Kirchenrechtliche Beiträge zur Ekklesiologie [1 ed.] 9783428482528, 9783428082520


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Kirchenrechtliche Beiträge zur Ekklesiologie [1 ed.]
 9783428482528, 9783428082520

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WINFRIED AYMANS

Kirchenrechtliche Beiträge zur Ekklesiologie

Kanonistische Studien und Texte begründet von Dr. Albert M. Koeniger t o.ö. Professor des Kirchenrechts und der Kirchenrechtsgeschichte an der Universität Bonn fortgeführt von Dr. Dr. Heinrich Flatten t o.ö. Professor des Kirchenrechts und der Kirchenrechtsgeschichte an der Universität Bonn herausgegeben von Dr. Georg May Professor für Kirchenrecht, Kirchenrechtsgeschichte und Staatskirchenrecht an der Universität Mainz und Dr. Anna Egler Akademische Direktorin am Seminar für Kirchenrecht der Universität Mainz

--------------------- Band42 --------------------WINFRIED AYMANS

Kirchenrechtliche Beiträge zur Ekklesiologie

Kirchenrechtliche Beiträge zur Ekklesiologie Von

Winfried Aymans

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Aymans, Winfried: Kirchenrechtliche Beiträge zur Ekklesiologie I von Winfried Aymans. - Berlin: Duncker und Humblot, 1995 (Kanonistische Studien und Texte ; Bd. 42) ISBN 3-428-08252-4 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten

© 1995 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fotoprint: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0929-0680 ISBN 3-428-08252-4

Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier gemäß der ANSI-Norm für Bibliotheken

Vorwort In seinem Vorwort zu der Aufsatzsammlung »Beiträge zum Verfassungsrecht der Kirche« (Kanonistische Studien und Texte, Bd. 39, Amsterdam 1991) hat der Herausgeber der Reihe, Georg May, schon angekündigt, daß ein weiterer Band folgen soll. In der Zwischenzeit ist die Reihe vom Verlagshaus Duncker & Humblot in Berlin übernommen worden. Um so mehr sehe ich Anlaß, meinem hoch geschätzten Kollegen und treuen Freund Georg May und der inzwischen als Mitherausgeberio zeichnenden Akademischen Direktorin Dr. Anna Egler sowie Herrn Professor Norbert Sirnon für den Verlag Duncker & Humblot meinen Dank dafür auszusprechen, daß die Ankündigung nunmehr verwirklicht werden konnte. Für den ersten Sammelband sind mit einer einzigen Ausnahme ältere Studien aus der Zeit vor der Promulgation des Codex Iuris Canonici ausgewählt worden. In dem vorliegenden zweiten Band überwiegen Arbeiten neueren Datums, die jedoch öfters auf ältere Studien zurückgehen, später weiterentwickelt und in den Kontext des CIC gestellt worden sind. Darauf wie auch auf Übersetzungen in andere Sprachen wird im Anhang näher hingewiesen. Im allgemeinen ist die letzte Fassung für den Abdruck ausgewählt worden, in Ausnahmefällen jedoch eine frühere, wenn diese schwerer zugänglich und eingehender ist (z. B. Nr. 1). Die Abhandlung über »Die Communio Ecclesiarum als Gestaltgesetz der einen Kirche« (Nr. 2) konnte in ihrer ursprünglichen Fassung erhalten bleiben, weil sie unabhängig vom kodikarischen Recht ganz aus den Konzilsdokumenten entwickelt ist. Sie darf wohl als die erste eingehende Auswertung der Konzilsaussage gelten, nach der die Gesamtkirche in und aus Teilkirchen besteht (LG 23, 1). Die hohe ekklesiologische Bedeutung des konziliaren Nebensatzes hat dann herausragenden Niederschlag in can. 2 § 1 SchemaLEF/1980 gefunden; auch nach Aufgabe dieses Gesetzesprojektes und dem infolgedessen nur zaghaften Nachklang in c. 368 CIC hat die Formel nichts von ihrer grundsätzlichen Bedeutung für das katholische Kirchenverständnis eingebüßt. - Auch der Beitrag über die Kirchengliedschaft (Nr. 4) wird in seiner ursprünglichen Fassung

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Vorwort

wiedergegeben; er ist von mir selbst nicht publizistisch, sondern in der Vorlesung weiterentwickelt worden und Gegenstand der Doktor-Dissertation meines Schülers Georg Gänswein (Kirchengliedschaft - vom zweiten Vatikanischen Konzil zum Codex Iuris Canonici. Die Rezeption der konziliaren Aussagen über die Kirchengliedschaft in das nachkonziliare Gesetzbuch der Lateinischen Kirche; erscheint in Kürze in den Münchener Theologischen Studien). Damit in engem Zusammenhang steht jedoch der mehrfach aufgegriffene und entwickelte Beitrag über »Die sakramentale Ehe« (Nr. 12), der nicht zuletzt als Antwort auf das immer stärkere Auseinanderdriften von weltlichem und kirchlichem Eheverständnis hinsichtlich des letzteren für ein grundsätzliches Umdenken und auf dem Hintergrund der erneuerten Lehre von der Kirchengliedschaft für eine ekklesiologisch geprägte Interpretation der sakramentalen Ehe eintritt. - Auch der Beitrag über die »Apostolische Autorität im Volke Gottes« (Nr. 5) ist so gut wie unabhängig vom positiven Recht und versucht den Nachweis, daß die nicht zur Disposition stehende sacra potestas aufgrund ekklesiologischer Daten keinen Freibrief für Willkürherrschaft bedeutet. - Die Nm. 3, 6-12 erörtern ihren jeweiligen Gegenstand sämtlich auf dem Hintergrund der bereits erfolgten neuen Kodifikationen. - Die beiden folgenden Beiträge hingegen stammen aus der Zeit vor dem vorläufigen Abschluß der Reform. Während das Projekt der Lex Ecclesiae Fundamentalis (Nr.13) bedauerlicherweise in die Archive verwiesen worden ist, kann sich der Leser davon überzeugen, inwieweit die unter Nr. 14 abgedruckte Studie auf die Reform des CIC noch eingewirkt hat. Der letzte Beitrag über die wissenschaftliche Methode der Kanonistik (Nr. 15) ist einem Thema gewidmet, das in den letzten Jahren überraschend an Aktualität gewonnen hat und zum Teil mit erstaunlicher Heftigkeit diskutiert worden ist. Nach Absprache mit dem Verlag ist darauf verzichtet worden, in irgendeiner Weise eine seitengetreue Reproduktion der aufgenommenen Aufsätze vorzunehmen. Alle Texte sind neu erfaßt. Um den Umgang mit dem vorliegenden Band zu erleichtern, ist die Zitierweise vereinheitlicht und ein Quellenregister erstellt worden. Für die gesamte redaktionelle Arbeit und die damit verbundenen Mühen sage ich Herrn Dr. Ludger Müller vom Kanonistischen Institut meinen aufrichtigen Dank. München, den 28. Juli 1994

Winfried Aymans

Inhaltsverzeichnis

1.

»Volk Gottes« und »Leib Christi« in der Communio-Struktur der Kirche. Ein kanonistischer Beitrag zur Ekklesiologie ...................... 1

2.

Die Communio Ecclesiarum als Gestaltgesetz der einen Kirche ................................................................................................................ 17

3.

Die Kirche im Codex. Ekklesiologische Aspekte des neuen Gesetzbuches der lateinischen Kirche..................................................... 41

4.

Die kanonistische Lehre von der Kirchengliedschaft im Lichte des II. Vatikanischen Konzils ................................................................... 65

5.

Apostolische Autorität im Volke Gottes. Über Grund und Grenzen geistlicher Vollmacht ................................................................. 87

6.

Der Leitungsdienst des Bischofs im Hinblick auf die Teilkirche. Über die bischöfliche Gewalt und ihre Ausübung aufgrunddes Codex Iuris Canonici ............................................................. 107

7.

Oberhirtliehe Gewalt ............................................................................... 129

8.

Synodalität - ordentliche oder außerordentliche Leitungsform in der Kirche? ........................................................................................... 169

9.

Synodale Strukturen im Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium ......................................................................................................... 193

10. Strukturen der Mitverantwortung der Laien ........................................ 219 11. Das konsoziative Element in der Kirche .............................................. 239

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Inhaltsveneichnis

12. Die sakramentale Ehe - Gottgestifteter Bund und Vollzugsgestalt kirchlicher Existenz ..................................................................... 273 13. Das Projekt einer Lex Ecclesiae Fundamentalis ................................. 303 14. Der strukturelle Aufbau des Gottesvolkes. Anregungen zur Neugestaltung der Systematik des künftigen Codex Iuris Canonici unter besonderer Berücksichtigung des zweiten Buches............. 321 15. Die wissenschaftliche Methode der Kanonistik ................................... 351 Nachweise .......................................................................................................... 371 Register .............................................................................................................. 375

»Volk Gottes« und »Leib Christi« in der Communio-Struktur der Kirche Ein kanonistischer Beitrag zur Ekklesiologie

Das Zweite Vatikanische Konzil folgt in seiner Lehre von der Kirche dem Leitbegriff vom Volke Gottes. Damit ist das Konzil - was ihm keineswegs von Anfang an vorgezeichnet war - andere Wege gegangen als Pius XII., der noch im Jahre 1943 in seiner Enzyklika ~Mystici Corporis Christi« erklärt hatte: In der Tat kann bei einer Wesenserklärung dieser wahren Kirche Christi, welche die heilige, katholische, apostolische und römische Kirche ist, nichts Vornehmeres und Vorzüglicheres, nichts Göttlicheres gefunden werden als jener Ausdruck, womit sie als der mystische Leib Jesu Christi bezeichnet wird1. Volk Gottes und Leib Christi sind jene anschaulich bildhaften Bezeichnungen, die gegenüber anderen in der Lehre von der .Kirche stets eine Vorzugsstellung eingenommen haben. Es gehört zu den Eigentümlichkeiten einer solchen bildhaften Begriffssprache, daß sie bestimmte Züge am Wesen der Kirche hervorhebt, ohne andere wichtige Aspekte zu leugnen. Dabei nehmen die theologischen Bilder einen Mittelplatz ein zwischen der bloßen Metapher (Analogie) und der unmittelbaren Begriffsidentifizierung. Was im Bilde ausgesagt wird, knüpft an innerweltlichen Wirklichkeiten und Vorstellungen an. Die Aussage verbleibt aber nicht auf dieser Ebene analogen Wortgebrauchs; sie transformiert vielmehr das Bild gleichsam auf eine neue Ebene, wo es eine neue Wirklichkeit bezeichnet. Einerseits verhält es sich mit der Kirche ähnlich wie mit einem Volk; andererseits ist die Kirche wirklich Volk Gottes. Einerseits verhält es sich mit der Kirche ähnlich wie mit einem Leib; andererseits ist die Kirche auf geheimnisvolle Weise wirklich Leib Christi. Mit anderen Worten: Die biblischen Bilder von der Kirche enthalten zugleich immer eine theologische Aussage. Dabei sind die Bildbegriffe 1 AAS 35 (1943) 193-248, hier 199.

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als solche besonders geeignet, die geheimnisvolle oder mystische Wirklichkeit zu bezeichnen, die das Wesen der Kirche ausmacht. Nicht umsonst widmet die Kirchenkonstitution einen eigenen Artikel jener theologischen Bildsprache ausgerechnet in dem 1. Kapitel über das Mysterium der Kirche2• Wenn auch die Kirchenlehre des Konzils vornehmlich dem Leitbild vom Volke Gottes folgt, so greifen die Konzilstexte doch kaum seltener auf den theologischen Bildbegriff von der Kirche als dem mystischen Leib Christi zurück. Auf diese Weise hat das Zweite Vatikanische Konzil jede verengende Einseitigkeit in den ekklesiologischen Grundaussagen glücklich vermieden. Gleichwohl vermißt man eine konziliare Erklärung darüber, wie sich die beiden bildbegrifflichen Aussagen über die Kirche zueinander verhalten. So kommt es, daß beide Begriffe zuweilen sogar im selben Satz onverbunden nebeneinanderstehen3•

Es kann nicht Aufgabe eines kirchenrechtlichen Beitrages sein, das Verhältnis beider Bildbegriffe zueinander umfassend zu untersuchen. Wohl aber stellt sich auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht die Frage, was das Konzil von der Kirche aussagen will, wenn es sie als Volk Gottes oder als Leib Christi bezeichnet.

I. Die Kirche als Volk Gottes In der wissenschaftlichen Diskussion um die Zuordnung beider Bildbegriffe zueinander zeichnet sich eine Verständigung dahin ab, daß jedenfalls »Volk Gottes« schon aufgrund seiner alttestamentlichen Herkunft, aber 2

Vgl. LG6. 3 Vgl. etwa LG 17 Schlußsatz: »lta autem simul orat et laborat Ecclesia, ut in Populum De~ Corpus Domini et Templum Spiritus Sanct~ totius mundi transeat plenitudo ...«; AA 18, 1 »... meminerint tarnen hominem natura sua socialem esse et Deo placuisse credentes in Christum in populum Dei (cfr. 1 Pt. 2, S-10) et in unum corpus coadunare (cfr.1 Cor. 12, 12)«; PO 1: »Presbyteri enim, sacra Ordinatione atque missione, quam ab Episcopis recipiunt, promoventur ad inserviendum Christo Magistro, Sacerdoti et Regi, cuius participant ministerium, quo Ecclesia in Populum Dei, Corpus Christi et Templum Spiritus Sancti, hic in terris indesinenter aedificatur«; GS 78, 3: »lpse enim Filius incarnatus ... omnes homines Deo reconciliavit ac, restituens omnium unitatem in uno Populo et uno Corpore, in propria sua carne occidit odium .. .«

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auch seiner näheren inhaltlichen Aussage nach der allgemeinere, umfassendere Begriff ist4• Deshalb soll zuerst ihm einige Aufmerksamkeit gewidmet werden. Der Gedanke, eine Wesensbeschreibung der Kirche durch den Rückgriff auf den biblischen Volk-Gottes-Begriff zu unternehmen, ist für die katholische Theologie keine immerwährende Selbstverständlichkeit. Tatsächlich hatte der Volk-Gottes-Begriff schon im frühen Mittelalter seine bis dahin innegehabte Vorzugsstellung eingebüßt. Für die katholische Theologie mußte der Gedanke des Volkes Gottes - anders als in der Liturgie, wo er eine kontinuierliche und bedeutende Tradition aufweisen kann5 - regelrecht wiederentdeckt werden. Das ist bekanntlich erst in den dreißiger und vierziger Jahren unseres Jahrhunderts geschehen und besonders mit den Namen M. Dominikus Koster und Lucien Ceifaux innig verbunden. Yves M. Congar ist der Meinung, daß das Thema des Gottesvolkes in der deutschsprachigen Theologie am meisten eingebaut worden ist. Verdienste hierum haben sich namentlich der frühere Münchener Dogmatiker Michael Schmaus sowie sein Trierer Fachkollege IgnazBackes erworben6. In der Sicht unserer Fragestellung ist es von besonderem Interesse, daß gerade auch der Münchener Kanonist Klaus Mörsdoif zu den Entdeckern oder Pionieren des Volk-Gottes-Begriffes für die neuere Ekklesiologie zu zählen ist7• Von daher erscheint es gerechtfertigt, den Gedanken des Volkes Gottes auf seine kirchenverfassungsrechtliche Bedeutung hin zu befragen. Die Benennung der Kirche als Volk Gottes hat einen besonderen Aussagewert dadurch, daß ursprünglich das Volk Israel diesen Namen trägt. Für Israel ist charakteristisch die doppelte Verwurzelung einerseits in der natürlichen Abstammung von Abraham und andererseits in der übernatürlichen Berufung als Gottesvolk im sinaitischen Bundesschluß. Da schon das abrahamitische Zwölfstämmevolk aus der Erfüllung göttlicher Verheißung hervor4 Vgl. etwa J. BEUMER, Die Kirche, LeJ.b Christi oder Volk Gottes?: ThGl 53 (1963) 2S5-268. 5 Vgl. den ausführlichen Überblick bei M. ScHMAus, Katholische Dogmatik illl1, München 3 -s1958, 205-211. 6 Statt näherer Einzelhinweise vgl. Y. M. CoNGAR, Die Kirche als Volk Gottes: Concilium 1 (1965) 7. 7 Vgl. 0. SEMMELROTII, Die Kirche, das neue Gottesvolk: De Ecclesia. Beiträge zur Konstitution »Über die Kirche« des Zweiten Vatikanischen Konzils, hrsg. von G. Barauna, I, Freiburg I Basel I Wien I Frankfurt a. M. 1966, 139; ebenso Y. M. CoNGAR, Die Kirche als Volk Gottes (Anm. 6) 7.

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gegangen ist, verdankt das Volk Israel seine Existenz ganz und gar Gott. Es ist Volk weder aus eigenem Entschluß noch zu selbstgewählter Zielsetzung. Es ist Volk Gottes, weil Gott es dazu gemacht und sich als Eigentumsvolk erwählt hat8• Es mag diesem seinem besonderen Wesen untreu werden, entkommen kann es ihm nicht. Gottes, nicht der eigene Wille ist für die Existenz dieses Volkes als Gottesvolk konstitutiv, so daß der Prophet Hosea zu der Gegenüberstellung »Nicht-mein-Volk« - »mein-Volk« greifen kann9• Damit hat der Volk-Begriff schon für das alte Israel einen von dem gebräuchlichen Begriffsinhalt abweichenden eigenständigen religiösen Sinngehalt Es mag die umstrittene Frage dahingestellt bleiben, inwiefern überhaupt der natürliche Volksbegriff für das alttestamentliche Gottesvolk Bedeutung hat10• Sicher ist, daß er für das neutestamentliche Gottesvolk ohne jede reale Bedeutung ist. In der Spannung von heilsgeschichtlicher Kontinuität und im erfüllenden Heilswerk Christi wurzelnder Diskontinuität wird der Begriff des Volkes Gottes zur Bezeichnung der Kirche11. Das Konzil spricht nicht selten von dem »neuen« Volk Gottes, um so die neue Heilszeit und Heilssituation zu bezeichnen, in die das Gottesvolk durch Christus im Heiligen Geist eingetreten ist12• Die Mitte, um die das neue Gottesvolk gesammelt wird, ist Christus. Das ändert aber nicht die prinzipiellen Aussagen, daß das Gottesvolk aus Gottes Willen konstituiert ist, daß es von Gott her seine innere Zielsetzung hat und daß es aus dieser Grundbefindlichkeit nicht ausscheiden kann. Das Konzil greift jenen Satz aus dem ersten Petrushrief auf, der bewußt an die erwähnte Stelle aus dem Propheten Hosea anknüpft und ihn auf die Kirche anwendet: »Die einst ein Nicht-Volk waren, sind jetzt Gottes Volk.«13 Vorher heißt es in der Kirchenkonstitution, daß Christus sich aus Juden und Heiden ein Volk berufen hat, »das nicht dem Fleisch nach, sondern im Geist zur Einheit zusammenwachsen und das neue Gottesvolk bilden sollte« (LG 9, 1). Diese »plebs in Spiritu« ist aber nicht ein unsichtbares Volk. Ihre eigentümliche Existenzweise hat die »plebs in 8

Vgl. LG 9, 1 Satz 3.

9 Hos 1, 9. Vgl. auch Hos 2, 1.

10 Vgl. hierzu M. KEILER, »Volk Gottes« als Kirchenbegriff, Zürich/Einsiedeln/ Köln 1970, 247-266. 11 Vgl. R. ScHNACKENBURG, unter Mitarbeit von Dom J. DUPONT, Die Kirche als Volk Gottes: Concilium 1 (1965) 49. 12 Vielleicht könnte man noch besser von dem durch Christus im Heiligen Geist »erneuerten« Gottesvolk sprechen, um dem Gedanken der Kontinuität mehr gerecht zu werden. 13 LG 9, 1 (1 Petr 2, 9 -10).

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Spiritu« gerade darin, daß die sichtbare Versammlung (»coetus adspectabilis«) und die geistliche Gemeinschaft (»communitas spiritualis«) eine einzige, aus göttlichem und menschlichem Element erbaute, komplexe Wirklichkeit bilden (LG 8, 1). Gerade darin ist es begründet, daß der Volk-Gottes-Begriff nicht nur als Metapher auf die Kirche angewendet wird, sondern in einem durchaus realistischen, aber auch unverwechselbar eigengeprägten Sinne. Die Motive, die das Konzil so überraschend schnell und erfolgreich dazu gebracht haben, den Volk-Gottes-Gedanken zum leitenden Bild seiner Aussagen über die Kirche zu machen, mögen zum guten Teil quellenmäßig nicht erlaßbar sein14. Das zentrale Motiv, welches aus den Diskussionen erhoben worden ist, kann man das heilsgeschichtliche nennen. Angesichts einer unbestreitbaren anti-rechtlichen Grundstimmung bei den Konzilsvätern wandte man sich aufgeschlossen dem Thema des Gottesvolkes zu, um »über den mehr juridischen Aspekt einer geschichtlich-punktuell bestimmten Kirchengründung durch Christus hinauszugehen und die Entwicklung des göttlichen Heilsplanes in der ganzen Schrift zu suchen«.15 Es wäre freilich falsch, hieraus ein rechtloses Kirchenbild ableiten zu wollen; das Konzil widerlegt einen solchen Trugschluß auf Schritt und Tritt16• In welcher Hinsicht aber läßt sich aus der Bezeichnung der Kirche als Volk Gottes etwas für die Rechtsgestalt der Kirche gewinnen? Daß überhaupt im Zusammenhang mit Gottes Heilswirken am Menschen der Gedanke an Recht aufkommen kann, ist keineswegs selbstverständlich. Eine erste Grundlage hierfür ergibt sich aus der Offenbarungstatsache, nach der es Gott gefallen hat, »die Menschen nicht einzeln, unabhängig von aller wechselseitigen Verbindung, zu heiligen und zu retten, sondern sie zu einem Volk zu machen, das ihn in Wahrheit anerkennen und ihm in Heiligkeit dienen soll«P Ein bloßer Heilsindividualismus würde keinen Raum für irgendeine Form von Recht anbieten. Es kommt nicht von ungefähr, daß einseitig auf die individuelle Heilsverwirklichung ausgerichtete Bewegungen im Laufe der Kirchengeschichte stets auch ein antijuridisches Gepräge hatten. Das gemeinschaftliche Element hingegen, das in dem Volks-Gedanken zum Ausdruck kommt, schließt Recht mindestens nicht a priori aus. 14 Vgl. aber die Hinweise auf die Diskussionen in der Konzilsaula bei M. KEL. LER, »Volk Gottes« (Anm. 10) 242-244 mit den weiterführenden Hinweisen. 15 A. GRILLMEIER: LThK-Vatll, I (1966) 1n. 16 Abgesehen von den zahlreichen rechtlichen Dispositionen, die das Konzil selbst getroffen hat, vgl. für andere Stellen besonders LG 8, 1 Satz 2. 17 LG 9,1 Satz 2; vgl. etwa auchAA 18,1 (obenAnm. 3).

