Johannes Daniel Falk: Sein Weg von Danzig über Halle nach Weimar (1768-1799)
 9783666558207, 3525558201, 9783525558201

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V&R

ARBEITEN ZUR GESCHICHTE DES PIETISMUS IM AUFTRAG DER H I S T O R I S C H E N KOMMISSION Z U R E R F O R S C H U N G DES PIETISMUS

HERAUSGEGEBEN V O N M. BRECHT, G. SCHÄFER U N D H.-J. SCHRÄDER

BAND 36

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

JOHANNES DANIEL FALK SEIN WEG VON DANZIG Ü B E R HALLE NACH W E I M A R (1768-1799)

VON JOHANNES DEMANDT

VANDENHOECK & R U P R E C H T IN GÖTTINGEN

Die ersten 16 Bände dieser R e i h e erschienen im LutherVerlag, Bielefeld. Ab Band 17 erscheint die R e i h e im Verlag von Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen

DEM DANKBAREN GEDENKEN AN MEINE ELTERN PAUL DEMANDT (1908-1986) UND ANNA DEMANDT (1907-1993)

Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufnahme Demanit, Johannes: Johannes Daniel Falk: sein Weg von Danzig über Halle nach Weimar (1768-1799) / von Johannes Demandt. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1999 (Arbeiten zur Geschichte des Pietismus; Bd. 36) Zugl.: Mainz, Univ. Diss., 1997 ISBN 3-525-55820-1

© 1999 Vandenhoeck & Ruprecht, in Göttingen Printed in Germany. — Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Satz: Satzspiegel, Nörten-Hardenberg Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen

Johannes Daniel Falk, 1805, Ölgemälde von H . Westermayr

Caroline Falk, geb. Rosenfeld, 1803, Ölgemälde von H . Westermayr

Vorwort

Der vorliegenden Untersuchung, die 1997 von der Evangelisch-theologischen Fakultät der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz als Dissertation angenommen wurde, kam zustatten, daß nach den politischen Ereignissen des Jahres 1989 alle drei im Titel genannten Orte mit ihren Archiven und Bibliotheken ohne Schwierigkeiten zugänglich waren. Dies war vor allem für die Erschließung des Falk-Nachlasses im Goethe-Schiller-Archiv Weimar von Bedeutung. Jedoch auch der Falk-Nachlaß im Goethe-Museum Düsseldorf sowie die Archivalien des Staatsarchivs Danzig, der Universitätsbibliothek Tartu (Dorpat) und weiterer Archive und Bibliotheken konnten genutzt werden. Für die Erhellung der Geschichte Danzigs war die Bibliothek des Herder-Instituts Marburg hilfreich. Am Zustandekommen der Arbeit haben nicht wenige Personen Anteil. Ihnen möchte ich an dieser Stelle meinen Dank aussprechen. Er gilt zuerst Herrn Prof. Dr. Gustav Adolf Benrath, Litt. D. h. c. Er hat die Arbeit von Beginn an mit außerordentlichem Interesse, einem erstaunlichen Maß an Geduld und fachkundigem Rat gefördert und hat auch das Erstgutachten erstellt. Ebenso danke ich Herrn Prof. Dr. Gerhard May, der freundlicherweise das Zweitgutachten verfaßt hat. Herrn Prof. Dr. D. Martin Brecht D.D. und der Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus danke ich herzlich für die Aufnahme des Buches in die Reihe der »Arbeiten zur Geschichte des Pietismus«. Obgleich Falk selbst nicht als Pietist anzusehen ist, gehört er aufgrund seiner Herkunft und Erziehung in die Geschichte des Pietismus. Wertvolle Anregungen erhielt ich durch die Teilnehmer des von Herrn Prof. Benrath veranstalteten Doktorandenseminars, insbesondere durch Herrn Diakoniedirektor Dr. Otto Wilhelm Hahn (Karlsruhe). Frau Dr. Renate Grumach (Berlin) danke ich für anregende Gespräche über das Verhältnis Falks zu Goethe. Dem verstorbenen Kirchenrat Dr. Herbert von Hintzenstern, Herrn Dr. Paul Saupe sowie dem »Freundeskreis Johannes Falk« verdanke ich weiterführende Hinweise auf die Bedeutung Falks für Weimar. Den Archiven und Bibliotheken danke ich für die Erlaubnis zur Benutzung ihrer Bestände, den Mitarbeitern für freundliche Auskunft und Bereitstellung von Arbeitsmaterial, insbesondere Frau Karin Küntzel und Herrn Dr. Günter Arnold (Goethe-Schiller-Archiv Weimar), Frau Regine Zeller und Frau R e nate Gabrys (Goethe-Museum Düsseldorf), Frau Henriette Eisinger (HerderInstitut Marburg) sowie Frau Margot Raschke und Frau Stefanie Schlosser (Stadtbücherei Dillenburg). Herr Adrian Braunbehrens (Heidelberg) besorgte mir schwer zugängliche Literatur von Falk. 7

D e r frühere T ü b i n g e r Prof. O t t o Michel hat mir die N o t w e n d i g k e i t geschichtlichen D e n k e n s eindrucksvoll vor A u g e n geführt, stellvertretend für andere Lehrer sei er an dieser Stelle dankbar erwähnt. Von vielen Seiten erhielt ich über längere Zeit h i n w e g die n o t w e n d i g e E r m u t i g u n g zur Vollendung der Arbeit, hier n e n n e ich n u r Pfr. Dr. H e l m u t Burkhardt (Grenzach), Präses i. R . Karl H e i n z K n ö p p e l D D (Siegen), Frau H e r t a u n d H e r r n R u d o l f Kayser (Köln) sowie m e i n e Schwester, Frau Annerose D e m a n d t (Rosbach), u n d m e i n e n Bruder, Studiendirektor Walter D e m a n d t (Norden). D u r c h ein Stipendiu m der Simeon-Stiftung u n d freundliches E n t g e g e n k o m m e n des Bundes Freier evangelischer G e m e i n d e n sowie eine U n t e r s t ü t z u n g durch den Arbeitskreis für evangelikale T h e o l o g i e war es möglich, v o n 1991 bis 1993 einen Teil meiner Zeit dieser Arbeit zu w i d m e n . Für ihr förderndes E n t g e g e n k o m m e n habe ich auch m e i n e n Kollegen am Theologischen Seminar Ewersbach zu danken, vornehmlich d e m f r ü h e r e n R e k t o r Gerhard Hörster D D , d e m jetzigen R e k t o r Dr. Wilfrid H a u b e c k sowie H e r r n D r . habil. Wolfgang Heinrichs. M e i n e n Studenten danke ich für ihre Geduld u n d für Nachhilfeunterricht in der Beherrschung des C o m p u t e r s , Frau R u t h Jährling u n d Frau Martina Steinseifer für ihre Mithilfe bei der Erschließung der Quellen. M e i n Schwiegervater Horst N e e b (Haan) hat m i c h auf einigen meiner Forschungsreisen hilfreich begleitet u n d auch das Manuskript durchgesehen. I h m u n d H e r r n Klaus Tesch (Wuppertal) sowie zwei Personen, die hier nicht genannt sein wollen, danke ich für namhafte Druckkostenzuschüsse. Bei der Erstellung des Registers w a ren mir m e i n e beiden T ö c h t e r Cornelia u n d Kathrin sowie Pastor Martin Plücker behilflich. O h n e die jahrelange Geduld u n d Zuversicht m e i n e r Frau Jutta w i e auch die R ü c k s i c h t n a h m e m e i n e r Kinder Alexander, Cornelia, Kathrin u n d Sebastian hätte ich diese Arbeit nicht schreiben k ö n n e n . I h n e n gilt daher m e i n besonderer D a n k . Schließlich danke ich auch den Mitarbeitern des Verlags V a n d e n h o e c k & R u p r e c h t für die technische B e t r e u u n g dieser Publikation. Ich w i d m e das B u c h dankbar d e m G e d e n k e n an m e i n e Eltern, die mir den christlichen Glauben nahegebracht, m e i n Interesse für die Geschichte geweckt u n d mir das S t u d i u m der Evangelischen T h e o l o g i e ermöglicht haben. Dietzhölztal-Ewersbach, im Frühjahr 1998

8

Johannes

Demandt

Inhalt

Einführung: Z u m Stand der Falk-Forschung und zur Zielsetzung dieser Arbeit I. Falks Kindheit und Jugend in Danzig

11

(1768-1791)

1. Familie und Kindheit (1768-1775)

17

2. Kirche und Schulen in Danzig

23

3. Erste und zweite Schulzeit Falks. Lehrer, Bekannte u n d Freunde (1775-1791)

29

4. Pastor Samuel Ludwig Majewski, der Förderer Falks 4.1 Majewski als Exeget 4.2 Majewski als Prediger 4.3 Majewski als Hymnologe

47 52 60 69

5. Falks Unterredungen mit Pastor Majewski (1790/91) 5.1 Die Heilige Schrift und die Vernunft 5.2 Gott, Christus, Trinität 5.3 Tugend 5.4 Unsterblichkeit

86 87 91 95 97

6. Z w e i Predigtentwürfe Falks. Sein Abschied aus Danzig (1791) 6.1 Zwei Predigtentwürfe Falks 6.2 Falks Abschied aus Danzig

99 105

II. Falks Studienjahre und erste literarische Arbeiten in Halle. Freundschaft und Heirat mit Caroline Rosenfeld (1791-1797) 1. Beginn in Halle 110 1.1 Die Reise von Danzig nach Halle 110 1.2 Erste Eindrücke am Studienort und die Verbindung zur Heimatstadt . . 1 1 2 2. Das Studium der Theologie u n d sein vorzeitiger Abbruch 2.1 Die Reaktion S.L. Majewskis auf Falks Begegnung mit J.J. Engel; die Auseinandersetzung Majewskis mit einem »transcendentalen Philosophen« 2.2 Falks theologische Lehrer und der Streit der Fakultät mit Wöllner 2.3 Falks Abwendung von der Theologie

122

122 . .126 136

3. Erste Reise über Jena nach Weimar und die Begegnung mit Schiller und Goethe (1792)

140 9

4. Das Studium der Philosophie und der Altertumswissenschaft in Halle

151

5. Die Bitte um Verlängerung des Stipendiums. Die Kritik an der Erziehung im Elternhaus (1795)

163

6. Literarische Arbeiten in Halle. Zweite Reise nach Weimar (1795/96)

178

7. Dritte Reise nach Weimar (1796). Reisen nach Magdeburg und Berlin (1797)

222

8. Freundschaft mit Caroline Rosenfeld. Die Beziehung zu Karl Morgenstern (1796/97). Heirat in Halle (17.9.1797)

239

III. Falk als freier Schriftsteller in Weimar

(1797-1799)

1. Beginn in Weimar

264

2. Erste literarische Arbeiten in Weimar. Die Kritik Falks am Zustand der Berliner Charité (1797/98) und ihr Echo

270

3. Beziehungen zu Wieland, Goethe, Schiller, Herder und zur Weimarer Gesellschaft

284

Ergebnis

307

Anhang

A. Unveröffentlichte Quellen 1. J . D . Falk: Unterredungen mit Pastor Majewski (Auszug) 2. J . D . Falk: Curriculum vitae (1795)

B. Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Quellen 2. Sekundärliteratur 3. Lexika, Lexikonartikel

C. Register 1. 2. 3. 4.

10

Personen Begriffe Orte Bibelstellen

317 317 337

342 342 363 376

381 381 389 394 396

Einführung: Z u m Stand der Falk-Forschung und zur Zielsetzung dieser Arbeit

Johannes Daniel Falk (1768—1826) ist heute weitgehend in Vergessenheit geraten. Allenfalls Kirchgänger stoßen noch auf seinen Namen, wenn am Heiligen Abend eines der bekanntesten deutschen Weihnachtslieder »O du fröhliche« gesungen wird. Falk dichtete es im Jahre 1816 für die Kinder seines Waisenhauses in Weimar zu einer von Johann Gottfried Herder überlieferten sizilianischen Melodie. Aufgrund seiner selbstlosen Arbeit für herumstreunende, oft elternlose Kinder und Jugendliche, die er seit dem Kriegsjahr 1813 bei sich aufnahm und förderte, wird Falk nicht selten als »Philanthrop« bezeichnet. 1 Das Motiv seiner Pionierleistung war jedoch ein dezidiert christliches. Mit R e c h t nannte ihn Johann Hinrich Wichern in seiner Wittenberger Kirchentagsrede von 1848 einen Vorläufer der Inneren Mission. 1830 hatte W i chern seine eigene Anstalt — das R a u h e Haus in Hamburg - gegründet, um im Sinne Falks zu arbeiten. Bis heute erinnern vereinzelt noch diakonische Einrichtungen an Falk. In Weimar erinnert heute ein Denkmal am »Graben« an den Ehrenbürger der Stadt. N u r wenigen ist hingegen bekannt, welche Rolle Falk in der Zeit vor seiner »Rettungshaus«-Arbeit gespielt hat. Durch sein diplomatisches Geschick während der napoleonischen Kriege wendete er größeren Schaden von seiner weimarischen Heimat ab; der Herzog verlieh ihm dafür den Titel eines besoldeten Legationsrates. Goethe schätzte ihn — trotz zeitweiliger Differenzen — als Gesprächspartner. Aus dem persönlichen Umgang mit dem bedeutendsten deutschen Dichter entstand Falks 1832 postum erschienenes GoetheBuch, das den Großen — nach dem Urteil Heinrich Heines — »in allen Beziehungen des Lebens, ganz naturtreu, ganz unpartheyisch, mit allen seinen T u genden und Fehlern« zeigt. 2 Während Falks Wirksamkeit als Schriftsteller von der Literaturwissenschaft relativ wenig Beachtung fand, besorgten einige Danziger Heimatforscher gelegentlich einen Teilabdruck von Falks Jugenderinnerungen. An Literatur über Falk existiert manches Erbauliche, hingegen wenig wissenschaftlich Gesichertes. Drei ältere und eine neuere Dissertation befassen sich aus literaturwissenschaftlichem Interesse mit Falk, eine weitere fragt nach seiner pädagogischen Bedeutung. Eine Untersuchung mit biographisch-theologiegeschichtlicher Fragestellung fehlt bislang. 1 2

Witte: Falk und Goethe (1912) 7, Reininger: Falk (1930) 26, u.ö. Heine: Werke. Düsseldorfer Ausgabe (1979) 162, 14 ff.

11

D i e unter Anleitung von Albert Leitzmann entstandene Rostocker Arbeit von Ernst Witte »Falk und Goethe« (1912) weist den zuerst von Friedrich Wilhelm R i e m e r 3 (1841), 4 später auch von anderen erhobenen Vorwurf, Falks Goethe-Erinnerungen 5 enthielten »vieles Einseitige« und sogar »Erlogenes«, 6 als unhaltbar zurück. 7 Anhand von Beispielen zeigt Witte ein hohes Maß an Zuverlässigkeit von Falks Beobachtungen auf. Andererseits wendet sich Witte aber ebenso deutlich gegen Siegmar Schultze, der Falks »unbedingte Glaubwürdigkeit« habe beweisen wollen; Schultze habe versucht, »Falk auf Kosten Goethes zu heben« und »parteiisch geurteilt«. 8 N a c h Witte müsse Falks »strenge Wahrheitsliebe, der eiserne Fleiß [ . . . ] bei ihm Menschliches, Allzumenschliches vergessen lassen.« D i e Wiener Dissertation von Hilda Moorcroft Scholes mit dem Titel »Falks literarische Kämpfe zur Zeit der Romantik« (1925) bietet im wesentlichen eine kritische Darstellung Falks als »Antiromantiker« in den Jahren 1798 bis 1801. 9 Erst seine wachsende N ä h e zu Goethe, so Scholes, veranlaßte Falk zu einem Frontwechsel. Während er den populären Schriftsteller August von Kotzebue heftig bekämpfte, begegnete er den Romantikern zunehmend mit Wohlwollen. 1 0 Die im Jahre 1930 ebenfalls in Wien verfaßte Dissertation von Elisabeth Reininger mit dem Titel »Johann Daniel Falk« versucht auf 88 Seiten einen Gesamtüberblick über das Leben und Wirken Falks zu geben. Kindheit und Studienzeit Falks werden nur sehr knapp dargestellt, der Schwerpunkt ihrer Untersuchung liegt auf dem literarischen Werk Falks. Reininger vertritt die Auffassung, Falk sei als Dichter zunächst Lyriker gewesen, erst durch das Studium Kants, Herders und Rousseaus sei in Falk »ein satirischer Geist« erwacht. 11 Sie würdigt Falk als Satiriker wie auch als Dramatiker und nimmt ihn gegen die Kritik der Frühromantiker in Schutz. 1 2 Falks pädagogisches Werk der Jahre 1813 bis 1826 steht im Mitelpunkt der Untersuchung von Trude Reis. Ihre Arbeit mit dem Titel »Johannes Falk als Erzieher verwahrloster Jugend« (Frankfurt a. M . , gedruckt in Berlin 1931) 13 schöpft aus den im Weimarer Goethe-Schiller-Archiv befindlichen, umfangreichen Akten der »Gesellschaft der Freunde in der Not«, des Falk-Nachlasses und weiteren Archivalien. R e i s würdigt das Verdienst Falks, »den Gedanken

3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

12

Friedrich Wilhelm Riemer (1774-1845), Mitarbeiter Goethes. Riemer: Mitteilungen über Goethe ( 2 1921) 36-46. Falk: Goethe (1832). Riemer, a. a. O., 37. Witte, a. a. O . , 105. Vgl. Grumach: Gespräche. Goethe-Handbuch (1998) 380. Witte, a. a. O . , 8. Scholes: Falks literarische Kämpfe (1925) 24-111. Scholes, a . a . O . , 110. Reininger, a. a. O., 88. Reininger, a. a. O . , 91. Reis: Falk als Erzieher (1931).

der Rettungshausbewegung in die Welt gebracht« und »die erste Rettungsanstalt geschaffen« zu haben. 14 Die Dissertation von Richard J o h n Allen: »Johann Daniel Falk and the Traditions of German Satire« (Baltimore/Maryland, U S A 1969) stellt eine beachtliche literaturwissenschaftliche Untersuchung dar. N a c h gründlicher Analyse von Falks literarischem Werk kommt Allen zu dem Schluß: »Here is a poet o f stature whose best efforts deserve recognition not as literary curiosities o f merely historical interest but as significant works o f art.« 15 Der frühe Falk habe - darin bewundert von Wieland - in seiner Verssatire das satirische mit dem tragischen Element verbunden und damit einen einzigartigen Beitrag zu einer langen deutschen Tradition geleistet, deren letzter Vertreter von Bedeutung er gewesen sei. 16 Durch sein Zusammentragen von Erzählungen und Schwänken habe Falk gewissermaßen das Werk der Brüder Grimm vorweggenommen. 1 7 Kenner der Werke Falks - so Allen — wissen, daß viele von ihnen durchaus an den Bereich der exzellenten Poesie heranreichen. 18 Die Frage, warum Falk als Dichter in Vergessenheit geraten sei, sieht Allen in dem Hinweis auf Falks literarische Existenz im Schatten seiner berühmten Zeitgenossen nur unzureichend beantwortet. Vielmehr vermutet er, daß Falk sowohl zu seiner Zeit als auch später von seinen Kritikern gründlich verkannt worden sei, weil sie seine besten Werke nicht wirklich gelesen hätten. Auch habe man es in der Literaturwissenschaft bislang versäumt, Falk im Zusammenhang der deutschen satirischen Tradition zu sehen. 19 N a c h Richard J o h n Allen ist es an der Zeit, Falk aus dem Schatten seiner größeren Weimarer und Jenaer Zeitgenossen herauszuholen und ihm einen eigenen, angemessenen Platz in der deutschen Literaturgeschichte zuzuweisen. 2 0 Aus literaturhistorischem Interesse mahnt Allen eine kritische Biographie Falks an. 21 Unter dem Titel »Die Prinzessin mit dem Schweinerüssel. Lustspiele. G e dichte. Publizistik« gab Paul Saupe im Jahre 1988 eine Sammlung von Schriften Falks heraus, im Anhang ergänzt durch wertvolle Kommentare und B e griffserklärungen. D a die Sammlung Stücke aus allen Schaffensperioden Falks enthält, ermöglicht sie einen guten Uberblick über sein literarisches Werk. In einem »Nachwort« zeichnet Saupe von Falk das Bild eines Dichters, der in der Poetenwelt des zu Ende gehenden 18. und des beginnenden ^ . J a h r h u n derts einen eigenen Standpunkt vertreten habe. 2 2 N a c h Saupe war bei Falk »Religiosität [ . . . ] stets gepaart mit Realitätssinn, praktischer Tüchtigkeit, auch 14 15 16 17 18 19 20 21 22

Reis, a . a . O . , 103. Allen, a . a . O . , 566. Allen, a . a . O . , II. Allen, a . a . O . , III. 565. Allen, a. a. O . , IV. Allen, a. a. O . , 567. Allen, a. a. O . , VI. Allen, a. a. O., 569. Falk/Saupe, a . a . O . , 646.

13

Spottlust und M u t zu Zorn und Verachtung«; 23 verglichen mit den zeitgenössischen Vertretern des deutschen Geisteslebens sei Falk ein herausragender Charakter gewesen. Unter Anspielung auf ein Wort Goethes meint Saupe, Falk sei zwar »kein Zentralstern« am Himmel der deutschen Klassik, sein Licht sei jedoch »unverwechselbar«. 24 Eine wissenschaftliche Biographie Falks fehlt bislang. Auch die vorliegende Arbeit kann diese Lücke nicht schließen. Z u m einen, weil sie wegen der Fülle des Archivmaterials nur den Zeitraum bis 1799 berücksichtigt, zum andern, weil sie nur einem Ausschnitt möglicher Fragestellungen nachgeht. Sie fragt vornehmlich nach den religiösen Prägungen und nach den Weichenstellungen seiner Bildung, die den Weg Falks von seiner Kindheit in Danzig bis zu seinem Schaffen als satirischer Schriftsteller in Weimar bestimmt haben. Dieser grundsätzlichen Fragestellung ist bislang nur am R a n d e oder gar nicht nachgegangen worden. Im einzelnen ist danach zu fragen, wie Falk die pietistische Erziehung im Elternhaus erlebte. Wie gestaltete sich das alltägliche Familienleben? In welcher kirchlichen Situation wuchs Falk auf? Welche Schulbildung hat er genossen? In welchem Verhältnis stand er zu den Patriziern und zu seinen G ö n nern? Vor allem: W i e kam es, daß ein pietistisch erzogener junger Mann vom Denken der Aufklärung erfaßt wurde? In diesem Zusammenhang spielt die Frage nach Samuel Ludwig Majewski eine erhebliche Rolle. Wer war er und in welchem Maße hatte er Einfluß auf den jungen Falk? Für die Zeit in Halle ist nach Falks theologischen, philosophischen und philologischen Lehrern zu fragen. Was veranlaßte ihn, das Studium der Theologie aufzugeben? Wie stellte er sich als freier Schriftsteller seine materielle Versorgung vor? Was wollte Falk mit seiner Satire erreichen? Wie gestalteten sich seine Freundschaft und Ehe mit Caroline Rosenfeld? Was bewog ihn schließlich, nach Weimar überzusiedeln, und welchen Platz nahm er unter den dortigen Literaten ein? Welche theologischen Komponenten kennzeichnen seine vielfältigen Beziehungen zu bekannten Persönlichkeiten bis zum Ende des 18. Jahrhunderts? Für die Beantwortung dieser Fragen hat sich das vorhandene Quellenmaterial als ergiebig erwiesen. Abgesehen von einigen Fehldatierungen enthält Falks R o m a n »Leben, wunderbare Reisen und Irrfahrten des Johannes von der Ostsee« (1805) viel historisch Zutreffendes. Ähnlich wie beispielsweise Jung-Stilling in seinen R o m a n e n hat Falk über das Erlebte nur einen dünnen Schleier der Verfremdung gelegt, so daß das historisch Wesentliche durchaus erkennbar geblieben ist. Falks R o m a n enthält somit mehr Wahrheit als Dichtung; als solcher war er für die Erforschung der Kindheits- und Jugendjahre heranzuziehen. Für sein Verhältnis zu Samuel Ludwig Majewski waren die im Goethe-Museum Düsseldorf aufbewahrten Aufzeichnungen Falks über die

23 24

14

Falk/Saupe, ebd. Falk/Saupe, a . a . O . , 647.

Gespräche mit ihm aufschlußreich. Vor allem für die Zeit in Halle und Weimar gestattete die Auswertung der im Goethe-Museum Düsseldorf und im Goethe-Schiller-Archiv Weimar befindlichen umfangreichen Briefschaften Falks und seiner Korrespondenten einen Einblick in sein Fühlen und Denken. Dies gilt vornehmlich für den Bericht von seiner ersten Reise nach Jena und Weimar (1792/1795) sowie den Briefwechsel mit Caroline Rosenfeld und ihrer Mutter (1796/1797). Eine wertvolle Ergänzung zu den in Weimar aufbewahrten Briefen Karl Morgensterns an Falk stellen die von der Universitätsbibliothek Dorpat (Tartu/Estland) freundlicherweise zur Verfügung gestellten Briefe Falks an Karl Morgenstern (1795—1800) sowie sein an den Danziger Bürgermeister Eduard Friedrich von Conradi gerichtetes »Curriculum vitae« (1795) dar.

15

I. Falks Kindheit und Jugend in Danzig (1768-1791) 1. Familie und Kindheit

(1768-1775)

Johannes 1 Daniel Falk wurde am 26. 2 Oktober 17 68 3 in Danzig 4 geboren und zwei Tage später in der reformierten Kirche St. Petri und Pauli getauft.5 Zu den Taufpaten gehörten u. a. Martin Soermans, ein Großonkel oder Urgroßonkel Arthur Schopenhauers. 6 Falks Abstammung läßt sich bis in die sechste Generation zurückverfolgen. 7 Ein bedeutender Vorfahre war sein Ururgroßvater Jeremias Falck (ca. 1610—1677 8 ), Kupferstecher in Paris, in Danzig, am Hofe der schwedischen Königin Christina in Stockholm, in Kopenhagen, in Amsterdam und in Hamburg. 9 Jeremias Falck war seit 1650 mit Anna Mercator (1630—1672) verheiratet, einer Urenkelin des berühmten Geographen und Kartographen Gerhard Mercator ( 1 5 1 2 - 1 5 9 4 ) . " ' Ein Sohn von Jeremias und Anna Falck war Gerhard Falck (1658 11 —1727), Kupferstecher und Goldschmied. Dieser war mit Elisabeth Spalding (gest. 1725) verheiratet, deren 1 Laut Taufbucheintrag erhielt Falk den Namen seines Vaters »Johann Daniel«. (Vgl. Leistikow: Falk (1952) 193 f.) Er wurde j e d o c h von seinen Eltern schon als Kind Johannes gerufen. Vgl. Falk: Das Vaterunser (1822) 57. Später nannte er sich als Schriftsteller auch selber Johannes (»Johannes von der Ostsee«) und wurde unter diesem Namen bekannt. 2 So laut Taufbucheintrag. (Vgl. Leistikow, ebd.; Weichbrodt: Patrizier, 1 (1986) 161). Die meisten Quellen nennen j e d o c h den 2 8 . 1 0 . , auch er selbst in Falk: Leben d. Johannes v. d. Ostsee (1805) 116, sowie Falk: Geheimes Tagebuch (1964) 2 3 8 ; sein Grabstein auf dem Weimarer »Neuen Friedhof« nennt ebenfalls den 2 8 . 1 0 . 1 7 6 8 . 3 Jördens: Dichter u. Prosaisten, 1 (1806) 4 9 5 , gibt als Geburtsjahr 1 7 7 0 an; ebenso Döring: Falk (1828) 40; er selber und die meisten anderen nennen j e d o c h 1768; vgl. Leistikow, a. a. O . , 194. 4

Falkiana (1811) 1, gibt Königsberg als Geburtsort an.

5

Vgl. Leistikow, ebd. Leistikow, ebd.

6

7 H . E . Falck: Stammbaum (1886), nennt als ältesten Vorfahren den 1530 geborenen und 1590 in T h o r n gestorbenen Franz Falck. Weichbrodt, a . a . O . , 160 (Tafel I), führt einen weiteren Stammbaum »Falk« auf, der bis ins 1 4 . J h . zurückreicht. Eine Verbindung zum Stammbaum Johannes Daniel Falks läßt sich j e d o c h nicht erkennen. 8 Schwarz: Falck, Jeremias (1941) 174 f.; G. Mayer-Falk: Vorfahren (1980) 1, datiert die Geburt auf 1619 und berichtet, daß die Beisetzung Jeremias Falcks »am 7 . 2 . 1 6 7 7 in der reformierten Kirche St. Petri und Pauli in der Familiengruft beim Altar (Stein Nr. 4)« stattfand; Leistikow, a. a. O . , 197, gibt als Todesjahr 1671 an. 9

Leistikow, ebd.

Diese Auskunft erhielt ich mündlich von Herrn Dr. Gerhard Mayer-Falk (Augsburg, 1906-4996), einem Ururgroßneffen Falks. Vgl. auch G. Mayer-Falk, ebd. 10

11 Leistikow, a. a. O . , 196, und G. Mayer-Falk, ebd. Dagegen geben Schwarz, a. a. O . , 175, und Weichbrodt, a. a. O . , 161, als Geburtsjahr 1657 an.

17

Vorfahren zum schottischen Adel gehörten und Anfang des 17. Jahrhunderts nach Plau/Mecklenburg eingewandert waren. 12 Falks Großvater Antonius Jeremias Falck (1706-1790), »Einwohner und Arbeitsmann« in Danzig, 13 war vier- oder gar fünfmal verheiratet.14 Aus seiner zweiten Ehe, mit Anna Maria Nauwerck, stammte Johann Daniel Falk d. Ä. (1737—1808), der Vater von Johannes Daniel Falk; er war von Beruf Perükkenmacher und ehrenamtlich Armenvorsteher der reformierten Gemeinde St. Petri und Pauli. Seine Frau Constantia Falk, geb. Chailloux (1742—1813)15 stammte aus einer hugenottischen Familie. 16 Ihr Vater Michel Chaillou 17 (1715—1787) war aus G e n f 8 eingewandert und war ebenfalls Perükkenmacher. 19 Er war, wie Falks Tochter Rosalie später die mündlichen Mitteilungen des Vaters in ihren biographischen Notizen festhielt, »sehr rechtschaffen und im höchsten Grade religiös, aber äußerst heftig und leidenschaftlich von Temperament«, er las gerne französische Literatur, vor allem über »die Religionsverfolgungen. Wenn er auf diese zu sprechen kam, gerieth er in großes Feuer, konnte, wenn er einmal im Zuge war, kaum wieder davon aufhören.« 20 Dieselben Züge erkannte Falk in seiner Mutter wieder. 21 Der Großvater von Constantia Falk, Jean Chaillou (ca. 1670-1723) aus Verdun, 22 war zunächst Musiker in Genfund später königlicher Kapellmeister in Berlin. Er und seine Frau Helena Chaillou, geb. Vigoroux (ca. 1682—1748) gehörten zur französisch-reformierten Gemeinde in Berlin. Michel Chaillou hatte 1740 die in Danzig geborene Anna Concordia Quartier (1709-1798)

12 G. Mayer-Falk, a. a. O . , 2; vgl. Leistikow, a. a. O . , 196; R . Falk: Erinnerungsblätter (1868) 5, schreibt: »Der Urgroßvater väterlicherseits soll aus England herübergekommen und Küster an der englischen Kirche in Danzig gewesen sein.« Diese Vermutung kann sich nur auf einen Urururgroßvater Falks, Georg oder Jürgen Spalding, beziehen. Vgl. Leistikow, ebd. Zur englischen Kirche vgl. J . Schopenhauer: Jugendleben (1958) 25. 27. 247.

Leistikow, ebd. Vgl. auch zu den folgenden Angaben. SA Danzig, 3 5 6 / 6 , 257. 267. 271. 279, nennt für Anton Jeremias Falck vier Jahreszahlen einer Trauung: 1761, 1768, 1773 und 1790. Da sein Sohn Johann Daniel jedoch bereits 1737 geboren wurde, wird man zumindest eine der frühen Jahresangaben Leistikows für zutreffend halten müssen. Dieser nennt die Jahre 1730, 1734, 1761, 1768 und 1773 und fügt hinzu, es sei nicht bekannt, »ob die ersten Ehen durch Tod oder durch Scheidung gelöst wurden.« Leistikow, ebd. 13

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G M D . Falk 11.4.2, Nachruf auf Constantia Falk. Leistikow, ebd.; G. Mayer-Falk: Vorfahren (1980) 2. 17 So die unterschiedliche Schreibweise bei Leistikow, ebd. Z u m folgenden 18 N a c h anderer Q u e l l e stammte »Michael Schalljouh aus Bern«. G S A Stammbaum der Fam. Falk 1839. 19 Leistikow, ebd.; G. Mayer-Falk, ebd. 2 0 G S A Weimar 15/IV.4, 140, R . Falk: Biographie. 2 1 G S A Weimar, ebd. 2 2 Jördens, a. a. O., 495: Falks »Großvater, von mütterlicher Seite, war von zose, und hieß Chalion.« Die Schreibweise »Chalion« weicht von der bei genannten (»Chaillou«) ab. 15

16

18

vgl. ebd. Weimar 15/V.8,

Geburt ein FranLeistikow, ebd.,

geheiratet. 23 Deren Vater (gest. ca. 1710) war Constein Quartier, ein angesehener Bürger und berühmter Gold- und Silberschmied in Danzig. Er war verheiratet mit Louisa, geb. Trapp (gest. 1709).24 Dieses durchaus reichhaltige Bild seiner Ahnentafel mag erklären, daß sich in Johannes Daniel Falk ein breit gefächertes Erbe konzentrieren konnte. Sowohl Intelligenz als auch künstlerische Begabung waren bei ihm in mehrfacher Weise ausgeprägt. Johannes Daniel Falk war das zweite Kind und der erste Sohn von insgesamt sieben Kindern. 25 Uber seine Geschwister ist nicht viel bekannt. 26 Sein Bruder Karl Gotthilf besuchte in den Jahren 1779—1783 und 1785, sein Bruder Christian Gottlieb in den Jahren 1777 und 1779-1783 27 die Klassen Quinta und Quarta des Gymnasiums. 28 Falks Verhältnis zu seinen Eltern spielt in den autobiographischen Texten eine außerordentlich große Rolle. Da dies vor allem für seinen Wunsch nach Weiterbildung von Bedeutung ist, soll davon später ausführlicher die R e d e sein.29 Der Vater war still und streng. 10 Sein Handwerk erlaubte der Familie nur eine bescheidene Lebensweise. Es läßt sich jedoch nicht direkt von Armut sprechen, da der Beruf des Perückenmachers damals durchaus nicht zu den untersten Einkommensgruppen gehörte. 31 Jedenfalls war der Vater in der Lage,

23 GMD. Falk II.4.1.1, 2 »Personalien der Anna Concordia Schallion gebohr. Quatier«. Die eigenhändige Notiz der Mutter: »Ich bin gebohren 1709 den 3ten Märtz allhier zu Dantzig.« belegt, daß Falks Vermerk auf einem ihrer Briefe: »Von meiner seeligen Mutter Constance geb. Chalion aus Genf« auf einer getrübten Erinnerung beruht. (GSA Weimar 15/1. 1A.1.2, 1, Constantia Falk an Falk, nach 1802). Auch die Schreibweisen »Schallion« und »Quatier« weichen von den bei Leistikow, ebd., genannten (»Chaillou« bzw. »Quartier«) ab. 24 GMD, a . a . O . , 1. 25 R . Falk: Erinnerungsblätter (1868) 5, spricht von »fünf Söhnen und zwei Töchtern«. Dagegen schreibt Falk selbst von »sechs Buben«. Vgl. Falk: Geheimes Tagebuch (1964) 240. Auch H. E. Falck, a. a. O., nennt sieben Kinder: Adelgunde Constantia (1766-1809), Johannes Daniel (1768-1826), Carl Gotthilf (1770-1857), David Wilhelm (1773-1848), Samuel Gottlieb (1775-1829), August Theodor (1778-1842) und Caroline Renate (1783-1840). Es ist anzunehmen, daß Samuel Gottlieb Falk mit dem im »Gymnasii Buch« (SA Danzig 300, 42/263) genannten Christian bzw. Christoph Gottlob Falk identisch ist. 26 Sein Bruder David Wilhelm, mit dem Falk später in Weimar eine Korrespondenz führte, war ein wohlhabender Pelzhändler. So die mündliche Auskunft von dessen Ururenkel Dr. Gerhard Mayer-Falk. 27 Daß Christian Gottlieb Falk bereits 1777, also als 4jähriger, die Quinta besuchte — so der Eintrag im »Gymnasii Buch« (SA Danzig 300, 42/263, 33) - erstaunt zwar, kann jedoch nicht als unmöglich erscheinen, wenn man den Elementarcharakter jener Klasse bedenkt. Nach Löschin: Geschichte Danzigs, 1 (1822) 363, war im Jahre 1624 die Einschulung mit fünf Jahren üblich. Dies kann auch für die Zeit Falks zutreffen. 28 SA Danzig, 300, 42/263, 42-74. 29 S.u. S. 29ff. 120f. 163ff. 30 Falk: Leben d. Johannes v. d. Ostsee (1805) 123; vgl. R . Falk, a. a. O., 5. 31 Der Vergleich mit den Danziger Patrizierfamilien hat Falk manchmal dazu veranlaßt, von seiner und seiner Familie Armut zu sprechen. Vgl. Falk, a. a. O., 119 u. ö.; im Anschluß daran auch Jördens, ebd.; Döring, ebd.; Reis: Falk als Erzieher (1931) 1, u. a. Jedoch wird die Notiz der Tochter Rosalie zutreffend sein, nach der die Eltern Falks »nicht arm und nicht reich« waren.

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zwei Gesellen zu beschäftigen 32 u n d ein dreieinhalb Stockwerke großes Haus zu unterhalten. 3 3 N e b e n seinem H a n d w e r k betätigte sich der Vater als »Besucher« bzw. »Armenvorsteher« der reformierten Kirchengemeinde. 3 4 In dieser Eigenschaft hatte er u. a. den Auftrag, für die Kleidung armer Kinder in der Gemeinde zu sorgen. Da in der Armenfürsorge eine der wichtigsten Aufgaben der Gemeinde überhaupt gesehen wurde, 3 5 zeugt das Ehrenamt des Vaters von einer gewissen Wertschätzung seitens der Gemeindeleitung. M a n darf davon ausgehen, daß das väterliche und gemeindliche Vorbild praktischer Nächstenliebe Johannes Daniel Falk sein Leben lang in Erinnerung blieb. Falks Mutter Constantia war ihre hugenottische Abstammung offensichtlich anzusehen und abzuspüren. Sie wird von ihrer Enkelin Rosalie Falk als »feurige u n d gottesfürchtige Frau« beschrieben, die »ihre Kinder in der Z u c h t und Vermahnung des Herrn« erzog. 36 Falk selbst erinnert sich n o c h als 55jähriger an seinem Geburtstage: »Die ersten Eindrücke meiner Mutter Constanze siegten durch mein Leben. Die feurige, keusche, ich möchte wohl sagen, bis in ihr spätestes Alter jungfräuliche Genferin37 mit ihrem schönen, zürnenden Cherubimgesicht stand vor dem Paradies der Jugend und verwehrte jeder Sünde den Eintritt.«38 Falk hatte wichtige Wesenszüge von seiner M u t t e r geerbt. Er selbst sprach häufig von seinem feurigen und temperamentvollen Charakter. 3 9 Die M u t t e r gehörte nicht nur zur reformierten Gemeinde, sondern stand auch in Verbindung zur H e r r n h u t e r Brüdergemeine. 4 0 Inwiefern auch die R . Falk, a . a . O . , 5. Ohly: Falk u. d. Rathsherren (1878) 6, spricht sogar von einem »zu jener Zeit nicht uneinträglichen Gewerbe.« Der politische Druck Preußens auf das stark vom Handel abhängige Danzig in den 70er und 80er Jahren des 18. Jahrhunderts dürfte auch bei den Handwerkern Einkommensverluste bewirkt haben. Vgl. Löschin: Geschichte Danzigs, 2 (1823) 231 ff. 32 Falk: Leben d. Johannes v. d. Ostsee (1805) 122. 33 Ein Foto des vermutlich im Zweiten Weltkrieg zerstörten Hauses ist abgedruckt bei Saupe: Falk. 1768-1826 (1979) 5. 34 Falk, a . a . O . , 140. 35 Leube: Nachrichten, 1 (1806) 163 f. Im Jahre 1919 schrieb Pritzel: »In der Gemeindearbeit der reformierten Gemeinde zu St. Petri-Pauli steht obenan die Pflege der Armen und sonstiger Unterstützungswürdiger und Unterstützungsbedürftiger. Der Gemeinde stehen für diese Arbeit reichliche Mittel aus Stiftungen zur Verfügung, die von dem Senioren-Kollegium, dem Patronat der Gemeinde, verwaltet werden. Auf diese Weise wird seit Jahrhunderten zur Behebung aller möglichen leiblichen, wirtschaftlichen und seelischen Nöte der Gemeindeglieder viel Gutes gewirkt.« Handbuch f. d. Evangelischen (1919) 123. 36 R . Falk, a . a . O . , 5. 37 Aus dieser Bemerkung muß nicht notwendig geschlossen werden, daß Falks Mutter in Genf geboren wurde, obgleich R . Falk, ebd., schreibt, daß sie (Constantia Falk) »mit ihren Eltern als Kind aus Genf eingewandert« sei. Leistikow (a.a.O., 196) behauptet dies nur für Constantias Eltern, während er als ihren Geburtsort Danzig angibt. Vgl. o. S. 18. 38 Falk: Geheimes Tagebuch (1964) 240. 39 Falk, ebd. u. ö. 40 Wenngleich die Quellen eine Mitgliedschaft nicht belegen, dürfte Falks späterer Weimarer Mitarbeiter Heinrich Holzschuher den Sachverhalt zutreffend wiedergeben: »Falks Mutter war

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Kinder mit der Brüdergemeine in Berührung kamen, ist unbekannt. J e d o c h sind pietistische Erziehungsinhalte deutlich erkennbar. Beispielsweise war es in der Familie üblich, »daß vor Schlafengehen von den Kindern abwechselnd einige Kapitel aus der Bibel laut vorgelesen wurden.« 4 1 Von ihrem Sohn J o hannes Daniel erwartete die Mutter, daß er Johann Arndts »Wahres Christentum« lese, ein Werk, das den Pietismus wesentlich mitgeprägt hat. Auch gehörte J o h n Bunyans »Pilgerreise« zur Lektüre der Familie. Falk »verschlang den wunderbaren Inhalt dieses Buches«, schreibt seine Tochter Rosalie, »mit einer Art Heißhunger, wie er selbst in späteren Jahren oft erzählte; wohl an die fünfmal hat er das B u c h als Knabe immer wieder vorlesen müssen.« 42 An Winterabenden saßen Mutter und Kinder gewöhnlich beisammen. Während die Mädchen spannen, mußten ihr die Jungen aus der Bibel vorlesen. Bei einer solchen Gelegenheit erzählte die Mutter immer wieder ein Kindheitserlebnis, 43 das ihre Frömmigkeit mitgeprägt zu haben scheint. Von ihren Eltern war sie mit ihren beiden jüngeren Schwestern in das etwa fünf Kilometer entfernte Oliva geschickt worden, um etwas zu besorgen. Wegen verschneiter Wege

der Brüdergemeine von Herzen zugethan.« Holzschuher: Luther-Büchlein (1836) 55. Vgl. Meusel: Kirchl. Handlexikon (1889) 502; Petrich: Volkslied (1920) 116; Schering: Leben und Wirken (1961) 11. — »Die Anfange der Danziger Gemeinschaft reichen in die Zinzendorfsche Zeit zurück.« (Handbuch f. d. Evangelischen (1919) 124 f.) O b sie gar auf Zinzendorfs Besuch in Danzig im Jahre 1744 zurückgehen, ist fraglich, da ihm der Stadtrat aus Sorge vor der Gründung von Konventikeln keinen längeren Aufenthalt gestattete. Vgl. Neumeyer: Kirchengesch., 1 (1971) 168. A m 13.4.1789 berichteten Michael Gottfried Martens und Johann Friedrich de le R o y als Vertreter der Danziger Brüdergemeine an die Direktion in Herrnhut, daß »sich hier in Danzig ein Häuflein an 50 Seelen gesamlet, die seit 10 Jahren die Gnade gehabt von den Geschwistern in Königsberg aus besucht zu werden, welches allemahl nur eine kurze Zeit und mit viel Beschwerde verknüpft war, da die Meisten unser Geschwister Arm sind will es nicht wohl gehen, daher wir mit unsern lieben Geschw. Stahliens, und unter einander von der Möglichkeit unterredt haben umb ein Paar Geschwister für uns zu bitten, ob gleich wir das verboth der Obrichkeit vor uns haben, wir im Nahmen unsres Heilandes es gewagt und an 5 Jahren ganz ruhig zusamen gekommen [...].« (Archiv der Unitas fratrum, Herrnhut, R . 19. B. d N o . 16. 1) Der Status der Illegalität der Danziger Brüdergemeine und deren entsprechend »ruhiges« Verhalten sind vielleicht mittelbar ein Grund dafür, daß die Quellen über Constantia Falks Zugehörigkeit zur Brüdergemeine nur wenig Auskunft geben. Jedoch könnte M . G . Martens, der Absender des o. g. Briefes, verwandt oder gar identisch sein mit dem zweiten Ehemann von Falks Tante Anna Martens, verwitwete Hasse, geborene Challion. ( G M D . Falk II.4.4, 3, Brief v. Friederike Rickert, Danzig, an Rosalie Falk v. 12.1.1866.) Laut Falks Auserl. Werke I (1819) 52, wohnte Anna Martens an der Heiligen-Geist-Straße und handelte »mit Tuchen und englischen Waaren«, sie war Mitglied der Brüdergemeine und eine »sehr gottesfürchtige Frau«. - Hinsichtlich der Zugehörigkeit eines Danziger Kirchengliedes zur Brüdergemeine darf man für die 70er Jahre des 18. Jahrhunderts vielleicht Ähnliches annehmen, was Pritzel, ebd., für den Beginn des 20. Jahrhunderts schreibt: »Daher werden auch durch die Gemeinschaftspflege der Brüdergemeinde die Mitglieder solcher Kreise ihren Kirchen nicht entfremdet, vielmehr zu treuen Mitgliedern derselben erzogen, so daß diese Arbeit an der Landeskirche fast überall als willkommene Hilfe in bauender Mitarbeit gewürdigt worden ist.« 41 42 43

R . Falk, a . a . O . , 6. G S A Weimar 15/IV.4, 140 ff., R . Falk: Biographie. Falk: Leben d. Johannes v. d. Ostsee (1805) 135 f.

