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German Pages [288] Year 2005
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Studium Systematische Theologie
Band 3
Vandenhoeck & Ruprecht
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Gunther Wenz
Kirche Perspektiven reformatorischer Ekklesiologie in ökumenischer Absicht
Vandenhoeck & Ruprecht
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Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 3-525-56706-5
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Inhalt
Einleitung ...................................................................................................
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1. Konfessionsstreit und politische Ordnung ..........................................
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2. Kirchliche Vollmacht und staatliche Gewalt ........................................
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3. Grund, Wesensbestimmung und ekklesiologischer Begriff der Kirche .................................................................................................
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4. Die Verborgenheit der wahren Kirche, ihre Kennzeichen und das kirchliche Bekenntnis ..........................................................................
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5. Allgemeines Priestertum und ordinationsgebundenes Amt .................
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6. Der Dienst der Episkope ....................................................................
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7. Kritik am Papsttum bei Luther und Melanchthon .............................. 108 8. Die Confessio Augustana (Graeca) im ostkirchlichen Kontext ............ 119 9. Koinonia als ekklesiologische Leitkategorie des Ökumenischen Rates der Kirchen ......................................................................................... 138 10. Die Konvergenzerklärungen zu Taufe, Eucharistie und Amt ............... 153 11. Ökumene nach römisch-katholischem und evangelisch-lutherischem Verständnis ......................................................................................... 176 12. Kirchengemeinschaft im Sinne der Leuenberger Konkordie ............... 200 13. Der Kanon der Kirche ........................................................................ 215 14. Petrusdienst und Papstamt .................................................................. 234 15. Kirchliches Heiligengedächtnis ........................................................... 250 Epilog ......................................................................................................... 269 Register ....................................................................................................... 279
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Einleitung
Lit.: H. Bredekamp, Die Brüder und Nachkommen des Leviathan, in: Leviathan. Zeitschrift für Sozialwissenschaft 26 (1998), 159–183. – A. Grözinger/G. Pfleiderer/G. Vischer (Hg.), Protestantische Kirche und moderne Gesellschaft. Zur Interdependenz von Ekklesiologie und Gesellschaftstheorie in der Neuzeit, Zürich 2003. – Th. Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates. Hg. und eingel. v. I. Fetscher, Frankfurt a.M. 1966. – G. Pfleiderer/E. Stegemann (Hg.), Politische Religion. Geschichte und Gegenwart eines Problemfeldes, Zürich 2004. – G. Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. Eine historische und systematische Einführung in das Konkordienbuch, 2. Bde., Berlin/New York 1996/98. – Ders., Die Kirche als Gemeinschaft der Heiligen. Zum jüngsten Text der Bilateralen Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz und der Kirchenleitung der VELKD, in: KuD 47 (2001), 42–66.
Ein Krokodil ist in der ökumenischen Einheitsübersetzung aus dem alttestamentlichen Levia- Hobbes’ Leviathan than (vgl. Hiob 40,25 – 41,26) geworden, wie man denn zuvor schon den schrecklichen Behemot (vgl. Hiob 40,15–24) zum Nilpferd entmythologisierte. Das mag seine philologische Richtigkeit haben; rezeptionsgeschichtlich geurteilt ist die Übersetzung gleichwohl ein Fehlgriff. Schon der Septuaginta, der griechischen Übersetzung des Alten Testaments, galt das gewundene Untier von Hiob 40,25 als ein ungeheuerlicher Drache, während die Vulgata auf eine lateinische Übersetzung verzichtete und das hebräische „leviathan“ beibehielt, um mit den Versen zu schließen: „Non est super terram potestas, quae comparetur ei, qui factus est, ut nullum timeret. Omne sublime videt: Ipse est rex super universos filios superbiae.“ „Keine Macht ist auf Erden, die ihm zu vergleichen ist.“ (Hiob 41,24 Vulg.) So steht es auf Lateinisch am oberen Bildrand des Frontispiz der 1651 erschienenen Erstauflage von Thomas Hobbes’ „Leviathan, Or The Matter, Forme and Power of A Commenwealth Ecclesiastical and Civil“ geschrieben. Die lateinische Fassung des „Leviathan“, die mit der englischen Version im Wesentlichen übereinstimmt, ohne jedoch eine streng wörtliche Übersetzung zu sein, erschien 1668 im Rahmen einer Sammlung der lateinischen Schriften von Hobbes und zwei Jahre später als Separatdruck. Nun ist es der Staat, der mit Leviathan verglichen wird und als dessen aktuelle Verkörperung gilt. Dargestellt ist er auf dem Frontispiz allerdings nicht als tierisches Monstrum, sondern als menschlicher Riese, um auf diese Weise den Doppelcharakter des Staatskörpers deutlich zu machen: dieser ist menschlicher
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Herkunft und durch Menschen zustandegebracht und zugleich von übermenschlicher Größe, welche jeden einzelnen Menschen überragt und ihn zu gehorsamer Unterwerfung zwingt. Der gekrönte Gigant hält in der Rechten ein erhobenes Schwert und in der Linken den Bischofsstab. Letzterer wurde später in einer veränderten Ikonographie gegen die Waage als Symbol des Rechts ausgetauscht, was auf eine Entschärfung der ursprünglichen Konzeption hinausläuft, derzufolge weltliche und geistliche Gewalt von der durch den Staatsriesen vorgestellten Autorität des Souveräns ausgehen. Interessant ist es des Weiteren, die BinnendiffeMortal God renzierung des „Mortal God“, dessen Machtentfaltung alle irdischen Schranken transzendiert, genauer ins Auge zu fassen: „Obwohl seine rechte Hand nur einen Durchmesser von 12 mm aufweist, birgt sie eine Ansammlung von Menschen, die mit zwei schemenhaft sich abzeichnenden Gestalten des Daumenballens beginnt. Die dicht an dicht gedrängten Personen füllen beide Gliedmaßen sowie auch den gesamten Rumpf aus, um erst im Halsbereich, in der verschatteten Zone unterhalb des Kinnes zu verschwinden ... Der Blick, den die Menschen von allen Standorten aus auf den Kopf des Riesen richten, kehrt über dessen Augen zum Betrachter zurück. Dieses Wechselspiel der Ausrichtungen und der Blicke hat seine Brisanz darin, daß sich der Betrachter zwar in die Rückenfiguren einzureihen wähnt, andererseits aber auf Augenhöhe des Souveräns mit diesem auf dessen Ebene kommuniziert. Indem er sowohl als Bestandteil wie auch als Gegenüber des Souveräns auftritt, vermitteln sich zwischen dem Riesen und dem Betrachter die Ansprüche der Unterwerfung, aber auch der Egalität. Der Doppelcharakter des Staatskörpers, von den Menschen geschaffen und deren Objekt zu sein, nach Erschaffung aber solange Gehorsam verlangen zu können, als die Bürger durch ihn geschützt werden, vollendet sich im Auge des Betrachters.“ (Bredekamp, 163f.) Thomas Hobbes (1588–1679), der Autor des „Leviathan“ und Theoretiker des europäischen Hochabsolutismus, war in seinem politischen Denken elementar durch die Erfahrung der englischen und kontinentalen Konfessionskriege bestimmt. Sie veranlasste ihn dazu, die Staatsgewalt als eine von den streitenden Religionsparteien unabhängige und ihnen übergeordnete Macht mit schiedsrichterlicher Befugnis zu bestimmen. Die „Staatsraison“ wird zur Leitkategorie der politischen Systematik. Die Autorität des von den Antagonismen der Konfessionen abgehobenen Staates, welchen ein Souverän von unbedingter Vollmacht repräsentiert, duldet keine Begrenzung oder Teilung, soll der Bürgerkrieg vermieden und der schließliche Kampf aller gegen alle verhindert werden. Kurzum: Die souveräne Gewalt in einem funktionsgerecht geordneten Staat muss absolut sein. Zu einem ähnlichen Ergebnis hatte bereits die Souveränitätstheorie Jean Bodins (1520–1596) geführt. Dass die Legitimation absoluter Staatsgewalt prakTheorie des Absolutismus tisch auf den despotischen Machtstaat hinausläuft, zumindest gegen diese Konsequenz system-
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intern nicht geschützt ist, hängt wesentlich damit zusammen, dass der Souverän nach Hobbes auch Herr der Religion zu sein beansprucht, jedenfalls sofern diese in irgendeiner Weise öffentlich wird. Die Verstaatlichung der Religion und damit des Transzendenzbezugs der Staatsuntertanen ist der eigentliche Grund für die Totalisierung des Staates. Die staatliche Gleichschaltung der Religion, die stets ein Indiz des Totalitären ist, war bei Hobbes veranlasst durch eine politische Lage, in der sich Glaubensgemeinschaften und kirchliche Denominationen als Bürgerkriegsparteien gegenüberstanden. Um die durch Behemoth versinnbildlichte Ungeheuerlichkeit religiös motivierter Auflösung des zivilen Rechtsfriedens und eines Rückfalls in die permanente Revolution und die Anarchie des Naturzustandes, in dem der Mensch als des Menschen Wolf agiert, bannen zu können, sah er daher offenkundig kein anderes Mittel, als das Staatsungeheuer des Leviathan zu beschwören, um allgemeinen Mord und Totschlag zu verhindern. Drakonische Ordnung versus Chaosdrachen! Die Souveranitätskonzeption, wie Thomas Hobbes sie im Interesse der Zähmung religiöser Konfliktpotentiale und konfessionskirchlicher Antagonismen entwickelt hat, neigt zu einer Totalisierung des durch den Staat monopolisierten Politischen mit der Konsequenz, dass die Handlungen und Anordnungen des Souveräns allein deshalb legitim und strikt zu befolgen sind, weil sie von diesem getätigt und angeordnet wurden. Es gibt kein ziviles Heil außerhalb des souveränen Staates, und auch die Religion wird, wo sie öffentliche Gestalt annimmt, ganz und gar dessen Belangen untergeordnet. Die kirchliche Institution ist eine Erscheinungsform des politischen Körpers und als solche der staatlichen Souveränität subordiniert. Alle ekklesiologischen Reflexionen stehen unter dem Primat des Politischen, und die Frage liegt nahe, ob nicht schon bei Hobbes der Staat selbst kirchliche Funktion übernimmt und an die Stelle der Kirche tritt. Freilich wird der „Mortal God“ des Staates, so sehr sich in ihm die göttliche Allmacht abschattet, lediglich zu einem sterblichen Gott erklärt und in seinen Aufgaben auf das Diesseits beschränkt, nämlich auf die Wahrung und Förderung der äußeren Daseinsordnung. Dass der Hobbes’sche Absolutismus totalitär sei, wird man demnach nur unter Vorbehalten sagen können. Manifest totalitäre Gestalt nimmt der Staat allererst dort an, wo er die religiöse Transzendenz- Staatstotalitarismus dimension der Kirche usurpiert und die politische Herrschaft über den ganzen Menschen einschließlich von dessen Seele beansprucht. Unter dem ideologischen Schein politischer Religion ist solch staatlicher Totalitarismus im 20. Jahrhundert zu verheerender Wirkung gelangt. Waren es dereinst Religionsstreitigkeiten und konfessioneller Bürgerkrieg, deren notwendige Zähmung die Staatsmacht forciert auf den Plan rufen musste, so trat nicht erst mit dem totalen Staat, wie er im nationalsozialistischen Faschismus und in anderer Weise im Kommunismus stalinistischer Prägung proklamiert wurde, die Notwendigkeit einer religiös-kirchlichen Zähmung des Politischen zutage. Systematisch ergibt sich daraus die Forderung, das Verhältnis von Staat und Kirche nicht als ein
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Verhältnis einseitiger Dominanz, sondern als einen differenzierten Zusammenhang wechselseitiger Begrenzung zu bestimmen. Dass diese Forderung unter den Theorievoraussetzungen der Reformation erfüllt werden kann, wird in zwei Eingangsbeiträgen zu Konfessionsstreit und politischer Ordnung sowie zu kirchlicher Vollmacht und staatlicher Gewalt paradigmatisch aufgezeigt. Intendiert wird dabei ausschließlich die historische Exemplifizierung eines systematisch relevanten Sachverhalts, wohingegen eine Geschichte des Verhältnisses von Kirche und Staat in der nachreformatorischen Zeit und in der Zeit der Moderne auch nicht ansatzweise geboten werden kann und zwar weder unter staatskirchenrechtlichen Aspekten noch unter dem Gesichtspunkt konfessionsspezifischer Kirchenverfassungen. Nützliche Hinweise in dieser Hinsicht sind u.a. dem im Literaturverzeichnis benannten Sammelband (Grözinger, Pfleiderer, Vischer) über protestantische Kirchen und moderne Gesellschaft zu entnehmen, in dem die Interdependenz von Ekklesiologie und Gesellschaftstheorie in der Neuzeit eindringlich analysiert wird. Ergänzt werden diese Analysen durch Studien zur politisch-religiösen Semantik, die in dem ebenfalls im Literaturverzeichnis angegebenen Band „Politische Religion. Geschichte und Gegenwart eines Problemfelds“ gesammelt sind. In einem einleitenden Beitrag von Georg Pfleiderer (19–58) werden unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen historischen Kontextualität neben dem Leitbegriff der Politischen Religion als einer Demaskierungsformel des totalitär pervertierten modernen Staates u.a. Wendungen wie „Civil Religion“ als Suchformel für den Beitrag der Religion zur Persistenz demokratischer Gesellschaften oder „Fundamentalismus“ als religös-politischer Differenz- bzw. Indifferenzbegriff untersucht und einer genauen Bestimmung zugeführt. Der erstgenannte Aufsatzband bietet knappe Protestantische Kirche und Überblicksdarstellungen zu den unterschiedlimoderne Gesellschaft chen Versuchen der Kompetenzabgrenzung von Kirche und Staat, wie sie in der Epoche der Reformation und der altprotestantischen Orthodoxie unter presbyterial-synodalen Voraussetzungen und unter der Voraussetzung des landesherrlichen Kirchenregiments unternommen wurden. Kommt unter presbyterial-synodalen Voraussetzungen die Selbständigkeit des geistlichen Bereiches gegenüber den weltlichen in der Organisation der Kirche unmittelbar zu Darstellung, so differenzierte auch das verbreitete staats- bzw. landeskirchliche Modell nach Maßgabe reformatorischer Ekklesiologie zumindest theoretisch klar und eindeutig zwischen Funktionen der „potestas civilis“ und solchen, die in die Kompetenz der „potestas ecclesiastica“ fallen. Welche Folgen in diesem Zusammenhang der mit dem wachsenden Absolutismus einhergehende Übergang von dem für die lutherische Orthodoxie typischen Episkopalsystem zum Territorialsystem zeitigte, kommt ebenso in Betracht wie die vereinsrechtliche Entwicklung des Kirche-Staats-Verhältnisses im Kontext des Kollegialsystems. Darüber hinaus werden ausgewählte Studien zur gesteigerten Beziehungskomplexität von Staat und Kirche im politischen und theologischen Denken nament-
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lich des 19. und 20. Jahrhunderts geboten. Thematisiert wird die Interdependenz von Gesellschaftstheorie und Ekklesiologie bei Kant, in der Philosophie des Deutschen Idealismus und namentlich bei Schleiermacher, dessen Kritik am Staatskirchentum des aufgeklärten Absolutismus auf klare Unterscheidung von Staat und Kirche drängte, in deren alleinigen Zuständigkeitsbereich die Religion ihrem inneren Wesen nach gehöre. So wenig sich die Religion in Metaphysik und Moral aufheben lasse, so selbständig sei die Kirche dem Staat gegenüber. In Schleiermachers Religionsverständnis und Ekklesiologie reflektiert sich auf signifikante Weise der modernitätsspezifische Prozess gesellschaftlicher Ausdifferenzierung, der bis heute fortwährt und der Schleiermacher’schen Theorie eine dauerhafte Bedeutung sichert. Nur eine von fremdbestimmten Zwecken befreite Kirche kann ihre religiöse Funktion im Sozialsystem wahrnehmen und sich selbst eine Sozialgestalt und Ordnung geben, die dem Wesen der Religion gemäß und förderlich ist. Diese ekklesiologisch-religionstheoretische Grundannahme entspricht, so denke ich, den Maximen eines reformatorischen Verständnisses der Kirche in ihrem Verhältnis zum Staat weit mehr als ein Theorieprogramm sukzessiver kirchlicher Auflösung in den sittlichen Kulturstaat, wie es, wenngleich mit nicht unerheblichen Einschränkungen, von Richard Rothe vertreten wurde. Nach dem Ende des landesherrlichen Kirchenregiments konnte die von Schleiermacher geforderte Differenzierung von Kirche und Staat im Rahmen der Weimarer Reichsverfassung von 1919 klare Gestalt annehmen, wobei die Tatsache, dass die Kirchen damals wie später im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland nicht lediglich als Vereine des privaten, sondern als Körperschaften des öffentlichen Rechts angesehen wurden, mit reformatorischen Ekklesiologieprinzipien durchaus vereinbar ist. Dass eine solche Statuszuweisung im Interesse nicht nur der Kirche, sondern auch des Staates liegen kann und m.E. tatsächlich liegt, wird zum Schluss der angekündigten Eingangserwägungen zu kirchlicher Vollmacht und staatlicher Gewalt thematisiert. Die historische Brisanz der Frage liegt angesichts der für die Zeit nach Weimar kennzeichnenden Bestrebungen des nationalsozialistischen Führerstaats, die Kirchen entweder gleichzuschalten oder zu marginalisieren, auf der Hand. Nötigten die Antagonismen des konfessionalistischen Zeitalters und die verheerenden Desaster der Religionskriege dazu, die Macht der Kirche staatlich zu zähmen, so ergibt sich aus den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts nicht minder dringlich die Einsicht in die Notwendigkeit einer Zähmung der politischen Macht des Staates, die überall dort ins Totalitäre auszuarten droht, wo sie die Selbständigkeit des Religiösen und die Existenzberechtigung einer eigenständigen Kirche bestreitet. Dass in diesem Zusammenhang dann auch zwischen institutioneller Kirche und individueller Religiosität noch einmal zu unterscheiden ist, muss protestantischer Ekklesiologie nicht erst andemonstriert werden, da es zu ihren neuzeitlichen Grundprinzipien gehört. In den Erwägungen zur religiösen Lage der Gegenwart, mit welchen der Religionstraktat als erster Band dieser Reihe eingeleitet wurde, ist hierauf bereits explizit Bezug genommen worden. Gesagt wurde dabei allerdings
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auch, dass die Individualitätskultur protestantischer Religiosität unter gegenwärtigen Bedingungen Zukunftsaussichten nur im Verein mit einem verfassten evangelischen Kirchentum hat. Das ekklesiologische Selbstverständnis evangelischer Kirche und Ekklesiologie Kirche in Grundzügen zu entwickeln, ist Aufgabe der Abschnitte, die auf die beiden Eingangsstudien zum Verhältnis von „potestas ecclesiastica“ und „potestas civilis“ folgen. In Angriff genommen wird diese Aufgabe unter der Prämisse, dass in kirchlicher Hinsicht die im Reformationsjahrhundert vorgenommenen Weichenstellungen trotz und unbeschadet aller Wandlungen, die seither kirchen- und theologiegeschichtlich stattfanden, nach wie vor entscheidend und ekklesiologisch grundlegend sind. Wie elementar die neuzeitlichen Entwicklungen für das Kirchenverständnis auch sein mögen und tatsächlich sind: Dass es neben der orthodoxen nicht nur eine römisch-katholische Kirche, sondern auch Kirchen der Reformation gibt, ist ein im 16. Jahrhundert gesetztes Datum, ohne dass damit gesagt wäre, die reformatorischen Kirchen hätten ihrem ekklesiologischen Selbstverständnis gemäß erst damals ihren Anfang genommen. Dass nach Maßgabe des Lehrbegriffs, den eine evangelisch zu nennende Kirche von sich selbst hat, das Gegenteil der Fall ist, wird eigens zu zeigen sein und zwar auf der Basis desjenigen reformatorischen Bekenntnisses, das für die meisten der aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen bis heute verbindlich ist: der Confessio Augustana. Im Augsburgischen Bekenntnis haben die ReforDer Kirchenartikel der Conmationskirchen authentisch formuliert, wie sie fessio Augustana und die als Kirche theologisch verstanden werden wollen ökumenische Situation und sich selbst als Kirche verstehen. Es spricht daher nichts dagegen und alles dafür, CA VII zum Ausgangs- und ständigen Bezugspunkt ekklesiologischer Erörterungen im Kontext evangelischer Theologie zu wählen, wie das im vorliegenden Kirchentraktat geschieht. Dass dabei Voraussetzungen in Anspruch genommen werden, die weiterer Explikation bedürften, ist klar und bestätigt im Übrigen nur, dass der Unterschied von Fundamentaltheologie und Dogmatik systematisch geurteilt relativ ist. Primäres Ziel ist es, einen Grundkonsens reformatorischen Kirchenverständnisses zu artikulieren, der die erfolgte Aufhebung der Kirchentrennung im reformatorischen Lager, wie sie in der Leuenberger Konkordie von 1973 erfolgt ist, als ekklesiologisch plausibel und sinnvoll erscheinen lässt. Ökumenisch konstruktiv ist der in der Leuenberger Konkordie entwickelte reformatorische Begriff von Kirchengemeinschaft allerdings nur unter der Voraussetzung, dass er nicht auf eine bloße Alternative zur katholischen und orthodoxen Ekklesiologie abgestellt und darauf restringiert wird, protestantische Identität durch unvermittelte Gegensätze zu bestimmen. Deshalb werden der Würdigung seiner Bedeutung drei Kapitel vorgeschaltet, die dem für das Selbstverständnis des Ökumenischen Rates der Kirchen kennzeichnenden Koinonia-Konzept, den bislang publizitätswirksamsten Konvergenzerklärungen der ÖRK-Kommission für Glauben und Kirchenverfassung sowie einem Vergleich
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des römisch-katholischen und des evangelisch-lutherischen Ökumeneverständnisses gewidmet ist. Inhaltlich spezifiziert wird dieser Vergleich abschließend anhand dreier Themen, die im jüngsten Dokument der Bilateralen Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz und der Kirchenleitung der VELKD „Communio Sanctorum“ ausführlich behandelt wurden und von jeweils erheblicher Relevanz für die Ekklesiologie insgesamt sind: 1. Die Erkenntnis- und Bezeugungsinstanzen evangelischer Wahrheit unter besonderer Berücksichtigung der kanonischen Normativität der Heiligen Schrift; 2. Petrusdienst und Papstamt oder vom Dienst an der Einheit der Kirche auf universaler Ebene sowie 3. Memoria sanctorum. Von der Gemeinschaft der Heiligen über den Tod hinaus. Zur Einführung in diese Themenkreise verweise ich auf meinen im Literaturverzeichnis angegebenen Beitrag „Die Kirche als Gemeinschaft der Heiligen“. Dass in ihrem Zusammenhang und namentlich im Kontext der Problematik des Papsttums, dessen reformatorische Kritik gesondert zur Darstellung kommt, die Stimme der Orthodoxie nicht überhört werden darf, ist evident. Die Erinnerung an die Confessio Augustana Graeca und an den Dialog zwischen der Leitung der Württembergischen Kirche und Patriarch Jeremias II. von Konstantinopel in den Jahren 1573 bis 1581 mag hierfür ein Hinweiszeichen sein. Epilegomena werden die ekklesiologischen Ausführungen, die ihr besonderes Augenmerk auf die im 16. Jahrhundert geschaffenen konfessionellen Konstellationen richten, mit den Prolegomena zu Religion und Offenbarung in kontrastierende Beziehung setzen, die ihren Hauptschwerpunkt im 17., 18. und vor allem im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben. Das Themenfeld der Ekklesiologie ist weit, zumal wenn neben konfessionellen Perspektiven auch ökumenische Horizonte erschlossen werden sollen. Zur Ergänzung der hier vorgelegten Texte, welche die Komplexität der Thematik nur ansatzweise und exemplarisch zu erfassen vermögen, verweise ich neben der Monographie zur „Theologie der Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche“ (2 Bde., Berlin/New York 1996/98) auf meine gesammelten Studien zum Erbe der Wittenberger Reformation: „Lutherische Identität“ (2 Bde., Hannover 2000/02). Weiterführende Hinweise enthalten fernerhin die gesammelten Aufsätze zu „Grundfragen ökumenischer Theologie“ (Göttingen 1999).
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1. Konfessionstreit und politische Ordnung
Lit.: K. Brandi, Karl V., in: PrJ 214 (1928), 23–31. – M. Heckel, Religionsbann und Landesherrliches Kirchenregiment, in: H.C. Rublack (Hg.), Die lutherische Konfessionalisierung in Deutschland, Gütersloh 1992, 130–162. – Ders., Weltlichkeit und Säkularisierung. Staatskirchenrechtliche Probleme in der Reformation und im Konfessionellen Zeitalter, in: B. Moeller (Hg.), Luther in der Neuzeit, Gütersloh 1983, 34–54. – H. Lutz, Christianitas afflicta. Europa, das Reich und die päpstliche Politik im Niedergang der Hegemonie Kaiser Karls V. (1552–1556), Göttingen 1964. – G. Oestreich, Verfassungsgeschichte vom Ende des Mittelalters bis zum Ende des alten Reiches, in: B. Gebhardt (Hg.), Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 2, neu bearb. und hg.v. H. Grundmann, Stuttgart 91970, 360–436. – H. Rahner, Der Tod Kaiser Karl V., in: ders., Abendland. Reden und Aufsätze, Freiburg/ Basel/Wien 1966, 219–235. – P. Rassow, Die Kaiser-Idee Karls V. dargestellt an der Politik der Jahre 1528–1540, Berlin 1932. – R. Schneider, Philipp II. oder Religion und Macht, in: ders., Gesammelte Werke I, hg.v. E.M. Landau, Frankfurt a.M. 1977, 167–462. – H. v. Schubert, Bündnis und Bekenntnis 1529/1530, Leipzig 1908. – W. Schulze, Deutsche Geschichte im 16. Jahrhundert. 1500–1618, Frankfurt a.M. 1987.
Von Mai bis Juli 1552 wurde in Passau zäh verhandelt. Das Ergebnis der Verhandlungen war der so genannte Passauer Vertrag, der am 15. August selbigen Jahres vom damaligen Kaiser des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, Karl V. (1500–1558), und den Reichsfürsten, die soeben erfolgreich den Aufstand gegen den Monarchen geprobt hatten, ratifiziert wurde. Der Vertrag sah zwar keinen immerwährenden Frieden, aber immerhin einen Waffenstillstand zwischen den Streitparteien vor, der bis zum nächsten Reichstag eingehalten werden sollte. Der Kaiser verpflichtete sich, auf die Interimsregelungen zu verzichten, die seit 1547 gefangenen evangelischen Fürsten freizugeben und wieder in ihre Herrschaften einzusetzen sowie konfisziertes Kirchengut der Protestanten zurückzuerstatten und als rechtmäßigen Besitz anzuerkennen. Was war geschehen? Im Frühjahr 1547, fünf Jahre vor den Passauer Verhandlungen, schien Kaiser Karl V. am Ziel seines politischen Strebens angelangt zu sein. Am 24. April hatte er bei Mühlberg an der Elbe die Truppen des sächsischen Kurfürsten vernichtend geschlagen. Am 19. Mai kapitulierte Wittenberg, einen Monat später wurde Landgraf Philipp von Hessen gefangengesetzt. Damit war der so genannte Schmalkaldische Krieg, dessen düsterer Vorabend für die Protestanten durch Luthers Tod am 18. Februar 1546 in Eisleben weiter verdunkelt worden war, faktisch beendet und zugunsten des Kaisers entschieden. Es folgte der so genannte Geharnischte ReichsDas Ende des Corpus Christianum
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tag zu Augsburg vom September 1547 bis Juni 1548, auf dem Karl nicht nur die Zurückführung der Protestanten zum Katholizismus und damit die Wiederherstellung der religiösen Einheit im Reich zu erlangen, sondern auch die gewachsene Machtstellung der Stände, in Sonderheit der Territorialfürsten, einzuschränken suchte. Schien die religiöse Frage durch das Augsburger (bzw. Leipziger) Interim zumindest vorläufig und bis auf weiteres gelöst, so formierte sich schon bald eine fürstliche Opposition, an deren Spitze sich Moritz von Sachsen (vormaliger kaiserlicher Verbündeter und mittlerweile Kurfürst geworden) stellte. Statt mich darüber auszulassen, ob Moritz den Beinamen Judas von Meißen zurecht trägt, will ich es kurz machen: Durch einen raschen Feldzug revoltierender Fürsten im März 1552 in seinem Innsbrucker Lager überrascht und über Nacht um alle seine Erfolge gebracht, musste der Kaiser sein Heil in der Flucht suchen. Seinem Bruder, König Ferdinand, verblieb es, als Sprecher der neutral gebliebenen Stände und als Vermittler zwischen Reichsoberhaupt und Rebellen den Passauer Vertrag auszuhandeln. Zwar bezeichnet dieses Vertragswerk noch keine bindende Einschränkung kaiserlicher Rechte oder die offizielle Rücknahme von Karls kirchlicher Reunionspolitik. Doch faktisch antizipierte es bereits den Augsburger Religionsfrieden von 1555, der den Zerfall der religiösen Einheit im Reich rechtlich anerkannte und mit der Idee einer unio imperii et ecclesiae der Ära Karls insgesamt ein Ende bereitete. Am 21. September des Jahres 1558 starb der Kaiser in der weltfernen Einsamkeit des spanischen Hieronymitenklosters Sant Yuste, in dessen engen Umkreis er sich Ende 1556 amts- und daseinsmüde zurückgezogen hatte. „Die Mönche, die der rätselhafte Gast so rasch wieder verlassen hatte, erlebten wunderbare Dinge. Im Zimmer des Kaisers grünten zwei Lilienstengel; sie waren gleich groß gediehen, und jeder trug eine Knospe. Der eine entfaltete in der Todesnacht eine strahlend weiße, duftende Blüte, aber der andere erschloß sich nicht. Er verdorrte und verging, ohne daß sein Kelch sich geöffnet hatte. So war die Seele des großen Verzichters aus der Dürre der Vergänglichkeit errettet worden vom Herrn.“ (Schneider, 224f.) Der Tod Karls, in dessen Weltreich die Sonne nicht unterging, hat Dichter und Denker von jeher bewegt. Das beweist neben Reinhold Schneider, aus dessen historischem Roman über den Karlssohn und -erben Philipp soeben zitiert wurde, auch das Beispiel Hugo Rahners, nach dessen Deutung mit Karl V. „das alte Kaiserideal ins Grab der Geschichte“ (Rahner, 219) sank, wie es durch die Annahme einer elementaren „unio imperii et ecclesiae“ und die Vorstellung des Reiches als einer integralen religiösen Einheitskultur geprägt gewesen sei. Karls Tod markiere sonach nicht weniger als das prinzipielle Ende des Mittelalters. Diese These ist historisch nicht unbegründet. Fest steht, dass die ideelle Basis von Karls Regent- Die Religionspolitik Karls V. schaft entscheidend bestimmt war durch den Begriff der „Einheit eines rechtgläubigen kaiserlichen Weltreiches in den Händen der burgundischen Dynastie“ (Brandi, 31). In seiner Studie zur Kaiseridee Karls V. hat P. Rassow dieses Ergebnis einschlägiger Forschungen K. Brandis aufgegriffen und
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dahingehend modifiziert, dass das dynastische Streben des Monarchen selbst ein bloßes Moment seiner integralen Weltreichsidee darstellte. „In der Tatsache, daß alle jene Reiche und Länder durch den Erbgang in seiner Hand zusammengekommen waren, sah Karl im religiösen Sinne die Bestätigung dafür, daß er berufen sei, auf einer Ebene, die oberhalb der einzelnen Staaten lag, seinen Standpunkt zu nehmen und seine Wirksamkeit auszuüben.“ (Rassow, 5f.) Diese Wirksamkeit Karls wurde durch eine seiner Kaiseridee entsprechende große Doppelaufgabe geprägt, nämlich die Wahrung bzw. Wiederherstellung der Glaubenseinheit im Inneren des Corpus Christianum und dessen Beschirmung und Verteidigung gegen die von außen andrängenden Ungläubigen. Grundlegend für die Wahrnehmung der kaiserlichen Zentralaufgaben einer Befriedung der Christenheit im Innern und der Abwehr der Ungläubigen im Äußern war Karls herrscherliches Selbstbewusstsein, zum obersten Schutzherrn der Kirche und Christenheit bestimmt zu sein. Für das Selbstverständnis des Imperators als „protector“ und „advocatus (Romanae) ecclesiae“ kann ein Ereignis als paradigmatisch gelten, das sich am 30. Jahrestag seiner Geburt (der zugleich Gedenktag der Schlacht bei Pavia war) zugetragen hat. Karl, der sein reiches dynastisches Erbe spanisch-burgundisch-habsburgischer Provenienz längst angetreten hatte, wurde damals, am 24. Februar 1530, in Bologna von Papst Clemens VII. zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation gekrönt, nachdem er zwei Tage zuvor bereits die eiserne lombardische Krone empfangen hatte. Karls Krönung zum deutschen Kaiser sollte die letzte sein, die ein Papst vollzogen hat. Nach erfolgten kirchlichen Feierlichkeiten ließ es sich Karl dem Vernehmen nach trotz beflissener Abwehrgeste von Clemens nicht nehmen, dem Papst die Steigbügel zu halten und dessen Pferd ein Stück weit zu führen, bis er dann behände sein eigenes Ross bestieg. Wie immer man diese illustre Szene zu beurteilen hat, in einer Hinsicht ist sie unzweideutig und in charakteristischer Weise signifikant: Obwohl Karl bereits mehrfach unter Beweis gestellt hatte, dass er alles andere als papsthörig war, so war er doch auch ehrlich und vorbehaltlos gesonnen, seinen Eid zu halten, den er vor seiner Krönung unter Berufung auf das Zeugnis der Evangelien bei Gott und dem Hl. Petrus geschworen hatte, nämlich allezeit und mit allen Kräften ein Beschützer und Behüter der päpstlichen Hoheit und der römischen Kirche zu sein, deren Freiheit er nicht nur nicht anzugreifen, sondern beständig zu erhalten und zu fördern sich verpflichtete. Die Verpflichtungskraft dieses Schwures erwuchs unmittelbar aus Karls Kaiseridee, deren Implikat sie war. Der Niedergang des nach dem Urteil Hugo Rahners „letzten abendländischen Kaiser(s)“ (Rahner, 225), dessen auf eine religiöse Einheitskultur im Sinne einer „unio imperii et ecclesiae“ angelegte Reichsidee durch die noch in der Sterbestunde seinem Testament beigegebene Verfügung strenger Bestrafung der Häretiker ein letztes Mal bekräftigt wurde, begann bereits Jahre vor Karls Tod und ist veranlasst nicht nur durch wachsende physische Hinfälligkeit des Regenten, sondern vor allem durch den fortschreitenden Verfall politischer Realisierungsmöglichkeiten der skizzierten Kaiseridee, welche Karls Wirken von Anbeginn kennzeichnete. Hatte
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Karl bereits den Passauer Vertrag von 1552 nur mit Vorbehalt angenommen, so lehnte er den Augsburger Religionsfrieden vom 25. September 1555, der mit zwei paritätischen Religionsständen rechnete und die Reformation Augsburgischer Konfession reichsrechtlich anerkannte, dezidiert ab, wofür die förmliche Resignation, deren erster Akt unmittelbar auf den Religionsfrieden erfolgte, der offenkundigste Beleg ist. In seinem Werk „Christianitas afflicta“, das die unmittelbar um den Augsburger Religionsfrieden gruppierten Ereignisse europäischer Geschichte von der französisch-protestantischen Offensive im Frühjahr 1552 bis zu den Abdankungen Kaiser Karls V. und seiner Abreise aus den Niederlanden nach Spanien 1556 behandelt, hat Heinrich Lutz gezeigt, dass mit dem Scheitern der universalmonarchischen, an der „unio imperii et ecclesiae“ orientierten Reichsidee Karls die Möglichkeit, die Einheit und Totalität der Christenheit im Sinne des Corpus Christianum politisch zu realisieren, definitiv erledigt und vergangen war. So konfliktreich und keineswegs geradlinig sich der Weg auch darstellt, „der von der Machthöhe der kaiserlichen Hegemonie zu der neuen Entfaltung eines Pluralismus politischer und auch kirchlicher Lebenszentren in Europa führte“ (Lutz, 484): Eindeutig ist, dass mit Karl zugleich die von ihm programmatisch vertretene Einheitsordnung von „politia“ und „ecclesia“ an ihr geschichtliches Ende gelangt war. Dabei verdient es bemerkt zu werden, wie nachdrücklich Lutz die nicht nur faktische, sondern auch ideelle Bedeutung der Reformation für die Genese des frühneuzeitlichen Europa hervorhebt. Namentlich Luther sei es gewesen, der, „um der Unverfälschtheit der christlichen Existenz den Weg zu öffnen, den Gedanken des christlichen Staates leidenschaftlich abgelehnt und unerbittlich die Verschiedenheit von Politia und Ecclesia verfochten“ habe. „Das war“, so Lutz, „ein Beitrag zum Werdeprozeß des neuzeitlichen Europa, mit dessen herausfordernder Radikalität von nun an jeder Versuch, die religiös-ethische Wertwelt der Christenheit in politisch-rechtliche Ordnungen zu übersetzen, zusammenstoßen mußte.“ (Lutz, 32f.) Wie immer man hier im Einzelnen urteilen Pax Augustana und ius mag, fest steht: Die Jahre nach 1552 und zumal reformandi das Jahr 1555 haben eine durchaus epochal zu nennende Bedeutung. Was Deutschland betrifft, so besiegelte – um bereits Gesagtes zu wiederholen – der Augsburger Religionsfriede die konfessionelle Spaltung insofern, als er „beständigen, beharrlichen, unbedingten, für und für ewig währenden“ Frieden sowohl für die altgläubigen Reichsstände als auch für die ständischen Vertreter der Augsburgischen Konfession rechtlich zusicherte. Kein Reichsstand sollte künftig wegen seiner Zugehörigkeit zur Confessio Augustana reichsrechtlich belangt oder mit Krieg überzogen werden. Ausdrücklich vom Frieden ausgeschlossen blieben hingegen alle, die nicht als „Verwandte des Augsburgischen Bekenntnisses“ galten. Damit ist bereits angezeigt, dass mit der Freistellung der CA keineswegs die Gewährung allgemeiner Religionsfreiheit verbunden war. Vielmehr blieb nach Maßgabe des Grundsatzes, der später mit der Formel „cuius regio, eius religio“, umschrieben wurde, der Religionsentscheid, das sog. ius reformandi,
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ausdrücklich dem Landesherren vorbehalten, während den Untertanen für die Lande der Reichsstände lediglich das Auswanderungsrecht eingeräumt wurde. Allenfalls in Reichsstädten lässt sich eine Frühform des konfessionell paritätischen Staates erkennen. Hinzuzufügen ist, dass der Fortbestand der geistlichen Fürstentümer im Reichstagsabschied durch das „Reservatum ecclesiasticum“ gesichert wurde, demgemäß ein die alte Glaubensgemeinschaft verlassender Fürstbischof sein Territorium aufzugeben hatte; das Zugeständnis einer Duldung von zur CA gehörigen Rittern, Städten und Gemeinden in geistlichen Territorien wurde lediglich in Gestalt einer Deklaration König Ferdinands, der „Declaratio Ferdinandea“, gegeben. Anzumerken ist ferner, dass der Augsburger Religionsfriede nicht ohne weiteres als das „sakrosankte Reichsfundamentalgesetz“ in Geltung stand, „das die evangelischen Juristen in ihm verherrlichten und das die moderne Historiographie im Rückblick in ihm sieht. Die katholische Seite hielt noch bis tief in das 18. Jahrhundert daran fest, dass die eigentliche Reichsverfassung des Sacrum Imperium iure divino katholisch bleiben müsse und im unlöslichen Verbund mit der katholischen Kirche verblieben sei. Sie hat deshalb den Religionsfrieden nur als eine begrenzte Ausnahmeregelung kraft Notrechts mit interimistischer Vorläufigkeit bis zur Rückkehr der Abtrünnigen verstanden ...“ (Heckel, Religionsbann, 147f.). Faktisch freilich wurde diese Annahme immer mehr zur Fiktion, wozu der Religionsfrieden von 1555 historisch durchaus das Seine beigetragen hat, so dass es bei aller gegebenen Differenzierungsbedürftigkeit sachlich legitim bleibt, ihn ein epochales Datum zu nennen. Das gilt, unbeschadet gewisser Vorbehalte, in beSäkularisierung der Reichsidee stimmter Weise auch unter Toleranzgesichtsund territoriale Konfessionalipunkten und unter Aspekten von Religions- und sierung Gewissensfreiheit. Denn so richtig es ist, dass der Augsburger Religionsfrieden entsprechende Freiheit nicht nur nicht gewährte, sondern den Religionszwang in den Territorien eher verstärkte, so beachtenswert ist es doch zugleich, dass „Toleranz erst denkmöglich zu werden (scheint) nach der Legitimierung und Akzeptierung des konfessionellen Dissenses und dem Verzicht auf die alte Einheit des Glaubens“ (Schulze, 264). Einer an großen geschichtlichen Zusammenhängen orientierten historischen Perspektive wird sich der Augsburger Religionsfrieden daher primär als Ausdruck und Ratifizierung des unaufhaltsamen Endes der mittelalterlich-universalistischen Kaiseridee und ihrer Vorstellung vom Reich als einer „unio imperii et ecclesiae“ darstellen. Auch wenn das Reichsverfassungsgebot religiöser Einheit nicht völlig aufgehoben und die Friedensbestimmungen auf zwei Religionsparteien beschränkt wurden, verzichtete das Reich 1555 in Augsburg doch faktisch darauf, „die Einheit der Religion herzustellen, und überließ die Bestimmung des Bekenntnisses den Reichsständen“ (Oestreich, 370). Von entscheidender historischer Bedeutung ist diese Entwicklung nicht zuletzt deshalb, weil sich in ihr eine „Säkularisierung des Reichsrechts“ (Heckel, Weltlichkeit, 47; bei H. kursiv) abzeichnet, nämlich dessen Loslösung von der äußeren Bestimmung durch die kirchliche Gewalt und zugleich von der inneren Bindung
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an den geistlichen Anspruch dieser wie jener Konfession. Unter dieser und faktisch nur unter dieser Voraussetzung konnte der Augsburger Religionsfriede eine Koexistenzordnung begründen, deren – immerhin jahrzehntelang bewährte – Leistung nachgerade darin bestand, „daß der Glaubensstreit, der weder theologisch beigelegt noch politisch-militärisch entschieden werden konnte, doch mit Hilfe des Rechts im Reich neutralisiert und äußerlich befriedet worden ist, während der geistliche, theologische Kampf weiter loderte“ (ebd.). Diese Leistung konnte, wie gesagt, nur durch eine ansatzweise geschehende Säkularisierung des Reichsrechts erbracht werden, die primär die Einheitsidee des Reiches betraf, sofern diese nicht mehr mit der „unio imperii et ecclesiae“ gleichzusetzen war. „So hat die Säkularisierung der Reichsidee das mittelalterliche Einheitsdenken von Kirche, Reich und Recht zerrissen.“ (Heckel, Weltlichkeit, 47f.) Dies geschah ebenso zwangsläufig wie notwendig, sofern unter Bedingungen mittelalterlichen Einheitsdenkens von einer Gleichheit differenter Religionsparteien prinzipiell nicht hätte die Rede sein können. Entsprechend wird man behaupten dürfen, dass mit der wie auch immer eingeschränkten Anerkennung religiöser Parität ein historischer Schritt getan worden ist, der die mittelalterliche Einheitskultur im Grundsatz vergangen sein ließ. Die Umbestimmung der mittelalterlichen „pax christiana“ zu einer Friedensidee, welche auch kirchlich Exkommunizierte zu erfassen vermag und damit die Zuständigkeiten des Ketzerrechts entscheidend einschränkt, bestätigt diese Entwicklung einer Ausdifferenzierung von Recht und Religion, deren geschichtliche Zukunftsträchtigkeit gerade darin zu suchen ist, dass mit der Emanzipation des Rechts von unmittelbaren Einflüssen und Dominanzansprüchen der Religion auch eine Befreiung der Religion einhergeht, sofern deren Belange nicht mehr unter der direkten Bedrohung möglichen Rechtszwangs stehen. Freilich kam die Befreiung von religiösem Rechtszwang, wie bereits mehrfach betont wurde, einstweilen nur den Trägern des „ius reformandi“ zu, also den Landesherren, welche überhaupt die entscheidenden Vorteile aus dem Augsburger Religionsfrieden ziehen konnten. Indem er die ständischen Belange gegenüber der Zentralmacht im Reich realiter erheblich förderte, unterstützte er den schon seit längerem wirksamen Trend zu machtpolitischer Emanzipation der Fürstentümer des Reichs sowie zu einer Umbildung des mittelalterlichen Territoriums zum Landesstaat. Was sich schon seit dem späten Mittelalter abzeichnet, wird zusehends manifest: Die Territorien, im Vergleich zu denen die Städte eine mehr und mehr nachgeordnete Rolle spielen, bestimmen die geschichtliche Entwicklung im Reich und werden zu Vorreitern moderner Staatlichkeit. Ein entscheidendes Moment dieser Entwicklung ist die immer weiter um sich greifende und immer tiefer durchdringende territoriale Konfessionalisierung, wie sie durch den Augsburger Religionsfrieden ebenso belegt wie beschleunigt wurde. Der Religionsfriede von 1555 ermöglichte, was unter den Bedingungen der programmati- 1555/1648 schen Reichsidee Karls zumindest dem Grund-
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satz nach ausgeschlossen war: die weitgehend friedliche Koexistenz kirchlich getrennter Konfessionen auf deutschem Boden über eine beachtliche Zeitspanne hinweg. Unbestreitbar ist freilich auch, dass der Augsburger Kompromiss konfessionell bedingte Verfassungskonflikte nicht definitiv auszuschließen in der Lage war. Anfang des 17. Jahrhunderts kamen solche Konflikte zum offenen Ausbruch, um schließlich jenen Dreißigjährigen Krieg heraufzuführen, der weite Teile Deutschlands grundstürzend verheerte. Das erste Jahrzehnt des Krieges brachte Ferdinand II. und der kaiserlichen Seite wichtige Erfolge, die im Sinne einer dezidiert monarchischen Ausgestaltung der Reichsverfassung genutzt werden sollten. „Es wiederholte sich“, wie Gerhard Oestreich im „Handbuch der deutschen Geschichte“ schreibt, „die Entwicklung der Jahre 1546–1552 in größerem Rahmen.“ (Oestreich, 376) Am Ende des Krieges kommt man auf das Ergebnis von 1555 zurück. Der Augsburger Religionsfriede wird bekräftigt und auf die Calvinisten ausgedehnt. Zwei in allen die Religion berührenden Fragen auseinandertretende und nur zu gütlichem Ausgleich befugte Reichstagskurien, das Corpus Catholicorum und das Corpus Evangelicorum, sollen die konfessionelle Parität repräsentieren und gewährleisten. Auch zeigen sich zum Zwecke des Ausgleichs der fixen Konfessionsverleihungsregel des Normaljahres 1624 Ansätze einer Stärkung der religiösen Rechte des Einzelnen, sofern unter grundsätzlicher Wahrung des konfessionell bedingten Auswanderungsrechts ein landesherrlicher Auswanderungszwang abgewiesen und den von der Konfession des Landesherren abweichenden Untertanen Möglichkeiten der Religionsausübung gewährt werden. Obwohl die erreichte Lösung der religiösen Frage den entschiedenen Protest des Papstes hervorrief, brachte der Westfälische Friede, um noch einmal G. Oestreich zu zitieren, „die große politisch-konfessionelle Krise des europäischen Staatslebens im 17. Jh., die eine ihrer Ursachen im Versuch des Aufbaus einer römisch-katholischen Universalmonarchie hatte, für das deutsche Reich zu einem gewissen Abschluß“ (Oestreich, 378). Zur Voraussetzung und mehr noch zur tatsächlichen Folge hatte diese Lösung eine über den Friedensschluss von 1555 weit hinausführende Säkularisierung des Rechts und der sonstigen Lebensordnungen sowie eine massive Beschränkung des ehemals beherrschenden Einflusses der institutionalisierten Religion auf die soziokulturelle Ordnung. Die Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges, in die die europäischen Religionskriege des späten 16. und des 17. Jahrhunderts mündeten, ohne eine wirkliche Entscheidung des konfessionellen Streits erbracht zu haben, markiert so in bestimmter Weise den Ausgangspunkt für die endgültige Entstehung der modernen Welt, der Neuzeit, für welche die gesellschaftliche Emanzipation von dogmatischem Einheitszwang und kirchlichen Monopolansprüchen charakteristisch werden sollte. Welchen ideelen und realen Anteil die Reformation an dieser Entwicklung und an der Entstehung der Neuzeit überhaupt hatte, ist notorisch strittig und eine Frage, an der sich seit geraumer Zeit die Geister scheiden. Um den Streit an einem signifikanten Erinnerungsbeispiel zu illustrieren: Am Reformationstag des Jahres 1821 wurde auf dem Marktplatz zu Wittenberg ein Lu-
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therdenkmal enthüllt. Es steht bis heute an seinem angestammten Platz. Einen Modellentwurf des Standbilds hatte der Schöpfer der Quadriga auf dem Brandenburger Tor, Johann Gottfried Schadow (1764–1850), der die Zeit des sich etablierenden deutschen Klassizismus zumindest anfangs entscheidend mitprägte, schon 1805 vollendet. Doch ließ die Niederlage Preußens gegen Napoleon das Projekt vorerst scheitern. Erst 1816 wurde das Vorhaben wieder aufgenommen, um schließlich nach weiteren fünf Jahren endgültig realisiert zu werden. Schadows Luther, der als Statuette in EisenDie Reformation zwischen und Bronzeguss weite Verbreitung fand und sich Mittelalter und Neuzeit großer Popularität erfreute, ist durch stabile und unerschütterliche Standfestigkeit gekennzeichnet, welchem Charakterzug nicht nur durch entsprechendes Schuhwerk, sondern auch physiognomisch Ausdruck verliehen wird. Die Rechte des Reformators ruht auf dem aufgeschlagenen Bibelbuch, welches er dem Betrachter überzeugungsmächtig vorhält. Die Gewandung ist bis in die Details an Darstellungen des 16. Jahrhunderts orientiert, sein Haupt bleibt unbedeckt – nichts als den offenen Himmel weiß Luther zwischen sich und seinen Gott gestellt. So weit, so gut. Problematisch wurde die Sache erst, als Schadows Luther auf Anregung des damaligen Kronprinzen Friedrich Wilhelm (IV.) mit einem Baldachin überdacht werden sollte. Karl Friedrich Schinkel lieferte den Entwurf, der schließlich auch zur – gusseisernen – Ausführung kam, wenngleich erst nach Überwindung zum Teil heftigster Widerstände. Hatte man doch die neogotischen Formen des Baldachins von vielen Seiten als Zeichen restaurativer Regression und als Ausdruck romantisch-reaktionärer Sehnsucht nach mittelalterlichen Zeiten gedeutet, die zu überwinden Luther erklärtermaßen angetreten sei. Luther mit oder ohne Baldachin: Die Frage, ob der Wittenberger Reformator eher dem vergehenden Mittelalter zugehört oder bereits der sich formierenden Neuzeit, ist, wie gesagt, seit langem umstritten. Dabei waren es keineswegs die geringsten Geister, die angesichts dieser Alternative unterschiedlich votierten: Während etwa Hegel in der Reformation die aufgehende Sonne lichter Aufklärung begrüßte, ordnete sie Ernst Troeltsch weitgehend der angeblichen oder tatsächlichen Finsternis des Mittelalters zu; allenfalls eine indirekte und von ihrer ursprünglichen Intention abgelöste Verantwortlichkeit für die Heraufführung der Neuzeit wollte er ihr zugestanden wissen. Gegenwärtige Historiographen sind, was epochale Kontrastierungen anbelangt, eher zurückhaltend geworden: Gewöhnlich sprechen sie im Blick auf das Reformationsjahrhundert von Frühneuzeit, was die Möglichkeit offenhält, moderne Anteile mit spätmittelalterlichen und umgekehrt in Verbindung zu bringen. Diese ambivalente Einschätzung dürfte dem geschichtlichen Sachverhalt am nächsten kommen. Es mag daher mit der Feststellung sein Bewenden haben, dass die Entstehung der modernen Welt weder unmittelbar von reformatorischen Ideen bewirkt wurde, noch in dezidierter Abkehr von diesen erfolgt ist. Geschichtlich bedingt ist die Genese der Neuzeit, deren Anfänge weit hinter den Beginn der Französischen Revolution von 1789 zurückreichen, im Wesentlichen durch die
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Konfessionsspaltung und die mit ihr verbundenen Konfessionskriege als einer unbeabsichtigten Folge der Reformation. Dieses Faktum ist zwar einerseits allein ideengeschichtlich nicht hinreichend zu fassen, legt aber andererseits die Rückfrage nahe, wie sich die Reformation theologisch zum Problem von Konfessionsstreit und politischer Ordnung verhalten hat. Unter Bezug auf das reformatorische Zentralbekenntnis und seinen historischen Kontext lässt sich diese Frage exemplarisch erörtern, wobei Luthers Haltung besondere Aufmerksamkeit verdient. Das Konzept der Augustana ist von Grunde aus Bekenntnis, Bündnis und pax irenisch. Das geht aus der Vorrede und den sonspolitica tigen Rahmenstücken des Bekenntnisses deutlich hervor. Dabei betrifft das Friedensanliegen nicht nur die Angelegenheiten der „ecclesia“, sondern auch diejenigen der „politia“. Die kaiserliche Sorge um „gemeinen Frieden in ganzer Europen“ (BSLK 39,24), wie es in der Vorrede einer Vorform der CA (Na) heißt, macht man sich unter den Augsburger Bekennern ausdrücklich zu eigen. Daran ändert die Tatsache nichts, dass in den Jahren 1529/30 Bekenntnisbildung und Bündnisfrage reformationsgeschichtlich engstens verbunden waren, worauf vor allem durch die Forschungen Hans von Schuberts aufmerksam gemacht wurde. Schubert war es auch, der Verlauf und wichtigste Stationen dieser Entwicklung auf eine griffige Formel brachte: „Am Anfang 1529 hatte man ein Bündnis, aber kein Bekenntnis, am Ende ein Bekenntnis, aber kein Bündnis. Das Bündnis ohne innere Sicherheit hatte das Bekenntnis hervorgetrieben, aber das Bekenntnis hatte, als Stück der politischen Gegenaktion selbst von politisch-juristischem Charakter, das Bündnis zersprengt.“ (v. Schubert, 23f.) Das anfängliche Bündnis ohne Bekenntnis stand im Zusammenhang mit der bzw. den evangelischen Protestation(en) gegen den Abschied des 2. Speyrer Reichstages, den die Führer der Mehrheit am 22. April 1529 unterzeichnet hatten. Kursachsen, Hessen sowie die Reichsstädte Nürnberg, Straßburg und Ulm und einige andere protestantische Stände verabredeten ein Beistandsabkommen, das die Möglichkeit einer umfassenden Einheit des nord- und süddeutschen Protestantismus zu eröffnen schien. Schon bald indes formierte sich unter Wittenberger Ägide innerevangelischer Widerstand gegen das namentlich vom hessischen Landgrafen betriebene Bündnis, das sich in der Absicht einer protestantisch-antihabsburgischen Großkoalition relativ gleichgültig gegenüber theologischen Differenzen verhielt wie sie insbesondere in der Abendmahlsfrage bestanden. Die Motive für diesen Widerstand, wie er nach Vermittlung Nürnbergs vor allem von Seiten Kursachsens und Ansbach-Brandenburgs betrieben wurde, waren indes nicht nur theologischer, sondern auch politischer Natur, sofern ein Bündnis mit den Oberdeutschen, hinter denen die Schweizer standen, die Verständigung mit dem Kaiser nicht nur entscheidend zu erschweren, sondern bis auf weiteres unmöglich zu machen drohte. Hinzukommt, dass dem Gedanken an ein mögliches Widerstandsrecht gegen den Kaiser vor Abschluss des Augsburger Reichstages 1530 abgesehen von Philipp von Hessen in reformatorischen Kreisen zumeist mit schroffer Ablehnung begegnet wurde. Allenfalls passiven Widerstand im Sinne leidenden
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Ungehorsams wollte Luther billigen, während er aktive Gegenwehr gegen den Kaiser grundsätzlich ausschloss. Erst unter dem niederschmetternden Eindruck der Augsburger Reichstagsbeschlüsse, die protestantischerseits bald den Schmalkaldischen Bund zur Folge hatten, änderte Luther seine Auffassung dahingehend, dass er ein aktives Notwehrrecht der Stände gegen den Kaiser nicht mehr prinzipiell in Abrede stellte. Er konnte sich dazu u.a. auf zeitgeschichtlich höchst signifikante juristische Argumente berufen, denen zufolge als unmittelbare Obrigkeit die erblichen Reichsfürsten zu gelten hätten, wohingegen der mittels Wahlkapitulation auf bestimmte verfassungsrechtliche Aufgaben verpflichtete Kaiser lediglich im mittelbaren Sinne souverän sei. Indes haben der Reformator und die kursächsischen Theologen von derlei Rechtskonstruktionen nur zögerlichen und eher marginalen Gebrauch gemacht, während sie unter den lutherischen Ständen Frankens auch über das Jahr 1530 hinaus ebenso strikt abgelehnt wurden wie ein aktives Widerstandsrecht gegen den Kaiser überhaupt. All dies bestätigt, was ohnehin keiner Betonung bedarf: Die Reformation beabsichtigte keine Revolution, sondern eine innerkirchliche Reformbewegung, die unvermittelte Alternativen und Oppositionen weder im politischen noch im ekklesialen Bereich intendierte. Letzteres dokumentiert die Confessio Augustana durch ihren Inhalt selbst. Wie immer man Melanchthons umstrittene Sätze aus dem Beschluss des Ersten Teils beurteilen mag, denen zufolge der ganze Dissens auf einigen Missbräuchen beruhe (BSLK 83 c, 14f.: „Tota dissensio est de paucis quibusdam abusibus ...“), während im Übrigen die reformatorische Lehre mit der in der Väter Schriften vermerkten römischen Kirchenlehre völlig übereinkomme: Faktum ist, dass das die Augustana bestimmende Reformprogramm, welches sich neben der Generalkonzilsforderung vor allem auf die Gewährung des Laienkelchs, die Zulassung Verheirateter zum ordinationsgebundenen Amt der Kirche sowie auf Änderung des Messkanons konzentrierte, durchaus auf Ausgleich hin angelegt war, zumal da man sich protestantischerseits auch in der Frage der Anerkennung der bischöflichen Jurisdiktion in der Regel konziliant zeigte. Wie wenig fern man einem solchen Ausgleich war, beweisen nicht zuletzt die entsprechenden Augsburger Verhandlungen im August 1530. Nicht umsonst urteilte Luther später in einer seiner Tischreden: „Ich habe sorg, das wir nimer mehr so nahent zw samen khumen werden als zw Augspurg.“ (WA Tr 4, 495, 7–9) Unbeschadet dieser nachträglichen Einschätzung machte sich Luther bereits 1530 intensive Gedanken, was im Falle eines Scheiterns des konfessionellen Ausgleichs zu tun sei. Am 21. Juli selbigen Jahres schrieb er von der Veste Coburg aus, wo er wegen der in Worms verhängten Reichsacht während der Zeit des Reichstags zu verbleiben hatte, einen Brief an Justus Jonas (1493–1555), um ihn in Bezug auf die laufenden Augsburger Verhandlungen wissen zu lassen, es sei genug, „si pacem politicam possimus obtinere“ (WA Br 5, 496, 16). Sein dringender Rat lautet, die protestantische Reichstagsstrategie solle fernerhin primär auf reichsrechtliche Sicherung der Reformation und die Erreichung eines politischen Friedens ausgerich-
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tet werden, weil nachgerade die „pax politica“ es sei, welche die äußere Bedingung des rechten religiösen und inneren Ausgleichs darstelle, ohne unmittelbar von diesem abhängig gemacht werden zu dürfen. Luthers Briefnotiz ist keineswegs als prinzipielle Potestas ecclesiastica und poAbsage an theologische Verständigungsbemütestas civilis: die Lehre von hungen zu werten, so skeptisch der Reformator den beiden Regimenten Melanchthons persönliche Diplomatie und in diesem Zusammenhang zum Teil auch die Augsburger Unionsverhandlungen vom August/September 1530 eingeschätzt haben mag. Sie ist noch weniger als ein Verdikt oder auch nur als ein einschränkendes Urteil in Bezug auf die Confessio Augustana selbst zu verstehen. Tatsache ist vielmehr, dass Luther sowohl mit dem offiziellen Verhandlungskonzept Melanchthons, wie es vornehmlich in CA XXVIII dokumentiert ist, als auch mit dem sonstigen Inhalt der Confessio Augustana grundsätzlich übereinstimmte. Auch wenn sich keine direkten Anteile an bestimmten Formulierungen des Bekenntnisses nachweisen lassen, so hat Luther doch insonderheit durch sein Großes Bekenntnis von 1528, aber auch mittels der sog. Schwabacher Artikel und in gewisser Hinsicht auch mittels der in ihrem Bestand allerdings z.T. umstrittenen sog. Torgauer Artikel entscheidenden Einfluss auf die Augustana ausgeübt, in Bezug auf deren Verlesung er am 6. Juli 1530 an Konrad Cordatus (1476–1546) in Zwickau schreiben konnte: „Mihi vehementer placet vixisse in hanc horam, qua Christus per suos tantos confessores in tanto consenssu publice est praedicatus confessione plane pulcherrima. Et impletur illud: ,Loquebar de testimoniis tuis in conspectu regum‘, implebitur et id, quod sequitur : ,Et non confundebar.‘ Quia: ‚qui me confessus fuerit (sic dicit, qui non mentitur) coram hominibus, confitebor et ego eum coram patre meo, qui est in coelis‘.“ (WA Br 5, 442, 12–18) Luthers die „pax politica“ betreffende Briefnotiz ist also – unbeschadet einiger offener Wünsche an die „Leisetreterin“ (WA Br 5, 496, 8; vgl. 5, 319, 7) im Hinblick auf Fegfeuer, Heiligendienst (vgl. aber CA XXI) und Papsttum – mitnichten als Grundsatzvorbehalt bezüglich der Confessio Augustana zu deuten; im Gegenteil, eine genaue Analyse der Briefstelle ergibt, dass Luther darauf hinwirken will, das gegebene Bekenntnis – statt es diplomatisch zu verwässern oder nach erasmischer Art zu neutralisieren – nun auch wirklich konfessorisch und assertorisch zu vertreten und sich im Übrigen um Begründung und Bewahrung eines politischen Friedens zu bemühen, der für beide Streitparteien den äußeren Rechtsrahmen von Leib und Leben sichert. Die prinzipielle Bedeutung der Tatsache, dass Luther das politische Friedensziel nicht unmittelbar abhängig macht vom Gelingen religiöser Verständigung, vielmehr den politischen Frieden zur – um des Schutzes des Gewissens willen von der Religion selbst zu fordernden – Voraussetzung sinnvoller Verständigung in Glaubensangelegenheiten erklärt, liegt in den durch sie eröffneten Möglichkeiten antitotalitärer Konfliktlimitierung begründet. Auf eine solche Konfliktlimitierung dürfte auch Luthers entschlossene Bereitschaft zielen, der Politik eine relative Selbständigkeit der Theologie und ihrer Gewissensverpflichtung gegenüber einzuräu-
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men, wie das in einem Schreiben an Melanchthon vom 29. Juni zum Ausdruck kommt, wenn in Bezug auf mögliche Konzessionen an das Verhalten des sächsischen Kurfürsten ein anderer Maßstab angelegt wird als an das der Theologen („De Principe est alia quaestio ...“; WA Br 5, 405, 18). Wie dem auch sei; fest steht, dass Luther vom Reichstag im Interesse der Konfliktbegrenzung ab einem gewissen Zeitpunkt primär die Begründung und Bewahrung eines äußeren politischen Friedens zwischen den nach seinem Urteil kurzfristig zu keinem inneren Ausgleich fähigen Streitparteien erwartete. Die dezidierte Ablehnung einer Richterfunktion des Kaisers als des Trägers der weltlichen Macht in Glaubensangelegenheiten gehört ebenso in diesen Zusammenhang wie die wiederholte Bitte und Mahnung an Karl, er möge die ihm anvertraute Schwertgewalt nicht zur Durchsetzung geistlicher Angelegenheiten missbrauchen. Im Falle der Undurchführbarkeit eines zwanglosen Ausgleichs des Glaubensdissenses müsse er vielmehr eine friedliche Koexistenz der Religionsparteien in ihrem äußerlichen Nebeneinander nicht nur dulden, sondern tatkräftig fördern. Das Fundament dieser Forderung ist die Einsicht, dass politisches Handeln sich auf Schutz und Erhalt des leiblichen Daseins und der äußeren Sphäre der Freiheit zu beschränken hat, welche Beschränkung Grenze, aber auch – sofern es sich um eine Selbstbeschränkung handelt – eigentümliche Würde allen weltlichen Geschäfts ausmacht. Das im Gewissensbezug zu Gott begriffene Innere der Menschenseele kann und darf hingegen nicht zur Disposition der Politik und ihrer Machtmittel gestellt werden. In seiner Lehre von den beiden Regimenten, die CA XXVIII: Von der Bischofen am Beispiel der im Winter 1522/23 verfassten Gewalt Obrigkeitsschrift im nächsten Abschnitt eigens dargelegt wird, hat Luther die Grundsätze dieser Auffassung formuliert. Dass diese der Sache nach auch die Confessio Augustana bestimmen, zeigt keineswegs nur, aber besonders deutlich die für den zentralen Artikel XXVIII grundlegende Unterscheidung zwischen „potestas ecclesiastica“ und „potestas civilis“. Die erste und entscheidende Bedingung, unter der allein ein Bischof als Bischof zu achten und in seiner kirchlichen Leitungsvollmacht anzuerkennen ist, lautet, dass jedwede Vermengung der Vollmacht des Evangeliums mit weltlicher Schwertgewalt konsequent zu vermeiden sei. Das Hauptargument von CA XXVIII richtet sich eindeutig auf das „discrimen ecclesiasticae potestatis et potestatis gladii“ (CA XXVIII, 4) und auf die Forderung: „Non ... commiscendae sunt potestates ecclesiastica et civilis.“ (CA XXVIII, 12). Diese Bedingung hat auch und gerade dann zu gelten, wenn „potestas ecclesiastica“ und „potestas civilis“ in Personalunion vereint sind, wie das bei den Fürstbischöfen der Zeit der Fall war. Die grundsätzlich gegebene Bereitschaft von CA XXVIII, sich mit der fürstlichen Herrschaft der Bischöfe abzufinden, hängt an der Voraussetzung, dass der prinzipielle Unterschied ihrer geistlichen und weltlichen Vollmacht nicht aufgehoben oder nivelliert wird. „Si quam habent episcopi potestatem gladii, hanc non habent ut episcopi mandato evangelii, sed iure humano, donatam a regibus et imperatoribus ad administrationem civilem suorum bonorum. Haec interim alia functio est quam ministerium evangelii.“ (CA
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XXVIII, 19) In Bezug auf die Regimentschaft der Bischöfe muss deshalb klar zwischen ihrer fürstlichen Stellung und ihrer kirchlichen Vollmacht differenziert werden (CA XXVIII, 20: „discerni debet imperium ab ecclesiastica iurisdictione.“) Rechtspraktisch hat diese Differenzierung u.a. die reformatorische Forderung der Abschaffung des sog. Großen Bannes zur Folge, da dieser geistliche und weltliche Strafe unstatthaft vermenge. Nicht als ob die Reformation episkopale Jurisdiktionsvollmachten gänzlich abgelehnt hätte. Zusammen mit öffentlicher Evangeliumsverkündigung in Wort und Sakrament ist dem Bischof im Rahmen seines kirchlichen Einheitsdienstes auch nach reformatorischer Lehre die spezifische, das Exkommunikationsrecht einschließende Sorge um rechte Doktrin und Disziplin aufgegeben. Dabei hat allerdings der Grundsatz zu gelten: „sine vi humana, sed verbo.“ (CA XXVIII, 21) Sei es, dass in der Kraft episkopaler Jurisdiktionsvollmacht Lehrer, die das Evangelium verkehren, zu anathematisieren, sei es, dass offenkundig Gottlose von der sakramentalen Gemeinschaft der Kirche auszuschließen sind, stets hat dies ohne weltlichen Rechtszwang und so zu geschehen, wie es dem mit der „potestas ordinis“ bevollmächtigten „ministerium“ angemessen ist: „ohn menschlichen Gewalt, sonder allein durch Gottes Wort.“ (BSLK 124, 4f.) Damit ist nichts anderes gesagt, als dass für die rechte Wahrnehmung episkopaler Jurisdiktionsvollmacht die vollzogene Selbstunterscheidung von der auf die Sphäre des äußeren Menschen bezogenen weltlichen Gerichtsbarkeit und der ihr eigentümlichen leiblichen Gewalt grundlegend ist. Daraus erhellt zugleich, dass die reformatorische Verhältnisbestimmung von kirchlicher „potestas ordinis“ und „potestas iurisdictionis“ in einem konstitutiven Zusammenhang steht mit der getroffenen Unterscheidung von „potestas ecclesiastica“ und „potestas civilis“ und allein unter adäquater Wahrnehmung dieses Zusammenhangs recht vorgenommen werden kann. In diesem und nur in diesem Kontext ist schließlich auch zu verstehen, was reformatorischerseits kritisch, aber durchaus auch (unplatonisch-) konstruktiv über die Kirche als „societas externa“ und die sichtbare Gestalt ihrer Einheit gesagt wurde. Ist der gegebene Zusammenhang zwischen wahrer Kirche und der äußeren Verfasstheit ihrer sichtbaren Gestalt nur als differenzierter ekklesiologisch angemessen zu erfassen, so gilt nun auch umgekehrt, dass die rechte Verfassung der politischen „societas externa“, in der die „potestas civilis“ herrschen soll, nur dann sachgemäß ist, wenn die weltliche klar von der geistlichen Vollmacht, welche das Wesen der Kirche ausmacht, unterschieden und auf die Sphäre der äußeren Freiheit, der äußeren Gerechtigkeit und des äußeren Friedens beschränkt wird. Legitim und rechtmäßig ist die Schwertgewalt des weltlichen Regiments infolgedessen nur dann, wenn sie diese – jede Form der Selbsttotalisierung verhindernde – Beschränkung anerkennt und im Übrigen gesetzeskonform verfährt, wobei unter Gesetz vernünftige Allgemeinverbindlichkeit zu verstehen ist, so dass „iustitia civilis“ und „iustitia rationis“ grundsätzlich gleichbedeutend sind. Cäsaropapismus ist damit ebenso abgewiesen wie jedweder klerikale Weltherrschaftsanspruch. Um die Perversion von Kirche und Staat zu einer „potestas tyrannica“, auf die jede Form von Totali-
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tarismus hinausläuft, zu verhindern, ist daher um des Heiles und Wohles der Menschen willen klar zwischen „potestas civilis“ und „potestas ecclesiastica“ zu unterscheiden. Der gebotenen Ehrlichkeit wegen wird man freilich nicht verschweigen dürfen, dass die Reformatoren in ihrem politischen Einflussbereich der Unterscheidung zwischen kirchlicher Vollmacht und weltlicher Gewalt nur bedingt Rechnung getragen haben und den unter modernen rechtsstaatlichen Voraussetzungen selbstverständlichen Prinzipien der Religionsfreiheit und zivilen Toleranz zum Teil eklatant zuwider gehandelt haben. An einem besonders schwerwiegenden Fall, der allen Anlass gibt, das religionsgeschichtliche Kapitel über „potestas civilis“ und „potestas ecclesiastica“ nicht in vorschneller Harmonie zu beenden, sei daher zum Schluss ohne weiteren Kommentar erinnert. Er hatte nicht nur eine Ptolemäus-Neuausgabe besorgt und als Doktor der Medizin den doppel- Der Fall Michael Servets ten Blutkreislauf entdeckt, sondern im Interesse einer „restitutio ad integrum“, einer Erneuerung dogmatisch unverfälschten ursprünglichen Christentums auch die – seit Theodosius’ und Justinians Zeiten ketzerrechtlich sanktionierte – Trinitätslehre geleugnet. Das war sein Verhängnis: am 27. Oktober 1553 wurde Michael Servet (geb. ca. 1511) in Genf als Antitrinitarier auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Bereits im Februar 1546 hatte Calvin (1509– 1564) in einem Brief an Wilhelm Farel (1489–1565) gewarnt, er würde, falls Servet Genf beträte, seine ganze Autorität aufbieten, um den gefährlichen Irrlehrer nicht lebend aus der Stadt entkommen zulassen (CR 40, 283: „si venerit, modo valeat mea autoritas, vivum exire nunquam patiar“). Nachdem in den ersten Tagen des Jahres 1553 mit der „Christianismi Restitutio“ die Summe seines Werkes in Vienne gedruckt worden war, verfügte Anfang April das Inquisitionstribunal von Lyon Servets Verhaftung, der er sich durch Flucht nach Genf zu entziehen gedachte. Doch er kam – wenn der unpassende Vergleich erlaubt ist – vom Regen in die Traufe: Calvin drang vor dem Genfer Rat auf kurzen Prozess, der nach einigen Verzögerungen mit dem Urteil der Todesstrafe endigte. Dass diese durch Verbrennen erfolgte, geht nicht zu Calvins Lasten: Er hatte für eine mildere Hinrichtungsart plädiert. Im Übrigen aber rechtfertigte er das Vorgehen des Rates und sein persönliches Engagement in einer 1554 (auch auf Französisch) erschienenen Verteidigungsschrift: „Defensio orthodoxae fidei de sacra Trinitate, contra prodigioses errores Michaelis Serveti Hispani: ubi ostenditur haereticos iure gladii coercendos esse et nominatim de homine hoc tam impio iuste et merito sumptum Genevae fuisse supplicium“. Im Unterschied zu tolerant gesinnten Humanisten wie seinem ehemaligen Freund Sebastian Castellio (1515–1563), der unter dem Pseudonym Martinus Bellius mit der Schrift „De haereticis, an sint persequendi“ (1554 lat. und franz.) entschieden gegen die Verbrennung Servets protestiert hatte, fand Calvins Haltung in Wittenberg nicht nur Verständnis, sondern offene Zustimmung. Am 14. Oktober 1554 schreibt Melanchthon an Calvin: „Reverende vir et charissime frater. Legi scriptum tuum, in quo refutasti luculenter horrendas Serveti blasphemias, ac filio
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Dei gratias ago, qui fuit brabeutes huius tui agonis. Tibi quoque Ecclesia et nunc et ad posteros gratitudinem debet et debebit. Tuo iudicio prorsus adsentior. Affirmo etiam, vestros magistratus iuste fecisse, quod hominem blasphemum, re ordine iudicata, interfecerunt.“ (CR 8, 362) Ähnliche Äußerungen lassen sich auch bei anderen Theologen der Wittenberger Reformation finden; sie zollen Calvin kritiklosen Beifall und erklären, die Genfer Richter hätten recht getan, als sie Servet mit dem Feuertod bestraften.
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Lit.: E.-W. Böckenförde, Religionsfreiheit als Aufgabe der Christen. Gedanken eines Juristen zu den Diskussionen auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil, in: StZ 176 (1965), 199– 212. – Evangelische Kirche in Deutschland, Evangelische Kirche und freiheitliche Demokratie. Der Staat des Grundgesetzes als Angebot und Aufgabe. Eine Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 1985 (Zitiert wird unter Angabe der jeweiligen Abschnitts- und Unterabschnittsziffern.). – Evangelische Kirche in Deutschland, Christentum und politische Kultur. Über das Verhältnis des demokratischen Rechtsstaates zum Christentum, Hannover 1997. (Zitiert wird unter Angabe der jeweiligen Artikelziffer.) – J. Habermas, Glauben und Wissen, Frankfurt a.M. 2001. – E. Herms, Theologie und Politik. Die Zwei-Reiche-Lehre als theologisches Programm einer Politik des weltanschaulichen Pluralismus, in: ders., Gesellschaft gestalten. Beiträge zur evangelischen Sozialethik, Tübingen 1991, 95–124. – W. v. Loewenich, Luthers Stellung zur Obrigkeit, in: W.P. Fuchs (Hg.), Staat und Kirche im Wandel der Jahrhunderte, Stuttgart u.a. 1966, 53–68. – M. Luther, Von weltlicher Oberkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei (Wittenberg 1523; WA 11 [229] 245–281; zu den älteren Drucken 230ff.). – W. Maurer, Historischer Kommentar zur Confessio Augustana, Bd. 1, Gütersloh 1976. – T. Müntzer, Außlegung des andern unterschyds Danielis deß propheten (Die Fürstenpredigt). Außgetrückte emplößung des falschen Glaubens. Hoch verursachte Schutzrede, Faksimileausgabe der Originaldrucke und neuhochdeutsche Übersetzung hg.v. M. Steinmetz, Berlin 1975. – N. Paulus, Protestantismus und Toleranz im 16. Jahrhundert, Freiburg 1911.
Der Fall Michael Servets scheint nur einen Religionsfreiheit und zivile Schluss zuzulassen: „Die Toleranz (ist) keine Toleranz Frucht des Protestantismus“ (Paulus, 339); im Gegenteil: Die Reformation sowohl in Genf als auch in Wittenberg ist – vom Staatskirchentum Zwinglis in Zürich und den in der Limmat ertränkten Täufern zu schweigen – eine geschichtliche Erscheinungsgestalt religiöser Intoleranz. Wenn es gleichwohl nicht bei diesem Schluss belassen, sondern wenn ein erneuter Anlauf genommen wird, die reformatorische Verhältnisbestimmung von kirchlicher Vollmacht und staatlicher Gewalt zu erfassen, dann nicht aus apologetischen Gründen der Entschuldigung, sondern ausschließlich aus Gründen einer differenzierten Urteilsbildung, welche es erlaubt, zwischen Faktizität und Geltung zwar nicht zu trennen, wohl aber zu unterscheiden. Knapp drei Jahrzehnte vor der Hinrichtung Servets hielt Thomas Müntzer (um 1490–1525) am 13. Juli 1524 auf dem Schloss der kleinen kursächsischen Enklave Allstedt in der Goldenen Aue, wo er von März 1523 bis August 1524 Pfarrer war, „vor den tätigen, teuren Herzogen und Vorstehern zu Sachsen“, wie er damals noch
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sagen konnte, eine Predigt über „des andern Unterschieds Danielis des Propheten“, will heißen: über das zweite Kapitel des alttestamentlichen Danielbuches. Dieses Kapitel enthält den Bericht über Umstände und Inhalt eines Traumgesichts, das einst den Weltenherrscher Nebukadnezzar überkam und das der Israelit Daniel ihm deutete, nachdem zuvor die babylonischen Wahrsager und Weisen sich als unfähig erwiesen hatten. In seinem Schreckenstraum erscheint dem König von Babel eine Riesenstatue aus vier Metallen, nämlich mit goldenem Haupt, silbernem Oberkörper, bronzenem Unterleib und eisernen Schenkeln, die in Füße auslaufen, welche aus Eisen und Ton gemischt sind. Auf geheimnisvolle Weise löst sich ein Stein, rollt auf das Standbild zu, um es zu zertrümmern und daraufhin so sehr anzuschwellen, dass er die ganze Erde erfüllt. Daniels Traumdeutung erkennt im Riesenstandbild das Wahrzeichen von vier weltbeherrschenden Königreichen (vgl. auch Dan 7,1–14), deren erstes Nebukadnezzar selbst repräsentiere. Nach ihm werde ein geringeres Königtum aufkommen, gefolgt von einem abermals erdumfassenden dritten. Wenn das besonders gewalttätige vierte schließlich in eiserne und tönerne Enden auslaufe, so kennzeichne dies einen Zwiespalt von Stärke und Schwäche, der anhalte, bis die Sukzession der vier Weltreiche abgelöst werde von einem unvergänglichen, eschatologischen Reich, welches der Stein versinnbildliche. Nach unter Juden wie Christen üblich gewordener Exegese, die sich über das Reformationszeitalter hinaus bis ins 18. Jahrhundert durchhielt, wurde Dan 2 im Sinne einer geschichtstheologischen Lehre von Monarchien der folgenden epochalen Reihung verstanden: (assyrisch-)babylonisches Reich; medisch-persisches Reich; griechisch-makedonisches Reich Alexanders und seiner Nachfolger; römisches Reich samt mittelalterlicher Folgegestalten, in welchen die letzte erdumfassende Ordnungsmacht vor dem Weltende zu erblicken ist. Müntzer schließt an dieses so genannte Monarchienschema direkt an, um seiner Zeit, welche er als die letzte des alten Äons deutet, das nahe bevorstehende Reich Gottes anzusagen. Dabei verfällt die Gegenwart bereits jetzt dem eschatologischen Gerichtsurteil. Unter dem verkehrten Schein des Christlichen, so Müntzer, treibt der Antichrist sein widriges Unwesen. Der eigentliche Fürst dieser Welt ist niemand anders als der sich an Gottes Statt setzende Satan, dessen teuflisches Reich übermächtig geworden ist. Seine Bosheit, von der die Sünde besessen ist, treibt die Welt des Bösen der Hölle zu, um sie dem bodenlosen Abgrund verfallen zu lassen, welchen sie selbst sich bereitet hat, ja welcher das Böse an sich selbst ist. In dieser apokalyptischen Situation endzeitliMüntzers Zwei-Reiche-Lehre chen Schreckens verheißt Rettung allein der sound Luthers Obrigkeitsschrift fortige und rückhaltlose Entscheid für das eschatologische Reich Gottes, dessen baldiges Kommen mit allen Mitteln zu fördern ist. Müntzers „Zwei-Reiche-Lehre“ ist nicht nur dualistisch, sondern radikal antagonistisch: Angesichts des unmittelbar bevorstehenden Sturzes des vom Teufel beherrschten irdischen Reiches und des nahen Endes des alten, vergehenden Äons dürften die Mächtigen dieser Erde nicht davor zurückscheuen, zum Schwert zu
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greifen, um für die Auserwählten Gottes zu streiten und die Gottlosen zu vertilgen. „Denn die Gottlosen haben“, wie es ausdrücklich heißt, „kein Recht zu leben, allein was ihnen die Auserwählten wollen gönnen.“ (24; neuhochdeutsche Übersetzung) In der für ihn charakteristischen alttestamentarischen Strenge, die von prophetischem Selbstbewusstsein getragen ist, hält Müntzer daher seinen fürstlichen Hörern vor: „Wollt ihr nun rechte Regenten sein, so müßt ihr das Regiment bei der Wurzel anheben und wie Christus befohlen hat. Treibt seine Feinde von den Auserwählten, denn ihr seid die Mittler dazu. Liebe, gebt uns keine schalen Fratzen vor, daß die Kraft Gottes es tun soll ohn euer Zutun des Schwerts, es könnte euch sonst in der Scheide verrosten.“ (20; neuhochdeutsche Übersetzung) Die kursächsischen Herrscher waren nicht die Einzigen, die sich diesem Aufruf versagten. In der Nacht vom 7. zum 8. August 1524 muss Müntzer aus Allstedt fliehen. Nachdem die verfasste Obrigkeit als mögliches Organ einer legalen Revolution ausgefallen war, proklamiert er das Widerstandsrecht und die Herrschaft des gemeinen Mannes, um auf diese Weise die „Fürstenreformation“ zu einer – das Priestertum aller Gläubigen wahrhaft realisierenden – „Volksreformation“ umzugestalten. Er identifiziert sich mit der Bewegung der aufständischen Bauern und entwickelt einen antifeudalen, auf Volksherrschaft ausgerichteten Umsturzplan in Thüringen. Nach bescheidenen Anfangserfolgen, die sich als wenig dauerhaft erweisen sollten, führt er ein Bauernheer auf dem Schlachtberg bei Frankenhausen geradewegs in den Untergang. Kurz darauf wird Müntzer nahe Mühlhausen mit dem Schwert hingerichtet und gespießt. Man wird nicht behaupten können, dass Luther den Tod Müntzers übermäßig betrauert hat. Zu groß, ja unüberbrückbar war die sachliche Kluft zwischen beiden Männern und ihrer jeweiligen „Zwei-Reiche-Lehre“ geworden. Dass ihn mit dem „Rebell in Christo“, wie Ernst Bloch Müntzer genannt hat, theologisch und politisch so viel wie nichts mehr verband, hatte Luther bereits ein Jahr vor dessen Allstedter Fürstenpredigt unüberhörbar deutlich gemacht, nämlich in seiner Johann von Sachsen gewidmeten Schrift „Von weltlicher Obrigkeit“. Der Text, der seinerseits auf zwei Predigten zurückgeht, die Luther am 24. und 25. Oktober 1522 in der Weimarer Schlosskirche vor dem damaligen Herzog Johann und dessen Sohn Johann Friedrich gehalten hatte (vgl. WA 10/III, 371ff.; 379ff.), ist in drei Teile gegliedert: Ein erster (WA 11, 246–261) dient dem Nachweis, dass die Ordnung weltlicher Obrigkeit notwendig und gottgeboten, die Möglichkeit christlicher Teilhabe an ihrem Amt grundsätzlich vorhanden sei. Sodann (WA 11,261– 271) wird erörtert, wie weit der Zuständigkeitsbereich weltlicher Obrigkeit reiche und inwiefern deren Reich und Regiment auf eine gottgesetzte Grenze stoße. Ein dritter und letzter Teil (WA 11,271–280) entwickelt unter unmittelbarem Bezug auf den Primäradressaten der Schrift Begriff und Bestimmung eines christlichen Fürsten. Im Gegensatz zu der als sophistisch kritisierten Das Reich zur Rechten und scholastischen Theologie geht Luther davon aus, zur Linken dass das Friedensgebot Christi und sein Aufruf,
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auf Gewalt zu verzichten, nicht nur für den auserwählten Stand der Vollkommenen, sondern prinzipiell für alle Christen gelte. Wenn gleichwohl die öffentliche Rechtsgewalt weltlicher Obrigkeit notwendig sei, dann deshalb, weil nicht alle Welt aus rechten Christen bestehe. Wäre dies der Fall, dann allerdings bedürfte es keines weltlichen Schwerts noch Rechts: Denn das Reich Gottes wäre in der Kraft des Geistes Christi, welcher die Herzen vom Bösen zum Guten und zu vorbehaltloser Liebe dem Nächsten gegenüber bekehrt, auf Erden manifest. Die Obrigkeit, als deren entscheidendes Kennzeichen die Schwertgewalt, will heißen: die rechtlich geordnete Macht, wider Willen zu zwingen, zu gelten hat, ist um des Bösen und des verbleibenden Ungeistes des Nicht- bzw. Antichristlichen willen unverzichtbar. Ihr wesentlicher Sinn, zu dem sie von Gott her bestimmt ist, besteht in dem Zweck, der wuchernden Auswirkung des Unrechts durch Aufrichtung äußerer Schranken zu wehren und Leib und Leben der Untertanen zu fördern sowie vor internem oder externem Angriff zu schützen. Während Gott im Reich zur Rechten, in welchem Glaube und Liebe wohnen, völlig zwanglos und allein durch den Geist des Evangeliums regiert, bedient er sich im Reich zur Linken, in welchem der die Verkehrtheit der Sünde beherrschende Ungeist des Bösen übermächtig zu werden droht, der Zwangsgewalt weltlicher Obrigkeit, um sein Regiment als Schöpfer und Erhalter der Welt zu üben. Das Amt weltlicher Obrigkeit ist in diesem Sinne zwar elementar auf das Böse bezogen, ohne dessen Untat es nicht nötig wäre, aber unbeschadet dessen an sich selbst ein göttliches Gut, an welchem teilzuhaben und mitzuwirken dem Christen nicht nur erlaubt, sondern um des Nächsten willen geboten ist. Nicht um seiner selbst willen, wohl aber seinem Nächsten zugute hat der Christ nach Luther das Recht und die Pflicht, das Amt weltlicher Obrigkeit zu üben. Innerlich vom Gesetze der Welt befreit, wird der Christ doch äußerlich auch vor dem Einsatz rechtlich geordneter Zwangsgewalt nicht zurückscheuen, wenn es darum geht, Leib und Leben des Nächsten zu schützen. Mit der Unterscheidung von innerlich und äußerlich, die ebenso wenig wie analoge Differenzierung als Trennung missverstanden werden darf, ist die Grenze markiert, die nach Maßgabe von Luthers Lehre zu Begriff und Wesen gottgewollter weltlicher Obrigkeit gehört: Ihre Zuständigkeit erstreckt sich ausschließlich auf Leib und Leben des äußeren Menschen, während der innere Mensch und das Heil der Seele nicht zu ihrer Disposition stehen und nicht zu ihrer Disposition gestellt werden dürfen. In der Wahrung dieser Grenze liegt die eigentümliche Würde und Christlichkeit weltlicher Obrigkeit begründet; totalitäre Entschränkung hingegen, welche den Unterschied von Leib und Seele missachtet, ist ein sicheres Indiz der Herrschaft des Antichristen, in der unter dem Schein des Rechts das Böse selbst das göttliche Regiment zu usurpieren trachtet. Von daher versteht sich Luthers strikte Absage an alle theokratisch und cäsaropapistisch angelegten Formationen zivilen Gemeinwesens. Eine konkrete Folge davon ist die bereits erwähnte Forderung der Abschaffung des sog. Großen Bannes, dessen mittelalterliche Ordnung kirchliches Exkommunikationsrecht mit politischer Ächtung unscheidbar verbunden sein ließ, sowie die Ablehnung von Religionskriegen, die als dem Wesen des auf zwang-
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lose Überzeugung ausgerichteten Christentums zuwider und als in sich ungerecht gebrandmarkt werden. Wo eine Obrigkeit das göttliche Geschäft, die Seelen zu lenken und zu leiten, eigenmächtig zu Die Kunst des Unterscheidens verrichten beansprucht, da hat dieselbe heillose Verkehrung statt wie dort, wo die Kirche, welche bestimmungsgemäß durch Evangeliumsverkündigung in Wort und Sakrament dem Geiste Christi zu dienen hat, das Schwertamt sich anmaßt. Der theoretische Grund von Religions- und Gewissensfreiheit im Sinne Luthers und der Wittenberger Reformation ist damit gelegt: „Zum glawben kan unnd soll man niemants zwingen.“ (WA 11, 264,23) Indem der christliche Fürst, wie er Luther in Gestalt Herzog Johanns vor Augen steht, als Repräsentant weltlicher Obrigkeit die Unterscheidung von „politia“ und „ecclesia“ bzw. „potestas civilis“ und „potestas ecclesiastica“ achtet und sein Tun und Walten auf die Sicherung und Förderung leiblich-äußerer Sphäre zivil-politischer Freiheit (auf den Brotkorb, wie es im Katechismus heißt) beschränkt, entspricht er seinem Begriff und wird seinem Amt und Wesen gerecht. Die konkreten Ratschläge, die zum Abschluss der Obrigkeitsschrift erteilt werden und die vor allem für die Einhaltung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit der Mittel plädieren, folgen dieser Grundsatzregel und bestätigen sie. Im Jahre 1523 sah Luther als die oberste Spitze weltlicher (legislative, judikative und exekutive Gewalt noch ungeteilt in sich vereinender) Obrigkeit, der er sich untertan wusste, unzweifelhaft den Kaiser in seiner Eigenschaft als Reichsoberhaupt an. Erst später ließ er sich aus Anlass der – vor dem Einsatz von Waffengewalt notfalls nicht zurückscheuenden – antireformatorischen Haltung Karls V. von den kursächsischen Juristen widerstrebend davon überzeugen, dass als der eigentliche Souverän von Gottes Gnaden der Territorialfürst zu betrachten sei, welchem deshalb das Recht zu territorialer Bündnispolitik und unter bestimmten Bedingungen auch das Recht des Widerstands gegen den Kaiser zukomme. Diese Entwicklung zeigt auf ihre Weise erneut, wie eng die reformatorische Bewegung in Deutschland historisch mit der frühneuzeitlichen Emanzipation der Territorialstaaten von der Oberhoheit des Reichs verbunden war. Ein weiterer Beleg für diesen geschichtlichen Sachverhalt ist die Ausbildung des landesherrlichen Summepiskopats in den reformatorischen Gebieten. Am Institut des landesherrlichen Kirchenregiments lässt sich trotz aller auch hier gebotenen Differenzierungen zugleich beispielhaft ersehen, dass die Wittenberger Reformation das in Luthers Obrigkeitsschrift skizzierte Theorieprogramm, das man später als Zwei-Reicheoder Zwei-Regimente-Lehre bezeichnete und das bis heute das wichtigste Orientierungsschema für die politische Ethik lutherischer Provenienz darstellt, auch im eigenen Einflussbereich nur bedingt zu realisieren und zur Durchsetzung zu bringen vermochte. Es bestätigt sich – wenngleich weniger spektakulär als im Falle Servets –, dass die Durchführung der Reformation in den Territorien nur eingeschränkt den Prinzipien entsprach, die in Bezug auf die Verhältnisbestimmung von „potestas ecclesiastica“ und „potestas civilis“ theologisch entwickelt wurden.
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Selbst theoretisch wurden die Grundsätze der Lehre von den beiden Regimenten in der Wittenberger Reformation nicht durchgängig eingehalten. Hieß es ursprünglich „Haereticos comburi est contra voluntatem spiritus“ (WA 7,139,14) – ein Satz Luthers, der in die Bannandrohungsbulle „Exsurge domine“ vom 15. Juni 1520 aufgenommen (vgl. DH 1483) und später vom Reformator nachdrücklich verteidigt wurde –, so weist etwa die Schrift „Von den Schleichern und Winckelpredigern“ von 1532 (WA 30/III,510–527) signifikante Einschränkungen auf. Obwohl Luther im Unterschied zu den Erasmianern etwa den Gedanken eines christlichen Staates zeitlebens energisch abgelehnt hatte, wollte er ab einem bestimmten Zeitpunkt seiner Entwicklung gleichwohl öffentliche Ketzerei als strafwürdig verboten wissen. Zwar wurde die Notwendigkeit obrigkeitlichen Einschreitens gegen die Häresie nicht mit der gebotenen Bewahrung der Seelen vor ewigem Verderben, sondern mit der Verpflichtung begründet, der Unordnung und dem Aufruhr zu wehren. Insofern hielt der Reformator an seiner ursprünglichen Überzeugung fest, dass der Glaube unerzwingbar und das Evangelium nicht mit Mitteln der Gewalt zur Durchsetzung zu bringen sei. Faktisch aber führte seine namentlich im Zusammenhang der Erfahrungen der Bauernkriege sich ausbildende Annahme, um der Ordnung und Einheit im Lande willen sei Ketzerei auch mit weltlichen Maßnahmen zu bekämpfen, zu der Konsequenz, dass Luther die obrigkeitliche Todesstrafe für hartnäckige Anhänger insonderheit der anabaptistischen Bewegung für rechtens erklären konnte. Nun ist die Gefahr einer Zersetzung der politischen Ordnung ziviler Öffentlichkeit und ihrer äußeren Rechts- und Freiheitssphäre durch „Ketzerei“ in der Tat nicht einfachhin in Abrede zu stellen. Offenkundig gegeben ist sie dann, wenn etwa die Herrschaft Gottes mit Mitteln weltlicher Macht und Gewalt aufgerichtet werden soll, wie das im radikal-eschatologischen Enthusiasmus eines Thomas Müntzer durchaus der Fall war, welcher das Gottesreich notfalls herbeizwingen wollte, wobei er eine Duldung Andersdenkender nicht kannte. Dies wird man Luther zugute halten müssen. Auch heute gehört die Markierung seiner Grenzen im Sinne festgelegter Ordnung im Umgang mit intoleranter Gewalttat unveräußerlich zur Bestimmung des Toleranzbegriffs. Kritisch ist gegen Luther indes die Tatsache zu wenden, dass er die Strafwürdigkeit der Ketzerei nicht klar auf manifest totalitäre, die zivile Ordnung durch erklärte Aufhebungsbestrebungen elementar gefährdende Häresien beschränkte, wie das von seiner Zwei-Regimente-Lehre her gefordert war. „Abusus non tollit usum“: Die erwähnten MissPrinzipieller Antitotalitarismus bräuche heben nicht auf, dass die Reformation über theoretische Potentiale verfügt, auf das Scheitern ihrer gesamtkirchlichen Reformbemühungen und auf die nachfolgende Konfessionsspaltung konstruktiv und in einer Weise zu reagieren, welche die Unterscheidung von Recht und Religion sowie die Gedanken von Religionsfreiheit und Toleranz als mit der reformatorischen Einsicht nicht nur vereinbar, sondern urDas Problem des Ketzerrechts
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sprünglich vereint erkennen lässt. Grundlegend hierfür ist die erwähnte und namentlich von Luther geforderte strikte, wenngleich nicht als Trennung misszuverstehende Unterscheidung von „politia“ und „ecclesia“, der leiblich-äußeren Sphäre zivil-politischer Freiheit und der geistlichen, die innere Seele des Menschen betreffenden Sphäre des Glaubens, hinsichtlich derer jeder Zwang konsequent zu vermeiden ist. Anders gesagt: Das im Gewissensbezug zu Gott begriffene Innere der Menschenseele kann und darf nach Maßgabe reformatorischer Grundeinsicht nicht zur Disposition der Politik und ihrer Machtmittel gestellt werden, deren Zuständigkeit vielmehr auf Erhalt und Förderung von Leib und Leben zu beschränken ist, welche antitotalitäre Beschränkung die eigentümliche Grenze, aber auch Würde allen weltlichen Geschäfts ausmacht. Man vergleiche in diesem Zusammenhang exemplarisch Luthers Haltung zu den Türkenkriegen: „Der gerechte Krieg ist kein Religionskrieg, und der Religionskrieg ist kein gerechter Krieg – das ist eine Konsequenz seiner Zweireichelehre, die Luther in bezug auf den Türkenkrieg gezogen hat. Daß der Kaiser keinen Glaubenskrieg zu führen, sondern seine Fürsorgepflicht zu erfüllen hat, daß er also nicht mit falschem Selbst- und Berufungsbewußtsein zu Felde ziehen darf, das ist der Sinn der Mahnungen, die Luther an seinen Karolus richtet: ‚Denn der keiser ist nicht das heubt der Christenheit noch beschirmer des Euangelion odder des glaubens‘.“ (Maurer, 155 mit Verweis auf WA 30 II, 130, 27f.) Zu verweisen ist fernerhin erneut auf die unter mittelalterlichen Bedingungen durchaus revolutionäre Forderung der Abschaffung des sog. Großen Bannes, dessen mangelnde Unterscheidung geistlicher und weltlicher Strafe Luther ebenfalls als unstatthafte Vermengung von „potestas ecclesiastica“ und „potestas civilis“ kritisierte. Mit dem letztgenannten Hinweis ist zugleich die kritische Pointe der Zwei-Regimente-Lehre in ekklesiologischer Hinsicht angesprochen. Sie wendet sich, wie schon gesagt, im Wesentlichen gegen ein Verständnis der Kirche als herrschaftlicher „monarchia externa“ und gegen das Bestreben, die kirchliche Aufgabe mit Mitteln weltlichen Rechtszwangs zu bewerkstelligen. Nicht dass damit die kirchliche Jurisdiktionsvollmacht überhaupt bestritten worden wäre: Als geistliches Exkommunikationsrecht wird sie reformatorischerseits nicht nur nicht in Abrede gestellt, sondern ausdrücklich für notwendig und „iure divino“ geboten erklärt. Aber die primär als geistliches Exkommunikationsrecht wahrzunehmende kirchliche Jurisdiktionsvollmacht ist streng der Evangeliumsverkündigung in Wort und Sakrament zugeordnet. Zwar hat die kirchliche Jurisdiktion der Evangeliumsverkündigung gegenüber eine bestimmte Eigenbedeutung, aber nur eine Bedeutung von relativer Eigenart, die in ihrer eigenartigen Relativität allein dann erfasst wird, wenn man die „potestas iurisdictionis ecclesiae“ und ihr Rechtsgesetz der in der „potestas ordinis ecclesiae“ inbegriffenen evangelischen Vollmacht eben nicht gleich- oder gar über-, sondern ausschließlich dienend zuordnet. Dabei besteht der Dienst kirchlicher Jurisdiktion an der Evangeliumsverkündigung nachgerade darin, die Negation des Evangeliums zu negieren, um auf diese Weise dessen positive Verkündigung, in der sich der Sinn bestimmter jurisdiktioneller Negation erfüllt,
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zu befördern. So gesehen besteht der eigentümliche Sinn kirchlicher Jurisdiktion in der Tendenz, sich zum bloßen Moment der Evangeliumsverkündigung herabzusetzen und nach Möglichkeit selbst überflüssig zu machen, wie denn auch Exkommunikation letztlich nur einen Zweck verfolgen darf, nämlich die Kommunikation des Evangeliums zu wahren und evangelische „communio“ zu erhalten bzw. zu redintegrieren. Aus dieser limitierten Aufgabenbestimmung Ziviles Recht und kirchliche kirchlicher Jurisdiktion folgt, wie unschwer zu seJurisdiktion hen ist, dass diese ihrem theologischen Auftrag nur dann gerecht wird, wenn sie sich von weltlichem Rechtszwang eindeutig unterscheidet. Im Sinne der Eindeutigkeit dieser Unterscheidung muss kirchlicher Jurisdiktion deshalb alles daran gelegen sein, ihren Rechtsspruch nicht mit Zwangsfolgen zu verbinden, welche auf die zivile, äußerlich-leibhafte Weltexistenz des Betreffenden zielen. In der Konsequenz dessen wurde, wie gesagt, der Große Bann reformatorischerseits zu einem illegitimen Mittel kirchlicher Jurisdiktion erklärt und theologisch für unmöglich befunden. Trotz dieser mit ekklesiologischer Notwendigkeit gebotenen Folgerung wäre es falsch zu sagen, dass sich die Kirche als Kirche weltlicher Herrschaft gegenüber lediglich ausschließend verhält. Vielmehr hat zu gelten, dass die „potestas ecclesiastica“ ihre grundsätzliche Unterschiedenheit von der „potestas civilis“ nur dann recht wahrzunehmen und zu realisieren vermag, wenn sie diese Unterschiedenheit in ihren eigenen Begriff aufnimmt und ihr durch Selbstdifferenzierung an sich selbst entspricht. D.h., die „potestas ecclesiastica“ kann dem Unterschied ihrer selbst zur „potestas civilis“ nur dann gerecht werden, wenn sie diesen Unterschied auf sich selbst dergestalt anwendet, dass sie in selbstbezüglich-reflexer Weise zwischen einer im eigentlichen Sinne geistlichen Vollmacht, wie sie in Evangeliumsverkündigung und Exkommunikationsrecht sich manifestiert, und solchen Vollmachten unterscheidet, die nun gerade nicht grundsätzlich, sondern lediglich in relativer Weise von den Aufgaben des weltlichen Regiments unterschieden sind, wie das bei allen kirchenamtlich-administrativen Handlungsvollzügen der Fall ist, die es mit der äußeren Rechtsordnung der Kirche als einer „societas externa“ zu tun haben. Solche Handlungsvollzüge und entsprechende Kompetenzzuweisungen sind ebenso nötig, wie es ekklesiologisch unentbehrlich ist, dass sich Kirche als rechtlich geordnetes Gemeinwesen etabliert, um innerhalb der zivilen Welt institutionelle Gestalt anzunehmen. Doch entsprechen die auf die äußere Rechtsordnung der Kirche gerichteten kirchenamtlichen Maßnahmen ihrer theologischen Bestimmung nur dann, wenn sie sich nicht mit dem Evangelium verwechseln, sondern darauf beschränken, gebotenes Menschenwerk zu sein. Als Quintessenz lässt sich zusammenfassend folgender Grundsatz formulieren: „Einer Kirche, die mit Zwangsmaßnahmen auch über die äußere Existenz herrschen will, entspricht ein Staat, der auch die innere Gesinnung mit Terror erzwingen will. In der Vermischung der beiden Gewalten besteht das Wesen des Totalitarismus.“ (v. Loewenich, 57f.) Diesen – in seinen theokratischen, cäsaropapi-
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stischen oder welchen Formen auch immer – zu verhindern und zu bekämpfen, ist der wesentliche Sinn lutherischer Zwei-Reiche- oder besser: Zwei-Regimente-Lehre. Hält man sich die mit ihrer strikten Unterscheidung von „potestas ecclesiastica“ und „potestas civilis“ in negativer Hinsicht verbundene prinzipiell antitotalitäre Tendenz vor Augen, so lässt sich die Zwei-Reiche-Lehre unter positivem Aspekt mit Recht und guten Gründen als theologisches Programm einer Politik des weltanschaulichen Pluralismus deuten. Dabei ist hinzuzufügen, was im Vergleich zu Pluralismuskonzepten, die einen tendenziellen Indifferentismus zur Voraussetzung haben, als die entscheidende Pointe dieses Programms gelten kann, dass nämlich die Zwei-Reiche-Lehre „das politische Eintreten für einen prinzipiellen weltanschaulich-ethischen Pluralismus nicht aus religiöser oder ethischer Indifferenz (verlangt), sondern aufgrund und in Kraft einer spezifischen religiös-ethischen Bindung“ (Herms, 123). Die Zwei-Reiche-Lehre ist in diesem Sinne „nicht die Theorie der Trennung von Glaube und Politik, sondern ... die theologische Theorie spezifisch christlicher Politik“ (ebd.), welche die „Ganzheitlichkeit einer Lebensorientierung an der Gewissheit des Glaubens ... mit der prinzipiellen Anerkennung des weltanschaulichen Pluralismus“ (Herms, 122) insofern verbindet, als zu den unveräußerlichen Gehalten des Glaubens die Überzeugung gehört, dass Gewissensgewissheit nicht zu erzwingen ist, der Streit der Gewissen daher durch keine Gewaltmittel entschieden werden kann und darf, sondern einzig und allein gewaltlos auszutragen ist. Dass dies entsprechend geschehen kann, dafür hat eine prinzipiell nichttotalitäre Ordnung des Gemeinwesens zu sorgen, welche Sorge den möglichen Einsatz rechtlich geordneter, auf Schutz und Erhalt von Leib und Leben ausgerichteter und der Gewaltlimitierung und -minimierung dienender Zwangsmittel nicht aus-, sondern einschließt. Wehrhafter Antitotalitarismus und konseGlaubensgewissheit und quentes Eintreten für zivile Toleranz gehören in Gewissensfreiheit diesem Sinne untrennbar zusammen, wie denn auch das Plädoyer für die Freiheit des Gewissens aus der Gewissheit des Glaubens selbst hervorgeht. Ziel einer reformatorisch motivierten und bestimmten Politik kann und darf es daher nicht sein, tendenziell jene homogene, geschlossene und traditional geordnete Gesellschaftsform zu restaurieren, deren Zerfall, wie er im Reformationszeitalter statthatte, die entscheidende Voraussetzung der Moderne darstellt. Vielmehr gilt es angesichts totalitärer Entartungen der Neuzeit, wie sie sich namentlich im 20. Jahrhundert in verheerender Weise ereigneten, die moderne Ausdifferenzierung von Kirche und Staat, Religion bzw. religiöser Moral und Recht sowie rechtlich geordneter Politik nicht nur äußerlich zu akzeptieren, sondern um des eigentümlich Christlichen willen anzuerkennen. Die Anerkennung von Religionsfreiheit und Ziviltoleranz als eines verbindlichen Rechtsgrundsatzes entspricht dem bzw. hat dem zu entsprechen. Indes handelt es sich bei diesem Rechtsprinzip im Sinne der besagten Differenzierung von Religion und Recht, die mit der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre nicht nur äußerlich zusammenstimmt, sondern innerlich übereinkommt, um – wie mehrfach betont – einen Grundsatz
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des auf die Bedingungen der äußeren Erhaltungsordnung zurückgenommenen Rechts; und nur als solcher ist er nach Maßgabe moderner Rechtsstaatlichkeit zu fordern und gefordert. Religionsfreiheit bedeutet daher „keineswegs einen moralischen Freibrief für den einzelnen, die Religionsfrage nach Belieben zu handhaben, und auch keine Entlassung aus der Verpflichtung gegenüber der Wahrheit. Sie bedeutet nur Schutz und Sicherung der äußeren Möglichkeit, Gott der Norm des Gewissens entsprechend zu verehren und seine Religion privat und öffentlich zu bekennen, also Schutz gegenüber Zugriffen anderer Menschen und Zugriffen der staatlichen Gewalt. Und sie gilt, wie jede rechtliche Freiheit, nur in den Grenzen, die sich aus der Notwendigkeit eines geordneten und friedlichen sozialen Zusammenlebens in einer staatlichen Gemeinschaft ergeben, ist also ihrerseits kein Freibrief für sozial unverträgliches und intolerantes Verhalten, wie es möglicherweise von bestimmten Sektengemeinschaften her drohen könnte.“ (Böckenförde, 211f.) Der gesellschaftliche Realisierungsmodus rechtsstaatlicher Religionsfreiheit und Toleranz ist insofern auch nicht jene alles relativierende Gleichgültigkeit, welche repressiv zu nennen aller Anlass besteht, sondern ein Diskurs, der zwar kein Kampf der Fäuste sein darf, wohl aber ein Kampf der der Wahrheit verpflichteten Geister sein muss. Rechtsstaatlichkeit und – wenn man so will – Streitkultur gehören untrennbar zusammen. Ein indifferentistisches Verständnis von Toleranz widerspricht deren Begriff. Denn eine prinzipielle Relativierung jedes Wahrheitsanspruches beseitigt in durchaus intolerant zu nennender Weise das Problem, welches zu bewältigen der Toleranz aufgetragen ist. Keineswegs stehen daher Toleranz und Bindung an erkannte Wahrheit in einem grundsätzlichen Widerspruch zueinander. Indes gilt zugleich, dass niemand einen Rechtsanspruch darauf hat, seine Weltund Lebensanschauung außerhalb des Mediums des Wortes auf eine unmittelbare, d.h. gewaltsame Weise durchzusetzen. Ein solcher Anspruch hat vielmehr unter christlichen Bedingungen als prinzipiell ausgeschlossen und der Wahrheit selbst widersprechend zu gelten. Was der christlichen Wahrheit entspricht und die Basis christlich zu fordernder Toleranz ausmacht, ist durchaus bündig zusammengefasst in dem Grundsatz: „Sine vi, sed verbo“ (vgl. CA XXVIII, 21). Die theologische Einsicht, dass Gott allein es ist, der ohne jede Gewalt und allein durch die Ohnmacht des Wortes sich als mächtig erweist, spricht keineswegs gegen diesen Grundsatz und seine verpflichtende Verbindlichkeit; sie zeigt freilich an, dass seine Befolgung die Verheißung göttlicher Erfüllung zur Voraussetzung hat. Das Verhältnis unserer kirchlich-staatlichen Gegenwart zu den Gegebenheiten des 16. Jahrhunderts und zur reformatorischen Zwei-Regimente-Lehre, wie sie Luthers Obrigkeitsschrift exemplarisch entwickelt hat, ist gewiss kein einfachhin kontinuierliches. Anderes wird man ernsthaft nicht behaupten wollen. Um Modifikationen und gegebenenfalls um Korrekturen der reformatorischen Vorgaben wird man also, was die theologische Bestimmung des differenzierten Zusammenhanges von Kirche und Staat betrifft, nicht umhinkönnen. Um nur einige wenige Aspekte einer im Vergleich zum Reformationsjahrhundert grundlegend gewandelten Welt eigens zu benennen: Der Prozess der Differenzierung und Pluralisierung
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hat sich im Verlauf der Moderne immer mehr beschleunigt, um in unseren spätmodernen Zeiten eine Geschwindigkeit zu erreichen, deren weitere Steigerung schwer vorstellbar ist. Eine die gesamte Gesellschaft umfassende und durchdringende Kultureinheit lässt sich unter diesen Bedingungen kaum mehr identifizieren. Am ehesten noch sind es die Gesetze des Marktes, welche die pluralen Lebenswelten und ihre kulturellen Variationsformen zusammenhalten. In der Tat ist das Geldmedium ein gesellschaftlicher Mittler und Integrator ersten Ranges. Aber zu den geldbestimmten Gesetzen des Marktes müssen Gesetze anderer Art treten, wenn mit einer Gesellschaft Staat zu machen sein soll. Dass nachgerade in staatlicher Hinsicht die Welt des 16. Jahrhunderts eine andere war als die Die Demokratiedenkschrift der EKD unsere, ist evident und bedarf keiner Betonung. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation bzw. der frühabsolutistische Fürstenstaat prägen längst nicht mehr die Verfassung unserer politischen Wirklichkeit. An ihre Stelle ist der freiheitlich-demokratische Staat getreten, welcher jedenfalls im Bereich der Bundesrepublik Deutschland die politische Realität bestimmt. Zu deren verfassungsmäßigen Grundelementen gehören: Rechtsstaatlichkeit; Gewaltenteilung und Herrschaft auf Zeit; das mit Elementen direkter Demokratie verbundene Prinzip der Repräsentation einschließlich entsprechender Funktionszuweisungen für die politischen Parteien; das Minderheitenrechte einschließende Mehrheitsprinzip sowie das durch die Grundrechte der Presse- und Versammlungsfreiheit charakterisierte Prinzip der Öffentlichkeit und der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft. Zwar ist es keineswegs so, dass die Aufgaben, welche reformatorische Theologie traditionellerweise als die obrigkeitlichen bestimmt hat, unter den Bedingungen des modernen Verfassungsstaats nicht mehr bestünden. „Recht zu schützen, Frieden zu wahren, dem Bösen zu wehren und das Gute zu fördern“, ist – mit der Demokratiedenkschrift der EKD von 1985 zu reden (I,3) – das Geschäft jeder Staatlichkeit, die diesen Namen verdient. In diesem Sinne bleibt die von der Reformation ins Zentrum ihrer Aufmerksamkeit gestellte staatliche Ordnungsfunktion ein unverzichtbarer Aspekt auch gegenwärtiger theologischer Lehre. Aber dieser Aspekt ist, um vor falscher Einseitigkeit bewahrt zu werden, zu ergänzen insonderheit um den Gesichtspunkt politischer Mitverantwortung aller Bürger. Ist doch die staatliche Ordnung unter demokratischen Bedingungen keine vorgegebene bzw. übergeordnete, sondern eine Größe, die mitzugestalten und kritisch-konstruktiv fortzuentwickeln eine zivile Grundaufgabe und nachgerade eine Grundaufgabe des Christen als Bürger ist. Um erneut die Demokratiedenkschrift der EKD zu zitieren: „Christen verstehen ihre politische Existenz als den ihnen von Gott zugewiesenen Beruf im Alltag der Welt, sei es als Bürger und Wähler, Mitglieder einer Partei oder Mandatsträger. Deshalb sind sie bereit, konstruktiv an der offenen demokratischen Diskussion teilzunehmen und einen demokratischen Grundkonsens immer neu zu erarbeiten und zu befestigen, innerhalb dessen nach dem Maß menschlicher Einsicht der politische Streit, auch unter Christen, ohne Schaden ausgetragen werden kann.“ (III,4)
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An ihrer grundsätzlichen Bejahung der freiheitlichen Demokratie als Staatsform im Sinne des Grundgesetzes lässt die Evangelische Kirche in Deutschland also keinerlei Zweifel aufkommen. Und das ist gut so und von den theologischen Prinzipien der Reformation gedeckt. Zum Beleg seien noch einmal die beiden Zentralaspekte der traditionellen Zwei-Reiche-Lehre hervorgehoben und mit längeren Passagen der Demokratiedenkschrift kommentiert, nämlich zum ersten der prinzipiell antitotalitäre, die Zuständigkeit des Staates limitierende und eine pluralitätsoffene Gesellschaft erschließende Aspekt, der mit dem zweiten Aspekt der Unterscheidung von „potestas ecclesiastica“ und „potestas civilis“ untrennbar verbunden ist. Zum ersten: Es gilt die Maxime, dass jede Staatsform daran zu prüfen ist, „ob und wie sie Grenzen der Loyalität anerkennt, die der Staat vom Bürger fordert. Die Anerkennung der Religionsfreiheit durch den Staat bildet insofern ein entscheidendes Strukturmerkmal für die wirksame Begrenzung staatlicher Autorität.“ (I,3). Daraus folgt: „Der demokratische Verfassungsstaat zeichnet sich dadurch aus, dass er keine völlige Gemeinschaft unter seinen Bürgern verlangt. Schon gar nicht darf der Anspruch erhoben werden, dass alle politisch bedeutsame Gemeinschaftsbildung staatlich organisiert oder allein durch den Staat bestimmt sein muss. Die grundrechtlich begrenzte Demokratie verträgt nicht nur, sondern fördert unterschiedliche Lebensauffassungen, Überzeugungen und Lebensstile. Ihre Anhänger können sich auch selbständig vereinigen. Toleranz ist ein grundlegendes Strukturmerkmal der freiheitlichen Demokratie. Diese erwartet, aber erzwingt nicht ihre Bejahung. Sie setzt allerdings die Respektierung der Form des politischen Gemeinwesens voraus, in der die Unterschiede toleriert, die Gegensätze ausgetragen und ein gemeinsamer politischer Wille gebildet werden kann. Unter dieser Voraussetzung ermöglicht es die freiheitliche Demokratie, mit Differenzen der verschiedensten Art politisch zu leben. So ist der demokratische Staat offen für die Mitverantwortung von Christen und für den Beitrag der Kirche ebenso wie für die Beteiligung andersdenkender Bürger und Gruppen. Auch deswegen ist er ausdrücklich kein ‚christlicher Staat‘.“ (I,4) Zum zweiten: „Die klare Unterscheidung zwischen dem geistlichen Auftrag der Kirche und dem weltlichen Auftrag des Staates ist die bleibende Voraussetzung für die Bereitschaft zur Demokratie. Die Kirche Jesu Christi lebt allein in der Bejahung dessen, was Gott für uns getan hat. Die Bereitschaft evangelischer Christen zur Demokratie gilt der besonderen Art und Weise, in der die menschliche Verantwortung für das Politische im freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat Gestalt annimmt. Die Unterscheidung von Kirche und Staat entspricht deshalb dem Selbstverständnis der Kirche ebenso wie dem der Demokratie. Erst die Unterscheidung zwischen dem Auftrag der Kirche und dem Auftrag des Staates erlaubt und ermöglicht eine positive Beziehung zwischen beiden.“ (I,1) Wie die spezifische Beziehung zwischen Kirche Der EKD-Text „Christentum und demokratischem Rechtsstaat auf der Basis und Kultur“ ihrer von beiden Seiten anerkannten Unterscheidung positiv zu gestalten sei, ist u.a. in dem EKD-Text „Christentum und Kultur“
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eigens zum Thema erhoben werden. Um in exemplarischer Absicht auch von diesem Dokument einige Leseproben zu geben: „Weist die in der Auslegung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland gebildete Formel von der Neutralität des Staates in die Richtung einer weitergehenden Trennung von Kirche und Staat? Oder ist die Neutralität des Rechtsstaates gerade Teil des spezifischen geschichtlichen Zusammenhanges von Christentum und politischer Kultur? ... Schließen Toleranz und weltanschaulicher Pluralismus eine Bejahung des Christentums in seiner überragenden Prägekraft durch den Staat des Grundgesetzes aus? Oder kann dem Staat wegen seiner eigenen Fundamente das Christentum gerade nicht gleichgültig sein?“ So wird im Vorwort der Erklärung des Rates der EKD über das Verhältnis des demokratischen Rechtsstaates zum Christentum vom damaligen Ratsvorsitzenden gefragt. Die Antwort, welche die Erklärung gibt, orientiert sich an der vom Bundesverfassungsgericht bisher verhältnismäßig konsequent verfolgten Linie der Grundgesetzauslegung, derzufolge „trotz der institutionellen Trennung von Kirche und Staat und bei voller Achtung des Grundrechtes der Religionsfreiheit ein spezifischer, sowohl geschichtlicher wie sachlicher Zusammenhang zwischen Christentum und demokratischem Rechtsstaat bestehe und von der Rechtsprechung zu beachten sei“ (4). Dabei wird vorausgesetzt, dass das Christentum in der Gesellschaft „nicht einfach mit den Kirchen identisch“ (7) gesetzt werden kann. Dies kann schon deshalb nicht der Fall sein, weil die Kirchen als konfessionelle Denominationen, die sie faktisch sind, den Alleinvertretungsanspruch und das Auslegungsmonopol über die christliche Wahrheit eingebüßt haben. Eine andere Frage ist es, ob ein Christentum außerhalb der Kirche, das es unzweifelhaft gibt, ohne die Kirchen eine langfristige Überlebenschance hat. Aber auch wenn man geneigt ist, diese Frage zu verneinen, ändert das doch nichts an der Tatsache, dass spätestens seit den Antagonismen des konfessionalistischen Zeitalters zwischen Kirche und Christentum wenn auch nicht zu trennen, so doch zu unterscheiden ist. Mit der EKD-Studie zu reden: „Das Glaubenszeugnis der Kirche und die kulturelle Prägekraft des Christentums in der Gesellschaft haben unterschiedliche Gestalt und stellen vor unterschiedliche Aufgaben. Im Wissen um diese Unterschiede fördert und begleitet die Kirche in Erfüllung ihres eigenen Auftrages das Christentum in der Gesellschaft und wirkt kritisch und selbstkritisch an dessen Erneuerung mit.“ (7) Ist der differenzierte Zusammenhang von Christentum und Kirche bzw. Kirchen soweit geklärt, so kann sich die Aufmerksamkeit des Weiteren auf das Verhältnis zwischen christlicher Tradition und dem verfassungsgemäß zu religiös-weltanschaulicher Neutralität verpflichteten Staat konzentrieren. Dabei ist zunächst bemerkenswert, dass der Begriff der Neutralität im Grundgesetz selbst nicht ausdrücklich erwähnt wird. Zu beachten ist ferner die terminologische Mehrdeutigkeit des Begriffs und die Tatsache, dass seine Implikationen von den jeweiligen Sachbereichen abhängig sind, auf die er bezogen ist. „Bei staatlichen Kern- und Hoheitsfunktionen, wie Rechtspflege oder Gesetzgebung, fordert Neutralität eher Distanz. Anders ist es, wo der Staat bestimmte Bereiche des gesellschaftlichen Le-
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bens in seine Obhut nimmt, sie mehr oder minder seiner Leitung unterstellt und sie organisiert, wie das beim Schulwesen der Fall ist. Die Leitungsorgane und die Amtsinhaber dieser Einrichtungen sind dem Staate zuzurechnen, nicht jedoch die weiteren Mitglieder oder Benutzer. Hier begegnen sich staatliche Ämterorganisation und bürgerliche Freiheit. Die identifizierende Selbstdarstellung ist demzufolge nicht nur für die staatliche Seite möglich und zulässig, sondern auch Ausdruck gesellschaftlicher und bürgerlicher Freiheit, wobei sich Grenzen aus den Grundrechten der Beteiligten ergeben. In der Schule stellt sich die Neutralität also gerade nicht als distanzierende und ausschließende Wertneutralität dar.“ (13f.) Wichtiger noch als das Fehlen eines expliziten Begriffs der Neutralität im Grundgesetz und wichtiger auch als die Abhängigkeit seiner Bedeutung vom jeweiligen Sachbezug ist die Tatsache, dass Neutralität an sich selbst kein neutrales Datum ist. Denn Neutralität lebt von Bedingungen, die keineswegs indifferent sind. Entsprechendes gilt für Religionsfreiheit und zwar zunächst unabhängig davon, ob man diese primär als negative oder als positive auffasst. Neutralität und Religionsfreiheit gedeihen nur und haben Bestand nur unter Voraussetzungen, die durch Werte und Normen wie Antitotalitarismus, Toleranz und Achtung der Menschenrechte gekennzeichnet sind. Ohne die Pflege und Förderung der geistesgeschichtlichen Motive, die zu der Ausbildung dieser Normen und Werte im abendländischen Kulturkreis geführt haben, kann daher die für den modernen Rechtsstaat euro-amerikanischer Prägung charakteristische religiös-weltanschauliche Neutralität nicht erhalten bleiben. Ein an seiner Selbsterhaltung interessierter religiös-weltanschaulich neutraler Staat wird daher jene Motive nach Kräften zu pflegen und zu fördern suchen. Ein solches Vorgehen widerspricht keineswegs der geforderten Neutralität, entspricht ihr vielmehr. Wieviel Konsens – um nicht von leitkulturellen Möglichkeitsbedingungen Grundannahmen zu reden – braucht ein säkulaliberaler Rechtsstaatlichkeit res Gemeinwesen demokratischer Ordnung, wenn es denn zutrifft, dass der freiheitliche Staat, wie Ernst-Wolfgang Böckenförde es Mitte der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts prägnant formuliert hat, von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht gewährleisten kann? Die beiden idealtypischen Antworten, welche die politische Theorie der Moderne in Bezug auf diese Frage ausgebildet hat, lassen sich alternativ mit folgenden Wendungen umschreiben: Integration allein oder doch im Wesentlichen durch formales Recht und rechtlich geordnete Verfahrensrationalität oder Integration durch einen substantiellen Grundbestand traditionaler Werte, die materialiter verbindlich sind. In der Gemengelage des politischen Alltags treten die idealtypischen Optionen für formale Rechtsintegration einerseits und materiale Wertintegration andererseits freilich in aller Regel nicht rein, sondern in diversen Mischformen auf, was angesichts der manifesten Insuffizienz bzw. wechselseitigen Ergänzungsbedürftigkeit beider Modelle nicht verwunderlich ist: Denn einerseits muss sich ein lediglich auf Legalität und Verfahrenslegitimität basierender Liberalismus fragen lassen, wie es zur Ausbildung jener Bürgertugenden kommen soll, ohne welche Freiheit, die anderes ist
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als solipsistische Beliebigkeit und Willkür, nicht dauerhaft zu bestehen vermag. Auf der anderen Seite ist ebenso klar, dass im Pluralismus posttraditionaler Gesellschaften der Moderne Überlieferungen religiöser oder sonstiger Art selbst nur als standpunktbedingte Positionen unter anderen in Erscheinung treten mit der Folge, dass ein unmittelbares Geltendmachen bestimmter Wertintegrationsprogramme in der Gefahr steht, eher desintegrierend als integrativ zu wirken. Unter diesen Umständen, die unvermittelte Alternativen als obsolet erscheinen lassen, gewinnen – der Zwei-Regimente-Lehre strukturanaloge – Modelle an Plausibilität, welche das Verhältnis beider Optionen als einen differenzierten Zusammenhang wechselseitiger Limitation zu bestimmen suchen. Das Recht bedarf, gerade um seine Funktion einer Integration durch Verfahrenslegitimität formgerecht und damit legal und gesetzesförmig erfüllen zu können, der Beschränkung auf die äußere Sphäre der Freiheit, deren inneres Leben durch die Werteüberlieferungen und die religiösen Traditionen bestimmt sind. Diese hinwiederum werden vor der Gefahr totalitärer Entartung nur dadurch bewahrt, dass sie in die Schranken des Rechts gewiesen werden, welches durch Sicherung und Förderung der äußeren Freiheit Raum schafft für eine kritische und konstruktive Tradierung jener Überlieferungsbestände von Sitte und Religion, die innere Verbindlichkeit zu schaffen suchen, ohne deren Pflege der liberale Rechtsstaat formal erstarren oder gar totalitär entarten, in jedem Fall aber seine Freiheitlichkeit einbüßen müsste. Man wird demnach ein Doppeltes zugleich zur Geltung zu bringen haben: Im liberalen Rechtsstaat ist für eine rechtsfreie bzw. vorrechtliche Substanz von Sitte und Religion kein Platz; Ethos und Glaube haben ihre materialen Gehalte im formalen Rahmen des Rechts zu bewähren. Legitimerweise können sie ihren Gültigkeitsanspruch nur auf legale Weise geltend machen. Umgekehrt lässt sich die Legitimität des Rechts auf Dauer nur dann legalistisch begründen, wenn die legalistische Begründung um ihren formalen Charakter weiß und in Reflexion auf ihre Grenzen offen ist für die Wahrnehmung jener Gehalte, die das Recht haben, sich im Rahmen des Rechts Geltung zu verschaffen. Der liberale Rechtsstaat bedarf, um seine formale Legitimität unter Beweis zu stellen, der Aufgeschlossenheit für materiale Geltungsansprüche, über deren inneres Recht er nicht zu befinden hat, sofern der äußere Rechtsrahmen gewahrt bleibt. Legitimität lässt sich nicht unmittelbar durch Legalität erzeugen, sondern nur im einvernehmlichen, kommunikative Freiheiten entbindenden Prozess der Verständigung über Verbindlichkeiten. Aufgabe des Rechts ist es lediglich, die Diskursivität dieses Prozesses zu gewährleisten und Minderheitsrechte, also Rechte von Dissentierenden zu garantieren. Ein Ausschluss religiöser Rede aus dem öffentlichen Diskurs der Gesellschaft kann daher gerade aus Rechtsgründen nicht in Frage kommen, jedenfalls dann nicht, wenn sich religiöse Rede unter Achtung des die äußere Sphäre der Freiheit sichernden Rechtsrahmens artikuliert. Die weltanschauliche Neutralität des Staates, der Freiheiten für alle Bürger gewährleistet, ist daher unvereinbar mit deren säkularistischer Gleichschaltung. Ein Säkularismus, der seinen Bürgern Artikulati-
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onsrechte nur nach erfolgter Selbstsäkularisierung gewähren würde, wäre tendenziell totalitär. Mit den Worten eines – seiner Selbsteinschätzung gemäß religiös unmusikalischen – Bürgers eines säkularen Rechtsstaats freiheitlich-demokratischer Grundordnung formuliert: „Der demokratisch aufgeklärte Commonsense ist kein Singular, sondern beschreibt die mentale Verfassung einer vielstimmigen Öffentlichkeit.“ (Habermas, 22) In der Vielstimmigkeit dieser Öffentlichkeit ist schließlich auch die Auseinandersetzung darüber zu führen, welchen Traditionsbeständen die Ausbildung und Reproduktion der Voraussetzungen moderner Rechtsstaatlichkeit im Sinne von antitotalitärer Toleranz, Menschenrechtsachtung etc. primär verdankt und zugetraut wird. Kann diesbezüglich unbeschadet der Notwendigkeit historischer Differenzierungen von der Christentumsgeschichte nicht abgesehen werden, dann hat die Annahme einer wechselseitigen Affinität zwischen aufgeklärtem Christentum und dem weltanschaulich neutralen Rechtsstaat der Moderne als begründet und legitimiert zu gelten. Das aber heißt zugleich, dass das Verhältnis des weltanschauungsneutralen Staats zu den verschiedenen Weltanschauungsgruppierungen dasjenige einer Äquidistanz weder sein muss, noch sein kann. Solche Äquidistanz verbietet die Angewiesenheit des Staates auf jene Traditionen, welche die Bedingungen seiner Möglichkeit darstellen. Für den euro-amerikanischen Kulturkreis, in dem sich die uns vertraute Form moderner Rechtsstaatlichkeit ausgebildet hat, ist das im Verein mit Antike und Aufklärung im Wesentlichen die Christentumsgeschichte. Dem religiös-weltanschaulich neutralen Staat können deshalb das Christentum und seine Geschichte nicht gleichgültig sein. Er wird sie vielmehr als Prägekräfte seiner selbst anerkennen und bejahen. Die Adäquanz und Zulässigkeit einer solchen anerkennenden Bejahung steht allerdings ihrerseits unter einer Bedingung: Sie muss, indem sie der Förderung christlicher Traditionsbestände zugute kommt, nicht nur auf das Wohl einzelner christlicher Gruppen einschließlich der Kirchen, sondern auf das Wohl aller Staatsbürger unter Einschluss der Nichtchristen gerichtet sein. Intendiert werden darf also gerade nicht der christliche Staat bzw. ein entsprechendes christliches Staatskirchentum. Insofern verdienen die christlichen Kirchen staatliche Förderung nur dann und deshalb, wenn und weil sie den von ihnen klar unterschiedenen Staat und die von ihm geschützte pluralistische Gesellschaft ihrerseits bejahen. Solche Bejahung schließt Zwangsmaßnahmen jedweder Art zur Durchsetzung der eigenen Überzeugung aus, aber keineswegs das Recht und die Pflicht, eine profilierte Überzeugung zu haben und sie mit Nachdruck zu vertreten. Denn nicht die Gleichgültigkeit, die alles der Willkür des Beliebens überlässt, sondern der friedvolle Wettstreit der Geister ist es, welcher einem Staat weltanschaulicher Neutralität zur Ehre gereicht. Eine Selbstsäkularisierung des Christentums ist Negative und positive Religidurch den säkularen Rechtsstaat weder gefordert, onsfreiheit noch kommt sie seinen Belangen entgegen. Das geltende Staatskirchenrecht belegt dies. Zwar dürfen auf der Basis der grundgesetz-
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lich verbürgten Unverletzlichkeit der Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses bürgerliche Rechte und Pflichten nicht an konfessionelle Zugehörigkeiten gebunden werden. Eine Staatskirche besteht nicht. Doch garantiert der Staat mit der ungestörten Religionsausübung zugleich die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften, wobei jeder das Recht zukommt, ihre Angelegenheiten innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes selbständig zu ordnen und zu verwalten. Der säkulare Staat gewährleistet Religionsfreiheit mithin als ein umfassendes Recht, das sich nicht auf die sog. negative Religionsfreiheit beschränkt, sich von religiösen Betätigungen zu dispensieren, sondern zudem die positive Religionsfreiheit beinhaltet, religiöse Verbindlichkeiten durch Wort und Tat zu bezeugen, für den eigenen Glauben zu werben und ihn soziokulturell wirksam zur Geltung zu bringen. Zusammen mit der Freiheit, sich in geeigneter Form religiös zusammenzuschließen, kommt dem staatlich gewährten Recht der Religionsgemeinschaft zur Selbstbestimmung ihrer Angelegenheiten in Lehre und Kultus, Verfassung, Organisation und Ämterverleihung etc. fundamentale Bedeutung zu. Dieses Recht impliziert zugleich die Frage, wie die religiösen Gemeinschaften sich nach Maßgabe ihres Selbstverständnisses selbst zu bestimmen gedenken. Nicht zuletzt den christlichen Kirchen ist diese Frage gestellt. Sie zu beantworten ist Aufgabe der Ekklesiologie. In ihr hat sich in bedachter Weise der Begriff zu artikulieren, den die Kirche von sich und ihrer Bestimmung hat. Solche Artikulation kann reflektiert nicht ohne Berücksichtigung der konfessionellen Überlieferung bestehender Kirchentümer erfolgen. Im gegebenen Fall ist es der Begriff evangelischer Kirche lutherischer Bekenntnistradition, der in Grundzügen entfaltet werden soll. Doch erreicht die notwendige Vertiefung in denominationelle Herkunftstraditionen ihr ekklesiologisch gebotenes Ziel nur dann, wenn sie des Einheitsauftrags Christi gedenkt und um ein gemeinchristliches Verständnis des einen Wesens der Kirche bemüht ist. Die nachfolgend im Anschluss insbesondere an den VII. Artikel der Confessio Augustana entwickelte Skizze ist daher von vorneherein auf einen weiteren ökumenischen Kontext angelegt, der schließlich auch eigens thematisiert und auf exemplarische Kontroversen bezogen wird, die das Verständnis der Kirche betreffen.