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Das heißt freilich nicht, daß sich schon aus dem bloßen Gemeinschaftscharakter des Volkes Gottes die Notwendigkeit kirchlichen Rechts ableiten ließe. An Versuchen hierzu hat es nicht gefehlt18; dabei wurde die alte naturrechtliche Maxime zugrunde gelegt: ubi societas, ibi ius19• Damit freilich kann die Eigenart der Kirche und ihres Rechtes nicht erkannt werden. Das Volk Gottes ist nicht ein Volk wie jedes andere. Für dieses ist der Gedanke der Konstituierung durch Gott maßgeblich. Hierin wurzelt der Kern des Kirchenrechtes, nämlich das ius divinum20• Alles rein kirchliche Recht, das sich um den Kernbestand des göttlichen Rechtes entfaltet, hat eine innere Legitimation nur und insoweit, als es eine Ausformung des ius divinum ist und dessen Schutz und Durchsetzung dient. In dem Volk-Gottes-Begriff ist also zunächst enthalten, daß Gottes Herrschaft die Kirche bestimmt und keine menschliche Macht die Grundordnung der Kirche bestimmen oder beliebig verändern kann. Dieser Aspekt darf freilich nicht vereinseitigt werden. Die Kirche ist das wandemde Gottesvolk, ihre Zeit die Spanne zwischen dem gekommenen und dem wiederkommenden Herrn. In Rückbindung an seinen Auftrag geht sie in der Kraft des Heiligen Geistes voran, um seine Sendung in Raum und Zeit hineinzutragen. Ebenso wie es dabei eine Entfaltung des Glaubensverständnisses, wie es Dogmenentwicklung gibt, so gibt es auch eine Entfaltung des der kirchlichen Verfassung zugrunde liegenden ius divinum21• In diesem Sinne ist auch die Kirchenverfassung nie eine starre Größe, sondern vielmehr Ausdruck einer fortschreitenden Aneignung des Glaubensverständnisses über die Kirche. Der heilsgeschichtliche Gesichtspunkt betrifft in erster Linie die Kirche als solche, hat aber auch seine Bedeutung für jedes einzelne Glied der Kirche. Aus diesem Grunde ist es gerechtfertigt, in dem heilsgeschichtlichen Aspekt des Gottesvolkes auch jene wahre Gleichheit aller Glieder des Vol18 Vgl. die Angaben beiM. KELLER, »Volk Gottes« (Anm. 10) 125-136 (W. Köster, L. Kösters, A. Vonier, der frühe Y. M. Congar, M. Koster); siehe auch ebd. 283. 19 Es soll nicht verkannt werden, daß diese Maxime auch für die Kirche ihre Berechtigung haben kann, dies allerdings erst dann, wenn auf andere, nämlich theologische Weise feststeht, daß der kirchlichen Gemeinschaft rechtlicher Charakter eigen ist. 20 Soweit dies die kirchliche Verfassung betrifft, ist das ius divinum nie Naturrecht. 21 Vgl. K. MöRSDORF, Art. Kirchenrecht: LThK? VI, 246.

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kes Gottes einbeschlossen zu sehen, von der das Konzil sprich~. Diese Feststellung ist nach zwei Seiten hin wichtig. Auf der einen Seite geht es nicht an, aus dem Volk-Gottes-Begriff die hierarchische Struktur der Kirchenverfassung abzuleiten23, denn der Bildbegriff vom Volke Gottes kann zwar die Herrschaft Gottes in seinem Volk zum Ausdruck bringen24 und sogar die Herkunft aller geistlicher Vollmacht von oben, nicht jedoch die konkrete Form dieser Sendung in Vollmacht. Dies gilt dann aber auch in umgekehrter Richtung: Es wäre untheologischer Mißbrauch, wollte man den Volk-Gottes-Begriff zur Rechtfertigung irgendeiner Art von Demokratisierung in der Kirche heranziehen. Die Gleichheitsaussage des Konzils darf nicht auf die geistliche Vollmacht in der Kirche gedeutet und so demokratisch-politisch umgebogen werden25• Sie gehört vielmehr jenem Bereich an, in dem es um die Frage der Verwirklichung des persönlichen Heiles eines jeden Kirchengliedes geht; hierin gibt es keinerlei institutionelle Unterschiede, hier herrscht wahre Gleichhei~.

22 Die Kirchenkonstitution spricht zwar von der »vera aequalitas quoad dignitatem et actionem« (LG 32, 2 Satz 2), doch ist schwer auszumachen, was unter der »dignitas« zu verstehen ist, und bezüglich der »actiO« kann eine Gleichheit nur insofern allgemein ausgesagt werden, als alle Gläubigen an der Sendung der Kirche teilhaben. In dieser Grundtatsache, nicht aber in der Art der Teilhabe herrscht eine »vera aequalitas«; vgl. hierzu das »suo modo« und »pro sua parte« in LG 31, 1. 23 Darum bemühen sich alle diejenigen älteren Autore~ deren ekklesiologische Gedankenführung sogleich vom Volk-Gottes-Begriff zum societas-Modell übeiWechselt; vgl. aber auch M. ScHMAus, Das gegenseitige Verhältnis von Leib Christi und Volk Gottes im Kirchenverständnis: Volk Gottes. Festgabe für Josef Höfer, hrsg. v. R. Bäumer I H. Dolch, Freiburg I Basel I Wien 1967, 13-27, hier 24. 24 Der ursprüngliche Wortsinn von Hierarchie ( = heiliger Ursprung, heilige Herrschaft) läßt diesen Aspekt deutlich werden. 2S Zu dem Problem, aufgezeigt an den diözesanen Räten, vgl. die glänzende Studie von E. CoRECCO, Kirchliches Parlament oder synodale Diakonie?: DERS., Ordinatio Fidei. Schriften zum kanonischen Recht, hrsg. von L. Gerosa I L. Müller, Paderborn I München I Wien I Zürich 1994,359-379. 26 Diesen Gedanken unterstreicht das Konzil, indem es Augustmus zitiert: »Wo mich erschreckt, daß ich für euch bin, da tröstet mich, daß ich mit euch bin. Für euch bin ich Bischof, mit euch bin ich Christ. Jenes bezeichnet das Amt, dieses die Gnade, jenes die Gefahr, dieses das Heil« (LG 32, 4; Serm. 340: PL 38, 1483). Vgl. hierzu K. MORSOORF, Das eine Volk Gottes und die Teilhabe der Laien an der Sendung der Kirche: Ecclesia et Ius. Festgabe für A. Scheuermann zum 60. Geburtstag, hrsg. v. K. Siepen I J. Weitzel I P. Wirth, München I Paderborn I Wien 1968,99-119, hier 104f.

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IT. Die Kirche als Leib Christi Noch mehr als der Volk-Gottes-Begriff ist in der Theologiegeschichte der paulinische Bildbegriff von der Kirche als dem Leib Christi vorschnellen Mißdeutungen ausgesetzt gewesen. Dabei ist für den kirchenrechtlichen Aspekt der BedeutuJl&swandel besonders aufschlußreich, den das seit karolingischer Zeit zu »Corpus Christi« gerne hinzugefügte Wort »mysticum« durchgemacht har7• Bis ins 12. Jahrhundert bezeichnet Corpus mysticum den sakramentalen Herrenleib. Durch das Beiwort »mysticum« sollte, wie Henri de Lubac sagt, der eucharistische Leib vom »Leib, den die Jungfrau gebar« wie vom »Leib, der die Kirche ist« unterschieden und zugleich mit beiden in Beziehung gesetzt werden28• Seit dem 11. Jahrhundert verzichteten die Theologen mehr und mehr auf das Beiwo~ und bereiteten so, indem sie zu der älteren und auch biblischen Sprechweise zurückkehrten, jene merkwürdige Wendung vor, die für die Folgezeit maßgeblich werden sollte. Im 13. Jahrhundert ist es schon keine Besonderheit mehr, daß die Kirche als »corpus mysticum« bezeichnet wird30• Diese Umdrehung des Wortgebrauches ist für das Kirchenrecht und namentlich für das Verfassungsrecht sehr bedeutsam geworden. Zur gleichen Zeit nämlich entwickelte die Kanonistik eine eigene Begriffssprache, um eine einheitliche Bezeichnung für das aus dem römischen Recht überkommene Institut der juristischen Person zur Hand zu haben. Einer der seit dem 13. Jahrhundert bevorzugten Begriffe dieser Art war der des »corpus mysticum«31. Nunmehr bedeutet corpus mysticum in der kanonistischen Fachsprache dasselbe, was unser heutiges kanonisches Recht »persona moralis« oder »persona iuridica« nennt, nämlich Körperschaft oder Anstalt. Corpus mysticum im Sinne des kanonischen Rechtes war reiner Rechtsbegriff. Von daher ist es leicht verständlich, daß die Kirche als mystischer Leib Christi ganz äußerlich in einem rein körperschaftlichen Sinne gedeutet wer27 Vgl. hierzu die kurze Zusammenfassung bei J. RATZINGER, Art. Leib Christi li: LThK2 VI, 910-912. 28 H. DE LUBAC, Corpus mysticum. Kirche und Eucharistie im Mittelalter, übertragen von H. U. v. Balthasar, Einsiedeln 1969, 96. 29 Ebd.102-107. 30 Ebd. 127-147. 31 Vf!. G. MICHIELS, Principia generalia de personis in Ecclesia, Paris/Tournai/ Rom 1955, 365.

»Vollt GottesRSOORF, Wort und Sakrament als Bauelemente der Kirchenverfassung: DERS., Schriften (Anm. 38) 46-53. 40 LG 8, 1 Satz 2: »Societas autem organis hierarchicis instructa et mysticum Christi Corpus, coetus adspectabilis et communitas spiritualis, Ecclesia terrestris et Ecclesia coelisttbus bonis ditata, non ut duae res considerandae sunt, sed unam realitatem complexam efformant, quae humano et divino coalescunt elemento« (Vgl. auch GS 40, 2 Satz 3).

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sondern ist der typische Ausdruck für die komplexe Realität von innen und außen, die das Wesen der Kirche ausmacht. Ebenso verführerisch ist die einseitige Verwendung des »societas«-Begriffes in Anwendung auf die rechtliche Seite der komplexen Wirklichkeit der Kirche. Wie groß die Gefahr des Mißverständnisses ist, veranschaulicht eine Übersicht über den sonstigen konziliaren Wortgebrauch von »societas«. Das Konzil bedient sich dieses Ausdruckes verhältnismäßig häufig41, und zwar fast ausschließlich in der Bedeutung unseres profanen Verständnisses von »Gesellschaft«, zum Beispiel menschliche Gesellschaft, bürgerliche Gesellschaft, heutige Gesellschaft42. Nur äußerst selten und nahezu ausnahmslos in der Kirchenkonstitution wird »societas« zur näheren Bezeichnung der Rechtsgestalt der Kirche gebraucht43• Einige Male wird zwar der Begriff der »societas« in bewußtem Gegenüber zur »Ecclesia« verwandt44, doch hindert dies nicht, daß in dem Dekret über die Religionsfreiheit die Kirche als Gesellschaft von Menschen bezeichnet wird, die das Recht haben, in der bürgerlichen Gesellschaft gemäß den Vorschriften ihres christlichen Glaubens zu leben45• Hiernach ist die Kirche Gesellschaft in der Gesellschaft. Die darin liegende leichte Mißdeutbarkeit des »societas«-Begriffes macht diesen für die Anwendung auf die Kirche vollends unbrauchbar. Man kann die Frage stellen, warum das Konzil an der für die Wesensbeschreibung der Kirche zentralen Stelle (LG 8, 1) nicht Gelegenheit genommen hat, positiv jenen Begriff einzuführen, der die besondere Eigenart der kirchlichen Körperschaft und ihrer Komplexität zum Ausdruck bringt, den Begriff der Communio46• Der in die deutsche Sprache nicht übertragbare 41 Insgesamt 142mal; vgl. X. ÜCHOA, Index Verborum cum documentis Concilü Vaticani Secundi, Roma 1967. 42 Hiervon auszunehmen sind noch 14 Stellen, bei denen »societas« den Sinn von Gemeinschaft hat, so Arbeitsgemeinschaft, Liebesgemeinschaft, elterliche oder eheliche Gemeinschaft: (In Klammern folgt hier hinter der bei ÜCHOA angegebenen Nummer des betr. Artikels die Zeilenzahl.) SC 8 (6); LG 23 (32), 23 (38); OT 8 (4), 10 (3); GE 3 (23); DV 1 (4), 1 (5), 2 (8); AA 10 (30); DH 5 (1); AG 3 (8); PO 2 (12), 2 (42). 43 LG 8 (4), 8 (18), 11 (32), 14 (11), 20 (4); DH 13 (14). 44 GE 3 (11), 10 (25); AA 11 (5). 45 DH 13, 2 Satz 2: »Libertatem pariter sibi vindicat Ecclesia prout est etiam societas hominum qui iure gaudent vivendi in societate civili secundum fidei christianae praescripta.« 46 Vgl. hierzu 0. SAIE.R, »Communio« in der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils. Eine rechtsbegriffliche Untersuchung, München 1973. 2*

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Begriff der Communio steht nicht in der Gefahr, rein gesellschaftlichäußerlich oder gemeinschaftlich-innerlich mißdeutet zu werden. Zugleich ist er positiv geeignet, einige Kernelemente der Bildbegriffe von der Kirche als dem Volke Gottes und als dem Leib Christi aufzunehmen, und so die vom Konzil nicht aufgezeigte innere Verknüpfung der in den Bildbegriffen einbeschlossenen theologisch-kanonistischenAussage zu ermöglichen. In letzter Zeit ist bestritten worden, daß es ratsam oder gar notwendig die Kirchenbilder vom Volke Gottes und vom Leib Christi miteinander zu verbinden47. Die Einwände hiergegen gründen in der Überlegung, daß beide Bilder in verschiedenen Vorstellungskreisen beheimatet sind. Das zeitlich-heilsgeschichtliche Denken des Volk-Gottes-Begriffes lasse sich nicht mit der räumlichen Kategorie des Leib-Christi-Begriffes verbinden48• Aber abgesehen davon, daß eine solche strikte Gegenüberstellung von »zeitlich-heilsgeschichtlich« und »räumlich« angesichts der beiden Kirchenbilder unbegründet ist, geht für die systematische Theologie kein Weg daran vorbe~ beide Bilder von der Kirche nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern zugleich auch den theologischen Gehalt dieser Bilder und damit diese selbst miteinander in Beziehung zu setzen49• Das Konzil hat, ohne eine Lösung anzubieten, dieses Problem sogar schärfer als bisher ins Bewußtsein gehoben, indem es beide Bildbegriffe nebeneinander verwendet; eine erste kirchenamtliche Wegweisung mag man auch darin sehen, daß der VolkGottes-Begriff im Sinne der von manchen Theologen50 vorgelegten Lösung als umfassender Grundbegriff gewählt wurde. In jedem Falle aber ist es berechtigt, die Bildbegriffe auf ihren gemeinsamen theologischen Hintergrund zu befragen. Unter dem kanonistischen Aspekt kann der Begriff der Communio in diesem Zusammenhang dienlich sein. se~

Der Communio-Begriff drückt wie der Bildbegriffvom Volke Gottes den für die Kirche typischen Gemeinschaftscharakter aus, der nicht aus dem Willen des Menschen, sondern aus Gott stammt. Communio ist dem Konzil je47 Den Weg der Verbindung beider Kirchenbilder ist in der Folge von L. Cerfaux mit M. Schmaus eine Anzahl katholischer Theologen gegangen. Den Nachweis siehe beiM. KELLER, »Volk Gottes« (Anm.10) 278 f. Den gleichen Weg hatte auf evangelischer Seite bereits N. A. DAHL (Das Volk Gottes, Oslo 1941) beschritten. 48 M. KELLER, »Volk Gottes« (Anm. 10) 280, scheint hierin den Ansichten vonE. Schweizer und E. Kiisemann zu folgen. 49 Das gilt freilich auch flir andere Bildaussagen über die Kirche, doch dürfen die beiden genannten wohl als die wichtigsten gelten. so Vgl. oben Anm. 47.

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ner Begriff, der die gnadenhafte Gemeinschaft von Menschen mit Gott und in einem die Gemeinschaft der mit Gott Verbundenen ausdrückf1• Communio ist nicht nur göttliche Gabe, sondern darin auch menschliche Aufgabe, nicht nur Institution, sondern immer wieder neuer lebendiger Vollzug. Die Communio hat sakramentalen Charakte~2• Wie Leib Christi sowohl den eucharistischen als auch den kirchlichen Leib des Herrn bezeichnet, so drückt Communio die Teilhabe an beiden aus. Die Gemeinschaft in der Teilhabe am sakramentalen Herrenleib ist der zentrale Vollzug kirchlicher Gemeinschaft. Beide bedingen sich gegenseitig. Die Teilkirche ist gleichsam die auf Dauer verbundene (und insofern institutionalisierte) eucharistische Tischgemeinschaft einschließlich aller jener kirchlicher Selbstvollzüge, die auf die Eucharistiefeier hingeordnet sind oder von dieser ausgehen. Daher erhält die kirchliche Communio von der eucharistischen Tischgemeinschaft her ihre spezifische Struktur. Sie ist eine hierarchische Communio. Dies ist sie aber nicht aus einem naturrechtliehen Ordnungsbedürfnis heraus, sondern aufgrundder in der heiligen Weihe grundgelegten und in der Sendung konkretisierten Aufgabe des Bischofs und - in Abhängigkeit von ihm - des Priesters, mit geistlicher Vollmacht in der eucharistischen Feier einem Teil des Gottesvolkes auf sichtbare Weise den unsichtbaren Herrn zu vertreten. Diese hierarchische Struktur der Kirche zu übersehen, hieße den unauflöslichen Zusammenhang von Eucharistie und Kirche, von sakramentalem und kirchlichem Leib Christi zu sprengen und so das Wesen der Kirche zu verfehlen. Die kirchliche Communio erhält von der eucharistischen Communio her aber noch eine weitere strukturelle Pr~3. Die eucharistische Feier ist nicht der einzige, wohl aber der dichteste Ausdruck des gesamten Selbstvollzuges kirchlicher Sendung in Wort und Sakrament. Der notwendig orthaft-konkrete Charakter dieses Selbstvollzuges kirchlicher Gemeinschaft verbietet ein Kirchenbild nach Art einer einzigen Weltdiözese54• Die Eigen51 Vgl. 0 . SAIER, Communio (Anrn. 456) 26-32. 52

Vgl. ebd. 33-46.

53 Hierzu vgl. W. AYMANS, Die Communio Ecclesiarum als Gestaltgesetz der

einen Kirche, unten S. 17-39. 54 Gerade wenn man davon ausgeht, daß die Kirche Leib Christi von dem sakramentalen Leib Christi her ist, wird man selbst der Ansicht von J. ScHMm (Art. Kirche 1: Handbuch theologischer Grundbegriffe, hrsg. von H. Fries, Bd. I, München 1962, 790-800, hier 793) kaum zustimmen können, daß sich in dem Bildbegriff von der Kirche als dem Leib Christi »die Priorität der Gesamtkirche vor der Einzelgemeinde« besonders deutlich ausdrücke. Wohl wird hierin die vorgegebene und nicht erst herzustellende Einheit aller Einzelkirchen ausgesagt.

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art der Kirchenverfassung, nach der die Gesamtkirche in und aus Teilkirchen besteht (LG 23, 1), ist nicht die Folge eines verwaltungstechnischen Bedürfnisses. Die Kirche als Communio Ecclesiarum erwächst aus der Wesensart ihrer Sendung, die in der Eucharistiefeier ihre Mitte hat. In der teilkirchlichen Communio wird die Kirche in der Fülle ihrer Sendung verwirklicht, sofern die Teilkirche zugleich die vorgegebene Gemeinschaft mit den anderen Teilkirchen wahrt. Es wäre indessen falsch, wollte man die Teilhabe an dem eucharistischen Leib Christi und somit auch die Communio Ecclesiarum allein in dem Vollzug eines sakramentalen Ritus gründen. Die Eucharistiefeier ist dichtester Selbstvollzug der Kirche nur da, wo sie sich in dem Bekenntnis zu dem UDverkürzten Glauben der Kirche ereignet. Nicht umsonst ist die Eucharistiefeier nur aus dem Ineinander von Wort und Sakrament voll zu begreifen. Die sakramentale Gemeinschaft erhält ihre ekklesiologische Einbindung erst aus dem Wort, das im Verkündigen und Aufnehmen den Glauben schafft. Das in Sendung und heiliger Vollmacht verkündete Wort zeugt und erhält jene Gemeinschaft im Glauben, die die vielen Eucharistiefeiern und somit letztlich die Teilkirchen zusammenhält und zu jenem Ort macht, in dem die Gesamtkirche wahrhaft wirkt und gegenwärtig ist (CD 11, 1). Das Bischofskollegium, dessen Struktur das Konzil einige Male Communio hierarchica nennt und das im Papst als seinem hierarchischen Haupt seine Einheit findet, ist jener Konvergenzpunkt, in dem die Linien kirchlicher Gemeinschaft zusammenlaufen. Wenn die Kirchenkonstitution vom Papst sagt, daß er immerwährendes und sichtbares Prinzip und Fundament der Einheit sowohl für die Bischöfe wie für die Schar der Gläubigen ist (LG 23, 1), so wird hiermit die formale einheitstiftende und -wahrende Funktion des Petrusamtes im Hinblick auf den Selbstvollzug der Kirche in den Teilkirchen umschrieben. Deshalb ist die Communio Ecclesiarum in ihrem vollen katholischen Sinne stets nur zugleich als Communio hierarchica zu denken.

