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German Pages 291 [292] Year 2021
Jüdische religiöse Erziehung im Zeitalter der Emanzipation
Europäisch-jüdische Studien Beiträge European-Jewish Studies Contributions Herausgegeben vom Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien, Potsdam Redaktion: Werner Treß
Volume 56
Jüdische religiöse Erziehung im Zeitalter der Emanzipation Konzepte und Praxis Herausgegeben von Dorothea M. Salzer
ISBN 978-3-11-074289-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-074305-0 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-074314-2 Library of Congress Control Number: 2021942782 Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Umschlagbild: Stanzbild, um 1900, Hebrew Publishing Company. © 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Inhalt Dorothea M. Salzer Wie aus Kindern Juden werden. Religiöse Erziehung im Judentum vor dem Hintergrund von Aufklärung und Emanzipation 1
Christliche Konzepte der religiösen Unterweisung Walter Sparn Wie aus Kindern Christen werden. Die pädagogische Reform des 21 18. Jahrhunderts im Kontext frommer Aufklärung Karen Lambrecht „Kompatible Katechese?“ – Zum Erfolg der Lehrart Johann Ignaz von Felbigers (1724−1788) 41
Jüdische Konzepte der religiösen Unterweisung Uta Lohmann „Dieses allgemein einzuführende Schulbuch muß für uns von einem außerordentlichen Nutzen seyn“ – Von den Bildungsentwürfen zur Buchproduktion der Berliner Haskala. Der Israelitische Kinderfreund von 65 Moses Hirsch Bock Louise Hecht Die Reform der Haskala. Moderne Bildungskonzepte in Juda Jeitteles’ Redlichen Worten 93
Jüdische Lehrbücher Dirk Sadowski Neues Wissen, Lernmedien und pädagogische Motive im Werk eines 123 frühmaskilischen hebräischen Druckers
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Inhalt
Dorothea M. Salzer Peter Beers Dekalogkommentar im Sefer Toledot Israel (1796) und seine christlichen Vorlagen 151 Irene Zwiep Hyphenated Histories. Teaching the Past and the Making of the Modern 177 Dutch Israelite
Unterhaltende Kinder- und Jugendliteratur als Mittel der religiösen Unterweisung Zohar Shavit Robinson der Jüngere in the Service of the Haskalah: Joachim Heinrich Campe, the Haskalah and the “Bildung” Project in Jewish Society 201 Annegret Völpel Religiöse Erziehung in Szene gesetzt: Chanukka-Kinderschauspiele Über die Autorinnen und Autoren Personenregister
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Wie aus Kindern Juden werden. Religiöse Erziehung im Judentum vor dem Hintergrund von Aufklärung und Emanzipation Jüdische Erziehung im Wandel Die moderne jüdische Erziehung ist, wie auch die moderne jüdische Kinder- und Jugendliteratur, ein Produkt der Aufklärung und wurzelt damit zu nicht unbedeutenden Teilen in den allgemeinen erziehungstheoretischen Diskursen dieser Zeit. Vor allem in der Spätphase der deutschsprachigen Aufklärung führte der gesellschaftliche und politische Wandel zu einer verstärkten Diskussion über Ziele und Methoden der Erziehung und deren konkrete Realisierung, da im Laufe des 18. Jahrhunderts, dem sogenannten „pädagogischen Jahrhundert“,¹ Erziehung und Bildung zunehmend als gesamtgesellschaftliche Aufgaben betrachtet wurden und damit eine zentrale Stellung innerhalb der Philosophie der Aufklärungsbewegung einnahmen. Ein neues und differenziertes Adressatenbewusstsein, Veränderungen im Wertesystem und neue Erziehungsideale, wie sie die Aufklärung hervorbrachte, erforderten ständige Neubesinnungen sowie Modifikationen von pädagogischen Konzepten, Methoden und Zielen. Reformen des Unterrichts- und Schulwesens, allgemeine Schulpflicht und die Trennung der Erziehung von religiösen Institutionen waren daher genauso Thema der Diskurse über Pädagogik wie die Erziehung zum nützlichen Bürger und Untertan. Diese Entwicklung hatte neben einem deutlichen Anstieg der Kinder- und Jugendliteratur auch deren grundlegende Veränderung zur Folge. Besonders die religiöse und sittlich-belehrende Unterweisung war dabei durch literarische Vielfalt geprägt,² der jedoch eine Gemeinsamkeit in der inhaltlichen Darstellung von Reli-
Zu dem Begriff siehe z.B.: Herrmann, Ulrich (Hrsg.): Das pädagogische Jahrhundert. Volksaufklärung und Erziehung zur Armut im 18. Jahrhundert in Deutschland. Weinheim 1981. Ein zusammenfassender Überblick über diesen Strukturwandel in der Kinder- und Jugendliteratur sowie deren Hauptströmungen und Tendenzen findet sich in: Brüggemann, Theodor und Hans-Heino Ewers (Hrsg.): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur.Von 1750 bis 1800. Stuttgart 1982, S. 12– 64; einen Einblick in die Vielfalt vermittelt die Darstellung einzelner Werke ebd., S. 681– 812. https://doi.org/10.1515/9783110743050-001
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gion, die sich durch eine starke Moralisierung, Verinnerlichung und Betonung bürgerlicher Werte auszeichnete, korrespondierte. Erziehung, in der Vormoderne einer der Kernbereiche jüdischer Autonomie, ist auch einer der Bereiche, in denen die jüdische Modernisierung vor allem im deutschsprachigen Raum zuerst zum Tragen kam, wobei man allgemein gesellschaftspolitischen und speziell emanzipatorischen Aspekten der Pädagogik große Bedeutung zumaß. Das aufklärerische Ideal der stetigen Vervollkommnung (Perfektibilität) des Individuums traf dabei staatlicherseits auf das absolutistische Interesse, nützliche Staatsbürger zu erziehen. Nichtjuden wie Juden vertraten Vorstellungen von Erziehung, die auf eine breitere Eingliederung der jüdischen Bevölkerung in der Umgebungskultur abzielten. So machte zum Beispiel im protestantischen Preußen der aufgeklärte Staatsbeamte Christian Wilhelm von Dohm (1751−1820) in seiner Abhandlung Über die bürgerliche Verbesserung der Juden (1781) einen schrittweisen Erziehungsprozess der jüdischen Bevölkerung zur Voraussetzung für wirtschaftliche und kulturelle Integration und Emanzipation. Er forderte daher nicht nur eine Änderung und Diversifizierung der jüdischen Berufsstruktur, sondern auch säkulare Bildung für die jüdische Bevölkerung und deren Zulassung zu christlichen Schulen und zu Universitäten. Es sollte „ein besondres angelegnes Geschäft einer weisen Regierung seyn, für die sittliche Bildung und Aufklärung der Juden zu sorgen, und dadurch wenigstens die kommenden Geschlechter einer mildern Behandlung und des Genusses aller Vortheile der Gesellschaft empfänglicher zu machen“.³ Dohm schlug auch als einer der ersten Erziehungstheoretiker die Einführung eines systematischen jüdischen Religionsunterrichtes vor. Den Religionsunterricht wollte Dohm dabei zwar vom Schulunterricht getrennt und unabhängig wissen, dennoch aber sah er die religiöse Unterweisung in der Synagoge auch als Ort der staatsbürgerlichen Erziehung:⁴ Unstreitig würde es auch zur Ausbildung des sittlichen und bürgerlichen Charakters der Juden nützlich seyn, wenn die Regierung dafür sorgte, daß in den Synagogen, neben dem unbeschränkt gelassenen Religionsunterricht, auch zuweilen die reinen und heiligen Wahrheiten der Religion und Sittenlehre der Vernunft, und besonders auch das Verhältniß aller Bürger gegen den Staat und die Würde der Pflichten gegen denselben gelehrt würde.
Ähnliche Ziele verfolgten die von Joseph II. in den Jahren 1781 bis 1790 erlassenen Toleranzpatente für die jüdische Bevölkerung der katholisch geprägten Habs-
Dohm, Christian Wilhelm: Ueber die bürgerliche Verbesserung der Juden. Mit Königl. Preußischem Privilegio. Erster Teil. Berlin – Stettin 1781. S. 120 f., Zitat S. 120. Dohm, Ueber die bürgerliche Verbesserung, S. 122.
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burgermonarchie. Diese setzten neben einer umfassenden Sprachenreform, die Unterricht in der Landessprache mit deutlicher Bevorzugung des Deutschen vorsah, auf die Errichtung jüdischer Schulen nach dem Vorbild des im Habsburgerreich einheitlich geregelten Normalschulsystems oder den Besuch christlicher Schulen.⁵ So beschreibt zum Beispiel das Toleranzpatent für die Juden Wiens und Niederösterreichs das Ziel der Reformen als „die jüdische Nazion hauptsächlich durch bessere Unterrichtung und Aufklärung ihrer Jugend und durch Verwendung auf Wissenschaften, Künste und Handwerke dem Staate nützlicher und brauchbarer zu machen“.⁶ Solche Überlegungen waren von nicht geringem Einfluss auf die Vertreter der Haskala, der jüdischen Aufklärung, die die Frage nach der Transformation jüdischer Erziehung zu einem ihrer Hauptanliegen und zu einem öffentlich diskutierten Thema machten. Dabei entwickelten und realisierten die jüdischen Aufklärer (Maskilim) ihre Erziehungskonzepte in Auseinandersetzung mit pädagogischen, politischen und philosophischen Diskursen ihrer Zeit. So propagierte Hartwig Wessely (auch Naphtali Herz Weisel/Wessely, 1725 – 1805), einer
Für einen Überblick über die Toleranzpatente Joseph II. siehe beispielsweise Hecht, Louise: Toleranzpatente. In: Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur. Hrsg. von Dan Diner. Bd. 6. Stuttgart – Weimar 2015. S. 137−141. Zum jüdischen Schulwesen in der Habsburgermonarchie siehe vor allem: Kestenberg-Gladstein, Ruth: Neuere Geschichte der Juden in den böhmischen Ländern. Erster Teil: Das Zeitalter der Aufklärung 1780 – 1830. Tübingen 1969, S. 41– 65; Hecht, Louise: Konzepte und Praxis der jüdischen Erziehung in der Habsburger Monarchie. Von Isaak Euchel bis Peter Beer. In: Isaac Euchel. Der Kulturrevolutionär der jüdischen Aufklärung. Hrsg. von Marion Aptroot [u. a.]. Hannover 2010. S. 197– 214; dies.: Die Prager deutsch-jüdische Schulanstalt 1782−1848. In: Jüdische Erziehung und aufklärerische Schulreform. Analysen zum späten 18. und 19. Jahrhundert. Hrsg. von Britta L. Behm [u. a.]. Münster – New York – München – Berlin 2002. S. 213 – 252; dies.: „Gib dem Knaben Unterricht nach seiner Weise“ (Spr. 22,6): Theorie und Praxis des modernen jüdischen Schulsystems in der Habsburger Monarchie. In: Jahrbuch der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts 18 – 19 (2004). S. 117– 134; dies.: „Um die Judenschaft in Böhmen […] der bürgerlichen Bestimmung immer näher zu bringen“. Jüdische Schulen und Schulbücher in Böhmen. In: Kommunikation und Information im 18. Jahrhundert. Das Beispiel der Habsburgermonarchie. Hrsg. von Johannes Frimmel und Michael Wörgerbauer. Wiesbaden 2009. S. 265 – 280; dies.: Ein jüdischer Aufklärer in Böhmen. Der Pädagoge und Reformer Peter Beer (1758−1838). Köln 2008. S. 66 – 110; dies.: Zwischen Haskalah und Cheder: Schulen und jüdische Erziehung in den Ländern der Böhmischen Krone. In: Judaica Bohemiae XLVI Supplementum 2011. S. 19 – 35; Sadowski¸ Dirk: Haskala und Lebenswelt. Herz Homberg und die jüdischen deutschen Schulen in Galizien 1782−1806. Göttingen 2010; Manekin, Rachel: The Moral Education of Jewish Youth. The Case of Bne Zion. In: The Enlightenment in Bohemia. Religion, Morality and Multiculturalism. Hrsg. von Ivo Cerman [u. a.]. Oxford 2011. S. 273 – 293, vor allem S. 274– 282. Siehe „1782 Jan. 2. Toleranzpatent“ In: Urkunden und Akten. 1. Abteilung, allgemeiner Teil, 1526−1847 (1849). Hrsg. von Alfred Francis Pribram. Bd. 1. Wien – Leipzig 1918. S. 496.
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der wichtigsten Autoren der Berliner Haskala, sein Programm zur Reform der jüdischen Erziehung, dargelegt in seinem Sendschreiben Divre Schalom we-Emet („Worte des Friedens und der Wahrheit“, 1782, später ergänzt und ausdifferenziert durch drei weitere Sendschreiben), als Reaktion auf die Reformen Joseph II., um diese der jüdischen Bevölkerung der Monarchie nahezubringen.⁷ In diesem Sendschreiben entwarf Wessely eine neue Ordnung der Erziehung von Jungen, die einerseits auf der in der zeitgenössischen Pädagogik so wichtigen Prämisse der Aufklärung beruhte, den Unterricht auf die Fähigkeit der Schüler abzustimmen, und andererseits eine Vermittlung nicht wie bisher nur religiösen, sondern auch säkularen Wissens vorsah. Letzteres strebte er durch eine Teilung des Lehrinhalts in die „Lehre des Menschen“ (Torat ha-Adam) und in die „Lehre Gottes“ (Torat haSchem) an, wobei sein Entwurf davon ausging, mit der Unterweisung in säkularem Wissen (wozu er auch Moral, Sitten- und Benimmlehre zählte) zu beginnen und erst später mit dem Unterricht in Religion einzusetzen. Schon in den ersten modernen erziehungstheoretischen Abhandlungen des deutschsprachigen Judentums wurde also über Umfang und Inhalt der religiösen Erziehung im Judentum diskutiert. Wessely, wie auch andere Theoretiker und Akteure der jüdischen Erziehungsreform, war dabei durchaus von der philanthropistischen Bewegung beeinflusst,⁸ die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die einflussreichste Strömung innerhalb der deutschsprachigen Pädagogik darstellte. Darüber hinaus waren nicht selten die Forderungen von staatlicher Seite von Einfluss für die Ausprägung konkreter pädagogischer Vorhaben, insofern sie auf eine Verflechtung der religiösen Erziehung mit staatsbürgerlicher Räson zielten. Im Zuge der Debatten um die jüdische Erziehung wurden von nichtjüdischer wie jüdischer Seite auch Forderungen nach jüdischen Religionslehrbüchern gestellt. In den Habsburger Ländern war für die jüdischen Kinder zwar kein Religionsunterricht in den staatlichen Schulen vorgesehen, so dass die religiöse Unterweisung der diese Schulen besuchenden Kinder weiterhin in den „Chadarim“, in entstehenden ergänzenden Religionsschulen oder im Privatunterricht
Vermutlich waren die Reformen Joseph II der Anlass, die bereits vorliegende Schrift zu veröffentlichen, siehe: Naphtali Herz Wessely: Worte des Friedens und der Wahrheit. Dokumente einer Kontroverse über Erziehung in der europäischen Spätaufklärung. Hrsg. Von Ingrid Lohmann [u. a.]. Aus dem Hebräischen übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Rainer Wenzel Münster 2014. S. 102 f. Hierzu siehe: Simon, Ernst: Der pädagogische Philanthropinismus und die jüdische Erziehung. In: Jüdische Erziehung und aufklärerische Schulreform. Analysen zum späten 18. und 19. Jahrhundert. Hrsg. von Britta L. Behm, Uta Lohmann und Ingrid Lohmann. Münster – New York – München – Berlin 2002. S. 13 – 65.
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stattfand; vom Unterricht in „Moral“ oder „Rechtschaffenheit“, der als zusätzliches Fach im Curriculum der Schulen stand, und der zur Disziplinierung der Schüler im Sinne des utilitaristischen Staatsbegriffs dienen sollte, waren sie jedoch nicht befreit. So legte zum Beispiel das Toleranzpatent für die Juden Wiens und Niederösterreichs (1782) fest, dass man für den Unterricht in diesem Fach von jüdischer Seite Lehrbücher zu verfassen und „zur Uibersehung und Bestätigung der hiesigen Schuloberaufsicht zu überreichen“⁹ habe. Herz Homberg (1749 – 1841), von der k. k. Studienhofkommission mit der Beschaffung moralisch-religiöser Lehrbücher beauftragt, verlangte für einen „verbesserten Religions- und Moralunterricht“ für Mädchen und Jungen ein systematisches Lehrbuch zur Unterweisung in religiösen Grundlagen, „in welchem ohne alle Einmischung rabbinischer Gelehrsamkeit die Grundwahrheiten der Moral und des Judenthums deutlich und eindringlich vorgetragen werden“.¹⁰ Auch Wessely forderte in seinem für die Entwicklung aufgeklärter jüdischer Pädagogik so einflussreichen Sendschreiben die Einführung von Lehrbüchern für den jüdischen Unterricht. Für die erste religiöse Erziehung sah er dabei ein systematisches Lehrbuch von „Glaubenslehren“ vor, da die Hebräische Bibel zwar das beste Religions- und Morallehrbuch sei, deren Studium im Original für Kinder zunächst aber noch zu schwer sei. Allerdings wollte er Rückbezug und Verbindung zur Bibel durchaus hergestellt wissen, indem biblische Verse als Belegtexte für die einzelnen vorgestellten Glaubenslehren dienen sollten: ¹¹ Daher sollte zuerst ein Buch über Glaubenslehren verfasst werden, an die jeder Jude glauben muss. […] Jeder einzelne Satz ist durch ein in der Tora ausdrücklich niedergelegte Sprichwort zu bekräftigen, welches der Verfasser erläutert, um ihnen die Richtigkeit und die Wahrheit der Sache zu demonstrieren.
Ein auf einem solchen Lehrbuch basierender systematischer Unterricht in Grundlagen der Religion sollte Wessely zufolge als Grundlage zur Glaubenserziehung dienen. Während in der Habsburgermonarchie die Neuordnung des jüdische Erziehungswesen von staatlicher Seite forciert und gelenkt wurde, waren es in den deutschen Landen die Maskilim selbst, die die ersten jüdische Reformschulen Pribram, Urkunden und Akten, Bd. 1, S. 497. Herz Homberg im Anhang zu seinem Lehrbuch Ben Jakir. – Homberg, Naftali Herz: Ben Jakir. Über Glaubenswahrheiten und Sittenlehren für die israelitische Jugend, in Fragen und Antworten eingerichtet. Nebst einem Anhange. Wien 1814. S. 123. Weisel, Naftali Herz [=Wessely]: Divre Schalom we-Emet. Warschau 1886. S. 21 f. (zweite Paginierung); die Übersetzung stammt von Rainer Wenzel in Lohmann [u. a.], Naphtali Herz Wessely: Worte des Friedens und der Wahrheit, S. 127.
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gründeten,¹² in denen die neuen Bildungs- und Erziehungskonzepte umgesetzt wurden. Durch die Neukonzeption des jüdischen Lernens, die eine Orientierung auf säkulare Bildungsinhalte mit einschloss, wandelte sich die religiöse Unterweisung, die einstmals alleiniger und allumfassender schulischer Unterrichtsstoff war, zu einem von anderen Lehrstoffen separierten Lehrgegenstand. Zunächst bestand der Religionsunterricht noch aus unterschiedlichen Fächern wie Hebräisch, Bibelkunde und religiöser Unterweisung, im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde er jedoch sukzessive eingeschränkt, da diese Fächer alsbald zu einem einzigen vereint wurden. Dadurch wurde der Religionsunterricht nicht nur zu einem Lehrgegenstand neben mehreren anderen, es stand auch zunehmend weniger Zeit für dieses Fach zur Verfügung, wodurch sich eine verstärkte Nachfrage nach nicht nur systematischen, sondern auch komprimierten Unterrichtsmaterialien entwickelte. In diesem Spannungsfeld entstanden im ausgehenden 18. Jahrhundert und dem frühen 19. Jahrhundert nicht nur neue jüdische Curricula und sogar Schulgründungen, sondern auch pädagogische Konzepte für die jüdische Religionsbildung, die sehr bald auf die Vermittlung von grundlegenden Religionsprinzipien setzten. Dies hatte zur Folge, dass um die Jahrhundertwende erstmals eine eigene Literatur zur Vermittlung religiösen Wissens für jüdische Kinder entstand und sich im Laufe des frühen 19. Jahrhunderts verschiedene Genres dieser Literatur herausbildeten, wie etwa Kinderbibeln und historische Lehrbücher, Religions- und Sittenlehren oder auch Katechismen. Nicht selten orientierten sich diese Werke an bestehenden Lehrbüchern des christlichen Religionsunterrichtes. Im 19. Jahrhundert erfuhren die jüdischen Lehrmaterialien, auch unter dem Einfluss zunehmender staatlicher Regelungen des jüdischen Unterrichts in den deutschen Landen,¹³ relativ schnell eine weite Differenzierung und umfassten bald ein
Die ersten maskilischen Schulgründungen waren die „Jüdische Freyschule“ in Berlin (1788, gegründet von einem Kreis um Daniel Itzig und David Friedländer), Breslau (1791, „Königliche Wilhelmsschule“), Dessau (1791, gegründet von David Fränkel, ab 1816 die „Herzogliche Franzensschule“), „Religions- und Industrieschule“ in Seesen (1801, gegründet von Israel Jacobson), das „Philanthropin“ in Frankfurt am Main (1804, gegründet von Siegmund Geisenheimer) und die Umwandlung der Talmudschule in Wolfenbüttel in die „Samsonsche Freischule“ (1807 durch Samuel Meier Ehrenberg). Ein Überblick über die Entwicklung maskilischer Schulen findet sich in Eliav, Mordechai: Jüdische Erziehung in Deutschland im Zeitalter der Aufklärung und der Emanzipation. Münster − New York 2001. S. 91−182. Im Jahr 1812 besuchten bei einer Gesamtzahl von ca. 200.000 deutscher Juden ungefähr 900 Jungen und Mädchen maskilischen Schulen. Vgl. Eliav, Jüdische Erziehung, S. 223; ders.: Jüdische Erziehung in Deutschland um Zeitalter der Aufklärung und der Emanzipation. Bulletin des Leo Baeck Instituts 11 (Sonderdruck). Tel Aviv 1960. S. 211. Hierzu siehe z. B. Eliav, Jüdische Erziehung, S. 229−269.
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breites Spektrum, hinsichtlich der Lehrmethodik, etwa von der Katechese bis zur darstellenden Religionslehre sowie hinsichtlich der konfessionellen Ausprägung von reformorientierten bis hin zu orthodoxen und später neo-orthodoxen Lehrbüchern. Eingesetzt wurden diese Bücher in Schulen, aber auch im Hausunterricht und in der freiwilligen Lektüre, in ergänzenden Religionsschulen und im Bar-Mitzwa- sowie im Konfirmandenunterricht. In der Entwicklungsgeschichte dieser Werke im 19. Jahrhundert lassen sich relativ klare gemeinsame Linien erkennen: Rasch entstand zum einen eine Tendenz, jüdische Religion als Geschichte (Geschichte der Bibel und Geschichte des jüdischen Volkes) und als Unterricht in Glaubensgrundlagen oder gar „Dogmen“ zu lehren. Zum anderen wurde der Religionsunterricht aber auch für soziale Bildung genutzt. Vor allem in seinen spätaufklärerischen Anfängen war der Religionsunterricht daher beispielsweise ein Mittel, um jüdische Erziehung auch als eine Erziehung zum Staatsbürger zu fassen. Dieser Schwerpunkt setzte sich in abgeschwächter Form durch das ganze 19. Jahrhundert hindurch fort, wie unter anderem daran zu erkennen ist, dass kaum ein Werk der deutschsprachigen jüdisch-religiösen Erziehung dieser Zeit ohne Hinweise auf bürgerliche Pflichten und eindeutige Aufforderungen zum Patriotismus auskommt. Eine weitere markante Eigenschaft dieser Werke war es von Anbeginn an, Religion als eine Praxis moralischer Ethik zu verstehen und den Religionsunterricht damit vornehmlich als Unterricht in Moral- und Sittenlehre auszugestalten. Dabei treten klassische Elemente der vormodernen religiösen Alltagspraxis, die durch die Halacha in allen Lebensbereichen geprägt war, in den Hintergrund,¹⁴ und Religion wurde als universale moralische Praxis verstanden, die meist in bürgerliche Wert- und Tugendsysteme und sogenannte „Pflichtenlehre“ gefasst wurde. Einher ging damit eine Individualisierung der religiösen Praxis, die ihren Sinn nun nicht mehr in der Erfüllung halachischer Bestimmungen suchte, sondern vielmehr das subjektive Erlebnis des nach Erbauung und Erhebung strebenden Individuums in den Vordergrund stellte. Jüdische religiöse Literatur für Kinder war also zum Zeitpunkt ihrer Entstehung und durch das ganze 19. Jahrhundert wesentlich von einer Entwicklung geprägt, die weit über den unmittelbaren Kontext der religiösen Wissensvermittlung hinausging und auf religiöse wie soziale Modernisierung setzte, und hatte damit einen wesentlichen Anteil an der Entwicklung eines sich als modern verstehenden Judentums bürgerlicher Façon. Als Erziehungsmittel trugen religiös
Zu dieser Tendenz siehe Gotzmann, Andreas: The Dissociation of Religion and Law in Nineteenth-Century German-Jewish Education. In: Leo Baeck Institute Year Book 43,1 (1998). S. 103−126.
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belehrende Schriften einen wichtigen Teil zum Sozialisierungsprozess bei und spielten eine bedeutende Rolle beim Ausbalancieren eines modernen jüdischen Selbstverständnisses im Spannungsfeld von Tradition, Emanzipation, Akkulturation und Verbürgerlichung. Gerade dadurch aber sind diese Werke wichtige Quellen für die Transformationen, welche die jüdische Bevölkerung in den deutschsprachigen Ländern durchlief, insofern sie uns ermöglichen, praktische Umsetzung und Vermittlung neuer Diskurse und Wertvorstellungen zu identifizieren und die religiösen Wandlungsprozesse vor diesem Hintergrund zu rekonstruieren. Allerdings steht eine diesbezügliche Erfassung, Auswertung und Analyse dieses Korpus noch am Anfang. Trotz wertvoller Grundlagenforschung¹⁵ und Quelleneditionen¹⁶ zur jüdischen Erziehungs- und Bildungsgeschichte der Moderne hat sich die Forschung bislang vor allem auf die Erforschung von Institutionen der jüdischen Erziehung¹⁷ oder das Wirken einzelner Erziehungsreformer
So z. B. Fishman, Isidore: The History of Jewish Education in Central Europe. From the End of the Sixteenth to the End of the Eighteenth Century. London 1944; Eliav, Jüdische Erziehung; Simon, Der pädagogische Philanthropinismus. Hier vor allem: Lohmann, Ingrid [u. a.] (Hrsg.): Chevrat Chinuch Nearim. Die jüdische Freischule in Berlin (1778−1825) im Umfeld preußischer Bildungspolitik und jüdischer Kultusreform. Eine Quellensammlung. 2 Bände. Münster –New York – München – Berlin 2001; Lohmann, Uta und Ingrid Lohmann (Hrsg.): „Lerne Vernunft!“. Jüdische Erziehungsprogramme zwischen Tradition und Modernisierung. Quellentexte aus der Zeit der Haskala, 1760 −1811. Münster – New York – München – Berlin 2005; Lohmann, Ingrid [u. a.] (Hrsg.): Naphtali Herz Wessely: Worte des Friedens und der Wahrheit. So z. B. Prestel, Claudia: Jüdisches Schul- und Erziehungswesen in Bayern 1804−1933. Tradition und Modernisierung im Zeitalter der Emanzipation. Göttingen 1989; Reinke, Andreas: Zwischen Tradition, Aufklärung und Assimilation. Die Königliche Wilhelmsschule in Breslau 1791−1848. In: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 43,3 (1991). S. 193 – 214; Lohmann, Uta und Peter Diedrich: „Daß die Kinder aller Confessionen sich kennen, ertragen und lieben lernen.“ Die jüdische Freischule in Berlin zwischen 1778 und 1825. In: Dialog zwischen den Kulturen. Erziehungshistorische und religionspädagogische Gesichtspunkte interkultureller Bildung. Hrsg. von Ingrid Lohmann und Wolfram Weiße. Münster – New York – München – Berlin 1994. S. 37−47; Eliav, Jüdische Erziehung, S. 91−182; 270−307; Dietrich, Peter: Die Rolle des preußischen Staates bei der Reform des jüdischen Schulwesens. Handlungsstrategien der preußischen Verwaltung gegenüber der jüdischen Freischule in Berlin (1778−1825) und der Königlichen Wilhelmsschule in Breslau (1791−1848). In: Jüdische Erziehung und aufklärerische Schulreform. Analysen zum späten 18. und 19. Jahrhundert. Hrsg. von Britta Behm [u. a.]. Münster – New York – München – Berlin 2002. S. 167– 212; Feiner, Shmuel: Erziehungsprogramme und gesellschaftliche Ideale im Wandel. Die Freischule in Berlin, 1778−1825. In: Jüdische Erziehung und aufklärerische Schulreform, S. 69 – 105; Hecht, Louise: „Gib dem Knaben Unterricht nach seiner Weise“ (Spr. 22,6): Theorie und Praxis des modernen jüdischen Schulsystems in der Habsburger Monarchie. In: Jahrbuch der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des
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und Pädagogen¹⁸ beschränkt. Religiöse Lehrbücher wurden dabei nur in wenigen Einzelstudien untersucht;¹⁹ jenseits der Erziehungsschrift von Naphtali Herz Weisel/Hartwig Wessely²⁰ waren auch religiöse Bildungskonzepte nur gelegentlich Gegenstand der Forschung, und der Einfluss der christlichen Religionspädagogik auf Konzepte und Umsetzung jüdischer religiöser Unterweisung wurde nur peripher thematisiert, wenn überhaupt.²¹
18. Jahrhunderts 18 – 19 (2004). S. 117– 134; dies.: „Um die Judenschaft in Böhmen […] der bürgerlichen Bestimmung immer näher zu bringen“. Jüdische Schulen und Schulbücher in Böhmen. In: Kommunikation und Information im 18. Jahrhundert. Das Beispiel der Habsburgermonarchie. Hrsg. von Johannes Frimmel und Michael Wögerbauer. Wiesbaden 2009. S. 265 – 280; dies.: Zwischen Haskalah und Cheder. Schulen und jüdische Erziehung in den Ländern der Böhmischen Krone. In: Judaica Bohemiae XLVI Supplementum 2011. S. 19 – 35; Blichmann, Annika: Die Freischule Berlin als Beispiel jüdischer Aufklärung. In: Pädagogische Kultur des Judentums als moderne Tradition. Hrsg. von Annika Blichmann und Karsten Kenklies. Paderborn 2016. S. 37– 48; Reupke, Beate: Jüdisches Schulwesen zwischen Tradition und Moderne. Die Hascharath Zwi Schule in Halberstadt (1796−1942). Berlin 2017. Hecht, Ein jüdischer Aufklärer; Sadowski, Haskala und Lebenswelt. Einen kursorischen Überblick geben Levi, Hermann: Lehrbuch und Jugendbuch im jüdischen Erziehungswesen des 19. Jahrhunderts in Deutschland. Versuch einer entwicklungsgeschichtlichen Darstellung nach Inhalt und Methode. Dissertation. Köln 1933; Petuchowski, Jakob J.: Manuels and Catechisms of the Jewish Religion in the Early Period of Emancipation. In: Studies in Nineteenth-Century Jewish Intellectual History. Hrsg. von Alexander Altmann. Cambridge (MA) 1964. S. 47– 64; Gotzmann, The Dissociation of Religion and Law; Krone, Kerstin von der: Ordnungen religiösen Wissens. Tora und Bibel in jüdischen Religionslehrbüchern des 19. Jahrhunderts. In: Deutsch-jüdische Bibelwissenschaft. Historische, exegetische und theologische Perspektiven. Hrsg. von Daniel Vorpahl [u. a.]. Berlin – Boston 2019. S. 93 – 111. Einzelne Lehrbücher untersuchen: Wenzel, Rainer: Judentum und „bürgerliche Religion“. Religion, Geschichte, Politik und Pädagogik in Herz Hombergs Lehrbüchern. In: Jüdische Erziehung und aufklärerische Schulreform. Analysen zum späten 18. und 19. Jahrhundert. Hrsg. von Britta Behm [u. a.]. Münster – New York – München – Berlin 2002. S. 307– 334; HaCohen, Ran: Biblische Geschichten für jüdische Kinder. In: Deutsch-jüdische Kinder- und Jugendliteratur. Ein literaturgeschichtlicher Grundriß. Hrsg. von Annegret Völpel und Zohar Shavit. Stuttgart 2002. S. 69 – 84; Salzer, Dorothea M.: Zweisprachige jüdische Kinderbibeln. Oder: Wie die Maskilim die Hebräische Bibel für jüdische Kinder übersetzten. In: trans-lation – trans-nation – trans-formation. Übersetzen und jüdische Kulturen. Hrsg. von Petra Ernst [u. a.]. Innsbruck 2012. S. 65 – 104; dies.: Adam, Eve, and Jewish Children. Rewriting the Creation of Eve for the Jewish Young at the Beginning of Jewish Modernization. In: Jewish Quarterly Review 106,3 (2016). S. 396 – 411. Siehe die umfangreich kommentierte und kontextualisierte Übersetzung von Wesselys vier Sendschreiben: Lohmann, Naphtali Herz Wessely: Worte des Friedens und der Wahrheit. Ran HaCohen und Dorothea M. Salzer untersuchen die jüdische Adaption einer christlichen Kinderbibel: HaCohen, Ran: A Christian Bible for Jewish Children. In: Jewish Studies Quarterly 14,2 (2007). S. 198−206; Salzer, Dorothea M.: „Das alte Gebäude fast einzureißen und von demselben Material wieder aufzustellen“. Jüdische Kinderbibeln als Übersetzungszeugnisse. In: transversal 10,2 (2009). S. 41– 58.
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Zum vorliegenden Band Die Bedeutung jüdischer Kinder- und Jugendliteratur und des jüdischen Religionsunterrichtes in der Aufklärungszeit und im 19. Jahrhundert für den Kulturtransfer sowie der dabei prägende Einfluss der deutschen und christlichen Pädagogik und deren Kinder- und Jugendliteratur sind in der Forschung unstrittig.²² Selten aber wird näher erläutert, wie sich dieser Kulturtransfer konkretisierte, und in welcher Weise sich der Einfluss Geltung verschaffte. Im vorliegenden Band wird diesen Fragen nachgeforscht, auf der Makro- wie auf der Mikroebene. Zum einen werden dabei die Entwicklungen in der christlichen Pädagogik der Spätaufklärung in den Blick genommen und als die im Hintergrund der Entwicklung moderner jüdischer Religionserziehung stehenden Diskurse der zeitgenössischen deutschsprachigen Gesellschaft konturiert (Sparn, Lambrecht). Zum anderen wird die Rezeption und Transformation dieser Gedanken im Zuge einer jüdischen Diskussion über Erziehung im Allgemeinen und religiöse Erziehung im Besonderen dargestellt. Dabei werden theoretische Konzeptionen jüdischen Lehrens und Lernens untersucht (Lohmann, Hecht), spezifische jüdische Lehrbücher als praktische Umsetzung pädagogischer Konzeptionen analysiert (Sadowski, Salzer, Zwiep), und unterhaltende Kinder- und Jugendliteratur als Medium der religiösen Unterweisung dargestellt (Shavit, Völpel). Der zeitliche Rahmen, den diese Beiträge abdecken, bewegt sich von den 1780er-Jahren (Sparn, Lambrecht, Lohmann), über das Ende des Jahrhunderts (Salzer) und das frühe 19. Jahrhundert (Shavit, Hecht) sowie die Entwicklung über das 19. Jahrhundert hinweg (Zwiep) bis in die 1930er-Jahre (Völpel); ergänzt wird er durch einen Rückblick auf die vormoderne jüdische Erziehung (Sadowski). Regional kommen dabei vor allem Halle und Berlin (Sparn, Lohmann, Völpel), Wien (Lambrecht), Prag (Salzer, Hecht) und Breslau (Shavit) sowie die Niederlande (Zwiep) in den Blick, es werden also sowohl bekannte Zentren der Aufklärung und der Haskala beleuchtet (Halle, Berlin), als auch Protagonisten und Orte aufgesucht, die in der Forschung gerne zur Peripherie der Aufklärung gezählt werden (Prag, Breslau und zu Teilen auch Wien). Mit den Niederlanden kommt ein Land und eine jüdische Bevölkerung in den historischen Fokus, die bislang nur allzu selten in Zusam-
Siehe z. B. Eliav, Jüdische Erziehung, S. 211; 331; 338 f.; 411 f.; Völpel, Annegret: Entwicklung der Lehrschriften und Entstehung deutschsprachiger erzählender Kinder- und Jugendliteratur im frühen 19. Jahrhundert. In: Deutsch-jüdische Kinder- und Jugendliteratur. Ein literaturgeschichtlicher Grundriß. Hrsg. von Annnegret Völpel und Zohar Shavit. Stuttgart 2002. S. 85−156, S. 91−95.
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menhang mit der Entwicklung jüdischer Pädagogik in den deutschsprachigen Gebieten Europas gebracht wurden. Walter Sparn geht in seinem Beitrag Wie aus Kindern Christen werden. Die pädagogische Reform des 18. Jahrhunderts im Kontext frommer Aufklärung einer grundlegenden Perspektive des aufklärerischen Verständnisses von Erziehung nach, nämlich der Prämisse, Menschen könnten erst durch Erziehung und Bildung ihrer „Bestimmung“ gerecht werden. Hierfür nimmt er die religiöse christliche Erziehung und ihre Transformation durch Aufklärung und Neologie, die religiöse Aufklärungsbewegung im Protestantismus, in den Blick und analysiert, wie unter dem Vorzeichen eines neuen auf der Vorstellung der sittlichen Verbesserungsfähigkeit (Perfektibilität) beruhenden Menschenbildes versucht wurde, religiöse Erziehung in eine allgemeine Erziehung einzubetten. Er hält fest, dass Religion dadurch „zum Teilziel einer allgemeinen Bildungsaufgabe“ geworden sei, deren Ziel darin gelegen habe, die Kinder zur lebenslangen Selbstbildung zu befähigen. Dies habe bedeutet – für Christen wie Juden gleichermaßen – dass der Religionsunterricht als Ort der Ausbildung einer spezifischen Religiosität wie auch einer „gemeinsamen Humanität“ gefasst wurde. Karen Lambrecht stellt in ihrem Beitrag „Kompatible Katechese?“ – Zum Erfolg der Lehrart Johann Ignaz von Felbigers (1724−1788) eine Schlüsselfigur der aufgeklärten Erziehungsreformen vor. Dabei geht sie der Frage nach, weshalb und auf welche Weise die von dem katholischen Abt Felbiger entworfenen pädagogischen Reformen, die sogenannte „Saganische Lehrart“, „anpassungsfähig und kompatibel“ war und inwiefern sie Grundsteine der „transkonfessionellen Verbreitung“ und des Kulturtransfers legte. Der Beitrag weist aus, inwiefern Felbigers Schulreform selbst bereits auf einem Kulturtransfer beruhte, da sie auf Erziehungsmethoden und Lehrbüchern protestantischer Pädagogik aufbaute, die der Abt offiziell freilich nicht offenlegte − wie Lambrecht vermutet, aus Angst, seine „konfessionelle Reputation“ zu verlieren. Felbiger sorgte aber zudem für eine weite Verbreitung seiner Werke über kulturelle Grenzen hinweg, indem er zweisprachige Ausgaben seiner Lehrbücher anfertigen ließ, die in Ostmitteleuropa weiter verbreitet wurden und auch zur Grundlage für Lehrwerke in verschiedenen weiteren Sprachen dieses geografischen Raumes wurden. Uta Lohmann umreißt in ihrem Aufsatz Von den Bildungsentwürfen zur Buchproduktion der Berliner Haskala. Der „Israelitische Kinderfreund“ von Moses Hirsch Bock zunächst den Bildungsbegriff der Maskilim. Sie beleuchtet diesen besonders unter dem Aspekt der Perfektibilität, und ihr Beitrag wendet sich insofern einer jüdischen Perspektive auf diese bereits im Beitrag von Walter Sparn angesprochene Thematik zu. Vor dem Hintergrund maskilischer Bildungentwürfe zeichnet Lohmann nach, welche Erwartungen und Anforderungen die maskilischen Pädagogen an ein Lehrbuch stellten, und beschreibt das Konzept als das
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eines Werkes für den „komplementären Sprach-, Gesinnungs- und Wissenserwerb“. In der Folge stellt sie dar, wie sich diese Ansprüche in Moses Hirsch Bocks „Israelitischer Kinderfreund“ als einem prominenten Vertreter solcher Lehrwerke sowie im Schulbuchprogramm der zur jüdischen Freischule in Berlin gehörenden „Orientalischen Buchdruckery“ konkretisierten. Deutlich vom aufklärerischen Bildungsbegriff und der Pädagogik dieser Zeit beeinflusst ist auch das Konzept einer jüdischen Gemeinschaftsschule für Sechsbis Fünfzehnjährige, das der angesehene Prager Aufklärer Juda Jeitteles (1773−1838) in seiner erziehungstheoretischen Schrift „Devarim Nekhochim“ („Redliche Worte“, 1810/1828) entwarf. Louise Hecht stellt in ihrem Beitrag Die Reform der Haskala. Moderne Bildungskonzepte in Juda Jeitteles’ „Redlichen Worten“ diesen Entwurf ausführlich in seinem historischen Kontext dar, der unter anderem markant durch die Rekonfessionalisierung des Habsburger Primarschulwesens geprägt war. Hecht zeigt, dass Jeitteles mit seiner Schrift das Ansehen der öffentlichen Schulen heben wollte, welche er als Begegnungsort verschiedener Schichten entworfen und letztendlich darauf abgezielt habe, „ein harmonisches Gesellschaftsmodell“ zu entwickeln. Im Vergleich mit Naphtali Herz Wesselys (1725−1805) programmatischer Erziehungsschrift Divre Schalom we-Emet (1782) wird zudem deutlich, dass Jeitteles sich in geradezu programmatischer Weise von letzterem abzugrenzen versuchte, indem er zum Beispiel das Talmudstudium nicht wie von Wessely vorgesehen aus dem Elementarunterricht verbannte, sondern es in einer Form in den Unterricht zu integrieren versuchte, die sich mit bürgerlichen Moralvorstellungen der Zeit traf. Vor dem Hintergrund dieser Analyse kommt Louise Hecht zu dem Schluss, dass Jeitteles mit seinem Erziehungsprogramm weniger auf ein Schulmodell abzielte, in dem sich religiöse und säkulare Lerninhalte miteinander verbanden, als vielmehr eine modernisierte Form des Cheder-Unterrichts etablieren wollte. Wie sich die Kritik an traditionellen Lehrinhalten und das Bemühen um neu ausgerichtete und strukturierte Vermittlung jüdischen Wissens bereits in der frühen jüdischen Aufklärung auch im Korpus gedruckter Werke niederschlugen, untersucht Dirk Sadowski in seinem Beitrag Neues Wissen, Lernmedien und pädagogische Motive im Werk eines frühmaskilischen hebräischen Druckers mit Fokus auf Israel bar Avrahams Druckerei in Jeßnitz (Anhalt-Dessau). Dabei verdeutlicht der Autor anhand der dort entstandenen Werke, dass bereits in der frühen Haskala „eine ausgeprägte pädagogische Agenda“ zu beobachten sei, die einen signifikanten Schwerpunkt auf das gelehrte Bibelstudium und die gründliche Kenntnis der hebräischen Sprache gelegt habe. Besondere Aufmerksamkeit widmet Sadowski zwei Büchern, nämlich einem Lernwortschatz, dem „Sefer Chinnuch Katan“ („Buch der Erziehung des Minderjährigen“); sowie den Jeßnitzer Ausgaben des in der Forschung generell als erster jüdischer Katechismus ange-
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sehenen „Sefer Lekach Tov“ („Gute Lehre“) des italienischen Gelehrten Avraham Jagel. Dessen Bedeutung innerhalb des frühmaskilischen Diskurses sieht Sadowski in seiner transformativen Funktion, die darauf ausgerichtet gewesen sei, mit „klar strukturierten Glaubensprinzipien und leicht verständlichen Erklärungen“ ein „Korrektiv gegen die Dominanz des Pilpuls“ zu bieten. In ihrem Beitrag Peter Beers Dekalogkommentar im „Sefer Toledot Israel“ (1796) und seine christlichen Vorlagen rückt Dorothea M. Salzer die erste jüdische Kinderbibel in den Blickpunkt des Interesses: Peter Beers „Sefer Toledot Israel“ („Geschichte Israels“, Prag 1796). Die Autorin zeigt, dass Beer für dieses frühe Lehrbuch, das unter maskilischem Einfluss entstand und vordergründig für den Cheder-Unterricht gedacht war, eine komprimierte und systematische jüdische Religionslehre entwarf, die er in seinem Kommentar zum Dekalog darlegte. Der Text ist stark an katholischen Religionslehrbüchern orientiert, die Beer teilweise wörtlich kopierte, darunter solche von Ignatz Felbiger, dem bedeutenden habsburgischen Schulrefomer, den Karen Lambrecht in ihrem Beitrag vorstellt. Salzer rekonstruiert Beers Translationsstrategien, wobei einerseits plastisch wird, wie Beer aus einem katholischen Text einen jüdischen machte und sich dabei bei der Auswahl seiner Vorlagen von hegemonialen Strukturen der Habsburgermonarchie leiten ließ. Andererseits knüpfte Beer aber gleichzeitig an aufklärerische Religionsdiskurse an, wie sie v. a. im Rahmen der protestantischen Neologie und der daraus entstandenen Religionspädagogik vertreten wurden (zu letzteren siehe den Beitrag von Walter Sparn). Irene Zwieps Beitrag Hyphenated Histories. Teaching the Past and the Making of the Modern Dutch Israelite erweitert den Blick über die Grenzen des deutschsprachigen Raumes hinaus und bietet Einblicke in die niederländischen Erziehungskonzeptionen jüdischer Kinder. Auf der Grundlage eingehender Untersuchungen von fünf Werken aus dem Zeitraum 1830 – 1850 identifiziert die Autorin die Verquickung von Ethik und Geschichtserzählung als ein wesentliches Merkmal historischen Lehrbücher für jüdische Kinder in den Niederlanden. Deren primäres Ziel sei es gewesen, ein Bewusstsein für die Geschichte des Judentums zu vermitteln, wobei die jüdischen Historiker der ersten Generation vor allem von zwei Einflüssen geprägt gewesen seien, nämlich einerseits von einer universalistisch geprägten aufklärerischen Geschichtsschreibung, die moralische Deutungsparadigmen bevorzugte und darauf ausgerichtet war, ein unumstößliches Vertrauen in das göttliche Wirken zu erreichen, und andererseits durch ein Verständnis jüdischer Kultur nach dem Zuschnitt der deutschen „Wissenschaft des Judentums“. Die didaktischen Herangehensweisen dieser Autoren hätten zwar durchaus variiert, sie alle aber hätten mit der Kombination traditioneller und moderner Angaben auf die Entwicklung einer neuen Diskursform abgezielt,
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welche das vielschichtige Selbstverständnis jüdischer Niederländer bestätigen sollte. Zohar Shavit widmet der verbreitetsten pädagogischen Strömung des 18. Jahrhunderts, dem Philanthropismus, eine detaillierte Darstellung und beschreibt, inwiefern die Erziehungskonzepte der Maskilim von diesem geprägt waren. Die Autorin verbindet diese Darstellung mit einer Analyse der hebräischen Übersetzungen von Joachim Heinrich Campes (1746−1818) Robinson der Jüngere. Ein Lesebuch für Kinder (2 Bände, 1779 bzw. 1780), eines Bestsellers der deutschen aufgeklärten Kinder- und Jugendliteratur, das von seinem Autor durchaus auch als religionspädagogisches Werk entworfen worden war.²³ Shavit demonstriert, wie David Samosc (auch Samostz oder Samoscz, 1789 – 1864) seine 1824 veröffentlichte Übersetzung als Medium der Verbreitung bürgerlicher Werte unter jüdischen Lesern nutzte, v. a. hinsichtlich Bildungsbegriff, Familienkonzeption und Bürgerpflichten. Vergleiche von Samoscʼ Übersetzung mit späteren hebräischen Übertragungen desselben Werkes schärfen die Konturen dieser Rekonstruktion. Der Aufsatz macht damit am Detail deutlich, auf welche Art und Weise die Maskilim sich sprachlicher und kultureller Übersetzungen nicht nur bedienten, um den Kanon der hebräischen Literatur zu erweitern, sondern auch um ihre eigenen Ideale in Bezug auf ein zeitgemäßes Judentum zu propagieren. Annegret Völpel untersucht in ihrem Beitrag Religiöse Erziehung in Szene gesetzt: Chanukka-Kinderschauspiele Dramen, die für die Aufführung zum Chanukkafeiern verfasst wurden. Sie deutet diese als „rituell wiederholte, sozial stabilisierende Reaktualisierung der religiösen Überlieferung“ und damit als Instrument einer religiösen Selbstvergewisserung. In einer kurzen Literaturgeschichte dieser Chanukkadramen stellt die Autorin dar, wie sich in ihnen inter- und binnenkulturelle Elemente zu einer hybriden Form unterhaltsamer Religionsunterweisung verbanden. In der Zwischenkriegszeit des 20. Jahrhunderts wurden zunehmend auch die Kritik politischer Entwicklungen sowie als zu stark empfundene Anpassungstendenzen auf jüdischer Seite zum Thema. Die Beiträge zeigen auf, wie zeitgenössische Diskurse, die zunächst außerhalb des Judentums geführt wurden, ihren Weg in die innerjüdischen Diskussionen zum Thema fanden. Dabei aber ging es nicht darum, diese Diskurse unhinterfragt, unverändert und in assimilatorischem Grundton zu übernehmen, vielmehr wurden sie transformiert, kulturell übersetzt und entfalteten nicht selten ihre Wir-
Hierzu siehe Steinlein, Rüdiger: „Aufgeklärte Gottesfurcht“ – das Gott-Vater-Paradigma als religionspädagogisches und wirkungsästhetisches Prinzip erzählender Kinder- und Jugendliteratur der Aufklärung (am Beispiel von J. H. Campes „Robinson der Jüngere!“). In: Zeitschrift für Germanistik Neue Folge 4,1 (1994). S. 7– 23, S. 7.
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kung vor allem als innovatives Movens vorfindlicher innerjüdischer Diskurse, Positionen und Selbstbestimmungsprozesse. Der vorliegende Band ging aus einem Kongress hervor, der im Rahmen der Sigi-Feigel-Gastprofessur an den Universitäten von Zürich und Basel im Sommersemester 2016 von der Herausgeberin gemeinsam mit Sarah Werren unter dem Titel „Wie aus Kindern Juden werden: Religiöse Erziehung im Kontext von Haskala und Emanzipation“ in Zürich veranstaltet wurde. Schließen möchte ich daher mit Dank an all jene, die mir als Inhaberin dieser Gastprofessur eine fruchtbare und inspirierende Tätigkeit ermöglicht haben: der „Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz“ und der „Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus“ sowie meinen Kolleg:innen in Zürich und Basel. Unter diesen gilt Sarah Werren mein besonderer Dank: Ihre tatkräftige, kompetente und freundschaftliche Unterstützung hat mich durch das ganze Semester begleitet und erfreut und auch die kurzfristige Kongressorganisation überhaupt erst ermöglicht. Danken möchte ich auch der René und Susanne Braginsky Stiftung (Zürich), dem Zürcher Universitätsverein und der Georges und Jenny Bloch Stiftung für die finanzielle Unterstützung des Kongresses. Alfred Bodenheimer danke ich für den Titel „Wie aus Kindern Juden werden“, und allen Beitragenden danke ich für ihre Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit dem Thema. Den Herausgebern der „Europäisch-jüdischen Studien“ schließlich gilt mein Dank für die Aufnahme in die Reihe, Werner Treß für die freundliche Betreuung und Sabine Schröder für das äußerst kompetente Lektorat der Manuskripte.
Literatur Brüggemann, Theodor und Hans-Heino Ewers (Hrsg.:): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. Von 1750 bis 1800. Stuttgart 1982. Dietrich, Peter: Die Rolle des preußischen Staates bei der Reform des jüdischen Schulwesens. Handlungsstrategien der preußischen Verwaltung gegenüber der jüdischen Freischule in Berlin (1778−1825) und der Königlichen Wilhelmsschule in Breslau (1791−1848). In: Jüdische Erziehung und aufklärerische Schulreform. Analysen zum späten 18. und 19. Jahrhundert. Hrsg. von Britta Behm, Uta Lohmann und Ingrid Lohmann. Münster – New York – München – Berlin 2002. S. 167 – 212 Dohm, Christian Wilhelm, Ueber die bürgerliche Verbesserung der Juden. Mit Königl. Preußischem Privilegio. Erster Teil. Berlin – Stettin 1781. Eliav, Mordechai: Jüdische Erziehung in Deutschland um Zeitalter der Aufklärung und der Emanzipation. Bulletin des Leo Baeck Instituts 11 (Sonderdruck). Tel Aviv 1960. Eliav, Mordechai: Jüdische Erziehung in Deutschland im Zeitalter der Aufklärung und der Emanzipation. Münster − New York 2001. Fishman, Isidore: The History of Jewish Education in Central Europe. From the End of the Sixteenth to the End of the Eighteenth Century. London 1944.
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Gotzmann, Andreas: The Dissociation of Religion and Law in Nineteenth-Century German-Jewish Education. In: Leo Baeck Institute Yearbook 43,1 (1998). S. 103−126. HaCohen, Ran: A Christian Bible for Jewish Children. In: Jewish Studies Quarterly 14,2 (2007). S. 198−206. HaCohen, Ran: Biblische Geschichten für jüdische Kinder. In: Deutsch-jüdische Kinder- und Jugendliteratur. Ein literaturgeschichtlicher Grundriß. Hrsg. von Annegret Völpel und Zohar Shavit. Stuttgart: J. B. Metzler 2002. S. 69 – 84. Hecht, Louise: Die Prager deutsch-jüdische Schulanstalt 1782−1848. In: Jüdische Erziehung und aufklärerische Schulreform. Analysen zum späten 18. und 19. Jahrhundert. Hrsg. von Britta L. Behm, Uta Lohmann und Ingrid Lohmann. Münster – New York – München – Berlin 2002. S. 213 – 252. Hecht, Louise: ‘Gib dem Knaben Unterricht nach seiner Weise’ (Spr. 22,6): Theorie und Praxis des modernen jüdischen Schulsystems in der Habsburger Monarchie. In: Jahrbuch der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts. 18 – 19 (2004). S. 117 – 134. Hecht, Louise: Ein jüdischer Aufklärer in Böhmen. Der Pädagoge und Reformer Peter Beer (1758−1838). Köln 2008. Hecht, Louise: ‚Um die Judenschaft in Böhmen […] der bürgerlichen Bestimmung immer näher zu bringen‘. Jüdische Schulen und Schulbücher in Böhmen. In: Kommunikation und Information im 18. Jahrhundert. Das Beispiel der Habsburgermonarchie. Hrsg. von Johannes Frimmel und Michael Wögerbauer. Wiesbaden 2009. S. 265 – 280. Hecht, Louise: Konzepte und Praxis der jüdischen Erziehung in der Habsburger Monarchie. Von Isaak Euchel bis Peter Beer. In: Isaac Euchel. Der Kulturrevolutionär der jüdischen Aufklärung. Hrsg. von Marion Aptroot, Andreas Kennecke und Christoph Schulte. Hannover 2010. S. 197 – 214. Hecht, Louise: Zwischen Haskalah und Cheder: Schulen und jüdische Erziehung in den Ländern der Böhmischen Krone. In: Judaica Bohemiae XLVI Supplementum 2011. S. 19 – 35 Hecht, Louise: Toleranzpatente. In: Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur. Hrsg. von Dan Diner. Bd. 6. Stuttgart – Weimar 2015. S. 137−141. Homberg, Naftali Herz: Ben Jakir. Über Glaubenswahrheiten und Sittenlehren für die israelitische Jugend, in Fragen und Antworten eingerichtet. Nebst einem Anhange. Wien 1814. Kestenberg-Gladstein, Ruth: Neuere Geschichte der Juden in den böhmischen Ländern. Erster Teil: Das Zeitalter der Aufklärung 1780 – 1830. Tübingen 1969. Krone, Kerstin von der: Ordnungen religiösen Wissens. Tora und Bibel in jüdischen Religionslehrbüchern des 19. Jahrhunderts. In: Deutsch-jüdische Bibelwissenschaft Historische, exegetische und theologische Perspektiven. Hrsg. von Daniel Vorpahl, Sophia Kähler und Shani Tzoref. Berlin – Boston: de Gruyter. 2019. S. 93 – 111. Levi, Hermann: Lehrbuch und Jugendbuch im jüdischen Erziehungswesen des 19. Jahrhunderts in Deutschland. Versuch einer entwicklungsgeschichtlichen Darstellung nach Inhalt und Methode. Dissertation. Köln 1933. Lohmann, Ingrid und Uta Lohmann (Hrsg.): Chevrat Chinuch Nearim. Die jüdische Freischule in Berlin (1778−1825) im Umfeld preußischer Bildungspolitik und jüdischer Kultusreform. Eine Quellensammlung. 2 Bände. Münster –New York – München – Berlin 2001. Lohmann, Ingrid, Rainer Wenzel und Uta Lohmann (Hrsg.): Naphtali Herz Wessely Worte des Friedens und der Wahrheit. Dokumente einer Kontroverse über Erziehung in der
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europäischen Spätaufklärung. Herausgegeben, eingeleitet und kommentiert von Ingrid Lohmann. Aus dem Hebräischen übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Rainer Wenzel. Münster – New York 2014. Lohmann, Uta und Peter Diedrich: „Daß die Kinder aller Confessionen sich kennen, ertragen und lieben lernen.“ Die jüdische Freischule in Berlin zwischen 1778 und 1825. In: Dialog zwischen den Kulturen. Erziehungshistorische und religionspädagogische Gesichtspunkte interkultureller Bildung. Hrsg. von Ingrid Lohmann und Wolfram Weisse. Münster – New York – München – Berlin 1994. S. 37−47. Lohmann, Uta und Ingrid Lohmann (Hrsg.): „Lerne Vernunft!“. Jüdische Erziehungsprogramme zwischen Tradition und Modernisierung. Quellentexte aus der Zeit der Haskala, 1760 −1811. Münster – New York – München – Berlin 2005. Manekin, Rachel: The Moral Education of Jewish Youth. The Case of Bne Zion. In: The Enlightenment in Bohemia. Religion, Morality and Multiculturalism. Hrsg. von Ivo Cerman, Rita Krueger und Susan Helen Reynolds. Oxford 2011. S. 273 – 293. Petuchowski, Jakob J.: Manuels and Catechisms of the Jewish Religion in the Early Period of Emancipation. In: Studies in Nineteenth-Century Jewish Intellectual History. Hrsg. Von Alexander Altmann. Cambridge, Mass. 1964. S. 47 – 64. Prestel, Claudia: Jüdisches Schul- und Erziehungswesen in Bayern 1804−1933. Tradition und Modernisierung im Zeitalter der Emanzipation. Göttingen 1989. Pribram, Alfred Francis (Hrsg.): Urkunden und Akten, 1. Abteilung, allgemeiner Teil, 1526−1847 (1849). Hrsg. und eingeleitet von Alfred Francis Pribram. Bd. 1. Wien – Leipzig 1918. Reinke, Andreas: Zwischen Tradition, Aufklärung und Assimilation. Die Königliche Wilhelmsschule in Breslau 1791−1848. In: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 43,3 (1991). S. 193 – 214. Reupke, Beate: Jüdisches Schulwesen zwischen Tradition und Moderne. Die Hascharath Zwi Schule in Halberstadt (1796−1942). Berlin 2017. Sadowski¸ Dirk: Haskala und Lebenswelt. Herz Homberg und die jüdischen deutschen Schulen in Galizien 1782−1806. Göttingen 2010. Salzer, Dorothea M.: „Das alte Gebäude fast einzureißen und von demselben Material wieder aufzustellen“. Jüdische Kinderbibeln als Übersetzungszeugnisse. In: transversal 10,2 (2009). S. 41 – 58. Salzer, Dorothea M.: Adam, Eve, and Jewish Children. Rewriting the Creation of Eve for the Jewish Young at the Beginning of Jewish Modernization. In: Jewish Quarterly Review 106,3 (2016). S. 396 – 411. Salzer, Dorothea M.: Zweisprachige jüdische Kinderbibeln. Oder: Wie die Maskilim die Hebräische Bibel für jüdische Kinder übersetzten. In: trans-lation – trans-nation – trans-formation. Übersetzen und jüdische Kulturen. Hrsg. von Petra Ernst, Hans-Joachim Hahn, Daniel Hoffmann und Dorothea M. Salzer. Innsbruck 2012. S. 65 – 104. Simon, Ernst: Der pädagogische Philanthropinismus und die jüdische Erziehung. In: Jüdische Erziehung und aufklärerische Schulreform. Analysen zum späten 18. und 19. Jahrhundert. Hrsg. von Britta L. Behm, Uta Lohmann und Ingrid Lohmann. Münster – New York – München – Berlin 2002. S. 13 – 65. Völpel, Annegret: Entwicklung der Lehrschriften und Entstehung deutschsprachiger erzählender Kinder- und Jugendliteratur im frühen 19. Jahrhundert. In: Deutsch-jüdische Kinder- und Jugendliteratur. Ein literaturgeschichtlicher Grundriß. Hrsg. von Annnegret Völpel und Zohar Shavit. Stuttgart 2002. S. 85−156.
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Weisel (i. e. Wessely), Naftali Herz: ספר דברי שלום ואמת. על תורת האדם ותורת החינוך לנערי בני ישראל. Warschau 1886. Wenzel, Rainer: Judentum und „bürgerliche Religion“. Religion, Geschichte, Politik und Pädagogik in Herz Hombergs Lehrbüchern. In: Hrsg. von Britta L. Behm, Uta Lohmann und Ingrid Lohmann. Münster – New York – München – Berlin 2002. S. 307 – 334.
Christliche Konzepte der religiösen Unterweisung
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Wie aus Kindern Christen werden. Die pädagogische Reform des 18. Jahrhunderts im Kontext frommer Aufklärung Nur auf den ersten Blick sollte der Titel meines Vortrags irritieren – als insinuiere er eine Kritik der Tagung, die unter dem Titel steht: „Wie aus Kindern Juden werden“. Das Gegenteil ist der Fall. Die beiden Titel spielen auf historisch benachbarte, zum Teil sich überlappende Kontexte an, die Haskala und die jüdische Emanzipation der eine, die christlich-fromme Aufklärung der andere. In beiden Kontexten stellten sich seinerzeit in manchem spezifische, in manchem analoge pädagogische Reformaufgaben. Der kulturelle Transformationsprozess, den Europa im Laufe des 18. Jahrhunderts durchlief, der Prozess der „Aufklärung“, stellte nicht nur als ganzer eine pädagogische Aufgabe, sondern war überdies eine spezifisch religionspädagogische Herausforderung, da die aufklärerische Kritik traditionaler Autorität im Blick auf religiöse Traditionen und Autoritäten erwartbar gravierende Folgen haben musste. Andererseits verstärkten sich gegenseitig der pädagogische Impetus, der alle Varianten der Aufklärung kennzeichnete, und die pädagogische Herausforderung, die mit der allmählichen Ausdifferenzierung und Verselbstständigung individuell bestimmter Religiosität gegenüber traditionsbestimmten Institutionen einherging. Auch wenn Synagoge und Kirche in vielem unterschiedlich und auch zeitversetzt herausgefordert wurden, bewegten sich doch Eliten beider Religionsgemeinschaften zunehmend bewusst sowohl affirmativ als auch kritisch im Horizont des Projektes der europäischen Aufklärung.¹
Erziehung und Bildung im Projekt „Aufklärung“ Es ist daher sinnvoll, die beiden Titel zunächst in diesen gemeinsamen Horizont zu stellen und ihn soweit zu beschreiben, dass beide nicht nur in ihren Unterschieden, sondern auch in ihrer Gemeinsamkeit besser verständlich werden. Die damaligen Antworten auf die Frage, wie aus Kindern Juden werden, sei berufe Ein Bild der europäischen Aufklärung als Epoche zeichnen Walther, Gerrit [u. a.]: Aufklärung. In: Enzyklopädie der Neuzeit. Bd. 1. Stuttgart − Weimar 2005. Sp. 791−830; zur Diskussion ihres Charakters als „Projekt“ vgl. Stockhorst, Stefanie (Hrsg.): Epoche und Projekt. Perspektiven der Aufklärungsforschung. Göttingen 2013. https://doi.org/10.1515/9783110743050-002
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neren Referenten überlassen; meine Aufgabe ist, die damaligen Antworten auf die Frage, wie Kinder zu Christen werden, in den gemeinsamen Horizont des „pädagogischen Jahrhunderts“ zu platzieren, wie man das 18. Jahrhundert genannt und dem man die „Entdeckung des Kindes“ zugeschrieben hat.² Ich möchte aber nicht versäumen festzustellen, dass ein solcher gemeinsamer Horizont auch auf jüdischer Seite zunehmend deutlich und tätig wahrgenommen wurde; für die Haskala steht das ganz außer Zweifel.³ Schon im früheren 18. Jahrhundert begann sich das jüdische Schulwesen zu modernisieren, auch wenn aufklärerische Schulprojekte erst in den 1780er-Jahren realisiert wurden (Berlin 1778/1781, Prag 1782, Hamburg 1783, Wolfenbüttel 1786, Breslau 1791). Schon seit 1755 begann Moses Mendelssohn, neben Naphtali Herz Wessely oder David Friedländer der wohl wichtigste Akteur, die kulturelle Erweiterung des jüdischen Bildungskanons publizistisch vorzubereiten. Seine kommentierte Übersetzung der Tora ins Deutsche (1774−1783) war ihm ein erster Schritt seiner „Nation“ zur umgebenden „Cultur“ und damit zur Möglichkeit ihrer „Verbesserung“. Angestoßen übrigens von einem neologisch-protestantischen Theologen anlässlich der Frage nach der weiteren Notwendigkeit kirchlicher Trauungen, wurde in den 1780er-Jahren in pädagogischen und kirchenleitenden Kreisen Berlins darüber debattiert, was der jetzt so populär gewordene Ausdruck „Aufklärung“ denn eigentlich bedeute. Unter den publizierten Antworten gab neben Immanuel Kant Mendelssohn die interessanteste. Zu Beginn seines Aufsatz Über die Frage: was heißt aufklären? von 1784 bemerkt er: „Die Worte Aufklärung, Kultur, Bildung sind in unsrer Sprache noch neue Ankömmlinge.“ Er stellt sich dann die Aufgabe, die (eher praktische) „Kultur“ und die (eher theoretische) „Aufklärung“ der gemeinsamen „Bildung“ einer Gesellschaft zuzuordnen; auch
Vgl. Herrmann, Ulrich: Pädagogisches Denken. In: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Bd. II: 18. Jahrhundert. Hrsg. von Notker Hammerstein und Ulrich Herrmann. München 2005. S. 97−133; Wriedt, Markus: Erleuchtete Pietas – Fromme Erudition. Wandel des theologischen Bildungsverständnisses im Zeitalter der Aufklärung. In: Spurenlese. Wirkungen der Reformation auf Wissenschaft und Bildung, Universität und Schule, hrsg. von der Reformationsgeschichtlichen Sozietät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Leipzig 2014. S. 159−191; Sparn, Walter: Pietistische und aufklärerische Bildungsakzente. In: Reformation heute. Hrsg. von Christopher Spehr. Bd. 1. Leipzig 2014. S. 55−73. Nagel, Michael: Deutsch-jüdische Bildung vom Ausgang des 17. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. In: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Bd. II. S 169−187; Haußig, HansMichael: Haskala. In: Enzyklopädie der Neuzeit. Bd. 5. Stuttgart − Weimar 2007. Sp. 208−213; Schulte, Christoph: Die Haskala. In: Grundriss der Geschichte der Philosophie. 18. Jahrhundert. Bd. 5. Basel 2014. S. 372−377.
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Religion nehme Schaden, wenn Aufklärung und Kultur nicht gleichermaßen durch Erziehung und Bildung voranschreiten oder gar missbraucht würden.⁴ Schon vor Christian Wilhelm von Dohms Plädoyer Über die bürgerliche Verbesserung der Juden (1781), der ebenso auf das Projekt einer allgemeinen Bildung setzte, entwickelte sich zwischen Reformpädagogen beider Religionsgemeinschaften ein Austausch. Er ging aus von „Werkstätten der Menschenfreundschaft“, zumal von dem 1774 in Dessau gegründeten Philanthropinum von Johann Bernhard Basedow, und von dem publizistischen Netzwerk um Moses Mendelssohn, Naphtali Herz Wessely und David Friedländer. Der Austausch diente dem gemeinsamen Ziel der Bildung zur Humanität im beiderseitigen Respekt vor der religiösen Eigenart des Anderen. Das basale Toleranzideal, das in die Pädagogik sowohl der seit 1781 arbeitenden jüdischen Freischulen als in die christlichen Reformschulen einging, erlaubte auch Konvivenz auf der Schüler- und Kooperation auf der Lehrerebene. In Dessau wurden auf der Grundlage des stilbildenden „Elementarwerks“ (1774) führende Reformpädagogen praktisch ausgebildet, etwa Joachim Heinrich Campe, der Organisator einer „Allgemeine[n] Revision des gesamten Schul- und Erziehungswesens (16 Bände, 1785−1792), oder Christian Gotthilf Salzmann, der 1784 im gothaischen Schnepfenthal die wohl erfolgreichste Musterschule gründete.⁵ Sie und weitere Pädagogen (Ernst Christian Trapp in Dessau und Halle, Friedrich Eberhard v. Rochow in Reckahn, Carl Friedrich Bahrdt in Marschlin) repräsentieren theologisch die Ablösung von der staatskirchlichen Orthodoxie zugunsten der „Neologie“, der grundsätzlich auf fromme Aufklärung abzielenden Transformation der protestantischen Theologie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.⁶ Auf protestantischer Seite hatte die Einbettung der institutionell religiösen Erziehung und der Religionspädagogik in eine allgemeine Pädagogik ihren Anfang bereits um 1700 genommen. An der Entwicklung dieser allgemeinen Pädagogik waren, ähnlich wie an der Entwicklung einer allgemeinen Hermeneutik, auch Theologen in ihrer Eigenschaft als Philosophen oder Schulmänner beteiligt.
Mendelssohn, Moses: Über die Frage: was heißt aufklären?. In: Berlinische Monatsschrift IV/3 (1784). S. 193−200; abgedruckt in: Hinske, Norbert (Hrsg.): Was ist Aufklärung? Beiträge aus der Berlinischen Monatsschrift. Darmstadt 1981. S. 444−451. Schmitt, Hanno: Die Philanthropine. In: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Bd. II. S. 262−277; Overhoff, Jürgen: Philanthropismus. In: Enzyklopädie der Neuzeit. Bd. 9. Stuttgart − Weimar 2009. Sp.1086−1089; Lachmann, Rainer: Die Religions-Pädagogik Christian Gotthilf Salzmanns (AHRp, 2). Jena 2005. Zur Neologie vgl. Beutel, Albrecht: Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung. Göttingen 2009. S. 112−150; Sparn,Walter [u. a.]: Die Neologie. In: Grundriss der Geschichte der Philosophie. Bd. 5. S. 474−487.
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Breitenwirksam wurden diese Reformbemühungen im kirchlichen Pietismus, spektakulär inszenierten sie August Hermann Francke und seine Mitstreiter im Waisenhaus- und Schulwerk und dessen zahlreichen Tochtergründungen. Allerdings wurde der Terminus „Bildung“ noch nicht in Halle erfunden (währende der Begriff „Neuzeit“ dort um 1705 geprägt wurde); der anthropologische Konservatismus des pietistischen Programms gab dafür keinen Anlass. Dieses Programm ging noch, ja sogar forciert von der Annahme aus, dass ein Kind gewiss ein Geschöpf Gottes sei, sich jedoch in erbsündlich verdorbenem Zustand befinde; davon müsse wie die Predigt auch die Katechetik ausgehen. Die Erziehung von Kindern zu Christen schloss daher auch Repression des emotionalen Eigensinns und idealiter eine (dramatische) Bekehrung ein. Allerdings wurde dies schon in der zweiten Generation, wie öfters autobiografisch belegt, als zwanghaft und Kindern unangemessen erlebt; gegen Ende des Jahrhunderts wurden deshalb gerade die Halleschen Anstalten ein Muster neologischer, „freierer“ Pädagogik.⁷ So wichtig Franckes Konzept für jene Hinwendung zum Kindsein als substanziell eigener Lebensform war, so war es doch erst die empirisch an der kindlichen Individualität orientierte und sensualistische Psychologie, die die protestantische Religionspädagogik in eine zugleich fromme und utilitaristische Aufklärung einbettete. Die Referenzautoren hierfür waren John Locke (Some thoughts on education, 1693), die Moralphilosophie in der Nachfolge Shaftesburys und vor allem das auf der (normativ) guten Natur des Menschen aufbauende Erziehungskonzept vor allem Jean-Jacques Rousseaus (Émile ou de l’éducation, 1762). Das Ziel, Kinder zu bewussten Christen zu machen, wurde eingepasst in das Ziel, Kinder zu wahren Menschen zu machen; Religion wurde zum Teilziel einer allgemeinen Bildungsaufgabe. Diese Integration wurde epochal benannt in der Formel des Theologen und Pädagogen Johann Gottfried Herder: „Bildung zur Humanität“. In seinen Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit (1784) und in Briefen zur Beförderung der Humanität (Kap. 5, 1794) meint Herder mit dem Ausdruck „Humanität“ den „Charakter unsers Geschlechts, seine Anlagen und Kräfte, seine offenbare Tendenz, mithin auch den Zweck, wozu er hienieden bestimmt ist“. Weil der Mensch schon zur „Humanität und Religion gebildet“ ist, ist Bildung zur Humanität die „Kunst unsers Geschlechts“ und „das Göttliche in
Vgl. Brecht, Martin: August Hermann Francke und der Hallische Pietismus. In: Geschichte des Pietismus. Hrsg. von Martin Brecht [u. a.]. Bd. 1. Göttingen 1993. S. 440−539, hier S. 473 – 502; Sparn, Walter: Religiöse und theologische Aspekte der Bildungsgeschichte im Zeitalter der Aufklärung. In: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Bd. II. S. 134−168, bes. S. 135−145; Wriedt, Erleuchtete Pietas, S. 165−177.
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unserm Geschlecht“. An dieser allgemeinen Bildungsaufgabe haben nach Herder immer alle großen und guten Menschen mitgeholfen, jetzt liegt sie offen zu Tage.⁸ Allerdings war „Humanität“ ein nur in Grenzen empirisch verifizierbarer, nämlich normativ besetzter Begriff; „Bildung zur Humanität“ stellte daher eine unabschließbare, jederzeit näherungsweise zu erfüllende Aufgabe dar. Daher war auch klar, dass Erziehung durch Eltern und Lehrer auf die allmähliche Übernahme dieser Aufgabe durch den Zögling selbst hinarbeiten, ihn oder sie zur lebenslangen Selbstbildung befähigen und ermutigen musste. Doch gerade so schloss der normative Begriff der Humanität positive Spezifikationen wie „Bürger“ und „Mann“ oder „Frau“, bei den religiös Engagierten auch die Spezifikation „Christ“ oder „Jude“ ein – das tat er jedenfalls dann, wenn solche Positivierung kompatibel war mit dem Allgemeinen von „Humanität“. Davon aber waren christliche Aufklärer und jüdische Maskilim durchweg überzeugt: Der Religionsunterricht war für sie ein Moment der Bildung zugleich zu einer spezifischen Religiosität und zu einer gemeinsamen Humanität. Im Blick auf die Protestanten kann man sagen, dass eine solche Überzeugung sich seit den 1770ern auch außerhalb der großen Zentren der Aufklärung durchsetzte. Erlauben Sie mir, in die süddeutsche Provinz zu wechseln, zu meiner 1743 gegründeten Universität Erlangen. Als Mitglied ihrer Theologischen Fakultät verfasste Johann Georg Seiler im Jahr 1775 ein Reform-Exposé für die Brandenburg-Bayreuthische Regierung. In ihm stellte er als die aktuelle religionspädagogische Aufgabe heraus, Kinder ebenso „zu guten Christen, guten Bürgern und wohlgesitteten Menschen zu bilden als ihren Verstand aufzuklären und sie in den Wissenschaften und Künsten zu unterrichten. Eines ist ohne das andere wenig nütze.“⁹ Seiler hatte schon 1772 einen sehr erfolgreichen Kinderkatechismus verfasst, Religion der Unmündigen, der bis 1823 nicht weniger als 20 Auflagen erzielte und z. B. ins Französische, Dänische, Schwedische, Holländische, Polnische, Tschechische (hier auch in einer katholischen Überarbeitung!) und Ungarische übersetzt wurde. Seiler berief sich prononciert auf das biblische „Privileg der Unmündigen“ (Matthäus 11,25), denen er mit Erzählungen aus der Bibel aber auch aus dem Alltag nicht nur Verstand und Gedächtnis ausbilden, sondern auch Herz und Gemüt bewegen wollte. Seiler nahm Kinder in sein Kolleg mit, um den Studenten zu zeigen, wie Religionsunterricht als ganzheitliche Bildung betrieben werden sollte; er führte besondere Kindergottesdienste ein. Schulgottesdiensten wies er neben der moralischen Besinnung und Ermutigung die Aufgabe zu, Gott Herder, Johann Gottfried: Briefe zur Beförderung der Humanität, Kap. V, 3 (1794). Vgl. Greif, Stefan [u. a.] (Hrsg.): Herder Handbuch. München 2016. S. 160−232. Dies nicht publizierte Dokument ist zitiert nach Jordahn, Ottfried: Georg Friedrich Seilers Beitrag zur Praktischen Theologie der kirchlichen Aufklärung. Nürnberg 1970. S. 127, Anm. 28.
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dafür zu danken, dass er die „Kinder durch den Schulunterricht zu guten Christen bilden läßt“; so in dem 1789 erstmals erschienenen und noch 1832 gedruckten Schulmethodenbuch. Seiler begründete das für Eltern und Lehrer so: Wie […] in jedem kleinen Thiere die Anlage zu den sich künftig äußernden Kunsttrieben ist; so ist in den menschlichen Seelen die Anlage nicht allein zur Sittlichkeit, sondern auch zur künftigen Religiosität. Auf diese gute Anlage muß man frühzeitig den Saamen der ersten Religionswahrheiten ausstreuen.¹⁰
Anthropologie der Bestimmung zum vollkommenen Menschsein Die Forderung Seilers klingt, da sie die Analogie des organischen Lebens bemüht, nicht sehr innovativ; tatsächlich kaschiert das ein wenig die durchaus innovative doppelte Veränderung, mit der sich die aufklärerische Pädagogik von der traditionell christlichen Anthropologie sehr entschlossen unterschied. Die eine Veränderung wird im Ausdruck „gute Anlage“ gestreift, der die Abwesenheit oder doch Unerheblichkeit jener Hemmung oder Verhinderung wahrer Religiosität behauptet, die im protestantischen Christentum mit der Lehre von der Erbsünde behauptet worden war. Das war einer der wichtigsten, auch publizistisch ausgetragenen Streite, den die theologische Neologie mit der konfessionell verpflichteten staatskirchlichen Orthodoxie ausfocht. Sie setzte sich dabei zugleich von den Bekenntnissen der Reformation ab, die eine radikale Erbsündenlehre vertraten und diese als Implikat der reformatorischen Hauptlehre von der Rechtfertigung des Sünders allein aus Gnade, d. h. allein im Glauben an die Gnade Gottes in Jesus Christus ansahen. Wie schon frühere Gegner boten die Neologen zwei Argumente dagegen auf. Das Sachargument war, dass so der Sünder nicht mehr als Geschöpf Gottes beschrieben werden könne, was er doch aber sei und bleibe. Das Autoritätsargument war, dass die Erbsündenlehre nicht biblisch, sondern eher augustinisch oder gar manichäisch sei. Das Wörterbuch des Neuen Testaments, von Wilhelm Abraham Teller 1772 publiziert, enthält keinen Artikel „Erbsünde“, nur einen solchen über „Sünde“. Dieser erklärt Paulus’ Rede von „einwohnender“ Sünde oder ähnlichem als „die herrschend gewordenen bösen Neigungen“; auf den Fall Adams beziehe sich Paulus dabei nur im de-
Seiler, Georg Friedrich: Schulmethodenbuch. Erlangen 1789, S. 3, erweitert 1802, 3. Aufl. 1832; ders.: An Eltern und Lehrer. Einige Worte über die Pflicht und rechte Art des frühen Religionsunterrichts der Kinder. Erlangen 1803 (3. Aufl. 1829). S. 5.
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skriptiven Sinn einer anfänglichen Ausbreitung „sündlicher Gewohnheiten und Fertigkeiten unter dem menschlichen Geschlecht“.¹¹ Die neologische Unterordnung des religiösen Begriffs der Sünde unter den einer moralischen Verbindlichkeit, die ein Individuum (nur) für sich selbst nach universalen (naturrechtlichen) Normen haben kann, passte sich an die aufklärerische Gesamtentwicklung an; sie setzte sich auch dogmatisch bald weitgehend durch. Dass dies keine moralistische Reduktion der negativen Seite des Glaubens bedeuten muss, wurde theologisch, aber auch philosophisch und literarisch ebenso festgehalten. Man denke an Immanuel Kants Interpretation der Erbsünde als „allgemeiner Hang zum Bösen“, als „radikales Böses“ oder „böses Prinzip“, das allerdings selbstverschuldet sei, das aber nur durch eine Umkehr des Willens zugunsten des guten Prinzips entmächtigt werden könne.¹² Ebenso hat Gotthold Ephraim Lessing gegen die moralistische Tendenz der Neologie (der er in vielem durchaus nahestand), die unterbewusst geprägten und stets in Gut und Böse „gemischten Charaktere“ der Menschen vielfach als schieres Faktum inszeniert. Darin war er skeptischer als sein Freund Moses Mendelssohn; mit dessen jüdischer Sicht, dass selbst höchste moralische Verbindlichkeit des Dogmas der Erbsünde nicht bedarf, ging er freilich ganz einig.¹³ Die andere, nicht weniger erhebliche Veränderung der aufklärerischen Pädagogik gegenüber der traditionell-christlichen Anthropologie streift Seiler, wo er die gute Anlage der kindlichen Seele auch auf deren „künftige Religiosität“ bezieht. Dieser Bezug beruht auf der Annahme, dass Erziehung und Bildung etwas am Individuum hervorbringen, das mehr und anderes ist als das, womit oder als was dieser Mensch zunächst angefangen hat. Die gesamte religiöse Tradition ging
Teller, Wilhelm Abraham: Wörterbuch des Neuen Testaments zur Erklärung der christlichen Lehre. Berlin 2. Aufl. 1773. S. 346−349, hier: S. 347 f. Vgl. Schubert, Anselm: Das Ende der Sünde. Anthropologie und Erbsünde zwischen Reformation und Aufklärung. Göttingen 2002. Kant, Immanuel: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Königsberg 1793. S. 3−47. Vgl. Sparn, Walter: Sünde. In: Enzyklopädie der Neuzeit. Bd. 13. Stuttgart − Weimar 2011. Sp. 128−141; Ricken, Friedo: [Kants] Religionsphilosophie. In: Grundriss der Geschichte der Philosophie. Bd. 5. S. 1040−1042. Vgl. Sparn, Walter: Gotthold Ephraim Lessing. In: Grundriss der Geschichte der Philosophie. Bd. 5. S. 324−328; Fick, Monika: Lessing Handbuch. Stuttgart 4. Aufl. 2016. S. 101−105 (Lehrgedicht „Die Religion“), S. 372−399 (Fragmentenstreit). Vgl. auch Cohen, Hermann: Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums. Frankfurt/Main. 1919. Kap. XI, 3 – 9; Kap. XIX pass. Vgl. Korsch, Dietrich: Hermann Cohens Verständnis der Sünde vor dem Hintergrund der reformatorischen Tradition. In: Religion aus den Quellen der Vernunft. Hrsg. von Hans Martin Dober und Matthias Morgenstern. Tübingen 2012. S. 194−206; Ricoeur, Paul: Die „Erbsünde“ (1960). In: Ders.: Der Konflikt der Interpretationen. Bd. 2. Hermeneutik und Psychoanalyse. München 1974. S. 140−161.
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von einer anfänglichen Vollkommenheit des Menschen als einem Ebenbild Gottes aus; eine Vollkommenheit, die durch den Sündenfall der Ureltern (nach protestantischer Lesart: ganz) verloren und deren Wiederherstellung bislang nur in Jesus Christus real war. Bis zur recapitulatio aller Geschöpfe am Ende der Zeiten könne die christliche Erziehung und Praxis den Verlust zwar religiös, d. h. als geglaubte Realität ausgleichen; aber die Selbsterfahrung müsse einstweilen mit dem aus Gut und Böse gemischten Selbst leben (prononciert gesagt in der Formel simul justus et peccator).¹⁴ Die aufklärerische Anthropologie vermied diese – pädagogisch problematische – Paradoxie mit einer doppelten Annahme. Die erste war, dass Individuen und das Menschengeschlecht im Ganzen gegenwärtig (noch) nicht so vollkommen sind, wie es ihrer wesensmäßigen (religiös: göttlichen) Bestimmung nach sein sollten, dass sie aber jederzeit perfektibel, noch vervollkommnungsfähig sind. Diese Annahme gründete sich auf die Erwartung, dass der Prozess der Vervollkommnung sich an den Fortschritten beobachten ließe, die Menschen moralisch, politisch, technologisch usw. machen; der Begriff Fortschritt, der früher nahe beim religiösen Begriff des „Pilgerns“ lag, erhielt nun ein geschichtstheoretisch anspruchsvolles Gewicht in ganz Europa.¹⁵ Die zweite Annahme war, dass Menschen immer mit Mängeln geboren werden, mit bloßen Anlagen, deren folgende kulturelle Ausbildung lebensnotwendig ist. Auch das Menschengeschlecht war anfangs (im „Paradies“) mit Naturgütern reichlich ausgestattet war, es mangelte ihm andererseits aber an kulturellen Gütern, die erst durch zweckund zielbewussten, freilich fehlsamen Freiheitsgebrauch hervorgebracht werden (die philosophische Anthropologie des 20. Jahrhunderts wird den Begriff „Mängelwesen“ wieder aufnehmen). Diese Annahme war geeignet, die pädagogisch destruktive Erbsündenlehre in einer Anthropologie der Mangelbewältigung zu neutralisieren, Das artikulierte erstmals klar Johann Gottfried Herder, der damit zugleich den basalen moralischen und pädagogischen Begriff der Perfektibilität anthropologisch plausibilisierte. Herder war es auch, der seine pädagogische
Zu dieser Formel vgl. Korsch, Dietrich: Glaube und Rechtfertigung. In: Luther Handbuch. Hrsg. von Albrecht Beutel. Tübingen 2. Aufl. 2010. S. 372−381; Schoberth,Wolfgang: Einführung in die theologische Anthropologie. Darmstadt 2006. S. 115−129. Baum, Richard [u. a.]: Perfektibilität. In. Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 7. Basel 1989. S. 238−244; Sparn, Walter und Gerrit Walther: Fortschritt. In: Enzyklopädie der Neuzeit. Bd. 3. Stuttgart − Weimar 2006. Sp. 1079−1085.
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Programmatik sprachphilosophisch und geschichtstheoretisch aufs Engste mit der neuen Anthropologie des perfektiblen Mängelwesens verbunden hat.¹⁶ Die im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts auch im deutschen Sprachraum sich ausbildende Philosophie der Weltgeschichte tendierte allerdings dazu, die reformpädagogische Aufgabe spekulativ zu überhöhen. Das früheste Beispiel dafür war erstaunlicherweise der so kritische Gotthold Ephraim Lessing mit dem Essay Die Erziehung des Menschengeschlechts von 1777 bzw. 1780. Nicht nur jeder einzelne Mensch, sondern auch die Menschheit im Ganzen dürfe auf moralische und religiöse Erziehung durch die göttliche Providenz zählen. Darin korreliere Gottes Weisheit die geschichtliche Entwicklung der allen Menschen geschenkten Vernunft und ihrer Wahrheiten mit den Offenbarungswahrheiten, die er in geschichtlicher Abfolge den Menschen mitteile. Die Verbindung des naturgemäß endlichen individuellen Fortschritts und der unbegrenzten menschheitlichen Vervollkommnung gelang Lessing freilich nur, weil er auch den Individuen eine „ewig“ lange Zeit der Vervollkommnung in Aussicht stellte, d. h. die Reinkarnationslehre einsetzte. Beide (enthusiastisch formulierten) Aussichten wurden allerdings sowohl von Neologen wie dem geschätzten Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem als auch von Philosophen wie Immanuel Kant als schwärmerischer Chiliasmus abgelehnt. Auch der Freund Moses Mendelssohn konnte keinen linearen moralischen Fortschritt der Geschichte erkennen – auch aus religiösen Gründen. Denn Gotthold Ephraim Lessings Bild des religiösen Fortschritts implizierte die inferiore Rolle des – vom christlichen Unsterblichkeitsglauben überholten – Judentums. Immerhin hat Lessing in „Nathan der Weise“ 1779 dieser Sicht widersprechend die religiöse Gleichrangigkeit aller drei abrahamitischen Religionen unterstellt, d. h. ihren machtförmigen Streit in ihren moralischen Wettstreit hinein aufgelöst.¹⁷ Sieht man von der geschichtstheologischen Weiterung des Fortschrittsmodells bei Lessing ab, so teilen doch alle Neologen und Reformpädagogen die aufklärerische Umstellung von einer substanziell stabilen und (nur) soteriologisch dramatisierten Anthropologie zu einer empirisch basierten und teleologisch dynamisierten Anthropologie: Der vom Schöpfer (oder der Natur) gemeinte Mensch ist das Ziel seiner Entwicklung. Erziehung und Bildung sind über alle
Wisbert, Rainer: Pädagogik. In: Greif [u. a.], Herder Handbuch, S. 595−622; Decher, Friedhelm: Anthropologie. In: Greif [u. a.], Herder Handbuch, S. 696−703; Stiening, Gideon: Herder und die Anthropologie der Spätaufklärung. In: Greif [u. a.], Herder Handbuch, S. 703−711. Lessing, Gotthold Ephraim: Die Erziehung des Menschengeschlechts. Hrsg. und kommentiert von Walter Sparn. Leipzig 2018, bes. S. 43−70.Vgl. Sommer, Andreas Urs: Geschichtstheologie. In: Enzyklopädie der Neuzeit. Bd. 4. Stuttgart − Weimar 2006. Sp. 609−616; Sparn, Walter: [Lessings] Geschichtsphilosophie. In: Grundriss der Geschichte der Philosophie. Bd. 5. S. 330−333.
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aktuelle Lebensnützlichkeit hinaus Faktoren der Realisierung der „Bestimmung“ des Menschen. Der junge Theologe, bald leitender Geistlicher in Berlin und neologische Autorität schlechthin, Johann Joachim Spalding, gab dieser Anthropologie religionsphilosophischen(!) Ausdruck. Sein 1748 (anonym) erschienener Essay über die „Bestimmung des Menschen“, mehrfach erweitert in elf Auflagen (und Raubdrucken) bis ins Jahr 1794 weitergedruckt und in mehrere europäische Sprachen übersetzt, wurde ein Grundbuch der frommen Aufklärung. Speziell dem Dreigespann Moses Mendelssohn, Gotthold Ephraim Lessing und Friedrich Nicolai dürfte es schon in den 1750er-Jahren bekannt geworden sein, als sie sich mit Alexander Popes An Essay on Man auseinandersetzten. Ihre einschlägige Kritik in „Pope ein Metaphysiker!“ (1754) war der Anthropologie und Theodizee Leibnizens verpflichtet, d. h. hatte eine platonische Tendenz. Spalding verstärkte diesen „erhabnen Platonismus“, wie er selber sagte, im Gefolge eigener Übersetzungen der Philosophie des moral sense, vor allem des Earls of Shaftesbury und Francis Hutchesons, die ihrerseits von John Locke beeinflusst waren.¹⁸ Neu an dieser Anthropologie war zum einen ihr moralischer Optimismus: die Annahme der sittlichen Verbesserungsfähigkeit jedes Menschen und die Annahme, dass die Realisierung dieser Perfektibilität eine Sache von Erziehung und Anleitung zur humanen Selbstbildung sei. Zum anderen war neu die Begründung der teleologischen Perspektive der „Bestimmung des Menschen“, die nicht mehr auf externe Instanzen oder Faktoren rekurrierte, auch nicht auf positiv religiöse (offenbarte) Autoräten, sondern auf die Selbstwahrnehmung des Menschen. Selbsteigene, Kopf und Herz vernetzende „Erfahrung“ und innere „Empfindung“ (Übersetzung von sense) avancieren hier zu basalen anthropologischen Kategorien, überaus erfolgreich, wie man in der zeitgenössischen Poesie der „Empfindsamkeit“, in der neuen literarischen Gattung der Bildungsromane, in der Konzeption einer „Erfahrungsseelenkunde“ und nicht zuletzt im Aufkommen einer neuen Kinder- und Jugendliteratur beobachten kann.¹⁹ Spaldings Anthropologie bleibt allerdings insofern christlich-traditionell, als sie jeglichen Mate-
Spalding, Johann Joachim: Die Bestimmung des Menschen. Hrsg. von Albrecht Beutel [u. a.] Tübingen 2006 (SpKA I,1). Vgl. Beutel, Kirchengeschichte, S. 121−123 (Spalding); S. 246−249 (Menschenbild); Sparn, Walter: Spalding. In: Grundriss der Geschichte der Philosophie. Bd. 5. S. 483−485. Wriedt, Erleuchtete Pietas, S. 178−189.Vgl. auch Horlacher, Rebekka: Bildungstheorie vor der Bildungstheorie. Die Shaftesbury-Rezeption in Deutschland und der Schweiz im 18. Jahrhundert. Würzburg 2004. Vgl. die Analysen von Kemper, Hans-Georg: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. Bd. 6/I. Empfindsamkeit. Tübingen 1997. S. 151−489 (Kap. II. Neologie und Empfindsamkeit) und Sparn, Walter: „Der Messias“: Klopstocks protestantische Ilias. In: Ders.: Gott, Tugend und Unsterblichkeit. Theologische Aufsätze II. Leipzig 2016. S. 125−155.
