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German Pages [221] Year 1995
Forschungen zum Alten Testament herausgegeben von Bernd Janowski und Hermann Spieckermann
12
Juda - Jehud - Israel Studien zum Selbstverständnis des Judentums in persischer Zeit
von
Thomas Willi
J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen
Thomas Willi: Geboren 1942; 1961-67 Studium der Theologie und der altorientalischen Sprachen in Basel, Paris und Göttingen; 1970 Promotion; 1969-77 Pfarramt im St. Galler Rheintal; 1977-94 Leitung der Stiftung für Kirche und Judentum in Basel, Privatdozent für Altes Testament an der Universität Bern; seit 1994 Professor für Altes Testament, Judentumskunde und Religionsgeschichte an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald.
Die Deutsche
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CIP-Einheitsaufnahme
Willi, Thomas: Juda - Jehud - Israel : Studien zum Selbstverständnis des Judentums in persischer Zeit / von Thomas Willi. - Tübingen : Mohr, 1995 (Forschungen zum Alten Testament ; 12) ISBN 3-16-146478-8 NE: GT
978-3-16-157791-8 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019 © 1995
J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen.
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von M. Fischer in Tübingen aus der Times Antiqua belichtet, von GuideDruck auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier der Papierfabrik Weissenstein in Pforzheim gedruckt und von der Großbuchbinderei Heinr. Koch in Tübingen gebunden. ISSN 0940-4155
KKO-' --p ' T T T ^ meiner Mutter, der Kollegin, meiner Gefährtin und Frau
ELISABETH WILLI-OETTLI, SARA JAPHET, INA WILLI-PLEIN,
mit
SPRÜCHE 3 1 , 1 0
zugeeignet
Vorwort Das vorliegende Buch ist die Frucht einer längeren wissenschaftlichen und persönlichen Besinnung. Sein Zustandekommen verdankt es einer Aussicht, die sich völlig unerwartet auftat - um dann freilich zu entschwinden ebenso aber der Großzügigkeit und dem Verständnis meiner ehemaligen Arbeitgeberin, der STIFTUNG FÜR KIRCHE UND JUDENTUM in Basel, i h r e m S t i f t u n g s r a t
und Präsidenten. Die drei Frauen, denen es gewidmet ist, haben in ganz unterschiedlichem Maße und in sehr verschiedener Weise Anteil daran. - ERNST JENNI, ROBERT HANHART und HERBERT DONNER haben einst meinem akademischen Werdegang seine Ausrichtung auf Altes Testament und Semitistik, Frühjudentum und Altorientalistik vermittelt. Wie sehr und wo die folgenden Untersuchungen durch ihr Wirken geprägt sind, hat am schönsten WALTER DIETRICH in seinem Gutachten zu einer Vorform ausgedrückt, die der Berner Evangelisch-Theologischen Fakultät 1991 als Habilitationsschrift vorlag. Abrundung und Vollendung des Buches sind schließlich verknüpft mit der Berufung an die Universität Greifswald und mit der Lehrtätigkeit, die ich 1994 in dem so wohltuend menschlichen Rahmen ihrer Theologischen Fakultät und ihres alt-neuen Kollegiums aufnehmen konnte. Dem neuen Lebens- und Wirkungskreis ordnen sich in gewisser Weise auch die beiden Herausgeber der FORSCHUNGEN ZUM ALTEN TESTAMENT ZU, d e n e n ich e b e n s o d a n k b a r v e r b u n -
den bin wie dem Verlagshaus J.C.B.Mohr (Paul Siebeck) in Tübingen. Frau und Herr stud. theol. Mareike Nill und Axel Noack haben bereitwillig Korrektur gelesen und stehen stellvertretend für die Greifswalder Studentinnen und Studenten, die sich durch die zuweilen hohen Hürden der Materie nicht abschrecken lassen. Der Neukirchener Verlag hat in bewährter Liberalität dem Autor gestattet, seine im Biblischen Kommentar zur Chronik erschienene Wiedergabe der Juda-Genealogie IChr 2,3-4,23 in dieses Buch zu übernehmen. Von ihr sind diese Studien ausgegangen, sie ist ihre Grundlage, und zu ihr möchten die folgenden Erörterungen hinführen. Greifswald/Hamburg, n"]tön nUJ-QÖ bti
DT / Pfingstsonntag 1995,
Thomas Willi
Inhaltsverzeichnis Vorwort
I. Etappen der Vorgeschichte und des Werdens der persischen Provinz Jehud 1. Juda in vorpersischer Zeit: Der Stamm und das Königreich Exkurs: DerJHKn DI?, l.Teil: Der f i s n DJJ - Die judäische Komponente der Davididenherrschaft 2. Kontinuität und nationale Identität. Zwei Phasen der Geschichte und Geistigkeit Israels im Achämenidenreich Exkurs: Der Stellenwert der Exilszeit in historischer Sicht und im Lichte von 2Chr 36,20-21 Exkurs: Der jntjsn Di?, 2.Teil: Zur Nachgeschichte des Begriffs j n « n D3J
II. Grundzüge des Israelbildes in spätpersischer Zeit nach dem Buch Esra-Nehemia 1. Das Buch Esra-Nehemia als Zeugnis Israels in spätpersischer Zeit Exkurs: Der Eingang des Buches Esra-Nehemia als Schlüssel zu seiner Konzeption 2. Der Weg zur selbständigen Provinz Jehud und seine Etappen nach dem Buch Esra-Nehemia a) I. Phase: Tempel und Perserreich (Vh33) b) II. Phase: Einwanderung (Vh^ü) c) III. Phase: Jerusalems Neubegründung und die persische Provinz Jehud d)IV. Phase: r n i n als !"H Exkurs: r n i n . Name und Sache im Alten Testament
III. Das Selbstverständnis des Judentums in spätpersischer Zeit im Spiegel der chronistischen Bürgerrechtslisten 1. 2. 3. 4.
Israels Sein im Werden: Das Ideal, das Wirklichkeit wird Die Bürgerrechtslisten „Israel" als Bestimmung und Bezeichnung des Judentums Die Juda-Genealogie in ihrem geistigen und geschichtlichen Umfeld . . . a) Die chronistische Bürgerrechtsliste und ihre Komponenten b) Die Integration Jerachmeels und Kalebs in den Stamm Juda c) Die chronistische Juda-Liste in ihrem Verhältnis zur Provinz Jehud . . d) Juda - Teil Israels und sein Platzhalter Anhang: IChr 2,3-4,23
V
1 3 11 18 18 30
41 43 47 66 66 76 82 90 91
119 121 124 134 138 138 145 149 159 165
VIII
Inhaltsverzeichnis
IV. Schluß
169
Literaturverzeichnis
183
Stellenregister
195
Namen- und Sachregister
207
Register hebräischer Begriffe
209
SAMARIA Ono = Chirbet Kafr 'Ana Neballat = Beit Nabala (Baal) Hazor ;
• Hadid = el H a d u e n ^ ^ l l / , ^ ! ^
^
o Senaa
= Chirbet Haiän »Ajja(t) f Michmas = Muchmäs Q - i l a ' o n Gibeon Geba = Geba 2— : . c Eschtaol Rama = er Ràm | Jericho | O Nob Qirjat Je c arim # Anatot Zanoach Moza o •i ^IeJerusalem] = Chirbet Zanu' ^ Ananja = el-'Azarije Bet ha-Kerem] Q ^ _ T 11 O Ò Betlehem ^ . A s e k a - T d l S o c h o Huscha t a m = c h i r b e t e l-Choch J S,ez-Zakanje#Adullam _ 0Netofa v ^ S S ^ B e t e l = BeitinT
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I Dibon? (Dimona)
N e h . 1 1 , 1—36 |
| = Distrikts CI^S) - Hauptstadt
unbekannt: Jekabzeel Chazar-Schual Mekona Zeboim
I. Etappen der Vorgeschichte und des Werdens der persischen Provinz Jehud
1. Juda in vorpersischer Zeit: Der Stamm und das Königreich Juda war von allem Anfang an etwas Besonderes. Schon die ältesten geschichtlich auswertbaren Nachrichten weisen auf eine eigene, mit dem übrigen Israel nur lose verbundene Entwicklung. Ein gewisses Maß an Selbständigkeit hat sich Juda immer bewahrt. Nicht so sehr die Zweiteilung in das Nordreich Israel und das südliche Königtum Juda ist daher eigentlich verwunderlich, sondern viel eher überraschen das Zustandekommen der Personalunion im gesamtisraelitischen Königtum Davids und Salomos und die bei aller geschichtlichen und politischen Trennung vorhandenen Äußerungen eines israelitischen Zusammengehörigkeitsgefühls. Die Ursachen für Judas besondere Stellung und Entwicklung liegen weit zurück. 1 Viel stärker als das übrige Palästina stehen Juda und sein Stammgebiet unter ägyptischem Einflußbereich. Zwar waren die Verbindungen aller Teile Palästinas zu dem mächtigen Nachbarn wie zur Sinaiwüste einfach und intensiv. Doch für Juda wirkten diese Beziehungen in solchem Maße bestimmend, daß es auf weite Strecken hin viel stärker nach Süden als nach Norden ausgerichtet blieb. 2 Einzüge nach Ägypten und Auszüge aus Ägypten waren hier häufig und gehörten zum Alltag. Denn in Ägypten und in den dahin führenden Verbindungsgebieten lagen Judas Herausforderungen, Chancen und Reserven. In der Notiz Num 13,22 begegnet eine Nachricht, die diese weit zurückreichende Vorgeschichte im Blick hat. Sie zieht ausdrücklich den Vergleich mit dem südlichen Nachbarreich und hält dabei fest: „Hebron aber war sieben Jah-
1 ZOBEL, Geschichte Groß-Judas, 254 spricht von einer „Sondergeschichte Judas". Zur Diskussion steht die Frage, ob Juda schon vor David eine eigenständige Größe gebildet oder ob erst David eine solche Integration bewirkt habe. Für Letzteres optieren vor allem MOWINCKEL in: FS O. Eißfeldt, 137f. und DE VAUX, Tribe of Judah, 133: „It seems to have been under and by David that the tribe of Judah found its true identity." ZOBEL kommt zur gegenteiligen „Schlußfolgerung, daß ... das ,Haus Juda' zum Zeitpunkt der Königswahl Davids ... ein politisches Gemeinwesen war" (a.a.O. 256). Diese vordavidische „Einheit GroßJuda" (258) habe mit ihrem „kräftigen, stolzen Selbstbewußtsein, das ausschließlich weltlich-nationale und keine religiösen Züge" aufwies, das „national-religiöse Empfinden Israels" als der geeinten Nation gespeist (276f.). 2 ALT, Ortslisten, 293 Anm. 4 vermutet sogar als eins der frühesten Motive zum Zusammenschluß der verschiedenen Südstämme der Kalibbiter, Kenissiter, Jerachmeeliter und Judäer, auf dem David dann aufbauen konnte, „das gemeinsame Interesse aller Gruppen an der wirtschaftlichen Ausnutzung des Negeb".