IV. Zusammenfassung Die Bildbegriffe von der Kirche als dem Volke Gottes und von der Kirche als dem Leib Christi enthalten auf dem Hintergrund der CommunioStruktur der Kirche wichtige Aussagen über die Grundgestalt der Kirchenverfassung. In dem Begriff von der Kirche als dem Volk Gottes ist die Eigenart der Kirche als einer umfassenden Communio einbeschlossen. Die

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Communio ist dadurch gekennzeichnet, daß sie im Unterschied zu einer bloß innerlichen Gott-Mensch-Bezogenheit oder einer bloß äußerlichen Gesellschaft gnadenhafte Heilsgemeinschaft kraft göttlichen Willens ist, die in ihrer Sichtbarkeit Zeugnis für das unsichtbare Heilshandeln Gottes am Menschen ablegt. Soweit es hierbei um die Verwirklichung des persönlichen Heiles eines jeden einzelnen geht, ist die Communio von einer wahren Gleichheit all derer beherrscht, die ihr zugehören. Aus dem Begriff von der Kirche als dem Leib Christi erwächst die besondere Struktur der Communio. Weil und insofern die Kirche Leib Christi vom sakramentalen Leib Christi her ist, bildet die Eucharistiefeier die Mitte der Kirche. Von der dem Bischof und dem Priester eigentümlichen Aufgabe und der damit verbundenen geistlichen Vollmacht im Hinblick auf die Eucharistiefeier her erhält die kirchliche Communio ihr hierarchisches Gepräge. Die Communio hierarchica ist keine bloße Ordnungsstruktur, sondern gründet in dem Wesen der kirchlichen Sendung, an der alle in der Communio Stehenden aktiv teilhaben, jedoch auf je verschiedene Weise. Die Communio Ecclesiaeist endlich aus der Wesensart kirchlicher Sendung in Wort und Sakrament eine Communio Ecclesiarum. Diese findet ihre adäquate Verwirklichung weder in dem monolithischen Kirchenbild einer einzigen, nach weltlichem Muster durchorganisierten Weltdiözese, noch in dem bündlerischen Kirchenbild von nach eigenem Ermessen zusammenarbeitenden autokephalen Gemeinschaften. Die Communio Ecclesiarum ist vielmehr konkreter Vollzug der in Wort und Sakrament vorgegebenen kirchlichen Gemeinschaft in den Teilkirchen. Damit sind die drei Grundprinzipien benannt, nach denen die Kirchenverfassung gebaut ist: Die Kirche ist Communio, insofern sie sichtbare Gemeinschaft des unsichtbaren Heilswirkens Gottes ist. Sie ist Communio hierarchica, insofern für den Vollzug der kirchlichen Sendung in Wort und Sakrament, an der alle Gläubigen aktiv teilhaben, die Wirksamkeit des mit heiliger Vollmacht ausgestatteten geistlichen Dienstes konstitutiv ist. Die Kirche ist Com.munio Ecclesiarum, insofern die Gesamtkirche in und aus Teilkirchen besteht.

Die Communio Ecclesiarum als Gestaltgesetz der einen Kirche

Mit dem Wort »Ecclesia« bezeichnet man die Kirche als ganze wie die vielen Ortskirchen (Teilkirchen). In dieser schon biblisch begründeten Sprechweise, der auch das II. Vatikanische Konzil folgt, kommt eine Eigentümlichkeit der Kirche und ihrer Verfassung zum Ausdruck, die die Gliederung der einen Kirche in eine Vielzahl von Teilkirchen und Teilkirchenverbänden kennzeichnet. Die Eigenart dieser inneren Gliederung und näherhin das Bezugsverhältnis, das zwischen der Gesamtkirche und den Teilkirchen samt ihren Verbänden obwaltet, sind die Kernfragen der Communio Ecclesiarum. Man wendet freilich vergebliche Mühe auf, wenn man die Communio Ecclesiarum als festen theologischen Begriff in den Konzilsdokumenten sucht. Nur ein einziges Mal, nämlich in dem Missionsdekret »Ad gentes«, spricht das Konzil von der »ecclesiarum novellarum communio cum tota Ecclesia«1. Der Zusammenhang, um den es an dieser Stelle geht, ist indessen nur von zweitrangiger Bedeutung. Gleichwohl ist die Communio Ecclesiarum der Sache nach in vielfacher Weise Gegenstand der Konzilsdarlegungen. Diesen theologischen Begriff möchte ich sogar als einen Grundbegriff der Ekklesiologie des II. Vatikanischen Konzils bezeichnen. Seine Aussagen über die Kirche unterstellt das Konzil freilich in erster Linie dem Leitgedanken, daß die Kirche das neue Gottesvolk darstellt2• Daneben bedient sich das Konzil aber auch des anderen biblischen Bildes von der Kirche als »Corpus Christi«. Neben diesen beiden Wesensaussagen über die Kirche möchte ich als dritte diejenige von der Communio Ecclesiarum stellen. Ohne im Rahmen dieser Vorlesung den Bezug der drei ekklesiologischen Wesensaussagen zueinander einer näheren Klärung zuführen zu wollen, wird man doch so viel festhalten können: Grundlegend ist die Aussage 1 AG 19, 3 Satz 2.

2 Statt vieler Einzelhinweise sei hier auf das Zweite Kapitel der Kirchenkonstitu-

tion »Lumen gentium« verwiesen.

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von der Kirche als dem neuen Gottesvolk. Dieses Volk konstituiert sich nicht selbst zur Einheit, sondern ist Volk ganz und gar aus Gottes gnädiger Berufung. - Das Kirchenbild vom Leibe Christi ist mit seinen rechtlichen Implikationen mehr darauf gerichtet, die Struktur dieses Gottesvolkes nach dem Leitgedanken der Einheit von Haupt und Leib vor Augen zu stellen. Das Konzil bedient sich beider Aussagen nebeneinander und klärt nicht deren Beziehung zueinander3• Wenn man auch unterstellt, daß beide Aussagen zusammengehören, so reichen sie doch für sich genommen nicht aus, die verfassungsrechtliche Grundgestalt der Kirche klar zu kennzeichnen. Hierzu muß als dritte theologische Wesensaussage diejenige von der Communio Ecclesiarum treten.

I. Ecclesia im Sprachgebrauch des II. Vatikanischen Konzils4 Um das, was das Konzil unter der Communio Ecclesiarum begreift und der Sache nach darstellt, klar in den Blick zu bekommen, ist es nützlich, sich zuvor einen näheren Überblick über den Sprachgebrauch von Ecclesia in den Konzilsdokumenten zu verschaffen. Zwei große Anwendungsbereiche, in denen das Wort Ecclesia gebraucht wird, lassen sich unterscheiden: der Bereich der Gesamtkirche und der Bereich der Teilkirchen. Unter rechtlichem Aspekt interessieren namentlich die Wortverbindungen, die das Wort Ecclesia eingeht, denn auf diese Weise erscheint die Kirche jeweils unter einem besonderen Gesichtspunkt.

3 Vgl. M. ScHMAus, Das gegenseitige Verhältnis von Leib Christi und Volk Gottes im Kirchenverständnis: Volk Gottes. Zum Kirchenverständnis der katholischen, evangelischen und anglikanischen Theologie. Festgabe für Josef Höfer, hrsg. von R. Bäumer I H. Dolch, Freiburg I Basel I Wien 1967, 13-27.

4 Der erforderlichen Genauigkeit und auch der Kürze wegen bediene ich mich in dem sprachlichen Überblick der Zitierweise, die sich an das Werk von X. ÜCHOA, Index Verborum cum Documentis Concilii Vaticani Secundi, Rom 1967, anschließt und sich auf den dort angefügten Dokumententeil bezieht. Um dies deutlich zu kennzeichnen, wird in diesen Fällen auf die Angabe der Absatzziffer verzichtet und statt dessen hinter die Zahl des entsprechenden Artikels in Klammem die Zeilenzahl gesetzt, in der sich das betreffende Wort befindet. Der Zeilensatz bei ÜCHOA stimmt mit demjenigen der offiZiellen, in den AAS veröffentlichten überein.

Die Communio Ecclesiarum als Gestaltgesetz der einen Kirche

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Der Begriff Ecclesia catholica (selten: Catholica;5 ist wohl der allgemeinste und dient vornehmlich dazu, nach außen hin abzugrenzen, und zwar nicht nur gegenüber der Welt, sondern auch gegenüber anderen christlichen Kirchen oder kirchlichen Gemeinschaften. Wenn von der una et unica Ecclesia6 die Rede ist, geht es vor allem um die im Stifterwillen gründende Einheit und Unteilbarkeit der Kirche. Die Begriffe tota Ecclesia, universa Ecclesia und Ecclesia universalis sind dem Inhalt nach einander sehr ähnlich und deshalb nicht exakt voneinander zu unterscheiden. Allerdings sind für den Regelfall verschiedene Akzentuierungen nicht zu verkennen. Tota Ecclesia7 muß man immer wörtlich mit »die ganze Kirche« übersetzen; nur gelegentlich wäre auch die Übersetzung »Gesamtkirche« nicht sinnwidrig. Wenn so von der ganzen Kirche die Rede ist, geht die Hauptaussagerichtung auf die Gemeinschaft aller Glieder des Gottesvolkes ohne Rücksicht auf die verschiedenen Ämter und Aufgaben und somit auf den inneren Aufbau der Kirche. Ganz ähnlich verhält es sich mit der Wortverbindung universa Ecclesia8, allerdings mit dem bemerkenswerten Unterschied, daß die Übersetzung »Gesamtkirche« dem Sinn der Aussage regelmäßig nicht vollends zuwider wäre. Die Hauptaussage des Begriffes Ecclesia universalis9 indessen spricht klar die Gesamtkirche an, wobei als Alternativübersetzung allenfalls »die allgemeine Kirche« im Sinne des ursprünglichen Kar' oA.ov in Frage kommt. Gesamtkirche ist der Gegenbegriff zu all den Bezeichnungen, mit denen Teilkirchen oder deren Verbände belegt werden. - Die Kirchen5 Ecclesia catholica (Gr.: Catholica): IM 3 (1) (Gr.). LG 8 (19); 13 (25); 14 (8) (Gr.); 23 (7); 26 (15); 28 (62); 53 (13) (Gr.). OE 1 (2); 2 (1); 2 (6); 26 (7); 27 (2); 30 (4). UR 3 (8); 3 (9); 3 (11); 3 (16); 3 (20); 3 (33); 3 (38); 4 (24); 4 (31); 4 (44);

9 (10); 14 (26); 17 (14); 18 (9); 19 (4); 19 (11); 19 (15); 20 (4); 24 (7); 24 (10). CD 10 (4). NA 2 (20). DH 1 (17); 14 (1); 14 (11). AG 7 (11) (Gr.). GS 40 (32) (Gr.). 6 Una et unica E.: LG 23 (7). UR 3 (1); 4 (29); 24 (15). Unica E.: LG 8 (13). UR 3 (23). DH 1 (30). Una E.: LG 49 (8); 50 (46). UR 1 (21). CD 6 (19); 11 (4). 7 Tota E.: LG 13 (29); 18 (19); 22 (19); 22 (35); 23 (9); 23 (23); 28 (41); 28 (47); 30 (8); 41 (30); 44 (14); 49 (13); 50 (27); 51 (23). UR 5 (1); 16 (7). CD 22 (10) (catholica); 30 (6) (universalis); OT p. 1; 9 (6); 20 (7). DV 12 (21). AA 7 (26); 23 (3). AG 1 (15); 4 (18); 6 (2); 6 (31); 19 (22); 23 (7); 35 (1); 36 (10); 38 (35). PO 2 (37); 6 (33); 10 (25); 11 (8). - Ein einziges Mal wird die Wortverbindung cuncta E. verwendet: LG 23 (19). 8 SC 89 (3); 111 (7); 112 (1). LG 4 (18); 22 (24); 22 (37); 23 (15); 25 (24); 45 (12). Ne 3° (2). OE 1 (5); 1 (9); 3 (5); 5 (2); 5 (5). CD 2 (5); 3 (5); tan. 4; tan. 4; 4 (7); 5 (6); 9 (1); 15 (22); 35 (27); 35 (50). PC 20 (2). AG 29 (3). PO 6 (38); 16 (40). 9 LG 2 (14); 19 (17); 23 (2); 23 (6); 23 (13); 23 (17); 23 (25); 23 (44); 25 (39); 28 (37). Ne 3° (6). UR 15 (14). CD 10 (1); 23 (23); 30 (6). OT 2 (37). AG 19 (20); 19 (25); 20 (1); 20 (42); 20 (45); 22 (13). PO 11 (34). GS 90 (21).

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konstitution stellt die Kirche namentlich unter dem Bilde des pilgernden Gottesvolkes dar. Angesichts dessen muß man sich aber auch jenes andere, in den Konzilstexten nicht selten gebrauchte und aus der ältesten, biblischen Tradition kommende Bild vor Augen halten, das die Kirche als Corpus darstellt, und zwar meistens unter der Formel Corpus Christi, quod est Ecclesia10. Ein einziges Mal - freilich in einem für die Ekklesiologie des ß. Vatikanum sehr wichtigen Zusammenhang - spricht die Kirchenkonstitution von dem corpus Ecclesiarum 11 • Es ist hier von dem totum Corpus mysticum die Rede, :»quod est etiam corpus Ecclesiarum«. Damit ist zugleich der Übergang aus dem ersten in jenen zweiten großen Anwendungsbereich des Wortes Ecclesia gewiesen, in dem Ecclesia Teilkirchen oder Teilkirchenverbände bezeichnet. Es sollen hier nicht alle Wortverbindungen zur Sprache kommen, sondern nur jene, die für den Aufbau der Kirche von Bedeutung sind. Nicht immer ist schon aus der Sprechweise des Konzils zu entnehmen, ob von Teilkirchen oder von Teilkirchenverbänden die Rede ist. Ganz klar sind Verbände angesprochen, wenn etwa die Ecclesia Latina12 bzw. die Ecclesia Occidentis13 und dieser gegenüber die Ecclesiae Orienta/es14 bzw. Patriarchales15, und endlich unter gemeinsamer Formel die Ecclesiae tum Orientis tum Occidentis16 genannt werden. Anders verhält es sich, wenn Ecclesia allein steht und zugleich sicher nicht die Kirche schlechthin gemeint ist11• Das Letztere kann man unzweideutig an dem 10 Vgl. die Stellen SC 7 (20); 26 (4). LG 7 (33); 7 (46); 7 (59); 14 (4); 48 (9); 49 ~20). PC 1 (28). AA 2 (9). AG 5 (35); 7 (6). PO 12 (2). GS 32 (28). 1 LG 23 (27). 12 E. Latina: PO 16 (34); latina E.: SC 91 (6); 120 (1). LG 29 {15). 13 UR 14 (14). 14 E. Orientales: OB tgd.; 1 (1); 1 (5); tan. 5; 5 (2); 6 {9); 8 (1); 9 (2); 11 (1); 12 (1); 14 (6); 17 (1); 19 (1); 22 (3); 24 (1). UR tan.14 (allg.). CD 24 (2); 38 (32). AG 29 (9). PO 16 (8); 16 (12). Ecclesioe Orientis: UR 14 (12); 14 {28) (allg.); 16 {1) (allg.); 16 ~~· Ecclesia Orientis: OT 18 (12). LG 23 (46). UR 14 (7). 16 Ecclesiae tum Orientis tum Occidentis: OB 3 (1). Ecclesia tum Orientis tum Occidentis: LG 21 (25). Ecclesiae Orientis sicut et Occidentis: OB 5 (8). Ecclesiae Orientis et Occidentis: UR 14 (1). Orientaleset Occidentales E.: OB 30 (2). Occidentalis orientalisque E.: UR 18 (13). 17 Ecclesia: LG 23 (13); 23 (38). OE 9 (5); 23 (1); 30 (9) (alle Ostkirchen). UR 14 (18) (alle Ostkirchen). CD 2 (6); 6 (4); 9 (4); 15 (21); 35 (28); tan. 38; 38 (7); 38 (11); 37 (9); 38 (35). AG 1 (5); 17 (23); 19 (27); 19 (32); 19 (34); 20 (31); 27 (10); 38 (5). PO 7 (39) (evtl. Verband oder Gesamtkirche). ecclesia: LG 26 (6). GE 9 (4). DV 19 {10). Vgl. auchpeculiares E.: CD 38 (1).

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etwa verwendeten Plural Ecclesiae feststellen oder daran, daß es mit Bezug auf die bischöflichen Vorsteher Ecclesia sua18 bzw. propria19 heißt. Ob hier im Einzelfall Teilkirchenverbände oder Teilkirchen als Ecclesiae bezeichnet werden, muß man dem jeweiligen Zusammenhang entnehmen. Das gilt selbst für die WOrtverbindungen Ecclesia localis20 und Ecclesia particularis21, wobei die Frage allerdings klar zugunsten des Verbandes beantwortet ist, wenn Ecclesia particularis mit dem Wechselbegriff seu ritus22 verbunden wird. Endlich erscheint die Teilkirche sprachlich auch als pars Ecclesiae23 und als portio Ecc/esiae universalis24. Diese beiden Bezeichnungen scheinen nicht eben glücklich, weil sie zu einseitig auf das Teil-Sein abstellen; auf die damit zusammenhängende Problematik ist noch zurückzukommen. Die kirchlichen Sonderverhältnisse in den Missionsgebieten spiegeln sich in der Redeweise von den Ecclesiae novellae25 wider, wobei man nicht mit letzter Klarheit entscheiden kann, ob die novellae Ecclesiae Diözesen oder wenigstens Quasi-Diözesen sind, oder ob sie konkreter etwa die sich um Missionsstationen bildenden Kirchen je am Ort sind. Man kommt der Sache wohl am nächsten, wenn man unter den novellae Ecclesiae mal die jungen Teilkirchen, mal aber solche Missionsgründungen versteht, die auf eine diözesane Organisation zugehen26. Diversae E.: CD 3 (8). Singulae E.: LG 13 (44). OE 19 (3) (s. E. particulares). UR 15 (8). CD 2 (5); 36 (4). AG 38 (7). Omnes E.: CD 2 (8); 3 (2); 6 (3); 10 (8). PO 10 (10) (eccl.). 18 SC 42 (1). LG 23 (6) (s. E. partic.); 23 (8). 19 LG 23 (25). CD 38 (33). 20 LG 23 (49). UR 14 (6); 14 (11). AG 19 (30); 27 (10); 32 (9). PO 6 (38) (eccl.); 11 (34) (tarn. 1. quam univers.). 21 SC 13 (4); 111 (6). LG 13 (37); 23 (2); 23 (6); 23 (11); 27 (1); 45 (17). OE tan. 2; 2 (4); 2 (7); 3 (1); 4 (2); 4 (4); 10 (2); 16 (1); 17 (5); 19 (3); 19 (6). UR 14 (6). CD 3 (7); 6 (19); tan. 11; 11 (4); 11 (6); 23 (28); 28 (5); 33 (5). AG 6 (26); 6 (39); tan. 19; 20 (1); 20 (29); 22 (24). GS tn. Yl. 22 Vgl. OE 2 (4); 2 (7); 10 (2). 23 LG 13 (41); vgl. hierzu auch LG 13 (28); 13 (29). CD 3 (6); 6 (19 f). 24 LG 23 (12); 23 (25); 28 (36). CD 11 (1); 28 (6). 25 LG 17 (10). PC 19 (4). AA 22 (7) (eccl.). AG 16 (7); 16 (10); 16 (39); 18 (13); 18 (25); 19 (8); 19 (21) (eccl.); 20 (13); 20 (42); 21 (42); 22 (4); 22 (24) (novae E. particulares); 41 (12). 26 Vgl. vor allem AG 16, 1 Satz 2: »Firrniores enim radices Ecclesia in unoquoque coetu humano figit, cum variae communitates fidelium ex suis membris proprios habent salutis ministros in ordine Episcoporum, Presbyterorum ac Diaconorum, fratribus suis inservientes, ita ut novellae Ecclesiae stnlcturam dioecesanam cum proprio clero paulatim acquirant.«

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Die Communio Ecclesiarum als Gestaltgesetz der einen Kirche

Den Überblick über den Sprachgebrauch von Ecclesia in den Dokumenten des II. Vatikanischen Konzils kann man vorsichtig dahin zusammenfassen, daß Ecclesia ausdrücklich oder indirekt nur auf die bischöflich verfaßte Kirche angewendet wird, sei es für die Kirche schlechthin, die Gesamtkirche, sei es für die Teilkirchen oder deren Verbände. Dies stimmt zugleich mit dem Wortgebrauch überein, dessen sich das Konzil hinsichtlich der von der katholischen Einheit getrennten Christenheit bedient, indem es dort Ecclesiae und Communitates ecclesia/es unterscheidet27; das hierfür maßgebliche Kriterium hat man in der bischöflichen Verfassun~bzw. in der dieser zugrunde liegenden apostolischen Sukzession zu sehen . Die apostolische Sukzession ist so gleichsam die vertikale Klammer kirchlicher Gemeinschaft oder die vertikale Ausprägung der Communio Ecclesiarum. Die vertikale Klammer für sich genommen reicht zwar nicht aus, zur vollen kirchlichen Repräsentanz nach katholischem Verständnis zu kommen, ist aber nach der Sprechweise des Konzils immerhin dazu in der Lage, ein Kirche-Sein lebendig zu erhalten. - Grundlegende kirchenbildende Elemente sind aber auch in den Teilen der Christenheit bewahrt, die keine bischöfliche Verfassung haben. Deshalb spricht das Konzil von kirchlichen Gemeinschaften. Schließlich ist dem konziliaren Sprachgebrauch noch zu entnehmen, daß diözesane Gliedgemeinschaften - wie etwa das Dekanat, die Pfarrei oder die Eucharistiegemeinde - nicht als Ecclesia bezeichnet werden, obwohl das Konzil keineswegs verkennt, daß die Kirche gerade dort im konkreten Vollzug in Erscheinung trit~. Die Eucharistiefeier ist zwar die vorzügliche, nicht jedoch die volle Darstellung der Kirche in allen ihren Vollzügen. Das 27 LG 15 (8). OE 4 (12). UR 3 (26); 3 (29); 3 (35); 4 (12); tan. 13; tan. 19; 19 (1); 19 (7); 19 (14). OT 16 (36). AG 15 (33). GS 40 (33). Mit Bezug auf die getrennten orientalischen Kirchen (Ecclesiae seiunctae) wird Ecclesia an folgenden Stellen verwendet: OE tan. 24; 26 (13); 29 (1); 29 (4); 30 (4). UR tan. 14; 14 (25). Für die orientalischen Kirchen allgemein steht Ecclesia in: OE 30 (9). UR 14 (8). 28 Vgl. 0. SAIER, »Communio« in der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils. Eine rechtsbegriffliche Untersuchung, München 1973, 104-109. Der Verf., der dieser Frage gründlich nachgegangen ist, kommt zu dem gleichen Ergebnis wie E. STAKEMEIER, Kirche und Kirchen nach der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils: Volk Gottes (Anm. 3) 508 f. 29 Vgl. etwa SC 42, 1: »Cum Episcopus in Ecclesia sua ipsemet nec semper nec ubique universo gregi praeesse possit, necessario constituere debet fidelium coetus, inter quos parochiae, localiter sub pastore vices gerente Episcopi ordinatae, eminent: nam quodammodo repraesentant Ecc/esiam visibilem per orbem terrarum constitutam.«

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kirchliche Leben einer festen Gemeinde (Pfarrei) beschließt schon weit mehr Grundfunktionen der Kirche mit gewisser Beständigkeit in sich, jedoch vollzieht sich die Kirche selbst materiell noch nicht mit allen ihren Funktionen in solchen Gliedgemeinschaften. Dazu fehlt der Pfarrgemeinde - kanonistisch gesprochen - das mit bischöflicher Leitungsgewalt ausgestattete Haupt. Der Diözesanbischof hat nicht nur im formellen Sinne die vielen Gemeimden zur Einheit zu verbinden; vielmehr fällt ihm auch im materiellen Sinne vornehmlich die zusätzliche Aufgabe zu, durch die Erteilung der heiligen Weihen die Teilhabe seiner Diözese an der apostolischen Sukzession zu sichern. Dabei ist die konkrete Frage belanglos, ob das bischöfliche Weiherecht etwa dem Metropoliten vorbehalten wird und ob es theologisch möglich ist, daß mit der entsprechenden Bevollmächtigung ein Priester andere Priester weihen kann30. Nur an einer einzigen Stelle weicht das Konzil von dem gewohnten Sprachgebrauch ab. In der Kirchenkonstitution wird nämlich die Familie Ecclesia domestica, häusliche Kirche, genannt31 . Für die theologische Bewertung dieser Stelle darf man allerdings nicht übersehen, daß das Konzil sich hier einer analogen Sprechweise bedient und die Familie gleichsam häusliche Kirche, »Velut Ecclesia domestica«, nennt. Gleichwohl ist diese Redeweise des Konzils nicht bedeutungslos, denn es wird nicht die Familie schlechthin, sondern die Familie in Hinblick auf die Kirche gesehen32 und als deren Pflanzstätte begriffen. Mit mindestens ebenso guten Gründen hätte freilich das Konzil in einer analogen Weise zum Beispiel die Pfarrei als Ecclesia bezeichnen können33• Tatsächlich haben die Konzilsväter darauf 30 Vgl. hierzu etwa auch K. RAHNER, Über das Ius Divinum des Episkopats: DERS. I J. RATZINGER, Episkopat und Primat, Freiburg I Basel I Wien 1961, 65. 31 LG 11 (34). Vgl. hierzu auchAA 9 (4). 32 Vgl. E. CoRECCO, Der Priester als Spender des Ehesakramentes im Lichte der Lehre über die Untrennbarkeit von Ehevertrag und Ehesakrament Aus den Vorarbeiten zum I. Vatikanischen Konzil: DERS., Ordinatio Fidei. Schriften zum kanonischen Recht, hrsg. von L. Gerosa I L. Müller, Paderbom/Münchenl Wien/ Zürich 1994, 486-520, 519 f. 33 Vgl. oben Arun. 29. Entscheidend ist es, daß die Pfarreien »quodammodo repraesentant Ecclesiam«. Im Priesterdekret (PO 6, 4) ist davon die Rede, daß der Hirtendienst des Priesters namentlich darauf gerichtet ist, eine christliche Gemeinschaft zu bilden. Es heißt dann weiter: »Damit aber der Gemeinschaftsgeist angemessen gepflegt werde, muß er nicht nur die örtliche Kirche (>ecclesiam localemuniversam EcclesiamKommunion< mit der Gesamtkirche bleibt, aber auch so wird, daß es Ausgangspunkt für den Impuls Gottes in die Gesamtkirche hinein werden kann.« 61 Vgl. LG 23, 4: »Divina autem Providentia factum est ut variae varüs in locis ab Apostolis eorumque successoribus institutae Ecclesiae decursu temporum in plures coaluerint coetus, organice coniunctos, qui, salva fidei unitate et unica divina constitutione univenalis Ecclesiae, gaudent propria disciplina, proprio liturgico usu, theologico spiritualique patrimonio.« Vgl. dazu auch K. MöRSDORF, Die Autonomie der Ortskirche (Anm. 40) 296.

