft mit beschränkter Haftung geführte Unternehmen ist spezialisiert auf die Herstellung von Industrieanlagen für Abfallentsorgungsunternehmen. Karl Weber, geschäftsführender Gesellschafter, hat den Betrieb von seinem Vater übernommen, der diesen in den frühen 50er Jahren gegründet hat. In der Nachkriegszeit war der Bedarf nach Industriemaschinen naturgemäß gering, so dass man zu Beginn noch Fahrräder und Haushaltswaren reparieren musste, um über die Runden zu kommen. Ein Zufall sorgte dafür, dass das Unternehmen wuchs. In einer gut 40 km entfernten Stadt stieg im Jahre 1958 ein Spediteur in das Müllentsorgungsgeschäft ein. Mit der Konzeption und dem Bau einer für damalige Zeit hochmodernen Entsorgungsanlage wurde die Weber- Maschinengesellschaft beauftragt. Es war zwar nicht der erste Auftrag des noch kleinen Unternehmens mit gerade einmal sieben Mitarbeitern, dennoch war es der Grundstein für eine Erfolgsgeschichte. In den kommenden Jahren wuchs das Unternehmen kontinuierlich und entwickelte sich zu der führenden Adresse für Entsorgungs- und Sortiermaschinen in Nordwestdeutschland. 1978 trat der damals 30-jährige Karl Weber als einziger Sohn der Familie in den Betrieb ein. Nach einer Schlosserlehre in einem kleinen Betrieb hatte Karl zunächst mehrere Jahre in unterschiedlichen metallverarbeitenden Unternehmen in Ostwestfalen gearbeitet, bevor er im Jahre 1975 seine Meisterprüfung erfolgreich ablegte.

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Nach einer Stelle als Meister in einem Betrieb in Gütersloh trat er am 01.01.1978 die Stelle des stellv. Meisters in der Weber Maschinenbaugesellschaft an. Zu dieser Zeit ging es dem Unternehmen wirtschaftlich nicht besonders gut. Die Wirtschaftskrise im Jahre 1974 hatte dem mittelständischen Unternehmen sehr zu schaffen gemacht, so dass zwischen März 1975 und November 1977 mehr als 30 Mitarbeiter und damit knapp 70 % der gesamten Belegschaft ihren Arbeitsplatz verloren. Es war eine Zeit, in der selbst die Eigentümerfamilie aufgrund fehlender Aufträge von der Substanz lebte, was beinahe zum Konkurs des Unternehmens geführt hätte. Mit dem Eintritt von Karl Weber trat dessen Vater im Unternehmen kürzer. Er übergab sukzessive immer mehr Verantwortung in die Hände seines Sohnes und überschrieb ihm schließlich das Unternehmen im Jahre 1985. Ungeachtet seiner neuen Freiheiten kam der Senior dennoch bis zu seinem Tod im Jahr 1988 beinahe täglich in den Betrieb. Dieser hatte sich unter der Leitung von Karl Weber wieder etwas von der schweren Zeit erholt und man konnte 1990 bereits wieder eine Belegschaft von 59 Mitarbeitern vorweisen. Das Unternehmen wuchs in den darauffolgenden Jahren beträchtlich, nicht zuletzt aufgrund der deutschen Wiedervereinigung. Insbesondere in den neuen Bundesländern entwickelten sich im Entsorgungsbereich neue Unternehmen, die von der inzwischen in eine GmbH umgewandelten K. Weber Maschinenbaugesellschaft mbH mit neuen und hochmodernen Entsorgungsstraßen beliefert wurden. Zwar wurden in den vergangenen Dekaden bereits vereinzelt Maschinen ins europäische Ausland geliefert, insbesondere in die Niederlande, nach Belgien und nach Luxemburg, aber erst 1994 eröffnete Karl Weber seine erste eigene Tochtergesellschaft in Frankreich. Die Aktivitäten auf dem französischen Markt waren nur von kurzer Dauer, da man sich entschloss, verstärkt auf die neuen, osteuropäischen Märkte zu setzen. Daher wurde die französische Tochtergesellschaft im Jahr 1997 wieder geschlossen und durch jeweils eine neue Tochtergesellschaft in Polen und in Litauen ersetzt. Die Entscheidung kann in der Nachbetrachtung als durchwachsen bezeichnet werden, da nicht alle Geschäfte planmäßig verliefen, die Qualität der im Ausland produzierten Maschinen erheblich von denen der deutschen Produktion abwich und es häufiger zu Engpässen aufgrund von Lieferverzögerungen bei Zulieferern kam. Dennoch hielt Karl Weber an der Entscheidung fest, weil er langfristig an eine positive Entwicklung glaubte und sich intensiv um die Bearbeitung der beiden Märkte kümmerte. Dennoch ist bis heute der Erfolg nur mäßig. Inzwischen denkt Karl Weber über seine unternehmerische Nachfolge nach. Er hat mit seiner Ex-Ehefrau Erika zwei Kinder, Matthias und Gabriele. Beide bringen eigentlich gute Voraussetzungen für die Unternehmensnachfolge mit, allerdings weiß der Patriarch auch, dass eine gemeinsame Nachfolge oder eine Teilung des Unternehmens nicht selten mit Problemen und Streitigkeiten einhergeht. Er hat sich daher entschieden, das Unternehmen in die Hände eines seiner Kinder zu legen und sein anderes Kind finanziell abzufinden. Er hat mitbekommen, dass ein alter Geschäftsfreund seine drei Kinder als gemeinsame Nachfolger seines Unternehmens

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eingesetzt hat und wie es im Laufe der Zeit zu Streitigkeiten und letztendlich zur Liquidation des Unternehmens gekommen ist. Eine solche Situation möchte Karl Weber, auch im Sinne seiner vielen langjährigen Mitarbeiter, auf jeden Fall vermeiden.

2.2 Karl Weber: Der Firmenpatriarch Karl Weber ist 66 Jahre alt und ein Unternehmer durch und durch. Er vereint alle Eigenschaften, die ein guter Unternehmer aus seiner Sicht benötigt: Gradlinigkeit, Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Fleiß, Verantwortungsbewusstsein und Bodenständigkeit. Er sieht sich selbst als strenger, aber gerechter Unternehmensführer und ist stolz auf das, was er aus dem kleinen Betrieb seines Vaters gemacht hat. Da er allerdings immer viel gearbeitet hat und seine meiste Zeit in der Firma verbracht hat, hat seine Frau Erika ihn verlassen. Sie hat ihm vorgeworfen, mehr für seine Mitarbeiter als für sie und die Kinder da zu sein und solch ein Leben wollte sie nicht weiter führen. Im Jahre 1993 ist dann die Ehe geschieden worden. Die Kinder sind bei seiner Frau geblieben. Nachdem seine Ehe und die Familie zerbrochen war, hat er sich noch mehr in seiner Arbeit vergraben, um die Firma wieder auf Erfolgskurs zu führen und daher legt er großen Wert darauf, dass das Unternehmen in seinem Sinne weitergeführt wird. Es ist somit unabdingbar, eine Nachfolgeregelung zu finden, die für Kontinuität und Verlässlichkeit steht. Karl Weber sieht hier insbesondere seinen Sohn als die beste Wahl an. Matthias ist technisch versiert, da er im Gegensatz zu Gabriele ein richtiges Ingenieursstudium erfolgreich beendet hat. Zudem glaubt er, dass sein Sohn als Mann im Unternehmen eher akzeptiert wird und von den Mitarbeitern mit dem nötigen Respekt behandelt wird. Gabriele hingegen, so glaubt er, würde sich in einem Betrieb mit vielen Männern nicht wirklich durchsetzen können. Alleine das Akzeptanzproblem, das sie haben wird, weil sie kein richtiges Ingenieursstudium absolviert hat, lässt ihn zu dem Entschluss kommen, dass sie nicht die richtige Nachfolgerin für ihn ist. Dennoch ist er gespannt, wie seine Kinder seine Entscheidung und sein Testament aufnehmen werden.