4
Etappen der Vorgeschichte
re vor Zoan in Ägypten erbaut worden." 3 Die Kundschafter, die sich nach diesem Bericht der Stadt Hebron nähern, kommen auf dem normalen Weg von Süden, aus dem Negeb, ins Land, nicht von Osten wie später Josua und die im Josuabuch geschilderte gesamtisraelitische Einwanderung. Die Kundschaftergeschichte, soweit ihr ein traditionsgeschichtlich davon unabhängiger Aussagewert innewohnt, läßt sich als später Reflex der Hyksoszeit, das heißt des 17./ 16. Jahrhunderts v.Chr., verstehen. 4 Das aber ist die Epoche der ausgehenden Mittelbronze- und beginnenden Spätbronzezeit, in der Palästina die mächtigsten Städtebauten der vorhellenistischen Zeit gekannt hat. 5 Wer sich von Süden her dem Gebirge Juda näherte, 6 dem mußte Hebron als einer der ersten stark befestigten Plätze des Kulturlandes erscheinen. 7 Neben Hebron erwähnt das Alte Testament noch Kirjat-Sefer (später Debir), den Mittelpunkt der Otnieliter.8 In Bet Zur besaß das judäische Gebirge zur Hyksoszeit ein weiteres städ3
Zur literarkritischen Diskussion und Bestimmung von Num 13-14 vgl. MITTMANN, Deuteronomium 1,1-6,3, 4 2 - 5 5 . Die Notiz Num 13,22 findet sich im Zusammenhang der Version, die MITTMANN klar von der priesterschriftlichen unterscheidet und dem Jahwisten zuschreibt. Sie umfaßt 13,17b-18bß.20aßyb.22-23a.24.*26.27.28bß.*30.31; 1 4 , l a ß b . 3 4.1 la.23a.24.25b. 39b-41,43-44a.45. 4 Vgl. NOTH, Ansiedlung, 188. 5 WEIPPERT, Palästina, 217f. nennt als größte Städte Hazor mit 80 ha, Tel Burgä beim Tel M'börak mit 25 ha, Teil el-Qädi (Akko) mit 20 ha. „In der zentralen und südlichen Küstenebene erreichten die Städte nur einen mittleren Umfang von annähernd 12 ha ..., und lediglich Askalon fällt mit 55 ha aus diesem Rahmen heraus. Die Inlandsorte der mittleren und südlichen Landesteile ... scheinen im allgemeinen kleiner gewesen zu sein als die im Norden oder die entlang der Küste." Teil el-Mutesellim (Megiddo) umfaßte 10 ha, Teil ed-Duwer (Lachisch) 7 ha, 'En Sems (Bet Schemesch), Teil Bet Mirsim und Teil es-Sultän (Jericho) nur 3 ha. 6 DE VAUX, Tribe of Judah, 131: „All things considered, it is more likely that the Judeans entered Canaan from the south, at the same time as the Simeonites with whom traditions closely associated them." Für Kaleb ist die Einwanderung von Süden durch Num 13f. belegt. 7 Das 1964-66 ansatzweise ausgegrabene alte Hebron lag auf dem öebel er-Rumede, etwa 1 km westlich der Patriarchengräber. Als Stadt scheint es frühestens in MB II, vielleicht sogar erst in MB II-B, also in der Hyksoszeit, gegründet worden zu sein. Schon das spätbronzezeitliche Hebron war aber keine eigentlich städtische Siedlung mehr, sondern mag als offenes Zentrum für eine eher nomadisierende Bevölkerung der Umgegend gedient haben. Vgl. BELTZ, Kaleb 65-70. In der israelitischen Königszeit, im 8. Jhd., erscheint Hebron nach Ausweis der Imlk-Stempel als Krongut und Lieferantin der Armee. Vgl. KEELKÜCHLER-ÜHLINGER, O r t e , 6 7 0 - 6 9 6 . 8 Hirbet er-Rabüd, ein auf drei Seiten vom Hebronfluß umgebener Hügel, etwa 15 km südwestlich von Hebron (151.093), ist erstmals von GALLING, Debir, 135-141 als Lokalisation für das alte Debir = Kirjat-Sefer vorgeschlagen worden. Damit erübrigten sich frühere Identifikationen wie Ed-Daharije, Teil Bet Mirsim (W.F. ALBRIGHT), Hirbet Zanüta (ELLIGER) oder Teil Tarrame (NOTH). Hirbet er-Rabüd hat im 5-km-Radius Anab, Socho und Eschtemoa um sich liegen (vgl. Jos 15,49). Die unter M. KOCHAVI 1968 und 1969 durchgeführten Ausgrabungen förderten Spuren einer ersten Besiedlung aus EB I zutage, vgl. Tel Aviv 1 (1974) 1-32. Die erste ummauerte Stadt ist ins 14. Jhd. v.Chr. (SB II-A) zu datieren. Sanherib hat 701 v.Chr. die Stadt der israelitischen Königszeit zerstört. Sie wurde aber noch einmal aufgebaut, um dann durch Nebukadnezzar II. für immer dem Erdboden gleichge-
Juda: Der Stamm und das Königreich
5
tisches Zentrum nördlich von Hebron.9 Schließlich wird auch Betlehem einmal in den Amarnabriefen erwähnt.10 Aber es gilt hier ausdrücklich nur als „eine Stadt des Landes Urusalim"." Auch später, im Verlauf der eigentlichen Geschichte Judas, hat Betlehem seine Bedeutung hauptsächlich als Geburtsort Davids, nur in sehr begrenztem Maße als regionales Zentrum, gehabt. Mi 5,1 aa trifft durchaus den Sachverhalt, wenn es hier heißt: „Und du, Betlehem in Ephrat, klein (zwar) für eine Tausendschaft in Juda, aus dir ... usw."12 Weil die Amarnabriefe sonst über das judäische Bergland keine weiteren Informationen liefern, hat man vermutet, es sei damals anderen, größeren Territorien zugeteilt gewesen. 13 Das Erschlaffen des ägyptischen Einflusses, der Verfall der ägyptischen Herrschaft und die daraus resultierenden Wirren machten eine selbständige Entwicklung des Landstrichs nötig und möglich. Bet Zur ist nach dem Zusammenbruch des Hyksosreichs von den Ägyptern durch Feuer zerstört und zunächst nicht wieder als feste Stadt aufgebaut worden.14 Eine neue Ära dämmerte herauf. Sie wurde von verschiedenen nomadischen und halbnomadischen Stämmen und Clans genutzt. Von Süden gelangten - im Zuge der Transhumanz? - die Otnieliter in ihre halbfesten Wohnsitze und gruppierten sich um Kirjat Sefer/Debir. Noch bedeutender waren die Kalibbiter, die sich in den Besitz Hebrons setzten und die alte Metropole des südlichen macht zu werden. Denn aus nachexilischer Zeit finden sich nur wenige Überreste einiger frei, ohne Mauerschutz, errichteter Gebäude. Vgl. KOCHAVI, Rabud, 995. 9 Hirbet et-Tubeqa, 6 km nördlich von Hebron (159.110), wurde 1931 und 1957 durch O.R. SELLERS, unter Beratung von W.F. ALBRIGHT, ausgegraben. Nach der Zerstörung der Hyksosfestung im 16. Jhd. v.Chr. (vgl. unten bei Anm. 14) wurde die Stadt erst im 11. Jhd. unter Wiederverwendung der mittelbronzezeitlichen Mauern wieder aufgebaut. Während EZ II, etwa von 6 5 0 - 5 8 7 v.Chr., war Bet Zur nurmehr eine unbefestigte Siedlung. Das blieb es auch nach dem Exil, bis es in hellenistischer Zeit als Grenzfestung zwischen Judäa und Idumäa wieder eine gewisse Bedeutung erlangte. Vgl. KEEL-KÜCHLER-ÜHLINGER, Orte 718-724. 10 In archäologischer Hinsicht ist Betlehem eine große Enttäuschung, wenn man von einigen prähistorischen Funden auf el-Baten absieht, vgl. M c COWN, Ladder, 42. Außer etwas eisenzeitlicher Keramik aus Gräbern im Nordabhang der Stadt (vgl. BAGATTI, Liber, 153— 180) sind bislang vorhellenistische Spuren nicht bekannt. Über das in schriftlichen Dokumenten wie den Amarnabriefen und dem Alten Testament punktuell erwähnte Landstädtchen schreibt KOPP, Stätten, 1 Of.: „In friedlichen Zeiten mußte Bethlehem" für die Nomaden der Wüste „ein willkommener Markt sein, da verschiedene Wege aus dem Wüstengebiet westlich des Toten Meeres hier münden. So hatte die Natur dem Ort eine Linie der Entwicklung vorgezeichnet. Nach Westen lief die Hauptverkehrsstraße des Stammes Juda an ihm vorbei, nach Osten hatte er die Wacht nach der Wüste." 11 EA 290,15 bei KNUDTZON, El-Amarna-Tafeln. 12
S o m i t W I L L I - P L E I N , V o r f o r m e n , 8 9 , v g l . LESCOW, G e b u r t s m o t i v , 1 9 4 f .
13
WEIPPERT, Landnahme, 24: Judäisches Bergland „vielleicht größere Territorien (Land Garu??)", wobei Garu doch eher im Golan, in räumlicher Beziehung zu Pella, als im Negeb von Gerar zu suchen ist (ebd. 21 mit Anm. 4). 14 Die Stadt lag fast 400 Jahre in Trümmern, nachdem sie im 16. Jhd. v.Chr. zerstört word e n w a r . V g l . SELLERS-ALBRIGHT, B e t h - Z u r , 6 ; K E E L - K Ü C H L E R - Ü H L I N G E R , O r t e , 7 1 9 f . s o -
wie oben bei Anm. 9.
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Etappen der Vorgeschichte
judäischen Gebirges erneut zu einem Zentrum machten.15 Einen sehr geringen Grad an Seßhaftigkeit dürften ihre südlichen Nachbarn, die Jerachmeeliter im Negeb, erreicht haben.16 In diese Zusammenhänge gehören die Anfänge des Stammes Juda. Wie sein Nachbar Kaleb sich auf dem südlichen Ausläufer des palästinischen Mittelgebirges niederließ, so die ersten judäischen Gruppen nördlich angrenzend in und um Betlehem. Sie hatten Jerusalem, die östlichste Bastion des südlichen Querriegels kanaanäischer Stadtstaaten, an ihrer nördlichen, Kaleb an ihrer südlichen Flanke. Herkunftsmäßig mit den Kalibbitern und den anderen halbnomadischen Südstämmen zusammengehörig, waren sie doch mit den Kanaanäern durch ein vielfaches Geflecht kultureller und wirtschaftlicher Beziehungen verbunden.17 15
V g l . W E I P P E R T , L a n d n a h m e , 5 0 . G r u n d l e g e n d i s t d e r A u f s a t z v o n MAISLER ( M A Z A R ) ,
Qirjat 'Arba. Im Zusammenhang mit dem alten Namen Hebrons i T i p , der wohl auf vier Teile oder Bezirke der Stadt hinweist, macht MAISLER auf die heterogene Bevölkerung der Stadt aufmerksam. Weitere Ausführungen bei LIVER, Kaleb, 106-110; NORTH, Caleb, 161-171. BELTZ, Kaleb, 35 findet in Jos 14,6-15 nach NOTH, Josua, 84 eine „von Haus aus kalibbitische Überlieferung" und sieht vor allem die „Pentateuchquelle L" kalibbitisch geprägt. Vgl. noch PACE, Caleb Traditions. 16 Der Name „Gott erbarm!" spricht für sich. - An den beiden einzigen vorexilischen Stellen 1 Sam 27,10 und 1 Sam 30,29 setzt das Alte Testament in den Ausdrücken „der Negeb Jerachmeels" bzw. „die Städte Jerachmeels" den südlichen Lebensraum Jerachmeels einfach voraus. Eine genealogische Reflexion über das Verhältnis Juda - Jerachmeel findet sich bemerkenswerterweise erst in spätnachexilischer Zeit in der chronistischen Bürgerrechtsliste Judas IChr 2,9.25-27.33.42, s. dazu unten S. 145-149. 17 Wichtig sind in diesem Zusammenhang die eingehenden Untersuchungen von EMERTON zu Gen 38: Problems, 338-361; Examination, 7 9 - 9 8 und schließlich Judah and Tamar, 4 0 3 - 4 1 5 , wo er S. 414 feststellt: „The fact that the story is critical of Judah, though not hostile, and that the heroine is probably a Canaanite is best explained if the story circulated among Canaanites living alongside members of the tribe of Judah in the region near Adullam." Auch wer im Unterschied zu EMERTON einen kanaanäischen Ursprung von Gen 38 nicht für wahrscheinlich hält (Leviratsehe! weitere Gegengründe bei WESTERMANN, Genesis, 44), dem bezeugt das Kapitel erst recht eine weit zurückreichende, einer späteren Zeit zweifellos eher suspekte judäisch-kanaanäische Verflechtung. Zur Relevanz dieser Beziehung vgl. so dezidierte, aber auch pauschalisierende Urteile wie das bei HALPERN, Emergence, 246: „Israel's Religion was a Canaanite Religion." oder das bei COOGAN, Religion, 115f., der die israelitische Religionsgeschichte insgesamt als „a development from a Canaanite matrix" versteht. Auch NIEHR, Der höchste Gott, plädiert für einen „Paradigmenwechsel" (183) und bemängelt bisherige religionsgeschichtliche Ansätze, die „die israelitische Religion als eine fertige Religion voraussetzen, die sekundär in Kontakt zu den syrisch-kanaanäischen Religionen tritt." (184) Seine verallgemeinernde These von der „kanaanäischen Grundlage der israelitischen Religion", die „bedingt durch die Katastrophe des Untergangs und die phönizische Unterwanderung Judas in nachexilischer Zeit wieder zum Tragen" gelangt sei, bedürfte allerdings sowohl bezüglich ihres Ober- wie ihres Untersatzes der Differenzierung. Die Stämme, die Israel zu bilden bestimmt waren, sind ohne Zweifel in ein Verhältnis von challenge and response zu ihrer kanaanäischen Umwelt getreten - aber gerade das setzte eine eigene Identität voraus und prägte sie. Die von DIETRICH, Israel und Kanaan, beigebrachten Aspekte behalten von daher doch ihr Gewicht. Überdies dürfte sich die Auseinandersetzung und Selbstfindung in den einzelnen Stämmen, Bereichen und Epochen sehr unterschiedlich abgespielt haben - in Juda durchaus anders als in
Juda: Der Stamm und das Königreich
7
Anders als bei den ihnen verwandten Südstämmen ist es kein Personen- bzw. Eponymenname, der Juda kennzeichnet, sondern eine geographische Bezeichnung.18 Wie die edomitischen Nachbarn im Südosten ihren Namen vom Gebirge Seir bzw. vom rötlichen Gestein des ostjordanischen Tafellandes herleiten, heißen die Söhne Judas nach dem r n i r v "in, dem „Gebirge Juda", oder nach dem östlich angrenzenden rniiT ~Q"1Q, der „Trift Juda". Anders als bei ihren südlichen Nachbarstämmen scheinen Niederlassung und Ansiedlung im Kulturland ihre Identität und Bezeichnung wesentlich geprägt zu haben. Juda hat, nach Ausweis von Vorgeschichte, Siedlungsgebiet und Namengebung, seinen Weg zwischen dem nomadischen Erbe der Vergangenheit und der kanaanäischen Herausforderung des bewohnten Kulturlandes gesucht und gefunden. Diese Konstanten reichen weit in die Zeit des vereinigten wie des selbständigen judäischen Königreichs hinein.19 Das Kerngebiet des Stammes Juda, Alt-Juda, umfaßt also einen eng begrenzten Abschnitt des mittelpalästinischen Gebirgsrückens. Er beginnt unmittelbar südlich von Jerusalem, zieht sich bis kurz vor Hebron im Süden hin und schließt die Städte Bet Zur, Tekoa und Betlehem auf diesem eigentlichen "Iii rn^n' ein, mitsamt ihrer sich bis zur natürlichen Grenze des Toten Meeres erstreckenden Trift, dem r n i i V ~I3"TQ. Einen westlichen Schwerpunkt besitzt er in und um Adullam.20 Hier nach Westen zu, nicht im Norden bei Jerusalem, kam es denn auch, wie Gen 38 lehrt, zu intensiven Verbindungen und Auseinandersetzungen mit dem ansässigen Kanaanäertum.21 Sie waren von anderer, einschneidenderer Art als die rein politische und militärische Selbstbehauptung gegenüber den Philisterstaaten der Küstenebene, in denen sich der Betlehemit David b. Jischai die Sporen abverdiente. Er wußte dabei die alten Mittelpalästina, und wieder völlig anders in Jerusalem. Erst recht erscheint NIEHRS Sicht der exilisch-nachexilischen Verhältnisse und Entwicklungen in mehreren Punkten recht problematisch. 18 Frühere Vorschläge wie der von ALBRIGHT, Names, 151-185, beim Namen Juda handle es sich um ein jussives Hof. von Vhdj, „er sei gepriesen" („y'hüd is the regulär uncontracted hof'al jussive of hödäh ..." 173) oder der von PROCKSCH, Genesis, 178 zu Gen 29,35, wonach der Name aus *yahw-wada verkürzt sei, sind unwahrscheinlich. Neuerdings hat MILLARD, Name Judah, 216-218 wieder auf einen Personennamen getippt, und zwar als hypokoristische Form eines längeren H"~'H" oder "PKTIIT. Doch hat schon ALT, Gott der Väter, 5 Anm. 1 „Jehuda für eine Ortsnamensbildung wie Jogbeha" gehalten. In ähnlicher Richtung wie er suchen YEIVIN, Yehuda, 487-508 und LIPINSKI, Etymologie de Juda, 380f., wonach Juda „ä l'origine un toponyme" bilde, dessen Bedeutung aufgrund des arab. wahda „Schlucht, Tobel" von LIPINSKI als „ et, de lä " angenommen wird und daher nicht so sehr auf das Gebirge als vielmehr auf das „bas-pays ä l'ouest de la montagne de Juda" wiese. Angesichts der festverhafteten Bezeichnungen wie min" i n und m i n ' "QIQ erscheint diese Ableitung aber doch recht fraglich. 19 Vgl. ZOBEL, Geschichte Groß-Judas, besonders 267f. 20 Hirbet es-seh madkür ( 1 5 0 . 1 1 9 ) liegt 1 6 km nordwestlich von Hebron, 6 km südöstlich von Socho. Im Umkreis befinden sich Achsib (5 km südlich), Enajim (Gen 38,14) = Enam (Jos 1 5 , 3 4 ) u n d T i m n a , vgl. KEEL-KÜCHLER-ÜHLINGER, Orte, 21
846-848.