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mehr gewahrt ist. Es mag sein, daß die Kirche als ganze (Gesamtkirche) eine Diskrepanz dieser Art eine Zeitlang ertragen kann; um der Einheit der Kirche und ihrer Sendung willen ist sie aber auf die Dauer unerträglich und muß auf die eine oder die andere Weise beseitigt werden.

IV. Die hierarchische Struktur der Communio Ecclesiarum Gegen eine einseitig von der Communio Ecclesiarum her gewonnene Ekklesiologie ist eingewandt worden, sie berücksichtige nicht in genügendem Maße die hierarchische Verfassung der Kirche, insofern dem Papst darin nur eine exekutive und nicht eine konstitutive Rolle zufalle62• Diese Bedenken sind sehr ernst zu nehmen. In der Tat muß man zugestehen, daß auch die ekklesiologische Kurzformel des »in quibus et ex quibus«, wenn man sie von ihrem Kontext loslöst, nichts Verbindliches hergibt, um die Rolle des Papstes in der Communio Ecclesiarum eindeutig zu bestimmen. Allerdings muß man sogleich hinzufügen, daß diese Formel für sich genommen auch über die Rolle des Bischofs namentlich in bezug auf seine Teilkirche nichts aussagt. Die Formel als solche will das Grundverhältnis zwischen Gesamtkirche und Teilkirche klären, für sich genommen jedoch nicht eine Bestimmung darüber abgeben, wie eine Teilkirche gebaut ist oder auf welche Weise die im Wesen der Teilkirche angelegte Gemeinschaft mit den anderen Teilkirchen zur Gesamtkirche gestaltet ist. Die Kurzformel dient in erster Linie dazu, die Teilkirche als im göttlichen Verfassungsrecht verankerte Grundstufe kirchlicher Gliederung zu kennzeichnen, und dazu, die Gemeinschaft der Teilkirchen als unaufhebbares Gliederungsprinzip und somit als grundlegendes Gestaltgesetz der Kirche festzuhalten. Die Bedenken, die gegen eine einseitig von der Communio Ecclesiarum her gewonnene Ekklesiologie vorgebracht werden, sind in der Sorge um die Wahrung der hierarchischen Struktur der Kirche insgesamt begründet. Eine theologische Schlußfolgerung dieser Art erwächst allerdings nur dann, wenn man die Communio Ecclesiarum von den anderen Wesensaussagen über die

aune ecclesiologie de l'Eglise universelle: L'Episcopat et l'Eglise universelle, hrsg. von Y. Congar f B. D. Dupuy, Paris 1962, 259 f. (deutsch: Von der Gemeinschaft der Kirchen zur Ekklesiologie der Weltkirche: Das Bischofsamt und die Weltkirche, hrsg. von Y. Congar, Stuttgart 1964, 281 f.). 62 Y. CoNGAR, De la communion des Eglises

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Kirche isolieren und zur alleinigen Grundlage der Ekklesiologie machen wollte. Unterstellt man, daß das biblische Kirchenbild vom Corpus Christi in seiner theologischen Weiterentwicklung zum Corpus Christi mysticum ausreicht, um die hierarchische Struktur der Kirche als solcher (Gesamtkirche) in der sichtbaren Einheit von Haupt und Leib zu kennzeichnen, so verweist der zu der ekklesiologischen Kurzformel des 0. Vatikanum gehörende Satz, daß die Teilkirche nach dem Bilde der Gesamtkirche gestaltet ist63, darauf hin, daß auch die Teilkirche nach dem Modell der Einheit von Haupt und Leib gebaut ist. Schließlich ist schon darauf hingewiesen worden, daß die Kirchenkonstitution auf die Communio Ecclesiarum in dem Zusammenhang ihrer Darlegungen über die Kollegialität der Bischöfe zu sprechen kommt. Darum ist auch von dort weiterer Aufschluß über die Struktur der Communio Ecclesiarum zu gewinnen. Ich muß es mir versagen, auf den großen Fragenkreis der bischöflichen Kollegialität hier näher einzugehen. Unerläßlich ist es aber, wenigstens auf jenen Abschnitt der Kirchenkonstitution hinzuweisen, in dem sich auch die ekklesiologische Formel findet. In Fortführung des Bildes vom Corpus Christi wird dort der Papst immerwährendes und sichtbares Prinzip und Fundament der Einheit sowohl der Bischöfe als auch der Menge der Gläubigen genannt, die einzelnen (Diözesan-)Bischöfe aber sichtbares Prinzip und Fundament der Einheit in ihren Teilkirchen64• Mit anderen Worten: Wie der Diözesanbischof einen Teil des Gottesvolkes zur Einheit verbindet und so für die betreffende Teilkirche konstitutiv ist, so ist die Gemeinschaft mit dem Papst konstitutiv für die Einheit der Bischöfe und des ganzen Gottesvolkes, für die Einheit der Teilkirchen und der Gesamtkirche. Somit erweist sich die Gemeinschaft der Bischöfe, in der die einzelnen Bischöfe je ihre Teilkirche, alle zusammen aber mit dem Papst die ganze Kirche im Band des Friedens, der Liebe und der Einheit repräsentieren, als hierarchischer Schnittpunkt der Communio Ecclesiarum. Von hier aus erhellt auch die besondere Rolle des Papstes in der Communio Ecclesiarum. Denn der Kirchenkonstitution zufolge wird jemand Mitglied der Bischofskörperschaft durch die sakramentale Weihe und die hierarchische Gemeinschaft mit dem Haupt und den Gliedern des Kollegiums65• Die hierarchische Gemeinschaft mit dem Haupt hat neben der sakramentalen Weihe 63 Vgl. LG 23, 1: » ... Ecclesüs particulanbus ad imaginem Ecclesiae universalis formatis ...« - Den ganzen Text siehe oben Anm. 41. 64 LG 23, 1; Text siehe oben Anm. 41. 65 LG 22, 1 Schlußsatz: Text siehe oben Anm. 47.

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konstitutiven Charakter für die Mitgliedschaft im Kollegium, während die Gemeinschaft mit den übrigen Mitgliedern des Kollegiums konsekutiven Charakter hat. Wem der Papst die bischöfliche Gemeinschaft erteilt, der steht ohne weiteres auch mit den anderen Bischöfen der Kirche in Gemeinschaft, nicht aber entsprechend umgekehrt. - Das Konzil nennt diese Struktur »communio hierarchica«. Wie das Bischofskollegium so ist auch die Communio Ecclesiarum von diesem hierarchischen Strukturgesetz durchwaltet. Dies äußert sich nicht nur in dem Verhältnis Teilkirche-Gesamtkirche, sondern auch in der Tatsache, daß die einzelnen Teilkirchen in übergreifende Verbände der verschiedensten Art eingegliedert und so zur Gesamtkirche integriert sind.

V. Zusammenfassung Die Communio Ecclesiarum ist im Wesen der Kirche angelegt und erwächst aus dem organischen Entfaltungsprozeß der Kirche. Sie ist Gestaltgesetz der Kircheneinheit und besagt, daß die Gesamtkirche in und aus Teilkirchen besteht. Somit ist die Kirche keine Einheitskirche mit einer Vielfalt bischöflich geleiteter Verwaltungsbezirke; die Kirche ist aber auch kein auf den freiwilligen Zusammenschluß der vielen Teilkirchen zurückgehender Kirchenbund. Als Gestaltgesetz der einen Kirche ist die Communio Ecclesiarum vielmehr die der Kirche eigentümliche Weise, in der die vielen Teile in das Ganze integriert werden. Sie ist konkrete Ausformung der vorgegebenen kirchlichen Gemeinschaft des in hierarchischer Ordnung lebenden neuen Gottesvolkes.

Die Kirche im Codex Ekklesiologische Aspekte des neuen Gesetzbuches der lateinischen Kirche

Mehrmals hat Papst Johannes Paul ll.- etwas überspitzt, aber doch treffend - den am 25. Januar 1983 promulgierten neuen Codex Ioris Canonici gleichsam das letzte Dokument des II. Vatikanischen Konzils genannt1. Damit hat der Papst weder leugnen wollen, daß der neue Codex ganz in seiner eigenen primatialen Amtsverantwortung erlassen und in Rechtskraft gesetzt worden isr, noch hat er die noch nicht abgeschlossenen Teile der Reform des kanonischen Rechts von der konziliaren Würde ausschließen wollen3. Wohl aber hat der Papst einen ganz engen Zusammenhang zwischen dem II. Vatikanischen Konzil und dem praktisch bedeutsamsten Teil der Reformgesetzgebung bewußt machen wollen. Diesen Zusammenhang sieht der Papst namentlich auch in dem Bild von der Kirche bestätigt, das der Codex darbietet. So erklärt er in der Promulgationsbulle: »Das Instrument,

1 JoHANNES PAUL II., Ansprache vom 21. 11. 1983 bei der Audienz flir die Teilnehmer am Ersten Kurs der Päpstlichen Universität Gregoriana zur Einführung in den neuen Codex Iuris Canonici: Communicationes (zit.: Comm) 15 (1983) 124-126, hier 125; lat. Übersetzung: Periodica 72 (1983) 557-560, hier 558; Ansprache bei der Generalaudienz vom 30. 11. 1983: Comm 15 (1983) 127; Ansprache vom 9. 12. 1983 bei der Audienz für die Teilnehmer am Zweiten Kurs der Päpstlichen Universität Gregoriana zur Einführung in den neuen Codex Iuris Canonici: Comm 15 (1983) 128 f., hier 128; lat. Übersetzung: Periodica 72 (1983) 561 f., hier 562; Ansprache an den Dekan und die Mitglieder der Sacra Romana Rota zur Eröffnung des neuen Gerichtsjahres vom 26. 1. 1984: AAS 76 (1984) 643-649, hier 644; Comm 16 (1984) 14-20, hier 14. 2 Vgl. Const. Apostolica »Sacrae disciplinae Iegesvolle und vollkommene Weise< die Vorteile der kirchlichen Gemeinschaft und das Recht der Zuge38 Stellennachweise bei SAmR, Communio (Anm. 33) 68-71. 39 In der Relatio hierzu heißt es: »Loco: Reapsa et simpliciter ... illi tantwn ..., dicitur: llli plene ..., omisso )tantumzur Ausübung bereiten< Gewalt verstanden werden könnte. Damit aber eine solche bereite Gewalt gegeben ist, muß eine >kanonische< oder >rechtliche Bestimmung< durch die hierarchische Autorität hinzukommen.«17 Die päpstliche Erklärung zeigt also, daß die Sprechweise von den »Diensten« es mit der Gewaltenfrage zu tun hat, zugleich jedoch, daß im Zusammenhang mit der Gewaltübertragung ein bestimmtes falsches Verständnis 15 LG 21, 2 Satz 2: »Episcopalis autem consecratio, cum munere sanctificandi, munera quoque confert docendi et regendi, quae tarnen natura sua nonnisi in hierarchica communione cum Collegii Capite et membris exerceri possunt.« Gegenüber dem »Textus emendatus« ist nur das Wort »hierarchica« hinzugefUgt worden. 16 Siehe oben Anm. 3. 17 »ln consecratione datur ontologica participatio sacrorum munerum, ut indubie constat ex Traditione, etiam liturgica. Consulto adlnbetur vocabulum >munerumpotestatumad actum expedita< intelligi posset. Ut vero talis expedita potestas habeatur, accedere debet >canonica< seu >iuridica determinatio< per auctoritatem hierarchicam.«

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verhindert werden soll. Im Ergebnis führt die Aussage wieder zu dem ursprünglichen Sinn der Zwei-Gewaltenlehre zurück, insofern nämlich die Gewalt in seinsmäßiger Hinsicht und im Hinblick auf die Ausübung unterschieden wird (»potestas« und »exsecutio«). Dann ist aber die weitere Frage zu prüfen, wie sich »consecratio« und »iuridica determinatio«, seinshafte Grundlegung und Ausübung der Gewalt zueinander verhalten. Klar ist, daß die nähere rechtliche Bestimmung (»iuridica determinatio«) teils nur die erlaubte, teils aber auch die gültige Ausübung der in der »consecratio« vermittelten Gewalt betrifft. Das Konzil hat nichts daran geändert oder ändern wollen, daß bestimmte Akte der Weihegewalt (wie z. B. mindestens die Feier der Eucharistie, aber auch die Spendung der Weihen) unabhängig von der »iuridica determinatio« immer gültig sind, sofern sie in sich in Ordnung sind. Andere Akte hingegen hängen in ihrer Gültigkeit davon ab, daß sie durch die nähere rechtliche Bestimmung ermöglicht werden.

m. Theoretische Auswertung In der sich an das Konzil anschließenden wissenschaftlichen Diskussion sind die verschiedensten Theorien darüber entwickelt worden, wie das Verhältnis von »ontologica participatio« und »iuridica determinatio« zu denken ist. Unter den kanonistischen Autoren, die sich mit dieser Frage beschäftigt haben, ragt Wilhelm Bertrams18 heraus, und zwar sowohl wegen der Originalität und Konsequenz, mit der er die theoretische Bewältigung des Problems angegangen ist, wie auch wegen der bemerkenswerten Zustimmung, die er außerhalb der Kanonistik gefunden hat19. Er legt den Ton mehr auf 18 BERTRAMS hat seine Theorie in verschiedenen Schriften vorgetragen und verteidigt; vgl. die Aufsatzsammlung Quaestiones fundamentales Iuris Canonici, Roma 1969. Angesichts des Sprachstils der einschlägigen Passagen in der »Nota explicativa praevia« ist die Vermutung nicht abwegig, daß der Autor an der Erstellung dieses päpstlichen Dokumentes - wenigstens mittelbar - maßgeblich beteiligt war. Kritisch zu diesem Ansatz W. AYMANS, Papst und Bischofskollegium als Träger kirchlicher Hirtengewalt - Gedanken zu einer Schrift gleichen Titels von W. Bertrams: DERS., Beträge zum Verfassungsrecht der Kirche, Amsterdarn 1991, 35 - 46. 19 Vgl. J. RATZINGER: LThK-Vatll, I, 352-354.

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die Übertragung aller geistlicher Vollmacht durch die Weihe; so fällt der ,.iuridica determinatio« die Rolle zu, der in der Weihe ontologisch grundgelegten Vollmacht innere und äußere Struktur zu verleihen. Durch diese Strukturierung wird die ontologisch bereits gegebene Vollmacht zu einer »potestas ad actum expedita«. Bei dieser Theorie muß man in Kauf nehmen, daß jede Konsekration ontologisch (d. h. der inneren Struktur nach) die Fülle aller der Weihestufe entsprechenden Gewalt übermittelt, diese aber weithin, weil ihr die Struktur fehlt, gleichsam eine tote oder wenigstens schlafende Gewalt ist; sie gewinnt nur soweit Gestalt und Leben, wie es die nähere rechtliche Bestimmung mit sich bringt. In solchem Verständnis ist die Einheit der heiligen Gewalt voll gewahrt. Die Theorie hat aber zur Folge, daß die Gewalt in der Realität eine überwiegend abstrakte und rein theoretische Größe wird20. Es ist die Frage, ob hier nicht angesichts der fundamentalen Differenz zwischen ontologischer Grundlegung und ausübbarer Gewalt eine nur vermeintlich neue Theorie vorliegt, die mit anderen Begriffen das bezeichnet, was in der traditionellen Kanonistik mit der Habi/itierung für den Empfang von geistlicher Gewalt und der Übertragung derselben umschrieben wird. Realistischer dürfte denn doch die Auffassung sein, nach der die »iuridica determinatio« nicht in einem bloß formalen Sinn gedeutet, sondern ihr auch ein Inhalt gegeben wird21• Das hat hinsichtlich der Weihe folgendes zur Voraussetzung: Die Weihe vermittelt inhaltlich nicht die ganze Vollmacht, sondern einerseits als das erste Konstitutivelement der »una sacra potestas«, der J(jrchengewalt, die »potestas ordinis« oder Weihegewalt, sowie anderseits im Hinblick auf deren zweites Konstitutivelement die Habilität oder seinsmäßige Befähigung zum Empfang von »potestas iurisdictionis« oder HiTtengewalt. Die Hirtengewalt selbst wird demnach durch die nähere rechtliche Bestimmung dem Geweihten übertragen; die einzelnen Befugnisse der Hirtengewalt ergeben sich näherhin aus der Sendung, sei es in Gestalt eines über20 Demnach hätte jeder konsekrierte Bischof ontologisch alle Gewalt, die sich überhaupt mit dem Bischofsamt verbinden kann, also letzten Endes papstliehe Gewalt. Da sie aber durch die »iuridica determinatiO« weitgehend gebunden ist und insoweit keine Gestalt gewonnen hat, ist sie nur in dem Rahmen »ad actum expedita«, in dem es »eo ipso« von der Weihe her und im übrigen aufgrund der näheren rechtlichen Bestimmung durch die Sendung als Auxiliar- oder DiÖZesanbischof, als Metr~lit oder Patriarch oder schließlich als Papst der Fall ist. 1 Vgl. vor allem K. MöRSOORF, Art. Heilige Gewalt: DERS., Schriften zum kanonischen Recht, hrsg. von W. Aymans I K.-Th. Geringer I H. Schmitz, Paderborn I München I Wien I Zürich 1989,203-215.

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tragenen Amtes, sei es in der Gestalt einer entsprechenden Delegation. Damit ist man wiederum bei der ursprünglichen Unterscheidung von »potestas ordinis« und »potestas iurisdictionis«, wahrt aber zugleich die Einheit der Kirchengewalt dadurch, daß Hirtengewalt als ein Element der Kirchengewalt nicht ohne Bezug zur Weihe bestehen und damit gegenüber der Weihegewalt nicht verselbständigt oder real von dieser getrennt werden kann.