2.3 Das Testament von Karl Weber Karl Weber hat sich entschieden, bereits vor seinem Tode sein Testament mit seiner Familie zu besprechen, damit diese sich nicht in der Stunde des Abschieds damit befassen muss. Dieses hat er bereits vor einigen Jahren mit einem Notar aufgesetzt. Bevor er dieses Vorhaben jedoch in die Tat umsetzen kann, stirbt er plötzlich am 01.12.2014 an einem Herzinfarkt.

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Testament Ich, Karl Weber, geboren am 11.01.1948, wohnhaft in Bielefeld, geschieden, deutscher Staatsangehöriger, errichte folgendes Testament: Ich erkläre, dass ich nicht durch ein bindend gewordenes gemeinschaftliches Testament oder einen Erbvertrag an der Errichtung dieses Testaments gehindert bin. Hiermit hebe ich alle bisher von mir errichteten Verfügungen in vollem Umfang auf. Ich setze zu meinen alleinigen Vollerben je hälftig meine beiden Kinder, Matthias, geb. am 06.06.1978 und Gabriele, geb. am 03.03.1981 ein. Zu Ersatzerben bestimme ich jeweils die Abkömmlinge meiner Kinder nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolgeordnung, wiederum ersatzweise soll Anwachsung eintreten. Für die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft ordne ich folgendes an: Mein Sohn erhält im Wege der Teilungsanordnung und somit in Anrechnung auf seinen Erbteil die Firma „K. Weber Maschinenbaugesellschaft mbH“ (mit weiteren Einzelheiten), die er in meinem Sinne als Inhaber und Geschäftsführer weiter führen soll. Meine Tochter erhält im Wege der Teilungsanordnung das Zwei-Familien-Haus, Alleestraße 20, eingetragen im Grundbuch (mit weiteren Einzelheiten). Weiterhin erhält sie das Wertpapierdepot und das Barvermögen bei der Bank (mit weiteren Einzelheiten) mit dem Bestand am Todestag. Diese vorstehende Regelung wird von mir aus dem Grunde so getroffen, da es mir ein großes Anliegen ist, dass meine beiden Kinder die gleichen Werte erben. Da meine Maschinenbaufirma ein florierendes Unternehmen ist und in den nächsten Jahren noch wachsen wird, soll meine Tochter wenigstens einen Ausgleich in Geld erhalten, um ihr ein gesichertes Leben als Hausfrau und Mutter zu ermöglichen. Darüber hinaus verfüge ich, dass nach meinem Tode das örtliche Tierheim € 150.000,00 erhalten soll. Mein Hund Ajax ist mir in den letzten Lebensjahren ein treuer Freund gewesen und darum wünsche ich, dass für den wichtigsten Freund des Menschen, den Hund, mit diesem Geld im Tierheim gut gesorgt wird. Bielefeld, 01.12.2011 Unterschrift

2.4 Matthias Weber Matthias Weber ist 36 Jahre alt und ledig. Er hat ein Ingenieursstudium sehr erfolgreich absolviert und ist technischer Leiter im Betrieb seines Vaters Karl. Er ist ein klassischer Tüftler und sein Interesse an der Leitung des Unternehmens ist zwar vorhanden, allerdings sieht er sich selbst langfristig eher in der Position eines technischen Geschäftsführers als in der eines Gesamtgeschäftsführers. Die Anordnungen seines Vaters in dem Testament überraschen ihn nicht sehr, da er ja schon seit einigen Jahren im Unternehmen mitarbeitet, den Betrieb gut kennt und sich als Mann auch die nötige Durchsetzungskraft zutraut. Allerdings hat er nicht die rechte Lust, sich als „Chef“ um alle Sparten der Firma kümmern zu müssen. Das würde ihn nur von seiner eigentlichen Arbeit und seinen

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wahren Interessen, nämlich dem Entwickeln neuer Produkte abhalten. Überrascht hat ihn allerdings die Verfügung, dass Gabriele keine Rolle in der Firma spielen soll und mit Sach- und Geldwerten abgefunden werden soll. Das lässt sich nur aus der traditionellen Überzeugung seines Vaters erklären, dass nur ein Mann ein Unternehmen führen soll und eine Frau ihre Aufgaben als Ehefrau, Hausfrau und Mutter zu erfüllen hat. Diese Ansicht hält er für völlig überholt und nicht mehr zeitgemäß, zumal seine Schwester schließlich Betriebswirtschaftslehre studiert hat und vielleicht auch im Betrieb eine Rolle spielen könnte. Schließlich steht im Testament etwas von Gleichbehandlung der Erben. Das Verhältnis der Geschwister war zwar in den letzten Jahren nicht besonders gut, da Gabriele sich offen über seine „Tüftelleidenschaft“ lustig gemacht hat und seine technische Affinität nicht verstehen kann. Aber er will mit seiner Schwester die Sache klären. Die Verfügung bezüglich des Tierheims empfindet Matthias allerdings als absurd. Wie kann man nur so viel Geld einem Tierheim vermachen. Das Geld könnte er in der Firma wahrlich besser gebrauchen. Er vermutet insgeheim, dass sein Vater vielleicht nicht „ganz bei sich“ war, als er diese Passage in sein Testament geschrieben hat.

2.5 Gabriele Weber Gabriele Weber ist 33 Jahre alt und ebenfalls ledig. Sie hat Betriebswirtschaftslehre studiert und erfolgreich abgeschlossen. Sie arbeitet seit einigen Jahren in einem größeren Unternehmen und hat sich eine gute Position erarbeitet. Sie hat immer die Hoffnung gehabt, dass ihr Vater sie in seine Firma holen würde, da sie ja bewiesen hat, was sie kann. Sie hat sogar geglaubt, dass sie die Nachfolge ihres Vaters antreten würde und dass er ihr und nicht ihrem Bruder die Firma vererben würde. Bei der Eröffnung des Testaments hat sie erstmals erfahren, dass sie nach dem Willen ihres Vaters das Elternhaus, ein Wertpapierdepot und Bargeld erben soll. Dass die Firma komplett an ihren Bruder Matthias gehen soll, hat sie nicht erwartet. Sie ist enttäuscht über diesen Willen ihres Vaters. Sie weiß zwar, dass ihr Vater sie gern als Hausfrau und Mutter gesehen hätte, aber sie hat aus ihrem Leben bisher etwas anderes gemacht und möchte diesen Weg auch nicht verlassen. Sie würde gerne auch ihren Bruder im Unternehmen sehen, allerdings nicht als gleichberechtigten Partner, sondern vielmehr als weisungsgebundenen Angestellten. Sie hat den insgesamt besseren Studienabschluss, und dennoch hat ihr Vater damals Matthias in das Unternehmen geholt, als die Stelle der technischen Leitung zu vergeben war. Sie wurde überhaupt nicht gefragt und sie geht davon aus, dass dies auf Druck von Matthias geschehen ist. Sie hat nie mit ihm darüber gesprochen, aber verziehen hat sie Matthias auch nicht.