Nach EMERTON, Problems, 347 reflektiert Gen 38 „the period of the Judges, when ... Judah was settling down in Canaan and moving from the hill-country to the Shephela".
8
Etappen der Vorgeschichte
verwandtschaftlichen Beziehungen der Judäer zu den Südstämmen wie Kaleb politisch fruchtbar zu machen. Wenn das kalibbitische Hebron zur ersten Hauptstadt seines Königtums wurde, so verrät sich darin ein über die engeren judäischen Stammesgrenzen hinausreichender Anspruch dieser Staatsbildung. In 2Sam 2,4 wird zutreffend gesagt, daß „die Männer Judas kamen und dort David zum König über das Haus Judas salbten". Diese Ausdrucksweise wie Davids durchs Orakel gewonnener Entschluß, sich mit seinen Gefolgsleuten in Hebron und „in den Städten Hebrons" (V.3) - nicht wie in der noch unbestimmt gehaltenen Orakelanfrage V. l a a in „den Städten Judas" - niederzulassen, zeigt, daß vorher in der Region noch kein eigentliches Machtzentrum existierte, daß andererseits das traditionell kalibbitische Hebron den Judäern nicht als fremd erschien. Wie lSam 30,27-31 lehrt, hatten sich die Judäer zu Davids Zeit weit über das Kerngebiet Alt-Judas hinaus nach Hebron und in den Südosten und Südwesten ausgebreitet. 22 In all diesen Siedlungsorten besaßen sie ihre eigene Bürgerschaft mit maßgebenden • , 3pt. 2 3 David verstand sich aber nicht nur als Sachwalter seiner hier angesprochenen judäischen Stammesangehörigen, sondern auch als der kalibbitischer Interessen (lSam 25,7f.), und Nabal ist nicht zuletzt deshalb der Tor, weil er im Gegensatz zu seiner Frau in David nur den Vasallen des nordstämmigen Saul, nicht den aufstrebenden Judäer mit dem Blick für das Wohl der Region sah. Umgekehrt hat David die verwitwete Kalibbiterin Abigajil dann auch sofort zur Frau genommen (lSam
22
Diese Ausbreitung nach Süden scheint sich verhältnismäßig problemlos vollzogen zu haben. Im Unterschied zur Ausdehnung nach Westen und den damit verbundenen Kontakten mit den Kanaanäern, die Gen 38 andeutet, wird sie von den Quellen einfach vorausgesetzt. 23 Die Liste l S a m 30,27-31 stellt „eine Größe eigener Art" dar, vgl. STOEBE, Das erste Buch Samuelis, 518. ZOBEL, Geschichte Groß-Judas, 258 sieht, nach dem Vorgang von KITTEL, Das erste Buch Samuel, z.St.; NOTH, System, 107, in l S a m 30,27-31 „die Existenz der politischen Einheit Groß-Juda" vor David bezeugt. Wir möchten die Stelle anders verstehen. Schon ZOBEL selbst stellt nämlich fest, daß in der Aufzählung der Empfänger dieser H " 3 „der Bereich des eigentlichen Stammes Juda fehlt" (Geschichte Groß-Judas, 263). So liegt es nahe, in dieser Beschenkung (die über eine bloße Beuteverteilung hinausgegangen zu sein scheint, vgl. STOEBE, Das erste Buch Samuelis, 518) eine politisch motivierte Geste die dann „eine Rolle bei der Anerkennung des Königtums Davids in Hebron gespielt" haben mag, wie STOEBE, Das erste Buch Samuelis, 519 vermutet - des Judäers David an die Adresse seiner Stammesgenossen in nicht judäisch bestimmten Gebieten des Südens zu sehen. Denn es handelt sich auch nicht um eine Dankbarkeitsbezeugung Davids für erwiesene Hilfe in schwerer Zeit (so mit Recht STOEBE, Das erste Buch Samuelis, 518 gegen SCHULZ, Die Bücher Samuel: I, z.St.) Die Liste spricht gerade nicht für ein - durch wen geschaffenes? etabliertes Groß-Juda, sondern für eine Maßnahme zur Stärkung der Verbundenheit zwischen den Judäern des Stammgebiets und den Judäern, die minderheitlich in von anderen Stämmen wie den Jerachmeelitern, Kenitern (lSam 30,29) bestimmten Territorien wohnten. Auch diese auswärtigen Judäer dürften in ihren Niederlassungen familien- und stammesmäßig lose organisiert gewesen sein und dort ihre CTJpT gehabt haben - und genau diese m i l T " p " waren die Adressaten der Beschenkung. Die Gesamtheit der Judäer des Stammgebiets und der anderswo verstreut lebenden judäischen Gemeinschaften bildet das rP3 r m n \ über das David nach 2Sam 2,4 zum König gesalbt wurde. Dieses Königtum war primär stammesmäßig, nicht territorial definiert!
Juda: Der Stamm und das Königreich
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25,39-43). Sie wird nur eine der ersten, nicht die einzige ihres Stammes gewesen sein, die Davids Aufstieg voraussahen und förderten. Insofern stellte das Königtum, das David von Hebron aus aufbaute und ausübte, auch als es noch nicht gesamtisraelitisch war, sehr bald mehr als nur eine judäische Angelegenheit dar. Es läßt sich als eine Reaktion Judas und seiner Nachbarn auf das doch stark auf die Nordstämme abgestützte Heerkönigtum Sauls verstehen, als eine Initiative des Südens angesichts der Katastrophe des Nordens. Gewiß beruht dieses Königtum auf „dem Haus Juda" (2Sam 2,4). Aber daraus läßt sich nicht schließen, daß „zum Zeitpunkt der Königswahl Davids ... ein politisches Gemeinwesen", ein „Groß-Juda" fertig dagestanden habe,24 David sozusagen ins gemachte Nest habe steigen, in das für ihn offengehaltene Amt habe eintreten können. Er hat es vielmehr, nicht ohne am Hofe Sauls die nötigen Kenntnisse und Fähigkeiten erworben zu haben, erarbeitet, aufgebaut - jenseits, neben und über den weiterbestehenden stammesbezogenen Strukturen. Ja, es ist durchaus denkbar, daß sich Juda als Davids eigener Stamm in seinem Kerngebiet am wenigsten strukturelle Änderungen gefallen ließ und gefallen lassen mußte, daß sich dort die in der späteren Geschichte gerade in kritischen Situationen zutagetretenden Institutionen der rniiT 'TOR, des fltjül D^25 ungebrochen erhielten. Die Hauptstädte des Königtums Davids und seiner Dynastie heißen Hebron und Jerusalem. Keine der Städte Alt- oder Kernjudas ist je königliche Residenz gewesen, und so hat denn auch in der Königszeit dieser Landstrich „niemals eine besondere Rolle" gespielt.26 Auch wenn Davids Königtum vom „Haus Juda" ausging und zuerst einmal den Judäern und ihren Nachbarstämmen einen politischen Rahmen zu engerer Zusammenarbeit bot, vielleicht im gemeinschaftlichen Interesse der Sicherung und Erschliessung des Negeb,27 so blieb es doch eine Episode, die sehr bald durch das gesamtisraelitische Königtum überholt wurde. Die alte Kanaanäerstadt Jerusalem wurde erobert und zur Hauptstadt erhoben - und erstmals in der Geschichte setzte, gewiß zögernd, eine Orientierung Alt-Judas nach Norden statt nach Süden ein.28 Jerusa24
So ZOBEL, Geschichte Groß-Judas, 256.255.268. Nach anderen Vorschlägen etwa bei SULZBERGER, Am ha-aretz, hat WÜRTHWEIN, 'amm ha'arez, den Begriff als eigentlichen terminus technicus für die gesellschaftliche Oberklasse des „Landadels" beschrieben. Dagegen macht NICHOLSON, Meaning, 59f. geltend, daß die Bedeutung von Text zu Text variiere. Wichtig sind die Hinweise von TALMON, 'Am ha'arez, 84f. Er unterscheidet hier strikt zwischen einem „Allgemeinbegriff, der sich auf verschiedene Gesellschaftsgruppen bezieht" und einem „terminus technicus, der nur auf eine besondere Körperschaft im jüdischen Statswesen angewendet werden kann". Bei letzterem handelt es sich nach TALMON „um einen Ausdruck, der ausschließlich mit dem judäischen Staatswesen verknüpft ist" (81) und „der nach der Zerstörung des Königreichs Juda nicht mehr verwendet" wurde (85). Vgl. den unten S. 11-17 folgenden 1. Teil des Exkurses über den f H ^ n C2J. 26 ALT, Ortslisten! 290. 27 ALT, Ortslisten, 293 Anm. 4. 28 Gehörte Juda zum vorstaatlichen Israel? fragt R. SMEND in seiner so betitelten Untersuchung, 200-209. Er beantwortet sie im Unterschied zu HERRMANN, Das Werden Israels, 115f., der „den Anstoß für die gesamtisraelitische Idee ... nicht vor David" ansetzen möchte, 25
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Etappen der Vorgeschichte
lern war daher alles andere als Trägerin genuin judäischer Traditionen. Trotzdem bestimmte die Stadt nach der Auflösung der Personalunion einmal mehr, einmal weniger die Geschicke des Königreichs, das nun den Namen „Juda" trug. Die Landschaft, vorab der f l K i l DJ), behielt aber immer ein Mitspracherecht. Der Gebietszuwachs, den das Königreich Juda unter König Josia erlebte, führte zum „größten Umfang, den es unseres Wissens jemals erreicht hat".29 Die Verlagerung geschah nunmehr einseitig nach Norden. Juda als Königreich suchte seine Grenzen immer viel stärker in das Gebiet Israels auszudehnen als nach anderen Richtungen. Dadurch lockerten sich die alten Bindungen zum Süden, und die ihrerseits unter dem Druck der Nabatäer stehenden, aus der südlichen Araba nachdrängenden Edomiter fanden wenig Widerstand vor.30 Wenn Jeremia klagt: „Die Städte des Negeb sind verschlossen - und niemand öffnet!" (13,19), so besagt das wahrscheinlich, daß der ganze Süden des Gebirges bis und mit Hebron schon 598, spätestens aber 587 vom Territorium des Reiches Juda abgetrennt war.31 Nebukadnezzar II. besiegelte diesen Zustand. Wohl schon für die Babylonier, sicher für die Perser endete die Provinz Jehud südlich von Bet Zur. Sie umfaßte also nurmehr das alte Kernland und die weitere Umgebung Jerusalems.