IV. Die Umsetzung der konzlliaren Gewaltenlehre in den CIC Die Codex-Kommission bzw. deren Konsultoren-Kommissionen haben sich durch das Konzil nicht veranlaßt gesehen, undifferenziert nur von der »potestas sacra« zu sprechen. Sie sind vielmehr der Auffassung gewesen, die alte Unterscheidung von »potestas ordinis« und »potestas iurisdictionis« sei beizubehalten. Allein terminologisch haben sie sich dazu entschieden, in der Regel statt des Begriffes der »potestas iurisdictionis« die Bezeichnung »potestas regiminis« zu verwenden. Diese Ausdrucksweise bringt sprachlich eine gewisse Annäherung der Gewaltenlehre an die Drei-Ämter-Lehre (»munus regendi«!) mit sich22• Diese Änderung ist sachlich unbedenklich, solange keine Gleichsetzung von »potestas regiminis« mit »munus regendi« und damit ein erster Schritt in Richtung auf eine Drei-Gewalten-Lehre erfolgt. Um so mehr mußte es Erstaunen erregen, als das »Schema Canonum Libri I iJe Nonnis Generalibus« von 1977 (zit: SchemaNG) den Wurzelkanon über die »potestas regiminis« so formulierte: »Für Leitungsgewalt sind in der Kirche nach Maßgabe der Rechtsvorschriften befähigt, die das Weihesakrament empfangen haben; in der Ausübung dieser Gewalt, soweit sie sich jedenfalls nicht auf eben diese heilige Weihe stützt, können diejenigen, die das Weihesakrament nicht empfangen haben, nur jenen Anteil haben, den ihnen für einzelne Fälle die höchste kirchliche Autorität zubilligt«23. In 22 Außerdem wollte die Kommission dem Mißverständnis vorbeugen, das die >>iurisdictiO« allein mit der »Rechtsprechungsgewalt« in Verbindung bringt; vgl. Communicationes 9 (1977) 234 sowie SchemaNG S. 7 f. 23 Can. 96 SchemaNG: »Potestatis regiminis in Ecclesia, ad normam praescriptorum iuris, habiles sunt, qui ordine sacro sunt insigniti; in exercitio eiusdem potestatis, quatenus quidem eodem ordine sacro non innititur, ü qui ordine sacro non sunt insigniti eam tantum partem habere possunt quam singulis pro causis auctoritas Eccle-siae suprema ipsis concedit«. 10 Aymans

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dem nachfolgenden Canon wurde dann noch u. a. ausgeführt, daß es die Leitungsgewalt, auch Jurisdiktionsgewalt genannt, kraftgöttlicher Weisung in der Kirche gebe24• Sieht man einmal davon ab, daß eine so fundamentale Aussage, wie es die Stützung der Leitungsgewalt auf das göttliche Recht doch ist, in den Wurzelkanon gehört, führt eine genaue Analyse zu der Erkenntnis, daß sich in dem Gesetzentwurf eine neue Dreiteilung der Kirchengewalt anbahnte: Neben der Weibegewalt sollte nunmehr die Leitungsgewalt in zwei Arten unterschieden werden, nämlich soweit sie auf die Weibe gestützt und soweit sie dies nicht wäre25. Worin die neue Unterscheidung der Leitungsgewalt begründet sein und in welchen theologischen Einsichten sie ihre Rechtfertigung finden sollte und wie die Erfindung der »nicht auf die heilige Weibe gestützten Leitungsgewalt« mit der Konzilslehre von der Einheit der Kirchengewalt in Einklang zu bringen se~ wurde nicht ersichtlich. Die neue dritte Gewalt wurde nun dazu benutzt, eine Möglichkeit dafür zu eröffnen, Laien kirchliche Leitungsgewalt zu übertragen. Eine gewisse Eingrenzung glaubte man darin gefunden zu haben, daß es der höchsten kirchlichen Autorität vorbehalten bleiben sollte, »für Einzelfälle« diese Möglichkeit zu eröffnen. Abgesehen davon, daß in dieser Formulierung unklar blieb, ob an einzelne konkrete Delegationen gedacht sei oder ob so auch bestimmt umschriebene Amtsgewalt geschaffen werden könne, konnte ein solches Konzept sich zwar auf bestimmte geschichtliche Vorgänge26, nicht aber auf das II. Vatikanische Konzil stützen. In der sich anschließenden weltweiten Konsultation, die zur Erstellung des SchemaCIC/1980 führte, bat can. 96 SchemaNG denn auch teilweise scharfe Kritik gefunden27, die aber zunächst nur äußerst mäßigen Erfolg 24 Can. 97 SchemaNG: »Potestas regiminis, etiam potestas iurisdictionis vocata, quae quidem ex divina institutione est in Ecclesia ...« 25 Also »potestas sacra«: 1. »potestas ordinis«, 2. »potestas regiminis ordine sacro innixa«, 3. »potestas regiminis ordine sacro non innixa«. 26 Hierin hat die Kommission später auch eine Rechtfertigung gesucht. 27 Eine Bischofskonferenz bemerkte u. a.: Die Fassung dieses Canons sei bei seinen weitreichenden Folgewirkungen von besonderer Bedeutung. Mit allem Nachdruck müsse gefordert werden, daß gerade hier auf eine theologisch exakte Formulierung geachtet werde. Der Text des Schemas sei vor allem daraufhin umzugestalten, daß die fundamentale Aussage des II. Vatikanischen Konzils über die Einheit der sacra potestas und damit die Unspaltbarkeit von potestas ordinis und potestas regiminis klar zum Ausdruck komme. Es gehe nicht an, daß man zwar die Bindung der potestas ordinis an die Ordinierten bejahe, bei der potestas regiminis aber unter

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hatte. Substanziell ist vorderhand nur der Bezug auf das »ius divinum« aus can. 97 in den Wurzelkanon vorgezogen worden; alles andere blieb unberücksichtisrs. Da die entscheidenden Fragen so eine befriedigende Antwort nicht gefunden hatten, wundert es nicht, daß die grundsätzliche Kritik erneut in jenen schriftlichen Stellungnahmen zum SchemaCIC/1980 aufkam, zu denen nunmehr nicht die Konsultoren, sondern die Mitglieder der Codex-Kommission aufgerufen waren. Aufgrund der eingelangten Stellungnahmen der Mitglieder der Codex-Kommission fand in der betreffenden Konsultorenkommission, die diese zu sichten und zu bewerten hatte, eine neue und ausgiebige Diskussion statt29• Hier sind die verschiedenen Gesichtspunkte erörtert worden; sie konnten jedoch nicht auf einen Nenner gebracht werden. Angesichts dessen und zugleich mit Rücksicht auf die Bedeutung der Sache hat die Konsultoren-Kommission auf die Vorlage eines eigenen neuen Vorschlages verzichtet und die Lösung der Fragen an die Vollversammlung der Kardinäle und der inzwischen zusätzlich berufenen Mitglieder der CodexKommission weitergeleitet30• Somit wurde die Frage um die »potestas sacra« und der betreffende Gesetzesvorschlag eine der Hauptfragen der Vollversammlung der Codexder Hand die Einheit der potestas sacra nicht mehr ernst nehme und so tue, als ob die potestas regiminis von der potestas ordinis faktisch gelöst und auch Nichtordinierten übertragen werden könne. Um dies im Text deutlich zu machen, sei im einzelnen auf folgendes zu achten: a) Die Aufgliederung in zwei Paragraphen solle den essentiellen, nicht nur den graduellen Unterschied von Geistlichen und Laien beim exercitium potestatis regiminis aufzeigen. b) Die Grundaussage »quae quidem ex divina institutione est in Ecclesia« gehöre an die Spitze und sei daher aus can. 97 in can. 96 § 1 umzustellen. c) Die Einfugung eines »tantum« in can. 96 § 1 (»tantum ab eis haberi potest«) sei erforderlich, um die Einheit der sacra potestas auch rechtssprachlich abzusichern. d) In § 2 über die Mitwirkung der Laien sei das Wort »partem habere« durch »cooperari« zu ersetzen. Die Wendung »in exercitio potestatis regiminis partem habere« verleite fast zwangsläufig zu dem Mißverständnis, der Laie könne »aliquam partem potestatis regiminis haben:((. Dagegen sei >>cooperari« der ebenso unmißverständliche wie theologisch exakte Terminus. 28 Can. 126 SchemaCIC/1980: »Potestatis regiminis, quae quidem ex divina institutione est in Ecclesia et etiam potestas iurisdictionis vocatur, ad normam praescriptorum iuris, habiles sunt, qui ordine sacro sunt insigniti; in exercitio eiusdem potestatis, quatenus eodem ordine sacro non innititur, christfideles laici eam partem habere possunt quam singulis pro causis auctoritas Ecclesiae suprema ipsis concedit.(( 29 Vgl. Communicationes 14 (1982) 119 und 146-149. 30 >>Quaestiones hic motae commitantur dirimendae Plenariae Congregationi Commissionis« (ebd. 149). 10*

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Kommission im Oktober 1981. Der Vollversammlung hat ein ausführlicher

Bericht über die vorgenannten schriftlichen Stellungnahmen der Mitglieder und die Antworten des Sekretariates sowie der Konsultoren vorgelegen31, so auch die verschiedenen Anmerkungen zu c. 126 SchemaCIC/19sol2• Aus den Beratungen ist das sog. »Schema novissimum« (zit.: SchemaCIC/1982) zur Vorlage an den Papst hervorgegangen33• Über die Beratungen selbst liegen bisher keine Publikationen vor. Der betreffende Canon - nunmehr can. 129 - ist indessen nur insoweit verändert worden, als die Leitungsgewalt nicht mehr in eine solche, die auf dem ,.ordo«, und eine solche, die nicht auf dem »ordo« aufruht, unterschieden wird34. Dies bedeutete einerseits einen wichtigen Fortschritt, weil damit nicht mehr die Existenz einer dritten Gewalt behauptet wurde; anderseits aber war so der Anwendungsraum für die Übertragung von Leitungsgewalt auf Laien durch die höchste Autorität in sog. ,.Einzelfällen« praktisch unbegrenzt. Insofern war die Frage nach der Einheit der Kirchengewalt noch zugespitzter als zuvor, weil nunmehr praktisch die ganze Leitungsgewalt so verstanden werden konnte, daß sie nicht kraft Wesens komplementäres Element der Weihegewalt sei. In der Folgezeit hat der Papst zusammen mit einer Gruppe von Gelehrten, die sämtlich nicht als Konsultoren an dem bisher Geschaffenen mitgewirkt hatten, sowie dem Sekretär der Codex-Kommission das SchemaCIC/ 1982 gründlich studiert und diskutiert und entsprechende Änderungen vor31 Relatio complectens synthesim animadversionum ab em.mis atque exc.mis patnbus commissionis ad novissimum schema codicis iuris canonici exlubitarum, cum responsiorubus a secretaria et consultonbus datis, Typis polyglottis vaticanis 1981. 32 Relatio31-41. 33 Codex Iuris Canonici. Schema novissimum, post consultationem S. R. E. Cardinalium, Episcoporum Conferentiarum, Dicasteriorum Curiae Romanae, Universitatum Facultatumque ecclesiasticarum necnon Superiorum Institutorum vitae consecratae recognitum, iuxta placita Patrum Commissionis deinde emendatum atque Summo Pontifici praesentatum, E Civitate Vaticana, 25 Martü 1982. 34 Can. 129 SchemaCIC/1982: »Potestatis regiminis, quae quidem ex divina institutione est in Ecclesia et etiam potestas iurisdictionis vocatur, ad normam praescriptorum iuris, habiles sunt qui ordine sacro sunt insigniti; in exercitio eiusdem potestatis, christifideles laici tarnen eam partem habere possunt, quam singulis pro causis auctoritas Ecclesiae suprema ipsis concedit.« Der bereits hier erfolgte Fortschritt scheint HeimerlfPree (H. HElMERL I H. PREE, Kirchenrecht. Allgemeine Normen und Eherecht, Wien I New York 1983, 110) entgangen zu sein, denn sie vertreten zu c. 129 § 2 CIC noch immer die Ansicht, Laien könnten an der Ausübung der Leitungsgewalt, »soweit sie sich nicht auf die Weihe stützt«, nach den Normen des Rechts mitwirken.

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genommen. Fragen, die in diesem Kreis noch nicht entscheidungsreif wurden, sind zur nochmaligen Überprüfung einer kleinen Gruppe führender Kardinäle anvertraut worden, die ihre Beratungsergebnisse dem Papst vorzulegen hatten. Die endgültige Fassung des c. 129 CIC muß also irgendwann in dieser Phase der päpstlichen Konsultation. erfolgt sein.

V. Grundzüge der kodikarischen Gewaltenlehre 1. Zur Interpretation von c. 129 Aufgrund der beschriebenen Vorgeschichte verdienen für die richtige Auslegung von c. 129 die folgenden Punkte Beachtung35: a) Die Aufgliederung in zwei Paragraphen Die Aufgliederung in zwei Paragraphen wird der Tatsache gerecht, daß es sich bei der Frage nach der Habilität, d. h. nach der Befähigung zur Trägerschaft von Leitungsgewalt, und der Frage nach der Mitwirkung bei der Ausübung von Leitungsgewalt um zwei grundsätzlich und qualitativ verschiedene Fragestellungen handelt. b) Grundlegung im göttlichen Recht Die gesetzliche Aussage, derzufolge die Leitungsgewalt im göttlichen Recht grundgelegt ist, bringt zum Ausdruck, daß es sich bei der »potestas regiminis.c nicht um eine bloße kirchliche Ordnungsgewalt handelt, die dem Bedürfnis der Menschen nach Ordnung in der Gemeinschaft entspringt und deshalb eine bloß menschliche Gewalt sei. Vielmehr ist die Leitungsgewalt ein Teilaspekt jener Vollmacht, die vom Herrn selbst über die Apostel in die Kirche vermittelt worden ist und die wir als ganze »sacra potestas« oder Kirchengewalt nennen.

35 Vgl. auch E. CoRECCO, Natur und Struktur der »Sacra Potestas« in der kanonistischen Doktrin und im neuen CIC: DERS., Ordinatio Fidei. Schriften zum kanonischen Recht, hrsg. von L. Gerosa I L. Müller, Paderborn I München I Wien I Zürich 1994, 223- 248.

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c) Einheit von Weihe- und Hirtengewalt Die Verbindung der Habilität für die Leitungs- oder Hirtengewalt mit der Weihe trägt dem Grundanliegen des II. Vatikanischen Konzils hinsichtlich der Einheit der ))potestas sacra« voll Rechnung. Entscheidend dafür ist nicht, auf welche Weise - durch Weihe oder durch Sendung - die ))potestas regiminis« übertragen wird, sondern dies, daß die Leitungsgewalt nicht real abtrennbar ist von der Weihegewalt und sich demzufolge nicht als eine zweite Gewalt eigenen Ursprungs verselbständigen kann. Sie kann stets nur im Zusammenhang mit jener wirksam werden. So ist der - auch von anderen vertretenen - Auffassung Rudolph Sohms, daß die Jurisdiktionsgewalt über die Weihegewalt die Oberhand gewonnen habe, künftig der Boden entzogen. Ein Jahrhunderte altes Problem der Kirchenverfassung kann so wenigstens legislatorisch - als befriedigend gelöst angesehen werden. d) Habilität nach Maßgabe des Rechts Nicht für jeden Geweihten ist die Habilität oder Befähigung zum Empfang von Leitungsgewalt gleich. Die Reichweite der durch die Weihe vermittelten Befähigung hängt hauptsächlich und zuerst davon ab, in welchem Grad der Geweihte an dem Weihesakrament teilhat. Der Diakon erhält nicht die Befähigung für solche Befugnisse der Hirtengewalt, die nur dem Haupt einer verfassungsmäßigen Gliedgemeinschaft der Kirche zukommen können. Die Priesterweihe hingegen vermittelt diese Befähigung, die aber nicht mit dem konkreten Besitz dieser Befugnisse verwechselt werden darf; die Befugnisse können jedoch bei Bedarf durch einen entsprechenden Rechtsakt übertragen werden. Die Bischofsweihe schließlich vermittelt neben der grundsätzlichen Befähigung zugleich den konkreten Besitz bestimmter Befugnisse der hoheitlichen Hirtengewalt Das Nähere regelt das Gesetzbuch. e) Die Mitwirkung von Laien Wenn somit Laien nicht Träger (Subjekt) von Leitungsgewalt sein können36, so bedeutet dies gleichwohl nicht, daß sie von jeglicher Mitwirkung 36 Anderer Auffassung ist H. SocHA: MünstKornm 129 nn. 7-15, dem im übri-

gen auf weiten Strecken zuzustimmen ist. Kritisch ist aber zu seinem Standpunkt,

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bei der Ausübung von Leitungsgewalt ausgeschlossen seien. Anders gesagt: Laien können nicht selbst Akte der Leitungsgewalt setzen; sie können aber in der Vorbereitung, der Begleitung und der Ausführung beteiligt sein. Diese Bestimmung muß also verstanden werden als Grundaussage für die Mitwirkung von Laien beispielsweise im gesamten Synodalwesen und in den Räten. Gerade in dieser Hinsicht ist in dem Gesetzbuch eine bemerkenswerte umfassende Neuordnung erfolgt.

f) Folgewirkungen Die endgültige Formulierung des c. 129 hatte die Notwendigkeit zur Folge, das ganze Gesetzbuch daraufhin zu überprüfen, ob überall die Einheit der Kirchengewalt im erforderlichen Maß gewahrt war.

Laien könnten Träger jurisdiktioneHer Einzelbefugnisse sein, folgendes anzumerken: Er sieht die Einheit der Kirchengewalt schon allein durch die Tatsache gewährleistet, daß Jurisdiktionsbefugnisse von Laien auf die sakramental vermittelte Hirtenvollmacht des Papstes oder des Diözesanbischofs zurückgefdhrt werden muß (n. 14 Abs. 2). Mit diesem Argument kann man jegliche jurisdiktioneHe Bevollmächtigung von Laien rechtfertigen; unter dieser Voraussetzung müßte manangesichtsder Zeitverhältnisse sogar schwere Bedenken dagegen ins Feld fUhren, daß der Gesetzgeber von dieser (angeblichen) Möglichkeit nicht entschieden ausgedehnteren Gebrauch macht. Der Bezug auf die Diskussionen um die Gewaltenfrage bei der Erarbeitung der Entwürfe zur Lex Ecclesiae Fundamentalis (n. 2) ist nicht gerechtfertigt, weil diese mit der Frage um die Habilitllt von Laien nichts zu tun haben. - Weder die Berufung auf die Kirchengeschichte noch die Berufung auf die Redaktionsgeschichte (n. 9) vermag zu überz:eugen. Die Berufung auf die Kirchengeschichte (n. 11) bedeutet doch, eben jenes Trennungsdenken in bezug auf die Kirchengewalt zu rechtfertigen, welches das li. Vatikanische Konzil gerade überwunden hat. Im übrigen wird in c. 129 für die Habilität der Kleriker im Hinblick auf die Leitungsgewalt das »ius divinum« nicht bemüht (vgl. n. 14 Abs. 1); insoweit geht es nur darum, diese grundlegende Gesetzesstelle richtig zu interpretieren. Die Berufung auf die Redaktionsgeschichte (n. 9) ist unzutreffend, denn zweifellos ging es bei der Neuformulierung des § 2 darum, mit dem Begriff »cooperari« gerade das nichtjurisdiktioneile Mitwirken bei der Ausübung von Leitungsgewalt zum Ausdruck zu bringen (vgl. dazu oben, bes. Anm. 27). Weshalb der Hinweis auf c. 274 § 1 nur als Hinweis auf die Weihegewalt (n. 10), nicht aber auch auf die Leitungsgewalt im Zusammenhang mit dem Laien gedeutet wird, muß willkürlich scheinen. Siehe auch J. BEYER, Die Vollmacht in der Kirche: Recht im Dienste des Menschen. Eine Festgabe Hugo Schwendenwein zum 60. Geburtstag, hrsg. von K. Lüdicke I H. Paarhammer I D. A. Binder, Graz I Wien I Köln 1986, 'lß1- 298.

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Hiervon mußte vor allem jene Bestimmung betroffen sein, durch die die

Übertragung eines mit /(jrchengewalt verbundenen Amtes geregelt wird. Im

SchemaCIC/1980 hatte die Formulierung ihren Ausgang noch von der in diesem Gesetzentwurf herrschenden neuen Drei-Gewalten-Lehre genommen und den Klerikern allein jene Ämter vorbehalten, für deren Ausübung Weihegewalt oder auf der Weihe gründende Leitungsgewalt erforderlich ise7• Das SchemaCIC/1982, das von der genannten Dreiteilung Abstand genommen hatte, behielt folgerichtig den Klerikern nur jene Ämter vor, für deren Ausübung Weihegewalt erforderlich ist, fügte aber eine salvatorische Klausel zugunsten von can.l29 an38. Die Bedeutung dieser Klausel ist nicht vollkommen klar, denn einerseits handelt can. 129 nicht ausdrücklich von der Weihegewalt, und anderseits wird die Teilhabe an der Ausübung von Leitungsgewalt nur »für Einzelfälle« in Aussicht gestellt; möglicherweise sollte die Formel »singulis pro causis« doch auch im Hinblick auf entsprechende Generalregelungen für bestimmte Ämter verstanden werden. In beiden Fällen aber war die Einheit der Kirchengewalt nicht gewahrt. Dies ist erst durch die Formulierung des CIC geschehen, derzufolge allein Kleriker Ämter erhalten können, zu deren Ausübung Weihegewalt oder kirchliche Leitungsgewalt erforderlich ist (c. 274 § 1). Unlösbare Schwierigkeiten bereitet aber c. 1421 § 2 über die mögliche Bestellung jeweils eines Laien als kirchlicher Richter im Dreier-Kollegialgericht. Diese Bestimmung ist mit den cc. 129 und 274 nicht in Einklang zu bringen39• Könnte man zur Not noch wegen der Bestellung für jeden einzelnen Prozeß die Frage des Amtes herunterinterpretieren, so ist dies im Hin37 Can. 244 SchemaCICI1980: »Soli clerici obtineri possunt officia ad quorum exercitium requiritur potestas ordinis aut potestas regiminis ecclesiastici ordine sacro innixa.« 38 Can. 273 SchemaCICI1982: »Soli clerici obtineri possunt officia ad quorum exercitium requiritur potestas ordinis, fmno praescripto can. 129.« 39 N. RUF (Recht der katholischen Kirche nach dem neuen Codex Iuris Canonici flir die Praxis erläutert, Freiburg I Basel I Wien s1989, 54 f.) ist demgegenüber der Ansicht, c. 1421 § 2 entpreche c. 129, gtbt aber zu, daß die Bestimmung »insofern problematisch ist, als ein erkennendes Gericht mit Sicherheit Jurisdiktionsgewalt be.. sitzt. Jedenfalls wird es nicht immer leicht sein, zwischen der Trägerschaft von Leitungsvollmacht und der Mitwirkung bei deren Ausübung klar zu trennen«. Auch die ebd. 379 f. entwickelte Kollegialtheorie, die die Jurisdiktionsgewalt des Kollegiums von der Gewalt der Mitglieder an sich zutreffend unterscheidet, kann als Lösung der anstehenden Frage nicht befriedigen. Hierzu und zur ganzen Frage siehe auch W. AYMANs, Laien als kirchliche Richter? Erwägungen über die Vollmacht zu geistlicher Rechtsprechung: DERS., Beiträge zum Verfassungsrecht (Anmm. 18) 181-198.

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blick auf die Frage nach der Ausübung von hoheitlicher Leitungsgewalt nicht möglich, es sei denn, man qualifiziert die richterliche Tätigkeit und vor allem die Urteilsfällung im Kollegialgericht - entgegen der einhelligen kanonistischen Tradition - als nichtjurisdiktionelles Handeln. Dies aber wäre auch aus inneren Gründen nicht einsichtig zu machen. Man muß sich nicht wundern, daß die Praxis sich meistens um die widersprüchlichen Grundfragen nicht kümmert und sich statt dessen schlicht auf das beruft, was der Gesetzgeber zuläßt. Dennoch wäre den Bischofskonferenzen zu raten, von der ihnen in c. 1421 § 2 eröffneten Möglichkeitangesichts der unleugbaren Widersprüche und: wegen der gleichwohl gegebenen grundsätzlichen Bedeutung keinen Gebrauch zu machen und statt dessen es den Diözesanbischöfen zu überlassen, die anstehenden praktischen Probleme durch Beiziehung entsprechend qualifizierter ständiger Diakone zu lösen.

2.