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3. Grund, Wesensbestimmung und ekklesiologischer Begriff der Kirche
Lit.: K. Barth, Kirchliche Dogmatik (= KD), Bd. IV, 1ff., Zollikon/Zürich 1953ff. – J. Dantine, Die Kirche vor der Frage nach ihrer Wahrheit. Die reformatorische Lehre von den „notae ecclesiae“ und der Versuch ihrer Entfaltung in der kirchlichen Situation der Gegenwart, Göttingen 1980. – C.E. Gunton/D.W. Hardy (Ed.), On Being the Church. Essays on the Christian Community, Edinburgh 1989. – W. Härle, Art. Kirche VII. Dogmatisch, in: TRE 18, 277–317. – E. Herms, Erfahrbare Kirche. Beiträge zur Ekklesiologie, Tübingen 1990. – Ders., Kirche für die Welt. Lage und Aufgabe der evangelischen Kirchen im vereinigten Deutschland, Tübingen 1995. – M. Honecker, Kirche als Gestalt und Ereignis. Die sichtbare Gestalt der Kirche als dogmatisches Problem, München 1963. – W. Huber, Kirche, München/Stuttgart 1979. – E. Kinder, Der evangelische Glaube und die Kirche. Grundzüge des evangelisch-lutherischen Kirchenverständnisses, Berlin 1958. – T. Koch, Das Problem des evangelischen Kirchenverständnisses nach dem Augsburger Bekenntnis, in: B. Lohse/O.H. Pesch (Hg.), Das „Augsburger Bekenntnis“ von 1530 – damals und heute, München/Mainz 1980, 125–143. – U. Kühn, Kirche, Gütersloh 1980. – H. Meyer/H. Schütte, Die Auffassung von der Kirche im Augsburgischen Bekenntnis, in: dies. (Hg.), Confessio Augustana – Bekenntnis des einen Glaubens. Gemeinsame Untersuchung lutherischer und katholischer Theologen, Paderborn/Frankfurt a.M. 1980, 168– 197. – J. Moltmann, Kirche in der Kraft des Geistes. Ein Beitrag zur messianischen Ekklesiologie, München 1975. – W. Pannenberg, Thesen zur Theologie der Kirche, München 1970. – T. Rendtorff, Kirche und Theologie. Die systematische Funktion des Kirchenbegriffs in der neueren Theologie, Gütersloh 1966. – J. Roloff, Die Kirche im Neuen Testament, Göttingen 1993. – F.D.E. Schleiermacher, Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt (= GL), Berlin (1821/22) 2 1830/31. – M. Seckler, Katholisch als Konfessionsbezeichnung?, in: ders., Die schiefen Wände des Lehrhauses. Katholizität als Herausforderung, Freiburg/Basel/Wien 1988, 178– 197, 254–260). – P. Steinacker, Die Kennzeichen der Kirche. Eine Studie zu ihrer Einigkeit, Heiligkeit, Katholizität und Apostolizität, Berlin 1982.
Das deutsche Lehnwort Kirche, das umgangssprachlich sowohl den christlichen Gottesdienst und das seiner Durchführung gewidmete Gebäude als auch die verfasste Sozialgestalt christlichen Glaubens im Sinne einer Institution und ihrer repräsentativen Organe bedeuten kann, wird in der Regel von dem griechischen Adjektiv „kyriake“ abgeleitet, das vom Substantiv „kyrios“ stammt und die Zugehörigkeit zum Herrn als rechtmäßigem Eigentümer bezeichnet. Gelegentlich wurde auch auf die Möglichkeit hingewiesen, das Wort Kirche (angelsächs. Die terminologische Bedeutung des Lehnworts „Kirche“
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„cyrice“, dann engl. „church“, skand. „kirke“) auf den Stamm zurückzuführen, „dem die lateinischen Vokabeln circare, circa, circum, circulus usw. angehören, und den abgegrenzten Raum bezeichnen, in welchem jene Versammlung, jenes Zusammeneilen und Zusammentreten der Gemeinde stattfindet, vielleicht noch konkreter: die halbkreisförmige Apsis mit dem Altar und dem Stuhl des Bischofs, auf den die im Gottesdienst im Kirchengebäude des älteren romanischen Stils versammelte Gemeinde ausgerichtet war. Nach einer dritten Vermutung wäre das Original von ‚Kirche‘ in dem Begriff kerygeia (Heroldsamt) zu finden. Rest- los befriedigend ist keine dieser Erklärungen.“ (KD IV/1, 727f.) Zum Kyriosbegriff, auf den der Terminus Kirche üblicherweise zurückgeführt wird, ist anzumerken, dass er in der Septuaginta den Namen Gottes in seiner Herrlichkeit umschreibt. Entsprechendes gilt für den Befund im Neuen Testament, wo zusammen mit Gott auch Jesus der Herr genannt wird, der in der Kraft des göttlichen Geistes, welcher den Gekreuzigten auferweckt hat, der Gottheit Gottes unveräußerlich angehört. Hält man sich hieran, dann ist die Kirche ihrem ursprünglichen Begriff zufolge die ihrem Herrn (Zu-)Gehörige und damit als diejenige gekennzeichnet, die allein durch ihren Bezug zu Gott in Jesus Christus ist, was sie ist. Im Übrigen verdient es bemerkt zu werden, dass die beiden Wendungen, in deren Zusammenhang das Adjektiv „kyriake“ im Neuen Testament begegnet, vom Herrentag und von dem am Herrentag gottesdienstlich gefeierten Herrenmahl handeln, in welchem sich der erhöhte Herr der Erinnerung seiner Gemeinde im göttlichen Geiste als lebendiges und realpräsentes Subjekt seines Gedächtnisses erweist. Auch dieser Kontext ist für den Kirchenbegriff nicht unmaßgeblich, der trotz seiner semantischen Mehrdeutigkeit, die Luther mehrfach vom blinden, undeutlichen Wort „Kirche“ sprechen ließ, in sich durchaus den entscheidenden Hinweis enthält, von dem eine dogmatische Lehre von der Kirche ihren Ausgang zu nehmen hat, um zu einem theologisch unzweideutigen Verständnis seiner diversen terminologischen Konnotationen zu gelangen. Dabei ist die dogmatische Perspektive gewiss nicht die einzige, aus der heraus von der Kirche gehandelt werden kann, und sie schließt mögliche andere Hinsichten schon deshalb nicht aus, weil die Kirche nachgerade ihrem dogmatischen Verständnis zufolge immer auch eine historische und sozial verfasste Größe darstellt, die entsprechender historischer und soziologischer Betrachtung zugänglich ist und zugänglich sein muss. Indes ist es die unersetzbare Aufgabe der dogmatischen Lehre von der Kirche, diese unter Integration historischer, soziologischer und sonstiger Aspekte theologisch, nämlich in ihrer „kyrios“-Zugehörigkeit zu begreifen. Bei dem durch die Offenbarung des dreieinigen Gottes in Jesus Christus gelegten Grund, dessen Explikation der materialen Dogmatik aufgetragen ist, muss daher der Einsatz genommen werden. Näherbestimmt ist der Horizont nachfolgenÖkumenismus und Konfessioder Darstellung, wie erwähnt, durch die Perspeknalität tive evangelischer Bekenntnistradition, wie sie in der Confessio Augustana grundgelegt ist und das verbindliche Selbstverständnis der Kirchen Augsburgischen Bekenntnisses in Geschichte und Gegenwart zum
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Ausdruck bringt. Der gewählte dogmatische Ansatz ist also ein – im Sinne Schleiermacher’scher Terminologie – positiver, ohne deshalb zwangsläufig auf exklusive Weise positionell zu sein. Eine exklusive Positionalität ist im Gegenteil bereits dadurch ausgeschlossen, dass evangelische Kirchenlehre dezidiert an der Universalität der Kirche festhält. Indes kann die Behauptung der Universalität der Kirche, wie sie für evangelisches Selbstverständnis obligat ist, nicht unmittelbar und unter Absehung faktischer Partikularität, sondern nur im Reflex auf konfessionelle Kirchlichkeit und das ihr eigentümliche Bekenntnis angemessen zur Geltung gebracht werden. Von der spezifischen Besonderheit konfessioneller Kirchentümer zugunsten einer angeblich neutralen transkonfessionellen Allgemeinheit abzusehen, wäre gerade unter dem Gesichtspunkt kirchlicher Einheit kontraproduktiv. Ökumenisch produktiv kann demgegenüber nur ein theologisches Verfahren sein, welches in den je eigenen Traditionszusammenhängen der einzelnen Konfessionskirchen selbst den Hinweis und das Motiv des Gemeinchristlichen oder besser: den verbindlich-verbindenden Bestimmungsgrund der Einheit der Kirche zu entdecken vermag. Wo solche Entdeckung sich einstellt, ergeben sich ökumenische Öffnung und Aufgeschlossenheit gewissermaßen von selbst und aus innerem Antrieb heraus, wohingegen sie ansonsten äußerlich und von nur geringer Dauer sein müssten. Aus der Annahme, dass die Einheit und Katholizität christlicher Kirche nur im konsequenten Durchgang durch konfessionskirchliche Unterschiede zu erreichen ist, ergibt sich die weitere mit notwendiger Konsequenz, dass sich die Spezifizität des Kirchenbegriffs weder in den Allgemeinbegriff des Christentums noch gar in denjenigen der Religion aufheben lässt. Damit ist keineswegs gesagt, dass es nicht gute Gründe gibt, den Kirchenbegriff beispielsweise in staatskirchenrechtlicher Außenperspektive dem Begriff der Religionsgesellschaft oder Religionsgemeinschaft zu subsumieren. Eine solche Außenbetrachtung wird durch den Begriff, den nachgerade evangelisches Kirchentum von sich selbst hat, keineswegs ausgeschlossen, sondern in bestimmter Hinsicht sogar nahegelegt. Gleichwohl kann der Allgemeinbegriff der Religion nicht in vermeintlich problemloser Selbstverständlichkeit zur Basis eines theologischen Verständnisses der Kirche erklärt werden. Dieses wird sich vielmehr, wovon noch zu reden sein wird, auf den Religionsbegriff in Kritik und Konstruktion so zu beziehen haben, dass ihr Verhältnis als ein differenzierter, unaufhebbare Unterschiede wahrender Zusammenhang erkennbar wird. In modifizierter Weise gilt Entsprechendes auch noch für das Verhältnis von Kirche und Christentum, jedenfalls dann, wenn man mit letzterem die bereits erwähnte Vorstellung einer von konkreter Kirchenbindung abgelösten Transkonfessionalität assoziiert. Auch davon wird an geeigneter Stelle zu reden sein. Zum Ansatz nachfolgender Studien sei daher einstweilen nur noch bemerkt, dass die mit der Orientierung an den Lehraussagen der Confessio Augustana gegebene Perspektivität der Darstellung für jede Theoriebildung de facto unvermeidlich ist. Das Faktum perspektivierter Wahrnehmung kann also nicht per se gegen deren Plausiblität und Wissenschaftlichkeit gewendet werden. Vielmehr müsste im Gegenteil fehlen-
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des Bewusstsein bzw. Leugnung der Gebundenheit an die eigene Perspektive als Rationalitätsdefizit gewertet werden. Seit geraumer Zeit wird die dogmatische Lehre Der Bedeutungsgehalt des von der Kirche gewöhnlich mit dem ebenfalls aus ekklesia-Begriffs dem Griechischen entlehnten und relativ spät geprägten Spezialterminus „Ekklesiologie“ bezeichnet. Das ist insofern nahe liegend, als der theologische Kirchenbegriff die traditionellen Bedeutungsgehalte des Wortes „ekklesia“ („thou theou“ bzw. „en Christo“) in sich aufgenommen hat, das als prägnanter Ausdruck für das Selbstverständnis der nachösterlichen Jüngerschaft zu gelten hat. An der Gleichsetzung von Kirche und „ekklesia“ konnte auch die Tatsache nichts ändern, dass Luthers Übersetzung des Neuen Testaments den Terminus konsequent mit Gemeinde wiedergibt. Allerdings wird dadurch auf eine Doppeldeutigkeit des in Anlehnung an das hebräische „kahal“ gebildeten „ekklesia“-Begriffs hingewiesen, der zum einen die auserwählte Schar der von Gott eschatologisch Gesammelten insgesamt und zum anderen die an einem bestimmten Ort gottesdienstlich vereinte Gemeindeversammlung bezeichnen kann. Dass sich beide Aspekte nicht ausschließen, zeigt bereits die sie gleichermaßen umgreifende Verwendung des „ekklesia“-Begriffs, dessen Bedeutung weder durch eine Alternative von Idee und Wirklichkeit noch durch Entgegensetzung von Kirche als Gesamtgemeinde und Gemeinde als Einzelgemeinde erfasst werden kann. Hinzuzufügen ist, dass die Sache, die der „ekklesia“-Begriff bezeichnet, selbstverständlich nicht mit diesem Terminus steht und fällt. In den Sachkontext des neutestamentlichen „ekklesia“-Begriffs gehört, ohne von diesem erschöpft zu werden, was sich exegetisch in Erfahrung bringen lässt über „Leib Christi“ und „Volk Gottes“ sowie über die Kirche als Tempel des Hl. Geistes bei Paulus, über die Jüngergemeinde in der Nachfolge Jesu bei Matthäus, über die Kirche als Zeugin der endzeitlichen Königsherrschaft Gottes in der Apokalypse des Johannes, über das Gottesvolk auf seinem Weg durch die Geschichte im lukanischen Doppelwerk, über die apostolische Kirche als Heilsbereich im Kolosser- und Epheserbrief, über Gottes geordnetes Hauswesen in den Pastoralbriefen, über die erwählte Gemeinschaft von Außenseitern im ersten Petrusbrief, über das zum himmlischen Ruheort wandernde Gottesvolk im Hebräerbrief sowie über die Gemeinschaft der Freunde Jesu im johanneischen Schrifttum (vgl. Roloff, 86ff.). Davon kann im Folgenden ebenso wenig gehandelt werden wie über die im Zusammenhang der Reich-Gottes-Sendung des irdischen Jesus in österlicher Retrospektive ans Licht tretende implizite Ekklesiologie, die sich vom Selbstverständnis der zeitgenössischen religiösen Gruppierungen, den Pharisäern, der Qumrangemeinschaft, den Sadduzäern, aber auch dem Jüngerkreis um Johannes den Täufer eigentümlich unterscheidet und etwa in der zeichenhaften Berufung der Zwölf als Repräsentanten des unter der Gottesherrschaft gesammelten und erneuerten Zwölfstämmevolkes Gottes zum Vorschein kommt, um nach Kreuz und Auferstehung einen der Ansatzpunkte für das frühchristliche Kirchenverständnis und seine theologischen Explikationen in der zweiten und insbesondere dritten
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Christengeneration zu bilden. Zwar ist davon auszugehen, „daß die als authentisch geltende Jesusüberlieferung weder das Wort ‚ekklesia‘, noch einen Hinweis auf ein unmittelbar kirchengründendes Handeln Jesu enthält“ (Roloff, 18). Doch kommt die frühe Christengemeinde gerade angesichts der Notwendigkeit ihrer Selbstdefinition gegenüber Israel auf Jesu in Wort und Tat proklamierte Botschaft von der Gottesherrschaft über sein Volk zurück, um sie im auferstandenen Gekreuzigten, der sein Leben für die Vielen hingab, aufgehoben und zur Erfüllung gebracht zu finden. Ist Jesus sonach zwar nicht eigentlich der Gründer der christlichen Kirche, der diese durch einen spezifischen historischen Akt zu seinen irdischen Lebzeiten gestiftet hätte, so hat er doch als der auferstandene Gekreuzigte, in dem Gott in der Kraft seines Hl. Geistes eschatologisch offenbar und wirksam ist, als ihr fundierender und bleibender Grund zu gelten. Trotz mannigfacher Einzelaussagen über die KirDie Ekklesiologie im Kontext che ist deren Begriff weder in der Alten Kirche der Dogmatik noch im lateinischen Mittelalter ein eigenes, systematisch entfaltetes Thema der Dogmatik gewesen. Zwar wurde der Begriff „ekklesia“ bald schon zum „terminus technicus“ und als solcher ins Lateinische übernommen; zur Ausbildung einer systematischen Ekklesiologie kommt es allerdings nach Ansätzen im 15. Jahrhundert infolge von Konziliarismus und Großem Schisma erst im Jahrhundert der abendländischen Kirchenspaltung. Die Ekklesiologie ist sonach in bestimmter Weise eine Funktion des Konfessionalisierungsprozesses, der nach Ende selbstverständlich gegebener Einheit dazu zwang, sich auf reflexe Weise kirchlicher Identität zu vergewissern. Den Anfang machen in dieser Hinsicht die Reformatoren selbst: Zurecht gilt der zentrale ekklesiologische Artikel der Confessio Augustana, CA VII, nicht nur als „Magna Charta“ reformatorischer Ekklesiologie, sondern als grundlegend für eine systematische Lehre von der Kirche überhaupt. Im Anschluss daran hat Melanchthon, der Hauptautor der Augustana, in der zweiten Ausgabe seiner „Loci communes“ (1521) von 1535 die Kirche zum Gegenstand einer förmlichen Lehrdarstellung gemacht (vgl. CR 21,825ff.). Seit der letzten Ausgabe seiner „Institutio religionis Christianae“ (1536) von 1559 ist ihm Calvin, der Gründervater reformierter Lehrtradition, darin gefolgt. Die römisch-katholische Kirche hat ihr eigenes Wesen unter Integration der ekklesiologischen Aussagen des I. Vatikanischen Konzils förmlich und offiziell recht eigentlich erst in der dogmatischen Konstitution „Lumen Gentium“ vom 21. November 1964 sowie in anderen Konstitutionen, Dekreten und Deklarationen des II. Vatikanums definiert. Was die Stellung der Ekklesiologie im GesamtaufDas Beispiel Schleiermachers bau der Dogmatik betrifft, so wurde die Lehre von der individuellen Heilsaneignung sowohl bei Melanchthon als auch bei Calvin der Darstellung des Kirchenbegriffs vorgeordnet. Diese Anordnung blieb bis in die Theologie des 19. und 20. Jahrhunderts die Regel, wofür Schleiermacher (1768–1834) ein hervorragendes Beispiel gibt. In seinem Werk „Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kir-
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che im Zusammenhange dargestellt“ wird die Ekklesiologie als Lehre von der Beschaffenheit der Welt in Bezug auf die Erlösung entfaltet. Vorangestellt ist die Lehre vom Zustand des Christen, sofern er sich der göttlichen Gnade bewusst ist. In dieser Anordnung reflektiert sich der Begriff, den Schleiermacher vom Gegensatz des Protestantismus und Katholizismus hat und der im 24. Paragraphen der zweiten Auflage der Glaubenslehre mit der – immerhin als „vorläufig“ qualifizierten – Wendung umschrieben wird, „daß ersterer das Verhältnis des Einzelnen zur Kirche abhängig macht von seinem Verhältnis zu Christo, der letztere aber umgekehrt das Verhältnis des Einzelnen zu Christo abhängig von seinem Verhältnis zur Kirche“. Man wird allerdings sehen müssen, dass nach Maßgabe von Schleiermachers generellem Verständnis frommen Selbstbewusstseins (vgl. GL2 § 6) auch die Individualitätskultur protestantischen Christentums ihrem Wesen nach notwendig auf Gemeinschaft und damit auf Kirche hingeordnet ist. Materialiter werden die im christlichen Selbstbewusstsein inbegriffenen Aussagen in dreifacher Hinsicht entfaltet: erstens im Hinblick auf die Entstehung, zweitens im Hinblick auf den Bestand, drittens im Hinblick auf die Vollendung der Kirche. Der erstere Aspekt umfasst die Lehren von der Erwählung und der Mitteilung des Hl. Geistes, der letztere die Eschatologie. Für die Wahrnehmung des zweiten Aspekts sind zwei Gesichtspunkte leitend, nämlich derjenige zeitinvarianter Selbigkeit kirchlichen Wesens und der Aspekt kirchlichen Wandels im empirischen Laufe der Zeiten. Unter dem ersten Gesichtspunkt wird von der Hl. Schrift, vom Dienst am göttlichen Wort, von Taufe und Abendmahl, vom Amt der Schlüssel sowie vom Gebet im Namen Jesu gehandelt. Unter dem zweiten Gesichtspunkt wird die Differenz zwischen sichtbarer und unsichtbarer Kirche entwickelt und durch die Grundsätze näherbestimmt, dass die sichtbare Kirche sowohl eine geteilte und stetigem Irrtum unterworfene, die unsichtbare aber ungeteilt und untrüglich sei. Die für Schleiermacher charakteristische Vorordnung der Lehre der individuellen Heilsaneig- Das Beispiel Barths nung vor der Ekklesiologie findet sich übrigens nicht nur im Protestantismus, sondern im Zuge traditioneller scholastischer Verknüpfung von Christologie und Gnadenlehre auch im Zusammenhang der katholischen Dogmatik. Demgegenüber hat Karl Barth (1886–1968) die Reihenfolge dezidiert umgekehrt und die Behandlung der individuellen Heilsaneignung derjenigen des Kirchenbegriffs nachgeordnet. In seiner „Kirchlichen Dogmatik“ ist die Ekklesiologie im Zusammenhang der „Lehre von der Versöhnung“ (KD IV,1–3) entfaltet, deren kunstvolle Architektur durch den in der Person Jesu Christi, des wahrhaftigen Zeugen und verherrlichten Mittlers, vereinten Prozess der Erniedrigung Gottes („Der Herr als Knecht“) und der Erhöhung des Menschen („Der Knecht als Herr“) bestimmt ist. Dem Gehorsam des Sohnes Gottes, der ihn in die Fremde führt und ans Kreuz bringt, wo er als der an unserer Stelle gerichtete sein „munus sacerdotale“ erfüllt, entspricht – dem Widerspruch widersprechend, der durch des Menschen Hochmut und Fall hamartiologisch gesetzt ist – die Rechtfertigung des sündigen Menschen. Der Erhöhung des Menschensohnes als des zu
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Gott heimgekehrten königlichen Menschen entspricht – in Überwindung sündiger Trägheit und des der Trägheit zwangsläufig folgenden Elends – des Menschen Heiligung. Der Herrlichkeit des Mittlers hinwiederum, der an sich selbst als der alle Prophetie erfüllende wahrhaftige Zeuge die gottmenschliche Versöhnungsgemeinschaft bewahrheitet und bewährt, entspricht – in Negation der Verneinung, die durch des Menschen Lüge und Verdammnis gegeben ist – des Menschen Berufung zur Zeugenschaft des in Jesus Christus in der Kraft des Hl. Geistes offenbaren Gottes. Rechtfertigung, Heiligung und Berufung umschreiben sonach den pneumatologischen Vollzug des christologisch gegründeten Versöhnungswerkes. Die erste Gestalt der Aneignung des in Rechtfertigung, Heiligung und Berufung Zugeeigneten ist nach Barth die Gemeinde, deren Versammlung (KD IV/ 1,718ff.), Erbauung (KD IV/2, 695ff.) und Sendung (KD IV/3, 553ff.) durch den Hl. Geist analog zum benannten „ordo salutis“ ekklesiologisch zu bedenken ist, bevor mit Glaube, Liebe und Hoffnung die individuellen Aneignungsweisen des Heils in Betracht kommen. Barth hat diese Reihenfolge mit dem Hinweis begründet, dass der Geist die Existenz der einzelnen Christen in und mit der Existenz der Christenheit wirke (vgl. KD IV/2, 695): „Weil man ... den einzelnen Christen nicht sehen und verstehen kann, es sei denn an dem Ort, wo er ist, der er ist, und weil dieser Ort die Gemeinde ist, darum muß zunächst diese als solche ins Auge gefasst werden: nicht ohne dessen gewahr zu bleiben, daß es sich in ihr auf der ganzen Linie um die vielen, in ihr versammelten einzelnen Christen handelt.“ (KD IV/2, 696) Im Kontext des Bekenntnisses zur Heiligkeit der Kirche als eines Werkes des Heiligen Geistes kommt Barth auf diesen Zusammenhang ausdrücklich zurück mit der Bemerkung: „Zum Glauben erweckt und zur Gemeinde hinzugetan werden, ist eins und dasselbe. Es gibt also nicht zwei Aussonderungen, Unterscheidungen, Auszeichnungen: eine individuelle für sich und also die Erschaffung von gewissen homines sancti, deren Existenz dann wohl auch Selbstzweck sein und dem, der sie dazu beruft und ihnen selbst genügen könnte – und dann noch eine in ganz anderer Richtung notwendige und sinnvolle kollektive, die Sammlung und Sonderung dieser einzelnen Christen zur Gemeinde. Es gibt nur eine, die Aussonderung der communio sanctorum: die Erweckung des Glaubens Einzelner, deren Sinn ihre Versammlung zur Gemeinde ist – die Versammlung der Gemeinde in Form der Erweckung einzelner Glaubender.“ (KD IV/1,768; bei Barth teilweise gesperrt) Nicht dass Barth das christliche Individuum zum bloßen Funktionsmoment eines kirchlichen Gemeinschaftsganzen herabsetzen wollte! Doch liegt der kritische Akzent eindeutig auf der Ablehnung der Vorstellung von Kirche als eines Gesinnungsvereins solipsistischer Einzelsubjekte: „Es gibt kein legitimes Privatchristentum.“ (KD IV/1, 769; bei B. teilweise gesperrt) Ein antiindividueller Kollektivismus wird freilich ebenso abgelehnt: „Es geht nicht um einen höheren Wert des Kollektivs gegenüber dem Individuum, wohl aber, wenn man so will, um eine Ordnungsfolge. Man kann sagen: das Kollektiv ist der Sinn, das Individuum ist die Form der subjektiven Rechtwerdung der Versöhnung durch das Werk des Heiligen Geistes.“ (KD IV/1, 769; bei B. teilweise gesperrt.)
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In der Tat wird man sagen müssen, dass die Ekklesiologische GleichurChristusgemeinschaft des Einzelnen vermittelt sprünglichkeit von Indiviist durch die kirchliche Evangeliumsverkündi- dualität und Sozialität gung in Wort und Sakrament. Allerdings hat diese Vermittlung nach evangelischem Urteil von der Art zu sein, dass dadurch die persönliche Unmittelbarkeit des einzelnen Glaubenden zu Jesus Christus und Gott nicht negiert, sondern im Gegenteil affirmiert wird. So wenig die Kirche eine nachträgliche Gesinnungsvereinigung solipsistischer Glaubensindividuen ist, so wenig darf der einzelne Glaubende zum bloßen Funktionsmoment eines ihm vermeintlich übergeordneten kirchlichen Ganzen herabgesetzt werden. Individualität und Sozialität haben vielmehr als ekklesiologisch paritätische und gleichursprüngliche Größen zu gelten. Einerseits ist die Glaubensunmittelbarkeit des Einzelnen keine vermittlungslose, sondern eine vermittelte Unmittelbarkeit, andererseits muss die kirchliche Glaubensvermittlung ihrem Wesen nach auf die Glaubensunmittelbarkeit des Einzelnen in seiner prinzipiellen Individualität hingeordnet sein. Rechte kirchliche Autorität ist entsprechend niemals lediglich formaler, sondern stets inhaltlicher Natur. In der Konsequenz dessen ist jeder kirchliche Anspruch auf exklusive Wahrheitskompetenz bzw. auf ein Monopol authentischer Auslegung der Wahrheit ekklesiologisch abzuweisen, wie das eine der kritischen Pointen der reformatorischen Lehre vom allgemeinen Priestertum ist. Deren konstruktiver Sinn indes besteht nicht in der Behauptung individueller Glaubensautonomie, sondern in der Annahme, dass der vermeintliche Gegensatz von Individuation und Partizipation eine Signatur des vergehenden Äons darstellt, der in der Kirche, in welcher ihrer eschatologischen Bestimmung gemäß das Reich Gottes zum Vorschein kommt, in gänzlicher Aufhebung begriffen ist. Wo der Geist der Gemeinschaft des Vaters und des Sohnes lebendig ist, da realisiert sich ein Gemeingeist, in welchem Individualität und Sozialität einen differenzierten Zusammenhang bilden. Mit dem trinitätstheologischen Hinweis ist bereits der Grund angegeben, von dem her und aus dem heraus Wesen und Eigenschaften der Kirche zu verstehen sind. Kirche im christlichen Sinne des Begriffs grünDer trinitarische Grund der det in dem in Jesus Christus, dem auferstandenen Kirche Gekreuzigten, offenbaren Gott. Der Geist, der von dem im Sohne offenbaren Gott ausgeht, erwählt und sammelt durch die gestifteten Wirkmittel realer Christuspräsenz die Gemeinschaft des Glaubens und bestimmt sie als Gottes Volk des Neuen Bundes zur Zeugengestalt des die Grenzen des Alten Bundes transzendierenden universalen Heils für Menschheit und Welt, damit sie durch Bekenntnis und Tat der Liebe Zeugnis gebe vom Evangelium zur Erbauung des Leibes Christi und zur Beförderung der Hoffnung des kommenden Reiches Gottes, in welchem sich die Sendung der Kirche, zu der sie von ihrem Herrn berufen ist, erfüllt. Im trinitarischen Grund der Kirche, welcher ihr Wesen wirkt, sind Bezüge zu Schöpfung, Versöhnung und Vollendung inbegriffen, um sich in heilsgeschichtlicher Ökonomie auf das eschatologische Ziel hin differenziert zu entfalten. Schöpfungstheologie, Christologie und Pneumatologie sind so-
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nach ekklesiologisch als ein differenzierter Zusammenhang zu denken, wobei die eschatologische Vollendung der Heilsökonomie Gottes als spezifisches Werk des Geistes zu gelten hat. Die Wirklichkeit des Geistes lässt sich dabei von derjenigen Jesu Christi zwar unterscheiden, nicht aber trennen. Denn der Geist schafft Kirche mit dem Ziel eschatologischer Vollendung der Schöpfung im Reiche Gottes dadurch, dass er Gemeinschaft der Glaubenden mit Christus begründet, welche Christusgemeinschaft die Bedingung der Möglichkeit rechter Gemeinschaft der Christen untereinander ist. Umgekehrt ist Jesus Christus nicht anders als dadurch Herr seiner Kirche, dass er durch das Wirken des Geistes verherrlicht wird. Diese ekklesiologische Grundannahme wird Ekklesiologie und Trinitätsdurch die Kirchenlehre der Confessio Augustana lehre und ihren Sachkontext ohne Einschränkungen bestätigt. Dass die Trinitätslehre das Fundament der Ekklesiologie bildet, geht bereits aus Luthers Großem Bekenntnis von 1528 eindeutig hervor, um durch die daran anschließende Wittenberger Bekenntnistradition vorbehaltlos bestätigt zu werden. In der deutschen Fassung der Augustana wird das durch Schriftgründe legitimierte „decretum Nicaenae Synodi de unitate essentiae divinae et de tribus personis“ (CA I,1) mit der Wendung rezipiert, „daß ein einig gottlich Wesen sei, welchs genennt wird und wahrhaftiglich ist Gott, und seind doch drei Personen in demselben einigen gottlichen Wesen, gleichgewaltig, gleich ewig, Gott Vater, Gott Sohn, Gott heiliger Geist“ (BSLK 50, 5–10). Dabei ist sowohl die Subsistenz der trinitarischen Personen eigens hervorgehoben als auch gesagt, dass keine der „proprie“ subsistierenden trinitarischen Personen das göttliche Wesen je für sich innehat. Die Identität von Einheit und Unterschiedenheit in der Gottheit Gottes soll sonach gegen tritheistische Missverständnisse ebenso zur Geltung gebracht werden wie gegen die vielfältigen Varianten modalistischer Fehlbestimmung. Hinzuzufügen ist, dass sich die reformatorische Übernahme des altkirchlichen Trinitätsdogmas keineswegs bloßen Rücksichten auf das Reichsrecht verdankt, sondern in der Sache begründet ist. Entsprechendes gilt in Bezug auf die Rezeption Ekklesiologie und Christologie des christologischen Dogmas von Chalcedon. Der manifeste Beleg hierfür ist Luthers bereits erwähntes persönliches Bekenntnis, das als dritter Teil seiner Abendmahlsschrift von 1528 angefügt ist und den wichtigsten Ausgangspunkt reformatorischer Bekenntnisentwicklung darstellt: Indem er sein Bekenntnis in die drei Artikel des Apostolikums bzw. Nizäno-Konstantinopolitanums eingebettet hat, hat Luther reformatorischen Bekenntnisstand und altkirchliches Dogma theologisch verbunden, worin ihm Melanchthon gefolgt ist. Dabei tritt der trinitarische Gedanke zwar als formales Gliederungsprinzip der Bekenntnisentwürfe mehr und mehr in den Hintergrund, wie denn auch die Themenorganisation der Augustana nicht im strengen Sinne trinitätstheologisch konzipiert ist. Inhaltlich jedoch bleibt die auf Gottes (in der Kraft seines Geistes mächtige) Gegenwart in Jesus Christus konzentrierte Trinitätslehre durchweg bestimmend. Dabei dient die Trinitätslehre auch im Kontext der CA im Wesentlichen dem Ausdruck dessen, was die Gotteslehre
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der lutherischen Bekenntnisschriften insgesamt kennzeichnet und in der Auslegung des zweiten Artikels in GK eingangs so gesagt wird: dass nämlich Gott „sich ganz und gar ausgeschüttet hat und nichts behalten, das er nicht uns gegeben habe“ (BSLK 651,13 – 15). Gott, der sich im auferstandenen Gekreuzigten ganz für uns dahingegeben hat, welche Hingabe im göttlichen Geist vermittelt und manifest wird, ist als der Dreieinige an sich selbst ganz und gar hingebungsvolle Liebe, in welcher Einheit und Verschiedenheit keine Gegensätze sind, sondern untrennbar zusammengehören. Die unteilbare Wesenseinheit der trinitarischen Personen hinwiederum ist nirgends anders fassbar als in der Gestalt dessen, der für uns gekreuzigt und für uns auferstanden ist, auf dass der Sünder, der in der Kraft des göttlichen Geistes glaubt, durch Gottes Gnade gerechtfertigt werde. Orientiert man sich an diesem für die Artikelabfolge von CA I bis CA IV und darüber hinaus bestimmenden Elementarzusammenhang von immanenter und ökonomischer Trinitätslehre, dann lässt sich diese unschwer als Inbegriff des Evangeliums und reformatorischer Soteriologie wahrnehmen. Diese Annahme wird wie durch CA I so auch durch CA III bestätigt, welcher Artikel durch seinen Zusammenhang mit dem ersten zugleich unauflöslich mit CA II und CA IV sowie dem folgenden pneumatologischen Artikel CA V verzahnt ist. Zu ergänzen ist, dass der christologische Artikel von der Menschwerdung des Sohnes Gottes als der Offenbarung göttlicher Trinität eindeutig hingeordnet ist auf den letzten unter den Stammartikeln der Augustana, welcher von der Verherrlichung des „Herr(n) Jesus Christus“ (BSLK 72,3f.) und seiner eschatologischen Wiederkunft handelt. CA XVII hinwiederum weist seinerseits auf CA III zurück, wo zum Schluss unter ausdrücklicher Hervorhebung der Selbigkeit Jesu Christi („idem“) und in erneuter Aufnahme des den gesamten Artikel strukturierenden finalen „ut“ von dem zur Rechten des Vaters Erhöhten „iuxta Symbolum Apostolorum“ (CA III,6) bekannt wird, „daß er ewig herrsche uber alle Kreaturen und regiere, daß er alle, so an ihne glauben, durch den heiligen Geist heilige, reinige, stärke und troste, ihnen auch Leben und allerlei Gaben und Guter austeile und wider den Teufel und wider die Sunde schutze und beschirme; item, daß derselbig Herr Christus endlich wird offentlich kommen, zu richten die Lebendigen und die Toten etc.“ (BSLK 54, 16–25. CA III, 4–6: „ut sedeat ad dexteram patris, et perpetuo regnet ac dominetur omnibus creaturis, sanctificet credentes in ipsum, misso in corda eorum spiritu sancto, qui regat, consoletur et vivificet eos ac defendat adversus diabolum et vim peccati. Idem Christus palam rediturus est, ut iudicet vivos et mortuos etc.“) „Regnum“ und „dominatio“ des erhöhten Herrn beziehen sich, so wird als erstes betont, auf die gesamte Schöpfung. Vom „regnum externum“ über alle Kreatur wird dann allerdings, ohne dass die „termini technici“ ausdrücklich Verwendung finden würden, das „regnum internum Christi“ über „alle, so an ihne glauben“ (BSLK 54,18), unterschieden. Christi Herrschaft über die Gläubigen vollzieht sich, um es im Anschluss an Na zu sagen (BSLK 55,17f.), „durch Sendung des heiligen Geists in ihre Herzen“ (vgl. CA III,5: „misso in corda eorum spiritu sancto“).
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Zielbestimmung und Konsequenz dieser Geistsendung sind nach Maßgabe des deutschen Textes von CA III Heiligung, Reinigung, Stärkung und Trost sowie Austeilung von Leben und allerlei Gaben und Güter an die Gläubigen und Schutz und Schirm wider den Teufel und die Sünde. In der lateinischen Version begegnet eine ähnliche, auf den Begriff der „sanctificatio“ konzentrierte Reihung (vgl. Na 3: „rechtfertig, heilig“ [BSLK 55,15]). Dabei ist die Satzkonstruktion so, dass der Heilige Geist nicht lediglich als Instrument und Vollzugsmedium Jesu Christi fungiert, sondern als eigenes Handlungsorgan in Erscheinung tritt, nämlich als ein solcher, „qui regat, consoletur et vivificet eos (sc. credentes in Christum) ac defendat adversus diabolum et vim peccati“ (CA III,5). Dies mag als ein Zusatzbeleg dafür gelten, dass von einer unmittelbaren Gleichschaltung von Pneumatologie und Christologie mit der Folge eines tendenziellen Ausfalls der Pneumatologie in der Augustana nicht die Rede sein kann. Melanchthon verfügt durchaus über Mittel und Möglichkeiten, zwischen Jesus Christus und Heiligem Geist zu differenzieren und die CA I im Grundsatz formulierten trinitätstheologischen Zusammenhänge und Unterscheidungen konkret zur Anwendung zu bringen. Das zeigt nicht nur CA III,5, sondern ebenso die Geistlehre von CA V, welche den gesamten Realisierungsvollzug des in Jesus Christus, dem auferstandenen Gekreuzigten, begründeten göttlichen Heils als pneumatologischen Prozess ins Auge fasst. Indem er durch Wort und Sakrament den rechtfertigenden Glauben wirkt, realisiert der Heilige Geist Christi Werk für uns, um den österlich erstandenen Gekreuzigten pfingstlich zu verherrlichen und ihm eine Kirche zu bereiten auf Erden, welcher das Reich Gottes nicht fern ist. Mit dem Hinweis auf das mediale Wirken des Die Konstitutions- und ErhalGeistes ist das entscheidende Thema von CA V tungsmittel der Kirche markiert. Auf Genese und Ursprungsbedeutung des Artikels wird unter III,5 noch eigens eingegangen werden. Obwohl seit der Drucklegung mit der Überschrift „Vom Predigtamt“ („De ministerio ecclesiastico“) versehen, spricht er hauptsächlich vom Wirken des Geistes in Wort und Sakrament und vom kirchlichen Amt nur insofern, als dessen Dienst für Evangeliumsverkündigung und Sakramentsverwaltung unentbehrlich ist. Die Grundaussage lautet, dass der Hl. Geist nicht unmittelbar, sondern mittelbar wirkt, nämlich durch die „media salutis“. Das bestätigt die abschließende Damnation, welche die Irrlehre verwirft, derzufolge der Hl. Geist und der durch ihn gewirkte Rechtfertigungsglaube auch „sine verbo externo“ (CA V,4) erlangt werden kann. Die Kirche ist sonach ihrem Wesen nach „creatura verbi externi“, Geistgeschöpf des – die Begeisterung des Glaubens wirkenden – leiblichen Worts. Im Glauben an Christus, den inkarnierten Logos und personalen Inbegriff des Evangeliums, gewinnen die Gläubigen in der Kraft des Heiligen Geistes Anteil an der Beziehung des menschgewordenen Gottessohnes zum Vater, womit ihr Verhältnis zu Gott, Selbst und Menschenwelt von Grund auf zurechtgebracht wird. Als gerechtfertigte Ekklesiologie und Pneumatologie
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Sünder durch Gott selbst mit Gott versöhnt und verbunden sind die Gläubigen zugleich untereinander untrennbar zusammengeschlossen, wobei Individualität und Sozialität in gleichursprünglicher Weise in Geltung stehen. Die dem Apostolikum eingefügte Wendung „sanctorum communio“, die sich zuerst um 400 nachweisen lässt, umschreibt dementsprechend gerade in ihrer möglichen Doppelbedeutung das Wesen der Kirche auf bündige Weise: Im personalen Sinne gedeutet bezeichnet die Formel eine Gemeinschaft heiliger Menschen, wobei die Gleichsetzung von „sancti“ und „fideles“ nicht nur durch den paulinischen Sprachgebrauch nahegelegt ist, sondern bereits in der Jerusalemer Urgemeinde üblich gewesen sein dürfte. Im neutrischen Sinne der Teilhabe am Heiligen gedeutet hinwiederum bezeichnet sie nicht weniger als den Konstitutions- und Erhaltungsgrund der personalen Glaubensgemeinschaft, nämlich die gläubige Partizipation am göttlichen Geist, wie er in, mit und unter Wort und Sakrament wirkt. Im Glauben der „sancta“, welche mit Gott vereinen, teilhaftig, sind die Gläubigen zur Gemeinschaft der Heiligen bestimmt, welche die Kirche ist. In der in CA VII bevorzugten WesensumDas Wesen der Kirche als schreibung der Kirche als „congregatio sancto- Koinonia rum“, welche Wendung im Deutschen mit „Versammlung aller Glaubigen“ (BSLK 61,4f.) wiedergegeben wird, ist die Erinnerung an den differenzierten Bedeutungszusammenhang der dem paulinischen „koinonia“-Begriff entsprechenden Formel von der „communio sanctorum“ durchaus erhalten geblieben. Das ist unverkennbar, wenn man die Wendung nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit dem an sie anschließenden Relativsatz liest, auf dem unter dem Aspekt der „notae externae ecclesiae“ noch eigens zurückzukommen sein wird: „in qua evangelium pure docetur et recte administrantur sacramenta.“ (BSLK 61,4–6) Evangeliumsverkündigung und Sakramentsverwaltung sind zwar einerseits durchaus Lebensäußerungen und Lebensbetätigungen der Kirche zu nennen, aber sie sind dies in rechter und stiftungsgemäßer Weise doch nur unter der Voraussetzung, dass die Kirche in ihnen zugleich und zuvor ihre Lebensursache und ihren beständigen Lebensgrund findet. Evangeliumspredigt und Sakramentsverwaltung der Kirche können mithin nur unter der Bedingung recht und rein, stiftungs- und einsetzungsgemäß sein, dass in ihrem Vollzug das Leben der Kirche sich als ein solches äußert, welches in, mit und unter diesem Vollzug des Grundes seiner selbst gewahr wird und zwar dergestalt, dass der Vollzug kirchlicher Lebensäußerung von der Kirche als eine – dem Grund freilich unveräußerlich zugehörige – Folge dieses Grundes wahrgenommen wird und damit den Status eines folgsamen Werkes im Sinne des Glaubensgehorsams erhält. Auch in Bezug auf die ekklesiologische Zentralformel von CA VII gilt daher, dass die Kirche als personal vereinte Bekenntnisgemeinde auf ihrer Teilhabe an Wort und Sakrament basiert, welche zu bezeugen und auszuteilen ihr aufgetragen ist. Im Übrigen betont der „congregatio“-Begriff mit besonderem Nachdruck den konkreten Versammlungscharakter, wie denn auch für Paulus und das paulinische „koinonia“-Verständnis die Orientierung an der örtlichen Gottesdienstgemeinde
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charakteristisch ist, ohne dass darüber universalkirchliche Bezüge verloren gingen. Letzterer lässt sich u.a. der im deutschen Text der Augustana eigens betonten Tatsache entnehmen, dass die „congregatio sanctorum“ die „Versammlung aller Gläubigen“ (Hervorhebung von mir) darstellt. Es zeigt sich nicht nur, dass der Begriff der Heiligkeit ekklesiologisch mit dem des Glaubens zusammengehört, was u.a. auch dadurch bestätigt wird, dass CA VIII einleitend die Kirche im eigentlichen Sinn „congregatio sanctorum et vere credentium“, „die Versammlung aller Glaubigen und Heiligen“ nennt; die in der deutschen Fassung von CA VII und CA VIII zu konstatierende Hervorhebung der Allheit, als die und zu der die Gläubigen, die als solche die Heiligen sind, sich versammeln, macht zugleich darauf aufmerksam, dass der Glaube der kirchlich Versammelten keine „privatistische Innerlichkeit vereinzelter Individuen“ (Koch, 129) darstellt, dass vielmehr die – der ursprünglichen Einsicht der Reformation gemäß das Ureigenste betreffende und somit unveräußerliche – Subjektivität des Glaubens als solche allgemein ist und zwar so, dass „der Glaube im Innersten jedes einzelnen die Gesamtheit aller Glaubenden“ (Koch, 134) einschließt. Ekklesiologisch ist damit die Aufgabe gestellt, darzulegen, „inwiefern der Glaube zwar den einzelnen zuhöchst vereinzelt – ihn, unvertretbar ihn selbst meint – und ihn doch zugleich mit allen anderen ... zuinnerst verbindet; wie also der Glaube einzeln und allgemein zugleich ist“ (ebd.). Dass diese Aufgabe von den reformatorischen Vätern nur ansatzweise einer Lösung zugeführt worden ist, darf nicht daran hindern, muss im Gegenteil ein drängendes Motiv sein, sie konsequent als gegenwärtig aufgegeben wahrzunehmen. Denn ihre konsequente Wahrnehmung und rechte Durchführung ist die entscheidende Voraussetzung dafür, einen konsistenten evangelischen Begriff von der Kirche als „congregatio sanctorum“ bzw. Versammlung der Gläubigen zu entwickeln und unevangelische Fehlbestimmungen zu verhindern. Eine ekklesiologische Fehlbestimmung liegt zum einen immer dann vor, wenn der Begriff „congregatio“/Versammlung im Sinne von „Verein“ missdeutet wird, will heißen: im Sinne eines kraft arbiträrer Wahl und unmittelbar selbstbestimmter Dezision getroffenen kollegialistischen Zusammenschlusses von Individuen. Denn unter dieser Voraussetzung könnte ekklesiologisch nicht mehr deutlich werden, dass die Subjektivität des Glaubens nicht in vermittlungsloser Unmittelbarkeit besteht, sondern an sich selbst vermittelt ist. Die Hervorhebung der Mittelbarkeit des Glaubens, die ihm nicht äußerlich ist, sondern die sein Innerstes betrifft, darf indes nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Glaubensvermittlung das Ureigenste menschlicher Bestimmung erschließt, so dass die Rede von einer vermittelten Unmittelbarkeit des Glaubens, in der die Subjektivität des Einzelnen ganz bei sich ist, ekklesiologisch nicht nur sinnvoll, sondern nötig und unaufgebbar ist. Das wird nicht nur dort verkannt, wo die Kirche in sozialromantischer Manier zu einem organischen Gemeinschaftsganzen erklärt wird, dessen Glieder nicht je für sich, sondern lediglich funktional in Betracht kommen, sondern auch dort, wo man sie zu einer dem intersubjektiven Beziehungszusammenhang der Gläubigen enthobenen heilsanstaltlichen Größe hypostasiert.
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Das nizäno-konstantinopolitanische Symbol, das sowohl formal als auch inhaltlich fest ins Die Attribute der Kirche Konkordienbuch integriert ist, enthält in seinem dritten Artikel das Bekenntnis zur Einheit, Heiligkeit, Katholizität und Apostolizität der Kirche: Credo „unam, sanctam, catholicam et apostolicam ecclesiam“ (BSLK 27,7f.). Die Confessio Augustana rezipiert die klassische Lehre von den vier Kirchenattributen in vorbehaltlos affirmativer Weise, um sie mit dem Ereignis der Rechtfertigung mittels Wort und Sakrament synthetisch zu verbinden. Allerdings darf die symbolische Vierzahl der Kirchenattribute nicht exklusiv verstanden werden: Denn zweifellos gehört nach reformatorischer Ekklesiologie der missionarische, aber etwa auch der diakonische Auftrag wesentlich zum Kirchesein der Kirche, obwohl dieser Aspekt in den Bekenntnisschriften kaum eine explizite Rolle spielt. Nicht eigens thematisiert wird übrigens auch die Apostolizität der Kirche als ihr – nach klassischer Zählung – viertes Attribut: Im Unterschied zum NizänoKonstantinopolitanum und analog zum Apostolikum wird sie weder in der CA und ihren Vorformen, noch in der sonstigen Bekenntnistradition zu einem selbständigen Thema. Dennoch kann es „nicht den geringsten Zweifel darüber geben, daß auch nach lutherischer Auffassung und im Sinne der CA die ‚Apostolizität‘ zu den wesentlichen Attributen der Kirche zählt. Das ‚beständige Bleiben in der Apostel Lehre‘ (Apg 2,42), das Gegründetsein auf dem ‚Fundament der Apostel‘ (Eph 2,20) ist für die Kirche konstitutiv. Das Bekenntnis der CA zur Kontinuität der Kirche schließt das grundsätzlich mit ein.“ (Meyer/Schütte, 175) Der erste Satz von CA VII enthält darüber hinaus ein – nun ausdrückliches – Bekenntnis zur Katholizität der heiligen christlichen Kirche, wie es in direktem Textanschluss an das Apostolikum heißt, wobei die Wiedergabe des lateinischen „catholica“ mit „christlich“ „ohne irgendwelche polemischen Absichten“ (Meyer/ Schütte, 172) erfolgt und eine Frage des bloßen Sprachgebrauchs darstellt. In diesem Sinne handelt CA VII, um es mit den Worten der Apologieparaphrase von Justus Jonas zu sagen (BSLK 235,43ff.), „von der katholick oder gemein Kirchen, welche von aller Nation unter der Sonnen zusammen sich schickt“, also von der universalen Christenheit als der Versammlung aller Gläubigen. Was die Heiligkeit dieser Versammlung betrifft, so wurde bereits das Nötige gesagt und es genügt, noch einmal in Erinnerung zu rufen, was gerade für die „congregatio sanctorum“ das Wichtigste ist: Ihr heiliges Wesen besteht nicht zuerst in der Heiligkeit ihrer Glieder, sondern in der Teilhabe an den Medien des Heils, durch welche der Hl. Geist des in Jesus offenbaren Gottes wirksam ist. In der durch die „gratuita misericordia Dei“ erschlossenen gottmenschlichen Beziehung, wie sie sich in Jesus Christus manifestiert und in der Kraft des Hl. Geistes vermittelt, hat schließlich im Verein mit der Heiligkeit, Katholizität und Apostolizität der Kirche auch die kirchliche Einheit ihren konstitutiven Grund. Demgemäß kennt die Reformation letztlich nur ein charakteristisches Kennzeichen, in dem alle weiteren beschlossen sind, nämlich das in der Kraft des Geistes wirksame evangelische Wort Gottes von der Rechtfertigung des Sünders aus Gna-
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de um Christi willen durch Glauben. Wie Luther sagt: „Unica enim et perpetua et infallibilis Ecclesiae nota semper fuit Verbum.“ (WA 25,97,32f.) In dieser strengen Konzentration auf das eine, was nottut, folgt CA VII konsequent den ursprünglichen Einsichten der Reformation. Diese strenge Konzentration macht zugleich die Weite lutherischer Ekklesiologie aus. Wie für Luther, so basiert auch für die Augsburger Konfessoren die Mehrzahl möglicher Kirchenattribute auf der unteilbaren Einheit des Evangeliums als der charakteristischen Proprietät der Kirche Jesu Christi, wie sie „in verbo et sacramentis“ in konstitutiver und signifikanter Weise sich als wirksam erweist. Darauf und auf den genauen Zusammenhang der Lehre von den Kirchenattributen und der Catholica ecclesia Lehre von den „notae externae ecclesiae“, als welche die rechte Evangeliumsverkündigung und die stiftungsgemäße Sakramentsverwaltung zu gelten haben, wird im Einzelnen noch einzugehen sein und zwar im Zusammenhang des Problems der Kriterien sichtbarer Einheit der Kirche. Zuvor sind noch einige Näherbestimmungen zum Kirchenattribut der Katholizität anzufügen, das mit demjenigen der Einheit aufs engste verbunden und daher missverstanden ist, wenn es primär als Konfessionsbezeichnung gebraucht wird (vgl. Seckler, 178–197, 254–260). CA VII beginnt bekanntlich mit dem bereits erwähnten Satz, dass „alle Zeit musse ein heilige christliche Kirche sein und bleiben“ (BSLK 61,2 – 4; CA VII,1: „quod una sancta ecclesia perpetuo mansura sit“). Fast gleichlautend findet sich diese Wendung bereits in den literarischen Vorstufen von CA VII; Na („daß ein heilige christliche Kirch ewiglich bleiben werd“ [BSLK 61,18f.]) und Nb haben beide schon den endgültigen Wortlaut. Nb entspricht dabei der abschließenden deutschen Fassung: „... daß allezeit mus ein heilige christliche Kirch sein und bleiben“. Kirche, so lautet die entscheidende Aussage, ist keine chronologisch beschränkte Größe, sondern übersteigt die Schranken der Zeit, um alle Zeiten von der Vergangenheit über die Gegenwart „bis an der Welt Ende“, wie es im 12. Schwabacher Artikel heißt (BSLK 61,22f.), dauerhaft und fortwährend zu erfassen. Weitergehende ekklesiologische Spekulationen, etwa über eine mögliche vor- bzw. überzeitliche Präexistenz oder eine weltabgehobene, zeittranszendente Postexistenz der Kirche, sind von den Texten nicht nur nicht gedeckt, sondern konsequent abgeblendet. Die Aufmerksamkeit gilt ausschließlich der eschatologischen Sendung der Kirche für die Welt; in der Universalität dieser Weltsendung ist die allzeitige Dauer der Kirche mitgesetzt. Die Übernahme der Formel vom bleibenden Bestand der Kirche beruht auf langen Erwägungen, und sie ist keineswegs bloß dem Traditionalismus Melanchthons zuzurechnen, sondern durchweg von theologischen Grundmotiven bestimmt. Was Luther betrifft, so hat dieser die universale Bestimmung und damit die Katholizität der Kirche zwar vor allem unter Betonung ihrer raumumgreifenden Mission gewürdigt. Doch berücksichtigte der Reformator in bewusster Übereinstimmung mit der Tradition neben und im Zusammenhang mit der räumlichen immer auch die zeitliche Universalität der Kirche, die ja auch ihrerseits mit raumorientierten
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Perspektiven in Verbindung steht und sachlich nicht von diesen getrennt werden kann. Hat die Kirche sonach als eine die Schranken von Zeit und Raum gleichermaßen transzendierende Größe zu gelten, so ist damit von vornherein klargestellt, dass ein independentistischer Kirchenbegriff, der die Isolierung einer bestimmten Zeit- und Ortsgestalt der Kirche zum Ziel hätte, unter Bedingungen der Wittenberger Reformation ekklesiologisch nicht in Frage kommt. Auch wird die Kirche als ganze nicht lediglich als Summe von sog. Teilkirchen in ihrer raum-zeitlich bestimmten Ausformung vorgestellt, da deren gemeinschaftliche Gesamtheit anderes ist als das Ergebnis einer Addition partikularer Raum-Zeit-Größen. Ist doch, wie man im Sinne des Eingangssatzes von CA VII annehmen darf, allen einzelnen Gestalten der Kirche in Raum und Zeit der Bezug zur Gesamtkirche nicht lediglich äußerlich, sondern von innen her und damit wesensmäßig präsent. Jede raumzeitliche Gestalt der Kirche ist sonach das, was sie ist, nur im Zusammenhang und im Verein mit der universalen Kirche, wie denn auch die mit der raumzeitlichen Gestalt der Kirche gegebene Pluralität von Kirchen nur als Einigkeit und somit in der Einheit der einen Kirche ekklesiologisch rechtens bestehen kann. Dass dies auch für das Selbstverständnis jener „ecclesiae“ gilt, die als Bekenntnissubjekte der Evangelische Katholizität CA fungieren, davon wird man in Anbetracht nicht nur, aber auch und besonders der Eingangswendung des Kirchenartikels CA VII sowohl historisch, als auch systematisch prinzipiell auszugehen haben. Die terminologischen Differenzierungen, zu denen der ekklesiologische Sprachgebrauch der CA nötigt, dürfen daher nicht zur Trennung von systematisch Zusammengehörigem verleiten. Die Kirchen, die in der Confessio Augustana das Bekenntnis ihres Glaubens aussprechen, wissen sich mit der Gesamtkirche nicht nur äußerlich, sondern bestimmungsmäßig verbunden. Als Einzelgemeinden bzw. überregional verfasste territoriale Kirchenkörper stehen sie in einem für ihr Wesen konstitutiven Bezug zur universalen Kirche Jesu Christi auf Erden. Indes darf die universale Gesamtkirche ihrerseits nicht in gleichsam hypostasierter Weise abgehoben werden von der konkreten Gemeinschaft derer, die zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort um Wort und Sakrament versammelt sind und auf diese Weise ganz und nicht etwa nur zum Teil Kirche sind. Denn wie die gottesdienstliche Versammlung nicht zu denken ist ohne gesamtkirchlichen Bezug, so ist die Gesamtkirche lebendig präsent nur im Zusammenhang des konkreten Vollzugs der Evangeliumsverkündigung in Wort und Sakrament, in der die Einzelgemeinden in Raum und Zeit ihr Wesen haben. Universalität und Konkretion sind daher von Anfang an als ein Zusammenhang zu denken. Genau darum bemüht sich die Ekklesiologie der Confessio Augustana.
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4. Die Verborgenheit der wahren Kirche, ihre Kennzeichen und das kirchliche Bekenntnis
Lit.: K. Appold, Orthodoxie als Konsensbildung. Das theologische Disputationswesen an der Universität Wittenberg zwischen 1570 und 1710, Tübingen 2004. – K. Barth, Kirchliche Dogmatik (= KD), Bd. IV/1, Zollikon-Zürich 1953. – K.E. Förstemann (Hg.), Urkundenbuch zu der Geschichte des Reichstages zu Augsburg im Jahre 1530. 2 Bde., Halle 1833/ 35; repr. Nachdr. Hildesheim 1966. – Th. Harnack, Die Kirche, ihr Amt, ihr Regiment. Grundlegende Sätze mit durchgehender Bezugnahme auf die symbolischen Bücher der lutherischen Kirche, Nürnberg 1862. – H. Immenkötter, Die Confutatio der Confessio Augustana vom 3. August 1530, Münster (1979) 21981. – E. Kinder, Die Verborgenheit der Kirche nach Luther, in: E. Iserloh/P. Manns (Hg.), Reformation. Schicksal und Auftrag, FS J. Lortz, Bd. I, Baden-Baden 1958, 173–192. – G. Kretschmar, Der Kirchenartikel der Confessio Augustana Melanchthons, in: E. Iserloh (Hg.), Confessio Augustana und Confutatio. Der Augsburger Reichstag 1530 und die Einheit der Kirchen, Münster 21980, 411– 439. – H. Meyer, Sündige Kirche? Bemerkungen zum ekklesiologischen Aspekt der Debatte um eine katholische/evangelische „Grunddifferenz“, in: ÖR 38 (1989), 397–410. – F.W. Schirrmacher, Briefe und Acten zu der Geschichte des Religionsgespräches zu Marburg 1529 und des Reichstages zu Augsburg 1530, Gotha 1876, (unveränderter Nachdruck Amsterdam 1968). – E. Schlink, Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften, München 3 1948.
Zum ekklesiologischen Bewusstsein ihrer selbst und der ihr eigentümlichen Bestimmung gelangt die Kirche in der Gewissheit des Glaubens, durch welchen sie exzentrisch in dem in Jesus Christus offenbaren Gott gründet. Hingegen bleibt für den äußeren Augenschein das wahre Wesen der Kirche zwar nicht einfachhin unsichtbar, doch in bestimmter Hinsicht verborgen. Eine Ursache für die Verborgenheit der wahren Kirche ist, dass die empirische Erscheinungsgestalt der Kirche ein „corpus permixtum“ darstellt, in Bezug auf welches sich Sünde und Glaube nicht schiedlich sondern lassen. Dies hat reformatorische Ekklesiologie gegen anderslautende Behauptungen stets mit Nachdruck und unter Bekräftigung des antidonatistischen und antinovatianischen Erbes der Kirche vertreten. Der VIII. Artikel der Augustana ist hierfür ein exemplarischer Beleg. Während die Konfutatoren das Eingangsbekenntnis von CA VII, dass nämlich die Kirche ewig bleiben werde, ausdrücklich belobigten und es durch Verweise auf Joh 14,16 und Mt 28,20 bekräftigten, nahmen sie an der Bestimmung der Kirche als „congregatio sanctorum“ derartigen Anstoß, dass sie sich zu dem harschen Urteil hinreißen lieDie empirische Kirche als „corpus permixtum“
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ßen: „Hierumb diser articl kainswegs anzunemen ist.“ (Immenkötter, 96,2) Begründet wurde dieses Verdikt mit dem Hinweis, dass durch die ekklesiologische Annahme, die Kirche sei eine Versammlung der Heiligen, die Bösen und Sünder aus ihr ausgeschieden würden. Dies aber widerspreche, wie u.a. Mt 3,12, 13,47ff. und 25,1ff. belegten, offensichtlich dem Zeugnis des Evangeliums und sei auf dem Konstanzer Konzil als Irrtum des Johannes Hus ausdrücklich verdammt worden (vgl. DH 1201ff.). In seiner Apologie (vgl. auch CR 27,283f.; BSLK 234,35–57) hat sich Melanchthon gegen diese Deutung von CA VII vehement und mit gewisser Verbitterung (Apol VII,2: „Nihil tam circumspecte dici potest, ut calumniam evitare queat.“) verwahrt. Dass dies nicht ohne Recht geschah, beweist in gewisser Weise schon die Existenz des VIII. Artikels der CA, in welchem nicht nur gesagt ist, dass nach evangelischer Lehre auch durch Böse verwaltete Sakramente ihre Gültigkeit behalten, sondern – wenngleich in äußerst verschlungenem Satzbau – auch dies zum Ausdruck kommt, dass in der Kirche, obwohl sie eigentlich die Versammlung der Heiligen und wahrhaft Glaubenden ist, in diesem Leben viele Heuchler und Schlechte sind. Wörtlich heißt es in der lateinischen Fassung von CA VIII unter ausdrücklicher Verdammung der Donatisten und ähnlicher Irrlehrer, welche sagten, man dürfe in der Kirche den Dienst der Schlechten nicht hinnehmen, und die der Meinung waren, der Dienst der „mali“ sei unnütz und wirkungslos (CA VIII,3): „Quamquam ecclesia proprie sit congregatio sanctorum et vere credentium, tamen, cum in hac vita multi hypocritae et mali admixti sint, licet uti sacramentis, quae per malos administrantur...“ (CA VIII,1) Nachdem auf das Wort Christi Mt 23,2 verwiesen wird, fährt der Text fort: „Et sacramenta et verbum propter ordinationem et mandatum Christi sunt efficacia, etiamsi per malos exhibeantur.“ (CA VIII,2) Die deutsche Fassung sagt analog, dass die christliche Kirche eigentlich nichts anderes sei als die „Versammlung aller Glaubigen und Heiligen“ (BSLK 62,3f.); jedoch bleiben in diesem Leben viele falsche Christen und Heuchler unter den Frommen. Gleichwohl hätten die Sakramente ihre Wirkungskraft, obschon die Diener, durch die sie gereicht werden, nicht fromm sind. Nachdem in den Augsburger Ausschussverhandlungen vom August 1530 von evangelischer Ecclesia late et stricte dicta Seite im Anschluss an CA VIII erneut bestätigt wurde, „das in der kyrchen in diesem Leben vil boser und sunder seyen“ (Förstemann II, 231), kam man zu dem Ergebnis: „Concordant et fatentur, in ecclesia esse in hac uita non solum sanctos, sed etiam malos et peccatores.“ (Schirrmacher, 219) Damit schien die Angelegenheit erledigt. Gleichwohl gibt es Grund zu der Annahme, dass Entscheidendes in Augsburg offenblieb. Dies betrifft vor allem die Frage, wie sich „ecclesia proprie vel stricte dicta“, also die ihrem Begriff als „congregatio sanctorum et fidelium“ entsprechende Kirche, und „ecclesia late dicta“, also die Kirche als „congregatio sanctorum et malorum“ zueinander verhalten. Tatsache ist, dass mit dem „Anathema über den donatistischen Irrtum, daß der Dienst gottloser Amtsträger in der Kirche Wort und Sakrament wirkungslos mache, das Problem
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des Ortes des Sünders in der Kirche nicht gelöst (war)“ (Kretzschmar, 424f.). Nicht von ungefähr hat sich Melanchthon im Kirchenartikel seiner „Apologia confessionis Augustanae“ namentlich an diesem Problem abgearbeitet. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, „quod hypocritae et mali in hac vita sint admixti ecclesiae et sint membra ecclesiae secundum externam societatem signorum ecclesiae, hoc est, verbi, professionis et sacramentorum, praesertim si non sint excommunicati“ (Apol VII,3). Als „societas externa“ ist die Kirche sonach ein Mischgebilde. Gekennzeichnet ist der äußere Verband der Kirche durch sog. „externa signa“ bzw. „externae notae ecclesiae“, wobei in dem zitierten Abschnitt Wort, Bekenntnis und Sakrament, in der Regel aber nur, wie in CA VII, die reine Lehre des Evangeliums („pura evangelii doctrina“) sowie die mit dem Evangelium übereinstimmende Verwaltung der Sakramente („administratio sacramentorum consentanea evangelio Christi“; vgl. Apol VII,5) genannt werden. Nun ist freilich die Kirche nicht nur ein Verband mit äußeren Aufgaben und Satzungen wie andere Staatswesen, sondern zuvörderst ein Bund des Glaubens und des Heiligen Geistes in den Herzen (Apol VII,5: „ecclesia non est tantum societas externarum rerum ac rituum sicut aliae politiae, sed principaliter est societas fidei et spiritus sancti in cordibus“); wollen doch die „notae ecclesiae“ Wort und Sakrament ihrer evangelischen Bestimmung und Stiftung gemäß im Glauben wahrgenommen und in der Kraft des Hl. Geistes verinnerlicht werden, ohne deshalb aufzuhören, sowohl äußere Kennzeichen der „congregatio sanctorum“, als auch externer Konstitutionsgrund ihrer im Gottvertrauen gründenden „communio“ zu sein. In diesem Sinne ist die „ecclesia stricte dicta“ die Versammlung und Gemeinschaft derjenigen, die Wort und Sakrament im Glauben sich herzlich gefallen lassen. „Et haec ecclesia sola dicitur corpus Christi, quod Christus spiritu suo renovat, sanctificat et gubernat ...“ (Apol VII,5 mit Verweis auf Eph 1,22 f.) Der strenge Begriff der Kirche, „quae est nomine et re ecclesia“ (Apol VII,12), ist damit entwickelt. Was Melanchthon noch zu tun bleibt, ist zum einen, die Notwendigkeit eines solchen Begriffs zu unterstreichen, zum anderen, dem Missverständnis zu wehren, es werde durch ihn ein Verständnis der Kirche im Sinne einer „civitas platonica“ befördert. Zum ersten: Der strenge Kirchenbegriff ist nach Melanchthon deshalb unentbehrlich, weil ohne ihn nicht eingesehen würde, dass das „regnum Christi“ eine „iustitia cordis“ und eine „donatio spiritus sancti“ sei und nicht allein aus äußerlicher Beobachtung gewisser Kulte und Riten bestehe. Der Unterschied von Kirche und Nicht-Kirche bestimmt sich entsprechend nicht durch bürgerlich-weltliche Satzung. Die zwischen beiden gesetzte Differenz ist vielmehr die zwischen heilig und sündig, zwischen dem Reich Christi und dem des Teufels. Dem „regnum Christi“ aber (Apol VII,16: „distinctum contra regnum diaboli“) gehören selbstverständlich die „impii“ nicht an, sofern alles Böse in den Machtbereich Satans fällt. „Itaque ecclesia, quae vere est regnum Christi, est proprie congregatio sanctorum.“ (Apol VII,16) In ihrer Gestalt als „regnum Christi“ ist die Kirche vom „regnum diaboli“ definitiv geschieden, wenngleich die Endgültigkeit dieser Scheidung
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noch unter dem Kreuz verborgen ist und erst mit der eschatologischen Manifestation des Reiches Christi offenbar sein wird. Bis dahin bleiben Gottlose der „societas externa“ der Kirche äußerlich beigesellt, obschon sie Glieder des Reiches des Teufels sind. Zum zweiten: Ist die Kirche ihrem wahren Wesen nach ein von der Verkehrtheit des Bösen und damit von allem „Fleisch“ geschiedener „populus spiritualis“, so kann sie doch unter keinen Umständen mit einer „platonica civitas“ (vgl. Apol VII,20; entsprechend schon BSLK 234,38 f.) verglichen werden. Das hat seinen Grund namentlich darin, dass die platonische Differenz von Idealität und Realität nicht dem Gegensatz von Geist und Fleisch im christlichen Sinne entspricht. Ein angemessenes „tertium comparationis“ ist also von Anfang an nicht gegeben. Die wahre Kirche ist infolgedessen auch keine rein geistige und von der Sphäre der irdischen Welt schlechterdings abgehobene Größe. Apol VII,20 erklärt sie vielmehr für realexistent, nämlich in Gestalt der wirklich Glaubenden und Gerechten, wie sie über den Erdkreis verstreut leben, wobei davon auszugehen ist, dass die Glaubenden und Gerechten ihren Glauben und ihre Gerechtigkeit allein ihrem durch Wort und Sakrament vermittelten Sein in Christus verdanken, welches sie zu entsprechender Folgsamkeit ihrer empirischen Existenz in der Nachfolge Christi bestimmt. Zwar ist die empirische Existenz der Glaubenden für sich genommen kein eindeutiges Erkennungszeichen für die Sichtbarkeit der wahren Kirche, da deren Gerechtigkeit lediglich anfangsweise zum Vorschein kommt. „Notae externae ecclesiae“ im eigentlichen Sinn können daher, wovon noch ausführlich zu reden sein wird, nur die rechte Evangeliumsverkündigung und die stiftungsgemäße Verwaltung der Sakramente genannt werden, durch welche wirkmächtig die Christusgemeinschaft des Glaubens vermittelt wird. Doch hat unbeschadet dessen das Sein des Glaubenden in Christus als eine realexistente und keineswegs als eine lediglich spirituelle, durch den Gegensatz von Idealität und Realität im platonischen Sinn bestimmte Größe zu gelten. Bezüglich des reformatorischen Verständnisses der Polarität von „ecclesia proprie dicta“ und „ec- Ecclesia visibilis et invisibilis clesia large dicta“ bzw. „interna societas ecclesiae“ und „externa societas ecclesiae“ ergibt sich sonach folgendes Resultat: Zum einen wäre es gewiss falsch, die bezeichneten begrifflichen Pole durch dialektische Mediatisierung sogleich ihres gegensätzlichen Charakters zu entheben; denn dass es äußere Kirchenzugehörigkeit und kirchliche Äußerlichkeit bzw. Selbstveräußerung gibt, die des Teufels ist, sagt Melanchthon ausdrücklich. Von diesem eschatologischen Horizont zu abstrahieren, ist daher ekklesiologisch schlechterdings unmöglich, da er die gesamte reformatorische Kirchenlehre elementar bestimmt. Darauf hat namentlich E. Schlink aufmerksam gemacht, dessen Theologie der Bekenntnisschriften die Behandlung der Ekklesiologie mit einer unvermittelten Kontrastierung von Teufelsreich und Reich Christi beginnen lässt (vgl. Schlink, 284ff.). Damit ist angezeigt, dass erst vor dem Hintergrund dieses Gegenübers und des dadurch bedingten Kampfgeschehens die reformatorische Lehre von der Kirche
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und vom Predigtamt verständlich wird. Indes wäre die reformatorische Kirchenlehre gerade ihres kämpferischen Charakters beraubt, wollte man die besagten ekklesiologischen Begriffspaare in dem Sinne auflösen, dass man dem Teufel gewissermaßen das Außen überlässt, um das Reich Christi auf das Innere zu beschränken. Eine solche abstrakte Alternative, welche die Eschatologie prinzipialisiert und durch begriffliche Kontrastierung ihrer Dynamik beraubt, entspricht der reformatorischen Lehre nicht nur nicht, sie widerspricht ihr vielmehr kontradiktorisch. Daher ist trotz und unbeschadet des erwähnten eschatologischen Kontrasts, der begrifflich nicht aufhebbar ist, das Verhältnis von „externa societas ecclesiae“ und „interna societas ecclesiae“ theologisch zugleich als differenzierter Zusammenhang zu bestimmen. Die vorangegangenen Erörterungen haben gezeigt, dass es nicht nur nicht hilfreich, sondern im Gegenteil missverständlich ist, das Verhältnis von „ecclesia stricte“ und „ecclesia late dicta“ im Sinne von idealer und realer Kirche zu bestimmen. An diesem Missverständnis hat die traditionelle Unterscheidung von „ecclesia invisibilis“ und „ecclesia visibilis“ nicht unerheblichen Anteil. Nicht von ungefähr hatte bereits Luther selbst der Redeweise von der Verborgenheit der wahren Kirche mehr und mehr den Vorzug gegeben vor der von Augustin geprägten und gegen neuplatonische Missdeutungen nicht hinreichend abgesicherten Unterscheidung einer „ecclesia visibilis“ und einer „ecclesia invisibilis“. Der frühe Melanchthon ist ihm darin durchaus gefolgt; wie in den Bekenntnisschriften überhaupt, so wird auch in der Apologie bemerkenswerterweise nirgendwo von der Unsichtbarkeit der Kirche gesprochen. Gesagt wird vielmehr, um die entscheidende Passage noch einmal und im Gesamtzusammenhang zu zitieren: „At ecclesia non est tantum societas externarum rerum ac rituum sicut aliae politiae, sed principaliter est societas fidei et spiritus sancti in cordibus, quae tamen habet externas notas, ut agnosci possit ... Neque vero somniamus nos Platonicam civitatem, ut quidam impie cavillantur, sed dicimus existere hanc ecclesiam, videlicet vere credentes ac iustos sparsos per totum orbem. Et addimus notas: puram doctrinam evangelii et sacramenta.“ (Apol VII,5.20) Zwar ist die Kirche nicht nur ein Verband mit äußeren Aufgaben und Satzungen wie andere Gemeinwesen, sondern in erster Linie ein Bund des Glaubens und des Heiligen Geistes in den Herzen. Aber sie hat dennoch äußere Kennzeichen, um erkannt zu werden, nämlich die reine Evangeliumsverkündigung und die stiftungsgemäße Verwaltung der Sakramente. Die Ekklesiologie der Augustana behauptet demzufolge entschieden, dass die Kirche sichtbar erscheint und zwar sowohl in Gestalt der „notae ecclesiae“ als auch und in untrennbarer Verbindung hiermit in den wirklich Glaubenden und über den ganzen Erdkreis verstreuten Gerechten. Das wahre Wesen der Kirche ist zwar in ihrer geDie Erkennbarkeit der Kirche schichtlichen Wirklichkeit verborgen, aber deshalb keineswegs etwas rein Unsichtbares, das in der Welt nicht in Erscheinung träte: „denn Christus und sein Geist sind nicht bloß unsichtbar, sondern sichtbar und hörbar im Wort und den Sakramenten; und
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ebenso sind die Gläubigen irdische Menschen, denen man zwar den Glauben nicht ansehen kann, deren Glauben aber nicht sein und nicht bestehen kann, ohne sich kundzugeben im Zeugen vom Wort und im Brauchen der Sakramente, d.h. in dem Bekenntnis zu Christo durch Wort und Tat.“ (Harnack, 23; bei H. teilweise gesperrt) Vom wahren Wesen der Kirche kann daher nicht die Rede sein, wenn man von ihrer leibhaft präsenten Gestalt absieht. Daran ändert die Tatsache nichts, dass die Präsenz des wahren Wesens der Kirche in, mit und unter ihrer äußeren Manifestationsgestalt den Charakter verborgener Gegenwart hat, die nur vom Glauben recht wahrgenommen werden kann. Ist doch das „Eigentliche (sc. der Kirche) nicht als seinsmäßig von ihrer äußeren Manifestation getrennt zu denken, sondern nur an dieser und in Bezug auf sie zu glauben. Wohl kann es nicht geschaut, sondern nur geglaubt werden; aber es wird nicht hinter, über oder neben ihrer geschichtlichen Gestalt, sondern an ihr und in ihr geglaubt.“ (Kinder, 176f.) Auch wenn das wahre Sein der Kirche in ihrer irdisch-geschichtlichen Gestalt verborgen und nur für den Glauben wahrnehmbar ist, ist damit die Sichtbarkeit der wahren Kirche keineswegs zugunsten der unsichtbaren Idee einer „civitas platonica“ negiert. Das betont in Absage an „einen ekklesiastischen Doketismus“ (KD IV/1, 729) auch Karl Barth: „Die Gemeinde“, so heißt es, „ist Jesu Christi eigene irdisch-geschichtliche Existenzform.“ (KD IV/1, 738) Als Leib Christi (vgl. KD IV/1, 740ff.) ist sie unbeschadet der Tatsache, dass ihr Haupt auch und zugleich in himmlischgeschichtlicher Existenzform lebt, realiter da, will heißen: auf der Welt, wie denn auch ihr Haupt wirklich auf die Welt gekommen und wirklicher Mensch geworden ist, um sich in der irdisch-geschichtlichen Wirklichkeit als der zu erweisen, der er ist. Wenn das wahre Wesen gleichwohl ein unter ihrer geschichtlichen Gestalt verborgenes und nicht sichtbares zu nennen ist, dann, wie gesagt, primär aus hamartiologischen Gründen. Dass Böse und Ungläubige mitten in der Kirche ihr Unwesen treiben, ist die Hauptursache ihrer Verborgenheit und entscheidend dafür, dass die Kirche als „societas externa“ ein „corpus permixtum“ zu nennen ist. Ein Mischgebilde ist die Kirche freilich nicht nur, weil ihr neben den Gläubigen, die allein als „membra Christi“ zu gelten haben, auch Ungläubige, Böse und Heuchler als „socii“ angehören, sondern auch deshalb, weil die Glaubenden selbst noch nicht zur Vollendung gelangt sind, sondern erst am Anfang ihres Heiligungslebens stehen. Das hat u.a. zur Folge, dass der Unterschied zwischen Gläubigen und Ungläubigen empirisch nicht in endgültiger Weise und mit offenbarer Gewissheit erfasst werden kann. Eschatologische Urteile können und dürfen daher unter irdischen Bedingungen auch in ekklesiologischer Hinsicht nicht gefällt werden und das umso weniger, als gerade der Glaubende zu beständiger und getroster Gewissheit seiner selbst als eines Glaubenden und mithin als eines rechten Gliedes am Leibe Christi, welcher die wahre Kirche ist, nicht empirisch im Sinne reflexiver Selbsterfahrung gelangt, sondern nur im konsequent sich verlassenden Vertrauen auf Gott, dem allein die definitive Scheidung zwischen wahrer Kirche und unter kirchlichem Schein sich verbergender Verkehrtheit zu überlassen und anzuvertrauen ist.
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Bleibt zu fragen, ob die reformatorische Lehre von der Verborgenheit der Kirche die Möglichkeit ihrer antichristlichen Totalverkehrung enthält. Diese Frage ist nicht einfach zu verneinen, insofern nach reformatorischem Urteil Folgendes ekklesiologisch nicht auszuschließen ist: „Die eigentliche Wirklichkeit der Kirche kann durch Mißart ihrer geschichtlichen Verwirklichung in einer dämonischen Weise verzerrt und pervertiert sein, so dass diese geschichtliche Verwirklichung unter dem Namen Jesu Christi in Wirklichkeit von Christus verdrängenden und Christus feindlichen Mächten beherrscht ist.“ (Kinder, 184) Dies ist immer dann der Fall, wenn im Namen Christi und unter Berufung auf seinen Geist der Unglaube propagiert und gelebt wird. Solcher diabolischen Versuchung zu verfallen, ist kein Glied der Kirche und auch keine ihrer amtlichen Repräsentationsgestalten prinzipiell enthoben, woran sich bestätigt, dass keine irdische Instanz den Bestand der Kirche von sich aus gewährleisten kann. Unbeschadet dessen soll und kann sich der Glaube auf die Beständigkeit der Kirche ebenso vorbehaltlos verlassen wie auf die Treue Gottes zu der in Jesus Christus gegebenen und vom Geist erschlossenen Verheißung des Evangeliums. Dies impliziert für ihn das Recht und die Pflicht der Gewissheit, dass die Kirche nie definitiv von der Wahrheit abfällt. „Die Reformation weiß sich in dieser Überzeugung mit der vorausgegangenen theologischen und kirchlichen Tradition verbunden und hat die biblischen Verheißungen (Mt 16,18; 28,20; Joh 16,13) stets in diesem Sinne verstanden. Das ,ecclesia non potest errare‘ ist darum eine bei den Reformatoren oft wiederkehrende Aussage und integraler Bestandteil reformatorischen Kirchenverständnisses.“ (Meyer, 401) Indes kann und darf, um es zu wiederholen, das kirchliche Bleiben in der Wahrheit nicht den Status einer unangefochtenen Gegebenheit annehmen, es ist vielmehr als Wirklichkeit präsent und gewiss nur in der Weise des Glaubens, der sich in der Kraft des Hl. Geistes auf die Verheißungen des Evangeliums verlässt, wie sie in Wort und Sakrament konkrete und konkret wahrnehmbare Gestalt annehmen. Es liegt in der Konsequenz dieser ArgumentatiWort und Sakrament als on, den Begriff der „notae ecclesiae externae“, der notae ecclesiae äußeren Erkennungszeichen wahrer Kirche im strengen Sinn auf die reine Verkündigung des Evangeliums und die stiftungsgemäße Verwaltung der Sakramente zu beschränken, wie das im Zusammenhang reformatorischer Bekenntnistradition in der Regel auch geschah. Dies wird vor allem durch die Tatsache unterstrichen, dass nach CA VII der Konsens hierüber die ebenso notwendige wie hinreichende Bedingung sichtbarer kirchlicher Einheit darstellt. Um den sachlichen Stellenwert dieser Aussagen recht zu ermessen, ist vorweg zu registrieren, dass die Kircheneinheitsfrage nicht nur einen Sachaspekt, sondern den Inbegriff der ekklesiologischen Gesamtthematik der Augustana darstellt. Es ist daher angemessen, den Kirchenartikel der CA, der ursprünglich wie alle übrigen Artikel des Glaubens und der Lehre aus dem ersten Teil des Bekenntnisses mit Ausnahme von CA XX mit keiner Überschrift versehen war, unter das Das kirchliche Bleiben in der Wahrheit
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Motto zu stellen: „De vera unitate ecclesiae“ („Von der wahren Einigkeit der Kirche“). In der Tat umschreibt das ekklesiologische Attribut der Einheit den eigentlichen Skopus der Kirchenlehre der Augustana. Dafür gibt es einerseits strikt systematische Gründe, sofern die Kirche entweder eine oder nicht das ist, was sie ihrer Bestimmung nach zu sein hat. Das entschiedene Bekenntnis zur Einheit der Kirche in CA VII hat aber andererseits auch spezifisch historische Veranlassungen und Rahmenbedingungen, die beachtet sein wollen, soll die konkrete Sendung der Kirche nicht systematisch vernachlässigt werden. Aus ekklesiologischen Konkretisierungsgründen und im Interesse historischer Präzision ist daher in Erinnerung zu rufen, dass die Augustana nicht nur in ihrem zweiten Teil, der entstehungsgeschichtlich am Anfang stand, sondern in ihrer Gesamtheit ein Dokument nicht der Gründung einer eigenständigen Denomination, sondern einer gesamtkirchlichen Erneuerungsbewegung darstellt. Wie immer man im Einzelnen urteilen mag: Anhänger des alten und ursprünglichen Glaubens der Christenheit wollten die Bekenner von Augsburg nicht nur aus apologetischer Rücksicht, sondern in durchaus programmatischer Weise sein; und auch davon waren sie unzweifelhaft überzeugt, dass ein innovativer Fortschritt der Kirchenreform nur im kontinuierlichen Zusammenhang mit der raum- und zeitumgreifenden einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche zu erreichen sei. Den Charakter einer kirchlichen Neuerung, die die Tradition negiert und abstrakte Alternativen zu allem Überkommenen sucht, hat die Reformation entschiedenermaßen nicht; auch kann in einem grundsätzlichen Sinne unter reformatorischen Bedingungen von einer die kirchliche Wesenseinheit aufhebenden Pluralität von Kirchen theologisch recht eigentlich nicht die Rede sein. Die Wendung des kaiserlichen Ausschreibungstextes des Augsburger Reichstages, dass „wir alle unter ainem Christo sein und streiten“ (Förstemann I, 8), wird daher in der Vorrede der Augustana ausdrücklich aufgegriffen und betont wiederholt (BSLK 46,19f.), um zu bekunden, dass auch nach reformatorischem Urteil der bestehende Zwiespalt die gegebene und durch Raum und Zeit sich durchhaltende Einheit der real existierenden Christenheit und Kirche nicht auflöst und nicht auflösen darf. Damit die wesenhafte Einheit wahrer Kirche ihrer Bestimmung gemäß sichtbar in Erschei- Konsens und Kircheneinheit nung trete, ist, wie erwähnt, der Konsens bezüglich rechter Evangeliumsverkündigung und stiftungsgemäßer Sakramentsverwaltung notwendig und hinreichend. Nicht nötig sei es hingegen, dass allenthalben gleichförmige Bräuche und Zeremonien, von Menschen eingesetzt, gehalten werden: „Nec necesse est ubique similes esse traditiones humanas seu ritus aut ceremonias ab hominibus institutas“ (CA VII,3; BSLK 61,9ff.). Es genüge vielmehr, „daß da einträchtiglich nach reinem Verstand das Evangelium gepredigt und die Sakrament dem gottlichen Wort gemäß gereicht werden“ (BSLK 61,9 – 12). „Et ad veram unitatem ecclesiae satis est consentire de doctrina evangelii et de administratione sacramentorum.“ (CA VII,2; BSLK 61,6 – 9) Entsprechendes war bereits in den Schwabacher Artikeln zu lesen: „wo das Euangelion gepredigt wird und die Sakra-
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ment recht gebraucht, do ist die heilige christenliche Kirche, und sie ist nit mit Gesetzen und äußerlicher Pracht an Stätte und Zeit, an Person und Gebärde gebunden“ (BSLK 61,27ff.). In Na, wo Art. VII und VIII der CA noch vereint sind, wird diese Wendung unter konsequenter thematischer Ausrichtung auf die „unitas ecclesiae“ aufgegriffen in der Formulierung: „Und zu Einikeit der Kirchen ist genug, daß man des Evangeliums und der Sakrament halben ubereinkomm, aber daß die Ceremonien und ander menschlich Ordnung allenthalben gleich sein, ist nit von noten ...“ (BSLK 61,22ff.) Damit ist weder die ekklesiologische Bedeutung kirchlicher Tradition noch die des ordinationsgebundenen Amtes der Kirche in Abrede gestellt. Gesagt wird zum einen, dass unbeschadet der Einheit der Kirche Verschiedenheit menschlicher Traditionen, Riten und Zeremonien bestehen kann, so dass in dieser Hinsicht um der kirchlichen Einheit willen nicht überall Gleichförmigkeit herrschen muss. Zum anderen wird betont, dass Wesen und Einheit der Kirche und infolgedessen auch des kirchlichen Amtes, sofern es – was nirgends geleugnet wird – für die Einheit der Kirche wesentlich ist, ausschließlich von den durch Christus seiner Kirche eingestifteten Gnadenmitteln her verstanden werden müssen. Der Konsens bezüglich rechten Gebrauchs der Heilmittel ist daher genug zur wahren Einigkeit der Kirche. Dabei meinen die Augsburger Konfessoren mit dem Wort „consentire“, für das im deutschen Text das Adverb „einträchtiglich“ steht, nicht einen Bekenntnisstand im Sinne konfessioneller Denominationen, die es damals noch gar nicht gab. Sie bezeichnen damit vielmehr die einvernehmliche Übereinstimmung in der Evangeliumsverkündigung in Wort und Sakrament, wobei hinzuzufügen ist, dass „doctrina evangelii“ im gegebenen Zusammenhang primär auf die Predigt und ihren konkreten Vollzug als „viva vox evangelii“ zu beziehen ist. Es wird demnach in CA VII auch nicht anstelle einer ubiquitären Gleichförmigkeit der Zeremonien die doktrinäre Gleichförmigkeit im Sinne gleichlautender Lehrsätze zum Kriterium kirchlicher Einheit erklärt. Zwar sind die Satzwahrheiten der Lehre unentbehrlich, damit das Evangelium nach reinem Verstand gepredigt und die heiligen Sakramente evangeliums-, also dem göttlichen Wort gemäß gereicht sowie einvernehmliche Konsensaussagen ebendarüber innerhalb der „congregatio sanctorum“ getroffen werden können. Gleichwohl sind Lehre und Lehrkonsens relative, d.h. von der Evangeliumsverkündigung herkommende und auf sie hingeordnete Größen, und es gehört zum Wesen evangelischer Lehre, eben diese Relativität ins Bewusstsein ihrer selbst zu integrieren, nämlich so, dass nicht die doktrinäre Lehrgestalt in ihrer Ausdrucksform als menschliche Satzung, sondern der in dieser Satzung sich selbst zur Sprache bringende göttliche Sinn, will heißen: das Evangelium von der Rechtfertigung des Sünders aus Gnade um Christi willen durch Glauben als Konstitutionsgrund und Kriterium der Kirche und kirchlicher Einheit in Geltung steht. Der Reinheit des Wortes und der rechten VerwalEvangelium und Lehre tung der Sakramente dadurch zu dienen, dass Wort und Sakrament erkenntlich und wissbar
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bestimmt werden als Medien unbedingter und vorbehaltloser göttlicher Gnade, welche der Glaube ergreift – das ist zusammen mit der Sorge um die stiftungsgemäße Stimmigkeit des äußeren Vollzugs kirchlicher Evangeliumsverkündigung die entscheidende Aufgabe evangelischer Lehre. Dabei entspricht evangelische Lehre dem ihr aufgetragenen Gehalt nur dann, wenn sie sich – obzwar dem Vollzug der Evangeliumsverkündung auf reflexe Weise unveräußerlich zugehörig – nicht unmittelbar an dessen Stelle setzt, um selbst die Funktion eines Gnadenmittels zu beanspruchen. Gnadenmittel sind lediglich Wort und Sakrament, sofern sich in ihnen das Evangelium als es selbst zur Darstellung und Geltung bringt. Evangelische Lehre und der in solcher Lehre sich artikulierende Konsens bestätigen das nicht nur äußerlich, sondern an sich selbst und ihrem inneren Sinn gemäß, sofern sie sich nicht an die Stelle oder als ein eigenständiges Drittes neben Wort und Sakrament setzen, sondern in selbstrelativierender Weise sich beiden Gnadenmitteln dienend zuordnen, um dem Evangelium alleine die Ehre zu geben. Als „notae externae“, als äußere Erkennungszeichen rechter sichtbarer Kirche gelten gemäß reformatorischer Bekenntnistradition die reine Verkündigung des Evangeliums und die stiftungsgemäße Verwaltung der Sakramente. Der Konsens hierüber gilt infolgedessen als notwendige, aber auch hinreichende Bedingung sichtbarer kirchlicher Einheit (vgl. CA VII). Unter reformatorischen Bedingungen ist dieser Konsens nur zu erreichen, wenn neben Mandatstreue gegenüber der inhaltlichen Bestimmtheit von Wort und Sakrament, wie sie durch die Heilige Schrift kanonisch beurkundet ist, die Tatsache Anerkennung findet, dass im Vollzug von Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung der Kirche das Vorgegebensein ihres trinitarischen Grundes vorstellig wird, dessen Wahrheit nicht in kirchlicher Verfügung steht, sondern sich nur in der Weise der Selbstbewährung erschließt. Diese Anerkennung findet im Bekenntnis ihren vornehmlichen Ausdruck. Kirche ist sonach konsentierende Konfessionsgemeinschaft. Um diese ekklesiologische Annahme recht zu Kirche als Bekenntnisgemeinwerten, bedarf es zunächst einer terminologiege- schaft schichtlichen Erinnerung an bereits im Religionstraktat Gesagtes. Die Begriffe Bekenntnis und Konfession haben im Laufe der Folgegeschichte der Reformation, deren originäre Intention nicht auf die Gründung reformatorischer Kirchentümer, sondern auf die Reform der Kirche gerichtet war, einen Bedeutungswandel erfahren, an dem sich nicht lediglich ein terminologischer Befund ablesen lässt, sondern das historische Gesetz einer Epoche. Wenngleich beide Termini bis heute einen personalen Akt der Glaubensäußerung sowie dessen inhaltliche Dokumentation benennen können, so ist doch im Zuge der neueren Wortgeschichte die Verwendung der Begriffe als kirchliche Gruppenbezeichnung führend geworden. Konfession heißt dann soviel wie Denomination, nämlich eine bestimmte christliche Glaubensgemeinschaft. Eine analoge Primärdenotation hat sich auch mit dem Begriff des Bekenntnisses verbunden. Das ist eine Spätfolge des im 16. Jahrhunderts anhebenden Konfessionalisierungsprozesses.
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Ohne den Prozess der Konfessionalisierung historisch einseitig pejorativ beurteilen zu wollen, ist zu bedenken, dass sich der evangelische Bekenntnisbegriff ekklesiologisch keineswegs in seinem denominationellen Sinn erschöpft. In Erinnerung zu bringen ist zunächst, dass „confessio“ nach üblichem mittelalterlichen Sprachgebrauch einer der drei Elementarbestandteile des Bußsakraments neben „contritio“ und „satisfactio“ bezeichnet. Zu erinnern ist ferner, dass nach reformatorischer Einsicht das Sündenbekenntnis der Beichte vom Bekenntnis des die Absolution aus unbedingter göttlicher Gnade empfangenden Glaubens nicht zu trennen ist. „Confessio peccatorum“ und „confessio laudis“ bilden infolgedessen einen differenzierten Zusammenhang, durch welchen das gottesdienstliche Leben der Kirche und das Bekenntnis ihres Glaubens im Innersten bestimmt sind. Bedarf es eines Beweises, dass mit dem Bezug auf den kirchlichen Gottesdienst der genuine Sitz im Leben reformatorischen Bekenntnisses benannt wird, so ist er mit Luthers Großem Bekenntnis gegeben, dessen Verbindung mit der eucharistischen Feier weit mehr als ein bloßer Titel ist. Im Anhang seiner letzten großen Abendmahlsschrift hat Luther 1528 in testamentarischer, eschatologisch gespannter Form niedergeschrieben, welchen Glauben er als den seinen und den aller rechten Christen im Leben und Sterben mit Gottes Hilfe beharrlich zu bezeugen erhoffe (vgl. WA 26, 499, 26ff.). Mit diesem Glaubenstestament hat der Reformator nicht nur den wichtigsten Anstoß evangelischer Konfessionsbildung gegeben, sondern zugleich die reformatorische Kontinuität zur Bekenntnisentwicklung der Alten Kirche unter Beweis gestellt, deren christologisch-trinitätstheologische Gehalte, wie er sie neben dem Nizäno-Konstantinopolitanum und Athanasianum vor allem im Apostolikum bezeugt fand, Luther als schriftgemäß erkannt und anerkannt hat. Das Gefüge von Glaubensaussagen über Trinität, Christologie, Soteriologie, Pneumatologie, Ekklesiologie bis hin zur Eschatologie, welche den katechismusartig ausgebildeten Inhalt des dritten Teils der Schrift „Vom Abendmahl Christi. Bekenntnis“ ausmachen, darf also weder vom kirchlichen Überlieferungszusammenhang noch vom gottesdienstlichen Leben der Kirche, in welchem dieser sein Ziel hat, abgelöst werden. Entsprechendes gilt für das ursprüngliche Bekenntniskonzept der Reformation, wie es von Luthers erwähnter Schrift inauguriert wurde und in der Confessio Augustana ihren verbindlichen Ausdruck fand. Dieses genuine Bekenntnisverständnis Wittenberger Reformation ist auch dort noch vorauszusetzen, wo sich Bekenntnis zur literarischen Gattungsbezeichnung für spezielle kirchliche Textsorten entwickelte, wie das bereits im Vorfeld der Confessio Augustana der Fall war. Trotz und unbeschadet der fortschreitenden terminologischen Festlegung des Wortes im Sinne einer literarischen Gattung ist die Erinnerung an den genuinen – gottesdienstlich, gesamtkirchlich und eschatologisch ausgerichteten – Sitz im Leben des Begriffs durchaus erhalten geblieben. Diese Erinnerung gilt es zu erneuern, um zu einem angemessenen ekklesiologischen Begriff Bekenntnis und Konfession evangelischen Bekenntnisses und evangelischer Bekenntnisgemeinschaft zu gelangen. Um nur das Nötigste zu sagen: Bekennen ist
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nächst dem Gebet (vgl. etwa Apol IV,332), in dessen Kontext es gehört, das erste und ursprünglichste Werk des Glaubens. Wessen der Glaube innegeworden ist und wessen er sich im Gebet beständig vergewissert, das wird im Bekenntnis geäußert, um erkennbares Zeugnis zu geben vom heilsamen Grund, auf welchen der Glaube sich verlässt: nämlich Zeugnis von Gott, wie er in Jesus Christus in der Kraft des Geistes offenbar ist, damit dem Menschen samt der kreatürlichen Welt, welche in Sünde und Bosheit zu vergehen droht, Rettung und ewiges Leben zuteil werde. Indem er solchermaßen den dreieinigen Gott als den im auferstandenen Gekreuzigten offenbaren Grund des Heils bekennt, entspricht der Glaube dem Evangelium, durch das er hervorgerufen wurde und dessen Antwort er ist. Dabei hat als innerstes Zentrum und erstes Moment bekennender Glaubensantwort auf die Zusage des Evangeliums nichts anderes und nicht weniger zu gelten als die Selbstübereignung des Glaubenden an den göttlichen Grund des Glaubens, den er im Bekenntnis bezeugt. Selbstentäußerung in hingebungsvollem Vertrauen ist die Grundlage aller Äußerungsformen bekennenden Glaubens. Im Vollzug solcher Selbsthingabe an den Grund seines Glaubens ist der Glaubende zugleich und mit allen anderen Glaubenden zusammengeschlossen und homologisch vereint. Die Homologie gemeinsamen Glaubensbekenntnisses bildet den Hintergrund nicht nur des Konsensbegriffs von CA VII, sondern ebenso schon des ersten Satzes von CA I, wo es heißt: „Ecclesiae magno consensu apud nos docent ...“ (CA I,1) Dabei gilt folgende Voraussetzung: Was die Augustana über den zur Einheit der Kirche gehörigen Konsens, wie er im gemeinsamen Bekenntnis laut wird, lehrt, ist stets reflexiv zu nehmen, nämlich als Ausdruck ihres konfessorischen Eigenverständnisses und als selbstbezügliche Bestimmung ihres Bekenntnisanspruches. Das erste und wichtigste, was über diesen Anspruch gesagt werden muss, ist dies, dass er nicht undifferenziert, sondern nur auf differenzierte Weise gelten will. Das Bekenntnis und der kirchliche Konsens, der sich in ihm artikuliert, beanspruchen Geltung nur in der Weise der Selbstunterscheidung Wort und Sakrament gegenüber, deren rechter Gestalt sie zu dienen haben. Die Konsensaussagen des Bekenntnisses sind allesamt hingeordnet auf den schriftgemäßen Vollzug der Evangeliumspredigt und der Sakramentsverwaltung, dem sie sich dienstbar zu erweisen haben. Signifikanterweise wird in den lutherischen Bekenntnisschriften das Bekenntnis daher nur gelegentlich und ohne Benennung einzelner Bekenntnisschriften den Kennzeichen der Kirche zugerechnet (vgl. etwa Apol VII,3; BSLK 234,18), während in der Regel und „stricte dictu“ nur Wort und Sakrament zu „notae ecclesiae“ erklärt werden. Sachlich ist daraus zu folgern: Das Bekenntnis ist Kennzeichen der Kirche nicht zusätzlich zu, sondern „in den alleinigen beiden Kennzeichen der Evangeliumspredigt und Sakramentsverwaltung“ (Schlink, 299). Nun sind freilich Wort und Sakrament in ihrer schriftgemäßen Gestalt keine unbestimmten, Schrift und Bekenntnis sondern bestimmte Größen, die in ihrer Bestimmtheit wahrgenommen und anerkannt werden wollen, damit recht gepredigt und stiftungsgemäß der sakramentale Vollzug geübt werde. Obwohl daher das
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Bekenntnis die Kirche weder konstituiert noch die Kirchengemeinschaft schafft, welches vielmehr allein Christus in der Kraft des göttlichen Geistes durch Wort und Sakrament ausrichtet, so ist es als die explizite Wahrnehmungs- und Anerkennungsgestalt der in Wort und Sakrament ergehenden Zusage doch die unentbehrliche Voraussetzung verantwortlicher Erfüllung des kirchlichen Auftrags zur Evangeliumsverkündigung und Sakramentsverwaltung und als solche die „conditio sine qua non“ geklärter und erklärter Kirchengemeinschaft. So wahr echte Kirchengemeinschaft wesentlich als Verkündigungs- und Sakramentsgemeinschaft besteht, so wahr kann sie nicht ohne Bekenntnisgemeinschaft zustande kommen und erhalten bleiben. Das Grundgesetz, welchem solche Bekenntnisgemeinschaft unter reformatorischen Bedingungen zu folgen und an dem es sich beständig zu orientieren hat, ist Schriftgemäßheit und zwar Schriftgemäßheit in einem durchaus buchstäblichen Sinn. Ist es doch der Literalsinn der Schrift, in welchem das Wort Gottes, wie es in Jesus Christus kraft des göttlichen Geistes offenbar ist, nach Auffassung der Reformatoren urkundlich bezeugt ist. Ohne den Buchstaben der Schrift ist daher weder ein Urteil über die Reinheit der Verkündigung noch über die stiftungsgemäße Richtigkeit der Sakramentsverwaltung zu gewinnen. Entsprechend ist und bleibt die Schrift äußere Norm jeder Kirchengemeinschaft und buchstäblich das Gesetz, welchem das Bekenntnis inhaltlich zu entsprechen hat. Zu solcher Entsprechung gehört nun freilich – soll sie nicht im Gesetz des Buchstabens gefangen bleiben, sondern dem evangelischen Sinngehalt der Schrift gemäß sein – der Ausdruck der gewissen Wahrheit elementar hinzu, welche den Buchstaben der Schrift zum österlich-pfingstlichen Geistzeugnis werden lässt, um in Wort und Sakrament fortzeugend verkündigt zu werden, dass nämlich der im Bekenntnis schriftgemäß bezeugte Jesus Christus nicht tot, sondern lebendig ist und daher sich selbst und von sich aus überzeugend zu bezeugen vermag. Anders formuliert: Rechtes Bekenntnis ist ohne Zeugnis gläubigen Vertrauens auf die pneumatische Selbstbewährungsfähigkeit der in Jesus Christus offenbaren göttlichen Wahrheit nicht denkbar. Die Gewissheit solchen Selbstbewährungsvermögens der im Bekenntnis bezeugten Wahrheit macht die kirchliche Verantwortung für Evangeliumsverkündigung und Sakramentsverwaltung keineswegs zu einer überflüssigen und marginalen Angelegenheit. Nichtsdestoweniger und unbeschadet, ja in Bestätigung dessen ist es so, dass von rechter Evangeliumsverkündigung und stiftungsgemäßer Sakramentsverwaltung überhaupt nur unter der Bedingung sinnvoll die Rede sein kann, dass der spirituelle Erweis der Wahrheit von Wort und Sakrament, deren Literalsinn dem Buchstaben der Schrift zu entnehmen ist, einzig und allein von dem erwartet wird, welchen die „media salutis“ bezeugen: vom Mittler selbst und seinem Geist. Dies zu bekennen, gehört zu evangelischem Bekenntnis unveräußerlich hinzu. Es lebt von dem glaubensgewissen Vertrauen, dass der im Zeugnis Bezeugte sich selbst lebendig zu bezeugen vermag. Evangelisches Bekenntnis bindet daher nicht unmittelbar und in formalautoritativer Weise an sich und seine äußere Formgestalt; seine Vermittlungsaufgabe ist vielmehr stets dadurch bestimmt, jene Freiheit zu eröffnen, die es dem Adressaten des Bekennt-
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nisses ermöglicht, sich selbst von der Wahrheit des Evangeliums zu überzeugen, um zu jener inneren Glaubensgewissheit zu gelangen, welche die Grundlage äußerer Zustimmung ist. Für einen reformatorischen Begriff der Orthodoxie ist dieser Sachverhalt grundlegend (vgl. Appold, 1ff.).
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5. Allgemeines Priestertum und ordinationsgebundenes Amt
Lit.: W. Brunotte, Das geistliche Amt bei Luther als ordinatio Dei, in: Luther 30 (1959), 24– 31. – F. Brunstäd, Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften, Gütersloh 1951. – A. Dulles/G. Lindbeck, Die Bischöfe und der Dienst des Evangeliums. Ein Kommentar zu CA 5, 14 und 28, in: H. Meyer/H. Schütte (Hg.), Confessio Augustana – Bekenntnis des einen Glaubens. Gemeinsame Untersuchung lutherischer und katholischer Theologen, Paderborn/Frankfurt a.M. 1980, 139–167. – J. Ecks Vierhundertvier Artikel zum Reichstag von Augsburg 1530 nach der für Kaiser Karl V. bestimmten Handschrift hg. und erläutert mit zwei Exkursen ... v. W. Gussmann, Kassel 1930. – J. Ficker (Hg.), Die Konfutation des Augsburgischen Bekenntnisses. Ihre erste Gestalt und ihre Geschichte, Leipzig 1891. – W. Führer, Das Amt der Kirche. Das reformatorische Verständnis des geistlichen Amtes im ökumenischen Kontext, Neuendettelsau 2001. – H. Immenkötter, Die Confutatio der Confessio Augustana vom 3. August 1530, Münster (1979) 21981. – W. Maurer, Historischer Kommentar zur Confessio Augustana, 2 Bde., Gütersloh 1976/78. – Ders., Pfarrerrecht und Bekenntnis. Über die bekenntnismäßige Grundlage eines Pfarrerrechts in der evangelischlutherischen Kirche, Berlin 1957. – W. Pannenberg, Das kirchliche Amt in der Sicht der lutherischen Lehre, in: ders. (Hg.), Lehrverurteilungen – kirchentrennend? III. Materialien zur Lehre von den Sakramenten und vom kirchlichen Amt, Freiburg/Göttingen 1990, 286– 305. – R. Prenter, Die göttliche Einsetzung des Predigtamtes und das allgemeine Priestertum bei Luther, in: ThLZ 86 (1961), Sp. 321–332. – E. Schlink, Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften, München (1950) 31948. – K. Tuchel, Luthers Auffassung vom geistlichen Amt, in: LuJ 25 (1958), 61–98.