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Gabriele Weber hat einen guten Kontakt zum Prokuristen der Firma und weiß deshalb, dass die Situation des Unternehmens zurzeit nicht rosig aussieht. Dennoch würde sie die Übernahme der Geschäftsführung interessieren. Die Idee, einem Tierheim einen großen Geldbetrag zu vermachen, findet sie prima, da sie um das Elend der Tiere und die Bedürftigkeit des Tierheims weiß.

2.6 Die aktuelle Situation Die beiden Geschwister sind entsetzt über die Regelungen ihres Vaters. Sie fragen sich, ob sie das Testament so akzeptieren müssen oder ob sie den Willen ihres Vaters ignorieren und das Erbe anders verteilen dürfen. Mit diesen Problemen und Fragen wendet man sich üblicherweise an einen Rechtsanwalt oder Notar, um eine juristische Klärung auf einer gesetzlichen Grundlage herbeizuführen. Beide Geschwister „nehmen sich“ also einen Anwalt, der sie als Parteivertreter einseitig berät. Da auf beiden Seiten unterschiedliche Interessen vorhanden sind, werden die Ratschläge der Rechtsanwälte sich zwangsläufig nicht decken. Wenn es somit zu keiner Einigung zwischen den Anwälten kommt, bleibt nur der Klageweg vor ein Gericht übrig, um ein richterliches Urteil zu erhalten. Doch wie wird dieses Urteil aussehen und ist dadurch der Konflikt zwischen den Geschwistern gelöst? Als Möglichkeit bietet sich hier neben dem Gerichtsentscheid ein Mediationsverfahren an, bei dem die Parteien mit Hilfe eines oder mehrerer Mediatoren freiwillig und eigenverantwortlich eine einvernehmliche Lösung ihres Konflikts anstreben.

3 Fragen zur Fallstudie 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Wie könnte eine gerichtliche Entscheidung aussehen? Würde in diesem Fall ein Mediationsverfahren sinnvoll sein? Wie könnte ein Mediationsverfahren verlaufen? Dürfen die Geschwister die Regelungen im Testament ihres Vaters missachten? Welche Regelungen können sie treffen? Müssen sie das Geld an das Tierheim zahlen?

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4 Lösungsskizzen 4.1 Lösung mittels Gerichtsentscheid nach Testamentseröffnung Das Problem der Geschwister besteht ja darin, dass sie mit den Anordnungen des Erblassers und der Aufteilung des Vermögens in den letztwilligen Verfügungen nicht einverstanden sind und daher eine juristische Klärung anstreben. Für eine Streitigkeit zwischen Privatpersonen ist der Klageweg zum Zivilgericht eröffnet, das den Instanzenzug hat: Amtsgericht, Landgericht, Oberlandesgericht und Bundesgerichtshof. Für die Klärung dieses erbrechtlichen Problems gibt es zwei Möglichkeiten: die Auslegung des Testaments und die Anfechtung des Testaments. Für eine Klage auf Auslegung des Testaments ist das Landgericht sachlich und instanziell zuständig, da der Streitwert sicher über 5000,00 € liegt. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus dem letzten Wohnsitz des Verstorbenen. Für eine Klage auf Anfechtung des Testaments ist das örtliche Nachlassgericht zuständig, das zum Amtsgericht gehört. Da eine Auslegung einer Anfechtung des Testaments vorgeht, müssen Matthias und/oder Gabriele Weber zunächst das Landgericht in Bielefeld anrufen. Das Ziel eines Prozesses auf Auslegung eines Testaments besteht darin, eine mehrdeutige oder untechnische Wortwahl des Erblassers zu klären, damit die Erben und die zu erbenden Werte eindeutig festgestellt werden können. Es gibt zwei gesetzliche Grundlagen, die Auslegung der Willenserklärung nach § 133 BGB und die besonderen erbrechtlichen Auslegungsregeln der §§ 2066 ff, 2084 BGB, wobei der § 133 BGB den erbrechtlichen Auslegungsregeln vorgeht, da diese nur „im Zweifel“ herangezogen werden dürfen. Ein Testament ist eine einseitige, nicht empfangsbedürftige Willenserklärung, bei der es allein auf den subjektiven Willen des Erblassers ankommt. Um diesen Willen zu erforschen, kann eine erläuternde oder eine ergänzende Auslegung in Betracht kommen. Die erläuternde Auslegung knüpft an den Wortlaut der Anordnung an und ermittelt, was der Erblasser in Wahrheit zum Ausdruck bringen wollte, da falsche oder irrtümliche Begriffe verwendet worden sein könnten. Die ergänzende Auslegung fügt etwas hinzu, was dem hypothetischen Willen des Erblassers entsprechen könnte. Dabei muss geprüft werden, ob sich seit der Testamentserrichtung und dem Eintritt des Todes des Erblassers Änderungen ergeben haben, das heißt, es ist zu ermitteln, wie der Erblasser verfügt hätte, falls er die Regelungsbedürftigkeit eines Punktes oder die weitere Entwicklung der Verhältnisse gekannt hätte. Das vorliegende Notar-Testament lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig, so dass hier wohl mit einer Klageabweisung des Landgerichts zu rechnen ist. Auch die weitere Beschreitung des Instanzenzuges durch Berufung und/oder Revision hat keine Aussicht auf Erfolg. Daher bleibt nur noch der Weg vor das Nachlassgericht mit einer Klage auf Anfechtung des Testaments. Die Testamentsanfechtung hat das Ziel, einzelne Verfügungen

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innerhalb des Testamentes oder das ganze Testament für nichtig zu erklären, d. h. dass das Testament gar nicht existiert hat. Es ist grundsätzlich jeder zur Anfechtung berechtigt, dem die Aufhebung der angefochtenen Verfügung zugutekommen würde, also hier auch die Geschwister als Erben. Es gibt eine Reihe von anerkannten Anfechtungsgründen: das sind ein Erklärungsirrtum, ein Inhaltsirrtum, ein Motivirrtum, eine Drohung oder unbekannte Pflichtteilsrechte. Ein Erklärungsirrtum liegt vor, wenn das, was erklärt werden sollte, und das, was erklärt wurde, nicht übereinstimmen. In der Regel handelt es sich schlichtweg um Schreibfehler oder bei einem notariellen Testament hat sich der Erblasser versprochen. Wenn der Erblasser zwar weiß, dass er eine Erklärung abgibt, sich aber nicht darüber bewusst ist, was er erklärt und welche Tragweite die Erklärung hat, spricht man von einem Inhaltsirrtum. Geht der Erblasser im Testament von irrigen Umständen, Erwartungen und Annahmen aus, die sich später als nicht zutreffend erweisen, handelt es sich um einen Motivirrtum. Wird der Erblasser bedroht und dazu gezwungen, ein Testament aufzusetzen oder ein bestehendes Testament zu ändern, liegt ebenfalls ein Anfechtungsgrund vor. Der häufigste Grund, aus dem ein Testament angefochten wird, dürften unbekannte Pflichtteilsrechte sein, die vom Erblasser übergangen wurden. Das kann passieren, wenn der Erblasser nichts von dem Pflichtteilsberechtigten wusste oder die Person erst geboren oder pflichtteilsberechtigt wurde, nachdem das Testament bereits errichtet wurde. Angefochten werden muss das Testament innerhalb der Frist eines Jahres. Die Frist beginnt an dem Tag, an dem man von dem Anfechtungsgrund erfahren hat. Eine Prüfung erfolgt erst, sobald ein Erbschein beantragt wurde. Vorher werden die Beteiligten lediglich darüber informiert, dass das Testament angefochten wurde. Ist die Anfechtung erfolgreich, gilt das Testament als nicht existent. Falls das Gericht die Klage abweist, bleibt das Testament so bestehen und die Geschwister müssen sich mit den Tatsachen abfinden. Das bedeutet, dass der Sohn Matthias die Nachfolge seines Vaters als Inhaber und Geschäftsführer der Firma antreten muss und die Tochter wird mit den Vermögenswerten abgefunden. Aber das ist genau das, was die Geschwister nicht wollen. Nach den Wünschen und Interessen wird aber üblicherweise in einem Gerichtsverfahren nicht gefragt. Falls das Gericht jedoch der Klage stattgibt, ist das Testament nichtig und existiert nicht. Doch was ist die Konsequenz? Da nunmehr keine letztwillige Verfügung des Vaters mehr vorliegt, tritt die gesetzliche Erbfolge ein. Das bedeutet in diesem Fall, dass die Geschwister das gesamte Vermögen hälftig erben und zwar in der Form einer Erbengemeinschaft. Das bedeutet wiederum, dass sie über alle Vermögenswerte nur gemeinsam entscheiden und verfügen können. Das bedeutet weiterhin, dass die Geschwister über die Aufteilung des Erbes miteinander und wahrscheinlich auch mit Hilfe von Rechtsanwälten, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern sowie Immobiliengutachtern verhandeln müssen, wie die Vermögenswerte zwischen ihnen zu