Zum Problem der »facultas« im inneren Bereich

Als »die auffälligste Änderung« gegenüber der traditionellen Lehre von der hoheitlichen Hirtengewalt ist die Tatsache bezeichnet worden, »daß in der Spendung des Bußsakramentes keine potestas iurisdictionis seu regiminis tätig wird«40. Diese Änderung wird dahin verstanden, daß der Gesetzgeber die im Bußsakrament wirksam werdende Gewalt ganz und gar als eine in der Weihe übertragene Gewalt, also als Weihegewalt versteht; zu deren gültiger Ausübung jedoch bedarf der Spender einer besonderen Befugnis (»facultas«). Diese kommt ihm entweder von Rechts wegen oder durch Verleihung von der zuständigen Autorität zu (c. 966). Der Papst, die Kardinäle und die übrigen Bischöfe haben Beichtbefugnis von Rechts wegen in der ganzen Kirche (c. 967 § 1). Allein die Befugnis des Papstes und der Kardinäle ist von seiten eines Diözesanbischofs unantastbar; sonstigen Bischöfen kann der Diözesanbischof die Spendung des Bußsakramentes in seiner Teilkirche verbieten41 . Einem Priester hingegen kann die Beichtbefugnis mit 40 H. MÜLLER, Zur Frage nach der kirchlichen Vollmacht im CIC/1983: ÖAKR 35 (1985) 83-106, hier 105. Hier wird mit eindrucksvollen Argumenten der Versuch unternommen, den Rahmen flir eine geschlossene »ßefu~Lehre« im Hinblick auf die Grundvollzüge der kirchlichen Sendung in Wort und Sakrament abzustecken. 41 Vgl. R. WEIGAND, Das Bußsakrament: HdbKathKR 692-707, 700; H . MÜLLER, Kirchliche Vollmacht (Anm. 40) 95; die positivrechtliche Regelung muß noch nicht besagen, daß die Beichtbefugnis des Bischofs in keinem Fall so entzogen werden kann, daß die Absolutionsvollmacht nicht mehr gültig eingesetzt werden kann.

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der Wirkung entzogen werden, daß er - sei es in einer bestimmten Teilkirche (c. 967 § 2) oder gegenüber bestimmten Gläubigen42, sei es allgemein (c. 974 § 2) - nicht gültig absolvieren kann43• Insoweit kann man auch der Auffassung sein, daß die »facultas« zur Ausübung der Absolutionsvollmacht der Sache nach nicht allzuweit von der früheren »iurisdictio in poenitentem«44 entfernt ist. Im Ergebnis würde der Hauptunterschied darin bestehen, für die Bischofsweihe ähnlich wie früher schon im Hinblick auf die Firmvollmacht nun auch im Hinblick auf das Bußsakrament die Übertragung eines Grundbestandes45 von Leitungsgewalt anzunehmen, die - weil sakramental verliehen - unverlierbar ist, während der Priester einer eigenen jurisdiktionellen Ermächtigung bedarf. Der Gesetzgeber des CIC geht formal einen anderen Weg, indem er die Beichtbefugnis nicht als jurisdiktionelles Element der Absolutionsvollmacht, sondern rein formal versteht. Dafür muß er aber in Kauf nehmen, daß die durch die Priesterweihe übertragene Vollmacht durch einen jurisdiktionellen Akt wirksam bzw. unwirksam gemacht wird46• Wenn also das Gesetzbuch davon auszugehen scheint, daß die Absolutionsvollmacht selbst ganz der Weihegewalt zuzurechnen ist, so sind jedoch Erteilung und Entzug der Beichtbefugnis Akte der oberhirtliehen Gewalt (c. 974), näherhin der ausführenden Leitungsgewalt Diese ist jedenfalls Anderseits könnte so ohne Schwierigkeit die Beichtvollmacht des nichtkatholischen Spenders gemäß c. 844 § 2 erklärt werden. 42 Vgl. c. 967 § 3; sofern der hier im zweiten Halbsatz genannte »höhere Obere« ein Verbandsoberhirt ist, muß davon ausgegangen werden, daß dieser einem Priester die Ausübung der Absolutionsvollmacht gegenüber Mitgliedern seines Verbandes mit der Wirkung entziehen kann, daß ein Zuwiderhandelnder nicht nur unerlaubt, sondern ungültig absolviert. Als höherer Oberer im Sinne des c. 974 § 4 kann nur ein Verbandsoberhirt gemäß c. 968 § 2 verstanden werden. Ein höherer Oberer hingegen, der nicht Träger von Hirtengewalt ist, kann die Ausübung der Absolutionsvollmacht in jedem Falle, also auch einem Priester gegenüber, höchstens verbieten. 43 Es ist zu beachten, daß diese kodikarische Regelung sich nur auf die lateinische Kirche bezieht und insoweit vor allem nicht jene Priester betrifft, die gemäß c. 844 § 2 als Spender des Bußsakramentes in Frage kommen. 44 Vgl. K. MöRSDORF, Der hoheitliche Charakter der sakramentalen Lossprechung, sowie DERS., Der Rechtscharakter der iurisdictio fori interni, in: DERS., Schriften zum Kanonischen Recht (Anm. 21) 534-547bzw. 548-560. 45 Vgl. hierzu K. MöRSDORF, Weihegewalt und Hirtengewalt in Abgrenzung und Bezug: DERS., Schriften zum kanonischen Recht, 171-186. 46 Insoweit kommt hier also die Vorstellung von Bertrams zur Geltung, allerdings nicht allgemein, sondern nur in bezug auf die Absolutionsvollmacht.

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nicht eine »ausschließlich auf die äußere Leitung der Kirche« bezogene Gewalt47, weil im Recht doch jene Fälle vorgesehen sind, in denen sie mit Wirkung für den äußeren Rechtsbereich im inneren nichtsakramentalen Rechtsbereich tätig wir>Konzil« gesprochen werden, denn beide Worte spiegeln die östliche und die westliche Traditon der Kirche wider. Was versteht man in der Kirche unter der Bezeichnung »Konzil« oder »Synode«? Wer den Versuch unternimmt, eine exakte Begriffsbestimmung dessen zu geben, was die Sprache der Kirche so unbefangen Synode oder Konzil nennt, der scheint sich auf schwankenden Boden zu begeben. Der regelmä12 Aymans

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Synodalität - ordentliche oder außerordentliche Leitungsfonn in der Kirche?

ßige Wortgebrauch allein garantiert nicht die Bezeichnung begrifflich vergleichbarer Wirklichkeiten1. 2. Besonders augenfällig wird dieser Umstand natürlich dann, wenn man über die Konfessionsgrenzen hinausblickt und namentlich das Synodalwesen im reformatorisch-kirchlichen Bereich etwa mit den Synodalinstitutionen des Codex Iuris Canonici vergleicht. Hier stehen sich grundverschiedene Konzeptionen gegenüber. Das Synodalwesen im reformierten Bereich ist auf der Grundlage der calvinistischen Genfer Gemeindeordnung um die Mitte des 16. Jahrhunderts in Frankreich entstanden und hat bald auch in Schottland und in den Niederlanden erste Ausprägungen gefunden. Waren diese Synoden noch Amtsträgerversammlungen, so ist es in Deutschland erst im 19. Jahrhundert - ausgehend von Bayern (1818) - zur Ausgestaltung eines neuen Synodentyps gekommen; dieser war im System des sog. »landesherrlichen Kirchenregiments« von dem staatsrechtlichen Konstitutionalismus beeinflußt. So ist das Synodalwesen des modernen Protestantismus an Modellen der körperschaftlichen Selbstverwaltung oder der parlamentarischen Demokratie orientierr. Sie müssen als verfassungsrechtliche Gegenfewichte gegenüber den Leitungsorganen vom Amtstypus verstanden werden . 3. Den Konzilien des Codex Iuris Canonici ist demgegenüber eine solche Entgegensetzung nach Art der Gewaltenteilung fremd. Die Synoden oder Konzilien sind Instrumente des ungeteilten amtlichen Leitungsdienstes der

1 Zum Sprachgeschichtlichen vgl. A. LUMPE, Zur Geschichte der Wörter Concilium und Synodus in der antiken Latinität: AHC 2 (1970) 1-21. 2 Vgl. H. DoMBOIS, Kirchenrechtliche Betrachtungen nach dem Konzil: Die Autorität der Freiheit. Gegenwart des Konzils und Zukunft der Kirche im Ökumenischen Disput, hrsg. von J. Chr. Hampe, Bd. II, München 1967, 541 f. Für die Entstehungszeit im 19. Jh. vgl. auch E. Wou:, Ordnung der Kirche, Frankfurt 1961, 400; ferner I. TEMPEL, Bischofsamt und Kirchenleitung in den lutherischen, reformierten und unierten Landeskirchen, München 1966, 57; K. ScmAICH, Art. Synode: StL3 II (1987) 3571-3576. Zwar sind heute nebeneinander verschiedene Legimitationsgrunde für die Mitgliedschaft in den Synoden maßgeblich; das ändert aber nichts daran, daß diese Synoden aufgrund ihrer Aufgabenstellung und der damit verbundenen Kompetenz kirchenleitende Kollegialorgane sind. 3 Zu dem Begriff vgl. E. Wou:, ebd. 696 f., 702-705. Er lehnt unter Hinweis auf die geistlichen Verpflichtungen der Landessynode jeden Vergleich mit der Funktion staatlicher Repräsentativorgane als unzutreffend ab, doch ist dies kein Argument gegen die tatsächliche kirchliche Gewaltenteilung. Siehe auch K. ScmAICH, ebd. 3574 f.

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Kirche4 ; in dieser Hinsicht besteht eine enge Verwandtschaft mit dem Synodalwesen der orthodoxen Kirchen5• Von diesem unterscheiden sich die katholischen Synoden weniger der inneren Struktur nach als vielmehr darin, daß die Synoden in den orthodoxen Kirchen - jedenfalls für das praktische kirchliche Leben - eine weitaus größere Bedeutung beanspruchen als in der katholischen - vor allem der lateinischen - Kirche. 4. Zeigt sich auf diese Weise im interkonfessionellen Bereich, daß durchaus verschiedene Wirklichkeiten mit dem Begriff der Synode verbunden werden, so kann man sich auch im innerkatholischen Raum nicht leicht auf einen in jeder Hinsicht fest umrissenen und klaren Begriff beziehen. Denkt man etwa an die vier Konzilstypen, die Hubert Jedin in der Geschichte der Ökumenischen Konzilien unterscheidet6, so wird schon hier erkennbar, daß es einen geschichtlichen Wandel im Verständnis der Synoden gibt. Dieses Bild wird noch um einige Farbtöne reicher, wenn man die partikularkirchlichen Synoden der verschiedenen Epochen einbezieht7• 4 Zum ganzen vgl. W. AYMANs, Das synodale Element in der Kirchenverfassung, München 1970. 5 Vgl. hierzu F. HEILER, Die Ostkirchen, München I Basel1971, 91-94. Siehe etwa auch R. POTZ, Patriarch und Synode in Konstantinopel. Das Verfassungsrecht des ökumenischen Patriarchats, Wien 1971. 6 Strukturprobleme der Ökumenischen Konzilien, Köln I Opladen 1963, bes. 9 -13; DERS., Art. Konzil: Handbuch theologischer Grundbegriffe, hrsg. von H. Fries, Bd. I, München 1962, 851-859; DERS., Das II. Vatikanische Konzil in historischer Sicht: DERS., Kirche des Glaubens, Kirche der Geschichte, Bd. II, Freiburg I Basel I Wien 1966, 590-596: Hier unterscheidet er die acht altkirchlichen Konzilien als Grundtyp, die päpstlichen Generalkonzilien des Hohen Mittelalters, die Reformkonzilien von Konstanz und Basel mit ihrer Tendenz zum Kirchenparlament und schließlich die der Struktur des Konzils von Trient folgenden Bischofsversammlungen. 7 Gleichwohl kann es den unbefangen Urteilenden überraschen, wie nahe das formelle Synodalwesen des Frühmittelalters im fränkisch-deutschen Raum dem des CIC gestanden hat; vgl. H. BARION, Das fränkisch-deutsche Synodalrecht des Frühmittelalters, Köln I Bonn 1931 (Nachdruck: Amsterdam 1963) bes. 120-146. Ein Beispiel aus der neueren Zeit bietet die Untersuchung von E. CoRECCO, Die synodale Aktivität im Aufbau der katholischen Kirche der Vereinigten Staaten von Amerika, mit besonderer Berücksichtigung der Vermögensverwaltung: DERS., Ordinatio Fidei. Schriften zum kanonischen Recht, hrsg. von L. Gerosa I L. Müller, Paderbom I München I Wien I Zürich 1994, 313-358; die ausfUhrlichere italienische Fassung ist erschienen unter dem Titel »La formazione della Chiesa Cattolica negli Stati Uniti d'America attraverso l'attivita sinodale con particolare riguardo al problema dell'amrninistrazione dei beni ecclesiastici«, Brescia 1970. Einen historischen Gesamtüberblick fmdet man bei P. HINSCHIUS, Das Kirchenrecht der Katholiken 12*

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In geschichtlicher Sicht läßt sich also weder aus dem formalen Synodalrecht noch aus der faktischen Wirksamkeit des Synodalwesens eine umfassende und für alle Zeiten gültige Begriffsbestimmung der Synode gewinnen. Das bedeutet indessen nicht, daß sich keine historischen Konstanten aufweisen ließen, die für das Synodalwesen von allem Anfang an konstitutiv gewesen sind. Es kann hier nicht darum gehen, einen solchen historischen Weg zu beschreiten; man wird jedoch ganz allgemein festhalten können, daß das Synodalwesen in den verschiedenen Geschichtsepochen sein besonderes Gepräge durch zwei Faktoren erhalten hat: durch die je verfügbaren Daten aufgrund des Standes kirchlich-theologischen Selbstverständnisses (auch inmitten der weltlichen Wirklichkeiten) und durch die herrschenden innerkirchlichen und politischen Machtverhältnisse8 • Aus diesem Grunde scheint es berechtigt und geboten, den Versuch einer ekldesiologisch-kanonistischen Begriffsbestimmung der Konzilien im Lichte des heutigen kirchlichen Selbstverständnisses und unter Berücksichtigung tatsächlicher Gegebenheiten zu unternehmen. In dem hier möglichen Rahmen wird dies allerdings nicht mehr als eine Skizze sein können.

II. Der SynodalbegritT aufgrund der Ekklesiologie

des II. Vatikanischen Konzils

Das kirchliche Selbstverständnis unserer Tage hat in dem II. Vatikanischen Konzil maßgeblichen Ausdruck gefunden. Wie keine andere Kirchenversammlung vergleichbaren Ranges hat sich dieses Konzil dem Thema »Kirche« zugewandt, so daß man es mit Recht ein »ekklesiologisches Konzil« genannt hat9• Das II. Vatikanumhat eine Sicht der Kirche freigelegt, die in den letzten tausend Jahren ihrer Geschichte ohne Beispiel ist. Zu dieser und Protestanten in Deutschland. System des katholischen Kirchenrechts mit besonderer Berücksichtigung auf Deutschland, Bd. m, Berlin 1883 (Graz 1959) 473-666. 8 Damit ist noch nichts über die allseitige Legitimität konkreter Ausformungen

gesagt.

zu dem von ihm herausgegebenen Kommentar zur Kirchenkonstitution: De Ecclesia. Beiträge zur Konstitution »Über die Kirche« des Zweiten Vatikanischen Konzils, Bd. I, Freiburg I Basel I Wien I Frankfurt 1966, 7. Vgl. auch J. CHR. RAMPE, Einleitung: Die Autorität der Freiheit {Anm. 2), Bd. I, 243 ff. 9 G. BARA'ÜNA im Vorwort

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Sicht gehört auch das Thema Synode. Zwar hat dieses Thema beispielsweise auch in den konziliaristischen Bestrebungen vergangener Jahrhunderte eine wichtige Rolle gespielt, doch überwog hier das kirchenpolitische Interesse einer Gegenmacht gegenüber einem übersteigerten päpstlichen Zentralismus. Das n. Vatikanische Konzil dagegen ist auf ganz anderem Wege zu dem Thema Synode vorgestoßen. Es ist hauptsächlich dem Nachdenken über das Bischofsamt zu danken, daß manche Einsicht über Wesen und Struktur der Kirche wie von selbst heranreifte10, so auch die konziliaren Aussagen über das kirchliche Synodalwesen. Dabei stößt man auf drei Grundmerkmale, die das Synodalwesen kennzeichnen.

1. Synode als Funktion der »Communio Ecclesiarum« Zu den reifsten Früchten der vatikanischen Besinnung auf die Kirche wird man zweifellos die Wiederentdeckung der Teilkirche rechnen dürfen. Auch diese Wiederentdeckung ist natürlich nicht so zu denken, daß die ekklesiale Wirklichkeit, die mit dem Begriff der Teilkirche oder Diözese verbunden ist, über Jahrhunderte hinweg in der Kirche nicht anwesend oder nicht wirksam gewesen wäre. Entscheidend ist vielmehr die theologischkanonistische Interpretation, die die Teilkirche in dem jeweils herrschenden Verständnis gefunden hat. Dabei geht es um die Rolle, die der Teilkirche im Gesamtgefüge der Kirchenverfassung zufällt. Es hat nie ernstliche Zweifel darangegeben, daß die Teilkirche der Ort ist, an dem die Kirche im Vollzug ihrer Sendung das Heil wirkt, und so ist praktisch auch stets dafür gesorgt worden, daß die nötigen Vollmachten zur Erfüllung dieser Aufgabe vorhanden waren. Dennoch ist es kennzeichnend, daß das Konzil von Trient in seinem Bemühen um die Stärkung der bischöflichen Autorität keinen anderen Weg wußte, als zahlreiche den Bischöfen neu übertragene Vollmachten in die Form päpstlicher Delegationen zu kleiden11• Dies war ein Notbehelf. Das II. Vatikanische Konzil hat die konstitutive Rolle der Teilkirche für die Kirche als ganze wiedergewonnen. Es geht davon aus, daß prinzipiell die Teilkirche der Ort ist, wo das Wesen der Kirche im Vollzug von Wort und Sakrament sich verwirklicht. Das Konzil lehrt, daß die Teilkirche ~nach dem 10 Das soll nicht heißen, daß auf dem Konzil nicht heftig gerungen worden sei. 11 Vgl. H. JEDIN, Delegatus Sedis Apostolicae und die bischöfliche Gewalt auf dem Konzil von Trient: Die Kirche und ihre Ämter und Stände. Festgabe flir Joseph Kardinal Frings, hrsg. von W. Corsten I A. Protz I P. Linden, Köln 1960,462-475.

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Bilde der Gesamtkirche gestaltet« ist (LG 23, 1), und daß »in ihr die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche Christi wahrhaft gegenwärtig ist und wirkt« (CD 11, 1). Das bedeutet: Die Teilkirche ist der Ort, an dem die Kirche das in Jesus Christus gewirkte Heil geschichtlich präsent macht, wobei sie materiell alle Mittel der Sendung in Wort und Sakrament in sich schließt12• Dies ist eine tiefgreifende Neuorientierung für das Verständnis der Kirchenverfassung: Die Kompetenzen der oberbischöflichen Ämter einschließlich der synodalen Institutionen und auch das Amt des Papstes erscheinen nunmehr in einer subsidiären Rolle gegenüber der Teilkirche. Der Gesichtspunkt, unter dem die oberste kirchliche Autorität sich bestimmte Fälle vorbehält oder Zwischeninstanzen wie beispielsweise der Bischofskonferenz zuweist, kann nicht willkürlich sein; die Reservation muß aus der Wahrnehmung amtlicher Verantwortung und Beurteilung darüber gewonnen werden, wie die bischöfliche Vollmacht zu größerer kirchlicher Wirksamkeit gebracht werden kann13• Auf diese Weise ist die Teilkirche vom Konzil nicht nur praktisch gefestigt worden; vielmehr ist so auch die Einsicht in die konstitutive Rolle der Teilkirche für die Verwirklichung der Heilssendung überhaupt gewonnen worden. Der Konstitution »Lumen gentium« haben wir jene Formel zu verdanken, die in geradezu genialer Kürze von den Teilkirchen sagt, daß »in ihnen und aus ihnen« die Gesamtkirche besteht14. Dies ist eine bündige Formel, auf deren Folgen hier im einzelnen nicht eingegangen werden muß. Sie erlaubt aber die Feststellung, daß die »Communio Ecclesiarum« das

12 Aus diesem Grunde muß der Diözesanbischof von selbst alle jene ordentliche, eigenberechtigte und unmittelbare Vollmacht haben, die zur Ausübung seines Hirtendienstes erforderlich ist, während der Papst kraft seines Amtes die Vollmacht hat, sich oder einer anderen Autorität bestimmte Fälle vorzubehalten (CD 8). Sieht man einmal davon ab, daß auch bei dieser - nunmehr umgekehrten - Sicht der Dinge kein Weg daran vorbeigeführt hat, den Inhalt des Bischofsamtes im Recht positiv zu umschreiben, und daß der Diözesanbischof nach wie vor gehalten ist, seine Teilkirche »ad normam iuris(( zu leiten ( c. 391 § 1; vgl. zu der ganzen Problematik K. MöRSDORF: LThK-Vatll, II 166-171). 13 Vgl. die bedeutende Subsidiaritätsnorm des c. 333 § 1. 14 LG 23, 1. Der Päpstlichen Kommission für die Reform des kanonischen Rechts ist die Bedeutung dieser Formel bewußt gewesen. Sie hat darin einen Verfassungsgrundsatz erkannt, den sie seiner Bedeutung entsprechend im SchemaLEF/1981 an herausragender Stelle, nämlich als § 1 von can. 2 eingeordnet hatte. Im CIC hat er infolge der anderen Gesetzessystematik leider nur an versteckter Stelle in c. 368 Ausdruck gefunden.

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Gestaltgesetz der einen Kirche ist15. Das bedeutet unter anderem, daß die Teilkirchen nur dann im vollen Sinne Teilkirchen sind, wenn sie die ihnen vorgegebene Gemeinschaft mit allen anderen Teilkirchen wahren. Von allem Anfang an hat es vielfältige Formen gegeben, in denen die Kommunion der Teilkirchen untereinander auch rechtlichen Ausdruck gefunden hat. Hierzu gehören namentlich auch jene Einrichtungen verfassungsrechtlicher Art, deren Ziel und Aufgabe die Integration der Teilkirchen in das Ganze kirchlicher Gemeinschaft ist16• Eine hervorragende Rolle haben hierbei die teilkirchlichen Verbände gespielt17• In diesen Verbänden hat das synodale Element der Kirchenverfassung in Gestalt der Provinzialsynode seine erste Ausformung gefunden und von hier aus seinen Weg auch zu weiträumigeren Formen bis hin zum ökumenischen Konzil angetreten. Somit kann als erstes festgehalten werden, daß Synode ihren theologischen Ort in der »Communio Ecclesiarum« hat und dazu dient, die Gemeinschaft der vielen Teilkirchen sichtbar zu machen und in die gesamtkirchliche Einheit zu integrieren18• Synode ist der Ort der Vergewisserung des gemeinsamen Glaubens der Teilkirchen und des Entschlusses auf dem gemeinsamen Weg zur Wahrung dieser Gemeinschaft. Die einzelne Teilkirche ist zwar nach dem Bilde der Gesamtkirche gestaltet, nicht aber in dem Sinne, daß sich ihre Teile zur Teilkirche als solcher verhalten wie die Teilkirchen zur Gesamtkirche. Die Teilkirche besteht nicht »in und aus Pfarreien«, denn die »paroecia« schließt nicht alle Mittel der kirchlichen Sendung in sich; sie ist die vorzüglichste, aber nicht die einzige Gestaltform des Vollzuges kirchlicher Sendung in der Teilkirche.