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rialismus ablehnt und ein himmlisches Endziel irdisch-menschlichen Lebens für dieses als „natürlich“ ansieht (der „Himmel“ der apokalyptischen Eschatologie kann auch „Ewigkeit“ heißen und wird bald durch das unspezifische „das Jenseits“ ersetzt werden). Aber jetzt wurde der finis hominis aus seinem apokalyptischen Horizont in einen (fromm oder säkular) chiliastischen Horizont verlagert, d. h. primär als Aufgabe des Menschen an und mit sich selbst angesehen; dieser „Selbstzweck“, wie Immanuel Kant den Menschen dann charakterisierte, schloss die providentielle Hilfe Gottes nicht aus, musste sie aber auch nicht im theistischen Sinne einschließen.²⁰ Spaldings Klassiker, der auch solchen Denkern, die der modisch gewordenen Aufklärung kritisch gegenüberstanden, wie Johann Gottfried Herder, Jean Paul oder Johann Gottlieb Fichte, noch das perspektivische Stichwort „Bestimmung des Menschen“ vorgab, zielte auf moralische, ästhetische, und religiöse Kultur der unsterblichen „Seele“ − dieses Wort war bereits zu einer Metapher des neuen Begriffs der „Persönlichkeit“ geworden. Spaldings Reflexion kann man fast eine phänomenologische nennen, wenn auch nicht im Sinne der nachkantischen „Phänomenologie des Geistes“ Georg Wilhelm Friedrich Hegels. Denn um die seelische Kultur, cultura animi hieß das schon lange, emotional und intellektuell neu zu begründen, ging Spalding dem „natürlichen“ Gang der inneren Erfahrung nach („natürlich“ hieß in dieser Zeit, nicht nur bei Jean-Jacques Rousseau, soviel wie authentisch und deshalb wahr). Die sinnlich hervorgerufenen Empfindungen, so stellte er fest, gehen natürlicherweise in die Vergnügungen des Geistes über, diese vertiefen sich in der Selbstwahrnehmung der Tugend und den von selbst damit sich verbindenden religiösen Vorstellungen. Der Weg zu sich selbst lässt schließlich das Selbstbewusstsein der Seele in Erscheinung treten, das über alles Irdische hinaus fühlt und strebt, mit anderen Worten, die Seele, die sich unsterblich weiß. Gegenüber der religiösen Skepsis, die Thomas Abbt, sein Mitarbeiter in den Litteraturbriefen (und Autor einer Schulordnung, die auf Erziehung zum mündigen Bürger zielte) 1764 hiergegen erhoben hatte, stellte sich Moses Mendelssohn auf die Seite Spaldings und argumentierte in seinem Phaedon oder über die Unsterblichkeit der Seele bald (1767) ähnlich wie dieser.²¹ Der traditionelle metaphysische Seelenbegriff spielt keine tragende Rolle mehr: Als eine sich selbst affizierende und zum Göttlichen sich erhebende Bewegung ist die „Seele“ die
Sparn, Walter: „Aussichten in die Ewigkeit“. Jenseitsvorstellungen in der neuzeitlichen protestantischen Theologie. In: Ders., Theologische Aufsätze II. S. 337−366; Ders.: Apokalyptik. In: Enzyklopädie der Neuzeit. Bd. 1. Stuttgart – Weimar 2005. Sp. 491−497; Großhans, Hans-Peter: Chiliasmus. In: Enzyklopädie der Neuzeit. Bd. 2 Stuttgart – Weimar 2005. Sp. 681−687. Schulte, Christoph: Moses Mendelssohn. In: Grundriss der Geschichte der Philosophie. Bd. 5. S. 378−388, bes. S. 385 f; Rother, Wolfgang: Thomas Abbt. In: Ebd., S. 677−680.
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eine, sich Verstehen und Wollen ausfaltende Grundkraft des Lebens und seiner fortwährenden Vervollkommnung. Die Anthropologie Spaldings, die durch mündige Selbstdeutung auf Menschwürde zielt, wie es dann Immanuel Kant ausführte, war ein wichtiger Schritt hin zum Verständnis des Protestantismus als Bildungsreligion, wie ihn dann Friedrich Schleiermacher stilisierte.²²
Religiöse Bildung: Individualisierende Aufklärung von Religion Ein wesentliches Merkmal der Neologie, der aufklärerisch protestantischen Theologie, und der von ihr beeinflussten Pädagogik war ihr nicht ungefährlicher Mut zur kritischen Sichtung der religiösen Tradition – kritisch am Maßstab eines veränderten Menschenbildes und der daran orientierten Pädagogik. Die Kritik bezog sich zunächst auf die normativen Bestände, besonders auf Dogmen wie die altkirchliche Trinitätslehre oder die Lehre von der Person Jesu Christi, dann aber auch die reformatorische Soteriologie und der darin vorausgesetzten Erbsündenlehre. Schließlich bezog sich die Kritik auch auf die kanonische Grundlage der Glaubenslehren in der Heiligen Schrift, die nunmehr ihrer formalen, auf dem Textbestand als solchem beruhenden Kanonizität entkleidet und wie jeder andere historische Text im Blick auf die Aussageabsicht der menschlichen Autoren analysiert wurde. Dieser Prozess der Historisierung fand seinen Abschluss in den hermeneutischen Programmschriften des Hallenser Neologen Johann Salomo Semler (Abhandlung von freier Untersuchung des Canon, 1771−1775; Versuch einer freiern theologische Lehrart, 1774/1777).²³ Die Historisierung der religiösen Tradition bedeutete jedoch nicht zugleich auch ihre religiöse Distanzierung, vor allem nicht zugleich auch den Verlust ihrer materialen Autorität der Bibel als Quelle und Orientierung des individuellen
So das Ergebnis der ausgezeichneten Studie von Raatz, Georg: Aufklärung als Selbstdeutung. Eine genetisch-systematische Rekonstruktion von Johann Joachim Spaldings „Bestimmung des Menschen“ (1748). Tübingen 2014. Vgl. auch Barth, Ulrich: Das neuzeitliche Schicksal der Seele. Von der Substanzmetaphysik zur Erlebnispsychologie (2013). In: Ders.: Kritischer Religionsdiskurs. Tübingen 2014. S. 119−137. Überblick bei Beutel, Kirchengeschichte, S. 129−132 (Semler); S. 212−215 (Exegese); Schröter, Marianne: Aufklärung durch Historisierung. Johann Salomo Semlers Hermeneutik des Christentums. Berlin 2012. Zur Vorgeschichte vgl. Barth, Ulrich: Die hermeneutische Krise des altprotestantischen Schriftprinzips. In: Ders.: Aufgeklärter Protestantismus. Tübingen 2004. S. 167−200; Sparn, Walter: Auf dem Weg zur theologischen Aufklärung in Halle. In: Ders.: Theologische Aufsätze II. S. 37−58.
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christlichen Glaubens und Lebens. Allerdings gab es auch einige rationalistische Reduktionen, die den religiösen Mehrwert der Bibel, ihre Bedeutung als „Offenbarung“, überhaupt bestritten, schon vor Immanuel Kants Erkenntniskritik. Im Streit zwischen Gotthold Ephraim Lessing und dem orthodoxen Hamburger Hauptpastor Johan Melchior Goeze zeigte sich, dass die Neologie noch keine wohlbegründete Position bot im Gegenüber sowohl zur orthodoxen „Bibliolatrie“ als auch zum reduktiven Rationalismus. Wer, wie Lessing, sich nicht mit oberflächlichem Pragmatismus abzufinden gedachte, wollte genauer wissen, wie der Bibelleser jetzt den biblischen „Beweis des Geistes und der Kraft“ erfahre.²⁴ Der Radikalität Lessings wurde von der neologischen Mehrheit oft mit dem Rekurs auf die religiöse Praxis begegnet, in der die Bibel ihre religiöse „Erbaulichkeit“ nach wie vor erweise; in der Tat blieb sie in diesem, im Verstehen und in der Aneignung biblischer Texte jeweils sich erweisenden Sinn die offenbarte Heilige Schrift. Die theologische Aufklärung zehrte hier von dem reformatorischen Erbe der Bibelhermeneutik, die das sogenannte „Schriftprinzip“ (sola Scriptura) niemals nur zum Nachweis dogmatischer Positionen einsetzte, sondern stets und hauptsächlich zum Nachweis der religiösen Suffizienz der Heiligen Schrift im Blick auf das ewige Seelenheil. Die von der Reformation angestoßene und bald präzise elaborierte Bibelhermeneutik, in deren Folge auch erstmals eine allgemeine Hermeneutik entwickelt wurde, unterschied methodisch genau, verband praktisch aber auch eng die drei Schritte des Verstehens des Sinnes von Bibeltexten und der Bibel im Ganzen: philologisches intelligere; rhetorisch-logisches explicare; auslegendes, d. h. ins Leben übertragendes applicare. Der letzte Schritt erlaubte und forderte, den wörtlichen und historischen Sinn eines Textes zu paraphrasieren und zu allegorisieren, je nach der Situation der religiösen Kommunikation und Rezeption.²⁵ Das galt von Anfang der Reformation an auch für die pädagogische Praxis. Martin Luther schrieb seine Schriften zur Reform der Schulen ja in dem Bewusstsein: „Sollen wir Kinder erziehen, so müssen wir auch Kinder mit ihnen werden.“²⁶ Allerdings war die katechetische Praxis der applikativen Bibelauslegung, ähnlich wie die der Predigt, durch die normativen Vorgaben der konfes-
Zum Rationalismus vor und nach Kant vgl. Beutel, Kirchengeschichte, S. 151−166 (Kap. 6), zu Lessings Traktat „Der Beweis des Geistes und der Kraft“, in dem auch das berühmte Diktum vom unüberwindlichen „garstigen breiten Graben“ zwischen Heute und Damals steht, vgl. Lessing, Die Erziehung des Menschengeschlechts, S. 55−59; Fick, Lessing Handbuch, S. 375 f.; S. 389−394. Sparn, Walter: Subtilitas intelligendi, explicandi, applicandi. In: Sola Scritpura. Hrsg. Von Stefan Alkier. Tübingen 2019. S. 163 – 189. So sogar in einer Schrift zum Gottesdienst: Deutsche Messe und Ordnung Gotesdiensts, 1526. Zu Luthers Katechismen vgl. Schilling, Johannes: Katechismen. In: Luther Handbuch. S. 305−312.
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sionellen Dogmatik und des landesherrlichen Kirchenregiments auch eingeschränkt. Am reichsten war sie auf dem zunehmend großen, nie konfessionalistischen, für heterogene Motive sehr offenen Bereich der Erbauungsliteratur, deren Präsenz noch im 18. Jahrhundert erheblich war (Johann Arndts Vier Bücher vom wahren Christentum von 1610 gar bis ins 19. Jahrhundert aufgelegt); das entspricht dem applikativen Ziel der Verinnerlichung und Individualisierung religiöser Praxis. Aber die von Johannes Ratke oder Jan A. Comenius im 17. Jahrhundert ausgehenden und z. B. in Sachsen-Gotha seit 1645 durchgeführten Reformen änderten die Situation auch in der Katechese, wo der Luthersche Katechismus kindgemäß „exponiert“ wurde. Die intensivierte Applikation der Bibel auf die kindliche Lebenswelt im Pietismus, besonders im Franckeschen Pädagogium, blieb zwar moralistisch gefährdet, trug aber doch zur Genese eines verantwortlichen Selbstverhältnisses der Heranwachsenden bei.²⁷ Die Neologie ging im Rahmen eines veränderten Menschenbildes und einer affektiv starken Sensiblität („Empfindsamkeit“) einen Schritt weiter. Sie verabschiedete sich von dem primär doktrinalen Unterricht zugunsten des sokratisch inszenierten Aufbaus religiöser Kompetenz, wählte aus den religiösen Traditionen aus nach der jeweiligen Möglichkeit innerer Aneignung und individueller Ausbildung von „Tugend und Gottseligkeit“. Denn ihr Hauptkriterium wahrer „Religiosität“ (ein neues Wort für Frömmigkeit) war nicht Observanz, sondern Authentizität, auch für Kinder und Heranwachsende in ihrer Lebensphase eigenen Charakters und eigenen Rechts. Selbst ein eher konservativer Neologe wie der eingangs vorgestellte Georg Friedrich Seiler ist dafür Zeuge, erst recht wurde diese Einstellung im Preußen Friedrichs II. seit den 1770er-Jahren, in denen die Neologie zur dominierenden Kraft avancierte, zur fast allgemeinen. Hier, im Blick auf pädagogische Reformen und auf „Volksaufklärung“²⁸ öffnete sich auch das Interesse und die Möglichkeit des Austauschs zwischen Neologen und Maskilim. Zu dem anfangs hierzu Gesagten möchte ich noch einen wichtigen Aspekt hinzufügen, nämlich die Nähe zwischen Neologie und Haskala. Beiden war eigen, dass ihre Programme die je eigenen, religiös unterschiedlichen Motivationen und Spezifikationen nicht nivellierten und assimilierten, sondern im Kontext des gemeinsamen Ziels der Bildung zur Humanität das gegenseitige Verhältnis eines konstruktiven Wettbewerbs einschlossen, also im Sinne der Ringparabel in Les-
Zur pietistischen Pädagogik vgl. Loch, Werner: Pädagogik am Beispiel August Hermann Franckes. In: Geschichte des Pietismus. Bd. 4. Hrsg. von Hartmut Lehmann. Göttingen 2004. S. 264−308; Gundlach, Horst: Psychologie. In: Ebd., S. 309−331. Vgl. Siegert, Reinhart: Volksbildung im 18. Jahrhundert. In: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Bd. II. S. 443−483; Böning, Holger [u. a.] (Hrsg.): Volksaufklärung. Eine praktische Reformbewegung des 18. und 19. Jahrhunderts. Bremen 2007.
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sings Nathan der Weise einen bloß moralischen Wettstreit meinten. Das implizierte aber für beide Seiten ein analoges, allerdings schwieriges Problem, das auf beiden Seiten nicht konform gelöst wurde: die statutarisch institutionelle, vor allem rechts- und lehrförmige Verfassung beider Religionsgemeinschaften. Denn es zeichnete sich auf beiden Seiten ab, dass die aufklärerische Transformation der individuellen oder frei assoziierten religiösen Praxis mit der statutarischen Verfassung der Gemeinden und Kirchen in Konflikt geraten könnte. Dieses Problem hatte zwei unterschiedliche Aspekte. Der interne Aspekt war die Frage der fortdauernden Geltung der kanonischen Traditionen. Plakativ formuliert: Im Judentum wurde die Korrelation der Tora mit dem religionsrechtlich konstitutiven Talmud strittig, im Christentum die Korrelation der Heiligen Schrift mit den kirchlichen Dogmen und den staatskirchenrechtlich fixierten Bekenntnissen. Über diesem Problem entwickelte sich die Neologie in divergierende Richtungen fort. Die eine Richtung, repräsentiert durch Georg Friedrich Seiler und prominent durch den Leiter der Franckeschen Anstalten in Halle um die Jahrhundertwende, August Hermann Niemeyer, hielt entschieden an einer pädagogisch konstitutiven Beziehung aufklärerischer Religiosität auf die Heilige Schrift fest. Die andere, philanthropische Richtung, die stärker kirchenkritisch motiviert war, tendierte dazu, sich aus dieser besonderen Beziehung zu lösen und sie zu integrieren in unspezifische „natürliche“ oder sogar „allernatürlichste“ Religiosität, nämlich in das, was in Jean-Jacques Rousseaus Erziehungsprogramm religion civile hieß. Das zeigt sich deutlich in den Fortschreibungen der Katechismen Johann Bernhard Basedows, Friedrich Eberhard von Rochows und Carl Friedrich Bahrdts, aber auch praktisch in der Entwicklung der „Gottesverehrungen“ in den Philanthropinen, z. B. in Christian Gotthilf Salzmanns Schnepfenthal. Hier beginnen christliche und säkulare Rahmungen der Religionspädagogik auseinanderzutreten.²⁹ Für die jüdische Seite vermute ich, dass die baldige Entstehung des Reformjudentums und jüdischer Katechismen eine vergleichbare Entwicklung signalisiert.³⁰ Der externe Aspekt war die Frage des Verhältnisses religiöser Praxis zum Staat und dem von ihm privilegierten cultus publicus. Für die Haskala ging es hier ganz elementar um die rechtliche Gleichstellung der Juden, wofür erst die Französische Revolution die Tür öffnete. Es ist kennzeichnend, dass der neologische Pfarrersohn Christian Wilhelm von Dohm auf die öffentliche Diskussion, die er mit seinem Traktat Über die bürgerliche Verbesserung der Juden (1781) anstoßen Belege bei Sparn, Religiöse und theologische Aspekte, S. 160−163; vgl. Beutel, Kirchengeschichte, S. 230−233. Vgl. Haußig, Hans-Michael: Reformjudentum. In: Enzyklopädie der Neuzeit. Bd. 10. Stuttgart – Weimar 2009. Sp. 838−846.
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wollte und nach Mendelssohns Meinung auch sollte, nun selber bloß mit Assimilationsforderungen reagierte, die nicht nur die Formen, sondern auch die Substanz des Judentums tangierten. Die „christliche“ Mehrheitsgesellschaft war in einer Staatskirche organisiert und war mit sanktionsbewehrter staatlicher Macht verbündet, die von der Kirche wiederum sozialintegrative Leistungen forderte. Neologen verlangten vom Staat religiöse Toleranz in der privaten religiösen Praxis und in dem akademischen Diskurs über Religion und sahen das in der aufgeklärten Monarchie friderizianischen oder josephinischen Typs auch gegeben, verweigerten aber dem Thron-Altar-Syndrom nicht programmatisch ihre Zustimmung. Selbst der republikanisch tendierende Immanuel Kant verknüpfte seine philanthropische Pädagogik, seinen theologischen Liberalismus und sein Vertrauen in die Reformkraft der zivilgesellschaftlichen Öffentlichkeit mit einem klaren Votum für den institutionellen Status quo der Kirche, einschließlich der Verpflichtung der „Kirchendiener“ auf die öffentliche Vertretung der geltenden konfessionelle Lehre unbeschadet ihres privat dogmenkritischen Vernunftgebrauchs.³¹ Der Versuch, den zivilgesellschaftlichen und religionspolitischen Einfluss der Aufklärung zu minimieren oder ganz auszuschalten, den das sogenannte „Wöllnersche Religionsedikt“ Friedrich Wilhelms II. von 1788 nicht ganz erfolglos betrieb, machte die Schwachstelle der Neologie offenkundig (nicht zufällig fing Wöllner als Neologe an). So aufrecht die Proteste führender Neologen auch waren – es war klar, dass die aufklärerische Theologie dieses Typs für die Emanzipation der Religion als eigener kultureller Sphäre aus staatlicher Dominanz nicht ausreichte. Erst Friedrich Schleiermacher, der nicht zufällig mit der jüdischen Elite in Berlin gut vernetzt war, zog die nachrevolutionäre Konsequenz daraus und leitete damit eine neue Ära der protestantischen Theologie und ihrer religionskulturellen Funktion ein.³² Auf jüdischer Seite entsprach dem die von Leopold Zunz (1818) und Immanuel Wolf (1822) konzipierte „Wissenschaft des Judentums“, die nach dem preußischen Emanzipationsedikt von 1812 möglich und pädagogisch sinnvoll wurde.
Sparn,Walter: Die öffentliche Aufgabe der Theologie – im Sinne Immanuel Kants. Ein Hinweis auf die Rückseite der Wirkungsgeschichte Luthers. In: Ders.: Theologische Aufsätze II. S. 267−295. Zur Stellung Schleiermachers und seines Schüler Johann Friedrich Herbart, des Begründers der modernen Pädagogik, in der Gesamtentwicklung vgl. Walther, Gerrit: Pädagogik. In: Enzyklopädie der Neuzeit. Bd. 9. Stuttgart − Weimar 2009. Sp. 748−758.
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Sparn, Walter: „Aussichten in die Ewigkeit“. Jenseitsvorstellungen in der neuzeitlichen protestantischen Theologie. In: Ders.: Gott, Tugend und Unsterblichkeit. Theologische Aufsätze II. Leipzig 2016. S. 337−366. Sparn, Walter: „Der Messias“: Klopstocks protestantische Ilias. In: Ders.: Gott, Tugend und Unsterblichkeit. Theologische Aufsätze II. Leipzig 2016. S. 125−155. Sparn, Walter: Apokalyptik. In: Enzyklopädie der Neuzeit. Bd. 1. Stuttgart – Weimar 2005. Sp. 491−497. Sparn, Walter: Auf dem Weg zur theologischen Aufklärung in Halle. In: Ders.: Gott, Tugend und Unsterblichkeit. Theologische Aufsätze II. Leipzig 2016. S. 37−58. Sparn, Walter: Die öffentliche Aufgabe der Theologie – im Sinne Immanuel Kants. Ein Hinweis auf die Rückseite der Wirkungsgeschichte Luthers. In: Ders.: Gott, Tugend und Unsterblichkeit. Theologische Aufsätze II. Leipzig 2016. S. 267−295. Sparn, Walter: Gotthold Ephraim Lessing. In: Grundriss der Geschichte der Philosophie. 18. Jahrhundert. Bd. 5. Basel 2014. S. 324−328. Sparn, Walter: Pietistische und aufklärerische Bildungsakzente. In: Reformation heute. Hrsg. von Christopher Spehr. Bd. 1. Leipzig 2014. S. 55−73. Sparn, Walter: Religiöse und theologische Aspekte der Bildungsgeschichte im Zeitalter der Aufklärung. In: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Bd. II: 18. Jahrhundert. Hrsg. von Notker Hammerstein und Ulrich Herrmann. München 2005. S. 134−168. Sparn, Walter: Spalding. In: Grundriss der Geschichte der Philosophie. 18. Jahrhundert. Bd. 5. Basel 2014. S. 483−485. Sparn, Walter: Subtilitas intelligendi, explicandi, applicandi. In: Sola Scriptura 1517 – 2017. Hrsg. von Stefan Alkier. Tübingen 2019. S. 163 – 189. Sparn, Walter: Sünde. In: Enzyklopädie der Neuzeit. Bd. 13. Stuttgart − Weimar 2011. Sp. 128 −141. Stiening, Gideon: Herder und die Anthropologie der Spätaufklärung. In: Herder Handbuch. Hrsg. von Stefan Greif, Marion Heinz, Heinrich Clairmont. München 2016. S. 703−711. Stockhorst, Stefanie (Hrsg.): Epoche und Projekt. Perspektiven der Aufklärungsforschung. Göttingen 2013. Teller, Wilhelm Abraham: Wörterbuch des Neuen Testaments zur Erklärung der christlichen Lehre. Berlin. 2. Aufl. 1773. Walther, Gerrit [u. a.]: Aufklärung. In: Enzyklopädie der Neuzeit. Bd. 1. Stuttgart − Weimar 2005. Sp. 791−830. Walther, Gerrit: Pädagogik. In: Enzyklopädie der Neuzeit. Bd. 9. Stuttgart − Weimar 2009. Sp. 748−758. Wisbert, Rainer: Pädagogik. In: Herder Handbuch. Hrsg. von Stefan Greif, Marion Heinz, Heinrich Clairmont. München 2016. S. 595−622. Wriedt, Markus: Erleuchtete Pietas – Fromme Erudition. Wandel des theologischen Bildungsverständnisses im Zeitalter der Aufklärung. In: Spurenlese. Wirkungen der Reformation auf Wissenschaft und Bildung, Universität und Schule. Hrsg. von der Reformationsgeschichtlichen Sozietät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Leipzig 2014. S. 159−191.
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„Kompatible Katechese?“ – Zum Erfolg der Lehrart Johann Ignaz von Felbigers (1724−1788) Als eine Schlüsselfigur der aufgeklärten Schulreform gilt der katholische Abt Johann Ignaz von Felbiger, der heute als einer der bedeutenden Pädagogen seiner Zeit bekannt ist. Felbiger, der selbst von protestantischen Vorbildern Gedankengut übernahm, gab modifiziert an katholische, protestantische und – wie sich nun herausgestellt hat – auch an jüdische¹ Religionslehrer weiter. Wie war das möglich? Wie ist man bei diesen Übernahmen in der Praxis vorgegangen, gab es etwa Plagiatsvorwürfe? Wieviel Mut musste man aufbringen, um im Schulbereich, der Ende des 18. Jahrhundert noch fest in kirchlicher Hand war, von den pädagogischwissenschaftlichen Fortschritten in den jeweilig anderen Religionen zu profitieren? Felbiger wählte einen Zwischenweg: In seinen Werken selbst, die für die katholische Schulreform eingesetzt wurden, konnte er die (protestantischen) Quellen offiziell nicht offenlegen, in Briefen und anderen Schriften dafür umso mehr. Gerade in der pragmatisch ausgelegten Volksaufklärung kam es zur vielfältigen Zusammenarbeit der Konfessionen, das konfessionell gemischte Schlesien kann hier als Paradebeispiel aufgeführt werden.² Der 1724 im niederschlesischen Glogau geborene Felbiger lebte in unruhigen Zeiten.³ Schlesien war ein konfessionell gemischtes Fürstentum, das mit den Habsburgern verbunden war. Friedrich II. überzog es mit den Schlesischen Kriegen und machte das Land 1741 offiziell protestantisch, inoffiziell gab es allerdings gerade in Niederschlesien schon vorher große protestantische Gemeinden mit eigenen Kirchen. Felbiger trat nach dem Studium an der Breslauer Universität 1748 in das Augustiner-Chorherrenstift Sagan ein und wurde dort 1758 zum Abt geweiht. Besonders in den katholischen Land- und Pfarrschulen, die dem Saganer Kloster unterstanden, herrschten große Missstände: das Niveau der Schüler war
Hierzu siehe den Beitrag von Dorothea M. Salzer im vorliegenden Band. Brenker, Anne-Margarete: Aufklärung als Sachzwang. Realpolitik in Breslau im ausgehenden 18. Jahrhundert. Hamburg 2000. Zur Biografie Felbigers vgl. Conrads, Norbert: Herkunft und Familie des Schulreformers Johann Ignaz von Felbiger (1724−1788): In: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 63 (2005). S. 17−40. [Wiederabdruck in: Ders.: Schlesien in der Frühmoderne. Zur politischen und geistigen Kultur eines habsburgischen Landes. Hrsg. von Joachim Bahlcke. Köln – Weimar – Wien 2009. S. 291−310.] https://doi.org/10.1515/9783110743050-003
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Abb. 1: Stich von Georg Paul Nusbiegel (1713 – 1776). Die Bildunterschrift lautet: Iohannes Ignatius de Felbiger antiquiss. ac celeberr Ducalis Canoniae Canonic. Regulas. S. August. Congreg. Later. ad B. Virginem Sagani Praaelatus et Abbas Sua Celstitud. Episcopi Wratisl. in Spiritual. Commissarius per Ducat. Sagan. Circuli. Sagan. Archipresbyter.
erschreckend tief, ebenso das der Lehrer, die zum Teil einen Wirtsausschank neben dem Schulbetrieb führten. Deshalb brachten auch katholische Eltern, denen an der Bildung ihrer Kinder lag, diese in protestantische Schulen. Dies bewog Felbiger dazu, sich die methodischen Neuerungen der protestantischen Schulen, vor allem in Berlin, einmal anzuschauen. Mit seinem Stiftsherren Joseph Sucher reiste er 1762 zum ersten Mal inkognito nach Berlin, um die sogenannte „Tabellenoder Buchstabenmethode“ Johann Friederich Hähns in der Heckerschen Realschule kennenzulernen. Diesen besuchte Felbiger nochmals im Jahre 1765. Seine ersten Reformerfolge in Sagan bewogen die preußische Regierung, ihn mit der allgemeinen Reform der katholischen Schulen in Schlesien zu beauftragen, die 1765 in dem „General-Landschul-Reglement“ (GLR) einen vorläufigen Abschluss fand (Abb. 2). Nach zehnjährigem Wirken als Schulreformer im preußischen Schlesien übernahm der Saganer Abt 1774 auf Bitten Maria Theresias die Leitung des deutschen Volkschulwesens im habsburgischen Vielvölkerstaat, der nach Auflösung des Jesuitenordens vor zahlreichen ungelösten bildungspolitischen Problemen stand. Schon diese Tatsache muss für Überraschung sorgen, hatten die beiden Herrscher doch sonst wenig Einigkeit – im Schulwesen jedoch schien der Abt ein geeigneter Kompromisskandidat. Felbigers Schulreformen hatten – noch mehr als im preußischen Schlesien – im zentral regierten Herrschaftsbereich der Habsburger durchschlagenden Erfolg. Im inneren Staatsbildungsprozess des 18. Jahrhunderts nahm die Schule eine prägende Rolle ein, besonders Maria Theresia stand unter Druck und suchte nach einer Möglichkeit, ihr Territorium innerlich zu vereinen: Praktisch alle Besit-
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Abb. 2: In Anlehnung an den Heckerschen Gesetzestext von 1763 entstand das im Auftrag von Friedrich II. verfasste katholische „General-Landschul-Reglement“ (1765), durch das die Schulreform auf ganz Schlesien ausgedehnt wurde. Felbigers Schulreform trug dadurch wesentlich zur friedlichen Eingliederung Schlesiens in den preußischen Staat bei.
zungen, von den österreichischen Niederlanden über Lombardo-Venetien bis nach Siebenbürgen kamen in den „Genuss“ dieser Reform „von oben“. Durchsetzungsfähig und erfolgreich war sie vor allem durch zwei neue und heute selbstverständlich erscheinende Rahmenbedingungen: eine einheitliche Lehrerausbildung und einheitliche Schulbücher. Ihr Erfolg in den Ländern Ostmitteleuropa beruhte aber auch darauf, dass Felbiger sich dort, wo es nötig war, tolerant zeigte und durchaus Rücksicht auf lokale Traditionen und Einbindungen nahm.⁴ Es gilt allerdings einschränkend zu bedenken, dass „Erfolg“ relativ ist: Wir haben hier einen klassischen Fall von Differenz in Norm und Praxis vorliegen. Der tatsächliche Schulbesuch, immerhin durch ein Gesetz im Jahr 1774 in Österreich verpflichtend, belief sich für Kinder ab sechs Jahren auf nur 30.000, also schätzungsweise ein Sechstel der „schulpflichtigen“ Kinder. Als Joseph II. sich 1781 von Felbiger die Schulbesuchsstatistiken vorlegen ließ, musste er feststellen, dass nicht einmal ein Drittel der schulfähigen Kinder ihrer Schulpflicht nachkamen.⁵ Bis 1784 war die Zahl auf 119.000, etwa drei Fünftel, bis 1828 auf neun Zehntel der
Lambrecht, Karen: Tabelle und Toleranz: Johann Ignaz von Felbigers Reform der Volksschulbildung in Ostmitteleuropa. In: Orte des Wissens. Das achtzehnte Jahrhundert und Österreich: Jahrbuch der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des Achtzehnten Jahrhunderts (18/ 19). Bochum 2004. S. 153−167; dies.: Zur Forschungslage über den schlesischen Schulreformer Johann Ignaz von Felbiger in den Ländern Ostmitteleuropas. In: Silesiographia. Stand und Perspektiven der historischen Schlesienforschung. Festschrift für Norbert Conrads. Würzburg 1998. S. 257−265. Engelbrecht, Helmut: Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Bd. 3: Von der frühen Aufklärung bis zum Vormärz. Wien 1984. S. 119 f.
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Kinder im schulpflichtigen Alter angestiegen. Die Pläne Josephs II., Grundschulgebühren generell abzuschaffen, stießen wegen der Kosten auf Widerstand, und die Auseinandersetzungen endeten mit einem Kompromiss, der Jungen den kostenlosen Schulbesuch ermöglichte, während Eltern für die Schulbildung ihrer Töchter bezahlen mussten.⁶ Die Erfolgsgeschichte Felbigers endete bereits am 29. November 1781, auf den Tag genau ein Jahr nach dem Tode Maria Theresias, als ihr Nachfolger und Sohn Joseph II. in einem Handschreiben bestimmte, dass einer der bekanntesten Schulreformer des 18. Jahrhunderts aus dem Amt des Oberdirektors entlassen werden sollte. Joseph war insgesamt unzufrieden mit den Fortschritten der Schulreform und verbat sich die Einmischung Felbigers in den Bereich der Soldatenschulen.⁷ Am 18. Januar 1782 war es so weit: Felbiger musste sich auf seine Propstei in Pressburg zurückziehen.⁸ Bei der Schulreform und -pflicht handelte es sich also vielfach um eine Absichtserklärung, die die Obrigkeit vor allem auf dem Land nicht flächendeckend durchsetzen konnte. In Preußen wurde im Allgemeinen Landrecht von 1794 das Schulwesen zu einer „Veranstaltung des Staates“ (2, 12, § 1) erhoben, gleichwohl blieb es den Eltern überlassen, ihre Kinder privat zu unterrichten: „Aeltern steht zwar frey, nach den im Zweyten Titel enthaltenen Bestimmungen, den Unterricht und die Erziehung ihrer Kinder auch in ihren Häusern zu besorgen“ (2, 12, § 7).⁹ Bis heute sind Nachwirkungen einer regional unterschiedlichen frühneuzeitlichen Alphabetisierung spürbar: Um 1900 war Westeuropa in einen alphabetisierten, wirtschaftlich entwickelten und vornehmlich protestantischen Norden, ein Zentrum mit ausgeprägten regionalen Unterschieden, insbesondere in Frankreich, und einen weniger alphabetisierten, unterentwickelten Süden geteilt. In weiten Teilen Osteuropas waren die Verhältnisse ähnlich wie im tiefen Süden.¹⁰
Ducreux, Marie-Elisabeth: Reading unto Death: Books and Readers in Eighteenth-Century Bohemia. In: The Culture of Print: Power and the Uses of Print in Early-Modern Europe. Hrsg. von Roger Chartier. Oxford 1989. S. 191– 229, hier S. 213. Helfert, Joseph Alexander von: Die Gründung der österreichischen Volksschule durch Maria Theresia. Prag 1860. S. 613. Die Pressburger Propstei hatte Felbiger 1778 nach der endgültigen Resignation seiner HeimatAbtei im schlesischen Sagan erhalten. Immer wieder hatte er seine Rückreise aufgeschoben, weil er die Arbeit 1774 zunächst auf zwei Monate geschätzt hatte. Friedrich II. hatte aber schließlich darauf gedrungen, dass sein Untertan Felbiger, den er ja 1774 nur „kurz“ ausgeliehen hatte, wieder in sein Amt zurückkehrt oder zurücktritt. Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten. Von 1794. Mit einer Einführung von Hans Hattenhauer und einer Bibliographie von Günther Bernert. 3., erweiterte Aufl. Neuwied [u. a.] 1996. „Nur Großbritannien, die Niederlande und Deutschland hatten um 1910 eine Alphabetisierungsrate von 100 Prozent erreicht. Für Frankreich lag sie bei 87 Prozent, für Belgien […] bei
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Der Unterschied in der Alphabetisierung zwischen Stadt und Land bewog den Bildungsökonom Ludger Wößmann, den Zusammenhang von Protestantismus und wirtschaftlichem Erfolg neu zu erforschen und Max Webers Theorie von der protestantischen Arbeitsethik zu differenzieren. In seiner Untersuchung der protestantischen Landkreise in Preußen um 1870 stellte er eine höhere Alphabetisierungsquote – im Durchschnitt 10 % mehr – als in den katholischen Gebieten fest.¹¹ Trotz dieser Einschränkungen ist der langfristige Erfolg der Saganischen Lehrart nicht zu leugnen, sie setzt sich in Mittel- und Ostmitteleuropa (bis nach Russland) durch (Abb. 3).
Abb. 3: Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens, Bd. 3, S. 431.
Durch überzeugende strukturelle Vereinheitlichungen einmal in der Lehrerausbildung und auch in den Schulbüchern erweist sich Felbigers Schulreform als
85 Prozent.“ „Deutlich niedriger fielen die Werte für den europäischen Süden aus: 62 Prozent für Italien, 50 Prozent für Spanien, nur 25 Prozent für Portugal.“ Osterhammel, Jürgen: Die Verwandlung der Welt: Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. München 2009. S. 1119. Grafiken bei Vincent, David: The Rise of Mass Literacy: Reading and Writing in Modern Europe. Cambridge 2000. S. 9 f. Becker, Sascha O. und Ludger Woessmann: Was Weber Wrong? A Human Capital Theory of Protestant Economic History. In: Quarterly Journal of Economics 124 (2). S. 531−596; Bildet euch! Der Bildungsökonom Ludger Wößmann hat den Zusammenhang von Protestantismus und wirtschaftlichem Erfolg neu erforscht. Seine Erkenntnis: Der Soziologe Max Weber hatte nur halb recht. http://www.zeit.de/2009/01/C-Interview-Woessmann (20. 11. 2017).
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an lokale Verhältnisse anpassungsfähig und konfessionell kompatibel, so hatte er sich für den Unterricht in der Muttersprache eingesetzt und schon in Schlesien auf den zweisprachigen Druck der Schulbücher gedrungen. Schauen wir uns nach diesem Ausblick ins 19. Jahrhundert genauer an, wie und wo Grundsteine einer transkonfessionellen Verbreitung gelegt wurden und welche Rolle die Akteure des 18. Jahrhunderts spielten. Gerade das 18. Jahrhundert gilt als eine Zeit des intensiven Austauschs, als eine Zeit des Kulturtransfers, der auf der Makroebene zur breiten Europäisierung geführt habe. Genauso gut aber konnte er auf einer Mikroebene lokal limitiert bleiben, ohne zu weiteren „Ansteckungen“ (contagions) oder Ausbreitung zu führen.¹² Dabei ist der Bezugsrahmen der Kulturtransferforschung im Gegensatz zu älteren Arbeiten nicht mehr die Nation oder eine vermeintlich höherstehende kulturelle Bewegung wie die Aufklärung, die sich in als unterentwickelt angesehene Regionen ausbreitet, sondern der Fokus liegt auf den gegenseitigen Austauschprozessen. Ähnlich wie in der „entangled history“ ist das Ziel, möglichst „ent-grenzt“ zu denken, eben jenseits von geografischen Grenzen und Vergleichen Verflechtungen herauszuarbeiten.¹³ Für unseren Kontext der transkonfessionellen Verbreitung bietet sich der Begriff der Übersetzung (translation) an.¹⁴ Übersetzung kann sowohl im üblichen Wortsinn der sprachlichen Übersetzung, als auch im Sinne kultureller Übersetzung verwendet werden. Beides haben wir im Falle von Felbigers Schulreform vor uns liegen. Mit welchen Instrumenten gelang dies oder welche Wege des Kulturtransfers gab es? Am Anfang stand meist eine persönliche Begegnung oder ein persönlicher Kontakt, persönliche Mobilität war also entscheidend. In einem zweiten Schritt geschah der Austausch über verschiedene, meist schriftliche Medien: Briefe, Schriften, Rezensionen.¹⁵ Schließlich wurde transformiert und modifiziert, manchmal aber jedoch einfach kopiert und kompiliert. Eine Schwierigkeit konnte freilich sein, dass man sich bei Übernahmen oder Übertragungen des Plagiats, also des geistigen Diebstahls, schuldig machen konnte. Es gab hier unter-
So etwa Schmale, Wolfgang: Kulturtransfer. In: Europäische Geschichte Online (EGO). Hrsg. vom Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG), Mainz 2012– 10 – 31. URL: http://www.iegego.eu/schmalew-2012-de; URN: urn:nbn:de:0159 – 2012103101 (20. 11. 2017). Kaelble, Hartmut: Die Debatte über Vergleich und Transfer und was jetzt?. In: Connections. A Journal for Historians and Area Specialists, 8. 2. 2005, www.connections.clio-online.net/article/ id/artikel-574 (20. 11. 2017). Burke, Peter [u. a.] (Hrsg.): Cultural Translation in Early Modern Europe. Cambridge 2007. Lambrecht, Karen: Gelehrte Briefe: Sagan und das Korrespondentennetz von Johann Ignaz von Felbiger. In: Śla̜ska republika uczonych [Schlesische Gelehrtenrepublik]. Bd. 1. Dresden 2004. S. 307−329.
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schiedliche Handlungsoptionen, die ich im Folgenden genauer betrachten möchte. Felbiger setzte preußisch-protestantische Vorbilder in katholische Zusammenhänge um – seine wichtige Eigenleistung bestand vor allem in einer Vereinheitlichung der Lehrerausbildung und der Schulbücher.Vorbilder waren etwa das „Pädagogium“ und „Seminarium“ August Hermann Franckes in Halle sowie die Ökonomisch-Mathematische Realschule Johann Julius Heckers in Berlin, mit der seit 1748 ein „Kursus“ zur Ausbildung von Schullehrern verbunden war. Er modifizierte die Methode kaum, als er sie in Sagan einführte und von da aus verbreitete, dennoch wurde sie später nur noch unter dem Namen „Saganische Lehrart“ geführt. Hecker schien auf die Übernahme seiner Reform durch Felbiger stolz und lobte sein außerordentliches Engagement: Der katholische Prälat, Herr von Felbiger, dessen in der Nachricht¹⁶ gedacht, hat sich dasselbe [GLR] sowohl als die ganze Schuleinrichtung bei der Dreifaltigkeits-Kirche zunutze gemacht. Er beweiset mehr Eifer in Verbesserung der Schulen als die evangelischen geistlichen Vorsteher. Er hat ein vortreffliches Reglement für seine katholischen Dorf-Schulen verfertigt, von welchem ich wünsche, dass E. E. solches lesen möchten, um die evangelischen Consistoria zu ermunteren, ein Gleiches zu thun und nunmehro, da sie in vorigen Zeiten den sogenannten Pietisten nachzuahmen für eine Heterodoxie gehalten, den Papisten nicht anzugeben.¹⁷
Mit der Aufforderung Heckers, sich den katholischen Felbiger zum Vorbild für die protestantischen Gemeinden zu nehmen, erlaubte man eine Rückwirkung, die sich später in einigen größeren protestantischen Territorien wie Sachsen-Weimar tatsächlich auch vollzog.¹⁸ Felbigers Reglement hatte zwar das Heckersche zur Grundlage, er vertiefte und verdreifachte es aber auf 73 Paragrafen. Das wichtigste Element von Felbigers pädagogischer Methode wurde die sogenannte Buchstaben- und Litteralmethode,¹⁹ die Johann Friederich Hähn, zunächst Lehrer an der Heckerschen Realschule und ab 1762 Abt und Rektor von Kloster Berge, in Berlin entwickelt hatte. Bei dieser Methode schrieb man den Lehrstoff und die Anfangsbuchstaben der da-
Hecker, Johann Julius: Nachrichten von den Schulanstalten bey der Dreyfaltigkeits-Kirche insonderheit von der Real-Schule auf das Jahr 1763 in einem Brief an einen Prediger auf dem Lande mitgetheilet. Funfzehnte Fortsetzung. Berlin 1764. S. 12 f. Abgedruckt bei Lehmann, Max: Preußen und die katholische Kirche seit 1640. Nach den Acten des Geheimen Staatsarchivs. Tl. 4 (1758−1775). Leipzig 1883. Nr. 147, S. 152. Schema bei Engelbrecht, Geschichte, Bd. 3, S. 431. (Abb. 3). Hähn, Johann Friedrich: Berlinisches neu eingerichtetes ABC Buchstabier und Namenbüchlein. 3 Teile. Berlin 1758−1761.
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zugehörigen Wörter in Form von synoptischen Tabellen (Abb. 4– 6) an die Tafel bzw. ins Heft und lernte sie auswendig.
Abb. 4, 5 und 6: Beispiele für Felbigers Anwendung der Tabellen und Buchstabenmethode, hier angehängt an sein Hauptwerk „Eigenschaften“ von 1768.
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So schreibt man den Satz „Die christliche Lehre handelt man ab“ mit den Buchstaben „D ch L h m a“ an die Tafel. Hähn jedenfalls schien im Gegensatz zu Hecker wenig davon begeistert, als die von Felbiger verwendete Methode so erfolgreich und bekannt wurde, dass sie die Bezeichnung „Felbigersche“ oder „Saganische Lehrart“ trug. Er stellte in einer eigenen Schrift von 1777 klar, dass sein Berlinisches ABC-Buch das ursprüngliche war: Daß dieses catholische Buchstabirbüchlein des Herrn von Felbiger, wirklich aus dem Berlinischen gemachet worden sey, hat dieser Prälat selbst §42 und 43 in der Vorrede zu seinem ABCbüchlein mit ausdrücklichen Worten bezeuget. Diese lauten also: Es ist nichts mehr beyzusetzen übrig, als das offenherzige Bekenntniß, daß diese vortheilhafte Lehrart, nicht eine Erfindung meiner Person sey, die mit dieser Schule in Verbindung stehet: Es ist die Lehrart der, durch ganz ausnehmende Vortheile im Unterrichten und die große Menge geschickter Schüler, berühmten Berliner Realschule.Von dieser ist sie entlehnt, oder vielmehr, wegen ihrer geprüften Güte, und bey eigener, genauer Untersuchung erkannten Nützlichkeit, angenommen, um etwas weniges vermehret und verändert worden. Der Stifter und Director dieser so weitläufigen, als vortrefflichen Schulanstalt, (dis war der Wohlseelige Herr Ober-Consistorialrath Hecker) hat die Güte gehabt zu erlauben, aus seinen Schulbüchern dasjenige auszuziehen, was hiesigen Schulen nützlich sein könnte, und allenfalls zu verändern, was deren Umstände anders erfordern möchten. Man hat sich dieser Erlaubnis bedienet. Und also ist dieses Büchlein entstanden, welchem man, seiner Bestimmung halber, den Namen des Saganischen beylegen zu dürfen geglaubt. Sagan, den 7 May 1763.²⁰
Was Felbiger dazu bewogen haben könnte, zwar Hecker und Hähn die Initialzündung zuzusprechen, aber nicht genau zu belegen, was er von wo übernommen hat, kann durch Rücksichtnahme auf die eigenen Glaubensgenossen erklärt werden. In einer recht kritischen Schrift, die nach Felbigers Entlassung verfasst wurde, stellt der unbekannte Autor vor allem Felbigers Mut heraus: Vor allem lasset uns einen unpartheyischen Blick auf den Hrn. Prälaten von Felbiger selbst werfen. Er hat um die Pädagogik nicht viel Verdienst. Dies bestätigt nur zu deutlich sein errichtetes Normalinstitut, sein Plan, seine Methode, und die ihm vorgelegten Schulschriften. Nur das einzige, wenn es den Namen eines Verdienstes verdient, gebührt ihm, dass er vor ungefähr dreysig Jahren als Klostergeistlicher den zu damaligen Zeit überkühnen Muth besaß, nach dem unkatholischen Berlin zu reißen, wo eben die Realschule eingerichtet war. In dieser Stadt hielt er sich so gar eine ziemliche Zeit auf, wohnte der Realschule bei, und erlernte in derselben aufgenommene Methode. Es war nämlich die Buchstabenmethode, welche Hr. Abt Hähn eben erfunden hatte. Daß dieses sein Unternehmen viel Muth voraussetzte, ist unstreitig. Da zur selben Zeit der Verfolgungsgeist noch ausserordentlich gleich
Hähn, Johann Friedrich: Ausführliche Abhandlung von der Literal-Methode. Berlin 1777. S. 14 f.
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einer Furie rasete, so ward auch alles, selbst wenn es seiner innern Güte noch offenbare Vortrefflichkeit besaß,verworfen, so bald es nur von Protestanten herrührte. Aus diesen löset sich das vielen verborgene Räthsel von selbst auf, warum nämlich die Normalschulmethode, die nach dem Namen ihres Erfinders die hänsche heißen sollte, die neue saganische heißt. Man hat derselben diesen bisherigen Namen aus grosser Unwissenheit und mit Unrecht beigelegt. […] Herr von Felbiger, der sich dieser Methode aus Berlin geholet hate, war Augustiner im Kloster zu Sagan, und ward daselbst Prälat. Als solcher fühlte er sein Vermögen, führte seine erlernte Methode so wohl zu Sagan, als auf den zu seinem Konvent gehörigen Gütern ein, gab selbe für seine Erfindung aus, und machte sich auf Hähns Unkosten in seinem Zirkel weit und breit berühmt. Dabei blieb es nun auch, selbst wie er nach Wien kam. Hier hielt man ihm gleich von allem Anfange an für den Erfinder derselben, und man hält ihn noch dafür. Diese irrige Meinung trug nun allerdings viel zu seinem hiesigen Ansehen und Rufe bei. Auch ist seine Absicht offenbar, warum er jedermann dabei ließ. Denn es würde übel gelassen haben, wenn er mit Wissen des wienerischen Publikums Hähns Methode, der ein Protestant ist, und die der Berliner Realschule zum Grunde liegt, in die Schulen der Katholiken eingeführt hätte.²¹
Felbigers Hauptwerk von 1768, Eigenschaften, war die erste und auf lange Zeit hin die einzige katholische Schulkunde. Rein pädagogische Ideen finden wir in seinen Schriften generell nicht, seine Bedeutung lag auf dem praktischen Gebiet und in der Nutzbarmachung pädagogischer Grundsätze. Der österreichische Bildungshistoriker Helmut Engelbrecht stellt zu Felbigers pädagogischen Schriften fest, dass sie „im Grunde genommen keine großartigen pädagogischen Aussagen“ machen, wolle man sie auf die originären Gedanken hin prüfen, „von den Auswirkungen her erhalten sie allerdings Gewicht und Bedeutung.“²² In Briefen offenbarte Felbiger durchaus die Quellen seiner Anregungen, in den Werken selbst jedoch vermissen wir Belege, Verweise oder Anmerkungen. Auf seiner Reise im Frühjahr 1765 hatte Felbiger Kontakt zum Waisenhaus und den Franckeschen Anstalten in Halle. Das dort erschienene Schulbuch des evangelischen Pfarrers Conrad Friedrich Stresow²³ floss in die Arbeit an den Eigenschaften ²⁴ ein. In einem
Scholtz, K. F. (Hrsg.): Kritik über die Normalschulen von einer Gesellschaft Erzieher. Bd. 1. Wien 1786. S. 41−43. Engelbrecht, Helmut: J. I. Felbiger und die Vereinheitlichung des Primarschulwesens in Österreich. Bemerkungen zur pädagogischen Schrift „Kern des Methodenbuches, besonders für die Landschulmeister in den kaiserlich-königlichen Staaten (1777)“. In: Felbiger, Johann Ignaz: Kern des Methodenbuches. Wien 2. Aufl. 1981 [Nachdr. der Ausgabe Wien 1777]. Anhang, S. 1– 22, hier S. 14. Stresow, Conrad Friedrich: Conrad Friderich Stresow, Kirchen-Probsten auf Femern, Vollständiges Handbuch für Schulmeister, besonders auf dem Lande, die ihnen anvertraute Jugend fruchtbarlich zur Seligkeit zu unterweisen, Auch von christlichen Eltern, zur gesegneten Erziehung ihrer Kinder, und bei häuslicher Unterweisung, in vielen Stükken nüzlich zu gebrauchen. Halle 1765.
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Brief an den Leiter der Buchhandlung des Waisenhauses, Johann Michael Witte, schrieb er am 20. April 1768 (Abb. 7): Ich errinnere mich noch mit Vergnügen der vor drey jahren gemachten Bekantschaft, und des mir damals gegebenen Buches nämlich Stressers vollständigen Handbuches für Schulmeister. Da ich nun bemüßiget worden eine ähnliche Arbeit nach diesem schönen Muster zu verfassen, so kann ich nicht ermanglen Euer Hoch und Wohl Edlen davon ein Exemplar zum Zeichen meiner Erkenntlichkeit beyzufügen.²⁵
Originalität beanspruchte Felbiger auch gar nicht: In seinem Methodenbuch von 1775 betonte er, dass er sich bei der „Anleitung zur deutschen Sprachlehre“ „der neuesten Sprachlehren bedienet“ habe.²⁶ Was er in der Vorrede zu den Eigenschaften von 1768 beschrieb, ist eine klassische Kompilation und könnte als frühe Form eines „wikis“, also eines gemeinschaftlich erstellten Textes, gelten: Wir stellen gar nicht in Abrede, daß ein großer Teil von dem Inhalte dieses Buches aus vielen anderen vortrefflichen Schriften dieser Art sei gesammelt und bloß in anderer Ordnung und Verbindung, nämlich wie es den Umständen unserer Schulleute gemäß war, vorgetragen worden. Dies erinnern und gestehen wir offenherzig, um bei Kennern dem Vorwurfe eines gelehrten Raubes auszuweichen. Wir sahen nicht für gut an, durch Anführung der dabei gebrauchten Schriften jenen Personen, die alles übel auslegen,Verdacht zu erwecken und sie auf den Einfall zu bringen, als wollten wir mit Belesenheit und Bücherkenntnis prahlen. Lesern kann und wird es immer gleichgiltig sein, ob nützliche Wahrheiten von dem Verfasser des Buches erfunden und zuerst vorgebracht worden, oder ob er bloß diese zu ihrem Besten gesammelt hat.²⁷
Eigenschaften, Wissenschaften, und Bezeigen rechtschaffener Schulleute, um nach dem in Schlesien für die Römisch-katholischen bekannt gemachten Königl. General-Landschulreglement in den Trivialschulen der Städte, und auf dem Lande der Jugend nützlichen Unterricht zu geben. Nebst einer Vorrede, von den Absichten, und einer ausführlichen Tabelle von dem Inhalte dieses Buches, samt 2 Kupfern. Cum privilegio. Sagan: im Verlag der kathol. Trivialschule. Gedruckt bey Johann Christoph Lauhen, 1768. Felbiger an Johann Michael Witte. Sagan, den 20. April 1768. Eigenhändige Ausfertigung. Franckesche Stiftungen zu Halle, Bibliothek. Eingeklebt in Felbigers Eigenschaften, Wissenschaften und Bezeigen […]., siehe auch Abb. 7. Eine Edition der Briefe Felbigers befindet sich in Vorbereitung der Autorin. Methodenbuch für Lehrer der deutschen Schulen in den kaiserlich-königlichen Erbländern, darinn ausführlich gewiesen wird, wie die in der Schulordnung bestimmte Lehrart nicht allein überhaupt, sondern auch insbesondere, bey jedem Gegenstande, der zu lehren befohlen ist, soll beschaffen seyn. Nebst der genauen Bestimmung, wie sich die Lehrer der Schulen in allen Theilen ihres Amtes, ingleichen die Directoren, Aufseher und Oberaufseher zu bezeigen haben, um der Schulordnung das gehörige Genügen zu leisten. Wien 1775. S. 171. Felbiger, Johann Ignaz von: Eigenschaften, Wissenschaften, und Bezeigen rechtschaffener Schulleute, um nach dem in Schlesien für die Römisch-katholischen bekannt gemachten Königl.
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Abb. 7: Brief Felbigers an den Leiter der Buchhandlung des Waisenhauses, Johann Michael Witte, datiert: Sagan, den 20. April 1768.
Felbigers Methode selbst war also an sich nicht neu, sondern basierte auf protestantischen Vorbildern, aus denen er das zusammensetzte, was unter dem Namen „Saganische Lehrart“ bekannt und berüchtigt wurde. Felbiger nutzte die Form der Aneignung von Anfang an, wobei es ihm oftmals nicht möglich schien, die Quellen seiner Erkenntnisse offen zu legen. Aufschlussreich in diesem Zusammenhang ist, was er Friedrich Eberhard von Rochow, dem protestantischen Aufklärer und Schulreformer, offenbarte, ohne freilich zu wissen, dass es sich um Rochow handelte. Am 10. November 1772 schrieb Felbiger an den ihm noch unbekannten Verfasser des Kinderfreundes: Endlich aber erlauben Sie mir von Dero Arbeit meinen Umständen nach Gebrauch zu machen. Ich muß aber deßhalben bald im voraus sagen, daß ich dabey die Quelle nicht wohl nennen könne, aus der ich geschöpfet, denn dadurch geriethe ich bey meinen Glaubens-
General-Landschulreglement in den Trivialschulen der Städte, und auf dem Lande der Jugend nützlichen Unterricht zu geben. Nebst einer Vorrede, von den Absichten, und einer ausführlichen Tabelle von dem Inhalte dieses Buches, samt 2 Kupfern. Cum privilegio. Sagan 1768, Vorrede.
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genossen in Gefahr, dem Gebrauch desselben Hindernisse zu machen. In Betracht dessen hoffe ich, Sie werden mich darüber nicht etwa eines plagii zu beschuldigen geneigt seyn.²⁸
Rochow, der sogar als „Lehrer“ von Felbiger bezeichnet wurde,²⁹ beschuldigte ihn zwar nicht des Plagiats, war jedoch wenig angetan von Felbigers Tabellenform, die das eigene Denken verhindere,³⁰ eine grundsätzliche Kritik, mit der sich Felbiger in den nächsten Jahren immer wieder auseinandersetzen musste, und die 1782 in einem absoluten Verriss in der von Friedrich Nicolai herausgegebenen Allgemeinen Deutschen Bibliothek kulminierte.³¹ Dabei hatte Felbiger diese Gefahr durchaus selbst gesehen – der Wille, durch die Schule zum selbstständigen Denken anzuregen, hatte ihn zu Beginn sogar zu seiner Schulreform motiviert.³² Rochow gegenüber argumentierte er mit dem Bildungsstand der Lehrer, die einer genaueren Anleitung bedürften: […] vermuthlich dürfte Ihnen die Tabellarische Form zu pedantisch, und für denkende Lehrer zu einschränkend scheinen. Allein vergessen Sie nur nicht bey Ihrem Urtheile, daß hier die Candidati Theologiae oder Ministerii noch nicht in Schulen lehren; daß dermalige Schulleute selbst nicht viel zu denken vermögen, daß man sie aber dahin zu bringen beflissen sey,
Felbiger an Friedrich Eberhard von Rochow. Sagan, 10. November 1772. Das Autograf galt schon 1884 als verschollen. Druck bei Rochow, Friedrich Eberhard von: Litterarische Correspondenz mit verstorbenen Gelehrten. Bd. 1. Berlin – Stettin 1799. S. 241−245; Rochow, Friedrich Eberhard von: Litterarische Correspondenz des Pädagogen […] Rochow mit seinen Freunden. Neu hrsg. und vermehrt von F[ritz] Jonas. Berlin 1885. S. 16−18. Pinloche, Auguste: Geschichte des Philanthropismus. Leipzig 1896. S. 452. Rochow schrieb am 27. November 1772: „Wie aber, wenn, da einmahl doch gebessert werden soll, es sich fände, daß die Tabellenmethode die Seele verengerte, sie in die ihr eignen Klammern einschlösse, und den uns befohlnen Wachsthum an Vollkommenheit, ich will sagen, den fortgesetzten Fleiß bis ans Ende, nämlich an Erkenntniß zu zunehmen, verhinderte? Ich kann gar wohl denken, warum sie bisher in dieser oder jener Kirche die geltende geworden. Sollte sie aber nicht die Quelle mancher gelehrten Lieblosigkeit, unvermerkt geworden seyn? Und wo bleibt nach dieser Methode das so nöthige Platzlassen […]? Verliebt in das, was er weiß, und sein System nennt, scheut Mancher mehr zu wissen, aus Furcht neuer Tabellen zu bedürfen.“ Druck bei Rochow: Litterarische Correspondenz (1799), S. 246−252; Jonas, Litterarische Korrespondenz, S. 18−22. So kritisiert etwa Leonard Gruber in der Allgemeinen Deutschen Bibliothek 52 (1782), S. 207−271, den Gebrauch der „maschinenmäßigen, tändelnden, verstandslosen Hähn’schen Wort und Gedächtnismethode“, von der Felbiger „nur der Nachahmer sey, welches auch Hr. v. Felbiger selbst nicht läugnen wird“ (hier S. 215). Lambrecht, Karen: „Die Schüler werden nicht zum Nachdenken angeleitet“ − Der Schulreformer Johann Ignaz von Felbiger (1724−1788) und die Leopoldina. In: Die tolerierte Universität. 300 Jahre Universität Breslau 1702 bis 2002 Katalogbuch zur Ausstellung „Die tolerierte Universität“. Stuttgart 2004. S. 201−209.
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damit sie wenigstens vordenkenden Köpfen nachdenken, und Sachen in der Ordnung, und auf die Art lehren, wie sie ihnen sind vorgeschrieben worden.³³
War es also ein Grundprinzip der Gelehrtenrepublik, seine Quellen zwar nicht zu belegen, aber dann auf informellem Wege bekannt zu machen – wie zwischen Felbiger und Hecker bzw. Hähn sowie zwischen Felbiger und Rochow geschehen war? Verhinderte eine mögliche Zensur die Nennung der Quellen? Vermutlich handelte es sich eher um eine Art „konfessionelle Reputation“, die durch die Benutzung protestantischer Quellen nicht gefährdet werden sollte. Felbiger erhielt für alle seine Schulschriften ein bischöfliches Imprimatur, vereinzelt auch noch eine Widmungsschrift oder ein Vorwort. Ebenso wie in der Lehrmethode basierte auch die deutsche Sprachlehre Felbigers auf einem protestantischen Vorbild: auf Johann Christoph Gottscheds Kern der deutschen Sprachkunst. Auch hier ist der Autor stolz, dass sein Buch dank Felbiger Aufnahme in ein Gesetz gefunden habe und dadurch „classisch“ geworden sei.³⁴ Zu einer erfolgreichen Übertragung der Schulreform gehörte, wie Felbiger richtig erkannte, ein toleranter Umgang mit anderen Sprachen und Religionen, was sich besonders im multilingualen und -konfessionellen Ostmitteleuropa bewährte. Eine Besonderheit der einzelnen Schulbücher sind deshalb die schon in Schlesien praktizierten zweisprachigen Ausgaben. Die Aktivität ganzer lokaler Schulkommissionen war auf die Verfertigung von Übersetzungen der Schulbücher konzentriert. Felbigers selbst kompilierten „Anleitungen“,³⁵ besonders die Grammatiken, wurden in der Folge Grundlage von Schulbüchern in Ländern wie Russland, die gar nicht zum Herrschaftsgebiet der Habsburger gehörten, weil sie sich von Aufbau und Anlage her besonders gut für Übertragungen eigneten. Besonders für die slawischen Grammatiken war die von Felbiger kompilierte Verbesserte Anleitung zur deutschen Sprachlehre, die in Wien seit 1779 immer wieder nachgedruckt wurde, von großer Bedeutung. Unabhängig voneinander orien Felbiger an Johann Michael Witte. Sagan, den 20. April 1768. Eigenhändige Ausfertigung. Franckesche Stiftungen zu Halle, Bibliothek. Eingeklebt in Felbigers Eigenschaften, Wissenschaften und Bezeigen […]. 172 C 6, siehe auch Abb. 7. Gottsched, Johann Christoph: Kern der deutschen Sprachkunst. Aus der ausführlichen Sprachkunst […] Gottscheds, zum Gebrauche der Jugend, von ihm selbst ins Kurze gezogen. Leipzig 1753 [dann weitere Aufl.], hier Aufl. 1766, in der „Erinnerung wegen dieser fünften Auflage“. Etwa die in Wien gedruckten „Anleitung zur deutschen Rechtschreibung“ (1774), „Anleitung zur Rechtschaffenheit“ (1774), „Anleitung zur Rechenkunst“ (1774), „Anleitung zur Sittsamkeit“ (1774), „Anleitung zum Schönschreiben“ (1775), „Anleitung zur deutschen Sprachlehre“ (1775), „Anleitung zur Schreibart in Briefen“ (1775).
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tierten sich zwei heute noch erwähnenswerte slawische Grammatiker an den Lehren der „Verbesserten Anleitung“: Anton A. Barsov in seiner handschriftlichen Rossijskaja grammatika aus den 1780er-Jahren und Avram Mrazović in seinem 1794 in Wien gedruckten serbischen Rukovodstvo k slavenstěj grammaticě. ³⁶ Bei den „Wiener Anleitungen“ beschäftigte Felbiger einen ganzen Stab von Mitarbeitern, deren Anteil im Einzelnen nicht nachvollziehbar ist. In manchen Regionen waren die Schulbücher teilweise die ersten Drucke in den jeweiligen Sprachen. Felbigers Anleitung zur Rechenkunst von 1777 etwa war die Grundlage für die ersten Rechenbücher in rumänischer Sprache, die von Theodor Janković und Gheorghe Şincai verfasst wurden. Das Illyrische, die Sprache in den Königreichen Kroatien, Slawonien und Dalmatien, verfügte außerdem noch über keine einheitlichen grammatischen und orthografischen Normen, von der Lexik ganz zu schweigen. Gerade bei Lehrbuchautoren waren Übersetzungsplagiate gängige Praxis, dennoch gingen die Autoren mit der Frage, ob und wie eine Quelle nachzuweisen wäre, ganz unterschiedlich um. Das, was in Anlehnung an LaFollette als „interlingual plagiarism“³⁷ bezeichnet werden könnte, setzte jedoch voraus, dass ein potentieller Leser das Original kennen muss, um überhaupt einen Textvergleich anstellen zu können. Selbst für heutige Leser gestaltet sich dies schwierig und ist oftmals nur über die entsprechende Software zu erkennen. Die zeitgenössischen Leser konnten diese Übereinstimmungen vermutlich nicht erkennen. Eine Ursache für die Übersetzungsplagiate kann man in der Natur des zu vermittelnden Stoffes suchen: Ähnlich wie bei lexikalischen Beschreibungen in Wörterbüchern sind die Möglichkeiten beschränkt. Außerdem ging es den kompilierenden Autoren nicht um Innovationen, sondern um bessere Vermittlung eines Sachverhaltes. Man könnte es als das bezeichnen, was Ute Tintemann als „intelligentes Remixing“ bezeichnet hat.³⁸ Lässt sich bei der Lehrmethode und bei den sprachwissenschaftlichen Werken zumindest eine Art Autorenschaft Felbigers konstatieren, so stammen die ihm
Keipert, Helmut: Die „Wiener Anleitung“ in der slavischen Grammatikographie des ausgehenden 18. Jahrhunderts. In: Zeitschrift für slavische Philologie 51 (1991). S. 23−59, hier S. 26 – 28, S. 36. LaFollette, Marcel C.: Stealing into Print: Fraud, Plagiarism, and Misconduct in Scientific Publishing. Berkeley [u. a.] 1992. Hierzu Tintemann, Ute: Übersetzungsplagiate oder intelligentes Remixing? Zu Karl Philipp Moritzʼ Englischer Sprachlehre für die Deutschen. In: Zitat, Paraphrase, Plagiat. Wissenschaft zwischen guter Praxis und Fehlverhalten. Hrsg. von Christiane Lahusen und Christoph Markschies: Frankfurt/M. 2015. S. 109−122, hier S. 118; Eighteenth Century Linguistics and Authorship: the Cases of Dyche.
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zugeschriebenen Katechismen von seinem wenig genannten Prior Benedikt Strauch – hier haben wir es mit Texten zu tun, die der inzwischen bekannt gewordene Felbiger unter seinem Namen veröffentlichte. Für Felbiger und Strauch lag ein Schwerpunkt ihrer Tätigkeit im Erstellen eines zeitgemäßen Katechismus. So wie Luther und Canisius gleichsam für die Katechismusarbeit der Reformation und Nachreformation stehen, so steht Felbiger für die der Aufklärung.³⁹ Auf der Grundlage des Katechismus von Petrus Canisius gab Felbiger 1766 einen Katechismus heraus. Felbiger selbst aber war nur der Verfasser weniger Stücke und der Vorreden. Strauch verfasste zunächst zwei Katechismen, einen kleineren und einen größeren. Felbiger fügte später noch einen dritten hinzu und setzte ihm eine katechetische Tabelle bei, wonach alle Katechismen geordnet waren. Diese erschienen in der neuen Auflage unter dem Titel Schlesischer Katechismus für die erste, zweite und dritte Klasse. Aber auch Strauch übernahm einen Katechismus von Georg Heinrich, mit dem Taufnamen Heinrich Hilarius, der 1734 in das Saganer Stift eingetreten war und später die Pfarreien Quilitz und Brießnitz erhielt. Sein wohl nur in den Schulen der Stiftsortschaften eingeführter dreiteiliger Katechismus war der Vorläufer des späteren Saganer Katechismus.⁴⁰ Der Saganer Katechismus kam als erstes im Verlag der deutschen Schulanstalten in den Druck und sicherte damit das nötige Betriebskapital, denn Ordinarien und Prälaten spendeten hierfür Geld.⁴¹ Die katechetische Arbeit entwickelte sich immer stärker zu einem Steckenpferd Felbigers, der besonders für den Katechismus von Johann Georg Schlosser reges Interesse zeigte. In Wien schließlich arbeitete er intensiv an der Entstehung des Österreichischen Einheitskatechismus. Dieser fand große Verbreitung in der österreichisch-ungarischen Monarchie, nachdem sich 47 bischöfliche Ordinate nach einigen Verbesserungen am 6. August 1776 auf ihn geeinigt hatten. Er kam 1777 in Wien in zwei Teilen zur Ausgabe, der Kleine Katechismus (90 S.)⁴² in zwei Abteilungen für Landschulen mit zwei Klassen und der Erweiterte (359 S.)⁴³ für die Stadtschulen mit drei Klassen.
Mühlek, Karl: Wandel in Inhalt und Methode der deutschsprachigen Katechismen von Luther und Canisius bis Mönnichs (1925). In: Der Katechismus von den Anfängen bis zur Gegenwart. Ausstellung in der Bischöfl. Zentralbibliothek Regensburg, 18. September bis 18. Dezember 1987. S. 33−47, hier S. 39. Volkmer: Johann Ignaz von Felbiger und seine Schulreform, S. 8. Jaklin, Ingeborg: Das österreichische Schulbuch im 18. Jahrhundert. Aus dem Wiener Verlag Trattner und dem Schulbuchverlag. Wien 2003. S. 112−114. Von den unüberschaubar vielen Ausgaben sei hier zitiert: Kleines Lesebuch für Schüler der Trivialschulen in den k. k. Staaten. I. Theil. Religionslehren. Wien 1777; Zweyter Theil des Lesebuchs für die Landschulen, ohne Fragen zum Gebrauch der Schüler. Wien 1777.
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Felbiger stellte Strauchs Verfasserschaft und Anteile nie in Abrede; kurz vor seinem Tod schrieb er etwa in der Vorrede zu Strauchs Betrachtungen und Gebete von 1788: […] wo auch der von Ihnen auf Veranlassung des seligen Wiener Katecheten und nachherigen Innspruker Normalschuldirektors Tangel für die Wiener Schulen verfaßte Katechismus, unter den Namen des Tabellarischen angeführet ist, den ich zum Unterschiede von den übrigen wegen seiner ursprünglichen Form also benennet habe. In der That ist letzt erwähnter Katechismus derjenige, der zum Grunde dessen geleget worden, welcher im Jahr 1777 unter dem Vorsitze des Herrn Kardinal Erzbischofes Christoph Anton von Migazzi für die österreichischen Staaten ist vollendet, von sämmtlich erbländischen Herren Erz- und Bischöfen gebilliget, dann aber im folgenden Jahr ist eingeführet worden, der nun auch in sämmtlichen k. k. Staaten allgemein gebrauchet wird.⁴⁴
Wir sehen also einen als Schulreformer berühmt geworden Mann vor uns, der in recht pragmatischer Form Wissen und Schriften übernommen und dann weitergegeben hat. Seine Leidenschaft galt allerdings einem anderen Feld, und zwar den Naturwissenschaften, etwa im Bereich der Gewitterableitung und der Wetterbeobachtung. Hier wirkte er durchaus fortschrittlich und sogar innovativ – so errichtete er den ersten Blitzableiter in Schlesien auf dem Dach seiner Klosterkirche.⁴⁵ Mit seiner Vollzeitbeschäftigung als Schulreformer in Wien konnte Felbiger diesen forschenden Neigungen allerdings nicht mehr nachgehen, dafür war er im Schulwesen enorm produktiv. Sein Schriftenverzeichnis zählt inzwischen über 200 Haupttitel, die sich durch weitere Auflagen, Übertragungen und Übersetzungen in die Tausende bewegen.⁴⁶ Schwierig ist einerseits eine klare Zuschreibung auf den Autor „Felbiger“, schwierig anderseits ist die Abgrenzung von Lehrbüchern in verschiedenen lokalen Ausgaben. Beim Grossen Lesebuch etwa sind die Prager, Krakauer und Lemberger Drucke identisch, die Prager Ausgabe weist jedoch eine Erweiterung auf 330 Seiten (Die Biblische Geschichte der Reli-
Der große Katechismus mit Fragen und Antworten, samt der vollständigen Einleitung in die Kenntnis der Gründe der Religion, und den beweisenden Stellen, zum Gebrauche in den k. k. Staaten. Mit […] Druckfreyheit etc. Wien 1777. [Felbiger, Johann Ignaz von]: Vorrede zu: Benedikt Strauch: Betrachtungen und Gebete besonders für Personen, die lange krank sind, und sich christlich zu sterben wohl vorbereiten wollen. Pressburg 1788. Felbiger, Johann Ignaz von: Die Kunst Thürme oder andere Gebäude vor den schädlichen Wirkungen des Blitzes durch Ableitungen zu bewahren, angebracht an dem Thurm der Saganischen Stifts- und Pfarrkirche, von dem Abt dieses Stifts Can. reg. Ord. S. Augustini, Congr. Later. Breslau: bey Johann Friedrich Korn, dem ältern, 1771. Eine Zusammenstellung wird im Rahmen der von der Autorin herausgegebenen Briefedition veröffentlicht werden.
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gion. Das dritte Stück des ersten Theils des Lesebuches) auf. Spätestens hier wird dann unübersichtlich, welchen Anteil Felbiger tatsächlich noch an den einzelnen Werken hatte. Problematisch ist außerdem die Überlieferung: Bibliotheken sammelten Schulbücher in der Vergangenheit meist nicht systematisch. Deshalb gelten in einigen Fällen ganze Auflagen von dieser allzu vergänglichen Gebrauchsliteratur als verloren. Dabei waren die Auflagenzahlen hoch, sind aber nicht mehr genau zu ermitteln. Trotz der großen Verluste zeigen die in den Dokumenten erwähnten und nachgewiesenen Bücher jedoch – selbst nach den belegten Standorten – die weite Verbreitung der Lehrbücher.⁴⁷ Wissenschaft wird vom Motor der Innovation angetrieben: das Neue ist per se positiv, es ist das „Ereignis des Neuen“. Die Idee des gelehrten Kollationierens ist nun mit einer auf Wahrheit abgestellten philologischen Nachweispraxis verbunden, deren Kern eine Verpflichtung auf Wahrhaftigkeit darstellt.⁴⁸ Die Vormoderne hat anders argumentiert: Das Wissen war in der Welt und musste nur wiedergefunden werden, nicht aber im Sinne eines neuen, über den Schöpfungsprozess hinausgehendes Wissens entdeckt werden. Es herrschte das Prinzip der „Aemulatio“, das Nacheifern der Alten: Die Gelehrten übernahmen voneinander, reicherten an, eine Idee von Originalität stand nicht im Mittelpunkt und konnte erst dann gedacht werden, wenn das Neue gegen das Alte ins Feld zu führen war. Das Umstellen auf Unverwechselbarkeit, das den Diskurs spätestens seit dem 18. Jahrhundert prägt, ist eine Originalitätsunterstellung, die – als Individualität – zum Signum Einzelner wird und damit zugleich zum Abgrenzungskriterium. Was wir aus Felbigers „Nehmen und Geben“ lernen, ist ein noch unbefangenes, ja auch mit Stolz verbundenes Erarbeiten von gemeinsamem Wissen. Konnten aus religiöser Rücksicht genutzte Quellen nicht genannt werden, so versuchte zumindest Felbiger hier auf indirektem Wege, etwa Rochow seine Ehrerbietung auszusprechen, für ihn war es schließlich ein gegenseitiges Kompliment! Das durch Felbiger gut aufbereitete und didaktisierte Material − so meine These – erwies sich deshalb auch als kompatibel für die jüdische Schulreform. Hier gestaltete sich allerdings die Quellennennung sicher noch problematischer. Der böhmische Pädagoge und Schulreformer Peter (Peretz) Beer hat gleich nach dem Toleranzedikt Joseph II. 1782 ein halbes Jahr an der Wiener St.-Anna-Schule
Boyer, Ludwig: Johann Ignaz von Felbigers Fibeln und ihr Beitrag zur Alphabetisierung in Österreich. In: Geschichte der Fibel. Hrsg. von Arnold Grömminger. Frankfurt/M. 2002. S. 251−238. Fohrmann, Jürgen: Gelehrsamkeit und Originalität. In: Zitat, Paraphrase, Plagiat. Wissenschaft zwischen guter Praxis und Fehlverhalten. Hrsg. von Christiane Lahusen und Christoph Markschies. Frankfurt/M. 2015. S. 139−149, hier S. 143.
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eine Ausbildung zum Lehrer absolviert.⁴⁹ Auch hier also liegt der Anstoß der Übertragung in der persönlichen Mobilität. Persönlich begegnet sind sich die beiden vermutlich wohl nicht, jedenfalls nicht in offizieller Funktion, da Felbiger bereits im Januar 1782 Wien Richtung Pressburg verlassen hat. Beer war hier aber sicher der üblichen Praxis der Schulbuchkompilation begegnet. In einem zweiten Schritt schließlich orientierte sich Peter Beer dann selbst an den Schriften Felbigers, die er sicher ausführlich in St. Anna kennengelernt hatte. In seiner ersten Kinderbibel (Sefer Toledot Israel von 1796)⁵⁰ übernahm er Felbigers Katechismen und das Grosse Lesebuch zum Teil wörtlich und jeweils angepasst.⁵¹ Ebenso wie Felbiger selbst konnte er seine Quellen wohl aus Rücksicht auf seine Glaubensgenossen nicht offenlegen.
Literatur Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten. Von 1794. Mit einer Einführung von Hans Hattenhauer und einer Bibliographie von Günther Bernert. 3., erweiterte Aufl. Neuwied [u. a.] 1996. Becker, Sascha O. und Ludger Woessmann: Was Weber Wrong? A Human Capital Theory of Protestant Economic History. In: Quarterly Journal of Economics 124 (2). S. 531−596. Bildet euch! Der Bildungsökonom Ludger Wößmann hat den Zusammenhang von Protestantismus und wirtschaftlichem Erfolg neu erforscht. Seine Erkenntnis: Der Soziologe Max Weber hatte nur halb recht. http://www.zeit.de/2009/01/C-Interview-Woessmann. Boyer, Ludwig: Johann Ignaz von Felbigers Fibeln und ihr Beitrag zur Alphabetisierung in Österreich. In: Geschichte der Fibel. Hrsg. von Arnold Grömminger. Frankfurt/M. 2002. S. 251−238. Brenker, Anne-Margarete: Aufklärung als Sachzwang. Realpolitik in Breslau im ausgehenden 18. Jahrhundert. Hamburg 2000. Burke, Peter [u. a.] (Hrsg.): Cultural Translation in Early Modern Europe. Cambridge 2007. Conrads, Norbert: Herkunft und Familie des Schulreformers Johann Ignaz von Felbiger (1724−1788): In: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 63 (2005). S. 17−40. [Wiederabdruck in: Ders.: Schlesien in der Frühmoderne. Zur politischen und geistigen Kultur eines habsburgischen Landes. Hrsg. von Joachim Bahlcke. Köln − Weimar − Wien 2009. S. 291−310].
Hecht, Louise: Ein jüdischer Aufklärer in Böhmen. Der Pädagoge und Reformer Peter Beer (1758−1838). Köln – Weimar − Wien 2008. S. 33 f. Beer hatte sich zunächst Hoffnungen auf eine Anstellung in Wien gemacht, hier wurde jedoch keine deutsch-jüdische Schule gegründet. Salzer, Dorothea M.: Was sind und zu welchem Zweck studiert man historische jüdische Kinderbibeln?. In: Georg Langenhorst und Elisabeth Naurath (Hrsg.): Kinderbibel – Kindertora – Kinderkoran: Neue Chancen für (inter‐)religiöses Lernen. Freiburg 2017. S. 92– 110, S. 107. Hierzu siehe auch den Beitrag von Dorothea M. Salzer in diesem Band.
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Ducreux, Marie-Elisabeth: Reading unto Death: Books and Readers in Eighteenth-Century Bohemia. In: The Culture of Print: Power and the Uses of Print in Early-Modern Europe. Hrsg. von Roger Chartier. Oxford 1989. S. 191 – 229. Engelbrecht, Helmut: Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Bd. 3: Von der frühen Aufklärung bis zum Vormärz. Wien 1984. [Felbiger, Ignaz von]: Eigenschaften, Wissenschaften, und Bezeigen rechtschaffener Schulleute, um nach dem in Schlesien für die Römisch-katholischen bekannt gemachten Königl. General-Landschulreglement in den Trivialschulen der Städte, und auf dem Lande der Jugend nützlichen Unterricht zu geben. Nebst einer Vorrede, von den Absichten, und einer ausführlichen Tabelle von dem Inhalte dieses Buches, samt 2 Kupfern. Cum privilegio. Sagan 1768. Felbiger, Johann Ignaz von: Die Kunst Thürme oder andere Gebäude vor den schädlichen Wirkungen des Blitzes durch Ableitungen zu bewahren, angebracht an dem Thurm der Saganischen Stifts- und Pfarrkirche, von dem Abt dieses Stifts Can. reg. Ord. S. Augustini, Congr. Later. Breslau 1771. [Felbiger, Ignaz von]: Methodenbuch für Lehrer der deutschen Schulen in den kaiserlich-königlichen Erbländern, darinn ausführlich gewiesen wird, wie die in der Schulordnung bestimmte Lehrart nicht allein überhaupt, sondern auch insbesondere, bey jedem Gegenstande, der zu lehren befohlen ist, soll beschaffen seyn. Nebst der genauen Bestimmung, wie sich die Lehrer der Schulen in allen Theilen ihres Amtes, ingleichen die Directoren, Aufseher und Oberaufseher zu bezeigen haben, um der Schulordnung das gehörige Genügen zu leisten. Wien 1775. Fohrmann, Jürgen: Gelehrsamkeit und Originalität. In: Zitat, Paraphrase, Plagiat. Wissenschaft zwischen guter Praxis und Fehlverhalten. Hrsg. von Christiane Lahusen und Christoph Markschies. Frankfurt/M. 2015. S. 139−149. Gottsched, Johann Christoph: Kern der deutschen Sprachkunst. Aus der ausführlichen Sprachkunst des Herrn Professor Gottscheds, zum Gebrauche der Jugend, von ihm selbst ins Kurze gezogen. Leipzig 1753 [dann weitere Aufl.]. Hier Aufl. 1766. [Gruber, Leonard]: Oesterreichische Normalschulschriften. In: Allgemeine Deutsche Bibliothek 52 (1782). S. 207−271. Hähn, Johann Friedrich: Ausführliche Abhandlung von der Literal-Methode. Berlin 1777. Hähn, Johann Friedrich: Berlinisches neu eingerichtetes ABC Buchstabier und Namenbüchlein. 3 Teile. Berlin 1758−1761. Hecht, Louise: Ein jüdischer Aufklärer in Böhmen. Der Pädagoge und Reformer Peter Beer (1758−1838). Köln – Weimar − Wien 2008. Hecker, Johann Julius: Nachrichten von den Schulanstalten bey der Dreyfaltigkeits-Kirche insonderheit von der Real-Schule auf das Jahr 1763 in einem Brief an einen Prediger auf dem Lande mitgetheilet. Funfzehnte Fortsetzung. Berlin 1764. Jaklin, Ingeborg: Das österreichische Schulbuch im 18. Jahrhundert. Aus dem Wiener Verlag Trattner und dem Schulbuchverlag. Wien 2003. Kaelble, Hartmut: Die Debatte über Vergleich und Transfer und was jetzt?. In: Connections. A Journal for Historians and Area Specialists, 8. 2. 2005, www.connections.clio-online.net/article/id/artikel-574. Keipert, Helmut: Die „Wiener Anleitung“ in der slavischen Grammatikographie des ausgehenden 18. Jahrhunderts. In: Zeitschrift für slavische Philologie 51 (1991). S. 23−59.
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Abbildungen Abb. 1:
Stich von G. P. Nusbiegel (1713 – 1776). Frontispiz zu Felbiger: Eigenschaften rechtschaffener Schulleute (1780), Universität Stuttgart, Projektbereich Schlesische Geschichte. Abb. 2: General-Landschul-Reglement (1765). GStAPK. Abb. 3: Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens, Bd. 3. S. 431. Abb. 4 – 6: Tabellen im Anhang zu „Eigenschaften“ (1768). Digitalisat UB Göttingen. Abb. 7: Felbiger an Johann Michael Witte. Sagan, den 20. April 1768. Eigenhändige Ausfertigung. Franckesche Stiftungen zu Halle, Bibliothek. Eingeklebt in Felbigers Eigenschaften, Wissenschaften und Bezeigen rechtschaffener Schulleute, um nach dem in Schlesien für die Römisch-katholischen bekannt gemachten Königl. GeneralLandschulreglement in den Trivialschulen der Städte, und auf dem Lande der Jugend nützlichen Unterricht zu geben. Nebst einer Vorrede, von den Absichten, und einer ausführlichen Tabelle von dem Inhalte dieses Buches, samt 2 Kupfern. Cum privilegio. Sagan 1768. 172 C 6.
Jüdische Konzepte der religiösen Unterweisung
Uta Lohmann
„Dieses allgemein einzuführende Schulbuch muß für uns von einem außerordentlichen Nutzen seyn“ – Von den Bildungsentwürfen zur Buchproduktion der Berliner Haskala. Der Israelitische Kinderfreund von Moses Hirsch Bock Der Beginn der Berliner Haskala als jüdische Aufklärungsbewegung fiel bekanntlich in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts und somit in eine Zeit des Umbruchs innerhalb der gesamten Gesellschaft, die den Übergang zur Moderne durchlief und mit tiefgreifenden Veränderungen konfrontiert war. Diese Epoche ist geprägt von einer dramatischen Beschleunigung des Erfahrungswandels, des Wissenszuwachses und der Entstehung neuer Begriffe. Diese neuen Begriffe sind sowohl „Zeugnisse neuer Welterfassung“ als auch „Niederschlag neuer Erfahrungen“ der Menschen im Übergang,¹ die sich in einer Welt orientieren und verorten mussten, deren bisherige starre Strukturen und rechtliche Begrenzungen immer mehr aufzuweichen begannen. Dadurch entstanden bisher unbekannte Freiräume für neue Möglichkeiten des geselligen Umgangs und des Wissenserwerbs. Einer jener neuen Begriffe war „Haskala“. Auch wenn dieser, die jüdische Aufklärung bezeichnende Begriff erst später geläufig wurde, so bezeichnet er doch ein Phänomen des Umbruchs. Die Akteure der Haskala, die Maskilim, waren gleich in zweifacher Hinsicht Menschen des Übergangs. Sie sahen sich jenen allgemeinen Herausforderungen der Moderne gegenüber und als Juden stellte sich ihnen zusätzlich die Frage, inwieweit die streng reglementierte Werte- und Wissensformation des traditionellen Judentums in der modernen Welt überhaupt noch zu rechtfertigen und aufrechtzuerhalten war. Den gesamtgesellschaftlichen Anmerkung: Dieser Beitrag verdankt sich in weiten Teilen einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt, dessen Ergebnisse 2020 veröffentlicht wurden: Lohmann, Uta: Haskala und allgemeine Menschenbildung. David Friedländer und Wilhelm von Humboldt im Gespräch: Zur Wechselwirkung zwischen jüdischer Aufklärung und neuhumanistischer Bildungstheorie. Münster – New York 2020. Koselleck, Reinhart: Einleitung. In: Geschichtliche Grundbegriffe. Hrsg. von Otto Brunner [u. a.]. Bd. 1. Stuttgart 1979. S. XIII–XXVII, hier S. XV. https://doi.org/10.1515/9783110743050-004
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Wandel reflektierten sie als Befreiung aus jahrhundertealter rechtlicher Bevormundung, sozialer Isolation und der damit verbundenen Infragestellung religiöser Autoritäten. Es eröffneten sich ihnen neue Möglichkeiten des geselligen Umgangs über Standes- und Religionsgrenzen hinweg und damit neue Möglichkeiten des Kenntniserwerbs. Getrieben von dem Wunsch, ihre Existenzberechtigung nicht nur als wirtschaftlich ausgebeutete und rechtlos geduldete Angehörige der „jüdischen Kolonie“ zu beziehen, sondern aus ihren individuellen Fähigkeiten als Menschen, waren sie darum bemüht, ihren eigenen Beitrag zu der sich formierenden bürgerlichen Gesellschaft zu leisten. Wonach die Maskilim strebten, war die Teilhabe an den Wissenskulturen des 18. Jahrhunderts ohne ihr Judentum aufgeben zu müssen. Damit standen sie vor der Herausforderung einer zeitgemäßen Modernisierung des Judentums unter den neuen gesellschaftlichen Bedingungen. Eine ihrer zentralen Fragen lässt sich folglich so formulieren: „Wie werden aus unseren Kindern moderne Juden?“ Die Beantwortung dieser Frage verorteten sie in den Bereich von Erziehung und Bildung, denn die jüdische Moderne verlangte nach neuen pädagogischen Konzepten und Methoden der Wissensvermittlung, die dem „epochalen Evidenzwandel“ gerecht werden konnten.
Die Bestimmung des Menschen zur Vervollkommnung als Leitidee und Grundlage des maskilischen Konzepts Allgemeiner Menschenbildung Auch „Bildung“ zählt zu jenen neuen Begriffen der Moderne und wurde bereits von Moses Mendelssohn (1729 – 1786) als solcher wahrgenommen. 1784 schrieb er: „Die Worte Aufklärung, Kultur, Bildung sind in unsrer Sprache noch neue Ankömmlinge. Sie gehören vor der Hand bloß zur Büchersprache. Der gemeine Haufe verstehet sie kaum. Sollte dieses ein Beweis sein, daß auch die Sache bei uns noch neu sei? Ich glaube nicht.“² Mit neuen Begriffen knüpfte Mendelssohn an die Lehren der hebräischen Bibel an und definierte „Bildung“ als ausgewogenes Zusammenspiel von „Aufklärung“ und „Cultur“. Nach seiner Definition
Mendelssohn, Moses: Über die Frage: was heißt aufklären? Berlinische Monatsschrift 4 (1784). In: Moses Mendelssohn: Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe. Hrsg. von Alexander Altmann [u. a.]. Berlin 1929 – 1938 und Stuttgart – Bad Cannstatt 1971– 2016 (JubA), Bd. 6,1 (1981). S. 113−19, hier S. 115.
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umfasste Kultur praktisches Können, Geselligkeit und Sittlichkeit, während Aufklärung die komplementäre Seite, nämlich theoretisches Können, Vorurteilsbekämpfung und „vernünftige“ Erkenntnis bezeichnete.³ Prinzipiell richtete Mendelssohn seinen Bildungsbegriff an seiner religionsphilosophischen Idee von der Bestimmung des Menschen zur Vervollkommnung seiner Fähigkeiten, und damit zu seiner Glückseligkeit als höchstem Ziel des menschlichen Daseins, aus. Diese Leitidee war ihm und weiteren Maskilim maßgebliche Orientierungshilfe in der Moderne. In diesem Sinn sagte Mendelssohn: „Ich setze allezeit die Bestimmung des Menschen als Maaß und Ziel aller unserer Bestrebungen und Bemühungen, als einen Punkt, worauf wir unsere Augen richten müssen, wenn wir uns nicht verlieren wollen.“⁴ Seiner Auffassung nach sollten sich Verstand und Gefühl, Geist und Herz (obere und untere Seelenkräfte) in ausgewogenem Verhältnis zueinander entfalten. Das Streben nach Vervollkommnung richtete sich also auf die Ausbildung des Intellekts, der Emotionen und der Gesinnung gleichermaßen, was sich schließlich auch im Lehrplan der von Maskilim gegründeten Schulen niederschlug, an denen säkulare Kenntnisse gemeinsam mit Religion, Moral und Sittlichkeit unterrichtet wurden. Und so war die Leitidee von der Bestimmung des Menschen ein „regulatives Instrument für den menschlichen Bildungsprozess“,⁵ und damit grundlegend für die Bildungsentwürfe der (Berliner) Haskala insgesamt. Mendelssohn entwickelte den Begriff der Vervollkommnung oder Perfektibilität bereits in seinen frühen Schriften zur Metaphysik und Ästhetik und gab seinem Leitgedanken von der Bestimmung des Menschen in seinem religionsphilosophischen Hauptwerk Phädon oder über die Unsterblichkeit der Seele (zuerst 1767) eine populäre Form. Hier verknüpfte er die Unsterblichkeitslehre mit der Vorstellung einer Befähigung jedes Menschen zur Entfaltung der ihm eigenen und von der Vorsehung bestimmten geistigen und praktischen Fähigkeiten, worin er Sinn und Ziel der menschlichen Existenz überhaupt sah. Perfektibilität interpretierte er aber nicht nur als Befähigung zur Vervollkommnung, sondern auch als das selbstständige Bemühen um Vervollkommnung der eigenen Person, wie
Vgl. Mendelssohn, Über die Frage, S. 115. Mendelssohn, Über die Frage, S. 115 f. – Seine Leitidee von der Bestimmung entwickelte Mendelssohn zwar in Auseinandersetzung mit den Schriften christlicher Aufklärer (Leibniz, Christian Wolff, Rousseau, Spalding und anderen wie Baumgarten, Bilfinger, Reimarus), sie ist aber mehr noch verwurzelt im Denken des Judentums, in sephardischer Religionsphilosophie (Nachmanides, Saadja, Maimonides, Gersonides, Isaak Arama) und vor allem in der Wissenstradition der hebräischen Bibel. Behm, Britta L.: Moses Mendelssohn und die Transformation der jüdischen Erziehung in Berlin. Münster − New York − München − Berlin 2002. S. 258.
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auch als nach Vervollkommnung der Mitmenschen strebende Tätigkeit. Im Phädon machte Mendelssohn deutlich, dass die Vervollkommnung Bestimmung aller Menschen sei: „Vom unwissendsten Menschen bis zum vollkommensten unter den erschaffenen Geistern, haben alle die der Weisheit Gottes so anständige, und ihren eigenen Kräften und Fähigkeiten so angemessene Bestimmung, sich und andere vollkommener zu machen.“⁶ Hierin ist die Grundlegung des Konzepts Allgemeiner Menschenbildung zu sehen. Wie sich Mendelssohn diese allgemeine Menschenvervollkommnung vorstellte und wie sehr sie mit dem menschlichen Drang nach Tätigkeit verbunden war, führte er weiter aus: Alles was lebt, und denkt, kann nicht unterlassen, seine Erkenntniß und seine Begehrungskräfte zu üben, auszubilden, in Fertigkeiten zu verwandeln, mithin mehr oder weniger, mit stärkeren oder schwächern Schritten sich der Vollkommenheit zu nähern. Und dieses Ziel, wann wird es erreicht? Wie es scheinet niemals so völlig, daß der Weg zu einem fernern Fortgange versperrt seyn sollte: indem erschaffene Naturen niemals eine Vollkommenheit, über welche sich nichts gedenken ließe, erreichen können. Je höher sie klimmen, desto mehr ungesehene Fernen entwölken sich ihren Augen, die ihre Schritte anspornen. Das Ziel dieses Bestrebens bestehet, wie das Wesen der Zeit, in der Fortschreitung. Durch die Nachahmung Gottes kann man sich allmählig seinen Vollkommenheiten nähern, und in dieser Näherung bestehet die Glückseligkeit der Geister; aber der Weg zu denselben ist unendlich, kann in Ewigkeit nicht ganz zurück geleget werden. Daher kennet das Fortstreben in dem menschlichen Leben keine Grenzen.⁷
Bildungstheoretisch hinterfragt, lassen sich aus Mendelssohns Ausführungen vier zentrale Aussagen ableiten, die sich in pädagogische Imperative fassen lassen: 1. Vervollkommne dich selbst (Selbstbildung), 2. Trage zur Vervollkommnung anderer bei (Bildungsauftrag), 3. Schreite immer fort in deiner Erkenntniserweiterung (Unabgeschlossenheit des Bildungsprozesses), 4. Schließe dich dem aktuellen Wissensstand an (Fortschrittsstreben). Hinzufügen lässt sich die übergeordnete Aufforderung zu zwischenmenschlicher Kommunikation (soziale Interaktion) als Voraussetzung für den Bildungsprozess. Selbstbildung, Bildungsauftrag, Unendlichkeit des Bildungsprozesses, Fortschrittsstreben und soziale Interaktion können demnach als Grundsätze des maskilischen Bildungsdenkens bzw. als Prinzipien allgemeiner Menschenbildung bezeichnet werden.
Mendelssohn, Moses: Phädon oder über die Unsterblichkeit der Seele (1767). In: JubA, Bd. 3,1 (1972). S. 1– 159, hier S. 113. Mendelssohn, Phädon oder über die Unsterblichkeit der Seele, S. 113.