Die Verfassungsstruktur der evangelisch-lutherischen Kirche(n) war über Jahrhunderte hinweg entscheidend bestimmt vom Institut landesherrlichen Kirchenregiments, dem seit dem Reformationsjahrhundert die Funktion der Kirchenleitung in wesentlichen Teilen zukam, obwohl Luther keineswegs ein Freund des Summepiskopats der Fürsten war. Spätestens seit dem Untergang des landesherrlichen Summepiskopats, das zu allerlei Merkwürdigkeiten führte und etwa in Bayern im Zuge des Protestantenedikts von 1818 den katholischen König zum höchsten evangelischen Würdenträger werden ließ, sind die aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen in die Lage versetzt, ihre institutionelle Verfassung nach Maßgabe des ekklesiologischen Begriffs zu gestalten, den sie von sich selbst haben. Dass sie dazu, soweit es die politischen Verhältnisse erlauben, grundsätzlich fähig sind, hat die Geschichte des 20. Jahrhunderts nach erfolgter Beendigung des landesherrlichen Kirchenregiments trotz aller Krisen und Verfehlungen erwiesen. Indes soll im Folgenden weder ein Beitrag zur modernen KirchenverfassungsgeEkklesiologie und Kirchenverfassung
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schichte noch eine Analyse der gerade in Geltung stehenden Kirchenverfassungen geboten werden. Zu untersuchen ist vielmehr, was unter kirchlicher Institutionalität evangelisch-lutherischem Bekenntnis zufolge prinzipiell zu verstehen ist, um auf diese Weise Einsicht in die theologischen Rahmenbedingungen aktueller Gestaltung zu gewinnen. Als primäre Textbasis hierfür soll der V. Artikel der Confessio Augustana dienen, dessen Eingangssatz zeigt, dass der in Anschlag gebrachte Institutionalitätsbegriff („institutum est“) mit dem Verständnis des kirchlichen Amtes („ministerium docendi evangelii et porrigendi sacramenta“) direkt verbunden ist. Die entscheidende Frage hat demnach zu lauten, was unter dem um der Erlangung des Rechtfertigungsglaubens willen nötigen institutionalisierten Dienstamt der Evangeliumsverkündigung und Sakramentsverwaltung (BSLK 58,3: „Predigamt“) präzise gemeint ist. Um zu einer angemessenen Antwort auf diese Frage zu gelangen, ist eine historische Bedeutungsanalyse von CA V unerlässlich. Mit ihr soll entsprechend der Anfang gemacht werden. Sodann ist zu erörtern, wie sich CA V zu CA XIV verhält. Wegen seiner traditionellen Strittigkeit wird dieses Problem nicht nur in Bezug auf die beiden genannten Artikel behandelt, sondern zugleich unter Bezug auf Luther und die Rezeptionsgeschichte des Amtsverständnisses der Augustana. Zum Abschluss wird eine thetische Zusammenfassung der Erörterungen von CA V und CA XIV und eine Skizze evangelischer Lehre „de ministerio et ordine ecclesiastico“ gegeben, die im Folgeabschnitt in Bezug auf den episkopalen Dienst und einen möglichen universalkirchlichen Einheitsdienst genauer ausgearbeitet wird. Um mit Genese und Ursprungsbedeutung von Der V. Artikel der Confessio CA V zu beginnen: Die Artikelreihe CA IV-VI Augustana bildet einen differenzierten Zusammenhang, der sich bereits in der Vorgeschichte der Augustana klar abzeichnet, obschon es zu einer endgültigen Fixierung der jetzigen Anordnung und einer entsprechenden Abgrenzung des Textmaterials erst Mitte Juni 1530 gekommen ist. Schon in den Schwabacher Artikeln lässt sich das schließlich bestimmend werdende Organisationsschema entdecken, demzufolge in Bezug auf den Rechtfertigungsglauben zwischen seiner Ursache und seiner Wirkung oder „Frucht“ (BSLK 59,19; vgl. auch BSLK 59,6) zu unterscheiden sei. Dieses Anordnungs- und Abgrenzungsschema ist für die Darbietung des Themenmaterials in CA IV-VI schließlich bestimmend geworden, insofern im Anschluss an den Rechtfertigungsartikel im engeren Sinne (CA IV) zunächst vom Vermittlungsgrund der Rechtfertigung (CA V) und sodann von deren Folgen (CA VI) gehandelt wird. In diesem Sinne heißt es in der Textfassung Nb 5, die von minimalen, sachlich völlig unbedeutsamen Abweichungen abgesehen bereits wörtlich den Text der deutschen Version von CA V enthält: „Solchen Glauben zu erlangen, hat Gott das Predigtamt eingesetzt, Evangelium und Sakrament geben, dadurch er als durch Mittel den heiligen Geist gibt ...“ (BSLK 58,2 – 5) Durch die im lateinischen Text analog begegnende Anschlusswendung (CA V,1: „ut hanc fidem consequamur“) wird ein direkter Bezug zu dem in CA IV Erörterten hergestellt und unmissverständlich gezeigt, dass der Rechtfer-
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tigungsglaube nicht in sich gründet, sondern allein in dem CA V Thematisierten jenen Grund findet, dessen Konsequenz er ist. Dieser externe Grund, auf den sich zu verlassen das Wesen des Glaubens ausmacht, ist durch „Evangelium und Sakrament“ (BSLK 58,3 f.) bezeichnet, mittels derer Gott den Hl. Geist gibt. Damit ist zugleich das zentrale Thema von CA V Per verbum et sacramenta benannt. Zwar steht, wie erwähnt, der Artikel seit der Drucklegung der Augustana unter der Überschrift „Vom Predigtamt“ („De ministerio ecclesiastico“), doch spricht er im Wesentlichen über das Wirken des Heiligen Geistes in Wort und Sakramenten, denen das Predigtamt dienend zugeordnet ist. Zwar mag der bereits zitierte Eingangssatz des lateinischen Textes von CA V für sich genommen den Eindruck erwecken, entscheidendes Thema des folgenden sei das „ministerium ecclesiasticum“, von dem schließlich auch die spätere Überschrift spricht. Aber die im Vergleich zum deutschen Text auffällige Verselbständigung der Eingangswendung verdankt sich doch weniger inhaltlichen Erwägungen als dem Interesse, das schwerfällige deutsche Satzgefüge im Lateinischen aufzulösen. Der nachfolgende Anschlusssatz macht denn auch unzweifelhaft deutlich, worum es thematisch vor allem geht. Vom Amt ist im gesamten Artikel überhaupt nur einmal die Rede, während sich die Aufmerksamkeit ansonsten ausschließlich auf Gottes glaubenstiftendes Geistwirken durch Wort und Sakrament konzentriert. In diesem Zusammenhang verdient es ferner bemerkt zu werden, dass sich noch Na 4 auf die Aussage beschränkt, „daß der heilig Geist geben werd durch das Mittel des Worts und der Sakrament“ (BSLK 59,1 – 3 unter Berufung auf Röm 10,17). Dass in der Endgestalt von CA V das Predigtamt eigens erwähnt wird, ist im Wesentlichen dadurch bedingt, dass Melanchthon in Nb deutlich zu Luthers Fassung in Schwab 7 zurücklenkt, wo gesagt ist: „Solchen Glauben zu erlangen oder uns Menschen zu geben, hat Gott eingesetzt das Predigtambt oder mundlich Wort, nämlich das Evangelion ...“ (BSLK 59,2 – 5) Zu beachten ist, daß in dem zitierten Text das „Predigtambt“ mit „mundlich Wort“ synonym verwendet wird. Auch wenn solch direkte Gleichsetzung nicht mehr zu erkennen ist, wird doch auch in CA V das Predigtamt nicht zu einer dritten Instanz neben oder gar über Wort und Sakrament, sondern zu deren Funktion erklärt, ohne im Folgenden eigens thematisch zu werden. Der erwähnte Einfluss von Schwab 7 lässt sich auch noch in den Folgepassagen von CA V (vgl. die Textvarianten in BSLK 58,20ff.) beobachten, wo der Hl. Geist, den Gott durch Wort und Sakrament als durch Mittel (CA V,2: „per verbum et sacramenta tamquam per instrumenta“) gibt, als derjenige bezeichnet wird, „welcher den Glauben, wo und wenn er will, in denen, so das Evangelium hören, wirket“ (BSLK 58,5 – 7; CA V,2: „qui fidem efficit, ubi et quando visum est Deo, in his, qui audiunt evangelium“). Die Aufnahme des Passus „ubi et quando visum est Deo“, der in Na (und auch in der erheblich umgearbeiteten Textform der Variata [vgl. BSLK 59,30–43; ferner: BSLK 58, Anm. 3]) fehlt, erklärt sich zweifellos aus dem in Nb enger werdenden Anschluss an Schwab 7 (BSLK 59,5 – 10: „durch welches [sc. das Evangelium] er [sc. Gott] solichen Glauben und seine Macht, Nutz
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und Frucht verkundigen läßt, und gibt auch durch dasselbige als durch ein Mittel den Glauben durch seinen heiligen Geist, wie und wo er will.“) bzw. Marb 8 (BSLK 59,22 – 25: „Zum achten, daß der heilig Geist ordentlich zu reden, niemands solchen Glauben oder seine Gabe gibt, ohn vorhergehend Predigt oder mundlich Wort oder Euangelion Christi, sonder durch und mit solchem mundlichen Wort wirkt er und schafft den Glauben, wo und in welchem er will. Ro. 10.“). Zum Sinn der rezipierten Wendung und zum Wortlaut ihres Kontextes ist zu bemerken, dass es Ubi et quando visum est Deo in CA V nicht heißt, „daß der Heilige Geist durch Wort und Sakrament gegeben werde, wo und wann er will ..., als ob der Heilige Geist nicht immer bei Wort und Sakrament sei ...; ... der Heilige Geist ist bei Wort und Sakrament immer und kommt allen zu, die Wort und Sakrament empfangen. Das ubi et quando visum est Deo steht bei qui fidem efficit; ob er Glauben wirkt, das ist von Fall zu Fall verschieden.“ (Brunstäd, 115) Damit ist kein nominalistischer Willkürsvorbehalt Gottes seinem Gnadenangebot gegenüber formuliert, der Vertrauen wenn nicht überhaupt unmöglich machen, so doch erheblich vermindern müsste; es wird auch keine rationalisierende theologische Erklärung möglichen menschlichen Unglaubens geliefert. Was mit der Wendung „ubi et quando visum est Deo“ (CA V,2), die nach W. Maurer den „Schlußstein für die Rechtfertigungslehre der CA“ (Maurer II, 148) darstellt, gesagt werden soll, ist vielmehr insbesondere dies, dass der Glaube sein ursprüngliches Wesen nur als göttliches Werk zu begreifen vermag, das durch kein Denken und Tun des Menschen zu erlangen ist. Selbst das reine Empfangen noch, das er seiner Bestimmung nach ist, versteht der Glaube als Geschenk, das er Gott verdankt, dessen Allmacht alle Ehre gebührt. Indes bliebe auch und gerade dieser Gedanke noch dem heillosen Missverständnis einer nominalistisch-voluntaristisch verstandenen Alleinwirksamkeit Gottes ausgesetzt, stünde nicht dies zuvor und als erstes fest: dass nämlich Gott in Christus kraft seines Hl. Geistes die Ehre seiner göttlichen Allmacht einzig und allein daran setzt, den Menschen und seine Welt in Gnaden zu rechtfertigen. Genau das aber ist der Inbegriff des Evangeliums, auf das sich zu verlassen, wie gesagt, das Wesen des Glaubens ausmacht. Dieses Evangelium „lehret“, will heißen: es verspricht in vollmächtiger Zusage, „daß wir“, um den deutschen Text von CA V zuerst zu zitieren, „durch Christus Verdienst, nicht durch unser Verdienst, ein gnädigen Gott haben, so wir solchs glauben“ (BSLK 58,8 – 10). Charakteristisch für diesen Passus ist die betonte Kontrastierung menschlichen Verdienstes und des Verdienstes Christi, von dem „in diesem Zusammenhang ... in der Augustana zum ersten Male die Rede (ist)“ (Maurer II, 133). Leicht abweichend und mit deutlichen Anklängen an CA IV,2 formuliert der lateinische Text: „quod Deus non propter nostra merita, sed propter Christum iustificet hos, qui credunt se propter Christum in gratiam recipi“ (CA V,3). Zum Beleg wird in Ersatz des Na-Verweises Röm 10,17 auf Gal 3,14 verwiesen („Ut promissionem spiritus accipiamus per fidem.“ [CA V,3]). CA V schließt mit einer Damnation der Wiedertäufer und anderer, „so lehren,
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daß wir ohn das leiblich Wort des Evangelii den heiligen Geist durch eigene Bereitung, Gedanken und Werk erlangen“ (BSLK 58,11 – 15; CA V,4: „qui sentiunt spiritum sanctum contingere hominibus sine verbo externo per ipsorum praeparationes et opera“). Diese Verdammung, die in Schwab 7 zwar nicht explizit begegnet, wohl aber analog zu Luthers Bekenntnis inhaltlich vorgebildet ist (BSLK 59,10 – 14: „Sonst ist kein ander Mittl noch Weise, weder Wege noch Stege, den Glauben zu bekommen; dann Gedanken außer oder fur dem mundlichen Wort, wie heilig sie scheinen, seind sie doch eitel Lugen und Irrtumb.“), ist trotz einiger Abweichungen und Anreicherungen im Wesentlichen aus Na 4 übernommen, wo es hieß: „Hie werden verworfen die Wiedertaufer und ihrsgleichen, die das Wort und die Sakrament verachten, meinen, der heilig Geist werd erlangt durch menschlich Zubereitung.“ (BSLK 59,4 – 8) Damit ist noch einmal in der nötigen Deutlichkeit klargestellt, was den Skopus und wesentlichen Inhalt von CA V bildet: dass nämlich der den Rechtfertigungsglauben begründende Hl. Geist nicht unmittelbar, sondern im Medium des leiblichen Wortes des Evangeliums – der lateinische Text spricht von „verbum externum“ (vgl. CA V,4) – wirkt. Der Sache nach findet sich diese Aussage bereits in Luthers Bekenntnis von 1528. War auch „das in CA 4 bis 6 vorliegende Gedankengefüge noch nicht entwickelt“ (Maurer, Historischer Kommentar II, 131), so stand doch unzweifelhaft fest, dass der Hl. Geist sein Werk, die in Jesus Christus manifeste göttliche Gnade für uns zu erschließen, in untrennbarer Einheit inneren und äußeren Wirkens durchführt: „Ynnerlich durch den glauben und ander geistlich gaben. Eusserlich aber durchs Euangelion, durch die tauffe und sacrament des altars, durch welche als durch drey mittel odder weise er zu uns kompt und das leiden Christi ynn uns ubet und zu nutz bringet der seligkeit.“ (WA 26, 506, 8 – 12) Der sachliche Kontext, dem dieses Zitat entnommen ist, macht unmissverständlich deutlich, dass inneres und äußeres Wirken des Geistes einen Zusammenhang ausmachen, da man der Wirklichkeit des Hl. Geistes nur innewird, wenn man sich auf die Externität der Heilszusage in Wort und Sakrament verlässt. Wort und Sakrament sind sowohl Erkennungsmerkmal als auch Konstitutionsgrund der Kirche. In ihnen findet die Kirche nicht nur ihren bestimmungsgemäßen Ausdruck, der ihre sichtbare Gestalt ausmacht, Wort und Sakrament sind zugleich die dauerhafte Bedingung möglichen Bestands und möglicher Erhaltung der Kirche. Lebt doch die Kirche selbst von der Botschaft, die zu verkünden ihr aufgetragen ist. Dem ist so, weil die Kirche als „congregatio sanctorum“ eine Kirche des Glaubens ist dergestalt, dass sie aus Glauben lebt und auf Glauben hinwirkt. Der Glaube aber hängt an Wort und Sakrament, von welchen er herkommt, um sie – seiner Herkunft entsprechend – fortzubezeugen für und für. Dies ist im Verein mit CA VII das klare Zeugnis von CA V. Was aber das „ministerium docendi evangelii et porrigendi sacramenta“ betrifft, so ist es seinem Begriff entsprechend ausschließlich Amt des Dienstes an Evangelium und Sakramenten. Nicht als ein drittes neben Wort und Sakrament, das an sich selbst ein Gnadenmittel wäre, Antispiritualistische Damnation
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kommt es in Betracht; es tritt vielmehr ausschließlich als ein Amt in Erscheinung, das um der Evangeliumsverkündigung und Sakramentsverwaltung willen da ist und dessen Bestimmung es ist, eben der Aufgabe zu entsprechen, der es sein Dasein verdankt. Kurzum: Das kirchliche Amt besteht in seinem Dienstauftrag, „ministerium docendi evangelii et porrigendi sacramenta“ zu sein. Es ist, wenn man so will, den Gnadenmitteln eingestiftet, um ihrem bestimmungsgemäßen Vollzug zu dienen und diesen auf Dauer zu stellen. Besteht sonach das Wesen des kirchlichen Der XIV. Aritkel der Confessio Amtsinstituts gemäß CA V darin, der Evangeli- Augustana umsverkündigung in Wort und Sakrament geregelte Dauer zu verleihen, so verbleibt die traditionell kontroverse Frage, wie sich das „ministerium docendi evangelii et porrigendi sacramenta“ von CA V zu jenem „ordo ecclesiasticus“ verhält, von dem im XIV. Augustana-Artikel in äußerster Kürze gelehrt wird, „quod nemo debeat in ecclesia publice docere aut sacramenta administrare nisi rite vocatus“. Während er in den Schwabacher Artikeln noch gänzlich fehlt, ist der Artikel in Na lediglich mit einer Zwischennummer vertreten, wobei offenbleiben kann, ob dies auf ein Versehen des Übersetzers zurückzuführen ist oder auf eine erst später erfolgte Entstehung bzw. Endredaktion schließen lässt. Veranlasst worden sein dürfte CA XIV, dessen deutsche Endfassung in Nb erreicht ist, analog zu anderen Zusatzartikeln nicht zuletzt durch die Angriffe Ecks, der im 267. und 268. seiner „Vierhundertvier Artikel“ zum Reichstag von Augsburg 1530 Luther mit den beiden Sätzen zitiert hatte: „Sacramentum ordinis ecclesia Christi ignorat ...“ „Omnes, quotquot baptisati sumus, aequaliter sacerdotes sumus. Et quilibet laycus potest ecclesias consecrare, pueros confirmare ...“ (Gussmann, 134) Um den mit der Zitation solcher Sätze verbundenen Häresievorwurf abzuwehren, betont Melanchthon, dem hier möglicherweise der beschlagene Jurist Gregor von Brück (1485–1557) die Feder geführt hat (vgl. Maurer I, 205, Anm. 48), dass auch unter reformatorischen Bedingungen „niemand in der Kirchen offentlich lehren oder predigen oder Sakrament reichen soll ohn ordentlichen Beruf“ (BSLK 69,3 – 5, vgl. Apol XIV,1). Wie CA V (Ficker, 21: „Recte hic principes asserunt ministerium docendi evangelii et administrationis sacramentorum ...“ / „Recht bekennen hie die fursten ein ampt leren das evangelium und verraichen die sacrament ...“), so fand auch diese Feststellung im Grundsatz die Anerkennung der Konfutatoren (vgl. Immenkötter, 110–113). Sie machten ihre Zustimmung aber von der Bedingung abhängig, dass allein derjenige Amtsträger als ordentlich eingesetzt gelten kann, der entsprechend dem kirchlichen Recht berufen wurde, so wie es in der ganzen Christenheit bisher gehalten ist. Die protestantischen Fürsten werden deshalb ermahnt, an dieser Praxis festzuhalten und niemanden in ihren Gebieten zum Pfarrer oder Prediger zuzulassen, der nicht ordentlich durch die geistliche Obrigkeit nach allgemeingültiger Maßgabe kanonischen Rechts berufen worden ist. Deutlicher noch hatte man sich in der „extemporalis responsio“, einer Vorform der Confutatio geäußert. Hier werden neben der Sakramentalität der Ordination die hierarchische Verfassung der Kirche, ferner die Achtung der Diffe-
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renz zwischen Episkopat und Presbyterat und schließlich ein diesen Bestimmungen entsprechendes Ordinationsrecht als verpflichtend deklariert. Während auf diese Aspekte unter dem GesichtsZum Verhältnis von CA V und punkt des episkopalen Dienstes der Kirche noch CA XIV eigens einzugehen sein wird, sei im gegebenen Zusammenhang nur mehr die bereits angesprochene, aber noch unbeantwortete Frage erörtert: Ist das in CA V als göttlich eingesetzt bezeichnete „ministerium“ der Verkündigung des Evangeliums und der Sakramentsverwaltung mit dem ordinationsgebundenen Amt von CA XIV identisch oder sind hier sachliche Unterscheidungen nötig? Ein nicht geringer Teil der protestantischen Interpreten vertritt letztere Ansicht, derzufolge das „ministerium ecclesiasticum“ von CA V auf das allgemeine Priestertum zu beziehen sei, wohingegen vom ordinationsgebundenen Amt der Kirche erst in CA XIV gehandelt wird. Auch in W. Maurers historischem Kommentar zum Augsburgischen Bekenntnis wird diese Sicht begünstigt, sofern nach seiner Auffassung CA V wie die Augustana insgesamt „mit dem Begriff ,Predigtamt‘ nicht die Vorstellung einer amtlichen Institution verbindet, sondern dabei an ein pneumatisches Geschehen denkt, das die ganze Christenheit umspannt, wenn es sich auch in einzelnen, jeweils dazu bestimmten Personen konzentriert“ (Maurer, Historischer Kommentar II, 140). Bereits in seiner Arbeit über die bekenntnismäßige Grundlage eines Pfarrerrechtes in der evangelisch-lutherischen Kirche hatte Maurer die These vertreten, das „ministerium docendi evangelii et porrigendi sacramenta“ sei „keineswegs ... schlechthin gleichzusetzen“ (Maurer, Pfarrerrecht, 67) mit dem rechtlich geordneten Pfarramt, vielmehr „sachlich identisch mit der wirkenden Kraft des Heiligen Geistes, der von den Tagen der Apostel an sich Werkzeuge geschaffen hat, um sich in der Kirche heilsam zu bezeugen. Auf die Art dieser Werkzeuge, auf ihren amtlichen Charakter etwa, kommt es zunächst gar nicht an, einzig auf den Inhalt dessen, was sie bezeugen, und auf die geistliche Kraft, die dadurch wirksam wird.“ (Maurer, Pfarrerrecht, 69f.) Andererseits verschmähe, so Maurer, das Zeugnis des Geistes „keineswegs beamtete Werkzeuge, sucht sie vielmehr, ja schafft sich im Notfall (sic!) geordnete Formen“ (Maurer, Pfarrerrecht, 70). Solche geordneten Formen seien in dem Bekenntnis mit dem Wort „ministerium“ in erster Linie bezeichnet, und so dürfe auch anlässlich der einschlägigen Wendung in CA V in erster Linie an das Pfarramt gedacht werden. Man wird nicht sagen können, dass mit dieser Auskunft das Problem der rechten Verhältnisbestimmung von CA V und CA XIV, geschweige denn von allgemeinem Priestertum und ordinationsgebundenem Amt einer präzisen Lösung zugeführt ist. Das wird auch durch den Hinweis nicht geleistet, im „allgemeinen Dienst der ganzen christlichen Gemeinde ... (sei) das Pfarramt als ein Dienstamt eingebettet“ (Maurer, Pfarrerrecht, 72). Zwar soll dadurch das Missverständnis ausgeschlossen werden, „als wäre das Pfarramt aus der Gemeinde hervorgegangen“ (Maurer, Pfarrerrecht, 73); doch bleibt einstweilen offen, worin theologisch genau die spezifische Differenz des ordinationsgebundenen Amtes gegenüber jenem umfassenden Dienstamt der Kirche bestehen soll, das Maurer im V. Artikel der CA jedenfalls
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auch beschrieben findet und ausdrücklich von dem in CA XIV behandelten ordentlichen Pfarramt unterschieden wissen will. Sachlich weiterführend ist diesbezüglich erst die das Gesamtergebnis der Maurer’schen Studien komprimiert zusammenfassende These, dergemäß zu gelten hat: „Das göttliche Recht fordert die Einrichtung eines beständig und öffentlich wirksamen Dienstamtes.“ (Maurer, Pfarrerrecht, 110, bei M. gesperrt) Eigentümliches Kennzeichen des ordinationsgebundenen Amtes im Unterschied zum Priestertum, welches alle Glaubenden wahrzunehmen haben, ist dieser These zufolge der „iure divino“ geforderte kontinuierliche, in Form einer beständigen Ordnung vollzogene, mithin institutionalisierte Dienst der öffentlichen Evangeliumsverkündigung in Wort und Sakrament. Dabei bedingen sich die Öffentlichkeit dieses Dienstes und seine institutionalisierte Gestalt gegenseitig, so dass Maurer sagen kann: „Der Institution eignet der Öffentlichkeitscharakter; und um der Öffentlichkeit willen ist die Institution nötig.“ (Maurer, Pfarrerrecht, 113) Mit geordneter Institutionalität und ÖffentInstitutionalität und Öffentlichkeit sind, wie Maurer zurecht sagt, die beiden lichkeit eng miteinander verbundenen Konstitutionsund Spezifizierungselemente des in CA XIV behandelten ordinationsgebundenen Amtes der Kirche bestimmt. Zu fragen bleibt allerdings, ob sich das Verhältnis dieses Amtes zu dem „ministerium docendi evangelii et porrigendi sacramenta“ von CA V sachgerecht so umschreiben lässt, dass ersteres den, wie es bei Maurer heißt, ergänzenden „Spezialfall“ (Maurer, Pfarrerrecht, 119) von letzterem darstellt. Eine begriffsscharfe sachliche Vermittlung der beiden genannten amtstheologischen Optionen ist damit jedenfalls ebenso wenig geleistet wie mit folgender Wendung: „Das allgemeine Dienstamt von CA 5 ist ein unmittelbarer Ausfluß des göttlichen Rechtes, institutionell nicht faßbar, von menschlichen Ordnungen nicht begrenzbar. Das öffentliche Dienstamt von CA 14 ist eine Institution, eine göttliche Stiftung, in ihrer Existenz vom göttlichen Recht gefordert und in ihren irdisch-geschichtlichen Ausprägungen seiner Kritik unterworfen.“ (Ebd.) Offenkundig wird die bleibende Begriffsschwäche von Maurers Argumentation spätestens dort, wo er, um seine systematische Zuordnung von CA V und CA XIV aufrechterhalten zu können, eine nichtöffentliche Sakramentsverwaltung für möglich erklären muss. „Es gibt“, heißt es, „auch eine Möglichkeit, nicht öffentlich zu lehren und Sakramente zu verwalten. Wenn beides aber öffentlich geschieht, dann soll es rechtmäßig geschehen, d. h. durch einen ordnungsmäßig Berufenen innerhalb eines Ordo.“ (Maurer, Pfarrerrecht, 119f.) Es bedarf keines Beweises, dass diese These der eindeutig belegbaren Auffassung Luthers widerspricht, dass namentlich das Altarsakrament wegen seines spezifischen Öffentlichkeitscharakters nicht ohne ordinierten Amtsträger gefeiert werden soll. Während Maurer von der Voraussetzung ausgegangen war, dass das „ministerium ecclesiasticum“ von CA V bei aller gegebenen Nähe sachlich zu unterscheiden ist von dem ordinationsgebundenen Amt, das CA XIV behandelt wird, haben andere Interpreten diese Unterscheidung ausdrücklich in Abrede gestellt. Ange-
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führt werden dafür zunächst historische Gründe, die in ihrer Evidenz schwerlich zu bestreiten sind. Zumindest auf altgläubiger Seite dürfte man 1530 das im V. Artikel der Augustana erwähnte „ministerium“ selbstverständlich und eindeutig auf das ordinationsgebundene Amt der Kirche bezogen haben. Anders wäre das offenbar umstands- und problemlose Verhältnis der Konfutatoren (vgl. Ficker, 21) zu dem amtstheologischen Themenaspekt von CA V nicht zu erklären. Was hinwiederum Melanchthon und die reformatorische Seite betrifft, so müsste man schon eine strategische Absicht zu bewusst undurchsichtiger und zweideutiger Formulierung unterstellen, um aus CA V einen Hinweis auf das Priestertum aller Gläubigen herauslesen zu können; das gilt umso mehr, als am angegebenen Ort nicht nur vom Amt der Evangeliumsverkündigung, deren nichtöffentliche Wahrnehmung selbstverständliches Recht und selbstverständliche Pflicht jedes Christen ist, sondern auch vom „ministerium porrigendi sacramenta“ die Rede ist, das nach reformatorischer Lehre, wie gesagt, jedenfalls in Bezug auf das Abendmahl grundsätzlich dem ordinierten Amtsträger vorbehalten ist. Der Schluss liegt daher nahe, dass es sich bei dem „ministerium ecclesiasticum“ von CA V um kein anderes Amt handelt als um das ordinationsgebundene Amt von CA XIV. Von den die Amtsthematik behandelnden AutoMinisterium ecclesiasticum ren des ökumenischen Kommentars zur CA aus und ordinationsgebundenes dem Jubiläumsjahr 1980 wird diese Annahme Amt entschieden bestätigt: „Im historischen Kontext gelesen, gibt es“, so wird gesagt, „keinen Zweifel, daß für die, welche die CA vorlegten und hörten, ,Dienstamt‘ und entsprechende Ausdrücke (wo immer sie auftauchen, einschließlich CA 5) unmittelbar die Vorstellung von einem öffentlichen Amt ins Bewußtsein riefen, das bestimmte Rechte und Pflichten einschließt, die ausgeübt werden nur oder doch hauptsächlich durch eine begrenzte Zahl von Personen, die formell dafür eingesetzt wird.“ (Dulles/Lindbeck, 149f.) Dass es das offizielle Dienstamt von rechtmäßig berufenen und ordinierten Personen ist, auf das sich der entscheidende Artikel CA V, „De ministerio ecclesiastico“, bezieht (vgl. Dulles/Lindbeck, 150), müsse im Übrigen jedem einleuchten, der die praktischen Anliegen der Reformatoren in Augsburg erwäge (vgl. Dulles/Lindbeck, 140) und die im ersten Teil des Bekenntnisses skizzierte Lehre vom Dienstamt von dem zuerst entworfenen und weitaus längsten CA-Artikel, nämlich von CA XXVIII her im Sinne eines regulativen und korrektiven Prinzips von Reformen verstehe. Diese Reformen seien gegen alles in Praxis und Lehre der Kirche gerichtet, „was die Mitteilung durch das ,äußere Wort‘ (CA 5) der evangelischen Predigt und Sakramente vom geistgewirkten und rechtfertigenden Glauben an Gottes Verheißungen in Jesus Christus, von dem die Werke der Liebe fließen (CA 6 und 20), hindert“ (Dulles/Lindbeck, 148f.). Eine ekklesiologische Herabsetzung des ordinationsgebundenen Amtes zu einer lediglich pragmatischen Einrichtung menschlichen Rechts und zu einer bloßen Funktion des Gemeindewillens sei dagegen in keiner Weise mit ihnen verbunden. Bezeichnenderweise werde der „locus classicus“ für die sog. Gemeindeübertragungstheorie (vgl. 1. Kor 14,40) „nur einmal in den Bekenntnis-
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sen zitiert (Apol 15,20), und dort in bezug auf ,Riten und Zeiten‘, nicht auf die Institution des Dienstamtes“ (Dulles/Lindbeck, 149, Anm. 12). Nicht als eine Funktion des Gemeindewillens, sondern als Funktion der Evangeliumsverkündigung in Wort und Sakrament habe das ordinationsgebundene Amt mithin nach Lehre der Augustana zu gelten. Hat die referierte Analyse bis hierher sowohl in historischer als auch in systematischer Hinsicht ihre zweifellose Richtigkeit, so muss es gleichwohl unter Bedingungen reformatorischer Theologie als bedenklich erscheinen, wenn aus der zutreffenden These, das ordinationsgebundene Amt der Kirche sei Wort und Sakrament funktional zugeordnet, im Umkehrschluss gefolgert wird, die Evangeliumsverkündigung sei eine Funktion des ordinationsgebundenen Amtes dergestalt, dass sie ihren „wahrhaft lebensspendenden Charakter als Gotteswort – das nicht unser Wort ist –“ nur dann behalte, wenn ihre Vermittlung durch Amtsträger geschieht, „die der Gemeinschaft gegenübertreten, deren Autorität von Gott kommt und nicht von Menschen, die – wie Melanchthon es in der Apologie ausdrückt – nicht sich selbst, sondern die Person Christi repräsentieren (Apol 7,28)“ (Dulles/ Lindbeck, 151). Denn durch diese Formulierung wird der Eindruck einer exklusiven Bindung des „ministerium verbi divini“ an die Träger des ordinationsgebundenen Amtes erweckt, wie sie reformatorischer Lehre nicht nur nicht entspricht, sondern widerspricht, wenn anders die Lehre vom Priestertum aller Gläubigen zu jeder Form evangelischer Lehre unaufgebbar hinzugehört. Davon aber ist bis zum erbrachten Beweis des Gegenteils auszugehen. Man wird daher nicht zuletzt in Bezug auf die Ekklesiologie der CA zu vermuten haben, dass diese der für Luthers Kirchenauffassung grundlegenden Lehre vom allgemeinen Priestertum nicht entgegensteht, sondern sich mit ihr in eine sachliche Verbindung bringen lässt, auch wenn die besagte Lehre in ihr nicht explizit enthalten ist, was sich aufgrund des historischen Literalsinns des Textes nicht bestreiten lässt. In Anbetracht der erreichten Verfahrenheit der Argumentationslage, die für die Amtsdiskussion Luthers Amtstheologie evangelischer Theologie nicht untypisch ist, mag es nicht nur entlastend, sondern auch sachlich hilfreich sein, sich in Form eines Exkurses neben Luthers eigener Position analoge Problemkontroversen der jüngeren theologischen Vergangenheit vor Augen zu führen. Es ist dabei offenkundig so, dass die Auslegungsgeschichte von CA V und CA XIV bis zum heutigen Tage entscheidend geprägt ist von dem Streit um die „Grundsätze evangelisch-lutherischer Kirchenverfassung“, den das 1850 (31852) erschienene gleichnamige Buch des Erlanger praktischen Theologen J.W.F. Höfling (1802–1853) auslöste. Höfling unterschied zwischen dem von Gott eingesetzten „ministerium docendi evangelii et porrigendi sacramenta“, welches der ganzen Kirche und damit allen Christen anvertraut sei, und dem durch das „rite vocatus“ und „publice docere“ charakterisierten „ordo ecclesiasticus“ des Pfarramts, der lediglich iure humano bestehe und Einzelnen um der Ordnung willen von der Gemeinde als der Gemeinschaft der im allgemeinen Priestertum Stehenden zuerkannt werde. Dieser sog. Delegations-
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oder Übertragungstheorie widersprachen neben W. Löhe (1808–1872) u.a. F.J. Stahl, Th. Kliefoth, A.F.Chr. Vilmar, Th. Harnack und A. v. Harleß. Unbeschadet gegebener Unterschiede ihrer Amtstheologie betonten sie im Gegensatz zu Höfling nachdrücklich die göttliche Stiftung des Amtes öffentlicher Evangeliumsverkündigung und erklärten damit das Pfarramt zu einer Institution, deren Funktionen nur in Ausnahmefällen der Not Nichtordinierten erlaubt sei. Bezieht man die skizzierte Kontroverse auf Luthers eigene Amtstheologie, so duldet es keinen Zweifel, dass nach Auffassung des Reformators „das geistliche Amt in der Kirche auf Grund der ausdrücklichen Anordnung Gottes (ordinatio Dei)“ (Brunotte, 24) existiert. Zwar sind nach Luthers theologischem Urteil grundsätzliche Fähigkeit und Auftrag, das Evangelium zu verkünden, allen Christen gegeben; doch hat er „die öffentliche Verkündigung in der Gemeinde Christi stets als Aufgabe und Pflicht des geistlichen Amtes bezeichnet und die Vollmacht dazu nie dem einzelnen Christen kraft seines allgemeinen Priestertums zuerkannt, sie vielmehr stets von der ausdrücklichen Berufung in das geistliche Amt abhängig gemacht“ (Brunotte, 28). Auch die Argumentation mit dem Ordnungsgedanken stellt das nicht in Frage, da Luther das geordnete Amt auf eine ausdrückliche Anordnung Gottes zurückführt. Es ist daher verfehlt, Luthers Auffassung vom Amt als einer göttlichen Stiftung und als Gemeindeordnung auf zwei Lebensperioden des Reformators zu verteilen oder von einer doppelten Begründung des Amtes, nämlich einer stiftungs- und einer ordnungsbedingten Amtsbegründung zu sprechen. Eine solche Annahme vertritt etwa K. Tuchel, wobei er „die Mitte des Nebeneinanders von ordnungsbedingter und stiftungsbedingter Amtsbegründung bei Luther in dessen Anschauung vom Christen als simul iustus et peccator zu sehen“ (Tuchel, 88) glaubt. R. Prenter hat diese Annahme zu recht kritisiert und zugleich einen entscheidenden Hinweis gegeben, von dem her sich die sachliche Zusammengehörigkeit der verschiedenen und bei oberflächlicher Betrachtung leicht als widersprüchlich erscheinenden Aussagen Luthers über ordinationsgebundenes Amt und Priestertum aller Gläubigen erschließt. Dieser Hinweis besagt, dass die Funktionen des geistlichen Amtes im Notfall und im privaten Bereich durch einen jeden Christen kraft seiner Teilhabe an dem allgemeinen Priestertum ausgeübt werden können und sollen; aber gerade „weil sie allen Christen in gleicher Weise zukommen ... , dürfen jene Funktionen in dem öffentlichen Gottesdienst nur von solchen ausgeübt werden, die zum besonderen Amte berufen sind“ (Prenter, 326). Die Pointe dieser Argumentation besteht darin, Allgemeinheit des Priesterdass das ordinationsgebundene Amt gerade um tums aller und Besonderheit der Allgemeinheit des allgemeinen Priestertums des ordinationsgebundenen willen gesetzt und zwar göttlich gesetzt ist; denn Amtes „daraus, dass das Amt seine Funktionen mit dem allgemeinen Priestertum teilt und sie deshalb im Namen des allgemeinen Priestertums ausübt, folgt mit logischer Notwendigkeit nicht ohne weiteres, dass das Amt aus dem allgemeinen Priestertum hervorgehe“ (ebd.). Vielmehr haben allgemeines
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Priestertum und ordinationsgebundenes Amt insofern als gleichursprünglich zu gelten, als ohne die besondere Ordnung des Amtes öffentlicher Evangeliumsverkündigung in Wort und Sakrament die Allgemeinheit des Priestertums aller sich nicht realisieren könnte. Entsprechend sind Priestertum aller und ordinationsgebundenes Amt untrennbar einander zugeordnet: „Wie das allgemeine Priestertum dem Wirken des besonderen Amtes entgegenkommen muß, weil es nur im Glauben an Gottes eigenes Wort wirklich ist, so muß auch das Amt in seinem Fungieren dem allgemeinen Priestertum entgegenkommen, sich dem allgemeinen Priestertum ganz hingeben. Es dient ja einem Evangelium, das alle, die es hören und glauben, zu Priestern macht. Damit das geschehe, damit die Grenze zwischen Amt und allgemeinem Priestertum durch das Fungieren des Amtes verschwinde, ist das Amt eingesetzt worden. Aber nur in Christus verschwindet diese Grenze. In der Welt besteht sie weiter um des Evangeliums willen bis zum jüngsten Tag. Daß Amt und allgemeines Priestertum in der Kirche in der beschriebenen Weise einander zugeordnet sind, daß sie beide gewissermaßen da sind, damit das eine sich in dem anderen verliert, das kommt dadurch zum Ausdruck, daß sie beide dieselben Funktionen haben. Nur durch das Wirken des Amtes kann das allgemeine Priestertum bestehen. Nur das dem allgemeinen Priestertum geschenkte Evangelium kann das Amt verkünden.“ (Prenter, 329f.) Die Allgemeinheit des Priestertums aller und die Besonderheit des ordinationsgebundenen Amtes stehen sonach in einem wechselseitigen Verweisungs- und Begründungszusammenhang. Während nämlich die nichtordinierten Gemeindeglieder ihre Teilhabe am allgemeinen Priestertum je besonders, nämlich im Zusammenhang einer je eigenen individuellen und sozialen Rolle zu verwirklichen haben, ist es der besondere Beruf des ordinationsgebundenen Amtes, Separierungen zu vermeiden und somit für die Allgemeinheit des Priestertums aller Sorge zu tragen. In den Zusammenhang der Sorge für die Allgemeinheit des Priestertums aller gehört auch der spezifische Öffentlichkeitsdienst des ordinationsgebundenen Amtes, der seinerseits, wie erwähnt, etwas mit der geordneten Institutionalität des besonderen Amtes zu tun hat. Ist doch die Institutionalität des besonderen Amtes nichts anderes als eine Funktion geregelter Dauerhaftigkeit, die Wort und Sakrament dem Auftrag Christi gemäß innewohnen, damit die „congregatio sanctorum“ allezeit und allenthalben bestehe. Der Bestand der Kirche hinwiederum ruht wegen seiner Begründung in Wort und Sakrament nicht selbstgenügsam in sich, sondern ist – der gnadenhaften Selbsterschließung Gottes respondierend – offen für Mitmensch und Welt, um auf solche Weise jene universale Gemeinschaft aller Gläubigen zu realisieren, auf welche die göttliche Sendung Jesu Christi aus ist und zu der die Kirche der raum- und zeitumgreifenden Sendung ihres Herrn gemäß als ganze bestimmt ist. Institutionalität, Öffentlichkeitsdienst und die dem ordinationsgebundenen Amt in besonderer Weise aufgetragene Sorge um die Allgemeinheit des Priestertums aller Gläubigen bedingen sich sonach gegenseitig und begründen in dieser Zusammengehörigkeit die gottgewollte spezifische Besonderheit des ordinationsgebundenen Amtes im Unterschied zu dem Priestertum, welches
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nichtordinierte Getaufte ihrer göttlichen Bestimmung gemäß zu realisieren haben. Charakteristisch und entscheidend für diese Begründung des besonderen kirchlichen Amtes ist es, dass sie die Allgemeinheit des Priestertums aller Gläubigen nicht beschränkt oder aufhebt, sondern ausschließlich auf deren Realisation ausgerichtet ist, ohne deshalb die göttliche Stiftung des ordinationsgebundenen Amtes zu leugnen. Denn die Leugnung der gottgestifteten Besonderheit des ordinationsgebundenen Amtes müsste nach Maßgabe der entwickelten Argumentation einen Widerspruch zur Affirmation des allgemeinen Priestertums darstellen. Im Rahmen der skizzierten amtstheologischen Repraesentatio Christi Begründung hat dann auch die Vorstellung vikarischer Christusrepräsentation ihren Ort, die allein und für sich genommen die spezifische Besonderheit des ordinationsgebundenen Amtes nicht begründen kann, jedenfalls nicht im Sinne reformatorischer Theologie. Denn Repräsentanten Christi zu sein, dazu sind nach reformatorischer Auffassung alle Christen bestimmt, wenn sie denn am Priestertum aller Gläubigen teilhaben. Infolgedessen darf die Funktion der Repräsentation Jesu Christi nicht exklusiv dem ordinationsgebundenen Amt und seinen Trägern vorbehalten werden. Daran ändert die Tatsache nichts, dass die lutherische Bekenntnistradition die Vorstellung vikarischer Christusrepräsentation amtstheologisch durchaus rezipieren konnte, etwa wenn es Apol VII,28 von den Amtsträgern heißt, dass sie die Sakramente in Stellvertretung Christi darreichen („Christi vice et loco“). Indes soll damit, wie der Kontext zeigt, lediglich die Aussage von CA VIII unterstrichen werden, dass nämlich die Wirksamkeit der Sakramente nicht von der persönlichen Würdigkeit des Spenders abhängt: „Nec adimit sacramentis efficaciam, quod per indignos tractantur, quia repraesentant Christi personam propter vocationem ecclesiae, non repraesentant proprias personas, ut testatur Christus: Qui vos audit, me audit.“ (BSLK 240,40 – 45) Die Lehre, die aus diesem Wort Christi aus Lk 10,16 gezogen wird, lautet sonach schlicht, dass man keinen die Verlässlichkeit der Gnadenzusage Gottes verunsichernden Anstoß an der Unwürdigkeit der kirchlichen Diener nehmen möge. Ein exklusiver Autoritätsanspruch des Amtes auf bedingungslosen Gehorsam, wie er Christus gebührt, soll mit dem zitierten Herrenwort hingegen gerade nicht begründet werden. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall, wie u.a. der Abschnitt CA XXVIII,22 f. bezeugt, wo Lk 10,16 ebenfalls in einschlägigen amtstheologischen Zusammenhängen zitiert wird mit dem eindeutigen Ergebnis, dass man den Bischöfen nicht um ihrer selbst oder um einer ihrem Amt unmittelbar eigenen Formalautorität willen, sondern ausschließlich wegen des Evangeliums Gehorsam schuldig sei: „At cum aliquid contra evangelium docent aut constituunt, tunc habent ecclesiae mandatum Dei, quod prohibet oboedire.“ Belegt wird dies mit Mt 7,15, Gal 1,8, 2. Kor 13,8.10 sowie unter Verweis auf das Decretum Gratiani (p. II q.7 c.8 und c.13) und Augustin (De un. eccl. 11,28). Zu einem ähnlichen Schluss gelangt Melanchthon in Apol VII,47 f., wo unter direktem Bezug auf CA VIII und erneuter Zitation von Lk 10,16 zunächst wiederholt wird, man solle an unwürdigen Amtsträgern nicht falschen, will heißen: die
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Wirksamkeit der gereichten Gnadenmittel infragestellenden Anstoß nehmen oder sich zu sektiererischen Spaltungen verleiten lassen, und wo dann unter Berufung auf Mt 7,15 und Gal 1,9 gesagt wird: „Impii doctores deserendi sunt, quia hi iam non funguntur persona Christi, sed sunt antichristi.“ Die angeführten Schriftbelege und der argumentative Gesamtzusammenhang lassen keinen Zweifel aufkommen, was im gegebenen Kontext unter „impii doctores“ zu verstehen ist: Es sind dies Lehrer der Kirche, die zum ordentlichen Amt der Evangeliumsverkündigung in Wort und Sakrament regelrecht berufen sind, aber diese Berufung ins gerade Gegenteil verkehren, insofern sie Evangelium nicht Evangelium sein lassen, evangeliumswidrig predigen und so Unheil statt ewiges Heil hervorrufen. Von ihnen wird gesagt, dass sie Antichristen seien gemäß dem paulinischen Verdikt: „Si quis aliud evangelium evangelizaverit, anathema sit.“ (Apol VII,48) Dieses Urteil ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: Nicht nur dass es den Vergleich mit den tridentinischen Anathematismen förmlich herausfordert, es gibt zugleich einen präzisen Begriff von dem, was reformatorische Theologie unter „antichristi“ versteht. Als Antichrist hat zu gelten, wer unter Berufung auf das Evangelium, mit dessen Dienst er beauftragt ist, das Evangelium des Heils heillos verkehrt. Anders gesagt: Ein Antichrist ist der, welcher unter dem Anspruch der Christusrepräsentanz Christus zu ersetzen trachtet und so den lebendigen Herrn der Kirche wie einen Toten behandelt. Damit wird – horribile dictu –im Namen des Herrn der Herr verraten. Für den reformatorisch rezipierten Gedanken der Christusrepräsentanz folgt daraus – und nachgerade dies ist theologisch in hohem Maße bemerkenswert –, dass er eben nicht auf differenzlose Gleichschaltung von Christus und kirchlicher Amtsautorität hin angelegt ist, sondern auf die entschiedene Wahrung ihres unvergleichlichen Unterschieds. Die Christusrepräsentanz des kirchlichen Amtes steht, das ist die Pointe der Argumentation, unter der Bedingung objektiv festgehaltener Unterscheidung des Amtes und seiner Träger von Christus. Nur der Amtsträger kann mithin Christus und sein Evangelium auftragsgemäß verkünden, der die Möglichkeit der Unterscheidung seiner Person und derjenigen Christi nicht systematisch entzieht und so zwangsläufig zu einer Verwechslung seiner Autorität und der Autorität des Evangeliums verleitet. Mag der Amtsträger persönlich in vieler Hinsicht ein unwürdiger Diener Christi sein, so ändert das doch nichts an der Gültigkeit und Heilsamkeit seiner Amtsvollzüge. Dies gilt selbst für den Fall, dass der Amtsträger subjektiv, aber ohne dies zu äußern und in seine Verkündigung und Lehre eingehen zu lassen, einer Verwechslung seiner selbst und seines Herrn aufsitzt oder sich sonst einer seine eigene Person betreffenden Verkehrung schuldig macht. Selbst Amtsträger, deren innerer Mensch im strengen theologischen Sinne des Wortes ungläubig zu nennen ist, können Amtsvollzüge gültig vollziehen, wenngleich sie es sich selbst und ihrer Heuchelei zum Gericht tun. Zu Antichristen werden sie nach reformatorischem Urteil erst, aber dann auch in einer Weise, die ein kirchliches Anathem zur unbedingten und kompromisslos einzuhaltenden Konsequenz haben muss, wenn ihr Unglaube die Sphäre unzugänglicher Innerlichkeit verlässt, offenkundige
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und ausdrückliche Gestalt annimmt und in ihre Lehre eingeht, um auf diese Weise prinzipiell zu werden. Steht somit amtstheologisch fest, dass StellvertreDie Gnadenstandsparität aller tung Christi das gerade Gegenteil ist von Ersatz, getauften Glaubenden so folgt daraus u.a. dies, dass der eigentümliche Unterschied zwischen Ordinierten und Nichtordinierten keine Differenz geistlicher Stände begründet, weil alle gleichermaßen unter einem Christus stehen. Im Sinne reformatorischer Theologie darf daher der betonte Unterschied von ordinationsgebundenem Amt und Priestertum aller Gläubigen nicht mit dem Gegenüber von Jesus Christus und seiner Kirche gleichgesetzt werden; ebenso unstatthaft ist es, die Funktion der Christusrepräsentanz exklusiv dem ordinationsgebundenen Amt und seinen Trägern vorzubehalten. Damit ist es zugleich ausgeschlossen, dem ordinationsgebundenen Amt eine Monopolstellung bezüglich der Kompetenz authentischer und verbindlicher Schriftauslegung zuzubilligen; denn unter reformatorischen Bedingungen ist jeder Christ berechtigt und verpflichtet, sich ein eigenes Urteil zu bilden und die Auslegung der berufenen Lehrer auf ihre Schriftgemäßheit hin zu überprüfen. Von daher kann es trotz und unbeschadet der vorgetragenen historischen Gründe, die es nahelegen, den Eingangssatz von CA V von dem in CA XIV thematisierten Amt her zu verstehen, systematisch nicht einfachhin falsch sein zu sagen, das „ministerium docendi evangelium et porrigendi sacramenta“ sei der Kirche insgesamt und als ganzer aufgetragen. Wenn auch nicht in der Augustana und ihrer Apologie, so wird die sachliche Legitimität dieser Rede doch von Melanchthon selbst ausdrücklich bestätigt, etwa wenn er im „Tractatus“ aus dem der ganzen Kirche gegebenen Auftrag, das Evangelium auszurichten, das beständige gesamtkirchliche und nicht ausschließlich bestimmten Einzelpersonen vorbehaltene Recht ableitet, Diener der Kirche zu berufen, zu wählen und zu ordinieren (vgl. bes. Tract. 69f.). Man muss nur darauf achten, dass die grundsätzlich richtige These, dass das „ministerium docendi evangelium et porrigendi sacramenta“ der Kirche als ganzer aufgetragen ist, nicht im Sinne einer Zweiämtertheorie verstanden wird, welche die Einheit und den Einheitsdienst des kirchlichen Amtes nicht begründen, sondern auflösen würde. Um eine solche Auflösung und damit einen zur Das Amt als göttliche Stiftung Separierung neigenden Gemeindepartikularismus zu verhindern, darf das ordinationsgebundene Amt auch nicht zu einer abgeleiteten Funktion des Willens der jeweiligen Gemeinde erklärt werden. Vielmehr hat zu gelten, dass das kirchliche Amt, eben weil es dem der ganzen Kirche aufgetragenen „ministerium docendi evangelium et porrigendi sacramenta“ zu dienen hat, etwas anderes ist als die sekundäre Folge einer Gemeindedelegation. Einheit und Einheitsdienst des ordinationsgebundenen kirchlichen Amtes sind – wie dieses Amt und die ihm eigene Ordnung und geregelte Dauer selbst – nicht abgeleitete Folge des der ganzen Kirche gegebenen Dienstauftrags, sondern in diesem auf ursprüngliche Weise und daher „iure divino“ mitgesetzt. Aus der richtigen Voraussetzung, dass das „ministerium docendi
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evangelium et porrigendi sacramenta“ von CA V der Kirche insgesamt und als ganzer gegeben ist, kann daher nicht gefolgert werden, dass das ordinationsgebundene Amt ein ekklesiologisches Epiphänomen bzw. eine lediglich abgeleitete Größe menschlichen Rechts sei, welche ihre Bevollmächtigung der Gemeinde verdanke. Es ist daher nicht statthaft, „das allgemeine Priestertum als göttliche Institution dem öffentlichen Predigtamt als menschlicher Institution gegenüberzustellen“ (Schlink, 330). Das öffentliche Predigtamt nämlich hat an sich selbst als eine Einrichtung göttlichen Rechts zu gelten und kann nicht als eine bloße Funktion des allen Gläubigen eigenen Priestertums begriffen werden, der lediglich eine Geltung „iure humano“ zu attestieren wäre. Denn sosehr Auftrag und Vollmacht zur Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung allen Christen gegeben sind, so wenig darf ein Einzelner ohne ordentliche Berufung von ihnen öffentlichen Gebrauch machen, eben weil Beauftragung und Bevollmächtigung allen gemeinsam zuerkannt sind. Die Allgemeinheit des Priestertums aller erfordert das besondere Amt, dessen spezifischer Auftrag gerade im Dienst des allgemeinen Priestertums und seiner Realisierung steht. In dieser alle kausalen Ableitungsmodelle sprengenden dialektischen Einsicht liegt nach meinem Urteil die Pointe lutherischer Amtstheologie. Der Reformator hat sie bereits 1520 treffend auf folgenden Begriff gebracht: „Esto itaque certus et sese agnoscat quicunque se Christianum esse cognoverit, omnes nos aequaliter esse sacerdotes, hoc est, eandem in verbo et sacramento quocunque habere potestatem, verum non licere quenquam hac ipsa uti nisi consensu communitatis aut vocatione maioris (Quod enim omnium est communiter, nullus singulariter potest sibi arrogare, donec vocetur).“ (WA 6, 566, 26 –30)
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Lit.: M. Brecht (Hg.), Martin Luther und das Bischofsamt, Stuttgart 1990. – I.U. Dalferth, Amt und Bischofsamt nach Meißen und Porvoo. Evangelische Anmerkungen zu einigen ungeklärten Fragen, in: Visible Unity and the Ministry of Oversight. The Second Theological Conference held under the Meissen Agreement between the Church of England and the Evangelical Church in Germany, London 1997, 231–273. – Evangelische Kirche in Deutschland. Die Meissener Erklärung. Eine Dokumentation, Hannover 1993. – G. Kretschmar, Das bischöfliche Amt. Kirchengeschichtliche und ökumenische Studien zur Frage des kirchlichen Amtes, hg.v. D. Wendebourg, Göttingen 1999. – H. Meyer u.a. (Hg.), Dokumente wachsender Übereinstimmung. Sämtliche Berichte und Konsenstexte interkonfessioneller Gespräche auf Weltebene, Bd. III (1990–2001), Paderborn/Frankfurt a.M., 732–748 (Die Meissener Gemeinsame Feststellung; zitiert wird nach Abschnittsziffern), 749–783 (Die Porvooer Gemeinsame Erklärung; zitiert wird nach Abschnittsziffern). – W. Pannenberg, Systematische Theologie Bd. III, Göttingen 1993. – G. Tröger, Das Bischofsamt in der evangelisch-lutherischen Kirche, München 1966. – G. Wenz (Hg.), Ekklesiologie und Kirchenverfassung. Das episkopale Dienstamt, Münster 2003.
Dass die Kirche das „ministerium docendi evangelium et porrigendi sacramenta“ (CA V,1) nötig hat, um zu sein, was sie ist, daran lässt die reformatorische Bekenntnistradition keinen Zweifel aufkommen: „Nam per verbum et sacramenta tamquam per instrumenta donatur spiritus sanctus, qui fidem efficit, ubi et quando visum est Deo, in his, qui audiunt evangelium ...“ (CA V,2). Weil wir den glaubenschaffenden Heiligen Geist nicht „ohn das leiblich Wort des Evangelii“ (BSLK 58, 12f.) erlangen, „hat Gott das Predigamt eingesetzt“ (BSLK 58,2); so steht es im V. Artikel der Confessio Augustana wörtlich zu lesen. Allerdings zeigt die Vorgeschichte des Artikels, dass Predigtamt zunächst nichts anderes bedeutet als „mundlich Wort, nämlich das Evangelion“ (BSLK 59,4f.). An dessen Verkündigung haben nach reformatorischer Lehre alle glaubenden Getauften Anteil, auch wenn davon weder in der CA insgesamt noch gar in CA V explizit gesprochen wird. So wahr die Lehre vom allgemeinen Priestertum unveräußerlich und unaufgebbar zur reformatorischen Theologie hinzugehört, so wenig wird durch sie gleichwohl in irgendeiner Weise die ekklesiologische Notwendigkeit des ordinationsgebundenen Amtes der Kirche in Abrede gestellt. Im Gegenteil: ausdrücklich wird gelehrt, „daß niemand in der Kirche offentlich lehren oder predigen oder Sakrament reichen soll ohn ordentlichen Beruf“ (BSLK 69,2–5). „Rite vocatus“ bzw. – wie ich mir hinzuzufügen erlaube – Das Verhältnis von allgemeinem Priestertum und ordinationsgebundenem Amt
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„rite vocata“ zu sein, ist die Bedingung der Möglichkeit dafür, „in ecclesia publice docere aut sacramenta administrare“ (CA XIV). So gebietet es gemäß CA XIV der „ordo ecclesiasticus“ nach Maßgabe einer Ordnung, die auch nach reformatorischem Urteil als „iure divino“ gesetzt zu behaupten ist. Die Annahme, das ordinationsgebundene Amt der Kirche sei lediglich eine Funktion des Gemeindewillens, dessen Delegation es sich verdanke, ist daher mit evangelischer Lehre nicht kompatibel. Unvereinbar mit evangelischer Lehre ist es freilich auch, die Besonderheit des ordinationsgebundenen Amtes der Kirche so zu bestimmen, dass dadurch die Gnadenstandsparität aller getauften Gläubigen geleugnet und ihre Teilhabe am gemeinsamen Priestertum der Kirche gemindert wird. Die Vorstellung von der theologischen Bedeutung der Ordination kann daher nicht die einer graduellen Steigerung der Taufgnade oder der Vermittlung einer Stellung exklusiver Christusrepräsentanz und mithin auch nicht diejenige einer Monopolstellung authentischer Wahrnehmung der christlichen Wahrheit im Sinne amtlicher Identitäts- und Kontinuitätsgarantie sein. Vielmehr ist das Verhältnis von ordinationsgebundenem Amt und jenem Priestertum, an dem alle getauften Gläubigen teilhaben, so zu bestimmen, dass beide wechselseitig sich hervorrufen und erfordern. Nicht so, als ob die Besonderheit des ordinationsgebundenen Amtes die Allgemeinheit des Priestertums aller einschränken bzw. die Allgemeinheit des Priestertums die Besonderheit des ordinationsgebundenen Amtes überflüssig machen würde: der wahre Sachverhalt stellt sich vielmehr so dar, dass das besondere Amt der Kirche, welches durch die Ordination vermittelt wird, seinem Wesen und seiner Eigenart nach ganz im Dienst der Realisierung des Priestertums aller getauften Gläubigen steht, so wie denn auch umgekehrt die Verwirklichung des allgemeinen Priestertums des besonderen Dienstes des ordinationsgebundenen Amtes notwendig bedarf. Damit im Prozess der auf je besondere Weise – nämlich im Rahmen einzelner individueller und sozialer Rollen – statthabenden Verwirklichung der gemeinsamen Priesterschaft aller getauften Glaubenden die Einheit und Allgemeinheit dieser Priesterschaft nicht verlorengehe, ist von Gott ein besonderes, durch Ordination – also nach Maßgabe entsprechend geregelter Ordnung – vermitteltes Amt eingesetzt, dessen die Einheit seines Begriffs begründende Spezifizität im besonderen Dienst an der Einheit und Katholizität der Kirche besteht. Mit den Stichwörtern „publice docere“, geordnete Institutionalität der Evangeliumsverkündigung, Leitung des öffentlichen Gottesdienstes und namentlich der eucharistischen Feier sind notwendige Implikate dieser Wesensbestimmung umschrieben. Um das zusammengefasste Ergebnis des Unterabschnitts über allgemeines Priestertum und ordinationsgebundenes Amt (III,5) noch einmal in anderer Weise zu formulieren: Die spezifische Differenz zwischen dem kirchlichen Leitungsamt, welches durch Ordination begründet wird, und dem Auftrag, an dem alle getauften Gläubigen in Teilhabe am Priestertum Christi gemeinsam partizipieren, besteht im Wesentlichen im geordneten Dienst an der „Einheit der Gemeinde im Glauben des Evangeliums bei aller Verschiedenheit ihrer Glieder und der ihnen
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vom Geist verliehenen Gaben“ (Pannenberg, 423). Dieser amtliche Dienst ist von Gott selbst geordnet und nicht lediglich eine Funktion des jeweiligen Gemeindewillens. Obwohl das kirchliche Dienstamt „nicht unmittelbar auf eine Anordnung der Apostel in Verbindung mit einer Einsetzung von Nachfolgern“ (Pannenberg, 414) zurückgeführt und auch der Sache nach nicht direkt mit dem Apostelamt verglichen werden kann, hat es doch auf seine Weise Anteil an der apostolischen Aufgabe, durch Lehre und Leitung der Einheit der Gemeinde im Evangelium zu dienen, wobei den nachapostolischen Amtsträgern das apostolische Evangelium als Norm ihres Dienstes vorgegeben ist. Lehre und Leitungsfunktion bilden dabei eine differenzierte Einheit, sofern mit dem Auftrag zu amtlicher Lehre des Evangeliums ein Leitungsauftrag verbunden ist, der hinwiederum seinerseits primär in Form der „doctrina evangelii“ wahrgenommen wird. Der Unterschied zwischen dem Amt der Lehre und der Leitung und dem Dienstauftrag, an dem alle getauften Christen teilhaben, besteht nicht in einem spezifischen Gnadenstatus der Träger des Lehr- und Leitungsamtes. Durch die Ordination in dieses Amt wird die Gnadenstandsparität aller Getauften nicht aufgehoben. Auch begründet die Ordination keinen Exklusivanspruch auf Christusrepräsentanz. Es ist vielmehr der durch Lehre und Leitung „publice“ geübte Evangeliumsdienst an der Einheit aller, die gemeinsam am Priestertum Christi teilhaben, welcher die Besonderheit des ordinationsgebundenen Amtes der Kirche im Unterschied zum allgemeinen Priestertum begründet. „Die auf die Einheit der Gesamtkirche bezogene, sie am Ort einer gottesdienstlichen Gemeinde repräsentierende ‚Öffentlichkeit‘ des kirchlichen Predigt- und Leitungsamtes bedeutet, dass der Amtsträger nicht im eigenen Namen, sondern in der Autorität des der ganzen Christenheit gegebenen Auftrags zur Lehre des Evangeliums handelt und also im Auftrag Jesu Christi selbst: In diesem spezifischen Sinne handeln die öffentlichen Amtsträger der Kirche in persona Christi und zugleich im Namen der ganzen Christenheit und des ihr durch Sendung der Apostel gegebenen Auftrags.“ (Pannenberg, 424f.) Sein entwickelter Wesensbegriff erweist das ordiDie wesentliche Einheit des nationsgebundene Amt als in sich eins und idenordinationsgebundenen tisch. Dies wurde vor allem von der Wittenberger Amtes Reformation mit besonderem Nachdruck vertreten. Dabei ging man unter Berufung namentlich auf Hieronymus von einer grundsätzlichen Koinzidenz von Pfarramt und Bischofsamt aus, ohne deshalb die Möglichkeit und Notwendigkeit von Gliederungsformen des in sich einen ordinationsgebundenen Amtes der Kirche zu leugnen. Im Einzelnen galt und gilt Folgendes: Gemäß der bereits charakterisierten inneren Einheit des ordinationsgebundenen Amtes der Kirche sind dessen presbyterale und episkopale Wahrnehmungsgestalten und Vollzüge im Wesentlichen identisch. Im „Von der Bischofen Gewalt“ („De potestate ecclesiastica“) handelnden XXVIII. Artikel der Confessio Augustana – welcher nicht nur den letzten und längsten, sondern auch den Artikel darstellt, von dem her und auf den hin das gesamte Augsburgische Bekenntnis konzipiert ist – begegnet daher stereotyp die Wendung „episcopi seu presbyteri“.
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Im Grundsätzlichen ihres Auftrags, so ist damit gesagt, sind Pfarramt und Bischofsamt eins. Zu predigen, die Sakramente zu verwalten, Sünde zu behalten oder nachzulassen, Kirchenzucht zu üben und Lehre zu beurteilen – die Wahrnehmung all dieser Vollzüge sind Pfarrer und Bischof gleichermaßen aufgegeben. Auch Möglichkeit und Recht der presbyteralen Ordination werden von CA XXVIII prinzipiell vorausgesetzt, obgleich man sich erklärtermaßen bereit und willens zeigte, die gegebene Ordnung nicht nur zur respektieren, sondern selbst zu üben, soweit dieser Weg irgend gangbar war. Auf der einen Seite ist die Feststellung also unzweifelhaft richtig, dass in der Reformation von der vorgeschriebenen Regel episkopaler Ordination nur deshalb abgewichen wurde, weil die installierten Bischöfe sich weigerten, evangelisch Gesinnte zu ordinieren; auf der anderen Seite ist das erfolgte Abweichen von dieser Regel doch ebenso zweifellos als theologisch verantwortbar und grundsätzlich möglich betrachtet worden, so sehr es faktisch aus der Not geboren war. Soweit in skizzenhafter Form die Position der Wittenberger Reformation: Sie gewinnt an Profil und Plausibilität, wenn sie kritisch und konstruktiv mit der exegetischen Einsicht verbunden wird, dass das Episkopenamt ursprünglich keine überörtliche Dienstfunktion bezeichnete, sondern mit der Leitung der Ortskirche betraut war. Anfänglich der gottesdienstlichen Hausgemeinde zugeordnet, wurde der Episkope im 2. Jahrhundert Vorsteher der Gesamtgemeinde eines Ortes, um erst später übergemeindliche Aufgaben zu übernehmen. Es sprechen also gute Gründe für die These, dass das ordinationsgebundene Amt im Sinne von CA V und XIV, dessen genuine Gestalt die Wittenberger Reformation mit dem Gemeindepfarramt assoziierte, im ortsgemeindlichen Episkopenamt der frühen Christenheit seine prototypische Ausprägung gefunden hat. Reformatorische Theologie kann unter diesen Umständen das episkopale Amt in Übereinstimmung mit römisch-katholischer Lehre als das primäre und eigentliche Amt der Kirche anerkennen. Vorauszusetzen ist dabei lediglich, dass das Episkopenamt – wie exegetisch nahegelegt – als öffentlicher Verkündigungs- und Leitungsdienst an der Ortskirche verstanden wird. Das verbleibende Problem lässt sich dann auf die Frage reduzieren, was unter Ortskirche präzise zu verstehen sei. Die Antwort der Wittenberger Reformation hierauf ist klar: Inbegriff der Ortskirche ist die um Wort und Sakramente versammelte Gottesdienstgemeinde. Muss dem römisch-katholische Theologie prinzipiell widersprechen oder kann an dieser Stelle mit möglicher Zustimmung gerechnet werden? Der Begriff des episkopalen Amtes bezeichnet, Der Dienst übergemeindlicher wie gezeigt, keineswegs von Anfang der ChristenAufsicht tumsgeschichte an eine primär oder gar ausschließlich übergemeindliche Dienstfunktion. Es sprechen im Gegenteil gute exegetische Gründe dafür, den Episkopentitel in erster Linie dem Träger des ortsgemeindlichen Dienstamtes zuzuordnen. Die sachliche Notwendigkeit einer überörtlichen Sorge für die Einheit der Gemeinden im apostolischen Glauben bleibt dadurch unbestritten. Dass die geordnete Wahrnehmung translokal-überge-
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meindlicher Verantwortung ein wesentlicher Dienst der Kirche zu sein hat, ist von der Wittenberger Reformation niemals in Abrede gestellt worden und zwar unbeschadet der Tatsache, dass ihre Ekklesiologie und Amtslehre von der konkreten „congregatio sanctorum“, wie CA VII sie beschreibt, ihren Ausgang nehmen und in genuiner Weise auf die örtliche Gottesdienstgemeinde bezogen sind: ist doch jede Ortsgemeinde, so wahr sie nicht nur teilweise Kirche, sondern Kirche im vollen Sinne des Begriffs ist, unveräußerlich auf einen ihre lokalen und temporalen Schranken transzendierenden Zusammenhang bezogen und ohne diesen Bezug in ihrem eigenen Wesen ekklesiologisch nicht recht zu begreifen. Ist sonach Episkopé im Sinne der über den Bereich der Einzelgemeinde hinausgehenden Aufgabe der Kirchenleitung ein ekklesiologisch unverzichtbarer Dienst, der als „iure divino“ verordnet zu bezeichnen ist, so ist die konkrete Gestaltung dieses gebotenen Dienstes kirchlicher Einheit und Katholizität nach evangelischer Lehre gleichwohl nicht definitiv festgelegt und in zeitinvarianter Weise vorgeschrieben, so wenig dessen institutionelle Notwendigkeit grundsätzlich zur Disposition gestellt werden kann. Anerkennung prinzipieller Strukturierungsnotwendigkeit und Offenheit für geschichtliche Gestaltungsvarianten schließen sich in diesem Sinne nicht aus, sondern wechselseitig ein mit dem Ziel, aus dem differenzierten Zusammenhang von Identität und Veränderung jeweils diejenigen kirchenverfassungstheoretischen und -praktischen Konsequenzen zu ziehen, welche ekklesiologisch geboten und im Sinne kirchlicher Weltsendung an der Zeit sind. Besondere Brisanz gewinnt diese Feststellung Bischöfliche und synodale durch die Tatsache, dass gegenwärtige evangeliFormen der Episkope sche Kirchenverfassungen im Unterschied zu der im 16. Jahrhundert jedenfalls im Bereich der Wittenberger Reformation üblichen Praxis in aller Regel auch nichtordinierten Christen synodale Mitwirkungsrechte an der Kirchenleitung auf allen Ebenen kirchlicher Organisation zuerkennen. Ist das theologisch legitim und wenn ja, in welcher Weise? Auch wenn man evangelischerseits nicht leugnen kann, dass in Bezug auf das geordnete Zusammenwirken ordinierter und nichtordinierter Christen bei der Leitung der Kirche noch erheblicher theoretischer Klärungsbedarf besteht, wird das prinzipielle Recht und die Notwendigkeit einer entsprechenden Kooperation nach Maßgabe reformatorischer Grundsätze schwerlich zu bestreiten sein. Das ist im Wesentlichen in der entwickelten Zuordnung von allgemeinem Priestertum und ordinationsgebundenem Amt begründet, die auch hinsichtlich des episkopalen Dienstes ihre Richtigkeit behält. Das Amt übergemeindlicher Aufsicht ist kein bischöfliches Monopol, sondern kann nur in persönlicher, kollegialer und synodaler Weise ausgeübt werden, wobei das synodale Element nach evangelischer Auffassung Mitwirkungsrechte Nichtordinierter einschließt. Kommt dem jeweils von einer Einzelperson repräsentierten Bischofsamt sonach keine episkopale Monopolstellung zu, so bleibt davon die Tatsache unberührt, dass das Luthertum mit einem bischöflichen Episkopenamt durchaus rechnet und von Anbeginn gerechnet hat. Dessen spezifische Besonderheit im Unterschied zum
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Ortsgemeindepfarramt liegt in der Notwendigkeit institutioneller Wahrnehmung des dem Wesen jeder Gottesdienstgemeinde unveräußerlich zugehörenden universalkirchlichen Bezugs in überörtlicher Hinsicht begründet. Seinem Begriff entsprechend ist das Bischofsamt sonach Amt der Aufsicht über die Presbyterien im Sinne des ekklesiologisch geforderten Dienstes an deren Einheit untereinander. Alle kirchlichen Pflichten und Rechte eines Bischofs sind, sofern sie sich von denen eines Pfarrers unterscheiden, von diesem – die spezifische Eigentümlichkeit des episkopalen Amtes bedingenden – Bestimmungsgrund her zu entfalten. Geschieht dies, dann wird u.a. auch der umstrittenen Thematik eines episkopalen Ordinationsvorbehalts derjenige kontextuelle Rahmen zuteil, welcher die Voraussetzung einer einvernehmlichen Lösung traditionell kontroverstheologischer Probleme darstellt. Das trifft nicht zuletzt in Bezug auf das Verhältnis zwischen den Reformationskirchen und der römisch-katholischen Kirche zu. Einer solchen Problemlösung kommt die Tatsache entgegen, dass die genaue Definition des Verhältnisses von Presbyterat und Episkopat eine bis heute noch nicht abschließend geklärte Materie römisch-katholischer Ekklesiologie darstellt; denn dadurch wird das erforderliche Maß an Flexibilität in ökumenisch entscheidenden Fragen eröffnet. Zwar behauptete bereits das Tridentinum unzweifelhaft einen Unterschied zwischen Priestern und Bischöfen in der hierarchischen Ordnung, wobei die episkopale Superiorität namentlich mit der Vollmacht zum Firmen und Weihen in Verbindung gebracht wurde. Doch verzichtete das Konzil bemerkenswerterweise darauf, die Frage nach der Sakramentalität des Episkopats zu entscheiden und den göttlichen Ursprung des bischöflichen Vorrangs zu deklarieren; gesagt wird lediglich, dass die Hierarchie von Priester und Bischof „divina ordinatione“ (DH 1776) bestehe. Im II. Vatikanum konnte es dann allerdings eine Weile so scheinen, als sei das Presbyterat lediglich ein abgeleiteter und beschränkter Modus des Episkopats. Dass dem – vom schließlichen Endergebnis her geurteilt – nicht so ist, wird man gleichwohl sagen dürfen und sagen müssen. Denn so wenig der ordinierte „pastor loci“ bloßer Repräsentant seines Bischofs ist, so wenig hört die zur eucharistischen Gottesdienstgemeinschaft konkret versammelte Gemeinde dadurch auf, Kirche im ekklesiologischen Vollsinn des Begriffs zu sein, dass sie unveräußerlich auf eine überörtliche und transregionale Kircheneinheit bezogen und hingeordnet ist. Was die Thematik von Ordinationskompetenz Porvoo Common Statement und apostolischer Amtsnachfolge betrifft, so soll sie und Meißener Erklärung ihrer zentralen ökumenischen Bedeutung wegen unter Bezugnahme auf zwei offizielle interkonfessionelle Verständigungspapiere kurz erörtert werden. In Betracht kommt zunächst das „Porvoo Common Statement“ zwischen den britischen und irischen anglikanischen sowie den nordischen und baltischen lutherischen Kirchen (= P), sodann die gemeinsame Feststellung der Kirche von England, des Bundes der Evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik und der Evangelischen Kirche in Deutschland, die sog. Meißener Erklärung (= M). Die Gliederung des ordinationsgebundenen Amtes in Diakonat, Presbyterat und bischöflichen Episkopat ist seit altkirchlichen Zeiten
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erkennbar. Vom Konzil von Trient wurde die Dreifachstruktur des Amtes als Resultat einer „göttlichen Anordnung“ (divina ordinatione: DH 1776) gewertet, wobei offen blieb, wodurch sich eine „divina ordinatio“ von einer „divina institutio“ präzise unterscheidet. Im Zweiten Vatikanischen Konzil findet sich die Formulierung, dass die Ämter der Bischöfe, Presbyter und Diakone „seit alters“ (ab antiquo: LG 28) unterschieden seien. Auch das Porvoodokument würdigt die Dreifachgliederung des Amtes als eine altehrwürdige Einrichtung, ohne sie deshalb mit zeitinvarianter Verbindlichkeit zu versehen und ohne durch sie die Einheit und prinzipielle Selbigkeit des ordinationsgebundenen Amtes in Frage stellen zu lassen. „Die verschiedenen Aufgaben des einen Amtes finden ihren Ausdruck in seiner Strukturierung.“ (P 41) Diese Wendung impliziert, dass die Annahme einer spezifischen „Ordination oder Weihe eines Bischofs“, in welcher nach P 47 die Kontinuität in der apostolischen Sukzession ihren zeichenhaften Ausdruck findet, keinen das eine Wesen des ordinationsgebundenen Amtes auflösenden Unterschied begründet. Dies zieht Konsequenzen für das Verständnis der die Kontinuität in der apostolischen Sukzession betreffenden Zeichenhaftigkeit bischöflicher Ordination notwendig nach sich. Entsprechend dieser Konsequenzen muss demnach auch der zumindest in seiner deutschen Version missverständliche Satz gedeutet werden, demzufolge sich in der apostolischen Sukzession im Bischofsamt „auf sichtbare und persönliche Weise die Apostolizität der ganzen Kirche“ (P 46) konzentriert. Ist insoweit Klarheit erreicht, dann ist damit zugleich eine tragfähige Basis geschaffen nicht nur für das Verständnis der Ordination in ihren aktualen Vollzugsgestalten, sondern auch für das Verständnis der Ordinationskompetenz, also der Vollmacht, eine ordentliche, will heißen: ihrem Begriff entsprechende Ordination zu vollziehen. Hinsichtlich der Vollzugsgestalten der Ordination gilt die einheitliche Regel, dass sie unter Handauflegung mit Gebet erfolgt. Die aktuale Differenzierung des Ordinationsvollzugs im Sinne etwa einer Berufung zum Pfarrer oder zum Bischof hebt diese einheitliche Regel nach Maßgabe des Porvoo-Dokuments nicht auf, sondern bestätigt sie und mit ihr die prinzipielle Gleichwertigkeit der diversen Gliederungsformen des ordinationsgebundenen Amtes. Die Annahme einer solchen Gleichwertigkeit schließt zwar, wie gesagt, weder amtliche Unterschiede noch die Möglichkeit aus, diesen Unterschieden den Status einer dem Belieben entzogenen Ordnung zuzuerkennen; sie hält aber dezidiert fest, dass mit einer die bestimmungsgemäße Einheit des „ordo“ auflösenden Stufung von Weihegraden unter evangelischen Bedingungen nicht zu rechnen ist. Würde doch die Behauptung qualitativer Stufungsgrade mit der prinzipiellen Gleichwertigkeit der Gliederungsformen des ordinationsgebundenen Amtes auch die Vollwertigkeit jenes Amtes in Abrede stellen, welches nach evangelischem Verständnis als Prototyp kirchlichen Amtes zu gelten und zwar deshalb zu gelten hat, weil die um Wort und Sakrament konkret versammelte Gottesdienstgemeinde die genuine Gestalt von Kirche darstellt: des episkopalen Ortspfarramtes. Gesetzt aber, das Ortspfarramt ist vollwertiges Amt, dann kann ihm auch die Kompetenz, die zur Vollwertig-
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keit kirchlichen Amtes unveräußerlich hinzugehört, nämlich die Kompetenz kontinuierlicher Selbstreproduktion, will heißen: die Vollmacht, gültig zu ordinieren, nicht prinzipiell bestritten werden. Darauf sowie auf der zeichenhaften Bedeutung gemeindlicher Mitwirkung beim Ordinationsvollzug zu insistieren, dürfte unter lutherischen Bedingungen unverzichtbar zu sein, wenn anders das ordinationsgebundene Amt der aus der Wittenberger Reformation hervorgegangenen Kirchen und die Vollzüge dieses Amtes nicht ins Zwielicht mangelnder oder gar fehlender Gültigkeit gerückt werden sollen. An der grundsätzlichen Möglichkeit presbyteraler Ordination bzw. Sukzession festzuhalten, Die Kompetenz zu ordinieren zwingt indes keineswegs zu leugnen, dass die Ordination zum besonderen Amt der Kirche im Regelfall und unter Wahrung gemeindlicher Mitwirkungsrechte durch Repräsentanten des Amtes übergemeindlicher Aufsicht, also durch Amtsträger bischöflicher Episkopé zu erfolgen hat. Nachgerade im Fall der Berufung ins Amt eines übergemeindlichen Episkopen, mag dieser nun Bischof, Superintendent, Präses oder wie auch immer heißen, dürfte diese Regel einleuchtend sein und das um so mehr, als sie durch CA XXVIII eindeutig gedeckt und nahegelegt ist. Denn der Augustanaartikel „Von der Bischofen Gewalt“ schließt zwar die Möglichkeit sog. presbyteraler Ordinationen nicht aus, sondern legitimiert sie ebenso wie Melanchthons „Tractatus de potestate et primatu Papae“; aber diese Legitimation ist auf eine Ausnahme bezogen, welche die Regel bischöflicher Ordination sowohl für das Pfarramt als auch und gerade für das Amt übergemeindlicher Episkopé nicht aufhebt, sondern ebensosehr bestätigt wie die Tatsache, dass die Ausdifferenzierung des in sich einen ordinationsgebundenen Amtes in das Amt des Gemeindepfarrers und des mit übergemeindlicher Aufsicht beauftragten Bischofs sinnvoll und aus ekklesiologischen Ordnungsgründen geboten ist. Die grundsätzliche Affirmation eines bischöflichen Amtes übergemeindlicher Episkopé, wie sie in der Wittenberger Bekenntnistradition unbeschadet der massiven Kritik an dem – „potestas civilis“ und „potestas ecclesiastica“ nicht hinreichend unterscheidenden, sondern tendenziell vermischenden – Institut der Fürstbischöfe faktisch ist, lässt es aus sachlichen Gründen nahe liegend erscheinen, den episkopalen Dienst an der Einheit, welcher einem Bischof aufgetragen ist, nicht nur als einen in räumlicher, sondern auch als einen in zeitlicher Hinsicht wirksamen vorzustellen. Denn der synchrone und der diachrone Aspekt der Katholizität lassen sich nun einmal nicht trennen. Mit dem bischöflichen Einheitsdienst für den translokalen Beziehungszusammenhang der ihm anvertrauten Gemeinden ist daher aus einsichtigen Gründen auch ein spezifischer Auftrag zu verbinden, für die Kontinuität der Gemeinschaft der Gläubigen und ihres Zeugnisses durch die Zeiten Sorge zu tragen. Von diesem Sachgesichtspunkt her, so scheint es, lässt sich am besten erschließen, was in der Successio apostolica Gemeinsamen Feststellung von Porvoo zur Zei-
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chenhaftigkeit der sog. historischen apostolischen Sukzession im Bischofsamt ausgeführt wird. Offenkundig nämlich ist, dass diese nicht lediglich und nicht in erster Linie in der historisch nachweisbaren bischöflichen Sukzessionskette im Sinne einer ununterbrochenen Folge von Handauflegungen bestehen kann. Denn erstens lässt sich eine solche zu den apostolischen Ursprüngen zurückreichende kontinuierliche Handauflegungsfolge bischöflicher Ordinationen nicht nur nicht verifizieren, sie hat vielmehr als historisch falsifiziert zu gelten. Zum zweiten könnte eine derartige Sukzessionskette selbst für den Fall ihrer Historizität – der, wie gesagt, nicht gegeben ist – die Identität und Kontinuität christlicher Wahrheit durch die Zeiten keinesfalls garantieren. Ist doch die christliche Wahrheit keine lediglich formale, durch Wahrung äußerer Formen bzw. durch Etablierung amtlicher Formalautorität zu gewährleistende Größe, sondern eine inhaltlich bestimmte und daher nur durch inhaltlich bestimmte Kommunikation zu tradierende Größe. Dieser kritische Gesichtspunkt bleibt auch in der Porvoo-Deklaration erhalten, wenn es heißt: „Der Gebrauch des Zeichens der historischen bischöflichen Sukzession allein garantiert nicht (does not by itself guarantee) die Treue einer Kirche gegenüber jedem Aspekt apostolischen Glaubens, Lebens und Sendung. In der Geschichte derjenigen Kirchen, die das Zeichen der historischen Sukzession benutzen, hat es Spaltungen gegeben. Das Zeichen garantiert auch nicht die persönliche Treue des Bischofs. Nichtsdestoweniger bleibt die Beibehaltung des Zeichens eine permanente Aufforderung zu Treue und Einheit, ein Aufruf, die bleibenden Merkmale der Kirche der Apostel zu bezeugen sowie ein Auftrag, sie vollständiger zu verwirklichen.“ (P 51) Letzterer Satz kann nach meinem Urteil unter den vorausgesetzten Rahmenbedingungen problemlos unterschrieben werden, zumal da die gesetzten Grenzmarken seiner Bedeutung wiederholt bekräftigt werden (vgl. bes. P 52f.). Besteht demnach der wesentliche Sinn der sog. historischen Sukzession im Bischofsamt, wie sie durch die – die „Kontinuität mit den Aposteln selbst“ (P 50) intendierende – ordinatorische Handauflegungskette bezeichnet wird, in der Absicht, der Notwendigkeit kirchlicher „Sorge für die Kontinuität der Gesamtheit ihres Lebens und ihrer Mission“ (ebd.) sowie der Verheißung und Verpflichtung ihrer Apostolizität sichtbaren Ausdruck zu verleihen, so ist damit klargestellt, dass das bischöfliche Amt im Dienst der apostolischen Sukzession nichts anderes ist und nichts anderes sein kann als ein Moment „innerhalb der Kontinuität des apostolischen Lebens und der apostolischen Sendung der ganzen Kirche“ (P 46) bzw., wie es an anderer Stelle des Porvoo-Dokuments heißt, im „Kontext der Kontinuität der Verkündigung des Evangeliums Christi sowie der Mission seiner Kirche“ (P 50). Dies gilt in entsprechender Weise für die sog. „successio sedis“, also für jenes Kontinuitätszeichen, welches „durch die Besetzung der historischen Bischofssitze zum Ausdruck kommt“ (P 49). Auch in dieser Gestalt kann die durch den kontinuierlichen Vollzug von ordinatorischen Handauflegungen bezeichnete apostolische Sukzession im Bischofsamt nur ein Moment der für die Gesamtkirche wesentlichen und kennzeichnenden „traditio et successio apostolica“ sein. Besteht hierin
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Einigkeit, dann gibt es für die lutherischen Kirchen m.E. keinen Anlass, das Zeichen der Sukzession im Bischofsamt abzulehnen. Es ist im Gegenteil möglich, die bischöfliche Amtssukzession als ein Zeichen des kirchlichen Auftrags wahrzunehmen, für die Kontinuität der christlichen Wahrheit durch die Zeiten Sorge zu tragen. Zwar gilt dieser Auftrag der Kirche im allgemeinen und im ganzen, aber er ist in besonderer Weise den Ordinierten aufgetragen, unter denen wiederum diejenigen eine spezifische Stellung einnehmen, die mit der bischöflichen Wahrnehmung übergemeindlicher Episkope beauftragt sind. Dabei reduziert sich das verbleibende ökumenische Problem auf die Frage, ob bzw. inwiefern die sog. historische Sukzession im Bischofsamt zur Bedingung der Möglichkeit kirchlicher Einheit erklärt werden kann und erklärt werden darf. Die Frage nach dem Stellenwert der SukzessiAmtssukzession und Kirchenon im Bischofsamt für die Einheit der Kirche einheit führt ins Zentrum der Meißener Erklärung, in deren 16. Artikel es unter Bezug auf frühere Konvergenzdokumente heißt: „Obwohl lutherische, reformierte und unierte Kirchen in zunehmendem Maße bereit sind, die bischöfliche Sukzession ‚als ein Zeichen der Apostolizität des Lebens der ganzen Kirche‘ zu würdigen, meinen sie, daß diese besondere Form der Episkope nicht eine notwendige Bedingung für ‚volle, sichtbare Einheit‘ werden sollte. Das anglikanische Verständnis voller, sichtbarer Einheit schließt den historischen Episkopat und volle Austauschbarkeit der Pfarrer ein. Wegen dieses bleibenden Unterschiedes führt unsere gegenseitige Anerkennung der beiderseitigen Ämter noch nicht zur vollen Austauschbarkeit (interchangeability) der Pfarrer. ‚Aber auch dieser bleibende Unterschied kann im Lichte unserer Übereinstimmungen und Annäherungen nicht als ein Hindernis für engere Gemeinschaft zwischen unseren Kirchen angesehen werden‘.“ (M 16) Welche praktischen Konsequenzen der so umschriebene Vorbehalt für den ausdrücklich vorgesehenen Fall zeitigt, dass gegenseitige Einladungen zum Empfang des Abendmahles in der jeweiligen Partnerkirche ergehen (vgl. M 11) bzw. dass „ein Bischof oder Pfarrer eine Einladung zur Teilnahme an einer Ordination in einer anderen Kirche annimmt“ (M 17 B [7]), lässt sich im Einzelnen der die Gemeinsame Feststellung von Meißen beschließenden Erklärung entnehmen, die am 29. Januar 1991 unterzeichnet worden ist. Von Meißen her geurteilt besteht die fernerhin zu diskutierende Grundfrage im Wesentlichen darin, ob es für die volle, sichtbare Einheit der Kirchen notwendig ist, dass das ordinationsgebundene Amt dreifach strukturiert ist und den historischen Episkopat einschließt: „Ist ohne dreifaches Amt, historischen Episkopat und bischöfliche Sukzession eine volle, sichtbare Einheit unserer Kirchen möglich oder nicht? Wenn sie möglich ist, was begründet dann den Vorbehalt, daß wir ‚ein gemeinsames, in vollem Einklang befindliches Amt‘ noch nicht haben ..., samt allen Folgen, die daraus gezogen werden? Ist sie dagegen nicht möglich, wie kann dann anerkannt werden, daß beide Kirchen das ordinierte Amt haben und auch ordnungsgemäß verwalten? Und was ist in diesem Fall mit der gegliederten Gestalt des dreifachen Amtes und der Ausübung der Episkope durch Bischöfe in historischer
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Sukzession zusätzlich gegeben, was der – unterschiedlich geordneten – Amtsgestalt und Ausübung der Episkope in den evangelischen Kirchen fehlte?“ (Dalferth, 241) Um zu einem einvernehmlichen Lösungsfortschritt in diesen Fragen zu gelangen, ist als erstes ein differenziertes Verständnis des zitierten 16. Paragraphen der Meißener Feststellung erforderlich, der für den weiteren Gang der Dinge auf dem Weg zu sichtbarer Einheit weichenstellend ist: „Beide Seiten würdigen die bischöfliche Sukzession als Zeichen der Apostolizität der ganzen Kirche oder sind doch zunehmend bereit dazu. Keine Seite aber bezeichnet sie als eine notwendige Bedingung für volle, sichtbare Einheit. Von evangelischer Seite wird sie als solche ausdrücklich abgelehnt. Aber auch den Anglikanern wird diese Auffassung nicht zugeschrieben. Es heißt vielmehr vorsichtiger, ihr Verständnis voller, sichtbarer Einheit schließe den historischen Episkopat und die volle Austauschbarkeit der Pfarrer ein. Offen bleibt dabei nicht nur, was dieses ‚einschließen‘ (include) besagt, sondern auch, welches Verhältnis zwischen bischöflicher Sukzession (episcopal succession) und historischem Episkopat (historic episcopate) über das hinaus besteht, daß die erste in besonderer Weise mit der Apostolizität, der zweite dagegen mit der Einheit der Kirche in Zusammenhang gebracht wird. Deutlich dagegen ist, daß die notierte Differenz mit einem unterschiedlichen Verständnis dessen zu tun hat, was volle sichtbare Einheit meint und welche Rolle darin dem historischen Episkopat zugeschrieben wird.“ (Dalferth, 239f.) Auf diesen Problemzusammenhang wird sich die weitere Diskussion vorrangig zu konzentrieren haben. Dies legt sich auch durch die Gemeinsame Feststellung von Porvoo nahe, in der die Meinungsverschiedenheiten über die Bedeutung des historischen Episkopats für die sichtbare Einheit der Kirche ebenfalls nicht restlos behoben werden konnten, wenngleich die in der Erklärung verpflichtend festgeschriebenen kirchengemeinschaftspraktischen Konsequenzen aufgrund unterschiedlicher situativer Vorgegebenheiten oder möglicherweise auch aus anderen – dann freilich erläuterungsbedürftigen! – Gründen weiter reichen als diejenigen von Meißen (vgl. P 58; ferner: 52f.) Bevor die Debatten um die Dokumente von Porvoo und Meißen zum episkopalen Dienst in den Folgeabschnitten in einen größeren ökumenischen Kontext eingereiht werden, sei der Ertrag der im Anschluss insbesondere an CA V, XIV und XXVIII vorgetragenen Überlegungen „De ministerio et ordine ecclesiastico“ unter fünf Aspekten thetisch und in systematisierter Form zusammengefasst: 1. Weil Gottes Geist den seligmachenden RechtAmtstheologisches Summafertigungsglauben nicht unmittelbar, sondern rium durch die Medien des Heils wirkt, ist von ihm das Amt der Evangeliumsverkündigung in Wort und Sakrament eingesetzt worden (CA V,1: „institutum est ministerium docendi evangelii et porrigendi sacramenta“). Zwar sind kraft ihrer Taufe alle Gläubigen gemeinsam dazu bestimmt, von der Rechtfertigung des Sünders aus Gnade um Christi willen durch Glauben Zeugnis zu geben; doch ist die öffentliche Predigt und die Darreichung der Sakramente der Regel nach denen vorbehalten, die ordnungsgemäß dazu berufen, also ordiniert
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sind (CA XIV: „nemo debeat in ecclesia publice docere aut sacramenta administrare nisi rite vocatus“ bzw. rite vocata). Mit den zitierten Wendungen aus CA V und CA XIV ist angezeigt, wie nach evangelischer Lehre das Wesen des kirchlichen Amtes und dessen spezifische Differenz zum gemeinsamen Priestertum aller glaubenden Getauften kritisch und konstruktiv zu begreifen ist. Der Grundsatz lautet, dass das Amt der Kirche seinem besonderen Wesen nach geordneter Öffentlichkeitsdienst an Wort und Sakrament ist. Die reine Verkündigung des Evangeliums und die stiftungsgemäße Verwaltung der Sakramente nach Maßgabe der Hl. Schrift als der kanonischen Urkunde des Glaubens entscheidet sonach über die Rechtmäßigkeit des kirchlichen Amtes und seiner Wahrnehmung, wie es denn auch der Konsensus „de doctrina evangelii et de administratione sacramentorum“ (CA VII,2) ist, der für die Einheit der Kirche als ebenso notwendig wie hinreichend zu gelten hat. Damit ist eine amtstheologische Grenzmarkierung in zweifacher Hinsicht vorgenommen: Als dem Evangelium dienend zugeordnet ist das ordinationsgebundene Amt der Kirche einerseits nur dessen Gehalt und nicht lediglich dazu verpflichtet, den jeweiligen gemeindlichen Mehrheitswillen zu repräsentieren; in diesem Sinne verdankt sich das besondere Amt der Kirche nicht der Delegation der Gemeinde und steht als Institution nicht in gemeindlicher Verfügungsgewalt. Die Bindung des Amtes an das Evangelium bedeutet aber andererseits ebenso, dass amtliche Autorität niemals unterschiedslos mit der evangelischen Botschaft gleichgesetzt werden darf. Das Amt hat seinen Dienst daher stets inhaltlich zu legitimieren und kann ihn sachgemäß niemals rein formalautoritativ wahrnehmen. Die Gemeinde und jedes ihrer Glieder hat infolgedessen nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, den Dienst des kirchlichen Amtes auf der Basis des Schriftwortes auf seine Angemessenheit hin zu überprüfen. 2. Das evangelische Verständnis der unter Gebet und Handauflegung vollzogenen Ordination ist dem in Grundzügen skizzierten Verständnis des ordinationsgebundenen Amtes naturgemäß konform. Dabei ist die entscheidende Frage nicht die einer möglichen Sakramentalität der Ordination. Wenn das Amt nicht zum sazerdotalen Priestertum verkehrt wird, welches Gott durch Opfergaben gnädig zu stimmen sucht, anstatt die göttliche Gnadengabe verbindlich zuzusagen, hätte es nach Urteil der Reformatoren „kein Beschwerung, die Ordination ein Sakrament zu nennen“ (BSLK 293,38f.; AC XIII,11: „Si autem ordo de ministerio verbi intelligatur, non gravatim vocaverimus ordinem sacramentum.“). Ist doch der Allgemeinbegriff des Sakraments, der in den biblischen Schriften kein Funktionsäquivalent hat und in der Dogmengeschichte des Christentums erst relativ spät seine bis heute gebräuchliche Verwendung fand, nach reformatorischem Urteil lediglich ein heuristischer bzw. nachträglich zusammenfassender Hilfsbegriff, der das Verständnis der einzelnen für das Leben der Kirche elementaren Zeichenvollzüge nicht prädominieren darf, so dass schließlich auch das Problem der genauen Zahl der Sakramente als theologisch sekundär zu betrachten ist. Die unter bestimmten Bedingungen konzedierte Anwendung des Sakramentsbegriffs auf die Ordination
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kann indes nach reformatorischer Auffassung keinesfalls die Annahme enthalten, als werde durch das ordinatorische Wirkzeichen der Handauflegung ein gesonderter, die Taufgnade steigernder Gnadenstand begründet. Diese Annahme ist vielmehr ebenso auszuschließen wie der Gedanke einer durch Ordination begründeten Exklusivvollmacht der Christusrepräsentanz bzw. einer Monopolkompetenz authentischer Schriftauslegung und christlicher Wahrheitsvergewisserung. Weit davon entfernt, die Gnadenstandsparität aller Getauften aufzuheben, bestätigt das durch Ordination vermittelte Amt der Kirche nach evangelischem Verständnis vielmehr gerade in seiner Besonderheit die Allgemeinheit des Priestertums aller, insofern der spezifische Dienst des ordinationsgebundenen Amtes darin besteht, durch geordnete Wahrnehmung der Aufgabe öffentlicher Evangeliumsverkündigung Konfusion und Separation zu vermeiden und der Einheit und universalen Sendung aller zu dienen. 3. Nach Maßgabe des ekklesiologischen Zentralartikels der Confessio Augustana ist die Kirche die „congregatio sanctorum, in qua evangelium pure docetur et recte administrantur sacramenta“ (CA VII,2). In dieser Wendung ist zwar der ursprüngliche Sinn der dem Apostolikum eingefügten Formel „communio sanctorum“ zweifellos mitenthalten, derzufolge die Kirche die Gemeinschaft derer ist, die durch Teilhabe an den „sancta“ dazu bestimmt sind, „sancti“ zu sein. Doch akzentuiert der Terminus „congregatio“ nachdrücklich den konkreten Versammlungscharakter der durch Wort und Sakrament vereinten Christenschar. Inbegriff und Vollgestalt der Kirche ist sonach die Ortsgemeinde. Den Prototyp des kirchlichen Amtes stellt entsprechend das Ortspfarramt des „pastor loci“ dar. Da indes die Gemeinschaft des Glaubens ihrer Bestimmung nach die Grenzen des Raumes und der Zeit transzendiert und sonach jede Ortsgemeinde einen universalkirchlichen Bezug wesentlich beinhaltet, hat sich die Reformation der geschichtlichen Notwendigkeit institutionell-amtlicher Wahrnehmungsgestalten übergemeindlicher Episkopé keineswegs verschlossen, wobei der episkopale Dienst als mit dem Auftrag besonderer Sorge um die Identität und Kontinuität christlichen Zeugnisses im Laufe der Zeiten verbunden zu denken ist. CA XXVIII als der umfangreichste Artikel der Confessio Augustana, auf welchen die Gesamtargumentation des Augsburgischen Bekenntnisses von Anbeginn ausgerichtet war, anerkannte daher nicht nur prinzipiell das traditionelle Bischofsamt, sondern erklärte es fernerhin als wünschenswert, die episkopale Ordination als deren Regelfall beizubehalten, auch wenn die Möglichkeit presbyteraler Ordinationen in Ausnahmefällen der Not für nicht nur legitim, sondern für geboten erachtet wurde. Nach wie vor sieht das Ordinationsrecht der meisten aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen die Mitwirkung von Trägern übergemeindlicher Leitungsfunktionen bei Ordinationsfeiern vor. Was das genaue Verhältnis von Presbyteramt und Amt der Episkopen betrifft, so gilt nach CA XXVIII die Maxime, dass deren Unterschied die Einheit des ordinationsgebundenen Amtes nicht auflösen darf. Alle Aufgaben kirchlichen Amtes, welche in der Vollmacht zu öffentlicher Evangeliumsverkündigung in Wort und
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Sakrament enthalten bzw. mitgesetzt sind, sind daher in der differenzierten Einheit von „potestas ordinis“ und „potestas iurisdictionis“ Pfarrern und Bischöfen gemein. Die spezifische Differenz beider bestimmt sich ausschließlich vom geringeren oder größeren Umfang geistlicher Aufsicht und nicht von spirituellen Gradunterschieden hierarchischer Weihestufungen her. Zwar schließt dieser Vorbehalt nicht aus, die Ausbildung übergemeindlicher Leitungsämter für ekklesiologisch erforderlich zu erachten; indes wäre es unreformatorisch, das Pfarramt lediglich als Epiphänomen des Bischofsamtes und den Pfarrer als bloßen Bevollmächtigten des Bischofs zu betrachten. Hinzuzufügen ist, dass in den Reformationskirchen das Bischofsamt von Anfang an nicht die einzige Wahrnehmungsgestalt übergemeindlicher Episkopé darstellte. Während sich in den Kirchen der Wittenberger Reformation synodale Formen der Aufsicht erst verhältnismäßig spät etablierten, war dies in der reformierten Tradition schon frühzeitig der Fall, so differenziert sich die Gestaltung der Kirchenverfassung in den Denominationen im Einzelnen darstellte. Auch was die Verfassung der örtlichen Gemeinde betrifft, zeigen sich Unterschiede nicht nur zwischen lutherischer und reformierter, sondern auch innerhalb der reformierten Tradition: Während namentlich im Züricher Kontext in Übereinstimmung mit Wittenberg nur das eine, „iure divino“ gesetzte ordinationsgebundene Amt der öffentlichen Evangeliumsverkündigung in Wort und Sakrament gelehrt wird, gehen die calvinischen Bekenntnisse in der Regel von drei bzw. vier Ämtern (Pastor, Doktor; Ältester; Diakon) aus, ohne allerdings die innere Einheit des Amtes und die Hinordnung all seiner Funktionen auf das „ministerium docendi evangelii et porrigendi sacramenta“ zu leugnen. 4. Neben der Einheit, Heiligkeit und Katholizität der Kirche bekennt reformatorische Ekklesiologie ebenso entschieden deren Apostolizität. Als Kriterium kirchlicher Apostolizität fungiert dabei die Übereinstimmung mit der apostolischen Lehre, welche in der Hl. Schrift beurkundet und vom Bekenntnis des Glaubens, wie es in den altkirchlichen Symbolen exemplarischen Ausdruck gefunden hat, bezeugt wird. Dabei ist selbstverständlich vorausgesetzt, dass von Zeugnis ohne Zeugen aktuell nicht die Rede sein kann. Als apostolisch kann die Zeugenschaft der Zeugen indes nur dann gelten, wenn sie sich im Kontext des kanonisch vorgeschriebenen und im Namen Jesu konzentrierten „verbum externum“ bewegt und von der Gewissheit getragen ist, dass sich in, mit und unter dem äußeren Buchstaben des Wortes der Schrift, welche situationsgerecht auszulegen kirchlicher Zeugenschaft aufgetragen ist, der Geist des auferstandenen und zur Rechten Gottes erhobenen Gekreuzigten selbst lebendig zu bezeugen vermag. Neben Mandatstreue ist sonach die Verheißungsgewissheit gegebener Selbstbezeugungsfähigkeit des Bezeugten kennzeichnend für die Apostolizität kirchlicher Zeugenschaft. Das gilt auch und gerade unter amtstheologischen Gesichtspunkten. Daher kann das recht verstanden hilfreiche und schätzenswerte Zeichen der apostolischen Amtssukzession, wie es u.a. in der praktizierten Vorstellung einer ununterbrochenen Kette von Handauflegungen im Zusammenhang von episkopalen bzw. presbytera-
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len Ordinationsvollzügen zum Ausdruck kommt, unter evangelischen Bedingungen nicht als eine Garantie für die Identität und Kontinuität apostolischer Wahrheit durch die Zeiten hindurch gewertet werden. Eine solche Wertung kommt nicht nur deshalb nicht in Frage, weil die Annahme einer bis zu den apostolischen Ursprüngen zurückreichenden ununterbrochenen Kette bischöflicher Handauflegungen eine historische Fiktion darstellt. Sie ist auch und vor allem deshalb ausgeschlossen, weil prinzipielle theologische Gründe dagegen sprechen, mit einer Amtsperson oder einer Gruppe von Amtspersonen den förmlich autorisierten Anspruch infallibler Wahrheitsgewährleistungskompetenz zu verbinden. Trifft dies zu, dann darf die sog. historische Amtssukzession einschließlich der „successio sedis“ weder zu einem Konstituens des Kircheseins der Kirche noch zur Bedingung der Möglichkeit von Kirchengemeinschaft erklärt werden, auch wenn sie zum „bene esse“ der Kirche zu rechnen ist. In der Regel wird dies sowohl im Anglikanismus als auch in den sonstigen Reformationskirchen, welche das Zeichen der historischen Amtssukzession bewahrt haben, so gesehen, selbst wenn die Akzentsetzungen im Einzelnen unterschiedlich ausfallen. Auch die römisch-katholische und die orthodoxe Theologie, so denke ich, werden hier nicht grundsätzlich anders urteilen, um den falschen Schein rein formalautoritativer Lösungen abzuwehren. Im Übrigen lässt sich das Thema apostolischer Amtssukzession insgesamt nur im großen Rahmen der Amtstheologie, ja der Ekklesiologie überhaupt erfolgsversprechend verhandeln, wohingegen eine isolierte Behandlungsweise zwangsläufig zu sog. Pipelinetheorien führt, die weder historisch noch sachlich zu halten sind. 5. Hat die Ausdifferenzierung der ordinationsgebundenen Amtes in das des Pfarrers und das des Bischofs nach reformatorischem Urteil als rechtmäßig zu gelten, so kann der Möglichkeit nach auch mit weiteren Gliederungsformen des besonderen Amtes der Kirche gerechnet werden. Das gilt zum einen für das Diakonenamt, selbst wenn der traditionellen Dreigliederung des Amtes der Status einer theologischen Notwendigkeit nicht zuerkannt werden kann und das Diakonat in reformatorischer Tradition häufig aus guten Gründen nicht im Kontext der Theologie des ordinationsgebundenen Amtes zu stehen kommt. Neben weiteren Möglichkeiten differenzierter Ausgestaltung des kirchlichen Amtes, wie sie in einer kaum zu beschreibenden Komplexität tatsächlich statthat, ohne im Einzelnen in den theologisch-ekklesiologischen Begriff eingeholt worden zu sein, hält sich die reformatorische Tradition zum anderen auch hinsichtlich institutioneller Wahrnehmungsformen universalkirchlichen Einheitsdienstes grundsätzlich offen. Eine andere Frage ist es, ob bzw. inwiefern dieser Dienst unter Bezug auf die in der biblischen Geschichte hervorgehobenen Rolle des Kephas als Petrusdienst zu bestimmen ist, eine wieder andere, ob bzw. inwiefern besagter Petrusdienst mit der Stellung des Bischofs von Rom in Verbindung und mit päpstlichen Vollmachtsansprüchen zum Ausgleich gebracht werden kann. Letzterer Aspekt betrifft vor allem die Lehre vom universalen Jurisdiktionsprimat des Papstes sowie das päpstliche Infallibilitätsdogma des I. Vatikanischen Konzils. Diesbezüglich zu theoretischen, auch kirchenrechtlich realisierbaren Annäherungen zu kommen, ist eine zentrale
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interkonfessionelle Verständigungsaufgabe, die aber nur dann erfolgversprechend in Angriff genommen werden kann, wenn die ökumenische Meisterfrage rechter Verhältnisbestimmung von gemeinsamem Priestertum aller Getauften und ordinationsgebundem Amt einer einvernehmlichen Lösung zugeführt wird.
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7. Kritik am Papsttum bei Luther und Melanchthon
Lit.: J. Haustein, Das Papstamt aus der Sicht der Reformatoren, in: W. Fleischmann-Bisten (Hg.), Papstamt – pro und contra. Geschichtliche Entwicklungen und ökumenische Perspektiven, Göttingen 2001, 39–64. – H. Meyer, Das Papsttum bei Luther und in den lutherischen Bekenntnisschriften, in: W. Pannenberg (Hg.), Lehrverurteilungen – kirchentrennend? III. Materialen zur Lehre von den Sakramenten und vom kirchlichen Amt, Freiburg/ Göttingen 1990, 306–328. – G. Müller, Martin Luther und das Papsttum, in: ders., Causa Reformationis. Beiträge zur Reformationsgeschichte und zur Theologie Martin Luthers, Gütersloh 1989, 388–416. – W. Pannenberg, Das Papsttum und die Zukunft der Ökumene. Anmerkungen aus lutherischer Sicht, in: V. v. Aristi u.a., Das Papstamt. Dienst oder Hindernis für die Ökumene? Regensburg 1985, 139–149.
„Meine Kinder, es ist die letzte Stunde. Ihr habt gehört, daß der Antichrist kommt, und jetzt sind viele Antichriste gekommen. Daran erkennen wir, daß es die letzte Stunde ist.“ (1. Joh 2,18) Mit diesen eindringlichen Worten klagt der Schreiber des 1. Johannesbriefes gegenüber seinen Adressaten das Auftreten von Häretikern an, die aus der Mitte der christlichen Gemeinde gekommen seien, um in der ihnen eigenen Verlogenheit deren Innerstes zu verkehren. „Wer ist der Lügner – wenn nicht der, der leugnet, daß Jesus der Christus ist? Das ist der Antichrist: wer den Vater und den Sohn leugnet. Wer leugnet, daß Jesus der Sohn ist, hat auch den Vater nicht ...“ (1. Joh 2,18.19a) „Und jeder Geist, der Jesus nicht bekennt, ist nicht aus Gott. Das ist der Geist Antichrists, über den ihr gehört habt, daß er kommt. Jetzt ist er schon in der Welt.“ (1. Joh 4,3; vgl. ferner 2. Joh 7) Die Vorstellung eines Antimessias bzw. Gegengesalbten begegnet bereits in der jüdisch-apokalyptischen Tradition und ist in der neutestamentlichen Überlieferung wiederholt rezipiert worden. Explizit begegnet die Vokabel Antichrist im Neuen Testament zwar nur in den beiden Johannesbriefen, wo sie, wie erwähnt, einen Menschen bezeichnet, der falsche Lehren über Christus verbreitet, indem er Jesu Messianität und Leiblichkeit leugnet. Der Sache nach ist die Antichristvorstellung aber auch in anderen Kontexten präsent, also im Zusammenhang etwa der Annahme einer satanischen Antitrinität in der Johannesapokalypse. Wo der Antichrist sein Unwesen treibt, da droht der christliche Glaube seines heilsamen Grundes beraubt zu werden, um dem bodenlosen Abgrund des Unglaubens und der Gottlosigkeit der Hölle zu verfallen. Indes wird der wahre Christus zuletzt über die Mächte der Finsternis triumphieren und den Teufel samt dem teuflischen Antichristen zugrunderichten. Die „Antichrist“-Vorstellung
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In der Alten Kirche und im Mittelalter wurde die Antichrist-Vorstellung vielfach rezipiert, um schließlich durch die Reformation und insbesondere durch Luther entscheidend modifiziert zu werden. In der Regel wird die Originalität von dessen Antichristbegriff damit begründet, dass dieser im Unterschied zum mittelalterlichen nicht einen einzelnen Menschen, sondern eine Institution, nämlich das Papsttum bezeichnet, wobei die Antichristlichkeit des Papsttums niemals mit Person und Leben der Päpste, sondern mit deren Lehre und Amt begründet wird. Antichristlich ist das Papsttum deshalb, weil es gleichsam von Amts wegen und unter lehramtlicher Berufung auf Christus dessen Evangelium verkehrt und damit als Inbegriff der Häresie offenbar ist, wobei Luther die eschatologische Dimension päpstlicher Ketzerei betont hervorhebt. Manifest wird das päpstliche Antichristentum in einer doppelten Tyrannis, zum einen in der bewussten Verwechslung geistlicher und weltlicher Vollmacht und in dem entschiedenen Anspruch, mit Zwangsmitteln die geistliche Herrschaft zu üben, zum zweiten durch die Anmaßung, alleiniger Herr und Richter des göttlichen Wortes zu sein, wie es in der Schrift beurkundet ist. Identifizierte Luther das Papsttum anfangs nur Luthers Papstkritik in den konditional mit dem Antichristen, so steht ihm Schmalkaldischen Artikeln diese Identität seit Mitte der 20er Jahre des 16. Jahrhunderts affirmativ und definitiv fest. Als Beleg werden neben den genannten Stellen aus den Johannesbriefen Dan 8, Mt 24, 2. Thess 2, 2. Tim 4 und 2. Petrus 2 herangezogen, wobei 2. Thess 2,4, demzufolge der Antichrist im Tempel Gottes sitzt, als der „locus classicus“ für die Gleichsetzung von Papsttum und Antichrist zu gelten hat. Unter Berufung hierauf lässt Luther – um nur einen zur Bekenntnisschrift avancierten Text von ihm zu zitieren – in seinen Schmalkaldischen Artikeln (II,4) testamentarisch verlauten, dass der Papst „der rechte Endechrist oder Widerchrist sei, der sich uber und wider Christum gesetzt und erhohet, weil er will die Christen nicht lassen selig sein ohn seine Gewalt, welche doch nichts ist, von Gott nicht geordent noch geboten“ (BSLK 430,14–18). Die Herrschaft des Papstes sei damit schlimmer als die von Türken und Tataren. Denn so große Feinde der Christen diese auch sind, so verlangen sie doch nur leiblichen Zins und Gehorsam und geben den Glauben frei, während der Papst nicht glauben lassen will, „sondern spricht, man solle ihm gehorsam sein, so werde man selig.“ Dies – so der Reformator – „wolln wir nicht tun oder druber sterbn in Gottes Namen.“ (BSLK 431,6f.) Zur näheren Begründung dieses Verdikts greift Das Papstamt als Ordnung Luther auf seinen bereits frühzeitig feststehenden nicht göttlichen, sondern Grundsatz zurück, „daß das Papsttum nicht gött- menschlichen Rechts lichen, sondern menschlichen Rechts sei“ (Müller, 394). Alle Einzelkritik am Papsttum sei dadurch verursacht, „daß er jure divino der Oberst hat sollen heißen uber die christ[en]liche Kirche. Darumb hat er sich mussen Christo gleich und uber Christum setzen, sich das Häupt, hernach einen Herren der Kirchen, zuletzt auch der ganzen Welt und schlecht (= geradezu) einen irdischen Gott ruhmen lassen, bis er auch den Engeln im Himmelreich zu gebieten
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sich unterstund.“ (BSLK 431,8–13) Ferner wird festgestellt, dass die Lehrautorität des Papstes nicht auf der Hl. Schrift gründet und am ehesten, wie die päpstlichen Dekretalien bezeugen, mit dem römischen Recht und dem weltlichen Prozess- und Gerichtswesen in Verbindung zu bringen ist. „Darnach lehret sie Zeremonien von Kirchen, Kleidern, Speisen, Personen und des Kinderspiels, Larven- und Narrenwerks ohn Maße, aber in diesem allen garnichts von Christo, Glauben und Gotts Gepoten.“ (BSLK 432,1–4) Luther kommt unter Verweis auf seine einschlägigen Bücher zu dem Schluss, dass die päpstliche Lehre (mitsamt den Lügen über Messen, Fegfeuer und Klosterwesen) des Teufels, das Papsttum „uber und wider Gott“ (BSLK 432,7) und für die Christenheit eine tödliche leib- und seeleverderbende Plage, der Papst aber als der rechte Antichrist und Apostel des Teufels so wenig als Haupt und Herr der Kirche zu ertragen sei wie der Teufel als Herr oder Gott Anbetung verdiene. Damit scheint dem Papsttum generell und prinzipiell der Abschied gegeben und jeder Möglichkeit einer bedingungsweisen reformatorischen Anerkennung des päpstlichen Amtes die theologische Basis entzogen zu sein. Zutreffend an dieser Annahme ist, dass Luther ein göttliche Rechtsstellung beanspruchendes Papsttum ebenso grundsätzlich wie kompromisslos ablehnt; dass der Papst „jure divino der Oberst hat sollen heißen uber die christlichen Kirchen“, wird ausdrücklich als ekklesiologischer Grundschaden namhaft gemacht, der unter reformatorischen Bedingungen unbedingt abzuwehren sei, da durch ihn Heilswerk und Herrschaft Christi unterminiert würden. Ist mit dieser Kritik jeder denkbaren Form päpstlichen Amtes eine theologische Absage erteilt? Einige Passagen in ASm II,4 erwecken diesen Eindruck. Es hat den Anschein, als bekämpfe Luther nicht nur ein den Unterschied seiner selbst zu Christus einziehendes und damit zur Selbstvergottung tendierendes Papsttum, sondern wende sich darüber hinaus auch gegen eine solche Gestalt päpstlichen Amtes, das eine episkopale Vorrangstellung in der Christenheit lediglich „iure humano“ beansprucht. In diese Richtung weist bereits die Bemerkung, „daß die heilige Kirche ohn Bapst gewest zum wenigsten uber funfhundert Jahren und bis auf diesen Tag die griechisch und viel anderer Sprachen Kirchen noch nie unter dem Bapst gewest und noch nicht sind“ (BSLK 428,20– 23). Luther nimmt diese historische Tatsache als Beleg, dass die Christenheit auch ohne Papstamt existieren könne, das Papstamt ekklesiologisch mithin nicht unentbehrlich sei. Indes begnügt er sich nicht mit der Feststellung, dass „die heilige, christliche Kirche ohn solch Häupt wohl bleiben kann“, er fügt vielmehr ausdrücklich hinzu, dass sie, die Kirche, „wohl besser blieben wäre, wo solch Häupt durch den Teufel nicht aufgeworfen wäre“. Daraus wird die Schlussfolgerung gezogen: „und ist auch das Bapsttum kein Nutz in der Kirchen; denn es ubet kein christlich Ampt, und muß also die Kirche bleiben und bestehen ohn den Bapst.“ (BSLK 429,1–7) Zur näheren Ausführung konstruiert Luther den nach seiner historischen Meinung rein fiktiven, weil mit dem realexistenten Papsttum und seinem Selbstverständnis völlig unvereinbaren Fall, der Bischof von Rom verzichte auf den die fak-
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tischen Machtverhältnisse der Kirche begründenden Anspruch, dass er „jure divino oder aus Gottes Gebot der Oberst wäre“, und lasse sich als ein von Menschen zu wählendes und gegebenenfalls abzusetzendes Haupt begreifen, dessen Amt in der Funktion bestehe, „die Einigkeit der Christenheit wider die Rotten und Ketzerei deste baß“, wie es heißt, also: um so besser zu erhalten. Selbst für diesen Fall wäre nach Luthers Urteil „der Christenheit nichts geholfen, und wurden viel mehr Rotten werden denn zuvor; denn weil man solchem Häupt nicht mußte untertan sein aus Gottes Befehl, sondern aus menschlichem guten Willen, wurde es gar leichtlich und bald veracht, zuletzt kein Gelied behalten, mußte auch nicht immerdar zu Rom oder anderm Ort sein, sondern wo und in welcher Kirchen Gott einen solchen Mann hätte gegeben, der tuchtig dazu wäre. O das wollt’ ein weitläuftig, wust Wesen werden“. (BSLK 429,8–430,4) Welchen theologischen Status hat diese Aussage? Handelt es sich dabei um ein mit der Absage an den göttlichen Rechtsanspruch des Papsttums vergleichbares Prinzipienurteil oder um ein gewissermaßen historisches Erfahrungsurteil, das gegen mögliche Fortentwicklung und Revision nicht definitiv verschlossen ist? Hält man sich an den Gesamtduktus von Luthers Argumentation, so kann entgegen nahe liegender Vermutungen nur Letzteres zutreffen. In ihrer uneingeschränkten Generalität ist seine Absage an das Papsttum, wie die Schmalkaldischen Artikel sie formulieren, kein reines Prinzipienurteil, sondern, was die Ablehnung eines „iure humano“ begründeten päpstlichen Amtes betrifft, ein aufgrund gegebener Erfahrungen getroffenes Urteil, das zwar prinzipielle Implikate enthält, sofern das Papsttum als ein unter keinen Umständen „iure divino“ zu bestimmendes Institut der menschlichen Erfahrungswelt nicht transhistorisch vorgegeben ist, sondern konsequent an der historischen Erfahrungswelt des Menschen sich auszuweisen hat und sonach gegen eine empirische Falsifikation nicht grundsätzlich immun ist. Nichtsdestoweniger schließt Luthers kritische Beurteilung eines „iure humano“ konstituierten Papstinstituts die Möglichkeit andersartiger und nachgerade auch neuer Erfahrungen mit diesem Institut nicht grundsätzlich und damit für jede denkbare Zukunft aus. Gegen ein Papsttum, das der Einigkeit der Christenheit gegen Abspaltung und Ketzerei nach menschlichem Ermessen und d.h. in einer menschlicher Prüfung nicht entzogenen Weise faktisch und historisch erfolgreich dient, hätte auch Luther nichts einzuwenden gehabt und nichts einzuwenden. Diese Feststellung, die um der inneren StimAntipapalistischer Konziliamigkeit von Luthers Argumentation willen zwinrismus gend ist, ändert freilich nichts daran, dass der Verfasser der Schmalkaldischen Artikel vom Papsttum seiner Zeit aktuell und für die von ihm überschaubare Zukunft schlechterdings nichts mehr erwartet. Er plädiert infolgedessen aus ekklesiologisch-praktischen Gründen für die konsequente Aufgabe des monarchischen Prinzips der Kirchenleitung im Sinne der Oberhoheit einer einzelnen irdischen Person in der Kirche und erklärt deren kollegiale Führung durch die Bischöfe unter dem einen Haupt Christus für das faktisch Beste.