15 Im einzelnen siehe hierzu W. AYMANs, Die Communio Ecclesiarum als Gestaltgesetz der einen Kirche, oben S. 17-39. 16 Vgl. L. HER1UNG, Communio und Primat, Rom 1943,3-48. 17 Diese sind ja teils aus innerkirchlichen Filiationsverhältnissen, teils in Anpassung an staatliche Gebietsordnungen entstanden. 18 Zusammenfassend stellt L. HER1UNG (Communio und Primat (Anm. 6) 26) fest: »Das, was die einzelnen Bischöfe im Altertum zu einer Einheit verbindet, ist nicht die Überzeugung, daß sie zusammenhalten müssen, um etwas zu erreichen, sondern die Überzeugung, daß diese Einheit vorhanden ist . . . Dieses einigende Band der kirchlichen Communio tritt uns in der ganzen alten Kirchengeschichte mit voller Deutlichkeit entgegen, ohne daß man hier von einer >Entwicklung< reden könnte, als ob die Communio etwa im 2. Jahrhundert weniger bestanden hätte als im vierten oder fünften.« Zu der systematischen Seite vgl. W. AYMANs, Das synodale Element (Anm. 4) 265-360.

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Synodalität - ordentliche oder außerordentliche Leitungsform in der Kirche?

Wenn also »Synode« als eine Einrichtung für die Kommunion der Bischofskirchen untereinander gekennzeichnet wird, so kann die Teilkirche in sich nicht theologischer Ort der Synodalität sein, können Organe innerhalb einer jeden Bischofskirche nicht ohne weiteres synodalen Charakter haben19. Die lateinische Tradition kennt die Einrichtung der Diözesansynode, die aber gerade mit dieser Bezeichnung deutlich abgehoben wird von den die Teilkirchen verbindenden synodalen Institutionen, die gemäß lateinischer Tradition Konzilien heißen; diese Absetzung der innerteilkirchlichen Einrichtungen findet in dem Recht der Katholisch-Orientalischen Kirchen ihre Entsprech~. 2. Synode als Institution der bischöflichen Kollegialität

Zur Klärung dessen, was Synode ist, genügt es freilich nicht, die Communio Ecclesiarum als ihren theologischen Ort zu bestimmen. Vielmehr muß zugleich danach gefragt werden, aufwelche Weise denn die Kommunion der Teilkirchen in den Synoden Wirklichkeit wird. Oder anders gefragt: Ist jegliche kirchenamtliche Zusammenkunft von Angehörigen verschiedener Teilkirchen schon Synode, oder bedarf es hierzu der Verwirklichung gewisser Konstitutivelemente? Das II. Vatikanische Konzil hat seine Lehre von der bischöflichen Kollegialität nicht zuletzt mit dem Hinweis auf die frühkirchlichen Konzilien begründer1 und damit zum Ausdruck gebracht, daß die bischöfliche Kollegia19 Anderer Auffassung ist E. CoRECCO, Kirchliches Parlament oder synodale Diakonie: DERS., Ordinatio Fidei (Anrn. 1) 359-379; er betont den synodalen Charakter der nachkonziliaren Räte. 20 Das bislang noch weithin geltende Verfassungsrecht der katholischen orientalischen Kirchen (MP »Cleri Sanctitati« vom 2. Juni 1957: AAS 49, 1957, 433 -603), das statt »concilium« das Wort »synodus« gebraucht, bezeichnet in deutlicher Abhebung hiervon die Diözesansynode als »conventus eparchialis« (vgl. etwa cann. 380 § 2, 423 § 1, 452 § 2 n. 1 pr.). An dieser Terminologie hält auch der Entwurf filr den »Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium« fest; vgl. cann. 233-240 (Nuntia 24/25 [1986) 44 f.). Gleichwohl reicht die Bezeichnung »synodus dioceseos« schon in das christliche Altertum zurück; vgl. A. LUMPE, Zur Geschichte der Wörter Concilium und Synodus (Anrn. 1) 11 f. 21 LG 22, 1: »... itemque concilia coadunata, per quae et altiora quaeque in commune statuerentur, sententia multorum consilio ponderata, ordinis episcopalis indolem et rationem collegialern significant, quam manifeste comprobant Concilia Oecumenica decursu saeculorum celebrata. Eandem vero iam innuit ipse usus, antiquitus

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lität in dem Synodalwesen zu rechtlichem Ausdruck kommt. Und in der Tat beweist auch die Kirchengeschichte, daß in allem Gestaltwandel des Synodalwesens doch stets die Bischöfe die unverzichtbare personale Mitte der Synoden oder Konzilien gebildet haben22. Verfassungsrechtlich ist damit die Frage der kirchlichen Repräsentation und der diese begründenden Legitimation angesprochen23• Die Grundlagen der kirchlichen Repräsentation sind in der unverfügbaren apostolischen Sendung verankert24• Unzweideutig stellt auch das II. Vatikanische Konzil auf die Unverfügbarkeit der besonderen apostolischen Sendung ab, indem es an dem nicht nur graduellen, sondern wesentlichen Unterschied zwischen dem gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen und dem amtlich-hierarchischen Priestertum festhält (LG 10, 2). Damit bildet das Weihesakrament, dessen Fülle durch die Bischofsweihe übertragen wird (LG 21, 2), die Grundlage, von der aus kirchliche Repräsentation ihre Legitimation bezieht. Von den Bischöfen sagt deshalb die Kirchenkonstitution, daß sie sichtbares Prinzip und Fundament der Einheit in ihren Teilkirchen sind (LG 23, 1). Die Teilkirche findet also ihre Einheit konstitutiv nicht in soziologisch ableitbaren Aktivitäten, sondern in dem sakramental grundgelegten Amt des Diözesanbischofs. Aus dieser für die Teilkirche konstitutiven Rolle leitet die Konstitution »Lumen Gentium« sodann die repräsentative Funktion des Bischofs ab, indem sie erklärt, daß aus diesem Grunde die einzelnen Bischöfe ihre Kirche, alle zu-

inductus, plures advocandi Episcopos qui in novo electo ad sumrni sacerdotü ministerium elevando partem haberent.« 22 Vgl. hierzu den oben in Anm. 8 zitierten Überblick von P. HINSClßUS. 23 Im staatlichen Bereich sind die verschiedensten Formen der Repräsentation ausgebildet worden, deren Legitimität in der allgemeinen Anerkennung der jeweils herrschenden Verfassung gründet. Deshalb ist es hier auch möglich, daß Revolution grundlegenden Wandel bewirkt. Vgl. J. H. KAISER, Art. Repräsentation: StL6 VI (1961) 865-869 und D. GRIMM, Art. Repräsentation ste IV (1988) 878-882. Der Grundsatz der Effektivität, der inhaltlich eng mit dem Gewohnheitsrecht zusammenhängt, spielt im Völkerrecht eine bedeutende Rolle; vgl. dazu A. VERDROSS, Völkerrecht, Wien 51964, 132 f. 24 In der Kirche kann es Entwicklung und Ausgestaltung, nicht aber Umsturz der Verfassung geben. Innerkirchliche Revolution ist begrifflich undenkbar, und der Versuch hierzu führt der Sache nach zur Spaltung. Hiervon legt denn auch die ganze Kirchengeschichte beredtes Zeugnis ab. Vgl. allgemein K. PETERs, Die doppelte Repräsentation als verfassungsrechtliches Strukturelement der Kirche. Rechtstheologische Überlegungen zum II. Vatikanischen Konzil: TrThZ 86 (1977) 228-234; E. CoRECCO, Synodale Diakonie (Anm. 19) 376-379.

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sammen aber mit dem Papst die ganze Kirche im Band des Friedens, der Liebe und der Einheit repräsentieren25. Somit ist unbeschadet der Frage, wer alles sonst nützlicherweise zu einer Synode eingeladen werden kann, als zweites Charakteristikum festzuhalten, daß die ihre Teilkirche repräsentierenden Bischöfe für die Synoden oder Konzilien konstitutiv sind. Schon insofern kann eine jede Synode beschrieben werden als Funktion oder Einrichtung der bischöflichen Kollegialität.

3. Synode als Funktion der »sacra potestas« Nach dem »WO« und dem »wie« ist nun endlich aber auch nach dem »WOZU« der Synoden oder Konzilien zu fragen. Was ist Sinn und Zweck der Synoden in der Kirche? Sieht man einmal von der allgemeinen Bestimmung ab, von der schon die Rede war, daß nämlich die Synoden Instrumente der Sichtbarmachung kirchlicher Gemeinschaft sind, so muß die konkrete Antwort wiederum im Rückgriff auf die vatikanische Lehre von der bischöflichen Kollegialität gesucht werden. In dem Bischofskollegium dauert jener besondere Dienst fort, zu dem der Herr zuerst die Apostel bevollmächtigt und gesandt ha~. Das Bischofskollegium ist also Träger einer Sendung in geistlicher Vollmacht. Diese Grundaussage konkretisiert das Konzil - und damit bringt es zugleich die bekannte Ergänzung zu den Definitionen des I. Vatikanums über das Papstamt - dahin, daß das Bischofskollegium zusammen mit seinem Haupt Träger höchster und voller Gewalt im Hinblick auf die Gesamtkirche is~. Von dieser Höchstgewalt des Kollegiums im Hinblick auf die Gesamtkirche nun sagt die Kirchenkonstitution, daß sie in feierlicher Weise auf dem Ökumenischen Konzil ausgeübt werde28• Damit ist das Ökumenische 25 LG 21, 1: »Qua de causa singuli Episcopi suam Ecclesiam, omnes autem simul cum Papa totam Ecclesiam repraesentant in vinculo pacis, amoris et unitatis.Concilium« und »Consilium«. 1. Concilium Oecumenicum

Die Bezeichnung »Concilium« findet allein für das Ökumenische Konzil Verwendung; dieser Wortgebrauch ist in der rechtssprachlichen Einheit für gesamtkirchliche Institutionen voll gerechtfertigt. Das MP Cleri Sanctitati hatte hierauf keine Rücksicht genommen und deshalb von der »Oecumenica Synodus« gesprochen6•

3 C. 140: »Conventus patriarchalis est coetus consultivus totius Ecclesiae, cui Patriarcha praeest, qui Patriarchae atque Synodo Episcoporum Ecclesiae patriarchalis adiutricem operam praestat ...« 4 C. 172: »In Ecclesia metropolitana sui iuris conventus ad normam cann.140-145 habeatur et quinto saltem quoque anno convocetur; quae ibidem de Patriarcha dicuntur, Metropolitiae competunt.« 5 C. 235: »Conventus eparchialis adiutricem praestat operam Episcopo eparchiali in eis, quae ad speciales necessitates vel utilitatem eparchiae referuntur.« 6 Cann. 167-174 es.

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2. Consilium Hierarcharum Anders steht es mit der Bezeichnung »Consilium Hierarcharum« in der autonomen Metropolitankirche. Der Gesetzgeber sagt, daß einer solchen Kirche der vom Papst ernannte und vom Hierarchenrat (»Consilium Hierarcharum«) unterstützte Metropolit vorsteht (c. 155 § 1). Schon diese Aussage ist wenig glücklich, denn die Aufgabe des Hierarchenrates geht entschieden über die Unterstützung des Metropoliten hinaus7. Zwar verfügt der Hierarchenrat nicht über eine so weitreichende Zuständigkeit wie die Bischofssynode der Patriarchalkirche, doch ist sie vor allem Rechtsetzungsorgan der Metropolitankirche8. Aber nicht nur die Bezeichnung als »Consilium« ist unzutreffend. Auch die nähere SpezifiZierung durch das beigefügte »Hierarcharum« muß kritisiert werden. »Hierarcha« hat traditionell und so auch im CCEO eine ähnliche Bedeutung wie »Ordinarius« im lateinischen Recht9• Der Begriff hat also einen teils engeren, teils weiteren Inhalt als »Episcopus«. Tatsächlich aber gehören zu dem »Consilium Hierarcharum« nur die »Episcopi ordinati« der autonomen Metropolitankirche (c. 164 § 1), also in der Regel nicht der Protosyncellus und der Syncellus10• Warum der Gesetzgeber sich hier zu der irreführenden Bezeichnung »Consilium Hierarcharum« entschlossen hat, leuchtet nicht ein. Wenn es darum gegangen ist, den strukturellen Unterschied der synodalen Einrichtungen in der autonomen Metropolitankirche und in der Kirchenprovinz einer Patriarchalkirche hervorzuheben, so 7 >> .. . a Consilio Hierarcharum ad normam iuris adiutuS>Conventus eparchialis adiutricem praestat operam Episcopo eparchlall ...Solus est in conventu eparchlall legislator Episcopus eparchialis ceteris tantum suffragium consultivum habentibus.« Außerdem ist es bemerkenswert, das der Begriff >>Consilium>ConventuS>Consilium« den Eindruck einer ständigen Einrichtung hinterlassen könnte; vgl. hierzu I. ZUZEK, Canones de Synodo (Anm. 2) 24 f. 8 Die Rechtsetzungsvollmacht des Hierarchenrates hat normierten Charakter; das heißt: sie erstreckt sich auf alle jene Fälle, die das allgemeine Recht ausdrücklich ihr oder allgemein der partikularrechtliehen Regelung der Kirche eigenen Rechts zuweist (c. 167 § 1); vgl. z. B. einerseits cc. 709 § 2, 760 § 1; anderseits cc. 327, 707. 9 Vgl. c. 984 CCEO und c. 134 CIC. 10 Vgl. cc. 245 ff.

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hätten sich angemessenere Lösungsmöglichkeiten angeboten. In der Metropolitankirche eigenen Rechts hätte man von der Metropolitansynode11, in der Kirchenprovinz der Patriarchalkirche dagegen von der Provinzialsynode sprechen sollen. Dies wäre eine sachlich angemessene und zugleich unverwechselbare Bezeichnung, weil für die autonome Metropolitankirche eine Untergliederung in Kirchenprovinzen nicht vorgesehen ist.

3. Synodus Episcoporum Ecclesiae patriarchalis/archiepiscopalis maioris Im übrigen ist die Bezeichnung »Synodus Episcoporum Ecclesiae patriarchalis« und erst recht »Synodus Episcoporum Ecclesiae archiepiscopalis maioris« sowohl langatmig wie ein wenig irreführend. Der Anklang an die begrifflich längst etablierte römische Bischofssynode ist unüberhörbar; diese hat aber einen ganz anderen Charakter. Wenn man den vom MP Cleri Sanctitati überkommenen Begriff »Synodus patriarchalis« vermeiden wollte, um die Synode nicht als ein Instrument des Patriarchen, sondern der Patriarchalkirche erscheinen zu lassen12, so hätte man - ein wenig schlichter von der »Synodus Ecclesiae patriarchalis«, der Patriarchalkirchensynode, und entsprechend von der Archiepiskopalkirchensynode sprechen können. Das ausschlaggebende Argument überzeugt aber auch deshalb nicht, weil offenbar keine Bedenken bestanden haben, schlicht vom »conventus patriarchalis« zu sprechen, obwohl doch auch dieser nicht ein Instrument des Patriarchen, sondern ein Organ der Patriarchalkirche ist und deshalb konsequent >>conventus Ecclesiae patriarchalis« hätte genannt werden müssen. Zwar ist die Bezeichnung »Bischofssynode der Patriarchalkirche« sachlich zutreffend, doch wird im folgenden, wenn diese gemeint ist, aus praktischen Gründen an der überkommenen Bezeichnung festgehalten und schlicht von der Patriarchatsynode gesprochen.

11 In der Terminologie des CCEO: »Synodus Episcoporum Ecclesiae Metropolitanae sui iuris«. 12 Vgl. die kritischen Bemerkungen von I. ZuZEK, Canones de Synodo (Anrn. 2) 24.

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2. Leitsatz:

Römische Bischofssynode und Kardinalskollegium werden nur kursorisch angesprochen. Zwei gesamtkirchliche Organe, an denen die Orientalischen Kirchen beteiligt sind, finden nur beiläufige Erwähnung: Die römische Bischofssynode und das Kardinalskollegium. Während der CIC beiden Einrichtungen je ein eigenes Kapitel widmet, beschränkt sich der CCEO darauf, in c. 46 eine allgemeine Rahmenbestimmung zu formulieren, in der außerdem auf andersartige Einrichtungen wie die römische Kurie, die päpstlichen Gesandten und andere Personen und Institute verwiesen wird13, die im Namen und in der Autorität des Papstes die ihnen übertragenen Aufgaben zum Wohl aller Kirchen gemäß vom Papst erlassenen Normen erfüllen (§ 1). Auf diese Weise ist das orientalische Gesetzbuch einerseits stark entlastet; anderseits erscheinen die genannten Einrichtungen als für das orientalische Rechtsleben der Kirche praktisch weniger bedeutsam. Wohl um diesem Eindruck wenigstens hinsichtlich der römischen Bischofssynode entgegenzuwirken, wird bezüglich der Teilnahme der Patriarchen und der übrigen Vorsteher von Kirchen eigenen Rechts an der römischen Bischofssynode noch einmal eigens auf das Spezialgesetz verwiesen (§ 2). Damit wird der Unterschied zum Kardinalskollegium jedoch um so deutlicher. Gewiß enthält auch der CIC eine Reihe von Bestimmungen über das Kardinalskollegium, die im allgemeinen Gesetzbuch der Kirche nichts zu suchen haben14. Darüber hinaus ist es aus historischen Gründen verständlich, daß die Orientalen an diesem Kollegium nur ein geringes rechtliches Interesse zeigen, obwohl das MP Cleri Sanctitati einen entsprechenden Abschnitt hatte (cann.175-187 CS)15• Gleichwohl muß man fragen, ob es 13 In dem SchemaCCEO von 1986 (Nuntia 24/25 [1987] 1-278) hat es keinerlei direkte Bezugnahme gegeben. 14 Vgl. z. B. c. 350 §§ 5 und 6, cc. 352,354-358. 15 Mit Bezug auf die zur Kardinalswürde erhobenen Orientalen waren der kodikarischen Bestimmung »Cardinales hbere a Romano Pontifice ex toto terrarum orbe eliguntur ...« (can. 232 § 1 CIC/1917) die Worte eingefUgt worden: »et ex quocumque ritu« (can.1n § 1 CS); den sonst weithin dem CIC/1917 entnommenen Canones (cann. 230-241) war die Bestimmung hinzugefUgt worden: »Ürientales ad dignitatem cardinalitiam promoti proprium retinent ritum. Privilegiis autem Cardinalium utentes ab iis abstineant quae cum suo ritu non conveniant« ( can. 180). Diese Linie fortführend hat PAPSr PAUL VI. im MP Ad purpuratorum Patrum vom 19. Februar 1965 (AAS 57 [1965] 295 f.) angeordnet, daß orientalische Patriarchen, die ins Kar-

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nicht an der Zeit wäre, die inzwischen erfolgte Entwicklung des Kardinalskollegiums und seine praktische Bedeutung für die gesamte Kirche neu zu werten. Es ist nicht zu übersehen, daß das Kardinalskollegium - vor allem als Papstwahlsynode16, aber auch in der Wiederbelebung der Konsistorien17 - eine gesamtkirchlich-synodale Einrichtung von großem Gewicht geworden ist. Für die weitere Entwicklung könnte es aus ekklesiologischen Gründen wünschenswert sein, wenn zwischen dem Papst und den orientalischen Patriarchatskirchen Einigkeit darüber erzielt würde, daß die Patriarchen im Gegensatz zu den übrigen Mitgliedern dieses Kollegiums - geborene Mitglieder des Kardinalskollegiums werden. Im Hinblick auf die ökumenische Wirkung gebührte den orientalischen Patriarchen der Platz vor den suburbikarischen Bischöfen. Die Zurückhaltung gegenüber der römischen Bischofssynode ist möglicherweise auch in terminologischen Schwierigkeiten mitbegründet, denn im übrigen bezeichnet »synodus« im CCEO stets hierarchische Kollegialorgane. Diese Schwierigkeiten hätten in der Tat nur beseitigt werden können, wenn schon im CIC der Begriff >>Bischofssynode« zugunsten etwa der Bezeichnung »Bischofsrat«18 oder »Bischofskonvent>Coetus seu Consilium« die Rede; vgl. Entwurf des Dekretes »De pastorali Episcoporum munere in Ecclesia« (n. 5); siehe hierzu K. MöRSOORF: LThKVatll, ll 163 f.; PAPST PAUL VI. hat diesem allgemein gewünschten »Bischofsrat« in dem MP Apostolica sollicitudo vom 15. September 1965 die Bezeichnung »Synodus Episcoporum« gegeben. Diese Bezeichnung war gemäß der lateinischen rechtssprachlichen Tradition durchaus angemessen.

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3. Leitsatz:

Der ekk.lesiologische Ort der synodalen Strukturen

in der »Communio Ecclesiarum« wird deutlicher als

im lateinischen Recht.

Noch klarer als das Recht der Lateinischen Kirche läßt der CCEO die synodalen Strukturen als Instrument der »Communio Ecclesiarum« erscheinen19. Das heißt: Synode wird verstanden als Organ des Zusammenwirkens und der Integration von Teilkirchen, nicht aber als Organ in der einzelnen Teilkirche. Diese Tatsache wird vor allem rechtssprachlich zum Ausdruck gebracht und hat schon Tradition. Im lateinischen Bereich werden traditionell die Begriffe »Concilium« und »Synodus« gebraucht, allerdings auch hier nicht beliebig, sondern zur unterschiedlichen Bezeichnung verschiedenartiger Kirchenversammlungen: »Concilium« bezeichnet hier die mit hoheitlicher Vollmacht ausgestatteten Versammlungen im Hinblick auf eine Mehrzahl von Teilkirchen, ist also Organ der »Communio Ecclesiarum«. Dem steht traditionell die »dioecesana synodus« als Beratungsorgan des Diözesanbischofs gegenüber; seit den Zeiten des II. Vatikanischen Konzils ist die »Synodus Episcoporum« als Beratungsorgan hauptsächlich des Papstes hinzugekommen. »Synodus« bezeichnet also im lateinischen Recht bestimmte Beratungsorgane, und zwar ohne Rücksicht auf den ekklesiologischen Unterschied, der sich aus dem überdiözesanen oder dem innerdiözesanen Ort ergibt. In sich ist diese lateinische Tradition durchaus schlüssig. Bedenken müssen indessen hiergegen deshalb erwachsen, weil sie angesichts der orientalischen Tradition zu einer ekklesiologischen Begriffsverwirrung beitragen kann, denn traditionell bezeichnet das orientalische Recht jene Versammlungen als »Synodus«, die das lateinische Recht als »Concilium« bezeichnet. Das orientalische Recht hat aber darauf verzichtet, die Verwirrung vollkommen zu machen und die im lateinischen Recht »Synodus« genannten Einrichtungen nun seinerseits »Concilium« zu nennen. Im MP Cleri Sanctitati kam der Begriff »Concilium« nicht vor. Um der rechtssprachlichen Einheit willen hat der Gesetzgeber des CCEO die frühere »Oecumenica Synodus« (cann. 167-174 CS) nunmehr in »Concilium Oecumenicum« umbenannt (cc. 50-54). Die sog. Diözesansynode hieß schon im 19 Vgl. W. AYMANS, Synodalität - ordentliche oder außerordentliche Leitungsform in der Kirche, oben S. 173 -176.