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verteilen sind. Das wird mit einem erheblichen Zeit- und Kostenaufwand verbunden sein. Daher stellt sich die Frage nach einer anderen als der juristischen Möglichkeit, um dieses Problem für die Beteiligten zufriedenstellend zu lösen.

4.2 Lösung mittels Mediation nach Testamentseröffnung Das Mediationsverfahren wird in dem Beitrag „Mediation als Instrument der betrieblichen Konfliktbewältigung“ in diesem Band bereits vorgestellt. Wenn die Geschwister sich also auf ein Mediationsverfahren einigen, können sie mit Hilfe eines Mediators versuchen, eine Reihe von Fragen zu klären. Die Klärung kann darin bestehen, ob sie die Regelungen im Testament ihres Vaters missachten dürfen und neue Vereinbarungen unter sich treffen dürfen. Es ist weiter zu klären, ob sie verpflichtet sind, das Vermächtnis des Vaters zu erfüllen und das Geld an das Tierheim zu zahlen. Im Verlauf der Gespräche tauchen auch juristische Fragen auf, da es zu den Grundlagen einer Mediation gehört, dass die rechtlichen Fragen geklärt werden. Der Mediator wird die Geschwister zu beratenden Rechtsanwälten schicken, um dann mit ihnen die Auskünfte zu besprechen. Die rechtliche Situation wird sich so darstellen, dass die Geschwister nicht ohne weiteres die Regelungen im Testament abändern können. Nach der Eröffnung des Testamentes beim Notar müssen die Geschwister einen sogenannten Erbschein beim Nachlassgericht beantragen, der sie als Erbe der im Testament benannten Vermögenswerte ausweist. Danach können sie über das jeweilige Erbe verfügen. Danach könnten sie sich mit Hilfe des Mediators, der Rechtsanwälte und des Notars darauf einigen, den Nachlass in ihrem Sinne aufzuteilen. Die Möglichkeit wird eine längere Zeit in Anspruch nehmen, bis alle erforderlichen Unterlagen vorliegen und die Geschwister sich auf die beste Lösung geeinigt haben, um für beide eine in der Mediation angestrebte „win-win“ Lösung herbeizuführen. Da neben dem Mediator auch noch Rechtsanwälte und ein Notar mit der Angelegenheit befass sind, werden auch entsprechende Kosten zu begleichen sein. Daher stellt sich auch hier die Frage, ob es nicht einen schnelleren, kostengünstigeren und effizienteren Weg geben würde, um die von den Geschwistern gewünschte Situation zu erreichen. Hier bietet es sich an, dass eine Mediation unter Lebenden stattfindet, wenn sich also der Vater als Unternehmensinhaber und Erblasser und seine Kinder als Erben über die Zukunft des Betriebes und der privaten Vermögenswerte verständigen.

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4.3 Lösung mittels Mediation zu Lebzeiten des Erblassers Die nachfolgende Darstellung entspricht der Arbeitsweise der Mediatoren, die während der Gespräche mit den Beteiligten deren Äußerungen stichpunktartig auf Kärtchen, die an eine Moderationswand gesteckt werden oder an einer Flipchart festhalten. In der ersten Sitzung erscheinen alle drei Beteiligten, also Karl, Matthias und Gabriele Weber gemeinsam. Karl Weber legt das Notar-Testament vom 01.12.2011 vor. Der Mediator bittet jeden Einzelnen, das Problem, das sie in die Mediation geführt hat, aus seiner Sicht zu schildern und legt danach die Themen fest. Die lauten: – Erbaufteilung – Unternehmensnachfolge – Spende an das Tierheim Die Reihenfolge der Themen wird festgelegt. Das erste Thema ist die Unternehmensnachfolge. Karl nimmt die Position ein: – Matthias übernimmt die Firma – Gabriele bekommt das Elternhaus, das Wertpapierdepot und das Bargeld Matthias nimmt die Position ein: – ich übernehme die Firma Gabriele nimmt die Position ein: – ich übernehme die Firma Wie geht es weiter? Der Mediator fragt wiederum jeden Einzelnen nach den Hintergründen für diese Position, warum der Vater das Erbe so verteilen möchte und warum sowohl Matthias als auch Gabriele die Nachfolge ihres Vaters im Unternehmen antreten möchten. Er fragt nach den Interessen und Bedürfnissen. Karl gibt an: – ich möchte mein Erbe so verteilen, wie ich es für richtig halte – Matthias ist der bessere Nachfolger, da er ein Mann und ein Ingenieur ist – Gabriele soll die Möglichkeit haben, ihre Bestimmung als Frau zu erfüllen und ohne finanzielle Sorgen ein Leben als Hausfrau und Mutter zu führen

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Gabriele zählt auf: – ich habe Betriebswirtschaft studiert – ich arbeite seit einigen Jahren erfolgreich in meiner jetzigen Firma – ich habe die Kompetenzen und die Erfahrung – ich möchte nicht in unserem Elternhaus wohnen – ich habe keinen Freund – ich möchte nicht heiraten – ich möchte keine Kinder Matthias sagt: – ich bin gern der technische Leiter unserer Firma – ich möchte nicht die Verantwortung für den gesamten Betrieb übernehmen – ich möchte weiter technische Neuerungen entwickeln – ich möchte in 1–2 Jahren meine Verlobte heiraten – ich möchte eine Familie gründen – ich würde gern in unserem Elternhaus wohnen An diesem Punkt der Mediation erfährt Vater Karl zum ersten Mal die wirklichen Interessen seiner Kinder. Nach der Scheidung von seiner Ehefrau Erika hatte er sich zwar immer bemüht, ein gutes Verhältnis zu seinen Kindern zu bewahren, aber die beruflichen Anforderungen in seinem Betrieb, die Reisen ins Ausland, um neue Märkte zu erschließen und die Fürsorge für seine langjährigen guten Mitarbeiter haben ihm wenig Zeit gelassen, intensive Gespräche mit seinen Kindern zu führen. Selbst mit Matthias, der ja in der Firma arbeitet, hat er nur über geschäftliche Probleme geredet und sich nie über dessen Zukunftsvorstellungen informiert. Die Vorstellungen seiner Tochter von ihrem Leben erschüttern ihn. Er hat sich immer vorgestellt, dass Gabriele gern so ein sorgenfreies Leben haben würde, wie er es seiner Frau geboten hatte. Er hatte nichts dagegen, dass sie damals BWL studiert hatte, da jedes Studium sinnvoll ist, aber dass sie das als Grundlage für eine lebenslange Berufstätigkeit ansehen würde, hat er nicht geahnt. Er kann aber verstehen, dass die jungen Frauen von heute einen anderen Weg als ihre Mütter wählen und kann Verständnis für seine Tochter aufbringen. Das ist in der Mediation eine sehr häufig auftretende Erscheinung, dass die Beteiligten durch das Gespräch, die Offenheit, Ehrlichkeit und Fairness zueinander zum ersten Mal die Meinungen und Überzeugungen der anderen erfahren. Oft kommt es zu verblüffenden Erkenntnissen, die eine Veränderung der vorher festgefahrenen Positionen möglich macht.