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verliefen sie sich unterwegs, w u r d e n v o n der Dunkelheit überrascht und gerieten, als sie in der Ferne heulende W ö l f e hörten, in große Furcht. »Aber«, so gibt Falk die Worte der Mutter wieder, »der Herr sendete seinen Engel mit einem feurigen Schwert, der stellte sich vor die Kinder, und die W ö l f e k o n n ten ihnen nichts anhaben [ . . . ] . « Für den j u n g e n Falk war dieses Erlebnis der Mutter ein G e g e n b e w e i s zu der B e h a u p t u n g des Hutmachers J o h n aus der Danziger Breitgasse, es gebe keine Engel. Falk w o h n t e mit seinen Eltern und Geschwistern in D a n z i g an der Lastadie, 4 4 einer parallel zur Alten Mottlau verlaufenden Straße etwa 4 0 0 M e t e r südlich des Stadtkerns, unweit der Petri-Kirche. 4 5 D i e Lastadie hatte nur auf der westlichen Straßenseite Häuser. Gegenüber, zur Flußseite, befanden sich »Holzhöfe, Lagerplätze und Schiffswerften«. 4 6 In seinem Gedicht » L e b e n s u m riß des Johannes v o n der Ostsee« erinnert sich Falk im Jahre 1819 an seine Geburtsstadt: »So nah dem Fischerthore, Dem viel besuchten Hafen Der alten Stadt geboren, Von würdig frommen Eltern, Sah ich die Segel gleiten, Und Schiffe gehn und kommen, Wo schallend laut die Wogen In Krümmungen des Flusses, Am Speicher 47 sich ergießen; Da bin ich groß erzogen.« 48 Als 51jähriger sieht Falk seine Kindheit in verklärtem Licht. Geblieben ist ihm die Erinnerung an seine »würdig f r o m m e [n]« Eltern und an seine lebendige Heimatstadt an der See. Sehnsucht nach der Kindheit spiegelt sich auch in der folgenden P r o s a - B e schreibung v o n 1805: »[. ..] wie oft habe ich mir gewünscht, noch ein Kind zu seyn, wie damals, als die Hinterthür in meiner Eltern Hause offen stand, und ich hinaus sprang auf das Feld und auf die SchifFswerfte, die die Sonne bestrahlte, und mit andern Kindern Ball spielte! Glükliche Zeiten, als rings die weißen Segel der Ostsee in alle Weltgegenden einladend vor mir lagen und jede jugendliche Hoffnung mit einem flatternden Lüftchen einnahmen! Wie oft habe ich, über den blauen Fluß gebogen, der in stolzer Abendruhe dahin zog, stundenlang zugehorcht, wenn alles rings um, bis auf Falk, a. a. O . , 24; sprich »Lastädije«. Ein Foto bei Duberg: Der Junge aus der Altstadt (1995) 11, zeigt das Eingangstor zum Petrikirchhof, zwischen Poggenpfuhl und Lastadie gelegen. 4 6 G M D . Falk II.4.4, 4, B n e f v. Friedrike Rickert an Rosalie Falk, 12.1.1866. 4 7 J . Schopenhauer: Jugendleben (1958) 125, spricht von der Speicherinsel als der »großen Schatzkammer der Danziger Bürger«. 4 8 Falks Auserl. Werke, I (1819) 3 f. 44 45

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das Echo in den Speichern, still war, und nur hier und da eine pohlnische Rohrpfeife Töne von sich gab, oder über die Gewässer daher, die ihr mit sanftem Geplätscher antworteten, eine Litthauische Schallmey rief!«49 Von einem eindrücklichen Erlebnis aus seinen Kindheitstagen erzählt Falk in einem weiteren Spätwerk. 50 Während der Frühjahrsstürme des Jahres 1778 — Falk war damals 9 Jahre alt — nahm ihn sein Vater eines Morgens mit an den Strand der offenen Ostsee, um die Schiffe zu beobachten. Doch dort bot sich ihnen ein grauenhaftes Bild: Koffer, Tonnen, Schiffsteile und sogar Leichen trieben auf dem Wasser. Ein Bekannter, der des Weges kam, berichtete ihnen, daß in der Nacht vierzehn Schiffe samt Besatzung im Sturm untergegangen seien. Kaum hatten Falk und sein Vater diese Nachricht erhalten, kamen drei schiffbrüchige Seeleute in einem Rettungsboot ans Land gerudert. 51 Dieses schauerliche Bild ist in Falks Gedächtnis haftengeblieben. Dennoch weckte in den folgenden Jahren der freie Ostseestrand und der Anblick vorbeifahrender Schiffe das Fernweh in ihm und half ihm auch über eine gewisse Enge seines Elternhauses hinweg. Für Falks früheste Kindheit wird wesentlich gewesen sein, daß er trotz erzieherischer Strenge auch die Geborgenheit seines von reformierter Kirchlichkeit und vom Pietismus geprägten Elternhauses erlebte.

2. Kirche und Schulen in

Danzig

Gegenüber den lutherischen Bürgern Danzigs stellten die reformierten eine Minderheit dar. Die nur wenige Schritte von Falks Elternhaus entfernte, im Jahre 138552 erbaute Kirche St. Petri und Pauli war im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts zu einer Heimstätte des reformierten Bekenntnisses gewor49

Falk: Leben d. Johannes v. d. Ostsee (1805) 177 f. Falk: Das Vaterunser (1822) 5 7 - 6 1 . 51 Bis zu diesem M o m e n t dürfte Falks Erzählung auf tatsächlich Erlebtes zurückgehen. Sodann legt er den Geretteten j e d o c h ein v o n ihm selbst verfaßtes zweistrophiges »Altes SchifFslied von der Ostsee« in den M u n d : »1. Nach d e m Sturme, fahren wir / sicher durch die Wellen / lassen, großer Schöpfer dir / unser Lob erschallen / Lobt ihn, mit H e r z und M u n d / lobt ihn zu jeder Stund' / Christ, Kyrie, k o m m zu uns auf den See! 2. Einst in meiner letzten N o t h / laß mich nicht versinken / soll ich von d e m bittern T o d / Well' auf Welle trinken / R e i c h mir dan Lieb' entbrannt / Herr, deine Glaubenshand / Christ, Kyrie, k o m m zu uns auf den See!« Falk, a. a. O., 58 f. Es handelt sich u m die dritte u n d vierte Strophe des Liedes »Wie mit grimmgem Unverstand Wellen sich bewegen«, das sich in etwas geänderter Textfassung im E G f. d. Nordelbische Kirche (1994) unter der N r . 609 findet. Vgl. auch das Gesangbuch für die evangelisch-protestantische Kirche in Baden. Lied N r . 504. Lahr 3 5 1948, 464. Z w e i plattdeutsche Versionen finden sich im Gesangbuch »Dor k u m m t een Schipp« ( 2 1992) N r . 185 u n d 244. 50

52 So N e u m e y e r : Danzig (1981) 354. Harnoch: C h r o n i k u. Statistik (1890) 557, nennt das Jahr 1393, Drost/Swoboda: Kunstdenkmäler (1972) 77, das Jahr 1397. Leube, a. a. O., 2 ff., macht widersprüchliche Angaben: die Kirche sei beim Brand 1424 noch neu gewesen, ein G r ü n dungsprivileg datiere j e d o c h bereits aus d e m Jahre 1186.

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den. Von etwa 1575 bis 1605 wurde Danzig von einem Stadtrat regiert, der den Reformierten äußerst freundlich gesonnen war. 53 In jener Zeit kam es zur Berufung von Jacob Fabricius, dem »geistigen Haupt der sogen. Kryptokalvinisten«,54 als Rektor und - einige Jahre später — von dessen Schüler Bartholomäus Keckermann zum Philosophieprofessor ans Danziger Gymnasium. 55 Nach starkem Protest der lutherischen Bevölkerung gegen den reformierten Einfluß erhielt der R a t jedoch allmählich wieder eine deutlich lutherische Besetzung. 36 Gegen den heftigen Widerstand der Lutheraner garantierten mehrere Erlasse der polnischen Könige Wladislaw IV. (1632 und 1634) sowie Johann II. Kasimir (1651 und 1652) den Reformierten schließlich Gleichberechtigung. 57 Die Petri- und die Elisabeth-Kirche waren seitdem als ausschließlich reformierte Gotteshäuser anerkannt. 58 Seit Ende des 16.Jahrhunderts unterhielten die Danziger Reformierten enge Beziehungen zur großpolnischen Brüderkirche (Unität). 59 Zwischen 1626 und 1707 entsandte die Unität Hilfsprediger an die Petri-Kirche, unter ihnen Petrus Figulus (Jablonski), den Schwiegersohn des Arnos Comenius und Vater des späteren Berliner Hofpredigers Daniel Ernst Jablonski. 60 Vor der 1652 erfolgten rechtlichen Anerkennung hatten die Danziger Reformierten sogar einen Anschluß an die polnische Brüderunität erwogen. Aus verschiedenenen Gründen kam es dazu jedoch nicht. 61 Während die Protestanten in ganz Polen härtester Unterdrückung durch die katholische Kirche und besonders durch die Jesuiten ausgesetzt waren — zu einem traurigen Höhepunkt kam es 1724 im Thorner Blutgericht — genossen sie in Danzig während des 17. und 18. Jahrhunderts alle Freiheiten, ja sie bestimmten das öffentliche Leben der Stadt. Eine herausragende Rolle spielte dabei das seit 1568 bestehende »Geistliche Ministerium«, ein unmittelbar dem Stadtrat unterstelltes, von allen lutherischen Pastoren, Diakonen und Predigern gebildetes Gremium. 62 Die lutherische Orthodoxie wurde Ende des 17. Jahrhunderts durch einen gemäßigten Pietismus, später durch eine ratio-

5 3 Die Zulassung der Reformierten durch den R a t wurde durch die im Jahre 1577 angeworbenen 7 0 0 reformierten schottischen Söldner mitbegünstigt. Ein Teil davon wurde in Danzig seßhaft und hielt sich später zur Petri-Gemeinde. Dagegen hielten die zwischen 1567 und 1570 aus den Niederlanden vertriebenen Reformierten lange Zeit eigene Versammlungen; erst für das Ende des 17. Jahrhunderts ist Gottesdienstgemeinschaft mit der Petri-Gemeinde nachgewiesen, eine Verschmelzung mit dieser erfolgte vermutlich im 19. Jahrhundert. Vgl. Pritzel: Geschichte (1940) 8 f. 14. 57 ff. 54 55 56 57 58

Faber: Fabricius (1941) 173. Schnaase: Geschichte (1863) 5 4 9 ff. Schnaase, a. a. O . , 5 6 6 . Pritzel: Geschichte (1940) 3 0 ff. Schnaase, a . a . O . , 5 8 8 .

59

Vgl. Bickerich: Des Comenius Aufträge (1913) 128.

60

Faber: Poln. Sprache (1930) 103. Bickerich, a . a . O . , 1 3 0 f . Lengnich: Das geistliche Ministerium (1779) 5 ff; Schnaase, a. a. O . , 31.

61 62

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nalistisch geprägte Theologie zurückgedrängt. Seit der Mitte des ^ . J a h r h u n derts kam es in der Stadt zu einem spürbaren Rückgang des kirchlichen Einflusses, die Geistlichen klagten sogar über leere Gotteshäuser. 63 In der PetriKirche beschlossen die Ältesten im Jahre 1782/83 - Falk war damals 14 Jahre alt — die Beschränkung der bis dahin noch jeden Mittwochmorgen abgehaltenen »Catechisationen« — eine für die Heranwachsenden gedachte Unterweisung— auf die Sommermonate. Schließlich verfügten sie wegen zurückgehender Besucherzahlen sogar deren Aufhebung. 6 4 Da auch die Freitagspredigten abgesetzt wurden, gab es an Wochenveranstaltungen nur noch die Dienstagspredigten sowie eine im Jahre 1772, dem Jahr der Ersten Polnischen Teilung, wegen »öffentlicher Unruhen und Besorgnüße« vom Rat der Stadt verordnete allgemeine Betstunde am Mittwochnachmittag. 6 5 Mit einer in jener Zeit allgemein zu beobachtenden Verarmung der Bevölkerung und damit auch der Kirchen 66 mag zusammenhängen, daß die reformierten Kirchen Danzigs seit 1780 statt bis dahin zwei nur noch einen »Extra-Ordinarius«, d. h. Hilfsprediger, anstellten. 67 Dennoch trug die Petri-Gemeinde mit ihren sogenannten »Armen-Anstalten« weiterhin in besonderer Weise Sorge für ihre Witwen und Waisen. 68 Der holländische Konsul Soermans, ein Bruder oder Onkel von Falks Paten Martin Soermans, 69 ließ 1773 auf der Lastadie, in der Straße, in welcher Familie Falk wohnte, ein Haus für verarmte Gemeindeglieder bauen.7" Die Tätigkeit der Pastoren war nicht immer auf innerkirchliche Bereiche beschränkt. Aus einer Notiz des Kirchenbuches von St. Elisabeth geht hervor, daß der im Jahre 1779 verstorbene Pastor der Petri-Gemeinde Johann Daniel Jedin sich anderweitig einen Namen machte:

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Neumeyer: Kirchengesch., 1 (1979) 169 ff. Leube: Nachrichten, 2 (1810) 42, sieht in dieser Entscheidung einen schweren Fehler für die weitere Entwicklung der Schule. Für ihn »ist eine der Mitursachen, daß die Petri-Schule nicht das seyn kann, noch werden wird, was sie seyn könnte - daß die Kinderlehre in der Kirche gänzlich abgeschaffet worden: diese erhielten noch die Kinder der reformirten Gemeinde an die Schule und die Eltern an die Kirche.« 65 Duisburg: Gedenkbuch (1796 ff.) 2. 3. 5. Jene Betstunde wurde bis 1785 durchgeführt. Leube: Nachrichten, 1 (1806) 473, meint, diese Gebetsstunden hätten »nichts gefruchtet«. 66 Wohl vor allem bedingt durch die von Preußen im Danziger Hafen erhobenen Handelszölle. Vgl. Löschin, a.a. O., 274. 67 Schnaase: Schule (1859) 66, berichtet, daß die Extra-Ordinarii im Gegensatz zu den Ordinarii kein festes Gehalt hatten, sondern von Sonderkollekten abhängig waren. Duisburg, a. a. O., 4, spricht jedoch von einem »ordentl. Salair des ExtraOrdinarii«. 68 Leube, a . a . O . , 163f. 69 Vgl. Zdrenka: Patriziat der Altstadt u. Jungstadt Danzig (1991) 451 f.; Rühle: Personenmedaillen (1930) 171. 70 Löschin, a. a. O., 276. Vgl. Rühle, ebd. - Wenn das »Stift«, von dem Falks Nichte Friedrike Rickert in ihrem Brief v. 12.1.1866 an Falks Tochter Rosalie Falk (GMD. Falk II.4.4, 4) spricht, dieses Haus meint, so kann ihre Angabe nicht zutreffen, daß im Stift alle Kinder ihrer Großeltern geboren seien. 64

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»Von ihm verdient angemerkt zu werden, daß die große Allee vom Oliverthor nach Langfuhr, nach seinem Plan u[nd] unter seiner Aufsicht unter MitDirection des damaligen Herrn BürgerMeisters Daniel Gralath, ist angefangen u[nd] auch glücklich zu Stande gebracht worden.«71 Mit dem kirchlichen Leben eng verbunden waren die Schulen. Sie standen sämtlich unter der Aufsicht eines städtischen Gremiums, des »Collegium Scholarchale«. Dies w i e d e r u m w u r d e v o m »Protoscholarchen« geleitet. Z u r PetriKirche gehörte eine Lehranstalt, die bereits im Jahre 1551 als »hohe Schule« und im Jahre 1580 als »reformirte hohe Schule« bezeichnet wurde. 7 2 D e r aus dem Jahre 1640 stammende N e u b a u befand sich wie das ursprüngliche G e bäude in der Pumpengasse, j e n e r Straße, über die man von Falks Elternhaus zur Petri-Kirche gelangte. Im Laufe ihrer Geschichte w u r d e die Schule u n terschiedlich stark besucht. 1753 waren es 83, in den Jahren 1784—1786, als Falk die Schule besuchte, nur zehn bzw. sechs Schüler. 73 Johann Gottlob Leube, ein späterer Lehrer, berichtet, daß die Schule oft mehrheitlich lutherische Kinder hatte, auch kamen viele aus dem Ausland. 74 Für j e d e der fünf Klassen war ein eigener Lehrer zuständig, nur der »College« m u ß t e sowohl in Quarta als auch in Quinta unterrichten. Ein »Praeceptor pauperum« gab m i t tellosen Kindern unentgeltlichen Unterricht. R e k t o r und Konrektor hielten ihre öffentlichen Lectiones von 8—10 u n d von 14—16 Uhr, gaben zusätzlich aber noch Privatstunden. Die Einschulung der Kinder erfolgte nicht generell in die unterste Klasse, sondern w u r d e nach Begabung, Wissensstand oder Willkür unterschiedlich gehandhabt. 7 5 Da die Schülerzahl das Gehalt der Lehrer mitbestimmte, hatten diese an Versetzungen oft wenig Interesse. In der Regel m u ß t e der Schüler zwei Jahre in einer Klasse verbleiben. In der Mitte des 18. Jahrhunderts w u r d e in Danzig ein allgemeiner N i e d e r gang der schulischen Disziplin beklagt. U m dem zu begegnen, beschloß der R a t im Jahre 1766 auf Vorschlag des Collegium Scholarchale eine weitgehende »Verordnung«, die j e d o c h nur zum Teil wirklich befolgt wurde. 7 6 Die R e k t o r e n sollten die neu aufzunehmenden Schüler »ohne Eigennutz und einige andere Neben-Absicht« in j e n e Klasse einstufen, die ihrem E n t w i c k lungsstand entsprach, andernfalls drohte den R e k t o r e n der Verlust ihres Amtes. Ferner hatten sie täglich alle Klassen zu besuchen u n d dafür zu sorgen, daß j e d e n M o r g e n das Schulgebet stattfand, »wenn auch nur 2 oder 1 Schüler anwesend wäre«. D e m R e k t o r w u r d e zur Pflicht gemacht, Versetzungen nicht

71 Duisburg, a . a . O . , 3. In einer Randbemerkung heißt es: »In den Jahren 1763-1772«. Löschin, a. a. O., 279, bestätigt den Sachverhalt, spricht jedoch von den Jahren 1768-1770. 72 Vgl. dazu und zum folgenden Leube: Nachrichten, 2 (1810) 1 ff. 67 ff. 73 Leube, a. a. O., 21 f. 74 Aus Bremen, Hamburg, Lübeck, Holland, Schlesien, Rostock, England, Litauen, Polen und Preußen. Leube, a . a . O . , 15. 75 Leube, a. a. O., 58. 76 Leube, a . a . O . , 58ff. 62ff.

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wie bisher nach eigenem Gutdünken vorzunehmen, sondern sich zunächst mit dem Kollegium zu beraten und dann dem Protoscholarchen eine Liste der zu Versetzenden vorzulegen. 77 Als Lernanreiz hatte jeder Lehrer etwa zweimal wöchentlich eine Prüfung abzuhalten und gute Leistungen durch eine höhere Platzanweisung zu honorieren. 78 Im regelmäßigen Gottesdienstbesuch sollten sie den Schülern mit gutem Beispiel vorangehen und darauf achten, daß diese dabei »bescheiden und aufmerksam seyn, die H.jerren] Prediger auf der Kanzel durch Gespräch und andre Unanständigkeiten nicht Stohren noch der Gemeine ein Ärgerniß geben.«79 Im Jahre 1788 verfügte der Danziger Rat an den Schulen die Einführung der rationalistisch geprägten »Unterweisung zur Glückseeligkeit nach der Lehrejesu« von Johann Samuel Diterich. 80 Auf Grund eines kritischen Gutachtens des Geistlichen Ministeriums, jenes seit dem 16.Jahrhundert bestehenden Gremiums der Danziger Pastoren, wurde die Verfügung jedoch wieder zurückgenommen. 8 1 Im Danziger Gymnasium bildete sich schon Anfang des 17. Jahrhunderts eine deutliche Zweiteilung heraus, die auch in der Schulzeit Falks fortbestand. Die drei unteren Klassen Quinta, Quarta und Tertia galten als »Vorbereitungsschule«.82 Die dort tätigen Lehrer brauchten nur Elementarkenntnisse zu vermitteln. Demgegenüber mußten die Lehrer der beiden oberen Klassen Sekunda und Prima einen akademischen Grad erworben haben. Die Oberstufe wurde als fast universitäre Einrichtung verstanden und führte »seit etwa 1640 den Ehrennamen Gymnasium Academicum oder illustre«.83 Seit Beginn seines Bestehens im Jahre 1558 war das Danziger Gymnasium eine von der R e f o r mation geprägte Anstalt, in den Jahren 1580—1613 unter der Leitung des vom Rat der Stadt unterstützten Rektors Jacob Fabricius84 mit deutlich calvinistischem Einfluß. Bartholomäus Keckermann (1571-1609), »der bedeutendste wissenschaftliche Kopf in der damaligen reformierten Schulphilosophie« 85 kam

77 Imjahre 1790 sah sich der Protoscholarch von Conradi veranlaßt, diese Regelung gegenüber dem Rektor des Gymnasiums anzumahnen. SA Danzig, 300, 42/263, 94. 78 Leube, a. a. O., 64, hebt hervor, »daß diese Anweisung in der Petri-Schule nicht verabsäumt worden.« 79 Leube, a . a . O . , 61. 80 Vgl. auch unten S. 78. - Diterich (1721-1797) hatte seit 1739 bei Alexander G. Baumgarten in Frankfurt/Oder und bei dessen Bruder Sigmund Jakob Baumgarten in Halle — beide Schüler Christian Wolfis - Philosophie und Theologie studiert, war seit 1751 Zweitprediger an der Berliner Marienkirche und später Oberkonsistorialrat. Vgl. Wagenmann: Diterich (1877) 258 f.; E. Wolf: Baumgarten, S.J. (1957) 934. 81 Löschin, a. a. O., 286. Vgl. Neumeyer, a. a. O., 171. 82 Th. Hirsch: Gymnasium seit 1814 (1837) 7. 83 Th. Hirsch, ebd. 84 Auch unter dem Namen Schmidt genannt, so z. B. Löschin: Geschichte Danzigs, 1 (1822) 245. 85 Zscharnack/Weber: Keckermann (1959) 1234.

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1602 ans Danziger Gymnasium. Sein Name ist bis heute mit der Methodologie und Enzyklopädie der Philosophie und Theologie verbunden. Nach dem Tode des reformierten Fabricius gelangten auf Drängen der lutherischen Bevölkerungsmehrheit mit Johann Botsack (geb. 1631), Abraham Calov (1643—1650) und Johann Maukisch (1651-1669) strenge Lutheraner in das Amt des Rektors. 8 6 Unter Botsack und Calov »erreichte das academische Gymnasium seine höchste Blüte.« 87 Die Rektoren Aegidius Strauch (1670— 1682) und Samuel Schelwig (1685—1715) bemühten sich, als orthodoxe Lutheraner gegen die Anhängerschaft des neu aufgekommenen, ihrer Meinung nach ketzerischen Pietismus Philipp Jakob Speners vorzugehen; 88 die Danziger Bevölkerung zeigte an diesem Streit jedoch keinerlei Interesse.89 Seit Anfang des 18.Jahrhunderts und unter den Rektoren Albert Meno Ver-Poortenn (1732-1752), Ernst-August Bertling (1753-1769) und Wilhelm Paul VerPoortenn (1770-1794) erlebte das Danziger Gymnasium mannigfache Krisen, nicht zuletzt veranlaßt durch die vom Rat der Stadt immer wieder geforderte, vom Lehrkörper oft nur widerwillig hingenommene Beibehaltung der Mittelstellung der Anstalt zwischen Oberschule und Universität. 90 Das erwähnte Dekret von 1766 sollte den traditionellen Status des Gymnasiums festschreiben und der zunehmenden Disziplinlosigkeit unter den Schülern dadurch begegnen, daß die Schule unter strengere Aufsicht gestellt wurde. 91 Für die Umsetzung dieser Verordnung hatten Eduard Friedrich von Conradi als Protoscholarch und der Theologe Wilhelm Paul Ver-Poortenn 92 als Rektor Sorge zu tragen. Beide sollten für den Weg Johannes Daniel Falks besondere Bedeutung erlangen.

86

Löschin, a. a. O . , 3 6 6 ; Hirsch, a. a. O . , 7 f.

87

Hirsch, a. a. O . , 7.

Vgl. Löschin, a. a. O . , 48. D e n R e k t o r des Gymnasiums J o h a n n Georg Abicht ( 1 7 1 7 - 1 7 3 0 ) zählt Hirsch, a . a . O . , 10, zu den Gegnern, Neumeyer, a . a . O . , 167, zu den Freunden des Pietismus. 88

89 90 91

Hirsch, a . a . O . , 9 f . Hirsch, a . a . O . , 10. Hirsch: Academisches Gymnasium (1837) 5 5 f.; vgl. Simson: Geschichte, 1 (1904) 8 8 - 9 0 .

Er war der Sohn des früheren R e k t o r s Albert M e n o Ver-Poortenn, neben seiner Leitungsund Lehrtätigkeit am Gymnasium zugleich Pastor an der Trinitatiskirche. Goldbeck: Literar. Nachrichten (1781) 133, nennt als Geburtsort Neustadt an der Heyde (Fürstentum Coburg); es dürfte j e d o c h eher das ca. 4 0 km nordwesdich von Danzig gelegene Neustadt in Pommerellen in Frage k o m m e n . Ver-Poortenn hatte als Absolvent des Danziger Gymnasiums in J e n a und Leipzig studiert. 1751 wurde er Prediger zu Stüblau im Danziger Werder, 1752 Diaconus an der Danziger Katharinenkirche. Nach seiner Ernennung zum R e k t o r wurde er im Jahre 1 7 7 0 mit einer Arbeit »De habitu legis ad poenitentiam et fidem« in Königsberg zum D o k t o r der Theologie promoviert. Goldbeck nennt u. a. folgende Veröffentlichungen Ver-Poortenns: »De Concilio oecumenico secundo, Constantinopolitano primo« (Leipzig 1745), »De resurrectione impiorum merito Christi non impetrata« (Danzig 1774), »De vindiciis doctrinae de suppliciis damnatorum« (Danzig 1774) und »De Oraculo Pauli 1 T i m . 4, 1 - 3 « (Danzig 1777. 1779). Ferner war er Herausgeber der »Danziger Berichte von theologischen Schriften«. Goldbeck, a. a. O . , 1 3 3 - 1 3 5 . 92

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3. Erste und zweite Schulzeit Lehrer, Bekannte und Freunde

Falks. (1775-1791)

Im Danziger Staatsarchiv befinden sich zwei Folianten, in denen die Namen von Lehrern und Schülern sowie das Gymnasium betreffende Ereignisse festgehalten sind. Der im Jahre 1670 angelegte »Gymnasii Liber« dokumentiert, daß Falk am 5. Mai 1775 in die Quinta eingeschult wurde. 9 3 Das im Jahre 1770 begonnene »Gymnasii Buch« belegt ebenfalls für das Jahr 1775, daß »Joh. Dan. Falck« unter dem Rektorat Wilhelm Paul Ver-Poortenns in die Quinta aufgenommen wurde. Die Klasse hatte 57 Schüler. Auch für die Jahre 1776 und 1777 ist Falks Name unter den »discipuli quintae classis« eingetragen. Falk besuchte also zunächst drei Jahre lang die unterste Klasse des Gymnasiums. 94 Unterrichtsstoff der Quinta des Gymnasiums waren »Katechismus, lateinisches und deutsches Lesen und Schreiben, Bibel, Sprüche, lateinische Vokabeln, lateinische Konjugation und Deklination.« 95 Die Verordnung des Rates der Stadt von 1766 sah für alle Schulen außer der Petri-Schule den Gebrauch des Kleinen Katechismus Luthers sowie einen Auszug aus dem Danziger Katechismus vor. 96 Falks Eltern nahmen nun aber ihren kaum zehnjährigen Sohn im Jahre 1778 aus der Schule, weil er seinem Vater in der Werkstatt helfen sollte.97 Seine Arbeit beschrieb Falk später mit den Worten: »Da sollt' ich in der Werkstatt Von Früh bis Abend stehend Mir selbst mein Brodt gewinnen, Die Fäden emsig schlagend, Gar künstlich sie verflechtend Z u m mühsamsten Gewerke!« 98

Zu seinen Aufgaben gehörte es ferner, morgens »die schön gekräuselten und gepuderten Perücken den Danziger Ratsherren in die W o h n u n g zu brin-

93

SA Danzig, 300, 4 2 / 9 3 , 356. Gegen Leistikow, a . a . O . , 193, der von einem vierjährigen Schulbesuch spricht. - Falks Aussage in »Leben d. Johannes v. d. Ostsee« (1805) 116, sein Vater habe ihn als kaum Z e h n j ä h rigen aus der Petri-Schule g e n o m m e n , ist nach der Aktenlage irreführend. D e r dort genannte Lehrer Pi(e)ler starb 1777. Vgl. Leube, a. a. O . , 70. 95 Simson, a. a. O . , 89. Simson gibt diese Aufstellung für die Quarta der Petrischule mit d e m Hinweis darauf, daß der Lehrstoff dieser Klasse demjenigen der gymnasialen Quinta entsprochen habe. Von einer genauen Entsprechung wird man j e d o c h wegen der unterschiedlichen Schulleitungen u n d Lehrkörper kaum ausgehen k ö n n e n . 94

96 Simson, ebd. N a c h Lengnich: Das geistl. Ministerium (1779) 19, nannte m a n die Erklärung von Luthers Katechismus den »großen« und einen w o h l ebenfalls gedruckten Auszug aus derselben den »kleinen Danziger Katechismus«. 97 Dies war im 18. Jahrhundert kein völlig ungewöhnlicher Vorgang. Vgl. Schulz: Das D a n ziger Akad. Gymn. (1941) 27. 98 Falks Auserl. Werke, I (1819) 4.

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gen«. 99 Falk jedoch verspürte ein starkes Verlangen nach Bildung, so daß er in den folgenden Jahren immer wieder gegen die Entscheidung seiner Eltern aufbegehrte. Davon berichtet er anschaulich in seinem im Jahre 1805 veröffentlichten Buch »Leben, wunderbare Reisen und Irrfahrten des Johannes von der Ostsee«. In Form eines Briefwechsels zwischen ihm, seinem Vetter,100 seiner geliebten Jeanette und deren Cousine gestaltete Falk eine romantische Liebesgeschichte, die weitgehend auf tatsächlich Erlebtes zurückgehen dürfte. Für die Frage nach der Jugend- und Bildungsgeschichte Falks ist die in diesem R o m a n als Einschub erzählte »Jugendgeschichte des Johannes von der Ostsee, in Briefen an seinen Vetter in Preussen, zwischen seinem dreyzehnten und siebzehnten Jahr geschrieben« von besonderem Interesse.101 In den sechs Jahren seiner Mitarbeit in der väterlichen Werkstatt fühlte Falk sich wie ein Vogel im Käfig, dem die Flügel gestutzt waren. Mehrere Ausbruchsversuche mißlangen ihm. Diese Erfahrung bildet den Hintergrund für ein Gedicht, das die Ausgabe von 1819 (in geänderter Fassung) zwar schon dem Fünfzehnjährigen zuschreibt, das aber wie die zahlreichen anderen »Seestücke« 102 vermutlich später entstanden ist. Abgesehen von der Datierung darf man aber annehmen, daß dieses Gedicht Falks Stimmung jener Jugendjahre wiedergibt: »Der Knabe an der Ostsee. Vögelein, Jahr aus Jahr ein Seh' ich an der Ostsee kommen, Keiner hat mich mitgenommen In ein fremdes Land hinein, Vögelein. Leistikow, a. a. O . , 195. Falks N i c h t e Friedrike R i c k e r t hielt es für »sehr wahrscheinlich«, daß es sich bei diesem Vetter u m Paul Martens handelt, der zunächst in preußischen Diensten u n d später in Berlin bei d e m Augenarzt Gräffe in Gunst gestanden habe; er sei 1865 gestorben. G M D . Falk II.4.4, 5, Friederike R i c k e r t an R o s a l i e Falk, 1 2 . 1 . 1 8 6 6 ; vgl. auch G S A W e i m a r 1 5 / V . 2 , S t a m m b a u m der Fam. Falk, 1839. 99

100

1 0 1 Falk: L e b e n d. J o h a n n e s v. d. Ostsee (1805) 116 ff. E i n W i e d e r a b d r u c k erfolgte in etwas veränderter Fassung in Falks Auserl. W e r k e 1 (1819) 11 ff. D i e dort v o r g e n o m m e n e n D a t i e r u n gen und Ortsangaben scheinen j e d o c h teilweise f r a g w ü r d i g zu sein. S o erhält z. B . der zehnte B r i e f das D a t u m v o m 1.8.1785, o b w o h l es darin heißt: »Johannis ist nicht weit u n d das große E x a m e n zu St. Peter vor der T h ü r . « (S. 40) U n d S. 53: »Vierzehnter Brief. (Aus späterer Zeit). Halle, Steinstraße, 1788. l . M a i . « Falk k a m erst 1791 nach Halle (s.u. S. 110). A u c h A. v. K o t z e b u e bezweifelt die historische Zuverlässigkeit der A n g a b e n , w e n n er schreibt: » . . . haben uns die Briefe des J o h a n n e s v o n der Ostsee an seinen Vetter a m besten gefallen, obgleich wir nicht glauben, daß sie in den a n g e g e b e n e n J a h r e n geschrieben wurden.« (Literar. W o c h e n b l . , 3, N r . 2 2 (1819) 170). R . Falk: Erinnerungsblätter (1868) u n d andere ü b e r n a h m e n j e d o c h die D a t i e r u n g v o n Falks Auserl. Werke 1 (1819). 102

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Falks Auserl. W e r k e , 59 ff.

Vögelein, J a h r aus J a h r ein T h u t das H e r z mir voll Verlangen N a c h der blauen Luft verlangen. H i e r a u f diesem harten Stein, Vögelein. Vögelein, J a h r aus J a h r ein, M ö g t ' ich voll v o n S e h n s u c h t fliegen, M e i n e Lust und m e i n V e r g n ü g e n , In ein fremdes L a n d hinein, Vögelein.«103

In einem seiner Briefe an den Vetter klagt der zwölfjährige Knabe: »Wer m i c h sieht, freut sich daran, daß ich so groß bin - aber daß ich m i c h freute, w e n n ich das sagte; so m ü ß t ich l ü g e n — d e n n ich d e n k so, ist M a n c h e r groß u n d ein Esel dazu, u n d was hilft mir, daß ich groß bin, da ich nicht studieren kann — W e n n ich nun auch Einer w ü r d e , n e m l i c h ein Student, ach G o t t , Herr Vetter, das wäre m e i n e Lust, aber m e i n Vater, der hat da kein O h r dazu. M e i n e M u t t e r w o h l , aber die kann auch nicht, w i e sie will. N u n was hilft's. D a heißt's recht: S c h i k dich in die Zeit; bet' und arbeit', u n d das U e b r i g e G o t t befohlen. S o sagt der H e r r Pater L a m b e r t zu S c h w a r z - M ü n c h e n . « 1 0 4

Falk zeichnet von seiner Mutter ein freundliches Bild. Sie war stolz auf ihren begabten Sohn und hielt eine Weiterbildung schon relativ früh für möglich und sinnvoll, während der Vater in ihm nur eine bequeme Arbeitskraft in der Werkstatt sah. Ganz so streng und engstirnig, wie es aus manchen Worten Falks klingt, war sein Vater jedoch nicht. Immerhin ließ er ihm Violinunterricht erteilen und erlaubte sogar als streng Reformierter, daß Falk mit seinem Musiklehrer, Herrn Domike, wohl sonntäglich bei der großen Messe der katholischen Kirche zu Schwarz-München, der Dominikaner-Kirche, die zweite Violine spielte.1"5 Auf diese Weise wurde er mit der katholischen Frömmigkeit bekannt, ohne daß er darin für sich selbst eine Alternative zum reformierten Glauben gesehen hätte. Pater Lambert, den Gotthilf Löschin in seiner »Ge-

1 0 3 Falks Auserl. Werke, 29 f., bringt das Gedicht in einer (von Falk?) überarbeiteten Fassung: »Der Knabe an der Ostsee. / Am Strande der Insel Heia. / An die Zugvögel der Ostsee. / / Vögelein, / Jahr aus Jahr ein / Seh ich an der Ostsee kommen; / Keines hat mich mitgenommen / In ein fremdes Land hinein, / Vögelein, Vögelein! / / Vögelein, / Jahr aus Jahr ein / Sitz ich hier, ich armer Knabe; / Auf der Welt ich Niemand habe, / Sitz auf diesem harten Stein, / Vögelein, Vögelein! / / Vögelein, / Jahr aus Jahr ein / Sollt ihr kommen, sollt ihr fliegen, / Und ich werde schlafend liegen / Unter diesem harten Stein; / Vögelein, Vögelein!« 104 105

Falk: Leben d. Johannes v. d. Ostsee (1805) 116 f. Falk, a . a . O . , 117.

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schichte Danzigs« als »trefflichen Orgelspieler« bezeichnet, 1 0 6 hatte offensichtlich eines Tages Falks wache Intelligenz erkannt, sich von seinen häuslichen Schwierigkeiten berichten lassen und ihn daraufhin gefragt, ob er nicht Lust habe »zu firmeln u n d katholisch zu werden.« 107 Möglicherweise stand dabei der Gedanke im Hintergrund, Falk auf diese Weise bildungsmäßig zu fördern. Falks R e a k t i o n j e d o c h zeigt seine Verwurzelung in der familiären Frömmigkeit: »Ich aber erschrak heftig in m e i n e m Herzen, u n d sagte, wie man mich gelehrt hatte: R e v e r e n d e Pater, nein! Ich bin auf Christum und Calvinum getauft — und so gedenke ich auch in diesem Glauben zu sterben.« 108 In seinem dritten Brief an den »Vetter« erzählt Falk, daß er im W i n t e r »oft stundenlang vor dem Bohonschen Hause«, in welchem Konzerte gegeben w u r d e n , stehengeblieben sei u n d zugehört habe. 109 Ein j u n g e r Geselle aus der väterlichen Werkstatt bot Falk eines Tages an, ihn an einen O r t mitzunehmen, »wo nicht allein Musik, sondern auch eine Auflage von Wein, Kaffee und hübschen Jungfern wäre, und Ihr Dinge zu sehen kriegtet, wie Ihr sie all Euer Lebtage noch nicht gesehen habt.« Da sei ihm vor Freuden das Herz aufgegangen. 110 Schließlich kam es zwei Tage vor Weihnachten zu einem gemeinsamen Besuch des Christmarktes. N a c h allerhand Belustigungen wollte der Geselle den j u n g e n Falk dazu überreden, den Abend in einem zweifelhaften Hause zuzubringen. ».. . in der Consternation bin ich ihm gefolgt. Zum Glück aber sind wir bey der Nonnenkirche 111 vorbey gegangen, und die Thür von der Kirche ist offen gestanden, und mitten drin hieng eine Lampe, die leuchtete hell und klar, und eine Stimme hat dazu oben vom Chor ganz fein und lieblich gesungen. Da ist mir allerley eingefallen, meine Eltern, und was ich sonst von jenem Hause gehört hatte, das nichts Gut's war, und der Spruch aus der Bibel, wenn dich die bösen Buben locken,112 und habe alles in meinem Herzen erwogen und dabey gedacht, geh doch lieber in die Kirche, es ist besser. Und da ich diesen Schluß einmal fest in meine Seele gefaßt, so hat mir Gott auch die Gnade gegeben ihn auszufuhren, denn ich habe mich alsbald darauf zu meiner Gesellschaft gewandt, und ihr Adieu gesagt. Und wie ich fortgieng, hörte ich wohl, daß sie mich hinterdrein auslachten, aber ich kehrte mich nicht daran. Und wie ich erst drin in der Kapelle war, wurde mir auf einmal das Herz wieder leicht, und weinte viel und laut [.. .].«113 Diese Aussagen zeigen, daß in Falk trotz seiner damals schon intensiven Lektüre schöngeistiger Literatur 114 die pietistische Erziehung ihre Wurzeln ge106 107 108 109 110 111 112 113 114

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Löschin, a. a. O . , 300. Falk, ebd. Falk, ebd. Falk, a. a. O . , 122. Falk, ebd. Die N o n n e n k i r c h e heißt heute St.Brigitten-Kirche. Prov 1,10. Falk, a . a . O . , 126f. Laut Falks Auserl. Werke, I (1819) 5, gehörten bereits zur Lektüre des Knaben W e r k e von

schlagen hatte. Sehr deutlich m u ß aber auch gesehen w e r d e n , daß i h m die Frömmigkeit u n d der Erziehungsstil der Eltern in j e n e n J a h r e n zeitweise so unerträglich erschienen, daß er davonlaufen wollte. 1 1 5 Z w a r durfte er einmal nach e i n e m B e i n b r u c h w ä h r e n d einer m e h r m o n a t i g e n Krankheitszeit o h n e Einschränkung lesen, 116 das aber war die Ausnahme. Normalerweise galt: »Sobald ich nur ein weltlich Buch in die Hand nehme, heißt's gleich, ob mich der Satan schon wieder mit einem Historienbuch in der Werkstatt hat, und damit ist's nicht genug, sondern steht auch gleich mein Vater oder Mutter hinter mir, und nimmt es mir weg. Ach liebster Herr Vetter, das sind schwere Zeiten, die ich verlebe, und ist auch keine Hoffnung, daß mein[e] Fortune je besser werden wird. Abends um Zwielicht und wenn die Andern in der Werkstatt Vesper halten, schleich ich mich fort und geh und hohl' mir ein Buch aus Herrn Brückners Lesebibliothek. Aber wo lesen, das ist die Kunst. Da trete ich denn auf die Beyschläge,117 wenn die Laternen brennen und lese, bis mir das Gesicht braunroth wird, und die Hände vor Kälte verklommen sind. Wenn ich darauf nach Haus komme, hab ich auch keinen gnädigen Herr Gott, da zankt mein Vater und meine Mutter auf mich ein, da sezt es saure Gesichter und oft wohl gar - Na was hilft's, einmal ist man in der Welt und muß aushalten. Sehen Sie liebster Herr Vetter, daraus mach ich mir auch im Grund nichts, weil ich's von Jugend auf gewohnt bin, aber was mich mehr kränkt, als die Schläge, ist, daß ich in keinem Stück weiter komme.« 118 D e n n o c h erzählt Falk auch v o n A n e r k e n n u n g seiner ersten dichterischen Versuche. Ein B u c h d r u c k e r Wedel, mit d e m er vormals zur Schule gegangen sei, habe seine Verse gelobt u n d geäußert, er k ö n n e n o c h ein b e r ü h m t e r Dichter w e r d e n . " 9 Solche R e a k t i o n e n w a r e n für Falk Lichtblicke im sonst grauen Arbeitsalltag. E r m u t i g u n g erfuhr er aber auch bei seiner Lektüre: »Da hab ich neulich von einem Autor gelesen, heißt glaub ich Lucian, und schreibt sich aus Samosata: der ist auch arm und geringer Leute Kind gewesen, so wie ich, und in der Werkstatt gestanden, so wie ich: und ist doch nachher ein berühmter und gelehrter Mann geworden. Dabey ist mir das Herz vor Freuden hoch aufgesprungen: aber so selig werd ich nicht, daß ich meinen Eltern die Freud' an mir erleben laß. Nun ich weiß, was ich thu, bis künftigen Sommer wart' ich noch, und wenn es da nichts wird, so seh ich zu, daß ich ein Schiff kriege, und dann liebster Herr Vetter, heißt's, auf und fort nach Batavia!«120

Wieland, Bürger und Goethe. Der in die Bänke der Kirche zu Grau-München eingeritzte Name Ewald von Kleists erzeugte bei Falk Herzklopfen (a. a. O., 54). Nach R . Falk, a. a. O., 6, trug ihr Vater »jeden ersparten Groschen in die Leihbibliothek und holte sich dafür Bücher, besonders seine Lieblingsdichter: Wieland, Bürger und Goethe [...]«. 115 Falk: Leben d. Johannes v. d. Ostsee (1805) 119. 116 Falk, a. a. O., 120. Vgl. Falks Auserl. Werke, I (1819) 17. 117 Damit sind die Danziger Haus-Vorbauten gemeint, die J. Schopenhauer: Jugendleben (1958) 21, beschreibt. Vgl. dort auch das Foto gegenüber S. 129 sowie die Anm. S. 247. 118 Falk, a . a . O . , 120f. 119 Falk, a . a . O . , 127f. 120 Falk, a . a . O . , 121.

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Falk erzählt sehr anschaulich von einem solchen Fluchtversuch. 121 Die Eltern hatten ihm morgens erlaubt, die abendliche Fronleichnamsprozession der Kirche zu Schwarz-München anzuschauen, w e n n er tagsüber gut arbeite. Als es soweit war, erhob die Mutter j e d o c h Einwände. »Und ich war recht aufgebracht, und vergaß mich so in Worten, daß sie mich schlug, 122 und ich fortlief, und bei mir selbst schwor, ich wollte nie wieder die Schwelle meines Elternhauses betreten.« 123 Falk fragte eine alte Schiffersfrau nach j e m a n d e m , der ihn nach Ostindien mitnähme. Die Frau bestellte ihn für den Einbruch der D u n kelheit, dann wolle sie ihm einen Patron und ein gutes Handgeld verschaffen. Daraufhin begab sich Falk zur Kirche zu Schwarz-München, u m die Prozession mitzuerleben. Das ganze Geschehen faszinierte ihn: unter einem Baldachin ein schönes, junges Mädchen, das die Jungfrau Maria verkörpern sollte, ebenso wie all die Kerzen, der Weihrauch, die Orgeltöne und Gesänge. »Da rührte mir Gott das Herz, und ich betete voll Inbrunst und gelobte ihm, nie meine Eltern heimlich zu verlassen, sondern alles, wie es auch kommen würde, gelassen zu erdulden [...] und ich dankte [. . .] Gott, der mich nun zum zweytenmal aus einer großen Gefahr, wie durch einen Engel, so wunderbarlich errettet hatte.«124 Im Jahre 1805 war Falk ein weithin bekannter Schriftsteller. Als solcher hätte er die Frömmigkeit seiner Kindheit verleugnen können. Daß er dies trotz mancher Kritik am Elternhaus nicht tat, verleiht der »Jugendgeschichte« in dieser Hinsicht einen vergleichsweise h o h e n authentischen Wert. Für seinen W u n s c h nach Weiterbildung fand Falk nicht nur bei seiner M u t t e r und bei Pater Lambert Verständnis. Die Begabung dafür w u r d e ihm von mehreren Seiten bestätigt. Ein M e n n o n i t meinte, »wenn es nach R e c h t e n gienge, so m ü ß t e ich [Falk] Lateinisch u n d Französisch lernen, und die h o h e n Schulen besuchen, denn Kopf hätte ich schon dazu, m e h r als zehn Andere.« 125 Sein Großvater Chaillou, ein gebürtiger Genfer, hatte Falk versprochen, ihm Französisch beizubringen; ebenso konnte er es bei seinem Onkel, Monsieur Grell, dem Kantor an der französischen Kirche, 126 lernen. 127 In einem Brief an seinen »Vetter« äußerte Falk den W u n s c h , das »Collegium Friedericianum«, eine von Pietisten gegründete und u. a. auch von Immanuel Kant besuchte

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Falk, a. a. O., 131 ff.; vgl. auch a. a. O., 68 f. »Oft, so erzählte Falk den Seinigen, sei ihm und den Brüdern der mütterliche Pantoffel auf dem Rücken herum getanzt, wobei der Unschuldige mit dem Schuldigen leiden mußte.« GSA Weimar 15/IV.4, 140 ff, R . Falk: Biographie. 123 Falk, a . a . O . , 131. 124 Falk, a. a. O., 134. 125 Falk, a . a . O . , 118. 126 Damit ist die frankophone Gemeinschaft in der reformierten Kirche St. Petri und Pauli gemeint. »In ihr wurde lange Zeit der Gottesdienst in französischer Sprache abgehalten für die zahlreichen französischsprechenden Reformierten.« So Mahlau: Jugendgeschichte (1922) 81. 127 Falk, ebd. 122

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Lehranstalt in Königsberg besuchen zu dürfen, wo »arm und geringer Leute Kinder Latein« lernten.128 Dazu kam es jedoch nicht. Dagegen erlaubte ihm der Vater im Jahre 1783, daß er zweimal wöchentlich bei Herrn Drommert Englischunterricht nehmen durfte. 129 Falks Mitschüler bei Drommert waren durchweg Patriziersöhne. Keiner von ihnen ließ den mittellosen Falk in sein Lehrbuch miteinsehen. Obwohl er sich dadurch gedemütigt fühlte, ließ er sich nicht einschüchtern. Im Gegenteil, Falk war für den Unterricht hochmotiviert. Weil Drommert schnell Falks Begabung erkannte, empfahl er dessen Vater dringend, den Sohn studieren zu lassen.130 Einmal lieferte Falk eine so gute Übersetzung Ossians131 ab, daß Drommert ihn vor allen anderen lobte und, was noch wichtiger war, über diese hervorragende Leistung sogar mit Pastor Majewski sprach. Mit Majewski, dem Ersten Pastor der reformierten Kirchengemeinde war Drommert sich schnell darin einig, daß Falk gefördert werden müsse. Vermutlich noch im Jahre 1783 gelang es Majewski, die Zustimmung der Eltern Falks zur Aufnahme des Sohnes in die Prima der Schule von St. Petri und Pauli mit dem Ziel eines späteren Theologiestudiums zu erreichen. 132 Es überrascht, von einem Entschluß Falks zum Studium der Theologie zu hören. War dies sein eigener Wunsch? Haben andere diesen Wunsch in ihm geweckt? Weil die Quellen hierüber keine Auskunft geben, sind wir auf Vermutungen angewiesen. Am nächstliegenden erscheint die Annahme, daß Falk zu jenem Zeitpunkt weniger auf die Theologie als vielmehr auf die Wissenschaft als solche fixiert war: Das Tor zur Freiheit schien aufgestoßen jetzt galt es hindurchzuschreiten! Es ist freilich nicht auszuschließen, daß das Studium der Theologie das Ergebnis einer Absprache zwischen Pastor Majewski und Falks Eltern war, sozusagen als Kompromiß zwischen einem Studium der Literatur - Falks eigentlicher Neigung — und dem Verbleiben im väterlichen Handwerk. 133 Jedoch scheint Falk zumindest einige Monate später den festen Entschluß gefaßt zu haben, Theologie zu studieren. Auf die Nachfrage eines verwunderten Kirchenvorstehers antwortete Falk eindeutig, er wolle im Anschluß an die Petri-Schule das Gymnasium und die Universität besuchen, um »ein reformirter Candidat« zu werden. 134

Falk, a . a . O . , 119; vgl. Hubatsch: Geschichte, 2 (1968) 1 7 7 f . Falk, a. a. O . , 137. S A D a n z i g , 3 0 0 , 4 2 / 2 6 3 , 5 5 - 6 1 , nennt D r o m m e r t als Stipendiaten für die J a h r e 1781 und 1782, nicht j e d o c h als Schüler. 128

129

130

Falk, a . a . O . , 1 3 6 f .