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Dabei wird eigens betont, dass die Bischöfe wohl gemäß ihren Begabungen verschieden, ihrem Amt nach aber alle gleichgestellt seien; worauf es ankomme, sei ihr paritätischer Zusammenhalt „in einträchtiger Lehre, Glauben [und], Sakramenten, Gebeten und Werken der Liebe etc.“ (BSLK 430,8–10). Am Beispiel der von Hieronymus geschilderten Verhältnisse in Alexandria wird dies geschichtlich exemplifiziert (vgl. BSLK 430, Anm. 5). Im Sinne dieses Plädoyers kann man den Reformator mit guten Gründen einen antipapalistischen Konziliaristen nennen und das um so mehr, als auch anderweitige Äußerungen Luther als einen Befürworter konziliarer Ideen ausweisen, der seine Annahme, die kirchliche Versammlung der Bischöfe sei in Glaubensfragen dem Papst an Entscheidungsvollmacht überlegen, gelegentlich mit Hinweisen auf das Konstanzer Superioritätsdekret verbinden konnte. Doch charakterisieren die Bezüge auf Konstanzer und Baseler Konzilsentscheidungen Luther nicht eigentlich als einen prinzipiellen Konziliaristen, sofern nach ihm auch Konzilien irren können und mithin ebenso wenig wie der Papst ein Monopol auf die authentische Auslegung des göttlichen Wortes haben, dessen Autorität sie vielmehr beständig und in einer der Prüfung zugänglichen Weise unterstehen. Die Superiorität des Konzils über den Papst, die Luther namentlich im Zusammenhang seiner Konzilsappellationen als gegeben voraussetzt, bleibt somit theologisch gesehen eine relative und – wie der zu Zeiten und unter bestimmten Bedingungen zugestandene Ehrenvorrang des Bischofs von Rom unter den Bischöfen – eine Angelegenheit menschlichen Rechts. Von daher darf der Unterschied zwischen konziliarer und monarchischer bzw. noch einmal anders geprägter transregional-ökumenischer Kirchenleitungsform im Sinne Luthers gerade nicht zu einem Prinzipiengegensatz zwischen Konziliarismus und Papalismus usf. stilisiert werden. Es hat vielmehr unter reformatorischen Bedingungen als Kennzeichen theologischer Güte einer Ekklesiologie zu gelten, wenn sie dazu dient, dem nötigen Bemühen um die rechte Verfassung der Kirche keine heilsentscheidende Bedeutung beizumessen, sondern diesem Bemühen unbeschadet seiner Unentbehrlichkeit den Charakter eines Werkes zu geben, das endliche Handlungsziele verfolgt und demnach historisch entwicklungs- und revisionsfähig ist. Ohne sich dem Verdacht unstatthafter Harmonisierung auszusetzen, kann und muss infolgedessen auch gesagt werden, dass der bekannte Zusatz, mit dem Melanchthon seine Unterschrift unter die Schmalkaldischen Artikel bezüglich der Papstfrage versah, den Rahmen reformatorischer Ekklesiologie nicht nur nicht sprengt, sondern auf seine Weise bekräftigt. Zeichnet sich doch reformatorische Ekklesiologie auch und gerade im Sinne Luthers speziell dadurch aus, dass sie historische Urteilsdifferenzen kirchenverfassungstheoretischer und -praktischer Art nicht unterdrückt, sondern freisetzt und diskutabel gestaltet. Möglich ist dies freilich nur unter der Voraussetzung, dass der ekklesiologische Grundsatz unaufhebbarer Unterschiedenheit und Unterscheidbarkeit des einen Herrn der Kirche von jedem nur denkbaren menschlichen Kirchenleitungsorgan prinzipiell festge-
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halten wird. Das aber ist in dem erwähnten Zusatz Melanchthons eindeutig der Fall, weshalb sein Sondervotum nicht als Beleg einer Grundsatzdifferenz, sondern einer Differenz der historischen Urteilsbildung zu qualifizieren ist. Bestätigt wird diese Annahme durch die ausMelanchthons Papstkritik im führlichen Darlegungen im „Tractatus de potes- „Tractatus“ tate et primatu papae“, dessen erster Teil der im Titel apostrophierten Papstfrage gewidmet ist, während ein zweiter Teil von der Gewalt und Gerichtsbarkeit der Bischöfe handelt. Im Gegensatz zu den üblichen rhetorischen Geflogenheiten kommt Melanchthon ohne alle Umschweife zur Sache. Sogleich und mit Nachdruck wendet er sich gegen die Anmaßung des römischen Bischofs, kraft göttlichen Rechts sowohl erstens über allen Bischöfen und Pfarrern („supra omnes episcopos et pastores“) zu stehen, als auch zweitens beide Schwerter („utrumque gladium“) innezuhaben. Abgewiesen wird ferner die Behauptung des die irdische Stellvertreterschaft Christi („vicarius Christi in terris“) beanspruchenden Papstes, die geltend gemachten Punkte seien heilsnotwendig („de necessitate salutis“) zu glauben. „Hos tres articulos sentimus et profitemur falsos, impios, tyrannicos et perniciosos ecclesiae esse.“ (Tr 4) Die Gründe für dieses Verdikt werden zunächst im Blick auf den ersten Anspruch des Papstes entfaltet (Tr 5–30), nämlich als Universalbischof („episcopus universalis“) oder sog. ökumenischer Bischof („episcopus oecumenicus“) dergestalt hervorzuragen, dass von ihm alle Bischöfe und Pfarrer auf der ganzen Welt die Ordination und Bestätigung („ordinatio et confirmatio“) erbitten müssen, während er das Recht hat, alle Bischöfe zu wählen, zu ordinieren, zu bestätigen und abzusetzen („jus eligendi, ordinandi, confirmandi, deponendi“); kritisiert wird in diesem Zusammenhang auch der Anspruch des Papstes, Gesetze über den Gottesdienst, die Änderung der Sakramente und über die Lehre („leges de cultibus, de mutatione sacramentorum, de doctrina“) in göttlicher Autoritätsvollmacht („quia tribuit sibi potestatem jure divino“) erlassen zu können, so dass seine Artikel, Dekrete und Gesetze für heilsnotwendige Glaubensartikel und für gewissensverpflichtende Gottesgebote (Tr 6: „Imo etiam vult anteferri mandatis Dei.“) zu halten seien. Elf Unterpunkte umfasst der einschlägige Historische und prinzipielle Argumentationsgang Melanchthons, wobei zuGründe gegen den päpstnächst aus dem Evangelium gezeigt wird (Tr 7– lichen Primat 11), „quod Romanus episcopus non sit jure divino supra alios episcopos aut pastores“ (Tr 7), und sodann historische Belege gegen den päpstlichen Primat vorgebracht werden (Tr 12–21). Im Einzelnen gilt Folgendes: (1.) Aus Lk 22, 24–27 geht nach Melanchthon klar hervor, dass Christus eine Vorherrschaft unter den Aposteln („dominatio inter apostolos“) verbiete. Ausdrücklich werde gelehrt, dass unter den Aposteln weder Herrschaft noch Vorrang („superioritas“) sein solle, sondern dass sie als Gleiche zum gemeinsamen Dienst am Evangelium („tanquam pares ad commune ministerium evangelii“) zu entsenden seien. Dieselbe Lehre findet sich auch Mt 18, 1–4.
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(2.) Ferner bestätige Joh 20,21, dass Christus die Apostel in gleicher Weise und ohne Unterschied (Tr 9: „pariter ... sine discrimine“) ausgesandt habe. (3.) In Gal 2,2 u. 6 hinwiederum bekräftige Paulus, dass er von Petrus weder ordiniert, noch in seinem Dienst bestätigt worden sei; auch lehne er die Notwendigkeit einer solchen Bestätigung dezidiert ab, da seine Berufung („vocatio“) nicht von der Autorität des Petrus abhängig sei. Es ist daher nach Melanchthon paulinische Lehre, dass die Vollmacht des Amtes („auctoritas ministerii“) vom Wort Gottes abhänge und Petrus keinen Vorrang unter den Aposteln habe. (4.) Entsprechend stelle Paulus nach 1. Kor 3, 4–8 u. 22 (vgl. auch 1. Kor 12, 5) alle Diener der Kirche gleich („exaequat ministros“) und lehre, dass die Kirche über ihren Dienern stehe. Ein Vorrang oder eine Oberhoheit Petri über die Kirche oder die übrigen Diener der Kirche sei damit ausgeschlossen; weder gelte irgendjemandes Autorität mehr als das Wort, noch dürfe die Autorität des Petrus der der anderen Apostel gegenübergestellt werden. Es gebe nach Paulus keinen „superior apostolus“ (Tr 11; vgl. auch den Verweis auf 1. Petr. 5, 3). (5.) Unterstützt wird das Schriftzeugnis nach Melanchthon durch eine Reihe von kirchenhistorischen Belegen. So spreche die Anordnung des Konzils von Nizäa aus dem Jahr 325 (Can. 6; vgl. BSLK 474 Anm. 3), wonach der Bischof von Alexandria die Kirchen im Osten, der Bischof von Rom diejenigen des Westens verwalte, eindeutig gegen die Annahme einer Oberhoheit des römischen Bischofs kraft göttlichen Rechts, weil in diesem Fall das Konzil nicht befugt gewesen wäre, ihm irgendein Recht zu entziehen und es dem Bischof von Alexandria zu übertragen. (6.) Dass die Kirchen der damaligen Zeit dem römischen Bischof eine Oberhoheit nicht zugestanden hätten, gehe auch aus der Tatsache hervor, dass im Großteil der Welt weder die Ordination der Bischöfe noch deren Bestätigung vom römischen Bischof erbeten worden sei. Vielmehr habe das Konzil von Nizäa verordnet, „ut episcopi eligerentur a suis ecclesiis praesente aliquo vicino episcopo aut pluribus“ (Tr 13; vgl. BSLK 475 Anm. 1). Dass dieselbe Ordnung auch im Westen und in den lateinischen Kirchen bewahrt worden sei, werde durch Cyprian und Augustin (vgl. TR 14) bezeugt. (7.) Im Übrigen sei die vom Papst beanspruchte Oberhoheit schlicht unmöglich, da ein einziger Bischof nicht Aufseher („inspector“) der über den ganzen Erdkreis verstreuten Kirchen zu sein vermöge und Kirchen in abgelegenen Gebieten („ecclesiae in ultimis terris sitae“) Ordination und Amtsbestätigung nicht „ab uno“ einholen könnten. „Itaque superioritas illa cum sit imposibilis et (non) numquam in usu fuerit nec agnoverint eam ecclesiae in maxima parte orbis, satis apparet non institutam esse.“ (Tr 16) (8.) Ein weiterer Beweis gegen den Primat des römischen Bischofs ist nach Melanchthon mit der Tatsache gegeben, dass viele alte Konzilien ausgeschrieben und gehalten wurden, in denen der römische Bischof nicht den Vorsitz geführt habe. Sodann wird (9.) Hieronymus als Zeuge gegen den päpstlichen Primatsanspruch zitiert. Außerdem (10.) habe Gregor der Große dem Patriarchen von Alexandria verboten, ihn Universalbischof zu nennen, und gesagt, dass der im Konzil
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von Chalcedon dem römischen Bischof angebotene Primat von diesem nicht angenommen worden sei (vgl. TR 19). Schließlich (11.) wird gefragt, wie der Papst kraft göttlichen Rechts Oberherr der ganzen Kirche sein könne, da doch die Kirche das Wahlrecht habe und die kaiserliche Bestätigung der römischen Bischöfe allmählich Sitte geworden sei. Ferner wird an das Primatsdekret von Kaiser Phokas (vgl. TR 21) anlässlich des Streits zwischen dem Bischof von Rom und dem von Konstantinopel erinnert, welches – wie der gesamte Streit – nicht nötig gewesen wäre, wenn die Alte Kirche den Primat des römischen Bischofs ohne weiteres anerkannt hätte. Sind damit die Gründe entfaltet, die dem päpstlichen Anspruch apostolischer Superiorität Zum biblischen Befund entgegenstehen, so verbleibt noch die Auseinandersetzung mit einigen Schriftstellen, die diesen Anspruch zu unterstützen scheinen, wie Mt 16, 18f. und Joh 21, 17. Unter Verweis auf ausführliche reformatorische Stellungnahmen zu dieser Frage (vgl. BSLK 478 Anm. 3) macht Melanchthon in gebotener Kürze deutlich, dass in allen diesen Sprüchen Petrus die Funktion eines die Gesamtheit der Apostel integrierenden Kollektivsubjekts einnehme (Tr 23 mit Verweis auf Mt 16, 15: „in omnibus illis dictis Petrus sustinet personam communem totius coetus apostolorum ...“) Ein persönliches Vorrecht sei daher nicht aus ihnen ableitbar. Analog beziehe sich das Amt der Schlüssel grundsätzlich und unmittelbar auf die Kirche insgesamt (vgl. Mt 18, 20) und nicht auf einen Einzelnen; der Gesamtkirche komme daher auch grundsätzlich das Berufungsrecht („jus vocationis“) zu. Was näherhin Mt 16, 18 betreffe, so meint die Wendung „super hanc Petram“ nach Melanchthon nicht die Autorität eines Menschen, sondern das Amt des Bekenntnisses, das „ministerium professionis illius, quam Petrus fecerat, in qua praedicat Jesum esse Christum, filium Dei“ (Tr 25). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der Hinweis, dass der Verkündigungsdienst des Neuen Testaments nicht wie der Dienst der Leviten an Orte und Personen gebunden, sondern über den ganzen Erdkreis verbreitet und überall dort sei, wo Gott seine Gaben gebe: Apostel, Propheten, Hirten und Lehrer. „Nec valet illud ministerium propter ullius personae autoritatem, sed propter verbum a Christo traditum.“ (Tr 26f.) Bestätigt findet Melanchthon diese Auslegung von Mt 16, 18 bei Origines, Ambrosius, Cyprian, Beda Venerabilis sowie auch bei Chrysostomos und Hilarius, die beide ausführlich zitiert werden. Kann sonach von einer nur Petrus eigenen kirchlichen Oberhoheit nicht die Rede sein, weil Christus die pastorale Aufgabe, das Wort zu vermitteln und die Kirche durch das Wort zu leiten („docere verbum seu ecclesiam verbo regere“), allen Aposteln gemeinsam zugeteilt hat, so darf der erste der erwähnten päpstlichen Vollmachtsansprüche, nämlich über allen Bischöfen zu stehen, als widerlegt gelten. Noch leichter zu durchschauen und zu überwinden ist nach Melanchthon der zweite, nämlich der Anspruch auf beide Gewalten (vgl. Tr 31–37). Denn unzweifelhaft sei, dass Christus den Aposteln nur die „potestas spiritualis“ („hoc est mandatum docendi evangelii, annuntiandi remissionem peccatorum, administ-
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randi sacramenta, excommunicandi impios sine vi corporalis“), nicht aber die „potestas gladii“ oder das „ius constituendi, occupandi aut conferendi regna mundi“ gegeben habe (Tr 31). Biblisch belegt wird dies neben Mt 28, 19f., Joh 20, 21, Joh 18, 36, 2. Kor 1, 24 u. 10, 4 am Beispiel des zum Spott mit Dornen gekrönten und mit Purpur bekleideten Christus (Tr 32). Die Behauptung, dass der Papst Herr der weltlichen Reiche kraft göttlichen Rechts sei, wie sie in der Bulle „Unam sanctam“ (vgl. DH 873; BSLK 481, Anm. 6) und im Decretum Gratiani (P.I D. 22 c.1; BSLK 481, Anm. 7) aufgestellt worden sei, habe deshalb als falsch und gottlos zu gelten. Ihre schlimmen historischen Folgen (Tr 37: „magnae pestes ecclesiae“) werden von Melanchthon Tr 34ff. eindringlich geschildert mit dem Ergebnis: „Nec tantum in hac re factum ipsum reprehendendum est, quantum illud detestandum, quod praetexit (sc. papa) autoritatem Christi, quod claves ad regnum mundanum transfert, quod salutem alligat ad has impias et nefarias opiniones, cum ait de necessitate salutis esse, ut credant homines jure divino papae hanc dominationem competere.“ (Tr 36) Zum dritten geltend gemachten Gesichtspunkt, dass nämlich die erwähnten päpstlichen Vollmachtsansprüche als heilsnotwendig zu glauben seien, gibt Melanchthon zu bedenken, dass man Päpsten, welche gottlose Gottesdienste, Götzendienst und eine evangeliumswidrige Lehre verfechten, selbst unter der Voraussetzung keinen Gehorsam schulde, der römische Bischof hätte Primat und Oberhoheit tatsächlich kraft göttlichen Rechts inne: „Imo tales pontifices et tale regnum haberi debent tanquam anatema.“ (Tr 38 mit Verweis auf Gal 1, 8) Dass man einem häretischen Papst nicht gehorchen dürfe, belege nicht nur die Schrift, es gehe dies auch aus den kirchlichen Bestimmungen (vgl. BSLK 483, Anm. 5) klar hervor. Nun sei aber bekannt, dass die römischen Päpste mit ihrem Anhang eine gottlose Lehre und gottlose Gottesdienste verfechten; deshalb sei ihnen der Gehorsam konsequent zu entziehen. Um die gewissermaßen eschatologische DringDer Papst als Antichrist lichkeit dieser Forderung einzuschärfen, hat sich neben Luther auch Melanchthon nicht gescheut, das Reich des Papstes und seiner Glieder mit dem Antichristen zu vergleichen. Die Kennzeichen, mit denen Paulus 2. Thess. 2,3f. den Antichristen beschreibt, findet der Praeceptor Germaniae im Papsttum seiner Zeit wieder: der Papst regiere die Kirche unter dem Schein kirchlicher Amtsvollmacht, die er durch unstatthafte Berufung auf Mt 16, 19 beanspruche; seine Lehre widerspreche vielfach dem Evangelium; ferner maße er sich auf dreifache Weise göttliche Autorität an: erstens nehme er sich das Recht heraus, die Lehre Christi und die von Gott gestifteten Gottesdienste zu ändern, um für seine Gottesdienste gleichsam göttliche Verehrung einzuverlangen; zweitens reklamiere er die Binde- und Lösevollmacht nicht nur für dieses Leben, sondern auch für das jenseitige Leben der Seelen für sich; drittens wolle er weder von der Kirche noch von irgendjemand beurteilt werden, vielmehr ziehe er seine Autorität dem Urteil der Konzilien und der ganzen Kirche vor. (Tr 40: „Hoc autem est se Deum facere nolle ab ecclesia aut ab ullo judicari“).
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Weil er solche antichristlichen Kennzeichen im Papsttum seiner Zeit als gegeben und mit großer Grausamkeit verteidigt ansieht, müssen sich nach Melanchthons Urteil alle Christen davor hüten, durch Teilhabe an den vorhandenen Missständen mitschuldig zu werden. „Ideo papam cum suis membris tanquam regnum Antichristi deserere et exsecrari debent.“ (Tr 41 unter Verweis auf Mt 7, 15, Tit 3, 10 und 2. Kor. 6, 14) Zwar sei es schwer, sich aus der Gemeinschaft mit einer solch großen Anzahl von Menschen zu lösen und daraufhin Schismatiker genannt zu werden; doch handle es sich dabei um den Gehorsam gegenüber einem göttlichen Befehl, der die Gewissen hinreichend entschuldige und Trost biete „adversus omnia convicia, quae de scandalis, de schismatae, de discordia objici solent“ (Tr 58). Im Folgenden werden sodann offenkundige und von der Schrift für antichristlich erklärte Irrtümer des päpstlichen Reiches der Reihe nach aufgelistet, nämlich die Entweihung der Messen und deren Folgelaster (Tr 43), die entstellte Buß- und Beichtlehre (Tr 44f.), der Ablasshandel (Tr 46), die Missbräuche der Heiligenanrufung (Tr 47), die Schändlichkeiten im Zusammenhang von Zölibatsvorschriften und Mönchsgelübden samt der Fehleinschätzung von Menschensatzungen (Tr 48). Eigens hervorgehoben werden noch zwei besonders schwerwiegende Sünden („ingentia peccata“), die in der doppelten Tyrannei des Papstes bestehen, nämlich seine Irrtümer mit mörderischer Gewalt zu verteidigen und keinen Richter über sich zu dulden, wie er denn auch keine ordnungsgemäße Beurteilung kirchlicher Kontroversen zulasse, vielmehr behaupte, über dem Konzil zu stehen und die Dekrete der Konzilien aufheben zu können (Tr 49–51 unter Verweis auf Decretum Gratiani P.II C. 9 q. 3 c 13). Unter solchen Umständen müssen nach Melanchthon alle Frommen und namentlich die Könige und Fürsten als die vornehmsten Glieder („praecipua membra“) der Kirche zur Ehre Gottes Sorge für deren Rettung und das Heil der Gewissen tragen (Tr 52–54 mit Verweis auf Ps 2, 20). Besondere Bedeutung komme dieser Aufgabe im Falle eines päpstlich abgehaltenen Konzils zu, sofern ein solches Konzil in Gefahr stehe, zu einem bloßen Funktionsorgan des Papstes zu verkommen. „Cum autem judicia synodorum sint judicia ecclesiae, non pontificum, praecipue regibus convenit coercere pontificum licentiam et efficere, ne ecclesiae eripiatur facultas judicandi et decernendi ex verbo Dei.“ (Tr 56) Selbst wenn der römische Bischof den Primat kraft göttlichen Rechts innehätte, müsste ihm dennoch im Sinne Melanchthons wegen seiner gottlosen Gottesdienste und evangeliumswidrigen Lehre kein Gehorsam geleistet werden. „Imo necesse est ei tanquam Antichristo adversari.“ (Tr 57) Was die das Papsttum betreffende, in ihren Einzelmomenten wiedergegebene Argumentation Melanchthons Sondervotum Melanchthons im Traktat insgesamt angeht, so wird in der Literatur vor allem die für den Praeceptor Germaniae ungewohnte Schärfe der Tonlage hervorgehoben. Dass es sich dabei nicht lediglich um eine Stilfrage handelt, dass vielmehr dem verschärften Ton auch sachliche Zuspitzungen korrespondieren, wird man nicht leugnen können. In der Tat ist die Situation in
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der Zeit vom Augsburger Reichstag bis zum Jahr 1537 eine in vieler Hinsicht andere geworden. Dieser Wandel ging auch an dem „Leisetreter“ Melanchthon nicht spurlos vorüber. Gleichwohl wird man sagen müssen, dass er Ansätze eines die Altgläubigen berücksichtigenden Ausgleichs in der Papstfrage auch jetzt noch nicht aufgegeben hat. Denn innerhalb des im Traktat vor allem in kritischer Hinsicht abgesteckten theologischen Rahmens ist der Sache nach grundsätzlich durchaus noch Platz für dies, was Melanchthon in seinem Sondervotum im Anschluss an die Schmalkaldischen Artikel so sagt: „... vom Bapst aber halt ich, so er das Evangelium wollte zulassen, daß ihm umb Friedens und gemeiner Einigkeit willen derjenigen Christen, so auch unter ihm sind und kunftig sein möchten, sein Superiorität uber die Bischöfe, die er hat jure humano, auch von uns zuzulassen [und zu geben] sei“ (BSLK 463,10–464,4). Dieses Votum widerspricht nicht nur keiner der im Traktat im Hinblick auf das Papsttum vorgenommenen theologischen Abgrenzungen, es stimmt auch mit Luthers Auffassung in dem Grundsatz überein, „daß der Papst seine Stellung nur kraft menschlichen Rechtes habe. Er (sc. Melanchthon) möchte aber weiterhin den Weg zu einer gemeinsamen Lösung offenhalten, die Luther nicht ganz verbaut hatte, deren Realisierung er aber sehr viel stärker als Melanchthon bezweifelte.“ (Müller, 409f.) Indes beruht Luthers Zweifel ebenso wie Melanchthons positive Einschätzung auf einem Urteil, das historischrelativer Art ist und gerade wegen der grundsätzlichen Annahme, dass es sich bei der Papstfrage um ein „iure humano“, also nach Maßgabe menschlicher Prüfungsund Einsichtsmöglichkeiten zu stellende und zu beantwortende Frage handelt, stets und prinzipiell von lediglich historisch-relativer Art sein kann. Gerade auf diesem Zusammenhang basiert die für das Luthertum charakteristische Flexibilität in der Problematik transregionaler, kirchlicher Leitungsämter, die vom Amt örtlicher Gottesdienstleitung bedingt unterschieden sind.
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Lit.: E. Benz, Wittenberg und Byzanz. Zur Begegnung und Auseinandersetzung der Reformation und der östlich-orthodoxen Kirche, Marburg 1949. – G. Kretschmar, Die Confessio Augustana graeca, in: Kirche im Osten. Studien zur osteuropäischen Kirchengeschichte und Kirchenkunde 20 (1977), 11–39. – D. Wendebourg, Reformation und Orthodoxie. Der ökumenische Briefwechsel zwischen der Leitung der Württembergischen Kirche und Patriarch Jeremias II. von Konstantinopel in den Jahren 1573–1581, Göttingen 1986. – Wort und Mysterium. Der Briefwechsel über Glauben und Kirche 1573 bis 1581 zwischen den Tübinger Theologen und dem Patriarchen von Konstantinopel, hg.v. Außenamt der EKD, Witten 1958.
Die herrlichen Rosse von San Marco in Venedig 1054/1204: Die Spaltung von kennt jeder; nicht alle aber wissen, dass es sich östlicher und westlicher Chrishierbei um schandbar erworbenes konstantino- tenheit politanisches Beutegut handelt. Im Verlauf des Vierten Kreuzzuges, der sich ursprünglich gegen Ägypten richten sollte, leitete der betagte venezianische Doge Enrico Dandolo (um 1107–1205) aus Gründen politisch-ökonomischen Kalküls die von ihm befehligte Streitmacht gegen Byzanz, das im Juli 1203 eingenommen wurde. Als die dortigen Verhältnisse nicht wunschgemäße Gestalt annahmen und die Kreuzfahrer sich um den Lohn ihrer Kriegsmühen bedroht fühlten, stürmten sie die Stadt Konstantins am 13. April 1204 ein weiteres Mal. Was folgte, war schiere Barbarei. Wahllos wurde geplündert, gebrandschatzt, geschändet und gemordet. Die Greueltaten, die Christen an Christen verübten, spotten jeder Beschreibung. Zwar sah sich Venedig durch den byzantinischen Triumph in den Rang einer Weltmacht erhoben. Nichtsdestoweniger ist und bleibt das Jahr 1204 ein Datum der Schande in der Geschichte nicht nur der Serenissima, sondern der westlichen Christenheit überhaupt. Die kirchenpolitischen Folgen des schrecklichen Ereignisses waren fatal. Das Schisma zwischen Ost- und Westkirche verfestigte sich irreversibel. Zwar wird dessen Ursprung in der Regel mit den gegenseitigen Bannflüchen zwischen den Kirchen von Rom und Konstantinopel im Jahre 1054 assoziiert, wobei redlicherweise zu ergänzen ist, dass der Prozess der Entfremdung von Ost und West bereits seit langem im Gange war und im 11. Jahrhundert lediglich eine Beschleunigung erfuhr, die zur schließlichen Streiteskalation führte. Doch so einschneidend die Vorkommnisses des sog. Morgenländischen Schismas von 1054 auch sein mochten: für jedermann offenkundig wurde der Bruch erst 150 Jahre später, 1204. In den darauffolgenden 250 Jahren erfolgte Einigungsbemühungen scheiterten an der
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definitiv gewordenen Zerrüttung der Beziehung. Auch die römischen Reformkonzilien von Basel, Ferrara und Florenz konnten daran nichts ändern und das umso weniger, als das von Papst Eugen IV. abgeschlossene „Unionsdekret mit den Griechen“ durch den Fall Konstantinopels 1453 unwirksam wurde. Durch die osmanische Vereinnahmung von ByLuther und die Ostkirche zanz/Konstantinopel hörte Ostrom auf, eine machtpolitisch relevante Größe der Kirchengeschichte zu sein. Das führte in der Folgezeit zu einem fast völligen Abbruch der bereits vorher eher marginalen Beziehungen zwischen östlicher und westlicher Christenheit und zu einer weitgehenden Isolation beider gegeneinander. Diese Lage blieb bis ins 16. Jahrhundert und weit darüber hinaus erhalten. Profanhistorisch betrachtet spielte sich die Reformation daher mehr oder weniger ausschließlich im Kontext der westlichen Christenheit ab. Als Luther dreißig Jahre nach der türkischen Eroberung Konstantinopels geboren wurde, waren in Eisleben und anderwärts in deutschen Landen die Verhältnisse innerhalb der östlichen Christenheit kein Thema. Fragt man daher, welche Auswirkungen das Schisma zwischen Ost- und Westkirche auf die Reformation hatte, so muss nach der Antwort nicht lange gesucht werden: Das Schisma isolierte die reformatorische Bewegung von den ostkirchlichen Verhältnissen und umgekehrt; die Wittenberger ebenso wie die Genfer Reformation sind im Wesentlichen Ereignisse der westlichen Kirchengeschichte. Zwar kann – um den Initiator der Reformation als Beispiel zu nehmen – Martin Luther gelegentlich auf außerwestliche Kirchentümer Bezug nehmen, etwa wenn er in der Resolution zur 13. These der Leipziger Disputation mit Eck von 1519 feststellt: „Ego autem hoc spectavi, quod rhomana ecclesia nunquam fuit, nec est nec erit unquam, super omnes totius orbis ecclesias, licet super plurimas sit; nec enim fuit unquam super Graeciae, Aphricae, Asiae ecclesias, nec earum episcopos confirmavit, sicut modo nostros confirmat, ut satis probant historiae. Deinde sunt sine dubio Christiani in oriente, cum Christi regnum sit orbis terrarum iuxta ps. ij. et tamen Episcopi eorum non instituuntur, non confirmantur e Rhoma, nec est necessarium.“ (WA 2, 225, 35 – 226, 2) Ähnliches steht in Luthers Großem Bekenntnis von 1528 zu lesen, wo es heißt: „Dem nach gleube ich, das eine heilige Christliche kirche sey auff erden, das ist die gemeyne und zal odder versamlunge aller Christen ynn aller welt, die einige braud Christi und sein geistlicher leib ... Und dieselbige Christenheit ist nicht allein unter der Römischen kirchen odder Bapst, sondern ynn aller welt, ... das also unter Bapst, Türcken, Persen, Tattern und allenthalben die Christenheit zurstrawet ist leiblich, aber versamlet geistlich ynn einem Euangelio und glauben unter ein heubt, das Jhesus Christus ist ...“ (WA 26, 506, 30–40) Die Perspektive des Reformators ist also durchaus ökumenisch, nämlich auf den gesamten bewohnten Erdkreis ausgerichtet und keineswegs auf die westliche Christenheit beschränkt. Dennoch nimmt Luther auf die außerwestlichen Verhältnisse in einem dezidiert westlichen Interesse, nämlich in antirömischer bzw. antipapistischer Absicht Bezug, ohne zu weitergehenden Differenzie-
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rungen fortzuschreiten. Pauschalierende Urteile konnten unter diesen Voraussetzungen nicht ausbleiben mit der Folge, dass West- und Ostrom gelegentlich in einen Topf geworfen wurden: „Also haben die zwo Kirchen, Rom und Constantinopel, gehaddert umb den nichtigen Primat, mit eitel, faulen, lamen, vergeblichen zoten, bis sie zuletzt der Teuffel alle beide gefressen hat, Die zu Constantinopel durch den Türcken und Mahomet, die zu Rom durch das Bapstum und seine lesterlichen Decreten.“ (WA 50, 578, 31 – 579, 3) Dieses 1539 in der Schrift „Von den Konziliis und Kirchen“ getroffene Urteil über den Fall Konstantinopels ist aus großer Distanz gefällt und ganz von den Auseinandersetzungen innerhalb der westlichen Christenheit diktiert; differenziert wird man es nicht nennen können. Weitaus weniger distanziert, sondern im GeDie Demetriosmission von genteil von dem erkennbaren Bemühen um An1559 näherung bestimmt sind im Vergleich zu Luthers Verdikt die Worte, die 20 Jahre später im September 1559 von Wittenberg aus in einem Schreiben Philipp Melanchthons an die Adresse des „Allerheiligsten Patriarchen der Kirche Jesu Christi in Konstantinopel“ gerichtet wurden (vgl. CR IX, 922–924). Die Byzantiner werden darin gebeten, nicht den Verleumdungen zu glauben, welche die römischen Feinde der reformatorischen Bewegung andichten, sondern sich einen vorurteilslosen Eindruck von der Wahrheit zu verschaffen, die man unter den Anhängern Luthers bekennt. Ein gewisser Demetrios wird dabei als Zeuge dafür angerufen, dass die Wittenberger Reformation in Theorie und Praxis als orthodox zu gelten habe. Wer war dieser Mann? Ernst Benz hat darauf in seinem Werk „Wittenberg und Byzanz. Zur Begegnung und Auseinandersetzung der Reformation und der östlich-orthodoxen Kirche“ eine detaillierte Antwort gegeben. Im gegebenen Zusammenhang genügt der Hinweis, dass es sich bei dem Raitzen, d.h. Serben, Demetrios um einen Diakon des Patriarchen von Konstantinopel handelte, der die religiöse und kirchliche Lage in Wittenberg und Deutschland erkunden sollte. Fast ein halbes Jahr weilte er im Hause Melanchthons als dessen persönlicher Gast. Bei seiner Abreise wurde er vom Praeceptor Germaniae mit einer wichtigen Mission an den Patriarchen beauftragt. Zum Zwecke theologischer Verständigung sollte er ihm eine griechische Fassung der Confessio Augustana als des wichtigsten reformatorischen Bekenntnisses übergeben. Der nur noch in wenigen Exemplaren bekannte Erstdruck der CA Graeca erfolgte 1559 bei Johannes Oporinus in Basel. Ein Nachdruck erschien 1584 in Wittenberg zusammen mit dem noch zu erörternden Briefwechsel zwischen der Leitung der Württembergischen Kirche und Patriarch Jeremias II. von Konstantinopel in den „Acta et Scripta Theologorum Wirtembergensium, et Patriarchae Constantinopolitani D. Hieremiae ... Graece & Latine ab iisdem theologis edita. Witebergae. In Officina Haeredum Johannis Cratonis, Anno M.D.LXXXIIII“ (5– 53). Der Titel des Erstdrucks nennt als den Urheber der Übersetzung den Tübinger Philologen Paulus Dolscius (Döltsch) aus Plauen in Sachsen. Schon im 16. Jahrhundert begegnet allerdings auch die später von Ernst Benz (vgl. Benz, 122– 128) erneut vertretene Auffassung, nicht Dolscius, sondern Melanchthon sei der
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Autor der Übersetzung von 1559. Demgegenüber hat Georg Kretschmar deutlich zu machen versucht, „daß die Grundlage der CA graeca tatsächlich eine von Paulus Dolscius aufgrund der Invariata gefertigte Übersetzung war. Dieser Text ist aber nun, nachdem er bereits gesetzt war, vor der endgültigen Drucklegung noch einmal überarbeitet worden. Hierfür wird man dann allerdings Melanchthon ins Spiel bringen müssen; nur er hatte die Freiheit und die Autorität zu solch tiefen Eingriffen in den Text des Augsburger Bekenntnisses.“ (Kretschmar, 21) Um zunächst einige für Genese und WirkungsgeDas Zentralbekenntnis der schichte des Augsburgischen Bekenntnisses im Reformation von 1530 allgemeinen wichtige Daten in Erinnerung zu rufen: Ursprünglich als Verteidigungsschrift kursächsischer Kirchenreform geplant und in der Form der sog. Torgauer Artikel thematisch auf den Umfang der späteren Artikel XXII-XXVIII beschränkt, entwickelte sich die Augustana im Frühjahr 1530 zu einem umfassenden Bekenntnis des Glaubens, dem zwar keineswegs alle, wohl aber sehr gewichtige Repräsentanten fürstlicher und städtischer Reformation ihre Zustimmung erteilten. Am 25. Juni 1530 wurde die Confessio Augustana vor Kaiser und Reich im bischöflichen Palais zu Augsburg auf Deutsch verlesen und in deutscher und lateinischer Version Karl V. übergeben. Vermerkt sei fernerhin, dass die Augustana nach 1530 einen z.T. erheblichen geschichtlichen Funktionswandel erfahren hat und im Übrigen auch fortgeschrieben wurde. Was ersteren Aspekt betrifft, so genügt es, auf den Augsburger Religionsfrieden zu verweisen; war die Augustana 1530 in der Absicht eines innerkirchlichen Ausgleichs konzipiert worden, so ist sie 1555 zum Dokument einer Religionspartei geworden, welcher anzugehören die Bedingung dafür war, paritätisch zu den sog. Altgläubigen in den Genuss des Religionsfriedens zu gelangen. Die Frage der authentischen Gestalt des Augsburgischen Bekenntnisses erhielt u.a. von daher ihre politische Brisanz. Die sog. Editio princeps der CA, in deren Gestalt die lateinische Rezension der Augustana als Normaltext in die alte Ausgabe des Konkordienbuches von 1580 einging, erschien im Frühjahr 1531; die deutsche Version folgte im Herbst desselben Jahres. Namentlich der deutsche Text von 1531 weist gegenüber dem Original von 1530 eine Reihe von Umarbeitungen auf, ohne dass diese als eigentliche Veränderungen des Lehrgehalts aufgefasst werden können. Beachtenswerte Erweiterungen enthält unter den Drucken der CA erst die deutsche Oktavausgabe von 1533, die bereits eine Art von Vorarbeit für die stark veränderte lateinische Quartausgabe von 1540 darstellt, welche als Confessio Augustana variata in die Geschichte eingegangen ist. Die Textvariationen, welcher der Variata ihren Namen gegeben haben, sind teils formaler Art, teils bestehen sie in Erweiterungen, die sich um reicheren Schriftbeweis sowie um größere kontroverstheologische Präzision und schärfere Abgrenzung gegenüber Rom bemühen. Am bedeutsamsten und folgereichsten erwies sich die Umformulierung des Abendmahlartikels in CA X (vgl. BSLK 65, 45f.). Von besonderer Relevanz sind ferner die Modifikationen der Artikel IV, V und XX, in denen nach Maßgabe der Rechtfertigungslehre der Me-
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lanchthonischen Loci von 1535 die Notwendigkeit von Buße und guten Werken herausgestellt wird mit der Konsequenz, dass sich später aufseiten der Gnesiolutheraner Synergismusverdacht einstellen konnte wie übrigens ebenso in Bezug auf den veränderten Artikel XVIII zur Willensfreiheit. Indes führte die Ausgabe der CA von 1540 im reformatorischen Lager keineswegs von Anfang an zu Streit. Es war im Gegenteil so, dass die Variata ursprünglich als offizielle, amtlich verwendete Neuausgabe des Bekenntnisses im Auftrag des Schmalkaldischen Bundes gelten durfte. Erst in den nachfolgenden Lehrstreitigkeiten im binnenreformatorischen und auch im binnenlutherischen Raum änderte sich die Lage. Melanchthon und seine Schüler gerieten in den Verdacht sowohl des Kryptokatholizismus als auch des Kryptocalvinismus. Die Gnesiolutheraner wollten infolgedessen nur mehr die Confessio Augustana invariata gelten lassen, die schließlich auch in das Konkordienbuch als dem wichtigsten Corpus Doctrinae des Luthertums aufgenommen wurde. Um auf die kurz erwähnte griechische Fassung der CA zurückzukommen, so bildete die Grund- CA Graeca lage der Übersetzung primär die Editio princeps und zwar zumeist in ihrer lateinischen Version. Allerdings kann gelegentlich auch die lateinische Variata Verwendung finden, wobei in aller Regel oder gar ausschließlich die Ausgabe von 1540 bevorzugt wird. Das ist vor allem im Kontext der Lehre der Fall, auf die im Folgenden die Aufmerksamkeit konzentriert werden soll, weil sie nach reformatorischem Urteil den „articulus stantis et cadentis ecclesiae“ thematisiert: der Rechtfertigungslehre. Die Artikel IV, V und VI der CA Graeca sind ganz oder weitgehend, die Artikel XII und XX immerhin zum Teil von der Variata von 1540 her konzipiert (vgl. Wendebourg, 155–162; bes. 157f. Anm. 15). Das hat sicher auch hermeneutische Gründe; Melanchthon konnte Anlass zu der Meinung haben, die in der Variata entwickelte Rechtfertigungslehre sei für griechisches Denken anschlussfähiger als die einschlägigen Passagen der Editio princeps, welche ganz vom Konstitutionsgeschehen der Rechtfertigung her entwickelt sind, wohingegen die Version von 1540 explizit sowohl auf die Genese als auch auf die Realisierung des Rechtfertigungsglaubens reflektiert. Um durch den Verweis auf Melanchthon und die konstantinopolitanischen Griechen keine Missverständnisse bezüglich der Entstehung der Confessio Augustana Graeca hervorzurufen, muss zunächst allerdings festgehalten werden, dass ersterer nicht deren Primärautor war und letzere nicht als deren Primäradressaten gelten können. Der ursprüngliche Übersetzer war, wie gesagt, Paulus Dolscius, der sein Werk in der humanistisch-pädagogischen Absicht, die Kenntnis des Griechischen an einem klassischen Text der Reformation zu befördern, für gebildete Leser seines engeren und weiteren Umkreises konzipierte und dabei jedenfalls den Patriarchen von Konstantinopel in keiner Weise im Sinn hatte. Er und damit die östliche Christenheit kamen als Adressaten erst sekundär in Betracht, wobei der erwähnte Diakon Demetrios als Mediator fungierte und die von Kretzschmar u.a. angenommene Bearbeitung der Vorlage des Dolcius durch Melanchthon
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gesprächsweise nicht unwesentlich mitgestaltet haben dürfte. Wie immer der Bearbeitungsvorgang im Einzelnen vonstatten gegangen sein mag: Durch den Adressatenwechsel hatte sich der Sitz im Leben des Textes grundlegend geändert mit der Folge, dass die Dolciusübersetzung den veränderten Ansprüchen nicht mehr genügen konnte. Die Neugestaltung der rechtfertigungstheologischen Artikel auf der Basis der Variata, die im Abendmahlsartikel bemerkenswerterweise nicht verwendet wird, sowie die Reformulierung einzelner „termini technici“ der lateinischen Theologensprache dürfte hierdurch motiviert sein, auch wenn sich in letzterer Hinsicht nicht mit Sicherheit nachweisen lässt, welche griechischen Begriffsbildungen schon von Dolscius und welche erst von Melanchthon stammen. Klar ist in jedem Fall, dass der Übersetzungsvorgang in den Dienst eines um Sachverständigung bemühten hermeneutischen Verfahrens gestellt ist. Exemplarisch zu verweisen ist in diesem Zusammenhang auf die Umschreibung der Begriffe und Wortgruppen um „satisfactio“ und „meritum“ (vgl. Kretschmar, 24ff.; Wendebourg, 159f.) sowie auf den reformatorischen Zentralterminus der „iustificatio“, der einerseits mit den einschlägigen neutestamentlichen Äquivalenten, andererseits mit einem eigens erfundenen Kunstwort wiedergegeben wird: „dikaiopoiia“. Offenbar glaubte Melanchthon, auf den dieses „auffälligste (Wort) der ganzen CA Graeca“ (Wendebourg, 161) zurückgehen dürfte, in diesem Fall der bezeichneten Sache nur durch eine direkte Nachbildung des sie genuin bezeichnenden Wortes entsprechen zu können. Auch wenn man zu dem Gesamtresultat gelangen mag, es sei nicht gelungen, eine CA-Version herzustellen, „die Griechen die Lehre des Augsburgischen Bekenntnisses verständlich gemacht hätte“ (Wendebourg, 162), so wird man doch den erstmals versuchten Anfang und die Intention Melanchthons zu würdigen haben, den Griechen „in theologicis“ ein Grieche zu sein. Diese Absicht entsprach nicht nur Melanchthons irenischer Natur, sondern auch seinem stark am Erbe der Väter orientierten theologischen Konzept. Sein Schreiben an Patriarch Joasaph II. von Konstantinopel, das er 1559 zusammen mit der CA Graeca durch Demetrius in den Phanar gebracht haben wollte, ist ein eindrucksvoller Beleg hierfür. Zentralmotiv des im Jahr vor Melanchthons Tod Reformation und Orthodoxie verfassten Schreibens ist das Bewusstsein der nahen Endzeit. Dieses ist, wie Ernst Benz zurecht konstatiert hat, „die eigentliche Grundlage der ökumenischen Bestrebungen der Reformation und ... viel maßgeblicher als alles angebliche Bedürfnis nach ‚Propaganda’“ (Benz, 66). In Anbetracht zu erwartender und bereits manifest gewordener eschatologischer Drangsale gereicht es Melanchthon zum Trost, von Demetrios erfahren zu haben, dass Gott noch immer auf wunderbare Weise eine nicht kleine Gemeinde in Thrakien, Kleinasien und Griechenland erhält, so wie er einst die drei Männer in der chaldäischen Feuerflamme erhalten hat. Selbiger Demetrios, dem Melanchthon die trostreiche Nachricht über einen Rest Israels im Türkenland verdankt, wird nun zugleich als Zeuge dafür angerufen, dass es in den reformatorischen Gemeinden mit rechten orthodoxen Dingen zugeht. Demetrios wird,
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schreibt Melanchthon dem Patriarchen, berichten können, „daß wir die heiligen Schriften, die prophetischen und apostolischen, und die dogmatischen Kanones der heiligen Synoden und die Lehre eurer Väter, des Athanasios, des Basilius, des Gregorius, Epiphanius, Theodoret, Irenäus und aller mit ihnen gleichgesinnten Väter bewahren. Die alten Scheußlichkeiten des Samosateners und der Manichäer und der Mohammedaner und aller Gotttesfeinde, die die heilige Kirche verwirft, verabscheuen auch wir ausdrücklich und lehren, die echte Religion bestehe in dem wahren Glauben und Gehorsam gegenüber den Satzungen Gottes, die uns auferlegt sind, nicht aber im Gehorsam gegenüber den Formen der götzendienerischen oder selbsterdachten Kulte, die die ungebildeten Mönche der Lateiner gegen alle Gebote Gottes erfunden haben.“ (CR IX, 923 in der deutschen Wiedergabe von Benz, 64) Dass dem so sei, davon möge sich der Patriarch auf der Basis der Berichte des Demetrios vorurteilsfrei überzeugen lassen. Die dem Schreiben als Anlage beigefügte Confessio Augustana Graeca sollte auf ihre Weise unterstreichen, dass zwischen der Kirche des Ostens und der Reformation grundsätzlicher Konsens auf der Basis des Zeugnisses Alten und Neuen Testaments, der Kanones der altkirchlichen Synoden, der patristischen Tradition und der Absage an die häretischen Bestreiter der Lehrüberlieferungen der Väter bestehe. Die Wittenberger Sendung von 1559 erreichte ihr Ziel aller Wahrscheinlichkeit nach nicht. Eine Antwort jedenfalls blieb aus. Sie erfolgte erst gut anderthalb Jahrzehnte später, nachdem die Confessio Augustana Graeca ein zweites Mal an den Bosporus geschickt wurde, diesmal nicht von Wittenberg aus, sondern aus der Universitätsstadt Tübingen, einem damaligen geistigen Zentrum des Luthertums. Als Bote fungierte ein junger evangelischer Prediger bei der kaiserlichen Gesandtschaft in Konstantinopel namens Stephan Gerlach. Vorausgegangen war ein Briefwechsel zwischen Martin Crusius (1526–1607) und Jakob Andreae (1528–1590) einerseits und Patriarch Jeremias II. (1536–1595) andererseits. Bei Martin Crusius (Kraus) handelt es sich um einen in Franken geborenen, seit 1559 als Sprachlehrer und Homerkommentator in Tübingen wirkenden Gräzisten. Jakob Andreae war kein Geringerer als der Hauptverfasser der Konkordienformel und der wichtigste Redaktor des Konkordienwerkes von 1580, mit dem die Einigung des zerstrittenen Luthertums bewirkt werden sollte und jedenfalls z.T. auch tatsächlich bewirkt wurde. Der 1572 zum Patriarchen von Konstantinopel gewählte Jeremias hatte sein Amt bis zu seinem Tode inne, allerdings unterbrochen durch zweimalige Absetzung bzw. politische Verbannung. Auf die slawischen orthodoxen Kirchen übte er großen Einfluss aus; mit seiner Zustimmung wurde 1589 das Moskauer Patriarchat errichtet. Nachdem Jeremias II. die Confessio AugustaDer Briefwechsel mit Patriarch na Graeca mit Schreiben vom 16. September Jeremias II. in den Jahren 1574 empfangen hatte, entsprach er der von 1573–1581 Crusius und Andreä geäußerten Bitte, sie wohlwollend auf ihre Rechtgläubigkeit hin zu überprüfen. Im vierten Jahr seines Patriarchats richtete er am 15. Mai 1576 ein erstes theologisches Schreiben an die Tübinger
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Professoren, indem er ausführlich Konsens und Dissens mit den evangelischen Glaubensartikeln erläuterte, um schließlich die sieben ökumenischen Konzile und die von der Gesamtgemeinde rezipierte Schriftinterpretation der Väter als die wahrheitsverbürgende Autorität seiner Lehre zu benennen. Der Dissens betrifft vornehmlich folgende Themen: 1. das „filioque“, das von Jeremias nicht nur formal als unstatthafter Zusatz zu einem sakrosankten Konzilstext, sondern auch inhaltlich als trinitätstheologisch unangemessen abgelehnt wird; 2. die Willensproblematik, in Bezug auf die der Patriarch die Befürchtung äußert, die reformatorische Lehre von der Rechtfertigung „sola gratia“, „sola fide“ und „per solum Christum“ verkenne, dass das Heil nicht willenlos, sondern willentlich, nicht ohne tätige Mitwirkung, sondern auf synergistische Weise empfangen werde; 3. die Heiligenfrage, die auf die Frage der Fürbitte der Heiligen, ihrer Anrufung und Fürbitte sowie ihrer möglichen Mittlerfunktion fokussiert wird; 4. die Bilderverehrung; 5. das Mönchtum; 6. die Auseinandersetzung um Begriff und Zahl der Sakramente und schließlich 7. das Verhältnis von Schrift und Tradition. Vor allem diese Kontroversthemen wurden in den folgenden Briefwechsel verhandelt. Am 18. Juni 1577 replizierten die Tübinger auf das Schreiben des Patriarchen vom Mai des vorangegangenen Jahres. Es folgte im Mai 1579 ein weiteres Lehrschreiben des Patriarchen, das am Johannistag 1580 von Tübingen aus beantwortet wurde. Mit seinem dritten Brief vom 6. Juni 1581 setzte Jeremias der theologischen Korrespondenz ein Ende: „Wir bitten Euch, uns weiter keine Mühe mehr zu machen und nichts mehr über diese selben Dinge zu schreiben und zu schicken. Da ihr ja die Leuchten und Lehrer der Kirche bald so, bald anders behandelt. Ihr ehrt und haltet sie hoch mit Worten, mit Taten aber verwerft ihr sie. Unsere Waffen bezeichnet ihr als unbrauchbar; dabei sind es ihre heiligen, göttlichen Worte, mit denen auch wir euch zu schreiben und zu widersprechen vermochten. So habt für euren Teil uns der Sorgen entbunden. Geht nun euren Weg! Schreibt uns nicht mehr über Dogmen, sondern allein um der Freundschaft willen (philias de mones heneka; amicitiae tantum causa), wenn ihr das wollt. Lebt wohl!“ (Acta et Scripta, 370; deutsche Übersetzung nach „Wort und Mysterium“) Bevor am rechtfertigungstheologischen TheDie Konkordienformel von menkreis der inhaltliche Verlauf der Korrespon1577 denz, welche die Tübinger 1584 in den erwähnten „Acta et Scripta“ veröffentlichten, exemplifiziert werden soll, sei zunächst stichwortartig die Fluchtlinie markiert, auf die hin die Argumentationslinien der Tübinger konvergieren. Dies hat am Beispiel der Konkordienformel zu geschehen, als deren Vater Andreae gilt und durch deren im Mai/Juni 1577 – also exakt zum Zeitpunkt der ersten Replik vom Neckar an den Bosporus – erfolgten Abschluss die theologische Position auch der übrigen Tübinger bestimmt ist. Die Entstehungsgeschichte der Formula Concordiae gehört in den Zusammenhang der Konfessionalisierung der westlichen Christenheit in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in der einerseits der tridentinische Katholizismus Gestalt annahm, andererseits die Reformationskirchen zu jenen konfessionellen Formationen sich
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ausdifferenzierten, die seither die denominationelle Landschaft bestimmen. Das vorkonkordistische Luthertum wurde nach dem Tod des Reformators bekanntlich durch eine Reihe von Streitigkeiten erschüttert, deren weitgehende Beilegung die wesentliche Leistung des Konkordienwerkes von 1577/80 ist. Zwei Lager bildeten sich seit den schwierigen Interimszeiten der späten 1540er Jahren innerhalb der Wittenberger Reformation aus: Auf der einen Seite standen die sog. Gnesiolutheraner, die von ihren Gegnern als Flacianer apostrophiert wurden, auf der anderen die Philippisten, die sich im Wesentlichen aus Melanchthonschülern rekrutierten. Zwar waren die Lager von Anfang an nicht einheitlich, so dass sich künftige Friktionen ahnen ließen. Gleichwohl sind im Blick auf die seit Interimszeiten anhebenden Auseinandersetzungen Frontverläufe durchaus erkennbar: Neben Auseinandersetzungen um Abendmahlslehre, Christologie und Prädestination handelt es sich dabei um die sog. majoristischen, antinomistischen, synergistischen und osiandrischen Streitigkeiten. Weil sie für den rechtfertigungstheologischen Diskurs zwischen Tübingen und Konstantinopel von besonderer Bedeutung sind, seien hier die majoristischen und synergistischen Auseinandersetzungen und ihre Lösung in der Konkordienformel paradigmatisch in Betracht gezogen. Ist der majoristische wie übrigens auch der Die Konstitutionsbedingunantinomistische Streit primär am Realisierungsgen des Rechtfertigungszusammenhang der Rechtfertigung orientiert, so geschehens betrifft die Synergismuskontroverse vor allem deren Konstitutionsbedingungen. Vorauszuschicken ist, dass Melanchthon seine ursprüngliche Lehre strenger göttlicher Alleinwirksamkeit im Laufe der Zeit dahingehend abgewandelt hatte, dass er von drei bei der Bekehrung des Menschen zusammenwirkenden „causae“ sprach, nämlich vom Wort, vom Heiligen Geist und von dem die eigene Schwachheit tätig bekämpfenden Willen. Als der Melanchthon-Schüler Johannes Pfeffinger im Jahre 1555 diese Auffassung, deren wesentlicher Gehalt im Leipziger Interim Aufnahme gefunden hatte, nicht nur verteidigte, sondern in der Absicht, ein ursächliches Mitwirken des Menschen bei der Entscheidung seines Heils bzw. seines Unheils zu gewährleisten, weiter verschärfte, trat ihm neben Amsdorff, Schnepff und Flacius anfangs auch Viktorin Strigel (1524–1569) entgegen. Strigel war einer der ersten Professoren an der Universität Jena, die 1548 im ernestinischen Sachsen als Ersatz für die infolge der Schmalkaldischen Niederlage mit Kurwürde und Kurkreis an die Albertiner verloren gegangene Universität Wittenberg gegründet worden war. Als 1556/57 auch Matthias Flacius (1520–1575) eine Professur in Jena erhielt, kam es zwischen beiden bald zu heftigen Kontroversen, zumal Strigel sich dem von Flacius und seinen Anhängern erarbeiteten und zur gesetzlichen Lehrnorm im Herzogtum Sachsen erhobenen Weimarer Konfutationsbuch von 1559 widersetzte und dafür mehrere Monate inhaftiert wurde. Auch die vom Herzog im August 1560 anberaumte Weimarer Disputation führte zu keinem Ausgleich, wohl aber zum beginnenden Niedergang des theologischen Sterns von Flacius. Während Strigel die These vertrat, die geschöpfliche Substanz des Menschen als eines vernunft- und willensbe-
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gabten Lebewesens sei durch die Erbsünde gleich einem mit Zwiebelsaft bestrichenen Magneten geschwächt, aber nicht gänzlich verdorben, steigerte Flacius seine Auffassung von der gänzlichen Verderbnis des postlapsarischen Menschen zu der Annahme, durch Adams Fall sei die Erbsünde die Substanz der menschlichen Natur geworden. Zwar unterschied er dabei zwischen „substantia materialis“ als möglicher Bezugsgröße des Guten und der „forma substantialis“ als Trägerin des Bösen und bestritt überdies der Erbsünde eine eigene Subsistenz. Doch konnten ihn solche Differenzierungen nicht mehr vom Verdacht heterodoxer Übertreibung der Orthodoxie befreien. Seither wurde er – und zwar nicht nur unter den Philippisten, sondern auch von wesentlichen Teilen des gnesiolutherischen Lagers – als Ketzer betrachtet. Die Konkordienformel versuchte einen MittelUrsünde und Willensfreiheit weg zwischen Strigel und Flacius einzuschlagen und die Einseitigkeiten beider zu vermeiden, wobei trotz antiflacianischer Verdikte durchaus die gnesiolutherische Perspektive dominiert. In diesem Sinne grenzt sich FC I („Von der Erbsünde“) in schroff antipelagianischer Absicht gegenüber allen Positionen ab, die dem postlapsarischen Menschen Restbestände eines soteriologischen Eigenvermögens zudenken. Das „peccatum originale“ verderbe nicht nur einen Teil des Menschen, sondern dessen ganze Natur und bewirke manifeste Feindschaft wider Gott. Wenn gleichwohl gegen mögliche manichäische Implikationen des Flacianismus gesagt wird, die Erbsünde vertilge nicht die menschliche Wesensnatur, dann geschieht dies ausschließlich in der Absicht, den Menschen auf seine kreatürliche Bestimmung zu verpflichten und die Zurechnung seiner Sünde als Schuld zu gewährleisten. Um die Fatalisierung der Sünde zu einem gleichsam naturhaften Geschick zu verhindern, muss auch unter postlapsarischen Bedingungen zwischen kreatürlichem Wesen des Menschen und der alles andere als unwesentlichen Verkehrtheit seiner Sünde unterschieden werden. Ob diese Unterscheidung mittels der Differenzierung von „substantia“ und „accidens“ angemessen geleistet werden kann, ist nach Urteil der Väter der Konkordienformel primär eine terminologische, den „modus loquendi“ betreffende, sachlich hingegen zweitrangige Frage. Sachlich entscheidend hingegen ist der Hinweis in Ep 1,10, demzufolge zwischen der kreatürlichen Wesensnatur des Menschen und dem Unwesen der Erbsünde, welcher er schuldhaft verfallen ist, niemand heilsam scheiden kann als Gott allein, dessen in der Kraft des Heiligen Geistes manifeste Offenbarung in Jesus Christus die Voraussetzung für beider erkenntliche Unterscheidung ist. Damit ist erneut klargestellt, dass dem postlapsarischen Menschen sowohl ontologisch als auch gnoseologisch jedes Vermögen fehlt, sein Heil selbsttätig zu besorgen. Dieser Sachverhalt wird durch die Willenslehre in FC II „Vom freien Willen oder menschlichen Kräften“ voll bestätigt. Sie ist auf das kontroverse Thema konzentriert, was Verstand und Wille des gefallenen und unwiedergeborenen Menschen in dessen „conversio“ und „regeneratio“ zu leisten vermögen, wenn Gottes Wort gepredigt und die Gnade Gottes angeboten wird. Vorausgesetzt ist dabei, dass der
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postlapsarische Mensch zwar ein gewisses, in seiner Indifferenz sittlich uneindeutiges Willensvermögen besitzt, sich von Tieren zu unterscheiden und in einer Menschenwelt bewegen zu können, dass er aber schlechterdings unfähig ist, durch Verstandes- und Willenstätigkeit Gottes Gnade zu erwirken. Kann er in sie zumindest durch eigenes Vermögen einwilligen und ihrer Zusage von sich aus zustimmen? Die Antwort von FC II auf diese Frage fällt differenziert aus: Zwar zwingt Gottes Gnade nicht auf naturkausale Weise und wirkt auf den Menschen daher nicht wie ein Keil auf den Klotz. Der Empfang der Gnade vollzieht sich durchaus im Modus der Freiheit und destruiert nicht das Aufnahmevermögen des Menschen, sondern erfüllt es. Eine „capacitas passiva“ bezüglich der Gnade ist FC II daher durchaus zu attestieren bereit; aber dabei handelt es sich recht eigentlich nicht um eine Fassungskraft des Menschen, weil das Gnadengeschehen „tanquam in subjecto patiente“ (vgl. BSLK 910, 16) wirksam ist. Der die Gnade im reinen Empfangen des Glaubens hinnehmende Mensch verhält sich zu ihr „pure passive“, nämlich so, dass er sie sich dankbar gefallen lässt. Jeder Reflex auf ein dem Gnadengeschehen vorgegebenes soteriologisches Eigenvermögen ist damit obsolet. Der Glaube weiß, dass Gott beides wirkt: „velle et perficere“, Wollen und Vollbringen. Unter diesem Aspekt kann der postlapsarische Mensch samt seinem Willen und Verstand nicht anders in Betracht kommen denn als „subjectum convertendum“, als ein „Subjekt“, das durch das Evangelium aus seiner Verkehrtheit bekehrt und aus seiner Unfreiheit zur Freiheit der Kinder Gottes zu befreien ist. Damit ist die Perspektive benannt, in welcher die Tübinger mit dem konstantinopolitanischen Patriarchen Jeremias brieflich über das Rechtfertigungsereignis und seine Prämissen diskutieren. Während Jeremias II. in seinem ausführlichen Der Kommentar von Jeremias Kommentar zu den einzelnen Artikeln der Con- II. fessio Augustana Graeca vom 15. Mai 1576 CA II und XIX hamartiologisch ohne Vorbehalte akzeptierte, ließ er gleichwohl bereits in sündentheologischer Hinsicht keinen Zweifel daran aufkommen, dass der Mensch vermöge seines Willens die Sünde grundsätzlich meiden und das geforderte Gute mit Gottes Hilfe selbsttätig tun könne. Andernfalls werde die Sünde, so der Patriarch zu CA XIX, fatalisiert, und zu einem Naturdatum erklärt, das Schicksal sei, ohne als Schuld zugerechnet werden zu können. Nicht weil er von Natur aus nicht anders könne, sondern weil er das Gute nicht wolle und das dem Guten widerstrebende Böse wähle, sündige der Sünder. Analoges ergibt sich in soteriologischer Hinsicht: Gott zwingt den Menschen nicht zum Heil, sondern er beruft Willige in sein Reich. Die Unwilligen aber sind, so sie Gott sich selbst überlässt, an ihrer Heillosigkeit selbst schuld, weil sie diese durch ihre Unwilligkeit Gott gegenüber bewirkt haben. Die Ausführungen über den freien Willen im Zusammenhang des Kommentars zu CA XVIII bekräftigen diese Auffassung. Obwohl Gnade, so wird unter Berufung auf den heiligen Chrysostomos gesagt, rettet die Gnade Willige und nicht nach Weise einer „gratia irresistibilis“. Zwar stehe alles bei Gott, doch nicht so, dass darüber der freie Wille des Menschen Schaden leide. „Bei uns
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also steht es und bei Ihm! Wir müssen zuerst das Gute wählen, und dann bringt Gott das Seine hinzu. Er kommt unsern Entscheidungen nicht zuvor. Warum? Damit unser freier Wille nicht verletzt wird. Wenn wir aber unsere Wahl getroffen haben, dann bringt Gott uns seine große Hilfe.“ (Acta et Scripta 114; Übersetzung in Anlehnung an „Wort und Mysterium“) Wenn Paulus Phil 2,13 sage, dass Gott Wollen und Vollbringen wirke, meine er nicht, dass Gott das Wollen recht eigentlich schaffe, sondern helfend unterstütze und befördere. Der Satz, dass Gott in uns das Wollen wirke, stelle also den freien Willen des Menschen nicht in Abrede, sondern setze ihn voraus. Dies gefiel den Tübingern nicht: Zwar lehnen auch sie jede Form der Fatalisierung der Sünde Die Tübinger Replik und der Naturalisierung des Heilsgeschehens ab. Dennoch bekräftigen sie die Annahme, dass der postlapsarische Mensch – also der Mensch, wie er sich faktisch vorfindet – ausnahmslos nicht über den Willen verfügt, das göttliche Gut zu wählen, sondern der Güte Gottes und damit zugleich der kreatürlichen Bestimmung seiner selbst und seiner Welt willentlich widerstrebt. Als konstitutives Datum des Heilsgeschehens scheidet das „liberum arbitrium“ somit aus, ja es ist im Gegenteil so, dass das soteriologische Insistieren auf der Wahlfreiheit des Menschen als ein Unheilsdatum qualifiziert wird. Was der Apostel zu den Philippern sagt, will nach Urteil der Tübinger durchaus im strikten Sinne verstanden sein: „Nicht nur das Gute vollbringen, sondern auch das Gute wollen, ist Gottes Wirkung in uns.“ (Acta et Scripta 164; Übersetzung in Anlehnung an „Wort und Mysterium“) Es ist mithin nicht so, dass die Menschen, denen Gottes Gnade in Jesus Christus begegnet, zuerst das Gute wählen, und dann Gott ihnen das Seine hinzufügt. Kraft seines Geistes wirkt Gott vielmehr alles in allem, wenngleich nicht auf naturhafte Weise, sondern im Modus göttlicher Freiheit, welche den Menschen aus der Unfreiheit und Sklaverei seiner Sünde zu sich und seiner Bestimmung befreit. Diese Befreiung von sich aus zu leisten, ist der Mensch auch nicht ansatzweise in der Lage. Der Ansatz bei der unmittelbaren Selbstbestimmung des Menschen in Form eines selbstverständlich vorausgesetzten „liberum arbitrium“ indifferenter Wahlfreiheit ist vielmehr bereits in sich ein Indiz für den abgründigen Fall des Menschen. Denn auf einem indifferenten Wahlvermögen dem Guten gegenüber zu insistieren, ist bereits Wille zum Bösen. Von daher muss, um es zu wiederholen, das „liberum arbitrium“ aus dem Begründungszusammenhang der Soteriologie ausgeschieden werden. Das betreiben die Tübinger konsequent mit der Folge, dass ihnen der Sünder trotz physischen Lebens als ein geistlich Toter gilt. Wie ein toter Körper nichts will und nichts tut, sondern nur üblen Geruch verbreitet, so kann der geistlich erstorbene Mensch, wenn er nicht von Gott auferweckt und wiedergeboren wird, nichts Gutes wählen und nicht Gutes tun. Der „status controversiae“ zwischen Konstantinopel und Tübingen in der Sünden- und Willensfrage ist damit bestimmt. Er wird in der weiteren Korrespondenz nur mehr bestätigt, ohne dass wirklich neue Argumente erkennbar würden.
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Kann von einem verbleibenden soteriologiDer Realisierungszusammenschen Eigenvermögen des sündig in sich verkehr- hang der Rechtfertigung ten Menschen und von einer soteriologischen Basisfunktion eines menschlichen „liberum arbitrium“ nach Urteil der Tübinger in keiner Weise die Rede sein, so verbleibt in zweiter Hinsicht zu bedenken, was der Wille der Wiedergeborenen in geistlichen Dingen vermag. Diese Frage betrifft, wenn man so will, den Realisierungszusammenhang der Rechtfertigungslehre und dabei insbesondere das Problem der guten Werke. Binnenlutherisch wurde dieser Themenkreis u.a. im sog. majoristischen Streit kontrovers verhandelt. Der majoristische Streit verdankt seinen Namen einem seiner Hauptprotagonisten, dem Melanchthonschüler und entschiedenen Philippisten Georg Major (1502–1574), seit 1544 Theologieprofessor in Wittenberg. Wie sein Lehrer intensiv an der Autorität der altkirchlichen Väter und an der humanistischen Forderung sittlichen Christentums orientiert, lehrte er die Notwendigkeit guter Werke zur Seligkeit. Damit wollte er keinem meritorischen Rechtfertigungsverständnis Vorschub leisten, sondern lediglich betonen, dass die Früchte des Glaubens für dessen Bewahrung unerlässlich seien. Gleichwohl bezichtigten ihn die Gnesiolutheraner der Preisgabe der ursprünglichen Einsicht der Reformation. Um jeden noch so subtilen Pelagianismus gänzlich auszumerzen, verstieg sich Nikolaus Amsdorff (1483– 1565) gar zu der – zum Titel eines Traktats (1559) erhobenen – Aussage, „dass diese Propositio ‚gute Werke sind zur Seligkeit schädlich‘ eine rechte, wahre, christliche Propositio sei, durch die Heiligen Paulum und Lutherum gelehrt und gepredigt“. Nicht weniger deutlich, doch differenzierter äußerte sich Flacius. Abermals ist die Konkordienformel um Vermittlung bemüht, wobei erneut die gnesiolutherische Tendenz gegenüber dem Philippismus dominiert. Die dezidiert antisynergistische Perspektive bezüglich der Prämissen des Rechtfertigungsgeschehens wird in Bezug auf dessen Folgezusammenhang beibehalten. „Trahit Deus, sed volentem trahit“. (BSLK 908,2) Dieser Satz wird in FC II zwar als nicht falsch, aber als in hohem Maße erläuterungsbedürftig bezeichnet. Nicht anders stellt sich die Angelegenheit im Kontext der Lehre von der Gerechtigkeit des Glaubens und von den guten Werken dar, wie FC III und IV sie entwickeln. Zwar wirkt der bekehrte Wille am Heiligungswerk Gottes mit, aber die Mitwirkung hängt ausschließlich an der wirksamen Wirklichkeit des Heiligen Geistes, in welchem sie die Bedingung ihrer Möglichkeit, ihren alleinigen Konstitutions- und Erhaltungsgrund findet. Weder Anfang noch Vollzug der Bekehrung sind daher in das Vermögen des Menschen gestellt. Das „sola gratia“ steht nicht nur hinsichtlich der dem Rechtfertigungsgeschehen vorhergehenden, sondern auch hinsichtlich der ihm nachfolgenden Werke in Geltung. Dessen ist der Rechtfertigungsglaube gewärtig und gewiss; er wird deshalb auch sich selbst nicht als Werk wissen, sondern jenseits aller Selbstsicherheit ganz aus dem Vertrauen auf Gott leben, auf welches sich zu verlassen sein Wesen ausmacht. Es gilt der rechtfertigungstheologische Heilsgrundsatz: „absque ullo respectu praecedentium, praesentium aut consequentium nostrorum operum“ (Ep III, 4).
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Was die nachfolgenden Glaubenswerke betrifft, so haben sie nach FC IV das „sola gratia“ des Rechtfertigungsartikels nicht nur zur anfänglichen, sondern zur durchgängigen Voraussetzung. Hingegen dürfen die guten Werke, sosehr sie gottgeboten und insofern nötig sind, weder zum Konstitutions- noch zum Erhaltungsgrund des Glaubens erklärt werden. Weisen wohl schuldig gebliebene Werke auf schwindenden oder gar fehlenden Glauben hin, so können sie umgekehrt niemals die Gewissheit des Glaubens begründen. In der Konsequenz dessen gelangt die Konkordienformel zu der These, dass der Glaube ohne Werke rechtfertige. Damit ist zwar nicht deren Überflüssigkeit behauptet, aber entschieden in Abrede gestellt, dass Werke das Rechtfertigungsgeschehen begründen oder auch nur mitbegründen können. Wo Werke in dieser Absicht erbracht werden, sind sie nicht nur unnütz, sondern schädlich. Nützlich und förderlich und damit ihrem Begriff als gute Werke entsprechend sind sie hingegen nur, wenn sie durch die im Rechtfertigungsglauben mit Gott versöhnte Person in Dankbarkeit gegenüber der göttlichen Gnade und in der Freiwilligkeit dankbarer Spontaneität vollbracht werden. Erst wenn die Person des Menschen in der Exzentrizität des Glaubens ihres verlässlichen Gründens in Gott innewird und durch das Rechtfertigungsevangelium Jesu Christi in der Kraft des göttlichen Geistes von der Verkehrtheit der Sünde freikommt, um zu sich selbst und zu seiner gottgegebenen Bestimmung zu gelangen, kurzum: Nur wenn die Person des Menschen vor Gott gerechtfertigt ist, sind auch menschliche Werke richtig. Aus diesem Kontext heraus will schließlich auch die Damnation verstanden sein, derzufolge die Lehre zu verwerfen sei, „daß gute Werk nötig sein zur Seligkeit. Item, daß niemand jemals ohne gute Werk sei selig worden. Item, daß es unmuglich sei, ohne gute Werk selig werden.“ (BSLK 789, 17–21) So scharf drücken sich die Tübinger gegenüber Die Kontroverse um Buße und dem Patriarchen nicht aus. Dieser hatte zu Art. gute Werke IV–VI und entsprechend auch zu Art. XX der Confessio Augustana Graeca vermerkt, dass die reformatorische Lehre von der Rechtfertigung des Sünders aus Glauben nur dann ihre Richtigkeit habe, wenn unter diesem der lebendige, durch gute Werke bezeugte Glaube verstanden werde. Denn die Gnade werde dem nicht zuteil, der die nötige Bemühung vermissen lässt. Beide – menschlicher Eifer und göttliche Begnadung – wirken miteinander und durchdringen sich gegenseitig. Zur Rechtfertigung vor Gott bedürfe es daher der vorhergehenden Buße ebenso wie der nachfolgenden Werke heiligender Liebe. Wer diese zu erbringen sich weigere, habe seinen himmlischen Lohn dahin. Zwar sollen wir unser Vertrauen keineswegs vorbehaltlos auf unsere Gerechtigkeit setzen, da diese unvollkommen und der Gnade Gottes bedürftig sei, um ganz und integer zu werden. Gleichwohl müssen wir bestrebt sein, der uns durch Gottes Gnade zukommenden Hilfe entgegenzueilen und Fortschritte zu erzielen auf dem Wege der Heiligung. Ohne Werke tätiger Liebe kann von wahrem Glauben und wahrer Gerechtigkeit vor Gott nicht die Rede sein, auch wenn die Vergebung der Sünde uns anfänglich und bis auf Weiteres gratis und nicht unter Ansehung von Verdienst und Würdigkeit zugesprochen wird.
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In ihrer Antwort vom 18. Juni 1577, die genau eine Woche vor Publikation der Konkordienformel am 50. Jahrestag der Übergabe des Augsburgischen Bekenntnisses erfolgte, pflichten die Tübinger Joachim II. bei, dass Buße sowie gute Werke zu tun zweifellos geboten seien und dass ein toter Glaube im Sinne bloßer Historienkenntnis nicht gerecht mache. Dies treffe nur für jenen Glauben zu, der durch die Liebe tätig sei. Dennoch erklären sie, „daß unsere guten Werke nicht mit dem Artikel von der Rechtfertigung durch Gott vermischt werden dürfen, wo es darum geht, wodurch und weshalb wir mit Gott versöhnt und zu Kindern und Erben Gottes gezählt werden. Warum? Weil wir dafür halten, dass je größerer Wert hier unseren Werken und Verdiensten beigelegt wird, desto geringer die Ehre der Tat Christi wird.“ (Acta et Scripta, 166; Übersetzung in Anlehnung an „Wort und Mysterium“) Gerechtigkeit vor Gott und ewiges Heil verdanken wir allein der Gnade Gottes, wie sie in der Kraft des Heiligen Geistes in Jesus Christus, dem auferstandenen Gekreuzigten, offenbar ist. Die Rechtfertigung geschieht somit „strictissime gratis“, allein durch den Glauben und ohne alle Werke des Gesetzes, wobei unter Gesetz nicht nur das zeremoniale und zivile Gesetz, sondern die „lex naturalis“ des Dekalogs zu verstehen ist. Weil aber die Früchte des Glaubens, die aus der in reiner Gnade empfangenen Rechtfertigung folgen sollen und tatsächlich folgen, unter irdischen Bedingungen stets unvollkommen sind und nie zur Vollkommenheit heranreifen, kann die Gerechtigkeit vor Gott nicht nur anfänglich, sondern auch fernerhin nicht durch sie bedingt sein. Gewissheit des Heils kann der Glaube nur haben, wenn er sich ganz und gar und in all seinem Beginnen nicht auf gerechte Menschenwerke, sondern auf die Gerechtigkeit Christi verlässt. Deshalb hat es nach Tübinger Urteil seine Richtigkeit zu sagen, dass gute Werke weder der Bedingung- noch auch der Erhaltungsgrund der Gerechtigkeit sind, die vor Gott gilt. Wenn demgegenüber der Patriarch im Mai 1579 zu bedenken gibt, dass von untätigem Glauben und glaubenslosen Werken zu reden gleichermaßen unsinnig und mit dem Christentum unvereinbar sei, so widersprechen die Tübinger dem zwar nicht einfach. Auch sind sie zu bekennen gerne bereit, dass diejenigen nicht Kinder Gottes heißen, die keine guten Werke tun. Ja, selbst als empirisches Erkenntnismittel der Rechtfertigung sind sie die Werke des Glaubens unter gewissen Vorbehalten zu würdigen bereit. Gleichwohl bleibt es dabei, dass das Rechtfertigungsgeschehen als solches von Anfang bis Ende und in einer die Gesamtexistenz des Menschen umspannenden Weise allein durch Gnade und keinesfalls durch Menschenwerk bewirkt wird. Wollten wir durch die Erfüllung des Gesetzes gerechtfertigt werden, wäre unser Heil dahin. Denn sind wir nach unserem natürlichen Vermögen als gefallene Menschen überhaupt nicht in der Lage, heilsame Werke zu tun, so können wir auch als Begnadete das Gesetz Gottes nur auf anfängliche und niemals auf vollkommene Weise erfüllen. Unser einziges Heil ist und bleibt daher Christus allein, der das Erlösungswerk nicht nur zum Teil, sondern ganz und gar vollbracht hat. Diese Vollgenügsamkeit der Gerechtigkeit Christi, auf die sich zu verlassen die Heilsgewissheit des Glaubens ausmacht, darf nicht durch
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falsches Vertrauen auf zwar gebotene, aber stets insuffiziente Werke des Gesetzes in Frage gestellt und in Zweifel gezogen werden. „Dem Mittler Christus allein und niemand anders gebührt die Ehre. Er selbst spricht durch den Propheten Jesaia: Ich, Ich tilge deine Übertretungen um Meinetwillen und gedenke deiner Sünden nicht. Niemand von uns ist jener Ich (Oudeis hemon esti ... ho EGO; nemo nostrum est, ille ego), der durch den Propheten spricht. Christus allein ist jener Mittler, der die Sünden abwäscht.“ (Acta et Scripta, 309; Übersetzung nach „Wort und Mysterium“) Die rechtfertigungstheologische Argumentation ist damit auf ihr Zentrum zurückgeführt, in welchem die reformatorische Einsicht ihren Ursprung und Skopus findet. Die Reformation bezweckte, wie mehrmals erReformation und Kirchenwähnt, nicht die Spaltung der abendländischen spaltung Christenheit und die Gründung von denominationellen Kirchentümern. Ihre genuine Absicht war vielmehr auf die Reform der einen, heiligen, allgemeinen und apostolischen Kirche gerichtet, die sich nach Urteil der Reformatoren nicht auf den Westen beschränken lässt, sondern selbstverständlich auch den christlichen Osten umfasst. „Melanchthon ist wohl noch wie Luther in der Überzeugung gestorben, Glied der einen katholischen Kirche Christi auf Erden zu sein, auch wenn er dafür Vorsorge trug, daß die Wahrheit Gottes in dieser stets angefochtenen Kirche nicht unterginge. Gerade sein ‚Corpus Doctrinae Christianae‘ von 1560 kann für beide Seiten dieser ihn tragenden Gewißheit herangezogen werden.“ (Kretschmar, 32) Die siebzehn Jahre nach Melanchthons Tod vereinbarte Konkordienformel ist im Vergleich dazu eindeutig ein Dokument des entstehenden konfessionellen Zeitalters; ihre Autoren hatten als Männer der zweiten reformatorischen Generation bereits ein ausgeprägtes „lutherisches“ – von Genf und Rom gleichermaßen abgegrenztes – Konfessionsbewusstsein. Hält man sich vor Augen, dass zu den Württemberger Dialogpartnern des konstantinopolitanischen Patriarchen Protagonisten der Konkordienformel zählten, wird die von lutherischer Seite bestehende enge Verbindung zwischen der konkordistischen Bewegung und dem Tübinger Dialog mit Konstantinopel unschwer erkennbar. Die erfolgte Untersuchung der inhaltlichen Argumentationsverläufe von Württemberger Seite in Zusammenhang des rechtfertigungstheologischen Disputs mit dem Patriarchen bestätigte dies in wünschenswerter Deutlichkeit. Der Geist der Formula Concordiae ist in den Württemberger Darlegungen omnipräsent. Sie sind bei aller ökumenischen Orientierung vom Prozess der Konfessionalisierung durchweg mitgeprägt. Die Verwendung des Briefwechsels in der Polemik der westlichen Kirchen gegeneinander ist ein weiteres Indiz für diesen Sachverhalt. Nach ihrem Bekanntwerden über den Kreis der Eingeweihten hinaus wurde die Korrespondenz sowohl Gegenstand kontroverstheologischer Auseinandersetzungen im binnenreformatorischen Bereich, nämlich zwischen Wittenberg und Zürich/Genf, als auch zwischen lutherischer Reformation und römisch-katholischer Gegenreformation. Die Funktionalisierung des Briefwechsels zugunsten konfessionell-konfessionalisti-
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scher Zwecke bestimmte indes nicht nur den Umgang Außenstehender mit ihm. Auch von Seiten der Tübinger Autoren selbst wurde er von Anfang an in den Dienst der Auseinandersetzung mit Rom gestellt. Inwieweit der Briefwechsel zudem ein Moment des Prozesses binnenreformatorischer, ja binnenlutherischer Konfessionalisierung darstellt, ist einer ausführlichen Schlusserörterung wert. Dass die sog. philippistischen Streitigkeiten Philippismus und Gnesiozwischen den Melanchthonianern einerseits und luthertum den sog. Gnesiolutheranern andererseits von Württemberger Seite den Hintergrund des theologischen Disputs zwischen den Tübingern und dem Patriarchen bildeten, steht nach meinem Urteil zumindest in Bezug auf den rechtfertigungstheologischen Themenkreis außer Zweifel. Das wird auch von D. Wendebourg eingeräumt. Allerdings formuliert sie diesbezüglich eher zurückhaltend, wenn sie zu den philippistischen Streitigkeiten bemerkt: „Den Austausch mit dem Patriarchen auch auf diesem Hintergrund zu sehen, hätte für die Württemberger schon deshalb nahegelegen, weil einschlägige Aussagen und Termini der philippistischen Debatte der griechischen Theologie entnommen waren: So hatte Melanchthon für seine Position auf denselben Chrysostomos verwiesen, den auch Jeremias zum Thema ‚freier Wille‘ in vorderster Linie heranzog, und der Begriff ‚Synergismus‘, der zum Reiz- und Schimpfwort des innerreformatorischen Streits geworden war, ließ die griechische Patristik unmittelbar anklingen. Indessen ist festzustellen, daß die Tübinger zwar die Lösungen voraussetzen, mit denen die Konkordienformel schließlich jene Streitigkeit beendete; Rückgriffe auf die Debatten selbst aber finden sich bei ihnen nicht. Vielmehr steht ganz der Gegensatz zur römischen Theologie im Vordergrund.“ (Wendebourg, 230) Letzteres ist zweifellos richtig. Prüfungs- oder doch erläuterungsbedürftig scheint mir hingegen die Behauptung, Rückgriffe auf die binnenlutherischen Debatten fänden sich bei den Tübingern trotz der inhaltlichen Orientierung an den Lösungen der Konkordienformel nicht. Zutreffend ist, dass explizite Rückgriffe, welche die philippistischen Streitigkeiten eigens erwähnen, nicht vorgenommen werden. Mit impliziten Reflexen hierauf hat man gleichwohl zu rechnen, wenn anders, wie Wendebourg mit Recht vermerkt, die Formula Concordiae den Orientierungsmaßstab der Tübinger Argumentationen abgibt. Im Übrigen wäre es reizvoll, durch detaillierte Textvergleiche im Einzelnen zu untersuchen, ob sich nicht doch auch, anders als Wendebourg dies vermutet, literarische Abhängigkeiten der Briefe der Tübinger von den konkordistischen Vorarbeiten namentlich Andreaes nachweisen lassen. Wie auch immer: Der enge inhaltliche Zusammenhang zwischen den Tübinger Argumentationen gegenüber dem Patriarchen und dem konkordistischen Schiedsverfahren innerlutherischer Streitbelegung ist evident. Die Tübinger Korrespondenz ist, um es zu wiederholen, fraglos von einem engagierten ökumenischen Interesse und dem Bewusstsein motiviert, der einen – die Grenzen der Zeit und des Raumes transzendierenden – weltumspannenden Kirche anzugehören; sie hat aber ihren konkreten Sitz im Leben zugleich im Prozess der Konfessionalisierung der westli-
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chen Christenheit, der im 16. Jahrhundert zur Etablierung separater Kirchentümer mit u.a. präzise definierter Lehridentität führte. Der Weg zu einem Corpus Doctrinae des Luthertums mit mehr oder minder definitivem Verbindlichkeitsanspruch ist der Tübinger Korrespondenz mit Jeremias II. förmlich eingezeichnet. Daher rührt, wie mir scheint, auch das Tübinger Bemühen um verhältnismäßig strenge Systematik, zu welchen das Kompilationsverfahren des Patriarchen in einem eigentümlichen Missverhältnis steht. Dass man zuletzt zu keinem beidseitig befriedigenden Einverständnis gelangte, ist gewiss nicht nur durch inhaltliche Divergenzen, sondern auch durch Stilgegensätze bedingt. Wie hätte ein Briefwechsel zwischen Melanchthon und Patriarch Joasaph ausgesehen, wenn er denn zustandegekommen wäre und die Demetriosmission von 1559 Erfolg gehabt hätte? Wir wissen es nicht und können es nicht wissen. Gewiss aber ist, dass sich der Prozess der Konfessionalisierung nach dem Tod des Praeceptor Germaniae nicht zuletzt im Binnenbereich der Wittenberger Reformation, für die Melanchthon mittlerweile selbst zum Problem geworden war, erheblich beschleunigte. Die Korrespondenz der Tübinger mit Patriarch Jeremias in den Jahren 1573 bis 1581 belegt diese Entwicklung auf ihre Weise. Ohne Berücksichtigung des neben Rom und Genf auch die Wittenberger Reformation erfassenden Konfessionalisierungsprozesses lässt sie sich nicht angemessen verstehen. Gleichwohl wäre es falsch, die Tübinger einfachhin zu Funktionären des Konfessionalismus zu erklären. Dagegen spricht bereits die Tatsache, dass sie, obwohl seit geraumer Zeit um die Sammlung der Lutheraner in Abgrenzung gegenüber den Philippisten bemüht, für ihren „Dialog mit Konstantinopel auf die CA Graeca von 1559 zurückgriffen, deren Zusammenhang mit Melanchthon ihnen nicht unbekannt geblieben sein konnte und deren Abweichungen von der ursprünglichen Fassung des Bekenntnisses ja offen zutage lagen. Die Tübinger haben daraus auch kein Geheimnis gemacht, sondern ... die CA graeca von 1559 in den ‚Acta et Scripta‘ wieder mit abgedruckt und ihr sogar eine lateinische Übersetzung beigefügt, die sich an die Fassung des textus receptus der CA anlehnt, aber auch die Abweichungen getreulich festhält. Falls es Diskussionen über die Authentizität dieser Übertragung gegeben haben sollte, haben sie keine Spuren hinterlassen.“ (Kretschmar, 36f.) Zur Begründung für diesen bemerkenswerten Konfessionalität und Sachverhalt reicht nach G. Kretschmars VermuÖkumene tung nicht bereits die Tatsache aus, „daß die Übersetzung von 1559 eben vorlag – worauf die Tübinger durchaus verweisen. Sicher hat es dabei eine wichtige Rolle gespielt, dass Martin Crusius die CA graeca von 1559 offenbar hoch schätzte, er war ja überhaupt die treibende Kraft bei diesem Unternehmen. Ausschlaggebend war es aber wohl doch, dass auch die Väter der Konkordienformel in ähnlicher Weise von der Einheit und Identität des reformatorischen Bekenntnisses und ‚unserer Kirchen‘ überzeugt waren wie der alte Melanchthon.“ (Kretschmar, 37) Das wird man so annehmen dürfen. Dennoch verbleibt zwischen der Confessio Augustana Graeca in der Melanchthonischen Redaktionsgestalt von 1559 und ihrer späteren Verwendung im Tübinger Dialog
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mit Konstantinopel eine unaufgehobene Spannung. Diese lässt sich zwar nicht an ihrem äußerlichen Bestand ablesen, der buchstäblich unberührt blieb, aber sie ergibt sich aus dem kirchenhistorischen und mentalitätsgeschichtlichen Wandel der Jahre zwischen Melanchthons Tod und dem Abschluss des Konkordienwerkes. Dieser Wandel betraf auf indirekte Weise auch Funktion und Bedeutung der CA Graeca, selbst wenn für die zwischen Philippisten und Gnesiolutheranern hauptsächlich umstrittenen Fragen und für die diesbezüglich in der Konkordienformel festgeschriebenen Lösungen die Differenzen zwischen dem Augsburger Bekenntnis von 1530/31 und dessen griechischer Version von 1559 nicht erheblich waren. Hat die Confessio Augustana Graeca eine Relevanz, die über ihre Verwendung im 16. Jahrhundert hinausreicht und von aktueller Wichtigkeit ist? Ich denke, das ist der Fall und zwar gerade dann, wenn man sich die Spannung zu Bewusstsein bringt, welche dem Dokument vom Reformationsjahrhundert her innewohnt. Spannend für den gegenwärtigen Dialog der christlichen Kirchen wird die CA Graeca nämlich dann, wenn man sie – und zwar zugleich und in einem Verstehensvorgang – sowohl als einen Bekenntnistext konfessioneller Selbstverständigung als auch als ein Zeugnis ökumenischer Aufgeschlossenheit liest. Eine dementsprechende Relektüre kann zu einem Exempel gegenwärtiger ökumenischer Hermeneutik werden, sofern für diese grundsätzlich beides zu gelten hat: Ökumenische Übereinkunft lässt sich ohne konfessionelle Selbstverständigung oder unter Abstraktion von dieser nicht herstellen; umgekehrt gehört es zum Wesen konfessioneller Selbstverständigung, diese in ökumenischer Offenheit und in dem Bewusstsein zu vollziehen, dass Christus alle Christen zu einem gemeinsamen Bekenntnis berufen hat.
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9. Koinonia als ekklesiologische Leitkategorie des Ökumenischen Rates der Kirchen
Lit.: R. Frieling, Art. Ökumene, in: TRE 25, 46–77. – G. Gaßmann/D. Heller (Hg.), Santiago de Compostela 1993. Fünfte Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung, Frankfurt a.M. 1994. – B.J. Hilberath, Forschungsbericht Schwerpunkte und Tendenzen in der Ekklesiologie (II), in: ThQ 184 (2004), 287–303. – Koinonia. Arbeiten des Ökumenischen Arbeitskreises der VELKD zur Frage der Kirchen- und Abendmahlsgemeinschaft, hg.v. Lutherischen Kirchenamt der VELKD, Berlin 1957. – P. Neuner, Ökumenische Theologie. Die Suche nach der Einheit der christlichen Kirchen, Darmstadt 1997. – Chr. Schwöbel, Art. Koinonia, in: RGG (4. Aufl.) 4, Sp. 1477–1479. – W.A. Visser’t Hooft, Geschichte und Sinn des Wortes „ökumenisch“, in: ders., Ökumenischer Aufbruch. Hauptschriften Bd. 2, Berlin 1967, 11–28. – John D. Zizioulas, Being as Communion. Studies in Personhood and the Church, London (1985) 21993.
Alle sprechen neuerdings von Globalisierung. Die Christenheit tut das schon seit knapp zwei Jahrtausenden. Sachlich ist dies durch die Tatsache begründet, dass die ihr aufgetragene Botschaft die Schranken sowohl der Zeit als auch des Raumes transzendiert und ihrem Wesen nach universal und auf den ganzen bewohnten Erdkreis ausgerichtet ist. Terminologische Gelegenheit, dies zum Ausdruck zu bringen und entsprechend zu umschreiben, bot der frühen Christenheit das der griechischen Antike entlehnte Wort „Ökumene“. Es begegnet bereits im 5. Jahrhundert vor Christus bei Herodot und Xenophanes, um die die gesamte Menschheit umfassende Welt zu bezeichnen. Dieser Sprachgebrauch hat sich, wie etwa die Septuaginta, die griechische Übersetzung des Alten Testaments beweist, auch später erhalten, als die Wortbedeutung gelegentlich auf den hellenistischen Kulturbereich oder auf das Imperium Romanum eingeengt wurde. Diese Beschränkung mag der Grund dafür sein, dass der Begriff „Ökumene“ im Neuen Testament nicht sehr häufig begegnet. Signifikant und richtungsweisend ist seine Verwendung in Mt 24,14, wenn es im Kontext apokalyptischer Endzeitreden Jesu heißt, das Evangelium vom Reiche Gottes werde allen Völkern zum Zeugnis in der ganzen Ökumene, „in universo orbe“ verkündet. Wie die eschatologische Verkündigung des kommenden, im auferstandenen Gekreuzigten bereits angebrochenen Reiches Gottes, der ihre Berufung gilt, ist auch die Kirche eine ihrem Wesen nach ökumenische Größe. Kirchliche Ökumenizität und Katholizität bilden einen Zusammenhang. Weit davon entfernt, ein Der Ökumenebegriff
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denominationell eingeschränkter Konfessionsname zu sein, bezeichnet Katholizität das in der Universalität ihrer Botschaft begründete allumfassende Wesen der Kirche, das auf den ganzen Weltkreis bezogen und daher wesentlich und in unveräußerlicher Weise ökumenisch ist. In der im 4. Jahrhundert nach Christus kirchenoffiziell gewordenen Rede von Ökumenischen Synoden bzw. Konzilien reflektiert sich dieser Sachverhalt. Zum Gegenstand des Streits wurde der Begriff der Ökumene im Laufe der Christentumsgeschichte genau zu dem Zeitpunkt, als Spaltungen die Einheit und Katholizität der Kirche in Frage stellten. Der Konflikt zwischen Rom und Konstantinopel lässt sich dafür ebenso als Beispiel anführen wie die Auseinandersetzungen innerhalb der westlichen Christenheit seit dem Reformationsjahrhundert. Führt der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel seinen seit dem frühen 6. Jahrhundert geläufigen Titel zu Recht, oder muss der Ausdruck, wenn er im Sinne von „univeralis episcopus“ Verwendung findet, dem Bischof von Rom in seinem päpstlichen Amte vorbehalten werde, ohne dessen Primatsstellung die Universalität und Einheit der Kirche nach römisch-katholischem Urteil nicht zu wahren ist? Lässt sich, so könnte weiter gefragt werden, die Entscheidung über die Ökumenizität der Kirche oder darüber, was ökumenisch zu nennende Konzilien sind, derart eng mit Amtspersonen oder der synodalen Autorität von Bischöfen verbinden? Ist es nicht weitaus angemessener, primär nicht nach Kriterien der amtlichen Autorität, sondern der Sachhaltigkeit und argumentativen Stringenz über kirchliche Ökumenizität zu befinden, wie es durch den reformatorischen Beitrag zur Wortgeschichte und die Wendung „tria symbola catholica sive oecumenica“ nahegelegt wird, mit welchem im Konkordienbuch die altkirchlichen Bekenntnisse des Apostolikums, des Nizäno-Konstantinopolitanums und des sog. Athanasianums bezeichnet werden? Wie immer die Beantwortung dieser und ähnlicher Fragen ausfallen mag: Deutlich ist, dass sich in der Begriffsgeschichte und im historischen Gebrauch des Ökumenebegriffs genau jene Kontroverse widerspiegelt, auf deren Behebung diejenige Bewegung angelegt ist, die wir üblicherweise die ökumenische nennen. Die moderne ökumenische Bewegung ist wesentlich motiviert durch das vom Einheitsauftrag Die ökumenische Bewegung Jesu geprägte und vom Wunsch nach glaubwürdiger Weltverantwortung bestimmten Bewusstsein, dass die weltweite Zusammengehörigkeit der Christen und der christlichen Kirchen durch die erfolgte Kirchentrennung innerhalb der Christenheit zwar nicht unerheblich eingeschränkt, aber keineswegs aufgehoben ist. Verfasste Gestalt angenommen hat dieses Bewusstsein, dessen bündiger Ausdruck der neuzeitspezifische Ökumenebegriff in seiner geläufigen Verwendung ist, insonderheit im 20. Jahrhundert, das mit Recht als das ökumenische in die Kirchengeschichte eingehen wird, wenngleich sich institutionelle Ansätze zu einer die getrennten konfessionellen Kirchentümer und Denominationen verbindenen Einigung der Christenheit unschwer ins 19. Jahrhundert und darüber hinaus zurückverfolgen lassen.
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Um zunächst nur jene interkonfessionellen Entwicklungen auf Weltebene ins Auge zu fassen, die 1948 zur Gründung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) geführt haben, so sind vor allem die drei ökumenischen Grundmotive zu berücksichtigen, welche – aus Anlass der Weltmissionskonferenz in Edinburgh 1910 programmatisch benannt – in der Weltmissionsbewegung und der Gründung des Internationalen Missionsrats (1921), in der Bewegung für Praktisches Christentum („Life and Work“, ab 1920) sowie in der Bewegung für Glauben und Kirchenverfassung („Faith and Order“, ab 1910) dauerhafte Gestalt annahmen. Alle drei Bewegungen sind Vorläufer des ÖRK, wobei das interkonfessionelle Bemühen um die Einheit der Christen und der getrennten christlichen Kirchen vor allem von der Faith and Order-Gruppierung getragen war, die von hervorragenden Ökumenikern wie Charles Brent (1862–1929) und dem anglikanischen Erzbischof von Canterbury William Temple (1881–1944) angeführt wurde. Bereits in der ersten, die 1927 in Lausanne tagte, stark engagiert, war Temple Vorsitzender der zweiten Weltkonferenz von Glauben und Kirchenverfassung 1937 in Edinburgh, die unter dem Thema „Die Kirche in Gottes Heilsplan“ stand. In Edinburgh erfolgte der prinzipielle Gründungsbeschluss für den ÖRK, der sich wegen des Zweiten Weltkriegs allerdings erst 1948 in Amsterdam realisieren und in die Tat umsetzen ließ. Das Selbstverständnis des ÖRK ist durch die an Funktionen und Aufgaben den Anfang seiner Verfassung gestellte Basisfordes ÖRK mel bündig umschrieben, derzufolge er „eine Gemeinschaft von Kirchen (ist), die den Herrn Jesus Christus gemäß der Heiligen Schrift als Gott und Heiland bekennen und darum gemeinsam zu erfüllen trachtet, wozu sie berufen sind, zur Ehre Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“. Durch diese Formel wurde 1961 die ursprünglich knappere von 1948 ersetzt, wonach es sich beim ÖRK, wie es im Anschluss an die Pariser CVJM-Charta von 1855 hieß, um eine Gemeinschaft von Kirchen handelt, die unseren Herrn Jesus Christus als Gott und Heiland anerkennen. Bemerkenswert an beiden Varianten ist die auffällige Zurückhaltung in ekklesiologischer Hinsicht: Der ÖRK ist keine Kirche, auch keine Kirchengemeinschaft im strengen Sinne des Begriffs, sondern, wie es beide Male gleichlautend heißt, eine Gemeinschaft von Kirchen, die ihre kirchliche Autonomie und ihr ekklesiologisches Selbstbestimmungsrecht durch Mitgliedschaft nicht zur Disposition stellen. Ab 1992 war der ÖRK in die vier Programmeinheiten „Einheit und Erneuerung“, „Leben, Erziehen und Mission“, „Gerechtigkeit, Frieden und Schöpfung“ sowie „Teilen und Dienst“ gegliedert. 1998 und 2002 wurde die Struktur geändert. Die Arbeit wird nun in Form spezifischer Teams geleistet, von denen „Faith and Order“ eines ist. Oberstes Organ des ÖRK ist die in einem Turnus von etwa sieben Jahren tagende Vollversammlung, deren jeweiliges Motto das Generalthema der Verhandlungen benennt: 1. Die Unordnung der Welt und Gottes Heilsplan (Amsterdam 1948); 2. Christus – die Hoffnung der Welt (Evanston 1954); 3. Jesus Christus – das Heil der Welt (Neu-Delhi 1961); 4. Siehe, ich mache alles neu
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(Uppsala 1968); 5. Jesus Christus befreit und eint (Nairobi 1975); 6. Jesus Christus – das Leben der Welt (Vancouver 1983); 7. Komm, Heiliger Geist, erneuere die ganze Schöpfung (Canberra 1991); 8. Kehrt um zu Gott – seid fröhlich in der Hoffnung (Harare 1998). Ergebnisse und Wirkungsgeschichte der Vollversammlungen sind ausführlich und vielfach beschrieben worden (vgl. etwa Neuner, 39– 66). Eigens erwähnt sei daher nur die Näherbestimmung der Funktionen und Aufgaben des ÖRK, wie sie 1975 in Nairobi erfolgte: „1. Die Kirchen aufzurufen zu dem Ziel der sichtbaren Einheit im einen Glauben und der einen eucharistischen Gemeinschaft, die ihren Ausdruck im Gottesdienst und im gemeinsamen Leben in Christus findet, und auf diese Einheit zuzugehen, damit die Welt glaube; 2. das gemeinsame Zeugnis der Kirchen an jedem Ort und überall zu erleichtern; 3. die Kirchen in ihrer weltweiten missionarischen und evangelistischen Aufgabe zu unterstützen; 4. der gemeinsamen Aufgabe der Kirchen im Dienst am Menschen in Not Ausdruck zu verleihen, die die Menschen trennenden Schranken niederzureißen und das Zusammenleben der menschlichen Familie in Gerechtigkeit und Frieden zu fördern; 5. die Erneuerung der Kirche in Einheit, Gottesdienst, Mission und Dienst zu ermutigen; 6. Beziehungen zu nationalen Kirchenkonferenzen, konfessionellen Weltbünden und anderen ökumenischen Organisationen aufzunehmen und aufrechtzuerhalten; 7. die Arbeit der internationalen Bewegungen für Glauben und Kirchenverfassung und für praktisches Christentum sowie des Internationalen Missionsrates und des Weltrates für Christliche Erziehung weiterzuführen.“ (Zit. n. Neuner, 70f.) Eine Modifikation dieser Funktionsbestimmung erfolgte 1988 in Harare. Sie betrifft vor allem den ersten Topos, der um den Zusatz ergänzt wurde, dass Zeugnis und Dienst an der Welt konstitutive Elemente kirchlichen Einheitsstrebens seien. Wie angedeutet operiert „Faith and Order“ Glauben und Kirchenverseit geraumer Zeit als Team für Glauben und Kir- fassung chenverfassung. Geleistet wird die Sacharbeit zusammen mit dem Stab vor allem durch die Ständige Kommission. Die Plenarkommission hat demgegenüber eher eine Motivations- und Kontrollaufgabe. Sie legt gemäß ihrer jüngst überarbeiteten Satzung einen breiteren Bezugsrahmen für die Aktivitäten der Ständigen Kommission fest und stellt insbesondere ein Forum für theologische Debatten dar. Mitglieder des Plenums können für die Mitarbeit in Studiengruppen und an Konsultationen gewonnen werden. Die Mitglieder des Plenums der Kommission beteiligen sich an der Vermittlung des Arbeitsprogramms von Glauben und Kirchenverfassung an die Kirchen. Nach aktueller Praxis tritt die Plenarkommission lediglich einmal zwischen den Vollversammlungen des ÖRK zusammen. Ausnahmen von der Regel und Höhepunkte in der Arbeit von „Faith and Order“ stellen darüber hinaus gelegentliche Weltkonferenzen dar. Zuletzt gab es nach einer dreißigjährigen Pause 1993 in Santiago de Compostela ein Ereignis dieser Art. Die nach Lausanne 1927, Edinburgh 1937, Lund 1952 und Montreal 1963 Fünfte Weltkonferenz von Glauben und Kirchenverfassung stand unter dem Mot-
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to: „Auf dem Weg zur Koinonia im Glauben, Leben und Zeugnis“. Der „koinonia“-Begriff fungierte schon in der sog. Canberra-Erklärung der Siebten Vollversammlung des ÖRK von 1991 als ekklesiologische Leitkategorie ökumenischer Verständigung, und er hat diese Funktion im Rahmen des ÖRK im Allgemeinen und der Arbeit von Faith and Order im Besonderen bis heute erhalten. Eine in ökumenischer Absicht konzipierte evangelische Lehre von der Kirche wird daher dem Leitbegriff der Koinonia und den entsprechenden Ergebnissen von Santiago, deren offizielle deutsche Dokumentation durch den Evangelischen Pressedienst (epd-Hefte 38, 39 u. 41 [1993])) und im Beiheft zur Ökumenischen Rundschau NR. 67 erfolgt ist, die gebührende Aufmerksamkeit zuzuwenden haben. Das soll im Folgenden geschehen mit dem Ziel, die Koinonia-Ekklesiologie mit dem für die ÖRK-Ökumene nicht minder wichtigen Programm einer „Visible unity“ in Verbindung zu bringen und mit den einschlägigen Aussagen reformatorischer Bekenntnistradition zu vermitteln. Fragt man nach dem theologischen UrsprungsKoinonia-Ekklesiologie sinn des „koinonia“-Begriffs, der im Neuen Testament zwar nur selten vorkommt und im Alten kein unmittelbares Äquivalent hat, aber doch seinem Inhalt nach in der Bibel allgegenwärtig ist, so empfiehlt sich als exemplarischer Text 1. Kor. 10,16f. Der Apostel greift dort eine wahrscheinlich zu katechetischen Zwecken geprägte, parallel aufgebaute Formulierung auf, in der das eucharistische Brot zur Gemeinschaft des Leibes Christ, der gesegnete Kelch zur Gemeinschaft des Blutes Christi erklärt wird; für das deutsche Wort „Gemeinschaft“ (oder Teilhabe) steht im griechischen Urtext jedesmal der „koinonia“-Begriff. Paulus kehrt die Reihenfolge der beiden katechetischen Formeln um und verwandelt sie durch einen rhetorischen Kunstgriff in Fragen, um von dem am Kreuz dargebrachten Leib Christi direkt auf die Kirche von Korinth als Leib Christi überzuleiten, deren Einheit er zu fördern und gegen Gefährdungen abzugrenzen sucht: „Ist der Kelch des Segens, über den wir den Segen sprechen, nicht Teilhabe am Blut Christi? Ist das Brot, das wir brechen, nicht Teilhabe am Leib Christi? Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib, denn wir alle haben teil an dem einen Brot.“ (1. Kor. 10,16f.) Dieser, die ersten „koinonia“-Belege in christlichen Zeugnissen integrierende Text ist kennzeichnend für das paulinische Verständnis von „koinonia“, wie es im eucharistischen Zusammenhang paradigmatisch zum Ausdruck kommt: Indem wir im Mahl des Herrn Anteil gewinnen an Leib und Blut, will heißen: an der in Gott verewigten Person des auferstandenen Gekreuzigten, werden wir untereinander zu einer personalen Gemeinschaft wechselseitiger Teilhabe und Teilgabe, zum Leib Christi zusammengeschlossen, der zu sein die Kirche in allen ihren Erscheinungsgestalten bestimmt ist. Dass mit dieser Argumentationsfigur die strukturelle Grundgestalt nicht nur des paulinischen, sondern des neutestamentlichen „koinonia“-Begriffs überhaupt erfasst ist, hat der Lutheraner John Reumann in einem Überblick über die einschlägigen biblischen Textbelege zum Auftakt der Weltkonfererenz von Santiago detailliert gezeigt. Sachlich analog zu diesen Ergebnissen wurde im 21. Artikel des der
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Arbeit der Weltkonferenz zugrundeliegenden Diskussionspapiers als übereinstimmende Überzeugung der Kirchen die Auffassung geäußert, das Koinoniakonzept bezeichne einen differenzierten Relationszusammenhang, der die Beziehung zu dem in Jesus Christus offenbaren Gott sowie die Beziehung der Menschen untereinander betrifft. Indem uns Gott in Jesus Christus durch die Kraft seines Heiligen Geistes mit sich selbst versöhnt, versöhnt er uns zugleich untereinander und erlöst uns aus unserer sündigen Selbstverkehrung. Mit dem letzten Satz ist bereits auf die trinitätstheologische Konstituierung und Fundierung jenes Beziehungsgeschehens verwiesen, welches der biblische „koinonia“-Begriff bezeichnet, ohne selbst schon explizit trinitarisch geprägt zu sein. Die in Jesus Christus kraft des Heiligen Geistes vermittelte und im Glauben wahrgenommene Gemeinschaft Gottes mit den Menschen ist Basis und Ermöglichungsgrund jener „koinonia“, zu der die Kirche und durch deren Dienst Menschheit und Welt in ihrer Gesamtheit bestimmt sind. In diesem Sinn muss jede rechte Ekklesiologie trinitätstheologisch verfasst sein. Darauf hat im Plenum der Weltkonferenz namentlich der orthodoxe Metropolit von Pergamon, Johannes Zizioulas, hingewiesen. „God“, so lautete die entscheidende Bestimmung, „is trinitarian; He is a relational being by definition; a nontrinitarian God is not koinonia in his very being. Ecclesiology must be based on Trinitarian theology if it is to be an ecclesiology of communion.“ (epd-Dokumentation 41/93, 63–72, hier: 65) Hinzuzufügen ist, dass das Verhältnis von göttlicher Trinität und kirchlicher, auf Menschheit und Welt in ihrer Gesamtheit ausgerichteter „koinonia“ allerdings verkannt wäre, wenn es lediglich oder auch nur primär im Sinne imitativer Nachahmung gefasst würde. Göttliche und menschliche „koinonia“, wie sie in der gottmenschlichen Gemeinschaft, die Jesus Christus in Person ist, auf alles weitere fundierende Weise koinzidieren, verhalten sich vielmehr wie im Glauben wahrzunehmender Grund und jene gehorsame Folgsamkeit, zu welcher das christliche Denken und Handeln – seinem Glaubensgrund entsprechend – verpflichtet ist. Unter dieser Voraussetzung ist dem Metropoliten Johannes Zizioulas von Pergamon vorbehaltlos beizupflichten, wenn er sagt, eine im trinitarisch fundierten Sinne als „koinonia“ begriffene Kirche müsse ihrem Wesen nach als relational verfasst verstanden werden mit den entsprechenden Konsequenzen für kirchliche Identität, Struktur und Autorität. Durch ein solchermaßen relationales, elementar auf Beziehung hin angelegtes Kirchenverständnis können nach Zizioulas nicht nur alle legalistischen Tendenzen, sondern auch die überkommenen Dichotomien zwischen Institution und Charisma, Konziliarität und Primat, lokaler und universaler Ausrichtung der Ekklesiologie überwunden werden. Als besonders bemerkenswert hat dabei zu gelten, was der Metropolit zum letzten Aspekt ausführte: Nur unter der Bedingung eines relationalen Kirchenbegriffs kann es gelingen, sowohl die lokalkirchliche Orientierung, der gemäß jede Ortskirche im vollen Sinne als Kirche Jesu Christi zu gelten hat, als auch die universalkirchliche Perspektive, welche die in räumlicher und zeitlicher Hinsicht weltumfassende Einheit der Kirche betont, zu einer ekklesiologischen Sicht paritätisch zu vereinen. Welche konkreten Konse-
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quenzen dies für Struktur und Verfassungsordnung von verbindlichen Entscheidungsprozessen der Kirche nach sich zieht, hat Zizioulas zwar mehr angedeutet als ausgeführt; gleichwohl wird man sagen dürfen, dass der von ihm vorgetragene ekklesiologische Ansatz grundsätzlich geeignet ist, kirchlichen Partikularismus und Separatismus ebenso in Schranken zu weisen wie von der konkreten Realität der Ortskirchen abgehobene Universalitätsansprüche. In diesem Anliegen kommen die Ausführungen Kirche als congregatio des orthodoxen Metropoliten vollständig mit sanctorum dem überein, was in CA VII von der Kirche gelehrt wird. Danach hat, wie mehrfach betont, die „ecclesia“ als „congregatio sanctorum“ zu gelten, „in qua evangelium pure docetur et recte administrantur sacramenta« (CA VII,1; BSLK 61,4–7: „... Versammlung aller Glaubigen, bei welchen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakrament lauts des Evangelii gereicht werden.“) Was den Relativsatz betrifft, so benennt er mit Evangeliumsverkündigung und Sakramentsdarreichung nicht nur die wesentliche Lebensäußerung, sondern zugleich den konstitutiven Lebensgrund der Kirche. Hat doch der kirchliche Vollzug der Heilsmittel, wenn er denn rein und recht ist, den Charakter einer Empfangshandlung, will heißen: eines Tuns der Kirche, mittels dessen der in Jesus Christus offenbare Gott als der Grund aller kirchlichen Tätigkeit vorstellig wird, um in der Kraft seines Heiligen Geistes sich als heilsam zu erweisen. Das gewisse Vertrauen auf solche Selbstbewährungsfähigkeit des dreieinigen Gottes macht nicht weniger als den Glauben der Kirche aus, in welchem nach reformatorischer Lehre ihr heiliges Wesen besteht. Die Wendung „congregatio sanctorum“ bzw. „congregatio vere credentium“ (CA VIII, 1) ist also grundsätzlich durchaus analog zu dem Apostolikumszusatz „communio sanctorum“ sowohl als Versammlung der „sancti“ als auch als Teilhabe an den „sancta“ zu verstehen, wenngleich der Hauptakzent der Formel zweifellos auf dem personalen Charakter der versammelten Gemeinschaft liegt. Urbild und Inbegriff der Kirche ist in diesem Sinne die konkrete, gottesdienstlich um Wort und Sakrament versammelte Ortsgemeinde. Indes steht jede dieser – im Vollsinne Kirche zu nennenden – personalen Glaubensgemeinschaften in einem für ihr Wesen kennzeichnenden unveräußerlichen Bezug zur universalen Kirche Jesu Christi auf Erden. Wie bereits betont (III,3), lassen die reformatorischen Väter daran ekklesiologisch keinen Zweifel aufkommen. Zwar darf nach evangelischer Lehre die universale Gesamtkirche nicht in hypostasierender Weise abgehoben werden von der konkreten Gemeinschaft derer, die zu einer bestimmten Zeit und an einern bestimmten Ort um Wort und Sakrament versammelt und auf diese Weise ganz und nicht etwa nur zum Teil Kirche sind; insofern ist es ekklesiologisch unangemessen zu sagen, die Gesamtkirche gehe „ihrem wesenhaften Geheimnis nach ontologisch und zeitlich jeder einzelnen Teilkirche voraus“ (DH 4922), wie es in dem an die katholischen Bischöfe gerichteten Schreiben der römischen Glaubenskongregation über einige Aspekte der Kirche als „communio“ hieß. So wahr aber die Gesamtkirche lebendig präsent ist nur im Zusammenhang des konkreten
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Vollzugs der Evangeliumsverkündigung in Wort und Sakrament, durch welchen die Einzelgemeinden in Raum und Zeit ihr Wesen haben, so wahr ist deren gottesdienstliche Versammlung nicht denkbar ohne gesamtkirchlichen Bezug, der sowohl die Grenzen des Raumes als auch die Grenzen der Zeit (CA VII,1: „perpetuo mansura“) transzendiert. Universalität und Konkretion sind daher von Anfang an als ein Zusammenhang zu denken. Genau darum bemüht sich die Ekklesiologie des Augsburgischen Bekenntnisses, und zwar nicht zuletzt im Hinblick darauf, was sie unter kirchlicher Einheit versteht. Mit dem Symbolum Nicaeno-Constantinopolitanum bekennt sich die Augustana, wie de- Die Einheit der Kirche tailliert gezeigt, nicht nur zur Heiligkeit, Katholizität und Apostolizität, sondern auch zur Einheit der Kirche. Ja, in bestimmter Weise umschreibt das Kirchenattribut der Einheit sowohl in historischer als auch in systematischer Hinsicht den eigentlichen Skopus der Ekklesiologie des VII. CAArtikels. Was die Kriterien ekklesialer „unitas“ betrifft, so wird es unter Berufung auf Eph 4,5f. als für die wahre Einigkeit christlicher Kirchen hinreichend erklärt, „daß da einträglich nach reinem Verstand das Evangelium gepredigt und die Sakrament dem gottlichen Wort gemäß gereicht werden“. (BSLK 61,9 -12; CA VII,2: „Et ad veram unitatem ecclesiae satis est consentire de doctrina evangelii et de administratione sacramentorum.“) Hingegen sei es nicht nötig, „daß allenthalben gleichformige Ceremonien, von den Menschen eingesetzt, gehalten werden“ (BSLK 61,14–16; CA VII,3: „Nec necesse est ubique similes esse traditiones humanas seu ritus aut ceremonias ab hominibus institutas.“) Die Frage liegt nahe: „Ist ‚satis est‘ genug?“ Um sie zu beantworten und überkommene Missverständnisse zu vermeiden, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die berühmte Formel nach überwiegender Mehrzahl ihrer Ausleger das kirchliche Amt und seine Ordnung hinsichtlich der „unitas ecclesiae“ nicht etwa für unerheblich erklärt. Was gesagt wird, ist zum einen dies, dass unbeschadet der Einheit der Kirche Verschiedenheiten menschlicher Traditionen, Riten und Zeremonien (vgl. CA XV, XXVI) bestehen können, so dass in dieser Hinsicht nicht überall Gleichförmigkeit herrschen muss; gesagt ist zum anderen, dass Wesen und Einheit der Kirche und infolgedessen auch des kirchlichen Amtes, sofern es, was nirgends geleugnet wird, für die Einheit der Kirche wesentlich ist, ganz und gar von den durch Christus seiner Kirche eingestifteten Gnadenmitteln her zu verstehen sind. Der einträchtige Konsens über ihren Gebrauch ist nach CA VII daher genug zur wahren Einigkeit der Kirche. Mit dem Wort „consentire“, für das im deutschen Text der Augustana „einträchtiglich“ steht, ist nun freilich zunächst nicht ein festgeschriebener Bekenntnisstand gemeint, den es zur Zeit der Augustana so noch gar nicht gab. Bezeichnet ist vielmehr im Wesentlichen die einvernehmliche Übereinstimmung in der Evangeliumsverkündigung in Wort und Sakrament, wobei anzumerken ist, dass „doctrina evangelii“ im gegebenen Zusammenhang primär auf die Predigt und ihren konkreten Vollzug als „viva vox evangelii“ zu beziehen ist. Die Sache verhält sich demnach nicht so, als würde CA VII anstelle einer ubiquitären Gleichförmigkeit der Zere-
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monien doktrinäre Gleichförmigkeit im Sinne gleichlautender Lehrsätze zum Kriterium kirchlicher Einheit erklären. Zwar sind die Satzwahrheiten der Lehre unentbehrlich, damit das Evangelium nach reinem Verstand gepredigt und die Sakramente dem Worte Gottes gemäß gereicht sowie einvernehmliche Konsensaussagen eben darüber innerhalb der „congregatio sanctorum“ getroffen werden können. Gleichwohl sind Lehre und Lehrkonsens relative, d.h. von der Evangeliumsverkündigung herkommende und auf sie hingeordnete Größen, und es gehört zum Wesen evangelischer Lehre, eben diese Relativität ins Bewusstsein ihrer selbst zu integrieren dergestalt, dass nicht die doktrinäre Lehrgestalt als Ausdrucksform menschlicher Satzung, sondern die in Wort und Sakrament als Evangelium sich zur Sprache bringende und vom evangelischen Bekenntnis bezeugte (Gewissensgewissheit begründende) göttliche Verheißung als Konstitutionsbasis und als Kriterium der Kirche und kirchlicher Einheit in Geltung steht. Um den entscheidenden Grundsatz zu wiederholen (vgl. III,4): Der Reinheit des Worts und der rechten Verwaltung der Sakramente dadurch zu dienen, dass beide, Wort und Sakrament, erkenntlich und wissbar als Medien unbedingter und vorbehaltloser göttlicher Gnade, welche der Glaube ergreift, bestimmt werden – das ist im Verein mit der Sorge um die stiftungsgemäße Stimmigkeit des äußeren Vollzugs von Wort und Sakrament die entscheidende Aufgabe evangelischer Lehre. Angemessen zu erfüllen vermag sie diese Aufgabe nur dann, wenn sie sich – obzwar dem Vollzug der Evangeliumsverkündigung auf reflexe Weise unveräußerlich zugehörig – nicht unmittelbar an dessen Stelle setzt, um selbst die Funktion eines Gnadenmittels zu beanspruchen. Entsprechend ihrem Verständnis kirchlicher EinKirchengemeinschaft und heit realisiert sich Kirchengemeinschaft nach Abendmahlsgemeinschaft Maßgabe der CA im Wesentlichen als „koinonia“ der um Wort und Sakrament versammelten Gemeinde, wobei dem Abendmahl insofern eine spezifische Bedeutung zukommt, als für dessen Zeichenschatz die „unitas ecclesiae“ unmittelbar signifikant ist. Als „koinonia“ des Leibes und Blutes Jesu Christi hinwiederum ist die Gemeindeversammlung der örtlichen „ecclesia“ in unveräußerlicher Weise hingeordnet auf einen universalkirchlichen Gesamtzusammenhang, ohne welchen sie nicht wäre, was sie ist. Erkennt man die Wahrung und Gestaltung dieses Lebenszusammenhangs im Sinne umfassender Abendmahls-„koinonia“ als göttliches Gebot der Kirche, so wird die Verkehrtheit der gegebenen Trennung am Tisch des Herrn offenkundig. Zugleich ist klar, dass es eine ekklesiologische Möglichkeit, mit solcher – die Gemeinschaft des Leibes und Blutes Christi aufhebenden – Trennung schiedlich-friedlich sich abzufinden, unter christlichen Kirchen, die diesen Namen verdienen, nicht geben kann. Darum ist das Bemühen um Wiederherstellung umfassender Abendmahls-„koinonia“, in welcher sich Kirchengemeinschaft manifestiert, die vordringlichste aller ökumenischen Aufgaben. Für die künftige Bewältigung dieser Aufgabe dürfte es höchst hilfreich sein, sich behobener Schwierigkeiten im eigenen Bereich zu erinnern, also etwa daran, dass
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zwischen den Gliedkirchen der EKD keineswegs von Anfang an volle Abendmahlsgemeinschaft bestand. In einem Memorandum des Ökumenischen Ausschusses der VELKD zum Verhältnis von Kirchengemeinschaft und Abendmahlsgemeinschaft vom 18. September 1954, das durch die Ergebnisse namentlich der V. Sektion der Dritten Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung in Lund 1952 veranlasst und unter dem vertrauten Titel „Koinonia. Arbeiten des ökumenischen Ausschusses der VELKD zur Frage der Kirchen und Abendmahlsgemeinschaft“ 1957 vom Kirchenamt der VELKD veröffentlicht wurde, wird auf diesen Sachverhalt Bezug genommen und festgestellt, der kirchlich legitime Weg, die damals aktuelle Notlage zu überwinden, bestehe darin, nach dem Beispiel der altkirchlichen Praxis offizielle Lehrverhandlungen von Kirche zu Kirche aufzunehmen und im Zusammenhang erforderlicher innerer Selbstabklärung zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine volle Kirchengemeinschaft vorliegen. Vorausgeschickt wurde, dass Kirchengemeinschaft und Abendmahlsgemeinschaft einander bedingen und fordern, so dass die Praxis der konfessionskirchlich geschlossenen Abendmahlsfeier als die von der lutherischen Bekenntnistradition vorgeschriebene Regel zu gelten habe, die durch mögliche Ausnahmen nicht aufgehoben, sondern bestätigt werde. Vorausgeschickt wurde ferner, dass aufgrund der zur Kirchengemeinschaft notwendigerweise gehörenden gemeinsamen Verkündigung desselben Evangeliums und des gemeinsamen Bekenntnisses des Glaubens Abendmahlsgemeinschaft nicht allen durch die Taufe dem Leib Christi eingegliederten Christenmenschen gewährt werden könne. Unter diesen Prämissen begegnete man der Forderung der sog. Interkommunion mit äußerster Skepsis und konnte auch in der Praxis begrenzt offener Kommunion nur eine Notlösung sehen. Eine echte und solide Lösung im Sinne verlässlich und dauerhaft geregelter Abendmahlsgemeinschaft erwartete man mehr oder minder ausschließlich von offiziellen Lehrgesprächen. Namentlich Werner Elert betonte auf der Basis der Ergebnisse seiner Untersuchung über „Abendmahls- und Kirchengemeinschaft in der Alten Kirche, hauptsächlich des Ostens“ (Berlin 1954) mit Nachdruck, dass es zur Herstellung der Kirchengemeinschaft, deren Ausdruck die Abendmahlsgemeinschaft sei, immer der Feststellung einer Übereinstimmung der Lehre, des Dogmas bedurft habe. Nun kann man zum einen fragen – und bereits einige damalige Teilnehmer des erwähnten Ökumenischen Ausschusses der VELKD haben so gefragt – , ob es statthaft ist, Getaufte, die Mitglieder einer anderen Konfessionskirche sind, generell und ohne jeweilige Würdigung des individuellen Falls zu exkommunizieren. Steht das kirchliche Exkommunikationsrecht nicht insgesamt unter der Voraussetzung einer aktuellen Begründungspflicht? Eine weitere, sehr nahe liegende Frage muss lauten, ob das Abendmahl tatsächlich primär oder gar ausschließlich Ausdruck bereits gegebener Kirchengemeinschaft ist und nicht auch und möglicherweise in erster Linie Wirkgrund ihres Erhalts und Fundament ihrer Einheit. Wie immer man diese und vergleichbare Fragen beantworten mag, Faktum ist, dass es Lehrgespräche waren, die mit der Leuenberger Konkordie von 1973 nicht nur zur
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vollen Abendmahlsgemeinschaft unter den unterzeichneten Gliedkirchen der EKD, sondern zu einer umfassenden Gemeinschaft reformatorischer Kirchen in ganz Europa führten. Ich nehme dies als ein offenkundiges Indiz dafür, dass ein echter ökumenischer Verständigungsfortschritt auch fernerhin ohne bi- und multilaterale Lehrgespräche nicht zu erreichen sein wird. Inwiefern für die Zielbestimmung solcher Lehrgespräche die Leuenberger Konkordie vorbildlich sein kann, wird in einem gesonderten Abschnitt, in welchem das evangelische Kirchenverständnis auf dem Hintergrund des römisch-katholischen dargestellt werden soll, zu erörtern sein (III,12). Ergänzt seien daher nur noch einige Bemerkungen zum ökumenischen Programm einer „Visibile Unity“. Gemäß ihrer Satzung ist es vorrangiges Ziel der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung, „die Einheit der Kirche Jesu Christi zu verkündigen und die Kirchen aufzurufen zu dem Ziel der sichtbaren Einheit in einem Glauben und einer eucharistischen Gemeinschaft, die ihren Ausdruck im Gottesdienst und im gemeinsamen Leben in Christus findet, damit die Welt glaube“. In der Botschaft der Weltkonferenz von Santiago (epd-Dokumentation 38/ 93,1–3) wurde diese Zielbestimmung emphatisch rekapituliert, „the goal of visible unity“ (Art. 2) erneut zum entscheidenden Motiv der ökumenischen Einheit erklärt. Entsprechend hatte bereits das vorbereitende Diskussionspapier den Weg zur Koinonia im Glauben, Leben und Zeugnis mit dem Weg „towards visible unity“ (Vorwort) gleichgesetzt. Dass „Sichtbarkeit“ zum Wesen der Kirche und Sichtbarkeit und Verborgendamit auch zum Wesen kirchlicher Einheit geheit kirchlicher Einheit hört, ist unter den Bedingungen reformatorischer Ekklesiologie entschieden zu behaupten. Nicht von ungefähr hatte Luther der Redeweise von der Verborgenheit der wahren Kirche mehr und mehr den Vorzug gegeben vor der von Augustin geprägten und gegen neuplatonische Missdeutungen nicht hinreichend abgesicherten Unterscheidung einer „ecclesia visibilis“ und einer „ecclesia invisibilis“. Die reformatorische Bekenntnistradition bestätigt diese Tendenz. Weder in der CA noch in ihrer Apologie wird irgendwo von der Unsichtbarkeit der Kirche gesprochen. Was gesagt wird, ist Folgendes: „... ecclesia non est tantum societas externarum rerum ac rituum sicut aliae politiae, sed principaliter est societas fidei et spiritus sancti in cordibus, quae tarnen habet externas notas, ut agnosci possit, videlicet puram evangelii doctrinam et administrationem sacramentorum consentaneam evangelio Christi.“ (AC VII,5) Auf deutsch: „Aber die Kirche ist nicht nur ein Verband mit äußeren Aufgaben und Satzungen wie andere Staatswesen, sondern sie ist in erster Linie ein Bund des Glaubens und des Hl. Geistes in den Herzen, der dennoch äußere Kennzeichen hat, um erkannt zu werden, nämlich die reine Lehre des Evangeliums und die mit dem Evangelium Christi übereinstimmende Verwaltung der Sakramente.“ (Vgl. BSLK 234, 28ff.) Um im Kontext der aktuellen Debatte um eine ökumenische Ekklesiologie (vgl. Hilberath, 287ff.) nur einige Kurzhinweise zum Verständnis dieses – bereits mehrfach erwähnten – außerordentlich inhaltsreichen Satzes zu geben:
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1. Die wahre Kirche ist samt ihres Wesensattributs der Einheit zwar keine unsichtbare, aber in bestimmter Weise eine verborgene Größe, die für den allgemeinen Augenschein erst unter eschatologischen Bedingungen in völlig unzweideutiger Offenkundigkeit zutage treten wird, während sie gegenwärtig unbeschadet der Gegebenheit allgemeineinsichtiger Hinweiszeichen nur im Glauben und für den Glauben eindeutig manifest ist. Der Grund für jene Verborgenheit ist recht eigentlich nicht die Abskondität Gottes, deren Dunkelheit durch die Offenbarung des göttlichen Heilsgeheimnisses in Jesus Christus mittels des Lichtes des Hl. Geistes strahlend erhellt ist, sondern die Verkehrtheit von Menschheit und Welt, an welcher auch die Glaubenden noch leibhaften Anteil haben, wenngleich sie im Herzen schon vom göttlichen Heilsgeist Christi erleuchtet sind. 2. Trotz solcher Verborgenheit ist die Kirche keine rein transzendente oder rein spirituelle Größe, also keine „civitas Platonica“; denn ihre Bestimmung ist von der Hör- und Sichtbarkeit der sie kennzeichnenden Zeichenvollzüge in Wort und Sakrament nicht ablösbar, sondern konstitutiv an sie gebunden. Vom wahren Wesen der Kirche kann daher nicht unter Absehung von, sondern nur in Hinsicht auf ihre durch Wort und Sakrament erkennbar bestimmte Gestalt die Rede sein. Dabei ist zu ergänzen, dass die Kirche in ihrer geschichtlichen Gestalt nur dann als erkennbar durch die rechte Verkündigung des Wortes und den reinen Gebrauch der Sakramente bestimmt zu gelten hat, wenn sie die Heilsmittel nicht im Sinne lediglich äußerer Riten und der Herrschaftsverfügung überlassener Satzungen, sondern so verwaltet, dass die „media salutis“ als der auf Glauben zielende Grund der Kirche in Geltung stehen. Zum stiftungsgemäßen Gebrauch von Wort und Sakrament, wie er durch göttliches Mandat geboten ist, gehört also offenbar die kirchliche Wahrnehmung und Verdeutlichung des auf herzlichen Glauben hingeordneten Sinns der Heilsmittel elementar hinzu. Damit ist zugleich der theologische Grund benannt für die ekklesiologische Notwendigkeit einer Selbstdifferenzierung der Kirche von einer bloßen „societas politica“, die lediglich durch äußere, das leibliche Dasein betreffende Verbindlichkeiten konstituiert ist, wie das nach reformatorischer Lehre für das zivile Gemeinwesen bestimmend ist bzw. bestimmend zu sein hat. 3. Dass die Unterscheidung von der „societas externa“ politischen Gemeinwesens nach reformatorischer Lehre als unverzichtbarer Akt geschichtlicher Selbstgestaltung der Kirche zu gelten hat, kann hier nur festgestellt und nicht einmal ansatzweise entfaltet werden. Erinnert sei lediglich daran, dass das „discrimen ecclesiasticae potestatis et potestatis gladii“ (CA XXVIII4) nicht nur den für die gesamte Augustana entscheidenden XXVIII. Artikel kennzeichnet („Non ... commiscendae sunt potestates ecclesiastica et civilis.“ [CA XXVIII, 12]), sondern für reformatorische Theologie, die diesen Namen verdient, insgesamt charakteristisch ist. Erinnert sei fernerhin daran, dass die Auflösung der „unio imperii et sacerdotii“, wie sie für die Einheitskultur des Mittelalters bestimmend war, zweifellos das epochalste Ereignis im Zusammenhang der Reformationsgeschichte darstellt, wobei hier offenbleiben kann, welche historische Bedeutung der Reformation für das
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im Laufe der Moderne faktisch gewordene Ende des so genannten Corpus Christianum im Einzelnen zukommt. Theologisch grundsätzlich jedenfalls gilt Folgendes: Wie nach reformatorischer Lehre die eigentümliche Güte eines zivilen Gemeinwesens darin besteht, sich in antitotalitärer und die Freiheit der Gewissen respektierender Weise auf die Sorge um Notdurft und Nahrung des äußeren Leibes und Lebens (vgl. Katechismus-Stichwort „Brotkorb“) zu beschränken, in welchem Zusammenhang ihm ein legitimes Recht zur Anwendung geordneter Gewalt zukommt, so hat für die Grundordnung der Kirche und die Anwendung ihrer „potestas“ der prinzipielle Verzicht auf Zwang und die Maxime verbindlich zu sein: „Sine vi humana, sed verbo.“ (CA XXVIIl,21) „Ohn menschlichen Gewalt, sonder allein durch Gottes Wort.“ (BSLK 124,4f.) 4. Dass durch die Elementarunterscheidung von „potestas civilis“ und „potestas ecclesiastica“ eine zwar irdisch unaufhebbare Differenz bezeichnet, nicht aber ein absoluter Gegensatz wie der zwischen Gottesreich und Reich des Teufels fixiert ist, darauf weist die zitierte Wendung aus AC VII,5 eindeutig hin, wenn gesagt wird: „... ecclesia non est tantum societas externa ...“ Danach ist die Kirche zwar nicht nur, aber auch eine „societas externa“, was sie freilich offenbar nur dann in rechter Weise sein kann, wenn durch ihre äußere Ordnung, wie gesagt, der zwar nicht absolute, aber gleichwohl irdisch nicht behebbare Unterschied zwischen „potestas civilis“ und „potestas ecclesiastica“ geachtet und bestätigt wird. Dass die Kirche – und zwar ihrem wahren Wesen nach – auch eine „societas externa“ ist, wird im entscheidenden bedingt durch die Externität der Heilsmittel, durch welche die Kirche nicht nur innerlich begründet, sondern auch äußerlich gekennzeichnet ist. Um jenen „notae ecclesiae“ von Wort und Sakrament, auf welchen das Wesen der Kirche basiert, dauerhaften Ausdruck zu verleihen, bedarf es, worauf im Folgenden in gebotener Kürze einzugehen ist, des kirchlichen Gnadenmittelamtes, das als von Gott geordnet und in diesem Sinne als „iure divino“ gesetzt zu gelten hat. Dieses Amt, das CA V,1 klassisch als „ministeriDas Amt der Kirche um docendi evangelii et porrigendi sacramenta“ beschreibt, um deutlich zu machen, dass seine Bestimmung nicht auf formaler Autorität beruht, sondern in der Erfüllung eines göttlichen Dienstauftrages besteht, ist unzweifelhaft der Kirche als ganzer aufgegeben und macht als solches den wesensmäßigen Inbegriff ihrer Grundordnung aus, in deren Konsequenz alle weiteren institutionellen Regelungen einschließlich der rechtlichen Verfassung der Kirche zu treffen sind. Dabei gilt im Einzelnen dies: Indem es der Kirche als ganzer aufgegeben ist, begründet das kirchliche Amt der Evangeliumverkündigung in Wort und Sakrament sowohl den Dienstauftrag eines Priestertums aller Gläubigen als auch jenen „ordo ecclesiasticus“, in Bezug auf welchen CA XIV lehrt, „quod nemo debeat in ecclesia publice docere aut sacramenta administrare nisi rite vocatus“ (BSLK 69,2 -5: „Vom Kirchenregiment wird gelehrt, daß niemand in der Kirchen offentlich lehren oder predigen oder Sakrament reichen soll ohn ordentlichen Beruf.“) Dass dies in gleichursprünglicher, wechselseitig sich bedingender Weise geschieht, wird zwar häufig verkannt und ist
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eine traditionelle Ursache innerprotestantischer Streitigkeiten, muss aber gleichwohl als sachlich evident gelten. Denn so wenig das ordinationsgebundene Amt eine Funktion des Priestertums aller Gläubigen ist, das sich einer Delegation eines bestimmten Gemeindewillens verdanken würde, so sehr steht es seiner gottgewollten Bestimmung nach ganz in der Pflicht des allgemeinen Priestertums, dessen Allgemeinheit und damit die Katholizität der Kirche ebenso wie deren Einheit im apostolischen Geiste zu fördern die Spezifizität seiner Besonderheit ausmacht. Um die entscheidende Argumentation zu wiederholen (vgl. III,5): Allgemeinheit des Priestertums aller und Besonderheit des ordinationsgebundenen Amtes stehen in einem reziproken Verweisungszusammenhang und sind in solcher unauflöslichen Reziprozität als für jede Form kirchlicher Ordnungsgestalt strukturell grundlegend zu erachten. Haben die nichtordinierten Gläubigen ihre Teilhabe am allgemeinen Priestertum je besonders, nämlich im Zusammenhang einer je eigenen individuellen und sozialen Rolle zu verwirklichen, so ist es spezifischer Beruf der mit dem ordinationsgebundenen Amt der Kirche Beauftragten, separierende Besonderungen zu vermeiden und gerade so für die Allgemeinheit des Priestertums aller Sorge zu tragen. Von daher wird auch verständlich, warum der Dienst des „publice docere“ und damit die Leitung des öffentlichen Gemeindegottesdienstes einschließlich des Vorsitzes bei der Feier des Abendmahls als des Sakraments der Einheit dem Ordinierten vorzubehalten ist. Nicht als ob dieser über ein Monopol authentischer Lehre oder eine exklusive „potestas consecrandi“ verfügen würde; vielmehr ist es gerade das, was allen bestimmungsmäßig gemein ist, um dessentwillen der besondere Dienst des ordinationsgebundenen Amtes geordnet ist. Ein kennzeichnender Aspekt dieser Ordnung ist neben oder besser: zusammen mit dem erwähnten Öffentlichkeitscharakter Institutionalität im Sinne geregelter, selbstreproduktiver Dauerhaftigkeit. Verlangen doch Wort und Sakrament dem Auftrag Christi gemäß nach fortgesetzter Wahrnehmung und ständigem Gebrauch, damit die „congregatio sanctorum“ allezeit und allenthalben bestehe, welcher Bestand der Kirche hinwiederum eben wegen seiner Begründung in Wort und Sakrament nicht selbstgenügsam in sich ruht, sondern der gnadenhaften Selbsterschließung Gottes respondierend offen ist für Mitmensch und Welt, um auf solche Weise jene universale Gemeinschaft aller Gläubigen zu realisieren, auf welche die göttliche Sendung Jesu Christi aus ist und zu der die Kirche der raum- und zeitumgreifenden Sendung ihres Herrn gemäß als ganze bestimmt ist. Ist die in ihrem göttlichen Dienstauftrag begründete Ordnungsgestalt der Kirche als einer Die kirchliche Dienstordnung auf herzlichen Glauben des inneren Menschen hingeordneten „societas externa“ im Anschluss an AC VII,5 soweit skizziert, dann ist damit im Wesentlichen auch schon die Frage beantwortet, wie die Einheit der um Wort und Sakrament versammelten „congregatio sanctorum“ im Sinne evangelischer Ekklesiologie strukturell sichtbar zu werden hat. Sie hat strukturell sichtbar zu werden in der Weise differenzierten Zusammenhangs nichtordinierter und
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ordinierter Gemeindeglieder, deren Beziehung als ein paritätisches Verhältnis gleichursprünglicher und in solcher Gleichursprünglichkeit wechselseitig irreduzibler, aber gleichwohl unlösbar einander zugeordneter Größen zu gelten hat. Damit ist zugleich das elementare Richtmaß jedweder Form evangelischer Gemeindeordnung vorgegeben. Innerhalb der durch dieses Maß gesetzten Rahmenbedingungen ist situationsgerechte Flexibilität nicht nur erlaubt, sondern geboten; solche geschichtlich gebotene Flexibilität hat aber die bezeichneten Rahmenbedingungen nicht aufzulösen, sondern zu bestätigen, soll die Ordnung der Gemeinde als eine evangelische gelten. Die entwickelte Argumentation wäre nicht nur unvollständig, sondern in sich widersprüchlich, würde sie unberücksichtigt lassen, was bereits im Kontext der Bestimmung der Kirche als „congregatio sanctorum“ nachdrücklich hervorgehoben wurde, dass nämlich die an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit um Wort und Sakrament versammelte Gemeinde, sosehr sie ganz und nicht etwa nur zum Teil Kirche ist, doch ihrem Wesen nach hingeordnet ist auf die universalkirchliche Gemeinschaft der Christen aller Orte und aller Zeiten. Dass die aufgegebene Wahrnehmung dieses ekklesiologisch unveräußerlichen Zusammenhangs im Sinne einer translokalen, transregionalen, ja universalen Ämterordnung strukturell zu gestalten ist, dies ist, so meine ich, ein Gebot auch und gerade evangelischer Ekklesiologie. Dabei lässt sich unschwer erkennen, dass eine solche Ämterordnung die Einheit des ordinationsgebundenen Amtes nicht auflöst, sondern sie in spezifischer, der eigentümlichen Identität dieses Amtes entsprechender Weise bestätigt. Ist doch die Besonderheit des ordinationsgebundenen Amtes, wie erwähnt, im Wesentlichen durch den Dienst an der Allgemeinheit des Priestertums aller bestimmt, welcher Dienst sich nicht in der Sorge um die Einheit der konkreten Gottesdienstgemeinde, um deretwillen er ursprünglich geordnet ist, erschöpfen kann, eben weil solche Sorge, um nicht eine isolierte und damit selbstverkehrte Einheit zu befördern, die Rücksicht auf den besagten universalkirchlichen Zusammenhang notwendig einschließt. Die gegliederte Ausdifferenzierung transregionaler Einheitsämter koinzidiert insofern mit der Bestimmung, welche die Identität des ordinationsgebundenen Amtes überhaupt begründet. Sie muss deshalb trotz gegebener Variabilität ihrer geschichtlichen Gestalt als an sich selbst notwendig und vom Wesen des ordinationsgebundenen Amtes als solchem gefordert gelten. Vorausgesetzt ist dabei stets, dass das ordinationsgebundene Amt vor Ort und in seinen jeweiligen transregionalen Formen konstitutiv hingeordnet ist auf die „Versammlung aller Glaubigen“ (BSLK 61,4f.), deren Gemeinschaft es wesensgemäß zu dienen hat. Der ebenso differenzierte wie paritätische Zusammenhang von Ordinierten und Nichtordinierten ist deshalb auf allen kirchlichen Strukturebenen sichtbar, will heißen: in verfasster Form zur Geltung zu bringen.