Nachdem alle Beteiligten ausführlich zu Wort gekommen sind, fragt der Mediator nach Lösungsvorschlägen, die in Form eines Brainstormings alle drei nennen können.

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Er notiert: – es müssen Wertgutachten für die Firma und das Haus erstellt werden – Gabriele wird Nachfolgerin von Karl und bekommt die Firma – Gabriele übernimmt die Gesamtgeschäftsführung – Matthias wird Geschäftsführer der neu zu schaffenden Technik-Abteilung: „Innovation und Entwicklung“ – Matthias bekommt ein angemessenes Geschäftsführergehalt – Matthias bekommt das Haus – die aktuellen Beträge des Wertpapierkontos und des Bargeldes müssen festgestellt werden – es soll ein noch festzusetzender Betrag der Technik-Abteilung zur Verfügung gestellt werden Nachdem alle Vorschläge genannt wurden, soll daran anschließend jeder die Vorschläge nennen, die er für sinnvoll und umsetzbar hält, also eine Bewertung der Lösungsvorschläge. Dazu kann der Mediator die Beteiligten bitten, ein Kreuz hinter den für sie richtigen Vorschlag zu machen oder er kann Papierpunkte nach dem „Ampel-System“ (rot-nein, grün-ja, gelb-vielleicht) verwenden. Nachdem alle Drei grüne Punkte an die Vorschläge geklebt haben, ist die Lösung und somit eine Vereinbarung gefunden. Als letzter Schritt sollte eine Kontrolle erfolgen, ob die vom Vater und von den Geschwistern genannten Interessen und Bedürfnisse durch die Lösung abgedeckt sind. Das ist hier der Fall. Die Vereinbarung kann von den Beteiligten auf dem Flipchartbogen paraphiert und anschließend dem Notar und den Rechtsanwälten zur Ausarbeitung eines neuen Testaments und der entsprechenden Verträge übergeben werden. Der Punkt „Erbaufteilung“ ist in dem Punkt „Unternehmensnachfolge“ aufgegangen und kann gestrichen werden. Das nächste Thema lautet: – Spende an das Tierheim Dieser Punkt wird nach denselben Regeln abgehandelt wie der vorige. Karl und Gabriele nehmen die Position ein: – das Tierheim soll das Geld bekommen Matthias nimmt die Position ein: – das Tierheim soll das Geld nicht bekommen Der Mediator erfragt wieder die Interessen und Bedürfnisse.

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Karl antwortet: – mein Hund Ajax war und ist mir ein treuer Freund – gerade nach meiner Scheidung und dem „Verlust“ meiner Kinder war er ein wichtiger Begleiter – die Situation der Tiere soll verbessert werden Gabriele antwortet: – ich bin eine große Tierliebhaberin – ich möchte, dass es den Tieren in unserem Tierheim gut geht – ich weiß, dass das Tierheim auf Spenden angewiesen ist – wir haben genug Geld und können etwas abgeben Matthias antwortet: – die Tiere sind mir egal – das Geld kann ich gut gebrauchen – Vater hatte schon immer eine übertriebene Vorliebe für seinen Hund Es entwickelt sich nun ein Gespräch zwischen den Geschwistern, in dem Matthias erklärt, dass er die von Gabriele geschilderte Situation des Tierheims nicht kennt. Er ist davon ausgegangen, dass die Stadtverwaltung für die finanzielle Ausstattung sorgt. Nun kann er die Meinung seiner Schwester und auch die Verfügung und den Wunsch seines Vaters besser verstehen. Daraufhin einigen sie sich, dass das Tierheim den Betrag erhalten soll, so wie es im Testament vorgesehen ist.

5 Fazit Dieses Fallbeispiel zeigt auf, wie sinnvoll es ist, die Nachfolge in einem Unternehmen unter Lebenden zu regeln. Auf der Seite des Inhabers steht der Wunsch, die Firma in gute Hände zu übergeben, seinen Mitarbeitern einen sicheren Arbeitsplatz zu erhalten und die Tradition zu wahren. Für sich selbst möchte er eine Absicherung im Alter, eine Anerkennung seiner Lebensleistungen, aber auch den Zusammenhalt der Familie und somit die Sicherung des Familienfriedens. Für die Familienmitglieder, für die eine Nachfolge in Betracht kommt, ist es wichtig, dass eine rechtzeitige Übergabe erfolgt und dass sie Know-how, Unterstützung, Einarbeitung und Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten erfahren. Sie benötigen Entscheidungsfreiheiten, um die Möglichkeiten zur eigenen Entfaltung zu entwickeln. Der Vater hat die Nachfolgeproblematik mit seinen Kindern erörtern können, hat ihre Interessen und Bedürfnisse erfahren und die Übernahme der Firma durch die Tochter und die neue Stellung des Sohnes zufriedenstellend für alle drei vereinbaren können.

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Für die Mediatoren werfen diese Verfahren eine Reihe von Fragen auf. Es müssen betriebswirtschaftliche, steuerliche, psychologische Aspekte berücksichtigt werden. Es bietet sich an, Informationen von Fachleuten wie Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern, Bankberatern, Versicherungsberatern sowie Immobilienkaufleuten einzuholen und in die Entscheidungen einfließen zu lassen, die allerdings nicht allein als Grundlage der Lösungen gesehen werden sollen, sondern nur als weiteres Mittel zur Entscheidungsfindung. Im Mittelpunkt sollten die verschiedenen Interessen und Bedürfnisse der Beteiligten stehen, die von den Mediatoren durch ihre Arbeitstechniken herausgefiltert werden müssen. So kann es durch das Mediationsverfahren zu einer zufriedenstellenden, zukunftsorientierten und tragfähigen Lösung des erbrechtlichen Problems für den Erblasser und die Erben kommen, also zu der vielzitierten „win-win“-Lösung.

Herausgeber- und Autorenverzeichnis Die Herausgeber Patrick Haag, M. Sc. Studierte Messe-, Kongress- und Eventmanagement sowie Management kleiner und mittlerer Unternehmen mit Schwerpunkt auf Entrepreneurship und Unternehmenskommunikation. Neben unzähligen Praxisprojekten im Bereich Live-Kommunikation und Eventmarketing für KMU und große Unternehmen (hauptsächlich mit HAAG INTERNATIONAL EVENTS) ist er Dozent in diesen Bereichen an verschiedenen Hochschulen. Weiter beschäftigt er sich in seiner Promotion mit der Kommunikation und insbesondere dem Eventmarketing von KMU und Start-Ups.