V o n J a m e s M a c P h e r s o n ( 1 7 3 6 - 1 7 9 6 ) als alte Poesie des gälischen B a r d e n Ossian bezeichnete Lieder. 131

132

Falk, a . a . O . , 1 3 8 f .

D e r Vater bestand auch darauf, daß Falk trotz seiner schulischen Verpflichtungen täglich noch einige Stunden häusliche (vermutlich handwerkliche) Arbeit verrichten mußte. Falk: C u r riculum vitae (1795) 20. 133

134

Falk, L e b e n d. J o h a n n e s v. d. Ostsee (1805) 141.

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Im Frühjahr 1784 wurde Falk in die Prima der Petri-Schule aufgenommen. 135 Bei Rektor Carl Payne (1717-1790) hatte er Unterricht. 136 Payne war gebürtiger Danziger und hatte von 1737—1742 in Leiden und Marburg studiert.137 Als »Kandidat des Predigtamtes« war er 1749 Rektor geworden und beaufsichtigte die in der Petri-Schule untergebrachte Schwarzwaldische Bibliothek sowie das Münzkabinett. Auch war er Mitherausgeber der Wochenschrift »Teutscher Diogenes«. 138 Falk schildert ihn als »guten Mann, nur ein Bischen akkurat«, besonders wenn das Schulgeld nicht pünktlich gezahlt wurde. 139 Bei den Lehrern Reinier Arentz (Konrektor), Johann Chr. Zuberbier (Kantor), Samuel Benjamin Rathke und Gerhard Januczowsky (Praeceptor pauperum) hatte Falk wohl keinen Unterricht. Leube berichtet, die Schule sei in den Jahren 1783—1787 »in dem schlechtesten Zustande« gewesen. 140 Gleichwohl zählt er Carl Payne zu den »gelehrten, berühmten und geschickten Lehrern« der Petri-Schule. 141 Im ersten Jahr hatte Falk zwei Mitschüler, in seinem zweiten Jahr war er allein in der Klasse. 142 Daraus erklärt sich sowohl seine besondere Zuneigung zu Payne als auch sein intensives Lernen. Immerhin hatte Falk den Lehrstoff mehrerer Jahre aufzuholen. Nachdem er sich in der Quinta des Gymnasiums im Lateinischen nur Grundkenntnisse hatte aneignen können, mußte er nun Cäsar, Curtius, Cicero, Ovid und Vergil lesen. Neu waren für ihn Griechisch, Logik und Rhetorik. 143 Die Examina wurden feierlich begangen. Auf Kosten der Schüler wurde das Schulgebäude innen mit rotem Tuch ausgeschmückt. Die Primaner mußten in blauen Mänteln erscheinen, »mit gestiktem Kragen und goldnen Lüzen«. 144 Diese Sonderausgaben stellten für Falk und seine Eltern eine nicht geringe finanzielle Belastung dar. Falk berichtet, wie er an Weihnachten 1785 beim »Schrittschuhlaufen«145 ins Eis einbrach und beinahe ertrunken wäre, wenn ihn nicht sein Bruder Karl gerettet hätte.146 »Wie ich merkte, daß es mit mir zu Ende gieng, und nachdem ich zuvor meine arme Seele Gott befohlen, stellte sich eine wahrhafte Neugierde bey mir ein, was es nun wohl weiter mit mir werden sollte.«147 Von diesem eindrücklichen Erlebnis hat Falk später seinen Kindern erzählt, so daß Falk, a . a . O . , 139. Leube, a. a. O . , 70. 1 3 7 Goldbeck, a. a. O . , 240. 1 3 8 Goldbeck, a. a. O . , 93. 1 3 9 Falk, ebd. 1 4 0 Leube, ebd. 1 4 1 Leube, a . a . O . , 13. 1 4 2 Leube, a. a. O . , 21 f. (catalogus discipulorum). 1 4 3 Leube, a. a. O . , 61. Logik wurde nach Christian Wolff gelehrt. 1 4 4 Falk, ebd. 1 4 5 »Schrittschuh« ist »alte echte Bildung für das spätere umgedeutete Schlittschuh«. S o Grimm: Wörterbuch, 9 (1899) 1759. 1 4 6 Falk, a . a . O . , 157ff. 1 4 7 Falk, a . a . O . , 159. 135

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seine Tochter Rosalie in ihren »Erinnerungsblättern« jenen Bericht dahingehend zu ergänzen wußte: »Mein erster Gedanke unter dem Wasser war: so sollst du auf eine so klägliche Weise dein Leben einbüßen! Mein zweiter: ach, meine armen Eltern! Mein dritter: wenn nur Bruder Karl nicht auch auf dem Eise verunglückt! Mein vierter: >Herr Jesu, dir leb' ich, dir sterb' ich!Die heiligen Gräben] geschrieben zu haben«. D e n »egoistischen Afterphilosophen mit ihren eiskalten Herzen« wünschte er, einmal am Sarge jenes »verklärten Engels« zu stehen und zu sehen und zu hören. Die Natur, so Falk, müsse man am Sterbebett studieren. 575 Morgenstern, den Falk von seiner Kritik an den Philosophen ausdrücklich ausgenommen hatte, zeigte sich von der Anteilnahme Falks tief beeindruckt: »Sie, bey eignem Leiden so stark, so ruhig, so duldsam, 576 so Herr Ihrer selbst — Sie sind so außer sich bey Andrer N o t h — ich liebe Sie darum nur desto mehr.« 577 Er äußerte jedoch auch die Sorge, Falk steigere sich zu sehr in das Leiden anderer hinein und nehme selber dabei Schaden. In den Sommermonaten des Jahres 1795 plagte Falk »eine dumpfe Schwermuth«. 578 Man möchte annehmen, daß sie sowohl durch das mangelnde Verständnis der Danziger Gönner für seinen Dichterberuf als auch die dadurch bedingte wirtschaftliche Notlage ausgelöst worden war. Falk hatte den Eindruck, »seine edelsten Kräfte« seien gelähmt. Falk sehnte sich nach Anerkennung durch die anerkannten Dichter. Deshalb war es ihm höchst willkommen, als sich Louise von R u d o r f (1777-1852), 579 Gesellschafterin der Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar und spätere Gattin des Goethefreundes Carl Ludwig von Knebel, 580 vermutlich im August 1795 in Halle aufhielt. 581 Falk — so notierte sie später in ihren Aufzeichnungen — habe sie gebeten, ein Exemplar seiner Satire »Der Mensch« an Wieland zu übermitteln, dem er sich angeblich »ganz in seine Arme werfen« wolle; auch solle dieser ihn bei Goethe empfehlen. Louise von Rudorf, bei der Falk anscheinend Verständnis für seine wirtschaftliche Notlage wecken konnte, entsprach seiner Bitte. Sie ersuchte Wieland, das Büchlein 582 Falks zu lesen und sich des »armen jungen Menschen anzunehmen«. Wieland seinerseits gab Falks Gedicht, ohne es selbst gelesen zu haben, an Goethe weiter. Als sich beide Dichter nach einigen Wochen in Gesellschaft am Hofe Amalias darüber unterhielten, äußerte sich Goethe völlig ablehnend. Er fragte Wieland, wie dieser ihm »ein so fades abgeschmacktes Buch zum lesen« habe geben können. Wieland entschuldigte sich mit der Begründung, er habe das Buch nicht selbst gelesen und mit der Weitergabe lediglich Louise von R u d o r f einen Gefallen tun wollen. Nach längerer U n -

575

U B Dorpat, ebd. Erst im Herbst 1796 lernte Morgenstern seinen Freund auch von einer anderen Seite her kennen. 577 GSA Weimar 15/11.1C.6.1, 2, Morgenstern an Falk, 15.8.1795. 578 UB Dorpat, Bl. 87, Falk an Morgenstern, o.D. [Sept. 1795], Der bei Sintenis: Briefe (1875) 8 ff. abgedr. Auszug aus Falks Brief ist unvollständig und fehlerhaft. 579 Biedrzynski, a. a. O., 251 f. 580 Carl Ludwig von Knebel (1744-1834). 581 Starnes, a. a.O., 446 f. 582 Hier kann es sich nur um die von F. C. Fulda herausgegebene »Blumenlese« handeln, die u. a. Falks Gedichte »Der Mensch«, »Der Esel« und »Paul Walch« enthielt. 576

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terhaltung bat man diese, Falk mitzuteilen, er möge sich bezüglich einer Beurteilung »noch einige Zeit gedulden«. Der hierüber indignierten Frau von Rudorf empfahlen Wieland und Goethe, sich nicht mit einer Sache aufzuhalten, die es gar nicht wert sei, sie wisse nun einmal nicht, »wie viel ganz erbärmliche Schriftsteller es in der Welt giebt«.583 Diese Äußerung dürfte wohl vor allem auf Goethe zurückgehen, da nur er Falks Büchlein gelesen hatte. Die Gründe für sein scharfes Urteil sind leider nicht bekannt. Auch fehlt in den Aufzeichnungen der Frau von Rudorf jeglicher Hinweis darauf, ob Goethe sich vielleicht an den nunmehr drei Jahre zurückliegenden Besuch Falks in Weimar erinnerte. Es mag verwundern, daß Wieland dem vernichtenden Urteil Goethes beipflichtete, da er doch Falk im August 1793 aufgrund einiger eingesandter Gedichte eine »wirkliche Anlage zum Dichter« bescheinigt und ihn zu weiteren Arbeiten ermuntert hatte.584 Man wird jedoch kaum davon ausgehen können, daß sich jene erste Kenntnisnahme von Falks literarischen Versuchen so tief in Wielands Gedächtnis eingeprägt hat, daß er sich im Jahre 1795 noch daran erinnerte und dadurch zu einem milderen Urteil hätte finden können. Die Mitteilung von Louise von Rudorf stimmt aber mit der Tatsache überein, daß Wieland dem schriftstellerischen Nachwuchs im allgemeinen mit Skepsis begegnete. Er gestand einmal, »daß junge angehende Dichter böses Spiel« bei ihm hätten.585 Aus den Notizen von Louise von Rudorf oder aus anderen Quellen geht nicht hervor, ob Falk jemals etwas von dieser Unterhaltung Wielands mit Goethe erfahren hat. Ebenso unklar ist, ob Wieland das Gedicht Falks nach seinem Gespräch mit Goethe gelesen hat und dabei vielleicht zu einem günstigeren Urteil gekommen ist. In der Meinung, seiner depressiven Stimmung könne wohl nur ein Ortswechsel abhelfen, entschloß sich Falk etwa Mitte September586 1795, Halle für eine Zeitlang zu verlassen.587 Es dürfte kein Zufall gewesen sein, daß er ein zweites Mal nach Weimar aufbrach. Dort hoffte er, im Umgang mit den großen Dichtern neuen Lebensmut schöpfen zu können. Seinem Freund Morgenstern berichtete er eine Woche nach seiner Abreise von Halle, er habe seitdem »gute und böse Tage« verlebt, er wolle aber nur von den guten erzählen.588 Vielleicht deutete Falk damit an, daß er in Weimar von gewisser Seite Kritik erfuhr. Nach den durch Louise von Rudorf mitgeteilten äußerst kritischen Bemerkungen Wielands und Goethes über Falks Gedicht »Der Mensch« überrascht es indessen, daß er von seiner Aufnahme bei den beiden Großen 589 nur Vorteilhaftes berichtete. Begeistert schrieb er nach Halle: 583

Starnes, a. a. O., 447. S.o. S. 179. 585 Zitiert bei Haferkorn, a. a. O., 187. 586 Gegen Schultze: Falk und Goethe (1900) 26, der Falks zweite Reise nach Weimar bereits für den Hochsommer 1795 annimmt. 587 U B Dorpat, ebd. 588 U B Dorpat, ebd. 589 Der von Starnes (a. a. O., 455) für Okt. 1795 vermutete Besuch Falks bei Wieland fand 584

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»Göthe hat mich mit all der stillen Liebe und Freundschaft aufgenommen, als ahndete es ihn daß wir vielleicht einst Hand in Hand unter den geheiligten Schatten des Helicons lustwandeln dürften. Und Wieland! Wieland! laß es Dir von Anfang erzählen. Ich erhielt dieser Tage einen Abdruck der Gebete aus dem Göttinger Musenallmanach. Diesen theilte ich Böttger mit. Böttger fuhrt mich zu Wieland und spricht von diesem unvollkommnen Versuch mit Begeisterung. Wieland wird neugierig. Böttger muß vorlesen. Mit der gespanntesten Aufmerksamkeit hört Wieland, nur zuweilen unterbricht Er den Vorleser durch ein lautes Bravo oder beugt sich bey einem Satyrischen Seitenhieb schalkhaft lächelnd über seinen Lehnsessel. — Böttger schließt, u Wieland springt auf, umarmt mich wie ein Vater seinen Sohn, und spricht über mich das große Wort der Weihe .. ,«590 Die fast protokollhafte Berichterstattung Falks zeigt, daß er j e n e Begegnung mit den Großen von Weimar als neuen Höhepunkt seiner Laufbahn als Dichter verstand. Während er auf Goethe nicht näher einging, bemerkte er ergänzend zu Wieland, dieser habe ihn mit »Enthusiasmus« und »liebenswürdiger Heftigkeit [ . . . ] als einen ächten Sohn Apollons« begrüßt und ihm versichert, »seit mehreren Jahren hätte kein deutsches Gedicht diesen Eindruck auf sein Herz und seine Phantasie gemacht.« Selbst wenn man aus diesen Worten eine durch Falks Glücksgefühl veranlaßte Übertreibung vielleicht nicht ausschließen kann, zeugen sie von einer Anerkennung Falks durch Wieland, die auf dem Hintergrund der wenige Wochen zuvor erteilten schroffen Ablehnung erstaunen läßt. Ein Grund dafür, daß Wieland von Falks Gedicht so beeindruckt war, mag darin gelegen haben, daß hier das ursprüngliche Anliegen der Aufklärung besonders gut zur Sprache kam: nicht die Abschaffung der Religion sollte angestrebt werden, sondern ihre Läuterung von orthodoxen Elementen, die der Vernunft widersprachen. Der U m s c h w u n g in der M e i nung Wielands über Falk dürfte aber nicht allein in Falks Gedicht begründet gewesen sein. Es ist damit zu rechnen, daß Falk auch durch sein persönliches Auftreten einen vorteilhaften Eindruck auf Wieland machte. Seine guten U m gangsformen, verbunden mit einer seit frühester J u g e n d durch die Lektüre Wielandscher Werke gewachsene Hochachtung dürfte ihm den Zugang zum Herzen des berühmten Dichters verschafft haben. Wieland hatte damals den Zenit seiner poetischen Wirksamkeit und seines öffentlichen Interesses bereits überschritten. Dies erklärt mit, daß er sich einem j u n g e n Mann, der mit grenzenloser Ehrfurcht an ihm emporsah, freundlich zuwandte. Im Unterschied zu jenen j u n g e n Leuten, die ihn, wie Wieland einmal klagte, über »das Wesen der Poesie« belehren wollten, erschien ihm der lernwillige Falk als erfreuliche Ausnahme. Von seiner B e g e g n u n g berichtet Falk weiter, Wieland habe ihm bezeugt, es sei »wahrer poetischer Geist«, der in ihm lebe, selbst die »hypercritisirenden

bereits im September statt. Falks Angabe im Brief an Wieland v o m Febr. 1796 ( G N M , Böttiger 28), seit seinem Besuch in Weimar seien fast vier Monate vergangen, ist nicht ganz korrekt. 5 9 0 U B Dorpat, Bl. 87 f., Falk an Morgenstern, o.D. [Sept. 1795],

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jenaischen Kritiker« wüßten dies und würden eingestehn: »Hier ist Gottes Finger!« Möglicherweise reagierte Wieland damit auf eine seines Erachtens übertriebene Kritik an Falk. Wielands Anspielung auf Ex 8,15 bzw. Lk 11,20 zeigt übrigens, daß die Heilige Schrift im Bewußtsein der Aufklärer durchaus noch lebendig war und daß sie — die kirchliche Orthodoxie bewußt provozierend - ihre eigene Poesie in gewissem Sinne als »inspiriert« verstanden.591 Wieland scheute sich nicht, biblische Aussagen von der Geistverleihung an den Propheten bzw. an Jesus (Jes 61,1; Lk 4,18) auf die Geistesverwandtschaft eines jungen Dichters mit dem berühmten römischen Satiriker zu übertragen: »Der Geist Juvenals592 ruht zehnfach auf Sie junger Mann. Das ist nicht Nachahmung. - Sein Geist selbst ist aus seinem Grabe hervorgegangen. - Hier ist mehr als Boileau. Welch eine Wollust für mich am Abend meines Lebens noch einen jungen Mann zu sehen, der nun nach der herrlichefn] Reihe großer ausländischer und einheimischer Dichter von Homer und Juvenal an bis auf Bürger und Haller, 593 wieder seinen ganz eignen Weg einschlägt, und seine eigne Originalität behauptet.«

In der Fortsetzung des Briefes an Morgenstern versucht Falk, sein Gespräch mit Wieland in Dialogform wiederzugeben: »Wo ist dies Stück abgedruckt? Im Göttinger Musenallmanach. — Ich beneide den Göttinger Musenallmanach deßhalb. - Warum wird Mir für meinen Mercur nicht einmahl ein dergleichen Stück zu Theil. Ich habe ihm eins versprochen. Wie haben Sie in diesem durchaus verdorbnen Zeitalter, ihren Geschmack So rein von all dem Firlefanz und Flitterstaat und ihre Sprache rein von Inversionen und Gramaticalien erhalten?- Durch die Leetüre ihrer Schriften.«

Fast möchte man annehmen, Falk habe Wieland im nachhinein einen Gunsterweis zugeschrieben, wie er seinem eigenen Wunschdenken entsprach. Jedoch wird man beachten müssen, daß Wieland mit Falk seit jener Begegnung im Herbst 1795 tatsächlich ein freundschaftliches Verhältnis verband, das über Jahre hinweg nur geringen Schwankungen unterworfen war. Auch machen Falks Worte den Eindruck einer frischen Erinnerung, so daß kein Anlaß besteht, ihren Wahrheitsgehalt anzuzweifeln. Im Brief an seinen Freund versäumte Falk nicht zu erwähnen, daß Wieland, als er von der Widmung des Gedichtes an Karl Morgenstern hörte, diesen einen »vortreflichen jungen Mann« nannte. Wielands Urteil dürfte sich auf Morgensterns Veröffentlichungen gestützt haben, vor allem auf die ein Jahr zuvor im »Merkur« publizierte deutsche Bearbeitung eines Vergleichs zwischen Piaton und Rousseau aus Morgensterns Dissertation.594 Wieland be5,1 Vgl. auch Langen: Wortschatz d. dt. Pietismus (1968) 60, zum Terminus »begeistigen-begeistern«. 592 Decimus Iunius Juvenalis (ca. 50-130), römischer Satiriker. 5.3 Albrecht von Haller (1708-1777), Schweizer Dichter. 5.4 Neuer Teutscher Merkur (1795) 1, 217-278; vgl. Süss: K. Morgenstern (1928) 71.

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merkte, wie Falk hinzufügt, »dieß mache ihn zuweilen wieder Lust zu leben, wenn Er hier und da genug Männer und Talente erblickte.« Etwa in der zweiten Septemberhälfte 1795 schrieb Falk erneut an Morgenstern und kündigte an, er habe ihm von Goethe »viel, sehr viel zu erzählen«. Im Brief selbst ließ er es jedoch mit der Bemerkung bewenden, Goethe habe ihm aufgetragen, Friedrich August Wolf wegen dessen Homer-Interpretation »ein freundliches Wort zu sagen«, Goethe wolle vielleicht »sehr bald« selbst nach Halle reisen und persönlich mit Wolf sprechen. 595 Morgenstern antwortete, nachdem er Falks Bericht gelesen hatte, am 25. September: »Wieland und Goethe haben Dich an Dich selbst erinnert, und Dich Dir selbst wieder gegeben.« Er ermunterte ihn, sich »der edlen Geistesverwandtschaft werth« zu erweisen, 596 damit er (Morgenstern) einst auf »Falk, den Dichter«, aber auch auf »Falk, den Menschen« stolz sein könne. U m dieses Ziel zu erreichen, müsse Falk jedoch seiner Seele »mehr Gleichgewicht« geben und »die Stimme ruhiger Überlegung und leidenschaftsloser Prüfung« noch öfter hören. 597 Morgenstern bat Falk, ihm bald von seinen Gesprächen mit »Göthe, dem Halbgott«, und von seinem zweiten Besuch bei Wieland zu berichten. 598 Von Weimar fuhr Falk weiter nach Gotha. 599 Von seinem dortigen Aufenthalt ist nur soviel bekannt, daß er von dem Philologen Friedrich Jacobs und anderen Gelehrten 600 liebevoll aufgenommen wurde; in ihrem Kreise verlebte er »sehr angenehme Stunden«. 601 Von Gotha aus schrieb Falk wieder an Morgenstern.602 Zwar erwähnte er nichts von seinen Gesprächen mit Goethe, dagegen erzählte er ausführlich von seiner zweiten Begegnung mit Wieland. Von ihm, so Falk, sei er »mit einer Güte und Freundlichkeit aufgenommen worden, die alle meine Erwartungen übertraf«. Während eines vierstündigen Besuches habe sich Wieland eingehend nach seinem persönlichen Ergehen erkundigt. Dabei habe er seine Freude darüber ausgedrückt, daß Falk auf der Universität die gleichen Studien betrieben habe wie er selbst.603 Mit Wieland besprach Falk diesmal auch seinen weiteren beruflichen Weg. Mehrere Möglichkeiten scheinen dabei erwogen worden zu sein: eine akadeU B Dorpat, Bl. 85, Falk an Morgenstern, vor dem 25.9.1795. G S A Weimar 15/11.1C.6.2, 2, Morgenstern an Falk, 25.9.1795. 5 , 7 G S A Weimar, a. a. O., 5. 5 9 8 G S A Weimar, a . a . O . , 1. 5 9 9 Bereits auf seiner ersten Reise nach Thüringen im Sommer 1792 hatte Falk Gotha besucht. S . o . S. 142. 6 0 0 Dazu gehörte vermutlich Gotter, der im November 1796 durch F. Jacobs Grüße an Falk ausrichten ließ. G S A Weimar 15/11.1B.9.1, 1, Jacobs an Falk, 14.1.1796. 6 0 1 U B Dorpat, Bl. 92, Falk an Morgenstern, o.D.[ca. Ende Sept./Anf. Okt. 1795], 6 0 2 U B Dorpat, a. a. O., Bl. 91-92. 6 0 3 Wieland hatte in Tübingen zunächst mit dem Jurastudium begonnen, »fand aber«, wie er schrieb, »keinen Geschmack daran und fuhr also fort, doch mit einigem und vielleicht nicht ungegründetem Widerwillen, die sterilen schönen Wissenschaften und Philosophie zu treiben.« Beißner: Wielands Leben (1965) 893. 595

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mische Lehrtätigkeit an der Universität, ein Schulamt in Falks Heimatstadt oder aber - dahin ging Falks Herzenswunsch — die freie Schriftstellerei. Wieland riet ihm, wie Falk "berichtet, »weder Collegien zu lesen noch nach Dantzig zu gehen, sondern bloß meiner Kunst zu leben. Er meinte es würde wohl Rath werden.« Weil er Falk liebe »wie ein Vater seinen Sohn«, versprach Wieland, ihn nach Kräften zu unterstützen. Für Beiträge im »Teutschen Merkur« bot er Falk ein höheres Honorar als üblich an. Auch wollte er ihm einen großzügigeren Verleger verschaffen, falls Falk mit dem Honorar seines bisherigen nicht zufrieden sei. Wieland lud Falk ein, ihm von Zeit zu Zeit von seinem poetischen Schaffen zu berichten und sogar, wenn es ihm »nicht wohl« sei, »einen kleinen Trip hinüber zum alten Wieland« zu machen. Gegen Ende der Begegnung, in deren Verlauf Wieland ihn wiederholt »fest an sein Herz« drückte, habe der berühmte Dichter die Worte an ihn gerichtet: »Junger M a n ,

S i e m ü s s e n S i c h als E i n e n v o n U n s b e t r a c h t e n , S i e g e h ö r e n

der

N a c h w e l t a n ; m i r ist als w e n n i c h 2 0 J a h r e m i t i h n e n v e r l e b t h a t [sie!], u n d i c h l e s e es in i h r e n A u g e n , d a ß a u c h S i e m e i n F r e u n d s i n d . «

Für Falk ging in der Begegnung mit Wieland ein Jugendtraum in Erfüllung. Durch einen der großen Dichter Deutschlands fand er die ersehnte Anerkennung als Schriftsteller und die Aufnahme in dessen Kreis. 604 Falk entnahm seinen Worten die Bestätigung seiner Berufung zum freien Schriftsteller. Den Gedanken an eine Universitätslaufbahn oder an die Übernahme eines Schulamtes in Danzig ließ er nun endgültig fallen. Ein Beweis für die Wertschätzung Falks durch Wieland war noch im selben Herbst die Veröffentlichung des Gedichtes »Die Wissenschaften«, jenes Probestücks aus dem Gedicht »Die Heiligen Gräber zu Kom«, 6 0 5 in dem von Wieland herausgegebenen »Neuen Teutschen Merkur«. 606 Am Tag nach seiner denkwürdigen Begegnung mit Wieland erfuhr Falk von Böttiger, daß die Herzogin Anna Amalia, der Wieland inzwischen »mit vielem Enthusiasmus« von Falk erzählt hatte, »sich sehr angelegentlich« nach ihm erkundigt habe. Böttiger habe bei dieser Gelegenheit den Eindruck gewonnen, die Herzogin wünsche Falk kennenzulernen. Aus dieser Mitteilung dürfte Falk die Hoffnung geschöpft haben, durch die persönliche Bekanntschaft mit der Herzogin vielleicht zu einer geregelten Besoldung zu gelangen, ohne die Pflichten eines bürgerlichen Amtes übernehmen zu müssen. Eine solche Hoffnung erfüllte sich jedoch nicht. Im Herbst 1795 litt Falk in Weimar unter Geldmangel. Er war nicht einmal in der Lage, seinen Brief an Morgenstern zu frankieren und hoffte, daß ihm 6 0 4 T r e f f e n d deutet Allen die B e g e g n u n g Falks mit Wieland: »it was a liberation f r o m the years o f his minority, the termination o f a period o f spiritual want and dissatisfaction, an acceptance into the circle o f the masters o f the craft to w h i c h he was aspiring.« Allen, a. a. O . , 189. 605 606

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S . o . S. 190. N e u e r Teutscher M e r k u r (1795) 3, 2 0 5 - 2 1 2 .

einer seiner Hallenser Mitbewohner durch Morgenstern Geld schicken würde.607 Deshalb erstaunt es, daß Falk den Plan gefaßt hatte, von Weimar aus nach Paris zu reisen. Dort, auf dem Hauptschauplatz der Französischen R e volution, wollte Falk sich vermutlich zu neuem dichterischen Schaffen inspirieren lassen. Sein Danziger Jugendfreund und Hallenser Jurastudent Christian Gottlieb Konopack notierte am 14. September 1795: »Nichts schien ihm [Falk] interessanter als diese Reise. Schon die blosse Vorstellung, in einem Lande sich zu befinden, wo nur vor kurzer Zeit noch eine grosse und ausserordentliche Begebenheit die andere verdrängte, machte, er wusste nicht welche, Empfindungen in ihm rege, die er wohl nicht zu teuer erkauft zu haben glauben würde, wenn er sie mit dem halben Vermögen erkauft hätte.«608

Für die Durchführung der Reise bemühte sich Falk um ein privates Darlehen von 100 Talern. Als dies mißlang, mußte er jedoch seinen Plan aufgeben.609 Mit der Anerkennung des Rheins als Ostgrenze Frankreichs im Frieden von Basel (April 1795) hatte sich Preußen aus der gegen das Revolutionsland gerichteten Koalition mit Österreich und England gelöst und sich dadurch in eine gefährliche Isolation begeben. In der Sorge um einen möglichen erneuten Kriegsausbruch arbeitete Falk im Winter 1795/96 an seinem Gedicht »Die Helden«. Er schickte es im Februar 1796 an Wieland mit der Bitte, es in den »Merkur« aufzunehmen und als »geweihter Priester Apollos« in einem begleitenden Wort »den Streitenden im Namen seines Gottes Frieden und Eintracht« zu gebieten. 6,0 Tatsächlich entsprach Wieland der Bitte Falks. »Die Helden« erschienen im April 1796 im »Neuen Teutschen Merkur«.611 Literarische Anregung zu dieser Satire dürfte Falk von dem Spanier Miguel de Cervantes Saavedra erhalten haben, der in seinem »Don Quijote« (1605/ 1615)612 das Ideal des ritterlichen Helden destruiert. Anders als das Werk des Spaniers ist Falks Satire jedoch nicht von Humor, sondern von einem ernsthaften Drängen auf praktische Konsequenzen geprägt. Als Leitgedanke stellt Falk613 den Ausspruch des römischen Satirikers Juvenal voran: »Sed jam serpentum major concordia.« (»Schon unter den Schlangen besteht eine größere Eintracht [als unter den Menschen].«) Mit dem Vergleich der Moral unter Menschen und Tieren greift Falk ein Motiv auf, das bereits in seinem Gedicht »Der Mensch« bestimmend war.

607

U B Dorpat, Bl. 85, Falk an Morgenstern, vor dem 25.9.1795. Schultze, a. a. O., 23. 609 U B Dorpat, Bl. 86, Falk an Morgenstern, vor dem 25.9.1795. 610 G N M Nürnberg, Böttiger, 28, Falk an Wieland, Febr. 1796. 611 Falk: Die Helden (1796) 362-384. 612 Das Werk befand sich in seinem Bücherkatalogus von 1805 unter den Nrn. 142 und 644-649 (GMD. Falk 11.11). 613 Eine zweite, überarbeitete Auflage erschien 1798, deren Neudruck in: Falk/Saupe: Lustspiele, Gedichte, Publizistik (1988) 229-241. 608

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In seinen »Helden« geißelt Falk den Stolz j e n e r Zeitgenossen, die sich als »Meister jeder Wissenschaft« w ä h n e n , gleichzeitig aber auch durch »tacktische Verfeinerung« eine immer grausamere Kriegsführung betreiben. Schon die R u h m s u c h t Casars und anderer Feldherren der Antike habe sich - so Falk als Fluch Gottes erwiesen. 614 Mit scharfer Ironie bezeichnet er es als »Glorreiches Loos, sich fiir ein Marmormahl, Für eine Inschrift drauf mit goldnen Lettern Zu würgen, zu verstümmeln und zerschmettern!« Falk will das gelähmte Gewissen der verantwortlichen Staatsmänner wachrütteln. 615 Dabei scheut er sich nicht, den N a m e n des russischen Heerführers Suworow 6 1 6 als negatives Vorbild anzudeuten, der 1794 bei der Niederschlagung Polens eine entscheidende Rolle gespielt hatte. W i e ein biblischer P r o phet kündigt ihnen der j u n g e Dichter den Tag ihres Todes an. D a n n w e r d e in ihnen die Erinnerung an die Kriegsopfer und deren Angehörige wach, so daß sie nur n o c h wünschen könnten: »Ihr Berge, stürzet über uns zusammen! Bedeckt, ihr Thäler, uns mit Schutt und Graus!«617 U n t e r Anspielung auf das Gleichnis Jesu v o m reichen M a n n und dem armen Lazarus (Lk 16,19—31) sagt Falk eine künftige U m k e h r u n g der Verhältnisse voraus: W ä h r e n d der — w o h l durch Kriegseinwirkung — Gehbehinderte seine Krücke wegwerfen kann, m u ß »der Eroberer«, für immer begleitet von den Seufzern u n d Tränen der Kriegswaisen, seinen W e g in die Totenwelt antreten. Mit aller Schärfe verurteilt Falk j e d e religiöse Glorifizierung menschlicher Grausamkeit: »Begrabet Weib und Kind im Schutt gesprengter Minen! Büßt viehisch eure Lust auf rauchenden Ruinen An Jungfrau'n halb entseelt! Würgt, sengt und brennt, und dann, Besudelt noch von Blut, stimmt ein Te Deum an. Verlieh Herr Zebaoth die Kraft nicht euren Händen, Ihr könntet ohne ihn nicht morden und nicht schänden!«618 Auf ein wirkliches Geschehnis, wie Falk in der A n m e r k u n g betont, geht die Darstellung eines Kinderschicksals zurück. 619 Ein ungarischer Knabe, der in 614

Falk: Die Helden (1796) 364. 369. Falk, a. a. O., 365 f. 616 Alexander Wassiljewitsch Suworow (1729-1800). Vgl. Falk/Saupe, a . a . O . ebd. - Im Erstdruck hatte Falk den Namen ledglich durch »S.. .« angedeutet, während er ihn in der zweiten Auflage ausschrieb. Dort nannte er zusätzlich Peter Alexandrowitsch Rumjanzew (1725—1776), den russischen Heerführer im Krieg gegen die Türken. Falk/Saupe, a. a. O. 659. 617 Falk: Die Helden (1796) 366; vgl. Lk 23,30. 618 Falk, a . a . O . , 371. 619 Bereits hier deutet sich ein Interesse Falks an, das in den Jahren nach 1813 eine besondere Ausprägung erfahren sollte. 615

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den Kriegswirren bereits seine Mutter verloren hatte, irrte in der Nähe von Speyer auf einem Leichenfeld umher und findet dort seinen toten Vater. Sarkastisch fordern umherstehende Soldaten den weinenden Jungen auf: » K o m m , bleicher K n a b e ! T a n z ' dich w a r m ! Laß ab mit klagen! J a u c h z ' Io e v o e ! 6 2 0 W i r haben ihn erschlagen!« 6 2 1

Zu den von Falk dichterisch dargestellten Grausamkeiten des Krieges gehört auch die bis ins Detail geschilderte erbarmungslose Folter, die an einem desertierten und an einem wegen Altersschwäche kampfunfähigen Soldaten vollzogen werden; sie ist in den Augen Falks ein Verbrechen an »Gottes Ebenbild«.622 Für diese »Teufeley'n« zur Rede gestellt, nennt der Ausführende als Begründung nur: »Subordinazion und Krieg!« 623 Die Frage »Warum?« weist er ab, so frage nur ein Schurke. Als echter Soldat sei er bereit, seinem Feldherrn Gehorsam zu leisten, was immer dieser von ihm verlange. Denn: » N o c h ist der H e l d e n m u t in Teutschland nicht verloschen! W o f ü r giebt täglich uns der Landesherr z w e y G r o s c h e n ? H a ! straf m i c h G o t t ! Ich bin ein teutscher Patriot!— M a n schlägt uns todt, was thut's — W i r schlagen w i e d e r todt. Blitz, H a g e l , Wetter! Herr, das ist j a unser B r o d ! « 6 2 4

Falks Gedicht »Die Helden« endet mit der Schilderung eines weiteren Beispiels militaristischer Unmenschlichkeit. Ein Soldat, der wegen Desertion beim R e giment »Gassen laufen«625 mußte, war von einem Offizier gefragt worden, wie ihm das behage. Daraufhin schlug ihm der Deserteur die Kette ins Gesicht. Ein Standgericht forderte die Erschießung des Soldaten. Der Einspruch dagegen wurde vom königlichen H o f abgewiesen. Das ungerechte Urteil wurde vollstreckt: »Dort liegt er!- Gott! und deine Donner schlafen?« Anders als in seinem Danziger Predigtentwurf von 1791 unterläßt Falk es hier, die Spannung zwischen der Ungerechtigkeit der Menschen und dem Glauben an einen gerechten Gott mit dem Versuch einer Theodizee aufzulösen. Er stellt an den Leser vielmehr die Frage, ob sich hier nicht der »Erdengott« Mensch »das unerbittliche Gesetz des Schicksals« anmaße. Den EinLateinisch »Juchhe«; Jubelruf der Bacchantinnen. Falk, a. a. O., 378. 6 2 2 Falk, a. a. O., 380. 6 2 3 Falk, ebd.; in der 2. Auflage heißt es stattdessen: »Subordination!- Sie wissen, Krieg muß sein!« Falk/Saupe, a. a. O., 240. 6 2 4 Falk: Die Helden (1796) 380. 6 2 5 Gassen- bzw. Spießrutenlaufen war im späten Mittelalter eine Strafe flir Soldaten im Falle von Fahnenflucht, Trunkenheit oder verbotenem Glücksspiel. Der Gesetzesbrecher mußte eine Gasse von 100 bis 300 Mann seines Regiments durchlaufen und wurde dabei durch deren vorgehaltene Spieße getötet. Ende des 16. Jh. traten Ruten an die Stelle der Spieße. In Preußen wurde die Strafe 1807 aufgehoben. 620

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wand, das Standrecht gehöre nun einmal »zum Staat vernunftbegabter Wesen«, weist Falk weit von sich: »Still! Still! Ich bitt' euch drum! Kein Wort! >Wohin?< In Fels und Kluft! Fort, von den Menschen fort!« 626

Dieser Schluß des Gedichtes zeigt etwas für Falks Denken Charakteristisches: Eine Gesellschaft, in der solch himmelschreiendes Unrecht geschieht, kann er nicht als »vernünftig« bezeichnen. Dem vernünftigen Menschen bleibt letztlich nur die Flucht in die Einsamkeit und wohl gar an den Ort der Schlangen, bei denen - nach dem Ausspruch Juvenals — mehr Eintracht herrscht als unter den Menschen. Als Herausgeber des »Merkur« sah Wieland sich veranlaßt, den Schluß des Falkschen Gedichtes in einer Fußnote zu kommentieren. Zum einen warb er beim Leser um Verständnis für die Notwendigkeit des Kriegsrechts, weil ohne ein solches keine militärische Disziplin möglich sei. Zum anderen bezeichnete er das von Falk geschilderte Beispiel als einen »von den unseligen Kollisionsfällen«, »wo das größte Recht in einem andern Sinne großes Unrecht ist«.627 Auch für den Offizier sei eine angemessene abschreckende Strafe zu fordern, da er auf das Vergehen seines Untergebenen mit übertriebener Härte reagiert habe. In seinem Begleitschreiben an Wieland 628 hatte Falk noch einmal betont, der Gegenstand seines Gedichtes beruhe auf tatsächlichen Ereignissen, auch hoffe er, »durch jene empörende Geschichte irgend einen Offizier von unützen Neckereyen seiner Untergebnen abzuschrecken.« Im März 1796 unterrichtete Wieland Falk über den beabsichtigten Druck des Gedichtes und bat ihn um die Erlaubnis, einige Korrekturen vorzunehmen. Falk erteilte sie ihm. 629 Wieland äußerte seine Besorgnis darüber, die kritische Erwähnung Suworows könne Falk in Schwierigkeiten bringen. In seiner Antwort vom 24. März räumte Falk ein, auch in Halle habe »ein hiesiger Gelehrter« — hier könnte sein Freund Karl Morgenstern gemeint sein — beim Lesen des Gedichtes die Sorge geäußert, dem Autor könne eine Gefängnisstrafe drohen. Falk jedoch versuchte Wieland damit zu beruhigen, daß er die Bedeutung seiner Person herunterspielte:

Falk, a. a. O., 383. Falk, ebd. 6 2 8 G N M Nürnberg, Böttiger, 28, Falk an Wieland, Febr. 1796. 6 2 9 »Theuerster Wieland, wie können sie auch nur auf die entfernteste Weise glauben, zu dergleichen meiner Genehmigung zu bedürfen?- Lessing, wie mir Rammler selbst erzählte, überschickte ihm seine Fabeln (oder Epigramme) zur Durchsicht, und trug ihm zugleich die Besorgung des Druckes auf, mit der buchstäblichen Bedingung, auszustreichen, was, und wie viel ihm beliebe. Ich bin nicht Lessing, aber Sie sind mehr als Rammler. Die Folge ergiebt sich von selbst.« G N M Nürnberg, Böttiger, 28, Falk an Wieland, 24.3.1796. 626

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»Indessen, so schlimm ist es denn doch, selbst bey unsrer militärischen Verfassung, bis jetzt wenigstens nicht, daß man sogar den wesenlosen Träumen (und was sind die Phantasmata imaginationis eines Brod- und Titellosen Dichters in Deutschland denn anders?) wie zu den Zeiten des Tiberius 630 ein ausdrückliches Capitel in dem schwarzen Codex des Hochverrathes anweisen sollte.«

Selbst in den Gebieten Deutschlands, wo bereits das bloße Reden über die Regierung als Majestätsbeleidigung gelte, habe man seines Wissens »die Thränen der Witwen, Waisen und Unterdrückten« noch nicht unter die Zensur von »Capucinern und Exjesuiten« gestellt. Was seine personenbezogene Satire angehe, so Falk, wolle er sich damit keinen rechtschaffenen Menschen zum Feinde machen. Er fühle sich jedoch dazu berechtigt, verhaßte »Schurken« und »Dummköpfe« ebenso anzugreifen wie »die zwitterhaften, zweydeutigen Dichterlinge, die [,] für Prosa und Poesie gleich verloren, weder Phantasie genug besitzen, um angenehm zu lügen, noch Vernunft genug, um Herolde der Wahrheit zu werden.«631

Im unmittelbaren Anschluß an Falks »Helden« hatte Wieland eine von ihm selbst verfaßte vierseitige Rezension abdrucken lassen.632 Darin bezeichnete er Falk als einen »genievollen Verfasser«, der sich als einer von wenigen deutschen Dichtern zur Juvenalischen Satire berufen fühle, »und in der That scheint der Geist Juvenals so reichlich über ihn ausgegossen zu seyn, daß ihn selbst das Schicksal dieses römischen Satirendichters schwerlich von einer Laufbahn, worin noch so viel Lorbern zu erringen sind, abschrecken würde.«

Indessen, so Wieland weiter, sei zu hoffen, daß Falk keinen »Domitian«633 zu befürchten habe, »der weder Filosofen noch Satiristen dulden« wolle. Denn »wenn ein äusserst verdorbenes Zeitalter einen Juvenal bedarf und auffordert«, so treffe dies auf die Gegenwart zu. Wieland stellte sich mit seiner ganzen Autorität vor den jungen Dichter. Seine Parteinahme mußte in der Öffentlichkeit umso gewichtiger erscheinen, als er gleichzeitig an Falks Gedicht auch vorsichtige Kritik übte: Falk scheine sich »dem Drang und Feuer seines Genies zu sehr zu überlassen, um auf Harmonie und Wohlklang seiner Verse« in ausreichendem Maße zu achten. So gebe es eine Reihe von »Excessefn] einer noch nicht genug gebändigten Einbildungskraft«, und bisweilen verfalle er durch seinen Feuereifer gar »in's Groteske«.634 »Aber«, fährt Wieland fort,

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Tiberius (42 v. Chr.—37 n. Chr.), römischer Kaiser. G N M Nürnberg, Böttiger, 28, Falk an Wieland, Febr. 1796. 632 Wieland: Rez. v. Falk: Helden (1796) 384-387. 633 Domitian (51-96), römischer Kaiser. 634 Allen weist daraufhin, daß die kritischen Bemerkungen Wielands in der damaligen Literatenwelt vielfach übersehen und ihm zu Unrecht eine undifferenzierte Beurteilung der Werke Falks vorgeworfen wurde. Allen, a. a. O., 191 fF. 631

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»wohl dem jungen Dichter, dem man solche Vorwürfe zu machen hat, und dessen Fehler nur aus zu großer Kraftfulle, zu starkem Trieb, und zu üppigem Wuchs entspringen!«

Bis Falk »seine sicherste Regel« der Dichtkunst an seinem eigenen Geschmack gefunden habe, wünschte Wieland ihm einen klugen Freund, der ihn korrigierend fördere. Wieland zollte kurze Zeit später im »Merkur« dem Talent des jungen Dichters ein zweites Mal höchstes Lob:635 »Für mich ist dieser neue Dichter, der sich mit so viel Genie und Feuer, einer so reichen Ader von Witz und Laune, einem so warmen Herzen, so vielen Kenntnissen und einem so entschiedenen Dichtertalent der poetischen Satyre gewidmet hat, eine desto interessantere Erscheinung, da dieses Fach noch wenig, und meines Wissens, von keinem besonders dazu ausgerüsteten und durch zweckmäßige Studien dazu bestimmten Dichter bearbeitet worden ist. Auf diesen sind — oder ich müßte mich mächtig irren - die Geister des Aristophanes, Horaz, Lucian's, 636 Juvenal's und Swifts's, zugleich mit dem Geiste des Satyren-Malers Hogarth 637 herabgestiegen, um ihn zum Satyrendichter einzuweihen. Seiner Tugenden in dieser Rücksicht sind viel — und sein größter Fehler (ein Fehler, den ich jedem jungen Dichter wünschen möchte) besteht, meines Erachtens, darin, daß er dem Drang der ihm zuströmenden Bilder und Vorstellungen nicht immer ganz Herr über seine Einbildungskraft zu seyn scheint, und vom Feuer der Begeisterung sich zuweilen über die Grenzen des Schicklichen fortreißen läßt, oder seinen Hauptgegenstand ganz aus den Augen verliert. [. . .]«

Beflügelt durch dieses öffentliche Lob Wielands schrieb Falk unverzüglich an seine Eltern.638 Er legte ihnen »Die heiligen Gräber«, »Die Helden« und auch Wielands Urteile bei, letztere »nicht aus Eitelkeit«, wie er betonte, sondern um ihnen eine Freude zu machen. Dabei erwähnte Falk, Wieland habe ihn kürzlich »gebeten, ganz nach Weimar zu kommen, damit ich ihm in der Nähe wäre«,639 er selbst (Falk) habe darüber aber noch keine Entscheidung getroffen. Seinen Bruder David Wilhelm bat Falk, ihm die Reaktion der Danziger auf seine Gedichte »Die heiligen Gräber« und »Die Helden« mitzuteilen, ganz gleich, wie sie ausgefallen sei.640 Da er in ihren Augen »ein verstockter Sünder« sei, rechne er mit einem »großen Geschrey der Orthodoxen« gegen ihn. Seinen Eltern riet Falk, sich um mögliche Vorwürfe nicht zu kümmern: »Sie können nur immer sagen, Sie könten nichts dafür, daß ihr Sohn freye Grundsätze hätte, Sie hätten ihn in aller Gottesfurcht und Ehrbarkeit erzogen, hätten ihn 635 636 637 638 639 640

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Wieland: Rez. v. Falk: Gebete (1796) 446 f. Lukian (ca. 120-180), griechischer Satiriker. William Hogarth (1697-1764), englischer Maler und Kupferstecher. GSA Weimar 15/1.2.1.4, Falk an seine Eltern, März 1796. Der Brief Wielands scheint nicht erhalten geblieben zu sein. GSA Weimar, ebd.

alle Sonntage 2 mahl in die Predigt und 7 Jahre in die Katechismusstunde geschickt und so weiter.«641 Es ist unbekannt, ob es damals Reaktionen der Danziger Öffentlichkeit auf die Publikationen des ehemaligen Stipendiaten gegeben hat. Die Eltern selbst übten, was die Kommentierung der Publikationen Falks betrifft, deutliche Z u rückhaltung. Es scheint, daß sie den Entschluß ihres Sohnes, Dichter zu werden, inzwischen akzeptierten und von seiner Anerkennung als Gelehrter beeindruckt waren. Aufgrund ihrer geringen Bildung waren sie jedoch nicht in der Lage und aufgrund ihrer Frömmigkeit wohl auch nicht willens, mit dem Sohn in einen Gedankenaustausch über seine Veröffentlichungen einzutreten. Hingegen wird in ihren Briefen immer wieder deutlich, daß sie seinen Weg in der Fürbitte begleiteten. Ein gewisser Stolz auf seinen älteren Bruder spricht aus einem Brief Samuel Gottlieb Falks, der im Jahre 1796 zu einer Perückenmacherlehre nach Lüneburg gereist war. Er bat Falk um die Zusendung einiger seiner gedruckten Schriften, weil er sich dadurch bei seinem Meister, der bereits in der Zeitung von Falk gelesen hatte, »viel Lieb erwerben« könne. 642 Daß der pietistisch erzogene Falk gerade die Satire zu seinem poetischen Arbeitsfeld wählte, ist nicht nur für seinen eigenen Weg kennzeichnend, sondern wirft auch ein Licht auf die veränderte geistige Situation. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts bestand im pietistischen Halle eine ausgesprochene Feindschaft gegen die literarische Form der Satire.643 Einzig die strafende Satire mit dem Zweck der Erbauung galt als erlaubt. 644 Bis in die 90er Jahre scheint es in den Gymnasien von Halle auch noch keine Theaterauffiihrung gegeben zu haben. 645 Speziell die Satire wurde als Verstoß gegen das Gebot der Nächstenliebe verstanden; ihre Ablehnung wurde vor allem mit Ps 1,1 begründet: »Wohl dem, der nicht wandelt im R a t der Gottlosen noch tritt auf den Weg der Sünder noch sitzt, wo die Spötter sitzen.« Falk jedoch verspürte einen Drang, gerade durch die Satire zur Hebung der Moral beizutragen. Anregung dazu erhielt er durch die Lektüre antiker und neuerer Satiren. 646 In der Zeit des Umbruchs von der »pragmatischen« zur »idealisch-utopischen« Satire647 neigte er dazu, den »Widerspruch der Wirklichkeit mit dem Ideal« (Schiller) aufzuzeigen. 648 Bei seinem Philosophieprofessor Eberhard hatte Falk gelernt: »Der Hauptzweck der Satire ist, durch eine vollkommne sinnliche R e d e M i ß fallen an sittlichen Unvollkommenheiten zu erwecken.« 649 Die Satire erschien

641 642 643 644 645 646 647 648 649

GSA Weimar, ebd. GSA Weimar 15/I.1A.7.1, Samuel Gottlieb Falk an Falk, 28.11.1796. Martens: Literatur und Frömmigkeit (1989) 26. 95 ff. Martens, a. a. O., 97. Martens, a. a. O., 27; vgl. Kawerau: Aus Halles Literaturleben (1888) 284 f. Falks Bücherkatalogus von 1805 weist eine Fülle satirischer Literatur auf. GMD. Falk II.11. Wende-Hohenberger: Satire (1993) 334. Wende-Hohenberger, a. a. O., 332. Eberhard: Theorie der schönen Wissenschaften (1786) 160.