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Differenzierung zwischen universaler und partikularer Bildung Mendelssohn realisierte dabei, dass sich der Mensch im bürgerlichen Leben nicht nur seiner individuellen menschlichen Vervollkommnung widmen könne, sondern dass er als „Bürger“ für sein Auskommen und den Erhalt der Familie verantwortlich, und dabei durch Gesetzgebung auf begrenzte Handlungsfelder eingeengt war. Er unterschied daher zwischen Menschen- und Bürgerbestimmung: „Stand und Beruf im bürgerlichen Leben […] erfordern nach Maaßgebung derselben andere Geschiklichkeit und Fertigkeit, andere Neigungen, Triebe, Gesellschaftssitten und Gewohnheiten.“⁸ Diese standes- und berufsspezifische Differenzierung zwischen universal-allgemeinmenschlichem und partikulartätigkeitsbezogenem Bildungsanspruch hatte Mendelssohn bereits in seinen Anmerkungen zu Abbts freundschaftlicher Correspondenz (1782) thematisiert.⁹ Der Mensch als Mensch betrachtet sei dazu bestimmt, alle seine Kräfte in einem harmonischen Verhältnis zu entfalten. Dies beziehe sich auf alle Menschen gleichermaßen, „auf jede Klasse, jeden möglichen Zustand der Menschen“.¹⁰ In der Gesellschaft komme jedem Individuum aber auch eine subjektive, partikulare, Destination zu, aus der sich herleiten lasse, wie sich der Mensch „in Absicht auf sein Verhalten, um diesem Berufe zu entsprechen, zu bestimmen habe“.¹¹ In diesen Ausführungen Mendelssohns liegen die Wurzeln einer zweistufig konzipierten Bildung, die zwischen universaler Menschenbildung und partikularer Standes- oder Berufsbildung differenziert. Dieses zweistufige Konzept schlug sich fortan im Bildungsdenken der Maskilim nieder und spiegelt sich auch im ersten jüdischen Erziehungsprogramm, das auf Hebräisch abgefasst und zeitgleich mit Mendelssohns Anmerkungen Anfang 1782 in Berlin erschien: Divre Schalom we-Emet von Naphtali Herz Wessely (1725−1805).¹² Dieses sogenannte Erste Sendschreiben Wesselys wurde zu einer für die Reform des traditionellen jüdischen Erziehungswesens bahnbrechenden
Mendelssohn, Phädon oder über die Unsterblichkeit der Seele, S. 116. Vgl. Mendelssohn, Moses: Anmerkungen zu Abbts freundschaftlicher Correspondenz (1782). In: JubA, Bd. 6,1 (1981). S. 27– 65. Mendelssohn, Anmerkungen zu Abbts freundschaftlicher Correspondenz, S. 37. Mendelssohn, Anmerkungen zu Abbts freundschaftlicher Correspondenz, S. 35 f.. Diese Schrift Wesselys in neuer deutscher Übersetzung von Rainer Wenzel liegt vor in: Naphtali Herz Wessely: Worte des Friedens und der Wahrheit. Dokumente einer Kontroverse über Erziehung in der europäischen Spätaufklärung. Hrsg. von Ingrid Lohmann [u. a.]. Münster − New York 2014 (im Folgenden: Wessely-Edition). S. 113−137.
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Schrift. Kennzeichnend für Wesselys Erziehungsschrift ist, dass sie die bisher im maskilischen Diskurs erörterten Themen über Erziehungsreform, schulische Unterweisung und Menschenbildung erstmals in systematische Form brachte. Grundlegend war Wesselys Bemühen um die Einführung einer neuen Ordnungsformation von Wissen, Sprachkenntnissen und Religion, das er in der Wiederherstellung der als ursprünglich begriffenen Verknüpfung der religiösen Lehre des Judentums mit den Wissenschaften und Künsten gewährleistet sah. Diese Verbindung sei dem höchsten Ziel des Menschen zuträglich: der Beförderung seiner Vervollkommnung. Wessely griff Mendelssohns Entwurf einer zweistufigen Bildung in modifizierter Weise auf. Ausgehend von dem biblischen Vers „Gib dem Knaben Unterricht nach seiner Weise“ (Sprüche 22,6) wollte er nicht nur die individuellen Eigenheiten jedes einzelnen Kindes berücksichtigt wissen, sondern er unterschied vor allem auch zwischen dem Universalen menschlicher und dem Partikularen jüdischer Erziehung, zwischen Torat ha-Adam und Torat ha-Schem, „Menschenlehre“ und „Gotteslehre“,¹³ wobei erstere vom menschlichen Verstand erschlossen werden könne, letztere nicht. Der jüngere Maskil David Friedländer (1750−1834) übersetzte diesen Bildungsentwurf Wesselys wie folgt: Der Unterricht des jüdischen Knaben zerfällt […] in zwey Haupttheile. Unterricht der ihn zum Menschen; Unterricht der ihn zum Israeliten bildet. Mit andern Worten, in Wissenschaften des Menschen, die ihn des Namens Mensch würdig machen; und in göttlichen Wissenschaften, die, erhaben über die menschliche Vernunft, unserm Gesetzgeber Mose auf eine übernatürliche Weise offenbart worden sind. […] Sie sind keine Resultate menschlicher Vernunftschlüsse, und können nach diesen nicht beurtheilt werden; sie sind daher nur Wissenschaften des Israeliten, und ihre Gesetze nur für diesen verpflichtend.¹⁴
In Mendelssohns Schema zweistufiger Bildung gebracht, hieße dies, dass Wessely in den Juden einen spezifischen Stand sah, der sich in seiner partikularen jüdischen Erziehung von den anderen Ständen unterschied. Er betont, dass nicht jeder zu höheren talmudischen Studien befähigt sei und daher auch seinen Lebensunterhalt nicht damit verdienen könne. Während also das Talmudstudium in diesem Sinne zur gewerblich-partikularen Bildung gerechnet wird, zählt das ToraLernen, im engeren Sinn einer Unterweisung in die Lehren der hebräischen Bibel, zur lebenspraktisch-universalen Bildung der Juden – und ist letztlich für alle
So in der Übersetzung Rainer Wenzels, Wessely-Edition, S. 114. Naphtali Herz Wessely: Worte der Wahrheit und des Friedens. Aus dem Hebräischen [von David Friedländer]. In: Chevrat Chinuch Nearim. Die jüdische Freischule in Berlin (1778−1825) im Umfeld preußischer Bildungspolitik und jüdischer Kultusreform. Hrsg. von Ingrid Lohmann [u. a.]. Münster – New York – München − Berlin 2001 (im Folgenden: CCN). Dok. 32. S. 174– 186, hier S. 175.
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Menschen gewinnbringend. Ohne das talmudisch-halachische Wissen ganz zu verdammen (wie das übliche Narrativ lautet), wiesen die Maskilim dieses der (rabbinischen) Gelehrsamkeit zu, also einer höheren Bildungsstufe, da die Erklärung der Gesetze ihrer gedrängten Sprache wegen für Ungelehrte nicht verständlich sei und deshalb ausführlicher Erörterung bedürfe.¹⁵ Die Fächer, die Wessely neben dem Lesen der Tora zu den sowohl gottgefälligen als auch für die Bildung des Menschen nützlichen Kenntnissen, also zu den Inhalten allgemeiner Menschenbildung, zählte, entsprachen den allumfassenden Lehren der hebräischen Bibel als ein Buch mit enzyklopädischem Anspruch.¹⁶ Neben dem Erwerb der hebräischen und der deutschen Sprache nannte er Philosophie und Naturrecht ebenso wie Poesie und Rhetorik, Umgangsformen und darstellende Künste, Geschichte, Geografie und Ethnologie, Mathematik, Astronomie und weitere Naturwissenschaften.¹⁷ Das hier aufgeführte, geradezu enzyklopädische Allgemeinwissen zeigt den Wunsch nach Anschluss an den aktuellen Wissensstand ebenso wie die angestrebte Verbindung des Wissens mit Moral, Religion, Gesinnung.Wessely betonte darüber hinaus den wechselseitigen Nutzen der unterschiedlichen Kenntnisse für das Verständnis der Heiligen Schrift selbst.
Forderung nach zeitgemäßen jüdischen Schulbüchern für den Unterricht in „Religion und Moral“ Die Maskilim sahen in den religiösen Lehren des Judentums also keine dogmatischen Glaubenssätze, sondern eine besondere Form von (offenbartem) Wissen, das sich gemäß dem pädagogischen Imperativ der Selbstbildung jeder einzelne selbst aneignen müsse. Sie standen am Ende des 18. Jahrhunderts vor der immensen Herausforderung, in der neuen Ordnungsformation von Wissen, Sprachkenntnissen und Religion auch neue, der Zeit angemessene Zugänge zum Wissen zu eröffnen. Als Voraussetzung dafür galt ihnen der Spracherwerb sowohl
Vgl. Wesselys Einleitung zu Sefer ha-Middot we-hu Sefer Musar ha-Sechel (1786) in der Übersetzung von Rainer Wenzel. In: „Lerne Vernunft!“. Jüdische Erziehungsprogramme zwischen Tradition und Modernisierung. Quellentexte aus der Zeit der Haskala, 1760−1811. Hrsg. von Uta Lohmann und Ingrid Lohmann. Münster – München − Berlin 2005. S. 101– 106, hier S. 102. Vgl. Auerochs, Bernd: Was ist eigentlich Kunstreligion? Reflexionen zu einem Phantasma um 1800. In: Aufklärung und Religion. Neue Perspektiven. Hrsg. von Michael Hofmann und Carsten Zelle. Hannover 2010. S. 205 – 222, hier S. 217. Vgl. Wessely, Worte der Wahrheit, S. 175.
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des Hebräischen als auch der deutschen Landessprache. „Die Übersetzung wird zur Erklärung des Originals dienen, und der Schüler beyde Sprachen zugleich dabey erlernen“, so Wessely in Hinblick auf zweisprachig abzufassende Lehrbücher.¹⁸ In seinem Zweiten Sendschreiben, das noch 1782 unter dem Titel Rav Tuv leVet Jisrael in Berlin erschien, führte Wessely mehrere Argumente ins Feld, mit denen er von der Notwendigkeit des Spracherwerbs überzeugen wollte.¹⁹ Im Anschluss an seine Ausführungen verwies er auf die 1778 von Isaak Daniel Itzig (1750−1806) und David Friedländer gegründete jüdische Freischule und hob lobend hervor, dass an ihr „die Bibel nach der deutschen Übersetzung und die Grammatik der heiligen Sprache“ unterrichtet werde und die Schüler „die deutsche und französische Sprache zu lesen und zu schreiben, als auch die Künste des Rechnens und der Geographie“ erlernten.²⁰ Im Unterricht der Freischule fiel der Tora-Übersetzung Mendelssohns ein zentraler Stellenwert zu, wie im maskilischen Bildungskonzept überhaupt. Sie war nicht nur das erste zweisprachige Unterrichtsbuch, sondern lieferte auch Belege für die neu zu entwerfende wissenschaftlich-religiöse Literatur. Die „Heilige Schrift“ galt den Maskilim als Quelle der Erkenntnis, als Speicher von zahlreichen Beispielen tugendhafter Handlungen und als anschauliches Material zur Überprüfung der eigenen Lebenshaltung. Sie bot reichhaltigen Stoff zum Nachdenken, zur Selbstreflexion, zur Vervollkommnung.²¹
In der Übersetzung Friedländers; Wessely, Worte der Wahrheit, S. 183. 1.) Die Bibelübersetzung sei wertlos ohne gute Deutschkenntnisse. Der Lehrer könne die einfache, wörtliche Bedeutung der Heiligen Schrift nicht erklären, deren Worte somit für das „Herz“, also für die innere Bildung wertlos bliebe. Auch die schönen Künste der Rede, des Vortrags und der Dichtung blieben verschlossen. 2.) Für diejenigen, die wegen der Notwendigkeit des Nahrungserwerbs das Studium von Talmud-Tora aufgäben, seien gute Sprachkenntnisse zum Erlernen eines Handwerks nützlich, ebenso für Kaufleute und Händler. Sie könnten aus gewerbespezifischen deutschen Schriften lernen und seien nicht auf die Hilfe anderer angewiesen. 3.) Durch gute Sprachkenntnisse, Aussprache und Ausdrucksweise gewönnen die Juden mehr gesellschaftliche Anerkennung und seien weniger Hohn und Gespött ausgeliefert. Demjenigen, der es verstehe, ausgewählt und mit gutem Geschmack zu sprechen, werde Ehre zuteilwerden. 4.) Die deutsche Schrift und Sprache eröffne den Zugang zu wissenschaftlicher Literatur; bisher hätten die Juden keine Möglichkeit gehabt, zu diesen Kenntnissen zu gelangen. Nun könnten die Juden selbst wissenschaftliche Schriften auf Deutsch verfassen, zu Ansehen gelangen und damit auch das Ansehen der Juden insgesamt verbessern. Auch die Talmudgelehrten würden davon profitieren; vgl. CCN. Dok. 33 u. 34, S. 187– 191 und Wessely-Edition, S. 175−177. CCN, Dok. 34, S. 191. Vgl. auch Lohmann, Uta: Wissensspeicher, Lehrbuch, Erkenntnisquelle. Zur Rolle der hebräischen Bibel im Bildungskonzept der Berliner Haskala. In: Deutsch-jüdische Bibelwissenschaft. Historische, exegetische und theologische Perspektiven. Hrsg. von Daniel Vorpahl, Shani Tzoref und Sophia Kähler. Berlin – Boston 2019. S. 77– 91.
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Im maskilischen Bildungsdenken „besitzt“ derjenige Mensch „Religion“, der die biblischen Lehren zur Richtschnur im Leben macht. Dabei bezeichnet Religiosität kein Glaubensbekenntnis, sondern Sittlichkeit und moralische Gesinnung als eine freie menschliche Handlung. Der Bildungswert der Religion lag also in der Vermittlung ethischer Werte und im Antrieb zu guten und tugendhaften Handlungen. Insofern diente die hebräische Bibel der Verinnerlichung des moralischen Bildungsgeschehens. In den Bildungsentwürfen der Maskilim sind daher „Religion und Moral“ aufs Engste miteinander verwoben. David Friedländers Abhandlung Über den besten Gebrauch der h. Schrift in pädagogischer Rücksicht (1788) ist in diesem Sinn programmatisch und stellt einen der wichtigsten Texte der Berliner Haskala in der Generation nach Mendelssohns Tod dar.²² Das Ziel allgemeiner Bildung bringt Friedländer hier auf die knappe Formel: „Wir wollen keine gelehrte Grammatiker, Sprachforscher, oder Altertumskenner, sondern gute und moralische Menschen bilden.“²³ Einvernehmlich mit Wesselys Erziehungsschrift und Friedländers Pädagogikabhandlung berichtete Isaak Daniel Itzig 1804 über die Freischule, der „Unterricht in der Religion und Moral“ sei mit dem Hebräisch-Unterricht verbunden, so dass „der gesammte Unterricht in der eigentlichen Sprachlehre, im Übersetzen und Erklären des alten Testaments und in moralischen Vorlesungen“ bestehe. Für Leseübungen bediene man sich „der Mendelssohnschen Ausgabe und Übersetzung“ der fünf Bücher Moses. Für den „moralischen Unterricht“ gebrauche man „fortdauernd die Sprüche Salomonis nach Hrn. Isaak Euchels Ausgabe und Übersetzung“.²⁴ Die zweisprachige, kommentierte Tora-Ausgabe Mendelssohns und die später von anderen Maskilim angefertigten Übersetzungen weiterer biblischer Bücher, wie die von Itzig erwähnte Ausgabe der Sprüche, Mischle, von Isaak Abraham Euchel (1756 – 1804), waren also hauptsächlich als Unterrichtsmaterial für jüdische Kinder konzipiert und zielten wie diese und weitere Lehrbücher auf die Realisierung des Bildungsauftrags. In seiner Einleitung zur Tora-Übersetzung, Or la-netiva (1782/1783), betonte Mendelssohn auch die Bedeutung hebräischer Grammatiken. Er empfahl, Kindern „schon früh in der Schule“ grammatische
Vgl. Friedländer, David: Über den besten Gebrauch der h[eiligen] Schrift in pädagogischer Rücksicht. In: Der Prediger. Aus dem Hebräischen von David Friedländer. Berlin 1788. S. 1−90. Neu ediert in: „Lerne Vernunft!“, S. 61−81. Friedländer, Über den besten Gebrauch, S. 73. Itzig, Isaak Daniel: Zweite Nachricht von dem Zustande der jüdischen Freischule in Berlin. In: CCN, Dok. 142, S. 409; Euchel, Isaak A.: Mischle. Berlin 5549 [1790].
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Regeln beizubringen, damit sie Inhalte korrekt erfassen könnten.²⁵ Die grundlegende Kenntnis der Sprache sollte daher der Textlektüre vorausgehen. Die Maskilim verliehen ihrem Wunsch Ausdruck, zusätzlich zu den zweisprachigen Bibel-Übersetzungen und den Grammatiken auch spezielle Lesebücher für den Schulunterricht abzufassen, die ihrem Bildungskonzept entsprachen. Als erster Versuch in diese Richtung kann Friedländers Lesebuch für jüdische Kinder angesehen werden, das er 1779 „zum Besten der Freischule“ herausgab.²⁶ Mit der Aufnahme der dreizehn Glaubensartikel nach Maimonides und dem Dekalog als Basis der jüdischen Religionslehre ist das Lesebuch als ein religiöses Werk zu bewerten, das eigenes Nachdenken befördern und anhand der ausgewählten Texte – „Vorbereitungs-Gebet“ von Jehuda Halevi, deutsche Gedichte, antike Sinnsprüche – zur Gesinnungsbildung beitragen sollte, und mit dem zugleich das komplementäre Erlernen der deutschen Sprache beabsichtigt war. Wessely verwies in seinem Zweiten Sendschreiben zwar anerkennend auf das Lesebuch,²⁷ doch war es in seiner Zusammenstellung für das Fassungsvermögen der Schüler wohl zu schwierig.²⁸ Trotz der allgemeinen Anerkennung, die Friedländer dafür erhielt, wurde es von ihm bald selbst verworfen.
Konzeptionelle Überlegungen für eine moderne jüdische Sittenlehre In seiner Erziehungsschrift forderte Wessely außerdem ein Schulbuch anderer Art: ein Sittenlehrbuch, das „die reinste Moral nach einer gesunden Philosophie, die nicht den Grundsätzen der jüdischen Religion zuwider“ sei, vortrage. Auch wenn „Sittenlehren in der größten Lauterkeit in der h. Schrift enthalten“ seien, so seien jüngere Schüler nicht fähig, „aus den heiligen Quellen zu schöpfen“, denn
Mendelssohn, Moses: Or la-Netiva (Berlin 1782/1783), zit. nach der Übersetzung von Werner Weinberg in JubA, Bd. 9,1 (1993), S. 1−96, hier S. 94 f. Zur Analyse des Lesebuchs vgl. Shavit, Zohar: Aufklärung und jüdische Schulbildung in Berlin: Friedländers Lesebuch. In: Bild und Selbstbild der Juden Berlins zwischen Aufklärung und Romantik. Hrsg. von Marianne Awerbuch und Stefi Jersch-Wenzel. Berlin 1992. S. 107– 120; dies.: David Friedländers „Lesebuch für Jüdische Kinder“. Ein Versuch, eine verdeutschte jüdische Kultur zu schaffen. In: Deutsch-jüdische Kinder- und Jugendliteratur. Ein literaturgeschichtlicher Grundriß. Hrsg. von Annegret Völpel und Zohar Shavit. Stuttgart − Weimar 2002. S. 24– 40. Vgl. CCN. Dok. 34, S. 191 und Wessely-Edition, S. 178. Vgl. die Einschätzung durch Samuel Baur in: CCN. Dok. 97, S. 305. Zum Lesebuch vgl. auch Lohmann, Uta: David Friedländer. Reformpolitik im Zeichen von Aufklärung und Emanzipation – Kontexte des preußischen Judenedikts vom 11. März 1812. Hannover 2013. S. 126 – 128.
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dazu seien „reifer Verstand, und erworbene Gelehrsamkeit“ notwendig.²⁹ Nachdem Wessely diesen Wunsch 1782 geäußert hatte, veröffentlichten Friedländer und Itzig als Direktoren der jüdischen Freischule im folgenden Jahr ein Preisausschreiben „auf den besten Entwurf einer nach jüdischen Grundsätzen abgefaßten Sittenlehre“, das sie ihrer ersten Schulprogrammschrift von 1783 beifügten.³⁰ An erster Stelle der kurzen Bekanntmachung hieß es, die Schrift könne entweder auf Deutsch oder auf Hebräisch verfasst sein, wobei „in beiden Sprachen der Stil leicht und faßlich sein“ müsse, „weil sie zum Gebrauch unsrer Jugend in den Schulen angewendet werden“ solle. Ohne ausdrücklichen Bezug auf jüdische Quellen hatte Mendelssohn bereits in seinen frühen metaphysischen Schriften konzeptionelle Überlegungen zur Sittenlehre angestellt. In Rhapsodie oder Zusätze zu den Briefen über die Empfindungen (1761, 2. Aufl. 1771) bezeichnet er die Sittenlehre als „Wissenschaft von der Tugend“ und „Praktische Philosophie“.³¹ Als solche untersuche die Sittenlehre die grundlegende Frage, wie das theoretische, rein vernünftige Wissen vom moralisch Guten in praktisches, sittlich gutes Handeln umgesetzt werden könne. Die übergeordnete Fragestellung richtete sich also auf den Erwerb „sittlicher Vollkommenheit“. Zu diesem Zweck ermittelte Mendelssohn „Bewegungsgründe zur Tugend“, die den Menschen zum schnellen Handeln veranlassen, ohne vorheriges Überdenken seines Tuns. In der „anhaltenden Übung“ und in der „anschauenden Erkenntnis“ sah er zwei Mittel, die es vermochten, die bloße Befähigung des Menschen zur Moral in Fertigkeit, das heißt in schnelles, unreflektiertes moralisches Handeln, zu transformieren. Die wiederholte bewusste Anwendung, die „anhaltende Übung“, führe zur Gewohnheit, diese zur Fertigkeit, die durch ihre Geschwindigkeit unbewusst ausgeführt und somit zur „zweiten Natur“ des Menschen werde. Dabei böten die schönen Wissenschaften der Sittenlehre einen „unschätzbaren Nutzen“ als Mittel, „die todte Erkenntniß der Vernunft zum wahren sittlichen Leben zu erwecken“.³² So könne die Geschichte durch Beispiele theoretische in anschauliche Erkenntnisse verwandeln. Ebenso lieferen die Poesie, Malerei und Bildhauerei „durch die Kunst verschönerte Beyspiele, wodurch abermals die Erkenntniß belebt, und jede trockene
Wessely, Worte der Wahrheit, S. 182. Vgl. das Preisausschreiben der Freischuldirektion vom 19. Februar 1783. In: CCN. Dok. 50. S. 209. Mendelssohns Ausführungen zur Sittenlehre befinden sich jeweils am Ende der ersten und zweiten, stark überarbeiteten Auflage von Rhapsodie oder Zusätze zu den Briefen über die Empfindungen (Berlin 1761, zweite Aufl. 1771); vgl. die 1. Aufl., S. 58 – 66 und die 2. Aufl. In: JubA. Bd. 1 (1929/1971). S. 419 – 424. Mendelssohn, Rhapsodie oder Zusätze zu den Briefen über die Empfindungen, S. 423.
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Wahrheit in eine feuerige und sinnliche Anschauung verwandelt“ werde.³³ In seiner Abhandlung über die Evidenz in Metaphysischen Wissenschaften (1764) führte Mendelssohn seine Theorie der Sittenlehre, das „System der praktischen Weltweisheit“, weiter aus.³⁴ Bei aller Vielfalt des Menschen in seinen Vorlieben, Leidenschaften, Begierden, Wünschen, Ängsten, etc. sah er in der „Bestimmung zur Vervollkommnung“ die allen gemeinsame, „allgemeine Lebensregel“.³⁵ Diese „Regel der Vollkommenheit“ entspreche der Absicht Gottes und richte sich nach dem pädagogischen Imperativ: „Mache deinen und deines Nebenmenschen innern und äußern Zustand in gehöriger Proportion so vollkommen, als du kannst.“³⁶ Mit seinen Ausführungen zur Sittenlehre verband Mendelssohn vor allem auch einen Appell an die Begriffsbildung unter Eigen-, Welt- und Gotteserkenntnis: Man muß die Lehre von Gott, der Welt und der Seele des Menschen wohl begriffen, man muß sich davon überzeugt haben, ehe man sich in der Moralphilosophie einiges Licht versprechen kann. Wie kann ich begreifen, was ich Gott, mir selbst, und meinem Nächsten schuldig bin, wenn ich nicht von Gott, meinem Nächsten, mir selbst, und von der moralischen Verbindung, in welcher ich als Geschöpf und Nebengeschöpf mit jenen stehe, wahre und richtige Begriffe habe?³⁷
Hier wird deutlich, wie sich der „epochale Evidenzwandel“ in der Suche nach neuen, klar definierten Begriffen äußerte, die den „Umwandlungsprozeß zur Moderne“ kennzeichnete.³⁸ Bei Mendelssohn schlug sich dies sogar im Titel seiner Abhandlung über die Evidenz nieder, in der er anschauliche, auf Erfahrung begründete Erkenntnis nicht nur für die Mathematik und Metaphysik beanspruchte, sondern auch für die natürliche Theologie und praktische Philosophie der Sittenlehre. Basierend auf entsprechenden Überzeugungen und Evidenzgefühlen entwarf Friedländer 1788 in seiner Pädagogikabhandlung Über den besten Gebrauch der h. Schrift ein Konzept für ein Lesebuch, „worin die Hauptabsicht dahin gienge, früh in dem Gemüthe der Jugend beyderley Geschlechts Aufmerksamkeit auf Rechte,
Mendelssohn, Rhapsodie oder Zusätze zu den Briefen über die Empfindungen, S. 423. Vgl. Mendelssohn, Moses: Von der Evidenz in den Anfangsgründen der Sittenlehre. In: JubA. Bd. 2 (1931/1972). S. 315 – 330, hier S. 320 und S. 315. Mendelssohn, Von der Evidenz in den Anfangsgründen der Sittenlehre, S. 316. Mendelssohns Ausführungen zentrieren sich um diesen pädagogischen Imperativ, den er auch als „Obermaxime“ bezeichnet. Im Text wird er mehrfach wiederholt; vgl. Mendelssohn, Von der Evidenz in den Anfangsgründen der Sittenlehre S. 317, S. 318, S. 321. Mendelssohn, Von der Evidenz in den Anfangsgründen der Sittenlehre, S. 322. Koselleck, Einleitung, S. XIX.
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Pflichten und Obligenheiten der Menschen zu erregen, und dadurch den Saamen zur Aufklärung und Tugend auszustreuen“.³⁹ Sein frühes Lesebuch von 1779 verschweigend schrieb er: Wenn ich jemals Veranlassung haben sollte, selbst ein Lesebuch für die jüdische Jugend anzufertigen, so würde es vor der Hand kein trocknes Register der Pflichten des Menschen gegen Gott und gegen die bürgerliche Gesellschaft enthalten: sondern die Stufe der Cultur, auf welcher wir uns zur jetzigen Stunde befinden, und die wohlthätige Gährung, die sich in den Gemüthern äußert, würde mich bestimmen, es […] zu entwerfen.⁴⁰
Friedländer betonte, das Lesebuch müsse „diejenigen Wahrheiten der Religion und der Moral, die zur practischen Anwendung“ im „bürgerlichen Leben unentbehrlich“ seien, „hervorheben, methodisch ordnen und in einer faßlichen und verständlichen Sprache lehren“. Und er fügte hinzu: „Dieses allgemein einzuführende Schulbuch muß für uns von einem außerordentlichen Nutzen seyn.“⁴¹ Selbst verfasste Friedländer kein weiteres Lesebuch, doch bereits zwei Jahre nach seinen konzeptionellen Ausführungen erschien Aaron Wolfssohns (1756−1835) hebräisches Schulbuch Avtalion (1790),⁴² das Friedländers „ganzen ungetheiltesten Beyfall“ erhielt.⁴³ Wolfssohn entwarf das Lehrbuch als Einführung für jüdische Kinder in das Lernen der „Heiligen Schriften“.⁴⁴ Seine Intention richtete sich gleichzeitig auf den Erwerb des Hebräischen. Die insgesamt 34 kurzen Abschnitte des Buchs umfassten dem kindlichen Fassungsvermögen angepasste Überarbeitungen von Geschichten aus der Tora, den Propheten und der traditionellen Weisheitsliteratur, kombiniert mit Erzählungen aus Midrasch und Aggada sowie mit Fabeln und naturwissenschaftlichen Ausführungen.⁴⁵ Das he Friedländer, Über den besten Gebrauch, S. 80. Friedländer, Über den besten Gebrauch, S. 76, zum Entwurf des Lesebuchs vgl. S. 76 – 81. Friedländer, Über den besten Gebrauch, S. 73. Wolf, Aaron ben (Aaron Wolfssohn): Avtaljon we-hu Mevo ha-Limmud le-Na‘are Bne Jisrael. Berlin 1790. Einleitung, Nissan 5550 (März/ April 1790); Übersetzung von Rainer Wenzel. In: „Lerne Vernunft!“, S. 498−501, hier S. 499. Schreiben des Herrn David Friedländer an den Verfasser. In: CCN. Dok. 98, S. 305.Vgl. auch die Rezension in Ha-Meʼassef. Dok. 99, S. 306. „Mevo ha-Limmud le-Na‘are Bne Jisrael ha-Chafezim bi-Leschon Ever“; so der hebräische Untertitel von Avtalion; vgl. auch Wolfssohn: Abtalion. Einleitung. In: „Lerne Vernunft!“, S. 499: „Da es mein ganzes Begehren […] ist, die Kinder der Söhne Israels durch dieses Buch in die Heiligen Schriften einzuführen, achtete ich sehr darauf, auf der Bahn der Sprache zu gehen, wie sie einstmals war.“ Vgl. Strauss, Jutta: „Do not Neglect the Education of your Children“ – Aaron Halle-Wolfssohn the Pedagogue. In: Jüdische Erziehung und aufklärerische Schulreform. Analysen zum späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. Hrsg. von Britta L. Behm [u. a.]. Münster – New York – München − Berlin 2002. S. 307– 333, hier S. 311 f. Vgl. auch HaCohen, Ran: Biblische Geschichten für jüdische
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bräisch-deutsche Glossar am Ende des Buchs und die komplementäre Verbindung von Sprach-, Gesinnungs- und Kenntniserwerb machten Avtalion zu einem Lehrbuch, mit dem das Hebräische als neue Sprache der Wissenschaft einen Zugang zum zeitlosen Wissensfundus der hebräischen Bibel und zugleich zu einem modernen Religionsverständnis eröffnete.
Moses Hirsch Bocks Israelitischer Kinderfreund – eine Fallstudie zum Konzept des komplementären Sprach-, Gesinnungs- und Wissenserwerbs Eine besonders ausgeprägte Ausformung des Konzepts der Komplementarität von Sprach- und Wissenserwerb, Religion und Gesinnungsbildung zeigt sich in dem dreibändigen und dreisprachigen Lehrbuch Israelitischer Kinderfreund oder Handbuch der gemeinnützigen wissenschaftlichen Kenntnisse, das Moses Hirsch Bock (1775 – 1816) 1811 in Berlin publizierte, wobei sich die Bände in ihren jeweiligen Sprachen unterschieden: Deutsch, Hebräisch und Französisch. Der hebräische Band erschien in der Orientalischen Buchdruckerei,⁴⁶ der französische im Selbstverlag des Autors,⁴⁷ ebenso der deutsche, der auch „in Kommission in den Buchhandlungen des Hallischen Waisenhauses zu Halle und Berlin“ zu haben war. Indem er das Buch „zugleich in deutscher, französischer und hebräischer Sprache herausgebe“, beabsichtigte Bock, „den Schülern die Übersetzung des Inhalts desselben zu erleichtern“.⁴⁸ David Friedländer subskribierte zumindest auf den zuerst, im August 1811 erschienenen deutschen Band mit der Bemerkung: „Ich unterzeichne in der gerechten Erwartung, ein eben so nothwendiges als lehrreiches Werk befördern zu helfen.“ Israel Jacobson (1768 – 1828), damaliger Präsident des Königlich-Westphälischen Konsistoriums der Israeliten, bemerkte ganz ähnlich: „Mit Vergnügen will ich ein Werk unterstützen, welches nach Kinder. In: Deutsch-jüdische Kinder- und Jugendliteratur. Ein literaturgeschichtlicher Grundriß. Hrsg. von Annegret Völpel und Zohar Shavit. S. 69 – 84, hier S. 75 – 79. Bock, Mose ben Zevi: Moda le-Jalde Bne Jisrael. Berlin 1811. Bock, Moses Hirsch: L’ami des enfans d’Israë l ou Manuel des sciences les plus ne´cessaires. Livre e´le´mentaire he´breu, allemand et françois a` lʼusage des e´coles et de lʼinstruction prive´e de la jeunesse israë lite. Berlin 1811. Bock, Moses Hirsch: Einleitung. Ueber die Methode des Unterrichts bei dem Gebrauch dieses Elementarwerks. In: Israelitischer Kinderfreund oder Handbuch der gemeinnützigsten wissenschaftlichen Kenntnisse. Ein Elementarwerk in hebräischer, deutscher und französischer Sprache für den Schul- und Privat-Unterricht der israelitischen Jugend. Berlin 1811. Neu ediert in: „Lerne Vernunft!“, S. 520 – 525, hier S. 522.
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meinem Dafürhalten, für die israelitische Jugend von wahren Nutzen seyn wird.“⁴⁹ In seiner Vorrede betonte Bock, er habe „von angesehnen Männern die schmeichelhaftesten Beweise ihrer Zufriedenheit, nicht nur mit meinem Vorhaben, sondern auch mit der Art meiner Ausführung bekommen“, und verwies namentlich auf Jacobson.⁵⁰ Dieser hatte im Februar 1811 Bocks private „Lehr- und Bildungsanstalten“ besucht,⁵¹ die 1806 für Söhne und 1808 für Töchter aus jüdischen Familien gegründet worden waren.⁵² Kurze Zeit nach Jacobsons Besuch veröffentlichte Bock eine dreisprachige programmatische Ankündigung seines Kinderfreunds, mit der er nicht nur seine Motivation und Intention darlegte, sondern auch zur Pränumeration des Lehrbuchs einlud und bekannt gab, von welchen Institutionen oder Personen in welchen Städten inner- und außerhalb Preußens Pränumerationen entgegen genommen wurden. In der stattlichen „Pränumerations-Anzeige“ wies Bock nachdrücklich darauf hin, dass sein Buch im Königreich Westphalen „zufolge der Versicherung des Königl. Westphäl. Präsidenten des Consistoriums der Israeliten, Herrn Jacobson in den israelitischen Schulen eingeführt werden“ solle. Zur zweifachen Intention seines deutsch-französisch-hebräischen Lesebuchs schrieb Bock: Dem Lehrer soll es zum Leitfaden beim Unterricht dienen; es soll ihm den Gang desselben erleichtern und ihm zeigen, wie weit er bei jedem Gegenstande, den Fähigkeiten und Bedürfnissen des Kindes gemäß, gehen könne. Dem Schüler soll es, in der Schule zum lehrreichen A, B, C, und wissenschaftlichen Lehr- und Lesebuche, zu Hause, zur leichtern Wiederholung dessen dienen, was ihm, in der Schule, in diesen drei Sprachen gelehrt wurde.⁵³
Vgl. das umfangreiche, siebenseitige „Pränumeranten- und Subscribenten-Verzeichniß“ in Bocks Israelitischer Kinderfreund mit Einträgen aus 48 Städten. Bocks Vorrede zum Israelitischen Kinderfreund vom 8. August 1811. In: „Lerne Vernunft!“, S. 518 f., hier S. 519. Hier bereiteten die Schüler ihrem bedeutenden Gast einen feierlichen Empfang mit deutschen, englischen, französischen und hebräischen Vorträgen; vgl. Feierlicher Empfang des Präsidenten des Königlich-Westphälischen Konsistoriums der Israeliten und Mitglieds der Reichsstände Herrn Israel Jacobson in M.H. Bock’s Lehr- und Bildungs-Anstalten. Berlin, den 21sten Februar 1811. Zu Bocks Schulen vgl. Fehrs, Jörg H.: Von der Heidereutergasse zum Roseneck. Jüdische Schulen in Berlin 1712– 1942. Berlin 1993. S. 54– 56 und Eliav, Mordechai: Jüdische Erziehung in Deutschland im Zeitalter der Aufklärung und Emanzipation. Aus dem Hebräischen von Maike Strobel. Münster – New York – München − Berlin 2001. S. 165 – 167. Bock, Moses Hirsch: [Ankündigung des Israelitischen Kinderfreundes]. Berlin 1811, S. [2].
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Über seine Motivation gab Bock an, dem in jüdischen Schulen allgemein spürbaren Mangel an einem geeigneten Unterrichtsbuch Abhilfe schaffen zu wollen. Er selbst verwendete 1807 an seiner Knabenschule Wolfssohns Avtalion und das Lesebuch Messilat ha-Limmud, das 1802 von Jehuda Ben-Seev (1764 – 1811) in Wien herausgegeben worden war. Seinem Unterricht in Religion und Moral legte Bock den Entwurf eines selbst konzipierten hebräisch-deutschen Lehrbuchs zugrunde, das er „Emunat Jisrael oder jüdisches Religionsbuch, nach den Grundsätzen der heil. Schrift, des Thalmuds und der bewährtesten Religionslehren“ nennen wollte.⁵⁴ Dieses Unterrichtswerk konzipierte Bock nicht nur in drei verschiedensprachigen „Heften“, sondern er plante insgesamt drei Bände, oder „Theile“, von denen der Israelitische Kinderfreund der erste Band war. Dieser sollte die Grundlagen an „Kenntnissen oder Wissenschaften“ schaffen, die dann im zweiten Band „ausführlicher und mit Rücksicht auf die zunehmenden Fähigkeiten des Jünglings bearbeitet“ werden sollten.⁵⁵ So kündigte Bock im Kinderfreund eine „ausführliche Belehrung über die jetzige Ceremonial- und Glaubens-Lehre der Israeliten […] nach den Erklärungen des Maimonides“ für die folgenden beiden Bände an, „da sich deren Erlernung nicht für das erste jugendliche Alter“ eigne.⁵⁶ Zum dritten Band schrieb Bock knapp: „Der dritte Theil wird meistentheils Aufsätze, sowohl für kaufmännische, als sonstige Geschäfte des bürgerlichen Lebens enthalten; und besonders auch zur Bildung des Styls, dienen“.⁵⁷ Band zwei und drei sind nie erschienen, jedoch gab Bock 1814 unter dem Titel Emunat Jisrael einen „Katechismus der Israelitischen Religion, sowohl nach dogmatischen und moralischen Grundsätzen, als auch nach den Ceremonial-Verordnungen der heiligen Schrift alten Bundes“ heraus. Mit Band eins, dem Israelitischen Kinderfreund, sollten die Schüler „hauptsächlich einen zweckmäßigen Unterricht im Lesen, in den genannten drei Sprachen“ erhalten.⁵⁸ Wie bereits 1779 in Friedländers Lesebuch für jüdische Kinder vorgegeben, begann Bock mit dem Erlernen der Zahlen, des Alphabets und der Silben, jedoch wesentlich ausführlicher und mit dem Abdruck von Übungsaufgaben und Leseübungen. Außerdem plante er, ein in Kupfer gestochenes „Muster einer schönen Handschrift, zur Selbstübung für Kinder“ abzudrucken, wie es
Vgl. Bock, Moses Hirsch: Nachricht von der Lehr- und Bildungsanstalt für Söhne jüdischer Familien. Berlin 1807. S. 6 u. S. 9. Bock, Ankündigung, S. [2 f.]. Bock, Israelitischer Kinderfreund, S. 148, Anm. Bock, Ankündigung, S. [3]. Bock, Ankündigung, S. [3].
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Friedländer in seinem frühen Lesebuch realisiert hatte.⁵⁹ Seiner Beschreibung des ersten, der Entwicklung des Lese- und Schreibvermögens gewidmeten Kapitels fügte Bock hinzu, es folge im Hebräischen „eine Anleitung das Deutsche, mit jüdischer Schrift, lesen zu lernen“ sowie „eine Vorschrift; um auch in den jüdischen Schriftzügen Uebung zu erhalten“. Den Inhalt der vier folgenden Kapitel, oder „Abtheilungen“, präsentierte er „in Form einer freundschaftlichen Anrede an die Kinder“.⁶⁰ Das zweite Kapitel umfasste weitere Ausführungen zur Sprachlehre, während das dritte Kapitel geografische, naturgeschichtliche und technologische Kenntnisse offerierte sowie Betrachtungen des Menschen, „nach seinen gesellschaftlichen Verhältnissen“ und „nach seinen bürgerlichen Verhältnissen beim Handel und Gewerbe“, verbunden mit der Vermittlung von Maßeinheiten.⁶¹ Das vierte Kapitel war dem Religionsunterricht gewidmet. Hierzu teilte Bock mit: In der vierten Abtheilung, erhalten die Kinder einen Entwurf der israelitischen Religionslehren, in soweit sie nehmlich denselben faßlich, und für deren Alter anwendbar, gemacht werden können. Diesem Entwurfe folgt ein gedrängter Auszug aus allen Büchern der heiligen Schrift; einige Morgen- und Abend-Gedanken; Gebete bei besonderen Veranlassungen und Denksprüche, meistentheils aus der Bibel oder dem Thalmud gezogen.⁶²
Neben grammatikalischen Regeln beinhaltete das fünfte und letzte Kapitel des Kinderfreunds vor allem weitere Leseübungen, und zwar „eine Auswahl von Erzählungen aus dem Thalmud und dem Midrasch; verschiedene Gelegenheits und andere Gedichte, mehrere Fabeln und Räthsel“.⁶³ Zu den im Kinderfreund edierten Fabeln des Barachja ben Natronai Ha-Nakdan (um 1300) aus Mischle schu‘alim (zuerst Padua 1557) merkte Bock an, sie seien ihm „nebst Einleitung“ von David Friedländer „gütigst mitgetheilt worden“.⁶⁴ Drei der fünf Fabeln hatte dieser bereits 1779 in seinem Lesebuch für jüdische Kinder abgedruckt.⁶⁵
Bock, Ankündigung, S. [4]; vgl. David Friedländer: Lesebuch für jüdische Kinder. Berlin 1779, Kupferstich eingebunden nach S. 8. Bock, Ankündigung, S. [4]. Bock, Ankündigung, S. [4 f.]. Bock, Ankündigung, S. [5]. Bock, Ankündigung, S. [5]. Bock, Israelitischer Kinderfreund, S. 69. Hier schrieb Bock einleitend zu den Fabeln, was HaNakdans Fabeln „einen besonderen Reiz“ gebe, sei „die Kunst, ganze Verse und Sentenzen aus der heiligen Schrift in den Vortrag zu verweben, und, durch die Verbindung, in welche sie gebracht werden, ihnen eine andere, oft entgegengesetzte Bedeutung zu geben, als die, welche sie ursprünglich hatten. In der Uebersetzung gehen diese witzigen Anspielungen oft, wenn auch nicht immer, verlohren. Indessen werden diese Fabeln für den, dem die heilige Schrift nicht ganz fremd ist, manches Anziehende haben.“ Vgl. Friedländer, Lesebuch, S. 16 – 21.
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Entsprechend Bocks Ankündigung wurde dem Leser bereits auf dem Titelblatt des Israelitischen Kinderfreunds, der im Sommer 1811 erschien, der breit angelegte Umfang der neben den Sprachkenntnissen zu erwartenden wissenschaftlichen Kenntnis- und religiösen Gesinnungsvermittlung präsentiert: ein neues ABC- und Lese-Buch; die Anfangsgründe der Erdbeschreibung, der Geschichte und Naturbeschreibung; vom Menschen und seinen Verhältnissen; von den mannigfachen Verarbeitungen der Produkte der Erde; von der Zeitrechnung; Zahlen; Maaße und Gewichte der vorzüglichsten Länder; den ersten Unterricht der israelitischen Religion und Moral; eine kurze Übersicht der heiligen Schriften der Bibel; kleine Morgen- und Abend-Gebete für jeden Tag der Woche, für den Sabbat und Festtage; eine Sammlung Gelegenheits-Gedichte für diejenigen Verhältnisse, worin die Jugend sich befinden kann; Sittensprüche für Stammbücher, und Sinn-Räthsel.⁶⁶
In der Einleitung ging Bock detailliert auf „die Methode des Unterrichts bei dem Gebrauche dieses Elementarwerks“ ein. Hieraus wird besonders die lebenspraktische Ausrichtung und die Komplementarität von Kenntnis- und Gesinnungserwerb im Bildungsprozess deutlich: Anhand des „moralische[n] A, B, C aus dem Thalmud“, und eines anderen aus den Sprüchen, „welche ihre Anwendung im gemeinen Leben finden“, sollten die Kinder „die schon bekannten Buchstaben in ihrer alphabetischen Ordnung wiederfinden“ und zugleich „gute Sittenlehren“ erfassen. Der Lehrer müsse die Kinder nicht nur zum „Lesen leerer Worte“ anhalten, sondern ihnen auch den Inhalt „gehörig“ erklären und sie „die dabei vorkommenden moralischen Lehren beherzigen“ lassen.⁶⁷ Den ersten Religionsunterricht sollten die Schüler durch Naturbetrachtung erhalten, was Bock als „Vorbereitung zu den Lehren“ späterer Jahre betrachtete. Eine einfühlsame Vorgehensweise sei dabei vonnöten: Hier kommt sehr viel auf die Eindrücke des ersten Vortrags an. Er unterscheide sich von jedem andern Gegenstande des Unterrichts durch eine größere Wärme und durch eindringende Herzlichkeit, und werde ja nicht wie eine gewöhnliche Lection betrachtet! Das Kind sey dazu vorbereitet! Es erwarte diesen Unterricht als die Belohnung seines Betragens und als Auszeichnung!⁶⁸
Der Religionsunterricht erfordere immer auch Bezüge zu den biblischen Schriften, daher hatte Bock „die zum Beweise nöthigen, oder für die Moral anwendbaren Sprüche beigefügt, und zwar die Sprüche aus den Psalmen, nach der vortreffli-
Hervorhebung des Religionsunterrichts an zentraler Stelle im Original. Bock, Einleitung, S. 522. Bock, Einleitung, S. 523.
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chen Übersetzung des verewigten Moses Mendelssohn“.⁶⁹ Beim geforderten Auswendiglernen dieser Sprüche ging es Bock sowohl darum, „den Sinn für dichterische Erhabenheit und Würde anzuregen“, als auch um Verinnerlichung der Lehren und Förderung von Religiosität: Es müssen solche ferner nicht gedankenlos hergeplaudert, sondern mit Anstand hergesagt werden. Auf diese Art werden nicht nur die Lehren der Religion bei ihm einen festeren Grund fassen; sondern es wird auch die Fähigkeit erhalten, sein Herz in frommen Gesinnungen zu Gott zu erheben und sich zum Gebet gestimmt fühlen.⁷⁰
Dass Bock für die biblischen Belege Mendelssohns Psalmen-Übersetzung heranzog, dessen Tora-Übersetzung aber gar nicht erwähnte, liegt wohl daran, dass Die Psalmen (1783) in gotischen Buchstaben gedruckt vorlagen, während die ToraÜbersetzung zwar deutsch, aber mit hebräischen Lettern gedruckt worden war. Diese Form der „jüdisch-deutschen“ Übersetzung galt im späten 18. Jahrhundert noch als Erleichterung für den Lese- und Spracherwerb, wurde aber im frühen 19. Jahrhundert als eher hinderlich für den Aneignungsprozess gesehen. Gemeinsam mit dem Direktor der Israelitischen Schule in Dessau, David Fränkel (1779−1865), gab Bock daher 1815 Mendelssohns Übersetzung der Tora erstmals in „deutschen Schriftzügen“, unter dem Titel Die fünf Bücher Mose. Chamischa Chumsche Tora (Dessau und Berlin 1815), „für Bibelfreunde aller Konfessionen, und zunächst für Israeliten bestimmt“, heraus.⁷¹
Bock, Einleitung, S. 524. Bock, Einleitung, S. 524. Vgl. Die fünf Bücher Mose. Chamischa Chumsche Tora. Übersetzt von Moses Mendelssohn. Hrsg. von D. Fränkel, Herzogl. Anhalt-Dessauischem Direktor der Israelitischen Schulen, und von M. H. Bock, Doktor der Philosophie und Vorsteher einer Lehr-, Erziehungs- und Pensions-Anstalt in Berlin. Dessau − Berlin 1815. In der Vorrede, S. II, heißt es: „Der Übersetzer hat hauptsächlich die Jugend seiner Nation zum Augenmerk gehabt, und seine Absicht ist, ihr durch Hülfe der Muttersprache das Erlernen der Grundsprache und das Verständniß der Urschrift zu erleichtern; daher er sich an die Worte des Textes gehalten, und manche Hebräismen erlaubt hat, die im deutschen fremd klingen, und nur durch den Context verständlich werden.“ Weiter heißt es in der Vorrede, S. IV: „Wir dürfen mit Recht erwarten, daß diese unsere Ausgabe, zunächst für Israeliten, für die Schulen derselben, und bereits zuvörderst für die Herzogliche Franzschule in Deßau, für die vom Direktor Fränkel im Jahre 1806 daselbst errichtete und fortbestehende Töchterschule, für die Erziehungs- und Bildungsanstalt des Dr. Bock in Berlin u. a. m. bestimmt, den Bibelfreunden aller Konfession willkommen sein wird.“; zit. nach CCN. Dok. 481, S. 853, Anm. Bock und Fränkel planten die Herausgabe des gesamten Tanach unter dem Titel Die heilige Schrift. Tora, Neviʼim uKhetuvim „nach dem masorethischen Texte übersetzt“, was wohl am plötzlichen Tod Bocks im April 1816 scheiterte.
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Zuvor noch hatte Bock den Israelitischen Kinderfreund ein weiteres Mal unter dem veränderten Titel Neues Elementarwerk in deutscher, französischer und hebräischer Sprache für den Schul- und Privat-Unterricht oder Handbuch der gemeinnützigen wissenschaftlichen Kenntnisse (1813) ediert.⁷² Auf Veranlassung einiger jüdischer Gemeindevorsteher veröffentlichte er außerdem auf Grundlage des vierten, den religiösen Lehren gewidmeten Kapitels des Kinderfreundes einen nur auf Deutsch verfassten „Katechismus der Israelitischen Religion, sowohl nach den dogmatischen und moralischen Grundsätzen, als auch nach den CeremonialVerordnungen der heiligen Schrift alten Bundes“ unter dem Titel Emunat Jisrael (1814), den er ursprünglich für sein Lesebuch vorgesehen hatte. Im Vorwort zum Katechismus schrieb Bock rückblickend auf seinen Religionsunterricht: Von reiner Ehrfurcht für die Religion beseelt, da sie allein bey dem Menschen den Wunsch, zu einem wahren Glück zu gelangen, befriedigen kann; meinen Glauben aus dem Grunde des Herzens verehrend, habe ich seit mehreren Jahren gestrebt, diese göttliche Lehre, mit völliger Ueberzeugung von deren heilsamen Einfluße auf Grundsätze und Handlungen, unter den Israeliten zu verbreiten. Ich habe sie besonders den Herzen Derer, die von mir eine sichere Leitung beym Anfange ihrer Laufbahn verlangten, einzuschärfen gesucht.Was ich in diesem Fache geleistet habe, ist als der erste Anfang dieser Art, jedem Mitgliede unserer Gemeine bekannt. Es sind bereits von mir eine Anzahl Knaben und Mädchen, und zwar, nachdem die Knaben im Tempel die vorgeschriebenen Gebräuche beobachtet hatten, in Gegenwart mehrerer Mitglieder des Departements für den Cultus und öffentlichen Unterricht, so wie der Aeltesten unserer Gemeine und einiger verehrten Mitglieder derselben, in meinem Schulhause in der Israelitischen Religion geprüft, und nach abgelegtem öffentlichen Glaubensbekenntniß, von da als religiöse Knaben und Mädchen entlassen worden.⁷³
Bock war es mit seinem Konzept des Religionsunterrichts gelungen, sowohl die Traditionalisten der Berliner jüdischen Gemeinde als auch die Reformanhänger zu überzeugen. Für seine im Mai 1810 veröffentlichte Ankündigung „an verehrenswerte Hausväter jüdischer Religion zu Berlin, über den Versuch: einen zweckmäßigen Religionsunterricht für ihre Söhne und Töchter zu veranstalten“, der an schulfreien Tagen abgehalten werden sollte, hatte Bock sowohl ein Empfehlungsschreiben von David Friedländer, derzeit amtierender Stadtrat und Gemeindeältester, als auch eine Approbation des traditionell orientierten VizeOberlandrabbiners Meyer Simon Weyl (1744– 1826) erhalten, die ausgesprochene
Julius Fürst verzeichnet außerdem ein von Moses Hirsch Bock herausgegebenes Hebräisches ABC-Buch. Berlin 1812; vgl. Bibliotheca Judaica. Bibliographisches Handbuch der gesammten Jüdischen Literatur. Erster Teil. Leipzig 1849 (Reprint Hildesheim 1960), S. 123. Möglicherweise ist dieses Werk identisch mit der hebräischen Version des Kinderfreundes. Bock, Moses Hirsch: Vorrede. In: Emunat Jisrael oder Katechismus der Israelitischen Religion. Berlin 1814. S. Vf. Das Vorwort ist datiert mit dem 8. August 1814.
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Kontrahenten waren.⁷⁴ In seinem Vorwort zu Emunat Jisrael führte Bock weiter aus: Bey der Ausübung obgedachter mir heiligen und theuren Pflichten, habe ich mich gleich entfernt vom blinden Glauben und von Neuerungssucht gehalten, und das Glück gehabt, durch meinen Vortrag und das freye Bekenntniß meiner Denkungsart, sowohl bey den altgläubigen als bey freyer denkenden Israeliten, Beyfall zu finden. Da ich nichts so sehnlich wünsche, als unter meinen Glaubensgenossen eine gründliche und heilsam wirkende Religionskenntniß zu befördern; so gab ich gern den Wünschen meiner ehemaligen Schüler, und besonders dem Verlangen einiger Israelitischen Gemeinen, für ihre Kinder ein Lehrbuch ihrer Religion zu haben, nach, und versuche es jetzt[,] eine[n] kurzen Auszug des Israelitischen Religionsunterrichts in die Hände der jüdischen Jugend zu geben, mit dem innigsten Wunsche, wo möglich, für Mehrere den Nutzen zu stiften, den ich bis jetzt im Kreise meiner Umgebung hervorzubringen, mich bemühet habe.⁷⁵
Im Anhang zum Katechismus druckte Bock eine Aufstellung „der vorzüglichsten Gegenstände, die zum Israelitischen Religions-Unterrichte gehören“ ab. Zu den fünf religiösen Lehrobjekten zählte er die Zehn Gebote, die 13 Glaubensartikel nach Moses Maimonides (1135 – 1204), die 24 Bücher der hebräischen Bibel, die sechs Ordnungen des Talmuds und die Zeitrechnung nach dem jüdischen Kalender.⁷⁶
Die Lehrbuchproduktion der Orientalischen Buchdruckerei: Wie aus Kindern moderne Juden werden Der hebräische Band des Israelitischen Kinderfreunds erschien, wie auch Wolfssohns Avtalion, in der Orientalischen Buchdruckerei, für deren Einrichtung die Berliner Maskilim 1784 eine Königliche Konzession erhalten hatten und die mit ihrem Verlag an die jüdische Freischule angeschlossen war.⁷⁷ Hier wurden unter anderen die hebräischen Sittenschriften verlegt, die von Isaak Satanow (1732– 1804) und Naphtali Herz Wessely in Folge des Preisausschreibens der Freischuldirektion verfasst wurden und die beide den für die traditionelle Musar-Literatur
Vgl. Bock, Vorrede, S. VI und Lohmann, David Friedländer, Reformpolitik, S. 398 – 412. Bock, Vorrede, S. VIIf. Vgl. Bock, Emunat Jisrael, S. 75 – 88. Zur Geschichte der Orientalischen Buchdruckerei vgl. Lohmann, Uta: „Sustenance for the Learned Soul“: The History of the Oriental Printing Press at the Publishing House of the Jewish Free School in Berlin. In: Leo Baeck Institute Year Book LI (2006). S. 11−40.
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üblichen Titel Sefer ha-Middot trugen.⁷⁸ Mit der Einrichtung der Orientalischen Buchdruckerei und der dazugehörigen Buchhandlung schufen die Maskilim eine Institution zur Erfüllung des Bildungsauftrags im Sinne von Mendelssohns „erstem allgemeinen Naturgesetz“. Dessen Einleitung zur Tora-Übersetzung, Or laNetiva (1783), kann als vorzeitiges Verlagsprogramm gewertet werden, denn alle älteren Werke, die er hier als nützlich einschätzte, erschienen später in kommentierten Neuauflagen der Orientalischen Buchdruckerei. Unter den maskilischen Publikationen sind vier verschiedene Kategorien explizit als Schulbücher für jüdische Kinder zu betrachten: 1) zweisprachige und kommentierte Übersetzungen biblischer Bücher, wie Mendelsohns Tora-Übersetzung Netivot ha-Schalom von 1783 und Euchels Mischle von 1790, 2) Sittenschriften, wie Satanows und Wesselys Sefer ha-Middot von 1784 und 1786, 3) Lesebücher, wie Wolfssohns Avtalion von 1790 und Bocks hebräische Version des Israelitischen Kinderfreunds von 1811 sowie 4) hebräische Sprachlehren und Grammatiken, wie Satanows dreiteiliges Sefer ha-Schoraschim von 1783 und 1787, Joel Bril Löwes (1762– 1802) Sprachlehre Amude ha-Laschon von 1794 und Salomon Jacob Cohens (1772– 1845) Torat Laschon Ivrit von 1802. Auch andere Lehrbücher waren natürlich für den Unterricht jüdischer Kinder bestimmt, wie etwa Baruch Lindaus (1758 – 1849) naturwissenschaftliches Lehrbuch Sefer Reschit Limmudim von 1788 oder David Friesenhausens (1750 – 1828) Lehrbuch der allgemeinen Arithmetik Kelil ha-Cheschbon von 1796. Diese Bücher richteten sich nicht nur nach dem Bildungsauftrag, sondern erfüllten auch die pädagogischen Imperative der Erkenntniserweiterung und des Fortschrittstrebens. Kennzeichnend für alle Bücher der Orientalischen Buchdruckerei ist sowohl die hebräische Sprache, in der sie verfasst sind, als vor allem auch die Verbindung moderner Erkenntnisse mit dem herkömmlichen Wissen jüdischer Traditionsliteratur. Insgesamt diente die gesamte Buchproduktion der Berliner Haskala der übergeordneten Leitidee von der Bestimmung des Menschen zur Vervollkommnung und dem daraus abgeleiteten Konzept Allgemeiner Menschenbildung, nämlich der Komplementarität des Erwerbs von Sprachen, Gesinnung und allgemeinem Wissen.
Vgl. die Titelblätter und Einleitungen der beiden Sittenlehren von Satanow und Wessely in deutscher Übersetzung von Rainer Wenzel in: „Lerne Vernunft!“, S. 86 – 91 und S. 100 – 106.
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Was aber machte das solchermaßen modern und universal unterrichtete Kind zu einem jüdischen Kind? Zusammenfassend kann dies mit Verweis auf das ursprüngliche Curriculum der jüdischen Freischule unter Leitung von Isaak Daniel Itzig und David Friedländer beantwortet werden,⁷⁹ ein Unterrichtskonzept, das im Lehrplan der Schulen von Moses Hirsch Bock eine Fortsetzung fand. Dieses partikulare Konzept beinhaltete das Erlernen mehrerer Sprachen, darunter des Hebräischen, die Verwendung einer Auswahl biblischer, talmudischer und weiterer Grundlagentexte des Judentums beim Lesenlernen sowie die Vermittlung eines spezifisch jüdischen Wissens von den Tugenden, vermittelt durch die Sittenschriften. Die komplementäre Ausbildung des Intellekts und der Emotionen, der Gesinnung und der Sprachkompetenzen folgte dabei einer Erziehung nach jüdischen Grundsätzen, die mit biblischen Versen belegt wurden. Exemplarisch für diese moderne Bildung jüdischer Kinder steht Moses Hirsch Bocks Israelitischer Kinderfreund, der mit den konzeptionellen Vorstellungen übereinstimmt, die Friedländer 1788 in seiner Pädagogikschrift vorgelegt hatte. Mit Bocks „Elementarwerk“ für die „israelitische Jugend“⁸⁰ erlernten die jüdischen Schüler unter vielen allgemeinen Kenntnissen auch das Schreiben und Lesen der hebräischen Sprache und das „moralische A,B,C in Sprüchen aus dem Thalmud“.⁸¹ Als Leseübung dienten ihnen neben anderen Texten „Erzählungen aus dem Thalmud“ und die Fuchsfabeln des Barachja Ha-Nakdan; im Geografieunterricht wurde besonders auf die Besiedlung Palästinas durch die Israeliten und die vier Landesteile Judäa, Galiläa, Samaria und Peräa mit den zwölf Stämmen und wichtigsten Städten verwiesen.⁸² Ein kompaktes Kapitel leitete in die Religion ein und erteilte mit den „Lehren oder Wahrheiten der Religion“ und der „Moral der Religion; oder: von den Pflichten des Menschen“ den „Ersten Unterricht in der Israelitischen Religion“. Der Israelitische Kinderfreund lieferte in diesem Kapitel außerdem eine „Übersicht der Bücher der heiligen Schrift“, einen „Summarischen Inhalt der 24 Bücher der heil. Schrift“ und „Einige Morgen- und Abendgebete, kleine Andachtsübungen für den Sabbath und andere Festtage“, verbunden mit einer Entstehungsgeschichte der hebräischen Gebete, wie sie David Friedländer bereits in der Einleitung zu seiner deutschen Übersetzung der Gebete der Juden
Vgl. Itzigs und Friedländers Programmschrift vom Februar 1783, Nachricht von dem gegenwärtigen Zustand, bisherigen Fortgang, und eigentlichen Endzweck der Freyschule zu Berlin. In: CCN. Dok. 49, S. 206 – 208, und Itzig, Zweite Nachricht. Die Bezeichnung als „Elementarwerk“ legt den Einfluss des ab 1774 erschienen neunbändigen Elementarwerks von Johann Bernhard Basedow (1724– 1790) nahe. Vgl. hier und im Folgenden das Inhaltsregister in Bock, Israelitischer Kinderfreund, S. XIV– XVI. Vgl. Bock, Israelitischer Kinderfreund, S. 87 f. und S. 91 f.
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auf das ganze Jahr (1785/1786) verfasst hatte.⁸³ Auch in der „Anleitung zur jüdischdeutschen Lese- und Schreibart“ des hebräischen Bandes erfolgten die Leseübungen anhand einer Auswahl jüdischer Gebete. In Emunat Jisrael betonte Bock die notwendige Verbindung religiöser Lehren mit historischen Kenntnissen; die „Kurze Geschichte des Israelitischen Volks“ im zehnten und letzten Kapitel sei „mit dem eigentlichen Religionsunterrichte zu verbinden“.⁸⁴ Die baldige Neuauflage des Israelitischen Kinderfreundes als Neues Elementarwerk belegt, wie auch zwei weitere Ausgaben in den Jahren 1822 und 1841,⁸⁵ den Erfolg von Bocks komplementärem, religiös-wissenschaftlich-sprachkundlichem Unterrichtskonzept. Bereits die erste Auflage, die sich weiter Verbreitung erfreute, wurde mit 457 Exemplaren pränummeriert, 111 weitere Exemplare wurden bis zum Erscheinen des hebräischen Bandes im Herbst 1811 bestellt. Unter den Subskribenten befanden sich nicht nur einige christliche Schulvorsteher und der erwähnte Israel Jacobson, der für die Schulen des Westphälischen Konsistoriums der Israeliten mit 150 Exemplaren zeichnete, „um sie bei dem Unterricht der israelitischen Jugend in Westphalen zu benutzen“, sondern auch Moses Philippson (1775 – 1814) und Hirsch Sommershausen (1781– 1850), die jeweils 20 Exemplare für ihre jüdischen Schulen in Dessau und Amsterdam bestellten.⁸⁶
Literatur Auerochs, Bernd: Was ist eigentlich Kunstreligion? Reflexionen zu einem Phantasma um 1800. In: Aufklärung und Religion. Neue Perspektiven. Hrsg. von Michael Hofmann und Carsten Zelle. Hannover 2010. S. 205 – 222. Behm, Britta L.: Moses Mendelssohn und die Transformation der jüdischen Erziehung in Berlin. Münster − New York – München − Berlin 2002.
Vgl. dazu Lohmann, Uta: David Friedländer, Isaak Abraham Euchel und die Gebeteübersetzungen in ihrem bildungshistorischen Kontext. In: Isaac Euchel. Der Kulturrevolutionär der jüdischen Aufklärung. Hrsg. von Marion Aptroot [u. a.]. Hannover 2010. S. 105 – 133. Bock, Moses Hirsch: Vorrede. In: Emunat Jisrael oder Katechismus der Israelitischen Religion. Berlin 1814, S. X. Vgl. HaCohen, Ran: Die Entwicklung der hebräischen Lesebücher. In: Deutsch-jüdische Kinder- und Jugendliteratur. Ein literaturgeschichtlicher Grundriß. Hrsg. von Annegret Völpel und Zohar Shavit. Stuttgart − Weimar 2002. S. 40 – 54, hier S. 41. Moses Philippson hatte selbst 1808 ein „Lehr- und Lesebuch für die Jugend jüdischer Nation und für jeden Liebhaber der hebräischen Sprache“ unter dem Titel Mod‘a li-Vne Bina oder Kinderfreund und Lehrer (Leipzig 1808) veröffentlicht; die bereits im Januar 1802 verfasste Einleitung ist neu ediert in: „Lerne Vernunft!“, S. 515 – 517. Vgl. auch die Neuedition von Hirsch Sommershausens Einleitung zu seiner Erziehungsschrift Bikkure Chinnuch oder Probestücke in hebräischer und holländischer Sprache (Amsterdam 1809). In: „Lerne Vernunft!“, S. 366 – 368.
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Bock, Moses Hirsch: Nachricht von der Lehr- und Bildungsanstalt für Söhne jüdischer Familien. Berlin 1807. Bock, Moses Hirsch: [Ankündigung des Israelitischen Kinderfreundes]. Berlin 1811. Bock, Moses Hirsch: Israelitischer Kinderfreund oder Handbuch der gemeinnützigsten wissenschaftlichen Kenntnisse. Ein Elementarwerk in hebräischer, deutscher und französischer Sprache für den Schul- und Privat-Unterricht der israelitischen Jugend. Berlin 1811. Bock, Moses Hirsch: אמונת ישראלoder Katechismus der Israelitischen Religion. Berlin 1814. Eliav, Mordechai: Jüdische Erziehung in Deutschland im Zeitalter der Aufklärung und Emanzipation. Aus dem Hebräischen von Maike Strobel. Münster − New York – München − Berlin 2001. Euchel, Isaak A.: Mischle. Berlin 5549 [1790]. Fehrs, Jörg H.: Von der Heidereutergasse zum Roseneck. Jüdische Schulen in Berlin 1712 – 1942. Berlin 1993. Fränkel, David und Moses Hirsch Bock: Die fünf Bücher Mose. Chamescha Chumsche Tora. Übersetzt von Moses Mendelssohn. Dessau, – Berlin 1815. Friedländer, David: Lesebuch für jüdische Kinder. Berlin 1779. Friedländer, David: Über den besten Gebrauch der h. Schrift in pädagogischer Rücksicht. In: Der Prediger. Aus dem Hebräischen von David Friedländer. Berlin 1788. S. 1−90. Neu ediert in: „Lerne Vernunft!“. Jüdische Erziehungsprogramme zwischen Tradition und Modernisierung. Quellentexte aus der Zeit der Haskala, 1760−1811. Hrsg. von Uta Lohmann und Ingrid Lohmann. Münster – New York – München – Berlin 2005. S. 61−81. Fürst, Julius: Bibliotheca Judaica. Bibliographisches Handbuch der gesammten Jüdischen Literatur. Erster Teil. Leipzig 1849 (Reprint Hildesheim 1960). HaCohen, Ran: Die Entwicklung der hebräischen Lesebücher. In: Deutsch-jüdische Kinder- und Jugendliteratur. Ein literaturgeschichtlicher Grundriß. Hrsg. von Annegret Völpel und Zohar Shavit. Stuttgart − Weimar 2002. S. 40 – 54. HaCohen, Ran: Biblische Geschichten für jüdische Kinder. In: Deutsch-jüdische Kinder- und Jugendliteratur. Ein literaturgeschichtlicher Grundriß. Hrsg. von Annegret Völpel und Zohar Shavit. Stuttgart − Weimar 2002. S. 69 – 84. Itzig, Isaak Daniel und David Friedländer: Nachricht von dem gegenwärtigen Zustand, bisherigen Fortgang, und eigentlichen Endzweck der Freyschule zu Berlin (Berlin 1783). Neu ediert in: Chevrat Chinuch Nearim. Die jüdische Freischule in Berlin (1778−1825) im Umfeld preußischer Bildungspolitik und jüdischer Kultusreform. Eine Quellensammlung. Hrsg. von Ingrid Lohmann und Uta Lohmann. Münster − New York – München − Berlin 2001. Dok. 49. S. 206 – 208. Itzig, Isaak Daniel: Zweite Nachricht von dem Zustande der jüdischen Freischule in Berlin. Berlin 1804. Neu ediert in: Chevrat Chinuch Nearim. Die jüdische Freischule in Berlin (1778−1825) im Umfeld preußischer Bildungspolitik und jüdischer Kultusreform. Eine Quellensammlung. Hrsg. von Ingrid Lohmann und Uta Lohmann. Münster − New York – München − Berlin 2001. Dok. 142. S. 402 – 414. Koselleck, Reinhart: Einleitung. In: Geschichtliche Grundbegriffe. Hrsg. von Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Koselleck. Bd. 1. Stuttgart 1979. S. XIII–XXVII. Lohmann, Ingrid und Uta Lohmann (Hrsg.): Chevrat Chinuch Nearim. Die jüdische Freischule in Berlin (1778−1825) im Umfeld preußischer Bildungspolitik und jüdischer Kultusreform. Eine Quellensammlung. Münster − New York – München − Berlin 2001.
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Lohmann, Ingrid, Rainer Wenzel und Uta Lohmann (Hrsg.): Naphtali Herz Wessely: Worte des Friedens und der Wahrheit. Dokumente einer Kontroverse über Erziehung in der europäischen Spätaufklärung. Aus dem Hebräischen übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Rainer Wenzel. Münster − New York 2014. Lohmann, Uta und Ingrid Lohmann (Hrsg.): „Lerne Vernunft!“. Jüdische Erziehungsprogramme zwischen Tradition und Modernisierung. Quellentexte aus der Zeit der Haskala, 1760 −1811. Münster – München − Berlin 2005. Lohmann, Uta: „Sustenance for the Learned Soul“: The History of the Oriental Printing Press at the Publishing House of the Jewish Free School in Berlin. In: Leo Baeck Institute Year Book LI (2006). S. 11−40. Lohmann, Uta: David Friedländer, Isaak Abraham Euchel und die Gebeteübersetzungen in ihrem bildungshistorischen Kontext. In: Isaac Euchel. Der Kulturrevolutionär der jüdischen Aufklärung. Hrsg. von Marion Aptroot, Andreas Kennecke und Christoph Schulte. Hannover 2010. S. 105−133. Lohmann, Uta: David Friedländer. Reformpolitik im Zeichen von Aufklärung und Emanzipation – Kontexte des preußischen Judenedikts vom 11. März 1812. Hannover 2013. Lohmann, Uta: Wissensspeicher, Lehrbuch, Erkenntnisquelle. Zur Rolle der hebräischen Bibel im Bildungskonzept der Berliner Haskala. In: Deutsch-jüdische Bibelwissenschaft. Historische, exegetische und theologische Perspektiven. Hrsg. von Daniel Vorpahl, Shani Tzoref und Sophia Kähler. Berlin – Boston 2019. S. 77 – 91. Mendelssohn, Moses: Rhapsodie oder Zusätze zu den Briefen über die Empfindungen. Berlin 1761. Mendelssohn, Moses: Abhandlung über die Evidenz in Metaphysischen Wissenschaften (1764). In: JubA. Bd. 2 (1931/1972). S. 267 – 330. Mendelssohn, Moses: Phädon oder über die Unsterblichkeit der Seele (1767). In: JubA. Bd. 3,1 (1972). S. 1 – 159. Mendelssohn, Moses: Rhapsodie oder Zusätze zu den Briefen über die Empfindungen (2. Aufl. 1771). In: JubA. Bd. 1 (1929/1971). S. 379 – 424. Mendelssohn, Moses: Anmerkungen zu Abbts freundschaftlicher Correspondenz (1782). In: JubA. Bd. 6,1 (1981). S. 27 – 65. Mendelssohn, Moses: Or la-Netiva (1782/1783). In: JubA. Bd. 9,1 (1993). S. 1−96. Mendelssohn, Moses: Über die Frage: was heißt aufklären? Berlinische Monatsschrift 4 (1784). In: JubA. Bd. 6,1 (1981). S. 113−119. Mendelssohn, Moses: Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe. Hrsg. von Alexander Altmann, Eva J. Engel, Michael Brocke und Daniel Krochmalnik. Berlin 1929 – 1938 und Stuttgart – Bad Cannstatt 1971 – 2016 (JubA). Shavit, Zohar: Aufklärung und jüdische Schulbildung in Berlin: Friedländers Lesebuch. In: Bild und Selbstbild der Juden Berlins zwischen Aufklärung und Romantik. Hrsg. von Marianne Awerbuch und Stefi Jersch-Wenzel. Berlin 1992. S. 107 – 120. Shavit, Zohar: David Friedländers „Lesebuch für Jüdische Kinder“: Ein Versuch, eine verdeutschte jüdische Kultur zu schaffen. In: Deutsch-jüdische Kinder- und Jugendliteratur. Ein literaturgeschichtlicher Grundriß. Hrsg. von Annegret Völpel und Zohar Shavit. Stuttgart − Weimar 2002. S. 24 – 40. Strauss, Jutta: „Do not Neglect the Education of Your Children“ – Aaron Halle-Wolfssohn the Pedagogue. In: Jüdische Erziehung und aufklärerische Schulreform. Analysen zum späten
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Die Reform der Haskala. Moderne Bildungskonzepte in Juda Jeitteles’ Redlichen Worten Der erste programmatische Text der Haskala, der durch die josephinischen Toleranzpatente inspirierte Traktat Naphtali Herz Weisels (= Hartwig Wessely, 1725 – 1805) Divre Schalom we-Emet,¹ befasste sich mit der Neuorganisation des jüdischen Unterrichts. Bewusst ging Weisel in dieser Schrift, die mit grundsätzlichen Idealen traditioneller jüdischer Erziehung brach, vom Bibelvers "חנוך לנער על פי " גם כי יזקין לא יסור ממנה,„( דרכוErziehe den Knaben nach seinen Fähigkeiten, dann wird er auch im Alter nicht davon abweichen“, Sprüche 22,6) aus. Im Unterschied zur traditionellen Betonung von Limmud, das heißt des Studiums von religiösen Schriften des Judentums, stellte Weisel Chinnuch, also Erziehung, ins Zentrum seiner Überlegungen.² Die ideale Erziehung sollte – im Sinne des zeitgenössi-
ברלין, דברי שלום ואמת לקהל עדת ישראל הגרים בארצות ממשלת הקיסר יאזעפוס השני,נפתלי הירץ וויזל . תקמ"בEine deutsche Übersetzung von David Friedländer erschien in Berlin noch im selben Jahr, das heißt 1782. Bei der hier verwendeten deutschen Ausgabe handelt es sich um eine anlässlich der Errichtung der Schule in Breslau veranstaltete Neuauflage. Wessely, Naphtali Herz: Worte der Wahrheit und des Friedens an die gesammte jüdische Nation. Vorzüglich an diejenigen, so unter dem Schutz des glorreichen Kaisers Josephs des Zweyten wohnen. Aus dem Hebräischen. Breslau 1798. Zur Analyse des Traktats vgl. Sorkin, David: The Transformation of German Jewry, 1780 – 1840. New York − Oxford 1987. S. 54– 57, S. 66 f. Zur innerjüdischen Kontroverse um Wesselys Traktat vgl. Samet, Moshe: Mendelssohn, Naphtali Herz Weisel we-Rabbanej Doram. In: Samet, Moshe: Chapters in the History of Orthodoxy. Jerusalem 2005 (Hebr., reprint von 1970). S. 67– 91, hier: S. 78 – 88; Feiner, Shmuel: The Jewish Enlightenment in the Eighteenth-Century. Jerusalem 2002 (Hebr.). S. 113 – 129. Eine umfassende Kontextualisierung von Divre Schalom mit der Gesamtheit von Weisels Schriften bietet Breuer, Edward: Naphtali Herz Wessely and the Cultural Dislocations of an Eighteenth-Century Maskil. In: New Perspectives on the Haskalah. Hrsg. von Shmuel Feiner [u. a.]. London − Portland (OR) 2001. S. 27– 47. Für eine Übersetzung aller vier erziehungstheoretischen Rundschreiben von Herz Weisel sowie Herausgabe und Übersetzung anderer mit diesen Schriften in Zusammenhang stehender Quellen siehe: Naphtali Herz Wessely Worte des Friedens und der Wahrheit. Dokumente einer Kontroverse über Erziehung in der europäischen Spätaufklärung. Herausgegeben, eingeleitet und kommentiert von Ingrid Lohmann. Berlin – New York 2014. Weisel verwendet „Limmud“ hauptsächlich in den Komposita „Limmud ha-Mikra“ („Bibelstudium“) und „Limmud ha-Chokhmot“ („Studium der Weisheit“), wobei letztere auf transzendentale Weisheit fokussiert, siehe Breuer, Naphtali Herz Wessely, S. 30. https://doi.org/10.1515/9783110743050-005
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schen deutschen Bildungskonzepts – den gesamten Menschen umfassen. Daran knüpfte sich Weisels Forderung, dass die „Wissenschaft des Menschen“ (Torat haAdam) – also die für die gesamte Menschheit verbindlichen moralischen Maximen sowie weltliches Wissen – im Unterricht den „göttlichen Gesetzen“ (Chukkim Elohi‘im), die den Knaben zum Israeliten bildeten, vorangehen müsse. Da die Erschaffung der Menschheit 26 Generationen vor der Übergabe der Tora an Moses stattgefunden habe, folge daraus, dass man auch ohne Studium der Tora ein anständiger Mensch, ohne Studium der weltlichen Wissenschaften jedoch weder ein nützlicher Mensch noch ein guter Jude sein könne.³ Außerdem stellte Weisel mit der Prämisse „( חנוך לנער על פי דרכוErziehe den Knaben nach seinen Fähigkeiten“) parallel zur nichtjüdischen Pädagogik seiner Zeit eine Verbindung zwischen Inhalt und Methode der Vermittlung her. Dies ermöglichte es ihm unter anderem, dem Talmudstudium im Rahmen der jüdischen Erziehung einen neuen Platz zuzuweisen. Während das Talmudstudium im traditionellen Erziehungssystem das ultimative Unterrichtsziel für alle Knaben darstellte und fester Bestandteil des Curriculums war, sollte es nach Ansicht Weisels und anderer Maskilim einer schmalen Schicht von besonders begabten Studenten vorbehalten bleiben. In Analogie zum christlichen Theologiestudium wurde der Talmud, als höchste Stufe jüdischer Bildung, damit vom integralen Teil jüdischen Bildungsguts in die Domäne einer Gelehrtenelite relegiert und die Masse des Volkes prinzipiell von seiner Kenntnis ausgeschlossen.⁴ Die Exklusion des zeitintensiven Talmudstudiums aus dem Elementarunterricht einerseits, und das Verfassen von Lehrbüchern, welche die Grundsätze des Judentums systematisch und kindgerecht zusammenfassten andererseits, sollten Raum für säkulare Gegenstände schaffen, um sowohl den pädagogischen Vorgaben der (jüdischen wie auch nichtjüdischen) Aufklärung als auch den Anforderungen des Staates Genüge zu tun. Die umfassende Integration säkularer Studien in das jüdische Curriculum war für die Maskilim letztlich Ausdruck ihres gesellschaftspolitischen Ziels, nämlich der gleichberechtigten Integration von Juden in die nichtjüdische Gesellschaft. Ebenso harmonisch, wie sich in dem von ihnen erstrebten Erziehungssystem jüdisches und nichtjüdisches Wissen verbinden sollten, konnte sich ihrer Meinung nach die Einbeziehung von Juden in die Mehrheitsgesellschaft gestalten. Im Gegensatz dazu bemühte sich das traditionelle Judentum um die Begrenzung von Säkularisierungstendenzen, welche die
Wessely, Worte, S. 2– 6; Friedländers polemische Einfügung, dass Mensch sein daher eine Stufe höher stünde als Israelit sein (ebd., S. 5), findet sich im hebräischen Original nicht. Zur neuen Übersetzung dieser Stelle von Rainer Wenzel siehe Lohmann, Naftaly Herz Wessely, S. 115 f. Wessely, Worte, S. 40 f. Deutsch in Lohmann, Naftaly Herz Wessely, S. 135 f.
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religiöse Sphäre zu beschränken und die Macht traditioneller Eliten zu untergraben drohten. In der Habsburger Monarchie schienen sich die Interessen der Maskilim mit jenen der aufgeklärt absoluten Herrscher zu decken, die in der Einführung moderner, unter staatlicher Aufsicht stehender Schulen ein probates Mittel zur Produktivierung und schließlich Integration der Juden in die Gesellschaft sahen. So wurden Maskilim und Staatsgewalt scheinbar zu natürlichen Verbündeten im Kampf um die Ausdehnung der Schulpflicht auf Juden und die Einführung eines flächendeckenden, staatlichen Erziehungssystems, wie Joseph II. es anstrebte.⁵ Daraus erklärt sich die Euphorie der Maskilim angesichts der Gründung von zahlreichen deutsch-jüdischen Schulen in der gesamten Habsburger Monarchie in Folge der Toleranzpatente in den 1780er-Jahren.⁶ Bald sollte die Übereinstimmung zwischen Staat und jüdischen Aufklärern jedoch an ihre Grenzen stoßen. Im Unterschied zu vielen Maskilim⁷ plädierten die traditionellen jüdischen Eliten für eine konsequente Trennung zwischen Staat und Religion. Zur Wahrung seiner politischen Interessen stimmte der josephinische Staat der Forderung des traditionellen Judentums nach strikter Segregation zwischen staatlich-säkularem und jüdisch-religiösem Unterricht zu. In den nächsten Jahrzehnten existierte in der Habsburger Monarchie das deutsch-jüdische Schulsystem unter staatlicher Aufsicht also parallel zu den traditionellen Chadarim und Jeschiwot, die weiterhin den jüdischen Gemeinden unterstanden. Im neunten Jahrgang (1828/1829), etwa 45 Jahre nach Eröffnung der deutschjüdischen Schule in Prag,⁸ publizierte der angesehene Prager Maskil Juda Jeitteles in der hebräischsprachigen Zeitschrift Bikkure ha-Ittim einen pädagogischen Traktat mit dem Titel Devarim Nekhochim [Redliche Worte].⁹ In einer Anmerkung
Vgl. Hecht, Louise: Ein jüdischer Aufklärer in Böhmen. Der Pädagoge und Reformer Peter Beer. Köln – Weimar − Wien 2008. S. 61. Zu Geschichte und Auswirkung der Toleranzpatente vgl. Hecht, Louise: Toleranzpatente. In: Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur. Hrsg. von Dan Diner. Bd. 6. Stuttgart 2015. S. 137– 141. Moses Mendelssohns ultimative Forderung nach einer klaren Trennung zwischen Staat und Religion stellt hier eine – wenn auch sehr prominente – Ausnahme dar. Zu Mendelssohns Verständnis, vgl. Schorch, Grit: Moses Mendelssohns Sprachpolitik. Berlin − Boston 2012. Kap. VI (Sprache und Politik). Zur Geschichte der Prager Schule vgl. Hecht, Louise: Die Prager deutsch-jüdische Schulanstalt 1782– 1848. In: Jüdische Erziehung und aufklärerische Schulreform. Analysen und Kontroversen. Hrsg. von Britta L. Behm [u. a.]. Münster 2002. S. 213 – 252. Jeitteles, Juda: Devarim Nekhochim. In: Bikkure ha-Ittim 9 (1828). S. 133 – 149; zu Bikkure haIttim vgl. Pelli, Moshe: Bikkurei ha-Iittim. The „First Fruits“ of Haskalah. Jerusalem 2005 (Hebr.); Lemberger, Tirza: Bikure Haitim und Kerem Chemed. Ein Spiegelbild ihrer Zeit? (unpublizierte
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konstatierte Jeitteles, dass er selbige Schrift bereits im Jahr 1810 als Sendschreiben an die Prager beziehungsweise böhmischen Juden verfasst, jedoch nicht veröffentlicht habe, weil „die Zeit noch nicht reif gewesen“ sei.¹⁰ In seinem Traktat setzt sich Jeitteles sowohl kritisch mit Weisels Forderungen zur Erziehungsreform als auch mit der pädagogischen Realität jüdischer Kinder in der Habsburger Monarchie auseinander. Nach einem kurzen biographischen Abriss zur Person Juda Jeitteles sollen im Folgenden seine Vorstellungen im Rahmen jüdischer Erziehungskonzepte analysiert und vor dem Hintergrund einer allgemeinen Rekonfessionalisierung des Primarschulwesens in der Habsburger Monarchie zu Beginn des 19. Jahrhunderts untersucht und kontextualisiert werden.
1 Juda Jeitteles – Zur Biografie Juda Löw Jeitteles (1773 – 1838) wurde als dritter Sohn von Jonas Jeitteles (1735 – 1806) geboren,¹¹ der wahlweise als Vater der Prager Haskala oder der Prager Maskilim bezeichnet wurde.¹² Jonas Jeitteles gehörte zu den ersten Juden, die in Leipzig und Halle Medizin studierten. Nach seiner Promotion im Jahre 1755 ließ er sich in der Prager Judenstadt als Arzt nieder; 1784 erhielt er von Joseph II. das Privileg, auch christliche Patienten behandeln zu dürfen. Die Familie Jeitteles gehörte zur intellektuellen Elite der Prager Judenstadt. Jonas Jeitteles pflegte freundschaftliche Beziehungen zum traditionellen Prager Oberrabbiner Ezechiel Landau, der seine Position in Prag etwa zur Zeit von Jonas Rückkehr aus Leipzig angetreten hatte.¹³ Doch auch zur Berliner Haskala unterhielt Jonas enge KonDissertation) Wien 1994 sowie Hecht, Dieter und Louise Hecht: Die jüdische Presse der Habsburger Monarchie im langen 19. Jahrhundert. In: Aufklären, Mahnen und Erzählen. Studien zur deutsch-jüdischen Publizistik, zum Kampf gegen den Antisemitismus und zur subversiven Kraft des Erzählens. Hrsg. von Holger Böning [u. a.]. Bremen 2015. S. 69 – 92, hier: S. 74 f. Jeitteles, Devarim, S. 133, Anmerkung. Jonas Jeitteles hatte insgesamt acht Kinder – vier Söhne und vier Töchter, von letzteren sind allerdings keine Daten verfügbar. Zur Biografie von Jonas Jeitteles und seiner Familie, siehe Hecht, Louise: Jeitteles Family. In: The Yivo Encyclopedia of Jews in Eastern Europe. Vol. 1. New Haven − London 2008. S. 821– 824; zu Juda Jeitteles siehe auch Kestenberg-Gladstein, Ruth: Neuere Geschichte der Juden in den böhmischen Ländern. 1. Teil. Das Zeitalter der Aufklärung, 1780 – 1830. Tübingen 1969, S. 259 – 267; S. 292– 309. Siehe Kestenberg-Gladstein, Neuere Geschichte, S. 118 bzw. Hecht, Jeitteles Family. Zu Ezechiel Landau und seiner Einstellung zu Tradition bzw. Modernisierung vgl. Katz, David: A Case Study in the Formation of a Super-Rabbi. The Early Years of Rabbi Ezekiel Landau, 1713 – 1754. Unpublished PhD-thesis. University of Maryland 2004; Silber, Michal K.: The Making of Habsburg Jewry in the Long Eighteenth Century. In: The Cambridge History of Judaism. Vol. VII: The Early Modern World, 1500 – 1815. Hrsg. von Jonathan Karp. Cambridge 2017. S. 763 – 797, hier:
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takte, im Speziellen zu Moses Mendelssohn, mit dem er sich offensichtlich verschwägern wollte.¹⁴ Als Arzt ist er vor allem wegen seines Engagements für Edward Jenners Pockenschutzimpfung Anfang des 19. Jahrhunderts in Erinnerung; eine Kampagne, die von seinen Söhnen Baruch/Benedikt (1762– 1813) und Juda tatkräftig unterstützt wurde.¹⁵ Der Rabbiner Baruch Jeitteles hielt eine vielbeachtete Predigt zum Thema, in der er nicht nur die Geschichte der Krankheit sowie die Entwicklung der Impfung skizzierte, sondern aus dem Gebot zum Erhalt des Lebens die Verpflichtung zur Impfung ableitete. Eine hebräische Parallelversion zu Baruchs 1805 auf Deutsch publizierter Predigt findet sich in Juda Jeittelesʼ Jugenderinnerungen Bne ha-Neʼurim. ¹⁶ Die akkordierte Kampagne führte innerhalb relativ kurzer Zeit zur Impfung von etwa 1.500 Personen in der Prager Judenstadt. Wie alle von Jonas’ Söhnen erhielt auch Juda Jeitteles eine solide traditionelle Ausbildung, unter anderem in der Jeschiwa seines Bruders Baruch. Seine säkularen Studien scheinen dagegen eher autodidaktisch und eklektisch erfolgt zu sein; sein Interesse am intellektuellen Austausch mit christlichen Gelehrten sowie seine Beteiligung an allgemeinen politischen und intellektuellen Diskussionen der Zeit waren eher beschränkt. Im Unterschied zu seinen Brüdern ergriff Juda zunächst keinen intellektuellen Beruf, sondern widmete sich dem Handel. Eine ökonomische und soziale Starthilfe in diesem Betätigungsfeld war gewiss Judas am 17. 2. 1793 erfolgte Verehelichung mit Regina (Reisel/Rikel) Lämel (ca. 1776 – 1824), der Schwester des Prager Großhändlers Simon Lämel (1766 – 1845, ab 1811
S. 776 – 780 sowie Sládek, Pavel: Ezekiel Landau (1713 – 1793) – a Political Rabbi. In: The Enlightenment in Bohemia. Religion, Morality and Multiculturalism. Hrsg. von Ivo Cerman [u. a.]. Oxford 2011. S. 233 – 252. Laut Haim Borodianski bezieht sich ein Brief Mendelssohns vom 17. 4. 1780, in dem dieser vom Tod seiner ältesten Tochter berichtet, die eine gute Partie für „den Sohn unseres Freundes des Arztes“ gewesen wäre, auf Baruch Jeitteles, den ältesten Sohn von Jonas Jeitteles; vgl. Mendelssohn, Moses: Hebräische Schriften III. Briefwechsel. Bearbeitet von Haim Borodianski. In: Moses Mendelssohn: Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe. Hrsg. von Alexander Altmann [u. a.]. Berlin 1929 – 1938 und Stuttgart – Bad Cannstatt 1971– 2016 (JubA). Bd. 16 (1929). S. 257 und LXXXIX. Zur Pockenimpfung im jüdischen Diskurs vgl. Ruderman, David B.: Some Jewish Responses to Smallpox Prevention in the Late Eighteenth and Early Nineteenth Centuries. A New Perspective on the Modernization of European Jewry. In: Aleph 2 (2002). S. 111– 144. Die Seiten 132– 138 beschäftigen sich mit der Kampagne der Familie Jeitteles in Prag, die Ruderman als „most public display of Jewish support for vaccination“ bezeichnet. Jeitteles, Benedikt: Die Kuhpockenimpfung. Eine Predigt. Prag 1805; Jeitteles, Juda: Bene haNeʼurim. (Hebr.) Prag 1821. S. 60 – 74.
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Edler von Lämel).¹⁷ Das Ansehen seiner Familie und sein beruflicher Erfolg als Kaufmann verschafften ihm bereits in jungen Jahren verschiedene Ehrenämter innerhalb der jüdischen Gemeinde,¹⁸ bei denen er durchaus Sympathien für Reformen erkennen ließ.¹⁹ Judas Bemühungen blieben allerdings auf die innerjüdische Sphäre beschränkt. Dafür spricht unter anderem die Tatsache, dass er als einziger von Jonas Söhnen keinen christlichen Parallelnamen führte.²⁰ Abgesehen von einigen anlassbezogenen Reden verfasste er keine originären Schriften in deutscher Sprache.²¹ Judas Hauptwerk und -interesse lag eindeutig im Bereich der semitischen Philologie. Sein 1813 in Prag veröffentlichter Mevo ha-Laschon. Aramit war die erste moderne aramäische Grammatik,²² in der Flexionstabellen der einzelnen Wortgruppen zusammengestellt und die Unterschiede zwischen Hebräisch und Aramäisch herausgearbeitet sind. Juda Jeitteles bediente sich darin des kritischen Instrumentariums der jüdischen Aufklärung, um die aramäische Sprache, eine sowohl von der traditionellen jüdischen Gelehrsamkeit als auch von der Haskala vernachlässigte Disziplin, auf den Stand der modernen Wissenschaft zu bringen.
Wiener Stadt- und Landesarchiv (WStLA), Zivilgericht, Faz. 2, Verlassenschaft Juda Jeitteles sowie Gaugusch, Georg: Wer einmal war. Das jüdische Großbürgertum Wiens 1800 – 1938. Bd. 2. Wien 2016. S. 168 f. So wurde er etwa im Alter von nur 40 Jahren zum Gemeindeältesten gewählt, während die meisten Mitglieder dieses Gremiums zumindest 60 Jahre alt waren, vgl. Kestenberg-Gladstein, Neuere Geschichte, S. 260. Kestenberg-Gladstein sieht in Judas Wahl zum Gemeindeältesten einen wesentlichen Schritt in der systematischen „Eroberung der Gemeinden“ durch die Maskilim, denn im selben Jahr wurde auch Baruch Jeitteles in dieses Amt gewählt, das er jedoch nicht annahm, siehe: Kestenberg-Gladstein, Neuere Geschichte, S. 261 f. Siehe Hecht, Jeitteles Family, Chart: Genealogy of the Jeitteles Family, S. 823. Jeitteles, Juda: Rede, den 12. April 1814, als am letzten israelitischen Osterfeyertage, bei Gelegenheit wegen der am selben Tage eingetroffenen erfreulichen Nachricht der Einnahme von Paris von der Prager Israelitengemeinde abgehaltenen religiösen Dankfeyer. Prag 1814; Jeitteles, Juda: Trauungsrede gehalten bei den […] Trauungen der beiden Brautpaare Fräulein Louise Edlen von Lämel aus Wien mit dem bürgerlichen Kaufmann Herrn Lippmann Marx in München, dann Fräulein Jeannette Marx ihrem Cousin Arnold Marx. Regensburg 1823. Louise Lämel war eine Tochter von Simon Lämel und somit eine Nichte von Judas Frau; Jeitteles, Juda: Deutsche Reden, gehalten bei verschiedenen Gelegenheiten. Prag 1814 und Jeitteles, Juda: Trauerrede auf den Tod der Frein von Arnstein. Prag 1818. Die letzteren beiden Werke konnten nicht lokalisiert werden; zitiert nach Fürst, Julius: Bibliotheca Judaica. Bibliographisches Handbuch der gesammten jüdischen Literatur mit Einschluss der Schriften über Juden und Judenthum und einer Geschichte der jüdischen Bibliographie. Bd. 2. Leipzig 1863. S. 52. Siehe Jeitteles, Jehudah ben Jonah Lev: Mevo ha-Laschon. Aramit. Prag 1813. Das Werk ist mit Approbationen der beiden konservativen Prager Rabbiner Eleazar Fleckeles und Samuel Landau sowie seines Bruders Baruch Jeitteles versehen.