Patrick Roßmann, M. Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für innovatives Markenmanagement (LiM®) an der Universität Bremen sowie der Fachhochschule Bielefeld. Er studierte Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Marketing & Personal/Organisation in Bielefeld sowie Management kleiner und mittlerer Unternehmen in Siegen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Markenmanagement, Automotive Management sowie Marketing im Handel. Darüber hinaus ist er Mediator mit Schwerpunkt Wirtschaftsmediationen und Ausbilder für Mediatoren bei Consensus – Institut für Mediation e.V.

526 | Herausgeber- und Autorenverzeichnis

Die Autoren Christian Fuchs, M. Sc. Christian Fuchs studierte Wirtschaftswissenschaften an der Universität Erlangen/Nürnberg sowie Management kleiner und mittlerer Unternehmen an der Universität Siegen. Den inhaltlichen Schwerpunkt seines Studiums und seiner aktuellen Forschung bildet hierbei das Thema Entrepreneurship sowie Fragestellungen zur Unternehmensübergabe und -nachfolge. Neben seinem wissenschaftlichen Engagement ist er Gesellschafter der CITY COFFEE Kaffee Service Systeme GmbH.

Prof. Dr. Bernd Helbich Professur für Personalmanagement und Personalführung an der FH Bielefeld – University of Applied Science, Geschäftsführer bei MACH1 Weiterbildung & MACH2 Personalentwicklung, Herford. Studium der Produktionstechnik an der Hochschule OstwestfalenLippe, Abschluss Dipl. Ing., Studium der Soziologie an der Universität Bielefeld im Schwerpunkt „Organisation und Personalwesen“, Abschluss Diplom Soziologe, Promotion zum Dr. rer. pol. an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Dortmund.

Prof. Dr. Volker Herzig Seit 1994 Professor an der FH Bielefeld und vertritt im Fachbereich Wirtschaft und Gesundheit das Lehrgebiet Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Personal und Organisation. Zuvor Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Bielefeld; Leiter der betrieblichen Aus- und Weiterbildung, Personalentwicklung und Personalwirtschaft bei zwei größeren Industrieunternehmen; Promotion zum Dr. rer. pol. an der Universität Bielefeld; Geschäftsführer der Weidmüller Stiftung; Unternehmensberatung und Mitarbeit in Projekten und Arbeitskreisen im Kontext Personal- und Organisationsentwicklung, hierzu auch mehrere Veröffentlichungen.

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Die Autoren Marc H. Kipp, M. A., LL. M. Kaufmännischer Projektleiter im Bereich Bergbau/Materialumschlag und Sondergetriebebau bei der ThyssenKrupp Industrial Solutions AG, dem international tätigen Anlagenbauunternehmen innerhalb der Technologiesparte des ThyssenKrupp-Konzerns. Er studierte Betriebswirtschaftslehre (Master of Arts) sowie Vertragsgestaltung und -management (Master of Laws) in Bielefeld. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Rechnungslegung nach IFRS, internationaler Rechtsfragen sowie der Compliance.

Cornelius Klingel, B. A. Studium an der Zeppelin University sowie der Erasmus Universität Rotterdam mit Schwerpunkten in Corporate Management, Consulting und Organizational Change. Mehrjährige Erfahrung im Bereich Public Sector Consulting, unter anderem für Bundesministerien, Krankenhäuser und Gewerkschaften. Zuvor arbeitete Cornelius Klingel in der Werbe- und Automotivebranche. Aktuell untersucht er Change Prozesse im Gesundheitswesen.

Tobias Kohler, Dipl.-Medienwirt, B. Soc. Sc. Tobias Kohler ist Kommunikationsberater und hat sich auf internationale Crowdfunding-Projekte aus dem Hardware-Bereich spezialisiert. Von ihm betreute Crowdfunding-Kampagnen wie „PowerUp 3.0” und „Brewie” gehören zu den höchstdotierten Projekten auf Kickstarter und Indiegogo. Studium der Medienwirtschaft an der Universität Siegen und der Kommunikationswissenschaft an der Växjö Universitet in Schweden.

528 | Herausgeber- und Autorenverzeichnis

Prof. Stefan Luppold Seit 2011 Leiter des Studiengangs „Messe-, Kongress- und Eventmanagement“ an der Dualen Hochschule BadenWürttemberg (DHBW) in Ravensburg. Zuvor über 15 Jahre Dozent an verschiedenen Hochschulen in Baden-Württemberg sowie Gastprofessor, unter anderem in China und im Baltikum. Weiter ist er Gründer und Leiter des Instituts für Messe-, Kongress- und Eventmanagement (IMKEM) sowie Herausgeber und Autor zahlreicher Publikationen in der Veranstaltungsbranche.

Jan Phillip Platenius, M. Ed. Jan Philipp Platenius (Jahrgang 1983) hat an der Universität Bielefeld verschiedene Geistes- sowie Wirtschaftswissenschaften studiert. Direkt im Anschluss gründete er die ebenfalls in Bielefeld ansässige Talents’ Friends GmbH. Gestartet als TeilzeitUnternehmensberatung neben einem Unijob, haben sich in Talents’ Friends mittlerweile Gründer und Unternehmer zusammengeschlossen, um Start-Up-Unternehmen aufzubauen und zu unterstützen.

Rahel Rüth, B. Sc. Studierte internationale Volks- und Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Südostasien-Wissenschaften an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Weiter sammelte sie Erfahrungen im internationalen Bereich, unter anderem an der Tongji Universität in Shanghai, der Ewha Womans University in Seoul und der renommierten Peking Universität. In ihren aktuellen Studien befasst sie sich mit dem Aufbau und dem Management internationaler Vertriebsstrukturen und Märkte. Sie blickt zudem auf Berufserfahrung in diesem Bereich zurück.

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Dip. jur. oec. Sabrina Schell, B. A. Diplom Wirtschaftsjuristin Sabrina Schell B.A. ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Siegen. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Familienunternehmen und Unternehmensnachfolge. Vor allem die Auswirkungen des familiären Einflusses auf strategische Prozesse und das Innovationsverhalten sind Gegenstand aktueller Forschungsprojekte.

Prof. Dr. Günter Schmid Prof. Dr. Günter Schmid lehrt seit 1994 an der Fachhochschule Bielefeld Allgemeine Betriebswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Marketing und Handel. Im Anschluss an ein betriebswirtschaftliches Studium und Promotion an der Universität Köln hat er mehrere Jahre als Vorstandsassistent und Leiter einer Marketingabteilung eines Großhandelsunternehmens gearbeitet. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Unternehmens- und Marketingstrategien, Distributionsmanagement, Handelsmarketing, Handwerksmarketing sowie Fragen der Wirtschaftsethik.

Dipl. Kfm. Tobias M. Scholz Doktorand am Lehrstuhl für Personalmanagement und Organisation an der Universität Siegen. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen Big Data im Personalmanagement, komplexe Systeme, Gamification sowie Dynamik in Organisation. Er ist Mitherausgeber der eSports Yearbook Serie.

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Univ.-Prof. Dr. Volker Stein Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insb. Personalmanagement und Organisation an der Universität Siegen sowie Gründungsvorstand der Universität Siegen Business School – Südwestfälische Akademie für den Mittelstand. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen strategisches Personalmanagement im Mittelstand, Humankapitalbewertung („Saarbrücker Formel“), internationale empirische Organisationsforschung, marktbasierte Führung in Organisationen sowie Steuerung von Universitäten.