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somit als die für das Anliegen der Aufklärung besonders geeignete literarische Form. Falk seinerseits schreckte in seiner Satire — ähnlich wie es vor ihm Christian Ludwig Liscow getan hatte - auch vor einer Verspottung namentlich genannter Personen nicht zurück, er hielt die mitunter beleidigende Wirkung der Satire für legitim. 650 Falk durfte es als Beweis seiner Anerkennung als Satiriker betrachten, daß ihm die Sommersche Buchhandlung in Leipzig im Februar 1796 die Herausgabe eines »Taschenbuchs für Freunde des Scherzes und der Satire« anbot. 651 Falls einige »berühmte Dichter« daran mitarbeiteten, versprach ihm der Verleger ein Honorar von 200 Talern. Da Falk weiterhin über kein ausreichendes Einkommen verfügte, mußte er alles daran setzten, dieses Angebot wahrzunehmen. Er wagte es deshalb, Wieland um einen Beitrag zu bitten, ja er machte die Realisierung dieses Projekts zunächst sogar von dessen Zusage abhängig: »Von ihrer bejahenden oder verneinenden Antwort wird es lediglich abhängen, ob ich diesen Plan, der Mir unter allen, die ich zu meiner Selbsterhaltung einschlagen könte, der ehrenvollste scheint, von der Hand weisen werde oder nicht.«652 Falk erweckt mit dieser Formulierung den Anschein, als stünde ihm eine Vielzahl von Möglichkeiten wirtschaftlicher Versorgung offen, allein die Z u neigung zu seinem verehrten Vorbild Wieland lasse ihn — in der H o f f n u n g auf dessen Mitarbeit — die Herausgabe eines satirischen Taschenbuches in Angriff nehmen. In Wirklichkeit bot sich ihm jedoch, da er keinen bürgerlichen Beruf ergreifen wollte, kaum eine Alternative. Aus diesem Grunde trug er sein Anliegen Wieland im Brief vom März 1796 erneut vor. Er ließ Wieland wissen, der Verleger gestehe ihm zu, den eigentlich vorgesehenen Abgabetermin (»Johannis« - 24. Juni) zu überschreiten; es komme ihm nur darauf an, von Wieland eine feste Zusage zu erhalten, damit sein Name in der Ankündigung genannt werden könne. Unter anderem wegen Krankheit seiner Gattin kam Wieland vor seiner Abreise in die Schweiz aber nicht mehr dazu, Falks Wunsch zu erfüllen. In seinem Auftrag bat Böttiger mit Brief vom 16.6.1796 dafür um Verständnis. Gegenüber Wieland äußerte sich Falk auch zu seiner Zielsetzung als Satiriker. 653 Er müsse einerseits — wie im Gedicht »Die Helden« geschehen — »unbarmherzig Laster und Thorheit geissein«, andererseits aber auch die Genies und ihre Verdienste loben. Letzteres habe er in seinem Gedicht »Die

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Dies bestätigt eine Bemerkung Falks in seiner Wiedergabe einer Anekdote, die sein Vermieter Türk erzählt hatte: »Der Verfasser fand sich hiedurch höchlich beleidigt, obgleich Türk es gar nicht mit satyrischem Bezug gesagt hatte.« GMD. Falk IV.3.2, 15, Aus der hallischen Studentenzeit. 651 G N M Nürnberg, Böttiger, 28, Falk an Wieland, Febr. 1796. 652 G N M Nürnberg, ebd. 653 G N M Nürnberg, Böttiger, 28, Falk an Wieland, 24.3.1796.

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heiligen Gräber zu Kom« (1796) in gebührendem Maße unternommen, allenfalls sei ihm »hier und da ein Mißgriff« unterlaufen. Er vertraue indessen darauf, »daß Er, der dem [sie!] Falken mit dräuenden Fängen bewehrte, ihm auch die Augen genugsam geschärft haben wird, um seines angewiesenen Raubes nicht zu verfehlen.« Falk gab in jenem Briefseiner Hoffnung Ausdruck, Wieland werde in der Schweiz seiner gedenken, er werde »im Lande der Tugend und Unschuld den nicht vergessen, der allen Lastern und Thorheiten glühenden Haß zugeschworen hat«.654 Ähnlich äußerte sich Falk auch in einem undatierten Brief an Pastor Majewski, der an seiner schriftstellerischen Arbeit — der konkrete Anlaß ist unbekannt - Kritik geübt hatte: »Sie beschuldigen mich gewisser Lieblingsideen. Ja, die hab ich; und hier ist die Quintessenz davon! Ich hasse alle Schurken und alle Heuchler! Ich kann den Gedanken nicht ertragen, daß Prasser einem Mann mit sechs Kindern sein letztes Stück Brod wegnehmen, um es ihren Hunden zu geben! Ich hasse alle Art von Ungerechtigkeit, mag sie unter dem Schutz des Doppeladlers, oder einer Freiheitsmütze begangen werden. Dieß ist mein Glaubensbekenntnis.« 655

Falk verstand sich als unabhängig von jeder Ideologie. Geprägt von der seit seiner Kindheit erfahrenen Benachteiligung gegenüber den führenden Schichten sah er in der Sozialkritik einen wesentlichen Teil seiner Aufgabe. Trotz der Aussicht auf regelmäßige Einkünfte durch sein »Taschenbuch« hielt Falk nach weiteren Einnahmequellen Ausschau. Im Mai 1796 schickte er über Wieland ein Exemplar seiner »Gräber« und »Gebete« an die Weimarer Herzogin Anna Amalia. Man möchte vermuten, daß Falk dies wie bereits im Herbst 1795 mit der stillen Hoffnung verband, die Herzogin werde von seinem Talent beeindruckt sein und ihm in ihrer Nähe zu einem ordentlichen Lebensunterhalt verhelfen. In seinem kurzen Begleitschreiben656 schmeichelte er ihr mit dem Titel der »geistreichsten Fürstin Deutschlands, der erhabenen Beschützerin alles Guten und Schoenen«. Seine Gedichte verstehe er als vergängliche »Blumen auf dem Altar«, auf den sein »unsterblicher Freund [Wieland] seine unverwelklichen Kränze hing«. Nach der Fabel habe die Himmelsgöttin Juno ihre erste Träne geweint, als sich das Lamm ihr zum Opfer darbrachte. Deshalb »würde sich die verlassene Muse des armen Dichten [glücklich] schaetzen, wann es ihr gelaenge, durch die Darbringung eines Opfers, das Alles, was auch sie zu geben vermag, in Sich begreift - Amalien ein freundliches Laecheln abzugewinnen!«

Es ist unbekannt, ob die Herzogin Falk geantwortet hat. Böttiger bestätigte jedoch am 16. Juni den Empfang der Sendung und versicherte ihm, Amalia 654 655 656

G N M Nürnberg, ebd. GSA Weimar 15/IV.4, 64, R . Falk: Biographie, Auszug eines Briefes von Falk, o.D. SLUB Dresden, Mscr. h 37, Bd. 49, Nr. 5, Falk an Herzogin Anna Amalia, 25.5.1796.

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habe das Geschenk »sehr wohl aufgenommen, und die feine Wendung Ihres Briefes ganz zu schätzen gewußt.« 657 So sehr Falk diese herzogliche Mitteilung angenehm war, so wenig dürfte sie ihn wirklich befriedigt haben. Auf der Suche nach einem gesicherten Auskommen war er um eine Enttäuschung reicher. Zu dieser Zeit festigte sich indessen die Verbindung Falks zu einem Menschenfreund, der ihm in der Folge wiederholt einen ansehnlichen Geldbetrag schenkte: Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803), der Halberstädter Dichter, hatte es sich zur Aufgabe gemacht, mittellose poetische Nachwuchskräfte finanziell zu unterstützen. Auf Falk dürfte er durch dessen erste Veröffentlichungen aufmerksam geworden sein. Es ist jedoch nicht bekannt, durch wen er bereits im Herbst 1794 von Falks schwieriger Versorgungslage erfahren hatte. Damals ließ er ihm eine Geldanweisung zukommen mit der Bitte, ihm den Erhalt des Betrages »nur mit einer Zeile« zu bestätigen. 658 Vermittelt durch Gleims Großneffen und späteren Biographen Wilhelm Körte (1776—1846),659 der seit dem Sommersemester 1796 in Halle zunächst Jura und später Literatur studierte, verstärkte sich Falks Beziehung zu jenem tatkräftigen Förderer. 660 Wohl im Juni kam es zu einem Besuch Falks bei Gleim in Halberstadt. Bei dieser Begegnung dürfte sich Falk die bleibende Gunst Gleims erworben haben. Bei Gleim traf er auch mit dem Eutiner Altphilologen und Dichter Johann Heinrich Voß d.Ä. (1751—1826) und dessen Frau Ernestine zusammen, 661 die ebenfalls Freundschaft mit ihm schlössen.662 Etwa einen Monat später, am 16. Juli 1796, schrieb Gleim an Falk: »Diese Nacht, lieber Herr Falk, träumt ich: Sie wären ohne Gold. Hier ist Etwas!« 663 Die Hilfe erfolgte unter drei Bedingungen: Sie sollte als »Vorschuß« auf Falks satirische Werke gelten, Falk sollte von jedem seiner veröffentlichten Werke bis zu Gleims Tod jeweils ein Exemplar an dessen Familienbibliothek schenken, und schließlich - als dritte Bedingung — sollte er keinem Menschen von diesem Vertrag Mitteilung machen. Gelegentlich verlangte Gleim von dem jungen Satiriker einen literarischen Dienst. In seinem Brief vom 28. Juli 1796 forderte er Falk auf, gegen den Philologen und Historiker Johann Kaspar Friedrich Manso, der Voß und

G S A Weimar 15/II.1A.9.1, Böttiger an Falk, 16.6.1796. G S A Weimar 15/II.1B.4.1, Gleim an Falk, 11.11.1794. 6 5 9 Richter: Körte (1882) 725. 6 6 0 Braun: Gleim und Falk (1923/24) 68. 6 6 1 Dies geht aus den Notizen auf einem tapetenähnlichen Stück Papier hervor. U B Heidelberg, Hd. Hs. 3715,4. - Zur Datierung der Reise von Voß vgl. Voß: Briefe, 2 (1830) 318 f. 6 6 2 Laut Braun, a. a. O . , 70, lernte Falk bei Gleim auch den Braunschweiger Hofrat Johann Joachim Eschenburg, den Dichter Jean Paul sowie Mahlmann kennen. Ueding notiert j e d o c h eine Reise Jean Pauls nach Halberstadt erst für den 21.-27.7.1798 (Ueding: Jean Paul (1993) 202). Laut Nerrlich lernte Falk Jean Paul erst bei Herder in Weimar kennen (Nerrlich: Jean Paul (1889) 318). 6 6 3 G S A Weimar 15/11.1B.4.2, 16.7.1796. 657

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Herder — beide waren mit Gleim eng befreundet — scharf angegriffen hatte,664 öffentlich Stellung zu nehmen. Falk solle ihn »geißeln«, er solle »die Schmeißfliege« mit seiner »Fliegenklappe« erledigen.665 Gleim schloß seinen kurzen Brief mit den Worten: »Leben Sie, von Gott berufener und verordneter! recht, recht wohl, für die Menschheit, und für Ihren Vater Gleim.« Falk wird den Briefschluß mit Freuden gelesen haben, war ihm doch in Gleim ein wirklich väterlicher Freund geschenkt, der für seinen Weg nicht nur Verständnis zeigte, sondern darin - wie er selbst666 - geradezu eine göttliche Berufung zu sehen vermochte. Die Aufforderung des sonst so friedfertigen Gleim, öffentlich gegen Manso aufzutreten, dürfte Falk jedoch in Verlegenheit gebracht haben. Von einer unmittelbaren Antwort Falks an Gleim ist nichts bekannt. Gleim schickte Falk am 9. August 1796 ein von ihm selbst verfaßtes Gedicht und bat ihn um Veröffentlichung unter seinem (Falks) Namen. Es ist nicht bekannt, ob Falk dieser Bitte entsprochen hat.667 Noch etwa im April 1797 teilte er Karl Morgenstern mit: »Ich verschliesse in meinem Pult ein furchtbares Stück auf Herrn Manso und Consorten poetischen Inhalts. Es heiss[t] Mansos To[d .. ,]«668 Es dürfte im Sommer 1796 gewesen sein, als Falk in Halle auch Alexander von Humboldt (1769-1859) begegnete. Nähere Umstände dieser Begegnung sind nicht bekannt. Falk hinterließ jedoch bei Humboldt einen sehr guten Eindruck, so daß dieser einige Zeit später an den schwedischen Diplomaten Karl Gustav Freiherrn von Brinkmann 669 schreiben konnte: »In Halle habe ich einen j u n g e n M e n s c h e n kennengelernt, der einen sehr vorteilhaften Eindruck in mir zurückgelassen hat. Er heisst Falk u n d ist derselbe, der soeben einen satirischen Almanach [.. .] herausgegeben hat. Gelesen habe ich nichts v o n ihm, aber er spricht sehr interessant u n d n o c h m e h r als d u r c h sein Gespräch gewinnt er d u r c h sein Aeusseres, seine Gestalt, seine M i e n e u n d sein Betragen.« 6 7 0

Humboldt hatte auch seiner Frau Caroline von der Begegnung mit Falk berichtet, so daß diese gegenüber Brinkmann sogar äußerte, ihr Mann finde Falk »interessant und den schönsten der erdgeborenen Männer«.671 Vielleicht war dieser Meinung damals auch schon die 16jährige Caroline Rosenfeld in Halle. Zu ihr bahnte Falk im Sommer des Jahres 1796 ein freundschaftliches 664 Braun, ebd. — Nachdem Manso auch an Schillers »Hören« scharfe Kritik geübt hatte, wurde er ebenfalls im Jahre 1796 von Goethe und Schiller in den Xenien wegen seiner Veröffentlichung »Die Kunst zu lieben« verspottet. Goethe: Gedichte. Vollständige Ausgabe, Stuttgart, o.J., 1166. 1195. 665 GSA Weimar 15/11.1B.4.3, Gleim an Falk, 28.7.1796. 666 Vgl. Falk: Curriculum vitae (1795). 667 Vgl. jedoch u. S. 295. 668 UB Dorpat, Bl. 106, Falk an Morgenstern, ca. Apr. 1797. 669 Karl Gustav Freiherr von Brinkmann (1764—1847) war Jugendfreund Schleiermachers. Vgl. R . Hermann: Schleiermacher (1961) 1422. 670 Falk: Briefwechsel (1953) 44; Brief vom 7.11.1796. 671 Falk, a.a.O., 45; Brief vom 2.1.1797.

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Verhältnis an. 6 7 2 Halle wurde für Falk aber auch z u m Schauplatz eines schweren Konflikts, den er durch seine satirische D i c h t u n g heraufbeschwor. Mitte September 1796 6 7 3 wurde in Halle sein Puppenspiel »Die U h u ' . Eine dramatisch-satirische R h a p s o d i e , mit C h ö r e n von U h u ' n , R a b e n und N a c h t eulen« 6 7 4 drei T a g e hintereinander aufgeführt. Viele »Professoren, D o c t o r e n und Zuschauerfn] aus allen Ständen und Geschlechtern« sahen sich das Stück an und machten es z u m Tagesgespräch. U b e r die A u f f ü h r u n g berichtete ausführlich ein später im » N e u e n Teutschen Merkur« abgedruckter B r i e f eines nicht genannten Autors v o m 15. September 1796: »Dieser Tage hatte das Publikum eins der sonderbarsten Schauspiele. Hr. Falk, der sich durch seine satyrischen Versuche auch bereits im Publicum bekannt gemacht, veranstaltete die Aufführung einer von ihm selbst verfertigten, dramatisch-satyrischen Rhapsodie. Sie führte den Titel: die Uhu's. Marionetten, eine Elle hoch und drüber, Uhu's, Käuzlein, ausgestopfte Raben und Nachteulen machten das Personale aus. Die Scene war in dem Tempel der Göttin Moria. Diese Göttin (ein großer beweglicher Uhu) saß auf einem Thron, der von leeren Bücher- und Journalumschlägen aufgethürmt war; seelenlose Körper (wie Moria sich selbst darüber ausdrückte) von ungeborenen deutschen Autoren, deren respective Geister gegen die leipziger Ostermesse in ihrem Tempel zu Tausenden erschienen, um sich zahm in einen ihr beliebigen Körper von Schweins-, Kalb- oder Schafleder einkleiden zu lassen. [.. .] Das Stück war voll von Beziehungen auf Zeitumstände 675 und lebende Dunse 676 [.. ,]«677 D i e russische Zarin Katharina II., die Falk als »schön' Rarität« charmant und mit weißem Federhut zeigte, ließ er z u m P u b l i k u m sagen: »Laß abschießen dir ein' Hand; Kriegst ein blaues Ordensband!« 678 Falk kritisierte, kein H a h n krähe danach, daß die hohen Herrschaften »bis ans K n i e im Blute gehn«, vielmehr stimme m a n für sie ein allgemeines »Te D e u m « an. Ein großer R a b e krächzte: »Jauchzet den Despoten Zu Ehren, Welche uns mit Todten Ernähren; Vgl. Döring, a. a . O . , 61. Falk/Saupe, a. a. O., 649, nennt irrtümlich das Jahr 1795. 6 7 4 Abgedr. mit begleitenden Noten von Karl Ditters von Dittersdorf in Falk: Tb. 1797, 215-316. - Vgl. dazu Allen, a. a. O., 450 ff. 6 7 5 Falk, a . a . O . , 2 3 0 f f . 6 7 6 Der seit Mitte des 18. Jh. nachgewiesene Begriff »Duns« meint hier soviel wie »Schuft«, »Dummkopf«. Grimm: Wörterbuch, 2, 1557 f. 6 7 7 Neuer Teutscher Merkur (1797) 1, 57f.; vgl. R . G. [Döring]: Falk, 16f. 6 7 8 Falk, a . a . O . , 221. 672

673

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U n d v o m Schlachtfeld Leichen U n s reichen.« 679

Falk verspottete in dem Puppenspiel auch die Kantsche Philosophie. Im fünften Auftritt ließ er »Knipperdolling«,680 einen Kantianer, mit den Worten begrüßen: »Sie kommen eben recht!« Der jedoch entgegnete: »Ewr. G n a d e n scheinen681 ein w e n i g zu affirmativ zu sprechen. M u ß heissen: Es scheint mir, daß Sie eben recht k o m m e n [.. .] Es scheint Ewr. G n a d e n also, daß ich g e k o m m e n u n d daß ich hier bin. I m G r u n d e aber lehrt uns die Kritik der reinen Vernunft, daß wir hier kein D i n g an sich erkennen, sondern lediglich die Erschein u n g e n der Dinge.« 6 8 2

Falks Stück erregte nicht zuletzt deshalb Aufsehen, weil er es gewagt hatte, das durch Wöllners Religionsedikt von 1788 geschaffene Klima einer staatlichen Gesinnungskontrolle öffentlich zu kritisieren. Den Berliner Oberkonsistorialrat Hermes,683 Wöllners Sachwalter, nannte Falk eine »Blendlaterne«.684 Ein Landesvater könne zwar, so Falk, den Körpern seiner Untertanen leicht die gleiche Uniform aufzwingen, nicht jedoch ihrem Geist eine »Glaubensnorm«. Das Stück endete mit der Aufforderung an Friedrich Wilhelm II., er möge seine Größe dadurch unter Beweis stellen, daß er sich von »Pfaffenhudeley« unabhängig erweise.685 Gleim, dem Falk sein Marionettenstück zugeschickt hatte, mißbilligte, daß bei der Abfassung »das Weinen Ihnen näher als das Lachen« gewesen zu sein schien.686 Wer lange leben wolle, müsse lieber lachen als weinen. Auch mißfiel dem Patrioten Gleim, daß Falk in seinem Stück Friedrich dem Großen und Voltaire687 keine positive Rolle zugewiesen hatte. Etwa zwei Wochen nach der Aufführung wurde Falk folgender anonyme Brief 688 zugestellt: »Mein Herr! W e n n der R a t h eines Mannes, der d e n H o f f u n d die Welt n u r zu sehr k e n n e t , etwas über sie Vermag, w e n n ein Freund der Sie w e g e n ihrer grosen Talente b e w u n d e r t , u n d w e g e n ihrer E d e l m ü t h i g e n Unerschrockenkeit h o c h schäzt, w e n n er gleich die Keckheit — verzeihn Sie mir d e n Ausdruck - mit der Sie die E h r w ü r digste Gegenstände der Religion u n d der Staats Verfassung Lächerlich m a c h e n , durchaus misbilligt, w e n n ein solcher Freundt G e h ö r bey I h n e n findet, so entfernen 679

Falk, a. a. O., 248. Der Name erinnert an den führenden schwärmerischen Täufer von Münster von 1534/35. 681 Im Original gesperrt gedruckt. 682 Falk, a.a.O., 231. 683 S.o. S. 135. 684 Falk, a.a.O., 289f. 685 Falk, a.a.O., 316. 686 GSA Weimar 15/II.1B.4.6, Gleim an Falk, 20.9.1796. 687 Voltaire, eigtl. François-Marie Arouet (1694-1778), französischer Philosoph. 688 GSA Weimar 15/II.1E.4, Brief von Unbekannt (Berlin) an Falk, 1796. Vgl. R . G. [Döring], a.a.O., 17. 680

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sie sich j e Ehr j e lieber aus Ihrem jetzigen wohnordte, bis das furchtbare ungewitter Vorüber ist, das gegen Sie von hier aus aufzuziehen drohet. Schon bey den Helden 689 hat Ihnen blos W s 690 Auctoritas vor einer Gerichtlichen Untersuchung gerettet. H . . . . S weiß, wie ich aus zuverläßigen Quellen in Erfahrung gebracht, alles und Speyet feyer und Galle. Man jnsinuirt den ....g. 692 Sie hätten ihn selbst, ich weiß nicht mehr unter welcher Gestalt, außgefuhret. Kaum kann ich glauben, das jugendlicher leichtsinn und die Sucht zu Satirisiren Sie so weit über alle Schranken der Vernunft und besonnenheit sie weggeführt hätten. Solte Ihr Proceß, wie es zu weilen geschiehet, mit Execution 693 eingeleitet werden, so wäre Vielleicht G n 694 oder F fe 695 unausbleiblich. Es kostet nur einen 6 9 1

Ka

hl 696 und dieser ist Vielleicht schon unterwegens.

Ihr Sie Hochschätzender wenngleich unbekanter Freund

g.

Berlin Sept. den 1796.« W i e sollte Falk auf diesen Brief reagieren? J e n e r »unbekannte Freund«, der Falk B e l e i d i g u n g v o n Staat und R e l i g i o n vorwarf, konnte kein wirklicher Freund sein. Was aber, wenn seine Informationen von einer bevorstehenden Verhaftung Falks zutrafen? Falk mußte aufgrund der A n d e u t u n g e n des Briefes davon ausgehen, daß der Absender über zuverlässige Q u e l l e n verfügte und folglich für ihn größte Gefahr bestand. Freunde, denen vielleicht das Schicksal der Satiriker Justi 6 9 7 und Riedel 6 9 8 vor A u g e n stand, rieten ihm zu sofortiger Flucht. Falk blieb j e d o c h . »Nur Stumpfsinn und Bosheit [.. .] können ein Staatsverbrechen aus dieser Posse herausdeuteln. Der König ist ein guter wohlwollender Fürst, die preußische Justizpflege ist vortrefflich; ich furchte nichts. Unsere Regierung ist zu aufgeklärt, um sich durch Lettres de cachet zu brandmarken, und offene Untersuchung scheu' ich nicht.« 699

Falks satirisches Werk »Die Helden« war im Frühjahr 1796 erschienen. Im Original scheint jeder Auslassungspunkt einem Buchstaben zu entsprechen; demnach wäre hier »Wieland« zu lesen. 6 . 1 Vermutlich »Hermes« (1738-1821), der Konsistorialrat bei der preußischen Regierung in Berlin. 6 9 2 Vermutlich ist hier der »König« gemeint. 6 . 3 Hier — Strafvollstreckung. 6 . 4 Vermutlich »Gassenlaufen«. Vgl. R . G. [Döring] ebd. 6 9 5 Vermutlich »Festungsstrafe«. Vgl. R . G. [Döring], ebd. 6 . 6 Vermutlich »Kabinettsbefehl«. 6 . 7 Gegen Johann Heinrich Gottlob von Justi (1719-1771), im Hauptberuf Volkswirtschaftler, war irrtümlich Betrugsverdacht erhoben worden; er starb als Gefangener. Alt: Aufklärung (1996) 267. 6 9 8 Riedel wurde aufgrund von Verleumdungen aus seinen akademischen Ämtern gedrängt und starb 1785 als 43jähriger in der Irrenanstalt. Alt, ebd. 6 , 9 Neuer Teutscher Merkur (1797) 1, 59; vgl. H. Döring, a. a. O., 56; R . G. [Döring], a. a. O., 17 f. 689

6.0

210

Tatsächlich erwies sich die anonyme Warnung vor einer unmittelbar bevorstehenden Festnahme Falks als gegenstandslos, er blieb unbehelligt. Vielleicht hatte dies seinen Grund auch darin, daß Falk dem König durch Wolfs Schreiben vom 21. Juli als vorzüglicher Student bekannt war. 700 Dennoch scheint in Halle nach der Aufführung der »Uhus« eine für Falk ungünstige Stimmung aufgekommen zu sein, die bei ihm eine Krise auslöste. Er fühlte sich verleumdet und zog sich aus der Öffentlichkeit zurück. Einer der wenigen, die von Falks Stimmung wußten, war sein Freund Wilhelm Körte. Gegen Falks Wunsch unterrichtete Körte seinen Großonkel Gleim in Halberstadt. Dieser schickte ihm daraufhin zur Aufmunterung eines seiner poetischen Werke und legte der Sendung einen Brief bei, in welchem er neben der Bekundung seines Mitgefühls vermutlich auch freundschaftliche Kritik an Falks — für Gleims Empfinden — übertriebener Schärfe gegen die preußische Regierung übte. Dieser Brief bewog Falk wiederum, postwendend zu antworten 701 und Gleim gegenüber seinen inneren Zustand zu offenbaren. Er litt — so schrieb er ihm — unter den »verworrnen Vorstellungen, die der große Haufen unsers Publicums mit dem zweydeutigen Beruf eines Satirikers verbindet«. Er fühlte sich — zwar nicht von Gleim, jedoch von anderen, nicht näher bezeichneten Personen — verkannt. Falk sah sich dem Vorwurf ausgesetzt, er verstoße mit seiner Satire gegen das Gebot der Menschlichkeit. Seiner Meinung nach konnten jedoch »Wohlwollen gegen Edle« und »Härte und Gefühllosigkeit gegen Nichtswürdige« durchaus in einer Person vereinigt sein, ohne daß diese in einen Selbstwiderspruch geriete. Falk war davon überzeugt, daß gerade auch diejenigen Aussagen seiner Satire, die vordergründig vielleicht wie reine Menschenverachtung klingen mochten, in Wahrheit tiefem Mitgefühl entsprangen. »Ach! w e n n m a n wißte, daß das H e r z des echten Satirikers, dessen höchstes Gesetz Moralität ist, bey eben den Stellen, w o m a n ihn bittern, menschenfeindlichen Spott vorwirft, zerrissen war u n d blutete, daß eben dies Auge, was über die T h o r h e i t e n seiner N e b e n g e s c h ö p f e lächelte, n u r zu oft über dieselben in bittere T h r ä n e n ausbrach: m a n w ü r d e nachsichtsvoller gegen ihn seyn, w e n n ihn sein Enthusiasmus f ü r s G u t e u n d Edle hier u n d da auf Irrwege verleitet.«

Mit dem Eingeständnis, sein Enthusiasmus habe ihn zeitweilig auf Irrwege geleitet, dürfte Falk auf jene Passage aus der positiven Beurteilung seines Talents durch Wieland im »Merkur« angespielt haben, in der dieser es als Falks 700

Reiter, a.a.O., 210. GSA Weimar 15/N8.1 (X.2.6.1), Falk an Gleim, o. O., o.D. [ca. Ende Sept./Anf. Okt. 1796], Mit großer Wahrscheinlichkeit ist der Brief Ende September oder Anfang Oktober 1796 in Halle geschrieben, da Falk sich zum einen auf die dortigen Gelehrtenkreise bezieht (S. 4), und zum andern noch davon ausgeht, daß Professor F. A. Wolf den im Sommer an ihn ergangenen Ruf nach Leiden annehmen werde (S. 8). Ferner gibt er an, daß die Mutter seines Freundes Karl Morgenstern »unlängst gestorben« sei (S. 8). Morgenstern selbst hatte ihn darüber am 16.9.1796 unterrichtet (GSA Weimar 15/11.1C.6.3). 701

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größten, obschon verzeihlichen Fehler bezeichnet hatte, daß er »vom Feuer der Begeisterung sich zuweilen über die Grenzen des Schicklichen fortreißen läßt«.702 Unter Berufung auf Wieland als Anwalt seiner außerordentlichen Qualitäten fühlte Falk sich berechtigt, in seinem Brief an Gleim gegen seine Widersacher Klage zu führen. Enttäuscht äußerte er sich insbesondere über die Gelehrten. Er hatte den Eindruck gewonnen, daß sie nicht demselben moralischen Ideal verpflichtet seien wie er selbst. Falk nennt diese Kreise sogar »Pflanzschulen des Neides und der Verleumdung« 703 und »Lästerklubs, wo das ursprüngliche Gepräge der Menschheit so lange schon verloren ging« und »cultivirtefn] Lazarethefn], wo man sein Ohr durch das Geschmetter der Pauken und Drommeten gegen das Geächz der Sterbenden vergeblich betäubt!«704 Die Teilnehmer an jenen Klubs waren in Falks Augen »geistsieche Halbmänner« und »nervensieche weibliche Conventionspuppen«. Falk gibt mit diesen abschätzigen Ausdrücken den Vorwurf der Unmenschlichkeit an seine Kritiker zurück und fragt: »Ist dies das Ebenbild Gottes, das u m zu denken, zu urtheilen, zu empfinden, sich wie eine etwas besser eingerichtete U h r alle A b e n d in irgend einen Klub aufziehen läßt, u m alsdann 24 Stunden fortzulaufen, und nach abgelaufenen R ä d e r w e r k plötzlich zu stocken, bis irgend eine tölpische H a n d es wieder für die nächsten 24 Stunden in einer Assemblee stellt und aufzieht.« 7 0 5

Falk spürte selbst und drückte es in seinem Brief aus, daß ihm seine »Phantasie mit unseliger Geschäftigkeit alle Gegenstände menschlicher Leidenschaft und Begierden [ . . . ] in's Schwarze verzeichnet«, während Gleims Phantasie - wie das soeben erhaltene Buch belege — »die Dinge in einem sanften lieblichen Rosenlichte« zeige. 706 Falk beneidete Gleim um diese Fähigkeit, vermochte sich selbst jedoch einer solch »süße[n], selige[n] Täuschung« nicht hinzugeben. 707 Er empfand, daß ihn von Zeit zu Zeit - wie wohl auch jetzt, zum Zeitpunkt der Abfassung seines Briefes an Gleim — »ein gewisser Lebensüberdruß« überwältigte. 708 »Wie ein Träumender flieh ich die Gesellschaft der Menschen, und lebe verschlossen in die Schöpfungen der Phantasienwelt.«709 Falk wollte sich vom Urteil anderer unabhängig machen und wünschte sich allenfalls einen »Herzensfreund«, der einst an seiner Totenbahre spreche: »Er war mein Freund, mein trautester Geselle In S c h i m p f und Ernst. - O troz der Schelle Neuer Teutscher Merkur (1796) 4, 446 f. GSA Weimar 15/N8.1(X.2.6.1), 5, Falk an Gleim, o . O . , o.D. [ca. Ende Sept./Anf. Okt. 1796], 7 0 4 GSA Weimar, a. a. O., 4. 7 0 5 GSA Weimar, a . a . O . , 4f. 7 0 6 GSA Weimar, a. a. O., 7. 7 0 7 GSA Weimar, a . a . O . , 6. 7 0 8 GSA Weimar, a. a. O., 4. 7 0 9 GSA Weimar, ebd. 702 703

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An seiner Kappe, trennt Uns nicht Ihr Seligen! «710 Falk litt im Herbst 1796 unter d e m E i n d r u c k fehlender A n e r k e n n u n g , ja offener Feindschaft in der Hallenser Öffentlichkeit, war j e d o c h gleichzeitig v o n seiner B e r u f u n g u n d außerordentlichen poetischen B e g a b u n g überzeugt. Diese S p a n n u n g fand ihren Niederschlag in seinem Gedicht »Zuruf an sich selbst«,711 das sehr wahrscheinlich in j e n e r Zeit entstanden ist u n d das Falk später in seinen autobiograhischen R o m a n a u f g e n o m m e n hat: »Einst an der Ostsee niederm Stand entflohen, Sollt ich den Großen dieser Welt und Hohen, Geführt von Gott in Erdenschiksals Schranken, So wollt' es streng sein Rathschluß — nichts verdanken. Wer hat in dunkler Werkstatt Labyrinthe, Die Hand gereicht dem hülflos armen Kinde? Wer zu der Dichtkunst heiteren Bezirken Gelenkt des muntern Knaben Thun und Wirken; Bis heil'ge Gluth sein Innerstes durchbrannte: Bis er Homer entzükt den Seinen nannte; Mit Aristophanes den Bund geschlossen, Und Thränen ihm beschämt vom Auge flössen? Ja, ich erkenn' dich, Himmlischste der Musen, Du eigne, angestammte Kraft im Busen! Durch dich hab' ich gelernt der Welt entsagen, Und Alles für die Kunst erdulden — tragen. Als einst des Weltmeers Fluthen mich umstürmten: Wo waren sie, die Retter, die mich schirmten? Wer lehrte mich im Sturm den Nachen bauen, Den ich beschritt, voll heil'gem Selbstvertrauen? Als Ihr mir helfen solltet - spracht Ihr Tadel: Als Ihr mich lobtet - fühl't ich eignen Adel: Drum weint' ich Thränen, wenn sie Beyfall lachten, Und schwur's und hielt's — sie ewig zu verachten.«712 710

GSA Weimar, a . a . O . , 3. Datierung und Titel des Gedichtes in: Falks Auserl. Werke I (1819) XXII. 712 Falk: Leben d. Johannes v. d. Ostsee (1805) 186 f. — Eine leicht veränderte Fassung befindet sich in Falks Auserl. Werke I (1819) XXII f.: »Einst an der Ostsee dunklem Stand entflohen, / sollt ich den großen dieser Welt und Hohen, / Geführt von Gott in Erdenschicksals Schranken - / So wollt' es streng sein Rathschluß - nichts verdanken. / / Wer hat in dunkler Werkstatt Labyrinthe / Die Hand gereicht dem hülflos armen Kinde? / Wer zu der Dichtkunst heitern Glanzbezirken / Gelockt des muntern Knaben Thun und Wirken - / / Bis heiige Glut sein tiefstes Herz durchbrannte, / Gutmüthig Wieland ihn den Seinen nannte, / Bis Göth' und Gleim ihn in die Arme schlössen / Und Thränen blöder Scham vom Aug' ihm flössen? / / Dich nur erkenn' ich, himmlischste der Musen, / Dich, eigens angestammte Kraft im Busen! / Du lehrtest mich allein, der Welt entsagen / Und alles für die Kunst bestehn und tragen. / / Als einst des Weltmeers Fluthen mich umstürmten / Wo waren da die Retter, die dich schirmten? / Wer lehrte dich, im Sturm den Nachen bauen?, / Den du bestiegst mit heil'gem Selbstvertrauen? / / Als ihr mir 711

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W ä h r e n d Falk noch im Jahr zuvor im Bittschreiben an den Danziger Bürgermeister Conradi seinen Dank für wohlwollende Förderung durch seine Lehrer D r o m m e r t u n d Payne, seinen Seelsorger Majewski 713 sowie auch Conradi selbst mit feierlichen W o r t e n z u m Ausdruck gebracht hatte, stellte die Ablehn u n g einer Verlängerung des Stipendiums durch den Danziger Stadtrat für Falk eine tiefe Enttäuschung dar. Vor allem aber — so erschien es ihm im Rückblick des Jahres 1796 — glich seine Lage seit dem Wegfall des Stipendiums derjenigen eines Schiffbrüchigen, der sich auf hoher See aus den Überresten des v o m Sturm zerstörten Schiffes allein einen N a c h e n bauen soll, auf w e l c h e m er das rettende U f e r erreichen kann. D e n im Herbst 1796 in Halle aufgebrochenen Widerstand gegen seine Tätigkeit als Dichter deutete Falk als Fortdauer jenes über ihn hereingebrochenen Sturmes, den er nur in »heil'gem Selbstvertrauen« — darin aber gewiß! — meistern könne. Er meinte n u n sich selbst, die »eigne, angestammte Kraft im Busen« als tragenden G r u n d seiner Existenz zu erkennen. 7 1 4 Ende September wandte sich Falk schriftlich an J o h a n n Heinrich Voß, vielleicht u m auch ihm von seiner unglücklichen Lage Kenntnis zu geben. Anfang O k t o b e r erhielt Falk gleich zweimal Post von ihm. A m 2.10.1796 schrieb Voß: »Der Brief, Bester, ist mir ein großer Beweis Ihrer Freundschaft. Jener bedürfte ich keines Beweises! Ich habe Sie durch und durch kennen gelernt, und gesagt: Du bist mein!715 [. ..] Wir haben Sie beide716 recht herzlich lieb; das glauben Sie, mein guter Falk, oder kommen Sie nach Eutin, so sollen Sie's sehen.«717 Acht Tage darauf schickte Voß die neueste Ausgabe eines Almanachs, in dem Falks »Lied auf Thoms« abgedruckt war, mit der Bemerkung: »Ihr Lied ist mir eines der liebsten in der ganzen Sammlung. Sorgen Sie früh für den künftigen Almanach mit Liedern und allem, was Ihnen der Geist eingiebt. Der Geist! nicht der Vorsatz, ein noch leeres Fach der Literatur auszufüllen. Sie werden originell sein, gerade dann am ersten, wenn Sie nichts sein wollen.«718 D e n W o r t e n von Voß ist zu entnehmen, daß er trotz aller Wertschätzung bei Falk auch eine unangenehme N e i g u n g zur Selbstdarstellung e m p f u n d e n hatte. helfen solltet, spracht ihr Tadel; / Als ihr mich lobtet, fühlt' ich eignen Adel. / Drum weint' ich Thränen, wo sie Beifall lachten, / Und schwur's — und hielt's! — sie ewig zu verachten.« 713 Vgl. auch Falks dankbare Erinnerung an Majewski in seinem Gedicht »Auf, Falk! auf, und bestelle dein Haus, du must sterben!« S. o. S. 165. 714 Falks Formulierung zeigt auffallende Ähnlichkeit mit Gedanken in Goethes »Prometheus«: »Wer rettete vom Tode mich, / Von Sklaverei? / Hast du's nicht alles selbst vollendet, / Heilig glühend Herz?« / / Goethes Werke. Hamburger Ausgabe, Bd. I (1974) 45. Den Hinweis darauf verdanke ich Herrn Studiendirektor Ulrich Oelschläger, Worms. 715 Vielleicht liegt in dieser Formulierung eine Anspielung a u f j e s 43,1. 716 Gemeint ist: Wir beide - Voß und seine Frau . . . 717 GSA Weimar 15/11.1E.10.2, J. H. Voß an Falk, 2.10.1796. 718 GSA Weimar 15/11.IE.10.3, J. H. Voß an Falk, 10.10.1796.

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Deshalb ermahnte er ihn in geradezu seelsorgerlichem T o n zu bescheidenem Auftreten. Voß erwies sich darin für Falk als Freund, d e m an einer geistvollen Fortentwicklung des j u n g e n Satirikers gelegen war. Im Herbst 1796 erschien der erste Band v o n Falks »Taschenbuch für F r e u n de des Scherzes u n d der Satire«. 719 Darin legte Falk sein Verständnis v o n Satire dar, u n d zwar in einer R e z e n s i o n seines eigenen Buches. In der »Nachschrift an den geneigten u n d ungeneigten Leser« 720 äußert er in ironischem T o n , daß es die Satire »durchaus nur mit der Z u k u n f t u n d Vergangenheit, nie aber mit der Gegenwart zu tun« habe. »Versucht euch in einer Satire über den kleinen H..m.s, 7 2 1 u n d ich w e t t e darauf, es gibt N a r r e n genug, die sich seiner mit W ä r m e a n n e h m e n . — U n d d o c h ist dieser ehrwürdige Prälat so allgemein w e g e n seiner Gewissenstyrannei verhaßt, daß, w e n n ihr schwieget, sich vielleicht die Steine selbst gegen ihn erheben würden.«[vgl. Lk 19,40] W i e d e r u m ironisch vermerkt Falk, der R e z e n s e n t sei bereit, die gesamte nichtswürdige Vorwelt d e m Satiriker preiszugeben, w ä h r e n d dies in b e z u g auf die g e g e n wärtige Generation nicht erforderlich sei, da diese »aus lauter aufgeklärten M e n s c h e n f r e u n d e n u n d u n b e s t o c h n e n Patrioten« bestehe. In der R o l l e seines eigenen R e z e n s e n t e n kritisiert Falk, »wie ein so seichter K o p f s i c h erfrechen kann, die würdigsten M ä n n e r unserer N a t i o n [ . . . ] zu begeifern«, V e r l e u m d u n g e n begegne m a n allenfalls in a n o n y m e n Beiträgen. Das Titelblatt des ersten »Taschenbuchs für Freunde des Scherzes u n d der Satire« trug den Zusatz: »Nebst e i n e m säubern C o n t e r f e y auf die Kantische Philosophie«. In der Bildmitte der beigehefteten Karikatur, die Falk in einer »anmuthigen Historia« kommentierte, 7 2 2 flattert, durch ein Seil mit d e m Haus der Philosophie v e r b u n d e n u n d b e w e g t v o m W i n d eines Blasebalgs, ein P a pierdrachen, den Kants »Jüngerschaft« aus dessen drei »Kritiken« z u s a m m e n geflickt hat. D e n Schwanz bilden zwanzig Zettel mit N a m e n v o n Philosophen wie Fichte, Schelling u n d R e i n h o l d . A m Schwanzende sind Kants vier »Kategorien« (Relation, Modalität, Qualität, Quantität) zu erkennen. Ein »dicker Mann«, der sich unterstand, die vier Kategorien anzugreifen, verliert den Kampf, die Kategorie »Quantität« hebt ihn in die Lüfte. J e d o c h - z u m Schrekken der Magister u n d Patres n i m m t Ainesidemus 7 2 3 eine Schere u n d d u r c h -

719 Am 27.11.1797 teilte Samuel Ernst Timotheus Stubenrauch, der Onkel Schleiermachers, seinem Neffen mit, er habe in der Zeitung eine Anzeige des Falkschen »Taschenbuchs« gelesen. Da Wieland den Verfasser wegen einer anderen Schrift sehr gelobt habe, bat Stubenrauch Schleiermacher um nähere Auskunft. Es ist unbekannt, ob Schleiermacher der Bitte entsprach. Schleiermacher KGA, V/2, 58. 720 Wiederabdruck in: Falk/Saupe, a. a. O., 301-304. 721 Gemeint ist der Berliner Oberkonsistorialrat Hermes (vgl. oben S. 135). Vielleicht ist die kritische Bezugnahme auf Hermes bereits eine - erneut riskante - Reaktion aufjenen anonymen Brief aus Berlin vom September. 722 Falk: Tb. 1797, 201 ff.; vgl. auch das Register, a. a. O., 317-329. 723 Pseudonym des seit 1788 in Helmstadt lehrenden Philosophen und Kant-Kritikers Gottlob Ernst Schulze (1761-1833), nach dem antiken Skeptiker Ainesidemus (ca. 100 v. Chr.).