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Damit hatte er nicht nur eine akademische Nische gefunden, sondern auch den Brückenschlag zwischen Tradition und Haskala. Neben fundierten philologischen Kenntnissen zeigt sich hier auch Jeitteles’ pädagogischer Impetus. Zwar stellte die mehr als 60 Seiten umfassende Grammatik zweifellos hohe Anforderungen an die Lernenden, doch verweist die am Ende angefügte Chrestomathie mit Textauszügen aus dem Buche Daniel, dem Targum Onkelos und dem Zohar sowie Übungstexten mit hebräischer Übersetzung auf Jeitteles‘ Streben, das Werk (auch) als Lehrbuch zu implementieren. Auch die auf der Schmutzseite publizierte hebräische Druckgenehmigung des Zensors Karl Fischer lobt das Werk als kurze und konzise Zusammenfassung der aramäischen Grammatik, die sich aufgrund dieser Eigenschaften hervorragend für den Unterricht eigne.²³ Juda Jeitteles’ pädagogische Kompetenz wurde unter anderem durch das Titelblatt untermauert, das ihn als „communitatis hebraicae pragensis praefecto, pragenae judaicae mercaturae repraesentatore“ („Vorsteher der Prager Judengemeinde und Vertreter der jüdischen Kaufmannschaft Prags“), wie auch als „israelitico-germanicae scholae primariae curatore“ („Aufseher über die deutsch-jüdische Grundschule“) ausweist. Obwohl die sonst verlässliche Schulchronik von Johann Wannicžek ihn in dieser Funktion nicht erwähnt,²⁴ beschäftigte sich Juda Jeitteles in jenen Jahren offensichtlich eingehend mit der Unterrichtspraxis für jüdische Kinder und möglichen beziehungsweise wünschenswerten Reformen derselben.
2 „Devarim Nekhochim“ Das nach seinen eigenen Angaben im Jahre 1810 verfasste Sendschreiben „Devarim Nekhochim“ bezeugt Jeitteles’ Beschäftigung mit pädagogischen Fragen bereits vor seiner Ernennung zum Aufseher über die deutsch-jüdische Schule in Prag und könnte im Zuge seiner Vorbereitung auf dieses Amt beziehungsweise als Nebenprodukt derselben entstanden sein. Jedenfalls war er mit der gängigen hebräischen Literatur zum Thema vertraut, während er auf Deutsch verfasste –
Zu Fischer und seiner Zensorentätigkeit vgl. Cermanová, Iveta: Karl Fischer (1757– 1844) I. The Life and Intellectual World of a Hebrew Censor. In: Judaica Bohemiae XLII (2006). S. 125 – 177; Cermanová, Iveta: Karl Fischer (1757– 1844) II. The Work of a Hebrew Censor. In: Judaica Bohemiae XLIII (2007– 2008). S. 5 – 63. Wannicžek weist für 1812 Moses Israel Landau, Enkel des vormaligen Oberrabbiners Ezechiel Landau, und für 1813 Samuel Dormitz und J.U.D. Hock als Schulaufseher aus. Siehe Wannicžek, Johann: Geschichte der prager Haupt-, Trivial- und Mädchenschule der Israeliten. Prag 1832. S. 49; S. 53.
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jüdische wie nichtjüdische – pädagogische Literatur hauptsächlich indirekt rezipierte. Seine wichtigsten Referenzwerke waren der bereits zitierte Traktat von Naphtali Herz Weisel sowie verschiedene Schriften von Rabbi Juda Löw ben Bezalel, des sogenannten Maharal von Prag (um 1520 – 1609). Seinen Mangel an inhaltlicher Konsistenz macht Jeitteles durch bestechende Rhetorik und präzise Wortwahl wett. Ebenso wie Weisel legte Jeitteles seinen Ausführungen den oben zitierten Vers aus Spr. 22,6 „Erziehe den Knaben nach seinen Fähigkeiten“ zugrunde und knüpfte daran – wie auch Weisel – die Forderungen, den Unterricht in Torat ha-Adam, den säkularen Fächern, sowie den von ihm als Torat ha-Israeli bezeichneten religiösen Gegenständen im Kindesalter zu beginnen und den individuellen Fähigkeiten der Schüler anzupassen. Doch während Weisel den diskursiven Rahmen zwischen „menschlichen Lehren“ (Torat ha-Adam) und „göttlichen Gesetzen“ (chukkim elohi’im) – also einer menschlichen und einer göttlichen Sphäre – absteckte, sieht Jeitteles die für Jüdinnen und Juden geltenden Vorschriften (Torat ha-Israeli) nicht als Opposition, sondern als Spezifizierung der für alle Menschen gültigen Lehren. Die religiöse Unterweisung wird bei Jeitteles somit nicht – wie bei Weisel – in eine transzendente Theologie ausgelagert, sie verbleibt vielmehr im immanenten Bereich, was sich einerseits mit der traditionellen jüdischen Auffassung vom Unterricht deckt und andererseits an die Prämissen der Aufklärung gemahnt, welche „Jude sein“ als Unterkategorie des „Mensch seins“ begreift. Der Metaphorik der Aufklärungspädagogik gemäß, betrachtete Jeitteles die Kinder als „tabula rasa“, auf die verständige und aufgeklärte Lehrer die gewünschten Inhalte „eingravieren“ sollten.²⁵ Weisels ideologisch fundierte Unterscheidung zwischen Chinnuch und Limmud ignoriert Jeitteles dagegen und verwendet, der traditionellen jüdischen Praxis entsprechend, beide Termini synonym.²⁶ Die Inhalte des Unterrichts sollten aus Tora, Chokhma²⁷, Musar (Ethik) und Derekh Eretz²⁸ bestehen. Da Jeitteles die mit den aufgezählten Schlagwörtern
Jeitteles, Devarim, S. 133. Dies gilt ebenso für die Termini More (Lehrer) und Mechanekh (Erzieher) sowie Bate Sefer und Bate Chinnuch, die als zwei Synonyme für „Schulen“ auftauchen. Die Bedeutung von Chokhma ist äußerst vielschichtig und kontextabhängig; Jeitteles scheint den Begriff im Sinne von Wissenschaft, im Unterschied zu Tora als geoffenbarter Wahrheit, zu verwenden (vgl. z. B. Sacks, Jonathan: Future Tense. A Vision for Jews and Judaism in the Global Culture. London 2009, Kap. 10, online Edition, https://books.google.at/books?id=fvew8qHjCVg C&printsec=frontcover#v=onepage&q&f=false (22. 4. 2018). Mit dem vieldeutigen Begriff „Derekh Eretz“ meinte Jeitteles vermutlich „praktische Fähigkeiten“, das heißt alles, was zur Sicherung des Lebensunterhalts beiträgt (siehe Avot 2,2), oder wie „Maharal“ „Naturwissenschaften“. Mit ziemlicher Sicherheit verstand er „Derekh Eretz“ nicht im Sinne von Samson Raphael Hirsch, der „Torah im Derekh Eretz“ zum griffigen Schlagwort für die
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assoziierten Konzepte nicht näher spezifiziert, lässt sich vermuten, dass er auch hier auf Weisels Klassifikation rekurrierte, innerhalb derer Chokhma, Derekh Eretz sowie Darke ha-Musar zu Torat ha-Adam gehörten, also mit nichtjüdischen Inhalten verbunden waren.²⁹ Ebenso wie das von Weisel entworfene, scheint das von Jeitteles anvisierte Curriculum somit jüdische und nichtjüdische Fächer im selben Schulsystem zu verbinden. Dies widersprach aber nicht nur der bereits über ein Vierteljahrhundert in der Habsburger Monarchie (und somit auch an der deutsch-jüdischen Hauptschule in Prag) geübten Praxis, sondern stellte auch den zwischen staatlichen und traditionellen jüdischen Autoritäten ausgehandelten Kompromiss bezüglich Trennung von Staat und Religion bei der Ausbildung jüdischer Kinder infrage. Angesichts des 1810 noch labilen Kräftegleichgewichts zwischen traditionellen und aufgeklärten Kräften innerhalb der Prager jüdischen Gemeinde bedeutete dies eine erstaunlich klare Parteinahme für maskilische Ideen. Obligat im Diskurs der Haskala war auch die hierauf folgende Kritik am traditionellen Unterricht, bei dem die Knaben die Worte des Lehrers „wie Papageien nachplapperten“, ohne den tieferen Sinn zu verstehen. Die von Jeitteles verwendet Formulierung לצפצף ולהגות כתוכיoffenbart seinen zweiten Gewährsmann in Erziehungsfragen. Sie stellt eine Reverenz an seinen berühmten Prager Kompatrioten Juda Löw ben Bezalel, den Maharal, dar.³⁰ In Gur Arye, einem Suprakommentar zu Rashi über die Tora, hatte der Maharal das jüdische Erziehungssystem seiner Zeit aufgrund der einseitigen Orientierung am Pilpul, der auf den Talmud zentrierten jüdischen Kasuistik, scharf kritisiert.³¹ Auch der Maharal nahm den Vers aus Spr. 22,6 zur Grundlage, um den systematischen Aufbau des Unterrichts von der Bibel zur Mischna und von der Mischna zum Talmud einzufordern. Denn ohne die nötigen „Fundamente“ würden nur Luftschlösser gebaut und letztendlich gehe der Knabe ohne Kenntnis von Tora, Mischna, Talmud und Derekh Eretz (praktische Fähigkeiten) in die Welt hinaus.³²
moderne Orthodoxie erkor und damit die Gesamtheit der säkularen Studien verband (siehe Breuer, Mordechai: The „Torah-Im-Derekh-Eretz“ of Samson Raphael Hirsch. Jerusalem − New York 1970). Weisel, Divre Shalom, Kap. 1 bzw. Wessely, Worte, S. 4 f. Zu einer neuen deutschen Übersetzung siehe Lohmann, Naftaly Herz Wessely, S. 113−116. Jeitteles, Devarim, S. 135; zur Anspielung auf die Kritik Maharals am Unterrichtssystem des 16. Jahrhunderts, siehe auch Kestenberg, Neuere Geschichte, S. 298. In Loew ben Bezalel, Juda: Gur Arye zu Devarim. Lemberg 1858. S. 39 f. heißt es diesbezüglich: מלמדים הנערים לצפצף כעוף המצפצף ואינו יודע מה. Dass Jeitteles das unspezifische „Federvieh“ durch „Papagei“ ersetzte, zeugt von seiner sprachlichen Gewandtheit und philologischen Kompetenz. Dies wiederholte der Maharal in Tiferet Israel, das die richtige, von den Vorvätern festgelegte Ordnung beim Lernen (Mikra, Mishnah, Gemara) betont, die allein garantiere, dass das Gelernte verstanden und nicht vergessen wird, siehe Loew ben Bezalel, Juda: Tiferet Israel. Online Edition
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Während das Hauptanliegen des Maharal bei der Erziehung das richtige Verständnis der göttlichen Gebote war, sich also in der spirituellen, innerjüdischen Sphäre bewegte, sorgte sich Jeitteles zunächst um die Außenwahrnehmung des Judentums. Rabbiner, welche die Regeln der Sprache nicht beherrschten, sich lediglich in den Pilpul versenkten und sowohl in weltlichen als auch in jüdischen Fächern durch Unwissenheit glänzten, könnten in Diskussionen mit Angehörigen anderer Religionen nicht bestehen und machten dadurch nicht nur sich selbst, sondern ganz Israels zum Gespött.³³ An innerjüdischen Konsequenzen des inadäquaten Unterrichts scheinen ihn dagegen eher materielle, denn spirituelle Aspekte zu bekümmern. Wenn Talmudstudenten nicht das Zeug zu Gelehrten hätten, argumentiert er, so sei der Unterricht reine Zeitverschwendung, da sie am Ende gar nichts wüssten und der Gesellschaft zur Last fielen, die sie ernähren müsse.³⁴ Trotz der Verwendung von unterschiedlichen Metaphern und Redewendungen, das heißt seiner sprachlichen Orientierung an den Schriften des Maharal, erinnert Jeitteles’ Be- beziehungsweise Verurteilung einseitiger traditioneller Gelehrsamkeit sowie der Talmudgelehrten erneut stark an Weisels despektierliche Beschreibung.³⁵ Ebenso wie bei Jeitteles lag auch Weisels Intention zur Beschränkung des Talmudstudiums auf eine Gelehrtenelite letztendlich die von den Maskilim kritiklos akzeptierte Forderung zugrunde, dass die jüdische Bevölkerung ihre Berufsstruktur ändern und mehr zur produktiven Sphäre beitragen müsse. Den „Redlichen Worten“ mangelte es zwar an Kohärenz und logischer Stringenz, doch war Jeitteles zweifellos ein Meister der Melitza,³⁶ dem es mühelos gelang, mit wenigen Phrasen ganze Textgebäude zu evozieren. Er nützte die offene Struktur dieser Textform auch bewusst aus, um sich eindeutiger Schlussfolgerungen zu entziehen. Nach der seitenlang ausgeführten harschen Kritik an
von Zahava Gerlitz und Jehuda Eizenberg. 2004. Kap. 56, http://www.daat.ac.il/daat/mahshevt/ tifeeret/shaar.htm (22. 4. 2018). Jeitteles, Devarim, S. 136: ( מן הרועים יקישו על הצאוןvon den Hirten wird auf die Herde geschlossen) ist ebenfalls ein Zitat aus der erwähnten Stelle in Gur Arye. Jeitteles, Devarim, S. 136. Weisel bezeichnete Talmudgelehrte ohne weltliche Bildung und ohne Wissen um die Sitten der nichtjüdischen Gesellschaft als „wertloser denn Aas“, siehe Weisel, Divre Shalom, Kap. 1; Friedländer schwächte das Werturteil in seiner Übersetzung ab, indem er „nevela“ mit „verbotene Speise“ übersetzte, siehe Wessely, Worte, S. 7. Zu einer neuen deutschen Übersetzung siehe Lohmann, Naftaly Herz Wessely, S. 116. Auch in dieser Beziehung eiferte er Weisel nach. Eine Neubewertung der Melitza liefert Banbaji, Amir: Harpatqaoteha schel ha-Meliza ha-Ivrit bi-Tkufat ha-Haskala: Ha-Mikre schel Jitzchak Satanow. In: The Maskil in Our Time: Studies in Honor of Moshe Pelli. Hrsg. von Zev Garber [u. a.]. Bne Brak 2017. S. 15 – 39.
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traditioneller Erziehung versicherte er, dass dieses düstere Bild der Vergangenheit angehöre. In seiner Gegenwart scheuten die meisten Eltern weder Kosten noch Mühen, um fähige Privatlehrer zur umfassenden Bildung ihrer Söhne zu engagieren. Das Problem bestehe vielmehr darin, dass teurer Privatunterricht keineswegs die besten Ergebnisse in der Erziehungsarbeit garantiere. Spätestens an diesem Punkt wird die Spannung zwischen dem (Erziehungs‐) Theoretiker Naphtali Herz Weisel und dem (Bildungs‐)Politiker Juda Jeitteles klar, der – wie oben erwähnt – 1812 zum Aufseher über die deutsch-jüdische Schule in Prag bestellt werden sollte. Während sich Weisels Plädoyer für die Reform des traditionellen jüdischen Unterrichts auf Inhalte konzentriert und die praktische Umsetzung außer Acht lässt, entpuppt sich Jeitteles’ Traktat an dieser Stelle als Parteinahme für den öffentlichen Unterricht, dessen Ansehen es zu heben galt.Wie auch die Elementarschulen für die christliche Bevölkerung galten die deutsch-jüdischen Schulen in der Habsburger Monarchie vor allem als Erziehungsanstalten für die unteren Schichten, während vermögende Eltern ihre Kinder weiterhin durch Privatlehrer unterrichten ließen.³⁷ Die von Maria Theresia 1774 in der Habsburger Monarchie eingeführte und von Joseph II. auf die jüdische Bevölkerung ausgedehnte „Schulpflicht“ bedeutete in Wahrheit nur „Unterrichtspflicht“. So hielt Maria Theresias Allgemeine Schulordnung von 1774 bezüglich Schulpflicht explizit fest, sie betreffe lediglich „Kinder beyderley Geschlechts, deren Eltern, oder Vormünder […] eigene Hauslehrer zu unterhalten nicht den Willen, oder nicht das Vermögen“ hätten.³⁸ Alle privat unterrichteten Kinder sollten sich dagegen halbjährlich einer öffentlichen Prüfung in der nächst gelegenen Schule unterziehen. Die öffentlichen beziehungsweise staatlichen Schulen hatten also lange
Ingrid Lohmann argumentierte bezüglich der Berliner jüdischen Freischule, dass der Name irrführend sei, weil die Schule im Unterschied zu christlichen Armenschulen nicht die untersten (nichtbürgerlichen) Schichten, sondern eine verarmte bürgerliche Klientel im Auge gehabt habe, siehe Lohmann, Ingrid: Die jüdische Freischule in Berlin – eine bildungstheoretische und schulhistorische Analyse. Zur Einführung in die Quellensammlung. In: Chevrat Chinuch Nearim. Die jüdische Freischule in Berlin 1778 – 1825. Hrsg. von Ingrid Lohmann und Uta Lohmann. Münster – New York – München – Berlin 2001. 1. Teil. S. 13−84, hier: S. 36. Dies bedeutete jedoch nicht, dass die Kinder der ökonomischen Eliten die Schule besuchten. Zudem war die Berliner Freischule als Gegenmodell zu den von der jüdischen Gemeinde und ihren Institutionen beherrschten Erziehungsanstalten gedacht, während die deutsch-jüdischen Schulen der Habsburger Monarchie im Allgemeinen im Konsens mit den Gemeinden eingerichtet wurden, vgl. Hecht, Louise: „Gib dem Knaben Unterricht nach seiner Weise“ (Spr. 22,6). Theorie und Praxis des modernen jüdischen Schulsystems in der Habsburger Monarchie. In: Jahrbuch der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts 18/19 (2004). S. 117– 134. Allgemeine Schulordnung für die deutschen Normal-, Haupt- und Trivialschulen in sämmtlichen Kaiserl. Königl. Erbländern. Wien 1774. § 12.
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mit dem Image einer „Armenschule“ zu kämpfen, wo die Sitten gutbürgerlicher Kinder durch schlechten Umgang verdorben würden. Aus diesem Grunde hatte der Prager Hauptschullehrer Moses Wiener bereits 1785 eine Streitschrift für den öffentlichen Unterricht in deutscher Sprache verfasst. In seiner Nachricht von dem Ursprunge und Fortgange der deutschen jüdischen Hauptschule zu Prag wollte er jüdische Eltern überzeugen, dass die 1782 gegründete deutsch-jüdische Schule nicht bloß bei der Disziplinierung der Unterschicht erfolgreich sei, sondern die staatlichen Kontrollmechanismen zu einer strengen Auswahl des Lehrpersonals führten, die beim Privatunterricht nicht im selben Ausmaß gegeben sei. Dies wirke sich fraglos positiv auf die Qualität des Unterrichts aus: ³⁹ Es ist ausgemacht, daß die öffentliche Schule, wenn sie nach geläuterten Grundsätzen eingerichtet ist, unendliche Vorzüge vor jeder bloß häuslichen Erziehung hat. Die sorgfältige Prüfung, die regelmässige Wahl, die strenge Beobachtung, die wechselseitige Einwirkung der öffentlichen Lehrer haben in Rücksicht auf die Bildung der Jugend einen so mannigfaltigen Nutzen, der in der Privaterziehung, worinn sich der Lehrer allein überlassen ist, vergebens gesucht wird.
Neben der Konkurrenz unter den Lehrenden sei aber auch der Wettbewerb unter den Lernenden von Nutzen. So könnten die privilegierten und die unteren Schichten einander gegenseitig anspornen und dadurch die eigenen Qualitäten vervollkommnen.⁴⁰ Trotz des wiederholten Appells an jüdische Eltern, scheint der Endzweck von Wieners Veröffentlichung aber eher eine Loyalitätsbekundung an nichtjüdische Autoritäten, insbesondere an den Oberaufseher über das Normalschulwesen in Böhmen, Probst Ferdinand Kindermann von Schulstein (ca. 1741– 1801), gewesen zu sein,⁴¹ dem das Werk gewidmet ist. Dessen ungeachtet finden sich einige von Wieners Argumenten in Jeitteles’ Traktat wieder, das die Vorzüge der öffentlichen Erziehung ebenso eloquent auf Hebräisch darlegt. Hatte Wiener hauptsächlich vom aufgeklärten sozialpädagogischen Standpunkt aus und strikt rationalistisch argumentiert, begründete Jeitteles die Überlegenheit des öffentlichen Unterrichts aus Bibel und rabbinischer Literatur. Die beiden Traktate re-
Wiener, Moses: Nachricht von dem Ursprunge und Fortgange der deutschen jüdischen Hauptschule zu Prag. Prag o. J. [1785]. S. 62. Zur Debatte öffentlicher versus privater Unterricht vgl. Hecht, Ein jüdischer Aufklärer, S. 73 f. Wiener, Nachricht, S. 62. Zu Kindermann vgl.Winter, Eduard: Ferdinand Kindermann Ritter von Schulstein (1740/1801), der Organisator der Volksschule und Volkswohlfahrt Böhmens. Ein Lebensbild nach archivalischen Quellen. Augsburg 1926.
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flektieren also unterschiedliche Argumentationsstrategien, die am jeweiligen Zielpublikum ausgerichtet waren. In einem siebenstufigen Aufbau, der sich kunstvoll auf eine Klimax zubewegt, forderte Jeitteles eine gemeinsame Schule für alle 6 – 15-Jährigen, womit er scheinbar Weisels Ideal von der Integration säkularer und (jüdisch) religiöser Gegenstände mit Wieners Endziel der öffentlichen Schule als Begegnungsort für verschiedene soziale Schichten vereinte. Jeitteles’ Argumente lassen sich im Wesentlichen in zwei Gruppen einteilen, die am Ende gekonnt konvergieren. In der ersten Gruppe fasste er die Sozialisations- und Disziplinierungsleistung des Unterrichts zusammen. Angesichts seiner Vorbildung und des anvisierten Publikums ist es nicht weiter verwunderlich, dass Jeitteles die Vorzüge des öffentlichen Schulunterrichts im Gegensatz zur privaten Unterweisung zunächst mit denselben Argumenten vortrug, die dem Torastudium in Gruppen den Vorzug vor dem Selbststudium geben. Der Sozialisationsleistung durch den (Gruppen‐)Unterricht wird auch im Rahmen des traditionellen Torastudiums größte Bedeutung beigemessen, da der Respekt für Autoritäten die (im Sinne der Tradition) korrekte Interpretation und Weitergabe des Textes garantiert. In maskilischer Weiterentwicklung dieser Argumentationsstrategie betonte Jeitteles, dass der öffentliche Unterricht vorzuziehen sei, weil der Lehrer hierbei die Worte sorgfältiger wähle und auf die grammatikalische Richtigkeit seiner Sätze achte, was er durch ein Zitat aus dem Babylonischen Talmud (Eruvin 54a) belegte, welches das laute Wiederholen der Worte der Tora anbefiehlt.⁴² Damit implizierte er, dass der Unterricht – egal ob in religiösen oder säkularen Gegenständen – per se als heilige Pflicht und Aufgabe anzusehen sei und gab dem bürgerlichen Bildungsstreben eine innerjüdische Rechtfertigung. Dass die Unterweisung in Gruppen Diskussionen fördere, von denen Lernende ebenso wie Lehrende profitierten, ließ sich mühelos mit dem bekannten Ausspruch von Rabbi Chanania bar Chama, einem Gelehrten aus der Übergangszeit zwischen Tannaiten und Amoräern am Beginn des 3. Jahrhunderts, aus bT Ta‘anit 7a darlegen: הרבה למדתי מרבותי ומחברי יותר מרבותי ומתלמידי יותר מכולן („Viel habe ich von meinen Lehrern gelernt, noch mehr von meinen Kollegen und am meisten von meinen Schülern“).⁴³ Auch der in Gruppen fast zwangsläufig entstehende Nutzen des Wettbewerbs unter den Schülern, den Moses Wiener ebenfalls als Argument für den öffentlichen Unterricht angeführt hatte, fällt in dieselbe Kategorie. Seine traditionelle Rechtfertigung findet er in dem Satz, dass selbst das um eines fremden Zweckes willen betriebene (Tora‐)Studium begrü-
Jeitteles, Devarim, S. 137 f. Jeitteles, Devarim, S. 138.
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ßenswert sei.⁴⁴ Neben der Aktivierung des Wetteifers hob Jeitteles die wichtige Disziplinierungsfunktion durch die Gemeinschaft hervor. Viel effektiver als körperliche Züchtigungen sei nämlich die Beschämung eines Kindes vor seinen Kameraden; wie auch das effektivste Lob die Erhöhung seines Status in der Gemeinschaft beinhalte.⁴⁵ Hier trafen sich Jeitteles’ Ideen mit jenen der Philanthropisten, die Ehr- und Schandgefühle ebenfalls für die besten Disziplinierungsmittel hielten.⁴⁶ Jeitteles sah die Gemeinschaft aber keineswegs nur als Disziplinierungswerkzeug. Ganz im Einklang mit der Aufklärung und der Haskala betonte er, dass Gemeinschaftsgefühl die wichtigste menschliche Eigenschaft sei, was ebenfalls durch ein Talmudzitat unterstützt wird ("„ – "או חברותא או מיתותאGemeinschaft oder Tod“, bT Ta‘anit 23a). Allerdings hielt er in diesem Zusammenhang vor allem die Einübung im Umgang mit verschiedenen Autoritäts- und Respektpersonen für den wesentlichsten Vorteil des Schulunterrichts.⁴⁷ Dieses scheinbar auf den Diskurs der Sozialdisziplinierung verweisende Konzept erhält eine gänzlich andere Wendung, wenn Jeitteles betont, dass vor allem Juden den assertiven Umgang mit höhergestellten Persönlichkeiten lernen müssten, da sie sich häufig durch übertriebene Schüchternheit ins Hintertreffen setzten. Anstelle der im Sinne des aufgeklärten Absolutismus geforderten Ein- und Unterordnung stellte Jeitteles somit jüdische Selbstbehauptung in den Vordergrund. Die zweite Gruppe von Argumenten lässt das durch Haskala und Aufklärung gleichermaßen inspirierte Interesse an der Professionalisierung des Lehrerberufs erkennen.⁴⁸ Folgerichtig kommt dieser von säkularen Konzepten informierte Teil fast ohne Talmudzitate aus. Jeitteles thematisiert darin zunächst die prekäre Situation der Privatlehrer, die von vermögenden Eltern als Bedienstete und Hauspersonal angesehen, ohne jeglichen Respekt behandelt und nach Belieben entlassen würden, was ihre Autorität vor den Kindern naturgemäß zunichtemache. Auch die durch das tägliche Zusammenleben verringerte Distanz zwischen Schülern und Lehrern betrachtete er als problematisch für die Aufrechterhaltung
Jeitteles, Devarim, S. 138 f.; bezugnehmend auf bT Pessachim 50b. Jeitteles, Devarim, S. 140. Siehe Wangermann, Ernst: Aufklärung und staatsbürgerliche Erziehung. Gottfried van Swieten als Reformator des österreichischen Unterrichtswesens 1781– 1791. Wien 1978. S. 67. Jeitteles, Devarim, S. 140 f. Selbige hatte sich auch der böhmische Maskil Peter Beer im zweiten Band seines etwa zur gleichen Zeit verfassten Religionslehrbuchs Dat Israel („Glaube Israels“1809 – 1810) zum Ziel gesetzt, der die defiziente Ausbildung der Privatlehrer ebenfalls beklagte; vgl. Hecht, Ein jüdischer Aufklärer, S. 177 f.
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der pädagogischen beziehungsweise schulmeisterlichen Autorität.⁴⁹ Der Realpolitiker Jeitteles erkannte nicht nur den Zusammenhang zwischen Autorität und Distanz, sondern auch die Relevanz von materieller Absicherung für die professionelle Performanz der Lehrer.⁵⁰ Dem Mitleid mit den misslichen Bedingungen des Privatlehrerdaseins steht harsche Kritik an den fehlenden kognitiven und pädagogischen Fähigkeiten der Privatlehrer gegenüber. Der Mangel an modernen Lehrerbildungsseminaren für (Privat‐)Lehrer führe zu falschem und unsystematischem Unterricht, bei dem die Kinder mit unnötigem und/oder ihrem Alter unangemessenem Wissen überhäuft würden. Doch selbst die wichtigen Lehrinhalte verfehlten ihre Wirkung, da sie ohne die nötige Systematik vorgetragen würden. Der Mangel an pädagogischen Fähigkeiten von Seiten der Lehrer führe bei den Kindern zu Unlust und Verachtung des Lernens, was Müßiggang und Sünde nach sich zöge. In dieser Schlussfolgerung konvergiert das Produktivierungsdenken der Aufklärung mit der traditionellen jüdischen Hochachtung vor dem Studium. Eltern, denen ihre beruflichen Aufgaben die eigene Erziehung ihrer Kinder beziehungsweise die Beaufsichtigung derselben verunmöglichten, müssten sich daher auf Fähigkeit und Integrität der Lehrer verlassen können. Dies sei aber nur durch unabhängige Kontrollorgane gegeben, wie sie an der öffentlichen Schule existieren. Die beiden Argumentationsstränge laufen in der letzten der sieben von Jeitteles dargelegten Begründungen zusammen, die illustriert, wie die Sozialisationsleistung des öffentlichen Unterrichts in Kombination mit der institutionalisierten Professionalität, die eine Schule gewährleistet, ein harmonisches Gesellschaftsmodell erschaffen könnte.⁵¹ Während sich die Söhne der Wohlhabenden im Umgang mit verschiedenen Gesellschaftsschichten übten, kämen die Söhne der Armen nicht nur in den Genuss von Bildung, sie hätten auch das Beispiel nachahmenswerter Manieren vor Augen. Aufgrund der in der Schule geknüpften, persönlichen Beziehungen zwischen den Schichten würden die Reichen zudem aufhören, auf die Armen hinunterzuschauen und sich über sie lustig zu machen.⁵² Wie im aufklärerischen Diskurs üblich, war Jeitteles’ Bildungsund Erziehungsbegriff sehr weit gefasst. Neben der Betonung von bürgerlichen Tugenden, wie Reinlichkeit und korrekter (sauberer) Kleidung gehörte zum ma-
Jeitteles, Devarim, S. 139 f. Maria Theresia hatte die angemessene Besoldung des Lehrpersonals vernachlässigt bzw. verabsäumt, was dem zügigen Ausbau des Primarschulwesens zweifellos abträglich war. Joseph II. versuchte, diesem Mangel durch die Einführung von Mindestlöhnen abzuhelfen, siehe Hecht, Die Prager deutsch-jüdische Schulanstalt, S. 216 f. Jeitteles, Devarim, S. 142– 147. Jeitteles, Devarim, S. 147.
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skilischen Repertoire auch die Erhaltung des Körpers durch gesunde Ernährung und Bewegung.⁵³ Diese allumfassende Erziehung würde dazu beitragen, die Unterschiede zwischen den sozialen Schichten zu verringern. Die (finanzielle) Verpflichtung der Oberschicht, für das Wohlergehen der unteren Schichten zu sorgen, ergebe sich (unter anderem) aus bT Nedarim 81a, wo es heißt: "„( "הזהרו בבני עניים שמהם תצא תורהVernachlässige nicht die Armen, denn von ihnen geht die Tora aus“). Einerseits sei Bildung die effektivste Art der Armenfürsorge; sie kann laut Maimonides als höchste Stufe der Zedaka (Wohltätigkeit) angesehen werden, nämlich der Hilfe zur finanziellen Unabhängigkeit.⁵⁴ Der positive Nebeneffekt von institutionalisierter Erziehung der armen Kinder sei für wohlhabende Kreise jedoch nicht auf die Erfüllung des Gebotes der Zedaka beschränkt. Sie entledigten sich damit auch des Problems der müßig auf den Straßen herumlungernden Kinder, die eine potentielle Gefahr für Besitz und sozialen Frieden darstellten.⁵⁵ Die Aufrechterhaltung des sozialen Friedens brachte den Wohlhabenden also ebenso viel Gewinn wie den Armen. Daher sollten sie sich die Errichtung einer Schule mit geräumigen Klassenzimmern angelegen sein lassen, in denen jüdische Knaben von 6 – 15 Jahren folgende Gegenstände erlernen könnten:⁵⁶ Lesen der hebräischen Buchstaben sowie Grundzüge der hebräischen und aramäischen Grammatik; Die Tora mit Auslegung und Wort-für-Wort-Übersetzung ins Hochdeutsche; Die 24 Bücher der hebräischen Bibel, Vertiefung der hebräischen und aramäischen Grammatik; Mischna mit Erläuterungen und hochdeutscher Übersetzung, wie sie zu jener Zeit gerade publiziert wurde;⁵⁷ Den Sefer ha-Chinnuch von Aaron ha-Levi (RaʼʼaH),⁵⁸ um die Schüler die Mizwot und ihre
Peter Beer hatte dieses Thema in Toledot Israel und in anderen Lehrbüchern ausführlich abgehandelt; es findet sich aber beispielsweise auch bei Herz Homberg, siehe Hecht, Ein jüdischer Aufklärer, Kap. 3.2.1– 3.2.3. Siehe Maimonides, Mischne Torah. Hilkhot Matanot Anijm. Kap. 10,7– 14. Das bürgerliche Arbeitsethos wurde im Zuge der Produktivierungsdebatte oftmals beschworen, wobei die sich müßig auf der Straße herumtreibende Jugendlichen ein beliebtes Negativbeispiel waren; so z. B. in Peter Beers Lehrbuch Toledot Israel, siehe Hecht, Ein jüdischer Aufklärer, S. 141 und Anm. 303. Jeitteles, Devarim, S. 147 f. Referenz auf die zwischen 1817 und 1835 zunächst bei Georg Holzinger und dann bei Anton Schmid erschienenen Mischnaioth mit deutscher Übersetzung und dem Kommentar Melo Kaf Nachat von Schne’ur Feibusch ben Ja‘aqov. Der aus dem 13. Jh. stammende Sefer ha-Chinuch diskutiert die 613 Mizwot, inklusive ihrer philosophischen Grundlagen und Anwendbarkeit. Er stützt sich auf Maimonides’ Sefer ha-Mizwot und wurde anonym publiziert; Gedaliah ibn Jachia schrieb das Werk Aaron ha-Levi aus Girona zu.
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korrekte Einhaltung zu lehren; Grundzüge der Logik nach Maimonides’ Sefer ha-Milot ⁵⁹; Einführung in den Talmud; Gemara mit Raschis Erläuterung und Tosafot, und zwar die Traktate: Berakhot, Shabbat, Eruvin, Pessachim, Betza, Sukka, Rosch ha-Schana, Joma, Megilla, Chulin;⁶⁰ Hilkhot De‘ot und Jesode ha-Tora von Maimonides sowie verschiedene Gebete und Segenssprüche, Tefillin, Mesusot etc.; Grundsätze der jüdischen Religion nach (nicht näher spezifizierten) modernen Büchern.
Diese Gegenstände sollten in drei Klassen unterrichtet werden, wobei kein Schüler zum Aufstieg in die nächste Stufe berechtigt wäre, bevor er das Unterrichtsziel der vorherigen nachweislich erreicht hätte.⁶¹ Zwar bleibt Jeitteles eine Erläuterung schuldig, wie die angeführten Lehrinhalte in drei Klassen aufgeteilt werden und wie viele Stunden die Schüler wöchentlich in dieser Schule verbringen sollten. Doch ist spätestens nach dieser letzten argumentativen Kehrtwendung klar, dass Jeittelesʼ Bildungskonzept sich grundlegend von Weisels Idee einer Elementarschule unterschied, die säkulare und jüdische/religiöse Gegenstände in einer Institution integrieren wollte, was angesichts von Jeittelesʼ anfänglicher Argumentationstaktik erstaunen mag. Bei genauerer Betrachtung der Lehrinhalte scheint sich Jeitteles geradezu programmatisch von Weisels Zielvorstellungen abzusetzen. Zwar betonen beide die Bedeutung von Grammatik- und Textstudium, der Gehalt dieser Studien weicht bei beiden aber erheblich voneinander ab. Erwartungsgemäß misst Jeitteles der von Weisel – wie auch anderen Maskilim – völlig vernachlässigten aramäischen Sprache und Grammatik großes Gewicht bei und schlägt die Beschäftigung mit derselben daher bereits in der ersten Schulstufe vor. Noch bemerkenswerter sind jedoch der zweite und der achte Punkt in Jeittelesʼ Plan. Zum Tora-Studium hatte Weisel explizit die Mendelssohnsche Bibelübersetzung und den Be‘ur empfohlen, die Anfang des 19. Jahrhunderts auch in traditionellen Kreisen aus praktischen Grün-
Diese Autorenschaft wurde jedoch mehrmals angezweifelt. Israel Ta-Shma hat Aarons Bruder, Pinchas ben Joseph ha-Levi als Verfasser des Werkes identifiziert, vgl. Ta-Shma, Israel: Mechabro ha-Amiti schel Sefer ha-Chinnuch. In: Kiryat Sefer 55 (1980). S. 787– 90. Moses Mendelssohn kommentierte Maimonides’ Termini der Logik 1761/1764. Diese Ausgabe wurde 1783/1784 in der Orientalischen Buchdruckerey zu Berlin und mehrmals bei Anton Schmid in Wien gedruckt. Auffällig ist in diesem Kontext nicht die fehlende Vollständigkeit, sondern dass gewisse Traktate explizit ausgeschieden werden; ebenso die Tatsache, dass die Auswahl der Traktate nicht dem Lehrer/Rabbiner überlassen, sondern apodiktisch festgelegt wird. Jeitteles, Devarim, S. 148. Hinter der letzten Forderung verbirgt sich erneute Kritik am traditionellen, jüdischen Unterrichtssystem, das keine institutionalisierten Leistungsnachweise kennt.
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den akzeptiert wurden.⁶² Jeitteles dagegen verlangt eine hochdeutsche Wort-fürWort-Übersetzung und grenzt sich hiermit ebenso vom traditionellen Tora-Studium auf Jiddisch wie von Mendelssohns allgemein verbreitetem Werk ab. Dieselbe Abgrenzungsstrategie verfolgte Jeitteles bezüglich Talmudstudiums. Hatte Weisel – und nach ihm die meisten anderen Maskilim – das Talmudstudium aus dem Elementarunterricht entfernt, sah Jeitteles es als wesentlichen Bestandteil der jüdischen Erziehung an. Andererseits unterwarf er sich dem Diktat bürgerlicher Moralvorstellungen, indem er Traktate wie Nidda (über Menstruation und Geburt) und Gittin (zum Scheidungsrecht), die dem traditionellen Judentum wegen ihres Praxisbezugs wichtig waren/sind, als für Knaben unpassend ausschied. Der Talmud sollte also nicht verbannt, sondern verbürgerlicht werden. Jeittelesʼ kreative Rückkoppelung aufgeklärter Ideen an die Tradition erinnert an ein anderes Modell, auf das auch Weisel Bezug genommen hatte, nämlich die Erziehungsprinzipien des italienischen Judentums. Die Triestiner Scuola Pia Normale sive Talmud Torà war 1782 nur kurze Zeit nach der Prager Schule eröffnet worden und kombinierte tatsächlich säkularen und religiösen Unterricht in einem Gebäude. Die Schule für 5 – 15-jährige Knaben verfügte über eine Normalschulklasse für säkulare Fächer (hauptsächlich deutsche Sprache) und drei Klassen für religiöse Studien, wie auch Jeitteles es vorschlug.Während die Normalschulfächer von einem christlichen Lehrer unterrichtet wurden, engagierte man für die religiösen Gegenstände Lehrer, die bereits davor die jüdische Jugend instruiert hatten, um die Kontinuität der religiösen Unterweisung hervorzuheben.⁶³ In Triest stand die religiöse Schulanstalt also nicht in Konkurrenz zum (staatlichen) deutsch-jüdischen Unterricht wie in Prag, vielmehr ergänzten die beiden Bildungsinstitutionen sich gegenseitig. Das von Jeitteles vorgeschlagene Curriculum unterschied sich allerdings deutlich von der italienischen Praxis, da es sich nicht an der italienischen sondern der mitteleuropäischen Tradition des Chederunterrichts orientierte. Diesen wollte Jeitteles in einen modernen jüdischen Religionsunterricht verwandeln und damit neue Standards setzen. Somit stellt sich die Frage, wo und wie er seine Ideen in die Praxis umzusetzen gedachte.
Zur Akzeptanz der Mendelssohnschen Übersetzung in konservativen Kreisen des Prager Judentums vgl. Hecht, Louise: Teaching Haskalah – Haskalah and Teaching. Jewish Education in the Czech Lands. In: Jewish Culture and History 13/2– 3 (2012). S. 93 – 107, hier: S. 93 f. Siehe Dubin, Lois C.: The Port Jews of Habsburg Trieste. Absolutist Politics and Enlightenment Culture. Stanford 1999. S. 105 f.
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3 Der Prager Kontext Die konkrete Umsetzung der anvisierten Bildungsinhalte in Schulstufen war weder die einzige noch die bedeutendste Frage, über die Jeitteles den Mantel des Schweigens breitete. Der im politischen Kontext sensibelste Punkt hing zweifellos mit der Aufsicht beziehungsweise Autorität über die geplante Schule zusammen. Die Unterstützung der staatlichen Schulpflicht durch die traditionellen jüdischen Eliten fußte – außer in den italienischen Provinzen – bei ihrer Einführung auf der Segregation zwischen staatlich-säkularer und jüdisch-religiöser Bildungssphäre. Dem josephinischen Staatsverständnis entsprechend, sollte letztere der alleinigen Kontrolle durch die jüdischen Gemeinden unterliegen;⁶⁴ der Staat wollte sich in die Inhalte akatholischer Religionsbekenntnisse nicht einmischen. Joseph II. hatte zudem die grundlegende Säkularisierung des Elementarschulbereichs in Angriff genommen und die Aufsicht über das staatliche Schulwesen sogenannten Schulkommissionen übertragen. Zwischen 1791 und 1802 wurde die Kontrolle den ebenfalls säkularen Studienkonsessen überantwortet. Während der Napoleonischen Kriege kam es mit der Rücknahme zahlreicher josephinischer Reformen auch zur Rekonfessionalisierung des Elementarunterrichts.⁶⁵ Gleichzeitig bröckelte die staatliche Nichteinmischungspolitik in Interna akatholischer Religionsbekenntnisse zusehends ab. Die 1805 erlassene Politische Verfassung der deutschen Schulen räumte schließlich den erzbischöflichen Konsistorien Aufsicht und Kontrolle über das Primarschulwesen ein, was sie unter anderem zu Kontrollorganen über die deutsch-jüdischen Schulen bestimmte.⁶⁶ Die Konsistorien drängten zusehends auf die Einführung eines unter ihrer Aufsicht stehenden jüdischen Religionsunterrichts. Waren die Maximen des aufgeklärten Staates paradoxerweise mit den Interessen des traditionellen Judentums kompatibel gewesen, so zeichnete sich nun ein Interessensgleichklang zwischen dem reaktionären Staat und den Maskilim ab, die eine Chance zur Realisierung ihres Programms sahen, nämlich der Vereinigung von säkularen und jüdischen Unterrichtsfächern in einer Institution. In Böhmen gingen die staatlichen Initiativen zur Einschränkung und Kontrolle des traditionellen jüdischen Unterrichts bereits auf das Systemalpatent von
Hecht, Ein jüdischer Aufklärer, S. 62. Zur Schulaufsicht im fraglichen Zeitraum, vgl. Engelbrecht, Helmut: Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Von der frühen Aufklärung bis zum Vormärz. Wien 1984. S. 109 f.; S. 167– 170; S. 221; 227 f. Vgl. Weiß, Anton: Geschichte der österreichischen Volksschule 1791– 1848. Bd. 1. Graz 1904. S. 1– 52.
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1797 zurück, durch welches das Toleranzpatent für Böhmen abgelöst wurde. Das Systemalpatent stipulierte, dass der Talmudunterricht nur Rabbinern gestattet sei (§ 5) und sogenannte „Religionsweiser“ ein Zeugnis über erfolgreich eingeholten deutschen Schulunterricht vorzulegen hätten (§ 7); § 13 bestimmte: „Die jüdischen Schulen sind nach den für andere deutsche Schulen bestehenden Vorschriften anzulegen.“⁶⁷ Dementsprechend verfasste der böhmische Maskil Peter Beer 1798 einen Vorschlag zur Vereinigung der deutsch-jüdischen Normalschule mit dem traditionellen Cheder unter dem Titel Worte des Friedens und der Wahrheit, den Kindern Israels in den k. k. Staaten, und besonders der Kolonie in Böhmen bei der Gelegenheit des unterm 3. August 1797 ergangenen allerhöchsten Patents in Judenfragen ans Herz gelegt. ⁶⁸ Beer bezog sich damit nicht nur explizit auf das Systemalpatent, sondern spielte für Eingeweihte unübersehbar auf Weisels anlässlich der Toleranzpatente verfasste Schrift an.⁶⁹ Beer stimmte mit Weisel überein, den Talmudunterricht vom allgemeinen (Religions‐)Unterricht zu dissoziieren, doch verlangte er – im Unterschied zu Weisel – selbiges auch für die hebräische Sprache. Der jüdische Religionsunterricht sollte lediglich in deutscher Sprache abgehalten werden und neben der Tora und den Psalmen in Mendelssohnscher Übersetzung ein auf Deutsch abzufassendes Religionslehrbuch zum Inhalt haben. Damit war das Quellenstudium, der eigentliche Inhalt jüdischen Lernens, auf ein absolutes Minimum beschränkt. Andererseits garantierte Beers Vorschlag aber nicht nur „Gleichförmigkeit“ in allen jüdischen Schulen, sondern auch die größtmögliche Analogie zum katholischen Religionsunterricht. Beers Plan wurde im Jahr 1812 – mutatis mutandis – mit der Einführung von Herz Hombergs Lehrbuch Bne Zion als verpflichtenden Unterrichtsgegenstand für jüdische Schüler realisiert.⁷⁰ Dies konnte Jeitteles’ im Jahre 1810 verfasster Traktat freilich nicht voraussehen. Beers Pläne waren Jeitteles aber vermutlich bekannt; einerseits, weil Beer sie teilweise in seiner 1802 erschienenen Schrift Kos Jeschu‘ot publiziert hatte, andererseits, weil derselbe sich 1810 um die Stelle als „Morallehrer“ an der Prager deutsch-jüdischen Schule bewarb. Tatsächlich wünschte Zum Systemalpatent vgl. Adler, Simon: Das Judenpatent von 1797. In: Jahrbuch der Gesellschaft für die Geschichte der Juden in der ČSR (JbGGJČSR) 5 (1933). S. 199 – 229. Beer unterbreitete seinen Plan zur Reform des jüdischen Schulwesens im Oktober 1798 in einem Hofgesuch. Hofgesuche boten gewöhnlichen Untertanen die Möglichkeit, sich mit Beschwerden, Plänen oder Ideen direkt an den Kaiser zu wenden. Zur Analyse von Beers Hofgesuch, siehe Hecht, Ein jüdischer Aufklärer, S. 153 – 159. Für den kompletten Titel von Weisels Traktat s. Anm. 1. Hecht, Ein jüdischer Aufklärer, S. 86; S. 160 f; zu Hombergs Lehrbuch vgl. Wenzel, Rainer: Judentum und „bürgerliche Religion“. Religion, Geschichte, Politik und Pädagogik in Herz Hombergs Lehrbüchern. In: Jüdische Erziehung und aufklärerische Schulreform. Analysen und Kontroversen. Hrsg. von Britta L. Behm [u. a.]. Münster 2002. S. 335 – 357.
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sich auch Beer zu diesem Zeitpunkt „eine Religionsschule nach dem Muster aller vorzüglicheren jüdischen Gemeinden im Auslande“,⁷¹ das heißt eine Variante mit deutlich mehr jüdischen Inhalten als es seine Schrift von 1798 dargelegt hatte. Jeitteles’ Verweis auf einsichtige Regierungen und jüdische Gemeinden in anderen europäischen Ländern zielt offensichtlich in dieselbe Richtung.⁷² Es scheint, dass der Neuankömmling Peter Beer⁷³ und der alteingesessene Prager Maskil die Dringlichkeit zur Reform des traditionellen jüdischen Unterrichts ähnlich einschätzten. Zusätzlich könnte eine 1807 angestellte Untersuchung durch die jüdische Gemeinde, welche die Zahl der „fremden“ jüdischen Studenten [Bocherim] in Prag erhob, die als private Religionslehrer tätig waren, Jeitteles Anstoß zur Abfassung seiner Schrift geboten haben. Die Studie ergab, dass die 1.300 – 1.400 Prager jüdischen Familien 79 „fremde“ und 120 „einheimische“ Privatlehrer beschäftigten; eine Zahl, die von der Gemeinde begründetermaßen als unzureichend angesehen wurde.⁷⁴ Eine Religionsschule, wie Jeitteles sie skizzierte, hätte diesem Mangel zweifellos abhelfen können. Doch wären dazu wesentliche verfahrenstechnische Details zu klären gewesen, wie beispielsweise die Finanzierung und die Oberaufsicht über diese Institution. Angesichts des wachsenden Machtanspruchs von Seiten des erzbischöflichen Konsistoriums scheint es sehr unwahrscheinlich, dass es der Errichtung einer unabhängigen, seiner Kontrolle entzogenen, jüdischen Religionsschule zugestimmt hätte. Der vorsichtige und politisch versierte Juda Jeitteles beabsichtigte aber, weder einen Konflikt mit den Prager jüdischen Eliten, in deren Gremien er bald darauf gewählt werden sollte, noch mit staatlichen beziehungsweise kirchlichen Institutionen zu provozieren. Dies veranlasste ihn wohl, sein „Sendschreiben“ für nahezu zwei Jahrzehnte in der Schublade verschwinden zu lassen.
Hecht, Ein jüdischer Aufklärer, S. 83 – 85. Jeitteles, Devarim, S. 134; auf S. 146 nennt er explizit Deutschland und Italien als Vorbilder. In Italien wurden die jüdischen Gegenstände zwar im selben Schulgebäude, aber von den säkularen Fächern getrennt unterrichtet, vgl. Hecht, Gib dem Knaben Unterricht, S. 128 – 130. Beer stammte aus dem böhmischen Ort Nový Bidžov/Neu Bidschow; zu Beers Biografie vgl. Hecht, Ein jüdischer Aufklärer, S. 25 – 39. Siehe Roubík, František: Zur Geschichte der Juden in Böhmen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In: JbGGJČSR 6 (1934). S. 285 – 324, hier: S. 297 f. und Anm. 6.
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4 Der Wiener Kontext Prag war jedoch nicht die einzige Stadt der Habsburger Monarchie, wo um 1800 die Neuorganisation jüdischen Unterrichts diskutiert wurde. Seit Erlass des Toleranzpatents für Niederösterreich am 2. Januar 1782 versuchten die Behörden,⁷⁵ die Wiener Judenschaft zu überzeugen, dass die Errichtung einer deutsch-jüdischen Schule im Interesse ihrer Kinder wäre. Laut Toleranzpatenten war die Verpflichtung zur Errichtung einer eigenen Schule aber an die Existenz einer formalen jüdischen Gemeinde geknüpft.⁷⁶ Die Wiener Juden verwiesen deshalb darauf, dass ihnen die Gemeindebildung im Toleranzpatent explizit untersagt worden war⁷⁷ und sie daher über keine Körperschaft verfügten, die den Erhalt einer solchen Schule tragen könnte. Die mehrheitlich akkulturierten Wiener Juden zogen es zudem vor, ihre Kinder in christliche Schulen zu schicken, wo jüdische Kinder selbstverständlich vom Religionsunterricht befreit waren. Im Zuge der oben erwähnten Neuorganisation des Elementarschulunterrichts im Jahre 1805 strebten die staatlichen Behörden auch in Wien nach Systematisierung eines unter ihrer Kontrolle stehenden jüdischen „Religionsunterrichts“. Dies ließ sich am einfachsten in einer Religionsschule verwirklichen,⁷⁸ wozu die Wiener Judenschaft prinzipielle Bereitschaft signalisierte. Denn eine derartige Institution würde ein eigenes Haus benötigen, in dem die Wiener Judenschaft zusätzlich ein Bethaus und ein „Frauenbad“ unterzubringen hoffte. Über den Umweg der Religionsschule konnten somit wichtige religiöse Institutionen etabliert und behördlich sanktioniert werden. So wurden im Jahre 1810 Verhandlungen über den Ankauf einer passenden Immobilie in der Stadt begonnen,⁷⁹ die 1812 zum Erwerb des Dempfingerhofes führte; ein Gebäudekomplex, in dem 1826 die erste Wiener Synagoge eröffnet wurde, die bis zum heutigen Tag Wiens Hauptsynagoge ist.
Der Text des NÖ-Patents, der die Wiener Juden einschloss, ist abgedruckt bei Pribram, A. F.: Urkunden und Akten zur Geschichte der Juden in Wien. 2 Bde. Wien − Leipzig 1918. Bd. 1. S. 494– 500. S. Hecht, Toleranzpatente, S. 139; Das niederösterreichische Patent „gestattete“ den Wiener Juden jedoch, „auf ihre Kosten“ eine „normalmäßig eingerichtete“ Schule mit drei Lehrern „von ihren Religionsgenossen“ zu errichten, s. Pribram, Urkunden, S. 496. Pribram, Urkunden, S. 494 f. Zur Wiener Religionsschule vgl. Lemberger, Tirza: Ideologie und Entwicklungen im jüdischen Unterrichtswesen vom Toleranzpatent bis zur Konstituierung der Kultusgemeinde in Wien (1782– 1852). In: Kairos. Zeitschrift für Judaistik und Religionswissenschaft XXXII/XXXIII (1990/1991). S. 138 – 228, besonders S. 144– 150. Die Dokumentation der Verhandlungen findet sich in Pribram, Urkunden, Bd. 2, S. 187– 193.
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Über die Anfangsjahre der vermutlich im Herbst 1814 in eben diesem Haus eröffneten Religionsschule sind kaum Daten erhalten. Die Studienhofkommission verordnete, dass außer Herz Hombergs Lehrbuch Bne Zion hauptsächlich praktische Kenntnisse, wie die täglichen Gebete, Segensformeln sowie Fest- und Feiertage, vermittelt werden sollten, fortgeschrittenen Schülern auch Tora, Propheten und hebräische Grammatik. Mischna und Talmud sollten dagegen auf Illustrationszwecke beschränkt bleiben.⁸⁰ Es darf allerdings bezweifelt werden, dass diese behördlichen Vorgaben umgesetzt wurden. Denn auch eine weitere Forderung der Studienhofkommission, nämlich Herz Homberg als Lehrer anzustellen, wurde nicht realisiert; ebenso wenig wie der behördliche Wunsch, den Unterricht auch für Mädchen zugänglich zu machen.⁸¹ Der Unterricht in der Wiener Religionsschule blieb, wie im traditionellen Cheder, aber auch in der italienischen Scuola Pia Normale, einzig Knaben vorbehalten und schien ein beträchtliches Ausmaß an traditionellen Inhalten behandelt zu haben. Die ersten erhaltenen Curricula aus den Jahren 1826 und 1833 illustrieren,⁸² dass der Unterricht sich eher an Jeitteles’ Konzepten als an den behördlichen Vorgaben orientierte. Durch seinen Schwager Simon (Edler von) Lämel, der Anfang des 19. Jahrhunderts von Prag nach Wien gezogen war und zur Elite der Wiener Judenschaft zählte, war Jeitteles zweifellos bestens über Plan und Fortschritt der Wiener Religionsschule informiert. Es steht daher zu vermuten, dass er seine Ideen einzubringen versuchte und sein „Sendschreiben“ ebenso sehr an die Wiener wie an die Prager Juden gerichtet war. Nachdem seine Pläne in der Wiener Religionsschule annähernd umgesetzt worden waren und in Prag wenig Chancen auf Verwirklichung hatten, erübrigte sich die Publikation des Traktates. Als Jeitteles den Text 1828/1829 der Öffentlichkeit übergab, geschah dies wohl mehr zur Beförderung der hebräischen Sprache, wie Bikkure ha-Ittim sie sich auf die Fahnen geheftet hatte, denn zur Reform des jüdischen Unterrichts. Juda Jeitteles, der seit dem dritten Jahrgang (1822) insgesamt 66 Artikel für die Zeitschrift verfasst hatte,⁸³ lag der Fortbestand von Bikkure ha-Ittim zweifellos sehr am Herzen. Nach seiner Übersiedlung nach Wien übernahm Jeitteles, der schon an der Fertigstellung des zehnten Jahrgangs beteiligt gewesen war,⁸⁴ 1830 die Her-
Österreichisches Staatsarchiv, AVA Fasz. 23, Karton 862, Dekret der Studienhofkommission vom 12. 9. 814. Lemberger, Ideologie, S. 145; S. 149. Lemberger, Ideologie, S. 146 – 148; 1826 wurde Isak Noa Mannheimer, der spätere Rabbiner, als Religionslehrer angestellt. Siehe die Auflistung in Pelli, Bikkurei Ha‘Ittim, S. 213−217. Pelli, Bikkurei Ha‘Ittim, S. 99.
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ausgabe der defizitären Zeitschrift. Trotz wiederholter Rettungsversuche musste er am Ende des zwölften Bandes die Einstellung des Projekts aus finanziellen Gründen verkünden. Der von Jeitteles parallel auf Deutsch und Hebräisch verfasste und gedruckte „Nachruf“ rühmt nicht nur die Vorzüge und Verdienste der Zeitschrift,⁸⁵ er gibt gleichzeitig Einblick in des Herausgebers Vorstellungen von Zweck und Funktion eines hebräischsprachigen Periodikums. Die Aufgabe der „nationalen Presse“ lag nach Jeittelesʼ Meinung nicht nur in der Hebung des Sprach- und Bildungsniveaus ihrer Leser, sondern vor allem in der Förderung einer nationalen Kultur, welche der hebräischen (und eventuell auch der aramäischen) Sprache eine bedeutende Rolle zusprach. Insofern ist die Betonung des Sprachunterrichtes in seinem Erziehungstraktat weniger als Tribut an die Tradition zu sehen, denn als (früher) Versuch, das Hebräische als jüdische Nationalsprache zu etablieren.
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Jüdische Lehrbücher
Dirk Sadowski
Neues Wissen, Lernmedien und pädagogische Motive im Werk eines frühmaskilischen hebräischen Druckers Schulbücher im modernen Sinn – als intentionale, Wissen didaktisch aufbereitende und vermittelnde Lehr-/Lernmedien – waren den Juden in Aschkenas in der Frühen Neuzeit im Wesentlichen fremd; sie kamen erst mit der Haskala gegen Ende des 18. Jahrhunderts auf. Das traditionelle Cheder-Curriculum zielte auf der untersten Stufe auf die Vermittlung von drei Basisfähigkeiten: Lesen hebräischer Buchstaben, Kenntnis der Gebete und Übersetzen der Tora vom Hebräischen ins Jiddische. Als Medium der Aneignung grundlegender literaler Kompetenz diente das Gebetbuch, wie es auch beim Gottesdienst benutzt wurde; Fibeln zum Lesenlernen waren unbekannt. Allenfalls wurden einfache Buchstabentafeln verwendet. Sobald ein Schüler lesen gelernt hatte, wandte er diese Fähigkeit auf die Lektüre des Pentateuchs an; Glossare und Übersetzungen der Bibel ins Jiddische fungierten als Vermittlertexte. Auf einer weiteren Stufe erfolgte eine tiefere Erschließung des Pentateuchs durch die Lektüre des Raschi-Kommentars und gegebenenfalls weiterer Kommentare.¹ Diese Lektüre vermittelte den Schülern sinnstiftendes Wissen: Werte der Zugehörigkeit, Symbole des Eigenen und des Anderen, die in einer lebensweltlichen Realitätsprüfung bestätigt gefunden oder hinterfragt werden konnten – und die zugleich die Wahrnehmung der Lebenswelt formatierten. Eine ausreichende Beherrschung des Hebräischen war sodann die Voraussetzung für die Beschäftigung – in der zweiten und dritten Cheder-Stufe – mit Mischna und einzelnen Talmudtraktaten, einschließlich Raschi und Tossafot (mittelalterliche Talmud-Kommentare). Denjenigen Schülern, die ihre Studien ab einem Alter von dreizehn Jahren in der Jeschiwa fortsetzten, dienten der Talmud,
Zu traditionellem Unterricht und Unterrichtsmedien bei den aschkenasischen Juden in der frühen Neuzeit vgl. Güdemann, Moritz: Quellenschriften zur Geschichte des Unterrichts bei den deutschen Juden. Berlin 1891. ND Amsterdam 1968; Fishman, Isidore: The History of Jewish Education in Central Europe. London 1944; Preuß, Monika: Gelehrte Juden. Lernen als Frömmigkeitsideal in der frühen Neuzeit. Göttingen 2007; Assaf, David und Immanuel Etkes (Hrsg.): Ha-Cheder. Mechkarim, Te‘udot, Pirke Sifrut ve-Sichronot (Der Cheder. Studien, Dokumente, literarische Zeugnisse und Erinnerungen). Jerusalem 2010. https://doi.org/10.1515/9783110743050-006
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die ausgedehnte Kommentarliteratur und die halachischen Codizes als grundlegende schriftliche Lernmedien.² Vor diesem Hintergrund lässt sich somit guten Gewissens behaupten, dass ein Großteil der Buchproduktion hebräischer Druckereien in der Frühen Neuzeit aus Werken bestand, die mindestens in der Nebenfunktion Bildungsmedien waren. Bei etwa einem Drittel der zwischen 1670 und 1770 in Mitteleuropa mit hebräischen Lettern gedruckten Buchausgaben handelte es sich um Gebetbücher aller Art, ein weiteres Drittel umfasste halachische Literatur, und etwa ein Fünftel entfiel auf die hebräische Bibel samt zugehöriger Kommentarliteratur und Übersetzungen ins Jiddische.³ Eine Ausnahme von diesen kanonischen, nichtintentionalen Lehr-/Lernmedien stellten Texte dar, die als Hilfsmittel beim Erwerb von Lese- und Schreibfähigkeiten gedacht waren: Grammatiken wie Em ha-Jeled („Mutter des Knaben“; Prag 1597) oder Siach Jizchak („Gespräch des Isaak“; Prag 1628) wurden bis ins späte 18. Jahrhundert (in Osteuropa auch im 19. Jahrhundert) immer wieder aufgelegt. Vor dem Hintergrund der bereits im 16. Jahrhundert laut gewordenen Kritik am traditionellen aschkenasischen Curriculum und seiner fehlenden Systematik verwundert es nicht, dass sich einige Autoren mit pädagogischen Ambitionen aufgefordert fühlten, derartige Werke zu verfassen. Im Geist der frühen Haskala beschworen sie die Notwendigkeit eines geordneten Lernens mit einem Schwerpunkt auf dem Studium der Bibel und der hebräischen Sprache.⁴ Im Folgenden wird am Beispiel einer hebräischen Druckwerkstatt in Mitteldeutschland in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gezeigt, wie ein allmählicher Wandel im gedruckten Korpus des Wissens der aschkenasischen Judenheit an der Schwelle zur Moderne auch im Bereich des Lehrens und Lernens mit dem
Das wichtigste Lehr-/Lernmedium in der traditionellen aschkenasischen Jeschiwa war hingegen der mündliche Vortrag des Jeschiwa-Vorstehers, wenngleich der hebräische Buchdruck das Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der jüdischen Lernkultur allmählich zugunsten der Letzteren veränderte. Vgl. Reiner, Elchanan: The Ashkenazi Elite at the Beginning of the Modern Era. Manuscript versus Printed Book. In: Polin 10 (1997). S. 85 – 98. Natürlich fand nicht alles davon im Cheder- oder Jeschiwa-Unterricht Verwendung, und viele Werke waren dem fortgeschrittenen Studium im Erwachsenenalter vorbehalten. Der hier angeführten Schätzung, bei der auch Mehrfacheditionen berücksichtigt sind, liegt eine eigene Zählung der im Thesaurus of the Hebrew Book (Ozar ha-Sefer ha-Ivri) von Yeshayahu Vinograd. 2 Bde. Jerusalem 1995, für die entsprechenden Jahre aufgezählten Titel zugrunde. Zum Konzept einer frühen Haskala und deren Merkmalen vgl. Feiner, Shmuel: Jüdische Aufklärung. Geschichte einer kulturellen Revolution. Hildesheim [u. a.] 2007. S. 35 – 54; Sorkin, David: The Early Haskalah. In: New Perspectives on the Haskalah. Hrsg. von Shmuel Feiner und David Sorkin. London – Portland (OR) 2001. S. 10 – 26. Zur Kritik an dem Konzept vgl. Ruderman, David B.: Early Modern Jewry. A New Cultural History. Princeton − Oxford 2010. S. 198 – 202.
Pädagogische Motive im Werk eines frühmaskilischen hebräischen Druckers
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Bemühen um eine Neuordnung und strukturierte Vermittlung dieses Wissens einherging. Die beiden Werke, auf die hier näher eingegangen werden soll, waren keine Schöpfungen des 18. Jahrhunderts, sie wurden vielmehr bereits im 16. bzw. 17. Jahrhundert erstmals aufgelegt. Ihr Wiederdruck und – in dem einen Fall – auch die Umstände, die diesen begleiteten, passen sich jedoch nahtlos ein in das herausragende Gesamtwerk des Druckers und werfen ein Licht auf dessen Rolle bei der Verfertigung und Verbreitung des neuen Wissenskorpus. Daher sollen dieser Drucker und sein Werk hier zunächst vorgestellt werden.
Der Buchdrucker Israel bar Avraham und das Wissen der frühen Haskala Im Jahre 1742 wurde in Jeßnitz im Fürstentum Anhalt-Dessau der Führer der Unschlüssigen (More Nevuchim) von Maimonides (1135 – 1204) neu aufgelegt. Es handelte sich um ein „literarisches Ereignis ersten Ranges“, wie Alexander Altmann, die Bedeutung des Neudrucks vielleicht noch untertreibend, festgestellt hat.⁵ 189 Jahre nach seinem letzten Druck in Sabbioneta im Jahr 1553 wurde das Hauptwerk der mittelalterlichen jüdischen Religionsphilosophie so einem gelehrten jüdischen Lesepublikum wieder zugänglich gemacht. Den Juden Mitteleuropas bescherte der Neudruck des More Nevuchim die Möglichkeit, wieder an ein Wissen anzuknüpfen, das mit seiner Verbindung von Glauben und Vernunft anschlussfähig schien an die allgemeine Aufklärung und den Kenntnisfortschritt der Wissenschaften. Für den Buchdrucker Israel bar Avraham hingegen war die Tat ein Wagnis angesichts der unter den zeitgenössischen aschkenasischen Gelehrten immer noch stark verbreiteten Gegnerschaft gegen Maimonidesʾ philosophisches Werk.⁶ In seinem Vorwort zum Führer der Unschlüssigen gibt er von seinen Bedenken in dieser Hinsicht ein beredtes Zeugnis.⁷ Immerhin war er klug
Altmann, Alexander: Moses Mendelssohns Kindheit in Dessau. In: Bulletin des Leo Baeck Instituts 10 (1967). S. 237– 275, hier S. 258. Vgl. Reiner, Elchanan: The Attitude of Ashkenazi Society to the New Sciences in the Sixteenth Century. In: Science in Context 10 (1997). S. 589 – 603. „Doch viele sagten zu mir: Hüte dich vor dem Baum der Erkenntnis von Gut und Böse, und nicht ein einziges Mal darf man ihn berühren, damit sie nicht durchbrechen zum Herrn, um ihn zu sehen (Ex 19, 21), man fällt und stirbt [davon]. Doch ich sagte mir: Wenn es dem Herrn gefiele, mich zu töten, so hätte er mir all dies nicht gezeigt. […] Daher gürtete ich meine Lenden wie ein Krieger und ging im Lager von Tor zu Tor (Ex 32, 27) und rief auf den Straßen und Plätzen (Hld 3,2): ‚Wer für den Herrn ist, der schließe sich mir an (Ex 32, 26)‘“. Vorrede des Druckers (Amar haMadpis), More Nevuchim. Jeßnitz 1742. o. P. [Übersetzung D. S.]
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genug, das umstrittene Werk sozusagen im „Windschatten“ des weniger kontroversen Mischne Tora herauszugeben. Die vier Bände des halachischen Kodex des RaMBaM (traditionelles Akronym des Moses Maimonides) hatten in den Jahren zuvor die Jeßnitzer Druckerpresse verlassen; der letzte Band erschien 1742 kurz vor dem Druck des More Nevuchim. Bereits dies war angesichts des Umfangs des Werkes eine herausragende typografische Leistung, die nur unter dem ideellen Schirm und mit der finanziellen Unterstützung durch den Dessauer Landesrabbiner David Fränkel (1707– 1762) möglich war. Vermutlich hat der Lehrer Moses Mendelssohns den anschließenden Druck des More Nevuchim zumindest gebilligt; die Initiative dazu scheint jedoch, wie das Vorwort des Druckers zeigt, von Israel bar Avraham selbst ausgegangen zu sein. Es folgten weitere erstaunliche Werke: Im Jahr 1743 erschien das bis dahin unveröffentlichte astronomisch-geografische Kompendium des Prager Universalgelehrten David Gans (1541– 1613) mit dem unverfänglichen Titel Sefer Nechmad ve-Na‘im („Ein liebliches und angenehmes Buch“); 1744 druckte Israel bar Avraham die mittelalterliche Einleitung zum Führer der Unschlüssigen, Ruach Chen („Geist der Anmut“) zusammen mit einem naturphilosophischen Kommentar des aufgeklärten jüdischen Gelehrten Israel Zamość (1700 – 1773). Ebenfalls 1744 erschien in Jeßnitz ein drittes philosophisches Werk: Bachja Ibn Pakudas Chovot ha-Levavot („Pflichten der Herzen“), ein moralphilosophischer Text aus dem 11. Jahrhundert. In der Herausgabe dieser vier Bücher sowie in dem im Vorwort zum More Nevuchim angekündigten, letztlich aber nicht mehr erfolgten Druck der Grammatik David Kimchis (1160 – 1235), Sefer ha-Schoraschim („Buch der Wurzeln“), lässt sich so etwas wie ein editorisches Programm erkennen. Mit der jüdischen Philosophie des Mittelalters, modernen Naturwissenschaften und hebräischer Grammatik repräsentierte es das Wissen der frühen Haskala. Hier ist nicht der Ort, auf Person und Werk des Jeßnitzer Druckers im Detail einzugehen; dies ist bereits an anderer Stelle geschehen.⁸ Einige wesentliche Informationen mögen hier genügen: Israel bar Avraham war ein „Ger“, einer der wenigen klandestinen christlichen Konvertiten zum Judentum im 18. Jahrhundert.
Vgl. Sadowski, Dirk: „Gedruckt in der heiligen Gemeinde Jeßnitz“. Der Buchdrucker Israel bar Avraham und sein Werk. In: Jahrbuch des Simon-Dubnow-Instituts 7 (2008). S. 39 – 69; ders.: A Hybrid Space of Knowledge and Communication: Hebrew Printing in Jessnitz, 1718 – 1745. In: Space and Spatiality in Modern German-Jewish History. Hrsg. von Simone Lässig und Miriam Rürup. New York − Oxford 2017. S. 215 – 230; ders.: Hebräischer Buchdruck in Halle und Jeßnitz in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die Proselyten-Drucker Moses ben Avraham Avinu und Israel bar Avraham. In: Mission ohne Konversion? Studien zu Arbeit und Umfeld des Institutum Judaicum et Muhammedicum in Halle. Hrsg.von Grit Schorch und Brigitte Klosterberg. Halle 2019. S. 135– 153.
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Gerüchten zufolge handelte es sich bei ihm um einen ehemaligen Kapuzinermönch. Er wechselte seine Religion vermutlich um das Jahr 1710 in Amsterdam, wo er in den nachfolgenden Jahren das Handwerk des Buchdrucks mit hebräischen Lettern erlernte. Um die Jahre 1716 oder 1717 ließ er sich zunächst im Fürstentum Anhalt-Köthen nieder und erwarb die Druckerpresse des Hofjuden Moses Benjamin Wulff (1661– 1729), die dieser zwei Jahrzehnte zuvor in Dessau etabliert hatte. Nach knapp zwei Jahren verließ Israel bar Avraham die Stadt Köthen und zog nach Jeßnitz im Fürstentum Anhalt-Dessau. Anders als in Köthen existierte in Jeßnitz eine kleine jüdische Gemeinde, die die nötige religiöse Infrastruktur für die vielen wechselnden jüdischen Schriftsetzer, Drucker und Korrektoren bereitstellte, welche in den Folgejahren in der Druckwerkstatt des Proselyten Arbeit fanden. Zwischen 1718 und 1726 wurden in Jeßnitz etwa 40 hebräische Bücher gedruckt. Bei einem Großteil der Drucke handelte es sich um Gebetbücher, gefolgt von halachischer Literatur – neben zwei Taschenausgaben von Talmudtraktaten (Rosch ha-Schana, Schewu‘ot) vor allem Talmudnovellen und -kommentare sowie kleinere, populäre Kodizes – und Bibelexegese. In dieser Hinsicht wich das Repertoire der Jeßnitzer Druckwerkstatt nicht wesentlich von der Produktion anderer hebräischer Buchdruckereien in West- und Mitteleuropa ab. Es änderte sich auch kaum, nachdem Israel bar Avraham 1726 mit seiner Presse nach Wandsbek bei Hamburg gezogen war. Hier druckte er bis in die 1730er-Jahre hinein noch einmal etwa zwei Dutzend Werke, darunter die Kommentare, Responsen und ethischen Schriften des anti-sabbatianischen Gelehrten Moses Chagis (1672– 1751).⁹ 1738 schließlich kehrte Israel bar Avraham auf Veranlassung des bereits erwähnten David Fränkel nach Jeßnitz zurück, um dort den Druck von Maimonidesʼ Mischne Tora in Angriff zu nehmen. Danach folgten, wie erwähnt, seit 1742 der Druck des More Nevuchim und der anderen religionsphilosophischen und naturwissenschaftlichen Werke, ehe die Jeßnitzer Presse 1745 endgültig verstummte, vermutlich da die Konkurrenz durch andere hebräische Druckereien im mitteldeutschen Raum inzwischen zu stark geworden war.¹⁰ Unter dem scheinbar „konservativen“ Repertoire Israel bar Avrahams fallen bereits in der Zeit bis zum Druck des More Nevuchim mehrere Eigentümlichkeiten auf. Sie bestätigen Hinweise auf einen beginnenden Wandel im gedruckten Wissenskorpus der aschkenasischen Juden bereits im ersten Drittel des 18. Jahr-
Vgl. Bamberger, Simon: Wandsbeker Druckperiode des Israel ben Abraham, 1726 – 1733. In: Festschrift für Aron Freimann zum 60. Geburtstage. Hrsg. von Alexander Marx und Hermann Meyer. Berlin 1935. S. 101– 108. Vgl. Freudenthal, Max: Aus der Heimat Mendelssohns. Moses Benjamin Wulff und seine Familie, die Nachkommen des Moses Isserles. Berlin 1900 (Nachdruck Dessau 2006). S. 188 – 231, hier insb. S. 227 f.
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hunderts und eine allmähliche Erweiterung der Erkenntnishorizonte im Sinne einer frühen jüdischen Aufklärung. So erschien 1721 in Jeßnitz das 1707 erstmals in Venedig gedruckte Buch Ma‘ase Tuvija („Das Werk des Tuvija“), eine naturwissenschaftlich-medizinische Enzyklopädie aus der Feder Tuvija Ha-Cohens (1652– 1729). Ha-Cohen war einer der ersten jüdischen Medizin-Studenten an der Universität in Frankfurt an der Oder gewesen und wirkte später als Leibarzt der Osmanischen Herrscher in Konstantinopel. Das Werk versammelte zeitgenössisches Wissen aus den Disziplinen der Astronomie, Meteorologie, Geografie, Botanik, Mechanik und Medizin und präsentierte sich damit als ein genuines Werk der frühen Haskala. Es sollte als Lehrbuch für jüdische Studenten der Heilkunde ebenso dienen wie als Kompendium nützlichen Wissens, aus dem sich Juden in gelehrten Disputen mit Christen bedienen konnten, um den Vorwurf der Wissenschaftsferne der eigenen Tradition zu entkräften.¹¹ Neben einem zunehmenden Interesse an den nicht-rabbinischen Disziplinen, den sogenannten „äußeren Wissenschaften“ (chochmot chizonijot) wie Philosophie, Naturwissenschaften und Geschichte, betraf der erwähnte Wissenswandel auch die traditionelleren Felder jüdischer Gelehrsamkeit. Elchanan Reiner hat aufgezeigt, wie ein wachsendes Interesse an Textanalyse die rabbinische Literatur seit dem Ende des 17. Jahrhunderts beeinflusst und verändert hat.¹² Dieses Aufkommen einer neuen Hermeneutik fiel nach Reiner zusammen mit der Wiederentdeckung von Werken wie Jam schel Schelomo („Das Meer des Salomo“), eines Kommentars zum Talmudtraktat Bava Kamma aus der Feder Salomo Lurias (MaHaRSchaL, 1510 – 1574), der erstmals zu Beginn des 17. Jahrhunderts veröffentlicht worden war. Es mussten einhundert Jahre vergehen, ehe dieser Kommentar 1723 in Jeßnitz durch Israel bar Avraham erneut gedruckt wurde. Ein weiterer Indikator für den erwähnten Wissenswandel war die zunehmende Popularität von moralischer Erbauungsliteratur (Mussar) und von diesem Genre beeinflusster Werke traditioneller jüdischer Gelehrsamkeit.¹³ Hierzu gehörten die Bibelkommentare des sefardischen Gelehrten Moses Alschech (1508 – 1593) mit
Vgl. Ruderman, David B.: On the Diffusion of Scientific Knowledge within the Jewish Community. The Medical Textbook of Tobias Cohen. In: Jewish Thought and Scientific Discovery in Early Modern Europe. Hrsg. von David B. Ruderman. Detroit 2001. S. 229 – 255; Sadowski, Dirk: Jupitermonde und „verschlossene Gärten“. Tuvija Cohens Enzyklopädie der Naturwissenschaften und der Medizin „Ma‘ase Tuvija“ (1707). In: Jahrbuch des Simon-Dubnow-Instituts 9 (2010). S. 247– 277. Vgl. Reiner, Elchanan: Beyond the Realm of Haskalah. Changing Learning Patterns in Jewish Traditional Society. In: Jahrbuch des Simon-Dubnow-Instituts 6 (2007). S. 123 – 133. Vgl. Gries, Zeev: The Book in the Jewish World, 1700 – 1900. Oxford − Portland, Oregon 2007. S. 46 – 56.
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ihrem klaren Stil und ihrer Betonung des moralischen Gehalts der biblischen Bücher, die im 18. Jahrhundert vor allem dank des Jeßnitzer Druckers weite Verbreitung im aschkenasischen Raum fanden. 1720 druckte Israel bar Avraham Alschechs Kommentar zu den letzten Propheten Marʼot ha-Tzovʼot („Spiegel der Frauen“), der seit 1603 nicht mehr aufgelegt worden war und der somit lange Zeit nicht für das Studium zur Verfügung gestanden habe, wie die Herausgeber – ein Mitglied der Jeßnitzer Judengemeinde namens Isaak ben Kalonymos aus Bilgoraj und Israel bar Avraham selbst – in ihrer Vorrede betonten.¹⁴ Im Jahr 1721 folgte Alschechs Kommentar Romemot El („Lobpreis Gottes“, 1721) zu den Psalmen. In seinem Vorwort zu diesem Werk brachte Israel bar Avraham seine Absicht zum Ausdruck, „auf dem Altar der Druckerpresse alte Bücher als Gabe darzubringen, die die früheren Meister verfassten, die jedoch im Laufe der Jahre weniger geworden sind“,¹⁵ und er kündigte an, die anderen Kommentare Alschechs ebenfalls drucken zu wollen – ein Projekt, das er in den Folgejahren verwirklichen sollte: 1722 veröffentlichte er Chelkat Mechokek („Der Anteil des Gesetzgebers“) zu Hiob und Rov Pninim („Perlenfülle“) zu den Sprüchen Salomos. 1727 brachte er in Wandsbek schließlich noch Chavatzelet ha-Sharon („Die Rose von Sharon“) zum Buch Daniel heraus. Die Tatsache, dass der Jeßnitzer Drucker selbst als Initiator dieses ambitionierten editorischen Vorhabens (wie später auch des Drucks des More Nevuchim) und als Herausgeber in Erscheinung trat, lässt seinen Beitrag zur Herausbildung des aschkenasischen „Bücherregals“ im Vorfeld der jüdischen Aufklärung besonders deutlich aufscheinen. Nebenbei bestätigt sie für den jüdischen Buchdruck des 18. Jahrhunderts auch die Anwendbarkeit des von Elizabeth Eisenstein postulierten Konzepts von der aktiven Rolle des frühneuzeitlichen Druckunternehmers bei der Herausbildung eines neuen Wissenskorpus.¹⁶
Alschech, Moses: Marʼot ha-Tzovʼot. Jeßnitz 1720. Vorwort der Herausgeber (Hakdamat haMevi’im ha-Sefer le-Bet ha-Defus). o. P. – להעלות על מזבח הדפוס ספרים ישנים אשר חברו הגאונים הקדמונים ונטמעטו ברבות השניםAlschech, Moses: Romemot El. Jeßnitz 1721. Vorwort des Druckereibesitzers (Hakdamat Ba‘al ha-Madpis). o. P. Vgl. Eisenstein, Elizabeth:The Printing Revolution in Early Modern Europe. 2. Aufl. Cambridge − New York 2005. S. 46– 70, hier insb. S. 49 f.
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Geordnete Sprache: Das Wortschatzbuch Chinnuch Katan Zu den Merkmalen der frühen Haskala gehörte eine ausgeprägte pädagogische Agenda, die sich zuvorderst in der Kritik am traditionellen aschkenasischen Curriculum mit seinem starken Fokus auf dem Studium des Talmuds äußerte. Die Kritiker setzten dem eine stärkere Hinwendung zur Bibel, verbunden mit einer profunden Kenntnis der hebräischen Sprache, entgegen. Wie oben gezeigt, gehörte die Beförderung des gelehrten Bibelstudiums mittels der Alschech-Kommentare zu den zentralen Anliegen des Jeßnitzer Druckers. Was das Studium der hebräischen Sprache betrifft, so fällt auf, dass Israel bar Avraham immer wieder auch philologische Werke zeitgenössischer jüdischer Gelehrter verlegte. 1718 erschien noch in Köthen das Werk Derech ha-Kodesch („Der Weg des Heiligen“) aus der Feder des aus Metz stammenden Gelehrten Süßkind Alexander ben Samuel Sanwil. Es enthielt neben einer Grammatik der hebräischen Sprache eine auf Jiddisch verfasste Abhandlung über die Regeln der Akzentsetzung bei der Lektüre des biblischen Textes sowie entsprechende Tabellen. Eine weitere lexikografischgrammatische Abhandlung zur hebräischen Sprache, Ohole Jehuda („Die Zelte Judas“) des in Carpentras ansässigen Gelehrten Jehuda Arie Löb, wurde 1719 in Jeßnitz gedruckt. Wesentlich bedeutender als diese beiden Bücher waren jedoch zwei Werke Schlomo Salman Hanaus (1676 – 1746), die kurz vor dem Ende der ersten Jeßnitzer Druckperiode erschienen. Hanau, in dem die späteren Maskilim den bedeutendsten Grammatiker des 18. Jahrhunderts erblickten, hatte bereits als junger Gelehrter mit seiner 1708 unter dem Titel Binjan Schelomo („Das Bauwerk Salomos“) veröffentlichten Kritik am überlieferten Text des Gebetbuches und an seinen Tradenten erbitterten Widerstand von Seiten des rabbinischen Establishments hervorgerufen. In Jeßnitz ließ er 1725 durch Israel bar Avraham das von ihm korrigierte aschkenasische Gebetbuch unter dem Titel Bet Tefilla („Haus des Gebets“) mit einem angehängten, jedoch mit separatem Titelblatt versehenen grammatischen Kommentar, Scha‘are Tefilla („Tore des Gebets“), drucken, in welchem er seine Kritik wiederholte.¹⁷ Die erwähnten grammatischen Werke hatten alle einen erkennbar gelehrten Charakter: Sie waren von Grammatik-Experten für den Diskurs über die heilige Sprache geschrieben, der sich zu dieser Zeit unter jüdischen Textgelehrten zu entfalten begann und später in die maskilischen Versuche einer Renaissance des
Zu Hanau und seinem Werk vgl. ausführlich Schatz, Andrea: Sprache in der Zerstreuung. Die Säkularisierung des Hebräischen im 18. Jahrhundert. Göttingen 2009. S. 140 – 165.
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Hebräischen mündete.¹⁸ Sie hatten kaum einen pädagogischen Charakter in dem Sinne, dass die Bücher als Hilfsmittel zum Erlernen der Sprache im Kontext der jüdischen Erziehung benutzt werden sollten. Vor diesem Hintergrund sticht ein ansonsten eher unscheinbares Büchlein heraus, das 1720 in Jeßnitz gedruckt wurde: Chinnuch Katan („Unterricht des Kleinkinds“).¹⁹ Das gerade einmal 20 Druckseiten umfassende Werk war erstmals 1640 ohne Autorenangabe in Krakau erschienen und danach mindestens ein weiteres Mal, nämlich um das Jahr 1700 in Dessau, gedruckt worden. Israel bar Avraham selbst legte das Büchlein 1733 in Wandsbek erneut auf; zuvor war 1725 eine Ausgabe in der Berliner Druckerei des Nathan Neumark gedruckt worden.²⁰ Weitere Auflagen erschienen bis in das späte 19. Jahrhundert hinein, unter anderem in Fürth 1765, Shklov 1794, Wien 1815 und Lemberg 1873. Es handelte sich um ein Wortschatzbuch der hebräischen Sprache, keine Fibel im klassischen Sinne – derartige didaktisch angelegte Schulbücher zum Lesenlernen waren in den frühneuzeitlichen Chadarim oder Talmud-Tora-Schulen der aschkenasischen Juden unbekannt.²¹ Das Büchlein enthielt auch keine Grammatik des Hebräischen, und sei es nur in rudimentärer, für den Unterricht geeigneter Form, wie das Werk Em ha-Jeled („Mutter des Knaben“) von Joseph ben Elchanan Heilbronn, das erstmals 1597 in Prag gedruckt und bis in das 19. Jahrhundert immer wieder aufgelegt wurde,²² oder die elaboriertere und wohl nicht unmittelbar für den Unterricht bestimmte Grammatik Siach Jitzchak („Gespräch des Isaak“) von Isaak ben Samuel Halevi (1580–ca. 1646) aus dem Jahr 1628.²³ Die Kenntnis des Lesens von hebräischen Buchstaben und zumindest jüdisch-deutscher Wörter in Maschket-Schrift, dem sogenannten „Waibertaitsch“, setzte der Autor des Chinnuch Katan offenbar voraus. Es handelte sich somit allem Anschein nach um ein Büchlein, mit dessen Hilfe Eltern ihren Kindern hebräische Worte beibringen sollten.²⁴ Dies geht auch aus der hebräischen Ankündigung auf dem Titelblatt hervor. Sie nahm Bezug auf das biblische Gebot der Weitergabe bzw. des Unterrichts in der Tora, wie es in Deuteronomium 11,19 erscheint: ולמדתם אותם את
Vgl. Schatz, Sprache. Sefer Chinnuch Katan. Jeßnitz 1720. Chinnuch Katan u-Mafteach Leschon ha-Kodesch. Berlin 1725. Für die Erörterung von Inhalt und Struktur des Werks wurde diese Berliner Ausgabe zugrunde gelegt, da mir von der Jeßnitzer Ausgabe nur das Titelblatt vorlag. In späteren Ausgaben weicht die Kapitelgliederung bisweilen von der hier dargelegten ab. Vgl. Fishman, History, S. 89 f. Vgl. Schatz, Sprache, S. 87 f.; Fishman, History, S. 49 f. Vgl. Schatz, Sprache, S. 84– 86; Fishman, History, S. 50. Vgl. Fishman, History, S. 46.
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( בניכם לדבר בםnach der Einheitsübersetzung: „Ihr sollt sie eure Kinder lehren, indem ihr sie sprecht, [wenn du zu Hause sitzt und wenn du auf der Straße gehst, wenn du dich schlafen legst und wenn du aufstehst]“) und legte es im Sinne Raschis aus, dass es nämlich darum gehe, diesen Unterricht in der heiligen Sprache zu erteilen: מכאן אמרו כשהתינוק מתחיל לדבר אביו משיח עמו בלה"ק ומלמדו תורה („von hier leitet man ab, dass, wenn der Kleine zu sprechen beginnt, sein Vater mit ihm in der heiligen Sprache spricht und ihn die Tora lehrt“). Das Gebot wurde darüber hinaus hier auch dahingehend interpretiert, dass ein Vater seinen Sohn generell in der hebräischen Sprache unterrichten solle. Die Berliner Ausgabe von 1725 fügte das bekannte Gebot nach Sprüche Salomos 22,6 hinzu חנוך לנער על פי „( דרכו גם כי יזקין לא יסור ממנהErzieh den Knaben für seinen Lebensweg, dann weicht er auch im Alter nicht davon ab“) und dürfte damit eines der frühesten Beispiele für einen vormaskilischen Gebrauch des Spruches im Kontext der Kindererziehung sein.²⁵ Die späteren jiddischen Ausgaben des Chinnuch Katan machen den Hebräisch-Unterricht im Übrigen nicht nur zu einer Aufgabe des Vaters, wenn sie im Titel feststellten: אונזרי ספרי מוסר שרייבן דש אידר פאטר אונ' מוטר זיין מחויב ( די קליינה קינדר צו גווינן לשון הקודש צו רידןUnsere Sifre Mussar schreiben, dass jeder Vater und Mutter verpflichtet sind, die kleinen Kinder daran zu gewöhnen, die heilige Sprache zu sprechen), sie konzedierten aber, dass es nicht sehr viele jüdische Eltern geben dürfte, die dazu in der Lage seien – ein Umstand, dem dieses Büchlein nun auch abhelfen sollte.²⁶ Der hebräische Wortschatz gliederte sich in 20 Kapitel. Die Wörter waren in Kolumnen geordnet. Unter dem hebräischen Begriff erschien jeweils die jiddische Bedeutung. Ausgehend von einem zentralen, zumeist der hebräischen Bibel entnommenen Begriff wurden weitere Wörter aus demselben semantischen Feld aufgeführt, zunächst vor allem Substantive. Die erste Wortgruppe richtete sich nach dem ersten Satz der Genesis: אלוהינו ברא שמים – אונזר הער ג'וט ער האט בישאפין
Chinnuch Katan, S. 17b. Den Bibelvers machte der jüdische Aufklärer Hartwig Wessely (auch Naftali Herz Weisel, 1725 – 1805) zum Leitmotiv seiner 1782 erschienenen pädagogischen „Kampfschrift“ Divre Schalom ve-Emet („Worte des Friedens und der Wahrheit“), in der er zur Reform des traditionellen jüdischen Bildungswesens als Antwort auf die Toleranzpolitik Josephs II. aufrief. Naphtali Herz Wessely,Worte des Friedens und der Wahrheit. Erstes Sendschreiben (mit Kommentar). In: Naphtali Herz Wessely. Worte des Friedens und der Wahrheit. Dokumente einer Kontroverse über Erziehung in der europäischen Spätaufklärung. Hrsg. von Ingrid Lohmann, Rainer Wenzel und Uta Lohmann. Münster – New York 2014. S. 101– 138. Vgl. hierzu auch Hecht, Louise: „Gib dem Knaben Unterricht nach seiner Weise“ (Spr. 22,6): Theorie und Praxis des modernen jüdischen Schulsystems in der Habsburger Monarchie. In: Orte des Wissens, hrsg. von Martin Scheutz, Wolfgang Schmale und Dana Štefanová. Bochum 2004. S. 117– 134 (Jahrbuch der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts, Bd. 18/19). So z. B. Chinnuch Katan. Fürth 1765. Titelblatt.