vorsichtig positiv: „Mit einem politisch-militärischen Verband Israel unter Einschluß Judas ist ... nicht zu rechnen; soll trotzdem eine Zugehörigkeit Judas zum vorstaatlichen Israel behauptet werden, dann darf dieses Israel keine politisch-militärische Größe sein." (202) 29 ALT, Judas Gaue, 283. - Ein besonderes Zeugnis für die maximale Ausdehnung Judas stellt Neh 11,1-36 dar. Die Liste erscheint zwar im jetzigen Kontext als Dokument des von Nehemia angeregten Synoikismos, deckt sich aber gebietsmäßig in keiner Weise mit dem Judäa der persischen Zeit. Daher ist sie entweder mit AHARONI, Land, 423f. (ähnlich KALLAI, Northern Boundaries, 89f.) als Liste aus der letzten Zeit des Königreichs Juda, die vor allem von der Deportation nicht betroffene „dicht bevölkerte judäische Siedlungen ... in den Grenzregionen Judäas" nennt, zu interpretieren, oder - wahrscheinlicher - mit STERN, Province of Yehud, 17f. als „a utopian plan showing where a Judaean should settle upon returning from exile, within the ancient borders from Beer-Sheba to Jerusalem, the classical territory apportioned to the tribe of Judah." 30 In Teil el-Hlefe bei Elat hat N. GLUECK schon für das 7. Jhd. v.Chr. edomitische Besiedlung nachgewiesen; und für die letzte Zeit des Königreichs Juda gilt das nach den Grabungen von M. KOCHAVI sogar für Tel Malhätä bei Beerscheba. Ein Ostrakon aus Arad warnt die judäischen Festungen von Arad, Kina und Ramot im Negeb vor einem edomitischen Angriff, vgl. AHARONI, Arad Inscriptions, 48-51. Diese Entwicklung ist weitergegangen; für die hellenistischen Zenon-Papyri aus der Mitte des 3. Jhd.s v.Chr. ist sogar Marescha bei Lachisch eine rein edomitische (idumäische) Stadt. 31 SMEND hat in seiner Religionsgeschichte (' 1893) als erster erkannt und deutlich ausgesprochen, daß „die Juden in vormakkabäischer Zeit den Süden des alten Juda nie wieder besessen haben". Vgl. MEYER, Entstehung des Judentums, 106. - Zur Frage, ob diese Abtrennung 587 v.Chr. oder - wie es Jer 13,19 nahelegt - schon 598 erfolgt sei, vgl. ALT, Ortslisten, 294 mit Anm. 2.
Juda: Der S t a m m und das Königreich
Der f
Exkurs: Der f i a n O D , Ol? - Die judäische Komponente
I.Teil der
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Davididenherrschaft
DJ) im Sing, kommt im Alten Testament 52mal vor.32 Dazu gesellen sich 16 Belege für 'QU33 und 8 Belege für ni2n$n 'QU.34 Die Übersetzung 35 „Landvolk" ist deshalb ungenau, weil hebr. DJ? keineswegs einfach „Volk" in dem Sinne ist, wie der Volks- und Nationalitätsbegriff des ausgehenden 19. Jahrhunderts das Wort gefüllt hat. DJ? visiert n i c h t d e n U m f a n g u n d d a m i t e i n e A b g r e n z u n g n a c h a u ß e n , s o n d e r n b e z e i c h n e t d a s Volk v o r w i e g e n d u n t e r d e m A s p e k t s e i n e s i n n e r e n A u f b a u s , seiner b ü r g e r r e c h t l i c h e n u n d i n n e n p o l i t i s c h e n S t r u k t u r : „Dl? i s t . . . d i e M a n n s c h a f t als p o l i t i s c h m a ß g e b e n d e r Teil des 'iJ." 3 6 Da k o m m t i m A l t e n T e s t a m e n t 1868 m a l vor, in 8 8 % d e r F ä l l e b e z e i c h n e n d e r w e i s e i m S i n g u l a r . D a g e g e n ist 'ÌJ d i e Nation i m S i n n e e i n e r p o l i t i s c h e n E i n h e i t u n d ihrer ä u ß e r e n S t r u k t u r e n , d a r u m o f t p a r a l l e l zu r p ^ D D „ K ö n i g r e i c h " . 3 7 'iJ f i n d e t sich i m A l t e n T e s t a m e n t 5 6 1 m a l , in 7 8 % d e r F ä l l e als P l u r a l . B e i d e B e g r i f f e w e r d e n auf Israel g e n a u s o w i e auf a n d e r e V ö l k e r a n g e w e n d e t . Sie sind bis zu e i n e m g e w i s s e n G r a d a u s t a u s c h b a r . 3 8 D a s s e l b e gilt f ü r d i e S e p t u a g i n t a , d i e im a l l g e m e i n e n Dl? mit Xac>539 u n d '13 f a s t a u s s c h l i e ß l i c h m i t e ö v o g 4 0 w i e d e r g i b t .
Nicht der Volks-Begriff als solcher sagt daher etwas über die Identität der betreffenden Menschengruppe aus, sondern allein seine Näherbestimmung und seine Verwendung im Kontext und im Fluß der Zeiten. S . T A L M O N hat für
32
Mit Ez 45,16; aber ohne Neh 9,10. Dtn 28,10; Jos 4,24; 1 Kön 8,43.53.60; Ez 31,12; Z e p h 3,20; Est 8,17; Esr 10,2.11; Neh 9,24; 10,3lf.; I C h r 5,25; 2Chr 6,33; 32,19. 34 Esr 3,3; 9,1.2.11; N e h 9,30; 10,29; 2Chr 13,9; 32,13. 35 KESSLER, Staat und Gesellschaft, 200 spricht von „wörtlicher Eindeutschung mit , L a n d v o l k ' , „sieht aber dennoch mit dem Begriff „den L a n d a d e l " bezeichnet (ebd.). 36 ROST, Vorstufen, 18 A. 1. Das gilt schon f ü r den ältesten Beleg der Wendung m i T Dl? im Deboralied Ri 5 , 1 1 . 1 3 , vgl. TÄUBLER, Biblische Studien, 126: das Wort meint „im spezifischen Sinne wie populus Heervolk", dann vor allem SMEND, B u n d e s f o r m e l , 19: „Beim , Volk JHWHS ' ... k o m m t es offenbar auf numerische Vollständigkeit nicht an. ... Der Begriff Israel scheint quantitativ u m f a s s e n d e r zu sein ... und bleibt im Hintergrund, während JHWH, sein Gott, und das ,Volk JHWHS' für es streiten." - Die etymologische Ableitung vom allgemein semitischen Wort f ü r „Vatersbruder" ist übrigens nicht so sicher, wie LOHFINK, Beobachtungen, 293 sie noch voraussetzt, wenn er feststellt: „die semantische Differenzierung von Dl? Onkel, Familie, Sippe, Volk, Kriegsvolk [hat] wohl schon längere Zeit vor dem Jahr 1000 stattgefunden . . . " und daraus gar auf ein ursprüngliches Verständnis von m i r Dl? als „Sippe JHWHS" oder „Verwandtschaft JHWHS" (289, vgl. 285) schließt. 37 „[Im vorpriesterschriftlichen Sprachgebrauch] hebt sich ... eine lange Reihe von Stellen heraus, die in m e h r oder weniger f o r m e l h a f t e r Wendung iinSBD gleich "13 oder rD^DQ setzen." ROST, Vorstufen 49. 38 Vgl. etwa Jes 2 , 2 - 4 mit Mi 4 , 1 - 3 ; in der Priesterschrift Gen 28,3; 48,4 D,B1J ^ n p C ? ) mit Gen 35,11 D'iS ^HpO): „Der tatsächlich bestehende Unterschied zwischen O'Hl? und D'ia wird ... k a u m betont werden d ü r f e n . " ROST, Vorstufen, 18. ' 39 In 1621 von 1807 Belegen. 40 In 4 7 2 von 491 Belegen. 33
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Etappen der Vorgeschichte
„den judäischen f l ^ H Di? in historischer Perspektive"41 drei Kriterien herausgearbeitet: 1. Es handelt sich dabei zur staatlichen Zeit Judas um ein „im städtischen Leben des Landes verwurzeltes ... soziales Phänomen", eine Erscheinung, die die davidische Monarchie schon seit ihrem Beginn begleitet; 2. Dabei ist der fHtjtil DJ? aber „nicht... eine demokratisch oder konstitutionell festgelegte Einrichtung", sondern einfach eine loyal zur davidischen Dynastie haltende „Gruppe von Judäern in Jerusalem"; 3. Damit hat d e r f l ^ i l CrJ „zur Realisierung einer Ideologie beigetragen, die von der davidischen Dynastie angeregt wurde ,.." 42 Schon J.L. M C K E N Z I E hatte darauf aufmerksam gemacht, daß der Ausdruck f l t f n DV nie im Zusammenhang mit dem Nordreich Israel gebraucht wird.43 Wo er nicht nur ganz allgemein,44 sondern spezifisch gebraucht wird, bezieht er sich auf Juda und den besonderen Aufbau seines Staatswesens.45 Das Königtum Davids hatte ja von allem Anfang an gleichzeitig einen engeren, judäischen, und einen weiteren, über den Stamm Juda hinausreichenden supragentilen Aspekt gehabt.46 Dadurch, daß David seine Residenz in den nicht zu Juda gehörigen und auch weiterhin relativ selbständigen Stadtstaat Jerusalem verlegte, trug er dem zweiten Aspekt Rechnung. Gleichzeitig schuf er dadurch die Voraussetzungen für die weitere Personalunion zwischen Juda und Israel. Obwohl das davidische Königtum damit und vor allem durch seine dynastische Einrichtung weitgehend in sich selbst ruhte,47 weist es doch bei näherem Zusehen eine aristokratische Komponente auf. Dieses Element scheint konstitutiv zu sein, auch wenn es sich nur zuweilen, in Krisensituationen, dann ganz im Sinne eines charismatischen Eingreifens, bemerkbar macht. R. KESS41
So der deutsche Titel seines ursprünglich englisch in: Papers of the Fourth World Congress of Jewish Studies, Jerusalem 25.7.-1.8.1965, Jerusalem (1967) 7 1 - 7 6 erschienenen Aufsatzes, deutsch in: TALMON, Gesellschaft und Literatur in der Hebräischen Bibel. Gesammelte Aufsätze Bd. 1 (1988) 8 0 - 9 1 . 42 TALMON, 'Am ha'arez, 90. 43 MCKENZIE, „People of the Land", 208, vgl. TALMON, 'Am ha'arez, 81. Der Begriff yHtjsn DB fehlt in Dtn - eine Beobachtung, die etwas skeptisch stimmt gegenüber der von CRÜSEMANN, Tora, 251 vertretenen „These", daß „das deuteronomische Gesetz ... seine Gestalt auf dem Hintergrund einer Situation, in der der judäische am hä-'ärces selbst die Macht ergriffen hatte", gewonnen habe. Ebensowenig kommt er in Jos, Ri und Sam vor. Das Fehlen in den wichtigsten Büchern der dtr Literatur spricht gegen VON RAD, Deuteronomium-Studien, 43ff. und SOGGIN, am hä-'äres, 187-195, die im am hä-'ärces einen wesentlichen Träger der dtr Reform und der von ihr ausgehenden Uberlieferung sehen. 44 Etwa in Beziehung zu ganz Israel, z.B. bei den kultischen Bestimmungen wie in Lev 4,27; 20,2.4; Ez 45,16,22; 46,3.9; ebenso 39,13 und 33,2 (freilich immer in Bezug auf den Kult des Jerusalemer Tempels), oder zu nichtisraelitischen Volksgruppen wie in Gen 42,6 (Ägypter); Num 14,9 (Kanaanäer) und Gen 23,7.12.13 („Söhne Hets", doch vgl. unten), wozu auch der Beleg der Inschrift auf der Kalksteinstele des Jehaumilk von Byblos ( 5 . 4. Jhd. v.Chr.) zu rechnen wäre, vgl. DONNER-RÖLLIG, KAI Nr. 10 Z.lOf., oder zu Gruppen unbestimmter Zugehörigkeit, vgl. TALMON, 'Am ha'arez, 81. 45
S . TALMON a . a . O . 8 1 .
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Vgl. oben S. 8f. ALT, Königtum, 131.
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LER hat darauf hingewiesen, daß sämtliche uns bekannten Königinnen beziehungsweise Königin-Mütter vornehmen judäischen Geschlechtern entstammen und aus Jerusalem oder aus verschiedenen Orten und Landschaften Judas kommen.48 Nur Salomo und Joram, der die israelitische Königstochter Atalja heiratete, sind mit ihren Hauptfrauen diplomatische Ehen eingegangen. Zu dieser Beobachtung paßt, daß der f l ^ n DI? von der Mitte des 9. Jahrhunderts bis zum Beginn des 6. Jahrhunderts vor allem dort eingreift und erwähnt wird, wo zusammen mit der davidischen Dynastie die Interessen Judas bedroht sind. 863 stürzt der f~lKn Di? Atalja (2Kön 11 vgl. 2Chr 23) und setzt Joas, den rechtmässigen Erben des ermordeten Königs Ahasja, ein. Schon diese früheste Erwähnung des f l ^ i l Di? in der Geschichte des Königreichs Juda hat den Tempel als königliches, aber dadurch auch als nationales Heiligtum zum Schauplatz. Und neben der Priesterschaft und der Garde als den beiden maßgeblichen Kräften Jerusalems spielt nach 2Kön 11// 2Chr 23 der f l ^ i l Di) die Hauptrolle. Neben diesen beiden gesellschaftlichen Größen Jerusalems vertritt er bei der Akklamation (11,12-14//23,11-13) und bei der Inthronisation des Königs (ll,19//23,20) die Landschaft. Der abschließende Vers 11,20//23,21 läßt die Dualität sehr klar erkennen und stellt eine synthetische Korrespondenz zwischen der königlichen Residenz und dem f "Itjül Cü her: „Und es freute sich der f "l^n Dtf, und die Stadt war still...". Man wird also das nomen rectum der es.-Verbindung zum Nennwert nehmen und im f'"IKH DI) durchaus die Vertretung der Landschaft in der an sich autonomen königlichen Hauptstadt sehen dürfen. 49 Solange das Königreich Juda besteht, ist der flKH Di? der davidischen Dynastie beigeordnet. Als Joas' Sohn Amazja - wie übrigens schon Joas selber (2Kön 12,21f.) 769 durch Leute seines Hofes umgebracht wurde, da „nahm rniiT CV'^D" den 16-jährigen Asarja „und machte ihn zum König anstatt seines Vaters Amazja" (2Kön 14,21//2Chr 26,1, wo er „Usia"genannt wird). Man wird rrTHT Di? hier mit S. TALMON50 als eine Variante der Bezeichnung Cd verstehen dürfen. Wieder ein Menschenalter später muß Usia seiner Krankheit wegen die Staatsgeschäfte abgeben. Eigens wird vermerkt, daß sein Sohn Jotam nicht nur die Regierung übernimmt, sondern auch die Aufgabe eines f l ^ i l DirUN ostö (2Kön 15,5). Der davidische König scheint demnach neben anderen Funktionen auch als Vorsitzender des beziehungsweise als Berufungsinstanz für den p « n Di? amtiert zu haben.