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trennt das Seil des Drachens, so daß im nächsten Augenblick Kants »Sittlichkeit« und sein »Kategorischer Imperativ« sowie Fichtes »Ich« und »Nicht-Ich« zu Boden stürzen. Am äußeren Bildrand steigt der verklärte Kant — begleitet u. a. von Schiller, Reinhold und Fichte — auf einem Ballon in höhere R e g i o nen auf, wo er auf einer Wolke von den verstorbenen Philosophen Zenon, Moses Mendelssohn und Christian Wolff erwartet wird. Zuvor - so k o m m e n tiert Falk - hing am Ballon, noch nahe der Erde, ein Fallschirm voller Affen. Als Kant sie erblickte, befahl er ihnen: »Weicht, denn ich hab' euch nie erkannt.« 724 Er schnitt den Fallschirm ab, die Affen fielen zu Boden und machen sich nun über die ihnen von Kant zu ihrem Trost zurückgelassene Perücke, seinen Haarbeutel und seine Professorenkleidung her. Im Vordergrund des Bildes streitet unterdessen ein Herr mit einem Mönch. Nachdem der Herr mit Christian Wolfis »Vernünftigen Gedanken« 725 den M ö n c h angegriffen hat, schnürt dieser ihm den Hals zu und schlägt mit Kants Buch »Vom ewigen Frieden«726 auf ihn ein. Am Schluß seines Kommentars lenkt Falk den Blick des Lesers auf ein Motiv im Bildhintergrund: »Ein Schwärm ges c h w ä t z t e r Raben« singt »dem abgeschiedenen System« Wolffs den Grabgesang. Sowohl durch seinen Danziger Gemeindepastor Majewski als auch durch seinen Hallenser Professor Eberhard war Falk von einem gegen Kant gerichteten Denken geprägt worden. Deshalb verwundert es nicht, daß er als Schriftsteller, ähnlich wie in seinem Puppenspiel »Die Uhu's«, gegen die Philosophie Kants Stellung bezog. 727 Falk berief sich dabei auf Gottlob Ernst Schulze, der, vom Standpunkt des Skeptizismus aus, Kant Widersprüchlichkeit vorwarf: einerseits verstehe Kant alle erkennbaren Dinge nur als »Phänomene«, andererseits schließe er aber von der »Empfindung« eines Dinges im Sinne des Kausalprinzips auf ein »Ding an sich«, was jedoch nach Kants eigenen Denkvoraussetzungen nicht zulässig sei, weil er die Kategorie der Kausalität nur innerhalb der Phänomene für gültig erachte. 728 Da Falk diese Argumentation einleuchtete, war er der Meinung, Kants Philosophie werde nicht von Bestand sein. Fällt aber Kants System — so dachte Falk - , dann fallen auch die von ihm abgeleiteten Systeme. Indessen übte Falk mit seiner Karikatur nicht nur Kritik an Kant und seinen Schülern, sondern an allen philosophischen Systemen überhaupt. Sie alle unterliegen seiner Meinung nach der Vergänglichkeit. Auch in seinem Beitrag »Versuch einer neuen Art von Dedication nach kritischen Prinzipien von Casparus Dominik an Ebendenselben« 729 ging Falk

724

Vgl. Mt 7,23. Die Titel mehrerer Werke Wolfis beginnen mit »Vernünftige Gedanken ...«. 726 Das Buch erschien 1795. 727 Vgl. auch Falks Satire über den »kategorischen Imperativ« in den »Reisen zu Wasser und zu Lande von Scaramuz« (Tb. 1798, 55 ff., Tb. 1800, 298 ff., vgl. Falk/Saupe, a. a. O., 321-352). 728 Vgl. Störig: Philosophie, 2 (1974) 98; Hirschberger, a. a. O., 327. 364. 729 Falk: Tb. 1797, 89-99. 725

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auf die Philosophie Kants ein. Gegenüber der Lehre, es gebe kein »Ding an sich«, sondern nur das, was Kant »Phänomen, Erscheinung« nennt, äußert Falk sein Unverständnis. Falk läßt das »reine Ich« des fingierten Magisters und allergrößten Schülers Kants, Casparus Dominik, in Reimen sprechen: »Ich mindestens — floh für u n d für D i e zeitverderbende Leetür. Statt G a r v e , 7 3 0 statt M o n t e s q u i e u , 7 3 1 Las deine W e r k ' ich j e u n d j e . B a l d spürt' ich einen Liebestrieb In mir, trotz d e m Moralprinzip. D o c h w a r das P h ä n o m e n nicht thierisch, W i e bey d e m P ö b e l , u n d empirisch. Was m i c h versetzt' in Liebesqual, W a r geistig-rein-transzendental. In m e i n e m reinen Ich entdeckt' Ich m e i n e r Leidenschaft O b j e c t . W a s half es? M i t d e m Imp'rativ D e r Sitdichkeit ging's d e n n o c h schief. Ihr wißt, G e l e g e n h e i t m a c h t D i e b e ; D i e L i e b e w a r d zur Eigenliebe.« 7 3 2

In einer Rezension des »Taschenbuchs« schrieb August Wilhelm Schlegel in der Allgemeinen Literaturzeitung, 733 Falk habe sich bereits durch seine Poesie »zu vortheilhaft bekannt gemacht, als daß man an seinem entschiedenen Berufe, sich diesem all zu sehr vernachlässigten Felde unserer Litteratur zu widmen, zweifeln könnte«. Falks Stück »Casparus Dominik« nannte Schlegel »eine drollige Parodie auf den Unfug, der hier und da mit der Kunstsprache des kritischen Systems getrieben wird«. Falks Kritik dürfte sich jedoch nicht nur gegen den sprachlichen »Unfug« gerichtet haben, sondern von grundsätzlicher Art gewesen sein. Wenn alle Dinge, die ein Mensch wahrnimmt, nur Produkte seiner Wahrnehmung sind und nur in ihm selbst ihre Wirklichkeit haben, dann kann in letzter Konsequenz jede Liebe nur »Eigenliebe« sein. Mit dieser Kritik wollte Falk nicht nur die Philosophie Kants, sondern auch diejenige Fichtes treffen.734 Im Sommer 1797 nahm Johann Gottfried Seume im »Neuen Teutschen Merkur« anonym zu Falks »Conterfey auf die Kantische Philosophie« Stellung. 735 In einer wohlwollend abgefaßten »Epistel an Herrn Falk in Berlin« Christian Garve (1742-1798), Popularphilosoph, Kritiker Kants. Charles de Secondat, Baron de la Brede et de Montesquieu (1689-1755), französischer Schriftsteller (»L'esprit des lois«, 1748). 7 3 2 Falk, a . a . O . , 95f. 7 3 3 Schlegel: Rezension von Falk: Taschenbuch (1797). In: A L Z 2, Nr. 103 (1797) 4-6; hier zitiert nach Schlegel: Werke (1847) 23-25. 7 3 4 Vgl. u. S. 270. 7 3 5 Seume: Epistel an Herrn Falk (1797), hier zitiert nach Seume: Werke (1837) 561-563. 730

731

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meinte er allerdings, Falk habe sich mit seiner Kritik an Kant selbst geschadet. Z w a r führten die Schüler Kants »mit eignen neuen Sünden« die Vernunft oft in »dunkle Labyrinthe«, u m sie darin zu verzaubern, dennoch sei es unpassend, sie als »Drachenschwanz« darzustellen. Im übrigen aber lobte Seume Falks satirische Poesie grundsätzlich als »aecht lucianisch, swiftisch« und ermutigte ihn, sich nicht beirren zu lassen: »Mit Wahrheit ist man überall der Welt, Sowohl den Bösen als den Frommen, Beim ersten Augenblick nicht sehr willkommen; Denn niemand will, daß ihm die Kappe736 schellt. [...] Die Menschheit ist nun deine Sache, Weih' diesem göttlichen Geschäfte Denn groß und herrlich ist der Ruf, In welchem dich das Feuer Gottes schuf In deiner Laufbahn deine Kräfte.« Im ersten Band seines »Taschenbuchs« n a h m Falk die Scharlatane unter den Ärzten aufs Korn. 7 3 7 Diese trieben nach Falks M e i n u n g m e h r Greuel als die b e r ü h m t e n Mediziner Meckel, 738 Frank 739 u n d Reil 740 Gutes stifteten. 741 Das Treiben dieser Scharlatane bringe, aufgrund der häufigen Todesfälle, den Kirchen einen erfreulichen Anstieg der Gottesdienstbesucher: »Der Gottesdienst auch viel gewinnt, Weil sich kein einzig' Mittel find't, Das mehr zur Kirche bringt die Leut' Und wach erhält zu dieser Zeit, Als Leichenzug' und Grabgeläut; Denn unter und in dem Kirchstuhl stracks Schnarcht Jung und Alt sonst wie ein Dachs.«742 Mit diesen Zeilen dürfte Falk zur gleichen Zeit an einer für sein Empfinden wenig attraktiven Praxis von Gottesdienst und Verkündigung Kritik geübt haben; er selber ging zu j e n e r Zeit wahrscheinlich k a u m einmal zur Kirche. Anfang O k t o b e r 1796 fuhr Falk für kurze Zeit nach Leipzig und kehrte von dort wieder nach Halle zurück. 743 In der Mitte des Monats zog es ihn 736 Die Schreibweise »Klappe« im Original dürfte ein Druckfehler sein. Grimm: Wörterbuch (1873) 959, nennt unter »Klappe« keine Bedeutung, die hier einen Sinn ergäbe. Vermutlich meint Seume die Narrenkappe. 737 Falk, a . a . O . , 101 ff. 738 Philipp Friedrich Theodor Meckel (1756-1803). 739 Johann Peter Frank (1745-1821). 740 Johann Christian Reil (1759-1813). 741 Falk, a. a. O., 106. 742 Falk, a . a . O . , 114f. 743 GMD. Falk I I . l . l l , 1, Falk an Caroline Rosenfeld, ca. Oktober 1796.

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jedoch für längere Zeit von Halle fort - gegen den Rat seiner lebenserfahrenen Freunde Gleim und Voß und trotz der gerade erst aufblühenden H o f f n u n g auf eine feste Freundschaft mit Caroline Rosenfeld. Am Tag seiner Abreise war der erste Band seines soeben erschienenen »Taschenbuches« — wie ihm später Karl Morgenstern schrieb 744 — »Hauptgegenstand der Unterhaltung« in einer literarischen Gesellschaft, man habe sich »sehr daran ergötzt«, sogar der Prorektor Professor Sprengel. 745 Falks »Taschenbuch« fand schnellen Absatz.746 Die Karikatur auf die Kantische Philosophie machte »Sensation«.747 Sie dürfte aber auch der Grund dafür gewesen sein, daß das »Taschenbuch« in Leipzig konfisziert wurde, wie der Verleger Sommer Falk mitteilte. 748 In Halle 749 dürfte auch das kleine Werk Falks »Ueber das hallische Karzer und über Studentenorden« entstanden sein, in dem er sich über Gefängnisstrafen für Studenten sowie über studentische Verbindungen äußert. Mittelbarer Anlaß für den ersten Teil dieser Schrift könnte die Tatsache gewesen sein, daß es seit 1790 zu einer Verschärfung der polizeilichen Maßnahmen gegenüber Studenten gekommen war. Universität und Magistrat hatten den Beschluß gefaßt, »alle sich attroupierenden Studenten auf den Straßen« aufzugreifen und in den Karzer zu sperren. 750 Falk hatte das Anliegen, einem größeren Leserkreis Einblick in die Mißstände der Bestrafungspraxis zu geben. Vermutlich erst Ende 1797 oder Anfang 1798 legte er den Aufsatz seinem Freund Karl Morgenstern vor. Dieser riet ihm jedoch von einer Veröffentlichung mit den Worten ab: »[.. .] D e r hallische Student ist ein Gegenstand, der D e i n e r u n w ü r d i g ist u n d den auch das lesende P u b l i c u m gewiß weniger interessiert, als D u zu glauben scheinst. Ich ließ ihn künftig ganz aus d e m Spiele.« 751

Falk folgte diesem Rat zunächst. Drei Jahre später jedoch — Morgenstern war damals längst Professor in Danzig — veröffentlichte Falk seinen Aufsatz anonym. Als Motto stellt Falk das Wort Jesu aus M t 5,26 (auf griechisch) voran: »Wahrlich, ich sage dir: du wirst keinesfalls dort herauskommen, bis du nicht den letzten Heller bezahlst.« Damit rückt Falk schlagartig die seines Erachtens übertriebene Härte des damaligen universitären Strafvollzuges in den Blick. 744

GSA Weimar 15/11.1C.6.4, Morgenstern an Falk, 1.12.1796. Matthias Christian Sprengel lehrte als Historiker in der philosophischen Fakultät. Vorl.-Verz. Halle, SS 1797, 2 ff. 746 GSA Weimar 15/11.1 C.2.1, 1, Körte an Falk, 26.11.1796. 747 GSA Weimar 15/II.1C.6.9, Morgenstern an Falk, 22.3.1798. 748 UB Dorpat, Bl. 105 f., Falk an Morgenstern, ca. April 1797. 749 Die Rahmenerzählung spricht davon, daß sich der Verfasser »in tiefer Einsamkeit« befand (Falk: Das hallische Karzer (1801) 3). Dies könnte daraufhindeuten, daß Falk den Text bereits im Winter 1794/95, vielleicht aber auch erst im Herbst 1796 abgefaßt hat. 750 StArchiv Halle, Kap. XXII, Abtlg. D Nr. 14, 1 f., zitiert bei Käthe, a. a. O., 208. 751 GSA Weimar 15/11.1C.6.7, Morgenstern an Falk, 31.1.1798. 745

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Seine Abhandlung besteht im wesentlichen aus dem Bericht eines Bekannten, der den hallischen Karzer besucht hat. Da es sich bei jenem Berichterstatter vermutlich um eine fingierte Person handelt, wird man seine Meinung als diejenige Falks verstehen dürfen. Das Gebäude, in das straffällig gewordene Hallenser Studenten in der Regel für mehrere Tage eingesperrt wurden, besaß außer einigen kleinen Stuben — in einer von diesen soll Karl Friedrich Bahrdt eine Zeitlang zugebracht haben752 — einen größeren Raum, den eigentlichen Karzer. Im Laufe der Jahre hatten die Studenten ihre Namen in die Holzbalken geschnitzt, so »daß die Wände einem großen Register ähnlich sahen«. Das Mobiliar des Raumes bestand aus Tisch, Stuhl und Bett, und »vor dem Fenster waren dicke eiserne Stangen angebracht.« Außer einer »nicht geringe [n] Summe Strafgebühren« hatte der Verurteilte dem Kerkermeister für jedes Öffnen der Tür zwei Groschen zu zahlen. »Und wehe dem, der nicht bezahlen kann!« Dem gehe es gewiß so, wie es das eingangs genannte Wort Jesu aus der Bergpredigt beschreibe.753 Da der Karzer »einem Kriminalgefängniß ähnlicher sieht, als einem Strafaufenthalt für Studenten«, kritisiert Falk es als »unweise, daß man diesen vorzüglichen Theil der Nation bei seinen kleinen Vergehungen« in ein solches Gefängnis sperrt.754 Dies sei nicht nur hart, sondern sogar »gefährlich für den moralischen Karacter der academischen Zöglinge«. 755 »Wer für ein Vergehen sich zu tief erniedrigt fühlt«, so das pädagogische Anliegen Falks, »erhält gleichsam dadurch einen Freibrief, diese Erniedrigung erst künftig zu verdienen, und man hat ihn schon zum Voraus zu größern Vergehungen qualificirt.«756 Falk hält deshalb die Einrichtung eines Karzers für Studenten überhaupt für sinnlos. In den Holzbalken des Karzers war außer den Namen der Delinquenten oft auch der Grund ihrer Strafe - meist auf lateinisch - eingeritzt. So teilte beispielsweise ein Delinquent mit, er sei eingesperrt worden, weil er zwei hochnäsigen Studenten eine Ohrfeige gegeben habe. Viele Häftlinge beteuerten in ihren Eintragungen ihre Unschuld. Falk möchte diesen nicht unterstellen, die Unwahrheit geschrieben zu haben, weil dies der Seele eines Studenten »nicht gemäß« sei. Einer der zu Unrecht Bestraften habe unter den eingeritzten Namen zu seiner Überraschung auch denjenigen seines Vaters entdeckt und ihm daraufhin folgenden Gruß hinterlassen: »Salve mi pater! Dein Sohn wurde den 4ten Dec. von dem Criminalrichter zu achttägiger Karzerstrafe verdammt, weil er bei dem Fenstereinwerfen des Prorectors 757 Anno 84 - zu Hause geblieben ist.« 758

752 753 754 755 756 757 758

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Falk: Das hallische Karzer (1801) 4. Falk, a . a . O . , 8f. Falk, a. a. O . , 6 f. Falk, a. a. O . , 7. Falk, ebd. Gemeint ist: bei dessen Wahl zum Prorektor. Falk, a . a . O . , 14.

W e n n der Vater des Schreibers ebenso unschuldig gewesen sei — so der K o m mentar des Erzählers — dann habe »diese Familie gewiß auf der Universität viel Kränkung erlitten.« 759 Falks Abhandlung läßt an keiner Stelle erkennen, daß er etwa selber einmal eine Karzerstrafe verbüßen mußte. Es ist j e d o c h kennzeichnend für ihn, daß er sich in das Schicksal anderer hineindachte u n d vermeintliche Ungerechtigkeit beim N a m e n nannte. D e r zweite Teil der Veröffentlichung Falks stellt eine Auseinandersetzung mit Z w e c k u n d Sinn der schlagenden Studentenverbindungen dar. 760 Falk b e m ü h t sich zwar darum, denjenigen Mitgliedern der Verbindungen, die ein moralisch vorbildliches Leben führen, nicht zu nahe zu treten. 76 ' Aufs Ganze gesehen unterzieht er die Burschenschaften j e d o c h einer scharfen Kritik. Er verabscheut ihren Stolz, ihr militärisches Auftreten und ihre Bereitschaft, u m ihrer persönlichen Ehre willen Blut zu vergießen. Ihre Mitglieder, so Falk, gerieten ständig in das Dilemma, zwischen zwei Übeln entscheiden zu müssen: »Schlägt er sich, und es wird bekannt, so verfolgen ihn die Gesetze, er fällt in harte Strafen, und giebt überdies seinen Körper einer gefahrlichen Verletzung preis. Schlägt er sich nicht, so verfolgen ihn seine eigenen Mitbrüder, man behandelt ihn als einen Menschen ohne Mut, den jeder ungestraft beleidigen kann [.. .].«762 Falk sieht in den Verbindungen »eine geheime N e i g u n g eingeflößt, ihren R u h m in etwas anderm zu suchen, als eine aufgeklärte Vernunft, eine gesunde Moral, und ihr künftiges Glück es fodert [.. .].«763 Die Verwerflichkeit der Burschenschaften w e r d e schließlich auch darin deutlich, daß sie von ihren Mitgliedern nicht etwa die (christlichen) T u g e n d e n »Demuth und Sanftmuth« fordern, sondern die Bedingung »reich, von v o r n e h m e n Stande, oder ein guter Fechter zu seyn«.764 Ein solch elitäres D e n k e n ist dem mittellosen Perükkenmacherssohn ein D o r n im Auge. Seine Kritik läßt erkennen, wie sehr er selbst von einer aufgeklärt-christlichen Moral geprägt ist. Auch von einem Studenten erwartet Falk eine demütige und sanftmütige Grundhaltung. Gegen Ende seiner Abhandlung k o m m t Falk noch einmal auf den Brauch des Degenfechtens zu sprechen. Er hat den Eindruck, in den Kämpfen der Verbindungsmitglieder k o m m e es nur darauf an, daß Blut fließt. U m die Absurdität dieses Mißbrauchs aufzuzeigen, wirft der j u n g e Satiriker die Frage auf, ob es denn unbedingt »Menschenblut« sein müsse, das dabei vergossen wird. W e n n dem nicht so sei, k ö n n e man den Streitenden einen — fast alttestamentlich anmutenden — Versöhnungsritus vorschlagen: sie sollten einen 759 760 761 762 763 764

Falk, Falk, Falk, Falk, Falk, Falk,

ebd. a. a. O., a.a.O., a. a. O . , a.a.O., a. a. O . ,

(15) 17-36. 24f. 31 f. 25 f. 27.

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H a m m e l oder ein Kalb schlachten »und das Blut im Angesicht beider Partheien stromweise [ . . . ] vergießen« oder, w e n n es »noch feierlicher« z u g e h e n solle, »so könnte der Beleidigte den Beleidiger mit einer Schaale dieses Blutes besprengen, dasselbe in warmen Bächen an seinem Körper herunter rieseln lassen, und sich am Anschaun seines blutigen Gegners zu sättigen suchen.« Endlich k ö n n e m a n gar n o c h mit d e m Fleisch des Tieres »dem G o t t des Bauchs ein O p f e r bringen, u n d bei einem w a c k e r n Schmause die Versöhnung vollk o m m e n machen.« 7 6 5 Ein solch »unschädliches Sühnopfer« b e k o m m e den K o n t r a h e n t e n zweifelsohne besser als eine lebenslängliche W u n d e . Es hat den Anschein, daß Falks beißender Spott auch eine indirekte, ftir die Vertreter der Aufklärung nicht u n g e w ö h n l i c h e Kritik an der biblischen V o r stellung darstellt, daß Vergebung n u r durch Blutvergießen möglich ist (Hebr 9,22). Vielleicht hat gerade dieser satirische Schluß der A b h a n d l u n g den allen religiösen R i t e n gegenüber respektvollen Karl Morgenstern veranlaßt, Falk v o n der Veröffentlichung abzuraten. Falk j e d o c h suchte die U n m o r a l seiner Zeit anzuprangern, selbst w e n n er dabei — sei es aus R ü c k s i c h t gegenüber seinem Freund, sei es u m sich selbst zu schützen — a n o n y m blieb. Falk lag es als Dichter fern, mit seiner schriftstellerischen Arbeit lediglich zur V e r m e h r u n g der literarischen P r o d u k t i o n beizutragen. A u c h die Befriedigung ästhetischer G e n u ß s u c h t aufseiten der Leser lag nicht in seiner Absicht. Falk hatte ein moralisches Anliegen: W o i m m e r er Mißstände erblickte u n d bloßstellte, wollte er zu ihrer Beseitigung beitragen.

7. Dritte Reise nach Weimar (1796). Reisen nach Magdeburg und Berlin (1797) N i c h t n u r für seinen Freund Karl Morgenstern kam Falks A u f b r u c h aus Halle im O k t o b e r 1796 überraschend. Z w a r hatte Falk Morgenstern über eine Hausangestellte u n d über den K o m m i l i t o n e n Gottfried Heinrich T h e o d o r Pobowsky 7 6 6 n o c h am M o r g e n seines Abreisetages eine entsprechende M i t teilung z u k o m m e n lassen, 767 j e d o c h erreichte diese Morgenstern zu spät. M o r genstern äußerte g e g e n ü b e r Falk die V e r m u t u n g , daß die n o c h als Geheimnis gehüteten »Verhältnisse zur Mlle R.[osenfeld], w e n n auch nicht der einzige, n o c h der H a u p t g r u n d , d o c h ein M i t g r u n d zu D e i n e r schnellen E n t f e r n u n g aus Halle gewesen ist«.768 Ein Brief Falks v o m O k t o b e r 1796 an Caroline 765

Falk, a. a. O., 35. Gottfried Heinrich Theodor Pobowsky war Falks Mitschüler in Danzig (SA Danzig, Gymn. Buch, 87) und vermutlich ein Sohn von Carl Gottfried Pobowsky (geb. 1740), Pfarrer an der Danziger Heilig-Geist-Kirche (Lengnich: Das geistliche Ministerium, 1779, 58). 767 U B Dorpat, Bl. 84, Falk an Morgenstern, Okt./Nov.l796. 768 GSA Weimar 15/11.1C.6.5, 1, Morgenstern an Falk, 22.12.1796. 766

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Rosenfeld bestätigt diese Vermutung, ja er läßt Falks Liebe zu Caroline sogar als einzigen Grund für sein Handeln erscheinen: »Ich verlies Halle aus zärtlicher Besorgniß für ihren guten Nahmen, obgleich mein Herz unendlich dabey litt [.. ,]«769 Diese Bemerkung Falks dürfte auf seine Befürchtung hindeuten, bei einem Verbleib in Halle Familie Rosenfeld aufgrund eines dann kaum noch vermeidbaren Bekanntwerdens der freundschaftlichen Beziehungen unweigerlich in jenes Zwielicht hineinzuziehen, in das er selbst inzwischen geraten war. Gleichwohl hielt sich Falk für die prekäre Situation in Halle nicht verantwortlich. Gegenüber Elisabeth Rosenfeld, der Mutter Carolines, wies er die Vermutung zurück, seine »zu große Freyheit im Schreiben« habe ihn aus Halle vertrieben.770 Vielmehr empfand er sich als Opfer von »Schurken und Narren«.77' Um diesen die Möglichkeit zu nehmen, sich auf eine unbillige Art und Weise, nämlich durch Druck auf Caroline, eine Entschuldigung Falks zu erschleichen, solle die Mutter das Geheimnis ihrer Freundschaft niemandem preisgeben. In Weimar wohnte Falk bei dem Instrumentenmacher Schenk, wo er ein »sehr geschmackvolles Zimmer und eine daran stoßende Kammer« bezog.772 Es ist anzunehmen, daß Falk unmittelbar nach der Ankunft seinen väterlichen Freund Gleim von der Reise unterrichtete. Dabei dürfte er erneut seinem Zorn über gewisse nicht näher bezeichnete Personen in Halle Luft gemacht und auch vor beleidigenden Worten nicht zurückgeschreckt sein. Bereits am 21. Oktober wandte sich Gleim wiederum an Falk.773 Er warnte ihn davor, sich durch »böse Menschen« böse machen zu lassen, und erinnerte ihn an eine bereits früher ausgesprochene Empfehlung, »wie die Tauben from, wie die Schlange klug zu seyn.«[Mt 10,16] Man könne »alles sagen, schreiben, drucken laßen, nur muß mans thun, ohne Jemand zu beleidigen!« Gleim sprach jedoch die Hoffnung aus, Falk werde einmal noch ein »preußischer Patriot der Menschheit«, wie er, Gleim, selbst einer sei. Im selben Brief teilte Gleim ihm mit, er könne Falk keine sogenannte »stumme Präbende«774 vermitteln. Es war Gleims Nachbar Klamer Schmidt,775 der Falk während seines Besuches in Halberstadt ein solches regelmäßiges Einkommen in Aussicht gestellt hatte. Gleim forderte Falk jedoch auf, seinen »schwarzen Sorgenschwarm« zu vertreiben, denn Falk wisse, wer sein Freund sei. Der werde sich ihm, wenn es darauf ankomme, auch als solcher erweisen.

76

' GMD. Falk II.1.11, 2, Falk an Caroline Rosenfeld, ca. Okt. 1796. GMD. Falk II.10.1, 1, Falk an Elisabeth Rosenfeld, 28.11.1796. 771 GMD, a . a . O . , 2. 772 GMD. Falk II.1.11, 4, Falk an Caroline Rosenfeld, Oktober 1796. 773 GSA Weimar 15/II.1B.4.7, Gleim an Falk, 21.10.1796. 774 Die »stumme Präbende« dürfte das Einkommen aus einer Stiftung gewesen sein, welches den Empfänger zu keiner Dienstleistung verpflichtete. 775 GSA Weimar 15/11.1B.4.8, 3, Gleim an Falk, 6.12.1796. 770

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In Weimar besuchte Falk täglich das Theater.776 Vor allem aber bemühte er sich um persönlichen Umgang mit den großen Dichtern. Recht bald nach seiner Ankunft begab er sich zu Wieland. Von der Begegnung mit Wieland war er begeistert. An Morgenstern schrieb er: »Wieland hab ich sogleich gesprochen. Ich fand ihn wie ich ihn erwartete. — In seinem Innern lodert ein gewaltiges Feuer, aber es dauert ein paar Viertelstunden, eh es Einem gelingt die Asche hinwegzuräumen — Bey Böttiger ist's umgekehrt. Das ist und bleibt in meinen Augen ein leisauftre[te]nden lächelnder duckmäuserischer Geselle von gar trockner antiquarischer Natur; hier ist das Feuer von aussen und Asche nichts als Asche im hohlen Herzen.«777

Jetzt, im unmittelbaren Umgang mit Wieland und wohl auch mit Bertuch, fühlte sich Falk in seiner poetischen Bestimmung bestärkt, ja er hatte sogar den Eindruck, nun erst beginne der eigentlich erfolgreiche Abschnitt seiner beruflichen Karriere. Im Brief an Frau Rosenfeld, die Mutter seiner Freundin, schrieb er, er betrete jetzt die Laufbahn des Schriftstellers.778 Tatsächlich konnte Falk bei seinem dritten Aufenthalt in Weimar stolz daraufsein, näheren Kontakt zu den Großen gefunden zu haben. Im Dezember 1796 schrieb Falk an Morgenstern, er treffe fast täglich mit Wieland und Goethe zusammen.779 Zwar findet sich in den Aufzeichnungen Goethes kein Hinweis auf Begegnungen mit Falk im Dezember 1796, jedoch wird man Falks eigene Angabe im Brief an Morgenstern kaum in Zweifel ziehen können, zumal die Schilderung seiner Eindrücke von Wirklichkeitsnähe gekennzeichnet sind. Falk empfand »eine wahre Herzenslust« darin, das Miteinander der beiden Dichter zu beobachten. Er hatte den Eindruck, Wieland und Goethe seien enger miteinander verbunden denn je. Mit ausgeprägter Beobachtungsgabe schilderte er seinem Freund Morgenstern das unterschiedliche Auftreten beider: »Wieland schüchtern, verlegen, jungfräulich, der von Winkel zu Winkel schleicht, immer durch Umwege geht, bald nach seiner Schnupftobaksdose, bald nach seinem Schnupftuch greift, dabey immer im Begriffsich selber zu verlieren: Dagegen Göthe fest, männlich einherschreitend, die Hände am Leibe etwas steif herunterhängend, zuweilen beynah so als ballte Er die Fäuste und wollte männiglich in der Gesellschaft zu Boden rennen. So ihr Körper und ihre Seele, ihre Art zu seyn und sich auszudrücken beynah eben so verschieden. Wieland mit aller Bedachtsamkeit des Alters und einer grenzenlosen Bonhommie immer auf seiner Hut, alles zum Besten deutend, so ganz seinem gefühlvollem Herzen und zarten Organisation hingegeben, dass Er selbst einen Vatermörder entschuldigen würde, weil es ihm unendlich weh thut, die Menschheit so heruntergesunken zu sehen, und die Vorstellung des Moralischen Bösen sein Herz so lange ängstigt, bis es dem Verstände gelingt, es ganz 776 777 778 779

224

GMD. Falk II.10.1, 5, Falk an Elisabeth Rosenfeld, 28.11.1796. U B Dorpat, Bl. 84, Falk an Morgenstern, ca. Nov. 1796. GMD, a . a . O . , 3f. U B Dorpat, Bl. 97, Falk an Morgenstern, Dez. 1796.

begreiflich zu machen oder wegzusophistisiren; kurz ein Mensch, [der] mit Körper und mit Seele zugleich, vermöge einer angebornen jungfräulichen Schüchternheit, überall ausweicht und anzustossen furchtet, der sich bey jeder Hausthür (moralisch und physisch genommen) tief und krumm zusammenbückt, weil Er sich für alle zu gross scheint, da hingegen Göthe so prall und gerade hinläuft, als wollte Er jeden Schlagbaum nieder- oder seinen eignen Kopf einrennen.« 780

Bei Goethe sah Falk wohl zum erstenmal auch Herder. Zu einer persönlichen Begegnung mit ihm kam es dabei jedoch noch nicht, da Falk sich zunächst von Herder abgestoßen fühlte; er äußerte, seine »breite pfäffische Sinnlichkeit« mißfalle ihm.781 Falks Hoffnung, auch die Herzogin Anna Amalia besuchen zu können, zerschlug sich. Überdies scheint es, daß Falk damals, entgegen seiner Erwartung, kein näheres Verhältnis zum Weimarer Hof gewinnen konnte. Auf die Anfrage Morgensterns, wie ihm der Hof gefalle, antwortete Falk: »Hm!A peu pres782 wie unsereins dem Hof gefallen muss Nie fand der Hof an ihm; Er nie am Hof Geschmack.«783

Falk selbst sah diesen Umstand wohl vor allem in seinem Auftreten als satirischer Dichter begründet.784 Zwar seien Satiren in Weimar sehr beliebt, doch fürchte man sich vor dem Satiriker. Da sich auch das »Hofgesinde« satirisch betätigte, sah Falk sich veranlaßt, gegenüber Morgenstern den Unterschied zwischen deren Satire und deijenigen »des Dichters« herauszustellen: Letztere seien »witzig mehrentheils«, während die anderen »geist- und witzlos zugleich« seien; der echte Satiriker sei »partheyisch für Talent, Genie, Tugend, RechtschafFenheit«, während der Hofsatiriker diese Attribute tadele. Aus diesem Grunde bestehe unter den Satirikern des Hofgesindes auch ein »Hass gegen Göthe«. Wer Falk nur von seinen Publikationen her kannte, war in der persönlichen Begegnung mit ihm oft überrascht, einen arglosen Menschen anzutreffen. Caroline Schlegel, die Frau August Wilhelm Schlegels, hielt sich damals, von Jena kommend, zeitweise in Weimar auf und lernte dabei auch Falk kennen. In einem Brief an Luise Gotter, die Gattin des Dichters Friedrich Wilhelm Gotter in Gotha, berichtete sie: »Wenn wir - oder auch ich allein - im Gasthof waren, so leistete uns Falk Gesellschaft, der Satirenschreiber, das gutmütigste Kind von der Welt, der sich jetzt in Weimar aufhält und sich von den Weimaranern liebhaben läßt, die immer jemand des Schlages haben müssen. Im Frühjahr war es Jean Paul [.. .]«785 780 781 782 783 784 785

U B Dorpat, a. a. O., Bl. 97 f. U B Dorpat, a. a. O., Bl. 99. Ungefähr. UB Dorpat, Bl. 94, Falk an Morgenstern, ca. Januar 1797. U B Dorpat, a. a. O., Bl. 95. Caroline Schlegel an Luise Gotter, 25.12.1796. In: Jäckel: Frauen der Goethezeit (1966) 201.

225

Als Anfang Dezember 1796 in Halberstadt Gerüchte von Falks Flucht und sogar von seinem Tod umliefen, schickte Gleim ihm ein Gedicht, das er als scherzhaft gehaltene Grabinschrift formulierte: »Er starb! Die Schuhus zu Halle Verfolgten ihn! Er nahm den nächsten Wanderstab Und ging nach Weimar ab. Er starb! Ihn überlief die Galle. Die Satirs gruben ihm dis Grab 786 Und weinten, weinten alle!«787

Im selben Brief brachte Gleim die Hoffnung zum Ausdruck, Wieland werde in Weimar für das Wohlergehen des »Flüchtlings« Sorge tragen.788 Doch riet er Falk auch, sich um ein eigenes Einkommen zu bemühen. Er selbst (Gleim) habe einst mit sieben Talern einen Bücherhandel begonnen und in einem Jahr tausend Taler erwirtschaftet. Dieser mahnende Hinweis hatte umso mehr Gewicht, als Gleim ihm erneut mitteilen mußte, er könne ihm von Halberstadt aus keine Präbende verschaffen.789 Zugleich beteuerte er jedoch auch, er (Gleim) würde, wenn er in Berlin wäre, »Himmel und Hölle« bewegen, dann sei es so gut wie sicher, daß er im persönlichen Gespräch mit dem »König der Deutschen« für Falk eine Stelle als »Canonikus« erwirken könne.790 Falk muß von dieser Bemerkung Gleims wie gebannt gewesen sein. In den folgenden Monaten schien er alle Mahnungen, sich um einen bürgerlichen Beruf zu bemühen, in den Wind zu schlagen. Im stillen setzte er seine Hoffnung darauf, die enge Freundschaft zu dem Halberstadter Dichter werde sich schließlich doch noch in Form eines gesicherten Einkommens auszahlen. Gegenüber Frau Rosenfeld betonte Falk indessen, er werde seinen Lebensunterhalt allein durch Schriftstellerei bestreiten können. Wieland und Bertuch bezeichnete er als seine »vertrautesten Freunde«. Sie beide hätten sich mit der »Schriftstellerei ein unermeßliches Vermögen« erworben. Schon in Halle habe er mit einem jährlichen Einkommen von 500 bis 600 Talern rechnen können. Je »berühmter« er werde, mit desto mehr könne er rechnen. Im Vergleich zur Schriftstellerei sei der Beruf eines Professors in Halle weitaus weniger attraktiv, selbst nach vielleicht sieben Jahren einer außerordentlichen Professur bekäme er dort nur 200 Taler.791

786 787 788 789 7,0 791

226

Randbemerkung Gleims: »oder auch die Musen thatens«. GSA Weimar 15/11.1B.4.8, 1, Gleim an Falk, 6.12.1796. Vgl. Braun, a. a. O., 69. GSA Weimar, a. a. O., 2. GSA Weimar, a. a. O., 3. GSA Weimar, a. a. O., 3 f. GSA Weimar, a. a. O., 5.

Professor Friedrich Jacobs 792 in Gotha, den Falk ein Jahr zuvor besucht hatte, 793 dankte ihm am 14. N o v e m b e r 1796 794 für zwei Gedichte u n d versprach ihm die Abfassung einer Rezension. Er wolle ihn gegen mögliche Angriffe theologischer Zensoren in Schutz n e h m e n und werde deshalb, so sehr es ihn gereizt hätte, darauf verzichten, eine »piquante Stelle, den christl. Aberglauben betreffend«, zu zitieren. Jacobs übermittelte Falk auch »die freundschaftlichsten Grüße« von Friedrich Wilhelm Gotter. U m seine wirtschaftliche Lage zu verbessern, erwog Falk, seine Schriften gesammelt herauszugeben, an Angeboten von Buchhändlern fehle es nicht. 795 D e r Leipziger Verleger S o m m e r hatte Falk für den ersten Jahrgang des »Taschenbuchs« 400 Taler gezahlt. Das war das Doppelte des Betrages, der ihm zunächst in Aussicht gestellt w o r d e n war. 796 Falk war in seiner wirtschaftlichen Versorgung gänzlich davon abhängig: »Meine ganze Existenz gründet sich auf das satirische Taschenbuch«, schrieb er im Januar 1797 an den Berliner Verleger J o h a n n Karl Philipp Spener (1749-1827), der ihn u m literarische Beiträge für einen Almanach gebeten hatte. 797 Falk m u ß t e sich dieser Bitte versagen, weil sein Verleger S o m m e r von ihm erwartete, daß er ausschließlich bei ihm publiziere. Dies fiel Falk umso schwerer, als Spener in seinem Schreiben mit den vorgesehenen Autoren Ramler, Göckingk, Gleim und Kant b e r ü h m t e N a m e n genannt hatte, denen Falk sich n u r zu gern zugesellt hätte. Als »freier« Schriftsteller war er an die Bedingungen gebunden, die ihm durch seinen Verleger gestellt wurden. 7 9 8 Deshalb sah Falk die einzige Möglichkeit einer Mitarbeit bei Spener nur für den Fall gegeben, daß dieser ihn im geplanten Almanach eine »Hauptrolle« spielen lasse und ihm dafür ein höheres H o n o r a r anbot, als er es von Sommer erwarten konnte. Tatsächlich wagte es Falk, diese stille H o f f n u n g in seinem Antwortschreiben an Spener anzudeuten: Er selbst k ö n n e bei dem in Aussicht g e n o m m e n e n »schönen patriotischen Schauspiele nur einen stummen Zuschauer abgeben, wenn es nicht in ihren Kräften liegt das Hindernis hinwegzuwälzen, was die Bedingung jeder unabhängigen literarischen Existenz ist.« Wohlwissend, daß er als freier Schriftsteller auch für die edelsten Absichten nur auf der Grundlage einer ausreichenden wirtschaftlichen Versorgung tätig sein konnte, fügte er hinzu: »Ich lebe, ich athme nur für Freyheit, Wahrheit und R e c h t : aber u m zu athmen, u m zu leben.« 799 7.2 Christian Friedrich Wilhelm Jacobs (1764—1847) war Schüler Heynes und Gymnasialprofessor der griechischen Sprache und Literatur. 7.3 S.o. S. 195. 7.4 GSA Weimar 15/11.1B.9.1, Jacobs an Falk. 7.5 GMD. Falk II. 1.9, Falk an Caroline Rosenfeld, Herbst 1796. 7.6 Vgl. o. S. 204. 7.7 UB Krakau, Falk an K. Spener, Januar 1797. 7.8 Vgl. Haferkorn, a. a. O., 128. 7.9 UB Krakau, ebd.

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Die plötzliche Abreise Falks aus Halle hatte auch seinen Freund Ferdinand Delbrück aus Magdeburg »in große U n r u h e versetzt«. 800 Dieser ließ ihn durch seinen in Halle w o h n e n d e n Bruder J o h a n n Heinrich Gottlieb Delbrück u m nähere Auskunft über sein Ergehen bitten. Zugleich wünschte er, Falk möge so bald wie möglich zu ihm nach Magdeburg k o m m e n , w o er ihm sein Leiden zu erleichtern gedenke. 801 Delbrück sprach die Einladung auch im N a m e n seiner M u t t e r aus, die »den Dichter gern und liebreich aufnehmen und b e wirthen« werde. Aber nicht nur in Magdeburg, sondern auch in Halle gab es Freunde, die Falk schätzten und seine R ü c k k e h r wünschten. D e r erwähnte Bruder Delbrücks, J o h a n n Heinrich Gottlieb Delbrück, schrieb: »Wir vermissen Sie alle so sehr, Ihre Abwesenheit ist uns so schmerzlich!« 802 Ähnlich äußerte sich Gleims Großneffe Wilhelm Körte: »Eine Schwermuth die sich, von der traurigen Abschiedsstunde von Ihnen an meiner bemächtigte, hat mich noch jezt nicht verlaßen, denn ich errinnere mich nur zu sehr täglich daran, was ich an Ihnen verlor!- Diese Leerheit, die mich in den ersten Vierteljahren meines hiesigen Aufenthalts, so furchtbar umringte, schreckt mich jezt aufs neue, und macht daß ich wenig oder gar nicht meine Zelle verlaße!— Halten Sie dies nicht für Geschwätz!- Bedenken Sie dagegen was Sie mir waren: Freund, Rathgeber, Lehrer in so mancher Hinsicht!«803 M a n darf annehmen, daß außer seiner Sehnsucht nach Caroline Rosenfeld auch Falks Wertschätzung durch seine Hallenser Freunde mit zu seinem E n t schluß beitrug, Weimar für eine Zeitlang wieder zu verlassen. Im Januar 1797 w u r d e er j e d o c h krank. 804 Dadurch dürfte seine Abreise verzögert w o r d e n sein. Pobowsky teilte Falk am 22. Januar aus Halle mit, sein Vermieter T ü r k rechne nicht m e h r mit seiner R ü c k k e h r nach Halle und habe darum sein Z i m m e r bereits einem anderen Mieter versprochen. Ende Januar reiste Falk j e d o c h wieder nach Halle und w o h n t e vermutlich im Türkschen Hause. W ä h rend dieser Zeit stand er in intensivem Austausch mit seinem früheren Lehrer Friedrich August Wolf, er sah ihn täglich. 805 Etwa Mitte Februar folgte Falk der Einladung seines Freundes Ferdinand Delbrück nach Magdeburg. Für seine Reise dürfte auch eine Rolle gespielt haben, daß Falk sich in größerer N ä h e zu Gleim aufhalten wollte, von d e m er hinsichtlich einer dauerhaften Existenzsicherung Hilfe erwartete. A u f j e d e n

800

GSA Weimar 15/II.1A.14.1, 1, J . H . G . Delbrück an Falk, 19.12.1796. Im Mai 1796 hatte Ferdinand Delbrück gefragt, ob Falk nicht nach Hamburg kommen wolle, dort finde er für seine Satire »viel mehr Stoff als in Halle«. GSA Weimar 15/II.1 A. 13.1, 1, Ferdinand Delbrück an Falk, 21.5.1796. 802 GSA Weimar 15/11.1A.14.1, 2, J . H . G . Delbrück an Falk, 19.12.1796. 803 GSA Weimar 15/11.1C.2.1, 1, Körte an Falk, 26.11.1796. 804 Schultze, a. a. O., 23 f. - Der Brief Pobowskys kann nicht im Jahre 1796, sondern nur 1797 geschrieben sein. 805 Falk an A. W. Schlegel, Anfang Februar 1797, in: Falk: Briefwechsel (1953) 48. 801

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Fall wollte er ihn von dort aus, gemeinsam mit Körte, zu seinem Geburtstag am 2. April 1797 besuchen.806 In Magdeburg arbeitete Falk vormittags an der zweiten Auflage seiner Satire »Der Mensch«. Seinem Freund Körte teilte er mit: »Es bleibt keine Zeile ungeändert. Jezt eben schreib' ich ihn zum neuntenmahl ab.«807 Die übrige Zeit verbrachte er in vornehmen Gesellschaften und bei Mahlzeiten mit hohen Persönlichkeiten. An Frau Rosenfeld schrieb er: »Die Leute wetteifern mit einander d e m armen Dichter - d e n M a g e n zu verderben. Aber Er ißt v o n einem808 Gericht, trinkt keinen W e i n u n d damit P u n c t u m . Es geht mir hier wie in Halle. M a n findet m i c h charmant. M a n will m i c h gern in alle Gesellschaften ziehn, u n d freut sich sehr darüber, daß ich so fein u n g e z w u n g e n u n d natürlich bin.« 809

Nicht ohne Stolz berichtete er seinen Eltern, er sei in Magdeburg »in die ersten Gesellschaften« gezogen worden. 810 Sein Freund Morgenstern, der sich damals ebenfalls eine Zeitlang in Magdeburg aufhielt, hatte gar erfahren, Falk gehe dort »aus einer Hand in die andere; man reiße sich um ihn.«811 Da Falk durch seine Publikationen inzwischen bekannter geworden war,812 war man stolz darauf, ihn als Gast aufzunehmen. Ahnlich wie zuvor Caroline Schlegel in Weimar waren auch die Magdeburger Gastgeber, die Falk bis dahin nur von seinen Veröffentlichungen her kannten, von seinem Äußeren überrascht. Sie meinten, es sei »eine Schande für einen Satiriker so ein sanftes Gesicht zu haben«.813 Auch Körtes Vater, Archidiaconus in Aschersleben,814 der durch seinen Sohn einen Schattenriß von Falk erhalten hatte, äußerte damals verwundert, er kenne ihn nun »weit besser und als einen viel liebenswürdige[re]n herrlichen Menschen«, als er sich ihn aufgrund der Lektüre des »Taschenbuchs« vorgestellt hatte.815 Falk stimmten diese Beobachtungen nachdenklich. Er schrieb nach Halle: »Einer muß also lügen, entweder mein Taschenbuch, oder meine Physiognomie.«816 Engeren Kontakt pflegte Falk in Magdeburg mit den Dichtern Christoph August Tiedge, Friedrich von Matthisson und Friedrich Köpken, dem

806

GMD. Falk II.10.3, 12, Falk an Elisabeth Rosenfeld, ca. März 1797. UB Krakau, Falk an Wilhelm Körte, ca. März 1797. 808 Hervorhebung von J. D. 809 GMD. Falk II.10.3, 3 f., Falk an Elisabeth Rosenfeld, ca. März 1797. 810 GSA Weimar 15/1.2.1.6, 2, Falk an seine Eltern, 15.5.1797. 811 GSA Weimar 15/II.1C.6.6, 2, Morgenstern an Falk, Ostern 1797. 812 Kurze Zeit später erfuhr Falk, daß seine Schriften angeblich sogar in Livland und Rußland »stark gelesen« wurden. GMD. Falk II.1.5, 4, Falk an Caroline Rosenfeld, ca. April 1797. 813 UB Krakau, Falk an Körte, ca. März 1797. Ähnlich in GMD. Falk II.10.3, 8, Falk an Elisabeth Rosenfeld, ca. März 1797. 814 Richter, a.a.O., 725. 815 GMD. Falk II.10.3, 8 f., Falk an Elisabeth Rosenfeld, ca. März 1797. 816 GMD, a. a. O., 9. 807

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Schwiegervater des Hallenser Theologen Niemeyer. 817 Im Rückblick äußerte sich Köpken glücklich über seine Freundschaft mit dem jungen Falk: Ich »rechne es zu den angenehmsten Vorfällen meines Lebens, daß mein Geschick mich, so nahe am Ziele meiner Laufbahn, einen mir so rechten Freund noch in Ihnen finden ließ. Erhalten Sie mir Ihre Freundschaft!«818

Der Aufenthalt im Hause Köpken führte Falk zu einer Begegnung mit dessen Tochter, Frau Agnes Wilhelmine Niemeyer, die er von Halle her kannte. Zwischen ihr und Falk hatte es zuvor Unstimmigkeiten gegeben, die vielleicht im Zusammenhang mit Falks plötzlichem Weggang aus Halle im Oktober 1796 standen.819 In Magdeburg kam es nun zu einem klärenden Gespräch, von dem Falk berichten konnte: »Wir sind völlig ausgesöhnt und gehen miteinander auf dem freundschaftlichsten Fuß um. Es war ein Gewebe von Verleumdung und Cabale. Sie gestand mir offenherzig, daß sie mich verkannt hätte.«820 Im April ließ Frau Niemeyer Falk durch ihren Vater Grüße ausrichten.821 Während einer Abendgesellschaft bei General von Kalckstein wurde Falk dem Präsidenten von Rohr 822 vorgestellt, der sich gerade in Magdeburg aufhielt.823 Rohr gab Falk zu verstehen, er habe ihn aufgrund seiner Schriften »sehr liebgewonnen«. Schon nach der Aufführung der »Uhus« habe er ihm deshalb eine bürgerliche Anstellung anbieten wollen, sein Sohn, der damals in Halle studierte, habe Falk jedoch vor dessen Aufbruch nach Weimar nicht mehr erreicht. Rohr erneuerte nun sein Angebot. Er lud Falk nach Kleve ein, wo er für ihn sorgen wolle, ohne ihn mit Aufgaben zu überhäufen. Falk erbat sich Bedenkzeit, war jedoch innerlich fest entschlossen, das Angebot abzulehnen, weil er den Verlust seiner Freiheit fürchtete. »Des Voglers Pfeife«, schrieb er an Frau Rosenfeld, »klingt so süß. Ist nur erst der Vogel im Neze, dann lebe wohl Freyheit!«824 Falk rechnete weiterhin mit der Vermittlung eines regelmäßigen Einkommens durch Gleim. Näheres hoffte er bei dessen angekündigtem Besuch in Magdeburg oder bei seinem eigenen Besuch in Halberstadt zu erfahren. Als sich jedoch beides zerschlug — Gleim war die Reise nach Magdeburg zu beschwerlich, und er selbst verbat sich fürs erste einen Besuch in seinem »Hüttchen« - drohte Falk dem preußischen Patrioten damit, Preußen wieder zu verlassen, wenn sich nicht bald eine Aussicht auf Versorgung ergäbe. Gleim konnte das ihn »zermalmende Schreiben« Falks nicht umgehend beantworten. 817

GSA Weimar 15/II.1C.6.6, 1, Morgenstern an Falk, Ostern 1797. GSA Weimar 15/11.1C.1.1, 1, Friedrich Köpken an Falk, 21.4.1797. 819 Frau Niemeyer war in Halle eine geachtete Persönlichkeit. 820 GMD. Falk II.1.13, 3, Falk an Caroline Rosenfeld, 29.3.1797. 821 GSA Weimar 15/II.1C.1.1, 3, Friedrich Köpken an Falk, 21.4.1797. 822 Vielleicht handelt es sich um den preußischen Generalleutnant Heinrich Ludwig von Rohr (geb. 1722). 823 GMD. Falk II.10.3, 9 f f , Falk an Elisabeth Rosenfeld, ca. März 1797. 824 GMD, a . a . O . , 11. 818

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Den Grund dafür wollte er ihm jedoch nicht nennen. Falk beruhigte sich jedoch wieder, als Gleim ihn mit 100 Talern 825 und mit warmherzigen Worten erneut seiner Freundschaft versicherte: »Wir sehn uns einander, w o nicht hier, anderswo, dann, lieber Falk, sollen Sie, w e r d e n Sie mir R e c h t geben. Seyn Sie gutes Muthes! Ihre Feinde freuen sich, w e n n sie es nicht sind. Sie haben Feinde, sie müssen das Schwert wie der Babst ihnen nicht in die H ä n d e geben. W a r ' ich ein j u n g e r M a n n u n d hätt' ich Zeit dazu, so schlüg' ich mit m e i n e m Grenadiersäbel unter ihre Feinde. Sie bät' ich ganz ruhig zu bleiben u n d die kleinen S ü n d e n ihres g r o ß e n Genies erst alle wieder gut zu machen. Kurz w i r sehen Uns, u n d Sie sind vollkommen ganz v o l l k o m m e n zufrieden mit ihrem Altvater Gleim.« 8 2 6

Falk konnte die Pläne Gleims nicht enträtseln, aber Gleims Worte boten ihm mehr als bisher Anlaß, auf die Vermittlung einer gesicherten Versorgung zu hoffen. Deshalb schrieb er voller Zuversicht an Frau Rosenfeld: »Wahrscheinlich will mich der alte Gleim versorgen oder schenkt mir vielleicht eine Präbende. Hier [d. h. in diesem Fall] hab ich nichts zu thun. U n d dies wäre mir lieber als Alles.«827 Zu Gleims 78. Geburtstag am 2. April 1797, an dem Gleim auch sein goldenes Jubiläum als Sekretär des Halberstadter Domkapitels feierte, 828 verfaßte Falk ein Gedicht, in dem er den Greis als »Liebling« der »Menschlichkeit« pries.829 In poetischer Vorwegnahme seines nahenden Lebensendes dichtete Falk: »O f ü h r t mich hin! W o ruht der heil'ge Dichterstaub? Ich will m i c h auf dies Grabmahl setzen. Ich will d e n heil'gen Dichterstaub Umfassen u n d mit T h r ä n e n netzen. — D o c h still m e i n Herz!— N o c h sind w i r ja vereint. N o c h darfst du laut an seinem H e r z e n schlagen. Ich will es stolz der späten N a c h w e l t sagen: Gleim war m e i n Vater, war m e i n Freund!«

Zusammen mit Ferdinand Delbrück reiste Falk etwa Ende März 1797 nach Berlin. 830 Der Hauptzweck seiner Reise dürfte darin bestanden haben, sich Klarheit über seinen beruflichen Weg zu verschaffen und womöglich durch Kontakte mit einflußreichen Persönlichkeiten zu einer ausreichenden Versorgung zu gelangen, welche seine freie Schriftstellerei nicht einschränkte. Falk 825 GMD. Falk II.1.13, 8, Falk an Caroline Rosenfeld, 29.3.1797; GMD. Falk II.10.3, 14ff„ Falk an Elisabeth Rosenfeld, ca. März 1797. 826 GMD. Falk II.1.13, 10-12, Falk an Caroline Rosenfeld, 29.3.1797. 827 GMD. Falk II.10.3, 14 f., Falk an Elisabeth Rosenfeld, ca. März 1797. 828 Braun, a.a.O., 69. 829 Halberstadt, Falk 1, Falk an Gleim zum 2.4.1797. 830 UB Dorpat, Bl. 107, Falk an Morgenstern, nach Ostern 1797. - Allen geht (unter Berufung auf H. Döring) irrtümlich davon aus, daß Falk bereits im Dezember 1796 nach Berlin gereist sei. Allen, a.a.O., 197.