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[( הימלHebr.:] Unser Gott erschuf den Himmel – [Jidd.:] Unser Herr Gott, er hat erschaffen Himmel), um dann im ersten Kapitel vom Himmel über Sonne, Mond und Sterne zu Wetterphänomenen wie Regen, Tau, Schnee und Hagel und zu Zeitbegriffen wie Augenblick, Tag,Woche, Monat und Jahr zu gelangen. Das zweite Kapitel begann mit Begriffen des irdischen Schöpfungskontextes, benannte Landschaften, Sedimente und Baumaterialien. In den Kapiteln 3 bis 11 wurden die unterschiedlichsten Nahrungsmittel und Tierarten benannt. Kapitel 12 begann mit dem Wort ( אדםMensch) und durchlief anschließend die gesellschaftliche Ordnung beginnend mit dem ( מלךKönig) über den (( שוטר )ביטלרBüttel) bis hin zu עבד (Knecht) und ( שפכהMagd) sowie Verwandtschaftsbegriffen. Kapitel 13 enthielt die Bezeichnungen von Organen und Körperteilen; Kapitel 14 beschrieb vor allem Kleidungsstücke, Kapitel 15 Haushaltsgegenstände. Kapitel 16 begann mit den Stätten des Gottesdienstes und des Lernens (בית הכנסת – שול ; בית מדרש – ישיבה [( )שטויבHebr.:] Synagoge – [Jidd.:] Schul; [Hebr.:] Lehrhaus – [Jidd.:] JeschiweStube), leitete aber schnell über zur Bezeichnung von Orten der Häuslichkeit und von Einrichtungsgegenständen. Kapitel 17 bis 19 umfasste die Bezeichnungen von Metallen und Währungen sowie die Ordnungszahlen. Kapitel 20 war Farben und abstrakt-moralischen Begriffe gewidmet. Die Ordnung der Dinge, die hier lexikografisch aufgezählt wurden, ist nicht immer ganz einsichtig; spätere Ausgaben versuchten in den Inhaltsverzeichnissen entsprechend zu klassifizieren – )סימן יא רעט פון אלרלייא קליידר אונ' צירונג דש מענשן „Kapitel 12 spricht von allerlei Kleidern und Schmuck des Menschen“) und fassten auch einige Kapitel zusammen. Völlig klar ist aber, dass es sich um alles andere als einen Lernwortschatz handelte, der dem Studium der Tora in der heiligen Sprache dienen sollte, wie dies die Ankündigung auf dem Titel vorgab. Vielmehr handelte es sich um eine Art Onomastikon lebensweltlich-alltäglicher Dinge, ein Wörterbuch der Laschon ha-kodesch (heiligen Sprache) für den allerprofansten Gebrauch. Die Wörter waren zwar sämtlich der Tora oder dem Talmud entnommen (etwa [ – חלמון – דז געלב פון איHebr.:] Eigelb – [Jidd.:] das Gelbe vom Ei), aber aus ihrem biblischen und halachisch-rechtlichen Kontext gelöst und in praktischanschaulichen und semantisch relativ kohärenten Gruppen zusammengefasst worden. Eine Grammatik fehlte, es fanden sich keine Verben mit ihren Flexionen und keine anderen Regeln für einen korrekten Gebrauch der hebräischen Sprache. Der Zweck des Büchleins wurde durch die Ankündigung auf der Titelseite, die sich auf die Tora und auf Raschi bezog, eher verschleiert. Man darf vermuten, dass das Wortschatzbuch durch den Rückbezug auf den unmittelbaren lebensweltlichen Kontext einen Zugang zur heiligen Sprache schaffen sollte, der für ein Kind, aber möglicherweise auch einen nichtgelehrten Erwachsenen relativ leicht zu nehmen war. Das Werk sollte vielleicht auf diesem Umweg ein Interesse an der Sprache erzeugen und zum Erwerb erster Kenntnisse ermuntern, die später durch
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eingehendere Studien und gestützt auf grammatische Werke vertieft werden konnten. Die Berliner Ausgabe von 1725 aus der Presse Nathan Neumarks lässt – obwohl Sefer Chinnuch Katan groß auf der Titelseite steht, den Alltagswortschatz auf eine solche Grammatik – Mafteach Leschon ha-Kodesch („Schlüssel zur heiligen Sprache“) – folgen. Der Verfasser des erstmals 1713 in Amsterdam gedruckten Werkes, Israel ben Avraham Avinu – eindeutig ein Konvertit zum Judentum – wird auf dem Titelblatt und in der Literatur mit dem Jeßnitzer Drucker Israel bar Avraham gleichgesetzt. Die Schrift ist auf Jiddisch verfasst und richtet sich als selektiv-rudimentäre Einführung in die Grammatik der hebräischen Sprache an eine Laien-Leserschaft. Sie ist, wie aus dem Vorwort hervorgeht, für jüngere und ältere Schüler gedacht und soll zu einem selbständigen Studium der hebräischen Bibel befähigen. Aus den bisherigen jiddischen Übersetzungen könne man den Sinn der Bibel nicht mehr verstehen, da diese den Bezug zur Originalsprache verloren hätten. Auch die Schönheit (tzirlikhkeyt) der hebräischen Sprache könne so nicht mehr erfahren werden. Der Autor behandelt nacheinander in elf Kapiteln die morphologischen und grammatischen Strukturen des Hebräischen vom Konsonantensystem über den Status Constructus und die Beugung der Verben bis hin zur Erläuterung der masoretischen Akzente und der Erklärung einiger biblischer Metaphern. Weit von einem genuin maskilisch-systematischen Ansatz entfernt, lassen Vorwort und Korpus des Werks doch einige modernisierende, frühmaskilische Facetten erkennen: das Beklagen des Verlusts des Tora-Verständnisses durch (schlechte) jiddische Übersetzungen und der Appell zur Lektüre der Bibel im hebräischen Original, das Bereitstellen entsprechender Hilfsmittel – und seien sie noch so rudimentär – und die Ausrichtung auf das Selbststudium statt des bloßen Zuhörens oder allenfalls repetitiven Lehr-LernProzesses.²⁷ Der Blick in die Berliner Ausgabe des Chinnuch Katan/Mafteach Leschon haKodesch bietet eine Überraschung, indem sie die Zweifel über die Identität des Autors ausräumt. Dem Vorwort hinzugefügt ist nämlich die folgende Phrase: (כ)ה – ד)ברי( המחבר מפתח לשון הקדש ישראל בר אברהם אבינו מדפיס ק"ק )קהילת קודש( יעסניץ “Dies sind die Worte des Verfassers des Mafteach Leshon ha-Kodesch – Israel bar Avraham Avinu, Drucker [in] der heiligen Gemeinde Jeßnitz.“²⁸ Zum mindesten erscheint es unwahrscheinlich, dass ein zur gleichen Zeit wie Israel bar Avraham Vgl. Zwiep, Irene: Adding the Readerʼs voice. Early-modern Ashkenazi Grammars of Hebrew. In: Science in Context 20 (2007). S. 163 – 195. Ich danke Irene Zwiep für die Überlassung einer Kopie der in der Bibliotheca Rosenthaliana aufbewahrten Handschrift des Mafteach Leschon haKodesch. Chinnuch Katan, Vorrede (Hakdama), S. 1b.
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tätiger Drucker – nämlich Natan Neumark in Berlin – sich so sehr hinsichtlich der Autorschaft (und Konvertitenidentität) des im nicht allzu weit entfernten Jeßnitz tätigen Druckerkollegen täuschen sollte. Warum jedoch Israel bar Avraham, als er in Jeßnitz das Sefer Chinnuch Katan 1720 auf die Druckerpresse brachte, bei dieser Gelegenheit nicht auch gleich seine Grammatik erneut auflegte, bleibt ein Geheimnis.
Geordneter Glaube: Der Katechismus Lekach Tov Im Jahr 1720 erschien in Jeßnitz ein Büchlein von 46 Seiten Umfang mit dem Titel Eine gründliche Verfassung der Jüdischen Lehre. ²⁹ Es handelte sich um eine deutsche Übersetzung der Schrift Lekach Tov („Gute Lehre“) des jüdischen Gelehrten Avraham Jagel (1553 – 1623) auf der Grundlage der 1704 von dem Helmstedter Hebraisten Hermann von der Hardt (1660 – 1746) herausgegebenen lateinischen Übersetzung des Werkes.³⁰ Bei dem Drucker der Gründliche[n] Verfassung handelte es sich um George Friedrich Klesser. Israel bar Avraham war somit nicht der einzige Druckunternehmer in dem Städtchen an der Mulde. Der aus Leipzig stammende Klesser hatte sich mit einem kleinen Druckbetrieb etwa um dieselbe Zeit wie der jüdische Drucker in Jeßnitz angesiedelt. Bevor sich Klesser in den 1730er-Jahren einen Namen durch die Herausgabe des Vollständigen Bitterfeldischen Gesangbuchs machte³¹, produzierte er vor allem Auftrags- und Gelegenheitsdrucke. Eine seiner Einkommensquellen scheint die Zusammenarbeit mit Israel bar Avraham gewesen zu sein, für den er in dessen Werkstatt die Presse bediente oder die von den jüdischen Setzern vorbereiteten Druckformen in seiner eigenen Werkstatt in die Druckmaschine spannte. Der Name Klessers taucht in den Kolophonen mehrerer hebräischer Werke aus der Presse Israel bar Avrahams zu Beginn von dessen erster Jeßnitzer Druckperiode auf. Das erste Mal erscheint er mit dem lateinischen Eintrag „Georgius Klesserii, Lipsiensis“ und der hebräischdeutschen Hinzufügung ha-druker (der Drucker) herausgehoben in einem Schmuckband auf der letzten Seite des Alschech-Kommentars Marʼot ha-Tzovʼot
Eine gründliche Verfassung der Jüdischen Lehre, Welche nach der Art eines Catechismi von dem berühmten Juden Rabbi Abraham Jagel, von dem Gebürge Sicili aus Italien vor diesem heraus gegeben. Jeßnitz 1720. Von der Hardt, Herm[ann]: Nervosum Judaicae Doctrinae Compendium, Catechismi Forma à Clarissimo inter Judeos Viro R. Abraham Jagel Monte-Silicensi Italo. Helmstedt 1704. Vollständiges Bitterfeldisches Gesang-Buch. Jeßnitz 1734.
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von 1720.³² Als sich Israel bar Avraham nach seiner Wandsbeker Zeit 1738 erneut in Jeßnitz niederließ, wurde auch Klesser ein zweites Mal für den jüdischen Druckunternehmer tätig, was im Kontext des aufwendigen Druckprojekts um Maimonides’ Kodex Mischne Tora nicht ohne Konflikte blieb.³³ Die Kooperation zwischen den beiden Druckern scheint jedoch nicht nur auf die technische Zusammenarbeit beschränkt gewesen zu sein. 1719, also ein Jahr vor Erscheinen der Gründliche[n] Verfassung der jüdischen Lehre, hatte Israel bar Avraham das Sefer Lekach Tov Avraham Jagels in einer zweisprachigen Ausgabe – Hebräisch und Jiddisch – gedruckt. Die jiddische Übersetzung stammte aus der Feder des Druckunternehmers selbst, der das Büchlein auf eigene Kosten drucken ließ, worauf der Zusatz be-mitzwat u-vi-dfus […] Jisraʼel bar Avraham hindeutet. Vor dem Hintergrund der bald darauf erschienenen deutschen Ausgabe ist zu vermuten, dass Israel bar Avraham den Inhalt des Werkes für so wichtig erachtete, dass er es auch christlichen Lesern zur Verfügung stellen wollte. Da ihm der Druck mit lateinischen Buchstaben untersagt war, und er auch keine entsprechenden Lettern besaß, blieb ihm nur die Möglichkeit, seinen Kooperationspartner George Friedrich Klesser zu überzeugen, die deutsche Ausgabe auf die Druckerpresse zu bringen. Die lateinische Übersetzung des Helmstedter Professors Hermann von der Hardt, der ihn 1717 bei der Herausgabe eines Midraschkommentars mit einem wohlwollenden Gutachten gegenüber der kirchlichen Zensur unterstützt hatte,³⁴ dürfte ihm bekannt gewesen sein. Aus dem Druck Klessers von 1720 und einer zweiten deutschsprachigen Ausgabe von 1722 aus derselben Presse geht nicht hervor, von wem die deutsche Übersetzung stammt. Es ist naheliegend, aufgrund des Zusatzes auf den jeweiligen Titelblättern die Autorschaft von der Hardts zu vermuten.³⁵ Es ist jedoch auch möglich, dass der Proselyt und frühere Kleriker
Weitere Werke aus der Druckwerkstatt Israel bar Avrahams, deren Kolophone Klessers Namen oder die Initialen GK enthielten, waren Romemot El (1721), Rov Pninim (1722), Ateret Zvi (1722) und Damesek Eliezer (1723). Im Jahr 1739 stockte der Druck des Mischne Tora für einige Monate, vermutlich aufgrund von Papierknappheit, und die in der Werkstatt beschäftigten Setzer, Drucker und Korrektoren, darunter Klesser, erhielten während dieser Zeit keinen Lohn. Sie wandten sich deswegen an die Dessauer Landesregierung mit einer Beschwerde gegen den Druckunternehmer sowie gegen den Initiator und Finanzier des Projekts, den Dessauer Landesrabbiner David Fränkel. Vgl. Sadowski, Jeßnitz, S. 57– 59. Vgl. Strobach, Berndt: Hebräischer Buchdruck zwischen Hofjuden-Mäzenatentum und christlicher Zensur. Wie die Harzstadt Blankenburg nicht zum jüdischen Publikationsort wurde. In: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 60 (2008). S. 235 – 252, hier S. 243 – 247. Auf dem Titelblatt der Ausgabe von 1720 heißt es: „Auff etlicher guten Freunde begehren aber vorietso ins Hochdeutsche übersetzt und gedruckt zu Jessnitz an der Mulde durch George Kles-
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Israel bar Avraham die deutsche Übersetzung des lateinischen Werks für das von Klesser gedruckte Werk ebenso besorgte wie die jiddische Übersetzung des hebräischen Originals für seine eigene Ausgabe. Doch warum hatte dieses Werk eine so offensichtliche Bedeutung für den jüdischen Drucker? Die Schrift Lekach Tov des Universalgelehrten, Arztes und Verfassers medizinischer, moralischer und naturwissenschaftlicher Traktate Avraham Jagel war erstmals 1595 in Venedig gedruckt worden.³⁶ Es handelte sich dabei nicht nur um eine Systematisierung jüdischer Glaubenslehren auf der Grundlage der Dreizehn Prinzipien des Maimonides, ergänzt um theologische und moralische Betrachtungen. Hervorstechend und neu war vielmehr der pädagogische Ansatz der Schrift und dessen Form. Das Buch sollte der Erziehung der jüdischen Jugend dienen und war in Gestalt eines Frage-und-Antwort-Katechismus angelegt, der Inhalt in die Form eines Gesprächs zwischen Lehrer und Schüler, zwischen Rav und Talmid gegossen. Als Vorbild diente der kleine Katechismus des holländischen Jesuiten Petrus Canisius (1521– 1597) von 1556.³⁷ Ein solches Buch ging nicht unbemerkt an der Aufmerksamkeit von Juden und Christen vorüber, und es ist nicht verwunderlich, dass sein hybrider Charakter – christliche Form, jüdischer Inhalt – auch eine Reihe von „mingled identities“ (David Ruderman) anzog, darunter auch den Proselyten und Buchdrucker Israel bar Avraham. Über das 17. und 18. Jahrhundert verteilt erschienen 19 weitere Ausgaben und Übersetzungen des Werkes; davon stammte etwa die Hälfte aus der Feder christlicher Hebraisten: zumeist Übersetzungen in die lateinische Sprache, aber auch ins Englische und Deutsche, die oft vom hebräischen Originaltext begleitet wurden. Von jüdischen Gelehrten bzw. Buchdruckern veranstaltete Ausgaben enthielten fast immer eine Übersetzung ins Jiddische. Drei hochdeutsche Ausgaben waren von Konvertiten zum Christentum verfasst.³⁸ Zur Erklärung der Faszination, die Jagels Katechismus insbesondere auf Christen ausübte, muss angemerkt werden, dass ein solches Werk aus der Feder eines Juden nicht nur aufgrund seiner katholischen Anmutung interessant war, sondern dass es auch einer Auffassung entgegenstand, die christliche Zeitgenossen von Juden und Judentum hatten, nämlich einer obskuren, ausschließlich auf „Zeremonialgesetze“, also auf Halacha und Minhag ausgerichteten Religion, der die ursprünglichen,
sern“; 1722 dann: „Auff etlicher guten Freunde begehren aber aus dem Lateinischen ins Hochdeutsche übersetzet worden“. Zu Jagels Leben und Werk vgl. Ruderman, David B.: A Valley of Vision. The Heavenly Journey of Abraham ben Hananiah Yagel. Philadelphia 1990. Vgl. Faierstein, Morris M.: Abraham Jagel’s „Leqah Tov“ and Its History. In: Jewish Quarterly Review 89 (1999). S. 319 – 350, hier S. 321. Vgl. Faierstein, Leqah Tov, S. 327– 332.
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auch vom Christentum geteilten „Glaubenswahrheiten“ verloren gegangen waren. Maimonides’ Werk war den hebraistisch gebildeten Theologen und Orientalisten natürlich gut bekannt, doch vermuteten sie – nicht zu Unrecht und trotz der täglichen Evokation der Dreizehn Prinzipien im Jigdal-Gebet – dass er bei den Juden ihrer Zeit nicht sehr hoch im Kurs stand. Entsprechendes Aufsehen erregte der Versuch Jagels, die zentralen Prinzipien der jüdischen Religion nach Maimonides noch einmal aufleben zu lassen – und das in katechetischer Gestalt. Ausgehend von der Vermutung, dass Israel bar Avraham selbst den Druck der deutschsprachigen Gründliche[n] Verfassung der jüdischen Lehre bei George Friedrich Klesser im Jahr 1720 (und erneut 1722) initiiert hatte, können wir schließen, dass ihm sehr daran gelegen war, durch dieses Projekt die Systematik und Rationalität des jüdischen Glaubens auch gegenüber christlichen Laien darzulegen, denen die Lektüre der lateinischen Ausgabe zu mühsam oder nicht möglich war. Einen anderen Zweck hatte er naturgemäß mit dem Druck des Sefer Lekach Tov auf der eigenen Presse im Jahr zuvor verfolgt. Hier stand eindeutig der pädagogische Aspekt im Vordergrund. In einer jiddischen Vorrede äußerte der Drucker und Herausgeber im Geist der frühen Haskala deutliche Kritik an den traditionellen Lehrinhalten der aschkenasischen Juden. Er wandte sich gegen die ausschließliche Konzentration auf das Talmudstudium in seiner zugespitzt kasuistischen Form des Pilpul, welches dazu führe, dass selbst Gelehrte kaum die Grundlagen der Tora, wie sie Maimonides in den dreizehn Prinzipien dargelegt habe, kennen würden. Aber auch der gemeine Mann bliebe aufgrund des herkömmlichen Curriculums ohne wirklichen Glauben. Ja dieser könne die Notwendigkeit der Kenntnis der fundamentalen Glaubensregeln gar nicht erkennen, denn er sage sich, dass ihn die Lehrer in seiner Jugend sicher entsprechend unterrichtet hätten, wenn es sich um wichtiges Wissen handeln sollte. Um diesem Missstand zu begegnen, habe er, Israel bar Avraham, sich entschlossen, dieses Buch in ein „gebrauchlich Taitsch“ zu übersetzen und durch seine Vervielfältigung allen Juden, Männern, Frauen und Kindern, Gelehrten und Ungebildeten zugänglich zu machen. Interessant ist auch die folgende Wendung in der jiddischen Vorrede Israel bar Avrahams: Manche wissen nicht [einmal], was Gott ist und was seine Gebote sind, auch nicht, wie das böse Verlangen den Menschen treibt, bis er – Gott behüte! – ein kofer ba-ikar [einer, der die Grundlagen des Glaubens anzweifelt] wird. Er weiß selbst nicht, wie er dahin gekommen ist, da er die Wurzeln und Prinzipien der Tora und des Glaubens nicht kennt.³⁹
Sefer Lekach Tov. Jeßnitz 1719. Vorwort des Druckereibesitzers (Hitnatzlut schel Ba‘al haMadpis), S. 10b–11a. [Übersetzung D. S.].
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Es stellt sich die Frage, ob man hierin einen frühmaskilischen Warnruf vor einer um sich greifenden Glaubensgleichgültigkeit erkennen sollte. Morris M. Faierstein glaubt in dieser Passage eine Warnung davor zu erkennen, dass ein Jude, der die Prinzipien seiner Religion nicht kennt, zur leichten Beute christlicher Missionare werden kann, wenn diese ihn in einen religiösen Disput verwickeln.⁴⁰ Zwar ist ein kofer ba-ikar etwas anderes als ein mumar, ein „Konvertierter“, nämlich ein grundsätzlich vom Glauben Abgefallener, der nicht mehr an die Existenz Gottes glaubt bzw. diese bestreitet, im heutigen Sinne also ein Atheist. Faiersteins Argument könnte dennoch etwas für sich haben, denn in der Tat konnte Israel bar Avraham unter dem Auge der Zensur und der fürstlichen Behörden, die ihn als abtrünnigen Kleriker und Proselyten für einen „besonders boshaften Lästerer Jesu Christi“ hielten, schlechterdings gegen christliche Missionare und ihr Werk polemisieren. So behalf er sich vielleicht wirklich mit der Figur des kofer ba-ikar und vertraute auf die Entschlüsselungsfähigkeit seiner Leser.
Exkurs: Anverwandlungen eines Bildungsmediums Aufgrund seiner bereits erwähnten hybriden Form, seiner christlichen Anmutung und den daraus resultierenden Ambiguitäten stellte der Lekach Tov Avraham Jagels ein besonders interessantes Verwandlungsobjekt für christliche Hebraisten und für Konvertiten in der Frühen Neuzeit dar. In dem immer auch missionarische Elemente beinhaltenden „hebraistischen Diskurs“ (Amnon Raz-Krakotzkin) konnte man in ihm offensichtlich genauso gut ein Instrument zur Verstärkung der Konversionsmotivation sehen, wie eben auch ein entschiedenes Argument dagegen, wie es in der jiddischen Vorrede Israel bar Avrahams zum Ausdruck kam, wenn man sie denn mit Faierstein als antimissionarisch auslegen möchte. In dieser Hinsicht von besonderem Interesse sind die Vorworte zu den beiden Übersetzungen des Lekach Tov aus der Feder jüdischer Konvertiten zum Christentum, die 1694 und 1756 erschienen, und die – neben einer zwischen den Zeilen zu lesenden Selbstvergewisserung und nachträglichen Bestärkung des eigenen Glaubenswechsels – Auskunft über die Ziele der jeweiligen Edition geben. Die erste Übersetzung von Avraham Jagels Schrift ins Deutsche stammte von Friedrich Wilhelm Bock, einem jüdischen Konvertiten, der 1688 zum Protestantismus übergetreten war und anschließend Hebräisch an der Universität in
Vgl. Faierstein, Leqah Tov, S. 326.
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Frankfurt an der Oder unterrichtete.⁴¹ Seine Übersetzung des Lekach Tov, die 1694 zusammen mit dem hebräischen Originaltext in Leipzig erschien, richtete sich vorrangig an Studenten der Theologie. Bock ging es dabei, wie aus der Vorrede zu seinem Buch hervorgeht, nicht nur um die Vermittlung der hebräischen Sprache, sondern auch von grundlegendem Wissen über das traditionelle Judentum: Und was möchte wol Studirenden nützlicher sein von solcher Art Schriften zu lesen, als einen kurzen Begriff oder Catechismum der gantzen jüdischen Lehre, soweit solche auf dem heiligen Gesetz unsers Gottes erbauet, doch aber von der Gerechtigkeit des Glaubens an Christum noch entfernet, und also an einem Theil viel an sich selbst Gutes und Herrliches in sich hält, am andern Theil aber mangelhaft und christlichen Mitleydens und Erbarmens würdig ist, wie denn solches in diesem Büchlein für andern zu erkennen.⁴²
Bock stellte also das Ähnliche zwischen christlicher und jüdischer Religion in den Vordergrund, bat seine Leser aber gleichzeitig um Verständnis für das Trennende, „Mangelhafte“ der jüdischen Religion und um Empathie für die „noch“ irrenden, vom christlichen Glauben entfernten Juden. Den „nützlichen Lehren“, die in dem vorgelegten Büchlein enthalten seien, fehle hingegen nichts, „als daß sie nicht auf die Erkäntniß JESU Christi gegründet sind“, und ihre Kenntnis könne viel Nutzen stiften, wenn sie auf einen Rezipienten träfen, „welcher Christum schon zum Grunde in seinem Herzen geleget, und nach dessen heylsamen Worten alles zu prüffen weiß“.⁴³ Der Text ist hier zweideutig und nicht leicht zu entschlüsseln. Faierstein meint hierin einen missionarischen Impetus zu erkennen: Die Theologiestudenten sollten, wenn sie auf entsprechend geneigte Juden träfen, ihre Kenntnis des jüdischen Katechismus zur Grundlage nehmen, um jene in einem Missionsgespräch vollends vom Christentum zu überzeugen.⁴⁴ Man könnte in dem von Bock angesprochenen, die christliche Lehre bereits verinnerlicht habenden („zum Grunde in seinem Herzen geleget“) Personenkreis aber ebenso gut auch die Theologiestudenten erkennen, für die das Buch primär gedacht war. Dass die Kenntnis jüdischer Glaubensprinzipien für die künftigen Theologen auch von Nutzen für einen möglichen Religionsdisput mit missionarischem Ziel sein konnte, steht außer Frage.
Vgl. Faierstein, Leqah Tov, S. 329 f. Bock, Friedrich Wilhelm: Sefer Lekach Tov – Oder das Buch von guten jüdischen Lehren, welches hiebevor von dem berühmten R. Abraham b. Chenanja Jaghel […] als ein kurtzer Unterricht in der Jüdischen Lehre in Rabbinischer Sprache beschrieben und A.C. 1595 zu Venedig […] heraus gegeben worden. Leipzig 1694. Fol. 5v– 6v. Bock, Sefer Lekach Tov, fol. 5v. Vgl. Faierstein, Leqah Tov, S. 329.
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Etwas eindeutiger äußerte sich Carl Anton (geb. 1722) in der Vorrede zu seiner 1756 in Braunschweig gedruckten deutschen Ausgabe des Lekach Tov. ⁴⁵ Anton war als Moses Gerson Levi geboren worden. Er hatte eine solide Talmudausbildung in der Prager Jeschiwa von Jonathan Eybeschütz erhalten und anschließend mehrere Jahre im Heiligen Land gelebt. 1748 ließ er sich in Wolfenbüttel evangelisch taufen, studierte anschließend Theologie und wirkte danach als Lektor für die „rabbinische Sprache“, später als ordentlicher Professor an der Universität Helmstedt. In der Emden-Eybeschütz-Kontroverse, dem sogenannten „Hamburger Amulettenstreit“ von 1750 bis 1753, ergriff Carl Anton mit einer Verteidigungsschrift die Partei seines früheren Lehrers, woraufhin er selbst eines klandestinen Sabbatianismus bezichtigt wurde. Später soll er angeblich zum Judentum zurückgekehrt sein.⁴⁶ In der Vorrede zu seiner deutschen Übersetzung des Lekach Tov verwies Anton auf die geringe Verbreitung des Werkes unter den Juden trotz des Umstandes, dass das Buch in mehreren jiddischen Übersetzungen vorliege. Er bezichtigte die Rabbiner, dass sie ihren Gemeinden das Werk bewusst vorenthielten und „mit Vorsatz, den meisten Hauffen ihrer Brüder in der äussersten Unwissenheit erhalten wollen“. Ein Versöhnungs- und Vermittlungsaspekt klang an, wenn Anton behauptete, die Christen würden viel besser von den Juden denken, wenn diesen die klaren religiösen und moralischen Prinzipien des eigenen Glaubens, wie sie im Lekach Tov niedergelegt waren, vertraut wären. Jedoch sollten jene nicht weiter „in ihrer Dummheit in Ansehung der Religion“ einhergehen, welche sie „von der weitern Erkänntniß“ abhalte; daher sei es überaus sinnvoll, wenn „ein jeder Jude dieses Buch auswendig lernete“.⁴⁷ Da ihm auch bekannt sei, „daß verschiedene Juden meine Schriften lesen“ habe er den Text mit eigens für diese Leser gedachten Anmerkungen versehen, um sie davon zu überzeugen, „daß wir Christen nicht eine barbarische Philosophie, die uns auf alle Irrwege verleitet, wie die meisten Gelehrten unter ihnen von uns glauben, lehren“.⁴⁸ Carl Antons deutsche Ausgabe zielte somit auf ein doppeltes Lesepublikum: Neben christlichen Lesern, die er – ähnlich wie Israel bar Avraham und George Friedrich Klesser mit der Gründliche[n] Verfassung der Jüdischen Lehre von
Anton, Carl: Rabbi Abraham Jagels Lekach Tov [,] gute Lehre oder Philosophisch- und Theologisches Gespräch eines Rabbi mit einem Schüler, in welchem die Hauptglaubens- und Sittenlehren der Juden in der Kürze zusammen gefaßt sind. Braunschweig 1756. Doktór, Jan: Karl Anton. Die kurze, aber stürmische akademische Karriere eines Schülers des Jonathan Eibeschütz. In: Von Enoch bis Kafka. Festschrift für Karl E. Grözinger zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Manfred Voigt. Wiesbaden 2002. S. 145 – 158. Anton, Rabbi Abraham Jagel, Vorrede § 8, o. P. (fol. 7v–8r). Anton, Rabbi Abraham Jagel, Vorrede § 14, o. P., (fol. 10v).
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1720/1722 – davon überzeugen wollte, dass auch die jüdische Religion auf geordneten Glaubensprinzipien und moralischen Richtlinien aufbaute, hatte er auch ein jüdisches Lesepublikum vor Augen, das offensichtlich die deutsche Sprache mit deutschen Lettern zu lesen vermochte. Seine für diesen Leserkreis verfassten Kommentare, die die Ähnlichkeit christlicher Doktrinen zu den im Lekach Tov dargelegten Glaubensprinzipien betonten, sollten die Juden vermutlich „der weitern Erkänntniß“ öffnen, also dem Christentum annähern. Im innerjüdischen Diskurs selbst spielte Avraham Jagels Lekach Tov zum Ende des 18. Jahrhunderts als religionspädagogisches Brevier nur noch eine untergeordnete Rolle. Vor dem Hintergrund einer an zeitgenössischen Erziehungstheorien orientierten Haskala-Pädagogik und dem allmählichen Aufkommen einer neuen Gattung speziell für den Unterricht konzipierter jüdischer Bildungsmedien geriet die Schrift aus dem 16. Jahrhundert allmählich ins Hintertreffen und wurde im deutschsprachigen Raum weder im Original noch in der Übersetzung neu aufgelegt.⁴⁹ Doch gab es immerhin einen bemerkenswerten, letztlich aber erfolglosen Versuch dazu: Im zweiten Band des Ha-Meʼassef erschien 1784/85 die Ankündigung einer neuen zweisprachigen Ausgabe des Lekach Tov durch Moses ben Uri Feivelman samt einer Übersetzungsprobe. Der Text enthält das frühmaskilische Motiv vom Niedergang der Lehrweise und der daraus resultierenden Ignoranz, ähnlich der Kritik, die Israel bar Avraham in seiner jiddischen Vorrede zum Lekach Tov 65 Jahre zuvor geäußert hatte. Interessant ist, dass auch hier noch die Gefahr evoziert wurde, in einem Gespräch mit Christen über beide Religionen aus Unkenntnis vom Glauben abzukommen oder doch zum Mindesten beschämt zu werden: Mein Herz erzitterte darüber, dass wir zur Schande geworden sind für die uns Umgebenden, dass es kaum noch eines unter den Kindern der Hebräer gibt, das in der Lage ist zu antworten, wenn sie fragen: „Was ist euer Glaube und Gottesdienst? Und worauf beruht das Prinzip eures Glaubens, die Pflicht des Herzens zwischen Mensch und Schöpfer und zwischen dem Menschen und seinem Nächsten?“⁵⁰
Im ostmitteleuropäischen Raum erschienen jedoch noch bis in das 20. Jahrhundert hinein Ausgaben des Lekach Tov, die letzte in Wilna im Jahr 1929. Vgl. Faierstein, Leqah Tov, S. 346 – 349. Feivelman, Moses ben Uri: Besorat Sefarim Chadaschim. Moda‘a mi-Ha‘atakat Sefer Lekach Tov bi-Laschon Aschkenasi (Ankündigung neuer Bücher. Anzeige über den Druck des Buches Lekach Tov in deutscher Sprache). In: Ha-Meʼassef 2 (1784/85), S. 28−32, hier S. 28 (Übersetzung D. S.).
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Genuin maskilisch war hier natürlich der Hinweis auf die moralischen Aspekte der Religion, die „Pflicht des Herzens“.⁵¹ Die Kenntnis von Maimonides’ Dreizehn Prinzipien allein reiche nicht aus, da in ihnen „nicht die Liebe und Ehrfurcht gegenüber dem Schöpfer und die Pflichten gegenüber den Mitmenschen“ erwähnt seien. Das Universalmittel, um den Glauben entlang klarer Prinzipien zu bestärken, die ethisch-moralischen Implikationen der Religion zu verinnerlichen und sie gegenüber Christen erklären und verteidigen zu können, sah Feivelman in einer Wiederauflage und neuen Übersetzung des Lekach Tov Avraham Jagels. Eine rein hebräische Ausgabe sei wenig hilfreich, denn dass das Buch im Unterricht bisher kaum behandelt worden sei, rühre daher, dass manche Schüler die Sprache nicht verstehen, die der Rav [= Jagel] verwendet hat; und die anderen, die sie verstehen, können sich nicht in klarer deutscher Sprache äußern, um den Sinn der Worte in der Gänze zu erfassen, und in der Tat ist es für denjenigen nicht leicht, von einer Sprache in die andere zu übersetzen, der nicht beide Sprachen gänzlich beherrscht.⁵²
Hierin klang die Kritik der Maskilim am Sprachverhalten der aschkenasischen Juden und ihre Propagierung einer gleichrangigen Kenntnis des Hebräischen und des Deutschen an, das mindestens seit Mendelssohns Pentateuch-Übersetzung gebräuchliche Postulat, beide Sprachen zur Genüge kennen zu müssen, um klare Begriffe der Religion zu haben und sich darüber verständlich ausdrücken zu können. Es sollte deutlich geworden sein, dass Avraham Jagels Werk von 1595, das in erster Linie als Bildungsmedium im Kontext jüdischer Knabenerziehung gedacht gewesen war, im Laufe seiner Editionskarriere mit einer Fülle von Zuschreibungen, Zwecken und Erwartungen besetzt wurde, die je nach Religion und Biografie der jeweiligen Herausgeber variieren konnten. Im innerjüdischen Gebrauch traten neben den rein pädagogischen Zweck vor allem transformative Funktionen. Im Kontext der frühen Haskala, für die der Buchdrucker Israel bar Avraham als Mittler und Akteur stehen mag, wurde dem Lekach Tov eine Korrekturfunktion zugedacht: Die klar strukturierten Glaubensprinzipien und leicht verständlichen Erläuterungen sollten als Korrektiv gegen die Dominanz des Pilpul stehen. Sie sollten zugleich den Glauben stärken, denn das Nichtwissen um die Grundlagen der eigenen Religion wurde als gefährlich für den weiteren Bestand des Glaubens angesehen, sei es, dass diese Gefahr von christlichen Missionaren ausging, sei es, Neben den Dreizehn Prinzipien des Maimonides erwähnte Feivelman in seiner Ankündigung auch explizit Bachja Ibn Pakudas Chovot ha-Levavot. Feivelman, Besorat Sefarim Chadaschim, S. 28. Feivelman, Besorat Sefarim Chadaschim, S. 28 f. (Übersetzung D. S.).
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dass als Endeffekt der Ignoranz der Atheismus drohte. Die spätere „Berliner“ Haskala schrieb dem Werk darüber hinaus weitere reformerische Funktionen zu. Es sollte der Läuterung der religiösen Anschauungen der Juden, der Vermittlung moralischer Werte und der Verbreitung klarer Begriffe durch den Gebrauch einer „reinen“ Sprache – im Idealfall Hebräisch und Deutsch – dienen. Dies konnte auch gegenüber Nichtjuden von Vorteil sein. In letzterem deutet sich bereits eine weitere Zuschreibung an das Medium neben seiner transformativen Funktion im Sinne eines Instruments der Erziehung und Verbesserung der jüdischen Gemeinschaft an: Es fungierte gleichzeitig als Mittel der Kommunikation im Kontext des jüdisch-christlichen Religionsgesprächs. Dem zum Judentum konvertierten frühmaskilischen Drucker aus Jeßnitz war, indem er das Büchlein auf Hebräisch und Jiddisch einem breiten Leserkreis zur Verfügung stellte, vermutlich auch an einem Standhalten im Missionsgespräch gelegen, auch wenn er dies nicht offen ausdrücken konnte. Für den Autor der Ankündigung im Ha-Meʼassef ging es um die Zurückerlangung der Hoheit über die Auslegung der eigenen Religion im Disput mit den Nichtjuden, um die „Wiederherstellung der jüdischen Ehre“ (Shmuel Feiner) gegenüber den von christlicher Seite kommenden Anwürfen der Ignoranz und des Wissensverlusts bei den Juden. Paradoxerweise ging es den christlichen Hebraisten mit ihren lateinisch-hebräischen Ausgaben genau um das Gegenteil: Die Kenntnis der im Nervosum Judaicae Doctrinae Compendium katechetisch geordneten Glaubensprinzipien sollte Theologiestudenten und Geistlichen das Missionsgespräch mit Juden und die seelsorgerische Begleitung von Konvertiten erleichtern. Auf eine Vermittlungsfunktion setzten diejenigen Herausgeber, die vom Judentum zum christlichen Glauben konvertiert waren: Die christlichen Leser sollten mittels der deutschen Übersetzung ihre Kenntnis der jüdischen Religion vertiefen und deren Nähe zum Christentum bei all ihrer „Mangelhaftigkeit“ erkennen. Vermittlung von Empathie – Mitleid und Barmherzigkeit gegenüber den Juden, da diese zwar über reine Glaubenslehren zu verfügen schienen, den endgültigen Schritt zur Erkenntnis Christi aber nicht zu gehen vermochten – klang bei Friedrich Wilhelm Bock als Motiv an. Am Ende stand aber auch hier das missionarische Bemühen im Vordergrund: Während Bock den „Umweg“ über eine entsprechende Wissensvermittlung an Theologiestudenten ging, richtete sich Carl Anton etliche Jahrzehnte später mit seiner Edition des Lekach Tov selbst an die des Deutschen kundigen Juden unter seiner Leserschaft. Mit seinen Kommentaren zu Jagels Darlegungen wollte er ihnen zeigen, dass das Christentum doch nicht ganz so weit von ihren eigenen Glaubenslehren entfernt sei, und dass es nur eines kleinen mentalen Schrittes bedurfte, um auch diese Distanz zurückzulegen.
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Epilog: Die Haskala als pädagogischer Zufallserfolg eines frühmaskilischen Druckers Trotz der beiden hier behandelten Werke mit eindeutig pädagogischem Charakter und trotz der Bedeutung, die er der Verbreitung des Wissens der frühen Haskala beimaß, war Israel bar Avraham kein Drucker jüdischer Schulbücher. Didaktisch angelegte Bücher zum systematischen Lernen für jüdische Kinder blieben, wie eingangs dargelegt, im Aschkenas der frühen Neuzeit eine Ausnahme. Sie verbreiteten sich – neben anderen ausschließlich für die Bildung von Kindern und Jugendlichen bestimmten Medien wie etwa Kinderbibeln – erst mit der jüdischen Aufklärung und waren eng mit der Institutionalisierung eines modernen jüdischen Unterrichts und der Gründung jüdischer Reformschulen verbunden.⁵³ Und doch war Israel bar Avraham ein ungeheurer pädagogischer Erfolg beschieden, wenn auch nicht mit den beiden für das Erlernen eines hebräischen Alltagswortschatzes beziehungsweise für das Studium der „Wurzeln und Prinzipien der Tora und des Glaubens“ gedachten Büchern aus seiner Presse. Es waren zwei andere Werke aus der Jeßnitzer Druckerei, die in dieser Hinsicht zumindest in zwei Fällen eine geradezu frappante Wirkung entfalteten, wenn sie auch nicht für Kinder oder Jugendliche gedacht waren. Der in ihnen enthaltene Stoff wurde nicht im Unterricht behandelt oder durch wohlmeinende Eltern vermittelt, sondern von den beiden Knaben, von denen hier die Rede sein soll, allein und in klandestiner Lektüre durchgearbeitet. Der erste war gerade dreizehn Jahre alt, als ihm in Dessau um das Jahr 1742 herum der More Nevuchim des Maimonides in die Hände fiel – wahrscheinlich eines der im nahen Jeßnitz gedruckten Exemplare. Dies hätte nach den Maßgaben einer strengen Kindererziehung nicht geschehen dürfen, denn die jüdische Tradition ließ die Lektüre des Führers der Unschlüssigen – ähnlich dem Studium kabbalistischer Schriften – erst ab einem gereiften Erwachsenenalter zu. Die Lektüre war für den jungen Moses, Sohn des Toraschreibers und Schulmeisters Menachem, genannt Mendel, ein Augenöffner und so faszinierend wie anscheinend auch gesundheitsschädlich. Moses Mendels-
Vgl. Lohmann, Uta: „Sustenance for the Learned Soul“. The History of the Oriental Printing Press at the Publishing House of the Jewish Free School in Berlin. In: Leo Baeck Institute Year Book 51 (2006). S. 11– 40; Hecht, Louise: Jüdische Schulen und Schulbücher in Böhmen. In: Kommunikation und Information im 18. Jahrhundert. Das Beispiel der Habsburger Monarchie. Hrsg. von Johannes Frimmel und Michael Wögerbauer. Wien 2009. S. 243 – 258; Salzer, Dorothea M.: Zweisprachige jüdische Kinderbibeln oder: Wie die Maskilim die Hebräische Bibel für jüdische Kinder übersetzten. In: trans-lation – trans-nation – trans-formation. Übersetzen und jüdische Kulturen. Hrsg. von Petra Ernst [u. a.]. Innsbruck 2012. S. 65−104.
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sohns erster Biograf Isaak Abraham Euchel beschrieb, gestützt auf Gespräche mit dem Philosophen, die Situation später wie folgt: Und Moses sah, dass [das Werk] gut sei zur Belehrung und seine Untersuchungen angenehm. So bemühte er sich mit seiner ganzen Energie, es zu lesen und zu studieren, Tag und Nacht, bis er die Tiefe seiner Gedanken erfasst hatte. […] Da er Tag und Nacht über die Weisheit nachdachte und sich mit seinen Gedanken in sie vertiefte, um zur endgültigen Absicht des Führers [der Unschlüssigen] zu gelangen, schadete er seinem Körper, und er erkrankte; seine Erscheinung wurde entstellt, und er magerte bis auf den Tod ab. In seinem Freundeskreis äußerte er manchmal zum Spaß: „Maimonides war der Grund zur Entstellung meiner Erscheinung. Er verdarb meinen Leib, und seinetwegen wurde ich schwächlich. Trotz alledem brachte ich ihm große Liebe entgegen, denn er verwandelte viele Stunden meines Lebens vom Leid zur Freude; und wenn er mir auch unabsichtlich Böses antat, indem er meinen Körper schwächte, so machte er es siebenfach wieder gut, indem er durch seine erhabenen Lehren meine Seele heilte.“⁵⁴
Der intellektuellen Initiation des jungen Moses Mendelssohn, der diesem Bericht zufolge den Lektüre-Exzess mit seiner körperlichen Deformation bezahlte, folgte etwa zwanzig Jahre später ein ähnliches Erweckungserlebnis bei einem anderen, noch jüngeren Knaben. In seiner Lebensgeschichte berichtete Salomon Maimon (1753 – 1800), wie er im Bücherschrank seines Vaters, eines Rabbiners in PolenLitauen, ein Werk über Astronomie entdeckte und sich des Nachts heimlich in dessen Lektüre vertiefte: Man denke sich ein Kind von ungefähr sieben Jahren, das noch nie von den ersten Elementen der Mathematik etwas gesehn oder gehört hat, dem ein astronomisches Buch in den Wurf kommt und seine Aufmerksamkeit auf sich zieht, worüber ihm aber niemand Anweisung geben kann […]; wie muss dieses seinen nach Wissenschaften schmachtenden Geist nicht entflammt haben.⁵⁵
Der Verfasser berichtet weiter, wie er sich nach einer der astronomischen Zeichnungen des Buches ein Modell des Universums aus Weidenruten bastelte und wie er, von seinem Vater entdeckt und zur Rede gestellt, diesen von der Ernsthaftigkeit seines Studiums überzeugen konnte. Bei dem Buch, das der Knabe Schlomo ben Jehoschua – der sich später aus Verehrung für den mittelalterlichen Philosophen und sein Werk den Namen Maimon gab und zu einem der unorthodoxesten Ver-
Euchel, Isaak: Toledot Rabbenu he-Chacham Mosche ben Menachem [Geschichte unseres weisen Meisters Moses ben Menachem]. Berlin 1788. S. 7 f. (deutsche Übersetzung von Reuven Michael. In: Moses Mendelssohn. Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe. Hrsg. von Alexander Altmann [u. a.] Bd. 23. Stuttgart − Bad Cannstatt 1998. S. 113 f.). Maimon, Salomon: Geschichte des eigenen Lebens. Vollständige Neuausgabe. Hrsg. von KarlMaria Guth. Berlin 2014. S. 15 f.
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treter der jüdischen Aufklärung werden sollte – in nächtlicher Lektüre verschlang, handelte es sich um David Gansʼ Nechmad ve-Na’im, das Israel bar Avraham 1743 in Jeßnitz gedruckt hatte. Die hier geschilderten ungewöhnlichen Lektüreerlebnisse zweier Kinder markieren einen wichtigen Punkt beim Übergang von der frühen zur sogenannten Berliner Haskala. Es waren – wie so häufig bei intellektuellen Initiationen – zufällige Buchentdeckungen, die in den beiden zur Laufbahn des „Talmid chacham“ (wörtlich: Schüler eines Weisen, Toragelehrter) bestimmten, wissbegierigen und hochintelligenten jungen Juden den Samen eigenständigen, hergebrachte Bahnen verlassenden Denkens pflanzten. Die jüdische Aufklärung hat Jeßnitz und dem zum Judentum konvertierten Drucker Israel bar Avraham also auch in dieser Hinsicht viel zu verdanken, neben der immensen Rolle, die die Druckerei bei der Verbreitung neuen Wissens unter den Juden Mitteleuropas im Vorfeld der Haskala spielte.
Literatur Alshech, Moses: ספר מראות הצובאות. Jeßnitz 1720. Alshech, Moses: ספר רוממות אל. Jeßnitz 1721. [Anonym u. Israel bar Avraham]: חינוך קטן ומפתח לשון הקודש. Berlin 1725. Altmann, Alexander: Moses Mendelssohns Kindheit in Dessau. In: Bulletin des Leo Baeck Instituts 10 (1967). S. 237 – 275. Anonym: ספר חינוך קטן. Jeßnitz 1720. Anton, Carl: Rabbi Abraham Jagels Lekach Tov [,] gute Lehre oder Philosophisch- und Theologisches Gespräch eines Rabbi mit einem Schüler, in welchem die Hauptglaubensund Sittenlehren der Juden in der Kürze zusammen gefaßt sind. Braunschweig 1756. Assaf, David und Immanuel Etkes (Hrsg.): פרקי ספרות וזכרונות, תעודות, מחקרים.( החדרDer Cheder. Studien, Dokumente, literarische Zeugnisse und Erinnerungen). Jerusalem 2010. Bamberger, Simon: Wandsbeker Druckperiode des Israel ben Abraham, 1726 – 1733. In: Festschrift für Aron Freimann zum 60. Geburtstage. Hrsg. von Alexander Marx und Hermann Meyer. Berlin 1935. S. 101 – 108. Bock, Friedrich Wilhelm: Sefer Lekach Tov – Oder das Buch von guten jüdischen Lehren, welches hiebevor von dem berühmten R. Abraham b. Chenanja Jaghel […] als ein kurtzer Unterricht in der Jüdischen Lehre in Rabbinischer Sprache beschrieben und A.C. 1595 zu Venedig […] heraus gegeben worden. Leipzig 1694. Doktór, Jan: Karl Anton. Die kurze, aber stürmische akademische Karriere eines Schülers des Jonathan Eibeschütz. In: Von Enoch bis Kafka. Festschrift für Karl E. Grözinger zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Manfred Voigt. Wiesbaden 2002. S. 145 – 158. Eisenstein, Elizabeth: The Printing Revolution in Early Modern Europe. 2. Aufl. Cambridge − New York 2005. Euchel, Isaak: ( תולדות רבנו החכם משה בן מנחםGeschichte unseres weisen Meisters Moses ben Menachem [= Moses Mendelssohn]). Berlin 1788.
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Peter Beers Dekalogkommentar im Sefer Toledot Israel (1796) und seine christlichen Vorlagen Wie bereits in der Einleitung zu diesem Band erwähnt, weckten die neuen Bildungsentwürfe und Schulgründungen der Maskilim ein verstärktes Bedürfnis nach Schulbüchern, die das für das aufklärerische Projekt der jüdischen Erziehungsreform als wichtig empfundene Wissen zusammenfassten, komprimierten und strukturierten. Aus diesem Bedürfnis heraus entstanden für das Judentum neue Literaturgattungen für Kinder, wie zum Beispiel Elementar- und Lesebücher, Kinderbibeln, Religionslehren, später auch Katechismen und ähnliches. Viele dieser Bücher orientierten sich an Formen und Modellen von Wissensordnungen und ‐vermittlungen, wie sie in der christlichen Pädagogik schon einige Generationen früher etabliert waren. Eine zentrale Fragestellung für die Erforschung der jüdischen Lehrbuchliteratur ist daher diejenige des Einflusses der deutschsprachigen und christlichen Pädagogik sowie deren Kinder- und Jugendliteratur auf die neu entstandenen jüdischen Werke. Meist aber verbleibt die Forschung im theoretischen Feststellen eines solchen Einflusses auf der Makroebene; selten wird diese These anhand von Beispielen unterlegt und dargestellt, wie dieser Einfluss sich konkret auf der Mikroebene von einzelnen Werken niederschlug. Der vorliegende Beitrag zielt demgegenüber auf eine solche Fallstudie ab und nimmt dabei Peretz (später Peter) Beers (ca. 1758−1838) Erstlingswerk Sefer Toledot Israel („Geschichte Israels“, Prag 1796) in den Blick, um an diesem Beispiel zu analysieren, wie sich der Einfluss christlicher Diskurse und Darstellungsformen auf die Genese jüdischer religiöser Lehrbücher und die Interpretation und Vermittlung religiösen Wissens unter bestimmten historischen Gegebenheiten und Konstellationen konkret auswirken konnte. Dabei wird deutlich, wie sehr Peter Beer einerseits von allgemeinen Diskursen über Erziehung geprägt war, und dass er andererseits bei der Erstellung seines Werkes durchaus wiederholt auf christliche Vorlagentexte unmittelbar zurückgriff. Anschließend an den Nachweis solcher textlichen Parallelen wird im Folgenden einerseits die hinter der Auswahl von Vorlagentexten stehende Motivation in den Blick genommen, und andererseits die Art und Weise der Bearbeitung im Zieltext. Methodisch liegen dabei Überlegungen zu Kultur als Konstituens von Transfer- und Übersetzungsprozessen zugrunde, wie sie in der Kulturtransferforschung bzw. der kulturhistorischen Übersetzungsforschung vertreten werden, die Übersetzungsprozesse als dynahttps://doi.org/10.1515/9783110743050-007
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mische „soziale Praxis“ verstehen.¹ Auf literarische Texte bezogen bedeutet dies, dass der Transfer von Textbausteinen von einem Kontext in den anderen darauf ausgerichtet ist, die Multidimensionalität von Bedeutungen freizulegen. Demzufolge sind also auch die Einflüsse von und die wörtlichen Übernahmen aus christlichen Lehrbüchern in jüdischen Religionslehrbüchern keineswegs als eine „Christianisierung“ jüdischen religiösen Wissens zu betrachten, sondern vielmehr als ein Ausdruck für eigenständige Entwicklungen und Selbstverständigungsprozesse, die sich unter anderem in der Teilhabe an transreligiösen Austauschprozessen und Diskursen speisen und konstituieren.
1 Peter Beers Sefer Toledot Israel Peter Beers Kinderbibel Sefer Toledot Israel ist eines der ersten Lehrbücher zur religiösen Unterweisung für jüdische Kinder und begründet zugleich die Gattung der Jüdischen Kinderbibel, also Textsammlungen, die für ein kindliches Lesepublikum aufbereitete Erzählungen aus der Hebräischen Bibel beinhalten und die sich gerade im 19. Jahrhundert großer Popularität und Verbreitung erfreuten. Die Herausbildung der Gattung steht in einem engen Zusammenhang mit dem verstärkten Interesse, das die Maskilim der Hebräischen Bibel entgegenbrachten, da sie sie als Dreh- und Angelpunkt einer zeitgemäßen jüdischen Religion ansahen, und die sie daher stärker in das jüdische Curriculum einbinden wollten. Dem Verständnis der Maskilim zufolge diente der biblische Text einerseits dazu, religiöses Grundwissen zu vermitteln, dieses Grundwissen andererseits aber auch im Sinne eines moralisch-pragmatischen Religionsverständnisses an die aufklärerische Diskussion anzupassen.²
Zur Definition der kulturellen Übersetzung als soziale Praxis siehe Bachmann-Medick, Doris: Kulturanthropologie und Übersetzung. In: Übersetzung − Translation − Traduction. 1. Teilband. Hrsg. von Harald Kittel [u. a.]. Berlin – Boston 2004. S. 155 – 165, hier S. 155. Zur Kulturtransferforschung im Kontext erziehungsgeschichtlicher Forschung siehe z. B. Mayer, Christine: Zirkulation und Austausch pädagogischen Wissens: Ansätze zur Erforschung kultureller Transfers um 1800. In: Zirkulation und Transformation. Pädagogische Grenzüberschreitungen in historischer Perspektive. Hrsg. von Marcelo Caruso [u. a.]. Köln 2013. S. 29−49. Hierzu siehe Salzer, Dorothea M.: Kinderbibeln als Mittel jüdischer Bibelauslegung. In: Deutsch-Jüdische Bibelwissenschaft. Historische, exegetische und theologische Perspektiven. Hrsg. von Daniel Vorpahl [u. a.]. Berlin – Boston 2019. S. 113−135. Zur Rolle der Hebräischen Bibel bei den Maskilim siehe z. B. Breuer, Edward: The Limits of Enlightenment. Jews, Germans, and the Eighteenth-Century Study of Scripture. Cambridge 1996; Lohmann, Uta: Wissensspeicher, Lehrbuch, Erkenntnisquelle. Zur Rolle der Hebräischen Bibel im Bildungskonzept der Berliner Haskala. In: Deutsch-jüdische Bibelwissenschaft, S. 77−91.
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Peter Beer war nach verschiedenen Stationen der Ausbildung und Berufstätigkeit, die unter anderem eine traditionelle jüdische Ausbildung in angesehenen Jeschiwot in Prag und Bratislava und einen Besuch der zur Ausbildung der Lehrer für das einheitliche Normalschulsystem der Monarchie dienenden Wiener Hauptmusterschule St. Anna umfassten, ab 1785 Lehrer an der Trivialschule in seinem Geburtsort Neubidschow (Nový Bydžov) in Böhmen.³ Das 1796 erschienene zweisprachige Sefer Toledot Israel, das hebräische Paraphrasen biblischer Erzählungen, deren deutsche Übersetzung und einen deutschen Kommentar enthält, wobei die deutschen Texte in hebräischen Lettern gedruckt wurden, war sein Erstlingswerk. Bereits im Titel verkündet der Autor, die Erzählungen mit „moralischen Anmerkungen und Schlussfolgerungen“⁴ versehen zu haben, und hebt damit die moralische Anwendbarkeit der darin enthaltenen Lehren als deutliche Prämisse seiner Bearbeitung hervor – eine Prämisse, mit der er den zeitgenössischen Diskussionen um Religion deutlich entgegenkam.⁵ Dem Vorwort zufolge ist das Werk für drei- bis fünfjährige Kinder konzipiert, die anhand des Sefer Toledot Israel eine erste Bekanntschaft mit Inhalt und Sprache der Bibel machen und gleichzeitig die Grundlagen der deutschen und hebräischen Sprache erlernen sollten,⁶ bevor sie im Cheder die traditionelle Ausbildung absolvierten. Wie Louise Hecht darstellt, erhoffte sich Beer darüber hinaus aber auch, das Buch als Lehrbuch im streng geregelten österreichischen Schulsystem⁷ zu etablieren, was ihm allerdings nicht gelang.⁸ Diese Absicht allerdings hatte durchaus prägenden Einfluss auf seine Gestaltung des Buches, wie im Folgenden dargestellt wird. Am konkretesten fassbar ist der Einfluss nichtjüdischer Religionslehren und Diskurse in Beers ausführlichen Kommentar zum Dekalog. Vor dessen Detailanalyse wird im Folgenden zunächst die Rolle der Zehn Gebote in der jüdischen Erziehung umrissen.
Zu Leben und Werk Peter Beers siehe Hecht, Louise: Ein jüdischer Aufklärer in Böhmen. Der Pädagoge und Reformer Peter Beer (1758−1838). Köln 2008. . – רמזי מדות טובות ומוסר השכלSiehe vollständige Titelangabe in der Bibliografie des Beitrags. Hierzu siehe den Beitrag von Walter Sparn im vorliegenden Band. Beer, Sefer Toledot Israel, unpaginierte Einleitung, S. [IV]. Zu einer deutschen Übersetzung des Vorwortes siehe die Übersetzung Reiner Wenzels in: „Lerne Vernunft!“. Jüdische Erziehungsprogramme zwischen Tradition und Modernisierung. Quellentexte aus der Zeit der Haskala, 1760−1811. Hrsg.von Uta Lohmann und Ingrid Lohmann. Münster – New York – München – Berlin 2005. S. 455−460. Hier S. 459. Hierzu siehe auch den Beitrag von Karen Lambrecht im vorliegenden Band. Hecht, Ein jüdischer Aufklärer, S. 146 f.; S. 152.
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2 Der Dekalog in der jüdischen Erziehung Innerhalb jüdischer Tradition und Religionsgeschichte wurde und wird den Zehn Geboten (hebr. aseret ha-dibbrot, dt. die zehn Aussprüche) auf unterschiedlichen Ebenen besondere Bedeutung zugesprochen. So sind die Gesetzestafeln beispielsweise als beliebter und stark symbolbehafteter Synagogenschmuck materialiter präsent, zum anderen fanden sie ihren Niederschlag auf verschiedene Weisen auch in der jüdischen Liturgie. Im spätantiken palästinischen Ritus sowie in Ägypten bis in das 13. Jahrhundert hinein wurde der Dekalog vor dem Schema Israel am Morgen gebetet,⁹ zudem enthielten die Tefillin und Mesusot bis in das 4. Jahrhundert mitunter auch den Text der Zehn Gebote.¹⁰ Zu Schavuot wiederum, dem Fest zum erneuerten Empfang des Dekalogs am Sinai, wird der Text der Zehn Gebote bei der Toralesung in der Synagoge mit einer besonderen Melodie gelesen, und traditionell wird an diesem Feiertag der mittelalterliche Midrasch Aseret haDibbrot gelesen, der eine Sammlung nach dem Dekalog angeordneter aggadischer Erzählungen beinhaltet. Trotz dieser Bräuche und obwohl auch textliche Traditionen in der jüdischen Religionsgeschichte bezeugen, dass der Dekalog mitunter als Essenz der mosaischen Lehre und Inbegriff der Tora verstanden wurde,¹¹ war der Dekalog bis zur Haskala kein Text, dem in der Wissensordnung oder in der religiösen Erziehung eine besondere Rolle zugedacht war. Erst im Zuge der maskilischen Reformbestrebungen entwickelten sich die Zehn Gebote zu einem zentralen Text der jüdischen Religionspädagogik, der in kaum einem Buch zur religiösen Erziehung fehlen durfte. Den Anfang machte der Berliner Maskil David Friedländer (1750−1834), Mitbegründer der „Jüdischen Freyschule“ in Berlin.¹² Dieser platzierte in seinem Zur Verwendung des Dekalogs in der Rezitation des Schemas durch die Priester im Tempel siehe etwa mTam 5,1. Zur Verwendung des Dekalogs in der jüdischen Liturgie vgl.: Urbach, Ephraim E.: The Role of the Ten Commandments in Jewish Worship. In: The Ten Commandments in History and Tradition. Hrsg. von Ben Tsyion Segal und Gershon Levi. Jerusalem 1990. S. 161– 189. Zum Gebrauch und zur Interpretation des Dekalogs v. a. im antiken Judentum siehe: Greenberg, Moshe: The Decalogue Tradition Critically Examined. In: The Ten Commandments in History and Tradition, S. 83 – 119, hier S. 118 f; Albeck, Shalom: The Ten Commandments and the Essence of Religious Faith. In: The Ten Commandments in History and Tradition, S. 261– 289; Stemberger, Günter: Der Dekalog im frühen Judentum. In: Judaica Minora. Teil I: Biblische Traditionen im Rabbinischen Judentum. Hrsg. von Günter Stemberger 2010. S. 145−158. Vgl. z. B. Philo von Alexandriens Text „de decalogo“. Zu David Friedländer siehe Lohmann, Uta: David Friedländer. Reformpolitik im Zeichen von Aufklärung und Emanzipation. Kontexte des preußischen Judenedikts vom 11. März 1812. Hannover 2013, sowie den Beitrag der Autorin im vorliegenden Band.
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1779 erschienenen Lesebuch für jüdische Kinder den Dekalog an einer im Aufriss einer Fibel zentralen Stelle – nämlich dort, wo in christlichen Lesebüchern das Vaterunser steht – und präsentierte dadurch die Zehn Gebote gleichsam als Kern und Essenz des Judentums.¹³ Darüber hinaus hob Friedländer auch in seiner wenige Jahre vor dem Erscheinen von Beers Sefer Toledot Israel publizierten Abhandlung, ueber den besten Gebrauch der heiligen Schrift (1788) den Dekalog als eine der wichtigsten biblischen Stellen für ein zu verfassendes jüdisches biblisches Lehrbuch hervor. Seine Argumentation folgt dabei dem traditionellen Verständnis der Zehn Gebote als des Bundesschlusses zwischen Gott und dem Volk Israel am Sinai:¹⁴ [B]esonders aber würde ich die große merkwürdige und feyerliche Gesetzgebung auf dem Berge Sinai herausheben, wo sich das ewige Wesen als Erretter, Oberhaupt und König dieses Volkes ankündiget, und ihm die Gesetze offenbartem nach welchen es in dem einzugehenden Lande leben und glücklich seyn soll. Dieses ist die wichtigste Epoche, welche die Nation erlebt hat, der Zeitpunkt, wo ein Volk von Sklaven zu einer eigenen, für sich bestehenden Nation gebildet worden ist.
Während David Friedländer hier mit der Geschichte der jüdischen Nation argumentierte, nahm Peter Beer in seiner 1802 erschienenen theoretischen Abhandlung Kos Jeschu‘ot oder Kelch des Heils die ethisch-religiöse Dimension des Dekalogs im Hinsicht auf ein zu verfassendes jüdische Religionslehrbuch in den Blick:¹⁵ Dieses Werk müsste ferner die Hauptpflichten gegen Gott, gegen den Nebenmenschen und gegen sich selbst enthalten; welches […] am füglichsten mittelst Analysirung und deutlicher Auseinandersetzung des Dekalogs (Zehngebote; welche, wie es scheint, aus dem Grunde von
Friedländer, David: Lesebuch für jüdische Kinder. Zum Besten der jüdischen Freyschule. Berlin 1779, S. 13 – 15. Zu Friedländers Lesebuch siehe: Shavit, Zohar: David Friedländers „Lesebuch für jüdische Kinder“. Ein Versuch, eine verdeutschte jüdische Kultur zu erschaffen. In: Deutsch-jüdische Kinder- und Jugendliteratur. Ein literaturgeschichtlicher Grundriß. Hrsg. von Annegret Völpel und Zohar Shavit. Stuttgart 2002. S. 24– 40; zum Vaterunser ebd., S. 31. Friedländer, David: Der Prediger. Aus dem Hebräischen von David Friedländer; nebst einer vorangeschickten Abhandlung, Ueber den besten Gebrauch der h. Schrift in pädagogischer Rücksicht. Berlin 1788. S. 59. Die Vorstellung des Dekalogs als Siegel des Bundesschlusses ist bereits biblisch, siehe z. B. Ex 34,27 f.; Deut 4,13; zu dieser Vorstellung in der rabbinischen Literatur siehe z. B. Mekhilta de Rabbi Ishmael, ba-Chodesch V (Lauterbach, Jacob Z.: Mekilta deRabbi Ishmael. A Critical Edition on the Basis of the Manuscripts and Early Editions with an English Translation, Introduction and Notes. Bd. 2. Philadelphia 1933. S. 229 f.). Peter Beer: Kos Jeschu‘ot oder Kelch des Heils, gefüllt aus der Quelle der Wahrheit, und mit dem wärmsten Brudergefühle dargereicht den Kindern Israels in den k. k. Staaten, besonders der Kolonie in Böhmen. Prag 1802. S. 265 f.
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dem ewigen Wesen dem Volke unmittelbar kundgemacht wurden, weil sie das Wesentliche der Religion, und das auf alle Zeiten und alle Menschen Anwendbare enthalten, das Uibrige in der heiligen Schrift aber nur gleichsam Kommentar sey) geschehen könne.
Beer will hier also die Zehn Gebote als die Essenz einer universalen Religion verstanden wissen, die für alle und zu jeder Zeit gelte. Als solche sollen sie als Ausgangspunkt der Darstellung für „die Hauptpflichten gegen Gott, gegen den Nebenmenschen und gegen sich selbst“ dienen. Im selben Jahr wie Beers theoretische Abhandlung erschien auch eine der ersten jüdischen Religions- und Morallehren, Herz Hombergs zweisprachiges Imre Schefer („Schöne Worte“, Wien 1802, Hebräisch und Deutsch in hebräischen Buchstaben). Der erste Teil dieses Werkes dient der religiösen Grundlagenunterweisung, wobei 71 von insgesamt 124 Kapiteln, und damit der umfangreichste Teil der Lehre, der Darstellung und Auslegung des Dekalogs gewidmet sind. Von diesem Zeitpunkt an gehörte der Dekalog meist zu den zentralen und ausführlichsten Kapiteln der Religionslehrbücher,¹⁶ manche dieser Lehrbücher beschränkten sich auch nur auf die Zehn Gebote, aus denen sie die Grundlagen der jüdischen Religion ableiten und darstellen wollten.¹⁷ Ehe aber Herz Homberg seine Religionslehre Imre Schefer publizierte, veröffentlichte Peter Beer in seiner Kinderbibel Sefer Toledot Israel bereits einen ausführlichen Kommentar zum Dekalog, der, wie gezeigt werden soll, als grundlegende Religionslehre ausgestaltet ist.
Siehe z. B. Zeev, Jehuda Ben: Jesode ha-Dat […] Religionslehrbuch für die jüdische Jugend beiderlei Geschlechts; enthält religiöse Pflichten als Mensch überhaupt und als Israelit besonders, nebst den wichtigsten ceremonialen Gesetzen in katechetischer Ordnung verfaßt. Wien 1811 [EA 1806]. S. 190−226; Beer, Peter: Dat Israel. Oder das Judenthum, das ist: Versuch einer Darstellung aller wesentlichen Glaubens- Sitten- und Ceremoniallehren heutiger Juden. Zum Gebrauche bey dem Elementarreligionsunterrichte ihrer Jugend. Nebst einem Anhange für Lehrer. Bd. 1. Prag 1809. S. 50−88; Homberg, Herz: Bne Zion. Ein religiös-moralisches Lehrbuch für die Jugend israelitischer Nation. Augsburg − Wien 1812. S. 52−93; Benedict, Naphtaly: Emunath Israel. Ein Hülfsbuch zum Unterrichte in der Mosaischen Religion, in drey Heften bestehend, für Lehrende und Lernende. Wien 1824. S. 135−184. Siehe z. B Zeev, Jehuda Ben: Erklärung der Zehn Gebote Gottes. Zum Gebrauch bei dem Religionsunterricht in den israelitischen Schulen des Großherzogtums Hessen. Darmstadt 1825; Francolm, Isaak Ascher: Die Grundzüge der Religionslehre, aus den zehn Geboten entwickelt. Neustadt a. d. O. 1826; Liepmannssohn, Selig Louis: Zehn Worte des Bundes, oder die sogenannten zehn Gebote für Jung und Alt, besonders für den Religions-Unterricht in israelitischen Schulen. Detmold 1840; Schütz, Hermann Joseph: Divre ha-Berit. Die Worte des Bundes, oder, das Buch der Lehren und Pflichten, angereihet an die zehn Bundesworte auf Sinai. Eine Erbauungschrift für Schule und Haus. Aus den gediegensten Religionsschriften gesammelt und herausgegeben. Cleve 1854.
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3 Die Darstellung des Dekalogs in Peter Beers Sefer Toledot Israel 3.1 Der Text der Zehn Gebote Der Dekalog bildet im Sefer Toledot Israel ein eigenes Kapitel, das auch optisch vom restlichen Text des Werkes abgehoben ist, da die einzelnen Gebote durchnummeriert sind, im hebräischen Text mit hebräischen Buchstaben und im deutschen mit arabischen Ziffern.¹⁸ Die Anordnung des Dekalogs ist also deutlich als eine Ordnungsstruktur und als eine auf das Memorieren ausgelegte Systematik gestaltet. Beer übernahm für sein Sefer Toledot Israel weitestgehend die Fassung des Dekalogs aus der Erstauflage von Aaron Wolfssohns (ca. 1756−1835) Avtalion (1790), einem Lesebuch, das unter anderem auch biblische Paraphrasen enthält und damit als ein formaler Vorläufer jüdischer Kinderbibeln gelten kann. Im Unterschied zu den meisten erzählenden Kapiteln des Sefer Toledot Israel, die größtenteils als Paraphrasen gestaltet sind, finden sich in Beers hebräischer Textfassung der Zehn Gebote keine gänzlich eigenständig formulierten paraphrasierenden Textbausteine, vielmehr ist der Text eine Zusammenstellung aus biblischen Zitaten der entsprechenden Stellen im Buch Exodus beziehungsweise Deuteronomium. Bei den Modifizierungen, die sich dabei in den Zitaten aus der Hebräischen Bibel finden, handelt es sich vornehmlich um Verkürzungen, bisweilen aber auch um kleinere Erweiterungen, um die gekürzten Verse dem neuen Kotext¹⁹ anzupassen. Nur an wenigen Stellen finden sich Änderungen grammatischer Formen der Vorlage, zuweilen dient dies der semantischen Verdeutlichung einer schwierigen Stelle beziehungsweise der Erleichterung der Syntax.²⁰
Beer, Sefer Toledot Israel, Kap. 17. Zur Unterscheidung zwischen Kotext und Kontext siehe Bußmann, Hadumod: Lexikon der Sprachwissenschaft. Stuttgart 3. Aufl. 2002. S. 374, s. v. „Kontext“. Für den Text auf Deutsch und Hebräisch und eine kurze Analyse siehe Salzer, Dorothea M.: Altneuer Text: Jüdische Kinderbibeln und die Popularisierung der Hebräischen Bibel. In: Übertragungen heiliger Texte in Judentum, Christentum und Islam. Fallstudien zu Formen und Grenzen der Transposition. Hrsg. von Katharina Heyden und Henrike Manuwald. Tübingen 2019. S. 169 – 192, S. 181 f.
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3.2 Beers Dekalog-Kommentar: Vorlagen Während Wolfssohns Avtalion ganz offenkundig die Vorlage für Beers textliche Gestaltung des Dekalogs bildete, lassen sich für seine deutschsprachigen kommentierenden Ausführungen zum Dekalog vor allem Rückgriffe auf christliche Lehrbücher nachweisen, wobei Beer im Sefer Toledot Israel Passagen zweier katholischer Werke teilweise wörtlich kopiert. Das erste und im Verhältnis zum zweiten wesentlich weniger wörtlich kopierte Werk ist eines der vom Schulreformer Johann Ignaz von Felbiger (1724– 1788) verantworteten und im Habsburgerreich in großen Auflagen verbreiteten Lehrbücher für den Unterricht in der katholischen Religion. Unter den wichtigsten Eckpfeilern von Felbigers Reform war die Vereinheitlichung des Unterrichts in der ganzen Monarchie und damit auch der verwendeten Lehrbücher. So verantwortete er beispielsweise das erste Volksschullesebuch (1774) sowie den ersten Einheitskatechismus für Österreich (1777),²¹ die zusammen mit anderen Lehrbüchern ein nach Ständen und Schulformen geordnetes Lehrbuchsystem ergaben, das bis weit ins 19. Jahrhundert hinein in den Schulen des Habsburgerreiches eingesetzt wurde.²² Peter Beer wurde vermutlich mit Felbigers Werken vertraut, als er zu Beginn der 1780er-Jahre die Schule St. Anna in Wien im Zuge einer Ausbildung zum Lehrer besuchte. Als Vorlage für Beer kommen wegen textlicher Überschneidungen neben dem genannten Volksschullesebuch Lesebuch für die Schüler der deutschen Schulen in den kaiserlichen königlichen Staaten (1775) sowohl der erwähnte Einheitskatechismus, Der grosse Katechismus mit Fragen und Antworten (1777), als auch der erste Teil des Grosse[n] Lesebuchs, für Schüler der deutschen Normal- und Hauptschulen in den kaiserl. königl. Staaten (1777) in Frage.²³ Anhand von Überschneidungen in der formalen Gestaltung beider Werke lässt sich zeigen, dass
Lesebuch für die Schüler der deutschen Schulen in den kaiserlichen königlichen Staaten. Wien 1774. Hierzu siehe Hofinger, Johannes: Geschichte des Katechismus in Österreich von Canisius bis zur Gegenwart. Mit besonderer Berücksichtigung der gleichzeitigen gesamtdeutschen Katechismusgeschichte. Innsbruck − Leipzig 1937. S. 80 – 82. Hierzu siehe den Beitrag von Karen Lambrecht im vorliegenden Band. Der grosse Katechismus mit Fragen, und Antworten samt der Einleitung in die Kenntniß der Gründe der Religion und den beweisenden Stellen zum Gebrauch in den kaiserl. königl. Staaten. Wien 1777; Grosses Lesebuch, für Schüler der deutschen Normal- und Hauptschulen in den kaiserl. königl. Staaten. Erster Theil, Religionslehre. Wien 1777. Verweisschrift im Folgenden: Großes Lesebuch, für Schüler der deutschen Normal- und Hauptschulen in den kaiserl. königl. Staaten. Erster Theil, Religionslehre. Wien 1778; insgesamt erschienen verschiedene Ausgaben der Bücher, die teilweise auch als Separatdrucke veröffentlicht wurden – allein vom Katechismus wurden 1777 sieben verschiedene Ausgaben gedruckt; siehe Hofinger, Geschichte des Katechismus, S. 110 – 112; S. 115 – 121.
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Beer spezifisch auf das Grosse Lesebuch zurückgriff, wobei sich die Wahl vermutlich dadurch nahelegte, dass dieses der Felbigerschen Lehrbücher am weitesten verbreitet war.²⁴ Beer kopierte für seine Ausdeutung des Dekalogs wörtlich aus dem ersten Teil des Lesebuches, dem Religionskatechismus. Der zweite Teil des Lesebuches, die Anleitung zur Rechtschaffenheit war zuvor bereits von Ferdinand Kindermann, damals Oberaufseher des Normalschulwesens in Böhmen, 1781 für den Moralunterricht in der Prager deutschen jüdischen Schule überarbeitet und (die italienischen Provinzen ausgenommen) in den jüdischen Schulen der Monarchie eingesetzt worden.²⁵ Beer zog daher einerseits ein bereits im Unterricht jüdischer Kinder eingesetztes Lehrmaterial heran (nämlich das Grosse Lesebuch), das insbesondere angesichts der geforderten Einheitlichkeit im Curriculum der österreichischen Normalschulen von nicht geringem Einfluss gewesen sein dürfte. Er ging aber insofern neue und erstaunliche Wege, als er mit dem ersten und damit mit dem dem Religionsunterricht zugedachten Teil deutlich katholisch orientiertes Material und nicht den vordergründig säkularen und bereits in Gebrauch befindlichen zweiten Teil des Lesebuches zur Vorlage wählte. Für seinen Kommentar zu den Zehn Geboten übernahm Beer von Felbiger zunächst ein strukturelles Gestaltungsmittel: In seiner Ausdeutung der einzelnen Gebote gibt ersterer für jedes der Gebote an, was dieses befiehlt und was es verbietet, ungeachtet dessen ursprünglicher Form.²⁶ Dies entspricht Felbigers im Methodenbuch benannter didaktischer Prämisse, alle Pflichten in der Dichotomie von Geboten und Verboten zu präsentieren.²⁷ In seiner Kommentierung der Gebote übernimmt Beer diese Doppelstruktur, die auch eine wesentlich größere
Bis Januar 1778 erschienen 13.000 Exemplare, siehe Hofinger, Geschichte des Katechismus, S. 117. Zu dieser Bearbeitung siehe Glasenapp, Gabriele von und Michael Nagel: Das jüdische Jugendbuch. Von der Aufklärung bis zum Dritten Reich. Stuttgart 1996. S. 25 – 38; Nagel, Michael: The Beginnings of Jewish Children’s Literature in High German. Three Schoolbooks from Berlin (1779), Prague (1781) and Dessau (1782). In: The Leo Baeck Institute Year Book 44,1 (1999). S. 39 – 54, S. 46 – 49; Hecht, Ein jüdischer Aufklärer, S. 111– 117; Sadowski, Dirk: Haskala und Lebenswelt. Herz Homberg und die jüdischen deutschen Schulen in Galizien 1782−1806. Göttingen 2010. S. 190 – 197. Siehe Großes Lesebuch, S. 76 – 99. „Alle Pflichten werden dergestalt entwickelt, daß nicht allein deutlich erscheint, was der Mensch zu thun, sondern auch, was er zu lassen oder zu meiden verbunden ist, das heißt: die Schüler lernen hieraus, was den Pflichten gemäß und was denselben entgegen ist.“ – Felbiger, Johann Ignaz von: Methodenbuch für Lehrer der deutschen Schulen in den kaiserlich-königlichen Erblanden […]. Wien 1776. S. 69.
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Bandbreite angesprochener Themen gewährleistet.²⁸ Die strukturelle Anleihe lässt vermuten, dass Felbigers Grosses Lesebuch Beer auch in größeren inhaltlichen sowie konzeptuellen Zusammenhängen und Linien für das Sefer Toledot Israel Pate stand. Darüber hinaus verwendete Beer auch wörtliche Zitate aus Felbigers Ausführungen zu den Einzelgeboten, allerdings ohne die Form von Frage und Antwort zu wählen, welche im Grossen Lesebuch die kennzeichnende Gestaltungsform darstellt, also unter Verzicht auf die katechetische Darstellung des Stoffes. Die zweite und hauptsächlich von Beer im Zusammenhang mit dem Kommentar zum Dekalog wörtlich zitierte Vorlage ist die Anleitung in die Sittenlehre der Vernunft und Offenbarung zum Privatunterricht der Jugend, von Augustin Zippe (1747– 1816) im Jahr 1778 in Prag publiziert. Der aufklärerische Autor war den Kreisen des böhmischen Reformkatholizismus zugehörig und galt als der führende Moraltheologe im Josephinischen Österreich. Darüber hinaus war er ein bedeutender Bildungspolitiker, der die Bildungsreformen im Habsburgerreich mitbestimmte.²⁹ In der Regierungszeit Joseph II. kam es zu einem vermehrten Interesse am Unterricht der Sittenlehre, sodass nicht nur mehr entsprechende Bücher publiziert wurden, sondern diese auch zusätzlich zum Lesebuch im Unterricht eingesetzt wurden. Zippes Anleitung war eines dieser zusätzlichen Lehrbücher. Der Titel des Buches verdeutlicht bereits, dass sein Autor sich darin der zu seiner Zeit viel diskutierten Frage des Verhältnisses zwischen Offenbarung und Vernunftreligion widmete – einem hochaktuellen Thema also, das in Felbigers Religionslehrbüchern niemals zur Sprache kommt. Zippe hingegen war offener, suchte die Auseinandersetzung mit neuen Themen in Theologie wie Philosophie und versuchte, diese mit der traditionellen katholischen Moraltheologie zusammenzuführen.³⁰ In seiner Anleitung situiert er daher die Frage nach dem Verhältnis von Vernunft und Offenbarung in den Kontext der praktischen Religionspädagogik und stellt dar, dass vernunftbasierte ethische Prinzipien sich mit
Die Doppelstruktur entfällt bei der Kommentierung des Siebenten Gebots (Ehebruch), das Beer aber ohnehin nicht gelehrt wissen möchte, weswegen nähere Ausführungen entfallen. Zu Zippe siehe den Artikel von Friedrich Lauchert In: Allgemeine Deutsche Biographie. Hrsg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Band 45. Leipzig 1900. S. 358; Stachel, Peter: Das österreichische Bildungssystem zwischen 1749 und 1918. In: Geschichte der österreichischen Humanwissenschaften. Hrsg. von Karl Acham. Wien 1999. S. 115 – 146; Lorman, Jaroslaw: The Concept of Moral Theology of Augustin Zippe, a Moral Theologian at the Turn of the Epoch. In: The Enlightenment in Bohemia. Religion, Morality and Multiculturalism. Hrsg. von Ivo Cerman [u. a.] Oxford 2011. S. 209 – 229. Vgl. Lorman, The Concept of Moral Theology, v. a. S. 228.
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aus der Offenbarung abgeleiteten vereinen lassen.³¹ Zippe vertrat daher eine deutlich aufklärerisch geprägte Theologie, die sich an der moralisch-praktischen Ausrichtung von Religion orientierte. Die Werke von Felbiger und Zippe boten sich aus mehreren Gründen als Vorlagen für Beer an. Felbigers Lehrbuchsystem, das wie erwähnt grundlegend und einflussreich für die Schullandschaft im Habsburgerreich war (und zwar in christlichen wie jüdischen deutschen Schulen der Monarchie) diente Beer als strukturelles und konzeptuelles Vorbild, indem er versuchte, die Einteilung in Religionsunterricht einerseits und Unterricht in „Rechtschaffenheit“ beziehungsweise „Moral“ andererseits nachzuahmen, wenngleich auch nicht in getrennten Teilen wie das im Lesebuch der Fall ist. Zippes Anleitung wiederum bot sich wegen der Offenheit gegenüber zeitgenössischen Diskursen über Religion als Anknüpfungspunkt an. In der historischen Translationsforschung ist die Frage nach Machtverhältnissen inzwischen ein zentrales Thema geworden.³² Die Untersuchung dessen, was wann übersetzt wurde, vermag Auskünfte über kulturelle Ungleichheit und hegemoniale Verhältnisse zu geben. Auch hierfür ist Peter Beers Kinderbibel ein sehr anschauliches Beispiel. Beer wusste, dass für die erneute Reform des österreichischen Schulwesens ein jüdisches Religionslehrbuch gesucht wurde und erhoffte sich für seine Kinderbibel, diese als solches zu platzieren.³³ Die Gattung der Kinderbibel stellt eine vornehmlich im Protestantismus verbreitete Form der Kinderliteratur dar, denn im Katholizismus wurde die Bibellektüre durch Laien bis zum Ende des 18. Jahrhunderts kritisch betrachtet, und die biblische Literatur für katholische Kinder war deshalb zu Beers Zeiten noch relativ wenig verbreitet. Es wäre daher im gattungsspezifischen Sinn logischer gewesen, hätte Beer sich – da der Rückgriff auf christliche Literatur für ihn offensichtlich kein Problem darstellte – einer protestantischen Kinderbibel als Vorlage bedient,³⁴
Siehe beispielsweise Zippe, Anleitung in die Sittenlehre, S. 120: „Die Vernunft ist ohne die Offenbarung unzureichend uns zu unserer Bestimmung zu führen: Und die Offenbarung ist ohne dem Gebrauch der Vernunft dem Menschen unnütz. Wir müssen demnach unsre Bestimmung durch den vereinigten zweckmäßigen Gebrauch beyder erlangen.“ Bachmann-Medick, Doris: Translation − A Concept and Model for the Study of Culture. In: Travelling Concepts for the Study of Culture. Hrsg. von Birgit Neumann und Ansgar Nünning. Boston 2012. S. 23 – 43, S. 29. Hierzu siehe Hecht, Ein jüdischer Aufklärer in Böhmen, S. 145 – 147; S. 152– 157. Zu denken ist hier zum Beispiel an Hübners ungemein prominente Kinderbibel „Zweymal zwey und funfzig auserlesene biblische Historien“, die 35 Jahre später tatsächlich ins Hebräische übersetzt wurde: Samosc, David: Sefer Nahar me-Eden […]. [Deutsch in hebr. Lettern]: oder biblische Erzählungen nach Hübner, mit Fragen zum Nachdenken, nützlichen Lehren und gottse-
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oder aber auch eines der vielen deutlich neologisch³⁵ geprägten Werke seiner Zeit, mit denen er durchaus gut bekannt war, wie aus seiner Autobiografie und anderen seiner Werke hervorgeht.³⁶ Allerdings hätte Beer in diesem Fall in einem Land, in dem bis 15 Jahre vor der Veröffentlichung seines Werkes der Protestantismus noch verboten war (Protestanten wurden in Österreich erst mit dem Toleranzpatent von 1781 zugelassen), und dessen Toleranzgesetzgebung im Jahr der Veröffentlichung 1796 bereits seit einigen Jahren wieder auf dem Prüfstand stand, für die Rezeption des Buches sicherlich unliebsame Grenzen gesetzt.³⁷ All dies legt nahe, dass es neben inhaltlichen auch ganz praktische politische Fragen waren, die Beer dazu bewegten, auf etablierte katholische Schulbücher und Werke einflussreicher und – im Fall von Zippe – noch immer aktiver österreichischer Bildungspolitiker zurückzugreifen und diese für einen jüdischen Kontext zu übersetzen, um seine Kinderbibel als Schulbuch in den öffentlichen jüdischen Schulen der Monarchie zu etablieren.³⁸ Wie dies im Einzelnen geschah, wird im Folgenden dargestellt.
3.3 Beers Dekalog-Kommentar: Gestaltung In der folgenden Analyse von Beers Kommentierungen der Zehn Gebote werden ausgewählte Einzeltexte aus dem Sefer Toledot Israel mit den Vorlagentexten von Felbiger und Zippe verglichen, um anhand von Differenz und Ähnlichkeit der Texte den kulturellen Übersetzungsstrategien des Autors Peter Beer nachzugehen.
ligen Gedanken. Nebst einem Anhange, enthaltend: einige Gelegenheitsgedichte. Breslau 5597 [1837]. Zu Samosc als Übersetzer siehe den Beitrag von Zohar Shavit im vorliegenden Band. Zur Neologie als der aufgeklärten Strömung der protestantischen Theologie siehe den Beitrag von Walter Sparn in diesem Band. In seiner Autobiografie gibt Beer an, bereits als junger Mann Johann Friedrich Wilhelms „Betrachtungen über die vornehmsten Wahrheiten der Religion“ sowie die Schriften Lessings, Kants und anderer Protestanten gelesen zu haben (siehe [Beer, Peter]: Lebensgeschichte des Peter Beer, Religions-Lehrers und Seniors an der israelitischen Hauptschule zu Prag, Inhabers der mittleren goldenen Civil-Ehrenmedaille. Prag 1839. S. 14 f.), und in seiner theoretischen Abhandlung zur Erziehung Kos Jeschu‘ot oder Kelch des Heils, zitiert er ausgiebig neologische Schriften. So wurde beispielsweise 1797, also nur ein Jahr nach dem Erscheinen von Beers Kinderbibel und 16 Jahre nach dem Toleranzpatent, der Übertritt zum Protestantismus auf Betreiben der katholischen Kirche wieder erschwert. Im Zusammenhang mit der kritischen Distanz zum Protestantismus in Österreich ist erwähnenswert, dass Felbiger selbst von protestantischen Schulreformen beeinflusst war, diese Anregungen jedoch nicht preisgegeben hatte, siehe hierzu Karen Lambrechts Beitrag im vorliegenden Band. Dies gelang ihm jedoch nicht, hierzu siehe Hecht, Ein jüdischer Aufklärer in Böhmen, S. 145 – 147; S. 158.
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In Beers Kommentierung im Sefer Toledot Israel lässt sich ein deutlicher Unterschied zwischen den Auslegungen zu den narrativen Teilen der Hebräischen Bibel und denjenigen zu den Zehn Geboten ausmachen. Im Kommentar zu ersteren liegt der Schwerpunkt des Kommentars auf Verhaltensweisen und Sittenlehren und deckt damit diejenigen Bereiche ab, die in Felbigers Lehrbuchsystem in den Bereich des zweiten Teils des Lesebuchs fallen und in ihrer Ausführung als Beschreibung sozialer Handlungs- und Verhaltensnormen zum Unterricht im Fach „Rechtschaffenheit“ beziehungsweise „Moral“ zu zählen sind. In seinem wesentlich umfangreicheren Kommentar zum Dekalog hingegen liegt es Beer offensichtlich daran, die Grundlagen einer jüdischen Religionslehre aus diesen Texten abzuleiten und in eine Synthese mit theologischen und pädagogischen Diskursen seiner Zeit zu bringen. Betrachtet man den Dekalogkommentar in seinem Gesamtaufbau, so wird deutlich, dass vor allem die Themenbereiche Gotteslehre (insbesondere in den Erläuterungen zum Ersten Gebot), das Verhältnis zwischen Gott und Mensch (Kommentar zum Zweiten und Zehnten Gebot) und die daraus sich ergebenden Pflichten des Menschen gegenüber Gott (Ausführungen zum Zweiten, Dritten und Zehnten Gebot), sich selbst (zum Vierten, Sechsten und Zehnten Gebot) und dem Nächsten (zum Vierten, Fünften, Sechsten, Achten, Neunten und Zehnten Gebot) thematisiert werden. Damit werden bereits alle relevanten religiösen Themenbereiche angesprochen, die auch im Gesamtwerk zur Sprache kommen. Es handelt sich dabei aber zugleich um die Themenbereiche, die aufklärerischer Pflichtenlehre gemäß in christlichen Religionslehren der Zeit und später auch in den jüdischen Lehrbüchern die grundlegenden und strukturbildenden Elemente darstellten.³⁹ Eine Gotteslehre legt Beer hauptsächlich in seinem Kommentar zum ersten Gebot dar, den er für eine Einführung in die göttliche Attributenlehre nutzt. Insgesamt zehn göttliche Eigenschaften stellt er fest, wobei die Liste nahezu vollständig mit derjenigen Zippes in seinem Kapitel zu den „Eigenschaften Gottes“ übereinstimmt.⁴⁰ Unterschiede finden sich nur in der Art und Weise der Benen Siehe zum Beispiel Basedow, Johann Bernhard: Methodischer Unterricht der Jugend in der Religion und Sittenlehre der Vernunft: nach dem in der Philalethie angegebenen Plane. Bd 1. Altona 1764. S. 108: „[D]em ohngeachtet pflegt man die Pflichten einzutheilen in Pflichten gegen uns selbst, in Pflichten gegen andere, und Pflichten gegen Gott.“ Allgemein zu dieser Dreiteilung der Pflichtenlehre in der Aufklärung siehe Willems, Marianne: Individualität − ein bürgerliches Orientierungsmuster. Zur Epochencharakteristik von Empfindsamkeit und Sturm und Drang. In: Bürgerlichkeit im 18. Jahrhundert. Hrsg. von Hans Edwin Friedrich [u. a.]. Tübingen 2006. S. 171– 200, S. 180. Beer, Sefer Toledot Israel, Kap. 17, Kommentar zum Ersten Gebot. Gott ist Beer zufolge „höchst weise“, „allwissend“, „gütig“, „allmächtig“, „heilig“, „gerecht“, „allgegenwärtig“, „ewig“, „unkörperlich“ und „unser höchster Ober Herr und Gesetzgeber“. Zippe bestimmt als göttliche Ei-
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nung (Adjektiven bei Beer stehen Substantive bei Zippe gegenüber), dem Verzicht auf die Darstellung der „Einheit“ Gottes, die für die christliche Dogmatik aufgrund der Trinitätslehre von zentraler Bedeutung ist, für das Judentum im Rahmen einer solchen Aufzählung aber weitestgehend bedeutungslos wäre, sowie in einigen terminologischen Details. So verwendet Beer die Bezeichnung „höchst weise“ anstelle von Zippes „verständiges Wesen“ und „unkörperlich“ anstelle von „Geist“, was für Beer vermutlich zu stark christlich konnotiert war.⁴¹ Die Pflichten gegenüber Gott erörtert Beer beispielsweise in seinem Kommentar zum Dritten Gebot. Er beschreibt, wie richtige Gottesverehrung auszusehen habe, wobei er unter anderem auf Gotteslästerung rekurriert. Als Entehrung des göttlichen Namens definiert Beer dabei nicht nur Gotteslästerung im engeren Sinne, sondern darüber hinaus auch verächtliches Sprechen von Gott oder religiösen Dingen überhaupt. Hierbei ist besonders markant, dass und wie Beer Felbigers katholischen Text kulturell ins Judentum übersetzt:⁴² Felbiger
Beer
Man entheiliget Gottes Namen Durch alle Sünden. Hauptsächlich durch die Gotteslästerung; da man von Gott, der wahren Religion, und seinen Heiligen verächtlich redet […].
Dieses Gebott verbietet den Nahmen Gottes durch alle Sünden überhaupt, besonders aber durch Gottes Lästerung zu entehren, dies geschiehet wenn man von Gott, der wahren Religion, oder deren heilige Vorschriften und Lehrer verächtlich spricht […].
Bemerkenswert ist angesichts dieses Vergleiches vor allem, wie Beer durch kleine Veränderungen die katholische Lehre der Heiligenverehrung aus dem Text entfernt und letzteren an den jüdischen Referenzrahmen adaptiert: Er belässt das Wort „Heilige“ zwar im Text, verwendet es aber als attributives Adjektiv, so dass aus der katholischen Heiligenverehrung bei Felbiger („von seinen Heiligen“) bei Beer ganz jüdisch traditionell der Respekt vor Religionsvorschriften und Religionslehrern wird: „deren heilige Vorschriften und Lehrer“.
genschaften folgendes: „verständiges Wesen“, „Allwissenheit“, „Güte“, „Allmacht“, „Heiligkeit“, „Gerechtigkeit“, „Allgegenwart“, „Einheit“, „Geist“, „Ewigkeit“, „höchster Herr und Gesetzgeber“. − Zippe, Anleitung in die Sittenlehre, S. 71– 97. Inhaltlich wird jeweils das gleiche Thema behandelt, teilweise sogar mit identischem Wortlaut. Beer, Sefer Toledot Israel, S. 72; Felbiger, Der grosse Katechismus, S. 115; Großes Lesebuch für Schüler der deutschen Normal- und Hauptschulen, S. 81. Kursivierungen verdeutlichen die wörtlichen Zitate aus Felbigers Katechismus, auch die Hervorhebung durch Fettdruck stammt von der Verfasserin.
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Die Formulierung „der wahren Religion“ bleibt dabei unverändert, allerdings erhält sie in Beers Textzusammenhang eine neue Bedeutung: Während Felbiger damit den Absolutheitsanspruch der katholischen Kirche postuliert, erhält die Passage im neuen Kontext von Beers jüdischer Religionslehre die Funktion, um zwischen wahrer (das heißt absichtsvoller) und falscher (also inhaltsleerer) Religionspraxis zu unterscheiden, und steht damit für Beers aufgeklärtes Religionsverständnis, das im Sinne der Zeit nach der Verinnerlichung der religiösen Handlung strebte und vermeintlich leere Rituale ablehnte.⁴³ Dieses Beispiel illustriert, wie sehr De- und Rekontextualisierungen wesentliche Elemente im Vorgang des kulturellen Übersetzens sind, wobei allerdings kulturelle Vorstellungen nicht einfach übertragen und übernommen, sondern durch die neue Kontextualisierung transformiert und neu konstituiert werden. Seinen Kommentar zum Vierten Gebot nutzt Beer, wie auch zahlreiche Autoren nach ihm,⁴⁴ um die Ehrung des Schabbats und anderer Feiertage nicht nur einzufordern, sondern sie sogleich auch zu definieren:⁴⁵ Das Vierte Gebott befiehlt, den Schabbat und andere Feste zu ehren, und an denselben von der Arbeit aus zu ruhen. Nicht aber meine Lieben! wie einige von euch irrig glauben möchten, dass etwa diese heiligen Tage euch zum herum Schwärmen, Tändeln und sonstigem Müßiggange eingesetzt wären. Dieses Gebott befiehlt ferner, diese heiligen Tage in wahrer Frömmigkeit und Andacht zu zu bringen, Fehler, die man etwa vorige Woche begangen hat, sich zu erinnern, Gott darüber um Verzeihung zu bitten, sich mit ihm auszusöhnen, Betrachtungen über seinen Seelenzustand an zu stellen, und sich zur künftigen Woche wisslich vor zu bereiten.
Deutlich bestimmt Beer hier die Feier- und Ruhetage als Tage der inneren Einkehr und der individuellen Auseinandersetzung mit Gott, ohne dabei auf halachische Bestimmungen einzugehen. Er verleiht diesen Tagen damit innerhalb des Judentums eine neue Dimension, die durch die Hervorhebung des innerweltlichen Erlebnisses Individualisierungstendenzen in Bezug auf das Verständnis der religiösen Handlung Vorschub leistet und nicht mehr die Beziehung zu den traditionellen Inhalten, Forderungen der Halacha und Gebräuchen der Feiertage herstellt.
Siehe z. B. Spieker, Christian Wilhelm: Briefe an den Herausgeber der Sulamith. In: Sulamith 1,2 (1806). S. 118 – 128, hier S. 121; Beer, Sefer Toledot Israel, Kap. 17, Kommentar zum Zehnten Gebot; Kap. 31, Anm. 1. Vgl. etwa Homberg, Bne Zion, S. 74 f; Johlson, Josef: Alume Josef. Unterricht in der mosaischen Religion für die israelitische Jugend beiderlei Geschlechts, nebst einem Anhange von den Ceremonialgesetzen und Gebräuchen. Frankfurt/Main 1814. S. 41 f. Beer, Sefer Toledot Israel, Kap. 17, Kommentar zum Vierten Gebot.