48
KESSLER, Staat und Gesellschaft, 197f. Wenn LIPINSKI, Art. UV, 190 den FLSH DB, „im wesentlichen aus Bewohnern der Provinz" sich zusammensetzen läßt, so verkennt er, daß diese Größe die Landschaft in der Residenz repräsentiert. Umgekehrt kann man nur bedingt mit TALMON, 'Am ha'arez 90 im yiRH DJ? „ein soziales Phänomen" sehen, „das im städtischen Leben des Landes Juda verwurzelt ist". 49
50
TALMON, ' A M h a ' a r e z , 8 6 .
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Erneut ein Jahrhundert später, 640, wird Amon, König von Juda, durch eine Verschwörung von Hofleuten ermordet. Auch hier greift der f"IRH CiJ unverzüglich ein, verurteilt die Verschwörer und setzt Amons Sohn Josia als König ein (2Kön 21,23f.) Noch folgenschwerer erweist sich die Option des f l ^ i l Di? nach Josias Tod. 609 bevorzugt er vor dem älteren, aber anscheinend ägyptenhörigen Eljakim dessen jüngeren Bruder Joahas als König (2Kön 23,30//2Chr 36,1). Den Versuch, Judas Unabhängigkeit zu wahren, muß er aber schon im nächsten Jahr büssen, als Pharao Necho seinen Mann in Jerusalem, Eljakim, zum König macht und dieser, der sich nun Jojakim nennt, den ägyptischen Tribut auf den f i s n QU überwälzt (2Kön 23,35). Schließlich werden 587/6 „sechzig Männer des Di?, die in der Stadt sich fanden" (2Kön 25,19) zusammen mit den Söhnen des Königs Zedekia gefangen und in Ribla vor Nebukadnezzar hingerichtet. Nebusaradan bereitet jedem Überrest einer Staatlichkeit Judas und Jerusalems als der Residenz ein Ende, indem er Vertreter dreier verschiedener Kategorien der Oberschicht vor Nebukadnezzar nach Ribla zur Exekution führt: einmal die Spitzen der Priesterschaft (25,18//Jer 52,24), dann „aus der Stadt" die Beamten der Berufstruppen, der königlichen Leibwache und den Sekretär des Kommandos für das via den f l ^ n CiJ rekrutierte Milizheer,51 schließlich - hier zeigt der Wortlaut von 25,19 und noch deutlicher der von Jer 52,25 TI?(n ~pnp deutlich die Zufälligkeit der Verhaftung an - 60 Mann vom fltjtfl Di?, die sich unglücklicherweise gerade „in der Stadt" befanden. Auch hier handelt es sich um Teile der Oberschicht, die sich zwar in der Stadt (eigenen Stadthäusern oder im „Haus des Volkes" von Neh 3,16?) aufhielten, aber in anderer Weise als die beiden erstgenannten Kategorien, nämlich als Repräsentanten der Regionen, Gemeinden und Behörden des Landes. Deutlich wird in dieser Übersicht, daß der f "IKH DV in Juda zwar keine verfassungsrechtlich festgeschriebene Position einnimmt, aber trotzdem eine höchst einflußreiche Rolle spielt. Er bildet gewissermaßen das Rückgrat der davidischen Dynastie. Anders als die königliche Beamtenschaft ist er nicht vom Königtum abhängig. In kritischen Momenten der Geschichte Judas hängt umgekehrt der Bestand des Königtums von ihm ab. Der f C-J verkörpert demnach das Interesse der Landschaft Juda und ihrer maßgebenden Geschlechter an der Dynastie Davids - gegen die immer einmal wieder anderslaufenden Bestrebungen des Hofes und der Residenz mit ihren Beamten.52 Wenn er nach unseren Belegstellen dennoch hauptsächlich in Jerusalem agiert, so doch deutlich als eine Gruppe, die von außen kommt und aus solcher Unabhängigkeit heraus gegenüber dem Zentralort eine regulative Funktion einnehmen kann.53 51 Die von TALMON, ' A m ha'arez, 86 Anm. 19 vorgeschlagene textliche Rekonstruktion erscheint unnötig. 52 W Ü R T H W E I N , amm ha'arez, 9 und 12 sieht den f l S H sehr zutreffend „in einem gewissen Gegensatz zu Jerusalem". 53 Vgl. das von der Priesterschrift in Gen 23 von den Verhältnissen des patriarchenzeitlichen Hebron gezeichnete Bild! Dazu unten S. 16f.
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R. KESSLER zeichnet daher nicht ohne Grund das nachsalomonische Juda als ein auf den drei Pfeilern davidisches Königtum, Beamtenaristokratie und Landadel beruhendes Staatswesen.54 In Jer 44,21 werden diese drei gesellschaftlichen Größen, die „in den Städten Judas und in den Gassen Jerusalems" geräuchert haben, angeklagt - neben Cp'D^D steht hier für die Geschlechter der Landschaft Judas und ihrer Städte der Ausdruck flNil Di?. Daß er nicht wie die anderen beiden Begriffe mit dem Possessivpronomen versehen ist, zeigt, daß diese Größe auf sich selbst steht. Den fHtjsn Di? kann man zwar mit Abgaben belasten, wie das Jojakim getan hat; man kann seine Angehörigen, derer man habhaft wird, gefangennehmen, wie das Nebusaradan gemacht hat - aber anders als die davidische Dynastie geht der fltjül DJJ nicht unter!55 Im Gegenteil! Gerade in der Zeit des Exils, als die Dynastie abgebrochen, der Hof deportiert, die Residenz entvölkert war, gewann der CU an Gewicht und Bedeutung. Auch wenn es nach den mehrmaligen Deportationen wie schon nach der ersten von 597 nur noch fHijÜl Di? rf?"!, „der mindere DJJ (2Kön 24,14),56 gewesen sein wird, der zurückblieb - er war es doch, der als einzige allgemeine Körperschaft des Landes neben den örtlichen D^p.T noch da war und so für eine gewisse Kontinuität stand. Nur so erklärt sich, daß er von Haggai ganz selbstverständlich als verantwortliche und entscheidende Größe neben dem Davididen Serubbabel und dem Priester Jozadak angesprochen wird (2,4). Offenkundig ist der flKH CiJ, beziehungsweise die Landschaft mit ihrer weit weniger gebrochenen wirtschaftlichen und politischen Bedeutung, die er repräsentiert, neben der Priesterschaft der ausschlaggebende einheimische Machtfaktor. Ja, im Grunde genommen ist er, nachdem die Dynastie untergegangen ist und Jerusalem seine Rolle als Hauptstadt ausgespielt hat, die einzige Körperschaft, die gegenüber der neubabylonischen und später der persischen Zentral- und gegenüber der samarischen Provinzialgewalt die Rechte der im Lande verbliebenen Bevölkerung vertreten kann. Noch aufschlußreicher ist die Erwähnung des fIKll DJJ bei Sacharja. Nach Sach 7,5 war der flKH Cü neben den Priestern in der schweren Zeit des Exils dafür besorgt, daß die öffentlichen Fast- und Volkstrauertage durchgeführt wurden. Diese Institution trug Israel durch die Zeit des Exils und prägte sein religiöses Leben. Sie dürfte wesentlich zur Entstehung des synagogalen, rein wort- und gebetsbezogenen Gottesdienstes beigetragen haben. Und zudem: auch, ja gerade im Falle des fl^PI CIJ präsentiert sich das palästinische Judentum der beginnenden persischen Epoche vollauf in Kontinuität zu früher. Auch wenn der fl^sn Li), wie andere Verantwortungsträger der staatlichen Zeit Judas, an Stellen wie Jer 44,21 Adressat prophetischer Anklagen gewesen 54
KESSLER, Staat und Gesellschaft, 204f. Gegen TALMON, der in 'AM ha'arez, 86 davon spricht, „daß diese Körperschaft in guten und schlechten Tagen mit der davidischen Dynastie verbunden war und schließlich deren trauriges Los teilte". 56 f l K H QU rf?'7! wird kaum etwas grundsätzlich von f l K H rf?-! (2Kön 25,12; Jer 40,7; 52,16) Verschiedenes bezeichnen, gegen WÜRTHWEIN, amm ha'arez, 42. 55
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Etappen der Vorgeschichte
war und hier in ein negatives Licht getaucht war, so erscheint er bei Haggai und Sacharja wieder ganz als die allgemeinste Körperschaft, die die jüdischen Bewohner der Landschaft beim Tempelwiederaufbau und bei der Gestaltung des religiösen Lebens in der Stadt Jerusalem vertritt. Für eine öffentliche Beschlußfassung, wie die Festsetzung allgemeiner Fasttage sie erforderte, kam kein anderes Gremium in Betracht. So stellte der fli^H C.V auch im nachexilischen Jerusalem den für das öffentliche religiöse Leben ausschlaggebenden Faktor dar, genau wie zur vorexilischen Zeit in nationalen Belangen. Gerade hinsichtlich des }"~lljin CiJ bewährt sich daher die These, daß die Exilszeit zwar gewiß einen Einschnitt und einen Umbruch bedeutet, daß aber gerade hier die Verfassung und das Bewußtsein Judas geprägt sind durch Kontinuität und Festhalten am Bewährten und Althergebrachten, ja durch bewußte Aktualisierung und Rückbesinnung auf überlieferte Werte und Ordnungen. Es waren gerade der Untergang des davidischen Königtums und die Dezimierung Jerusalems, die dazu beitrugen, daß der jH^H Di? an Bedeutung und Einfluß zunahm. Sieht man von der sehr kleinen Priesterschaft und von der sehr fernen Zentralgewalt des neubabylonischen und bald des achämenidischen Reiches ab, so ist es im Grunde genommen einzig der üü, der über Wohl und Wehe Jerusalems, den Tempelbau eingeschlossen, entscheidet. Eine Körperschaft, die in den letzten Zeiten der Monarchie in Form des Dfin IT3 über einen städtischen Sitz verfügte, der neben dem Königspalast so wichtig war, daß ihrer beider Zerstörung in einem Atemzuge berichtet wird (Jer 39,857; vgl. Jer 52,13 und 2Kön 25,9), wird zweifellos ihre altererbten Rechte auf irgendeine Weise wieder geltend gemacht haben, gerade wenn die königliche Zentralgewalt an das erobernde Weltreich übergegangen war. Die Rolle, die der f "INH DI? als Repräsentanz der judäischen Landschaft während oder nach der Exilszeit in Jerusalem spielt, spiegelt sich in dem farbigen Bild, das die Priesterschrift in Gen 23 vom Hebron der Patriarchenzeit malt. Die Instanz der n n '¡D, die Abraham als erste um die Erlaubnis zum Grundstückserwerb angeht, ist nach den Versen 7.12.13 der f l K H C.V. Darin sieht der priesterschriftliche Erzähler offenbar den Souverän eines königslosen Stadtgebietes, wie es die U m g e b u n g Jerusalems seiner Tage dargestellt haben mag. Ihm, dem f'"lijsrr ü ü , eignet die politische und grundstücksrechtliche Entscheidungsbefugnis gegenüber einem Nichtbürger, und ihm zollt Abraham denn auch nach V. 12 den schuldigen Respekt. Die eigentliche Transaktion wird dann allerdings mit d e m Eigentümer Ephron vor den i T J n r i p ' t O *7D V.10.18 (vgl. 11) als Ohren- bzw. Augenzeugen abgeschlossen. S. TALMON58 und vor ihm schon B. MAISLER59 haben in diesem Zusammenhang auf die königlichen Konturen hingewiesen, die Abraham in den beiden späten Kapiteln Gen 14 und 23 annimmt - eine Art Vorschattierung von Davids Auftritt in Hebron und Jerusalem, seinen beiden königlichen Residenzen.
57
Jer 39,8: n^tEhT niarrnKi ra-® n ä n r r a T i ? ] ' ^ n r r p - n f ! ; vgl. TALMON, der in 'AM ha'arez, 90, DIN ¡T3 überzeugend als f l ^ H Di? IT3 versteht. 58 A.a.O. 88. 59
MAISLER ( M A Z A R ) , Qirjat
'Arba.