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10. Die Konvergenzerklärungen zu Taufe, Eucharistie und Amt
Lit.: Taufe, Eucharistie und Amt. Konvergenzerklärungen der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen mit einem Vorwort von W.H. Lazareth und N. Nissiotis, Paderborn/Frankfurt a.M. 1982 (= LT; LE; LA). – Zu den Konvergenzerklärungen über Taufe, Eucharistie und Amt. Eine vorläufige Stellungnahme des Lima-Ausschusses der VELKD, in: Texte aus der VELKD 25 (1984), 1–17 (= VELKD). – Vorbereitungsausschuss der EKD-Synode 1983: Gesichtspunkte für Stellungnahmen zu den Konvergenzerklärungen „Taufe, Eucharistie und Amt“ der ÖRK-Kommission für Glauben und Kirchenverfassung, in: EKD Texte 7,4–19 (= EKD). – Eine katholische Stellungnahme zu den Konvergenzerklärungen der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen: Taufe, Eucharistie und Amt, in: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 79 (= RK). – H. Meyer u.a. (Hg.), Dokumente wachsender Übereinstimmung. Sämtliche Berichte und Konsenstexte interkonfessioneller Gespräche auf Weltebene, 3 Bde., Paderborn/Frankfurt a.M. 1983ff. – G. Wenz, Die Einheit der Vielen. Erwägungen zum Amtstext des Limadokuments aus der Perspektive lutherischer Theologie, in: W.-D. Hauschildt, C. Nicolaisen, D. Wendebourg (Hg.), Kirchengemeinschaft – Anspruch und Wirklichkeit. FS G. Kretschmar, Stuttgart 1986, 275–295. – Ders., Einführung in die evangelische Sakramentenlehre, Darmstadt 1988. – Ders., Den apostolischen Glauben gemeinsam bekennen. Anmerkungen zum Studiendokument der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen „Auf dem Weg zu einem gemeinsamen Ausdruck des apostolischen Glaubens heute“, in: Nachrichten der EvangelischLutherischen Kirche in Bayern 44 (1989), 148–150.
Keinem der zahlreichen Berichte und Texte internationaler Gespräche auf Weltebene, in denen „BEM“ sich der fortschreitende Prozess ökumenischer Verständigung dokumentiert (vgl. Meyer u.a.), ist bislang eine derart breite öffentliche Aufmerksamkeit zuteil geworden wie den Konvergenzerklärungen der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen zu „Baptism, Eucharist and Ministry“. „BEM“, wie der Konvergenztext in Fachkreisen genannt wird, ist in dutzende Sprachen übersetzt und in abertausenden Exemplaren auf dem ganzen bewohnten Erdkreis verbreitet worden. Einstimmig verabschiedet und den Kirchen zur Stellungnahme übergeben wurde das Studiendokument am 12. Januar 1982 anlässlich einer Tagung der „Faith and Order“-Kommission in Lima/Peru. Man spricht daher häufig von Lima-Dokument. Der im Vorwort des Textes ergangenen Bitte um offizielle Stellungnahme auf der höchsten hierfür zuständigen Ebene der Autorität sind sehr viele Kirchen nachge-
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Die Konvergenzerklärungen zu Taufe, Eucharistie und Amt
kommen; zahllose Gremien auf lokaler und überregionaler Ebene waren an dem aufwändigen Rezeptionsprozess beteiligt. Auch die römisch-katholische Kirche nahm Stellung, die zwar nicht Vollmitglied des ÖRK, durch theologische Vertreter aber offiziell an der Kommissionsarbeit von „Faith and Order“ mitwirkt. Die auf den 21. Juli 1987 datierte Antwort wurde vom Einheitssekretariat in Verbindung mit der Glaubenskongregation erstellt. Die von der Deutschen Bischofskonferenz autorisierte Übersetzung des englisch konzipierten Textes soll im Folgenden eigens berücksichtigt werden. Roms Antwort auf Lima ist nämlich speziell auf die ekklesiologischen Implikationen von BEM abgestellt und damit geeignet, verbleibende Kontroversen in der Lehre von der Kirche zu markieren, die weiterer Behandlung bedürfen. Zunächst indes sind die Kovergenzerklärungen selbst in gebotener Kürze vorzustellen, in welchem Zusammenhang auch knapp auf Kommentare aus der EKD und der VELKD eingegangen wird. Eine genauere Analyse der Erklärungen zu Taufe und Herrenmahl findet sich in meiner „Einführung in die evangelische Sakramentenlehre“ (1988). Den Amtstext des Limadokuments habe ich detailliert in einem Beitrag zur Festschrift zum 60. Geburtstag von Georg Kretschmar untersucht (1986). Im Übrigen empfiehlt es sich, die Konvergenzerklärungen im Kontext einer zweiten bedeutsamen Studie der ÖRK-Kommission für Glauben und Kirchenverfassung zu lesen, die im Anschluss an das Limadokument unter dem Titel vorgelegt wird: „Den einen Glauben bekennen. Auf dem Weg zu einem gemeinsamen Ausdruck des Apostolischen Glaubens auf der Grundlage des Glaubensbekenntnisses von Nizäa-Konstantinopel“. Auch zu diesem Text habe ich mich anderwärts geäußert (1989), was hier nicht zu wiederholen ist. Die Taufe ist nach Maßgabe des Limadokuments Die Tauflehre des Limadokuder entscheidende Initiationsritus und wesentliments che Konstitutionsgrund des Christseins. Wurzelnd in Wirken, Tod und Auferstehung Jesu Christi gibt sie Anteil an der eschatologischen – Menschheit und Welt umfassenden – Wirklichkeit des Reiches Gottes, indem sie mit der Person des auferstandenen Gekreuzigten vereint und die Gabe des Heiligen Geistes verleiht. In wirksamer Weise zeigt die Taufe an: Der Christ fängt nicht mit sich selbst an; all sein Beginnen lebt von der zuvorkommenden Gnade des dreieinigen Gottes, wie er in Jesus Christus ein für allemal für uns offenbar ist. Als Sakrament der zuvorkommenden Gnade Gottes befreit die Taufe den Menschen mithin von dem verkehrten Zwang, sich selbst konstituieren, sich selbst eine Existenz erschaffen, sich selbst einen Namen machen zu müssen. Sie erlöst so aus dem Banne der Sünde, wirkt deren Erkenntnis und Bekenntnis sowie Bekehrung des Herzens und stellt zugleich die Bedingung der Möglichkeit sinnvoller Werke dar: Denn erst wo er der Sorge ums Eigene ledig ist, hat der Mensch das Vermögen, Fürsorge und dankbare Tat der Liebe zu üben. Diese Kurzcharakteristik der Taufe wurde im Limadokument detailliert entfaltet und auf eine breite theologische Basis gestellt. Taufe, so wird zunächst gesagt, ist Eingliederung in und Übereignung an Jesus Christus und solchermaßen Teilhabe
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an seinem Tod und seiner Auferstehung. „Völlig einbezogen in den Tod Christi, werden sie (sc. die Getauften) mit ihm begraben und werden hier und jetzt zu einem neuen Leben in der Macht der Auferstehung Jesu Christi auferweckt in der Gewißheit, daß auch sie schließlich mit ihm eins sein werden in einer Auferstehung wie der seinen (Röm 6,3–11; Kol 2,13; 3,1; Eph 2,5–6).“ (LT 3) Dieser christologische Bezug ist für jedes christliche Taufverständnis elementar. Bezeichnenderweise sprechen die neutestamentlichen Schriften, um die Eigenart christlicher Taufe zu benennen, stets von der Taufe auf den (im) Namen Jesu Christi, während die übliche trinitarische Formel nur einmal, nämlich im matthäischen Taufbefehl vorkommt. Gleichwohl ist die trinitarische Differenzierung der christologischen Basisformel der Taufe durchaus sachgemäß, wenn anders die geschichtliche Gestalt Jesu Christi, mit der die Taufe den Getauften verbindet, als Selbstoffenbarung Gottes des Schöpfers, Versöhners und Vollenders zu verstehen ist. Taufe im und auf den Namen Jesu ist deshalb immer auch Taufe durch den Gottesgeist. In diesem Sinne heißt es im Limadokument: „Der Heilige Geist ist am Werk im Leben der Menschen vor, bei und nach ihrer Taufe. Es ist derselbe Geist, der Jesus als den Sohn offenbarte (Mk 1,10–11) und zu Pfingsten die Jünger mit Kraft ausrüstete und sie vereinte (Apg 2). Gott verleiht jedem Menschen die Salbung und Verheißung des Heiligen Geistes, kennzeichnet sie mit seinem Siegel und prägt in ihre Herzen das Angeld ihres Erbes als Söhne und Töchter Gottes ein. Der Heilige Geist stärkt das Leben des Glaubens in ihren Herzen bis zur endgültigen Erlösung, wenn ihnen diese vollkommen zuteil werden wird zum Lobe der Herrlichkeit Gottes (2 Kor 1,21–22; Eph 1,13–14).“ (LT 5) Mit der Gabe des Geistes, die vom Vollzug der Wassertaufe wohl zu unterscheiden, nicht aber zu Wassertaufe und Geistgabe trennen ist und deren christologische Herkunft gerade durch die Bindung an den in der geschichtlich-konkreten Erscheinung Jesu Christi gründenden und sie bezeugenden Taufakt verdeutlicht wird, ist nach neutestamentlichem Zeugnis stets der Zuspruch und Anspruch verbunden, im Geiste zu wandeln. Um solchen Zuspruch wahrzunehmen und solchem Anspruch gerecht werden zu können, bedarf der Täufling indes zunächst und vor allem der Bekehrung sowie Vergebung und Reinigung von Sündenschuld. Die Taufe, die Christen zu Teilhabern am Geheimnis von Christi Tod und Auferstehung macht, schließt sonach Sündenbekenntnis und Bekehrung des Herzens in sich. „Die Getauften werden ... von Christus freigesprochen, reingewaschen und geheiligt und empfangen als Teil ihrer Tauferfahrung eine neue ethische Orientierung unter der Führung des Heiligen Geistes.“ (LT 4) Um das bisher Gesagte nicht in einem isoliert individualistischen Sinne misszuverstehen, ist klarzustellen, dass die in Jesus Christus, dem auferstandenen Gekreuzigten, gegründete, vom Heiligen Geist getragene und vom dreieinigen Gott gemeinsam gewirkte Taufe stets auf eine konkrete geschichtliche Gemeinschaft der Getauften zielt und als Eingliederung bzw. Aufnahme in die Gemeinde zu verstehen ist. Die ekklesiologische Dimension ist so mit der christologisch-pneumatolo-
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gischen bzw. trinitätstheologischen stets und untrennbar verbunden. Indem die Taufe in der Kraft des Geistes mit dem in Jesus Christus offenbaren Gott vereint, schließt sie zugleich die Getauften zu einem Leibe zusammen und nimmt sie auf in den Neuen Bund zwischen Gott und seinem Volk. „Vollzogen im Gehorsam gegenüber unserem Herrn, ist die Taufe ein Zeichen und Siegel unserer gemeinsamen Jüngerschaft. Durch ihre eigene Taufe werden Christen in die Gemeinschaft mit Christus, miteinander und mit der Kirche aller Zeiten und Orte geführt.“ (L T 6) Die Taufe erweist sich somit als KonstitutionsTaufe und Kirchengliedschaft grund nicht nur des einzelnen Christenlebens, sondern zugleich als Basis der Ökumene, der weltumspannenden Gemeinschaft der Christenheit. Das setzt voraus, dass die Kirchen und Kirchengemeinschaften der Weltchristenheit, die im Namen des dreieinigen Gottes gespendete Taufe auch bei bestehenden ekklesiologischen Differenzen gegenseitig als gültig anerkennen. Was die westliche Tradition betrifft, so hatte sich bereits im sog. Ketzertaufstreit (256) gegen Cyprian und seine Anhänger die römische Praxis von Papst Stephan durchgesetzt, welche beinhaltet, dass die von Mitgliedern häretischer christlicher Gemeinschaften ordnungsgemäß gespendete Taufe grundsätzlich gültig, wenngleich in ihrer Wirkung beeinträchtigt ist. Augustin hat diese Auffassung in seiner Auseinandersetzung mit den Donatisten verteidigt und systematisch ausgebaut. Noch konsequenter als Augustin hat schließlich Luther die Verbindung von Taufgnade und Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kirchengemeinschaft zwar nicht aufgelöst, wohl aber relativiert. Die Reformationskirchen beschränken infolgedessen die Gültigkeit und Heilswirkung von Taufen nicht auf die in ihrem Bereich gespendeten. Vergleichbares lässt sich von der römisch-katholischen Kirche sagen, nachdem durch das Ökumenismusdekret des II. Vatikanischen Konzils ausdrücklich bestätigt wurde, dass auch diejenigen Getauften, die nicht in voller Gemeinschaft mit der römisch-katholischen Kirche stehen, durch den Glauben in der Taufe gerechtfertigt und Christus eingegliedert werden, so dass ihnen der Ehrenname des Christen gebührt und sie mit Recht von den Söhnen der katholischen Kirche als Brüder im Herrn anerkannt werden (vgl. UR 3). Während die Gültigkeit der in den getrennten orientalischen Kirchen sowie in der altkatholischen Kirche gespendeten Taufe ohnehin nicht in Zweifel gezogen wird, kann nach dem gegenwärtigen Stand römisch-katholischer Lehre in der Regel auch die Gültigkeit der Taufen angenommen werden, die von den aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen gespendet werden. Die Praxis der sog. bedingungsweisen Taufspendung („sub conditione“) wird entsprechend nurmehr in Ausnahmefällen geübt. Weniger eindeutig ist im Vergleich dazu die Haltung der Orthodoxie: Aufs ganze gesehen wird man gleichwohl sagen dürfen, dass die Kirchen auf dem Weg zur gegenseitigen Anerkennung der Taufe fortschreiten und die Taufe zweifellos eines der stärksten konfessionsumgreifenden Bindeglieder der Weltchristenheit darstellt. Um so wichtiger ist es, dem Taufgedächtnis den ihm gebührenden Platz im Christenleben zu verschaffen. Der Lebenslauf des Christenmenschen hat sein
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Richtmaß in der fortschreitenden Aneignung der in Jesus Christus grundsätzlich beschlossenen, im Taufgedächtnis Heiligen Geist individuell erschlossenen und in der Taufe persönlich-wirksam zugeeigneten göttlichen Lebensgabe, in welcher die natürlichen Herkunfts- und Zukunftsbedingungen menschlichen Lebens aufgehoben, nämlich zugleich integriert und transzendiert sind. Aneignung der Taufe ist in diesem Sinne ein lebenslanges Beginnen. Fortschreiten heißt für den Christenmenschen, immer wieder und immer konsequenter auf sein Getauftsein zurückzukommen. Die Devise des Glaubens lautet demnach kurz gesagt: Werde, will heißen: nimm wahr und lebe, was du als Getaufter bist. Wo dies geschieht, da wird immer auch dies bewusst werden, dass wir aus unserer Taufe zu leben vermögen nur in der Gemeinschaft der Getauften, wie denn auch die Taufe stets als Eingliederung in den Leib Christi verstanden wurde und verstanden wird und mit einer elementaren ekklesialen Bedeutung verbunden ist. Zwar zeigt die Einmaligkeit der Taufe und die Tatsache, dass sie an Einzelnen vollzogen wird, dass Gott den Menschen als Individuum, als ein weder teil- noch verdoppelbares „singulare tantum“ liebt und zugleich Sorge dafür tragen will, dass des Menschen Individualität weder in der mitunter diffusen Vielfalt seines konkreten Lebens noch in der Allgemeinheit einer amorphen Masse untergeht, sondern zu identischer Ganzheit und Fülle gelangt. Nichtsdestoweniger weist uns die Taufe ein in die Gemeinschaft des Glaubens, in der Allgemeinheit und Besonderheit keine Gegensätze darstellen müssen, sondern sich als wechselseitig aufgeschlossen erweisen, so dass die Verschiedenen als Verschiedene eins sein können. Eröffnet die Taufe mithin jenen kommunikativen Lebenszusammenhang, welcher die Kirche zu sein hat, so wird zugleich deutlich, in welch inniger Verbindung sie steht zum Sakrament des Altars, zur „communio“ des Leibes und Blutes Jesu Christi, welche alle, die am Mahl des Herrn teilhaben, untereinander zur Gemeinschaft des Glaubens und der Kirche verbindet. Der Eucharistietext des Limadokuments beDie Abendmahlslehre des ginnt mit knappen Bemerkungen zur Einset- Limadokuments zungsproblematik (LE 1) und schließt mit einer Aufzählung und Entfaltung der grundlegenden liturgischen Bestandteile der eucharistischen Feier (LE 27–33). Dabei wird wiederholt hervorgehoben, dass die Kirche die Eucharistie als eine Gabe des Herrn empfangen hat und empfängt (LE 1,29). Allerdings hält man es für weiterer Untersuchung bedürftig, „welche Teile des Herrenmahls unveränderbar von Jesus eingesetzt worden sind und welche in die Entscheidungskompetenz der Kirchen fallen“ (LE 28). Bemerkenswert im Zusammenhang der Einsetzungfrage ist, dass die neutestamentlichen Berichte über das Letzte Mahl bezogen werden auf die vielen Mahlgemeinschaften, die Jesus mit seinen Jüngern, aber auch mit „Zöllnern und Sündern“ hielt und in denen sich, wie in seinem Lehren und Handeln überhaupt, nach Jesu eigenem Verständnis die verheißene Gottesherrschaft in besonderer, zeichenhaft-sinnenfälliger und potentiell für alle Menschen zugänglicher Weise antizipativ vergegenwärtigte. Die-
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ser Bezug bietet nicht nur eine dogmatische Entlastung, insofern er es erlaubt, das Interesse an geschichtlicher Kontinuität des Glaubens zu Jesus, wie es in dem traditionellen Insistieren auf der Einsetzung des Abendmahls durch den Irdischen wirksam ist, in einer gewissen Unabhängigkeit von den historisch-exegetischen Unsicherheiten hinsichtlich des Letzten Mahles wahrzunehmen; er ermöglicht es zugleich der Exegese, die neutestamentlichen Sinndeutungen des Letzten Mahles aus jenem eschatologischen Kontext zu begreifen, der die gesamte Wirklichkeit Jesu prägt. Ohnehin legen es die neutestamentlichen Berichte von sich aus nahe, das Letzte Mahl Jesu unter Bezug auf die alltäglichen Mahlgemeinschaften zu betrachten, insofern auch für sie die Teilnahme an der zukünftigen Gemeinschaft im Reiche Gottes im Zentrum steht. Wie aber die Mahlgemeinschaften des irdischen Jesus vornehmlich dessen Gemeinschaft mit Sündern darstellen, so ist und bleibt die im Abendmahl erschlossene eschatologische Gemeinschaft mit dem Auferstandenen durch dessen Kreuzestod für unsere Sünden und infolgedessen durch die Zusage der Sündenvergebung vermittelt. Dies zu betonen, ist ein besonderes Anliegen reformatorischer Kirchen. Im Einzelnen wird die Bedeutung der Eucharistie (LE 2–26) im Limadokument sodann aus einem umfassenden trinitarisch-heilsgeschichtlich-eschatologischen Zusammenhang entwickelt. Als Inbegriff ihres Gehalts hat nicht weniger als die Selbstmitteilung des trinitarischen Gottes zu gelten: „Die Eucharistie ist vor allem das Sakrament der Gabe, die Gott uns in Christus durch die Kraft des Heiligen Geistes schenkt.“ (LE 2) Diese Formulierung zeigt an, dass die Wirklichkeit des dreieinigen Gottes nur dann entsprechend gedacht ist, wenn das Wesen Gottes nicht losgelöst wird vom Vollzug seiner Erscheinung. Insofern stellt neben der Danksagung an den Vater (LE 3f.) die Anamnese (LE 5–13) ein notwendiges Moment der Eucharistiefeier dar, weil sie verdeutlicht, dass die göttliche Wirklichkeit einzig und bleibend durch die geschichtliche Einmaligkeit des auferstandenen Gekreuzigten vermittelt ist. Erinnerung ist in diesem Sinne ein wesentlicher Modus eucharistischer Geistesgegenwart. Aber damit ist bereits angedeutet, dass sich die Anamnese nicht auf einen äußerlichen Akt mentaler Rückerinnerung reduzieren lässt, welcher die Wirklichkeit Gottes in einem vergangenen Gewesensein stilllegt. Denn die Vergangenheit Jesu Christi verweist von sich aus auf die eschatologische Zukunft des Reiches Gottes und ist als solche deren antizipierte Gegenwart. In der eucharistischen Epiklese (LE 14–18) wird dieser eschatologische Bezug ausdrücklich. Die Epiklese bewahrt die Erinnerung davor, sich in sich selbst zu verschließen; sie eröffnet dem Andenken Jesu Christi den Blick auf dessen eschatologische Geistherrlichkeit und lässt so die Erinnerung aussein auf die Zukunft des Gekommenen. Eben jenes erwartungsvolle Andenken bzw. jene Anamnese und Epiklese „erinnernde Zuversicht“, welches den christlichen Glauben ausmacht und gewissermaßen die christliche „Zeitspanne“ bestimmt, wird in der Eucharistiefeier begründet und vollzogen in der Weise des Sakraments, in welchem die Wirklichkeit des in Jesus
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Christus offenbaren Gottes dem Menschen in der Verborgenheit des Zeichens gegenwärtig wird und im Jetzt schon zum Vorschein kommt. In Anamnese und Epiklese, die in einem Verhältnis wechselseitiger Verweisung stehen und einen einzigen Zusammenhang namhaft machen, wird wahrgenommen, dass der in Jesus Christus, dem auferstandenen Gekreuzigten, als Vater offenbare Gott im Geiste für seine Kirche und mit ihr für seine Welt und jeden Einzelnen bleibend gegenwärtig sein und sie in den Vollzug jener Liebe hineinnehmen will, welchen das göttliche Leben darstellt. So erschließt sich in Anamnese und Epiklese, die den Sinnzusammenhang der eucharistischen Liturgie wesentlich bestimmen, nicht weniger als die Wirklichkeit des dreieinigen Gottes in der Einheit von immanenter und ökonomischer Trinität. Indes ist diese Wirklichkeit der Welt- und Selbsterfahrung des Menschen nicht unmittelbar zugänglich. Zwar bietet sie sich dar im sichtbaren Zeichen eines Mahlgeschehens, das durch Brot und Wein elementar geprägt ist. Aber dieses Mahlgeschehen will verstanden sein als ein auf Glauben hin angelegtes Sakrament. In der Gemeinschaft der Gläubigen (LE 19–21), die von ihm genährt wird, verschafft es gleichwohl heute schon den Vorgeschmack auf das Mahl des Gottesreiches (LE 22–26), in welchem der Glaubensgehorsam in Sehen und Schmecken sich vollenden wird. Verstehe ich recht, dann wollen alle Einzelaussagen des Limatextes zur Eucharistie aus diesem eindrucksvollen, hier auf seine systematische Grundstruktur reduzierten Gesamtzusammenhang verstanden sein. Der prägende Einfluss, den neben dem römischen Katholizismus die Tradition der Orthodoxie auf die Formulierung des skizzierten Grundgedankens eucharistischer Theologie genommen hat, ist offensichtlich. Nichtsdestoweniger dürfte in dem gegebenen Kontext auch die reformatorische Abendmahlslehre in ihren wesentlichen Bestandteilen stimmig und konsistent reformulierbar sein. Nicht von ungefähr wurde der Eucharistietext des Limadokuments im deutschen Protestantismus überwiegend positiv beurteilt. Sofern Kritik geübt wurde, bezog sie sich nicht auf den eucharistischen Zusammenhang von Anamnese und Epiklese, von dessen Wiederentdeckung man vielmehr Verständnishilfen für alle abendmahlstheologischen Themenbereiche erwartet, sondern auf die Beziehung von Abendmahl und Wortverkündigung sowie auf das abendmahlstheologische Verhältnis von Christologie und Ekklesiologie. Der Vorbereitungsausschuss der EKD-Synode 1983 vermisste „einen ausdrücklichen Hinweis auf die Bedeutung, die der Verkündigung des Wortes Gottes in Gestalt der Predigt im eucharistischen Gottesdienst zukommt“ (EKD 11). Man wird allerdings sehen müssen, dass die Verkündigung des Wortes Gottes nicht nur als ein wesentlicher Bestandteil der eucharistischen Feier aufgeführt wird (LE 27), sondern dass ausdrücklich gesagt ist, dass die Eucharistie immer beides, Wort und Sakrament, einschließt und mithin Verkündigung und Feier der Taten Gottes ist (LE 3). Der Limaausschuss der VELKD kam denn auch zu dem überzeugenden Schluss: „Eucharistie ist der gesamte Gottesdienst; er umschliesst Wortteil und Feier des Mahles. Mit diesem Verständnis wird eine falsche Alternative von Wort und Sakrament überwunden.“ (VELKD 11) Gravierender sind die kritischen Anfra-
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gen, die den Zusammenhang von Abendmahlstheologie und Ekklesiologie betreffen. Für schwer vereinbar mit der eigenen theologische Tradition hält man es reformatorischerseits, dass „Aussagen, nach denen die christliche Kirche das Subjekt des Handelns ist, so starkes Gewicht bekommen“ (EKD 11). Die Bedenken gegen die Verwendung der Begriffe „Opfer“ und „Darbringung“ dürften sich ebenfalls von daher erklären, auch wenn dankbar konstatiert wird, „daß sich in dem Dokument keine Aussagen finden, die ein Verständnis der Eucharistie als einer Wiederholung des Opfers Christi durch die Kirche nahelegen könnten“ (EKD 12; vgl. VELKD 11). Deutlicheres Profil bekommen diese und ähnliche Anfragen in Bezug auf das eucharistische Dienstamt bzw. im Blick auf Stellenwert und Bedeutung des ordinationsgebundenen Amtes in der Kirche überhaupt. Der Amtstext des Limadokuments setzt ein mit Die Amtslehre des LimadokuAusführungen zur Berufung des ganzen Volkes ments Gottes (LA 1–6) und betont auch ansonsten die Vielfalt der Charismen innerhalb der Gesamtgemeinde (LA 32f.). Reformationskirchen werden diesen Ansatz beim allgemeinen Priestertum sicherlich auch unter der Voraussetzung begrüßen, dass er heilsgeschichtlich-trinitarisch (vgl. LA 1ff.) und nicht explizit tauftheologisch begründet wird, wie das in ihrer Tradition die Regel ist. Indes wird man über den Stellenwert dieses Ausgangspunktes erst dann angemessen urteilen können, wenn man klärt, wie dem Priestertum aller das besondere, ordinationsgebundene Amt in der Kirche (LA 7–18) zugeordnet wird. Das Limadokument sieht die Notwendigkeit des ordinationsgebundenen Amtes darin begründet, dass die Kirche Personen braucht und immer gebraucht hat (vgl. LA 9), „die öffentlich und ständig dafür verantwortlich sind, auf ihre (sc. der Kirche) fundamentale Abhängigkeit von Jesus Christus hinzuweisen, und die dadurch innerhalb der vielfältigen Gaben einen Bezugspunkt ihrer Einheit darstellen“ (LA 8). Man wird schwerlich behaupten können, dass diese Feststellung im Widerspruch steht zu den Bestimmungen lutherischen Bekenntnisses. Ebenso wenig kann man gegen die nachfolgende These, das ordinationsgebundene Amt und somit die personale Rolle des Amtsträgers seien konstitutiv für das Leben und Zeugnis der Kirche (LA 8), mit CA VII argumentieren. Zwar wird dort ausdrücklich gesagt, zur wahren Einheit der Kirche genüge die Übereinstimmung in der Lehre des Evangeliums und im Gebrauch der Sakramente. Aber dies ist, wie der Gesamtzusammenhang verdeutlicht, nicht gegen die Notwendigkeit des ordinationsgebundenen Amtes, sondern gegen übersteigerte Wahrheitsansprüche menschlicher Traditionen und Gebräuche gerichtet. Um vorschnelle und unangemessene Urteile zu vermeiden, wird es sonach gut sein, sich noch einmal die durch die eigene konfessionelle Tradition vorgegebenen Rahmenbedingungen der Amtslehre zu verdeutlichen. Lutherische Amtslehre hat eine doppelte Gefahr zu vermeiden: Sie darf weder das besondere Amt der Kirche zu einer bloßen Funktion des Gemeindewillens erklären und damit seine göttliche Stiftung leugnen noch einen ständischen Amtsbegriff vertreten, weil dies eine Absage wäre an die Grundüberzeugung vom Priestertum aller Gläubigen. Durch die-
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se beiden Grenzmarken ist der Rahmen lutherischer Amtslehre abgesteckt. Diese Grenzmarken sind ihrerseits durch die gesamtreformatorische Einsicht festgelegt, dass das Evangelium Amt und Gemeinde gleichermaßen vorgeordnet ist, wie ja die Kirche in keiner ihrer Gestalten aus und durch sich lebt, sondern von der Gegenwart Jesu Christi im Geist durch Wort und Sakrament. Im Blick auf das ordinationsgebundene Amt bedeutet dies, dass seine Differenz zur Gemeinde nicht gleichgesetzt werden kann mit dem Zuvorkommen des Evangeliums gegenüber der Kirche. Die Unterschiedenheit von Amt und Gemeinde ist keine unmittelbare, welche differente geistliche Stände begründen würde; sie ist vielmehr durch den einen Geist des Evangeliums gesetzt und vermittelt. Die Besonderheit des ordinationsgebundenen Amtes lässt sich entsprechend nicht durch den bloßen Verweis auf dessen Zuständigkeit für die Evangeliumsverkündigung begründen, vielmehr ist hierzu jeder Christ bestimmt, der durch die Taufe Anteil hat am Priestertum aller Gläubigen. Auch das Limadokument betont an mehreren Stellen diese elementare Verantwortung aller Getauften für die Evangeliumsverkündigung und die sonstigen Belange der Kirche. Alle Glieder der Kirche sind berufen, ihren Glauben zu bekennen und von ihrer Hoffnung Rechenschaft abzulegen; sie alle haben an der Erfüllung der wesentlichen Funktionen im Leben der Kirche teil (LA 4; 13 Komm und anderswo). Mehrfach hervorgehoben wird überdies der grundlegende Unterschied von Jesus Christus bzw. seinem Evangelium und dem Amt der Kirche (etwa LA 11; 15f.). Man wird diese Hinweise beim Wort zu nehDie Öffentlichkeitsbestimmen und folglich zu fragen haben, wie die Kirche mung des ordinationsgedem Geist Christi gemäß verfasst sein, welche bundenen Amtes Gestalt, nicht zuletzt welche institutionelle Gestalt sie annehmen muss, damit der konstatierte Unterschied zwischen Christus und ordinationsgebundenem Amt nicht nur behauptet, sondern anhand konkreter Unterscheidbarkeiten wirklich wahrzunehmen ist. Noch einmal ist dabei zurückzukommen auf die Frage, was eigentlich die Besonderheit des ordinationsgebundenen Amtes in der Kirche ausmacht. Ein entscheidender Aspekt dieser Besonderheit ist nach reformatorischer Auffassung mit der Einsetzung zur öffentlichen Evangeliumsverkündigung in Wort und Sakrament gegeben. Mögen auch andere Gesichtspunkte hinzukommen, so dürfte ihr angemessenes Verständnis doch nur dann gewährleistet sein, wenn sie von der – auch im Limadokument (LA 8) erwähnten – Öffentlichkeitsbestimmung des ordinationsgebundenen Amtes her oder doch zumindest im Zusammenhang mit ihr in Betracht gezogen werden. Gewiss, die ordinierten Amtsträger haben Herolde und Botschafter, Leiter und Lehrer, Propheten und Hirten und in all dem, wie auch die Apologie der CA sagt (AC VII, 28), Repräsentanten Christi zu sein (vgl. LA 11). Aber all diese Bestimmungen geben für sich genommen noch keine hinreichende Begründung für die Besonderheit des ordinationsgebundenen Amtes. Denn authentische, vollmächtige und glaubwürdige Zeugen und Repräsentanten des Evangeliums Jesu Christi zu sein, dazu sind alle Getauften bestimmt, weil sie am allgemeinen Priestertum teilhaben.
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Während aber das Priestertum aller Gläubigen im einzelnen Fall je besonders, etwa im Zusammenhang einer bestimmten sozialen Rolle verwirklicht wird, ist es die Besonderheit des ordinationsgebundenen Amtes, dazu geordnet zu sein, dass es für die Allgemeinheit des allgemeinen Priestertums, mithin für jene Öffentlichkeit eintritt, die durch die Universalität der Heilbotschaft Jesu Christi hervorgerufen werden soll und tatsachlich hervorgerufen wird. Diese Öffentlichkeit ist nicht identisch mit der faktisch vorfindlichen Gemeinde, sie ist nicht einmal gleichzusetzen mit der Summe aller lebenden Getauften, denn ihr sind in gewisser Weise alle Christen sowohl vergangener als auch zukünftiger Zeiten zuzurechnen, deren Zahl für uns nicht festlegbar ist. In diesem Sinn ist die Gesamtkirche, welche die christliche Öffentlichkeit ausmacht, eine eschatologische Größe. die zwar bereits jetzt überall dort, wo zwei oder drei versammelt sind in Jesu Namen, zum Vorschein kommt, aber zugleich jede ausschließende Beschränktheit – sei es von Personen, Gruppen oder Kirchentümern – transzendiert. Diese Offenheit ist dadurch bedingt, dass keine Gestalt und Erscheinungsweise der Kirche Jesu Christi auf Erden ihren Grund und Bestand in sich selber hat. Christliche Gemeinde, die ihrer Bestimmung entspricht, ruht nicht in sich selbst, weil sie nicht auf die eigene Frömmigkeit und Heiligkeit baut bzw. an ihr sich zu erbauen hätte, sondern von dem einen Evangelium Gottes lebt, das Jesus Christus in Person ist und das im Geist zu allen Menschen kommen will. Deshalb kann denn auch nicht eine empirisch vorfindliche Gemeinde und Kirche zum Subjekt jener Ordnung erklärt werden, welche dem ordinationsgebundenen Amt zugrunde liegt. Das Amt der öffentlichen Evangeliumsverkündigung, wie es in der Öffentlichkeit und gemäß dem universalen Charakter des Evangeliums auf Öffentlichkeit hin sich vollzieht, hat vielmehr als von Gott selbst gestiftet zu gelten. Zwar begründet die Ordination keinen ausgesonderten geistlichen Stand, wohl aber ein besonderes Amt, das etwas anderes ist als eine Funktion des Willens der jeweiligen Gemeinde bzw. ihrer einzelnen Glieder. Entsprechend kann die Vollmacht des Amtes nicht als Delegation der Gemeinde verstanden werden. Das hat, wie mehrfach erwähnt, vor allem darin seinen Grund, dass Offenheit die Signatur der Amt und Gemeinde Kirche Jesu Christi auf Erden ist, wohingegen Verschlossenheit das Sektiererische in seiner Verkehrtheit kennzeichnet. Indem das ordinationsgebundene Amt der erwähnten Offenheit bzw. Öffentlichkeit der Kirche dient, entspricht es seiner Bestimmung und hat eine spezielle Aufgabe im Blick auf die universale Einheit der Gesamtkirche, wie das Limadokument mit Recht hervorhebt (LA 8ff.). Aufgrund seines Dienstes an der christlichen Öffentlichkeit, zu dem das ordinationsgebundene Amt bestimmt ist und den es wahrnimmt, indem es in der Kraft des universalen Evangeliums Jesu Christi aus jedweder Beschränktheit und Selbstverkehrung herausruft, kann dann auch gesagt werden, dass das ordinationsgebundene Amt nicht nur in, sondern auch gegenüber der je besonderen Gemeinde zu stehen kommt und solchermaßen an das Zuvorkommen der göttlichen Initiative erinnert (vgl. LA 12). Indes soll und darf dadurch nicht
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revoziert werden, dass das Gegenüber von Amt und Gemeinde weder gleichzusetzen noch in ein analoges Verhältnis zu bringen ist zu dem Gegenüber von Evangelium und Kirche. Insofern kann der Amtsträger seine Aufgabe nicht in autark-selbstherrlicher Weise verwirklichen (vgl. LA 15f.), sondern nur im kommunikativen Zusammenhang mit der ihm anvertrauten Gemeinde, vor deren Eigenart er sich im Lichte des Evangeliums ebenso zu verantworten hat wie die Gemeinde vor ihm. Denn wie die Gemeinde des besonderen Amtes bedarf, um in ihrer Besonderheit aufgeschlossen zu sein für jene Universalität, zu der die Kirche bestimmt ist (welche Aufgeschlossenheit die Realisierungsbedingung des allgemeinen Priestertums ist), so bedarf das ordinationsgebundene Amt der Gemeinde und jedes ihrer Glieder, weil die Universalität der Kirche sich nur verwirklicht in der Offenheit für den je besonderen Fall, die Bestimmung des ordinationsgebundenen Amtes hingegen verfehlt wäre, wollte es seine Besonderheit direkt an die Stelle des Allgemeinen setzen. Sosehr dem ordinationsgebundenen Amt Autorität nur zukommt, sofern es sich seinem Selbstverständnis nach von der Autorität Jesu Christi unterscheidet und diese nicht okkupiert, sosehr vermag es der einen, allgemeinen und apostolischen Kirche nur zu dienen, wenn es nicht behauptet, diese universale Kirche an sich selbst zu sein. Beide, Gemeinde und Amt, sind in diesem Sinne keine autarken Größen; sie verwirklichen ihre eigene Bestimmung jeweils nur in der Weise der Koexistenz, die in der gemeinsamen Bezogenheit auf den einen Herrn ihre Basis und Realisierungsbedingung hat. Es zeigt sich, dass das Verhältnis von allgemeinem Priestertum und besonderem Amt weder nach der einen noch nach der anderen Seite als ein Verhältnis von Grund und Folge, sondern nur als ein Verhältnis gleich ursprünglicher und gleich wesentlicher Größen bestimmt werden kann, zweier Größen, die zwar nicht aufeinander zurückgeführt bzw. voneinander abgeleitet werden können, aber sich dennoch nicht ausschließend gegeneinander verhalten. Im Gegenteil, ihre Unterschiedenheit hat ihrer Beziehung und Einigkeit zu dienen, die in der Einheit des Evangeliums Jesu Christi ihren Grund hat. Zu welchen Konsequenzen für Theorie und Praxis der Kirchenverfassung dies zu führen hat, kann hier nicht erörtert werden, zumal da nicht alle Einzelheiten der Kirchenordnung theologisch verpflichtend sind. Verbindlich indes scheint mir, dass Gleichursprünglichkeit und Gleichwesentlichkeit von Amt und konkreter Gemeinde für das Leben der Kirche festgehalten und beide entsprechend an der Leitung beteiligt sowie in die Verantwortung für die reine Verkündigung des Evangeliums und die rechte Verwaltung der Sakramente einbezogen werden. Gerade in der geschwisterlichen Teilung der Vollmacht, die der Kirche zukommt, scheint mir ihre Einheit und Einigkeit im Herrn am deutlichsten sichtbar zu werden, während jede Reduktion auf eine einzige Größe, welche es auch sei, zu einem Monologismus tendiert, der dem entwickelten Kommunikationsmodell der Kirche widerspricht. Damit sind ekklesiologische Grundsatzfragen angesprochen, wie sie in anderer Perspektive auch die Stellungnahme der römisch-katholischen Kirche zum Limadokument traktiert und zwar in einer Weise, die beispielhaft geeignet ist, ver-
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bleibende Kontroversen präzise zu identifizieren. Die römisch-katholische (= RK) Stellungnahme soll daher, wie angekündigt, unter den zahlreichen kirchlichen Reaktionen auf BEM eigens dargestellt und eingehend analysiert werden. Die kritischen Einwände, die vonseiten der röRoms Antwort auf Lima misch-katholischen Kirche gegen die Konvergenzerklärungen der Kommission von Glauben und Kirchenverfassung zu Taufe, Eucharistie und Amt vorgetragen werden, betreffen, wie ausdrücklich gesagt wird, allesamt Teilaspekte der Ekklesiologie und sind auf den Sakramentsbegriff, auf das genaue Wesen der apostolischen Tradition und auf das Problem der Autorität und Entscheidungsvollmacht der Kirche konzentriert. Die erstrebte ekklesiologische Integration der einzelnen Kritikpunkte bringt sich im Hinblick auf den Sakramentsbegriff in der Forderung zur Geltung, dieser sei in ein sakramentales Verständnis der Gesamtkirche einzuordnen, von dem her sich die Wirklichkeit der einzelnen Sakramente allererst angemessen erfassen lasse. Seit dem II. Vatikanischen Konzil ist die Rede von der Kirche als Sakrament, welche sich vorher bereits bei einigen Theologen findet, fester lehramtlicher Bestandteil römisch-katholischer Ekklesiologie geworden. Zum Beleg genügt ein Beweis auf die Kirchenkonstitution „Lumen Gentium“. Ihrzufolge ist die Kirche, welche in der römisch-katholischen ihre konkrete Subsistenzweise hat (LG 8), „in Christus gleichsam das Sakrament, bzw. Zeichen und Werkzeug (veluti sacramentum seu signum et instrumentum) für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit des ganzen Menschengeschlechts“ (LG 1; vgl. 9 und 48f.). Entsprechend werden alle liturgischen Handlungen, die auf das Heil der Menschen gerichtet sind, zu „Feiern der Kirche, die das ,Sakrament der Einheit‘ (unitatis sacramentum) ist“ (SC 26), erklärt. Die Einzelsakramente haben in diesem Sinne als Explikationsgestalten des Grundsakraments der Kirche zu gelten. Demgemäß kann gesagt werden, dass die katholische Kirche in den sakramentalen Vollzügen ihr eigenes Sein vollzieht, dessen Anfang und Grund mit der Taufe gesetzt ist, um in der eucharistischen Feier seine konzentrierteste Gestalt zu erhalten. Auch protestantischerseits wird man die eindrucksvolle Weite und Integrationskraft dieses bündigen Argumentationszusammenhangs nicht bestreiten können und die beachtliche Konkretisierung anzuerkennen haben, die der nicht selten sehr abstrakt verwendete Sakramentsbegriff durch seine ekklesiologische Fassung erfährt. Gleichwohl bleiben offene Fragen, etwa folgende: Feiert die Kirche in den Sakramenten tatsächlich ihr eigenes Sein, oder hat sie nicht zuvörderst im Empfang der sakramentalen Gabe der Sakramentalität Jesu Christi sich zu vergewissern? Katholische Theologie wird diese GegenüberstelSakramentalität und Kirche lung gewiss nicht akzeptieren. Gleichwohl bleibt das Problem, wie der Gedanke einer Selbstbegründung der Kirche sakramentstheologisch eigentlich vermieden werden soll, wenn die sakramentalen Vollzüge, durch die sich Jesus Christus in der Kraft des göttlichen Geistes vermittelt, um seine Gemeinde zu erbauen, zu kirchlichen Selbstvollzügen erklärt werden. Die theologische Reflexion bietet nicht unbedeut-
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same Differenzierungsleistungen an: So wird, um im gegebenen Argumentationszusammenhang zu bleiben, die Kirche Grundsakrament, Jesus Christus hingegen Ursakrament genannt. Diese Unterscheidung zielt zweifellos auf die Einsicht, dass die theologische Fundamentalität der Kirche nicht in sich selbst gründet, sondern auf dem in Jesus Christus gelegten Urgrund basiert; nichtsdestoweniger bleibt die Differenzierung zwischen Ur- und Grundsakrament zu unbestimmt, um genau angeben zu können, wie denn nun Einheit und Unterschiedenheit sakramentstheologisch so zusammengedacht werden sollen, dass beide gleichermaßen zur Geltung kommen. Probleme ergeben sich auch, wenn das Verhältnis von Ur- und Grundsakrament bzw. Christologie und Ekklesiologie analogisch bestimmt wird; denn die Rede von Analogie ist sinnlos, wenn nicht angegeben werden kann, worin die Identität des „logos analogans“ besteht. Selbst der Grundsatz klassischer Analogielehre von der in aller Ähnlichkeit je größeren Unähnlichkeit (vgl. DH 806) entlastet m.E. nicht von solchem Identifizierungszwang und lässt infolgedessen – zugestandenermaßen ganz gegen seinen Wortlaut und seine ursprüngliche Intention – die Unterschiedenheit der Analogate gegenüber ihrer Einheit unterbestimmt. Dem Hang zur Univokation kann keine konsequent gedachte Analogielehre entgehen. Es bleibt also die Frage, ob die Unterscheidung zwischen Ur- und Grundsakrament wirklich hinreichend ist, um den differenzierten Zusammenhang von Christologie resp. Pneumatologie und Ekklesiologie angemessen zum Ausdruck zu bringen. Hiermit aufs engste verbunden ist die weitere Frage, ob nämlich die sog. Einzelsakramente tatsächlich in den Realisierungszusammenhang und nicht doch eher in den Begründungszusammenhang der Kirche gehören. Statt Fragen wie diese weiter zu verfolgen, sollen unter Bezug auf die zu Taufe und Eucharistie gegebene Stellungnahme einige Konkretisierungen vorgenommen wurden. Was die Taufe betrifft, so wird mehrfach betont, dass das Limadokument den Glauben der Kirche im Wesentlichen angemessen wiedergegeben und sorgfaltig dargestellt habe. Indes müsse die ekklesiologische Dimension der Taufe noch deutlicher herausgearbeitet werden (RK 22; vgl. 19 u.a.). Nicht genügend Aufmerksamkeit werde etwa den „Implikationen der Tatsache (gewidmet), daß jemand innerhalb einer bestimmten kirchlichen Gemeinschaft in der gespaltenen Christenheit getauft wird“ (RK 17). Offen bleibe auch das Problem der Heilsnotwendigkeit der Taufe und das mit ihm aufs engste verbundene Problem der Heilsnotwendigkeit der Kirche sowie die Frage, „wie die Taufe Menschen in die Kirche eingliedert ... und wie die Taufe in einer Gemeinschaft, die man nicht in voller Gemeinschaft mit der Kirche sieht, noch als echte Taufe anerkannt werden kann“ (RK 19). Das in solchen und ähnlichen Monita erkennbare Interesse an ekklesiologischen Akzenten bestätigt sich, wo es um die Taufpraxis, näherhin um die Praxis der Kindertaufe geht. Bemerkenswerterweise wird die Legitimität dieser Praxis im Wesentlichen mit ihrer jahrhundertelangen Übung in der Kirche begründet. Zwar geht die gewählte Formulierung, die ständige Praxis der Kirche sei „ein grundlegender Faktor, der die Taufe von Kindern rechtfertigt“ (RK 20), offenbar durchaus vom Vorhandensein weiterer
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Rechtfertigungsfaktoren aus. Ja, es wird sogar ausdrücklich auf die ständig vorhandene Bereitschaft der Kirche verwiesen, „auf die Schwierigkeiten, die gegen diese Praxis (sc. der Kindertaufe) vorgebracht wurden, eine Antwort zu geben und Gründe, die für ihre Fortsetzung sprechen, anzugeben“ (ebd.). Indes wird nicht hinreichend klar, wie das Verhältnis solcher möglichen Gründe zur gegebenen kirchlichen Praxis verfasst sein muss, damit diese wirklich als Basis jener und am Ende nicht doch nur als deren bloße Folge bzw. als deren Implikate und interne Momente in Erscheinung treten. Es entspricht der ekklesiologisch ausgerichteten Handeln Christi und Handeln Gesamttendenz der Stellungnahme, wenn im der Kirche Blick auf den Eucharistietext des Limadokuments gefordert wird, die „Beziehung zwischen dem Handeln der Kirche und dem Handeln Christi“ (RK 25) möge noch deutlicher ausgedrückt werden. Ein solcher Wunsch kommt einem reformatorischen Grundanliegen prinzipiell durchaus entgegen. War es doch der Vorwurf einer Verwechslung des göttlichen Geisteshandelns in Jesus Christus und menschlichen bzw. kirchlichen Handeins, der die reformatorische Kritik an der Messe, namentlich die Kritik an Theorie und Praxis des Messopfers provozierte. Bekanntlich verwarf Luther die ihm begegnende Theorie und Praxis des römischen Messopfers als einen gottlosen Missbrauch des Altarsakraments, welcher das Innerste der Glaubenswahrheit verkehrt, indem er, statt den verheißungsvollen Zuspruch der Versöhnung durch Christi Tod sich gefallen zu lassen, einen unseligen Anspruch auf menschliche Selbstrechtfertigung erhebt. Darin fand der Reformator einen fundamentalen und unaufhebbaren Widerspruch gegen seine Grundeinsicht, der gemäß der Mensch allein aus Gnade durch Glauben und nicht durch verdienstliche Werke gerechtfertigt wird. Alle weiteren Verdikte gegen die römische Messe lassen sich im Grunde auf diesen elementaren Vorwurf zurückführen, der in der These seine Bestätigung fand, das Messopfer widerspreche der Einzigkeit und Vollgenügsamkeit des Kreuzesopfers Jesu Christi, welches einer multiplizierenden Wiederholung ebenso wenig bedürfe wie einer additiven Ergänzung. Nun hat der ökumenische Dialog gerade in der Messopferfrage unleugbar wichtige Verständnisfortschritte gebracht, wofür das Limadokument selbst ein Beispiel gibt. Zu fragen bleibt lediglich, wie weit die erzielte Verständigung reicht und in welchem theoretischen und praktischen Gesamtkontext sie jeweils ratifiziert wird. Die römisch-katholische Stellungnahme akzentuiert, das ist offensichtlich, mit besonderem Nachdruck das intime Zusammensein von Christus und Kirche im eucharistischen Handlungsvollzug. Man legt nachhaltigen Wert auf die Feststellung, „daß die Kirche in der Eucharistie die Danksagung Jesu Christi aufnimmt und sich als Braut Christi mit ihr vereinigt, um eine gebührende Danksagung für alle Wohltaten Gottes auszudrücken“ (RK 25). Besonders hervorgehoben werden daher jene Formulierungen des Limadokuments, in denen „das enge Verhältnis zwischen dem Geheimnis der Eucharistie und dem Handeln der Kirche“ (RK 26) im Sinne einer „eucharistischen Ekklesiologie“ (RK 27) betont wird. In der Mess-
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opferfrage, genauer gesagt: in der Frage des Verhältnisses von Kreuzesopfer und Messopfer, kommt es mithin nach Maßgabe der Stellungnahme vor allem darauf an, dass die Kirche „als geistlich und sakramental vereint (gesehen wird) mit der kommemorativen, aktiven Gegenwart des Opfers Christi“ (ebd.). Weitere Beispiele für diese Tendenz, Handeln Christi und Handeln der Kirche in der eucharistischen Feier möglichst eng miteinander zu verbinden, ließen sich unschwer aufzählen. Sie wird im Übrigen auch durch die vorgetragene Kritik etwa an dem Begriff der eucharistischen Fürbitte (RK 27f.) belegt, der den römisch-katholischen Opfergedanken angeblich nur unzureichend erfasst. Gegenüber solch christologisch-ekklesiologiDas exzentrische Sein der scher Vereinigungstendenz hat es protestantische Kirche Theologie stets als ihre besondere Aufgabe erachtet, mit Genauigkeit auf die Unterschiedenheit und Unterscheidbarkeit von Ekklesiologie und Christologie zu achten. Dass dies nicht bedeuten kann, das Verhältnis beider im Sinne einer abstrakten Differenz aufzufassen, ist klar. Gerade der neutestamentliche „mysterion“-Begriff, der in einigen alt- lateinischen Bibelübersetzungen mit „sacramentum“ wiedergegeben wurde, sagt zweifellos eine sehr innige Beziehung von Christus und Kirche aus, wie denn auch die sakramentale Feier ohne ekklesiologische Bezüge gar nicht zu denken ist. Dennoch wird man theologisch ebenso wenig ohne klare Differenzierungen auskommen: Denn so richtig es ist zu sagen, Christus lebe in seiner Kirche und handle durch sie an der Menschheit, so falsch wäre es doch daraus zu folgern, Christus sei gewissermaßen in die Kirche auferstanden und existiere lediglich als Gemeinde. Denn solche Folgerung führt zu nichts anderem als zu einer Auflösung der Faktizität und des Perfekts der Auferstehung, welche besagen, dass Jesus Christus an sich selbst und als solcher lebt, welche Gewissheit zugleich die Bedingung der Möglichkeit des Lebens der Gemeinde ist, wie der Geist sie vermittelt. Wahre „Begeisterung“ ist sonach, das gilt auch und gerade für die Kirche und ihre Glieder, immer ein Extra-se-Sein, und entsprechend ist der Zusammenhang von Jesus Christus und Kirche gerade in seiner innigen Einigkeit als differenzierter Zusammenhang zu bestimmen. Kirche ist, was sie ist, nämlich Leib Christi und konkrete Gestalt seiner Geistesgegenwart, wenn sie gleichsam außer sich ist, selbstvergessen bei der Sache, richtiger gesagt: beim Herrn, welchem sie im Glauben zutraut, seine göttliche Wahrheit mittels des Wirkens des Geistes selbst bewähren zu können. Wollte die Kirche hingegen das Wirken des Geistes mit ihrer Wirklichkeit gleichsetzen, um die Wahrheit Christi aus eigener Kraft zu bewähren, müsste sie zwangsläufig dem verkehrten Ungeist der Selbstverschlossenheit, des Unglaubens und der Sünde verfallen. Wahre Kirche gibt es sonach nur im Vertrauen auf die Selbstbezeugung der Wahrheit Jesu Christi im Geist; Verkehrung und Sünde hingegen herrschen dort, wo man den Blick auf sich selbst richtet – und sei es auch, um sich an eigner Heiligkeit zu erbauen. In diesem Sinne gilt auch und gerade für die „ecclesia“: „iniusta in se, iusta in spe/in Christo“ bzw. „simul iusta et peccatrix“.
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Nun kann man gegen die vorgetragene ekklesiologische Argumentation einwenden, in ihr werde nicht hinreichend unterschieden zwischen der kirchlichen Gemeinschaft der Gläubigen und der Kirche, die den einzelnen Gläubigen ebenso wie ihrer Gemeinschaft immer auch gegenüberstehe, indem sie die Heilsmedien verwalte, mittels derer sich der Heilige Geist als wirksam erweise, so dass zu sagen wäre: Wohl sündigen alle Einzelglieder der Kirche, aber nicht die Kirche als ganze und als solche. Diese Feststellung aber ruft zwangsläufig die Frage hervor, wie die Differenz zwischen heiliger Mutter Kirche und ihren sündigen Kindern eigentlich zu denken ist, ohne in eine Hypostasierung institutioneller Strukturen zu verfallen, derzufolge individuelle Personen nur als marginale Funktionsmomente zu gelten hätten, welche Annahme von der katholischerseits stets bekämpften Idee der Kirche als einer „civitas platonica“ so weit nicht entfernt wäre. Wie dem auch sei: Für protestantische Theologie ist und bleibt die Überzeugung grundlegend, dass wie der einzelne Christ, so auch die verfasste Kirche allein exzentrisch, also gerade nicht in der Weise stabiler Identität mit Christus im Geiste vereint ist. Für das sakramentale, namentlich für das eucharistische Handeln der Kirche hat daher zu gelten, dass es nur angemessen bzw. stiftungsgemäß geschieht, wenn es sich im Bewusstsein vollzieht, dass der Bezugspunkt dieses Handelns sich von sich aus zu vergegenwärtigen vermag. Die eucharistische Anamnese und Epiklese der Kirche vollenden sich mithin in der Einsicht, dass Jesus Christus in der Kraft des göttlichen Geistes sich selbst lebendig in Erinnerung zu bringen und als Subjekt seines Gedächtnisses zu erweisen vermag, um so seiner Gemeinde eine eschatologische Zuversicht zu eröffnen, die – in der Gewissheit des Heils befreit von aller Sorge ums Eigene – als fürsorgliche und opferbereite Liebe sich zu realisieren vermag gemäß der Devise: Man kann für das Reich Gottes nur, aber nun auch gerade deshalb sinnvoll arbeiten, weil man der Sorge um dessen Kommen gründlich enthoben ist. Zwei abendmahlstheologisch relevante Verweise Realpräsenz und eucharistiseien nurmehr thetisch angefügt: Was die Frage sche Katholizität der Realpräsenz anbelangt, so betont die römische Stellungnahme zu Recht, dass es sachlich nicht angemessen wäre, den einschlägigen Limatext in dem Sinne zu interpretieren, als würden im eucharistischen Geschehen „die Gaben nur einem Bedeutungswandel unterliegen, der nicht weiter geht als die Herstellung einer äußerlichen Beziehung zwischen der bezeichnenden und der bezeichneten Sache“ (RK 30). In der Tat beinhaltet nicht nur der römischkatholische, sondern auch der reformatorische „Glaube an die Realpräsenz. .., daß wir glauben, daß das Brot und der Wein wirklich der Leib und das Blut Christi werden“ (RK 31 Anm.). In diesem Sinne kann man in Übereinstimmung mit reformatorischer Theologie durchaus sagen, dass „der Gedanke, daß sie (sc. Brot und Wein) zu sakramentalen Zeichen werden, ... mit der inneren Veränderung verknüpft (ist), die stattfindet, wobei eine Seinseinheit zwischen der bezeichnenden und der bezeichneten Realität zustandekommt“ (RK 30). Fragwürdig bleibt allerdings, was unter Seinseinheit näherhin zu verstehen ist und ob der zu ihr führende Wandlungsprozess notwendig auf den Begriff der „Transsubstantiation“ ge-
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bracht werden muss. Denn erstens ist dieser Begriff von philosophischen Denkkategorien abhängig, die nicht mehr ohne weiteres die unseren sind, und zweitens verfügt er, wie die Geschichte seiner kontroverstheologischen Auslegung beweist, keineswegs über die Eindeutigkeit, welche die vatikanische Stellungnahme mit ihm verbindet. Ohnehin wird man sagen dürfen, dass gerade der Eucharistieteil der Stellungnahme die begriffliche Präzision und sachliche Klarheit, die er in einigen Passagen des Limadokuments vermisst, selbst nicht selten schuldig bleibt. Eine zweite Notiz betrifft die praktisch so bedeutsame Frage der gegenseitigen Teilnahme an der Eucharistie (RK 33). Auch in diesem Zusammenhang unterstreicht die Stellungnahme sogleich die ekklesiologische Dimension des Problems. „Die Katholizität der Eucharistie“, so wird betont, sei „nicht etwas von der Katholizität der Kirche Verschiedenes. Katholizität beinhaltet Offenheit, aber eine Offenheit, die als Vorbedingung die Annahme des ganzen Heilsgeheimnisses Christi und seiner Konsequenzen hat.“ (RK 31). Die Einheit im Bekenntnis des Glaubens gilt mithin als „das Herzstück der kirchlichen Gemeinschaft“ (RK 33). Daraus wird gefolgert: „Da die Eucharistiefeier von ihrer eigenen Natur her ein Bekenntnis des Glaubens der Kirche ist, ist es für die katholische Kirche gegenwärtig unmöglich, sich an einer allgemeinen gegenseitigen Teilnahme an der Eucharistie zu beteiligen. Denn aus unserer Sicht können wir erst dann Eucharistiegemeinschaft haben, wenn wir auch volle Gemeinschaft im Glauben haben“ (ebd.). Evangelische Theologie wird demgegenüber in Theorie und Praxis deutlich zu machen haben, dass das Abendmahl nicht nur Objektivation des kirchlichen Glaubens und Ausdruck bestehender kirchlicher Einheit ist, sondern auch Erhaltungsgrund des Glaubens der Kirche und Möglichkeitsbedingung ihrer Einheit. Das ist das wesentliche dogmatische Motiv für die protestantische Forderung der sog. offenen Kommunion und die Gewährung eucharistischer Gastfreundschaft in den gegenwärtigen evangelischen Kirchen. Die betonte Feststellung der Stellungnahme, dass der Vorsteher der eucharistischen Feier ein Priester sein muss, „der das Sakrament der Weihe in der apostolischen Sukzession empfangen hat“ (RK 32) und damit befähigt ist, Christus in einer personalen und sakramentalen Weise zu repräsentieren (RK 38), sowie die ferner erfolgte Erinnerung, dass die Realität „Opfer“, wie es heißt, „wesentlich zum Begriff des geweihten Priestertums gehört“ (RK 39), verweist bereits auf die elementare Sonderstellung, die dem ordinationsgebundenen Amt nach römisch-katholischer Lehre im Zusammenhang der Berufung des ganzen Gottesvolkes zukommt. Dabei ist es keineswegs so, wie Protestanten in Unkenntnis der wahren Sachlage nicht selten argwöhnen, dass römisch-katholische Lehre die Berufung des ganzen Volkes Gottes und mithin das Priestertum aller Gläubigen in Abrede stelle. Dass das Gegenteil der Fall ist, bestätigt die Tatsache, dass die vatikanische Stellungnahme dem einschlägigen Eingangsteil des Amtstextes des Limapapiers unter Verweis auf entsprechende Ausführungen namentlich der Dogmatischen Konstitution des II. Vatikanum über die Kirche ausdrücklich zustimmt. Schwieriger wird die Problematik erst, wenn man fragt, wie dem Priestertum
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aller das besondere, ordinationsgebundene Amt der Kirche zuzuordnen ist. Die Stellungnahme hebt bei der Erörterung dieser Frage besonders einen der Aspekte hervor, unter denen das Limadokument die Besonderheit des ordinationsgebundenen Amtes im Unterschied zum Priestertum aller Gläubigen zu bestimmen sucht: den Gesichtspunkt der Repräsentation. „Der Begriff ,Repräsentation‘ ist ein wertvoller Begriff, dessen Wurzeln im theologischen Verständnis der Kirchen liegen, aber er muß“ – so wird hinzugefügt – „im Kontext der formulierten Übereinstimmung näher definiert werden, so daß deutlich wird, daß in Verbindung mit dem Archetypos Christus das ordinierte Amt in der Kirche und für sie eine wirksame und sakramentale Realität ist, durch die der Amtsträger ,in persona Christi‘ handelt.“ (RK 38) Damit wird unterstrichen und präzisiert, was vorher bereits in universalekklesiologischer Perspektive gesagt wurde, dass nämlich der sakramentale Aspekt der Gesamtkirche „sich in einer besonderen Weise im Amt auswirkt, bei seiner Lehraufgabe, bei der Spendung der Sakramente und bei seinem Leitungsdienst“ (RK 35). Offenbar weil er als besonders geeignet erscheint, diesen speziellen „sakramentalen Aspekt, der den Amtsträger vor Gott und vor der Gemeinschaft prägt“ (RK 38), herauszustellen und somit den nicht nur graduellen, sondern wesentlichen Unterschied zwischen dem Amtspriestertum und dem gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen (RK 39, unter Verweis auf LG 10) zu verdeutlichen, wird der Repräsentationsbegriff in der gegebenen Weise amtstheologisch favorisiert. Nun hat, wie etwa Melanchthon in seiner Apologie der Confessio Augustana (vgl. AC VII, 28) beweist, der Repräsentationsbegriff auch in evangelischer Amtstheologie eine nicht unbedeutsame Rolle gespielt. Tatsächlich handeln nach reformatorischem Verständnis die Amtsträger in Ausübung des Auftrags, zu dem sie verordnet sind, nicht im eigenen Namen, sondern in Repräsentanz der Person Christi. Und auch dies wird man protestantischerseits nicht bestreiten müssen und auf der Basis der eigenen Tradition auch nicht bestreiten können, dass zwischen ordinationsgebundenem Amt und allgemeinem Priestertum ein wesentlicher und nicht im Sinne gradueller Steigerung fassbarer Unterschied vorliegt. Die Frage ist nur, ob dieser Unterschied primär oder gar exklusiv durch den Repräsentationsbegriff zu bestimmen ist. Denn Repräsentanten Jesu Christi zu sein, dazu sind alle gläubigen Getauften bestimmt, indem sie am allgemeinen Priestertum teilhaben. Trifft dies zu, dann ergibt sich daraus zwingend, dass der Repräsentationsbegriff die Besonderheit des ordinationsgebundenen Amtes im Unterschied zum Priestertum aller Gläubigen nicht hinreichend zu begründen vermag. Nach reformatorischem Verständnis kann der Repräsentationsbegriff mithin nur im Zusammenhang mit anderen Leitbegriffen, namentlich dem Ordnungs- und Öffentlichkeitsgedanken, die Eigenart des kirchlichen Amtes angemessen zum Ausdruck bringen. Einer einseitigen Favorisierung des Repräsentationsbegriffs hingegen droht die Gefahr, die Funktion der Christusvergegenwärtigung derart den Amtsträgern vorzubehalten, dass von einer kritischen, nicht auf bloße Affirmation beRepraesentatio Christi
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schränkten Mitwirkung der Gemeinde an Gestaltung und Leitung der Kirche nicht mehr die Rede sein kann. Dem Wesen der Autorität in der Kirche, auf Autorität und Entscheidungsdas auch die Stellungnahme einen entscheidenvollmacht der Kirche den Akzent legt, ja, in dem sie „ein Schlüsselthema für den Fortschritt des Ökumenismus“ (RK 14) sieht, gebührt von daher besondere Aufmerksamkeit. Zu hören und zu würdigen ist zunächst, dass die Autoren der römischen Antwort den Amtsträger trotz starker Betonung seiner spezifischen Rolle „nicht von der Gemeinschaft trennen und ihn über sie erheben“ (RK 38) wollen; insofern stimmen sie „voll überein mit der engen Verbindung, die das Dokument zwischen dem ordinierten Amt und der Gemeinschaft macht“ (ebd., unter Verweis auf LA 12). Gleichwohl sei das spezifische Wesen der Autorität in der Kirche in den Limatexten noch nicht befriedigend geklärt. So müsse etwa die in allen ihren Teilen zu beobachtende Methode, Argumenten aus der Frühzeit des Christentums, namentlich aus der apostolischen Zeit, besonderes Gewicht beizumessen, unterstützt werden „von einer theologischen Reflexion über die normative Kraft solchen Alters ... Mit anderen Worten: Sie muß ergänzt werden durch die Betrachtung der Rolle einer mit Entscheidungsvollmacht ausgestatteten Autorität, sowohl bei der Beurteilung solcher Entwicklungen in der Vergangenheit als auch im Hinblick auf die gegenwärtigen Erfordernisse der Kirche und die heutige ökumenische Situation.“ (RK 36f.) Zu klären sei, „wer Entscheidungen trifft, wer Gottes Willen in den verschiedenen Entwicklungen beurteilt und mit welcher Autorität das geschieht“ (RK 37). Dabei wird sogleich hinzugefügt: „Wir glauben in der Tat, daß gewisse Personen in der Kirche mit einer von Gott verliehenen Autorität beauftragt sind, ein solches Amt der Entscheidung auszuüben.“ (Ebd.) Nun kann es sicherlich auch unter evangelischen Bedingungen nicht zweifelhaft sein, dass es eine spezielle Lehrautorität und Leitungskompetenz des kirchlichen Amtes gibt. Die Bekenntnistexte des 16. Jahrhunderts bestätigen dies jedenfalls eindeutig. Indes wird man zweifeln dürfen, ob es jemals Aufgabe einer kirchlichen Amtsautorität sein kann, Gottes Willen – wie es in der Stellungnahme heißt – zu beurteilen. Denn ernsthaft kann das kirchliche Amt allenfalls die Vollmacht beanspruchen wollen, menschliche Urteile über Gottes Willen beurteilen zu wollen, währenddessen für den göttlichen Willen, wie er an sich selbst ist, insofern Selbstbeurteilungskompetenz anzunehmen ist, als er sich, wenn er denn absoluter Wille ist, keinem externen Urteil unterwerfen lässt, sondern nur aus sich selbst heraus zu beurteilen ist. Weil dies gewiss auch römisch-katholische Lehrauffassung ist, sollte man aus der zitierten missverständlichen Formulierung nicht unstatthafte Schlüsse kontroverstheologischer Polemik, sondern nur die allerdings höchst wichtige Konsequenz differenzierter Argumentation ziehen. Nach evangelischer Auffassung setzt dies voraus, dass zwischen der Autorität Gottes bzw. Jesu Christi und kirchenamtlicher Autorität theoretisch klar unterschieden und die praktische Möglichkeit ihrer Unterscheidbarkeit nicht systematisch entzogen wird. Festzuhalten ist also zum einen, dass der Amtsträger seine Autorität angemessen wahrzunehmen und zu
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realisieren vermag nur im Bewusstsein ihrer Unterschiedenheit von der Autorität Gottes in Jesus Christus sowie in der Gewissheit, dass die Autorität der göttlichen Wahrheit in ihrem Grund und Bestand nicht mit seinem Amt und seiner Person steht und fällt, vielmehr sich selbst und von sich aus zu bewähren vermag. Dieses gläubige Vertrauen ist zugleich die Bedingung dafür, dass der Amtsträger im konkreten Vollzug seines Amtes der christlichen Liebe entspricht. Festzuhalten ist zum anderen, dass die amtstheologische Berufung auf Autorität das kritische Korrektiv der Gemeinde nicht aus-, sondern einzuschließen hat. Die Rede von der wechselseitigen Abhängigkeit von Amt und Gemeinde impliziert somit, wenn sie denn ernst gemeint ist, das gemeindliche Recht und die gemeindliche Pflicht zur konstruktiven und gegebenenfalls auch kritischen Mitverantwortung für die Evangeliumsauslegung und alle Belange der Kirche. In Theorie und Praxis der Kirchenverfassung ist dem dadurch Rechnung zu tragen, dass Gestaltung und auch Leitung des kirchlichen Lebens beiden, Gemeinde und ordinationsgebundenem Amt, paritätisch zugesprochen werden. Durch solche gleichberechtigte Beteiligung von Amt und Gemeinde am kirchlichen Leben soll keineswegs die wesentliche Funktionsdifferenz beider und die Unterschiedenheit ihrer Zuständigkeiten geleugnet, wohl aber angezeigt werden, dass beider Differenz, obwohl auf institutioneller Ebene irreduzibel, doch keine absolute ist, dass vielmehr Amt und Gemeinde vermittels ihrer Bezogenheit auf den einen, ihnen beiden zuvorkommenden göttlichen Geist Jesu Christi zu ständiger wechselseitiger Beziehung bestimmt sind, wie sie im Prozess kommunikativer Verantwortung wahrgenommen wird in einem Prozess, dessen faktische Unabgeschlossenheit und Unabschließbarkeit seine ideale Vollkommenheit nicht in Zweifel zieht, sondern bestätigt. Damit sind zugleich elementare Kriterien einer Gliederungsformen des ordievangelischen Beurteilung des Problems der Fornationsgebundenen Amtes men des ordinationsgebundenen Amtes angesprochen. Mit Recht weist die Stellungnahme in diesem Zusammenhang darauf hin, wie eng die Frage kirchlicher Autorität mit dem Verständnis des dreifachen Amtes und seiner Funktionen zusammenhängt. „Gehört“, so wird gefragt, „das dreifache Amt zum konstitutiven Wesen der Kirche, weil begründet in Gottes Willen für die Kirche, oder gehört es nur zum ökumenischen Wohl (bene esse) der Kirche?“ (RK 14; vgl. 41) Wie immer man die diesbezüglichen Passagen des Limadokuments interpretieren und die gedankliche Praktikabilität der in der Stellungnahme erhobenen Forderung beurteilen mag, zwischen dem grundlegenden und konstitutiven Kern des dreifachen Amtes und der veränderbaren gesellschaftlichen Organisationsform der Kirche zu unterscheiden, in evangelischer Perspektive hat grundsätzlich Folgendes zu gelten: Sosehr dem ordinationsgebundenen Amt wohl eine besondere, wesentliche und unentbehrliche Aufgabe nicht zuletzt für die Einheit der Kirche zuzuerkennen, zugleich aber jede Form geistlicher, den persönlichen Gnadenstand betreffender Gradunterschiede abzulehnen ist, sosehr ist auch innerhalb des ordinationsgebundenen Amtes durchaus die Notwendigkeit einer
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gegliederten Ausformung und bestimmten Zuweisung besonderer Amtsaufgaben anzuerkennen, nicht hingegen die Vorstellung geistlicher Stufengrade. Sowenig nämlich das Amt seinen Dienst an der Einheit der Gemeinde dadurch wahrzunehmen vermag, dass es die konkrete Vielfalt ihrer Glieder übergeht, statt auf sie einzugehen, um der Einheit der vielen in der Fülle ihrer Differenziertheit zu dienen, so wenig kann die notwendige personelle und funktionale Vielfalt des ordinationsgebundenen Amtes dadurch vereint werden, dass man innerhalb dieses Amtes eine geistliche Rangfolge und graduelle Stufung einführt, um schließlich zu einem Amte zu gelangen, von dem zu gelten hätte, dass sein Träger die Einheit der Kirche gewissermaßen an sich selbst bzw. in einer von der in der Offenbarung Gottes gegebenen kirchlichen Einheit tendenziell ununterscheidbaren Weise ist. Dass die römisch-katholische Theorie und Praxis des Petrusamtes, das im Limadokument zwar kein Gegenstand der Verhandlung ist, dessen ökumenische Erforschung aber von der Stellungnahme ausdrücklich nahegelegt wird (vgl. RK 14; 42), einen solchen Anspruch nicht und zwar unmissverständlich nicht vertritt, ist für die Reformationskirchen bei aller gebotenen Flexibilität eine unentbehrliche Voraussetzung der Verständigung. Neben dem Problem der Autorität widmet sich die Stellungnahme u.a. der genaueren Be- Apostolische Tradition stimmung des Wesens der apostolischen Tradition und ihrer Implikationen. Es lässt sich unschwer erkennen, dass beide Themenbereiche eng zusammenhängen; ist doch die Frage der Wesensbestimmung der apostolischen Tradition nicht zu trennen von der Frage ihrer authentischen Wahrnehmung. Dass es in diesem Zusammenhang noch ökumenische Unklarheiten und Anschauungsdifferenzen gibt, die auch im Limadokument nicht behoben sind und deshalb weiterer Studien bedürfen, wird mit vollem Recht festgestellt. Dabei wird die These zweifellos allgemeine Zustimmung finden, dass „eine klare Unterscheidung gemacht werden (muß) zwischen der apostolischen Tradition, die uns bindet, weil sie ihre Wurzeln in der Offenbarung hat, und den verschiedenen anderen Traditionen, die sich etwa in den Ortskirchen gebildet haben“ (RK 13). Strittig indes wird im Einzelnen sein, wie diese Unterscheidung jeweils konkret vorzunehmen und wie der Sinngehalt der in der Offenbarung gründenden apostolischen Tradition im Fortgang der Zeiten identisch und kontinuierlich zu begreifen ist. Insbesondere am Thema der Ordination von Frauen wird dies in der Stellungnahme exemplarisch verdeutlicht. Dabei legt man Wert auf die Feststellung, man sei nicht nur der Meinung, dass – wie es im Limadokument heißt – die Tradition der Kirche in diesem Punkt nicht geändert werden darf, sondern man habe keine Autorität, sie zu ändern, da man überzeugt sei, dass sie zur apostolischen Tradition der Kirche gehöre (RK 40). Es dürfte nicht ganz leicht fallen, den sachlichen Unterschied beider Beschreibungen präzise zu erfassen; offensichtlich hingegen ist, dass das Problem der apostolischen Tradition mit dem ihrer gegenwärtigen Verbürgung unlösbar verbunden ist. Für römisch-katholische Theologie kommt dieser Zusammenhang tendenziell
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überein mit dem von apostolischer Tradition und bischöflicher Sukzession. Entsprechend hat die bischöfliche Sukzession als eine Bürgschaft für die Kontinuität und Einheit der Kirche zu gelten. Dass Bürgschaft dabei im sakramentalen Sinne zu verstehen sei, unterstreicht die Stellungnahme durch die Bemerkung, die im vorliegenden Dokument übliche Rede vom Zeichen der bischöflichen Sukzession sei weniger angemessen als die in einer früheren Fassung gebräuchliche Wendung, die von einem wirksamen Zeichen spreche. Denn dies weise „besser auf die einzigartige Bedeutung der bischöflichen Sukzession für den Aufbau der Kirche durch die Jahrhunderte hin“ (RK 43). Es folgt eine Beschreibung der Bedeutung des Bischofsamtes in der römisch-katholischen Ekklesiologie, die in folgendem Gedanken zusammengefasst wird: „Durch die bischöfliche Sukzession verkörpert und verwirklicht der Bischof sowohl die Katholizität in der Zeit, d.h. die Kontinuität der Kirche durch die Generationen, als auch die innere Verbundenheit, die in jeder Generation gelebt wird. Die gegenwärtige Gemeinschaft ist daher durch ein personales Zeichen mit dem apostolischen Ursprung, seiner Lehre und seiner Lebensweise verbunden.“ (Ebd.) Es ist hier nicht im Einzelnen zu beurteilen, inwieweit diese Bestimmung des Bischofsamtes mit evangelischer Lehre zu vereinbaren ist. Die Grenze solcher Vereinbarkeit wäre sicherlich dann gegeben, wenn das Bischofsamt bzw. die bischöfliche Amtssukzession im Sinne einer Identitätsgarantie christlicher Wahrheit verstanden und gegen mögliche Sachkritik immunisiert würde. Im Übrigen werden evangelische Kirchen auch unter Voraussetzung der Bereitschaft, die episkopale Sukzession im Sinne eines wirksamen Ausdrucks der Kontinuität und Einheit der Kirche zu schätzen, keinem Vorschlag zustimmen können und dürfen, der – um die Formulierungen des Limadokuments aufzugreifen – „darauf hinausläuft, daß das Amt, das in (der) eigenen Tradition ausgeübt wird, nicht gültig sein sollte bis zu dem Augenblick, wo es in eine bestehende Linie der bischöflichen Sukzession eintritt“ (LA 38). Eine solche Zustimmung verbietet sich nicht nur und nicht primär aus Respekt vor der Tradition der reformatorischen Väter und ihrer Nachfahren, sondern auch und vor allem aus einem zukunftsorientierten und damit eben nicht nur historischen, sondern bleibend sachlichen Grund, der sich auf die Kurzformel bringen lässt, dass die Ausnahme von der kirchlichen und amtstheologischen Regel auch fernerhin denkbar sein muss, wenn die Kirche reformierbar sein und bleiben soll, was die Voraussetzung dafür ist, dass die „Sache der Reformation“ weitergeht, ihre Geschichte eine Zukunft hat. Hinzuweisen ist fernerhin darauf, dass die römiEpiskopaler Ordinationsvorsche Stellungnahme sich ausdrücklich für einen behalt episkopalen Ordinationsvorbehalt ausspricht und die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung bittet, intensiver als bisher „über die ekklesiologische Bedeutung der bischöflichen Sukzession für die Ordination nachzudenken“ (RK 45). Davon, dass neben oder zusammen mit der episkopalen auch eine presbyterale Sukzession akzeptiert werden könnte, ist nichts Bischöfliche Sukzession
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zu vernehmen; hingegen spricht sich die Stellungnahme mehrmals und nachdrücklich dafür aus, dass das ordinationsgebundene Amt eine sakramentale Weihe durch einen Bischof erfordert, der in der authentischen apostolischen Sukzession steht, welche die sakramentale Verbindung des Amtes mit dem apostolischen Ursprung bezeichnet und bewirkt (vgl. RK 45f.). Zugleich wird die Klärung der Frage des Spenders der Ordination (die „nicht nur irgendein Zeichen ..., sondern ein wirksames Zeichen“ [RK 44], mithin ein wirkliches Sakrament [RK 45] sei) zur Voraussetzung ernsthafter Fortschritte auf dem Weg zur gegenseitigen Anerkennung der ordinationsgebundenen Ämter erklärt. Anders als es durch „die unbefriedigende Art, in welcher der Lima-Text das Problem der gegenseitigen Anerkennung des ordinierten Amtes behandelt“ (RK 45), nahegelegt werde, sei es gegenwärtig „noch verfrüht, Aussagen über die Form zu machen, die ein öffentlicher Akt der gegenseitigen Anerkennung der Kirchen und ihrer Ämter haben könnte“. Es sei „vielmehr notwendig, jetzt auf die Einheit im Glauben bezüglich dieses zentralen ekklesiologischen Problems hinzuarbeiten“ (RK 47).
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11. Ökumene nach römisch-katholischem und evangelisch-lutherischem Verständnis
Lit.: E.-W. Böckenförde, Religionsfreiheit als Aufgabe der Christen. Gedanken eines Juristen zu den Diskussionen auf dem II. Vatikanischen Konzil, in: StZ 176 (1965), 199–212. – Ermutigung und Ernüchterung. Erklärung der Kirchenleitung der VELKD zur Enzyklika „Ut unum sint“, in: KNA-ÖK 28, 4. Juli 1995, Dokumentation Nr. 4, 3f. – M. Brecht, Ob ein weltlich Oberkait Recht habe, in des Glaubens Sachen mit dem Schwert zu handeln. Ein unbekanntes Nürnberger Gutachten zur Frage der Toleranz aus dem Jahr 1530, in: ARG 60 (1969), 65–75. – E. Herms, Der Dialog zwischen Päpstlichem Einheitsrat und LWB 1965– 1998. Ausgangsperspektiven, Verlauf, Ergebnis, in: ThLZ 123 (1998), Sp. 657–714. – W. Kard. Kasper, Kein Grund zur Resignation. Die Katholische Kirche und ihre ökumenischen Beziehungen, in: HerKorr 57 (2003), 605–610. – Ökumene nach evangelisch-lutherischem Verständnis. Positionspapier der Kirchenleitung der VELKD, in: Texte aus der VELKD 123/2004. – Papst Johannes Paul II., Ut Unum Sint. Über den Einsatz für die Ökumene, hg.v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, in: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 121, 3–80. – G. Wenz, Die Kirche als Gemeinschaft der Heiligen. Zum jüngsten Text der Bilateralen Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz und der Kirchenleitung der VELKD, in: KuD 47 (2001), 42–66. – Ders., Konsens in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre? Die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ (= GER) des Lutherischen Weltbundes und des Päpstlichen Einheitsrates aus evangelischer Sicht, in: ders., Grundfragen ökumenischer Theologie Bd. 1, Göttingen 1999, 57–74. – Ders., „Est autem ...“ Lumen Gentium 8 und die Kirchenartikel der Confessio Augustana, in: Cath (M) 52 (1998), 24–43. – Ders., Faktoren kirchlicher Einheit. Notizen zum zweiten Artikel des Dekrets „Unitatis redintegratio“ aus der Perspektive evangelischer Theologie, in: MThZ 36 (1985), 127–137. – Zweites Vatikanisches Konzil, Decretum de oecumenismo, in: LThK Erg.-Bd. II, 9–126. – Zweites Vatikanisches Konzil, Declaratio de libertate religiosa, in: LThK Erg.-Bd. II, 703–748.