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Diese Betonung des individuellen Erlebnisses zeigt sich auch in seiner am Ende des Kommentars zum Gebot der Ehrung des Ruhetages geäußerten Aufforderung an die Lehrer, die Selbsterkenntnis der Kinder zu fördern, indem sie diese zu täglichen Betrachtungen über ihr Seelenbefinden, Verfehlungen und Entwicklungen der Tugenden anregen und sie dazu zu bewegen, diese „Selbstprüfungen“ möglichst in einem Tagebuch festzuhalten. Dabei ist die aufklärerische Idee der Perfektibilität, also der Pflicht des Menschen zur stetigen Selbstverbesserung, Grundlage der Überlegung. Auch hier übernimmt Beer lange Passagen, im vorliegenden Fall aus der Anleitung in die Sittenlehre der Vernunft von Augustin Zippe:⁴⁶ Lehrer! Haltet euere Zöglinge zu den in diesem Abschnitte, für sehr beschäftigte Menschen zwar wöchentlich, für Kinder und minder Beschäftigte Leute aber täglich, bestimmten Betrachtungen fleißig an. Unter diesen Betrachtungen versteht man die jenige Versammlung des Geistes, welche in der Absicht vorgenommen wird, den Zustand seiner Seele zu untersuchen, um sowohl die sich von Zeit zu Zeit einschleichenden Irrthümer des Verstandes, zweckwidrigen Neigungen des Herzens, als auf den Fortgang in der Weisheit und Tugend zu bemerken. Diese Übung befördert die Selbst Erkenntnis. Sie macht einer seits, dass wir die Irrthümer und Leidenschaften in ihrem Keim entdecken, und folglich selbe, ehnder [Zippe: „folglich, ehe“] sie in der Seele Wurzel fassen [Zippe: „sich in der Seele befestigen“], ohne viel Schwierigkeiten ausrotten können. Anderer seits verursacht diese Übung, dass wir jeden Schritt unseres Fortgangs in der Weisheit und Tugend wahr nehmen, und durch dieser Erfahrung in unserem Bestreben nach Vollkommenheit gestärkt werden. […] Diese Selbstprüfungen werden vorzüglich dadurch befördert, wenn man die Kinder anhält, so bald sie nur schreiben können, ein ordentliches Tagebuch zu führen [Zippe: „wenn man ein geheimes Tagebuch hält“], in welchen sie [Zippe: „in welches man“] sowohl ihre [Zippe: „seine“] Vergehungen mit ihren Veranlassungen und Beweggründen, als auch die guten Handlungen treulich einzutragen [Zippe: „einträgt“]. Im Anfange, und zwar von der frühesten Jugend an, solange nämlich das Kind des Schreibens nicht kundig ist, kann dies der Lehrer verrichten, damit das Kind bei der Selbstführung dieses Tagebuchs ein Muster, und gleichsam den Faden seiner eigenen Geschichte bereits angeknüpft findet. – Ich habe mich, liebe Eltern und Lehrer! bei diesem Stücke so lange verweilt; weil diese Übung, für Erzieher und Zöglinge von unsäglichem Nutz ist: denn sie schärft nicht nur allein das Nachdenken des Zöglings bei der täglichen Selbstprüfung, sondern gewöhnt ihn überhaupt zur Aufmerksamkeit auf seine Neigungen, Begierden und Handlungen. Und auch dem Erzieher leistet sie ungemeinen Nutzen, es entfaltet ihm den Charakter des Zöglings ganz, und legt ihm dessen Neigungen und Anlage im hellen Lichte vor.
Um die Mitte des 18. Jahrhunderts wurde das Tagebuch zu einem verbreiteten Medium der religiösen Erfahrung. So war das Führen eines Tagebuchs ein be-
Beer, Sefer Toledot Israel, Kap. 17, Kommentar zum Vierten Gebot.Vgl. hierzu Zippe, Anleitung in die Sittenlehre, S. 190 f. Kursivierungen kennzeichnen den von Zippe übernommenen Text.
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liebtes Mittel sowohl des Pietismus als auch der philanthropistischen Pädagogik, um Selbstdisziplin und ‐kontrolle zu vermitteln. Durch Aufschreiben ihres Verhaltens sollten die Kinder sich ihrer selbst bewusst und zur Selbstreflexion angeregt werden.⁴⁷ Beer, hier wortwörtlich einen Vorschlag von Zippe zitierend, der ein solches Vorgehen im Rahmen der „Pflichten gegen Gott“ anregt, bewegt sich damit also im Kontext der neuesten pädagogischen Methoden. Beers kulturelle Übersetzungsleistung liegt hier vor allem darin, diesen Vorschlag für die Erziehung im Cheder zu adaptieren, indem er anregt, dass die Lehrer für die jüngeren des Schreibens noch unkundigen Kinder die Tagebuchführung übernehmen könnten, um ihnen dadurch gleichzeitig Vorlagen und Beispiele für ein solches Tagebuch zu vermitteln. Allerdings verbindet sich damit auch ein großer Unterschied in der didaktischen Konzeption. Denn während das Tagebuch bei Zippe eine rein persönliche Angelegenheit des Kindes ist, das ein „geheimes Tagebuch“ führen soll, handelt es sich bei Beer um ein in der Schulöffentlichkeit geführtes Tagebuch, das nicht nur mit der Hilfe des Lehrers verfasst werden, sondern diesem dezidiert auch Einblicke in die Charakterbildung der Kinder ermöglichen soll. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, dass Beer das Führen eines Tagebuches für beschäftigte Menschen am Schabbat vorsieht, das traditionelle Schreibverbot zu Schabbat jedoch nicht erwähnt und somit die innere Beteiligung in Glaubenssachen und das Streben nach Selbstvervollkommnung deutlich über die Einhaltung ritueller Vorschriften stellt. Während der Kommentar zum Gebot der Schabbatruhe in der Aufforderung zum Tagebuchschreiben zusätzlich die Pflichten des Menschen sich selbst gegenüber beschreibt, legt Beer in seinen Bemerkungen zum Fünften Gebot – zu großen Teilen Felbiger zitierend – dieses als Pflichten den Nächsten gegenüber aus. Er führt daher zunächst aus, dass Kinder ihre Eltern nicht verspotten, deren Mühen in Erhaltung und Erziehung ihrer Kinder, die er sehr deutlich ausmalt, schätzen und ihnen diese durch „Gehorsam“, „Gegenliebe“ und „Ehrfurcht“ vergelten sollen. Der Gehorsam gegenüber den Eltern wird Beer zufolge nur dann hinfällig, wenn deren Forderungen „wider das Gebott Gottes, oder wider die Landesgesetze“ verstoßen. Der Verweis auf die Landesgesetze stellt einen Zusatz
Hierzu siehe Wild, Reiner: Aufklärung. In: Geschichte der deutschen Kinder- und Jugendliteratur. Hrsg. von Otto Brunken und Reiner Wild. 3., vollständig überarbeitete und erw. Aufl. Stuttgart 2008. S. 43 – 95, S. 71. Zur bürgerlichen Praxis von Entwicklungstagebüchern auch im familiären Umfeld siehe Schmid, Pia: Die bürgerliche Kindheit. In: Kindheiten in der Moderne: Eine Geschichte der Sorge. Hrsg. von Meike Sophia Baader [u. a.]. Frankfurt/Main 2014. S. 42– 71, S. 66 f.
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Beers zum Text Felbigers dar, den er ansonsten zu großen Teilen übernahm.⁴⁸ Er ist ein Hinweis auf das zu dieser Zeit vorherrschenden Paradigma der utilitaristischen Erziehung zum Staatsbürger einerseits, andererseits aber auch auf den Rechtfertigungsdruck, die Vereinbarkeit von Judentum und Bürgerpflicht zu betonen. Die beiden letzten Aspekte, die Erziehung zum Staatsbürger und die Betonung von der Vereinbarkeit von Judentum und Bürgerpflicht, finden ihren Niederschlag auch am Ende des Kommentars zum Fünften Gebot. Dort erweitert Beer – wiederum in wörtlicher Übernahme von Felbigers Auslegungen zu diesem Gebot − den Kreis der Personen, auf die sich dieses Gebot bezieht, indem er Vorgesetze jeglicher Art mit einbezieht und so auch die politische Ebene, die er bereits mit dem Hinweis auf die Landesgesetze eingeführt hat, noch einmal deutlich hervorhebt:⁴⁹ Dies Gebott geht nicht nur allein Kinder und Eltern, sondern auch alle Untergebene, und Obrigkeiten, ingleichen alle Lehrmeister und Schüler, alle jüngere Geschwister gegen ihre älteren, ja auch alle Personen an, welche ihres Alters und Ansehens wegen ehrwürdig sind. Die Untergebenen sind schuldig gegen ihre Vorgesetzten und Obrigkeiten, sie mögen gut oder böse sein, sich so wie fromme Kinder gegen ihre Eltern zu bezeigen. Das meiste was Kinder in Ansehung ihrer Eltern gebotten und verbotten ist, hat auch auf Untergebene gegen ihre Obrigkeiten und Vorgesetzten Bezug.
Hierarische Verhältnisse mit demjenigen von Kindern zu Eltern zu vergleichen, ist ein Topos in der Literatur der Aufklärung, der ursprünglich aber auf Martin Luthers Katechismus zurückgeht, in dem die Gehorsamkeitsforderung gegenüber den Eltern auch auf die Obrigkeit ausgedehnt wird.⁵⁰ Die Abhandlung des Ver-
Beer, Sefer Toledot Israel, Kap. 17, Kommentar zum Fünften Gebot: „Kinder müssen also ihre Eltern lieben, sie ehren, ihnen dienen, in allem was nicht wider das Gebott Gottes [Felbiger: „Gottes Gebote“], oder wider die Landesgesetze ist, gehorsamen, ihnen in allen [Felbiger: „in geistlichen und leiblichen“] Nöthen beistehen, und für sie beten“; vgl. Felbiger, Großes Lesebuch, S. 85−89; Der große Katechismus, S. 117−123. Beer, Sefer Toledot Israel, Kap. 17, Kommentar zum Fünften Gebot; vgl. Felbiger, Der große Katechismus, S. 121; Großes Lesebuch, S. 88. Kursivierungen kennzeichnen den von Felbiger übernommenen Text. Diese Auslegung der Stelle ist durch das ganze 19. Jahrhundert präsent, siehe z. B. Badt, Benno: Moritz Abraham Levys Biblische Geschichte. 6. Aufl. Breslau 1879. S. 237. So im „Kleinen Katechismus“ wie folgt: „Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir unser Eltern und Herrn nicht verachten […].“ (Zitiert nach: Die Bekenntnisschriften der evangelischlutherischen Kirche. Bd. 2, S. 508), und ausführlicher noch im Großen Katechismus: „In dieses Gepot gehöret auch weiter zu sagen von allerlei Gehorsam gegen Oberpersonen, die zu gepieten und zu regieren haben. Denn aus der Eltern Oberkeit fleußet und breitet sich aus alle andere.“ (Ebd, S. 596).
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hältnisses von Untergebenen zu Vorgesetzen im Rahmen des Fünften (beziehungsweise wegen der unterschiedlichen Zählung: des Vierten) Gebotes war daher ein in christlichen Religionslehren verbreitetes Muster, wie nicht zuletzt daran erkennbar ist, dass Beer hier wiederum auf Felbigers Der grosse Katechismus zurückgreift. In Anlehnung an seine Vorlage nutzt Beer also das Fünfte Gebot nicht nur für Ausführungen zur Beziehung zwischen Eltern und Kindern, sondern behandelt vielmehr darüber hinaus auch das Verhältnis zu bestehenden Hierarchien. Die Kinder sollen diese anerkennen, selbst wenn die höher gestellten Personen verwerflich oder sogar „böse“ handeln. Deutlich ist hier also der Wunsch, treue und gehorsame Bürger zu erziehen, die die vorhandenen obrigkeitlichen Strukturen nicht in Frage stellen⁵¹ − ein Ziel, das aufklärerische Pädagogen und Philanthropisten gleichermaßen verfolgten.⁵² Im Kontext einer jüdischen Religionslehre bekommt eine solche Aufforderung allerdings zudem die konnotative Bedeutung einer Rechtfertigung gegenüber Vorwürfen, die jüdische Religion stehe den Bürgerpflichten entgegen. Die ergänzende Nennung der Geschwister zusammen mit Obrigkeiten zu Beginn des zitierten Abschnitts spiegelt die Auffassung wider, dass sich im Umgang mit den Geschwistern die gesellschaftliche Praxis beziehungsweise Rolle einüben lässt.⁵³ Auch hier zeigt sich also wiederum, wie bewandert Beer in zeitgenössischen pädagogischen Diskussionen war.
Fazit Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Darstellung des Dekalogs im Sefer Toledot Israel sowohl hinsichtlich der formalen Gestaltung als auch in Bezug auf die Kommentierung eine Sonderstellung einnimmt. Die formale Besonderheit bezieht sich dabei auf die ansonsten ungewöhnliche Dichte von biblischen Zitaten und somit der Nähe zum biblischen Text im Textkapitel, während die Besonderheit der Kommentierung in ihrem Umfang, in ihrer Struktur und in der Verwendung christlicher Vorlagen besteht.
Zu Beers Tendenz, die Identifikation mit bestehenden Herrschaftsstrukturen zu befördern, siehe: Hecht, Ein jüdischer Aufklärer, S. 141. Zu den philanthropistischen Erziehungsprinzipien siehe den Beitrag von Zohar Shavit im vorliegenden Band. Dazu siehe Gestrich, Andreas: Familiale Werterziehung im deutschen Bürgertum um 1800. In: Bürgerliche Werte um 1800. Entwurf, Vermittlung, Rezeption. Hrsg. von Hans-Werner Hahn und Dieter Hein. Köln 2005. S. 121– 140, S. 130.
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Peter Beer gestaltet seinen Kommentar zu einer Religionslehre in nuce, die – ebenso wie ihre christlichen Entsprechungen – die Bereiche Gotteslehre, Pflichten- und Sittenlehre abdeckt, jedoch ohne diese Kategorisierung explizit vorzunehmen.⁵⁴ Die zentrale Bedeutung, die er damit dem Dekalog zuspricht, knüpft, wie dargestellt, einerseits an die innerjüdische Innovation David Friedländers an. Andererseits orientierte sich Beer deutlich an christlichen Religionslehren der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in denen der Dekalog, der oftmals als Inbegriff der menschlichen Pflichten angesehen wurde,⁵⁵ ein zentrales Kapitel bildet und meist durch ausführliche praktisch-konkrete Erläuterungen zu den einzelnen Geboten ergänzt ist.⁵⁶ Durch die Übernahme dieses Modells begründete Beer damit die Tradition, Hauptlehren des Judentums auf den Dekalog zurückzuführen, die sich in den späteren jüdischen Katechismen und Religionslehren immer deutlicher herauskristallisierte.⁵⁷ Für Beer wurde der Dekalog der gesamten Menschheit geoffenbart, insofern stellte es für ihn vermutlich im Sinne eines universalistisch aufgeklärten Religionsverständnisses kein Problem dar, für seinen Kommentar zu den Zehn Geboten so ausführlich auf christliche Vorlagen zurückzugreifen und damit hinsichtlich des innerjüdischen Diskurses das Universale vor das Partikulare zu setzen. Die Tatsache aber, dass Beer im Vergleich zu den Übernahmen aus Zippe wesentlich weniger wörtlich aus Felbiger zitiert, weist darauf hin, dass Beer inhaltlich nur wenige konkrete Anknüpfungspunkte an das zu seiner Zeit bereits weitestgehend überholte theologische System Felbigers finden konnte, wohingegen Felbigers Lehrbücher dennoch auch weiterhin eine eindrückliche Präsenz im Lehrbetrieb hatten. Während Beer beim Abfassen des Sefer Toledot Israel die Felbigerschen Werke daher hauptsächlich als konzeptionelle Vorbilder dienten und die daraus entnommenen wörtlichen Zitate keine theologischen Fragen be-
Dies sollte er erst in seinem Religionslehrbuch Dat Israel. Oder: Das Judenthum von 1809 tun. Der Dekalog zählt dort im Übrigen zur „Sittenlehre“. Siehe: Beer, Dat Israel. Bd. 1, S. 48 (Hervorhebung im Original): „So hat Gott […] die Sittenlehren in wenige und sehr kurze Regeln zusammengefaßt, und sie unter dem Namen der zehn Gebote, durch Mosen auf dem Berge Sinai bekannt gemacht.“ Siehe zum Beispiel: Catechetischer Unterricht in der Christlichen Glaubens- und Sittenlehre. Zweyte Ausgabe. Augsburg 1799. S. 56: „In den zehn Geboten finden wir einen kurzen Inbegriff aller unserer Pflichten, die wir sowohl gegen Gott, als gegen uns selbst, und gegen unseren Nächsten zu beobachten haben.“ Fraas, Hans-Jürgen: Katechismustradition. Luthers Kleiner Katechismus in Kirche und Schule. Göttingen 1971. S. 168. Zu späteren Religionslehren siehe Petuchowski, Jakob J.: Manuals and Catechisms of the Jewish Religion in the Early Period of Emancipation. In: Studies in Nineteenth-Century Jewish Intellectual History. Hrsg. von Alexander Altmann. Cambridge (MA) 1964. S. 47– 64, S. 55 f.; S. 61 f.
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treffen, nutzte er das Werk des Reformkatholiken Zippe, um modernere theologische Schlüsselkonzepte einfließen zu lassen. Schließlich war Zippe als ehemaliger Rektor des Prager Generalseminars und als aktives Mitglied der StudienRevisions-Hofkommission politisch, wissenschaftlich und kirchlich über alle Zweifel erhaben. Wie in der Analyse des Kommentars zum Dekalog beispielhaft dargestellt, konnte Beer dadurch ganz im Sinne der universalistischen natürlichen Religion argumentieren, ohne in den Verdacht zu geraten, protestantisches Gedankengut zu verbreiten, was einer Aufnahme des Werkes als Schulbuch in der Habsburger Monarchie wohl entgegengestanden hätte. Gleichzeitig knüpfte er dabei aber auch an das philanthropistische Verständnis religiöser Unterweisung an, das aus einem grundlegenden Unterricht in natürlicher Religion und Sittenlehre bestand, und konnte zudem Brücken zu denjenigen Themen und Argumenten schlagen, die unter den preußischen Maskilim diskutiert wurden, deren theologische und philosophische Diskussionen in Affinität zu und Auseinandersetzung mit den Traditionen aufgeklärter Religion standen.⁵⁸
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Zum Einfluss der Berliner Haskala auf die Prager Aufklärung siehe Kestenberg-Gladstein, Ruth: Neuere Geschichte der Juden in den böhmischen Ländern. Erster Teil: Das Zeitalter der Aufklärung 1780−1830. Tübingen 1969. S. 117– 133.
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Tage, an dem JJ Gott den Menschen erschaffen, bis zur Rückkehr Israels aus dem Exil in Babel nach Jerusalem. Zwischen den einzelnen Kapiteln werden zum Nutzen der Kinderlehrer und ihrer Schüler Hinweise zur Tugend und moralische Lehre gegeben. Zusätzlich gibt es eine kurze Abhandlung über die Grammatikregeln zum Lesen der hebräischen Sprache, damit die Kinderlehrer sie verstehen und an ihre Schüler weitergeben. Sowie gute Verhaltensweisen, nach denen der Knabe sich den ganzen Tag benehmen soll vom Aufstehen bis zum Schlafengehen. Zum Nutzen der Erziehung der Kinder Israels und ihrer Lehrer, ein Geschenk gegeben von denen, die sie lieben]. Prag 1796. Beer, Peter: כוס ישועותoder Kelch des Heils, gefüllt aus der Quelle der Wahrheit, und mit dem wärmsten Brudergefühle dargereicht den Kindern Israels in den k. k. Staaten, besonders der Kolonie in Böhmen. Prag 1802. Beer, Peter: דת ישראלOder das Judenthum, das ist Versuch einer Darstellung aller wesentlichen Glaubens- Sitten- und Ceremoniallehren heutiger Juden. Zum Gebrauche bey dem Elementarreligionsunterrichte ihrer Jugend. Nebst einem Anhange für Lehrer. 2 Bde. Prag 1809−1810. [Beer, Peter]: Lebensgeschichte des Peter Beer, Religions-Lehrers und Seniors an der israelitischen Hauptschule zu Prag, Inhabers der mittleren goldenen Civil-Ehrenmedaille. Prag 1839. Benedict, Naphtaly: אמונת ישראל. Emunath Israel. Ein Hülfsbuch zum Unterrichte in der Mosaischen Religion, in drey Heften bestehend, für Lehrende und Lernende. Wien 1824. Breuer, Edward: The Limits of Enlightenment. Jews, Germans, and the Eighteenth-Century Study of Scripture. Cambridge 1996. Catechetischer Unterricht in der Christlichen Glaubens- und Sittenlehre. Zweyte Ausgabe. Augsburg 1799. Felbiger, Ignaz von: Methodenbuch für Lehrer der deutschen Schulen in den kaiserlich-königlichen Erblanden, darinn ausführlich gewiesen wird, wie die in der Schulordnung bestimmte Lehrart nicht allein überhaupt sondern auch ins besondere, bey jedem Gegenstande, der zu lehren befohlen ist, soll beschaffen seyn. Nebst der genauen Bestimmung, wie sich die Lehrer der Schulen in allen Theilen ihres Amtes, imgleichen die Directoren, Aufseher und Oberaufseher zu bezeigen haben, um der Schulordnung das gehörige Genügen zu leisten. Wien 1776. [Felbiger, Johann Ignaz von:] Der grosse Katechismus mit Fragen, und Antworten samt der Einleitung in die Kenntniß der Gründe der Religion und den beweisenden Stellen zum Gebrauch in den kaiserl. königl. Staaten. Wien 1777. [Felbiger, Johann Ignaz von:] Grosses Lesebuch für Schüler der deutschen Normal- und Hauptschulen in den kaiserl. königl. Staaten. Wien 1777. [Felbiger, Johann Ignaz von:] Großes Lesebuch für Schüler der deutschen Normal- und Hauptschulen in den kaiserl. königl. Staaten. Wien 1778. Fraas, Hans-Jürgen: Katechismustradition. Luthers Kleiner Katechismus in Kirche und Schule. Göttingen 1971. Francolm, Isaak Ascher: Die Grundzüge der Religionslehre, aus den zehn Geboten entwickelt. Neustadt/Oder 1826. Friedländer, David: Der Prediger. Aus dem Hebräischen von David Friedländer; nebst einer vorangeschickten Abhandlung: Ueber den besten Gebrauch der h. Schrift in pädagogischer Rücksicht. Berlin 1788.
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Stemberger, Günter: Der Dekalog im frühen Judentum. In: Judaica Minora. Teil I: Biblische Traditionen im Rabbinischen Judentum. Hrsg. von Günter Stemberger 2010. S. 145−158. Urbach, Ephraim E.: The Role of the Ten Commandments in Jewish Worship. In: The Ten Commandments in History and Tradition. Hrsg. von Ben Tsyion Segal und Gershon Levi. Jerusalem 1990. S. 161 – 189. Wild, Reiner: Aufklärung. In: Geschichte der deutschen Kinder- und Jugendliteratur. Hrsg. von Otto Brunken und Reiner Wild. 3., vollständig überarbeitete und erw. Aufl. Stuttgart 2008. S. 43 – 95. Willems, Marianne: Individualität − ein bürgerliches Orientierungsmuster. Zur Epochencharakteristik von Empfindsamkeit und Sturm und Drang. In: Bürgerlichkeit im 18. Jahrhundert. Hrsg. von Hans Edwin Friedrich, Fotis Jannidis und Marianne Willems. Tübingen 2006. S. 171 – 200. Zeev, Jehuda Ben: Erklärung der Zehn Gebote Gottes. Zum Gebrauch bei dem Religionsunterricht in den israelitischen Schulen des Großherzogtums Hessen. Darmstadt 1825. Zeev, Jehuda Ben: לחנך בהם נערי בני ישראל.יסודי הדת כולל עקרי האמונה עם ראשי המצות וחובות האדם בראשית למוד. [Grundsätze der Religion. Enthaltend die Glaubensprinzipien und die Hauptgebote und menschliche Pflichten zur Erziehung der Knaben der Kinder Israels]. Religionslehrbuch für die jüdische Jugend beiderlei Geschlechts. Enthält religiöse Pflichten als Mensch überhaupt und als Israelit besonders, nebst den wichtigsten ceremonialen Gesetzen in katechetischer Ordnung verfaßt. Wien 1811 [EA 1806]. Zippe, Augustin: Anleitung in die Sittenlehre der Vernunft und Offenbarung: Zum Privatunterricht der Jugend. Prag 1778.
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Hyphenated Histories. Teaching the Past and the Making of the Modern Dutch Israelite In the early 1870s, religious teacher David Sluys and rabbinical candidate Jacob Hoofiën published their Handboek voor de geschiedenis der Joden, a three-volume history of the Jews for the instruction of the Dutch Israelite youth.¹ Jewish youngsters in the Netherlands, they wrote in their preface, were fortunate to enjoy an excellent education, including a thorough schooling in the ins and outs of general history. Next to well-educated citizens of the world, however, they should also become well-educated Israelites (“beschaafde Israeliten”). Additional acquaintance with the history of their fathers, with the feats and exploits of “great Jewish men”, would bring them closer to that ideal. Yet compiling such a history, Sluys and Hoofiën found, posed multiple challenges. There was the issue of language, which should be abstract yet simple, and scrupulously consistent in its transliterations of Hebrew names and terminology. And there was the matter of presentation, of arranging the historical material. Instead of listing arid facts, the authors preferred the more complex “pragmatic exposé” (“pragmatische uiteenzetting”), a flowing narrative of cause and effect, supplemented by technical footnotes.² Finally, when retelling the historical parts of the Bible, they promised to pay particular heed to its ethical message. For Scripture, they believed, remained unsurpassed as “leermeesteres” and “zedenmeesteres”, as a teacher of Jewish wisdom and moral principle.³ Sluys and Hoofiën’s thoughts on how to write a proper textbook exemplify at least three characteristics of nineteenth-century Jewish history teaching in the
Sluys, David E. and Jacob Hoofiën: Handboek voor de geschiedenis der Joden. 3 volumes. Amsterdam 1871−1873. Pragmatic history belonged to what Hegel had called “reflective historiography”, and should be distinguished from simple autobiography on the one hand and philosophical historiography on the other. Within this “reflektierende Geschichtsschreibung”, the category of “allgemeine Geschichte” (“general history”, a term we frequently encounter in Dutch-Israelite manuals) aimed at outlining the larger picture. By turning to the underlying causes, “pragmatische Geschichte” added a layer of deeper understanding. It did not, however, question the sources, which was the prerogative of “kritische Geschichte”. By introducing their work as a “pragmatisch exposé” Sluys and Hoofiën aimed to go one step beyond the work of their Dutch-Jewish predecessors, who are at the centre of this paper. Sluys and Hoofiën, Handboek, “Voorrede”, unpaginated, p. [1−3]. https://doi.org/10.1515/9783110743050-008
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Netherlands. First of all, their emphasis on the Bible as a source of historical as well as ethical knowledge reflects the tendency to put Israelite history at the service of pious edification. In virtually all manuals of the period historical fact was adduced to confirm, not question, tradition. The fact that scholars went at great length to reconstruct, for example, the biography of Maimonides did much for the Rambam’s reputation as a timeless genius. The fact that he stood revealed as a medieval “product of Muslim-Jewish exchange […] in the eclectic Alexandrian vain” only strengthened his clout among the modern readership.⁴ As I have noted elsewhere, by using the results of critical research to confirm traditional teaching, these early manuals strike us as both innovative and conservative. To the twenty-first-century reader, their combination of timeless ethics and time-sensitive historicism will seem paradoxical. Yet the merging of these two discourses and their conflicting temporalities was an important moment in the formation of a robust Dutch-Israelite mentality, one that paralleled its Christian counterpart in piety and temperance.⁵ A second characteristic element in Sluys and Hoofiën’s argumentation is their insistence on teaching the Israelite past as an appendix to Dutch national history. When in 1796 enlightened civic equality was granted, the Jews’ ideal had been to simply become Dutch or, more precisely, to be “a man in the street and a Jew at home”, as the oft-quoted line by Judah Leib Gordon went. It was not until later that, inspired by the emergence of Dutch nationalism and the German “Wissenschaft des Judentums”, they began to articulate a more pronounced Jewish difference, which they chose to define not in terms of (collective) nation or (individual) creed, but as a public as well as private religious civilization. “Israëlitische godsdienstige beschaving” was the term they chose for this new shoot on the budding tree of cultural nationalism, and it was an adequate one. Its joint connotations of personal politesse and piety on the one hand, and of a shared religious-cultural legacy on the other supplemented the Jews’ commitment to their Dutch fatherland, without ever contesting it. If theirs was a hyphen-
Cohen, Moses Mijer: Shemonah Peraqim. De acht hoofdstukken van Maimonides bevattende zijne zielkundige verhandeling. Het Hebreeuwsch opnieuw nagezien en in het Nederduitsch vertaald. Groningen 1845. P. 5 f. NB: Contrary to what the Dutch title suggests, Cohen’s principal source had not been Maimonides’ original Hebrew text, but Simon B. Scheyer’s “Das psychologische System des Maimonides. Eine Einleitungsschrift zu dessen More Nebuchim nach den Quellen bearbeitet” (Frankfurt/Main 1845). Zwiep, Irene E.: The Haskamah of History, Or: Why Did the Dutch Wissenschaft des Judentums Spurn Zunz’s Writings. In: European Journal of Jewish Studies 7/2 (2013). P. 131−150.
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ated identity, the Dutch Israelites would never allow it to become a dual citizenship.⁶ From the letter to the Nieuw Israëlitisch Weekblad, in which Sluys and Hoofiën announced the publication of their handbook, we learn that this complementary Dutch-Israelite hierarchy was still intact by the late 1860s.⁷ In matters of Dutch history and literature, they argued, the average Israelite was far from ignorant, and rightly so: knowledge of the Dutch host culture served as an entry ticket to civilized circles. For similar reasons, every civilized Jew also ought to know his Israelite history, aptly defined by Sluys and Hoofiën as a religious-national past (“kerkelijk-nationale geschiedenis”). Yet the current school system seemed to favour Bible over history, the latter being not so much studied as narrated by the teacher, impromptu and dissolved from text and context – a truly barbarous method, according to the authors.⁸ Learned Jews could always consult their copies of Josephus, Gans, Graetz and Jost; for the benefit of their less-advanced brethren Sluys and Hoofiën had now written a three-volume extract, which offered a complete political and intellectual history of the Jews. As such it complemented the Dutch master narrative of “vaderlandse geschiedenis”, which after the School Bill of 1857 had become firmly embedded in the curriculum of the country’s elementary schools.⁹ The express ambition to cover the totality of Jewish history brings us to a third aspect of the earliest Dutch-Jewish history manuals, which hitherto has received little attention: the question as to precisely what qualified as Israelite history (as in: who’s in, who’s out, what was its dynamic), and how it should be taught. Sluys and Hoofiën gave at least two precious clues when they alluded to (1) the prominence of ‘Josephus, Gans, Graetz and Jost’ and to (2) their intention to write a pragmatic history rather than a dry enumeration of dates, names and facts. In the remainder of this paper it is these issues, i. e. questions of sources and selection, of content and form, of methodology and pedagogy that will engage us. If children’s textbooks indeed epitomize a group’s ideal-type knowledge, deemed worthy to equip the next generation, then a study of these books and their underlying choices will bring us closer to that group’s most fundamen-
Zwiep, Irene E.: Religion, Culture (and Nation) in Nineteenth-Century Dutch-Jewish Thought. In: The Religious Cultures of the Dutch Jews. Ed. by Yosef Kaplan and Dan Michman. Leiden − Boston 2017. P. 249−269. Sluys, David E. and Jacob Hoofiën: Een ernstig woord. In: Nieuw Israëlitisch Weekblad 4/24 (1869). P. 94−95, p. 95. “[E]en stelsel van volslagen barbarisme”; Sluys, and Hoofiën, Een ernstig woord, p. 95. Boekholt, P.Th.F.M. and E.P. de Booy: Geschiedenis van de school in Nederland vanaf de middeleeuwen tot aan de huidige tijd. Assen − Maastricht 1987. P. 150.
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tal values. It is then that school manuals cease to be today’s knowledge, penned down by yesterday’s generation for tomorrow’s people, and become a platform for sharing a group’s innermost standards and modes of self-understanding.
Hebrew or history? In Jacob Coppenhagen’s inventory of the Jewish textbooks that were published in the Netherlands between 1814−1870 (i. e. prior to the Handboek of Sluys and Hoofiën) we find, out of a total of one hundred publications: 51 introductions to biblical ethics and the Israelite faith; 29 Hebrew primers; 7 dictionaries; 4 books on biblical geography; and, most important for us here, 9 publications which in some form or another allude to “history” in their title.¹⁰ Of these nine manuals, five deal with the Bible and fall under the category of Israelite morale rather than Jewish history.¹¹ In order to facilitate the discussion, it may help to list the titles of those works that do seem to meet the criteria of historiography proper. In chronological order, these are: (1) Samuel I. Mulder, Chronologisch handboekje voor de geschiedenis der Israëliten, van de schepping van de wereld tot op onzen tijd [Chronological Handbook for the History of the Israelites, from the Creation of the World Until Our Times] (Amsterdam, 1836); (2) David Lissaur, Algemeene geschiedenis des Israelitischen volks van deszelfs ontstaan tot op onzen tijd [General History of the Israelite People from its Origin Until Our Times] (Amsterdam, 1841); (3) Hirsch Somerhausen, Da‘at Dorot. Époques de l’histoire ancienne et moderne des Israélites [Wisdom of Generations. Epochs from the Ancient and Modern History of the Israelites] (Brussels, 1842);
Coppenhagen, Jacob H.: De Israëlitische “Kerk” en de Staat der Nederlanden. Hun betrekkingen tussen 1814 en 1870. Amsterdam 1988. P. 55−70. NB: I have not counted the 1846 reprint of Samuel Mulder’s Chronologisch handboekje (Amsterdam 1836). In chronological order: Ronkel: Samuel J. van: Hebreeuwsche en Joodsche oudheden bevattende eene korte beschrijving van de instellingen, kerkgewoonten, zeden en gebruiken der oude joden door S. J. van Ronkel, Onderwijzer in de Nederlandsche Israëlitische Armenschool te Groningen. Groningen 1830; Mijers, M. M.: Bijbelsche geschiedenis der Israëlitische jeugd. Hoorn 1840; Waterman, Israel: Kort begrip der bijbelsche geschiedenis in vragen en antwoorden; ten dienste der Nederlandsche Israëlitische jeugd. Kampen 1848; Montezinos, R.: Inhoud des Bijbels en opeenvolging der Bijbelsche geschiedenis voor eerstbeginnenden, bijeengebragt door R. Montezinos, eerste godsdienst-onderwijzer bij de Nederlandsch Portugeesch Israëlitische Armenschool te Amsterdam. Amsterdam 1851; Waterman, Israel: Wegwijzer tot het spoedig aanleeren der bijbelsche geschiedenis ten gebruike in de scholen en huisgezinnen. Rotterdam 1860.
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(4) Israel Waterman, Tijdrekenkundige tafel voor de geschiedenis der Israëliten, van de vroegste tijden tot op onze dagen, in zeventig lessen [Chronological Table for the History of the Israelites, from the Earliest Times Until Our Days] (Kampen, 1849); (5) Leman Borstel, Schets van de algemeene geschiedenis der Israëliten en die der Nederlandse Israëliten (voor en tijdens hun volksbestaan) [Sketch of the General History of the Israelites and of the Dutch Israelites (before and during their nationhood)] (The Hague, 1853). Before we turn to the books themselves, we may preface a comment on statistics: precisely what does the ratio of five out of one hundred tell us? To begin with, there is little reason to get overly excited about the total of 51 morally edifying manuals – or 56, if we include the five biblical histories.¹² The first half of the Dutch nineteenth century was a pious era during which all pupils, Christian and Israelite, received an extensive training in civic as well as religious virtues.¹³ No less surprising is the presence of 29 Hebrew textbooks and seven bilingual dictionaries. With the emergence, in 1817, of the “Israelitische armenscholen” (charity schools), Hebrew language instruction became the double-edged sword of Dutch-Israelite identity politics. Written in Dutch at a time when the Yiddish “jargon” proved stubbornly tenacious in the Jewish homes,¹⁴ Hebrew grammars were as much a medium for spreading Dutch fluency as for strengthening allegiance to the Jewish religion. And yet as the century progressed, and especially after the formal separation of Church and State as laid down in the
The scope of the biblical share in this corpus varies greatly. On one end of the scale we find, closely based on Johannes van der Palm’s 24-volume Bijbel voor de jeugd (Leiden 1811−1834), Samuel I. Mulder’s 17-volume Bijbel voor de Israëlitische jeugd (Leiden 1843−1854). On the other are introductory tools like Waterman’s Wegwijzer (111 pages) and Montezinos’s Tokhen ha-Tenakh (16 pages). For an impression of the wealth of popular recapitulations of biblical storytelling published in the Netherlands, see Houtman, Cornelis: Bijbelse geschiedenissen herverteld. Woord en beeld – vraag en antwoord. Heerenveen 2010. “[T]ot alle Maatschappelijke en Christelijke deugden”. The formulation went back to the third School Bill of 1806, and would define the goals of Dutch education for the next half century; see Braster, Sjaak: Het openbaar onderwijs als kameleon. Over christelijke en maatschappelijke deugden en het nationale onderwijsbeleid in Nederland, 1801−1920. In: Tot burgerschap en deugd. Volksopvoeding in de negentiende eeuw. Ed. by Nelleke Bakker. Hilversum 2006. P. 123−137. On this tenacity and its opponents, see Wallet, Bart T.: “End of the Jargon Scandal”. The Decline and Fall of Yiddish in the Netherlands (1796−1886). In: Jewish History 20/3−4 (2006). P. 333−348.
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Constitution of 1848, the position of Hebrew in school and synagogue became less and less self-evident. Dismissed, especially by the acculturated elite, as indecorous, archaic, oriental, and dead,¹⁵ Hebrew came to be perceived as yet another obstacle on the road to integration. Not because of its lack of conceptual sophistication, as the stock argument against the “backward” Yiddish went, but because time spent on learning Hebrew meant time not spent on acquiring civic skills and knowledge. Some dignitaries advocated a reform, others a reduction of Hebrew language instruction in the Jewish schools.¹⁶ In the classroom, however, religious teachers persisted in teaching its rules, be it through manuals of their own devising,¹⁷ through re-editions of Moses Lemans’s 1820 Rudimenta, or by continuing to rely on the Yiddish Mafteach leshon ha-qodesh (The Key to the Holy Tongue), an early eighteenth-century local classic that was still in use by the end of the nineteenth century. Significantly, even innovative teachers like David Lissaur in Amsterdam and Israel Waterman in Kampen each authored six books on Hebrew while compiling only one historical survey. Thus, with a grand total of 92 out of 100 entries in Coppenhagen, we may infer that by 1850 the traditional Hebrew corpus still beat Jewish history as a marker of Dutch Israelite identity. Still, with five manuals appearing in the adjoining years, history gained a new momentum that would prove lasting, and deserves closer scrutiny here.
French civilisation, German Cultur – and Israelite history If we are to believe school inspector Samuel Mulder, always among the first to pick up a new trend, the emergence of a Jewish historical consciousness in the Low Countries was the corollary of a “newly aroused spirit of Israelite reli-
These epithets were listed (and refuted) in Lutomirski, Abraham D.: Over het gewigt en het onderwijs der Hebreeuwsche taal. In: Tijdschrift van de Maatschappij tot Nut der Israëlieten in Nederland 3 (1857). P. 57−72, p. 65. Zwiep, Irene: Hebrew, Yiddish, Dutch. Language Theory, Language Ideology and the Emancipation of 19th-Century Dutch Jewry. In: Studia Rosenthaliana 34/1 (2000). P. 156−174. By the middle of the century the two most prolific authors were Poznan-born, Rotterdambased Abraham David Lutomirski (nos 54−58 in Coppenhagen) and Israel Waterman in Kampen (ibid., nos 7, 86, 87, 90, 93 and 94).
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gious civilization” that had begun to manifest itself in the 1830s.¹⁸ As the product of a mixed, Franco-Dutch and German-Jewish lineage, this brand of religious civilization rested on hybrid foundations.¹⁹ Its spiritual core was grounded in an ideal of personal, universalistic “beschaving” (uniting the French notions of “politesse” and “civilisation”), the origins of which went back to the Late Dutch Enlightenment.²⁰ For content and substance, however, it drew upon the more particularistic approach to Jewish “Cultur” as formulated by the German “Wissenschaft des Judentums”.²¹ The two source traditions had taken different stances on the role and status of historical knowledge. The mildly devout Dutch Enlightenment had trusted history to teach us “the truth about humankind” and to “instill an unfaltering belief in God’s divine rule”.²² Early Wissenschaft historiography, by contrast, was fact-oriented, more critical and less metaphysical than its enlightened precursor. Given this incongruity, the question arises if and how the first generation of Dutch-Jewish historians managed to combine these two competing traditions into one effective method of teaching the Israelite past. The short answer to this question is that they didn’t. Their dependence on the information provided by their German-Jewish sources was too great to leave much room for the Dutch moral perspective (which was covered by the pious books that kept being added to the Dutch-Jewish library). Nevertheless, as the following analysis of the manuals will illustrate, direct dependence did not equal slavish translation. We will find that different political and intellectual contexts caused subtle variations, especially when it came to defining the aim, scope and method of teaching Israelite history, to choosing its theoretical premises, and to identifying its principal sources and resources. The following discus-
“Moge dit werkje … strekken, om den ontwaakten geest van de godsdienstige beschaving onder mijne geloofsgenooten meer gloed en leven bij te zetten”; Mulder, Chronologisch handboekje, “Voorrede”, p. [3]. Cf. Zwiep, Religion, Culture (and Nation). Aerts, Remieg A.M. and Wessel E. Krul: Van hoge beschaving tot brede cultuur, 1780−1940. In: Beschaving. Een geschiedenis van de begrippen hoofsheid, heusheid, beschaving en cultuur. Ed. by Pim den Boer. Amsterdam 2001. P. 213−254, esp. p. 214−224. For early articulations of Jewish national culture, see esp. the seminal essays by Leopold Zunz (Etwas über die rabbinische Litteratur, Berlin 1818) and Immanuel Wolf (Über den Begriff einer Wissenschaft des Judenthums. In: Zeitschrift für die Wissenschaft des Judenthums 1 [1822]. P. 1−24). “[M]ensenkennis, echte levenswijsheid en het onwankelbaar geloof aan een aanbiddelijk Godsbestuur.” In: Matthes: Hendrik Justus: Redevoering over de zedelijke en godsdienstige beschaving beschouwd als den voortreffelijksten band van vereeniging der menschen. Amsterdam 1821. 32.
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sion of the manuals by Samuel Mulder, David Lissaur, Hirsch Somerhausen, Israel Waterman and Leman Borstel is built around this ensemble of questions and considerations.
Disparate beginnings As Erich Auerbach once remarked, writing history can be so tricky that most historians at some point will resort to writing myth.²³ Hebrew-Dutch author, translator and educator Samuel I. Mulder (1792−1862) will have agreed with Auerbach on the difficulty of the historian’s task. In the preface to his Chronological Handbook of Israelite history, a novelty in 1836, he presented historiography as an exacting metier, which required competence in languages dead and alive and prudence in judgment of the often conflicting sources.²⁴ Unlike most historians, he boasted, he did not intend to reduce his historical data to a simple and appealing narrative of heroes, villains, and damsels in distress. Writing for the students of the new rabbinical seminary (“Nederlandsch Israëlitisch Seminarium”) and for the occasional Christian aficionado,²⁵ Mulder offered a series of short, descriptive entries, with time’s progress as the main organizing principle. In the body of the text he listed the bare facts of history only; in the footnotes and the appendix he accounted for his underlying choices and for the discrepancies between his own narrative and Jewish tradition. For example, in a footnote to his entry on the sixth day of Creation, Mulder explained that according to Jewish tradition this day had been a busy one, witnessing not only the birth of the first man, his wife and their five children, but also their expulsion from the Garden of Eden. The historian, however, should realize that the Holy Writ had narrated these events without giving any indication of the true time span involved. Likewise, when recounting Titus’ attempt at saving the Temple in Jerusalem, Mulder added that he had borrowed this detail from the account by eye-witness Flavius Josephus. The Jewish reader, however, should remember that in the Talmud the Roman emperor had been exposed as an im-
“Geschichte zu schreiben ist so schwierig, dass die meisten Geschichtsschreiber genötigt sind, Konzessionen an die Sagentechnik zu machen”; Auerbach, Erich: Mimesis. Bern − München 1967. P. 22 f. Mulder, Chronologisch handboekje, “Voorrede”, p. [2]. “[D]e bijzonderheid dat ik hoofdzakelijk, en toch niet uitsluitend voor geloofsgenooten schrijf”; Mulder, Chronologisch handboekje, “Voorrede”, p. [2].
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pious scoundrel.²⁶ The result of this twofold approach was not a running narrative but a well-structured repository of historical knowledge, supplemented by technical observations as well as conventional lore. As such, the Handboek may count as an early example of the combination of critical awareness (most notably in Mulder’s smugly rhetorical preface) and adherence to tradition, a combination we find in all Dutch-Israelite edifying manuals of the period. In the appendix Mulder went at even greater length to synchronize his findings with traditional Jewish chronography. It is here that we can catch a glimpse of his sources, which are perhaps best described as a conflation of historiography and exegesis. Mulder had obviously drawn his main inspiration from the Allgemeine Geschichte des Israelitischen Volkes, which had been published only four years before by the German-Jewish teacher Isaak Markus Jost (1793−1860).²⁷ With tell-tale inaccuracy, Mulder referred to this pioneering work as “Jost’s Geschichte der Juden”. Yet for all Jost’s renown, he added, it was common knowledge that his datings could not always be trusted.²⁸ In doubtful cases Mulder therefore relied on Jewish classics like David Gans’ Zemach David (Prague 1592) and Seder Olam Rabba, an early rabbinic chronology of biblical times that had recently been annotated by Jacob Emden (Hamburg, 1757) and the Vilna Gaon (Shklov, 1800). Further corrections were made with the help of Rashi, Ibn Ezra, Kimchi and Abravanel, and the newly completed Bible translation by Johannes van der Palm (1763−1840), the only non-Jewish source on Mulder’s list. We should perhaps add here that when Mulder openly placed his trust in the “undependable” Jost, it was not for the want of contemporary sources in the Dutch mother tongue. In recent decades, the Low Countries had witnessed a steady increase in Jewish histories written by gentile authors. Publications included translations as well as original texts, and as a rule put great − if not exclusive − emphasis on the history of the Jews in biblical times and GraecoRoman antiquity.²⁹ Of course we cannot rule out the possibility that one or
“Dit alles is naar het verhaal van Josephus geschetst; men weet dat Titus in den Talmud als een goddeloos booswicht voorgesteld wordt”; Mulder, Chronologisch handboekje, “Voorrede”, p. [2]. Jost, Isaak Markus: Allgemeine Geschichte des Israelitischen Volkes sowohl seines zweimaligen Staatsleben als auch der zerstreuten Gemeinden und Sekten bis neueste Zeit. 2 vols. Berlin 1832. “[D]och dat men de jaartallen van dien beroemden schrijver niet overal blindelings volgen kan, is reeds dikwijls bewezen”; Mulder, Chronologisch handboekje, “Aantekeningen”, unpaginated, p. [4]. Translations included S. van den Hoek’s 1802 version of Johann Immanuel Schmid’s Geschichte des jüdischen Volks (1792; translated as Geschiedenis des joodschen volks, Rotterdam 1802), and J. de Breet’s De geschiedenis der joden (Arnhem: C.A. Thieme, 1829), based on the
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more of these books were on Mulder’s desk while he wrote his Chronologisch handboekje. But when it came to publicly committing himself to a historicist tradition, his loyalties lay with the “Wissenschaft des Judentums”. Rectified, whenever necessary, by traditional material from Seder Olam Rabba and the early modern Zemach David. ³⁰ If by 1836 Samuel Mulder had embraced the modern art of history, he clearly had not been ready to accept the critical epistème that came with it.
Constructing Jewish time Ever since the Venerable Bede had finished his Historia ecclesiastica (in the year of our Lord 731), the history of the gentile world had been structured around one big caesura: the incarnation of the Saviour. Henceforth Christian time was counted either in years “ante Christum natum” or “anno Domini”. In obvious imitation of this calendrical tradition − and with a good measure of historical plausibility − modern Jewish historians had proposed a similar division, with the end of the Judean revolt in 70 CE as the main watershed. It was then, they claimed, that Jewish national existence had come to an end, and Jewish spiritual existence in exile had taken its course. Mulder too had planned his two-volume handbook, which was to cover the entire period “from the Creation of the World Until Our Times” around this axiom. Part one dealt with the period of Jewish national existence, ending in the clearance sale of the Jewish homeland by Liberius Maximus in the year 70. (Less sensitive to such political-territorial considerations, gentile authors had placed the caesura in 135 CE, when emperor Hadrian had banished the Jews from Aelia Capitolina, the former Jerusalem). Part two of the handbook, an-
Comte de Ségur’s Histoire des juifs of 1827. Recent original works were the textbook by teacher and educational innovator Hendrik Wester (Geschiedenis der Israëliten of Joden, Groningen 1814, various reprints); P. van Eyk’s Geschiedenis der joden, na de dood van Alexander tot de verwoesting van Jeruzalem (Amsterdam 1818); and Jan Nolet de Brauwere van Steeland’s Geschiedenis van het joodsche volk van de schepping der wereld tot na de verwoesting van Jeruzalem (Den Haag 1835). In the Vaderlandsche Letteroefeningen of 1836 (p. 503−506) the latter was trashed as the “conceited, inglorious and utterly futile’ exercise of an overly ambitious young man.” Interestingly enough, in both this review and in that of Breet’s Geschiedenis (Vaderlandsche Letteroefeningen 1834, p. 702−705), Johannes van der Palm’s legendary children’s Bible (Bijbel voor de Jeugd, 1811−1834) was adduced as the benchmark for writing an early history of the Jews. Comp. Sluys and Hoofiën’s reference, already quoted twice, to “Josephus, Gans, Graetz and Jost” as an ensemble which in 1870 continued to dominate the Dutch-Israelite canon.
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nounced by Mulder as “about to follow a.s.a.p.”,³¹ never materialized. One reason may have been that, as a background to both the Old and the New Testament, the history of Jewish antiquity was of undisputed relevance, both in the Jewish classroom and beyond. The benefits of Diasporic history, on the other hand, were much less clear. Besides, that history had taken shape in a diffuse and complex set of contexts, knowledge of which neither the Jewish school system nor Samuel Mulder will have deemed particularly urgent at the time.³² Less than twenty years later, a similar fate awaited the project proposed by Leman Borstel (1827−1911), a seminary alumnus who worked as a school teacher in The Hague.³³ In the summer of 1851 the “Maatschappij tot Nut der Israëlieten in Nederland” had announced a competition for the best popular (“volksleesboek”) or school book on the general history of the Israelites.³⁴ Modelled upon the Christian “Maatschappij tot Nut” (from 1784), the society had been founded in Amsterdam in 1849 with the aim to promote morality, virtue, civilization and general skills (“goede zeden, deugd en beschaving…nuttige kundigheden”) among the Dutch Israelites. Developing up-to-date curricula for the Jewish charity schools (“inrichting van onderwijs aan minvermogende Israelieten”) was one of their core activities. Borstel decided to submit a volume that would narrate Jewish history up to 70 CE, for Jewish boys and girls aged ten to fifteen as well as for the mature reader, regardless of his creed.³⁵ Following established Dutch-Israelite practice, he based his narrative on a German text, viz. the third edition of Moses Elkan’s Leitfaden beim Unterricht in der Geschichte der Israeliten (18503), which had come highly recommended by Isaak Markus Jost.³⁶ Copying Mulder’s routine, he augmented his source with insights gathered from the Hebrew Old Testament, the apocrypha, the Talmud, Josephus (or rather the Yiddish Josippon)³⁷ and later au-
Mulder, Chronologisch handboekje, “Voorrede”, p. [2]. But see below, on “Locating Jewish history”. For information on Borstel, see Hausdorff, David: Jizkor. Platenatlas van drie en een halve eeuw geschiedenis van de joodse gemeente in Rotterdam van 1610−1960. Baarn 1968. P. 134 f. For further information and literature, see http://resources.huygens.knaw.nl/armenzorg/ gids/vereniging/2259455489 (accessed 16 March 2021). “[L]ezers van rijperen leeftijd, onverschillig welke godsdienst zij belijden”; Borstel, Leman: Schets van de algemeene geschiedenis der Israëliten en die der Nederlandse Israëliten (voor en tijdens hun volksbestaan). The Hague 1853. “Voorberigt”, p. xiii−xiv. Borstel, Schets, “Voorberigt”, p. xvi. For this persistent tradition, see Wallet, Bart T.: Links in a Chain. Early Modern Yiddish Historiography in the Northern Netherlands (1743−1812) (Ph.D. thesis, University of Amsterdam, 2012).
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thors, including Samuel Mulder’s petite histoire, which had been on the seminary’s reading list in Borstel’s student days. As Borstel’s book was meant as an emulation of his own, Mulder, when asked for an approbation, only managed to write down half-hearted praise.³⁸ Had the esteemed author seen fit to consult him at an earlier stage, he grumbled, he would have given him quite a few directions for improvement. Yet for all his misgivings he hoped that Borstel, having shown diligence and industry, would be granted the time and strength to write a comprehensive account of Jewish history. That Borstel had every intention to do so can be learned from his own preface, where he promised to continue the Schets by writing (like Elkan) a geography of Palestine,³⁹ a general history of the Jews up to the 1850s and, possibly as an alternative to Hendrik Koenen’s Geschiedenis der Joden in Nederland of 1843, a separate work on the history of the Israelites in the Low Countries.⁴⁰ As in the case of Mulder, however, and perhaps for similar reasons, he did not follow up on these plans. If he had, the scoop would not have been his. Since the early 1840s, no less than two integral “Israelite” Jewish histories had become available to the Dutch readership. Preceding Koenen, both were based on Jost’s Allgemeine Geschichte of 1832. Yet no two adaptations could be more different. The four-volume Jost-translation by religious teacher Moses Mijers, with an introduction, notes and chronological tables by Izaak Jacob Lion, was published for a mature, gentile audience and therefore need not concern us here.⁴¹ By contrast, David Lissaur’s three-volume Algemeene Geschiedenis (1840−1841) was written not to gratify Dutch grown-ups but to instruct the youngest pupils in the Israelite schools, who were expected to master its contents without the help of a teacher, as the reference to “zelfstudie” on the title page suggests.⁴² On the one hand this dedication tells us that by 1840 Lissaur, who had gained his spurs as an author of Hebrew primers, welcomed history as a propaedeutic discipline, on a par with reading and translating the Holy Tongue. In passing it also illustrates his indestructible belief in the learning capacities of his pupils,
Borstel, Schets, p. xi−xii. Elkan’s Leitfaden had come “nebst einem kurzem Abriss der Geographie Palaestinas”. Borstel, Schets, p. xvii−xviii. For Lion and Mijers’s Algemeene Geschiedenis des Israëlitischen Volks (Leeuwarden: V. Meursinge, 1842), with special attention to their − for the Netherlands quite atypical − endorsement of Jost’s radical assimilationism and Spinozist critique of Judaism, see Zwiep, The Haskamah of History, p. 114−116. “[T]en behoeve van de eerste klasse der Israëlitische godsdienstige scholen tot zelfstudie bewerkt.”
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an optimism which had also informed his Hebrew grammars.⁴³ Still one cannot help thinking that those pupils will have had a hard time struggling through Lissaur’s prose. As one Christian reviewer remarked, the narrative lacked all vivacity and, an omission no less grave, utterly failed to inspire due gratitude and devotion among its young readership.⁴⁴ Despite these shortcomings, the Algemeene Geschiedenis could boast of at least one accomplishment: for the first time in Dutch, it offered a Jewish periodization of the totality of Jewish history. In tune with the rules of ancient rhetoric and current historiography, Lissaur had structured his narrative around three great epochs: Ancient History (“Oude Geschiedenis”), which comprised the almost four thousand years that had passed between Creation and the year 70 CE; Middle History (“Middelgeschiedenis”), which ran from 70 CE to the completion of the Talmud in 500 CE; and New History (“Nieuwe Geschiedenis”), which extended from 500 CE to the present time. Lissaur’s tri-partition shows conspicuous affinity with E. ter Mee’s quasi-anonymous Chronologische tabel der algemeene geschiedenis, which had appeared only one year before.⁴⁵ There, too, we find Ancient History (starting, as always, with God creating heaven and earth), followed by Middle History (here beginning after the Fall of the Roman Empire) and New History, which had commenced with the discovery of the Americas. Same terminology, different perspective. While Lissaur’s terminology formally matched its gentile counterparts, his Jewish periods closely followed their own particular time table. All-in-all we find that, when it came to handling his source material, Lissaur’s modus operandi resembled that of his colleagues Mulder and Borstel. When recounting the Israelite past, the Jewish teacher was free to copy every
A curious example of this pedagogical optimism is found in Mahir be-nittuach ha-millot. De kunst om binnen een’ korten tijd te leeren partes maken (Amsterdam 1828), where Lissaur wrote: “Hoe aanstootelijk het voor een’ onderwijzer moet zijn, bijaldien hij zich genoopt ziet zijne leerwijze naar den wispelturigen of tragen wil des leerlings te schikken, zoo leert ons nogtans de ervaring, dat soms deze wil, behoorlijk gewijzigd, hem het werkzaamste middel aan de hand geeft […].” (unpaginated preface). “De verhaaltrant mist alle pragmatische levendigheid, alle aansporing tot dankbaarheid en godsvrucht enz.”; In: Vaderlandsche Letteroefeningen 1843, p. 91. The reviewer added that he would have expected more gratitude towards the Dutch host society, for its tolerance and hospitality. As a school manual, he concluded, it was not to be recommended: “Als schoolboek stellen wij het zeer laag; maar ook hier moet de verbetering langzaam komen, en het onderwijs der Israëlitische kinderen is reeds veel vooruitgegaan.” In: Vaderlandsche Letteroefeningen 1843, p. 92. Chronologische tabel der algemeene geschiedenis, vervaardigd door den schrijver der Geographisch-Historisch Statistieke Tabel van Nederland. Groningen 1839−40.
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contemporary author, but only as far his religious conscience allowed. Of all available resources, Jost’s thoroughly Jewish, yet overtly secular Allgemeine Geschichte may well have posed the toughest test to that conscience. In the new Europe, or so Jost’s message went, the Jews would be allowed to dissolve into the universal brotherhood of men, quietly and without a trace. Jost was a Spinozist and no friend of rabbinic Judaism, which explains this radical assimilationist stance.⁴⁶ Lissaur, by contrast, wrote for the Israelite classroom and could not possibly endorse Jost’s secular messianism. As behoved a religious teacher, he gently continued Jost’s narrative to let it reach its provisional end in the pious here and now of Jewish life in the Netherlands.
Locating Jewish history Eight years after Lissaur, Israel Waterman, a school teacher in Kampen who had made a habit of writing one manual after another, finished his own account of Jewish world history.⁴⁷ As his sources he mentioned “Jost, Philippson, Mulder and others”.⁴⁸ While Jost and Mulder are usual suspects, we may read the reference to Philippson as an indication that Waterman had consulted his Allgemeine Zeitung des Judenthums for information on current affairs in European and American Judaism. Like Lissaur, he had taken great care to make his tables up-to-date, with the revolutionary year 1848 as a promising terminus. And again like Lissaur, he had followed the customary tri-partition of history, albeit with one small, but by no means minor difference. Where Lissaur had let New History begin with the completion of the Babylonian Talmud, Waterman located its beginnings in a thoroughly Christian event: the coronation of Charlemagne in the year 800. In Waterman’s version this milestone in Christian history was recounted with manifest Jewish bias, that is to say, it was hardly recounted at all. Omitting all references to the emperor’s life and conquests and ignoring his alliance with Rome and the Pope, Waterman merely noted that “the Israelites had enjoyed great protection from Charlemagne”, who
Schorsch, Ismar: From Wolfenbüttel to Wissenschaft. The Divergent Paths of Isaak Markus Jost and Leopold Zunz. In: Leo Baeck Institute Year Book 22 (1977). P. 109−128. Coppenhagen 1988 mentions 16 textbooks authored by Waterman, all written between 1842 (a short guide to religious confirmation, designed for boys and girls) and 1860 (an introduction to the Bible for Israelite schools and families). Waterman, Israel: Tijdrekenkundige tafel voor de geschiedenis der Israëliten, van de vroegste tijden tot op onze dagen, in zeventig lessen. Kampen 1849. “Voorberigt”, p. ii.
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had chosen an Israelite as his envoy at the court of Khalif al-Rashid.⁴⁹ Charlemagne was for Waterman what he would later become for EU ideologues: a pater Europae, the founding father of a patchwork of nation states, each with its own Jewish population and thus with its own Israelite history. A quick glance at the course of that Israelite history per geo-political unit, which in Waterman’s tables proudly filled the centre of each page, soon reveals a distinct pattern. In the beginning of each national history we invariably encounter gentile goodwill and Jewish prosperity. Witness, for example, the Muslims’ legendary esteem for their Jewish neighbours in medieval Spain, the privileges conferred upon the Jews by Louis Premier and Edward the Confessor, the freedom of religion enjoyed by the Jews in the Byzantine Empire, and the founding of Jewish communities in Eastern Europe, America and the Low Countries. At the end of each chronological survey stood the year 1848, which had seen the granting (or consolidation) of Israelite civic equality in most European states, a trend that was also spilling over into the colonies, Ottoman Turkey and, slowly but surely, the Iberian Peninsula.⁵⁰ Between these happy extremes Waterman noted the usual mix of toleration and persecution, repression and privilege, gentile policy and Jewish response, which he recapped in a series of short chronological entries and, almost without exception, with formidable detachment. In a second, marginal column, formatted in small print under the heading “clues to a proper understanding of history, famous men and institutions”, Waterman recorded the principal landmarks within Jewish history. Here the inquisitive pupil could read that in the year 933 BCE a Jewess called Naema had invented the art of spinning, that in 745 CE “Gaon Anon” had founded the sect of the Karaites, that in 1670 “Baruch Benedictus Spinoza” had been a philosopher in the Low Countries,⁵¹ or that in 1796 one “Benseb, letterk.” deserved special mention for an otherwise unspecified achievement.⁵² It was also the place where Waterman occasionally took the liberty of sharing his “Jostian” views on the course of Jewish national, i. e. pre-70 CE, history. Commenting on the Babylonian exile Waterman, Tijdrekenkundige tafel, “Voorberigt”, p. 22. After a 300-year gap (following the Lisbon massacre in 1506), the Israelites had started to return to the country, and in 1830 had even founded a new community in Lisbon; Waterman, Tijdrekenkundige tafel, p. 28. The only notable exception to Waterman’s tale of civic progress was Russia where, after a series of pogroms, the year 1848 had brought the expulsion of the Israelites from the Russian border provinces; ibid., p. 38. Waterman, Tijdrekenkundige tafel, p. 39. In the same column he listed the names of several Dutch Israelite lawyers, politicians, mathematicians, authors, physicians and, characteristically, only two (chief) rabbis. Waterman, Tijdrekenkundige tafel, p. 26. The reference is to Judah Loeb ben Ze’ev’s Hebrew grammar Talmud lashon ‘ivri of 1796.
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(which he located, with Zemach David, in the year 422 BCE), he argued that the first Israelite state had been a “tottering building, unable to withstand internal corruption and outside attacks”, in short, a highly unstable and precarious setting for the realization of the Mosaic Law. He also regretted that Israel’s sojourn in Babylon had failed to inspire less a patriotic form of Jewish religiosity.⁵³ Luckily, he concluded, the destruction of the Second Temple had changed the prospects of Jewish self-realization. Ever since, Israel had dwelled among the nations as a stateless entity, free at last to become a purely spiritual witness to the divine revelation.⁵⁴ What can we learn from this brief summary of the format and content of Waterman’s chronological tables? First of all, it tells us that Waterman taught his pupils an Israelite history that was fully integrated into world history, where it branched out into the particular histories of each nation state. Reconstructing the Israelite share in each of these national histories meant monitoring the Jews’ political fortunes over a broad range of times and places, zooming in on the − sometimes hectic and contested − interface between the Jewish and gentile worlds. Waterman’s mildly Jewish bias is best seen when we read his Tables alongside the Israelite history that was published one year later by the Utrecht professor of literature and rhetoric Lodewijk Visscher (1797−1859). Taking the course of Dutch national history as his point of departure, Visscher concentrated on centuries of Dutch policy-making regarding the Jews, always formulated in terms of in- and exclusion, and including an impressive survey of Dutch pamphlets on civic equality and Jewish emancipation, published around 1796.⁵⁵ By contrast, when documenting the internal history of the Jews, Waterman contented himself with ticking off, without further comment, the most striking moments and monuments in their creative history. Relegated to the margins of his tables, Jewish cultural history was hardly more than an afterthought. A series of minor, esoteric footnotes to the grand political scheme of things which, in 1848, only seemed to signal equality, integration and progress. This optimism served to confirm Waterman’s working hypothesis that Jewish history was best told as a series of hyphenated histories: Dutch-Israelite, American-Israelite, Asian-Israelite – with the nationalities always listed in that order. “Every country will have the Jews it deserves,” Karl Emil Franzos wrote in 1876.⁵⁶ One doubts whether Waterman would have caught on to the irony of these famous words. Waterman, Tijdrekenkundige tafel, p. 13 f. Waterman, Tijdrekenkundige tafel, p. 18. Visscher, Lodewijk: Chronologische tafel voor de geschiedenis van de Israelieten in Nederland. Utrecht 1850. In the preface to his Die Juden von Barnow. Stuttgart − Leipzig 1877. P. xx.
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After memorizing the 39 pages of his chronological tables, his pupils almost certainly would not.
Teaching to remember So far the history books we discussed were compiled by one school inspector (Mulder) and three teachers (in order of publication: Lissaur, Waterman, and Borstel). In Hirsch Somerhausen’s Da‘at Dorot [Wisdom of Generations], 1842, we encounter a manual written by what today we would probably call a Jewish public intellectual. Born in Berlin in 1781 and raised in the spirit of the Haskalah, Somerhausen had always remained true to the movement’s socio-political agenda, which had been dominated by an interest in emancipation, the combination of pious and secular education, and the interaction between Hebrew and the gentile vernacular. Judging by his 1842 publication, Jewish historicism had eventually found its way into that enlightened programme. When compared to its Dutch equivalents, Somerhausen’s manual represents somewhat of an “Alleingang”, or perhaps we should say an anachronism. In accordance with previous maskilic ideology it was fundamentally, and functionally, bilingual. Published in Brussels, the languages of instruction were Hebrew and French.⁵⁷ Still, like Coppenhagen I could not resist including this old-fashioned, “Belgian” text in our evaluation of early Dutch-Jewish history teaching. One reason is Somerhausen’s lasting affinity with Amsterdam, where in the early nineteenth century he had helped build, almost from scratch, a flourishing Israelite educational and cultural infrastructure.⁵⁸ On top of that, the overtly maskilic orientation of his historiography poses an interesting counterpoint to the Wissenschaft-based textbooks of his colleagues in the Kingdom of the Netherlands.
For Somerhausen’s activities in Belgium, see Wallet, Bart T.: Belgian Independence, Orangism, and Jewish Identity. The Jewish Communities in Belgium during the Belgian Revolution. In: Borders and Boundaries in and around Dutch Jewish History. Ed. David J. Wertheim [et al.]. Amsterdam 2011. P. 167−182. In Amsterdam Somerhausen had been involved in the founding of such novel institutions as the Dutch literary confraternity “Tot Nut en Beschaving” (1807) and, with Moses Lemans and Moses Cohen Belinfante, the “Chanokh la-nangar educational society” (1808). That he remained interested in Dutch-Israelite education appears, inter alia, from the “Vertoog over een doelmatig middel van onderwijs der hebreeuwsche taal in de laagste klassen of afdeelingen der Israëlitische scholen”, which he published (aged 70) in 1851 in the first issue of the Tijdschrift van de Maatschappij tot Nut der Israëlieten in Nederland.
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Drawing upon Seder Olam Rabba and Zuta, on Abraham Zacuto’s early sixteenth-century Sefer Yuchasin [Book of Genealogies] and Gans’ Zemach David [Scion of David], Somerhausen covered the entire histoire ancienne (ending in 70 CE) et moderne des Israélites.⁵⁹ For each of these two epochs, he listed fourteen milestones, beginning with the deluge in the year “2,104 avant J.-C.” and ending, in a pseudo-messianic vein, with Napoleon’s decision to convene the Sanhédrin in Paris in 1806.⁶⁰ In between, he offered a selection of great books (halakhic classics from the Mishnah to the legal codices), great men (in casu Maimonides, Abravanel, Menasseh ben Israel and Moses Mendelssohn, each the subject of a biography in the maskilic journal ha-Me’assef), and the four great watersheds in the history of Judaism: the emergence of the Karaites, the end of the Babylonian gaonate, the cherem of Rabbenu Gershom of Metz and the above-mentioned first Sanhedrin. In a separate “supplément”, obviously geared towards the teacher rather than the pupil, he gave a survey of parallel “événements et personnages synchronologiques … de l’histoire universelle”. Here we find references to rulers and dynasties, from ancient Chinese emperors to latter-day European royals whose reign had coincided with the events mentioned in the historical overview. Like Waterman, but via a different route, Somerhausen thus sought to integrate the Jewish past into a larger context. Yet unlike in Waterman’s Tables, in Da‘at Dorot Jewish and gentile history did not interact. They were synchronous, not intertwined, two separate manifestations of a single global history rather than the product of varying national dynamics. Accordingly, Somerhausen’s history lacked the political dimension that dominated Waterman’s survey. Instead it signalled the nation’s foremost cultural landmarks, which were projected against a typically nineteenth-century décor that stretched from the ancient East, via the Greeks, Etruscans, Romans and Goths, to France and Germany as the epitome of the modern West. Somerhausen’s choice to cast the historical facts in the form of Hebrew dystichs and even shorter French sententiae no doubt will have helped his audience to memorize the disjointed highlights. What they will have remembered after studying his didactic rhymes will have been little more than “ein blosses Münzkabinet von Ereignissen”, the intellectual equivalent of a mere fragmented coin
Somerhausen mentioned his sources in a short comment prefaced to the (unpaginated) Hebrew part of Da‘at Dorot. Somerhausen probably had in mind the Assemblée’s issuing the convocation in October 1806 (he wrote “à été convoqué”). The actual Sanhedrin was held early 1807.
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collection.⁶¹ In the maskilic perception, history remained a literary mélange of dates, names and facts, which together made up the great story of humankind. An elementary introduction to enlightened world civilization, with a special spotlight on the Jewish contribution to that universal past.
Summing up In the above reconstruction of first-generation Dutch-Israelite history teaching (1830s−1850s), we have witnessed Jewish history being approached from various new angles. We have seen it presented as the tale of a small but tenacious religion; as the factual recapitulation of biblical ethics; as the inalienable part of a universal canon; as the upshot of a particular national dynamic; as atomistic data and fluent narrative; in prose and in poetry. We have also seen how the historicist turn prompted Jewish scholars to locate their history within gentile time and place, with varying results, depending on their social and cultural outlook. Yet for all these variations, the five authors whose writings we have examined here appear to have agreed on one vital issue: from the year 70 CE onwards, Jewish history had been the history of a post-national nation. Its central theme was the continuous spiritual self-realization of a religious ethnos, whose linguistic, social and political integration into modern European society was a continuous process. It was this dynamic condition that they wanted their pupils to internalize. While the sources for their reconstructions largely coincided, their didactic approaches varied greatly. In Amsterdam, David Lissaur believed Jewish youngsters were best served by an exhaustive, densely written Algemeene geschiedenis, which they were expected to read without further assistance. The prolific Israel Waterman in Kampen thought his pupils capable of memorizing no less than 450 individual dates and events, provided they were spread over seventy well-structured chapters. And where the ageing maskil Somerhausen relied on the power of bilingual poetry, seminary alumnus Leman Borstel put his trust in the skills of the teacher, whom he expected to elaborate on his historical narrative whenever he saw fit.⁶²
With this metaphor the German theologian Philipp Konrad Marheineke (1780−1846) had dismissed the genre of “allgemeine Geschichte”, which merely documented events. Instead he favoured “pragmatische Geschichte”, which tried to understand (verstehen) the world; in: Marheineke, Konrad: Universal Kirchenhistorie des Christentums. Grundzüge zu academischen Vorlesungen. Erlangen 1806. P. 7 f. Borstel, Schets, p. xiv.
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The didactics varied, yet the goal was one and the same. Freely mixing traditional and modern data, the authors created a new type of discourse that was to confirm the compound Dutch-Israelite identity in form, language, structure and content. “From the history of nations we learn, that the nations have learned nothing from history,” Hegel famously remarked in his Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte. Samuel Mulder and his successors would have heartily disagreed. With David Sluys and Jacob Hoofiën they believed that by studying history and committing its facts to private and collective memory, Jewish readers would become sophisticated Israelites (“beschaafde Israeliten”). By putting their past in its proper gentile context, the study of Jewish history would simultaneously transform them into sophisticated Dutchmen. In the schools the teaching of Hebrew continued, but when compared to history’s potential, the “religious” Hebrew soon was considered too old and limited to convey the complexities of modern Jewishness. In post-emancipation Europe, Judaism and Jewishness were best expressed in dual terms, which only a composite, hyphenated, European-Jewish historical narrative could nourish and endorse.
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Unterhaltende Kinder- und Jugendliteratur als Mittel der religiösen Unterweisung
Zohar Shavit
Robinson der Jüngere in the Service of the Haskalah: Joachim Heinrich Campe, the Haskalah and the “Bildung” Project in Jewish Society “These people have a heart like mine.” (David Samosc [transl.], Robinson der Jüngere. Ein Lesebuch für Kinder von Joachim Heinrich Campe, p. 10)
What does a Jewish Maskil, unhappy about the poor state of Jewish education and residing in a province relatively far from the cultural center of Berlin, do to remedy the situation? A typical answer can be found in Haskalah literature of the early nineteenth century, in David Samosc’s (1789 – 1864) 1824 Hebrew translation of Joachim Heinrich Campe’s Robinson der Jüngere titled Robinson der Jüngere. Ein Lesebuch für Kinder (the book cover and title appeared in German transliterated into Hebrew letters; the language of the text itself was entirely Hebrew).¹ This translation demonstrates both the familiarity of members of the Haskalah movement – even those in the provinces – with contemporary German literature, and their use of translations as a tool to disseminate their ideas and ideals within the Jewish community. The ideas in this case were the Philanthropinist movement’s approaches to education; David Samosc’s translation was designed to provide teachers and parents (primarily fathers) with a text they could use to impart a new set of values to children, thereby generating change in Jewish society and its culture in the German-speaking parts of Europe. This article will examine the circumstances that led to Samosc’s translation of Robinson der Jüngere, an internationally renowned bestseller. Its author, Joachim Heinrich Campe (1746−1818), was among the most prominent writers of the
Note: This article was written in the framework of a DFG funded research project: “Innovation durch Tradition? Jüdische Bildungsmedien als Zugang zum Wandel kultureller Ordnungen während der ‘Sattelzeit’” run together with Prof. Simone Lässig of the German Historical Institute, Washington D.C. I would like to thank Prof. Lässig for her cooperation and advice and I would like to deeply thank M. Engel, Irit Halavy, Irad ben Isaak, Ido Peled, and Ran Kalderon for their precious and indispensable help in the intricate work of writing this essay. Samosc, David: אינס. פאן יָאאכים היינריך קאמפע. איין לעזעבוך פיר קינדער.ָראבינזאהן דער יִינגערע [ העברֶאישע איבערטראגען פָאן דוד זאמושטשRobinson der Jüngere, Ein Lehrbuch für Kinder. Von Joachim Heinrich Campe. In’s Hebräische übertragen von David Samosc]. Breslau 1824. https://doi.org/10.1515/9783110743050-009
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Philanthropinist movement and had personal contacts among the Maskilim; his Robinson was considered the text that most clearly expressed the values of Philanthropinism. My study of Samosc’s translation will focus on how he utilized Campe’s status among the Maskilim to embed Philanthropinist approaches to education in Jewish literature; how he used his translation as a platform for imparting the values of “Bildung” to the Jewish communities of German-speaking areas of Europe; and how he leveraged his translation to introduce civil society, the values of “Bildung”, and the bourgeois family model to Jews – all this in the context of the relationship between the Haskalah and Philanthropinism in general and with Joachim Heinrich Campe in particular. This article will also compare later translations of Robinson that were based on a different worldview than Samosc’s, in order to better illustrate the objectives of his own work. In previous articles I have demonstrated how Maskilim used translated texts to present Jewish society with an alternative habitus;² by embedding in those overt or implied instructions regarding everyday practices. This article will describe how Maskilim employed translation to put forth their ideal model for Jewish society – one which deviated from tradition and was based on the values of the German bourgeoisie, particularly in terms of familial relations, “Bildung”, vocational training and relations with non-Jews. David Samosc’s translation was part of a major Maskilic project that emerged toward the late eighteenth century of publishing books for Jewish children and young adults. These books voiced the change that the Haskalah movement was trying to engender in Jewish communities, among other things by establishing a network of schools whose pedagogical approach embraced Philanthropinist values – albeit filtered through their own Maskilic interpretation. The Maskilim sought to become part of bourgeois civil society and to reform Jewish society via the dissemination of “Bildung” values, in the spirit of Christian Wilhelm von Dohm’s³ recommendation that Jews be granted equal civil rights provided that they adopt “Bildung” values and the behavioral codes of civil society’s bourgeoisie (Bürgertum). The Maskilim understood that adopting such values would open up new horizons for Jews’ integration into non-Jewish
Shavit, Zohar: What Do You Do When You Get Up in The Morning: The Function of The Haskalah Library in The Change Which Took Place in the Jewish Habitus. In: The Library of the Haskalah. Ed. by Shmuel Feiner, Zohar Shavit, Natalie Naimark-Goldberg, and Tal Kogman. Tel Aviv 2014. P. 39−62 [Hebrew]; Shavit, Zohar: Train Up a Child: On the Maskilic Attempt to Change the Habitus of Jewish Children and Young Adults. In: Journal of Jewish Education 82,1 (2016). P. 28−53. Dohm, Christian Wilhelm von: Über die bürgerliche Verbesserung der Juden (1781). Hildesheim − New York 1973.
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bourgeois society, where one was judged by his ability to acquire independent status by attaining a profession, a broad education, and financial and cultural capital. The line separating the bourgeoisie from other socioeconomic strata was shaped by a unique bourgeois self-consciousness, cultural model, and ways of life.⁴ This Bürgerlichkeit was manifested in “individuelle Leistung, Arbeit und Arbeitsethos, Neigung zu rationaler Lebensführung, Selbständigkeit, Selbstorganisation, Bildung, ästhetisches Verhältnis zur Hochkultur, ein Familienideal, symbolische Alltagsformen (Tischsitten, Kleidung, Konventionen) etc. – und ‘vielleicht’ auch politische Werte wie ein ‘Minimum an liberalen Tugenden’”.⁵ Embracing bourgeois values eased – and in fact made possible – Jews’ integration into German speaking society. Their emancipation, as opposed, for example, to that of the Jews in France, was conditional. Whereas French Jews could decide for themselves what to make of their emancipation, the Edict of Tolerance, passed in 1782 in the Habsburg empire, demanded a prolonged preliminary process for Jews if they wished to earn emancipation.⁶ Jews could enjoy equal (albeit limited) rights if they proved they had acquired “Bildung”. In other words, emancipation meant adopting the German bourgeoisie’s Enlightenment ideals: its unique social ethos, its rules of “Sittlichkeit”, and its customs and etiquette. Scholars have provided different answers to the question of how Jews adopted bourgeois values. Some, like Shulamit Volkov,⁷ believe it involved a two-stage process that relied on Jews having first achieved economic prosperity. Others, like Simone Lässig,⁸ argue the opposite: that Jews began acquiring a secular education and adopting the daily practices of the German bourgeoisie at an earlier rather than later stage of the process of entering that stratum; in other words, the “Bildung” that they acquired then enabled them to improve their economic sta-
For a comprehensive discussion on the subject, see: Hettling, Manfred: Bürger, Bürgertum, Bürgerlichkeit. http://docupedia.de/zg/hettling_buerger_v1_2015 (4. 9. 2015). Hettling, Bürger, Bürgertum, Bürgerlichkeit, p. 13. Rürup, Reinhard: Judenemanzipation und bürgerliche Gesellschaft in Deutschland. In: Emanzipation und Antisemitismus, Studien zur “Judenfrage” der bürgerlichen Gesellschaft. Göttingen 1975. P. 11−36, p. 17 f. Weissberg, Liliane: Moritz Daniel Oppenheim, Johann Wolfgang Goethe und die Erfindung des jüdischen Bürgertums. In: Trumah 22 (2012). P. 69−91, p. 71. Volkov, Shulamit: Die Verbürgerlichung der Juden in Deutschland als Paradigma. In: Volkov, Shulamit: Jüdisches Leben und Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert. Zehn Essays. München 1990. P. 111−130. Lässig, Simone: How German Jewry Turned Bourgeois: Religion, Culture, and Social Mobility in the Age of Emancipation. In: Bulletin of the German Historical Institute (GHI) 37 (2005). P. 59−73.
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tus, and most importantly the economic and social status of their children, who were raised on the values of “Bildung”. I propose to understand the process of bourgeoisification as both a continuation of and a departure from a long Jewish tradition in which intellectual capital was combined through marriage with financial capital. In this tradition, the bride’s family supplied the capital necessary to fund the groom’s Torah studies. The tradition continued during the Enlightenment, but with a change in the intellectual capital in question: the groom’s assets were no longer religious education, but “Bildung”, which allowed him and his family to climb the social ladder within one or two generations. Whether Jews first acquired financial capital, and only then gained, in the words of Pierre Bourdieu, symbolic capital and established themselves within the bourgeoisie, or whether a parallel or inverse process took place, it is clear that by the end of the nineteenth century a significant number of Jews in German-speaking areas had become part of the bourgeoisie. This was evident from their ways of life and economic and social structures, which differed from those of Jewish communities in the German-speaking areas a century earlier. This revolution took place thanks to the confluence of two factors: a shift in the ruling regimes’ policy towards Jews, from exclusion and discrimination to tolerance and inclusion; and the process of reform that the Haskalah movement strove to generate in Jewish society.⁹ That effort toward reform would involve several agents of change, among them a new educational system and the publication of non-religious texts explicitly aimed at children and young adults. These texts also unofficially addressed adults who were searching for a path towards Enlightenment, and presented Jewish readers with a new social model. Such was the case with the translation into Hebrew of Robinson der Jüngere, whose story, built on the framing device of a dialog between father and children, dramatized various scenarios in a typical bourgeois family and thus provided an almost visual illustration of the ideal model of bourgeois life.¹⁰
Bodian, Miriam: The Jewish Entrepreneurs in Berlin and the ‘Civil Improvement of the Jews’ in the 1780’s and 1790’s. In: Zion 49, 2 (1984). P. 159−184 [Hebrew with English summary]. On Campeʼs presentation of familial life and on his changes to Defoeʼs text, see Mouchet, Claude: Robinson Crusoé. Un héros pédagogique entre Rousseau et Campe. In: Revue Philosophique de la France et de lʼÉtranger 185,3 (1995). P. 311−336, p. 321 f.
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1 The Haskalah and its Relationship with Members of the Philanthropinist Movement The Philanthropinist movement (in German: Philanthropinismus) blossomed in the 1770s in northern Germany. It sought to implement educational reforms based on Enlightenment values and to correct the flaws of traditional education.¹¹ The Jewish Maskilim saw Philanthropinism as a source of inspiration for the revolutionary change they desired to bring to Jewish education. In its early stages, their connection to Philanthropinism stemmed from Moses Mendelssohn’s personal relationships with central members of that movement, primarily with Joachim Heinrich Campe and Johann Bernhard Basedow, who founded the “Philanthropinum” school in Dessau. Moses Mendelssohn played a pivotal role in introducing reform within Jewish education. He participated in most of the efforts to introduce “Bildung” into Jewish society in Berlin and was among the initiators of the first Jewish civil school (Bürgerschule) in Europe – “Die Jüdische Freischule zu Berlin”, founded in 1778. He himself introduced civic education in his home for his own children in the 1760s and 1770s, serving as a role model for Jewish civic education.¹² Contact between Basedow and Mendelssohn began after Mendelssohn published a lengthy review of a book by Basedow in Bibliothek der schönen Wissenschaften in 1757.¹³ While he praised the book, he also leveled sharp criticism at Basedow’s great veneration of French culture.¹⁴ When, ten years later, Basedow was recruiting pre-subscribers for his new encyclopedic textbook Elementarbuch, he asked Mendelssohn to help gather pre-subscriptions, apparently since he thought Jews might be interested in promoting a book that presented the foundations of the Philanthropinist movement. Mendelssohn responded with a bitter letter¹⁵ in
Schmitt, Hanno: Vernunft und Menschlichkeit. Studien zur Philanthropischen Erziehungsbewegung. Bad Heilbrunn 2007. P. 16−18. Behm, Britta: Moses Mendelssohn und die Transformation der jüdischen Erziehung in Berlin. Eine bildungsgeschichtliche Analyse zur jüdischen Aufklärung im 18. Jahrhundert. Münster 2002. P. 19. Basedow, Johann Bernhard: Lehrbuch prosaischer und poetischer Wohlredenheit in verschiedenen Schreibarten und Werken, zu akademischen Vorlesungen. Kopenhagen 1756. Mendelssohn, Moses: Basedows Lehrbuch prosaischer und poetischer Wohlredenheit. In: Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freien Künste. 2. Band. Erstes Stück. Leipzig 1757/1758. P. 57−90, p. 90. See Simon, Ernst: Philanthropism and Jewish Education. In: Mordecai M. Kaplan, Jubilee Volume on the Occasion of His Seventieth Birthday. New York 1953. P. 149−187, p. 159 [Hebrew]. For Mendelssohnʼs full response, see Appendix 1 and Fraenkel, Albert: Mendelssohn und die Er-
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which he expressed his frustration with Jews’ limited civil rights; he questioned the point of encouraging his Jewish brethren to learn about civil rights and freedom of thought while some civil rights and full equality were still denied to them. In September 1776 Jean Frédéric Simon, an emissary of Basedow’s and a teacher at the Philanthropinum, approached Mendelssohn and requested his help in raising funds for the school.¹⁶ According to Basedow’s and Campe’s account from 1777 in the journal Pädagogische Unterhandlungen, forty-eight Jewish donors, most of them from Berlin, donated the substantial sum of 518 Reichsthaler.¹⁷ The donors comprised prominent figures in the Berlin Jewish community; some belonged to the most affluent and politically influential Jewish families of the city.¹⁸ Basedow repaid them by dedicating the entire eightieth illustrated panel (Tafel) of Elementarwerk to Jewish themes: the crossing of the Red Sea, Jews being expelled by soldiers, and pogroms against Jews. In addition he included a portrait of Mendelssohn by Daniel Chodowiecki, which was the sole portrait in the entire book.¹⁹ After the establishment of the Philanthropinum in Dessau, efforts were made to find students who would enroll in the school, including Jewish students. But Jewish parents hesitated. The Duke of Dessau, who supported the institution, was irate about what he saw as Jews’ lack of gratitude. Joachim Heinrich Campe, who began working at the Philanthropinum in Dessau on October 16, 1776 as a Kurator (a kind of administrative manager of the school)²⁰ turned in distress to Moses Mendelssohn, whom Philanthropinist adherents saw as the preeminent representative of enlightened Jews. Campe wrote Mendelssohn of the failed effort to
ziehungsreformation. In: Lessing-Mendelssohn Gedenkbuch. Zur hundertfünfzigjährigen Geburtsfeier von Gotthold Ephraim Lessing und Moses Mendelssohn, sowie zur Säcularfeier von Lessingʼs “Nathan”. Ed. by Deutsch-Israelitischer Gemeindebund. Leipzig 1879. P. 190−192. Behm, Moses Mendelssohn, p. 185. Freudenthal, Max: Aus der Heimat Moses Mendelssohns. In: Gedenkbuch für Moses Mendelssohn. Ed. by Verband der Vereine für Jüdische Geschichte und Literatur in Deutschland. Berlin 1929. P. 11−40, p. 36; Simon, Philanthropism, p. 159. For a list of Jewish donors to the Philanthropinum see Behm, Moses Mendelssohn, p.186. Basedow, Johann Bernhard: Elementarwerk mit den Kupfertafeln Chodowieckis u. a. Ed. by Theodor Fritzsch. Hildesheim 1972 [1770]. Tab 80 [lxxx]; Simon, Philanthropism, p. 159. Niedermeier, Michael: Campe als Direktor des Dessauer Philanthropins. In: Visionäre Lebensklugheit. Joachim Heinrich Campe in seiner Zeit (1746 – 1818). Ed. by Hanno Schmitt and Peter Albrecht. Wiesbaden 1996. P. 45−66, p. 52.
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spur Jewish enrollment,²¹ and Mendelssohn responded in an open letter published first in 1783 in the German journal Litteratur und Völkerkunde ²² and later again in the German-language supplement of Ha-Me’assef (September 5544/1784, see appendix 1).²³ Among other things Mendelssohn wrote that, with all due respect to the Duke’s generous offer to accept Jewish students, his gesture was hardly exceptional: Jews were already being accepted into several German schools as students and teachers. Nor did Mendelssohn abstain from commenting about Frederick the Great, who vetoed his acceptance to the Prussian Academy of Science. Despite the letter’s biting tone, Campe and Mendelssohn became friends;²⁴ Campe visited Mendelssohn’s home, and even recorded his impressions from the visit – a description rather resembling that of an anthropologist visiting a foreign tribe.²⁵ At any rate, the Maskilic connection to Philanthropinism did not depend solely on the personal relationships forged between certain Maskilim and Campe. The more profound reason for the former’s embrace of Philanthropinism was rooted in the movement’s foundational ideals, such as a “love for humankind” irrespective of religion or nationality, the idea of a universalist religion, and the push for cosmopolitan education.²⁶ An example of the importance that Maskilim attributed to Philanthropinism can be found in the following description of the word “Philanthropin” that appeared in the first year of Ha-Me’assef: “Philanthropin: The name consists of two Greek words and means love of Man, and they named this school Philanthropin in order to emphasize its founders’ love toward all humankind, to teach wisdom and that no difference lies between a Jew, a Christian and a gentile.”²⁷ According to Britta Behm, Campeʼs letter was written at the beginning of 1777. See: Behm, Moses Mendelssohn, p. 182, note 167. Most likely the letter was lost, according to my correspondence with Birgit Bucher of the Mendelssohn Archive, Staatsbibliothek zu Berlin. Literattur und Völkerkunde 2, X (1783), p. 897. Mendelssohn, Moses: Schreiben, die philanthropinische Erziehung jüdischer Kinder betreffend. In: Ha-Meʼassef. Tevet 5544 (1. 1. 1784). P. 5−10. It is interesting to note that Campe’s student Wilhelm von Humboldt “inherited” Campe’s philosemitic attitude, maintained contact with Jewish women who hosted salons, and corresponded with them. See Frieden, Ken: Travels in Translation. Sea Tales at the Source of Jewish Fiction. Syracuse 2016. P. 154. Kayserling, Moritz Meier: Moses Mendelssohn. Sein Leben und Wirken. Leipzig l888. P. 422 f.; Badt-Strauss, Bertha: Moses Mendelssohn. Der Mensch und das Werk. Berlin 1929. P. 71 f. (with minor differences). Eliav, Mordechai: Jewish Education in Germany in the Period of Enlightenment and Emancipation. Jerusalem 1960. P. 3 [Hebrew]. Ha-Meʼassef. Tevet 5544 (1. 1. 1784). P. 62; Tsamriyon, Tsemach: Ha-Meʼassef. The First Modern Periodical in Hebrew. Tel Aviv 1988. P. 196, note 130 [Hebrew].
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2 The Haskalah’s Educational System and its Relationship with Philanthropinism in General and with Campe in Particular The Maskilim adopted the Philanthropinist model of education and according to their own interpretation of it endeavored to implement reform within the Jewish educational system. Their articles on pedagogy, published in Maskilic journals – primarily Ha-Meʼassef and Shulamit – referred frequently to Philanthropinist writing on the subject. They adopted Philanthropinism’s working assumption about the existence of essential differences between children and adults, and thus strove to adapt the educational process to children’s cognitive abilities. This required a change in teaching methods, with an emphasis on students’ individual needs and a constant dialogue between teacher and students. Learning, they believed, should take place in a pleasant and healthy environment, eschew physical punishment, and even include free time and recreation.²⁸ They encouraged experiential learning and the integration of games and field trips alongside theoretical and text-based study and recommended the use of experiments in the classroom and abundant concrete examples of theoretical concepts.²⁹ They also endorsed the study of geography, history, natural sciences, and modern languages, and encouraged competition between students through certificates of praise (Lobkärtchen) for achievement and good behavior.³⁰ In addition, Maskilic Jewish schools adopted a series of Philanthropinist practices such as an emphasis on physical health and hygiene and compulsory uniforms.³¹ Several schools, such as the first Maskilic Jewish school, the Jüdische Freischule zu Berlin, were founded on the adoption of Philanthropinist theories and methods adjusted to their own needs.³² The Samson School in Wolfenbüttel introduced the Philanthropinists’ method of certificates of recognition, grades for daily conduct, public
Eliav, Jewish Education, p. 3, p. 146; on the Maskilimʼs attitudes to the study of the Bible, see Shavit, Yaacov: The Hebrew Bible Reborn: From Holy Scripture to the Book of Books. Berlin 2007. P. 35−37. Eliav, Jewish Education, p. 105. Eliav, Jewish Education, p. 97. Eliav, Jewish Education, p. 3, p. 145. Behm, Moses Mendelssohn, p. 189; Feiner, Shmuel: The Freischule on the Crossroads of the Crisis in Jewish Society. In: Chevrat Chinuch Nearim. Die jüdische Freischule in Berlin (1778−1825) im Umfeld preußischer Bildungspolitik und jüdischer Kultusreform. Ed. by Ingrid Lohmann [et al.]. Münster 2000. P. 6−12.
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scolding for unruly students, organized games and field trips,³³ and constant dialogue between parents and the school.³⁴ Philanthropinist ideas were also evident in the importance schools gave to vocational training. For example, the Jacobsonschule in Seesen was initially established to provide impoverished youth with occupational training alongside basic studies according to the Philanthropinist method. These schools catered at first only to boys, but later expanded to serve girls as well. Instruction included several basic fields of knowledge, which Naphtali Herz Wessely, in his Maskilic manifesto Divre Shalom ve-Emet (“Words of Peace and Truth”, Berlin 1782), distinguished from Torat ha-Shem (religious study) and described as Torat ha-Adam (universal human knowledge); this latter category included fields such as geography, history, natural science, botany, zoology, mineralogy, astronomy, optics, mathematics, engineering, one’s state language, etiquette, ethics, and more. The schools’ programs stressed the importance of “natural education” and of love for children. Alongside the effort to adjust studies to a child’s capacity, their curricula were also characterized by the gradual introduction of concepts according to complexity or difficulty and by an avoidance of rote memorization. Furthermore, the schools emphasized loyalty to the local state and regime, and endorsed the rejection of social barriers between Jews and Christians by opening registration to Christian children.³⁵ The journal Ha-Meʼassef regularly featured these schools; thus, for instance, the Heshvan 5545 issue (November 1784) noted that “thanks to his Excellency the Bishop the Christian children do not pester Jewish students, nor are Jews required in any way to change their laws or the practice of their religion”.³⁶ According to Akiva Ernst Simon and Tsemach Tsamriyon, prominent scholars of the Haskalah and the history of education, no other educational system in Europe adopted the principles of Philanthropinism to as great an extent as did Jewish schools. Akiva Ernst Simon noted in 1953 that the National Library in Jerusalem possessed eleven copies of translations of Campe’s work into Hebrew and Yiddish.³⁷ Jewish pedagogues preferred Philanthropinism to the Pestalozzi approach,³⁸ which was highly popular in the German educational system.