Juda: Der Stamm und das Königreich
17
Gen 23 zeigt also, daß man die auf dem f l N i l DJ? beruhende Ordnung über Juda hinaus ganz selbstverständlich auch zur Beschreibung politischer Entscheidungsprozesse nichtjüdischer, nichtisraelitischer und zeitlich ganz anders liegender Verhältnisse verwendet hat. Das ergibt sich auch aus Lev 4,27; 20,2.4; Ez 45,16.22; 46,3.9 (vgl. noch 39,13 und 33,2), wo sich der f-IRi! Di? auf ganz Israel bezieht, allerdings in Verbindung mit der Stiftshütte bzw. dem Jerusalemer Tempel als Zentralheiligtum. Noch deutlicher tritt das in Ex 5,5; Jes 24,4 (vgl. auch Hi. 12,24) hervor. Und erst recht mußte nun, wer die Situation des nachexilischen Juda und seiner Nachbarregionen wie deren Verhältnis zum darniederliegenden beziehungsweise wiedererstehenden Jerusalem beschreiben wollte, den f l ^ i l Di? berücksichtigen. Genau wie in den allerersten Jahren des Nachexils zur Zeit Haggais und Sacharjas bildete er das einzige nichtpriesterliche einheimische Element, auf dem bei Initiativen solcher Art die Hoffnungen ruhten - und der diese Hoffnungen gegebenenfalls auch enttäuschte. Denn es leuchtet ein, daß der f l ^ H Di? seine politische Funktion und seine stabilisierende Rolle in Abstimmung mit den einflußreichen Kreisen der viel größeren und etablierteren nördlichen Nachbarregion und der Provinzhauptstadt Samaria ausübt. Zusätzlich zum alten Antagonismus Land - Stadt beziehungsweise Landschaft - Residenz liegt hier der Keim für eine Entwicklung, die sich dann in der im zweiten Teil dieses Exkurses 60 zu skizzierenden Begriffsgeschichte von fllStil Di? niederschlägt.
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Unten S. 3 0 - 3 3 .
2. Kontinuität und nationale Identität Zwei Phasen der Geschichte und Geistigkeit Israels im Achämenidenreich Nach ,Alt-Juda", dem judäischen Kernland auf dem Bergrücken zwischen Jerusalem und Hebron (beide ausschließlich), nach dem Königreich Juda, wie es David geschaffen und Nebukadnezzar II. zerstört hat, kam es nach einem langen und mühseligen Weg schließlich zur dritten geschichtlichen Größe, die den Namen Juda trägt: die persische Provinz Jehud (Krai"JQTIiT, Esr 5,8).' Der Weg, der dahin führte, nahm seinen Anfang in der babylonischen Epoche von Israels Geschichte und erstreckte sich bis fast in die Mitte der persischen Zeit. Die Situation, die er voraussetzt, ist die des Exils, und zwar nunmehr des gesamten Israel, ob es sich auf das Nord- oder das Südreich zurückführte, ob es sich im Lande der Väter oder als n'pia in der Fremde aufhielt. Um zu verstehen, wie sich die Dinge zu der neuen Realisation der persischen Provinz Jehud und zu einem neuen, diese Realisierung und die Diaspora zusammenfassenden Selbstverständnis Israels entwickelten, sind einige Bemerkungen zum Problem des Exils unumgänglich.
Exkurs: Der Stellenwert der Exilszeit und im Lichte von 2Chr
in historischer 36,20-21
Sicht
Für die 10 Stämme des Nordreichs, das im engeren Sinne den Namen „Israel" getragen hatte, war die Exilierung bekanntlich bereits 722 v.Chr. eingetreten. Kurz vor dem Tod des assyrischen Königs Salmanassar V. und dem Regierungsantritt Sargons II. war die Residenz Samaria dem assyrischen Ansturm erlegen. 2 Der Rumpfstaat Ephraim, also das Kerngebiet Palästinas, wurde zur assyrischen Provinz Samirina, der vierten und letzten der schon von Tiglatpileser III. 733 v.Chr. errichteten Provinzen Magiddu 1 Esr 5,8 ist die einzige Stelle der Bibel, wo Juda ausdrücklich als n]'lQ bezeichnet ist. Auch Esr 6,7 spricht von RTliT nrtB, vom „Gouverneur der Judäer", nicht von "HIT nns, ähnlich Neh 5,14 von m i n " p t O OID (anders im Falle des Satrapen Neh 2,7.9; 3,7). So wird man auch in der Bezeichnung „Juda" des hebr. Ausdrucks milT nna von Hag 1,1.14; 2,2.21 die Landschaft, nicht ein politisches Gebilde zu erblicken haben. - Im Folgenden ist aufgrund von Esr 5,8 für die ab Mitte des 5. Jhd.s v.Chr. mit ihren Strukturen fest nachweisbare persische Provinz die aramäische Bezeichnung „Jehud" gewählt, im Unterschied zur Landschaft und zum Königreich Juda. 2 2Kön 17,6.
Der Stellenwert der Exilszeit
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und Gal'az(a) sowie wohl Duru? Damit war der Grund für eine Einteilung des Landes in Provinzen gelegt, auf dem die Neubabylonier weiterfahren sollten und der dann für die Ordnung der Verhältnisse in der persischen Zeit, ja darüber hinaus, bestimmend bleiben sollte. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung dieser Gebiete Israels wurde deportiert. Sargon II. beziffert in seinen Annalen die Zahl der Weggeführten auf 27'290. 4 Sie wurden an verschiedene Orte des weiten assyrischen Herrschaftsbereichs zwangsumgesiedelt. Dieses „Israel im Exil" im wörtlichen Sinne ist niemals wieder heimgekehrt. An seine verborgene Weiterexistenz knüpfen sich eine Reihe von mehr oder minder begründeten Spekulationen schon in der rabbinischen, später auch in der christlichen Überlieferung. Die Oberschicht, soviel steht fest, auch nach 2Kön 17,6 und 18,11, wurde nach Mesopotamien und nach Medien, etwa nach Halach und an den ChaborFluß, deportiert. An ihrer Stelle wurde eine neue Oberschicht, die größtenteils aus Babylonien und Mittelsyrien stammte, im Raum Sichem-Samaria angesiedelt. 5 Die Grundlagen für die Entwicklungen, die zum Israel der persischen Zeit führten, wurden nun freilich zur Hauptsache in einem ganz anders gelagerten Exil gelegt. Unter diesem „Exil" par excellence versteht man eine klar umrissene Zeitspanne in der langen Geschichte des jüdischen Volkes: die Exilszeit, die mit dem Verlust der Selbständigkeit des Königreichs Juda und mit dem Fall Jerusalems 587/86 v.Chr. 6 - eine erste Eroberung war 598/97 vorausgegangen - begann und 538 mit dem Edikt des persischen Großkönigs Kyros II. über den Wiederaufbau des Tempels von Jerusalem endete. Über die Zahl der Exilierten liefern uns die biblischen Quellen verschiedene Angaben. Jer 52,28 nennt für 598/97 v.Chr. 3023 Personen, für 587/86 deren 832; 2Kön 24,(13-)14 dagegen beziffert die Zahl der Deportierten auf 10'000 und detailliert sie in den folgenden Versen (15-)16 in 7'000 Heeresangehörige und l'OOO Handwerker. 7 Unter diesen Angehörigen der Oberschicht befand sich auch der Prophet Ezechiel, der, im Unterschied zu seinem wenig älteren Zeitgenossen Jeremia, als eigentlicher Prophet des Exils angesprochen werden muß - wenn man von Deuterojesaja absieht. Welche Schichten 3
DONNER, Geschichte, 308.
GALLING, Textbuch1, Nr. 29: Prunkinschrift Sargons II. aus Chorsabad, Z. 23f.: „Samaria belagerte und eroberte ich. 27'290 der Leute, die in ihr wohnten, führte ich weg.", vgl. GALLING, Textbuch 2 ' 3 , Nr. 30 das sog. Kalah-Prisma Sargons II. (auch in BORGER, Texte, 382 Z.31: „27'280 Leute samt ihren Kriegswagen ..." Diese 27'290 bzw. 27'280 Deportierten dürften sich auf eine Gesamtbevölkerung von ca. 300-350'000 Einwohnern des Nordreichs Israel beziehen, wenn man die ansprechende Schätzung von KAHRSTEDT, Handwörterbuch, 655ff., zugrundelegt. 5 2Kön 17,24, vgl. DONNER, Geschichte, 315. 6 Je nachdem man den ersten Sturmangriff und die erste Eroberung Jerusalems auf das Jahr 598 oder auf 597 datiert, erstrecken sich die 10 Jahre, während derer Zedekia als Kreatur des babylonischen Großkönigs regierte, bis ins Jahr 587 oder 586. Am 10. Tewet dieses betreffenden Jahres setzten die Babylonier unter der Leitung von Nebukadnezzar II. selbst mit der endgültigen Belagerung ein (2Kön 25,1), um die Stadt dann am 9. Aw zu erstürmen (2Kön 25,8). 7 R U D O L P H hat in Sanherib in Palästina, 67 Anm. 1 aufgrund der Ende der 20-er Jahre unseres Jahrhunderts verzeichneten Bevölkerungszahl eine Schätzung der Gesamtbevölkerung vorgenommen und ist für das Gebiet des Juda und Jerusalem der ausgehenden Königszeit auf 150-170'000 Menschen gekommen. Die neubabylonischen Deportationen und andere Faktoren dürften diese Zahl auf etwa die Hälfte reduziert haben. Die nächste sichere Zahl stammt aus der hellenistischen Zeit: nach Pseudo-Hekataios, den JOEPHUS Contra Apionem 1,197 zitiert, umfaßte Jerusalem allein um die Mitte des 3.Jhd.s v.Chr. 120'000 Einwohner. 4
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des Volks deportiert wurden, zeigen neben Ez 17 und Klgl 1 - 2 vor allem 2Kön 2 4 - 2 5 . Die beiden erstgenannten Stellen nennen in einer Art Kurzfassung nur Jerusalems „König und seine Beamten bzw. Heeresbeamten", während 2Kön eine hierarchische Aufzählung liefert: König, Königinmutter, königliche Minister, königliche Adjutanten, Wehrdienstleistende, Zimmerleute und Schmiede (24,12-14), bzw. Jojachin, Königinmutter, königlicher Harem, königliche Adjutanten, die Notabein des Landes (24,15f.). 8 M.a.W.: von der Deportation betroffen waren in erster Linie das Königshaus, das Königtum und die Königsstadt Jerusalem - und Jerusalem wird es auch am schwersten haben, sich unter den gewandelten Bedingungen, ohne die Vorgabe, Residenz einer staatlichen Regierung und Verwaltung zu sein, wieder zu erholen. Diese realen politischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten sind bei allen exilischen und nachexilischen Äußerungen über Zion zu berücksichtigen. Die Geschichte, gerade auch die Weltgeschichte, blieb nun nach der Eroberung Judas, der Zerstörung Jerusalems und der Exilierung der Bevölkerung nicht stehen, im Gegenteil! Nebukadnezzar II., der noch im Jahr seines als Kronprinz errungenen triumphalen Siegs über Ägypten bei Karkemisch, 605 v.Chr., an die Regierung kam, übte sie bis zu seinem Tod 562 aus. Schon da war aber der Zenit der neubabylonischen Machtentfaltung längst überschritten, und die Geschichte der Nachfolger Nebukadnezzars ist die Geschichte eines rapiden Zerfalls: 562-560 Amel-Marduk, 5 6 0 - 5 5 6 Neriglissar, 5 5 6 - 5 3 9 Nabonid. Bei Nabonid machte sich die Dekadenz auch in seiner geistigen Ausrichtung geltend: der introvertierte, auch religionspolitisch eigenbrötlerische Herrscher hielt sich am liebsten in der Oase Tema in der mittelsyrischen Wüste auf und überließ das Regieren dem Kronprinzen Belsazzar. Wir sind über die Vorgänge, sogar über die Stimmung der Bevölkerung Babylons und anderer großer Zentren des Reiches, recht gut unterrichtet, und zwar einerseits durch die seit langem bekannte NabonidChronik, andererseits durch ein 1924 9 erstmals veröffentlichtes Schmähgedicht eines babylonischen Priesters auf Nabonid, der dem König vorwirft, er habe durch seine eigensinnigen kultischen Initiativen, im Gedicht als Frevel apostrophiert, das Ende seiner Herrschaft selbst verschuldet. Auch in einem anderen Punkt stimmt das um 538 v.Chr. verfaßte Gedicht mit der in Deuterojesajas Äußerungen vorausgesetzten Atmosphäre überein: sogar der babylonische Priester anerkennt im Perser Kyros II. den gottgesandten Weltkönig. Die dritte namhafte Zeitquelle ist die Tonzylinderinschrift des Kyros. 10 Kyros II., der zum größten Vertreter der Achämenidendynastie werden sollte, regierte seit 559 in Pasargadas (altpers. Parsa-garda), in einem entlegenen Gebiet des iranischen Hochlandes. Aber schon 550 eroberte er das erste der vier damaligen Großreiche, Medien. Lydien unter dem in die Sage eingegangenen Kroisos, dem sich Nabonid in einer Allianz verbündet hatte, fiel bereits 546. Am 13. Okt. 539 schlug die 8
JANSSEN, Juda in der Exilszeit, 35 Anm. 2 legt Wert auf die Feststellung, daß von einer Wegführung der Bewohner der Schefela und des Negeb nirgends etwas verlautet. Ohnehin wird aber aus allen Quellen deutlich, daß es die Oberschicht war, die deportiert wurde - und die saß nun einmal fast ausschließlich in Jerusalem, vielleicht noch in der näheren judäischen Umgebung, aber kaum in den angesprochenen Randgebieten des Königreichs Juda. 9 S M I T H , Babylonian Historical Texts, 27ff.; LANDSBERGER und B A U E R , Asarhaddon bis Nabonid, 88ff. (mit dem Versuch einer Strophengliederung); GALLING, Textbuch1, Nr. 40. Zur Einordnung Nabonids vgl. LABAT, Das neubabylonische Reich, 91-93.103-110. 10 GALLING, Textbuch 2 ' 3 , Nr. 50, vgl. auch Nr. 49 (dazu auch die Wiedergabe bei BORGER, Texte, 404).