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und Delbrück wohnten bei einer Familie Wilmsen. 8 3 1 Es erging Falk in Berlin ähnlich wie in Magdeburg: täglich traf er mit bekannten Persönlichkeiten zusammen, 8 3 2 unter ihnen Leopold Friedrich Günther Göckingk, 8 3 3 Johann Christian Gädicke, 8 3 4 Karl Wilhelm Ramier, 8 3 5 Johann Joachim Spalding, 8 3 6 Johann Erich Biester, 837 Christoph Friedrich Nicolai 8 3 8 und Wilhelm Abraham Teller. 839 An seine Eltern schrieb er: »Es gibt hier einen Club zu Berlin, der der Gesandten Klub oder das Carsino [sie!] heißt. Hier trifft man Personen v o m ersten Range.« 8 4 0 W o immer sich eine Möglichkeit bot, suchte Falk Anregungen für sein literarisches Schaffen. Er wollte Menschen beobachten. 8 4 1 Zu diesem Z w e c k hielt er sich nicht allein in gelehrten Zirkeln auf, sondern begab sich an die unterschiedlichsten Orte. An Morgenstern schrieb er: »Ich lebe hier herrlich u n d in F r e u d e n , Ich g e b e und n e h m e B e s u c h e . — H e u t i m B o r d e l l 8 4 2 u n d M o r g e n in der Charitee! d e n n das verhält sich g e g e n einander w i e antecedens u n d c o n s e q u e n s . Freytag a u f der A c a d e m i e , u n d S o n n a b e n d i m Irrhaus. K u r z hier ist L e b e n die Fülle, u n d S t o f f so viel, daß ich darüber alle F o r m vergesse.«

843

V o m Ertrag seiner Beobachtungen, vor allem in der Charité, wird noch die R e d e sein. 844 Eine echte Faszination übte das Leben der Großstadt auf Falk jedoch nicht aus. »Ich kenne das glänzende Elend der großen Welt«, schrieb er an Caroline Rosenfeld. 8 4 5 Auch die »Schwelgerey« bei den Mahlzeiten 8 3 1 GSA Weimar 15/11.1B.4.9, 1, Gleim an Falk, 17.4.1797; vielleicht handelt es sich um die Familie des Friedrich Ernst Wilmsen (1736-1797), dessen Sohn Friedrich Philipp (1770-1831) im Jahre 1798 Prediger an der Berliner Parochialkirche wurde. Vgl. Schleiermacher K G A V, 3 (1992) 578. 8 3 2 U B Dorpat, Bl. 107, Falk an Morgenstern, nach Ostern 1797; GSA Weimar 15/11.1B.4.9, 2, Gleim an Falk, 17.4.1797. 8 3 3 Leopold Friedrich Günther Göckingk (1748-1828) war Geheimer Oberfinanzrat und Lyriker. 8 3 4 Johann Christian Gädicke (auch Gedicke; 1763-1837) war Buchdrucker; seit 1798 sachsenweimarischer Kommissionsrat. 8 3 5 Karl Wilhelm Ramler (auch Rammler; 1725-1798) war Literaturkritiker, Lyriker und Übersetzer der Aufklärung. 8 3 6 Johann Joachim Spalding (1714—1804) war führender Vertreter der Neologie. 8 3 7 Johann Erich Biester (1749-1816) war Jurist, seit 1784 Bibliothekar der Königlichen Bibliothek und 1783-1796 Herausgeber der Berliner Monatsschrift. 8 3 8 Christoph Friedrich Nicolai (1733-1811) war Verlagsbuchhändler und Kritiker, Hauptvertreter der Berliner Aufklärung. 8 3 9 Wilhelm Abraham Teller (1734-1804) war Oberkonsistorialrat und Propst. 8 4 0 GSA Weimar 15/1.2.1.6, 3 f., Falk an seine Eltern, 15.5.1797. 8 4 1 G M D . Falk 11.10.5, 2, Falk an Elisabeth Rosenfeld, ca. Mitte April 1797. 8 4 2 Vgl. dazu Falk: Geheimes Tagebuch (1964) 239. 8 4 3 U B Dorpat, Bl. 103, Falk an Morgenstern, ca. Apr. 1797. 8 4 4 S. u. S. 276 ff. 8 4 5 G M D . Falk 11.1.7, 3, Falk an Caroline Rosenfeld, ca. Ende April 1797. Vgl. G M D . Falk III.18.1, 3, Caroline Rosenfeld an Falk, 1.5.1797.

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seiner Gastgeber wurde Falk bald leid. Aus Sorge, seine Gesundheit könnte Schaden nehmen, verzichtete er auch hier auf Wein und üppige Speisen. 846 In Berlin dürfte Falk auch zur Kirche gegangen sein und den damals bekannten Prediger Johann Peter Ancillon (1767—1837)847 gehört haben. Jedenfalls erwähnt er ihn später in seinem »Taschenbuch« als einen »mit Recht allgemein geschätzte[n] Kanzelredner«. 848 Ancillon war hugenottischer Herkunft, hatte in Genf Theologie studiert und war anschließend in Berlin Prediger an der französisch-reformiertenGemeinde. »Als rhetorisches Talent, o h n e eigentliche T i e f e , j e d o c h ganz nach d e m G e s c h m a c k der G e b i l d e t e n des preußischen ancien r é g i m e , erfreute sich der g e w a n d t e Geistliche bald großer Beliebtheit in höfischen Kreisen, so daß er 1 7 9 2 als Professor der G e s c h i c h t e an die K r i e g s - A k a d e m i e b e r u f e n [. . .] w u r d e . « 8 4 9

Neben seinen Besuchen war Falk in Berlin auch literarisch tätig. Die Hilfe seines Freundes Morgenstern nahm er in Anspruch, indem er ihn brieflich darum bat, ihm einige Passagen aus Veröffentlichungen Kants und Fichtes zu exzerpieren, in denen diese sich positiv zum Fatalismus äußerten.850 Im selben Brief fragte Falk seinen Freund nach dessen Meinung über folgendes Lied (»nach einer Mozartschen Melodie« zu singen) aus seiner Feder: »Lachen m u ß ich ihr B r ü d e r c h e n lachen: D a f ü r , B r ü d e r c h e n , seyd ihr j a da. N o c h auf Charons unwirthbarem N a c h e n L a c h ' ich Eurer, J u c h heyßa! T r a La! J e d e r , B r ü d e r c h e n , treibt hienieden Das, w o z u die N a t u r ihn ersah, E u c h w a r d närrisch zu seyn hier beschieden M i r darüber zu lachen - ha! ha! Priester schrecken mit Bannstrahl u n d H ö l l e ; Müllerthiere mit l a u t e m I - a h , D u r c h B r u c h b ä n d e r H . v o n Fontanelle, 8 5 1 V o ß 8 5 2 durch G r o b h e i t t , 8 5 3 u n d ich durch - H a ha!« 8 5 4 GSA Weimar 15/1.2.1.6, 2, Falk an seine Eltern, 15.5.1797. K. Kupisch: Art. Ancillon (1957) 360. 8 4 8 Falk: Tb. 1798, 29. 8 4 9 K. Kupisch, ebd. 8 5 0 U B Dorpat, Bl. 109, Falk an Morgenstern, ca. Mai 1797. 8 5 1 Bernard Le Bovier de Fontenelle (1657-1757), französischer Freidenker und Sekretär der Akademie der Wissenschaften. 8 5 2 Falk ergänzte: »Nicht der grosse Voss zu Eutin, sondern der Cosmopolit Voss zu Halle.« U B Dorpat, Bl. 104, Falk an Morgenstern, ca. Apr. 1797. Die Identität des genannten Voss war nicht zu ermitteln. 8 5 3 So im Original. 8 5 4 U B Dorpat, Bl. 104, Falk an Morgenstern, ca. Apr. 1797. 846

847

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Es ist nicht bekannt, ob Morgenstern zu diesen Strophen Stellung genommen hat. Sie zeigen vielleicht zum einen etwas von Falks Bemühen, in Befolgung jenes Rates von Gleim den Herausforderungen des Lebens mit Heiterkeit zu begegnen. 855 Z u m andern verdeutlichen sie erneut Falks scharfe satirische Kritik an seinen Zeitgenossen. 856 Falk hatte seit seiner Danziger Schulzeit Freude an der Übersetzung fremdsprachlicher Literatur. Zu Beginn seiner Zeit in Halle notierte er dazu: »Es verfliegt stets etwas v o n e i n e m Spiritus, den m a n n aus e i n e m Glase ins andere gießt; aber es ist auch wahr, daß m a n n ihn aus einem schlechteren Gefäße in ein schönres überbringen kann.« 857

Im Jahre 1797 befaßte er sich mit den Schriften des englischen Satirikers Jonathan Swift. Swifts »vorurteilsfreie Kritik an Dogmatismus und kirchlicher oder staatlicher Willkür« 858 dürften Falk beeindruckt haben. N o c h in Magdeburg hatte ihn das Angebot erreicht, »10 Octavbände« der Werke Swifts zu übersetzen. 859 Die Aussicht auf ein regelmäßiges Honorar und der Wunsch, die Satire des Engländers dem deutschsprachigen Publikum in einer neuen Ubersetzung 860 zugänglich zu machen, führten in Berlin zum Abschluß eines Vertrages mit dem Leipziger Verleger Sommer. Für dieses auf 14 Jahre geplante Arbeitsvorhaben sollte er pro Band 500 Taler erhalten. 861 Der Plan wurde später jedoch aufgegeben. 862 Dafür dürfte ausschlaggebend gewesen sein, daß seit 1798 in der Weygandschen Buchhandlung (Leipzig) eine von Degenhard Pott übersetzte Ausgabe der Werke Swifts erschien. 863 In Berlin wartete Falk täglich auf einen positiven Bescheid Gleims. 864 Dieser dankte ihm, seinem »wohlgerathensten Sohn«, mit Brief vom 17.4.1797 für den Geburtstagsgruß. 865 Er konnte Falk jedoch weiterhin keine näheren Angaben über seine Pläne machen. Dies sei allein in seiner (Gleims) derzeitigen Lage begründet. »Sie müßen weiter nicht forschen, genug zu wißen, wer ich 855

S.o. S.209. Das vollständige Gedicht erschien in Falk: Tb. 1798, 35-42. 857 GMD. Falk IV.3.2, 10, Falk: Aus der hallischen Studentenzeit. 858 Vgl. Alt: Aufklärung (1996) 263 f. 859 GMD. Falk II.1.13, 12, Falk an Caroline Rosenfeld, 29.3.1797. 860 Falks Bücherkatalogus (1805) verzeichnet unter den Nrn. 608-611 »Swifts satirische Werke. 6 Theile 4 Bände Alte Busolsche Uebersetzung«. GMD. Falk 11.11. 861 GMD. Falk II.1.17, 3, Falk an Caroline Rosenfeld, ca. 10.5.1797. 862 Jördens: Dichterund Prosaisten, 6 (1811) 84, vermerkt zu der in Bd. 1 angegebenen Literatur Falks, die angekündigte Übersetzung »Swifts und Arbuthnots ec.« seien zu streichen. — Die Bearbeitung eines Swiftschen Textes brachte Falk u. a. in seinem Tb. 1801, 266 ff. 863 Diesen Hinweis verdanke ich Frau Dr. Marie-Luise Spieckermann und Herrn Prof. Dr. Hermann Josef Real vom Englischen Seminar der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster (Brief vom 8.5.1995). 864 GMD. Falk II.10.4, 5, Falk an Elisabeth Rosenfeld, Anfang April 1797, und GMD. Falk II.1.17, 1, Falk an Caroline Rosenfeld, ca. 10.5.1797. 865 GSA Weimar 15/11.1B.4.9, 1, Gleim an Falk, 17.4.1797. 856

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bin.«866 Gleim verlangte, daß Falk die Zeit der Ungewißheit erdulde, denn »ohne gelitten zu haben, wird man kein großer König, und kein großer Dichter.«867 Im selben Brief versuchte Gleim allerdings auch, Falks Vorstellung von einer völlig eigennützigen Berufstätigkeit zu korrigieren. Er solle wissen, »daß die für die Wissenschaften gebohrnen dem Vaterlande die besten Dienste leisten müßen!«868 Am 27.4. antwortete Gleim auf die am selben Tag eingegangenen Briefe Falks vom 15. und 22. d.M. Wiederum konnte Gleim Falk keinen Vorschlag zu dessen Versorgung unterbreiten. Er versicherte ihm aber erneut, daß er seinen »Falk so liebe, wie hochschätze. Könnt ich nur auch alle seine Wünsche diesem gemäß sogleich befriedigen!«869 Zu einer Reise nach Magdeburg sah er sich weiterhin nicht in der Lage. Seiner früheren Vermutung, der preußische König werde nach Ramiers Tode dessen »Gnadengehalt« auf Falk übertragen, dürfte Falk wohl kaum noch Glauben geschenkt haben. Mitte April 1797 kam auch Wilhelm Körte für einige Tage nach Berlin.870 Ende des Monats reiste er wieder ab, um seinen Großonkel Gleim zu besuchen. Gleim teilte Falk mit, Körte wolle nur »acht Tage in Halberstadt bleiben, länger nicht, Falk ist sein Magnet!«871 Im Blick auf Körte ermahnte er Falk jedoch: »Verführen Sie mir den jungen Preußen zu Ihren Principien, das bitt' ich mir aus, nur nicht! Er soll und muß ein Preuße seyn und bleiben [...]« Etwa Anfang Mai 1797 erhielt Falk das Angebot einer Stelle beim preußischen Département des Auswärtigen.872 Außer seinem gewandten Auftreten dürften dabei auch seine guten Französisch- und Englischkenntnisse eine Rolle gespielt haben. Die Aufgabe war mit einem Jahresgehalt von 800 bis 900 Talern dotiert. Falk weigerte sich jedoch von vornherein, Näheres mit dem zuständigen Minister und der Gräfin von Lichtenau873 zu besprechen, da die Anstellung angeblich an die Bedingung geknüpft war, seine satirische Arbeit gänzlich einzustellen. »Da sey Gott für! daß ich je mich und meine Ehre also vergessen könnte.« Eher wollte Falk ans Ende der Welt wandern, als sich zu einer »solchen Schändlichkeit einverstehen. Pfuy! Pfuy! Ich sollte mein Talent an den Hof und an Minister verkaufen!«874 Die aufgrund jener anonymen Warnung vom September 1796 aus Berlin entstandenen Gerüchte einer beabsichtigten Inhaftierung Falks gelangten auch nach Danzig. Sie hielten sich dort noch bis zum Frühjahr 1797, so daß sich die Eltern besorgt nach seinem Wohlbefinden erkundigten. Nachdem Falk

866 867 868 869 870 871 872 873 874

GSA Weimar, a. a. O., 2. GSA Weimar, ebd. GSA Weimar, a. a. O., 4. GSA Weimar 15/11.1B.4.10, 1, Gleim an Falk, 27.4.1797. GSA Weimar 15/11.1B.4.9, 3 f., Gleim an Falk, 17.4.1797. GSA Weimar 15/11.1B.4.10, 2, Gleim an Falk, 27.4.1797. GMD. Falk II.1.17, 1 ff., Falk an Caroline Rosenfeld, ca. 10.5.1797. Wilhelmine Gräfin von Lichtenau (1752-1820). GMD, a . a . O . , 2.

235

inzwischen mit Persönlichkeiten aus Regierungskreisen bekannt geworden war, konnte er seine Eltern beruhigen: »Man stellt sich überhaupt unsre Regierung schlimmer vor als sie ist. Sie haßt heimtückische Verrätherey, aber Offenheit ist keiner Verfolgung ausgesetzt. Unser Bourgeois selbst hat von Religions- und Preßfreyheit die aufgeklärtesten Vorstellungen.«875

Falk war davon überzeugt, daß sein freimütiges Auftreten ihm eher genützt als geschadet habe. Auch meinte er zu wissen, was er sich in der Öffentlichkeit erlauben könne und was nicht. Im Notfall habe er »mächtige Gönner«, die sich für ihn verwenden könnten. Von seinem alten Danziger Freund Christlieb Leberecht Kretzschmer erfuhr Falk, seine Schriften fänden in der Heimat »viel Beyfall und machen großes Aufsehen.«876 Von durchreisenden Danzigern hörte er jedoch auch, daß man ihm in seiner Heimatstadt Undankbarkeit gegenüber seinen Gönnern vorwerfe. 877 In einem im Mai 1797 an die Eltern gerichteten Brief, der vermutlich auch von Pastor Majewski und Professor Gralath gelesen wurde, wies er dies empört als Unterstellung zurück. Um das Gegenteil zu beweisen, würde er, wie er schrieb, nur zu gern nach Danzig zurückkehren. Falk versicherte seinen Eltern »bey dem allwissenden Gott«, er trage ein »brennendes Verlangen« danach, sie bis zu ihrem Lebensende zu pflegen, er werde deshalb »eine kleine mäßige Stelle« dort »einer glänzenden Carriere im Auslande vorziehen«. Von der Echtheit seiner Zuneigung zu ihnen suchte er sie mit Worten zu überzeugen, die — in einigen Wendungen nahezu gleichlautend mit dem wenige Wochen zuvor flir Gleim verfaßten Gedicht - auf ihren möglicherweise schon bald zu beklagenden Tod vorausblickten: »Wer weiß, wie bald mein guter Vater, Und du, geliebte Mutter du, So geht ihr heim von diesem lärmenden Theater Des Lebens, heim zur ew'gen Ruh. Mir bricht das Herz und meine Thränen rinnen Der Tod, für meine Bitten taub, Und für das Flehn der Enkelinnen Und Enkel, reißet Euch von hinnen. O fuhrt mich hin! — Wo ruht der heiige Mutterstaub? Daß auf ihr Grabmahl ich mich setze, Daß ich den heiigen Mutterstaub Mit diesen heißen Thränen netze. — Doch stille pochend Herz! - Warum betrübt? Bald wirst du laut an ihrem Herzen schlagen. 875 876 877

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GSA Weimar 15/1. 2.1.6, 2 f., Falk an seine Eltern, 15.5.1797. GMD. Falk II.4.3.2, Kretzschmer an Falk, 8.4.1797. GSA Weimar, a. a. O., 5 f., Falk an seine Eltern, 15.5.1797. Z u m folgenden ebd.

Ich will es stolz der späten Nachwelt sagen: Wie heiß, wie treu ich Euch geliebt.« Falk ergänzte: »Doch wozu diese Versicherungen? Sie kennen mein Herz. Sie haben von meiner Zuneigung überzeugende Beweise; Sie wissen es, daß ich mit tausend Freuden für Sie selbst in den Tod gehen würde. Wie sollt' ich mich also nicht in ihre Arme zurück sehnen!« Mit Dankbarkeit erinnerte er sich an seine Gönner Gralath, Schumann, Zernecke, Weickhmann und U p h a gen; mit Pastor Majewski würde er gerne wieder jene »socratischen Gespräche« aufnehmen und »an seinen Lippen [...] hängen«. »Selbst H[err] v. C o n radi würde mich entschuldigen, wenn er wüßte, daß meine schriftlich übernommenen Verpflichtungen nach Dantzig zurückzukehren, die ich in seine Hände niedergelegt, mir keineswegs gleichgültig sind.« Zur Bekräftigung gelobte Falk, sich im Ausland nicht eher auf ein Arbeitsverhältnis einzulassen, bis ihn seine Vaterstadt von den ihm immer noch »heiligen Versprechungen« entbunden habe. Tatsächlich dürfte es Falks innerster Wunsch gewesen sein, die Last der früheren Verpflichtung definitiv loszuwerden, um fortan mit gutem Gewissen als freier Schriftsteller leben zu können. Umso mehr verwundert es, daß er im selben Brief seine Aufrichtigkeit gegenüber den G ö n nern damit meinte unter Beweis stellen zu können, daß er sich zur Übernahme des durch den Tod Professor Kosacks vakant gewordenen Lehramtes für Poesie und Beredsamkeit bereiterklärte. Dies dürfte auch auf den Einfluß Gleims zurückzuführen sein. Während dieser mit Falks Entscheidung, die Stelle im Département des Auswärtigen nicht anzunehmen, einverstanden war — er hielt ihn nämlich dafür aufgrund seines mangelnden Patriotismus für ungeeignet - riet er ihm aber eindringlich, ein mögliches Angebot aus Danzig anzunehmen. Falk müsse einsehen, daß er als Schriftsteller nicht gänzlich unabhängig sein könne. 878 Im Brief an die Eltern nannte Falk selber als möglichen H i n derungsgrund für eine Anstellung in Danzig seine »Religion«, womit er seine nicht-orthodoxe Glaubenshaltung meinte. Da er jedoch »bloß Virgil und H o ratz und nicht den Catechismus Lutheri« lehren solle, nehme er an, daß es »bey so aufgeklärten Zeiten« keine unüberwindlichen Hindernisse gebe. Im übrigen bat er seine Eltern darum, »den ganzen Vorgang der Unterhandlungen auf das Geheimste zu betreiben«, weil er sehr auf der H u t sein müsse, seit sein N a m e unter den Schriftstellern genannt werde: »Der Neid lauert auf allen Seiten; Meine unschuldigsten Handlungen werden gemißdeutet, und jedes Wort solange gedreht und gedeutelt bis eine Anecdote daraus wird.«879 Es dürfte zutreffen, daß Falk, wie er betonte, sein Studium fast ausschließlich der klassischen Altertumswissenschaft gewidmet hatte und dafür ehrenvolle Zeugnisse seines Lehrers Friedrich August Wolf vorweisen konnte. Zweifel erheben sich jedoch sowohl hinsichtlich der Lauterkeit seiner Beteue-

878 879

GSA Weimar 15/11.1B.4.11, 2 f., Gleim an Falk, 10.5.1797. GSA Weimar 15/1.2.1.6, 17 f. 21 f., Falk an seine Eltern, 15.5.1797.

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rung, er würde gern nach Danzig zurückkehren, als auch im Blick auf die Behauptung: »Ich hatte von jeher die Idee academischer Lehrer zu werden.« Falks übrige Korrespondenz aus jener Zeit belegt ebenso deutlich wie das zwei Jahre zuvor an Conradi gerichtete »Curriculum vitae«, daß er gerade nicht einen bürgerlichen Beruf anstrebte, sondern als freier Schriftsteller leben wollte. Hätte Falk ernsthaftes Interesse an einem Besuch seiner Geburtsstadt gehabt, dann, so möchte man vermuten, wäre er wohl in jenem Frühjahr auch auf das Angebot eines Herrn von Müller aus Riga eingegangen, der ihn kostenlos mit nach Danzig nehmen wollte.880 Ein Indiz für seine nicht wirklich ernst gemeinte Bewerbung um ein Danziger Lehramt ist auch darin zu sehen, daß Falk gegenüber seinen Eltern Skepsis zum Ausdruck brachte: »Verwirft man mein Gesuch, so hab ich wenigstens das beruhigende Bewußtseyn, das es nicht meine Schuld war, daß ich jene schriftlich übernommene Versprechungen nicht erfüllte. - Die Vorwürfe von Undankbarkeit können mich alsdan nicht treffen, wenn ich durch Verwendung meiner auswärtigen Freunde im Auslande ein Glück suche, das mir in meiner Vaterstadt versagt ist.«881

Dennoch beauftragte Falk seinen Vater, wegen des Lehramtes bei Gralath und Majewski vorzusprechen, zu denen er das meiste Vertrauen habe. Für den Fall, daß diese seiner Bewerbung zustimmten und ihr Erfolgsaussichten einräumten, wolle er »anhalten«, d. h. den Antrag zur Übernahme in den Schuldienst stellen. Tatsächlich scheint sein Gesuch den Danziger Stadtrat erreicht zu haben. Nach dem Rücktritt Eduard Friedrich von Conradis vom Amt des Ersten Bürgermeisters im März 1796882 war nun der Geheime Rath und Stadtpräsident Johann Christian von Lindenovski für die Anglegenheit zuständig.883 Wohl im Juni 1797 schickte Falk seinen Eltern ein »Testimonium des H. Prof. Wolf«884 mit der Bitte, es an Lindenovsky weiterzuleiten.885 Auch diesmal zeugen die an die Eltern gerichteten Zeilen davon, daß Falk nicht ernsthaft mit einer Berufung nach Danzig rechnete und sich darum wohl auch nicht mit aller Kraft bemühte: »Ich wünsche, daß es nicht zu spät kommen mag. Von dem Erfolg werden Sie mir weiter berichten. Sollt ich die Stelle nicht erhalten, wie es mir sehr wahrscheinlich ist, so fordern sie alle die Testimonia von H. v. Lindenowsky zurück, weil ich Sie anderweitig brauchen kan. Schreiben sie mir denn doch auch, wann Sie glauben, daß die Wahl vor sich gehen werde.«

880

GMD. Falk II.1.5, 4, Falk an Caroline Rosenfeld, ca. April 1797. GSA Weimar 15/1.2.1.6, 20f., Falk an seine Eltern, 15.5.1797. 882 Duisburg: Gedenkbuch (1796 ff.) 8. 883 Duisburg, a. a. O., 9. 884 Reiter nimmt irrtümlich an, Falks Bitte an Wolf um ein Zeugnis habe im Zusammenhang mit seiner Heirat gestanden. Reiter, a. a. O., 89. 885 GSA Weimar 15/1.2.1.7, Falk an seine Eltern, ca.Juni 1797. 881

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Zu einer Berufung Falks als Professor für Poesie und Beredsamkeit an das Akademische Gymnasium in Danzig kam es nicht. Uber nähere Einzelheiten des Bewerbungsvorgangs geben die Quellen keine Auskunft. Auch ist nicht bekannt, ob er seine Bewerbungsunterlagen noch an anderer Stelle einreichte. Klar ist dagegen, daß Falk im Mai 1797 fest entschlossen war, sich durch keinen bürgerlichen Beruf einschränken zu lassen, sondern seinen Lebensunterhalt — mit oder ohne Unterstützung durch Gleim 886 — als freier Schriftsteller zu verdienen. Das Wagnis eines solchen Unternehmens trat ihm in seiner ganzen Tragweite jedoch erst vor Augen, als er gedachte, eine Ehe einzugehen.

8. Freundschaft mit Caroline Rosenfeld. Die Beziehung zu Karl Morgenstern (1796/97). Heirat in Halle (17.9.1797) In Danzig hatte Falk über längere Zeit die Freundschaft mit einem Mädchen (»Jeanette«) gepflegt.887 Ferner war er eine Zeitlang mit »Pinchen«888 befreundet. Zu Beginn seiner Hallenser Studienzeit, im Winter 1791/92, notierte er, daß er gelegentlich »Gespielinnen« bei sich habe. 889 Vielleicht bezog sich darauf eine Bemerkung seines Freundes Ferdinand Delbrück, der im Mai 1796 in einem Brief aus Hamburg äußerte, Falk sei in Freundschaftsangelegenheiten erfahren, er selbst (Delbrück) werde ihn deshalb künftig vielleicht um R a t bitten. 890 Im Sommer 1796 lernte Falk seine spätere Frau kennen. Caroline Rosenfeld wohnte in Halle in der Steinstraße gegenüber von Falk.891 Sie war die Tochter des im Oktober 1795 verstorbenen Carl August Rosenfeld und seiner Frau Elisabeth Theodore, geborene Janssen. Caroline war am 14. Februar 1780 in Halle geboren. 892 Sie hatte einen älteren und drei jüngere Brüder, 893 die alle, wie der Vater, lutherisch waren, 894 während Caroline, wie ihre Mutter, der reformierten Kirche angehörte. Der Vater war von Beruf Königlicher Akzise-Obereinnehmer, d. h. Zollbeamter auf dem Packhof. Er hatte sich im Jahre 1777 durch den Kauf des »Löperschen Gartens vor dem Steinthor« das Bürgerrecht erworben. 895 886

G M D . Falk II.1.17, 8, Falk an Caroline Rosenfeld, ca. 1 0 . 5 . 1 7 9 7 .

887

S. o. S. 44; vgl. Falk: Leben d. Johannes v. d. Ostsee (1805).

888

S . o . S. 110. G M D . Falk IV.3.2, 2 f., Falk: Aus der hallischen Studentenzeit.

889

GSA Weimar 15/11.1A.13.1, F. Delbrück an Falk, 2 3 . 5 . 1 7 9 6 . Reiter, a. a. O . , 89, unter Berufung auf Neuer Nekrolog der Deutschen, IV (1826) 1, 61; vgl. Falks Auserl. Werke, I (1819) 53. 8.0

8.1

StArchiv Halle, Kirchenbuch 2b der Domgemeinde Halle; Leistikow, a. a. O., 198. Carl August j r „ geb. am 4 . 1 0 . 1 7 7 3 ; Paul George Ludewig August, geb. am 8 . 5 . 1 7 8 1 ; Carl Friedrich Heinrich Matthaeus, geb. am 1 4 . 2 . 1 7 8 4 , und Paul Ferdinand Heinrich Rosenfeld, geb. am 2 0 . 9 . 1 8 7 8 . StArchiv Halle, Kirchenbücher U.L.Frauen zu Halle a. S. 892 893

894 895

StArchiv Halle, ebd. StArchiv Halle, Kirchenbuch 2b der Domgemeinde Halle.

239

Falk dürfte auf Caroline wohl eher auf der Straße als beim Kirchgang aufmerksam geworden sein, da von einem solchen nichts bekannt ist. Man möchte Falk zutrauen, daß er sich, fast fünf Jahre nach seinem Einzug in das Türksche Haus, eines Tages ein Herz faßte und Frau Rosenfeld geradewegs um Erlaubnis bat, mit ihrer Tochter in ein freundschaftliches Verhältnis zu treten, doch darüber schweigen die Quellen. Sicher ist dagegen, daß Falk sich im Spätsommer des Jahres 1796 allabendlich im Hause Rosenfeld aufhielt. Auch dürfte er damals bereits eine gewisse Zuneigung von Seiten Carolines empfunden haben.896 Als sich Falk nach der Aufführung seines Puppenspiels »Die Uhus« im Herbst 1796 öffentlichen Angriffen ausgesetzt sah, hatte er den Eindruck, sein - wie er meinte - bis dahin noch geheimgehaltenes Verhältnis zu Caroline trete nun in ein neues Stadium, in welchem er, sollte er in Halle bleiben, seine Zuneigung je länger, desto weniger verheimlichen konnte. Er war vermutlich in Sorge, Elisabeth Rosenfeld könne ihre Zustimmung zu seiner Verbindung mit Caroline verweigern, wenn sie von der öffentlichen Kritik an Falk erführe. Auch konnte sich Falk nicht ganz sicher sein, ob die Aussage jener anonymen Warnung aus Berlin aus der Luft gegriffen war oder einen konkreten Anhaltspunkt hatte. Der Gedanke, Frau Rosenfeld könnte als Nachbarin Zeugin von Falks Verhaftung werden, mußte für ihn unerträglich sein und wurde vielleicht mit zum Anlaß, Halle zu verlassen. Seine Reise nach Weimar im Oktober 1796 empfand Falk vor allem wegen der räumlichen Trennung von Caroline als »höchst elend«.897 Falk schrieb ihr, er habe unterwegs »unaufhörlich« an sie gedacht. Abends um acht Uhr, als er, »anstatt wie sonst, mein freundliches Carolinchen am Ciavier zu sehen, in eine schmutzige Dorfschenke eintrat, wo acht vierschrötige Fuhrknechte in einer dampfenden Stube ihre durchnäßten Kleider am Ofen trockneten«, habe ihn tiefe Wehmut erfaßt. Die Nacht verbrachte er zusammen mit seinen Reisegefährten in einer Speisekammer. »Weil das Strohlager nicht hoch genug war, so legten wir Uns 5 bis 6 hausbackene Brodte; die eben frischgebacken im Trog standen unter den Kopf. Es mochte zwölf Uhr vorbey seyn, so hörte ich ein kleines Geräusch in der Nähe. Ich hob mich empor und sah zu meinem Schrecken sechs bis sieben Mäuse, die schnuppernd um das Stroh umherschlichen. Ich merkte gar bald, daß es hier wohl eigentlich auf die Brodte angesehen sey, und da Sie den Trog leer fanden, so folgten Sie der Spur im Stroh. - U m also R u h e zu haben, warf ich ihnen ein Brod zurück in den Trog, woran Sie auch die ganze Nacht nagten.«898

In Halle hatte Falk zwei Liebesbriefe an Caroline Rosenfeld verfaßt. Einen der beiden wollte er ihr eigentlich überreichen, als er ihr die — wohl bei seinem 8.6 8.7 898

240

U B Dorpat, Bl. 96, Falk an Morgenstern, Dezember 1796. GMD. Falk I I . l . l l , 3, Falk an Caroline Rosenfeld, Okt. 1796. GMD, ebd.

kurzen Aufenthalt in Leipzig - erworbenen Noten einer Arie schenkte. Jedoch fand er erst in Weimar den Mut, die beiden Briefe zu übersenden, die, wie er schrieb, »Ihnen das innerste meines Herzens aufschließen«.899 Caroline, die er »über alles in der Welt« liebe, solle sie lesen und dann »der Stimme ihres unverdorbnen Herzens« folgen. Eine Antwort auf seine Briefe erbat er ausschließlich für den Fall, daß Caroline seine Liebe erwiderte. Im Falle ihres Schweigens werde er ihr wünschen, ein Herz zu finden, das ihrer würdiger sei als das seinige. Noch keine Woche war nach Falks Aufbruch aus Halle vergangen, als er seine Sehnsucht erneut in einem Brief zum Ausdruck brachte: »Ich kann mein Herz von dem Ihrigen nicht mehr losreissen, ohne daß es verblutet.«900 Schon während seines kurzen Aufenthaltes in Leipzig901 habe er unter der Trennung von Caroline gelitten. Umso unerträglicher war ihm jetzt in Weimar die Entfernung. Er gestand ihr, daß ihm des öfteren schon beim Aussprechen ihres »süßen« Namens das Herz klopfte und Tränen in die Augen traten. Falk rechnete zu diesem Zeitpunkt noch mit einer möglichen Absage Carolines. Er jedoch warb vorbehaltlos um sie: »Sie sind die erste, die ich liebe, dies schwör' ich Ihnen bey'm allwissenden Gott! und Sie sollen die letzte seyn, selbst dann, wenn Sie mein Herz verschmähen«902 Aufgrund der erwähnten Vorgeschichte Falks könnte man geneigt sein, ihm mangelnde Wahrhaftigkeit vorzuwerfen. Jedoch wird man verstehen müssen, daß Falk damals von Caroline in solch starkem Maße eingenommen war, daß ihm im Vergleich dazu alle seine früheren Freundschaften bedeutungslos vorkamen und er sie deshalb nicht als »Liebe« bezeichnete.903 Falk drang auf eine Entscheidung. Wenige Tage bevor Falk Halle verließ, hatte Frau Rosenfeld die Frage an ihn gerichtet, was die Leute wohl dazu sagen würden, daß er »so spät« ihr Haus verlasse.904 Aus Falks Wiedergabe von Frau Rosenfelds Worten geht nicht hervor, was sie unter »spät« verstand, aber mit dieser Frage dürfte sie vor allem ihre eigene Kritik am Verhalten Falks zum Ausdruck gebracht haben. Dieser antwortete aus Weimar in einem Brief an Caroline, indem er Frau Rosenfeld zunächst scheinbar Recht gab, dann aber sein Verhalten — ohne jede Rücksichtnahme auf ihr Empfinden — als Ausdruck seiner unbeirrbaren Liebe zu ihrer Tochter rechtfertigte und Caroline vor die Entscheidung stellte: »Sie hat Recht. - Entweder, liebe sanfte Caroline, Falk wird auf ewig der Ihrige, und dann mögen die Leute doch sagen, was sie wollen: oder, wenn

8,9

GMD. Falk, a. a. O., 1. Die beiden erwähnten Briefe scheinen nicht erhalten geblieben zu

sein. 900

GSA Weimar 15/N, 34.2, 2, Falk an Caroline Rosenfeld, ca. Anf. Nov. 1796. S.o. 902 GSA Weimar, ebd. 903 Auf dieser Ebene liegt auch Falks Äußerung im selben Brief:»[...] die erste weibliche Hand, die ich drückte gehörte Caroline.« GSA Weimar, ebd. 904 GSA Weimar, a. a. O., 3. 501

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Sie sein H e r z zurückstoßen, so wissen sie, daß E r so viel Delicatessen 9 0 5 hat Sie nie nie wiederzusehen.« Falk versicherte, es liege i h m fern, »in das H e i l i g t h u m der verwaisten U n s c h u l d zu dringen« u n d durch seine B e s u c h e Verdacht zu erregen. C a r o l i n e h a b e es nicht m i t e i n e m »rohen Studenten« zu tun, d e m » U n s c h u l d u n d Sittsamkeit ein Gespött« ist, u n d e b e n s o w e n i g mit e i n e m »rohen Stutzer, der j e d e s weibliche G e s c h ö p f umflattert u n d mit M e y n e i d e n spielt. [ . . . ] M e i n H e r z glüht für T u g e n d u n d Rechtschaffenheit.« 9 0 6 Falk ließ C a r o l i n e wissen, sie m a c h e ihn »durch ein Bekenntniß«, daß sie i h m »nur ein w e n i g gut« sei, »unaussprechlich glücklich.« 9 0 7 M a n wird a n n e h m e n müssen, daß die damals 16jährige C a r o l i n e R o s e n f e l d ihre M u t t e r die B r i e f e Falks lesen ließ o d e r sie zumindest über den wesentlic h e n Inhalt informierte u n d daß sie auch ihre eigenen B r i e f e mit ihr besprach. Leider scheinen ihre ersten B r i e f e an Falk nicht erhalten geblieben zu sein. E i n e m etwa E n d e N o v e m b e r 1796 verfaßten B r i e f Carolines hatte ihre M u t t e r w o h l einige Z e i l e n b e i g e f ü g t u n d Falk wissen lassen, daß an eine Heirat bestenfalls nach zwei J a h r e n zu d e n k e n sei. Falk antwortete ihr sofort: 9 0 8 »Süße ewig geliebte Caroline, Ich bekomm einen Brief von Ihnen; ich les' ihn; ich küß' ihn und les' ihn wieder, und da sitz' ich schon am Schreibepult ihn zu beantworten. — Eh ich weiter schreibe, muß ich ihn noch einmahl küssen!— Ach warum bist du nicht lieber selbst hier, warum kann ich dich nicht lieber küssen! Hohl doch der Henker den garstigen Winter! die verwünschte Reise! und die abscheuliche Schneckenpost hier zu Lande! Wollte der Himmel ein chursächsischer Churfürst kam' einmahl auf den gescheidten Einfall expreß eine Post für Verliebte anzulegen. Versteht sich, daß dabey kein anderer als ein Dichter Postmeister seyn dürfte und ich fiihl' es, ich qualificirte mich ganz zu 909 einer solchen Stelle. Hui! wie sollten mir die Postillione zufahren wenn ich Briefe von Carolinchen erwartete! Aber so wie es jetzt ist ist das Volk den Teufel nichts nütze! Da sitz' ich Armer und zähle jeden Augenblick, bis ich einen Brief von Caroline verschlingen kann, und mir ein hochlöbliches weimarisches Postamt einen abgelebten 66jährigen Sancho Pansa zum Briefträger an[-stellt,] einem Kerl, der mit einem Liebesbrief so gravitätisch langsam und Schritt für Schritt die Trepp' heraufschleicht, bey Gott, als wär's ein Aviso zu Wechselarrest, oder mein angedrohter Berliner Cabinetsbefehl. Aber nicht bloß die Kaltblüthigkeit und das Pflegma der Briefträger, Postpferde, Postwagen und Postmeister in Deutschland haben meine Galle diesmahl aufgereitzt: nein auch ihre liebe Mutter — verzeih's ihr Gott! — hat es mit aufihrem Gewissen. — Zwey Jahre sagt Sie, zwey ewige lange unendlich lange Jahre, vierundzwanzig Monden, 104 Wochen beynah acht hundert Tage, die Stunden, Minuten Secunden gar nicht einmahl mit in Anschlag gebracht, getrennt

9 0 5 Der Begriff »Delicatessen« meint hier den feinfühlenden sitdichen Anstand. Grimm: W ö r terbuch, 2, 915 f. 9 0 6 G S A Weimar, a. a. O . , 4. 9 0 7 G S A Weimar, a . a . O . , 1. 9 0 8 G S A Weimar 1 5 / N , 34.1, Falk an Caroline Rosenfeld, November 1796. 9 0 9 Im Original: »ganzu«.

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zu leben getrennt von meiner Caroline! Nimmermehr! Nimmermehr! Es ist unmöglich! Wenn Sie wißten, wie oft ich in jeder Minute an sie denke, wie meine Hand bebt, mein Puls klopft, meine Wange glüht, meine Lippe zittert, wenn ich den süßen Nahmen Caroline ausspreche - und zwey lange, lange unendlich lange Jahre! Nimmermehr! nimmermehr! Woran mag nur die gute Mutter gedacht haben als Sie dies niederschrieb. Sie sagt selbst in ihrem Brief, Er sey auf einem Rechnungsbuche geschrieben. Hm! da mag sie auf ihrer Hut seyn, daß nicht etwa drinnen ein eben so garstiger Rechnungsfehler einschlich als draussen. Wenn ich 78 Jahr hätte, da ließ' ich's gelten. Die mütterliche Zärtlichkeit hätte alsdann darauf gerechnet, daß das Töchterchen ein Paar Jahr eher Wittwe würde: aber so - Von etwas Andern! Gestern Abend sang die hiesige Chorschülercurrende vor meinem Fenster im Mondenschein. Dies ist hier so die Weinachtssitte in Weimar. Sie kennen die Arie: Wie sie sanft ruhe! Oft hatt' ich sie vor ihrem Wohnhause gehört; die Töne weckten die schlafende Erinnerung. Aus der Gegenwart hinweggerückt war ich unter ihrem Fenster. Berge Thäler und Flüsse, die mich von meiner Caroline trennen waren eingesunken. Ich war bey dir, ich rief dich bey Nahmen, ich schloß dich an mein Herz. Abends wenn ich hingelehnt auf den Arm vor meinem kleinen qualmenden Lämpchen am Schreibepult dasitze: da treibt es mich manchmahl als säßest du mir mit deinem Strickzeuge vertraulich gegenüber, störtest mit deiner Stricknadel in den blonden Locken und schöbest sie unter die weiße Nachthaube zurück. Wenn ich denn aufgucke, so sehe ich nichts als leere Tische und Stühle leere Stubenwände und vom Ofengesims herunter griesgrammt mir der Riese Goliath entgegen aus Gips. Wie und ich sollte leiden, daß statt meiner Carolinchen sanften Engelblick mir dieser gottlose Erz-Heide noch 104 Wochen griesgrammige Gesichter schneiden sollte?— Nimmermehr! Komm' ich in die Comödie: auch da geht es mir nicht besser. Ich vermisse jemand, es ist mir so öde, und immer ist es mir ehe der Vorhang aufgezogen wird, als müßt ich Ihnen ein Plätzchen aufbewahren, als würden Sie bald kommen. Und du kommst doch auch bald, liebe, süße Caroline? 3 Fragen zur gütigen

Beantwortung.