Feiner, The Freischule, p. 105. Eliav, Jewish Education, p. 106, p. 129. Eliav, Jewish Education, p. 171. Tsamriyon, Ha-Meʼassef, p. 182; “History of time [Toldot ha-Zeman]”, translated from “Ashkenazi” [German]. Ha-Meʼassef. Heshvan 5545 (1. 11. 1784). P 27. Simon, Philanthropism, p. 163. See Simonʼs note on an article by Shimon Baraz (attributed mistakenly to Shimon Brill), entitled “The Education of Youth”, which was published in the fourth volume of Ha-Meʼassef, Ha-
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In the first of his four epistles concerning Jewish education, Divre Shalom veEmet (Berlin 1782), Naphtali Herz Wessely sharply criticized the isolationist and static character of traditional Jewish education, which did not provide Jewish children with a systematic and methodical education and which failed to prepare them to function as citizens in a civic society. In addition he outlined a pedagogical scheme for Haskalah schools established in German-speaking areas in the late eighteenth century.³⁹ His program was based on striking a balance between religious and non-religious study, as described above; training teachers as professionals; and carefully structuring curricula, classrooms, and textbooks.⁴⁰ Wessely saw religious and non-religious education as parts of a whole, interdependent and inseparable.⁴¹ The first epistle introduced Philanthropinist ideas,⁴² such as graduated study, making learning enjoyable, and conducting teacher-student dialogues. In his second epistle (Rav tuv le-vet Yisrael, Berlin 1782), addressed to Trieste’s Jewish community, Wessely linked another Philanthropinist idea, that of the need for recreational time, to the keeping of the Shabbat.⁴³ Philanthropinist ideas⁴⁴ were behind critiques of the traditional Jewish education system by various Jewish thinkers, such as R. Wolf Dessau, who was one of the first Maskilim in Dessau and in contact with the Philanthropinists.⁴⁵
Meʼassef 5548 (15. 10. 1787). P. 33−43. They rejected the idea of home schooling proposed by Pestalozzi: Simon, Philanthropism, p. 175. ושיחברו,"ויצו עליהם ]יאזעפוס השני[ שיכינו בתי מדרשות ללמד בהם את בניהם קריאת לשון אשכנזי וכתיבתו ואולם חכמת המספר והמדידה,ספרי מוסר השכל על פי דרכי התורה ללמד בהם את הנערי' דעת ומנהגי דרך ארץ ילמדון הנערים בספרים המצויים במלכותו שלומדין בהם ילדי, וכן קורות הימים ותכונת הארץ,ותכונת השמים וכיוצא ". עמו− Wessely, Naphtali Herz: Divre Shalom ve-Emet. First Epistle. Warsaw 1886. P. 16. Feiner, Shmuel: Moses Mendelssohn. Jerusalem 2005. P. 122 f. ."[…] כי התורה ודעת האדם שתיהן מעשה אלהים הן, ”]…[ ומכל מקום שתי התורות מתאימות− Wessely, Divre Shalom ve-Emet. First Epistle, p. 9. For a German translation by Rainer Wenzel see: Lohmann, Ingrid, Rainer Wenzel and Uta Lohmann (eds.): Naphtali Herz Wessely Worte des Friedens und der Wahrheit. Dokumente einer Kontroverse über Erziehung in der europäischen Spätaufklärung. Münster – New York 2014. P. 118. Simon, Philanthropism, p. 172. For instance, the following dialogue justified a day of rest: " וינח ביום השביעי וברכו וקדשו, ששת ימים עשה ה' את השמים ואת הארץ, ומהו יום השבת? תלמיד,"הרב − “Rabbi/ and what is Shabbat?/Student: Six days the Lord made heaven and earth / and rested on the seventh day and blessed and sanctified.” Wessely, Naphtali Herz: Divre Shalom ve-Emet. Second Epistle. Rav tuv le-vet Yisrael. Warsaw 1886. P. 67. For a German translation by Rainer Wenzel see: Lohmann (ed.), Naphtali Herz Wessely, p. 165. Freudenthal, Max: R. Wolf Dessau. Breslau 1916. P. 7. Eliav, Jewish Education, p. 171.
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Philanthropinist literature found a place of honor on the library shelves of the new Jewish schools. For example, Campe’s book Sittenbüchlein was included in the list of textbooks at the Breslau school⁴⁶; some of his books were also found in that school’s teachers’ library. At the Samson Schule in Wolfenbüttel, whose objectives were described by its headmaster Meir Ehrenberg as “scientific, social, ethical and national education,”⁴⁷ students were assigned Campe’s books for young adults. Articles by Maskilim referred directly to Philanthropinist literature; for example, Shimon Baraz’s article in the fourth volume of Ha-Meʼassef from 1788 referred in a footnote to Kampe’s [sic] Allgemeine Revision,⁴⁸ and David Caro’s comprehensive article Giddul Banim (“Raising Sons”, 1810), published in seven installments in Ha-Meʼassef, laid forth his educational doctrine and acknowledged Campe as one of his most important sources.⁴⁹ In addition to adopting the pedagogical practices of Philanthropinism in schools, the movement’s ideas were also introduced into the Jewish education system by means of a relatively massive project of translation. On the whole, the translation project provided a major influx of texts to the body of Haskalah literature. The Maskilim translated primarily from German, or used the German translation as a mediating language. In this article I analyze, as a case study, several translations into Hebrew of Joachim Heinrich Campe’s Robinson der Jüngere. Zur angenehmen und nützlichen Unterhaltung für Kinder – not only because of the latter’s popularity in Germany and beyond it, but mainly because of the varying themes and structures of the translations. Among the translations, as we shall see, only Samosc’s retained Campe’s Philanthropist ideals. In Campe’s adaptation, Robinson ultimately established an entire micro-civilization from scratch – the perfect illustration of how a person, depending solely on his intelligence, determination and hard work, is capable of shaping his entire life from the outset.
Eliav, Jewish Education, p. 84; Simon, Philanthropism, p. 164. Eliav, Jewish Education, p. 104. Simon, Philanthropism, p. 175; Ha-Meʼassef. Heshvan 5548 (15. 10. 1787). P. 33−43, p. 151; Baraz probably refers to the series edited by Campe during the years 1785−1792, Allgemeine Revision des gesammten Schul- und Erziehungswesens. Simon, Philanthropism, p. 176; Ha-Meʼassef. Tamuz 5570 (15. 7. 1810). P 14−31; Av 5570 (15. 8. 1810). P. 63−73; Tishrei 5571 (10. 5. 1810). P. 25−33; Heshvan 5571(15. 11. 1810). P. 44−54; Tevet 5571 (15. 1.1811). P. 26−31; Shevat 5571 (15. 2. 1811). P. 56−64; Adar 5571 (15. 3. 1811). P. 86−94. Simon notes that the last installment was never published.
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3 Joachim Heinrich Campe and Robinson der Jüngere Joachim Heinrich Campe’s life (1746−1818) was filled with twists and upheaval. He began his intellectual life as a theologian and developed into a scholar of the German language, a writer, a publisher and one of the most prominent thinkers of the Philanthropinist movement. In 1773, Campe stayed in Potsdam, where he designed a plan for the education of Friedrich Wilhelm, the Crown Prince of Prussia. He then was employed at Tegel as a private teacher for the von Humboldt family; he first taught Heinrich von Holwede, step-son to the father of the family, Alexander Georg von Humboldt, and later briefly tutored the brothers Alexander and Wilhelm von Humboldt.⁵⁰ He went on to teach at the Philanthropinum School established in 1774 by Basedow in Dessau, which served as a model school for the Philanthropinist movement.⁵¹ In 1776, Campe assumed management of the school and, together with Basedow, founded the journal Pädagogische Unterhandlungen (“Pedagogic Discussions”), whose publication gradually changed in format from monthly to quarterly and then to biannual.⁵² He left the Philanthropinum dramatically after less than a year following severe disputes with Basedow.⁵³ Moving to Hamburg, he established a school in the Philanthropinist spirit. The period between 1785−1791 was among the most fruitful in his life. Campe published sixteen (!) volumes of the programmatic collection of articles Allgemeine Revision des gesamten Schul- und Erziehungswesens,⁵⁴ to which Baraz, as mentioned earlier, referred directly in his Ha-Me’assef article. He also translated, from French and English, two fundamental books on education which were at the basis of his pedagogic thought: Some Thoughts Concerning Education by John Locke (1693), and Émile, ou De l’éducation by Jean Jacques Rousseau (1762). An indication of Campe’s high status beyond Germany was the honorary citizenship he was granted by revolutionary France in 1792, togeth Schmitt, Hanno: Visionäre Lebensklugheit. Zur Biographie Joachim Heinrich Campes. In: Visionäre Lebensklugheit. Joachim Campe (1746−1818) in seiner Zeit. Ed. by Hanno Schmitt and Peter Albrecht. Wiesbaden 1996. P. 13−32, p. 15 f. Campe traveled with Wilhelm von Humboldt to Paris after the storming of the Bastille and subsequently wrote about the French Revolution in his book Briefe aus Paris. See: Garber, Jörn: Joachim Heinrich Campes Reisen in die ‘Hauptstadt der Menschheit’ (1789−1802). In: Ibidem. P. 225−246, p. 229. Eliav, Jewish Education, p. 3. Kersting, Christa: Die Genese der Pädagogik im 18. Jahrhundert. Campes Allgemeine Revision im Kontext der neuzeitlichen Wissenschaft. Weinheim 1992. P. 67−70. Fertig, Ludwig: Campes Politische Erziehung. Darmstadt 1977. P. 6−9. Kersting, Die Genese der Pädagogik, p. 88.
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er with Johann Heinrich Pestalozzi, Friedrich Gottlieb Klopstock, George Washington and Friedrich Schiller.⁵⁵ Robinson de Jüngere was the most successful of the many travel books Campe wrote. Such books allowed children to experience distant places and remote cultures, and absorb information on history, geography, customs, and manners. The books were not only designed to increase the children’s knowledge,⁵⁶ but also to inculcate values like courage, grace under hardship, and the importance of teamwork, order, and respect for others.⁵⁷ Robinson der Jüngere was first printed in two parts in Hamburg in the years 1779 and 1780, and was considered one of the very first children’s books to appear in Western and Central Europe. It was the most successful of a wave of adaptations of Robinson Crusoe that emerged in the wake of Daniel Defoe’s novel (three volumes, 1719−1720). Such was Robinson Crusoe’s popularity that German translations of Defoe’s first two volumes were issued as early as 1720⁵⁸ – one in Leipzig and the other one in Hamburg (the latter edition also included a glossary of maritime terms). A real deluge of Robinson adaptations was to follow, often varying the hero’s nationality: The German Robinson (1722); The Saxon Robinson (1730); Robinson the Swede (1733); Robinson the Netherlander (1733) and Robinson the Brandenburger (1750), among others. Altogether more than forty Robinson books were published in as many years⁵⁹ – among these The Jewish Robinson (1759).⁶⁰ Moritz Steinschneider mentions an adaptation of Robinson Crusoe that was written in German but transliterated using Hebrew (not Yiddish) orthography; that book was published in Metz in 1764 by Joseph Antoine.⁶¹ In 1778, a year before the publication of Campe’s adaptation, J. K.
Fertig, Campes Politische Erziehung, p. 37. On Campeʼs pedagogical intentions and his endeavor to replace the sentimental reading material then available to children, see Frieden, Travels in Translation, p. 155 f. See Zantop, Susanne: Colonial Fantasies. Conquest, Family and Nation in Precolonial Germany, 1770 – 1870. Durham (NC) − London 1997. P. 102−120, esp. p. 105. Dottin, Paul: Daniel De Foe et ses Romans. Paris 1924. P. 439. Dottin, Daniel De Foe et ses Romans, p. 440−443; Ullrich, Hermann: Robinson und Robinsonaden. Bibliographie. Weimar 1898. P. 63−222. This book presented strong anti-Jewish sentiment, described by Jürgen Fohrmann as follows: “[…] der Jüdische Robinson von 1759 ist schließlich ein übel anti-jüdisches Machwerk, in dem nur die Gemeinheiten literarisiert werden, die man den Juden anlastete.” On this see Fohrmann, Jürgen: Abenteuer und Bürgertum. Zur Geschichte der deutschen Robinsonaden in 18. Jahrhundert. Stuttgart 1981. P. 49 f. Steinschneider, Moritz: Hebräische Drucke in Deutschland. In: Zeitschrift für die Geschichte der Juden in Deutschland 5,2 (1892). P. 154−186, p. 156.
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Wezel published a Philanthropinist adaptation of Robinson Crusoe in the journal Pädagogische Unterhandlungen. ⁶² Campe’s decision to adapt Robinson Crusoe for children must thus be discussed as part of the new “Robinsonade” genre that inundated Europe, especially Germany.⁶³ Nevertheless, only Campe’s adaptation enjoyed such remarkable success, becoming one of the most-translated books of his day – it was translated into French, English, Italian, Latin, Greek, Croatian, Czech, Serbian, Romanian, Spanish, Danish, Swedish, Finnish, Dutch, Yiddish,⁶⁴ and Lithuanian,⁶⁵ among others. The translators in many cases were themselves prominent cultural figures, testifying to the status of Campe’s book.⁶⁶ Campe’s adaptation was highly praised.⁶⁷ The critic and literary historian Wolfgang Menzel called it “Die neue Bibel aller Kinder gebildeter Stände” (“The new Bible for all children of the educated classes”)⁶⁸, and Johann Wolfgang Goethe referred to it in his conversations with Eckermann as a children’s gospel.⁶⁹ Thanks to Campe’s adaptation, Robinson as a character remained a vivid part of Western Europe’s literary repertoire and dozens of variations emerged
See Elke Liebs’ chapter “Die wohltemperierte Seele. Wezels Robinson Krusoe”. In: Liebs, Elke: Die pädagogische Insel. Studien zur Rezeption des Robinson Crusoe in deutschen Jugendbearbeitungen. Stuttgart 1977. P. 95−134. Dottin maintains that translations were used as means to fill in the gaps of the lacking system of German literature. See Dottin, Daniel De Foe et ses Romans, p. 441. Taykhman, Moyshe: Tsu der yidisher oysgabe fun robinzon kruzo. In: Literarishe bleter 40 (1937). P. 699 [Yiddish]. I thank Irad Ben-Yizhak for the translation from the Yiddish. Taykhman reviews the Robinsonade literature and explains why he found it necessary to update Zalman Raisinʼs translation. Geriguis, Lina Lamanauskaitė: Discovering the Lithuanian Reinscription of Robinson Crusoe: A Literary Construct of Nineteenth Century Cultural, Political and Historical Discourses in Lithuania. Lithuanias 54, 4 (2008). http://www.lituanus.org/2008/08_4_07 %20Geriguis.html. The Lithuanian version, for example, was translated by the famous historian Simonas Daukantas (1793 – 1864). See Ewers, Hans-Heino: Joachim Heinrich Campe als Kinderliterat und als Jugendschriftsteller. In: Erfahrung schrieb’s und reicht’s der Jugend. Ed. by Hans-Heino Ewers. Frankfurt/Main 2010. P. 53−78, p. 53 f. Fertig, Campes politische Erziehung, p. 133; Stambor, Elisabeth: Young Robinson by Campe and the Literary Billiards Game in Europe. Seminary work, Dept. of French Literature, Tel Aviv University 1990 [Hebrew]. Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. 2. verm. Aufl. Stuttgart 1836. P. 31. “Auch halte ich in der Tat ein großes Stück auf Campe […] Er hat den Kindern unglaubliche Dienste geleistet; er ist ihr Entzücken und sozusagen ihr Evangelium.” Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe. In den letzten Jahren. Ed. by Heinz Schlaffer. München 1986, p. 670. Goetheʼs description of Campe is rather unflattering: “Ich fand ihn damals sehr alt, dürr, steif und abgemessen”, p. 670.
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on the Robinsonade. Campe’s massive popularity in and beyond Germany made him one of the most successful authors in German: “Rechnet man die zahllosen Übersetzungen – u. a. ins Französische 1779/82, Italienische 1787, Lateinische 1785, Hebräische 1824 − und die Fortsetzungen hinzu, dann darf man Campes Robinson der Jüngere wohl zu den erfolgreichsten Büchern deutscher Sprache rechnen.” (“In light of the countless translations, among them translations into French 1779/82, Italian 1787, Latin 1785, Hebrew 1824 and their sequels Campes Robinson the Younger can be counted among the most successful books in the German language.”)⁷⁰ Some scholars see Campe as the father of eighteenth-century German children’s literature;⁷¹ others note that he was the first to accommodate his work to different age groups. His significant status among the Maskilim should thus be understood not only in the context of Philanthropinism’s special status in the Haskalah movement, but also in the context of his international fame. It is, however, worth noting that while the 122nd illustrated edition of Robinson der Jüngere was published as late as 1923, Campe’s celebrity had begun to fade during the nineteenth century, and the literary device for which he was best known – the use of dialogue as an axis upon which the narrative is built – suffered heavy criticism and was considered damaging to the spirit of literary creation.⁷²
4 Robinson der Jüngere and the Philanthropinist Worldview Campe described his adaptation of Defoe’s novel as an attempt to present Robinson Crusoe through the eyes of Rousseau.⁷³ Rousseau, as is well known, wrote that the first and only book he would give his Émile would be Defoe’s Robinson,⁷⁴ as reading it would provide Émile with a knowledge of nature and human-
Ewers, Joachim Heinrich Campe als Kinderliterat und als Jugendschriftsteller, p. 160. Kunze, Horst: Schatzbehalter. Vom Besten aus der älteren deutschen Kinderliteratur. Hanau/ Main 1965. P. 25. Ewers, Joachim Heinrich Campe als Kinderliterat und als Jugendschriftsteller, p. 170. On the making of Robinson as a pedagogical protagonist see: Mouchet, Robinson Crusoe, p. 311; Zantop, Colonial Fantasies, p. 104. Rousseau, Jean Jacques: Émile, ou De l’éducation. Deux-Ponts 1782. Livre III, p. 307.
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ity through a deep identification with Robinson and his condition.⁷⁵ Yet, despite his admiration for Rousseau, Campe, who as a translator of Émile into German knew the text well, decided to alter Defoe’s novel significantly: while Defoe’s Robinson arrived at his island armed with enough of the tools of civilization to allow him to reestablish a parallel civilization on a smaller scale, Campe’s Robinson reaches the island entirely naked and unequipped and must build his life from scratch.⁷⁶ According to Reinhard Stach, Campe’s version is considered the most characteristic representative of Philanthropinist thought.⁷⁷ Its Philanthropinist agenda is noticeable in various aspects, but first and foremost in how the story is structured. Instead of Defoe’s first-person narration, the story is presented through a dialogue between a father and a group of children, one of them his own. The mother of the family and two friends join in as well. Campe’s addition of a frame story transformed the construction and the nature of the text: his adaptation makes Defoe’s story a multi-vocal text, offering multiple and diverse perspectives and viewpoints. Furthermore, the father and the children play different roles and thus act out the principles of Philanthropinism, providing a dramatization of the principles of Philanthropinist pedagogy. The unfolding narrative contributes its part to demonstrating these principles: for example, the story takes place over the course of thirty nights; each night the father stops his story for dinnertime or bedtime, purposely placing the intervals at moments of suspense, to teach the children the virtue of patience. In line with the Philanthropinist approach, the group mixes children of various ages; some of the children have not yet begun formal learning while others have. It is important to note that although Campe was granted an honorary citizenship by revolutionary France, his work did not reflect any advocacy for the concept of egalitarian education for all. ⁷⁸ At the heart of his pedagogy were children from the bourgeoisie and upper classes; it was to these that “love of humankind” primarily referred. References to other classes, if they appeared, were characterized by a patronizing undertone.
Brunner, Horst: Kinderbuch und Idylle, Rousseau und die Rezeption des Robinson Crusoe im 18. Jahrhundert. In: Jahrbuch der Jean-Paul-Gesellschaft. Ed. by Kurt Wölfel. München 1967. P. 85−116, p. 89. On the nature of Campeʼs adaptation, see Claude Mouchetʼs discussion: Mouchet. Robinson Crusoe, p. 317. Stach, Reinhard: Robinson der Jüngere als pädagogisch-didaktisches Modell des philantropistischen Erziehungsdenkens. Studie zu einem Klassischen Kinderbuch. Ratingen – Wuppertal − Kastellaun 1970. P. 7. Fertig, Campes Politische Erziehung, p. 89.
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5 Hebrew Translations of Robinson der Jüngere Campe was one of the most frequently-translated authors into Hebrew during the nineteenth century.⁷⁹ Robinson der Jüngere was published in Hebrew in four different editions within just a few decades; an additional translation by Isaac Erter was lost.⁸⁰ The three latest of these were printed under different titles; the 1849 translation by Eliezer Ben Shimon Hacohen Bloch (Lazar Cohen Bloch) was first entitled Maʼase Robinson ⁸¹ and later on Sippur Robinson (see list of Robinson translations into Hebrew in Appendix 2). Earlier, two Yiddish-language translations and two German-language editions in Hebrew transliteration had also been published.⁸² According to Rebecca Wolpe,⁸³ the 1784 transliterated-German adaptation of Robinson der Jüngere ⁸⁴ was far shorter than the original and omitted a great deal of dialogue. Almost all references to education and to questions of ethics were omitted; the importance of hard work was emphasized and idlers were denounced. In 1812−1813, an even shorter version of the text (only fifteen pages long) was published in German in Hebrew transliteration,⁸⁵ and the anonymous adapter omitted nearly all content not strictly essential to the sequence of events. The ending of the book was also altered. Unlike Campe’s book, which concludes with a description of his protagonists’ virtues – love of humankind, devotion, and beneficial work – and whose protagonists fondly remember
For a list of translations, see Tsamriyon, Ha-Meʼassef. The First, p. 98, footnote 50. Shavit, Zohar: Literary Interference between German and Jewish-Hebrew Children’s Literature During the Enlightenment. The Case of Campe. In: Poetics Today 13,1 (1992). P. 41−61, p. 57 f. On the reasons for the frequent translations of Campe into Hebrew see Frieden, Travels in Translation, p. 154. For a table of translations of Campeʼs work into Hebrew, Yiddish and Early Judeo-German, see ibid., p. 167. On Isaac Erter’s lost translation, see Ofek, Uriel: Hebrew Childrenʼs Literature. The Beginnings. Raanana 1979. P. 174 f. [Hebrew]; Klausner, Joseph: A History of Modern Hebrew Literature. Vol. 2. Third edition. Jerusalem 1960. P. 330 f. [Hebrew]. Eliezer Ben Shimon Hacohen Bloch (Lazar Cohen Bloch): Maʼaseh Robinson. Warsaw 1849; reprinted as Sippur Robinson in 1874 (Warsaw) and in 1912 (Przemysl). On German in Hebrew transliteration, see: HaCohen, Ran: German in Hebrew Characters − Some Remarks on a Hybrid Writing System. In: The Library of the Haskalah. Ed. by Shmuel Feiner [et al]. Tel Aviv 2014. P. 459−474 [Hebrew]. Wolpe, Rebecca: Judaizing Robinson Crusoe: Maskilic Translations of Robinson Crusoe. In: Jewish Culture and History 13,1 (2012). P. 42−67, p. 48 f. Anonymous: Historye oder zeltsame und vunderbare bagebenheiten einem yungen zeefarers [Story, or The Odd and Wonderful Circumstances of a Young Seafarer]. Prague 1784. Anonymous: Historye fun der zeefahrer Robinzon [The Story of the Seafarer Robinson]. Frankfurt/Oder 1812/1813; Wolpe. Judaizing Robinson Crusoe, p. 49−51.
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their lives on the island each week, the protagonists of the Jewish story become wealthy and celebrate the day of their rescue with a grand annual feast.⁸⁶ An 1820 anonymous translation into Yiddish entitled Robinzon di geshikhte fun Alter-Leb (published in two parts) has been described at length by Leah Garrett.⁸⁷ Like other scholars, among them Ber Shlosberg (1937) and Dov Sadan, Garrett attributes the adaptation to the Yiddish Maskil Yoysef Vitlin.⁸⁸ She describes how the adaptation communicated the values of the Haskalah, especially intellectual curiosity, rationality, and love for all humankind.⁸⁹ Vitlin employs the characterization of his protagonist, Alter-Leb – Robinson’s name in the Yiddish translation – to educate his readers. For example, Alter-Leb lacks an understanding of geography, and thus believes that London is just a few miles away from Hamburg; when he realizes his mistake, it is too late to retrace his steps. Vitlin thus demonstrates to readers the importance of studying geography, a subject on which the book expounds greatly. Efforts to judaize the text are apparent not only in the alteration of the protagonists’ names (Robinson’s name is changed to Alter-Leb, and Freitag becomes Shabbes),⁹⁰ but also in various tiny details: where Robinson finds oysters, Alter-Leb finds herring. Alter-Leb teaches Shabbes the Jewish prayers, and even some Yiddish ones, and Shabbes flavors his words with “Chas ve-Shalom” (“God forbid”).⁹¹ Alter-Leb’s character is a clear illustration of how a Jew in the new world may maintain his Judaism and at the same time productively engage with the culture of the non-Jewish world. The book places value on a love for all humankind and opposes Jewish isolation, which is expressed inter alia through the acceptance of non-Jews into a Jewish community. The ending of the book is similar in spirit to Campe’s optimistic conclusion, but also describes the happiness felt by Alter-Leb and Shabbes, who are able to see their children married. Alter-Leb advises his townsmen to live better lives: to educate their children in foreign languages and pro-
Wolpe, Judaizing Robinson Crusoe, p. 50. Garrett, Leah: The Jewish Robinson Crusoe. In: Comparative Literature 54,3 (2002). P. 215−228. Garrett, Leah: The Jewish Robinson Crusoe, p. 215. According to Garrett, David Roskies cites personal communications with Dov Sadan that also identify Vitlin as the author (Roskies, David G.: A Bridge of Longing. The Lost Art of Yiddish Storytelling. Cambridge 1995. P. 359). Garrett also refers to Viner, Meir: Tsu der geshikhte fun der yiddisher literatur in 19tn yor hundert. Vol. 1. New York 1945. P. 259. Garrett, The Jewish Robinson Crusoe, p. 221. Garrett, The Jewish Robinson Crusoe, p. 215. Garrett refers to part 2, p. 42 of Vitlinʼs translation. Garrett, The Jewish Robinson Crusoe, p. 223 f.
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fessions, teach worthy virtues and the proper ways of life, and nurture in them a love for humankind. According to Wolpe, the YIVO library possesses two additional translations of Robinson into Yiddish from 1849 and 1894; the last of these⁹² was extremely popular.⁹³ The same cannot be said of Samosc’s translation into Hebrew, which was not reissued in any additional printings. Isaac Rumsch, who in 1861 published his translation of Franz Rauch’s Robinsons Leben und Abenteuer under the title Kur Oni (“The Furnace of affliction/poverty”), ⁹⁴ noted in his prologue that Samosc’s translation was already almost entirely lost.⁹⁵ Yet despite its rarity, Samosc’s work is a remarkable example of a Maskilic translation designed to serve the distribution of the values of the Haskalah.
6 David Samosc as translator David Samosc (1789−1864) was born and raised in Kempen and continued his studies in Breslau, where he was exposed to Enlightenment literature. He first worked as a teacher, subsequently turned to commerce, and, after losing his fortune, returned to teaching and to writing. Throughout his lifetime he published Hebrew-language poems, stories, plays and translations, primarily for children and young adults;⁹⁶ his translation of Robinson der Jüngere was his eighth book. His body of work as a translator testifies to his high degree of familiarity with the German literature of the day, as he tended to translate best-sellers. In addition to Robinson der Jüngere, Samosc translated two additional books by Campe into Hebrew: Sittenbüchlein für Kinder aus gesitteten Ständen, whose title in Hebrew read Tochechot mussar (“Moral Admonishment”, 1819) and Die Entdeckung von Amerika, or in Hebrew Metziat Ameriqa (“The Discovery of America”, 1824).⁹⁷ Samosc also translated Stéphanie Félicité de Genlis’s Les bergères
Vitlin, Yoysef: Robinzon: Di geshikhte fun Alter-Leb, eyne vare und vunder bare geshikhte tsum unterhalt und zur belerung [Robinson: The Story of Alter Leb, A True and Wonderful Story for Entertainment and Instruction]. Vilna 1894. Wolpe: Judaizing Robinson Crusoe, p. 53. According to Wolpe several elements that characterized Rauchʼs adaptation, such as some poems or certain moral stances, were taken from Campe. Ben Moshe Rumsch, Yitzhak: Sefer kur oni [The Furnace of Affliction]. Vilna 1883. P. IV. Kressel, Getzel: Lexicon of Hebrew Literature in Recent Generations. Vol. 1. Jerusalem 1965. P. 753 f. [Hebrew]; Fin, Shmuel Yosef: Knesset Israel. Warsaw 1887. P. 234; Fürst, Julius: Bibliotheca Judaica. Leipzig 1863. P. 231 f. Samosc, David: Tochechot mussar. Breslau 1819; Samosc, David: Metziat Amerika. Breslau 1824 (lost).
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de Madian; ou, La jeunesse de Moïse, poème en prose en six chants (1812)⁹⁸; the translation was published as Ro’ot Midian o Yaldut Moshe (“The Shepherdesses of Midian, or The Childhood of Moses”, Breslau 1834). ⁹⁹ The intriguing case of de Genlis deserves a separate discussion, and here I will note briefly that his choice of that author was rooted in the fame she achieved in Germany. Nearly all her popular books were translated from French into German, and prominent figures of the German Enlightenment were involved in the translations; Campe, for example, wrote the foreword and endnotes to the translation of her book Adèle et Théodore, ou Lettres sur l’Education (1782).
7 David Samosc’ Translation 7.1 The Preface It is difficult to determine which edition of Robinson der Jüngere Samosc used for his translation. Apparently he worked from a different edition than the canonical one of 1779 which Reclam has used for its publication. This is evident, for instance, from the two sections that appear in his translation but are absent from the Reclam edition:¹⁰⁰ one ten-page long section that describes, in vibrant and nearly graphic detail, the rescue of passengers from a shipwreck; and a scene in which the father offers the children a coconut to taste.¹⁰¹
La Poésie en prose, des Lumières au Romantisme. Ed. by Voisine-Jechova, Hana [et al.]. Paris 1993. P. 122. The title page of the translation, in Hebrew and German, mentions Madame de Genlis as Frau von Genlis, probably an indication that Samosc translated the text from German and not from the original French, which perhaps he did not know. The German version was published two years after the French edition, whereas the Hebrew translation appeared 20 years after the first edition in French. The afterward to the Reclam edition notes: “Im folgenden werden alle inhaltlich bedeutenden Abweichungen aufgeführt, die die achte Auflage (A8) von der ersten (A1) unterscheiden. Diese Stellen wurden auch mit der dritten Auflage (A3) verglichen […]”. In: Campe, Joachim Heinrich: Robinson der Jüngere. Zur angenehmen und nützlichen Unterhaltung für Kinder. Ditzingen 1981. P. 354. Campe, Joachim Heinrich: Robinson der Jüngere. Zur angenehmen und nützlichen Unterhaltung für Kinder. Stuttgart 1981, A8 [= eighth edition] (p. 60−63), A3 (p. 68−72), p. 361; Samosc, David (Transl.): Campe, Joachim Heinrich. [German in Hebrew letters:] Robinson der Jüngere, ein Lesebuch für Kinder. Breslau 1824. P. 25 f. From this point onward, all references to Campeʼs original novel published by Reclam will be noted as “Reclam”, and all references to Samoscʼs translation will be noted as “Samosc”.
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Samosc’s is the only Hebrew translation aspiring to equivalency with Campe’s text. It is consequently the longest, numbering one hundred and sixty pages (Bloch’s translation, in comparison, is forty-eight pages long). It seldom deviates from the original text, and this, as I will demonstrate, is a marked contrast to later Hebrew translations, which deviate drastically from the original and omit its Philanthropinist message altogether. Most of the omissions in Samosc’s translation are local, usually neglecting minor details or a specific metaphor. It is also important to note that Samosc’s reading endeavored to convey Philanthropinist tenets and is very different from present-day post-colonialist readings of Campe’s text suggested by, for example, Frieden, Idelson, and Zantop.¹⁰² Despite Samosc’s attempt to adhere to Campe’s original text, his translation deviates from it in its understanding of the objectives of children’s education and of texts designed for the young. While Campe maintained that reading should contribute to children’s morality and happiness in the spirit of the Enlightenment – and believed this benefit should be attained in the most “pleasant and beneficial” way ¹⁰³ – for Samosc the objective, as the father in his Robinson says, was to encourage children to learn a profession and succeed in it.¹⁰⁴ This difference is also evident in the subtitles of both books. Campe’s subtitle explicitly and conspicuously invokes the pleasure to be found in the learning process – “For Beneficial and Pleasant Amusement” (“Zur angenehmen und nüzlichen Unterhaltung für Kinder”). The Hebrew translation, instead, employs a vague and businesslike subtitle: “Ein Lesebuch für Kinder” (“A Reading Book for Children”). This is a seemingly minor change, but nevertheless significant; the original subtitle, with its reference to the fundamental Philanthropinist principle of pleasure in learning and reading, was apparently too far-reaching for Samosc. In his preface Samosc also referred to the linguistic difficulties he faced translating the book:¹⁰⁵
Frieden, Travels in Translation; Zantop, Colonial Fantasies; Shein-Idelson, Iris: Difference of a Different Kind. Jewish Constructions of Race During the Long Eighteenth Century. Philadelphia 2014. “angenehme und nüzliche Dinge”, Reclam, p. 21; Samosc, p. 7. All translations of Samosc’s work are my own. Samosc, p. 7. "וראיתי הרבה פעמים כי קשתה עלי המלאכה כי ימצאו בספר הזה שמות כלי מעשה אשר בתנ"ך לא יזכר וחפשתי לי מלות חדשות למען, אספתי לי מלות שנות אשר בתלמוד מקורן, בכל זאת לא אמרתי נואש,שמם ]…[ המבין יראה כי לא דבר נקל הוא להעתיק ספר אל לשון אשר שעריה סגורים.אגדיל השפה וארחיבה ".[…] ומסוגרים− Samosc, p. 1.
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The knowledgeable person will see that it is no simple thing to translate a book into a language whose gates are closed and insulated […] and I saw many times that the task became difficult for me as there are names of tools that do not appear in the Bible; but I did not despair, I gathered various words from the Talmud, and searched for new words, that I might expand and enrich the language.
The translational challenges Samosc encountered demand a separate discussion. Here I will only note that most of these derived from the state of the Hebrew lexicon at the beginning of the nineteenth century – chiefly the absence of many terms for which ad hoc solutions had to be unearthed in various sources, including the Bible and the Talmud (the latter being less favored for this purpose). The most salient difference from the original in Samosc’s translation emerges in its preface. Campe’s Robinson included a preface for children, in which he presented the Philanthropinist principle of making children part of the learning process and making that process a source of pleasure; Samosc translated this preface almost in its entirety. However, he refrained from translating Campe’s separate additional preface for adult readers, in which the latter described the educational approach underlying his work. Instead, Samosc composed his own five-page preface in which he described his motivation in translating Robinson. In addition to his wish to take advantage of Campe’s success (“if the story sounds sweetly in a gentile’s tongue/how delightful must it be in the Hebrew language”)¹⁰⁶ Samosc explained that he wished in this manner to help bring the Haskalah to his Jewish brethren “who live in ignorance.”¹⁰⁷ He also emphasized that the translation would make an important book accessible to Jewish readers; thus they might acquire knowledge and, most importantly, become familiar with the principles of Philanthropinist education.¹⁰⁸ In addition, Samosc’s preface testifies that he sought to link Philanthropinist ideas with Jewish heritage, by constructing the preface as a mosaic of Biblical verses. Samosc’s phrase “as a bed of spices, as sweet flowers,”¹⁰⁹ for example, is a direct quote from Song of Songs 5:13 (“His cheeks are as a bed of spices, as sweet flowers: his lips like lilies, dropping sweet smelling myrrh”),¹¹⁰ while “The tree of life, shooting forth its branches”¹¹¹ builds on a verse from Ezekiel.¹¹² To further un-
"! איך יערבו לנפשנו בלשון עבריה/ "אם מתקו הדברים בשפה נכריה− Samosc, p. 1. ". "והיה אם יגדל בני היקר ]…[ ואקוה כי אחרי ידע זאת בל יהי נבער מדעת− Samosc, p. 1. Samosc, p. 1. ". ופרחים המשמחים לב איש,"מלא ערוגות הבשם− Samosc, p. 1. Samosc, p. 1. Song of Songs 5:13, King James Version. "."ועץ החיים משלח פארותיו− Samosc, p. 1. Samosc, p. 1. Ezekiel 17:6, King James Version.
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derscore the ways in which his translation drew on the Bible, Samosc drew parallels between reading Campe’s book and visiting the Garden of Eden. Writing of the four rivers of Eden (the Pishon, Gihon, Tigris, and Euphrates), Samosc named them after four core values of Philanthropinist education that he aimed to impart to his readers: ethics (mussar), wisdom (bina), hope (tikva), and experience (nisayon).¹¹³ Embedding biblical verses in his translation made it possible for Samosc to present the principles of Philanthropinist education as entirely in line with the Bible. Samosc’s attempt to adhere to Philanthropinist ideas is conspicuous in his decision to retain the two central devices of Campe’s adaptation: 1. Campe’s frame story; 2. the integration of Robinson’s storyline within the dialogue between father and children, reinforcing the dialogues in his translation.
7.2 The Frame Story Samosc’s translation was the only one to preserve the structure of Campe’s frame story. Later translations into Hebrew replaced the dialogue-based narrative with an omniscient author, retaining only parts of the text which were dealing with Robinson’s adventures. Yet the importance of the frame story’s role in presenting Philanthropinist ideas cannot be overstated, because it created numerous opportunities for dialogue between the father and the children wherein the former shares his knowledge of the world, primarily on the subject of practical skills as well as history and geography, and instructs the children on moral values and virtues – all in an enjoyable, informal manner. Samosc furthermore retained Campe’s digressions from the central story, which the latter used as a central mechanism for incorporating informational references to geography, physics, nature, and the animal and botanical world. For example, the father presents the children with a world map, pointing out the places where Robinson has traveled and describing the flora and fauna therein – primarily exotic species such as coconut and palm trees, llamas, parrots, and oysters. It is worth noting here, that in contrast with the norms that would dominate later translations into Hebrew,¹¹⁴ Samosc did not strive to “make kosher” the Samosc, p. 1. Toury, Gideon: In Search of a Theory of Translation. Jerusalem 1980. P. 140−159. Ben-Ari, Nitsa: Didactic and Pedagogic Tendencies in the Norms Dictating the Translation of Childrenʼs Literature. The Case of Postwar German-Hebrew Translations. In: Poetics Today 13,1 (1992). P. 221−230. Shavit, Zohar: “‘Invited Strangers’. Cultural Translation into Hebrew Literature. Strat-
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world described in the text. When Robinson is hungry but unable to start a fire, he tenderizes the meat between two stones and eats it raw. When he searches for food on the beach, he finds an “oyster shell” and devours it.¹¹⁵ When the children ask how the oysters are gathered, Samosc takes no issue with the non-kosher oysters (unlike later translations), but uses the opportunity to teach the children about tides (or, as Samosc calls them, “the water’s rise and fall”).¹¹⁶ Except for the Hebraization of proper names, Samosc’s translation makes no attempt to Judaize the text or replace Christian customs and rituals with Jewish ones, as did later the Hebrew and the Yiddish translations of Robinson Crusoe.¹¹⁷ The Hebrew names of the protagonists maintain similar sounds or meanings to the source text: Lotte becomes Leah, Gotlieb becomes Yedidia, Diedrich becomes Dan, and Johannes becomes Yochanan. Samosc’s translation keeps Robinson’s Christian world almost untouched. As in the source text, Robinson’s day of rest is Sunday: “The next day was the first of the week, and Robinson dedicated it to a break from work.”¹¹⁸ It is the day on which Robinson prays to God, gives thanks to the Lord and begs forgiveness for his sins. And when the father teaches the children the Gregorian calendar, he concludes:¹¹⁹ “In such ways did Robinson make sure to track the passing of days, that he might keep Sunday as his day of rest in accordance with Christian law”¹²⁰ (“Auf diese Weise also sorgte unser Robinson dafür, daß er die Zeitrechnung nicht verlöre, und immer wüste, welcher Tag ein Sontag wäre, um ihn, wie die Christen, feiern zu können”).¹²¹ The frame story allowed Samosc not only to present the foundations of the Philanthropinist doctrine, but also to use it as a platform for illustrating typical egies and Legitimizations.” Keynote paper presented at the University of Granada conference on “Translation Studies and Childrenʼs Literature. Current Topics and Future Perspectives.” University of Granada, Spain, September 2017. Published meanwhile as an article: Shavit, Zohar: Invited Strangers in Domestic Garb. Cultural Translation in Hebrew Children’s Literature: Strategies and Legitimizations. In: Elvira Cámara Aguilera (ed.): Traducciones, adaptaciones y doble destinatario en literatura infantil y juvenil. Berlin 2019. P. 323−338. Samosc, p. 20 f. "."עת כלו ימי העלות והנה ֶֶר ֶֶדת המים− Samosc, p. 21. See Wolpe, Judaizing Robinson Crusoe, p. 53−60; Garrett, The Jewish Robinson Crusoe, p. 215−228. ". ויקדשו ראבינזאן לשבות בו,"יום המחרת היה הראשון בשבוע− Samosc, p. 27. Here and throughout the essay, where parallel quotes are presented, the first is a translation to English of Samosc’s Hebrew, while the second is taken directly from Campe’s Robinson. All translations of Samosc’s work are my own. ". לדעת מתי יום הראשון לשבות בו כחק הנוצרים, "כזה וכזה דאג ראבינזאן בל ישכח חשבון העתים− Samosc, p. 29. Reclam, p. 69.
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scenarios of bourgeois families in which children are educated according to the principles of Philanthropinism. Throughout his translation Samosc presented a model of bourgeois life and “staged” or dramatized various principles of Philanthropinist pedagogy, such as the existence of a constant dialogue between parents and children and between teachers and children. Staging scenes of family life and intra-familial dialogues between parents and children and among the children themselves provided a way to illustrate the ideal model of interaction between father and children and between teacher and students – a model that Philanthropinists believed should replace the alienation between teacher and students that characterized children’s education among the nobility and the bourgeoisie. Indeed, Campe noted in his preface that through his “authentic” scenes of family life he presented the ideal model of parent-child relations or teacher-student relations: “Ich hofte nemlich, durch eine treue Darstellung wirklicher Familienscenen ein für angehende Pädagogen nicht überflüssiges Beispiel des väterlichen und kindlichen Verhältnisses zu geben, welches zwischen dem Erzieher und seinen Zöglingen nothwendig obwalten muß.”¹²²
7.3 The Dialogues Campe received acclaim for his extensive use of dialogue and conversations (“Gesprächform”),¹²³ primarily between an adult and children. In Robinson der Jüngere the father encourages his young listeners to ask questions and express their opinions on the events of the story and the characters’ behavior. Such dialogue invites critical thinking about the tale being told; the children are given the opportunity to ask the father questions about what they hear, primarily in regard to Robinson’s behavior and the lessons he learns. The children are also invited to raise moral questions, such as how to become a good person, act fairly and be productive. At times the children interrupt the father to inquire and express their opinions, yet never to the point of undermining his authority or status. Through his constant use of dialogues Campe presented – in a concrete rather than abstract way – the normative rules for dialogue between adults and children, and the differences between such dialogue and conversation among the children themselves.¹²⁴ The various models for family scenes and dialogues which characterized Campe’s Robinson posed a real challenge for Sa-
Reclam, p. 14. Ewers, Joachim Heinrich Campe als Kinderliterat, p. 162 f. Ewers, Joachim Heinrich Campe als Kinderliterat, p. 174.
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mosc. Hebrew at the time was not yet a spoken, colloquial language; Samosc thus had to devise ad hoc solutions for translating the dialogues and invent patterns for conversations taking place in the family, in a language that did not yet offer a reserve of ready-made and formulaic exchanges for everyday situations.¹²⁵ Thus, for example, Samosc proposed the following solutions: “O prächtig”¹²⁶ became “how nice and pleasant”;¹²⁷ “o, aber mach’s ja nicht zu traurig”¹²⁸ was translated to “please Father, do not tell us such a horrible thing lest it upset us infinitely”;¹²⁹ “ich armer, armer Mensch”¹³⁰ became “I am a poor and sorrowful man”;¹³¹ “Alle. Ah! Das ist gut! Das ist schön, daß er nicht todt ist”¹³² became “Everyone: Ah! How nice and pleasant that he is not dead!”¹³³ “Vater. Nun, was gibt’s, was gibt’s denn? Alle. Eine Bitte! Lieber Vater! Eine Bitte!”¹³⁴ was translated as “Father: Well, what’s going on! What’s going on! All: A request, beloved Father! A request!”¹³⁵ In this way translations of texts for children took part in the renaissance of the Hebrew language – especially in the depiction of spoken language in written texts – and perhaps offered models for dialogue and conversation, just as the letter-writing manuals that were common at the time provided templates for written correspondence. I will now turn to a discussion of Samosc’s presentation of several basic Philanthropinist values: the importance of “Bildung” and of acquiring knowledge; hard work and good virtues; love for others; respect for one’s parents; and love for Nature.
On the development of dialogue in literary texts see Shavit, Zohar: From Time to Time. Fictional Dialogue in Hebrew Texts for Children. In: Translating Fictional Dialogue for Children and Young People. Ed. by Martin B. Fischer and Maria Wirf Naro. Berlin 2012. P. 17−42. Reclam, p. 20. "!"מה טוב ומה נעים− Samosc, p. 6. Reclam, p. 20. "."נא אבי אל תספר לנו מעשה נורא עד מאד פן תעצבנו לבלי חק− Samosc, p. 7. Reclam, p. 57. "! – "אנכי איש עני ונכה רוחSamosc, p. 23. Reclam, p. 165. "! האח! מה טוב ומה נעים כי לא מת: "כלם− Samosc, p. 77. Reclam, p. 220. "! בקשה אחת אהבי אבי! בקשה אחת: מה לכם! מה לכם! כלם: "האב− Samosc, p. 101.
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7.4 Philanthropinist Values 7.4.1 “Bildung” and Acquisition of Knowledge “Bildung” and the acquisition of knowledge were of utmost importance in Philanthropinist thought. Samosc, following Campe, neglected no opportunity to convey knowledge to children or to preach to them regarding the importance of education and of acquiring a profession. An example may be found in the description of Robinson’s arrival on the island. Robinson, as we have seen, must rebuild his life entirely from scratch – Campe deviates here intentionally from the text that Rousseau so admired,¹³⁶ despite seeing himself as Rousseau’s faithful disciple; his version is a fundamental change from the circumstances under which Defoe’s Robinson finds himself on the island. In his preface, Campe referred explicitly to the difference between him and Rousseau in this matter (a comparison that does not appear in Samosc’s translation, in which Campe’s preface was omitted): “Hierin irret Rousseau. Der alte Robinson hat Werkzeuge in Menge, die er von dem gestrandeten Schiffe rettete. Der gegenwärtige jüngere Robinson hingegen hat zu seiner Erhaltung nichts, als seinen Kopf und seine Hände.”¹³⁷ Lacking any equipment for survival, Robinson must rely on his reason, knowledge, and manual skills, utilizing his natural surroundings in order to survive on the island. His ability to construct a new life on the island depends on his ability to acquire knowledge that he had not bothered to attain in his youth; had he done so, so goes the moral, his life on the island would have been far simpler. And indeed, Robinson rues his neglect of learning. For example, when he wishes to increase the number of coconut trees on the island, he regrets not having studied the science of tree cultivation: Ahh! How little I knew in my youth of the benefit of knowing a trade. Why did I not pay attention to what was being done under the sun and learn a trade myself! How I wish I’d had an inclination for such things in my youth.¹³⁸ O, seufzte er oft, wie wenig habe ich in meiner Jugend meinen Vortheil gekant, daß ich nicht auf Alles, was ich sahe oder hörte, recht genau Achtung gab, um den Leuten alle ihre Künste abzulernen! Hätte ich das Glük noch einmahl jung zu werden: o wie wolt’ ich aufmerksam sein auf Alles, was Menschen Hände und menschliche Geschiklichkeit nur immer machen können!¹³⁹
Mouchet, Robinson Crusoe, p. 311. Reclam, p. 9. מדוע לא שמתי עיני ולבי על כל הנעשה תחת השמש ללמוד,"אהה! מה מעט ידעתי בנעורי תועלת כל מלאכה ". מלאכה! מי יתנני כימי חרפי תהי מגמתי לעשות מעשה ידי אמן− Samosc, p. 55. Reclam, p. 117.
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In another scene, Robinson labors to fashion a leather coat from llama skin only to realize that his efforts have been pointless; because in his youth he disregarded his teachers, he was ignorant of the fact that warm coats are hardly necessary in “the hot climates”¹⁴⁰ (“den heissen Himmelsgegenden”)¹⁴¹, where there is no winter season. On the other hand, the children are bewildered to discover that Robinson is able to converse in English with the captain of a ship departing for Guinea. This scene provides an opportunity for the father to note the importance of learning foreign languages: “Robinson studied a bit of English in Hamburg, and this helped him while he was in England.”¹⁴² (“[…] Robinson schon im Hamburg Gelegenheit gehabt hatte, Englisch zu lernen, welches ihm jezt, da er in dem Lande der Engländer war, sehr wohl zu statten kam.”)¹⁴³ The father uses Freitag’s panic at the sight of Robinson boiling water over a fire to demonstrate how ignorance and a lack of general knowledge lead to irrational thinking and superstition (Freitag fears there is a witch lurking in the bubbling water). The father explains to the children that this irrational idea stems from Freitag’s ignorance: Father: […] those ignorant fools never learned in their childhood to derive a rational explanation for new things they encounter. These heartless people always say: This is a mysterious and inexplicable matter, something that cannot be understood!¹⁴⁴ Vater. […] was unwissende, in ihrer Jugend nicht unterrichtete Menschen zu denken pflegen, wenn ihnen etwas begegnet, wovon sie die Ursache nicht einzusehen vermögen. Diese armen einfältigen Menschen gerathen nemlich alsdan fast immer auf den Gedanken, daß irgend ein unsichtbares Wesen, ein Geist, die Ursache von demjenigen sei, was sie nicht begreifen können.¹⁴⁵
In addition to advocating for the acquisition of knowledge, the father takes advantage of every opportunity for teaching the children everyday skills, as is evident in the following scene where he teaches the children how to build a house, start a fire, and count the days of the months. The process of building a house is described in great detail, from the preparation of plaster to the construction of a roof:
"."באזורי החמים− Samosc, p. 37. Reclam, p. 81. ". השפה הזאת היתה בעזרו באנגלי,"ראבינזאהן למד בעיר המבורג לשון אנגלי אך מעט− Samosc, p. 13. Reclam, p. 31. אנשי חסר, ]…[ קצר הבנת בוערים אשר לא למדו מאומה בילדותם להשיג סבת מקרה החדש בעיניהם:"האב "! סבת המקרה אשר לא ישיגו, דבר נעלם או הרוח: לב כמוהם אומרים תמיד− Samosc, p. 99. Reclam, p. 214.
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Father: […] Did you notice how they build a house? Yedidia: I noticed them many times, the bricklayer first makes plaster and stirs it into the sand, takes stones and places them one atop the other and combines them with the plaster so that they hold tightly. Then the carpenters come and cut the beams with their hatchets, and make them fit into one another. Then they line up the beams so that they nail one to the other. Then they place the rafters to lay the roof tiles on them.¹⁴⁶ Vater. […] hast du wohl schon recht genau zugesehen, wie die Zimmerleute und die Maurer es anfangen, wenn sie ein Haus bauen? Gotlieb. O ja! Schon so oft! Der Maurer macht erst Kalk zurechte und rührt Sand darunter. Denn legt er immer einen Stein auf den Andern und schmiert mit seiner Mauerkelle den Kit dazwischen, daß sie recht fest zusammen halten müssen. Denn kommen die Zimmerleute her, und behauen die Balken mit ihren Beilen und machen, daß sie so recht in einander passen. Darnach winden sie die Balken mit einer Winde oben auf die Maurer hinauf und nageln immer einen an den andern. Dann sägen sie auch Bretter und Latten, die sie auf die Sparren nageln, um die Dachziegel darauf zu legen.¹⁴⁷
Next, the father describes how to make a fire: Father: […] Now only the fire – the most necessary of all – was wanting. In order to produce this, he cut two pieces of wood from a dry tree and rubbed them together in order to start a fire. ¹⁴⁸ Vater. […] Nun fehlte nur noch das Nöthigste von Allen, das Feuer. Um dieses durch Reiben hervorzubringen, hieb er von einem trockenen Stamme zwei Hölzer ab, und setzte sich sogleich in Arbeit.¹⁴⁹
The father then teaches them how to remember the length of each month: Father: Listen to me! Make a fist of your left hand and put a finger from your right hand on a knuckle and then on the groove beside it and call out the names of the months in their order. Each month that falls on a knuckle has thirty-one days, and the others, which fall into the grooves, have only thirty, except for February, which has not thirty-one days but only twenty-eight, and every four years twenty-nine.¹⁵⁰
החורש אבן לוקח, הרבה פעמים שמתי עיני עליהם:[ השמת לבך על הבונים עת בונים בית? ידידיה..] :"האב ואחר, לוקח אבנים ויערכם אחת אל אחת ובתוכן משים סיד למען תדבקנה ותהינה לאחדות, ומבלל אותו בחול,סיד למען תהינה משלבות אשה אל אחותה אחרי כן יעלו בחזקה,כן יבא חורש עץ לפסול הקרות בקרדמות אשר בידם "[…] את המקרה להעלות עליהן ְלָב ֵני הגג− Samosc, p. 22. Reclam, p. 55 f. ]…[ ויחסר לו דבר אשר כמעט לא יכול היות בלעדו הוא האש ויכרות לו מעץ חרב שני כפיסים להתגרד:"האב ". זה על זה להוציא מהם אש− Samosc, p. 37. Reclam, p. 83. הקשיבו לדברי! סגר כף ידו השמאלית וישם אצבע ידו הימנית על קרסול אחת ואחרי כן על הגומץ:"האב לחדש אשר אצבעו על הקרסול שלשים ואחד יום ושם,הקרוב לה ויקרא בשם החדשים כאשר בסדרים לנו
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Vater. Nun, so gebt Achtung! – Seht, er machte so die linke Hand zu; dan stipte er mit einem Finger der andern Hand erst auf einen dieser hervorragenden Knöchel, dan in die dabei befindliche Grube, und nante dabei die Monate in der Ordnung, wie sie auf einander folgen. Jeder Monat der auf einen Knöchel fält, hat ein und dreissig Tage, die andern aber, die in die Grübchen fallen, haben nur dreissig, den einzigen Februar ausgenommen, der nicht einmahl dreissig, sondern nur acht und zwanzig, und alle vier Jahre neun und zwanzig Tage hat.¹⁵¹
Following Campeʼs source text, Samosc integrates events from Robinson’s storyline into the children’s daily life. The children are invited to imitate Robinson and gain hands-on experience recreating several of the objects he made. For example, on the fourth night, the children attempt to fashion a bag and a parasol. Yedidia: Oh, I would like to make such a bag. Shimon: Me too; if we had only strings! Mother: If you wish, like Robinson, to find pleasure in your work, you must weave the strings by yourself, and prepare the flax by yourself […].¹⁵² Gotlieb. O ich mögte mir auch gern eine solche Jägertasche machen. Nikolas. Ich auch; aber wenn wir nur Bindfaden hätten! Mutter. Wenn ihr eben so viel Freude, als Robinson, an eurer Arbeit haben woltet: so müstet ihr auch erst euch den Bindfaden selbst machen […].¹⁵³
Campe advocates that adults exploit every opportunity to impart knowledge to children. Nearly every scene in his book is utilized to this end. A dialogue recounting the journey of a ship to London serves, for example, as an opportunity for a geography lesson. The father mentions that Robinson’s ship is anchored in the Thames, and Fritzchen/Issachar asks: “What does that mean – the mouth of the Thames?”¹⁵⁴ (“Was ist das, die Mündung der Themse?”)¹⁵⁵ Another child (Diedrich/Gad) explains that the Thames is a large river, like the Elbe, that is located near London, and explains what a river mouth (Mündung) is. Sometimes it is the
החדש אשר קרא בשומו אצבעו בגומץ לו שלשים יום זולת החדש פעברואר אשר לו שמנה ועשרים יום בשנה ". ותשעה ועשרים בשנת העבור, פשוטה− Samosc, p. 28. Reclam, p. 68. אם תחפצו: אך מאין לנו חוטים? האם, גם לי לבב כמוך: שמעון. גם נפשי אותה לעשות לי ילקוט:"ידידיה ". והכינו לכם פשתים, שזרו לכם חוטים, לשמח נפשכם כמו ראבינזאהן− Samosc, p. 31. Reclam, p. 72. "? "מה זאת פי טהעמזע− Samosc, p. 11. Reclam, p. 27.
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children who initiate the study of geography;¹⁵⁶ at other times it is the father. For example, in a conversation on Guinea, the father asks Diedrich/Gad to explain to Fritzchen/Issachar who the Guinea-traders (Guineafahrer Afrika) are.¹⁵⁷ Together with the father they consult an atlas to follow Robinson’s route to Guinea: Father: You have your little chart; come, I will show you. You see, from London they sail down the River Thames to the North Sea; then they pass through the sea at Calais towards the Channel. From here they enter the great Atlantic Ocean, whereupon they continue their course to the Canary Islands and the green mountain range, till they finally land down here on this coast, which is called Guinea.¹⁵⁸ Vater. Du hast deine kleinen Charten bei dir; kom, ich wil dir’s zeigen! Siehst du, von London fahren sie hier die Themse hinunter bis in die Nordsee; dan steuern sie gegen Abend durch die Meerenge bei Calais in den Kanal. Aus diesem kommen sie in das große atlantische Weltmeer, worauf sie dan immer weiter fortsegeln, hier bei den Canarischen Inseln und da bei den Inseln des grünen Vorgebirges vorbei, bis sie endlich hier unten an dieser Küste landen, welche Guinea ist.¹⁵⁹
Robinson lacks sufficient funds to return home and the captain gives him a guinea. Gotlieb/Yedidia is curious and wants to know what that is, and the father explains that it is the name of an English coin, comparing its value to the Thaler: Yedidia: What is a guinea? Father: It is used by the merchants in England just like our Louis d’or, and is worth about six Thalers.¹⁶⁰ Gotlieb. Was sind das, Guineen. Vater. Englisches Geld, mein Lieber; Goldstükken, so wie unsere Louisd’or. Sie gelten ohngefähr sechs Thaler.¹⁶¹
Like Campe and Rousseau, Samosc’s translation emphasizes the importance of learning through experience. When searching for food, for example, Robinson discovers the coconut tree and its fruit. The father presents the children with a
Samosc, p. 11. Samosc, p. 12. משם יפנו, מלאנדאן עברו דרך טהעמזע עד יבאו אל ים הצפוני, הלא בידך גלילת הארץ בא ואראך:"האב משם יבאו אל הים הגדול )אטאלאנטישע וועלט מעער( משם אל, אצל קאלעעס אל הצנור,מערבה אל בריח הים ". משם יבאו אל החוף אשר שם גואינעא, איי קאנארי ואצל איי אשדות הרי דשא− Samosc, p. 13 f. Reclam, p. 32 f. (italics in the original). ". מחירם ששה ר"ט, זהב עובר לסוחר בענגלאנד כמו הלואיסדאר אשר לנו: מה זאת גינעען? האב: "ידידיה− Samosc, p. 12. Reclam, p. 29.
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coconut he received as a gift, and later on describes in detail the shape of the coconut and how to crack it open: Father: […] Let us see if we can split this shell […] Father: Now you can see how hard we worked before finally cracking one, and this despite having sharp knives and a saw which Robinson did not have. But there is no work in all Creation too arduous for hungry man who hopes to fill his stomach.¹⁶² Vater. […] wir wollen indeß sehn, ob wir die Schalen öffnen können. […] Vater. Das könnt ihr nun beurtheilen, nachdem ihr gesehen habt, wie viel Mühe es gekostet hat, ungeachtet wir uns scharfer Messer und einer Säge bedienen konnten, welche Robinson nicht hatte. Aber welche Schwierigkeit ist so groß, daß ein Hungriger sie nicht überwände, wenn er Hoffnung hat, gesättiget zu werden.¹⁶³
The father explains to the children that the coconut originates in East India, showing them its location on the map; he also takes advantage of the opportunity to offer them a new sensory experience. The children taste the exotic fruit and are exposed to a new and unfamiliar flavor: “And they scraped the middle shell with a saw and discovered the taste of the sweet white juice from the delicious meat of the coconut”¹⁶⁴ (“Hierauf sägte man die Nuß selbst durch, und gelangte so zu dem weissen in der Mitte ausgehöhlten Kerne, der allen noch lieblicher, als die süßeste Haselnuß schmeckte.”)¹⁶⁵
7.4.2 Labor and diligence The Philanthropinists considered hard work the source of all virtue, seeing it as a way to prevent the corrupting effects of idleness and generate good health and wealth. Campe addresses the matter towards the end of Robinson, and Samosc translates: “Idleness is the source of all evils.”¹⁶⁶ (“Müßiggang, aus welchem nichts, als Böses komt!”)¹⁶⁷
הלא תכלו לשער אחרי ראיתם את עמלינו טרם: ]…[ האב. ]…[ נראה אם כח בידינו לפצל הקליפות:"האב אכן אין עבודה עלי תבל אשר קשתה לנפש, ולנו סכינים חדים ומגזרות ואין לראבינזאהן מאומה,פצלנו אחד ". רעבה אם יקוה למלא בטנו בה− Samosc, p. 26. Reclam, p. 361. ". "ויגררו במשור את הקליפה התיכונה וימצאו בו מיץ לבן מתוק לפיהם מאגוזים הערבים− Samosc, p. 26. Reclam, p. 361. ". "הבטלה היא מקור כל הרעות− Samosc, p. 160. Reclam, p. 346.
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Following Campe’s source text, Samosc’s translation is rich in descriptions of the importance of hard work and industry; the following is a typical scene in which the children refer to Robinson and Freitag’s joint efforts to build their home. One of the children (Hans/Matityahu) wishes he could join Robinson and contribute to his labors. This wish leads to a discussion of the importance of work: Matityahu: I wish I were there to help him! Dan: Why do you need to go to a desolate island? If you wish to work, you can work here, just open your eyes and pay attention to what Father always gives us to do when we have free time. Soon we will gather wood, bring the smaller logs into the kitchen, dig in the garden, fetch water or pull weeds – there is always something to do! Father: And why do I instruct you to do such work? Yochanan: Lest we become accustomed to idleness, and you know that work makes us strong.¹⁶⁸ Hans. Ich hätte mögen dabei wohl sein, um auch so mit zu arbeiten! Diderich. O deswegen brauchst du nach keiner wüsten Insel zu fahren! Es läßt sich hier eben so gut arbeiten. Solst nur sehen, was uns Vater immer zu thun giebt, wenn wir Freistunden haben! Bald müssen wir Holz mit ihm pakken, bald klein gehauenes Holz in die Küche fahren, bald im Garten graben, dan wieder Wasser zum Begiessen tragen, oder Unkraut ausgäten – o da giebt es immer genug zu thun! Vater. Und warum führ’ ich denn wohl euch zu solchen Arbeiten an? Johannes. I, daß wir uns gewöhnen sollen, niemals müßig zu sein, und weil uns das gesund und stark macht!¹⁶⁹
The great importance of industry and physical labor as a way of life is expressed in Robinson’s deliberations regarding whether he should continue to work after having settled on the island, or allow himself to take pleasure in idleness and leave Freitag to labor on his behalf: And he said to himself, who will prevent you from living a pleasant life! Without worries or sorrow, take pleasure in what God gave you, eat and drink from your flock and from the fruits of the tree (for you have abundance in everything), let your body enjoy good food,
הלעשות זאת תרד לגור על אי שומם! גם פה תוכל לעבוד: דן. לו הייתי שמה להיות לו מעיר לעזור:"מתתיהו מהר נערוך עמו עצים, עת חפשים אנחנו מעסקינו, פקח נא עיניך וראה את אשר יתן אבינו בידינו לעשות,עבודה כן, או נסיר הבאושים מהנטעים, נביא מים לצקת, מהר נשדד אדמה בגן,מהר נביא העצים הקטנים אל בית המבשל ואתה יודע, בל נרגיל אותנו לטמון ידינו בצלחת: ומדוע אורה אתכם לעשות כזאת? יוחנן: האב.תמיד לנו מה לעשות ". כי העבודה תחזקנו− Samosc, p. 134 f. Reclam, p. 289.
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drink, and joy, to compensate you for all the trouble and privation of past years. Freitag will do your work; he is young and strong, and you were so generous and charitable with him.¹⁷⁰ Was kan dich, dacht’ er, nun noch hindern, vergnügt und unbekümmert zu leben? Geneuß also der mannigfaltigen Wohlthaten des Himmels; iß und trink von deiner Heerde und von den Früchten des Landes das Beste, (denn du hast ja Ueberfluß an allem) und halte dich nun durch Ruhe und gutes Essen und Trinken schadlos für die ausgestandnen Mühseeligkeiten und den Mangel der verflossenen Jahre! Dein Freitag mag für dich arbeiten; er ist jung und stark und du hast es ja um ihn verdient, daß er dein Knecht sei.¹⁷¹
Robinson decides to go on working and grounds his decision, rationally of course, in both pragmatism and morality. The pragmatic reason has to do with his fear that the fire may die out if he does not tend to it; the moral consideration is that idleness corrupts and may thus lead Robinson to forget God’s grace in saving him. Ultimately, he chooses labor as a way of life not out of altruism or concern for Freitag, but out of self-reliance, because hard work guarantees physical and mental health: What will you do if this success comes to an end? If Freitag dies? If the fire goes out again? A cold shudder ran through him at the thought. […] And you wish to be idle and lazy, and corrupt your soul and body that grew so accustomed to hard work […] And Robinson continued to deliberate on the matter and said: If you spend your days wallowing in the pleasures of the world, will you not quickly forget God and the mercy he showed you – grow fat, and become arrogant, and forget your Creator? And he cried: Heaven forbid! And fell on his knees and prayed to God to save him from such villainy.¹⁷² Aber wie? dacht’ er, wenn deine ganze gegenwärtige Glükseeligkeit einmahl wieder ein Ende nähme? Wenn dein Feuer abermahls erlöschte? Ein kalter Schauder lief ihm bei diesem Gedanken durch alle Glieder.[…] Robinson fuhr in seiner Betrachtung also fort: “Und, dacht’ er, wenn du von nun an ein ruhiges und schwelgerisches Leben führtest, wie lange würd’ es dauern, daß du aller überstandenen Noth, und der väterlichen Hülfe, die dein lieber Gott bis hieher dir geleistet hat, vergessen würdest? Wie bald würdest du übermüthig, trozig, gottvergessen werden? Schreklich! schreklich!” rief er aus und fiel auf seinem Knie,
אכל ושתה מעדרך,'"ויאמר בלבו מי ימנעך לחיות בנעימים! בלי דאגה ותוגה התענג בטוב אשר נתן לך ה תגמול על המפגעים והמחסור,ומפרי העץ )הלא כל טוב ה' בידך( החזק את גויתך במאכל ומשתה ובשמחה "! הלא עשית עמו חסד ואמת, פרייאטאג יעשה מלאכתך הנה הוא רך בשנים ובריא אולם, בשנים העברות− Samosc, p. 100. Reclam, p. 217 f. "ויאמר! מה תעשה אם עת קץ ההצלחה הזאת הגיעה? אם ימות פרייאטאג? אם יכבה האש עוד הפעם? בחשבו זאת אחז לבו פלצות ויאמר עוד מה תעשה אחרי תפנק נפשך ותטמון ידיך בצלחת ויקשה לך לשוב לשפל מצבך אם תבלה ימיך בתענוגי תבל הלא מהר תשכח את: ויאמר,הראשון ]…[ ויוסף ראבינזאן לפקוח עיניו על מקרהו ! חלילה חלילה: ותשכח אל מחוללך? ויקרא,ה' ואת חסדו אשר עשה עמך ותשמן ותבעט ותלבש רהב כשריון ". ויפול על ברכיו ויתפלל לה' כי יצילהו מהנבלה הזאת− Samosc, p. 100 f.
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um Gott zu bitten, daß er ihn doch ja vor diesem abscheulichen Undanke bewahren mögte.¹⁷³
Throughout the story, recurrent scenes demonstrate the value of industry and a strong work ethic. Even on the first night of storytelling the children learn not to sit idle as they listen, and the answer to the father’s rhetorical question is clear to all: Father: What will you do while I tell you the story? Will you sit idly? Yochanan: If only we had something to do!¹⁷⁴ Vater. Aber, was denkt ihr denn zu machen unter der Zeit, daß ich euch erzäle? So ganz müssig werdet ihr doch wohl nicht gern da sizzen wollen? Johannes. Ja, wenn wir nur was zu machen hätten!¹⁷⁵
The book describes the dynamic and industrious atmosphere that characterizes the children while they are listening to the story. The boys crack seeds, the young daughter practices knitting, and the whole of their behavior exemplifies the values of labor and diligence: Father: Here are seeds to crack, if you wish. Everyone: I do, me! Me! […] Leah: With your permission, I will first work on the stitches as mother instructed […]. Dan: How sweet and pleasant it is for brethren to dwell together in unity. Here there is room for everybody, let see who amongst us will crack the most seeds.¹⁷⁶ Mutter: Hier sind Erbsen auszukrüllen! Hier türksche Bonen abzustreifen; wer hat Lust? Alle. Ich! ich! ich! ich! […] Lotte. Nein, mit Erlaubniß, ich muß erst den Kettenstich machen, den Mutter mir gezeigt hat. […] Diederich. O gern, gern! Hier ist noch Plaz genug. Das ist exzellent! Nun wollen wir sehen, wer am meisten abstreifen kan!¹⁷⁷
Reclam, p. 218 f. לו יהי לנו דבר: ומה תעשו משך הזמן אשר אספר לכם הקרות הבאות? התטמנו ידיכם בצלחת? יוחנן:"האב "! מה לעשות− Samosc, p. 6. Reclam, p. 20. אם יש את נפשך אעשה: אנכי! אנכי! ]…[ לאה, אנכי אחפוץ: הנה זרעונים לפצל לאשר יחפוץ! כלם:"האב נראה מי בתוכנו ירבה לפצל, הלא פה רחבת ידים, מה טוב שבת אחים יחד:ללאות השתי אשר הורתני אמי ]…[ דן ". זרעונים− Samosc, p. 6 f. Samosc changes the gender of the parent in his translation. Reclam, p. 20.
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The parents’ success in educating their children and imparting to them the values of diligence and dedication to work is seen as a measure and reflection of their parental love. Robinson’s own parents supply an opposite and negative example, having failed to provide Robinson with a “good education” because their love for him led them to accept his idleness and forgive his faults.
7.4.3 Virtuous Living The adoption of bourgeois virtues plays a major role in the progression of events in Robinson. These virtues include faith in Divine Providence, modesty, proportionality and moderation, making do with little, and self-reliance. In the spirit of Rousseau, acquiring virtues is not a passive development but instead an effort comprising an active part of one’s daily activities. In Campe’s book the father encourages the children to imagine how Robinson would have coped with specific problems and then to reenact Robinson’s life, “playing” his role, experiencing what he went through, praising him, yet also evaluating his actions critically. The father intentionally sets up situations in which the children may learn how to live modestly and deprive themselves of material satisfaction. For example, they learn to delay gratification. On the sixteenth night of storytelling, Robinson meets an inhabitant of the island named Freitag; the children are frightened that the wild Freitag might kill Robinson. Here the father pauses and the children wait in suspense for him to continue, but the father offers the children a choice between immediately gratifying their curiosity or deciding to take advantage of the moment and apply restraint. When the children ask why he has paused, he answers: In order to afford you the opportunity to moderate your burning desire to learn the news. You are all curious to know the outcome of this terrible battle. I will tell you, if you really wish it.¹⁷⁸ Um euch abermahls eine Gelegenheit zu geben, eure Begierden bändigen zu lernen! Vermuthlich seid ihr jetzt alle sehr neugierig, den Ausgang des fürchterlichen Kampfes zu wissen, der unserm Robinson bevorzustehen scheint; auch bin ich, wenn ihr es so wolt, sogleich bereit, ihn euch zu erzählen.¹⁷⁹
כלכם תחפצו לשמוע אחרית. להשקיט אש התאוה אשר לשמוע חדשות בקרבכם בוערת,"למען אתן לכם דרך ". הקרב האיום הזה אנכי אספר לכם אם תחפצו− Samosc, p. 95. Reclam, p. 204.
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He offers, however, the alternative of continuing the story on the following evening. Needless to say, the children choose to put off hearing the rest of the story and each one of them turns to do some work. Campe commented, as an aside, on the importance of teaching children to postpone gratification: Please note, dear readers, that not so long ago these youths had taught themselves to endure suffering, that they might restrain their desire to hear the news, and thus happily they discard all vanity as their father wishes; you will be very wise to learn from them.¹⁸⁰ Unsere jungen Leser müssen aber wissen, daß alle diese Kinder seit einiger Zeit, so manche Uebung in der Selbstüberwindung gehabt hatten, daß es ihnen gar nicht mehr sauer wurde, auch auf ihre liebsten Vergnügungen, wenn es sein muste, mit lachendem Munde Verzicht zu thun; und sie werden wohl thun, wenn sie diese Kinder, die sich sehr gut dabei befinden, darin nachzuahmen suchen.¹⁸¹
In another episode, the children practice self-denial. They ask the father’s permission to fast for the whole day and deprive themselves of sleep for the whole night.¹⁸² Not only is permission granted, but the father praises them for their request and decides to join in the exercise. Dan: Shimon, Yochanan and I ask your permission not to eat bread tomorrow afternoon. Yedidia: And Yissachar and Leah and I would like to ask to be given only dry bread tomorrow and nothing in the evening. Father: And why? Yohanan: That we might learn to master ourselves!¹⁸³ Diderich. Ich und Nikolas und Johannes wollten bitten, daß es uns erlaubt wäre, morgen Mittag nicht zu essen. Gotlieb. Und ich, und Frizchen und Lotte wollten bitten, daß wir Morgen zum Frühstük nur ein Bischen trokken Brod und den Abend gar nichts essen dürften. Vater. Und warum das? Johannes. Ja, wir wollen uns auch gern überwinden lernen.¹⁸⁴
בל יתאוו לשמוע,"ידעו נא קוראים נעימים! כי זה ימים לא כבירים הנערים הרגילו את עצמם לשאת ולסבול יחכמו אם מהם יראו, וברצון אביהם, אם לא השיגום בנקל, בפנים שחקות השליכו כל תענוגי תבל אחרי גום,חדשות ". וכן יעשו− Samosc, p. 95. Reclam, p. 205. Reclam, p. 220−223. ואנכי וישכר ולאה: ידידיה. אנכי ושמעון ויוחנן נבקש ממך כי תתן לנו רשיון בל נאכל מחר לחם הצהרים:"דן למען נלמוד למשול: ומדוע? יוחנן: האב. ובערב אין כל,נבקש בל יותן לנו מחר להברות ]=לאכול[ כי אך לחם יבש "! ברוחנו− Samosc, p. 102. Reclam, p. 220 f.
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7.4.4 Love for Others Universal love for humankind – love for all simply by virtue of their membership in the great family of humanity – was a fundamental principle of Philanthropinism, as evident from the name of the movement and as demonstrated by the following anecdote, in which Robinson’s ship runs into trouble and sailors from another ship come to its aid. One of the children listening to the story asks whether the sailors are from Hamburg. The father uses this opportunity to teach the children of the obligation to help others, and the reason he offers for that obligation is a sense of shared humanity. This sentiment is more explicit in Samosc’s translation: while the original German reads “Nun, eben so menschlich dachten die Leute in dem Boote auch”¹⁸⁵ (“The people in the boat also thought in a humane way”), Samosc’s father explains why all people are equal, after all: “These people have a heart just like mine.”¹⁸⁶ When the child goes on to wonder whether this refers to all people, including “the others” (for Samosc, “others” refers to the Ishmaelites; for Campe, they are the Turks), the father responds that all people should be treated equally and not be judged by their nationality: Father: You should know that in every nation and every country there are good people, and in every nation and every generation there are empty and reckless people.¹⁸⁷ Vater. Lieber Johannes, du wirst immer mehr erfahren, daß es unter allen Völkern, in allen Ländern gute Leute gibt; so wie es unter allen Völkern, in allen Ländern und zu allen Zeiten auch hin und wieder Taugenichts gegeben hat.¹⁸⁸
The father warns the children not to be overquick in their judgment of other people, and in addition teaches them the importance of forgiving. Johannes/Shimon [elsewhere Johannes is Yochanan] announces angrily that he does not pity Robinson because the latter sinned gravely and left home without his parents’ permission. To this the father responds that Robinson deserves some mercy: For he is our brother, our lost brother; his offense will no longer be remembered, but we will strive to help him if we are able.¹⁸⁹
Reclam, p. 358. ". "גם לאנשים האלה לב כמוני− Samosc, p. 10. תוסף לדעת כי יש בכל עם ועם מדינה ומדינה אנשים טובים כאשר יש בכל עם ועם בכל דור ודור אנשים:"האב ". רעים ופוחזים− Samosc, p. 10f. Reclam, p. 358. ”. אך נקומה לעזור לו אם יש לאל ידינו, פשעו לא יזכר עוד, אחינו התועה,"נשום על לבנו כי אחינו הוא− Samosc, p. 13.
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[…] da wollen wir bedenken, daß er unser Bruder, unser armer verirter Bruder sei, und seine Schuld vergessen, und ihm nicht bloß unser Mitleid schenken, sondern, wenn wir können, ihm auch helfen auf den Weg des Rechtthuns und der Glückseligkeit zurückzukehren.¹⁹⁰
7.4.5 Natural/Universal Religion Piety and faith in God occupy a central place in Campe’s thought. These attitudes help overcome hardships, fears, and frustrations in life, as the father explains to his daughter Leah (Lotte): “As you know, nothing in this world brings me more pleasure to tell of than the greatness and benevolence [of God].”¹⁹¹ (“Du weist, ich rede von nichts lieber, als von ihm, der so gut und so groß und so liebevol ist.”)¹⁹² The central role that religious education played in books for children in the second half of the eighteenth century has been described at length by Rüdiger Steinlein, who sees Robinson der Jüngere as one of the most prominent books to address moral and religious education.¹⁹³ Indeed, Campe drew a strong connection between accepting God and doing good, and believed that religious education and a genuine acceptance of God were fundamental to the construction of a “bourgeois person” – that is, to the adoption of bourgeois values and the bourgeois way of life: “You are correct, my daughter: if you know the ways of God and strive to do only good, happiness will be yours from now on”¹⁹⁴ (“wenn du Gott erst recht wirst kennen lernen: so wirst du dich noch vielmehr bemühen, so ganz gut zu werden, und dan wirst du noch vielmehr Freude haben, als jetzt.”)¹⁹⁵ Because of Campe’s universalist understanding of religion, Samosc found no difficulty in transmitting his ethical and religious message to his own Jewish readers. This is, for example, the case when Robinson teaches Freitag about God’s universality:
Reclam, p. 32, p. 358. "? "הלא ידעת כי טוב לי לספר מגדלו וטובו מספר מכל אשר על פני תבל− Samosc, p. 23. Reclam, p. 59. Steinlein, Rüdiger: Aufgeklärte Gottesfurcht – das Gott-Vater-Paradigma als religionspädagogisches und wirkungsästhetisches Prinzip erzählender Kinder- und Jugendliteratur der Aufklärung (am Beispiel von J. H. Campes Robinson der Jüngere). In: Zeitschrift für Germanistik Neue Folge 4,1 (1994). P. 7−23. ". תשמחי אז מעתה, "צדקת בתי היקרה! אם תדעי דרכי ה' ומפעליו מגמת פניך תהי לעשות רק טוב סלה− Samosc, p. 23. Reclam, p. 59.
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And he taught him of the ways of God and told him that there is an end, that there is reward and punishment in eternal life, and instructed him that God is powerful and glorious, that wisdom is his and he is compassionate to all. He created everything that exists on this Earth and breathes life into us all. He has no beginning and no end, and even if he is beyond our ken he exists and knows our thoughts and our deeds, loves what is good and hates what is evil.¹⁹⁶ […] und fing von dem Augenblikke an, ihm besser Begriffe von Gott und von dem Leben nach dem Tode mitzutheilen. Er lehrte ihn, daß Gott ein unsichtbares, höchst mächtiges, höchst weises und gütiges Wesen sei; daß er Alles, was da ist, erschaffen habe, und für alles sorge; er selbst aber habe nie einen Anfang genommen; daß er überal zugegen sei, und wisse alles, was wir denken, reden und thun; daß er Wholgefallen am Guten finde und alles Böse verabscheue.¹⁹⁷
In another case Robinson recites a prayer to (the universal) God: “You are the source of life! Accept my thanks for having shown to me your precious sun, to behold by its light the wonders of your deeds.”¹⁹⁸ (“‘O du ewiger Quel des Lebens, rief er aus, indem er sich auf seine Knie warf; Gott! Gott! Habe Dank, daß du mich noch einmahl deine schöne Sonne erblikken, und in ihrem Lichte die Wunder deiner Schöpfung sehen läßtʼ.”)¹⁹⁹ Samosc did not omit references to religion unless they featured Christian elements explicitly. For example, the following hymn of praise, “das Loblied”, was left untouched: “[…] Your mercy and your righteousness are found everywhere under the sky / I will exalt you among the living / Each day your powers are renewed / All that we require, you supply.”²⁰⁰ (“So weit die Himmel gehen / Geht, Vater deine Treu; / Ich will sie, Gott, erhöhen, / Denn täglich wird sie neu. / Von dem wir Alles haben […].”)²⁰¹ Nevertheless, explicit references to Christianity were replaced by universalist ones. For example, Samosc omitted the reference to the cross in the following phrase: “[…] Den wird er wunderlich erhalten / in allem Kreuz und Herzeleid.”²⁰²
ויורהו כי אלקים הוא בעל הכח,"וילמדהו לדעת את ה' והגיד לו כי יש אחרית ויש תגמול ועונש בחיי הנצחי אין לו ראשית ואין תכלית, הוא יצר את כל אשר על פני תבל ומחיה את כלם,והגבורה לו החכמה והוא המרחם על כל ". אוהב טוב ושונא רע, ואם נסתר במסתרים שם הוא ויודע כל מחשבותינו וכל מעשינו גלוים לו− Samosc, p. 108. Reclam, p. 233 f. ". לראות באורו נפלאות מעשיך,"אתה מקור החיים! קח תודה ממני כי הראתני הפעם שמשך היקר הולך− Samosc, p. 77 f. Reclam, p. 167. מידך כל/ לבקרים תחדש גבורותיך, ארוממך בקהל החיים/ חסדך אלוהים וצדקותיך,"תחת כל השמים ".([…] צרכינו− Samosc, p. 128. Reclam, p. 369. Reclam, p. 57.
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Instead of the cross, he references the universal God: “His great wonders will soon be evident when illness and soreness afflict his tent.”²⁰³
7.4.6 Honoring One’s Parents The value of honoring one’s father and mother is emphasized time and again. It is only during his life on the island that Robinson learns to appreciate parental love and the value of filial obedience. Early in the story Robinson sins before his parents in leaving them without their permission, and a long process of learning is required before Robinson internalizes this understanding. After first boarding his ship Robinson confesses to the captain that he never obtained his parents’ permission to depart. The agitated captain rebukes him and says that had he known this in Hamburg, he would not have let Robinson aboard. Embarrassed, Robinson weeps and does not know what to do. The father explains to the children why the captain was so hard on Robinson: “It is the duty of every man to prevent his fellow man from doing wrong.”²⁰⁴ (“Er that, was jeder thun muß, wenn er seinen Nebenmenschen fehlen sieht; er erinnerte den jungen Menschen an seine Pflicht.”)²⁰⁵ On the island, Robinson and Freitag manage to construct a well-equipped house for themselves and cultivate a magnificent vegetable garden. Their material needs are entirely satisfied, and the only shadow over Robinson’s life is his longing for his parents and his strong sense of remorse for not having sought their forgiveness. His feelings for his parents, as well as Freitag’s for his own, are described time and again. In one scene, the intensity of their longing is described as preventing them from finding peace. In another, the very mention of Robinson’s parents brings tears to his and Freitag’s eyes: Tears fell down [Freitag’s cheek], and Robinson recalled his own parents and wiped tears from his face, and both were silent for long moments.²⁰⁶ Father: […] it would seem as if Robinson lacks for nothing. But what do you think? Yedidia: Only his being away from his parents made him troubled.²⁰⁷
". בקרוב באהלו מחלה ונגע/ "נפלאותיו הגדלות יראהו− Samosc, p. 22. ". "חובת כל אנוש להשיב רעהו מאון− Samosc, p. 11. Reclam, p. 28 f. ". ויזכור גם ראבינזאהן את הוריו ומחה הדמעות מעל פניו,”]…[ ודמעות ירדו על לחיו− Samosc, p. 116. אך פרידת הוריו היתה: אך – מה תדמו בנפשכם? ידידיה, ]…[ למלאות שלות ראבינזאהן אין מחסור:"האב ". בעכרו− Samosc, p. 137.
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[…] ein Paar große Tränen rolten ihm die Bakken herab. Robinson dachte an seine eigene Eltern und muste sich gleichfals die Augen wischen. Beide beobachteten eine Zeitland ein rührendes Stilschweigen.²⁰⁸ Vater. […] Zu Robinsons volkommener Glükseeligkeit fehlte also weiter nichts mehr, als – was meint ihr? Gotlieb. Daß er nicht bei seinen Eltern war!²⁰⁹
To this the father adds: “Thus did the Creator sow love and gratitude for one’s parents in the hearts of every creature.”²¹⁰ (“So gewiß, fügte der Vater hinzu, hat Gott die Liebe und Dankbarkeit gegen Eltern allen Menschen ins Herz gelegt!”)²¹¹ The captain suggests that Robinson return home to his parents and ask them to forgive him.²¹² While many years must pass before Robinson can do so, the ceremony of begging forgiveness ends his story and closes the circle. Upon returning to Hamburg, Robinson earns his father’s forgiveness and shows his great respect for the latter by requesting his permission to venture forth in his own field of work – even though he is no longer a young lad just leaving the nest: Robinson’s father was an estate agent and wished to teach his son the business, that he might take his place after his death. But Robinson, who had become accustomed to working with his own hands for many years, asked his father’s permission to learn the craft of carpentry [Tischler, in Hebrew transliteration]; and his father fulfilled his desire.²¹³ Robinsons Vater war ein Makler. Er wünschte, daß sein Sohn sich in diesen Geschäften üben mögte, um nach seinem Tode an seine Stelle treten zu können. Aber Robinson, der seit vielen Jahren an das Vergnügen der Handarbeiten gewöhnt war, bat seinen Vater um die Erlaubniß, das Tischler-Handwerk zu lernen; und dieser ließ ihm seinen freien Willen.²¹⁴
Reclam, p. 248 f. Reclam, p. 294. ". "כך נטע הבורא אהבה ותודת בנים לאבותם בלב כל היצירים− Samosc, p. 116. Reclam, p. 249. ”. חזק ברכי והוריך ובקש מהם סליחה על מעותך, – "מה תעשה ענה החובל שוב אל בית אביךSamosc, p. 11. אכן,"אבי ראבינזאהן היה סרסר ויבקש לחנך את בנו לעשות כמוהו למען ימלא את מקומו אחרי מותו (ראבניזאהן אשר הסכין זה שנים אחדות במלאכת היד בקש רשיון מאביו כי ילמדהו מלאכת חרשי עץ )טישלער ". וימלא אביו את רצונו− Samosc, p. 160. Reclam, p. 346.
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Towards the end of the book, Campe presents two golden rules of parent-child relations. One is addressed to parents and the other to children; loving parents must instill sound values in their children, and children must strive to learn those values well: Parents! If you love your children, educate them to be honest, to make do with little and work industriously […] Little children! Obey your parents and teachers, do your utmost to learn well, fear your Lord and beware of idleness, which is the source of all evils.²¹⁵ Eltern, wenn ihr eure Kinder liebt, so gewöhnt sie ja frühzeitig zu einem frommen, mäßigen und arbeitsamen Leben! […] lieben Kinder seid gehorsam euren Eltern und Vorgesezten; lernt fleißig alles, was ihr zu lernen nur immer Gelegenheit habt; fürchtet Gott, und hütet euch – o hütet euch – vor Müßiggang, aus welchem nichts, als Böses, komt!²¹⁶
7.4.7 Life in Nature Philanthropinism sought to bring children out of the traditional closed and stuffy classroom and into nature’s fresh air. The importance Campe attributed to nature is noticeable not only in where the frame story takes place – the father relates Robinson’s story in the open air of a green garden, beneath an apple tree – but also in how learning to live in nature is necessary for Robinson’s survival. In order to stay alive, Robinson must come to know nature through the process of trial and error. This “natural” way of life is at first forced upon Robinson, but after he gains familiarity with nature and is able to control it, he willingly lives in harmony with it. Nevertheless, Robinson’s is a story about humankind conquering nature, rather than nature conquering humankind. Nor does Campe present an ideal of an isolated man living in nature; quite the opposite is true. Campe’s protagonist does not forego a social life, and Campe demonstrates time and again humankind’s fundamental need for a social existence. Robinson learns this lesson when he is able to light a fire – a prerequisite for the life on the island – only after having cooperated with another person, namely Freitag: If only he had one helper who might stand by his side and rub the trees together when his own hands grew weak […]. ²¹⁷
]…[ ילדים קטנים! סורו."הורים! אם תאהבו את בניכם תחנכו אותם היות תמים לחיות במשורה ולעבוד עבודה "!למשמעת הוריכם ושופטיכם למדו היטב כאשר לאל ידכם יראו את ה' והשמרו מרשת הבטלה היא מקור כל הרעות − Samosc, p. 160. Reclam, p. 346. "[…] "לו היה לו אך עזר אחד אשר יעמוד לימינו להתגרד העצים עת רפו ידיו− Samosc, p. 37.
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It is difficult for one person to fulfill his needs all by himself. Great is the benefit to us of the society of other human beings, my children!²¹⁸ Hätte er nur einen einzigen Gehülfen gehabt, der dan, wenn er selbst ermattet war, fortgefahren hätte zu reiben […].²¹⁹ So unendlich schwer ist es für jeden einzelnen Menschen, für alle seine Bedürfnisse selbst zu sorgen.²²⁰
7.5 The Ending Robinson returns to Hamburg empty-handed, just as he arrived on the island, because his ship sinks before it reaches shore. All the property Robinson had brought with him plunges to the depths of the ocean, and he must once again create a life from scratch.²²¹ He chooses, ultimately, to begin a career as a carpenter; in this way, the story’s conclusion reinforces the values of resourcefulness and industry which are at the heart of the book. Robinson actively chooses to continue to live by these values, even when he has the option to choose a different path. In light of the fact that Campe addressed his books to the bourgeoisie and upper classes, one might wonder why he made Robinson a carpenter; after all, a different path in life awaited Campe’s readers. I believe that what Campe depicts here is primarily an ideal centered on an independent person who can earn his living from the fruit of his work. Such an approach, of course, closely matched the model way of life that the Haskalah movement sought to disseminate among non-Maskilic Jewish society. Furthermore, while living in Hamburg, Robinson and Freitag continue to maintain a healthy life of productive work, and once a week they consciously exercise the virtues they acquired on the island: In memory of the time they lived on the island, they dedicated one day each week to live as they did upon the island; living in harmony, forgiving their brothers, helping their friends and loving them had now become their habitual virtues, and they could not comprehend how to live without them. They distinguished themselves by a pure, unfeigned and active
"! בני, גדול מאוד התועלת אשר תגיע לנו מחברת בני אנוש, "כבד לאיש למלאות כל צרכיו יחידי− Samosc, p. 41. Reclam, p. 83. Reclam, p. 91. See: Zantop, Colonial Fantasies, p. 115.
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piety. And when they pronounced the name of God, joy and love shone from their eyes. […] They lived in peace and in health, and did their useful work for many days.²²² Zur Erinnerung an ihr ehemaliges Einsiedler-Leben sezten sie einen Tag in jeder Woche fest, an dem sie ihre vormahlige Lebensart, so gut es gehen wolte, zu erneuern suchten. Eintracht, Nachsicht mit den Fehlern anderer Menschen, Dienstfertigkeit, und Menschenliebe waren ihnen jetzt so gewohnte Tugenden geworden, daß sie gar nicht begriffen, wie man ohne dieselben leben konte. Vornehmlich zeichneten sie sich durch eine reine, ungeheuchelte und thätige Frömmigkeit aus. So oft sie den Nahmen Gottes aussprachen, strahlte Freude und Liebe aus ihren Augen. […] Sie erlebten in Friede, Gesundheit und nüzlicher Geschäftigkeit ein hohes Alter […].²²³
Samosc retained Campe’s ending with no alteration, in contrast to a contemporaneous Yiddish translation which, as we have seen, judaized the ending in its portrayal of Alter-Leb (Robinson) and Shabbes (Freitag) enjoying much satisfaction in marrying off their children.
7.6 Samosc’s Translation and the Philanthropinist Program The extent to which Samosc made use of his translation to present the Philanthropinist program to Jewish readers becomes clear not only through examination of his translation, but also from comparison to a later Hebrew translation. This later translation, which enjoyed much success, was first published in Warsaw in 1849 and subsequently thrice more (in 1874, 1910, and 1912), each edition differing slightly from its predecessor, particularly in regard to its title.²²⁴ The comparison shows that while Samosc’s translation aimed to present his Jewish readers with the Philanthropinist worldview, the translations that followed a quarter-century later sought to turn Robinson der Jüngere into an exciting adventure story, completely discarding the ideological and didactic dimensions of the source text. The abandonment of the Philanthropinist program by the later translator, Eliezer Ben Shimon Hacohen Bloch (Lazar Cohen Bloch) is noticeable in the omission of the frame story and of dialogues that were so central to the Philanthropinic system of pedagogy. The source text was shortened and sections previously dedicated to practical knowledge omitted, such as, for example, the
האחדות ולסלוח עון בני,"לזכרון בעת אשר חיו על האי יעדו להם יום אחד בשבוע בו יחיו באפן אשר חיו אז ,גילם לעזור לרעיהם ולאהוב אותם היו להם צדקה אשר הרגילו בהם לא ידעו איך יהיה גבר בלעדי המדות האלה בזכרם את שם ה' קרני אהבה ושמחה מעיניהם נוצצו ]…[ חיו שלוים,ויבדלו מכלן בישרת לבבם ובצדקתם ". ובריאים ויעשו מלאכתם להועיל ימים רבים− Samosc, p. 160. Reclam, p. 346 f. See Appendix 2.