Der Stellenwert der Exilszeit
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Stunde für das neubabylonische Reich: Gobryas (akk. Ugbaru), einer der erfolgreichsten Generäle Nebukadnezzars II., der schon 546 von Nabonid abgefallen und zu Kyros II. übergegangen und von diesem zum Gouverneur von Gutium (wie die Babylonier Elam bezeichneten) ernannt worden war, marschierte an der Spitze der Truppen des Kyros in Babylon ein. Kyros selbst vollzog seinen triumphalen Einzug am 29. Oktober. Die gesamte Bevölkerung, die exilierten Judäer wohl eingeschlossen, begrüßte ihn begeistert und streute zu seinem Empfang Zweige auf die Straße. Das eroberte babylonische Reich wurde zu einer einzigen riesigen Satrapie umgewandelt, die nicht nur das Kernland Babylonien umfaßte, sondern bis ganz in den Westen, an die Grenze zum vierten, erst durch Kyros' Sohn Kambyses 525 v.Chr. unterworfenen Großreiches Ägypten reichte. Erster Gouverneur der riesigen Satrapie, die in dieser Größe bis über Kyros' 530 im Krieg gegen die Massageten eingetretenen Tod hinaus bestand, wurde Gobryas. Erst später wurde die aus der Bibel bekannte Satrapie Transeuphratene von ihr abgetrennt. 11 Im Moment standen nicht nur, was für die Beurteilung der Situation wichtig ist, Juda und Jerusalem, überhaupt ganz Syrien-Palästina so gut wie Babylonien unter der recht toleranten, auf lokale Bedürfnisse Rücksicht nehmenden persischen Oberhoheit, sondern die Bewohner der Heimat wie jene im Exil gehörten sogar derselben Verwaltungseinheit an. Schon diese rein äußerliche Beobachtung dürfte einer zu großen Unterscheidung des Lebens der Exulanten von dem der im Lande Zurückgebliebenen widerraten. Die Einschätzung und Beschreibung der Situation Palästinas zur Zeit der neubabylonischen Herrschaft ist mit einer Reihe von Problemen verbunden. Da für den Standpunkt der älteren Forschung, die eine fast völlige Verheerung und Entvölkerung des Landes annahm, immer wieder der Schluß der Chr, 1 2 2Chr 36,20f., ins Feld geführt wird, ist eine Diskussion über diese beiden Verse hier angebracht. Sie lauten:
:cns rra^n " f p a " ^ rn 1 ?! i ^ r n ' i ^rn"1?« 3"inrr]Q nn«©n bim 20 n-ninBcy-nti p t j n n r ä y n r rrrpT ^ i ' m r r - q ^ ms'pa'? 21 s rnjtti D^qiö m« 1 pa l pnnäö rratsn „Und er (d.h. Nebukadnezzar) deportierte, was vom Schwert übriggeblieben war, nach Babylonien, und sie wurden ihm und seinen Söhnen zu Knechten, bis es zur Königschaft des Königtums Persiens kam, zur Erfüllung des Wortes JHWHS durch den Mund Jeremias, bis daß das Land seine Sabbate genossen 13 hatte - alle Tage der Verheerung hielt es Sabbatruhe, indem es (so die Zahl der) 70 Jahre erfüllt werden ließ." 11 LEUZE, Satrapieneinteilung. Vgl. auch die Karte bei SARRE-HERZFELD, Iranische Felsreliefs. 12 Zur Diskussion über den ursprünglichen Abschluß von Chr, die mit der Frage nach dem Verhältnis zwischen Esr-Neh und Chr, bzw. mit der Annahme oder Ablehnung eines umfassenden sogenannten „chronistischen Geschichtswerks" verbunden ist, vgl. die gründliche Untersuchung des Problems bei WILLIAMSON, Israel. Das Buch behandelt in seiner ersten Hälfte ausführlich „The Extent of the Chronicler's Work" und kommt, was dessen Ende betrifft, zum Schluß: „It is most reasonable to accept the view that the work of the Chronicler originally ended at 2Chr. 36:21" (70). Die hier in Rede stehenden Verse 36,2021 werden auf S. 7-11 behandelt. Es ist klar, daß ihnen bei dieser Auffassung ein nicht zu unterschätzendes Achter- und Schlußgewicht zukommt. 13 Übersetzung unter Annahme einer einheitlichen Vhin I, vgl. GERLEMAN, Art. Hül, 810: „Eine Zerlegung von rsh in zwei verschiedene Wurzeln: I „Gefallen haben", II „bezahlen; ersetzt bekommen" ... ist etymologisch schwach begründet..." Vor GERLEMAN haben bereits KÖNIG, Wörterbuch, und ZORELL, Lexicon, s.v. für eine einheitliche hebräische V plädiert.
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Man hat diese Worte, mit denen der Chronist sein Werk schließt, immer wieder als Beleg für eine totale Zerstörung und Verödung Judas in der Exilszeit genommen. Der Chronist, so argumentierte man unter Voraussetzung eines von IChr 1 - Neh 13 reichenden, also Esr-Neh einbeziehenden sogenannten „chronistischen Geschichtswerks", 14 habe die Kontinuität der Geschichte Israels ausschließlich über die Deportierten des babylonischen Exils laufen lassen und dadurch ein recht verzerrtes Bild über die Situation des Israellandes zwischen der babylonischen Eroberung Jerusalems und dem Beginn der Perserzeit aufkommen lassen. Allerdings ist die alttestamentliche Forschung und Geschichtsschreibung, von einzelnen Ausnahmen wie J. WELLHAUSEN15 abgesehen, von E. MEYER16 bis hin zu E. S E L L I N und R. K I T T E L , selbst bis zu W.F. A L B R I G H T 1 7 und neuerdings H. KREISSIG 1 8 weitgehend von der Annahme ausgegangen, mit dem Anbruch der Exilszeit seien das Israelland und seine Situation für den Fortgang der Geschichte Israels bedeutungslos geworden. 19 Gegen dieses Bild einer tabula rasa, einer völligen Zerstörung und Verheerung auch des Landes spricht dreierlei: die alttestamentlichen Quellen, vor allem Hag, Sach, Teile der Bücher Jer (Kap. 37-44.52), Ez, Klgl und nicht zuletzt Deuterojesaja sowie das doch wohl im Lande zusammengestellte deuteronomistische Geschichtswerk; sodann der archäologische und historische Befund und schließlich eine sorgfältige Interpretation der eingangs angeführten Stelle 2Chr 36,20f. Dieser letzteren soll hier, wenigstens skizzenhaft, Raum gegönnt werden. Bei einer gründlichen Analyse der Schlußverse der Chr zeigt sich, daß die konkrete Angabe in V.20a über „einen Überrest vom Schwert" sich auf die im Vorhergehenden berichtete gnadenlose Hinschlachtung sämtlicher Bevölkerungsgruppen zurückbezieht. Diese 14 Nach JAPHET, Authorship, 330-371 hat vor allem WILLIAMSON, Israel, den gesamten ersten Teil seines Werks (S. 5-82) dem Nachweis gewidmet, daß die anfangs des 19. Jhd.s von Leopold Z U N Z , Franz Carl MOVERS und Heinrich EWALD entwickelte Konzeption eines von IChr 1-Neh 13 reichenden größeren „chronistischen Geschichtswerks" sprachlich, kompositorisch und ideengeschichtlich auf schwachen Füßen steht. Auch die Überlieferungsgeschichte spricht nicht dafür, vgl. WILLI, Chronik als Auslegung, 180-184 sowie BK XXIV, 1, 6. 15
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WELLHAUSEN, Rückkehr, 183f.
MEYER, Entstehung des Judentums, 112f.: „... jetzt (d.h. 587/86) muß nicht nur die gesammte Bevölkerung Jerusalems ins Exil wandern ..., sondern auch ein großer Theil der Landbevölkerung, die Besitzenden sammt und sonders und von den Besitzlosen eine beträchtliche Zahl... Jerusalem und seine Umgebung lag unbewohnt und wüst, wie die Gebiete von Karthago und Korinth nach 146 oder Jerusalem selbst nach der Zerstörung durch Titus." Vgl. auch MEYER, Geschichte des Altertums IV/1, 165 Anm. 1: „Die neueren Darstellungen ... haben sich den Ernst der Situation nicht anschaulich gemacht: man kann sich die Verödung des Landes seit 586 gar nicht intensiv genug vorstellen." 17 ALBRIGHT, Steinzeit, 3 1 9 , vgl. W . F . ALBRIGHTS Schüler BRIGHT, Geschichte Israels 352: „... war die Katastrophe ... immer noch schrecklich genug, zumal mit ihr das Leben des jüdischen Volkes in Palästina fast aufhörte." 18 KREISSIG nimmt eine mittlere Haltung ein, vgl. Juda zur Achämenidenzeit, 28: „... (man) darf annehmen, daß durch den unmittelbaren Kriegseinfluß nicht nur weite Gebiete verwüstet, sondern offenbar auch nicht wieder bebaut wurden und wüst liegen blieben. Welches Ausmaß ... diese Verwüstungen hatten, läßt sich nicht feststellen." 19 Folgende Stellen, die aber einer genaueren Überprüfung bedürften, werden in diesem Zusammenhang gern angeführt: Jes 44,26; 49,19; 51,3; 54,3; 58,12; 61,4; 64,9f.; Jer 9,11; 44,2.6; Ez 33,24; Sach 7,14; Klgl 2,5. Vgl. JANSSEN, Juda in der Exilszeit, 43 mit Anm. 5 und 6; KREISSIG, Juda zur Achämenidenzeit, 28.
Der Stellenwert der Exilszeit
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aber ist, wie V. 14 klar sagt, „in Jerusalem" geschehen. D.h. rein bevölkerungspolitisch ist auch in V.20a nur Jerusalem im Blick, in Fortführung von V. 19, wo es eindeutig nur um Jerusalem, seinen Tempel, seine Mauer, seine Gebäulichkeiten und Schätze geht. In V.20b wird das weiter ausgeführt: gerade jene, die von Jerusalem aus eine staatliche Existenz des Königreichs Juda noch hätten aufrechterhalten können, mußten als Geiseln, unfrei, wenn auch in goldenen Ketten so doch als „Knechte" am Hof von Babylon ihr Leben verbringen. Aber auch darauf liegt der Ton nicht, sondern auf der zeitlichen Begrenzung dieser schmachvollen Situation: sie dauert nur, „bis es zur Königschaft des Königtums Persien kam". Das Entscheidende an diesem Schluß der Chr ist also genau das Gegenteil dessen, was man so lange und so oft aus ihm herausgelesen hat: beim Exil, in der Exilszeit handelt es sich gerade nicht um die absolute Katastrophe, sondern um eine klar begrenzte Periode des Gerichts, die mit dem Beginn der Achämenidenherrschaft ihr Ende gefunden hatte und damit dem Anbruch des Neuen Raum schaffte. Das unterstreicht der Chronist nun mit V. 21. 20 Hier führt er aus, daß weder die Bedeutung noch die Dauer der Exilszeit zufällig waren. Sie ist im Gebot der Tora zur Sabbatruhe des Landes begründet, das seinerseits durch das Wort des Propheten Jeremia über die 70 Jahre erläutert und ergänzt wird. In V. 21 handelt es sich eindeutig nicht um eine Aussage über die Beschaffenheit der Gerichts- bzw. Exilsperiode, sondern um ihre Einordnung in die großangelegte Schau der Geschichte der vom Chronisten überzeitlich verstandenen Größe Israel. Es geht um ein schriftbezogenes, am Wort des Propheten und am Gebot der Tora genährtes Verständnis dieser Epoche durch die Feststellung ihres Endtermins, der die Schwelle zum neuen, persischen Zeitalter abgibt. Die Exilszeit, besagt der Schluß der Chr, gehört noch ganz zur vorexilischen Zeit, deren Gericht, aber auch Vollendung und Sabbat, sie ist. Das Wort von den 70 Jahren aus Jer 25,11 und 27,7 (vgl. noch 29,10) 21 zeigt, daß Gottes Gericht über Juda und Jerusalem nicht maßlos ist, sondern klar bemessen und begrenzt. Und im Licht des Toragebots ist es auch nicht nur negativ zu verstehen. Denn es steht nun in einer inneren Beziehung zur langen voraufgehenden staatlichen Zeit Israels und erlaubt gleichzeitig eine positive Würdigung des Danach, in dem Autor und Leser der Chr sich befinden. Der Aspekt der Sabbatruhe, die nach Lev 26,34f. dem Lande zusteht, bezieht sich ja nicht eigentlich auf die Exilszeit und ihre Beschaffenheit, sondern auf die gesamte vor-
20 V.21aa ist wohl, entgegen der sprachlich ebenso möglichen gegenteiligen Auffassung, mit der masoretischen Versabteilung nach hinten zu verbinden: die 70 Jahre des Jeremia sind ja als solche erst am Schluß genannt, so daß der Bezug auf Lev 26,34f. als inclusio zu verstehen ist. 21 Man kann die 70 Jahre des Jeremiabuches mit der für die Neubabylonier siegreichen Schlacht bei Karkemisch 605 v.Chr. oder mit der Zerstörung des ersten Tempels 587/86 v.Chr. beginnen lassen. Im ersteren Fall beginnt die neue Aera 535 v. Chr., kurz nach Kyros' Machtübernahme in Babylonien 539 v.Chr.; im letzteren Fall mit der Weihe des zweiten Tempels 515 v.Chr. Nach V. 20bß scheint der Chronist eher die erstere Möglichkeit im Auge zu haben, denn es geht ihm in diesem V. eindeutig um die Abfolge der Oberherrschaft und der Regierungsausübung. - Die Frist von 70 Jahren scheint ein vorgegebener Topos zu sein, der bei der Beschreibung von Stadt- und Tempelzerstörungen im Alten Orient zur Anwendung kam, vgl. die Inschriften Asarhaddons Episode 10,2b-9a/l0,19-20 bei BORGER, Asarhaddon 15; dazu BORGER, JNES 18, 74; SEYBOLD, Visionen des Propheten Sacharja, 78f. und zuletzt vor allem KRATZ, Translatio imperii, 261-265, der als ältesten Beleg im Alten Testament Sach 1,12 ausmacht, auf dem Sach 7,5 aufbaut, „gerechnet von 587 v. Chr. an bis zum Baubeginn des Tempels (vgl. Sach 1,7 519 v. Chr.; 8,9)" (261).