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MP Cleri Sanctitati »Conventus eparchialis« (cann. 422-428 CS); daranhat der CCEO festgehalten (cc. 235-242). Damit trägt das orientalische Recht besser als das lateinische der Tatsache Rechnung, daß »Synodus« und »Concilium« gemäß der altkirchlichen Tradition dieselbe Sache bezeichnen20. Demgegenüber ist die Diözesansynode eine andere Sache21 .

4. Leitsatz: Die Synoden sind rituskirchlich gebundene hierarchische Organe des bischößich-kollegialen Elementes. Die Synoden sind bischöffiche Kollegialorgane und - sieht man von den gesamtkirchlichen Synodaleinrichtungen ab - an die jeweilige Kirche eigenen Rechts gebunden.

I. Die Synoden als bischöflich-kollegiale Organe22 Die Synoden sind Organe, in denen die zugehörigen Bischöfe im Rahmen der jeweiligen synodalen Kompetenz durch Beratung und Beschlußfassung kollegial handeln. Teilnahmerecht im Sinne der Mitgliedschaft besteht nur 20 Des näheren vgl. A. LUMPE, Zur Geschichte der Wörter Concilium und Synodus in der antiken christlichen Latinität: AnHistConc 2 {1970) 1-21, bes. 6 f.; ferner DERS., Zur Geschichte des Wortes »synodos« in der antiken christlichen Gräzität: AnHistConc 6 (1974) 40-53. 21 GEOROE Plm.J..n>s, der eine eigene Schrift über die Diözesansynode verfaßt hat (Freiburg 1849), sagt über sie in seinem »Kirchenrecht«: »Ohnehin gehören sie nur der inneren Verwaltung der einzelnen Diöcesen an und haben nicht den eigentlichen Charakter eines Conciliums ...« (Kirchenrecht ll, Regensburg 31857 [Nachdruck: Graz 1959] 270). Die Bezeichnung »synodus dioecesana« scheint erst im 13. und 14. Jahrhundert üblich geworden zu sein; vgl. P. HINSCHIUs, Das Kirchenrecht der Katholiken und Protestanten in Deutschland, ill, Berlin 1883 (Nachdruck: Graz 1959) 591. Der Sache nach findet sich erstmals eine Bestimmung über sie im Jahre 585 auf dem Konzil von Auxerre {HINSCHIUS, ebd. 583); jedoch erst vom 9. Jahrhundert an erlangte sie den Charakter einer kanonischen Institution; vgl. W. M. PLOcHL, Geschichte des Kirchenrechts, I, Wien / München 21960, 343. 22 Vgl. W. AYMANS, Synodalität - ordentliche oder außerordentliche Leitungsform in der Kirche, oben S. 176 -178. 14 Aymans

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für die geweihten Bischöfe (»omnes et soli Episcopi ordinati«23). Damit wird eine Linie verstärkt, die schon in dem MP Cleri Sanctitati enthalten war: Schon für das Gesetz von 1957 stand die Übernahme der Jurisdiktion erst mit dem Empfang der Bischofsweihe fest ( can. 396 § 2 n. 1 CS). Daraus sind allerdings nicht alle Schlußfolgerungen gezogen worden, denn für die Wahlsynode war vorgesehen, daß der rechtmäßig gewählte und bestätigte Bischof schon vor Empfang der Bischofsweihe zur Synode zu laden war24• Diese Linie entsprach der Regelung, wie sie zu jener Zeit rechtlich auch für das Ökumenische Konzil vorgesehen war25• In dieser Hinsicht hat das II. Vatikanische Konzil mit seiner Betonung der Einheit der Kirchengewalt auf beide Gesetzbücher eine wohltuende Wirkung ausgeübt. Im CCEO ist die Identität von bischöflich-kollegialem und synodalem Element noch dadurch zugespitzt worden, daß die orientalischen Synoden samt und sonders reine Bischofsversammlungen sind. Darauf ist später noch zurückzukommen.

II. Die rituskirchliche Bindung der orientalischen Synoden Das MP Cleri Sanctitati kannte eine gemeinsame Synode mehrerer Riten (can. 340 § 3 CS), für deren Durchführung es der Erlaubnis des Papstes bedurfte und die unter der Leitung eines päpstlichen Legaten stand. Mit Rücksicht auf die vom II. Vatikanischen Konzil betonte rechtliche Autonomie einer jeden Kirche eigenen Rechts ist der CCEO von diesem Konzept abgegangen. Um den praktischen Bedürfnissen zu entsprechen, die in einer Nation oder Region durch die parallele Existenz verschiedener autonomer Kirchen entstehen, ist die Möglichkeit von Hierarchenkonventen mehrerer Kirchen eigenen Rechts vorgesehen ( c. 322). Der Gesetzgeber sagt nicht ausdrücklich, wer für die Einrichtung eines solchen Konventes zuständig ist. Sie wird einerseits von dem Urteil des Apostolischen Stuhles abhängig gemacht; anderseits wird dem Konvent der betreffenden Hierarchen ein autonomes Satzungsrecht zuerkannt. Die Statuten bedürfen zu ihrer Rechtswirksamkeit 23 Ce. 102 § 1, 164 § 1. Nebenher muß es begrüßt werden, daß auch die Bischofsweihe als ))ordinatio« (vgl. cc. 745, 746 CCEO) und nicht als »consecratio« (vgl. cc.1013, 1014 CIC) bezeichnet wird. So kommt die Einheit des Weihesakramentes besser zum Ausdruck. Im übrigen entspricht diese Terminologie dem Wortgebrauch, der schon im MP Cleri Sanctitati üblich war (vgl. z. B. can. 396 es). 24 Vgl. can. 224 § 1 es. Zu dem Problem siehe W. AYMANs, Das synodale Element in der Kirchenverfassung, München 1970, 82 f. zs Vgl. can. 223 § 1 n. 2 CICI 1917,. can. 168 § 1 n. 2 es.

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der Genehmigung durch den Apostolischen Stuhl (»approbari debent«, § 4). Eine Besonderheit darf man darin erblicken, daß dem Satzungsgeber der gesetzliche Auftrag erteilt wird, nach Möglichkeit die Teilnahme sogar von nichtkatholischen Hierarchen zu fördern.

5. Leitsatz: In der Patriarchalldrehe hat eine Konzentration auf die Patriarchalsynode mit Ausrichtung auf alle drei Gewaltfunktionen stattgefunden. Gemäß dem MP Cleri Sanctitati mußten auf der Ebene der Patriarchatskirche drei Synoden unterschieden werden: Die Patriarchalsynode, die Wahlsynode und die Ständige Synode. Außer den ausdrücklich zugewiesenen Aufgaben hatte die Patriarchalsynode eine allgemeine Kompetenz von der Art (can. 349 CS), wie sie der CIC/1917 wörtlich den Partikularkonzilien zugeschrieben hatte (can. 290 CIC/1917)26• Von der Patriarchalsynode zu unterscheiden war die etwas anders zusammengesetzte27 Patriarchenwahlsynode (cann. 221-239 CS); mit ihr identisch war die Bischofswahlsynode (cann. 251-254, bes. 252 § 2 n.l), doch blieb gesetzgeberisch deren Einordnung unter die Rechte und Pflichten des Patriarchen zu bemängeln. Der sog. Ständigen Synode als Einrichtung der Patriarchatkurie waren wichtige Auf:iaben im Bereich der Verwaltung und der Rechtsprechung übertragen ; in bestimmten Streitsachen von Bischöfen war der Patriarch allein der Richter29• 26 »Patres ... congregati studiose inquirant ac decernant, quae ad fidei incrementum, ad moderandos mores, ad corrigendos abusus, ad controversias componendas, ad unam eandemque disciplinam servandam vel inducendam, opportuna fore pro suo cuiusque territorio videantur.« 27 Vgl. Patriarchalsynode: »Episcopi ceterique Hierarchae, Patriarchae vel Archiepiscopo subiecti, conveniunt in Synodum patriarchalem vel archiepiscopalem« (can. 340 § 1 CS); Wahlsynode: »In electione Patriarchae voce activa fruuntur omnes et soli eiusdem patriarchatus Episcopi, etiam titulares, legitime electi atque confrrmati, etsi episcopali charactere non aucti, ...« ( can. 224 § 1 CS). Zum Begriff »Hierarcha« vgl. MP De verborum significatione can. 306 § 2; der Begriff kommt inhaltlich dem des »Ordinarius« gleich. 28 Vgl. cann. 287-296 es und cann. 17-21, 86-89 SN(= MP Sollicitudinem Nostram). Die in SN immer wieder vetwendete Formulierung »Patriarcha cum 14*

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Im CCEO kann man eine deutliche Konzentration der Aufgabenstellung auf die Patriarchalsynode feststellen. Als Schlüsselbestimmung ist c. 110 anzusehen. Danach ist die Synode exklusiv das Gesetzgebungsorgan der Patriarchalkirche (§ 1), ist höchstes Gericht im Patriarchatsgebiet (§ 2), ist Wahlsynode für Patriarch und Bischöfe (§ 3) und außerdem für jene Verwaltungsakte zuständig, die ihr im allgemeinen Recht oder durch den Patriarchen zugewiesen sind (§ 4). Die Ständige Synode, die aus dem Patriarchen als Präses und vier auf fünf Jahre bestellten Bischöfen besteht (c.115 § 1), hat- sieht man von wenigen Zustindigkeiten in der Gerichtsverwaltung ab30 - ihre Kompetenzen im Gerichtswesen verloren, so daß sie nur mehr auf die Mitwirkung in der Verwaltung der Patriarchatskirche beschränkt ist. Die Kompetenzen der sog. Metropolitansynode (Provinzialsynode in der Patriarchalkirche) sind gemeinrechtlich nicht näher umschrieben. Dies zu tun ist Aufgabe der übergeordneten Patriachalsynode; diese hat sich dabei an dem rechtmäßigen Gewohnheitsrecht der eigenen Kirche sowie an den zeitlichen und örtlichen Umständen auszurichten (c.137). Im übrigen kann hier darauf verzichtet werden, die hochbedeutsame Wahlfunktion der Patriarchalsynode näher ins Auge zu fassen, und auch die Besonderheiten in der Reichweite der Synodalhoheit kann hier unberücksichtigt bleiben. Für beide Themen sind eigene Referate vorgesehen. Statt dessen seien im folgenden Leitsatz einige andere Gesichtspunkte wenigstens kurz angesprochen.

Synodo permanenti« ist unzutreffend, weil gemäß can. 289 § 1 CS der Patriarch als Präses der Ständigen Synode angehört. 29 Vgl. can. 18 § 3 SN. 30 Zustimmungsrecht bei der Bestellung von Ersatzrichtern (c. 1062 § 2, 2. und 3. Teilsatz), bei der Ernennung des Gerichtspersonals flir das ordentliche Gericht der Patriarchatskirche (c. 1063). Recht auf Gehör vor der Erlaubnis zur Ernennung eines Laienrichters im Eparchlaigericht (c. 1087 § 2).

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6. Leitsatz:

Die über den Charakter eines gewöhnlichen Teilkirchenverbandes hinausgehende Autonomie einer Kirche eigenen Rechts zeigt sich auch in der größeren formalen Eigenständigkeil bei der synodalen Normsetzung. I. Autonome Kirchen und Teilkirchenverbände Die Kirchen eigenen Rechts sind im Vedassungsgefüge der katholischen Kirche Teilkirchenverbände. Diese Tatsache verbindet sie mit den Teilkirchenverbänden der Lateinischen Kirche, vor allem mit dem Plenarverband auf der Ebene der Bischofskonferenz, aber auch mit dem Provinzialverband. Ihrer ekklesiologischen und rechtlichen Qualität nach sind sie aber mehr als diese, weil die lateinischen Teilkirchenverbände verfassungsrechtliche Gliedgemeinschaften innerhalb der lateinischen Rituskirche sind, während insofern die autonomen Orientalischen Kirchen der Lateinischen Kirche als ganzer an die Seite treten. Dieser höhere Rang der orientalischen Autonomie findet auch in der rechtlichen Ausgestaltung des synodalen Elementes seinen Ausdruck. Hierzu sei auf die rigorosere Anwendung des Mehrheitsprinzips und auf die größere Eigenständigkeit in der Gesetzgebung verwiesen.

II. Das Mehrheitsprinzip Die rigorosere Anwendung des Mehrheitsprinzips ergibt sich vor allem aus dem Vergleich mit der lateinischen Bischofskonferenz. Deren Allgemeindekrete, die ohnehin bloß in dem eng begrenzten Rahmen ihrer normierten Kompetenz möglich sind, erlangen nur dann Rechtskraft, wenn sie eine Zweidrittelmehrheit der stimmberechtigten Mitglieder gefunden haben (c. 455 § 1 CIC). Für den kanonischen Charakter der Patriarchatsynode ist gemeinrechtlich die Anwesenheit der überhälftigen Mehrheit der zur Teilnahme Verpflichteten erforderlich (c. 107 § 1). Wenn die Synode in ihrem Eigenrecht nicht höhere Anforderungen für ihre Sachentscheide beschlossen hat (c. 107 § 2), erlangen diese Rechtsverbindlichkeit durch die absolute Mehrheit der Anwesenden; bei Stimmengleichheit entscheidet der Patriarch (c. 924 n. 1)31• 31 Hinsichtlich der ähnlichen Regelung für den Hierarchenrat in der autonomen Metropolitankirche vgl. c. 166. Dagegen hat bezüglich der Provinzialsynode (Metro-

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Rechtsverbindliche Gesetzesbeschlüsse bedürfen also kraft allgemeinen Rechtes bei der Patriarchatsynode einer entschieden geringeren Mehrheit als bei der Bischofskonferenz. Insofern steht also bei der Patriarchatsynode die Funktionsfähigkeit, bei der Bischofskonferenz dagegen der Einigungsdruck im Vordergrund des gesetzgeberischen Interesses. Man muß allerdings zugeben, daß in dieser Hinsicht für die lateinischen Partikularkonzilien gemeinrechtlich noch weniger Vorsorge getroffen zu sein scheint; es gibt keine unmittelbare Norm darüber, welches Teilnahmequorum für den kanonischen Charakter des Partikularkonzils erforderlich ist. Bei strikter Interpretation wird man indessen davon ausgehen müssen, daß für die Partikularkonzilien c. 119 CIC einschlägig ist; demnach ist für rechtsverbindliche kollegiale Sachentscheide die Anwesenheit der überhälftigen Mehrheit der Teilnahmeberechtigten erforderlich, die mit absoluter Mehrheit verbindlich beschließen können32. So verstanden entspricht die Regelung für die lateinischen Partikularkonzile derjenigen für die Patriarchalsynode. Dennoch kommt der orientalischen Regelung das weitaus größere Gewicht zu, weil sie sich im Gegensatz zur lateinischen mit einer regelmäßigen Synodaleinrichtung verbindet.

ßl. Die Eigenständigkeit Bezeichnender ist jedoch der Unterschied, der sich aus der größeren Eigenständigkeit in der Gesetzgebung der Patriarchatsynode ergibt. In der Lateinischen Kirche bedürfen sowohl die Beschlüsse zu Allgemeindekreten der Bischofskonferenz ( c. 455 § 2 CIC) als auch die Dekrete der Partikularkonzilien ( c. 446 CIC) vor ihrer Promulgation der Überprüfung (»recognitio«) durch den Apostolischen Stuhl. Dagegen sind die Akten über Gesetze und andere Sachentscheide der Patriarchatsynode dem Papst nur mitzuteilen (»mittantur«). Wenn dies auch »quam primum« zu geschehen hat politansynode innerhalb der Patriarchatskirche) die Patriarchalsynode nähere Be.. stirnmungen zu treffen ( c. 137). 32 Hinsichtlich der Partikularkonzilien bleiben einige schwierige Interpretationsfragen: 1. Schließt die Kompetenz der Bischofskonferenz zum Erlaß des »ordo agendi« fUr das Plenarkonzil gemäß c. 441 n. 4 CIC die Zuständigkeit fUr die Festle.. gung der erforderlichen Mehrheiten mit ein, und zwar angesichts der Tatsache, daß die Vorschriften von c. 119 CIC nur anderslautenden Bestimmungen, die »iure vel statutis« festgelegt sind, weichen? 2. Dieselbe Frage ergibt sich hinsichtlich der Zuständigkeit des Metropoliten gemäß c. 442 n. 3 CIC.

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(c. 111 § 3), so steht dies doch in keinem rechtlichen Zusammenhang mit der Promulgation. Es findet also - jedenfalls in ordentlicher Weise - keinerlei rechtliche Mitwirkung des Apostolischen Stuhles statt, vielmehr besteht gegenüber dem Papst eine Informationspflicht; diese wird ergänzt durch eine Informationsempfehlung hinsichtlich der übrigen orientalischen Patriarchen ( c. 111 § 3). Eine interessante Variante dieser Informationspflicht enthält der CCEO bezüglich der Metropolitankirche eigenen Rechts. Über die vom Hierarchenrat erlassenen Gesetze und sonstigen Rechtsnormen hat der Metropolit den Apostolischen Stuhl umgehend zu informieren, und die rechtswirksame Promulgation kann erst erfolgen, wenn der Metropolit seinerseits eine Empfangsbestätigung durch den Apostolischen Stuhl erhalten hat (c. 167 § 2).

7. Leitsatz:

Der Patriarchat- und der Großerzbischofskirche kommt unter den autonomen Kirchen ein herausgehobener Rang zu; dieser findet auch in dem synodalen Bischofswahlrecht und in der Gerichtsfunktion der Patriarchatsynode Ausdruck. Zu dem synodalen Bischofswahlrecht muß hier nicht eigens Stellung genommen werden. Wohl aber sei angemerkt, daß ein solches Recht für den Hierarchenrat in der autonomen Metropolitankirche nicht besteht (vgl. c.168). Ähnlich verhält es sich im Hinblick auf die synodale Gerichtsfunktion. Die Patriarchalsynode ist oberstes Gericht im Patriarchatsgebiet (c. 1062 § 1) und als solche in erster Linie für einen wichtigen Akt der Gerichtsverwalt~3 zuständig; sie hat durch geheime Wahl aus den eigenen Reihen 33 Die Patriarchalsynode ist auch für die Errichtung eines gemeinsamen erstinstanzliehen Gerichtes mehrerer innerhalb des Patriarchatsgebietes gelegener Eparchien zuständig und verpflichtet, wenn diese je für sich zur Einrichtung eines solchen Gerichtes nicht in der Lage und willens sind (c. 1067 § 2); in diesem Fall hat die Synode auch über die Gerichtsherrenschaft zu entscheiden. Wenn die betreffenden Bischöfe von sich aus der Bildung eines gemeinsamen Gerichtes zustimmen, kann dieses vom Patriarchen allein errichtet werden (§ 1); dann bestimmen die betreffenden Eparchlaibischöfe selbst, ob sie gemeinsam oder ein von ihnen bestimmter Eparchlaibischof die Rolle des Gerichtsherrn wahrnehmen (§ 4).

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das oberste Gericht erster Instanz für Streitsachen von Eparchien und von Bischöfen zu bilden (§§ 2 und 3). Insoweit bedeutet die Neuordnung einen Machtverlust nicht nur der Ständigen Synode34, sondern auch des Patriarchen, weil dieser nicht mehr von Rechts wegen Präses dieser Gerichtsinstanz ist. Sofern der Papst den Fall nicht an sich zieht, ist die Patriarchalsynode als solche höchste Berufungsinstanz (§ 4). In jedem Fall will beachtet sein, daß die Gerichtsgewalt der Patriarchatsynode strikt an das Gebiet der betreffenden Patriarchalkirche gebunden ist.

8. Leitsatz:

Die rechtliche Stellung des Patriarchen in der Ständigen Synode bedarf näherer Klärung 35• Die Mitwirkung der Ständigen Synode besteht hauptsächlich - wenn nicht ausschließlich - in Beispruchsrechten zu bestimmten Akten des Patriarchen; sie wird vor allem durch die Formeln ,.Patriarcha de consensu/consilio Synodi permanentis« ausgedrückt. Dem Kanonisten wird in diesem Zusammenhang sogleich jene berühmte authentische Interpretation zu c. 127 § 1 CIC in den Sinn kommen, derzufolge ein Oberer, welcher der Zustimmung eines Kollegiums oder Personenkreises bedarf, hierbei selbst über kein Stimmrecht verfügt, und zwar nicht einmal zur Auflösung einer Stimmengleichheit36. 34 Vgl. cann.17, 18,20 und 86-89 SN.

35 Manche Hinweise verdanke ich dem Diskurs in meinem Doktoranden-Kolloquium. 36 Vgl. F. KALDE, Authentische Interpretationen zum Codex Iuris Canonici, Metten 1990, 13 und 34. Es will beachtet sein, daß die Anfrage sich nur auf jenen speziellen Fall bezieht, bei dem der an das Beispruchsrecht gebundene Obere zugleich derjenige ist, der das Kollegium oder den Personenkreis zusammenruft und die Abstimmung leitet. Die authentische Interpretation hat jedoch nicht alle Zweifel beseitigt. Es muß nämlich berücksichtigt werden, daß gemäß c. 127 § 1 der Obere und das beispruchsberechtigte Kollegium unterschieden werden und der Obere infolgedessen - wenigstens nicht ohne weiteres - als Mitglied dieses Kollegiums verstanden werden kann; in diesem Fall fungiert der Obere als technischer Organisator der Abstimmung eines Personenkreises, dem er selbst nicht angehört. Dies ist der Fall etwa bei dem Ordensrat gemäß c. 627 § 1, der als solcher von dem Oberen unterschieden wird. Hat demgegenüber das beispruchsberechtigte Kollegium seinen eigenen Vor-

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Das orientalische Gesetzbuch enthält keine ausdrückliche Bestimmung über das Stimmverhalten des Patriarchen als Präses der Ständigen Synode, wohl aber materiell die gleiche allgemeine Norm wie das lateinische Recht, nämlich in c. 934 § 137. Zunächst wird man hierzu feststellen müssen, daß die authentische Interpretation zu c. 127 CIC weder von selbst auch auf c. 934 CCEO anzuwenden ist, noch notwendigerweise im gleichen Sinne ausfallen muß, wenn eine eigene authentische Interpretation herbeigeführt wird. Die Allgemeinnorm ist nämlich nicht nur gleichsam in sich, gemäß der inneren Logik des Wortlautes, zu interpretieren, sondern im Kontext38; der Kontext wird g