Der multilateral orientierte Ökumenische Rat der Kirchen ist nur ein Teil der ökumenischen Bewegung. Nicht nur gehören neben der römisch-katholischen auch andere Gemeinschaften wie evangelikal ausgerichtete oder die Pfingstkirchen dem ÖRK nicht an; es muss des Weiteren mit einer Fülle ökumenischer Aktivitäten seiner Mitgliedskirchen gerechnet werden, die sich selbständig und außerhalb des ÖRK vollziehen. Zu denken ist dabei vor allem an die konfessionskirchlichen Ökumenebeiträge und an interkonfessionelle Bezüge bilateraler Art, wie sie auf regionaler, nationaler und auf Weltebene gepflegt werden. In Multi- und bilaterale Ökumene
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letzterer Hinsicht kommt den konfessionellen Weltorganisationen besondere Bedeutung zu. Um ein Beispiel zu geben: Nachdem der Reformierte Weltbund bereits im Jahre 1875 in London gegründet worden war, erfolgte die Gründung des Lutherischen Weltbundes erst 1947 in Lund. Inzwischen ist der LWB eine weltweite Gemeinschaft von weit über hundert Kirchen mit mehr als 60 Millionen Mitgliedern. Seine verfassungsmäßige Basis stellt das Bekenntnis zur Heiligen Schrift des Alten und Neuen Testaments als alleiniger Quelle und Norm von Lehre, Leben und Dienst der Kirche dar. In den drei Ökumenischen Glaubensbekenntnissen und in den Bekenntnissen der Lutherischen Kirche, insbesondere in der Confessio Augustana invariata und im Kleinen Katechismus Martin Luthers sieht der LWB eine zutreffende Auslegung des Wortes Gottes. Die ihm angehörenden Kirchen stimmen im Bekenntnis zum dreieinigen Gott und in der Evangeliumsverkündigung in Wort und Sakrament überein; sie sind in Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft verbunden. Der LWB will auf der Grundlage seines Bekenntnisses zur „una sancta catholica et apostolica ecclesia“ der Einheit der Christenheit in der Welt dienen. Als Organ seiner eigenständigen Mitgliedskirchen handelt der LWB in Angelegenheiten, die ihm von diesen übertragen werden. Seine Funktionen übt er durch die Vollversammlung, den Rat, das Sekretariat und die entsprechenden Einrichtungen der Mitgliedskirchen (Nationalkomitees) aus. Dem Rat steht ein Präsident oder eine Präsidentin vor. Der Präsident ist oberster Vertreter und Sprecher des Weltbundes. Die Führung der Geschäfte und der Vollzug der Beschlüsse der Vollversammlung und des Rates obliegen einem Generalsekretär bzw. einer Generalsekretärin. Oberstes Organ des LWB ist die Vollversammlung. Sie beschließt über die Verfassung, bestimmt die allgemeinen Richtlinien der Arbeit des Bundes, wählt den Präsidenten oder die Präsidentin sowie die Mitglieder des Rates und nimmt die Berichte der Leitungspersonen entgegen. In der Regel werden Vollversammlungen alle sechs Jahre abgehalten. Die letzte fand 2003 im kanadischen Winnipeg zum Thema „Zur Heilung der Welt“ statt. Die Orte der vorhergehenden Tagung waren folgende: Lund (1947: Die lutherische Kirche in der Welt von heute), Hannover (1952: Das lebendige Wort in einer verantwortlichen Kirche), Minneapolis (1957: Christus befreit und eint), Helsinki (1963: Christus heute), Evian (1970: Gesandt in die Welt), Daressalam (1977: In Christus – Eine neue Gemeinschaft), Budapest (1984: In Christus – Hoffnung der Welt), Curitiba (1990: Ich habe das Schreien meines Volkes gehört), Hongkong (1997: In Christus – Zum Zeugnis berufen). Ein Dauerproblem, das in Winnipeg erneut angesprochen und ansatzweise diskutiert wurde, ist die Frage des ekklesiologischen Status des LWB. Entgegen der Auffassung, es handle sich bei ihm lediglich um eine lose Gemeinschaft gänzlich autonomer Mitgliedskirchen, scheint sich gegenwärtig die Tendenz durchzusetzen, dem Kirchenbund einen ekklesialen Status wenn auch nicht einer Bundeskirche, so doch einer bekenntnisvereinten Kirchengemeinschaft zuzuerkennen, deren Repräsentationsorgane mit einem gewissen, im Einzelnen noch umstrittenen Maß an
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Repräsentationskompetenz zu versehen sind. Dass der LWB und seine Organe die Institutionen der Mitgliedskirchen weder ersetzen können noch ersetzen dürfen, muss nicht eigens betont werden. Indes wird das Bewusstsein, in einer Kirchengemeinschaft vereint zu sein, die auf der Basis eines gemeinsamen Bekenntnisses zum gemeinsamen Zeugnis berufen ist, für das Selbstverständnis der verbundenen Kirchen und das ekklesiologische Verständnis ihrer Eigenständigkeit nicht folgenlos bleiben können. Wie immer sich die weitere Entwicklung gestalten wird: Ihr Ergebnis ist nicht zuletzt für die ökumenischen Aktivitäten des LWB und ihre Bewertung von erheblicher Bedeutung. Unter den zahlreichen Dialogen, die im Auftrag Der bilaterale Dialog von des LWB geführt wurden und nach wie vor geLutherischem Weltbund und führt werden, kommt der Bilateralen ZusamPäpstlichem Rat für die menarbeit mit dem Päpstlichen Einheitsrat aus Einheit der Christen Gründen der Geschichte und räumlichen Verbreitung des Luthertums besondere Bedeutung zu. Im Laufe des im März 1967 begonnenen Prozesses wurden folgende Ergebnisdokumente der Gemeinsamen römisch-katholisch/evangelisch-lutherischen Kommission vorgelegt: 1. Das Evangelium und die Kirche von 1972, nach dem Tagungsort der Abschlusssitzung gelegentlich auch „Maltabericht“ genannt; darin wurde der Versuch unternommen, das Evangelium vom Heilshandeln Gottes in Jesus Christus gemeinsam zu bedenken und die Soteriologie so zur Sprache zu bringen, dass Konvergenzen trotz verbleibender Unterschiede erkennbar wurden. Die am 31. Oktober 1999 feierlich unterzeichnete Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre konnte daran anknüpfen und den differenzierten Konsens fortentwickeln. Zu verweisen ist im Kontext von GER auch auf das Projekt „Lehrverurteilungen – kirchentrennend?“, das katholische und evangelische Theologen des Ökumenischen Arbeitskreises (Jäger-Stählin-Kreis) im Auftrag ihrer Kirchen durchgeführt haben. 2. Das Herrenmahl (1978). 3. Wege zur Gemeinschaft (1980). 4. Alle unter einem Christus (1980); dabei handelt es sich um eine gemeinsame Stellungnahme zur Confessio Augustana aus Anlass der 450. Wiederkehr ihrer Übergabe. 5. Das geistliche Amt in der Kirche (1981). 6. Martin Luther – Zeuge Jesu Christi; Anlass des Textes war der 500. Geburtstag des Reformators. 7. Einheit vor uns. Modelle, Formen und Phasen katholisch/lutherischer Kirchengemeinschaft (1984). 8. Kirche und Rechtfertigung. Das Verständnis der Kirche im Licht der Rechtfertigungslehre (1994). Das Zentralthema der gegenwärtigen Kommissionsarbeit ist die Apostolizität der Kirche. Hinzugefügt sei, dass nicht nur auf internationaler, sondern auch auf nationaler Ebene lutherisch-katholische Dialoge organisiert wurden. In Deutschland begann
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1976 die Arbeit einer bilateralen Gruppe der Deutschen Bischofskonferenz und der Kirchenleitung der VELKD, die 1984 zu dem Dokument „Kirchengemeinschaft in Wort und Sakrament“ führte. Eine zweite, 1987 berufene Arbeitsgrupe legte im Jahre 2000 den Text „Communio Sanctorum – Die Kirche als Gemeinschaft der Heiligen“ vor, der sich insbesondere mit dem Zusammenwirken der Bezeugunggsinstanzen beim Finden und Verkünden der Wahrheit des Evangeliums (Heilige Schrift, Tradition, Glaubenssinn der Gläubigen bzw. Priestertum aller Gläubigen, kirchliches Lehramt, Theologie), mit dem Problem eines universalkirchlichen Einheitsdienstes und seiner Gestaltung sowie mit der Gemeinschaft der Heiligen über den Tod hinaus beschäftigt (vgl. III,13–15). Auch wer die Auffassung nicht teilt, das wesentliche Ergebnis des internationalen Gesprächs sei der im Zusammenhang der GER-Debatte offen ausgebrochene „Streit über die Sachgemäßheit des Dialogs und seiner Ergebnisse“ (Herms 709), und im Übrigen der Meinung ist, die Rede von Grunddifferenzen oder gar kontradiktorischen Gegensätzen zwischen Luthertum und Katholizismus sei ökumenisch hinderlich, wird gleichwohl einräumen müssen, dass nicht nur in dogmatischen Einzelfragen, sondern im Ökumeneverständnis und im Verständnis kirchlicher Einheit selbst nicht unerhebliche Unterschiede zwischen römisch-katholischer und evangelisch-lutherischer Auffassung zu konstatieren sind, die sich in den Dialogdokumenten auf die eine oder andere Weise widerspiegeln. Statt auf Einzelinhalte näher einzugehen, sei deshalb zunächst und in direkter Form nach dem ökumenischen Selbstverständnis der beiden Dialogpartner gefragt. Das soll anhand zweier Texte geschehen, nämlich zum einen anhand der Enzyklika von Papst Johannes Paul II. „Über den Einsatz für die Ökumene“ „Ut unum sint“ (= UUS) vom Mai 1995 und zum anderen unter Bezug auf ein Positionspapier der Kirchenleitung der VELKD zum evangelisch-lutherischen Ökumeneverständnis. 1530, im Jahr der Übergabe der Confessio Religions- und GewissensAugustana auf dem Reichstag zu Augsburg, wur- freiheit de in Nürnberg durch einen uns unbekannten Bürger ein Gutachten verfasst zu der Frage, „ob ein weltlich Oberkait Recht habe, in des Glaubens Sachen mit dem Schwert zu handeln“ (Brecht, 65–75). Unter Berufung auf die später so genannte Zwei-Reiche bzw. Zwei-Regimente-Lehre wird darin – analog zum XXVIII. Artikel der CA – dezidiert für die strikte Unterscheidung von „potestas ecclesiastica“ und „potestas civilis“ und für die Gewährung von ziviler Toleranz in Religionsangelegenheiten plädiert. „Es wil“, so heißt es zu Beginn des Textes in wuchtigen Worten, „das wurgen und veriagen umb des glaubens willen kein end nemen. Die lutherischen oberkeit wollen der widertauffer und sacramentarier nit leyden. Die zwinglianischen oberkait wollen der widertauffer auch nit haben. So farn die Bapstischen zu, brennen, wurgen und veriagen euangelisch, lutherisch, zwinglisch, widertaufferisch und was nit irs glaubens ist.“ (Brecht, 67) Diesem unseligen Treiben müsse ein Ende bereitet werden. Aufgabe weltlicher Obrigkeit seien allein Schutz und Fürsorge für Leib und Leben des äußeren Menschen; Glaubensdifferenzen hingegen, welche die Gewissensgewissheit
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des inneren Menschen angehen, dürfen niemals gewaltsam in Angriff genommen werden. Das Mittel ihrer Bearbeitung und möglichen Behebung sei ausschließlich das Wort, dessen Ohnmacht die Verheißung der Selbstbewährung göttlicher Wahrheit in sich trage. Die Resonanz, die das Gutachten des Nürnberger Anonymus fand, war auch und gerade bei seinen lutherischen Glaubensgenossen im Wesentlichen negativ und auf Ablehnung gestimmt. Historisches Faktum ist, dass die Durchführung der Reformation in den Territorien und Städten kein Paradebeispiel für die Anwendung der Zwei-Reiche-Lehre war. Zwar trat Luther mit prinzipiellen theologischen Gründen etwa gegen den Großen Bann, also gegen eine Vermischung kirchlicher Exkommunikation und weltlicher Strafe, und gegen die Legitimität eines Religionskrieges ein – doch wurden diese Grundsätze in der Wittenberger Reformation schon in theoretischer Hinsicht nicht strikt und durchweg eingehalten, geschweige denn im Bereich des Politischen konsequent realisiert. Zwar konnte mit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 auf Reichsebene die Anerkennung rechtlicher Parität zweier Konfessionsparteien, nämlich der Augustana-Angehörigen und der sog. Altgläubigen erreicht werden, was unter mittelalterlichen Bedingungen undenkbar und daher in der Tat ein epochaler Vorgang war; nicht von ungefähr ist er mit der Abdankung Kaiser Karls V. verbunden, dessen universalmonarchische Idee von dem Grundsatz der „unio imperii et sacerdotii“ elementar bestimmt war. Indes korrespondierte der reichsrechtlichen Parität auf der Ebene der Territorien eine gesteigerte Tendenz konfessioneller Homogenisierung. Von individueller Religions- und Gewissensfreiheit und entsprechender ziviler Toleranz konnte nach Maßgabe der Devise „cuius regio, eius religio“ auch in evangelischen Territorien nicht – leider nicht! – die Rede sein. Bis die Prinzipien der Toleranz und der Religionsund Gewissensfreiheit in unseren Breiten politisch sich entfalten konnten, bedurfte es des Blutzolls jahre- und jahrzehntelanger Religionskriege in Deutschland und in weiten Teilen Europas. Man muss sich diesen geschichtlichen SachverDignitatis humanae personae halt in aller Nüchternheit und in allem Ernst vor Augen halten, um vor unhistorischen und in der Sache unproduktiven, ja kontraproduktiven Schwärmereien abgehalten zu werden. Sieht man auf die römisch-katholische Kirche, so dürfte es nicht ungerecht sein zu behaupten, dass sie im Grunde erst seit dem II. Vatikanischen Konzil in ein positives und theologisch abgeklärtes Verhältnis zu den Grundsätzen der Toleranz und der Religions- und Gewissensfreiheit getreten ist. Mit guten Gründen hat der dem Katholizismus keineswegs abgeneigte oder übel gesonnene ehemalige Bundesverfassungsrichter E.-W. Böckenförde den – für römische Verhältnisse ja eher ungewöhnlichen – Kontinuitätsbruch herausgestellt, den die „Erklärung über die Religionsfreiheit“ bezüglich der vormaligen römisch-katholischen Lehre zur Toleranzfrage darstellte. „Die traditionelle katholische Lehre, bis hin zur sogenannten Toleranzansprache Pius XII. von 1953, hat“, so Böckenförde, „die Anerkennung der Religionsfreiheit oder, was auf dasselbe hinausliefe, der Toleranz als Prinzip im
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Ergebnis immer abgelehnt. Sie geht dabei von dem Primat der Wahrheit gegenüber der Freiheit aus und von der These, daß der Irrtum an sich kein Recht hat gegenüber der Wahrheit. Nur besondere Gründe – ‚graves causae‘ – im Hinblick auf das Gemeinwohl können es gestatten, daß dem Irrtum gleichwohl Existenz zuerkannt werde, dies aber niemals de jure, als Prinzip, sondern immer de facto, als Hinnahme eines Übels. Das ist, im Grundsätzlichen, noch die gleiche Lehre wie zu Zeiten der Reformation und Gegenreformation. Auch in der Konzilsaula ist sie von etlichen Vätern, einer Minderheit allerdings, mit Nachdruck vertreten worden.“ (Böckenförde 203) Es gehört zu den höchst bemerkenswerten Aspekten der Enzyklika „Ut unum sint“ über den Einsatz für die Ökumene, die am 25. Mai 1995 von Papst Johannes Paul II., der kirchlichen Öffentlichkeit übergeben wurde (zitiert wird im Folgenden die offizielle deutsche Übersetzung gemäß Artikelnummerierung), wie nachdrücklich die Aussagen der Konzilserklärung „Dignitatis humanae personae“ über die Religionsfreiheit hervorgehoben und unterstrichen werden: „Im Wissen um die vielfältigen Wechselfälle ihrer Geschichte“, so heißt es bereits in der Einführung der Enzyklika, „setzt sich die Kirche dafür ein, sich von jedem rein menschlichen Rückhalt zu befreien, um das Gesetz der Seligpreisungen aus dem Evangelium in seiner ganzen Tiefe zu leben. Da sie sich bewusst ist, dass sich die Wahrheit nicht anders durchsetzt ‚als kraft der Wahrheit selbst, die sanft und zugleich stark den Geist durchdringt‘, erstrebt sie für sich selber nichts außer die Freiheit, das Evangelium zu verkünden. In der Tat erprobt sich ihre Autorität im Dienst an der Wahrheit und der Liebe.“ (UUS 3 unter Verweis auf Dignitatis humanae, 1) Das sind große und bedeutsame Worte, und es ist gut, dass sie den Kontext all dessen bilden, was über den Weg der Ökumene hin zur Einheit und vollen Gemeinschaft der Christen gesagt wird. So wie der christliche Glaubensdialog, soll er ein Dialog der Wahrheit und der Liebe sein, nur zwanglos erfolgen kann, so muss das Christentum um seiner selbst willen darauf bedacht sein, dass denjenigen keine zivilen Rechtsnachteile entstehen, die sich nicht zum Christentum, sondern zu einer anderen Glaubensgemeinschaft bekennen oder als konfessionslos gelten wollen. Die Theorie und Praxis der Religions- und Gewissensfreiheit ist in diesem Sinne nicht nur eine entscheidende Basis des ökumenischen Dialogs innerhalb der Christenheit, sondern auch die Voraussetzung dafür, die Auseinandersetzung mit den nichtchristlichen Religionen konstruktiv, aber auch kritisch, nämlich in Abwehr aller religiösen Tendenzen zu führen, die auf Intoleranz statt auf Toleranz und rechtliche Anerkennung von Religions- und Gewissensfreiheit ausgerichtet sind. Dass die Kirche Jesu Christi eine sei, ist in ihrer stiftungsgemäßen Bestimmung selbst begründet. Ut unum sint Neben und zusammen mit Heiligkeit, Apostolizität und universaler Allgemeinheit gehört Einheit zu ihren unveräußerlichen Wesensattributen. Mit Recht wird daher von der Enzyklika betont, dass die Einheit, „die der Herr seiner Kirche geschenkt hat und in der er alle umfangen wollte“,
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keine Nebensache seines Wirkens und auch nicht gleichbedeutend ist „mit einem zweitrangigen Attribut der Gemeinschaft seiner Jünger. Sie gehört vielmehr zum Wesen dieser Gemeinschaft selbst. Gott will die Kirche, weil er die Einheit will und in der Einheit die ganze Tiefe seiner agape zum Ausdruck kommt.“ Begründend fügt die Enzyklika hinzu: „Denn diese vom Heiligen Geist geschenkte Einheit besteht nicht bloß in einer Ansammlung von Personen, die sich zu einer Summe addieren. Es ist eine Einheit, die durch die Bande des Glaubensbekenntnisses, der Sakramente und der hierarchischen Leitung und Gemeinschaft gebildet wird.“ (UUS 9) Statt den zuletzt zitierten Satz mit dem Kirchenartikel der Confessio Augustana und den dort genannten ekklesiologischen Einheitsfaktoren zu vergleichen, sei lediglich angefragt, wie sich nach Maßgabe der Enzyklika die „unitas“, zu welcher die Kirche dem Willen ihres Herrn gemäß und damit wesensmäßig bestimmt ist, verhält zur gegebenen Verfasstheit der römisch-katholischen Kirche, die eine abendländische Konfessionskirche zu nennen spätestens seit dem 16. Jahrhundert zumindest in historischer Hinsicht gute Gründe bestehen. Die Antwort der Enzyklika auf diese Frage schließt direkt an die dogmatische Konstitution des II. Vatikanischen Konzils über die Kirche „Lumen gentium“ an (vgl. UUS 10), auf welcher bekanntlich auch das Ökumenismusdekret „Unitatis redintegratio“ basiert. Danach hat zu gelten, dass „die Kirche Christi in der katholischen Kirche verwirklicht ist, die vom Nachfolger Petri und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird“ (LG 8: „Haec Ecclesia, in hoc mundo ut societas constituta et ordinata, subsistit in Ecclesia catholica, successore Petri et Episcopis in eius communione gubernata...“). Zugleich wird anerkannt, „dass außerhalb ihres (sc. der römisch-katholischen Kirche) Gefüges vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit zu finden sind, die als der Kirche Christi eigene Gaben auf die katholische Einheit hindrängen“ (LG 8: „... licet extra eius compaginem elementa plura sanctificationis et veritatis inveniantur, quae ut dona Ecclesiae Christi propria, ad unitatem catholicam impellunt.“). Um ausschnittsweise den Kommentar zu zitieren, der in der Enzyklika zu diesen beiden, in „Lumen Gentium“ in einem Satz zusammengefügten Aspekten gegeben wird: Was den ersten Aspekt betrifft, demgemäß die „ecclesia Jesu Christi“ in der „ecclesia catholica“ subsistiert, so bestätigt damit die katholische Kirche nach den Worten der Enzyklika, „daß sie während ihrer zweitausendjährigen Geschichte in der Einheit mit sämtlichen Gütern, mit denen Gott seine Kirche ausstatten möchte, erhalten geblieben ist, und das trotz der oft schweren Krisen, die sie erschüttert haben, trotz mangelnder Treue einiger ihrer Amtsträger und der Fehler, in die ihre Mitglieder tagtäglich verfallen. Die katholische Kirche weiß, daß namens der Hilfe, die ihr vom Heiligen Geist zukommt, die Schwächen, die Mittelmäßigkeiten, die Sünden, mitunter die Treuebrüche mancher ihrer Söhne und Töchter das nicht zerstören können, was Gott aufgrund seines Planes an Gnaden in sie eingegossen hat. Auch ‚die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen‘ (Mt 16,18). Die katholische Kirche vergißt jedoch nicht, daß viele in ihren Reihen Gottes Plan trüben.“ (UUS 11) Nachgerade im Hinblick auf die Spaltung der Christenheit ist
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von solcher Trübnis zu reden. Ausdrücklich wird gesagt, dass die menschliche Schuld an ihr nicht lediglich einer Seite zugerechnet werden kann. Auch wird, um zum zweiten Aspekt zu kommen, nicht geleugnet, dass „extra muros ecclesiae catholicae“ christliche Wahrheit zu finden sei: „Außerhalb der katholischen Gemeinschaft besteht“, so heißt es unter mehrfacher Berufung auf „Unitatis redintegratio“, „kein kirchliches Vakuum. Viele und bedeutende ... Elemente, die in der katholischen Kirche zur Fülle der Heilsmittel und der Gnadengaben gehören, die die Kirche ausmachen, finden sich auch in den anderen christlichen Gemeinschaften.“ (UUS 13) Der nächste Artikel fährt fort: „Alle diese Elemente tragen den Hinweis auf die Einheit in sich, in der sie ihre Fülle finden sollen. Es geht also nicht darum, alle in den christlichen Gemeinschaften verstreuten Reichtümer einfach summarisch aneinanderzureihen, um schließlich zu einer Kirche zu gelangen, die Gott für die Zukunft anstreben würde.“ (UUS 14) Nein, sagt die Enzyklika, die Kirche ist in der Kraft des göttlichen Pfingstgeistes bereits jetzt eine eschatologische Gegebenheit. „Die Elemente dieser bereits gegebenen Kirche existieren in ihrer ganzen Fülle in der katholischen Kirche und noch nicht in dieser Fülle in den anderen Gemeinschaften, wo gewisse Aspekte des christlichen Geheimnisses bisweilen sogar wirkungsvoller zutage treten. Das Bestreben des Ökumenismus ist es eben, die zwischen den Christen bestehende teilweise Gemeinschaft bis zur vollen Gemeinschaft in der Wahrheit und in der Liebe wachsen zu lassen.“ (UUS 14) Man wird nicht sagen können, dass die entwickelte Argumentation undifferenziert ist; die Frage kann allenfalls sein, ob sie ekklesiologisch differenziert genug ist. Auf der einen Seite fühlt man sich an bekannte Unterscheidungen erinnert wie etwa an die zwischen Kirche der Sünder (so zu reden ist nicht nur erlaubt, sondern geboten) und sündiger Kirche (diese Wendung wird abgelehnt). Auf der andern Seite entdeckt man Neuakzentuierungen oder doch Klarstellungen, etwa wenn gesagt wird, dass die in der katholischen Kirche in ganzer Fülle existierenden ekklesiologischen Wesenselemente je für sich einen Hinweis auf die Einheit in sich tragen, zu der sie bestimmt sind und in der sie zu erfüllter Ganzheit gelangen sollen – einer Ganzheit, die mehr und anderes ist als eine Summe von Einzelbeständen. Dies verdient genauer bedacht zu werden. Entscheidend bleibt gleichwohl die Frage, was das vielzitierte „subsistit“ eigentlich genau be- Subsistit in deutet. Es bezeichnet nicht ohne weiteres ein „est“, soviel dürfte klar sein, also keine schlechterdings differenzlose, indifferente Einheit. Aber es führt Differenz doch auch nicht als eine dem Begriff der Identität gegenüber paritätische Kategorie ein. Den Gedanken einer Einheit von Einheit und Verschiedenheit jedenfalls vermag der Begriff „subsistit“ nicht zu fassen. Zu fragen wäre indes, ob nicht gerade dieser Gedanke einer durch konsequente Differenzwahrnehmung vermittelten Einheit ekklesiologisch nötig ist, um den Zusammenhang von Kirche Jesu Christi und irdisch verfasster Kirche angemessen zu bestimmen und deutlich zu machen, dass das Wesen der Kirche zwar nicht unsichtbar, wohl aber verborgen ist. Ich belasse es bei dieser Frage und füge lediglich
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an, dass ihre jeweilige Antwort Folgen hat für das Verständnis der in der Enzyklika häufig begegnenden Wendung, dass nämlich die Ausdrucksform der Wahrheit vielgestaltig sein kann. Der Sinn dieser Wendung ist m.E. weder durch die einschlägigen Bestimmungen des II. Vatikanischen Konzils noch auch durch diejenigen der Enzyklika hinreichend geklärt. Denn offen bleibt, wie man sich das Verhältnis von zeitinvariantem „depositum fidei“ und seinen geschichtlich variablen Auslegungsgestalten präzise zu denken hat. Auch unter katholischen Interpreten ist dies durchaus strittig. Während man auf der einen Seite für den Primat des objektiven Lehrgehalts vor seiner subjektiv-situativen Applikation eintritt, gibt man auf der andern Seite zu bedenken, ob die Explikation eines Inhalts überhaupt vorgängig zu seiner methodisch ins Werk zu setzenden Applikation möglich und durchzuführen ist oder ob nicht am Ende die Objektivität des Inhalts gerade in seiner Vorgegebenheit nur im Vollzug der Applikation selbst expliziert werden kann. Das alte Problem von Substanz und Subjekt stellt Depositum fidei sich ein. Dabei findet man die offizielle römischkatholische Kirchenlehre und die ihr entsprechende Theologie üblicherweise auf Seiten der Substanz. Es stellt sich dann freilich die Frage, ob das Insistieren auf einer gewissermaßen unmittelbaren, präapplikativen Objektivität der Lehrgehalte nicht zwangsläufig den Eindruck erwecken muss, die betonte Einsicht in die Geschichtlichkeit des Dogmas und die Temporalität seiner Wahrheit entbehre einer letzten inneren Konsequenz. Ist es unter diesen hermeneutischen Voraussetzungen gedanklich nicht folgerichtiger, freimütig zu behaupten, das Glaubensgut der Kirche könne grundsätzlich auch ohne das wandelbare Denken einer Zeit zum Ausdruck gebracht werden? Um nicht missverstanden zu werden: Prinzipielle Kritik gegenüber der Forderung einer transsubjektiven Lehrförmigkeit der Glaubenswahrheit liegt mir fern. Die von der Enzyklika zu Recht betonte fundamentale Bedeutung der Lehre ist ebenso wenig zu bestreiten wie die Richtigkeit des Grundsatzes, wonach „die von Gott gewollte Einheit ... nur in der gemeinsamen Zustimmung zur Unversehrtheit des Inhalts des geoffenbarten Glaubens Wirklichkeit werden (kann). Was den Glauben betrifft, steht der Kompromiß im Widerspruch zu Gott, der die Wahrheit ist.“ (UUS 18) Zu fragen ist freilich, was unter dem Inhalt des geoffenbarten Glaubens, der unversehrt und kompromisslos gewahrt werden muss, präzise zu verstehen ist und insbesondere, wie der Glaube des Offenbarungsgehalts inne wird bzw. wie sich die Gewissheit des Glaubens an seinen offenbaren göttlichen Grund zu den Wissensgestalten verhält, in denen dieser Glaube zum Ausdruck kommt. Dass die katholische Kirche sich mit dem II. Vatikanum – wie es heißt –„unumkehrbar dazu verpflichtet (hat), den Weg der Suche nach der Ökumene einzuschlagen“ (UUS 3), wird in der Enzyklika sowohl in Bezug auf den Dialog mit den orientalischen Kirchen (vgl. UUS 50ff.) als auch mit den Kirchen des Abendlandes (vgl. UUS 64ff.) und nicht zuletzt in Bezug auf die Kirchen der Reformation geltend gemacht. Auch ihnen weiß sich die römisch-katholische Kirche durch die eine Taufe innigst verbunden. Ausdrücklich wird hervorgehoben, „daß die Anerken-
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nung der Brüderlichkeit nicht die Folge eines liberalen Philanthropismus oder eines vagen Familiengeistes ist. Sie wurzelt in der Anerkennung der einen Taufe und in dem daraus folgenden Erfordernis, daß Gott in seinem Werk verherrlicht werde. Das Direktorium zur Ausführung der Prinzipien und Normen über den Ökumenismus wünscht eine gegenseitige offizielle Anerkennung der Taufen. Das geht weit über einen ökumenischen Höflichkeitsakt hinaus und stellt eine ekklesiologische Grundaussage dar.“ (UUS 42) Die trifft in der Tat zu und stimmt mit entsprechenden Intentionen des Ökumenischen Rates der Kirchen überein, wie sie etwa während der 5. Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung in Santiago de Compostela deutlich gemacht wurden. Angemerkt sei, dass der Papst die Arbeit des ÖRK im Allgemeinen und die von „Faith and Order“ im Besonderen mehrfach lobend erwähnt und im Übrigen auch die Tatsache würdigt, dass die ökumenische Bewegung „gerade im Bereich der Kirchen und Gemeinschaften der Reformation ihren Anfang genommen“ (UUS 65) hat. Als die wichtigsten Differenzen, die seit dem 16. Jahrhundert bis heute zwischen Reformationskirchen und römisch-katholischer Kirche stehen, benennt die Enzyklika Unterschiede in Bezug auf die Lehre von der Kirche, von den Sakramenten und das Weihesakrament. Hier sollen entsprechend die Schwerpunkte künftigen Dialogs liegen. Als weiterer Dialogschwerpunkt zwischen römisch-katholischer Kirche und Reformationskirchen hat in Bestätigung entsprechender Aussagen des Ökumenismusdekrets, das in diesen und anderen Zusammenhängen häufig zitiert wird, das Verhältnis zwischen der Heiligen Schrift und der kirchlichen Tradition zu gelten, wobei – wie es mit den Worten von UR 21 heißt – „‚nach dem katholischen Glauben das authentische Lehramt bei der Erklärung und Verkündigung des geschriebenen Wortes Gottes einen besonderen Platz einnimmt‘. ‚Nichtsdestoweniger ist die Heilige Schrift gerade beim (ökumenischen) Dialog ein ausgezeichnetes Werkzeug in der mächtigen Hand Gottes, um jene Einheit zu erreichen, die der Erlöser allen Menschen anbietet‘.“ (UUS 66) Ich wähle unter den traditionellen Kontroverspunkten der Lehre den letztgenannten aus, der Schrift und Tradition die verschiedenen Auffassungen vom Verhältnis zwischen Schrift und Tradition betrifft, um auf diese Weise ein Beispiel dafür zu geben, dass der geforderte Prozess ökumenischer Verständigung nicht stagniert, sondern durchaus erkennbare Fortschritte aufzuweisen hat. Evangelische Theologie leugnet, falls sie es je getan haben sollte, mittlerweile in aller Regel nicht mehr, dass Kanon und Kirche zusammengehören und die Bibel in bestimmter Weise selbst eine Traditionsgestalt ist; katholische Theologie wiederum vertritt üblicherweise nicht mehr die Behauptung, der Grundsatz des Konzils von Trient (vgl. DH 1501), das eine Evangelium sei in geschriebenen Büchern und ungeschriebenen Überlieferungen („in libris scriptis et sine scripto traditionibus“) enthalten, die man beide mit gleicher frommer Bereitschaft und Ehrfurcht („pari pietatis affectu ac reverentia“) zu verehren habe, müsse in dem Sinn verstanden werden, als bedürfe die in der Schrift gegebene Tradition („traditio scripta“) einer materialen Ergän-
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zung durch kirchliche Zusatztraditionen. Unter diesen Konvergenzvoraussetzungen lässt sich die überkommene Kontroverse um Schrift und Tradition auf das Problem reduzieren, welche historische und vor allem welche dogmatische Rolle der kirchlichen Tradition und namentlich dem verfassten Lehramt der Kirche bei der Kanonsbegründung bzw. bei der Vergewisserung der Kanonizität des Kanons und bei der authentischen Auslegung der Schrift zukommt. Wohlgemerkt: Strittig ist nicht die Faktizität dieser Rolle, sondern ihre Art und ihr Wesen. Um das Problem in Bezug auf die Frage der Schriftauslegung in evangelischer Perspektive kurz und im Vorgriff auf genauere Erörterungen an späterer Stelle (vgl. III, 13) zu erläutern: Auszugehen ist unter reformatorischen Bedingungen von dem Theorem der Autopistie und der Selbstauslegung der Schrift. Weil die Schrift in der Kraft des von der göttlichen Selbsterschließung in Jesus Christus ausgehenden und in ihr wirkenden Geistes ihre Wahrheit selbst zu erschließen vermag, ist zur authentischen Wahrnehmung und Auslegung der Schriftwahrheit die Annahme keiner Autorität als der ihr selbst eigenen nötig. Folgerichtig wird die Autorität der Kirche und ihrer Amtsträger in allem der des Schriftworts unterstellt und der Überprüfung an diesem freigegeben. Damit ist nicht nur das kirchliche Recht ausgeschlossen, ein neues, nicht durch das Schriftzeugnis beglaubigtes Dogma zu verkünden, sondern zugleich die Möglichkeit bestritten, dass ein einziges Glied oder eine Gruppe von Gliedern der Kirche von Amts oder Person wegen autoritativ beanspruchen können, exklusiv über die Rechtmäßigkeit bzw. Schriftgemäßheit des Glaubens zu befinden. Nicht dass behauptet würde, es gebe Schriftauslegung und Schriftverständnis ohne Leser, Hörer und Sprecher des Worts. Das Gegenteil ist der Fall. Ebenso eindeutig der Fall ist unter evangelischen Bedingungen aber auch dies, dass nämlich keiner, der sich auf die Schrift beruft, ein Monopol auf deren authentische Auslegung beanspruchen kann. Ein solcher Monopolanspruch ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die Folge ist zwar nicht die Statuierung eines Fallibilitätsdogmas, wohl aber die konsequente Bestreitung der sachlichen Unüberprüfbarkeit kirchlicher Lehrentscheide, seien sie auch durch Päpste und Konzilien abgesegnet. Errare humanum est – irren ist menschlich: Das gilt nach Luther und Calvin auch für die kirchlichen Leitungsinstanzen, und das christliche Bekenntnis zu solcher Irrtumsfähigkeit ist durch die von der Verantwortung gegenüber dem Schriftwort hervorgerufene Verantwortungsgemeinschaft aller Kirchenglieder, zuletzt durch die theologische Notwendigkeit rechter Unterscheidung von Gott und Mensch gefordert. Zwar wird den Entscheidungen kirchlicher Lehrinstanzen keineswegs ihr Gewicht bestritten: Sie haben durchaus als Präjudize zu gelten; indes dürfen sie den Prozess fortlaufender Prüfung am Schriftwort nicht hindern und keinen blinden Gehorsam fordern. Es ist sonach Recht und Pflicht jedes Gläubigen, sich durch Lektüre und Studium der Schrift selbst ein sachliches Urteil zu bilden. Das elementare Interesse der Reformation, die Bibel in die jeweilige Landessprache zu übersetzen und im Volk zu verbreiten, entspricht diesem theologischen Sachverhalt und ist eine Folge von ihm. Vorausgesetzt war dabei stets die
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Überzeugung, dass die Schrift ihre Wahrheit selbst zu bewähren vermag und zwar durch innere wie durch äußere Klarheit. In diesem Sinne bildet das Vertrauen in die Selbstbewährungsfähigkeit der Wahrheit auch Dienst an der Einheit und nicht zuletzt die Elementarbasis jeder evangelischen Amtstheologie. Aufgabe des ordinationsgebundenen Amtes der Kirche und seiner Träger ist es nicht und kann es nicht sein, eine Garantie für die Identität und Kontinuität der christlichen Wahrheit durch die Zeiten abzugeben. Die wesentliche Amtsfunktion besteht vielmehr darin, der Einheit der Vielen zu dienen, die am Wort, welches in der Schrift beurkundet ist, und an den Sakramenten teilhaben und durch solche Teilhabe zusammengeschlossen sind zum Leib Christi, der zu sein die Kirche bestimmt ist. Das Amt ist deshalb vom Priestertum aller getauften Gläubigen nicht durch eine graduelle Gnadenstufung abgehoben, sondern damit beauftragt, die Allgemeinheit des Priestertums aller Gläubigen unter den Bedingungen seiner je besonderen, individuellen Realisierung zu bewahren und Separationen Einzelner oder von Gruppen und damit die Zersetzung der Einheit der Kirche zu verhindern. Die entscheidende Aufgabe des ordinationsgebundenen Amtes der Kirche auf allen seinen regionalen und überregionalen Stufen besteht sonach im Dienst an der Einheit. Obwohl die Verpflichtung zum ökumenischen Dialog, so wie sie seit dem II. Vatikanischen Konzil zutage getreten ist, nach den Worten der Enzyklika (vgl. UUS 31) weit davon entfernt ist, ein Vorrecht des Apostolischen Stuhles zu sein und deshalb auch den einzelnen Orts- und Teilkirchen obliegt, weiß sich der Bischof von Rom gemäß seinem Selbstverständnis als Nachfolger des Apostels Petrus dem Dienst an dem ökumenischen Ziel sichtbarer Einheit der Kirchen in besonderer Weise verbunden. Ich erfülle sie (sc. diese Pflicht), sagt Johannes Paul II. mit Blick auf seine Enzyklika und im Stil persönlicher Rede, „mit der tiefen Überzeugung, dem Herrn zu gehorchen, und im vollen Bewusstsein meiner menschlichen Schwachheit. Denn auch wenn Christus dem Petrus diese besondere Sendung in der Kirche anvertraut und ihm aufgetragen hat, die Brüder zu stärken, so ließ er ihn gleichzeitig seine menschliche Schwachheit und die besondere Notwendigkeit seiner Bekehrung erkennen.“ (UUS 4) Damit ist ein Stichwort genannt, das im weiteren Verlauf der Enzyklika wiederholt aufgegriffen wird und für deren Gesamtanlage bestimmend ist. Bekehrung und Erneuerung sind die Bedingungen der Möglichkeit ökumenischen Fortschritts. Ein verständigungsorientierter, erfolgversprechender ökumenischer Dialog kann nur ein „Dialog der Bekehrung“ (UUS 35) sein. Die „radikale Mahnung, unseren Zustand als Sünder anzuerkennen“, wie etwa 1. Joh 1,10 sie formuliert, muss gemäß der Enzyklika „ein Wesensmerkmal des Geistes sein, mit dem man sich dem ökumenischen Dialog stellt“ (UUS 34). Dabei wird hinzugefügt: „Nicht allein die persönlichen Sünden müssen vergeben und überwunden werden, sondern auch jene sozialen, das heißt die eigentlichen ‚Strukturen‘ der Sünde, die zur Spaltung und ihrer Verfestigung beigetragen haben und beitragen können.“ (UUS 34)
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Wie immer man über den Begriff der strukturellen Sünde urteilen mag – dass ökumenische Verständigung nur im Bewusstsein schuldhafter Verfehlung, nur im Vollzug der Bekehrung aus sündiger Verkehrtheit, nur im ursprünglichen bußtheologischen Sinne von „confessio“ als Sündenbekenntnis und eben nicht im rechthaberischen „Sich-Abkapseln in die Verdammung der ‚anderen’“ (UUS 15) erreicht werden kann, das gehört gewiss zu den zentralen Einsichten und Aussagen der Enzyklika, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil ihr Autor sich von dem geforderten Sündenbekenntnis selbst nicht ausnimmt, sondern im Gegenteil auch und gerade die eigene Person der Nötigung zu solchem Bekenntnis aussetzt. Das hindert Johannes Paul II. freilich nicht, den Dienst des Bischofs von Rom an der Einheit der Kirche als konstitutiv für dieselbe zu behaupten. „Unter allen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften ist sich die katholische Kirche bewusst, das Amt des Nachfolgers des Apostels Petrus, des Bischofs von Rom, bewahrt zu haben, den Gott als ‚immerwährendes und sichtbares Prinzip und Fundament der Einheit‘ eingesetzt hat und dem der Heilige Geist beisteht, damit er alle anderen an diesem wesentlichen Gut teilhaben läßt.“ (UUS 88 unter Verweis auf LG 23) Und weiter: „Mit der Vollmacht und Autorität, ohne die dieses Amt illusorisch wäre, muss der Bischof von Rom die Gemeinschaft aller Kirchen gewährleisten. Dadurch ist er der Erste unter den Dienern an der Einheit. Dieser Primat wird auf verschiedenen Ebenen ausgeübt; sie betreffen die wachsame Aufsicht über die Weitergabe des Wortes, über die Feier der Sakramente und der Liturgie, über die Mission, über die Disziplin und über das christliche Leben. Dem Nachfolger des Petrus obliegt es, an die Forderungen des Gemeinwohls der Kirche zu erinnern, falls jemand versucht wäre, dies zugunsten eigener Interessen zu vergessen. Er hat die Pflicht hinzuweisen, zu warnen und manchmal diese oder jene Meinung, die verbreitet wird, für unvereinbar mit der Einheit des Glaubens zu erklären. Wenn es die Umstände erfordern, spricht er im Namen aller Hirten, die mit ihm in Gemeinschaft stehen. Er kann auch – unter ganz bestimmten, vom I. Vatikanischen Konzil klargestellten Bedingungen – ex cathedra erklären, daß eine Lehre zum Glaubensgut gehört. Durch dieses Zeugnis der Wahrheit dient er der Einheit.“ (UUS 94) In der Konsequenz dessen wird die Gemeinschaft aller Teilkirchen mit der Kirche von Rom und die Gemeinschaft ihrer Bischöfe mit dem römischen Bischof zu einem – gemäß Gottes Plan – grundlegenden Erfordernis der Einheit und voller sichtbarer Gemeinschaft der Kirchen erklärt. Es kann nicht überraschen, dass sich die kritischen Vorbehalte der Stellungnahmen zur Enzyklika von evangelischer Seite namentlich auf diesen Aspekt konzentrierten. Zwar registrierte man wohl den erheblichen Unterschied der jetzigen Ökumeneenzyklika zu jener („Mortalium animos“), die Pius XI. 1928 ausgehen ließ, um die ökumenische Bewegung mehr oder minder rundweg abzulehnen und Katholiken die Teilnahme an ihr schlicht zu verbieten. Auch bleibt nicht unvernommen, dass der Papst, der bereits 1985 in einer Ansprache an die Kardinäle und die Mitglieder der römischen Kurie das ökumenische Bemühen zu einer der pastoDialog der Bekehrung
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ralen Prioritäten seines Pontifikats erklärt hatte (vgl. UUS 99), nach einer Form der Primatsausübung zu suchen verspricht, „die zwar keineswegs auf das Wesentliche ihrer Sendung verzichtet, sich aber einer neuen Situation öffnet“ (UUS 95). Dennoch ist damit das entscheidende Problem nicht behoben. Um die Erklärung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands zu zitieren: „Widerspruch ist besonders zur vorgestellten Rolle des Papstamtes in der künftigen Gestalt der Einheit der Kirche angebracht. Zwar bietet Johannes Paul II. seine Bereitschaft an, eine andere, für die Kirchen tolerierbare Form der Primatsausübung zu finden. Mit seiner Bitte um Verzeihung angesichts schmerzlicher Erinnerungen ... unterstreicht er den Willen dazu auf beeindruckend persönliche und geistliche Weise. Aber die Anfragen an das Papsttum sind ja nicht vorrangig in schmerzlichen Erinnerungen begründet; vielmehr kommen sie aus fundamentalen Überlegungen und zentralen Glaubensüberzeugungen der Kirchen.“ (Ermutigung und Ernüchterung, 4) Es bleibt sonach die entscheidende „quaestio“, wie man den Primatsanspruch des römischen Papstes, der für den katholischen Ökumenismus offenkundig ebenso unaufgebbar wie grundlegend ist, prinzipiell zu beurteilen hat. Dieses Problem kann hier selbstverständlich Universalkirchlicher Einheitsnicht im Detail abgehandelt werden (vgl. III,14). dienst Ich begnüge mich damit, einige Rahmenbedingungen zu skizzieren, die mir unter evangelischen Gesichtspunkten als wichtig erscheinen. Um abgrenzend zu beginnen: Ein Amt, das theoretisch und praktisch darauf angelegt würde, unter gewissen Bedingungen alle Differenzierungsmöglichkeiten von Gott und Mensch einzuziehen, so dass bestimmte Wörter dem Worte Gottes, welches Jesus Christus in Person ist, unterschiedslos gleichzusetzen wären, kommt unter evangelischen Voraussetzungen nicht nur nicht in Frage, sondern muss prinzipiell abgelehnt werden. Ich gehe davon aus, dass es ein solches Amt in der römisch-katholischen Kirche weder gibt noch theoretisch und praktisch geben kann und soll. Ist dies klargestellt, dann kann man m.E. evangelischerseits theologisch gänzlich unvoreingenommen in die Diskussion um ein universales Dienstamt an der christlichen Einheit eintreten. Denn soviel steht fest: Der universalkirchliche Bezug gehört auch nach Maßgabe evangelischer Ekklesiologie unveräußerlich zum Wesen der Kirche. Zwar ist die um Wort und Sakrament versammelte Gemeinde Kirche im vollen Sinne des Begriffs zu nennen. Doch darf sich keine Ortskirche vom Zusammenhang mit der „communio sanctorum“ anderer Zeiten und Räume ablösen, will sie dem, was sie ist, nämlich Kirche Jesu Christi, entsprechen. In der Wahrnehmung und Gewährleistung dieses Zusammenhangs kommt nach evangelischer Lehre dem ordinationsgebundenen Amt, das ordentlich zum „publice docere“ (vgl. CA XIV), zur öffentlichen Evangeliumsverkündigung in Wort und Sakrament berufen ist, eine besondere Aufgabe zu. Eine innere Konsequenz spricht daher dafür, evangelischerseits neben und zusammen mit örtlichen auch überörtliche und transregionale Leitungsämter auszubilden, welche den episkopalen Dienst an der Einheit und Allgemeinheit der Kirche in je ihrer Hinsicht wahrzunehmen haben. Zu achten ist freilich darauf, dass Abstufun-
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gen von Leitungsämtern nicht als graduelle Stufungen des Gnadenstandes oder so bestimmt werden, dass alles auf die bereits abgewiesene Monopolisierung kirchlicher Entscheidungskompetenz hinausläuft. Ist dies gewährleistet, dann ist kein evangelischer Grund zu erkennen, der die Institution eines universalen Dienstamtes der Kirche prinzipiell ausschließen müsste. Die Reformatoren sahen dies übrigens trotz aller Kritik nicht anders. So war etwa nicht nur Melanchthon, sondern auch Luther bereit, einen episkopalen Vorrang des Bischofs von Rom unter bestimmten Bedingungen zuzugeben. Die grundsätzliche Möglichkeit evangelischer Anerkennung eines Ehrenvorrangs sollte indes nicht davon abhalten, auch mögliche andere Modi einer amtlichen Wahrnehmung des Dienstes an der universalen Einheit der Christen ins Auge zu fassen, etwa die konziliare, weniger auf eine einzelne Person und einen einzelnen Ort bezogene Weise. Es sollte zu den Kennzeichen reformatorischer Theologie gehören, gerade in dieser Hinsicht flexibel zu sein. Sehe ich recht, dann darf der Unterschied zwischen konziliaren und monarchischen bzw. noch einmal anders geprägten transregional-ökumenischen Kirchenleitungsformen im Sinne Luthers und der Reformation gerade nicht zu einem Prinzipiengegensatz zwischen Konziliarismus und Papalismus usw. stilisiert werden. Es hat vielmehr unter reformatorischen Bedingungen als Kennzeichen theologischer Güte einer Ekklesiologie zu gelten, wenn sie dazu dient, dem nötigen Bemühen um die rechte Verfassung der Kirche keine heilsentscheidende Bedeutung beizumessen, sondern diesem Bemühen unbeschadet seiner Unentbehrlichkeit den Charakter eines Werkes zu geben, das endliche Handlungsziele verfolgt und demnach historisch entwicklungs- und revisionsfähig ist (vgl. III,7). Ist damit bereits ein entscheidender Aspekt evanÖkumene nach lutherischem gelisch-lutherischen Ökumeneverständnisses anBekenntnis gesprochen, so sollen weitere Gesichtspunkte, wie angekündigt, an dem Anfang Februar 2004 vorgelegten Positionspapier der Kirchenleitung der VELKD verdeutlicht werden. Unter der ausdrücklichen Voraussetzung, dass sich die Bestimmung des lutherischen Ökumeneverständnisses nicht anders als durch Auslegung des lutherischen Bekenntnisses vollziehen kann, in dem von den lutherischen Kirchen verbindlich formuliert wurde, was lutherische Lehre ist, behandelt der Text drei Basisthemen konfessioneller Selbstverständigung und ökumenischer Positionierung: Zunächst werden die Auslegungsgrundsätze von Schrift und Bekenntnis dargelegt, sodann die Grundzüge der lutherischen Lehre von der Kirche entfaltet und schließlich Konsequenzen gezogen für eine ökumenische Theorie und Praxis nach lutherischem Verständnis. In der Absicht, das entwickelte Ökumeneprogramm konstruktiv fortzuschreiben und, wo nötig, zu korrigieren, seien die genannten thematischen Hauptaspekte im Folgenden kritisch kommentiert. Zitiert wird das VELKD-Positionspapier nach seinen Abschnittsnummerierungen. Das Zeugnis, in dem sich der christliche Glaube artikuliert und sprachlichen Ausdruck verschafft, gründet „in der erlebnismäßig zuteil gewordenen Selbster-
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schließung Gottes in Jesus Christus durch den Heiligen Geist zum Heil der Welt, durch die Gott Glauben weckt“ (VELKD, 1a); so steht es zu Beginn des Positionspapiers zu lesen. Das ist zwar nicht ohne weiteres die traditionelle Sprache des lutherischen Bekenntnisses, aber gleichwohl ein richtiger, wenn auch erläuterungsbedürftiger Grundsatz. Erläuterungsbedürftig ist der Grundsatz in offenbarungsund trinitätstheologischer Hinsicht, wobei die Frage der heilswirksamen Glaubensvermittlung im Namen des Mittlers Jesu Christi besonderes Interesse auf sich ziehen muss, weil sich an der Beantwortung dieser Frage zu entscheiden hat, was man unter demjenigen, von dem gesagt ist, es werde erlebnismäßig zuteil, genau zu verstehen hat. Um nur dieses zu bemerken: Was erlebnismäßig zuteil wird, wenn Gott Glauben wirkt, stellt sich nicht in vermittlungsloser Unmittelbarkeit ein, sondern mittels eines in der Person Jesu Christi inbegriffenen Geschehens, das einer präzisen christologischen Explikation bedarf. Diese Explikation konnte in dem Ökumenetext der VELKD aus verständlichen Gründen nicht geleistet werden. Es darf aber daran erinnert werden, dass es im 16. Jahrhundert im Kontext der Lehre von den „media salutis“ und insbesondere der Abendmahlslehre im reformatorischen Lager zu erheblichen christologischen Auseinandersetzungen kam, die auch heute noch bedenkenswert sind. Die sprachliche Artikulation des in der Selbstoffenbarung des dreieinigen Gottes in Jesus Christus gründenden Glaubens hat in der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments ihre kanonische Gestalt gefunden, die sich der christlichen Kirche als materiale Norm aufgedrängt oder – mit Karl Barth zu reden – imponiert hat, um im Rahmen des kirchlichen Überlieferungsprozesses als solche dann auch formell anerkannt zu werden. Man wird hinzufügen dürfen, dass dies nachgerade deshalb der Fall war, weil im Zeugnis der Schrift dem Glauben sein Grund beständig vorstellig wurde und wird. Die Schrift hat vor allem deshalb als normativer Wahrnehmungsraum des christlichen Glaubens zu gelten, weil in ihr der Glaube nicht nur geschichtlich wandelbaren Glaubenszeugnissen, sondern zugleich dem konstitutiven Grund seiner Ewigkeitsbedeutung und der seines Zeugnisses begegnet ist und fortwährend begegnet. Wie alle Texte und Zeichenzusammenhänge erschließt sich die Heilige Schrift nur durch Auslegung. Solche Auslegung hat sich, soll sie schriftgemäß sein, nach den Regeln der Auslegungskunst am Literalsinn zu orientieren und darf daher nicht in spiritualistischer Manier vom „verbum externum“ abstrahieren. Der Geist wirkt nicht am Buchstaben und dem äußeren Zeichen vorbei oder nur aus Anlass derselben, sondern in, mit und unter diesen. Nur unter dieser Voraussetzung lässt sich Schriftauslegung an ihrem Gegenstand verifizieren und gegebenenfalls falsifizieren; nur unter dieser Voraussetzung sind zugleich die Bedingungen gegeben, Differenzen und Gegensätze in der Auslegung der Schrift verständigungsorientiert zu bearbeiten, wobei von der unhintergehbaren Perspektivität und Irrtumsfähigkeit jeder Auslegung auszugehen ist. Das Selbstverständnis lutherischen Bekenntnisses als einer von der Schrift normierten Norm entspricht diesem Sachverhalt. Normativ und verbindlich ist das
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Bekenntnis evangelisch-lutherischer Kirche seinem eigenen Begriff zufolge, insofern es dem Zeugnis der Schrift als der Urkunde des Glaubens entspricht. Indem es sachgemäße Anleitung zum Verstehen der Schrift sein will, weiß es sich zugleich als „norma normata“ von dieser als ihrer „norma normans“ unterschieden und vom literalen Sinn der Schrift abhängig, auf den hin es sich selbst relativiert. Im Übrigen gilt auch für das kirchliche Bekenntnis der hermeneutische Grundsatz, dass es sich zu verstehen gibt nur, wenn es gemäß seinem Literalsinn ausgelegt wird. „Nur unter der Voraussetzung, dass es einen eigenen Sinn der Texte gibt und dieser durch sachgemäße Auslegungsmethoden erfasst werden kann, hat es Sinn, sich an Texten zu orientieren und über ihre Auslegung Verständigung bzw. Einverständnis zu suchen.“ (VELKD, 1g) Das schließt keineswegs aus, sondern im Gegenteil unveräußerlich ein, dass sich Textverständnis nur im Medium hermeneutischer Gewissheit ereignet. Von der Vorstellung einer gewissermaßen subjektlosen bzw. personenunabhängigen Objektivität ist daher Abschied zu nehmen. Verstehen zielt stets auf Gewissheit, die indes nach lutherischem Verständnis nicht den Charakter selbstsicherer, solipsistischer „securitas“ hat, sondern denjenigen der „certitudo“ als einer nicht in sich gründenden, sondern „extra se“ fundierten Gewissheit. Dass sich die Gewissheit des Glaubens einstellt, dessen Wesen es ist, sich auf Gott zu verlassen und in ihm allein zu gründen, liegt nicht im Vermögen des Menschen, so wahr sich im Glauben die menschliche Bestimmung erfüllt. Der Glaube weiß dies, und dieses Wissen ist mit der ihm eigenen Gewissheit untrennbar verbunden. Er ergreift die Wahrheit Jesu Christi, welche die Heilige Schrift beurkundet und das Bekenntnis der Kirche bezeugt, als ein von dieser Wahrheit ergriffener. Nach Maßgabe des Positionspapiers ist damit die Bedingung aller Wahrheitserkenntnis formuliert, wobei hinzugefügt wird, dass das „unverfügbare Geschehen der Wahrheitserkenntnis durch Wahrheitsgewissheit“ zu verstehen ist „als Wirken Gottes, genauer als Werk des Heiligen Geistes am und im Herzen derer, die das Evangelium hören“ (VELKD, 1h). Was besagt das Evangelium? Dass der auferstandene Gekreuzigte Jesus von Nazareth der Christus ist, der uns mit Gott versöhnt. Was das präzise heißt, bedürfte einer genauen christologischen Erörterung, ohne welche die inhaltliche Bestimmtheit des Evangeliums und damit dessen evangelischer Sinn nicht zu erfassen ist. Dabei wäre vor allem zu klären, welche christologisch-theologische Bedeutung der leibhaften Erscheinung Jesu Christi als dem, wenn man so sagen darf, „verbum externum“ und Buchstaben des Logos zukommt. Dass diese Klärung im Positionspapier nicht hinreichend präzise erfolgt, ist eine Schwäche, die insbesondere im Zusammenhang der Lehre von den Heilsmitteln und der Lehre vom Wirken des Heiligen Geistes, näherhin im Zusammenhang der Verhältnisbestimmung beider erkennbar wird bzw. nachwirkt. Immerhin wird gesagt, dass die Konstitution des Glaubens, ohne dessen Verständnis eine evangelische Lehre von der Kirche nicht zu entwickeln ist, unter Vernachlässigung des Die biblische Norm
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„verbum externum“ von Wortverkündigung und Sakramentsdarreichung, in deren Gestalt das vertrauenerweckende Evangelium Jesu Christi begegnet, nicht zu fassen ist. Das Hören bzw. Empfangen des äußeren Wortes ist daher nötig, um zum Glauben zu gelangen. Was die Reinheit und Klarheit des äußeren Wortes betrifft, so gehört es zu verantwortlicher christlicher Zeugenschaft, diese immer wieder auf ihre Ursprungsgemäßheit und Verständlichkeit zu prüfen. Durch eine Prüfung dieser Art soll verhindert werden, dass ein anderes und verkehrtes Evangelium in der Kirche Einzug hält, welche Möglichkeit gerade bezüglich des „verbum externum“ nicht einfach von der Hand zu weisen ist. Wie ist das äußere Wort inhaltlich bestimmt, und was ist der Bestimmungsgrund seiner buchstäblichen Bestimmtheit? Das Gewicht dieser Frage darf nicht unterschätzt werden. Ist doch das äußere Wort für die Konstitution des Glaubens und das Leben der Kirche von konstitutiver Notwendigkeit. Hat das „verbum externum“ als für das Entstehen des Glaubens und der Kirche notwendig zu Geist und äußeres Wort gelten, so ist es gleichwohl für sich genommen keine hinreichende Bedingung von deren Genese: „Hinreichende Bedingung für die Entstehung des Glaubens und der Kirche ist erst das Wirken des Heiligen Geistes, der das verkündigte, dargereichte, gehörte und empfangene äußere Wort des Evangeliums in den Herzen der Menschen so klar und überzeugend werden lässt, dass sie der Wahrheit und Heilsamkeit des Evangeliums gewiss werden und sich damit herausgefordert und eingeladen wissen, ihr Vertrauen im Leben und Sterben auf den Gott zu setzen, der sich in Jesus Christus durch den Heiligen Geist zum Heil der Welt geoffenbart hat.“ (VELKD 2.2c) Der Glaube ist ein Gnadengeschenk Gottes und insofern für den Menschen nicht verfügbar. Gemäß dem Positionspapier heißt das auch, „dass es kein Verfahren dafür und keinen Anspruch darauf gibt, dass die Bezeugung des Evangeliums als äußeres Wort schon als solches Glauben wecken müsste. Zwar verheißt Gott, dass sein Wort nicht wieder leer zu ihm zurückkommen, sondern tun wird, wozu er es sendet (Jes. 55,11), aber das hebt die Freiheit Gottes nicht auf, Glauben zu wirken, ‚wo und wenn er will‘ (CA 5).“ (VELKD, 2.2d) Dem ist nicht zu widersprechen; zu vermeiden ist allerdings das Missverständnis, mit der Wendung „ubi et quando visum est Deo“ von CA V, 2 sei theologisch auf einen arbiträren Vorbehalt Gottes bezüglich der Universalität seines Gnadenwillens abgehoben. Nein: Gott will, dass allen Menschen geholfen werde. Nur unter Anerkennung dieser Voraussetzung hat die ihrerseits gebotene Anerkennung der göttlichen Freiheit und der Unverfügbarkeit des Glaubens für den Menschen die Funktion, ihn nicht nur demütig zu machen, sondern zugleich zu entlasten. Der Glaube lebt in dem Vertrauen, dass der Grund, auf den er sich verlässt, eine Voraussetzung ist, die sich selbst und von sich aus zu bewähren und als evident zu erweisen vermag. Ohne dieses Grundvertrauen kann es kein rechtes christliches Zeugnis geben; denn dieses ist ohne die Gewissheit der Selbstbezeugungsfähigkeit des in Jesus Christus offenbaren Gottes im Geist nicht zu denken. In diesem Sinne
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wird im Ökumenepapier zu Recht gesagt, dass die Kirche ebenso wie der Glaube durch das Wirken des Heiligen Geistes konstituiert ist. Weil aber der Glaube und die ihm verbundene Gewissheit der „certitudo“ keine der äußeren Erfahrung unmittelbar zugängliche Daten sind, muss entsprechend die wahre Kirche im Sinne der Versammlung der wahrhaft Glaubenden als eine verborgene, nur dem Glauben gewisse, in ihren Grenzen nicht definierbare Größe gelten. Verborgen ist freilich nicht gleichzusetzen mit unsichtbar: Denn da für die Konstitution des Glaubens das äußere Wort unentbehrlich ist, bedarf es zur Glaubensgenese notwendig auch der sichtbaren, für uns abgrenzbaren, institutionell verfassten Kirche, welche die Botschaft von der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus durch den Heiligen Geist als das Heil der Welt bezeugt und so weiter überliefert (vgl. VELKD, 2.1ab). So sehr der Glauben des äußeren Wortes bedarf, um zustande zu kommen, so wenig kann die verborgene Kirche als die Gemeinschaft der empirisch nicht abgrenzbaren Schar der wahren Gläubigen losgelöst werden von der „ecclesia visibilis“. Sie gehört notwendig zum ekklesiologischen Begriff der wahren Kirche, auch wenn ihr Gegebensein für diese nicht hinreichend ist, weil die Kirche als Gemeinschaft des Glaubens ohne das Glauben schaffende Wirken des Gottesgeistes in, mit und unter der der sichtbaren Kirche aufgetragenen Verkündigung des äußeren Wortes nicht zustande kommt. Die sichtbare Kirche ist wie das äußere Wort notwendig, wenn auch nicht hinreichend für die Konstitution des Glaubens und der Glaubensgemeinschaft. Sowohl notwendig als auch hinreichend für beide ist die im äußeren Wort, welches zu bezeugen der sichtbaren Kirche aufgegeben ist, frei wirkende Wirklichkeit des Geistes Gottes. Notwendig, aber nicht hinreichend; notwendig Die Bestimmtheit des äußeund hinreichend zugleich: damit scheinen die ren Worts Verhältnisse geklärt, um welche die Argumentation des Positionspapiers kreist und deren „wesensmäßige Asymmetrie“ (VELKD, 2.1b) betont herausgestellt wird. Gleichwohl bleiben Fragen zurück: Sie betreffen vor allem die Sichtbarkeit der Kirche und die Externität des der kirchlichen Verkündigung aufgetragenen äußeren Wortes, ohne welches der göttliche Geist unbeschadet seiner Freiheit nicht wirkt und denen deshalb pneumatologisch-ekklesiologische Notwendigkeit zu attestieren ist. Was macht die unveräußerliche Bestimmtheit des äußeren Wortes aus, und welcher Erkennungszeichen bedarf es, um die Sichtbarkeit der sichtbaren Kirche zu gewährleisten? Diese Frage ist schwerer zu beantworten als es scheint. Es gehört nach meinem Urteil zu den verbleibenden Defiziten des Positionspapiers, diese Schwierigkeit nicht klar genug verdeutlicht zu haben. Die empirische Feststellung des Vorhandenseins wahren Glaubens entzieht sich, das ist wahr, jedem menschlichen Urteil: Die in Raum und Zeit als „societas externa“ existierende sichtbare Kirche ist ein „corpus permixtum“, die die Grenzen von Raum und Zeit transzendierende Gemeinschaft der wahrhaft Glaubenden eine zwar im Vertrauen auf Gottes Verheißung zu glaubende, aber nicht empirisch feststellbare und definitiv abgrenzbare Größe. Wie aber lässt sich die sichtbare Kirche feststellen und in ihrer Sichtbarkeit dergestalt definieren, dass jene
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Abgrenzungen ermöglicht werden, die nötig sind, um Kirche erkenntlich von Nichtkirche oder gar Antikirche unterscheiden zu können? Auf dieses Problem wird insbesondere im Zusammenhang der Ausführungen zur wesenhaften Einheit der Kirche und zur Kirchengemeinschaft Bezug genommen, die grundlegend sind für das entwickelte Verständnis ökumenischer Theorie und Praxis. Was das ekklesiologische Attribut der im einen Herrn, im einen Glauben und in der einen Taufe (Eph 4,5) begründeten Einheit der Kirche betrifft, so ist diese nach Maßgabe des Positionspapiers wie die uns verborgene Gemeinschaft der Glaubenden aller Zeiten und Orte nicht sichtbar, sondern nur im Glauben gewiss. Das Stichwort der Sichtbarkeit hinwiederum wird sogleich mit einem ekklesiologischen Plural und mit der Rede von unterschiedlichen Gemeinden und Kirchen assoziiert, die nicht als Einheit existieren. Das hat damit zu tun, dass sofort an institutionell verfasste Kirchen gedacht ist, wenn von sichtbarer Kirche gesprochen wird. Genauer zu reflektieren wäre, ob die traditionelle Annahme einer „ecclesia visibilis“ nicht auf ihre Weise einen Begriff der Einheit im Sinne einheitlicher „notae ecclesiae“ impliziert. Sichtbarkeit wäre dann ekklesiologisch nicht nur und nicht in erster Linie auf die als „societas externa“ institutionell verfasste Kirche zu beziehen, sondern auf Wort und Sakrament als die Erkennungszeichen der Kirche. Wie müssen die Erkennungszeichen der Kirche beschaffen sein, um als solche gelten zu können? Das Positionspapier antwortet auf diese Frage unter Berufung auf CA VII, 2 mit dem Hinweis, das kirchliche Verständnis des Evangeliums müsse recht, will heißen: die Verkündigung müsse schrift-, der Gebrauch der Sakramente einsetzungsgemäß sein. Dem Prinzip der Schrift- und Einsetzungsgemäßheit kommt also für die Frage der Sichtbarkeit der Kirche eine kriteriologische Zentralfunktion zu und zwar sowohl im Hinblick auf einen einheitlichen Begriff sichtbarer Kirche, der ekklesiologisch unerlässlich ist, als auch im Hinblick auf die Frage sichtbarer Gemeinschaft von Kirchen. „Ecclesia est communio ecclesiarum“: Dass Gemeinschaft bekenntnisverKirchen lokal, regional und gegebenenfalls auch schiedener Kirchen? national unterschieden und im Übrigen auch verschieden organisiert sind (vgl. VELKD, 3.1a), ist ein empirischer Sachverhalt, der als solcher ekklesiologisch unproblematisch ist, wenn denn der universalkirchliche Bezug, der jeder Einzelgemeinde wesentlich innewohnt, bedacht und etwa die Orientierung an nationalen Ordnungseinheiten aus lediglich pragmatischen Gründen erfolgt. Um ein Beispiel zu geben: Deutschland ist in ekklesiologischer Hinsicht eine Einheitsgröße allenfalls sekundärer oder tertiärer Art. Problematischer wird die Angelegenheit erst, wenn die Unterschiede sichtbarer Kirchen das Bekenntnis der Kirche betreffen und dessen Gleichheit in Frage stellen oder gar aufheben. In einem solchen Fall haben wir es der Terminologie des Positionspapiers zufolge mit Bekenntnisverschiedenheiten oder Bekenntnisgegensätzen zu tun. Letztere sind dann gegeben, wenn gegensätzliche, miteinander unvereinbare Interpretationen des Evangeliums zu konstatieren sind. In diesem Fall ist Kirchengemeinschaft unmöglich; sie kann nicht nur nicht erklärt, sie muss im Gegenteil,
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falls institutionell vorhanden, in erkennbarer Weise und ersichtlichen Formen aufgekündigt werden. In einem solchen Fall muss zwar nicht geleugnet werden, dass sich auch in Gemeinschaften mit verkehrten Bekenntnissen rechte Christen finden können. Der Status einer Kirche wäre solchen Gemeinschaften aber um des Bekenntnisses willen abzusprechen: Sie wären nicht nur nicht als Kirchen im eigentlichen Sinne, sondern überhaupt nicht als Kirchen, möglicherweise sogar als Antikirchen zu identifizieren. Bei Bekenntnisverschiedenheiten hingegen soll es sich nach dem Sprachgebrauch des Positionspapiers lediglich um konfessionelle Unterschiede handeln, die „aus unterschiedlichen Akzentsetzungen bzw. Interpretationen des Evangeliums“ (VELKD, 3.1b) resultieren. In einem solchen Fall ist es möglich oder geboten, Kirchengemeinschaft zu erklären. Ob die üblich gewordene Rede von einer Kirchengemeinschaft bekenntnisverschiedener Kirchen terminologisch in jeder Hinsicht glücklich ist, darf bezweifelt werden. Denn sie ruft leicht das Missverständnis hervor, Bekenntnisdifferenzen seien ekklesiologisch irrelevant mit der Folge, dass schließlich auch der Sinn des ökumenischen Ringens um Lehrkonsense in Zweifel gezogen werden könnte. Diesem Missverständnis wird im Positionspapier der VELKD entgegengetreten. Die Verschiedenheiten in Kirchengemeinschaft verbundener bekenntnisverschiedener Kirchen dürfen nicht grundsätzlicher Art sein, sondern nur in unterschiedlichen Akzentsetzungen bzw. Interpretationen des Evangeliums bestehen, die das gemeinsame schriftgemäße Verständnis des Evangeliums nicht betreffen. Man kann dann freilich fragen, ob es sich bei Verschiedenheiten von dieser Art überhaupt um Bekenntnisverschiedenheiten und nicht um Unterschiede konfessionstraditioneller Herkünfte handelt, die einem expliziten gemeinsamen Bekenntnis nicht nur nicht im Wege stehen, sondern dieses förmlich fordern. Um nämlich glaubhaft und überzeugend zum Ausdruck zu bringen, dass die verbleibende Verschiedenheit lediglich unterschiedliche Akzentsetzungen bzw. Interpretationen beinhaltet, darf man das gemeinsame schriftgemäße Verständ- nis des Evangeliums nicht nur behaupten, sondern muss es auch explizieren, was ohne eine Lehrvereinbarung, die zumindest das Nichtvorhandensein von Bekenntnisgegensätzen begründet zum Ausdruck bringt, nicht möglich ist. Unterschiede im Lehrbekenntnis, das ist wahr, schließen das Gegebensein des gemeinsamen Evangeliumsverständnisses nicht notwendig aus. Aber dass ein gemeinsames Evangeliumsverständnis gegeben ist und die verbleibenden Unterschiede lediglich unterschiedliche Interpretationsakzente betreffen, kann ohne ein gemeinsames Lehrbekenntnis nicht verständlich gemacht werden. Diese Annahme liegt in der notwendigen Konsequenz der Argumentation des Positionspapiers. Man sollte es deshalb als ein Plädoyer für die Fortsetzung der Konsensökumene lesen. Das Ziel der Ökumene nach lutherischem VerÖkumenisches Ziel ständnis ist die Erklärung und Praktizierung von Kirchengemeinschaft in Wort und Sakrament auf der Basis eines Bekenntnisgegensätze ausschließenden gemeinsamen Verständ-
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nisses des Evangeliums nach Maßgabe der Heiligen Schrift. Der Sinn ökumenischer Gespräche nach lutherischem Verständnis ist durch diese Zielvorgabe eindeutig bestimmt. Sie haben zu klären, ob zwischen den beteiligten Kirchen das gemeinsame schriftgemäße Verständnis des Evangeliums gegeben ist, das die Erklärung und Praktizierung von Kirchengemeinschaft möglich macht und gebietet. Die Feststellung, dass dies der Fall ist, kann, wie in dem Positionspapier eigens betont wird, „nicht ohne das ordinationsgebundene Amt (,ministerium verbi’), aber auch nicht durch dieses allein getroffen werden“ (VELKD, 3.2c). Beides liegt im Zeugnisauftrag der Kirche begründet, dem die kirchliche Ordnung nur dann entspricht, „wenn sie sowohl das an die Ordination gebundene Lehr- und Verkündigungsamt als auch die Mitvantwortung aller Glaubenden für die Verkündigung des Evangeliums in ihrer je eigenen, aber aufeinander verwiesenen Bedeutung zur Geltung bringt und regelt“ (VELKD, 2.3c). Dabei soll im Einzelnen Folgendes gelten: „Die Notwendigkeit, die Berufung in das kirchliche Verkündigungsamt durch Ordination zu regeln (CA 14), leitet sich daraus ab, dass das von Gott eingesetzte Amt der Verkündigung des Evangeliums (CA 5) nicht nur allen Christenmenschen, sondern auch der Kirche als ganzer übertragen ist. D.h., seine Einrichtung und Ordnung durch Menschen ist ein notwendiges Element der Wahrnehmung des von Gott eingesetzten Amtes der Evangeliumsverkündigung, insofern die Heilsmittel Wort und Sakrament nach dem Willen Christi öffentlich weiterzugeben sind. So steht die Kirche unter der Notwendigkeit, eine Ämterordnung zu schaffen, deren Zentrum es ist, dem öffentlichkeitsbezogenen Auftrag Christi im ordinationsgebundenen Amt Gestalt zu geben.“ (Ebd.) Was das präzise bedeutet, wird Gegenstand nicht nur ökumenischer, sondern auch künftiger binnenlutherischer Debatten sein müssen. Letztere sind nicht zuletzt deshalb nötig, weil die Ausführungen des Positionspapiers zum Amtsproblem sowie zur ökumenischen Zentralfrage einer rechten Verhältnisbestimmung von allgemeinem Priestertum und ordinationsgebundenem Amt sehr dünn geraten sind. Weitere amtstheologische Aspekte wie etwa die Thematik der Gliederungsformen des ordinationsgebundenen Amtes werden gänzlich ausgeblendet. Das mag mit dem Hinweis darauf entschuldigt werden, dass das Papier primär auf die Klärung hermeneutischer Grundsatzfragen ausgerichtet sein sollte und ausgerichtet ist. Nicht zu entschuldigen ist dagegen, dass ein in einer Anmerkung (VELKD, 2.3c. Anm. 2) gegebener Hinweis auf CA V und CA XIV sowie auf deren Verhältnis zueinander den aktuellen Diskussionsstand nicht nur verkürzt, sondern auch höchst einseitig wiedergibt. Unangemessen ist fernerhin der schulmeisterliche Ton, in dem man darüber belehrt wird, ökumenische Gespräche hätten „nicht den Sinn von Verhandlungen über Lehrdifferenzen mit dem Ziel, unter Hintanstellung der Wahrheitsfrage durch einseitiges oder beiderseitiges Entgegenkommen zur Formulierung von Konvergenzen oder Konsensen zu kommen“ (VELKD, 3.3c). Das versteht sich von selbst, so möchte man meinen. Weitaus weniger selbstverständlich ist es, ob dem erörterten Text angesichts der markierten offenen Fragen, die er hinterlässt, der Status eines Positionspapiers
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zuzuerkennen ist, welches den „magnus consensus“ innerhalb der VELKD und des deutschen Luthertums oder gar innerhalb des Weltluthertums repräsentiert. Dass diesbezüglich begründete Zweifel angebracht sind, ist mittlerweile von der Kirchenleitung selbst eingeräumt worden. Anlässlich der Vollversammlung des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen im November 2003 hielt der Präsident des Einheitsrates, Walter Kardinal Kasper, das Eröffnungsreferat, in dem er eine ökumenische Lagebeurteilung aus der Perspektive der römisch-katholischen Kirche gab. In der „Herderkorrespondenz“ ist der Text in leicht gekürzter Form publiziert worden (Kasper, 605– 610). Darin vertritt Kasper die Auffassung, dass wir es im reformatorischen Bereich einschließlich des lutherischen nicht nur mit zwei unterschiedlichen, sondern zwei gegenläufigen, ja gegensätzlichen Deutungen des reformatorischen Anliegens des 16. Jahrhunderts zu tun haben, die konträre Ökumeneprogramme implizieren: Konsensökumene hier, Differenzökumene dort. „Solange dieser Unterschied“, sagt der Kardinal, „innerreformatorisch nicht behoben ist, wird man mit den Kirchengemeinschaften der reformatorischen Tradition keinen substanziellen Fortschritt erzielen können. Der Einheitsrat hat dem Lutherischen Weltbund vorgeschlagen, diesen Themenkomplex zur Intention der Reformation im Blick auf die Fünfhundertjahrfeier des Reformationsbeginns im Jahre 2017 zu diskutieren.“ (Kasper, 609) Dieses Votum gibt in mehrfacher Weise zu denBinnenlutherische Ökumene ken. Die ökumenischen Beziehungen der römisch-katholischen Kirche sind, so scheint es, auf sehr lange Fristen eingestellt; sie wollen keinen Grund zur Resignation bieten, aber auch keinen Anlass geben für allzu kurzfristige Erwartungen. Das ist das eine. Das andere, noch denkwürdigere aber ist dies: Aus römisch-katholischer Perspektive wird das Luthertum wie das reformatorische Christentum überhaupt offenbar zunehmend als ökumenetheologisch fraktioniert, ja segmentiert wahrgenommen. Auf der einen Seite kommt das Einheitsmodell zu stehen, welches aufgrund der Leuenberger Konkordie von 1973 in Gestalt der Leuenberger Kirchengemeinschaft vor allem im kontinentaleuropäischen Protestantismus vorherrschend geworden ist und römischerseits eher kritisch beurteilt wird. Als im Wesentlichen konstruktiv wertet man demgegenüber den Weg, der in der Porvoo-Erklärung (1992) der skandinavischen Kirchen, der Erklärung „Called to Common Mission“ (2001) der evangelisch-lutherischen Kirche in Amerika und der Erklärung „Called to Full Communion“ von Waterloo (2001) der lutherischen Kirche in Canada eingeschlagen wurde. Diese Sicht der Dinge ist aus römisch-katholischer Perspektive verständlich und plausibel. Reformatorischerseits muss man sie gleichwohl nicht teilen, und man sollte dies auch nicht tun, sondern im Gegenteil alles daran setzen, um dem Eindruck der Fraktionierung und Segmentierung entgegenzuwirken. Die Gefahr, auseinanderdividiert zu werden, ist nur dann akut, wenn man sich selbst auseinanderdividiert und von innen her um seine konfessionelle Identität und Einheit bringt. Binnenreformatorische und innerlutherische Ökumene ist daher die
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Grundbedingung dafür, ökumenische Beziehungen bi- und multilateraler Art künftig erfolgreich pflegen zu können. Zur Erfüllung dieser Grundbedingung hinwiederum ist als erstes ein evangelischer Begriff von Kirchengemeinschaft erforderlich, der – statt neue Gegensätze zu bewirken – die Gefahr protestantischer Fraktionierung und Segmentierung vermeidet und ein Interpretationspotential erschließt, das über die denominationellen Grenzen der aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen hinausreicht und für die gesamte Weltchristenheit von Bedeutung ist. Ein solcher Kirchengemeinschaftsbegriff ist nach meinem Urteil in der Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa im Grundsatz entwickelt. Er kann aber seine Funktion produktiv nur dann erfüllen, wenn die Leuenberger Konkordie in ökumenischem Geiste und nicht in einer Weise interpretiert wird, die konstitutiv auf Alternativen und konfessionelle Gegensätze hin angelegt ist.
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12. Kirchengemeinschaft im Sinne der Leuenberger Konkordie
Lit.: Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa 1973 (Leuenberger Konkordie = LK). – Kirchengemeinschaft nach evangelischem Verständnis. Ein Votum zum geordneten Miteinander bekenntnisverschiedener Kirchen. Ein Beitrag des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, in: EKD-Texte 69 (= EKD). – Die Kirche Jesu Christi. Der reformatorische Beitrag zum ökumenischen Dialog über die kirchliche Einheit. Im Auftrag des Exekutivausschusses für die Leuenberger Kirchengemeinschaft hg.v. W. Hüffmeier, Frankfurt a.M. 1995 (Leuenberger Texte Heft 1). – G. Wenz, Kirchengemeinschaft aus evangelischer Sicht, in: epd-Dokumentation 43/2002, 27–35.
In seinem Abschiedsgebet im 17. Kapitel des Evangeliums nach Johannes legt Jesus Christus vor seiner Erhöhung am Kreuz, in der sich seine irdische Sendung vollendet, Rechenschaft ab vor seinem himmlischen Vater, um Fürbitte zu üben für seine Jünger und alle Glaubenden: „Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns eins sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast.“ (Joh 17,21) Die Einheit der christlichen Kirchen als der Gemeinschaft aller Glaubenden und Jünger Jesu Christi findet ihren Wirk- und Finalgrund in der vollendeten Einigkeit von Vater und Sohn, wie sie in der Person und Kraft des Heiligen Geistes gegeben ist. Im dreieinigen Gott, dem Ursprung und Vorbild kirchlicher Einheit, sollen die Gläubigen eins sein als Verschiedene, deren Verschiedenheit, ohne aufzuhören, ihren trennenden Charakter verloren hat. Christi Gebet enthält ein ökumenisches Gebot: Ihrer Mission, die Sendung ihres Herrn für die Welt glaubhaft zu bezeugen, werden die Christen nur dann gerecht, wenn sie bei allen gegebenen Unterschieden und in aller ihrer Unterschiedenheit nicht getrennt, sondern eins sind. Dieses Gebot gilt nicht nur für das Verhältnis Einzelner, sondern auch für das Verhältnis der christlichen Kirchen zueinander. Nicht von ungefähr bekennt sich die ganze Christenheit auf Erden zur „unitas ecclesiae“ und bezeugt Einheit als Wesensattribut der Kirche. Dabei ist das eine Wesen der Kirche, welches in dem in Jesus Christus offenbaren dreieinigen Gott gründet, von den kirchlichen Erscheinungsformen zwar zu unterscheiden, nicht aber zu trennen. Das eine Wesen der Kirche ist gemäß dem Gebot und Gebet ihres Herrn darauf aus, zur Erscheinung zu kommen. Das elementarste Motiv der ökumenischen Bewegung ist damit umschrieben. Ist das Streben nach Einheit ekklesiologisch verpflichtend, so unterscheiden sich die traditionellen Kirchentümer gleichwohl nicht selten erheblich in Bezug auf die Jesu Abschiedsgebet
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Vorstellung, die sie gemäß ihrem Selbstverständnis von der zu erstrebenden Einheit hegen. In den unterschiedlichen und z.T. auch gegensätzlichen ökumenischen Zielvorstellungen reflektiert sich häufig genau jene Differenz, die zu beheben Ziel der ökumenischen Bewegung sein soll. Das ist nicht weiter überraschend, sondern ein zu erwartendes Phänomen, dem man nicht durch Ignoranz oder Inkriminierung, sondern nur durch konsequente Wahrnehmung seiner Implikationen ökumenisch produktiv zu begegnen vermag. Sowenig es eine konfessionsneutrale Ekklesiologie geben kann, ebenso wenig ist mit einem Ökumenismusprogramm zu rechnen, das von konfessionellen Prämissen unabhängig wäre. Dies ließe sich an den diversen Modellen ökumenischer Einheit von der Vorstellung einer organischen Union über diejenige einer konziliaren Gemeinschaft oder versöhnten Verschiedenheit bis hin zum Konzept einer ökumenischen Konvivenz in Gegensätzen unschwer erweisen. Muss das Programm einer Ökumenetheologie jenseits der Konfessionen, das gegebene Bekenntnisbindungen leugnet oder in Abrede stellt, als abstrakt beurteilt werden, so darf die Konfessionsbestimmtheit von Ekklesiologie und Ökumeneverständnis doch andererseits nicht gleichgesetzt werden mit denominationeller Fixierung. Sie enthält vielmehr die Aufforderung in sich, die spezifische Erscheinungsgestalt in ein geklärtes Verhältnis zu setzen zum dogmatischen Wesen der Kirche, wie es durch die Attribute der Einheit, Heiligkeit, Katholizität und Apostolizität in gemeinchristlicher Weise umschrieben ist. Die hermeneutische Grunddevise ökumenischer Theologie kann daher nur lauten, sich durch konsequente Vertiefung in die eigene Bekenntnistradition auf das allgemeinchristlich Verbindliche zu besinnen. Inwiefern die Leuenberger Konkordie von 1973 diese Devise befolgt hat, wird im Folgenden zu prüfen sein; Faktum jedenfalls ist, dass sie unter reformatorischen Kirchen in Europa ekklesiologisch weitreichende Gemeinschaft gestiftet hat. Vereinigungsbestrebungen der aus der ReformatiUnionsbewegung und Barmer on hervorgegangenen Kirchen hat es seit dem 16. Theologische Erklärung Jahrhundert und den damals erfolgten Trennungen immer wieder gegeben. In ein neues Stadium ihrer Entwicklung trat die innerprotestantische Ökumene hierzulande nach dem Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein. Einen Beleg hierfür bietet die sog. Altpreußische Union, mittels derer Friedrich Wilhelm III. eine Vereinigung der lutherischen und reformierten Gemeinden seines Territoriums zu erreichen suchte. Datiert wird deren Beginn auf das Reformationsfest des Jahres 1817, als der König demonstrativ an einer gemeinsamen Abendmahlsfeier der beiden Hof- und Garnisonsgemeinden in Potsdam teilnahm. Obwohl weder in Preußen noch anderwärts unumstritten, zog das preußische Beispiel weitere Unionsbeschlüsse nach sich, um in der Evangelischen Kirche der Union bzw. der UEK fortzuwirken bis in die heutige Zeit. Wie immer man das Kirchengemeinschaftsmodell der Union ekklesiologisch beurteilen mag: Tatsache ist, dass die im frühen 19. Jahrhundert ihren Ausgang nehmende innerprotestantische Einigungsbewegung zu einer Aufhebung der kon-
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fessionellen Gegensätze zwischen lutherischer und reformierter Bekenntnistradition in Deutschland nur bedingt beizutragen vermochte. Diese wirkten im deutschen Protestantismus kirchlich bis weit ins 20. Jahrhundert hinein fort und sind auch durch die Barmer Theologische Erklärung von 1934 nicht dauerhaft beseitigt worden, in der lutherische, reformierte und unierte Theologen gemeinsames Zeugnis wider das Naziregime und seine totalitäre Kirchenpolitik abgelegt haben. Damit ist nicht bestritten, dass die Barmer Thesen mit ihrem klaren Bekenntnis zu Jesus Christus als dem einen Wort Gottes, dem im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen ist und dessen göttlicher Zuspruch und Anspruch alle Bereiche des Lebens umfasst, Erhebliches zur Einheit und Einigung evangelischer Kirchen in Deutschland und darüber hinaus beigetragen haben. Die Barmer Botschaft von der als geschwisterliche Gemeinde verfassten Kirche der begnadigten Sünder, die allein in Christus und seinem in der Kraft des Heiligen Geistes gegenwärtig wirksamen Handeln in Wort und Sakrament gründet, welches zu bezeugen ihre Berufung ist, hat in ökumenischer Hinsicht ebenso vielfältige Früchte gezeitigt wie die dezidierte Absage an klerikale Herrschaftsansprüche und die kompromisslose Kritik an jeder Verwechslung staatlicher und kirchlicher Vollmacht. Indem sie die Kirche an ihren Auftrag erinnerte, in welchem ihre Freiheit gründet, nämlich, wie es in der 6. These heißt, „an Christi Statt und also im Dienst seines eigenen Wortes und Werkes durch Predigt und Sakrament die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk“, hat die Barmer Theologische Erklärung eine ekklesiologische Orientierung gegeben, die gewiss auch ökumenisch richtungsweisend war. Gleichwohl vermochte sie die reformatorischen Kirchen nicht dauerhaft zu einen. Die konfessionellen Differenzen wirkten fort und verhinderten volle Kirchengemeinschaft. Auch die 1945 in Treysa vorläufig und 1948 in Eisenach endgültig konstitutierte EKD vermochte daran nichts zu ändern. Eine grundlegende Änderung erbrachte erst die von Vertretern reformatorischer Kirchen am 16. März 1973 auf dem Leuenberg bei Basel in endgültiger Fassung erarbeitete Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa. Die Leuenberger Konkordie besteht aus vier Konkordie reformatorischer Hauptteilen. In einem ersten wird der Weg zur Kirchen in Europa 1973 Gemeinschaft in Anbetracht der gemeinsamen Aspekte im Aufbruch der Reformation und unter den veränderten Voraussetzungen heutiger kirchlicher Situation beschrieben. Sodann wird das gemeinsame Verständnis des Evangeliums expliziert, soweit es für die Begründung von Kirchengemeinschaft erforderlich ist. In einem dritten Teil wird die in Bezug auf die Rechtfertigungsbotschaft als die Botschaft von der freien Gnade Gottes und in Bezug auf Verkündigung, Taufe und Abendmahl beschriebene Übereinstimmung im Evangeliumsverständnis, welche es den Unterzeichnerkirchen ermöglicht, Kirchengemeinschaft zu erklären und zu verwirklichen, angesichts der Lehrverurteilungen der Reformationszeit zur Geltung gebracht. Das geschieht in Form von Feststellungen zu Abendmahl, Christologie und Prädestination, deren Anerkennung impliziert, dass die diesbezüglichen Gegensätze, die von der Reformations-
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zeit an eine Kirchengemeinschaft zwischen den lutherischen und reformierten Kirchen unmöglich gemacht und zu gegenseitigen Verwerfungen geführt haben, den gegenwärtigen Stand der Lehre nicht betreffen und – ohne dass die einstmals vollzogenen Verwerfungen deshalb als unsachgemäß bezeichnet werden müssten – kein Hindernis mehr für Kirchengemeinschaft sind. Diese wird im abschließenden vierten Hauptteil von den Signatarkirchen in Bindung an die sie verpflichtenden Bekenntnisse oder unter Berücksichtigung ihrer Traditionen erklärt und der Verwirklichung im Leben der Kirchen und Gemeinden aufgegeben. Die Erklärung beinhaltet die Aufhebung kirchentrennender Lehrverurteilungen und die Gewährung der Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft, die Anerkennung der Ordination und die Ermöglichung von Interzelebration. Dabei lässt die Konkordie, wie ausdrücklich gesagt wird, die verpflichtende Geltung der Bekenntnisse in den beteiligten Kirchen bestehen und versteht sich selbst nicht als ein neues Bekenntnis, sondern als Ausdrucksgestalt einer im Zentralen gewonnenen Übereinstimmung, die Kirchengemeinschaft zwischen Kirchen verschiedenen Bekenntnisstandes ermöglicht und diese zugleich zu kontinuierlichen Lehrgesprächen untereinander verpflichtet. Es wird also ausdrücklich mit verbleibenden, wenngleich nicht kirchentrennenden Lehrunterschieden gerechnet, von denen einige dann auch eigens aufgelistet werden. Als erstes in der Reihe zu bearbeitender Lehr- Evangelische Kirche in probleme werden hermeneutische Fragen im Deutschland Verständnis zur Schrift, Bekenntnisse und Kirche benannt. Das ist insofern besonders bemerkenswert, als die Beantwortung dieser Frage über das Verständnis der Leuenberger Konkordie selbst entscheidet. Nachgerade in ihrem Fall ist der Prozess der Rezeption nicht lediglich die Hinnahme eines Gegebenen, sondern gemäß dem Charakter der getroffenen Vereinbarung ein konstruktiver Vorgang. Was die Leuenberger Konkordie ist, entscheidet sich wesentlich im Prozess ihrer Wahrnehmung, wie denn auch die von ihr erklärte Kirchengemeinschaft konkrete Gestalt erst im Vollzug ihrer Realisierung annimmt. Das gilt nicht zuletzt für das ekklesiologische Selbstverständnis der EKD, deren Synode die Leuenberger Konkordie 1983 in Art. 1, Abs. 4 der Grundordnung aufgenommen hat. „Zwischen den Gliedkirchen (sc. der EKD) besteht“, wie es in der Einfügung heißt, „Kirchengemeinschaft im Sinne der Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa (Leuenberger Konkordie). Die Evangelische Kirche in Deutschland weiß sich mit ihren Gliedkirchen verpflichtet, die in ihr bestehende Gemeinschaft auch im Sinne dieser Konkordie zu stärken und die Gemeinsamkeit im Verständnis des Evangeliums zu vertiefen.“ Als ein paradigmatischer Beleg für den engen Zusammenhang, der zwischen der Konkordieninterpretation und der Selbstverständigung der EKD bis hin zu aktuellen Strukturreformdebatte besteht, sei das im Herbst 2001 der Öffentlichkeit übergebene Votum der Kammer für Theologie zum geordneten Miteinander bekenntnisverschiedener Kirchen angeführt und seines exemplarischen Charakters wegen eingehend reflektiert. Erklärtes Ziel des Votums ist es, ausgehend vom evangelischen Verständnis der Kirche dasjenige
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Konzept der Kirchengemeinschaft herauszuarbeiten und für den gegenwärtigen ökumenischen Dialog fruchtbar zu machen, welches in der Leuenberger Konkordie vereinbart ist. Als Gemeinschaft des Glaubens ist die Kirche evangelischer Ekklesiologie gemäß durch geistvermitteltes Sein in Christus bestimmt. Mittels Wort und Sakrament als seinen Wirkmedien gewährt der Heilige Geist den Gläubigen durch ihren Glauben Anteil an der Beziehung des menschgewordenen Gottessohnes zum Vater, womit ihr Verhältnis zu Gott, Selbst und Menschenwelt von Grund auf zurechtgebracht wird. Als gerechtfertigte Sünder mit Gott selbst versöhnt und verbunden sind die Gläubigen zugleich in Glaube und Liebe untereinander zusammengeschlossen, wobei Individualität und Sozialität ekklesiologisch in gleichursprünglicher Weise in Geltung stehen. Mit dem Votum zu reden: „Versetzt in die Gemeinschaft mit dem dreieinigen Gott werden sie zu Gliedern des Leibes Christi und bilden als solche seine Gemeinde. In diesem Sinne impliziert der Glaube an den dreieinigen Gott den Glauben an die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche“ (EKD, 6). Können diese fundamentalekklesiologischen Grund und Gestalt der Kirche: Grundsätze nicht nur im evangelischen Bereich, Die Ekklesiologiestudie der sondern darüber hinaus mit prinzipieller ZuLeuenberger Kirchengemeinstimmung sowohl von orthodoxer als auch von schaft von 1975 katholischer Seite rechnen, so wird die Angelegenheit nicht nur in ökumenischer, sondern auch in innerevangelischer Hinsicht schwieriger, wenn es um die Zuordnung von Ursprung, Grund und eigentümlichem Wesen der Kirche einerseits und ihrer Gestalt und Ordnung andererseits geht. Dass diese Unterscheidung, welche eher andeutungsweise mit derjenigen von „opus Dei“ und „opus hominum“ analogisiert und in eine noch näher zu erörternde Beziehung zu dem Verhältnis von Verborgenheit und Sichtbarkeit der Kirche gebracht wird, nicht als Trennung verstanden werden darf, wird klar und zu Recht gesagt. Wie man sich den differenzierten Zusammenhang von Grund und Gestalt über das ausgesprochene Unterscheidungsgebot und Trennungsverbot hinaus genauer zu denken hat, bleibt hingegen weithin offen. Dieses Präzisierungsdefizit, das in vergleichbarer Weise in der – für das Votum in vielfacher Hinsicht grundlegenden – Ekklesiologiestudie der Leuenberger Kirchengemeinschaft von 1975 („Die Kirche Jesu Christi“) begegnet, überrascht umso mehr, als dem differenzierten Zusammenhang von Ursprung, Grund und Wesen der Kirche einerseits und ihrer Gestalt und Ordnung andererseits eine Schlüsselstellung für die ekklesiologische Gesamtargumentation zukommt. Hier ist erheblicher Diskussionsbedarf gegeben. Einen Ansatzpunkt nötiger Klärungen können dabei die Erwägungen des Votums zum Verhältnis von verborgener und sichtbarer Kirche bieten. Bemerkenswert ist, dass in Anbetracht möglicher Missverständnisse, zu denen die Unterscheidung von „ecclesia invisibilis“ und „visibilis“ Anlass geben kann und tatsächlich gegeben hat, in Erinnerung gebracht wird, dass nach Luther und den lutherischen Bekenntnisschriften die wahre Kirche zwar eine verborgene,
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nicht aber eine ihrem Wesen nach unsichtbare Größe darstellt. Wie der Geist des zur Rechten des Vaters Erhöhten nicht abgelöst werden kann von der österlichen Erscheinung des auferstandenen Gekreuzigten, so hängt das wahre Wesen der Kirche am manifesten Vollzug jener Zeichen, welche die Tradition „notae ecclesiae“ nennt. Als ekklesiologisch entscheidend drängt sich von daher die Frage auf, wie es um die Möglichkeitsbedingungen der Erkenntnis der „notae ecclesiae“ bestellt ist. Es ist ein nicht unerheblicher Mangel des Votums, dass es diese Frage nicht präzise beantwortet. Eine entsprechende Antwort lässt sich nur geben, wenn das Verhältnis von Verborgenheit und Sichtbarkeit der Kirche über die Feststellung hinaus, dass Verborgenheit „nicht einfach Unsichtbarkeit“ (ebd.) bedeutet, einer genauen ekklesiologischen Bestimmung zugeführt wird und mit ihr analoge ekklesiologische Verhältnisse wie namentlich dasjenige von innerem Grund, welcher als Gotteswerk nur dem Glauben zugänglich ist, und äußerer Gestalt und Ordnung, welche als Menschenwerk für jedermann wahrnehmbar sind. Einen Ansatzpunkt für erforderliche Reflexionsfortschritte bietet dabei etwa die Feststellung des Votums, wonach „die äußere Gestalt der Kirche nicht etwas von der Verborgenheit der Glaubensgemeinschaft Getrenntes, neben ihr Stehendes (ist). Die Unterscheidung zwischen der verborgenen und der sichtbaren Kirche ist vielmehr so zu verstehen, dass die Selbstvergegenwärtigung des dreieinigen Gottes in der Glaubensgemeinschaft auf eine ihr entsprechende äußere Gestalt drängt, die mitten unter anderen sozialen Gebilden in der Welt durch eine unverwechselbare Sichtbarkeit ausgezeichnet ist.“ (EKD, 6f.) Was Sätze wie diese genau bedeuten und welche präzise Bedeutung sie namentlich für die Kennzeichen der wahren Kirche und das Problem der Erkennbarkeit dieser Kennzeichen haben, wäre in Anbetracht der Tatsache, dass die Kennzeichen der wahren Kirche als Kriterien sichtbarer Kircheneinheit zu fungieren haben, in einer im Vergleich zum Votum erheblich gesteigerten Begriffspräzision durchzubuchstabieren. Dabei darf nicht unbedacht bleiben, dass der Grund der Kirche nirgend anders gegeben ist als in der einen und selbigen Persongestalt des Gottmenschen Jesus Christus, welcher kraft des göttlichen Geistes in Wort und Sakrament als er selbst vorstellig wird, um ganz und vorbehaltlos dazusein für uns, damit in der Gemeinschaft des Glaubens, welche die Kirche als der Leib Christi ist, schon jetzt das kommende Reich Gottes in seiner Herrlichkeit zum Vorschein komme. Obwohl das Votum der EKD die Kennzeichen der wahren Kirche im Zusammenhang der Lehre von Gestalt und Ordnung der Kirche verhandelt, werden die „notae ecclesiae“ zugleich dem Begründungszusammenhang der Ekklesiologie zugerechnet, sofern im Anschluss an CA VII – freilich ohne das „pure et recte“ in seiner Problemhaltigkeit eigens zu erörtern – die rechte Evangeliumsverkündigung und die evangeliumsgemäße Feier der Sakramente zu Konstitutiva der Kirche erklärt werden: „Durch sie baut sich der Leib Christi auf. Sie allein sind in allem geschichtlichen Wandel die unwandelbaren sichtbaren Züge einer christlichen Kirche ... Ohne sie kann keine kirchliche Ordnung sachgemäß sein.“ (EKD, 7)
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Letzterem wird kaum ein Ekklesiologe widersprechen. Doch bleibt das Problem, wie die „notae ecclesiae“ in ihrer Unwandelbarkeit an sich selbst geordnet sind und wie sie sich in ihrer beständig gültigen Ordnung sachgemäß erkennen lassen. Dieses offene Problem ist mitsamt dem argumentativen Kontext, innerhalb dessen es auftritt, ein weiteres Indiz dafür, dass die den Gang der Argumentation gliedernde – und ihn durch die Gliederung nachhaltig bestimmende – Unterscheidung von Grund und Gestalt der Kirche keineswegs so selbstverständlich ist, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Im Votum heißt es: „Die eine, heilige, apostoliEinzelkirchen und Gesamtsche und katholische Kirche existiert geschichtkirche lich in Raum und Zeit. Sie ist als universale Gemeinschaft aller Glaubenden immer die Kirche bestimmter Menschen in bestimmten Ländern und Gebieten. Sie existiert notwendig in Gestalt von einzelnen Gemeinden, die die primäre Verwirklichung der katholischen Kirche sind.“ (EKD, 7f.) Damit ist gesagt, dass die Kirche ihr Wesen nicht auf gewissermaßen präexistente Weise hat, sondern stets und nur in Gestalt bestimmter Erscheinung. Die prototypische Erscheinungsgestalt kirchlichen Wesens ist nach Maßgabe von CA VII die einzelne Gottesdienstgemeinde. Doch ist jede Gottesdienstgemeinde ihrem Wesen nach mit einem universalkirchlichen Bezug unveräußerlich versehen. Die Kirche ist als „congregatio sanctorum“ zugleich Gemeinschaft „aller Glaubigen“ (BSLK 61,4f.). Dabei enthält der universalkirchliche Bezug, der jeder Gottesdienstgemeinde ihrem Wesen nach eigen ist, sowohl einen räumlichen als auch einen zeitlichen Aspekt. Beide Aspekte bedürfen der Berücksichtigung, um zu einem ekklesiologisch angemessenen Verständnis von Kirchengemeinschaft als „communio ecclesiarum“ zu gelangen. Das Votum der EKD nimmt den universalkirchlichen Aspekt evangelischer Ekklesiologie u.a. mit dem Hinweis auf, dass die einzelnen Gemeinden als primäre Verwirklichungsgestalten der universalen Kirche „mit allen christlichen Gemeinden geistlich verbunden (sind). Die einzelnen Gemeinden sind aber auch meist in einer größeren geordneten Gestalt mit anderen verbunden: einer ekklesialen Gestalt, die im Folgenden ‚Einzelkirche‘ genannt wird. Jede Einzelkirche kann darauf vertrauen, dass alle anderen Einzelkirchen, welche die Kennzeichen der wahren Kirche aufweisen, der Gemeinschaft des Leibes Christi zugehören und so geistlich miteinander verbunden sind“ (EKD, 8). Bevor auf das entscheidende Problem des Aufweises der Kennzeichen der wahren Kirche als der Kriterien der Gemeinschaft der Kirchen sowie auf das Problem des Verhältnisses geistlich-impliziter und explizit geordneter Gestalt solcher Kirchengemeinschaft näher einzugehen ist, seien zunächst einige Erwägungen zum Thema „Einzelkirchen“ angestellt. Unter Einzelkirchen versteht das Votum im Unterschied zu einzelnen Gemeinden ekklesiale Ordnungsgestalten z.B. von der Art jener Kirchen, wie sie in der Leuenberger Konkordie von 1973 untereinander Kirchengemeinschaft erklärt haben. Aber auch die römisch-katholische Kirche sowie die anglikanischen und orthodoxen Kirchen kommen unter besonderer Berücksichtigung ihrer – beispielsweise auto-
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kephalen – Binnenstruktur als Einzelkirchen in Betracht. Zumindest von „einzelnen Kirchen“ (EKD, 12) ist diesbezüglich explizit die Rede. Die Kategorie „Einzelkirche“ dient sonach, wenn ich es recht sehe, primär der äußeren Bezeichnung gegebener denominationeller Kirchentümer, die je nach ihrem eigentümlichen Profil in mehr oder minder dichten ökumenischen Beziehungen zueinander stehen. Der Gesichtspunkt ekklesiologischer Geltung und Wertigkeit dieser Kategorie tritt demgegenüber vergleichsweise zurück. Das ist in pragmatischer, an der Faktizität gegebener Sachverhalte orientierter Perspektive sicherlich angemessen, darf aber – soll die Macht des Faktischen nicht überhand nehmen und der Status quo tendenziell festgeschrieben werden – nicht übersehen lassen, dass die Kategorie „Einzelkirche“ ekklesiologische Implikationen enthält, die zum Ausdruck zu bringen und zu reflektieren sind. So kann und muss etwa gefragt werden, ob bzw. inwiefern die in Deutschland vertretenen Landeskirchen mehr und anderes sind als kontingente historische Gebilde, an deren Stelle möglicherweise und gegebenenfalls sogar sinnvollerweise andere ekklesiale Ordnungseinheiten treten können. Selbst Bayern wird man, bei aller Liebe, unter ekklesiologischen Gesichtspunkten allenfalls als eine sekundäre Ordnungsgröße betrachten dürfen. Wie auch immer: Was eine Einzelkirche ist, gilt es nicht nur faktisch, sondern auch nach ekklesiologischen Geltungsgründen zu bestimmen. Eine Bestimmung der Bedeutung von – einzelGottesdienstgemeinde und ne Gemeinden strukturell verbindenden – Ein- übergemeindliche Episkope zelkirchen nach ekklesiologischen Geltungsgründen ist nicht zuletzt die Voraussetzung dafür, der institutionellen Gestaltung des jeder Ortsgemeinde wesentlich innewohnenden universalkirchlichen Bezugs jene Aufmerksamkeit zuzuwenden, die ihr sachlich gebührt. Dies ist nicht zuletzt in amtstheologischer Hinsicht und damit hinsichtlich eines zentralen Topos ökumenischen Dialogs in hohem Maße bedeutsam. Um diesbezüglich nur einige wenige Hinweise zu geben, die lediglich bereits breit Erörtertes repetieren: Weil Gottes Geist den Rechtfertigungsglauben nicht vermittlungslos unmittelbar, sondern durch die Heilsmedien Wort und Sakrament wirkt, hat er „das Predigamt eingesetzt“ (BSLK 58,2). Zwar sind alle Getauften gemeinsam dazu bestimmt, das Evangelium von der Rechtfertigung des Sünders aus Gnade um Christi willen durch Glauben zu bezeugen; doch sind öffentliche Predigt und Darreichung der Sakramente denen vorbehalten, die ordnungsgemäß dazu berufen, also ordiniert sind. In diesem Sinne wird in CA XIV „De ordine ecclesiastico“ gelehrt, „quod nemo debeat in ecclesia publice docere aut sacramenta administrare nisi rite vocatus“. Die spezifische Differenz des ordinationsgebundenen Amtes der Kirche zu dem Priestertum, an dem alle getauften Gläubigen partizipieren, ist damit benannt. Dieser Grundsachverhalt stellt sich im Votum nach meinem Urteil nicht anders dar. Auch nach ihm ist das Amt öffentlicher Evangeliumsverkündigung in Wort und Sakrament ein göttliches Mandat und somit zum Wesen der Kirche gehörig. Wandelbar ist hingegen die Ausgestaltung dieses Amtes einschließlich der Unterscheidung und Zuordnung der verschiedenen kirchlichen Dienste im Rah-
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men der äußeren Organisation der Kirche. Zwar soll, wenn ich es recht sehe, die Einheit des ordinationsgebundenen Amtes in gleichsam grundgesetzlicher Geltung stehen; eine Vereinheitlichung der Ausgestaltung dieser Grundordnung wird demgegenüber abgelehnt. Nun wird man freilich erwarten dürfen, dass die differenzierte Ausgestaltung der Ordnung des ordinationsgebundenen Amtes dessen innere Einheit bestätigt und ihr nicht lediglich äußerlich entspricht. Dazu bietet sich folgende Überlegung an: Inbegriff und Vollgestalt von Kirche ist nach CA VII, wie gesagt, die konkret versammelte Gottesdienstgemeinde. Den Prototyp des kirchlichen Amtes stellt dementsprechend das Amt des „pastor loci“ dar, wobei „locus“ nicht zwangsläufig mit Parochie gleichzusetzen ist. Da indes die Gemeinschaft des Glaubens ihrer Bestimmung nach die Grenzen des Raumes und der Zeit übersteigt und sonach jede Gottesdienstgemeinde einen universalkirchlichen Bezug wesentlich beinhaltet, hat sich die Reformation der geschichtlichen Notwendigkeit institutionell-amtlicher Wahrnehmungsgestalten übergemeindlicher Episkope keineswegs verschlossen. CA XXVIII anerkennt nicht nur prinzipiell das traditionelle Bischofsamt, sondern erklärt es fernerhin für wünschenswert, die episkopale Ordination unter Wahrung gemeindlicher Mitwirkungsrechte im Regelfall beizubehalten, auch wenn die Möglichkeit presbyteraler Ordinationen notfalls für nicht nur legitim, sondern für geboten erachtet wurde. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass in den Reformationskirchen das Bischofsamt von Anfang an nicht die einzige Wahrnehmungsgestalt übergemeindlicher „episkope“ darstellte. Während sich in den Kirchen der Wittenberger Reformation synodale Formen der „episkope“ erst verhältnismäßig spät etablierten, war dies in der reformierten Tradition schon frühzeitig der Fall, so differenziert sich die Gestaltung der Kirchenverfassung in den Denominationen im Einzelnen entwickelte. Für die aktuelle evangelische Kirchenverfassungstheorie und -praxis ist die Aufgabe gestellt, die personalen, kollegialen und synodalen Wahrnehmungsformen übergemeindlicher „episkope“ einer präzisen Verhältnisbestimmung zuzuführen. Erfolgreich möglich ist dies nur, wenn erstens die spezifische Differenz des ordinationsgebundenen Amtes zu jenem Priestertum, an dem alle Gläubigen kraft ihrer Taufe teilhaben, und zweitens das Verhältnis genau bedacht wird, in welchem gemeindliche und übergemeindliche Kirchenleitungsaufgaben und im Verein damit Presbyterat und Episkopat zueinander stehen. Ein gesteigerter Gedankenaufwand in diesen Hinsichten schärft nicht nur das strukturelle Profil evangelischer Kirchen, sondern erhöht zugleich das Maß an ökumenischer Flexibilität. Kirche im ekklesiologischen Sinne des Begriffs Kirchengemeinschaft und gründet, so wurde gesagt, in dem in Jesus ChrisBekenntnisgemeinschaft tus, dem auferstandenen Gekreuzigten, offenbaren Gott. Der Geist, der von dem im Sohne offenbaren Gott ausgeht, erwählt und sammelt durch die ihm eingestifteten Wirkmittel realer Christuspräsenz die Gemeinschaft der Glaubenden und bestimmt sie als Gottes Volk des Neuen Bundes zum Zeichen des die Grenzen des Alten Bundes transzendierenden universalen
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Heils für Menschheit und Welt, damit sie durch Bekenntnis des Glaubens und Tat der Liebe Zeugnis gebe vom Evangelium zur Erbauung des Leibes Christi und zur Beförderung der Hoffnung des kommenden Reiches Gottes, in welchem sich die Sendung der Kirche erfüllt, zu der sie von ihrem Herrn berufen ist. Angemessen zu entsprechen vermag die Kirche ihrer eschatologischen Mission nur in „wahrer Einigkeit“ (BSLK 61.8), wie sie ihr von ihrem ekklesiologischen Begriff her wesentlich ist. Nach Maßgabe von CA VII ist es für die Realisierung solcher Einigkeit und damit für die förmliche Erklärung bzw. Bezeugung von Kirchengemeinschaft ebenso notwendig wie hinreichend, „dass da einträchtiglich nach reinem Verstand das Evangelium gepredigt und die Sakramente dem gottlichen Wort gemäß gereicht werden“ (BSLK 61, 9–12): „Et ad veram unitatem ecclesiae satis est consentire de doctrina evangelii et de administratione sacramenta“ (CA VII,2). „Communio ecclesiarum“ ist Konsensgemeinschaft. Was dies präzise heißt, dürfte eine der interessantesten Fragen ökumenischer Ekklesiologie sein. Der Dissens beginnt in der Regel beim Verständnis von Konsens. Hält man sich an den Gesamtduktus der Augustana, dann wird man um die Feststellung nicht umhin können, dass sie sich selbst für die Explikationsgestalt jenes Konsenses hielt, den sie in ihrem VII. Artikel zur notwendigen und hinreichenden Grundlage von Kirchengemeinschaft erklärte. In diesem Sinne galt für reformatorische Ekklesiologie lange Zeit die Gleichung, dass Kirchengemeinschaft Bekenntnisgemeinschaft sei und umgekehrt mit der Folge, dass die Bekenntnisdifferenz, die sich seit dem 16. Jahrhundert zwischen Lutheranern und Reformierten ausbildete, kirchentrennende Funktion hatte und die Aufhebung der Abendmahlsgemeinschaft bedeutete. Das Votum der EKD teilt die traditionelle Gleichung von Kirchengemeinschaft und Bekenntnisgemeinschaft nicht nur nicht, sondern rechnet explizit mit der Möglichkeit und Tatsächlichkeit einer Kirchengemeinschaft bekenntnisdifferenter Kirchen. Als eine Kirchengemeinschaft bekenntnisverschiedener Kirchen werden namentlich die Leuenberger Kirchengemeinschaft und analog zu ihr die ehemalige EKU oder die EKD qualifiziert. Die VELKD gilt demgegenüber als eine Kirchengemeinschaft von bekenntnisgleichen Kirchen bzw., was dasselbe ist, Kirchen gleichen Bekenntnisstandes. Obwohl sich dieser Sprachgebrauch nicht ohne Grund auf die Leuenberger Konkordie berufen kann, wird man doch auch und gerade in deren Perspektive einige Differenzierungen vorzunehmen haben. Denn zwar bedeutet Kirchengemeinschaft nach den ausdrücklichen Worten der Konkordie, „dass Kirchen verschiedenen Bekenntnisstandes aufgrund der gewonnenen Übereinstimmung im Verständnis des Evangeliums einander Gemeinschaft an Wort und Sakrament gewähren und eine möglichst große Gemeinsamkeit in Zeugnis und Dienst an der Welt erstreben“ (LK IV, 29). Doch ist damit noch keineswegs klar, was mit Kirchengemeinschaft bekenntnisverschiedener Kirchen im Sinne der Leuenberger Konkordie genau gemeint ist. Um lediglich dieses anzuführen: Die LeuenLeuenberger Kirchengemeinberger Kirchengemeinschaft hebt bekanntlich schaft die verpflichtende Bekenntnisbindung der ihr
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zustimmenden Kirchen nicht auf, sondern bestätigt und bekräftigt sie. Das geschieht unter der Voraussetzung, dass die in den reformatorischen Bekenntnissen ausgesprochenen Lehrverurteilungen, ohne dass diese deshalb als ungemäß bezeichnet werden müssten, auf der Basis des erreichten gemeinsamen Verständnisses des Evangeliums und bei gegebener Zustimmung zu den in Abschnitt III. der Konkordie formulierten Übereinstimmungen den gegenwärtigen Stand der Lehre der Partnerkirche nicht betreffen und daher keine kirchentrennende Bedeutung haben. Daraus folgt, dass die Bekenntnisverschiedenheit der Signatarkirchen nach erfolgter Verständigung, welche die Erklärung der Kirchengemeinschaft ermöglichte, nicht mehr dieselbe ist wie ehedem. Im Unterschied zu einer trennenden Verschiedenheit kann sie als eine versöhnte Verschiedenheit beschrieben werden, die der Einigkeit dienlich ist, statt sie aufzuheben. Der Bekenntnisstand der Signatarkirchen kann daher in gewisser Hinsicht durchaus als einiger beschrieben werden. Wenn er zugleich ein unterschiedener zu nennen ist, dann nicht deshalb, um die konfessorische Einigkeit erneut einzuschränken oder gar in Abrede zu stellen, sondern um einem Verständnis Leuenberger Kirchengemeinschaft im Sinne einer konfessionelle Traditionen und ihre Verbindlichkeit gleichschaltenden Vereinheitlichung zu wehren. Die Leuenberger Konkordie ist kein Unionsbekenntnis und will kein Unionsbekenntnis sein, welches evangelische Einheit unter Abstraktion von differenten und ehemals trennenden Konfessionstraditionen herzustellen sucht. Sie ist nicht auf Homogenität angelegt, sondern auf eine differenzierte Sicht des Verhältnisses der Signatarkirchen zueinander und damit auch ihres Verhältnisses zu den Kirchen außerhalb der Leuenberger Kirchengemeinschaft. Es gilt die Maxime, dass evangelischer Einheit nicht durch Egalisierung von Unterschieden, sondern durch deren kommunikative Wahrnehmung gedient ist. Diese Maxime hat, um nur zwei aus lutherischer Perspektive nahe liegende Beispiele zu geben, Auswirkungen nicht nur in Bezug auf das Problem, wie sich die Leuenberger Kirchengemeinschaft etwa zur Porvoo-Übereinkunft zwischen skandinavischen Lutheranern und Anglikanern oder zur Erklärung von Kirchengemeinschaft zwischen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika und der dortigen Episkopalkirche verhält, sondern auch auf das Verhältnis etwa zwischen EKD und VELKD. Was das Verständnis der Evangelischen Kirche in Deutschland anbelangt, wie es im Votum entwickelt wird, so ist diese eine Kirchengemeinschaft im Sinne der Leuenberger Konkordie. Das ist sachgemäß, sofern hinlänglich klar ist, was unter Kirchengemeinschaft im Sinne der Leuenberger Konkordie zu verstehen ist und was nicht. Nach Maßgabe des soeben dargelegten Verständnisses ist die Leuenberger Kirchengemeinschaft und analog zu ihr die EKD nicht eine Unterschiede gleichschaltende und damit zur konfessionellen Indifferenz tendierende bzw. sich durch externe Gegensätze bestimmende Union, sondern eine Vereinigung von Kirchen unterschiedlicher Bekenntnistradition, deren Verschiedenheit, ohne aufzuhören, ihren trennenden Charakter verloren und daher im Sinne versöhnter Verschiedenheit gemeinsame ekklesiale Gestalt angenommen hat, die zu gemein-
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samem Zeugnis bestimmt ist und damit auch eine konfessorisch-konfessionelle Gemeinsamkeit impliziert. Damit ist es ausgeschlossen, die Bekenntnisfrage zu neutralisieren oder sie zu einem lediglich kirchenrechtlichen Problem ohne ekklesiologische Relevanz im strikt theologischen Sinne herabzusetzen. Unter dieser Voraussetzung wäre zu prüfen, was im Einzelnen gemeint ist, wenn es im Votum heißt, die EKD sei als Kirchengemeinschaft zwar kirchenrechtlich nicht eine Kirche, wie ihre Gliedkirchen es sind, da sie z.B. in Lehrfragen nicht deren Kompetenzen besitze, sie müsse aber gleichwohl Kirche nicht erst werden, weil sie es unter der entwickelten Prämisse, dass Kirchengemeinschaft Kirche ist, im theologischen Sinne schon sei. Wie immer man das genau zu verstehen hat: Auszugehen ist davon, dass es Kirchengemeinschaft ohne Bekenntnisgemeinschaft nicht geben kann. Das schließt die Wahrung unterschiedlicher Bekenntnistraditionen keineswegs aus, setzt aber voraus, dass der trennende Charakter der Bekenntnisdifferenz beseitigt und die verbleibenden Bekenntnisunterschiedenheiten für gemeinsames Zeugnis erschlossen sind. Dabei hat zu gelten, was das Votum so sagt: Kirchengemeinschaft „kann nur verantwortlich gestaltet werden, wenn die Kirchen ihr Verständnis des Evangeliums auch im Medium der Lehre gemeinsam darlegen und entfalten. Sie geben damit Rechenschaft über den Grund ihrer Gemeinschaft im Evangelium und arbeiten in Lehrgesprächen an der unerlässlichen Weiterbildung der Lehre in den beteiligten Kirchen.“ (EKD, 9) Ohne gemeinsames Bekenntnis, das um seiner inhaltlichen Bestimmtheit willen auf das Medi- Bekenntnis und Lehre um der Lehre angewiesen ist, kann von begründeter Kircheneinheit und damit von einer Gemeinschaft von Kirchen im Sinne einer Kirchengemeinschaft, die theologisch als Kirche zu beurteilen ist, nicht die Rede sein. Zwar ist der Grund der Einheit der Kirche nicht unmittelbar mit dem kirchlichen Bekenntnis und Lehrzeugnis gleichzusetzen, da das Zeugnis der Kirche von der österlich-pfingstlichen Gewissheit der Selbstbezeugungsfähigkeit des von ihr bezeugten Grundes ihrer Einheit getragen ist und getragen sein muss. Doch kommt das „kirchengründende Wort Gottes“ (9) nicht anders zur Sprache als in, mit und unter kirchlicher Evangeliumsverkündigung in Wort und Sakrament, deren rechten Vollzug Bekenntnis und Lehre der Kirche dienend zugeordnet sind. Der Dienst von Bekenntnis und Lehre besteht dabei – um es in Anlehnung an Formulierungen des Votums zu sagen – im Wesentlichen darin, das rechte Verständnis des Evangeliums und die stiftungsgemäße Verwaltung der Sakramente nach Maßgabe des in der Hl. Schrift beurkundeten göttlichen Mandats festzustellen und damit dem in Wort und Sakrament sich selbst mitteilenden Jesus Christus als den die Einheit der Kirche und ihre Gemeinschaft allein tragenden Grund anzuerkennen. Bedenkt man, dass in Jesus Christus, dem auferstandenen Gekreuzigten, Gottheit und Menschheit auf zwar differenzierte, aber gleichwohl untrennbare Weise zu personaler Selbigkeit vereint sind, damit in der Kraft des Heiligen Geistes durch Wort und Sakrament gottmenschliche Versöhnungsgemeinschaft gestiftet werde, so bleibt zu fragen, ob sich der komplexe Zusammenhang von Ein-
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heit des Leibes Christi und seiner kirchlichen Bezeugung ohne weiteres im Sinne eines Verständnisses von Grund und Folge oder einer einfachen Gegenüberstellung von „opus Dei“ und „opus hominis“ fassen lässt, wie dies im Votum tendenziell der Fall ist. Zwar ist die eine Kirche Jesu Christi mit keinem empirischen Kirchentum unterschiedslos identisch. Doch lässt sich der Unterschied der in Jesus Christus gegründeten Einheit der Kirche zu den gegebenen christlichen Denominationen nicht als Trennung und damit nicht so auffassen, als sei die Einheit der einen Kirche Jesu Christi durch faktische kirchliche Differenzen und Gegensätze gar nicht berührt. Die These, Kirchengemeinschaft sei auch unter der Bedingung kontradiktorischer Gegensätze möglich und ratsam, ist ekklesiologisch unhaltbar. Daraus folgt zugleich, dass die Methode des sog. differenzierten Konsenses alternativlos ist, wenn es beständige Fortschritte ökumenischer Verständigung mit dem Ziel der Kirchengemeinschaft geben soll. Denn Kirchengemeinschaft kann es auf dauerhafte Weise ohne „Übereinstimmung im Grundlegenden und Wesentlichen“ (EKD, 3) nicht geben. Dass eine solche Übereinstimmung nicht nur Einzelfragen, sondern im Verein mit ihnen auch das Problem der ökumenischen Zielvorstellungen und damit die Probleme zu umfassen hat, die im Votum der EKD behandelt werden, versteht sich von selbst, wenn die erstrebte Übereinstimmung Übereinstimmung im Grundlegenden und Wesentlichen sein soll. In der Tat lässt sich Kirchengemeinschaft nicht erreichen, wenn darüber, was Kirchengemeinschaft und Einheit der Kirche sowie Grund und Bezugsgestalt kirchlicher Einheit ist, kein differenzierter Konsens besteht. Ein ökumenischer Dialog lässt sich sonach ohne Dialog über ökumenische Zielvorstellungen nicht erfolgsversprechend führen. „Nach welcher Einheit der Kirche Jesu Christi streben wir? Was verstehen wir unter der ‚sichtbaren Einheit‘ der Kirche?“ (Ebd.) Fragen wie diese – unnötig es zu betonen – dürfen nicht ausgespart werden; dies steht außer Zweifel. Bezweifelt hingegen darf werden, ob es ökumeEinheitskonzepte und Ökunisch produktiv und gesprächsförderlich ist, den meneprogramme Einheitskonzepten von Kirchen, mit denen man sich im ökumenischen Dialog befindet, evidente Inkompatibilität mit dem eigenen Begriff von Kirchengemeinschaft zu attestieren. Denn erstens scheint mir der evangelische Begriff von Kirchengemeinschaft auch nach erfolgter Klarstellung durch das EKD-Votum keineswegs so klar, dass darüber nicht weitere innerevangelische Gespräche notwendig wären. Zweitens aber sollte man im Interesse kommunikativer Verständigung methodisch zumindest mit der Möglichkeit einer Kompatibilität bezüglich der Zielvorstellung solcher Verständigung rechnen, statt von gegebener Inkompatibilität als einem ausgemachten Datum auszugehen. Das Votum scheint hier auf den ersten Blick andere Wege einzuschlagen, jedenfalls was die Beziehung zur römisch-katholischen Kirche anbelangt: „Offensichtlich ist die römisch-katholische Vorstellung von der sichtbaren, vollen Einheit der Kirchen mit dem hier entwickelten Verständnis von Kirchengemeinschaft nicht kompatibel.“ (EKD, 13) So lautet der erste Satz der einschlägigen Passage: Zwar werden im
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Anschluss daran Grundzüge eines Gesprächsprogramms entwickelt in der Absicht einer abschließenden Klärung, ob evangelische und katholische „Vorstellungen von der Einheit des Leibes Christi und der Gemeinschaft der Kirchen in diesem Leib miteinander kompatibel sind“ (ebd.). Doch fragt man sich, wie die Vereinbarkeit ökumenischer Zielvorstellungen offensiv angestrebt werden soll, wenn das Verständigungsbeginnen unter dem defensiven Vorzeichen evidenter Unvereinbarkeit steht. Um nicht missverstanden zu werden: Ökumenische Verständigung zwischen den christlichen Kirchen kann nur gedeihen, wenn die Unterschiede der Konfessionen nicht verschleiert, sondern möglichst präzise bestimmt werden. Dazu bedarf es erstens eines entwickelten Bewusstseins der eigenen konfessionellen Identität, welches die innere Differenziertheit des Eigenen nicht verdrängt, sondern zu integrieren und damit zu verhindern sucht, das Eigene durch den bloßen Gegensatz zu Anderem zu bestimmen. Es ist zweitens ebensosehr ein differenziertes Verständnis der anderskonfessionellen Partnerkirche erforderlich, welches frei ist von projektiven Identitätszwängen und den Partner das sein lässt, was er von sich aus ist und sein will. Kurzum: Es ist ausschließlich der jeweiligen Partnerkirche zu überlassen, den ekklesiologischen Begriff zu formulieren bzw. zu reformulieren, den sie von sich selbst hat. Es wird sich dann möglicherweise rasch zeigen, dass traditionelle konfessionelle Gegensätze nicht ohne weiteres auf die gegenwärtige Situation abbildbar sind. Damit ist keineswegs ausgeschlossen, dass es nach wie vor Sachverhalte gibt, „denen evangelischerseits widersprochen werden muss“ (ebd.). Aber solcher Widerspruch muss, wenn er denn fällig ist, präzise und von pauschalen Urteilen frei sein. Um ein konkretes Beispiel zu geben, das nicht lediglich die Beziehung zur römisch-katholi- Apostolische Sukzession schen Kirche, sondern auch diejenige zu den anglikanischen und zu den orthodoxen Kirchen betrifft: das Problem der apostolischen Sukzession. Formalautoritative Exklusivkompetenzen der Wahrheitsgewährleistung, so viel steht fest, sieht evangelische Ekklesiologie nicht nur nicht vor, sondern schließt sie grundsätzlich aus. Wo immer Monopole der Identitätsgarantie christlicher Wahrheit ekklesiologisch-amtstheologisch behauptet werden sollten, ist prinzipieller Widerspruch angesagt. Dies in der nötigen Deutlichkeit zu sagen, ist freilich etwas gänzlich anderes, als den ökumenischen Partner auf möglichst unevangelische Positionen seiner Selbstwahrnehmung zu fixieren, wie das m.E. in dem EKD-Votum tendenziell der Fall ist. Wenn man, um beim Beispiel zu bleiben, das römisch-katholische Verständnis der apostolischen Sukzession einen Sachverhalt nennt, dem evangelischerseits widersprochen werden muss, dann muss auch gesagt werden, warum dies der Fall ist bzw. unter welchen Umständen römischkatholischer Selbstdeutung dies der Fall ist. Ansonsten gerät man leicht in die Gefahr von Pauschalurteilen, wie sie das Votum auch in Bezug auf die orthodoxen Kirchen nicht vermieden hat. Dass es innerhalb der Orthodoxie Vorstellungen vom Nationalkirchentum gibt, die „in erkennbarer Spannung zur Leuenberger
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Konkordie“ (EKD, 13) stehen, trifft wohl zu. Doch zutreffend ist auch, dass diese Vorstellungen keineswegs deckungsgleich sind mit der offiziellen orthodoxen Ekklesiologie. Vergleichbar stellt sich die Angelegenheit bezüglich der beklagten „Nichtanerkennung der Taufe in den westlichen Kirchen durch die orthodoxen Kirchen“ (ebd.) dar: Es gibt solche Fälle und zwar bedauerlicherweise nicht eben wenige; dass eine entsprechende Praxis durch die orthodoxe Lehre „grundsätzlich vertreten“ (ebd.) wird, kann man gleichwohl nicht sagen. Differenzierung tut not! Sie ist die Grundlage und der Modus jeder Verständigung. Jenen hohen Grad an Differenzierung, der in Anbetracht der in der Kammer für Theologie versammelten Gelehrsamkeit erwartet werden durfte, kann man dem Votum der EKD leider nicht attestieren. Es enthält zutreffende Beschreibungen bereits existierender Formen der Gemeinschaft christlicher Kirchen und einige wertvolle Anregungen für die weitere Gestaltung des ökumenischen Dialogs; der eigentliche Zweck einer „Klarstellung des evangelischen Verständnisses von Kirchengemeinschaft“ (EKD, 5) wurde hingegen nicht oder nur bedingt erfüllt. Unklar bleibt insbesondere, wie man sich das Verhältnis der „in der Welt“, wie es heißt (EKD, 8), „verborgenen Einheit des Leibes Christi“ und der kirchlichen Bezeugungsgestalten dieser Einheit genau zu denken hat. Hierzu werden lediglich Andeutungen bzw. Grundsätze von eher unspezifischer Allgemeinheit geboten: Grund und Gestalt der Kirche stehen in einem differenzierten Zusammenhang, der zwar Trennungen ausschließt, aber Unterscheidungen nötig macht. Soviel ist deutlich. Doch bedurfte es dazu keiner förmlichen Klarstellung. Denn dass Christus mit seiner Kirche eins und zugleich von ihr verschieden ist, dürfte ökumenisch kaum strittig sein. So kann nach des Votums eigener Maßgabe auch hinsichtlich der evangelischen Beziehung zum römischen Katholizismus „festgehalten werden, dass beide Seiten die Einheit des Leibes Christi und die Gemeinschaft der Kirchen in einem Verständnis des Glaubensgrundes verankert sehen, der in seiner Dynamik über die bisherige und künftige Lehre hinausgeht. Vorrangig muss geklärt werden, wie sich die evangelische Lehre und die römisch-katholische Auffassung vom Grund des Glaubens und von der Selbstvergegenwärtigung des dreieinigen Gottes durch das Zeugnis der Kirche zueinander verhalten.“ (EKD, 13) Das ist zutreffend bemerkt. Doch muss, ehe eine solche Verhältnisklärung erfolgen kann, zuvor verständlich werden, wie sich Glaubensgrund und kirchliches Glaubenszeugnis nach evangelischer Auffassung genau zueinander verhalten. Mangels nötiger Präzision des ekklesiologischen Begriffs leistet das EKD-Votum eine solche Verständigung entgegen eigenem Anspruch nicht. Doch kann es als Aufforderung gelesen werden, sie in gemeinsamer Begriffsanstrengung zu erreichen. Wo solche Aufforderung wahrgenommen wird, hat das Votum trotz Verfehlung seines ursprünglichen Zwecks ein Ziel gewiesen, das für die Binnenverhältnisse wie für die ökumenischen Außenverhältnisse evangelischer Kirchen gleichermaßen von Wichtigkeit ist.
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Lit.: Bilaterale Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz und der Kirchenleitung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, Communio Sanctorum. Die Kirche als Gemeinschaft der Heiligen, Paderborn/Frankfurt a.M. 2000 (=CS). Zitiert wird nach der Artikelnummerierung. – Die Deutsche Bischofskonferenz (Hg.), Katholischer Erwachsenen-Katechismus. Das Glaubensbekenntnis der Kirche, Kevelaer u.a. 1985. – J. Görres, Die Triarier. H. Leo, Dr. P. Marheinecke, Dr. K. Bruno, Regensburg 1838. – H. Jedin, Geschichte des Konzils von Trient. Bd. II: Die erste Trienter Tagungsperiode 1545/47, Freiburg 1957. – P. Lengsfeld, Überlieferung. Tradition und Schrift in der evangelischen und katholischen Theologie der Gegenwart, Paderborn 1960. – J.A. Möhler, Symbolik oder Darstellung der dogmatischen Gegensätze der Katholiken und Protestanten nach ihren öffentlichen Bekenntnisschriften, Mainz 61843. – W. Neuser, Calvins Stellung zu den Apokryphen des Alten Testaments, in: M. Brecht (Hg.), Text – Wort – Glaube. Studien zur Überlieferung, Interpretation und Autorisierung biblischer Texte (FS K. Aland), Berlin/ New York 1980, 298–323. – K. Rahner, Heilige Schrift und Tradition, in: ders., Schriften zur Theologie. Bd. VI: Neuere Schriften, Einsiedeln/Zürich/Köln 1965, 121–138. – W. Pannenberg/Th. Schneider (Hg.), Verbindliches Zeugnis. 3 Bde., Freiburg/Göttingen 1992–1998 – H. Volz, Luthers Stellung zu den Apokryphen des Alten Testaments, in: LJ 26 (1959), 93–108.
Nach einer auf dem Hintergrund der KonfessiBilateraler Dialog von VELKD onsstreitigkeiten und ihrer politischen Befrieund Deutscher Bischofskondung entwickelten Skizze reformatorischer Ek- ferenz klesiologie im Anschluss vor allem an CA VII sowie nach Einzelstudien zur aktuellen ökumenischen Situation sollen die vielfältigen inhaltlichen Lageaspekte abschließend anhand dreier Fallbeispiele illustriert werden. Ausgewählt werden jene Themen, die im jüngsten Dokument der Bilateralen Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz und der Kirchenleitung der VELKD ausführlich behandelt wurden: die Lehre von der Hl. Schrift unter besonderer Berücksichtigung der Kanonsthematik; universalkirchlicher Einheitsdienst; Heiligenverehrung. In seiner Monographie „Phimostomus scripturariorum“, mit welcher er dem Titel gemäß den protestantischen Schriftlingen (scripturarii) einen Maulkorb (phimostomus) verpassen wollte, hat der Dominikaner Johannes Dietenberger (ca. 1475–1537) bereits 1532 die wichtigsten Argumente formuliert, die von römisch-katholischer Seite traditionellerweise gegen das reformatorische Schriftprinzip vorgebracht werden. Die Einwände Dietenbergers, der auf dem Augsburger Reichstag von 1530 als theologischer Berater und Konfutator tätig war und
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seinen „Phimostomus“ nach Art einer Privatkonfutation der CA abfasste, zielen – analog zu einschlägigen Voten seiner kontroverstheologischen Mitstreiter Eck und Schatzgeyer – allesamt auf den Nachweis einer elementaren Insuffizienz der Heiligen Schrift, die vor allem in zweifacher Hinsicht geltend gemacht wird: 1. Nicht nur gehe die Kirche rein zeitlich der Schrift voraus, so dass es diese ohne jene gar nicht gäbe, auch lasse sich die Abgrenzung der als kanonisch erachteten Schriften und damit die Kanonizität des Kanons nicht ohne die Kirche und ihre amtlichen Lehrinstanzen begründen bzw. zu begründeter Gewissheit bringen. Die Autorität der Schrift könne sonach nur zusammen mit derjenigen der Kirche, niemals aber gegen diese bestehen. 2. Wie das kanonische Ansehen der Schrift, so sei auch die Authentizität ihrer Auslegung in konstitutiver Weise von der Kirche und ihren maßgebenden Institutionen abhängig. Denn ihrer buchstäblichen Eigenbedeutung nach widerspreche sich die Bibel durchaus häufig, behaupte zuweilen auch Falsches, sei jedenfalls zu einer eindeutigen und verbindlichen Selbstauslegung nicht in der Lage, wie die Unzahl divergenter Häresien beweise. Wahrheitsfähig sei die Heilige Schrift daher nur im Verein mit der Kirche bzw. in Gestalt der von dieser sanktionierten Textform und Auslegung. Dass die weitere Lehrentwicklung der römisch-katholischen Kirche konsequent der Argumentationslinie Dietenbergers folgte, bestätigt sich sowohl an der Problematik der Schriftauslegung als auch an der Kanonfrage. In dem 1442 verabschiedeten Lehrdekret für die Das Trienter Dekret „De libris Jakobiten hatte das Konzil von Florenz (1439– sacris et de traditionibus 1445) in Abwehr fortlebender gnostisch-marecipiendis“ nichäistischer Tendenzen nicht nur feierlich erklärt („Sacrosancta Romana Ecclesia ... firmiter credit, profitetur et praedicat“ [vgl. DH 1330ff.]), ein und derselbe Gott sei Urheber des Alten und Neuen Testamentes, d.h. des Gesetzes und der Propheten sowie des Evangeliums („Unum atque eundem Deum Veteris et Novi Testamenti, hoc est, Legis et Prophetarum atque Evangelii profitetur auctorem: quoniam eodem Spiritu Sancto inspirante utriusque Testamenti Sancti locuti sunt ...“ [DH 1334; vgl. DH 1336]), es hatte diese Erklärung zugleich mit einer Aufzählung der einzelnen Bücher Heiliger Schrift verbunden (DH 1334f.). Nachdem Recht und Verbindlichkeit der florentinischen Kanondefinition nicht nur durch die Reformatoren, sondern auch durch humanistisch geprägte Kreise innerhalb der römischen Kirche (Erasmus, Cajetan) in Zweifel geraten waren, sah sich das 1545 eröffnete Konzil von Trient erneut vor die Aufgabe gestellt, den biblischen Kanon autoritativ zu sichern und zu umgrenzen. Die Notwendigkeit und Dringlichkeit dieser Aufgabe wurde von den meisten Konziliaren anerkannt, da man in der Klärung der Schriftfrage die unentbehrliche Voraussetzung aller weiteren dogmatischen Verhandlungen sah. Strittig war indes, ob die Annahme der biblischen Bücher in expliziter kritischer Auseinandersetzung mit Gegenpositionen und gegebenenfalls unter Anerkennung verschiedener kanonischer Autoritätsgrade oder einfachhin nach Maßgabe früherer kirchlicher Lehrentscheide zu erfolgen habe.