Dipl. Oek. Fabian Stichnoth Fabian Stichnoth ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der 2012 gegründeten smart insights GmbH, einem Marktforschungsinstitut aus Bremen, mit Spezialisierung auf innovative Marktforschungslösungen. smart insights wurde 2012/2013 mit dem EXIST-Gründerstipendium des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie sowie im Rahmen des BRUT Programms der Bremer Aufbau Bank gefördert. Er war Lehrbeauftragter für Theorie der Unternehmung (2012/2013) an der Universität Bremen, Jury Mitglied im Rahmen des BRUT Programms (2014) und verfügt darüber hinaus über ein weit verzweigtes Gründernetzwerk. Mechthild Stockmeier Rechtsanwältin, Fachanwältin für Sozialrecht und Mediatorin. Neben ihrer Anwaltstätigkeit führt sie seit 1993 Mediationsverfahren auf verschiedenen Rechtsgebieten durch und bildet im „Consensus – Institut für Mediation“ seit 2009 interdisziplinär Mediatoren aus.

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Tom Suberg, B. Sc. Tom Suberg ist Unternehmensberater in den Bereichen Logistik und Crowdfunding. Er hat mehrere erfolgreiche CrowdfundingProjekte begleitet und beschäftigt sich mit Prozessoptimierungen und strategischem Marketing in Crowdfunding-Kampagnen. Studium: International Logistics, Management and Engineering (ILME) an der Jacobs University Bremen.

Marcel Widmaier Rechtsanwalt. Studierte Rechtswissenschaften an der Eberhard Karls Universität in Tübingen mit dem Schwerpunkt Wirtschaftsrecht und ist in der renommierten, auf Zivil- und Wirtschaftsrecht spezialisierten Kanzlei Jäger & Collegen in Ludwigsburg tätig. Im Rahmen seiner rechtsanwaltlichen Tätigkeit betreut er zahlreiche mittelständische Unternehmen und verfügt über Praxiserfahrung im Bereich gesellschaftsrechtlicher Strukturen.

Schlagwortverzeichnis A Affect Infusion Model (AIM) 450 affective Commitment 310 AG 350 AIM 451 Aktiengesellschaft (AG) 350 anchoring Bias 104 Anforderungsprofile 274 Angriffsstrategien in der Kommunikation 228 Ankereffekt 104 Ansehen 37 Anti-Korruption 361 Anwaltliche und therapeutische Begleitung 506 Anwendungsfelder 498 Arbeitgeberattraktivität 265 Arbeitszufriedenheit 309 asymmetrische Netzwerke 59 Attention 413 Aufgaben der Parteien 505 Aufgaben des Mediators 505 Aufmerksamkeitsdilemma 226 aufmerksamkeitsfokussierte Instrumente 239 AUMA 218 Auslandsmärkte 73 Auslandsmarkteintritt 73 Ausprägungen von Brand Commitment 314 Ausstellungen 199 Auswahlkriterien 410 Auswahlprozess 408 Automobilhandel 300 availability Bias 104 B Backer 117 Behavioral Agency Model (BAM) 437 Bekanntmachungsstrategie 213 Berufsbilder 260 Bestechung 355 betriebliches Gesundheitsmanagement 276 Betriebsformen 301 Betriebstyp 301 Betriebstypen im Automobil-Einzelhandel 302 Bewertungskonflikte 488

Beziehungspflegestrategie 213 Bildung falscher Hypothesen 103 Blockstand 214 Brand-Commitment 311 Business Angel 29 Business Idea 145 Business Judgement Rule 363 Businessplan 46 C Call to Action 126 Chancen 35 Chancen-/Risiken-Analyse 150 Change 97 Changemanagement 97 Code of Conduct 395 Commitment 309, 418 Compliance 355, 387 Compliance Management System (CMS) 360, 387 Compliance Officer 361 Compliance-Commitment 395 Compliance-Kommunikation 392 Compliance-Kultur 389 Compliance-Maßnahmen 403 Compliance-Organisation 362, 391 Compliance-Programm 391 Compliance-Risiken 390 Compliance-Überwachung 392 Compliance-Zertifizierung 393 Compliance-Ziele 390 Continuance Commitment 309 Corporate Compliance 359 Corporate Governance 359 Crowd 130 Crowdfunding 117 Crowdinvesting 121 Crowdlending 121 Crowdsourcing 117 Customer Relationship Management 127 D demographischer Wandel 267, 269 Deutscher Corporate Governance Kodex (DCGK) 364 Differenzierung 255, 257, 259

534 | Schlagwortverzeichnis

digitale Vernetzung 269 Digitalisierung 253 Dissonanzreduktion 105 Dodd-Frank Act 402 Dokumentenanalyse 283 Dual-Concern-Modell 493 Due Diligence 381 Durchhaltevermögen 39 Dynamik 255, 260 E e.K. 328 Eckstände 214 Eigentumsübertragung 480 eingetragener Kaufmann (e.K.) 328 Eingliederungsmanagement 276 Einzelunternehmen 327 employer branding 265 enthusiastischer Internationalisierer 75 Entrepreneur 55 Entrepreneurship 55 Entscheidungskriterien 269 Erfahrung 26 Erfolg 49 Erfolgsfaktoren 125 Erwerbspersonenpotential 308 Eskalationsprozess 491 Existenzgründung 36 F Fallstudienuntersuchung 431 Familie 479 familieninterne Nachfolge 480 Familienunternehmen 271, 407, 429 Federal Sentencing Guidelines 372 Fehlschlagrisiko 480 Festhalten an falschen Hypothesen 105 FIBER-Dimension 451 Finanzierung 20 Finanzierungsschwelle 130 Flankenangriff 228 Flexibilität 39, 256, 259, 260 flexible Arbeitszeitmodelle 270 Fokussierung 27 Foreign Corrupt Practices Act (FCPA) 375 Franchising 79 Fremdattribution 106 Fremdbild einer Marke 178 Fremdmanagement 412

Frontalangriff 227 Frühe-Folger-Strategie 82 Führungsgrundsätze 284 Führungskräfte, Rolle im Mittelstand 265 Führungskräfteweiterbildung 257 Führungsmittel 285 Führungsstile 285 Führungstechniken 285 Führungstheorien 284 Führungsverhalten 272 G Gadgets 125 GbR 331 gelegentlicher Internationalisierer 75 Generation Y 264 Geschäftsidee 36 Geschäftsmodell 23, 38 Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) 331 Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) 344 Gesellschaftsformen 352 gesellschaftsrechtliche Organisation 327 Globalisierung 73 GmbH 24, 344 GmbH & Co. KG 351 Governance 410 Gründer 49 Gründerteam 24 Grundsätze der Verhandlungsführung 497 Grundverständnis der identitätsbasierten Markenführung 179 Guerilla-Anforderungs-Dimensionen 230 Guerilla-Markenfit 231 Guerilla-Marketing Plan 245 Guerilla-Marketing-Instrumente 234 Guerilla-Marketing-Kampagne 224 Guerilla-Marketing-Kompass 232 Guerilla-Marketing-Konzept 228 Guerilla-Marketing-Konzeption 247 Guerilla-Maßnahmen im Marketing-Mix 230 H Harvard-Verhandlungskonzept 500 Herausforderung 175 Herausforderungen 35 High Affect Infusion Strategies 451 Hochschultage 291 HR 21