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Etappen der Vorgeschichte
aufgehende Geschichte Israels seit David bzw. seit Saul. Die staatliche Zeit Israels kommt denn auch nahe an die den 70 Sabbatjahren entsprechenden 490 Jahre heran, besonders wenn man die - textlich in ihrer Dauer unsichere - Regierungszeit König Sauls mitberücksichtigt. Darauf zielt die Aussage 2Chr 36,21 ab, nicht auf eine Beschreibung der Exilszeit, wenn es vom Land heißt: „... alle Tage der Verheerung hielt es (eine Art nachgeholter, aufsummierter Jahre der) Sabbatruhe, indem es (so) die 70 Jahre voll werden ließ". Das Land, nach chronistischer Auffassung konstitutiv für die Größe Israel, holt sich sein Recht. Dabei ist mit dem Begriff der Sabbatruhe nichts über eine wie auch immer geartete, gar totale Entvölkerung ausgesagt. In jedem Sabbatjahr, dem jeweils siebten eines jeden Zyklus, sind natürlich Menschen präsent, aber sie enthalten sich des Eingriffs in die Vegetation. In diesem Sinn wird sich der Chronist allerdings viele Äcker und Felder als brachliegend vorgestellt haben. Wie man das an den Anfang der Exilszeit gehörende Drohwort Ez 24,21, das Ezechiel nach dem Tode seiner Frau an die Deportierten richtete, auch beurteilen mag - wenn er davon spricht, daß auch noch „eure Söhne und Töchter, die ihr (im Land) zurückgelassen habt, durchs Schwert gefallen" sein werden, dann werden auch die elterlichen Besitztümer, die sie bearbeitet haben, auf weite Strecken aufgegeben worden sein. Eine Frage im Sinne der späteren Halacha wäre es, ob in der Konzeption der Sabbatruhe, wie sie der Chronist in 2Chr 36,20f. vertritt, vielleicht auch über den Besitz und den Anbau des Landes durch C l t und • , ~D3, bzw. durch HS] ' j 3 , wie ihn Klgl 5,2 und Jes 62,8 beklagen, reflektiert ist. Abgesehen von einer Reihe alttestamentlicher Stellen, die zur Situation des Israellandes in der Exilszeit zu befragen wären, sind daher nun einige Bemerkungen zum archäologischen und historischen Befund am Platze. Die biblischen literarischen Zeugnisse über Jerusalem haben in den letzten Jahrzehnten durch die Evidenz der Archäologie eine Reihe von wertvollen Ergänzungen erfahren. Jerusalem hatte sich, wie wir heute sicher wissen, in der späteren Zeit des Königreichs Juda, d.h. im 7. Jhd., mächtig ausgedehnt und umfaßte kurz vor der Eroberung nicht mehr nur den Bereich des jüdischen Quartiers der heutigen Altstadt, sondern auch den des armenischen, ja reichte dort über die suleimanische Mauer hinaus bis zur Dormitio-Abtei. Dieses Neubaugebiet des königszeitlichen Jerusalem hieß die „Zweitstadt". Von hier aus vollzog sich anders als bei der Eroberung durch die Römer im Jahre 70 n.Chr. - die Eroberung und Zerstörung der Stadt durch Nebukadnezzar und seine Truppen. Sie begann also im Nordwesten, wo am 18. Juli zuerst die „Zweit-" bzw. obere neue Stadt den Angreifern und den Flammen anheimfiel, während der Tempel und der salomonische Palast mit der älteren (Davids-) Stadt erst 4 Monate später untergingen. Aber auch in der Landschaft Juda wurden die Städte, überhaupt befestigte Orte, von den Babyloniern zum Teil gründlich vernichtet, so etwa Debir (früher Kirjat Sefer, Hirbet er-Räbüd, 15 km südwestlich von Hebron), auch Socho, Adullam, Marescha, Sif, Lachisch, Azeka. 22 Andere Ortschaften wie Bet Zur waren allerdings schon vorher, im Falle Bet Zur seit etwa 650 v.Chr., nicht mehr befestigt gewesen und entgingen dadurch der gewaltsamen Zerstörung. Im Ganzen lag aber nach 586 das Territorium des ehemaligen Königreichs Juda nicht nur politisch, sondern auch siedlungsmäßig schutzlos da und war damit auch wirtschaftlich geschwächt. Wenn jüdische Siedlungen aus der Exilszeit als solche identifizierbar sind - und entgegen dem traditionellen Bild existierten doch eine ansehnliche Zahl solcher Ansiedlungen - , dann sind das „from the sixth Century B.C." fast immer
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Vgl. ALBRIGHT, Archaeology, 171; JANSSEN, Juda in der Exilszeit, 42.
Der Stellenwert der Exilszeit
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„unwalled sites" 2 3 , z.B. „Nos. 1 4 , 2 7 , 3 9 " , welche M . K O C H A V I 2 4 „identifies as ... Jewish Settlements that continued to exist after the destruction of the First Temple". Auf der anderen Seite scheint sich der Norden des Landes schon in dieser Zeit wieder langsam aufgefangen zu haben. Der archäologische Oberflächenbefund straft jedenfalls die Theorie einer anhaltenden kompletten Verödung des Landes Lügen. So muß N. Z O R I , dem wir eine der ganz gründlichen Oberflächenuntersuchungen eines Landesteils verdanken, nämlich der Ebene von Bet Schean, fast wider Willen feststellen, daß zur Königszeit im betreffenden Gebiet 44 Niederlassungen bestanden, zur Exils- und Perserzeit nicht weniger, sondern ebenso 44, wogegen dann die hellenistische Zeit nur noch mit 26 aufwarten kann. Und er schreibt dazu: „In the days of Return from exile, new Settlements were formed in spite of the desolation that reigned after the destruction of the Temple." 25 Und als er einige Jahre später die Untersuchung bis zur Linie der Wasserscheide im Jesreeltal ausdehnte, ergab sich ein ähnlicher Befund: die Königszeit war mit 60 Niederlassungen vertreten, die persische Zeit nun gar mit 73, und die Zahl sank erst mit der hellenistischen Zeit auf 40 herab. Diese inzwischen durch weitere Erhebungen im Stammesgebiet Manasses vollkommen bestätigten Zahlen legten darum schließlich schon N. Z O R I den Schluß unausweichlich nahe: „one of the surprising phenomena in the Persian period: most of the ancient sites were resettled, while many new ones, which did not exist previously, were established". 26 Archäologisch und geschichtlich läßt sich also sagen, daß die Babylonier alle wesentlichen Befestigungen und Städte schleiften und alle Bevölkerungsschichten wegführten, die für ein geordnetes staatliches und nationales religiöses Leben eines eigenständigen Königtums unentbehrlich waren. Die Eroberer dürften weite Teile des Landes zu eigenen Krongütern erklärt 27 und zu ihrer Verwaltung und Bearbeitung neben einigen babylonischen Beamten auch ausgewählte Einheimische der Oberschicht wie Gedalja in Mizpa (Jer 40) eingesetzt haben. Aber auch von der f "1RH n 1 ?" (2Kön 25,12; anders 24,14 CJ der niedere Landadel) ließen sie Leute als Winzer und Akkerbauern für die Latifundien zurück. Verhältnismäßig unangetastet mag das Leben in den Dörfern und Landschaften Judas weiter seinen Gang genommen haben. Es ist gut denkbar, daß hier nun die alten religiösen und politischen Grundlagen und Strukturen Judas ihre bewahrende Kraft erwiesen und so eine kontinuierliche Fortführung des Lebens ermöglichten. Das Beispiel Bet Zurs, auch Mizpas oder En Gedis 28 , zeigt, daß sich unbefestigte Siedlungen und Niederlassungen verhältnismäßig ungestört weiterentwikkeln konnten. Jerusalem selbst war zwar all seiner hauptstädtischen Funktionen beraubt - Gedalja residierte im nahen Mizpa (Jer 40,5f.) - , der Tempel war zerstört, die Mauer eingerissen, Nebukadnezzar hatte „alle Häuser Jerusalems verbrannt" (Jer 52,13=2Kön 25,9), aber der gleiche Vers präzisiert: „jedes Haus eines Großen verbrannte er mit Feu23
STERN, Material Culture, 40, nach KOCHAVI, Survey.
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KOCHAVI, Survey .
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ZORI, Bet Shan, 135-198. 26 ZORI, Land of Issachar, 152-154. - Die Oberflächenuntersuchungen im Gebiet Manasses sind von ZERTAL durchgeführt und in seinem Aufsatz The Pahwah of Samaria, 9-30 veröffentlicht worden: 214 Orten in EZ II und 128 Orten in hellenistischer Zeit stehen nicht weniger als 235 Orte in persischer Zeit gegenüber! 27 JEPSEN, Beiträge zum Zwölfprophetenbuch, 89f. verweist auf die Stellen 2Chr 26,10 und Jes 61,5 und schließt auf unselbständige Landarbeiter und Weingärtner; vgl. auch KREISSIG, Juda zur Achämenidenzeit, 24. 28 KEEL-KÜCHLER-ÜHLINGER, Orte II, 423f.
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er", d.h. Jerusalem war auf einfache, primitive Behausungen reduziert, aber nicht völlig unbewohnbar und menschenleer. Die Klgl beklagen in 2,5.7 zutreffend die Paläste, in 2,6 den Tempel, in 2 , 8 - 9 die Mauern und Tore. Wenn es in 5, 18 heißt, „der Z i o n " sei „eine Weide, über den die Füchse laufen", so ist das bildlich f ü r die Schutzlosigkeit gemeint (vgl. Neh 3,35). Tatsächlich waren all diese Siedlungen, Jerusalem eingeschlossen, j e d e m Raub- und Beutezug plündernder Streifscharen aus dem Süden und Osten schutzlos preisgegeben. Der Süden Judas, das einstige Kerngebiet des Stammes, fiel nun definitiv 2 9 den ihrerseits von den Nabatäern aus ihren Stammlanden östlich des Toten Meers und in der Araba vertriebenen Edomitern anheim. 3 0 In den teilweise entvölkerten Siedlungen Nordjudas, im Dreieck Bet Zur - Betlehem - Socho, ließen sich Kalibbiter nieder, die freilich de facto längst einen integralen Teil des Königreichs Juda gebildet hatten. Überhaupt wird man sich gerade in der Landschaft Juda die „Anarchie", die etwa H. KREISSIG31 für die Zeit nach der Ermordung Gedaljas annimmt, nicht allzu drastisch vorstellen. Was die höhere Verwaltung anlangt, dürfte das Gebiet einfach der j a schon länger existierenden, bereits von den Assyrern eingerichteten Provinz Samirina zugeschlagen worden sein. Das gab die Möglichkeit, die schon in der letzten Königszeit neu geknüpften Verbindungen zwischen jHWHtreuen Nordisraeliten und dem Süden weiter aufrechtzuerhalten (vgl. Jer 4 1 , 4 - 9 ) . Doch wird sich Samaria um die Verhältnisse in den einzelnen Dörfern und Regionen Judas wenig gekümmert haben hier dürfte die im Grunde nie, selbst durch die auch in Juda recht begrenzte königliche Zentralgewalt nicht grundsätzlich angetastete, auf den Familien und den Ältesten 32 beruhende, vom f i s n DJ) getragene Gemeindeautonomie neu zum Tragen gekommen sein. So urteilt H. KREISSIG: „Von der Exilierung wurde nicht die Masse ... betroffen, sondern nur die, die als Kriegsgefangene in die Hand der Babylonier gefallen waren. Die Bebauung des Landes ging demzufolge nach der allmählichen Überwindung der Kriegsschäden unbehindert weiter. Anstelle der judäischen Landeigentümer, die zum größten Teil weggeführt worden waren, traten proforma der König von Babylon beziehungsweise von ihm belehnte Personen. Die offenbar nur geringe Durchdringung Judas mit babylonischen Beamten ermöglichte vielen judäischen Bauern, aus abhängigen Besitzern zu cfe-/