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Für die erste Auffassung traten insbesondere der Eremitengeneral Seripando und Bischof Ber- Der Kanonentscheid tano von Fano ein, die den kritischen Ansichten Cajetans (1468–1534) nahe standen. Dagegen votierte die konservative Mehrheit der Konziliaren für die formalrechtliche Lösung, den florentinischen Kanon „pure et simpliciter“, will heißen: diskussionslos und ohne Angabe wissenschaftlicher Begründungen zu übernehmen und seine Rezeption bei Strafe des Anathems zur Gehorsamspflicht zu erklären. Damit war entschieden, dass auch die Einführung einer Rangordnung unter den biblischen Büchern, also etwa die in vortridentinischer Zeit häufig, zuletzt bei Cajetan anzutreffende wertende Unterscheidung zwischen proto- und deuterokanonischen Schriften, keine Chance der Durchsetzung haben konnte. Tatsächlich übernimmt das am 8. April 1536 (Sessio IV) verabschiedete Konzilsdekret eine solche Differenzierung nicht nur nicht, es lehrt vielmehr ausdrücklich die autoritative Gleichrangigkeit aller in der alten lateinischen Vulgata-Ausgabe enthaltenen Bücher Alten und Neuen Testaments. Damit waren alle Bestrebungen, deuterokanonische Bücher theologisch geringer zu veranschlagen als protokanonische, definitiv abgewiesen; zugleich wurden die von zeitgenössischen Theologen mehrfach beanstandeten, weil für spätere Interpolationen erachteten neutestamentlichen Stellen (Mk 16,9–20; Lk 22,43f.; Joh 8,1–11) zwar nicht nominatim, wie einige Konziliare wünschten, wohl aber summarisch rezipiert und in ihrer Verbindlichkeit bestätigt. Hingegen wurde mit dem Anathem bedroht, „wer eben diese ganzen Bücher mit allen ihren Teilen ... nicht als heilig und kanonisch anerkennt“ („Si quis autem libros ipsos integros cum omnibus suis partibus, prout in Ecclesia catholica legi consueverunt et in veteri vulgata latina editione habentur, pro sacris et canonicis non susceperit ...: anathema sit.“ [DH 1504]). Um jedem Zweifel vorzubeugen, um welche Schriften es sich dabei im Einzelnen handelt, beschloss die Konzilsversammlung von Trient, ihren einschlägigen Lehrbestimmungen einen von dem florentinischen Verzeichnis nur in einzelnen Formulierungen abweichenden Index heiliger Bücher beizufügen (vgl. DH 1502f.). Der Trienter Kanonentscheid ist sowohl histoSchrift und kirchliche Überrisch als auch sachlich aufs engste verbunden mit lieferung der Traditionsfrage und nur unter Beachtung dieses Zusammenhangs sachgemäß zu verstehen. Bekanntlich werden die Probleme von Schrift und Überlieferung in ein und demselben Dekret („Decretum de libris sacris et de traditionibus recipiendis“) verhandelt. Über die unlösbare Verbindung beider Themenbereiche bestand unter den Konziliaren von Anfang an Einigkeit. Nicht hinreichend klar war indes, was genau unter Tradition zu verstehen sei, insbesondere ob man dabei nur an apostolische Überlieferungen oder auch an andere, im Laufe der Kirchengeschichte in Übung gekommene Gebräuche zu denken habe. Umstritten war ferner, ob mit dem Begriff Tradition bzw. Traditionen eine den Bibelkanon inhaltlich ergänzende Offenbarungsquelle oder lediglich die authentische und autoritative Auslegung der im Übrigen materialiter durchaus
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suffizienten Hl. Schrift bezeichnet sei. Da es zu weit führen würde, den langwierigen Prozess der teilweise mit äußerster Zähigkeit geführten Konzilsdebatte im Einzelnen nachzuzeichnen, muss es genügen, deren Ergebnis zu registrieren und mit einigen knappen Erläuterungen zu versehen. Der schließlich gefasste Beschluss hat folgenden Inhalt: Die heilbringende Wahrheit und sittliche Ordnung, als deren Quelle das durch die Propheten einst in den heiligen Schriften verheißene, von Jesus Christus mit eigenem Munde zuerst verkündete und von seinen Aposteln auftragsgemäß aller Kreatur gepredigte Evangelium zu gelten hat, ist enthalten in geschriebenen Büchern und ungeschriebenen Überlieferungen („in libris scriptis et sine scripto traditionibus“), die die Apostel aus Christi Mund empfangen haben oder die von den Aposteln selbst auf Eingebung des Hl. Geistes gleichsam von Hand zu Hand weitergegeben wurden und so bis auf uns gekommen sind. Mit gleicher frommer Bereitschaft und Ehrfurcht („pari pietatis affectu ac reverentia“) werden deshalb von der Konzilsversammlung mit sämtlichen Schriften Alten und Neuen Testaments auch die Glaube und Sitte betreffenden, aus dem Munde Christi stammenden oder vom Hl. Geist eingegebenen und in ununterbrochener Folge („continua successione“) in der römisch-katholischen Kirche bewahrten Überlieferungen anerkannt und verehrt. (DH 1501) Wer solche Überlieferungen bewusst und mit Bedacht verachtet („sciens et prudens contempserit“), wird anathematisiert. (DH 1504) Vergleicht man diesen Beschluss mit den vorhergegangenen Diskussionen, so ist neben der Tatsache, dass der zunächst vielfach unbestimmt und vage verwendete Traditionsbegriff ausdrücklich auf solche Überlieferungen beschränkt wurde, die sich auf das Leben des Glaubens und der Sitten beziehen („traditiones tum ad fidem, tum ad mores pertinentes“; vgl. DH 1501), insbesondere Folgendes beachtenswert: „Das Ansinnen, zwei getrennte Offenbarungsströme zu unterscheiden (partim-partim) oder gar den Inhalt des Traditionstroms durch Aufzählung einzelner Traditionen zu bestimmen, hatte man zurückgewiesen und sie mit der Aufeinanderfolge der Amtsträger (continua successione) verbunden, ihre Autorität aber – nach langem Hin und Her – der Schriftautorität gleichgestellt. Alles andere war der theologischen Spekulation überlassen.“ (Jedin II, 76) So unterschiedlich die auf der Basis des Trienter Konzilsentscheids unternommenen theologischen Spekulationen zum Verhältnis von Schrift und Tradition in der Folgezeit ausgefallen sind und bis zum heutigen Tage ausfallen, unübersehbar ist die – auch in kirchenoffiziellen Texten zu registrierende – Neigung gegenwärtiger römisch-katholischer Theologie, das Problem auf die Frage der Gewissheit der Kanonizität und göttlichen Inspiriertheit biblischer Schriften sowie ihrer verbindlichen Auslegung zu konzentrieren. So betont, um ein Beispiel zu geben, der von der Deutschen Bischofskonferenz im Jahre 1985 herausgegebene Katholische Erwachsenenkatechismus („Das Glaubensbekenntnis der Kirche“) ausdrücklich, die Trienter Lehre, das eine Evangelium sei in geschriebenen Büchern und ungeschriebenen Überlieferungen enthalten, welche beide mit gleicher frommer Bereitschaft und Ehrfurcht anzuerkennen und zu verehren seien, brauche „nicht, wie oft ge-
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schehen, in dem Sinn verstanden zu werden, als sei die Wahrheit des Evangeliums teils in der Heiligen Schrift und teils in der Überlieferung enthalten. Man kann die Konzilsaussage auch im Sinn der Kirchenväter und der großen Theologen des hohen Mittelalters so verstehen: Die Heilige Schrift enthält in der Substanz den ganzen Glauben, dieser kann aber in seiner Ganzheit und Fülle nur im Licht der Tradition erfasst werden. So lehrt das II. Vatikanische Konzil: Die Kirche schöpft ‚ihre Gewißheit über alles Geoffenbarte nicht aus der Heiligen Schrift allein‘ (DV 9).“ (Kath. Erwachsenenkatechismus, 54) In besonders eindrucksvoller Weise hatte diese Interpretationstendenz bereits vor dem II. Vati- Rahners sola-scriptura-Lehre kanum Karl Rahner (1904–1984) in der Absicht vertreten, eine gegenteilige Festlegung des Konzils zu vermeiden. In seiner Studie „Heilige Schrift und Tradition“ legte er überzeugend dar, in welche Widersprüchlichkeiten sich die Annahme einer über die Bezeugung des Wesensgehalts der Schrift hinausgehenden materialen Funktion der Tradition unter der von kirchlicher Lehre geforderten Voraussetzung verfängt, die Hl. Schrift sei die normative Objektivation des normativen Glaubens der apostolischen Kirche. Rahner lehnt folgerichtig die Theorie zweier materialiter voneinander verschiedenen Glaubensüberlieferungen ab, und er tut dies in der Überzeugung, dass diese Ablehnung mit den Lehraussagen des Tridentinums völlig vereinbar sei. Denn das Konzil von Trient sage „in dem, was es verpflichtend sagt, nichts anderes, als daß es Schrift und Tradition als Normen des kirchlichen Glaubens gibt und sie in dieser Hinsicht (nicht in jeder Hinsicht) pari reverentia aufzunehmen und zu verehren seien. Wie sich aber Schrift und Tradition gegeneinander verhalten, welches genauere Verhältnis sie haben hinsichtlich ihrer formalen Autorität, hinsichtlich ihrer materialen Abgrenzung wiederum hinsichtlich der Bezeugung des Wesens der Schrift selbst einerseits und der Bezeugung vielleicht gegebener anderer materialer Glaubensinhalte andererseits, darüber hat das Trienter Konzil nichts gesagt und nichts sagen wollen und hat absichtlich – kann man ruhig sagen – eine Formulierung gewählt, die diese Frage unerledigt läßt.“ (Rahner, 131) Zwar bestreitet Rahner nicht, dass die nachtridentinische Theologie in antiprotestantischer Frontstellung zu der Behauptung tendierte, die mündliche Tradition zu einer materialiter verschiedenen Glaubensquelle zu erklären. Er hält diese Konsequenz indes weder für lehramtlich vorgeschrieben noch für theologisch überzeugen. Rahner kann daher ausdrücklich für ein katholisches sola-scriptura-Prinzip plädieren. Das heißt freilich nicht, dass er das Gegenüber von Schrift und Tradition zugunsten der Schrift aufzuheben gewillt ist. Er hält an diesem Gegenüber vielmehr ausdrücklich fest und zwar in dreifacher Hinsicht: Zum ersten stelle die mündliche Tradition, wie sie im autoritativen kirchlichen Lehramt authentisch zur Sprache komme, eine durch die Schrift unersetzbare formale Autorität dar. Das ergebe sich „für das katholische Glaubensverständnis schon einfach daher, daß die Schrift selbst durch die Kirche als ihre eigene Objektivation, als die Objektivation der apostolischen Kirche bezeugt werden muss und sonst hinsichtlich ihrer Inspiration
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und ihres Kanons gar nicht sicher gewusst werden kann“ (Rahner 128). Zweitens sei „eine explikative Funktion der ,Tradition‘ gegenüber der Heiligen Schrift“ (ebd.), wie sie in der kirchlichen Lehrentwicklung sich manifestiere, nach katholischer Überzeugung selbstverständlich. Schließlich müsse die Tradition mindestens insofern als „für den Glauben auch konstitutive materiale Quelle und Norm“ erachtet werden, als durch sie „die Bezeugung des Wesens der Schrift“ (ebd.), will heißen: die Bezeugung der „Tatsache der Schrift, ihrer Inspiration und ihres Umfanges selbst“ (Rahner, 129) geschieht. In diesem Sinne verbindet Rahner mit dem Traditionsgedanken dann auch „Inhalte, die unmittelbar in der Heiligen Schrift nicht greifbar sind“ (ebd.). Er bestreitet allerdings nicht nur, dass aus dieser Annahme die materiale Insuffizienz der Schrift im Vergleich zur Tradition zu folgern sei, behauptet vielmehr im Gegenteil, dass die von der Tradition an der Schrift wahrzunehmende Aufgabe – recht verstanden – der Gewissheit von deren materialer Suffizienz zu dienen habe. Es ist hier ebenso wenig zu untersuchen, ob die Traditions- und AutoritätsRahnersche Version des Themas von Schrift und prinzip Tradition dem Selbstverständnis der Mehrheit der in Trient versammelten Konzilsväter entspricht, wie diskutiert werden kann, inwieweit eine solche, den festen Textbestand einer dogmatischen Definition hinterfragende historische Rückversicherung für die römisch-katholische Glaubenslehre überhaupt von Interesse zu sein hat. Festzuhalten ist zunächst nur, dass das Problem kirchlicher Tradition, wie Rahner überzeugend deutlich macht, seinen entscheidenden Skopus hat in dem Problem kirchlicher Autorität. Nicht von ungefähr sind im Tridentinum mittels des Gedankens apostolischer Amtssukzession beide Problemkreise (wenngleich in einer Weise, die noch genauerer Klärung durch spätere Konzilien bedurfte) eng verbunden. Ferner will beachtet sein, dass am 8. April 1546 neben dem „Decretum de libris sacris et de traditionibus recipiendis“ zugleich das „Decretum de vulgata editione Bibliorum et de modo interpretandi s. Scripturam“ verabschiedet wurde. Signifikanterweise schliesst die IV. Sessio des Trienter Konzils mit einer solennen Proklamation der Kirche als einzig authentischer Interpretin der Hl. Schrift: Niemand soll es wagen, „auf eigene Klugheit gestützt in Fragen des Glaubens und der Sitten, soweit sie zum Gebäude christlicher Lehre gehören, die heilige Schrift nach den eigenen Ansichten zu verdrehen und diese selbe heilige Schrift gegen jenen Sinn, den die heilige Mutter Kirche festgehalten hat und festhält, deren Aufgabe es ist, über den wahren Sinn und die Auslegung der heiligen Schriften zu urteilen, oder auch gegen die einmütige Übereinstimmung der Väter auszulegen, auch wenn diese Auslegungen zu gar keiner Zeit für die Veröffentlichung bestimmt sein sollten.“ (DH 1507: “Praeterea ad coercenda petulantia ingenia decernit, ut nemo, suae prudentiae innixus, in rebus fidei et morum, ad aedificationem doctrinae christianae pertinentium, sacram Scripturam ad suos sensus contorquens, contra eum sensum, quem tenuit et tenet sancta mater Ecclesia, cuius est iudicare de vero sensu et interpretatione Scripturarum sanctarum, aut etiam contra unanimem consensum Patrum ipsam
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Scripturam sacram interpretari audeat, etiamsi huiusmodi interpretationes nullo umquam tempore in lucem edendae forent ...“) Anordnung und Argumentationsgefälle der Trienter Texte können also durchaus für die Annahme geltend gemacht werden, Absicht des Konzils sei es nicht gewesen, die Autorität der Schrift durch das Traditionsprinzip materialiter einzuschränken; ausgeschaltet werden sollte nur die Möglichkeit, die Autorität der Schrift gegebenenfalls gegen die in Geltung stehende kirchliche Autorität und die von ihr sanktionierte Theorie und Praxis zu wenden. Die Maßgabe, dass nicht nur Bibelausgaben und Bibelerklärungen, sondern alle Bücher theologischen Inhalts der Präventivzensur durch den Ordinarius zu unterwerfen seien (DH 1508), lassen sich ebenso als Bestätigung dieser Auffassung lesen, wie die das Konzil intensiv beschäftigenden Bestimmungen über die alte Vulgata als maßgebende Schriftausgabe (DH 1506), welche den Aussagen über den Interpretationsmodus der Hl. Schrift im zweiten Dekret der Sessio IV vorangestellt sind. Auch wenn das Konzil das Studium der biblischen Ursprachen keineswegs unterbinden wollte und im Übrigen eine revidierte Vulgataedition in Aussicht stellte (währenddessen die heftig umstrittene Frage der Bibelübersetzung in die Landessprache unentschieden blieb), ist es doch bemerkenswert, dass die Authentizität der Vulgata nicht mit der Übereinstimmung mit den Urtexten, sondern mit dem jahrhundertelangen Gebrauch in der Kirche begründet wurde (DH 1504; DH 1506). Von daher wird man, um auf das Kanonthema im engeren Sinn zurückzukommen, vermuten dürfen, dass auch die in Trient beschlossene numerische Festlegung des Kanonumfangs primär in der Absicht der Konsolidierung und Sicherung kirchlicher Autorität vorgenommen wurde. In der Tat lag es nahe, von einer detaillierten und definitiven Auflistung und endgültigen Kodifizierung des für das Christentum grundlegenden Textbestandes zugleich eine wirksame Befestigung der verfassten Kirchenautorität in Theorie und Praxis zu erwarten. Begründete und bekräftigte doch die im Konzil versammelte Kirchenautorität schon durch den Akt der Kanondefinition als solchen ihren Anspruch, authentisch über die Grundlagen christlichen Glaubens und christlicher Sitte befinden zu können – ein Anspruch, der mit der Einführung des auf die Wahrnehmung verbindlicher Lehre zugespitzten Traditionsgedankens schließlich explizit und somit selbst ausdrücklicher Gegenstand der Glaubenslehre wurde. Zwar wird die Tradition, die im kirchlichen Lehramt gewissermaßen zum geklärten Bewusstsein ihrer selbst kommt, nicht schlechthin zum Kanon des Kanons erklärt, wohl aber in der Weise des Erkenntnis- und Gewissheitsgrundes der Kanonizität bzw. Inspiriertheit des Kanons. Daraus folgt, dass ohne kirchliche Tradition, wie sie in der verfassten Autorität der Kirche gegenwärtig ist, von der Autorität des Kanons gar nicht, jedenfalls nicht angemessen die Rede sein kann. Die kirchliche Tradition bzw. Autorität scheint somit als Autorisierungsinstanz der Schrift zu fungieren. Auch wenn solche Autorisierung der Schrift nicht im Sinne ihrer inhaltlichen Ergänzung, sondern nur im Sinne einer formalen Beglaubigung zu verstehen ist, muss doch auch bei Anerkennung materialer Suffizienz der
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Schrift behauptet werden, dass die sachgerechte Wahrnehmung ihrer inhaltlichen Bestimmtheit ohne oder gar gegen die in kirchlicher Tradition und Amtsautorität repräsentierte formale Entscheidungsinstanz in keiner Weise zu erlangen ist. Um es mit den Worten J.A. Möhlers (1796–1838) zu sagen: Zu den „mündlichen Traditionen gehört die Lehre vom Kanon und der Inspiration der heiligen Schriften selbst; denn in keinem Theile der Bibel sind die Bücher verzeichnet, welche zu ihr gehören, und wäre auch irgendwo in ihr ein solches Verzeichniß gegeben, so würde erst die Auctorität desselben in Frage gestellt sein. Deßgleichen erhalten wir das Zeugniß von der Inspiration der biblischen Schriften erst durch die Kirche. Von hieraus leuchtet die große Bedeutung der Lehre von der Auctorität der Kirche erst vollständig ein, und läßt uns begreifen, wie unendlich Vieles von derselben abhängt.“ (Möhler, 374) Möhler steigert seine Auffassung schließlich zu der These: „Die Auctorität der Kirche vermittelt ... Alles, was in der christlichen Religion auf Auctorität beruht und Auctorität ist, d. h. die christliche Religion selbst: so daß uns Christus selbst nur insofern die Auctorität bleibt, als uns die Kirche Auctorität ist.“ (Möhler, 341; bei M. gesperrt) Man mag diese Formulierung als überspitzt bezeichnen; innere Folgerichtigkeit wird man ihr nicht bestreiten können. Jedenfalls ist sie ein charakteristisches Zeugnis für die den nachtridentinischen Katholizismus bestimmende Entwicklungstendenz. Das I. Vatikanische Konzil hat diese Entwicklung Die dogmatische Konstitution in bestimmter Weise vollendet. Nun erst wurden über die Kirche des I. Vatikamit der Definition von universalkirchlichem Junischen Konzils risdiktionsprimat und infalliblem Lehramt des Papstes, wie sie in der dogmatischen Konstitution über die Kirche Christi vom 18. Juli 1870 gegeben ist (DH 3050ff., bes. DH 3074), jene Präzisierungen und Differenzierungen bezüglich der hierarchischen Verfasstheit der Kirche und ihrer Entscheidungsinstanzen vorgenommen, die dem tridentinischen Traditions- und Autoritätsprinzip die nötige Klarheit verschafften. Im Übrigen wurden, was die Lehre von Schrift und Tradition und das Problem des Bibelkanons im engeren Sinne betrifft, die Trienter Konzilsentscheide durch die dogmatische Konstitution über den katholischen Glauben vom 24. April 1870 erneut und mit Nachdruck eingeschärft. „Wer nicht alle Bücher der Heiligen Schrift mit allen ihren Teilen, wie sie die Kirchenversammlung von Trient anführte, als heilige kanonische Schriften anerkennt“, verfällt dem Anathem („si quis sacrae Scripturae libros integros cum omnibus suis partibus, prout illos sancta Tridentina Synodus recensuit, pro sacris et canonicis non susceperit ...: anathema sit.“ (DH 3029; vgl. DH 3006). Wie die Lehre von Schrift und Tradition als Glaubensquellen (DH 3006; DH 3011), so wird auch die Bestimmung des Tridentinum über die Kirche als die authentische Auslegerin der Hl. Schrift gegen Missdeutungen erneuert und in ihrem Sinn dahingehend erklärt, „daß in Sachen des Glaubens und der Sitten, die zum Aufbau christlicher Lehre gehören, der als der wahre Sinn der Schrift anzunehmen ist, den die heilige Mutter, die Kirche, festhielt und festhält. Ihr steht das Urteil über den wahren Sinn und die Erklärung der Heiligen Schriften zu. Niemand darf also ge-
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gen diesen Sinn oder gegen die einstimmige Väterlehre die Heilige Schrift erklären.“ („... ut in rebus fidei et morum ad aedificationem doctrinae christianae pertinentium is pro vero sensu sacrae Scripturae habendus sit, quem tenuit ac tenet sancta mater Ecclesia, cuius est iudicare de vero sensu et interpretatione Scripturarum sanctarum; atque ideo nemini licere contra hunc sensum aut etiam contra unanimem consensum Patrum ipsam Scripturam sacram interpretari.“ [DH 3007]) Bemerkenswert und für das Kanonproblem von entscheidender Wichtigkeit ist des Weiteren die erläuternde Feststellung, die Kirche erachte die biblischen Bücher nicht deshalb als heilig und kanonisch, „weil sie etwa bloß durch menschliches Bemühen zusammengestellt und dann durch ihre eigene Vollmacht anerkannt worden wären; auch nicht nur deshalb, weil sie die Offenbarung ohne Irrtum enthalten; sondern deshalb, weil sie, geschrieben auf Eingebung des Heiligen Geistes, Gott zum Urheber haben und als solche der Kirche übergeben worden sind.“ (DH 3006: „Eos vero Ecclesia pro sacris et canonicis habet, non ideo, quod sola humana industria concinnati, sua deinde auctoritate sint approbati; nec ideo dumtaxat, quod revelationem sine errore contineant; sed propterea, quod Spiritu Sancto inspirante conscripti Deum habent auctorem, atque ut tales ipsi Ecclesiae traditi sunt.“) Interessant ist diese Näherbestimmung insbesondere deshalb, weil damit der Meinung, die Kirche sei dergestalt Autorisierungsinstanz des Kanon, dass sie dessen Autorität unmittelbar von sich aus setze, ausdrücklich widersprochen wird. Indes wäre es falsch, daraus das Zugeständnis der Möglichkeit zu folgern, die Kanonizität des Schriftkanons gegebenenfalls ohne Rückgriff auf das Lehramt der Kirche zu begründen. Das I. Vatikanische Konzil steht vielmehr exemplarisch dafür, dass es nach römisch-katholischer Auffassung eine Gewissheit über Inspiriertheit und Kanonizität sowie über Umfang und genaue inhaltliche Bestimmtheit des Kanons ohne ein den Kanon definierendes Lehramt nicht geben kann. Der Zusammenhang von Kanon und Kirche bzw. kirchlicher Lehrautorität hat insofern als prinzipiell unauflösbar zu gelten. Die entscheidende dogmatische Frage hat daher zu lauten, ob die Behauptung einer unaufhebbaren Wechselwirkung zwischen Kanon und Kirche nicht zwangsläufig in einem Zirkelschluss endet. J. von Görres (1776–1848) hat diese Frage präzise formuliert und in einer Weise zu beantworten versucht, die als klassisch gelten kann, da die Struktur seiner Antwort die einschlägigen Beiträge römischkatholischer Theologie bis heute bestimmt. „So wäre daher“, schreibt Görres, „auch die katholische Kirche in einen falschen, logischen Schluss der Art wirklich verstrickt, wenn sie sagte: Ich habe mich gesetzt, um durch mich die Schrift zu bewähren, und mich setzend, habe ich die Schrift gesetzt, um an ihr meine Gewähr zu finden. Da sie aber nur sagt: Gott hat mich gesetzt, und durch mich äußerlich die Schrift, in der Schrift aber innerlich mich; so schwebt dies Wechselzeugnis keineswegs grundlos im Leeren, in einem nichtigen hin und her Fristung suchend, sondern es ist auf dem höchsten und obersten Erkenntnißgrund fest begründet, und die Kirche drückt damit die principienhafte Natur ihres Wesens in treffendster
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Weise aus.“ (Görres, 69f.) Auf das Kanonproblem bezogen ist damit nach P. Lengsfeld Folgendes gesagt: „Gott ist es, der die Kirche gesetzt, und durch die Kirche setzt er äußerlich den Kanon, und in dem Kanon ist wieder das Zeugnis der Urkirche über die Kirche enthalten, im Kanon setzt Gott die Kirche.“ (Lengsfeld, 116) Die Prüfung der Stringenz dieser und strukturII. Vatikanisches Konzil: Dei analoger Argumentationen ist entscheidend für Verbum die Kanonfrage als Problem ökumenischer Theologie. Dabei muss insbesondere erörtert werden, ob die entwickelte Argumentation die Möglichkeit, sich gegebenenfalls traditions- bzw. amtskritisch auf den Inhalt des Kanons berufen zu können, eröffnet oder faktisch verschließt. Wie ist, um es im Blick auf die besonders zu berücksichtigenden Aussagen des II. Vatikanischen Konzils zum Thema zu formulieren, die nachdrückliche Bekundung des kirchlichen Lehramts, sich gänzlich der Autorität des kanonischen Schriftzeugnisses unterstellen zu wollen, zu verstehen, wenn die Prüfung, ob dem tatsächlich so ist, allein der kirchlichen (im gegebenenfalls „ex sese“ infallibel urteilenden Papstamt gipfelnden) kirchlichen Amtsautorität vorbehalten bleibt, wie es durch die These gefordert ist, die authentische Erklärung des kanonischen Schriftguts sei „nur dem lebendigen Lehramt der Kirche anvertraut“ (DV 10: „Munus autem authentice interpretandi verbum Dei scriptum vel traditum soli vivo Ecclesiae Magisterio concreditum est, cuius auctoritas in nomine Iesu Christi exercetur.“ [DH 4214]) Die antirömische Spitze der Schriftlehre der ReforDas reformatorische solamatoren ist eindeutig gegen die Annahme gerichscriptura-Prinzip tet, die Schrift bedürfe, um in ihrer autoritativen Geltung bestehen und wahrgenommen werden zu können, einer wie auch immer gearteten Ergänzung durch die Autorität kirchlicher Tradition bzw. kirchlichen Lehramtes. Der reformatorische Gehalt des sola-scriptura-Prinzips erschließt sich daher nur in Verbindung mit dem Gedanken der Autopistie und Selbstauslegung der Schrift. Er ist für Luther in Theorie und Praxis gleichermaßen grundlegend. Die Schrift, so die häufig variierte These, verbürgt und bewährt ihre Wahrheit selbst und steht kraft Vollmacht ihres Gehalts für ihre Autorität ein. Weder zu ihrer Beglaubigung noch zu ihrer Auslegung bedarf sie einer autoritativen Instanz außerhalb ihrer selbst. Auch die Gewissheit ihrer Inspiriertheit wird einzig durch die Schrift selbst vermittelt. Mit diesen Thesen grenzt sich Luther nicht nur gegen Rom, sondern ebenso gegenüber den Schwärmern ab: Beiden wird ein und derselbe Missbrauch attestiert, nämlich die Bindung der Schriftautoriät und der Überzeugungskraft ihres Inhalts an eine schriftexterne Instanz, sei es das kirchliche Lehramt, sei es die unmittelbare Geistbegabung Einzelner. Der Gedanke der Autopistie und SelbstausleAutopistie und Selbstauslegung der Schrift impliziert, dass diese in sich klar gung der Schrift bei Luther ist. Im Einzelnen entfaltet hat Luther seine Lehre von der „claritas scripturae“ vor allem in der Schrift „De servo arbitrio“ im Zusam-
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menhang seiner Auseinandersetzung mit Erasmus von Rotterdam. Dabei gesteht er Erasmus zu, dass viele Stellen in der Schrift dunkel und verworren seien; aber das hindere doch nicht an der klaren Erkenntnis ihres bestimmenden Inhalts. „Tolle Christum e scripturis, quid amplius in illis invenies? Res igitur in scripturis contentae omnes sunt proditae, licet quaedam loca adhuc verbis incognitis obscura sint.“ („Nimm Christus fort aus der Schrift, was wirst Du weiter in ihr finden? Die Dinge, welche in der Schrift verkündet sind, liegen also klar am Tage, mögen auch einige Stellen bisher um unbekannter Worte willen dunkel sein.“ [WA 18, 606, 29– 31; vgl. 653ff.; deutsche Übersetzung: K. Aland]) Im Folgenden differenziert Luther seine Auffassung, indem er zwischen „claritas externa“ und „claritas interna“ unterscheidet: Was die innere Klarheit der Schrift angehe, so werde allerdings „kein Mensch eines einzigen Buchstabens in der Schrift gewahr, wenn er nicht den Geist Gottes besitzt“ (Übersetzung K. Aland). Spreche man hingegen von der äußeren Klarheit, „so ist überhaupt nichts unklar oder zweifelhaft gelassen, sondern alles, was auch immer in der Schrift enthalten ist, ist durch das Wort in das gewisseste Licht gebracht und aller Welt dargelegt“ (WA 18, 609, 5–14: „Una externa in verbi ministerio posita, altera in cordis cognitione sita, Si de interna claritate dixeris, nullus homo unum iota in scripturis videt, nisi qui spiritum Dei habet, omnes habent obscuratum cor, ita, ut si etiam dicant et norint proferre omnia scripturae, nihil tamen horum sentiant aut vere cognoscant, neque credunt Deum, nec sese esse creaturas Dei, nec quicquam aliud, iuxta illud Psal. 13. Dixit insipiens in corde suo, Deus nihil est. Spiritus enim requiritur ad totam scripturam et ad quamlibet eius partem intelligendam. Si de externa dixeris, Nihil prorsus relictum est obscurum aut ambiguum, sed omnia sunt per verbum in lucem producta certissimam et declarata toto orbi quaecunque sunt in scripturis.“) Hinzuzufügen ist, dass das Zeugnis des Geistes, wenn überhaupt, so nur mittels der äußeren Klarheit der Schrift einleuchtet. Hinzuzufügen ist weiterhin, dass das Faktum innerer Unklarheit des Menschen angesichts faktischer äußerer Klarheit der Schrift nicht dem Geist zuzurechnen ist, der seine Wirklichkeit vorbehaltlos dem Schriftwort erschlossen und anheimgegeben hat, sondern allein dem in sich verschlossenen, selbstverkehrten Ungeist menschlicher Sünde, von welchem den Sünder zu erlösen Verheißung des Geistes ist. Es würde zu weit führen, die damit angedeuteten Zusammenhänge, die in engster Verbindung stehen mit dem Problem der rechten Verhältnisbestimmung von Buchstaben und Geist, Gesetz und Evangelium, im Detail zu entfalten. Zu betonen ist nur noch, dass Luthers Lehre von der „claritas scripturae“ die verpflichtende hermeneutische Regel einschließt, die Schrift nach ihrem Wortlaut und Literalsinn und dementsprechend anhand des jeweiligen hebräischen bzw. griechischen Urtextes auszulegen. Mit der Annahme der Autopistie der Schrift und ihres Vermögens, sich selbst auszulegen, steht für den Reformator fest, dass die Schrift einer zusätzlichen Beglaubigung oder Vervollständigung nicht bedarf. Kirche, kirchliche Tradition, kirchliches Lehramt verdanken sich, insofern sie ihre Bezeichnung verdienen, allein der in der Schrift evident und suffizient bezeugten Wahrheit, können hingegen
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in keiner Weise als schriftexterne Autoritäten fungieren. Luthers römische Gegner haben diese kritische Pointe seiner Schriftlehre alsbald erfasst und ihre Gegenkritik im Wesentlichen auf sie konzentriert: Von Silvester Prierias (ca. 1456–1523) über Johannes Eck (1486–1543), Ambrosius Catharinus, Kaspar Schatzgeyer, Hieronymus Emser, Johannes Cochlaeus, August von Alfeld bis zu Nicolaus Herborn, um nur einige weitere Kontroverstheologen der reformatorischen Frühzeit zu nennen, lautet der gegen Luther gerichtete Einwand stets: Bestreitung unfehlbarer Kirchenautorität zieht Irrlehre bezüglich der Unfehlbarkeit der Schriftautorität zwangsweise nach sich; wird die prinzipielle Infallibilität kirchlicher Entscheidungsinstanzen in Zweifel gezogen, fällt auch die verbindliche Geltung Hl. Schriften dahin; ohne die Autorität der Kirche kann es die Autorität der Bibel nicht geben; wird Gehorsam gegen die authentische Schriftauslegung kirchlichen Lehramts versagt, sind Bestand und Sinngehalt des Christentums in Auflösung begriffen und zurück bleibt nur eine in innerer Leere selbstbefangene Subjektivität. Calvin hat solche kritischen Verdikte zu Beginn Die Schriftlehre in Calvins seiner Schriftlehre, wie sie in der „Institutio Institutio Christianae Religionis“ entwickelt ist, aufgegriffen und in sachlicher Übereinstimmung mit Luther zu beantworten versucht: Es sei „leere Menschensatzung, wenn man sagt, die Vollmacht zur Beurteilung der Schrift liege bei der Kirche, so daß von ihrer Zustimmung die Gewißheit der Schrift abhinge. Denn wenn es zu solcher Anerkennung (durch die Kirche) kommt, so bedeutet das nicht, daß die Kirche die Schrift, als wäre sie zuvor zweifelhaft und strittig, erst glaubwürdig mache. Es geschieht doch im Gegenteil, weil die Kirche hier die Wahrheit ihres Gottes erkennt und ihr deshalb, wie es Pflicht der Frömmigkeit ist, unbedenklich Verehrung entgegen bringt!“ (Inst. I/7,2: „Vanissimum est igitur commentum, Scripturae iudicandae potestatem esse penes Ecclesiam: ut ab huius nutu illius certitudo pendere intelligatur. Quare dum illam recipit, ac suffragio suo obsignat, non ex dubia aut alioqui controversa authenticam reddit: sed quia veritatem esse agnoscit Dei sui, pro pietatis officio, nihil cunctando veneratur.“ Deutsche Übersetzung hier wie im Folgenden nach O. Weber.) Die Wahrheit der Schrift erweise sich „ganz von selbst“ (I/7,2: „Non enim obscuriorem veritatis suae sensum ultra Scriptura prae se fert, quam coloris sui res albae ac nigrae: saporis, suaves et amarae.“) und komme allen kirchlichen Autoritätsansprüchen zuvor, sie begründend oder in ihrer Grundlosigkeit erweisend. Zu Unrecht berufe man sich römischerseits auf das Wort Augustins, er würde dem Evangelium nicht Glauben schenken, wenn ihn die Autorität der Kirche nicht dazu bewegte; denn auch Augustin erkläre die Kirche lediglich zum Entdeckungszusammenhang der Schriftautorität, keineswegs indes zur Instanz ihrer Begründung (I/ 7,3). Diese ist nach Calvin sowohl allein als auch voll und ganz durch die Tatsache göttlicher Urheberschaft gegeben, von welcher das schriftinterne Zeugnis des Hl. Geistes überzeugt (I/7,4). Kraft des in ihr wirkenden Geistes trägt sonach die Schrift ihre Beglaubigung in sich selbst (I/7, 5). Mögen auch andere Beweisgründe der Schriftautorität angeführt werden – Calvin selbst nennt u.a. das hohe Alter der
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Schrift, die Erfüllung ihrer Weissagungen, ihre Macht der Durchsetzung, das Blutzeugnis der Märtyrer (I/8,1ff.) – entscheidend ist das Zeugnis des Geistes. Dabei ist zu beachten, dass Schriftwort und Geist unzertrennlich zusammengehören. Der Geist wirkt nicht außerhalb, sondern innerhalb der Schrift und mittels ihrer (I/9,3). In diesem Sinne hat die Schrift als Prüfmittel des Geistes und als Kriterium zur Unterscheidung der Geister zu gelten. Denn insofern die Schrift unveräußerliches Medium und effektives Wirkzeichen des Geistes ist, wird dessen Wirklichkeit und Wahrheit nicht anders denn durch Übereinstimmung mit der Schrift erkannt (I/9,2). Amt des Geistes ist es demnach auch nicht, „neue und unerhörte Offenbarungen zu erdichten oder eine neue Lehre aufzubringen, durch die wir von der überlieferten Lehre des Evangeliums abkommen müssten, sondern sein Amt ist eben, die Lehre in uns zu versiegeln, die uns im Evangelium ans Herz gelegt wird“. (I/9,1: „Non ergo promissi nobis Spiritus officium est, novas et inauditas revelationes confingere, aut novum doctrinae genus producere, quo a recepta Evangelii doctrina abducamur, sed illam ipsam, quae per Evangelium commendatur, doctrinam mentibus nostris obsignare.“) Zwischen Geist und Schriftwort findet sonach eine wechselseitige, unauflösliche Verknüpfung statt: „So kommt es einerseits erst dann in unserem Herzen zu einer festen Bindung an das Wort, wenn der Geist uns entgegenstrahlt, der uns darin Gottes Antlitz schauen lässt. Und andererseits empfangen wir den Geist ohne alle Furcht vor Täuschung, wenn wir ihn an seinem Bilde, an dem Wort wiedererkennen.“ (I 9,3: „Mutuo enim quodam nexu Dominus verbi Spiritusque sui certitudinem inter se copulavit: ut solida verbi religio animis nostris insidat, ubi affulget Spiritus qui nos illic Dei faciem contemplari faciat: ut vicissim nullo hallucinationis timore Spiritum amplexemur, ubi illum in sua imagine, hoc est in verbo, recognoscimus. Ita est sane.“) Wie Luther wendet Calvin die solchermaßen perichoretisch verfasste Zweieinigkeit von Schriftwort und Geist nicht nur gegen die Schwärmer, sondern ebenso gegen Rom: Eine auf besondere Geistbegabung zurückzuführende Personal- oder Amtsautorität außerhalb der Schriftautorität wird schlechterdings geleugnet. Wie die Autorität eines Mose, der alttestamentlichen Priester und Propheten und schließlich der Apostel des Neuen Testaments (IV/8,1ff.), so sei auch die Autorität der Kirche und des kirchlichen Amtes, sofern sie denn rechtens bestehe, im Schriftwort „gleichsam ... eingeschlossen“ (IV /8,4: „Non est igitur Ecclesiae potestas infinita, sed subiecta verbo Domini, et in eo quasi inclusa.“). Die Autorität der Schrift und ihrer Amtsträger wird in allem der des Schriftworts unterstellt und der Überprüfung an diesem freigegeben. Damit wird nicht nur die Möglichkeit der Kirche bestritten, „einen neuen Glaubenssatz (novum aliquod dogma) zu schmieden“ (IV/8,9), sondern es wird auch – und das verdient besondere Beachtung – für unmöglich erklärt, dass ein einziges Glied oder eine Gruppe von Gliedern der Kirche von Amts oder Person wegen autoritativ beanspruchen können, exklusiv und definitiv über die Rechtmäßigkeit des Glaubens zu befinden. Die Bestimmung, dass es Kirche nur innerhalb der Grenzen des reinen Schriftwortes gibt, schließt solchen Monopolanspruch nach Calvins Verständnis
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grundsätzlich aus. Die Folge ist zwar nicht die Statuierung eines Fallibilitätsdogmas, wohl aber die konsequente Bestreitung der Unfehlbarkeit (IV /8,12) und Unwidersprechlichkeit (IV /8,15) kirchlicher Lehrentscheide. Neben dem Willen, die Lehre von Autopistie und Selbstauslegung der Hl. Schrift zu bekräftigen, ist das Interesse der Reformatoren an einer quantitativen Definition des Kanons zweitrangig. Die qualitativ-inhaltliche Mitte dessen, was die überkommenen und seit alters in kirchlichem Gebrauch befindlichen Schriften verkünden, hielt man für so einleuchtend und überzeugungsmächtig, dass für eine genaue numerische Festlegung und exakte kanonische Auflistung der einzelnen Schriften Alten und Neuen Testaments wenig religiös-theologisches Bedürfnis bestand. War das Zentrum nur gewiss, konnten die Ränder getrost offenbleiben. So enthalten die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, wie sie im Konkordienbuch von 1580 vorliegen, bezeichnenderweise keinen Artikel, in dem die Schriftlehre lehrmäßig entfaltet wäre. Zwar betont bereits die Vorrede der Confessio Augustana, dass das Bekenntnis des Glaubens „aus Grund gottlicher heiligen Schrift“ („ex scripturis sanctis et puro verbo Dei“; BSLK 45,33 bzw. 25f.) vorgetragen werde, und das Schlusswort des ersten Teils hebt erneut die Verpflichtung „dem reinen gottlichen Wort“ gegenüber und die Heilige Schrift als einigen Grund aller Lehre hervor (BSLK 83c, 16–83d, 1). Entsprechend endet der „Beschluss“ des Ganzen mit dem Hinweis: „Und ob jemands befinden wurde, der daran Mangel hätt, dem ist man fernern Bericht mit Grund gottlicher heiliger Geschrift zu tun urpietig.“ („Si quid in hac confessione desiderabitur, parati sumus latiorem informationem, Deo volente, iuxta scripturas exhibere.“ [BSLK 134,35– 135,3]) Das Zeugnis der Schrift wird also zweifelsfrei zum Kriterium des Bekenntnisses erklärt (vgl. auch BSLK 421,23–25). Gleichwohl wird die Schriftautorität zunächst nicht Gegenstand eines besonderen Lehrstücks. Unter den Bekenntnisschriften der lutherischen Der summarische Begriff der Reformation schickt erst die Konkordienformel Formula Concordiae von von 1577 ihren Artikeln einen „summarischen 1577 Begriff, Regel und Richtschnur“ voraus, „nach welcher alle Lehr geurteilet und die eingefallene Irrungen christlich erkläret und entscheiden werden sollen“ (BSLK 767,10–13; vgl. auch BSLK 833,4–8). Darin wird bekannt, „daß die einige Regel und Richtschnur … seind allein die prophetischen und apostolischen Schriften Alten und Neuen Testamentes ...“ (BSLK 767,14–19). „Andere Schriften aber der alten oder neuen Lehrer, wie sie Namen haben, sollen der Heiligen Schrift nicht gleich gehalten, sondern alle zumal miteinander derselben unterworfen und anders oder weiter nicht angenommen werden, dann als Zeugen, welchergestalt nach der Apostel Zeit und an welchen Orten solche Lehre der Propheten und Apostel erhalten worden“ (BSLK 767,25– 768,7). Bemerkenswert ist indes, dass eine kirchliche Kanondefinition im Unterschied zum Tridentinum nicht vorgenommen wird; bemerkenswert ist weiterhin, dass man keine Lehre von der Schrift im Sinne eines theologischen Erkenntnisprinzips vorträgt. Noch die Dogmatik der altprotestantischen Orthodoxie hat
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übrigens, wenngleich sie die Schrift in ihren Prolegomena als „principium cognoscendi“ der Theologie bestimmte, durch deren nochmalige Behandlung in der Lehre von den „media salutis“ ein bleibend soteriologisches Verständnis der Schrift dokumentiert. Was Luther betrifft, so ergibt sich zweifelsfrei, dass nach seiner Auffassung nicht buchstabengläubiger Biblizismus und doktrinärer Fundamentalismus den Sinngehalt Hl. Schrift zu erfassen vermögen, sondern nur die „fides iustificans“, welche sich auf die im Evangelium gegebene „promissio“ des Heils verlässt. Insofern kommt dem Gedanken der Rechtfertigung des Sünders aus Gnade um Christi willen durch Glauben in der Tat eine hermeneutische Leitstellung im Zusammenhang lutherischen Schriftverständnisses zu. Allerdings fungiert der Rechtfertigungsgedanke dabei nicht – wie es die später üblich gewordene Unterscheidung von Material- und Formalprinzip nahelegt – als axiomatisches Selektionskriterium (wie der Rechtfertigungsgedanke in seiner lehrhaften Gestalt bei Luther ja auch nicht unmittelbarer Gegenstand des Heilsglaubens ist), sondern eher im Sinne einer organisierenden und regulativen Idee. Er ist entsprechend stets hingeordnet auf den konkreten Vollzug der Zusage des in Hl. Schrift urbezeugten Evangeliums Jesu Christi durch Predigtwort und Sakrament, von welchem er sich selbst herleitet. Es bewährt sich auch hier der Grundsatz, der nicht oft genug wiederholt werden kann: Die rechte Predigt und die stiftungsgemäße Verwaltung der Sakramente dadurch zu gewährleisten, dass er beide, Predigtwort und Sakramentsgeschehen, zu Medien der unbedingten und vorbehaltlosen göttlichen Gnade bestimmt, wie sie in Jesus Christus offenbar und in der Hl. Schrift beurkundet ist, dies ist die theologische Funktion des Rechtfertigungsgedankens, in welcher er seinem theologischen Gehalt entspricht. In diesem und keinem anderen Sinn hat Luther als „doctor in bibliis“ von ihm Gebrauch gemacht; und so gesehen ist die Rechtfertigungslehre dann allerdings Mitte und Grenze der Schrift, Kanon im Kanon. Am Beispiel der Bibelvorreden Luthers sei dies in Kürze exemplarisch belegt: Festzuhalten ist zunächst, dass Luther mit dem Gedanken an die Hl. Schrift die Vorstellung eines bestimmten quantifizierbaren Ganzen durchaus verband und keineswegs für eine schlechthinnige Offenheit des Kanons eintrat, vielmehr die kodifizierte Gestalt der Bibel erhalten wissen wollte, selbst wenn er bei Gelegenheit die Meinung äußern konnte, er halte die „Loci communes“ seines Freundes Philipp Melanchthon für kanonwürdig („canone quoque Ecclesiastico dignum“; WA 18,601,6). Dabei setzte er die zeitliche Nähe zum ursprünglichen Offenbarungsereignis, auf welchem das Christentum gründet, als Kriterium für die Kanonizität jedenfalls der neutestamentlichen Schriften selbstverständlich voraus, wie ihm im Übrigen die historische Wahrheit der gesamten biblischen Geschichte im Wesentlichen außer Zweifel stand. Wie aber die Vollendung der Offenbarung, welche die grundsätzliche Abgeschlossenheit des Bibelkanons bedingt, deren Wirklichkeit, ohne ihre geschichtliche Verfassung abzustreifen, keineswegs zu einer bloßen Vergangenheitsgestalt herabsetzt, vielmehr in ihrer gegenwärtigen Wirkmacht und zukunftserschließenden Kraft erweist, so ist historische Ursprungsnähe zur perfek-
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ten Offenbarung zwar ein unentbehrliches, keineswegs aber ein zureichendes Charakteristikum der Kanonizität biblischer Schriften. Kanonizität und historische Ursprungsnähe sind Die Kanonizität des Kanons für Luther mithin nicht identisch. Wahrhaft kanonischen Rang erhält die biblische Geschichte vielmehr erst, wenn sie die „fides historica“ zum Fiduzialglauben führt, und das Gesetz – auch und gerade das Vergänglichkeitsgesetz der Historie – in das Evangelium aufhebt, welches unvergängliches Heil und Leben demjenigen verheißt, der in der Kraft des göttlichen Geistes dem auferstandenen Gekreuzigten vertraut. Von daher ergeben sich, wenngleich die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium nicht mit der von Altem und Neuem Testament gleichgesetzt werden darf, nicht nur wesentliche Unterschiede zwischen den beiden Testamenten, sondern zugleich Maßstäbe, um über den kanonischen Rang der Urkunden des Neuen Bundes in Affirmation und Kritik sachgemäß zu befinden. Luthers Vorrede zum Neuen Testament (vgl. WA DB 6, 2ff.) von 1522 gibt hierzu entsprechende Anleitungen: „Darumb sihe nu drauff“, ermahnt Luther den Bibelleser, „das du nit aus Christo eyn Mosen machist, noch aus dem Euangelio eyn gesetz oder lere buch, wie bis her geschehen ist, und ettlich vorrhede auch Sanct Hieronymi sich horen lassen, Denn das Euangeli foddert eygentlich nicht unser werck, das wyr da mit frum und selig werden, ja es verdampt solche werck, sondern es foddert nur glawben an Christo, das der selb fur uns, sund, tod und helle uberwunden hat, und also uns nicht durch unsere werck, sondern durch seyne eygen werck sterben und leyden, frum lebendig und selig macht, das wyr uns seynes sterbens und uberwyndens mugen annehmen, als hetten wyrs selber than. Das aber Christus ym Euangelio, datzu Petrus unnd Paulus viel gesetz und lere geben, und das gesetze auß legen, soll man gleych rechnen allen andern wercken und wolthatten Christi, Und gleych wie seyne werck und geschichte wissen, ist noch nit das rechte Euangelion wissen, denn damit weystu noch nicht, das er die sund todt und teuffel uberwunden hat, also ist auch das noch nicht das Euangelion wissen, wenn du solche lere und gepott weyssist, sondern wenn die stymme kompt, die da sagt, Christus sey deyn eygen mit leben, leren, wercken, sterben, aufferstehen unnd alles was er ist, hat, thutt und vermag.“ (WA DB 6,8,3–19) Auf dieser Grundlage vermag Luther schließlich auch die Frage zu beantworten, welches die rechten und edelsten Bücher des Neuen Testaments sind (WA DB 6,10,9ff., hier: 10–19). „Denn nemlich ist Johannis Euangelion unnd Sanct Paulus Epistelln, sonderlich die zu den Romern, und sanct Peters erste Epistel der rechte kern und marck unter allen buchern, wilche auch billich die ersten seyn sollten, Und eym iglichen Christen zu ratten were, das er die selben am ersten und aller meysten lese, und yhm durch teglich leßen so gemeyn mechte, als das teglich brott, Denn ynn disen findistu nicht viel werck unnd wunderthatten Christi beschrieben, Du findist aber gar meysterlich außgestrichen, wie der glawbe an Christum, sund, tod und helle uberwindet, und das leben, gerechtigkeyt unnd seligkeyt gibt, wilchs die rechte artt ist des Euangeli, wie du gehoret hast.“ An späterer Stelle hebt
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Luther noch den Galater-, Epheser und den ersten Johannesbrief eigens hervor; den Jakobusbrief hingegen erklärt er zu einer vergleichsweise „stroern Epistel ... denn sie doch keyn Euangelisch art an yhr hat“ (WA DB 6,10,33f.). In den Vorrede zu einigen anderen neutestamentlichen Schriften finden sich ähnlich kritische Urteile. Dass Luther neben dem Jakobus- auch dem Hebräer- und Judasbrief sowie der Apokalypse den vollen kanonischen Rang aberkannte, geht bereits aus dem Inhaltsverzeichnis des Septembertestaments hervor, wo Luther die vier Schriften – von den übrigen, wie er sagt: rechten gewissen Hauptbüchern durch eine leere Zeile getrennt – unbeziffert ans Ende der Bibel stellt (vgl. WA DB 6,12). Obwohl sich bei Calvin vergleichbar kritische Äußerungen über neutestamentliche Texte nicht finden lassen und eine Tendenz unübersehbar ist, den Glauben zum Gehorsam gegenüber dem gesamten, in allen seinen Teilen autoritativen Schriftwort zu verpflichten, so wird man doch sagen müssen, dass eine undifferenzierte Gleichsetzung des Wortes Gottes mit einem gegebenen Corpus Hl. Schriften auch ihm fremd ist. Dies wird durch die Tatsache bestätigt, dass Calvins Interesse an einer definitiven Bestimmung von Umfang und Grenzen der Bibel ähnlich gering ist wie bei Luther. „Heilige Schrift und Wort Gottes erweisen primär von ihrem Inhalt her ihre Kraft und göttliche Autorität. Die Abgrenzung des Kanons ist von sekundärer Bedeutung ... Wenn Calvin in der Institutio einmal den Begriff ‚Kanon‘ gebraucht (IV/9,14), so geschieht es eher beiläufig und weil die römische Kirche zum Beleg ihrer Vollmacht auf die Kanonentscheidung verweist. In den übrigen Schriften kommt das Wort ebenfalls nicht vor und verlangt keine besondere Aufmerksamkeit.“ (Neuser, 319) Noch in Calvins Entwurf des Hugenottenbekenntnisses sucht man deshalb eine Kanonliste Reformatorische Kanonlisten vergeblich. Dass die von der ersten französischen Nationalsynode 1559 verabschiedete hugenottische Confession de Joy, auch Confessio Gallicana und später Confessio de La Rochelle genannt, dann doch in Abweichung von der ansonsten weitgehend übernommenen Vorlage Calvins und als erstes reformiertes Bekenntnis überhaupt eine Liste der kanonischen Bücher enthält, ist zunächst nichts anderes als eine Reaktion auf den Kanonentscheid des Konzils von Trient, durch den man sich zu einer expliziten Stellungnahme gezwungen glaubte. In der Folge dessen kommt es dann allerdings auch zu wesentlichen theologischen Akzentverschiebungen. Im Unterschied zu Calvin wird nun das innere Zeugnis des Geistes nicht mehr nur auf den Sinngehalt des Schriftwortes, sondern zugleich auf den Kanonentscheid selbst, auf die Unterscheidung biblischer und außerbiblischer bzw. apokrypher Bücher bezogen. Der getroffene Kanonunterscheid, so befindet der 4. Artikel der Confession de Foy, sei „nicht so sehr (non tant) ... durch die allgemeine Übereinkunft und Übereinstimmung der Kirche, als (que) durch das Zeugnis und die inwendige Überzeugung des Heiligen Geistes“ erfolgt, „der sie (sc. die kanonischen Bücher) uns von den andern kirchlichen Büchern unterscheiden lässt, auf die man, wenn sie schon nützlich sind, keinen Glaubensartikel gründen kann.“
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Vergleicht man die solchermaßen auf das „testimonium Spiritus Sancti internum“ zurückgeführte Kanonliste des Hugenottenbekenntnisses mit derjenigen des Konzils von Trient, so fällt sogleich die vollständige Ausgrenzung der sog. alttestamentlichen Apokryphen auf. Kontroverstheologisch ungleich bedeutsamer aber als dieses Problem, in Bezug auf das es bekanntlich auch zwischen Genfer und Wittenberger Reformation Unterschiede zu verzeichnen gibt (vgl. Neuser; Volz), war eine andere Differenz: der wachsende Gegensatz zwischen einem römischerseits zum Prinzip formaler Amtsautorität zugesteigerten Traditionsprinzip und einer tendenziellen Formalisierung des Schriftprinzips auf seiten der Reformationskirchen in Reaktion hierauf. In Anbetracht dieser Alternative zeichnen sich im gegenwärtigen ökumenischen Dialog zu Kanon und Schriftverständnis bemerkenswerte Übereinstimmungen ab. Evangelische Theologie leugnet nicht, dass Kanon und Kirche zusammengehören und die Bibel in bestimmter Weise selbst eine Traditionsgestalt ist, die auf Überlieferung und aktuelle Auslegung im kirchlichen Zeugnis hin angelegt ist. Katholische Theologie vertritt in der Regel nicht mehr die Behauptung, der Trienter Grundsatz (vgl. DH 1501), das eine Evangelium sei in geschriebenen Büchern und ungeschriebenen Überlieferungen enthalten, die man beide gleichermaßen („pari pietatis affectu ac reverentia“) zu verehren habe, müssen in dem Sinne verstanden werden, als bedürfe die in der Schrift gegebene Tradition („traditio scripta“) einer materialen Ergänzung durch kirchliche Zusatztraditionen. Als entscheidendes ökumenisches Problem verbleibt zusammen mit der Begründung des Kanons bzw. der Gewissheit seiner Kanonizität die Frage, wie im kirchlichen Überlieferungsprozess das Zeugnis der Hl. Schrift als kanonisches Kriterium seiner Rechtmäßigkeit angemessen zur Geltung zu bringen ist. Das wird neben dem dreibändigen Werk des Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen zu „Verbindliches Zeugnis“ (Freiburg i.Br./Göttingen 1992/95/98), welches das fortgeschrittenste Stadium bilateraler Verständigungen in der Thematik von Kanon – Schrift – Tradition, Schriftauslegung – Lehramt – Rezeption sowie Schriftverständnis und Schriftgebrauch dokumentiert, unter anderem durch die Erörterungen bestätigt, die im jüngsten Text der Bilateralen Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz und der Kirchenleitung der VELKD zu den Erkenntnis- und Bezeugungsinstanzen evangelischer Wahrheit und ihrem Zusammenwirken vorgetragen wurden. „Die Tradition“, so heißt es dort, „bewahrt den lebendigen Umgang der Glaubensgemeinschaft mit dem Wort Gottes in der Vergangenheit für die Gegenwart und Zukunft. Als Auslegung des Wortes Gottes steht sie unter der Norm der Schrift, muß jedoch auch zur Kirche heute in Beziehung gebracht werden: zu ihrem Lehramt, zu ihrer Theologie und zum Glaubenssinn der heutigen Glaubenden.“ (CS 72) Wie sich das Zusammenwirken der drei letztgeLoci theologici nannten Erkenntnis- und Bezeugungsinstanzen im Kontext einer der Hl. Schrift konformen Überlieferungsgeschichte zu vollziehen hat und wie es institutionell und verfahrensmäßig zu strukturieren ist – an dieser Frage scheiden sich möglicherweise nicht
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mehr, aber unterscheiden sich nach wie vor nicht unerheblich die Geister: Während nach katholischer Theorie und Praxis das oberste authentische Lehramt den Bischöfen und dem Papst anvertraut ist, welche das Recht und die Pflicht haben, die von ihnen festgestellte Lehre mit Autorität und gegebenenfalls infallibel zu verkündigen, wofür ihnen seitens der Gläubigen, wie es unter Berufung auf LG 25 heißt „religiös gegründeter Gehorsam“ (CS 65) gebührt, ist nach evangelisch-lutherischer Auffassung das Bleiben der Kirche als ganzer in der Wahrheit, welches von beiden Seiten mit Gewissheit angenommen wird, nicht durch eine unter Umständen qua Amtsautorität irrtumslos urteilende Instanz und ein entsprechendes Rechtsverfahren zu gewährleisten, sondern nur durch das – einen Sachkonsens intendierende – Zusammenwirken grundsätzlich mehrerer Verantwortungsträger. Institutionell ist dieser Prozess zwar unterschiedlich, doch stets unter Wahrung der Gnadenstandsparität von Ordinierten und Nichtordinierten, der wesentlichen Einheit der Gliederungsformen des ordinationsgebundenen Amtes sowie unter Ausschluss des Anspruchs auf Alleinzuständigkeit in Glaubensangelegenheiten verfasst. Nicht zuletzt die nach wie vor virulente Kontroverse um die päpstliche Stellung und Kompetenz des Bischofs von Rom hat in diesem Kontext ihren systematischen Ort.
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Lit.: A. Brandenburg/H.J. Urban (Hg.), Petrus und Papst. Evangelium – Einheit der Kirche – Papstdienst, 2 Bde., Münster 1977/78. – R.E. Brown u.a. (Hg.), Peter in the New Testament. A Collaborative Assessment by Protestant and Roman Catholic Scholars, Augsburg/ Minneapolis 1973; dtsch. Der Petrus der Bibel. Eine ökumenische Untersuchung, Stuttgart 1976. – Bilaterale Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz und der Kirchenleitung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, Communio Sanctorum. Die Kirche als Gemeinschaft der Heiligen, Paderborn/Frankfurt a.M. 2000 (= CS). – O. Cullmann, Petrus. Jünger – Apostel – Märtyrer. Das historische und das theologische Petrusproblem, Zürich 1952. – Th. Klauser, Die römische Petrustradition im Lichte der neuen Ausgrabungen unter der Peterskirche, Köln/Opladen 1956. – W. Klausnitzer, Der Primat des Bischofs von Rom. Entwicklung – Dogma – Ökumenische Zukunft, Freiburg i.Br. 2004. – K. Lehmann (Hg.), Das Petrusamt. Geschichtliche Stationen seines Verständnisses und gegenwärtige Positionen, München/Zürich 1982. – H. Lietzmann, Petrus und Paulus in Rom. Liturgische und archäologische Studien, Berlin/Leipzig 21927. – F. Mußner, Petrus und Paulus – Pole der Einheit. Eine Hilfe für die Kirchen, Freiburg/Basel/Wien 1976. – W. Pannenberg, Systematische Theologie. Bd. III, Göttingen 1993. – K. Schatz, Vaticanum I (1869–1870), Bd. III: Unfehlbarkeitsdiskussion und Rezeption, Paderborn/München/ Wien/Zürich 1994. – A. Wechsler, Geschichtsbild und Apostelstreit. Eine forschungsgeschichtliche und exegetische Studie über den antiochenischen Zwischenfall (Gal 2,11–14), Berlin/New York 1991.
Während katholische Theologen den Dienst des Petrus in der Kirche in der Regel verhältnismäßig umstandslos mit dem päpstlichen Amt des Bischofs von Rom in Verbindung bringen, muss evangelische Theologie in dieser Beziehung aus nahe liegenden Gründen (vgl. III,7) an Differenzierungen gelegen sein. Zum Zwecke solcher Differenzierung sei eingangs eine exegetische Skizze zur Geschichte der neutestamentlichen Petrustradition gegeben und gefragt, ob und gegebenenfalls welche dogmatischen Lehren sich hieraus in amtstheologischer Hinsicht im Allgemeinen und im Hinblick auf ein eventuelles Amt universalkirchlichen Einheitsdienstes im Besonderen gewinnen lassen. Diese Frage wird vor allem auf das Problem der petrinischen Autorität und der spezifischen Kompetenz zu konzentrieren sein, die Kephas im Urchristentum zuerkannt wurde. Hatte der „Felsenmann“ persönliche Vollmacht zu einem definitiven Votum in kirchlichen Streitsachen, oder unterlag er unbeschadet seiner Sonderstellung inhaltlicher Kritik? Eine kurze Erörterung des antiochenischen Apostelstreits soll hierauf Antwort geben. Sodann ist zu prüfen, was man unter Nachfolge Petri zu verstehen hat und Die neutestamentliche Petrustradition
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was nicht. Erst daraufhin wird in die eigentlich systematisch-theologische Debatte um das Papstamt eingetreten, wobei sich die Aufmerksamkeit ausschließlich auf die dogmatische Konstitution „Pastor Aeternus“ des I. Vatikanischen Konzils (DH 3050–3075) und ihre Lehre von Infallibiltät und universalkirchlichem Jurisdiktionsprimat des Papstes richtet. Der Jesusjünger Symeon bzw. Simon, der den Beinamen Kephas, Petros/us, Felsenmann trägt, stammte als Sohn eines gewissen Jona und Bruder des Andreas aus dem am Ostufer des Jordan nahe dessen Einmündung in den See Genezareth gelegenen jüdischen Stadt Bethsaida, wo er als Jude ohne spezifische theologische Ausbildung in einem heidnischen, von griechischer Kultur geprägten Umfeld aufwuchs. Später war der verheiratete Fischer in Kaphernaum ansässig. Bevor er sich Jesus anschloss, mag er zum engeren oder weiteren Kreis der Jünger Johannes des Täufers gehört haben, worauf Joh 1,35ff. hindeutet. Die Stellung des Simon Petrus innerhalb des Jüngerkreises Jesu ist nach dem Zeugnis der synoptischen Evangelien unzweifelhaft eine besondere gewesen. Dass die zahlreichen Belegstellen allesamt als Rückprojektionen der Führungsposition zu beurteilen sind, die der Erstgenannte aller Jüngerlisten (vgl. Mk 3,16; Mt 10,2; Lk 6,14; Apg 1,13) im Urchristentum nach Jesu Kreuzestod innehatte, ist eher unwahrscheinlich. Gänzlich ausschließen lässt sich die Bildung von „vaticinia ex eventu“ innerhalb der neutestamentlichen Petrustradition allerdings nicht. Es bleiben demnach historische Unsicherheiten, die nicht zuletzt Simons Ehrennamen Kephas betreffen, der nach übereinstimmendem Zeugnis der Evangelien auf den irdischen Jesus zurückgeht, nach Meinung einiger Exegeten indes erst aus nachösterlicher Zeit stammt. Unstrittig ist, dass Simon Petrus in der ersten Zeit nach Jesu Kreuzestod und Auferstehung die Jerusalemer Urgemeinde leitete, wobei er – anders als sein Nachfolger, der Herrenbruder Jakobus – eine vermittelnde, auf Integration bedachte Stellung zwischen Judaisten und Hellenisten eingenommen zu haben scheint. Nachdem in Jerusalem Jakobus seine Nachfolge angetreten hatte, übernahm Petrus im Dienste der Urgemeinde die Leitung der judenchristlichen Mission, um seinen apostolischen Auftrag von nun an auf diese Weise zu erfüllen. Eine hervorgehobene Autoritätsstellung hatte er offenkundig nicht nur als Jerusalemer Gemeindeleiter, sondern auch als judenchristlicher Missionar außerhalb Jerusalems inne. Über die theologischen Anschauungen des Apostels lässt sich mangels schriftlicher Hinterlassenschaften nichts Detailliertes ausmachen. Gleichwohl wird man annehmen dürfen, dass er als Erstzeuge der Auferstehung nicht unerheblich zur christologischen Wahrnehmung und Explikation der Bedeutung des Lebens und namentlich des Sterbens Jesu beigetragen hat. Dabei besteht begründeter Anlass zu der Vermutung, dass Petrus sowohl in Bezug auf das Verständnis des Kreuzestodes als auch in Bezug auf die universalistische, die durch die Tora gesetzten Grenzen aufhebende Sendung österlich-pfingstlichen Christentums in keinem grundsätzlichen Gegensatz zu Paulus stand. Ob Petrus sich gegen Ende seines Lebens in Rom aufgehalten und dort zur Zeit der neronischen Verfolgung das Martyrium erlitten hat, ist in der Forschung noto-
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risch strittig. Die Paulusbriefe als die ältesten christlichen Schriften enthalten weder direkte noch indirekte Angaben über einen römischen Aufenthalt des Petrus. Auch der Apostelgeschichte lassen sich keine Angaben entnehmen. Die übrigen neutestamentlichen Texte erweisen sich ebenfalls als unergiebig. Bezeugt ist nur das Martyrium Petri (vgl. Joh 21,18f.), nicht aber dessen Ort. Auch 1. Petr 5,13 gibt diesbezüglich keinen sicheren Anhalt. Am ehesten kommt als Zeuge für das römische Martyrium Petri neben dem Brief des Ignatius von Antiochien an die Römer (4,3) das 5. Kapitel des 1. Clemensbriefes in Betracht. Doch verbleiben auch hier, wie die kontroverse Forschungslage beweist, Probleme, weil nicht explizit gesagt ist, Petrus sei in Rom gewesen. Eine solche Aussage lässt sich allenfalls indirekt erschließen. Auch liturgische Quellen, die den Vatikan bzw. römische Katakomben mit dem Andenken Petri verbinden, sowie die Ausgrabungen unter St. Peter erbringen keinen definitiven Beweis. Fest steht lediglich, „daß um das Jahr 200 in Rom nicht nur das Martyrium des Petrus und des Paulus in dieser Stadt allgemein angenommen wurde, sondern daß man dort auch die Stätten zeigte, die als ihr Hinrichtungsort und vielleicht schon als ihre Gräber angesehen wurden“ (Cullmann, 133). Auch wenn manches für den historischen Gehalt dieser Tradition spricht, so lässt sie sich doch allenfalls wahrscheinlich machen, nicht aber zweifelsfrei verifizieren. Ohnehin wird man zu fragen haben, ob es dogmatisch darauf überhaupt ankommt oder ob nicht Luther recht zu geben ist, wenn er im Zusammenhang einer bemerkenswert unprätentiösen Schilderung der Peter und Paul betreffenden römischen Sachlage zu dem Schluss kommt: „Das thut nichts zur sachen.“ (Wider das Papsthum vomTeufel gestiftet, 1545, hier: WA 54, 254, 31.) So bedeutsam die Frage der Todes- und Begräbnisstätte Petri unter dem Gesichtspunkt des Interesses ätiologischer Autoritätslegitimation auch sein mag, inhaltlich weitaus relevanter ist die Beurteilung der Sonderstellung, welche Simon Petrus im Urchristentum bei den Synoptikern, bei Johannes, in der Apostelgeschichte und in Teilen der neutestamentlichen Briefliteratur einnimmt. Der urchristliche Status des Kephas ist sicherlich nicht nur eine historische Reminiszenz an seine Sprecherfunktion im Jüngerkreis des irdischen Jesus. So zeigt eine redaktionsgeschichtliche Untersuchung, dass das Interesse an Petrus in der Zeit nach seinem Tode nicht nur erhalten blieb, sondern erhebliche Steigerungen erfuhr. Bereits Matthäus und Lukas heben die Stellung des Kephas stärker hervor als vor ihnen Markus; dieser Trend setzt sich im Johannesevangelium fort, was vor allem in der Übertragung des Hirtenamtes an Petrus in Joh 21,15ff. zum Ausdruck kommt. Der wesentliche Grund für die Aufwertung des Petrus und seines Dienstes in der Urkirche dürfte in der Tatsache zu suchen sein, dass man in ihm in dreifacher Hinsicht einen Gewährsmann authentischer Evangeliumsverkündigung erblickte: Als Jünger des irdischen Jesus war Petrus zum ersten verlässlicher Repräsentant konkreten Traditionswissens, das durch Überlieferungskontinuen bewahrt werden musste, um doketische Aushöhlungen des Christuskerygmas zu vermeiden. Als Petrus und Rom
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Ursprungszeuge der Auferstehung galt er zum zweiten als Exempel der Gewissheit, dass der erinnerte Jesus vermöge seiner Auferstehung in der Kraft des göttlichen Geistes selbst als lebendiges Subjekt seines Gedächtnisses fungiert. Schließlich war Petrus zum dritten durch besondere Berufung zum Amt öffentlicher Evangeliumsverkündigung bestellt. Wegen dieser dreifach-einen Funktion konnte er aus guten Gründen als exemplarischer Inbegriff des Apostels und repräsentative Gestalt der Apostolizität der Kirche gelten. Ist mit diesem Geltungsanspruch eine autoritative Vorrangstellung innerhalb der Gesamtkirche bzw. ein apostolischer Primat behauptet? Das Verhältnis zwischen Petrus und Paulus soll den Ansatz einer Beantwortung dieser Frage liefern. Man hat gelegentlich vermutet, die konstatierte Aufwertung des Petrus verdanke sich dem In- Peter und Paul teresse bestimmter urchristlicher Kreise, diesen als eine Konkurrenzgestalt zu Paulus aufzubauen und ein petrinisches gegen ein paulinisches Kerygma auszuspielen. Mag dieses Interesse in Einzelfällen wirksam gewesen sein: Im Hinblick auf das neutestamentliche Gesamtzeugnis erweist es sich nicht nur als marginal, sondern als gänzlich vernachlässigbare Größe. Denn Tatsache ist nicht nur, „daß die Urkirche Paulus und seine Briefe rezipiert hat“ (Mußner, 74); Tatsache ist auch, wie namentlich aus der Apostelgeschichte und dem 1. Petrusbrief hervorgeht, dass Petrus von ihr eindeutig zum „Pauliner“ erklärt wurde. Zum Beleg sei lediglich auf Apg 9,32–11,18 verwiesen, wo Petrus sich in Form einer zweiten Bekehrung vom strengen judaistisch denkenden Judenchristen zum Verkündiger gesetzesfreien Evangeliums und zum Verteidiger vorbehaltloser Tischgemeinschaft mit den Heidenchristen wandelt. „Von der Redaktionsebene, d.h. der Abfassungszeit der Apg um das Jahr 80 (oder auch noch später) her gesehen, bedeutet dies: Petrus ... vertritt paulinische Theologie!“ (Mußner, 36) Auch der 1. Petrusbrief „läßt Petrus, ähnlich wie Lk in der Apg, die paulinische Heilslehre vertreten“ (Mußner, 54; bei M. kursiv). Summa summarum: „Theologisch gesehen, hat Paulus in der Urkirche gesiegt.“ (Mußner, 121; bei M. kursiv) Was lässt sich daraus folgern? Ich will es etwas zugespitzt und provokativ formulieren: In erster Linie zählt der Inhalt, erst in zweiter Linie die persönliche Autorität Einzelner. Mit Gal 2,6 zu reden: Gott schaut nicht auf die Person, er achtet nicht auf das äußere Ansehen des Menschen, was vor Gott gilt, ist das Evangelium Jesu Christi in seiner inhaltlichen Bestimmtheit als Frohe Botschaft der Rechtfertigung des Sünders aus Gnade durch Glauben. Entscheidend ist nicht die formale Autorität des Petrus oder des Paulus als Person, sondern ihr Bekennen oder Verleugnen. Während Luther, wie gesagt, und auf ihre Weise auch Melanchthon, Zwingli und Calvin der Frage, ob Petrus in Rom gewesen und dort gestorben und begraben sei oder nicht, wenig bis keine dogmatische Bedeutung beigemessen haben, hat sie das Felsenwort Mt 16,18 naturgemäß intensiv beschäftigt, wobei sie zu dem einhelligen Urteil gelangten, dass Simon nicht um einer seiner Person als solcher zugesprochenen förmlichen Autorität willen, sondern wegen seines Bekenntnisses zum Herrn von diesem den Beinamen des Kephas/Petrus erhalten habe. Ein Amt for-
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malautoritativer Kirchenleitung lasse sich deshalb durch den Verweis auf Petrus nicht nur nicht begründen; es müsse vielmehr als durch das Urbild Petri ausgeschlossen gelten, da dessen Autorität ausschließlich im Inhalt seines Bekenntnisses gründe und im Falle einer Nichtentsprechung zu diesem Inhalt unverbindlich, inexistent, ja mehr noch eine als kontraproduktiv zu kritisierende Größe sei. Man braucht, um einen biblischen Beleg für diese Sicht der Dinge beizubringen, nicht sogleich auf die Versuchungsszene und die Verleugnung des Petrus zurückgreifen. Es genügt die Erinnerung an den antiochenischen Konflikt, um sich zu vergewissern, dass unbeschadet, aber auch ungeachtet der Sonderstellung, welche Simon Petrus wohl schon zu Lebzeiten Jesu und mit Sicherheit im frühen Christentum innehatte, seine Person und Autorität Gegenstand berechtigter Sachkritik werden konnte und tatsächlich geworden ist. Kein Geringerer als der Apostel Paulus ist hierfür kanonischer Zeuge. Mag daher über die Authentizität der Jesusworte in Mt 16,18f. geurteilt werden wie auch immer: Selbst wenn, was die Mehrzahl der Forscher bestreitet, der irdische Jesus Simon Petrus zum Felsen der kommenden Kirche und zu deren oberster Bauleitung erklärt haben sollte, förmliche Autoritätsansprüche eines kirchlichen Amtes lassen sich mit dem Felsenwort in keinem Fall begründen. Der Apostelstreit, der sich einst – wohl Ende der 40er Jahre des ersten Jahrhunderts – zwischen Der Antiochenische Streit Paulus und Petrus in Antiochien am Orontes zutrug, hat nicht zuletzt aus konfessionellen Gründen stets besonderes Interesse erregt. Worum geht es? „Als Kephas aber nach Antiochia gekommen war“, schreibt der Apostel Paulus im Brief an die Galater im 2. Kapitel, „bin ich ihm offen entgegengetreten“ – deutlicher noch: „widerstand ich ihm ins Angesicht“ – „weil er sich ins Unrecht gesetzt hatte.“ (Gal 2,11) Obwohl Petrus anfangs Tischgemeinschaft mit den Heidenchristen gepflegt hatte, zog er sich nach Ankunft von Leuten aus dem Kreis um den Herrenbruder Jakobus zurück und trennte sich aus Angst vor den Beschnittenen, also vor den toragehorsamen Judenchristen, von den Gesetzesfreien. Ebenso unaufrichtig hatten sich andere Judenchristen verhalten, so dass selbst Barnabas – enger Mitarbeiter des Paulus und einer der Führer der antiochenischen Gemeinde – zur Heuchelei verführt worden war. Angesichts dieser Abweichung von der Wahrheit des Evangeliums sagte Paulus nach eigenen Worten in aller Öffentlichkeit zu Petrus: „Wenn du als Jude nach Art der Heiden und nicht nach Art der Juden lebst, wie kannst du dann die Heiden zwingen, wie Juden zu leben?“ (Gal 2,14b) Den Kontext dieser rhetorischen Frage bildet die Einsicht, dass in Jesus Christus die Differenz zwischen Juden und Heiden aufgehoben ist, weil der Mensch nicht durch Werke des Gesetzes gerecht wird, sondern durch den Glauben und allein durch den Glauben an den auferstandenen Gekreuzigten. Ich habe nicht die Absicht, die umfängliche Auslegungsgeschichte der paraphrasierten Pauluspassagen um einen weiteren Versuch zu bereichern. Seit Ferdinand Christian Baur und die Tübinger Schule im Rahmen ihrer spekulativen Auffassung der urchristlichen Entwicklung den antiochenischen Zwischenfall zur Anti-
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these eines grundsätzlich judenchristlichen Standpunkts des Petrus und eines heidenchristlich gesetzesfreien des Paulus stilisierten, sind zahllose Untersuchungen zum Thema erschienen, die zwar gezeigt haben, dass sich die Baur’sche Sicht der Dinge nicht halten lässt, ohne doch deshalb die Fülle der mit dem Antiochiakonflikt verbundenen historischen Probleme einer einvernehmlichen Lösung zuzuführen. Warum schweigt sich die Apostelgeschichte über den Zwischenfall aus, und in welchem Zusammenhang steht er zum Jerusalemer Apostelkonvent sowie zu dem schwierig zu beurteilenden sog. Aposteldekret? Welcher Stellenwert kommt ihm im Kontext der paulinischen Rechtfertigungslehre und ihrer möglichen Entwicklungsgeschichte, im Streit mit den galatischen Gegnern sowie im Gesamtzeugnis der paulinischen Briefe zu? Welche Bedeutung und welche Auswirkungen hatte er für die innere und äußere Einheit des Urchristentums und insbesondere für das Verhältnis von Petrus und Paulus? Ich habe, wie gesagt, weder die Absicht noch die Kompetenz, diese Fragen zu beantworten. Bei allen Unsicherheiten im Detail dürfte immerhin dies klar und eindeutig sein, „daß Paulus einerseits sehr viel an einer koinonia inhaltlicher Art mit den Jerusalemer Säulenaposteln liegt ..., daß er aber andererseits gegen das öffentliche Verhalten des Petrus, also unter Aufkündigung apostolischer Einmütigkeit, seinen gesetzesfreien Standpunkt für Heidenchristen und Judenchristen in Antiochien durchficht“ (Wechsler, 287f.). Dass der damalige Streit für Paulus günstig ausgegangen ist, dürfte historisch eher unwahrscheinlich sein. Gleichwohl gibt uns das antiochenische Zeugnis des Paulus ein kanonisches, durch die Heilige Schrift Neuen Testaments beurkundetes und beglaubigtes Recht zu der These, dass das freie Bekenntnis zum Evangelium durch keine Autoriät einzuschränken ist, weil es sich seiner inhaltlichen Bestimmtheit durch Jesus Christus und nicht der persönlichen Vollmacht Einzelner oder eines einzelnen Menschen verdankt – und heiße dieser Mensch auch Petrus. Dieser exegetische Befund ist auch in dogmatischer Hinsicht von erheblicher Bedeutung. Das Dokument der Bilateralen Kommission Petrusamt und universalkirchder Deutschen Bischofskonferenz und der Kir- licher Einheitsdienst chenleitung der VELKD „Communio sanctorum“ erörtert den Dienst universalkirchlicher Einheit, der nach römisch-katholischer Lehre dem Bischof von Rom in seiner päpstlichen Vollmacht aufgetragen ist, unter der Überschrift „Der Petrusdienst“. Begründet wird dies mit dem Hinweis auf die im Neuen Testament bezeugte „besondere Funktion und Aufgabe des Apostels Petrus“ (CS 153). In einem eigenen Abschnitt (vgl. CS 158–163) wird sodann die petrinische Sonderstellung aufgrund der einschlägigen Belegstellen mit folgendem Resultat umschrieben: „Die frühe Kirche hat mit der Gestalt des Petrus Funktionen eines Lehr- und Hirtendienstes verbunden, die sich auf die Gesamtheit der Gemeinden beziehen und in besonderem Maße ihrer Einheit dienen. Darin liegt die gegenwärtige Herausforderung, im ökumenischen Miteinander ganz neu über einen gesamtkirchlichen ‚Petrusdienst‘ nachzudenken.“ (CS 163) Diesem zusammenfassenden Ergebnis kann bei allen verbleibenden exegetischen Differenzie-
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rungsdesideraten im Grundsatz zugestimmt werden und das umso mehr, als Petri Felsenfunktion im Wesentlichen mit seinem Bekenntnis zu Jesus als dem Christus begründet wird, das er in seiner Eigenschaft als „Sprecher der Apostel“ abgelegt hat und „das für die Kirche aller Zeiten das Fundament ist (vgl. 1. Kor 3,11)“ (ebd.). Im Übrigen wird man sehen müssen, dass sich die Thematik universalkirchlichen Einheitsdienstes nur bedingt als eine Petrusdebatte führen lässt. Dogmatisch entscheidend ist letztlich nicht, welche Aufgaben und Funktionen Petrus im Urchristentums historisch-faktisch oder in kerygmatisch-ekklesiologischer Reflexionsabsicht zuerkannt wurden. Entscheidend ist vielmehr, ob und gegebenenfalls in welcher Weise ein Amt universalkirchlichen Einheitsdienstes, für das Petrus das prototypische Urbild abgeben soll, ekklesiologisch sinnvoll ist. Das bestätigt auch das Bilaterale Dokument, indem es die Problematik eines universalkirchlichen Petrusdienstes einordnet in den weiten Zusammenhang der ekklesiologisch-amtstheologischen Problematik im Allgemeinen. Gehandelt wird, wenngleich sehr knapp, vom Verhältnis von gemeinsamem Priestertum aller Gläubigen und ordinationsgebundenem Amt, von den Wesensspezifika und den Gliederungsformen dieses Amtes sowie vom unveräußerlichen Bezug zwischen Gottesdienstgemeinde und der die Schranken des Raumes und der Zeit transzendierenden Universalkirche. Innerhalb dieser Rahmenbedingungen wird der Petrusdienst erörtert, und in der Tat kann in ekklesiologisch angemessener Weise nur in dem durch sie markierten Kontext die Petrusgestalt in derjenigen Bedeutung und Sonderstellung gewürdigt werden, die ihr nach biblischem Zeugnis im Kreise der Apostel und der urchristlichen Kirche zuerkannt wird. Dass der Dienst des biblischen Petrus als Urbild apostolischer Sendung weniger auf förmliche Reduplikation, sondern auf inhaltliche und sachgebotene Entsprechungszusammenhänge hin angelegt ist, wird durch die Erkenntnis bestätigt, dass sowohl in Mt 16,18f. als auch in der sonstigen Petrustradition des Neuen Testaments jeder Hinweis auf eine vorgesehene Sukzession im Amte Petri fehlt. Eine Andeutung in diesem Sinne findet sich weder im allgemeinen, noch gar in dem besonderen Sinne, dass ein Amtsträger einer bestimmten Gemeinde dazu ausersehen sei, den Petrusdienst in Gestalt einer autorisierten Leitung der Universalkirche fortzusetzen. Weder fungierte Petrus jemals als Papst oder in einer papstähnlichen Funktion, noch gibt es einen biblischen Grund zu der Vermutung, dass der Bischof von Rom „iure divino“ dazu bestimmt sei, die Nachfolge Petri anzutreten. Was ersteren Aspekt anbelangt, so hat Petrus als Leiter der Gesamtkirche wenn überhaupt, so allenfalls für einige Zeit in Jerusalem fungiert, wohingegen er während seiner missionarischen Tätigkeit möglicherweise Leiter von einzelnen Ortsgemeinden, nicht aber mit universalkirchlicher Leitungskompetenz versehen war. Dass Petrus der erste Papst gewesen sei, ist – unnötig dies eigens zu betonen – historischer Nonsens und zwar selbst dann, wenn Petrus in Rom gewesen sein, was immerhin möglich, und dort als Bischof fungiert haben sollte, was historisch höchst unwahrscheinlich ist. Gute Wahrscheinlichkeitsgründe sprechen hingegen für die Annahme, dass die Urchristenheit mit der Erinnerung an die Petrusgestalt
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spezifische Erwartungen an einen der Einheit der christlichen Gemeinden und der Gesamtkirche förderlichen Lehr- und Hirtendienst verbunden hat. Diese Assoziation, die Petrus als Weltapostel vorstellig macht, dürfte der entscheidende Rechtsgrund dafür sein, den Dienst universalkirchlicher Einheit Petrusdienst zu nennen. Hingegen bietet, um es zu wiederholen, die Petrustradition keinerlei Anlass zu der Annahme, der Dienst universalkirchlicher Einheit sei rechtens nur vom Bischof von Rom in päpstlicher Vollmacht wahrzunehmen. Es ist zwar nicht prinzipiell ausgeschlossen, dass der Papst diesen Dienst wahrnimmt. Eine strikte theologische Notwendigkeit hierfür gibt es indes nicht. Wohl lassen sich die Gründe erkennen und benennen, welche in einem jahrhundertelangen Prozess die Herausbildung der päpstlichen Stellung des Bischofs von Rom und seinen Anspruch auf Nachfolge Petri bewirkten. So wird, um ein Beispiel zu geben, kein Historiker ernsthaft bestreiten, dass die römische Gemeinde als Hauptstadtgemeinde des Imperium Romanum seit Anfang des zweiten Jahrhunderts eine herausragende Rolle in der damaligen Christenheit gespielt hat. Die Frage ist jedoch, ob sich damit und mit vergleichbaren historischen Tatsachen ein Exklusivanspruch des Bischofs von Rom auf das petrinische Amt universalkirchlichen Einheitsdienstes und die theologischen Prärogativen, die mittlerweile mit diesem Amt verbunden sind, plausibel begründen lassen. Um mit einem ökumenisch so aufgeschlossenen Petrusforscher wie Oscar Cullmann zu sprechen: „Daß eine Gemeinde eine Vorrangstellung einnimmt, beweist noch nicht, daß dies so in Beziehung zu Matth. 16,17ff. steht, daß für alle Zukunft ein göttliches Recht daraus abgeleitet werden dürfe.“ (Cullmann, 262f.) Als Ertrag der Auseinandersetzung mit der Behauptung, der Primat des Bischofs von Rom in der Gesamtkirche beruhe auf der direkten und unmittelbaren (DH 3055: „directe et immediate“; vgl. DH 3053) Einsetzung des Apostels Petrus zum sichtbaren Haupt der Kirche durch Jesus Christus selbst, ergibt sich sonach, dass von einer Amtssukzession Petri zwar nirgends die Rede ist, dass aber die in den verschiedenen Schriften des Neuen Testaments betont hervorgehobene Sonderrolle des Kephas ihn zum apostolischen Urbild des Amtsträgers und namentlich des mit überörtlicher Lehr- und Leitungsvollmacht versehenen Episkopen werden ließ. Von daher verwundert es nicht, dass sich die Bischöfe der römischen Gemeinde mit ihrer spezifischen Überlieferung von Petrus in besonderer Weise in der Nachfolge des Kephas wussten und in ihm den prototypischen Repräsentanten der von ihnen beanspruchten Funktion in der Kirche finden konnten. Den sachlichen Grund für die Herausbildung eines Amtes universalkirchlicher Einheit, wie die Bischöfe von Rom es fortschreitend für sich in Anspruch nahmen, „kann man vielleicht schon in dem im Petrusbild des Urchristentums sich äußernden Bedürfnis nach einer für die Gesamtkirche maßgeblichen und ihrer Einheit dienenden Autorität erblicken“ (Pannenberg, 468). Doch ändert das nichts daran, „daß die Grundlagen für die Entstehung des römischen Primats nicht in der historischen Petrusgestalt liegen“ (ebd.). Dies wird durch die Tatsache bestätigt, dass die römischen Bischöfe selbst erst nachträglich und verhältnismäßig spät, jedenfalls nicht in
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den drei ersten christlichen Jahrhunderten, die Petrustradition in der Gestalt von Mt 16,18f. zur Stützung ihrer Ansprüche herangezogen haben. Für die gegenwärtige ökumenische VerständiWahrnehmungsformen unigung lässt sich daraus folgern, dass die Diskussiversalkirchlichen Einheitson um den universalkirchlichen Einheitsdienst pridienstes mär, wie gesagt, nicht als Petrusdebatte, sondern als Debatte über den sachlichen Sinn dieses Dienstes und die sinnvollen Weisen seiner Ausübung zu führen ist. Dabei wird es die römisch-katholischen Mitchristen nicht überraschen, wenn von Seiten evangelischer Theologie gesagt wird, dass nach reformatorischem Urteil, wie übrigens auch nach demjenigen orthodoxer Theologie, das Papstamt zunächst keinen anderen Anspruch erheben kann, als eine denkbare Form der Ausgestaltung universalkirchlichen Einheitsdienstes zu sein. Tatsächlich haben in der Geschichte der Christenheit z.B. Synoden Entscheidendes zum Dienst universalkirchlicher Einheit beigetragen, um vom Dienst anderer Einheitsorgane zu schweigen. Auf der anderen Seite ist es, wie immer man darüber im Einzelnen urteilen mag, „ein Faktum der Geschichte des Christentums, dass seit dem Ende der Jerusalemer Urgemeinde Rom das historische Zentrum der Christenheit geworden ist. Wenn irgendein christlicher Bischof in Situationen, in denen das erforderlich sein sollte, für die ganze Christenheit sprechen kann, dann wird das wohl am ehesten der Bischof von Rom sein. Trotz aller bitteren Auseinandersetzungen infolge des chronischen machtpolitischen Missbrauchs der Autorität Roms gibt es hier keine realistische Alternative. Das ist heute sowohl der Weltöffentlichkeit als auch den meisten Kirchen der Christenheit bewusst. Die Tatsache dieses Vorrangs der römischen Gemeinde und ihres Bischofs in der Christenheit sollte unbefangen anerkannt werden. Strittig ist denn auch weniger die Tatsache selbst als die Art ihrer Beschreibung und die Frage nach den daraus abzuleitenden Rechten.“ (Pannenberg, 458) Davon soll im Anschluss an das jüngste Dokument der Bilateralen Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz und unter besonderer Berücksichtigung der römisch-katholischen Dogmen von Infallibilität und universalem Jurisdiktionsprimat des Papstes in gebotener Kürze die Rede sein mit dem Ziel, zumindest ansatzweise die Konditionen zu klären, unter denen der Bischof von Rom evangelischerseits als Sprecher der Christenheit und Repräsentant universalkirchlichen Einheitsdienstes anerkannt werden könnte. Von zwei Basispunkten aus argumentiert das Bilaterale Dokument in Bezug auf Amt und Funktion eines Dienstes an der Einheit der Kirche auf universaler Ebene, zum einen in der Überzeugung, dass Kirche eine Gemeinschaft von Gemeinschaften, eine „communio ecclesiarum“ ist, zum andern von der Annahme her, dass dem ordinationsgebundenen Amt der Kirche eine besondere Aufgabe für die Sorge um die Einheit und Universalität dieser Gemeinschaft zukommt. Zum ersten: Die konkrete Verwirklichungsgestalt der „communio sanctorum“ sind die Ortskirchen, die um Wort und Sakrament gottesdienstlich versammelten Gemeinden. In diesem Sinn bestimmt der VII. Artikel der Confessio Augustana die Kirche ihrem Wesen nach als die Versammlung derjenigen, die an den Heilsmitteln teilhaben
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und durch diese Teilhabe untereinander vereint sind. Gleichwohl ist nach lutherischer Lehre jede Gottesdienstgemeinde mit einem universalkirchlichen Bezug unveräußerlich versehen und ihrem Wesen nach hingeordnet auf die Gesamtkirche. Diese wesentliche Hinordnung beinhaltet sowohl eine räumliche als auch eine zeitliche Dimension. Räumlich umfasst die Christenheit die getauften Gläubigen an allen Orten des Erdkreises ungeachtet ethnischer oder sonstiger Unterschiede. Aber auch in zeitlicher Hinsicht ist die Kirche eine ökumenische Größe, sofern sie sich durch die Zeiten hindurch kontinuierlich verbunden weiß mit der apostolischen Tradition. Im lutherischen Bekennntis ist das u.a. dadurch zum Ausdruck gebracht, dass die altkirchlichen Symbole dem Konkordienbuch von 1580 betont vorangestellt und mit dem Würdetitel schriftkonformer ökumenischer Glaubensbekenntnisse verbunden sind. Der Zusammenhang von konkreter Gottesdienstgemeinde und Raum und Zeit umfassender Gesamtkirche ist sonach ein untrennbarer. Im Bilateralen Studiendokument „Communio Sanctorum“ ist dieser untrennbare Zusammenhang mit der Formel umschrieben, dass die in der örtlichen Versammlung um Wort und Sakrament sich vollziehende kirchliche Gemeinschaft mit Gott und untereinander zwar ganz Kirche, aber nicht die ganze Kirche sei. Denn die einzelne Gemeinde ist „einbezogen in die universale Kirche als die Gemeinschaft aller Ortskirchen“ (CS 152). Dem kann, so meine ich, vorbehaltlos zugestimmt werden. Zum zweiten: Dass alle Glieder der Kirche zum gemeinsamen Dienst des Evangeliums berufen sind, ist mittlerweile einhellige Überzeugung lutherischer und römisch-katholischer Theologie. Die Lehre vom allgemeinen Priestertum aller Gläubigen kann daher nicht länger als Kontroversgegenstand gelten. Wie aber verhält sich das Priestertum, an dem alle Gläubigen kraft ihrer Taufe partizipieren, zum ordinationsgebundenen Amt der Kirche; was ist die spezifische Differenz, die beide unterscheidet? Das ist die im gegebenen Zusammenhang entscheidende Frage, mit deren Beantwortung sich seit geraumer Zeit auch lutherische Synodal- und andere landeskirchliche und überlandeskirchliche Kommissionen mehr oder minder erfolgreich abgemüht haben. Die Verhältnisbestimmung zwischen dem gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen und dem besonderen Amt der Kirche, wie sie im Dokument der Bilateralen Arbeitsgruppe versucht wurde, macht sich zueigen und bestätigt ausdrücklich, was in der Stellungnahme der VELKD zu der Studie „Lehrverurteilungen – kirchentrennend“ so gesagt wurde: „Während die Verkündigung des Evangeliums untereinander Sache aller Christen ist, setzt die Verkündigung in der Öffentlichkeit der Kirche – d.h. die öffentliche mündliche Verkündigung und die Verwaltung der ihrem Wesen nach öffentlichen Sakramente Taufe und Abendmahl – voraus, dass ein Christ zu diesem Dienst im Auftrag Christi von der Kirche berufen, gesegnet und gesandt wird, was in der Ordination geschieht. Darin besteht der wesentliche Unterschied des ordinationsgebundenen Amtes gegenüber dem allgemeinen Priestertum.“ (CS 132) Dem werden Lutheraner schwerlich widersprechen können. Mit dem recht verstandenen Öffentlichkeitsdienst des ordinationsgebundenen
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Amtes ist nun aber der Dienst an Einheit und Universalität der Kirche notwendig verbunden. Nachgerade diejenigen, die zur öffentlichen Evangeliumsverkündigung in Wort und Sakrament bestellt sind, haben kraft ihres Amtes eine besondere Rechtspflicht, für die Einheit der Gemeinden in sich und untereinander Sorge zu tragen. Diese Rechtspflicht ist mit dem Amt jeder Pfarrerin und jedes Pfarrers gegeben. Aber es entspricht interner Logik, sie nicht auf Ortsebene zu fixieren, sondern aus dem einen ordinationsgebundenen Amt der Kirche episkopale Funktionen mit überörtlicher Leitungskompetenz institutionell auszugliedern. Lutherische Kirchenverfassungen sehen das ja auch erklärtermaßen vor: Wir haben, um das Beispiel Bayerns zu wählen, einen Landesbischof, mittlerweile auch Regionalbischöfe und -bischöfinnen, wie immer es mit der Limitierung ihres Titels bestellt sein mag; und wenn man demnächst auch Dekane mit bischöflichen Namen ausstatten wollte, wäre dagegen ekklesiologisch nichts Grundsätzliches einzuwenden, denn überörtliche Leitungsaufgaben und damit episkopale Funktionen nehmen sie faktisch ohne Zweifel wahr. Wie auch immer: Mit Nomenklaturdebatten sollte man sich nicht über Gebühr aufhalten. Interessanter und wichtiger erscheint die Frage, ob die institutionelle Ausgliederung übergemeindlicher Leitungsämter an landeskirchlichen Grenzen oder an den Grenzen etwa der VELKD oder der EKD zwangsläufig enden muss bzw. darf, wenn denn die Kirche ihrem Wesen nach ökumenisch, d.h. weltumfassend-universal ist. Bei allem Respekt vor Deutschland im Allgemeinen und vor Bayern im Besonderen: In ekklesiologischer Hinsicht sind beide allenfalls sekundäre Ordnungsgrößen. Von daher ist es alles andere als abwegig, wenn in der evangelischen Theologie, wie es in dem Dokument heißt, neben der ortsgemeindlichen Ebene „auch die regionale und die universale Dimension der Kirche neu wahrgenommen (wird). Es wird darüber nachgedacht, welche Strukturen für den Dienst an der kirchlichen Einheit auf diesen Ebenen nötig sind.“ (CS 184) Auf diesem Hintergrund kann in dem Dokument lutherischerseits gesagt werden: „Gegen einen gesamtkirchlichen ‚Petrusdienst‘ als pastoraler Dienst an der weltweiten Gemeinschaft der Kirchen und ihrer gemeinsamen Bezeugung der Wahrheit gibt es keine grundsätzlichen Einwände.“ (CS 194) Er kann vielmehr, wenn er seiner Dienstfunktion realiter gemäß ist, „grundsätzlich als sachentsprechend“ (CS 195) angesehen werden. Die Hauptbedingungen, unter denen eine solche Sicht im Grundsatz möglich ist, sind in dem Dialogdokument von lutherischer Seite namentlich unter drei Aspekten geltend gemacht worden: 1. Die grundsätzliche Unterordnung jeder Gestalt des ordinationsgebundenen Amtes unter das Wort Gottes verbietet formalautoritative Monopolansprüche im Sinne exklusiver Amtskompetenzen und eröffnet die allgemeine Möglichkeit inhaltlicher Prüfung von Verbindlichkeitsansprüchen statt sie zu verschließen (vgl. bes. CS 181ff.). 2. Für die institutionellen Strukturen der Kirche sind die Elemente personaler Verantwortung Einzelner im leitenden Amt, kollegiale gemeinsame Verantwortung der ordinierten Amtsträger Pastoraler Dienst an der weltweiten Gemeinschaft der Kirchen
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und synodale Verantwortung von ordinierten und nichtordinierten Repräsentanten des Volkes Gottes gleichermaßen bedeutsam (vgl. bes. CS 188 sowie 194). 3. Für die Rechtsform eines gesamtkirchlichen Petrusdienstes müsste die Verpflichtung gegenüber den kollegialen und synodalen Verantwortungsstrukturen auf universalkirchlicher Ebene sowie die Achtung vor der Vielfalt und relativen Eigenständigkeit der Regionalkirchen obligatorisch sein. Es gelten die Maximen der „Konziliarität, Kollegialität und Subsidiarität“ (CS 196). „Die gesamtkirchliche Einheit wäre dann eine ‚konziliare Gemeinschaft‘ aller Kirchen in ‚versöhnter Verschiedenheit‘ mit einem dieser Gemeinschaft dienenden Petrusamt. Sie hätte keine zentralistische Rechtsgestalt.“ (CS 190; vgl. 194) Im Folgenden sei dieser Konditionenkatalog in Bezug auf die dogmatischen Lehrentscheidungen der römisch-katholischen Kirche zu Infallibilität und universalem Jurisdiktionsprimat zumindest ansatzweise in Anwendung gebracht. Das geschieht in dem – durch das Vorwort des Dokuments bestätigten – Bewusstsein, dass es sich dabei lediglich um eine „Problemanzeige“ handeln kann, „da gegenwärtig nicht erkennbar ist, wie hier Klärung und praktische Umsetzung möglich werden könnten“ (CS Vorwort S.11). Was das Dogma päpstlicher Infallibilität beInfallibilität und universaltrifft, in welchem sich der Primatsanspruch des kirchlicher Jurisdiktionsprimat Bischofs von Rom in verdichtetster Form zur Geltung bringt, so ist als erstes in Erinnerung zu bringen, dass dieses zwar einerseits lehrt, dass die Kirche an Kathedralentscheidungen des Papstes verpflichtend gebunden ist, dass aber nach katholischer Lehre unbeschadet dessen zugleich und vor allem gilt, dass der Papst, wenn er als Hirte und Lehrer der Kirche in Sachen des Glaubens und der Sitte in einer endgültig verpflichtenden Weise tätig zu werden gewillt ist, seinerseits strikte gebunden ist an den um seiner Wahrheit willen „ex sese“ verbindlichen Glauben der Kirche, wie er im apostolischen Zeugnis der Heiligen Schrift in einer materialiter suffizienten Weise beurkundet ist. Trifft dies zu, dann kann eine Anspruch auf Infallibilität erhebende Lehre des Papstes nicht nur keine neue, sondern auch keine solche sein, welche den in der Schrift bezeugten und soteriologisch hinreichenden Glauben der Kirche inhaltlich erweitert. Aufgabe kann es lediglich sein, den inhaltlich klar bestimmten und kanonisch fest umschriebenen Glauben der Kirche seiner selbst bzw. seines ihn konstituierenden Gegenstandes zu vergewissern, wobei davon auszugehen ist, dass es sich bei solcher Vergewisserung nicht eigentlich um Schaffung von Gewissheit handeln kann, sondern nur um deren Bestärkung und Förderung, wenn anders das Selbstbewusstsein der Kirche nicht unmittelbar mit der Subjektivität des mit potentieller Infallibilitätskompetenz versehenen Papstes ineins gesetzt werden soll. Würde letztere Annahme Implikat des Unfehlbarkeitsdogmas sein, dann stünde dies in einem – aus Gründen zu unterstellender Kohärenz und Selbstübereinstimmung katholischer Lehre auszuschließenden – Gegensatz zu der kanonistischen Doktrin, dass ein häretischer Papst eo ipso seines Amtes verlustig geht. Denn diese Doktrin ergibt nur einen Sinn, wenn der Papst auch unter der Voraussetzung beanspruchter Infallibilität weder über ein Monopol der Inhaltskonstitution noch über ein Gewiss-
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heitsbegründungsmonopol verfügt. Die Behauptung einer derartigen Monopolstellung würde den Papst nämlich zum alleinigen Herrn der Differenz von Häresie und Rechtgläubigkeit erklären, was mit der Vorstellung des „papa haereticus“ inkompatibel ist. Im Übrigen beweist die Genese des Infallibilitätsdogmas in historischer Hinsicht zur Genüge, was in der Logik der Sache selbst begründet liegt, dass nämlich die Behauptung päpstlicher Unfehlbarkeit zustande kommt und Bestand haben kann nur unter vorausgesetzter Beziehung auf einen bereits gegebenen und seiner selbst gewissen Glauben an deren Möglichkeit und mögliche Tatsächlichkeit. Fungiert sonach aus Gründen, welche dem Infallibilitätsdogma intern sind, der Glaube der Kirche in inhaltlicher und gnoseologischer Hinsicht als Bedingung der Möglichkeit päpstlicher Unfehlbarkeit, so wird man erwarten dürfen, dass dieser Sachverhalt bei der prozessualen Genese eines päpstlichen Kathedralspruchs nicht unberücksichtigt bleibt. Der Prozess, dessen Resultat ein infallibles Urteil sein soll, darf also unter keinen Umständen ein verfahrensmäßig ungebundener sein, er muss vielmehr in erkennbarer Weise verständigungsorientiert angelegt und inhaltlicher Prüfung zugänglich sein. Anders gesagt: Die um der Sache willen zu fordernde Rückbindung einer verbindlichen Entscheidung des Papstes an den Glauben der Kirche darf niemals eine bloß behauptete sein, sie muss sich vielmehr, soll der Eindruck einsamer Entschlüsse und der damit verbundenen individuellen Beliebigkeit vermieden werden, methodisch ausweisen und zwar schon im Begründungszusammenhang einer Kathedralentscheidung und nicht erst in deren Rezeptionszusammenhang. Dies beinhaltet m.E. zugleich, dass die Kompetenz, den kirchlichen Ausnahmezustand und damit die gegebene Notwendigkeit einer Kathedralentscheidung zu definieren, nicht ausschließlich dem Papst vorbehalten werden kann. Dieser hat vielmehr eine umfassende Beratungspflicht, die unter ökumenischen Bedingungen nicht auf die repräsentativen Organe des römischen Katholizismus beschränkt werden darf, wenn der intendierte Kathedralentscheid Anspruch auf Gehör oder gar Gehorsam in der gesamten Weltchristenheit berechtigterweise erheben will. Dass zumindest der allgemeine Gesichtspunkt der Beratungspflichtigkeit nicht gänzlich querliegt zu den genuinen Intentionen des I. Vatikanischen Konzils, mag folgender Passage aus dem 4. Kapitel der dogmatischen Konstitution „Pastor aeternus“ entnommen werden, wo es heißt: „Romani autem Pontifices, prout temporum et rerum condicio suadebat, nunc convocatis oecumenicis Conciliis aut explorata Ecclesiae per orbem dispersae sententia, nunc per Synodos particulares, nunc aliis, quae divina suppeditabat providentia, adhibitis auxiliis, ea tenenda definiverunt, quae sacris Scripturis et apostolicis traditionibus consentanea, Deo adiutore, cognoverant.“ (DH 3069) Dass diese Feststellung sich nicht in historischer Beschreibung erschöpft, sondern auch Handlungsanweisungen für künftige Verfahren impliziert, wird man im Sinne des II. Vatikanums jedenfalls dann annehmen dürfen, wenn man sich an die Tendenz derjenigen Auslegung hält, welche dem letzten Konzil in weiten Teilen katholischer Theologie zuteil geworden ist. Von
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dieser Auslegung wird man dann freilich zu erwarten haben, dass sie sich als stark genug erweist, um nicht von der dem Konzil auferlegten „Nota explicativa praevia“ widerlegt zu werden, welche besagt: „Summus Pontifex, utpote Pastor Supremus Ecclesiae, suam potestatem omni tempore ad placitum exercere potest, sicut ab ipso suo munere requiritur.“ (DH 4357) Die dargelegte Forderung, wonach nicht nur die Rezeption, sondern bereits das Zustandekommen eines Kathedralentscheids kommunikativ und verständigungsorientiert zu strukturieren sei, muss, wenn ich recht sehe, in keinem prinzipiellen Widerstreit zu der These stehen, der Grund formaljuridischer Gültigkeit dieses Entscheids sei in diesem selbst und als solchem enthalten. Gleichwohl kann nicht verborgen bleiben, dass die Zielrichtung der skizzierten Argumentation konsequent dahingeht, das theologische Geltungsproblem keiner formalautoritativen, sondern einer ausschließlich konsensorientiert-sachautoritativen Lösung zuzuführen. Man mag daraus den Schluss ziehen, damit werde die ursprüngliche Intention des Infallibilitätsdogmas in ihr gerades Gegenteil verkehrt. Das ist – historisch geurteilt – sicher nicht einfach falsch. Nach Maßgabe des theologischen Bewusstseins des gegenwärtigen Katholizismus indes spricht manches für die Einsicht, die theoretische Pointe des Infallibilitätsdogmas könnte darin liegen, von ihm in der kirchlichen Praxis faktisch keinen Gebrauch zu machen. Selbst nach überkommener Lehrauffassung ist ein Kathedralentscheid ja bekanntlich nicht der Normalfall, sondern einer außerordentlichen Ausnahmesituation vorbehalten. Geht man davon aus, dass der Sinn und Zweck sachgemäßen Kirchenregiments nicht in der beliebigen Verhängung des Ausnahmezustandes, sondern nur darin bestehen kann, den ja stets mit einer Streiteskalation verbundenen Ausnahmezustand zu vermeiden, dann erscheint die These nicht als abwegig, die im Infallibilitätsdogma nach Weise einer Notstandsgesetzgebung angezeigte „ultima ratio“ erfülle ihren vernünftigen Sinn darin, sich – statt möglich – möglichst überflüssig zu machen. Dies gilt umsomehr, als die erfahrungsmäßige Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass ein formalautoritative Geltung beanspruchender Lehrentscheid kontraproduktiv wirkt und schismatische Folgen zwangsläufig zeitigt. Die Geschichte der Kirche dürfte diese Vermutung eher bestätigen als widerlegen. Was aber die Geschichte der Dogmen und insbesondere jener beiden Dogmen betrifft, die gewöhnlich mit der päpstlichen Infallibilität in Verbindung gebracht werden, so besteht die aus den bisherigen Ausführungen folgende Bitte an die katholische Theologie im Wesentlichen darin, das Dogma von der unbefleckten Empfängnis und dasjenige der leibhaftigen Aufnahme Mariens in den Himmel dem christlichen Bewusstsein so plausibel zu machen, dass der Rekurs auf einen päpstlichen Formalentscheid unnötig wird. Was für die Infallibilität des Papstes in spezifischer und zugespitzter Weise gilt, ist nach meinem Urteil exemplarisch für Theorie und Praxis des päpstlichen Primates überhaupt: Dieser lässt sich erfolgreich, sachgemäß und stimmig nicht – jedenfalls nicht in erster Linie – als Rechtstitel behaupten. Man sollte daher katholischerseits den Primat des Papstes primär nicht als Jurisdiktionsprimat, sondern als
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pastoralen Dienst bestimmen. Denn nur unter dem Primat des Pastoralen lässt sich – wenn überhaupt – ein Begriff des päpstlichen Jurisdiktionsprimats entwickeln, der mit evangelischen Prinzipien verträglich ist. Es versteht sich von selbst, dass eine solche Zuordnung Relativierungen päpstlicher Rechtskompetenz mit sich bringt. Sie betreffen sowohl deren interne Verfassung, als auch deren äußere Reichweite. Zum einen wäre präzise zu unterscheiden zwischen den Rechten und administrativen Funktionen des Papstes als des Patriarchen der lateinischen Kirche und seinem universalkirchlichen Einheitsdienst. Letzterer hinwiederum wäre zum zweiten so zu bestimmen, dass die Prärogative des Pastoralen vor dem Juridischen eindeutig gewahrt und die irrige Vorstellung von der Kirche als einer „monarchia externa“ überzeugend abgewehrt wird. Nicht nur in Bezug auf die beanspruchte Infallibilität von päpstlichen Kathedralentscheidungen, sondern bezüglich des gesamten universalkirchlichen Einheitsdienstes des Papstes sollte es also gerade nicht dessen juristische Stellung als Inhaber des Jurisdiktionsprimats sein, von der her seine primatiale Funktion zu begründen wäre. Eine solche Begründung könnte vielmehr nur im Hinblick auf bewährte und zu bewährende pastorale Kompetenz erfolgen, die ihrerseits zur Voraussetzung hat, dass der Papst nicht als Universalbischof über die ganze Kirche und in dem übersteigerten Bewusstsein, in Person die sakramentale Präsenz des Grundes und Zieles kirchlicher Einheit zu sein, sondern unter Achtung und Wahrung der Prinzipien der Kollegialität, Subsidiarität und Synodalität als Bischof von Rom seines päpstlichen Amtes waltet. Unter diesen theoretischen und praktischen Umständen werden ihm die evangelischen Kirchen die Ehre, Vorsitzender der Liebe in der Christenheit zu sein, nicht streitig machen müssen. Die Verabschiedung der Papstdogmen des I. VaSommer 1870 tikanums erfolgte unter erregenden Umständen. Nach Tagen drückender Schwüle ging am 18. Juli 1870 ein schweres Gewitter mit Sturm und Platzregen nieder. „Nach den Eröffnungszeremonien fand die namentliche Abstimmung statt, wobei die Placets immer wieder von Blitzen und schweren Donnerschlägen unterbrochen wurden. Das Unwetter kam zu seinem Höhepunkt zwischen halb 12 und 12 Uhr, als Pius IX. nach der Abstimmung die Konstitution las und feierlich bestätigte; es herrschte dichte Finsternis in der Aula, und nur mit Kerzen konnte die Verlesung geschehen.“ (Schatz, 165f.) Der meteorologische Kontext der Definition von Infallibilität und universalem Jurisdiktionsprimat hat naturgemäß zu allerlei Interpretationen Anlass gegeben. Deuteten das besagte Gewitter „einige Gegner als Zeichen göttlichen Zornes gegen die Vergötzung eines Menschen, so gab es gleich drei Deutungen der Anhänger. Die einen sprachen von einer feierlichen Beerdigung des Gallikanismus, andere sahen darin ein Zeichen der letzten ohnmächtigen Wut der Mächte der Unterwelt, die vergebens gegen den Felsen Petri wüten. Am meisten jedoch machte schon in der Aula der Spruch die Runde: Wir sind auf dem Sinai. Die päpstliche Unfehlbarkeit, so konnte nachher geschrieben werden, sei wie das Gesetz auf Sinai buchstäblich unter Blitz und Donner verkündet worden.“ (Schatz, 167)
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Statt diese Interpretationen zu kommentieren, sei zum Schluss an ein anderes, schlimmeres, weil die Sphäre des Meteorologischen übersteigendes Unwetter erinnert, das sich genau einen Monat vor der unter großem Donnerwetter erfolgten feierlichen Verkündigung von „Pastor aeternus“ im Vatikan zusammengebraut hatte, um am Spätnachmittag des 18. Juni 1870 während einer Papstaudienz mit Gewalt über Kardinal Guidi hereinzubrechen. Von Guidi war behauptet worden, der Papst „müsse sich vor einer unfehlbaren Lehrentscheidung über den Sensus ecclesiae und die Tradition der Kirchen informieren“ (Schatz, 322). Dies ließ Pius IX. nach eigenem Bekunden die Galle hochsteigen. Als der Kardinal mit Hinweis auf Thomas von Aquin und Bellarmin seine Auffassung bekräftigte, soll der Papst, wie unter Berufung auf Guidi berichtet wird, zornerregt ausgerufen haben: „... ich, ich bin die Tradition, ich, ich bin die Kirche!“ (Schatz, 314) Mag es auch zweifelhaft sein, ob die Wendung „Io sono la Chiesa“ gefallen ist, das Papstwort „La tradizione sono io“, das „theologisch im Grunde die gleiche Ungeheuerlichkeit darstellt und praktisch auf die selbe Aussage hinausläuft“ (Schatz, 321), „kann als historisch gesichert gelten“ (Schatz, 322). Der erwähnte Bericht schließt mit der Nachricht, Pius IX. habe nach brüsker Entlassung Kardinal Guidis seinen Leibarzt kommen lassen, der ihm „den Puls gefühlt und ihm ein Abführmittel verabreicht habe“ (Schatz, 314). Wie immer man über die Authentizität und die medizinischen Aspekte dieser Schlussszene urteilen mag: Was die katholische Theologie betrifft, so wird sie – insbesondere durch die Art und Weise, wie sie das I. im Lichte des II. Vatikanischen Konzils rezipiert – Sorge dafür zu tragen haben, dass sich vergleichbare päpstliche Selbstaufblähungen nicht wiederholen.
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Lit.: W. Beinert, Die mariologischen Dogmen und ihre Entfaltung, in: ders./H. Petri (Hg.), Handbuch der Marienkunde, Bd. 1, Regensburg 21996, 267–363. – H. Immenkötter (Hg.), Die Confutatio der Confessio Augustana vom 3. August 1530, Münster 1979. – U. Köpf, Protestantismus und Heiligenverehrung, in: P. Dinzelbacher/D.&R. Bauer (Hg.), Heiligenverehrung in Geschichte und Gegenwart, Ostfildern 1990, 320–344. – G. Kretschmar, Gemeinschaft der Heiligen im Neuen Testament und in der Frühen Kirche, in: US 43 (1988), 266–276. – P. Manns, Die Heiligenverehrung nach CA 21, in: E. Iserloh (Hg.), Confessio Augustana und Confutatio. Der Augsburger Reichstag 1530 und die Einheit der Kirche, Münster 21980, 596–640 (641–651). – G.&L. Müller, Gemeinschaft und Verehrung der Heiligen. Geschichtlich-systematische Grundlegung der Hagiologie, Freiburg/Basel/Wien 1986. – Das Zweite Vatikanische Konzil, Constitutio de sacra liturgia, in: LThK Erg.-Bd. I, 9–109.