Meinen Sie nicht auch, liebes Carolinchen, daß jener Rechnungsfehler unserer lieben guten Mutter unter die Unverzeihlichsten gehört? 2) Die Hand hab ich ihnen oft geküßt und Sie sind nicht böse geworden: Wie wenn ich nun die erschreckliche Verwegenheit hätte Ihnen — kaum wag' ich es zu schreiben - ihnen bey unserer nächsten Zusammenkunft einen Kuß auf den Mund zu drücken: auf wie viel Jahre würden Sie mich wohl aus ihrem Angesicht verbannen? 3) Würden Sie mir einen Kuß zum Lohn gewähren, wenn ich Ostern meine Reise nach Leipzig über Halle machte und ganz Incognito auf ein Paar Stunden bey Ihnen zuspräche? Ueber den wilden und ungestümen Menschen wird die Mutter kopfschüttelnd ausrufen, bedächtig, Kinderchen, bedächtig! Nun mag sie immer ein wenig kopfschütteln! Das ist löblich, sittlich, ersprießlich und Gott wohlgefällig: aber dabey

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bleibt es denn doch: Ein garstiger Rechnungsfehler war's, sie mag sagen, was Sie will. — Adjeu mein süßes, einzig und ewig geliebtes Carolinchen, ich küsse sie hundertmahl in Gedanken und bin ihr sie ewig Liebender F —« Caroline empfand Falks Brief wahrscheinlich als dreist. Sie scheint die W ü n sche ihres Verehrers fürs erste abgelehnt zu haben. Falk seinerseits fühlte sich durch Carolines Bescheid gekränkt. In einem undatierten Brief beklagte er, daß sie ihm »Gram« bereitet habe, und fügte hinzu: »Ich habe Dir zu Liebe alle meine Freunde aufgeopfert; [ . . . ] bedenke dies und sey etwas nachgiebiger gegen meine Forderungen, die so unschuldig sind.«910 Falk war sich darüber im klaren, daß er die H a n d Carolines nur mit Z u stimmung ihrer M u t t e r gewinnen konnte. Er versuchte deshalb, Frau R o s e n feld für sich einzunehmen und sparte dabei nicht mit Komplimenten. Bereits in seinem vermutlich ersten unmittelbar an Frau Rosenfeld gerichteten Brief bat er darum, sie als »theuerste, innig geliebte Mutter« ansprechen zu dürfen, weil diese Anrede seinem Herzen so wohltue. 9 1 1 Der Ton ihres Briefes, 912 »die stille W ü r d e und R u h e , die aus jeder Zeile hervorleuchtet«, habe sie ihm erneut »so theuer und werth gemacht, daß ich stolz darauf seyn w ü r d e Sie ewig mit diesen süßen N a h m e n zu nennen.« Frau Rosenfeld hatte gegenüber Falk den Verdacht geäußert, es sei seine »zu große Freyheit im Schreiben« gewesen, die ihn z u m Verlassen Halles veranlaßt habe. 913 In diesem Verdacht könnte Frau Rosenfeld aufgrund eigener Lektüre des soeben erschienenen ersten Bandes des »Taschenbuchs« bestärkt w o r d e n sein. In seinem Stück »Psycharion oder die Entkörperung« hatte Falk eine j u n g e Frau in romantisch-erotisierender Weise als »kleine, liebenswürdige Schwärmerinn« beschrieben. 914 Vielleicht weckte dies in Frau Rosenfeld die Sorge, Falk k ö n n e im U m g a n g mit der 16jährigen Caroline das M a ß des sittlich Anständigen überschreiten. In ihrem Brief an Falk sprach sie j e d o c h zugleich die Erwartung aus, sein »Hang zu Carolinen« k ö n n e mäßigend auf ihn einwirken. Falk sah in dieser B e m e r k u n g ein Indiz dafür, daß Frau R o senfeld seine Freundschaft mit Caroline nicht gänzlich mißbilligte. Er dankte ihr dafür, daß sie seine H a n d nicht von sich gestoßen habe. Dies wolle er ihr nie vergessen, auch dann nicht, w e n n einst ihre H a n d vor Alter zittern werde; w e n n der Tod ihre Augen verschließe, wolle er ihre H a n d »mit kindlichen T h r ä n e n benetzen«. Falk dürfte vermutet haben, und vielleicht w u ß t e er es auch aus Gesprächen mit Caroline, daß Elisabeth Rosenfeld als W i t w e und Mutter noch halbwüchsiger Kinder bisweilen sorgenvoll in die Z u k u n f t blickte und daß ihr an einer frühen Verheiratung ihrer Tochter gelegen war. Des-

910

GMD. Falk II. 1.10, Falk an Caroline Rosenfeld, ca. November 1796. GMD. Falk II.10.1, 1, Falk an Elisabeth Rosenfeld, 28.11.1796. 912 Der Brief von Elisabeth Rosenfeld an Falk scheint verlorengegangen zu sein. 913 S. o. S. 223. 914 Falk: Tb. 1797, 170. A.W. Schlegel meinte, Falks »Psycharion« lehre eine »Mystik der Sinnlichkeit«. Schlegel: Werke (1847) 25. 911

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halb ignorierte er einfach die von ihr genannte Frist von zwei Jahren und fragte ganz ohne Umschweife: »Wollen Sie? Schlagen Sie ein, theuerste Mutter!« Falk genoß das Leben in Weimar. Im Theater und im Park an der Ilm sah er Caroline vor sich. »Ueberall denk ich: Vielleicht schlendert das liebenswürdige sanfte Mädchen noch einst Arm in Arm mit dir in diesen Gegenden.« 915 Angetan von der Stadt der Musen schrieb er an Frau Rosenfeld: »Dem Ort selbst fehlt zum Paradise nichts als ein Engel 916 — Caroline!« Im Blick auf eine mögliche Eheschließung bestand für Caroline und ihre Mutter eine Hauptschwierigkeit in dem ungesicherten Lebensunterhalt Falks. Falk versuchte, solche Bedenken zu zerstreuen, indem er mögliche Geldquellen aufzählte, ohne dabei mit Übertreibungen zu sparen. Wenn er seine Werke gesammelt herausgäbe, könne er für den Erlös »ein schönes Haus« kaufen. 917 Von den Buchhändlern werde er bereits belästigt, »und einer überbietet den andern«. Caroline hatte in einem (verlorenen) Brief kritisch von einer gewissen Pedanterie und Zurückgezogenheit Falks gesprochen. Dagegen wandte er ein, Caroline könne an ihm von einem »fmstern sauertöpfischen, einsylbigten Wesen« nichts bemerkt haben, das einen Pedanten kennzeichne, er sei fast immer, selbst in Zeiten der Krankheit, »bey sehr gutem Humor.« 918 Er räumte jedoch ein, daß er sich zuweilen in die Einsamkeit zurückziehe; dies sei aber typisch für den Dichter, der »sein Feuer nicht an Strohköpfen verschwenden« wolle. 919 Falk versprach, die Förderung der Begabungen Carolines werde »mit zu den süßesten Geschäften ihres Freundes gehören.« 920 Als Falk dann im Oktober 1796 Halle überraschend verließ und sich selbst von Karl Morgenstern nur schriftlich verabschiedete, stieß er bei seinem engsten Freund auf Unverständnis. Morgenstern fühlte sich verletzt. Dies teilte er Falk einige Wochen später mit, jedoch verzieh er ihm auch. 921 Etwa zur gleichen Zeit dürfte Falk einen Brief Pobowskys erhalten haben, in welchem dieser von dem in Halle umlaufenden Gerücht sprach, Falk habe Caroline Rosenfeld bedrängt, habe von ihr eine Ablehnung erhalten und habe daraufhin aus Enttäuschung Halle verlassen. Falk reagierte darauf mit Empörung. Er schrieb an Pobowsky: 922

G M D . Falk II.10.1, 6, Falk an Elisabeth Rosenfeld, 28.11.1796. Auch in seinem autobiographischen R o m a n »Leben, wunderbare Reisen und Irrfahrten des Johannes von der Ostsee« (1805) bezeichnete Falk seine Freundin häufig als »Engel«. 9 1 7 G M D . Falk II.1.9, 15 f., Falk an Caroline Rosenfeld, ca. Herbst 1796. 9 1 8 G M D , a . a . O . , 15ff. 9 1 9 G M D . Falk, a . a . O . , 17. 9 2 0 G M D , a . a . O . , 16. 9 2 1 G S A Weimar 15/II.1C.6.4, 1, Morgenstern an Falk, 1.12.1796. 9 2 2 U B Dorpat, Bl. 100-102, Falk an Pobowsky, ca. Dezember 1796. 915 916

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»Ich habe mit Recht vermuthet, dass die Neugier meiner Freunde noch viel abgeschmacktere Gerüchte veranlassen würde als die Schadenfreude meiner Feinde. - Indess soll es mich sehr freuen wenn das Publicum sich so leicht abfinden lässt, und gefallig genug ist zu glauben, ein Paar schöne Mädchenaugen hätten mich von Halle weggebracht. - Sage also um Gottes Willen nicht laut, dass diese Augen sich meinetwegen mit heissen Thränen angefüllt, sonst wird die schöne Hypothese mit dem Korbe 9 2 3 zu Wasser, und dann gnade mir Gott. Wenn die Mädchen in Halle nicht herreichen, so müssen vielleicht gar die armen Weiber 924 herhalten. — O weh! So viel kann ich Euch indessen samt und sonders versichern, dass Ihr alle zusammen 100 Meilen vom Ziele seyd, dass alles was ihr zu wissen glaubt, erbärmliches Gewäsch, kurz nichts ist; dass meine vertrautesten Herzensfreunde von meiner geheimen Herzensgeschichte in diesen 5 Jahren gerade so viel wissen, als die ganze Stadt, das heisst wieder Nichts. — Die Ursache von dieser Verschlossenheit liegt nicht in mir, sondern in Euch: ihr schlendert viel zu sehr den gewöhnlichen Gang des Lebens, seyd viel zu sehr in die erbärmlichen Verhältnisse der Gesellschaft verwickelt, kurz seyd alle mit einander viel zu sehr durch Convenienz verhunzt und verschnörkelt, als dass ihr einen eccentrischen Menschen begreifen könnt. N u n ihr habt euern Lohn dahin, und ich sehe nicht ohne Belustigung, dass ihr für die Handlungen dieses Menschen, mit dem ihr täglich umgingt, keinen bessern Schlüssel habt, als alle alte Stadtmatronen. Gehabt Euch wohl dabey, und wenn ihr klüger werdet und wenn die Zukunft Euch witzigt, so komt nach Weimar, oder, wenn das Ziel für Euch zu nah ist, nach dem Monde, wo man ja alles Verlorne wiederfindet; 925 da wollen wir Uns weiter darüber besprechen. [.. .] Ein bischen mehr Logik und Psychologie könte auch einer Academie nicht schaden! Nur verbitt ich euern Cursus an mir zu machen. Also, meine Herrn, dächt' ich, wenn sie künftig etwa hörten: Falk ist verliebt — oder Er hat einen Korb bekommen — oder Er hat dies Mädchen heirathen wollen oder was weiss ich sonst, so gingen Sie erst vor die rechte Schmiede, eh sie das Schloss sprengten oder zu einem Dieterich ihre Zuflucht nähmen,— und damit Gott befohlen. — Lasst euch was angenehmes träumen, mir schon recht; aber träumt wenigstens nicht auf meine Unkosten.« In e i n e m Z u s a t z b e m e r k t e Falk, er w e r d e sicher nicht v o r O s t e r n nach Halle zurückkehren. E r sei n u n einmal dabei, » d u m m e Streiche zu m a c h e n « , u n d da müsse er sich »von so k l u g e n bedächtigen L e u t e n als Magistern, Professoren w i e ihr seyd, so w e i t als m ö g l i c h entfernt halten!« K o n o p a c k , so Falk, sei gar dabei, ihm »das Herz abzusprechen [. ..] Nun, nur immer zu! Den K o p f haben mir die Recensenten, so Gott will, schon vor 3 Jahren abgesprochen, und eine Freundschaft ohne — Herz und K o p f - was soll Euch die in Halle? Das wäre doch nur der Körper der abgeschiedenen Freundschaft, dem ihr gern noch die Honneur machen, oder von wegen des Publicums in Parade aufstellen wolltet, kurz es wäre der selige Falk 9 2 3 Gemeint ist jenes Gerücht, Caroline Rosenfeld habe Falk »einen Korb gegeben«, d. h. seine Werbung abgelehnt. 9 2 4 Gemeint sind Klatsch- und Tratschweiber. 9 2 5 Falk ergänzt in einer Fußnote: »Sieh Ariost. — Der Verstand wird dort in Flaschen aufbewahrt.«

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- Gott befohlen - Grüss Morgenstern. - Lass ihn den Brief lesen, und selbst schreiben, wenn Er will dass ich antworten soll.« Falks Brief zeigt, daß er sich auch n o c h im Spätherbst 1796 in gereizter Gemütsverfassung befand. Trotz der ihm angenehmen Weimarer U m g e b u n g hatte er sein inneres Gleichgewicht noch nicht wiedergefunden. A m meisten befürchtete er wohl, ein Gerücht wie das von Pobowsky mitgeteilte könnte seine Freundschaft mit Caroline Rosenfeld gefährden oder gar zunichtemachen. Er ließ sich deshalb zu Verdächtigungen und Behauptungen hinreißen, die er später bereut haben dürfte. O b Caroline aus Liebe zu Falk wirklich »heiße Tränen« geweint hat, m u ß dahingestellt bleiben. Deutlich ist jedenfalls, daß Falk sich damals von seinem Hallenser Freundeskreis verkannt sah. Er verschmähte ein an die gesellschaftlichen Gepflogenheiten angepaßtes Leben. Morgenstern hatte den an Pobowsky gerichteten Brief Falks gelesen. Bevor er darauf antwortete, schrieb Falk ihm j e d o c h auch selbst: »Ich versichere dich bey Gott, bey meiner Ehre, bey allem, was mir auf dieser und seiner Welt heilig ist, dass es mir nie einfiel, um Mad. Rosenf. anzuhalten, und dass es der Rosenf. eben so wenig einfiel, mir einen Korb zu geben. Ach ein Kummer ganz anderer Art nagt an diesem der Freundschaft und Liebe vielleicht auf ewig verschlossenen Herzen schon Jahre lang.926 Aber wie könntest auch du, lieber Morgenst., einen so abgeschmackten widersprechenden Gerücht auch nur den entferntesten Glauben beymessen? Wie sollte die schon so frühzeitig erworbene Kenntniss des weiblichen Herzens mich nicht auch ewig vor der Möglichkeit mich aufzudringen bewahren. Selbst einem ungeübten Auge wird die Entdeckung von Zuneigung und Gegenliebe nicht schwer. Und ich sollte so erbärmlich hereinplumpen? O ihr Compendienreiter! o ihr Bücherpsychologen! Genug davon. Wenn ich mich irgendjemand hätte entdecken können, so hätt' ich mich dich entdeckt; aber die Gräber sind stumm, und ich gehöre der Gegenwart nur halb an ,«927 Falk hatte Grund, den Verdacht einer gescheiterten Beziehung zu Caroline Rosenfeld zurückzuweisen. Auch gibt es keinen Beleg dafür, daß er sich vor seinem Weggang von Halle Caroline Rosenfeld geradezu aufgedrängt hätte. Gleichwohl ist aus seinen Briefen zu erkennen, daß es ihm anscheinend doch »einfiel«, u m Caroline Rosenfeld »anzuhalten«. In Weimar war er j e d o c h entschlossen, n i e m a n d e m etwas über Einzelheiten mitzuteilen. Kurz vor Weihnachten 1796 antwortete ihm Karl Morgenstern: »[. . .] Es ist mir lieb, daß ich Deinem Briefe zufolge dem Gerüchte von Deinen Verhältnissen zu der noch immer mir persönlich unbekannten R[osenfeld] dreist widersprechen kann. Bis jetzt könnt' ich nichts weiter, als dazu schweigen, oder denen, die mich etwa fragten, sagen, daß ich nichts wisse, daß eben deßhalb, weil Du mir von der Sache nichts gesagt, noch mehr, weil sie meiner übrigen Kenntniß 926

Damit dürfte Falk den Tod ihres Vaters im Jahre 1795 gemeint haben. U B Dorpat, Bl. 96, Falk an Morgenstern, Dezember 1796. - Der Text ist bei Sintenis: Briefe (1875) 11-13, tw. fehlerhaft wiedergegeben. 927

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von Dir widerspreche, sie mir sehr unwahrscheinlich sey. Ich weiß nicht, was Deine übrigen Hallischen Freunde oder Landsleute an Dich geschrieben haben; was ich geschrieben habe, weiß ich. Ich habe in meinem Briefe Deiner Verhältnisse zu Mlle. Rjosenfeld] mit keinem Wort erwähnt. Doch leugne ich das nicht: nach manchen individuellen Umständen, die ich von Dir selbst gehört hatte (erinnere Dich z. B., was Du mir noch Sonntags in Trotha von dem Spiel' erzähltest mit dem Schreken des Herzens und der ewigen Treue dazu ec.; erinnere Dich, mit welchen Worten und Äußerungen Du Abends auf der Straße vor R[osenfeld]s Thüre von mir schiedest) — und dann besonders nach dem, was am Dienstag früh Körte, der nebst ein paar Andern alle Morgen um acht Uhr mit mir den Lucian liest, auf meiner Stube mir als das erzählte, was R—s Kinder und Gesinde (nicht Mad. Rjosenfeld], auch nicht ihre Tochter) gesagt hätten - nach diesem also zusammen genommen habe ich es einigermaßen wahrscheinlich gefunden, daß Deine Verhältnisse zur Mlle. R., wenn auch nicht der einzige, noch der Hauptgrund, doch ein Mitgrund zu Deiner schnellen Entfernung aus Halle gewesen. Mit daher in meinem Briefe, den Du hoffentlich wirst aufgehoben haben, [.. .] die Stellen, welche Vorwürfen, doch sanften, freundschaftlichen, ähnlich sehn. Sie gingen indeß, wie Du bey aufmerksamer Lesung einer Stelle meines Briefs bemerken wirst, auch noch auf etwas anders, auf andere Verhältnisse und zum Theil schon verjährte Dinge, die meinem Gemüth sich wieder aufdrängten, und zusammen genommen mit dem geheimnißvollen bey Deiner Abreise, jene Äußerungen in meinem Brief über Mangel an Offenheit veranlaßten. Bey ruhigerer Überlegung nehm' ich auch diese zurück, und gestehe Dir, daß ich [. ..] über einen Theil meiner Geschichte an Deiner Stelle nicht offner gegen keinen meiner Freunde seyn würde, als Du bist.«928 Morgenstern versicherte Falk, er wolle ihm keinerlei Erklärung über sein Verhältnis zu Caroline Rosenfeld entlocken, ja, es sei i h m sogar lieber, w e n n Falk darüber schweige. D e m Brief Morgensterns ist abzuspüren, daß ihm am Fortbestand seiner Freundschaft mit Falk viel gelegen war. Falk hatte seine Z u n e i g u n g zu Caroline Rosenfeld gegenüber den engsten Freunden nicht ganz verheimlichen können, und Morgenstern hatte schärfer beobachtet, als es Falk b e w u ß t war. A u c h hatte Wilhelm Körte, der sich bisweilen mit C a rolines Bruder August traf, 929 ausreichend deutliche Hinweise der Kinder und der Hausangestellten aufgeschnappt u n d an Morgenstern weitergeleitet. 930 Morgenstern w u ß t e w o h l mehr, als Falk ahnte, u n d die Vermutung M o r g e n sterns, die Z u n e i g u n g seines Freundes zu Caroline sei ein »Mitgrund« für dessen plötzlichen Weggang gewesen, konnte Falk nicht widerlegen. 931 U n t e r den in D o r p a t / T a r t u aufbewahrten Briefen Falks an Morgenstern befindet sich auch ein undatiertes Blatt, das möglicherweise die Antwort Falks auf Morgensterns Brief v o m 22.12.1796 darstellt. 932 Falk zitiert kommentarlos,

928

GSA/15 II. 1 C. 6.5, 1 f., Morgenstern an Falk, 22.12.1796. GMD. Falk II.10.1, 3, Falk an Elisabeth Rosenfeld, 28.11.1796. 930 GSA Weimar 15/1I.1C.6.5, Morgenstern an Falk, 22.12.1796. 931 Im Oktober hatte Falk gegenüber Caroline beteuert, er habe Halle »aus zärtlicher Besorgniß für ihren guten Nahmen« verlassen. GMD. Falk II.1.11, 2, Falk an Caroline Rosenfeld, ca. Okt. 1796. 929

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jedoch in der ersten Zeile verändert durch die ergänzte Verneinung »haud«, drei lateinische Verse des Satirikers Horaz:933 »v.20. Nullane habes vitia? Imo alia haud fortasse minora. v.71. Aman Si volet hac lege, [in] trutina ponetur eadem. Sed934 - - v.74. Aequum est Peccatis veniam poscentem reddere rursus.«935

Diese Zeilen dürften als Falks Eingeständnis zu werten sein, in seiner ersten Reaktion seinem Freund Unrecht getan zu haben. Man wird darin seinen Wunsch erkennen müssen, die Kontroverse zu beenden und die Freundschaft mit Morgenstern unbelastet fortzusetzen. Einige Monate dauerte es, bis beide sich wieder ihrer herzlichen Freundschaft versicherten. Am ersten Ostertag 1797 schrieb Morgenstern: »Gedacht an Dich hab' ich oft, recht oft. Aber nicht geschrieben? Nun ja. Bloß das ist der Fehler. Lange schwebt meine Wolke über Deinem Haupte. Endlich entladet sie sich. In Blitz und Donner? - Nicht doch. In einem sanften Frühlingsregen, wie der heutige ist, wornach die dürren Fluren dürsten. Denn wie die dürren Fluren nach Regen, so muß Dein von Sehnsucht gequältes Herz nach einigen Zeilen von mir gelechzet haben.«936

Morgenstern deutete an, er werde möglicherweise bald eine Lehrtätigkeit fern von Halle übernehmen, nannte den Ort jedoch nicht — er hatte Angebote aus Altdorf, Duisburg, Oldenburg und Danzig.937 Die Aussicht auf den Verlust der Nähe zu seinen Freunden erfüllte ihn mit Wehmut. Doch Falk gegenüber versicherte er: »Unsre Freundschaft bliebe, denk' ich, [...] bey'm Alten. Denn Fern oder Nah, Winter oder Sommer, Tod oder Leben — soll ja bey der Freundschaft gleich seyn.«938 Erfreut über das Lebenszeichen seines Freundes, antwortete Falk: »Es bleibt beym Alten. Du docirst einmahl, ich lach' einmahl — was weiter? Am Ende sind wir wieder herzlich gute Freunde [.. .].939 In spaßhafter Form suchte Falk seinem Freunde konkretere Auskünfte zu entringen. Er fragte: »Weißt du 932

U B Dorpat, Bl. 83, Falk an Morgenstern, ca. D e z e m b e r 1796. Klingner: Horatii Flacci Opera, S e r m o n u m Liber I, 3 (1959) 172-174. 934 Ebenfalls ergänzt v o n Falk. 935 Hast du etwa keine Fehler? Im Gegenteil: andere und vielleicht nicht geringere. - W e n n er geliebt werden will, so möge er unter dieser Bedingung auf dieselbe Waage gelegt werden. J e d o c h - es ist recht, d e m Fordernden w i e d e r u m Vergebung für seine Sünde zu gewähren. 936 GSA Weimar 15/II.1C.6.6, 1, Morgenstern an Falk, Ostern 1797. 937 Süss, a. a. O., 74. 938 GSA Weimar, a. a. O . , 3. 939 U B Dorpat, Bl .107, Falk an Morgenstern, nach Ostern 1797. 933

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schon, daß sich Prof. M. zu Halle um die Professur zu Duisburg bewirbt. Sag es ihm nur. Er thut ohnedies immer so geheimnißvoll mit seinen Plänen.«940 Aus den Quellen ist ersichtlich, daß die Freundschaft zwischen Falk und Morgenstern, aufs ganze gesehen, von einer tiefen gegenseitigen Wertschätzung gekennzeichnet war. Für den Fall, daß Falk früher sterben sollte als sein Freund, wollte er diesem seinen literarischen Nachlaß zukommen lassen, »weil er keinen habe, mit dem er in dem Verhältnis stehe« wie mit Morgenstern. 941 Umgekehrt bekannte sich Morgenstern einmal gegenüber Niemeyer zu Falk mit den Worten: »Ich w e r d e seine Freundschaft nie g e g e n i r g e n d j e m a n d verleugnen, was auch n o c h einmal sein Schicksal sein m a g . Constantia in amicitiis servandis hielt ich stets für Pflicht. Ich habe d u r c h das S t u d i u m dieses — m a n sage, was m a n wolle — . . . d o c h auch v o n Seiten des Charakters a c h t u n g s w ü r d i g e n , aber freilich excentrischen M e n s c h e n , den ich v o n m a n c h e n d e m P u b l i k u m durchaus u n b e k a n n t e n Seiten k e n n e , die auch, so lange er lebt, i m m e r u n b e k a n n t bleiben sollen, m e i n e p s y c h o logischen Einsichten beträchtlich erweitert g e f u n d e n . « 9 4 2

Als Falk Ende Januar 1797, von Weimar kommend, wieder in Halle eintraf, dürfte sein erster Besuch Caroline Rosenfeld gegolten haben. Einige Monate später erinnerte Falk seine Freundin an Gespräche, die er »oft in einsamen Winterabenden« mit ihr geführt habe. 943 Zu ausführlicheren Gesprächen dürfte es allerdings auch zwischen Falk und Frau Rosenfeld gekommen sein. Es ist bekannt, daß Elisabeth Rosenfeld im Blick auf das Verhältnis ihrer Tochter zu Falk noch immer mit grundsätzlichen Fragen beschäftigt war. Als Witwe hatte sie den Eindruck, damit nicht allein fertig zu werden. Am 29. Januar 1797 wandte sie sich deshalb an ihren Bruder André Janssen, der »französischer Kauf- und Handelsherr« in Berlin war,944 und bat ihn um Rat. Dieser antwortete postwendend am 31. Januar, indem er zu den Fragen seiner Schwester ausführlich Stellung nahm. 945 Janssen verstand sich als Literaturfreund und bedauerte aus diesem Grunde, daß seine Schwester den Namen des jungen Schriftstellers, der um Caroline warb, nicht genannt habe, weil er sich sonst aufgrund seiner Werke oder anhand von Rezensionen ein besseres Urteil hätte bilden können. Die Anfrage Elisabeth Rosenfelds bot jedoch andere Anhaltspunkte, auf die ihr Bruder eingehen konnte: » D a ß er des H o f r a t h W i e l a n d s F r e u n d ist, ist zwar ein gutes Z e i c h e n , - ist er aber ein F r e u n d des e m p f i n d s a m e n schwärmerischen G o e t h e in W e i m a r , dann sage ich D i r aufrichtig: ich gab ihn m e i n e r T o c h t e r m'c/ii!946 D a s ist R o m a n e n E m p f i n d e l e y

940 941 942 943 944 945 946

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U B Dorpat, a. a. O., Bl. 107 f. Süss, 3. a. O., 86. Süss, a. a. O., 52. G M D . Falk II.1.7, 4, Falk an Caroline Rosenfeld, ca. Ende April 1797. StArchiv Halle, Kirchenbücher U.L.Frauen zu Halle a. S. GSA Weimar 15/1. 1E.1.4, André Janssen an Elisabeth Rosenfeld, 31.1.1797. Hervorhebungen im Original.

u n d Winseley an den M o n d , u n d w e i ß Gott an welches Himmelsgestirn; das träumt sich eine Feenwelt voll U n s c h u l d u n d Grazie, v o n Jasminen u n d Vergißmeinnicht, v o n rieselnden Bächen u n d Silberwogen, daß m a n m ö c h t e toll w e r d e n ; das winselt dann u n d träumt so lange als es kan, u n d dann macht die natürliche wahre Welt, der H u n g e r u n d Durst, daß sie aufwachen, u n d dann gar garstig zu heulen u n d zu schreien anfangen, u n d - das kan ich nicht leiden!— A u f dieser Welt heißts: B r o d geschaft! nicht dürftiges, sondern mäßiges A u s k o m m e n , u n d doch auch solches Ausk o m m e n , daß m a n die W i t t w e u n d Waisen nicht nackt u n d b l o ß hinterlaße.« 947

Hatte Falk sein freundschaftliches Verhältnis zu Goethe gegenüber Frau R o senfeld als vorteilhaft eingestuft, so drohte es ihm nun durch die Warnung Janssens zu einem Nachteil zu werden. Daß Falk der Sohn eines Perükkenmachers sei, störte Janssen nicht — »wenn er n u r ein braver, gesitteter dvilisirter ehrlicher Kerl ist, u n d kein barscher, brutaler nach Tabac und Bier stinkender gelehrter Deutscher ist! [ . . . ] W e l t - u n d M e n s c h e n K e n t n i ß u n d U m g a n g mit M e n s c h e n , f o r m e n d e n feinen M a n n , nicht aber Bücher, ist er ein solcher, so hätte ich nichts dawider.« 9 4 8

Daß Falk »bei der Herzogin von Weimar accreditirt«949 sei, stieß auf Janssens Wohlwollen, m u ß jedoch auf einem Mißverständnis oder einer Fehlinformation beruhen. Auf die ebenfalls unzutreffende Mitteilung, Falk sei 26 Jahre alt - Falk war damals 28! - reagierte Janssen mit Bedenken: »In d e m Alter v o n 18 bis 28 Jahren ist Liebe natürlicher Trieb, u n d heftige W u t h , da will m a n sich hängen u n d schießen w e n n m a n seinen Gegenstand nicht besitzen kan u n d — ist der Z w e c k erreicht — adieu partie — dann hängen wir die O h r e n — dann sind alle Vorstellungen geändert!— W i r sprechen aus Erfahrung, Frau S c h w e ster - sind auch so gewesen [.. .]«95,)

Als weiteres Argument gegen eine baldige Eheschließung Carolines führte Janssen an, es sei erwiesen, daß Eheleute, die zwischen ihrem 18. und 28. Lebensjahre heirateten, »sehr selten ein Alter von 50 Jahren erreichen«. D e m Onkel war ferner fraglich, ob Caroline bereits »zur W i r t s c h a f t s f ü h r u n g einsichtsvol genug« sei und »das gesetzte, ruhige Temperament zur klugen Hausfrau und guten Mutter« habe. Für das gehobene Bürgertum jener Zeit dürfte kennzeichnend sein, daß André Janssen erst an dieser Stelle seines Briefes fragte: »Und — liebt sie ihn denn? w e i ß sie u m seine Liebe? liebt sie ihn o h n e R o m a n e n Liebe u n d Empfindeley? Versteht sie w o h l schon einen M a n n aus vernünftigen G r ü n d e n zu lieben, oder ists n u r aus T e m p e r a m e n t , n u r Jugendhitze, aus N e u h e i t der Sache, wie diß bei j u n g e n Leuten i m m e r mehrentheils n u r der Fall ist?«951 947 948 949 950 951

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Weimar 15/1. 1E.1.4, 2 f., André Janssen an Elisabeth Rosenfeld, 31.1.1797. Weimar, a. a. O., 3. Weimar, ebd. Weimar, a. a. O., 4. Weimar, a. a. O., 5.

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Elisabeth Rosenfeld hatte ihrem Bruder mitgeteilt, Falk habe jährlich ein Einkommen von 600 Talern. André Janssen fand diesen Betrag beachtlich, trug aber Bedenken wegen der Ungesichertheit. Überhaupt sagte ihm ein Schriftsteller nicht recht zu. »Mehrentheils betrachten sie die Frau, als bloß zur Befriedigung ihres Naturtriebes geschaffen, und sitzen dann immer bei ihren Büchern [...]« Janssen, der Caroline zuletzt drei Jahre zuvor gesehen hatte, erinnerte sich noch gerne an ihr lebhaftes Temperament. Er bezweifelte hingegen, daß sie zu einem Schriftsteller passe. »Wohl gar ein Philosoph? das wäre noch schlimmer! und kaum 16 Jahr alt, und schon ins Joch? Frau Schwester, nehmen sies nicht übel! das will mir ganz und gar nicht gefallen!«952 Elisabeth Rosenfeld hatte ihren Bruder wissen lassen, es falle ihr zunehmend schwer, die Kinder zu ernähren. Janssen zeigte dafür Verständnis, wandte jedoch ein, daß Caroline ihr hoffentlich tatkräftig zur Hand gehe und damit bares Geld spare. Auch könne sie der älter werdenden und kränklichen Mutter eine Hilfe bei der Erziehung der Brüder sein. Gegen Ende seines Briefes riet Janssen seiner Schwester, Falk folgendes vorzutragen: »Ich muß bitten daß Sie Sich noch bis zum 31ten December 1798 verpatientiren. 953 Ich laße Ihnen Ihre Freiheit, so wie meine Tochter auch die ihrige behalten soll, und will ich von keinem beiderseitigen Versprechen etwas wißen. sind Sie zu der zeit noch des Sinnes, und ists meine Tochter auch noch, und sie haben einen festen Gehalt, und hinlängliches aber nicht dürftiges Auskommen gut!- so kommen Sie wieder! Aber - und hiervon gehe ich nicht ab — kein Briefwechsel zwischen euch beide, während der Zeit! Auch keine Postenträgerei, oder mündliche Nachrichten durch einen Dritten! sonst — gebe ich in Ewigkeit meinen Consens nicht! [.. .]« 954

Da Elisabeth Rosenfeld auf den Brief ihres Bruders nicht antwortete, 955 ist unbekannt, wie sie seine kritischen Ratschläge aufnahm. Am Tag ihrer Abfassung hatten die Eltern Falks einen Brief ihres Sohnes erhalten, in welchem er ihnen zum ersten Mal seinen Heiratsentschluß mitteilte. Am 3. Februar 1797 bestätigten sie ihm den Erhalt dieser Nachricht: »Mit größten Vergnügen haben wir aus Deinen Schreiben vernommen, daß D u entschloßen bist Dir eine Gesellschafterinnen auf Deine ganze Lebenszeit in ein Eheverbündniß dir einzulassen, und zwar mit ein tugendhaftes Frauenzimmer von 16 bis 17 Jahr[.] wir wünschen Dir als Deine getreue Eltern viel Glück Heil u. Seegen. Der Höchste wolle Dir und Deine künftige Gattin krönen mit Gesundheit u langes Leben bis in das späteste Alter damit wir allemahl hören die freudige Botschaft daß von den ersten Augenblicken an, da Du in ein Verbindniß treten thust daß die Zeit Dir so verschwinden möge, wie sie Deinen Eltern in 31 Jahren verschwunden ist unter viel Glück Heil u. Seegen, wir haben das veste Zutrauen zu den Allmächtigen, derselbe wird wissen, was uns und Dir u. Deine künftigen

952

'53 954 955

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G S A Weimar, a. a. O., 6. gedulden. G S A Weimar, a. a. O . , 8. G S A Weimar 15/I.E.1.5, 1, André Janssen an Elisabeth Rosenfeld, 9.9.1797.

=

Angehörigen ersprieslich u. wohl ist. Der Herr gesegne Dein Vornehmen in diesem angetretnen neuen Jahre Dir und Deiner künftigen Liebhaberin mit dauerhafter Gesundheit Fried u. Einigkeit u. langes Leben und wünschen daß es Dir jederzeit möge nach dem Willen des Allerhöchsten gehen. Dieses ist unser sehnlicher Wunsch als Deine getreuen Eltern u. Deiner lieben Brüder u. Geschwister [.] Der Höchste segne nochmahls Dein Vorhaben, wir werden nicht unterlassen ihm darumb stündlich anzuflehen, weil Du auch unser treuer Sohn bist u. bleiben wirst bis in den Tod.«956 N u r beiläufig erwähnten die Ekern, daß sie das »Taschenbuch« durch Pobowsky »mit Vergnügen erhalten« hätten. 957 Auch Falks jüngste Schwester Renate teilte ihm ihre Freude über seinen Heiratsentschluß mit und versicherte, sie werde gemeinsam mit ihren Eltern fleißig für ihn beten. 958 Auf Falks Bitte hin schickte ihm der Vater gegen R e c h n u n g sechs Flaschen Spirituosen, j e 3 Danziger Goldwasser und »Fersiko« (wohl Pfirsichschnaps). 959 Mit einem Teil dieser Lieferung wollte Falk der Familie seiner Freundin eine Freude machen. Ende März bat er von Magdeburg aus seinen Freund Wilhelm Körte, zwei Flaschen an Frau Rosenfeld zu übermitteln, eine davon war für Carolines Großmutter Ursinus bestimmt. 960 Am 14. Februar 1797 wurde Caroline Rosenfeld 17 Jahre alt. Wenige Tage später dürfte Falk nach Magdeburg aufgebrochen sein. Die Quellen berichten davon, daß er dort mit einem »Fräulein Ulrike« bekannt wurde. Falk schickte ihr später von Berlin aus über Köpken die Abschrift eines seiner poetischen Werke. Köpken bestätigte den Erhalt mit den Worten: Die »einzige Abschrift ist der Fräulein Ulrike zu eignen Händen zugestelt. Sie hat sich sehr darüber gefreuet, u. heilige Verehrung versprochen. Sie dankt Ihnen dafür und für Ihr freundschaftliches Andenken. Wären Sie bey uns, so würden Sie sie jezt öfter in meinem Gartten sehen, wo sie meine Tochter besucht.«961 Köpkens Worte deuten vielleicht daraufhin, daß Falk während seines Aufenthaltes in Magdeburg für jene Ulrike eine gewisse Sympathie empfand, welche dem Schwiegervater Niemeyers nicht verborgen blieb. Eine dadurch etwa verursachte Infragestellung der Zuneigung Falks zu Caroline Rosenfeld läßt sich den wenigen Bemerkungen Köpkens jedoch nicht entnehmen, zumal Falk etwa zur selben Zeit in einem Brief an Frau Rosenfeld erneut seine Liebe zu Caroline zum Ausdruck brachte. Er schrieb, sein Herz sehne sich »nach stiller häuslicher Glückseeligkeit. Werd' ich Sie in den Armen meiner geliebten Caroline finden?«962 Gleichwohl benutzte Falk die Bekanntschaft mit jener 956

GSA Weimar 15/I.1A.1.9, 1 f., Eltern an Falk, 3.2.1797. GSA Weimar, a . a . O . , 3 f. 958 GSA Weimar 15/I.1A.5.6, 1, Caroline Renate Falk an Falk, ca. Februar 1796. 959 GSA Weimar 15/I.1A.1.9, Eltern an Falk, 3.2.1797. 960 Krakau, Falk an Körte, ca. März 1797; GMD. Falk II.1.13, 3 f., Falk an Caroline Rosenfeld, 29.3.1797. 961 GSA Weimar 15/II.1C.1.1, 3, Friedrich Köpken an Falk, 21.4.1797. 957

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jungen Frau dazu, Caroline zu einem Bekenntnis herauszufordern. Er berichtete ihr davon und fragte, was sie wohl dazu sagen würde, wenn er »das Mädchen auf den Schoos genommen hätte«. Caroline antwortete ihm, dies hätte sie kalt gelassen. Falk gab ihr zurück: »Ich könnte Sie nicht kalt auf dem Schoos eines andern sehen; aber freylich lieb ich Sie auch.«963 Als Zeichen dafür, daß er vor Caroline keine Geheimnisse habe, fügte er einen Brief Gleims bei, mit der Bemerkung: »Caroline kann alle meine Briefe lesen. Mit w e m ich mein Herz getheilt habe, theil ich auch alles in der Welt.«964 Falk wollte seine Liebe zu Caroline auch in einem vertraulichen »Du« zum Ausdruck bringen, dies lehnte sie jedoch noch im März 1797 ab. Davon enttäuscht, bat Falk für seine »poetische Freyheit« um Verzeihung, er wolle sie sich »nie mehr zu Schulden kommen lassen.« Der Vorsatz hielt hingegen nicht lange, er schloß seinen Brief mit den Worten: »Ewig und unabänderlich Dein Dich zärtlich liebender F.«965 Im Brief an Frau Rosenfeld vom März 1797 erzählte Falk auch freimütig von einer jungen Frau, die er in Magdeburg kennenlernte. Es ist unbekannt, ob sie mit jener Ulrike identisch ist. Eines Vormittags wurde er zum General von Kalckstein gebeten, in dessen Hause »ein sehr schönes, achtzehnjähriges Fräulein von Liedersen« wohnte, das einige der Schriften Falks gelesen hatte und nun daraufgespannt war, ihn persönlich kennenzulernen. 966 Als Falk das Haus betrat, habe das Fräulein, wie er später erfuhr, Herzklopfen bekommen und gezittert und gar die Stube verlassen wollen, weil sie sich davor fürchtete, »vor einem Menschen zu erscheinen, der einen so scharf beobachtenden Blick für die Fehler hatte«. Frau von Kalckstein habe die junge Frau jedoch zum Bleiben bewogen, und nach einer halben Stunde sei diese mit Falk bereits »sehr vertraut« gewesen, sie »bat mich wegen ihrer Albernheit - so nannte Sie es selbst — um Verzeihung, und gestand mir offenherzig, mein freyes, offenes Wesen hätt' ihr alle Furcht benommen«. Auch diesmal erweckte Falk in der persönlichen Begegnung einen weitaus milderen Eindruck, als seine satirischen Schriften hatten erwarten lassen. Im März 1797 erkrankte Frau Rosenfeld schwer. Falk nahm »mit Angst und Besorgniß« davon Kenntnis. 967 Es ist anzunehmen, daß die Krankheit bei Frau Rosenfeld einen Gesinnungswandel herbeiführte. Jedenfalls stimmte sie jetzt der Heirat grundsätzlich zu. Falk, der von dieser Entscheidung bald erfuhr, brachte Anfang April gegenüber Frau Rosenfeld den Wunsch zum Ausdruck, die Heirat solle bis spätestens Mitte Juni stattfinden, ganz gleich,

962

GMD. Falk II.10.3, 5, Falk an Elisabeth Rosenfeld, ca. März 1797. GMD. Falk II.1.13, 4, Falk an Caroline Rosenfeld, 29.3.1797. 964 GMD, a . a . O . , 5. 965 GMD, a . a . O . , 12. 966 GMD. Falk II.10.3, 5-8, Falk an Elisabeth Rosenfeld, ca. März 1797. 967 GMD. Falk II.10.4, 1, Falk an Elisabeth Rosenfeld, ca. Anfang April 1797; vgl. GMD. Falk II.10.3, 1 f., Falk an Elisabeth Rosenfeld, ca. März 1797. 563

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wie die erwartete Entscheidung Gleims 968 ausfalle. Im Blick auf das Aufgebot nannte Falk konkrete Vorstellungen: »So wie unsre Liebe still u n d geräuschlos war, so m u ß es auch unser Leben, so auch unsre Verbindung seyn. Kein A u f w a n d kein P o m p ! Ich bitte dringend! ich b e schwöre Sie d a r u m bey meiner Liebe. — Ich laß mich einmahl fur allemahl aufbieten o h n e viel vorher davon zu sprechen. Ich kenn Sie als eine Frau v o n Geist u n d Herz, auch Sie k e n n e n m i c h genug, u m ein Endurtheil in einer Angelegenheit zu fällen, v o n d e m es abhängt, ob Sie einen Freund voll warmer, ewiger Anhänglichkeit sich u n d den Ihrigen erkaufen, oder ob Sie ihn d e m Ihnen bevorstehenden Stadtgeschwäz einiger müssigen M a t r o n e n u n d neugierigen N a c h b a r i n n e n aufopfern w o l len [. . ,]«969

Unter keinen Umständen wollte Falk zulassen, daß seine Eheschließung, wie damals üblich, dreimal öffentlich angekündigt wurde. Dies war ihm umso wichtiger, als er sich in seinem »Taschenbuch« für 1797 öffentlich gegen ein solches Verfahren ausgesprochen hatte. In den »Bekenntnissen eines Weiberfeindes«970 findet sich folgender Dialog zwischen Minerva und Jupiter: »Minerva: Ist es nicht gegen alle Sentime[nt]s v o n Delicatesse, 971 daß bey unsrer N a t i o n die größte P r u d e sogar kein B e d e n k e n trägt, v o n ihrer Heirath zu sprechen? Ein Ausdruck, zu d e m sich selbst in der keuschesten Imagination die m a t e riellen Ideen v o n W i e g e , Kindern u n d A m m e n s t u n d e n b e y n a h ' u n w i l l k ü r lich associiren; ja, daß m a n sogar en plein jour, 9 7 2 v o n allen Kanzeln der Stadt, seine Alliance mit e i n e m M a n n e vor J u n g u n d Alt notificiren läßt — enfin, 9 7 3 daß die ganze christliche G e m e i n d e , auf 10 lieues 974 in die R u n d e , es auf M o n a t h , Stund' u n d D a t u m à peu près 975 voraus b e r e c h n e n kann — hm! — hm! — Jupiter. Minerva:

W e n n d e m ehrsamen u n d T u g e n d belobten Fräulein N . N . ihre E n t b i n d u n g bevorsteht. — Gut, sehr gut, sag' ich!— Mais, m o n père, vous m e faitejs] rougir - « 976

Hinsichtlich des vorgeschlagenen Termins erhielt Falk aus Halle keine Zustimmung, vielmehr hieß es, er solle bis zum Herbst warten. Auch wunderte man sich in der Familie Rosenfeld darüber, daß er sich nur einmal »aufbieten« lassen wolle. Daraufhin bekräftigte Falk seine Absicht noch einmal. Es sei ihm zuwider, seinen und Carolines Namen »drey Sonntage hintereinander von der Kanzel herab durch all die alten Beich[t]stühle der Marktkirche durchschlep968 969 970 971 972 973 974 975 976

S.o. S. 239. GMD. Falk II. 10.4, 5 f., Falk an Elisabeth Rosenfeld, ca. Anfang April 1797. Falk: Tb. 1797, 68 f. Zum BegrifF»Delicatesse« s. o. S. 242. Mitten am Tage. Schließlich. Orte. Ungefähr. Aber, mein Vater, Sie lassen mich erröten.

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pen u n d zwischendrein zischeln und orgeln zu lassen.« So entschlossen Falk war, so sehr war er in Sorge, durch eine »Pfaffen-Trauung« zum Stadtgespräch zu werden. Alle derartigen Z e r e m o n i e n waren ihm verhaßt, ja selbst das bloße Aussprechen des Wortes »Heirat« ließ ihn erröten. »Glaube mir süße Caroline, es komt mir ganz schnurrig vor daß ich heirathe. — Ich bin nun einmahl so ein erznarrisches Wesen; ich kann keinem meiner Freunde jezt und gerad in's Gesicht sehen; ich glaube wenn ich 70 Jahr alt wäre, und eine solche Thorheit begänge als dann noch zu heirathen, ich könte mich nicht ärger schämen, als jetzt.«977 Falk fragte, wozu es nötig sei, ein Versprechen abzulegen, das sich von selbst verstehe. »Ey welcher Schurke mag auftreten u n d glauben, daß ich dir untreu werde!« Ein solches Gelöbnis setze bereits »Mißtrauen in die Rechtschaffenheit eines ehrlichen Mannes voraus«. 978 D e n n o c h erklärte sich Falk bereit, sich der Z e r e m o n i e zu unterwerfen, weil er »den Schwachen kein Aergerniß geben« 979 wolle. Elisabeth Rosenfeld hatte den W u n s c h geäußert, Falk möge einen allgemein anerkannten Titel erwerben. Falk j e d o c h wies den W u n s c h mit der B e m e r k u n g zurück, ein solcher Titel sei ihm bereits m e h r als einmal angeboten worden, er k ö n n e darauf verzichten: »Ich bin und bleibe Falk — schlecht weg. — Ich bin im ganzen Publicum geachtet und geliebt, und ich darf es stolz sagen, daß sich diese Achtung eben so sehr auf meinen moralischen Charakter, als auf mein poetisches Talent gründet.«980 Freilich ließ Falk hier unerwähnt, daß er auch Feinde hatte. Seiner künftigen Schwiegermutter war dies j e d o c h seit seinem plötzlichen Aufbruch aus Halle bekannt. Hinsichtlich des Hochzeitstermins m o c h t e Falk keine weitere U n gewißheit akzeptieren. Er ließ Caroline wissen, ehe ihre Mutter diesen nicht festgesetzt habe, werde er nicht nach Halle k o m m e n . Er begründete dies damit, daß er in Halle durch die N ä h e zu Caroline so abgelenkt sei, daß er nicht zum Arbeiten k o m m e . Aber, so versicherte er, auch schon jetzt in Berlin lebe er nur für sie u n d er sehne sich unaufhörlich nach ihr: »Wenn ich die Feder ergreife etwas zu schreiben, so schreibt sie von selbst Caroline. Ich gestehe dir gern es ist das schönste süßeste Wort was die Begeisterung mir eingeben kann, das wobey ich am meisten fühle, am meisten denke, und [.. .] — so sind die Tölpel von Buchhändler - denke dir nur ich könte einen ganzen Bogen damit beschreiben, und keiner von ihnen böthe mir einen rothen Heller dafür.«981

977 978 979 980 981

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GMD. Falk II.1.18, 3, Falk an Caroline Rosenfeld, ca. Anfang April 1797. GMD, a. a. O., 2. Vgl. R o m 14,13; I Kor 10,32. GMD. Falk II.10.4, 6, Falk an Elisabeth Rosenfeld, ca. Anfang April 1797. GMD. Falk II.1.18, 4, Falk an Caroline Rosenfeld, ca. Anfang April 1797.