Schlagwortverzeichnis | 535

Humankapital 307 hybride Veranstaltungen 198 I IDW PS 980 370, 394 Imageprofilierungsstrategie 213 Indiegogo 118 Informationsstrategie 213 inkrementelle Strategieplanung 161 Inkubator 19 Innovation 65 Innovationsnetzwerke 59 Innovationstreiber 273 Inselstand 214 integratives Nachfolgemodell 447 Interesse 500 Internationalisierung 65, 74 Internet 117 J Joint Venture 79 K Kandidatenpool 422 Kapitalgesellschaften 344 Karrieremuster 270 Kartell 357 KG 340 Kickstarter 118 klassische Kommunikationsstrategie 227 KMU 57 KMU-Definition 270 Kommanditgesellschaft (KG) 340 Kommerzielle Netzwerke 59 Kommunikation 8, 424 Kommunikationsalternative 226 Kommunikationskanal 501 Kommunikationsmodus 501 Kommunikationsstrategie 213, 281 Kommunikationszone 215 Kompetenz 256, 258, 260 Kompetenzen 22 Kompetenzmeinung 106 komplexe Handlungssituation 102 Komplexität 102 Konflikte 487 Konfliktlösung 14 Konfliktlösungsverfahren 494 Konkurrenzstrategie 213

Kontaktanbahnungsstrategie 213 Kooperationen 166 kooperatives Führungsverhalten 265, 293 Kopfstände 214 Korruption 355 Kreativität 21, 35 Kunden 45 Kundenbindungsmaßnahme 177 Kundenfindungsmaßnahme 177 L langsamer Internationalisierer 75 Lean Startup 21 Lebenszyklusansatz 446 Legalitätskontrolle 362 Legitimation 416 Lernen 48 Lernende Netzwerke 59 Live-Kommunikation 198 Lizenzierung 78 lokale Netzwerke 59 Low Affect Infusion Strategies 451 M Managementberatung 103 Markencontrolling 190 Markenevolution 190 Markenherkunft 181 Markenidentität 180 Marken-Identitäts-Kultur-Fit 313 Marken-Identitäts-Struktur-Fit 313 Markenimage 186 Markenkompetenz 183 Markenleistungen 184 Markenmanagement 176 Markennutzenversprechen 185 markenorientierte Führung 313 markenorientierte Kommunikation 313 Markenpersönlichkeit 184 Markenwert 183 Markenziele 189 Marketing 8, 22 Marketing als Maxime 139 Marketing als Methode 140 Marketing als Mittel 140 Marketing als Unternehmensführungskonzeption 138 Marketing-Mix 162 Marketingstrategien 158

536 | Schlagwortverzeichnis

Markt 21, 36 Marktanalyse 148 Markteintritt 21 Markteintrittsform 77 Markterschließung 74 Markttransaktion 77 Mediation 14 Mediationsprozess 502 Mediationsvertrag 503 Mediator 495 Messen 198, 199 Messeziele 212 Mitarbeitergespräch 286 Mittelstand 263, 270 moderierende Variablen 480 multidimensionales Konzept 439 Multi-Marken-Plattform 304 Mut 39 N nachfolgender Internationalisierer 75 Nachfolgeoption 411 Nachfolgeplanung 480 Nachfolgeprozess 408 Nachfolger 407 Nachhaltigkeit 256, 258, 260, 269 Nachwuchsgründer 20 Netzwerk 22, 58 neu gegründete Unternehmen 55 nicht-ökonomischen Faktoren 430 normative Commitment 310

Personalführung 264 Personalmanagement 10, 272, 306 Personalmarketing 22, 264 Personalplanung 264, 280 Personalrekrutierung 264 Personalstrategie 265 personalwirtschaftliche Funktionen 278 Personengesellschaften 329 Personen-Marken-Identitäts-Fit 313 Pionier-Strategie 81 Pivot 31 Position 500 Potentialanalyse 145 Preisabsprachen 359 Pressearbeit 130 Prinzipien der Preisbildung 164 Problembewusstsein 97 Professionalisierung 260, 419 Prospect-Theory 438 Prozess der identitätsbasierten Markenführung 187 Prozessgestaltung 98 Prozessmodelle 445 Q quantitative Vergleichsgröße 173

O offene Handelsgesellschaft (oHG) 335 oHG 335 Ombudsmann 401 Online-Werbung 130 operatives Markenmanagement 190 Organisationsform 327 organizational Commitment 310 Ostwestfalen-Lippe 20 overconfidence Bias 104

R rechtliche Grundlagen 12 Rechtsform 327 Rechtsformwahl 327 Reihenstand 214 Rekrutierungsprozess 282 Relevanz der Identitätskomponenten 185 Reparaturdienstverhalten 105 ressourcenbasierte Instrumente 234 Rewards 122 Risikobereitschaft 39 Risikokapital 28 Risk Assessment 381 Rollen 415 Rollenmodell 414

P Partnerschaft 352 Personalauswahl 414 Personalbedarfsplanung 280 Personalbeschaffungsplanung 281 Personalentwicklung 259, 264, 423

S Sarbanes-Oxley-Act 358 Schiedsgerichte 490 Schlecht-definierte Systeme 101 Schlichtungsstelle 490 Schnelligkeit 255, 258, 259

Schlagwortverzeichnis | 537

Scouting 283 Selbstbild der Marke 178 Selbstständigkeit 39 Selbstvertrauen 39 Selbstverwirklichung 37 Shitstorm 131 Situationsanalyse 189 Skills 420 SME 57 Social Media 127 Sologründer 22 Sourcing 283 soziale Netzwerke 269 sozioemotionales Kapital 429 Späte-Folger-Strategie 82 Spielraum 101 Sprinkler-Strategie 84 Stärken-/Schwächen-Analyse 150 Startnext 120 Start-Up 19, 55, 118 Stiftung 412 Stolpersteine 35 Strategieraster 159 strategische Zielplanung 153 strategisches Personalmanagement 273 Stretch Goal 128 subjektives Markenwissen 186 sunk cost fallacy 105 SWOT-Analyse 143 symmetrische Netzwerke 59 synoptische Strategieplanung 160 T Talents’ Friends 22 Teamnachfolge 424 Timing-Strategie 80 Tochtergesellschaft 80 Transition des Rollenverhaltens 445 U UG (haftungsbeschränkt) 349 UK Bribery Act 2010 378 Umfeldanalyse 149 Umzingelungsangriff 227 Unabhängigkeit 35 Unique Selling Proposition (USP) 156

Unternehmensentwicklung 6 Unternehmensgrundsätze 154 Unternehmensgründung 6 Unternehmensintegration 77 Unternehmenskultur 272 Unternehmensnachfolge 13, 407, 429, 430 Unternehmensstrategie 74, 273 Unternehmensübergabe 13, 409 Unternehmensziele 154, 408 Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) 349 Unternehmertyp 39 Update 127 V Venture Shopping 125 Veränderungsbedarf 100 Veränderungsfähigkeit 256, 258, 259 Veränderungsprozesse 98 Verbalintegration des Unvereinbaren 105 verbreitungsfokussierte Instrumente 243 Verdienstmöglichkeiten 36 Verhaltensökonomie 101 Verkauf 412 Versioning 129 Verteilungskonflikte 489 Vertrieb 23 Verweildauer 268 Visionen 35, 154 Vorstellungsgespräche 283 W Wasserfall-Strategie 83 Wechselbereitschaft 269 Wettbewerbsanalyse 147 Whistleblower System 401 willful blindness 369 Wissensträger 273 Work-Life-Balance 270, 294 Z Zero-Tolerance 381 Zielgrößen des Ambush Marketing 239 Zielgruppe 268 Zielgruppenerschließungsstrategie 213 Zielinversion 105