Der XXI. Artikel der Confessio Augustana „De cultu sanctorum“ enthält die „erste ... lehrmäßige ... Formulierung über die Heiligen nicht nur im Protestantismus, sondern in der abendländischen Christenheit überhaupt“ (Köpf, 329). Das überrascht: Gilt doch die Thematik der Heiligenverehrung als katholisches und orthodoxes Sondergut, mit welchem der Protestantismus wenig im Sinn hat. Dennoch lohnt es sich, auf der sachlichen Basis und im historischen Kontext (vgl. Manns, 599ff.) von CA XXI über die „sancti/ae“ systematisch nachzudenken und zwar sowohl aus ökumenischen Gründen, wie sie durch das jüngste Dokument der Bilateralen Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz und der Kirchenleitung der VELKD „Communio Sanctorum“ nahegelegt werden, als auch aus Gründen evangelischer Ekklesiologie, welche auf ihre Weise nicht unbedacht lassen darf, dass die Gemeinschaft der Heiligen, zu der wir uns im Apostolikum bekennen, die durch den Tod gesetzten Schranken transzendiert. Drei Tage nach Eintreffen des kaiserlichen Reichstagsausschreibens am kursächsischen Hofe zu Torgau forderte Kurfürst Johann von Sachsen am 14. März 1530 auf Anraten seines Altkanzlers Brück Luther, Melanchthon, Justus Jonas und Bugenhagen auf, sich umgehend zu den mutmaßlichen Gegenständen der Religionsverhandlungen des bevorstehenden Augsburger Reichstages zu äußern. Zu diesem Zweck wurden sie für den 20.3. persönlich nach Torgau bestellt. Da dieses Treffen wegen einer Visitationsreise von Justus Jonas nicht zustande kam, erneuerte der Kurfürst seinen Befehl mit dem Ergebnis, dass am 27.3. immerhin Melanchthon sich in Torgau eingefunden hatte. Er brachte schriftliche Vorlagen mit, deren ZuCA XXI: De cultu sanctorum
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standekommen noch nicht im Einzelnen geklärt ist; aller Wahrscheinlichkeit nach haben diese Unterlagen, die in wie auch immer modifizierter Form später nach Augsburg mitgeführt wurden, auch den BSLK 83b,18–27 wiedergegebenen Artikel „De invocatione sanctorum“ enthalten. Der in der Regel mit dem Siglum Torg A9 bezeichnete Artikel, der in seiner konsequenten Betonung der alleinigen Heilsmittlerschaft Christi völlig mit den einschlägigen Aussagen in Luthers Großem Bekenntnis von 1528 übereinstimmt (vgl. WA 26, 508, 13ff.), ist angesichts teilweise wörtlicher Übereinstimmungen unschwer als Vorlage von CA XXI zu erkennen. Inhaltliche Unterschiede zeigen sich lediglich in Nuancen, so z.B. darin, dass der Torgauer Artikel die Heiligenanrufung generell untersagt, während in CA XXI lediglich geltend gemacht wird, dass die Praxis der Heiligenanrufung nicht aus der Schrift bewiesen werden könne. Solche Nuancierungen finden sich übrigens auch noch in der Endgestalt von CA XXI, wenn es in der deutschen Version heißt, das Heiligengedächtnis solle gepflegt werden, während der lateinische Text lediglich davon ausgeht, dass dies der Fall sein kann („quod memoria sanctorum proponi potest“). Angesichts der eindeutigen literarischen Abhängigkeit des XXI. Artikels der Augustana von Torg A9 überrascht ein Zweifaches: zum einen das vollständige Fehlen eines Heiligenartikels in der Konzeption der Augustana (Na), wie sie Ende Mai/Anfang Juni vorlag; zum anderen die Tatsache, dass der Heiligenartikel, der ursprünglich auf die Verteidigung der kursächsischen Kirchenreform und damit primär auf Fragen der Kirchenpraxis hin angelegt war, schließlich nicht in den zweiten, sondern in den – Lehrfragen behandelnden – ersten Teil der Augustana aufgenommen wurde. Letzteres ist nicht schon mit der Wandlung der CA von einer kursächsischen Apologie zu einem tendenziell gesamtprotestantischen Bekenntnis, sondern erst mit dem Hinweis zu erklären, dass es offenbar Melanchthons Interesse und entschiedene Absicht war, die Heiligenthematik jenem Teil der Augustana zuzuweisen, im Hinblick auf den er grundsätzliche Lehreinheit meinte konstatieren zu können. Was aber den zeitweiligen Wegfall des Heiligenartikels in der Vorgeschichte der CA betrifft (der Luther noch am 21. Juli 1530 zu einem – allerdings verspäteten und auf einem offenkundigen Versehen beruhenden – Tadel herausforderte: vgl. WA Br 5, 496, 7ff.), so dürfte er einerseits durch gewisse sachliche Unsicherheiten Melanchthons und die Annahme, dass es sich um keinen Fundamentalartikel handelt, andererseits durch strategische Rücksichten auf die von der Heiligenfrage über dogmatische Gebühr bewegte Volksfrömmigkeit veranlasst sein. Solche strategischen Überlegungen änderten sich spätestens mit Erscheinen von Johannes Ecks „Vierhundertvier Artikel(n)“ zum Reichstag von Augsburg 1530, die namentlich in der Heiligenfrage geeignet waren, den Volkszorn gegen die Reformation anzuheizen und deshalb nicht unbeantwortet bleiben konnten. Um ein Beispiel zu geben: Im Artikel 119 wird Luther von Eck mit dem Diktum zitiert: „Nescitur, an in Compostela ... S. Jacobus aut mortuus canis aut equus ibi iaceat.“ Tatsächlich hatte der Reformator in einer Predigt zum Jakobstag des Jahres 1522
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gesagt, man solle nicht nach Santiago wallfahrten, „dann man waißt nit ob sant Jacob oder ain todter hund oder ain todts roß da ligt ... laß raisen wer da wil, bleib du dahaim“ (vgl. WA 10, 235, 11–17). So etwas hörte man unter Compostelapilgern ungern. Die Sache bedurfte einer Klarstellung. CA XXI unternimmt sie. Der positive Sinn des Heiligendienstes („cultus sanctorum“) besteht nach CA XXI im Gedächtnis Memoria Sanctorum der Heiligen („memoria sanctorum“). Als Primärziel solchen Gedächtnisses hat gemäß der deutschen Version die Stärkung des Glaubens durch Betrachtung widerfahrener Gnade und empfangener Glaubenshilfe zu gelten (BSLK 83b,4–6: „auf daß wir unsern Glauben stärken, so wir sehen, wie ihnen Gnad widerfahren, auch wie ihnen durch Glauben geholfen ist“). Auf die Wahrnehmung hilfreichen Gnadenwiderfahrnisses, wie sie im Glauben der Heiligen vorbildlich vor Augen tritt, ist auch die lateinische Formel ausgerichtet, „ut imitemur fidem eorum (sc. sanctorum)“ (CA XXI,1). So klärungsbedürftig der Imitationsbegriff im gegebenen Zusammenhang zweifellos ist, fest steht eindeutig dies: Inbegriff menschlicher Heiligkeit und Zielbestimmung allen Heiligengedächtnisses ist der Glaube, dessen exemplarischer Sinn in nichts anderem bestehen kann, als sich die Gnade Gottes in Jesus Christus vorbehaltlos gefallen und an ihr sich genug sein zu lassen. Damit ist es vorweg und grundsätzlich ausgeschlossen, dass durch Heilige und den Kult ihres Gedächtnisses die alleinige Heilsmittlerschaft Jesu Christi und die Vollgenügsamkeit seiner Versöhnungswirklichkeit durch Beanspruchung von anderweitigem „Verdienst, Werk und Genugtun“ (CA IV,1; BSLK 56,4&f.) in irgendeiner Weise eingeschränkt wird. Sind doch die „sancti“ und die „memoria sanctorum“ nach evangelischem Verständnis einzig und allein darauf ausgerichtet, sich ganz auf die Gnade Gottes, die Jesus Christus in Person ist, zu verlassen, welches exzentrische Vertrauen nicht nur das Wesen des Glaubens ausmacht, sondern zugleich die Möglichkeitsbedingung rechter Werke tätiger Liebe darstellt. Da solche Werke der Liebe dem Glauben ebenso notwendig wie zwanglos folgen, so sind die Heiligen als beispielhafte Glaubensgestalten zugleich Vorbilder rechter Liebeswerke, die „ein jeder nach seinem Beruf“ (BSLK 83b,8; CA XXI,1: „iuxta vocationem“) nachahmen soll. In diesem Sinn hatten bereits die Torgauer Artikel von den Heiligen gelehrt, „daß uns ihres Glaubens Exempel nutzlich sind, unsern Glauben zu stärken, daß auch ihre gute Werk uns zu Erinnerung dienen, dergleichen zu ton, ider nach seinem Beruf“ (BSLK 83b, 19–21). Wenn CA XXI diese Wendung mit einem den Türkenkrieg betreffenden Appell an den Kaiser verbindet, dessen Amt „Schutz und Schirm“ (BSLK 83b,13) der Untertanen fordert, dann ist das offenkundig durch die spezifische Reichstagssituation veranlasst und der Sache nach nichts anderes als ein konkreter Anwendungsfall reformatorischer Berufsethik, nach deren Maßgabe menschliche Heiligkeit sich gerade in der Welt und im alltäglichen Leben auszuweisen hat, wie das hagiologische Beispiel des Alexandrinischen Schusters (vgl. BSLK 389, 19–28) zeigt. Dabei ist vorausgesetzt, dass es sich bei rechten Taten der Liebe nicht um „opera supererogatoria“, um so
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genannte Werke der Übergebühr handeln kann, sondern um pflichtgemäße Werke, die Gott grundsätzlich allen Menschen geboten hat, wenngleich sie nur im folgsamen Glaubensgehorsam recht erfüllt werden können. Diese Einsicht, die im Rahmen der Confessio Augustana besonders die Artikel über Zölibat (CA XXIII par AC) und Klostergelübde (CA XXVII par AC) dokumentieren, führte zu einem bedeutenden Wandel überkommener Wertvorstellungen. Das Ziel einer aus der Masse der übrigen Getauften herausragenden, durch Erfüllung nicht nur des Dekalogs, sondern auch der sog. Evangelischen Ratschläge zu erreichenden Perfektion wurde ebenso verworfen wie die Geringschätzung der auf die Befriedigung der Notdurft und Nahrung des irdischen Leibes und Lebens ausgerichteten Berufsordnung. Theologisch relativiert wurde in diesem Zusammenhang beispielsweise auch der Unterschied von Jungfräulichkeit und Ehe. „Iustificamur enim neque propter virginitatem neque propter coniugium, sed gratis propter Christum, cum credimus nos propter eum habere deum propitium.“ (AC XXIII, 36f.) Ist sonach die entscheidende Differenz diejenige zwischen Glauben und Unglauben, so hat zugleich zu gelten: „Ut virginitas in impiis est immunda: ita coniugium in piis est mundum propter verbum Dei et fidem.“ (AC XXIII, 34) Der theologische Begriff des Heiligen entscheidet sich an der rechten Verhältnisbestimmung von Glauben und Werken, wobei in reformatorischer Perspektive der polemische Terminus „Werkgerechtigkeit“ den eigentlichen Gegensatz zu menschlicher Heiligkeit markiert. Es gilt, was in AC XXIV,55 in zeitumgreifender Weise so gesagt wird: „Oportuit enim sanctos in veteri testamento iustificari fide ex promissione remissionis peccatorum donandae propter Christum, sicut et sancti in novo testamento iustificantur. Omnes sanctos ab initio mundi sentire oportuit, hostiam et satisfactionem fore pro peccato Christum, qui promissus erat.“ Fasst man das Gesagte zusammen, dann haben Heilige nach CA XXI als mustergültige Gestalten Triplex honos liebesbewährten Glaubens zu gelten, die paradigmatisch zur Anschauung bringen, was reformatorische Theologie über Rechtfertigung und Heiligung des Sünders und über den differenzierten Zusammenhang von Glauben und Werken ausführt. Entsprechend billigt AC XXI,4 (BSLK 317,23&ff.) einen „triplex honos“, eine dreifache Weise, die Heiligen durch ihr Gedächtnis zu ehren: „Primus (honos) est gratiarum actio.“ Denn wir müssen Gott danken, daß er in den Heiligen Vorbilder der Barmherzigkeit („exempla misericordiae“) hat sichtbar werden lassen und ein Zeichen aufgerichtet hat („significaverit“), die Menschen erlösen zu wollen. „Secundus cultus est confirmatio fidei nostrae; cum videmus Petro condonari negationem, erigimur et nos, ut magis credamus, quod vere gratia exuberet supra peccatum.“ (BSLK 317,33–38) Sind die Heiligen im Sinne reformatorischer Theologie im Wesentlichen als Exempel göttlicher Barmherzigkeit und Zeichengestalten für Gottes heilsamen Versöhnungswillen zu erinnern und zu verehren, so machen sie den Triumph der Gnade über die Sünde, wie das erwähnte Beispiel der Verleugnung des Petrus beweist, nachgerade dann in paradigmatischer Weise offenkundig, wenn sie nicht, jeden-
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falls nicht in erster Linie als religiöse Heroen und leuchtende Ideale, sondern als solche vorstellig werden, denen ohn all ihr Verdienst und Würdigkeit, ja angesichts gegebenen Unvermögens und manifester Verfehlung Gnade zuteil geworden ist. Diese Gnade haben sie im Glauben und im Glauben allein empfangen, um ihr in Liebe zu Mitmensch und Welt gehorsam zu entsprechen, so dass des Weiteren zu gelten hat: „Tertius honos est imitatio primum fidei, deinde ceterarum virtutum, quas imitari pro sua quisque vocatione debet.“ (BSLK 317&f.,38&ff.) Bereits durch letztgenannte Wendung, derzufolge jeder „pro sua vocatione“, nach seiner je eigenen Berufung und Bestimmung die Heiligen nachahmen soll, ist klargestellt, dass in evangelischer Hagiologie paradigmatischer Gehalt und individuelle Gestalt zusammengehören. Das gilt um so mehr für den Glauben, der als Beispiel der Nachahmung ohnehin nur insoweit in Betracht kommen kann, als er von Gottes Gesetz als Werk allgemein gefordert ist, was nach Maßgabe des Ersten Gebotes zweifellos der Fall ist, was aber ebenso zweifelsfrei nicht den eigentümlichen Sinn evangelischen Glaubens darstellt. Denn der Glaube, der sich auf das Evangelium Jesu Christi verlässt, transzendiert als exzentrisches Gottvertrauen nicht nur alle selbsttätig erbrachte und zu erbringende Werkgerechtigkeit, sondern ist zugleich von einer prinzipiellen Individualität, welche in der Gewissheit ihres göttlichen Grundes allen Vollzügen selbstbewusster Subjektivität vorausliegt. Diese prinzipielle Individualität evangelischen Glaubens, wie sie der „notitia“ und „assensus“ in sich aufhebenden „fiducia“ eignet, beschreibt Melanchthon treffend mit der nicht zuletzt in der Apologie häufig gebrauchten Wendung von der „fides specialis, qua credit unusquisque sibi remitti peccata propter Christum ...“ (vgl. etwa AC IV,45); und diese prinzipielle Individualität darf auch dem Glauben der Heiligen, gerade wenn sie als exemplarische Glaubensgestalten in Betracht kommen sollen, nicht abgesprochen werden. Den Glauben der Heiligen verehrungsvoll zu erinnern, kann demnach nicht bedeuten, sie dublettenhaft zu imitieren, was zwangsläufig zu einer Nachäffung missraten müsste; es kann nur heißen, sich von ihrem Glauben ganz auf dessen göttlichen Grund verweisen zu lassen, um durch diesen ganz zu sich zu kommen und selbst ganz und heil zu werden, was hinwiederum die Bedingung dafür ist, andere als prinzipiell andere, will heißen: in ihrer ebenso irreduziblen wie unaufhebbaren, weil in Gott selbst gründenden Individualität anzuerkennen, welche Anerkennung nichts anderes ist als die Elementargestalt rechten, der Liebe entsprechenden Sozialverhaltens, wie es für die „communio sanctorum“ charakteristisch zu sein hat. Mit dem – an einen Einschub im Dritten Artikel Communio sanctorum des Apostolikums gemahnenden – Stichwort von der Gemeinschaft der Heiligen ist angedeutet, dass Hagiologie und Ekklesiologie eng verbunden sind. Zwar wird dieser Zusammenhang von der Augustana und ihrer Apologie nicht explizit entfaltet; doch sachlich ist er hier wie in reformatorischer Theologie insgesamt ohne Zweifel gegeben. Hinzugefügt sei, dass reformatonische Rechtfertigungslehre und reformatorische Ekklesiologie ihrerseits untrennbar zusammengehören, was sich etwa an der dezi-
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dierten Glaubensbestimmtheit kirchlicher Heiligkeit und an der Tatsache zeigt, dass der Begriff der „sancti“ nicht primär und nicht speziell einer Gruppe von Christen vorbehalten wird, sondern grundsätzlich alle bezeichnet, die durch das im Glauben empfangene Wort und Sakrament an Christus teilhaben und seinem Leib angehören. Dies entspricht dem neutestamentlichen Befund, demzufolge als Heilige grundsätzlich alle Glieder am Leibe Christi zu bezeichnen sind. Als Bezeichnung einer bestimmten Gruppe einzelner Christenmenschen, die das Zeitliche gesegnet und ihr Leben in Christus vollendet haben, ist der Begriff der Heiligen hingegen erst in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts voll entwickelt. Doch kann von einer definitiven Abgrenzung der in einem spezifischen Sinne Heiligen von den übrigen Christen auch jetzt nicht die Rede sein (vgl. Kretschmar, 266ff.). Folgt man CA VII,1, so ist die Kirche die „congregatio sanctorum, in qua evangelium pure docetur et recte administrantur sacramenta“. Dabei haben rechte Evangeliumsverkündigung und evangeliumsgemäße Sakramentsverwaltung sowohl als Lebensäußerung als auch als Lebensgrund der Kirche zu gelten, wobei die kirchliche Lebensäußerung in Wort und Sakrament nur dann als rein und richtig zu beurteilen ist, wenn die Kirche in ihr gehorsam ihrem Grund entspricht und ihren Selbstvollzug als eine – dem Grund freilich unveräußerlich zugehörige – Folgegestalt, als ein Werk ihres Glaubens wahrnimmt, in welchem der göttliche Grund sich zu explizieren verheißen hat. Gründet die Heiligkeit der ganzen Kirche demnach in der Heiligkeit Gottes, wie sie in den „sancta“, deren Vollzug kirchlich aufgegeben ist, als trinitarische, in Jesus Christus beschlossene und in der Kraft des Hl. Geistes erschlossene Liebe sich vermittelt, so besteht auch die Heiligkeit der einzelnen Kirchenglieder nicht, jedenfalls nicht primär in heiligen Liebeswerken und habituellen Qualitäten ihrer Person, sondern in der gläubigen Anteilhabe am Evangelium in Wort und Sakrament. Gemeinschaft der Heiligen ist die Kirche infolgedessen in erster Linie als Gemeinschaft der Gläubigen, die der Verheißung von Wort und Sakrament vertrauen. Ohne diesen mit der Wendung „communio sanctorum“ traditionell verbundenen, die bisherigen hagiologischen Ergebnisse bestätigenden Sinnzusammenhang irgendwie einzuschränken oder gar in Zweifel zu ziehen, hebt die in CA VII/VIII begegnende terminologische Variante „congregatio sanctorum“ oder „congregatio vere credentium“ lediglich dies hervor, dass die Gemeinschaft der Heiligen ihre konkrete Begründungs- und Realisierungsgestalt in der Personengemeinschaft derer hat, die an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit gottesdienstlich versammelt sind. Trotz und unbeschadet der Unauflöslichkeit dieser Bindung ist die Kirche nach reformatorischem Urteil zugleich und ihrem Wesen nach eine raum- und zeitumgreifende Größe. In räumlicher Hinsicht wurde das in reformatorischer Ekklesiologie wiederholt geltend gemacht. Dass darüber der zeitliche Aspekt nicht vergessen wurde, darauf deutet, wie mehrmals erwähnt, allein schon die Eingangsformel von CA VII hin, wonach gelehrt wird, „quod una sancta ecclesia perpetuo mansura sit“, „daß alle Zeit musse ein heilige christliche Kirche sein und bleiben“ (CA VII,1; BSLK 61,1–3). Es spricht nichts dagegen und einiges
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dafür, diese Wendung nicht lediglich futurisch oder im Sinne dauerhaften Verbleibens einer identischen Bezugsgröße im chronologischen Lauf der Zeiten, sondern so zu deuten, dass daraus der sowohl synchrone als auch diachrone, der zwar nicht zeitüberlegene, aber doch auf universale Integration der Zeiten hin angelegte Charakter der Kirche deutlich wird. Trifft diese Deutung zu, dann hat die Kirche, wie sie in der raumzeitlich um Wort und Sakrament versammelten Gottesdienstgemeinde erfahren wird, als eine zwar keineswegs raumzeittranszendente, wohl aber als eine Größe zu gelten, welche die durch Tod und Teufel gesetzten Raumzeitschranken auf Gottes Ewigkeit hin transzendiert und auf diese Weise zeitintegrativ wirkt. Das hat zur Folge, dass verstorbene Gläubige aus der „communio sanctorum“ nicht einfach herausfallen, sondern ihr in bestimmter Weise bleibend zugehören, welche Zugehörigkeit freilich nirgends anders als in der konkreten gottesdienstlichen Teilhabe an Wort und Sakrament zur Gewissheit gebracht werden kann. Was das für das Gedächtnis verstorbener Heiliger Memoriale mortis Christi im Sinne von CA XXI bedeutet, lässt sich am ehesten dann ermessen, wenn man, wie das im Sinne reformatorischer Theologie nicht nur nahegelegt, sondern gefordert ist, die „memoria sanctorum“ zusammennimmt mit dem „memoriale mortis Christi“, wie es nach AC XXIV,38 im Herrenmahl statthat, zugleich aber für den gesamten christlichen Gottesdienst in der Einheit von Wort und Sakrament, ja für alle konstitutiven Vollzüge des Christentums bestimmend ist. Im Blick auf das, was der Herr den Seinen zu seinem Gedächtnis („in sui commemorationem“) in Anamnese und Epiklese zu tun aufgetragen hat, gilt nun nach AC XXIV,72 Folgendes: „... meminisse Christi non est otiosa spectaculi celebratio, aut exempli causa instituta, sicut in tragoediis celebratur memoria Herculis aut Ulyssis; sed est meminisse beneficia Christi, eaque fide accipere, ut per ea vivificemur.“ Kritisch ist damit, um mit Justus Jonas zu reden, gesagt, dass Christi Gedächtnis weisungsgemäß zu pflegen „nicht ein solch Ding (ist), das allein mit Geberden und Werken zugehet, allein zu einer Erinnerung und zu einem Exempel, wie man in Historien Alexandri und dergleich gedenkt etc. ...“ (BSLK 370,20–24). Zwar gehört die „notitia historica“ zum Heiligengedächtnis unveräußerlich hinzu, wovon auch die Liturgiekonstitution des 2. Vatikanischen Konzils ausgeht (vgl. bspw. SC 92c: „Passiones seu vitae Sanctorum fidei historicae reddantur“). Heilige sind also nie bloße Personifikationen eines religiösen Ideals oder einer allgemeinen sittlichen Maxime, sondern leibhafte, irdische und individuelle Existenzen. Ihrer konkreten Anwesenheit in der Welt kommt daher eine für ihren Begriff durchaus konstitutive Bedeutung zu: reine Fiktionen und Ideen, wie hehr und erhaben sie auch sein mögen, scheiden als Bezugsgrößen der Heiligenverehrung aus. In diesem Sinne wird in AC XXI,36&f. gegen die Heiligenlegenden vor allem ihr erfundener Charakter geltend gemacht („pleraque sunt non dissimilia veris narrationibus Luciani“) und gefordert, die Taten und Widerfahrnisse der Heiligen aus wahren Begebenheiten („ex veris historiis“) zu erheben. Auch in der Christologie, die den
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offenbaren Grund aller Heiligkeit bedenkt, darf bekanntlich nicht in doketischer Manier von der „notitia historica“ abgesehen werden, um zu „assensus“ und „fiducia“ Christus gegenüber zu gelangen. Doch so wahr der irdische Jesus, der sein Leben in der historischen Wirklichkeit von Raum und Zeit zubrachte, Urbild aller Heiligkeit ist, so gelangt solch urexemplarischer Sinn des historisch fassbaren Lebens Jesu am Kreuz doch nicht nur zur Vollendung, sondern in bestimmter Weise auch an sein Ende, insofern das Gedächtnis des historischen Jesus nicht von sich aus die durch Tod und Teufel gesetzten Schranken des Irdischen zu übersteigen vermag. Wer daher Jesus nur als paradigmatisches Exempel erinnert, gelangt über ein Totengedächtnis nicht grundsätzlich hinaus. Zu einem heilsamen Eingedenken unvergänglichen Lebens wird das „memoriale mortis Christi“ nur unter der österlichen Voraussetzung, deren Gewissheit der Pfingstgeist dem Glauben vermittelt, dass nämlich der Gekreuzigte auferstanden, will heißen: als derjenige manifest ist, welcher – in Gottes Gottheit verewigt – nicht lediglich Objekt historischer Erinnerung, sondern wirksames Subjekt seines Gedächtnisses und damit lebendiger Herr aller Zeiten ist. Leuchtet diese Wahrheit ein, mit der das Christentum steht und fällt, dann wird sich auch das Andenken derer, die als Christus im Glauben Zugehörige das Zeitliche segneten, in einem neuen, man kann durchaus sagen: verklärten Lichte darstellen. Wie immer man im Einzelnen urteilen mag, fest steht, dass das im Zusammenhang mit dem gläubigen Andenken Jesu Christi gepflegte Heiligengedächtnis dank dieses Zusammenhangs nicht einfach gleichzusetzen ist mit der lediglich exemplarische Zwecke verfolgenden „memoria Herculis aut Ulyssis“ bzw. der Erinnerung an die „Historien Alexandri“. Dass dies auch die Auffassung Melanchthons und der reformatorischen Theologie insgesamt war, geht neben der Tatsache, dass in der AC XXI,4&ff. entfalteten Lehre vom „triplex honos“ „imitatio“ nach „gratiarum actio“ und „confirmatio fidei“ erst als dritter Sinnaspekt des Heiligengedächtnisses fungiert, u.&a. aus der noch zu erörternden evangelischen Annahme einer himmlischen Fürbitte der Heiligen hervor, deren sich der Glaube im Gebet zu Gott als der inneren Mitte aller „memoria sanctorum“ vergewissern darf. Insofern herrscht zwischen reformatorischer Heiligenlehre und römisch-katholischer sowie orthodoxer Hagiologie grundsätzliche Übereinstimmung, dass die „memoria caelitum et sanctorum“ nicht nur und auch nicht primär um des Beispiels willen („exempli titulo“) gepflegt wird. Wichtiger ist es, sich durch das im „memoriale Jesu Christi“ gründende Heiligengedächtnis der österlichen Herrlichkeit des auferstandenen Gekreuzigten zu vergewissern, der die Seinen nicht im Tode lässt und dessen Gemeinschaft daher nicht im Sterben endet. Der Leib Christi, der zu sein die Kirche bestimmt ist, umfasst neben den auf der Erde lebenden Gläubigen auch die im Glauben Abgeschiedenen. Diese im Grundsatz von allen christlichen Kirchen geteilte Einsicht wurde vom II. Vatika- Lumen gentium Art. 48–51 nischen Konzil ins Zentrum der Hagiologie gerückt, was in systematischer Hinsicht einen offenkundigen Fortschritt darstellt,
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insofern der Heiligenlehre nun ein präziser ekklesiologischer Ort zugewiesen wurde. Entwickelt ist die Hagiologie des II. Vatikanums neben der Liturgiekonstitution „Sacrosanctum Concilium“ (vgl. bes. SC 8, 92, 104, 107f., 111) vor allem im Zusammenhang der Lehre „De indole eschatologica Ecclesiae peregrinantis eiusque unione cum Ecclesia caelesti“ („Der endzeitliche Charakter der pilgernden Kirche und ihre Einheit mit der himmlischen Kirche“), wie sie im VII. Kapitel der Kirchenkonstitution Lumen gentium (Art. 48–51; DH 4168–4171) dargestellt wird. Grundlegend ist dabei der im Anschluss an Eph 4,16 eingeführte Gedanke, dass alle, die zu Christus gehören, im Besitz seines Geistes zu einer Kirche verbunden werden mit der Folge, dass die „communio ecclesiae“ weder durch die Pforten der Hölle überwunden noch durch den Tod und die mit ihm gesetzte Schranke der Zeit prinzipiell aufgelöst werden kann. So gilt: „Viatorum igitur unio cum fratribus qui in pace Christi dormierunt, minime intermittitur, immo secundum perennem Ecclesiae fidem, spiritualium bonorum communicatio roboratur.“ (DH 4169 unter Verweis auf 1 Tim 2,5 und Kol 1,24) Näherbestimmt wird die besagte geistliche Gütergemeinschaft, die zwischen den irdischen und den aus der Welt geschiedenen Gliedern des Leibes Christi besteht, vor allem unter dem Gesichtspunkt der Fürbittgemeinschaft. Besteht hierin, wie noch zu zeigen sein wird, grundsätzliche Übereinstimmung mit evangelischer Lehre, so wird die Angelegenheit schwieriger erst, wo nicht nur von Fürbittgebeten für Verstorbene die Rede ist, deren grundsätzliches theologisches Recht reformatorischerseits nicht geleugnet wird, sondern wo zugleich gesagt wird, dass Heilige um Fürbitte anzurufen und in ihrer himmlischen Gemeinschaft mit Christus als solche vorzustellen sind, welche nicht aufhören, „durch ihn, mit ihm und in ihm (per Ipsum, cum Ipso et in Ipso) beim Vater für uns einzutreten (apud Patrem pro nobis intercedere), indem sie die Verdienste darbringen (exhibentes merita), die sie durch den einen Mittler zwischen Gott und den Menschen, Christus Jesus ..., auf Erden (in terris) erworben haben, als sie in allem dem Herrn dienten und in ihrem Fleisch (in carne sua) für seinen Leib, der die Kirche ist, ergänzten, was an dem Leiden Christi fehlt“ (DH 4169). Zwar ist dieser Gedanke in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: zum einen, weil er das himmlische Leben der Heiligen nicht als bloße Prolongation, materiale Fortführung oder eine äußerliche Hinzufügung ihres irdischen Daseins versteht, sondern als dessen zur Vollendung geführte Verewigung in Gott. Anzuerkennen ist ferner das offenkundige Bemühen, die uneingeschränkte Heilsmittlerschaft Jesu Christi zur Geltung zu bringen. Indes bleibt – trotz des zweifellos berechtigten Anliegens, die Alleinwirksamkeit Gottes in Jesus Christus nicht auf exklusive, sondern auf inklusive, will heißen: aktives Selbstsein der Gläubigen nicht ausschließende, sondern begründende und ermöglichende Weise zur Geltung zu bringen – die Rede von den Heiligen als „merita exhibentes“ zumindest in hohem Maße missverständlich und im Übrigen das Problem der Heiligenanrufung ungeklärt. Solche Defizite ändern allerdings nichts an der evangelischer und katholischer Lehre gemeinsamen Überzeugung, dass das Gedächtnis der Verstorbenen, wie von
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anfänglichen Zeiten des Christentums an üblich, „magna cum pietate“ zu pflegen sei (DH 4170), und zwar nicht als Totengedenken, sondern als österliches Andenken derer, die in Christus ewig leben und in solch ewiger Christusgemeinschaft der Kirche auf Erden innig verbunden bleiben. Auch die Tatsache, dass bestimmter verstorbener Christen in exemplarischer Weise gedacht wird, wie das bei der „memoria sanctorum“ der Fall ist, begründet noch keinen Dissens. Differenzen werden erst sichtbar, wo es um den gewissen Erkenntnisgrund und den Verfahrensmodus der Hervorhebung einzelner Verstorbener zum Zwecke spezifischen Heiligengedächtnisses geht. Reformatorische Bedenken gegen das päpstliche Kanonisationsverfahren (vgl. CIC 1403), als dessen erste förmliche Durchführung die vor gut tausend Jahren im Februar 993 vollzogene Heiligsprechung des Augsburger Bischofs Ulrich nachweisbar ist (vgl. DH 675), wurden nicht nur im Falle Bennos, des ehemaligen Bischofs von Meißen und nachmaligen Patrons von München, laut (vgl. M. Luther, Wider den neuen Abgott und alten Teufel, der zu Meißen soll erhoben werden, 1524, in: WA 15, 183–198): dass über Verstorbene „keynem menschen gepürt zu richten“ (WA 15, 183), und zwar weder in Bezug auf Verdammnis noch auf Heiligkeit, ist nicht nur Luthers, sondern gemeinreformatorische Auffassung. Hinter diesem eschatologischen Vorbehalt verbergen sich eine Fülle ekklesiologischer, namentlich das Verhältnis der Kirche zu ihrem Haupt sowie kirchliche Verfassungs- und Repräsentationsstrukturen betreffende Fragen, die im amtstheologischen Zusammenhang angedeutet wurden. Hervorgehoben werden soll lediglich, dass nach Maßgabe des bereits mehrfach zitierten hagiologischen Kapitels von „Lumen gentium“ die Kirche zwar erst in der himmlischen Herrlichkeit vollendet werden wird, während sie jetzt noch die Gestalt dieser Welt („figura huius saeculi“) an sich trägt; gleichwohl antizipiert sie, wie es heißt, schon in dieser Weltzeit „reali quodam modo“ das Eschaton: „etenim Ecclesia iam in terris vera sanctitate licet imperfecta insignitur“ (DH 4168). Diese ekklesiologische, im authentischen Lehramt der Kirche gewissermaßen zum Bewusstsein ihrer selbst gelangende Gewissheit zwar unvollkommener, aber gleichwohl wahrer und damit durch die Sünde in ihrem Wesen unverstellter Heiligkeit bereits der irdischen Kirche in ihrer hierarchischen Realverfassung ist schließlich auch die Basis des Heiligsprechungsverfahrens, von dem es im neuen „Katechismus der Katholischen Kirche“ von 1993 heißt: „Wenn die Kirche gewisse Gläubige heiligspricht, das heißt feierlich erklärt, daß diese die Tugenden heldenhaft geübt und in Treue zur Gnade Gottes gelebt haben, anerkennt die Kirche die Macht des Geistes der Heiligkeit, der in ihr ist.“ (Art. 828) Entsprechend gilt: In den Heiligen und namentlich in Maria, in welcher die Kirche „schon die ganz heilige“ ist (Art. 829), sind „die Gestalt und die Quelle“ (Art. 2030) der Heiligkeit zu erkennen, deren Beispiel die Kirche als der „Ort unserer Erkenntnis des Heiligen Geistes“ (Art. 688) gibt. Auf die hagiologisch zugesteigerte Sonderstellung Mariens als dem „Zeichen der sicheren Hoffnung und des Trostes für das pilgemde Volk Gottes“ (LG 68&f.; vgl. insgesamt Kap. VIII: „De Beata Maria Virgine Deipara in Mysterio Christi et Ecclesiae“) soll im gegebenen
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Zusammenhang nicht speziell eingegangen werden. Zu erwähnen ist lediglich, dass der Aspekt der Gottesmutterschaft den auch in kontrovers-theologischer Hinsicht entscheidenden Gesichtspunkt der Mariologie darstellt, sofern es sich nach römisch-katholischer Lehre bei der Unbefleckten Empfängnis (DH 2803&f.), der Sündlosigkeit, der ewigen Jungfrauschaft und der schließlichen leibhaftigen Aufnahme in den Himmel (DH 3900–3904) um Gaben handelt, die Maria in Anbetracht ihrer Berufung als Gottesmutter gegeben wurden (vgl. Beinert, 341ff.). Verbleiben sonach bezüglich der Frage ekklesioPromotio ad cultum logischer Selbstwahrnehmung kirchlicher Heiligkeit kontroverstheologische Probleme, so entheben die Bedenken gegenüber dem kanonischen Heiligsprechungsverfahren, das freilich auch nach katholischer Lehre keine „promotio ad gloriam“, sondern eine „promotio ad cultum“ vornimmt, reformatorische Theologie gleichwohl nicht der Notwendigkeit, ihrerseits Kriterien zu formulieren, um zu einem Kanon dessen zu gelangen, was für die Kirche in exemplarischer Weise erinnerungswürdig ist. Der richtige Hinweis, dass ein solcher Kanon unter reformatorischen Bedingungen prinzipiell offen und revidierbar zu sein hätte, entlastet von dieser Aufgabe ebenso wenig wie die häufig geübte evangelische Praxis, das Gedächtnis der Heiligen auf solche zu beschränken, die gleichsam durch den Kanon der Schrift kanonisiert sind. Will man nämlich die Geschichte der Kirche, sofern sie als wesentlich zu erachten ist, nicht mit Abschluss des Schriftkanons enden lassen, wird man auch darüber hinaus mit Glaubensgestalten zu rechnen haben, derer nicht zu gedenken ekklesiologisch unangemessen wäre. Ich will das hier lediglich andeuten und mit der These verbinden, dass sich die Kirchengeschichtsschreibung nur dann als theologische Disziplin zu etablieren vermag, wenn sie über ekklesiologische Kriterien verfügt, die sie zu einem zwar offenen und revidierbaren, aber gleichwohl identifizier- und überprüfbaren Kanon kirchengeschichtlicher Erinnerungsbestände gelangen lassen; ansonsten steht die Kirchenhistoriographie in Gefahr zu vergessen, was für die Kirche aller Erinnerung wert ist, und zu erinnern, was man getrost vergessen kann. In diesem Zusammenhang wäre dann neben säkularen Transformationen der Heiligenverehrung (Denk- und Mahnmalwesen, Gedächtnisstiftungen und Memorialzeichen diverser Art im privaten und öffentlichen Bereich etc.) auch zu erörtern, welche Reliquien einer angemessenen kirchengeschichtlichen Gedächtnispflege in besonderer Weise nützlich sind. Dass es sich dabei nicht nur und nicht primär um mehr oder minder skelettierte Gebeine handeln kann, darüber wird auch mit Katholiken unbeschadet der vom Tridentinum gebotenen Verehrungspflicht heiliger Leiber („sancta corpora“; DH 1822) rasche Einigung zu erreichen sein. Zu erörtern wäre ferner, was es mit der Begehung begangener Wege im Sinne memorialer Wallfahrt auf sich hat oder welche Erinnerung das Wort hervorzurufen vermag und wie sich dazu das Gedächtnismedium des Bildes verhält, dem das Tridentinum den nicht geringsten Teil seiner hagiologischen Ausführungen (DH
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1823; vgl. auch 1269) widmet. Genug damit, der Beweis ist erbracht: Das Heiligengedächtnis verdient theologisch erinnert zu werden. In den Augsburger Ausgleichsverhandlungen vom August 1530 stimmte man in Bezug auf die Invocatio sanctorum? Heiligenfrage darin überein, dass alle Heiligen und Engel im Himmel bei Gott für uns bitten und dass der kirchliche Brauch christlich sei, das Gedächtnis der Heiligen zu pflegen und Gott im Gebet anzurufen, dass uns der Heiligen Fürbitte zugute komme. Zu keiner Einigung gelangte man hingegen in der Problematik einer „invocatio sanctorum“; es blieb strittig, ob die Heiligenanrufung unter der von beiden Seiten anerkannten Voraussetzung, dass diese Praxis von der Schrift nicht ausdrücklich geboten werde, als allgemeiner Kirchenbrauch akzeptiert werden könne. Kritische Vorbehalte gegen den Brauch der „invocatio sanctorum“ wurden bekanntlich schon in CA XXI vorgetragen. Indes wird aus Gründen gegebener Ausgleichsinteressen nur relativ verhaltene Kritik geäußert, wie ein Vergleich mit den Torgauer Artikeln bestätigt. Dort hieß es im Blick auf das bereits durch die Überschrift „De invocatione sanctorum“ angezeigte Thema: „Aber von Heiligen etwas bitten und durch ihr Verdienst etwas erlangen, diese Ehr gehoret Gott und unserm Herrn Christo allein zu. Darumb soll man die Heiligen auch nicht als Furbitter anrufen, denn Christus hat geboten, ihnen zu einem Furbitter und Mittler zu halten. Wie Paulus spricht: Unus est mediator Christus.“ (BSLK 83b,21–24) Der Beginn der entsprechenden Passage im deutschen Text von CA XXI ist vergleichsweise zurückhaltender formuliert: „Durch Schrift aber“, so steht zu lesen, „mag man nicht beweisen, daß man die Heiligen anrufen oder Hilf bei ihnen suchen soll.“ (BSLK 83b,14–16) Die lateinische Version lautet ähnlich: „Sed scriptura non docet invocare sanctos seu petere auxilium a sanctis, quia unum Christum nobis proponit mediatorem, propitiatorium, pontificem et intercessorem.“ (CA XXI,2) Christus müsse man deshalb anrufen; denn er und er allein (BSLK 83c,2&f.) habe versprochen, unsere Gebete zu erhören, und solcher Gottesdienst („cultus“) empfehle sich in höchstem Maße, wolle der Herr doch „in allen Noten und Anliegen“ (BSLK 83c,4; CA XXI,3: „in omnibus afflictionibus“) von Herzen gesucht und angerufen werden. Biblisch begründet wird dies mit 1 Joh 2,1, im deutschen Text zusätzlich mit Tim 2,5 und Röm 8,34. Die Konfutatoren haben die offenkundigen Ausgleichsabsichten von CA XXI entweder nicht hinreichend zur Kenntnis genommen oder bewusst vernachlässigt. Jedenfalls vermochten sie in der kritischen Reserve der Augustana gegen eine „invocatio sanctorum“ nichts anderes zu sehen als das neuerstandene Irrsal einer kirchlich längst und mehrfach verdammten Ketzerei und notorischen Häresie, weshalb, wie es heißt, „diser artickl gentzlich zu verwerfen und mit gemainer kyrchen zu verbannen ist.“ (Immenkötter, 124, 11&f.; 125, 10&f.: „Quare hic confessionis articulus toties damnatus penitus reiiciendus est et cum tota universali ecclesia orthodoxa reprobandus.“) Verteidigt wird die Legitimität der Praxis einer „invocatio sanctorum“ in der Confutatio zunächst unter Verweis auf die allgemeine Kirchenlehre und das Väterzeugnis. Breiter Raum wird sodann für den Schrift-
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beweis verwendet, dass man die verstorbenen Heiligen ehren und sich ihrer Fürbitte anempfehlen solle, welche nach biblischem Zeugnis nicht weniger gewiss sei als diejenige der Engel: „Orant ergo et mortui pro nobis.“ (Conf 127, 10 unter Verweis insbesondere auf Bar 3,4 und 2 Makk 15,12–14) Die Kritik an der Auslegung von 1 Tim 2,5 und 1 Joh 2,1 in CA XXI schließt sachlich daran an, wenn es heißt: „Dan gleichwol, ob die gantze kirchen bekennet, das da sey ain einiger mittler der erlösung, namlich Christus Jesus, so sein doch von wegen der furbit auch sonst vyl anderer mittler nach außweisung der geschrift.“ (Immenkötter 128, 19–22) Im lateinischen Text korrespondiert dem die Unterscheidung zwischen Christus als dem einzigen „mediator redemptionis“ und den vielen „mediatores intercessionis“. Namentlich erwähnt wird als solcher „mediator intercessionis“ neben Moses der Apostel Paulus, der nicht nur selbst stetige Fürbitte geleistet, sondern die ihm anvertrauten Gemeinden wiederholt um Fürbitte gebeten habe. Haben mithin Fürbitte und Bitte um Fürbitte als Normalfall im Volke Gottes zu gelten, so sei – wenn anders der Tod, wie zu ergänzen ist, für das Volk Gottes keine absolute Grenze darstellt – auch die Anrufung der Heiligen nichts Absonderliches, wobei das Verhältnis Christi als des ersten und obersten „fursteer und furbitter“ (Immenkötter 128, 34) zu den Heiligen als das von Leib und Gliedern vorzustellen sei dergestalt, dass die Heiligen ihren Willen demjenigen Christi gleichförmig machen und in dessen Fürbitte ihrerseits entsprechend einstimmen: „Est igitur Christus advocatus noster primarius et quidem maximus, at cum sancti sint membra Christi ... et voluntatem suam conforment voluntati Christi et videant caput Christum orare pro nobis, quis dubitare potest sanctos hoc idem facere, quod vident Christum facientem.“ (Conf 129, 21–131, 4) Als die Apologie daraufhin die Position von CA XXI entschieden verteidigte, waren in der Frage der „invocatio sanctorum“ die kontroverstheologischen Fronten einstweilen abgesteckt, wobei eine Tendenz zur konfessionalistischen Verhärtung unverkennbar ist. Das belegt neben dem kritischen Verdikt der Schmalkaldischen Artikel (ASm II/2), wo von der Heiligenanrufung gesagt wird, sie sei „auch der endchristlichen Mißbräuche einer“, nicht zuletzt die Umarbeitung von CA XXI in der Variata von 1540, derzufolge schlicht und einfach zu gelten hat: „lnvocatio est honos, qui tantum Deo omnipotenti praestandus est ... Econtra vero taxanda est et ex ecclesia prorsus eiicienda est consuetudo invocandi sanctos homines, qui ex hac vita decesserunt ...“ (BSLK 83b, Anm. 2) Angesichts solcher Tendenz zur Frontenverhärtung und zur kontroverstheologischen Fixierung auf die Anrufungsfrage ist es nützlich, sich der bestehenden hagiologischen Gemeinsamkeiten zu versichern, wie sie nach dem aufs Ganze gesehen immer noch moderaten Urteil der Apologie gegeben und von dem Streit um die Invokationsproblematik unberührt sind. Anerkannt wird nicht nur, dass Engel für uns beten, was Sach 1,12 zu entnehmen sei (vgl. CR 27, 289 u. 340 sowie AC XXI,8), zugestanden wird trotz des fehlenden kanonischen Schriftzeugnisses von betenden Verstorbenen (vgl. den Verweis auf 2 Makk 15,14) auch, dass Abgeschiedene, gleichwie die Lebenden insgemein für die ganze Kirche beten, im Himmel für die Kirche im Allge-
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meinen beten (AC XXI,9: „sicut vivi orant pro ecclesia universa in genere, ita in coelis orent pro ecclesia in genere“). Wie immer dieser Satz im Einzelnen zu verstehen ist, fest steht, dass AC XXI verstorbene Heilige aus der Fürbittgemeinschaft der „communio sanctorum“ keineswegs definitiv auszuschließen beabsichtigt. Dies wird durch evangelische Gesangbuchfrömmigkeit bestätigt, wie u.a. das Lied „Betgemeinde, heilge Dich ...“ von Chr. Karl Ludwig Reichsfreiherr von Pfeil (1712–1784) beweist: „Wenn die Heilgen dort und hier, / Große mit den Kleinen, / Engel, Menschen mit Begier / alle sich vereinen / und es geht ein Gebet / aus von ihnen allen: / wie muß das erschallen!“ „Oh der unerkannten Macht / von der Heilgen Beten! / Ohne das wird nichts vollbracht / so in Freud als Nöten. / Schritt für Schritt wirkt es mit, / wie zum Sieg der Freunde / so zum End der Feinde.“ Zwar ist dieses Lied (EKG 275) nicht mehr in den Stammteil des Evangelischen Gesangbuchs von 1994 aufgenommen worden; doch finden sich auch in ihm hagiologische Bezüge, etwa wenn es heißt: „Mit allen Heilgen beten wir dich an. / Sie gingen auf dem Glaubensweg voran / und ruhn in dir, der unsern Sieg gewann.“ (EG 154, 6) Auf das immerwährende Gebet vor Gottes Angesicht spielt folgende Passage an, ohne Heilige explizit zu erwähnen: „... und danken dir, wenn wir uns legen, / dass deine Kirche immer wacht. / Denn unermüdlich, wie der Schimmer / des Morgens um die Erde geht, / ist immer ein Gebet und immer / ein Loblied wach, das vor dir steht.“ (EG 266, 2.3) Dass die Fürbittgemeinschaft der „communio sanctorum“ die mit dem Tod gesetzte Grenze Fürbitte und Bitte um Fürbitte zwar zu respektieren, nicht aber als exklusive Schranke ihrer selbst und ihres Gebets zu betrachten hat, ergibt sich im Übrigen auch daraus, dass nach Maßgabe des Messopferartikels der Apologie von einem reformatorischen Verbot des Gebets für Verstorbene nicht die Rede sein kann (AC XXIV,94: „scimus veteres loqui de oratione pro mortuis, quam nos non prohibemus“). Vehement wehrt sich daher AC XXIV,96&ff. gegen die Absicht der Gegner, die reformatorische Kritik der Messe „pro defunctis“ in einen Zusammenhang mit der Ketzerei des Aerius zu bringen (vgl. BSLK 376, Anm. 1), der nach dem Zeugnis des Kirchenvaters Epiphanius von Salamis (vgl. BSLK 376, Anm. 2) gesagt haben soll, dass Gebete für Verstorbene nutzlos seien. Nicht dieses – so wird im gegebenen Zusammenhang deutlich gemacht – sei die eigentliche Streitsache, sondern die – die Relation von Versöhnungszusage und Glaube sprengende – Theorie und Praxis einer Applikation „ex opere operato“ erwirkter satisfaktorischer Messopferfrüchte für Verstorbene. Analoges wird in AC XXI in Bezug auf die Annahme einer Fürbittfunktion verstorbener Heiliger geltend gemacht. Abzulehnen sei diese Annahme erst, sofern sie sich mit der Vorstellung einer „applicatio meritorum sanctorum pro aliis“ verbindet: „Id nullo modo ferendum est.“ (AC XXI,14) Denn damit seien die Heiligen nicht allein zu Fürsprechern („deprecatores“), sondern auch zu Versöhnern („propitiatores“) und damit recht eigentlich zu Erlösungsmittlern („mediatores redemptionis“) erklärt. Das aber sei ein Raub der Ehre Christi. Scheidet damit die Vorstellung von Heiligen als propitiatorischen Erlösungs-
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mittlern aus protestantischer Hagiologie definitiv aus, so ändert das doch nichts an der Gewissheit, dass wie das gelebte Leben verstorbener Heiliger insgesamt, so auch die von ihnen geleistete Fürbitte als eines der hervorragendsten Werke ihres Glaubens in der Ewigkeit Gottes aufgehoben und unvergänglich bewahrt bleibt. Entsprechend beinhaltet evangelisches Heiligengedächtnis das unbestrittene Recht, die Fürbitte der Heiligen zu erinnern und sich ihrer als „deprecatores“ zu vergewissern. Die zugestandene deprekatorische Funktion der Heiligen, welche die „memoria sanctorum“ legitimerweise sich vergegenwärtigt, bedeutet indes nicht, dass Heilige als „mediatores intercessionis“ anzurufen seien. Vielmehr differenziert Melanchthon ausdrücklich zwischen dem Faktum der Fürsprache der Heiligen, welches dankbar wahrzunehmen und anzuerkennen sei, und der Annahme einer Fürbittenmittlerschaft der Heiligen, die ebenso abgelehnt wird wie die mit ihr verbundene Praxis einer „invocatio sanctorum“. Damit ist zugleich die von den Konfutatoren in Anschlag gebrachte Unterscheidung zwischen dem einen „mediator redemptionis“ Jesus Christus und den vielen „mediatores intercessionis“ als unhaltbar abgelehnt. Nach dem Urteil Melanchthons zeigt sich die Aporie dieser Unterscheidung vor allem daran, dass sie die Konfutatoren entgegen ihrer Behauptung gar nicht durchhalten, sondern der Sache nach aufgeben. Verdunkle nämlich bereits die ohne begründeten Schriftbeweis vertretene Annahme, dass Heilige nicht nur Fürsprecher, sondern Mittler der Fürbitte seien, die alleinige Erlösungsmittlerschaft Christi, indem sie die Einbildung nahelege, die Heiligen seien zugänglicher und versöhnlicher als der Heiland selbst, so rücken diese, die Heiligen, spätestens dann in die Funktion von „mediatores redemptionis“ ein, wenn mit einer Zurechnung ihrer Verdienste für andere gerechnet werde, wie das nicht nur im Zusammenhang des Ablassunwesens der Fall sei. Zusammenfassend lässt sich im Blick auf AC XXI hagiologisch Folgendes resümieren: Während Melanchthon die Annahme einer fürbittenden Wirksamkeit der verstorbenen Heiligen anerkennt oder jedenfalls nicht in Abrede stellt, lehnt er die Vorstellung einer „applicatio meritorum sanctorum pro aliis“ ab. Für die theologischen Gründe dieser Ablehnung kann ein Vergleich mit der an der Messe „pro defunctis“ geübten Kritik aufschlussreich sein. Im gegebenen Zusammenhang genügt es festzuhalten, dass nach Melanchthons Urteil der Gedanke einer Zueignung der Verdienste der Heiligen an andere diese zu „propitiatores“ und damit faktisch zu dem macht, was sie auch nach Lehre der Gegner recht eigentlich nicht sein dürfen, nämlich „mediatores redemptionis“. Der Versuch einer ökumenischen Verständigung in der Heiligenfrage hätte sich demnach in erster Linie auf die mit der problematischen Vorstellung vom „thesaurus ecclesiae“ verbundene strittige Lehre vom Verdienst („meritum“) der Heiligen und einer durch Anrufung zu erlangenden „applicatio meriti“ zu konzentrieren. In diesem Zusammenhang wäre sodann namentlich die Unterscheidung zwischen „mediatores intercessionis“ und „mediator redemptionis“ zu erörtern: Die Konfutatoren arbeiten mit dieser Unterscheidung; Melanchthon kritisiert sie als eine bloß scheinbare und gibt sie für die eigene positive Lehrdarstellung auf.
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Die Tatsache, dass nach Maßgabe der Apologie Heilige weder „mediatores redemptionis“ noch „mediatores intercessionis“ genannt werden und genannt werden dürfen, ist allerdings nicht als Bestreitung von deren interzessorischer Funktion überhaupt zu deuten. Dass dies nicht der Fall ist, beweist der Text von Apologie XXI eindeutig. Die hagiologische Kritik am Begriff der „mediatores intercessionis“ bezieht sich demnach nicht schon darauf, dass die Heiligen Fürsprecher genannt werden, was nicht in Abrede gestellt wird, sondern erst auf die Behauptung, sie seien Mittler der Fürbitte. Diese Differenzierung hängt ihrerseits zusammen mit der Unterscheidung zwischen einer – anerkannten – deprekatorischen und einer – abgelehnten – propitiatorischen Funktion der Heiligen, die für Melanchthon terminologisch und sachlich von erheblicher Bedeutung ist. Dabei ist es ihm keineswegs entgangen, dass in der Hagiologie der Gegner deprekatorischer und propitiatorischer Aspekt nicht getrennt werden können, sondern einen Zusammenhang ausmachen. Indes richten sich Melanchthons Bedenken gerade auf diese Verbindung, in deren Konsequenz er dann auch die Praxis einer „invocatio sanctorum“ ablehnt und ablehnen muss. Die Frage, ob diese Ablehnung unter allen hagiologischen Umständen in Geltung steht, wäre die zweite, mit der ersten eng verbundene Hauptfrage eines ökumenischen Verständigungsversuchs. Denn es möchte ja sein, dass eine von propitiatorischen Fehlerwartungen freie „invocatio sanctorum“, welche die Heiligen lediglich in ihrer Eigenschaft als „deprecatores“ anruft, ohne damit die Annahme einer Fürbittmittlerschaft zu verbinden, in keinem prinzipiellen Gegensatz zu dem stehen muss, was reformatorische Lehre in einem theologisch gefüllten Sinne „memoria sanctorum“ nennt. Das Recht einer solchen heuristischen Annahme wird nicht zuletzt dadurch begründet, dass Das Trienter Heiligendekret der Begriff der „invocatio“ für sich genommen nicht hinreichend klar ist. Nicht von ungefähr hat das Tridentinum seine Verteidigung der Praxis der Heiligenanrufung vor allem im Anschluss an die traditionelle Differenzierung zwischen „invocatio“ und „adoratio“ zu leisten versucht. Das tridentinische „Decretum de invocatione, veneratione et reliquiis Sanctorum, et sacris imaginibus“ (DH 1821–1825; vgl. DH 1467 sowie 1025–1027), das im Folgenden lediglich unter dem Aspekt der Verehrung und Anrufung Berücksichtigung finden soll, wurde am 3. Dezember 1563 unter dem Druck, das Konzil endlich zum Abschluss zu bringen, rasch verabschiedet (vgl. im Einzelnen Müller, 62ff.). Bereits das Messopferdekret vom 17. September 1562 (vgl. DH 1744) hatte in Can. 5 (DH 1755) festgelegt: „Si qui dixerit, imposturam esse, Missas celebrari in honorem Sanctorum et pro illorum intercessione apud Deum obtinenda, sicut Ecclesia intendit: anathema sit.“ („Wer sagt, es sei eine Verfälschung, daß Messen zu Ehren von Heiligen, und um ihre Fürsprache bei Gott zu erlangen, gefeiert werden, wie es die Kirche behauptet: der sei mit dem Anathema belegt.“) In Bestätigung dieses Anathems erklärt es das Dekret (DH 1821) für eine gottlose Denkungsart („impie sentire“), zu leugnen, dass die Heiligen, die sich der ewigen Glückseligkeit im Himmel erfreuen, anzurufen seien („Sanctos, aeterna fe-
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licitate in caelo fruentes, invocandos esse“) oder zu behaupten, sie, die Heiligen, würden für die Menschen nicht beten („illos pro hominibus non orare“) oder ihre Anrufung, damit sie für uns auch einzeln beten, sei Götzendienst („eorum, ut pro nobis etiam singulis orent, invocationem esse idololatriam“) oder stehe im Widerspruch mit dem Wort Gottes und widerstreite der Ehre des einen Mittlers zwischen Gott und den Menschen, Jesu Christi („pugnare cum verbo Dei, adversarique honori unius mediatoris Dei et hominum Jesu Christi“ [cf. 1 Tim 2,5]). Dieser negativen Abgrenzung korrespondiert folgende positive Lehre: Die Heiligen, welche zusammen mit Christus im Himmel herrschen („una cum Christo regnantes“) und ihre Gebete für die Menschen Gott darbringen („orationes suas pro hominibus Deo offerre“; in DH gesperrt), mit Herz und Mund („voce vel mente“) anzuflehen („supplicare/suppliciter invocare“) und zu ihren Gebeten, ihrem Beistand und ihrer Hilfe Zuflucht zu nehmen, um von Gott durch seinen Sohn Jesus Christus, unseren Herrn, der allein unser Erlöser und Erretter ist, Wohltaten zu erwirken („ob beneficia impetranda a Deo per Filium eius Jesum Christum Dominum nostrum, qui solus noster Redemptor et Salvator est, ad eorum orationes, opem auxiliumque confugere“), sei nicht nur nicht töricht, sondern gut und nützlich („bonum atque utile“). Trotz seiner offenkundig antiprotestantischen Ausrichtung bleibt dieser Text für evangelische Theologie und Heiligenlehre in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: 1. Zwar wird die Verehrung der Heiligen wie die ihrer Reliquien (DH 1822) und Bilder (DH 1823–1825) grundsätzlich bejaht und verteidigt; doch wird der „invocatio“ und „veneratio sanctorum“ keineswegs ein heilsnotwendiger Status zuerkannt. Gesagt wird lediglich, es sei gut und nützlich („bonum atque utile“), die Heiligen zu ehren und anzurufen, und zwar, wie es einleitend heißt, nach Maßgabe dessen, was von Anbeginn des Christentums überlieferter Brauch der katholischen und apostolischen Kirche ist und dem Konsens der Väter sowie der Konzilienentschlüsse entspricht („ut iuxta catholicae et apostolicae Ecclesiae usum, a primaevis christianae religionis temporibus receptum, sanctorumque Patrum consensionem et sacrorum conciliorum decreta“). Indirekt bestätigen die Trienter Konzilsväter damit, was etwa auch die Konfutatoren einräumten, dass nämlich die „invocatio sanctorum“ auch nach ihrer Einschätzung eines expliziten Schriftmandats entbehrt. Bringt man dies in Verbindung mit der erwähnten Voraussetzung, dass die Heiligenverehrung zwar gut und nützlich, aber nicht zwingend notwendig, also für das Heil unbedingt erforderlich sei, dann ließen sich daraus gegebenenfalls auch systematische Schlüsse ziehen hinsichtlich der Bestimmung, die das Trienter Dekret „De libris sacris et de traditionibus recipiendis“ (DH 1501ff.) vom 8. April 1546 in Bezug auf das Verhältnis von Schrift und Tradition vorgenommen hat. Trifft es nämlich zu, dass jene Bestände der Kirchenlehre, die nicht „in scripturis sanctis“, sondern nur „in sine scripto traditionibus“ enthalten sind, unbeschadet ihrer anzuerkennenden Güte und Nützlichkeit jedenfalls nicht heilsnotwendig sind, dann lässt sich daraus die Annahme einer materialen Suffizienz der Hl. Schrift in soteriologischer Hinsicht unschwer folgern.
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2. In dem Trienter Heiligendekret ist, wie stets in offizieller römisch-katholischer Lehre, vorausgesetzt, dass klar zu unterscheiden sei zwischen einer „adoratio“, die ausschließlich Jesus Christus, dem wie es heißt, alleinigen Erlöser und Erretter und einzigen Mittler bzw. dem in ihm offenbaren dreieinigen Gott gebühre, und einer „invocatio“ oder „supplicatio sanctorum“. Diese Sprachregelung ist angelehnt an die sachlich und terminologisch schon von Basilius von Caesarea, Cyrill von Alexandria und Augustinus entwickelte, durch das gesamtkirchlich rezipierte 2. Konzil von Nizäa (787; vgl. „Definitio de sacris imaginibus“, DH 600– 603, bes. 601) klassisch gewordene Differenzierung der Verehrung der Heiligen als eines ehrenden Kultes, den man im Westen wohl seit Paschasius Radbertus „cultus duliae“ genannt hat, und der allein der Gottheit Gottes zukommenden latreutischen Verehrung. Von einer Anbetung der Heiligen (vgl. DH 601) kann und darf also unter tridentinischen Bedingungen nicht die Rede sein. Zugleich kann und darf durch den Mittlerdienst der Heiligen, wie ihn die „invocatio sanctorum“ in Anspruch nimmt, nach Lehre des Tridentinums die Einzigkeit der gottmenschlichen Mittlerschaft Jesu Christi („unius mediatoris Dei et hominum“), „qui solus noster Redemptor et Salvator est“, in keiner Weise eingeschränkt oder unterminiert werden. Dies wird durch einschlägige Aussagen des II. Vatikanischen Konzils ausdrücklich unterstrichen. So wird in der Kirchenkonstitution Lumen Gentium (DH 4177) im Blick auf die kirchlichen Titel Mariens, zu denen auch derjenige der „mediatrix“ explizit gezählt wird, gesagt, dass all jene Auszeichnungen so verstanden und so zu verstehen sind, dass der Würde und Wirksamkeit Christi, des einen Mittlers („unius Mediatoris“), nichts weggenommen und nichts hinzugefügt wird („nihil deroget, nihil superaddat“). Zur Begründung wird folgender Grundsatz angeführt: „Nulla enim creatura cum Verbo incarnato ac Redemptore connumerari umquam potest; sed sicut sacerdotium Christi variis modis tum a ministris tum a fideli populo participatur, et sicut una bonitas Dei in creaturis modis diversis realiter diffunditur, iter etiam unica mediatio Redemptoris non excludit, sed suscitat variam apud creaturas participatam ex unico fonte cooperationem.“ Bleibt zu fragen, ob solche „cooperatio“ unmissverständlich so zu bestimmen ist, dass da- Invocatio und adoratio durch die unvergleichliche Singularität des Christusgeschehens gewahrt bleibt. Dem entspricht die Frage nach dem theologischen Recht einer analogen Verwendung des Mittlerbegriffs in Christologie und Ekklesiologie bzw. Hagiologie, deren Beantwortung hinwiederum die Basis darstellt für die rechte Beurteilung der Unterscheidung von „invocatio“ und „adoratio“. Wie der analoge Gebrauch des Mittlerbegriffs zur Univokation tendiert, so lässt sich nach traditioneller reformatorischer Kritik auch die Unterscheidung von „invocatio“ und „adoratio“ nicht konsequent durchhalten: Sie ist vielmehr eine letztlich nur scheinbare, auf indifferenzierende Koinzidenz hin angelegte. Dies war auch der Haupteinwand von Martin Chemnitz (1522–1586) gegen die Trienter Heiligenlehre, wobei es bemerkt zu werden verdient, dass das „Examen Concilii Tridentini“ (1578; hg.v. E. Preuss, Berlin 1861, Nachdruck Darmstadt 1972, 654ff.)
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immerhin zu einem Sechstel Problemen der Hagiologie gewidmet ist. Einen gedanklichen Höhepunkt der hagiologischen Kontroverse stellt die Auseinandersetzung Johann Gerhards (1582–1637) mit dem (1930 heiliggesprochenen) Kardinal Robert Bellarmini (1542–1621) dar (vgl. G.L. Müller, Gemeinschaft und Verehrung der Heiligen, 86–110). Besondere Aufmerksamkeit verdient es, dass Gerhard die evangelische Möglichkeit einer von religiöser und allein Gott gebührender Anrufung unterscheidbaren „nominatio“, „praedicatio“ und „compellatio“ verstorbener Heiliger ausdrücklich anerkennt, während Bellarmin im Anschluss an Thomas und den Lombarden alle terminologische Mühe darauf verwendet, wesentliche Differenz und analoge Einheit von „cultus latriae“ und „duliae“ zum Ausdruck zu bringen. Nimmt man dies ernst, dann lässt sich das verbleibende kontroverstheologische Problem auf die Frage reduzieren, ob die skizzierte Unterscheidung zwischen „invocatio“ und „adoratio“ einen haltbaren Sinn ergibt bzw. ob bei konsequenter Durchführung dieser Unterscheidung „invocatio“ sachlich eigentlich etwas anderes bedeutet als „memoria“ im entwickelten reformatorischen Sinn. Bevor der hagiologische Exkurs und mit ihm die traditionsorientierten und auf ökumenische Verständigung bedachten ekklesiologischen Fallstudien abrupt enden, um mit einem Epilog konfrontiert zu werden, der den scharfen Kontrast traditionaler und neuzeitspezifischer Perspektiven und die systematische Schwierigkeit, theologische Überlieferungstreue und Modernitätsoffenheit zu verbinden, möglichst unverblümt vergegenwärtigen soll, sei zum Schluss noch eine kleine Heiligengeschichte erzählt: Sie ist in Melanchthons „Tractatus de potestate et primatu papae“ (Tract. 67f.) ausdrücklich erwähnt und gibt nicht nur ein schönes Beispiel für die „communio sanctorum“ im reformatorischen Sinne des Priestertums aller Gläubigen, sondern verweist die Hagiologie zugleich dorthin, wo sie ihren entscheidenden Bewährungsort und theologischen Sitz im Leben hat – in den Kontext der „ecclesia militans“: Zwei Christen befinden sich auf einem vom Untergang bedrohten Schiff, der eine ein die Taufe heftig begehrender Katechumene, der andere ein getaufter Pönitent, den es dringlich nach Absolution verlangt. In dieser Situation leiblicher und geistlicher Not tauft der Bußwillige den Taufanwärter, um anschließend von ihm den vollmächtigen Zuspruch der Sündenvergebung zu empfangen: „quum illa historia narratur, omnes, qui audiunt, ... ad lacrimas movet“ (MPL 187, 1808), heißt es im Decretum Gratiani (Distinctio IV der pars tertia) von dieser Augustin zugeschriebenen – in jeder Hinsicht glücklich endenden („Evaserunt naufragium“) – Geschichte: „So oft man sie erzählte, bewegte sie alle Hörer zu Tränen.“ Könnte es nicht sein, dass der wesentliche Sinn aller „memoria sanctorum“, aller Erinnerung gelebten Glaubens vergangener Zeiten darin besteht, uns zu solchen Freudentränen gewisser Hoffnung zu bewegen?!
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Lit.: U. Barth, Kants Begriff eines Gegenstands der praktischen Vernunft und der systematische Ansatz der Religionsphilosophie, in: U. Schnelle (Hg.), Reformation und Neuzeit. 300 Jahre Theologie in Halle, Berlin/New York 1994, 267–302. – J. Habermas, Die Grenze zwischen Glauben und Wissen. Zur Wirkungsgeschichte und aktuellen Bedeutung von Kants Religionsphilosophie, in: H. Nagel-Docekal/R. Langthaler (Hg.), Recht – Geschichte – Religion. Die Bedeutung Kants für die Gegenwart, Berlin 2004, 141–160. – I. Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, Königsberg 1793, 21794.
Das Reich Gottes kommt umso näher, je mehr der Kirchenglaube in reinen Religionsglauben Zurück zu Kant übergeht. Nach Immanuel Kant (1724–1804) bezeichnet der Reich-Gottes-Begriff die vollendete Realisierung der Idee eines ethischen Gemeinwesens, welches die ganze Menschheit umfasst. Ein ethisches Gemeinwesen ist nicht lediglich durch öffentliche Rechtsgesetze, die wesentlich Zwangsgesetze sind, sondern durch zwangsfreie Tugendgesetze vereinigt, welche in der Selbstgesetzgebung praktischer Vernunft gründen und der Freiheit des Menschen nicht äußerlich, sondern innerlich sind. Da hinwiederum Tugendpflichten nicht nur eine Teilmenge der Menschheit verbinden, sondern ihrem universalen Wesen gemäß alle angehen, ist die Idee eines ethischen Gemeinwesens von dem Ideal integrer Einheit und Ganzheit des Menschengeschlechts nicht zu trennen. Mit dem Begriff eines Volkes Gottes wird dieses Ideal insofern zutreffend umschrieben, als kein Menschenvolk und kein menschlicher Gesetzgeber je für sich als allgemein verbindliches Einheitssubjekt eines das ganze Menschengeschlecht umfassenden Gemeinwesens fungieren können. Diese Funktion ist dem ins Praktische gewendeten transzendentalen Ideal Gottes als eines moralischen Weltenherrschers vorbehalten. Das die Menschheit und mittels dieser die Welt umfassende Reich Gottes als unbeschränkte Herrschaft des allmächtigen Herzenskündigers lässt sich unter sinnlichen Daseinsbedingungen leibhafter Menschen nicht unmittelbar, sondern nur auf vermittelte Weise, nämlich in Gestalt einer Kirche und in Form eines Kirchenglaubens realisieren, dessen für ihn kennzeichnende historische Verfassung der sensiblen Natur des Menschengeschlechts geschuldet ist. Wie aber die Sensibilität des Menschen an dessen Intelligibilität den Maßstab ihrer Beurteilung findet, so stellt das Kriterium des historischen, auf geschichtlichen Offenbarungsdaten aufruhenden Kirchenglaubens der reine, in seiner Reinheit allein der praktischen Vernunft verpflichtete Religionsglaube dar. Die Beförderung seiner Herrschaft ist
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nach Kant gleichzusetzen mit der fortschreitenden Annäherung des Reiches Gottes, wobei die Allmählichkeit dieser Annäherung der Rücksicht entspricht, welche die Moral, ohne ihren universalen Herrschaftsanspruch über alles Sinnliche zur Disposition zu stellen, auf die Belange leibhafter Menschen in einer sinnlich gegebenen Körperwelt zu nehmen hat. Diese – ihrerseits ethisch gebotene – Rücksicht verlangt es, dass die Ankunft des Reiches Gottes nicht in unvermittelter Plötzlichkeit und durch revolutionären Umsturz, sondern durch kontinuierlichen Fortschritt eintritt. Dem kommenden Reich Gottes durch ihren allMoralischer Fortschritt und mählichen Übergang in den reinen Religionskommendes Gottesreich glauben zu dienen, ist die Bestimmung aller möglichen und tatsächlichen Formen historischen Offenbarungsglaubens, auf welchen sich sichtbare Kirchentümer auf die eine oder andere Weise begründet wissen. Im umfassenden Horizont praktischer Vernunft betrachtet sind die sichtbaren Kirchen von lediglich transitorischer Bedeutung und dazu bestimmt, ihre Sichtbarkeit progressiv aufzuheben zugunsten ihres wahren Wesens, welches in der „ecclesia invisibilis“ eines universalen, nach inneren Tugendgesetzen geordneten Gemeinwesens besteht. Ist die Relevanz von sichtbaren, auf einen historischen Offenbarungsglauben fundierten Kirchentümern in prinzipieller Betrachtung sonach nur eine momentane, so kommt ihnen gleichwohl und eben darin eine unverzichtbare Vehikelfunktion zu, als sie das Menschengeschlecht erziehen und aus kindlicher Sinnenverhaftung herausführen hin zu einem Religionsglauben reiner Intelligibilität, wie er erwachsener Mündigkeit entspricht. Während der reine Religionsglauben naturgemäß von zeitinvarianter Geltung und damit geschichtslos gedacht werden muss, stehen die diversen Kirchentümer und kirchlichen Glaubensformen nach Maßgabe ihrer historischen Verfassung in einem geschichtlich vermittelten Verhältnis zueinander. Kann man bezüglich des reinen Religionsglaubens daher keine Universalhistorie des Menschengeschlechts verlangen, so ist diese Erwartung in Bezug auf den Kirchenglauben nicht unberechtigt. Der formale Grundsatz seiner geschichtlichen Geltung ist durch das Schriftprinzip bestimmt, da nach Kant der kirchenkonstituierende historische Offenbarungsglaube sich am besten auf eine Heilige Schrift gründen lässt; das materiale Kriterium hinwiederum, an dem sich die Stellung eines jeweiligen Kirchenglaubens in der Universalhistorie bemisst, übt seine regulative Funktion durch Abschätzung inhaltlicher Ferne oder Nähe zum reinen Religionsglauben aus. In beider Hinsicht ragt das Christentum unter den sonstigen Gestalten historisch geprägten und kirchlich verfassten Offenbarungsglaubens hervor. Teilt es die Fundierung durch eine Heilige Schrift formaliter mit anderen historischen Religionen, so ist sie nach Kant von diesen und auch vom Judentum, aus dessen Traditionszusammenhang es hervorgeht, dadurch unterschieden, dass in seiner Stiftergestalt der Inbegriff einer moralischen Gesinnung anschaulich wird, die alle bloß statutarischen Gesetze hinter sich lässt und auf universale, die Grenzen des Raumes und die Schranken der Zeit transzendierende Realisierung der Moral ausgerichtet ist.
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Das Christentum bewirkte dadurch eine Revolution der Religionsgeschichte und einen Neuanfang in der Kirchenhistorie, mit welcher der Offenbarungsglaube allererst vernünftig zu werden begann. Gleichwohl sind auch ihm noch Restbestände vergangener Unvernunft oder gar Widervernünftigkeit beigemischt, die fortschreitend dadurch auszusondern sind, dass man Lehre und Praxis real existierenden Christentums am reinen Religionsglauben bemisst, wie er in der Gestalt ihrer Gründerfigur exemplarisch vorstellig wird. Es ist das Beispiel der moralischen Lehre und Praxis Jesu, die am Sittengebot praktischer Vernunft ihren obersten Maßstab haben, an welches sich das Christentum halten soll. Als Urbild des gottgefälligen Menschen, in dem die moralische Bestimmung des ganzen Men- Das sittliche Beispiel Jesu schengeschlechts vorstellig wird, steht Jesus Christus für ein sittliches Christentum ein, das den Prinzipien reinen Religionsglaubens nicht nur nicht widerspricht, sondern entspricht und daher zusammen mit diesem als seinem wesentlichen Gehalt als Kriterium und Auslegungsinstanz der Schriftaussagen Alten und Neuen Testaments zu fungieren hat. Kommt es aber zum Konflikt zwischen moralischen Verbindlichkeiten und Aussagen der Heiligen Schrift, so gilt als hermeneutische Grundsatzregel, dass die Bibel nach der Moral und dem moralischen Beispiel Jesu Christi und nicht etwa umgekehrt die Moral nach der Bibel ausgelegt werden muss. Theologische Schriftgelehrsamkeit, die das offenbare Urdatum und die Gründungsurkunde historischen Kirchenglaubens zu erfassen und in doktrinaler Systematik zu begreifen sucht, und die Praxistheorie reinen Religionsglaubens, die nach Kant insonderheit der Philosophie aufgetragen ist, müssen keinen Gegensatz bilden. Tritt eine Sachdifferenz ein, dann kann der vernünftige Entscheid nur nach Maßgabe reinen Religionsglaubens erfolgen, dessen fundierende Maxime von evidenter Authentizität und universaler Gültigkeit ist. Anderes zu behaupten, hieße nach Kant kirchlichen Afterdienst und die Tyrannei des Pfaffentums zu befördern. Die christliche Religion ist beides zugleich: doktrinale Religion, die auf historischem Offenbarungsglauben beruht, und natürliche Religion im Sinne reinen Vernunftglaubens. Bemisst sich die gelehrte an der natürlichen Religion des Christentums, dient dieses dem moralischen Fortschritt und der Annäherung des Reiches Gottes als eines ethischen Gemeinwesens nach Tugendgesetzen. Wird der kriteriologische Zusammenhang hingegen verkehrt und die „fides statutaria“ zum autoritativ-autoritären Maßstab der „religio rationalis“ erklärt, dann sind Religionswahn und Aberglaube die zwangsläufigen Konsequenzen solchen Missverhältnisses. Der wahre Dienst der Kirche kann nur unter der Herrschaft des guten Prinzips erfolgen, dessen Verbindlichkeit mit der praktischen Vernunft als Bestimmungsgrund reinen Religionsglaubens ohne historische Vermittlungsnotwendigkeiten gegeben ist. Kirchlicher Afterdienst mit moralisch kontraproduktivem Effekt hingegen hat dort statt, wo der historische Offenbarungsglaube autoritativen Anspruch auf Gehorsam ohne sittliche Prüfung erhebt. Unter diesen verkehrten Umständen missrät Gott zum Idol, die Verehrung Gottes zur Idolatrie und der
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Gottesdienst zu einer Observanz statutarischer Sätze, die durch eine vernünftigerweise nicht zu beglaubigende Autorität willkürlich vorgeschrieben sind. Um den Gegensatz von kirchlichem Dienst und Gebet, Kirchgang, SakraAfterdienst an drei, wenn man so will, Christenmentsempfang pflichten zu exemplifizieren: am Privatgebet, am öffentlichen Kirchgang sowie an Tauf- und Kommunionsempfang. Als geistliche Andachtsübung, des sittlich Guten inne zu werden und es angesichts der Wechselfälle des Lebens wiederholt im Innersten zu offenbarer Gewissheit zu bringen, ist das private Gebet ein vernünftiger Gottesdienst. Der Versuch hingegen, einer suprarationalen Allmachtsinstanz die Erfüllung von still oder lauthals vorgebrachten Wünschen sinnlichen Wohlergehens abzutrotzen, muss nach Kant als Fetischmachen und abergläubischer Wahn beurteilt werden. Recht und dem reinen Religionsglauben gemäß ist generell nicht jenes vielfältige Bitten und Wünschen, wie es durch sinnliche Zerstreuung hervorgerufen wird, sondern allein der eine, in sich konzentrierte Gebetswunsch, der, wenn er denn ernsthaft vorgebracht wird, seine Erfüllung bereits in sich trägt: der Wunsch, tugendhaft und ein Gott wohlgefälliger Mensch zu sein. Analog zum privaten Gebet ist nach Kant der öffentliche Gottesdienst der Gemeinde zu beurteilen: Dient er der religiösen Erbauung, Erhaltung und Beförderung eines ethischen Gemeinwesens von menschheitsumgreifender Universalität, ist sein Besuch vernünftig und moralisch empfehlenswert. Wird in ihm hingegen der Wahnglaube an Wunder oder irrationale Geheimnisse gepflegt, muss er aus sittlichen Gründen und Gründen eines moralisch fundierten Religionsglaubens gemieden werden. Als wahnhafter Wunderglaube gilt Kant die Annahme, etwas in Erfahrung bringen zu können, was nach rationalen Erfahrungsgesetzen kein Erfahrungsgegenstand sein kann. Der unter Kant’schen Theoriebedingungen unsinnige Begriff der Gotteserfahrung wäre in diesem Zusammenhang an erster Stelle zu nennen. Der Glaube an Geheimnisse hinwiederum ist wahnhaft, sofern er auf etwas anderes ausgerichtet ist als auf den unerforschlichen Grund der Freiheit des Menschen, welcher diesem allein aus der Bestimmbarkeit seines Willens durch das moralische Gesetz in seiner Unbedingtheit kund wird. Der an sich selbst unerforschliche und theoretisch nicht zu beweisende, praktisch aber gleichwohl und zwar evidentermaßen vorauszusetzende Grund sittlicher Freiheit des Menschen ist im Sinne Kants durchaus ein Vernunftgeheimnis zu nennen. Dieses Vernunftgeheimnis nach Weise der christlichen Dreieinigkeitslehre als „mysterium trinitatis“ zu bezeichnen wird dabei nicht ausgeschlossen, sondern im Gegenteil nahegelegt. Indes macht der Glaube an eine göttliche Dreieinigkeit den Grund sittlicher Freiheit im Sinne einer praktischen Idee vorstellig, ohne damit eine Realitätsaussage darüber zu treffen, was Gott an sich selbst ist. Würde die Trinitätslehre dies intendieren, müsste sie wie alle anderen Doktrinen, die suprarationale Transzendenzerkenntnisse für sich beanspruchen, als Inbegriff eines wahnhaften Geheimnisglaubens bewertet werden. Auf einen wahnhaften Geheimnisglauben läuft nach Urteil Kants schließlich auch die Annahme hinaus, Taufe und
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Abendmahl seien sakramentale Wirkmittel göttlicher Gnade. Statt sie als Gnadenmittel misszuverstehen, sei die Taufe als einmaliger Inititationsakt individueller Eingliederung in einen dem ethischen Gemeinwesen dienlichen Religionsverband, das Abendmahl als wiederholte Erneuerung des auf universale Sittlichkeit ausgerichteten Bundes vernünftiger Religionsgemeinschaft zu verstehen. Kants Ekklesiologie, wie sie im dritten und Die Religion innerhalb der vierten Stück seiner Schrift über „Die Religion Grenzen der bloßen Vernunft innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ von 1793 entfaltet ist, mag aus der Perspektive traditioneller Kirchenlehre als radikalkritisch und destruktiv empfunden werden. Doch verbindet sie wie die Religionsschrift insgesamt das kritische durchaus mit einem konstruktiven Interesse. Es ist so, wie Jürgen Habermas unlängst bei einem Symposium aus Anlass des 200. Todestages des Königsberger Philosophen gesagt hat: Dieser wendet sich nicht nur gegen den Dogmatismus einer fundamentalistisch verfestigten Orthodoxie, sondern auch „gegen den aufgeklärten Defätismus des Unglaubens. Gegen den Skeptizismus möchte er Glaubensinhalte und Verbindlichkeiten der Religion, die sich innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft rechtfertigen lassen, retten. Die Religionskritik verbindet sich mit dem Motiv der rettenden Aneignung.“ (Habermas, 142) Habermas spricht freilich auch von dem „Dilemma, in das sich Kant durch den Widerstreit seiner Absichten, der Religion gleichzeitig als Erbe wie als Opponent gegenüber zu treten, verstrickt ... Der Versuch einer reflexiven Aneignung religiöser Gehalte liegt im Streit mit dem religionskritischen Ziel, über deren Wahrheit und Falschheit philosophisch zu richten. Die Vernunft kann den Kuchen der Religion nicht gleichzeitig verzehren und behalten wollen.“ (Habermas, 150) Letzterem ist theologisch kaum zu widersprechen. Doch wird man zunächst zu konstatieren und zu konzedieren haben, dass Kants Anliegen, Kritik und Konstruktion religionshermeneutisch zu verbinden, in keiner Weise durch systemexterne Faktoren, sondern durch die innere Anlage seines Denkens selbst bedingt ist. Wenn ein Widerstreit vorliegt, dann kann es sich dabei also nur um einen Widerstreit des Kant’schen Denkens mit sich selbst handeln. Ist die Spannung zwischen Kritik und konstruktiver Rezeption der Religion, die sich in dem für Kants Denken eigentümlichen Begriff der Religionsphilosophie signifikant reflektiert, systemintegrativ behoben, oder droht diese Spannung den Rahmen zu sprengen, welcher der Religion durch die Grenzen der bloßen Vernunft gesetzt ist? Obwohl, so die Grundannahme, für die Begründung moralischer Praxis entbehrlich, ist Religion nach Kant mit praktischer Moral untrennbar verbunden. Eine mögliche Antwort auf die schwierige Frage, ob und gegebenenfalls wie beides ohne Widerspruch zusammenzudenken ist, zeichnet sich ab, wenn man die Beziehung des von reiner praktischer Vernunft bestimmten Willens auf gewollte Realisierungen seiner selbst in differenzierter Weise in Verbindung bringt mit den Bewusstseinsobjekten, wie sie der theoretischen Vernunft vorstellig werden. Sind die Vorstellungsgegenstände der theoretischen Vernunft sinnlich gegeben, so müssen die Willensobjekte der praktischen Vernunft durch Selbsttätigkeit sitt-
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licher Freiheit allererst realisiert werden. Dabei ist die Realität des solchermaßen zu Realisierenden einerseits der sinnlich gegebenen Wirklichkeit transzendent, andererseits auf diese notwendig bezogen, weil ohne diesen Bezug die zu jeder Willensbestimmung gehörende Zweckrelation nicht gedacht werden könnte. Der Zweck, dessen Realisierung moralisches Handeln intendiert, muss vermittelbar sein mit sinnlichen Gegebenheiten und mit deren Wirkung auf das sinnliche Begehrungsvermögen, dessen Mediatisierungsfunktion für die Verwirklichung des sittlich Guten nicht zu entbehren ist. Es dürfte diese Unentbehrlichkeit sein, welche die praktische Moral trotz und unbeschadet der Behauptung ihrer autonomen Begründung um der moralischen Praxis willen untrennbar mit Religion verbunden sein lässt. Denn ohne Religion kann der Zusammenhang von sittlichem Wollen und sinnlicher Intention, wie er für konkrete Sittlichkeit konstitutiv ist, nicht vor einseitiger Auflösung bewahrt werden. Ohne Religion ist die Verwirklichung der Moral durch leibhafte und damit weltbezogene Vernunftwesen realiter nicht denkbar. Zwar sind die Ideen von Gott, Unsterblichkeit der Seele und einer Welt realisierter Freiheit nach Kant nicht Bedingungen des moralischen Gesetzes, wohl aber Bedingungen des notwendigen Gegenstandes eines durch das Gesetz der Moral bestimmten Willens. Als immanente Bedingung seiner eigenen Möglichkeit hat das moralische Bewusstsein die Gewissheit seiner Realisierbarkeit und damit seine Vermittelbarkeit mit einer leibhaften Welt zur Voraussetzung. Ohne Religion kann Moral daher realiter nicht sein, obwohl sie idealiter und rein an sich selbst betrachtet durch diese nicht konstitutiert ist. Die charakteristische Doppelthese, „wonach Religion für die Begründung praktischer Freiheit schlechterdings entbehrlich sei, ja eine Ableitung der Moral aus göttlicher Offenbarung geradezu Heteronomie bedeute, Religion aber gleichwohl mit moralischer Praxis untrennbar einhergehe“ (Barth, 267), gewinnt von hierher ihre systeminterne Plausibilität (vgl. Barth, 267–302). Gleichwohl bleibt die Frage, ob sich unter Die Grenze zwischen Glauben Kant’schen Bedingungen Religion und aufgeund Wissen klärte Denkungsart, vernünftiges Wissen und die inhaltlichen Bestände der Religionsgeschichte, namentlich des Christentums, in eine wirklich kooperativ zu nennende Verbindung bringen lassen. Die aktuelle Dringlichkeit dieser Frage wird mittlerweile auch von zeitgenössischen Denkern wahrgenommen, die nach eigener Auskunft als religiös unmusikalisch zu gelten haben. Dabei ist zumindest für einige von ihnen „der Versuch, zentrale Gehalte der Bibel in einen Vernunftglauben einzuholen, interessanter geworden als der Kampf gegen Priestertrug und Obskurantismus“ (Habermas, 142). So richtet sich das Interesse von Jürgen Habermas an Kants Religionsphilosophie erklärtermaßen auf das Problem, „wie man sich die semantische Erbschaft religiöser Überlieferungen aneignen kann, ohne die Grenzen zwischen den Universen des Glaubens und des Wissens zu verwischen“ (ebd.). Dass diese Frage durch die Antwort, die ihr in Kants Religionsschrift gegeben wird, zu keinem definitiven Ende gebracht worden ist, wird man mit Habermas annehmen dürfen. Nach seinem Urteil zeigt sich das
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besagte Dilemma der Kant’schen Religionsphilosophie insbesondere im Zusammenhang der Postulatenlehre. Denn wenn, so Habermas, der Glaube an Gott, die Unsterblichkeit der Menschenseele und die eschatologische Wirklichkeit einer realisierten Freiheitswelt aus praktischen Vernunftgründen auf die Funktion restringiert werden, der moralischen Gesinnung einen motivationalen Halt zu geben, dann sind die Inhalte solchen Glaubens von nützlichen Illusionen im Grundsatz nicht zu unterscheiden. Zugleich verliere die Religion mit der Einsicht in diesen Zusammenhang ihre moralische Relevanz. Eine auf bloße Moraldienlichkeit ausgerichtete Deutung der Religion erweise sich nämlich als selbstdestruktiv. Werde ihr vernünftiger Zweck lediglich darin gesehen, Sittlichkeit zu befördern, dann sei der Religion mit der Einsicht in diese Zwecksetzung die Möglichkeit, ihre moralische Funktion zu erfüllen, zugleich entzogen. Wie immer man hier im Einzelnen zu urteilen hat: Dass die bedeutendsten Denker der Religion Hegel und die Folgen in der Nachfolge Kants über dessen Ansatz hinaus zu gelangen suchten, kommt nicht von ungefähr. Um nur Hegel (1770–1831) und Schleiermacher (1768–1834) zu nennen, denen neben Kant im Religionstraktat (Bd. I) die intensivste Aufmerksamkeit zugewendet wurde. Beide waren je auf ihre Weise überzeugt, dass Kants kritische (Re-)konstruktion der Religion einer konstruktiven Metakritik bedürfe, um den Sinn der religiösen Gehalte nicht zu verlieren. Was Hegel betrifft, so lässt sich nach Habermas dessen Grundintention im Kontext der Postulatenlehre entgegen dem Kant’schen Selbstverständnis folgendermaßen umschreiben und aufnehmen: „Ohne den historischen Vorschuss, den die positive Religion mit ihrem unsere Einbildungskraft stimulierenden Bilderschatz anbietet, fehlte der praktischen Vernunft die epistemische Anregung zu Postulaten, mit denen sie ein bereits religiös artikuliertes Bedürfnis in den Horizont vernünftiger Überlegungen einzuholen versucht. Die praktische Vernunft findet in religiösen Überlieferungen etwas vor, das einen als ‚Vernunftbedürfnis‘ formulierten Mangel zu kompensieren verspricht – wenn es denn gelingt, das historisch Vorgefundene nach eigenen Maßstäben anzueignen.“ (Habermas, 146) Dass der Prozess solcher Aneignung nach Hegel nur im Vollzug vernünftiger Aufhebung der Differenz von Glauben und Wissen erfolgen kann, wird von Habermas ebenfalls in Erinnerung gebracht. Er sieht darin eine Radikalisierung des Kant’schen Ansatzes im Sinne von dessen spekulativer Transzendierung. Am Ende freilich stellen sich erneut Probleme ein, die mit den anfänglichen vergleichbar sind: „Die Philosophie erkennt, was am vorstellenden Denken der Religion vernünftig ist. Aber die ungleiche Ehe, zu der die umarmende Philosophie eine überwältigte Religion schließlich nötigt, hat für den scheinbar überlegenen Partner wiederum ein zweischneidiges Ergebnis. Mit dem Begriff des absoluten Geistes, der sich zu Natur und Geschichte entäußert, um sich in diesem Anderen reflexiv einzuholen, verleibt sich zwar die Philosophie den Grundgedanken des Christentums ein und macht die Menschwerdung Gottes zum Prinzip des eigenen dialektischen Denkens – aber um einen doppelten Preis. Zum einen führt der Ausbruch
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aus den selbstkritisch gezogenen Grenzen der transzendentalen Vernunft zurück in die Metaphysik; zum anderen verschließt der Fatalismus eines in sich kreisenden Geistes – der sich, sobald er den Gipfel des absoluten Wissens erreicht hat, erneut in die Natur entlassen muss – genau die eschatologische Dimension eines neuen Anfangs, auf den sich doch die Erlösungshoffnung der Gläubigen richtet.“ (Habermas, 152) Es ist hier nicht über die Adäquanz der skizzierSchleiermachers Frömmigkeit ten Hegelinterpretation zu befinden. Nach Habermas macht sie nicht nur den Zerfall der Hegelschule und die Entwicklung des Linkshegelianismus von Feuerbach (1804– 1872) zu Marx (1818–1883), sondern auf der anderen Seite auch den Versuch Schleiermachers verständlich, der Religion einen Ort jenseits von Metaphysik und Moral zu sichern. Die „transzendentale Analyse des Gefühls der Frömmigkeit verschafft der religiösen Erfahrung eine allgemeine, von der theoretischen wie der praktischen Vernunft unabhängige Basis, auf der Schleiermacher eine folgenreiche Alternative zum Aufklärungskonzept der Vernunftreligion entwickelt. Die religiöse Erfahrung, die im ‚unmittelbaren Selbstbewusstsein‘ wurzelt, kann Gleichursprünglichkeit mit einer Vernunft, die derselben Wurzel entspringt, reklamieren.“ (Habermas, 154) In seinem Welt- und Selbstbezug ist sich das Subjekt bewusst, bei unterschiedlicher Gemengelage stets empfänglich und selbsttätig zugleich zu sein. Nie ist es absolut frei, niemals absolut abhängig. Aber ganz in sich gekehrt und dem Selbst-Welt-Verhältnis auf den Grund gegangen wird es vom Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit ergriffen und dessen inne, dass Selbst und Welt in ihrer Endlichkeit von einem unendlichen Anderen herkommen. Diese intuitive Gewissheit, so Schleiermacher, bildet den Kern aller Frömmigkeit und Religion, ohne den bewusstes Leben in Denken und Handeln sinnvoll nicht möglich ist. Aber ist das Woher des Gefühls schlechthinniger Abhängigkeit berechtigterweise Gott zu nennen? Oder kommt als Kandidat für den transzendenten Grund unmittelbaren Selbstbewusstseins nicht möglicherweise auch die Welt als Universum und unfassbarer Inbegriff all dessen in Betracht, was ist? Diese Fragen sind von Schleiermacher selbst nahegelegt, ohne einer definitiven Antwort zugeführt worden zu sein. Zwar ist es plausibel, dass ein Selbstbewusstsein, das sich, wie das unsrige, in all seinen Selbst- und Weltbezügen nur als endlich verstehen kann, eine Gewissheit vom Unendlichen beinhalten muss, um sich überhaupt verstehen und zum Bewusstsein seiner selbst und seiner Welt gelangen zu können. Doch weiß es vom Unendlichen als dem Grund von Selbst und Welt nur in Form eines Grenzbewusstseins, das außer dem Bewusstsein der Grenze kein reales Wissen enthält. Schleiermacher selbst bestätigt dies, wenn er sagt, dass wir vom Unendlichen kein anderes Wissen haben als jene Gewissheit, die der Frömmigkeit als einem gefühlsmäßigen Innesein unmittelbar gegeben ist. Was aber ist der Fall, wenn das Gefühl der Fundierung des ganzen ungeteilten Daseins in einem transzendenten Konstitutions- und Erhaltungsgrund abhanden kommt und der nihilistische Abgrund verzweifelten Empfindens der Bodenlosigkeit und der Selbstverfallenheit von Ich
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und Welt sich auftut? Woher soll dann die Gewissheit gewonnen werden, dass als das Woher des Gefühls schlechthinniger Abhängigkeit Gott zu gelten hat und nicht das Nichts in der gestaltlosen und sinnwidrigen Form von Tod und Teufel? In Fragen wie diesen hat sich beizeiten und Kierkegaard und die Theonicht erst bei Sören Kierkegaard (1813–1855), logie der Krise der freilich in diesem Zusammenhang besondere Erwähnung verdient, das Bewusstsein einer Krise ausgesprochen, die im Verein mit den sonstigen Bewusstseinsformationen auch das religiöse Bewusstsein erfasste, um ihm den inneren Halt zu entziehen. Die Identität Gottes mit dem Woher schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls wurde zweifelhaft, die Evidenz der Gottesgewissheit nicht nur in religionskritischer Außenperspektive und unter dem Aspekt bestritten, Religion zu einem Epiphänomen herabzusetzen. Diese verlor für die Frömmigkeit selbst ihre Selbstverständlichkeit mit der Folge, dass sich im frommen Inneren ein zur Verzweiflung neigender Zweifel festsetzte, grundlos religiös zu sein bzw. eine Religion ohne Grund zu haben. Das Innerste des religiösen Bewusstseins wurde so ungewiss, ja verzweifelte Ungewissheit wurde zum Zentrum einer in Widerstreit mit sich selbst gebrachten Religiosität. Die Analysen der Theologie der Krise am beginnenden 20. Jahrhundert, deren Anfänge bis weit ins 19. Jahrhundert zurückreichen, setzen hier an. Sie wurden im Offenbarungstraktat (Bd. II) im Einzelnen entfaltet, was hier nicht zu wiederholen ist. Zitiert werden soll statt dessen noch einmal Jürgen Habermas, der in Bezug auf Kierkegaard harmartiologisch vermerkt: „Mit dem radikalisierten Sündenbewusstsein gerät die Autonomie der Vernunft in den Schatten der schlechthinnig heterogenen Macht des unerkennbaren, allein historisch bezeugten, sich selbst mitteilenden Gottes. Dieser neoorthodoxe Gegenzug zum anthropozentrischen Selbstverständnis der Moderne bildet ein wichtiges Stadium in der Wirkungsgeschichte der Kantischen Religionsphilosophie. Er bekräftigte nämlich die Grenzziehung zwischen Vernunft und Religion, dieses Mal von seiten des Offenbarungsglaubens.“ (Habermas, 155) Während indes Kierkegaard in seiner Existenzialdialektik die Diastase von Vernunft und Religion noch einmal dadurch zu überwinden suchte, dass es das verzweifelte Scheitern aller Selbstbegründungsversuche der Vernunft zum negativen Anknüpfungspunkt des Offenbarungsglaubens erklärte, kappt Karl Barth (1886–1968) auch noch diesen Zusammenhang, um ganz und ausschließlich auf den normativen Eigensinn der Offenbarung zu setzen, die nicht nur höher ist als alle menschliche Vernunft, sondern sich allem philosophischen Begreifen entzieht. Die Habermas’schen Erwägungen zur Wirkungsgeschichte und aktuellen Bedeutung von Kants Religionsphilosophie schließen mit der Feststellung, Philosophie zehre nur so lange auf vernünftige Weise vom religiösen Erbe, „wie die ihr orthodox entgegen gehaltene Quelle der Offenbarung für sie eine kognitiv unannehmbare Zumutung bleibt“ (Habermas, 160). Es muss sich zeigen, wie dieser Schluss theologisch zu bewerten ist und wie sich zu dem in ihm enthaltenen Grundsatz der Orthodoxieanspruch der nachfolgenden dogmatischen Darlegun-
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gen verhält, die mit drei Bänden zu Gott (Bd. IV), Christus (Bd. V) und Geist (Bd. VI) ihren Anfang nehmen werden, um in Traktaten zu Schöpfung (Bd. VII), Sünde (Bd. VIII), Versöhnung (Bd. IX) und Vollendung (Bd. X) ihre Fortsetzung zu finden. Die fundamentaltheologischen Studien, die zu den Traktaten Religion, Offenbarung und Kirche gegeben wurden, sollen dabei den bleibenden Hintergrund und Kontext des zu explizierenden Dogmatikentwurfs bilden, der sich auch in ekklesiologischer Hinsicht nicht auf die Verhältnisse des 16. Jahrhunderts zurückziehen darf, so wichtig und grundlegend diese für die konfessionelle und ökumenetheologische Situation hierzulande bis zum heutigen Tage sind. An diese unerledigte Aufgabe wollte der über den Rahmen der Vorstudien zur Lehre von der Kirche hinaus- und auf die Traktate Religion und Offenbarung zurückverweisende Epilog zu Kants religionsphilosophischer Ekklesiologie erinnern. Zu erinnern sind ferner Herrnhuter Losung und Lehrtext des Tages, an dem die vorliegende Trilogie ihren Abschluss fand: Ps 139,17; 1. Kor. 1,21.
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Register erstellt von Florian Ihsen
Namensregister Alfeld, A.v. 226 Ambrosius 115, 226 Amsdorff, N.v. 127, 131 Andreae, J. 125f. Athanasius 125 Augustinus 66, 88, 114, 148, 156, 226, 267f. Barth, K. 51f., 67, 191, 277 Basilius von Cäsarea 125, 267 Baur, F.Chr. 238f. Bellarmin, R. 249, 268 Beda Venerabilis 115 Benz, E. 121f., 124 Bertano, P. 217 Bodin, J. 8 Böckenförde, E.-W. 38, 42, 180f. Brandi, K. 15 Brecht, M. 179 Bredekamp, H. 8 Brent, Ch. 140 Brunotte, W. 86 Brunstäd, F. 79 Bugenhagen, J. 250 Cajetan, Th. 216f Calvin, J. 27f., 50, 186, 226ff., 231, 237 Castellio, S. 27 Catharinus, A. 226 Chemnitz, M. 267 Chrysostomos, J. 115, 129, 135 Clemens VII. 16 Cochlaeus, J. 226 Cordatus, K. 24
Crusius (Kraus), M. 125, 136 Cyprian 114f., 156 Cyrill 267 Dalferth, I. 101f. Dandolo, E. 119 Demetrios 121, 123ff. Dietenberger, J. 215f. Dolscius (Döltsch), P. 121ff. Eck, J. 120, 216, 226, 251 Elert, W. 147 Emser, H. 226 Epiphanius 125 Erasmus von Rotterdam 216, 225 Eugen IV. 120 Farel, W. 27 Ferdinand I. 15 Ferdinand II. 20 Feuerbach, L. 276 Flacius, M. 127f., 131 Friedrich Wilhelm III. 201 Friedrich-Wilhelm IV. 21 Gerhard, J. 268 Gerlach, S. 125 Görres, J.v. 223f. Gregor I. 114 Gregorius 125 Guidi, F.M. 249 Habermas, J. 44, 273ff. Harleß, A.v. 86 Harnack, Th. 67, 86
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Register
Heckel, M. 18 Hegel G.W.F. 21, 48, 275f. Herborn, N. 226 Herms, E. 37, 179 Herodot 138 Hieronymus 94, 112, 114 Hobbes, T. 7ff. Höfling, J.W.F. 85f. Hus, J. 63 Ignatius von Antiochien 236 Irenäus 125 Jeremias II. 13, 121, 125f., 129, 135f. Joachim II. 133 Joasaph II. 124, 136 Johannes Paul II. 181, 187ff. Johann von Sachsen 31, 33, 250 Johann Friedrich von Sachsen 31 Jonas, J. 23, 59, 250 Kant, I. 11, 269ff. Karl V. 14ff., 122 Kasper, W. 198 Kierkegaard, S. 277 Kinder, E. 67f. Kliefoth, Th. 86 Koch, T. 58 Köpf, U. 250 Kretzschmar, G. 63f., 123 Lengfeld, P. 224 Loewenich, W. v. 36 Luther, M. 14, 17, 21ff., 30ff., 38, 47, 49, 54, 60, 66, 72, 76ff., 80f., 83, 85f., 109ff., 116, 118, 120f., 134, 148, 156, 166, 177f., 180, 186, 190, 204f., 224ff., 229ff., 236f., 250f., 259 Lutz, H. 17
Möhler, J.A. 222 Moritz von Sachsen 15 Müntzer, Th. 29ff., 34 Mußner, F. 237 Napoleon 21 Neuser, W. 231 Oestreich, G. 18, 20 Oporinus, J. 121 Origenes 115 Pannenberg, W. 93f., 241f. Paulus (Apostel) 57, 114, 116, 130, 142, 230, 235ff., 261f. Paulus, N. 29 Paul von Samosata 125 Petrus (Apostel) 106, 114f., 122, 187f., 230, 234ff. Petrus Lombardus 268 Pfleiderer, G. 10 Philipp von Hessen 14, 22 Pius IX. 248f. Pius XI. 188 Pius XII. 180 Prenter, R. 86f. Prierias, S. 226 Rahner, H. 15f. Rahner, K. 219f. Rassow, P. 15f. Roloff, J. 49f. Rothe, R. 11
Schadow, J.G. 21 Schatz, K. 248f. Schatzgeyer, K. 216, 226 Schinkel, K.F. 21 Schleiermacher, F.D.E. 11, 48, 50f., 2 75f. Schlink, E. 65f., 73, 91 Major, G. 131 Schneider, R. 15 Marx, K. 276 Schnepff, E. 127 Maurer, W. 35, 79, 80f, 82f. Melanchthon, Ph. 23ff., 27, 50, 54, 56, 60, Schubert, H.v. 22 63ff, 78, 81, 84f., 88, 90, 99, 113ff., 121, Schulze, W. 18 123ff., 127, 134ff., 170, 190, 229, 237, Seripando, H. 217 Servet, M. 27ff., 33 250f., 257, 264f., 268
Sachregister
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Vilmar, A.F.Chr. 86
Stahl, F.J. 86 Stephan I. 156 Strigel, V. 127f.
Wechsler, A. 239 Wendebourg, D. 123f., 135
Temple, W. 140 Theodoret 125 Thomas von Aquin 249, 268 Troeltsch, E. 21 Tuchel, K. 86
Xenophanes 138 Zizioulas, J. 143f. Zwingli, H. 29, 237
Sachregister Absolutismus 8ff. Abendmahl / Eucharistie / Herrenmahl 47, 84, 122, 124, 146ff., 157ff., 166f., 178, 256, 273 Abendmahlsgemeinschaft 73ff., 101, 146ff., 169, 202ff. Altkatholische Kirche 156 Altpreußische Union 201 Amt, ordinationsgebundenes – besondere Aufgabe 76ff., 86ff., 102ff., 150ff., 160ff., 187, 189, 197 – dreigegliedertes Amt 97f., 172f. – Einheit des Amtes 94f., 97f., 104f., 152, 172f. – Gemeindeübertragungs- / Delegationstheorie 84ff., 90f., 93f., 160ff. – göttliche Stiftung 82ff., 90f., 93f., 160ff. – Öffentlichkeitsdienst 81ff., 94, 151, 160ff., 189 – siehe auch Bischofsamt; Christusrepräsentation, vikarische; Ordination; Priestertum aller Gläubigen Anamnese und Epiklese 158f., 168 Anglikanische Kirchen 97ff., 106, 210 Antichrist 32, 89f., 108ff., 116f. Apostolikum 54, 57, 59, 72, 139, 144, 250 Apostolizität der Kirche 59, 98ff., 105f., 237 Athanasianum 72, 139 Augsburger Religionsfrieden 15, 17ff., 122 Barmer Theologische Erklärung 201f.
Bekenntnis, kirchliches 22, 47f., 71ff., 169, 177f., 195f., 201ff., 208ff. Bilderverehrung 126 Bischofsamt / episkopaler Dienst 94ff., 189f. – landesherrlicher Summepiskopat 33, 76 – Synoden / synodale Elemente der Episkope 96f., 139, 208, 244f. – Verkündigungs- und Leitungsdienst 94ff., 173f. – weltliche Macht des Bischofs 25f., 99 Bundesrepublik Deutschland 11, 39 Buße 72, 132f. Cäsaropapismus 26, 32, 36f. Christologie, christologisch 51f., 72f., 154ff., 164ff., 191f., 256f. Christusrepräsentation, vikarische 85, 88ff., 94, 104, 113, 161f., 170f., Civil Religion 10 communio sanctorum 52, 57, 104, 144, 254ff. „Communio Sanctorum“ (bilaterales Dokument) 13, 179, 232, 239f., 242ff., 250 Confessio Augustana Graeca 121ff. Damnation s. Lehrverurteilungen Demokratie, demokratisch 10, 39ff. Dreißigjähriger Krieg 20 Einheit der Kirche 48, 59, 68ff., 93f., 96, 100ff., 145ff., 160, 181ff., 200f., 211ff.
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Register
Einheitsdienst, universalkirchlicher 106, 189f., 239ff. siehe auch Papstamt / Papsttum; Petrusdienst Ekklesiologie, ekklesiologisch 45, 49ff., 53ff., 72f., 159f., 164ff., 204ff., 254f. – Communio- / Koinonia-Ekklesiologie 57f.,142ff. – ökumenische Ekklesiologie 47f., 148ff., 209 Eucharistie siehe Abendmahl Evangelische Kirche der Union 201 Evangelische Kirche in Deutschland / EKD 39ff., 202ff., 209ff. Exkommunikation, -srecht 32, 35f., 147, 180 Filioque 126 Fundamentalismus 10 Geist siehe Heiliger Geist Gottesdienst 46f., 49, 57f., 72, 95ff., 141, 144f., 158ff., 206, 255ff., 272f. siehe auch Amt; Wort und Sakrament Hagiologie siehe Heilige Heilige – Anrufung der Heiligen 126, 251ff., 261ff. – Fürbitte / Bitte um Fürbitte der Heiligen 126, 263ff. – Gedächtnis der Heiligen 250ff. – Kanonisation der Heiligen 259f. – Verehrung der Heiligen 126, 250ff. Heiliger Geist 53ff., 56, 72f., 77ff., 92, 131, 154ff., 193ff., 225ff. Heilige Schrift – Apokryphen, deuterokanonische 217, 232 – Autopistie / Selbstauslegung 186f., 216, 224ff. – Inspiration 220ff. – Kompetenz authentischer Auslegung 90, 104, 185ff., 191, 216ff., 225ff. – materiale (In-)Suffizienz 185f., 217ff., 266 – Schriftgemäßheit 73ff., 191ff. – Schrift und Tradition 126, 185ff., 217ff.
– sola-scriptura-Prinzip 219f., 224ff. – siehe auch Wort, äußeres; Heiliger Geist Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 16, 39 Heiligkeit der Kirche 52, 58f. Infallibilitätsdogma 106, 245ff. Irrlehre, -lehrer siehe Ketzerei ius reformandi 17ff. Jurisdiktion, kirchliche 23ff., 35ff., 242ff. Kanon, Kanonizität 215ff., 230ff. Kathedralentscheid, päpstlicher 188, 245f. Katholizität der Kirche 48, 59ff., 96, 138f., 169, 174 Kennzeichen der Kirche (notae ecclesiae) siehe Wort und Sakrament Ketzerei 34, 109 Kirche – Begriffsgeschichte 46f. – nach biblischem Zeugnis 49f. – als congregatio sanctorum 57f., 62f., 87, 96, 104, 144ff., 151f., 206, 255 – als corpus permixtum 62ff., 67, 194 – ecclesia late / stricte dicta 63ff. – als Gebäude 46f. – als Körperschaft des öffentlichen Rechts 11, 44f., 46f. – Sakramentalität der Kirche 164ff. – sichtbare / unsichtbare Kirche (ecclesia visibilis-invisibilis) 51, 65, 148, 204, 270 – als societas externa 26, 36, 64ff., 148ff., 194f. – als sündige Kirche 63ff., 167f. – als Universalkirche 48, 58ff., 100ff., 138ff., 143ff., 156, 162f., 189ff., 206ff., 239ff. – siehe auch Ekklesiologie; Einheit; Heiligkeit; Katholizität; Apostolizität der Kirche; Verborgenheit der wahren Kirche Kirchengemeinschaft – bekenntnisdifferenter Kirchen 195ff., 203ff., 208ff. – als Verkündigungs- und Sakramentsgemeinschaft 73ff., 177f., 196ff., 202ff. siehe auch Abendmahlsgemeinschaft Koinonia siehe Ekklesiologie
Sachregister
Konfession siehe Bekenntnis, kirchliches Konfessionalisierung 18ff., 50, 71f., 134ff. Konfessionskriege siehe Religionskriege Konsens / Lehrkonsens 69ff., 126, 145f. Konziliarität, konziliar 50, 111ff., 190 Konzilien – von Nizäa 54, 114 – 2. K. von Nizäa 267 – von Chalcedon 54, 115 – von Basel 112, 120 – von Konstanz 112 – von Ferrara 120 – von Florenz 120, 216 – von Trient (Tridentinum) 97f., 216ff., 232, 260, 265ff. – I. Vatikanisches Konzil 50, 106, 188, 222f., 246ff. – II. Vatikanisches Konzil 50, 97f., 156, 164, 180ff., 219, 224, 256ff.
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– ökumenische Bewegung 139ff., 176 – nach evangelisch-lutherischem Verständnis 190ff., 196ff., – innerprotestantische Ökumene 147f., 196ff. siehe auch Leuenberger Konkordie – und Konfessionalität 136f. – ökumenische Konzilien / Synoden 139 siehe auch Konzilien – Ökumenischer Rat der Kirchen (ÖRK) 140, 153ff., 176 – nach römisch-katholischem Verständnis 187ff. – siehe auch Einheit der Kirche Ordination 81, 93ff., 102ff., 197, 208 – Ordinationskompetenz 97ff., 113ff., 174f., Orthodoxe Kirchen 106, 119ff., 156, 159, 184, 213f., 257 Ortskirche / Ortspfarramt 95f., 104, 143f., 206ff. Ostkirche s. Orthodoxe Kirchen
Lehre 70f., 94ff., 145f., 211ff. Lehre von den beiden Regimenten (ZweiReiche-Lehre) 24ff., 30ff., 149f., 179f Papstamt / Papsttum siehe auch EinheitsLehrverurteilungen / Anatheme 63, 79f., dienst universalkirchlicher; Petrusdienst 132, 202f., Leuenberger Konkordie 147f., 198f., 201ff., – Primatsanspruch des Papstes 106, 173, 188ff., 241ff. Lima-Erklärung (= BEM) 153ff. – als pastoraler Dienst 117f., 188f., 247ff. Lutherischer Weltbund (LWB) 177ff. – reformatorische Kritik am Papsttum 109ff. Maria / Mariologie 247, 259f. – papa haereticus / häretischer Papst 245f. Media salutis siehe Wort und Sakrament Passauer Vertrag 14, 17 Meißener Erklärung 97ff. Petrusdienst 106, 239ff. Messopfer 160, 166f., 263 Mittelalter, mittelalterlich 15, 18ff., 30, 32, Petrustradition, neutestamentliche 115f., 234ff. 50, 109, 180 Pfingstkirchen 176 Mönchtum 126 Pluralismus, weltanschaulicher 17, 37ff. Neutralität, religiös-weltanschauliche 41ff. Pneumatologie, pneumatologisch siehe Heiliger Geist Neuzeit, neuzeitlich 10ff., 17, 20f., 37 Nizäno-Konstantinopolitanum 54, 59, 72, Porvoo-Erklärung 97ff., 198, 210 Priestertum aller Gläubigen 53, 82ff., 92ff, 139, 154 102ff., 160, 169, 186f., 243 notae ecclesiae siehe Wort und Sakrament – im Verhältnis zum ordinationsgebundenen Amt 82ff., 86ff., 92ff., 150ff., Obrigkeit, weltliche siehe Lehre von den bei160ff., 170ff., 187, 243 den Regimenten; Staat und Kirche Ökumene, ökumenisch Rechtfertigungsglaube, -lehre, -artikel 51f., – Begriffsgeschichte 138f.
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Register
77ff., 102f., 122ff., 126ff., 202, 229f., 237ff., 250ff. Reformierter Weltbund 177 Religionsfreiheit 17, 29, 37f., 44f., 179ff. Religionskriege 32f., 180 Repräsentation siehe Christusrepräsentation, vikarische Ritus / Riten siehe Traditionen, menschliche / kirchliche Römisch-katholische Kirche 95, 97, 106, 154, 156, 159, 163ff., 176, 181ff., 212ff., 242ff., 257ff. Sakrament, -sbegriff 103, 126, 164ff. Schisma zwischen Ost- und Westkirche 119ff. Schmalkaldischer Krieg 14 Schrift siehe Heilige Schrift Staat und Kirche 8ff., 17ff., 24ff., 29ff., 38ff. Staatskirchentum 11, 29 Staatstotalitarismus 9f., 34, 36 Sukzession, apostolische 97ff., 105f., 173f., 213f., 218, 240
Taufe 154ff., 165f., 184f., 272f. Toleranz 18, 29, 37, 179 Tradition, apostolische 164, 173 Traditionen, menschliche / kirchliche 70, 145f., 160, 173 Trinitätslehre, trinitätstheologisch 53ff., 126, 143, 154ff., 190f. Verborgenheit der wahren Kirche 62ff., 149, 183f., 194, 204f. Versöhnte Verschiedenheit 210f. Werke, gute 131ff. Westfälischer Friede 20 Willensfreiheit 126ff. Wort und Sakrament 53, 56f., 59f., 66ff., 73f., 77ff., 102ff., 149f., 205f. Wort, äußeres / verbum externum 77ff., 84, 191ff., 225ff. Zölibat 253 Zwei-Reiche-Lehre siehe Lehre von den beiden Regimenten
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Studium Systematische Theologie 10 Bände. Bei Abnahme der Reihe 10% Ermäßigung
Band 1 der evangelischen Dogmatik von Gunther Wenz erörtert im Kontext der neueren evangelischen Theologie in Deutschland Aspekte des modernen Begriffs der Religion und ihrer Theorie. Wenz geht davon aus, dass die Spaltung der westlichen Christenheit ein Ereignis mit epochalen Fragen für Begriff und Verständnis von Religion ist. Nach einer Skizze der nachreformatorischen Entwicklung entfaltet Wenz die Religionstheorien der Sattelzeit der Moderne unter Konzentration auf Kant, Hegel und Schleiermacher. Auch religionskritische Strömungen finden Berücksichtigung. Eingeleitet wird der Band mit einer an Niklas Luhmann und Jürgen Habermas orientierten Analyse zur religiösen Lage der Gegenwart. Der zweite Band bietet Fallstudien zur Problemgeschichte evangelischer Theologie in Deutschland während des 19. und 20. Jahrhunderts. Herangezogen werden die kritischen Rezipienten Schleiermachers, Hegels und Kants, wobei Erweckungstheologen, der späte Schelling und Ritschl samt seinen Schülern besondere Berücksichtigung finden. Erwägungen zu den Versuchen einer kulturprotestantischen Synthese sowie zum Historismus und seinen Problemen leiten über zur Theologie der Krise bei Karl Barth. Ihre Krise wiederum wird an Brunners und Bultmann, Elert, Althaus und Hirsch sowie an Tillich dargestellt.
Band 1: Gunther Wenz
Religion Aspekte ihres Begriffs und ihrer Theorie in der Neuzeit 2005. 279 Seiten, kartoniert ISBN 3-525-56704-9
Band 2: Gunther Wenz
Offenbarung Problemhorizonte moderner evangelischer Theologie 2005. 285 Seiten, kartoniert ISBN 3-525-56705-7
In Vorbereitung: Band 4: Gott ISBN 3-525-56707-3
Band 5: Christus ISBN 3-525-56708-1
Band 6: Geist ISBN 3-525-56710-3
Band 7: Schöpfung ISBN 3-525-56711-1
Band 8: Sünde ISBN 3-525-56712-X
Band 9: Versöhnung ISBN 3-525-56713-8
Band 10: Vollendung ISBN 3-525-56714-6
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Ökumenische Theologie Aus Anlass des100. Geburtstages Edmund Schlinks entsteht eine neue Ausgabe seiner Werke, in deren erstem Band seine seit langem vergriffenen Ökumenischen Schriften gesammelt wieder zugänglich gemacht werden. Der zweite Band, „Ökumenische Dogmatik“, ist Schlinks Buch gewordenes Lebenswerk, Frucht eines jahrzehntelangen Engagements, das auch für den gegenwärtigen ökumenischen Dialog nichts an Aktualität eingebüßt hat. Von innen heraus untersucht Schlink die dogmatischen Gemeinsamkeiten der christlichen Traditionen auf dem Hintergrund des Evangeliums, stellt sie in ihren Begründungszusammenhang und weist ihnen einen Sitz im Leben unserer Zeit zu. Von dort aus entwickelt er ein neues Verständnis für die konfessionellen Unterschiede, die durch Integration in Reichtum und Vielschichtigkeit des christlichen Glaubens in ein klares Licht gerückt werden.
In Vorbereitung: Die Lehre von der Taufe (1969, aus Leiturgia) Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften (1948)
Edmund Schlink
Schriften zu Ökumene und Bekenntnis Band 1: Der kommende Christus und die kirchlichen Traditionen. Nach dem Konzil Mit einer biographischen Einleitung von Jochen Eber. Herausgegeben und mit einem Register versehen von Klaus Engelhardt. 2004. XXIX, 529 Seiten, kartoniert ISBN 3-525-56701-4
Band 2: Ökumenische Dogmatik. Grundzüge Mit einem Vorwort von Wolfhart Pannenberg Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Michael Plathow. 2005. XXII, 828 Seiten, kartoniert ISBN 3-525-56186-5
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Dogmatik für Einsteiger Theologische Dogmatik hat sich in abstrakten Begriffen verfestigt, die heute oft schwer oder gar nicht mehr verständlich sind: Schöpfung, Sünde, Rechtfertigung, Stellvertretung, Glaube und Gott haben in unserer Sprache eine andere Bedeutung, ein anderes Gewicht angenommen oder sind gar zu Fremdworten geworden. Dogmatische Arbeit muss die Großbegriffe geradezu zerbrechen, um ihren Sinn neu zu entdecken. Dieser Grundkurs behandelt die Themen des Apostolischen Glaubensbekenntnisses und die methodischen Grundprobleme der Dogmatik. Die dogmatischen Texte werden jeweils durch Wortmeditationen eingeleitet, um den Zugang zu erleichtern und als Brücke für die Praxis zu dienen. Die didaktische Aufbereitung des Stoffs umfasst zu jedem Paragraph Motto, These, ausführliche Gliederung, wichtige Texte der Tradition und einige Literaturhinweise.
Gunda Schneider-Flume
Grundkurs Dogmatik Nachdenken über Gottes Geschichte UTB 2564 M 2004. 414 Seiten, kartoniert ISBN 3-8252-2564-X
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Von der Glaubenserkenntnis zum Glaubensbekenntnis Bekenntnisse sind Lebensäußerungen der Kirche. In ihnen zeigen die Kirchen ihre Glaubenserkenntnis und reagieren auf Herausforderungen ihrer Zeit. Zugleich fordern sie die nachfolgenden Gemeinden zur Stellungnahme heraus. In unterschiedlichen Kontexten sind bis in die Gegenwart hinein sehr verschiedene Bekenntnisse entstanden. Dieser Band enthält dreizehn der wichtigsten reformierten Bekenntnisse in modernisierter Textfassung, denen jeweils eine kurze Einleitung vorangeht. Eine Einführung in das reformierte Bekenntnisverständnis und ein Register erleichtern den Zugang. Enthalten sind: die Berner Thesen (1528), Zwinglis Fidei Ratio (1530), Calvins Genfer Katechismus (1545), das Hugenottische Glaubensbekenntnis (1559), das Schottische Glaubensbekenntnis (1560), der Heidelberger Katechismus (1563), das Zweite Helvetische Bekenntnis (1566), die Dordrechter Lehrsätze (1619), die Barmer Thesen vom Januar 1934, die Barmer Theologische Erklärung (1934), die Leuenberger Konkordie (1973), das Bekenntnis der Karo-Batak / Indonesien (1979) sowie das Bekenntnis von Belhar / Südafrika (1986).
Georg Plasger / Matthias Freudenberg (Hg.)
Reformierte Bekenntnisschriften Eine Auswahl von den Anfängen bis zur Gegenwart 2005. 280 Seiten, gebunden ISBN 3-525-56702-2