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meticulous descriptions of how objects were constructed, and entire sections about knowledge of the world, primarily history and geography. The universalist message was also omitted, along with references to the great importance of education and industry. However, unlike Samosc’s work, Bloch’s translation underlined its religious message.²²⁵ The judaization of the text is evident not only in minor details like the replacement of oysters with fish, but also in the replacement of Christian allusions with those of the Hebrew Bible and the addition of elements from Jewish tradition. For example, when Robinson instructs Shabbes (i. e. Freitag) in the fundamentals of religion, these include the story of the Creation, which does not appear in Campe’s version. Such additions are especially conspicuous because Bloch’s translation is considerably shorter than Campe’s original text. As mentioned above, Isaac Erter’s (1791−1851) translation (The Hebrew Robinson) was lost and cannot be studied directly. However, we can reconstruct the principles that underlay the translation because Erter described them in a letter to Meir Letteris (1800−1871), an editor and writer. Erter put forth three objectives for his book: 1) It should be readable by children in their leisure time and provide them an opportunity to express their repressed emotions; 2) The book should help to instill rational thinking in place of the irrational modes of thought that children absorb during infancy; 3) It should assist children in learning to read Hebrew, before they begin to learn the Bible.²²⁶ The description of these three objectives makes it clear that Erter’s translation, unlike Samosc’s, did not aim primarily at introducing Philanthropinist ideas and did not seek to serve as an agent for the introduction of Philanthropinism in Jewish society.
8 Conclusion Of all the translations of Robinson der Jüngere into Hebrew, only the first, David Samosc’s, explicitly sought to impart to Jewish readers the Philanthropinist worldview and the model of a bourgeois society built on the values of “Bildung”. The story of a young man who travels the world, finds himself abandoned on an island and then builds his life and home from scratch on the basis of the knowledge he acquires, was perfectly in line with the Maskilim’s aspiration to broaden
Shein-Idelson, Difference of a Different Kind, p. 332. Erter, Issac: Hatzofeh Lebet Yisrael. Vienna 1864. P. 116 f. Cited in Klausner, A History of Modern Hebrew Literature, p. 330 f.
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the horizons of their Jewish brethren beyond their narrow and provincial world. Samosc gave expression to his objective by using his translation to present an ideal society whose model should be appropriated by Jewish society. Instead of a conservative and insular society, Samosc, like the author of his source text, envisioned one characterized by openness to the world, social mobility, rationality, and a universalist outlook – a society of people who attained a profession, were knowledgeable about the world, and lived off of their own hard work. In place of the isolated Jew keeping to the confines of his home, Samosc sought to portray a society that was open, inclusive, and enjoyed fruitful relations with its surroundings. The “New Jew” in this society adopts the daily practices of nonJews, speaks the language of the society in which he lives and is familiar with its culture. He makes his living in various professions and enriches his spiritual world not only through religious study but also through secular studies. In this way, David Samosc – an unknown Maskil from Breslau, a provincial city in Prussia – made his own modest contribution to the major reforms the Maskilim aspired to bring to Jewish communities, in the spirit of the European Enlightenment.
Appendices Appendix 1: Letter by Moses Mendelssohn Schreiben, die philanthropinische Erziehung jüdischer Kinder betreffend, von Moses Mendelssohn. In: Ha-Me’assef (September 1784). P. 5−10. Also in: Litteratur und Völkerkunde. 2. Band (April 1783). P. 897−900 (shortened by the author of this article). Aber bester Freuend! War denn der Schritt wirklich so ausserordentlich, so kühn, den das Philanthropin zu Besten meiner Brüder gethan? Liegt es nicht schon im Begriff eines philanthropinischen Instituts, das ihm der Mentsch als Mentsch erziehungswürdig und willkomment seyn muß, ohne darauf zu sehen, ob er einen beschnittenen oder unbeschnittenen Vater gehabt? […] Ich von meiner Seite finde das Anerbieten der philanthropinischen Vorsteher ihrer würdig, aber nicht ausserordentlich. Denn daß jüdische Schüler und Zöglinge aufgenommen werden, dieses geschieht auf allen niedern und hohen Schulen Deutschlands; und auf die Abschaffung kleiner pedantischer Unterscheidungszeichen, die bey Promotionen und Streitübungen noch auf mancher Universität im Schwange sind, legt doch wohl niemand einen Werth. Und daß sie Unchristen auch zu Lehrern annehmen wollen, ist sicherlich nicht befrem-
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dender, also daß eine königlich preussische Akademie der Wissenschaften einen Juden zum Mitgliede erwählt habe; daß die Gesellschaft naturforschender Freunde allhier, Gelehrte vom ersten Range, geheime Finanzräthe und Juden zu Mitgliedern hat; daß Mendes dʼAccosta vor einigen Jahren Sekretair der Londoner Societät gewesen; und daß selbst in den dunkelsten Zeiten nicht selten Beschnittene auf den Lehrstühlen der orientalischen Sprachen, der Medicin und der Astronomie gesessen haben. […] Aber von der andern Seite ist auch dieses so ausgemacht noch nicht, daß nicht so manche Israelilten die philanthropinische Einladung mit dem verdienten Danke annehmen, und sich zu Nutze machen werden. Als ich das Vergnügen hatte, vor ihrer Abreise mit ihnen selbst, und einige Zeit darauf mit Herren P. Simon von dieser Materie zu sprechen, machte ich mir von diesem Projekte überhaupt keine sonderliche Hoffnung; Herr Wessely, der besseres Zutrauen hatte, unterzog sich der Sache mit löblichen Eifer, und fährt noch immer fort sie zu betreiben. Ich hoffe, seine Bemühungen sollen nicht so ganz fruchtlos seyn. Der Erfolg geht etwas langsam von Statten; er wird aber vielleicht desto sichrer und anhaltender seyn. Es liegt in den Gemüthern der Menschen eine gewisse vis inertiae, die nicht immer durch heftige Stöße überwunden seyn will. […].
Appendix 2: List of Robinson der Jüngere Translations into Hebrew Samosc, David 1824 Robinson der Jüngere. Ein Lesebuch für Kinder von Joachim Heinrich Campe. Ins Hebräisch übertragen von David Samosc (Breslau: Sulzbach) Erter, Isaac 1830? Robinson ha-ivri (lost). Probably Warsaw. Bloch, Eliezer Ben Shimon HaChohen (Lazar Cohen Bloch) 1849 Maʼase Robinson (Warsaw: Bomberg) 1874 Maʼase Robinson (Warsaw: J. Lebenssohn) 1910 Sippur Robinson (Bilsgoraj: Natan Neta Kronenberg) 1912 Sippur Robinson (Przemysl: Amkraut & Freund)
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Annegret Völpel
Religiöse Erziehung in Szene gesetzt: Chanukka-Kinderschauspiele 1 Deutsch-jüdische Kinder- und Jugendliteratur seit der Haskala im Dienst der Religionsvermittlung und der Akkulturation Die Haskala¹ bot eine langfristig wirksame Grundlage für die Entwicklung jüdischer Kinder- und Jugendliteratur des deutschsprachigen Raums. So war die jüdische Aufklärung nicht nur epochal und bis in die 1830er-Jahre von maßgeblichem Einfluss, sondern hatte elementare Positionen etabliert, an denen die jüdische Minorität im Interesse der Emanzipation auch in späteren literaturgeschichtlichen Phasen festhielt. Dies betraf zunächst die Öffnung für die deutsche Sprache, sodass jüdische Kinder- und Jugendliteratur seither ein interkulturelles, überregionales und mehrsprachiges Gebilde in Jiddisch, Deutsch und Hebräisch war. Darüber hinaus betraf es die Etablierung einer spezifischen Kinder- und Jugendadressierung für Literatur, ein Prozess, der sich im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts analog in der allgemeinen deutschen Literatur vollzog. Auch die religiöse Erziehung kam mit der Aufklärung in Bewegung, denn mit der Ausweitung säkularen Wissenserwerbs geriet (jüdische wie christliche) Religionsvermittlung in neuartige Konkurrenz zu anderen Bildungsinhalten. Religionserziehung mittels Literatur sah sich, unter dem Einfluss des Philanthropismus,² zudem verstärkt mit methodischen Anforderungen konfrontiert, mit der Erwartung einer dem kindlichen Auffassungsvermögen besser angepassten Stoffauswahl und Vermittlungsweise. In Reaktion hierauf wurden spezifisch kinder- und jugendliterarische Religionslehrwerke (wie Herz Hombergs Imre Schefer [„Schöne Worte“], Wien 1802)³ geschaffen, die ergänzend neben den re-
EA u. d. T. Chanukka-Kinderschauspiele. In: Kinder- und Jugendliteratur. Ein Lexikon. 59. Erg.Lfg. Hrsg. von Alfred Clemens Baumgärtner, Heinrich Pleticha, Kurt Franz, Günter Lange und Franz-Josef Payrhuber. Meitingen 2016. S. 1−22. Überarbeiteter Wiederabdruck mit freundlicher Genehmigung. Zum Einfluss des Philanthropismus auf die jüdische Kinder- und Jugendliteratur siehe z. B. den Beitrag von Zohar Shavit in diesem Band. Zu diesem Werk siehe z. B. Wenzel, Rainer: Judentum und „bürgerliche Religion“. Religion, Geschichte, Politik und Pädagogik in Herz Hombergs Lehrbüchern. In: Jüdische Erziehung und https://doi.org/10.1515/9783110743050-010
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ligiösen Textkanon traten. In diesen Lehrbüchern zeigt sich der inhaltliche und methodische Wandel unter anderem am Phänomen der Kürze: Da man kurze Epik als eine Form ansah, die für Ungebildete besonders geeignet sei, erlebten die prägnanten 13 Glaubensartikel des Maimonides und die Spruchform des Mischnatraktats Pirke Avot („Sprüche der Väter“) eine besondere Karriere in Religionslehrbüchern. Dieser religionsdidaktische Wandel wirkte sich auch auf andere Genres aus, so dass vor allem das anschauliche Erzählen (z. B. von Fabeln oder moralischen Erzählungen)⁴ für religiös-sittliche Normvermittlung avancierte und die Gattung der biblischen Geschichte⁵ in die jüdische Erziehungspraxis übernommen wurde. Mit Fortschreiten des Akkulturationsprozesses wurde im 19. Jahrhundert insbesondere durch das Reformjudentum das Gattungsspektrum jüdischer Kinder- und Jugendliteratur beträchtlich erweitert und funktional ausdifferenziert. Hierbei wurden die drei Großgattungen jedoch in unterschiedlichem Maße für Emanzipationsanliegen genutzt. Während Gedichte⁶ und Epik von Anfang an zur jüdischen Kinderliteratur deutscher Sprache gehörten, war dies bei Dramen nicht der Fall. Deren kindliche Rezeption blieb bis weit in das 19. Jahrhundert hinein auf Partizipation an allgemeiner Dramenlektüre und an der jüdischen Laienspielpraxis begrenzt. Einer grundlegenden erziehungs- und literaturtheoretischen Anerkennung des Kinderschauspiels wirkten im deutschsprachigen Judentum für etliche Jahrzehnte mehrere Faktoren entgegen. Zum einen waren sicherlich ökonomische Hürden für größere Theateraufführungen einer Minderheit relevant. Hinzu kam die kulturpolitische Abwertung des Jiddischen, die auch die Laienspielpraxis betraf. Für Kinderschauspiele waren darüber hinaus pädagogische Vorbehalte wirkungsmächtig, da Dramen nach orthodoxer Auffassung nicht als Kunstform galten, Theater als Unterhaltungsangebot ablehnt wurde, beide Medienformate somit verzögert und allenfalls als Foren für religiöse Belehrung akzeptiert wurden. Bis zur Aufklärung hatten sich daher jüdische szenische Spiele
aufklärerische Schulreform. Analysen zum späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. Hrsg. von Britta L. Behm [u. a.]. Münster – New York 2002. S. 335 – 358. Vgl. HaCohen, Ran: Die Entwicklung der hebräischen Lesebücher. In: Deutsch-jüdische Kinderund Jugendliteratur. Ein literaturgeschichtlicher Grundriß. Hrsg. von Annegret Völpel, Zohar Shavit und Ran HaCohen. Stuttgart − Weimar 2002. S. 40−54. Beginnend mit Aaron Wolfssohns Avtalion 1790, vgl. HaCohen, Ran: Biblische Geschichten für jüdische Kinder. In: Deutsch-jüdische Kinder- und Jugendliteratur. Ein literaturgeschichtlicher Grundriß. Hrsg. von Annegret Völpel, Zohar Shavit und Ran HaCohen. Stuttgart − Weimar 2002. S. 69−84. David Friedländer nahm in sein Lesebuch für Jüdische Kinder (1779) bereits Lyrik aus Karl Wilhelm Ramlers Anthologie Lyrische Blumenlese (1774) auf, darunter ein Kindergedicht von Christian Felix Weiße.
Religiöse Erziehung in Szene gesetzt: Chanukka-Kinderschauspiele
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nur in Verbindung mit religiösen Festen entwickeln können.⁷ Die Akzeptanz einer religiös konnotierten Schauspielpraxis betraf vorrangig zwei fröhliche Jahresfeste: Purim mit seinen Ahaswerus-Spielen, die bereits im 18. Jahrhundert einen Höhepunkt erlebten, und Chanukka. Zu diesen Anlässen wurden für Zuschauer aller Generationen gemeinsam Purim- und Chanukkaspiele veranstaltet, die meist biblische Stoffe zeigten und seit der Haskala in den Umgangssprachen, das heißt in Jiddisch und Deutsch, stattfanden; bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurde ihnen jedoch keine nennenswerte literaturdidaktische Aufmerksamkeit geschenkt und sie gehörten noch nicht zur spezifischen Kinderliteratur. Zunächst kam es im Bereich jüdischer Dramen für Erwachsene zu einer mehrsprachigen Weiterentwicklung. So wurden in Hebräisch, der Sprache der kanonischen religiösen Schriften, Dramen verfasst, die allerdings aus religiösen Erwägungen noch auf biblisch-historische Stoffe begrenzt blieben. In deutscher Sprache begann eine jüdische Dramenliteratur mit Lessing und Schiller, die aufgrund ihrer Judendarstellung und ihrer Toleranzthematik für jüdische Leser als Akkulturationsliteratur fungierten.⁸ In diesem Sinne wurden zunächst ausgewählte Dramen nichtjüdischer Herkunft als Jugendlektüre empfohlen, bis in den 1830er-Jahren, beginnend mit Ludwig Philippson, dann auch jüdische Autoren in deutscher Sprache Dramen mit jüdischen Stoffen schufen. In der jüdischen Kinder- und Jugendliteratur sollte noch für einige Jahrzehnte die Epik im Vordergrund stehen, bis auch hier spezifische Kinder- und Jugenddramen in deutscher Sprache entstanden. Unter ihnen nahmen dann das Purimund das Chanukkaspiel eine führende Rolle ein;⁹ daher soll die Entwicklung jüdischer Kinderdramen im Folgenden anhand des deutschsprachigen Chanukkaschauspiels skizziert werden.
Zu jüdischen Hochzeiten waren bspw. Totentänze üblich, eine im 14. Jahrhundert entstandene Dramenform, die bis ins 17. Jahrhundert und damit länger als in der christlichen Umwelt praktiziert wurde (vgl. Seelmann, Wilhelm: Die Totentänze des Mittelalters. Untersuchungen nebst Literatur- und Denkmälerübersicht. Norden − Leipzig 1893; Fried, E. G.: Jüdische Spiele. In: Menorah 5/3 [1927]. S. 153−157). Vgl. Schulz, Georg-Michael: Drama und Theater bis 1933. In: Handbuch der deutsch-jüdischen Literatur. Hrsg. von Hans Otto Horch. Berlin − Boston 2016. S. 479−490. Zur Entwicklung des Purimspiels vgl. Völpel, Annegret: „Ich hab’ das Spiel mit viel Bedacht in eine neue Form gebracht“. Das Purimspiel als deutschsprachiges Kinderschauspiel. In: Kinderund Jugendliteraturforschung international. Hrsg. von Gabriele von Glasenapp [u. a.]. Frankfurt/ Main [u. a.] 2014. S. 429−445; Zinberg, Israel und Bernard Martin (Übers. u. Hrsg.): The Beginnings of Drama in Yiddish. [sowie:] Akhashveyrosh-Plays and other Dramas. In: Dies.: A History of Jewish Literature. Bd. 7: Old Yiddish Literature from Its Origins to the Haskalah Period. New York 1975. S. 301−344.
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2 Kinderdramen im traditionellen Kontext der Chanukkagestaltung Chanukka („Einweihung“) ist ein achttägiges Jahresfest, das am 25. Kisslew, einem Tag im November oder Dezember, beginnt. Es erinnert an die Wiedereinweihung des Jerusalemer Tempels 164 v. d. Z., die durch den Sieg der von Juda Makkabäus geführten Juden über die Syrer ermöglicht wurde und die Rückkehr zur freien Religionsausübung bedeutete. Nach der Rückeroberung und Reinigung des Tempels wurden dessen Lichter neu entzündet. Dieser historische Festanlass wurde um Narrative ergänzt: Jüngere Quellen überliefern eine Wundererzählung, der zufolge eine Lampe, deren Öl nur für einen Tag genügte, im Tempel acht Tage gebrannt habe. Eine weitere Chanukkalegende berichtet von Hanna und dem Märtyrertod ihrer sieben glaubenstreuen Söhne. Chanukka ist ein freudiges Fest, ebenso wie an Purim sind Trauer und Fasten untersagt. Zu den festlichen Bräuchen gehört das abendliche Anzünden von Lichtern an einem mehrarmigen, für acht Lichter und ggf. ein „Diener“-Licht (Schammes) konstruierten Chanukkaleuchter (Chanukkia), der der ursprünglichen Tempel-Menora nachgebildet ist. An jedem Abend des Lichterfestes wird ein Licht mehr angezündet; diese Chanukkalichter sind dem profanen Gebrauch entzogen, und während sie brennen, ist Arbeit untersagt. Dies bewirkte, dass sich für die Abendstunden gesellige
Abb. 1: Lichtanzünden zu Chanukka (1723). In: Jüdisches Lexikon. Bd. 1. Berlin: Jüd. Verlag 1927, Sp. 1328.
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Zusammenkünfte und Spiele etablierten. Mit seinem fröhlichen Charakter gehört Chanukka zu denjenigen Jahresfesten, bei denen besonderer Wert auf eine kindgemäße Gestaltung gelegt wird. Auch dies förderte die Entwicklung von anlassbezogenen Kinderspielen: Für den deutschsprachigen Raum sind das TrendelSpiel¹⁰, das Springen um die Lichter, Kartenspiele (Kwittlech ¹¹) und Rätselspiele (Kattowes ¹²) belegt. Zur Festgestaltung gehörten aber auch Vortragstexte, darunter Kindergedichte, Kinderansprachen, Festlieder und Dramolette. Diese Texte geben zu erkennen, dass Chanukka in erster Linie in einem religionspädagogischen Sinn, als Fest der Glaubenstreue, verstanden wurde. In einer Kinderansprache heißt es dementsprechend: „Nur ein Bindeglied hält uns Israeliten aller Länder zusammen – und das ist dasselbe Licht, das die Makkabäer für uns gerettet haben, die Religion unserer Väter.“¹³ Zu Chanukka wurden somit auch inhaltlich auf dieses Fest zugeschnittene Kinderdramen aufgeführt. Es handelte sich um kurze Laienschauspiele, die zum Teil als Improvisationstheater und überwiegend im Rahmen von Feiern in der Schule, der Familie oder der Gemeinde, das heißt im teilöffentlichen und im privaten Raum, stattfanden. Realisiert wurden diese Schauspiele also vorrangig in einem binnenkulturellen Kommunikationsrahmen, was darauf schließen lässt, dass sie Teil einer kulturellen Selbstvergewisserung waren. Ihre Terminierung war im religiös strukturierten Jahreskalender verankert, und stofflich rekurrierten sie auf den jüdischen Textkanon; hiermit stellten sie eine rituell wiederholte, sozial stabilisierende Reaktualisierung der religiösen Überlieferung dar. Da diese Festspiele Kindern zu einem besseren Verständnis der religiösen Lehre verhelfen sollten, haben Chanukkadramen ein lehrhafteres Gepräge als die intensiver auf Komik angelegten Purimdramen. Im Verlauf der jüdischen Akkulturation trugen jedoch beide Dramenformen dazu bei, ein kulturwahrendes Gegengewicht zur Partizipation an deutschen Kulturwerten zu gewährleisten.
Der Trendel oder Dreidel ist ein Kreiselwürfel, auf dessen vier Seitenflächen die hebräischen Buchstaben N[es], G[adol], H[aja], S[cham] stehen, übersetzt „ein großes Wunder geschah dort“. In Deutsch wurden die Buchstaben auch, im Kontext eines Gewinnspiels, als Spielanweisungen N[ichts], G[anz], H[alb] und S[etzen] benutzt und folgten damit der jiddischen Interpretation der Buchstaben (nischt, ganz, halb, schtel ain). Während Kartenspiele von Orthodoxen abgelehnt wurden, bilden die Kwittlech zu Chanukka eine Ausnahme, gespielt wird allenfalls um äußerst geringe Geldbeträge (vgl. Ehrmann, Elieser L.: Chanukka. Ein Quellenheft [Jüdische Lesehefte. Hrsg. Adolf Leschnitzer. 25]. Berlin 1937. S. 39 f.). Kattowes waren zur Chanukkazeit auch in den Talmudschulen verbreitet, da sie mit einer Schulung in Gelehrsamkeit einhergehen: Zu einem aufgegebenen biblischen oder talmudischen Satz soll durch mathematische Regeln ein Hinweis auf die Gesamtzahl der Chanukkalichter − 44 bzw. ohne den Schammes 36 − gefunden werden (vgl. Ehrmann, Chanukka, S. 40). Abdruck in: Wegweiser für die Jugendliteratur. Jg. 4/6 (1908), S. 48.
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Zur Religionsvermittlung als grundlegender Funktion aller Chanukkadramen konnten weitere Intentionen hinzutreten. So dienten z. B. Schulaufführungen als sichtbares Zeugnis für die Verbürgerlichung des Judentums. Für ältere Kinder und Jugendliche wurden die Schauspiele auch als rhetorische Schulung geschätzt, diesbezüglich knüpfte man beim Chanukkaspiel an die deutsche Tradition der Schuldramen mit biblischen Stoffen an. Im Laufe des 19. Jahrhunderts unterstützten Aufführungen aber auch, insbesondere im familiären Rahmen, den Prozess der Intimisierung jüdischer Frömmigkeit. Darüber hinaus sollten Chanukkadramen den Kindern zur Unterhaltung dienen, und gerade die unterhaltsame Gestaltung der religiösen Stoffe ermöglichte es, dass einzelne Dramentexte für sowohl Chanukka als auch Purim, die beiden heiteren Jahresfeste, vorgesehen waren.
Abb. 2: Drei jüdische Theaterstücke. Hrsg. von der HenryJones-Loge U.O.B.B. zu Hamburg. Hamburg: Goldschmidt [1910 o. 1911], Titelblatt [die Ränder wurden bei der Fotografie beschnitten].
3 Dramendidaktischer Aufbruch seit den 1880er-Jahren Die Entstehung spezifischer Kinderdramen vollzog sich im deutschsprachigen Judentum in den 1880er Jahren.¹⁴ Jetzt wurden Kinder nicht mehr bloß als Mitglieder einer Glaubensgemeinschaft mitangesprochen, sondern medial differen Für Angaben zu Umfang und Datierung der Dramenproduktion ist zu bedenken, dass sich nur ein (wahrscheinlich kleiner) Teil der Spielpraxis in Druckerzeugnissen niederschlug.
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zierte Dramenadressaten. Um ihnen jüdisch geprägte und altersadäquate Schauspiele zur Verfügung zu stellen, besann man sich zum einen binnenkulturell auf jüdische Dramenformen, was zu einer Neuentdeckung des Purimspiels und des Chanukkadramas im kinderliterarischen Kontext führte. Zum anderen orientierte man sich interkulturell an bereits im nichtjüdischen Umfeld pädagogisch etablierten Dramenformen. Daher griff man auch auf Schuldramen, Märchenspiele, Singspiele und die familiäre Kinderschauspielpraxis zurück und passte diese Dramentypen stofflich für jüdische Belange an. In Kombination dieser Vorgehensweisen wurde die Schaffung eines jüdischen spezifischen Kinderschauspiels forciert. Die Veröffentlichung von Purimspielen für Schulaufführungen ist seit 1880 nachweisbar. Mit Die Chanuka-Wunder (1888) des Hamburger Rabbiners David Leimdörfer (1851−1922) setzten wenig später Publikationen von Kinder-Chanukkadramen ein. In seinem Dreiakter verband Leimdörfer auf Chanukka bezogene Berichte aus dem ersten Makkabäerbuch mit der anschaulichen Hanna-Legende aus dem zweiten, reicherte also die religiös-historische Lehre narrativ an. Zudem ging der Autor bereits davon aus, dass ein Kinderdrama unterhaltend sein müsse und dass eine aktive Beteiligung der Zuschauer ebenso vergnüglich wie didaktisch hilfreich sei. Daher fügte er kollektive, religiöse und säkulare Gesangseinlagen hinzu, mit denen er beabsichtigte, „den Ernst der Handlung zu mildern, in die Situation Erheiterung und belebende Abwechslung zu bringen, in den Darstellern ein Gefühl der Lust und Frische und in den Hörern Empfindungen reizvoller Zerstreuung und Unterhaltung zu erzeugen“.¹⁵ Dass der Rabbiner seine Kinderdramen, im Unterschied zu seinen Religionslehrschriften, sämtlich unter Pseudonym (D. L. Jussuf) veröffentlichte, deutet darauf hin, dass hinsichtlich der Akzeptanz dieses Genres in der jüdischen Öffentlichkeit noch Unsicherheit herrschte. Die Entstehung jüdischer spezifischer Kinderdramen wurde durch mehrere Faktoren begünstigt. Ausschlaggebend war zum einen das Erstarken jüdischen Selbstbewusstseins im ausgehenden 19. Jahrhundert (auch in Reaktion auf den Anstieg antisemitischer Ausgrenzung). Diese „jüdische Renaissance“ führte zu einem Interesse an Transformation religiöser Orientierungen und überlieferter kultureller Deutungsmuster für die moderne Gegenwart. Möglicherweise wurde die Aufmerksamkeit für Kinderdramen aber auch durch die Hochphase des hebräischen und jiddischen Theaters in Osteuropa befördert.¹⁶ Sicherlich spielten Jussuf, D. L. [d. i. Leimdörfer, David]: Die Chanuka-Wunder. Festspiel in drei Akten für israelitische Schulen und Familien. 2. Aufl. Berlin 1922. S. 4. Zur osteuropäischen Theaterblüte zwischen 1880 und 1935 vgl. Waxman, Meyer: A History of Jewish Literature. Bd. 3−4 [EA 1936−1941]. New York − London 1960.
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auch die Popularisierung bürgerlicher Kindheitsvorstellung im Judentum und der allgemeine Aufschwung des deutschen Kindertheaters im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eine wesentliche Rolle. Als wichtigster Impuls erwies sich jedoch die reformpädagogische Jugendschriftenbewegung, die Theaterbesuche in das Konzept einer musischen Erziehung integrierte. Heinrich Wolgasts Qualitätsforderung für Jugendschriften wurde auf das jüdische Drama übertragen,¹⁷ allerdings revidierte die jüdische Fraktion der Jugendschriftenbewegung Wolgasts Postulat der Tendenzfreiheit zugunsten dezidiert jüdisch geprägter Kindermedien. Im Wegweiser für die Jugendliteratur, dem Hauptorgan der jüdischen Jugendschriftenbewegung, wurden seit 1907 auch Kinderdramen erörtert. Der Teilabdruck eines ungarischen Chanukkadramas von Attila Gero¹⁸ rief positives Echo hervor, die nachfolgende Dramendebatte verdeutlichte jedoch auch, dass der großen Nachfrage seitens der Pädagogen noch für mehrere Jahre kein entsprechendes Textangebot gegenüberstand. Jugendschriftentheoretiker monierten anhaltend die geringe Anzahl und die Qualität jüdischer Kinder- und Jugenddramen, aufgrund dieser Debatte erreichte das jüdische Kinderdrama jedoch erstmals literaturdidaktische Anerkennung. Als Fördermaßnahme initiierte man literarische Auszeichnungen: Die Hamburger Henry-Jones-Loge des U.O.B.B. (Unabhängiger Orden Bne Brit) veranstaltete 1909 ein Preisausschreiben „für ein Festspiel, das sich zur Aufführung bei jüdischen Kinderfesten eignet“.¹⁹ Es wurden umgehend 32 Dramen eingereicht, von denen drei ausgezeichnet wurden, darunter Anna Goldschmidts Chanuka (1910/1911). In diesem religiös-
„Rechte Knaben und Mädchen haben allezeit gern sich schauspielerisch betätigt; die Eltern sollten ihnen aber nur wertvolle Stoffe zur Erprobung ihrer Kunst geben.“ (Wegweiser für die Jugendliteratur. Jg. 4/20 [1908], S. [80]). Zur Umorientierung der jüdischen Jugendschriftenbewegung vgl. Glasenapp, Gabriele von und Michael Nagel: Das jüdische Jugendbuch. Von der Aufklärung bis zum Dritten Reich. Stuttgart − Weimar 1996. S. 94−109; Glasenapp, Gabriele von und Annegret Völpel: Positionen jüdischer Kinder- und Jugendliteraturkritik innerhalb der deutschen Jugendschriftenbewegung. In: Theorien der Jugendlektüre. Hrsg. von Bernd DolleWeinkauff und Hans-Heino Ewers. Weinheim − München 1996. S. 51−76; Horch, Hans Otto: Admonitio Judaica. Jüdische Debatten über Kinder- und Jugendliteratur im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. In: Das Bild des Juden in der Volks- und Jugendliteratur vom 18. Jahrhundert bis 1945. Hrsg. von Heinrich Pleticha. Würzburg 1985. S. 85−102 und S. 179−228, hier S. 99−102. Erschienen in der „Ungarischen jüdischen Revue“, „Magyar Zsido Szemle“, im Januar 1907. Einige Szenen wurden in deutscher Übersetzung abgedruckt in „Wegweiser für die Jugendliteratur“ Jg. 3/16 (1907). S. 62 f. Israelitisches Familienblatt Hamburg. 1909. Nr. 20, S. 6. Kriterien für die Preisvergabe waren „1. Künstlerische Form, 2. Handlung im jüdischen Milieu, gesunder Humor, dem kindlichen Verständnis entsprechend, 3. Keine zu grossen Anforderungen an die Ausstattungen, 4. Bei etwa vorkommenden Gesängen keine trivialen Melodien, 5. Spieldauer nicht über 1 ½ Stunden. – Bereits veröffentlichte Stücke sind ausgeschlossen.“ (ebd.).
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Abb. 3: Preisausschreiben. In: Israelitisches Familienblatt Hamburg, Jg. 1909, Nr. 20, S. 6.
lehrhaften Einakter wird Assimilationskritik an einer stereotypen Negativfigur festgemacht. Dies trug dem Drama Kritik von Jugendschriftenkommissionen ein, Elias Gut bemängelte, auch die preisgekrönten Dramen seien ohne „großen poetischen Wert“ und Goldschmidts „apologetische Belehrungen wirken störend“.²⁰ Wenngleich die Dramenqualität somit umstritten blieb, hatte die Jugendschriftenbewegung doch eine Mangelsituation im Bereich jüdischer Kinderdramen zutreffend diagnostiziert und eine pädagogische Gattungsakzeptanz etabliert. Das Chanukkaspiel blieb ein Laienschauspiel, meist handelte es sich um kurze Dramen (z. T. Einakter) mit geringen Anforderungen an Kostüme und Bühnenausstattung. Die Rollen sollten von Kindern und Jugendlichen selbst gespielt werden, eine schauspielerische Beteiligung von Erwachsenen wurde zur Ausnahme. Entsprechend wurde die Dramengestaltung, z. B. bei der Liedauswahl, zunehmend an Kinder angepasst. Als binnenöffentlich inszenierte Dramenform einer soziokulturellen Minderheit erreichte das Chanukkadrama nie die Opulenz des Ausstattungstheaters, wie sie Carl August Görner für das Weihnachtsmärchen inszenierte. Vielmehr wahrte das Chanukkaspiel Anteile der
Blätter für Erziehung und Unterricht. 1911. Nr. 35. Louis Meyer bezweifelte überhaupt die religiöse Erziehungsfunktion von Dramen: „Die Lektüre kann wohl die religiöse Erziehung in etwa unterstützen, niemals aber ersetzen.“ − Wegweiser für die Jugendliteratur. Jg. 8/4 (1912). S. 24.
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lehrhaften Kinderschauspieltradition der Aufklärung. Dennoch drangen auch in diese Dramenform Elemente der Modernisierung vor: Jetzt wurden Kinder zu dramatischen Hauptfiguren, Traumsequenzen und die Theorie der Kindesmundart wurden dramenrelevant. Das Chanukkaschauspiel konnte zwar keine aufwendige Bühnentechnik einsetzen, öffnete sich jedoch eindeutig für einfacher zu realisierende theatralische Unterhaltungseffekte, für Märchenmotive, Gesangsund Tanzeinlagen. Hiermit entwickelte das Genre eine offenere Dramenform und eine mehr auf Genuss ausgerichtete Ästhetik, die neben Handlung und Rede der Szenerie mehr Gewicht verlieh. Sichtbares Zeichen dieses Wandels war die bekräftigende Schlussapotheose, deren Kernelement das gemeinsame Singen des Ma‘os Zur („Festung, Fels“), eines im 12. oder 13. Jahrhundert entstandenen hebräischen Liedes, war. Desgleichen wurde Schaulust durch den Einsatz von Lichtregie befriedigt: Dieses Mittel bot sich durch den historischen Anlass des Lichterfestes und den Chanukkia-Brauch an, sodass man um die Jahrhundertwende den Einsatz von Lichtsymbolik als Form einer besonders kindgemäßen Vermittlung der Festbedeutung, aber auch als attraktive theatralische Komponente entdeckte. So werden beispielsweise in Aaron Ackermanns (1867−1912) Die drei Wünsche von 1907 Kerzen tragende allegorische Gestalten, die Glaubenskomponenten vertreten („Glaube“, „Treue“, „Opfermut“, „Tapferkeit“, „Liebe“, „Vertrauen“, „Geduld“, „Hoffnung“), in Form eines Chanukka-Leuchters gruppiert, und die Chanukkafreude nimmt auf der Bühne die Position des SchammesLichts ein. Nach der Durchsetzung spezifischer jüdischer Kinderschauspiele in den 1880er-Jahren entstanden rasch Varianten des Chanukkadramas. Typologisch unterscheidbar sind religiös belehrende Chanukkadramen, Singspiele und Sprechchöre sowie Chanukka-Märchenspiele. Eine erste größere Gruppe bilden Chanukkadramen, die dem Modell des religiös-moralischen Lehrstücks entsprechen. Diese Dramen waren Teil einer sich durch Akkulturation wandelnden, jedoch kontinuierlichen Auseinandersetzung mit Religion, die eine Kulturwahrung in der Diaspora ermöglichte. Daher hielt man im deutschen Judentum auch in Zeiten fortgeschrittener gesellschaftlicher Säkularisierung mehrheitlich an der Vermittlung von Religionstreue oder doch zumindest von Religionskenntnis fest. Hierfür schufen J. Mansbacher, der Lehrer Salomon Katz (1866−1943), der Rabbiner und Lehrer Aaron Ackermann sowie die Schriftstellerin Frieda Mehler (1871−1943) charakteristische Dramen. Sie vermitteln Religion in einem ernsthaften und oft allegorischen Stil, geben aber auch einen Wandel hin zu einer kindgemäßeren Darstellung zu erkennen. So thematisierte Katz in seinen frühen Chanukkadramen (Hanna und ihre Söhne 1902, Vor der Menora 1903) unter anderem das tragische Geschehen der Märtyrerlegende mit heroischen Figuren, der Stoff wurde stets in einem gehobenen Deklamati-
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onsstil und lehrhaft vorgetragen. In seinen späteren Dramen hingegen modifizierte Katz seine Religionsvermittlung durch eine unterhaltsamere und gegenwartsorientiertere Präsentation. Diese Anpassung an die zeitgenössische Vorstellung von „Kindertümlichkeit“ zeugt von einem wachsenden entwicklungspsychologischen Verständnis. Erkennbar ist dies an Katz’ Die Chanuka-Puppe (1908): Handlungszeit und ‐ort sind in eine zeitgenössische Szenerie verlegt (ein bürgerliches Wohnzimmer), und Chanukka wird thematisiert, indem die Festvorbereitung in authentisches Spielverhalten kindlicher Hauptfiguren (Rollenspiel mit einer Puppe) integriert wird. Dergestalt wurde der Chanukkastoff für Kinder in die Gegenwart transponiert. Die Religionslehre konnte mit Vermittlung anderer Lernstoffe einhergehen. So integrierte Frieda Mehler Wissensvermittlung zum hebräischen Alphabet und Jahreskalender in ihre zahlreichen Chanukkadramen.²¹ Mehler warb für ein frommes Judentum, experimentierte aber auch mit melodramatischen Effekten bei Darstellung eines religiösen Urteilskonfliktes.²² Im Laufe der Jahre zeichnete sich in den religiösen Chanukkadramen zudem eine neuartige Toleranz für phantastische Elemente ab. Aufgrund eines liberalisierten Kindheitsbildes wurden Motive der Phantastik nicht mehr als Widerspruch zum Monotheismus abgewehrt. Repräsentativ hierfür ist die von Jugendschriftenkommissionen unterstützte Veröffentlichung von Aaron Ackermanns Die drei Wünsche (1907). In diesem Schauspiel tritt neben allegorischen Gestalten auch die zum Fest gehörende Freude personifiziert auf und bringt einen Trendel mit, der Wünsche erfüllt. Bemerkenswert ist, dass Ackermann religionstreues Verhalten bruchlos mit Zauberei der Freudenfigur verbindet: Sie schwingt einen Zauberstab, um den Chanukkaleuchter herbeizurufen und kündigt an, mit „Zauberkünsten“ für Festfreude zu sorgen:²³ Und drum soll doppelt auch die Freude sein, Die Eure Hütte füllt mit hellem Schein, Ich bring Euch eine heiter-frohe Kunde In diese festliche Chanukastunde Und will mit meinen Zauberkünsten machen, Dass Ihr sollt herzlich lachen!
Frieda Mehler-Sachs veröffentlichte zwischen 1910 und 1930 insgesamt 11 Chanukkadramen. Vgl. ihr historisches Chanukkadrama Aus bewegter Zeit (in Mehler, Frieda: Moaus zur jeschuossi. Gesammelte Chanuka-Aufführungen. Berlin 1914. S. 43−55.). Ackermann, A[aron]: Die drei Wünsche. Ein Chanuka-Festspiel. Berlin 1907. S. 10.
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Als neue Form des Chanukkafestspiels wurden, wenngleich seltener, auch Singspiele und Sprechchöre²⁴ eingeführt und mit jüdischen Stoffen versehen. Salomon Katz (Chanukamännchen 1903) und Heinrich Fabisch (Chanukkazauber 1911) weiteten die bisher üblichen Liedeinlagen zur Singspielform aus, wobei Katz durch Melodienkombination deutscher Volks- und Vaterlandslieder mit dem Ma‘os Zur der Festgestaltung interkulturelle Züge verlieh. Neben den vorrangig religiös belehrenden Dramen bildeten die ChanukkaMärchenspiele einen besonderen Schwerpunkt. Sie waren für das deutsche Judentum eine neuartige Dramenform, für die man besonders intensive Anleihen beim zeitgenössischen Kindertheater machte. Begünstigt wurde auch dies durch die jüdische Jugendschriftenbewegung, deren Gattungsdiskussionen in einer erstmaligen Akzeptanz von Kindermärchen mit jüdischer Prägung mündeten. Um der Assimilationsgefahr entgegenzuwirken, wurden nun auch etliche jüdische Kinderdramen zu Märchenkomödien oder zumindest Dramen mit Märchenstoffen umgestaltet. Das Märchenspiel war eine bereits in der Romantik entstandene Dramenform,²⁵ mit der seit den 1850er-Jahren Stoffe der Grimmschen Kinder- und Hausmärchen auf die Bühne gebracht wurden, und die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts mit Kindervorstellungen und Weihnachtsaufführungen in den Theatern reüssierte. Die zu Märchenspielen umgeformten Chanukkadramen boten sich als kulturelles Konkurrenzprodukt auch deshalb an, weil sie im Jahreskalender über eine angestammte Spielzeit verfügten, die nahe an derjenigen des
Chorische Aufführungen wurden von Mehler (Aus der Makkabäerzeit. In Mehler, Frieda: Moaus zur jeschuossi. Berlin 1914; Sprechchor zu Chanukah. In: Mehler, Frieda: Unser Lichtefest. 3 Chanuka-Aufführungen. Berlin 1930) und Max Lazarus (ein Chanukka-Sprechchor in Lazarus, Max: Für unsere Jugend. Ausgewählte Gedichte. Frankfurt/Main 1935. S. 1.) geschaffen. Elly Ludwig experimentierte in ihrem als „Sprechchor“ bezeichneten Chanukkadrama mit einer das Bühnengeschehen ergänzenden Stimme aus dem Off. (Ludwig, Elly: Chanukkah-Gestalten. In: Dies.: Die goldene Menorah. Berlin 1935. S. 23−26.) Zum nichtjüdischen Märchenspiel vgl. Brauneck, Manfred: Die Welt als Bühne. Geschichte des europäischen Theaters. Bd. 3. Stuttgart − Weimar 1999. S. 76−81; Dettmar, Ute: Theaterzauber. C. A. Görners Weihnachtsmärchen im Spannungsfeld von kinderliterarischer Tradition, Theaterpraxis und Populärkultur um 1900. In: Kindertheater und populäre bürgerliche Musikkultur um 1900. Hrsg. von Gunter Reiß. Frankfurt/Main [u. a.] 2008 (Kinder- und Jugendkultur, -literatur und -medien. Bd. 55). S. 33−54; Jahnke, Manfred: Von der Komödie für Kinder zum Weihnachtsmärchen. Untersuchungen zu den dramaturgischen Modellen der Kindervorstellungen in Deutschland bis 1917. Meisenheim/Glan 1977 (Hochschulschriften Literaturwissenschaft. Bd. 25), v. a. S. 72−75; Kober, Margarethe: Das deutsche Märchendrama. Frankfurt/Main 1925. S. 112−135; Schedler, Melchior: Kindertheater. Geschichte, Modelle, Projekte. Frankfurt/Main 1972 (edition suhrkamp 520), S. 43−83. Zur Verzögerung der Märchenspielakzeptanz im Judentum dürfte beigetragen haben, dass in zeitgenössischen deutschsprachigen Märchendramen auch Antisemitisches gezeigt wurde (Carl Robes Kobold Pirusch, 1840, enthielt Der Jude im Dorn).
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christlichen Weihnachtsmärchens lag. In ihrer Gestaltung behielten die aufkommenden Chanukka-Märchenspiele weitgehend die Kürze, einfache Paarreime, flache Figuren und geringen Ausstattungsbedarf bei. Das erste nachgewiesene jüdische Kinder-Märchendrama ist Adolf Mannheimers Judas Engel (um 1895). Es hatte, wie alle Chanukkadramen, einen lehrhaften Grundzug, war aber auch komödiantisch angelegt − z. B. durch antiautoritäre Verspottung eines Oberzwergs. Mannheimer verlieh seinem Drama ein jüdisches Profil, indem er Figuren aus Märchenkomödien und den französischen Feerien mit einer Handlung kombinierte, die aktuelles Zeitgeschehen aufgriff: Dargestellt wird, wie Elfen und Zwerge ein Bündnis zur Bekämpfung des antisemitischen Teufels schließen und jüdische Kinder vor seinen Nachstellungen schützen. Mannheimer versuchte vermutlich auch, an der zeitgenössischen Konjunktur des Kindertheaters teilzunehmen, denn sein Drama war mit 18 Rollen und Musikbegleitung vergleichsweise aufwendig und wurde in professionellen Textvarianten (Regiebuch, Rollenexemplaren) vertrieben. Wahrscheinlich war dies jedoch unrentabel, da spätere jüdische Märchendramen wieder als schlichtere Laienschauspiele veröffentlicht wurden. An dem Aufbruch des jüdischen Märchendramas beteiligte sich auch Salomon Katz mit Chanuka bei den Wichtelmännchen (1908). Er schuf ein Märchenspiel mit Gesang und Tanz, in das er jüdisch transformierte Märchenfiguren und Requisiten einfügte: Übermütige Jungen necken die Waldwichtel, die aus ihrer Unterwelt heraufgestiegen sind, um ihr „Fest der Lichtchen“²⁶ zu feiern. Die Wichtel kehren den Spieß um, machen die Übeltäter mittels Zauberei blind und stumm. Die Schwestern der Jungen bitten um Gnade und beweisen hierbei Frömmigkeit sowie Achtung vor dem Jahresfest, auch kommt den Kindern ein „Engel des Lichtes“²⁷, der eine Chanukkia trägt, zu Hilfe. Da auch die Jungen Reue zeigen, kommt es zur Erlösung und zum gemeinsamen Schlusstanz. Die religiöse Toleranzerziehung wird somit in Gestalt eines unterhaltsamen Märchenspiels geboten, in dem realistische Kinderfiguren mit Vertretern einer sekundären Welt bruchlos interagieren. Zeitgleich geriet das Weihnachtsmärchen deutscher Theater nach 1900 in die Kritik der Kunsterziehungsbewegung. Der anerkannte Jugendschriftentheoretiker Jakob Loewenberg (1856−1929) bemängelte (nicht aus dezidiert jüdischer Perspektive), die Märchen würden in Weihnachtsaufführungen willkürlich herangezogen, unter Missachtung sowohl ihrer Gattungsmerkmale als auch der Inter-
Katz, S[alomon]: Chanuka bei den Wichtelmännchen. Ein Märchenspiel mit Gesang und Reigen in 1 Akt. In: Ders.: Vor der Menorah. Gelsenkirchen 1908. S. 3. Katz, Chanuka bei den Wichtelmännchen, S. 17.
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essen kindlicher Rezipienten. Im Rahmen seiner Kindertheaterreflexion äußerte sich Loewenberg auch ablehnend zur Allegorie, sie gehöre nicht ins Märchen und sei für Kinder unverständlich, für Erwachsene hingegen uninteressant, „Ja, die liebe Moral! Sie ist noch immer der Köder, mit dem man die armen Fischlein, die sich vergnügt in den Wogen der Dichtung tummeln wollen, auf das Trockne zieht. Wenn die poetische Ader versagt, die moralische sprudelt immer frisch darauf los.“²⁸ Diese Überlegungen betrafen eine allegorische Schauspielpraxis, die auch in den Chanukkadramen aufgrund ihrer Lehrhaftigkeit bevorzugt und, ungeachtet Loewenbergs Kritik, mehrheitlich beibehalten wurde. Obwohl die künstlerische Qualität auch der jüdischen Kinderdramen mehrfach kritisiert wurde, befürworteten Pädagogen doch grundsätzlich die Entstehung und weitere Pflege eines jüdischen Märchendramas. Angesichts einer „grossen Nachfrage nach Schriften solchen Inhalts“²⁹ wurden im Laufe der nächsten Jahre (analog zur allgemeinen deutschen Märchenkomödie) Märchen als Stoffreservoir benutzt und frei zu jüdischen Märchenspielen herangezogen. In einigen Chanukkadramen wurden bekannte Märchenmotive zur besseren Veranschaulichung des Werts von Religionstreue eingesetzt (Jomi mit dem Sack 1928/1929; Minna Baum und Judith Rosenthal: Frische Fische, 1934). Andere jüdische Märchendramen waren nicht nur von der Märchenkomödie, sondern auch vom Stil der Märchenrevuen und von der Handlungsstruktur des Traum-Abenteuer-Spiels beeinflusst: In Louis Böhms Im Zauberland: „Es war
Abb. 4: Nachman-Acharya, Magda (Ill.): Jomi mit dem Sack. In: Jüdischer Kinderkalender. Jg. 1. Hrsg. von Emil Bernhard Cohn. Berlin: Jüd. Verlag 1928/1929, S. 40.
Loewenberg, J[akob]: Weihnachtsmärchen. In: Ders.: Aus der Welt des Kindes. Ein Buch für Eltern und Erzieher. Leipzig 1911. S. 78. Ein überarbeiteter Abdruck erschien u. d. T. „Das Elend unserer Weihnachtsmärchen“ in der Jugendschriften-Warte, Jg. 26, Nr. 5/6 (1919). S. [13]−16. Wegweiser für die Jugendliteratur, Jg. 6/6 (1910), S. [48].
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einmal“ (1920) ist die Rahmenhandlung in einer jüdischen Familie zu Chanukka situiert, während die Binnenhandlung aus vier Traumsequenzen besteht, in denen Schlüsselszenen der Konfliktlösung aus den Kinder- und Hausmärchen gezeigt werden. Zwischen den Märchenklassikern und Chanukka wird kein näherer gedanklicher Zusammenhang hergestellt, dies deutet auf eine collagenhafte, vor allem zur Unterhaltung gedachte interkulturelle Kombination hin. Die Märchenszenen werden im Rückgriff auf Tableaus der Feerien und der Märchenkomödien als unterhaltsam aneinandergereihte Bilder, mit Tanz und Musikbegleitung (Melodien bekannter Operetten und Opern) präsentiert. Den Zuschauern sollte das Wiedererkennen von Motiven Vergnügen bereiten und die Übereinstimmung von jüdischer mit deutscher Kultur anhand eines Chanukka-Märchenspiels vor Augen geführt werden. Einer modernen Kindheitsauffassung entsprechend, reduzierte man in allen Typen jüdischer Kinderdramen Grausamkeitsdarstellung (die in den Stoffvorlagen der Hanna-Legende und der Märchen durchaus vorhanden war). Stattdessen rückte eine positive religiöse Kulturvermittlung in Verbindung mit Unterhaltung in den Vordergrund. Und im Verlauf ihrer kulturspezifischen Profilierung entwickelten die Chanukkadramen weitere Standardelemente: Die Motive des Trendels und des Chanukkaleuchters (oft lichtdramaturgisch umgesetzt), das gemeinsame Singen des Ma‘os Zur und die Figur des Chanukkamännchens. An dieser Gestalt lässt sich verdeutlichen, dass man um 1900 solche Dramenelemente standardisierte, die den Kinderschauspielen eine unverwechselbar jüdische Prägung verliehen: Das Chanukkamännchen wurde als neue Figur in alle Varianten der Chanukkadramen eingeführt, meist tritt es – analog zum standardisierten Auftritt des Weihnachtsmannes im deutschen Weihnachtsmärchen − zum Schluss auf, um Kinder für normgerechtes Verhalten mit Geschenken zu belohnen. Auch die Kostümierung der Figur ist aufschlussreich, hierüber geben die Nebentexte Auskunft. Rothenbergs Chanukkamännchen kommt „mit weißem langen Bart und einem großen Sack“³⁰, und bei Katz heißt es detaillierter: Chanukamännchen tritt auf. Es trägt einen weißen Mantel mit goldenen Sternen benäht. Ein langer weißer Bart wallt bis zur Brust herab. Auf dem Kopfe trägt es einen hohen turmähnlichen Hut, der in 4 Spitzen zuläuft, auf denen brennende Kerzen befestigt sind. In der Hand trägt es eine Menora mit 8 brennenden Leuchtern und auf dem Rücken einen Sack mit Geschenken.³¹
Rothenberg, J.: Billchen und Tillchen. Chanuka-Kinderspiel in 1 Akt. Kassel [o. J.]. S. [6]. Katz, S[alomon]: Chanukamännchen. (Singspiel.) In: Ders.: Feierklänge. Gelsenkirchen 1903. S. 24.
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Die Gestalt des hilfreichen Chanukkamännchens speiste sich transmedial aus der in jüdischen Narrativen etablierten Figur des Propheten Elia, eines Helfers und Vermittlers zwischen Gott und den Menschen. Verschmolzen wurde dies nun offenkundig mit interkulturellen Anleihen bei christlichen Figuren kinderfreundlicher Gabenbringer (Nikolaus, Weihnachtsmann) und der skandinavischen Lucia. So wurde in jüdische Kinderschauspiele eine hybride Figur eingefügt, die symptomatisch für die Strategie angesehen werden kann, auch im religiös geprägten Chanukkadrama ein kultureigenes und attraktives Angebot zu etablieren.
4 Umakzentuierungen der Chanukkaschauspiele nach dem Ersten Weltkrieg In der Weiterentwicklung jüdischer Kinderschauspiele kam es zu einer durch den Ersten Weltkrieg bedingten Pause: Für 1915 bis 1919 sind keine Veröffentlichungen von Chanukkadramen bekannt, anschließend wurden jedoch mehr Kinderschauspiele als zuvor publiziert. Da Chanukka eher als Kinderfest gestaltet wurde und Jugendliche stärker am Dramenangebot für Erwachsene beteiligt werden sollten, vollzog sich dieser Produktionsanstieg vor allem auf kinderliterarischer Ebene. Mittlerweile waren Kinderdramen als methodisch moderne, die kindliche Selbsttätigkeit fördernde Medien zur Vermittlung jüdischer Bildungswerte anerkannt. Daher setzten auch Reformschulen in den 1920er- und 1930er-Jahren Purim- und Chanukkaspiele für Schulaufführungen sowie im Religionsunterricht ein und unterstützten, unter Berufung auf die Laienspielbewegung, die Schaffung eines Textkorpus künstlerisch überzeugender Laienspiele. So wurden am Philanthropin in Frankfurt am Main seit 1921 zu Chanukka und Purim Schauspiele aufgeführt. Der Leiter der Theatergruppe, Hans Epstein (1905−1967), forderte anstelle üblicher Purim- und Chanukkaspiele, die oft nur „aus Anlaß der jüdischen Feste erzeugte[r] Kitsch“ seien, das jüdische Laienspiel „zu wirklich jugendgemäßen Gestaltungen in deutscher oder hebräischer Sprache“³² weiterzuentwickeln. Nach 1933 gewannen Kinderdramen noch an pädagogischer Bedeutung, da man mit ihnen Antisemitismuskritik betrieb und den Ausschluss vom öffentlichen deutschen Kulturangebot zu kompensieren versuchte. Seit 1918 wurde der Umstand, dass der Inhalt der Chanukkaspiele mit dem Festanlass der Tempelweihe sowie biblischen Stoffen relativ fest umrissen war, als neue Herausforderung Epstein, Hans: Das jüdische Laienspiel. Frankfurt/Main [1934]. S. 9. Auch die Theaterwerkstatt der 1931 gegründeten Reformschule Caputh pflegte Chanukka- und Purimaufführungen.
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verstanden: In diesem Genre kam es nun verstärkt darauf an, den bekannten Inhalt mit aktuellen jüdischen Interessenslagen zu verbinden. Daher machten sich in Chanukka- und Purim-Kinderdramen Umakzentuierungen bemerkbar. Ohne die Lehrhaftigkeit völlig aufzugeben, gewannen die Dramen an komödiantischem Potential, sie griffen zeitgenössische Lebensumstände auf, bevorzugten Kinder als Hauptfiguren und erprobten neue Darstellungsweisen. Zu diesen gehörten ein Wechsel zur Prosa, was zu einer realistischeren Figurenrede führte (Emil Flanter: Wer auf Gott vertraut …, 1920), sowie ein Figurentheater mit derart zugespitzter karnevalesker Komik, dass sie pädagogische und ästhetische Konventionen sprengte.³³ Chanukkadramen waren nun deutlicher durch eine politische Haltung kritischer Abgrenzung gekennzeichnet, die sowohl den Antisemitismus als auch Assimilationsverhalten betraf. Einige Chanukkaspiele intendierten die Zurückweisung antisemitischer Diskriminierung (Louis Böhm: Drei Chanucka-Festspiele, 1920), und in Reaktion auf das politische Zeitgeschehen verstärkte sich diese Tendenz seit Ende der 1920er-Jahre. Ein Pendant bildete die Assimilationskritik, sie wurde meist mit einem selbstbewussten Bekenntnis zu religiösem Judentum verbunden. Charakteristisch hierfür ist die Aussage einer vorbildhaften Hauptfigur mit dem bezeichnenden Vornamen Hanna, „daß wir Grund genug haben, auf unsere Religion stolz zu sein, und sie nicht etwa wegen des Verkehrs mit Nichtjuden zu verleugnen oder auch nur zu vernachlässigen“.³⁴ Diese Botschaft wurde meist mit jungen Hauptfiguren verdeutlicht, nur ausnahmsweise anhand eines inneren Konflikts einer Erwachsenenfigur (Siegfried Keßler: Der Mutter Traum, 1928). Als Symbol für Kulturverlust durch unangemessene Anpassungsbereitschaft wurde der Weihnachtsbaum und damit das Phänomen von „Weihnukka“ in assimilierten Familien angeprangert (Anna Goldschmidt: Chanuka, 1910/1911; Auguste Rosenthal-Budwig: Jüdische Weihnachten, 1929³⁵). In den späten 1920er-Jahren machte sich zudem eine geänderte Auffassung von Chanukka bemerkbar. Das zuvor nur religiös bedeutsame Fest wurde von der jüdischen Nationalbewegung als politische Jahresfeier reklamiert. In deutschsprachigen Chanukkadramen für Kinder wurden zwar keine dezidiert zionisti-
So im Schattenspiel Daniel in der Löwengrube von Cohn/Peysack, das sowohl für Purim als auch für Chanukka konzipiert war. Onkel Josua [d. i. Cohn, Emil Bernhard]/Peysack, Georg (Ill.): Daniel in der Löwengrube. In: Jüdischer Kinderkalender. Hrsg. von Emil Bernhard Cohn. Jg. 1. Berlin 1928/1929. S. 110−124. Flanter, E[mil]: Wer auf Gott vertraut … Festspiel in 1 Akt zu Chanukkah. In: Im Strahlenglanze der Menorah. Hrsg. von Emil Flanter. Berlin 1920. S. 18. Enthalten in Rosenthal-Budwig, Auguste: Chanuka. 6 Aufführungen nebst einen Prolog. Berlin [1929]. S. 18−20. Ihre sechs Dramen dienten alle der Assimilationskritik.
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schen Positionen vertreten, aber sie akzentuierten nun in ihren Stoffen – und dies bereits für jüngere Kinder – den Makkabäer-Aufstand und wurden dementsprechend als „Makkabäerspiele“ bezeichnet (Der kleine Held, 1929; Max Lazarus: Für unsere Jugend, 1935, Elly Ludwig: Chanukka-Gestalten, 1935). Mit den Makkabäern wurden historische Vorbilder eines wehrhaften Judentums hervorgehoben, man rekurrierte hiermit auf ein reales geschichtliches Ereignis und stellte den aktiven Beitrag von Menschen zu diesem religiösen Jahresfest in den Mittelpunkt. Mit dieser Umdeutung beteiligten sich Chanukkadramen an einer partiellen Säkularisierung und mehr noch Politisierung, deren Relevanz im Nationalsozialismus noch beträchtlich anstieg. Charakteristisch ist auch eine intensivierte Gegenwarts- und Umweltorientierung. Dramenhandlungen wurden verstärkt in realistische Familienszenerien eingebettet und mit zeitgenössischen Requisiten versehen, dem Hier und Jetzt der kindlichen Zuschauer angenähert. Prägnant veranschaulicht das Frieda Mehlers Beim Chanukahmann von 1930,³⁶ hier wurde die Szenerie in eine Wohnung des Chanukkamannes verlegt, die sich in einem oberen Stockwerk eines Berliner Hauses befindet. Dort besuchen assimilierte Großstadtkinder den Chanukkamann, der sich nicht nur mit materialistischen Geschenkerwartungen der Kinder, sondern auch mit Verkaufsstrategien moderner Kaufhäuser konfrontiert sieht. Mehler vermittelte den Zuschauern eine Kritik an Profanisierung und Kommerzialisierung von Chanukka, verband dies jedoch auch mit empathischem Verständnis für kindliches Fehlverhalten und gewann der Verlagerung der Festspielfigur in das großstädtische Ambiente von Berlin um 1930 ironische Unterhaltungsaspekte ab. Eine weitere Schwerpunktsetzung betraf die interkulturelle und explizite Intertextualität der Festspiele. Neben den bereits erwähnten Märchenstoffen ist hierfür Salomon Katz’ Chanuka im Puppenladen (1924) beispielhaft. In diesem Stück griff Katz nochmals das Puppenmotiv auf, das Kindern von ihrem Spielzeug her vertraut war, erwachsenen Zuschauern aber auch die Möglichkeit bot, die Affinität von kindlichem Rollenspielverhalten zum Rollenspiel des Dramas zu reflektieren. Anhand sehr unterschiedlicher Puppenfiguren, die in einem Spielzeuggeschäft lebendig werden, verdeutlichte Katz die Vielfalt des Judentums, dessen zentrale Einheit die Religion sei. Neben der Verwendung von kinderkulturellen Requisiten, einer Lichtregie (acht Puppen stellen den Chanukkaleuchter dar) und der Personifikation von Chanukka als Hauptfigur, fällt besonders In-
In Mehler, Unser Lichtefest, S. 1−7.
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Abb. 5: Katz, S.: Chanuka im Puppenladen. Cassel: Grünebaum 1924, S. 4. Bühnenbild.
termedialität auf. In diesem Drama tritt der Struwwelpeter auf und erklärt sich bereit, für die Verteidigung des Judentums einzutreten:³⁷ Herr, man lacht mich hier im Haus Wegen meiner Nägel aus. Macht nichts! – Gilt es Judas Ehren, Kann ich mich mit Nägeln wehren.
Zusätzlich adaptierte Katz aus Heinrich Hoffmanns Bilderbuch den Prolog, denn in der Eingangsszene des Dramas wird ein Gabenbringer angekündigt, der nur einmal jährlich erscheine und „der art’gen Kinder Freund“³⁸ sei, eine Formulierung, die Katz von Hoffmanns „Christkind“ auf die jüdische Festfigur Chanukka transferierte. Es ist anzunehmen, dass Katz dieses Bilderbuch nicht nur aufgrund seiner Popularität auswählte, sondern dass auch Hoffmanns Kritik an Intoleranz für die interkulturellen Zitierungen ausschlaggebend war. In seiner Geschichte von den schwarzen Buben hatte Hoffmann im Bilderbuch mit Hilfe eines eingefügten Magen David keinen Zweifel daran gelassen, dass sich seine Kritik auch auf Diskriminierung von Juden bezog. Mit der Intertextualität wuchs auch die Selbstreflexivität der Dramen. Umgesetzt wurde dies als Theater im Theater (Auguste Rosenthal-Budwig: Chanuka, 1929) oder dergestalt, dass die anlassgebenden Feste zum Dramenthema wurden (Salomon Goldschmidt: Die Rivalen, 1910/1911). In Aaron Ackermanns Der Streit der Kleinen (1921) treten Chanukka und Purim als Figuren auf und wetteifern in einem Streitgespräch darum, welches Fest den größeren Wert habe, wobei sie scherzhaft
Katz, S[alomon]: Chanuka im Puppenladen. Ein Chanukaspiel mit Gesang und Reigen für 8 bis 12-jährige Kinder in einem Akt. Cassel 1924. S. 13. Katz, Chanuka im Puppenladen, S. 4.
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Abb. 6: Hoffmann, Heinrich: Der Struwwelpeter. Frankfurt/Main: Hoffmann-Museum 1979, [o. S.]. Die Geschichte von den schwarzen Buben, Bl. 1.
mit Merkmalen ihrer rituellen Gestaltung argumentieren. So führt Chanukka seine achttägige Dauer an, während Purim auf die längere Lesedauer seines biblischen Quellentextes (die Megillat Esther) und dessen zentrale Frauengestalt verweist. Die als Richter agierende Gerechtigkeit hebt die Kindlichkeit und Heiterkeit beider Feste hervor und urteilt salomonisch, beide seien gleichermaßen bedeutend:³⁹ Seid Beide Eures Wesens froh, Schafft Euch nicht Not und Leiden Durch Euer neidisch Streiten! Durch Scherze glaubtet Ihr zu siegen, Im Scherz scheint Eure Kraft zu liegen, So scherzet weiter allerwegen: Dann wirkt Ihr Beide stets zum Segen!
Derart entwickelten auch Chanukkaspiele eine autoreflexive Dramaturgie, die Spiel im Spiel inszenierte und die frühere Geschlossenheit des Genres amüsant
Ackermann, A[aron]: Der Streit der Kleinen. Ein Chanukka- und Purimspiel. 2. Aufl. Berlin 1921. S. 14.
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aufbrach. Das goldene Trendelchen (1929/1930) ist ein Chanukkadrama, das etliche der beschriebenen Neuerungen in sich vereint. Verfasst wurde es vom Berliner Rabbiner Emil Bernhard Cohn (1881−1948), der Chanukka- und Purimspiele für das komische Figurentheater öffnete (Cohn/ Peysack 1928/1929) und einen mehrbändigen, von der Jugendschriftenbewegung geförderten Kinder- und Jugendkalender herausgab, in dem kontinuierlich neue Dramen erschienen. Dieses Stück verdeutlicht den Lohn der Gläubigkeit durch ein göttliches Wunder: Zwei arme Kinder erhalten zu Chanukka Besuch von einem Zauberer. Er verwandelt ihr karges Zimmer in einen prächtigen Saal, bringt einen goldenen Trendel mit und ruft dessen Buchstaben als Figuren herbei. Zum Schluss vermuten die Kinder, dies alles nur geträumt zu haben, sie finden jedoch einen goldenen Trendel im Zimmer vor. Dieses Chanukkaspiel realisiert seine religiöse Lehrfunktion in modernisierter Form. Cohn bezeichnete das Drama im Untertitel als „Zauberspiel“ und orientierte sich auch inhaltlich mit der Betonung des religiös Wunderbaren am Modell des Märchenspiels. In nachromantischer Manier wird das Wunderbare der Kindheit zugeordnet, denn es wird nur von Kindern in Abwesenheit ihrer Eltern wahrgenommen. Auch entspricht die zentrale Zaubererfigur nicht dem vertrauten Chanukkamännchen. Cohns Helfer ist eine mit übernatürlichen Kräften ausgestattete Kinderfreundfigur, die als Zauberer aus einer Sekundärwelt zu stammen scheint, sich selbst jedoch als Schausteller bezeichnet und damit umweltorientiert ein reales Berufsbild der Weimarer Gesellschaft verkörpert. Hier dringt eine Figur des Jahrmarkts, das heißt der populären Unterhaltungskultur, in den Kontext religiös lehrhafter Kinderdramen ein, was innovative Brüche mit Gattungskonventionen erzeugt. Diese Figur sorgt auch für heitere Autoreflexivität im Schau-Spiel, da der Zauberer häufig von „Spiel“ spricht und mit dem Trendel ein Spielzeug mitbringt. Auch führt er mit einer demonstrativen Textexegese die Nähe von Religion und Literatur beziehungsweise Dramen vor Augen. Die Trendelbuchstaben werden nicht nur im Sinne der religiösen Überlieferung („Ein großes Wunder geschah dort“) und der bekannten Spielanleitung („Nichts, Ganz, Halb, Setzen“) ausgelegt, sondern vom Zauberer auch zu einem neuen Lehrsatz umgedeutet:⁴⁰ Nun – nur Gimel – gute He – Herzen Schin – schaffen’s.
Onkel Josua [d. i. Cohn, Emil Bernhard]/Samuel, Edith (Ill.): Das goldene Trendelchen. Ein Zauberspiel für Chanukka. In: Jüdischer Jugendkalender. Jg. 2. Hrsg. von Emil Bernhard Cohn. Berlin 1929/1930. S. 43 f. Vermutlich war Cohn auch Verfasser von Jomi mit dem Sack.
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Nur gute Herzen schaffen’s euch, Glück kommt nicht auf den ersten Streich; Doch jedem guten Herzen kommt Die gute Stunde, die ihm frommt, Und jedem Herzen dann und wann Kommt ihm sein Zauberbudenmann: „Und seid nicht halb, und seid nicht nichts, Und setzt euch ein! Seid ganz!“ so spricht’s Aus meinem Mund. Prophetenmund Tat euch ein Wort und Wunder kund.
Cohn inszenierte also in einem bisher nicht gekannten Ausmaß moderne Mehrdeutigkeit im Umgang mit religiösen Stoffen. Hierzu trägt auch bei, dass für die kindlichen Zuschauer nicht explizit geklärt wird, ob der Helfer ein wohltätiger Schausteller, tatsächlich ein Zauberer oder der Prophet Elia in ungewohntem Kostüm war – die Rezipienten werden zur eigenen Interpretation animiert. Mit diesem modernisierten Chanukkadrama wurde Kindern anschaulich vermittelt, dass es sinnvoll ist, tradierte Schriftdeutungen mit neuen Lesarten zu verbinden; wenngleich dies mit Ungewissheiten einhergehe, könnten neue Herangehensweisen die Religionslehre für die Gegenwart verlebendigen. Die literaturwissenschaftliche Wahrnehmung des deutschsprachigen Kinderdramas um 1900 ist bisher auf das Phänomen des Weihnachtsmärchens Görnerscher Prägung, auf Bassewitzʼ Dramaturgie und das Figurentheater fokussiert. Die Purim- und Chanukkadramen könnten als Differenzierungsanlass dienen, geben sie doch zu erkennen, dass sich auch außerhalb des öffentlichen Theaters eine interkulturelle Dramenliteratur entwickelte, die religiöse Lehrtradition mit aktuellen jüdischen Interessen sowie Einflüssen der zeitgenössischen Kindertheaterentwicklung zu verbinden verstand.
Literatur Chanukkadramen Ackermann, A[aron]: Die drei Wünsche. Ein Chanuka-Festspiel. Berlin 1907. Ackermann, A[aron]: Der Streit der Kleinen. Ein Chanukka- und Purimspiel. 2. Aufl. Berlin 1921. [Anonym]: Der kleine Held. (Ein Makkabäerspiel). Köln 1929. [Anonym]/Nachman-Acharya, Magda (Ill.): Jomi mit dem Sack. Ein Chanukkamärchen in 4 Akten. In: Jüdischer Kinderkalender. Jg. 1. Hrsg. von Emil Bernhard Cohn. Berlin 1928/1929, S. 30 – 49. Baum, Minna und Judith Rosenthal: Frische Fische. Ein Chanukka-Spiel. In: Jüdischer Jugendkalender. Jg. 4. Hrsg. von Emil Bernhard Cohn. Berlin 1934. S. 22−34. Böhm, Louis: Drei Chanucka-Festspiele. Frankfurt/Main 1920.
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Onkel Josua [d. i. Cohn, Emil Bernhard]/Peysack, Georg (Ill.): Daniel in der Löwengrube. In: Jüdischer Kinderkalender. Jg. 1. Hrsg. von Emil Bernhard Cohn. Berlin 1928/1929. S. 110−124. Onkel Josua [d. i. Cohn, Emil Bernhard]/Samuel, Edith (Ill.): Das goldene Trendelchen. Ein Zauberspiel für Chanukka. In: Jüdischer Jugendkalender. Jg. 2. Hrsg. von Emil Bernhard Cohn. Berlin 1929/1930. S. 36 – 46. Flanter, E[mil]: Wer auf Gott vertraut … Festspiel in 1 Akt zu Chanukkah. In: Im Strahlenglanze der Menorah. Hrsg. von Emil Flanter. Berlin 1920. S. 14−20. Goldschmidt, Anna: Chanuka. Dramatische Plauderei in einem Akt. In: Drei jüdische Theaterstücke. Hrsg. von der Henry-Jones-Loge U.O.B.B. zu Hamburg. Hamburg [1910 o. 1911]. S. 41−61. Goldschmidt, Salomon: Die Rivalen. Ein Chanukaspiel. In: Drei jüdische Theaterstücke. Hrsg. von der Henry-Jones-Loge U.O.B.B. zu Hamburg. Hamburg [1910 o. 1911], S. 63−73. Katz, S[alomon]: Hanna und ihre Söhne. Dramatisches Chanucka-Festspiel in 1 Aufzug. Gelsenkirchen [1902]. Katz, S[alomon]: Chanukamännchen. (Singspiel.) In: Ders.: Feierklänge. Gedichte, Wechselgespräche, Sing- und Festspiele für Israels Jugend zu Chanuka und Purim nebst einem Anhang ernster und humoristischer Gedichte aus dem jüdischen Leben. Gelsenkirchen 1903. S. 23−27. Katz, S[alomon]: Vor der Menora. (Festspiel.) In: Ders.: Feierklänge. Gelsenkirchen 1903. S. 28−38. Katz, S[alomon]: Chanuka bei den Wichtelmännchen. Ein Märchenspiel mit Gesang und Reigen in 1 Akt. In: Ders.: Vor der Menorah. Gelsenkirchen 1908. S. 1−20. Katz, S[alomon]: Die Chanuka-Puppe. Singspiel für einen Knaben u. zwei Mädchen im Alter von 8 – 10 Jahren. In: Ders.: Vor der Menorah. Gelsenkirchen 1908. S. 21−29. Katz, S[alomon]: Chanuka im Puppenladen. Ein Chanukaspiel mit Gesang und Reigen für 8 bis 12-jährige Kinder in einem Akt. Cassel 1924. Keßler, Siegfried: Der Mutter Traum. Chanukka-Märchen in einem Aufzuge. München 1928. Lazarus, Max: Für unsere Jugend. Ausgewählte Gedichte. Frankfurt/Main 1935. Jussuf, D. L. [d. i. Leimdörfer, David]: Die Chanuka-Wunder. Festspiel in drei Akten für israelitische Schulen und Familien. 2. Aufl. Berlin 1922 [EA Magdeburg 1888]. Ludwig, Elly: Chanukkah-Gestalten. In: Dies.: Die goldene Menorah. Berlin 1935. S. 23−26. Mannheimer, [Adolf]: „Judas Engel.“ Märchenspiel in 2 Aufzügen für Kinderaufführungen bei jüdischen Festlichkeiten. Mühlhausen/Thür. [um 1895]. Mansbacher, J.: Das Wunderlicht. Ein Chanuka-Festspiel für Kinder. In: Israelitischer Jugendfreund. Zeitschrift zur Belehrung und Unterhaltung der israelitischen Jugend. Jg. 1. Hrsg. von E[mil] Flanter. Berlin 1895. S. 350−353. Mehler, Frieda: Ein Chanuka-Traum. Die Megilla. Aufführungen für Chanuka u. Purim. Berlin 1910. Mehler, Frieda: Moaus zur jeschuossi. Gesammelte Chanuka-Aufführungen. Berlin 1914. Mehler, Frieda: Unser Lichtefest. 3 Chanuka-Aufführungen. Berlin [1930]. Rosenthal-Budwig, Auguste: Chanuka. 6 Aufführungen nebst einen Prolog. Berlin [1929]. Rothenberg, J.: Billchen und Tillchen. Chanuka-Kinderspiel in 1 Akt. Kassel [o. J.].
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Abbildungen Abbildung 1: Lichtanzünden zu Chanukka (1723). In: Jüdisches Lexikon. Bd. 1. Berlin: Jüd. Verlag 1927, Sp. 1328. Abbildung 2: Drei jüdische Theaterstücke. Hrsg. von der Henry-Jones-Loge U.O.B.B. zu Hamburg. Hamburg: Goldschmidt [1910 o. 1911], Titelblatt [die Ränder wurden bei der Fotografie beschnitten]. Abbildung 3: Preisausschreiben. In: Israelitisches Familienblatt Hamburg, Jg. 1909, Nr. 20, S. 6. Abbildung 4: Nachman-Acharya, Magda (Ill.): Jomi mit dem Sack. In: Jüdischer Kinderkalender. Jg. 1. Hrsg. von Emil Bernhard Cohn. Berlin: Jüd. Verlag 1928/1929, S. 40. Abbildung 5: Katz, S.: Chanuka im Puppenladen. Cassel: Grünebaum 1924, S. 4. Bühnenbild. Abbildung 6: Hoffmann, Heinrich: Der Struwwelpeter. Frankfurt/Main: Hoffmann-Museum 1979, [o. S.]. Die Geschichte von den schwarzen Buben, Bl. 1.
Über die Autorinnen und Autoren Louise Hecht, PD Dr. phil., Studium der Judaistik, Germanistik und Hispanistik an der Universität Wien; Promotion in Jüdischer Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem; Habilitation in Jüdischer Kulturgeschichte an der Paris Lodron Universität Salzburg; Senior Lecturer am Kurt and Ursula-Schubert Centre for Jewish Studies, Palacký University, Olomouc (CZ); wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Potsdam. Forschungsschwerpunkte: Jüdische Geschichte Mitteleuropas seit dem 18. Jahrhundert; Publikationen u. a. Ein jüdischer Aufklärer in Böhmen: Der Pädagoge und Reformer Peter Beer (1758 – 1838). Köln 2008. The Missing Link between Berlin and Galicia: The Haskalah in Bohemia and the Beginnings of Modern Education in Galicia. In: From Josef Perl to Shmuel Joseph Agnon: The Haskalah Movement in Galicia. Hrsg. von Nathan Shifris [u. a.] Jerusalem 2021. S. 9 – 19 (Hebr., im Druck). Karen Lambrecht, Dr. phil., Historikerin, promovierte in Stuttgart mit einer Arbeit zu den schlesischen Hexenprozessen (erschienen 1995). Mitarbeiterin an Forschungsprojekten in Berlin, Leipzig und Stuttgart, Lehrbeauftragte in Konstanz, seit 2009 Lehrbeauftragte und administrative Leiterin des Kontextstudiums an der Universität St. Gallen. Zahlreiche Publikationen zur ostmitteleuropäischen Geschichte und zum Werk des Schulreformers Johann Ignaz von Felbiger. Neueste Publikation: Müßiggang oder Arbeit? Adlige Lebenswelten in der Vormoderne. In: Produktive Unproduktivität. Zum Verhältnis von Arbeit und Muße. Hrsg. von Inga Wilke [u. a.]. Tübingen 2020. S. 15 – 31. Uta Lohmann, Dr. phil., Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für die Geschichte der Juden, Hamburg. Leitung des DFG-Editionsprojekts „Joel Bril Löwe. Die Breslauer Schulschriften im Kontext, 1791 – 1802“ (mit Kathrin Wittler). Jüngst erschienene Publikationen zum Thema: Haskala und allgemeine Menschenbildung. David Friedländer und Wilhelm von Humboldt im Gespräch: Zur Wechselwirkung zwischen jüdischer Aufklärung und neuhumanistischer Bildungstheorie (Jüdische Bildungsgeschichte in Deutschland, Bd. 9). Münster – New York 2020; Wissensspeicher, Lehrbuch, Erkenntnisquelle. Zur Rolle der hebräischen Bibel im Bildungskonzept der Berliner Haskala. In: Deutsch-jüdische Bibelwissenschaft. Historische, exegetische und theologische Perspektiven. Hrsg. von Daniel Vorpahl, Shani Tzoref und Sophia Kähler. Berlin – Boston 2019. S. 77 – 91. Dirk Sadowski, Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Georg-Eckert-Institut – LeibnizInstitut für internationale Schulbuchforschung und Koordinator der Deutsch-Israelischen Schulbuchkommission. Studium der Israelwissenschaften, der Judaistik und der Neueren und Neuesten Geschichte in Berlin und Jerusalem. 1998 – 2001 Projektmitarbeiter im Israel-Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung; 2001 – 2009 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Simon-Dubnow-Institut für jüdische Geschichte und Kultur. 2008 Promotion an der Universität Leipzig. Ausgewählte Publikationen: Haskala und Lebenswelt. Herz Homberg und die jüdischen deutschen Schulen in Galizien 1782 – 1806. Göttingen 2010; „Gedruckt in der Heiligen Gemeinde Jeßnitz“ – Der Buchdrucker Israel bar Avraham und sein Werk. In: Jahrbuch des Simon-DubnowInstituts 7 (2008), S. 39 – 69; Eine Krone für den Buchdruck. Hebräische Typografie und jüdisches Wissen in der Frühen Neuzeit. In: Ein Paradigma der Moderne. Jüdische Geschichte in Schlüsselbegriffen. Hrsg. von Arndt Engelhardt [u. a.]. Göttingen 2016. S. 239 – 262; A Hybrid https://doi.org/10.1515/9783110743050-011
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Über die Autorinnen und Autoren
Space of Knowledge and Communication: Hebrew Printing in Jessnitz, 1718 – 1745. In: Space and Spatiality in Modern German-Jewish History. Hrsg. von Simone Lässig und Miriam Rürup. New York – Oxford 2017. S. 215 – 230. Dorothea M. Salzer, PD Dr. phil., studierte Judaistik und Germanistik in Wien, Berlin und Jerusalem. Mitarbeiterin in verschiedenen wissenschaftlichen Projekten an der FU Berlin und der Universität Potsdam (Judaistik/Germanistik). 2008 Promotion an der Freien Universität Berlin zur Verwendung biblischer Anspielungen in magischen Texten aus der Kairoer Geniza, Habilitation Universität Potsdam 2020. Seit 2009 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Potsdam, zahlreiche Forschungsaufenthalte im Ausland u. a. in Israel, der Schweiz und den USA. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören jüdische Magie, Editionsphilologie, religiöse Erziehung im deutschsprachigen Judentum seit der Haskala, Rezeption der Hebräischen Bibel und Übersetzungen im Judentum. Ausgewählte Publikationen: Die Magie der Anspielung: Form und Funktion biblischer Anspielungen in den magischen Texten aus der Kairoer Geniza. Tübingen 2010; Adam, Eve, and Jewish Children. Rewriting the Creation of Eve for the Jewish Young at the Beginning of Jewish Modernization. In: Jewish Quarterly Review 106,3 (2016), S. 396 – 411; Re-writing the Hebrew Bible for Jewish Children?: Isaak Markus Jost’s New Children’s Bible in Its Context. In: Wissenschaft des Judentums Beyond Tradition. Jewish scholarship on the Sacred Texts of Judaism, Christianity, and Islam. Hrsg. Von Dorothea M. Salzer, Chanan Gafni und Hanan Harif. Boston – Berlin 2019, S. 25−52. Mit der Bibel in die Moderne. Entstehung und Entwicklung Jüdischer Kinderbibeln (im Druck). Zohar Shavit, Prof. PhD, incumbent of the Porter Chair of Semiotics and Culture Research Tel Aviv University, is a full professor (emerita) in the School for Cultural Studies at Tel Aviv University. She is an internationally renowned authority on the history of Israeli culture, child and youth culture, and the history of Hebrew and Jewish cultures in modern times, in the context of their relations with various European cultures, in particular with the French and German cultures. Among her recent publications are: (With Yaacov Shavit). Jewish Culture: What Is It? In Search of Jewish Culture. The Cambridge History of Judaism, Vol. VIII. Cambridge 2017. P. 677 – 698.; Cultural Translation and the Recruitment of Translated Texts to Induce Social Change. In: Childrenʼs Literature in Translation: Texts and Contexts. Ed. by Jan Van Coillie and Jach Mcmartin. Leuven 2020. P. 73 – 92. Walter Sparn, Prof. Dr. theol., Studienfächer Theologie, Philosophie und Neuere Geschichte; Promotion 1974, Habilitation 1982. Seit 1979 Forschungsleiter an der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 1985 Professor für Systematische Theologie an der Universität Bayreuth, 1995 an der Theologischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg; emeritiert 2007. Publikationen v. a. zur Kultur-, Religions- und Wissenschaftsgeschichte der Frühen Neuzeit (siehe Bibliografie zum Beitrag), zuletzt: Theologische Aufklärung. Kritik oder System? In: Religion und Aufklärung. Hrsg. von Albrecht Beutel und Martha Nooke. Tübingen 2016. S. 21 – 41; Gotthold Ephraim Lessing: Die Erziehung des Menschengeschlechts. Hrsg. und kommentiert von Walter Sparn. Leipzig 2018. Annegret Völpel, Dr. phil., Lehrkraft für Literaturwissenschaft und -didaktik an der Universität zu Köln. Studium der Germanistik sowie der Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft. Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Jugendbuchforschung der Universität Frankfurt/Main. Promotion über Volksaufklärungsliteratur des 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Veröffentlichun-
Über die Autorinnen und Autoren
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gen zur Geschichte deutsch-jüdischer Kinder- und Jugendliteratur, u. a. Religion, German Jewish Childrenʼs and Youth Literature and Modernity. In: Religion, Childrenʼs Literature and Modernity in Western Europe 1750 – 2000. Hrsg. von Jan de Maeyer [u. a.]. Leuven 2005. S. 108 −123. Jüdische Kinder- und Jugendliteratur bis 1945. In: Geschichte der deutschen Kinder- und Jugendliteratur. Hrsg. von Reiner Wild. 3., überarb. u. erw. Aufl. Stuttgart – Weimar 2008. S. 260−275. Ilse Herlinger − eine Kinderschriftstellerin und Lyrikerin. In: Herlinger, Ilse: Mendel Rosenbusch. Hrsg. von Ulrich Leinz. Berlin 2020. S. 165−182. Irene Zwiep, PhD 1995, studied Classics and Semitic Philology in Amsterdam and Jerusalem. From 1995 – 1997 she joined the London Warburg Institute. Since 1997 she has held the chair of Hebrew and Jewish Studies at the University of Amsterdam. Her research concentrates on Jewish intellectual history, with a focus on the history of Hebrew linguistic thought, Jewish Enlightenment and Wissenschaft des Judentums. She is co-editor of Studia Rosenthaliana and Zutot. Perspectives on Jewish Culture. Recent publications are: From Nations to Citizens. Jewish Life in the Low Countries in the Shadow of the Enlightenment (1750 – 1814). In: Reappraising the History of the Jewish in the Netherlands. Ed. by Hans Blom. Liverpool 2020, P. 172 – 199; Knowledge and Inclusivity in Dutch Jewish Scholarship after 1796. In: Wissenschaft des Judentums in Europe. Comparative and Transnational Perspectives. Ed. by Miriam Thulin and Christian Wiese (im Druck); Between Past and Future. European Jewish Scholarship and National Temporalities, 1845 – 1889. In: Expanding the Wissenschaft des Judentums. Ed. by Noah Gerber and Michael Meyer. Philadelphia 2021. P. 3 – 30.
Personenregister Abravanel, Isaak 185 Ackermann, Aaron 262 f., 271 Alschech, Mosche 128 f. Antoine, Joseph 213 Anton, Carl 141, 144, 147 Arndt, Johann 34 Auerbach, Erich 184 Avinu, Israel ben Avraham 134 Avraham, Israel bar 12, , 125 – 131, 134 – 139, 141 – 143, 145, 147, 148
Dohm, Christian Wilhelm von 202, 249
Bahrdt, Carl Friedrich 23, 35 Baraz, Shimon 209, 211 f. Basedow, Johann Bernhard 23, 35, 87, 163, 205 f., 212 Baum, Minna 266, 274 Bede, the Venerable 186 Beer, Peter 3, 13, 58 f., 112 f., 151 – 153, 155 – 172, 279 Ben-Seev, Jehuda 80 Bloch, Eliezer Ben Shimon Hacohen 217, 221, 245 f., 251 Bock, Friedrich Wilhelm 139 f., 144 Bock, Moses Hirsch 11, 65, 78 – 89 Böhm, Louis 266, 269, 274 Borstel, Leman 181, 184, 187 – 189, 193, 195 f.
Fabisch, Heinrich 264 Feivelman, Moses ben Uri 142 f., 148 Felbiger, Johann Ignaz von 11, 13, 41 – 60, 62, 158 – 165., 167 – 170, 172 Fichte, Johann Gottlieb 31 Flanter, Emil 269, 275 Francke, August Hermann 24, 47 Fränkel, David 5, 83, 89, 126 f., 136 Franzos, Karl Emil 192 Friedländer, David 5, 22 f., 70, 72 – 78, 80 f., 84, 87, 89, 93 f., 102, 116, 154 f., 170, 172 Friedrich II. , 41, 43, 44 Friesenhausen, David 86
Campe, Joachim Heinrich 14, 23, 201 f., 205 – 209, 211 – 223, 225, 227, 230 – 233, 236 – 239, 243 – 246, 249 Canisius, Petrus 56, 137 Caro, David 211 Chanania bar Chama 105 Cohen, Salomon Jacob 86 Cohn, Emil Bernhard 266, 269, 273 – 275 Comenius, Jan A. 34 Coppenhagen, Jacob 180, 182, 190, 193, 196 Defoe, Daniel 204, 213, 215 f., 227 Dessau, R. Wolf 210
https://doi.org/10.1515/9783110743050-012
2, 15, 23, 35,
Eckermann, Johann Peter 214, 249 Ehrenberg, Meir 6, 211 Elkan, Moses 187 f. Emden, Jacob 141, 185 Epstein, Hans 268, 276 Erter, Isaac 217, 246 Euchel, Isaak Abraham 73, 86, 89, 146 f.
Gans, David 126, 147, 179, 185, 194 Garrett, Leah 218, 250 Genlis, Stéphanie Félicité 219 f. Gero, Attila 260 Goethe, Johann Wolfgang 214 Goeze, Johann Melchior 33 Goldschmidt, Anna 260 f., 269, 275 Goldschmidt, Salomon 271, 275 Gordon, Judah Leib 178 Görner, Carl August 261, 274 Graetz, Heinrich 179, 186 Ha-Cohen, Tuvija 128 Ha-Nakdan, Barachja ben Natronai 81, 87 Hähn, Johann Friedrich 42, 47, 49 f., 53 f. Halevi, Isaak ben Samuel 131 Halevi, Jehuda 74
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Personenregister
Hanau, Schlomo Salman 130 Hardt, Hermann von der 135 f., 149 Hecker, Johann Julius 47, 49, 54, 60 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 31, 196 Heilbronn, Joseph ben Elchanan 131 Heinrich, Georg 56 Herder, Johann Gottfried 24 f., 28, 31 Hoffmann, Heinrich 271 f., 277 Holwede, Heinrich von 212 Homberg, Herz 5, 16, 108, 112, 115, 156, 173, 253 Hoofiën, Jacob 177 – 180, 186, 196 f. Humboldt, Alexander Georg von 212 Humboldt, Alexander von 212 Humboldt, Wilhelm von 207, 212 Hutcheson, Francis 30 Ibn Ezra, Abraham 185 Itzig, Isaak Daniel 6, 72 f., 75, 87, 89 Jacobson, Israel 6, 78 f., 88 Jagel, Avraham 135 – 139, 142 f., Janković, Theodor 55 Jeitteles, Baruch 97 Jeitteles, Jonas 96 Jeitteles, Juda 12, 93, 95 – 107, 109 – 113, 115 f., 117 Jenner, Edward 97 Jerusalem, Johann Friedrich Wilhelm 29 Joseph II. 2 – 4, 43 f., 58, 95 f., 103, 109, 111, 160 Josephus, Flavius 179, 184, 187 Jost, Isaak Markus 179, 185, 187 f., 190 f. Jussuf, D. L. 259 Kalonymos, Isaak ben 129 Kant, Immanuel 22, 27, 29, 31 – 33, 36 f. Katz, Salomon 262 – 265, 267, 270 f., 275 Keßler, Siegfried 269, 275 Kimchi, David 126, 185 Kindermann, Ferdinand 104, 159 Klesser, George Friedrich 135 – 138, Koenen, Hendrik 188 LaFollette, Marcel C. 55, 61 Lämel, Regina 97 Lämel, Simon 97, 115
Lazarus, Max 264, 270, 275 Leimdörfer, David 259, 275 Lemans, Moses 182, 193 Lessing, Gotthold Ephraim 27, 29 f., 33, 35, 38, 255 Letteris, Meir 246 Levi, Moses Gerson 141 Lindau, Baruch 86 Lissaur, David 180, 182, 184, 188 – 190, 193, 195, 197 Löb, Jehuda Arie 130 Locke, John 24, 30, 212 Loewenberg, Jakob 265 f., 276 Löw, Jehuda 101 Löwe, Joel Bril 86 Ludwig, Elly 270, 275 Luria, Salomo 128 Luther, Martin 33, 56, 168 Maimon, Salomon 146, 148 Maimonides 74, 80, 85, 108 f., 125, 127, 136 – 138, 143, 145 f., 178, 194, 254 Mannheimer, Adolf 265, 275 Mansbacher, J. 262, 275 Maria Theresia 42, 44, 103 Mehler, Frieda 262 – 254., 270, 275 Mendelssohn, Moses 22 f., 27, 29 – 31, 36, 66 – 69, 73, 75 f., 83, 86, 90, 95, 97, 109 f., 112, 118, 126, 143, 146, 194, 205 – 207, 247, 250 Migazzi, Christoph Anton von 57 Mulder, Samuel I. 180, 182, 184 – 190, 193, 196 f. Neumark, Nathan 131, 134 f. Nicolai, Friedrich 30, 53 Niemeyer, August Hermann 35 Pakuda, Bachja Ibn 126, 143 Palm, Johannes van der 181, 185, 197 Paul, Jean 31 Pestalozzi, Johann Heinrich 209, 213 Peysack, Georg 269, 273 f. Philippson, Ludwig 255 Philippson, Moses 88 Pope, Alexander 30
Personenregister
Raschi 109, 123, 132 f., 185 Ratke, Johannes 34 Rauch, Franz 219 Rochow, Friedrich Eberhard von 23, 35, 52 – 54, 58, 61 Rosenthal, Judith 266, 274 Rosenthal-Budwig, Auguste 269, 271, 275 Rothenberg, J. 267, 275 Rousseau, Jean-Jacques 24, 31, 35, 212, 215 f., 227, 231, 236, 251 Rumsch, Isaac 219, 249 Salzmann, Christian Gotthilf 23, 35 Samosc, David 14, 161 f., 174, 201 f., 211, 219 – 227, 230 – 233, 238 – 240, 245 – 247, 251 Sanwil, Süßkind Alexander ben Samuel 130 Satanow, Isaak 85 f. Schiller, Friedrich 213, 255 Schleiermacher, Friedrich 32, 36 Schlosser, Johann Georg 56 Seiler, Johann Georg 25 – 27, 34 f., 38 Semler, Johann Salomo 32 Shaftesbury, Earl of 24, 30 Shlosberg, Ber 218 Simon, Jean Frédéric 206 Şincai, Gheorghe 55 Sluys, David 177 – 180, 186, 196 Somerhausen, Hirsch 180, 184, 193 – 195, 197 Sommershausen, Hirsch 88 Spalding, Johann Joachim 30 – 32, 38 Spinoza, Baruch 191 Steinschneider, Moritz 213, 252 Strauch, Benedikt 56 f.
Stresow, Conrad Friedrich Sucher, Joseph 42
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50, 61
Teller, Wilhelm Abraham 26, 39 Titus 184 Trapp, Ernst Christian 23 Visscher, Lodewijk 192 Vitlin, Yoysef 218 Washington, George 213 Waterman, Israel 181 f., 184, 190 – 195, 197 Weber, Max 45 Weisel, Naphtali Herz (siehe auch Wessely, Hartwig und Wessely, Naphtali Herz) 3, 9, 18, 93 f., 100 f., 103, 109 f., 112 Wessely, Hartwig (siehe auch Weisel, Naphtali Herz und Wessely, Naphtali Herz) 3 – 5, 9, 132 Wessely, Naphtali Herz 3 – 5, 12, 18, 22 f., 69 – 72, 74 f., 85 f., 91, 93, 119, 132, 149, 209 f., 248, 252 Weyl, Meyer Simon 84 Wezel, J. K. 214 Wiener, Moses 104 f. Witte, Johann Michael 51 f. Wolf, Immanuel 36, 183 Wolfssohn, Aaron 77, 80, 85 f., 91, 157 f., 254 Wulff, Moses Benjamin 127 Zacuto, Abraham 194 Zamość, Israel 126 Zippe, Augustin 160 – 164, 166 f., 170 f., 175 Zunz, Leopold 36, 183