Etwa Mitte April 1797 war die geplante Heirat Falks mit Caroline Rosenfeld in Halle kein Geheimnis mehr. Caroline hatte deshalb, wie sie Falk mitteilte, bereits »kleine Neckereyen« zu ertragen.982 Falk selber erging es nicht anders. Sein früherer Studienfreund und Mitbewohner im Hause Türk, Ernst Ludwig Erdmann, der inzwischen in Bromberg tätig war, ging in einem von Falk erwähnten Brief davon aus, daß dieser bereits verheiratet sei. Vermutlich war Erdmann über diesen Schritt Falks verwundert, Caroline hatte er jedoch von seiner Studienzeit in Halle her als Mädchen aus der Nachbarschaft in guter Erinnerung. Falk hatte seine Abneigung gegen eine kirchliche Trauung deutlich zum Ausdruck gebracht und dabei die lutherische Marktkirche 983 erwähnt. In ihrer Antwort mußte Caroline ihn daran erinnern, daß sie beide reformierter Konfession seien und für die Trauung deshalb nur die Domgemeinde in Frage komme. Für Caroline Rosenfeld war diese Klarstellung allem Anschein nach wichtig. Falks Reaktion auf diese Korrektur verdeutlicht dagegen, welch geringen Stellenwert kirchliche Angelegenheiten damals für ihn besaßen: »Es ist unverzeihlich, daß ich selbst vergessen habe, daß ich reformirt bin. Du siehst wie nöthig mir eine Frau ist, die mir solche Kleinigkeiten in's Gedächtniß zurückruft.«984 Vielleicht war es diese Bemerkung Falks, die Frau Rosenfeld zu der Kritik veranlaßte, er nehme die Hochzeitsvorbereitungen nicht mit dem notwendigen Ernst wahr. Falk gab dies zu, suchte sich jedoch sogleich zu entschuldigen: »Es ist das erstemahl in meinem Leben, das ich heyrathe, und hab' also nicht die geringste Uebung darinn, wiewohl die Liebe vielleicht zu den Sachen gehört, worinn man ohne Uebung am stärksten seyn soll.«985

Da Frau Rosenfeld die Abneigung Falks gegen die kirchliche Trauung als »Wankelmüthigkeit« ausgelegt hatte, bekräftigte er: »Meine Liebe zu Carolinen ist unerschütterlich, wie der Tod, und mein Entschluß Sie zu heirathen durch nichts abwendbar.«986 In Berlin begegnete Falk jungen Frauen, die in den feinen Gesellschaften recht selbstbewußt auftraten. Er fühlte sich davon abgestoßen und schrieb an Caroline, er liebe sie mit ihrer Schüchternheit und »süßen Unbefangenheit des Herzens«. »Wenn ich diese tollen Modegeschöpfe, die man große Damen von Welt nennt ansehe und dann einen Blick auf dein Gesicht voll sinnlicher Unschuld werfe, so ist mir immer, als tret ich aus einem dumpfen Kerker in Gottes freye Natur.«

982 983 984 985 986

GMD. Falk II.1.6, 1, Falk an Caroline Rosenfeld, ca. Mitte April 1797. S. o. S. 255. GMD, a.a.O., 2. GMD. Falk II.10.7, 1, Falk an Elisabeth Rosenfeld, ca. Anfang Mai 1797. GMD, a. a. O., 2.

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In Berlin fiel Falk auch auf, daß viele Frauen der oberen Gesellschaftsschichten unverheiratet blieben: »Alle Berliner Damen sind so sehr an Assembleen Pikniks, Bälle und Konzerte gewöhnt, daß um ein Leben auf diesem Fuße fortzusetzen, entweder der ungeheuerste Leichtsinn, oder ein Eingebrachtes von 20000 Thalern gehört. Dies haben die Wenigsten, also bleiben Sie gar sitzen. Man könte auf dem Gendarmen Platz 15000 mannbare Mädchen und eben so viel alte Jungfern zusammentreiben. Entschließt sich auch noch zuweilen ein Mann zum Heirathen, so ist es irgendein stilles eingezogenes Mädchen in einem entfernten Viertel der Stadt, die wenig auf Piknike und Bällen erscheint. Die Modedamen rümpfen denn spöttisch die Nase. Mein Gott, rufen Sie, was ist denn das für ein Wesen! Die kennt ja kein Mensch. Freylich dürfen Sie nicht ahnden, daß eben diese lezte Eigenschaft in den Augen eines rechtschaffnen Mannes ein Verdienst mehr an seinem Weibe ist.«987

Ihre Schüchternheit hinderte Caroline indessen nicht daran, gegenüber Falk gelegentlich auch eine gewisse Festigkeit zu zeigen. Sie kritisierte — vermutlich im Blick auf die Ablehnung des dreimaligen Aufgebots — daß er »ein wenig drohend« geschrieben habe.988 Wenige Tage später verwahrte sie sich gegen den harten Ton in Falks Brief.989 Etwa am 10. Mai hatte Falk nämlich gegenüber Frau Rosenfeld in ärgerlichem Ton seiner Ungeduld Luft gemacht: Sie wisse doch, daß es für sein Herz nun einmal keine Ruhe gebe als allein »in dem uneingeschränkten Besitz Carolinens!— Warum quälen Sie mich?«990 Wohl vom selben Tag stammt auch ein Brief Falks an Caroline, in dem er erneut einen Termin für die Hochzeit setzte: »Auf jeden Fall mußt du vor Michaelis [29. September] mein seyn. Diese Trennung von dir ist nur das halbe Leben. - Entweder Alles oder Nichts.« Im selben Brief war er auch auf erneute Bedenken der Mutter Rosenfeld hinsichtlich seines Schriftstellerberufes eingegangen. Mit dem Hinweis auf seine Bekanntheit äußerte er die Erwartung, er werde als freier Schriftsteller ebensoviel verdienen wie ein Arzt; er lehnte deshalb eine bürgerliche Anstellung ab; erneut wies er auch den Erwerb eines Titels zurück: »War' ich also nicht ein Thor, wenn ich Mir die Hände binden ließe! Wieland, Goethe, Schiller und Voß haben unter Aspecten angefangen, die unweit ungünstiger waren. Also warum sollte ich zagen. - Einen Titel nehm ich nicht an. Du bist Mad. Falk, damit gut! Und so wie man jetzt mich, ohne Titel ehrt und schätzt, wie ich bin, so wird man auch dich überall gern sehen, als die Frau eines rechtschaffnen Mannes.«991

987 988 989 9,0 991

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GMD. GMD. GMD. GMD. GMD.

Falk Falk Falk Falk Falk

II.10.5, 3 f., Falk an Elisabeth Rosenfeld, ca. Mitte April 1797. III.18.1, 1, Caroline Rosenfeld an Falk, 1.5.1797. III.18.2, 1, Caroline Rosenfeld an Falk, 13.5.1797. II.8, 3, Falk an Elisabeth Rosenfeld, ca. 10.5.1797. 11.1.17, 4, Falk an Caroline Rosenfeld, ca. 10.5.1797.

Wenngleich Falk selbstbewußt auftrat, gestand er gegenüber Caroline auch einmal ein, »viele Schwächen« zu haben, »die größte davon [sei] ein zu feuriges Blut«; er arbeite »täglich daran besser zu werden«, jedoch nicht immer mit Erfolg.992 Caroline nahm dieses Geständnis mit Wohlwollen auf und äußerte die Erwartung, Falk werde künftig in einem milderen Ton mit ihr umgehen, als er ihn in seinen Briefen gebrauche.993 Eine Erleichterung für Falk war es, daß Caroline Rosenfeld nun auch seinen beruflichen Plänen zustimmte. Sie versprach ihm, sie werde ihre Forderung nach einem »Dienst oder elenden Titel« nicht wieder aufgreifen, »denn dies macht uns nicht glücklich, wenn Sie glauben mit dem, was Sie mit Schriftstellerei verdinen auszukommen, nun gut, Sie haben es gewiß wohl überlegt, und was brauchen wir denn mehr. Ich kann es Ihnen nicht verdenken, daß Sie auf diese Art keine Bedienung annehmen wollen, ich setze mich ganz in Ihre Laage, kommen Sie immer wieder zurück nach Halle, und wenn Ihnen von Seiten Gleims noch ein Glück erwartet, desto besser [.. .]«994

Falk dürfte diese Erklärung als Erfolg seiner Beharrlichkeit gewertet haben. Zugleich war sie ein Beweis für Carolines Liebe zu ihm. Obschon Tochter aus bürgerlichem Hause, war sie bereit, sich auf das Wagnis einer wirtschaftlich ungesicherten Existenz an seiner Seite einzulassen. Den Wunsch Falks nach einer möglichst unauffälligen Vorbereitung und Durchführung der Hochzeit nahm Caroline mit Humor auf. Sie teilte ihm mit, daß daraus nichts werden könne. »Ich hätte Sie wohl sehen mögen, wie Sie vor Ihren Schreibtisch gesessen, und das aufgeschrieben haben. Was für ein Gesicht müßen Sie dazu gemacht haben, zumal bei das ein, für allemal Aufbieten, ob Sie nicht in Ihren Hertzen auch ein wenig darüber gelacht haben, daß sollte mich doch wundern.« 995

Caroline hatte Falk inzwischen so weit kennengelernt, daß sie ihn in seiner manchmal schroffen, »exzentrischen« Art zu nehmen wußte. Eine Begründung für die Ablehnung seiner die Einzelheiten der Hochzeit betreffenden Wünsche stellte sie ihm für die Zeit nach seiner Rückkehr nach Halle in Aussicht. Im Mai 1797 bat Elisabeth Rosenfeld Falk darum, ihrem in Berlin wohnenden Bruder Samuel einen beigelegten Brief persönlich zu überbringen.996 Darin unterrichtete Frau Rosenfeld ihren Bruder über die Verbindung ihrer Tochter mit Falk. Näheres ist über diese Begegnung nicht bekannt. Falk besuchte in Berlin auch Frau Rosenfelds Onkel und Tante, das ältere Ehepaar 9,2

GMD. Falk II.1.7, 4, Falk an Caroline Rosenfeld, ca. Ende April 1797 GMD. Falk III.18.2, 1, Caroline Rosenfeld an Falk, 13.5.1797. 994 GMD, a . a . O . , 1 f. 995 GMD, a . a . O . , 2f. 996 GMD. Falk II.10.7, 1, Falk an Elisabeth Rosenfeld, ca. Anfang Mai 1797; GSA Weimar 15/1. IE.1.5, 1, André Janssen an Elisabeth Rosenfeld, 9.9.1797. 993

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Duchesne. Da sie über Carolines Freundschaft nicht unterrichtet waren, kam es zu einer fast peinlichen Situation, als Falk sich ihnen als Schwiegersohn von Elisabeth Rosenfeld vorstellte. Die beiden Alten wußten sich angeblich »nicht recht zu benehmen« und es gab »anfänglich ziemlich lange Gesichter«.997 Die Begegnung mit André Janssen, dem Bruder und Ratgeber Elisabeth Rosenfelds, war zu flüchtig, als daß Janssen sich aufgrund dieser ein Urteil über Falk bilden wollte. Die Lektüre von Rezensionen über Falks Schriften überzeugte ihn jedoch davon, daß Falk wohl sein Brot verdienen werde. Seinen Eltern teilte Falk mit, seine künftige Frau habe »sehr viele und reiche Verwandten zu Berlin«, die er »öfters« besuche, sie erwiesen ihm »alle Liebe und Freundschaft«.998 Im selben Brief stellte er den Eltern in Aussicht, er werde ihnen Caroline persönlich vorstellen: »Auch Sie werden meiner künftigen Frau gewiß gleich gut werden, so wie sie Sie sehen. Jeder Mensch, der Sie sieht ist ihr gut. Sie ist die Unschuld selbst und erst 16 bis 17 Jahr alt. Dabey hat sie den sittsamsten unbescholtensten Charakter«. 999

Falk bat seine Eltern, in Danzig vorläufig noch nicht über seine beabsichtigte Heirat zu sprechen. Karl Morgenstern war, wie er seinem Freund Falk mitteilte, Caroline R o senfeld vor Ostern 1797 in Halle auf der Steinstraße begegnet, ohne sie anzusprechen. Er äußerte die Vermutung, daß Falk durch diesen »Magnet« spätestens im Sommer nach Halle zurückgezogen werde. 1000 Er hatte Recht. Im Juni oder Juli kehrte Falk an den Wohnort seiner Geliebten zurück. Da Türk sein Zimmer bereits an einen neuen Bewohner vermietet hatte, 100 ' mußte Falk anderweitig unterkommen. Es ist unbekannt, ob er das Angebot des Barons Sauermann annahm, in dessen Gartenhaus vor dem Steintor zu wohnen, oder ob er entsprechend seinem Wunsch bei Familie Rosenfeld Aufnahme fand. Wohl unter dem Eindruck eines glücklichen Wiedersehens mit Caroline Rosenfeld teilte er voller Stolz Karl Böttiger mit, er sei im Begriff zu heiraten und nach Weimar zu ziehen. 1002 Caroline stellte er ihm als 17jährige, hübsche »Tochter einer reichen Wittwe« vor, die »nach dem Tode ihrer Großmutter und Tante« eine ansehnliche Erbschaft zu erwarten habe. Wichtiger aber sei ihm »ihr Herz, ihre himmlische Unschuld, ihre arglose Hingebung.« Wer sie hassen könnte, müsse »ein Ungeheuer« sein. Dagegen sei ihr sein »Hass gegen die Menschen« — wie Falk formulierte — unbegreiflich, während er »ihre allgemeine Liebe für die Menschen« nicht verstehen könne, beides zusammen 9.7

GSA Weimar 15/I.1E.1.5, 1, André Janssen an Elisabeth Rosenfeld, 9.9.1797. GSA Weimar 15/1.2.1.7, Falk an seine Eltern, ca. Juni 1797. 9.9 GSA Weimar, ebd. 1000 g s A Weimar 15/II.1C.6.6, 3, Morgenstern an Falk, Ostern 1797. 1001 G M D . Falk II.10.7, 3, Falk an Elisabeth Rosenfeld, Anf. Mai 1797. 1002 SLUB Dresden, Mscr. h 37, Bd. 49, N r . 6, Falk an Böttiger, Juli 1797. 9.8

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habe jedoch seine Richtigkeit. Falk räumte ein, daß Caroline wegen ihrer Schönheit und ihres Vermögens »auf ein weit glänzenderes Glück Anspruch machen könnte«. Dennoch gebe die Mutter Elisabeth Rosenfeld ihre Tochter »einem armen Dichter, ohne Rang und ohne Titel«, allein aufgrund gegenseitiger Liebe. Falk bezeichnete Caroline als »ein unverdorbnes Kind der Natur«, sie sei »mehr bildsam als gebildet«. In übersteigertem Selbstbewußtsein kam er gar zu der Aussage, Caroline und er stünden vielleicht »auf den beyden Extremen der Cultur«, d. h. er selbst sei bildungsmäßig weit fortgeschritten, während Caroline noch ganz am Anfang stehe. Als der baltische Dichter Garlieb Merkel sich im Sommer 1797 in Halle aufhielt, lernte er auch Falk kennen. Von der Begegnung berichtete er später: »Ich fand einen jungen schönen Mann, von großer Lebhaftigkeit, der mir aber von seinem literarischen Glücke ganz trunken schien. Er sprach in einem höheren Tone, mit viel größerem Selbstgefühl als Wieland, dem er seinen R u f größtenteils verdankt. Im Laufe des Gespräches teilte er mir seinen Lebensplan mit. Er glaubte, seinen Beruf aufgefunden zu haben. Er wollte sich ausschließlich nicht sowohl der Literatur als der Satire widmen, heiraten und nach Weimar ziehen, um dort seinem Fache in aller Stille ganz zu leben [...] Ein junger, rüstiger Mann ohne Vermögen, der es zu seinem ernsthaften Lebensgeschäfte machen wollte, beißende Satiren zu versifizieren, der die Satire wie ein bürgerliches Gewerbe betrachtete, auf das er heiraten könne, und der gleichwohl in ländlicher Einsamkeit sich zurückziehen, das heißt: möglichst allem Stoffe, an dem er sein Talent üben könne, aus dem Wege gehen wollte. Ich hatte keinen Begriff davon, wie sich so etwas in einem hellen Kopfe reimen könne. Unsere Bekanntschaft war zu neu, als daß ich ihn auf die Unhaltbarkeit dieses, im Rausche der Eigenliebe entworfenen Planes aufmerksam machen durfte. Als ich fünfzehn Monate darauf nach Weimar zurückkehrte, fand ich ihn dort schon mit seiner jungen Frau.«1003

In Merkels Erinnerung schwingt etwas von jener Abneigung gegen Falk mit, die beide — nach anfänglicher Freundschaft — in den literarischen Kämpfen zu Beginn des 19. Jahrhunderts entzweite.' 004 Dennoch beschreibt Merkel zutreffend die abenteuerlich anmutenden Berufspläne Falks. Noch im Sommer 1797 verlobten sich Falk und Caroline Rosenfeld. Von diesem Schritt Falks zeigten sich seine Weimarer Freunde um Wieland überrascht.1005 Mit der Bekanntgabe seiner Verlobung hatte Falk sie vermutlich gebeten, in Weimar für ihn und seine künftige Frau eine Wohnung zu besorgen. Samuel Christian Lüdtkemüller, der Mitarbeiter Wielands, konnte Falk im Spätsommer jedenfalls mitteilen: »Schon schmückt ihr Logis sich aus, um Sie und Ihr Glück recht freundlich zu empfangen, und nicht minder freundlich schaue ich immer hinauf, so oft ich 1003 1004 1005

Merkel: Skizzen, 1 (1812) 104, zit. nach Reininger, a. a. O., 11 f. Scholes: Falks literarische Kämpfe (1925) 111 ff. GSA Weimar 15/II.1C.3.2, Lüdtkemüller an Falk, ca. Spätsommer 1797.

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vorübergehe. Es sind Ihnen schon so viele gute Wünsche und Hoffnungen dahin voran gezogen, die mir freudig und traulich Ihr künftiges Leben zuflüstern.«1006

Am 17. September 1797 um 17 Uhr wurden Falk und Caroline Rosenfeld »nach dreymaliger Proclamation« in der reformierten Domgemeinde zu Halle, in der Caroline am 20. Februar 1780 getauft worden war,1007 durch Prediger Georg Peter Dohlhoff 1008 getraut.1009 Carolines Berliner Verwandte konnten der Einladung nicht folgen, sie sprachen ihre Gratulation schriftlich aus.1010 Zur anschließenden Feier, die von dem Kammerrat Matthaeus Wucherer 1011 ausgerichtet wurde,1012 war außer einigen Angehörigen und Freunden der Familie Rosenfeld von Falks Seite lediglich Karl Morgenstern geladen. Er war auch der einzige aus Falks Freundeskreis, den er vom Termin der kirchlichen Trauung unterrichtete. Am Morgen des Hochzeitstages bat Falk ihn: »Sprich kein Wort davon; denn man hat mich mit einem Ständchen gedroht, und ich hasse dergleichen. Also reinen Mund! Beyliegendes Gedicht sey so gut, und lies des Abends bey Tische vor. Ich schicke es dir desshalb voraus.«1013

Leider ist nicht bekannt, welches Gedicht Morgenstern bei der abendlichen Feier vorgetragen hat. Die Tatsache, daß Falk ihn als einzigen Freund einlud, war jedoch Ausdruck für die hohe Wertschätzung, die Falk — am Tage der Hochzeit - seiner Freundschaft mit Morgenstern beimaß.

1006

GSA Weimar, ebd. StArchiv Halle, Kirchenbuch 2b der Domgemeinde Halle. 1008 £) 0 hlh 0 ff w a r e i n halbes Jahr älter als Falk und hatte seit 1785 in Halle Theologie studiert. Während eines Studienaufenthaltes in der Schweiz im Jahre 1792/93 hatte er die Bekanntschaft J.K. Lavaters gemacht. Gabriel: Die reformierten Gemeinden in Mitteldeutschland (1973) 309. 1009 StArchiv Halle, Kirchenbuch 2b der Domgemeinde Halle. - Döring: Falk (1828) 61, behauptet irrtümlich, die Vermählung habe in Weimar stattgefunden. 1010 GSA Weimar 15/I.1E.1.5, 3, André Janssen an Elisabeth Rosenfeld, 9.9.1797. 1011 M. Wucherer war Taufpate des am 14.2.1784 geborenen Carl Friedrich Heinrich Matthaeus Rosenfeld, des zweitjüngsten Bruders von Caroline (vgl. StArchiv Halle, Kirchenbücher U. L. Frauen zu Halle a. S.). Über Wucherer, der 1741 in Reutlingen geboren wurde, 1767 nach Halle kam und dort in die Dey'sche Golgas-, Berill und Serge-Druckerei einheiratete, schrieb das Hallische Patriotische Wochenblatt: »Es ist nur eine Stimme über ihn, daß er zu den in seinem Kreise wirksamsten und rechtschaffensten Mitbürgern und zu den ächten Patrioten für unser Halle gehörte, der zu allem, was recht und gut und nützlich war, gern die Hand bot, und wo er es vermochte, theils durch seine Einsichten und seinen Rath, theils durch seine Milde und Freygebigkeit zu Hülfe kam. Denn auch zu den wohlthätigsten Armenfreunden gehörte er. Er hat viele Hunderte auf die nützlichste Art durch anvertraute und redlich belohnte Arbeit, die Unglücklichen durch reiche Gaben unterstützt. Wir werden seinen Verlust bey unserm Armenwesen, an welchem er auch als Mitglied der Gesellschaft freywilliger Armenfreunde Theil nahm, schmerzlich empfinden.« (StArchiv Halle, Anmerkung zu einer Abschrift aus dem Kirchenbuch 2 b der Domgemeinde Halle.) - Vielleicht hat das Vorbild Wucherers die spätere Waisenhausarbeit von Johannes Daniel und Caroline Falk mitangeregt. 1007

1012 1013

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UB Dorpat, Bl. 110, Falk an Morgenstern, 17.9.1797. UB Dorpat, a. a. O., Bl. 111.

Die Bedeutung der ehelichen Verbindung Falks mit Caroline Rosenfeld kann kaum hoch genug eingeschätzt werden. Sie verschaffte dem Handwerkerssohn den Anschluß an das Bürgertum und stellte die Krönung seines Strebens nach häuslichem Glück dar. Für Caroline Rosenfeld hingegen bedeutete die Heirat nichts Geringeres als die Zustimmung zu einem entsagungsreichen Leben an der Seite eines ungewöhnlichen Mannes, der in seiner Freiheitsliebe die »fesselnden Verträge der bürgerlichen Gesellschaft« zwar verabscheute, 1014 aber gleichzeitig bei eben dieser bürgerlichen Gesellschaft um die Anerkennung seines satirischen poetischen Schaffens bemüht war.

1014

GMD. Falk 1.7, 1, Falk an Caroline Rosenfeld, ca. Ende April 1797.

263

III. Falk als freier Schriftsteller in Weimar (1797-1799) 1. Beginn in Weimar

Längst vor der Heirat war klar, daß das junge Ehepaar Falk in Weimar ansässig werden wollte.1 Der Umzug fand vermutlich noch im September 1797 statt.2 Etwa Anfang Oktober schrieb Falk aus Weimar an seine Eltern; der Brief erreichte sie durch einen sonst nicht erwähnten »Herrn Dietrich« am 9. Oktober. Falks Eltern und Geschwister waren über die vollzogene Eheschließung glücklich, sie schrieben: »Wie sehr vergnügt wir über die Verbindung sind, kannst Du Dir unmöglich vorstellen.«3 In Weimar wohnte Falk im Hause des Kaufmanns Grimm am Markt, neben dem Gasthof »Elefant«.4 Es handelte sich um ein Holzhaus, das »mit Schindeln gedeckt« war.5 Die Wohnung bestand vermutlich aus einer Küche, einem Wohnzimmer, einem Schlafzimmer, einer Studierstube, einer kleinen Wäschekammer (dem »Alkoven«) und einer Kammer für die Magd. Die Miete betrug 17 Taler und 12 Gulden. 6 Im Winter waren die Zimmer recht kalt. Caroline klagte einmal, die Fenster seien »so sommermäßig gebaut«, daß bei stürmischem Wetter trotz geschlossener Läden die »Rouleaus und Vorhänge immer hin und her bewegt wurden«. 7 Deshalb ließen sie sich Ende 1798 Doppelfenster anfertigen.8 Zur Hochzeit hatte das Ehepaar Falk von der Mutter Rosenfeld eine ansehnliche Grundausstattung für die Wohnung erhalten. Der Wert wurde einige Jahre später mit 259 Talern, 18 Gulden angegeben. 9 Zur Einrichtung gehörten unter anderem zwei Sofas, zwei Tische, zwölf Stühle, ein Kleiderschrank und »zwei Bettstellen«; zur Aussteuer gehörte auch Bettwäsche und 1

SLUB Dresden, Mscr. h 37, Bd. 49, Nr. 6, Falk an Böttiger, Juli 1797; vgl. auch GSA Weimar 15/I.1E.1.5, 3, André Janssen an Elisabeth Rosenfeld, 9.9.1797. 2 Gegen Leistikow, a. a. O., 198, und Günther: Weimar-Chronik (1987) 11, die den Umzug nach Weimar für November 1797 annehmen, sowie gegen Jarck, ebd., der das Jahr 1801 angibt. Falk verfaßte das Vorwort zu seinem »Taschenbuch« auf das Jahr 1798 im »October 1797« in Weimar. Falk: Tb. 1798, XVI. 3 GSA Weimar 15/I.1A.1.10, 1, Eltern an Falk, 17.10.1797; vgl. GSA Weimar 15/I.1A.4.1, Carl Gotthilf Falk an Falk, 17.10.1798. 4 Paschinsky: Gehorsam und Opfer (1968) 7. 5 GSA Weimar 15/I.1B.3.8, 2, Caroline Falk an Elisabeth Rosenfeld, 5.3.1798. 6 Der Betrag bezieht sich auf den Zeitraum von Weihnachten 1798 bis Ostern 1799. GMD. Falk 1.1 Caroline Falk: Wirtschaftsbücher (1799). 7 GSA Weimar, a. a.O., 2 f. 8 GSA Weimar 15/I.1B.3.11, 1, Caroline und Johannes Daniel Falk an Elisabeth Rosenfeld, 31.12.1798. 9 LA Magdeburg, Rep. A5 Nr. 82, Caroline Falk, 13.

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Besteck. Falk selber dürfte kaum Mobiliar besessen haben, das er in den gemeinsamen Haushalt hätte einbringen können. In der Anfangszeit mußte er gar einen Schreibtisch entbehren, weil er noch zu teuer war.10 An seine Mutter schrieb Falk, es sei höchste Zeit gewesen zu heiraten, weil ihm die Mutter fehle, die sich um seine Wäsche kümmere. 11 Auch wenn dies wohl kaum der einzige Grund für Falks Heirat gewesen sein wird, dürfte er nach sechsjähriger Selbstversorgung die Haushaltsführung Carolines sehnlich erwartet haben. Caroline strickte ihrem Mann Strümpfe12 und nähte ihm jede Woche ein Hemd. 13 Schon zu Beginn seiner Studienzeit in Halle hatte Falk die Bemerkung notiert, eine gute vollkommene Köchin sei für den Mann noch immer besser als eine verdorbene Gelehrte.14 In Weimar scheint er es genossen zu haben, daß Caroline für sein leibliches Wohl sorgte. Aus einer Bemerkung Carolines im Brief an ihre Mutter spricht jedoch auch Enttäuschung darüber, daß Falk bei der Vorbereitung für den Besuch von Gästen nicht mithalf: »Ich habe herzlich lachen müssen, daß Sie denken Falk hilft mir arangiren wenn wir Gäste haben, der wird sich hüten, er rührt sich nicht eher von seinen Platz u[nd] Buch, bis alles fertig ist, und die Gäste bald kommen werden, wer sich auf dem seine Hülfe verläßt der ist verlohren.« 15

Erfreut äußerte sich Caroline hingegen darüber, daß Falk ihre Bemühung um eine geschmackvoll eingerichtete Wohnung zu schätzen wußte. Er war stolz auf »so eine hübsche Stube«, in der sie ihre Gäste empfangen konnten. 16 Über ihre Mutter erfuhr Caroline Falk von einem in Halle umlaufenden Gerücht, demzufolge es ihr in Weimar nicht gefalle,17 auch wurde sie wohl wegen ihres mittellosen Ehemannes bedauert. Caroline bat ihre Mutter daraufhin, solch einem verleumderischen »Stadtgeschwätz« keinen Glauben zu schenken. Caroline versicherte, sie sei in Weimar »recht glücklich«.18 Als Begründung schrieb sie: »Falk ist ein recht guter Mensch, den ich wegen seines guten Charakters sehr liebe, ich habe keine Noth, keine Nahrungssorgen, habe Umgang mit guten Menschen, gehe viel in die Comödie usw. Kurtz jetzt fehlt mir an diesen Sachen nichts.«19

10

GSA Weimar 15/I.1B.3.3, 2, Caroline Falk an Elisabeth Rosenfeld, 30.11.1797. " GSA Weimar 15/1.1A. 1.3, 2, Constantia Falk an Falk, ca. Herbst 1798. 12 GSA Weimar 15/I.1B.3.4, 5, Caroline Falk an Elisabeth Rosenfeld, ca. Anf. 1798. 13 GSA Weimar 15/I.1B.3.3, 2, Caroline Falk an Elisabeth Rosenfeld, 30.11.1797. 14 GMD. Falk IV.3.2, 9, Falk: Aus der Hallischen Studentenzeit. 15 GSA Weimar 15/I.1B.3.4, 3 f., Caroline Falk an Elisabeth Rosenfeld, ca. Anf. 1798. 16 GSA Weimar, a. a. O., 4. 17 GSA Weimar, a . a . O . , 1. 18 GSA Weimar, a. a. O., 1 f. 19 GSA Weimar, a. a. O., 2.

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Zugleich leugnete Caroline jedoch nicht, daß sie sich manchmal danach sehne, nach Halle zu reisen. Für den Sommer plante sie einen Besuch. Es scheint, daß das Bekenntnis Carolines zu Falk ihre Mutter dennoch nicht recht überzeugte. In der Sorge, die anfängliche Zuneigung der jungen Eheleute könne einer gewissen Distanz gewichen sein, äußerte Elisabeth Rosenfeld ihre Verwunderung darüber, daß Caroline in ihren Briefen nicht von ihrem »Mann«, sondern von »Falk« sprach. Caroline antwortete, dies sei in Weimar durchaus so üblich, und fragte: »Glauben Sie etwa, daß die Liebe dadurch sich verringert? gewiß nicht, im Gegentheil, ich finde daß es noch zutraulicher ist, denn es klingt mir so altbacken, wie die alte Großmutter, mit [eigtl.: von] ihren werthesten Ehegemahl, den Hofprediger Ursinus [sprach]. — Auch Falk liebt das steife Wort, Mann, so wenig wie Bräutigam, Sie werden wohl noch wissen, wie es ihm zuwider war.«20

Einige Wochen später schrieb Caroline ihrer Mutter, unter Anspielung auf die frühere Anfrage: »Mein Männchen läst sich Ihnen Empfehlen.«21 Gegen das Gerede in Halle versuchte Falk sich im Jahre 1798 mit seinem Gedicht »An Caroline« zur Wehr zu setzen.22 In den ersten beiden Strophen räumte Falk ein, Schmuck sei zwar schön anzusehen, jedoch betonte er, »kein Goldstoff, Demant und Sapphier« beglücke das Eheband, vielmehr sei dies alles nur »Thorheit«. Falk gestand: »Nur das Herz, das Herz«, nicht »Rang und Reichthum« habe er Caroline zu bieten.23 Auch die weiteren Strophen zeigen etwas davon, wie Falk die an ihn herangetragene Kritik verstand und wie er sie zu verarbeiten suchte: »Ich läugn' es nicht - ein Dichter ist Ein närrisches Geschöpf! — Das küßt Vom Abend bis zum Morgen! Das neckt, das scherzt, das singt, und läßt Für Essen, Trinken und den Rest Die guten Götter sorgen! [. . .] >Da haben wir's! Daß Gott erbarm'! Er sagt es selbst/ kräht hier ein Schwärm Ehrwürdiger Matronen. >Mich dauert nur das arme Ding Die Braut! Mit solchem Sonderling Zusammen stets zu wohnen!< >Gebt Acht! Es geht zulezt ihm schief,

20

GSA Weimar 15/I.1B.3.6, 2, Caroline Falk an Elisabeth Rosenfeld, 11.2.1798. GSA Weimar 15/I.1B.3.8, 3, Caroline Falk an Elisabeth Rosenfeld, 5.3.1798. 22 In Falk: Mensch/Helden (1798). Hier zitiert nach Falk: Satiren (1800) 51-55. 23 Mit der Gegenüberstellung von »Herz« und »Reichtum« klingt erneut jener Kontrast an, den Falk seit seinen Begegnungen mit den Patriziern in Danzig immer wieder empfand. 21

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Man munkelt längst so 'was von Brief, Und von der Citadelle. Es steht gedruckt, und wüßt' ich nur Die Zeitschrift^ - >Doch nicht im Mercur?< >Recht, Mademoiselle!< [...] Ich liebe dich, du liebest mich, - Was wirst du roth, o Holde, sprich! Ich lag an deinem Busen, Ich schwur, und bin nicht undankbar: Allein, ich schwur auch am Altar Der Grazien und Musen. Nichts geht auf weitem Erdenrund Mir über diesen altem Bund! Dir mag es anders scheinen! Du bist nicht ich! Ich weiß es wohl! Du bist ein Weib! Geh, lebe wohl! Geh! Laß mich einsam weinen! [...] Du lachst; du nimmst mich, wie ich bin, Mit allen Dichterlaunen hin; Du drückst mir sanft die Hände; Du lispelst leis': ich liebe dich!— O treffe Fluch der Götter mich, Wenn treulos ich dich lasse! Und was von Freuden dir ein Mann, Arm, doch voll Frohsinn geben kann, Erwart' in vollem Maaße! Was ich bedarf? Viel ist es nicht! — Ein ländlich Mahl, ein froh Gesicht, Gesundheit, eine Hütte, Zu klein nicht, doch auch nicht zu groß. Und Du darin auf meinem Schooß, Die Freundschaft in der Mitte: Dann schenke Gold und Edelstein Gott immerhin den Narren sein! Mir gnügt ein Lied am Flügel, Ein Gang im Park, wann Luna scheint, Und eine Thräne, gut gemeint, Auf meinen Grabeshügel. [...] Klein, siehst du, ist die Summe! Ein Wunsch noch macht sie nicht zu lang — Daß diese Lippe voll Gesang Vor deiner einst verstumme.«

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In der Anfangszeit seiner Verbindung mit Caroline hatte Falk, wie es scheint, M ü h e , den Vorrang der Ehe vor der Liebe zur Poesie anzuerkennen. Jedoch, so gesteht er ein, war es die verständnisvolle u n d auf allen materiellen R e i c h tum verzichtende Liebe Carolines, die ihn diese »Dichterlaune« überwinden half In einem Brief an Carolines G r o ß m u t t e r schrieb Falk über seine Frau, sie sei »sehr gut, nachgiebig, sanft, zärtlich duldsam, kurz ein so liebenswürdiges herrliches Weib«, wie er es sich immer gewünscht habe. Von ihrem »Eigensinn« und ihren »kleinen Launen«, von denen sie in Halle zuweilen beherrscht gewesen sei, spüre er nichts mehr. 2 4 Uneinigkeit bestehe nur in »Kleinigkeiten«: »Sie schläft mir zu lang, ich schlaf ihr zu kurz. - Ich les' ihr zu viel und sie liest mir zu wenig. Ich esse zu viel Fleisch u n d sie zu viel Brodt.« Falk schloß seinen Brief mit der ironischen Bemerkung: »Zum Zeichen der U n terwürfigkeit hat sich Caroline unter meinen N a h m e n mit unterschrieben.« Caroline fügte ihrerseits hinzu, »mit der großen Unterwürfigkeit« sei es »so schlimm nicht«. Falk hatte es seiner Frau zu verdanken, daß er sich an m e h r O r d n u n g gewöhnte. Gegenüber seinem Freund Morgenstern führte er die richtige A n gabe des Briefdatums auf den Einfluß seiner Frau zurück: »Bemerke nur, wie systematisch mein Kopf wird, seitdem ich geheirathet habe. Ich weiß schon Datum und Jahrzahl, und das ist immer ein gutes Zeichen bei einem Poeten! Beynah fang' ich selbst an zu glauben, daß noch etwas in der Welt aus mir werden wird.«25 R e c h t offenherzig berichtete Caroline ihrer Mutter einmal von einem Streit mit Falk. Gemeinsam waren sie eines Abends der Einladung in einen »Cloup« gefolgt, in d e m etwa vierzig Personen z u m Spiel z u s a m m e n g e k o m m e n waren. W ä h r e n d es Caroline dort recht gut gefiel, langweilte sich Falk nur. N a c h d e m Abendessen spielten Musikanten zum Tanz auf. Weil es Caroline nach längerer Zeit kühl wurde, tanzte sie mit. Dies n a h m Falk ihr derart übel, daß er nach Hause ging, ohne sie darüber zu verständigen. Dies w i e d e r u m verärgerte Caroline, so daß beide für »einige Tage böse mit einander [waren] und maulten«. Schließlich jedoch, so berichtet Caroline, w u r d e n beide »wieder Herzensfreunde«. 2 6 Elisabeth Rosenfeld n a h m den Brief ihrer Tochter zum Anlaß, Falk zurechtzuweisen. Dies sorgte bei Falk für Verstimmung und bei seiner Frau für Erstaunen, da die Angelegenheit aus ihrer beider Sicht längst erledigt war. 27 Eines der Anliegen Falks war es, seine Frau in die Welt der Literatur und des Theaters einzuführen. Im N o v e m b e r 1797 schrieb er an ihre G r o ß m u t t e r 24 25 26 27

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GSA Weimar 15/1.1B.4.2.1, 3, Falk an Maria Ursinus, 11.11.1797. U B Dorpat, Bl. 127 f., Falk an Morgenstern, 1.3.1798. GSA Weimar 15/I.1B.3.2, 3 f., Caroline Falk an Elisabeth Rosenfeld, 19.11.1797. GSA Weimar 15/I.1B.3.1, 4, Caroline Falk an Elisabeth Rosenfeld, ca. Anf. Dezember 1797.

nach Halle, Caroline lese »fleißig« mit ihm. 28 Für das Theater besaßen Falks ein Abonnement, sie besuchten es dreimal wöchentlich. 29 Auch die Musik hatte bei Falks ihren festen Platz. Caroline hatte bereits in Halle Klavierunterricht erhalten,30 sie setzte ihn vermutlich Mitte des Jahres 1798 mit einem neuen »Forte Piano« fort.31 Falk selbst scheint — wie in Danzig 32 — weiterhin Violine gespielt zu haben. 33 Gelegentlich stand ein Konzertbesuch auf dem Programm, so im Februar 1798 die »Zauberflöte« von Mozart. 34 Falk schrieb an die Großmutter seiner Frau, er stehe morgens um 5.30 Uhr auf, 35 Caroline gab (drei Wochen später) als Beginn von Falks Tagesablauf 7 Uhr an,36 danach komme gleich der Barbier, und dann arbeite Falk bis zum Mittag in seiner Studierstube. Nachmittags, so Caroline, sei Falk in ihrer Nähe und lese. Vielleicht war es diese Auskunft ihrer Tochter, die Frau Rosenfeld zum Anlaß nahm, Falk mangelnden Fleiß vorzuwerfen. 37 Caroline wies einen solchen Verdacht mit dem Hinweis zurück, Falk arbeite ihrer Ansicht nach zuviel und ruiniere dadurch sogar seine Gesundheit. »Von des Morgens an, bis am Abend hört er nicht auf seinen Kopf anzustrengen, so daß ich Mühe habe ihm loszureißen.«38 Auch Falk selbst meinte sich gegenüber seiner Schwiegermutter rechtfertigen zu müssen, als er ihr schrieb: »Verbannen Sie übrigens ganz den Gedanken, als würde mir das Arbeiten sauer. Der Müssiggang zerrüttet meine Seele, und nur in einer ewigen rastlosen Thätigkeit wohnt R u h e für mein Herz.« 39

Von ihrer Mutter hatte sich Caroline schon zu Beginn ihrer Weimarer Zeit ein Tintenrezept schicken lassen. Sogleich nach Erhalt begab sie sich an die Zubereitung, denn — so schrieb sie — »bei uns wird viel verbraucht.«40 G S A Weimar 15/I.1B.4.2.1, 2, Falk an Maria Ursinus, 11.11.1797. Im Januar 1799 kostete sie dies 2 Taler, 16 Gulden, im Februar 1799 waren es 3 Taler, 6 Gulden. G M D . Falk 1.1, Caroline Falk: Wirtschaftsbücher (1799); G S A Weimar, a . a . O . , 2. 3 0 G S A Weimar 15/I.1B.3.4, 2, Caroline Falk an Elisabeth Rosenfeld, ca. Anf. 1798. 3 1 G S A Weimar 15/I.1B.2.1, 1, Caroline Falk an August Rosenfeld, 19.5.1798. - Im Dezember 1798 erwähnte Falk einen »Musikmeister« seiner Frau. G S A Weimar 15/1.IB.3.11, 2, Caroline und Johannes Daniel Falk an Elisabeth Rosenfeld, 31.12.1798. 3 2 S . o . S. 31. 3 3 Caroline Falk unterschied in ihrem Ausgaben-Buch von 1799 Ausgaben für Lebensmittel und »Extra Ausgaben«. Z u letzteren zählte im Januar 1799 das Comödien-Abonnement, Klavierstunden, Reparatur der Violine und ein Dämpfer. G M D . Falk, ebd. 3 4 G S A Weimar 15/I.1B.3.7, 3, Caroline Falk an Elisabeth Rosenfeld, 18.2.1798. 3 5 G S A Weimar 15/I.1B.4.2.1, 3, Falk an Maria Ursinus, 11.11.1797. 3 6 G S A Weimar 15/I.1B.3.1, 4, Caroline Falk an Elisabeth Rosenfeld, ca. Anf. Dezember 1797. 3 7 G S A Weimar 15/I.1B.3.10, 3 f., Caroline Falk an Elisabeth Rosenfeld, 16.11.1798. 3 8 G S A Weimar, a. a. O . , 4. 3 9 G S A Weimar 15/1. IB.3.11, 2, Caroline und Johannes Daniel Falk an Elisabeth Rosenfeld, 31.12.1798. 4 0 G S A Weimar 15/I.1B.3.3, 4, Caroline Falk an Elisabeth Rosenfeld, 30.11.1797. 28

29

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2. Erste literarische Arbeiten in Weimar. Die Kritik Falks am Zustand der Berliner Charité (1797/98)

und ihr Echo

Im Herbst 1797 erschien der zweite Band von Falks satirischem »Taschenbuch«. Als Satire auf den Idealismus Fichtes dürfte Falks Gedicht »An das Nichts« 41 zu verstehen sein. Er verwendet darin Motive, die zum Teil aus seinen früheren Arbeiten bekannt sind: »Erhabne Mutter unsrer Erde, O Nichts, du Urquell alles Lichts, Dir tönt mein Lied. Gott sprach: es werde! Da ward die ganze Welt aus Nichts. [...] Macht, Herrschaft über Meer und Länder, Pomp, Herrlichkeit des Bösewichts, Stern, Ludwigskreuz und Ordensbänder, Was sind sie einem Weisen? - Nichts. [...] Selbst philosophische Systeme — Kants Lieblingsjünger, Reinhold, 42 spricht's — Von Plato bis auf Jakob Böhme, sie waren samt und sonders - Nichts. [. ..] Monarchen, Opfer der Chimäre des europä'schen Gleichgewichts, Der Kern zahlloser Kriegesheere Ist hingeopfert, ach! um - Nichts. Wohlan, dingt neue Legionen! Einst fragt der Herr des Weltgerichts: Warum erschlugt ihr Millionen? Was könnt ihr ihm erwidern? - Nichts. [...] Was bin ich selbst? — Ein Kind der Erde, Der Schatten eines Traumgesichts, Der halbe Weg von Gott zum Werde, Ein Engel heut, und morgen — Nichts. Ich steig' auf Felsen, ich erklimme Gebirg' im Strahl des Mondenlichts: Wo find' ich Ruh?— Ach! eine Stimme Ruft dumpf: Im Schooß des alten Nichts. —«

41 42

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Falk: Tb. 1798, 1-6. Karl Leonhard Reinhold (1757-1823), 1787 Philosophieprofessor in Jena, seit 1794 in Kiel.

Indem Falk den Gedanken der »creatio ex nihilo« aufgreift, das »Nichts« als Person anspricht, diese aber zugleich mit dem Schöpfergott konfrontiert, wendet er sich gegen den spekulativen Idealismus Fichtes, für den »die Annahme einer Schöpfung als der absolute Grundirrtum aller falschen Metaphysik und Religionslehre« galt.43 Falk steht damit Friedrich Heinrich Jacobi (1743—1819) nahe, der 1799 zur Kennzeichnung des Fichteschen Idealismus den Begriff des »Nihilismus« prägte,44 da in ihm außerhalb des »Ich« alles, für sich genommen, nur unselbständige Vorstellung des »Ich« und damit »Nichts« sei.45 Falk macht, vor allem in der vorletzten Strophe seines Gedichtes, deutlich, daß Fichtes Idealismus letzten Endes auf die völlige Infragestellung des eigenen Subjekts, ja auf die Verwandlung der Realität in einen Traum hinausläuft.46 Falk trivialisiert nun den philosophischen Gedanken des »Nichts« durch die Veranschaulichung der Nichtigkeit alltäglicher menschlicher Bemühungen und erinnert damit an Kohelet. Ähnlich wie in den »Helden« kritisiert Falk das Streben nach politischer Macht und Ehre; angesichts des künftigen Gerichts Gottes erscheint ihm jegliches kriegerische Töten unverzeihlich. Während der Kant-Schüler Reinhold sein vernichtendes Urteil über die Philosophie auf die Epoche von Piaton bis Böhme bezog, verallgemeinert es Falk und trifft damit auch die Philosophie Kants und Fichtes. In seinem Gedicht »Der Decalog, oder überzeugender Beweis von der Abschaffung der zehn Gebothe in Deutschland«47 wendet sich Falk gegen die durch die Französische Revolution heraufbeschworenen Auswüchse einer falsch verstandenen Freiheit. Einerseits verurteilt er den übertriebenen Moralismus der Pfarrerschaft, der »fmstern Stadt- und Dorfzeloten«: »Zu Lastern deuteln sie uns Lieblingsschwächen, K a u m sieht der Fürst ein Fräulein an, Gleich raunt i h m mürrisch sein Kaplan In's O h r : >du sollst nicht ehebrechen!